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En tur : n DR AR > 1 . TEmwES r Eher Freinnigpr 1 Tee ER PERL STE ET IE ? ? ‘ “or tr: iz vv. BrRren LANE i B . F } Er . ERE . \ 2 + ‘ ; R ; e a ‘ Br r RAR z ’ EEE E 5 ar - 5 is Fa) run f m » Lues BEE IF a pr. IE) PERLE ' Fr e . ER, Br Re ) . Ten 4 EL A & (Fi Ä A i RR, “ \ vr; Fer Dr r RE EEE ah Fe BA iE Braga CH RN IR . ee . ey RZ Er . EI ’ “ Sea! FE j , F n En nr E , # r Fur wel R Zu ’ Le: PEH R * A ee De i A j een BERDERE a ee B Ra HE A Kap VER B FOpR Et 3 we Kibrarp of the Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CANBRIDGB, MASS. Dounded bp private subscription, in 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. Es Klee ARCHIV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN voN D:. WILH. HIS uno Dx. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND D:. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1891. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. I: I” LEIPZIG. 5 | VERLAG VON VEIT & COMP. 1891. ARCHIV FÜR BEHNYSIOEOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN voN Dz. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1891, ’ MT ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIERZEHN TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. de 1891. 3 x j . Be 4 x welt a U N 4 ‘Druck von Metzger & Wittig in Leipzig Inhalt. H. Burmeister, Studien zur Beurtheilung der Descendenzlehre JuLıus Lazarus, Ueber Reflexe von der Nasenschleimhaut auf die Brone hranl lumina. (Hierzu Taf. 1.) Josepa ZAGARı, Wirkung des Chloroforms, ae Amoniake Und de Bromactie 1: auf die Athmung mit besonderer Beziehung auf den durch die Kohlen- säure bedingten inspiratorischen Reflex von Seiten der Hauptbronchien. (Hierzu Taf. I.) RupoLr ARNDT, Ueber trophische Seien de re sl, Max JoserH, Ueber Schweiss- und als drüsensocretiön! eehern Taf. en @&. Hürser, Ueber die Farbe des Wassers . r J. E. Josansson, Die Reizung der Vasomotoren nach dei Tähmaneg der cere- brospinalen Herznerven. (Hierzu Taf. IV/VL). Avour SzıLı, Zur Erklärung der „Flatternden Herzen“ h F. Weyerr, Der Uebergang des Blutzuckers in verschiedene Könpersäfte ELLENBERGER und HormkIsTER, Ueber die Verdauung der Stärke bei Hunden B. Basınsky, Hörsphaere und Ohrbewegungen 2 E. Drsc#ser, Beiträge zur Kenntniss des Stoffwechsels . E. DRECHSEL, Der Abbau der Eiweissstoffe Sven ÄkERLUND, Das phosphorsaure Natron als eibamitklel für Muskel amd Nerv. (Hierzu Taf. VII—IX.) JOHANNES FRENZEL, Die Verdauung lobenilen Gewebes and iR TR aasiten ALEXANDER SZANA, Beitrag zur Lehre von der Unermüdlichkeit der Nerven. Lxro BREISACHER, Zur Physiologie des Schlafes J. Gap, Ueber den Berns’schen Athemreflex. . . . n BERNHARD Rawırz, Zur Physiologie der Chtalörödenrstina aan Tat, x) R. NıcoLAa1pes, Ueber intracellulare Genese von rothen a im Mesen- terium des Meerschweinchens. (Hierzu Taf. XI.) NN W. v. BEcHTEREw u. N. v. Mıstawskı, Ueber die iineenteen a Geheiden. bewegungen bei T'hieren. (Hierzu Taf. XII u. XIII.) ‘ BracHstein, Die Verarmung des Peptonblutes an Kohlensäure : Rn: E. pu Boıs-Reymoxp, Ueber secundär-elektromotorische Erscheinungen an den elektrischen Geweben. (Zweite Mittheilung.) OÖ. LANGENDORFF, Zur Erklärung des Curare-Diabetes . O0. LANGENDORFF, Eine Glycerinwirkung : OÖ. LANGENDORFE, Kleine Mittheilungen zur Ahnunesiehn ! V. GRandıs, Ueber den Grund der gsringen Kohlensäuremenge im Peoublure, (EiiezugTag.ıxıv.), 202% Seite vI INHALT Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1891—1892: GOLDSCHEIDER, Ueber die Summation von Hautreizen . . 164 Marrını, Ueber eine Beziehung der Pulswellengeschwindigkeit zu den Ans mungsphasen . . . 169 HERMANN Munk, Ueber Vermehe Beate dem N. arte ngeus Simon ds elleniles 175 Kosse, Ueber die chemische Zusammensetzung der Zelle . . . . 181 ImmanveL Munk, Ueber die Folgen lange fortgesetzter eiweissarmer Nahrung 338 THEODOR ROSENHEIM, Ueber den gesundheitsschädigenden Einfluss eiweissarmer Nahrung .. 3A G. Fritsch, Ueber don een SChlag der tensrelon ER, 344 N. Zustz, Ueber die Ausnutzung eiweissarmer Nahrung (Brod) beim Men 344 Karı MÜLLENHOFF, Ueber die Pe der Luftverdünnung auf den mensch- lichen Körper . . ee. >: Se FR. FArk, Ueber die ne eines a oe 350 An. Loewy, Ueber einige Umstände, welche den Hoiansahsel ha Muiskelarbei beeintlussene 2. SEIEN erflen ei 2 E35 HIRSCHBERG, Ueber das Aare dos Katzchens les alt ee G. Marınescu, Ueber die Innervation der Drüsen der Zunsenber a Ran Kosser, Ueber einige Bestandtheile des Nervenmarks . . . . 359 LEOPOLD AUERBACH, Ueber einen sexuellen Gegensatz in der Chromatonkalie der männlichen und weiblichen Geschlechtsprodutte . . . De Oswaur GerLoFr, Photogramme des Augengrundes des lebenden Menschen a 536 LitienreLp, Ueber die chemische Beschaffenheit und die Abstammung der Platichen nr en - .. . 588 H. Munk, Ansprache an en v. elnmolee EN DEE EB GaD, Ueber Beziehungen des Grosshirns zum Fressact hack Koniachen URAN H. Muxk, Ueber den N. laryngeus superior des Pferdes . » 2 2.2.2... 582 M. Krüger, Ueber Adenin . . ee... 5: C. Benpa, Neue Mittheilungen Alba die Beta anne dar Genitaldrüsen und über die Metamorphose der Samenzelln . . . 2. 2.2 2 2 2 22.5590 Sun ER END I mn 8 1891 Studien zur Beurtheilung der Descendenzlehre. Von H. Burmeister. Es dürfte nicht unbekannt sein, dass ich mit der Majorität der älteren Zoologen, wiewohl nicht gerade abweisend, so doch keinesweges in den lauten Jubel der jüngeren einstimmend mich verhalten habe, mit welchem Darwin’s 1859 erschienenes Werk: The Origin of Species begrüsst wurde. Meiner mehrmals geäusserten Ansicht nach halte ich die Idee der Abstam- mung der Organismen von primitiven Urtypen, welche sich im Laufe der Entwickelung allmählich zu verschiedenen Gestalten umgebildet haben, für einen schon vor dem Erscheinen von Darwin’s Descendenzlehre auch von mir ausgesprochene, wohl begründete Meinung!, und sehe in ihr die einzige echt wissenschaftliche Auffassung der gegenwärtigen mannigfachen Organi- sation, ohne sie weiter als durch ihre innere Nothwendigkeit darthun und annehmbar machen zu wollen. Es ist gewiss einfacher und naturgemässer anzunehmen, dass die späteren Typen durch Umformung früherer Urtypen sich gebildet haben, und weil von ihnen zahlreiche Gestalten sich wieder verloren, sie durch noch zahlreichere spätere Modificationen jener ersetzt worden sind, als anzunehmen, sie seien aus dem Rohen, wie ganz selb- ständige Bildungen, gleichsam wie durch einen Deus ex machina hervor- gerufen. Beweisen lässt sich das freilich direet nicht, sondern nur wahr- scheinlich machen aus der Uebereinstimmung der Anlage, und weil Dar- win’s Lehre ganz demselben Bedenken unterliegt, nahm ich Anstand, sie als volle Wahrheit zu beklatschen. Seit meiner Uebersiedelung nach Buenos Aires vorzugsweise mit dem Studium der fossilen Säugethierfauna dieses daran so reichen Territoriums \ Man vergleiche meine Organisation der Trilobiten u.s. w. 1843. 8.41. S 17 und Die Labyrinthodonten u. s. w. 1849. I. Abthlg. 8.56; — 1850. III. Abth. 8. 61. Archiv f. A,u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. ıl 2 H. BURMEISTER: beschäftigt, hat sich mir vielfach Gelegenheit geboten, die Arten der Ge- genwart mit älteren Typen zu vergleichen, um daraus ein Resultat über ihre Herkunft abzuleiten, und stehe ich nicht an, die Ergebnisse solcher Studien bekannt zu machen, um nach Kräften zur Befestigung des Urtheils über ihre Zusammengehörigkeit oder Verschiedenheit beizutragen. Ich be- absichtige zu diesem Ende, vier allgemein bekannte Säugethierformen beider Epochen zu schildern, um dadurch das Descendenzgesetz erläutern zu können. Diese vier, Formen sollen sein: eine Katze, ein Hund, zwei Hirscharten und die beiden Lamas, welche Südamerika zur Zeit bewohnen, weil mir gerade von diesen grossen Thieren zahlreiche Materialien aus der quaternären Vorzeit und der Gegenwart zu Gebote stehen. Ich beginne mit den Lamas der Gattung Auchenia, deren beide lebenden Arten nebst vielen Skelettheilen der untergegangenen mir vorliegen. 1. Aucheniae species. Bekanntlich bestehen unter den Zoologen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob es zwei oder vier verschiedene Species dieser Thiergattung in Südamerika gebe; indem die Vertheidiger von vier Arten das gezähmte Lama und Alpaka als selbständige Arten ansehen und den beiden wilden Typen des Guanako und Vicugna gleichstellen nach den mehr oder weniger abweichenden Schädelformen. Meine Meinung geht dahin, dass ich die wahrnehmbaren Differenzen der Schädel beider gezähmten Typen für durch die Züchtung bedingte Modificationen des wilden Guanako ansehe, also nur zwei Arten anerkenne, deren Differenz allseitig feststeht, aber nur an wilden Typen mit Sicherheit zu erkennen ist. Lama und Alpaka sind Variationen der einen Stammart des Guanako. Letzteres hat etwa die Grösse einer kleinen Hirschkuh; das Vicugna nur die eines alten Kehbocks; beide gezähmten Formen ähneln dem Lama in Statur, sind aber zum Theil etwas grösser und sehr variabel in Farbe und Zeichnung zwischen schwarz-weiss und aus beiden gefleckt, während die wilden Arten mit röthlichgelber Farbe und grauer Zeichnung constant bleiben. Der Schädel des wilden Guanako! ist an der Basis cranii in gerader Linie 25—28 °® lang und an der breitesten Stelle zwischen den hinteren on sine Abbildung derselben giebt Cunningham: Natural History of the Strait of Magellan, I,ondon 1871, p. 106, nebst einer Geschichte der ältesten Nachrichten von dem 'Thier bei verschiedenen Schriftstellern. Reichhaltiger sind die Angaben in 3lainville’s Osidographie, t. IV. p. 91. STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. Bi Rändern beider Augenhöhlen 13 — 14 ® breit; die Schnauzenportion vor den Backzähnen erscheint sehr schmal und misst 8-5—10-5 ““; die Reihe der fünf Backzähne hat 8—8.5 °“ Länge und die Hirnkapsel vom hinteren Ende der Nasenbeine his zur Crista occipitalis 15—16 ®.! Von der Seite betrachtet wölbt sich letztere stark über die Schnauze, welche eng ist und gegen die weit vortretenden Augenhöhlenränder sehr verschwindet; hinter letzteren wird auch die Hirnkapsel viel enger, dagegen behält der Joch- bogenabstand beträchtliche Breite. Der Unterkiefer ist mit den Schneide- zahnen gemessen bis zum aufsteigenden Aste 21—24 = lang und 12 —14 “ bis zum Ende des Kronenfortsatzes hoch. Das Gebiss des Guanake ähnelt zwar, wie der gesammte Skeletbau, dem der Kameele, hat aber doch einiges Eigene, besonders ist es viel zierlicher. Mit den Kameelen stimmen die Auchenien in der Anwesenheit von Eckzähnen in beiden Kiefern und dem weit abgerückten vordersten Lückenzahn des Oberkiefers überein, der entsprechende Zahn des Unter- kiefers fehlt ihnen, welcher den Kameelen bleibt. Daher hat das Gebiss der Lamas im Oberkiefer einen Backzahn mehr, als im Unterkiefer; dort deren ‚sechs, hier nur fünf; die Kameele sechs in beiden Kiefern, wenn nicht, wie öfters, der sehr kleine (zweite) Lückenzahn unten fehlt, wie das wohl vorkommt. Von den HEcekzähnen der Auchenien haben die oberen eine mehr rundliche, schlank konische, aber gebogene Form; die unteren sind etwas seitlich zusammengedrückt und sichelförmig, auch stärker ge- krümmt als die oberen. Der erste abgerückte Lückenzahn des Oberkiefers ähnelt ziemlich dem Eckzahn derselben Stellung und ist mitunter sogar grösser als dieser, wenn nicht gar ausgefallen, was vorkommt. Die übrigen Backzähne hinter dem ersten abgerückten Lückenzahn bilden eine zusammenhängende Reihe nach der offenen Lücke, welche sie von jenem trennt. Sie beginnen mit einem vordersten, etwas kleineren Zahn, dem vier successiv grössere Zähne folgen. Alle fünf bestehen aus zwei Loben, doch ist der vordere Lobus des ersten Zahnes der fünf nur halb so gross, oder noch etwas kleiner als der hintere. Im jugendlichen Alter des Thieres, d. h. zu einer Zeit, wo der hinterste grösste Molarzahn noch völlig in seiner Alveolarhöhle steckt, pflegt ein sehr viel kleinerer Zahn vor dem ersten stehenden vorhanden zu sein, der nur einen einzigen Lobus und auch nur eine einfache enge Wurzel hat. Dieser Zahn, welcher die ganze Reihe mit dem allervordersten, weit abgerückten Zahn auf sieben Zähne bringt, fehlt alten Thieren beständig; er beweist indessen, dass, wie es Owen in der Odontography p. 530 von allen Wiederkäuern darthut, die wahre Anzahl der Praemolaren auch bei den Auchenien in der That 1 Die Differenzen rühren vom Geschlechtsunterschiede her, denn der männliche Schädel ist etwas grösser als der weibliche. 4 H. BURMEISTER: vier ist, von denen aber der zweite, gleichwie auch der erste abgerückte im Unterkiefer, mit zunehmendem Alter auch im Oberkiefer fehlt, sobald der hinterste grösste Molarzahn sich vollendet hat und neben den früheren in Thätigkeit tritt. Zwei mir vorliegende Schädel wilder Guanakos, beide mit noch völlig verstecktem, in seiner Kapsel eingeschlossenen letzten Molar, haben diesen vordersten kleinen Zahn der zusammenhängenden Reihe noch am Platze; bei dem einen Schädel ist er ganz erhalten, dem anderen eines etwas älteren Individuums blieb nur noch die einfache Wurzel davon be- stehen. Aelteren Thieren mit völlig entwickeltem letzten Molar fehlt jede Spur seiner früheren Anwesenheit. Von den übrigen fünf Backzähnen sind die beiden vordersten als Praemolaren zu deuten, die anderen drei hinteren als Molaren. Von diesen fünf Zähnen bestehen die drei hinteren aus zwei mondförmigen Loben, ein jeder Lobus mit zwei Wurzeln, im Oberkiefer also jeder Zahn mit vier Wurzeln. Dennoch unterscheiden sich diese drei Molaren von den zwei Praemolaren nicht bloss durch ihre nach hinten zunehmende Grösse, son- dern auch etwas in der Anlage, insofern bei den Molaren jeder von beiden Loben vorn eine abstehende schmale, aber scharfe Schmelzfalte zeigt, von welchen die des vorderen den hinteren Rand des vorhergehenden Zahnes verdeckt, wodurch die vordere Aussenecke des nachfolgenden Molars die hintere des vorhergehenden umfasst. Diese Eigenschaft fehlt den beiden klei- neren Praemolaren, insofern deren Krone, besonders im Unterkiefer kleiner, namentlich enger ist und wenigstens in letzterem Kiefer keine zwei ganzen Loben besitzt, und sie im Öberkiefer, wenngleich weniger schmal und enge, doch auch einfacher gebildet sind. Hierzu kommt noch die Höhe der Krone des Zahnes, welche an den Praemolaren geringer ist als an den Molaren, was besonders an der Innenseite der Zähne erkannt wird. Das Gebiss des Unterkiefers scheidet die Auchenien noch schärfer von den Kameelen als das des Oberkiefers durch ihre langen, sehr geneigt, fast wagrecht vortretenden, schmäleren Schneidezähnekronen von sehr un- gleicher Länge. Der Eckzahn ist zwar immer vorhanden, aber nicht kegel- förmig, sondern sichelförmig. Der erste abgerückte Lückenzahn fehlt. Die 3ackzahnreihe besteht aus fünf Zähnen, welche wie im Oberkiefer einzeln an Grösse etwas zunehmen, aber sehr viel schmäler sind als die des Ober- kiefers, und nur jeder zwei Wurzeln haben. Die beiden vordersten stellen die Praemolaren dar, jeder in der Regel aus zwei Loben gebildet. Die scharfe Schmelzfalte der Aussenecke fehlt allen Loben der Praemolaren, nur die drei Molaren haben sie am ersten Lobus, aber nicht mehr am zweiten. Der dritte, grösste Molar hat am hinteren Ende noch einen dritten, kleineren Lobus, der aber niedriger und enger ist als die beiden anderen. Fi ee ee Eincieer- EEE ns STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. 5 Vom Milchgebiss liegt mir der Schädel eines in Buenos Aires gebo- renen, nach etwas über zwei Monate verstorbenen Alpaka vor, dessen un- tere Schneidezähne noch von der Zahnkapselhaut überzogen sind, während die Ränder der Kronen dieselbe eben durchschneiden. Jeder Schneidezahn hat eine länglich schaufelförmige Krone, und alle sechs beschreiben zu- ' sammen Zweidrittel einer Ellipse von 2 ® Länge und 1.7 °@ Breite. Neben dem letzten Schneidezahn jeder Kieferhälfte sitzt in der Kapselhaut ein kleines 0.5 " starkes Griffelchen als Vorläufer des späteren Eckzahns. Von da bis zum vordersten unteren Milchbackzahn ist ein freier scharfer Kieferrand an jeder Seite von 2.3 = Länge und dann folgen die zwei grossen, aber sehr ungleichen Milchbackzähne, jeder aus drei Loben ge- bildet, aber im Öberkiefer nur aus zweien. Die Zähne des Unterkiefers sind viel schmäler als die oberen und auch von sehr ungleicher Grösse. Der vordere Zahn ist nur 0-8 == Jane und durch scharfe Einschnitte des Kronenrandes in drei Loben getheilt, deren einfacher, oberer, winkelförmiger Endrand völlig geschlossen ist, ohne Spur einer Lücke im Lobus; der erste Lobus hat etwas mehr als 1 wm Breite, der mittlere ein wenig über 2 == und der dritte fast 4 wu, — Der hintere untere Milchbackzahn ist 2.4 ® lang, und seine viel höheren drei Loben sind von ziemlich gleicher Form und Grösse, einzeln 7.5 wu Jang, 8 mm hoch und 6 == dick. Sie besitzen auf der gegen die Zunge gewendeten Innenseite eine ebene Oberfläche, auf der Aussenseite gegen die Backen eine stark gewölbte, und enden nach oben mit winkelförmiger Kante, neben welcher im Zahn eine tiefe mondförmige Lücke frei bleibt, die von einer anderen scharfen Kante begrenzt wird. Diese äussere Kante ist etwas schärfer als die innere und letztere beträchtlich höher als jene, indem sie mit stumpfer, etwas verdickter Ecke an der Spitze des vortretenden Kanten- winkels endet. In jedem Lobus ist also eine mondförmige offene Tute, wie bei den Molaren des reifen Alters. Hinter dem zweiten Milchzahn gewahrt man im Kieferrande eine schmale Längsfuge, worin ein getrockneter Zahnsack steckt, aus dem an der linken Kieferhälfte vorn, an der rechten hinten die weisse Spitze eines . dritten Zahnes durchbricht. Der horizontale Ast des ganzen Kiefers ist 9.5 © Jang, der senkrechte 7.4 “ hoch. Im Oberkiefer des an der basalen Fläche vom Rande, des Zwischen- kiefers bis zum Foramen oceipitale 12.5 °® langen jungen Schädels sind keine anderen Zähne als die beiden Milchbackzähne jeder Seite vorhanden; ein dritter steckte dahinter, halb fertig, im blasenförmigen Raum des Kie- fers, ist aber bei der Maceration des Schädels verloren gegangen. Die vordere Schnauzenportion des Schädels misst 4-5 @ Länge und zeigt an jeder Seite einen scharfen Rand, der gegen die Mundhöhle gekehrt ist, 6 H. BURMEISTER: worin sich zwei kleine Grübchen mit Zahnspitze in ihrer "Tiefe bemerkbar machen. Das vordere Grübchen sitzt im Zwischenkiefer an jeder Seite, etwas hinter dem Vorderrande, dicht vor der Biegung desselben nach hinten; das andere hintere etwa 3 "m von der Naht zwischen Intermaxillar- und Maxillartheil, nicht ganz 2 ® hinter dem Vorderrande des ganzen Kiefer- apparats. Jenes Grübchen bezeichnet die Stelle des Eckzahns, dieses die des abgerückten Lückenzahns. | Die beiden oberen Milchbackzähne bestehen einzeln aus zwei Loben, jeder ziemlich von derselben Form wie die des unteren dreilobigen zweiten Milchzahns, aber einzeln etwas grösser, zumal dicker und unter sich un- gleicher; auch wölbt sich die vordere senkrechte Kante jedes Lobus stark wulstartig nach aussen, besonders gegen den Endrand hin, und die mitt- lere Portion jedes Lobus erhebt sich gleichfalls senkrecht, durch tiefere Furchen von den Seiten abgesetzt. Der erste Milchzahn ist beträchtlich kleiner als der zweite, sowohl kürzer als niedriger; er misst nur 1-4 = in der Länge, der andere 1-8 =. Sie stehen umgekehrt gegen die unteren und sind ziemlich eben auf der Aussenseite, aber stark gewölbt nach innen gegen die Mundhöhle. Schon während das Junge noch saugt, bricht hinter dem zweiten Milchzahn der erste Molar des späteren Gebisses hervor und schliesst sich dem Milchzahn genau an. Der Milchzahn bleibt neben ihm noch lange bestehen, besonders deutlich im Unterkiefer, wo er an seinen drei Loben leicht und sicher erkannt wird. Selbst wenn auch noch später der zweite Molar vollendet und in Thätigkeit getreten ist, steht der Milchzahn noch anwesend da; erst wenn der dritte Molar seinen Durchbruch macht, treten an die Stelle der Milchzähne zwei etwas kürzere, aber ungleiche Prae- molaren, von denen wenigstens der vordere nur eine einfache Kronenecke besitzt, wozu der hintere etwas breitere Praemolar noch einen kleinen hal- ben Lobus am Ende hinzufügt. Diese beiden Praemolaren haben im Ober- kiefer nur drei Wurzeln, die des Unterkiefers aber zwei, wie alle anderen Backzähne desselben. Letztere besitzen auch zwei Loben in der Krone, nur der hinterste grösste Molarzahn zeiet am Ende einen dritten accesso- rischen halben Lobus, der viel niedriger und enger ist als die anderen. Daher erscheint dieser hinterste Backzahn länglich dreieckig im Umriss. Im Oberkiefer fehlt ihm ein solcher accessorischer Lobus, doch wird der Jahn gegen sein Ende etwas schmäler und besitzt in der Tute hier eine Nebenfalte, welche den halben accessorischen Lobus des Unterkieferzahnes eleichsam andeutet. Die von einer Schmelzlage ‘umfasste, offene Tute von mondförmigem Umriss, wonach die damit behafteten Hufthiere Selenodonten genannt worden sind, ist bekanntlich allen Wiederkäuern eigen und bildet einen STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. 7 Hauptcharakter ihres Zahnsystemes. Mit zunehmendem Alter wird diese Tute, wie die ganze Zahnkrone in Folge der Abkauung, immer niedriger und ihr Umfang kleiner, bis sie zuletzt bei sehr alten 'Thieren ganz ver- schwindet. Wohl kein der Gegenwart angehöriges wildes Guanako bringt es bis zu einem so hohen Alter der grossen Nachstellung halber, welcher diese den Indianern zum Lebensunterhalt so nothwendigen Geschöpfe aus- gesetzt sind; wohl aber habe ich den Schädel eines quaternären Guanako vor mir, der die totale Abkauung aller drei vorderen Backzähne zeigt, im vierten nur zwei sehr kleine Tuten und im fünften etwa die von noch halber Tiefe erhaltenen besitzt. Es muss also damals wohl noch keine In- dianer gegeben haben, weil die Guanakos jener Epoche so alt werden konnten. Die Unterschiede der Molarzahntypen der verschiedenen Wiederkäuer- gruppen sind etwas fein; sie bedürfen eines langen, angestrengten Stu- diums, um sie sicher zu erkennen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf Rütimeier’s Abhandlung über die Hirsche,! wo die Resultate der ge- nauen Untersuchungen des Verfassers zusammengestellt sind. Auf den Mangel der accessorischen Säulen zwischen den Loben der Krone hat der- selbe schon hingewiesen und kann ich das bestätigen. Zufällige Bildungen der Art haben die mir vorliegenden, von wilden Exemplaren des Guanako stammenden Schädel nicht, sie dürften nur an Schädeln von in der Zäh- mung lange Zeit gehaltenen oder erzogenen Lamas vorkommen.? Das Skelet werde ich nicht im Einzelnen beschreiben, sondern nur die wichtigsten seiner Theile in ihren Maassen angeben, sowohl des jungen wie des alten Individuums, da das zur Vergleichung mit den entsprechenden fossilen Knochen genügt. Eine gute Abbildung des Gerüstes findet sich in Blainville’s Osteographie, t. IV. Genre Camelus pl. Il, wie der ein- zelnen Theile auf pl. IV et V.B. Unser Skelet stammt von einem wilden, weiblichen Thiere mittleren Alters, das in Patagonien am Rio Negro erlegt wurde. Der Schädel hat die Milchzähne, oben wie unten, aber der Molar ist noch in seiner Kapsel. Es zeigt neben dem des zwei Monate alten Alpaka folgende Dimensionen: ! Abhandlungen der schweizerischen palaeontologischen Gesellschaft. Bd. VII, VII und X. ?2 Nach Rütimeier sind accessorische Säulen zwischen den Loben der Krone der Backzähne auch bei Lamas vorhanden. (A.a.©. Bd.X. 8.9.) Ich habe sie an keinem der vielen mir vorliegenden Backzähne gefunden. Dagegen ist die Neben- falte an der vorderen Ecke der ersten Tute in der Regel vorhanden, von der Verfasser spricht, doch nur bei Zähnen noch junger Thiere; mit dem zunehmenden Alter ver- schwindet sie, wenn die Zähne nach und nach mehr abgekaut sind. 8 H. BURMEISTER: | Jung Alt | cm cm Schädel an der Basis eranü . . ... 14 | 28 Die sieben Halswirbel zusammen . . . - 26 64 DersAtlassalleınaee Ser rer 2-5 8 BARS EA N N | 5 11 DerdiittemWirbelen er u 11 DersvsıertenWirbelea Fe 4-5 10 Derstüuntten\virbelegs ee 4-5 10 Denasechstem\Virbel 3:6 8 Derssiepentemy\urbelen ve 3-0 6 Die zwölf Rückenwirbel zusammen . . . 16 40 Die sieben Lendenwirbel vereint . . . . tal 30 Höhe des Schulterblattes . . . . . .. 10 20 Einmeruseree ae Me 12 24 Radius mit der angefügten Una . . . . 18 32 @arpus und Metacarpus . .. . .. 16 28 Tängsterbhalanges ea. an 4 | 3 Zweites tZehenrliede. 2 Eur une 1-8 | Klauenshedees gas ae er 0-6 1 BEUTE A ee es 15-5 32 IspıasmiiadersRıbulage a ee 16 28 karsusaund@Metatarsusee | 20 30 @saleanceuset wann EUER 4 8 Pelvis, Darmbein mit Sitzben . . . . . 11 25 Breite des Darmbeins, oben . . . . 2...) 4-8 15 Sch wanzealne bisel(6- Wirbel | 13 22 IKTeuzbeint ern U a TIL 4 10 Zur Betrachtung der fossilen Skelettheile übergehend, welche das hiesige National-Museum- besitzt von Auchenienarten, will ich zuvörderst bemerken, dass dieselben von verschiedenen Fundstätten stammen, nämlich die meisten von Tarija Boliviens, die anderen weniger zahlreichen aus der Provinz von Buenos Aires, aber von sehr verschiedenen Oertlichkeiten, einige hier in der Stadt selbst beim Brunnengraben gefunden, so zumal die der grössten und mittleren Art. Ich werde zunächst diese grösste Species besprechen. Dieselbe war ein sehr grosses Thier, welches einem Pferde mittlerer (rösse kaum nachstand, aber einen viel zierlicheren Knochenbau besitzt. Wir haben von ihr im Museum einen gut erhaltenen Schädel, der in der Baranka des Ufers am Fluss, nahe bei Las Olives, von Hın. Enr. de ;arles gefunden wurde und von mir selber fast vollständige restaurirt worden ist. Nur die fehlende Schnauzenspitze kann nicht als ganz sicher ergänzt in ihrer jetzigen Gestalt angesehen werden, wohl aber ihre Länge, weil ein vollständig erhaltener horizontaler Ast des Unterkiefers gleicher STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. 9 Grösse dazu als Modell gedient hat. Dieselbe grosse Species wurde übrigens schon von Dr. Lund in Brasilien aufgefunden, aber nur angezeigt als durch ihre Pferdegrösse merkwürdig; später beschrieb P. Gervais mehrere Skeletknochen unter dem Namen von Auchenia Weddellii,! die gleich- falls auf ein ebenso grosses Thier hinweisen, also wohl zweifellos dieselbe Species bezeichnen. Neuerdings wurde sie noch von Branco als Pro- tauchenia Reissii aus Ecuador beschrieben.” Der mir vorliegende Schädel ergiebt nachstehende Maasse: Centimeter Ganze Länge, ander Basis erami . . 2. zen 0.038 Länge der Schnauze vor den Backzähnen . . . 2 .2....16 Länge der fünf Backzähne zusammen . . . En TO Länge vom Winkel im Gaumen bis Cond. oceip. . . 16 Länge des oberen Schädels, von der Nasenöffnung Ende ii Orista occip.. . . ra le) Breite zwischen den etc] Ausenhöhlenzändeyn Sa): all Breite des Abstandes der Jochbögen . . . ERIUNGENONEERE WIEN | Breite der Hirnkapsel zwischen der Staneahllbente EN 00) Breite des Gaumens am letzten Molar . . . .2....9 BreitenderM@ondylinoceipitalese 2 VB Paare Breite zwischen den Meatus auditorü extern . : -» ... 1% Länge des horizontalen Theils des Unterkieferss . . . . . . 28 Höhe seines senkrechten Theis . . . : 2.2.2.2... 31 Länge der fünf unteren Backzähne vereint . . . 2... 11-5 Länge der Lücke zwischen Eckzahn und Backzahn . . .. 65 Abstand des Eckzahnes vom äusseren Schneidezahn 1 Höhe der Krone des Eckzahnes 2 Länge des äusseren Schneidezahnes 1 Kängerdesı zweitenlanzder Kronesy 2 2 Länge des dritten mittelsten ebenda . : 3 Abstand des Foramen mentale von der nein 6 Setzt man den so gemessenen Schädel neben den des heutigen wilden Guanako, so erkennt man alsbald die totale formelle Uebereinstimmung, wieweit eine solche möglich ist neben der bedeutenden Grössenverschiedenheit. Als kleine, nebensächliche Analogien und Unterschiede lassen sich folgende angeben: 1. Die Crista verticalis, welche sich beim jetzigen Guanako nur am Ende, auf dem Hinterhauptsbein eine kurze Strecke als wirklicher Kamm erhebt, aber weiter nach vorn ohne alle Erhebung nur an den leichten Rändern der Schläfengruben in deren Fortsetzung bis zur hinteren Or- bitalwand erkannt wird, erhebt sich am fossilen Schädel in ihrem ganzen ı Recherches sur les Mammiferes fossiles etc. Paris 1855. 4. ” Palaeontologische Abhandlungen u.s. w. Berlin 1882. Bd.I. s. 110. (148.) 10 H. BURMEISTER: Verlauf etwas über die Fläche der Schläfengrubenwand, bleibt aber nichis- destoweniger eine flache, nur seitlich scharf von der Schläfengrube ab- gesetzte Wölbung, ohne einen eigentlichen Kamm zu bilden. 2. Das weite Gefässloch in der hinteren Decke der Augenhöhlen ist beim fossilen Schädel keine einfache Oeffnung, wie solches beim lebenden Guanako auftritt, sondern besteht aus je drei durch Knochenbrücken ge- trennten kleineren Löchern. 3. Der tiefe Einschnitt im vorderen Rande der Augenhöhlenwand ist in ganz gleicher Form bei beiden Schädeln vorhanden; im gleichen die weite, fast kreisrunde Lücke in der äusseren Nasenhöhlenwand, etwas vor den Augenhöhlen, welche nach oben von dem hinteren, breiteren Theile der Nasenbeine, nach vorn vom ÖOberkieferknochen, nach unten von dem Thränenbein, nach hinten vom Stirnbein begrenzt wird. 4. Die Nasenbeine haben genau dieselbe Form, wie bei der lebenden Art, zumal die feine Spitze neben dem Vorderende, welche sich dem Ober- kieferrande anfügt, und die auffallende hintere Verbreiterung, womit die Nasenbeine an besagte Lücke stossen. 5. Dasselbe gilt von den Stirn- und Scheitelbeinen, deren Nähte noch deutlich erkannt werden, obgleich die stark abgenutzten Backzähne auf ein sehr hohes Alter des Individuums hinweisen. 6. Ueberhaupt ist alles in der Anlage des fossilen Schädels wie bei der lebenden Art, zumal auch die eigenthümliche Perforation des Joch- bogenfortsatzes vom Schläfenbein vor dem röhrenartig hervorragenden Meatus auditorius externus. 7. Ganz genau stimmen auch die Flügelfortsätze der mit den Gaumen- beinen zusammentretenden Pteroidalkämme des Keilbeins überein. 8. Dasselbe lässt sich von den eigenthümlich gestalteten Felsenbeinen behaupten; sie sind von genau gleicher Gestalt bei beiden Arten. Die anderen Theile des Skelets, welche mir von dieser grossen Species noch vorliegen sind gleichfalls den entsprechenden des lebenden Guanako so ähnlich, dass nur ihre etwas kräftigere Bildung einen geringen Unter-- schied ergiebt. Vom Halse sind mir vier gut erhaltene Wirbel bekannt, wei fast ganz vollständige halte ich für den dritten und vierten der ganzen Reihe, sie erscheinen mir, dem Schädel entsprechend, um '/, grösser als die der lebenden Art, stimmen aber sonst mit denen der letzteren ganz überein. Der dritte der Reihe hat im Wirbelkörper 14 = Länge, der vierte nur 13°“, Die beiden anderen, mehr beschädigten Halswirbel sind nicht von demselben Individuum, sondern von jüngeren Thieren, also etwas STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. iu schwächer und darum leichter zerbrechlich. Der eine dürfte ein dritter der Stelle nach sein, der andere sehr stark verletzte wohl ebenfalls. Noch ein paar anderer zierlicherer Halswirbel dürften einer anderen Species an- gehören, weil sie nicht bloss kleiner sind, sondern auch etwas anders ge- bildet; sie mögen ein vierter und fünfter des Halses sein. Da sie aus Bolivien stammen, so rechne ich sie zu der später als Auchenia inter- media besprochenen Art. Rückenwirbel sind seltener, wir haben nur zwei in der Sammlung, darunter den ersten dorsalen mit stark gewölbter, vorderer Verbindungs- fläche des Körpers und deutlichen Ansatz-Gelenkgruben für die Rippen- köpfe. Ein anderer mehr beschädigter Wirbel scheint mir ein lumbarer zu sein; da ihm aber die langen (uerfortsätze fehlen, so ist die Bestimmung nicht sicher. Beide sind von mässiger Grösse und passen nicht für die grosse Art. Von den Knochen der vorderen Extremität haben wir zwei ganz voll- ständig erhaltene Exemplare der Una mit-angewachsenem /ladius. Beide ähneln genau demselben Knochen des lebenden Guanako, sind aber viel länger und etwas dicker; sie messen völlig 40“. Zu ihnen passt in der Statur das obere Ende eines Zumerus, noch 16 “ lang, woraus zu schliessen ist, dass, weil der Endbruch dicht vor der Mitte geschehen zu sein scheint, der ganze Knochen eine Länge von mindestens 30 ® besass. Sein oberer selenkkopf hat, mit den drei Höckern vor ihm, über 8 “= Durchmesser; beim - lebenden Guanako beträgt derselbe nur 6%. Wenn, wie es die gleiche Farbe und Textur andeutet, ein sehr langer und feiner Metacarpus mit den beiden Aadius- und Ulna-Knochen zu demselben Thier gehört, so war diese Portion des Vorderbeins ebenfalls 30°" lange. Es entspricht dies Verhältniss ziemlich gut dem derselben Knochen der lebenden Art, daher ich ihre Zusammengehörigkeit für wohl begründet erachte. Von den Zehen- knochen liegen mir nur die ersten, grössten Phalangen vor. Unter mehr als 20 Exemplaren messen die grössten 9°“, die kleineren nur 8“; ich schreibe danach jene der grössten Art zu, diese der kleineren A. inter- media. | Knochen der hinteren Extremität sind in grösserer Anzahl vorhanden; sie weisen durch ihre Verschiedenheit ebenfalls auf mehrere Arten hin. Vom Becken besitzt das Museum nur Theile der Ossa innominata, namentlich die untere Hälfte mit Pfannengelenkgrube und Zubdera ischiatica. Die Pfanne hat 4°“ Durchmesser, was für ein grosses Thier spricht; auch Sitz- und Schambein sind von kräftiger Bildung, daher ich diesen Beckenrest der grössten Art vindieire. Es passt dazu das untere Ende eines Zemur von ansehnlicher Stärke, dessen Gelenkköpfe für das Knie mehr vortreten als an einem anderen vollständigen Exemplar von 12 ; H. BURMEISTER: 31 = Länge und etwas dünnerer Röhre, daher ich dem ersteren wohl die ganze Länge von 36“ zusprechen darf. Jenen anderen von 31 °® Länge könnte dann zu der mittleren Art gehören, die Gervais A. intermedia nennt. — Vom Unterschenkel, der aus dem innig mit dem Wadenbein verwachsenen Schienbein besteht, haben wir sieben verschiedene Exemplare im Museum, nebst noch mehreren abgebrochenen Stücken ähnlicher Be- schaffenheit. Die vier längsten Exemplare messen 30 @, zwei andere nur 25, ein noch kleineres kaum 23“, sie werden also wohl drei verschie- denen Arten angehört haben. — Der 7arsus ist mit dem Hacken in keinem vollständigen Stück vorhanden, aber mehrere Calcanei zeigen zwei Arten ungleicher Grösse an. Die drei grössten haben 10 = Länge, ein anderer kleinerer nur 7°“. Diesen möchte ich der A. intermedia, die drei anderen dem erossen Guanako von Pferdenatur vindieiren. Alle vier stammen von Tarija, und von ebenda hat Gervais ganz ähnliche Knochen beschrieben und abgebildet. Mit diesen Figuren stimmen unsere Exemplare genau überein. — Vom Laufknochen sind sechs unversehrte vorhanden, aber keiner ist so lang wie der früher erwähnte Metacarpus; sie schwanken zwischen 21 und 22“, möchten also wohl einer und der- selben Speeies zuzuweisen sein. Grosse Phalangen des Fusses sind mehrere da, von etwas dickerer Gestalt, daher wohl dem Hinterfuss angehörig, weil dessen Zehenknochen stärker zu sein pflegen als die des Vorderfusses. Mittlere Zehenglieder und Klauenknochen besitzt das Museum nicht. Soviel zur Charakteristik des grossen fossilen Guanakos oder Lamas. Es fragt sich nun, ist das eine eigene Art, oder nur das vergrösserte Lama der Vorzeit. Schwerlich wird diese Frage sich mit Sicherheit beantworten lassen, weil wir nichts vom äusseren Aussehen des Thieres wissen, d. h. von seinem Haarkleid und seiner Farbe, Eigenschaften, welche bei lebenden Arten, für denen sichere Bestimmung als verschiedene Species, von grösster Bedeutung sind. Dr. Lund hat das Thier geradezu Lama fossilis ge- nannt, Gervais dagegen als Auchenia Weddellii beschrieben, hält es also für eigene Art; ich möchte es auch thun, wenn ich bedenke, dass es noch eine andere kleinere Lamaform neben ihm gleichzeitig gab, welche dem heutigen Guanako in Grösse und Knochenbau noch näher steht; ja (dass auch das viel kleinere Vieugna ebenfalls schon damals vertreten war. Das Museo Nacional zu Buenos Aires kann das durch seinen reichen (Gehalt an fossilen Knochen beweisen; es besitzt von derselben Fundstätte wo Weddell sammelte, d. h. von Tarija, eine Menge Skelettheile von zwei Auchenjenarten, welche zeigen, dass sie den lebenden ganz ähnlich waren, was ich nunmehr darzuthun gedenke. Die eine Species will Gervais, der sie ebenfalls kannte, in zwei sich sehr nahe stehende, dem heutigen Guanako entsprechende Arten spalten, welche € STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCHNDENZLEHRE. 13 er mit den Namen Auchenia Castelnaudii und A. intermedia unter- scheidet, aber beide gleichen sich in den mir vorliegenden Knochenresten so vollständig unter sich, wie dem lebenden Guanako, dass ich nicht an- stehe, sie in eine Species zusammenzuziehen; höchstens in ihr, wie bei der lebenden Art, Varietäten gelten lassend, welche dem Lama und Alpaka entsprechen dürften. Mehr als 50 Stücke der Kiefer, gleichwie anderer Skelettheile bestimmen mich dazu. Gervais sagt selbst, 8. 42 seiner Schrift, dass es schwer sei, sie von dem heutigen Guanako zu unter- scheiden, meint aber doch, dass sie nicht ganz genau zu demselben stimmen. Wenn, wie es scheint, er die Vergleichung mit den Knochen des gezähmten Lama und Alpaka angestellt hat, so ist zu bemerken, dass die von ge- züchteten Thieren herstammenden Skelettheile sich oft ganz anders ver- halten als die von wilden der gleichen Race." Die mir vorliegenden Reste von Tarija sind auch nicht völlig identisch; die Länge der unteren Back- zahnreihe, worauf Gervais sich stützt, schwankt etwas, denn sie wechselt an meinen Exemplaren von 7.8 bis 8-2, je nachdeın die Zähne mehr oder weniger abgekaut sind und je nach ihrer Grösse im Einzelnen und der Anwesenheit der Praemolaren. Es giebt Unterkieferstücke, an denen die drei Molaren zusammen nur 6“ messen, wenn sie stark abgenutzt, während sie an anderen jüngeren Thieren ohne Abnutzung 6-6“ haben; die ganze Backzahnreihe ist, im ersteren Falle, nur 8-0 = lang, im letzteren beinahe 9.0. Alle und jede weit verbreitete T’hierspecies neigt zu Schwan- kungen der Grösse im Ganzen wie im Einzelnen, woraus der Mangel einer mathematischen Genauigkeit ihrer Maasse sich ergiebt. Ein mir vorlie- gender, gut erhaltener halber Unterkiefer, der hier in Buenos Aires selbst, nahe bei der Ricoleta ausgegraben wurde, besitzt nur noch: vier Backzähne, d.h. die drei Molaren und ein Praemolar, welche zusammen nur noch 7.0 messen; der vordere Praemolar ist ganz verschwunden, und der hintere ist wie der erste Molar stark abgenutzt, fast bis zur Basis der Krone. Ein ganz ähnlicher Unterkiefer von Tarija, von gleicher Beschaffenheit, hat zwar die fünf Backzähne gehabt, aber auch ihm fehlt der vorderste Praemolar, weil ausgefallen, wie die vorhandene offene Alveole beweist. Diese fünt Backzähne hatten zusammen 9-0 ®, wie der fehlende Praemolar noch vor- handen war. Ich könnte, wollte ich in gleicher Weise die mir vorliegenden 30 Stücke des Unterkiefers besprechen, eine zahlreiche Variationsliste aufstellen, aber ich lasse das, weil mir die gegebenen Beispiele genügend zu sein scheinen zum Beweise, dass Species innerhalb bestimmter Grenzen variabel sind, ® Ich mache auf einen Druckfehler bei Gervais in seinen ZKecherches etc. p. 42, Zeile 9 von unten aufmerksam, wo statt (Fig. 3u.3a) zu lesen ist: (Fig.5u.5.a). 14 H. BURMEISTER: was jeder systematischer Zoologe aus eigener Erfahrung weiss; ich rede also nicht weiter vom Gebiss, um noch einige Angaben über andere vor- handene Skelettheile zu machen. Schon früher habe ich, bei Beschreibung der Theile der grössten Art, auf etwas kleinere Knochen dieser zweiten Art, für welche ich den Namen: Auchenia intermedia festzuhalten vor- schlage, hingewiesen. Ich will hier hinzufügen, dass wir zwei vollständige Humeri derselben besitzen von 23 und 24°“ Länge, welche den des heutigen Guanako gleichstehen. Dasselbe gilt vom Aadius und Ula, wie ich schon oben angab. Auch das ganz erhaltene #emur, von dem: sich das Maass ebenda befindet, scheint mir dieser zweiten Art anzugehören; desgleichen 77bia und Fibula und mehrere Astragali von 6“ Länge, welche mir vorliegen und von denen zwei völlig genau in das untere Gelenkende einer 7ibia hineinpassen; alle diese Knochen stehen denselben des lebenden (ruanako so nahe, dass ich es unterlassen kann, sie weiter zu besprechen, daher ich die Art als genugsam mit ihm übereinstimmend erwiesen be- trachten kann. Indessen hat es in der That noch eine dritte, etwas kleinere Art ge- geben, welche nicht bloss bei Tarija in häufigen Resten sich findet, sondern auch in der Provinz von Buenos Aires vorgekommen ist. Auf ein Fund- stück (derselben von letzterer Localität gründete Bravard sein Camelo- therium intermedium, von dem ich bereits in den An. d. Mus. Publ. etc. p: 234 Nachricht gegeben habe. Da es in seiner Grösse nieht zwischen den beiden anderen Arten die Mitte hält, so nenne ich es Auchenia minuta. Wir haben davon im Museum verschiedene Theile des Skelets, sechs Unterkieferstücke, nebst Arm- und Beinknochen, die unter sich alle in der geringeren Grösse gegen dieselben Knochen der beiden grösseren Arten übereinstimmen. So z. B. die vier unteren Backzähne, vor denen ein fünfter gewöhnlich nur im Wurzelrest vorhanden ist; sie messen zusammen nur 6-.0°%, während eben dieselben Zähne von A. intermedia mitunter es auf über 8.0 bringen. Schon dieser Unterschied zeigt die specifische Differenz deutlich genug an. Ich setze, zum weiteren Nachweis, die Maasse der vier gewöhnlich vorhandenen Backzähne des Unterkiefers von beiden Arten neben einander. Zahn | Auchenia minuta. | A.intermedia. I | Praemolar 1.0 m kezERCKU u | Erster Molar 1-4 ,„ 2-0 „ 111 nr Zweiter olei6n | 2-2, IV rDoitteze 0 2-4 „ ut a STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCEHNDENZLEHRE. 15 Im Einzelnen lässt sich als bezeichnend für beide Arten angeben, dass der Praemolar der A. minuta nach hinten etwas breiter ist als derselbe von A. intermedia und dass der letzte Molar ersterer Art einen etwas grösseren, mehr abgesetzten accessorischen Lobus zu besitzen pflegt, als derselbe Zahn der anderen Art. Weiter finde ich an den Backzähnen des Unterkiefers (die des Oberkiefers fehlen mir) den anderen Unterschied, dass die scharfe, senkrecht abstehende Falte an der Vorderecke des ersten Lobus nach aussen gerichtet, welche für die Auchenienzähne so charakteristisch ist, bei A. intermedia sich etwas dicker, also massiver ausnimmt, aber darum doch nicht weiter vortritt, als die sehr scharfe enge der A. minuta. Am stark abgekauten ersten Molar, der als ältester bleibender immer etwas niedriger ist in der Krone als die anderen, geht diese Falte mit dem vor- schreitenden Alter endlich ganz verloren. Da wir die Zahnreihe der oberen Backzähne nicht im Museum be- sitzen, so kann ich auf deren Vergleichung bei beiden Arten nicht ein- gehen; von A. intermedia hat sie das Museum und hier zeigt es sich, dass die Praemolaren viel schmäler sind als die Molaren, aber auch unter sich sehr ungleich in der Breite der Krone. Der erste Praemolar hat nur eine sehr kleine schmale Tute, welche mit der Abkauung bald verschwindet; am zweiten Praemolar, wo sie etwas grösser, zumal weiter ist, bleibt sie länger sichtbar. Vom Unterkiefer, dessen Praemolaren viel dünner sind in der Krone, als die oberen, ist die Tute auch sehr viel enger, besonders am ersten Praemolar; der zweite hat sie deutlicher, bisweilen mit einer sehr kleinen hinteren Tute in dem als wulstiger Anhang der Krone an- gedeuteten zweiten Lobus. Von den Knochen des Skelets dieser kleinsten Art ist ein Oberarm (Humerus) wit dem dazu gehörigen Vorderarm (Radius und Ulna) vor- handen; dem letzteren fehlt leider das unterste Gelenkende. Beide Knochen ähneln denselben der anderen Arten, sind aber beträchtlich kleiner. Der Öberarmknochen ist 20°” lang, die beiden des Vorderarms messen. 28 ®; das abgebrochene Ende kann also nur sehr kurz gewesen sein. Hiernach durfte diese Species etwa die Grösse der Statur wie das heutige Vicugna gehabt haben. Dazu passen auch die Dimensionen der Unterkieferstücke. Der am besten erhaltene hat sogar den Kronenfortsatz und das Vorderende bis zum Anfange der Sutura mentaäis, doch fehlt ein Theil des hinteren Randes vom aufsteigenden Ast. Der angedeutete Rest ist 15 ® lang und am letzten Molar beinahe 4-0“ hoch,! aber mit dem Kronenfortsatz 8. ! In der Osteographie ist pl. III, Camelus, der Schädel und Unterkiefer eines wilden Vieugna abgebildet, der fast dieselben Grössen in vierfacher Verkleinerung ('/, grand. nat.) anzeigt, aber weil die Milchzähne, an ihren drei Loben leicht und sicher 16 H. BURMEISTER: Andere Knochen der Vorderglieder liegen nicht vor, von den hinteren aber zwei Metatarsusbeine, jedes genau 22 “= lang, also von einem nur kleineren Thiere stammend. Da sie die völlig gleiche, tief schwarzgraue Farbe mit der des Hrumerus und Antebrachium besitzen, so sind sie offenbar von derselben Fundstelle, vielleicht auch von derselben Speeies, was ich annehme. Danach bin ich geneigt, dieselbe mit dem lebenden Vieugna in nahe Beziehung zu setzen, und zu schliessen, dass man sie als Stamm der heutigen Art zu betrachten hat. Die Statur der letzteren ist mir sehr wohl bekannt, auch deren blassere, mehr in’s Gelbe als in’s Rothe spielende Farbe, welche letztere das Guanako besitzt; ich habe beide Thiere öfters auf meinen Reisen in den Cordilleren gesehen, woselbst sie in Rudeln von 5 bis 8 Individuen mir begegneten, das Guanako in der Gordillere bei Mendoza, das Vicugna auf der Tour von Catamarka naclı Copiap6. Leider fehlt dem Museum noch das Skelet des letzteren zür Ver- gleichung. Es ergiebt sich, wie ich glaube behaupten zu können, aus meiner vorhergehenden Darstellung, dass während der Quaternärepoche in Süd- amerika drei in der Grösse verschiedene Arten lebten, deren Knochen- gerüst eine bis in’s Einzelne gehende, sehr grosse Aehnlichkeit mit dem des Guanako an den Tag legt, die aber doch, nach ihrer Grösse und manchen kleinen anderen Differenzen, etwas davon verschieden waren, also wohl als für drei Species zu deutende ähnliche Thierformen angesehen werden dürfen. Das grösste dieser drei Thiere war ein dem lebenden Guanako nur ver- wandtes Geschöpf von der Statur eines mässig grossen Pferdes, das gegen- wärtig nicht mehr vorhanden ist, also wohl am Ende der Diluvialformation ausstarb. Die beiden anderen Arten hat ein glücklicheres Schicksal ge- trofen, sie leben noch heute in ihnen sehr ähnlichen Nachkommen fort, daher man sie unbedenklich als deren Stammeltern aufstellen darf. Die grössere (Auchenia intermedia) dieser beiden Species entspricht gut dem heutigen Guanako und zeigt in seiner Organisation ähnliche untergeordnete Modificationen, wie die beiden jetzt existirenden, gezüchteten Varietäten, welche man als Lama und Alpaka unterscheidet. Um aber die Artidentität mit völliger Sicherheit behaupten zu können, wäre es nöthig, auch das äussere Ansehn des Thieres, namentlich die Farbe und Beschaffenheit seines Haarkleides zu kennen, was aber für fossile Thiere auf immer eine Un- möglichkeit ist, so lange nicht, wie beim Mammuth, im Eise eingefrorene Individuen aus jener früheren Epoche, aufgefunden sind. kenntlich, noch anwesend sind, so kann das Individuum des Originals kein sehr altes Thier gewesen sein. STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. M Die dritte kleinste Art, welche ich deshalb Auchenia minuta nenne, steht in ähnlicher Beziehung zum gegenwärtigen Vicugna und kann als dessen Stamm gelten, obgleich auch für sie dasselbe fehlt, die Kenntniss ihrer Farbe und Haarbildung, deren Mangel die bestimmte Entscheidung hindert. Es lässt sich also die Descendenzlehre in angemessener Beschränkung wohl als Naturgesetz für gewisse, einander im Bau anderweitig nahestehende Thiere verschiedener geologischer Perioden aufstellen, ob aber ein ähnlicher ‘ Uebergang, wie der der fossilen Lamas in die Gegenwart auch für sehr von einander abweichende höhere Thiergruppen gelten darf, ist eine hypo- thetische Annahme, welche sich bis heute nicht positiv beweisen lässt. Selbst die Archaeopteryx und Odontornithes bringen dafür keine That- sachen, sondern nur Andeutungen. Anmerkung. Um mich nicht dem Vorwurfe der Unachtsamkeit auszusetzen, will ich schliesslich noch erwähnen, dass ein hiesiger unermüdlicher Seribent im Auf- stellen neuer Arten, Hr. Florentino Ameghino, in seinem voluminösen Opus: Contribuciones al conocimiento de los Mamiferos Argentinos, unter den mehr als 200 neuen Arten, welche er darin beschreibt, auch 13 Species fossiler Auchenien neben mehreren anderen Gattungen damit verwandter Thiere aufführt und durch Abbildungen in dem beigegebenen Atlas von 98 Tafeln zu erläutern sucht. Ich beschränke mich hier darauf, bloss die gegebenen Figuren zu besprechen, weil es mir nicht gelingen will, die wortreichen Beschreibungen gehörig zu deuten. Taf. 35, Fig. 1: Eulamaops parallelus, stellt den Gaumen des grossen fossilen Guanako (Lama) vor; an der linken Seite der Figur mit voller Back- zahnreihe, an der rechten ohne den Praemolar. Die Zähne sind etwa bis zur. Hälfte abgenutzt, zeigen also ein hier vom mittleren Lebensalter an. Taf. 35, Fig. 2. Auchenia lama. Ein anderer Gaumen derselben "T'hier- art von etwas geringerer Grösse mit stärkerer Abnutzung der Zahnkronen, von denen die des ersten Praemolar ausgefallen ist. Taf. 35, Fig. 3. Mesolama angustimaxilla. Ein Unterkiefer derselben Species, in Seitenansicht von Aussen. 3a dessen Zahnreihe von innen, 3b von der Kaufläche. Taf. 55, Fig. 4 Stilauchenia Owenii. Die Backzähne eines sehr grossen Individuums, ohne den ersten Praemolar, von denen der letzte Molar die Falte am Ende der Krone zeigt, als Andeutung des accessorischen halben Lobus im Unterkiefer. Taf. 35, Fig.5. Auchenia gracilis. Es sind obere. Backzähne eines ziemlich kleinen Individuums von Auchenia Castelnaudii. Taf. 55, Fig. 6. Auchenia frontosa. Die vier mittleren Schneidezähne des grossen Guanako (Lama). Taf. 35, Figg.7 u.8. Copien aus Gervais’ Recherches etc. von A. Castel- naudii und A. intermedia, wie im Original von halber Grösse. Archiy f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 2 a 18 H. BURMEISTER: STUDIEN ZUR BEURTHEILUNG DER DESCENDENZLEHRE. Taf. 35, Fig. 9. Eine sehr grosse erste Phalange des Fusses vom grossen Gmanako. Taf. 36, Fig. 1. Palaeolama leptognatha. Unterkieferstück desseiben Thieres, mit den drei Molaren und dem zweiten Praemolar. Taf. 36, Figg. 2—6. Cervus-Arten. Taf. 36, Fig. 7. Nochmals Stilauchenia Owenii. Taf. 36, Fig. 8. Auchenia lujanensis. Ein Unterkiefer von A. inter- media. Taf. 36, Fig. 9. Auchenia mesolithica. Ebenfalls A. intermedia, nur etwas stärker abgenutzt, daher die Tuten der Zähne etwas enger erscheinen. Taf. 37, Fig. 1. Dasselbe Kieferstück, von der Innenseite gesehen. Taf. 72, Figg. 8, 9 und 10. Protauchenia Reissii Branco’s. Copien der Figuren des genannten Autors, zwar nicht ganz den Originalen entsprechend, aber immer noch besser, als die Figuren in Ameghino’s Atlas, welche des- selben Thieres Gebiss darstellen, d. h. des grossen fossilen Guanako. Buenos Aires, October 28, 1890. Ueber Reflexe von der Nasenschleimhaut auf die Bronchiallumina. Von Dr. Julius Lazarus. (Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 29. November 1839 gehaltenen Vortrage.) (Hierzu Taf. I.) Zum Nachweis einer etwaigen Verkleinerung der Bronchiallumina welche man zunächst als eine Wirkung der Ringmusculatur der Bronchien glaubte ansehen zu müssen, verfuhr man bisher in der Regel in der Weise, dass man in die Trachea des Thhieres ein endständiges Manometer einbrachte und nachdem das Thier getödtet war, die Spannung der abgesperrten Luft in der Lunge maass.. Aus einer Zunahme der Spannung, bezw. aus der Zunahme des Druckes im Manometer schloss man auf die Zunahme des intrapulmonären Druckes. So glaubte man z. B. ein Ansteigen des Druckes nach Reizung der Vaei auf eine Contraction der Bronchialmuskeln zurück- führen zu müssen. Trotzdem diese Methode von keinem geringeren, als Donders (1) herrührt und von allen Experimentatoren in dieser Frage beibehalten worden ist, glaube ich doch, dass eine andere von mir geübte insofern den Vorzug verdient, als sie gerade diejenige Function misst, welche wir als die wesentliche bei einer Verkleinerung der Bronchiallumina be- trachten müssen; ich meine die Erschwerung der Luftbewegung von und zu den Alveolen durch die Bronchien. Das Princip dieser Methode besteht darin, dass man unter genau be- kanntem Druck Luft in die Trachea hineinpresst und die in einer be- stimmten Zeit hineingetriebene Luftmenge misst. Das Correlat zu dieser Bestimmung ist dann wiederum die Messung der aus der so gefüllten Lunge 9% 20 JULIUS LAZARUS: in einer bestimmten Zeit mit einer bekannten Saugkraft herausgesogenen Luft. Da die Reibungswiderstände proportional zur Abnahme des Quadrats des Querschnitts des Rohres wachsen, so muss das durch einen verengten Bronchus geschaffene Hinderniss für die Luftbewegung sich bei collabirten Lungen am wirksamsten zeigen. ‚Zur Vereinfachung meiner Methode mussten andere Widerstände als die aus der Weite der Bronchien resultirenden möglichst ausgeschlossen oder auf einen constanten Werth gebracht werden. Zu diesem Zwecke wurde eine sämmtliche willkürliche Muskeln lähmende Menge Curare in- tramusculär injieirt. Ich zog die intramusculäre Injection der intravenösen vor, um die bei der letzteren allzu krüsk sich vollziehenden Blutdruck- änderungen zu umgehen und um dem Untersuchungsthiere, das im Ver- laufe des ganzen Versuches durch andere Eingriffe noch starke Altera- tionen erfahren muss, diese Injection so leicht und schnell als möglich beizubringen. Ich wandte gewöhnlich etwa 0-07 Curare für die durch- schnittlich mehr als mittelgrossen Kaninchen an, eine Dosis, die ich durch wiederholte Versuche als ausreichend für eine circa drei Stunden währende Lähmung festgestellt hatte. Zur Erreichung der Postulate für die Beath- mung der T'hiere, wie ich sie vorher angegeben habe, musste ich nun einen eigenen Apparat construiren, denn ähnliche, wie sie z. B. von Hering angegeben und auch von Knoll (2) bei seinen Versuchen angewandt wurden, konnten von mir nicht verwandt werden, weil sie einen grösseren Maschinenbetrieb voraussetzen, als er mir zu Gebote steht. Auch der von Lehmann (3) construirte Apparat schien mir nicht recht geeignet, da er durch die Eigenschwingungen des Quecksilbers leicht zu secundären Druck- schwankungen Veranlassung geben kann, die die Genauigkeit meiner Werthe _ stören. Der zu diesem Zwecke von mir construirte Apparat besteht (siehe Fig. 1!) aus zwei vertical gestellten calibrirten Cylindern C und / von 5 Durchmesser und 42 ® Höhe. Aus einem heizbaren Bassin BB,, das mit einem Ueberlaufrohr « versehen ist und durch das Rohr w von der Wasser- leitung so reichlich gespeist wird, dass sein Wasserstand ein constanter ist und dessen Wasserniveau dem höchsten Punkte der Cylinder entspricht, fliesst durch die beiden 2 ” weiten Röhren d und e Wasser unten in die Cylinder © und 7 hinein. Durch die graduirten Hähne ZC (Zufluss zum Compressionscylinder) und Z7 (Zufluss zum Verdünnungscylinder) wird die Menge des zufliessenden Wassers regulirt. Hinter diesen Hähnen dann * Dieselbe giebt in ihrer oberen Hälfte schematisch die Frontansicht des senk- rechten 'Theiles des Apparates, in ihrer unteren Hälfte eine schematische Uebersicht über die Rohrleitungen und ihr Verhältniss zu dem grossen Wechselhahn in dem horizon- talen Theile des Apparates. REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA 21 TE —n 20-—— 30 U ——60 so —— 10 [04 ID ! liegt auf dem Wege dieser Röhren eine weitere Hahnvorrichtung, welche von einem Uhrwerk UW aus gedreht wird und welche dazu dient, das in den Röhren d, und e, zuströmende Wasser entweder weiter in die Oylinder | 22 JULIUS LAZARDS: A C und 7 hineinfliessen zu lassen oder diesen Zuflusss abzuschliessen und dann das Wasser aus den Cylindern durch zwei ebenfalls graduirte Hähne AC und AV (Abfluss aus dem Compressionscylinder und Abfluss aus dem Verdünnungscylinder) durch die Röhren e,,, und d,,, in’s Freie abfliessen zu lassen. Durch die Hähne AC und AV wird demnach die Menge des abfliessenden Wassers regulirt. Von der Decke der Glascylinder gehen dann zwei Glasröhren ©i, und kA, von 2 ®“ Durchmesser ab an jene be- reits oben erwähnte Hahnvorrichtung, wo ihnen abwechselnd eine Commu- nication mit der atmosphaerischen Luft oder mit der Trachea gestattet wird. Zur Communication mit der Luft dient die Oeffnung m, andererseits ver- mittelt das Rohr » den Weg zur Trachea, indem die an dem Rohr n be- findliche Canüle luftdicht in die Luftröhre des tracheotomirten Thieres ein- sefügt wird. Was nun die mehrfach erwähnte Hahnvorrichtung anbelangt, welche . direct vom Uhrwerk getrieben wird, so besteht dieselbe aus einem hori- zontal gelegten metallenen Hohleylinder, welcher in zwei hintereinander selegenen Ebenen an jeder Seite und oben eine kreisrunde Durchbohrung zeigt, und in welche die Röhren dd,, ee,, und e,,, und d,,, luftdicht eingefügt sind und zwar die ersteren beiden — wie sich aus der Zeichnung ergiebt — seitlich und oben, die letzteren auf der entgegengesetzten Seite. In diesem Öylinder liegt ein eingeschliffener Metallkörper, der genau centrirt ist und dessen Axe vorn in eine scharfe Spitze auslaufend mit möglichst geringer Reibung getragen und hinten in das Uhrwerk hineinragend von einem Zahn- rade rhythmisch gedreht wird. Dieses Kernstück bietet durch mehrere Durchbohrungen bei seinen verschiedenen Drehungen die Vermittelungen zwischen den Röhren ed und den Oylindern, und zwischen den Gylindern und den höh- ren e,, und d,,. Aehnlich wie auf diese Weise für das Wasser wirken Oeffnungen im _ Cylinder und Durchbohrungen des Kernstückes, welche in einer weiter hinten gelegenen Ebene liegen, für die Com- munication der Luft entweder zwischen Thier und Cylinder oder zwischen atmosphaeri- scher Luft und Cylinder. /nur leichteren Uebersicht diene Fig. 2, welche einen Querschnitt in der vorderen Ebene des Hahnes wiedergiebt. Man sieht darin eine Com- ı REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. 23 munication des Bassins mit dem Cylinder / durch das Rohr # angedeutet; bei einer Drehung des Kernstückes, dessen Effect durch die punctirte Linie wiedergegeben wird, ist Communication zwischen Cylinder und Abfluss- rohr vorhanden. Die Durchbohrungen in der dritten Ebene, welche für die luftführen- den Wege bestimmt sind, verlaufen in der in Fig. 3 skizzirten Weise. Hier saugt zu gleicher Zeit durch mi, aus der Atmosphaere sich der Com- pressionscylinder Luft und der Fig.S. Verdünnungscylinder aus der Trachea durch » und A, die m Exspirationsluft an. Bei Drehung des Mittelstücks treibt dann das \ im Verdünnungscylinder auf- a8 i BEN steigende Wasser die Luft vor sich her durch das Rohr %, und ; = Rh, m in die Atmosphaere, während > vom Cylinder € aus die Luft \ durch das Rohr :, und » in die : Trachea hineingedrückt wird (die punktirten Linien bezeichnen Ze letztere Wege). Wie bereits erwähnt, ist der Motor des ganzen Apparates eine Pendel- uhr, welche auch für die rhythmische Bewegung des Hahnes sorgt. Mit einem Schlage stellt sich dieses System also derartig ein, dass aus dem Bassin in beide Cylinder Wasser einströmt und die dadurch aus denselben ‘ herausgetriebene Luft vom Compressionscylinder in die Trachea, vom Ver- dünnungscylinder in die Atmosphaere befördert wird — mit dem darauf folgenden Schlage aber bei gleichzeitiger Drehung des Mittelstückes der Abfluss aus dem Bassin verhindert und der Abfluss aus den Öylindern nun bewirkt wird und zwar beim Compressionseylinder nun Luft aus der At- mosphaere, beim Verdünnunsscylinder aus der Trachea angesogen wird. Zwischen beiden Oylindern befindet sich dann noch eine Scala, welche auf der einen Seite (am Verdünnungseylinder) vom constanten Niveau des Wassers im Bassin her zählt, auf der anderen Seite aber vom tiefsten Aus- flusspunkt der Cylinder zu zählen anfängt. Es lässt sich dadurch die sau- sende bezw, drückende Kraft der Wassersäule genau berechnen. — Ferner sind an beiden luftführenden Röhren 2 und % noch Abzweigungsröhren an- gebracht, welche zu Quecksilbermanometern führen, die in der von Set- schenow angegebenen Weise auf mittleren Druck eingestellt sind; auf dem (Quecksilber im offenen Schenkel befindet sich ein Schwimmer, der an einer 24 JULIUS LAZARUS: durch ein Uhrwerk in stets gleichem Tempo vorüberbewegten Papierfläche die Schwankungen aufzeichnet. Da es sich nun aber darum handelt, gleiche Luftmengen zur In- wie Exspiration zu verwenden, während die Widerstände für die Einathmung und für die Ausathmung verschieden sind, so ist die Graduirbarkeit der Hähne ZY und ZC hierbei heranzuziehen nothwendig. Während der Inspi- ration wird beispielsweise der Hahn ZC weiter als der Hahn ZY geöffnet sein müssen, da die Wassermenge in C den Thorax ausdehnen soll, wäh- rend die in / aufsteioende Wassermenge nur den äusseren Luftdruck über- windet. Entsprechend wird bei der Exspiration, wenn sich das Hahnsystem gedreht hat, der Querschnitt der Hahnöffnung 4 C für das vom Oylinder € in’s Freie ablaufende Wasser ein geringerer sein müssen, als für den Cylinder 7 (den Hahn 47), weil bei dem letzteren das Wasser durch die Elastieität der in ihre Gleichgewichtslage zurückkehrenden Rippen und durch die vorher statt- gefundene Compression der Inspirationsluft mehr getrieben wird, als im Cylinder C, der sich einfach mit atmosphaerischer Luft füllt. Es leuchtet ein, dass gerade diese Graduirbarkeit der Hähne ein sehr wichtiges Moment ist für die comprimirende sowohl wie für die evacuirende Kraft bei der künstlichen Athmung und dass in ihnen allein die Möglichkeit liegt, die vollständige Gleichheit in den Mengen der ein- und ausgeathmeten Luft darzustellen. Es gelingt übrigens in der That nach wenigen Athmungs- bewegungen in etwa !/, Minute vollkommen, den Apparat so einzustellen, dass bei vollständiger Apnoe des Thieres die Schwankungen der Wassersäule in‘ den Cylindern bei der In- und Exspiration vollkommen gleich sind. Wenn man sich dabei bemüht hat, mit dem Druck und Zug im Apparat ‚nur um eine Wenigkeit die willkürliche Athmung des Thieres zu überheben, so hat man auch annähernd den Maassstab für die Druckwerthe des unter normalen Verhältnissen athmenden Thieres. Es ist diese Einstellung aber deswegen von so grosser Bedeutung, weil nur dadurch ermöelicht wird, noch so geringe Veränderungen in den Athmungswiderständen am Apparat bemerklich zu machen, und weil auf diese Weise Perturbationserscheinungen, wie sie eine übermässige Ausdehnung oder ein allzu heftiger Collaps der Lungen bewirken, vermieden werden können. Es kann also auch von grossen Veränderungen im Circulationsapparat ebensowenig wie von solchen im kespirationsapparat noch die Rede sein. Man wird mit diesem Apparat mit der Regelmässiekeit einer Pendel- uhr — die übrigens ja mit schnellem oder langsamem Gang eingestellt werden kann — die Ein- und Ausathmung verlaufen lassen; man wird den inspiratorischen Druck genau berechnen aus der Oeffnung der Hähne ZC und 4C und der Differenz zwischen Bassin und Wasserspiegel im Cylinder (, REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. 25 wie sie auch am Manometer abzulesen ist; ebenso wie man umgekehrt den exspiratorischen Zug aus der Oeffnung der Hähne Z/ und AY und der Höhe der Wassersäule im Öylinder / ermessen und zahlenmässig ebenfalls am Manometer ablesen kann. Schliesslich werden ausser durch diese Zahlen auch durch die Zeichnung der Schwimmer in den Quecksilbermanometern graphisch die Druckschwankungen dargestellt. Nicht unerwähnt soll schliess- lich noch bleiben, dass die ganze Rohrleitung aus Blei- oder Glasröhren be- steht, die, wo es nothwendig wurde, in Gummimuffen dicht aneinander stossen. Mit diesem Apparat studirte ich nun den Einfluss gewisser Reize, die ich auf die Nasenschleimhaut ausübte, auf die Durchgängiekeit der Bronchien. Nachdem ein mittelgrosses Kaninchen in Rückenlage befestigt und tracheotomirt ist, wird die Canüle des Athmungsapparates in der Trachea luftdicht befestigt. Mit wenigen künstlichen Athembewegungen ist das Thier apnoisch und es handelt sich jetzt nur darum, die in- und exspira- torischen Luftmengen so zu reguliren, dass wir in den beiden Cylindern gleiche. Ausschläge haben. Bei ruhigen Thieren ist auch dies in wenigen Secunden erreicht. Der Apparat zeichnet nun die auf der Curventafel mit 4 bezeichnete Curve, wobei, wie auf allen folgenden Curvenfiguren, die ausgezogene Linie den In-, die punktirte den exspiratorischen Schwankungen entspricht. Zum Verständniss der Curven diene nun folgendes. Wir beginnen die Erklärung mit der Inspirationscurve, die dadurch entsteht, dass vom Uom- pressionseylinder her durch das in ihm aufsteigende Wasser Luft in die Lungen hineingetrieben wird. Es ist dies übrigens reine atmosphaerische Luft, die vorher während der künstlichen Exspiration von der aus dem Cylinder © ausströmenden Wassermenge durch den zur Zeit geöffneten Hahn bei m angesogen worden war. Während dieser Zeit hatte der Zeichner m dem zum Compressionssystem .gehörigen Manometer eine gerade Linie gezeichnet. Trotzdem, wie ich soeben angegeben habe, die Inspiration da- mit beginnt, dass vom ersten Moment derselben an Luft in die Lungen, wie man doch annehmen sollte, hineingedrückt wird, sehen wir, dass die inspiratorische Curve mit einem subhorizontalen, also negativen Ausschlag beginnt, der etwa !/, der ganzen Inspirationsdauer in Anspruch nimmt und dann ziemlich steil in einen doppelt so hohen positiven Ausschlag übergeht. Ist dann an der Uhr die für die Inspiration bestimmte Zeit l abgelaufen, so ändern sich mit einem Schlag die Oeffnungen in der Hahn- vorrichtung am Uhrwerk, die im Compressionssystem befindliche Luftmenge zwischen Wasser und Thier wird zu letzterem hin abgeschlossen und tritt 26 JULIUS LAZARUS: mit der Atmosphaere in Verbindung. Jetzt sinkt die Wassersäule in beiden Cylindern und während sie nun im Compressionssystem atmosphaerische Luft ansaugt, befördert sie im Exspirationscylinder die vorher in die Lungen sepresste Luft wieder heraus. Diese Exspirationsluft befindet sich, wie uns die nun entstehende Curve lehrt, zuerst unter beträchtlich positivem Druck, der allmählich in der zweiten Hälfte der Curve in negativen Druck über- seht. Mit Ablauf der für die Exspiration bestimmten Zeit dreht das Uhr- werk den Hahn zur Inspirationsstellung und sofort beginnt die künstliche Inspiration. Wir sehen also am Anfang jeder der beiden Curven einen — wenn ich so sagen darf — contrairen Ausschlag. Derselbe dürfte bezüglich der Exspiration nicht schwer zu erklären sein. Gegenüber dem Druck, der am Ende der Inspiration in den Lungen herrschen muss, vermöge des Wider- standes, den die Thoraxwand (Rippen und Musculatur) der Lungenausdeh- nung setzt, welche die im Cylinder A rnpriniei Luft erstrebt, ist der zu Anfang der Exspiration nun vom Apparat ausgeübte Zug viel zu gering, um ihn zu compensiren. Er beschleunigt nur die Rückkehr des Thorax in seine natürliche Exspirationsstellung und erst wenn diese erreicht, beginnt er wirklich seine aussaugende Thätigkeit; erst von diesem Moment an, wo der Druck in den Bronchien unter Null sinkt, entsteht der negative Theil der exspiratorischen Curve. Schwieriger als die Erklärung der Exspirations- curve ist diejenige der Inspirationscurvee Man kann sich « priori wohl vorstellen, dass der negative Druck, der am Ende der künstlichen Exspira- tion in der Lunge herrscht, der auch, wie wir aus der Curve ersehen, nicht sehr bedeutend ist, sehr leicht durch den bei Beginn der künstlichen Inspiration in die Lunge gepresste Luft ausgeglichen bezw. überhoben wird. Das Experiment zeigt uns aber, dass gerade hier, also am Anfang der In- spiration, eine recht beträchtliche negative Schwankung eintritt. — Zu einer Erklärung der letzteren muss ich auf ziemlich geläufige physiolo- gische Sätze zurückkommen. - Nachdem Rosenthal (4) die Ansicht auf- gestellt hatte, dass die Vagusverzweigungen in der Lunge mechanisch durch die Zerrung bei den Athembewegungen erregt werden, und dass darauf die Regulirung der Athmung beruhe, auf Grund seiner Versuche aber nur solche Fasern annahm, deren Erregung die Inspirationsbewegung erleichtert, ” | nimmt Hering zwei Arten von Fasern an (5). Die einen werden durch Aufblasen der Lunge erregt; sie hemmen die Inspiration, kürzen eine vor- handene ab und fördern die Exspiration. Die anderen dagegen werden durch das Zusammensinken der Lunge errest, sie hemmen die Exspiration und fördern die Inspiration. Es ist dies der von Hering als Selbststeue- rung bezeichnete Vorgang. Derselbe wäre nun leicht auch zur Erklärung meiner am nicht curarisirten Thiere gezeichneten Curven heranzuziehen, REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIR BRONCHIALLUMINA. 27 wenn Hering selbst nicht hinzufügte, dass im ‘apnoischen Zustande das Aufblasen und Verkleinern der Lunge völlig unwirksam wäre. Auch die Breuer’schen Angaben (6) und die an diesen Gegenstand sich anknüpfen- den Arbeiten von Bert, Arloing und Tripier, Lockenberg, Knoll u. Ss. w., wie sie von Rosenthal (4) zusammengestellt sind, geben keine Erklärung für diese auffallenden Erscheinungen an meinen Curven. Die- selbe wird erst ermöglicht durch Head’s Beantwortung der Frage: „Ist Collaps der Lunge ein inspiratorischer Reiz?“ (7) Die Gründe, die er für die Wahrscheinlichkeit dieses Satzes anführt, a) eine Verkleinerung des Lungenvolumens wirkt stärker als die reizlose Durchtrennung der Vagi, b) wiederholte Verkleinerungen rufen ein Summiren der inspiratorischen Wirkungen hervor u. s. w., geben sowohl einerseits Klarheit in meinen Befund, wie sie andererseits durch denselben auch von Neuem gestützt werden. Ist nämlich während der Exspirationsphase meines Versuches der Collaps der Lunge, der in dem Moment bereits eingetreten ist, wo sich der Zug meines Apparates durch eine Verminderung des intrabronchialen Druckes unter Null geltend macht, wirklich ein inspiratorischer Reiz, so muss von diesem Moment an der negative Druck so beträchtlich steigen, da ja nun zur Saugwirkung des Apparates noch die inspiratorischen An- strengungen der Muskeln als druckverminderndes Element hinzu kommen, dass der positive Druck des Apparates bei Beginn der künstlichen Inspi- ration (auch selbst wenn wir annehmen würden, dass nach dem Hering- Breuer’schen Gesetz jetzt exspiratorische Reize angeregt würden) diesen nur ganz allmählich auszugleichen vermag, d. h. also, dass zuerst in der That ein negativer Curventheil entstehen muss. Dass diese meine Erklärung aber auch in der That die richtige ist, beweist meiner Ansicht nach nun noch folgender Versuch. Wenn man nämlich am völlig curarisirten Thiere nun unter denselben Bedingungen Curven zeichnet (dieselben sind auf der Curventafel mit // bezeichnet), so fällt dieser wiederholt erwähnte Unter- drucktheil der Imspirationscurven völlig weg. Daraus ist zunächst zu schliessen, dass bei Beginn der Inspiration der negative Druck in den Lungen kleiner ist als bei dem nicht curarisirten Thiere. Da durch das Curarisiren aber nur eine Lähmung der willkürlichen Muskeln bewirkt worden ist, so wird diese Abnahme des negativen Druckes während der Exspiration darauf zurückzuführen sein, dass der durch den Collaps der Lunge ausgelöste inspiratorische Reiz — der meiner Annahme nach den negativen Druck so sehr vermehrt hatte — jetzt durch die Lähmung der Inspirationsmuskeln absolut ausgefallen ist. So konnte ich es geradezu als Maassstab für die anzuwendende Curaremenge ansehen, dass nach etwa acht Minuten der Unterdrucktheil der Inspirationscurven verschwand. Bevor wir uns aber weiter mit der Verwerthung der Curven in dieser 28 JULIUS LAZARUS: Richtung beschäftigen, ist es nothwendig, die letzteren daraufhin zu studiren, welche directen Schlüsse sie auf die Leichtigkeit bezw. Schwierigkeit ge- statten, mit welcher die Luft durch die Bronchien zu den Alveolen oder umgekehrt von diesen durch die Bronchien zurückströmt. Dazu wollen wir uns noch einmal vergegenwärtigen, dass der Apparat in allen seinen Theilen starrwandig ist (es handelt sich nur um Glas- oder Metallröhren) und dass sein Motor ein Uhrwerk ist; dass also am Apparat und in seiner Bewegung keine Veränderung eintreten kann. Veränderlich ist nur die Menge des Wassers, die in der Zeiteinheit in den Apparat ein- strömen kann und zwar nur in ihrer Abhängigkeit von dem Widerstande der ihr in der Lunge gesetzt wird. So sehen wir z. B., dass wenn der Apparat luftdicht mit einem Gummiballon statt mit der Trachea verbunden ist, die Höhe des Anstieges des Wassers oder seines Falles ganz ab- hängig von der Grösse und Elastieität der Wandung des Ballons ist. Ist der Ballon bei gleicher Elastieität der Wandung von kleinerem Volumen, so steigt in der Zeiteinheit die Wassersäule weniger hoch im Cylinder €, d.h. es wird ihr von Seiten des Ballons‘ ein grosser Widerstand gesetzt und in der That zeigt das Manometer einen dem entsprechenden vergrösserten Ausschlag. Finden wir nun in unseren Experimenten, dass diese Erscheinungen eintreten, d.h. dass die Wassersäule im Compressionscylinder in der Zeit- einheit weniger hoch steigt, dass der Ausschlag des Quecksilbermanometers grösser wird, so wird der Schluss berechtigt sein, dass auch demgemäss der Widerstsnd in der Lunge gewachsen sein muss. Es kann sich hierbei aber auch um kein anderes Organ als die Lunge handeln, da wir durch Curarisirung ja die quergestreifte Musculatur gänzlich ausgeschaltet haben und die Einwirkung der Schwere des Brustkorbes, der Elastieität der Rippen u. s. w. durch Einstellung des Apparates auf constante Werthe gebracht haben. Als eine Constante ist aber auch die Geschwindigkeit der Bewegung anzusehen, mit welcher das Papier an den Schreibern vorbeigleitet; denn die Trommel, auf welche das Papier aufgerollt wird, dreht sich von einem Uhrwerk getrieben in stets gleichbleibendem Tempo. Wenn demnach die Abseissenlänge für die Zeiteinheit in meinen Beobachtungen stets gleich bleibt, so wird die Veränderung des Winkels, den diese Abseisse mit der Curvenlinie bildet, allein schon genügen, um als Maassstab der Widerstände, welche die Luft in ihrem Wege durch die Bronchien findet, dienen zu können, Wenn übrigens kleine nicht auszuschaltende Unregelmässigkeiten in den beiden im Apparat zur Anwendung kommenden Uhrwerken die Abseissenlänge bisweilen beeinflusst haben, so ist dieser jedenfalls höchst REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. 29 seringfügige Fehler dadurch ausgeglichen, dass alle die von mir angegebenen Werthe auf der Berechnung eines Mittels aus einer grossen Zahlenreihe beruhen. Nach dieser Erklärung der Curven, die übrigens unten noch weitere Ergänzungen finden wird, sind wir nun im Stande, den Einfluss gewisser Nasenreize auf die Durchgängiekeit der Bronchien an den Curven selbst näher zu prüfen. Die Reize, die ich anwandte, waren mechanischer und elektrischer Art; chemische hatte ich ausgeschlossen und ebenso thermische, weil ich bei diesen befürchten musste, Veränderungen der Schleimhaut zu bewirken, welche die letztere zu weiteren Versuchen untauglich gemacht hätten. Da die betreffenden Einflüsse sämmtlich nur an einem Thiere studirt werden mussten, — denn zwei verschiedene, wenn auch von derselben Rasse, konnten ja immer- hin in verschiedener Intensität reagiren — so musste ich die Nasenschleim- haut während der Dauer des ganzen Versuches völlig normal zu erhalten bestrebt sein. Um mechanische Reize auszuüben, führte ich höchst vor- sichtig etwa 1!/, °® lange, ganz dünne geknöpfte Sonden in die Nasenhöhlen des Kaninchens ein und berührte damit in schonendster Weise die Schleim- haut des Septums und des hinteren Theiles der unteren Muscheln, zwei Partien, die nach Sandmann’s (8) Ansicht besonders empfindlich für derartige Reize sind. Da jene beiden Sonden aber auch die Pole eines du Bois’schen Schlitteninductoriums waren, so konnte jetzt durch einen plötz- lichen Schluss der Kette auch sofort eiu elektrischer Reiz der Nasenschleim- haut bewirkt werden. Der Rollenabstand war so gewählt, dass der in- ducirte Strom auf meiner Zunge eine kaum merkliche Geschmacksempfindung bewirkte. Nachdem nun die Curve A als Wiedergabe der künstlichen Athmung des Thieres bei völliger Apno& und die Curve // bei völlig curarisirten Thieren gezeichnet ist, beginnen die Reizversuche. Die Curve 7, die ich bereits oben erklärt habe, wird hierbei als Ausgangspunkt zu betrachten sein, da im weiteren Verlaufe des Versuches die Stellung der Hähne un- verändert bleibt. Die nächste Curvenserie J, J, J, giebt die Wirkung der Nasenreize wieder und zwar in der Form, dass J/, vor Ausübung des Reizes, /, wäh- rend desselben, und J, nachdem die Sonden aus der Nase entfernt sind gezeichnet wird. Jeder dieser drei Abschnitte dauert etwa eine Minute. Ich habe nun, wie oben erwähnt, bei jedem dieser Versuche die Scalen- werthe etwa 20 Mal abgelesen und daraus das Mittel genommen, und aus den so gewonnenen Werthen von sechs Versuchen, die ich aus einer Zahl 30 JULIUS LAZARUS: von über 20 Protocollen ohne Wahl zusammengestellt habe, wiederum das Mittel berechnet, wobei sich stets ergiebt, dass während der Reizperiode die Widerstände in den Brorchien steigen, und dass diese Steigung nicht selten auch noch in der darauf folgenden Periode, wo die Reize schon entfernt sind, noch merklich ist. Wenn wir nun auch die an den Curven wahrgenommenen Verände- rungen und die Veränderungen der Scalenwerthe nicht anders deuten können, als dass sie die Folgen von Widerständen sind, die sich in den Bronchien der Durchströmung der Luft entgegenstellen, so entsteht nun die Frage, woraus resultiren diese Widerstände? Hierbei ist an mehrere Möglichkeiten zu denken. 1. Contraction der Wandmusculatur; 2. Vasodilatation; 3. Abnorme Secretionsvorgänge und schliesslich könnten auch zwei oder auch alle drei zusammen auftreten. Die sub 1 ange- sebene Möglichkeit hatte bisher, wie man wohl behaupten kann, die meisten Meinungen für sich. Von allen Forschern, die auf diesem Gebiet Untersuchungen angestellt hatten, ist bisher stets die Contraction der Wand- musculatur der Bronchien als Ursache der Verringerung des Lumens an- gesehen worden. Riegel und Edinger (9) haben in ihrer Arbeit, der eine höchst ausgiebige Litteraturangabe vorausgeschickt ist, ebenso wie eine grosse Reihe höchst zuverlässiger Autoren vor ihnen, es als bestimmt aus- gesprochen, dass bei Reizung des peripheren Vagusendes ein Krampf der 3ronchialmuseulatur auftrete. Wenn es nun gelingen möchte nachzuweisen, dass bei Vagusreizung eine Vasodilatation nicht eintritt und dass ebenso- wenig gewisse secretorische Vorgänge vom Vagus aus nicht angeregt werden können, so bliebe zunächst nur übrig zu constatiren, dass der Vagus der vermittelnde Nerv für die Reize, die auf die Nasenschleimhaut ausgeübt werden, ist, um meinerseits behaupten zu können, dass die vermehrten Widerstände, wie wir sie bei den J-Versuchen gefunden haben, wirklich nur die Folge einer Contraction der Wandmusculatur der Bronchien ist. Indem ich mit den letzten Versuchen begann, untersuchte ich die Einwir- kung der bekannten Nasenreize bei durchschnittenen Vagis. Die Durch- schneidung dieses Nerven und eine darauf folgende Reizung des peripheren Endes desselben, die, wie sich aus der einschlägigen Litteratur bei Gad (10) und Rosenthal (4) ergiebt, besonderer Vorsicht hedarf, ist von mir in folgender Weise geübt worden. An zwei kleinen Retortenhaltern (Fig. 4), die rechts und links vom Halse des Thieres aufgestellt werden können, sind zwei 1 ® breite und 5 «m Jange Platten aus Hartgummi befestigt. Diese sind an ihrem freien Ende rinnen- (örmig gebogen. Auf jeder dieser Platten sind parallel zu ihrer Länge zwei Drähte befestigt, die an ihrem unteren freien Ende in die Rinne hinein- REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. 31 gehen, mit ihrem oberen Ende seitlich von den Platten Schlingen (a und 5) bilden. Nachdem der Nerv mit scharfem Scheerenschnitt getrennt ist, wird das periphere Ende desselben, ohne es zu berühren, etwa 2 °" frei prae- parirt und mit einem Faden umschlungen. Soll der Reizversuch beginnen, so werden jene Gummiplatten mit ihren Rinnen vorsichtig unter den Nerven angebracht, was bei der freien Beweglichkeit der Retortenhalter gar nicht schwierig ist. In die Schlingen aa, wurden die Pole eines du Bois’schen Schlitteninduetoriums hineingehakt, und nachdem die Schlingen 55, durch einen über den Hals des Thieres fortgeleiteten Bügel verbunden waren, eing der Strom von «a durch den Draht zum in der Rinne liegenden Vagus, durch diesen auf den zur Schlinge führenden Draht, von da durch den Bügel zu ,, durch den dazu gehörigen Draht zum Nerven der anderen Seite, von diesem durch den zu a, gehörigen Draht zur Schlinge a. War der Versuch beendet, so konnten die Platten von ihren Haltern entfernt und bequem unter dem Nerven vorgezogen Wer- den, der nun in den Mus- keln eingebettet lag. Zu neuen Versuchen erleich- terte der an den Nerven geknüpfte Faden das Auf- finden desselben. Zu- nächst war nun nach der Durchschneidung der Nerven eine Curve gezeichnet worden (N). Die Winkelausmessung, wie die abgelesenen Scalenwerthe ergeben in der weiter unten verzeichneten Liste, wie auch in dem als Paradigma an- gegebenen Protocolle eine geringe Drucksteigerung. Dieselbe ist, abgesehen von der überhaupt während der Dauer des Experimentes stetig wachsenden Drucksteigerung, auf die ich noch zu sprechen komme, doch als solche ent- schieden anzuerkennen. Ich kann mir nur denken, dass sie doch noch, wie Gad behauptet, auf eine Reizung des Nerven bei seiner Durchschneidung zurück- zuführen ist, wie sie selbst mit der grössten Vorsicht nicht zu vermeiden ist. Dass übrigens diese Annahme richtig ist, ergiebt sich auch daraus, dass, wenn nach wenigen Minuten die Druckwerthe noch einmal festgestellt werden, sie sich nun wieder auf dem normalen Niveau befinden. In der darauf beginnenden Versuchsserie O, 0,0, soll untersucht werden, 32 JuLIUs LAZARUS: wie die bekannten Nasenreize beim Thiere jetzt, nachdem die Vagi durch- schnitten sind, wirken. Die Druckwerthe erfahren hier in der Periode O, keine Veränderung und ungezwungen ergiebt sich hieraus schon die Fol- gerung, dass mit der Durchschneidung des Vagus die Bahn, welche die Drucksteigerung auf Nasenreize vermittelt hatte, jetzt unterbrochen sein muss. Ich versuche darauf in der Serie A, %,R, mit dem obengezeichneten Apparat das periphere Vagusende beiderseits direct zu reizen mit Strömen, die den bei der Nasenreizung angewandten völlig gleichen. Die Protokolle ergeben dieselben Resultate, wie wir sie bei J, zu beobachten Gelegenheit hatten, d. h. bei der Nasenreizung und unversehrten Vagis. Es hiesse doch wahrlich sich gegen Thatsachen sträuben, wollte man nach. diesem Resultate die vorher supponirte Bedeutung des Vagus länger leugnen. Wenn wir nun die Eventualität in’s Auge fassen, dass vasodila- torische Vorgänge hier mit im Spiele sind, wie wir solche zu beobachten Gelegenheit haben bei dem plötzlichen Eintreten der Schamröthe und der Erection gewisser Organe mit cavernösem Gewebe, so dürfte sich hierfür eine gewisse Begründung sogar finden lassen, da wir ja in der Schleimhaut der unteren Muscheln der Nase eine nicht unbedeutende Turgescenz plötz- lich entstehen und vergehen sehen sicherlich unter nervösen Einflüssen, wenn uns dieselben zur Zeit auch noch unbekannt sind. Es könnten ja solche Vorgänge sich auch auf der Bronchialschleimhaut abspielen, aber freilich müssten — da es nach den Resultaten meiner bisherigen Versuche bereits feststeht, dass der Vagus der vermittelnde Nerv zwischen Nasenreiz und Verengerung des Bronchiallumens ist — dann auch im Vagus vaso- dilatorische Fasern verlaufen, die weder die bisherigen Forscher aber ge- neigt waren anzunehmen, noch aus anderer Veranlassung als vorhanden zu betrachten, irgend eine Nothwendigkeit vorlieet und die vor Allem aber auch bis jetzt nicht nachgewiesen sind. Ist nun diese Eventualität ausgeschlossen, so glaube ich auch die an- dere, ob es sich um abnorme Secretionsvorgänge in den Drüsen der Bronchial- schleimhaut bei -Reizung des Vagus handeln könne, hier nur kurz berühren zu sollen. Trotzdem wir auch hierfür ein Analogon in dem sogenannten nervösen Schnupfen mit abundantem, ganz dünnflüssigem Seeret, wie es bei Asthmatikern so häufig beobachtet wird, finden, lässt die Plötzlichkeit des Druckansteigens bei den Versuchen J,/, emen derartigen Vorgang in un- seren Beobachtungen nicht recht plausibel erscheinen. Selbst wenn man ein so plötzliches Entstehen dieser Secretion annehmen wollte, so wäre doch das plötzliche Verschwinden des Secretes nicht denkbar. Das Seeret, das nicht entfernt werden konnte, müsste dann doch durch sein Verbleiben in ul A ah ee re ” u % REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. 33 den Bronchien verhindern, dass der erhöhte Druck wieder sinkt, wie es doch thatsächlich der Fall ist. Zudem müssten ja auch erst wieder, um dieser Annahme eine factische Grundlage zu geben, im Vagus solche secre- torische Fasern constatirt werden. Es liest demnach wohl kein Grund vor, diesen Möglichkeiten eine weitere Aufmerksamkeit zu schenken, wenn ich es auch für nothwendie halte, ihrer an dieser Stelle Erwähnung zu thun und einer kurzen Erwägung zu unterwerfen. Nach dieser Excursion zur Erklärung der bei den Versuchen J und 2 constatirten Drucksteigerungen im Apparat müssen wir zu der Serie A noch einmal zurückkehren, da sich während dieses Versuches bei Gelegen- heit des Reizes des peripheren Vagusendes eine sehr beträchtliche Herab- setzung der Pulsfrequenz bemerklich machte — wie dies ja nicht anders zu erwarten war. Hier konnte nun von neuem der Verdacht rege werden, dass die erschwerte Durchströmung der Luftröhren auf Circulationsverän- derungen, wie sie die herabgesetzte Pulsfrequenz mit sich bringt, zurück- zuführen sei. Nach dem Vorgange von Hoggan und Liebermann hat namentlich in neuester Zeit v. Basch (11) diesen Circulationsveränderungen in der Lunge, in so weit sie von einer pathologischen Herzthätigkeit aus- sehen, grosse Aufmerksamkeit geschenkt und eine Ueberfüllung der Lungen- gefässe, die den von ihm als Lungenstarrheit bezeichneten Zustand herbei- führen, in directen Zusammenhang mit Herzfehlern gebracht. Da zwar in meinen Versuchen nicht der Klappenapparat des Herzens, sondern einzig und allein direct die Rhythmik der Herzaction beeinflusst ist, so konnten doch immerhin noch Stauungen erheblichen Grades auch hier in Betracht kommen. Um allen hierauf bezüglichen Einwürfen zu begegnen, habe ich nun noch Atropin in einer Dosis subcutan angewandt, welche die Wirkung der Vagusreizung auf das Herz aufhebt. Ich möchte übrigens bei dieser Ge- legenheit noch einmal die schon viel erwähnte Thatsache constatiren, dass die Kaninchen enorme Quantitäten dieses Giftes vertragen. Bei den von mir benutzten ziemlich grossen Thieren war 0-5 Atropin erst hinreichend ' wirksam und andererseits nie tödtlich. Die nun sub $, verzeichnete Curve ist bei dem atropinisirten Thiere bei Reizung der peripheren Vagusenden gewonnen; sie nimmt denselben Verlauf wie die vorher beschriebene sub 7%, (ohne Atropin), und daraus ergiebt sich nun der weitere Schluss, dass die durch die Vagusreizung her- abgesetzte Pulsfrequenz keinen merklichen Einfluss auf die Circulation aus- übt, wenigstens keinen so bedeutenden, dass sie die Erschwerung der Durch- strömung der Bronchien bewirken könnte. Ich erlaube mir nun als Paradigma der Protocolle hier anschliessend dasjenige vom 46. Versuch folgen zu lassen: Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 3 34 JULIUS LAZARUS: 2 Uhr 54 Min. Tracheotomie des Kaninchens (etwa 3 Kilo schwer). Einstellung der Hähne auf ZC 38° 40'28° ZV 27°, AV 32°. Inspirations- Exspirations- | Scalen- |Curven- | Scalen- |Curven- ausschlag | winkel | ausschlag | winkel | 3 Uhr 15Min.| 23—32'/, — j411,—46',), — 10-06 Curare in den linken H|3,„ 26 „| 29—-33Y, | 64°/),° | 43-48 561/,° Oberschenkel injieirt J, | 3 Uhr 30 Min.|291/,—34%/,| 61%, |a211,—47%/,| 58%, J; 3, 3 „ — 351), 63"), —48'], 63°13 Em | ae || ee Fe IN 3,0505 32—36 65%, 45—50 65/5 | Beide Vagi vor 10 Min. | ea 68°), 45—491,| 67°), durchschnitten O, 3 „ 54 E2) al | 68°]; —49'], 67'), 0, |3 „ 55 „ [821/,—36'/,|1 68%, j451/,50'/,| 67°, BR, |4 „ 1 „ 33— 837 68"); 46'/;—51 11 Etwa 240 Pulse R, op Zu, —38 70°ı 2 739,1 40 Pulse R; 4 7) Sr 34—38 | 70%); 47—51 1a te Etwa 260 Pulse Sı |4...13, „jesı, au,| 704, ey, 51H, 72 Yor 3 Mine Send mild, —381/,| 725/90 — un Bl intramuseulär injieirt Ser 15a | og | Ba. us8, Die zu diesem Protocoll gehörige Curventafel ist ebenfalls beigefügt Taf. I). Ausserdem möge an dieser Stelle noch eine Tabelle Platz finden, in welcher die bei der Zusammenstellung von sechs beliebigen Protocollen ge- fundenen Mittelwerthe aufgeführt werden. Inspirations- Exspirations- | Inspirations- | Exspirations- Scalenausschlag Curvenwinkel 727 29-8—33-8 | 47-8—51-7 542],° 497/,° 27 29-8—33-5 | 48-5—52-3 554, 494), 3, 30-3 48.7 56%/,0 554, JR, 30-1—32-6 | 48-3—52-3 551], 497), N 31-0—35 | 47-6—51-7 631), 51 O, 30-.5—834-1 | 48-1—51-8 623], 491, O0, 30-3 | 48-1 60 49 0, 30-3—34-0 | 48-1—51-8 593], 481,5 R, 30-7—34-3 | 48-5—52-1 641, 50 R, 31-7 ' 50-0 651, 55%, R, 30-8—34:8 | 49-3—53-0 609, 543], S, 31-7—35-.5 | 48-0—51-8 58°), 54 S, 31-8 ı 49.0 59 5a2la S, 31-7—35-5 | 48-7 —52-3 575), 542), Es dürfte vielleicht auffallen, dass sowohl in dieser Tabelle, wie auch in dem vorher wiedergegebenen Protocolle bei den Versuchen J,, O,, R, und 5, nicht der ganze Scalenausschlag, sondern nur die höchsten bezw. nn nn nn REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT AUF DIE BRONCHIALLUMINA. : 35 niedrigsten Werthe desselben angegeben sind. Aber einerseits genügen auch diese schon allein, da sie uns anzeigen, ob unter dem Einfluss ge- wisser Reize der Apparat einen Widerstand in der Lunge gefunden und wie weit derselbe sich nach einer Richtung wenigstens ausdehnte; anderer- seits war durch die Reizung der Nasenschleimhaut und durch die relative kurze Dauer dieses Versuches meine Aufmerksamkeit, sowie diejenige meiner Assistenten so in Anspruch genommen, dass ich mich mit dem Ablesen nach einer Richtung begnügen musste. Es zeigt sich in diesen Tabellen übrigens noch eine Eigenthümlichkeit, auf die ich noch näher einzugehen habe: es steigt nämlich der Druck, wie es sich aus den Scalenwerthen sowohl, wie aus den Curvenwinkeln ergiebt, regelmässig stetig an, und da ich mich in einigen Fällen, die ich aus an- deren Gründen nicht als gelungene Experimente betrachtet sehen möchte, direct davon überzeugen konnte, dass eine Ansammlung von flüssigem Se- cret während der Versuchsdauer in den Bronchien entstanden ist, so möchte ich wohl annehmen, dass diese stetige Druckzunahme, so gering sie auch ist, auf eine Secretion zurückzuführen ist, die wahrscheinlich ihre Ent- stehung einem allmählich bei der künstlichen Respiration sich entwickeln- den Katarrhe verdankt. Trotz der Erwärmung des Wassers, wie sie in meinem Apparat vorgenommen wird, ist die durch dasselbe in die Bron- chien getriebene Luft doch noch nicht genügend erwärmt, um nicht durch diese Abkühlung einen Katarrh der Bronchialschleimhaut, der dann das er- wähnte Secret setzt, zu erzeugen. Nach alledem ist aber Eins als ein sicheres Resultat aller Versuche anzusehen, dass gewisse Reize auf die Nasenschleimhaut auf reflec- torischem Wege das Lumen der Bronchien verkleinern und dass der centrifugale Theil dieses Reflexes sich im Vagus befindet, dem dann etwa noch hinzuzufügen wäre, dass diese Verkleinerung der Bron- chiallumina mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Contraction der Bronchialmuseulatur zuzuschreiben sei. An dieser Stelle angekommen, erfülle ich gern die angenehme Pflicht, Hrn. Prof. Zuntz meinen wärmsten Dank dafür auszusprechen, dass er so liebenswürdig mit Rath und That mich in dieser Arbeit unterstützt hat und dass er mir schliesslich noch gestattet, seinen eigenen Ansichten über diese Reflexe hier einen Platz zu geben. „Man wird von vornherein erwarten, dass ein so ausgebildeter Reflex eine Bedeutung für den Athemprocess der Thiere haben müsse. Es könnte scheinen, als ob die möglichst grösste Weite der Bronchien das Vortheil- hafteste für die Athmung sei. Und in der That ist nicht abzusehen, dass die Mechanik der Füllung und Entleerung der Lunge durch Verengerung der Bronchien jemals gefördert werde. Die Enge der Bronchien hat aber 3*+ 36 Junıus LAZARUS: ÜBER REFLEXE VON DER NASENSCHLEIMHAUT U. S.W. eine andere wesentliche Bedeutung für das Wohlbefinden des Thieres: sie hat zur Folge, dass die Luft, ehe sie die Alveolen erreicht, vollkommen von allen staubförmigen Verunreinigungen befreit ist. Tyndall hat nach- gewiesen, dass in der Exspirationsluft sich keine Sonnenstäubchen finden, und dass also alle diese in der Luft suspendirten festen Theilchen an der Wand der Luftwege haften bleiben, um durch die Thätigkeit des Flimmer- epithels herausbefördert zu werden. Die Aufgabe, die Luft staubfrei zu machen, wird aber um so schwieriger sein, je mehr die Luft mit Staub verunreinigt ist. Es ist darum zweckmässig, dass bei Einathmung einer staubfreien Luft die Bronchien sich verengen, wodurch zwar das Athmen erschwert, aber andererseits die Reinheit der in die Alveolen gelangenden Luft garantirt wird. Wir verstehen so, warum wir in einer reinen, staub- freien Luft so leicht unsere Brust dehnen können, und andererseits, wenn die Luft reizend auf die Nasenschleimhaut durch Staub, Temperatur, gewisse Gase wirkt, Oppressionserscheinungen eintreten.“ Während der Zeit, die ich auf die eben beschriebene Experimenten- reihe verwandte — die ersten Curven datiren beiläufig aus dem Jahre 1838 — hat auch Francois Frank denselben Gegenstand bearbeitet und seine Resultate im Julihefte der Archives de Physiologie 1889 veröffentlicht. Wenn auch seine Methode eine andere als die meinige war, so gestattet sie mir doch nirgends wichtige Einwürfe, und da seine Resultate die- selben wie die meinigen sind, so bilden sie eine weitere Bestätigung meiner Angaben. Litteraturverzeichniss. 1. Donders in Henle’s und Pfeuffer’s Zeitschrift für rationelle Mediein. 1853. N.F. Hft. IN. 2. Knoll, Lehre von der Athmungsinnervation. Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. LXXXV. 3. C. Lehmann, Ueber zwei Apparate zur künstlichen Athmung der Thiere. Dies Archiv. 1883. 8. 456. | 4. Rosenthal, Athembewegungen und Innervation derselben. Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd.IV. 3. Thl. 5. Hering, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. LV1. 6. Breuer, Die Selbststeuerung der Athmung u. s.w. Sifzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. LVII. 7. Head, Naturforscherversammlung 1886. Tagehlatt. S. 417. 3. Sandmann, Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 29. Juli 1887. 9. Riegel und Edinger, Experimentelle Untersuchungen zur Lehre vom Asthma. Zeitschrift für klinische Medicin. Bd.V. 8.413. 10. Gad, Ueber Ausfallserscheinungen u. s. w. Ergänzungsbericht. Dies Archiv. S. 43. 11. v. Basch, Lungenschwellung und Lungenstarrheit. Wiener medic. Presse. 1888. Wirkung des Chloroforms, des Ammoniaks und des Bromaethyls auf die Athmung mit besonderer Beziehung auf den durch die Kohlensäure bedingten inspirato- rischen Reflex von Seiten der Hauptbronchien. Beitrag zur Lehre der Dyspnoeformen, Von Dr. Joseph Zagari, Assistenten an der I. medicinischen Klinik in Neapel. (Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.) (Hierzu Taf. II.) I. Einleitung. Bekanntlich werden die Bewegungen des Brustkorbes und demnach auch die (ausschliesslich passiven, Galenus) Bewegungen der Lungen durch die rhythmischen Contractionen und Erschlaffungen der Athmungsmuskeln bedingt, welche für diese ihre Thätigkeit den motorischen Impuls von Nervencentren erhalten, auf deren Existenz von Le Gallois! zuerst hin- gewiesen worden ist und welche von Flourens ° dann an einer eng um- schriebenen Stelle des Nackenmarkes localisirt wurden. Zur Erforschung der Function dieser Centren sind viele Versuche an- gestellt und viele Beobachtungen veröffentlicht worden. Die hieraus abgeleiteten älteren Theorien unterscheiden sich in solche, welche die Flourens’schen Centren nur reflectorisch wirksam sein lassen, und in solche, welche den Entstehungsort der Erregung in die Centren selbst verlegen (automatische, besser autochthone Erregung). Marshall Hall?’ ı Le Gallois, Experiences sur le principe de la vie. Paris 1812. ? Flourens, Recherches experimentales sur les proprietes et les fonctions du systeme nerveux. Varis 1842. p. 172. ® Marshall Hall, Memoirs on the nervous system. London 1837. p. 87. 38 JOSEPH ZAGARI: nahm an, dass die Kohlensäure des die Lungengefässe durchströmenden venösen Blutes bei ihrem Uebergange aus dem Blute in die Luft der Lungen- alveolen dort alsReiz wirke und dass die hierdurch erzeugte Erregung der Nn.vagi von dem Athemcentrum als Bewegungsantrieb für die Inspirationsmuskeln reflectirtt werde. Da die Athembewegungen aber, wenn auch modificirt, fortdauern, nachdem beide Vagi am Halse durchschnitten sind, so ver- änderten Volkmann und Vierordt! diese Lehre dahin, dass die für Kohlensäure empfindlichen und dem inspiratorischen Reflex dienenden peripherischen Nervenendigungen nicht nur in der Lunge, sondern auch weiter im Körper ausgebreitet vorhanden seien. Man kann nicht sagen, dass diese Lehre von Volkmann und Vier- ordt bis jetzt strenge widerlegt worden wäre. Was jedoch noch zu geschehen hätte, um die Frage direct zu lösen, wäre dies. Man müsste dahin kommen ein Thier zu besitzen, welches noch athmete, nachdem ihm alle centripetalen nach dem Nackenmark führenden Wege abgeschnitten worden sind. Das ist natürlich äusserst schwierig aus- zuführen. Die zu diesem Zwecke von I. Rosenthal angestellten Versuche entsprechen diesen Forderungen nicht sämmtlich, denn in seinen Versuchen ist auf den Laryngeus superior, den Glossopharyngeus, den Trigeminus und den Acusticus nicht geachtet worden; und bei anderen ähnlichen Versuchen wurden wieder andere centripetale Wege unversehrt gelassen. Die Unter- bindung der Gefässe, welche I. Rosenthal ebenfalls ausführte, um der herrschenden Lehre eine sichere Grundlage zu geben, haben wegen der collateralen Verbindungen der Carotiden durch den Circulus arteriosus Willisi mit den Vertebrales zu einem Ergebniss geführt, welches nicht einwandsfrei ist. Theorien der zweiten Art, welche eine weite Verbreitung erlangt haben, sind jene, welche annehmen, dass die Thätigkeit der Flourens’schen Uentren in jedem Augenblick von dem Athembedürfniss des Organismus derart regulirt wird, dass es die Qualität des dieselben durchströmenden Blutes bezüglich seines Gehaltes an Kohlensäure und an Sauerstoff ist, welche als Regulator dient. Auf der einen Seite nun behauptete I. Rosenthal, dass die Armuth des Blutes an Sauerstoff die nothwendige Triebfeder zur Er- regung des Athemcentrums sei; auf der anderen Seite dagegen hielten sich Traube? und Thiry * durch ihre Versuche für berechtigt zu folgern, dass ‘ Vierordt in Wagner’s Handwörterbuch u.s. w. Bd. II. 8. 912. ”I. Rosenthal, Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus. Berlin 1862. ° Traube, Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie. Berlin 1871. * Thiry, Les causes des mouvements respiratoires et de la dyspnee. Recueil des traveauz de la societe medicale allemande de Paris. 1865. WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. S. W. AUF DIE ATHMUNG. 39 dieses Erregungsmittel durch die Ueberladung des Blutes mit Kohlensäure gebildet werde. Die Meinungsverschiedenheit zwischen Rosenthal und Traube und Thiry wurde gelöst durch die genauen Blutanalysen von Pflüger! und Dohmen ? nnd durch andere Untersuchungen von Seiten Friedländer’s,? Herter’s,* P. Bert’s® u. A. Diese Forscher kamen zu der Ansicht, dass beide Blutgase, der Sauerstoff, wenn er in geringer Menge vorhanden ist, die Kohlensäure, wenn sie sich anhäuft, das in dem verlängerten Mark ge- legene Athemcentrum erregen; daraus folge, so sagten sie, dass, wenn in dem dieses Centrum durchspülenden Blute entweder Mangel an Sauerstoff oder ein Uebermaass von Kohlensäure existirte, eine gesteigerte Thätigkeit der Athemcentren und Dyspno& auftreten müsse; eine Verlangsamung oder ein vorübergehender Stillstand der Athmung (Apno&) müsse sich dann einstellen, wenn entweder ein Ueberfluss an Sauerstoff oder ein Mangel an Kohlensäure vorhanden sei; und endlich die gewöhnliche Athmung oder die Eupnoö dann, wenn die Kohlensäure und der Sauerstoff in dem richtigen Verhältniss im arteriellen Blute des Kopfes enthalten sei. Doch wurde diese im Anfang fast allgemein angenommene Theorie in der Folge einer so strengen experimentellen Kritik unterzogen, dass man sie zur Zeit als allgemein aufgegeben bezeichnen kann. Einerseits stellten Hering und Breuer,® Gad,’ Head? fest, dass Reflexe eine wesentliche Rolle bei der Regulirung der normalen Athmung spielen. Diese Forscher vertreten gemeinsam die Ansicht, dass jede In- spiration, wenn sie eine gewisse Tiefe erreicht hat, reflectorisch gehemmt wird. Die Exspiration erfolgt also reflectorisch. Der diesen Reflex aus- lösende Reiz wird durch die inspiratorische Lungendehnung selbst erzeugt, die in Folge des Reizes entstandene Nervenerregung wird im Vagus centri- ı Pflüger, Ueber die Ursache der Athembewegungen sowie der Dyspno& und Apnoe&. Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd.1l. 8.61. ®° Dohmen, Untersuchungen über den Einfluss, den die Blutgase d. i. Sauerstoff und Kohlensäure auf die Athembewegungen ausüben. Untersuchungen aus dem phy- siologischen Laboratorium zu Bonn. Berlin 1865. ® Friedlaender und Herter, Zeitschrift für physiologische Chemie. 1878. Bd.Il. * Herter, Ueber die Spannung des Sauerstoffs im arteriellen Blut. Zestschrift ‚für physiologische Chemie. Bd. III. S. 98. 5 P. Bert, Zecons sur la respiration. Paris 1870. 6 J. Breuer, Die Selbststeuerung der Athmung durch den N. vagus, vorgelegt von E. Hering. Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften. 1868. Bd. LVII. Abth. III. S. 909. ” J. Gad, Die Regulirung der normalen Athmung. Dies Archiw. 1880. 8.1. ® H. Heäd, On the Regulation of Respiration. The Journal of Physiology. Vol.X. p. 1 and 279. 40 JOSEPH ZAGARI: petal geleitet. Hering, Breuer und Head gehen darüber noch hinaus und behaupten, dass auch die Anregung zur Inspiration auf analoge Weise reflectorisch und zwar durch mechanische Vagusreizung bei der exspirator- rischen Lungenverkleinerung erfolge, während Gad! für die Anregung zur normalen Inspirationsbewegung einen von der Beschaflenheit des Blutes — und zwar von seinem Kohlensäuregehalt — abhängigen Tonus des In- spirationscentrums verantwortlich macht. Auf der anderen Seite zeigten Brown-Sequard,? Schiff,® Budge;* Rokitansky,? Christiani,° Langendorff und Nitschmann,” Mosso,° dass man sich eher als ein einzelnes Athemcentrum einen Complex von für diese Funetion bestimmten und coordinirten Centralorganen vorzustellen hat. Dank diesen wichtigen Arbeiten ist man zu der richtigen Erkenntniss gekommen, dass die Thätigkeit der Athemcentren in beständiger Beziehung zu der Erregung sensibler Nerven steht und dass man, was die Regulirung der Athembewegungen angeht, den Reflexen eine wesentliche Bedeutung zuerkennen muss. Hierdurch gewinnen nicht nur die übrigens schon in grosser Zahl an- gestellten Versuche über die respiratorische Wirkung von Reizungen der Luftwege erhöhtes Interesse, sondern es tritt auch die Nöthigung an uns heran, die Lehre von der autochthonen Erregung des Inspirationscentrums gegen ältere reflectorische Theorien stärker zu vertheidigen, nicht nur gegen die Theorie von Vierordt und Volkmann, sondern auch gegen eine solche von Donders. Es war kurze Zeit vor dem Erscheinen der bahn- brechenden Arbeit von Hering und Breuer über die Selbststeuerung der Athmung, dass auch Donders eine Vermuthung: betreffs reflectorischer Re- gulirung der Athmung aussprach. Er dachte hierbei aber nicht an mecha- ı A.a.0. 8.29; — Dies Archiv. 1886. 8. 388. Brown-Sequard, Experimental Researches on the spinal cord. Richmond 1885. ® Schiff, Lezioni sul sistema nervoso encefalico. Firenze 1873. * Budge, Virchow’s Archiv u.s.w. Rd. XVI. ° Rokitansky, Untersuchungen über die Athemnervencentren. Medieinische Jahr- bücher. 1874. | F ° Christiani, Experimentelle Beiträge zur Physiologie des Kaninchenhirns und seiner Nerven. Monatsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1881; — Ein Athmungscentrum am Boden des dritten Ventrikels. Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1880. Nr. 15. “ Langendorff und Nitschmann, Studien über die Innervation der Athem- bewegungen. Dies Archiv. 1880. 8.518. ® Mosso, Periodische Athmung und Luxusathmung. Dies Archiv. 1886. Suppl. 8. 37. WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. $S. W. AUF DIE ATHMUNG. 41 nische sondern an chemische Reize und seine 'T’heorie betraf nur die An- reeung zur Inspiration. Wenn, wie Donders vermuthete, Kohlensäure als inspiratorischer Reiz für die Schleimhaut der Athemwege nachgewiesen werden konnte, so durfte man annehmen, dass die mit vorschreitender Ausathmung in den oberen Luftwegen zunehmende Concentration dieses Gases zur reflectorischen Unterbrechung der Ausathmung führe. Berns, welchem Donders die Ausführung der betreffenden Versuche anvertraute, glaubte diese Theorie bestätigen zu können.! Er fand, dass eine Inspiration, welche der Lunge von Aussen her Kohlensäure zuführt, sofort vertieft werde. Dieses Ergebniss, welches für die Lehre von Donders oder auch für die von Marshall Hall, Volkmann und Vierordt von grosser Be- deutung sein konnte, wurde später jedoch von Knoll? nicht bestätigt, während M. Rosenthal,’ welcher unter der Leitung von Gad arbeitete, dasselbe Ergebniss wie Berns wenigstens dann erhielt, wenn die Kohlen- säure concentrirt war. Auch hiergegen hat Knoll‘ wiederum Protest er- hoben, ohne dass er seinerseits für die Lösung der Frage einen Beitrag zu liefern vermocht hätte. Ich habe es für der Mühe werth gehalten, diese Frage wieder auf- zunehmen, da sie einerseits ein rein theoretisches Interesse hat wegen ihrer innigen Beziehungen zu der Theorie der Athembewegungen (wie wir im Vorhergehenden gesehen haben) andererseits aber auch, da ein Studium des Einflusses concentrirter Kohlensäure und verschiedener anderer Suh- stanzen auf die Athmung vom praktischen Standpunkte aus ein Interesse verdient, weil es die Wirkungen analysirt, welche dieselben hervorbringen, wenn sie mit der Athemluft in Berührung mit den Lungen gebracht wer- den. Und dass es der Mühe werth ist, die Art und Weise der Wirkung einer jeden von diesen Substanzen einer eingehenden Analyse zu unter- ziehen, beweist schon die Thatsache, dass die Nervenendigungen des Vagus auf die verschiedenen Reize bald im Sinne der Inspiration, bald im Sinne der Exspiration refleetorisch reagiren. ! Berns, Over den invloed van verschillende Gassen op de Adenıbeweging. Onder- zoekingen gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche Hoogeschool. Twede Reoks. III. p. 76 ® Knoll, Ueber Reflexe auf die Athmung bei Zufuhr einiger flüchtiger Substanzen zu den unterhalb des Kehlkopfes gelegenen Luftwegen. Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1878. Bd. LXVII. Abthlg. III. ® M. Rosenthal, Ueber die Formen der Kohlensäure- und Sauerstoffdyspnoe. Dies Archiv. 1886. Suppl. 8. 248. * Knoll, Die Wirkung der Einathmung reiner Kohlensäure durch eine Tracheal- fistel u. s. w. Sitzungsherich/e der königl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1887. Bd. XCV. Abtlilg. IL. 42 JOSEPH ZAGARI: II. Angewandte Technik. Die Anordnung der Versuche war folgende: Zwei blechkästen, von denen jeder etwa 25 Liter fasste, dienten dazu, dem Thiere die Athemluft zu liefern. Der eine derselben enthielt einen grossen Gummiballon und konnte vermittelst zweier Ventile, eines exspiratorischen und eines inspira- torischen (dieses in directer Verbindung mit dem Ballon, jenes in direeter Verbindung mit dem Kasten) abwechselnd die in dem Ballon enthaltene Luft an das Thier abgeben und die Exspirationsluft in den den Ballon umgebenden Raum aufnehmen. Ein entsprechend angebrachter Hahn mit drei Wegen konnte in einem Augenblicke mit grosser Leichtigkeit mittels einer einfachen Umdrehung die Luftwege des T'hieres entweder mit dem einen oder mit dem anderen Kasten in Verbindung setzen. Das Gas oder die Dämpfe der Substanz, deren Wirkung man untersuchen wollte, wurden unmittelbar vor dem Versuch in den Ballon gebracht, und zwar immer in so mässiger Menge, dass dieser einer starken Ausdehnung nicht ausgesetzt war. Das tracheotomirte Thier trug in der Mitte des Halses eine Gad’sche Trachealcanüle! Die Trachea befand sich ganz nahe an dem Apparat, so dass leicht an Stelle der atmosphaerischen Luft eine nach Wunsch prae- parirte Luft zum Einathmen geboten werden konnte. Beide Blechkästen communicirten mit dem Aöroplethysmographen von Gad? und bildeten mit diesem und dem respiratorischen Apparat des Thieres ein vollkommen geschlossenes System. Die Vortheile, welche der Aöroplethysmograph von Gad bei den Studien der Respirationsgraphik den Methoden gegenüber bietet, welche von Anderen angewandt worden sind (wie z. B. der sogenannten Oesophagusmethode von Ceradini oder der- jenigen Methode, welche von Bernstein? in den von Gad und M. Rosen- thal wiederlegten Versuchen über die Wirkung der CO? auf die Athmung in Anwendung gezogen worden ist, oder der Marey’schen Kapsel u. s. w.) sind von Gad und seinen Schülern wiederholt dargelegt und auch ander- weit anerkannt worden.* 4 und seien die beiden Blechkästen, € der Gummiballon, D der Hahn mit drei Wegen, welcher einerseits mit der Röhre z communicirt, welche mit der Trachealcanüle verbunden ist, während er andererseits " G@ad, Die Athemschwankungen des intrathoracalen Druckes. Dies Archiv. 1378. 8. 563. ” Gad, Ueber einen neuen Pneumatographen. Dies Archiv. 1879. 8. 187. ® Bernstein, Ueber die Einwirkung der Kohlensäure des Blutes auf das Athem- centrum. Dies Archiv. 1882. 8. 313. * I. Rosenthal, Die Physiologie der Athembeweguugen. Hermann’s Hand- buch der Physivlogie. Bd. IV. Th, II. S. 211. WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. S. W. AUF DIE ATHMUNG. 43 durch eine Zweigröhre »n mit dem Kasten 4 und durch eine dritte Zweig- röhre m, welche sich gabelig theilt a) mit dem um den Gummiballon herum befindlichen Innenraum des Kastens 5 (auf diesem Wege befindet sich das exspiratorische Klappenventil), b) mit dem Innenraum des Gummi- ballons (hier befindet sich die inspiratorische Klappe) communicirt. Es liegt auf der Hand, dass man mit einer einfachen Drehung des Hahnes den Weg z, sei es mit dem Kasten A, sei es gleichzeitig mit dem Kasten A und dem Gummiballon in Verbindung setzen kann. Was die Oefl- nungen p und g angeht, so communicirt das in dieselbe eingefügste Röh- rensystem mit dem Aöro- plethysmographen 3. Bei x befindet sich eine Oeff- nung, deren man sich be- dient, um für jeden Ver- such, den Inhalt des Ballons vermittelst einer Wasserpumpe zu er- neuern. Es geschieht dies derart, dass das Ventil von C entfernt und der Ballon zunächst durch Einblasen von Luft in bei Verschluss von g entleert wird. Soil der Ballon mit Chloroform oder anderen Dämpfen gefüllt werden, so wird das bis zum Boden einer mit der betreffenden Sub- stanz gefüllten Woulf’- schen Flasche reichende Glasrohr mit © und der Aspirator mit = verbunden. Soll Kohlensäure zur Anwendung kommen, so wird das Ausströmungsrohr der letzten der mit dem Eos inieelngkenmane verbundenen Wasch- flaschen an C angeschlossen und die Aspiration bei x, welches offen steht, unterbleibt. Die Curve des Aöroplethysmographen giebt die Volumänderungen des respiratorischen Apparates an. Mehrere Versuche, bei welchen gewöhnliche 44 JOSEPH ZAGART: Luft in den Ballon gebracht wurde, haben in der Aufzeichnung der Re- spiration durch den Apparat keinerlei Unterschied wahrnehmen lassen, mochte das Thier aus dem Kasten A oder durch Vermittelung der Ventile aus dem Ballon C des Kastens 3 athmen: ein Beweis für die Güte des Apparates. Es ist ein wichtiges Moment, dass man bei dieser Versuchsanordnung eine vollkommene, vom Anfang bis zum Ende des Versuchs reichende Auf- zeichnung erhalten kann, ohne dass irgend eine accidentielle Ursache da- zwischen kommt und die Versuchsbedingungen stört und ohne irgend eine Unterbrechung oder Abweichung: man bekommt nämlich zuerst die normale Athemeurve und kann dann von Anfang an den Uebergang der normalen Athmung in die anormale und nachher den Uebergang von dieser in jene beobachten, ein Umstand, der meiner Meinung nach bei einer Untersuchung über Dyspnoöformen von der grössten Wichtigkeit ist. Die Bewegungscurven wurden auf den Cylinder (@) eines Baltzar’schen Kymographions aufgezeichnet, welcher sich mit gleichförmiger Geschwindig- keit drehte. Der Augenblick, in welchem der mit dem Ballon communi- cirende Weg geöffnet oder geschlossen wurde, wurde mit der Hand, oder wo es auf besondere Praecision ankam, durch ein elektrisches Signal an- gezeigt. Alle diese Versuche wurden am Kaninchen an einem vollkommen ruhigen Orte angestellt und das auf dem Tische gut fixirte Thier zeigte sehr bald eine ruhige und gleichmässige Athmung, so dass sich die Noth- wendigkeit, es zu narkotisiren, niemals fühlbar machte. III. Die Versuche. | A. Wirkung der Chloroformdämpfe. Wenn man einem mit einer Trachealcanüle versehenen Kaninchen mit der gewöhnlichen Inspiration in die unterhalb der Canüle gelegenen Wege Luft gelangen lässt, welche Cloroformdämpfe enthält, so wird man be- merken, dass schon die erste Inspiration ein wenig tiefer wird und dass darauf eine Serie hastiger, frequenter, oberflächlicher Respirationen folgt, welche eine mehr oder weniger lange Zeit (2 bis 8”) dauert, je nach der Dauer des Reizes (Öurve I). Die Zahl der Respirationen während der Ein- wirkung dieses Reizes ist fast die doppelte, ja dreifache der normalen. Wenn man jedoch den Versuch bei einem und demselben Thiere mehrere Male hintereinander wiederholt, so sieht man diese Beschleunigung nicht so gleichmässig, sondern in viel weniger regelmässiger Weise eintreten. Die WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. S. W. AUF DIE ATHMUNG. 45 Thäler und auch die Gipfel der Athemeurve sind nicht mehr so tief bezw. so hoch und zeigen Oscillationen. Auch wenn man das Thier längere Zeit (20 bis 30”) Chloroformdämpfe einathmen lässt, bringen dieselben eine Abflachung der Höhe, welche die Curve anfänglich hatte, hervor, bis dass sie eine wirkliche Verlängerung und Verbreiterung in Inspirationsstellung erzeugen. Man beobachtet auch in diesen Fällen Athempausen und endlich den sogenannten inspiratorischen Tetanus (Knoll). Wenn das Thier wieder anfängt, atmosphaerische Luft einzuathmen, dann sieht man den Verlauf der Curven nach drei bis vier Athemzügen allmählich zum normalen zurückkehren; allein bevor der normale Verlauf wieder erreicht wird, beobachtet man noch eine leichte Beschleunigung und eine nicht so vollständige Ausgiebigkeit. Wenn man demselben Thiere, an welchem man alle diese Erschei- nungen beobachtet hat, die Nn. vagi am Halse durchschneidet, so beobachtet man Nichts mehr, was den beschriebenen Vorgängen ähnlich wäre. Die Athemzüge bleiben gleichmässig tief und regelmässig und zeigen die in- spiratorische Pause, welche für die Respiration nach Durchschneidung der Vagi charakteristisch ist. Diese Thatsache verdient um so mehr hervor- gehoben zu werden, als mit einer so tiefen Respiration in einer Zeiteinheit eine grössere Menge von Chloroformdämpfen in die Lunge gelangt (Curve Il). Bei der Einathmung dieser Substanz lassen sich manchmal auch durch- aus unregelmässige Abflachungen oder Vertiefungen jener Curven beobachten; aber sie stehen in keiner direeter Beziehung zu dem Reize und sind nicht bei allen Thieren gleichartig. Hieraus ergiebt sich klar, dass die Chloroformdämpfe, wenn sie mit den Luftwegen in Berührung kommen, einen ausgesprochen inspiratorischen Reflex hervorrufen. Da derselbe nach der Durchschneidung der Vagi aus- bleibt, müssen wir wenigstens einstweilen annehmen, dass er durch Reizung der sensitiven Vagusfasern bedingt wird, welche sich unterhalb des Larynx in dem Respirationstraetus verzweigen. B. Wirkung der Ammoniakdämpfe. Wenn man Kaninchen Luft einathmen lässt, welche in mässiger Menge Ammoniakdämpfe enthalten, so beobachtet man ähnliche Erscheinungen, wie die bei der Einführung von Chloroform beschriebenen. Eine Reihe zu diesem Zwecke angestellter Versuche berechtigen mich zu der Annahme, dass die Ammoniakdämpfe ebenfalls einen inspiratorischen Reflex durch Reizung der sensitiven, inspiratorischen Vagusfasern hervorrufen. Diese Er- scheinungen blieben nach doppelseitiger Durchschneidung des Vagus aus, 46 JosSEPH ZAGARI: Dämpfe von stärkerer Concentration brachten eine Reihe von Stö- rungen verschiedener Natur hervor, mit denen ich mich hier nicht beschäf- tigen will. C. Bromaethyldä mp fe. (Aether bromatus, Aethylbromid C,H,„Br.) Die Dämpfe dieser Substanz bedingen eine Reizung der inspiratorischen Vaeusfasern; man bekommt daher einen inspiratorischen Reflex, welcher jedoch stärker ist, als die vorhergehenden, einen Reflex, welcher mit der Durchsehneidung der Vagi ausbleibt (Curve III bis IV). Die Resultate, vor Allem die mit dem Chloroform und dem Ammo- niak, welche ich erhalten habe, sind nicht verschieden von den Resultaten Knoll’s! und können zum Beweis dienen, dass die Bedingungen, unter denen ich experimentirte, nicht wesentlich verschieden sind von denjenigen, unter welchen er sich befand. D. Einathmung von reiner Kohlensäure. Wenn statt atmosphaerischer Luft reine Kohlensäure in die Luftwege des Thieres gelangt, so sieht man augenblicklich die erste darauf folgende Inspiration sehr tief werden; darauf beubachtet man eine Reihe beschleu- nigter Respirationen, welche immer tiefer und tiefer werden, so dass die Mittellinie der Curve nach unten verschoben ist. Sobald der Reiz nach- lässt, erhebt sich die Curve wieder bis zu dem Niveau, welches sie zuerst hatte (Curve V). Man hat daher eine erste directe Wirkung der CO, auf die inspiratorischen Vagusfasern, welche reflectorisch übertragen wird und darauf folgend eine zweite indireete Wirkung. Bei allen ersten Versuchen der Aufzeichnungen von einer grossen Anzahl von Thieren war dieses Ergebniss immer vollständig constant, und nur wenn dasselbe Thier schon oftmals reine CO, eingeathmet hatte, konnte man beobachten, dass die Vertiefung der ersten Inspiration schwach ausfiel oder ganz fehlte. Man sieht hieraus deutlich, dass die Einathmung reiner CO, von seiten der Lunge einen fast gleichen Reflex auslöst, wie die chemischen Reizmittel, welche wir vorhin studirt haben. Aber nach der doppelseitigen Durchschneidung des Vagus am Halse fehlte gewöhnlich der Reflex und es begann allmählich nach einem Zeit- "Knoll, Ueber die Wirkung von Chloroform und Aether auf Athmung und Bluteireulation. Sitzungsberichte der königl. Akademie der Wissenschaften. Wien 1876. Bd. LXXIII. Abthlg. III, WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. S. W. AUF DIE ATHMUNG. 47 raume von 2 bis 3” (welcher Zeitraum von Berns bereits richtig festgestellt wurde) jene fortschreitende Vertiefung der Inspiration, welche nach Berns, (ad und M. Rosenthal — im Gegensatz zu den Resultaten von J. Bern- stein — charakteristisch ist für die Wirkung der ÖO,-Anhäufung im Blute (Curve VI). Da aus diesen Thatsachen direct hervorging, dass der Reflex durch die Vagi übermittelt wird, habe ich eine Reihe von Versuchen angestellt. um den Theil des Respirationstractus zu bestimmen, auf dessen sensitive Fasern die CO, einwirkt. Es wurden zu diesem Zwecke statt der Vagi selbst beide Nn. recurrentes an ihrer Ursprungsstelle durchschnitten; der Reflex erlitt keine Störung (Curve VII). — Die Durchschneidung der beiden Laryngei superiores bewirkte keine Aenderung. — Der durch die CO, hervorgebrachte Reiz musste also an einer tiefer gelegenen Stelle einwirken als an derjenigen, bis zu welcher das Verbreitungsgebiet der Kehlkopfnerven reicht. Es wurden dann Glasröhren mit dünnen Wänden für die verschiedenen Körpergrössen der Thiere passend hergestellt. Wenn nun eine derartige in geeigneter Weise gebogene Canüle durch eine Trachealöffnung bis an das Ende eines Hauptbronchus hineingeführt wurde in der Weise, dass sie sich an die innere Wand der Trachea genau anlegt, so athmet das Thier, wenn die Canüle fest mit der Trachea verbunden wurde, nur mit der Hälfte der Lunge, welche in Communication mit der Canüle gesetzt war. Wenn man den Versuch an einem auf diese Weise vorbereiteten Thiere anstellte, bekam man den Reflex nicht (Curve VIIlu. IX). Dieser letztere stellte sich aber bei demselben Thiere sofort wieder ein, wenn die Canüle ein wenig nach oben bis zur Bifurcation gezogen wurde (Curve X). Dass in dem ersteren Falle durch Ausschluss der einen Lungenhälfte die Respirationsarbeit der anderen nicht so gross geworden war, dass sie einer weiteren Vermehrung nicht fähig gewesen wäre, geht daraus hervor, dass die secundäre Vermeh- rung der inspiratorischen Kraft durch die Wirkung der CO,-Anhäufung im Blute in der gewöhnlichen Weise eintrat (vergl. die Curven V, VIII u. IX). Der Reflex kommt demnach nicht zu Stande durch Betheiligung der Lungenalveolen und der kleinen Bronchien. Die an dem Zustandekommen desselben betheilieten Partien liegen zwar unterhalb des Verbreitungsgebietes der Kehlkopfnerven; aber sie gehen nicht tiefer als die Enden der Haupt- bronchien, d. h. bis an den Hilus der Lungen. Wir kommen nun zu der Frage, bis zu welchem Concentrationsgrad ist die CO, im Stande den Reflex hervorzurufen? Aus einer Reihe von _ Versuchen, bei welchen Luft mit verschiedengradiger Beimengung von reiner CO, eingeathmet wurde, habe ich sehen können, dass der Reflex bei einer stärkeren Verdünnung als bis auf 50 Procent fehlt. Diese Thatsache, dass 48 JOSEPH ZAGART: zum Hervorbringen des Reflexes eine beträchtliche Concentration der CO, erforderlich ist, konnte nicht zu einer strengen Widerlegung der Lehre von Marshall Hall benützt werden. Denn wenn man auch in Wirklichkeit den Procentgehalt der eingeathmeten Luft an CO, kennt, so kann man doch daraus keinen sicheren Schluss machen auf die Concentration, in welcher die CO, in die Lungenalveolen gelangt, weil uns die Grösse der die Residualluft enthaltenden Räume und die Geschwindigkeit, mit welcher die CO, resorbirt wird, unbekannt ist. Vielleicht reicht beim Ein- athmen von verdünnter CO, die Concentrationsveränderung in den Alveolen nicht aus, um den nothwendigen Reiz zu erzeugen. Aber nichtsdestoweniger entziehen meine Resultate bezüglich des besonderen Entstehungsgebietes des Reflexes von Marshall Hall, welcher behauptet, dass der Reflex von den Lungenalveolen herkomme, den Boden, da sie ja nachweisen, dass es unterhalb des Lungenhilus keine gegen die Kohlensäure empfindliche Stelle giebt. In der That muss die in vollkommener Concentration zur Einathmung sebotene Kohlensäure schon bei der ersten Inspiration den Gehalt der Lungenalveolen an diesem Gase sehr merklich vermehren. Nehmen wir 1:10 als das Verhältniss von Respirationsluft zur Reserveluft plus Residual- luft an und 1:4 als das Verhältniss der Luft in den Bronchien, der Trachea und in den Canülen bis zum Ventil, so wird, wenn die Hahndrehung vor Beginn der Inspiration erfolgt, der Gehalt der Alveolenluft an Kohlensäure am Ende der ersten Einathmung um etwa 7 Procent gestiegen sein. Wenn hierdurch keine Wirkung erzielt wird, so kann man wohl sagen, dass die Lungenpartien unterhalb der Hauptbronchien und speciell auch die Lungen- alveolen weniger empfindlich gegen Kohlensäure sind, als es die Theorie von Marshall Hall erfordern würde. Auch mir ist es (gerade wie Gad und M. Rosenthal) nicht gelungen, eine bestimmte Ursache ausfindig zu machen, durch welche es Knoll in seinen wiederholt darauf gerichteten Versuchen nicht geglückt ist, den Kohlensäurereflex von Seiten der Bronchien zu sehen. Um sicher zu sein, dass die CO,, welche ich anwendete, frei von HCl sei, habe ich die ge- wöhnlichen, schon von M. Rosenthal angewandten und von Knoll, wie es scheint, nicht völlig anerkannten Versichtsmaassregeln noch verdoppelt. Der Kohlensäurestrom wurde durch Einwirkung von HCl auf Marmor er- zeugt und diente dazu, den Gummiballon zu füllen, passirte aber erst durch fünf Waschflaschen, welche mit einer starken Lösung von doppeltkohlen- saurem Natron gefüllt waren und dann durch eine solche mit Silbernitrat und endlich durch eine solche mit Wasser. Die Silbernitratlösung zeigte nicht die Spur einer Trübung. Eine Verunreinigung der CO, mit HCl kann also in meinen Versuchen nicht stattgefunden haben. WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. S. W. AUF DIE ATHMUNG. 49 Eine Verschiedenheit der Anordnung des Versuchs von Knoll und des meinigen, ‘die vielleicht von Bedeutung sein kann, ist die, dass mein Gasballon, welcher immer unmittelbar vor dem Versuche mit vollkommen frischer CO, gefüllt wurde, aus Gummi bestand und dass sein Inhalt durch die Exspirationsluft des Thieres nicht verunreinigt wurde, während Knoll eine angefeuchtete Blase anwandte, deren Inhalt sich während der Re- spiration veränderte. Möglicher Weise hat Knoll den zuletzt erhaltenen Versuchen seiner Beobachtungsreihe eim grösseres Gewicht beigelegt, als den ersten an dem noch frischen Thiere. Ob etwa Ungenauigkeiten im zeitlichen Zusammenfall des Öanülenwechsels mit dem Ende der Exspiration, welche bei Knoll vorgekommen zu sein scheinen (Fig. 40 seiner Taf. I und namentlich Fig. 2, Taf. II) die Schuld tragen könnten, lässt sich nicht erkennen, weil keine Angaben über das Volumen der Röhrenleitungen vorliegt. Erfolgt der Canülenwechsel vor beendeter Exspiration, so füllt sich die Röhre zwischen dem Schieber und der Gas- blase Knoll’s mit Exspirationsluft und bei der nächsten Inspiration wird dann entsprechend verdünnte Kohlensäure eingeathmet. E. Beziehungen, welche der erwähnte inspiratorische Kohlen- säurereflex von Seiten der Hauptbronchien mit der Theorie von Donders haben könnte. Da sich aus den vorliegenden Versuchen ergiebt, dass die CO, als in- spiratorischer Reiz auf die Respirationsschleimhaut wirkt, könnte man an- nehmen, dass die mit der fortschreitenden Exspiration dort zunehmende Concentration. dieses Gases zu einer reflectorischen Unterbrechung der Ex- spiration führen könnte. Berns glaubte durch seine Untersuchungen diese letztere Theorie fest- gestellt zu haben; und auch die von mir angegebene Localisation des Re- flexes in den Hauptbronchien könnte gut mit den Donders’schen An- schauungen in Einklang gebracht werden. Bevor wir uns aber ein Urtheil über diese Frage erlauben, müssen die Concentrationsverhältnisse der CO, genauer besprochen werden. Der Raum- inhalt der Leitungswege meines Apparates bis zur Trachea, sammt dem- jenigen der Trachea und der beiden Hauptbronchien betrug ungefähr 3 «m. Durch eine einzelne Inspiration des Kaninchens wurden etwas mehr als 12 m Luft eingeführt. In dem zweiten Theile der Inspiration wirkte also, wenn die Hahndrehung am Ende der Exspiration erfolgt war, die Luft in derjenigen Zusammensetzung auf die Bronchien, in welcher sie vorräthig gehalten wurde Nun machte sich, wie wir oben gesehen haben, der in- spiratorische Reflex nur bemerkbar bei einem Gehalte an CO, von 50 Pro- Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 4 50 JOSEPH ZAGARI: cent. Die Sensibilität der Tracheal- und Bronchialschleimhaut gegenüber der CO, ergiebt sich also in meinen Versuchen als nieht so gross, wie Berns sie glaubte gefunden zu haben und wie sie sein müsste, wenn man an der Vorstellung von Donders festhalten wollte. Bei denjenigen meiner Versuchen, in denen die Angabe von Berns über die reizende Wirkung von Luft mit geringem Gehalt an Kohlensäure bezw. von Exspirations- und Erstickungsluft geprüft wurde, geschah die Markirung der Hahndrehung mittels genauen elektrischen Signals, aber auch wenn die Hahndrehung genau auf die Höhe der Exspiration fiel, blieb in diesen Ver- suchen jeder Reflex aus. Aber man konnte dennoch an ein Festhalten der Donders’schen An- sicht in Anbetracht der folgenden Möglichkeit denken. Die oberhalb meiner Canüle gelegenen Theile, welche für gewöhnlich auch von der bei der Ex- spiration herausgetriebenen Luft getroffen werden, könnten ebenfalls einen inspiratorischen Reflex geben. Der Reiz, wenn er an sich auch schwach wäre, könnte dadurch, dass er auf die Gesammtheit der ganzen Oberfläche wirkte, doch zu einem positiven Resultat zu Gunsten des Reflexes führen, während er bei meinen Versuchen wegen der Aussellliessung dieser Theile nicht zur Wahrnehmung gelangte. Um diese Frage zu lösen, habe ich den Versuch in folgender Weise angestellt: Es wurden in die Trachea nahe bei einander zwei Canülen eingebunden, von denen die erste (z) nach unten zu mit den Lungen, die andere (2) nach oben zu mit der Glottis communicirte. Durch die erste Canüle ath- mete das Thier selbständig und der Verlauf seiner Athmung wurde ver- mittelst des Aöroplethysmographen (y) aufgezeichnet. Durch die zweite Canüle, welche mit einem ballonförmigen Blasebalg (?) in Verbindung stand, wurde rhythmisch Luft durch die Nase getrieben. Zwischen dem Blasebalg und der von dem Thiere getragenen Canüle befand sich eine gabelige Theilung der Röhre mit einem Dreiweghahn (D)in der Weise an- gebracht, dass eine einfache Drehung desselben gestattete, die durch den in der Figur angegebenen Weg PD Am die ersten Luftwege rhythmisch. durchströmende gewöhnliche Luft in einem Moment durch andere Luft zu ersetzen, welche künstlich zusammengesetzt war und von dem Ballon (€) geliefert wurde. Bei einer derartigen Anordnung des Versuchs zeigte die Athemcurve, wenn man durch die obere Canüle gewöhnliche atmosphaerische Luft rhythmisch einströmen liess, keinerlei Abweichung von der Norm. Wenn aber die Luft durch reine oder 50 procentige CO, ersetzt wurde, so erhielt man einen exspiratorischen Reflex (Curve XI) ähnlich demjenigen, welcher auf WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U, S. W. AUF DIE ATHMUNG. 51 die Einathmung von NH, durch die Nase eintritt. Wenn die Concentration der CO, vermindert wurde, fehlte dieser Reflex, ohne dass bei fortschreiten- derVerdünnung an seine Stelle ein inspiratorischer Reflex getreten wäre. Der Nachweis des inspiratorischen Reflexes auf concentrirte CO, von Seiten der Hauptbronchien kann also in keiner Weise als Stütze der Don- ders’schen Lehre angesehen werden. IV. Sehluss. Durch die erhaltenen Resultate habe ich Grund es für festgestellt zu halten, dass die Dämpfe von Chloroform und Ammoniak (in einem ge- wissen Verhältnisse) und von Bromaethyl, wie auch die reine concentrirte Kohlensäure im Stande sind, einen starken inspiratorischen Reflex hervor- zubringen, welcher — wenigstens was die Kohlensäure angeht — deutlich von den Hauptbronchien und sicherlich nicht von den Lungenalveolen herrührt. Ferner geht aus ihnen hervor, dass dieser Reflex — welcher in Wirk- lichkeit existirt — die Lehre von Marshall Hall nicht zu bestätigen ver- mag, aber auch der Lehre von Donders keine Giltigkeit verschaffen kann. 4* JOSEPG ZAGART: ot ID Aus meinen Versuchen ergiebt sich weiter, dass der Bronchialreflex, welcher durch die CO, hervorgerufen wird, nieht durch die Vermittelung jener Fasern des Laryngeus inferior, welche an der Bildung des Plexus pulmonalis Theil nehmen, stattfindet, sondern durch Vermittelung von Nervenfasern, welche unterhalb des Laryngeus inferior den Vagusstamm verlassen. Diese Thatsachen lassen sich übrigens nicht nur dadurch erklären, dass man annimmt, die CO, wirke reizend auf die Nervenendisungen der Schleimhaut, sondern auch durch die Annahme, dass die Nerven, welche auf inspiratorische Ausdehnung der Lungen mit einer Unterbrechung der Inspiration antworten, gelähmt werden. Zum Schlusse meiner Abhandlung fühle ich mich gedrungen, dem Hrn. Professor Gad für die Rathschläge, mit welchen er mich bei meinen Untersuchungen unterstüzt hat, Öffentlich meinen Dank auszusprechen. [5] | co WIRKUNG DES ÜHLOROFORMS U. $S. W. AUF DIE ATHMUNG. Erklärung der Abbildungen. (Taf. II.) Sämmtliche Curven wurden mit dem Aöroplethysmographen von Gad auf einen in der Geschwindigkeit von 1° 20° per Umdrehung rotirenden Cylinder mit 50 °” Um- fang hergestellt. Der absteigende Theil der Curven bezeichnet die Inspiration nnd der aufsteigende Theil die Exspiration. Die Curven werden von links nach rechts gelesen. Curve I. Kaninchen von 1510 ®®, Vagi unversehrt — a.b. Athmung bei Chloro- formzufuhr. Ä Curve II. Kaninchen von 1760®”®, Vagi durchschnitten. — a. db. Athmung bei Chloroformzufuhr. Curve III. Kaninchen von 1320", Vagi unversehrt. — a. b. Athmung bei Bromaethylzufuhr. Curve IV. Dasselbe Kaninchen, Vagi durchschnitten. — a.b. Athmung bei Zu- fuhr derselben Substanz wie bei III. Curve V. Kaninchen xon 1900 =”, Vagi unversehrt. — a.b. Athmung bei Zu- fuhr von reiner CO,. Curve VI. Kaninchen von 1420 ==, Vagi durchschnitten. — a.b. Athmung bei Zufuhr von reiner CO,. Curve VII. Kaninchen von 1400 &®%, die Nn. recurrentes sind an ihrem Ursprung durchschnitten. — a.b. Athmung bei Zufuhr von reiner CO,. Curve VIII. Kaninchen von 1860 8”, mit Glascanüle, welche bis unterhalb der Bifurcation der Bronchen hineinragte. — a.b. Athmung bei Zufuhr von reiner CO,. Curve IX. Kaninchen von 1370 =”, mit Glascanüle, welche bis unterhalb der Bifurcation der Bronchien hinabragte. — a.b Athmung bei Zufuhr reiner CO,. Curve X. Dasselbe Kaninchen, nach Zurückziehen der Canüle über die Bifur- cation. — a.d. Athmung bei Zufuhr reiner CO,. Curve XI. Kaninchen von 2060 =”, mit zwei Trachealeanülen versehen. Die Curve bis « wurde erhalten, während durch die obere Canüle, nach der Nase zu, rhythmisch atmosphaerische Luft hindurchgeblasen wurde, — von a. bis b. während reine CO, zur Hälfte mit Luft verdünnt auf dieselbe Weise hindurchging. Ueber trophische Nerven. Von Dr. Rudolf Arndt, Professor in Greifswald. Darüber, dass es trophische Nerven giebt, durch welche die Ernährung, der einfache Unterhalt, das Wachsthum, die Vermehrung, die Schrumpfung: der einzelnen Zellen eines vielzelligen, mit Nerven versehenen Organismus vermittelt wird, darüber besteht zur Zeit. bei den Biologen wohl kein Zweifel. Die Erfahrungen der Physiologen und Pathologen, die sich in dieser Hinsicht von Jahr zu Jahr gemehrt haben und die verschiedensten Organe solcher Organismen betreffen, zwingen durchaus zu ihrer Annahme. Durchschneidungen und Lähmungen, Reizungen, directe sowie indirecte, d. h. reffectorisch erfolgte, Erkrankungen, namentlich Entzündungen von Nerven, rufen in den von ihnen innervirten Organen und den diese bil- denden Zellen die weitgehendsten Veränderungen hervor, machen sie ent- arten, machen sie dadurch widerstandlos, lassen sie sich in Folge dessen wieder auf kleine, bis dahin unwirksame Reize entzünden, bringen sie zur Schrumpfung, zum Zerfall, oder aber führen eine Wucherung derselben herbei, bewirken eine Hypertrophie, eine Hyperplasie, und, wenn dabei eine wohl immer vorhandene andersartige Entwickelungsrichtung — also auch wieder eine Entartung — besonders hervortritt, eine Paraplasie, indem sie von der bisherigen Form abweichende Formen zu Wege bringen. Diese letztgenannte Paraplasie ist bisher namentlich in Bezug auf gewisse Vor- kommnisse, hauptsächlich Neubildungen, als Heteroplasie bezeichnet worden. Der Name an und für sich ist durchaus gut und bezeichnend. Ich habe nichtsdestoweniger denselben durch den Namen Paraplasie zu ersetzen ge- sucht. Denn durch diesen wird gleich eine ganze Reihe verschiedenartiger weiterer Beziehungen, in denen die einschlägigen Vorgänge zu anderen ent- RuDoLF ARNDT: ÜBER TROPHISCHE NERVEN. Id sprechenden stehen, ausgedrückt, zu den Paratrophien, andersartigen Er- nährungsvorgängen, auf denen sie überhaupt erst beruhen, demnächst zu den Parekkrisien, andersartigen Ausscheidungen, zu den Parakinesien, an- dersartigen Bewegungsformen, zu den Parergasien, andersartigen Aeusse- rungen, Bethätigungen des Organismus überhaupt, welche alle, wie zumal die Neuropathologie lehrt, jene gelegentlich ersetzen können, sodann auch zu den Paraesthesien, mit denen sie sämmtlich mehr oder weniger ver- gesellschaftet sind, wenn nicht gar aus ihnen und den ihnen zu Grunde liegenden Vorgängen entspringen, und endlich weil damit die Nomenclatur vereinfacht und verständlicher gemacht wird. Da die gewöhnlichste, zum wenigsten die in die Augen springendste Aeusserung eines jeden Organismus seine kinetischen oder motorischen Vorgänge sind, so habe ich seine übrigen Aeusserungen, insofern sie eben als Ersatz für dieselben eintreten können und, wie die eben erwähnte Neuropathologie besonders aber die Psychiatrie lehrt, wirklich auch eintreten, so habe ich dieselben kinetische oder mo- torische Aequivalente genannt. Es liest nun auf der Hand, dass die bezügliche kinetische oder mo- torische Aequivalenz, der zufolge Thränenerguss, Schweissausbruch, Temperatur- steigerung an Stelle gehemmter oder gar unterdrückter Bewegungen bezw. Handlungen eintritt, nur auf Nerveneinfluss beruhen kann. Die trophischen Vorgänge, welche die Wärmebildung bedingen, müssen darum überhaupt abhängig von einem Nerveneinfluss, und besonders natürlich von dem sein, der sich auch sonst in Betreff der Zellenthätigkeit, durch welche ja alle trophischen Vorgänge nur zu Stande kommen, geltend macht. Virchow! hat schon in den fünfziger Jahren das Fieber, eine eigenartige Steigerung der Körpertemperatur als Ausdruck nervöser Vorgänge bezeichnet, und Hoppe-Seiler, insbesondere aber Liebermeister haben danach die stetige Wärmeregulirung des Körpers von einem Nervenapparat abhängig gemacht, der zwischen centripetale und centrifugale Abtheilung des Nerven- systems eingeschaltet, diese in dem Maasse zur Bethätigung der mit ihr zusammenhängenden Wärmeproducenten, das sind eben die verschiedenen Zellen, so anregt, wie jene durch die gerade einwirkenden Reize erregt werden. | Noch genauer jedoch wird der Einfluss der Nerven auf die trophischen Vorgänge und die Abhängigkeit dieser von jenen durch die besonderen Fälle erwiesen, in denen nach Durchschneidung, Lähmung oder Reizung sanz bestimmter Nerven entsprechende trophische Veränderungen in den von ihnen versorgten Organen beziehlich deren Zellen hervorgerufen wer- den. Es sind in dieser Hinsicht die Durchschneidungen der Nn. tri- ı Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. 1854. Bd. 1. 56 RUDOLF ARNDT: geminus und vagus mit ihren Wirkungen auf das Auge, die Nasen- und Mundschleimhaut, sowie die Lungen allgemein bekannt. Von verschiedenen Seiten sind dieselben zwar auf die dabei gleichzeitig erfolgte Vernichtung des Gefühls bezogen worden, indem der Ansicht Geltung zu verschaffen gesucht wurde, dass, weil mit der fraglichen Durchschneidung auch die Ge- fühlsnerven durchschnitten und damit die entsprechenden Gefühle ver- nichtet wurden, die betreffenden Individuen unfähig geworden wären, sich vor etwaigen Schädlichkeiten, welche die in Betracht kommenden Organe träfen, zu schützen. Denn wenn diese Organe nach der Durchschneidung der sie versorgenden Nerven vor der Einwirkung von Schädlichkeiten nur bewahrt würden, so blieben sie unversehrt, wie vor den Durchschneidungen. Nun ist es zwar richtig, dass auch die gesundesten und lebenskräftigsten Organe unter der fortgesetzten Einwirkung von Schädlichkeiten schliesslich zu Grunde gehen; aber ebenso richtig ist es auch, dass die Organe um so eher diesen Schädlichkeiten unterliegen, je widerstandsloser und darum hin- fälliger, zum Untergang disponirter sie sind. Und das sind, wie sich noch aus dem Weiteren ergeben wird, zweifelsohne alle Organe, deren sie inner- virende Nerven durchschnitten oder sonst wie unfähig geworden sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, die zu ihrem Lebensunterhalt nothwendigen Reize auf jene zu übertragen. Rheumatische, gichtische Personen, die wegen Gelenkverbildungen un- fähig geworden sind, sich zu bewegen und Jahre lange im Bett liegen müssen, ohne sich und besonders ihre unteren Extremitäten rühren zu können, bekommen doch nicht leicht Decubitus, während solche mit Läh- mungen aus centralen Ursachen oft sehr schnell und zwar bei allen Vor- sichtsmaassnahmen von ihm befallen werden und ungeachtet dessen, dass vielleicht die cutanen Gefühle recht gut erhalten sind. Bei jenen sind die "bezüglichen zuleitenden Nerven zum wenigsten relativ unversehrt, bei diesen in ihrer Continuität an irgend einer Stelle im Centralnervensystem verletzt oder gar zerstört. Der fragliche Decubitus entwickelt sich bei den letzteren bisweilen überraschend schnell und breitet sich einmal eingetreten in wenigen Tagen, selbst in vierundzwanzig Stunden schon so aus, dass er z. B. über dem Kreuzben den Umfang einer Untertasse erreichen und bis auf die Knochen dringen kann. Es ist das der Decubitus acutus, mit dem uns zuerst Samuel bekannt gemacht hat, und der seitdem vielfach beobachtet worden ist. Freilich wirkt bei einer so raschen Entstehung dieses Decubitus wohlimmer eine gewisse Haemostase fördernd mit ein; allein solche Haemostasen an und für sich können oft lange, Monate lang und noch länger, vertragen werden, wie das insbesondere manche Fälle in Irrenanstalten lehren, ohne dass sie zu einem gleichen Effect führen. Sie ziehen Hauterkrankungen, namentlich Geschwürsbildungen nach sich; ein mehr oder weniger acuter ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 97 Decubitus jedoch dürfte durch sie allein wohl niemals beiingt werden. Bei diesem müssen die zuführenden centrifugalen Nerven in ihrem Bestande gestört sein; während die ableitenden centripetalen recht gut erhalten sein und viele Schmerzen verursachen können. Manche Decubitus an Körper- theilen, welche aus centralen Ursachen gelähmt sind, bereiten quälende Schmerzen. Eine blosse Gefühlslosigkeit mit allen ihren Folgen kann für sie darum nicht verantwortlich gemacht werden. Wird Meerschweinchen ein N. ischiadieus durchschnitten, um sie epi- leptisch zu machen, so wird der entsprechende Fuss gelähmt. Er wird nachgeschleppt; in einiger Zeit schwillt er an, färbt sich blauroth, bedeckt sich mit Schrunden und Wunden, entzündet sich. Eine oder die andere seiner Zehen wird abgestossen; dann heilt er und stellt ein mehr oder minder verstümmeltes unförmliches Glied dar, das zwar noch immer nach- geschleppt wird, aber trotzdem heil ist und heil bleibt. Die Innervation des Fusses, die ja nur zum Theil gestört war, hat in irgend einer Weise sich wieder vollständig, wenn auch nicht in der alten Stärke hergestellt, und in Folge dessen heilte der Fuss selbst und blieb seitdem heil, wenn- gleich dieselben Schädlichkeiten nach wie vor einwirkten, welche zur Zeit der stark gestörten Innervation die bezeichneten Veränderungen nach sich zogen. Es steht das im Einklang mit den Beobachtungen von Goltz, dass bei Hunden, denen das Rückenmark durchschnitten worden war, sich nur so lange durch Druck, Reibung u. del. m. Decubitus und ihm ähnliche Vorgänge am Hinterkörper ausbildeten, als dieser in Folge der fraglichen Durchschneidung widerstandslos war, dass aber, sobald er seine ursprüng- liche Widerstandsfähiekeit bis zu einem gewissen Grade wiedergewonnen hatte, heilte und heil blieb, obschon er durch Druck und Reibung ebenso litt, wie unmittelbar nach der Operation. Ich habe einen Kranken zu behandeln gehabt, bei dem mit der Durch- schneidung der sämmtlichen Weichtheile an der Beugeseite des linken Vorderarms nebst den Arterien — nur die A. interossea war erhalten ge- blieben — auch die sämmtlichen dort gelegenen Nerven durchschnitten worden waren. Die zunächst gelungene Vereinigung der Weichtheile wurde wieder zerstört durch einen Sturz auf die Hand. Trotz des sorgfältigsten Verbandes entwickelte sich nach einigen Tagen ein Decubitus in der Hohl- hand, der allmählich aber wieder heilte, und zugleich entstand eine An- schwellung der Gelenke der Finger, mit Ausnahme der des Daumens, ganz ähnlich der, wie sie die sogenannte Arthritis nodosa charakterisirt, ich sie im Verlauf der Paralysis progressiva generalis, der Tabes dorsualis, der -Myelitis chronica habe auftreten sehen, und sie in ähnlicher Weise schon von Schiff nach Durchschneidung der Nerven einer Extremität bei heran- wachsenden Thieren wahrgenommen worden ist. Die Hand des Mannes 58 RUDOLF ARNDT: blieb erhalten, war aber unbrauchbar geworden und machte einen durch- aus plumpen, krüppelhaften Eindruck. Die Sache lag offenbar so wie die Fusserkrankung beim Meerschweinchen nach der Durchschneidung eines seiner N.ischiadie. Die mittelst Durchschneidung des grössten Theiles ihrer Nerven, wenn auch nicht ganz aufgehobene, so doch stark beein- trächtigte Innervation der Hand hatte Decubitus und Knochenauftreibungen zur Folge. Der erstere heilte, nachdem sich die Innervation wieder einiger- maassen hergestellt hatte und blieb heil, obwohl seitdem allmählich immer stärkere Schädlichkeiten auf dieselbe einwirkten als zur Zeit, wo sich der Decubitus entwickelte. Die Knochenauftreibungen an den Gelenken da- gegen blieben und wurden, so lange ich den Kranken zu beobachten Ge- legenheit hatte, immer stärker; ganz dieselbe Zeit währte auch die Gefühl- losigkeit, welche von Anfang an bestanden hatte. Was aus des Kranken Hand später geworden ist, weiss ich nicht. Er trug immer auf derselben einen Handschuh und wich allen bezüglichen Fragen aus. Soviel indessen steht wohl fest, dass der beregte Decubitus nicht in Folge des Verlustes des bezüglichen Gefühls entstanden sein konnte, sondern lediglich in Folge der vernichteten Innervation der ihm zum Opfer gefallenen Theile, gerade so wie die einschlägigen Knochenauftreibungen nur durch die veränderte In- nervation jener Knochen hervorgerufen sein konnten, deren Nerven durch den Schnitt eine Schädigung erfahren hatten. Die A. interossea war ja erhalten und die mit ihr einherziehenden Nerven auch.! Bei Meerschweinchen, denen ein N. ischiadicus durchschnitten worden ist, entwickelt sich neben den oben beschriebenen Veränderungen am gleich- namigen Bein, auf derselben Seite des Halses und Nackens die sogenannte epileptogene Zone, von welcher aus, namentlich durch Kneifen der Haut, epileptische Anfälle des Thieres ausgelöst werden können. Ehe es jedoch soweit kommt, wozu ungefähr sechs Wochen gehören, wird zunächst die Haut der epileptogenen Zone empfindlicher und empfindlicher. Leichtes Kneifen schon ruft schmerzhaftes Aufschreien und nachheriges Schütteln des Kopfes hervor, als ob durch letzteres irgend etwas Unbequemes ab- geschüttelt werden sollte; einige Zeit später wird dabei das verletzte Bein in Thätigkeit gesetzt und die epileptogene Zone mit demselben überaus rasch, wie krampfhaft, gekratzt. Mehr und mehr krümmt sich sodann das ganze Thier dabei nach der entsprechenden Seite und endlich, eben nach ungefähr sechs Wochen, fällt es bei dem Vorgange hin und zuckt mit starren offenen oder geschlossenen Augen und wie des Bewusstseins beraubt hin und her, gerade so wie Epileptiker anderer Art. Während der Zeit, * Vergl. Verschwärungs- und Wucherungsvorgänge nach Nervendurchschneidung. Deutsche medicinische Wochenschrift. 1888. Nr. 29. ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 59 dass diese Auslösungen von der epileptogenen Zone her erfolgen, ist dieselbe trotz ihrer gesteigerten Empfindlichkeit sehr verwundbar. Die gekniffenen Hautstellen entzünden sich leicht, durch Beschädigungen anderer Art ent- stehen leicht Schrunden und Wunden, die wieder der Ausgang von Ver- schwärungen werden, die Haare fallen aus; kurzum es entwickeln sich Zu- stände, die ganz und gar ähnlich denen am Fusse des verletzten Beines sind. Nach vier, fünf Monaten, einem halben Jahre wird die epileptogene Zone wieder weniger empfindlich: Kneifen derselben scheint kaum noch schmerzhafter als auf der gesunden Seite zu sein; epileptische Krämpfe werden durch dasselbe nicht mehr ausgelöst, nur noch leichte Zuckungen; Kratzen mit dem gleichseitigen Hinterbein, dessen N. ischiadicus durch- schnitten worden, treten auf; endlich verliert sich auch dies. Das Meer- schweinchen verhält sich nunmehr wie vor der Ischiadieusdurchschneidung. Indem das Alles bei gewissen meiner Versuchsthiere sich vollzog, erholte sich die Haut der epileptogenen Zone auch sonst. Sie wurde widerstands- fähiger. Ihre Geschwüre und sonstigen Wunden heilten. Die Haare wuchsen nach; allein sie blieben kurz, dünn, leicht gekräuselt, so dass die von ihnen bedeckte Stelle ein wohl markirtes Aussehen bekam. Endlich, wieder nach Monaten, schien sich auch das zu verlieren; da starben die Thiere. Die geschilderten trophischen Störungen hingen hier jedenfalls nicht mit Gefühlsbeeinträchtigungen zusammen. Gerade als sie am auf- fallendsten waren, war die Empfindlichkeit eine gesteigerte. Nur eine ver- änderte, auf dem Wege des Reflexes veränderte Innervation der epilepto- genen Zone kann an ihnen Schuld gewesen sein, gerade so wie dies in den Fällen Statt hatte, die wir bis jetzt angeführt haben.! Dass Verletzungen des Hirnstammes, namentlich im Bereich des Pons und der Peduneuli cerebri Blutungen im Magen und oberen Theile des Darmes nach sich ziehen, hat man mehrfach erfahren. Es kommen aber nach Erkrankungen oder Lähmungen durch Druck jener Theile z. B. in Folge von Geschwülsten, die auf sie pressen, sogar Erweichungen, Ero- sionen, Ulcerationen ihrer Schleimhaut und enälich selbst Perforationen ihrer gesammten Häute vor, ohne dass nachweislich andere, als die gewöhn- lichen Ursachen dabei mit thätig gewesen wären. 0. C. E. Hoffmann, Leube und ich haben solche Fälle beschrieben. In jüngster Zeit habe ich einen einschlägigen Fall zu sehen bekommen, bei dem die besagten Affec- tionen sogar bloss reflectorisch zu Stande gekommen zu sein schienen, in- dem die Anregung von den Geschlechtsorganen ausging” Wenn man ! Ueber einige Ernährungsstörungen nach Nervenverletzungen. Deutsche medi- cinische Wochenschrift. 1888. Nr. 37. * Nervenerweichung, Nervenverschwärung und Erkrankung der weiblichen Ge- schlechtsorgane. Deutsche medicinische Wochenschrift. 1830. Nr. 17. 60 RUDOLF ARNDT: daran denkt, dass auch bei Meerschweinchen mit durchschnittenem N. ischia- dieus die analogen Vorgänge in der epileptogenen Zone am Halse nur reflectorisch und damit durch Nerveneinfluss hervorgerufen sein können, so gewinnt der fragliche Anschein je länger je mehr an Wahrscheinlichkeit, wiewohl er sonst ja zu den herrschenden Annahmen und den auf sie ge- gründeten Lehren in krassem Widerspruch steht. Noch häufiger hat man die Erfahrung gemacht, dass nach Gemüths- bewegungen, Schreck, Aerger u. dgl. m., also nach turbulenten Vorgängen in der Elementarmechanik des psychischen Organes, vornehmlich der grauen Rinde des grossen Gehirns, dass da Functionsstörungen in den Organen des Unterleibes, vorzugsweise der Leber zur Erscheinung kommen.! Es tritt auffallend oft Gelbsucht danach ein. Grob mechanisch lässt sich die Ent- stehung derselben, vornehmlich mit Berücksichtigung der sonstigen Ver- hältnisse und zumal des ungestörten Gallenabflusses nicht erklären, sondern lediglich durch trophische Vorgänge in der Leber selbst, zu denen eine durch die stürmischen Vorgänge im Gehirn abgeänderte Innervation ihrer Zellen Veranlassung gegeben hat; denn der Gallenabfluss ist, wofür die, wenn zeitweise auch nur schwach, so doch immer noch gut gefärbten Faeces in charakteristischen Fällen Zeugniss ablegen, wie gesagt, nicht gestört. Vor einiger Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, einen dies recht be- weisenden Fall zu beobachten und, was für ihn, als auf blosssen trophischen Vorgängen beruhend, ganz besonders bezeichnend war, dass neben den ab- normen Leberfunctionen sich auch noch solche seitens der Nieren zu er- kennen gaben, feststellen zu können. Der an Uraten reiche Harn führte durch einige Tage Eiweiss und eine grosse Menge hyaliner, mit Epithelien der Harnkanälchen bedeckter Oylinder mit sich, von denen beiden, Eiweiss und Cylindern, vorher und nachher keine Spur vorhanden war. Was dabei mir merkwürdig erschien, war, dass die bezüglichen Njerenepithelien vielfach wie geschrumpit, also wie vorher abgestorben, erschienen. Die Erschütte- rungen, welche ihnen vom Gehirn her vermittelst der Nerven zugeführt worden waren, waren, wie ich die Sache ansehe, für sie zu stark gewesen, um ihnen widerstehen zu können. Sie wurden durch dieselben ertödtet und todt, auf ihrer Unterlage gelockert, endlich von ihr gelöst durch den an- drängenden Urin fortgespült. Dass sehr starke Gemüthserregungen, die nach dem eben Gesagten ja nur Aeusserungen sehr stark sich bethätigender Molecularmechanik des psychischen Organes sind, die Ursache trophischer Störungen werden können, dafür legen auch die Anfälle der Arthritiker unter Umständen m . 1 .. . + . ” “ r ! Trophische Störungen aus psychiselier Ursache. Deutsche medicinische Wochen- schrift. 1887. Nr. 34. ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 61 Zeugniss ab. Nicht alle, keineswegs! Gar viele derselben kommen unter dem Einflusse grob mechanischer Einwirkungen, Stoss, Druck u. s. w. zu Stande; allein ihrer eine ganze Anzahl tritt nur in das Dasein in Folge eines Aergers, eines Zornausbruchs, wie z. B. auch schon Scheffel’s Freiherr im Trompeter von Säckingen erfahren musste, und so mancher Andere nach ihm noch erfahren hat. Vor Kurzem habe ich selbst Ge- legenheit gehabt, mich davon zu überzeugen. Eine gichtische Persönlich- keit erlitt einen heftigen Zornausbruch. Etwa zwei Stunden nachher verspürte sie das ihr wohlbekannte, eigenthümlich brennende (Gefühl am letzten Phalangealgelenk des linken Mittelfingers, das sonst ihren gichtischen Erkrankungen voraufeegangen war, oder sie begleitet hatte. Eine Verletzung des Mittelfingers hatte nicht stattgefunden. Es bestand keine Erinnerung davon; kein Zeichen sprach dafür. Die zornige Gemüths- bewegung erschien nach allem Ueberlegen als die einzige Ursache des charakteristischen Schmerzes, von dem vorher auch nicht das Geringste ver- spürt worden war. Im Laufe des Nachmittags desselben Tages röthete sich die äussere Haut auf der Dorsalseite des Fingers vom schmerzhaften Gelenk aufwärts bis zur Mitte des zweiten Gliedes. Am nächsten Tage war das- selbe im Bereiche der Köthung bis fast zum ersten Phalangealgelenk hin geschwollen und legte alle sonst an dem betreftenden Individuum beobach- teten Zeichen gichtischer Extremitätenerkrankungen durch fast vierzehn Tage an den Tae. Dass gichtische Localerkrankungen rein nervöser Natur d. h. bloss dureh Vermittelung des Nervensystems zu Stande gekommen sein können, davon glaube ich überzeugt sein zu dürfen; ob unter denselben nervösen Einflüssen aber auch die diese gichtischen Erkrankungen grossen Theils bedingenden reicheren Uratbildungen vor sich gehen, das ist eine andere Frage. In manchen Fällen scheint es fast so. Auch in dem erwähnten Falle, wo nach Schreck Leber- und Nervenaffectionen beobachtet wurden, traten grössere Mengen von Uraten im Harn erst mit diesen Affec- tionen auf, so dass man in Versuchung kommt, anzunehmen, auch die Uratbildung sei von nervösen Vorgängen abhängig, und die reichere Urat- bildung, beziehlich die reichere Uratausscheidung nach Erkältungen, bei Fiebern, Zuständen, die immer neurotischer Art sind, spricht dafür. In der vermehrten Zuckerbildung und Zuckerausscheidung, mit der sie, die vermehrte Uratbildung und -ausscheidung übrigens in einem nicht zu verkennenden Zusammenbange steht, indem sie theils mit ihr Hand in Hand, theils ihr voraufgeht — der Diabetes mellitus schliesst sich häufig an die Arthritis urica gleichsam als ihr Ausgang an —, in der vermehrten Zuckerbildung und Zuckerausscheidung bei Nerven- und vorzugsweise Gehirnerkrankungen, nach Erkältungen, Erresungen, Anstrengungen, Verletzungen würden wir 62 RUDOLF ARNDT: ein Analogon haben; allein in anderen Fällen scheint es sich ganz anders zu verhalten, wenn auch der Nerveneinfluss dessen ungeachtet nicht aus- geschlossen werden kann. Seit von Baerensprung in den fünfziger Jahren die schon lange oeahnte Abhängigkeit mancher Hauterkrankungen von veränderten Inner- vationseinflüssen in Betreff des Zoster anatomisch nachgewiesen hat, haben sich je länger je mehr die Beobachtungen gehäuft, welche dafür zeugen, dass Hauterkrankungen, also Störungen in den Ermährungsvorgängen der Haut, abgesehen von rein mechanisch entstandenen, der Hauptsache nach neurotischer Natur sein dürften. Das gilt vornehmlich von den an sym- metrisch gelegenen Stellen der beiden Körperhälften sich zeigenden, zumal wenn sie dem Bereich einer Nervenausbreitung, nicht eines blossen Nerven- verlaufs, wie viele Dermatologen annehmen, entsprechen, und demnächst gilt es auch von denen, welche mit anderen, am gleichen Orte vorhan- denen Nervenaffectionen, namentlich Hyper-, Hyp- und Anaesthesien, Hyper-, Hyp- und Analgesien vergesellschaftet sind, und das vorzugsweise dann, wenn diese jenen voraufgingen. Ich selbst habe so, .d. h. mit Be- rücksichtigung der genannten Verhältnisse als neurotisch bedinst Erytheme, Erysipelas, Urticaria, Herpes, Zoster, Prurigo, Eczema, Pemphigus, Pity- riasis, Psoriasis, Acne, Furunculi, Lupus (erythematodes, schmetterlings- artige im Gebiete der Nase, mit dieser gewissermaassen als Leib, nämlich des Schmetterlings) auftreten sehen, und zwar zum Theil als kinetische Aequivalente; von Anderen, und darunter Charcot, Brown-Sequard, Oppolzer, Paget, Weir-Mitchell, Friedreich, Lewin, Eulenburg, Wyss, Kaposi, Gerhardt, Hasse, Degerine, Hayem, Chaussit, Auspitz, Schwimmer, sind nicht bloss diese, sondern auch noch andere, wie z. B. Lichen ruber von C. Fox, Hutchinson, Liodermia neuritica, glossy skin der englischen Autoren, von A. Danmark, Paget, Weir- Mitchell, Ichthyosis und ichthyosisartige Zustände von Lancereaux, Eulenburg, Home, Weir-Mitchell, Leloir, Naevi von v. Baeren- sprung, Simon, Neumann, Rayer, Hautpapillome von Gerhardt, E. Veiel, Lepra, zumal Lepra anaesthetica mutilans, die auch kurzweg Lepra nervorum heisst, von Danielson und Boeck, Virchow, Steu- dener, Langhans, Tschirner, Rosenthal (Langhans, Tschirner, Rosenthal fanden dabei vornehmlich die Hinterhörner des Rückenmarks und hier insbesondere wieder die Clarke’schen Säulen erkrankt), Sklero- dermia, Sklerom, Morphaea von Gibenet, Vidal, Schwimmer, in den von ihnen beobachteten Fällen als durch das Nervensystem vermittelt er- kannt worden. Einmal sah ich auch eine rechtsseitige Leukoplakia linguae nach einer rechtsseitigen Neuralgia lingualis bei einer Dame der höheren Stände, bei welcher die für gewöhnlich angenommenen Ursachen derselben ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 63 nicht eingewirkt haben konnten, in die Erscheinung treten. Die Leuko- plakia verlor sich von selbst, nachdem es gelungen war, mit dem von Charles Bell vorgeschlagenen Crotonöl in kleinen Dosen, 0-005 per dos., die bis dahin allen Mitteln trotzende Neuralsie zu beseitigen. Dem schliesst sich an, dass das Ergrauen und Ausfallen der Haare, das Schwinden, aber auch die Vermehrung des Pigments, d. h. die Entstehung von Vitiligines und Chloasmata, wie schon Morselli, Bourneville, Beigel, Bulkley, Eulenburg, Wyss, Leloir und Dejerine beobachtet haben, an ganz bestimmte, zum Theil nachweislich verletzte und entartete Nerven und Nervengebiete gebunden erscheint und in der Regel ganz symmetrisch, wenn auch nach Intensität und Extensität nicht gleich stark, auf beiden Körperseiten vor sich geht. Das Haupthaar ergraut gewöhnlich erst in der Schläfengegend, dann weiter um die Ohren herum, der Bart in der Gegend der Unterkieferwinkel, am Kinn an zwei Stellen, die etwa den Foramina maxillaria anteriora entsprechen, der Schnurrbart im Besonderen so weit die Lippe dem Gebiet des Zwischenkiefers angehört oder auch um- gekehrt, soweit sie noch zum eigentlichen Kiefer zu zählen ist. Spätere Ergrauungen, namentlich des Bartes erfolgen an symmetrisch gelegenen Stellen der beiden Backen, der beiden Kinnhälften. Ebenso verhält es sich mit dem Ausfallen der Haare. Die Glatzen sind im grossen Ganzen sehr symmetrisch umrissen; die in ihnen erhaltenen Haarbüschel sind sehr symmetrisch angeordnet. Der Bart wird beiderseitig an ganz symmetrischen Stellen dünn, wie er sich ja auch einem solchen Verhalten durchaus analog entwickelt. Bei schwachen, widerstandslosen Menschen, die sich durch ihre Nervosität auszeichnen und deshalb kurzweg nervöse heissen, tritt das in Folge der ungleichen Widerstandsfähigkeit ihrer Theile häufig ganz beson- ders auffällig hervor. Inselförmig ist ihr Kopf, ihr Bart ergraut; insel- förmig sind die Haare an ihnen dünn geworden oder ausgefallen; indessen die bezüglichen Inseln sind in Bezug auf die beiden Körperhälften meist sehr symmetrisch gelesen; wenn auch die fragliche Symmetrie nicht so- gleich in die Augen springt. Das Gleiche nun gilt auch von einer ano- malen Pigmentbildung in der Haut, sei es, dass es sich um eine Verstär- kung oder Vermehrung derselben handelt, sei es, dass eine Schwächung oder Vernichtung derselben in Betracht kommt. Die Chloasmata uterina entwickeln sich ganz symmetrisch über und neben beiden Tubera frontalia, in der Nähe der Nasenflügel, der Mundwinkel, an beiden Seiten der Ober- lippe, des Kinnes. Die Sommersprossen, Lentigines, treten ganz symme- trisch, sattelartig über dem Nasenrücken, in grösseren Flecken an der Stirn, den äusseren Augenwinkeln, den beiden Gesichtshälften überhaupt, an den Extremitäten, den Nates, den Genitalien auf. An den letztgenann- ten, um sie herum, auf Perinaeum und Oberschenkel übergreifend, ent- 64 RUDOLF ARNDT: wickelt sich wohl auch einmal eine mehr oder minder starke Nigrities, die ich mit melancholischen Zuständen einmal entstehen und vergehen sah. Zahlreiche Vitiligines, die später zu unregelmässigen grösseren Flecken zusammenflossen, als solche eine Zeitlang noch zunahmen, dann sich ver- kleinerten und endlich wieder verschwanden, sah ich in ganz symmetrischer Weise an der Radialseite beider Hand- und Vorderarmrücken (Gebiet der Rami cutanei brachii extern. superior. et Rami superficiales dorsal. N. ra- dialis) entstehen und sich weiter ausbilden. ‘ Bei Nägeln und Zähnen ist ganz Entsprechendes zu beobachten. Ab- oesehen davon, dass die correspondirenden Nägel der beiden Hände und Füsse, die correspondirenden Zähne der beiden Kiefer überhaupt volle Sym- metrie in ihrem Bau zeigen, so offenbaren sie auch ein durchaus gleich- mässiges Verhalten in einer grossen Anzahl von Fällen mehr oder weniger pathologischer Art. Sogenannte eingewachsene Nägel, deren Wesen in einer fehlerhaften Wachsthumsrichtung des Nagels in Folge fehlerhafter Bildungsvorgänge in seinen Elementen, den ihn zusammensetzenden Zellen, besteht, kommen sehr gewöhnlich an beiden grossen Zehen vor. Sogenannte Nied- oder Neidnägel, deren ausgeprägteste Formen auf einer fremdartie erfolgten Verhornung der Epidermiszellen des Nagelfalzes beruhen, finden sich häufig an den entsprechenden Nägeln der beiden zusammengehörigen Extremitäten, wenn vielleicht auch an der einen stärker entwickelt als an der anderen. Bei gewissen Gehirn- und Rückenmarkserkrankungen, die ihren Ausdruck in der allgemeinen progressiven Paralyse und Tabes dor- sualis finden, kommt es bisweilen zum Ausfallen der Nägel an Händen und Füssen, und da kann in diesem und jenem Falle beobachtet werden, dass es namentlich wieder die entsprechenden Nägel der zusammengehörigen Extremitäten sind, die zunächst zum Ausfallen kommen. — Die beiden äusse- ren oberen Schneidezähne sind oft nur einfache Spitzen oder Zapfen, die beiden oberen Eckzähne oft sehr grosse, hauerähnliche oder auch ein ander Mal verhältnissmässig kleine, knopfartige Gebilde. Wenn Zähne erkranken, cariös werden, ausfallen, so erfolgt das gar nicht selten in der Weise, dass annähernd zu gleicher Zeit die entsprechenden Zähne der beiden Seiten des nämlichen Kiefers krank beziehungsweise cariös werden oder ausfallen, dass die erkrankten Zähne jahrelang auf einer und derselben Stufe des Er- kranktseins stehen bleiben, in ihrer Krankheit keine Fortschritte machen, bis dann mit einem Male diese letztere und zwar beiderseitig ziemlich gleichzeitig stärker losbricht und die Zähne vernichtet, so dass in Anbe- tracht dessen sowohl räumlich wie zeitlich ein und dasselbe ursächliche Moment sich zur Geltung zu bringen scheint. Das Alles jedoch spricht dafür, dass es, wie die symmetrische Ent- wickelung der beiden Körperhälften überhaupt, nur durch den regulato- ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 65 rischen Einfluss irgend eines Centralorganes, als welches wir das Nerven- system im Allgemeinen anzunehmen berechtigt sind, zu Stande kommen und durch andere untergeordnete Organe, welche von bestimmten Punkten dieses Centralorganes nach bestimmten, einander entsprechenden Punkten der beiden Körperhälften hinziehen, das sind eben die einzelnen Nerven, insbesondere centrifugalen Nerven, vermittelt werden kann. Durch Nerven- einfluss allein sind die genannten Vorgänge, sowohl was ihre Entstehung, als auch ihren Ablauf betrifft, zu erklären und dem Verständniss näher zu führen. .Sie sind nur zu begreifen durch die Bethätigung gewisser, von einem Centralorgane in annähernd gleicher Weise erregten Nerven, welche auf Grund dieser annähernd gleichen Erregung annähernd gleiche Bewegungs- vorgänge zu Wege bringen und damit denn auch als nächste Ursache der- selben annähernd gleiche Ernährungsvorgänge setzen müssen. Sie, diese Vorgänge, sind nur zu begreifen durch die Annahme ernährungsvermit- telnder, das sind eben trophischer Nerven, die für die homonymen Körper- theile beider Seiten an derselben Stelle eines Centralorganes entspringen und damit überhaupt das Vorhandensein von trophischen Nerven beweisen. Trophische Nerven müssen vorhanden sein! Im Verein mit den an- geführten Beobachtungen beweisen das auch noch die von Virchow be- reits in den fünfziger Jahren in Betreff gewisser Formen der Chondromalacie, der Osteomalacie, der Muskelatrophie,! bestimmter Formen der Fettbildung, z. B. bei Idioten und Kretins? mitgetheilten, welche letztere aber auch bei erst später, namentlich in Folge von Epilepsie, Hysterie oder allgemeiner progressiver Paralyse Verblödeten vorkommt. Es beweisen das ferner die Untersuchungsergebnisse von H. Nasse an Knochen, bei denen nach Durch- schneidung der hezüglichen Nerven die eigentliche Knochensubstanz ab-, der Fettgehalt in ihnen aber zunimmt, die von Nelaton und Obolensky, dass nach Durchschneidung der Nn. spermatici die Hoden entarten, die von Cl. Bernard, dass nach Durchschneidung der zuführenden, ihre Se- rcetion beherrschenden Nerven, die Unterkieferdrüsen entarten, die von Legros, dass nach Durchschneidung des Ganglion cervicale supremum der Kamm der Hähne verkümmert, die von Schiff, dass nach Durchschnei- dung der entsprechenden Halsnerven die Hautlappen der Kehle der Trut- hühner schrumpfen, die von Joseph, dass nach Durchschneidung des zweiten Halsnerven bei Kaninchen und Katzen die Haare am Öhre ausfallen, die von Heidenhain, dass durch Reizung der die Gl. submaxillaris beherr- schenden Nerven nicht bloss die Drüsengefässe ihre Weite verändern, son- dern auch der Drüseninhalt selbst chemisch ein anderer wird, die von " Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. 1854. Bd. 1. ° Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrundes. 1857. ‘Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 5 66 RUDOLF ARNDT: Lewaschew, dass nach anhaltender Reizung des N. ischiadicus eine Ver- grösserung des Schenkels und Fusses erfolgt. Es beweisen das ferner ge- wisse Formen von Akromegalie, namentlich symmetrisch angeordneter Kör- pertheile: der beiden Extremitäten, der gleichnamigen Glieder derselben, wie insbesondere der Fall von Mosler zeigt; es beweisen das sodann die Erfahrungen, welche seit Parry, Stilling, Romberg, Hueter, Vir- chow, Axmann hinsichtlich des halbseitigen Gesichtsschwundes, der He- miatrophia faciei, gemacht worden sind, ferner die von Charcot, dass bei Tabischen die Gelenkenden der Extremitätenknochen zu Grunde gehen, in- dem sie sich auf weithin abschleifen; endlich beweisen es auch die Erfah- rungen von Weir-Mitchell, Gubler, Conyba, Leloir, dass nach Ner- venverletzungen Verschwärungen der Haut eintreten, gerade so wie solche auch in dem von mir beobachteten einschlägigen Falle, dessen ich Eingangs gedacht habe, sich zu entwickeln anhuben, und die durchaus im Einklang stehen mit den Erfahrungen, welche in Bezug auf das Malum perforans pedis gemacht worden sind, nämlich dass diesem, wie vorzugsweise Dupley und Morat nachgewiesen haben, tiefe degenerative Nervenerkrankungen zu Grunde liegen. Das Ergrauen der Haare nach Kummer und Sorge, nach starken geistigen Anstrengungen, das feststeht, wenn es auch nicht immer in we- nigen Tagen oder Stunden erfolet, und dass ein Jeder an sich selbst be- obachten kann, wie das unter Anderen auch Brown-Sequard gethan hat, die Farbenveränderung des Chamaeleons in Folge von gemüthlichen Rei- zungen, die Farbenveränderungen der Laubfrösche in Folge von Lichtein- wirkungen auf die Augen, die Lister experimentell festgestellt hat, — ge- blendete Frösche antworten nicht mehr durch Farbenwechsel auf Lichtreize, was sie sonst thun —, die Entwickelung der Sexualcharaktere, des Bartes, der Mähne, der Schamhaare, des Gehörns, gewisser Federn, des Kehlkoptes, der Milchdrüsen, bedingt durch die Reife der Sexualorgane, das Wieder- verschwinden jener, wenn diese ausser Thätigkeit gesetzt oder gar vernichtet werden, die sonstigen verschiedenen Correlationen z. B. der Verlängerungen der Extremitätenknochen und der gleichzeitigen Verlängerungen des Ge- sichtsskelets, die Verkürzungen jener und die gleichzeitige Verkürzung dieses, das Alles liefert, wie das betrefis des letzteren auch Hensen an- nimmt, dafür weitere, wenn auch nicht gerade neue Beweise mehr. Tro- phische, die mannichfaltigesten Ernährungsvorgänge vermittelnden Nerven sind vorhanden, müssen vorhanden sein; alle Beobachtungen, alle Erfah- rungen, die bereits beinahe die sämmtlichen Körperorgane betreffen, drängen zu ihrer Annahme. Es fragt sich nur, wo haben wir sie zu suchen, wie vermögen wir sie zu finden. Denn bekanntlich sind sie bis jetzt nur und zwar zuerst von Kühne an den Hornhautzellen, von Ehrmann an den Pigmentzellen der Haut von Amphibien und Reptilien, von C. F. Hoffmann ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 67 an den die Stomata der Lymphräume einschliessenden Zellen und an ge- wissen Zellen der Serosa des Magens der Frösche sichtlich nachgewiesen worden ; sonst ist auf ihr Vorhandensein aus physiologischen und vornehmlich pathologischen Vorgängen nur geschlossen worden. Man hat sie postulirt, aber ebenso oft wieder refüsirt, weil sie eben noch nicht sichtbar darzustellen waren. Und warum ist das wohl nicht geschehen? Wie ich vermuthe, weil man trotzdem und alledem sich über das doch nicht völlig klar war, was man suchte; weil man das, was man schon längst hatte, nicht in seinem wahren Wesen erkannte, indem man sich zu sehr bloss an die Einzelerscheinungen hielt, ohne auf das einer Reihe von Einzelerscheinungen zu Grunde liegende Allgemeine auch sein Augenmerk mit nöthiger Schärfe zu richten. Wir sind im Besitze der trophischen Nerven längst. Sie sind zu allen Zeiten sichtlich nachzuweisen. Allein um das wieder zu beweisen, muss ich mir folgende Auseinandersetzungen erlauben. An einer anderen Stelle dieses Archivs (1890 dieser hole) habe ich nachzuweisen gesucht, dass die Nerven und mit ihnen das ne Nervensystem eines Organismus, das sich vom Ektoderm und Entoderm, also den beiden Hautsinnesblättern aus bildet, seiner ganzen Entstehung nach weniger ein automatisch, von seinem Centrum, beziehlich seinen Centralorganen her wirkender Apparat sei, als vielmehr ein reflectorisch, von jedem seiner Punkte aus sich bethätigender. Gemäss der Leitungs- richtung der einzelnen Nerven tritt seine Bethätigung in die Erscheinung. Irgend ein Nerv wird gereizt, d. h. irgend ein Bewegungsvorgang setzt sich auf ihn fort und ruft in ihm eine entsprechende Bewegung hervor, die allerdings sichtlich bis jetzt nicht nachweisbar, immer nur eine Moleeular- beziehlich Atombewegung ist, die sich aber durch ihre Wirkung sowie den messbaren Raum, den sie in einer bestimmten Zeit durchläuft, doch auf das Unzweifelhafteste darthun lässt. Was wird nun durch die fragliche Bewegung bewirkt? Sie wird vom Orte ihres Eintrittes in den Nerven in der Leitungsrichtung desselben schliesslich auf die von ihm innervirte Endzelle, Bindesubstanz-, also ein- fache Bindegewebs-, Knorpel- oder Knochenzelle, die betreffende Drüsen- oder Muskelzelle übertragen. Die gedachte Atom- beziehlich Molecular- bewegung kann auch in dieser zunächst nur eine solche sein, und che- mische Ausgleichungen mit Wärme-, Elektricitäts- und verwandten Er- scheinungen geben davon Zeugniss. Der Stoffwechsel ist also das erste, was durch sie angeregt, gefördert, gehemmt oder auch vernichtet wird, und da auf ihm die Ernährungsvorgänge beruhen, diese ja eigentlich nur ein Ausdruck desselben sind, so ist es auch das erste, dass die Ernährungs- und die trophischen Vorgänge schlechthin durch jeden Nervenreiz beein- A* (9) 68 RUDOÖLF ARNDT: tlusst werden. Nach der Art und Weise, wie sich die einzelnen Zellen differenzirt haben, trotz ihrer gemeinsamen Abstammung aus den zu ihrem Aufbau ihnen dargebotenen Stoffen unter dem Einfluss verschiedener Kräfte allmählich verschieden und zwar zuvörderst in ihren Molecülen und deren Anordnung: verschieden gestaltet haben, wurde auch der in ihnen sich voll- ziehende Stoffwechsel, der auf ihm beruhende und in die Erscheinung tre- tende Lebensvorgang allmählich verschieden. Deshalb erscheinen zu Anfang des Embryonallebens, während des Morula- und Planula- oder Blastula- zustandes, alle Zellen gleich und von gleicher Lebensenergie. Erst nach und nach, von der Entwickelung des Gastrulazustandes, der Entstehung der Keimblätter an, bekommen sie je nach ihrer Zugehörigkeit ein ver- schiedenes Aussehen, ohne aber zunächst auch schon eine Verschiedenheit in den sonstigen Lebensäusserungen zu erkennen zu geben. Erst verhält- nissmässig spät, oft erst lange nach dem Eintritt des bezüglichen Indivi- duums in ein selbständiges Leben erhalten sie die für sie als charakteristisch geltende Erscheinungsweise und mit ihr die entsprechende Leistungsfähiekeit. Denn letztere beiden gehören zusammen, stehen in einem durchaus reci- proken Verhältniss, bedingen sich gegenseitig. Aus der Erscheinung, der Form geht die Leistung hervor, und die Leistung bestimmt wieder die Form. Denn je ausgeprägter in ihrer Eigenart die Form, um so aus- seprägter in ihrer Eigenart ist auch die Leistung, und diese wieder muss rückwärts auf jene wirken und zu der Ausbildung der ihr zukommenden Eigenschaften nur noch beitragen. Der jeweilige Stoffwechsel und der von ihm abhängige Ernährungs- vorgang in der Zelle, der mit ihrer Differenzirung ein ebenfalls immer differenzirterer wird, bedingt also endlich die speeifische Leistungsfähigkeit ' und mit ihr auch die Leistung der Zelle. Der immer eigenartiger wer- dende Stoffwechsel hat immer eigenartigere Leistungen und mit ihnen auch Aushildungen der Form zur Folge, da diese ja eigentlich nichts anderes als auch ein blosses Leistungsergebniss ist. So entstehen denn endlich die verschiedenen Nervenzellen und Zellen- complexe der Körperoberfläche, die wir als sogenannte Sinneswerkzeuge kennen; so entstehen die entsprechenden Empfindungszellen und ihre Com- plexe in den Centralorganen des Nervensystems — der Neugeborene ver- mag noch nicht ordentlich zu fühlen, zu schmecken, riechen, hören, sehen; in einer Anzahl von Fällen scheint er das Alles sogar nur sehr wenig zu können; erst im Laufe des Lebens kommt er durch Uebung d.i. wieder- holte passende Reizung zu einer gewissen Fertiekeit in denselben; — so entstehen ferner die Secretionszellen und ihre Complexe, die Drüsen, so die Muskelzellen und mit ihnen die Muskeln selbst, so die verschiedenen Zellen der Bindesubstanz und ihre Gewebe, das leimgebende Bindegewebe, die ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 69 Knorpel, die Knochen. So entstehen endlich aber auch all die Entartungen, denen die sämmitlichen dieser Zellen in der einen oder der anderen Weise unterworfen sind und mit der Zeit auch wirklich verfallen. Die Anregung dazu geben für die an der Körperperipherie gelegenen Sinne die Reize der Aussenwelt durch ihre unmittelbare Einwirkung, wie Wärme und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit, Schall, Licht, Elektrieität, Chemismus all- täglich lehren; für die mit den .Sinneszellen durch Nerven zusammen- hängenden Empfindungs- oder Perceptionszellen in den Centralorganen des Nervensystems, für die mit diesen wieder in Zusammenhang stehenden Bethätigungs- oder Reactionszellen, welche der Hauptsache nach auch als an der Peripherie des Körpers gelegen anzusehen sind, geben diese An- regung die in sie mündenden, mit ihnen gewissermaassen, zum Theil auch geradezu endenden Nerven, indem diese letzteren die durch die Sinnes- organe, die Empfindungs- oder Perceptionszellen, sowie endlich die da- zwischen liegenden weiteren Zellen verarbeiteten und deshalb in der einen oder anderen Art veränderten Reize auf jene, die Bethätigungs- oder Reactions. zellen, übertragen. Die nächste Folge davon ist eine Verarbeitung und damit wieder Veränderung der genannten Reize auch in ihnen, entsprechend der Natur derselben als Atom- oder Molecularbewegung, zunächst auch nur in atomistisch-molecularer Beziehung. Allein die Atom- bezw. Molecular- bewegung kann auch so anwachsen, und wächst in der Regel auch so an, dass sie früher oder später, je nach der Natur wieder der entsprechenden Zellen und ihrer Complexe als molare zur Erscheinung kommt. Als Ver- grösserung, Wachsthum, Vermehrung der Zellen, als Abscheidungen, gröbere Bewegungen von ihnen, als Augmentation, Secretion, Contraction, tritt sie uns entgegen. Jeder Nerv, und insonderheit jeder centrifugale Nerv, ist so in erster Reihe ein trophischer Nerv, der aus den trophischen Vorgängen, die er anregt und in das Leben ruft, erst: die Secretionen, Contractionen, Motioneu herbeiführt, von denen man annimmt, dass er sie unmittelbar aus- löst. Letztere sind nur das Resultat der trophischen Vorgänge, welche er, der Nerv, durch die bezügliche Kraftübertragung einleitet und vollführt. Ein Beispiel wird, wie ich das meine, klarer machen: Jede quer- gestreifte Muskelfaser stellt eine je nach ihrer Länge ein- oder mehrkernige Zelle dar, ist also eine einfache oder eine Riesenzelle. Ihr Protoplasma ist ein sehr körnchenreiches. Die Körnchen dieses letzteren, Elementarkörper- chen des Protoplasma’s, wie ich dieselben einst genannt habe, liegen ur- sprünglich, d. h. in den Bildungszellen, dem» Anscheine nach, in buntem \Wirrwarr durcheinander und ordnen sich erst nach und nach zu den Längs- und Querreihen, durch welche die fertige Muskelzelle charakterisirt wird. Das geschieht und geschah namentlich in der Entstehungszeit der Muskelzelle überhaupt offenbar bloss in Folge der vielfachen Wiederholungen 70 RUDOLF ARNDT: des Vorganges, welcher das zuerst allerdings nur vorübergehend, endlich aber dauernd zur Folge hatte. Dieser Vorgang war und ist noch heute die Contraction. An den Muskeln vieler Würmer, den Hautmuskeln von Hirudo medi- einalis, Aulostoma nigrescens, Clepsine complanata, den Fussstummelmuskeln von Lumbrieus terrestris, Saenuris lineata, ferner den Muskeln, namentlich den Schliessmuskeln der Muscheln z. B. Ostrea und Mytilus edulis, oder der ver- schiedenen Unio- und Anodontonarten, von denen letzteren dies Margo schon vor Jahren gelehrt hat, indessen auch bei solchen von Inseeten, wie den durch Montgomery in dieser Hinsicht seit 1370 bekannten Spring- muskeln vieler Heuschreekenarten z. B. Acridium, oder, wie ich gesehen habe, an denen von Tipuliden- und Culicidenlarven, kann man diesen er- wähnten Vorgang in der bezeichneten Richtung, so zu sagen, von Anfang an studiren. Bei diesen Thieren verhalten sich auch noch in einer ver- hältnissmässig späten Zeit ihres Daseins eine grosse Anzahl von Muskel- zellen, oft die bei weitem meisten, ganz ähnlich ihren embryonalen Bil- dungszellen. Sie sind langgestreckte mehrkernige Zellen, deren körnchen- (häufig allerdings nur an sehr feinen, erst bei 1000maliger Vergrösserung zu sehenden Körnchen) reiches Protoplasma in der Ruhe weder Längs- noch Querstreifung zeigt, häufig sogar homogen aussieht und erst, wenn es in stärkere Thätigkeit geräth, sich contrahirt, die bekannte Längs- und (uerstreifung hervortreten lässt. Die Körnchen oder Elementarkörperchen, welche bis dahin bunt durcheinander, jedes an seinem Platze, nur wirbelnde oder pendelnde Bewegungen ausführten, ordnen sich dann, das eine Mal rascher, das andere Mal langsamer, in Längs- und Querreihen, in denen sie mehr oder minder feststehen, und der charakteristisch ausgebildete Muskel kommt zur Erscheinung. Etwas ganz Gleiches kann man bei Turbellarien z. B. einem Rhabdocoelum (?), das ich häufie in dem Darm von Arion empiricorum gefunden habe, so wie bei Ophridien z. B. Ophri- dium versatile Ehrenb. beobachten. Bei letzteren lassen indessen diesen Vorgang nur junge Thiere erkennen; alte zeigen lediglich das Bild eines platten quergestreiften Muskels, von dem sie mantel- oder schlauchartig umgeben sind, und der allein, nicht auch noch eine bloss contractile Substanz, aus welcher er sich erst formte, ihre Contractionen zu besorgen scheint. Dieser Muskel, Muskelmantel oder auch Muskelschlauch, in welchem das bezügliche Ophridium gleichsam steckt, ist jedoch erst im Laufe des Lebens aus der beregten contractilen’Substanz, welche den Charakter gewöhnlichen, wenn auch sehr beweglichen Protoplasma’s an sich trug, entstanden, und zwar, indem die jede Contraction dieses Protoplasma’s bedingenden, doch auch wieder durch jede Contraetion desselben bedingten Lagenverände- rungen der in Betracht kommenden Elementarkörperchen ständig wurden. ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 71 Dabei vergrösserten sich dieselben sichtlich. Bei jeder Contraction schwollen sie an, wie der Augenschein lehrte; und, wenn bei jeder nachfolgenden Relaxation sie auch wieder abschwollen, mit der Zeit wurden sie doch srösser. Zugleich wandelten sie sich in ihrem Moleculargefüge um, wurden mehr oder minder doppeltbrechend und dadurch zu den Disdiaklasten- gruppen Brücke’s, den Bowman’schen Sarcous elements, den Kühne’- schen Fleischprismen, welche sie in den entwickelten quergestreiften Muskeln darstellen. Bei den Wirbelthieren habe ich allerdings einen entsprechenden Vorgang, soviel ich mich erinnere, nicht unmittelbar beobachten können; allein eine Reihe von Muskelzellen, beziehlich -Fasern, in denen jede Längs- und Querstreifung fehlte oder nur theilweise vorhanden war, wohl lediglich darum, weil nur eine theilweise Contraction stattgefunden hatte, eine Reihe solcher Fasern, welche der Hauptsache nach also auch nur aus einem körnchenreichen Protoplasma bestanden, scheint dessenungeachtet auch für sein Vorkommen bei ihnen zu sprechen. Uebrigens habe ich den Eindruck erhalten, als ob bei der Entwickelung der quergestreiften Muskeln vornehmlich der Säugethiere. vielfach eine Art abgekürzten, kaenogenetischen Verhaltens eingetreten sei, als ob die Längs- und Querstreifung derselben jetzt bereits hie und da ziemlich unvermittelt vererbt werde, und dass die- selbe nicht bloss auf unmittelbar vorhergegangene Bewegungen zurückge- führt werden könne. Worauf es ankommt, ist 1. dass jeder quergestreifte Muskel, wie be- schaffen er auch sonst sei, aus einem körnchenreichen, sehr contraetilen Protoplasma besteht, dessen Körnchen, beziehlich Elementarkörperchen, sich in Längs- und Querreihen angeordnet haben, und 2. dass diese Ele- mentarkörperchen sich bei jeder Contraction des Muskels vergrössern, bei jeder Relaxation sich wieder verkleinern. | Bei den genannten Vorgängen änderten sowohl die Elementarkörperchen sich selbst, als auch insbesondere der Theil der sie umgebenden Grund- substanz des Protoplasma’s, welcher sie zu Längsreihen verbindet: sie selbst wurden unter Anderem grösser und doppeltbrechend, dieser fester. Die Querreihen kamen hierbei dadurch zu Stande, dass sich die fraglichen Körperchen, welche zur Grundsubstanz offenbar in chemischen Beziehungen stehen, in beinahe gleicher Höhe lagerten, und dass die sie zu Längsreiken verbindende Grundsubstanz aus eben denselben Gründen überall so ziemlich gleich breit wurde und danach auch gleich breit blieb. Es entstanden so nothwendig helle und dunkle Querstreifen, die hellen aus der anscheinend nur wenig veränderten Grundsubstanz des Protoplasma’s bestehend, die dunklen aus den stark veränderten Elementarkörperchen desselben, den Disdiaklastengruppen, Sarcous elements oder Fleischprismen zusammen- gesetzt, welche unter einander natürlich auch noch der Quere nach ver- 2 RUDOLF ARNDT: bunden sein müssen, aber wie es scheint, durch eine weichere Form der Grundsubstanz, als die ist, welche die hellen Querstreifen bildet. Bei dieser Entstehungsweise der quergestreiften Muskeln entstehen denn nothwendiger Weise auch in einer Muskelplatte, einem Muskelschlauche, wie bei Ophri- dium, Stentor, oder einer Muskelzelle, wie bei den höheren Thieren, eine Anzahl faser- oder fibrillenartiger Gebilde, die vorzugsweise die letzt- genannten in grösserer Menge erfüllen. und zu dem Muskelprimitivbündel d. h. dem Faser- oder Fibrillenbündel machen, als welches selbige ja auch vielfach bezeichnet wird. Diese Fibrillen, im Leben in der festweichen Muskelsubstanz wenigstens, so zu sagen, der Anlage nach vorhanden und abwechselnd aus einfach brechender Grundsubstanz und doppelt brechenden Elementarkörperchen eines modificirten Protoplasma’s bestehend, werden durch ein weniger modificirtes Protoplasma, nämlich das, aus welchem sie überhaupt sich erst gebildet haben, zusammengehalten. Dieses ist nun das Protoplasma, durch welches die Disdiaklastengruppen, Sarcous elements oder Fleischprismen der Quere nach zusammengehalten und zu den unter sich im Ganzen, wie auch im Einzelnen mannigfach verschiebbaren Bow- man’schen Dises verbunden werden. Es ist dies Protoplasma das Homo- logon des Protoplasma’s, aus dem im grossen Ganzen der Zellenleib eines Ophridium, eines Stentor besteht, und aus dem sich die Muskelfibrillen, welche diesen letzteren mantel- oder schlauchartig umgeben, nachweislich erst allmählich differenzirt haben. Es ist dies das Protoplasma, in welchem die Muskelkerne liegen, das dieselben als eigentliche Zellsubstanz und die fraglichen Fibrillen wie eine Art Mantel umgiebt, in das das Protoplasma der Doyere’schen Hügel, der Kühne’schen Endplatten, wie ich schon vor Jahren! nachgewiesen habe und seitdem verschiedentlich bestätigt worden ist, sich ununterbrochen fortgesetzt, und mit auf das hin J. Gerlach den Ausspruch gethan hat und hat thun können, dass die Muskeln als die contractile Endausbreitung der Nerven zu betrachten seien. Es ist endlich dies Pro- toplasma dasjenige, in welchem die gröberen Ernährungsvorgänge der Muskelzelle erfolgen, die Zufuhr der Nahrungs-, die Abfuhr der Verbrauchs- stoffe sich vollzieht, die Muskellymphe ihren Ursprung nimmt und darum schon weicher erscheinen und weicher sein muss, als das die fragliche Fi- brillen bildende es‘ sein kann. Wenn sich nun den geschilderten Verhältnissen entsprechend ein so- genannter quergestreifter Muskel contrahirt, so sieht man bei genügender Vergrösserung und das am besten an den lange Zeit lebend bleibenden Insestenmuskeln, dass bei jeder Contraction, welche bekanntlich sich meist 1 e = ». ” . . x . . Untersuchungen über die Endigung der Nerven in den quergestreiften Muskeln. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. IX, 8.521. 573. ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 13 nur allmählich vollzieht und aus einer Reihe theilweiser Contractionen zu- sammengesetzt ist, weshalb ihr auch eine wellenförmig fortschreitende Be- wegung zu Grunde liegt, da sieht man also bei einer Vergrösserung von 800—1000 Mal, dass die Elementarkörperchen, die Disdiaklastengruppen, anschwellen und sich vergrössern. Die bezüglichen ganzen, aus ihnen be- stehenden dunklen Querstreifen, Bowman’schen Dises, werden nech dunkler und breiter, die zwischen ihnen liesenden, aus Grundsubstanz gebildeten heller, glänzender und dazu schmäler. Die verbreiterten dunklen, aus doppeltbrechend gewordenen Elementarkörperchen sich zusammensetzenden Querstreifen erscheinen in Folge dessen näher zusammengerückt und damit das ganze Muskelbündel, beziehlich das ganze Muskeltheilchen, an der contrahirten Stelle dunkler geworden zu sein. Ja in einzelnen Fällen rücken die dunkler gewordenen Elementarkörperchenquerstreifen, Bowman’schen Discs, so nahe an einander, dass. von den trennenden hellen Grundsubstanz- querstreifen kaum noch etwas zu sehen ist. Das Muskelbündel macht an den betreffenden Stellen den Eindruck, als ob es aus einer Anzahl kleiner Kügelchen zusammengesetzt sei, die mit grosser Sorgfalt sowohl der Länge als der Quere nach dicht aneinander gereiht und allenfalls durch zarte glänzende Fäden untereinander verbunden seien. Ebenso sieht man da- gegen, wenn die Contraction nachlässt und die Relaxation erfolgt, dass die dunklen Elementarkörperchen-Querstreifen heller ‚werden, sich wieder ver- schmälern und auseinander rücken, die hellen Grundsubstanzquerstreifen dagegen, während sie dabei ihren stärkeren Glanz verlieren, wieder breiter werden. Nachdem die Contraction an einer bestimmten Stelle eine Zeit- lang bestanden und die bezügliche Relaxation begonnen hat, beginnt so- gleich eine neue Contraction der nächstgelegenen Nachbarstelle, und so wie diese nachlässt, in der daranstossenden nächsten und so fort, bis der ganze Muskel beziehentlich das ganze Muskelbündel davon durcheilt ist, was be- kanntlich normaler Weise mit einer Schnelligkeit von rund 1-0% in der Secunde geschieht. Bei diesem Vorgange kann es sich meines Erachtens nur um einen beschleunigten Flüssigkeitswechsel zwischen den dunklen und hellen Quer- streifen, beziehlich zwischen den Elementarkörperchen und der sie ent- haltenden oder auch zwischen sie gelagerten und namentlich sie zu Längs- reihen verbindenden Grundsubstanz handeln. Ein Reiz d. i. ein Bewe- wegungsvorgang geeigneter Art trifft den Muskel; die zunächst getroffenen oder, wie wir zu sagen pflegen, gereizten Elementarkörperchen, die Disdia- klastengruppen der nächstgelegenen Bowman’schen Discs, erfahren da- durch eine Aenderung in ihrem Gefüge, insonderheit auch ihrem Mole- eulargefüge. Die einzelnen Disdiaklasten, wie Brücke gelehrt hat, lagern sich anders; aber ihre Molecüle lösen sich dabei offenbar auch. Die Atome 74 RUDOLF ARNDT: derselben treten in andere Beziehungen, gehen andere Verbindungen ein; es wird ein rascherer Stoffwechsel eingeleitet und vollführt. Dabei wird Flüssigkeit aus der Umgebung in. grösserer Menge herangezogen. Diese Umgebung aber wird gebildet durch die Grundsubstanz, in welche die Elementarkörperchen eingebettet erscheinen und durch die sie in bestimmten Lagen zu einander gehalten werden. Diese Grundsubstanz muss deshalb durch den besagten Flüssigkeitsverlust dichter, darum glänzender, doch auch kürzer, und die Elementarkörperchen, welche die Flüssigkeit in sich aufgenommen haben, dagegen müssen grösser, dunkler werden und ein- ander näher rücken. Da sie sich nach allen Seiten hin vergrössern, so werden die aus ihnen zusammengesetzten Querstreifen sich nicht bloss der Länge des Muskels nach vergrössern, d. h. verbreitern, sondern auch seiner Dicke nach, also an Umfang überhaupt zunehmen. Das Anschwellen, das Dicker- aber auch Kürzerwerden und -bleiben des Muskels durch die Contraction und während derselben ist der Ausdruck davon. — Wenn der durch den erwähnten Reiz in das Leben gerufene moleculare, beziehungs- weise atomistische Vorgang, der chemisch-physikalische Process abgelaufen, der durch ihn eingeleitete Stoffwechsel beendigt ist, so lassen die Ele- mentarkörperchen die vorher aufgenommene Flüssigkeit und mit ihr natür- lich auch mehr oder weniger die löslichen Stoffwechselproduete, wie Kreatin, Kreatinin, Inosit, Milchsäure wieder fahren: sie verkleinern sich damit, werden wieder heller, die Grundsubstanz zwischen ihnen verbreitert sich und bekommt dasselbe matte Aussehen wieder, das sie vor dem be- sprochenen Vorgange hatte. Noch ehe dieser selbst jedoch ganz beendet ist, wird ein ganz gleicher in den nächst gelegenen Muskeltheilen hervor- gerufen. Wie? wodurch? Man weiss es nicht. Ich denke mir indessen, dass der ihm zu Grunde liegende Bewegungsvorgang sich vielleicht einfach weiter fortpflanzt, oder, was mir wahrscheinlicher ist, dass einfach die Stoff- wechselproducte, das eben erwähnte neu gebildete Kreatin, Kreatinin, Inosit, Milchsäure, die sich ja nachweisen lassen, als ein Anreiz dazu einwirken. Die Muskelcontraetion würde dadurch nur der Ausdruck eines ver- stärkten, weil beschleunigten Stoffwechsels sein, der immer vorhanden, weil durch kleine, kaum merkbare und darum auch kaum als solche betrachtete Reize immer unterhalten, jene Spannung, jenen Tonus zur Folge hat, der vom Muskel ja allgemein bekannt ist und wohl kaum auf etwas Anderem als einer leiehten Contraction beruht. Die Muskelcontraction ist danach also Ausdruck eines Ernährungsvorganges. Je nachdem dieser in das Leben gerufen wird, erfolgt jene. Die Reize, welche die fraglichen Ernährungs- vorgänge auslösen, werden aber den Muskeln durch ihre in den Doyere’- schen Hügeln oder Kühne’schen Endplatten mündenden Nerven zugeführt; vom Nerveneintritte aus zieht sich auch normaler Weise der Muskel zu- ÜBER TROPHISCHE NERVEN. |] eb} sammen. Der motorische Nerv, das ist eben der in den genannten Appa- raten mündende, ist so eigentlicb nur ein ernährungvermittelnder, tro- phischer. Nicht am Nerven, sondern an der Einrichtung des Muskels liest es darum, dass die trophischen Vorgänge, welche er hervorruft, Contractionen und Relaxetionen seiner Masse zur Folge haben, und erst weitere Einrich- tungen wieder bringen es mit sich, dass dadurch die mannigfachen Be- wegungen zu Stande kommen, mit Rücksicht auf die er seine Bezeichnung als motorischer Nerv erhalten hat. Die Sache liegt meines Erachtens mit- hin so: Auf Grund nervöser Einflüsse werden im Muskel Stoffwechsels- be- ziehlich Ernährungsvorgänge eingeleitet und unterhalten, durch welche zunächst nur die erste Lebensarbeit geleistet wird, der Bildungs- und An- bildungsprocess in’s Leben gerufen wird, durch welchen der bekannte Tonus zum Austrag kommt. Wachsen diese nervösen Einflüsse an, so steigern sich auch die fraglichen Ernährungsvorgänge, die Muskeln werden zunächst massiger, ihr Tonus stärker: es entsteht unter Anderem die sogenannte Thomsen’sche Krankheit; nehmen die genannten Einflüsse aber noch mehr zu, wie das von Zeit zu Zeit nachweislich der Fall ist, so werden die betreffenden Ernährungsvorgänge so hochgradig, dass man ihre nächsten Folgen unter dem Mikroskop und ihre weiteren mit unbewafinetem Auge als Contraction, als Zuckung, als klonischen, als tonischen Krampf wahr- nehmen kann. Die Muskelcontraction, die Muskelzuckung ist also die Folge, die Wirkung des mit ihr im Zusammenhang beobachteten Stoff- wechsels, nicht umgekehrt sein Grund, seine Ursache, wie man einstens an- nahm und heutigen Tages auch noch vielfach annimmt. Der elektrische Strom, welcher einen sogenannten motorischen Nerven durchsetzt, bewirkt nicht im zugehörigen Muskel eine Contraction, auf Grund deren ein be- schleunigter oder vermehrter Stoffwechsel, ein gesteigerter Ernährungs- vorgang Platz greift; sondern umgekehrt, der elektrisch gereizte motorische Nerv ruft im zugehörigen Muskel einen beschleunigten oder vermehrten Stoffumsatz, einen gesteigerten Lebens- oder Ernährungsvorgang hervor und die Folge davon, die Wirkung desselben ist eine Contraction, eine Zuckung. Die atomistisch-moleculare Arbeit, welche der Nerv für gewöhnlich anregt und unterhält, wird zu einer molaren, der chemisch-dynamische Process zu einem grob mechanischen. Wie mit dem Muskel oder der Muskelzelle liegt es jedoch auch mit allen übrigen Zellen, welche durch Nerven beeinflusst werden, und das sind so ziemlich alle, welche einen Organismus zusammensetzen. Denn die nicht durch Nerven beeinflussten, zum wenigsten nicht unmittelbar beein- flussten, gehören dem Organismus, streng genommen, gar nicht mehr an, dienen nur noch zu seiner Ernährung, wie die Blutzellen, oder zu seinem Schutze, wie die älteren Epidermis- und Epithelialzellen. Jede indessen 76 RUDOLP ARNDT: von einem Nerven beeinflusste Zelle, wie sich auch immer der fragliche Nerveneinfluss sonst noch äussern mag, wird zunächst durch denselben doch nur in ihren. Ernährungsvorgängen, welche immer auf einer Wechsel- wirkung zwischen Elementarkörperchen und Grundsubstanz beruhen dürften, berührt, und erst aus diesen Ernährungsvorgängen geht danach die Lei- stung hervor, welche wir als specifische anzusehen uns gewöhnt haben. Der Stoffwechsel jedoch und darum der ganze ihr zukommende Ernährungs- vorgang ist wegen ihrer jedesmaligen eigenen Geartung in jeder Zelle ein anderer, in einer Anzahl derselben allerdings ein nur wenig, in einer An- zahl anderer dagegen ein bald mehr bald minder stark von einander ab- weichender. Die Differenzirung, das Differenzirtsein der meisten Zellen eines Organismus und ihre Arbeitstheilung beruht darauf und damit denn auch die Verschiedenheit ihrer Leistung, auf die es eben ankommt. Gemäss dieser Einrichtung nun entsteht auf Grund einer Nerven- reizung von der Peripherie her, wie in den Muskelzellen die Zuckung, in den bezüglichen Zellen und Zellencomplexen der Centralorgane des Nerven- systems eine dem Reiz entsprechende, namentlich entsprechend starke Er- nährungsänderung, d. i. ein bis dahin nicht vorhandener Ernährungsvor- sang überhaupt, bei dem, wie bei jedem Stoffwechsels-, also chemischen Vorgange schlechthin Wärme, Elektrieität u. dgl. m. erzeugt wird, daneben aber auch noch, und zwar der Hauptsache nach, Gefühl, Empfindung: Wahrnehmung, d.i. Bewusstsein schlechtweg zur Entstehung kommt. Denn alle Vorgänge der Aussenwelt, die einen entsprechenden Organismus und damit uns selbst treffen, und die wir gemeiniglich mechanische nennen, wecken, ändern in der einen oder anderen Art das Bewusstsein, kommen zum Bewusst- sein, werden Bewusstsein und können in der einen oder anderen Art wieder in mechanische Vorgänge umgesetzt werden. Alle unsere Lebensäusserungen, namentlich in krankhaften Zuständen, in denen auf Grund einer abnorm gesteigerten Erregbarkeit des Bewusstseinsorganes die Vorgänge im eigenen Körper zum Bewusstsein gelangen, die sonst, wie wir zu sagen pflegen, sich ausserhalb desselben vollziehen, beruhen darauf. Unser ganzes be- wusstes Leben, unser ganzer Kampf um’s Dasein in den verschiedensten Formen beruht darauf, dass, weil mihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, wir die mechanischen Wirkungen der Aussenwelt auf uns, wieder in diese letztere projicirend, in mechanische Arbeit umsetzen. Der Dichter, der Künstler, ob Maler, Bildhauer, Musiker ist gleich, setzt nur die Ge- fühle, welche die Aussenwelt als Empfindungen, Wahrnehmungen, wage Ge- fühle schlechtweg in ihm erzeugte, wieder in mechanische Arbeit um und bringt dieselben in den dadurch entstandenen Werken zur Anschauung. Nichts weiter! — Aus der Art und Weise, namentlich aus der Kraft, mit welcher das geschieht, schliesst man denn ja auch ganz allgemein auf die ÜBER TROPHISCHE NERVEN. A Art und Weise, und namentlich die Kraft oder Stärke der bezüglichen Ge- fühle und aus dieser wieder auf die Art und Weise, namentlich wieder die Kraft oder Stärke der mechanischen Vorgänge, der Reize, welche jene an und für sich oder nur in Bezug auf die jeweilige Persönlichkeit ausgeübt haben. Wie das indessen geschieht, dass die mechanischen Vorgänge zu Bewusstsein, “efühlen, Empfindungen, Wahrnehmungen werden, das freilich wissen wir nicht. Hier steht das viel angegriffene du Bois-Reymond’- sche ignoramus, ignorabimus unerschütterlich fest. Wir wissen, warum wir roth, gelb, grün, blau sehen; wir wissen, warum wir die Töne c, d, e, y als solche hören, wir wissen, unter welchen Umständen wir überhaupt -sehen und hören; allein warum wir sehen und hören an sich, d. h. gewisse Bewegunesformen des Aethers, der Luft als das, was wir Licht, als das, was wir Schall nennen, in uns aufnehmen, pereipiren und appereipiren, das ignoramus, ignorabimus. Darüber können wir nur meinen, glauben. An diesem Punkt hört das Wissen, die Wissenschaft auf, und fänst der (Glaube an. Da, aber auch erst da beginnt das Gebiet der unfruchtbaren Speculation. Es ist dies zugleich das des eigentlich Psychischen, der Psyche selbst. Um das Psychische, wie die Psyche an sich hat sich aber von je die Speculation vorzugsweise gedreht und dreht sie sich noch heutigen Tages. Nach dem Erörterten können, werden wir nichtsdestoweniger doch nie zu einer Erkenntniss dabei kommen. Und wenn die Psyche auch einmal in der That als nichts Anderes als ein Correlat der Blektrieität, der Wärme, als eine blosse Modification dieser, des Lichtes, des Chemismus erfunden werden sollte, so würden wir damit doch noch keine Erkenntniss ihres be- sonderen Wesens gewonnen haben, ebensowenig wie wir eine solche in das der Wärme, des Lichts besitzen, die als solche ja nur für uns als wärme- und licehtempfindende Wesen vorhanden sind, im Uebrigen aber eitel Bewe- sungsformen, ich möchte sagen, des indifferenten Aethers darstellen. Dar- aus jedoch wieder folst keineswegs, dass wir nicht die Gesetze, nach denen die psychischen Bewegungen vor sich gehen, erkennen und diese selbst, wenigstens bis zu einem gewissen Grade berechnen können sollten. Eine Wahrscheilichkeitsrechnung vermögen wir schon jetzt in Bezug auf manche derselben, und zwar mit entsprechend richtigem Resultat anzustellen. Die Psychiatrie lehrt unwiderleglich, dass die psychischen Krankheiten, wie alle sonstigen Psychosen, nur aus krankhaften oder sonstigen absonderlichen Ernährungsvorgängen entspringen. Die Moral eines Individuums steht nachweislich — langjährige Wägungen haben es mich gelehrt — in einer ganzen Anzahl von Fällen mit dem Körpergewicht in nahem Zusammen- hange. In einer gewissen Breite ist sie diesem geradezu proportional. Ueberschreitet das Körpergewicht diese Breite nach der einer oder anderen Seite, geht es über ein bestimmtes Maass hinaus, sinkt es unter ein an- 18 RUDOLF ARNDT: deres herab, so leidet sie in der einen oder anderen Art Schiffbruch. — Stoffwechsels-, also chemische Vorgänge rufen die psychischen Vorgänge, die gesunden wie krankhaften Psychosen hervor, unterhalten sie, setzen ihnen ein Ziel. Chemische Vorgänge verwickelter Art, welche das Leben ausmachen und mit Bezug darauf, dass dieses als Ausfluss von Organismen erscheint, kurzweg organische heissen, bedingen die psychischen Vorgänge. Gehen jene verwickelten chemischen Vorgänge mit nachlassender Kraft in die einfachen, gewöhnlich anorganisch genannten über, was unausbleib- lich einmal der Natur der Sache nach erfolgen muss, so hören diese, die psychischen Vorgänge, auf. An ihre Stelle treten nachweislich bloss Wärme, vielleicht auch einmal Licht-, elektrische Erscheinungen, und weil wir von ihnen selbst nichts mehr wahrnehmen, aber uns nur schwer sie als gänz- lich geschwunden, erloschen denken können, so fangen wir in Bezug auf sie an zu meinen, zu glauben. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem ine der- selben zurück, so finden wir, dass gemäss der nämlichen Einrichtung, welche zu ihr Veranlassung gab, auch in den Drüsen- oder Secretionszellen lediglich auf Grund solchen Stoifwechsels, als Product desselben, und meiner Meinung nach vornehmlich des in den Elementarkörperchen ihres Proto- plasma’s sich vollziehenden, der besonders wirksame, der specifische Stoif des jeweiligen Drüsensecrets entsteht, das Ptyalin, das Pepsin, Tripsin, Invertin, die Gallensäuren, die Gallenfarbstofle, die charakteristischen Stoffe der Milch, des Schweisses, des Giftes von Schlangen und Amphibien, wie z. B. der Kröten und des gefleckten Salamanders, ferner die Spermatozoiden, die Ovula u. s. w., welche dann bloss durch das Blutwasser, das, weil udi irritatio, ibi affluxus, in reichlicher Menge aus den übervollen Drüsen- sefässen in die Drüsenräume selbst übertritt, in dieser oder jener Gestalt, als mehr wässerige oder mehr schleimige Masse fortgeschwemmt werden. Gemäss derselben Einrichtung entsteht endlich in den Zellen der Binde- substanz, auf einem ebensolchen Stoffwechsels- oder Ernährungsvorgange beruhend, je nach der Geartung derselben, das Glutin, das Chondrin, das Mucin, das Elastin, die sich an der Peripherie der betreffenden Zellen aus- scheiden, niederschlagen und damit die Zellenmembran oder auch Inter- cellularsubstanzen bilden, von denen gewisse glutinhaltige danach durch Kalkinfiltration zu Knochen werden, die aber alle zusammen wesentlich zum Wachsthum und zur endlichen Ausbildung des Körpers beitragen. Allein was es dabei hauptsächlich wieder eilt, ist, dass derselbe Nerv, dessen Einfluss auf eine bestimmte Zelle wir deren speeifische Leistung zu- schreiben, in erster Reihe der ihrer Ernährung vorstehende, also ein die Ernährung überhaupt vermittelnder, ein trophischer Nerv kurzweg: ist. Der centripetale Nerv, welcher nach unseren geläufigeren Vorstellungen Bee en En m m m ng nn nn ÜBER TROPHISCHE NERVEN. 79 Gefühle, Empfindungen, Wahrnehmungen, d. h. Bewusstsein schlechthin auslöst, thut das nur, weil er die Lebensvorgänge in den entsprechenden Zellen des Centralnervensystems je nach den gerade auf ihn wirkenden Reizen regelt, sie fördert, hemmt oder auch sonst wie abändert; der sen- trifugale Nerv, der nach den verbreitetsten Anschauungen Muskelactionen, Drüsenabscheidungen, Bindesubstznz-Entwickelung und Ausbildung hervor- ruft, thut das auch nur, weil er in entsprechender Weise die Lebensvor- gänge in den in Betracht kommenden Zellen regelnd beeinflusst. Jeder Nerv, er mag sein welcher er will, ist darum in erster Reihe ein tro- phischer, erst danach ist er ein sensibler oder motorischer beziehentlich secretorischer. Es ist durchaus nicht nöthig, noch besondere trophische Nerven anzunehmen, wie Samuel das thut, nach denen als bloss solchen bis jetzt ja auch wenigstens der Hauptsache nach vergeblich gesucht worden ist, und am wenigsten ist es nöthie, diese besonderen, nicht auffindbaren trophischen Nerven dem N. sympathieus zuzählen zu wollen, wozu seit Lobstein, Bouillaud hier und da eine ausgesprochene Neigung besteht. Dem N. sympathieus, als hauptsächlichstem Nerv des Gefässsystemes, wird ja in Bezug auf die Ernährung gewiss sehr viel zuzuschreiben sein. Vul- pian hat das auch gethan, der sonst gleich Ranvier ein entschiedener Gegner der trophischen Nerven als solcher war, indessen keineswegs die nervöse Beeinflussung trophischer Vorgänge überhaupt leugnete. Insofern nämlich, als durch den N. sympathicus die Zu- und Abfuhr des Ernäh- rungsmaterials geregelt wird, ist er gewiss auch von grossem Einfluss auf die Ernährung der betreffenden Zellen und Zellencomplexe selbst; allein als trophischer Nerv im Besonderen, im eigentlichen Sinne des Wortes, kann er doch nur in Bezug auf die Zellen gelten, welche von ihm innervirt werden, mit denen er gleichsam endet, vor Allem also nur in Bezug auf die der glatten Musculatur, d. i. die Gefässmuskeln, die Eingeweidemuskeln, dann wohl aber auch in Betreff der Zellen der Bindesubstanzen, beziehlich der Bindesubstanz überhaupt, da diese mit dem Gefässsysteme ja trotz- dem und alledem doch immer noch nach wie vor in engster Verbindung steht. Weil jeder Nerv zunächst also ein trophischer ist, so erklärt es sich, warum leissige, aber doch immer bloss noch mässige Benutzung der spe- cifischen Leistungen bestimmter Zellen und Zellencomplexe, d. i. eines Or- ganes, die Ernährung desselben steigert — ein Theil der ausgelösten Er- nährungsvorgänge dient zur Anbildung neuer Zellensubstanz, neuer Zellen —, warum dagegen übermässige Benutzung jener Leistungen, Ausnützung (des bezüglichen Organes, weil die Substanz aller seiner Zellen, namentlich die sich etwa neu anbildende, sofort in specifische Leistung verwandelt wird, warum diese seine Ernährung beeinträchtigt und schliesslich lahm legt. Weil jeder Nerv, insbesondere sein Axencylinder, entstanden ist aus 80 RUDOLF ARNDT: ÜBER TROPHISCHE NERVEN. dem Protoplasma einer Reihe von Zellen, welche sich nicht vollständig ge- theilt haben, und er so eigentlich nichts Anderes als nur eine Reihe von Zellen oder auch bloss Zellenstücken ist, welche letztere indessen zum grossen Theil das Wesen der Zellen beibehalten haben, von denen sie her- stammen, so ist die Nervenarbeit und namentlich die Axencylinderarbeit auch keine andere als die einer Zelle, einer in die Länge ausgezogenen Rie- senzelle oder auch eines Zellencomplexes, also in erster Reihe eine trophische, die sich in ganz analoger Weise wie im Muskel vollzieht, und darum wellen- förmig fortpflanzt. Es ergiebt sich daraus aber auch, warum maassvolle Arbeit einen Nerv kräftiet, übermässige ihn lähmt. Denn es gelten für ihn dieselben Gesetze wie für jede andere Zelle, beziehlich jeden anderen Zellencomplex. Wenn nun so jeder Nerv ein trophischer und damit es unrichtig ist noch trophische Nerven im Besonderen zu unterscheiden, so fragt es sich, ob auch die Unterscheidung von sensibeln, motorischen, secretorischen Nerven noch beizubehalten ist? Zur rascheren Verständigung: warum nicht? Im Uebrigen erhellt aus dem Erörterten zur Genüge, dass ein Nerv an sich weder ein sensibler, noch ein motorischer oder secretorischer sein kann; er vermittelt nur durch seine in Betracht kommenden Endzellen und End- apparate Sensibilität, Motilität oder Secretion. Zum richtigen Verständniss der Natur der Nerven und des ganzen Nervensystems wäre es darum viel- leicht am zweckmässigsten, bloss von centripetal- und centrifugalleitenden Nerven, von einer centripetal- und centrifugalleitenden Abtheilung des ganzen Nervensystems zu reden, oder, wenn man das physiologische beziehentlich biologische Verhalten derselben in’s Auge fasst, von einer receptiven und einer reactiven. Denn auf Reception und Reaction kommt in der Physiologie und namentlich Biologie zuletzt Alles hinaus. Auf Reception und Reaction, Reception von Reizen, Reaction dagegen, vermittelt durch chemisch-physikalische Vorgänge, die wir kurzweg Ernährungsvor- gänge nennen, beruht das Leben, welches selbst in letzter Reihe bloss ein chemisch oder chemisch-physikalischer Vorgang ist, der sich aus dem, was wir schlechthin Assimilation und im weiteren Sinne des Wortes Se- cretiom nennen, zusammensetzt. Ueber Schweiss- und Talgdrüsensecretion. Von Dr. Max Joseph in Berlin, (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. III.) Die Lehre von den Functionen der Drüsen der Haut ist mit den Er- rungenschaften, welche uns die Physiologie über viele andere Drüsen des menschlichen Körpers gebracht hat, nicht parallel gegangen. Erinnern wir uns an die Fortschritte, welche durch Heidenhain in der Erkennung der Lebensvorgänge der Magen- und Pankreasdrüsen geschaffen und zum Ab- schluss gebracht sind, so müssen dem gegenüber unsere Anschauungen über die Drüsen der Haut noch als ziemlich spärlich und des weiteren Ausbaues bedürftig bezeichnet werden. Meine experimentellen Untersuchungen über diesen Gegenstand beab- sichtigen zur Ausfüllung dieser Lücke einen kleinen Beitrag zu liefern. Im Wesentlichen hatte man früher den allgemeinen Satz aufgestellt: die Schweissdrüsen secerniren den Schweiss und die Taledrüsen Fett. Dieser Satz wurde in seiner Gültigkeit für die Schweissdrüsen zum ersten Male durch Meissner! angefochten. Meissner sprach den Schweiss- drüsen die Fettsecretion zu, während der Schweiss von der gesammten Ober- fläche der Haut geliefert werden und durch die Oberhaut hindurchsickern sollte. Später hat Unna ebenfalls diese Theorie vertreten und dieselbe durch die Annahme zu verbessern gesucht, dass dem gesammten Papillarkörper die Function der wässerigen Hautausdünstung, des eigentlichen Schweisses, zu- 1! Zeitschrift für rationelle Medicin. 1856 und 1859. 8.122. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 6 83 Max JoskpH: komme und der Schweiss nur durch die Intercellulargeänge in die dieselben durchbohrenden Gänge der Knäueldrüsen eintrete. Ohne hier auf die Gründe eingehen zu wollen, welche die genannten Forscher zur Aufstellung ihrer Theorie veranlassten, steht wohl allgemein so viel fest, dass stringente Beweise weder von Meissner noch von Unna geliefert sind. Ja mir scheint sogar, dass die meisten Anatomen sich immer noch der alten Anschauung anschliessen, wenigstens ersehe ich dies aus der neuesten Auflage des bekannten Werkes Kölliker’s Kölliker! hält die Annahme, dass die die Malpighi’sche Lage der Oberhaut tränkenden Säfte an der Schweissbildung sich betheiligen, für in hohem Grade un- wahrscheinlich und jedenfalls für unbewiesen. Unbewiesen ist sie und da von der anderen Seite kein Versuch gemacht wird, exacte Beweise in dieser Frage beizubringen, so verlohnt es sich wohl der Mühe nachzuforschen, ob wir uns nicht vielleicht einige Anhaltspunkte dafür verschaffen können, dass die Schweissdrüsen in der That den Schweiss secerniren. Es ist allgemein bekannt und kaum nothwendig, hier darauf hinzu- weisen, dass die Physiologie uns schon lange diesen Beweis geliefert hat. Ich erinnere nur an die Arbeiten von Luchsinger und seinen Nach- folgern, in welchen zur Genüge dargethan ist, dass die '‘Schweisssecretion einer wahren Drüsenthätiekeit ihren Ursprung verdankt. Bis Unna’s be- kannte Arbeit erschien,” wurden auch diese Experimente. allgemein aner- kannt. Unna machte aber einige Ausstellungen daran. Seiner Ansicht nach war es nämlich nur bewiesen, dass „die Schweisssecretion vom Blut- drucke und der Blutgeschwindigkeit vollkommen unabhängig sei. Eine völlige Unabhängigkeit vom Blute überhaupt kann er. aber nicht zugeben. Dazu hätte gehört, dass die Extremität nach der Amputation mit der Es- march’schen Einwickelung absolut blut- und Iymphleer gemacht worden wäre. Erst dann würde auch er sich zur Annahme echt secretorischer Nerven bekehren, welche es vermögen, aus den Drüsenepithelien Schweiss- Hlüssigkeit zu erzeugen.“ Damit dass Unna die vollkommene Unabhängigkeit der Schweiss- secretion vom Blutdrucke und der Blutgeschwindigkeit, aber nicht vom Blute überhaupt, zugiebt, berührt er einen Punkt, welcher meiner Ansicht nach in die Discussion über diese Frage nicht hineingehört. Denn dass das Blut in seinen übrigen physiologischen Functionen als Sauerstoff- träger u. S. w. zur Secretionserzeugung der Schweissdrüsen, ebenso wie aller anderen Drüsen mit nothwendig ist, wird wohl allgemein zugegeben. Unna Handbuch der Gewebelehre. 1889. 6. Aufl. 8.261. ® Kritisches und Historisches über die Lehre von der Schweissseeretion. Sehmidt’s Jahrbücher. 1882. ÜBER SCHWEISS- UND TALGDRÜSENSEÖRETION. 33 hätte das vorgeschlagene Experiment selbst ausführen sollen und dann würde sich mit einem Schlaee erwiesen haben, ob seine Theorie richtig ist oder nicht. Dieses Experiment hat aber Unna nicht ausgeführt und damit schwebt seine Theorie vollkommen in der Luft, ja sie wird sogar durch einige Thatsachen, zu welchen ich auch die nachfolgenden von mir gelie- ferten anatomischen Beiträge zähle, widerlegt. Ich habe mich, um die Frage zu entscheiden, ob die Schweissdrüsen in der That den Schweiss liefern, auf einen anderen Weg des Experimentes begeben. Es ist bekannt, dass man bei der Katze, welche wohl das ge- eienetste Thier für derartige Experimente ist, auf verschiedene Arten Schweiss erzeugen kann. Ich legte mir nun die Frage vor, ob sich viel- leicht bei den auf diese verschiedene Art in Reizzustand' versetzten Drüsen auch verschiedene anatomische Zustände unter dem Mikroskop zeigen würden, eine Vermuthung, welche auf Grund der oben erwähnten Heiden- hain’schen Resultate ziemlich nahe lag. Die normale nicht secernirende Schweissdrüse an der Katzenpfote bietet jenes bekannte anatomische Bild dar, welchem ich nichts Neues hinzufügen kann. Anders verhält sich aber das Bild, wenn das Thier eine Pilocarpin- injeetion erhalten hat und damit zur starken Schweisssecretion veranlasst wird, oder wenn ich durch Ischiadieusreizung den gleichen Effect erziele. Während in der Norm die Zellenauskleidung nur eine Lage darstellt und bei mittlerem Lumen die unmittelbar neben dem Drüsenepithel ge- legenen glatten Muskelfasern einen geringen Contractionszustand zeigen (vgl. Fig. I), fand ich dieses Verhältniss nach Ischiadicusreizung geändert. Hier besteht ein starker Contractionszustand der Muskelfasern, das Lumen ist verengert und ganz klein, die Zellen befinden sich in einem „pfropf- artigen“ Zustande, um mich eines von Stricker eingeführten Ausdruckes zu bedienen, d. Iı. die Zellen füllen das Lumen fast ganz aus (vel. Fig. II). Anders nach einer Pilocarpininjection. Alsdann zeigen die Muskel- fasern keinen Contractionszustand, sind vielmehr ganz schlaff und flach, das Lumen ist stark erweitert und die Drüse befindet sich in einem „ring- förmigen“ Zustande d. h. der Epithelbelag ist auf das äusserste beschränkt und bildet nur einen Saum (vgl. Fig. II). Dieser Zustand ist besonders charakteristisch und leicht zu erkennen. Natürlich werden wir uns nicht verwundern dürfen, wenn wir zwischen diesen ziemlich deutlichen Unterschieden eine Menge Drüsen mit allen möglichen Uebergängen finden. Wir müssen uns klar machen, dass das mikroskopische Bild der Drüsen von dem jeweiligen physiologischen Reiz- zustande abhängt, in welchem sich die Drüse in dem Augenblicke der Con- servirung befindet und dass wir hier die mannichfachsten Uebergänge an- 6* 34 Max JosEpH: treffen werden. Es genügt aber, wenn die oben hervorgehobenen Unter- schiede in sicherer Weise bestehen. Ich habe die von vielen Katzen gewonnenen Praeparate nicht ver- säumt, den Hrn. Prof. Fritsch und Dr. Benda im physiologischen In- stitute der Universität, woselbst ich diese Experimente ausgeführt, zu de- monstriren und dieselben haben sich ebenfalls von der thatsächlichen Unter- lage meiner Ausführungen überzeugt. Es fragte sich weiter, ob ich ähnlich, wie es Fordern) seiner Zeit bei den Magendrüsen fand, auch mikroskopisch einen bestimmten Unter- schied in der Zelltinetion bei den verschiedenen Reizzuständen wahrnehmen konnte. Dies ist mir aber nicht geglückt, zur sicheren Entscheidung zu bringen. Wenn es mir auch zuweilen schien, als ob die Zellen nach Pilo- carpininjection vorwiegend sich heller färben als die auf einen Nervenreiz zur Secretion veranlassten Zellen, so muss ich mich doch bezüglich dieses Punktes jeden weiteren Schlusses enthalten. Es existiren zwar einige An- gaben hierüber in der Litteratur, dieselben sind aber sehr spärlich. So berichtet Ott,! die thätige Drüse sei durch Carmin leichter zu färben, und Renaut,? dass im Ruhezustande die cylindrischen Zellen regelmässig hell mit grundständigem, nach mehrstündigem Schwitzen aber granulirt mit in der Mitte gelagertem Kern seien. Ich möchte aber nach meinen Unter- suchungen behaupten, dass ein so sicheres Urtheil nicht abzugeben ist und jedenfalls noch mehr Controluntersuchungen zur Entscheidung dieses Punktes abzuwarten sind. Einige anatomische Punkte scheinen mir noch der Erwähnung werth. Zunächst machte ich mich mittels der Goldmethode an das Studium der Drüsennerven, indessen bin ich hierbei nicht mehr vom Glück begünstigt ' gewesen als alle meine Vorgänger. Ich konnte zwar die Nerven bis an die Drüsen herantreten sehen, aber über einen eventuellen Zusammenhang _ mit den Muskel- oder Drüsenzellen erlangte ich keinen befriedigenden Aufschluss. Wäre die Meissner-Unna’sche Anschauung richtig, dass von den Schweissdrüsen Fett produeirt werde, so müsste man in den mit Osmium conservirten Drüsen schwarz gefärbte Fettmassen finden. Ich habe aber niemals bei sehr zahlreichen und speciell darauf gerichteten Ermittelungen etwas davon sehen können. Folgender Punkt verdient alsdann noch berücksichtigt zu werden. Es ist uns gestattet, aus der Häufigkeit der karyokinetischen Figuren einen Anhalt für die Grösse des Verbrauchs an parenchymatösen Zellen in den “ Journal of physiology. 1879. Vol. II. 8. 42—66. ” Gazette medicale. 1878. p. 295. ÜBER ScHweiss- UND TALGDRÜSENSEORETION. 85 verschiedenen Drüsen zu entnehmen. Nun haben die Untersuchungen von Bizzozero und Vasale,! denen ich mich vollkommen anschliessen kann, ergeben, dass zwar in den Talgdrüsen des Menschen die karyokinetischen Figuren sehr zahlreich gefunden werden, dagegen in den Schweissdrüsen er- wachsener Thiere wie des Menschen fast ganz fehlen, auch nach vorher- gehender Pilocarpininjection. Ein Grund mehr, an der verschiedenen Function dieser beiden Drüsengattungen festzuhalten. Man hat ferner für die Annahme einer fettigen Secretion aus den Schweissdrüsen auch die histiologische Gleichwerthigkeit derselben mit den Achsel- und Ohrenschmalzdrüsen herangezogen. Diese Behauptung dürfte indessen manchem Widerspruche begegenen. Wenigstens entnehme ich einer Notiz aus Toldt’s Zehrduch der Gewebelehre (1884. 2. Aufl. 8. 571), dass die Drüsenzellen bei den Ohrenschmalzdrüsen nach Heynold ab- weichend von den eigentlichen Schweissdrüsen mit einem scharf aus- geprägten Cutieularsaum besetzt sind. Es wäre hier ferner noch eine Ver- muthung in Erwägung zu ziehen, welche Benda mir gegenüber in freund- licher privater Mittheilung ausgesprochen, dass nämlich die Ohrenschmalz- und Achselhöhlendrüsen nur den Geruchsstoff des Schweisses in der Achsel, bezw. den Farbstoff des Öhrenschmalzes in dem Gehörgange absondern. Diese Vermuthung gründet Benda darauf, dass er mit bestimmten Fett conservirenden Methoden (Picrinsäure-Osmium) in den Ohrenschmalzdrüsen verhältnissmässig wenig Fett vorfand. Auffällig war es noch, dass hier zugleich eine Menge von Talgdrüsen vorhanden ist, was, wie es scheint, bisher nicht genügend berücksichtigt wurde Dadurch würde die von Meissner betonte Unwahrscheinlickeit, dass Drüsen von ganz identischem Baue einmal ein fettreiches Secret und im anderen Falle wieder auf nervöse Reize grosse Wassermengen hergeben sollten, hinfällig werden, Uebrigens betrachtet auch Unna (a. a. O. S. 92) die grösseren Knäueldrüsenpackete, wie wir sie beim Menschen noch in der Achselhöhle finden, genetisch als Reste solcher im Thierreiche weit verbreiteter Riechstoffe bildender und die Haut einfettender Organe. In Folge der oben hervorgehobenen Unter- schiede ist aber die histologische Gleichwerthigkeit der Schweiss- mit den Achsel- und Öhrenschmalzdrüsen nicht aufrecht zu erhalten und es fällt somit ein Grund mehr fort, aus der Fettsecretion dieser letzteren auf die Fettausscheidung von Seiten der Schweissdrüsen zu schliessen. Wir werden vielmehr mit Kölliker (a.a.0. S.261) an der Anschauung festhalten, dass alle Knäueldrüsen verschiedene Absonderungen liefern, als deren Extreme einerseits der Schweiss, andererseits eine fett- und eiweissreiche Absonderung erscheint. ! Medieinisches Centralblatt. 1884. 8. 77 u. 179; — Virchow’s Archiv u. s. W» 1887. S. 110. 86 Max JosSEPH; Bei dieser für die Schweissdrüsen gültigen Annahme spielt auch der von mir constatirte anatomische Befund eine gewisse Rolle. In voller Parallele mit den an anderen Drüsen erzielten Resultaten habe ich auch bei den Schweissdrüsen constatiren können, dass je nach dem Modus der Erzeugung von Schweiss das anatomische Bild der Drüsen ein verschiedenes ist. Es liegt nach den oben angegebenen Befunden nahe, anzunehmen, dass bei der Pilocarpininjection mehr. wässeriger Schweiss aus den Blutgefässen durch die Drüsen ausgeschieden wird, während bei der Nervenreizung mehr die Muskelthätigkeit der Drüsen in Frage kommt. Weiter hierauf einzugehen, dürfte vorläufig noch nicht angängig sein. Es genügt, durch diese Untersuchungen der alten Anschauung, dass die Schweiss- drüsen den Schweiss liefern, eine erneute Grundlage gegeben zu haben. Zum Schlusse noch einige Worte über die Talgdrüsensecretion. Der anatomische Bau der Anlagerung von Talgdrüsen an das Haar wies von vorne herein darauf hin, dass das Secret der ersteren dazu be- bestimmt wäre, das Haar einzufetten. Als aber durch Liebreich! die grosse Verbreitung von Cholesterinfetten in keratinisirten Zellen nachgewisen und functionell in den Vordergrund gestellt war, wurden Zweifel rege, ob dieses „intracelluläre“ Fett vollkommen für die normale Erhaltung der Haare bezw. der Federn ausreiche, oder ob hierbei doch dem „additionellen“ Fette der Talgdrüsen eine wesentliche Rolle zufalle. In einer kleinen vorläufigen Mittheilung? hatte ich mich bereits mit dieser Frage beschäftigt und über einige einschlägige Experimente be- richtet. Es ist klar, dass man einer Lösung der eben angedeuteten Frage näher gebracht wird, wenn man einem Thiere die Talgdrüsen exstirpirt und an ihm dann das weitere Verhalten der Haare bezw. Federn verfolgt. Wegen der bei den Säugethieren über den ganzen Körper ausgedehnten Vertheilung der Talgdrüsen ist hier eine derartige Operation natürlich unmöglich, da- gegen lässt sie sich sehr gut bei den Vögeln ausführen. Bei ihnen bildet die Bürzeldrüse das Aequivalent der Talgdrüsen der Säugethiere und wegen der isolirten Lage ist ihre Entfernung ohne grosse Schwierigkeit möglich. Ich exstirpirte daher bei einer Anzahl Enten die Bürzeldrüse, eine Operation, welche ziemlich leicht auszuführen ist. Die Wunde verheilte meist per primam und zehn Tage nach der Operation untersuchte ich, wie sich die operirten Theile der Einwirkung des Wassers gegenüber verhalten würden. Nach sorgfältiger Bestimmung des Gewichts wurden die operirten Enten in einem grossen Kübel Wasser untergetaucht und sofort darauf ! Berliner klinische Wochenschrift. 1885. 8. 47. ” Centralblatt für Physiologie. 2. April 1887. ÜBER SCHweiss- UND TALGDRÜSENSECRETION. 87 wieder gewogen. Nun wurde den Thieren Gelegenheit gegeben, durch freie Bewegung in einem grossen Raume ihr Wasser abzuschütteln und etwa nach einer Viertelstunde wurde wiederum jedes Thier einzeln gewogen. Ganz genau derselbe Modus wurde an einer gleich grossen Anzahl normaler Thiere zur Controle vorgenommen. Dabei stellten sich nun sehr bemerkens- werthe Unterschiede heraus. Normale und ihrer Bürzeldrüse beraubte Enten nelımen zwar gleich viel Wasser hei der Durchnässung in ihr Federkleid auf, dagegen behalten die ihrer Drüse ledigen Thiere 2 bis 2!/, Mal so viel mehr Wasser in ihren Federn zurück als gesunde Thiere.. Während normale Enten nur einer geringfügigen Bewegung bedürfen, um das Wasser aus ihren Federn wieder zu entfernen, entledigen sich operirte Thiere durch sehr starkes Schütteln des a oneren Wassers, und es dauert eine ganz geraume Weile, bis ihr Federkleid wieder trocken geworden ist. Mir scheint aus diesen Beobachtungen nur der einzige Schluss gerecht- fertigt, dass unbeschadet der Wirkung der Cholesterinfette auch dem Talg- drüsensecrete ein nicht unwesentlicher Antheil an der Einölung der Federn bei Vögeln zukommt. Für die Taigdrüsensecretion in der "menschlichen Haut haben wohl dieselben Grundsätze Geltung. Wahrscheinlich kommen beide Momente, die Secretion des Fettes aus den Talgdrüsen und die Umwandlung von Cholesterinfetten aus Keratin-Substanzen, in Betracht. Jedenfalls liegt auch hier kein Grund vor, auf eine einseitige Deutung nach der einen oder der anderen Richtung zu grosses Gewicht zu legen. Erklärung der Abbildungen. (Taf. III.) Die Zeichnungen sind nach Mikrophotogrammen hergestellt. Fig. 1. Vergrösserung 400. Normale nicht secernirende Schweissdrüse der Katze. Fig. 2. Vergrösserung 400. Schweissdrüse der Katze in Function nach Ischia- dieusreizung, Fig. 3. Ve et 400. Schweissdrüse der Katze in Function nach Pilo- carpininjection. Ueber die Farbe des Wassers. Eine physikalische Untersuchung zur Biologie. Von G. Hüfner. Im Jahre 1883 hat sich in Genf eine aus neun Mitgliedern bestehende wissenschaftliche Commission gebildet zu dem Zwecke, die Durchsichtigkeit und Farbe der Wasser des Genfer See’s zu erforschen, sowie noch verschie- dene andere Fragen zu lösen, welche sich an jene Erscheinungen knüpfen. Man sieht ebensowohl aus der mannigfaltigen Zusammensetzung! der Commission, wie aus der Definition des Zweckes derselben, dass die Frage nach dem Ursprunge einer Erscheinung, die um ihrer ausserordentlichen Schönheit willen wohl die Bewunderung Aller, daneben aber höchstens das ‚ wissenschaftliche Interesse des Physikers zu erwecken schien, neuerdings auch in biologischer Beziehung eine grosse Bedeutung gewonnen hat. Für die Beantwortung der Frage nach der Ursache der Färbung einer klaren und durchsichtigen Flüssigkeit ist natürlich eine Untersuchung über den Grad der Durchlässigkeit der letzteren für verschiedenfarbiges Licht von entscheidenster Wichtigkeit. Wenn aber diese Flüssigkeit das Wasser belebter Seen und Meere ist, so giebt eine solche Untersuchung in der That zugleich Aufschluss über die Tiefe, in welcher organische Wesen, deren Existenz an die Gegenwart von Licht und im Besonderen vielleicht an die Gegenwart farbiger Strahlen von bestimmter Intensität gebunden ist, noch dauernd zu leben vermögen. ! Dieselbe besteht aus den HH. Phil. Plantamour, J.L. Soret, C. de Can- dolle, Lucien de la Rive, H. Fol, Ed. Sarasin, R. Pictet, A. Rillet und C. Boret. @. Hürner: ÜBER DIE FARBE DES WAssERS. 89 Um einen wirklichen Begriff von der Durchgängigkeit des Wassers, zunächst des reinen, destillirten, für Licht von verschiedener Wellenlänge zu erhalten, ist es nicht genügend, dass man sich immer nur ein bloss qualitatives Bild von dem etwaigen Absorptionsspectrum desselben zu ver- schaffen sucht. Beschreibungen von diesem Spectrum, ebenso wie vom Spectrum des Mittelmeerwassers,! wurden bereits mehrfach gegeben; ja zwei englische Beobachter? gaben sogar vor mehreren Jahren eine, wie mir scheint, recht gute Abbhilduug vom Spectrum des destillirten Wassers. Woran es bisher fehlte, das waren genaue Messungen der Extinctions- coefficienten des Wassers für eine hinlängliche? Zahl verschiedenfarbiger sichtbarer Strahlen. Ich glaube einen nützlichen Beitrag zur Lösung der von den Schweizer Naturforschern gestellten und auch noch einiger weiterer Fragen zu liefern, wenn ich hier die Resultate einer Anzahl von mir in Gemeinschaft mit Hrm. E. Albrecht ausgeführter photometrischer Versuchsreihen mittheile, deren ausführliche Beschreibung wir soeben in den Annalen der Physik und Chemie, Bd. XLII, S. 1—17, veröffentlicht haben. Um die Tragweite dieser Re- sultate zu erproben, habe ich einige Folgerungen theils allgemein biologischen, theils physiologisch-optischen Inhalts daraus gezogen, welche in dieser Ab- handlung gleichfalls einen Platz finden sollen. Eigene Versuchsresultate. Wir fanden bei Versuchen mit Sonnen- licht, dass eine 180 ® lange Säule frisch destillirten Wassers bei 17 bis 18°C. von den verschiedenen Strahlen, deren Wellenlängen angegeben sind, die in der folgenden Tabelle I mitgetheilten Liehtmengen, ausgedrückt In Procenten der ursprünglichen Lichtintensität, durch sich hindurch- gehen lässt. | Aus den Zahlen nachstehender Tabelle, deren Columnen 3—6 die Ver- suchswerthe enthalten, die an vier verschiedenen Tagen und mit verschie- denen Proben frisch destillirten Wassers gewonnen wurden, ergaben sich 1. die Lichtintensitäten, welche das von der Sonne stammende verschieden- farbige Licht in verschiedenen See- oder gar Meerestiefen in maximo be- ! J.L. Soret und Ed. Sarasin in Archives des Sciences physiques et naturelles. 3me Ser. t. XI. p. 327—328; — H. W. Vogel, Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. CLV1. 8. 325; — Schönn, Poggendorff’s Annalen u. s. w. Ergänzungsbd. VII. S. 670—673; — Aitken, Beiblätter zu Wiedemann’s Annalen u.s.w. Bd. VII. S. 372 (im Auszuge); — Riccod, Archives des Sciences physiques et naturelles. 6° Ser. t. XL. p. 432—434 (im Auszuge). ? Russel and Lapraik, Nature. Vol. XXII. p. 368. 3 Für rothes, gelbes und blaues Licht hat F. Boas (Beiträge zur Erkenntniss der Harbe des Wassers. Inaugural-Dissertation. Kiel 1881) dergleichen Messungen an- gestellt; allein sein Roth und Blau waren keine homogenen Farben. 90 G. Hürner: Tabelle I. ne ' Farbe Durchgelassene Procente Mittelwerthe 671—658 Roth 45-11 50-55 — 49-08 49-25 640-622 | Orange 60.60 57-98 61-93 — 60-17 611—593 as 63-16 64-42 63-54 — | 63:70 582 — 571 Gelb — 84-48 80-74. 79-30 | 81-50 557 —546 Gelbgrün 89-41 | 84-21 88-26 — 87.29 531—523 Grün 93.09 92-12 91-59 z= 92-27 510—502 | = 93-13 92-82 91:96 — 92.63 491—483 | Blaugrün 93-89 95-02 — 91:83 93-55 AT1—465 Cyanblau | — (99085 | — 95-04 95-19 452-446 Indigo | 94-88 | 95-87 iR 94-42 95-06 sitzen, und 2. sehr einfache Folgerungen in Betreff der Farbe, welche reines Wasser bei durchgehendem Lichte in ebensolchen Tiefen zeigen wird. Ueber die Intensität verschiedenfarbiger Strahlen in ver- schiedenen Tiefen. Wenn ein Lichtstrahl in ein diaphanes, aber lichtschwächendes Mittel eindringt und eine gewisse Dicke desselben durchläuft, so besteht bekannt- lich zwischen der ursprünglichen Intensität desselben, J, und derjenigen, die er nach Durchlaufung jener Dicke besitzt und die wir J’ nennen wollen, die Beziehung: | I=Z a) N In dieser Gleichung bedeutet — den Bruchtheil, bis auf welehen Licht von der Intensität 1 beim Durchgange durch die Schichteinheit geschwächt wird, und m die Anzahl der durchlaufenen Schichteinheiten. Setzt man den Werth von J=1 und nimmt man als Schichteinheit aus praktischen Gründen das Centimeter an, so erhält man, da die durch- laufene Wasserschicht in unseren Versuchen 180 ® betrug, — log J log n = (2) Ist der Werth dieses Logarithmus, der in unseren Versuchen immer gleichbedeutend ist mit demjenigen, was Bunsen und Roscoe als „Ex- tinctionscoefficienten“ definirt haben!, aus den in Tabelle I für die verschie- ı Bunsen und Roscoe (Poggendorff’s Annalen u.s. w. Bd. CI. 8. 237) de- finirten den Extinctionscoeffieienten als reeiproken Werth der Schichtendicke, nach deren Durchstrahlung die ursprüngliche Intensität bis auf '/,, vermindert ist. Wir wollen ihn ÜBER DIE FARBE DES WASSERS. 91 denen Farben aufgeführten Mittelwerthen von J’ (dort als durchgelassene Procente bezeichnet und deshalb 100fach vergrössert) einmal berechnet, so kann man mit Hülfe der so gewonnenen Werthe nach Gleichung (1) auch ohne Weiteres angeben, wie gross die Lichtstärke der einzelnen Farben ın den verschiedensten Tiefen sein wird. Tabelle II giebt nun die betreffenden Zahlen für eine Reihe verschie- dener, praktisch in Betracht kommender Tiefen, letztere ausgedrückt in Öentimetern. Sie enthält ferner die Extinetionscoefficienten des Wassers für die bezüglichen Farben. Tabelle I. ne unesion Betinctiäne. Durchgelassene Lichtmengen in Bruchtheilen der Einheit bei Wellenlängen | @Oeffieienten |,, _ 1cm |, — 500m | — 1000. | m=10000-m m= 100000 m 611658 | 0-001709 0-99610) 0-1481 | 0-0196 | 128 1071| 794 107158 | | | 640-622 | 0-001226 0-99716 02438 | 0-0594 | 182 oa ae 61 593 | 0-001083.. 0-99749) 0-2856 | 0-0817 759 10 © | es1 10 108 582571 | 0-000494 ,0-99885, 0-5662 | 0-3206 | 0-00001 | 251 10° 557—546 | 0-000328 \0-99923| 0-6855 , 0-4699 | 0.000538 | 631 10°" 531-523 | 0.000194 \0-99950| 0-7998 | 0.6397 | 0-01222 | 251 10717 510-502 | 0-000185 \0-99957| 0-8032 | 0-6530 , 0-01413 | 32 10" 491-483 | 0.000160 1099967 0-8318 | 0-6918 | 0-02512 10. 471-465 | 0-000119 0-99972| 0-8720 | 0-7608 | 0-06457 | 126 10” 452-446 | 0-000122 0-99972) 0-8690 | 0-7551 | 0-06026 159 10 10 Die Zahlen vorstehender Tabelle dürften geeignet sein, ein Kriterium abzugeben, wonach jede von anderer Seite entweder bereits vorgebrachte oder noch vorzubringende Hypothese über obige Frage wird geprüft werden können. Bisherige Versuche über die gestellte Frage. Ueber die Tiefe unter der Oberfläche eines See’s oder des Meeres, in welcher das Licht un- mit & bezeichnen. Setzen wir nun J in Gleichung (1)=1 und J =!) so erhalten wir zunächst mlogn=1 und weiter, da alsdann nach der oben erwähnten Definition m = o | > logn= e. Da andererseits nach Gleichung (1) m]logn = log J — log J', so gilt, wenn wir beiden Grössen, sowohl J wie m, den Werth 1 ertheilen, auch log n = — log J' oder = — lg JS. 92 G. Hürner: seres hellleuchtenden Tagesgestirns so gut wie erloschen ist, herrsehten in den Kreisen der Biologen bis in die neueste Zeit sehr weit von einander abweichende, und mitunter sogar sehr übertriebene Vorstellungen. Wäh- rend die Einen von absoluter Dunkelheit sprachen, die den Hinabtauchen- den schon in 30 Metern Tiefe umfangen sollte, glaubte ein Anderer! an- nehmen zu dürfen, dass das Sonnenlicht noch in Tiefen von 2000 bis 3000 Faden oder 3600 bis 5500 Metern mit einer Helliskeit hinabdringe gleich derjenigen unserer mondhellen Nächte. Schon die nach dem photographischen Verfahren, mit sehr empfind- lichen Chlor- und Bromsilberplatten, die in eigens construirten Behältern in die Tiefe hinabgelassen wurden, den sogenannten Tiefenphotometern, ausgeführten Versuche der Schweizer Naturforscher F. A. Forel, H. Fol und Ed. Sarasin haben in dieser Beziehung ungemein aufklärend ge- wirkt. Sie haben zum ersten Male nach einer directen Methode die frag- liche Tiefe wenigstens für die brechbareren Strahlen (wir wollen sie künftig die photographischen nennen) zwischen engen Grenzen eingeschlossen, zwi- schen Grenzen, welche, soweit es sich allein um den Genfer See handelt, wesentlich durch die mit der Jahreszeit wechselnde Klarheit der Gewässer dieses See’s bedingt sind. In den Wintermonaten reagirten Hrn. Forel’s? photographische Platten noch in nahezu 100 Metern Tiefe, während in den Sommermonaten kaum noch in einer solchen von 50. Mit, wie es scheint, weit empfindlicheren Platten constatirte etwa ein Decennium später Hr. Fol? im gleichen See die Gegenwart photographischen Lichtes noch in 170 Metern Tiefe. — Aehnliche Versuche, die 1885 im Mittelmeere angestellt worden sind, haben dagegen zu einer viel tiefer liegenden Grenze geführt. Fol und Sarasin* fanden ihre Platten in der Nähe von Villafranca noch in 400 Metern Tiefe belichtet, und nach einer Mittheilung Chun’s” hat der Ingenieur der zoologischen Station in Neapel, Petersen, in der Nähe von Capri selbst noch in Tiefen von 550 Metern nach nur halbstündiger Ex- position deutliche Lichtwirkung wahrnehmen können. Um für diese noch bleibenden Widersprüche eine Erklärung zu finden, hat man sich zunächst daran zu erinnern, dass es Huggins gelungen ist, nicht allein den Mond und sein Spectrum, sondern auch die Speetren von ! A. E. Verril, Report of United States Fisheries- Commission for 1882. Washington 1884. p. 1056. ? Naturforscher. 1874. Bd. VII. 8. 349—350. ® Comptes rendus de l’ Academie des Sciences. t. XCIX. p. 783. * Comptes rendus etc. t.C. p. 991 et suiv. 5 Die pelagische T'hierwelt in grösseren Meerestiefen und ihre Beziehungen zu der Oberflächenfauna. Bibliotheca zoologica. Cassel 1888. t.1I. p. 59. ÜBER DIE FARBE DES WASSERS. 93 Fixsternen! und Kometen,? ja selbst vom grossen Nebelflecke des Oriun ’ noch deutlich zu photographiren. Nun ist nach Zöllner’s* photometrischen Untersuchungen die Intensität des directen Sonnenlichtes etwa 618800 Mal grösser als diejenige des Vollmondes; wobei freilich zunächst nicht angegeben ist, ob die Schwächung aller einzelnen Farben des Sonnenlichtes an der Mondoberfläche gleichmässig erfolgt, die Intensitätsvertheilung im Mond- spectrum also die gleiche ist wie im Sonnenspectrum. Machen wir indess letztere (allerdings nicht ganz gerechtfertigte?) Voraussetzung, und nehmen wir, was nach unseren und Anderer Versuchen im höchsten Maasse wahr- scheinlich ist, ferner an, dass reines Wasser die brechbarsten Strahlen des Spectrums, Oyanblau bis Ultraviolet, sämmtlich etwa gleich wenig absor- bire, dass somit ihr mittlerer Extinetionscoefficient 0-00012 (vgl. Tabelle II) betrage, so berechnet sich die Tiefe, in welcher die Helligkeit jener Strahlen, bei einer Zenithdistanz der Sonne = 0, dieselbe wie im Mondlichte ist, zu 483 Metern. Weiter ist nach Zöllner‘ die Helligkeit des Fixsterns Capella 1 1 55 760 000 000 90000 Vollmondes. Dennoch gelang es Huggins,” das Spectrum auch dieses Sterns mit Hülfe desselben Apparates zu photographiren, mit dem er die Photographie des Mondspectrums erhalten hatte. Um aber blaues und vio- lettes Licht von der Intensität 1 bis auf „005 es durch eine 413 Meter lange Wasserschicht hindurchschieken. Da nun, wie wir soeben sahen, dasselbe Licht schon eine Wasserschicht von 483 Me- tern braucht, um durch diese auf die Helligkeit des entsprechenden Mond- lichtes herabgesetzt zu werden, so muss es vollends bis in eine Tiefe von 483 + 413 = 896 Metern hinabdringen, ehe es so schwach wie in der Capella geworden ist. Ueber die Helligkeit des grossen Nebelflecks im Orion liegen, soviel mir bekannt, vergleichende Messungen noch gar nicht vor. Hrn. Huggins’ von derjenigen der Sonne, also ungefähr von der des abzuschwächen, muss man ! Beiblätter zu Wiedemann's Annalen. Bd. IV. 8. 467 ff. ® Roscoe, Spectralanalyse. Braunschweig 1890. 3. Aufl. S. 384—391. ? Ebenda. * Photometrische Untersuchungen mit besonderer lvücksicht auf die physische Beschaffenheit der Himmelskörper. Leipzig 1865. S. 105—110. — Die Zahl 618800 ist das Mittel aus Zöllner’s zwei nach verschiedenen Methoden gefundenen Zahlen, 618000 und 619600. 5 Vergl. die Beobachtungen des Astrophysikers H. C. Vogel in den Monats- berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften. 1880. 8. 806-810. EN a0 SL 125: ." Nature. 1880. vol. XXI. p. 269—270; — Beihlätter zu Wiedemann’s Annalen. Bd. IV. S. 467—468, arı £ 94 G. Hürner: Kunststück einer photographischen Aufnahme auch von dessen Spectrum ! ist deshalb zu bestimmten Berechnungen in unserem Sinne leider noch nicht zu verwerthen. Jedenfalls sieht man aber, dass es — ganz reines Wasser vorausgesetzt — des Eindringens des Sonnenlichtes schon in sehr beträchliche Tiefen bedarf, ehe seine photographischen Strahlen für un- sere besten photochemischen Erkennungsmittel unmerklich werden. Dass aber eine Salzlösung wie das Meerwasser sich hierm wesentlich anders als reines Wasser verhalten werde, ist wohl nicht anzunehmen.” Dagegen begreift sich leicht, dass Trübungen des Wassers durch suspendirte Theilchen diese eben berechneten Tiefen sehr wesentlich herabmindern, und dass um- gekehrt die Lichtintensität der südlichen Sonne, als Folge 1. der geringeren Zenithdistanz der letzteren und 2. des klareren Zustandes der südlichen Atmosphaere, sie merklich vergrössern muss. Denn nach Seidel’s® Mes- sungen der Extinction des Lichtes in der Atmosphaere wird die Helliekeit eines Sterns durch Aenderung seiner Zenithdistanz von 0° bis 50° beinahe um !/,, vermindert, und nach Wild* ist „bei bloss zur Hälfte mit Wasser- dampf gesättigter und auf etwa 40° C. erwärmter Luft in der Nähe des Erdbodens die Absorption sogar so bedeutend, dass nach Durchlaufung von 300 Metern oder 1000 Fuss die Licktintensität auf etwa !/, herunter- vegangen ist.“ Beim Genfer See scheinen die durch die Sommerszeit ge- gebenen, ausserhalb des Wassers liegenden Bedingungen, welche ein tieferes Eindringen kräftigen photographischen Lichtes in das Seewasser begünstigen müssten, durch die in der gleichen Jahreszeit stärker werdende Trübung des Wassers selbst sehr weit übercompensirt zu werden. Biologische Schlussfolgerungen. Es sind ja nun nicht die blauen und violetten, auch nicht die grünen Strahlen des Sonnenspectrums, die auf ' unser Auge den Eindruck grösster Helligkeit machen, sondern vielmehr die gelben und gelbgrünen, also Strahlen, die, wie unsere Messungen lehren, ! Comptes rendus ete. t.XCIV. p. 685. *” Allerdings haben H. W. Vogel (Poggendorff’s Annalen u.s. w. B. CLV1. 5.325) und später J. Aitken (Deiblätter zu Wiedemann’s Annalen. Bd. V1. 8. 372) gefunden — ersterer in der blauen Grotte zu Capri —, dass das Spectrum des Mittel- meerwassers zwischen # und 5b ein Absorptionsband besitzt, so breit, dass die ge- nannten Linien „zu einem deutlichen dicken Absorptionsstreifen zusammenfliessen“ (Vogel). Dafür erschienen aber Grün, Blau und Indigo hell. ” Abhandlungen der II. Classe der königl. bayerischen Akademie der Wissen- schaften. Bd. VI. 8. 581. * Ueber die Lichtabsorption der Luft. Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd.CXXXIV. 8. 568—583. — Vergl. auch die neuesten Untersuchungen von 8.P. Langley über den gleichen Gegenstand in American Journal of Science. Ser. 3. Vol. XXVIN. p- 163 ff, Our ÜBER DIE FARBE ons Wassers. 9; bereits sehr stark auch vom reinen Wasser geschwächt werden. Ob die thierischen Bewohner der Tiefsee, wofern sie überhaupt noch Augen be- sitzen, gleichfalls das gelbe Licht als das hellste empfinden? Wir vermögen es nicht zu sagen; denn beweisende Beobachtungen oder Experimente liegen darüber noch nicht vor. Vielleicht dürfen wir aber gerade das Gegentheil vermuthen, wie aus einer ganz kurzen Betrachtung, die weiter unten folet, erhellen wird. Wären indess die empfindenden Sehnervenelemente dieser (Geschöpfe wirklich ebenso wie die unserigen hauptsächlich für gelbes Licht abgestimmt und brauchten sie zur Erhaltung ihrer Existenz, zur Erlangung ihrer Nahrung, eine Lichtintensität mindestens gleich derjenigen des Voll- mondes, so dürften sie, falls ihnen — was ja bekanntlich factisch nicht zu zutrifft — andere Lichtquellen als die himmlischen vollständig fehlten, eine Tiefe von 177! Metern nach unten nicht überschreiten. In Wirk- lichkeit finden wir nun, dass thierische Organismen überall leben und sich entwickeln können, wo ihnen bereits fertig gebildetes organisches Nähr- material neben Sauerstoffgas zu Gebote steht, mag der Ort selbst auch noch so tief im Meere gelegen und mag er hell erleuchtet oder in tiefstes Dunkel gehüllt sein, wenn nur die Temperatur desselben noch einige Grade über dem Nullpunkt liegt. Dagegen sehen wir die Existenz grüner, rother, blau- grüner und brauner, im Allgemeinen der chromophyllhaltigen,? Pflanzen- organismen, denen die Aufcabe zufällt, Organisches erst aus Unorga- nischem zu erschaffen, unerbittlich an die Gegenwart des Lichtes gebunden. Wir dürfen deshalb schon von vornherein erwarten, dass die Verbreitung solcher Pflanzen — nicht der schmarotzenden! — sich durchaus nicht weit nach der Tiefe erstrecken wird. So ist es denn in der That. Nach Wyville Thomson? fehlen im Meere unterhalb 200 Faden, d. h. etwa unterhalb 360 Metern, trotz des allenthalben reichlichen Vorrathes an lose gebundener Kohlensäure‘ und an Nährsalz, pflanzliche Organismen gänzlich. Von den chlorophylihaltigen Pflanzen wissen wir bestimmt, dass sie gerade im weniger brechbaren Lichte am reichlichsten assimiliren; die Elo- dea canadensis nach Pfeffer? im Gelb etwa fünf Mal stärker als im Cyan- blau, acht Mal stärker als im Indigo und 14 Mal stärker als im Violet. \ ! Die Zahl ist berechnet mit Hülfe des Extinctionscoefficienten aus unserer Ta- belle II für gelbes Licht, & = 0.000328. ® Mit dem sehr passenden Ausdrucke „Chromophyll“ hat Engelmann (Botanische Zeitung. 1883. 8.18) vorgeschlagen künftig allgemein die assimilatorisch wirkenden Pilanzenfarbstoffe zu bezeichnen, ® The depths of the sea. London 1873. p. 45. * Die Menge derselben beträgt nach dem Norweger Tornöe (Kolbe’s Journal u.s.w. Bd. XX. S. 63) durchgehends etwa 44 "sm jm Liter Meerwasser. ° Pflanzenphysiologie. Leipzig 1881. Bd.1I. 8. 211. 96 G. Hürner: Es ist meines Wissens noch nichts darüber bekannt, ob chlorophyllhaltige Pflanzen auch bei Mondlicht zu assimiliren vermögen, wie wir denn über- haupt bis jetzt noch gar nichts darüber wissen, welches Minimum von be- stimmtem monochromatischen Licht, gemessen nach irgend einem abso- luten Maasse, zum Gedeihen einer ein bestimmtes Chromophyll führenden Pflanze nöthig oder ausreichend ist. Gäbe es Pflanzen, die im Mondlichte zu assimiliren vermöchten, wäre z. B. die ebengenannte Elodea eine solche — was sie ja wohl nicht ist —, so liesse sich auf Grund unserer Extinc- tionseoeffiecienten und der bekannten Angaben Pfeffer’s über die Zahl der Gasblasen, welche von dieser Pflanze bei Belichtung mit den verschiedenen Spectralfarben entwickelt werden, zeigen, dass in der Tiefe von 177 Metern, wo, wie wir vorhin ‘gesehen, das Gelb des Sonnenlichtes etwa die gleiche Helligkeit wie das Gelb des Mondlichtes hat, wo also seine ursprüngliche Lichtstärke von 1 bis auf 0.000 0016 geschwächt ist, während dagegen das Indigoblau dort immer noch eine Lichtstärke von 0.007 829 der ursprüng- lichen besitzt — ich sage, es liesse sich zeigen, dass dann, im Falle Pro- portionalität zwischen der Intensität des Lichtes und der Intensität des Assimilationsprocesses besteht, die Elodea in einer solchen Tiefe umgekehrt im Indigoblau während einer gewissen gleichen Zeit 660 Mal mehr Gas- blasen entwickeln müsste als im Gelb.! Ich habe dieses drastische Beispiel gewählt, nur um deutlich erkennen zu lassen, wie sehr die Lebensbedingungen der Pflanzen im Wasser, soweit sie mit der Wellenlänge des Lichtes zusammenhängen, schon bei ver- hältnissmässig geringer Tiefe gegenüber denen an der Oberfläche ver- schoben sind. Nach Engelmann? ist nun der Ort des Assimilationsmaximums im ' Spectrum für verschieden gefärbte Pflanzen überhaupt ein verschiedener. Die Assimilation ist nach seiner Entdeckung streng au die Lichtabsorption gebunden. Für die chlorophyligrünen Pflanzen liegt jenes Maximum daher durchaus nicht im Gelb, sondern vielmehr im Roth, zwischen den Fraun- hofer’schen Linien 5 und C; dafür befindet sich ein zweites Maximum für die gleichen Pflanzen im Blaugrün bei #. Im Gelb dagegen, und zwar bei D\/, £, also etwa am gleichen Orte, wo Pfeffer die grösste Gasblasen- zahl bei Versuchen mit Elodea fand, liegt das Assimilationsmaximum für die rothen Zellen der Florideen, welche letztere überhaupt in der brech- ! Liefert gelbes Licht 100, so giebt Indigoblau nach Pfeffer in der gleichen Zeit nur 13-5 Gasblasen. Die Zahl 660 ergiebt sich aus der Gleichung: Euyas 13-5 0.007829 h 100 0-0000016 ” Botanische Zeitung. 1883. S.1—11 und 17—29, ÜBER vız FARBE DES WAssERS. 97 bareren Hälfte des sichtbaren Speetrums etwa 2'/, Mal so reichlich assimi- liren, als in der weniger brechbaren.! Mit Recht führt Engelmann hierauf eine Reihe die Tiefenver- theilung der Meeresalgen betreffender Thatsachen zurück. „Bekannt- lich“, sagt er,” „herrschen in grösseren Tiefen, wie überhaupt an solchen Orten, zu denen das Licht nur durch eine lange Wasserschicht gelangen kann, rothe Formen vor, während die grünen schon in sehr geringer Tiefe verschwinden. Dies erklärt sich aus der stärkeren Absorption der rothen Strahlen durch das Wasser. Denn da gerade diese Strahlen für die Assi- ınilation grüner Zellen das Meiste leisten, müssen schon von mässigen Tiefen an die grünen Formen sich im Nachtheil befinden gegenüber den rothen, in welchen andererseits die vom Wasser viel besser durchgelassenen grünen Strahlen am kräftigsten assimilatorisch wirken.“ Nach Berthold? zeigten die grössten Tiefen, welche beim Dredschen in der Gegend von Neapel bisher erreicht wurden — ungefähr 120 bis 130 Meter — im klaren Wasser bei Capri und an den Ponza-Inseln noch eine reiche Vegetation zählreicher Tiefseeformen. Nach ihm sind es in der That in weit überwiegendem Maasse Florideen, welche „an der Schatten- grenze“ ihren Standort haben, „sodass die Vegetation der beschatteten Fels- wände, der Grotten und ebenso die der grösseren Tiefen schon durch ihre rothe Färbung einen besonderen eigenthümlichen Charakter erhält.“ ® Nimmt man als äusserste Helliskeitsgrenze eines monochromatischen Lichtes, bei welcher das Leben chromophyllhaltiger Pflanzen unmöglich wird, wiederum — aber freilich nur, um ein Jedermann bekanntes Maass zu haben, und zwar auch nur unter dem oben, S. 93, angedeuteten Vor- behalte — die Intensität der entsprechenden Farbe des Mondlichtes an, so berechnet sich aus unseren Extinctionscoefficienten die fragliche Tiefe für rothes Licht zu 34 und für grünes? zu 322 Metern. Es scheint somit, als ob nicht einmal diejenige unter den verschiedenen Algenformen, welche durch ihre Farbe am ehesten zum Ausdauern in grösseren Tiefen befähigt ! Engelmann, a.a. 0. 8.25. Die Mittelwerthe der relativen Grösse der Assi- milationsenergie sind von Engelmann immer auch für das Normalspectrum be- rechnet. ? Beiblätter zu Wiedemann’s Annalen. Bd. VII. 8. 379. ® Ueber die Vertheilung der Algen im Golf von Neapel nebst einem Verzeichniss der bisher daselbst beobachteten Arten in Miitheilungen der zoologischen Station zu Neapel. Bd. III. 8. 393—536. = Mor Ob Br il > Letzterer Werth ist berechnet mit Hülfe des aus unseren drei Extinctions- coefficienten für Hellgrün, Grün und Blaugrün gezogenen Mittels, &= 0.000180. Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. z 98 G. Hürner: sein könnte, die Tiefengrenze zu erreichen vermöchte, die ihr durch unsere obigen Voraussetzungen gesteckt ist.! Hört nun pflanzliches Leben — die pflanzliche Schmarotzerwelt allein ausgeschlossen — in Tiefen von 300 Metern und darüber in der That schon auf, weil die hier zu Gebote stehende Energie des von der Sonne ausgehenden verschiedenfarbigen Lichtes zur Unterhaltung des pflanzlichen Assimilationsprocesses nicht mehr genügt, so dürfen wir andererseits aus der völligen Abwesenheit jeglichen derartigen Pfilanzenlebens in noch viel grösseren Tiefen, wo die Thierwelt bekanntlich noch reichlich vertreten und sogar theilweise mit der Fähigkeit selbst zu leuchten begabt ist, weiter schliessen, dass weder die Intensität, noch die Dauer, noch vielleicht selbst die Art des von dieser Thierwelt ausgehenden Lichtes ausreichend und ge- eignet ist, den Assimilationsprocess irgend eines chromophylilhaltigen Pflänz- chens zu ermöglichen. Die etwaigen rothen, gelben, grünen und blaugrünen Strahlen des von den Tiefseethieren ausgesandten Phosphorlichtes werden, auch wenn wir uns vorstellen dürfen, dass sie gewisse Kegionen continuir- lich durchleuchten, schwerlich die gleiche Intensität besitzen, wie die ent- sprechenden Strahlen im Lichte des Mondes. Vielleicht fehlen die rothen, orangefarbenen und gelben Strahlen darin sogar ganz. Denn am Ende darf man bei der Allgemeinheit, mit der wir das Princip zweckmässiger Anpassung in der Entwickelungsreihe der mannigfachen Lebewesen befolgt sehen, nicht mit Unrecht erwarten, dass die in der Tiefsee leuchtenden Thiere, um ihre Kraft nicht unnütz zu vergeuden, nur solches Licht er- zeugen und aussenden, das am ehesten grössere Wasserstrecken durchläuft, weil es am wenigsten geschwächt wird: dies wären aber die der brech- bareren Hälfte des Spectrums angehörigen Strahlen.? ! Chun hält es indessen (a. a. ©. S. 60) nicht für unmöglich, dass gewisse niedere Planzenformen selbst in 250—8300 Metern Tiefe im Hochsommer noch genügendes Licht finden. ” Die Ersten, die das Spectrum des von einem leuchtenden Inseet (Pyrophorus noctilueus) ausgesandten Lichtes wirklich genau, zugleich photometrisch und thermo- metrisch, untersucht haben, sind S.P. Langley und F. W. Very (On the cheapest form of light, from studies at the Alleghany Observatory, in Philosophical Magazine etc. 1890. p. 260—280). Die genannten Beobachter fanden das Spectrum des Abdominal- lichtes jenes Käfers zwischen die Linien C und #7 eingeschlossen und das Maximum seiner Helligkeit im Grün legend, etwa bei 550 u. Alle Wärmestrahlung mit Aus- nahme derjenigen, welche von den leuchtenden Lichtwellen selbst ausgeübt wird, fehlte, Die Verfasser beginnen ihre Abhandlung mit den Worten: „The object of this memoir is to show, by the study of the radiation of the fire-fly, that it is possible to pro- duce light without heat other than that in the light itself; that this is actually effeeted now by nature’s processes; and that these are cheaper than our industrial ones in a degree hitherto unrealized.“ ÜBEr DIE FARBE Dus WAssurs. 99 Ueber die Farbe des Wassers in verschiedenen Tiefen, Es ist nicht meine Absicht, hier auf alle die einzelnen Untersuchungen einzugehen, die man angestellt hat, um bald das tiefe Blau, bald das Blau- grün, bald auch das Braun durchsichtiger natürlicher Gewässer zu erklären. Man findet wohl die wesentlichsten dieser Arbeiten in dem Aufsatze! des Hrn. J. L. Soret: Sur la couleur de l’eau erwähnt, der allerdings schon 1884 erschienen ist. Es soll hier nur gezeigt werden, inwiefern unsere oben mitgetheilten Versuchsresultate einen sicheren Schluss darauf zulassen, welche Farbe das ursprünglich weisse Licht haben wird, wenn es durch Schichten reinen Wassers von verschiedener Dicke gegangen ist. Was un- sere Versuche in dieser Beziehung bieten können, ist somit nur ein Bei- trag zur Lösung der von den Schweizer Forschern gestellten Fragen; aber wie mir. scheint, ist es die nothwendigste Grundlage für alle derartige Untersuchungen. In der That ist es zunächst nur noch eine Aufgabe der physiologischen Optik, auf Grund und mit Hülfe unserer Zahlenwerthe festzustellen, wel- ches die Mischfarbe des Wassers in jeder beliebigen Tiefe sein wird. Dass dieselbe eine ganz andere sein muss, als man früher wohl allgemein glaubte, und dass dies namentlich auch in Betreff der Reihenfolge der Aenderungen der Fall sein muss, welche dieselbe mit wechselnder Tiefe erleidet, braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden.? Da das Weiss des Sonnenlichtes durch das gleichzeitige Vorhandensein von vier Paaren complementärer Farben zu Stande kommt:? " Archives des Sciences physiques et naturelles. 1884. 3=° Ser, t. XI. p. 276—296. Im gleichen Bande, p. 432—437, finden sich die Referate über zwei hierhergehörige Arbeiten des Italieners A. Riceöo in Palermo, sowie über eine Untersuchung von John Le Conte über den See von Tahoe. 2 Welcher Art die früher allgemein hierüber herrschende Vorstellung war, dafür mögen einige Sätze als Beispiel dienen, welche sich am Eingange eines populären Auf- satzes von Schleiden über „Das Meer und seine Bewohner“ (Schleiden, Die Pflanze und ihr Leben, Leipzig 1858. 5. Aufl. S. 161) finden. Es heisst dort: „Ihr sinkt hinab, — Euch verschwindet das Blau des Himmels, das Licht des Tages — ein feuriges Gelb umgiebt Euch, dann ein flammendes Roth, als tauchtet Ihr ein in ein feuchtes Höllenmeer ohne Gluth, ohne Wärme. — Das Roth wird dunkler — purpurn — end- lich schwarz — eine undurchdringliche Nacht hält Euch umfangen.“ Das beweisendste und zugleich das originellste und schönste Experiment, das die Natur selbst, gewissermaassen zur Demonstration der wahren Farbe des durch lange Wasserschichten geleiteten Sonnenlichtes, täglich vor den Augen der Menschen aus- führt, die natürliche Beleuchtung der blauen Grotte von Capri, hat früher ausser von Seiten Bunsen’s (Liebig’s Annalen. Bd. I,XII. 8. 44—48) wohl kaum eine wirklich wissenschaftliche Beachtung gefunden, ® Helmholtz, Physiologische Optik. Leipzig 1867. L Aufl. 8. 277. 7* 100 G. Hürner: Roth und Grünlich-Blau Orange und Cyanblau Gelb und Indigoblau Grünlich-Gelb und Violet, so lässt sich immer sogleich angeben, in welcher Farbe uns ein Sonnen- strahl erscheinen wird, wenn wir eine der acht Complementärfarben aus ihm herausnehmen. Würde eine Wassersäule von einer gewissen Länge sämmtliches Roth auslöschen, alle anderen Farben aber ungeschwächt durch sich hindurchlassen, so müsste der austretende Strahl den Eindruck eines mit viel Weiss gemischten Grünlich-Blau machen, eines Grünlich-Blau in- dessen, dessen Ton. dadurch, dass ihm auch noch das reine Grün bei- gemischt bleibt, für welches eine einfache Complementärfarbe überhaupt nicht existirt, noch mehr nach dem Grün hin verschoben, und weil beide Farben, Grün und Grünlich-Blau,-im Spectrum unmittelbar neben eimander liegen, doch nicht ganz so wenig gesättigt erscheinen wird, wie der grossen Menge des beigemischten Weiss entspricht.! In Wirklichkeit sind aber die Verhältnisse complieirter. Die Frage nach der resultirenden Mischfarbe ist hier dadurch erschwert, dass das Wasser, so lange die zu durchlaufende Schicht desselben nicht 50 und mehr Meter beträgt, keinen der minder brechbaren Strahlen, auch das Roth nicht, vollständig auslöscht, sondern nur sehr erheblich abschwächt. Das Wasser ändert nur die Quantitäten der einzelnen Farben oder die Energie- vertheilung im Speetrum. Wollen wir daher hier die resultirende Misch- farbe erfahren, so haben wir nicht bloss die übrig bleibenden Töne, sondern auch die übrig bleibenden Quantitäten mit in Rechnung zu ziehen. Nun lehrt aber die Erfahrung, dass je zwei Complementärfarben eben dann ge- rade Weiss geben, wenn sie in solchen relativen Quantitäten mit einander gemischt werden, in denen sie in dem zur Erdoberfläche gelangenden Sonnen- lichte vorhanden sind. Setzt man daher die Quantität jeder einzelnen Farbe des ursprünglichen Sonnenlichtes = 100, so werden um gleiche Procente geschwächte Complementärfarben natürlich ein ebenso reines, nur nicht so intensives, Weiss geben wie die ungeschwächten. Auf Grund dieses Satzes braucht man also nur die übrig bleibenden Procente je einer stärker geschwächten Complementärfarbe mit ebensoviel Procenten der anderen, minder geschwächten, zu Weiss zu vereinigen; und was alsdann noch von den minder geschwächten Farbentönen an Procentgehalt übrig bleibt, wird gemischt einen Farbenton liefern, der mit jenem Weiss zusammen ! Helmholtz, a. a. 0. 8. 279. ÜBER DIE FARBE DES WASSERS. 101 den Eindruck einer in der Regel sehr wenig gesättigten Mischfarbe er- zeugen muss. So hatten wir, wie Tabelle I zeigt, gefunden, dass eine 180 = lange Wassersäule im Mittel 49-25 Procent Roth neben 9358 Procent Blau- srün, ferner etwa 62 Procent Orange neben 95-19 Procent Cyanblau, weiter S1-5 Procent Gelb neben 95-06 Procent Indigo und endlich noch 87.29 Procent Grüngelb neben — wahrscheinlich abermals etwa 95 Procent Violet durch sich hindurchlässt. Vereinigen sich nun die 49-25 Procent Roth mit ebensoviel Procenten Blaugrün zu Weiss, so bleiben noch 44-33 Procent Blaugrün übrig. Ebenso hinterbleiben nach Bildung je einer be- stimmten Menge Weiss 33:19 Procent Cyanblau, 13-56 Procent Indigo und 7.7 Procent Violet. Dazu kommen endlich 92.45 Procent reines Grün, für welches ja eben eine einfache Complementärfarbe nicht existirt. Diese einzelnen Procente verschiedenfarbigen Lichtes geben zusammen die Summe von ungefähr 191 farbigen Lichtes überhaupt, und dieser Menge, die wir als eine Summe von Einzelstrahlen, welche nur bei den verschie- denen Farben von ungleicher Intensität sind, auffassen dürfen, steht ent- gegen eine Summe von etwa 560 weissen Strahlen, erhalten durch Addi- tion von 2.49.25 + 2.62-.0 + 2.81-5 + 2.87.3. — Von diesen gilt zwar in Bezug auf Intensität das nämliche, wie von den farbigen Strahlen; aber immerhin giebt die Gegenüberstellung derartiger Summen ein ungefähres Kriterium für den Sättigungsgrad der resultirenden Farbe. Die resultirende Mischfarbe sollte hiernach ein sehr wenig gesättigtes, mehr dem reinen Grün angenähertes Blaugrün sein. In der That machte das nicht spectral zerlegte Bündel, das durch unsere zwei Meter von Sonnen- strahlen hindurchgegangen war, auf uns den Eindruck eines blendenden Lichtes von sehr schwach blaugrüner Färbung. Eine ähnliche Rechnung, angestellt mit den einzelnen Werthen von Columne 4 unserer Tabelle II, ergiebt als Mischfarbe, wie sie unser Auge in fünf Metern Tiefe empfinden würde, ein bedeutend gesättigteres Blaugrün, nämlich nur noch 332 weisse auf 259 farbige Strahlen. In 10 Metern Tiefe! aber bleibt die Quantität des Weiss (188) bereits erheblich hinter der des farbigen (266) Lichtes zurück. Letzteres würde hier eine Mischfarbe liefern, die nicht mehr reines Blaugrün, sondern viel- mehr das dem Cyanblau angenäherte „Wasserblau“ ist, ein Blau, als wel- ches Helmholtz? die Mischfarbe sowohl von reinem Grün und Indigoblau, wie von Blaugrün und Violet oder Indigoblau bezeichnet. ! Vergl. Tabelle II, Columne 5. N 208279! 102 G. Hörner: ÜBER DIE FARBE DES WASSERS. In 100 Metern! Tiefe endlich darf man das Weiss überhaupt als so gut wie erloschen betrachten. Die lichtschwache Mischfarbe, welche übrig bleibt, ist hier hauptsächlich aus ungefähr gleichen Mengen Cyanblau, In- digo und Violet, etwa drei Mal weniger Blaugrün und sechs Mal weniger reinem Grün zusammengesetzt; sie müsste sich uns daher als ein zwar wenig intensives, dafür aber ziemlich gesättigtes Blau darstellen. Der blosse Anblick von Columne 7, Tabelle II, genügt, um die Farbe festzustellen, die in sogenannten „abyssischen“ "Tiefen herrschen wird: es ist ein erstaunlich geschwächtes Indigoblau, für unser Auge wahrscheinlich nicht mehr bemerklich. ! Vergl. Tabelle II, Columne 6. Die Reizung der Vasomotoren nach der Lähmung der cerebrospinalen Herznerven. Von Dr. J. E, Johansson. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) (Hierzu Taf. IV/VI.) Die früher giltige Annahme, dass sich der Blutdruck während der Reizung des Halsmarkes allein in Folge der gesteigerten Herzthätigkeit erhöhe, musste fallen, nachdem es gelungen war, ihn nach der Zer- störung der cerebrospinalen Herznerven so hoch wie vordem empor zu bringen." Zur Vervollständigung des Beweises, dass die Verengung des Strombettes das Ansteigen des Blutdruckes bedinge, diente die alsbald er- langte Kenntniss der Wirkungen, welche die Reizung des N. splanchnieus hervorbringt.”? — Da die Reizung der Vasomotoren an einem Thiere, dessen Herz dem unmittelbaren Einfluss des Hirns und Rückenmarks entzogen war, trotz der Verbesserung aller methodischen Hülfsmittel seit vielen Jahren nicht wieder angestellt ist, so entschloss ich mich, auf den Rath des Hrn. Professors ©. Ludwig hin, ihre Ausführung zu wiederholen. In der neuen Versuchsreihe sollten die reizenden Mittel in verschiedener Weise modifieirt auf das Halsmark oder den N. splanchnicus angewendet und fest- gestellt werden, wie dabei das Wachsthum des Druckes und der Pulszahl verlaufe. — Ob sich mit dem Wechsel des Orts und der Art, ihn zu reizen, ! C. Ludwig und Thiry, Wiener akademische Berichte. Mathematisch-natur- wissenschaftliche Classe. Bd. XLIX. Abthlg. 2. ? Cyon uud C. Ludwig, Berichte der sächsischen Gesellschaft der Wissen- schaften. Mathematisch-physikalische Classe. 1866. — Bezold und Bensen, Medi- einisches Centralblatt. 1866. 8. 600. 104 J. E. JOoHANSSoN: der Verlauf der Erscheinungen grundsätzlich gleich verhalte oder aber ändere, darüber liess sich von vornherein nichts aussagen. Da der Druck in den Arterien von dem Zuströmen des Blutes in ihre Lichtung und dem Con- tractionsbestreben ihrer Wand abhänet, die gereizten Nerven aber in zahl- reiche unabhängig nebeneinander stehende Stromröhren eingreifen, so wird eine allgemein giltige Regel nur dann zu erwarten sein, wenn die einzelnen Abtheilungen des Gefässsystems nach einer gesetzmässigen Ordnung ihre Zusammenziehung beginnen und beenden. An die Erledigung dieser Frage knüpft sich also sogleich der Wunsch nach Auskunft über eine etwa vor- handene Gliederung der Nerven des Gefässbaumes an. Den Bericht über meine Versuche beginne ich mit der übersichtlichen Darstellung der Befunde. Alle mitgetheilten Ergebnisse sind durchweg vor Thieren mit beiderseits durchschnittenen Accelerantes und Vaei und, in- sofern nichts anderes bemerkt ist, gleicher Weise durch Reizung des Hals- markes und des N. splanchnieus mit Inductionsschlägen gewonnen. Im zweiten Theile der Abhandlung beschreibe ich die angewendeten Methoden und gebe die ausführlichen Belege zur Begründung der aus- gesprochenen Sätze. l. Die Reizung des Halsmarkes und des N. splanchnicus wurde von unverrückbar befestigten Elektroden aus durch Oeffnungsinductionsschläge bewirkt, die in gleicher Stärke und in gleichem zeitlichen Abstande auf- einander folgten. Stärke der Einzelreize und die Dichtigkeit ihrer Folge konnten nach Belieben gewählt werden. — Die Zeit, welche zwischen dem Beginn der Reizung und dem Sichtbarwerden der Wirkung verstreicht — die sogenannte latente Reizung — lässt sich der Schwankungen des Pulses und der Athmung wegen nicht mit Sicherheit angeben. Erkennbar ist es jedoch, dass nach dem Beginne der stärkeren der Druck früher als nach einer schwächeren emporgeht. Der Unterschied prägte sich am schärfsten aus, wenn die Wirksamkeit der Reizung mehr durch eine Beschleunigung der Schlagfolge als durch eine Verstärkung des Einzelreizes erhöht war. 2. Uni die Abhängigkeit darzulegen, in welcher sich der arterielle Blut- druck von der Reizung des Halsmarkes oder des N. splanchnicus befindet, empfiehlt es sich, aus den mit Puls- und Athemschwankungen behafteten Aufzeichnungen für kurze Zeiten Mittelwerthe des Druckzuwachses abzu- leiten, und mit denselben Curven zu verzeichnen. Als Maass für die Ge- schwindigkeit, mit welcher der Druck wächst, gilt im Folgenden die mittlere Druckzunahme in einer Secunde, welche sich aus je fünf aufeinanderfolgen- den Secunden berechnet. 3. 80 oft eine wirksame Reizung über fünf Seeunden hinaus fortgesetzt und die dadurch bewirkte Aenderung des Druckes bis zu ihrem vollen Dis AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 105 Ablauf aufgeschrieben wurde, d. h. so lange bis der durch den erregten Nerven gehobene Druck wieder zu der Höhe des vor Beginn der Reizung vorhandenen zurückkehrte, leiten sich aus den Zeiten als Abseisse und den dazu gehörigen Mittelwerthen — als Ordinaten — .Curven von überein- stimmender Grundform ab. 4. Ist die Lage der Abseisse durch den vor der Reizung vorhandenen Mitteldruck gegeben, so gestaltet sich die Curve des veränderlichen Druckes nach dem gezeichneten Schema (Fig. 1). Von dem Nullpunkt aus erhebt Fig. 1. sich der Druck steil und geradlinig, aber bald vorzögert sich die Geschwin- digkeit des Ansteisens bis zum Stillstand und sogar bis zur Umkehr der Richtung; doch nur vorübergehend, denn abermals und zwar mit be- schleunigtem Wachsthum geht das Steigen aufwärts, um dann mit ab- nehmender Geschwindigkeit sich asymptotisch einem Maximum zu nähern. Die durch ihre Biegung ausgezeichneten Abschnitte des aufsteigenden Curven- schenkels könnte man unterscheiden als Fuss, Senkung, rascher und lang- samer Aufstieg. Wenn das Streben nach aufwärts den Gipfel erreicht hat, so geschieht nun ein Sinken, anfangs zuweilen mit wachsender, dann mit abnehmender Geschwindigkeit, um endlich, bevor der Druck noch die Abseisse erreichte, scheinbar aufzuhören; hat sich dann aber der Druck in gleichem Abstande von der Abseisse einige Zeit hindurch gehalten, so beginnt er von Neuem aber sehr allmählich zu fallen. 5. Mit dem Wechsel in der Art zu reizen, bestimmt durch die Stärke des Einzelreizes, die Dichtheit seiner Folge und die Dauer seiner Anwendung, erfahren die einzelnen Abschnitte der Curve mannigfache quantitative Aenderungen. : 6. Die Höhe, welche der Gipfel bei unbeschränkter Dauer der Reizung erreicht, ändert sich bei gleicher Stärke der Einzelreize mit der Gedränet- 106 J. E. JOHANSSON: heit ihrer Folge, und bei gleich rascher Folge mit der Stärke des Einzel- reizes. Zum Beispiel: A. Bei einem Rollenabstand von 10°“ und einerlReizzahl yon „nam ini). 2. oe ist, der Gipfellerreicht mit... ur. 2 22 nach Ertheilung von . -. . . 2. ......1600 850 630 Einzelreizen B. Bei einer Reizfolge von 43 in 1Sec. und einem Rollenabstand 10 6) 6 4 2m ist der Gipfel erreicht mit . . . 163 217 220 240 236 u He. nach Ertheilung von . . . . . 2520 2400 2150 1930 1930 Einzelreizen 7. Das Ansteigen setzt sich über die Dauer der Reizung hinaus noch fort, wenn sie nicht lange genug gewesen, um den Druck auf seinen Gipfel zu bringen. Der Verlauf einer solchen Nachwirkung ist geregelt durch das Verhältniss der Zeit, während welcher gereizt wurde, zu derjenigen, welche bis zum Erreichen des Gipfels nöthig gewesen wäre. — Innerhalb dieser Grenzen wächst mit der Zeit der Reizung Anfangs die Grösse des Nachsteigens, nimmt aber später, nachdem sie durch ein Maximum hindurch gegangen ist, bis zum Verschwinden ab. Die volle Grösse, welche die Nachwirkung auf jedem Ort ihres Verlaufs zeigt, ist von der Mächtig- keit der Reizung — Stärke des Einzelreizes und Dichtigkeit seiner Folge — abhängig. Zum Beispiel: I A. Rollenabstand 10. Zahl der Reize in 1 Secunde 40. Dauer der Reizung. . 3 Dale) 14 19 40 Sec. Druckzuwachs während Hundert der Reizung 116.0 30-5 40:0 65-0 101-0 190.5wm He Druckzuwachs nach ao. : iesusken Ende der Reizung je Salz 63 0 Hg Summe des Zuwachses 84-0 119-0 127 173 164 190.5 "m Ho Zahl der Einzelreze . 120 200 400 560 760 1600 m He B. Rollenabstand 10. Zahl der Reize m 1 Secunde = 20. Dauer der Reizung . . tt 10 20 80 40 Druckzuwachs während in Keiauns 24-5 37:0 79.0 129.5 150-5 Druckzuwachs nach Ende der Reizung 9 830.5 2-0 45 2.0 Summe des Zuwachses . . 2......33.5 67-5 101 134 152-5 Zahl der Einzelreize . . -. . ...140 200 400 600 800 8. Die Zeit, während welcher der Druck nach einer unvollständig durchge- lührten Reizung das Steigen noch fortsetzt, nimmt mit der Dauer der Reizung Dis AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 107 stetig ab. Daraus folgt in Verbindung mit dem vorigen Satz, dass die Ge- schwindigkeit, mit welcher nach ungenügend dauernder Reizung der Druck nach dem Gipfel strebt, bei einer kurzen Reizung geringer sein muss, als bei einer längeren, denn der Druck hat im ersteren Falle bei niedrigeren Höhen sein Wachsthum beendet als im letzteren. Zum Verständniss des nachfolgenden Beispiels dient: In der ersten Spalte steht die Dauer der Reizung in Secunden. Die Ueberschriften der darauf folgenden O—5, 10 u. s. w. bedeuten die Zeiten in Secunden, welche vom Beginn der Reizung an verstrichen sind. Die Zahl unter je einer dieser Zeitangaben drückt die mittlere Geschwindigkeit aus, mit welcher sich in dieser Zeit der Druck nach aufwärts bewegte — den Druckzuwachs in je einer Secunde —; der Druckzuwachs, welcher noch während der Reizung erfolgte, ist durch fettgedruckte Zahlen angemerkt. et VD 28 20 Zu =0 45 se Reizungsdauer von Sec. | Sec. | See. | See. | See. | See. | Sec. | Sec. | See. Bon 1537 ZEN) 7] ITEM FRISTEN Tyy ER (E b; A 3 Secunden 6-8 2-0 [2:8 54 09|0.0| - | | — | 228ec. De a2 ara 03280 6220026 0:0 ln Ton 6-8 19-4 | Aco 8.6 Mara nos DE 14 J 6-9 \ 3-0 |6-3 112-9 | 2-6 |4-0 0-0 | = | —- | 16 „ 19 R 6-8 12-3 |3-5 10-6 8-0 2-6 1-00 — | ı2 „ AON in, 6-8 [1:6 13-3 |8-7 19-4 5.8126 1406| 0 „ 9, Von den durch ihren Verlauf unterscheidbaren Abschnitten der Reizeurve umfasst a) der erste Abschnitt 5 bis 10 Sec. einer wirksamen Reizung. In ihm geht der Druck mit einer Steilheit empor, die er in seinem späteren Verlauf nur dann noch erreicht oder gar überbietet, wenn der fortdauernd angewendete Reiz nach Stärke und Folge maximal gegriffen ist. Ziffer- mässig ändert sich der Secundenwerth des Druckzuwachses, d. h. die Ge- schwindiekeit des Ansteigens mit der Stärke und der Folge der Reize. Zum Beispiel: Bei Rollenabstand 8 stieg die Reizfolge von 5.5 auf 43 in 1 Secunde und damit der Secundenzuwachs dese Druckes "von, 7 1. Bei Reizfolge 43 ändert sich der Rollenabstand von 10 auf O0 @ und damit der Secundenzuwachs von 4-3 „ TO, 1-8 auf 4-6 == He. b) Im Gegensatz zu dem Zeitraum hastigen Aufsteigens bewegt sich in dem darauf folgenden der Druck nur sehr langsam auf- oder sogar ab- 108 J. E. JOHANSSON: wärts. Ob er absteigt oder nur langsam zunimmt ist, von der Geschwindig- keit des Anwachsens im ersten Zeitraum bedingt, z. B.: Rollenabstand 10 Reizfolge 40° 0—5 10 15 20 25 Secunden Druckzuwachs in 1 Seeunde . 8:0 1.0100 BB 28mm Rollenabstand 10 Reizfolge 2-5 Druckzuwachs in 1 Secunde . 3.0 1-5 —0-7 —0-5 +0-5 „ „ Obwohl die Einbusse an Zuwachs im ersten Beispiel bedeutend mehr als im zweiten beträgt, so reicht doch der verzögernde Einfluss nicht hin, um der stärkeren Kraft des Auftriebes das Gleichgewicht zu halten, im zweiten dagegen verkehrt sich trotz des weit geringeren Verlustes die Rich- tung des Weges. c) In der folgenden Zeit der Reizung nimmt die Geschwindigkeit mit weleher der Druck aufsteigt, fortlaufend zu. Die Grössen, um welche der Druck in den aufeinanderfolgenden Secunden wächst, stehen zu einander in annähernd demselben Verhältniss, unabhängig von dem Werth, der ihnen an und für sich zukommt. Als Beispiel für die Aenderungen des Zuwachses vom Beginn des Steigens bis in die Zeit beschleunigten Emporgehens ge- nüge die folgende Zahlenreihe. Rollenabstand 10 © Reizfolge 36. Zeit vom Beginn der Reizung 0-5 0 DB 20 Sec. Mittlerer Druckzuwachs in 1 Secunde 6-0 5.2 12.0 14.2mmHe. In dieser Periode erreicht selbstverständlich eine der Geschwindiekeiten, mit welcher der Druck wächst, ein Maximum. Die Grösse derselben ist ebensowohl von der Folge wie von der Stärke der Einzelreize bestimmt. Wenn, wie in dem nachstehenden Beispiel, die Reize ihre Folge wechselten nach Angabe der horizontalen Ueberschrift, ihre Stärke aber nach Art der "hinter Rollenabstand stehenden Zahlen, so betrug die grösste von zwei zu einander gehörigen Reizwerthen zu erreichende Geschwindigkeit wie in Millimetern Hg angegeben ist: Reizfolge 36 18 9.4.5 tollenabstand 14 m 3.5 1.0 0.2 — mu He 7 120, 21028275. Sa As “ 10, 14-0 11.0 4-5 1-0 Die Dauer der Periode beschleunigten Aufsteigens beträgt unabhängig von der Stärke der Reizung 10 bis 15 Secunden. ” d) Unter weiter fortgesetzter Reizung, und wäre sie auch noch so kräftig, gelangt das Aufwachsen des Druckes an einen Wendepunkt, von dem aus der Gipfel mit abnehmender Geschwindigkeit erreicht wird, bei starker Rei- zung früher, bei schwacher später. DiE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 109 e) Kürzere oder längere Zeit nach der Beendigung des Reizes beginnt das Sinken des Druckes mit fortschreitend abnehmender Geschwindigkeit. Der mittlere Werth der letzteren steht im Verhältniss zu dem des Gipfels. Aus grösseren Höhen sinkt der Druck schneller als aus geringeren, sodass er von sehr ungleichen Erhebungen in annähernd derselben Zeit auf den oleichen Stand zurückkehrt. Siehe Taf. VI Fig. 11. 10. Bei einer Vergleichung der Geschwindiekeit, mit welcher der Druck während der Reizung des Halsmarkes und der des N. splanchnicus ansteigt, scheint sich bei einer im Uebrigen vollkommenen Uebereinstimmung zu ergeben, dass die stärksten Reize vom Splanchnieus aus merklich weniger als vom Halsmark aus vermögen. Geschwindigkeiten des Ansteigens von 12 bis 14 wm Jassen sich in der Regel vom Halsmark erzeugen, vom Splanchnieus aus nicht mehr als solche von 5 wm. 1l. Wie man zu verfahren habe, um den Blutdruck mit den spar- samsten Mitteln auf seinen höchsten durch Verstärkung der Reizung nicht weiter überschreitbaren Werth zu bringen, steht noch nicht fest; nament- lich wird noch zu ermitteln sein, wie rasch man den maximalen Reiz auf das Rückenmark wiederholen müsse, um an die Grenze der Leistung zu gelangen. Von dem Splanchnieus aus scheint dieselbe durch 20 Einzel- reize in der Secunde, vielleicht sogar schon früher, erreicht zu sein. 12. Weil sich die Stärke, die Dichte ihrer Folge und die Zahl der angewendeten Inductionsströme zur Erzielung desselben Druckzuwachses gegenseitig zu vertreten vermögen, so lassen sich zwischen den drei Grössen mannigfache Gleichungen herstellen, aus welchen sich Einblicke in die Wir- kungen jeder einzelnen gewinnen lassen. a) In welchem Verhältniss müssen die Zahlen der Einzelreize zu ein- ander stehen, wenn sie in gleicher Stärke aber ungleicher Dichte angewen- det den Druck von gleichem Ausgangspunkte aus um gleichviel erhöhen sollen? Weil bei einem solchen Vergleich die Nachwirkungen zu berücksich- tigen sind, so wird es nöthig, eine zahlreiche Reihe von Reizungen anzu- stellen, um unter den Zahlen gleichwerthige Paare anzutreffen. Meine Er- fahrungen sind zur Aufstellung endgiltiger Werthe noch nicht zahlreich genug. Doch liefern sie Beispiele: Rollenabstand 10 ®. Die Reizdichte 40 erzielte den Zuwachs von 84" Hg durch 120 Einzelreize. ” ” 10 ” PP] ” 2) 83 ” ” ” 630 ” Rollenabstand 10, Die Reizdichte 40 erzielte den Zuwachs von 127mm Hg durch 400 Einzelreize. ” ” 20 ” ” ” ” 134 ” 2 ” 600 » 110 J. E. JOHANSSON: Rollenabstand 12. | Die Reizdichte 40 erzielte den Zuwachs von 50-5" Hg durch 400 Einzelreize. „ ” 20 ” „ ” „ 47.9 7 „ 610 ” b) Auf ähnliche Art lässt sich auch die Wirksamkeit verschieden starker Einzelreize gegen einander abwägen. Hierzu dienen die Zahlen sich gleich dicht folgender, aber ungleich starker Einzelreize, welche bei ihrer Anwen- dung gleichen Hub hervorbringen, z. B.: Reizdichte 40 in 1 Secunde. Der Rollenabst. 10 ® erzielte einen Hub von 119 =» Hg durch 200 Einzelreize. ” ” 12 ” ” ” ” „ 118 2027 2 1200 ” c) Von der Ruhelage zum Gipfel steigt der Druck mit wechselnder Geschwindigkeit, obwohl die Reize auf allen Abschnitten der Bahn gleich oft und gleich stark eintreffen. Aus diesem Mangel an Uebereinstimmung geht hervor, dass die Wirkungsgrösse der Reize von Seiten des Kreislaufes und der Gefässwand gehemmt und gefördert werden muss. — Auf das Verhältniss der Wirkungen, die den Inductionsströmen an verschiedenen Orten der Weges zustehen, lässt sich, weil das Nachsteigen nicht unbeachtet bleiben darf, nur aus dem Endergebniss von Versuchen schliessen, bei wel- chen auf gleiche Art ungleich lange gereizt wurde. — In den Unterschied der Gipfelhöhen, auf welche der Druck durch ungleich zahlreiche gleich beschaffene Reize gehoben wurde, hätte man also mit dem Unterschied der Reizzahl zu dividiren, um die mittlere Wirkungsgrösse des Reizes auf der Wegstrecke zu finden, welche der Druck in Folge des längeren Reizes über die bei kürzerer hinaus zurückgelegt hatte Wenn auch nicht zu einer grundlegenden Erörterung, so genügen meine Beobachtungen doch _ zur Vorführung eines Beispiels, in welchem Stärke und Folge des Reizes unverändert blieb. Durch 212 Einzelreize stieg der Druck auf 34 ww Hg ” 400 ” ” ” ” ” 50 ” ” ” S00 ” ” ” ” ” 98 ” ” ” 1200 ” „ ” ” PB) 118 ” ” ” 1600 ” ” ” ” ” 120 ” „ Aus der Division des Unterschiedes der Reizzahlen in die Unterschiede des Druckzuwachses ergiebt sich als mittlere Wirkungsgrösse eines Reizes: 16 = 0.09, 0 0: er lSB m ” 400 400 ’” 400 15. Eine Beschleunigung des Herzschlages gesellt sich zum Wachsthum des Druckes, wenn die Geschwindigkeit des Emporsteigens eine ' gewisse Grenze überschritten hat. Um die Abhängigkeit der beiden Grössen = 0-16; DıE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 111 von einander darzuthun, ist dem Wachsthum der Pulszahl die mittlere Geschwindigkeit des Aufsteigens gegenübergestellt worden. Der letzte Aus- druck ist der Quotient aus der Grösse der gesammten Druckzunahme in die zu ihrem Durchlaufen verbrauchte Zeit. l. Reizung des Halsmarkes. I Gesammte Mittlere Ge- Pulszahl in 2 See. Zunahme Druckzunahme | „schwindigkeit | mehrt sich der des Sul Pulszahl 9nnuukle; 0-6 | von 3-2 auf 3-2 0 100m 0-8 a 0-1 L48;, 0; 1-2 |» 28. BR 0-9 109 1-8 ea. s 0-8 con N 2-7 N el AS ee Nasen 3-5 232201628 3-4 MN Te 3-7 4229 051,6.5 3-6 2. Reizung des N. splanchnicus. 2 3 uSElo: 0.4 von 5-1 auf 5-2 | 0-1 BEREIT 0-7 SS 0-6 een 1-5 RE oO 0-8 al, 1&6 een 0-7 Vader Salake) 2-1 ER 1-2 Aus der Zusammenstellung verschiedener Versuche ergiebt sich also, dass sich an das Wachsen des Druckes erst dann eine Beschleunigung des Pulses anschliesst, wenn die Geschwindigkeit des Anstiegs sich dem Werthe von 1 == nähert. Wenn dann der letztere überschritten ist, so begleiten sich die steigenden Zunahmen der Pulszahl und der ji Dun 2 ini digkeit des Druckes. 14. Aus der Betrachtung jedes einzelnen Versuches, in welchem der Druck und die Pulszahl zugenommen haben, ist dann des Weiteren zu er- sehen, dass die beiden Veränderlichen ihr Wachsthum nicht gleichzeitig beginnen. Erst wenn das Aufsteigen in die dritte Periode gelangt ist, in welcher der Druck wiederum mit beschleunigter Geschwindigkeit empor- geht, fängt die Pulszahl an zu wachsen. Vorher behauptet sie ihren alten Stand, selbst wenn, wie es öfter vorkommt, bei dem Anfang der Reizung der Druckzuwachs in der Zeiteinheit grösser ausfiel, als in einem der fol- genden Abschnitte. Einmal begonnen schreitet die Beschleunigung des Pulses weiter fort, obwohl nun der Druck mit abnehmender Geschwindig- keit wächst, ja öfter sogar, wenn er auch vom Gipfel wieder absinkt. Zum Beispiel aus einer Reizung des Halsmarkes: 1 J. E. JOHANSSON: Veit 203 005,07 1087, 154,,0204.,2577 30755 350 A0SgA5g 50 75030 Druck . . 37 54:5 69-5 92 120 162 190-5 204 212 216-5 220 220 179-5mmHg Druckzuwachs 5.6, 72.5, 4=5,9=6) 8-4 586. 228512680.28552.0237020 Puls in 2 Sec. 2.9 2-9 3-0 3-4 4-5 5-5 6-0 6-2 6-3 6-5 6-7 6-7 Obwohl das Herz mit der angenommenen Häufigkeit zu schlagen furt- fährt, wenn der Druck nach dem Ende der Reizung herabgeht, so vermag es dies doch nur für kurze Zeit. Allmählich eignet sich auch seine Schlagfolge die absteigende Bewegung an und die Pulszahi gelanst auf ihren früheren Stand. Wird bevor der letztere erreicht ist eine neue Reizung eingeleitet, so verfolgt die Pulszahl beharrlich die abnehmende Richtung so dass sich nun der Druck aufwärts, die Beschleunigung des Herzschlages abwärts bewegt. Dieser Gegensatz verschwindet jedoch, wenn die Reizung bis zu der Periode des beschleunigten Aufsteigens fortdauert. 16. Die Schlagfolge, welche ein Herz, dessen nervöser Zusammenhang mit dem Hirn und Rückenmark vollkommen gelöst ist, während der Reizung des N. splanchnieus oder des Halsmarkes annimmt, nähert sich häufig dem Werthe von Beschleunigung, welche sie durch maximale Reizung der N. ac- celerans erlangt. In den folgenden Abschnitten der Abhandlung werden die Methoden mitgetheilt, welche bei der Ausführung der Versuche angewendet wurden, und die Ergebnisse des Ausführlichen vorgelegt, welche aus der Unter- suchung hervorgegangen sind. 1. Die Versuchsordnung. — Die betreffende Untersuchung erfordert einen Stromwähler, welcher eine Reihe gleichstarker, gleichgerichteter und gleichmässig aufeinander folgender Inductionsströme giebt, und zugleich eine Veränderung der Folge ohne Veränderung der Stärke und umgekehrt ermöglicht. Ich habe denselben Apparat gebraucht, mit welchem Hüfler! gearbeitet hat. Der Versuch musste in der Weise angeordnet werden, dass alle zufälligen Einflüsse auf den Blutdruck möglichst vollständig aus- geschlossen waren. Die Versuche sind an mittelerossen curarisirten Hunden ausgeführt. Die künstliche Athmung bewirkte völlıg gleichmässige Respi- rationsschwankungen des Blutdruckes. Beide Vagi wurden am Hals durch- schnitten; sodann wurde das Ganglion stellatum an beiden Seiten aufge- sucht und von seinen Wurzeln abgelöst. Das Herz war dadurch von dem centraien Nervensystem völlig isolirt. Eine Reizung des Kückenmarkes hat also keinen directen Einfluss auf das Herz, dagegen bleiben noch die Einwirkungen auf dasselbe bestehen, welche von der Veränderung in dem Druck und von der Geschwindigkeit des Blutstromes abhängen. I Dies Archiv. 1889. 8. 295. DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 113 Das Rückenmark wurde am zweiten Halswirbel durchschnitten. Der Einfluss höher liegender Gefässnerven ist also ganz ausgeschlossen, und es bleibt nur der von den Rückenmarkcentra übrig. Während der Reiz- pausen verläuft bei allen Versuchen die Blutdruckeurve regelmässig. Dieses scheint mir darzuthun, dass die Rückenmarkcentra nach der Durch- trennung des Halsmarkes in sehr geringem Grade Gefässreflexe vermitteln. Dieses Verhältniss hat übrigens Ustimowitsch! schon hervorgehoben. Durch die jetzt beschriebene Versuchsanordnung dürfte möglichst vollständig dafür gesorgt sein, dass die Druckschwankungen bei den Ver- suchen in directer Beziehung zur Einwirkung der Reizungen auf die Gefäss- museculatur stehen. Die oben erwähnten Operationen beanspruchten im Allgemeinen zwei Stunden. Die Exstirpation des Gang]. stellatum wurde dadurch erschwert, dass man die Unterbindung der in dieser Gegend verlaufenden Gefässe so viel als möglich vermeiden musste. Vor Allem hat es sich als nothwendig erwiesen, die Art. vertebralis unversehrt zu lassen, um die Reizbarkeit des Halsmarkes nicht zu stören. Blutung während der Operation musste auf das Sorgfältigste vermieden werden. Der Nerv. splanchnicus wurde an der linken Seite aufgesucht, an der Stelle, wo er an der Nebenniere vorbeiläuft. Er wurde abgebunden und am peripherischen Stumpfe mit Reizelektroden versehen. Das Rückenmark wurde am zweiten Halswirbel entblösst und vollständig durchgetrennt. Sodann wurde ein Rlektrodenpaar bis 1 cm tief in’s Halsmark eingeführt. Die Halsmarktrennung als der schwerste Eingriff wurde zuletzt ausgeführt. Nach der Beendigung eines Versuches wurde durch sorgfältige Section untersucht, ob die Operationen gelungen waren. Der Blutdruck wurde von der rechten Carotis in gewöhnlicher Weise durch Vermittlung des Quecksilbermanometers aufgezeichnet. Die Mano- meterleitung enthielt Natriumcarbonatlösung von dem spec. Gew. 1.087. An jedem Thiere wurden mehrere Reizungen ausgeführt mit Inter- vallen von 3 — 10‘, je nachdem die Wirkung der vorhergehenden Reizung kürzere oder längere Zeit angedauert hatte. Die verschiedenen Reizungen varlirten in Bezug auf Folge, Stärke und Dauer; sie sind in Reihen ge- ordnet. Innerhalb einer solchen Reihe sind zwei von den erwähnten Factoren unverändert und nur einer varürt. Der oben erwähnte Stromwähler schliesst und öffnet den primären Kreis und blendet zugleich den Schliessungsstrom ab. Im primären Kreis befinden sich zwei Grove und ein Elektromagnet mit Schreibevorrichtung, welcher jede Schliessung an dem mit grosser Geschwindigkeit gehenden 1 Dies Archiv. 1887. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 8 114 J. E. JOHANSSON: Registrirungsapparat markirt. Die Reizfolge ist durch die Anzahl Einzel- reize in einer Secunde angegeben; im Allgemeinen variirt sie von 5 bis 40 in einer Secunde. Die Reizintensität ist nur durch den Rollenabstand ange- geben. Beginn und Schluss sowie die laufende Zeit wurden in gewöhn- licher Weise am Reeistrirungsapparate angemerkt. Besserer Uebersicht wegen lasse ich hier eine kurze Darstellung der- jenigen Versuche folgen, welche einer näheren Erörterung unterworfen worden sind. A. Halsmark, beide Nn. vagi, beide Nn. accelerantes durchschnitten: Versuchs: \stärke der Reize Folge der Reize |Dauer d. Reizung) Ort der Reizung nummer ; I. unverändert verändert unverändert Halsmark verändert unverändert > >, IE unverändert verändert DD verändert unverändert ei „ TE unverändert unverändert verändert 5 B. Halsmark, beide Nn. vagi, beide Nn. accelerantes und ein N. splanch- nieus durchsehnitten: IV. unverändert verändert _ Halsmark unverändert verändert — N. splanchnieus \W unverändert verändert — N. splanchnieus Er} £+} N. splanchnieus und Nn. accelerantes C. Halsmark, beide Nn. vagi und ein N. accelerans durchschnitten: VI. D. Halsmark, beide Nn. unverändert unverändert verändert verändert gleich ungleich Halsmark Halsmark vagi, ein N. accelerans, ein N. splanchnicus durchschnitten: VH. unverändert verändert gleich u. ungleich N. splanchnieus verändert unverändert gleich u. ungleich N. splanchnieus und N. accelerans VIII. unverändert verändert — N. splanchnieus verändert unverändert —_ — IX. verändert verändert | N. splanchnicus unverändert unverändert — _ II. Die Messung der Blutdruckseurve. — Die erhaltene Blut- druckeurve zeigt wie gewöhnlich Puls- und Respirationsschwankungen. Um diese Schwankungen zu eliminiren, wurde der höchste und der nie- drigste Punkt von je zwei naheliegenden Respirations-Oscillationen durch DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. "15 Linien vereinigt, welche in den genannten Punkten die Curve taneiren. In der Mitte zwischen diesen fast parallelen Linien verläuft die der Reizung entsprechende Aenderung des Blutdrucks. Man nimmt hierbei an, dass die Druckänderung während einer Respirationsperiode (im Allgemeinen 1.3”) geradlinig verläuft. Wo zwei naheliegende Respirationsperioden eine grössere Differenz in der Geschwindigkeit .der Druckänderung darbieten, muss eine Üorrection ausgeführt werden, was bei der grossen Regelmässigkeit der einzelnen Variationen ohne Schwierigkeit bewerkstelligt werden kann. Werthe, welche bei dieser Bestimmung einen grösseren Fehler als 0-5” darbieten, werden in die genaueren Berechnungen nicht aufgenommen. Wenn es gilt, den Punkt genau zu bestimmen, wo die Steigerung oder Senkung des Druckes beginnt, muss man umständlicher verfahren. Men Fig. 2. Ich habe die Ordinate in verschiedenen, einander möglichst genau ent- sprechenden Punkten innerhalb zweier oder mehrerer naheliegender Respi- rationsperioden gemessen. Bei der Vergleichung der resp. Ordinatenwerthe kann man ein Gebiet abgrenzen, innerhalb dessen der Anfang der Druck- änderung liegt. Fig. 2 stellt: dieses Verfahren dar. In dem erwähnten Beispiele fängt die Erhöhung der Curve zwischen den Punkten / und y an, was einer Latenzzeit von 0-72”— 0.97” entspricht. In dieser Weise bestimmt man zuerst den Punkt, wo die Druck- änderung beginnt, und dann den Druck in verschiedenen Momenten mit 116 J. E. JOHANSSON: Intervallen von 2”, 5, 10”, je nachdem es die Genauigkeit im einzelnen Falle erfordert. Mit diesen Druckwerthen kann eine neue Curve construirt werden, welche die der Reizung entsprechende Druckänderung darstellt. Die Abscisse bedeutet Secunden, vom Anfang der Reizung gerechnet, und die Ordinate den Unterschied zwischen dem Druck in einem gewissen Momente und beim Anfang der Reizung. | Der Verlauf der Druckänderung bei verschiedenen Reizungen wird durch die Geschwindigkeit charakterisirt, mit welcher sich der Druck erhöht oder erniedriet. Um diesen Verlauf auch durch Zahlen zu veranschaulichen, habe ich für die Druckänderung in 1” einen Mittelwerth für jede Periode von 5” berechnet. ‘ Diese Werthe der Geschwindiskeit der Druckände- rung sind in besonderen Tabellen zusammengestellt. III. Störende Einflüsse bei den Versuchen. — Es handelt sich hier darum, die den verschiedenen Reizungen entsprechenden Drucksteige- rungen mit einander zu vergleichen. Um hierbei hinsichtlich der Bedeu- tung der verschiedenen Reizungsweisen Schlüsse ziehen zu können, müssen die betreffenden Reizungen unter möglichst gleichen Verhältnissen aus- geführt sein. Es ist jedoch unmöglich diese Forderung völlig zu erfüllen, wenn bei einem Versuche störende Einflüsse zur Geltung kommen. Es ist also zu untersuchen, wer diese Factoren sind, und in welchem Grade sie das Resultat beeinflussen. Die vielen Operationen sind schwere Eingriffe, deren Folgen sich wäh- rend des weiteren Verlaufs des Versuches entwickeln. Es zeigt sich jedoch, dass Reizungen des Rückenmarkes oder des N. splanchn. Drucksteigerungen bis zu 200%m Ho bewirken. Es muss in diesen Fällen zugegeben werden, dass die Organe, von welchen der Blutdruck abhängt, nicht in höherem Grade geschädigt gewesen sind. Das continuirliche Sinken des Blutdruckes nach der Zerschneidung des Halsmarkes soll im Folgenden weiter besprochen werden (siehe Ab- schnitt IV.). | Jede Reizung bewirkt in den betreffenden Organen eine Veränderung, welche längere oder kürzere Zeit andauert. Dieser Einfluss giebt sich bei Vergleichung der Druckänderungen bei mehreren auf einander folgenden Reizungen von gleicher Frequenz und Intensität zu erkennen. (Abschnitt V.) Ein störender Einfluss kann möglicher Weise dadurch hervorgerufen werden, dass beim Sinken des Blutdruckes nach einer beträchtlicheren Steigerung eine kleine Menge Sodalösung aus der Canüle in das Gefäss fliesst. Diese Menge ist doch immer nur sehr klein und besondere hierauf DiE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 117 gerichtete Versuche! haben erwiesen, dass ziemlich grosse Mengen erfor- derlich sind, um eine deutliche Wirkung auf den Blutdruck auszuüben. Die wichtigsten dieser störenden Einflüsse, nämlich das continuirliche Sinken des Blutdruckes und die Ermüdung der gereizten Apparate, ent- wickeln sich so langsam, dass es möglich ist, eine Anzahl verschiedener Reizungen unter ziemlich gleichförmigen Verhältnissen auszuführen. Nähere Aufschlüsse über diesen Gegenstand liefert eine Darstellung der Druck- und Pulsschwankungen während eines ganzen Versuches. Hierbei ist es zweckmässig, von denjenigen Schwankungen abzusehen, welche sich auf die Reizungen direct beziehen. IV. Das continuirliche Sinken des Blutdruckes nach Durch- schneiden des Halsmarkes. — Ustimowitsch! hat die Aufmerksam- keit darauf gelenkt, dass das Sinken des Blutdruckes nach Durchschneiden des Halsmarkes sehr langsam verläuft. Er sieht in dieser Erscheinung einen Ausdruck eines langsamen Abnehmens der Wirksamkeit in den vasomotorischen Centra des RKückenmarkes, welche von ihrer Verbindung mit der Med. obl. gelöst, noch eine Zeit lang das Vermögen haben, einen gewissen Contractionsgrad der Gefässmusculatur zu erhalten. Eine durch Reizung des Rückenmarkes oder des N. splanch. bewirkte Drucksteigerung unterbricht das Sinken des Druckes, welches sich jedoch nach dem Verschwinden des Reizeffectes wieder fortsetzt. In Tabelle I wer- den von dieser Erscheinung einige Beispiele mitgetheilt. ! Bei einem Hunde von 4-300 8" Körpergewicht wurde in die V. jugularis ext. Sodalösung injieirt. 1 bis 10 °“® einer 2-5 procentigen Lösung bewirkte eine schnell vorübergehende Senkung des Druckes, die aller Wahrscheinlichkeit nach als eine directe Einwirkung auf das Herz anzusehen war. Eine Injection von 10 °“® einer 5 procentigen Lösung war von einer sehr beträchtlichen Steigerung des Druckes begleitet. Bei In- jeetion noch grösserer Mengen trat eine beträchtliche Verlangsamung des Pulses ein. Dieser Zustand war vorübergehend und während desselben erwies sich die Vagus- und und Acceleransreizung wirksam. Um die bei meinen Versuchen herrschenden Verhältnisse besser nachzuahmen wurden von der gewöhnlichen Sodalösung (specifisches Gewicht 1.087) abgemessene Mengen in die Carotis bei Thieren injieirt, die in oben erwähnter Weise operirt waren. Eine Wirkung auf den Blutdruck war nur nach Injection von 15—20 °® zu beobachten. In sämmtlichen Fällen trat zuerst eine Steigerung des Druckes ohne Veränderung des Pulses ein. Nach mehreren solchen Injectionen erhielt man eine vorübergehende Ver- langsamung des Pulses. Bei Injectionen in die Carotis wird nicht so leicht eine Wir- kung auf das Herz ausgeübt. Es ist auch möglich, dass die von den Injectionen be- wirkte Drucksteigerung leichter zu Stande kommt, wenn das vasomotorische Centrum in der Medulla oblongata noch in unversehrtem Zustande mit dem Rückenmark ist. Es scheint aus diesen Versuchen wenigstens so viel hervorzugehen, dass unter den er- wähnten Verhältnissen sehr beträchtliche Mengen Sodalösung erforderlich sind, um eine Wirkung auf den Blutdruck auszuüben. ? Dies Archiv. 1887. 118 J. E. JOHANSSON: Tabelle Il. i Verlauf des Druckabfalles nach Schluss der Reizung. Versuch I 8 Versuch IX ce. & d RE (in Secunden AI Zeit (in ee) | Dee (i = ) Druck! : sk are seit Beginn Druck | abnahme seit Beginn ne sinn Druck |abnahme [seit Beginn | ‚bnan ni es Druck- für 1 See. des Druck- | für 1 Sec. der Reizung SDESIIeS der Reizung abfalles 0 = RSS N) — 713 122 (0) en 60 h (0) x :5 0-6 125 3 200 5-2 en 5 1-3 130 8 174 30 45 9 I nn 140 18 144 ehe 1 = der 160 38 115 ns 3 2 1.5 I 58 100 0-00 1 n nn q; 1-12 en 88 100 0-00 : ö Ri in 0-48 70 148 100 0-06 2 ni nv i- 0-3 30 178 98 0-23 ı 129 ER 0-05 330 208 91 0-18 a 2 «5 0-15 360 238 86 0-13 2 64 : 6:5 0-1 390 268 82 0-07 2 | 184 74-5 0-12 480 358 15 0-1 240 204 72:0 540 418 69 D-08 600 478 66 N 720 598 61 Versuch IXd. Daran | 7 ee Vasmch IX 6 Zeit (in Secunden Szeit (in Seeunden) oe a ezeiianescenaen a Zeit (in Secunden ( ) | | Druck- Genen) Druck- seit Beginn en on Druck abnahme Jseit Beginn a Tre Druck | abnahme - es Druc für 1 Sec. es Drück- für 1 Sec. der Reizung Afralles der Reizung abfalles | Ö 0 - Im 0 = 61 | 40 (0) | 205 0-5 58 0 199 0-92 45 5 | 202-5 ee 65 7 192-5 ds 50 10 | 197 en 70 12 | 183 Be 60 20 | 183-5 1-62 80 22 164 1-5 80 40 | 151 1-57 100 42 134 11 100 60 | 119-5 1:0 120 62 112 0-8 120 80 99 oa 140 82 96 A 140 | 100 85-5 0-42 160 102 86-5 0-4 160 120 er 0-15 180 122 78-5 0-22 180 140 74 0-1 200 142 74 0-1 200 160 72 0-05 220 162 712 0-1 220 180 71 0-00 240 182 70 0-08 240 200 71 0-17 270 212 67-5 0-08 260 220 67-5 0-15 300 242 65 280 240 6A. 300 260 61 ’ Die AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 119 Tabelle I. (Fortsetzung.) Versuch IX g. Versuch IX h. Zeit (in Secunden) Zeit (in Secunden) $ i Druck- s ; Druck- seit Besinn) set Beginn] Druck | abnahme seit Beeinn|selt Beginn Druck | abnahme der Reizung | eS Druck für 1 See. IderReizung des Druck- für 1 Sec. °| abfalles abfalles 0 — 65 0 — 61 37 0 91-5 0-6 40 0 110-5 0-3 40 3 89-5| 05 45 5 109 0-9 45 8 87 0-5 50 10 104-5 0-65 50 13 84-5 0-45 60 20 98 0-55 60 23 80 0-37 80 40 87 0-4 80 43 72-5 0-17 100 60 79 0-35 100 63 69 0-05 120 80 72 0-1 120 83 68 0-1 140 100 70 0-15 150 113 65 0-06 160 120 67 0:0 180 143 63 0-03 180 140 67 0-03 210 173 62 0-0 210 170 66 0-1 240 203 61 240 200 63 Versuch IX i. Versuch IL £. Zeit (in ee as Druck: Zeit (in en nk Druck: seit Beginn ° ruck | abnanme | seit Beginn ruck | abnahme ung Se für 1 Sec. Rene a für 1 Sec. 0 —_ 63 0 u. 92155 50 0 1156 0-8 42 0721 4:3 55 5 152 1:0 45 3 200 5.4 60 oe 1-07 50 Ban 173 3:6 s0 30 125-5 0-82 55 13 155 1:8 100 50 109 0-67 60 18 148-5 | 1.05 120 70 95-5 0:62 70 28 138 0-9 140 90 83 0-35 80 38 129 0-65 160 110 76 0:22 90 48 122-5 0-38 180 130 112508 0:00 120 18 111 0-26 210 160 71-5 0:00 150 108 103 0:19 240 190 71-5 | 0-06 200 158 93-5| 0-4 270 220 695 | 015 225 183 91 0-1 300 250 65 245 203 89 0-12 270 228 86 0-06 258 84 300 120 J. E. JOHANSSON: Tabelle I. (Fortsetzung.) Versuch Il g. a . d Zeit (in en = Drucks seit Beginn | 1 nesınn Druck abnahme REE: des Druck- für 1 Secunde der Reizung Ebralles 0 = 84 52 0 E 4-6 5 “ ( & 13 156 1-6 0 En 148 1-0 Ss0 2 138 0-7 NS 38 131 0-38 120 5 120 0-33 150 98 108-5 5 180 128 100-5 0-25 N 158 93 0-03 240 188 92 0-1 270 218 89 Im Versuch Ig — Reizung des Halsmarkes — ist der Druck bei Beginn der Reizung 57.5 "= und steigt während der Reizung, die 120” dauert, bis auf 217.5 "=. Jetzt fängt ein Sinken an, anfangs schneller, 6 mm jn 1”, dann langsamer. Nach 180”, d. h. 1’ nach dem Schluss der Reizung, ist der Druck 100 "=, und diesen Werth behält er dann 27 bei- nahe unverändert. Nach 300” fängt der Druck wieder an langsam zu sinken. Im Versuch IX wurde der N. splanchnicus gereizt. Bei Beginn der Reizung ce ist der Druck 73 "m und steiet in Folge der Reizung bis auf 205-5. Das Sinken verläuft anfangs mit zunehmender, später mit abneh- mender Geschwindigkeit. Wenn der Druck bis 80 "m oesunken ist, bietet die Geschwindigkeit ein Minimum dar, worauf der Druck ziemlich gleich- mässig sinkt. Das Sinken des Druckes nach der Reizung d stimmt im Anfang ganz gut mit den vorigen Drucksenkungen überein. Am Schlusse stellt sich ein kleiner Unterschied ein, indem der Druck in diesem Falle regelmässig mit abnehmender Geschwindigkeit sinkt, bis zu demselben Werth, wie zu Anfang der Reizung und dann während 40” beinahe un- verändert bleibt. Jetzt fängt der Druck wieder an zu sinken, dies in der- selben Weise, wie im vorigen Falle in der entsprechenden Periode, d. h. der Druck verläuft ganz so wie kurz vor Beginn der Reizung. Das wei- tere Sinken wird von der Reizung e unterbrochen, nach welcher es den- selben Verlauf zeigt wie nach den vorherigen Reizungen. Nachdem der DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 121 Druck bis auf 70 am oesunken ist, fällt er in den folgenden 60” mit der relativ kleinen Geschwindiekeit von 0-8 "m in 1”. Nach der folgenden Reizung y sinkt der Druck ebenfalls mit abnehmender Geschwindigkeit, welche bei 69 mm ein Minimum erreicht. Nach den Reizungen 4 und i zeigt das Sinken eine Unterbrechung bei resp. 67 und 71-5 ==, Nachdem der Druck sich eine Weile auf diesen Werthen erhalten hat, welche höher als bei Beginn der Reizungen sind, setzt er das langsame Sinken wieder fort. Es geht aus den mitgetheilten Versuchen hervor, dass das Sinken des Druckes nach einer durch eine Reizung bewirkten Steigerung eine \ fürmige surve darstellt. Im Anfang fällt der Druck kürzere oder längere Zeit mit zunehmender Geschwindigkeit. Nachdem diese ein Maximum erreicht hat, sinkt der Druck in sehr regelmässiger Weise mit abnehmender Geschwindig- keit. Nach dieser Periode verläuft das Sinken langsam, aber ohne die er- wähnte Regelmässigkeit zu zeigen. Den Uebergang zwischen den zwei letzten Perioden bildet in mehreren Fällen ein kürzeres oder längeres Stadium, wo der Druck ziemlich constant verläuft, entweder ganz unverändert, oder mit nur sehr geringer Geschwindigkeit abnehmend. An dem Sinken des Druckes sind betheiligt das Aufhören des Reizungs- zustandes, und das continuirliche Abnehmen des Druckes nach Durch- schneidung des Halsmarkes. Näher zu bestimmen, wie jeder dieser Factoren einwirkt, ist mit dem vorliegenden Material nicht möglich. Es erscheint aber als ziemlich wahrscheinlich, dass die einer Reizung entsprechende Drucksteigerung dann als zurückgegangen anzusehen ist, wenn der Druck mit regelmässiger Geschwindigkeit sinkend, ungefähr denselben Werth wie bei Beginn der Reizung erreicht hat, und dann langsam mit abwechselnd zu- und abnehmender Geschwindigkeit weiter sinkt. Dieser Moment ist wenigstens der geeignetste Zeitpunkt, um eine neue Reizung zu beginnen. Da der Blutdruck während des Verlaufes eines Versuches sich in jedem Momente ändert, sind die Stadien am besten mit einander vergleichbar, wo die Druckänderung in möglichst übereinstimmender Weise verläuft. Dies findet während des erwähnten, wie ich es nennen will, „stationären“ Sta- diums statt. In mehreren der erwähnten Fälle tritt dieses stationäre Stadium ein, noch ehe der Druck denselben Werth erreicht, den er bei Beginn der Rei- zung hatte. Bei Versuch Ig hält sich der Druck während 2° auf einem viel höheren Werth als bei Beginn, wonach derselbe in der gleichen Weise wie unmittelbar nach der Reizung, obschon viel langsamer, weiter sinkt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies als eine Nachwirkung der Reizung aufzufassen. Möglicherweise könnte hier die Wirkung von etwas aus der Kanüle eingedrungener Sodalösung vermuthet werden. Aus oben erwähnten Gründen ist diese Erklärungsweise jedoch ziemlich unwahrscheinlich. 122 J. E. JOHANSSON: Diese Nachwirkung könnte auch als eine Art Contractur aufgefasst werden. Oder es ist auch möglich, dass bei dem höheren Blutdruck eine Verbesserung der Reizbarkeit des wirksamen Apparates stattfindet. Zwischen diesen Auslegungen zu entscheiden, scheint mir gegenwärtig unmöglich zu sein. In den Tabellen II—IV wird das Ergebniss der Versuche I, IX, III mitgetheilt, um das Verhältniss des Blutdruckes und der Pulsfrequenz während eines ganzen Versuches zu zeigen. Der Druck und das ent- sprechende Zeitmoment sind für den Beginn jeder Reizung, für das „sta- tionäre“ Stadium und dann für jede 30. oder 60. Secunde bis eine neue Reizung folgt, angegeben. Der höchste bei der Reizung erhaltene Druck ist in einer besonderen Reihe angemerkt. Nach diesen Tabellen ist der Mitteldruck für jede Periode von 10° während des Versuches berechnet worden. Diese Werthe sind am Ende der entsprechenden Tabelle mitgetheilt. Tabelle I. Puls- und Druckänderung im Verlaufe des Versuchs I. Zeit nach Prlsteleein Zeit nach en Ass Zugehö- Dauer der Druck en In® Soon | Zugehö- NE) riger Druck Reizung Ende deı Beginn der sehneidung riger Druck des Rücken- = Reizung | p.; des Rücken- markes “aus markes a 9Min. | 53 9’—10'28”| 162 17-5 g’ 53 15; 65 13’—15' 29 98 16-5 10’—20' 60-7 19' 57 19’—20' 44 75 16-5 20'—30' 48.8 23% 51 23’—24 38" 73 16-5 30'’—40' 571 27‘ 46 27—28' 44" 87 16-0 40'—50' 81 f 32° 47-5 32—34 35’| 143 16-0 50'’—60' 65-4 g 39 57-5 39 —41' 0" 217-5 15-5 60’— 70° 43.2 Sal 61 51'—53’ 20° 163-5 15-0 70’—80' 40-5 58' 57 58°—60' 6 100 15.0 80’—90' 49 62° 52 62’—63' 41" 78 15.0 69° 34 69'—71' 6" 89-5 14-5 23% 31 13’—75. 1” 177 14-5 719’ 10" 37 79° 10° — 80" 30" 221 14-5 o 82 98 82'—83' 24 240 175 p 85’ 10" 62 85’ 10” —-86' 51” 237 17.0 Bei Versuch I — Reizung des Halsmarkes — ist der Druck 53 mm am Anfang der ersten Reizung 9° nach der Halsmarkdurchschneidung. Bei 10 —20’ ist der Mitteldruck 60-7 wm, Der Druck ist also gestiegen. Die DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 123 Ursache ist der relativ hohe Druck, welcher nach der heizung «! zurück bleibt. Während der foleenden Periode, welche durch relativ schwache Reizungen gekennzeichnet ist, nimmt der Mitteldruck ab. Eine Steigerung tritt wieder ein während der Periode 30°—40° im Zusammenhang mit den relativ starken Reizungen f und g. Der Mitteldruck nimmt dann wieder ab, zeigt aber bei 80’— 90° eine neue Steigerung. Diese entspricht den hohe Drucksteigerungen bewirkenden Reizungen o—r. Diese Reizungen folgten einander jedoch etwas zu schnell, weshalb der Druck zwischen den einzelnen Reizungen nicht stationär geworden. Tabelle II. Puls- und Druckänderung im Verlaufe des Versuchs IX. Zeit nach Zeit nach : Pulsfolge Zugehö- Pc ‚Zugehö- Dauer der Druck am in 10 Sce. » Ben Es 108 iger Druck Reizung Ende der | „u Beginn schneidung Mittel des Rücken- Reizung Here Er desRücken-, Ayyck markes 8] markes 8Min. 84 8’—8' 5" 140 17 8’—10' 81-1 10' U 10° — 10’ 4 135 16 10’—20' 72-9 13° 71 13’—13' 9" 160 16 20° —30' 68-9 16° 13 16°—16' 20” 205-5 15 30’—40' 65-2 20' 72 20’—20' 30" 205 16 40 — 50° 66-7 25 61 25° —25' 58° 199 15 50’—60' 64-0 30 65 30’— 30’ 55° 91-5 15 60’—70' 59 34° Qi 34'—34' 10’, 110-5 15 70 — 80’ 61 38’ 63 38’—-38’ 20° 156 16 80’—86' 48 43 65 43'’—43' 30" 180 15 48 64 48'—48' 50" 204 .15 53’ 30 63 53° 30” —54' 39" 211 15 59’ 66 59'—59' 5° 80 15 61’ 30" 59 61’ 30" —61’ 40” 78 15 65° 57 65°—65' 20° 93-5 — 69' 60 69'—69' 30" 119-5 15 737 65 73’—73' 50" 162 15 Tab. III bezieht sich auf den Versuch IX — Reizung des Splanch- nieus. Vor Anfang der ‘ersten Reizung findet ein schnelles Drucksinken von 96 == bis 84 "m in 30 Secunden statt. Die Reizungen bewirken offen- bar eine Unterbrechung dieses schnellen Sinkens.. Von 30’ bis 60’ ist der Mitteldruck beinahe unverändert. Bei 80’ fängt ein rascheres Sinken an. ! Ich erwähne noch einmal, dass bei der Berechnung des Mitteldruckes von der den Reizungen entsprechenden Drucksteigerungen abgesehen ist. 124 J. E. JOHANSSoRX: Tabelle IV. Puls- und Druckänderung im Verlaufe des Versuchs III. es Z ee N Druck am ‚Pulsfolge Da Zugehö- schneidung |. usehon | Dauer der Ende der |" 20 Dec. schneidung F = 1 > tiger Druck Reizung SE zu Beginn]: Viele des Rücken- > S Reizung der Reizung des Rücken- deck markes markes 10 Min. 99-5 1027100123 103 35 d 129 13) 95 137137537 129 — 6 120 152305 88-+5 15'30”—15'40-5 139 31 ı 115 18’ 30" 89 18'30” —18 50" 187 _— 8 108 2130" 96 21.307 220. 214 30 10’ 99-5 25 92-5 25’ — 2540" 213 29 02 20% 92-2 30 54 302 3025 215 27 20'—30' 92-4 3430" 89 341300 340365 107-5 28 30—40' 86-8 ST 54 37 —37 10" 109 = 40'—50' 718°5 39 30" 80-5 139'30”—40' 1" 128 — 50’—60' 74 42' 30" 82 14230’ —42' 50" 122-5 = 60’ —70' 69 46 76 Aa Sl 124 — 70’—80' 64-4 49 30" 12-5 4930" — 49'352" 191-5 25 80'—90' 57:9 53° 30” 76 53'307 —53' 33" 160-5 25 90’—100' 59-0 56 30" 13 5630 —56 44 246 25 61' 73 SB 10“ 200 65 30" 65 6530” —65' 49" 229 69 30" 69-5 69'30” — 70’ 16" 263 74 30" 64-5 1430" — 74 37 98 160302 61-5 176'30" —76 40" 129 79 63 79’ — 179 20" 164 82" 59 82’—82' 30” 193 85’ 30" 57-5 85'30" — 86 22° 210 90° | 55 90° —90' 10” 86-5 92 11 92'—92’20”.| 143 94' 62-5 94'—94' 40 133-5 98’ 58 98'—99' 0" 141 Bei Versuch III — Reizung des Halsmarkes — wird dasselbe Ver- hältniss beobachtet. Das Abnehmen des Druckes wird durch die Reizungen um so mehr verlangsamt, je grösser die entsprechenden Drucksteige- rungen sind. 5 Die oben mitgetheilten Tabellen zeigen, dass der Blutdruck und die Pulsfrequenz während einer längeren Versuchsdauer abnehmen. Offenbar üben die wiederholten Reizungen einen verlangsamenden Ein. fluss auf dieses Abnehmen aus. Die Reizungen scheinen zum Theil den Einfluss zu ersetzen, welchen das Rückenmark vor seiner Durchschneidung übte. DıE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 125 Pinen wesentlichen Vortheil bietet der erwähnte Einfluss dadurch, dass es möglich ist, eine ziemlich grosse Anzahl von Reizungen bei nicht zu grossen Ungleichheiten des Anfangsdruckes und der Pulsfrequenz vor- zunehmen. Länger als eine Stunde hat im Allgemeinen ein Versuch nicht gedauert. Der Mitteldruck fängt von da an schnell zu sinken und der Effect der Reizung nimmt ab. V. Der Verlauf der Druckveränderungen bei der Reizung des Halsmarkes und desN. splanchnicus. — Oben ist erwiesen, dass eine Anzahl Reizungen unter ziemlich gleichen Verhältnissen ausgeführt werden können. Es ist nun zu erörtern, ob die während verschiedener Reizungen auftretenden Druckänderungen einen charakteristischen Verlauf nehmen und wie ein solcher durch die verschiedene Art der Reizung durch den gereizten Ort und durch die erwähnten Versuchsfehler beeinflusst werde. Tabelle V (S. 126) stellt den Verlauf der Druckveränderungen bei Versuch IX in der oben erwähnten Weise dar. Zu diesem Versuche gehört auch Taf. V Figg. 7 bis 10. Im jeder Reihe ist die Reizfolge und Intensität unverän- dert, während die Dauer wechselt. ‘Während der Periode 0”—5”! variirt die Drucksteigerung in 1” zwi- schen 4:8—5-5 wm, Während 5°”—10” steigt der Druck mit geringer Geschwindigkeit 3.2—1-.4 wm in 1”. Während der Periode 10”—15” hat die Geschwindigkeit noch mehr abgenommen, 1-.9-—0-.8 wm in 1”. Dann fängt offenbar der Druck mit zunehmender Geschwindigkeit an zu steigen, 15”— 20”: 4.1— 2.2 mm, 20”— 25”: 5.2—4.2 mm, 25730”: 5.2 —4.8 um, Jetzt nimmt die Geschwindigkeit ab. Nur eine Reizung hat diese lange Dauer. Die Drucksteigerung hat mithin einen gewissen Charakter. Die anfangs vorhandene Geschwindigkeit nimmt alsbald ab und erreicht ein Minimum während der Periode 10’”— 15’; sodann findet ein Zuwachs statt, die Geschwindigkeit erreichtein Maxi- mum, in diesem Falle in 20”—30”, wonach sie wieder abnimmt. Wenn die Reizung hinreichend lange andauert, so nähert sich der Druck allmählich seinem höchsten Werthe. In der Reihe 9— m findet man im Verlaufe der Drucksteigerungen denselben Typus. Zuerst abnehmende Geschwindigkeit, ein Minimum zwi- schen 10”—15”, hierauf zunehmende Geschwindigkeit, ein Maximum bei 30”—40” und dann allmählich abnehmende Geschwindigkeit. i Die Latenzzeit wird bei dem Auswerthen der Geschwindigkeit des Drucksteigens abgerechnet. Tabelle V. Versuch IX. Reizung des N. splanchnicus. Druckänderung bei ungleicher Reizdauer. Rollenabstand 8 , Druck bei [Der Druck Drucksteigerung ® | „ | Reizungs- Jerreicht sein | le ef) {eb} 0 . oo = 89 S 3 = = 3 = Drucksteigerung in 1 Secunde sa; 5 155 Sl ro =! 2 =) 595 5 2.8 || le Reese 8 lgS| a 88 II || © 07-5" 10" 152025’ —80"—85'—40'— 45’ —50’—55°—60'—65" 70" |E8 8E| 5 5 jan) 2 S sta = 35 50 Br keis=} 2 | a a40 | 4" | 77 89 [135 288 54.8595 1749 196 21.u6:2.0527 050, 22 -— 0-0. - | 12146 |58 [24° = 20 aa os |NaosA) 0” || Soren Ne Rs Zur Bro re Pie 3 CHAR 1208 1.700 21138520020) E3caa 2020520 19 a1 De er Ze 65 67-5/132-5,16 ei d 40 30” | 72 | 175 |205 A oo 2 OBERST 106 00 ee Ze 1031308 1133 110" & e 40 158° | 61 | 199 1199 DSlE Es AZ SEE A A 23 0:20 0:02 u 33 1138 | 0" 20 | || (0 Sl BOLD Bar IE EHEN E03 023207023 0102050, ee ee 16 10»5| 26-532” h 20 |10” | 61 845 121035] 2A 05 ASt Zee ET 102 15002300 ee — — | 23 26-5, 49-5/30" v 207,201 63 | 103 1157 ai. \ ars 08 0 ART Ba le yore ee N) 4 | 94 |27° k 20 80” | 65 | 131 [180 AO 2 SE 2 4er 34 40930214 1:.9550.0. 0 — re 66149 klkoss 1195 ı 20 50” | 64 | 197 1204 DA A EEE TAT AZ 3597 4272.82 3.017 0 133 | 7 140 4 70.208 169..|5.63 12217 1211 69” | 4-1 1-4 0:6 1-5 1-9 2-6 3-2 4-9 3:2 3-0 2-2 1-5 0-8 0-9 10-0|148 0 148 0" 126 DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 127 Versuch III — Reizungen des Halsmarkes — verläuft in derselben Weise wie Versuch IX. Die Drucksteigerungen bewahren hier wie in allen übrigen Versuchen denselben Typus (s. Tabelle VI auf S. 128 und 129) Innerhalb einer und derselben Reihe werden zwischen dem Verlaufe der einzelnen Drucksteigerungen ziemlich grosse Verschiedenheiten be- obachtet. Wenn sich keine störenden Einflüsse vorfänden, so würde Reiz- folge und Stärke stets eine Drucksteigerung von demselben Verlauf be- wirken. Dies ist indessen nicht der Fall. Die verschiedenen Reizungen sind nicht unter vollständig gleichen Verhältnissen ausgeführt. Sind es die ungleichen Werthe des Anfangsdruckes, welche die Verschiedenheiten bedingen? Wenn man den Verlauf zweier Drucksteigerungen vergleicht, 2. B. c und d bei Versuch IX, welche denselben Anfangsdruck haben, so findet man zwischen ihnen grössere Verschiedenheiten als z. B. zwischen d und e, wo der Unterschied im Anfangsdrucke bedeutend grösser ist. Bei der Rücksicht, welche, wie oben beschrieben, auf den Beginn einer neuen Reizung genommen wurde, ist die Verschiedenheit im Anfangsdrucke zu gering, um auf den Verlauf der Reizungen einzuwirken. Dagegen scheint die Reihenfolge der Reizungen für den Verlauf der Drucksteigerungen von einer gewissen Bedeutung zu sein. Zwischen einer vor- hergehenden und einer nachfolgenden Drucksteigerung findet man eine Ver- schiedenheit, welche in allen erwähnten Reizungsreihen wiederkehrt. Während der ersten Perioden nimmt die Geschwindigkeit der Drucksteigerung von Reizung zu Reizung ab. Während der späteren Perioden ist der Verlauf der verschiedenen Drucksteigerungen mehr übereinstimmend. Die in den Figg. 7 bis 10 Taf. V mitgetheilter Curven zeigen dieses Verhältniss. So lange die Reizung andauert wäre zu erwarten, dass die entsprechenden Curvenstücke übereinstimmten, da überall die Folge und die Stärke der Inductionsschläge unverändert blieb. Es zeigte sich jedoch, dass eine Curve, die einer nachfolgenden Reizung entspricht, im Allgemeinen anfangs weniger rasch steigt als die vorhergehende, um dieser sodann beinahe parallel zu folgen. Dieses Verhältniss ist wahrscheinlich durch eine während des Versuches sich entwickelnde Ermüdung bedingt. Dass diese Ermüdung im Anfang einer Reizung deutlicher zum Vorschein kommt, dürfte durch eine noch zu erörternde Erscheinung während dieser Periode bedingt sein. Es geht aus den Tabellen hervor, dass die verschiedenen Reihen an- gehörenden Drucksteigerungen grössere Ungleichheiten darbieten als die, welche derselben Reihe angehören. Die verschiedenen Reihen entsprechen den Reizungen ungleicher Frequenz und Intensität. Es ist also möglich, in dieser Weise den Einfluss verschiedener Reizung zu studıren. EI 70 | 07 2 „et For 890-100) — = = 0 01 93 08 90148 83 8-9 „Le 680] 99T „91 ELr) SOT 0-9 — = = Te 0 0-7 9-3 6-21 8:9 0-8 6-9 „oeı 9rBl SEI EL| FT | 072 „BT 281 0-28 0-0F == _ — = 0 %0 +7 98 97 72 849 „88 002] E8IT| EL| oT | 0F 2 „61L,0-6T1|G-88 14-08 a : — a Me 0 93 #9 SE F76 %L „F39-161| EOT C-2L| ,c | 07» „884-F8 |G-89 10-91 = = ber ER 0 60 #4 8:3 0:8 8:9 „Ea9-091| 6 HLl .,E | 07.4 ‚o| 88 | 0 |0-.8F — a 1 er ze ee a Dal ale oe „sel Falla-Tal 9L| „Iq | 08 ‚ole-l# | 0 10-15 = —= = = 0 0 FT 03 #1 0:8 0.8 „TE 837 821 C-08| „TE | 08 w „ejg-0F | 4-8 0-28 = >= — re: 0 20 03 &1 61T 63 „G89:281| 61T 28| „os | 08 7 „83 |0-2 0-88 == = = ag ee 0 01 LT Te „FL 601l 201 #8| „or | 08% „Pe-08 ,0-F 4-91 — = = EN ee 0 %T 4-8 „OLIS-601|E-SOT 68| ,9 | 08 2 „0/0-Te1l 0 |0-18T 0 07T LI 91 9% 07 CH 60 v8 8G „le srz| ei) F8| .ıc |0r = „8|C-081.0-T 14-611] — 0 80 80 91 823 82 87 98 868 0-9 „e#| EIa| 21a C-36| „or | Or f 2 „8 0-8IT E-T. |G-9T | — — — 0 20 %3 IE 997 © 0 39 „se, Fielc-sIa 96| „og | 0F > un 2 „0-86 |0-L [0:16 = = = ar 0 LI HH LH Ir 29 „ss! 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N nu WIRKUNG Al 4 4 AUSSCHLIESSLICHE D) 1 Dit | | | | — | 661] — 10-661] #-0- 2-0- 0-0 &-0 9-0 8-T 8-1 SE FL 7-6 9:9 0-3 9-8 | „os | 098l 9E3| 19 | „as | or o BCE IE COLE une 080 81 I L2 07 86 94 88 0-6. | „Er G-Erelc-aHd 99 | or | 00H $ Mi SET ONE Dee 0 2-1 9-8 0-9 0-8 3-G L-T 08 | ve | 9a2l 61 89 | .0g 0r 4 ae ee era 0.88 88 7-4 0-8 0-6 | 2 | 008] IST #9 | „os | 0# d POlg el ae SE u ek er non 0 8:8 #57 8-T 0-L |.08 | sell 26 09 | „OT | 07 d = = = | = = IE | = 8: 2 = “oe; Ken US |E 2.09, 2006.00 „er 2.0 06 06.08 ne | u SEES © = = | Sg 2. SEE |2.|58 |: |E|j2 8 EEE 9pundas T UL SUNLOSTOISYOnI ı $ | 2 = | Ban mosgyoreuel -ssunzuy | | © ZundoslogsyanIlg JONIq Rq| Pq Janıq | -Ionepzroyy Ioyarafsun Tg SundopueyonIg "soxrewsier sep Iunziey 'IA yonsıoA HA 2TI9q4eL & e fo} er IEBEBE 208 EB [0ET 5950-8 9:0 0270-08 IeTe es Ele Irma er „se Tri FıLl sc| „eg | or.d> - Au ve | We = = ZI 0200 Kola auen ge era arg ey „08IC-EEL|E-98T C-29| „IH | 01,0. 20-22 0-3 0-01 == = == en 0 TI 62 98 08 G „se &HI| TFT 12| 18 | 01.08 ge-I8 10-7 C-1% = = = ee ee 0 80 9-1 1-9 „gtig-98 [9-28 | sel .or orw. 39-3C110-3 9-0CT]| — 0 80 80 &8 TC 89 4 8 Tre 9:9 |,9-37 01Te| 802|lc-2C| „or | 08 78 Fl FEILlC-H 0-60] 0 — = = 0 21097 19 ©4 98 &2 6-9 „PEl 86rlc-88Tl 6g| „oe | 08,4 X .0-TOL| 0:28 |0-61 32 = = = rE> 0 #7 14 98 1-2 0-9 „sel F91| FT 8689| „08 08.238 G.29.|9-08 0-18 = ee m = 0 Dr So iR WB 069) „La 681|4-86 | C-T9| „OT 08,4% „6114-88 10-6 9-72 = = = Fr 0 9.0 70 4-0 9-0 9-4 ‚98 86 | 68 |c-#9| „L | 08,6 — ee ee = 90 FI 92 84 9-6 L-8 8-8 9-1 9-9 — | 09314-69| „Or | 09 ,/ {) 130 J. E. JOHANSSON: Bei Versuch I — s. Fig. 3 Taf. IV — zeigen sämmtliche Druckstei- gerungen den erwähnten Verlauf. Der Druck steigt zuerst mit abnehmender, dann mit zunehmender und schliesslich mit allmählich abnehmender Ge- schwindigkeit. Die Veränderungen der Reizbarkeit während des Versuches üben auf den Verlauf der Drucksteigerungen einen bei Weitem nicht so grossen Einfluss aus, dass die Wirkung verschiedener Reizung dadurch ge- deckt wird. Die Reihenfolge der Reizungen wird durch ihre Bezeichnungen angegeben. Die Drucksteigerungen d und k, e und i, f und A, von welchen je zwei derselben Reizungsart entsprechen, zeigen einen ziemlich gut übereinstimmenden Verlauf. Man kann während des Versuches gar keinen Einfluss durch Ermüdung beobachten. VI. Die Folgen der veränderlichen Reizdauer. — Versuch IX Tab. V — Reizung des N. splanchn. — Versuche III und VI Tab. VI und VII — Reizungen des Halsmarkes — liefern Unterlagen für eine Er- örterung der Bedeutung, welche der Reizdauer zukommt. Die Versuche . sind in der Weise angeordnet, dass innerhalb jeder Reihe, die Reizungen mit derselben Stärke und Folge der Inductionsschläge ausgeführt, aber nach verschiedener Dauer 5”, 10”, 20” u. s. w. abgebrochen wurden. In den vorgelegten Thatsachen darf man den unverfälschten Ausdruck der Folgen von ungleicher Reizungsdauer sehen, weil dıe Störungen, von denen vorhin die Rede war, für derartige Versuche bedeutungslos sind. Aus der Vergleichung zweier Druckeurven, die ihre Entstehung un- gleich lang dauernden, in allen anderen Stücken gleichartigen Reizungen ver- danken, ergiebt sich eine vollkommene Uebereinstimmung beider bis zu dem Zeitpunkte, in welchem die kürzere Reizung beendet war. Von da ab ‚unterscheiden sich die beiden Curven, worüber uns eine genauere Betrach- tung der Thatsachen Auskunft giebt. Bei Versuch IX a dauert die Reizung 4 Secunden. Der Druck steigt während dieser Zeit 12 "=, Die Drucksteigerung setzt sich nach Schluss der Reizung fort und zwar in der Weise, welche oben als die charakte- ristische beschrieben ist. Der Druck steigt zuerst mit abnehmender, dann mit zunehmender und schliesslich mit abnehmender Geschwindigkeit. In 24 Secunden nach Schluss der Reizung ist der Druck um 46 "m gestiegen, und die ganze Drucksteigerung vom Anfang der Reizungen beträgt 58 m, Die Reizung 5 dauert 5 Secunden länger als die vorige. Die Wirkung der Inductionsschläge, welche während dieser 5 Secunden gegeben werden, tritt erst nach dem Schluss der Reizung hervor. Während derselben ver- läuft die Druckveränderung ganz wie die vorige (@). Erst zwischen 15 bis 20 Secunden zeigt sich eine deutliche Wirkung der längeren Reizdauer, indem der Druck mit grössere Geschwindigkeit steigt, als bei der ent- DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 131 sprechenden Periode der Drucksteigerung a. Uebrigens verläuft die Druck- steigerung nach demselben Typus. Vom Schluss der Reizung gerechnet dauert die Drucksteigerung 21 Secunden, mithin eine längere Zeit als bei «a, aber während dieser Zeit steigt der Druck um 55 wm, also um mehr als bei der Reizung a. Die ganze Drucksteigerung vom Beginn der Reizung gerechnet, ist grösser als bei a. Die Reizung ce dauert 20 Secunden, in welcher Zeit der Druck um 65 ®» steigt. Während der ersten 10 Secunden verläuft die Drucksteigerung ganz wie die beiden vorhergehenden @ und d. Sodann zeigt sich die Wirkung der längeren Reizdauer. Der Druck steigt jetzt mit grösserer Geschwindigkeit als bei den vorigen Reizungen, aber nach dem gleichen Typus. Die Ge- schwindiekeit der Drucksteigerung erreicht ein Maximum bei 20 bis 25 Se- cunden und fänet dann wie in den vorigen Fällen an abzunehmen. Die Drucksteigerung nach dem Schlusse der Reizung dauert eine kürzere Zeit 16 Secunden, erreicht aber einen höheren Werth, 67.5 mm. Die Druck- steigerung vom Anfang der Reizung gerechnet beträgt 193.5 um, Die folgenden Reizungen d und e können nicht mit der erwähnten verglichen werden, weil bei diesen ein störender Einfluss in zu hohem Grade eingewirkt hat. Die Reizungen — m zeigen dasselbe Verhältniss wie die Reihe a— e. Nach dem Schlusse der Reizung setzt sich die Drucksteigerung eine Zeit lang fort. Die Grösse und Dauer dieser Fortsetzung derselben erweist sich von der Dauer der Reizung abhängig. Bei einer Reizdauer von 20 bis 30 Secunden erreicht die Grösse ein Maximum; die darauf verwandte Zeit nimmt dagegen stetig ab. Bei / hat die Reizung eine ziemlich lange Dauer von 50 Secunden. Der Druck hat einen relativ hohen Werth, erreicht, 133 ®®. Die Druck- _ steigerung nach Aufhören der Steigerung beträgt nur 7 =m und dauert nur 4 Secunden. Bei der folgenden Reizung m hat die Drucksteigerung während der Periode 30 bis 50 Secunden beinahe denselben Verlauf wie bei £. Die Reizung dauert 19 Secunden länger. Die Wirkung hiervon giebt sich da- durch zu erkennen, dass während der Periode 50 bis 55 Secunden der Druck bei m mit grösserer Geschwindigkeit steigt als bei . Während der folgenden Periode, 55 bis 70 Secunden, nimmt die Geschwindiekeit der Drucksteigerung allmählich ab. Beim Schluss der Reizung hört der Druck zu steigen auf. Die Grenze für die Fortsetzung der Drucksteigerung nach Schluss der Reizung ist erreicht. Dagegen ist es wahrscheinlich, dass, wenn die Reizung länger gedauert hätte, der Druck noch weiter gestiegen wäre. Versuch VIII (siehe Fig. 5) kann ebenfalls als Beispiel der er- wähnten Verhältnisse bei variabler Reizdauer angeführt werden. 9* 132 J. E. JOHANSSON: Versuche VI und III beziehen sich auf Reizung des Halsmarkes. Die Ergebnisse stimmen mit denjenigen des Versuches IX deutlich überein. Die Drucksteigerung nach Schluss der Reizung ist relativ unbedeutend im Versuche II a—g und i—n. Grösser ist dieselbe bei den folgenden Reizungen d’—f und g—/, wo die Reizintensität stärker gewesen ist, und erweist sich mithin von der Reizstärke abhängig. Bei einer Reizdauer von von 10 bis 15 Secunden erreicht die Drucksteigerung nach Schluss der Reizung ein Maximum und nimmt dann mit zunehmender Reizdauer ab. Die ganze Drucksteigerung vom Anfang der Reizungen gerechnet, wächst mit der Reizdauer und schemt sich allmählich einem Grenzwerthe zu nähern. In den Fällen, wo die Reizung hinreichend dauerte, sieht man, wie der Druck mit continuirlich abnehmender Geschwindigkeit steigt. In einigen Fällen — VIo, III 0‘, p, — tritt ein Sinken des Druckes wäh- rend fortgehender Reizung ein. Aus den Versuchen ergiebt sich, dass der Druck noch zu steigen fort- fährt, wenn die Reizung unterbrochen wurde, bevor der Gipfel erreicht war. Die Geschwindigkeit, mit welcher der Druck nach dem Schluss der Reizung weiter steigt, ist jedoch geringer, als sie bei dem Fortwirken der Reize ge- wesen sein würde. Wie lange und wie hoch der Druck in der Nachwir- kungsperiode wächst, ist von der Dauer der Reizung abhängig. — Je länger gereizt wurde, um so kürzer dauert das Nachsteigen. Der Umfang, den es annimmt, erreicht bei einer gewissen Reizdauer ein Maximum, und zwar dann, wenn die Reizung in der Periode abgebrochen wurde, wo die Druck- steigerung mit zunehmender Geschwindigkeit verläuft. Wird die Reizung später abgebrochen, so nimmt die Grösse des Nachsteigens ab. Eine andere Eigenthümlichkeit ist die vorübergehende Drucksenkung, welche in vielen Fällen (z. B. Versuch VII s—i, siehe Fig. 5, Versuch IX, 9, N, q, s—t) nach einer Reizung von kurzer Dauer beobachtet wird. Diese einer Steigerung vorausgehende Drucksenkung ist nicht zufällig. Sie ist bei den erwähnten Versuchen constant und entspricht offenbar der kleinen Unterbrechung im Verlaufe der Drucksteigerung, welche bei Reizungen längerer Dauer beobachtet wird und sich in den entsprechenden Curven als eine Kniekung markirt. Die nähere Erörterung hierüber siehe in Ab- schnitt VII. Nachdem es sich herausgestellt hat, dass die getrennt aufeinander fol- genden Inductionsströme zu einer einheitlichen Wirkung verschmelzen, wenn sie den N. splanchnicus und das Halsmark reizen, und nachdem sich weiter zeigte, dass das Aufsteigen des Blutdruckes während der Reizung der ge- nannten Nerven einen typischen Verlauf nimmt, empfiehlt es sich, statt kürzerer Reizungen langdauernde auszuführen und zu untersuchen, in wel- cher Beziehung zu der Stärke und Folge der Reize der Verlauf der Druck- DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 133 änderung steht. Im Anschluss an die charakteristischen Abschnitte der Druckeurve wird die in Aussicht genommene Untersuchung in den folgen- den Abschnitten durchgeführt werden. VII Zeit der latenten Reizung. — Aus der Curve des veränder- lichen Druckes lässt sich die Latenzzeit nicht mit Sicherheit, namentlich dann nur annäherungsweise genau bestimmen, wenn das Ansteigen sehr allmählich geschieht. Doch bleibt es möglich, obere Grenzwerthe zu er- mitteln. In den folgenden Tabellen sind einige verzeichnet. Tabelle VII. Latenzdauer bei Reizung des Rückenmarks. Versuch II. Rollen- r Latenzdauer abstand | Reizfolge Centimeter Minimum | Maximum 20 36 2292 3-5" Drucksenkung 16 36: Noß" 2-0 Drucksteigerung 12 36 0-8" 1-4" e 14 36 0:8" 1-4 >» 10 36 0-7 1-1" EB 14 18 oil” 1:6 ” 12 18 lol 1-6" x 10 18- lo 104 i} 14 g aoıl” 2254 FR 12 9 1-7 22H 5 10 9 11% 1-6" n 8 ®) 1.4" NaT s> 12 4-5 1-2" 2.0” ü 10 4-5 1-4 1-95 ss 3 4-5 1-4" 1-8" Bei Versuch IX findet sich eine sehr gute Uebereinstimmung unter den erwähnten Grenzwerthen innerhalb der einzelnen Reihen. Zwischen den verschiedenen Reihen dagegen beobachtet man eine deutliche Ungleich- heit. Die Latenzzeit wird kürzer bei grösserer Reizfrequenz. Versuch VIII zeigt dasselbe. Auch sieht man hier, dass die Reizstärke in gleicher Weise die Latenzzeit beeinflusst. Wenn man die Tabellen VIII und IX vergleicht, so findet man, dass die Latenzzeit in derselben Richtung variirt wie die Geschwindigkeit der Drucksteigerung während der ersten Perioden in den verschiedenen Versuchen. Wenn der Druck langsam steigt, ist auch die Latenzzeit lang, und umgekehrt. Die Zeit zwischen dem Beginn der Reizung und der Druckverän- derung entspricht nicht nur der Auslösung und Fortleitung des Reizes im 134 J. E. JOHANSSON: Tabelle IX. Latenzdauer bei Reizung des N. splanchniceus. Versuch VII. Versuch IX. Rollen- Latenzdauer Rollen- Latenz(lauer abstand | Reizfolge | ini- | Maxi- | abstand | Reizfolge | Mini- | Maxi- Centimeter mum | mum Centimeter mum mum 230 BU 1.5" no” 8 40 1-0” 11985 16 Su of 1-3" 8 40 1lo1l” 1-4" 12 37 0-9" 1109” 6) 40 1108" 1-4" 10 37 0-9" 1% fo) 40 1-0" le3% 8 Sn 0-8" 1:1" 8 40 1-2" 1-4" 6 37 0-8" 10” (6) 40 0-9" 109,” 16 18-5 2-5 2.9" 8 20 1-2" 1-5" 12 18-5 1.4 1-8" s 20 1-2” 1-5" 10 18-5 1-1” 1-4" 8 20 sie 1-4" fe) 18-5 1-0" 1887 8 20 loil” 1-4" 6 18-5 0-9" 1.2" 8 20 1-1” 1.4" 8 20 1-0" 1-6" 12 9 1-5" 2-0" 10 9 1.4" 1-8" 8 10 1-6" 1-8” 8 9 1031? 1-5. 8 10 i-62 len) 6 9 0-8" 1.2" 8 10 1-6" 1-9" 8 10 1-2 lol" 12 4-5 DO 3-2" 8 10 108” 1-8" 10 4-5 1-9" 23-3" te) 4-5 1-8 2-0" 8 5 1-8” 2-2" 8 5 1:6" 2-0 | 8 5 1-8" | 2-0" Rückenmark und Splanchnicus bis zu den Gefässmuskeln; sie schliesst auch diejenige Zeitdauer ein, welche für eine am Manometer sichtbare Gefäss- contraction erforderlich ist. Daher kommt wahrscheinlich die erwähnte Uebereinstimmung zwischen der Länge der Latenzzeit und der Geschwindig- keit der Drucksteigerung. Die Methode ist übrigens nicht hinreichend, um kleine Differenzen aufzufinden. Unter diesen Verhältnissen kann man keine Aufschlüsse bezüglich der Latenzzeit bei veränderlicher Reizung erhalten. Erwähnt zu werden verdient die relativ lange Latenzzeit in den Fällen (z. B. Versuch VIII a), wo auf die Reizung nur eine Drucksenkung folgte. VIII. Der Druck steigt mit abnehmender Geschwindigkeit oder erleidet eine Senkung. — Der Verlauf der Druckänderung Dis AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 135 zeigt während der ersten Perioden der Reizung eine sehr gut markirte Eigenthümlichkeit, welche in der ganzen Versuchsreihe stets wiederkehrt und sowohl bei Reizung des Halsmarkes als des Splanchnieus beobachtet wird. Nachdem der Druck während der ersten 3—5 Secunden mehr oder weniger rasch gestiegen ist, zeiet das Ansteigen sodann eine deutliche Ab- nahme der Geschwindigkeit. Bei 5—10 oder 10—15 Secunden wird ein Minimum erreicht, worauf dann die Geschwindigkeit wieder zu wachsen anfängt. Während der betreffenden Periode findet in vielen Fällen eine Senkung des Druckes statt, zuweilen bis unter den Anfangsdruck (z. B. bei Versuch VUI f, 9, 9). Im einigen Fällen beobachtet man direct eine Senkung ohne vorhergehende Steigerung (z. B. bei Versuch II a, 2). Die Tab. X und XI sind dazu bestimmt, den Verlauf der Druckver- änderung während der ersten Perioden bei verschiedener Reizung zu zeigen. Wie früher wird auch hier unter Verlauf die mittlere, aus je 5 Secunden abgeleitete Aenderung verstanden, welche der Druck in je 1 Sec. erfährt. Bei der Berechnung dieser Werthe für die erste Periode d. h. bis zu 3 Sec. ist Rücksicht genommen auf die Latenzzeit, welche im Allgemeinen zwischen 1—2 Secunden variürt. Negatives Vorzeichen giebt ein Sinken an, positives ein Steigen. Das letztere Zeichen ist nur am Uebergang vom Sinken zum Steigen gesetzt. Aus den umstehend mitgetheilten Tabellen ergiebt sich, dass durch die Folge und Stärke der Reize die erwähnte Eigenthümlichkeit, welche der Verlauf der Druckänderung aufzeigt, in deutlicher Weise beeinflusst wird. Die Ursache, weshalb das anfänglich rasche Steigen des Drucks sich verlangsamt oder in ein Sinken übergeht, kann gesucht werden 1. in einem Nachlassen der Leistungsfähigkeit des Herzens, in Folge deren die ihm zugeführten Blutmassen nicht weiter gefördert werden, 2. in dem schwan- kenden Verhältniss zwischen dem Zu- und Abfluss aus der Aorta, bedingt durch den veränderlichen Zustand in den Muskelringen der kleinen Arterien, oder der Geschwindigkeit und Folge in der Zusammenziehung der Blut liefernden Venen. Für die erste dieser Annahmen, dass das Herz von einer vorüber- gehenden Unfähigkeit befallen sei, seine bisherigen Leistungen zu vollbringen, findet sich in den Thatsachen kein Anhaltspunkt. Von dem Reiz, der den N. splanchnicus oder das Halsmark trifft, bleibt das Herz unberührt, seinen Schlag setzt es in gleichem Takte vor, während und unmittelbar nach der Senkung fort. Die zweite Voraussetzung, dass die anfänglich erreichte Verkürzung der Muskelringe um die kleinen Arterien bei fortgesetzter Reizung nach- lasse, kann durch Gründe der Analogie gestützt werden. Durch zahlreiche 136 Tabelle X. Verlauf der Druckänderung bei Reizung des Halsmarkes und ungleicher Stärke und Folgo der Reize, J. E. JOHANSSON: 5 mm 5 mm DIDI FAIIMAUIDIN SSoms+omnnooomnmoon + j mm 6 am 9 mm BES AIDS Srar aoossonn SUSNSISISZSFIEEO FEN EEI SICSESZriEr SSonraoosmsosmamona | ISO EN St Soam moooo-An ASO@SASIHINANSOSOOOUS Ssosmwoou8mosn na Form -vwax Sage OOOO Moooooo© | DIEZSIEZISHITEEND SIE SnSTI> SOornsonnBonnanndn | nmonm SOWBWODIOSX OS Smoo Nr rmrmı 242 ae o Dr An5 ST =) a N) wi 1 ii 0 | & Ss II SnS Eln.Sı = 3 {eb} 3 R$ a & ES [e>) er DS: One Se [= = | 3:8 oo EB = S 8 > Hr | S I B for) A ar) SO 2PSOWMWOTOSOSHcOn nr 9 Srwmonn+rrsannonnn + + + ei) SSBSOO20O90 Sran ein ot Hat nn ie) ++ vor OO TO SSAONSOOO O9 Oo9go SS99oSs9995090909995950 OOO0Oo NNmMOoooo—go oOOooOoO Soo99090 a an bs = 1515 353 AAPAUDLNDNnORDHOHOOO on nn morn se HU HSAOHAFHAAHHAN HEHE BD SWEET D << © [To] = wann m ID 1 A 1 1 SOSSOSDVRLPARDDDAHHE YNooa m mono m .S Annan” map Farm "ax = 8 8 2 27 ESEISOHNOSSOHNOOHNOOINODO ©Oo00909 SO mw SE 3 Ne rrmrrrmm-mmmnm - mm Tee Ms 8 „a SO OB UOHMDINESOITSTONYILO DS OB LO Bo Or US [> = = A 4 4 2 = & ie {eb} > Tabelle XI. Verlauf der Druckänderung bei Reizung des N. splanchnicus und ungleicher Stärke und Folge der Reize. DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. Ian {eT1) ua aan aa no oo 1.1 SO 538 om Hana ao oa + a 10 1 EA | | | DES EODArESZES HD mn 3 SOoOOoHTMooSoHTHTSo TTMToooa Sonno oSoorHo o = © \ FIOSOSSTATODNOT-maAnmoOo oavywon wro- R SOoSuamosoososu mom moooman SOrımıao oSorr In {ae} = N) Se) AHSEHTTUWEL-NWOSMNMWın mexynna oow«w N SortmmsssaunsosoauaHoonan SoadHn SrHrer =) an_ = © T S-»»22ywayrrnnn2asPrmd0 | So2mo varco a en. ® HTo=-nmnmoooanoHmMooHr«@ATr Sramn onma =! Ne) B 50 © N = a 8 0 = [ae ii DAS? uun2aa2edHramratenen ATMLORN DNS er als nouaHsssnrmsmasssnenn Sra-t-+ Srası mr ©! 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JOHANSSON: und zuverlässige Beobachtungen! ist es festgestellt, dass neben den ver- engenden auch erweiternde Gefässnerven sich in den Bahnen finden, welche vom Rückenmark zu den Eingeweiden und den Gliedmaassen verlaufen. Darum kann die Möglichkeit nicht bestritten werden, dass die abnehmende Geschwindigkeit des Aufstiegs von einer durch die Reizung veranlassten Nachgiebigkeit der kleinen Arterien bedingt sei. Aber wenn in meinen Versuchen die Gefässerweiterer thätig gewesen sind, so geschah es mit Erscheinungen und unter Bedingungen, welche ihnen andere Male nicht eigen sind. Die Folgen ihrer Reizung sind mehrere Secunden länger latent ge- blieben, als sie es bei den gleichzeitig mit ihnen gereizten verengenden Gefässnerven waren. Alle Beobachter, Bowditch und Warren, Bradford, Laffont, welche Nervenstämme reizten, sahen nur unter Anwendung schwacher, in grösseren je 1 Sec. betragenden Abständen aufeinander folgender Induetions- schläge die Dilatatoren wirksam. In meinen Versuchen wurde eine rück- läufige Bewegung des Drucks ebenfalls nur bei schwacher Reizung beob- achtet, aber auch bei der stärksten verlangsamte sich die Aufwärtsbewegung in bedeutendem Grade, so dass auch unter diesen Umständen auf das Eingreifen der Erweiterer zu schliessen ist. Aus den Versuchen von M. v. Frey,? welcher die Chorda tympani und den N. sympathicus gesondert und gemeinsam reizte, geht hervor, dass ein Reiz, der stark genug ist, um den N. sympathicus zu erregen, auch ausreicht, um. bei einer gemeinsamen, Reizung beider Nerven dem N. sympathicus das Uebergewicht zu verschaffen, sodass der Reiz stets eine Verengung der Gefässe hervorbringt. Auch in dieser Beziehung weicht mein Ergebniss ab, denn dem Stadium der Senkung ging ein solches des Steigens voraus, zum Zeichen dafür, dass die Verengerer erregt waren. Abweichend von den Befunden anderer Beobachter ist auch der meine darin, dass sich die Senkung trotz der Dazwischenkunft des Rückenmarks einstellt. Pal und Thayer? finden, dass unter der Reizung des Hals- markes der Druck nur ansteige. Bradford und Laffont fordern, dass auf das Sorgfältigste der Uebergang von Stromschleifen auf das Rücken- mark vermieden werde, weil alsdann die drucksenkende Wirkung der gleich- zeitig gereizten peripheren Nerven in den Hintergrund trete. — Hiergegen " Ostroumoff, Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XII; — Kendal und Luch- singer, ebenda. Bd. XIII; — Edgren, Nord. Med. Archiv. Bd. XI; — Bowditeh and Warren, Journal of Physiology. Vol.X; — Bradford, ebenda. Vol.X. ” Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1876. * Physiologisches Centralblatt. 1888. DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 139 ist zu erwidern, dass andere Beohachter, z. B. Vulpian,! Gefässerweiterung am Darm und Mesenterium nach Reizung des Halsmarkes gesehen haben. Und auch mir ist es gelungen, dadurch dass ich schwache Induetionsströme auf den unteren Theil des Brust- und Lendenmarks wirken liess, Senkungen des Blutdrucks bis zu 40 "m herbeizuführen. Ein Steigen trat vor und nach der Periode des Senkens ein. Ueber diese Versuche werde ich später ausführlicher berichten. Die andere Möglichkeit die Drucksenkung zu erklären, die, dass bei gleichem Widerstand in den Ausflussmündungen der Zufluss zur Aorta veränderlich sei, findet eine Stütze in der erst neuerdings aufgefundenen Abhängigkeit der Portalvenen von den Vasomotoren. Da die sympathischen Nerven auf die von kräftigen Muskeln umzogenen engen Arterienenden und auf die dünne Muskelwand der weiten Venen zugleich wirken, und da das aus der Portalvene ausgetriebene Blut noch die Leber zu ‘durchsetzen hat, bevor es zum Herzen gelangt, so lässt sich vorstellen, dass die Blut- mengen, welche im Beginn der Reizung der Aorta zufliessen und dem Verkürzungsbestreben der Arterie Widerstand leisten, schon zum Theil wieder abgeflossen sind, bevor aus dem System der Vena portae reichlichere Blutmassen anlangen. Neue zergliedernde Versuche werden das hier aufgestellte Problem zu lösen haben. IX. Der Druck steigt mit zunehmender Geschwindigkeit. — Nachdem die Geschwindigkeit, mit welcher der Druck wächst, in der vor- ausgesangenen Periode ein Minimum erreicht hat, wächst sie von nun an bis zu einem Maximum empor. — Wie sich die Geschwindigkeit des An- wachsens mit der fortschreitenden Zeit während der Reizung des Kücken- marks ändert, zeigt die umstehende Tabelle. Auch in ihr ist die Geschwin- diekeit dargestellt durch die Anzahl von Millimeter Hg, um welche der Druck in der Secunde anstieg. Die hingeschriebene Zahl ist das Mittel aus je 5 Secunden. Die verschiedenen Reizungen einer Versuchsreihe führen zu überein- stimmenden Folgen, namentlich wird die grösste Geschwindigkeit des An- steigens in nahezu derselben Periode erreicht. Eine kleine Abweichung tritt jedoch hervor, wenn die Reihen starker und schwacher Reizstärken mit einander verglichen werden. Was sich während der Reizung des N. splanchnicus einstellt, ist in der Tab. XI mitgetheilt (S. 137). \ Decons sur lappareil vasomoteur. T.I. p. 219. 140 J. E. JOHANSSON: aan < - < a Ed z > SDR LI oo Amos 2.TR IR TOSLUAe.a DQ = er SE Hood ND mm - ? EuRES SODEBROSDPBAO OOOO9O999C© OD A orWM © m OD IL 00 OD cn op BES - BB gs m" =) EG ERGTERGERGT SCH ICH SCH SCHSCHESCH ICH CH un CH Cut = BRKRRRSAÄR SDR OSOOURD PRePRPRPRIUKOOHMW Q DEN Er ELCHICHICHECHEEIIECH Me Te Te ee =_ a Dm-w Wanna = [y=) © > SENSOR RAR HH CU SL SCH Cr CH He a Su DRRBADDDRDR DORWRTOODUI F-ROAAUDRDTROHHA—n E58 5 5 5 oo S or [S| [Si au 08 un L u, | 2 DPRWODBAROO Dymmmooo ASOUSRHEDTNDDR | [2 . . . . . . . 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Die Berech- tigung zu diesem Verfahren dürfte sich aus den oben mitgetheilten Tabellen ergeben. Die angeführten Zahlen sind Mittelwerthe für Perioden von je 5 Secunden. Da es nicht die Meinung ist, auf diese Werthe weitere Be- rechnungen zu basiren, so sind sie als vollständig ausreichend zu betrachten, um von der einer gewissen Reizung entsprechenden Geschwindigkeit der Drucksteigerung eine Vorstellung zu geben. Es geht aus diesen Tabellen hervor, dass hinsichtlich der Geschwin- digkeit der Drucksteigerung die Folge und die Stärke der Reize denselben Einfluss üben. Beispiele hiervon bieten die Versuche (siehe Tab. XIIIu. XIV) dar. Diese zwei Drucksteigerungen zeigen einen ziemlich gut überein- stimmenden Verlauf. Tabelle XII. Grösste Drucksteigerung in 1 Secunde bei Anwendung ungleicher Stärke und Folge der Reize. — Reizung des Halsmarkes. Rollen- Reizfolge ‚3 Rollen- Reizfolge Versuch | abstand 5 2 abstand = Centimeter | 43 |21-5,10-5|5-5 ,© | Centim. 3982| 20] 10 5.2]4-712-3 5 Sa I. 10 |3-4| 0-8) 0-8 Io 16:84:2[1.91-10-70-3 ke (0:8 en | | I \2-2 11-2 20-9 6 oe Se a2 DE Ex DE Er) |40 | 30 | 20 | 10 | 5 Reizfolge 4 8-6 De | 8 9-6 10-96-23-712-3 0 7-4 Rollen- Reizfolge Versuch | abstand Centimeter 36 18 9 4-5 10% 20 0-5 16 1-1) 0-3| 0-0 14 3-5| 1-0, 0-2 12 10-8| 5-5 | 1-4 | 0-2 10 14-0 11-0 | 4-5 | 1-0 142 Grösste Drucksteigerung in 1 Secunde bei Anwendung ungleicher J. E. JOHANSSON: Tabelle XIV. Stärke und Folge der Reize. — Reizung des N. splanchnicus. Rollen- Rertolse Rollen- Reizfolge Versuch | abstand ne Versuch abstand ; Centimeter | 32 | 16 | 8 | 4 Centimeter | 87 18-5 9 4-5 IV. 8 2.6 E& 11.2|0- vl. 20 1-7|0-5 16 2-6|0-5 12 3-5/1-2|0-6 | 0:4 | | 40 | 20 10, 5 2» 10 [4.0|2-7|1-4 | 0-7 | — | 8 4-3|3-8|2-8 | 1-3 VA 10 A»3 a! 0-5 Re | 40 | 20 | 10 | 5 | Da 8 4-8 /4-0|2-6 | 1-2 Ob die Spannung im Inneren der Arterie, während der eben betrach- teten Periode der Reizung darum im einer steigenden Zunahme begriffen ist, weil bei gleichem Contraetionsbestreben der Wand sich der Zufluss des Blutes zum Herzen hin vermehrt hat, oder ob bei gleichem Zuströmen unter der fortdauernden Reizung die Muskelringe der Gefässe sich immer weiter zu verkürzen trachten, muss unentschieden bleiben." Einen wesent- lichen Antheil an der wichsenden Geschwindiekeit, mit welcher der Druck zunimmt, würde man den Vorgängen in der Arterienwand zuschreiben müssen, wenn sich die Annahme bestätigte, dass die in der vorhergehenden Periode auftretende Drucksenkung von einer Erregung der erweiternden Gefässnerven bedingt se. Nach Wegräumung des Widerstrebens der Er- weiterer könnte die vereneende Wirkung sich in voller Stärke geltend machen; indess lässt sich kein Grund einsehen, warum die erweiternden Nerven bei ununterbrochener Fortdauer der gleichbeschaflenen Reize aus der Erregung austreten und in Unthätigkeit zurücksinken sollten. Eine neue Erscheinung in der Periode der steigenden Energie, die Vermehrung der Pulszahl, kann für das Wachsthum der Geschwindigkeit des Aufsteigens nicht verantwortlich gemacht werden, weil sie diesem nicht vorangeht, ihm vielmehr folet. X. Die mit dem steigenden Blutdruck veränderliche Puls- folge. — Tabelle XV stellt einige Reizungsversuche von Versuch I dar. Die Zeit von Beginn der Reizung, die Folge (#) und die Stärke (7) der Reize, sowie der Schluss der Reizung (durch einen —) sind angegeben. Die Zahlen in Stab 1 geben an: den Blutdruck, in Stab 2 die Veränderung im Blutdruck in 1 Secunde (Geschwindigkeit der Drucksteigerung) und in Stab 3 die Pulsfrequenz in 2 Secunden. ! Ueber die Bedeutung der Spannung bei der Contraction der Muskeln siehe ©. G@. Santesson, Skandinavisches Archiv. 1889. DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 143 Tabelle XV. Verlauf des Druckes und des Pulses bei Reizung des Halsmarkes. Jr it vom 4 b 9 h aginn R=10m, F=43 |R= 10m, F=21-5|R=8 m, F=21-5 | R=-5w, F=43 |R=-8m, F=21-5 a ee en N aaums| ı | 2 | 3 | IE BIRE | 2 |3 | 1 | 2|3 ] IE RE 1 | ee ou ,, 32 |575,, | sileı |,, | &1 > ai m le je > Au 1 Be 12a dee len ji na leaii] A | 9-5 Sal a entei: 13.6 2.2 | 20° | 91:5 „..|3:7|69 | 5, 3-3 1 a ea aaa “ Sr 3 he = is2sulosı Da 35 es a: nn M Kr ie. | 3.2 0-8 1-5 Maas or hai ae. oral, , — herz, als), | = br [150.51 2.1142 170 | 0.8 3-3 1106-0) |., | 3-2 bor-5| |, | #5. [iss |... | 32 Es le | mal. 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E. JOHANSSON: Tabelle XV. (Fortsetzung.) Zeit vom Zu 2 % B 7 Beginn [R=6 m, F=10-5|R=6m, F=21-5| R=6w, F=43 | R=ım, m=43 | Rem Ra der - aus 1089 Fire 2 ZB: 2 | 2 s|ı = I | El en Se 40° I1s-0| 0% | 2-9 fiss-5 1 | 3-5 hie | IE | 0.2 fose-5| 21 | 8-0 Iaao-s| 1° as" 2 | hiao-5| 2° | bore-5| 0° | 6-3, las.5| ea | 0-6 0-8 0-4 h 0-5 50” [79 | 9.0 | 2:9 [143-5] 9.6 | 36 [220 | 9.7 | 6-5 [240-5 6-4 [286-5 60” |s1-5 z 0 nr 12215 6-5 1239 70° |s3-5 2-9 [156 3-6 [p2ı 6-4 1236-5 80” |84-5 | 165 — [220 6-7 1934 6-5 [223 90° |85-5 2-9 [168 3.6 |179-5 6-7 [210 7-3 jp2ı 100” [87 des 3-6 |145 6-2 [167 | 6-7 [219 110” |88 ı 2-9 [178 3-8 [117 5-2 [140 | 6-4 |183 120’ |89 | Meg) | 3-8 | 97 4-6 [117 5-4 |145 130” [85-5 139 3-7 | 82-5 4-2 [100 4-5 [118 140’ |60 2-9 | 99 3-6 | 71 3-9 | 87 4-0 | 99-5 150° |51 |) 3.3165 3.6 | 79 4-0 ! 84 160° [44 — [68 3-2 | 60 3.5 | 72 3.7 | 74 oz = ln61 3-1 | 58 3:5 | 68 3-5 | 67 1802 1 458 3 — — 1764 3.6| — 210” | — 2152 3.01 - Ba Aa 240° |31 „aus freue ne ne Bali 2702 le u BR en 300” | — Zee ee Bee ne Bei der Reizung a tritt eine Vermehrung der Pulsfrequenz zu Tage, beginnend nach 10 Secunden, gleichzeitig mit dem Anfang der zunehmen- den Geschwindigkeit des Drucksteigens. Nach 40 Secunden fängt die Pulsfrequenz an constant zu werden und der Druck nähert sich jetzt mit abnehmender Geschwindigkeit allmählich seinem höchsten Werthe. Nach 60 Secunden steigt der Druck nicht mehr und die Pulsfrequenz zeigt die Tendenz abzunehmen. Nach Schluss der Reizung in der 88. Secunde sinken sowohl der Druck als auch die Pulsfrequenz. Bei der nun folgenden Reizung 5 steigt der Druck sehr langsam. Die Pulsfrequenz ist unverändert. Bei den Reizungen f und 4 steigt der Druck ebenfalls langsam, erreicht aber ziemlich hohe Werthe, resp. 142-5 und 163-.5mm, Eine Veränderung in der Pulsfrequenz findet sich nicht. Bei der Reizung g zeigt sich dasselbe Verhältniss wie bei a. 15 Se- cunden nach Beginn der Reizung wird eine Vermehrung der Pulsfrequenz beobachtet und der Druck beginnt verhältnissmässig rasch zu steigen. DiE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 145 Sowohl der Druck als auch die Pulsfrequenz steigen während der darauf- folgenden Zeit. Die Pulsfrequenz wird nach und nach constant, während der Druck fortfährt, mit continuirlich abnehmender Geschwindigkeit zu wachsen. Bei m verhalten sich Drucksteigerung und Pulsfreguenz ganz wie bei d, f und h. Bein, o, p und qg steigt der Druck schneller, und es wird hier wie bei « und y eine Vermehrung der Pulsfrequenz beobachtet, die bei sämmtlichen Versuchen gleichzeitig mit einer zunehmenden Ge- schwindigkeit im Steigen des Druckes beginnt. Bei p wird eine Eigenthümlichkeit beobachtet. Die Pulsfrequenz nimmt von 0—10 Secunden ab, während der Druck zunimmt. Die Reizung hatte schon zu der Zeit nach einer früheren Reizung begonnen, in welcher sich der Druck und die Pulszahl noch nach abwärts von der Höhe bewegten, auf welche sie durch den Inductionsstrom emporgetrieben worden waren. Nach dem Beginne des neuen Reizes verlangsamt sich die Pulsfolge noch weiter und weiter, der Druck steigt dagegen, hier wie immer, sogleich empor. 15 Secunden nach Beginn der Reizung tritt eine Vermehrung der Pulsfrequenz ein, also in derselben Periode, wie bei den übrigen Versuchen. Tabelle XVI. Verlauf des Druckes und des Pulses bei Reizung des Halsmarkes oder des N. splanchnicus. IV. Halsmarkreizung|IV. Splanchnieusreizung]IV. Halsmarkreizung{IV. Splanchnicusreizung R=8m F=4 R=8m, F=4 R=sm, F=8 R=s8m, #8 Zeit | Druck | Puls| Zeit Druck | Puls | Zeit | Druck | Puls | Zeit | Druck | Puls 2 ee ee ee | Bros 53 | 150 50, 555 | Sl Be Iwen DO res For 10 | 52 el 10 Tel 10% | 63 | 5-1 Re: 523° 90% 55:5 5-1 002° 98° | 5-1 | 920% 67 94 5-3 | 50% | 62° 5-10 30% | 107-5 | 5-2 | 25° | Bar a0 | 76 |5-3| 40” | 66-5 | 5-2 40” | 113-5 |5-3| 30” | 52 50" | 76 53 | 50” | 09-5 | 5.2.| 50° | 116-5 |5-8| 40° | 87-5 | 5-3 60” |) 70 | 5.2. | 60” | 119-5 |5-3.| 50” | 96-5 | 5-3 | 10° | 122 | 5-3 | 60” | 108-5 | 5-4 j 80” |, 122-5 | 5-3 | 70” | 107-5 | 5-5 80” 109-4 5+6 | 90” | 112 | 5-6 Archiv f, A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 10 146 J. E. JoHANSSonN: Tabelle XVI (Fortsetzung. IV. Halsmarkreizung|IV. Splanchnieusreizung|IV. Halsmarkreizung|IV. Splanchnieusreizuug R=sm, F=16 R=s m, F=16 R=s"m, F=32 R=s m, F=32 Zeit | Druck | Puls| Zeit | Druck |Puls|Zeit | Druck |Puls| Zeit | Druck |Puis 0" | 50 [5-0 0" oo so| "| 59 |52 0” 61 |5-2 Bu ET 105r0 5" 711 © 1:6:0217 50. | 0920 10522 5" 4 |52 10” | 93 |5-0]| 10 16 06-0010 12000 85-21 12104 9 52 20” | 137-5 | 5-2 | 20” 90 |6-0| 15" | 189 "| 5-6| 15° 34 | 5+3 23°, || 1108 6370] 7.3025 21107 76202172072, 175 52166 00204 95-5 | 5-4 30’ | 185-5 | 6-7 | 40” | 126 | 5-8 | 30” | 223 |6-0| 30” | 118-5 | 5-8 40” | 211 6-7 | 50° | 139 5-9 | 40 | 242 6-3| 40° | 132 6-0 50’ | 220 | 6-7 | 60” | 144 | 6-0 | 50" | 243 7-0 | 50° | 136-5 | 6-0 60’ | 223 |6-6| 70” | 148 6-0 | 60” | 236-5 | ”-2| 60” | 186 6-0 10400220 Nerle 80,149 6-0 70” | 133-5 | 6-0 90” | 146-5 | 6-1 807 | 1080 11528 110” | 144-5 | 6-1 IV. Halsmarkreizung| IV. Halsmarkreizung IV. a V. Splanchnicusreizung = A=1V er —20 Hu —ıo cm 36 SR — AR 36 Zeit | Druck Puls | Zeit Al Damals Puls | Zeit Druck | Puls | Zeit | Druck | Puls 0" 37 4-2 47» 5.| 4-1 0% 42:5 | 5-0 0" 53 4-7 Hu 49 4:2 5 62 4-2 Hi 61 5-0 Du 70 4-7 10" 53 4-1 10 67 4-2 | 10" 78 5-7 10% 71-5 | 4-7 15% 59 4:2 15% 75-5 | 4-1 | 15° 113 6°2 1a? 79 4:9 20 6822| 422 20" 96-5 | 4-4 | 20 167 8:2 202 2 0595-502 255 82 | 4-2 30" 134-5 | 4-5 | 25 199-5 | 8-7 251 | 113 5°5 30" 95 ° 14.3 40" 156 mA 15304 218 9-0 30" 128 5:9 40 | 118 4-4 DO ET | 4-1 | 40 234-5 | 9-0 40° , 148 6-8 50" | 135 | 4-6 60” | 174-5 | 4-3 | 50 237 9-0 50" 157-5 | 7-2 607 | 149-5 | 4-9 70" 174 | 4-37175840 7235 8-7 60" 168-5 | 7-3 70” | 158 | 4-9 80” | 163-5 |, 4-9 | | | IT: Halsmarkreizung Be Ai lI. Halsmarkreizung II. Halsmarkreizung | II. Halsmarkreizung KEN, Mei k=10®, #=36 R-lam #=18 Zeit | Druck Puls | Zeit Druck Puls | Zeit | Druck |Puls| Zeit Druck | Puls 0” 48 | 4-6 0" ‚| 52 A| Tr 4-6 0 53 | 46 SEO AL SD. Are Bo 65 ug | Bu re ae 5 19 | 4-6 102 108 5:0. 10% 0 68 42911070 7 79 SR AT 0 98 | 4-6 15 | 168 | 6-0 | 15% | 72250 54.9 11157 |% 9705| 4-8 5% 122 | 4-9 20. 23818) 3-0 1° 202.0 77e5e 5.08 122028 2105 5-5 | 20” a gail 257. | 261 | 8-9 | 30° 1.86 | 5.1130” | 162.5 | 7.0| 30” 234 |79 L 40’ | 89 5-1 | 40” | 177 SE] 720% 254 | 8:3 50° | 91 | 5-2 [ 50” | 185-5 | 7-8 | 45” 258 | 8-3 60” | 90-5 | 5-2 | 60° | 185 7-8 70’ | 184 7-8 DiEk AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 147 Tabelle XVI (Fortsetzung). Splanchnieusreizung R=sm, F=40 | R=sm, #=20 Zeit | Druck | Puls | Zeit Druck | Puls 0" 61 3.0 0" 63 3-1 54 80 | 3-0 5 80 3.0 10" 87 81 10 54 3.0 Fu 91 3-1 15% 87 3.0 20% 102 3.4 20" 94-5 3:3 300 2147 4-3 30' 117 37 40" 183 4-8 40” 153 4-0 50" 198 5:0 50" 184 4°2 60" 199 51 60 202-5 ı 4-6 70" 2 4:8 In Tab. XVI ist das Verhalten des Blutdrucks und der Pulsfrequenz bei einigen anderen Reizungsversuchen veranschaulicht. An das durch Reizung des Halsmarks oder des N. splanchnicus er- _ zeugte Emporgehen des Blutdruckes pflegt sich also eine Beschleunigung der Schlagfolee des Herzens anzuschliessen. Da beiderseits Nn. vagi und accelerantes durchschnitten sind, darum eine unmittelbare oder reflectorische Abhängigkeit des Herzens von Hirn nnd Rückenmark nicht mehr besteht, so kann die Anregung zur Steigerung der Häufigkeit nur vom Blutstrom ausgehen. Die Beobachtungen, welche ich am Herzen der Hunde gewann, haben schon vordem C. Ludwig und Thiry! an den Herzen von Kaninchen erlangt, deren cerebrospinale Herznerven auf galvanokaustischem Wege zerstört waren. Auf das Genauere des Verhaltens zwischen dem Wachs- thum des Drucks und der Beschleunigung der Pulsfolge sind sie jedoch nicht eingegangen. Aus meinen Versuchen geht nun hervor, dass mit dem Hereinbrechen des Reizes der Druck und die Pulszahl niemals gleichzeitig wachsen, stets geht der Druck voraus; und erst wenn dieser sich 15 Secunden und länger nach aufwärts bewegt hat, schickt sich auch der Puls zum rascheren Schlagen an. Nach einer solchen Dauer der Reizung gelangt aber der Druck in die Periode beschleunigten Wachsthums. Und hierin folgt ihm der Herzschlag, der von Secunde zu Secunde an Häufigkeit zunimmt. Das einmal erregte Herz fährt zuweilen noch mit der Vermehrung seiner Schläge ! Wiener akademische Sitzungsberichte. 1864. 10* 148 J. E. JOHANSSON: fort, wenn der Druck schon in die Periode abnehmenden oder auch still- stehenden Wachsthums gelangte; zuweilen aber hört die Zunahme der Pulszahl schon früher auf und beharrt, während der Druck allmählich zum Gipfel steigt, auf dem erreichten Stand. Inwieweit ‘das Wachsthum der Pulszahl dem des Druckes nachzukommen vermag, ist z. Th. bedingt durch die Raschheit der Folge, welche der Herzschlag schon erreicht hat, denn rascher als jede viertel Secunde kann sich bei vielen Herzen die Systole nicht wiederholen. Ä Bei der Nachfrage, durch welche Mittel die gereizten Gefässnerven .das Herz zur rascheren Schlagfolge veranlassten, könnte zuerst des empor- gestiegenen Druckes gedacht werden, sei es, weil er unmittelbar reizt, oder weil er vermöge der ausgiebigeren Durchblutung der Coronargefässe, die Erregbarkeit aller irritabeln Theile des Herzens erhöht. — Bei der Durch- sicht der Tafel XVI stösst man jedoch öfter auf Zahlen hohen Drucks, ohne dass sich der Puls beschleunigt erwiese. Bei genauerer Betrachtung derartiger Versuche findet sich dann, dass der Druck sehr allmählich auf seine grössere Höhe aufgewachsen sei. Davon, dass der Druck für sich allein die Schlagzahl des Herzens mehre, wird auch darum abzusehen sein, weil trotz seines Anwachsens die Plusfolge sich verlangsamen kann. Jedes Mal tritt dieser Erfolg hervor, wenn eine zweite Reizung auf eine erste folgt, bevor noch die Pulszahl auf den Stand herabgefallen ist, welchen sie vor der ersten Reizung ein- genommen hatte. Während einer Reizung, die in die Periode des Abfalls einer vorausgegangenen trifft, strebt die Pulszahl noch nach abwärts, obwohl der Druck schon merklich und Anfangs rasch emporgestiegen ist. — Die unter diesen Umständen besonders auffällige Verlangsamung der Pulsfolge schlägt jedoch alsbald in eine Beschleunigung um, sowie die Periode rasch wachsenden Druckes ihren Anfang nimmt. Weil sich jedes Mal an das beschleunigte Anwachsen des Drucks die zunehmende Häufigkeit der Pulszahl anschliesst, und namentlich weil die beiden Werthe auch in einem quantitativen Zusammenhang stehen, so wird die Annahme nicht zu umgehen sein, dass zu der genannten Zeit eine oder mehrere das Herz erregende Bedingungen eintreffen. — Ob in den Eigenschaften des herankommenden Blutes, oder in dem Anstoss durch den rascheren Strom auf das reizbarer gewordene Herz die Ursache zu suchen ist, bleibe dahingestellt. Zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen der Geschwindigkeit, mit welcher der Druck in der Periode beschleunigten Wachsthums ansteigt und der Vermehrung der Pulszahl habe ich aus Vers. I die folgende Zu- sammenstellung angefertigt. Diez AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. Tabelle XVII Zeit vom Beginn 149 mm mn er Mi . der Reizung, in Während der angegebenen je 2 Sec. während 1 Sec. welcher die Puls-- Zeit stieg der Druck zahl wuchs 0 0-smm Hg 0—140 von 65 auf 98 0 Os 0— 150" ». 47-5 „ 141-5 0 ICE) cn 0— 120” ne‘ 0 DD alles 0—140' ol ler 0-7 BON cn 5 10—50" su 1490 2,0143 0-8 DUATSEE:, 10— 45" 080, 9:0019985 1-6 HAT 10— 50" U oh 3-2 Subwrg: 10—50” U L98 506240 3-5 SUSE: 10—50 »nLl42 52256 3-6 SAU 10-50” „ 69-5 „ 220 Im Anschluss an die Mittheilungen über die Vermehrung zahl in Folge des wachsenden Blutdrucks theile ich das Ergebniss einiger Versuche mit, in welchen das Halsmark oder der N. splanchnicus theils für sich, theils in Verbindung mit einem N. accelerans gereizt wurden. der Puls- Zufällig geschah die gleichzeitige Reizung des Halsmarkes und des N. accelerans an dem Thiere, von welchem die folgenden Zahlen stammen. Ein Theil des N. accelerans sinister war der Verletzung entgangen. — In den Ueberschriften der Zahlenreihen bedeutet R den Abstand der Induc- tionsrollen, / die Zahl der Einzelreize in 1 Secunde. 10m 23 Tabelle XVII. 10m HZ | Beier EV Zeit | Druck | Puls F Zeit | Druck | Puls | Zeit | Druck | Pnls 0 55 4-5 0" | 42 4-5 0" 40 4-5 5" 54 4-7 5% | 41-5 5-0 5 43 5-3 10" 55 4-8 10° 41 5-1 10" 41 5-6 20" Br el 200 us. 5-0 | 20” 51 5-8 30" 59-5 4-6 30" | 52 5-1 30" 64 5-7 40" 58-5 4-8 40" | 56-5 5-0 0 ale 5-5 50" 56-0 4-80 50% 255 320, 109.507 000.20:5 5-5 60.0, 020 521-5 5-0 60” 71-5 5-4 | 70” 70 5-2 150 J. E. JOHANSSON: Tabelle XVIII (Fortsetzung). R=10m, F=20 | R=10:, F=39 Zeit Druck Puls | Zeit Druck | Puls 0 43 4-4 0” 43 5+5 5% 49 0,0, 0:6 5" 54 6-0 10" 50 | 61 10 57 6-6 20" 75 ı 08 20" 120 7-4 30" 112 6-7 30" 180-5 7-7 40° 132-5 6-7 A000 220425 7-9 50 140-5 6-4 502 eelie5 7-7 60 146-5 6-4 60” 222 7-6 70' 152 6-4 RO 05224 7:6 so 156-5 6-4 79" 225 7:6 39 161 6-3 | Zum Anwachsen des Blutdrucks steht die Vermehrung der Pulszahl nun in einem ganz anderen Verhältniss, als in den Versuchen, bei welchen die Vasomotoren allein gereizt wurden. — Jetzt beschleunist sich der Puls jedes Mal wenn der Druck wächst, selbst wenn er langsam um ein Geringes zunimmt. Auch beginnen der Druck und die Schlagzahl des Herzens eleichzeitig mit ihrem Wachsthum, und endlich die Pulsfolge verlangsamt sich schon wieder, wenn der Druck noch emporgeht. In dem Versuch, von welchem die folgenden Zahlen berichten, waren beide Nn. accelerantes und beide Nn. vagi durchschnitten gewesen, Vers. V. Die Reizung betraf entweder nur den N. splanchnieus oder ihn und gleich- zeitig den N. accelerans. Tabelle XIX. ; 2 Reizung des N. splanchnicus Reizung des N. splanchnicus gleichzeitig mit der eines allein Accelerans R-_10=, #5 Belle = Zeit Druck Puls Zeit Druck Puls 0 35-5 4-4 0" 36 4-4 3% 43 I 4.4 5 46 5*1 10 46 4-4 10" 51 | 60 20 52-5 4-4 20” 58 | 6-7 30 63 | 4-4 30" GR no 40 12 4-5 40 76 6-6 50 79-5 4-6 50" 83 6-6 60 54 4-7 60” 89 6-6 70" ss 4-8 70" 93-5 6-5 90" 92 4-8 SoZaın r 6-4 100” 103 6°3 DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER \VASOMOTOREN. 151 Aus der Vergleichung der beiden Reihen ergiebt sich, dass durch das Hinzutreten des N. accelerans zu einer ausserdem gleich beschaffenen Reizung des N. splanchnicus die Geschwindigkeit, mit welcher der Druck ansteigt, zunimmt. _ Andere Male bedingt aber auch die gleichzeitig eingeleitete Reizung des N. accelerans eine Vergrösserung des Druckzuwachses. Bei einer Reizfolge von 2 und einem Rollenabstand von 10" giebt Splanchnicus allein Splanchnicus und N. accelerans einen Druckzuwachs von 12.9 mm Hg 24-1 mm Hg beieiner Pulsmehrung von 5-2auf4-9 von 4-0 auf 6-3 in 2 Sec. Bei einer Reizfolge von 5 und einem Rollenabstand von 10 °® giebt Splanchnicus allein Splanchnicus und N. accelerans einen Druckzuwachs von 69-8 mm Ho von 112-2=m Hg beieiner Pulsmehrung von 4-4auf 4-8 von 44 auf 6-7 in 2 Sec. Der Schluss, der aus den vorstehenden Mittheilungen gezogen werden kann, dass durch die alleinige Reizung des N. accelerans bei ruhendem N. splanchnieus der Blutdruck sich hebe, bestätigt sich durch den Versuch. Mancherlei Aufklärungen dürften gewonnen werden, wenn zu ver- schiedenen Zeiten nach dem Besinn der Reizung der Vasomotoren die des N. accelerans oder die des N. vagus hinzuträten; hierdurch liesse sich zeigen, inwieweit der Verlauf der Druckänderung in den verschiedenen Perioden durch die Pulsfolge beeinflusst würde. XI. Der Druck erreicht mit abnehmender Geschwindigkeit den Gipfel. — Nachdem die Curve des steigenden Blutdrucks ihren letzten Wendepunkt überschritten hat, nähert sie sich mit abnehmender Steilheit ihrem Gipfel, auf welchem sich öfter ein dauerndes Gleichgewicht zwischen Pulszahl, Druckhöhe und Reizung herstellt. Häufig ereignet es sich aber ° auch, dass trotz der fortdauernden Reizung der Druck von seinem Gipfel absinkt und zwar entweder stetig oder unter Schwankungen. Wo das Absinken unter Schwankungen geschieht, wird es nicht als eine Folge von Ermüdung anzusehen sein, und dies am wenigsten, wenn es bei schwachen Reizungen vorkommt. — Siehe Fig. 2 Taf. IV. Jede besondere Art der Reizung, bestimmt durch die Folge und die Stärke der Einzelreize, äussert sich im der Gestalt der Druckcurve, durch die Höhe des Gipfels und die Steilheit, mit welcher sie aus der Ruhelage zu ihrem oberen Ende emporgeht. 152 J. E. JOHANSSON: Die Zeit, welche der Druck gebraucht, um von dem Fuss bis zum Gipfel zu gelangen, verkürzt sich ebensowohl mit der Stärke des Einzel- reizes wie mit der Dichte ihrer Folge. Hierfür treten die folgenden Zusammenstellungen ein. Die Zahlen unter 7 geben die Höhe des Gipfels in Millimeter Hg, die Zahlen unter Z die Zeiten in Secunden, während welcher der Druck aus der Ruhelage auf den Gipfel gelangte. Ueber je einer von H und Z ausgefüllten Spalte ist angegeben, wie viel Reize in 1 Secunde ertheilt wurden. Tabelle XX Reizung des Halsmarkes. Reize in 1 Secunde i Rollen- 91. 5 > Versuch | apetand 43 | 21-5 | 10-5 | 5-5 Centimeter EZ | Jet % | Jet 7 | JEl D I i0 109-5| 60!" | 33*.\140” | 18 | 60' 160 | 64” [102* |140’| 43 |105°| 26 40 | Reize in 1 Secunde Veran} a EN ee BE re | || 2 | omtitr [72 Aare z|# z|#z vi | 10 Jise 5” |123 Iso” [118 |s9”| 35 |45” | 22 |50” | 15|ao”| 5 | 30” Reize in 1 Secunde e Rollen- ; Versuch a 40 | 30 | 20 | 10 | 5 Cotinder | #| Z| #| 2|A]2J a2 Je] 8] | 198 | 50” | 207 | 40” | 168 | 60” |109* | ss” | 50 | 60‘ Reize in 1 Secunde Rollen- Versuch Abstand 36 | 18 | 9 | 4-5 Contimeter | A | Z| H | Z | # Z |# Z WV 20 620” I | 16 29 | 40" 5 |: 30” | 14 118 | 78” 12 195 | 50° | 138 | 50” | 39 | 50” | 14 | 40" 10 229 | 37” | 203 | 42” [132* | 60” | 44 | 50” 8 | 182* | 60 | 85 | 70% ' Die Reizung war beendet ehe der Druck den Gipfel erreichte. DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. Reize in 1 Secunde | Versuch | NS 32 | 16 | 8 | 4 Snimer ge ee er x 8 Js | 50” [173 | eo” | 78 | so” | 23 | 20” Tabelle XXI. Reizung des N. splanchnicus. Reizfolge Versuch a 32 | 16 | 8 | 4 Cotimstr 4| Z| # 2] #|zZz|H| 2 IV s [%-5| 50° | 9 | so” | e2* | vor | 23 | 557° Reizfolge Versuch | Rollen: 40 ro ler | inet | #| Z| #|Z | HB | aa V 10 | 108 | 60” [127-5 65” | 134 |1107 |56-5| 90” 11-5”! 50° Reizfolge Versuch en Se] jr rdob Centimeter | 4 | Z | # ar 2 | 27,2 Syn ean2n 34 | 35” ] 4-5] 50” Dee, 16 43-5) 30° | 6* | 50” 12 71 | 45” | 28-5) 45” | ı8* | 60” | 7-5 | 70” 10 126 | 60” | 95-5 70’ | 54* , 70” [24 65° 8 127 | 50” j132* | 65” |107* | 90” |a3-5*| 70” | Reizfolge Versuch | a 0 2 ee | Centimeter 2.) 2 re 1X | 8 | 138* 155°* | 148* | 70” | 94* | 70” | 51* | 52° Ein gleicher Einfluss, wie auf die Steilheit des Aufsteigens, ist der Schlagfolge für die Höhe desselben versagt. Je dichter die Reizfolge, um so eher ersteigt der Druck den Gipfel, in der Zeiteinheit. aber die Höhe, welche er nicht überschreiten kann, ist schon erreicht bei einer mässigen Zahl von Reizen Dies gilt namentlich, wenn der N. splanchnicus zwischen den Elektroden liegt. Stärke verwendet, Werden zur Reizung desselben Inductionsströme von maximaler so darf die Dichtheit ihrer Folge nicht über ein be- 154 J. E. JOHANSSON: schränktes Maass hinausgetrieben werden, wenn man das Maximum der Gipfelhöhe erreichen will. Aehnlich wie es aus der tetanisirenden Reizung der quergestreiften Muskeln bekannt ist, sehen wir auch hier, dass eine über das nothwendige Maass hinausgehende Häufigkeit der Reizfolge dem Empor- gehen des Drucks schadet. Der allzurasch emporwachsende Druck erreicht eine geringere Höhe. Anders verhalten sich die Dinge, wenn der N. splanchnicus von unter- maximalen Inductionsreizen durchsetzt wird. Unter ihrer Anwendung wächst die Höhe des Gipfels selbst dann noch an, wenn mit der Reizfolge über 20 hinaus bis zum Betrage von 40 in der Secunde gestiegen wird. Da ich eine dichtere Folge nicht angewendet habe, so muss ich ungewiss lassen, wo die Grenze gelegen sei. Welche Reizfolge die grösste Erregung vom Halsmark her zu erzeugen vermag, bin ich ausser Stande mit Sicherheit anzugeben. Nach den sorg- fältigen Versuchen von Kronecker und Nicolaides soll auch vom Hals- mark aus das Maximum des Blutdrucks durch 20 und 30 Reize in einer Secunde hervorgebracht werden. In den in folgender Zusammenstellung enthaltenen Zahlen finden sich Angaben über die Höhe des grössten Drucks, welcher unter Anwendung verschiedener Verknüpfung der reizenden Elemente — Stärke und Folge — zu erhalten sind. Die drei ersten Versuche sind mit Reizung des N. splanch- nicus gewonnen — die letzten beiden mit der des Halsmarks. Tabelle XXII. | Rollen- Rei eizfolge Versuch abstand = Centimeter 32 | 16 | 8 | 4 Ye nme | | aree es | 2 Rollen- Reizfolge Versuch abstand S Centimerer 40 | 20 | 10 | 5 IX. Splanchnieus | 10 | 121-5 | 168-8 | 150-8 | 69-8 | 12-9 Rollen- Reizfolge Versuch abstand 2 Gentimeter 37 | 18-5 | 9 | 4+5 XL. Splanchnieus® 20 47-0 | 6-1 i | ? 12 80-0 | 31-6 19-3 | 12-5 10 149-8 155-6 61-6 | 36-3 8 ER ee 179-9 , 51-1 DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG DER VASOMOTOREN. 155 | Rollen- Reizfolge Versuch ‚ abstand z \ Centimeter 45 | 21-5 | 10-5 5+5 "IM. Halsmark | . 1° | 121.3 | 39.6 | 29.7 | 32-8 8 185-8 126-1 68-6 6 203-9 174-3 58-5 4 199-5 2 191-5 0 207-4 Rollen- Reizfolge Versuch abstand S Centimeter A ——— = <— = ee == = — z = VII. Halsmark | 8 | 217-3 | 225-9 | 194-3 | 118 Wenn der N. splanchnicus mit einem Rollenabstand von 8 bis 10" gereizt worden war, so erzielte eine Reizfolge von 32 bis 40 in der Secunde keinen höheren Druck als eine solche von 16 bis 20; im Gegentheil unter rascher nacheinander eintreffenden Reizen hob sich der Druck sogar auf eine geringere Höhe; die raschere Folge zeigte sich als die weniger wirksame. Weniger übereinstimmende Erfolge bedingte die Reizung des Hals- markes. Zuweilen wuchs selbst, wenn sehr starke Reize angewendet waren, mit der Raschheit ihrer Folge — von 30 auf 40 in 1 Secunde — noch der Druck, andere Male ereignete sich das Gegentheil. 156 J. FE. JONHANSSoN: DIE AUSSCHLIESSLICHE WIRKUNG D. VASOMOTOREN. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IV/VI.) Fig. 3, Versuch I. Reizung des Halsmarkes. Rollenabstand 8. Reizungs- frequenz dk: 5-5; ei: 10.5; fh: 21-5; g: 43; die an die Curve angeschriebenen Zahlen bedeuten die in der Secunde gegebenen Einzelreize. Fig. 4, Versuch VI. Reizung des Halsmarkes. Rollenabstand 10 ®. Reizungs frequenz a: 2-3; b: 4-7; ©: 5-2; c und h: 10; d: 20; f: 32; e: 39; die an die Curve angeschriebenen Zahlen haben die Bedeutung wie in Fig. 3. Fig. 5, Versuch VI. Reizung des Halsmarkes. Rollenabstand 8°®. Reizungs- frequenz 40. Reizungsdauer p: 10"; g: 20”; r: 30”; s: 40"; o: 80". Fig. 6, Versuch VII. Reizung des N. splanchnieus. Rollenabstand 5”. Rei- zungsfrequenz 40. Reizungsdauer g: 40°; r: 20"; s: 10"; 2: 5”. Figg. ?—10 Versuch IX. Reizung des N. splanchnieus. ZRollenabstand Sm. Reizungsfrequenz a—e: 40; 9g—m: 20; n—r: 10; s—u: 5. Reizungsdauer a: 4; bE. 91: c:7 20%: de 30%; er 58:09:52; 77.102 92: 201072727 30, n:992.:1.0:1108:-30:5204:00:7300-27.:2 50%:03:21 08: 77:9200-%72:25086 Figg. 11—14, Versuch VIII. Reizung des N. splanchnicus. Reizungsfrequenz 37. Rollenabstand a: 20°@; 5: 16%; ce: 12%; d: 10%; e: 8m. Reizungsfrequenz 18-5. Rollenabstand ‚f: 20%; 9: 16%; A: 12m; z: 10%W; %k: 8, — Reizungsfrequenz 9. Rollenabstand n: 12%; o: 10®@; p: 8°®, — Reizungsfrequenz 4-5. Rollenabstand g: 12%; »: 10°; s: 8°®. Durch ein Versehen ist hinter die an die Curven gesetzten Zahlen Sec. geschrieben, es soll RA Rollenabstand heissen. Die Curven auf den Tafeln haben nur den Zweck. von dem Verlauf der Druck- veränderung in den verschiedenen Fällen eine allgemeine Uebersicht zu geben, die detaillirte Darstellung findet sich in den bez. Tabellen. Zur Erklärung der „Flatternden Herzen“. Von Adolf Szili in Budapest, Es ist vielleicht nicht ganz gleichgiltig für die Erklärung der „flattern- den Herzen“, dass die Erscheinung durch eine wesentliche Modification des Versuches nicht nur nicht leidet, sondern noch unfehlbarer und lebhafter erzielt werden kann. Ursprünglich wurde beobachtet, dass grüne Bilder auf rothem Grunde hin und her zu schwanken scheinen. Es war nahe- liegend, dies auf die Beziehung complementärer Farben zu einander zu- rückzuführen; allein schon Wheatstone, der erste Beobachter, behaup- tete, dass das Phaenomen sich viel lebhafter kundgiebt, wenn der Versuch mit blauen Zeichen auf rothem Grunde oder umgekehrt angestellt wird. Dies veranlasste Dove, die optische Täuschung als eine Folge des von Brewster bemerkten Umstandes aufzufassen, dass auf einer geognostischen Karte blau und roth nicht in einer Ebene zu liegen scheine. Wenn das Blatt in seiner Ebene hin und her bewegt wird, so beschreiben nach ihm die Zeichen und der Grund gleich grosse Tangenten an Kreisen, deren Radien verschieden gesetzt sind. „Die Winkelgeschwindigkeit des einen erscheint daher anders, als die des anderen, beide Objecte, Bild und Grund scheinen sich daher übereinander zu verschieben.“! Dieser Er- klärung gegenüber steht eine andere auf der Thatsache, dass die Netzhaut- erregung nicht für alle Farben zugleich eintritt. Helmholtz sagt: „Der Grund der Erscheinung scheint darin zu liegen, dass der Licht- eindruck im Auge für die verschiedenen Farben nicht gleich schnell zu Stande kommt und vergeht, und deshalb das Blau in der von dem Blatte ! Poggendorff’s Annalen u.s. w. Bd. LXXXV. S. 408. 158 ADOLF SZILT: beschriebenen Bahn scheinbar etwas hinter dem Roth zurückbleibt.“! Auch nach ihm scheint Roth und Blau am besten zu wirken, und hierauf be- züglich betont er, dass die Farben sehr lebhaft und gesättigt sein müssen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass viel energischer als mit den bekannten Tafeln der Effect sich kund giebt, wenn auf rothem oder orangefarbigem Grunde graue Figuren angebracht sind. Da solche Tafeln besser wirkend und leichter durch eigenhändiges Verfahren zu be- schaffen sind, als durch den Druck, so erlaube ich mir hier eine Bemer- kung über ihre Herstellung. Man klebt schmale weisse Papierstreifen oder kleine ausgeschnittene Figuren auf den Grund von gesättigtem Roth oder Orange und schattirt dieselben dann mit dem Bleistift und mit Hülfe eines Wischers bis zu einem der Lichtstärke des Grundes nahezu entsprechenden Grade. Da die Täuschung um so auffallender wird, je besser die Be- wegung des Grundes in seiner Ebene wahrgenommen wird, wie auch schon Dove bemerkt hat, so empfehle ich, zwischen den grauen Figuren auch noch schwarze einzustreuen. Eine sehr hübsche Wirkung erzielt man, wenn man die grauen Figuren innerhalb eines Fenster- kreuzes aus dicken schwarzen Linien anbringt, oder, um die Richtung der Scheinbewesung noch auf- fallender zu machen, wenn man innerhalb eines Gitters aus schwarzen Linien ein graues (bezw. farbiges) einschaltet etwa nach dem Muster der nebenstehenden verkleinerten Zeichnung, in welcher die ausgezogenen Linien farbig, die gestrichelten ae Feeipncie schwarz zu denken sind.? Es ist bekannt, dass die Täuschung vorzugsweise das excentrische Sehen trifft, und dass dem Versuch die künstliche Beleuchtung überaus günstig ist, bei solchem sind die folgenden Eigenthümlichkeiten zu eruiren. 1. Die Scheinbewegung tritt erst auf, wenn das Blatt in gemessener Entfernung von der Lichtquelle hin und her bewegt wird. Ich be- merke, dass dann auf den grauen Figuren schon eine sehr deutliche ! Handbuch der physiologischen Optik. Leipzig 1867. 8. 383. — Eine Schein- bewegung auf Grund dieser Thatsache erhält man wirklich, wenn man auf schwarzer Unterlage (Sammt) in gleichen Zwischenräumen eine Reihe von abwechselnd rothen und blauen verticalen Streifen anbringt. ? Der Verfasser hat die Güte gehabt, mir unter anderen zur Erläuterung seiner Angaben dienenden farbigen Bildern auch ein solehes auf rothem Grunde in ein schwarzes (Gitter hineingezeichnetes graues Gitter zu übersenden. Diese leider nicht hier repro- dueirbare Tafel zeigt bei Gaslicht das Flattern in der That schöner als irgend eine der zahlreichen Figuren der Art, welche ich gesehen habe. [E. d. B.-R.] VUR ERKLÄRUNG DER VLATTERNDEN HERZEN. 159 complementäre Färbung ausgesprochen ist. Die Scheinbewegung ver- schwindet, sobald das Blatt so gehalten wird, dass die grauen Figuren glänzen. 2. Wenn das Blatt in seiner Ebene hin und her bewest wird, dann scheinen die Figuren in der Bahn der Bewegung der Unterlage zu- rückzubleiben, die Scheinbewegung ist also eine der Bewegung des Grundes entgegengesetzte. Wenn hingegen das Blatt fixirt ist und das Auge hin und her bewegt wird, dann erfolgt die Scheinbewegung der Figuren in der Richtung der Augenbewegung. Ich glaube, schon allein der Umstand, dass wir es hier nur mit einer einzigen objectiven Farbe zu thun haben, genügt, um zu beweisen, dass weder die Thatsache der verschiedenen Brechung, noch diejenige der zeit- lichen Verschiedenheit des Erregungsmaximums verschiedener Farben zur Erklärung des Phaenomens herangezogen werden darf. Wie zu erwarten ist, zeigen grüne Figuren auf dem rothen Grunde bezüglich der Art der Scheinbewegung ein völlig gleiches Verhalten mit den grauen. Ich erwähne schon hier, dass für den Versuch bei künstlichem Lichte die Farben Roth und Grün sich wirklich viel besser eignen, als, wie angenommen wird, Roth und Blau. Wir wollen nun sehen, welche Scheinbewegung erzielt wird, wenn die Farben des Grundes und der Figuren umgewechselt werden. Auf grünem Grunde lässt sich eine simultane Con- trastwirkung mit grauen Figuren nur durch Florpapier erzielen, was sich zu unserem Versuch nicht eignet. Ich habe demnach, um den Versuch umzukehren, auf grünem Grunde rothe Figuren angebracht, die am besten wirken, wenn man ebenfalls aufgeklebte weisse Figuren bis zur er- forderlichen Sättigung selbst färbt. 3. Rothe Figuren auf grünem Grunde zeigen die gleiche Scheinbewegung wie grüne oder graue Figuren auf rothem Grunde, d. h. sie bleiben ebenfalls scheinbar gegen die Bewegungen des Grundes zurück und folgen ebenfalls scheinbar der Augenbewegung (Ganz so ist es auch mit den Farben Blau und Roth in beiden An- ordnungen, wiewohl das Experiment mit diesen nicht so schön gelingt. Man muss erst eine ganze Weile das Blatt rasch hin und her bewegen, bevor man sich über die Art der Scheinbewegune völlig klar wird.) Wie immer man also den Versuch einrichtet, die Scheinbewegung der Figuren ist überall die gleiche: ein Zurückbleiben in der Bahn der Bewegung des Grundes. Auch diese Thatsachen widersprechen sowohl der einen Annahme, dass die Bewegungstäuschung auf einer eingebildeten Parallaxe als Folge von 160 | ADOLF SZILI: Brechungsdifferenz beruht, als jener anderen, dass eine ungleichzeitige Netz- hauterregung die Erscheinung verursacht. Beiden zu Folge müsste beim Umwechseln der Farben die Scheinbewegung sich jeweilig in entgegen- gesetztem Sinne äussern. Indem die Zeichen das eine Mal zurückbleiben, müssten sie das andere Mal ihr vorauszueilen scheinen. Durch meine Wahrnehmungen bin ich zur Annahme gelangt, dass die Scheinbewegung eine Nachbilderscheinung sei, die als solche mit bekannten physiologischen Gesetzen im Einklang stehen muss. Wenn man unter gewöhnlichen Verhältnissen auf einem farbigen Grunde ein compli- mentär gefärbtes Object einige Zeit ruhig betrachtet, bleibt, wenn dieses seinen Ort verlässt, an seiner Stelle ein Nachbild zurück, auf welchem die Farbe des Grundes nicht bloss liehtstärker, sondern auch gesättigter ist. Dasselbe Experiment ist es, wenn ein farbiges Blatt mit einer complimentär- farbigen Figur darauf in seiner Ebene bewegt wird, wie es zur Erzielung der uns beschäftigenden Scheinbewegung geschieht. Da diese Schein- bewegung nur bei sehr mässigem künstlichen Licht vorzugsweise erzielt _ wird, so muss das Verhalten der Nachbilder bei der gleichen ‚Beleuchtung geprüft werden. Wenn man in einem bloss durch eine Kerze erleuchteten Zimmer in geeigneter Entfernung von der Flamme vor einem rothen Carton ein blaugrünes Kärtchen an dem Ende eines Federstieles hin und her bewegt, dann merkt man folgendes: An dem der Richtung der Be- wegung entgegengesetzten Rande schleppt das Objekt ein Nachbild nach sich, welches, so viel bei seiner kurzen Dauer und bei dem raschen Orts- wechsel geurtheilt werden kann, viel heller als der Grund ist, über welchen das Object bewegt wird, und mit ihm gleich gefärbt zu sein scheint. Im Augenblick der Bewegungsumkehr verschwindet hier das Nachbild, um so- fort an dem entgegengesetzten Rande des Objectes aufzutauchen, gerade so, als wäre es hinübergeschleudert worden, ein Eindruck, der dadurch noch erhöht wird, dass über das voraneilende Ende des grünen Kärtchens (wo eben das helle Nachbild verschwunden ist) sich ein Schatten legt, so dass das Object für den fiüchtigen Blick an diesem Ende in dem Maasse verkürzt erscheint, als es an dem anderen Ende durch das_ lichtstarke Nachbild verlängert wird. Diese Erscheinungen machen in ihrem aufein- anderfolgenden Wechsel den Eindruck, als würde das Kärtchen stets am Ende des Federstieles wie eine hin und her geschwenkte Fahne in die der Bewegung entgegengesetzte Richtung wehen. Das Gleiche zeigt uns ein vor dem rothen Grunde hin und her schwankendes graues Kärtchen. Um die Vorgänge besser analysiren zu können, ist es rathsam, in beiden Fällen dem Kärtchen eine Länge von mindestens 3 ® und eine Breite von 1-5 m zu ertheilen; auch soll man die Bewegung in gehöriger Entfernung von emp /uUR ERKLÄRUNG DER FLATTERNDEN HERZEN. 161 dem Grunde ausführen, damit der Schatten des Objeetes nicht störend auf ihn fällt. Eine ebenso hübsche Erscheinung bietet es, wenn auf dem rothen Grunde selbst sich eine kleinere grüne Marke am besten zugleich mit einer schwarzen befindet: ich benutze nach dem Muster der neben- stehenden Figur eine kreisrunde grüne Scheibe über einem ver- "N ticalen schwarzen Stab. Schon bei der geringsten Bewegung des Blattes in seiner Ebene sieht man das helle sichelförmige Nach- bild an dem der Bewegungsrichtung entgegengesetzten Rande auftauchen, während an dem der Bewegungsrichtung zugekehrten Rande auf dem Objecte selbst eine ebenso grosse dunkle Sichel entsteht. Beim steten Wechsel der Bewegung erhält man genau den Eindruck, als würde über dem eigentlichen Object eine zweite (etwas grössere) hellere Scheibe in entgegengesetzter Richtung hin und her schwanken. Lässt man diese Figur in den Bereich des indireeten Sehens gleiten, indem man an dem schwarzen Stab etwas nach abwärts blickt, dann verschwindet dieses doppelte Bild, und man sieht nur die helle Scheibe merkwürdig gleichmässig ihre Scheinbewegungen aus- führen. Eine graue Scheibe auf dem rothen Grund bietet die gleiche Er- scheinung. Wenn man die hier geschilderten Versuche mit rothen Objecten auf grünem Grunde anstellt, so erhält man die gleiche Scheinbewegung, nur mit dem Unterschiede, dass das Nachbild an dem der Bewegungsrichtung entgegengesetzten Rande des Objectes dunkler erscheint als der Grund, während das Object selbst an seinem der Bewegungsrichtung zugekehrten Ende aufgehellt wird. Während man bei dem früheren Versuch (Grün auf Roth) über der Figur ein zweites helleres Bild hin und her schwanken sah, erscheint hier ein solches zweites Bild, das dunkler ist als die Figur, die es erzeugt. Man kann sich leicht überzeugen, dass auch bei blauen Figuren auf rothem Grunde und umgekehrt das lebhafte Spiel der Nachbilder auf gleiche Weise die scheinbare Unruhe der Figuren erzeugt. Aber bei dieser Combination flackern die Zeichen mehr, als dass sie sich bewegen, indem sie, auch im Bereiche des indirecten Sehens, in fortwährendem Wechsel theilweise heller und theilweise dunkler erscheinen. Aber gerade dieses starke Flackern dürfte die Ursache sein, weshalb allgemein angenommen wird, dass die Farben Roth und Blau zur Erzielung der Scheinbewegung die geeigneteren sind. Dass im Ganzen die Täuschung in der Nachbarschaft des Netzhaut- centrums vollkommener zu Stande kommt, als auf diesem selbst, dürfte seinen Grund darin haben, dass das indirecte Sehen bei schwacher Be- Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 1 162 ADOLF SZILT: leuchtung für Helligkeitsunterschiede empfindlicher ist, als das centrale, ferner vielleicht auch darin, dass im indirecten Sehen die Neigung besteht, Bewegungserscheinungen zu überschätzen (in Bezug hierauf erinnere ich an die Wahrnehmung Exner’s, dass wir z. B. die Schwingungen einer pendeln- den Hängelampe ausserhalb der Blickrichtung für viel grösser halten, als sie wirklich sind). Weitere Erscheinungen, welche beim Anstellen der hier beschriebenen Versuche dem Beobachter auffallen, so die Aenderungen, welche die Färbung der Figuren im excentrischen Sehen erleidet, ferner die Verdunkelungen der rothen Figuren auf blauem Grunde bei Ver- engerungen der Lidspalte und ähnliches habe ich vorläufig ausser Betrach- tung gelassen. Ich hatte nur die Absicht, die nächste Ursache der Schein- bewegung zu eruiren, wozu die hier mitgetheilten einfachen Beobachtungen genügen dürften. F Erst zur Zeit, als die obige Mittheilung bereits unter der Presse war, erfuhr ich durch die Freundlichkeit des Hrn. Dr. Mayerhausen in Breslau, dass er schon vor mir das Phaenomen der „flatternden Herzen“ ebenfalls als eine Nachbilderscheinung aufgefasst hat.” Um Missverständ- nissen vorzubeugen, beeile ich mich, dies hier nachträglich anzugeben. Die Arbeit enthält eine Anzahl treffiender Beobachtungen. Allen Mayer- hausen giebt folgende Erklärung: „Das Nachbild ist ein positives, wie ‘ jedes mit einer gewissen Schnelligkeit bewegte Object ein solches hinter- lässt‘‘ (S. 41). Meine oben angeführten Versuche geben aber die Ueber- zeugung, dass das Nachbild in der Farbe des Grundes erscheint, also ein negatives ist. Schon von einem der ersten Beobachter ist der dunkle Saum, welcher rothe Objeete auf blauem Grunde, und der helle Saum, welcher blaue Objecte auf rothem Grunde überragt, nachdrücklich erwähnt worden (H. Taylor). Unter meinen oben nicht angeführten Versuchen ist der folgende hier mittheilenswerth., Wenn man einen breiten grünen (grauen oder blauen) Streifen und einen eben solchen rothen unmittelbar neben- einander klebt und dieses Blatt bei mässiger Beleuchtung in kurzen Ex- cursionen und nicht zu rasch hin und her bewegt, dann bemerkt man an jener Stelle des aneinanderstossenden Randes, auf welchen man den Blick richtet, dass, wenn das Blatt in die Richtung des Roth geht, das Grün (Grau oder Blau) sich verdunkelt, als ob dort ein Fettfleck entstände, hin- gegen wenn das Blatt in der Richtung des Grün geschoben wird, dass das ' Studien über die Chromatokinopsien. Archiv für Augenheilkunde. Bd. XIV. S. 31—42. m = ZUR ERKLÄRUNG DER FLATTERNDEN HERZEN. 163 Roth derselben Stelle durch einen lichten Schimmer aufgehellt wird. Wäre das festgehaltene Nachbild der Nachbarfarbe ein positives, dann müsste es auf beiden farbigen Gründen wohl eine ziemlich gleiche Mischfarbe geben. Jenes negative Nachbild wirkt lediglich durch seinen Helligkeits- unterschied, der merkwürdiger Weise um so grösser wird, je näher in Bezug auf Lichtstärke Object und Bild einander gebracht werden (ebenso durch objecetive Schattirung, als durch geeignete Beleuchtung). Die in Rede stehende Scheinbewegung giebt sich am schönsten, wenn sie in mässigem Tempo erzeugt wird und hat in ihrem Charakter nichts gemein mit der ‘ scheinbaren Verdoppelung, die durch hastiges Hin- und Herbewegen als Folge der positiven Nachbilder mit jedem Object und unter allen Um- ständen zur Beobachtung gelangt. al l== Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1890—91. I. Sitzung am 31. Oetober 1890." Hr. GOLDSCHEIDER hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Sum- mation von Hautreizen.“ (Nach gemeinschaftlich mit Hrn. Gad angestellten Versuchen.) Den Ausgangspunkt unserer Untersuchungen bildete ein eigenthümliches Phaenomen der Empfindung, welches bei mechanischem Reiz der Hautnerven zu beobachten ist. Uebt man mit einer Nadelspitze einen leichten Eindruck auf die Haut aus, so hat man ausser der ersten sofort eintretenden stechenden Em- pfindung nach einem empfindungslosen Intervall eine zweite gleichfalls stechende Empfindung, welche sich in ihrem Charakter dadurch von der ersten unterscheidet, dass ihr nichts von Tastempfindung beigemischt ist, sie vielmehr gleichsam wie von innen zu kommen scheint. Bei mässiger, noch nicht schmerz- hafter Intensität der primären Empfindung kann die secundäre schmerzhaft sein. Wird die Intensität des Eindrucks so gesteigert, dass die erste Sensation schmerz- haft ist, so wird die zweite im Verhältniss zur ersten schwächer und tritt weniger deutlich hervor, da das leere Intervall zum Theil von der nachdauern- den ersten Empfindung ausgefüllt wird. Das Phaenomen der secundären Hm- pfindung tritt schon bei sehr schwachen, vom Schwellenwerth nicht weit ent- fernten Reizen auf. Es ist nicht nöthig, dass die Berührung mit einer scharfen Spitze erfolge; die Erscheinung zeigt sich ebenso bei einem stumpfen Eindruck, z. B. sehr deutlich bei Berührung mit einem Stecknadelknopf. Dies Phaenomen habe ich schon vor langer Zeit bemerkt und in meiner Dissertation im Jahre 1881 kurz beschrieben.? ! Ausgegeben am 21. November 1890. ” Die Lehre von den specifischen Energieen der Sinnesorgane. S. 34. Pr Tempe einge —e VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — GOLDSCHEIDER. 165 Im vorigen Winter habe ich mich wieder mit demselben beschäftigt, wobei ich die Bemerkung machte, dass ein einzelner Oeffnungsschlag unter allen Be- dingungen nur eine primäre Empfindung verursacht, dass dagegen die secundäre, durch ein leeres Intervall von der ersten getrennte Sensation entsteht, sobald man mehrere elektrische Einzelreize hinter einander auf dieselbe Hautstelle applicirt. Hiermit schien der Schlüssel zur Erklärung der Erscheinung gegeben. Hr. Prof. Gad war auf meine Bitte bereit, gemeinschaftlich mit mir eine weitere Untersuchung des Phaenomens zu unternehmen, nachdem er die vorstehend mit- setheilten Beobachtungen an sich selbst geprüft und in allen Stücken bestätigt hatte. Zuvörderst sei bemerkt, dass eine analoge Erscheinung auf anderen Sinnes- gebieten uns nicht bekannt geworden ist, mit Ausnahme einer im Gebiete des Gesichtssinnes beschriebenen. Aubert sowohl wie Förster haben mitgetheilt, dass der elektrische Funke ausser dem primären Lichteindruck ein positives Nachbild hinterlasse. v. Vintschgau und Lustig haben sich mit dieser Er- scheinung näher beschäftigt und speciell das Zeitintervall bestimmt, nach wel- chem das positive Nachbild sich entwickelt. Hr. Lustig (z. Z. Professor in Florenz), welcher als Versuchsperson diente, hatte hier auf dem Congress die Güte, mir mündlich eine nähere Schilderung von der Qualität der Erscheinung zu machen: synchron mit dem Ueberspringen des Funkens hatte er den Ein- druck einer hellen Scheibe, entsprechend der kreisförmigen Oeffnung im Schirm, durch welche er auf den Funken blickte. Nachdem dieser Lichteindruck ab- geblasst, entwickelte sich nach einem von Empfindung leeren Intervall ein deut- liches positives Nachbild der hellen Scheibe, welches von der Peripherie her wieder verblasste. Als Zeitwerth für das Intervall wurde 0.344 Secunden er- mittel. Hr. Gad, welcher mich auf die angeführten Publicationen aufmerksam gemacht hat, fand auch, dass Charpentier die Erscheinung des positiven Nachbildes in diesem Jahre-in der Societe de Biologie als eine neue Entdeckung mitgetheilt hat. Unsere Untersuchung erstreckte sich nun zunächst darauf, die Bedingungen festzustellen, unter welchen eine Reihe von Reizen geeignet ist, das Phaenomen der secundären Empfindung zu erzeugen. Zu diesem Zwecke wurden die Reiz- reihen nach Dauer, Reizintervall und Reizintensität in umfänglicher Weise variirt und der Einfluss dieser Variationen auf das Zustandekommen und die Qualität der Erscheinung, sowie auf den Zeitbetrag, nach welchem die secundäre Em- pfindung auftrat, geprüft. Die Reizung geschah bipolar. Ein handlicher Griff von Ebonit, welcher in eine Art von Kugel auslief, enthielt in sich ein Paar von Leitungsdrähten, welche genau in der Ebene der Kugeloberfläche, dicht neben einander, ihr Ende fanden. Die Reize bestanden in Strömen der secun- dären Rolle. In den primären Kreis waren als Reizvorrichtung ein langsam und ein schnell schwingender Hammer, sowie eine 100 Mal in der Secunde schwingende Stimmgabel eingeschlossen. Die Dauer der Reizreihen konnte für sehr kleine Zeiten durch das Federmyographion, für längere mittels des Metro- noms und für noch längere durch eine verstellbare, unter der Kymographion- trommel angebrachte Quecksilberrinne regulirt werden. Ausserdem war in den primären Kreis ein Pfeil’scher Chronograph zum Markiren der Reize eingefügt. Zum Signalisiren der Empfindung diente ein Beisscontact. Der secundäre Strom konnte durch einen Vorreiberschlüssel abgeblendet werden. Alle diese Vor- 166 VERHANDLUNGEN DER BERLINER richtungen waren gleichzeitig- zusammengefügt und es waren Anordnungen ge- troffen, um schnell bald die eine, bald die andere zur Thätigkeit einzuschalten. Die Ausführung der Versuche geschah so, dass die jedesmalige Versuchsperson (Hr. Gad oder ich) den Griff in die Hohlhand nahm bezw. sich an eine Haut- stelle andrückte, während der Andere den Apparat handhabte. Es zeigte sich nun, dass schon zwei Reize im Stande waren die secun- däre Empfindung hervorzurufen, jedoch in sehr undeutlicher und inconstanter Weise; ähnlich drei Reize. Eine Reihe von vier Reizen dagegen brachte die Erscheinung deutlich hervor, aber nur unter gewissen Bedingungen des Reizinter- valles: betrug derselbe 10 o (10 = 0.001 Secunde), so trat das Phaenomen wenig constant und undeutlich hervor; betrug es 20 o, so war letzteres deutlicher; bei 30—60 o am deutlichsten und bei steigendem Intervall wieder etwas undeutlicher werdend, um, wenn das Intervall über 90 o wuchs, überhaupt inconstant und undeutlich zu werden. Aehnlich verhielt es sich bei Reihen von fünf Reizen. Bei weiterer Vermehrung der Reizzahl erwiesen sich für das Zustandekommen der secundären Empfindung mehr und mehr die kleinen Reizintervalle begünstigt. So war es bei sieben Reizen für die Erscheinung ein Optimum, wenn das Inter- vall bis zu 60 o, bei acht Reizen, wenn es bis zu 40 o betrug. Bei 12 bis 13 Reizen gar war das Intervall von 10 bis 20 o das geeignetste. Sucht man die solchergestalt kurz skizzirte Beziehung von Reizzahl zu Reizintervall auf ein möglichst einfaches Verhältniss zurückzuführen, so ergiebt sich etwa Fol- gendes: Ein bestimmtes Optimum der Dauer der Reizreihe kann man nicht auf- stellen, sondern nur sagen, dass die secundäre Empfindung deutlich zu Stande kommt, wenn während einer Zeit von 80 bis 400 o eine Reihe von Reizen sich ereignet. Hierbei erscheint das Reizintervall zwischen 40 und 70 o, speciell 40 o, bevorzugt. Ein möglichst scharfer Ausdruck der Relation von Intervall zu Reizzahl kann folgendermaassen gegeben werden: Mit wachsendem Reizinter- vall nimmt die Zahl der zur Deutlichkeit der secundären Empfindung erforder- lichen Einzelreize ab. Da bei allen Reizintervallen die gestattete Gesammtdauer des Reizvorganges ungefähr dieselbe bleibt, so darf bei kleinem Reizintervall die Gesammtzahl der Einzelreize einen beträchtlich grösseren Werth erreichen, . als bei grossem Intervall. Jedoch ist bei kleinem Intervall das Optimum nach einer kürzeren absoluten Dauer der Reizreihe erreichbar als bei grösserem Intervall. Was den Einfluss der Intensität der Reize betrifft, so bemerkten wir, wie schon andere Autoren, dass die Empfindung, welche dem Einzelreiz ent- sprach, im Verlaufe einer Reizreihe an Intensität zunahm, so dass sogar Reize, welche einzeln unmerklich waren, in sehr kleinen Intervallen gehäuft sehr merklich wurden. Da es sich nun herausstellte, dass die secundäre Empfindung von der Intensität des Gesammteindruckes der Reizreihe abhing, so wurde die Intensität der Einzelreize nicht näher berücksichtigt, dieselbe vielmehr durch jedesmaliges Ausprobiren so gewählt, das der Gesammteindruck von mässiger Intensität war, wie sie sich als am zweckmässigsten für das Zustandekommen der secundären Empfindung erwies. Eine Abschwächung bezw. Steigerung der Intensität bewirkte dann ein Undeutlicherwerden der secundären Empfindung. Bei Steigerung nämlich wird von einer gewissen Grenze ak die secundäre Em- pfindung schwächer als die primäre. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (GFOLDSCHEIDER. 167 Die Zeit, nach welcher bei einer Reizreihe die secundäre Empfindung auf- tritt, beträgt, vom Ende der Reizreihe an gemessen, ungefähr °/,, Secunden (an der Hand). Steht nun diese Reactionszeit zur Dauer der Reizreihe, zur Zahl der Reize in Beziehung? Wird die secundäre Empfindung hinausgeschoben durch eine Verlängerung der Reizreihe, in ihrem zeitlichen Auftreten gestört durch die Häufung der Reize? Im dieser Beziehung haben unsere Untersuch- ungen Folgendes ergeben: Wird die Dauer der Reizreihe verlängert, indem ent- weder die Zahl der Reize vermehrt oder ihr Intervall vergrössert wird, so hat dies auf die Zeit, nach welcher die secundäre Empfindung auftritt, keinen er- sichtlichen Einfluss, indem das Spatium zwischen Ende der Reizreihe und secun- därer Empfindung nahezu dasselbe bleibt. Allein dies Verhältniss gilt nur bis zu einer gewissen Grenze der Dauer der Reizreihe. Diese wird durch den Zeitbetrag repraesentirt, bis zu welchem bei dem betreffenden Reizintervall die Reizreihe wachsen muss, um die zur deutlichen Secundärempfindung nothwendige Reizzahl zu erzielen. Wird diese Grenze überschritten, so tritt die Secundär- empfindung, unabhängig von der Ausdehnung der Reizreihe, doch in ihrem alten Zeitmoment auf, d. h. das Spatium zwischen Ende der Reizreihe und Secundär- empfindung verkürzt sich. Wird die Reizreihe zu weit ausgedehnt, etwa bis über 800 o, so confluirt die Secundärempfindung mit der primären oder kommt gar nicht zu Stande Nach diesen Feststellungen wandten wir uns dazu, die Reactionszeiten der secundären Empfindung bei mechanischer Reizung zu ermitteln. Um Stärke, Dauer und Steilheit der mechanischen Reize zu bemessen, bedienten wir uns folgender Vorrichtung: Eine nach Art der Marey’schen Tambours hergestellte und mit einer Handhabe versehene Kapsel trug auf der Mitte der Gummimembran senkrecht eine Nadel. Diese Aufnahmekapsel war mittels eines Schlauches mit einer registrirenden Kapsel verbunden, welche den Verlauf des mechanischen Eindruckes auf der Trommel verzeichnete. Darunter wurde die zeitmessende Curve gezogen. Es ergab sich, dass das zeitliche Auftreten der secundären Empfindung nach etwa derselben Frist erfolgte wie bei der elektrischen Reizung, falls man die Bedingungen der Dauer und Intensität der Reizung, nach der pri- mären Empfindung gemessen, möglichst gleich herstellte. Im Uebrigen zeigte sich die Reactionszeit abhängig von der Intensität sowie Steilheit der mecha- nischen Reizung, und zwar erschien letzteres Moment von grösserem Einfluss auf die Verkürzung der Reactionszeit als ersteres.. Bei flach ansteigendem und länger dauerndem mechanischen Eindruck wurde das Zeitintervall bis zur secundären Empfindung, vom Anfang des Reizes an gerechnet, entsprechend verlängert; vom Ende an gerechnet blieb es ungefähr gleich. Wurde aber die Dauer der Reizung über ein gewisses Maass, etwa 500 o, ausgedehnt, so verkürzte sich das Intervall vom Ende an gerechnet, während es vom An- fang an gerechnet ungefähr gleich blieb. Dies ist wie bei den elektrischen Reizen dahin auszulegen, dass, wenn die zur Auslösung der Secundärempfindung nöthige ‚Intensität des primären Eindrucks erreicht ist, ein weiterer Zuwachs des Reizes nicht mehr verändernd wirkt. Dass auch bei der mechanischen Reizung für die Zeit der Secundärempfindung die Bedingung des Deutlichwerdens maassgebend ist, geht daraus hervor, dass an der Vola der Handwurzel, wo die Erscheinung überhaupt deutlicher ist als an der Hohlhand, auch die Reactions- zeit als etwas kürzer sich herausstellte. Von der Fusssohle aus (nur bei 168 VERHANDLUNGEN DER BERLINER mir gemessen) beträgt unter gleichen Bedingungen die Reactionszeit der Secun- därempfindung 400—500 o mehr als von der Hohlhand aus. Was nun das Wesen des Vorganges betrifft, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es sich um eine Summationswirkung handelt. Wo die Summirung stattfindet, ist natürlich nicht mit Sicherheit festzustellen; wahr- scheinlich jedoch nicht in den Nervenfasern, sondern in zelligen Elementen, welche in die Leitungsbahn eingestreut sind, und es liegt am nächsten, hierbei an zellige Elemente des Rückenmarks zu denken. Somit würde sich folgende Vorstellung, welehe anatomischen Thatsachen Rechnung trägt, ergeben: die hin- teren Wurzeln gabeln sich im Rückenmark in eine doppelte Bahn, indem die in den Hintersträngen aufsteigenden Fasern Collateralen (Kölliker) abgeben, welche in die graue Substanz eintreten und deren Verästelungen in solche von cellulären Elementen eingreifen. Die Erregung läuft somit einmal in der langen Bahn dem Bewusstseinscentrum zu und trifft andererseits auf eingelagerte Zellen, welche die Erregung nicht einfach fortleiten, sondern zunächst nur in einen veränderten Erregbarkeitszustand gerathen. Erst wenn mehrere Erregungen hinter einander auf diese Art zur Zelle gelangt sind, wird die aufgespeicherte Energie in Arbeit umgesetzt; die Zelle sendet nun selbst Erregungen aus, welche gleichfalls, aber auf der anderen Bahn, zum Centrum gelangen. Diese letztere möge, da sie den summirten Erregungen zum Durchtritt dient, als „Summations- bahn“ bezeichnet werden. Dies ist jedenfalls correcter, als sie zur „Schmerz- bahn zu stempeln. Im Hinblick auf die Thatsache, dass auch die Reflex- bewegungen summirten Erregungen entsprechen, dürfte es zweckmässig sein, die Vorstellung dahin zu detailliren, dass die summirende Zelle sich nach der einen Richtung gegen eine motorische Zelle (Reflexbogen) entladet, nach der anderen Richtung hin centripetal. Wir können in dieser Beziehung von einer kürzlich von Quincke! ausgesprochenen, sehr berechtigten Vorstellung Gebrauch machen, dass nämlich bei der Uebertragung von sensiblen Erregungen auf entferntere motorische Regionen zunächst sensible Zellen derselben als Durchgang benutzt werden, wodurch es nicht bloss zu Reflexbewegungen, sondern auch zu Mit- empfindungen kommt. Unser Fall würde eine Verallgemeinerung dieses Vor- ganges bedeuten. — Es bleibt, um die Erscheinung zu erklären, nun noch eine weitere Annahme zu machen: dass nämlich auch eine einfache Erregung, falls sie von exorbitanter Stärke ist, im Stande sei die Summationsbahn zu durch- brechen, eine Annahme, welche erleichtert wird im Hinblick darauf, dass nach Stirling starke einfache Reize auch Reflex erregen können. Die Annahme ist wegen pathologischer Erfahrungen nothwendig, denn es ist sicher, dass De- generationen der grauen Substanz das Schmerzgefühl,; aber nicht das Druckgefühl aufheben. Wir müssen daher annehmen, dass Schmerz nur von der Summations- bahn her entstehen kann, — aber keineswegs muss jede von dieser Bahn her- geleitete Empfindung schmerzhaft sein. Bei einem sehr starken Reiz entsteht daher primär Schmerz und, falls ersterer zusammengesetzt war, ausserdem durch Summirung innerhalb der schon einmal durchlaufenen Zellen, eine secundäre schwächere Empfindung. Indem wir somit zu dem Schluss gelangen, dass die secundäre Empfindung ein Summationsphaenomen ist, ergiebt sich zugleich, dass der mechanische 1 Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. XVII. H.5. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GOLDSCHEIDER. — Marrınt 169 Reiz, wie er auch beschaffen sein möge, niemals als ein einfacher anzusehen ist, sondern schon einer Reizreihe entspricht. In dieser Auffassung liegt ein Unterschied gegenüber den bisherigen Autoren (Naunyn, Rosenbach), welche die Summation der mechanischen Reize selbst untersucht haben. Was über- haupt die Stellung unserer Untersuchungen zu den bisherigen über Summation von Hautreizen betrifft, so hatten letztere im Wesentlichen das durch Summirung bedingte Merklichwerden untermerklicher Reize im Auge; aber die von Naunyn gemachte, von Rosenbach bestätigte Angabe, dass nach einer Reihe von Reizen (bei Kranken) plötzlich ein Schmerz hereingebrochen sei, hat offenbar eine ge- wisse Aehnlichkeit mit unserem Phaenomen insofern, als durch Summirung eine neue Empfindung, nicht bloss eine Erregbarkeitssteigerung, gesetzt ist. Das unter pathologischen Bedingungen vorkommende Phaenomen der ‚‚ver- langsamten Leitung“ ist zweifelsohne auf den hier besprochenen Vorgang zu- rückzuführen. Die Summationsbedingungen sind dabei durch Erkrankungen innerhalb der Leitungsbahnen in der Weise verändert, dass die secundäre Em- pfindung abnorm spät zu Stande kommt. Diese Vergrösserung des Zeitintervalls kann wahrscheinlich schon durch eine blosse Herabsetzung der Leitungsfähigkeit des Nerven hervorgebracht werden. Ein von mir kürzlich beobachteter Fall zeigte das Phaenomen lediglich durch peripherische Affeetion hervorgebracht Dennoch war die zweite Empfindung von abnormer Intensität. Diese patho- logisch vorkommende Verspätung des Schmerzes mit hyperalgetischem Charakter desselben kann man wohl nur mit der Annahme erklären, dass es einen „hyper- algetischen Zustand“ giebt, welcher wahrscheinlich an die in die Leitungsbahn eingestreuten zelligen Elemente geknüpft ist, und welcher etwa ähnlich vorzu- stellen ist wie der Zustand der centralen Zellen bei Strychninintoxication. Der hyperalgetische Zustand kann durch irgend welche in der Peripherie bestehende Reizzustände hervorgerufen werden. Gehen letztere zugleich mit verringerter Erregbarkeit bezw. Leitungsfähigkeit einher, so wird die Folge sein, dass die primäre Empfindung schwach ausfallen und das für die Summirung erforderliche Optimum später erreicht wird, während auf Grund des in den Zellen bestehen- den hyperalgetischen Zustandes die Summation der Erregungen eine abnorme intensive Thätigkeitsäusserung derselben setzt. & Ill. Sitzung am 28. November 1890.' Hr. MaArrını (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: „Ueber eine Be- ziehung der Pulswellengeschwindigkeit zu den Athmungsphasen.“ In seiner Abhandlung ‚Ueber die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislauf des Blutes und insbesondere auf die Pulswellengeschwindigkeit“ erklärte Ernst Heinrich Weber das Wesen des Pulses nach den allgemeinen Prineipien der Schlauchwelle und erhärtete seine Ansicht durch Experimente am elastischen Schlauch bezw. Dünndarmstück. ! Ausgegeben am 19. December 1890. 170 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Damit war entschieden, dass die Idee vom gleichzeitigen Auftreten des Pulses in allen Arterien illusorisch war, dass der Puls, eine undulatorische Be- wegung, an den dem Herzen nahen Schlagadern, wenn auch um ein kleines, so doch messbares Intervall eher auftrat, als an den peripher gelegenen. Weber taxirte, wie bekanut, bei gleichzeitigem Pulsfühlen an der Arteria maxillaris externa und Arteria pediaeca das Intervall auf !/, bis !/, Secunde. Indess, um genaue Berechnungen daran zu knüpfen, genügte diese blosse Schätzung nicht; dazu bedurfte es feinster Instrumentaluntersuchungen. Man wandte sich diesen zu, und so gelang es späteren Experimentatoren, wie Czer- mak, Landois, die als ihre Hauptrepraesentanten hervorgehoben sein mögen, beiden mit Hülfe im Wesentlichen gleicher Methoden, Werthe zu erhalten, die mit einer gewissen Regelmässigkeit an gleichen Arterien verschiedener Personen wiederkehrten. Es ergab sich nach Landois in den Arterien der oberen Ex- tremität eine Pulswellengeschwindigkeit von 8-45, in denen der unteren Ex- tremität eine Pulswellengeschwindigkeit von 9-4” pro Secunde. Diesen längst bekannten Daten sind neuerdings die anzureihen, welche Thacher in seiner 1888 erschienenen Schrift „Ueber die Pulswellengeschwin- digkeit und Verschlusszeit“ giebt. Seine Untersuchungen beziehen sich auf ge- sunde Personen verschiedener Altersclassen. Er bestätigt, was bereits Ccermak und Landois gefunden hatten, dass die Pulswelle in den nachgiebigen Arterien des Kindes mit geringerer Schnelligkeit sich fortpflanzt, als in denen Erwachsener. Er hatte ebenso wie die erwähnten Autoren nur die physiologischen Ver- hältnisse imAuge; die Frage nach der Pulswellengeschwindigkeit in Fällen ge- störter Herzthätigkeit und in Fällen von Erkrankungen des Gefässapparates hatten sie nicht in den Kreis ihrer Betrachtungen gezogen. Dies war unter Anderem Gegenstand von Grunmach’s Beobachtungen. Ehe er sich jedoch dieser Auf- gabe entledigte, stellte er mehrere Punkte, welche sich auf die die Pulswellen- geschwindigkeit bestimmenden Factoren bezogen, klar; er führte in seiner Arbeit „Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen“ in Gemässheit seiner am normalen Menschen angestellten Versuche den Beweis, dass diese Fort- pflanzungsgeschwindigkeit — wenn auch beeinflusst von localen Veränderungen im Gefässlumen, von der Dicke und Elastieität der Gefässwand, von der Am- plitude und Länge der Pulswellö — Function des Blutdruckes im Aortensystem ist (eine Behauptung, die er neuerdings dahin praeeisirte, dass bei Steigerung des Druckes der Elastieitätscoöfficient und damit auch die Pulsgeschwindigkeit zunehmen muss). Er stellt ebenfalls Normalwerthe auf, die von denen Landois’ nur wenig differiren. Mit diesen Voraussetzungen begann er seine Arbeit „Ueber die Puls- geschwindigkeit bei Erkrankungen des Circulationsapparates, sowie bei Einwir- bung toxischer Mittel“. Er benutzte bei seinen Versuchen ein Baltzar’sches Kymographion, indem dabei eine !/,,. Secunde markirende elektromagnetische Stimmgabel als Zeitmesser diente, und später sein Polygraphion. Er fand auf diese Weise für Herzfehler im Stadium der Incompensation, ebenso bei Arterio- sklerose, unter deren Beschwerden die Befallenen sehr zu leiden hatten, bei Application von toxischen Mitteln, wie Morphium, eine bedeutende Herabsetzung der Pulsschnelligkeit. Sicher ergab sich aus diesen Beobachtungen ein weiterer Beweis dafür, dass der Druck das bestimmende Moment für die Pulswellen- geschwindigkeit ist, da, wie Grunmach sagt, je nach dem Verhalten der Herz- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, —- MARTINT. 171 kraft oder je nachdem die Compensation eine vollkommene oder unvollkommene war, die Pulsgeschwindigkeit normale oder abnorme Werthe hatte. Als ferneren Beitrag für die Bearbeitung des vorliegenden Gegenstandes führte ich in meiner 1389 veröffentlichten Doctordissertation ‚Untersuchungen über die Pulswellengeschwindigkeit‘“ eine Anzahl von Fällen auf, deren Puls- schnelligkeitswerthe mit den bisher angegebenen übereinstimmten. Gleichzeitig wies ich darin auf die Differenzen hin, denen die Geschwindigkeiten der ein- zelnen während einer Curvenreihe erfolgten Pulsschläge häufig unterworfen sind. Ich zeigte, dass diese Differenzen mitunter recht bedeutend sind, und sowohl unter normalen wie pathologischen Verhältnissen vorkommen. Worin dieses eigenthümliche Verhalten seinen Grund hat, darüber wusste ich keine Aufschlüsse zu geben; ich musste mich damit begnügen, auf diese Thatsache, die meines Wissens vorher nicht aufgefallen war, aufmerksam zu machen. Seitdem beschäftigte ich mich damit näher, und zwar suchte ich, da die erwähnten Differenzen auch unter normalen Verhältnissen bestanden, eine Er- klärung dafür in bestimmten physiologischen Vorkommnissen, in den Blutdruck- schwankungen, die während der Athmung stattfinden. Diese als Grund dafür anzusprechen, dazu musste man um so mehr bewogen werden, als Grunmach in seiner im Jahre 1882 erschienenen Arbeit „Ueber den Einfluss der verdünnten und verdichteten Luft auf die Respiration und Circulation“ eine deutliche Ein- wirkung auf die Pulsschnelligkeit durch den Valsalva’schen und Müller’schen Versuch bewiesen hatte. Ich bestrebte mich deshalb, in meinen Curven neben den Pulswellen gleichzeitig diese Druckschwankungen zu erzielen, um einen Ver- gleich zwischen den Geschwindigkeiten der inspiratorischen und exspiratorischen Pulse direct anstellen zu können. Zum Uebertragen des Pulses benutzte ich ein Grunmach'sches Poly- graphion, welches mir Hr. Geheimrath Leyden zur Verfügung stellte. Bei - diesem bekannten Apparat, von dem ich einzelne Theile beschreiben will, da ihre genaue Kenntniss bei einer Prüfung der Methode im Folgenden nöthig wird, dient zum Aufnehmen der Schreibhebelausschläge ein horizontal liegender, um seine Achse drehbarer Cylindermantel. Letzterer ist so eingerichtet, dass er durch bestimmte Manipulationen an dem ihn bewegenden Uhrwerk zu schnellen und langsamen Rotationen eingestellt werden kann; ausserdem lässt er sich in der Richtung seiner Achse hin und her schieben, so dass man auf einem Pa- pier, in einer Sitzung, mehrere Curvenreihen aufnehmen kann, ohne an den Hebeln stellen zu müssen. Während nun der Puls, z. B. der der Axillaris und der der Radialis, jeder durch je einen Uebertragungsapparat, auf das Papier gezeichnet wird, werden gleichzeitig die Schwingungen einer Pfeife von der Schwingungszahl 100 durch ein an ihrer Zunge befindliches leichtes Stäbchen fixirt. Hat man alsdann eine Cylinderdrehung ablaufen lassen, so begiebt man sich sofort an die Ausmessung der Intervalle; dabei erhält man die Intervalls- zeit, ausgedrückt in der Anzahl von Hundertsteln Secunden, die an der Zeit- curve zwischen den Marken des Axillaris- und Radialisschreibhebels liegen. Zum Schluss berechnet man aus der Strecke, die zwischen den Aufnahmepunkten des Axillaris- und des Radialispulses liest, und aus der Intervallszeit die Puls- wellengeschwindigkeit. Damit man jedoch sicher ist, den richtigen Ausdruck der Intervallszeit zu erhalten, bedarf der Apparat einer ständigen Controle. Es müssen die Aufnahme- 172 VERHANDLUNGEN DER BERLINER kapseln beide die gleiche Eindrückbarkeit zeigen, da man sonst in dem einen oder anderen Falle zu kleine bezw. zu grosse Ziffern erhält; man prüft sie nach dem Vorschlage von Prof. Grunmach, indem man stets mehrere Curvenaufnahmen derselben Art macht und für jede dabei die Sitze der Kapseln wechselt, z. B. die Aufnahmekapsel des Radialpulses auf die Aufnahmestelle des Axillarispulses setzt und umgekehrt. Erhält man bei diesen Aenderungen dieselben Werthe, so sind die Kapseln brauchbar. Ferner müssen auch die Registrirkapseln gleich druckempfindlich, die Schreib- hebel gleich leicht beweglich sein. Dies controlirte ich nach dem Vorschlage von Stabsarzt Goldscheider in folgender Weise: ich löste die Gummischläuche von den Aufnahmekapseln und befestigte jeden an dem einen Ende des hori- zontalen Theiles eines T-Rohres; an das verticale Ansatzstück dieses schraubte ich einen dritten Gummischlauch, der mit einer freiliegenden Aufnahmekapsel in Verbindung stand. Klopfte ich nun auf die Pelotte der letzteren, so musste sich der Druck durch das T-Rohr gleichmässig bis zu den Registrirkapseln fortpflanzen und in demselben Moment einen Ausschlag beider Hebel veranlassen. Andernfalls musste, falls Kapseln oder Hebel nicht gleich übertrugen, der eine oder andere Hebel früher oder später ausschlagen. Die zeitliche Differenz be- stimmte ich an der gleichzeitig aufgenommenen Zeitcurve. Bei diesem Control- versuch, der ungefähr alle 5 Tage vorgenommen wurde, .fand ich einige Male Differenzen, die jedoch 1°/,,. Sec. im Mittel nicht überschritten. Bei dem an- deren Versuch zur Prüfung der Aufnahmekapseln, der täglich fast bei jeder Untersuchung geübt wurde, liessen sich niemals beachtenswerthe Fehler erkennen. Jedenfalls wurden aber die constatirten Fehler bei den Geschwindigkeitscurven, die Abweichungen von der Norm ohne sonstigen palpablen Grund zeigten, in Rechnung gebracht; so liess sich z. B. bei einer sonst nicht zu erklärenden Herabsetzung der Pulsgeschwindigkeit durch den T-Rohrversuch ein Nach- schleppen des Radialishebels nachweisen. Man bestimmte die mittlere Verspä- tung des Schreibers und subtrahirte sie von der Intervallszeit; bei nunmehriger Berechnung der Pulswellengeschwindigkeit wurden der Norm entsprechende Resultate erzielt. War jedoch ein solcher Fehler gefunden, so wurde der Apparat nicht eher wieder benutzt, als bis er in Ordnung gebracht war. Unter diesen Cautelen stellte ich meine Versuche an, und zwar machte ich bei denen, die den Einfluss der Athmung auf.die Pulswellengeschwindigkeit demonstriren sollten, nur Aufnahmen an den Arterien des Armes; denn es ge- lang mir nur an der Subelavia einzelner Personen, Athmungsdruckschwankungen zu erzielen, an denen sich das Charakteristische derselben deutlich ausprägte: tiefes Niveau der Schwankungscurve im Beginn des Inspiriums, Anstieg am Ende desselben, Höhe im Exspirium, Abfall mit eintretendem Inspirium u. s. w. Ich maass die Intervalle, berechnete die Pulsgeschwindigkeit und fand bei den am tiefsten gelegenen Pulsen eine weit geringere Schnelligkeit, als bei den am höchsten gelegenen. Die Differenz betrug: 2 Meter. Dass ich aber in den grossen, die Pulse gewissermaassen tragenden Curven wirklich den Ausdruck der Athmungsschwankungen vor mir hatte, bewies ich durch besondere Experimente, deren Erörterung jedoch hier zu weit führen würde. Ich kann sie umsomehr auslassen, als nach nicht zu vielen Versuchen die ganze übrige Untersuchungsweise sich als durchaus ungenügend erwies; PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. — MARTINI. 17633 denn nur sehr selten fand ich Personen, deren Subelaviapuls im Beginn der Arterienerweiterung einen deutlichen Knickungswinkel hatte, und selbst bei diesen an sich günstigen Individuen blieben am Subelaviapuls diese Knickungs- winkel nicht ständig, so z. B. bei inspiratorischer Einziehung der Fossa supra- elavicularis im Beginn des inspiratorischen Theiles der Schwankungscurve ent- stand häufig statt des scharfen Knicks ein flacher Bogen, während gleichzeitig das Niveau der durch ihn eingeleiteten Pulscurve im Ganzen so niedrig wurde, dass diese Bildung unmöglich als Zeichen verminderten Druckes im Arterien- rohr, sondern etwa als die allein übertragene Kuppe eines Pulses aufgefasst werden konnte, dessen Thal bei günstigeren „Contactverhältnissen zwischen Pelotte und Arterienwand‘“ tiefer gelegen hätte. Kurz, die wenigen gelungenen Druckcurven, von denen jede, bei langsamster Drehungsgeschwindigkeit des Cylinders aufgenommene allerhöchstens 5—6 Werthe aus der Inspirationsphase und ebenso viele aus der Exspirationsphase lieferte, erlaubten kaum einen bin- denden Schluss auf den Einzelfall, geschweige denn auf das Allgemeinverhalten. Ich liess daher diese Methode fallen und wandte nach dem Vorschlage von Stabsarzt Goldscheider ein anderes Verfahren an, indem ich auf das Erkennen von rhythmischen während der Athmung etwa vorkommenden Aenderungen der Intervallszeit verzichtete. Ich bestimmte die Pulswellengeschwindigkeit in den Schlagadern des Armes bei anhaltender In- und Exspirationsstellung des Thorax. Diese Untersuchung liess sich mit Genauigkeit durchführen, da äussere mecha- nische Einflüsse, wie inspiratorische Einziehung der Thoraxweichtheile stets die Curvenreihe im Ganzen betrafen und darum durch Stellen an den Pelotten ke- seitigt werden konnten. Im Uebrigen bot jede einzelne Curvenreihe, sowohl die aus der Inspirationsstellung, wie die aus der Exspirationsstellung, ein fast voll- kommen horizontales Niveau, auf dem die Pulscurven in gleicher Regelmässig- keit aufsassen. Wurde das untersuchte Individuum unruhig oder schickte es sich an, aus der einen Thoraxstellung in die andere überzugehen, so prägte sich dies sofort an der Curve aus und man konnte den Fehler in Rechnung ziehen. Sah man auf die Person oder fragte man sie, so wurde die Angabe des Schreibers immer bestätigt. Es liess sich also stets beurtheilen, ob die befohlene Stellung inne gehalten wurde oder nicht. Unter so durchsichtigen Verhältnissen führte ich die Untersuchung, bei der ich mich nun nicht bloss auf den seltenen Subclaviapuls beschränkte, sondern weit häufiger Axillarispuls benutzte, mit ihren Einzelheiten in folgender Weise aus: Ich befahl dem betreffenden Individuum, so tief einzuathmen wie irgend möglich, gebot dann Halt und maass den Brustumfang; bei nun beginnender Cylinderdrehung erhielt ich nur inspiratorische Pulse. Nach Ablauf derselben schob ich den Cylinder auf seiner Achse etwas vorwärts oder rückwärts, je "nachdem sich auf dem berussten Papier Platz für eine zweite Curve bot, be- fahl tief auszuathmen, die Athmung anzuhalten, maass den Brustumfang und erbielt lauter exspiratorische Pulse in der nun folgenden Curvenreihe, nach deren Ablauf in gewohnter Weise die Intervalle bestimmt wurden. Ein anderes Mal liess ich die exspiratorische Curve zuerst, die inspiratorische zuletzt zeichnen; kurzum, ich wechselte, so oft ich konnte, damit Einseitigkeit der Versuchs- anordnung als Grund für die Resultate von vornherein ausgeschlossen war. 174 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN Ich liess aber beide Curvensysteme auf ein Papier sofort hintereinander deshalb schreiben, weil dabei manuelle Aenderungen an den übertragenden Apparattheilen vermieden wurden, die bei Aufnahmen auf gesondertem Papier stets, oft sogar in grösserem Maassstabe nöthig waren; des Weiteren gewährte dies Verfahren durch seine Kürze Sicherheit dafür, dass man bei jedem der beiden Experimente nicht besondere Bedingungen im menschlichen Organismus neben den durch sie selbst erzeugten Wirkungen vor sich hatte, z. B. plötzliche Aufregung des Individuums bei der zweiten Curve, während es bei der ersten ruhig war, bedeutende Pulsfrequenz bei dem ersten Versuch, geringere bei dem zweiten u. dgl. All dies war hierbei mit ziemlicher Bestimmtheit auszuschliessen. Ausserdem hatte man nicht eine etwaige Qualitätsverschiedenheit des Papiers zu berücksichtigen, wodurch dem einen Hebel das Schreiben leichter oder schwerer semacht wurde; daran war hier kaum zu denken, da die Axillaris- und Radialis- curven der exspiratorischen wie der inspiratorischen Periode dicht neben ein- ander liefen. Im Ganzen wurden auf diese Weise untersucht 8 gesunde, 1 mit Nephritis und 2 mit Arteriosklerose behaftete Individuen in 65 doppelten Curvenreihen. Ausserdem nahm ich stets in derselben Sitzung, in der die beschriebenen Curven gezeichnet wurden, das absolute Pulsintervall, d..h. das Intervall bei ruhiger Athmung auf, womöglich noch bei unangerührter Pelottenstellung. Später bestimmte ich dann aus den Einzelziffern jeder Curve ihren Mittel- werth, und beim Vergleich dieser 130 Mittelwerthe, 65 aus der exspiratorischen und ebenso vieler aus der inspiratorischen Phase, kam ich zu folgenden Resultaten: Die Pulswellengeschwindigkeit war bei sämmtlichen inspiratorischen Curven- systemen aller Individuen geringer, als in den während der Exspirationsstellung des Thorax aufgenommenen; es betrug die inspiratorische Wellengeschwindigkeit bei den gesunden Personen im Durchschnitt 6”, die exspiratorische etwas über 8% pro Secunde. Die durchschnittliche Differenz zählte also etwa 2%. Dabei zeigte es sich, dass die besonderen Mittelwerthe gleichartiger Curvensysteme selbst bei demselben Individuum oft verschieden waren, somit auch die Diffe- renzen; es liess sich aber nicht immer ersehen, nach welchen Regeln dieser Wechsel stattfand; mit Sicherheit konnte nur constatirt werden, dass die Diffe- renzen am grössten wurden, wenn die grösste inspiratorische Dehnung des Thorax ausgeführt war, und dass sie verschwindend klein wurden, wenn die Inspirations- stellung sich merklich der Mittelstellung näherte; so z. B. betrug die Differenz bei einem kräftigen 14jährigen Jungen 3-8”, sobald er seinen Thorax von 70 ©® Umfang in tiefster Exspirationsstellung bis 78%, seiner grösstmöglichen In- spirationsstellung, ausdehnte, 0-8”, sobald er ihn nur auf 74 °® brachte. Diesen Werthverschiedenheiten verhielt sich die absolute Pulswellengeschwin- digkeit derart gegenüber, dass sie in der Hälfte der Fälle kleiner als die ex- spiratorische, in der anderen ihr ziemlich gleich, in jedem Falle grösser als die inspiratorische war. Soviel ergab sich aus dem Vergleich der Mittelwerthe aller Curvensysteme; die Mittelwerthe aber gebrauchte ich deshalb, weil durch die in einheitlichen Stellungen aufgenommenen Curvensysteme Schwankungen der Intervallsziffern GESELLSCHAFT. — MARTINI. — HERMANN Munk. 175 durchaus nicht ausgeschaltet wurden, sondern trotzdem sowohl in den in- wie exspiratorischen bestanden. Ja es kam sogar vor, dass einzelne Intervallszeiten des inspiratorischen Curvensystems kleiner wareu, als die des exspiratorischen und umgekehrt; jedoch war dieser Fall so selten, dass das Resultat, welches ‚durch die beiderseitigen arithmetischen Mittel angegeben wurde, grössere Puls- wellengeschwindigkeit bei exspiratorischer, kleinere bei inspiratorischer Stellung des Thorax völlig zu Recht bestehen blieb. Aus diesen Befunden stellte ich folgende Thesen zusammen: 1. Die Wellengeschwindigkeit ist, nach Mittelwerthen berechnet, bei den Pulsen, die während andauernder Inspirationsstellung des Thorax stattfinden, seringer als bei den in die Exspirationsstellung fallenden. 2. Die bei ruhiger Athmung aufgenommene Pulswellengeschwindiskeit ist stets grösser als die der Inspirationsstellung des Thorax angehörige, dagegen der exspiratorischen ziemlich gleich 3. Die grossen Differenzen der Pulsgeschwindigkeit sind im Wesentlichen auf die Athmung zurückzuführen, die kleinen wohl nur auf Mess- und Ueber- tragungsfehler. Die vorstehenden Untersuchungen sind auf der I. medicinischen Klinik des Hrn. Geheimrath Leyden angestellt worden. Nachtrag. Hr. HERMANN Munk sprach in der Sitzung vom 14. November „Ueber Versuche betreffend den N. laryngeus superior des Pferdes“. Vor eiwa zwei Jahren hat Hr. Prof. Möller von der hiesigen thierärzt- lichen Hochschule in einer chirurgischen Brochüre „Das Kehlkopfpfeifen der Pferde“! mitgetheilt, dass er an zwei Pferden nach der Durchschneidung eines N. laryngeus superior, das eine Mal 6 Wochen, das andere Mal 4!/, Monate nach der Operation, sämmtliche Kehlkopfmuskeln der betreffenden Seite im Zu- stande ausgesprochener oder hochgradiger Atrophie angetroffen habe. Nach dem Ergebnisse dieser Versuche, meinte Hr. Möller, müsste die Gegenwart trophischer Fasern im genannten Nerven anerkannt werden. Darauf hat im vorigen Jahre Hr. Sigmund Exner? in Wien an einem Pferde ein etwa 5 ® langes Stück vom N. laryngeus superior exeidirt und während des Lebens Still- stand des gleichseitigen Stimmbandes, bei der 1!/, Monate nach der Operation ausgeführten Section eine mit freiem Auge sichtbare Verschmächtigung des M. erico-thyreoideus und ebensolche Verschmächtigung nebst gelblicher Verfärbung am M. crico-arytaenoideus posticus derselben Seite beobachtet. Hr. Exner hat diese Degeneration der Kehlkopfmuskeln aber anders als Hr. Möller, und zwar 1 Stuttgart 1888. S. 14—15. ” Centralblatt für Physiologie. 1889, 22. Juni. 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dahin gedeutet, dass eine Inactivitätsatrophie vorläge, indem nach der Durch- trennung des N. laryngeus superior alle sensorischen Functionen seitens der Kehlkopfmuskeln fortgefallen wären, kein Bewegungsimpuls mehr die dazuge- hörigen Bewegungsempfindungen erzeugt und so eben auch die Bewegung selbst gelitten hätte. Weil solcher Deutung aus guten Gründen nicht beizustimmen war, ver- anlasste ich Hrn. Breisacher aus Detroit, Michigan U.S. A., zur Wiederholung der Versuche. An zwei Pferden wurde das eine Mal vom rechten, das andere Mal vom linken Laryngeus superior ein etwa 4% langes Stück nahe vor dem Eintritt in den Schildknorpel resecirt, und die Pferde blieben 31/, bezw. 3°/, Mo- nate am Leben. „Aber die gsesammte Kehlkopfmusculatur auf der operirten ebensowohl, wie auf der nicht operirten Seite fand sich in einem durchaus normalen Zustande. Irgend welche Verschmächtigung der Musculatur oder gelbliche Verfärbung derselben war nicht vorhanden.“ So heisst es in der ganz kurzen Mittheilung von Hrn. Breisacher,! welche vor- her nur geschichtliche Notizen, wie ich sie eben gab, enthält. Und die Mit- theilung schliesst: „Ebensowenig habe ich bei meinen Versuchen an Hunden und Kaninchen nach der Resection des N. laryngeus superior jemals Degene- rationen der vom Laryngeus inferior versorgten Kehlkopfmuskeln gesehen. Da- nach liegt keine Veranlassung vor, trophische Fasern im N. laryngeus superior nach Möller, oder Inactivitätsatrophien in Folge des Fehlens von Bewegungs- impulsen u. s. w. im Exner’schen Sinne anzunehmen.“ Der letzte Satz dieser Mittheilung, für welchen ich zufällig gerade bezüg- lich Form wie Inhalt die volle Verantwortung trage, hat Anstoss erregt. Schon auf dem neulichen internationalen medicinischen Congresse hat sich Hr. Exner über ihn beschwert, als er der physiologischen Abtheilung nochmals seinen Ver- such unter Hinzufügung der Ergebnisse der inzwischen ausgeführten mikrosko- pischen Untersuchung der Muskeln vortrug. Ich habe damals den Satz sehr entschieden vertreten, jedoch meine Ausführungen nicht zu Protocoll geben mögen, weil ich damit, dass Hr. Exner mich nicht widerlegen konnte, zum mindesten mir nichts zu erwidern fand, die Sache für erledigt ansah. Jetzt hat im jüngst ausgegebenen Hefte von Pflüger’s Archiv? Hr. Pineles, der unter Leitung von Hrn. Exner die Muskeldegeneration untersuchte, im An- schlusse an die Darlegung der Degeneration jenen Schlusssatz in derselben Weise wie Hr. Exner angegriffen. Deshalb halte ich es doch für gerathen, diesen Angriff wie jenen Satz hier etwas näher zu beleuchten. Hr. Pineles hat nichts weiter gethan, als dass er mikroskopisch die Kehlkopfmuskeln untersuchte von dem Pferde, an welchem Hr. Exner den N. laryngeus superior resecirt hatte, und von einem anderen Pferde, an welchem ein N. laryngeus inferior 62 Tage vor dem Tode durchschnitten worden war. Ueber das, was seine Untersuchung überhaupt lehren konnte, geht es daher hinaus, dass er als ein Ergebniss derselben aufführt: ‚es scheint mir von Be- deutung, sichergestellt zu haben, dass nach Durchtrennung eines Nerven, der mit der Motilität der betreffenden Muskelgruppe nichts zu ı Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1389. Nr. 43. 2 Bd. XLVIN 8.32. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MUnkK. rer thun hat, dieselbe einer schweren Entartung anheimfällt“: bloss eine einfache Wiederholung der Exner’schen Angabe lässt sich darin sehen. Vollends aber fehlte Hrn. Pineles iede sachliche Berechtigung, sich in die Frage einzumischen, welche zwischen Hrn. Exner und Hrn. Breisacher be- stand. Trotzdem bekommen wir von Hrn. Pineles zum Schlusse, nachdem er in aller Kürze der Breisacher'schen Veröffentlichung gedacht, noch Folgendes zu hören: „Diese Folgerung‘‘ — nämlich der Schlusssatz der Breisacher’schen Mittheilung — „scheint mir vollkommen unverständlich. Oder sollte Brei- sacher wirklich daraus, dass er keine Muskeldegeneration fand, schliessen, dass Möller in seinen zwei Versuchen, und Exner in dem seinen auch keine ge- funden haben? Exner hatte gleich nach der Operation die Immobilität der betreffenden Kehlkopfhälfte constatirt und weiterhin, so lange das Thier lebte, beobachtet. Dadurch kam er auf die Vermuthung, dass die Degeneration mit der Inactivität zusammenhänge. Latschenberger, Schindelka und Struska hatten dieselbe Beobachtung nach demselben Eingriff bei einem zweiten Pferde gemacht. Breisacher aber erwähnt keiner mikroskopischen Controle, auch nicht, ob seine Thiere, mit dem Kehlkopfspiegel untersucht, halbseitige Immo- bilität des Kehlkopfes zeigten. Das wäre doch wohl die nächstliegende Frage gewesen; die zweite hätte dann gelautet, hängt es etwa von der Individualität ab, ob Immobilität und Degeneration eintritt, oder beruhen die verschie- denen Befunde auf der ungleichen Dauer, durch welche die Thiere erhalten wurden? Es wäre ja möglich, dass eine Restitution, vielleicht sogar nach Verlauf von nach Individuen verschiedenen Zeiten eintritt. Dieses sind Fragen, die mir alle näher zu liegen scheinen, als die Behauptung Breisacher’s, deren Berechtigung übrigens durch die vorstehenden Zeilen wohl zur Genüge wider- lest ist.“ Ich habe mir erlaubt, diese ganze Ausführung hier mitzutheilen, weil sie ein Muster dafür abgiebt, zu welchen Absonderlichkeiten es verführt, wenn Un- haltbares um jeden Preis vertheidigt werden soll. Hr. Breisacher hat nicht im Entferntesten Anlass gegeben zu glauben, dass er die Muskeldegenerationen bei den Möller-Exner’schen Versuchen bezweifeltee Er hat über den Stimm- bandstillstand nach der Durchschneidung des Laryngeus superior sich gar nicht geäussert, weil derselbe ausserhalb des Gegenstandes seiner Untersuchung lag. Er ist nur seinen Vorgängern darin gefolgt, dass er von der mikroskopischen Controle der Muskeln absah, wo schon die grobe Betrachtung zu einem sicheren Ergebnisse führte. Doch alles das mehr nebenbei. Um die Deutung des einen und einzigen Exner’schen Versuches gegenüber den zwei Breisacher’schen Versuchen aufrecht zu erhalten, wird die Hypothese gemacht, dass für Muskeln, welche infolge der Ausschaltung eines Nerven wie der Laryngeus superior, und zwar infolge der Resection eines mehrere Centimeter langen Stückes des Nerven zur Ruhe verurtheilt und der Degeneration verfallen sind, eine Restitution ein- trete. Es wird solche Restitution in den Breisacher’schen Versuchen nach etwa 3!/, Monaten für möglich gehalten, trotzdem dass bei einem Möller ’- schen Versuche gerade nach 4'/, Monaten eine hochgradige Atrophie gefunden worden ist. Und darauf wird sogar noch die Hypothese gepfropft, dass die Folgen der Ausschaltung des Laryngeus superior, ob Degenerationen eintreten oder nicht, von der Individualität abhängen; — mit solcher Hypothese wird lieber von vornherein alle ernste Forschung untergraben, als an die Möglichkeit Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER eines Fehlers bei der Untersuchung gedacht, wo doch nur eine winzige Zahl einander widersprechender Erfahrungen vorliegt. ; Die Operation, wie sie Hr. Breisacher ausführte, war einfachster Art, da nur die Haut zu durchschneiden war und kaum Blut floss. Die Wunde heilte in wenigen Tagen per primam. Dass der Laryngeus superior resecirt worden war, hatte der Anatom der thierärztlichen Hochschule Hr. Professor Möller selber durch die Section festzustellen die Güte. Von der völligen Gleichheit und Unversehrtheit der beiderseitigen Kehlkopfmuskeln überzeugten sich nicht nur mit mir meine Mitarbeiter im Laboratorium, die wir jahrelange Beobach- tungen unseren Urtheilen zu Grunde legen konnten, sondern auch der so er- fahrene pathologische Anatom der Hochschule Hr. Professor Schütz, dessen Hülfe wir in Anspruch nahmen. So sicher war das Ergebniss, dass es uns wichtiger erschien, die Praeparate zu Jedermanns Controle bezüglich der Resection wie des Erfolges zu conserviren (vergl. die Anmerkung der Breisacher’schen Mittheilung), als sogleich die mikroskopische Untersuchung der Muskeln vorzu- nehmen. Die Praeparate sind auch der physiologischen Abtheilung des dies- jährigen internationalen medicinischen Congresses vorgelegt worden. Seitdem hat Hr. Breisacher im pathologischen Institute der Hochschule unter Con- trole von Hrn. Professor Schütz, der uns wiederum seine Hülfe gewähren wollte, die mikroskopische Untersuchung ausgeführt, und es hat sich ergeben, dass in beiden Praeparaten die Kehlkopfmuskeln auf beiden durchaus gleich und normal sich verhielten. Es steht also ausser Zweifel, dass in den zwei Breisacher’schen Versuchen die Resection des Laryngeus superior nicht De- generationen von Kehlkopfmuskeln nach sich gezogen hat. Daher ist es unrichtig, was Hr. Möller und Hr. Exner daraus, dass sie nach der Durchschneidung bezw. Resection des Laryngeus superior Kehlkopfmuskeldegenerationen fanden, erschlossen, — unrichtig, dass solche Degenerationen die Folgen jener Durch- schneidung oder Resection sind. In ihren Versuchen müssen entweder neben der Verletzung des Laryngeus superior noch unbekannte und für das Auftreten der Degenerationen gerade wesentliche Bedingungen mitgewirkt haben, welche bei den Breisacher’schen Versuchen fehlten, oder die Degenerationen nur accidentelle gewesen sein, die mit der Verletzung des Laryngeus superior gar nichts zu schaffen hatten. Wie dem aber auch sei, jedenfalls liegt, weil Dege- nerationen der Kehlkopfmuskeln nicht die nothwendige Folge der Resection des Laryngeus superior sind, „keine Veranlassung vor, trophische Fasern im N. laryngeus superior nach Möller, oder Inaetivitätsatrophien infolge des Fehlens von Bewegungsimpulsen u. s. w. im Exner’schen Sinne anzunehmen.“ Hr. Breisacher ist demnach, wie man sieht, nicht mit einem Worte über das, was ihm zu sagen zustand, hinausgegangen, und ich könnte es bei dem Dargelegten bewenden lassen. Doch will ich noch einige, wie ich hoffe, nützliche Bemerkungen anknüpfen. Zur Zeit der Breisacher’schen Versuche hatte der kurz vorher in Wien erfundene Kehlkopfspiegel für Pferde noch nicht seinen Weg nach Berlin ge- macht; und später, nachdem die Muskeldegenerationen ausgeblieben waren, lagen Ermittelungen über die Stimmbandlähmung nach Durchschneidung des Laryngeus superior ausser dem Bereiche der Aufgabe, welche Hr. Breisacher sich ge- stellt hatte. Aber schon Hrn. Exner’s eigene Angaben lassen einen berech- tigten Zweifel an jener Stimmbandlähmung zu. Wir lesen, dass an einem Pferde, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Munk. 179 „dessen normale (!) Kehlkopfsathmung kurz vorher noch mit dem Kehlkopfspiegel beobachtet worden war“, nach der Resection des linken Laryngeus superior „die anscheinend (!) totale Lähmung des linken Stimmbandes auffiel“ Nach einer halben Stunde „war die Glottis beiderseits (!) weit (!) geöffnet, man sah keine (!) spontane Athmungsbewegungen am Kehlkopfe, konnte dieselben (?) aber durch leises Blases in die Nüstern anregen. Man sah dann eine energische Verschluss- bewegung, ausgeführt durch das rechte Stimmband; linkes Stimmband und linke Cartilago arytaenoidea standen vollkommen fest.“ Im Laufe der nächsten Wochen „blieb der Befund im Wesentlichen derselbe (?). Das gelähmte Stimmband war in dieser Zeit näherungsweise (?) in Cadaverstellung; regte man das Thier in der genannten Weise zu energischen Kehlkopfbewegungen an, so blieb das linke in Ruhe, während das rechte, über die Mittellinie gehend, einen totalen Ver- schluss der Glottis zu Stande zu bringen vermochte Es schien uns wieder- holt (!), dass auch das linke Stimmband schwache Bewegungen ausführe, zweifel- los zeigte der Giessbeckenknorpel schwache Ausweichungen (!), doch konnten wir nicht entscheiden, ob es sich da um passive, von der gesunden Kehlkopfhälfte herübergeleitete Bewegungen handle oder nicht.“ Endlich heisst es, nachdem zwei Tage vor dem Tode des Pferdes der rechte Laryngeus superior freigelegt und zunächst abgeschnürt war: „Mit diesem Momente hörten nun auch die Be- wegungen (?) des rechten Stimmbandes auf“; und führt Hr. Exner als das Ergebniss wiederholter Untersuchung nach der Durchschneidung desselben Nerven an: „(ich konnte mich) von der beiderseitigen Lähmung überzeugen, doch waren bei sehr energischen Reizen auf der rechten Seite bisweilen Spuren von Be- wegungen des Stimmbandes zu bemerken, Spuren, an deren Existenz ich nicht zweifle (!), die aber doch so gering waren, dass andere Beobachter im Zweifel blieben“. Ich vermag eine Stimmbandlähmung infolge der Durchtrennung des Laryngeus superior aus allen diesen Angaben nicht zu entnehmen; und ich kann nur das Schwankende und Unsichere in den Angaben dadurch erklären, dass die Beobachtung mit dem fusslangen, in den unteren Nasengang eingeführten Kehlkopfspiegel grosse Schwierigkeiten bietet, sobald das Pferd nicht ganz ruhig sich verhält, und viele Erfahrung unter Benutzung des Instrumentes zur Zeit des Exner’schen Versuches noch nicht vorlag. Hätte indess selbst die Resection des Laryngeus superior gleichseitigen Stimmbandstillstand zur Folge, so würde die Exner’sche Deutung der Kehl- kopfmuskellähmungen doch unzulässig sein. Allerdings kann durch den Fort- fall der Muskelsensibilität die Bewegung leiden; allein die Bewegung, welche dabei in Betracht kommt, ist, was Hr. Exner vernachlässigt hat, die willkür- liche Bewegung. Um solche Bewegung handelt es sich ja auch in den beiden Beispielen, welche Hr. Exner herangezogen hat: bei den Motilitätsstörungen der Frösche nach der Durschschneidung der hinteren Wurzeln der Rückenmarks- nerven, wie dabei, wenn Menschen ‚wegen Ausfall den sensoriellen Functionen der oberen Extremität einen Gegenstand, ohne ihn anzublicken, nicht mehr in der Hand zu halten vermögen, ja bei verschlossenen Augen die Faust nicht ballen und den Arm nicht heben können“. Am Kehlkopfe des Pferdes treten aber gerade die willkürlichen — phonatorischen — Bewegungen ganz zurück gegen die unwillkürlichen — besonders Athmen und Schlucken begleitenden — Bewegungen. Und wie diese letzteren Bewegungen durch den Fortfall der Müskelsensibilität leiden, ja sogar in kürzester Frist erlöschen sollten, ist gar 12 = 150 VERHANDLUNGEN DER BERLINER nicht zu verstehen, zumal da dieselben in voller Unabhängigkeit vom Kehlkopfe durch die vorgebildeten intercentralen Verbindungen motorischer Centren zu- standekommen. Der Exner’sche Degenerationsbefund kann, wie mir scheint, eine sehr einfache Erklärung finden. Eine ziemlich häufige Krankheit des Pferdes ist das „Kehlkopfpfeifen“, das fast immer auf einer Lähmung eines N. recurrens beruht, und zwar ist es wiederum fast immer der linke, um den Aortenbogen sich herumschlingende Recurrens, welcher der Lähmung unterliegt. Zur Coeni- tion des Pferdebesitzers und damit des Thierarztes kommt die Krankheit — und daher hat sie ihren Namen — durch ein bei angestrengter Athmung auf- tretendes inspiratorisches Geräusch, das seine Ursache in der Schiefstellung des Giesskannenknorpels und der Annäherung des Stimmbandes an die Medianebene hat; bei der Section findet sich eine ansehnliche Atrophie und Verfärbung der gleichseitigen Kehlkopfmuskeln. Aber vorher kann die Krankheit, da sie in der Regel einen langsamen Verlauf nimmt, schon lange latent bestanden haben, und die Muskeln können schon deutlich atrophisch und verfärbt sein, ehe noch ein Symptom die Krankheit verräth. Ich habe Gelegenheit gehabt, selber dar- über reichlich Erfahrungen zu sammeln, da ich durch Jahre den pathologisch- anatomischen Prüfungen der thierärztlichen Hochschule beiwohnte. Die Pferde, welche zur Section kamen, hatten fast alle noch vor wenigen Tagen für ganz gesund gegolten und waren durch acute Krankheiten (Kolik, Pneumonie, In- fectionskrankheiten und dergl.) rasch, manchmal in 24 Stunden zu Grunde gegangen. Trotzdem war es, wenn ein Examinand den Kehlkopf als Prüfungs- gegenstand zugewiesen erhielt, ein nicht nur nicht ungewöhnliches, sondern sogar verhältnissmässig häufiges Vorkommniss, dass sogleich eine deutliche Atrophie und selbst Verfärbung des M. crico-arytaenoideus posticus und M. ary- taenoideus transversus der linken Seite auffiel. Demgemäss kann an dem Exner’schen Versuchspferde, als der eine und unglücklicherweise gerade der linke Laryngeus superior resecirt wurde, obwohl zur Zeit noch nichts die Krankheit erkennen liess, doch schon ein „Kehlkopfpfeifen“ in der Entwickelung begriffen gewesen sein. Man könnte höchstens entgegenhalten, dass in den beiden Möller’schen Versuchen gleichfalls Muskeldegenerationen gefunden wur- den; indess sehe ich in den kurzen Angaben, welche über die Möller’schen Versuche vorliegen, kein Hinderniss, zu-glauben, dass auch in diesen Fällen, wenn nicht etwa andere unglückliche Zufälle, beginnendes „Kehlkopfpfeifen“ im Spiele gewesen ist. Hrn. Pineles’ mikroskopische Ergebnisse liefern sogar noch eine bemer- kenswerthe Stütze für meine Auffassung des Exner’schen Versuches. In Mus- keln, welche durch Verletzung ihrer Nerven oder, worüber mir eigene Erfah- rungen vorliegen, der Centralorgane der Unthätigkeit und Atrophie verfallen sind, zeigen sich alle Muskelfasern atrophisch, verschmälert und verdünnt: und das hat auch Hr. Pineles an den Kehlkopfmuskeln nach Durchschneidung des Laryngeus inferior gesehen. Dagegen hat er an den Kehlkopfmuskeln des Exner’schen Versuches die Muskelfasern nur zu einem Theile verschmälert und verdünnt, zum anderen Theile verbreitert und verdickt gefunden. Und das spricht gerade für ein langsam sich entwickelndes „Kehlkopfpfeifen“. Denn die Ursache dieser Krankheit giebt, wenn nicht ausschliesslich, jedenfalls hauptsäch- lich die Zug- und Druckwirkung ab, welche seitens der Arterie auf den um sie u Ann nd lg u Bin tun a a PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KOSSEL. 181 seschlungenen Recurrens ausgeübt wird. Daher es nicht bloss zu einer Läh- mung, sondern auch zu einer Reizung von Nervenfasern des Recurrens, viel- leicht sogar in der Regel zur Reizung vor der Lähmung von Nervenfasern kommen wird, und das Auftreten hypertrophischer Muskelfasern neben atro- phischen in den Kehlkopfmuskeln verständlich ist. VI. Sitzung am 30. Januar 1891." Hr. Kossen hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die chemische Zusammensetzung der Zelle.“ Die Entwickelung der von Schleiden und Schwann begründeten Zellen- lehre hat zu dem Resultat geführt, dass man nicht mehr alle Theile, wie sie in dem ursprünglichen Schema enthalten waren, als wesentliche anerkennt, dass man den „Primordialschlauch“ und den Kern allein als lebendig betrachtet. Denselben Weg, welcher durch diese Fortentwickelung der morphologischen Kenntnisse gekennzeichnet wird, hat auch die Chemie der Zelle zu verfolgen. Ebenso wie die mikroskopische Forschung dahin gelangt ist, dass sie die Zelle alles unwesentlichen Beiwerks entkleidet hat, dass sie das Gehäuse und die in ihr aufgespeicherten Reservestoffe von dem eigentlichen Träger des Lebens zu trennen lehrt, so muss auch die Chemie versuchen, diejenigen Bestandtheile heraus zu sondern, welche in dem entwickelungsfähigen Protoplasma ohne Aus- nahme vorhanden sind und die zufälligen oder für das Leben nicht unbedingt nöthigen Zellstoffe als solche zu erkennen. Die Aufsuchung und Beschreibung derjenigen Atomcomplexe, an welche das Leben geknüpft ist, bildet die, wich- tigste Grundlage für die Erforschung der Lebensprocesse. Ich schlage vor, diese wesentlichen Bestandtheile der Zelle als primäre zu bezeichnen, hingegen diejenigen, welche nicht in jeder entwickelungsfähigen Zelle gefunden werden als secundäre. Die Entscheidung, ob ein Stoff zu den primären oder secundären Bestand- theilen gehört, ist in manchen Fällen äusserst schwierig. Man würde diese Untersuchungen in der einfachsten Weise ausführen, in- dem man Protoplasmamassen aus verschiedenen Organismen der Analyse unter- würfe Es ist aber nicht möglich, reines von Zellhäuten und anderen Bei- mengungen freies Protoplasma in einer für die Analyse hinreichenden Menge zu isoliren. Das Plasmodium der Myxomyceten, insbesondere dasjenige von Aethalium septicum, welches man für diese Forschungen verwerthet hat, ent- hält, abgesehen von gröberen Beimengungen, eine Menge unwesentlicher Be- standtheile, aufgenommene und noch nicht assimilirte Nahrungsstoffe, Substanzen aus dem Boden, auf dem es gewachsen ist, das Material, aus welchem die schnell entstehenden Zellwände gebildet werden u.a. Diese Beimengungen sind so beträchtlich, dass die Analyse dieser Plasmodien vor der Untersuchung jugendlicher, schnell wachsender Gewebstheile, welche aus Zellen zusammen- 1 Ausgegeben am 6. Februar 1891. 182 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gesetzt sind, kaum irgend welche Vortheile bietet. Es ist für unsere Ziele durchaus nothwendig, möglichst viele und möglichst verschiedenartige proto- plasmareiche Gewebe zu analysiren — nur diejenigen Stoffe, welche man in allen ohne Ausnahme vorfindet, darf man als primäre Zellstoffe ansehen. Für solche Untersuchungen sind z. B. geeignet: schnell wachsende Geschwülste, Eiterkörperchen, jugendliche cambiumreiche Pflanzentheile, Hefezellen und die Spermatozoiden. Die Betrachtung der Resultate solcher Analysen zeigt, dass die primären, überall vorhandenen Stoffe zum Theil im Zellkern ihren Sitz haben, zum Theil durch Cytoplasma und Karyoplasma gleichmässig verbreitet sind, zum Theil dem Kern fehlen und nur im Cytoplasma vorkommen. Wir werden in letzterem Umstande eine Frklärung finden für die Thatsache, dass kernreiche Gebilde, die wenig Cytoplasma besitzen, wie die Spermatozoiden, manche primären Stoffe nur in äusserst geringer Menge enthalten. Die Stoffe, welche bisher in allen entwickelungsfähigen Zellen gefunden sind und welche demgemäss als primäre Stoffe bezeichnet werden mögen, sind in folgende Gruppen einzutheilen: 1) Die Eiweisskörper und die Nucleine. 2) Die Leeithine 3) Die Chole- sterine. 4) Die anorganischen Stoffe. Die Wahrnehmung, dass alle Protoplasmen Eiweiss enthalten, ist eine alte und hat zu der Vorstellung geführt, als sei das Eiweissmolecül der eigentliche Träger des Lebens und alle übrigen Stoffe nur Trabanten oder Werkzeuge dieses allein lebendigen Theiles der Zelle, eine Anschauung, welche sich heute weder beweisen noch widerlegen lässt. Wir theilen die Eiweisskörper ein in einfache und zusammengesetzte, die letzteren werden auch Proteide genannt; sie enthalten das Molecül der ein- fachen Eiweisskörper in Vereinigung mit irgend einer anderen organischen oder anorganischen Atomgruppe. Im Protoplasma sind vorwiegend Eiweisssubstanzen der letzteren Art vertreten. Zu diesen gehören insbesondere die phosphorhaltigen Proteide, deren eines, das Vitellin, nach Hoppe-Seyler in allen Protoplasmen und zwar anscheinend im Cytoplasma vorkommt, während ein anderes, das Nuclein, dem Zellkern angehört. Diesem Unterschied in der Art des Vorkom- mens entspricht auch ein solcher in der Constitution. Ich habe bereits mehr- fach Gelegenheit gehabt, hier darzuthun, dass die Nucleine bei der Spaltung mit verdünnten Säuren ausser Eiweiss und Phosphorsäure noch gewisse stick- stoffreiche Basen (,Nuclein-Basen‘) liefern, welche bei der gleichen Zersetzung der Vitelline nicht gefunden werden. Wir haben also unter den phosphorhaltigen Proteiden zwei grosse Gruppen zu unterscheiden, zu deren erster die Vitelline und Caseine gehören, während die Nucleine die zweite Gruppe bilden. Bei den mannigfaltigen engen Beziehungen, in welchen diese Substanzen zu den wichtigsten Lebenserscheinungen stehen, ist ein Blick in die Constitution derselben von ganz besonderem Werth. Ich möchte hier über einige in der chemischen Abtheilung des physiologischen Instituts ausgeführte Untersuchungen berichten, welche die Lösung dieser Fragen zum Ziele hatten. Wenn man Casein oder Vitellin in Salzsäure löst und die Lösung mit Pepsin versetzt, so scheidet sich infolge der verdauenden Einwirkung dieses Ferments ein Niederschlag aus, welcher aus einem Umwandlungsproduct des ursprünglichen Körpers besteht. Diese Substanz hielt man früher für identisch 12} PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KOSSEL. 135 mit dem Nuclein, weil sie gewisse Eigenschaften mit dem genannten Bestand- theil des Zellkerns gemein hat. Eine genauere Untersuchung zeigt aber, dass sie eine andere Constitution haben muss, weil sie bei der Zersetzung nicht die- selben Producte liefert, es ist daher zur Vermeidung irriger Auffassungen nöthig, ihr einen anderen Namen, etwa die Bezeichnung Paranuclein zu verleihen. Hr. Dr. Walther hat im hiesigen Laboratorium die Bildung des Paranucleins aus dem Vitellin der Karpfeneier einer Untersuchung unterzogen. Es zeigt sich, dass der Phosphorgehalt des Paranucleins bedeutend höher ist als der des ursprünglichen Vitellins, ein Theil des Eiweisses wird bei dieser Umwandlung abgespalten und durch das Pepsin in Lösung übergeführt, ein anderer Theil bleibt in dem Paranuclein mit der Phosphorsäure vereinigt. Diese Abspaltung des Eiweisses scheint von der phosphorsäurehaltigen Gruppe nach den Versuchen von Altmann noch vollständiger zu gelingen, wenn man das Paranuclein der Einwirkung des Natronhydrats überlässt. Es entsteht sodann eine Säure, welche der später zu erwähnenden Nucleinsäure ähnlich, aber nicht mit ihr identisch ist. Dieses Spaltungsproduct ist noch wenig untersucht. Ueber die physiologische Function der Vitelline innerhalb der Zelle wissen wir nichts, in grossen Mengen finden sich Vitelline und die ihr verwandten Caseine auch ausserhalb des Protoplasma’s als Reservestoffe, als Nahrungsmittel für den jugendlichen, wachsenden Organismus in der Milch der Säugethiere, in dem Dotter der Eier, in den Kotyledonen der Pflanzensamen. Ihre chemische Verwandtschaft mit der Gruppe der Nucleine lässt ver- muthen, dass zwischen beiden auch physiologische Beziehungen bestehen und insbesondere, dass die Nucleine zunächst aus den Vitellinen und Caseinen hervorgehen. Der chemische Bau der Kernsubstanz ist dem des Vitellins und Caseins ganz ähnlic. Wir haben gesehen, dass sowohl im Vitellin wie im Casein das Eiweiss in zweierlei Form enthalten ist, ein Theil desselben wird durch Pepsin abgespalten, ein anderer Theil ist fester an die phosphorhaltige Gruppe gebunden und bleibt selbst bei längerer Einwirkung der Pepsinsalzsäure im Paranuclein zurück. In vielen Zellkernen, wenn auch nicht in allen, ist eine Verbindung -von Nuclein mit Eiweiss vorhanden, welche sich dadurch auszeichnet, dass sie mit Alkalien zu einer zähen, schleimigen Masse quillt, welche durch Säuren gefällt wird und welche wegen dieser Eigenthümlichkeiten nicht selten mit Mucin verwechselt ist. Ich will hier bemerken, dass Eiweisskörper der ver- schiedensten Art ihrer Lösung eine schleimige Beschaffenheit zu ertheilen im Stande sind, ja sogar nicht eiweissartige Substanzen, wie z. B. das Protagon, verhalten sich ebenso. Man darf also aus der schleimigen Consistenz nicht ohne Weiteres auf die Gegenwart von Mucin schliessen. Unterwirft man diese Verbindung von Nuclein mit Eiweiss der Pepsinverdauung, so verliert sie die genannte Eigenschaft mehr und mehr, zugleich geht ein peptonartiger Körper in die Lösung über und es scheidet sich ein Bodensatz von Nuclein ab. Wir haben nun die Zusammensetzung des Nucleins weiter zu verfolgen. Neuere Untersuchungen von Altmann haben einen sehr werthvollen Aufschluss über die Frage gegeben, indem sie gezeigt haben, dass das Nuclein unter der Einwirkung der Alkalien bei gewöhnlicher Temperatur zerfällt in Eiweiss einer- seits und eine eigenthümliche Säure andererseits, welche Nucleinsäure genannt worden ist. Wenn man eine alkalische Lösung des Nucleins mit Essigsäure 184 VERHANDLUNGEN DER BERLINER schwach ansäuert, so scheidet sich das Eiweiss als Niederschlag aus, während die Nucleinsäure in Lösung bleibt. Nachdem man den Niederschlag abfiltrirt hat, kann man die Nucleinsäure durch Salzsäure und Alkohol ausfällen. Man kann nun, wie Altmann zeigte, aus diesen beiden Componenten das Nuclein regeneriren, denn eine essigsaure Lösung der Nucleinsäure giebt mit einer Ei- weisslösung einen Niederschlag, welcher alle Eigenschaften des Nucleins besitzt. Ich habe diese Nucleinsäure nun neuerdings einer Untersuchung unter- worfen, um zu erfahren, in welcher Beziehung diese Substanz zu denjenigen Körpern steht, welche ich früher bei der Zersetzung des Nucleins erhalten habe, nämlich der basischen Körper, des Adenins, Guanins und seiner Derivate, die ich alle unter dem Namen der Nucleinbasen zusammenfassen will. Als Resultat dieser Versuche ergab sich, dass die Nucleinsäure ein Zwischenproduct zwischen diesen Basen und dem Nuclein darstellt. Ehe ich aber auf die Zersetzungsproduete dieser Säure eingehe, muss ich ihre Zusammensetzung erwähnen. Ich habe mehrere Praeparate der aus Hefe dargestellten Nucleinsäure analysirt, ein Theil derselben wurde mir von Hrn. Altmann in freundlichster Weise für diesen Zweck zur Verfügung gestellt, einen anderen Theil habe ich selbst angefertigt. Ich wurde bei diesen Analysen und bei der Darstellung der Praeparate von Hrn. Dr. Krüger unterstützt, dem ich meinen besten Dank für seine Hülfe ausspreche. ' Die Analyse desjenigen von mir nach Altmann’s Verfahren dargestellten Productes, welches den höchsten Phosphorgehalt zeigte, und welches ich als das am besten gelungene betrachte, führte zu Zahlen, die mit der Formel C, „H,,N,P,0, ‚, auch mit der Formel C,,H,,N,P,O,, übereinstimmen. Bereits Altmann hat auf die Aehnlichkeit der Nucleinsäure mit einer Substanz aufmerksam gemacht, welche Miescher aus den Spermatozoiden des Rheinlachses gewann, und welche gewöhnlich als „Nuclein des Lachssperma’s“ bezeichnet worden ist. Miescher erhielt bei seinen Analysen Resultate, welche ihn zur Annahme der Formel (,,H,9N;P,O,, veranlassten. Die Aehnlichkeit dieser Formel mit der zweiten von mir aufgestellten ist sehr beachtenswerth, besonders bezüglich des Verhältnisses von Stickstoff zu Phosphor, welches in beiden Fällen wie 3:1 ist. Ich kann nach diesen Zahlen nur dem Vorschlage Altmann’s beistimmen, dass man das Nuclein des Lachssperma’s künftig als Nucleinsäure bezeichnen möge. Die Spermatozoiden des Lachses enthalten dem- nach diese Säure, welche sonst nur in Verbindung mit Eiweiss als Nuelein vorkommt, im nicht gepaarten Zustand. Erhitzt man die Nucleinsäure mit verdünnter Schwefelsäure, so spaltet sich Phosphorsäure ab, und es lässt sich nun nachweisen, dass in der Lösung mehrere organische Substanzen nebeneinander vorhanden sind. Zunächst ist eine beträcht- liche Menge Guanin und Adenin zu finden; ich konnte diese Substanzen mit Hülfe ihrer charakteristischen von mir früher angegebenen Reactionen leicht nachweisen. Die beste Reaction zum Nachweis des Guanins ist die Darstellung des salzsauren Salzes, welches, wie ich hier früher ausführlich dargethan habe, an dem Verhalten seiner Krystalle im polarisirten Licht unter dem Mikroskop in den geringsten Spuren erkannt werden kann. Zur Erkennung des Adenins benutzt man die Darstellung des charakteristischen Golddoppelsalzes. Ich habe versucht, einen Aufschluss über die Mengenverhältnisse dieser Spaltungsproducte zu gewinnen, indem ich feststellte, wieviel von dem Stickstoff der Nucleinsäure PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KosSSEL. 185 in Form dieser Basen abgespalten sei, und es ergab sich, dass dieselben zwei Drittel von dem gesammten Stickstoff der Nucleinsäure enthalten. Da diese Basen an sich sehr stickstoffreich und sauerstoffarm bezw. sauerstofffrei sind, so muss nach ihrer Abspaltung ein stickstoffarmer und sauerstoffreicher Rest übrig bleiben, und damit stimmen die Untersuchungen über die anderweitigen Spaltungsproducte der Nucleinsäure völlig überein. Es zeigte sich nämlich, dass nach Elimination der eben erwähnten Substanzen, der Phosphorsäure und der Nucleinbasen ein Rückstand bleibt, welcher stark saure Eigenschaften besitzt und welcher sich wiederum in zwei Substanzen trennen lässt. Die eine dieser Substanzen ist durch neutr. Bleiacetat fällbar, sie enthält Stickstoff und Phos- phor; über ihre chemische Natur habe ich noch keine Anhaltspunkte gewinnen können. Die zweite Substanz ist nicht durch neutrales, wohl aber durch ba- sisches Bleiacetat aus der Lösung niederzuschlagen, sie entwickelt beim Ver- brennen deutlich den Geruch nach Caramel und redueirt mit Leichtigkeit Kupfer- oxyd in alkalischer Lösung. Diese Reactionen verweisen diese Substanz in das Gebiet der Kohlehydrate. Welcher von den vielen Repraesentanten dieser grossen Gruppe vorliegt, das habe ich noch nicht ermitteln können; für die physio- logische Verwerthung dieser Thatsache dürfte dies aber auch von geringerem Interesse sein. Die Entscheidung dieser Frage ist nicht leicht, zumal die Be- schaffung des Ausgangsmaterials eine umständliche ist. Wichtiger ist es, Nucleinsäuren verschiedenartigen Ursprungs mit Rücksicht auf die Frage nach der Abspaltung eines Kohlehydrats zu untersuchen, um zu entscheiden, ob der von mir erhaltene Befund etwa nur eine Eigenthümlichkeit des Hefenucleins ausmache, oder ob das Vorkommen einer Kohlehydratgruppe in solchen Eiweisskörpern ein allgemeines ist. Wäre letzteres der Fall, so würde diese Thatsache ein neues Licht auf die Physiologie der Kohlehydrate werfen. Diese Untersuchungen sind im hiesigen Laboratorium im Gange. In allgemeiner Verbreitung in allen Protoplasmen des Thier- und Pflanzen- reiches finden wir die Lecithine und die Cholesterine, wir verdanken die Kennt- niss dieser Thatsache den Untersuchungen Hoppe-Seyler’s. Die Constitution der Lecithine ist bekanntlich derjenigen der Fette sehr ähnlich, bei der Zer- setzung dieser Substanzen entstehen neben den höheren Fettsäuren Glycerin- phosphorsäure und Cholin. Unsere chemischen Kenntnisse über die Cholesterine sind noch recht gering, wir wissen, dass diese Alkohole sind, aber wir kennen nicht einmal ihre Formel mit hinreichender Sicherheit; Untersuchungen, welche Hr. Obermüller im hiesigen Laboratorium unternommen hat, machen es wahr- scheinlich, dass dem am weitesten verbreiteten Cholesterin die Zusammensetzung C,,H,,;0 zukommt. Lecithin und Cholesterin finden sich in kernreichen Zellen in ebenso grosser Menge wie in kernärmeren Elementen, wir können daraus den Schluss ziehen, dass diese Körper durch Karyoplasma und Cytoplasma ziemlich gleichmässig vertheilt sind. Wir wenden uns nun zur Betrachtung der anorganischen Stoffe. In den bisher erwähnten primären Stoffen sind folgende Elemente enthalten: C, H, N, 0, S, P, Fe. Wir wissen, dass Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium und Chlor in sehr weiter Verbreitung vorkommen, aber es liegen nach meiner Ansicht doch bis jetzt keine Gründe vor, welche uns zwingen, alle diese Substanzen als pri- märe Bestandtheile der Zelle anzusehen. Nur bezüglich des Kaliums scheint diese Annahme gerechtfertigt. Hoppe-Seyler hebt das ausnahmslose Vor- 186 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — KOssEL. kommen dieses Elements in allen Organismen, von den niedrigsten bis zu den höchsten, hervor. Die Menge des Kaliums in den Zellen des thierischen Körpers ist nicht unbedeutend, indess scheint es nach einigen Versuchen, welche Hr. Dr. Vahlen auf meine Veranlassung angestellt hat, als ob dieses Element nur dem Cytoplasma und nicht dem Karyoplasma angehört. Ich brauche zu dem Gesagten wohl kaum hinzuzufügen, dass diese Unter- suchungen nur anfängliche Versuche zu einer schärferen chemischen Definition des Protoplasma’s enthalten. Vielleicht gelingt es, durch die Fortsetzung dieser Studien noch einige der genannten Substanzen auszuschalten und auf diese Weise die Zahl der chemischen Gruppen einzuschränken, innerhalb deren wir den Sitz der wesentlichsten, allen Organismen gemeinsamen Lebensvorgänge zu suchen haben. Diese Untersuchungen sind im hiesigen Laboratorium im Gange. Der Uebergang des Blutzuckers in verschiedene Körpersäfte. Von Dr. F. Weyert. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Mit dem Orte ihres Vorkommens wechseln die Wände der Blutgefässe ihre Befähigung, die gelösten Bestandtheile des Blutes durchzulassen; denn nur unter dieser Voraussetzung ist es zu verstehen, dass die verschiedenen Körpersäfte so ungleich zusammengesetzt sind, obwohl sie sämmtlich aus demselben Blute stammen. Da aber die an derselben Stelle abgeschiedenen Flüssigkeiten sich nicht immer gleich verhalten, so darf dieses auch von den scheidenden Kräften der Gefäss- oder Drüsenwand gelten. Aus dem Wunsche, einen kleinen Beitrag zur Lösung der zahlreichen Aufgaben zu liefern, welche die so beschaffene Scheidekraft der thierischen Häute stellt, ist die nachstehend beschriebene Versuchsreihe hervorgegangen. Dass ich, um diese Absicht zu erreichen, die Auswanderung des Zuckers aus dem Blute in’s Auge fasste, geschah auf den Rath des Hrn. Professors C. Ludwig. Gerade den Zucker zu verfolgen empfiehlt sich, weil er als Krystalloid diffusionsfähig ist und dennoch den Speichel meidet, in den Harn aber bald gar nicht, bald massenhaft übergeht; auch kann er ohne Schädigung des Lebens in grossen Mengen zum Blute gebracht werden, wodurch der Unterschied seiner Dichtigkeit diesseits und jenseits der Ge- fässwand beträchtlich gesteigert werden kann. Neben solchen der Unter- suchung günstigen Eigenschaften besitzt er jedoch auch eine störende, eine rasche Zersetzbarkeit in der thierischen Säftemasse. Daraus erwächst je- doch nur eine Beschränkung der Zeit, welche der vergleichenden Analyse zu Gebote steht. Sie muss an Geschwindigkeit die Zersetzung des Zuckers überbieten. 188 F. WEYERT: Der Zucker, welcher das Blut verlassen hatte, wurde aufgesucht in dem Speichel, dem Harn, dem Nierenoedem, den Cerebrospinal- und Augen- flüssigkeiten, der Hals- und Darmlymphe. Die in die Darmhöhle ausge- schiedenen Flüssigkeiten sind diesmal noch unberücksichtigt geblieben. Der Beschreibung meiner Befunde schicke ich die der analytischen Methoden voraus, um das Misstrauen zu zerstreuen, welches neuerlichst den Bestimmungen des Zuckers aus eiweisshaltigen Flüssigkeiten entgegen- gebracht ist. 1. Untersuchung des Blutes. — Das aus der A. carotis bezw. cruralis fliessende Blut wurde in einem kleinen Maasscylinder aufgefangen und sofort unter starkem Umschütteln in dem 15 bis 20fachen Volumen 96° Alkohol coagulirt, was stets zu sehr feinen Gerinnseln führte Nach- dem diese alkoholische Mischung drei bis vier Tage auf Eis gestanden hatte und mehrmals täglich umgeschüttelt worden war, wurde flltrirt (durch ein Witt’sches Filter), der Filterrückstand trucken gesogen, im Mörser mit 96° Alkohol unter leichtem Erwärmen zerrieben, filtrirt, das Filtrat mit dem ersten vereinigt, auf dem Wasserbade in einer Porzellanschale ver- dampft, der Trockenrückstand in Wasser gelöst und filtrirt. Das Filtrat wurde eingeengt; wenn nöthig nochmals filtrirt und mit Fehling’scher Lösung auf Zucker geprüft, dessen (Quantität ebenso wie bei allen folgenden Untersuchungen nach Allihn ! durch Wägung des metallischen Kupfers in Asbestfiltern bestimmt wurde. Die Filtrirröhrchen waren ähnlich construitt, wie sie Allihn und vordem Soxhlet angegeben haben, nur mit dem Unterschiede, dass keine Glaswolle unter dem langfaserigen Asbest an- _ gebracht wurde. Die noch heisse reducirte Fehling’sche Lösung wurde möglichst schnell durch diese Asbestfilter, die vordem gewogen und ausgeglüht waren, mittels Saugpumpe filtrirt, das Filter mit dem Kupferoxydulnieder- schlag im Luftbade getrocknet, der Niederschlag im trockenen Wasserstoffstrom über einen Bunsen’schen Brenner zu metallischem Kupfer reducirt, am Wasserstoflapparat erkalten gelassen und bis zur Wägung im Exsiccator aufbewahrt. Die Menge des gefundenen Kupfers ergab dann nach der Allihn’schen Tabelle den gesuchten Zucker. In einer jüngst veröffentlichten Arbeit behauptet Schenck,? dass der dem Blute zugesetzte Traubenzucker nach Coagulation des Blutes mit siedendem Wasser sich im Filtrat nicht vollständig wieder finden lasse. Der Verlust schwanke zwischen 40 bis 80 Procent. Der Zucker gehe mit dem Eiweiss ' Allihn in Kolbe’s Journal für praktische Chemie. N. F. Bd. XXI. S. 52 ff. ? Pflüger’s Archiv. Bd. XLVI. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 189 eine Verbindung ein, aus welcher er, um nachweisbar zu werden, durch die Einwirkung von Salzsäure befreit werden müsse. — Durch diese Be- hauptung veranlasst, hat Röhmann! die Coagulation durch Natriumsulfat und verdünnte Essigsäure (Methode Cl. Bernard’s) ausgeführt und dabei einen Verlust von 4 bis 16 Procent erhalten. Röhmann hält es für wahr- scheinlicher, dass die den Zucker einschliessenden dichten Eiweisshüllen, als die Verwandtschaft des Zuckers zum Eiweiss den Verlust bedingen. Auch macht er auf die rasche Zersetzung des Zuckers im Blute auf- merksam. Da die von Röhmann erhobenen Bedenken gegen die Bestimmung des Blutzuckers sich auch schon früher geltend machten,? so war man be- strebt, das ganz frische Blut solcher Weise zur Gerinnung zu bringen, dass möglichst feine Flöckchen niederfallen. Hierzu eignet sich, wie unter An- deren auch Hoppe-Seyler? angiebt, das allmähliche Ueberführen des Blutes in ein grösseres Volumen 96 grädigen Spiritus. Um nun weiter die feinen Flöckchen ganz sicher zu entzuckern, ist es gerathen das Ge- menge von Alkohol und Blut und die von der Flüssigkeit abfiltrirten Ge- ‘ rinnsel in der oben beschriebenen Weise weiter zu behandeln. Wiederholt habe ich die Gerinnsel aus Blut und Lymphe, nachdem sie mit Alkohol ausgezogen waren, den Vorschriften von Schenck gemäss eine Viertel- stunde in 5 procentiger Salzsäure gekocht, neutralisirt, filtrirt und das Filtrat auf Zucker geprüft, jedoch stets erfolglos. Den Einwendungen gegenüber, welche Seegen* erhoben hat, hielt ich mich für verpflichtet, auch sein Verfahren mit dem unseren zu vergleichen; Seegen entfernt bekanntlich nach dem Vorgange von Schmidt-Mühl- heim das Eiweiss durch Eisenchlorid und essigsaures Natron. Als ich auf zwei verschiedene Proben desselben Blutes das unsere und das Ver- fahren von Seegen anwendete, letzteres mit der Veränderung, auch hier das reducirte Kupfer zu wägen, erhielt ich Aberensninanie Zahlen, 0.064 und 0.060 Procent Zucker. 2. Der zur Zuckerbestimmung verwendete Speichel wurde im Maasscylinder mit der gleichen bis doppelten Quantität 50 grädigen Spiritus unter vorsichtigem Umschütteln versetzt, wobei eine geringe Mucinauschei- dung eintrat, dann Alkohol in steigender Concentration bis zu 96°, zur voll- ständigen Ausscheidung des Mucins noch ein bis zwei Tropfen verdünnter ı Centralblatt für Physiologie. April 1890. ®2 Cl. Bernard, Comptes rendus. 1876. 1° Semestre; — Bleile, dies Archiv. 1879. 8.59 ff., — Gaglio, dies Archiv. 1886. S. 400 ff. ® Handbuch der physiologischen Analyse. 5. Aufl. 8. 120. * Die Zuckerbildung im Thierkörper. Berlin 1890. S. 42. 5 Dies Archiv. 1879. 8. 42. ’ 190 F. WEYERT: Essigsäure hinzugefügt und der enstandene Niederschlag zum Absetzen hingestellt. Darauf wurde das alkoholische Extract filtrirt, auf dem Wasser- bade zur Trockenheit verdampft, der Rückstand im Wasser gelöst, filtrirt, und das Filtrat auf Zucker geprüft, dessen Menge nach Allihn bestimmt wurde. befreit, in verdünnter HCl unter Kochen aufgelöst, mit NaOH neutralisirt, filtrirt und mit Fehling’scher Lösung seine redueirende Substanz geprüft, auf deren regelmässiges Vorhandensein Eichwald und Landwehr! auf- merksam gemacht haben. Sie fanden, dass das Mucin der Submaxillaris ein Kohlehydrat enthält, „das thierische Gummi Landwehr’s“, welches durch Kochen mit verdünnten Säuren sich in einen Kupferoxyd reduei- renden Zueker verwandelt. In der vorliegenden Arbeit wurde der Muein- gehalt auf die Menge dieses reducirenden Stoffes geprüft. 3. Untersuchung anderer Flüssigkeiten. Die geronnene Lymphe wurde zwischen zwei Glasplatten ausgepresst, wenn sie bluthaltig war, cen- trifugirt, ein bestimmtes Quantum, ebenso wie das Blut, in 96° Alkohol coagulirt, das Extraet nach einigen Tagen filtrirt, das Filtrat verdampft der Trockenrückstand in Wasser gelöst, filtrirt und auf Zucker geprüft. Ebenso wurden Oedem, Cerebrospinalflüssigkeit, Augenkammer- wasser behandelt. Der Harn wurde mit Fehling’scher Lösung titrirt. Bei geringen (Juantitäten (nach Unterbindung der Unze) wurde die Menge des Zuckers nach Allihn bestimmt. Die alkalische Seignettesalz-- und die Kupfersulfatlösung wurden ge- trennt aufbewahrt und kurz vor der Prüfung vereinigt. 4. Bei der Ausführung der Versuche wurden die nachstehenden Vor- schriften befolet. In allen Fällen waren die verwendeten Hunde seit 24 Stunden ohne Nahrung geblieben. Einem Theile derselben wurden vor der Einspritzung des Zuckers die Ureteren an ihrem Uebergange auf das Kreuzbein unterbunden, ein Handgriff, welcher bekanntlich ohne merkliche Blutung und ohne Entblössung des Darmes auszuführen ist. Bei einigen auch zugleich der Ductus thoracicus oder der Lymphstamm des Halses aufgesucht und mit Canülen versehen. Die Thiere, an welchen der Duetus thoraeicus aufgesucht wurde, waren schwach mit Curare vergiftet. Alle wurden durch Verblutung getötet, die Mehrzahl kurz nach einer letzten an; einige aber drei Stunden später. } Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. VII. Das ausgeschiedene Mucin wurde auf dem Wasserbade vom Alkohol DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS 1N VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 191 Die Zuführung des Zuckers geschah von der Vena jugularis aus. Um den Grund für die Art des eingeschlagenen Verfahrens zu würdigen, ist zu beachten, dass über das Verhältniss, in welchem der Zuckergehalt ver- schiedener Körpersäfte mit dem des Blutes wächst, ein Aufschluss nicht gewonnen werden kann, wenn dem letzteren nur einmal eine grössere Zuckermenge zugeführt wird; diese verlässt, wie Brasol' gezeigt hat, das Blut alsbald wieder. Also muss die Zuführung von Zucker öfter wieder- holt werden. Zur Einspritzung wurden Lösungen chemisch reinen Traubenzuckers in physiologischem NaCl-Wasser von 10 bis zu 50 Procent verwendet, damit nicht allzugrosse Wassermengen mit übergeführt würden. Von je einer solchen Lösung wurde zuerst ein erösserer Antheil dem Blute einverleibt, um den Zuckergehalt desselben alsbald auf eine höhere Stufe zu bringen, dann aber meist, um es auf ihn zu erhalten, von 5 zu 5 Minuten eine kleinere Menge, so dass in je.1 Minute 1 bis 28m Zucker zugebracht wurden. Während sonach durch die Vene der Zucker regelmässig in das Gefäss- system floss, wurden aus ihm mehr oder weniger oft je 30°" Blut ent- nommen, welche zur Bestimmung des Zuckergehaltes dienten. Jedesmal war auch kurz vor der beginnenden Zuführung von Zucker Blut zur Analyse entzogen worden. 5. Dem Verständniss für die Ursachen und dem Verlauf des Aus- tausches zwischen den Innen- und Aussensäften würde es nun sehr förder- lich gewesen sein, wenn es gelungen wäre, den Zufluss dahin zu regeln, dass der Gehalt des Blutes an Zucker stets gleich geblieben oder gleich- mässig angewachsen wäre. Zu diesem Ziele bin ich nicht gelangt, un- gesucht aber zu anderen Erfahrungen, welche die Fähigkeit des Blutes, den Zucker auszuscheiden, beleuchten und auf den Grenzwerth an Zucker hinweisen, der ohne Schädigung der Gesundheit nicht überschritten wer- den darf. Wie sich mit der zugeführten Menge der Gehalt des Blutes an Zucker geändert hat ist aus den folgenden Zahlen ersichtlich. Ihre Bedeutung dürfte durch die vorgesetzten Worte genügend verdeutlicht sein. Erste Reihe. Die Ureteren sind offen. Versuch II. Körpergewicht 17-5 Kilo. Zuckerlösung 20 Procent, zuerst auf ein- mal 122%, dann in je 1 Minute 0-8 sm zugeführt. heit neMınuten a rg) 10 35 70 75 Zucker bis dahin zugeführt in Grammen 0 20 40 65 — Blutzuekersin! Procenten 2 ..20572°.0:0% 0-25 0-42 — 0,34 Zucker im Harn wiedergefunden: 21-33=, — Verblieben dem Thiere 46-7 sm, ! Dies Archiv. 1884. S. 211. 192 F. WEYERT: Versuch III. Körpergewicht 36 Kilo. Zuckerlösung 25 aan, zuerst auf ein- mal 10=“, dann in je 1 Minute 1 = zugeführt. Zeit in Minuten . . . Dee 0 30 60 110 140 Zucker bis dahin Dirt in aan 0 40 70 120 150 Blutzucker in Procenten . -. - . . . 0:06 0-15 0-36 0-56 0-55 Zucker im Harn wiedergefunden 16-0 &=. — Verblieben dem Thiere 144 sm, Versuch IV. Körpergewicht 20 Kilo. Zuckerlösung 25 Procent, zuerst auf ein- mal 10:2”, dann in je 1 Minute 1 == zugeführt. Zeit in Minuten . . . ed ta LO 40 70 105 140 Zucker bis dahin ante in Grammen O0 50 80 115 150 Blutzucker in Procenten . -. . . . .0.08 0-42 0-56 0-62 0-85 Zucker im Harn wiedergefunden 43 &=, — Verblieben dem Thiere 107 sm, Versuch V. Körpergewicht 21 Kilo. Zuckerlösung 40 Procent, zuerst auf ein- mal 168”, dann in je 1 Minute 1-8 &% zugeführt. Zeit in Minuten . . . St Ba) 35 90 150 Zucker bis dahin ann in men 0) 72 160 288 Blutzucker in Procenten” . . 2 22720:.0970:377. 0263220286 Zucker im Harn wiedergefunden 36 &® + eines unbekannten Verlustes. Zweite Reihe. Die Ureteren sind unterbunden. A. Das Thier wird unmittelbar nach der letzten Einspritzung getödtet. Versuch VI.: Körpergewicht 22 Kilo. Zuckerlösung 50 Procent, zuerst auf ein- mal 202%, dann in 1 Minute 22” zugeführt. keit, ne Minutenge za: A) 40 90 Zucker bis dahin ee in Graınen 0 100 200 Blutzucker in Proceenten . . . . . ..0-07 2-84 1-83 Versuch VII. Körpergewicht 10-5 Kilo. Zuckerlösung 25 Procent, zuerst auf ein- mal 10==. dann in je 1 Minute 1 &@ zugeführt. Zeit in Minuten . . . Ce re 40 115 145 Zucker bis dahin nugeführe ir in Grammen 0 BON 25 Blutzueker in Brocenten 2. 7.22..2.20-20770:69 223921061 Versuch VIII. Körpergewicht 38 Kilo. Zuckerlösung 50 Procent, zuerst auf ein- mal 155%, dann in je 1 Minute 2&% zugeführt. Zeit in Minuten . . . Ze ER) 65 115 145 Zucker bis dahin a in Grammen 0 150 250 310 Blutzucker in Brocenten - 2209722°2%082085.0:84 21:3 1-12 Versuch IX. Körpergewicht 11 Kilo. Zuckerlösung 50 Procent, zuerst auf ein- mal 20”, dann in je 1 Minute 2 sm zugeführt. Zeit in Minuten . . . 0 60 Zucker bis dahin asrailiun in nen 0 140 Blutzucker in Procenten . . . 2. ..0-.021 2-84 DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 193 B. Tod 3 Stunden nach vollendeter Zuckereinspritzung. Versuch X. Körpergewicht 34 Kilo. In 50 procent. Lösung wurden 150 e= Zucker eingeführt. Das Blut enthält 3 Stunden nach vollendeter Einspritzung . . . -» . . 0-12 Proc. Unmittelbar am Ende d. Einspritzung würde es voraussichtlich enthalten haben 0-8 „, (s. Versuch VIII.) Versuch XI. Körpergewicht 26 Kilo. In 50 procent. Lösung wurden 150 8” Zucker eingeführt. Das Blutserum enthält unmittelbar am Ende der Einspritzung . . . 1-18 Procent Das Blutserum enthält 3 Stunden nach beendeter Einspritzung . . . 0-17 „ Auf die Zahlen hin wird sich keine Voraussage darauf gründen lassen, in welchem Verhältniss zur Menge des zugeführten Zuckers der Gehalt des Blutes daran wächst. Mit seiner stetigen Zufuhr mehrt sich im Allge- meinen auch im Blute der Zucker, doch nur bis zu der Grenze von 1 bis zu 2 Procent. — Wenn der Reichthum des Blutes bis zu diesem Grade gediehen ist, so sinkt ungeachtet der fortschreitenden Zufuhr der Zucker- gehalt im Blute herab. Bei diesem Verhalten hat es sein Bewenden, mag die Niere arbeiten oder rasten. — Wenn nun auch die Regel, nach welcher das Blut seinen Zucker verliert, unbekannt bleibt, so steht doch so viel fest, dass es sich unabhängig von der Entlastung durch den Harn in einem ausgedehnten Maasse von dem Zucker befreien kann. Hierfür sprechen die Zahlen, welche in der zweiten Reihe — Ureterenverschluss — unter B stehen. In Versuch XI wurden in 100 Theilen Serum eines Blutes, das unmittelbar nach der vollendeten Einspritzung gewonnen 1.18 Theile, und aus dem Serum, welches drei Stunden später dem Thiere entzogen war, nur 0.17 Theile gefunden. Von den 150 ?% Zucker, die durch die V. jugu- laris eingespritzt wurden, ist sonach jedenfalls nur ein Rest von wenigen Grammen im Blute verblieben. 6. Durch die Einführung grosser Zuckermengen wurden einige Male Krämpfe und wässerige Durchfälle, einmal sogar der Tod herbeigebracht. Maassgebend für den schädlichen oder unschädlichen Erfolg ist dem An- schein nach das Verhältniss zwischen dem Gewichte des Körpers und des eingeführten Zuckers; hierfür spricht die folgende Zusammenstellung (8. 171). Die Verhältnisse, unter welchen sich diese Thiere befanden, waren nicht einfach genug und die Zahl der Beobachtungen ist zu gering, als dass es erlaubt wäre zu behaupten, bei 128m Zucker per Kilo Hund beginne die der Gesundheit schädliche Wirkung. Es mag genügen, die Aufmerksam- keit auf den Gegenstand gelenkt zu haben. 7. Zueker in der Darm- und Kopflymphe. Wenn man die Ab- hängigkeit des Zuckergehaltes der Lymphe von dem des Blutes zu erfahren Archiv £. A. u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 13 194 F. WEYERT: —_ un Körper- ‚Eingeführte Zucker für Ve | gewicht | Ar 1 Kilo Kör- Bemerkungen ul en, jpergewicht I 15-0 goal = 1108 Ohne Störuug. Ureteren oflen. u ea We N h & 5 1001 36 | 150 4-2 „ 29, E}) „ X 34 150 4-4 5 5 Ureteren geschlossen, XI 26 150 5-7 B" 0 5% 5 \ IV 20 150 nl I H Ureteren offen. vIn 38 310 | SCHEN S Ureteren geschlossen. IX 11 140 I lo Ureteren zu. Tod unter Krämpfen. VI 2250502290 12-9 Ureteren zu. Starke Lymphentziehung. Tod unter Krämpfen. V 21 288 13-7 Ureteren offen. Verliert durch den Harn mindestens 40 em, VIl 10-5 155 14-7 Reichlich flüssige Darmentleerung. beabsichtigt und dabei, weil es kaum anders möglich ist, der Art verfährt, dass man während des längeren zum Aufsammeln nöthigen Zeitraumes aus der Arterie eine Blutprobe nimmt, so wird man eine zutreffende Auskunft nur unter der Bedingung zu erwarten haben, dass der Zuckergehalt des Blutes lange Zeit hindurch unverändert .geblieben ist. Ein Beweis dafür, dass diese Bedingung erfüllt sei, wird sich aber niemals erbringen lassen, und deshalb kann die vergleichende Analyse nur zu zeigen beabsichtigen, ob bei einem Wechsel des Zuckergehaltes im Blute auch ein ähnlicher in der Lymphe sichtbar werde. — Entsprechend der angestellten Ueberlesung konnten annähernd gleichzeitige Bestimmungen der Zuckerdichte im Blute und der Lymphe nur den Aufschluss erbringen, ob der Gehalt der Lymphe den des Blutes begleite, wenn in dem letzteren das normale niedrige Zucker- procent unter reichlicher Einspritzung emporsteigt und nahezu wieder auf den ursprünglichen einige Zeit nach dem Aufhören der Zufuhr zurückgeht. Die folgenden Zahlen, welche den Thatbestand darlegen, sind ins- gesammt von Hunden geliefert worden, welche mindestens vor 24 Stunden zum letzten Male gefüttert wurden. Diejenigen, deren Ductus thoracicus eröffnet war, wurden schwach mit Curare behandelt; für die Gewinnung der Halslymphe war keine Vergiftung nöthig. Ein Theil der Versuche ist bei offenem, ein anderer bei verschlossenem Ureter angestellt. Im letzteren Falle wurden entweder nur bis zum Ende der Zuckereinspritzung oder aber einige Stunden später die gewünschten Flüssigkeiten gesammelt. — Unter der Zeit O0 findet sich der Zuckergehalt des Blutes und der Lymphe un- mittelbar vor dem Beginn der Einspritzungen verzeichnet. Die Zeit zählt vom Beginn der letzteren. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 195 Zucker im Blut und in der Lymphe. Erste Reihe. Die Ureteren sind offen. Versuch IIl. Körpergewicht 36 Kilo. Eingeführt 150 :”” Zucker in 25 procen- tiger Lösung. Zei 15 30° 35 55 60° 75 110° 120 140 Zuckergehalt des Blutes 0-058 — 0.154 — — 0.358 — 0.558 — 0-554 Zuckergehalt d. Lymphe 0-065 0-123 — 0.418 0.483 — 0:64 — 0-65 0-70 Versuch IV. Körpergewicht 20 Kilo. Eingeführt 150°” Zueker in 25 procen- tiger Lösung. ie at rei 40 To 105 140 Zuckergehalt des Blutes. 0-08 0-42 0-56 0-62 0-85 Zuckergehalt der Lymphe 0-11 0-51 0-91 0-95 0-96 Zweite Reihe. Die Ureteren sind unterbunden. Versuch VI. Körpergewicht 22-5 Kilo. Eingeführt 290 ®” Zucker in 50 procen- tiger Lösung. Für je 1 Minute 2 == Zucker zugeführt. Zeltlager) 20 40 55 65 90 135 Zuckergehalt des Blutes . 0-07 _ 2.84 — _ 1-83 _ Zuckergehalt der Lymphe. 0-11 0-67 1-04 1-29 1-64 2-00 2-07 ‘Versuch VII. Körpergewicht 10-5 Kilo. Eingeführt 155 ©” Zucker in 25 procen- tiger Lösung. Für je 1 Minute 1 =” Zucker zugeführt. FEB N N |) 40 65 9072341572120 7145 Zuckergehalt des Blutes . 0:07 0.65 — — 195 — 1-61 Zuckergehalt der Lymphe 0-14 0-72 0-95 1-81 — 1:61 1-45 Zucker in der Kopflymphe und im Blutserum. Die Bestimmung geschah 3 Stunden nach vollendeter Zuckereinspritzung. Versuch X. Körpergewicht 34 Kilo. Eingeführt waren 150 &"” Zucker. Zuckergehalt des Blutes 0-12 Procent Zuckergehalt des Serums 0-17 Procent Zuckergehalt der Lymphe 0-19 Procent Oedem 0-68 Procent. Versuch XI. Körpergewicht 26 Kilo. Eingeführt waren 150 ®” Zucker. Zuckergehalt des Blutes 0-14 Procent Zuckergehalt des Serums 0-17 Procent Zuckergehalt der Lymphe 0-18 Procent Oedem 0-57 Procent. Aus den Tabellen ist zu ersehen, dass in dem Zeitraum, während dessen die Einspritzungen in regelmässiger Folge geschahen, der Zucker- gehalt des Blutes und der Lymphe in Zunahme begriffen waren, keines- wegs jedoch gleichmässig, öfter ging die Lymphe im Ansteigen voraus, zu- 'weilen auch das Blut. Der vorhandenen Unregelmässigkeit wegen ist die Annahme, dass aus der verdünnteren Lösung im Blute eine dichtere in 13* 196 F. WEYERT: die Lymphe übergehe, schon wenig wahrscheinlich, zudem ist sie unnöthig. Aus dem Blute entfernt sich der Zucker zu rasch, als dass wir wissen könnten, wie hoch der Zuckergehalt desselben damals gewesen ist, als die Lymphe, die zur Untersuchung kommt, abgeschieden wurde. Dass die Dichtiekeit des Zuckers im kreisenden Blute öfter höher sein muss, als in dem zum Zweck der Analyse abgelassenen, ist deshalb gewiss, weil nicht unmittel- bar nach einer alle 5 Minuten erfolgenden Einspritzung die Arterie ge- öffnet wurde, sondern um die Mischung zwischen dem nun zugebrachten und dem im Gefäss vorhandenen herzustellen erst einige Minuten später. Zwei bis drei Minuten genügen aber zur Auswanderung einer Zuckermasse, wie sie dem Unterschied zwischen dem Gehalt des Blutes und der Lymphe entspricht. Einfacher als zur Zeit der Einspritzungen dürften die Verhältnisse vor Beginn oder einige Stunden nach Beendigung der Zufuhr des Zuckers liegen; in diesen Perioden ist der Gehalt des Blutes an Zucker gering und weniger ‘ schwankend. — In den ersten drei Versuchen der vorstehenden Uebersicht, welche den Zuckergehalt von Blut und Lymphe vergleichen, sehen wir jedesmal ein kleines nach hundertstel Procenten rechnendes Uebergewicht der Lymphe.! In den letzten beiden Versuchen, in welchen die Flüssig- keiten drei Stunden nach beendigter Zufuhr aufgefangen und die Lymphe mit dem Blutserum verglichen wird, verschwindet jedoch der Unterschied, wie es nach den Erfahrungen Bleile’s zu erwarten war. Durch sie sind wir benachrichtigt, dass der innerhalb der Gefässe vorhandene Zucker vor- zugsweise im Plasma, gar nicht oder nur in geringem Maasse in den kör- perlichen Bestandtheilen vertreten sei. Auf die Zusammensetzung der Flüssigkeit, wie sie von den Blutgefässen in die Gewebsspalten ergossen wird, dürfte jedoch schwerlich aus derjenigen der Lymphe zu schliessen sein, wie sie aus den grösseren Stämmen, zumal denen der Brust und des Halses gewonnen wird. Denn beim Durchmessen des Weges, von dem Ort wo sie entstanden, bis zu dem wo sie aufgefangen wird, finden sich mannigfache Mittel und genügende Zeit um die Zu- sammensetzung der Lymphe zu ändern. 8. Cerebrospinal- und Augenflüssigkeit. — Innerhalb der fest- umgrenzten Höhlen, in welchen die genannten Flüssigkeiten liegen, herrscht fortwährend nahezu der gleiche Druck wie der des Blutes, somit fehlt es der Annahme an Unterlagen, dass wegen stetiger Neubildung ihr Inhalt in regem Wechsel begriffen sei. Unter dieser Bedingung dürften auch die Flüssigkeiten in ihrem chemischen Bestande nur wenig veränderlich sein, ! Siehe auch Lefort und Poiseuille, Comptes rendus cte., 1858, Bd. XLVI, welche schon Aehnliches gefunden haben. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 197 sie haben genügend Zeit gefunden, um sich durch Diffusion mit dem meist gleichartig zusammengesetzten Blutplasma auszugleichen. Eine Begutachtung der vorgetragenen Ansichten kann durch das Verhalten der Flüssickeiten gegen das mit fremden Bestandtheilen versetzte Blut geliefert werden; nur sehr allmählich müsste sich die Zusammensetzung der Flüssigkeit der des veränderten Blutes nähern. Leider stehen mir zur Klärung der Sachlage nur wenige Versuche zur Verfügung, doch sprechen ihre Ergebnisse für die entwickelte Annahme. Bekanntlich ist in der Cerebrospinalflüssigkeit kein oder nur sehr wenig von einem das Kupferoxyd reducirenden Stoff vorhanden, welcher früherhin als Zucker,! neuerdings als Brenzcatechin ? angesprochen wird. Bei der Untersuchung der Flüssigkeiten, welche unmittelbar nach dem Tode der bezuckerten Thiere gewonnen waren, ergab sich, wenn der reducirende Stoff als Zucker berechnet wird: | Versuch VIII. Ureteren unterbunden. Nach vollendeter Einspritzung von 3108” Zucker sogleich getödtet. — ÜCerebrospinalflüssigkeit 0:08; Inhalt des Ureters 1.4 Procent Zucker. Versuch XI. Ureteren unterbunden, 3 Stunden nach vollendeter Einspritzung von 150m Zucker getödtet. — Die Cerebrospinalflüssigkeit enthält 0-13, die Glasfeuchtigkeit 0-10, das Blutserum 0-17 Procent Zucker: Der Befund würde der Annahme nicht widersprechen, dass eine Aende- rung in der Zusammensetzung des Blutes sich erst nach Stunden in der Augen- und Hirnflüssigkeit ausdrückt. 9. Harn, Oedem der Niere und des Nierenpolsters. — Dass der Harn den ungehindert durch die Ureteren abströmenden Zuckergehalt des Blutes um mehr als das 10 fache übertreffen kann, ist bekannt und bewährt sich auch in meinen Versuchen, wie die folgenden Zahlen zeigen. Ureteren offen. — Tod bald nach beendeter Einspritzung des Zuckers. Versuchsnummer |Tod nach Begiun 3 nr Höchster Gehalt | Zuckergehalt und der Zucker- neunte an Zucker im und Volum Körpergewicht einspritzung a 8 Blute gefunden des Harns I 15 Kilo 65 Min. 19.5 ern 0.214 Pocent | 4-1 150° 1% 17-5, 5 „ 68 „ 0.418 ,„ 7-35 290 „ BEiN]e236 5, 145 ,„ 150 „ 0:558 ,„ Hals; IV 202, 145 ,„ N AS 08525; 5.6 770 „ Vee210 7, 1207, 288 5 0uSoles BU 1 Cl. Bernard, Sur le diabete. 1837. p. 205; — Hoppe-Seyler, Physioloe gische Chemie. 1881. S. 604. ” Halliburton, Journal of Physiology. 1889. Vol.X. 198 F. WEYERT: Ganz anders nach der Hemmung des Abflusses. Die Unterbindung des Ureters zu einer Zeit reichlicher Harnbildung bedingt rasch eine Schwellung der Niere veranlasst durch Ausdehnung der Canälchen mit Harn und Durchfeuchtung des Nierenlabyrinths mit eiweisshaltiger Flüssig- keit. Zu der Schwellung gesellt sich die Füllung der Lymphgefässe in der Kapsel und ein starkes Oedem des Bindegewebes in der Umgebung der Niere.! — Die Flüssigkeit, welche in dem Ureter, dem Becken und den Canälchen enthalten ist, führt nach M. Hermann sehr wenig Harnstoff, sie reagirt, wie ich fand, niemals sauer, dagegen öfter alkalisch und es fallen aus ihr nach der Sättigung mit Essigsäure beim Kochen Eiweissflocken nieder. — Nach diesen Eigenschaften wird man die Flüssigkeit nicht für Ham, vielmehr für ein 'Exsudat zu erklären haben. Mit dieser Bezeichnung stimmt auch ihr Verhalten zum Zuckerblut; ähnlich wie in der Darm- Iymphe bewegt sich ihr Zuckergehalt in der Nähe des grössten im Blute beobachteten, niemals aber übersteigt er den des Blutes um das Mehrfache wie der aus dem offenen Ureter abfliessende Harn. Inhalt des seit Beginn der Zuckereinspritzung unterbundenen Ureters. Tod sogleich nach beendeter Zuckerzufuhr. Versuchsnummer Tod nach Beginn Einseführte ‚Höchster im Blut/Zuckergehalt des runde | der Zucker- | Teens bestinnmter |Ureteren- u. s. w. Körpergewicht NDR | ı Zuckergehalt | Inhaltes VI 22-5 Kilo 140 Min. 290 er 2-84 3-2 Procent NE NV | 1502 159 ,, 1-95 2-0 a ee 510%, 920 [1910.30 I 14 DT i: | EU 140 „ | 2-84 (Serum) 3-9 An die Beschreibung der Flüssiekeit, welche aus den Ureteren zu ge- winnen ist, schliesst sich naturgemäss die des Oedems aus der Umgebung der Niere an. Sein Ursprung ist in der Niere zu suchen. Dass die in dem Nierenlabyrinth eingedrungene Flüssigkeit ihren Weg durch die Kapsel in das umgebende Bindegewebe nimmt, dafür spricht die Lage des Oedems, und dass es fehlt, wenn sich die Nierenschwellung nicht entwickelt hat. Hier- nach erklärt sich auch eine nach der gleichen Richtung liegende Zucker- dichte der beiden Flüssigkeiten. In dem Bindegewebe sammelt sich die Flüssigkeit so reichlich an, dass 10 und mehr Cubikcentimeter derselben ohne mit Blut verunreinigt zu sein, durch ein Glasröhrchen abgezapft werden können. ‘ Max Hermann, Wiener akademische Sitzungsberichte. 1859. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 199 In die nachstehende Zusammenstellung ist des leichten Vergleichs wegen auch der Zuckergehalt der Flüssigkeit aufgenommen, welche von der zugehörigen Niere geliefert wurde. 10. Zuckergehalt der Oedem-Flüssigkeit in der Umgebung der Niere. A. Tod unmittelbar nach beendeter Einspritzung. Den Nachweis für die Bedingungen des Versuchs giebt die eben vorausgegangene Tabelle. Versuch VI. Oedemflüssigkeit. 1-52 Proc. Zucker. Flüssigkeit a. d. Ureter 3-2 Proc. ” II: £}) 2-54 ” „ „ »» „> 2.04 ER) ER) VII. » 1-57 E}) £>) ” 2199 ER) 1.40 Ei] Die Verhältnisse zwischen den Zuckergehalten der Flüssigkeiten im Innern und in der Umgebung der Niere, von welchen bis dahin die Rede war, gelten nur unter der Voraussetzung, dass beide sogleich nach beendeter Einspritzung, also zu einer Zeit entnommen waren, während welcher das Blut noch sehr zuckerreich gewesen. Nicht mehr ungefähr gleich, sondern beträchtlich unterschieden sind ihre Zuckergehalte zur Zeit, wo das Blut sich wieder dem normalen Zustand genähert hat. Alsdann bietet die aus dem Ureter gewonnene Flüssigkeit noch einen Zuckergehalt wie früher, er hat sich auf der Stute erhalten, die ihm eigen war, als im Blute der Reich- thum an Zucker hoch stand. In der Flüssigkeit aus der Nierenumgebung findet sich dagegen eine bedeutend herabgesetzte Zuckerdichte. Da den Harnwegen die Eigenschaft zukommt, die in ihre Lichtung ausgetretenen Stoffe, Wasser ausgenommen, nicht wieder an das Blut oder in die Lymphe zurückzugeben, die in das Bindegewebe ausgetretene Flüssigkeit sich da- gegen mit dem Blute diffusiv ausgleicht und von den Lymphgefässen auf- genommen wird, so muss sich aus dem ursprünglich entstandenen der nach- stehend verzeichnete Zustand herausbilden. B. Ureteren unterbunden. Tod 3 Stunden nach der beendigten Ein- führung des Zuckers. Versuchs- |Eingeführte Injections- Tod nach Zuckergehalt nummer und | Zucker- dance vollendeter a der Nieren ter Oedem- Körpergewicht menge Injection | des Blutes flüssigkeit flüssigkeit x. 34 Kilo 150 8m 42 Min. 193 Min. ValDzr 282293 0-68 E20, 150 „ 2er Ionen, 0-17 3-46 0-57 11. Speichel der Unterkieferdrüse. — Von den beiden Bestand. theilen des Speichels ist der aufgeschwemmte, das gequollene Mucin, im Drüsenraum allmählich aus Zellenstoffen herausgebildet, die schon dort vor- 200 F. WEYERT: handen waren, ehe der zweite, der dünnflüssige Antheil des Speichels durch den erregten Nerven aus der Umgebung in’s Innere des Endbläschens ge- führt wurde Darum wird eine nähere Beziehung, als sie dem Muein eigen ist, der Flüssigkeit des Speichels zu dem Blute zukommen, das während einer vom Nerven eingeleiteten Absonderung durch die Drüse kreist. Von dieser Flüssigkeit wird zunächst gehandelt werden. In dem genannten Antheil eines Speichels, der aus den Drüsengängen gesunder Menschen gesammelt wurde, hat man bisher keinen Stoff gefunden, welcher Kupferoxyd zu reduciren vermag. Ja es fehlt sogar, wie E. Külz! durch Untersuchung der gesondert aufgefangenen Secrete der Ohr- und Unterzungendrüse gezeigt hat, im Gesammtspeichel der Diabetiker der Zucker. Da nun ‘aber im Blute der Diabetischen nach Bock und Hoffmann? 0-3 Procent, nach Pavy? sogar bis zu 0-5 Procent Zucker angetroffen werden, so schien es als ob die Drüsenhäute vollkommen zucker- dicht seien. Versuche mit künstlicher Bezuckerung des Blutes sind nun geeignet, uns Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Speicheldrüse bis zu den Grenzen hin undurchgängig sei, welchen der Zucker im Blute ohne das Leben zu gefährden erreichen kann. Als den Hunden in den Gang der Unterkieferdrüse ein Röhrchen und um die Chorda eine Elektrode gelegt war, wurde in die Jugularis Zucker eingespritzt, von Zeit zu Zeit der Nerv erregt und neben dem Speichel auch Blut aus der Art. carotis genommen. Die Bestimmungen des Zuckers führten zu den folgenden Zahlen; wiederholt sei bemerkt, dass unter Speichel die Flüssigkeit nach Ausschluss des Mucins verstanden wird. Versuch I. Körpergewicht 15 Kilo. Zucker eingespritzt in Grammen 3 15-5 19-5 Zuckerprocent des Blutes . . . 0-10 0-21 — Zuckerprocent des Speichels . . — durchweg zuckerfrei Versuch I. Körpergewicht 17-5 Kilo. Zucker eingespritzt in Grammen 20 40 68 Zuckerprocent des Blutes . . . 0-25 - 0-42 0-34 Zuckerprocent des Speichels . . 0 0 Spuren Versuch V. Körpergewicht 21 Kilo. Zucker eingespritzt in Grammen 72 120 160 200 288 Zuckerprocent des Blutes. . . 0-37 °— 0:69 _ 0-86 Zuckerprocent des Speichels . . 0 Spuren — Spuren 0-34 ! Diabetes mellitus. 1875. Bd. II. S. 132 u. 133. ? Experimentalstudien über Diabetes. Berlin 1874. ’ In Gamgee, Physiological chemistrv. 1880. 8. 168. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 201 Versuch VIIL. Körpergewicht 38 Kilo. Zucker eingespritzt in Grammen 100 150 230 250 310 Zuckerprocent des Blutes . .. — 0834 — 1:30 1-12 Zuckerprocent des Speichels . . 0 — 0:26 — 0:39 So widersetzt sich denn dem Durchtritt des Zuckers die Drüsenwand nicht grundsätzlich; sie gestattet ihn, wenn der Zuckerwerth in der um- spülenden Flüssigkeit auf einen gewissen Grad gelangt ist, und damit schliessen sich die scheidenden Kräfte dieser Wand den anderwärts vor- handenen an. Doch würde das Widerstreben gegen den Zucker, wenn man es nach dem Zuckergrad des Blutes messen wollte, welcher das- selbe überwinden kann, in den Häuten der Speicheldrüse höher als in denen der Niere zu schätzen sein. In den mitgetheilten Beobachtungen begab sich der Zucker erst dann in wägbaren Mengen zum Speichel, wenn seine Dichtigkeit im Blute auf 0-8: für 100 gestiegen war. Ge- setzt es liege bei dieser Zahl die Grenze des Gehaltes, welche der Zucker im Blute überschreiten müsse, um speichelfähig zu werden, so würde sich erklären, warum er im Speichel der Diabetiker fehlt. Doch dürfte die Aufstellung einer bestimmten Zahl voreilig sein, so lange man den Zucker des Blutes nicht dauernd auf einem festen Werthe erhalten kann. Eine öfter ausgesprochene Vermuthung, dass die Drüsennerven den untergebenen Mechanismus von den Zellen aus in Gang setzen, welche den Binnenraum des Drüsenbläschens ausfüllen, ist durch die Reizungsversuche von O. Drasch,! sowie durch die anatomischen Arbeiten von Kupffer,? Klein® und Fusari-Panesci* zur Gewissheit geworden. An die Reizung der Nerven, welche zu einer Absonderung führt, knüpft sich aber ein Wachsthum der Temperatur, offenbar bedingt von einer stofflichen Um- setzung, welche den mikroskopischen Untersuchungen von Heidenhain, Langley und Altmann gemäss auf Kosten gewisser im Protoplasma stets neugebildeter Granula geschieht. Vorausgesetzt es entstehe bei diesem Vorgange ein diosmotischer Stoff, und zwar ein Krystalloid, etwa eine Säure — denn eine solche leistet mehr als ein Colloid® — so wird auch ein langsamer Diffusionsstrom bei der grossen Oberfläche der Drüse genügen, um die in einer Absonderungsperiode ausgeschiedenen Speichelmengen herzugeben. — In ihrer Zusammensetzung muss die zum Innern des Bläschens geführte 1 Dies Archiv. 1889. ? Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Leipzig 1874. ® Quarterly Journal of microscopical science. New Ser. Vol. XII. p. 28. _* Atti della Academia di Torino. t. XXV. p. 590 sp. — Archives italiennes de Biologie. t. XIV. ® Die Elementarorganismen. Leipzig 1890. 8. 118 ff. ° Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Bd.1. 8. 52. 202 F. WEYERT: Flüssigkeit geregelt werden durch das Quellungsvermögen der Körbehenhaut, weil sie den Raum des Bläschens abgrenzt. (Gemäss der eben gegebenen Darstellung, die mit den an den Drüsen beobachteten Erscheinungen im Einklang und mit keinem physikalischen Gesetz im Widerspruch steht, würde die Zusammensetzung der die Drüsenbläschen umspülenden Flüssig- keit, ob Blut oder Lymphe, auf das Quellungsvermögen der Körbchenhaut von Einfluss sen. Von dem Grade und der Art des Widerstandes, dem sie dem Eintritt des einen oder anderen Stoffes bietet, wird die Zusammen- setzung des flüssigen Speichels bedingt sein. i Aus dem zweiten Bestandtheile des Speichels, dem Mucin, kann nach Eichwald! durch verdünnte Mineralsäuren ein Stoff abgespalten werden, welcher Kupferoxyd reducirt. Wenn das Mucin als ein festgefügtes Molecül und in ihm die reducirende Gruppe als ein stetiger Bestandtheil angesehen werden darf, so würde sich der Gehalt des Speichels an Muein aus der Menge des reducirten Kupferoxyds bestimmen lassen. Theils um hierüber Aufschluss zu erhalten, und auch um zu sehen, ob sich die Menge des reducirenden, an das Mucin gebundenen Stoffes mit dem Zuckergehalt des Blutes ändere, habe ich öfter das Reductionsvermögen des Mueins bestimmt, nachdem es mit Essigsäure und Alkohol gefällt und dann durch verdünnte Salzsäure zerlegt war. Da die Menge des getrockneten Mueins wegen ihrer Geringfügigkeit nicht mit Sicherheit durch Wägung zu ermitteln war, so bezog ich das Gewicht des reducirten Kupfers auf das Speichel- volum, aus welchem das Mucin stammte, indem ich dem reducirenden Stoff das Moleculargewicht des Zuckers zuertheilte. Versuch II. Zucker in 100 Theilen Blut 0-42 0-34 Reducirender Mucinstoff in 100 Theilen Speichel 0-06 0-03 Versuch V. Zucker in 100 Theilen Blut 0-09 0.69 0-86 Redueirender Mueinstoff in 100 Theilen Speichel 0-07 0-15 0-25 Versuch VIII. Zucker in 100 Theilen Blut 0-08 0.84 1.12 keducirender Mucinstoff in 100 Theilen Speichel 0-25 0-22 0-22 Und für gemischten Speichel des Mundes Versuch III. Zucker in 100 Theilen Blut 0-06 0-56 Redueirender Mucinstoff in 100 Theilen Speichel 0-32 0:23 12. Umsetzung des eingeführten Zuckers. — Als sich heraus- gestellt hatte, dass auch nach reichlichstem Empfang das Blut alsbald seinen Zucker wieder einbüsste, obwohl der Ausweg durch die Nieren ver- stopft war, wurde es deutlich, dass eine Sättigung der Körpersäfte mit Zucker nicht zu erzielen war. Dafür, dass sie nicht erreicht wurde, ' Hammarsten, Physiologische Chemie, Wiesbaden. 8. 26 fl. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENK KÖRPERSÄFTE. 203 konnten nur die stetigen Umsetzungen verantwortlich gemacht werden, welchen, wie wir wissen, Zucker anheimfällt, der aus dem Darm in die Säftemasse des Körpers eindringt. Späteren Beobachtern zur Beachtung empfohlen dürfte der Umfang sein, welchen aller Wahrscheinlichkeit nach die Umsetzung des Zuckers annimmt. Zur Schätzung desselben eignet sich wohl das folgende Beispiel. Einem 26 Kilo schweren Thier waren nach Unterbindung der Ureteren eingespritzt 1508" Zucker in 50 procentiger Lösung. Nach Vollendung der Einspritzung wurden im Blutserum 1.18 Procent Zucker gefunden. Nehmen wir an, der Wassergehalt des Thieres betrage 75 bis 80 Procent und es wäre der Zucker gleichmässig vertheilt worden, so müssten in 19-5 bezw. 20.8 Kilo Flüssigkeit 0-77 bis 0.72 Procent Zucker vorhanden sein. — Als das Thier drei Stunden nach dem Empfang des Zuckers getödtet war, fanden sich in dem Hirnwasser, in der Halslymphe und im Blutserum übereinstimmend nur je 0-13 bis 0.18 Procent Zucker. — Wenn nun die oben bezifferte Flüssigkeitsmasse durchweg in gleichem Grade wie die Lymphe und das Blutserum bezuckert gewesen wäre, so würde sie nur noch 33 bis 38 8m Zucker enthalten haben. In drei Stunden wären demnach mehr als 100% Zucker umgewandelt worden. Zu einem gleichen Ergebnisse führt der zweite Versuch, in welchem der Tod drei Stunden nach beendeter Ein- spritzung herbeigeführt wurde; auch in ihm wären, wenn die angewendete Rechnungsweise zulässig ist, über 100 3”% Zucker umgesetzt gewesen. Den Inhalt der vorstehenden Abhandlung noch einmal kurz zu wieder- holen, dürfte des geringen Umfanges wegen unnöthig sein; dagegen möchte ich noch zwei aus den Versuchen abgeleitete Folgerungen der Beachtung empfehlen. 1. Die Kräfte, welche an der Ueberführung von Stoffen aus dem Blute in die Drüsenräume betheiligt sind, werden entweder unter Wärmebildune durch eine moleculare Umsetzung erzeugt, oder sie stehen schon als Druck- unterschied, Diffusion u. s. w. zur Verfügung. Dieses Gegensatzes wegen liess sich die Möglichkeit nicht .bestreiten, dass ein grundsätzlicher Unter- schied in den Mitteln bestehe, durch welche die Auswahl der abgeschie- denen Stoffe besorgt wir. Nun hat es sich aber gezeigt, dass der Widerstand der Häute gegen den Zucker in den Nieren und den Speichel- drüsen nicht gegensätzlich, vielmehr nur gradweise verschieden sei. Auf diese Erkenntniss gründet sich dann auch die Hoffnung, dass die Anschauung nicht verfehlt sei, welche von der Mechanik der Speichelabsonderung auf S. 201 entwickelt wurde. h 2. Aus der Dichtigkeit des ausgewanderten Zuckers liess sich nach- weisen, dass die Flüssigkeit, welche aus den Ureteren nach ihrer Unter- 204 F. WEYERT: bindung abfliesst, wesentlich aus einem Transsudat mit einem geringen An- theil beigemengten Harns besteht. Damit verlieren mancherlei Folgerungen ihr Gewicht, die sich auf die Annahme gründeten, dass jene Flüssigkeit Harn sei. Zugleich aber ergab sich, dass der in das Nierenbecken und die Ureteren gelangte Zucker gar nicht oder nur sehr langsam diffundirt, recht im Gegensatz zu demjenigen, welcher in das Bindegewebe um die Nieren- kapsel eingetrieben war — Ureteren und Nierenbecken verhalten sich demnach schon ähnlich wie die Harnblase. Anhang. Versuch I. Einem Hunde von 15 Kilo Gewicht wird eine Speichelfistel der linken Submaxillaris angelegt, die Chorda tympani frei praeparirt und elek- trisch gereizt (Schlittenapparat). Zur Injection in die V. jugularis gelangte eine 10 procentige Traubenzuckerlösung, 10 Uhr 45 Min. wurde die erste Portion Blut (30 °®) aufgefangen. 10 Uhr 50 Min. die erste Portion Sub- maxillarspeichel bei einem Rollenabstand vun 90%” gesammelt. 11 Uhr 80 m Zuckerlösung injieirt. 11 Uhr 10 Min. die II. Portion Blut (30 °°®) aufgefangen. 11 Uhr 15 Min. 15°” Zuckerlösung injieirt, darauf in je 5 Minuten a 20 «m injieirt, bis 11 Unr 40 Min. wo 195° nm — 19.58” Zucker injieirt waren. Bis 11 Uhr 25 Min. die II. Portion Speichel bei einer Reizstärke von 85 @m Rollenabstand gesammelt. 11 Uhr 30 Min. die III. Portion Blut (30 °®) auf- gefangen. Bis 12 Uhr die III. Portion Speichel (11.5°®%) bei einem Rollen- abstand von 70" sesammelt.e. 12 Uhr 5 Min. wurde der Hund getödtet, der Harn aus der unterbundenen Blase gewonnen, ausserdem der gemischte Speichel, der während des Versuches secernirt war, gesammelt. Die Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn: 150°" reagirt schwach sauer, specifisches Gewicht 1035, Zucker = 4-1 Procent. b) Speichel: «&) gemischter: 21 °® reagirt alkalisch, im alkoholischen Extract kein Zucker; das Mucin reducirt Fehling. /) reiner Submaxillarspeichel: reagirt alkalisch. Keines der alkoholischen Extracte der drei Portionen enthielt Zucker. Mucin nicht bestimmt. c) Blut: I (vor der Zuckerinjecetion gewonnen) enthielt in 30° 0.0190 Zucker = 0.063 Procent. II. (nachdem 88'% Zucker injieirt waren) enthielt in 30 °® 0.0314 Zucker = 0.104 Procent. III. (nachdem 15-5 2"” Zucker injicirt waren), enthielt in 30 °” 0.0643 Zucker = 0.214 Procent. Versuch II. Einem Hunde von 17-5 Kilo wird eine Fistel der linken Submaxillaris angelegt, die Chorda tympani frei praeparirt und um 11 Uhr 55 Min. die erste Portion Blut (30m) und I. Portion Submaxillarspeichel (13.2 m) bei einer Reizstärke von 170%” sesammelt. Zur Injection gelangte eine 20 pro- centige Zuckerlösung. 12 Uhr 60°°® injieirt, darauf in je 5 Minuten immer 20°® bis 1 Uhr 10 Min. wo 340 «m — 688m Zucker injieirt waren. Während des Versuches wurden vier Portionen Submaxillarspeichel gewonnen; die I. vor den Injectionen, die II. (19°°®) nach 160 °°® Injection, die III. (27 °®) nach DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 205 300 °°® Injection und die IV. und letzte (20°®) 5 Minuten nach der letzten Injection also 1 Uhr 15 Min. Der Reiz wurde allmählich von 170 auf 155 mm Rollenabstand verstärkt. Vom Blut wurden ebenfalls vier Portionen entnommen: die I. (30°) vor der Injection, die II. (30 m) nach 100 °® Injection, die II. (30 °*®) nach 200 °°® Injection und die IV. (30° m) 5 Minuten nach der letzten Injection (1 Uhr 15 Min.). 1 Uhr 25 Min. wurde der Hund getödtet, der Harn aus der Blase und dem unuterbundenen Praeputium aufgefangen. Die Unter- suchung ergab Folgendes: a) Harn: hellgelb, reagirt sauer, 290 °°®, specifisches Gewicht 1033, Zucker = 7-35 Procent. b) Speichel: die alkoholischen Ex- tracte der drei ersten Portionen enthielten keinen Zucker, das der vierten Spuren. Die Menge der reducirenden Substanz im Mucin der beiden letzten Portionen wurde bestimmt, und ergab für III: 0.017 in 27 em = 0°063 Procent, für IV: 0:032 in 20m — 0.16 Procent. c) Blut: I. enthielt in 30 ° m 0.0199 Zucker = 0.066 Frocent. II. (nach 20 8'M injieirten Zuckers) enthielt in 30 m 0.0752 Zucker = 0-25 Procent. III. (nach 40% injieirten Zuckers) enthielt in 30 °m 0.1255 Zucker = 0'418 Procent. IV. (5 Minuten nach der letzten Injection) enthielt in 30 °® 0.102 Zucker = 0-34 Procent. Versuch III. Einem Hunde von 36 Kilo Gewicht wird nach Narcotisirung durch Curare und bei künstlicher Respiration eine Lymphfistel des Ductus thoraeicus dicht vor Einmündung des Hals- und Armstammes angelegt. Der gemischte Speichel wurde mittelst Pipette aus dem Maul des Thieres aufgesogen. Injieirt wurde eine 25 procentige Zuckerlösung und nachdem um 10 Uhr 15 Min. die I. Portion Blut (30 ° m), die I. Portion Lymphe (22 °“®) und die I. Portion gemischten Speichels (5 °”) gewonnen waren, um 10 Uhr 20 Min. mit den In- jectionen begonnen. Das erste Mal 40°, darauf in je 5 Minuten je 20 °m bis 12 Uhr 40 Min, wo 600m — 1508'% Zucker injieirt waren. Während der Injectionen wurden vom Blut Portion II (30m) nach 160 °® Injection, Portion IIF (15 °®) nach 280 °® Injection, Portion IV (15 °®) nach 480 m Injection und Portion V (15°) nach 600 °® Injection aufgefangen. Von der Lymphe wurde die II. Portion (13.8 °®) nach 100 °® Injection gesammelt, die III. Portion (30 °®) nach 180°® Injection, die IV. Portion . (34 m) nach 260 °° Injection, die V. Portion (27 °“®) nach 340°” Injection, die VI. Portion (20 °®) nach 420 °® Injection, die VII. Portion (28 °®) nach 520 °°® Injection und zuletzt die VIII. Portion (38 °®) nach 600 °® gesammelt. Da der Hund wenig speichelte, so konnten ausser der I. Portion nur noch zwei, die eine (12 °m) nach 420 °® Injection, die andere (7.5°m) nach 600 “m In- jeetion gesammelt werden. 12 Uhr 45 Min. wurde der Hund getödtet, der Harn aus der Blase und dem unterbundenen Praeputium aufgefangen. Die . Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn: 315°”, reagirt sauer, specifisches Gewicht 1029, Zucker = 5-1 Procent. b) Speichel: I. das alkoholische Extract enthielt keinen Zucker. Das Mucin ergab in 5°" an reducirender Sub- stanz 0-016 = 0-32 Procent. II. das alkalische Extract enthielt in 13.8 m 0.028 Zucker = 0-233 Procent. Das Mucin von 13.8 m ergab 0-0375 = 0.31 Procent reducirende Substanz. III. das alkoholische Extract enthielt in 7.5°m 0.033 Zucker — 0-44 Procent. Das Mucin (nur in geringer Menge und ganz feinflockig gewonnen) enthielt 0.0061 reducirende Substanz in 7.5 m = 0.08 Proc. c) Blut: I. (30° ®) enthielten 0-0175 Zucker = 0.058 Proc. II. (nach 40 8"® injieirtem Zucker) in 30m 0-0464 Zucker = 0154 Procent 206 F. WEYERT: enthalten. III. (nach 70 8 injieirten Zuckers) enthalten in 15 m 0.0537 Zucker = 0.358 Procent. IV. (nach 120 3'% injieirten Zuckers) enthalten in 15 «m 0:0837 Zucker = 0558 Procent. V. (nach 150 S"® injieirten Zuckers) enthalten in 15 «m 0-0832 Zucker = 0'554 Procent. d) Lymphe: I. von röthlicher Farbe, centrifugirt, das Spectrum zeigt die Haemoglobin- und den Bilirubinstreifen schwach. Das alkoholische Extract leicht eitronengelb gefärbt. 22 “m enthielten 00145 Zucker = 0'065 Procent. II. 13-8 °® (nach 258% injieirten Zuckere), das alkoholische Extract schwach selb gefärbt, enthielt 00170 Zucker = 0'123 Procent. III. 30m (nach 45 8"% injicirten Zuckers) ziemlich stark coagulirt, enthielten 01256 Zucker = 0-418 Procent. IV. 34°” (nach 65 8"” injieirten Zuckers) enthielt O 1644 Zucker —= 0'483 Procent. V. 27°” (mach 85 8"” injieirten Zuckers) enthielt 0°1728 Zucker = 0'64 Procent. VI. 20° ® auf Galle geprüft nach Maly!. (Er ver- setzte Serum, das ‘er auf Galle prüfen wollte, mit 0-25 Procent acid. acet., verdünnte nach 24 Stunden mit dem 10 bis 15 fachen Volum Wasser, sammelte den Niederschlag, wusch ihn mit Alkohol, trocknete ihn an der Luft, darauf wurde er mit CHCl, ausgekocht, dieses verdampft, der Rückstand mit Alkohol behandelt und dann aus CHC], krystallisirt). In unserem Falle bildete sich nach Zusatz vom 10 fachen Volum Wasser ein weisser, flockiger Niederschlag, der auch durch andere Fällungen sich nicht gelb färben wollte, also dem Gallen- farbstoff, falls überhaupt Galle vorhanden war, in starker Verdünnung beige- mischt war. VII. 28m (nach 130 8m injieirten Zuckers); 4°m davon wurden nach Gmelin auf Galle geprüft, doch entstand nur ein schwach bläulicher Ring. Das Spectrum dagegen zeigte einen deutlichen Ahsorptionsstreifen des Bilirubin. 24 cm enthielten 01571 Zucker = 0:65 Procent. Der Filterrückstand des Extractes wurde nach Schenck ? auf Zucker ge- prüft (Kochen der Coagula in 5 Procent HC1 !/, Stunde lang, dann neutrali- sirt, filtrirt, das Filtrat mit Fehling geprüft). Es ergab sich keine Reduction des Cu. ; VIII. 38°%® (nach 1508” injieirten Zuckers), röthlich und dünnflüssig, wenig coagulirt, enthielt 02648 Zucker = 0'696 Procent. Versuch IV. Einem nüchternen Hund von 20 Kilo Gewicht wird in der Narcose durch Curare und bei künstlicher Respiration eine Lymphfistel des Ductus thoracices (an derselben Stelle wie in V und III) und eine Speichelfistel ‚der linken Gland. submaxillaris angelegt. Es wurden während des Versuches nur 2°® reinen Submaxillarspeichels gewonnen. Injieirt wurden 600 °® einer 25 procentigen Zuckerlösung = 150°"" Zucker. . Vor der Injection wurden je eine Portion Blut, Lymphe und zwei Portionen gemischten Speichels (die I. vor, die Il. nach der Curarisirung) gesammelt. 11 Uhr 25 Min. wurden 40°m der Zuckerlösung injieirt, in den darauf folgenden Zeitabschnitten (alle 5 Minuten) je 20°" bis 1 Uhr 45 Min., wo 600°” injieirt waren. Während der Injeetionen wurden vom Blut und von der Lymphe zu gleicher Zeit gesammelt: Portion Il nach 200°” Injection, Portion III nach 320m Injection, Portion IV nach 460 °°® und Portion V nach 600 “® Injection. Vom gemischten Speichel wurde weiter noch genommen eine Ill. Portion nach 280 “m Injection. ! 1 Maly, Jahresbericht. 1878. 8. 129, 2 Schenck, 2.2.0. DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 207 1 Uhr 50 Min. wurde der Hund getödtet und der Harn aus der Blase auf- gefangen. (Vor Beginn des Versuches wurde die Vulva unterbunden). Die Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn: 770°", reagirt neutral, specifisches Gewicht 1025. Zucker = 5°6Procent. b) Speichel: «&) reiner Submaxillar- speichel: 2°®, reagirt alkalisch. Das alkoholische Extract enthielt keinen Zucker; im Mucin fand sich 0°0086 reducirender Substanz = 0'453 Procent. P) ge- mischter Speichel: I. (vor der Öurareinjection) 10 °°®, reagirt alkalisch, das al- koholische Extract enthielt keinen Zucker; das Mucin ergiebt 00081 reducirende Substanz = 0°081 Procent. II. (nach der Curarisirung, vor der Zuckerinjection) 20° m, reagirt alkalisch. Im alkoholischen Extracte kein Zucker; im Muein 0:0323 reducirende Substanz = 0-16 Procent. ce) Blut: 1. 30° ® (vor der Zuckerinjection gewonnen) enthielt 0.0229 Zucker —= 0.076 Procent. Der Filterrückstand des alkoholischen Extractes wurde nach Schenck behandelt, das hellgelbe Filtrat auf Zucker geprüft. Resultat negativ. II. 15°" (nach 50 8m injicirten Zuckers) enthielt 0-0637 Zucker = 0.424 Procent. III. 15 °m (nach SOEM imjieirten Zuckers) enthielt 0.0843 Zucker = 0-562 Procent. Auch hier enthielt der nach Schenck behandelte Filterrückstand keinen Zucker. IV. 15° (nach 115 &"" injieirten Zuckers) enthielt 00928 Zucker = 0.618 Pro- cent. V. 16° m (nach 150 8°% injieirten Zuckers) enthielt 0.0269 Zucker — 0.96 Procent. Versuch V. Einem nüchternen Hunde von 21 Kilo Gewicht wird eine Fistel der linken Glandula submaxillaris angelegt und die Chorda frei praeparirt. Injieirt wurden 720° ® einer 40 procentigen Zuckerlösung = 28583" Zucker. Vor Beginn der Injectionen wurden 30°" Blut aufgefangen. 10 Uhr 10 Min. wurden 40°” der Zuckerlösung injicirt, in den darauffolgenden Zeitabschnitten (alle 5 Minuten) je 20°", so dass um 1 Uhr 720°” injicirt waren. Während der Injeetionen wurden vom Blut Portion II nach 160 °” Injection, Portion III nach 400 °® Injection und Portion IV nach 720°” Injection aufgefangen. Vom Speichel wurde die I. Portion nach 100°” Injection gesammelt, die II. nach 200°” Injection, die III. nach 300 °M Injection, die IV. nach 500 °® Injection und die V. nach 720 °®® Injection. . Dabei wurde der Reiz von 150"" auf 125 ® Rollenabstand allmählich verstärkt. 1 Uhr 5 Min. wurde der Hund ge- tödtet und ein Theil des Harns aus der Blase aufgefangen. Ein anderer Theil (mindestens !/,) war, trotz sorgfältiger Unterbindung, während des Versuches verloren gegangen. Die Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn: 650° (ca. ?/, der ganzen Menge) reagirt neutral, specifisches Gewicht 1028, Zucker — 5 Procent. b) Speichel: I. 20°” (nach 40 3% injicirten Zuckers, bei einem kollenabstand von 150%" gesammelt) enthielt im alkoholischen Extract keinen Zucker. Das Mucin ergab 0.013 reducirende Substanz = 0-065 Procent. I. 8° ® (nach 803% injieirten Zuckers, bei einem Rollenabstand von 140 "m sesammelt), reagirt alkalisch. Das älkoholische Extract enthielt Spuren; im Muein 0.012 reducirende Substanz = 0-15 Procent. III. 10°® (nach 1208m injieirten Zuckers, bei einem Rollenabstand von 137% gesammelt) reagirt al- kalisch. Das alkoholische Extract enthielt Spuren; das Mucin ergab 0-0105 reducirende Substanz = 0°1 Procent. IV. 17 °°® (nach 200 E'% injieirten Zuckers, bei einem Rollenabstand von 135 Wm gesammelt) reagirt alkalisch., Das alko- holische Extract enthielt Spuren; im Mucin 0°0284 reducirende Substanz = 0.16 Procent. V. 15°” (nach 288 8" injieirten Zuckers, bei einem kollenab- 208 F. WEYERT: stand von 125” gesammelt) reagirt alkalisch. Das alkoholische Extract ent- hielt 0-0508 Zucker = 0-338 Procent. Das Mucin ergab 00373 redu- cirende Substanz = 0-248 Procent. c) Blut: I 30°” enthielten (vor der Injection) 0-0259 Zucker = 0-086 Procent. I. 15°°m (nach 72 8"® injieirten Zuckers) enthielt 0-0560 Zucker = 0.373 Procent. III. 15°°® (nach 160 8m injieirten Zuckers) enthielt 0-1038 Zucker = 0.692 Procent. IV. 15 °“® (nach 288 8m injieirten Zuckers) enthielt 0-1292 Zucker = 0.861 Procent. Versuch VI. Einem Hunde von 22-5 Kilo Gewicht wird in der Narcose (Curare) und bei künstlicher Respiration eine Lymphfistel am Duetus thoraeieus angelegt, darauf beide Ureteren intraperitoneal unterbunden. Injicirt wurden 580 m einer 50 procentigen Zuckerlösung = 290#"” Zucker. Vor Beginn der Injection wurde die I. Portion Blut (30 °®) und die I. Portion Lymphe (20 °®) gesammelt. 10 Uhr 5 Min. wurden 40° ® der Zuckerlösung injieirt, in den darauf folgenden Zeitabschnitten (alle 5 Minuten) je 20° m. Während der In- jection wurden vom Blut Portion II nach 200 °” Injection, Portion III nach 400 m Injection aufgefangen. Von der Lymphe wurden gesammelt: Portion II (26 <“) nach 120 °@ Injection, Portion III (88 °®) nach 200°” Injection, IV. (70 °®) nach 260 °°® Injection, V. (89°) nach 300 °°® Injection, VI. (99 m) nach 400°°® Injection und VII. (153°®) nach 580 °® Injection. Im Ganzen hatte der Hund also in 2!/, Stunden 545 °®. Lymphe verloren. Dieser Verlust kann, wie dieses auch mit den Erfahrungen, die Lesser gemacht hat, stimmen würde, den schnell unter Krämpfen eintretenden Tod (12 Uhr 23 Min.) bedingt haben. Leider war es nicht mehr möglich, zum Schluss eine IV. Portion Blut zu ge- winnen. Gleich nach erfolgtem Tode wurde der Harn aus den Nierenbecken und Ureteren (oberhalb der Unterbindung) im Maasscylinder aufgefangen. Beide Nierenkapseln waren oedematös, die Nieren geschwellt, auf ihrer Oberfläche zahl- reiche Blutextravasate, die Rinde verbreitert, Papillen blass, die Grenze zwischen beiden stark injieirt. Die Oedemflüssigkeit aus den Nierenkapseln wurde ge- sammelt. Die Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn, 7°”, reagirt neutral, enthielt Eiweiss, Zucker = 3-2 Procent. b) Oedem: 10°” enthielten 0-1520 Zucker = 1-52 Procent. c) Blut: I. 30°“ enthielten (vor der Injection) 0-0219 Zucker = 0-073 Procent. II. 15°® (nach 100 8”% injieirten Zuckers) enthielten 0.4272 Zucker = 2-84 Procent. III. 15°“ (nach 200 8% injieirten Zuckers) enthielten 0-2752 Zucker = 1-83 Procent. d) Lymphe: (von jeder Portion wurden 20 °“® auf Zucker untersucht) I. 20° weisses festes Coagulum, ausgepresst; enthielten (vor der Injection) 0-0224 Zucker = 0-112 Procent. II. 20 (+ 6) °°® (ebenso wie I) enthielten 0-1344 Zucker = 0-672 Procent nach 60 3" injieirten Zuckers. III. 20 (+ 68) °°%, röthlich, weniger fest wie II., ent- hielten (nach 100 &” injieirtem Zucker) 0-2076 Zucker = 1-038 Procent. IV. 20 (+ 50) °®®, heller und dünnflüssiger als III. enthielten (nach 130 8% injicirten Zuckers) 0-2588 Zucker = 1-29 Procent. V. 20 (+ 69) °“ (ebenso wie IV), enthielten (nach 150 8"”% injieirtem Zucker) 0-3288 Zucker = 1-64 Procent. VI. 20 (+ 79) °”%, röthlich, wenig coagulirt, enthielten (nach 200 °® injieirten Zuckers) 0-40 Zucker = 2-0 Procent. VII. 20 (+ 133) °”, ganz geringes Coagulum, enthielten (nach 290 5% injieirten Zuckers) 0-4136 Zucker = 2-068 Procent. Versuch VII. Einem seit 24 Stunden nüchternen männlichen Hunde von 10-5 Kilo Gewicht, wurde eine Lymphfistel des Ductus thoracicus in der Narcose DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 209 (Curare) und bei künstlicher Respiration angelegt und beide Ureteren intraperi- tonal unterbunden. Zur Injection gelangten 620 °” einer 25 procentigen Zucker- lösung = 155 2% Zucker. Vor den Injectionen wurde die I. Portion Blut (30 °”) aufgefangen. 11 Uhr 25 Minuten wurden zuerst 40°" Zuckerlösung injicirt, in den darauf folgenden Zeiträumen (alle 5 Minuten) wiederum je 20m bis 1 Uhr 50 Min., wo 620 °® injieirt waren. Während der Iujectionen wurden vom Blut Portion II nach 200 °® Injection, Portion III nach 500 °°® Injection und Portion IV nach 620 °“@ Injection aufgefangen. Von der Lymphe wurde Portion I nach 40° Injection gesammelt, Portion II nach 200 °% Injection, Portion III nach 300 °® Injection, Portion IV nach 400 °“” Injection, Portion V nach 520 °“@ Injection und Portion VI nach 620 °“” Injection. Nachdem 400 m injieirt waren, stellten sich starke wässerige Darmentleerungen ein, die bis zum Schluss des Versuchs andauerten (ungefähr 1 Stunde lang). 1 Uhr 55 Min. wurde der Hund getödtet, der Harn aus den Nierenbecken und den Ureteren aufgefangen, Oedemflüssigkeit aus der Nierenkapsel gesammelt. Die Unter- suchung ergab Folgendes: a) Harn: 8°“, reagirten alkalisch. Zucker = 2-04 Pro- cent. b) Oedem: 10°", centrifugirt, da bluthaltig, enthielten 02544 Zucker — 2:54 Procent. ec) Blut: 1. 30 *” enthielten (vor der Zuckerinjection) 0-0204 Zucker = 0.068 Procent. II. 15° m (nach 50 8"® injieirten Zuckers) enthielt 0.0968 Zucker = 0.645 Procent. III. 15 °® (nach 125 8% injieirten Zuckers) enthielt 0:2932 Zucker = 1-95 Procent. IV. 15°” (nach 155 8% injieirten Zuckers) enthielt 0.2424 Zucker = 1-61 Procent. d) Lymphe: I. 6°% ent- hielten (nach 10 8" injieirten Zuckers) 0-0081 Zucker = 0°135 Procent (weisses festes Coagulum) II. 29°, davon enthielten 10°” (nach 508% injicirten Zuckers) 0-0716 Zucker = 0°716 Procent. III. 27.5°% (nach 75 2” injicir- ten Zuckers), davon enthielten 10 °® 0.0948 Zucker = 0.948 Procent. IV. 21°“ (nach 100 8” injieirten Zuckers) röthlich, weniger stark coagulirt als III., ent- hielten in 10° 0.1810 Zucker = 1-81 Procent. V. 4° (nach 130 2m injicirten Zuckers) dünnflüssiger als IV., enthielten 0-0642 Zucker = 1-605 Procent. VI. 9.5 °® (nach 155 &”% injieirten Zuckers) enthielten 0-0688 Zucker = 1.448 Procent. Versuch VIII Einem Hunde von 38 Kilo Gewicht wurde nach Ein- spritzung von 5 = Tinctura opii in die Vena jugularis eine Speichelfistel der linken Glandula submaxillaris angelegt, die Chorda frei praeparirt und die beiden Ureteren unterbunden. Injieirt wurden 620 °® einer 50 procentigen Zucker- lösung = 3103” Zucker. 10 Uhr 15 Minuten wurde die I. Portion Blut (30 °m) aufgefangen und 10 Uhr 20 Minuten mit den Injectionen begonnen: zuerst 40 °@, alle folgenden 5 Minuten je 20 m — bis 12 Uhr 45 Min., wo 620° injieirt waren. Vom Blut wurden Portion II nach 300 °“@ Injection aufgefangen, Portion III nach 500 °® Injection und Portion IV nach 620 «m Injection. — Vom Speichel wurden Portion I nach 100 °“ Injection, Portion II nach 200 °“® Injection, Portion III nach 460 °® Injection und Portion IV nach 620 °m Injection gesammelt. Die heizstärke wuchs von 90 "m auf 85 mm Rollen- abstand. 12 Uhr 50 Minuten wurde der Hund getödtet, sogleich eingegangen zwischen Hinterhauptbein und I. Halswirbel und Cerebrospinalflüssigkeit mit der Pipette aufgesogen. Der Harn aus den Nierenbecken und den unterbundenen Ureteren wurde aufgefangen, ebenso das Oedem der Nierenkapsel. Die Unter- suchung ergab Folgendes: a) Harn: 23m, reagirt neutral. Zucker = 1-4 Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 14 210 F. WEYERT: Procent. b) Cerebrospinalflüssigkeit: 5° enthielten 0.076 Procent Zucker. c) Oedem: 6°%, centrifugirt, enthielten 0-0948 Zucker = 1-57 Pro- cent. d) Speichel: I. 8.5 °°m (nach 50 8% injiecirten Zuckers, bei einem Rollen- abstand von 90 "® gesammelt) reagirten alkalisch, im alkoholischen Extraet fand sich kein Zucker. Mucin enthielt an reducirender Substanz .0-0214 = 0-25 Procent. II. 12 °® (mach 190 8% injieirten Zuckers bei einem Rollenabstand von 9g mm oesammelt) reagirt alkalisch, im alkoholischen Extract kein Zucker. Im Muein 0-0264 reducirte Substanz = 0-22 Procent. III. 11 °® (nach 230 stm injieirtem Zucker) bei derselben Reizstärke gesammelt wie II) reagirt alkalisch, das alkoholische Extract enthielt 0-0290 = 0-26 Procent, das Muein ergab an reducirter Substanz 0-0239 = 0-216 Procent. IV. 9° ® (nach 310 8m injicirten Zuckers, bei einem Rollenabstand von 85 ”% „esammelt) reagirten alka- lisch; das alkoholische Extract enthielt 0-0353 Zucker = 0-39 Procent. Im Muein 0-020 reducirende Substanz =0-22 Procent. e) Blut: I. 30 *® enthielten (vor den Injectionen) 0-0249 Zucker = 0-083 Procent. II. 15 °® enthielten (nach 150 8% injieirten Zuckers) 0-1254 Zucker = 0-836 Procent. III. 15 ©“ enthielten (nach 250 3”% injieirten Zuckers) 0-1954 Zucker = 1-3 Procent. IV. 14 °°® enthielten (nach 310 3% injieirten Zuckers) 0-1572 Zucker = 1-12 Procent. Serum 15°°%, beim Verbluten des Hundes gewonnen, nach 48 Stun- den centrifugirt, in Alkohol coagulirt u. s. w. enthielten 0-1756 Zucker =1-17 Procent. Versuch IX. Einem Hunde von 11 Kilo Gewicht wurde nach Einspritzung von 4m Tinetura opii eine Speichelfistel der linken Glandula submaxillaris an- gelegt, die Chorda frei praeparirt und beide Ureteren unterbunden. Injieirt wurden 280 °“® einer 50 procentigen Zuckerlösung = 140 8% Zucker. 10 Uhr 40 Min. wurde die erste Portion Blut (30 °®) aufgefangen. 10 Uhr 45 Min. mit den Injectionen begonnen: zuerst 40°" injieirt, alle folgenden 5 Minuten je 20° @ bis 11 Uhr 45 Min., wo der Hund schnell unter Krämpfen starb, so dass es nicht mehr möglich war, eine zweite Portion Blut zu gewinnen, son- dern man sich begnügen musste, das Serum, welches sich auf dem tropfenweise aus der Canüle hervorsickernden Blute ausschied, in Alkohol zu coaguliren, um es auf den Zuckergehalt zu prüfen. Die Speichelsecretion durch die Fistel war eine äusserst sparsame, trotz starker elektrischer Reizung der Chorda (80 bis 90mm Rollenabstand); es gelang nur eine Portion (7 °“®) nach 100 °“®@ Injection zu gewinnen. Bei der Section fehlte das Oedem der Nieren. Der Harn wurde nach dem Tode aus den Nierenbecken und unterbundenen Ureteren gesammelt. Die Untersuchung ergab Folgendes: a) Harn: 1-8” enthielten 0-0715 Zucker = 3-9 Procent. b) Speichel: 7 °® (nach 50 8” injieirten Zuckers) enthielten im alkoholischen Extract 0-0479 Zucker = 0:-684 Procent. Das Mucin ergab an reducirender Substanz 0-0185 = 0-26 Procent. c) Blut: 30 °® enthielten (vor der Injection) 0-0209 Zucker = 0:069 Procent. Serum 15 °m enthielten (nach 140 3% injieirten Zuckers) 0-4265 Zucker = 2-84 Procent. Versuch X. Einem nüchternen männlichen Hunde von 34 Kilo Gewicht wurden nach Unterbindung der Ureteren .300 °® einer 50 procentigen Zucker- lösung = 150°" Zucker innerhalb 42 Minuten injieirt. 9 Uhr 50 Min. wurden 40 °® injieirt, darauf bis 10 Uhr 10 Min. alle 5 Min. je 20° ® injieirt, von 10 Uhr 10 Min. bis 10 Uhr 32 Min. alle 5 Min. je 2 Mal 20 °® injieirt. 10 Uhr DER ÜBERGANG DES BLUTZUCKERS IN VERSCHIEDENE KÖRPERSÄFTE. 211 32 Minuten wurde der Hund frei umherlaufen gelassen bis 12 Uhr 15 Min. 12 Uhr 15 Min. wurde eine Lymphfistel des linken Halsstammes angelegt, von 12 Uhr 45 Min. bis 1 Uhr Lymphe aus derselben gesammelt (6-5 °®). 1 Uhr 30 Min. Blut (50 °®) aufgefangen, der Hund durch Verbluten getödtet und das sich ausscheidende Serum gesammelt. 1 Uhr 45 Min., sofort nach dem Tode, Cere- brospinalflüssigkeit mit der Pipette aufgesogen, dann der Harn, das Oedem der Nierenkapsel, Augenflüssigkeit und Glaskörper gewonnen. Die Untersuchung ergab: a) Harn: 6°%, 2 davon auf Zucker geprüft, enthielten 0-0586 Zucker —= 2.93 Procent, die übrigen ergaben durch Kochen und Essigsäurezusatz Eiweiss- fällung. b) Blut: 30 °® enthielten 0-0360 Zucker = 0:12 Procent. c) Serum; 10 °°® enthielten 0-0170 Zucker = 0-17 Procent. d) Lymphe: 6-5 ent- hielten 0-0125 Zucker = 0-19 Procent. e) Oedem: 1-4 °® enthielten 0-0095 Zucker = 0-68 Procent. Cerebrospinalflüssigkeit 1-6 °®, Augenkammerwasser 1-4 und Glaskörper (nicht gemessen) alle drei in 96° Alkohol coagulirt und wie Blut behandelt, enthielten nur Spuren Zucker. Versuch XI. Einem nüchternen männlichen Hunde von 26 Kilo Gewicht wurden die Ureteren unterbunden und 300 °@ einer 50 procentigen Zuckerlösung = 1508% Zucker innerhalb 32 Minuten injieir. 9 Uhr 45 Min. wurde mit 40 °°m Injection begonnen, alle folgenden 5 Minuten je zweimal 20°“ injieirt bis 10 Uhr 17 Min. — 10 Uhr 17 Min. wurde die erste Portion Serum von etwa 60 °® Blut gewonnen, dann der Hund freigelassen bis 12 Uhr, wo eine Lymphfistel des linken Halsstammes angelegt wurde. Von 12 Uhr 30 Min. bis 1 Uhr wurde Lymphe aus der Fistel gesammelt (8°®), 1 Uhr 15 Min. Blut (30 °®) aufgefangen, der Hund verblutet und das ausgeschiedene Serum ge- sammelt. Gleich nach eingetretenem Tode 1 Uhr 25 Min. wurde Cerebrospinal- flüssigkeit, dann Harn, Oedem der Nierenkapsel, Kammerwasser und Glaskörper gewonnen. Die Untersuchung ergab: a) Harn: 7 °®, 2 davon enthielten 0-0693 Zucker = 3-46 Procent, die 5 übrigen gaben Eiweissrection. b) Glaskörper: 3.6° m, wurde nicht in Alkohol coagulirt, sondern durch ein feines Leinwand- läppchen filtrirt, gemessen und direct mit Fehling geprüft; enthielten in 100 0-202°® =0-104 Procent Zucker. c) Augenkammerwasser: 1- 3°” enthielten Spuren (vielleicht zu geringe Quantität). d) Cerebrospinalflüssigkeit: 4-8°%, enthielten O0-0061 Zucker = 0-175 Procent. e) Lymphe: 8 °® enhielten 0: 0140 Zucker = 0-127 Procent. f) Blut: 30% enthielten 0 -0428 Zucker = 0-142 Pro- cent. Serum I, 10°” enthielten (nach 150 &:" injieirten Zuckers) 0-1179 Zucker = 1.179 Procent. Serum II: 10°” enthielten (3 Stunden darauf) 0-0170 Zucker = 0-17 Procent. g) Oedem: 10m, centrifugirt, enthielten 0-0570 Zucker = 0-57 Procent. 14* Ueber die Verdauung der Stärke bei Hunden. Von Ellenberger und Hofmeister. (Aus der physiologischen Abtheilung der thierärztlichen Hochschule zu Dresden.) I. Von der Aufnahme der Stärke durch Magen und Darm des Hundes. Ueber die Verdauung stärkemehlhaltiger Nahrungsmittel bei Hunden liegen bis jetzt nur ungenaue und unvollständige Angaben vor. Es ist un- bekannt, in welcher Zeit und mit welcher Schnelligkeit die von Hunden aufgenommenen Amylaceen verdaut und resorbirt werden und wie viel von dem in ihnen enthaltenen Stärkemehl unverdaut mit dem Kothe abgeht; es ist auch unbekannt, wie lange die Amylaceen im Magen verweilen und in welcher Zeit sie den gesammten Verdauungsschlauch des Hundes durch- laufen. Um diese Lücke in unserem physiologischen Wissen auszufüllen, haben wir eine Anzahl von Versuchen angestellt. Als Versuchsfutter wählten wir Reis. Derselbe wurde mehrfach auf seinen Stärkemehlgehalt quantitativ untersucht, ehe er zu der Fütterung verwendet wurde. Der Stärkemehl- gehalt betrug im Mittel 86 Procent. Sämmtliche Versuchshunde erhielten die gleiche Quantität Reis, nämlich 115 8” mit 100 = Trockensubstanz. Das genannte Nahrungsmittel wurde vor der Verabreichung gekocht, aber nur so kurze Zeit, dass die einzelnen Körner noch vollständig erhalten und noch derb waren, wie dies bei dem auf italienische Art gekochten Reis der Fall ist. Wir vermieden bei diesem oberflächlichen Kochen die Bildung von Dextrin und Zucker. Ehe die Thiere das Versuchsfutter erhielten, wurden sie zunächst acht Tage lang nur mit Fleisch gefüttert, um alle etwa im Verdauungsschlauch ELLENBERGER UND HOFMEISTER: DIE VERDAUUNG DER STÄRKE. 213 vorhandenen Amylaceen zu entfernen. Während der letzten 24 Stunden vor der Versuchsmahlzeit erhielt der Hund keine Nahrung. Die genannte Quantität Reis wurde stets sehr rasch, in wenigen Minuten, von den Ver- suchsthieren aufgenommen. Die einzelnen Thiere wurden zu verschiedenen Zeiten nach der Versuchsmahlzeit, also während verschiedener Verdauungs- stunden, getödtet. Sofort nach der Tödtung wurde den einzelnen Abschnitten des Verdauungsschlauches der Inhalt so rasch als möglich entnommen. Die so gewonnenen, in der Verdauung begriffenen Massen wurden sogleich der- art behandelt, dass die Verdauungsvorgänge zum Stillstande gelangten (man setzte sie der Kochhitze oder der Eistemperatur aus). Nunmehr fand die Untersuchung derselben auf ihren Gehalt an gelöster und ungelöster Stärke, an Dextrin und Zucker statt. Aus den Versuchsergebnissen konnte auf dem Wege einer einfachen Berechnung ersehen werden, wie viel von der aufgenommenen Stärke zu der betreffenden ns nde bereits verdaut und wie viel bereits zur Aufsaugung gelangt war. Im Nachstehen- den sollen die einzelnen Versuche mit ihren Ergebnissen in möglichster Kürze geschildert werden. Versuch I. Körpergewicht des Versuchsthieres 5-75 Kilo. Tödtung desselben 1 Stunde nach der Mahlzeit. Gewicht des Mageninhaltes 430 gm, Derselbe enthielt 96-75 2”® oder 22.5 Procent Trockensubstanz. Der Magen enthielt: 0.673 80 Dextrin, 78.740 „ Stärke. Der Dünndarm enthielt: 0-158 ‚„ Dextrin, 0.818 „ Stärke, 0.100 ‚„ Zucker. Sonach fehlten von der aufgenommenen Stärke 5.5118”, oder 6-4 Pro- cent. Von der im Magen und Darm vorhandenen Stärke sind aber 0:96 8m als verdaut anzusehen. In Folge dessen waren von dem aufgenommenen Amylum 6.4 sm, oder 7-5 Procent bereits verdaut. . Versuch IH. Körpergewicht des Versuchsthieres 6°1 Kilo. Tödtung des- selben 2 Stunden nach der Mahlzeit. Gewicht des Mageninhaltes 422 2"%, der- selbe enthielt 94.54 2"% oder 22:4 Procent Trockensubstanz. Der Magen enthielt: 0.5128'% Dextrin, 64-333 „ Stärke. Der Dünndarm enthielt: 0.402 „ Dextrin, 0-.745 ,„ Stärke, 0:-307 „ Zucker. Es waren also im Magendarminhalte noch 66:29 2" Stärke inclusive Um- wandlungsproducte vorhanden; mithin fehlten 19.7018%, oder 22.9 Procent; diese müssen als resorbirt angesehen werden. Da an ungelöster Stärke noch 64-64 3"m vorhanden waren, so sind 21.360 8" = 24.8 Procent bereits verdaut. 214 FLLENBERGER UND HOFMEISTER: Versuch III. Gewicht des Versuchsthieres 6°6 Kilo. Tödtung desselben 3 Stunden nach der Mahlzeit. Gewicht des Mageninhaltes 335 8" mit 64-655 em oder 19-3 Procent Trockensubstanz. De Magen enthielt: 0.924 57m Den 42.950 „ Stärke. Der Darm enthielt: 1-206 „ Dextrin, 0.986 ‚„ Zucker, 2.372 „ Stärke. Mithin waren im Magendarmcanale 45.323 &"” ungelöste Stärke ya anlen 45.323 8m oder 47.3 Procent waren als verdaut anzusehen. An gelösten und ungelösten Kohlehydraten waren 48.43 srm vorhanden, sonach waren 37-568'%, oder 43-7 Procent der nn Stärke bereits aufgesaugt. Versuch IV. Gewicht des Versuchthieres 6-5 Kilo. Tödtung desselben 4 Stunden nach der Mahlzeit. Gewicht des Mageninhaltes 140 &® mit 74-2 Pro- cent Wasser und 25:8 Procent Trockensubstanz. Der Magen enthielt: 15-44 sm Stärke, 2.415 „ Dextrin. Im Dünndarminhalte (598%) fand man: 0-40 ,„ Zucker, 2-836 „ Dextrin, 1-50 ., Stärke. Sonach waren im Magen und Darm zusammen nur 16-94 8!m ungelöste Stärke vorhanden; mithin sind in den 4 Verdauungsstunden 69-06 &”%, oder 80-3 Procent der aufgenommenen Stärke verdaut worden. Der Gehalt des Magendarminhaltes an Stärke, Zucker und Dextrin betrug 22.591 ®°%; demnach sind 63-409 &%, oder 73-7 Procent der genossenen Kohle- hydrate resorbirt worden. Versuch V. Gewicht des Versuchsthieres 21-25 Kilo. Tödtung desselben 6 Stunden nach der Mahlzeit. Gewicht des Mageninhaltes 708% mit 14-8 Procent Trockensubstanz. Gewicht des Dünndarminhaltes 115, „17-0 5; 5 Bei diesem Thiere war das Versuchsfutter bereits in den Dickdarm gelangt; in der ganzen proximalen Hälfte desselben war Reis nachzuweisen. In dem Inhalte der einzelnen Abschnitte des .Verdauungsschlauches wurden gefunden: Im Magen: -136 8°” Dextrin, -510 „ Stärke. -860 „ Zucker, -555 „ .Dextrin, -556 „ Stärke. -319 „ Zucker, -018 „ Dextrin, -377 „ Stärke, An ungelöster Stärke wurden also vorgefunden 10.443 E?®; mithin waren 755878" oder 87.8 Procent der mit deni Reis aufgenommenen Stärke als bereits verdaut anzusehen. Im Dünndarm: Im Dickdarm: oeoOooBDOoHr So ÜBER DIE VERDAUUNG DER STÄRKE BEI HUNDEN. 215 Der Gekalt an ungelösten und gelösten Kohlehydraten (Dextrin, Zucker, Stärke) im Magendarmschlauche betrug 13-33 ®""; demnach waren nach 6 Stun- den Verdauung bereits 72-669 &°® oder 84:5 Procent der verzehrten Stärke aufgesaugt. Versuch VI. Tödtung des Versuchsthieres 3 Stunden nach der Mahlzeit Man fand: | Im Magen: Im Dünndarm: 0-514 en Stärke. 0-075 ,„ Zucker, 0-308 „ Dextrin, 0.407 „ Stärke. 0-500 „ Zucker, 0-290 „ Dextrin, -460 „ Stärke. An ungelöster Stärke waren nur noch 1-38 und an Kohlehydraten über- haupt nur 2.554 8"m vorhanden. Sonach sind 84°614 8% oder 98.5 Procent als verdaut und 83.442 8m, oder 97.0 Procent als resorbirt anzusehen. Versuch VII. Gewicht des ‚Versuchsthieres 10 Kilo. Tödtung desselben 10 Stunden nach der Mahlzeit. Mageninhalt 9.160 &°% mit 3°0 Procent Trocken- substanz und 97-0 Procent Wasser. Man fand: Im Magen: 0-0188m Stärke. Im Dünndarm: 0-035 „ Zucker, 0-500 ,„ Stärke. Im Dickdarm: 0-723 „ Stärke. Mithin waren 84.758” oder 98-56 Procent der aufgenommenen 86 2” Stärke als verdaut und 84.724 8”= oder 98-5 Procent als resorbirt anzusehen. Im Dickdarm: o In Bezug auf Versuch VI und VII ist besonders zu betonen, dass bei grösseren Nahrungsaufnahmen der Magen in der 8. und 10. Verdauungsstunde keineswegs so leer angetroffen wird, wie dies hier der Fall war. Dies lehrte ein besonderer, zu anderen Zwecken angestellter Versuch. Bei einem grossen, 32°5 Kilo schweren Hunde, welcher eine grosse Quantität Reis (500 2”%) aufgenommen hatte, fand man nach 8stündiger Verdauung noch ungefähr 100 ®”% Mageninhalt vor, der allerdings sehr wasserreich war. Versuchsergebnisse. Die Verdauung der mit dem aufgenommenen Reis in den Magen eingeführten Stärke ist bei den. sieben Versuchshunden in folgender Weise abgelaufen. Es waren verdaut von den 868” (in 115: Reis) genossener Stärke: 1 Stunde nach der Mahlzeit 7.5 Procent 2 Stunden „ = a 3 „ „ „ 2) 47.3 „ 4 „ 2) on) 2 80.3 „ 6 „ „ ” ” 87.8 „ 8 ” ” ” ” 98.3 „ 10 56, „ ” ” „ 98. 216 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: Die Aufsaugung der aufgenommenen Kohlehydrate gestaltete sich bei den sieben Versuchsthieren wie folgt. Es waren aufgesaugt: 1 Stunde nach der Mahlzeit 6-4 Procent 2, Stunden sen) ERDE 3 5) 2) „ ” 43.1 „ 4 2) „ ” 13-7 2) 6 2) 2) P „ 84.5 „ 8 „ ” „ „ I7-.0 ” 10 ” „ ” „ 98-5 ” Die Verdauung und die Resorption fanden daher wesentlich in den ersten sechs Stunden nach der Nahrungsaufnahme statt. Nach Ablauf von sechs Stunden waren nahezu 90 Procent der aufgenommenen Stärke ver- daut und fast 85 Procent ıesorbirt. In den nächsten vier Stunden steigerte sich dies auf 98-5 Procent. Es ist selbstverständlich, dass bei grösserer Nahrungsaufnahme die Verdauung procentisch keine ganz so erhebliche sein wird, als dies die angestellten Versuche darthun. Immerhin wird der fest- zustellende Unterschied kein bedeutender sein. Dies ergiebt sich schon daraus, dass die von uns verabreichte Quantität Reis für die vier kleinen Versuchshunde (Versuch I bis IV) schon eine reichliche Mahlzeit darstellte. Der Uebertritt der aufgenommenen Nahrung aus dem Magen in den Darm, bezw. die Entleerung des Magens erfolgte bei den sieben Ver- suchshunden in folgender Weise. Von den 86." Stärke, die mit 1153 = Reis genossen wurden, waren aus dem Magen verschwunden: 1 Stunde nach der Mahlzeit 8-4 Procent 2 Stunden „ , n 25-0 "„ 3 ” ” „ ” 50-0 ” 4 ” ” 2) ” 82.0 ” 6 ” ” „ ” 31.0 „ 5 ” 9 „ 39.0 ” 0 N ash 100.002 Schon eine Stunde nach der Mahlzeit fand man etwas Stärke im Dünn- darm. Der Uebertritt des Inhaltes aus dem Magen in den Darm beginnt also bei gekochter Amylaceennahrung sehr bald nach der Aufnahme. Die Menge des Mageninhaltes war bei den Versuchshunden folgende. Man fand im Magen: 1 Stunde nach der Mahlzeit 430 8% 2 Stunden „ „ 55 ADD 3 ” ” 335 „ ÜBER DIE VERDAUUNG DER STÄRKE BEI HunDen. 217 10 ” ” ” Theilen des Magens festgestellt. Bändern in drei Abtheilungen, eine rechte, dem Pylorus anliegende und in eine mittlere, zwischen diesen beiden Regionen befindliche Abtheilung abgeschnürt und dann der Inhalt in allen drei Abtheilungen auf den Wassergehalt geprüft. 4 Stunden nach der ‘Mahlzeit 6 ” 1 Stunde nach der Mahlzeit links 2 Stunden „, ” mitten rechts links mitten rechts links mitten rechts links mitten rechts links mitten rechts links mitten rechts 140 sm Zu 9.16, Der Wassergehalt des Mageninhaltes wurde bei den meisten Thieren nicht in dem Gemische des ganzen Mageninhaltes, sondern in einzelnen Der Magen wurde durch Anlegen von sl S0- [e/0} oO 79- III On on @ RESESESZTSES Mole or | m. [+ .ı 90- 83- 17: 94- Ss0- in eine linke, der Cardia zugewandte, in Man fand: .4 Procent 1 5 „ 6 ” 0 ” 0 „ 0 „ -0 ” «6 „ -8 ” «3 „ 0 2) -d ” 3 ” Or B) „ Sn, I Bei einigen Thieren wurde auch der gemischte Mageninhalt auf den Wassergehalt untersucht. 1 Stunde nach der Mahlzeit 2 Stunden 3 4 6 10 8 Mageninhalt vor, ” nommen werden konnte, mindestens 90 Procent Wasser zu schätzen. ” Man fand: ” ss 0 7 ide: ®) ü 7.9 7-6 0-7 4.2 9-2 7-0 Procent fanden wir eine so geringe Menge dass von däiseihen nichts zur Wasserbestimmung ent- Er erschien aber sehr wasserreich und war auf 218 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: Eine entschiedene Steigerung ‘des Wassergehaltes des Mageninhaltes, namentlich des am tiefsten liegenden Inhaltes der Magenmitte erfolgt also erst von der sechsten Verdauungsstunde ab; jetzt steigt derselbe auf 85, 90, 94 und 97 Procent. Der Zuckergehalt des Dünndarminhaltes war kein erheblicher. Man fand: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0.1 2m = 0.4 Procent 2uStundens =, h 024727 0.9075 3 ” ” ” ” 120 ee 1.11 PR) & „ „ ” ” Ver: I Arge 0.70 „ 6 ” „ „ ’ 1.86 „ = 1-60 ” 3 ”. br) „ „ 0-75, = 0-13 „ 10 PR) „ „ „ 0-8 „ I & =) & Der Zuckergehalt des Dünndarminhaltes steigt procentisch bis zur sechsten Stunde der Verdauung und nimmt dann rasch und bedeutend ab. An Erythrodextrin wurden im Dünndarminhalte gefunden: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0.162 = 0.64 Procent 2 Stunden „>, ” 0-75 „ 72055 | 1.4008, | I 3 „ „ ” „ 1-20 » | 4 ” B) „ „ 0,„ =4-.80: „ | 6 ” ” „ ” B) a9 le 0- 48 „ 5 rk) ” 2” 2 -8 -d 3 „= 0.56 ” 10 „ ” 2) „ 0 A aa 0-0 „ SASESEN Sonach steigt der Dextringehalt des Dünndarminhaltes bis zur fünften Verdauungsstunde und nimmt dann erheblich ab. Der Stärkegehalt des Dünndarminhaltes betrug: 1 Stunde nach der Mahlzeit 0-818 2m bezw. 3-27 Procent 2. Stunden. e, 0.307 5,002 352... 0 3 „ „ ” ” 2.37 „ ” 3-30 ” 4 2) „ „ ” 1.500 ” ” 2-50 ” 6 ” „ ” ” 2.556 ”„ 2) 2-20 ” 5 ” ” ” ” 0.407 „ „ 0.74 ” 10 ” ) ”» ” 0.500 ” ” 0.93 ” Im Dickdarminhalt fand man: 6 Stunden nach der Mahlzeit 2-3 Procent Zucker ) „ ” „ FR) 1.0 „ „ 10 PR) „ „ ” 0-0 „ ” Sechs Stunden nach der Mahlzeit waren daselbst vorhanden 0-13 Procent Dextrin und 2.7 Procent Stärke, zwei Stunden später 0-57 Procent Dextrin und ÜBER DIE VERDAUUNG DER STÄRKE BEI Hunden. 219 0-93 Procent Stärke. Zehn Stunden nach der Mahlzeit war weder Zucker, noch Dextrin, wohl aber noch etwas Stärke (0-96 Procent) vorhanden. Vergleicht man die Verdauung und die Resorption der Stärke der Kar- toffeln bei Schweinen mit der Verdauung der Reisstärke bei Hunden, bezw. die Verdauung der gekochten Kartoffeln durch Schweine mit der- jenigen des gekochten Reises durch Hunde, dann ergiebt sich, dass die Hunde den Reis bedeutend schneller verdauen, als die Schweine die Kar- toffeln. : Bei den Schweinen war die Stärkeverdauung 3!/, Stunden nach der Mahlzeit erst auf 54, bei den Hunden nach 4stündiger Verdauung bereits auf 80 Procent gestiegen. 6 Stunden nach der Mahlzeit hatte der Hund etwa 88 Procent der Stärke verdaut, während das Schwein 6!/, Stunden nach der Mahlzeit erst 77 Procent davon verdaut hatte. Die lebhafte und schnelle Verdauung der Stärke durch Carnivoren ist sehr beachtenswerth. Die Verdauung des Fleisches erfolgt durch Schweine sehr viel langsamer als die Verdauung der Stärke durch Hunde. Vier Stun- den nach der Mahlzeit hatte das Schwein erst 40 Procent des mit dem Fleisch aufgenommenen Eiweisses, der Hund dagegen 80 Procent der genossenen Stärke verdaut. Acht Stunden nach der Mahlzeit waren vom Schwein 82 Procent Eiweiss und vom Hunde 98-3 Procent Stärke verdaut. Bei einem Vergleiche der Verdauung des gekochten Fleisches und der gekochten Stärke durch Hunde ergiebt sich, dass die Stärkeverdauung anfangs langsamer und später viel lebhafter erfolgt als die Fleischverdauung, so dass z. B. nach der sechsten Verdauungsstunde 67.8 Procent Eiweiss (vom Fleisch) und 87-8 Procent Stärke verdaut waren. Aus den geschilderten Versuchsergebnissen erklärt sich die Thatsache, dass die Individuen nach einer aus gekochtem Reis bestehenden Mahlzeit sehr bald wieder hungrig werden. Schon vier Stunden nach der Mahlzeit ist der Mageninhalt auf eine so geringe Menge gesunken und die Ver- dauung des Reises so weit vorgeschritten, dass das Gefühl der Leere des Magens und des Hungers wieder eintreten kann. II. Die Veränderungen der Stärke im Magen des Hundes.! - Bei den von uns über die Verdauung und Resorption der Stärke bei Hunden angestellten Versuchen haben wir unser Augenmerk ganz beson- " Vergl. Brücke, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Wien. III. Abthlg. April 1872; — Seegen, Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XL. 3.38. 220 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: ders darauf gerichtet, festzustellen, ob im Magen des Hundes aus der eingeführten Stärke Zucker gebildet werde und ob bei den Hunden bei Ernährung mit einer Amylaceen enthaltenden Nahrung ebenso eine amylo- lytische Verdauungsperiode vorkommt, wie dies nach den Ergebnissen unserer früheren Untersuchungen bei Schweinen, Pferden und Wiederkäuern zweifellos der Fall ist. Wir haben bei elf Hunden, welche mit gekochtem Reis gefüttert worden waren, den Mageninhalt auf die Producte der Stärke- _ verdauung, insbesondere auf Zucker untersucht. Bei keinem dieser Thiere war Zucker nachzuweisen, trotzdem sich die Untersuchungen auf viele Ver- dauungsstunden (von der ersten bis zur zehnten) erstreckten. Wie ist diese Verschiedenheit, welche zwischen der Verdauung der Hunde und der der herbi- und omnivoren Thiere besteht, zu erklären? Nach den von uns früher angestellten Untersuchungen findet die Amylolyse im Magen in Folge der Wirkung des Speichelfermentes oder eines in den genossenen Nahrungsmitteln bezw. in der beim Fressen auf- genommenen Luft enthaltenden diastatischen Fermentes statt. Diese drei in Betracht kommenden Fermente wirken nur in alkalischer, neutraler und schwach saurer Lösung. Die Gegenwart einer 0-02 procentigen Mineralsäure macht dieselben bereits wirkungslos. 1. Das Speichelferment dürfte bei den Hunden wenig in Betracht kommen und zwar aus folgenden Gründen: Der Hundespeichel besitzt an sich ein nur geringes diastatisches Vermögen; dazu kommt, dass die Hunde alle weiche Nahrung mit grosser Schnelligkeit und, ohne sie zu kauen, ab- schlucken, dass also mit der Nahrung nur eine sehr geringe Menge Speichel in den Magen gelangt. Da mit der Nahrungsaufnahme sofort die Secretion des sauren Magensaftes beginnt und da die minimale Menge des abge- schluckten Speichels nicht genügt, die secernirte Salzsäure zu neutralisiren, so wird der Speichel sehr rasch durch den sauren Magensaft unwirksam gemacht. Um in diese Verhältnisse einen Einblick zu gewinnen, haben wir einen zwölften Hund mit einem Gemisch aus gekochtem Reis und gekochtem, trockenem, fein gehacktem Fleisch gefüttert, indem wir dabei von der be- rechtigten Annahme ausgingen, dass das Fleisch so viel Säure absorbiren und binden würde, dass das Speichelferment durch die Magensäure nicht in seiner Wirkung beeinträchtigt werden könnte (s. unsere früheren Ver- suche hierüber). Thatsächlich fanden wir bei diesem Hunde so wenig freie Säure in der ausgepressten Magenflüssigkeit, dass das Speichelferment seine Wirkung auf die Stärke voll entfalten konnte. Trotzdem wurde ?/, Stunde nach der Mahlzeit keine Spur Zucker im Magen gefunden. Um die Speichelsecretion anzuregen, haben wir Hunden, welche ge- kochten Reis erhielten, grosse Knochen, die sie vergeblich zu zerkleinern ÜBER DIE SACCHARIFICATION DER STÄRKE IM MAGEN BEI Hunpen. 221 suchten, vorgelegt. Auch bei diesen Thieren wurde kein Zucker im Magen gefunden. Auf Grund dieser Versuchsergebnisse muss angenommen werden, dass der Speichel des Hundes im Magen keine in Betracht kommenden amylo- lytischen, bezw. Saccharificationsprocesse erregt bezw. unterhält. 2. Das Nahrungsmittelferment. Im Reis findet sich ebenso wie im Hafer und anderen Körnern! ein diastatisches (amylolytisches) Ferment, welches bei einer Temperatur von 37 bis 40°C. und bei Gegenwart von organischen Säuren (Milchsäure) und von sehr wenig Salzsäure (0-01 Pro- cent), also unter solchen Verhältnissen saccharifieirend auf die Stärke ein- wirkt, wie sie im Magen sehr vieler Thierarten während der ersten Ver- dauungszeit (oft viele Stunden) bestehen. Diese Thatsache haben wir durch zahlreiche, mit Reis angestellte, künstliche Verdauungsversuche bewiesen. Da das genannte Ferment seine Wirksamkeit beim Kochen verliert, so konnte dasselbe bei unseren zwölf Versuchshunden, welche mit gekochtem Reis gefüttert wurden, im Magen keine Wirkung entfalten. Um nun zu prüfen, ob das Nahrungsmittelferment unter Umständen auch im Hunde- magen amylolytische Vorgänge bedingt, haben wir zwei Hunde mit einem Gemisch aus gehacktem Fleisch und rohem Reis gefüttert. Der eine Hund wurde 40, der andere 60 Minuten nach der Mahlzeit getödtet. Bei beiden Thieren fanden wir Zucker im Magen. Bei dem einen war nur in der linken Magenabtheilung Zucker (0.166 Procent) vorhanden, während bei dem anderen Thiere in allen Theilen des Magens Zucker gefunden wurde und zwar links 0-24, mitten 1.05, rechts 0-17 Procent. Aus dieser Thatsache geht hervor, dass das Nahrungsmittelferment auch im Hundemagen saccharificirend wirken kann. Für gewöhnlich fehlen aber die Saccharificationsvorgänge im Hundemagen und zwar deshalb, weil die Hunde in der Regel die pflanzlichen Nahrungsmittel nur im ge- kochten Zustande aufnehmen. 3. Das Luftferment. Dass in der Luft ein diastatisches Ferment (in Form von Schimmeipilzen ) vorhanden ist, steht nach unseren eigenen und anderen Untersuchungen zweifellos fest. Wie unsere Versuche ergeben, wirkt dasselbe aber sehr langsam, erst nach vielen Stunden, auf die Stärke bezw. Stärkekleister, gekochten Reis u.s. w. saccharificirend ein. Das Ferment ist in so geringer Menge in der Luft enthalten, dass es sich zunächst auf und in der Stärke erheblich vermehren muss, ehe seine Einwirkung auf dieselbe eine so bedeutende wird, dass der gebildete Zucker deutlich nach- ! Ellenberger und Hofmeister, Ueber die Herkunft und Natur der bei der Magenverdauung wirksamen amylolytischen Fermente. Archiv für wissenschaftliche und praktische Thierheilkunde. Bd. XIII. S. 188. 222 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: gewiesen werden kann. In den Magen gelangt nun aber mit der Nahrung nur wenig Luft, so dass das in Spuren vorhandene Ferment erst nach vielen Stunden wirksam werden kann, also erst zu einer Zeit, zu welcher schon so viel Säure im Mageninhalte zugegen ist, dass die Ser diasta- tischen Fermente nicht mehr wirken können. Aus Vorstehendem ergiebt sich, dass im Hundemagen bei Ernährung der Hunde mit Amylaceen keine erheblichen Saccharificirungsvorgänge ab- laufen. Ein kleiner Theil der in den Magen eingeführten Stärke wird allerdings gelöst und in lösliche Stärke und Dextrin übergeführt, so dass man z. B. in den ersten sechs Verdauungsstunden stets Erythrodextrin im Magen findet. So stellten wir z. B. in der vierten Verdauungsstunde 2.4 2” in 140s’m Mageninhalt fest. Die Umwandlung der Stärke in Amidulin und Erythrodextrin kann aber durch den Magensaft allein bewirkt werden; dazu bedarf es nicht der Gegenwart der genannten Fermente. Unsere Beobachtungen erstreckten sich, wie erwähnt, auf die Zeit von 40 Minuten bis zu 10 Stunden nach der Verdauung. Während der ersten 40 Minuten der Verdauung haben wir den Mageninhalt nicht untersucht. Wir hoffen jedoch, diese Lücke in unseren Beobachtungen gelegentlich noch ausfüllen zu können. Zu einem irgendwie erheblichen Ergebnisse kann aber diese weitere Ausführung unserer Beobachtungen deshalb nicht führen, weil in der ersten Verdauungsstunde nur ganz geringe Mengen (etwa 8 Procent) der genossenen Stärke gelöst werden. Es geht also aus unseren Versuchen mit Sicherheit hervor, dass bei den Hunden die amylolytische Verdauungs- periode fehlt oder ganz unwesentlich ist. IlI. Die Säureverhältnisse des Mageninhaltes der Hunde bei Ernährung mit stärkemehlhaltigen Nahrangsmitteln. Bei den herbivoren und omnivoren Thieren bestehen, wıe unsere Versuche lehren, bei der Ernährung mit stärkemehlhaltigen Nahrungs- mitteln in Bezug auf den Säuregrad des Mageninhaltes und die Natur der in denselben vorhandenen Säuren je nach der Verdauungsstunde und je nach der Magengegend, aus welcher die Inhaltsmassen stammen, wichtige und constante Verschiedenheiten. Durch eine Reihe von Versuchen, die wir mit Hunden anstellten, haben wir zu erforschen versucht, ob auch bei diesen Thieren ähnliche Verhältnisse vorliegen. Die Hunde wurden mit gekochtem Reis und einige auch mit einem Gemisch aus gekochtem oder rohem Reis mit gehacktem Fleische gefüttert und zu verschiedenen Zeiten nach der Fütterung getödtet. Bei den getödteten Thieren wurde sofort die Bauchhöhle geöffnet, der Magen an der Cardia und am Pylorus abgebunden ÜBER DIE SÄURE DES MAGENINHALTES BEI HUNDEn. 223 und durch Umschnüren mit Bändern (Bindfaden) in drei Abtheilungen, in eine kleine, der Cardia zugewandte linke, eine ebenfalls kleine, die Pylorus- höhle umfassende rechte und in eine grössere mittlere Region zerlegt. Jedem dieser Abschnitte wurde der Inhalt gesondert entnommen und dann auf den Säuregrad, der durch Titriren mit Natronlauge bestimmt und auf HCl berechnet wurde, und auf die Natur der vorhandenen Säuren unter- sucht. Die letztere Untersuchung geschah zuerst qualitativ mit Tropäolin und anderen Farbstoffen und mit Carboleisenlösung, sodann quantitativ nach der Sjöquist’schen Methode. Die Ergebnisse der angestellten Untersuchungen waren folgende: 1 Stunde nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad: links 0.042 Procent mitten 0-052 „ rechts 00-069 „, Die Salzsäure: links 0.0 ‚mitten 0.017 „, rechts 0.017 ,„, 2 Stunden nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad bei zwei Thieren: links mitten rechts Die Salzsäure: links mitten rechts 0.0840. 114 Procent 0-109 E Ve 0-033—0-10 Procent 0-06 M 0-115—0133 „ 3 Stunden nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad: links 0-12 Procent mitten 0-22, rechts 0-24, Die Salzsäure: links 120.06... ,; mitten 0-11 55 rechts 0:154 ,„ 4 Stunden nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad: links 0-09 Procent mitten 0-109 „ rechts 0-180 ,, [86] 16) Br n ELLENBERGER UND HOFMEISTER: Die Salzsäure: links 0-024 Procent mitten 0-03 2 rechts 0-110 „ 6 Stunden nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad: links 0-380 Procent mitten 0-370 , rechts 0.340 „ Die Salzs ans S links zweifelhaft mitten 0-225 Procent rechts 0.233 „ 8 Stunden nach der Mahlzeit betrug der Säuregrad: links 0-290 Procent mitten 0.270 „ rechts 0.280 „, Die Salzsäure: links 0.270 7; mitten 0-230 „ rechts 0.234 „ Bei einigen Thieren wurde der Mageninhalt gemischt und dann die Flüssigkeit des Gemisches untersucht. Man fand: 3 Stunden nach der Mahlzeit 0.105 Procent Säure, davon 104 HCl. 6 ” „ „ PR) 0.207 „ ” 10 „ „ „ „ 0.080 „ „ Aus Vorstehendem ergiebt sich vor Allem, dass der Säuregrad des Mageninhaltes nicht nur durch Salzsäure bedingt war; es dürften auch saure Salze und organische Säuren und unter den letzteren die Milchsäure in Betracht kommen. Die Gegenwart der letzteren in dem Mageninhalte wurde bei allen Hunden festgestellt, ohne dass aber eine quantitative Be- stimmung derselben vorgenommen wurde. Es handelte sich um Gährungs- milchsäure, für deren Entstehung in der ersten Zeit der Verdauung und namentlich in der linken Magenabtheilung alle Bedingungen gegeben sind, und ausserdem um die Milchsäure, welche in dem Bouillon, mit welchem der Reis gegeben wurde, enthalten war. In dem Bouillon fand man 0-07 Pro- cent Milchsäure. Im Grossen und Ganzen beobachtet man ein Ansteigen des Säure- grades mit der vorschreitenden Verdauung. Es treten dabei aller- dings nicht unerhebliche, individuelle Verschiedenheiten hervor. Bei dem Hunde, welcher nach der vierten Verdauungsstunde getödtet wurde, fand man weniger Säuren im Mageninhalte, als bei dem eine Stunde früher ge- RE PEE De Zu ABER ERLERNT ÜBER DIE SÄURE DES MAGENINHALTES BEI Hunden. 225 tödteten Thiere. Ebenso verhielt sich der in der in achten Verdauungs- stunde getödtete Hund zu dem nach der sechsten Stunde untersuchten. Auffallender Weise findet man auch bei Hunden, dass in den ersten (und zwar bis zur fünften) Verdauungsstunden der Säuregrad in der linken Magenabtheilung niedriger ist, als mitten und rechts und dass namentlich die Salzsäuremenge links eine sehr unbedeutende ist. Bei den Pferden und den Schweinen erklärt sich diese auch bei ihnen stets vorkommende Verschiedenheit der Säureverhältnisse in den Magenabtheilungen leicht aus der anatomischen Einrichtung des Magens. Das Pferd besitzt in der linken Magenabtheilung eine drüsenlose, das Schwein eine mit den sogenannten Cardiadrüsen ausgestattete Schleimhaut. Bei beiden Thierarten wird also in der linken Magenabtheilung keine Salzsäure secernirt. Beim Hunde liegen diese Verhäitnisse ganz anders; bei ihm findet man nur unmittelbar an der Cardia Cardiadrüsen; im Uebrigen aber ist die ganze linke und mittlere Magenabtheilung mit Fundusdrüsen aus- gerüstet. Wo sich Fundusdrüsen (bezw. Belegzellen) finden, da kann auch Salzsäure gebildet werden. Offenbar wird aber beim Hunde in der ersten Verdauungsstunde in der Nähe der Cardia (also links) gar keine und später weniger HCl secernirt, als in der mittleren grossen Magenabtheilung. Dass sich der linke, der Cardia zugewendete Theil der Magenschleimhaut wäh- rend der Verdauung anders verhält, als die übrige Magenschleimhaut, lehrt der Augenschein. Wir haben bei mindestens zwölf Hunden, die sich in verschiedenen Zeiten der Verdauung befanden, die Magenschleimhaut genau betrachtet und stets gefunden, dass die Schleimhaut eines der Cardia zu- gewendeten, zum Theil die kleine Curvatur einnehmenden, dorsal und links gelegenen Magenabschnittes ganz anders beschaffen war, als die Schleim- haut des übrigen Magens (abgesehen von der Pylorusschleimhaut). Die eigentliche Fundusschleimhaut war geschwollen, stark geröthet, braunroth von Farbe, dick und derb und in dicht nebeneinander liegende, feststehende Falten gelegt. Die linksseitige, etwa !/, der inneren Magenoberfläche ein- nehmende Schleimhautpartie war bedeutend dünner, nicht oder wenig ge- schwollen, nicht oder wenig geröthet und wenig gefaltet. Die Falten waren leicht verstreichbar; diese Schleimhaut hatte ein grauweisses, zuweilen grau- röthliches Aussehen. Der Unterschied in der Schleimhautbeschaffenheit der Magenabtheilungen war so deutlich, dass man denselben auf den ersten Blick wahrnehmen musste. Aus diesen Verhältnissen muss man schliessen, dass die linksseitige Abtheilung der Magenschleimhaut bei der Verdauung wenig thätig ist, dass sie wenig secernirt. Dies folgt schon aus ihrem ge- ringen Blutgehalte. Genaueres vermögen wir leider noch nicht mitzutheilen. Wir beabsichtigen jedoch, diese Frage auf dem Wege der mikroskopischen Untersuchung zu lösen. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 15 226 ELLENBERGER UND HOFMEISTER: DIE MAGENSÄURE BEI HUNDEN. Der Säuregrad des Mageninhaltes war bei den untersuchten Hunden in den späteren Verdauungsstunden ein verhältnissmässig hoher; er stieg z. B. bei einem Hunde in der sechsten bezw. siebenten Verdauungs- stunde auf 0-38 Procent und betrug noch in der achten Stunde etwa 0-3 Procent; bei einem Hunde war er sogar schon in der dritten Stunde rechts auf 0-24 Procent gestiegen. Daraus geht hervor, dass der Säure- grad bezw. der Säuregehalt des Mageninhaltes der Hunde auch bei Amy- laceennahrung erheblich höher ist, als derjenige gewisser Herbivoren und Omnivoren (der Pferde, Schweine und Wiederkäuer. Gegen Ende der Verdauung (bei einer geringen Mahlzeit nach etwa acht, bei einer grösseren nach etwa zehn Stunden) tritt wieder ein Absinken des Säuregehaltes des Mageninhaltes ein. Wir fanden z. B. zehn Stunden nach der Verdauung nur noch 0:08 Procent Säure vor; ähnlich verhielt sich der Mageninhalt eines grossen Hundes, welcher nur 115 Reis erhalten hatte, schon zwei Stunden früher, während bei einem anderen grossen Hunde, welcher etwa 500°” Reis genossen hatte und nach achtstündiger Verdauung noch mehr als 100 sm Inhalt im Magen hatte, zu dieser Zeit noch nahezu 0-3 Procent Säure im Mageninhalte nachgewiesen werden konnte. Die Abnahme des Säuregehaltes in den späteren Verdauungsstunden ist sonach ganz und gar von dem Stande der Verdauung abhängig. Sobald die Verdauung so weit vorgeschritten, bezw. beendigt ist, dass nur noch wenige Gramm (z. B. 8, 10, 208%) flüssiger Masse im Magen sind, hört die Säuresecretion der Magenschleimhaut auf; dies hat natürlich ein Sinken des Säuregehaltes des Mageninhaltes zur Folge. Hörsphaere und Ohrbewegungen. Von Dr. B. Baginsky, Privatdocent in Berlin. So viel auch die Grosshirnrinde im physiologischen Versuche elektrisch gereizt worden ist, so ist von der unteren Partie des Schläfenlappens durch Reizung irgend eine Ohrbewegung bisher nicht erzeugt worden; diese Partie erwies sich als nicht reizbar. Nur von der oberen Partie des Schläfen- lappens konnten zuerst Fritsch und Hitzig Ohrbewegungen durch elek- trische Reizung erzeugen, und nach dem letzteren Autor! liegt die Reiz- stelle für Ohrbewegungen vor und unmittelbar hinter der Sylvischen Grube. Weiterhin erhielt Ferrier? Öhrbewegungen bei Reizung der dritten äusseren Windung und zwar jener Partie derselben, welche oberhalb der Spitze der Fossa Sylvii gelegen ist; durch Reizung dieser Theile zeigten sich beim Hunde Aufrichten oder Retravtion des anderseitigen Ohres. Beim Affen? fand Ferrier nach Reizung der oberen Temporosphenoidal- Windung dicht hinter der Sylvischen Grube Aufrichten des entgegen- gesetzten Ohres. Dabei werden Kopf und Auge nach der anderen Seite hin gewendet, die Pupillen weit dilatirt. Von der mittleren und unteren Schläfenwindung konnten ÖOhrbewegungen nicht hervorgebracht werden. Bei der Katze‘ sah Ferrier nach Reizung der dritten äusseren Windung von Stellen, welche oberhalb der Spitze der Fossa Sylvi, etwas vor und hinter derselben, gelegen sind, ebenfalls Ohrbewegungen und zwar bei Rei- zung der vor derselben gelegenen Theile „eine Combination von Retraction ! Untersuchungen über das Gehirn. 1874. 8.90. ? Die Function des. Gehirns. 1879. S. 165. 3 Fbenda. S. 158. * Ebenda.. S.170 u. 171. 228 B. BAGInSsKY: mit einem gewissen Grade von Elevation des Mundwinkels mit Vorwärts- und Abwärtsziehen des Ohres.“ Gelegentlich kam nur die Bewegung des Ohres zur Beobachtung. Bei Reizung der hinter derselben gelegenen Par- tien constatirt Ferrier einen Befund, welchen er wie folgt beschreibt: „Das Ohr wird rasch zurückgezogen, Kopf und Augen wenden sich nach der anderen Seite hin. Mitunter wird bloss das Ohr bewegt und bei tiefer Narkose oder wenn das Thier schon stark erschöpft ist, kann auch die Reaction ganz ausbleiben.“ Auf Grund dieser Beobachtungen findet Ferrier das Gesammtbild dieser Reactionen ähnlich jenem raschen Stutzigwerden, dem plötzlichen Aufschauen bei dem Erschrecken, oder bei der Ueberraschung, wenn ein lauter Ton das der gereizten Hemisphaere gegenüberliegende Ohr betrifft, und schliesst hieraus, dass die oberste Schläfenwindung kein motorisches Centrum, sondern ein Centrum für die Gehörswahrnehmungen ist, dessen Reizung die in Frage stehenden Bewegungen auf reflectorischem Wege an- regt. Das „Ohrenspitzen“ ist für Ferrier ein specielles reflectorisches Zeichen einer subjectiven Gehörswahrnehmung, während die anderen Reac- tionen auf die associirte Thätigkeit eines Centrums hindeuten, welches bei den Bewegungen für den Ausdruck der Aufmerksamkeit u. s. w. betheiligt ist. Luciani und Tamburini! gelangten bei ihren Versuchen zu Resul- taten, welche denen Ferrier’s entsprechen und auch Unverricht? erzeugte durch Reizung der von Ferrier angezogenen Stellen im contralateralen Ohre Bewegungen, welche bei längerer Einwirkung des faradischen Stromes und der nöthigen Erregbarkeit in allgemeine Convulsionen übergehen können. Die von den bisher genannten Autoren gewonnenen Erfahrungen beziehen sich demnach nur auf die von Ferrier in seiner Zeichnung mit 14 be- . zeichnete Stelle, das ist diejenige Gehirnpartie, welche in der dritten äusseren Windung oberhalb der Spitze der Fossa Sylvii gelegen ist und ungefähr der von H. Munk als Ohrregion bezeichneten Stelle entspricht, und nur von dieser Stelle konnten durch Reizung Bewegungen im contralateralen Ohre hervorgebracht werden. Von den unteren Partien des Schläfenlappens blieb der Erfolge aus. Nun fanden H. Munk? und Obregia* bei ihren Versuchen an der ‘ Luciani und Tamburini, Sulle funzioni del cervello. ZAicerche sperimentali. Seconda communicazione, Centri psicho-sensori corticali. 1879. ° Unverricht, Die Beziehungen der hinteren Rindengebiete zum epileptischen Anfall. Deutsches Archiv für klinische Mediein. 1888. Bd. XLIV. Hft. 1. °H. Munk, Sehsphaere und Augenbewegungen. Sitzungsberichte der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1890. * A. Obregia, Ueber Augenbewegungen und Sehsphaerenreizung. Dies Archiv. 1890. En HÖRSPHAERE UND ÜHRBEWEGUNGEN. 229 Sehsphaere das ebenso wichtige wie interessante Resultat, dass jeder Seh- sphaerenreizung die dem Sehen nächsten Bewegungen der Augen folgen, und diese Erfahrungen regten die Frage an, ob nicht auch, wie beim Auge nach Reizung der Sehsphaere, an den Ohren nach Reizung der Hörsphaere die dem Hören nächsten Bewegungen folgen werden, und so habe ich auf An- regung des Hrn. Prof. H. Munk diese Frage zum Gegenstand der Unter- suchung gemacht. Ich beeann meine Versuche am Hunde mit Reizungen des Schläfenlappens zunächst seiner unteren Spitze und liess dann weiter- hin Reizungen des übrigen Schläfenlappens nachfolgen. Beifolgende Fig. 1 möge zur näheren Bezeichnung der hier in Frage kommenden Hirntheile dienen. Die mit // und /// und durch Querstriche bezeichneten Hirn- windungen sind die der Reizung unterworfenen und entsprechen etwa dem Schläfenlappen. Bezüglich der Versuchsanordnung und der hierbei zu beobachtenden Vorsichtsmaassregeln verweise ich auf die Ausführungen Obregia’s;! ohne die Berücksichtigung jedes einzelnen dort angegebenen Punktes wird der Versuch meist unbrauchbar oder wenigstens durch Nebenerscheinungen vielfach so complicirt, dass sichere Schlüsse unmöglich sind. In dieser Be- ziehung bedarf er der ganz besonderen Erwähnung, dass die Reizung erst beginnen darf, wenn das Thier, welches zum Zwecke der Aufdeckung des Gehirns aetherisirt war, vollkommen munter ist und dauernd munter bleibt, nicht erschlafft ist und nicht in einen schlafenden Zustand verfällt. Ich habe diesen Punkt besonders noch hervorheben zu müssen geglaubt, weil ‚durch den Eintritt eines Erschlaflungszustandes, sei es kurze Zeit nach der Operation oder längere Zeit nach derselben bei Ausführung der Reizung ganz plötzlich die Versuchsresultate verändert werden können, so dass selbst bei grossen Reizstärken der Effect überhaupt nicht eintritt, oder wenigstens erst längere Zeit nachher, oder der bei einer bestimmten Reizstärke vor- ar 07957269: 230 B. BAGISsKY: handene Effeet ganz verloren gehen kann. Sind schon diese mannigfachen Variationen, welche eine grosse Anzahl von Versuchen nicht recht brauch- bar erscheinen lassen, ausserordentlich störend, so gesellen sich bei den Reizversuchen am Schläfenlappen noch zwei weitere Schwierigkeiten hinzu, welche berücksichtigt werden müssen. Es hat sich bei den von mir an- gestellten Versuchen herausgestellt, dass selbst unter vorsichtigster allmäh- licher Steigerung der Stromintensität und auch bei nur kurzer Einwir- kung des Stromes bei einer relativ grossen Zahl von Hunden in Folge der Reizung der unteren Partie des Schläfenlappens sehr leicht allgemeine - Convulsionen auftreten, wie sie Unverricht auch nach Reizung der Ferrier’schen Stelle 14 bei längerer Einwirkung des faradischen Stromes und der nöthigen Erregbarkeit beobachtet hat. Diese epileptischen Anfälle stören jede genaue und sichere Beobachtung, um so mehr, als dieselben, wenn sie überhaupt einmal in Svene getreten sind, auch häufig spontan und ohne jede weitere neue Grosshirnreizung auftreten und immer mit Bewegungen der Ohrmuscheln beginnen. Gegenüber dieser bei vielen Hun- den bestehenden leichten Erregbarkeit des Schläfenlappens an seiner unteren Spitze habe ich dann die noch weiterhin in meinen Versuchen gewonnene Erfahrung der leichten Ermüdung derselben Gehirnpartie zu erwähnen. Diese Ermüdung zeigt sich vielfach schon nach zwei- bis dreimaliger Rei- zung, so dass alsdann mit derselben Stromstärke von derselben Stelle eine Reaction nicht mehr herbeizuführen ist, wenigstens nicht sogleich. Es ist deshalb nöthig, zwischen den einzelnen Reizungen gewisse Pausen eintreten zu lassen oder die Stromintensitäten zu steigern; im letzteren Falle bedarf es allerdings gewisser Vorsicht, da in Folge der Ermüdung die Stromver- stärkung vielfach einen hohen Grad erreichen muss und somit leicht Con- vulsionen nachfolgen können. Zur Reizung brauchte ich die Inductionsströme des du Bois’schen Apparates und geknöpfte Platinaelektroden mit 2 bis Smm Abstand und die Reizung begann an der unteren Partie des’ Schläfenlappens mit mini- maler wirksamer Stromstärke, welche naturgemäss bei den verschiedenen Thieren innerhalb gewisser Grenzen schwankt, durchschnittlich von 100 bis 0 =" Rollenabstand. Der Controle wegen wurde die Reizung alsdann weiterhin, wie bereits angegeben, auf den übrigen Schläfenlappen ausgedehnt. Schon beim ersten Versuche stellte sich die bisher nicht bekannte That- sache heraus, dass von der unteren Partie des Schläfenlappens Bewegungen des contralateralen Ohres durch die elektrische Reizung erzeugt werden können. Und am wirksamsten erwies sich in den meisten Versuchen die mit, 5° auf Windung /// bezeichnete Partie (Fig. II) und die etwas weiter nach vorn und abwärts auf // befindliche und mit 2” bezeichnete Stelle. Die erste Erscheinung, welche man bei einer wirksamen Reizung be- HÖRSPHAERE UND ÜHRBEWEGUNGEN. Bol obachtet, ist ein Oeffnen der Augen." Dabei wird das sonst aufgeregte und schreiende Thier meist merkwürdig ruhig und wedelt zeitweilig mit dem Schwanze. Steigert man allmählich die Stromstärke, so gesellt sich zur Hebung der Augenlider eine Bewegung der der Operation entgegengesetz- ten Ohrmuschel hinzu. Diese beiden Erscheinungen zeigen sich in der Mehrzahl der Versuche in der eben beschriebenen Reihenfolge. Das Oeffnen der Augen erfolgt häufig mit Beginn der Reizung, manchmal erst kürzere Zeit nach begonnener Reizung und geht den Ohrbewegungen, wie angegeben, voran; zugleich ist mit ihm zeitweilig eine Drehung des Bulbus nach Aussen und eine Erweiterung der Pupille verbunden. Kürzere oder längere Zeit nach den Reactionen an dem Auge, also immerhin erst eine gewisse Zeit nach Beginn der Reizung, manchmal auch erst eine kurze Zeit nach Beendigung derselben erfolgen die Bewegungen der entgegengesetzten Ohrmuschel, welche sich documentiren in zuerst schwach auftretenden Ohrzuckungen, meist nach hinten, zuweilen auch nach vorn, welche allmählich an Intensität zu- nehmen (Nachzuckungen) und nach kurzer Zeit verschwinden. Sicher und regelmässig treten die Reactionen an der contralateralen Ohrmuschel von den oben bezeichneten Reizstellen der Hörsphaere aus ein, vorausgesetzt, dass alle Versuchsbedingungen zutreffen. Aber in dem Abhängigkeits- verhältniss zwischen dem Oeffnen der Augen und den Bewegungen der Ohrmuschel bestehen unter gewissen, mir unbekannten Bedingungen Ab- weichungen mannigfacher Art, welche im Wesentlichen sich so darstellen, dass 1. das Oeffnen der Augen bei demselben Hunde zeitweilig ganz aus- bleibt, trotz genügender Reizstärke, welche kurze Zeit vorher sich nach dieser Richtung hin als wirkend erwies, 2. das Oeffnen der Augen den Öhrbewegungen nachfolst und 3. das Oeffnen der Augen während des ganzen Versuches überhaupt nicht erfolgt. Welches die Gründe für diesen Wechsel der Erscheinungen sind, ver- mag ich nicht anzugeben; obschon ich jedem einzelnen Punkt meine Auf- merksamkeit zuwandte, habe ich unzweifelhafte Erklärungsgründe nicht auf- zufinden vermocht. Von Bedeutung scheinen hier mehrere Momente zu sein, die Thierspecies, die längere oder kürzere Zeit des Versuches, die Munterkeit oder Erschlaffung des Thieres während des Versuches u. Ss. w.; letzteren Punkt müssen wir nochmals besonders erwähnen, zumal sich bei einzelnen Thieren während des Versuches, nachdem die Operation selbst '! Eine genaue Beobachtung des der Operationsseite entsprechenden Auges ist wegen der Befestigung des Kopfes und. der an ihm zum Abhalten der Weichtheile hängenden Haken nicht gut möglich. Die Beobachtung bezieht sich fast immer auf das contralaterale Auge. 232 B. BAGIıSsKY: ohne jede Nebenlaesion gut ausgeführt war, in Folge der wiederholten Rei- zungen ganz plötzlich eine so hochgradige Erschlaffung zeigt, dass die Thiere in einen fast schlafenden Zustand verfallen. Was nun die Reizstellen anlangt, von denen aus die eben beschriebenen Symptome erzeugt werden können, so ist bereits vorher erwähnt, dass die wirksamste Stelle auf der Windung /// an der mit 2’ bezeichneten Partie und auf der Windung // an der mit B” bezeichneten sich befindet. Je mehr man sich nun bei gleichbleibender Stromstärke von der eigentlich wirksamen Stelle entfernt, desto schwächer ist der Effect, bis schliesslich in einer gewissen Entfernung von den Hauptstellen alle Reactionen aus- bleiben, und nach dieser Richtung hin hat sich im Wesentlichen folgendes Ergebniss herausgestellt. Geht man mit den Elektroden stufenweise die Windung /// aufwärts, so erfolgen nur etwa bis zur Höhe der gestrichel- ten Stelle x jene oben beschriebenen Reactionen, indess gewöhnlich nur unter allmählicher Steigerung der Stromintensität; die Stelle x auf Win- dung /// erweist sich reactionslos und von ihr ist nur durch stärkere Ströme eine Wirkung zu erlangen.” Dasselbe zeigt sich, wenn man von /// B’ mit den Elektroden nach rückwärts auf die Windung // geht. Die Reizwirkung bleibt meist aus; in einzelnen Fällen tritt bei etwas stärkerer Stromstärke von der Uebergangsstelle der Windung /// zu // an der tief gelegenen Hirnpartie Fig. 2 y eine starke Augenbewegung und Bewegung des contra- lateralen Ohres nach vorn ein. Die Reizung des Gehirns an der Windung // hinter der Fossa Sylvi unten an der Spitze des Schläfenlappens und noch etwas höher hinauf ergiebt gleichfalls Augenöffnungen und Bewegungen der contralateralen ! Die Grösse dieser wirksamen Stellen ist natürlich nicht bei allen Hunden ideal gleich. ? Auch diese effeetlose Stelle zeigt bezüglich ihrer Grösse und Lage kleine Ver- schiedenheiten; manchmal liegt sie etwas höher und erscheint kleiner. HÖRSPHAERE UND ÜHRBEWEGUNGEN. 233 Ohrmuschel; ob auch höher hinauf auf Windung // eine reactionslose Partie vorhanden ist, lässt sich bei der relativen Kleinheit dieser Hirnwindung nicht mit Sicherheit entscheiden. In einzelnen Versuchen ergab sich aller- dings nach Reizung von Windung /V oberhalb 3” keine Reaction, in an- deren Versuchen hingegen traten die Reactionen ein, möglicher Weise durch Ueberleitung der Ströme auf die benachbarte Ohrregion. Geht man nun mit den Blektroden auf Windung /// oberhalb der Stelle » in Bogen nach vorn, so erhält man starke Reactionen an der contralateralen Ohrmuschel und ebenso, wenn man auf Windung /V mit den Elektroden aufwärts reizend vorgeht, den Einschnitt der Fossa Sylvii erreicht und darüber hinaus in Windung //T übergeht. Bei diesen letzten Reizungen haben wir bereits das Gebiet der Ohrregion erreicht, jene Partie, von welcher Ferrier und seine Nachfolger durch elektrische Reizung Ohr- bewegungen hatten erzeugen können. Auf Grund der von mir in systematischer Weise ausgeführten elek- trischen Reizversuche am Schläfenlappen des Hundes zeigt sich demnach, dass auch von der unteren Partie des Schläfenlappens neben gewissen Bewegungen an den Augen solche an den contralateralen Ohrmuscheln sich erzeugen lassen, dass also auch diese untere Partie des Schläfenlappens, ebenso wie die obere, elektrisch reizbar ist. Es hat sich weiter ergeben, dass zwischen diesen beiden Partien eine kleinere Region sich befindet, deren Reizung keinen gleichen sichtbaren Effect ergiebt, und es knüpft sich naturgemäss hieran die Frage, ob auf Grund dieser Reizversuche an der unteren Partie des Schläfenlappens sich jene Reactionen an den Ohren im Sinne der von H. Munk und Obregia an den Augen gefundenen That- sachen deuten lassen, ob demnach also die nach Reizung der unteren Partie des Schläfenlappens folgenden Ohrbewegungen als Reflexacte einer Gehörs- empfindung aufzufassen und zu deuten sind. Bekanntlich hat, wie bereits angegeben, Ferrier die nach Reizung der oberen Partie des Schläfenlappens folgenden Erscheinungen an den Ohren in diesem Sinne auszulegen sich bemüht. Diese Frage lässt sich nicht positiv beantworten, da die nach Reizung der Ohrregion folgenden Bewegungen der Ohrmuscheln denjenigen nach Reizung der Hörsphaere folgenden annähernd gleichen, wenigstens so weit man bei oberflächlicher Betrachtung dieselben beurtheilen kann. Ueber- dies ist festzuhalten, dass die Bewegungen der Ohrmuscheln, soweit sie sich als refleetorische, herbeigeführt durch den Höract darstellen, ausserordent- lich einfache sind und nicht im Geringsten jenen feinen Mechanismus zeigen, wie wir ihn an den Augenmuskeln, bei dem Zusammenwirken der- selben beim Sehen, zu beobachten Gelegenheit haben. Nichtsdestoweniger zeigen sich indess bei genauerem Zusehen in den Reactionen, welche nach Reizung der oberen und unteren Partie des Schläfenlappens auftreten, 234 B. Bacınsky: manche Unterschiede, welche nach gewisser Richtung hin einen Fingerzeig für die Auffassung geben dürften. So hat sich im der Mehrzahl der Versuche herausgestellt, dass die obere Partie leichter reizbar ist als die untere; die Wirkung ist von der sogenannten Ohrregion im Allgemeinen durch schwächere Ströme herbei- zuführen als von der unteren Partie des Schläfenlappens und da, wo eine gleiche Stromintensität für die Erregung beider nöthig ist, ist die Reaction von der ersteren eine schnellere und ausgiebigere als von der letzteren. Weiterhin zeigt sich, wie bereits angegeben, eine ausserordentlich leichte Ermüdung der unteren Schläfenlappenpartie, eine Erschlaffung, welche wir an der Ohrregion nicht in gleicher Weise vorfinden. Hier bedarf es schon längere Zeit fortgesetzter Versuche, um auch hier Ermüdungserscheinungen zur Beobachtung zu bringen. Endlich reagirt bei Reizung der oberen Partie des Schläfenlappens das contralaterale Ohr meist nur mit einer einmaligen Zuckung, sei es nach hinten oder nach vorn, während bei Reizung der unteren Partie meist mehrere Zuckungen, sogenannte Nachzuckungen auf- treten. Letztere zeigen sich bei Reizung der oberen Partie erst dann, wenn die Reizung stark ist und durch gesetzten Reiz allgemeine Convulsionen erzeugt werden. Sind auch diese Differenzen keine sehr bedeutenden, so kommen sie doch bei den einzelnen Versuchen in verschiedenem Grade deutlich zu Tage und berücksichtigt man, dass zwischen der oberen und unteren Schläfenlappenpartie jene früher näher bezeichnete Stelle sich findet, auf deren Reizung keine sichtbaren Reactionen an der contralateralen Ohr- muschel erfolgen, so dürfte die daraus sich ergebende Schlussfolgerung, dass die beiden Partien des Schläfenlappens, die obere und untere, physiologisch nicht gleichwerthig sind, ihre volle Berechtigung haben. Von besonderer Bedeutung erscheint mir noch der Hinweis, dass diejenige Stelle der unteren Partie des Schläfenlappens, welche sich in meinen Versuchen am leichtesten erregbar zeigte, /// 5’, ungefähr derjenigen Gehirnpartie entspricht, von der aus H. Munk durch seine Eingriffe die sogenannte Seelentaubheit! erzeugen konnte. Zur Vervollständigung der Beobachtungen habe ich die Reizversuche auch auf solche Hunde ausgedehnt, welchen vor dem Versuche eine hin- reichende Dosis Morphium subeutan injieirt worden war. Hierbei zeigten sich die früher angegebenen Erscheinungen, nur mit dem Unterschiede, dass die effectvolle Reizstärke für beide Partien des Schläfenlappens von Anfang an schon stärker gewählt werden musste. Epileptische Anfälle traten auch an solchen Hunden bei Reizung der unteren Schläfenlappen- U H. Munk, Ueber die Functivnen der Grosshirnrinde. 2. Aufl. Berlin 1890. Seile HÖRSPHAERE UND ÜHRBEWEGUNGEN. 255 partie auf, sei es, dass die Krämpfe, wie in den früheren Versuchen, sich nur auf den Kopf beschränkten, oder dass sie in allgemeine Convulsionen übergingen. Gleiche Versuche habe ich auch an der Katze ausgeführt; es ergaben sich hier, abgesehen von kleinen Eigenthümlichkeiten der Thierspecies, die nämlichen Resultate, so dass von einer weiteren Beschreibung Abstand ge- nommen wird. Vorliegende Untersuchung wurde im physiologischen Institut der könig- lichen thierärztlichen Hochschule unter Leitung des Hrn. Prof. H. Munk ausgeführt. Beiträge zur Kenntniss des Stoffwechsels. Von E. Drechsel. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) 1. Ueber ein neues Vorkommen von Carbaminsäure. Von John J. Abel und E. Drechsel. Der Harn der pflanzenfressenden Säugethiere unterscheidet sich be- kanntlich von dem der fleischfressenden sehr wesentlich dadurch, dass er meist trübe entleert wird und beim Stehen schnell einen starken Bodensatz fallen lässt. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieses Verhalten beim Pierde- harn; F. Smith,! dem wir die neueste Untersuchung desselben verdanken, giebt an, dass er unter 96 Fällen nur einmal einen vollkommen klaren Pferdeharn beobachtet habe, der auch beim Stehen und Abkühlen so blieb und überhaupt in seinen physikalischen Eigenschaften dem menschlichen Harne sehr äbnlich war. Untersucht man den erwähnten Bodensatz unter dem Mikroskop, so sieht man zwischen amorphen Massen deutlich krystal- linische Kugeln und kuglige Gebilde, welche sich in Salzsäure unter Auf- brausen leicht lösen, und aus kohlensaurem Kalk bestehen. Steht der Harn einige Tage lang in der Kälte, so gesellen sich zu diesen krystallinischen Gebilden noch sehr schön ausgebildete wasserklare Krystalle von solcher Grösse, dass sie mit blossem Auge wahrgenommen werden können. Smith giebt ferner an, dass der Pferdeharn beim Kochen unter Austreibung von Kohlensäure noch mehr von diesen Kalksalzen ausscheide. Mit der Frage nach der Herkunft dieses kohlensauren Kalkes scheint man sich bisher nur wenig beschäftigt zu haben. Dass der Harn nicht ı Proc. Roy. Soc. London. Vol. XLVI. p. 328. m nn BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWECHSELS. 2a schon in den Nieren trübe abgesondert wird, dürfte wohl zweifellos sein; wird er dennoch trübe entleert, so muss sich der Niederschlag erst beim Verweilen des Harns in der Blase gebildet haben. Demnach muss der aus den Nieren abfliessende Harn eine Substanz enthalten, welche sich mit der Zeit unter Ausscheidung von kohlensaurem Kalk zersetzen kann. Solche Substanzen sind doppeltkohlensaurer, cyansaurer und carbaminsaurer Kalk. Doppeltkohlensaurer Kalk findet sich im Parotidenspeichel und be- wirkt durch seine Zersetzung die Trübung dieses Secretes beim Stehen an der Luft unter Ausscheidung von neutralem kohlensauren Kalk; auf seine Gegenwart ist auch die Ausscheidung von kohlensaurem Kalk beim Kochen schwach sauren menschlichen Harns bezogen worden, und Smith scheint dieser Ansicht auch bezüglich des Pferdeharns zu huldigen. Dieselbe kann indessen in diesem Falle nicht richtig sein; versetzt man nämlich eine wässerige Lösung von doppeltkohlensaurem Kalk mit Kalkwasser, so tritt sofort Fällung von neutralem kohlensauren Kalk ein — vermischt man indessen Pferdeharn mit dicker Kalkmilch, sodass die Flüssigkeit leicht filtrirbar wird, so scheidet das Filtrat beim Kochen noch immer reichliche Mengen kohlensauren Kalkes ab, trotzdem dass es stark alkalisch reagirt und, in Folge seines Gehaltes an Kalkhydrat, in Magnesiumlösungen einen Niederschlag hervorbringt, der sich in etwas Salmiak leicht klar löst. Die Anwesenheit von cyansaurem Kalk ist wohl von vornherein als ausgeschlossen zu betrachten, da die löslichen Öyanate starke Gifte sind und das Salz doch in ganz erheblichen Mengen vorhanden sein müsste. So bleibt nur noch die Annahme als die wahrscheinlichste übrig, dass nämlich die Aus- scheidung des kohlensauren Kalkes aus dem alkalischen Pferdeharn durch die ursprüngliche Anwesenheit von carbaminsaurem Kalk bedingt werde E. Drechsel! hat vor einigen Jahren dieses Salz in reinem Zu- stande dargestellt und gezeigt, dass sich dasselbe in reinem Wasser ziem- lich leicht löst, dass seine klare Lösung durch kohlensaures Natron so- fort gefällt wird, dass ferner diese klare Lösung sich schnell trübt unter Ausscheidung von neutralem Carbonat, dass aber diese Zersetzung durch _ die Gegenwart von Ammoniak sehr verlangsamt, beziehentlich in ver- dünnten Lösungen ganz verhindert wird. Wie man sieht, zeigt der Pferde- harn ein ganz ähnliches Verhalten wie eine wässerige, etwas Ammoniak enthaltende Lösung von carbaminsaurem Kalk; wir haben daher eine Reihe von Versuchen angestellt, die zum Zwecke hatten, das genannte Kalksalz womöglich in reinem Zustande aus dem Pferdeharn abzuscheiden und auf diese Weise die Anwesenheit der Carbaminsäure in demselben ausser allen Zweifel zu stellen. ı Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. XVI. S. 180. 238 E. DRECHSEL: Wir verfuhren zunächst auf folgende Weise. Der Harn eines mit Heu, Kleie und Häcksel in gewöhnlicher Weise gefütterten Pferdes wurde mög- lichst frisch so lange stehen gelassen, bis sich der darin suspendirte Nieder- schlag einigermaassen abgesetzt hatte, was nur kurze Zeit in Anspruch nahm; dann wurde die noch trübe Flüssigkeit abgegossen, mit einer reich- lichen Menge dicklicher frisch bereiteter Kalkmilch gut durchgerührt und 5—10° lang tüchtig geschüttelt, und hierauf centrifugirt oder auch direct filtrirt, was bei Anwendung genügender Mengen Kalkmilch gut von Statten geht. Die klare Flüssigkeit, welche mit Kalkwasser keinen Niederschlag mehr gehen darf, wurde mit Chlorcaleium und etwas krystallisirtem kohlen- saurem Kalk versetzt und in einem verschlossenen Gefässe 15’ lang kräftig geschüttelt, um etwa gelösten amorphen kohlensauren Kalk sicher zur Ab- scheidung zu bringen. Nach kurzem Absitzenlassen im Eisschranke wurde die Flüssigkeit direct in etwa das dreifache Volum auf 0° abgekühlten Alkohols filtrirtt und hierauf im Eisschranke absitzen gelassen. Nach ca. 10stündigem Stehen hatte sich der bräunliche flockige amorphe Niederschlag ziemlich stark zusammengesetzt; die Flüssigkeit wurde abgehebert und der Rest mit dem Bodensatze auf die Centrifuge gebracht. Der nunmehr er- haltene dicke Brei des Niederschlages wurde nach Entfernung der darüber stehenden Flüssigkeit auf ein Saugfilter gebracht und mit Alkohol und Aether gewaschen, endlich im Vacuum über Schwefelsäure getrocknet. Der trockene Niederschlag wurde nunmehr zu einem Pulver zerrieben, in Am- moniakflüssigkeit von gewöhnlicher Concentration (um eine rasche Zer- setzung des carbaminsauren Kalkes zu verhindern) gelöst, von dem geringen unlöslichen Rückstande abfiltrirt und mit absolutem Alkohol bis zur blei- benden Trübung versetzt; nach dem Absitzenlassen im Eisschranke wurde filtrirt, wieder mit etwas Alkohol versetzt und abermals im Eisschranke ab- sitzen gelassen. Nach nochmaligem Filtriren wurde die klare Lösung mit Alkohol völlig ausgefällt, der Niederschlag nach dem Absitzen im Eis- schranke auf ein Saugfilter gebracht, mit Alkohol und Aether ausgewaschen und im Vacuum über Schwefelsäure getrocknet. So dargestellt bildet der Niederschlag hellbräunliche poröse Stücke, welche sich zu einem fast weissen Pulver leicht zerreiben lassen; er riecht durch- aus nicht nach Ammoniak. In viel Wasser ist er völlig löslich, die Lösung verhält sich ganz wie eine solche von carbaminsaurem Kalk, indem sie sich beim Stehen nach kurzer Zeit, beim Erwärmen sofort trübt und beim Kochen einen ‚schnell pulverig werdenden Niederschlag abscheidet, der sich in Salzsäure unter Aufbrausen löst. Lässt man die vollkommen klar filtrirte Lösung in einem fast völlig damit angefüllten luftdicht verschlossenen Ge- fässe in der Kälte längere Zeit stehen (wobei also keine Kohlensäure ent- weichen oder hinzutreten kann), so scheiden sich zunächst ein pulveriger BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWEOHSELS. 239 Niederschlag und dann noch grössere durchsichtige Krystalle von kohlen- saurem Kalk ab. Wie man sieht, stimmt dieses Verhalten mit demjenigen des earbaminsauren Kalkes völlig überein; leider ist aber der Niederschlag doch kein reines Carbamat und alle Versuche, denselben völlig von seinen Beimengungen zu befreien, haben nicht zu dem gewünschten Ziele geführt. Er enthält namentlich eine beträchtliche Menge aetherschwefelsaurer Salze und auch etwas Gyps; setzt man zu seiner wässerigen Lösung Chlorbaryum in der Kälte, filtrirtt ab und kocht das Filtrat mit etwas Salzsäure, so bildet sich rasch ein Niederschlag von schwefelsaurem Baryt. Wird der trockene Niederschlag im Röhrchen geglüht, so entweichen Ammoniak, ein phenol- ähnliches Oel und unangenehm riechende Dämpfe, während der Rückstand eine schwarze kohlige Masse darstellt. Erwähnt muss noch werden, dass sich beim Kochen der wässerigen Lösung während der Abscheidung des kohlensauren Kalkes stets Ammoniak entwickelt, was ebenfalls dem Ver- halten des carbaminsauren Kalkes vollkommen entspricht. In demselben schien ein Mittel gegeben zu sein, um auch gewichtsanalytisch die Anwesen- heit von carbaminsaurem Kalk nachweisen zu Können; die Zersetzung des- selben erfolgt nach der Gleichung: (H,N.0.CO.0),Ca + H,0 = CaCO, +2 NH, + CO,, d.h. auf 1 Molecül ausgeschiedenen kohlensauren Kalk müssten 2 Molecüle Ammoniak entweichen. Zur Ausführung des Versuches wurden 0852 8” des wie erwähnt erhaltenen trockenen Niederschlags in einer reichlichen Menge Wasser gelöst, die Lösung schnell in einen Kolben filtrirt und so lange zum lebhaften Sieden erhitzt, bis alles Ammoniak ausgetrieben war; dieses wurde in verdünnter Salzsäure aufgefangen. Der im Kolben befind- liche Niederschlag wurde auf einem kleinen Filter gesammelt, ausgewaschen und ganz schwach geglüht; er wog: 0.0487 8”, nach halbstündigem Glühen über dem Gebläse wog derselbe: 0.0400 8%. Demnach hatte derselbe beim starken Glühen 0.0087 8: CO, verloren; er enthielt eine beträchtliche Menge Gyps, und aus dem Kohlensäureverluste berechnet sich seine Zu- sammensetzung vor dem starken Glühen zu: 0.0198 2m CaCO, + 0.0289 sım - CaSO,. Das in der vorgelegten Salzsäure aufgefangene Ammoniak wurde in Platinsalmiak übergeführt und dieser geglüht; das erhaltene Platin wog: 0.0335 80 = 0.005862 sm NH,. Nach der Proportion 00,:2NH, be- rechnen sich für 0.0087 sm 00,:0.006728m NH,, welche Menge mit der gefundenen nahe genug übereinstimmt, um den Schluss zu rechtfertigen, dass der untersuchte Niederschlag wirklich carbaminsauren Kalk enthielt, dessen Lösung sich beim Kochen nach der angeführten Gleichung zersetzte. Da die mit Alkohol erhaltenen Niederschläge nur schlecht filtrirten und stets erhebliche Mengen schwefelsaurer und aetherschwefelsaurer Salze enthielten, wurde in anderen Versuchen folgendermaassen verfahren. Der 240 E. DRECHSEL: Harn wurde mit Kalkmilch und Chlorbaryumlösung versetzt, bis er sich gut Ältriren liess und das Filtrat schwefelsäurefrei war; dann wurde der- selbe in eine Kältemischung gebracht und ca. zur Hälfte gefrieren gelassen, wodurch eine beträchtliche Concentration erzielt wurde. Der flüssig ge- bliebene Theil wurde in eine Stöpselflasche (welche nur zur Hälfte angefüllt wurde) gegossen, wiederum theilweise zum Gefrieren gebracht und nun unter fortwährender sehr guter Kühlung durch Einleiten von Ammoniakgas mit diesem Gase fast völlig gesättigt. Dabei entstand ein bräunlich gelber, pulveriger Niederschlag, welcher sich leicht absetzte und sich auf einem Saugfilter leicht und schnell sammeln und mit etwas eiskaltem starken Ammoniak auswaschen liess. Derselbe verhielt sich ganz so, wie der auf die erste Art und Weise erhaltene Niederschlag; er enthielt carbaminsauren Kalk neben beträchtlichen Mengen aetherschwefelsaurer Salze. (Dabei sei einer eigenthümlichen Reaction gedacht: wurde der durch Kochen der wässerigen Lösung entstandene Niederschlag mit Essigsäure zersetzt, so löste er sich unter Aufbrausen klar auf; die Lösung gab aber dann mit Chlorbaryum in kürzester Frist eine ganz schwache Trübung von schwefel- saurem Baryt, während sie doch ursprünglich frei von Schwefelsäure war; da die gewöhnlichen Aetherschwefelsäuren sich in essigsaurer Lösung nicht zersetzen, so muss hier noch eine Spur einer anderen Säure vorhanden ge- wesen sein, welche schon auf Zusatz von Essigsäure unter Abspaltung von Schwefelsäure zerfällt.) Auch hier war also eine Trennung des carbamin- sauren Salzes von dem aetherschwefelsauren nicht geglückt; ebensowenig wurde dieselbe erreicht durch Lösen des Niederschlags in wenig auf 30 bis 40° erwärmtem starken Ammoniak, Filtriren und Abkühlen der Lösung in einer Kältemischung, auf welche Weise carbaminsaurer Kalk umkrystalli- sirt werden kann. Immer aber trübten sich die ganz klar filtrirten Lösungen des Pulvers beim Stehen in ganz damit angefüllten luftdicht verschlossenen Gefässen unter Ausscheidung von kohlensaurem Kalk, und ebenso beim Kochen unter Bildung eines krystallinisch werdenden Niederschlags, der sich in Säuren unter Aufbrausen löste. Oben wurde ein quantitativer Versuch mitgetheilt, in welchem auf 1 Moleeül CaCO, etwas weniger als 2 Molecüle NH, entstanden waren. Betrachtet man die Darstellung des untersuchten Praeparates genauer, so sieht man leicht, dass durch die ursprüngliche Behandlung des Harns mit Kalkmilch die Möglichkeit der Bildung eines basisch carbaminsauren Kalk- salzes gegeben war: dasselbe konnte entstehen nach der Gleichung: EN c0.0 0a + Ca loyr = 2H,N.C0.0.0a.OH. Dieses Salz nun müsste sich beim Kochen seiner wässerigen Lösung nach folgender Gleichung zersetzen: BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWECHSELS. 241 H,N.CO.0O.Ca.0H = CaCO, + NH,, d. h. auf 1 Molecül Kohlensäure, bezw. kohlensauren Kalk würde nur 1 Molecül Ammoniak entweichen. Es ist nun nicht unwahrscheinlich, dass ein solches Salz bei vorsichtigem Zusatz von Alkohol zu seiner wässerigen Lösung in Kalkhydrat, welches niederfällt, und neutralen carbaminsauren Kalk, welcher gelöst bleibt, zersetzt wird. In dieser Weise wurde aber gerade bei der Reinigung des Praeparates verfahren; ein geringer Theil des basischen Salzes blieb vermuthlich dabei unzersetzt, und so würde sich erklären, dass auf 1 Molecül CO, nicht ganz 2 Molecüle NH, erhalten werden. Zu derselben Anschauung führen auch noch folgende beiden quan- titativen Versuche, welche nicht mit dem reinem Praeparate, sondern mit dem ursprünglichen Alkoholniederschlage angestellt wurden. Derselbe war über Schwefelsäure getrocknet worden; er wurde fein zerrieben, mit Wasser geschüttelt, worin er sich grossentheils löste, die klar filtrirte braune Lösung mit etwas krystallisirtem Kalkcarbonat 15’ lang kräftig geschüttelt und in einen Destillirkolben filtiir. An diesen schloss sich ein mit etwas Salz- säure beschickter Absorptionsapparat an, an diesen eine U-röhre und noch ein Absorptionsapparat, welche letztere beiden klar filtrirtes Barytwasser enthielten. Nun wurde ein langsamer Strom reinen, durch Kalilauge ge- waschenen Wasserstoffgases durch den Apparat geleitet und die Flüssigkeit im Kölbchen ca. 20’ in gelindem Sieden erhalten, darauf im Gasstrome erkalten gelassen. Das vorgelegte Barytwasser blieb hierbei völlig klar, zum Beweise, dass sich keine Kohlensäure entwickelt hatte. Dann wurden die Absorptionsapparate abgenommen und durch ein Kölbchen mit concen- trirter Schwefelsäure, an welche sich ein gewogener Kaliapparat und weiter ein Natronkalkrohr anschloss, ersetzt; in das Kölbchen wurde durch die Gasleitungsröhre etwas verdünnte Salzsäure (5°) eingeführt und ein lang- samer Strom durch Kalilauge und Barytwasser gewaschener Luft durch das Ganze hindurchgesaugt. Die saure Lösung wurde 5’ lang gekocht und im Luftstrom erkalten gelassen. Diese Bestimmungweise der Kohlensäure wurde deshalb gewählt, weil bei dem oben mitgetheilten Versuche der Kochniederschlag sich nicht als reiner kohlensaurer Kalk erwiesen hatte. Das in der ersten Operation ausgetriebene Ammoniak wurde in Platin- salmiak übergeführt und als Platin gewogen. So wurden gefunden: 0.0301 sm Pt = 0-00527 2m NH, und 0.057668 CO,, d.h. auf 1 Molecül NH, waren 4-2 Molecüle CO, entwickelt worden. Dieses ganz unerwartete Resultat zeigt deutlich, dass ausser dem carbaminsauren Salze noch ein anderes vorhanden sein muss, welches ebenfalls beim Kochen für sich oder mit Salz- saure unter Kohlensäureentwickelung zersetzt wird, und noch mehr ergiebt sich dasselbe Resultat aus einem zweiten Versuche, der mit demselben Materiale wie der oben beschriebene angestellt: wurde. Das Verfahren war Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 16 242 E. DRECHSEL: ganz dasselbe, nur insofern fand eine Abweichung statt, als die gekochte Lösung von dem entstandenen Kalkcarbonatniederschlage abgegossen und filtrirt wurde; das Filter wurde dann in das Kölbchen zurückgegeben und Wasser zugesetzt. Ferner war behufs völliger Austreibung des Ammoniaks ca. ein Viertel der Lösung abdestillirt worden, was ca. 5/, Stunden Kochdauer beanspruchte; dabei entwich gegen Ende der Operation eine Spur Kohlen- säure, welche das vorgeschlagene Barytwasser nicht trübte, sondern an der Glaswandung nur einen Hauch von kohlensaurem Baryt erzeugte In diesem Versuche wurden erhalten: 0.0396 = Pt = 0.006938 NH, und 0.0247 8m CO,, d. h. auf 1 Molecül NH, waren 1-33 Molecül CO, ent- standen. ; ‘ Die von dem durch Kochen ausgefällten kohlensauren Kalk abfiltrirte klare Lösung trübte sich noch etwas bei weiterem Kochen und der nun entstandene Niederschlag löste sich unter Aufbrausen in Säuren, war also ebenfalls kohlensaurer Kalk. Die Lösung enthält demnach noch ein Salz, welches beim Kochen unter Bildung von kohlensaurem Kalk zersetzt wird und hierdurch erklärt sich der in dem ersten Versuche gefundene grosse Ueberschuss von Kohlensäure gegenüber dem Ammoniak. Die: weitere Untersuchung dieses Salzes ist leider durch den Weggang des Einen von uns vorläufig vereitelt worden, doch soll dieselbe baldmöglichst wieder auf- genommen werden. Nur darauf wollen wir jetzt noch hinweisen, dass der durch das Kochen entstandene kohlensaure Kalk durchaus nicht von der Einwirkung von Kalkhydrat auf Harnstoff! herrühren kann, da letzterer durch das Auswaschen und Umfällen des ursprünglichen Niederschlages mit Alkohol entfernt worden war. Aus den mitgetheilten Thatsachen geht also mit völliger Sicherheit hervor, dass im normalen Pferdeharn ein Kalksalz enthalten ist, welches beim Erwärmen seiner wässerigen Lösung unter Abscheidung von kohlen- saurem Kalk und Entwickelung von Ammoniak zersetzt wird und welches hiernach als carbaminsaurer Kalk anzusprechen ist. Diese Thatsache ge- winnt an Interesse, wenn man sich erinnert, dass der eine von uns (Drechsel) schon vor einer Reihe von Jahren Carbaminsäure als Bestandtheil des Hundeblutserums, sowie als Produet der Oxydation stickstoffhaltiger orga- nischer Substanzen in alkalischer Lösung nachgewiesen hat. Aus dem Vorkommen dieser Säure im Harn des Pferdes ist mit Sicherheit zu schliessen, dass sie sich auch im Blute desselben findet — Hund und Pferd, Fleischfresser und Pflanzenfresser, verhalten sich demnach in dieser Hin- sicht gleich. Ein bedeutsamer Unterschied beider ist aber darin gegeben, dass nur beim Pflanzenfresser diese Säure in den (alkalischen) Harn über- geht, während dies beim Fleischfresser nicht der Fall ist. Da nun die Carb- aminsäure des Blutes jedenfalls als sogenannte Vorstufe des Harnstofis zu BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWECHSELS. 243 betrachten ist, in welchen ihr Ammonsalz durch Wasserabspaltung in Folge von schnell auf einander folgender Oxydation und Reduction übergeführt wird (Drechsel), so muss dieser Process im Organismus des Fleischfressers mit bedeutend grösserer Intensität, in viel grösserem Umfange vor sich gehen, als beim Pflanzenfresser. Bedenkt man nämlich, dass das ursprünglich durch Oxydation der stickstoffhaltigen organischen Substanzen (Eiweiss u. Ss. w.) in dem alkalischen Blute entstandene carbaminsaure Ammoniak stark alka- lisch reagirt und durch‘ alle freien Säuren unter Neutralisation derselben zerstört wird, während der daraus durch Wasserabspaltung hervorgehende Harnstoff nur eine schwache Base ist und die Mineralsäuren nicht neu- tralisirt, so erkennt man, dass, wenn nicht die Gesammtmenge des ge- nannten Salzes in Harnstoff übergeführt wird, der übrig bleibende Theil den Harn alkalisch machen kann. Der Umfang, in welchem Harnstoff auf diese Weise gebildet wird, muss mithin von wesentlichem Einflusse auf die Reaction und die Beschaffenheit des Harnes sein. Sollte es eines besonderen Beweises für diese Annahme bedürfen, so ist derselbe in der alkalischen Harngährung gegeben; das während derselben aus dem Harnstoff entstehende Ammoniak genügt bekanntlich stets, um die Flüssigkeit stark alkalisch zu machen. Die Umwandlung des carbaminsauren Ammons in Harnstoff ist hier- nach beim Fleischfresser viel vollständiger als beim Pflanzenfresser; worauf dieser Unterschied beruht, ist vorläufig noch völlig dunkel. Man könnte viel- leicht den Einwand erheben, dass doch bekanntlich die Art der Nahrung einen bedeutenden Einfluss auf die saure beziehentlich alkalische Beschaffenheit des Harns ausübt, aber derselbe kann sich nur deshalb geltend machen, weil der weitaus grösste Theil des bei der Zersetzung der Eiweisskörper u. s. w. entstehenden Ammoniaks eben in Harnstoff übergeführt wird. Geschähe dies nicht, so würde der Harn aller Thiere stets stark alkalisch, beziehentlich ammoniakalisch sein, denn aus keiner Art von Nahrung kann soviel Schwefel- säure und Phosphorsäure gebildet werden, als zur Neutralisation des gleich- zeitig gebildeten Ammoniaks erforderlich ist. 2. Ueber das Vorkommen von Cystin und Xanthin in der Pferdeleber. Von E. Dreehsel. Bei der Darstellung von Jecorin aus Pferdeleber bin ich seinerzeit so verfahren, dass ich den alkoholischen Auszug des Leberbreis hei gelinder Temperatur eindampfte, den hierbei bleibenden halbflüssigen schmierigen Rückstand einige Male mit absolutem Alkohol ausschüttelte, bis er sich in diesem nicht mehr zertheilen liess, und hierauf mit Aether übergoss, 16* D44 E. DRECHSEL: welcher das Jecorin sammt dem noch vorhandenen Lecithin löste. Diese aetherische Lösung war nun niemals klar, sondern stets trübe und liess beim ruhigen Stehen einen weissen pulverigen Niederschlag in geringer Menge sich absetzen. Diesen Niederschlag habe ich dann mehrmals durch De- cantiren mit Aether gewaschen, was stets sehr lange dauert, da er sich nur ganz allmählich wieder zu Boden setzt, und hierauf noch einige Male mit Wasser, bis alles Jecorin und Leeithin entfernt war. Dann wurde der Niederschlag wieder in Wasser vertheilt und durch Zusatz von Ammoniak gelöst; es bleibt hierbei die Flüssigkeit trübe und lässt im Sonnenlicht die Anwesenheit feiner Kryställchen erkennen, die sich weder durch Filtriren, roch durch Centrifugiren in befriedigender Weise abscheiden lassen. Da- gegen kann man sie durch oft wiederholtes Ausähern der Lösung, wenn auch nur sehr langsam, grossentheils in Lösung bringen, und diese Lösung hinterlässt beim freiwilligen Verdunsten eine gelblich weisse Krystallmasse. In Chloroform löst sich dieselbe etwas leichter, und als diese Lösung auf einem Uhrglase dem ganz allmählichen freiwilligen Verdunsten ausgesetzt wurde, hinterblieben sehr schön ausgebildete, stark glänzende hell gelbe spitze Octaöder, welche sich bei näherer Untersuchung als aus Schwefel bestehend erwiesen. Die Krystalle hatten ganz die Form des octaödrischen Schwefels, und verflüchtigten sich im Röhrchen erhitzt unter Hinterlassung einer Spur eines schwarzen hückstandes in braunen Dämpfen, die sich an den kälteren Stellen des Röhrchens zu hellgelben Tröpfehen verdichteten. Diese blieben auch bei gewöhnlicher Temperatur lange Zeit flüssig, er- starrten aber sofort bei Berührung mit einem starren Körper, und ver- hielten sich sonach ganz wie Schwefel. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass die ursprünglichen Krystalle unter dem Mikroskop als ausserordentlich dünne rechtwinklige Täfelchen erschienen, mit einfacher oder doppelter Abstumpfung zweier gegenüberliegender Ecken, wodurch sie einen etwas augitähnlichen Habitus erhielten. Die mit Aether ausgeschüttelte ammoniakalische Lösung wurde filtrirt und mit einer ammoniakalischen Lösung von Silbernitrat möglichst genau ausgefällt; der sehr voluminöse Niederschlag wurde abfiltrirt und mit schwach ammonikalischem Wasser ausgewaschen. Dann wurde derselbe in Wasser vertheilt und durch etwas überschüssiges Schwefelammonium zer- setzt; das Filtrat vom Schwefelsilber wurde mit Essigsäure erwärmt, ein- gedampft, der Niederschlag mit Wasser gewaschen, in wenig Ammoniak gelöst, filtrirt und eingedampft. Zur weiteren Reinigung wurde der Kück- stand in möglichst wenig concentrirtem Ammoniak gelöst, die Lösung mit absolutem Alkohol und etwas Aether gefällt, und der Niederschlag auf einem Filter mit Alkohol und Aether gewaschen. Derselbe ist eine Am- moniakverbindung, denn er löst sich ziemlich leicht in Wasser, — was BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWECHSELS. 245 nach dem Trocknen nicht mehr der Fall ist. Setzt man zu der wässerigen Lösung Essigsäure, so entsteht ein weisser körniger Niederschlag, der sich im Ueberschusse der Säure nicht merklich löst; derselbe wurde mit Wasser gewaschen und über Schwefelsäure getrocknet. Der so möglichst gereinigte Körper stellt ein rein weisses Pulver dar, welches im Allgemeinen die Eigenschaften des Xanthins zeigt; es weicht aber von diesem in der Hin- sicht ab, dass es, in ein Gemisch von Chlorkalk und verdünnter Natron- lauge eingetragen, keine dunkel grüne, sondern sofort eine heller oder dunkler braune Farbe annimmt, wobei Gasentwickelung sichtbar wird. Mit Salpetersäure auf Platinblech eingedampft, hinterlässt es einen farblosen Rückstand, der sich bei weiterem Erhitzen schön gelb färbt und sich nun in verdünnter Natronlauge mit tief orangerother Farbe löst; verdampft nun diese Lösung auf dem Wasserbade, so erhält man einen fast rosarothen kückstand. In Salzsäure, selbst concentrirter, ist die Substanz sehr schwer löslich; die klare heiss verdünnte Lösung trübt sich beim Erkalten fast gar nicht, lässt aber im Laufe von ein paar Tagen den Körper fast völlig ausfallen. Die Analysen, welche ich Hrn. Dr. Siegfried verdanke, führen zu keiner einfachen Formel: 1) 0.1447 8m Substanz gaben 0.0362 H,O = 0.004022 5% H = 2.78 Proc. H, und 0.2147 m CO, = 0.058558" C = 40-48 Proc. C. 2) 0.1000 8” Substanz gaben 34-4 CC.N bei 16° und 748m Hg = 0.035487 su N = 34.87 Proc. Für die Formel des Xanthins berechnen sich folgende Werthe: C,H,N,O, Ber. Gef. Ber. für C,,H,,N750,0 (,=60 39-47 40.48 40.00 28=(,, IS Aa weile 2 50-1, N 56 36.84 3280 35.00 252 N, Sen an m =, 152 100.00 100.00 720 Die Analysen des Silberniederschlages und seiner Verbindung mit Sal- petersäure führten ebensowenig zu Werthen, welche einer einfachen Formel entsprechen, weshalb ich dieselbe nicht mittheile. Die noch vorhandene Menge Substanz ist zu gering, als dass sie eine genauere Untersuchung gestattete; ich muss es daher unentschieden lassen, ob es sich hier um ein noch nicht ganz reines Xanthin, oder um einen Körper sıö generis, etwa von der Formel C,,H,,N,30,, handelt. Die von dem Silberniederschlage abfiltrirte ammoniakalische Lösung wurde mit etwas Schwefelammonium versetzt, filtrirt, verdünnt und gelinde auf dem Wasserbade erhitzt; als das freie Ammoniak nahezu völlig ver- schwunden war, schied sich das Cystin in den bekannten sechsseitigen 246 E. DRECHSEL: Täfelchen aus. Dasselbe wurde abfiltrirt, nochmals mit Wasser gewaschen und durch Umkrystallisiren aus Ammoniak gereinigt. Lässt man concen- trirte ammoniakalische Lösungen verdunsten, so erhält man häufig nicht die sechsseitigen Täfelchen, sondern undeutlich krystallinische Massen, die sich aber in der oben erwähnten Art und Weise leicht in die Täfelchen verwandeln lassen. Die Krystalle zeigten ganz das Verhalten des Cystins; sie waren in Wasser nicht, in Alkalien und in Mineralsäuren leicht, in Essigsäure nicht löslich. Mit alkalischer Bleilösung gekocht lieferten sie einen Niederschlag von Schwefelblei. Zur Controle wurde der Schwefelgehalt der Krystalle bestimmt. Bei der ersten Analyse wurde die Substanz mit kohlensaurem Natronkali und Kalisalpeter unter Zusatz von etwas Wasser im Silbertiegel eingedampft; dabei entwich aber etwas Schwefelwasserstoff, sodass noch etwas reines Aetz- natron zugesetzt werden musste; die gefundene Menge Schwefel ist daher etwas zu niedrig ausgefallen: 0.2425 stm Substanz gaben 0.4461 sm BaSO, = 0-06127 em S — 25-27 Procent 8 Bei einer zweiten Analyse, zu welcher jedoch nur 0-0915 8% ver- wendet werden konnten, wurde die Substanz mit rauchender Salpetersäure abgedampft, der Rückstand in Wasser gelöst und mit Chlorbaryum ge- fällt u.s. w. Erhalten wurden: 0.1448 8m BaSO, = 0-01989 8m S = 21.74 Procent 8. Demnach war nicht die Gesammtmenge ‘des Schwefels zu Schwefelsäure oxydirt worden; die Mutterlaugen des schwefelsauren Baryts wurden des- halb eingedampft, mit kohlensaurem Natronkali und etwas chlorsaurem Kali geschmolzen, die Schmelze mit Wasser ausgezogen, die filtrirte Lösung mit Salzsäure schwach angesäuert und die Schwefelsäure mit Chlorbaryum * ausgefällt u. s. w. Erhalten wurden noch: 0.0387 8m BaSO, = 0-00531 2m S = 5.80 Procent 9; im Ganzen wurden also gefunden 27.54 Procent $. Für Cystin berechnet sich der Schwefelgehalt zu 26-67 Procent; dass in der zweiten Bestimmung ein etwas zu hoher Werth erhalten wurde kann nicht befremden, da der aus dem Leuchtgas stammende Schwefel, dessen Zutritt nie ganz vermieden werden kann, sich bei der geringen Menge Substanz nothgedrungen im Resultate der Bestimmung bemerklich machen musste. Nicht ohne Interesse dürfte der Umstand sein, dass der durch die Salpetersäure zu Schwefel- säure oxydirte Schwefel fast ganz genau */, der Gesammtmenge ausmacht. Ich habe sodann noch die Bestiinmung der speeifischen Drehung dieses Cystins mittels eimes grossen Lippich’schen Halbschattenapparates von Schmidt und Haensch ausgeführt. BkitRÄGE ZUR KENNTNISS DES STOFFWECHSELS. 247 0.3427 sm ÖOystin wurden mit Salzsäure von 9.8 Procent zu 50 em gelöst; die Bestimmung wurde im 44w-Rohr ausgeführt. Die beobachtete Drehung betrug —5-88° bei 20-.3°, woraus sich [@]„ = —214-47° be- rechnet. Mauthner! fand [@], in salzsaurer (11-2 Procent) Lösung = — 205. 8°. Dieser und der von mir für die salzsaure Lösung gefundene Werth weichen nicht allzu sehr von einander ab, vermuthlich besitzt der Säuregrad einen besonders starken Einfluss auf das Drehungsvermögen des Cystins. Das beschriebene Vorkommen des Cystins in der Leber des Pferdes ist jedenfalls nicht ohne Interesse; bisher ist es — abgesehen von der Cystinurie — nur einmal von Scherer in der typhösen Leber eines Säufers, und von Cloetta in der Niere des Rindes gefunden worden. Ob mit diesem Vorkommen das des Schwefels direet zusammenhängt, lässt sich wenigstens vermuthen; beides spricht jedenfalls dafür, dass in der Leber des Pferdes der Stoffwechsel des Schwefels eine grosse Rolle spielt. 1 Zeitschrift für physiologische Chemie. VII. 225. % Der Abbau der Eiweissstoffe. Von E. Drechsel. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) 1. Einleitung. Die Hauptmasse der festen Theile des thierischen Organismus besteht, wie bekannt, aus Eiweisskörpern der verschiedensten Art. Im Blute finden wir Serum-Albumin, Para-Globulin, Fibrinogen und Haemoglobin; in den Muskeln Myosin und Muskelalbumin; im Bindegewebe und den Knochen Collagen; im elastischen Gewebe Elastin; in den epidermoidalen Gebilden, der Nerven- substanz und den Eihäuten Keratin; im Verdauungstractus und den Drüsen das Mall’sche Gewebe; in der Milch das Casein; im Ei das Eieralbumin und Vitellin, und ausser diesen giebt es gewiss noch andere Eiweissstoffe, weiche der Beobachtung bisher entgangen sind. Alle diese verschiedenen Substanzen werden aus demselben Rohmateriale erzeugt, nämlich aus den Verdauungsproducten des in den Darmtractus eingeführten pflanzlichen Eiweisses, denn der thierische Organismus besitzt nicht wie die Pflanzen die Fähigkeit das Eiweissmolecül aus den einfachsten anorganischen und organischen Verbindungen synthetisch aufzubauen. Eine Zeit lang war man der Ansicht, dass die pflanzlichen Eiweissstoffe mit denen des Thierkörpers identisch seien (Liebig hielt z. B. das Pflanzenfibrin für identisch mit Blut- fibrin), und hiernach würde sich die Thätigkeit des Thierkörpers darauf beschränken, aus den irgendwie während der Verdauung gebildeten löslichen Eiweissstoffen die ursprünglichen, z. Th. unlöslichen wieder herzustellen, ein Vorgang, den man etwa mit der Wiederausfällung von phosphorsaurem Kalk aus einer sauren Lösung durch Neutralisation derselben vergleichen könnte, oder mit der Umwandlung von Kreatin in Kreatinin und um- gekehrt. DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 249 Neuere Untersuchungen haben indessen diese Ansicht nicht gestützt, im Gegentheil führen dieselben zu der Annahme, dass pflanzliche und thierische Eiweissstoffe trotz ihrer bisweilen grossen Aehnlichkeit doch von einander grundverschieden sind; kein einziger Eiweissstoff ist bis jetzt be- kannt geworden, welcher sowohl als Bestandtheil eines pflanzlichen, als auch eines thierischen Organismus sich vorfände. Worauf dieser Unter- schied des thierischen und pflanzlichen Eiweisses (der sich z. B. auch darin sehr deutlich kund giebt, dass die einzelnen Arten des letzteren sich nicht ohne Weiteres den verschiedenen Kategorieen des ersteren unterordnen lassen) im Grunde genommen beruht, ist noch unbekannt, es ist aber nicht unmöglich, dass die pflanzlichen Eiweissstoffe eine besondere Atomgruppe enthalten, welche der Beobachtung bisher entgangen ist und welche bei der Verdauung abgespalten wird. Wie dem aber auch sein möge, so sieht man doch leicht, dass, wenn das Thiereiweiss vom Pflanzeneiweiss wirklich verschieden ist, die Bildung des ersteren aus dem letzteren nur durch eine wirkliche Synthese möglich ist, denn die Stücke, in welche letzteres bei der Verdauung zerfällt, müssen in anderer Ordnung wieder zusammengefügt werden, wenn das erstere daraus entstehen soll. Ein weiterer Beweis für die Synthese von Eiweissarten im Thierkörper ist in der Bildung des Haemo- globins und des Mucins gegeben. Für das Verständniss dieser Synthese, oder zunächst auch nur der Beziehungen zwischen den einzelnen Eiweissstoffen ist die Kenntniss ihrer Spaltungsproducte unerlässlich, und durch diese werden wir auch Aufschluss über das weitere Schicksal, welches dem Eiweiss im Stoffwechsel bevorsteht, erhalten. Werfen wir daher einen Blick auf die Resultate der bis jetzt in dieser Richtung ausgeführten Untersuchungen. Die Umwandlung von Eiweisskörpern in einander ist bisher nur in einer Richtung gelungen, in der der beginnenden Hydrolyse, welche auch im Darmcanale stattfindet und zu den sogenannten Peptonen führt; der umgekehrte Weg hat meines Wissens nur in einem Falle zum Ziele geführt, in der von Hofmeister! bewirkten Rückverwandlung von Glutin in Collagen. Die Peptone, welche nach Kühne selbst schon Spaltungsproducte sind, werden nach demselben Forscher durch Pepsin nicht weiter verändert, und das Trypsin ist auch nur im Stande, das Hemipepton weiter zu spalten. Auch diese letztere Spaltung ist rein hydrolytischer Natur und kann, ebenso wie die Peptoni- sirung, ausser durch die genannten Enzyme, auch durch die Einwirkung von starken Säuren und Basen bewirkt werden. Hlasiwetz und Haber- mann? haben zuerst die Einwirkung von Salzsäure bei Gegenwart von " Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. II. S. 299. ? Ann. Chem. Pharm. Bd. CLXIX. 8. 150. 250 | BE. DrECHSsEL: Zinnchlorür auf Casein untersucht und dabei folgende Substanzen erhalten: Leucin, Tyrosin, Glutaminsäure, Asparaginsäure und Ammoniak, und Hor- baczewski! zeigte später, dass auch aus anderen Eiweissstoffen mittels derselben Methode die nämlichen Zersetzungsproducte, und manchmal auch noch Schwefelwasserstoff erhalten werden. Schützenberger,” welcher einige Jahre später die Einwirkung von Barythydrat auf Eiweisskörper der verschiedensten Art bei höherer Temperatur (100 bis 250° C.) untersuchte, fand dieselben Zersetzungsproducte, aber ausserdem noch einige andere, theils auch Amidosäuren (Leuceine und Glucoproteine), theils Kohlensäure, Oxalsäure und Essigsäure; das Auftreten der Kohlensäure liess ihn ver- muthen, dass die Eiweisskörper complexe Ureide wären. Ein weiteres, aromatisches Spaltungsproduct, welches unter dem Einflusse der Salzsäure entsteht, wurde später von E. Schulze? aufgefunden, die Phenyl-«-amido- propionsäure. * Bei Betrachtung dieser Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob mit den aufgezählten Sub- stanzen wirklich die Reihe der einfachen Spaltungsproduete erschöpft sei oder nicht, ein Zweifel der ganz besonders durch Vergleichung der Resultate von Hlasiwetz und Habermann einerseits und derjenigen von Schützen- berger andererseits erweckt wird, und das um so mehr, als die Summe aller von ersteren erhaltenen Producte bei weitem hinter dem Gewichte des angewandten Eiweisses zurückbleibt. Dieser Zweifei hat mich bewogen, die Versuche von Hlasiwetz und Habermann wieder aufzunehmen, und es ist mir in der That gelungen, neue Spaltungsproduete der Eiweisskörper aufzufinden, die weiter unten beschrieben werden sollen; ob dieselben die Reihe endgültig schliessen, ist so lange mindestens zweifelhaft, als wir nicht wissen, wie und woraus gewisse Pilze die Skatolearbonsäure und Skatol- essigsäure bilden. Bevor wir aber nicht sämmtliche hydrolytische Spaltungs- producte des Eiweisses mit Sicherheit kennen und ebenso die relativen Mengen, in denen sie entstehen, schweben alle Betrachtungen über die Constitution des Eiweisses in der Luft, und ein Gleiehes eilt von Versuchen zur Synthese eiweissähnlicher Körper. Dass man synthetisch colloide Sub- \ Wiener akademische Sitzungsberichte. Bd. LXXX. 3. Abth. Juniheft 1879. ” Ann. Chim. Phys. (5.) Tom. XVI. p. 289. ® Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XVI. 8. 1713. * Neuerdings sind noch andere aromatische Zersetzungsproduete des Eiweisses aufgefunden worden, die Skatolessigsäure von Nencki und die Skatolcarbonsäure von E. und H. Salkowski; da dieselben bisher nur durch Pilzwirkung erhalten worden sind, kann man sie vor der Hand nicht mit den obigen Spaltungsproducten in Parallele stellen, da sie möglicher Weise von den Pilzen aus einfacheren Producten synthetisch erzeugt worden sind, DER ABBAU DER FEIWEISSSTOFFE, 251 stanzen erhalten hat, welche gewisse Eigenschaften wie Coagulirbarkeit durch Hitze u. s. w. mit den Eiweisskörpern gemein haben, ist zweifellos, aber dass diese Substanzen darum auch wirklich den Eiweisskörpern ähnlich con- stituirt waren, das ist zum mindesten zweifelhaft. Darum ist es aber von höchster Wichtigkeit, dass diese Untersuchungen immer weiter fortgeführt werden, denn es sind noch viele dunkle Punkte zu erhellen und viele Lücken auszufüllen. So deuten z. B. manche Beobachtungen darauf hin, dass zwischen den Peptonen und den Endproducten der Hydrolyse noch weitere Zwischenproducte existiren, die vorläufig noch ganz unbekannt sind, deren Kenntniss jedoch sehr wünschenswerth erscheint, nicht nur vom rein chemischen, sondern vielleicht noch mehr vom biochemischen, vom physio- logischen Standpunkte aus. Denn diese Untersuchungen liefern das Material zur Geschichte des Riweisses im Organismus, welche sich schon jetzt an der Hand der erwähnten 'Thatsachen wenigstens in grossen Umrissen dar- stellen lässt. In der That können wir uns, zugleich im Hinblick auf die in den folgenden Arbeiten mitgetheilten Thatsachen, die Umwandlung bezw. Verarbeitung des in der Nahrung enthaltenen genuinen Eiweisses zu Kohlensäure, Wasser und Harnstoff im Organismus folgendermaassen vor- stellen (s. das Schema auf $. 252).. Die Bildung der Endproducte des Riweissstoffwechsels ist demnach das Resultat sehr verschiedener Processe. Zuerst werden die Eiweisskörper, gerade so wie die complexen Kohlehydrate und die Fette, hydrolytisch ge- spalten und die letzten Producte dieser Spaltung verfallen sodann der Oxy- dation unter Bildung von Kohlensäure, Wasser und Ammoniak. Diese Oxydation zu den Endproducten erfolgt natürlich nicht auf einmal, sondern allmählich, Schritt für Schritt, indem ein Kohlenstoffatom nach dem anderen weggenommen und zu Kohlensäure verbrannt wird, der Wasserstoff aber zu Wasser. Dass derartige schrittweise sich vollziehende völlige Ver- brennungen wirklich ausgeführt werden können, lehren am deutlichsten C,H,,0, 2 meine Untersuchungen über die Elektrolyse der normalen Capronsäure mit Wechselströmen!: Aus dieser Säure entstanden durch Oxydation Oxyfett- A C;H,50; 3 ; A C,H,003 C;H30, säuren (Oxycapronsäure), zweibasische Säuren (Adipinsäure, Glutar- C,H,0, C,H,0, säure, Bernsteinsäure, Oxalsäure und wahrscheinlich auch Kohlensäure, deren Bildung jedoch wegen der vorhandenen doppeltkohlensauren Magnesia nicht nachgewiesen werden konnte), und durch Reduetion der Oxysäuren auch C;H,00, C,H;0, niedere Fettsäuren (Valeriansäure, Buttersäure). Folgende Gleichungen (8 253) veranschaulichen diese Oxydation: ! Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. XXXIV. 8. 135. E. DBECHSEL 252 en 1. Hydrolytische Spaltung dureh Pepsin und Trypsin: UI, ET m Genuine und eoagulirte Eiweisskörper: Albumine, Globuline, Collagen, Casein u. Ss. W. | _Anti- und Hemialbumosen. | | Antipepton! und Hemipepton Fettkörper. ‚Basen. Aromatische Substanzen. Anorganische Producte. a) Leucin (Leuceine, ‚Glukoproteine). | b) Lysin und ' Lysatinin. | Tyrosin. Phenylalanin. (Skatol- d) Ammoniak. : Asparagin- und Glutaminsäure. körper). i “ \.e) H38. 9, Hydrolytische Spaltung in den Geweben (ohne Pepsin und Trypsin.) b) Das Lysatinin giebt durch weitere Hydrolyse direct Harnstoff (s. u. S. 261.) | . 8. Oxydationsprocesse: | a) Diese Amidosäuren werden zunächst zu Co, b) Oxydations- c) Die Seitenketten der | d) wird nicht e) wird NH, und der nächst niederen homologen Säure ver- producte unbekannt; aromatischen Körper werden | oxydirt. | grösstentheils brannt; Leuein’ giebt z. B. CO,, NH, und Valerian- die Verbrennung er- | nach Art der Amidosäuren zu zu SO,H, ver- säure. Aus dieser entsteht sodann eine Oxysäure, folgt (nach Abspal- CO, und H,O verbrannt, der brannt. dann eine zweibasische Säure, welehe hierauf in CO, | tung des Harnstoffs aromatische Kern wird z. Th. und die nächst niedere Oxysäure zerfällt (s. die Glei- | aus dem Lysatinin) | durch Hydrirung und Oxy- chungen weiter unten), bis die vollständige Ueber- jedenfalls wie beim | dation wie Leuein verbrannt, führung in CO, und H,O beendet ist. Leuein. z. Th. synthetisch weiter ver- arbeitet. 4. Syntliesen durch Oxydation und Reduction. o) Kohlensäure und Ammoniak vereinigen sich zu earbamin- | 5) Phenol (und Homologe) und Schwefelsäure werden eben- saurem Ammon, welches durch Entziehung von 1 At. O (Reduction) | falls unter Entziehung von 2At. H (Oxydation) und 1 At. O (Re und 2 At. H (Oxydation) direct in Harnstoff und Wasser über- duetion) zu sog. gepaarten oder Aethtrschwefelsäuren mit einander geführt wird. vereinigt. 2 Antipepton wird zwar nach Kühne nicht weiter durch Trypsin gespalten, in derselben Weise wie Hemipepton. DER ABBAU DER FIWEISSSTOFFE. 253 I. CH,.(CH,),.C0.0OH-++0=CH,(OH).(CH,),.CO.OH. Capronsäure g-Oxycapronsäure IL. CH,(0H).(CH,),.CO.0H--0,=C0.0H.(CH,),.00.0H 4H,0. . e-Oxycapronsäure Adipinsäure II. C0.0H.CH,.(CH,),.C0.0H +0=C0, + CH, (OH).(CH,),.CO.OH. Adipinsäure nr -Oxyvaleriansäure IV. CH,(0H).(CH,),.C0.0H-+0, = C0.0H.(CH,),.C0.0H+H,0. ö-Oxyvaleriansäure Glutarsäure v. CH,(0H).(CH,),.C0.0H+H, =CH,.(CH,),.C0.0H-FH,0 (Reduetion d-Oxyvaleriansäure Valeriansäure der Oxyfettsäure zu Fettsäure). Man sieht leicht ein, dass man, auf dieselbe Weise fortschreitend, schliesslich zur Kohlensäure gelangt, indem aus den Zwischengliedern ab- wechselnd .1 At. C als CO, und 2 At. H als H,O herausgenommen werden und kein Bedenken steht der Annahme entgegen, dass auch innerhalb des Thierkörpers die Verbrennung in dieser Weise erfolgt, um so weniger, als mehrere der oben erwähnten Zwischenproducte (Bernsteinsäure, Oxalsäure) auch in den Excreten des Organismus aufgefunden worden sind. Zuletzt sind noch zwei Synthesen nöthig, denen der Harnstoff (bis auf den aus dem Lysatinin stammenden Theil) und die gepaarten Schwefel- säuren ihre Entstehung verdanken. Kohlensäure und Ammoniak vereinigen sich beim Zusammentreffen auch in alkalischen Flüssigkeiten immer zu Carbaminsäure, welche ich im Blutserum! und in Gemeinschaft mit John J. Abel? neuerdings auch im Pferdeharn nachgewiesen habe; aus dem car- barminsauren Ammon aber entsteht leicht durch schnell aufeinander fol- sende Oxydation und Reduction Harnstoff. Ich? habe diese Harnstoff- synthese durch Elektrolyse einer Lösung von carbaminsaurem Ammon mit Wechselströmen ausgeführt und durch folgende Gleichungen veranschaulicht: I. NH,.C0.0.NH, +0=NH,.C0.0.NH, +H,0, II. NH,.CO.0O.NH, + H, = NH,.CO.NH, +H,0. Auf ganz dieselbe Weise ist mir? auch die Synthese der Phenolaether- schwefelsäure aus Phenol und Schwefelsäure in schwach alkalischer Lösung gelungen; der Process verläuft folgendermassen: T. C,H, .OH + H0.S0,.0H +0 =C,H,.0.0. SO, .OH +H,0, 112 .€,12020250,. OH-+H, — (al o '80,. OH+HLO. Daneben wird durch Anlagerung von Wasserstoff und darauf folgende Oxydation ein Theil des Phenols in Hydrophenoketon und unter Sprengung 1 Sitzungsberichte der Königl. Süchs. Gesellsch. d. Wissensch. Mathematisch- physische Classe. Sitzung vom 21. April 1875. 2 S. oben 8. 236. 3 Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. XXI. S. 476. 4 Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. XXIX. S. 234. 254 E. DRECHSEE: der Ringschliessung in Capronsäure! übergeführt, welche sodann weiter. völlig verbrannt wird: CH CH, CH, CH, DE FUN SE: HE CoH Lee ee HC %“w ’ sh 0] | | | OR | - E05 HC CH EC FIncHin (LO. O.LamN MC CH —Iz NZ SZ Se, 6 Ü H, Ö H H, | H, Hydrophenoketon X CH, CH, HC co EEG N OKOH vı 5 Sole, Sn | RG FROH, Re ra > Ü Hr H, Capronsäure Dass der Organismus auf diese Weise, durch Oxydation in Verbindung mit Reduction, diese Synthesen und ebenso Wasserabspaltung und andere Reaetionen bewirkt, diese Ansicht habe ich schon mehrfach geäussert, ohne jedoch immer Verständniss dafür zu finden; ich freue mich daher, dass jetzt E. Baumann? dieses Prineip ebenfalls benutzt, um die Bildung seiner Homogentisinsäure aus Tyrosin zu erklären, allerdings ohne dabei zu er- wähnen, «ass ich dasselbe zuerst aufgestellt und angewandt habe. 2. Zur Kenntniss der Spaltungsproduete des Caseins. Von E. Drechsel. Vor einigen Jahren schon habe ich in einer Monographie über Eiweiss- körper? darauf hingewiesen, dass die gewöhnliche Annahme, nach welcher starke Säuren und Basen in derselben Weise spaltend auf Eiweiss ein- wirken sollen, durch die bekannten Thatsachen nicht gestützt wird. Ich bemerkte damals: „Beide Processe haben zwar das gemeinsam, dass Ammo- niak und Amidosäuren entstehen, aber sie difleriren sehr wesentlich in dem Umstande, dass bei der Einwirkung des Baryts Kohlensäure, Oxalsäure und Essigsäure gebildet werden, bei der Einwirkung der Säuren aber nicht.“ Wie ich schon in der Einleitung erwähnt habe, hatten Hlasiwetz ' Drechsel, Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. XXXVII. 8.70. ” Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XV. S. 276. ® Ladenburg’s: Zundwörterbuch der Chemie. Bd.IU. 8. 548. DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 255 und Habermann mittels Salzsäure: Leuein, Tyrosin, Glutaminsäure, Asparaginsäure und Ammoniak aus Casein erhalten, und ausserdem noch eine geringe Menge einer dicklichen Mutterlauge, aus welcher keine an- deren krystallisirbaren Substanzen mehr abgeschieden werden konnten. Horbaczewski gewann später die nämlichen Zersetzungsproducte und manchmal noch Schwefelwasserstoff, als er andere Eiweissstoffe nach der- selben Methode behandelte. Schützenberger fand dann einige Jahre später, dass bei der Einwirkung von Barythydrat in höherer Temperatur auf Eiweisskörper der verschiedensten Art ebenfalls die genannten- Zer- setzungsproducte entstehen, ausserdem aber noch andere, theils auch Amido- säuren, theils Kohlensäure, Oxalsäure und Essigsäure. Dieser Unterschied in den Resultaten der Zersetzung gewinnt noch an Gewicht, wenn man bedenkt, dass die Summe der durch Salzsäure erhaltenen Producte bei weitem nicht 100 Procent des angewendeten Eiweisses erreicht, trotzdem dass die Zersetzung unter Aufnahme von Wasser erfolgt; Horbaczewski erhielt aus Horn 16 bis 18 Procent salzsaure Glutaminsäure, 3 bis 5 Procent Tyrosin, 15 Procent Leucin, sehr wenig Asparaginsäure, und selbst wenn wir annehmen, dass er nur die Hälfte der entstandenen Producte hätte abscheiden und krystallisirt erhalten können, so fehlten immer noch ca. 30 Procent am Gewichte des angewandten Eiweisses, welche durch” Ammo- niak nicht annähernd gedeckt werden können, da alle die genannten Sub- ‚stanzen schon Stickstoff enthalten und im Eiweiss selbst nur ca. 16 bis 17 Procent N vorhanden sind. Da nun ferner besonders angestellte Ver- suche mir mit Sicherheit ergaben, dass Kohlensäure bei der Einwirkung chlorfreier Salzsäure auf Eiweiss nicht entsteht, so liessen diese Ueber- legungen nur den Schluss zu, dass bei der Spaltung der Eiweisskörper durch concentrirte Salzsäure noch andere, bisher noch nicht aufzefundene Producte entstehen, welche sich in den Mutterlaugen der genannten Amido- körper finden und wenigstens zum Theil beim Erhitzen mit Barythydrat Kohlensäure liefern müssen. Um die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen durch das Experiment ‘ zu beweisen, habe ich die Versuche von Hlasiwetz und Habermann mit Casein wiederholt und mir nur insofern eine kleine Aenderung des Verfahrens erlaubt, als ich von Zeit zu Zeit ein kleines Stückchen com- ' pacten metallischen Zinns zu der kochenden Flüssigkeit zusetzte, welches - eine gelinde Wasserstoffentwickelung veranlasste und so das lästige Stossen - völlig verhinderte. Das angewandte Casein war sorgfältig nach der Methode — von Hammarsten aus Milch abgeschieden und durch mehrmaliges Wieder- auflösen in möglichst wenig Alkalı und Fällen mit Essigsäure gereinigt worden. Aus der nach 3tägigem Kochen erhaltenen hellbraunen Lösung “entfernte ich dann nach den Angaben von H. und H. die Amidosäuren, 256 E. DRECHSEL: und als ich nun die wieder verdünnte dieke saure Mutterlauge mit Phos- phorwolframsäure versetzte, erhielt ich einen ausserordentlich starken Nieder- schlag, welcher auf die Gegenwart einer oder mehrerer Basen hindeutete. Derselbe wurde mit 5 Procent Schwefelsäure haltendem Wasser auf dem Saugfilter chlorfrei gewaschen, «lann durch kochendes Barytwasser zersetzt, aus dem Filtrate der überschüssige Baryt durch Schwefelsäure möglichst genau ausgefällt, das Filtrat mit Salzsäure übersättigt und auf dem Wasser- bade eingedampft. Dabei hinterblieb zuletzt ein dieker Syrup, welcher han Stehen über Schwefelsäure allmählich krystallinisch erstarrte. Durch passende Behandlung mit Weingeist wurde aus diesem grossen- theils festgewordenen Syrup ein schön krystallisirendes Chlorhydrat dar- gestellt, welches in Wasser sehr leicht, in absolutem Alkohol fast gar nicht löslich war. Mit Platinchlerid bildete dasselbe ein in schönen Prismen krystallisirendes Chloroplatinat, welches aus der concentrirten wässerigen Lösung durch Alkohol und etwas Aether gefällt wurde Ein diesem ganz ähnliches Chloroplatinat wurde aus der Mutterlauge des oben beschriebenen Chlorhydrates durch Zusatz von Platinchlorid und Alkohol erhalten. In meiner ersten vorläufigen Mittheilung! über diese Salze ist die Vermuthung ausgesprochen worden, dass dieselben zwei verschiedenen Basen angehören möchten, für welche die Formeln C,H,,N,0, und C,H, ,N,0, aufgestellt wurden. Diese Vermuthung hat sich jedoch als hinfällig erwiesen, beide Salze sind vielmehr identisch, und die darin enthaltene Base hat die Formel C,H,,N,0,. Der anfängliche Irrthum ist dadurch veranlasst worden, dass das Chloroplatinat nicht, wie angenommen ward, Krystallwasser, sondern Krystallalkohol enthält, wofür die Beweise in der unten folgenden Abhand- lung von M. Siegfried beigebracht werden sollen; dieser Alkohol entweicht bei 100 bis 110° C,, aber nicht ohne eine geringe Zersetzung des Salzes zu bewirken, die sich durch eine Verfärbung desselben bemerklich macht. Die Analyse? des ersten Chloroplatinates ergab folgende Werthe: 1. 0-3165 sm verloren bei 102° C.: 0.0238 stm — 7-52 Procent; der Rückstand gab bei der Verbrennung: 0.1484" CO, = 0:040473 8m C, und 0.077782" H,0 = 0.008635 8% H. Berechnet man die Procente des C und H für die krystallisirte Substanz (wie früher geschehen), so ge- langt man zu der Formel C,H, ,N>0,0l,.PtCl, + 4H,0, für welche aber der gefundene Verlust bei 100° C. nicht stimmt; nimmt man aber die Formel: C,H, ,N,0,.H,PtCl, + C,H,O an, so berechnet sich der Alkohol- gehalt zu 7-66 Procent (gef. 7-52 Procent), und für das alkoholfreie Salz ' Sitzungsberichle der Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Mathematisch- physische Classe. Sitzung vom 23. April 1889. ° Diese sowie die folgenden Analysen verdanke ich Hın. Dr. Siegfried, dem ich dafür auch an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche. DER ABBAU DER FIWEISSSTOFFE. 257 der Gehalt an Kohlenstoff zu: 12-99 Procent (gef. 13-83 Procent), der an Wasserstoff zu: 2-89 Procent (gef. 2.95 Procent). Das geringe Plus an Kohlenstoff hat jedenfalls seine Ursache in dem Umstande, dass der Alkohol zersetzend auf das Platinchlorid eingewirkt und dadurch den Gehalt an Kohlenstoff erhöht hat. 2. 0.3398 8m verloren bei 110° C.: 0.028187 — 8.27 Procent; 0.3032 srm des trockenen Rückstandes gaben: 12:4 Cc.N 14° 753 mm Hg = 0.0144538m N — 4.77 Procent. Auch dieser Werth, obgleich aus einer schon etwas zersetzten Substanz gewonnen, spricht für die Formel: 0,H,,N;0, . H,PtCl,, welche: 5-05 Pro- cent N verlangt. Die Analyse des zweiten Chloroplatinates soll weiter unten mitgetheilt werden. | Um grössere Mengen dieser und einer anderen, in den Mutterlaugen enthaltenen Base zu erhalten, habe ich in der chemischen Fabrik von H. Trommsdorff in Erfurt 10 Kilo reines, nach Hammarsten darge- stelltes Casein mit Salzsäure und Zinnchlorür zersetzen lassen, da die Ver- arbeitung solcher Mengen (zur Fällung der Basen waren ca. 60 Kilo Phosphorwolframsäure erforderlich) im Laboratorium nicht möglich war.! Um jedoch etwa vorhandene flüchtige Basen nicht zu verlieren, war die nur einen kleinen Ueberschuss von Baryt enthaltende Lösung der Basen so lange gelinde destillirt worden, bis das Uebergehende nicht mehr alka- lisch reagirte; das Destillat wurde mit Salzsäure neutralisirt. Es sei gleich hier bemerkt, dass ausser Ammoniak nur eine so geringe Menge anderer flüchtiger Basen vorhanden war, dass deren Natur nicht näher ermittelt werden konnte. Der Destillationsrückstand war sodann mit Salzsäure neu- tralisirt, durch Schwefelsäure genau vom Baryt befreit und dann einge- dampft worden; ich erhielt denselben als dünnen Syrup. Nachdem derselbe noch etwas concentrirt worden, schied er beim Erkalten eine ziemliche Menge Chlorkalium aus; die abgesaugte dieke Mutterlauge gab mit 1 Vol. Alkohol versetzt einen ölisen Niederschlag, der sich über Nacht in einen pulverigen krystallinischen verwandelte. Dieser wurde nach dem Abgiessen der Mutterlauge mit absolutem Alkohol durchgeschüttelt, die Lösung ab- gegossen, der breiige Rückstand allmählich unter gutem Umschütteln mit 500 cm Wasser versetzt, abgesaugt, Filtrat mit 1500 m Alkohol versetzt; die alkoholischen Lösungen setzten beim Stehen im Eisschranke noch eine gewisse Menge grösserer Krystalle ab, welche genau so aussahen, wie die zuerst ausgeschiedenen, und deshalb mit diesen vereinigt wurden. Durch ! Eine seitdem ermittelte bequeme Methode zur Verarbeitung kleinerer Eiweiss- mengen wird in der unten folgenden Abhandlung von Dr. Siegfried beschrieben werden. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. AT 258 E. DRECHSEL: Umkrystallisiren aus heissem Wasser, worin sie sehr leicht löslich sind, wurden dieselben gereinigt; aus der Mutterlauge konnte noch eine beträcht- liche Menge des Salzes durch Alkoholzusatz als weisses krystallinisches Pulver gefällt werden. Das reine Salz krystallisirt aus der heiss gesättigten wässerigen Lösung in grossen durchsichtigen rhombenähnlichen Krystallen, welche auf gewissen Flächen sattelförmige Vertiefungen besitzen: dieselben enthalten kein Krystallwasser. Die Analysen derselben ergab folgende Werthe: 1. 0.21708® Substanz gaben: 0.299028 m CO, = 0-08155 2m C = 37.58 Procent, und: 0.145782” H,O = 0.016197 H = 7.46 Procent. 2. 0.2285 8m Substanz gaben: 0-17202m AgCl = 0.04255 3m Ol = 18.62 Procent. 3. 0.193982” Substanz gaben: 23.6" N bei 22°C. und 758-4mm Ho = 0-0323188 m N = 16.67 Procent. 4. 0.1994 sm Substanz einer anderen Krystallisation gaben: 0-15473m AsCl = 0-.03827 8m Cl = 19.19 Procent. Die Formel: 0,H.,N,0,.HCl verlangt: 39.47 Procent C; 8-22 Pro- cent H; 15-35 Procent N; 19.41 Procent Cl und 17.54 Procent O; die gefundenen Werthe nähern sich also nur den berechneten, das Salz war trotz seines guten Aussehens noch nicht ganz rein. Es wurde deshalb in concentrirter Salzsäure gelöst und durch Zusatz von Alkohol und Aether ein öliger, beim Schütteln bald krystallinisch werdender Niederschlag ge- fällt, der aus sehr wenig, etwas Salzsäure haltendem Wasser umkrystallisirt wurde. Dieses Salz bildete schöne lange farblose Prismen, welche über Schwefelsäure getrocknet und dann analysirt wurden. 1. 0.2239 8m oaben: 0.268128" CO, = 0-073128m GC = 32.66 Pro- cent, und: 0.1461 8% H,O = 0.016238” H = 7.25 Procent. 2. 0.2563 8m gaben: 28-4CU.N bei 16° und 752"m Hg = 0-032768:m N = 12.78 Procent. 3. 0:24708m gaben: 0-32008% Agll = 0.079 164m Cl = 32-05 “ Procent. Diese Werthe führen zu der Formel: C,H,,N,0,.2HCl, welehe ver- langt: Gefunden: CH, one para lan IE Ra 2 = I I 1. G=12 32.92 32.6 — -—_ H,=16 1.31.07: N,=28. , 12.00%, 0000 032... 14.0340 ee IH =70,77 Vagiggt. N Ampel non 218.7 100.00 DER ABBAU DER FIWEISSSTOFFE. 259 Die Base C,H,,N,0,, welche die Zusammensetzung einer Diamido- capronsäure besitzt, kann also zwei Chlorhydrate bilden, eins mit einem Molekül HCl, dessen wässerige Lösung auf neutrales Lackmuspapier kaum sauer, auf Congopapier gar nicht reagirt, und ein zweites mit zwei Mole- külen HC], dessen wässerige Lösung auf Lackmus und auf Congo stark sauer reagirt. Durch Zusatz von concentrirtem Platinchlorid und Alkohol zur concen- trirten wässerigen Lösung eines dieser beiden Salze erhält man meist einen öligen, bald krystallisirenden Niederschlag des Chloroplatinates, welches durch Auflösen in wenig Wasser und Fällen mit Alkohol leicht rein ge- wonnen werden kann. Es krystallisirt in prachtvollen gelbrothen Prismen. Das oben erwähnte „zweite Chloroplatinat“ ergab, über Schwefelsäure ge- trocknet, bei der Analyse: 1. 0.2473 8m gaben: 0.1473 sm CO, = 0.040173 2m 6 = 16-24 Pro- cent, 0.0811 5” H,O = 0.009011 &”® H = 3.64 Procent, und 0.07698:= Pt (Verlust). 2. 0.206058” gaben: 0.121938 00, = 0-03324545 8" 0 =16.14 Pro- cent, 0.0697 2m H,O = 0.007744 2m H = 3.76 Procent, und 0.0672 sm Pt (Spur verloren) = 32.62 Procent. 3. 0-36258m gaben: 16-4 CC.N bei 12-5° und 755”"" Ho = 0.019296 29% N = 5.32 Procent. 4. 0.2430 8% sehr vorsichtig bis zum Glühen erhitzt hinterliessen 0.0798 8m Pt = 32.84 Procent. 5. 0.2949 8m (aus dem oben beschriebenen Chlorid dargestellt) gaben 0.17402m CO, = 0-0474545 8m 0 = 16-09 Procent, 0.1010 == H,O = 0-0112222sm H = 3-81 Procent, und 0.095038 Pt = 32:21 Procent. Diese Werthe führen zu der Formel: C,H,,N,O,PtÜl,, welche verlangt: Gefunden: Ber.: rer ee I. 11. Ill. IV. Wr @. 2.936 15-99 16-24 16-14 — — 16.09 EL, — 22 3-66 3-64 9-76 — — 3-81 N,= 28 Aa ul (Head He 0,= 48 7:99 — — ‚Br — — Pt =194.3 32-35 (81-1) 32.692 — 32.84 32.21 CI, O1oro 35a ig, Aokeespldi ah Se 600-5 99.99 Mit der weiteren Untersuchung dieser Base (sowie anderer, welche sich in der Mutterlauge befinden) bin ich noch beschäftigt; einstweilen will ich ihre nur noch hervorheben, dass dieselbe ihrer Formel nach mit dem Orni- N 260 E. DRECHSEL: thin: C,H.,N,0, von Jaffe! homolos ist und mit demselben auch manche Aehnlichkeiten zeigt, wie z. B. das Vermögen, zwei Chlorhydrate zu bilden. Ein auffallender Unterschied liegt jedoch darin, dass es Jaffe nicht ge- lungen ist, ein Chloroplatinat des Ornithins zu erhalten. Dass das beschrie- bene Salz C,H, ,N,0,. HCl noch eine Verunreinigung enthielt, ergiebt sich aus einer Reaction, welche dasselbe zeigt, die man aber mit dem daraus dargestellten Salze C,H, ,N,0,.2HCl nieht erhält. Setzt man zur wässerigen Lösung des Salzes etwas Kupferlösung und Natronlauge, so bleibt das Kupferoxyd mit blauer Farbe gelöst; kocht man die nur eben alkalische Lösung, so bleibt dieselbe blau; setzt man etwas mehr Natron zu und kocht, so wird die Lösung allmählich grüngelb und mit noch mehr Natron schmutzig bräunlichroth. Kocht man gleich mit viel Natron, so wird die Lösung gleich violett, ähnlich wie bei der Biuretreaction; die Reaction unterscheidet sich aber von dieser dadurch, dass die Farbe der erkalteten Flüssigkeit auf Zusatz von Salzsäure nicht verschwindet, sondern nur heller wird. Mit Ferrideyankalium erhält man einen braunen Niederschlag, der auf die An- wesenheit von Kupferoxydul hindeutet. Bezüglich des weiteren Verhaltens dieser Basen sei hier nur noch eine Beobachtung mitgetheilt, welche ein besonderes Interesse beansprucht. Man kann nämlich das rohe Gemenge des Chlorhydrats mit concentrirter Salz- säure auf 150° erhitzen, ohne dass es anscheinend Zersetzung erlitte; im Rohr zeigt sich kein Druck nach dem Erkalten. Erhitzt man es aber mit concentrirtem Barytwasser auf 120 bis 130°, so erfolgt Zersetzung unter Abscheidung von Krystallen von kohlensaurem Baryt. Dieses Verhalten giebt also den gewünschten Schlüssel für das Verständniss der Schützen- berger’schen Versuche und ihres abweichenden Ergebnisses von denen der Versuche von Hlasiwetz und Habermann; diese Basen sind die oder eine Quelle der Kohlensäure, welche Schützenberger fand. Die vorstehend beschriebenen Versuche eröffnen ein neues Feld für die Chemie der Eiweisskörper, dessen Bebauung reichlichen Lohn für die auf- gewandte Arbeit erwarten lässt. Geben alle Eiweisskörper bei ihrer Zer- setzung mit concentrirter Salzsäure solche Basen? und stets dieselben oder verschiedene? Verhalten sich thierische und pflanzliche Eiweissarten gleich oder nicht? In welchen Beziehungen stehen diese Basen zu den Ptomainen ? Diese und ähnliche Fragen erheben sich in Menge; auf einige derselben ist die Antwort in den folgenden Abhandlungen enthalten. ! Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. X. S. 1925. DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 261 3. Ueber die Bildung von Harnstoff aus Eiweiss. Von E, Drechsel. In der Mutterlauge der in der vorhergehenden Abhandlung beschrie- benen Base C,H, ,N,O, findet sich noch eine andere, welche in Form eines Doppelsalzes isolirt werden konnte, einer Verbindung ihres Nitrates mit Silbernitrat. Dieses Salz (dessen Darstellung in der nächstfolgenden Ab- handlung beschrieben werden wird) krystallisirt in prachtvollen langen, weissen, etwas silberglänzenden Nadeln, welche sich am Lichte etwas röth- lich färben, in Wasser leicht löslich sind und aus dieser Lösung durch Alkohol und noch besser durch einen weiteren Zusatz von Aether gefällt werden. Die Analyse führte zu der Formel: C,H,,N,0,"HONO, + AgONO,, in welcher höchstwahrscheinlich ein Molekül Krystallwasser angenommen werden muss. Der empirischen Zusammensetzung nach konnte der Körper C,H,;N;0, oder C,H.,N,0 ein Kreatin oder ein Kreatinin sein, da er der Formel nach mit diesen Verbindungen homolog ist; eine Entscheidung über die Richtigkeit dieser Ansicht schien dadurch herbeigeführt werden zu können, dass man sein Verhalten gegen kochendes Barytwasser untersuchte. War nämlich die Ansicht richtig, so war zu erwarten, dass er beim Kochen mit Barytwasser Harnstoff liefern werde, denn Kreatin lässt solchen bei der gleichen Behandlung nach Liebig entstehen, und Kreatinin wird bekannt- lich durch Behandlung mit Alkalien wenigstens theilweise in Kreatin über- geführt, muss also auch Harnstoff liefern. Ich habe deshalb 108" des genannten Doppelsalzes in Wasser gelöst, durch einen kleinen Ueberschuss von Chlorbaryum zunächst vom Silber befreit, und das Filtrat vom Chlor- silber ca. 25° lang mit überschüssigem Barytwasser im ‚Sieden erhalten. Nach Abscheidung! des überschüssigen Baryts gelang es mir nun in der That, aus der Lösung ca. 1:'” salpetersauren Harnstoff zu isoliren; eine sanz beträchtliche Menge, wenn man bedenkt, dass erstens die Spaltung des Kreatins durch Baryt nicht glatt verläuft, und zweitens. der schon gebildete Harnstoff der Gefahr ausgesetzt ist, durch den Baryt sofort wieder zersetzt zu werden. Ich habe sodann den salpetersauren Harnstoff in reinen . Harnstoff übergeführt und dessen Natur durch seine Reactionen völlig sichergestellt. Er krystallisirte in den bekannten langen flachen, dem Kalisalpeter ähnlichen Prismen; seine wässerige Lösung gab mit Salpeter- säure, Oxalsäure, Palladiumchlorür, salpetersaurem Quecksilberoxyd die be- kannten für Harnstoff charakteristischen Niederschläge (der quecksilber- haltige löste sich sofort auf Zusatz von etwas Kochsalz), sie reagirte neutral 1 Siehe das Nähere Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XXI. 8. 3096. 262 E. DRECHSEL: und wurde durch Goldehlorid nicht gefällt. Der trockene Harnstoff schmolz beim Erhitzen und in höherer Temperatur wurde die Schmelze unter Gas- entwickelung und Bildung eines öligen Sublimates allmählich fest und das Sublimat erstarrte beim Erkalten krystallinisch, löste sich leicht in Wasser und gab mit Kupfervitriol und Natronlauge die bekannte Rothfärbung des Biurets. Der festgewordene weisse Rückstand löste sich in Wasser nur sehr wenig, etwas mehr in Ammoniak, und diese Lösung gab mit einer ammo- niakalischen Kupferlösung nach kurzer Zeit violettrothe prismatische Kry- ställchen; in verdünnter Natronlauge löste sich der Rückstand sehr leicht und schied auf Zusatz von concentrirter Natronlauge beim Erhitzen zum Kochen schöne farblose Nädelchen ab. Durch diese beiden Reactionen ist also die Gegenwart.von Cyanursäure sicher nachgewiesen. Endlich ergab eine mit allerdings nur 0.0969 Em Substanz von Hrn. Dr. Siegfried ausge- führte Stickstoffbestimmung nach Dumas einen Gehalt von 47.29 Procent N, während Harnstoff 46-67 Procent enthielt. Durch die beschriebenen Reactionen und das Resultat der Stickstoff- bestimmung ist mit völliger Sicherheit dargethan, dass bei der Spaltung der Base C,H,,N,O,, welche als Lysatin bezw. Lysatinin (C,H,,N,O) be- zeichnet werden mag, durch Kochen mit Baryt wirklich Harnstoff entsteht, und da diese Base auch aus anderen Eiweissstoffen erhalten werden kann (siehe die folgende Abhandlung), so ist damit zugleich ein Weg gefunden worden, um Harnstoff aus Eiweiss zu erhalten. Das ist aber ein Problem, welches schon mehrere Forscher vor mir angelegentlich beschäftigt hat; es ist daher nöthig, auf deren Resultate etwas näher einzugehen, um den Nachweis zu erbringen, dass zwischen diesen und den meinigen ein ganz wesentlicher Unterschied besteht. | Den ersten Versuch, Harnstoff aus Eiweiss zu erhalten, hat meines Wissens A. Bechamp! angestellt. Ausgehend von der Thatsache, dass der thierische Stoffwechsel im Wesentlichen auf Oxydationsvorgängen be- ruht, glaubte er den Harnstoff als ein Oxydationsproduct des Eiweisses ansehen zu dürfen, und unterwarf deshalb letzteres der Einwirkung von übermangansaurem Kali. Er erhielt in der That eine kleine Menge einer Substanz, welche er nach ihren Eigenschaften und Reactionen als Harnstoff betrachtete. Dieser Angabe wurde jedoch bald darauf von Staedeler° widersprochen, welcher nach dem Verfahren von Bechamp keinen Harn- stoff, sondern nur Benzoösäure gewinnen konnte. Bechamp?° hielt zwar in einer neuen Abhandlung seine Angaben über die Bildung von Harnstoff bei der Einwirkung von Permanganat auf Eiweiss aufrecht, indessen konnte ? Journal für praktische Chemie. Bd. LXXIl. 8. 251. ’ Compt. rend. Tom. LXX. p. 866. DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 263 O0. Loew! dieselben ebensowenig wie Städeler bestätigen. Darauf er- schienen eine Arbeit von E. Ritter,? welcher behauptete, zu denselben Resultaten wie A. Bechamp gekommen zu sein und Harnstoff aus Eiweiss durch Permanganat erhalten zu haben, und einige dem zustimmende Be- merkungen von Bechamp;? allen auch Tappeiner* gelangte bei Wieder- holung der B&echamp’schen Versuche nur zu völlig negativen Ergebnissen. Damit schien die Sache erledigt zu sein, als einige Jahre später eine Unter- suchung von F. Lossen? erschien, in welcher derselbe nachwies, dass bei der Oxydation des Eiweisses durch Permanganat in schwach alkalischer Lösung zwar kein Harnstoff, aber kleine Mengen von Guanidin entstehen, und da solche Jeicht mit Harnstoff verwechselt werden können, so ver- muthet Lossen, dass auch Bechamp und Ritter Guanidin unter den Händen gehabt haben dürften. Wenn man bedenkt, dass Kreatin eine methylguanidirte Essigsäure ist, und dass es bei Behandlung mit Queck- silberoxyd Methyluramin, d. i. Methylguanidin liefert, so kann man nicht daran zweifeln, dass das von Lossen gefundene Guanidin aus dem Lysatin stammt. Bevor aber dieses bekannt war, konnte man auch annehmen, dass das Guanidin aus einem, in dem benutzten käuflichen „Eieralbumin“, d.h. eingedampftem Hühnereiweisse, enthaltenen Xanthinkörper stamme, denn bekanntlich liefert Guanidin bei der Oxydation mit chlorsaurem Kali und Salzsäure ebenfalls Guanidin. Meinen Vorgängern war es also gelungen, unter den Oxydationspro- ducten des Eiweisses Guanidin aufzufinden, und im Hinblick auf die Bil- dung dieser Substanz aus Guanin, sowie auf die des Methylguanidins durch Oxydation des Kreatins mit Quecksilberoxyd stehe ich nicht an, dieses Guanidin wirklich als ein Oxydationsproduet, und zwar des Lysatinins, zu betrachten, eine Annahme, welche ich noch experimentell zu bestätigen hoffe. Ganz anders steht es dagegen mit der oben von mir nachgewiesenen Bildung von Harnstoff — dieser ist kein Oxydations-, sondern ein hydrolytisches Spaltungsproduct des Eiweisses. Wird dieses nach Hlasiwetz und Habermann durch Kochen mit Salzsäure und Zinnchlorür zersetzt, so verhindert letzteres jede Oxydation des Eiweisses, dagegen entsteht durch Hydrolyse Lysatinin, und dieses zerfällt beim Kochen mit Barytwasser wiederum ohne Oxydation in Harnstoff und andere krystallisirbare Producte, deren nähere Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. 1 Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. Il. S. 289. 2 Compt. rend. Tom. LXXIIL p. 1219. ® Ibid. S. 1323. * Journal für praktische Chemie. (2.) Bd. IV. S. 408, 5 Ann. Chem. Pharm. Bd. CCI. 8. 369. 264 E. DRECHSEL: Die Bedeutung meiner Versuche für das Verständniss des thierischen Stoffwechsels liest auf der Hand. Dieselben zeigen unwiderleglich, dass Harnstoff ohne jede Oxydation, einfach durch Hydrolyse aus Eiweiss ent- steht, und hieraus können wir schliessen, dass auch im lebenden Thhierkörper Harnstoff auf diese Weise gebildet wird, um so mehr, als bisher das Ly- satinin noch nirgends in thierischen Flüssigkeiten, namentlich nicht im Harn, gefunden worden ist. Natürlich will ich damit nicht behaupten, dass der gesammte Harnstoff des Harns auf diese Weise gebildet werde, im Gegentheil, es ist dies nur ein Weg, neben dem noch andere zum gleichen Ziele führen. Der Stickstoff der Amidosäuren, vor allem der des Leucins, wird jedenfalls durch die Zwischenstufe der Carbaminsäure, wie oben näher erläutert worden, in. Harnstoff übergeführt. Nunmehr erhebt sich aber die neue Frage nach dem Verhältnisse, in welchem die auf beiden Wegen gebildeten Harnstoffmengen zu einander stehen, und diese Frage können wir unter gewissen Voraussetzungen leicht lösen. Schützenberger hat bekanntlich nachgewiesen, dass bei der Spaltung der Eiweisskörper durch Barythydrat Kohlensäure gebildet wird, welche nach den Ergebnissen meiner Versuche aus dem Lysatinin stammen muss, indem der zuerst gebildete Harnstoff sofort weiter zersetzt worden ist. Wir können deshalb unbedenklich die von Schützenberger bestimmte Menge Kohlensäure, welche beim Erhitzen des Eiweisses mit Barythydrat auftritt, als Maass für das zuerst abgespaltene Lysatinin und den aus diesem hervorgehenden Harnstoff betrachten, und auf dieser Grundlage die Rechnung ausführen. Schützenberger erhielt nun im Maximum aus 100 Theilen Eiweiss 12.5 Theile BaCO,, entsprechend 2.79 Theilen Kohlensäure. Da nun ein Molekül Lysatinn: C,H,,N,0, ein Molekül Harnstoff bezw. Kohlensäure liefert, so würden diese 2-79 Theile CO, 8:95 Theilen Lysatinin bezw. 3.8 Theilen Harnstoff entsprechen; d. h. also: 100 Theile Eiweiss würden bei ihrer Spaltung im Organismus, ohne irgendwelche Oxydation zu erleiden, 3-8 Theile Harnstoff liefern können, wenn nur das Lysatinin völlig in dieser Richtung zersetzt wird. Da ferner 100 Theile Eiweiss mit rund 16 Theilen Stickstoff im Ganzen 34-3 Theile Harn- stoff liefern können, so ergiebt unsere Rechnung, dass !/, der gesammten zur Ausscheidung gelangenden Harnstoffmenge durch einfache Spaltung aus dem Eiweiss hervorgehen kann. Es wird von Interesse sein, die thermischen Verhältnisse dieser Reactionen zu untersuchen, um festzustellen, ob bei denselben Energie frei wird oder nicht. Die mitgetheilten Versuche sind aber auch noch in anderer Hinsicht von Bedeutung für unsere Einsicht in das Getriebe des Stoffwechsels. Sie zeigen zum ersten Male, dass ein Kreatinin aus Eiweiss durch Spaltung hervorgehen kann, und wenn das Lysatinin mit dem eigentlichen Kreatinin DER ABBAU DER EIWwEISSSTOFFE. 265 auch nicht identisch ist, so erweckt seine Entstehung doch die Hoffnung, dass es unter geeigneten Bedingungen noch gelingen werde, auch dieses aus Eiweiss zu erhalten. Und selbst der Gedanke, dass die von mir aus dem Eiweiss dargestellten Basen in gewissem Sinne die Muttersubstanzen aller Alkaloide seien, dass mit ihrer Hilfe die Synthese solcher in vielen Fällen gelingen werde, erscheint nicht zu kühn, wenn man bedenkt, dass, wo Alkaloide im Pflanzenkörper entstehen, auch Eiweiss zu Grunde geht. 4. Ueber neue Spaltungsproducete des Leimes. Von Ernst Fischer.! Die bisherigen Untersuchungen verschiedener Autoren über die Zer- setzung des Leims durch Säuren und Alkalien hatten Leuein, Alanin, Gly- kokoll, Glutaminsäure, Asparaginsäure, Ammoniak, sowie Kohlensäure, Oxalsäure, Butalanin und Leuceine (diese letzteren vier Körper hatten Schützenberger und Bourgeois mit Baryt erhalten) als Producte der- selben kennen gelehrt, also bis auf das Tyrosin und Glykokoll dieselben, welche auch aus anderen Eiweisskörpern unter denselben Umständen ge- wonnen worden waren. Als indessen E. Drechsel nachgewiesen hatte, dass bei der Spaltung des Caseins durch concentrirte Salzsäure auch basische Producte auftreten, lag die Frage nahe, ob dies auch beim Leim der Fall sei. Auf den Vorschlag des Hrn. Prof. Drechsel habe ich eine Reihe von Versuchen zur Lösung dieser Frage angestellt, deren Resultate im Fol- genden mitgetheilt werden sollen. Als Material für diese Versuche diente die beste französische Gelatine des’ Handels, in welcher durch Kochen mit alkalischer Bleilösung kein Schwefel nachgewiesen werden konnte; dieselbe enthielt 2.22 Procent Asche, welche hauptsächlich aus Gyps bestand. Die Zersetzung wurde nach der Methode von Hlasiwetz und Habermann ausgeführt durch 72 Stunden lang ununterbrochen fortgesetztes Kochen von je 500 s”” Gelatine mit einem Liter concentrirter Salzsäure (1-13 spec. Gewicht) und einem Liter Wasser unter Zusatz von 60®”% Zinnchlorür am Rückflusskühler; der Luftzutritt war durch ein Gefäss mit etwas Quecksilber verhindert. Nach vollendeter Zersetzung wurde die klare gelbrothe Lösung mit Wasser verdünnt, durch Schwefelwasserstoff vom Zinn befreit, filtrirt, auf das ursprüngliche Volum eingedampft und noch warm mit einer heissen concentrirten Lösung von krystallisirter Phosphorwolframsäure (3 Ysm) gefällt. Der entstandene Nieder- ! Auszug aus des Verfassers Inaugural-Dissertation. Leipzig 1890. 266 E. DRECHSEL: schlag wurde nach dem Erkalten und Absitzenlassen abgesaugt, mit Wasser, welches je 5 Procent Schwefelsäure und Phosphorwolframsäure enthielt, chlorfrei gewaschen, in viel kochendes Wasser eingetragen und durch con- centrirtes heisses Barytwasser zersetzt; von diesem wurde nur ein geringer Ueberschuss zugesetzt und so lange erwärmt, bis der schwache Geruch nach Ammoniak verschwunden war. Dann wurde filtrirt, aus denı Filtrat der Baryt genau mit Schwefelsäure ausgefällt, wieder filtrirt, das Filtrat mit Salzsäure angesäuert und zum Syrup verdampft. Aus diesem Syrup wurde, nach dem Lösen in 50 procent. Alkohol, durch Zusatz von alkoholischem Platinchlorid zunächst etwas Kaliumplatinchlorid gefällt und darauf, besonders nach Zusatz von mehr Alkohol und Aether, ein Chloroplatinat erhalten, welches nach mehrmaligem Umkrystallisiren in schönen gelben Nadeln anschoss. Dasselbe wurde zur Analyse nur über Schwefelsäure getrocknet, da es sich schon wenige Grade über 100° unter Braunfärbwng zu zersetzen begann. Die Analyse desselben ergab folgende Werthe: | 1. 0.3123 sm Substanz lieferten: 0.1780 8m CO, = 0048545 2m 0 = 15.54 Procent, und 0.1007 sm H,O = 0-.0111889s"® H = 3.58 Procent. 2. 0.2732 sm Substanz lieferten: 0.0885 8m Pt = 32.39 Procent. 3. 0.3772 8m Substanz lieferten: 16-8 CC.N bei 22° und 744um Ho — 0.018628 N = 4.93 Procent. 4. 0.3345 Em Substanz lieferten: 0-4695 3m AgCl = 0- 11615 2m Cl = 34-75 Procent. 5. 0.3501 2m Substanz von einer anderen Darstellung lieferten: 0.2024 sm 00, = 0.0552 2m C = 15-77 Procent; 0-1148:m H,O = 0.012755 8m H = 3.64 Procent, und 0.11428m Pt = 32.62 Procent. b. 0.3735 8m Substanz (wie 5.) lieferten: 15-5 CC.N bei 15° und 744.9 m Hg = 0-01775em N = 4.75 Procent. Diese (und noch andere im Original mitgetheilte) Werthe führen zu dene Rormele2 &, EN. 0, Et: BR Gefunden: T. Ne II. IV. W- WAR = 96 15-99 15.54 -— — — 15.77 — H,= 22 De ee el ee N,= 28 A GOp a Las Ba TE 0er Tg A a == Se = Pir= 194.3, 99.35 0 0 aoag _,. BO, go Bl 21272 88-834 = — _ 34-75 — — 600.5 99-99 DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 267 Dieses Chloroplatinat besitzt mithin dieselbe Zusammensetzung wie das von Drechsel aus dem Casein erhaltene. Um daraus das Chlorhydrat der Base darzustellen, wurde dasselbe in Wasser gelöst und das Platin daraus durch Wasserstoffeas in der Siedehitze ausgetällt, ein Process, wel- cher übrigens ziemlich lange Zeit in Anspruch nimmt. Dann wurde filtrirt, das Filtrat im Wasserbade zum Syrup verdampft, und dieser, nach Zusatz von etwas Wasser, mit absolutem Alkohol und Aether bis zur Trübung versetzt, worauf sich nach einiger Zeit feine nadelföürmige Krystalle aus- schieden. Aus diesem Chlorid wurde durch Kochen mit überschüssigem, frisch gefälltem Bleioxydhydrat die Base in Freiheit gesetzt; dieselbe bildete nach dem Eindampfen der entbleiten Lösung einen stark alkalischen Syrup, der nicht krystallisirt erhaiten werden konnte. In den Mutterlaugen des beschriebenen Chloroplatinates befand sich noch eine andere Base, das Lysatinin, welche ebenfalls als Spaltungsproduet des Caseins (s. oben) auftritt und folgendermaassen isolirt wurde. Die Mutterlaugen wurden zunächst mit Wasser ziemlich stark verdünnt und durch Destillation im Vacuum von Alkohol und Aether befreit; aus dem wässerigen Rückstande wurde das Platin durch Schwefelwasserstoff entfernt, das Filtrat bis zur Verjagung der überschüssigen Salzsäure auf dem Wasserbade verdampft, der rückständige Syrup mit Wasser verdünnt und nunmehr durch eine concentrirte Lösung von Silbernitrat, welche aus einer Burette zugesetzt wurde, genau vom Chlor befreit. Filtrat und Wasch- wässer vom Chlorsilber wurden dann auf dem Wasserbade zum Syrup ver- dampft und hierauf mit einer gleichen Menge derselben Silberlösung ver- mischt, als zur Fällung des Chlors erforderlich gewesen war. In dieser Mischung ‘entstand auf Zusatz von 5 bis 6 Volumen Alkohol und etwas Aether eine starke Trübung, die sich beim Stehen als dickes Oel auf dem Boden des Gefässes absetzte; die klare Mutterlauge wurde nun abgegossen und allmählich mit Aether in kleinen Mengen versetzt, bis eine Ausschei- dung von Krystallen an den Wänden des Gefässes bemerkbar wurde. Jetzt wurde ein grosser Ueberschuss von Aether zugefügt und die Mischung an einem kühlen Orte über Nacht stehen gelassen. Am anderen Morgen hatten sich dann schneeweisse feine Nadeln und Flocken ausgeschieden, welche abgesaugt und durch Umkrystallisiren aus wenig Wasser unter Zusatz von Alkohol und Aether völlige rein erhalten wurden. Die Analyse der über Schwefelsäure getrockneten Substanz ergab folgende Werthe: 1. 0.3437 sm Substanz lieferten: 0-2333 em CO, = 0.063627 8” 6 = 18.51 Procent; 0-1201°"® H,O = 0-0133442’® H = 3.88 Procent, und; 0.0944 em Ag — 27.46 Procent, 268 E. DRECHSsEL: 2. 0.2192 er” Substanz lieferten: 34-6 CC.N bei 22° und 752-6"m Hg —= 0.038804" N = 17-70 Procent. 3. 0.312582 Substanz! lieferten 0-21018= CO, = 0.0573em C = 18.34 Procent; 0-1031 8” H,O = 0.011455 2”7 C = 3-66 Procent, und 0-0856 8m Ag —= 27.39 Procent. \ Aus diesen Werthen berechnet sich die Formel C,H. ;N,0,.HNO, +AgNO,, welche verlangt: Gefunden: De: T II. me 072 18.8700 18er H,= 14 a ae 3-66 N, = 35200 210.86 — 17-70 — 02 Ben 2 = — Ag=108 21-59, 21.46: — 27.39 892 100.00 In diesem Doppelsalze ist wahrscheinlich ein Molekül Krystallwasser enthalten, so dass die Formel der Base C,H,,N,O ist, die alsdann isomer mit dem von Duvillier dargestellten &-Butyrkreatinin ist. Dieselbe im reinen Zustande darzustellen gelang nicht, da sie sich anscheinend sehr leicht zersetzt. — Sodann wurden einige Versuche über das Verhalten dieser Basen zu Barythydrat in höherer Temperatur angestellt, und dazu nicht die reinen Basen, sondern wegen Mangels an Zeit und Material das rohe Gemenge derselben benutzt. Dieselben wurden mit einem beträchtlichen Uebersshusse von heiss gesättigtem Barytwasser in einem hermetisch verschlossenen . eisernen Gefässe während 6 bis 7 Stunden auf 150 bis 160° erhitzt; nach dem Erkalten wurde die Masse mit kochendem Wasser aufgenommen und die Lösung von einem unlöslichen Niederschlage abfiltrirt. Dieser erwies sich bei näherer Untersuchung als kohlensaurer Baryt und enthielt keine Oxalsäure. Die abfiltrirte Lösung liess beim Destilliren Ammoniak ent- weichen, dem eine äusserst geringe Spur einer primären Aminbase (durch die Carbylaminreaction eben erkennbar) beigemengt war. Aus der rück- ständigen Lösung wurde der meiste Baryt durch Kohlensäure ausgefällt, der hierdurch nicht abscheidbare Theil durch verdünnte Schwefelsäure, worauf durch Phosphorwolframsäure ein starker Niederschlag entstand. Aus demselben konnte in der schon beschriebenen Art und Weise ein Chloroplatinat dargestellt werden, welches in gelben Prismen krystallisirte, in Wasser sehr leicht, in absolutem Alkohol sehr schwer und in Aether ' Diese Substanz stammte von einer anderen Darstellung. DER ABBAU DER EiıwEisssTorreE. 269 fast gar nicht löslich war. Die Analyse der über Schwefelsäure getrock- neten Substanz führte zu der Formel: 0,H,,N>0,.H,PtC].. 1. 0.4241 8” Substanz gaben: 0.1986 em CO, = 0.054164 8m O — 12.77 Procent; 0.1381 em H,O = 0-015342”= H = 3.62 Procent; und 0.1477 2m Pt = 34.82 Procent. 2. 0.1559 2” Substanz gaben: 6-9 CC.N bei 17° und 742.4 m Ho — 0.078194 8% N = 5-02 Procent. Gefunden: Ber.: a ze Ge 12.99 12.77 — REN SORTE EINE LER N,= 28 5.05 ex 5-02 Ve R A De ılanen Sl Base C,=212.2 38.30 LL Be 554-5 99-99 Aus der Mutterlauge des Phosphorwolframsäureniederschlages konnte noch eine krystallisirbare süss schmeckende Substanz gewonnen werden, welche ihrem Verhalten nach als der Reihe des Leucins zugehörig betrachtet werden kann. Der Umstand, dass die Base C,H,,N,0,, welche mit dem Namen Lysin bezeichnet werden mag, aus dem mit Barytwasser erhitzten Baryt- gemenge wieder gewonnen werden konnte, liess vermuthen, dass dieselbe auch direct beim Erhitzen des Leims mit Barythydrat entstehen würde, und sich demgemäss in dem von Schützenberger beschriebenen soge- nannten „residu fixe“ befinden werde. Daher wurden 50s'm Gelatine mit dem dreifachen Gewichte Barythydrat und etwas Wasser in dem eisernen Appa- rate 14 Stunden lang auf 200 bis-220° erhitzt; aus dem Reactionsproduete konnte in der That auf die beschriebene Art und Weise das Lysin abge- schieden werden. Da das Lysin auch aus allen anderen bis jetzt unter- suchten Eiweisskörpern durch Spaltung mit Salzsäure entsteht, so darf man schliessen, dass es sich auch in allen Versuchen von Schützenberger gebildet hat, und dass mithin auch bei der Spaltung der Eiweisskörper mit Barythydrat ausser den von Schützenberger gefundenen Produeten auch noch Basen, speciell Lysin, entstehen. 270 E. DRECHSEL: 5. Zur Kenntniss der Spaltungsproducete der Eiweisskörper. Von M. Siegfried.! Die in den vorstehenden Abhandlungen mitgetheilten Resultate sind sämmtlich an Eiweisskörpern thierischen Ursprungs gewonnen worden. Die Eiweisskörper pflanzlichen Ursprungs weichen, wie schon oben erwähnt wurde, in gar mancher Hinsicht von den thierischen ab, und es war des- halb von Wichtigkeit, festzustellen, ob sie bei der Zersetzung mit Salzsäure ebenfalls Basen liefern, und ob diese mit den oben beschriebenen identisch sind oder nicht. Als Versuchsmaterial diente ein sehr reines Conglutin, welches von Dr. G..Grübler in Leipzig aus Lupinen dargestellt worden war. 4008 des Praeparates wurden mit 1600 CC. 15 Procent Salzsäure und 1008” Zinnchlorür 72 Stunden lang ununterbrochen am Rückfluss- kühler unter Luftabschluss im Sieden erhalten, und nach dem Erkalten auf die oben beschriebene Art und Weise weiter verarbeitet; man erhielt so 1. einen Phosphorwolframsäureniederschlae, und 2. dessen Mutterlauge. In einem zweiten Versuch wurden 5008" Conglutin in derselben Art und Weise verarbeitet. Was zunächst die Mutterlauge des Phosphorwolframsäureniederschlages anlangt, so wurde dieselbe im Wesentlichen nach dem Verfahren von Hlasiwetz und Habermann behandelt, doch wurde das Chlor nicht durch Kupferoxydul und Silberoxyd, sondern durch Kochen mit sehr über- schüssigem, frisch gefälltem Bleioxydhydrat entfernt, was leicht und gut gelang; es mag hier gleich noch erwähnt werden, dass auch Salpetersäure auf diese Weise mit Leichtigkeit völlig entfernt werden kann. Aus der wieder entbleiten chlorfreien Lösung konnten folgende Körper abgeschieden werden: Leuein, Tyrosin, Phenyl-&-amidopropionsäure, Glutaminsäure?, Asparaginsäure, sowie eine krystallinische Substanz von der Formel: (C,H,NO,)n- Die Analyse derselben ergab: 1. 0.1323 sm Substanz gaben: 0.2272erm CO, = 0-061964 8m C — 46.84 Procent, und 0-0897 s® H,O = 0.009967 8m H = 7-53, Procent. 2. 0.1355 8m Substanz gaben: 0-2335 87 CO, = 0-063682 2m ( — 47.00 Procent, und 0-09308% H,O = 0.010333 8m H = 7.63 Procent. 3. 0.1407 sm Substanz gaben: 17.0 CC.N bei 15° und 750 m Hg = 0.019645 5m N = 13-96 Procent. ! Auszug aus Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XXIV. S. 418. ® Die Hauptmasse derselben war schon früher als Chlorhydrat abgeschieden worden. DER ABBAU DER KIWEISSSTOFFR. 971 Gefunden: L. IT SEN: (‚=48 47.06 46-84 47-00 — H,=:8 7:84 7-53 7-63 — Ber.: N 14.13.78 Bi = 2 13,96 0,—=32.. 31:37 ee = er 102 100.00 Die Substanz, welche einen deutlichen süssen Geschmack besitzt, ge- hört demnach zur Classe der von Schützenberger entdeckten Glykopro- teine, welche bisher unter den Producten der Säurespaltung der Eiweiss- körper noch nicht aufgefunden worden waren. Ausserdem wurde auch noch eine sehr geringe Menge einer schön krystallisirenden, in Aether löslichen Substanz von eigenthümlichem starkem Geruch gefunden, die aber wegen Mangels an Material nicht näher untersucht werden konnte. — Aus dem Phosphorwolframsäureniederschlage konnten Lysin und Ly- satinin in der angegebenen Art und Weise isolirt werden, und ausserdem noch eine geringe Menge einer amorphen Silberverbindung. Zur besseren Gewinnung derselben und Trennung der anderen beiden Basen benutzte Verfasser folgendes Verfahren. Der chlorfrei gewaschene Phosphorwolfram- säureniederschlag wurde in heissem Wasser fast völlig gelöst und mit mög- lichst wenig überschüssigem Baryt zersetzt; das Filtrat vom Barytnieder- schlage wurde mit Kohlensäure gesättigt, eine halbe Stunde lang gekocht, filtrirt und nach dem Erkalten mit Silbernitrat versetzt, bis keine Fällung mehr erfolgte. Der voluminöse Niederschlag wird nach dem Absitzen ab- gesaugt, und mit Wasser ausgewaschen. Das Filtrat wird zum dünnen Syrup eingedampft und dann allmählich mit kleinen Mengen absoluten Alkohols versetzt, wobei ein schmieriger, mitunter fest und undeutlich kry- stallinisch werdender Niederschlag entsteht, der das Lysin enthält; aus der Mutterlauge fällt auf weiteren Zusatz von Alkohol das Lysatinindoppelsalz aus. Bei sorgfältigem Arbeiten kann man Lysin und Lysatinin auf diese Weise fast quantitativ trennen. Der schmierige Niederschlag wird mit Schwefelwasserstoff zersetzt, das Filtrat eingedampft und mit Platinchlorid versetzt, worauf durch Alkohol und etwas Aether das oben mehrfach be- schriebene Lysinplatinchlorid in schönen Krystallen ausgeschieden wird. Verfasser hat nun je 202” Glutenfibrin, Hemiprotein, Oxyprotsulfon- säure und Eieralbumin mit Salzsäure zersetzt und die aus dem Phosphor- wolframsäureniederschlage abgetrennten Basen nach diesem Verfahren isolirt; er erhielt in allen Fällen 1. den amorphen Silberniederschlag, 2. Lysin- chloroplatinat und 3. Lysatininsilbernitrat. Das Verhältniss, in welchem diese drei Körper zu einander stehen, scheint nicht in allen Fällen dasselbe 272 E. DRECHSEL: zu sein; so wurde z. B. aus Glutenfibrin nur sehr wenig Lysin erhalten, und aus Eieralbumin entstehen ausser den angeführten auch noch andere Basen in beträchtlicher Menge. Um den erwähnten amorphen Silberniederschlag etwas näher unter- - suchen zu können, wurde derselbe aus 500 sm Eieralbumin dargestellt, mit Schwefelwasserstoff zersetzt und das (salpetersäurefreie) Filtrat mit Salzsäure eingedampft. Durch Fällen mit Alkohol und Aether ete. wurde schliesslich ein in kurzen Prismen krystallisirendes Chlorhydrat gewonnen, dessen Analyı folgende Werthe ergab: 1. 0.216838” Substanz gaben: 0-2556 = 00, = 0-069709 8m C = 32.15 Procent, und 0-1129e® H,O = 0.012544em H = 5.79 Procent. 2. 0-11908"® Substanz gaben: 21-6 CC.N bei 18-.5° und 758=m Hg = 0.024825 8% N = 20-86 Procent. 3. 0.2425 em Substanz gaben: 0-1735 sm Ag0l = 0-.042921em C] = 17.70 Procent. Aus diesen Werthen berechnet sich die Formel: ——ı 0,.2HC], welche verlangt: Be Gefunden: Je I. III. C,- 182 32.61 32.15 — — el, 2% 5.44 5.79 — — N,= 84 20-74 Et 20-86 — 0,= % 98.71 z u al, let 17.50 — — 17.70 404.7 100.00 Diese Verbindung ist wegen ihres grossen Stickstoffgehaltes von beson- derem Interesse und soll, sobald mehr Material beschafft ist, näher unter- sucht werden; vielleicht steht sie zu den Xanthinkörpern in näherer Be- ziehung. Schliesslich theilt Verfasser mach Versuche mit, welche die Beziehungen des Chloroplatinates C,H,,N,0,Cl, .PtCl, zum Lysin C,H,,N,0, klarstellen. Früher war angenommen nden dieses Salz enthalte Krystallwasser und leite sich von einer Base 0,H,,N,O, ab; Verfasser zeigt aber, dass dasselbe Krystallalkohol enthält, der beim Destilliren der wässerigen Lösung. des Salzes in’s Destillat übergeht und in diesem mit Leichtigkeit durch die Jodoformreaction nachgewiesen werden kann. Die Formel des Salzes ist demnach zu schreiben: C,H,,N,0,.H,PtCl, + C,H,.OH. Versetzt man ferner die ursprüngliche wässerige Lösung des Lysinplatinchlorids mit Methylalkohol, so erhält man eine Verbindung des Chloroplatinates mit Krystallmethylalkohol von der Formel: C,H,,N;0,.H,PtCl, + CH,OH, DER ABBAU DER FIWEISSSTOFFE. Dis welche ebenfalls schön krystallisirt. Wird das Lysin mit Barytwasser auf 150° erhitzt, so wird es nicht zersetzt, aber in ein optisch inactives Isomeres verwandelt, dessen Chloroplatinat wasser- und alkoholfrei krystallisirt: C,H,4N.0,.H,PtCl,. Einfaches Kochen mit Barytwasser bewirkt diese Umwandlung nicht. Dieses Verhalten ist analog der von E. Schulze nach- gewiesenen Verwandlung der optisch activen Amidosäuren in die optisch inactive Modification durch Erhitzen mit Barythydrat auf höhere Tem- peraturen. 6. Zur Kenntniss der Produete der tryptischen Verdauung des Fibrins. Von Dr. 8. G. Hedin. Durch eine Reihe ausgezeichneter Untersuchungen hat W. Kühne nachgewiesen, dass die beiden Verdauungsenzyme Pepsin und Trypsin mit sehr verschiedener Energie auf die Eiweisskörper einwirken. Während das erstere in seiner Wirkung ganz erlahmt, sobald die Eiweisskörper in Peptone übergeführt sind, vermag das Trypsin noch eine weitere Spaltung wenig- stens des Hemipeptons zu bewirken, als deren Produete Kühne nament- lich Leucin und Tyrosin! nachgewiesen hat. Zersetzt man Eiweiss durch Kochen mit starker Salzsäure, so entstehen auch Leucin und Tyrosin, da- neben aber noch andere Producte, unter denen E. Drechsel? auch zwei, Basen: C,H.,N,0, (Lysin) und C,H,,N,0 (Lysatinin) nachgewiesen hat; bei Ausdehnung dieser Versuche auf Leim, sowie Conglutin und andere Eiweissstoffe haben Ernst Fischer? und M. Siegfried* ge- funden, dass diese Basen auch aus anderen Eiweissstoffen als dem Casein entstehen. Diese Befunde liessen die Frage auftauchen, ob nicht auch bei der Spaltung des Hemipeptons durch Trypsin diese beiden Basen gebildet würden. Hr. Professor Drechsel hat die Freundlichkeit gehabt, mir diese Untersuchung zu übertragen und mich bei meinen Arbeiten mit seinem Rathe zu unterstützen. Die zu meinen Versuchen angewandte Trypsinlösung wurde aus käuf- lichem (Dr. G. Grübler), nach Kühne’s Vorschrift dargestelltem Pankreas- pulver durch Extrahiren mit der 6fachen Menge O.1 procentiger Salicyl- ! Verhandlungen des Nat.-Medic. Vereins zu Heidelberg. N.F. Bd.l. 8.3. 2 Sitzungsberichte der Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Mathematisch- physische Classe. Sitzung vom 23. April 1889. 3 Veber einige neue Spaltungsproducte des Leimes. Znaugural- Dissertation. Leipzig 1890, ; * Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XXIV. S, 418. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 18 274 E. DRECHSEL: säurelösung bereitet; nach 24 stündigem Stehen bei gewöhnlicher Temperatur wurde filtrirt und das Filtrat genau neutralisirt. Sodann wurden in einem grossen Kolben ca. 15008” mit der Hand ausgepresstes feuchtes Fibrin mit 3008" der obigen Trypsinlösung übergossen und 4 Liter 0-25 pro- ’ centige Sodalösung hinzugefügt, welche zur Verhütung der Fäulniss einen Zusatz von 48% Thymol in concentrirter alkoholischer Lösung erhalten hatten. Der Kolben wurde mit Watte gut verstopft und während einer Woche auf ca. 40° erhitzt; nach dieser Zeit gab die entstandene trübe Lösung beim Sättigen mit schwefelsaurem Ammon nur noch einen schwachen Niederschlag und roch nicht faulig. Nunmehr wurde zum Kochen erhitzt, filtrirt, das klare Filtrat möglichst genau mit verdünnter Salzsäure neutralisirt und nach dem Erkalten durch Zusatz einer concentrirten Lösung von Queck- silberchlorid das Antipepton ausgefällt. Von dem entstandenen Niederschlage wurde abfiltrirt, das Filtrat in der Wärme mit kohlensaurem Natron genau neutralisirt, von dem neuen geringen Niederschlage abfiltrirt und das Filtrat durch Schwefelwasserstoff vom Quecksilber befreit. Das Filtrat vom Schwefel- quecksilber gab nach dem Neutralisiren keinen Niederschlag mehr mit Sublimat; es wurde mit ca. 10 Procent Schwefelsäure versetzt, zum Kochen erhitzt und mit einer heissen concentrirten Lösung von Phosphorwolfram- säure ausgefällt; auf einen Theil feuchtes Fibrin braucht man etwa einen Theil krystallisirte Phosphorwolframsäure. Nach 12 stündigem Stehen wurde der krystallinische Niederschlag abgesaugt, und mit Wasser, welchem 5 Procent Schwefelsäure und 10 Procent Phosphorwolframsäure zugesetzt worden, chlorfrei gewaschen; dabei wurde stets das Auftreten eines schweren Oels beobachtet, welches mit der Waschflüssigkeit durch das Filter ging und sich auf dem Boden des Sammelgefässes absetzte. Nach beendetem . Auswaschen wurde der Niederschlag in heissem Wasser gelöst und durch concentrirtes Barytwasser unter Vermeidung eines erheblichen Ueberschusses zersetzt; dann wurde filtrirt, das Filtrat mit Kohlensäure gesättiet, gekocht und wieder filtrirt; dieses neue Filtrat reagirte stark alkalisch und hatte einen eigenthümlichen Geruch. ine derart dargestellte Lösung aus ca. 3000 &°® feuchtem Fibrin wurde mit Salzsäure neutralisirt und auf dem Wasserbade zum Syrup einge- dampft; derselbe krystallisirte auch nach wochenlangem Stehen nicht. Er gab eine starke Biuretreaction, zum Zeichen, dass er noch etwas Pepton enthielt; er wurde daher etwas verdünnt und dann mit einer Lösung von Baryumwismuthjodid ausgefällt. Aus der vom Wismuthniederschlage ab- filtrirten Lösung wurde das überschüssige Wismuth mit Schwefelwasserstofl, der Baryt genau mit Schwefelsäure ausgefällt, und das Jod mit Kupfer- oxydul entfernt; das Filtrat von diesen Niederschlägen gab mit Kupfer- vitriol und Natronlauge nur noch eine schwache violette Färbung, die aber DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. 3715 beim Kochen völlig verschwand und daher nicht von Pepton herrühren konnte. Nunmehr wurde die Lösung auf dem Wasserbade passend con- centrirt und mit absolutem Alkohol versetzt, wodurch ein schmieriger Niederschlag entstand; nachdem sich derselbe gut abgesetzt hatte, wurde die alkoholische Flüssigkeit abgegossen, der Niederschlag in wenig Wasser gelöst und die Lösung mit Platinchlorid und soviel Alkohol versetzt, dass sie ca. 50— 60 Procent von diesem enthielt. Der entstandene unbedeutende Niederschlag (wohl K,PtCl, oder Am,PtCl,) wurde abfiltrirt und das Fil- trat mit Alkohol und Aether ausgefällt. Hierbei schied sich ein schweres Oel aus, welches nach Entfernung der Mutterlauge mit absolutem Alkohol geschüttelt wurde; ein Theil davon löste sich in diesem auf, ein anderer aber verwandelte sich in feine Nadeln. Diese wurden abfiltrirt, mit ab- solutem Alkohol gewaschen, über Schwefelsäure getrocknet, in wenig Wasser gelöst und wieder mit Alkohol und Aether gefällt. Nach mehrmaliger Wiederholung dieses Verfahrens wurde schliesslich das Salz in schönen selben Nadeln erhalten, doch scheint auch das ganz reine Salz Neigung zu haben, sich unter Umständen als Oel auszuscheiden. Am besten gelingt das Umkrystallisiren, wenn man ein wenig Platinchlorid zufügt und Al- kohol anfangs nur bis zur bleibenden Trübung zusetzt. Das so erhaltene Platinsalz ist äusserst zerfliesslich; es krystallisirt in schönen gelben Nadeln und ist äusserlich nicht von dem von Drechsel, Fischer und Siegfried aus Casein und anderen Eiweissarten dargestellten Lysinplatinchlorid zu unterscheiden. Dass es mit diesem identisch ist, geht aus folgenden Analysen hervor: 1. 0-2034 em gaben: 0.1198 8m CO, = 0 -03267 5m C = 16-06 Proc. ; und 0-0623 s” H,0 = 0.006922 2% H = 3-40 Procent; und 0.0665 srm Pt —= 832.69 Procent. 2. 0-2402 s® gaben: 10-1CC.N bei 10° und 764 "= Hg = 0:0121604 8" N = 5.06 Procent. x Gefunden: C,H, ,N,0,.2HC1.PICl, + C,H,0: Ber.: BE 7 02— 96 15-99 16-06 — Een 22 3-66 3-40 — N, Me 4-66 — 5-06 0,= 48 7-99 — . Pt= 194-3 32-35 32.69 —- en 21002 35034 a = 600-5 99-99 Eine andere Lösung der durch Baryt aus dem Phosphorwolframsäure- niederschlag abgeschiedenen Basen (aus 3000E® Fibrin) wurde, ohne vor- 18* 276 E. DEECHSEL: hergehende Abscheidung des Peptons, nach der von Siegfried (s.0.8.271) angegebenen Methode behandelt. Die alkalische, vum kehlensauren Baryt abfiltrirte Lösung wurde mit salpetersaurem Silberoxyd zersetzt, wodurch ein flockiger Niederschlag entstand, zu dessen völliger Ausscheidung cirea ‚80== Silbernitrat erforderlich waren. Der Niederschlag wurde abälirirt, das Filtrat stark eingeenst und mit absolutem Alkohol versetzt; zuerst eni- stand ein öliger Niederschlag, von welehem die Flüssigkeit abgegossen wurde, als ein weiterer Zusatz von Alkohel die Ausscheidung eines kry- stallinischen Niederschlages (s. u.) hervorrief. Der ölige Niederschlag wurde in Wasser gelöst, mit Schwefelwasserstof enisilbert, das Filtrat vom Schwefel- silber stark concenirirt und dann in der oben beschriebenen Weise mit Platinchlorid behandelt. Das erhaltene Chloroplaünat war nach viermaligem Umkrystallisiren rein, es glich äusserlich völlig dem oben heschrıe ke und gab bei der Analyse folgende Werthe: 1. 0-2591 = gaben: 0-0836 = Pi = 32-27 Procent. 2. 0-2695 == gaben: 0: 1538°= 00, = 0-041945 = C = 15-56 Proe., und 0-0839 == H,0 = 0-009322 ©= H = 3-46 Procent. Diese Werthe stimmen, wie man sieht, gut mit den für Lrsinplatin- chlorid berechneten (15-99 Procent C; 3-66 Procent H; 32-35 Procent Pt) überein. Die übrige Menge des Salzes wurde in Wasser gelöst, durch Schwefel- wasserstof vom Platin befreit, das Filtrat von Schwefelplatin sehr stark concentrirt und dann mit Alkohol und Asther versetzt. Es schieden Sch feine zu Warzen gruppirte Nadeln aus, welche analysirt wurden: 0-27822= oaben: 0-3412 == CO, = 0-093054 = C = 33-45 Proc, und: 0-1854== H,O = 0-0206 == H = 7-40 Procent. Die Formel des Lysindiehlorhydrates: C,H,,N,0,.2HCl verlanst 32.92 Procent C und 7-31 Procent H. Die Base ist also mit der von Drechsel und Siegiried auf anderem Wege gewonnenen identisch; die Lösung ihres Chlorhydrates ist wie die jener rechtsdrehend. Die von dem öligen Silberniederschlage abältrirte weingeistige Lösung gab, wie schon bemerkt, auf weiteren Zusatz von Alkohol und Aether einen krystallinischen Niederschlag, weleher nach dreimaligem Umkrystallisiren in feinen leichten, weissen Nadeln erhalten wurde. Dem Aussehen, Verhalten und der Darstellungsweise nach scheint dieses Salz das Silberdoppelnitrat des Lysatinins: C,H,,N,0,.HNO, + AgNO, zu sein, indessen gaben die Analysen keine mit den von der Formel verlangten völlig übereinstimmen- den Werthe. Zur weiteren Reinigung des Salzes fehlte es mir vorläufig an Material, doch gedenke ich die Versuche baldmöglichst wieder aufzu- nehmen und diesen Punkt klarzustellen. DER ABBAU DER FEIWEISSSTOFFE. Du, Die Mutterlauge von diesem Silbersalze zeigte eine sehr starke blau- violette Fluorescenz. Um womöglich den fluoreseirenden Körper zu isoliren, wurden Alkohol und Aether im Vacuum bei möglichst niedriger Tempera- tur abdestillirt und aus der rückständigen wässerigen Flüssigkeit das Silber durch Schwefelwasserstoff entfernt; das Filtrat vom Schwefelsilber wurde dann alkalisch gemacht und mit Aether ausgeschüttelt, welcher die flu- orescirende Substanz aufnahm. Die aetherische Lösung wurde der frei- willigen Verdunstung überlassen, wobei ein braun gefärbter Rückstand blieb, der sich theilweise im Salzsäure löste; diese Lösung zeigte nach starker Verdünnung, und besonders auf Zusatz von verdünnter Schwefelsäure wieder die blauviolette Fluorescenz. Beim allmählichen Verdunsten über Schwefel- säure schieden sich aus ihr zunächst braune Krystallwarzen und dann farb- lose mikroskopische Nadeln aus; später färbte sich aber die ganze Lösung braun. Wurde eine alkoholische Lösung dieser Substanz mit alkoholischem Platinchlorid versetzt, so entstand ein braungelber krystallmischer Nieder- schlag, dessen Menge aber für eine weitere Untersuchung leider nicht aus- reichte. Möglicher Weise ist diese fluorescirende Substanz mit dem früher von Schwanert! und Anderen in verschiedenen thierischen Organen auf- gefundenen sog. animalen Chinoidin identisch. ‘ Bei den im Vorstehenden beschriebenen Versuchen waren im Verhält- nisse zu dem verdauten Fibrin immerhin nicht ganz unbedeutende Mengen Pankreasextract verwandt worden, selbst wenn man bedenkt, dass der weit- aus grösste Theil des Pankreaspulvers bei der 24 stündigen Maceration mit Salicylsäurewasser ungelöst geblieben war; man musste deshalb an die Möglichkeit denken, dass die oben erwähnten Basen in der Drüse prae- formirt oder doch durch Verdauung irgend eines ihrer Bestandtheile ent- standen sein konnten. Um mir über diesen Punkt Klarheit zu verschaffen, habe ich 150m desselben Pankreaspulvers, wie oben beschrieben, mit 0.1 procentiger Salicylsäurelösung extrahirt und die klar filtrirte Lösung neutralisirt, mit 0-25 procentiger Sodalösung und Thymol versetzt, etwa eine Woche lang bei 35 bis 40° stehen lassen. Dann wurde dieselbe auf- gekocht, filtrirt, nach der Neutralisation mit Quecksilberchlorid gefällt, filtrirt, das Filtrat durch Schwefelwasserstoff vom Quecksilber befreit, und nun mit Phosphorwolframsäure ausgefällt, wozu ca. 2008”% der krystalli- sirten Säure erforderlich waren. Die weitere Behandlung dieses Nieder- schlages wurde genau so wie oben im zweiten Versuche durchgeführt; ich erhielt wiederum einen flockigen Silberniederschlag, ein Oel durch Alkohol- zusatz und nadlige Krystalle bei weiterem Hinzufügen von Alkohol und Aether. Aus dem öligen Niederschlage konnte ich aber in der gewöhn- ! Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. VII. 8. 1332. 2785 E. DRECHSEL: DER ABBAU DER EIWEISSSTOFFE. lichen Weise kein krystallisirendes Platindoppelsalz darstellen; erst nach- dem das zugesetzte Platin durch Schwefelwasserstoff wieder ausgefällt und das Filtrat mit überschüssigem Bleioxydhydrat gekocht worden war, gelang es, nach Entfernung des gelösten Bleies durch Schwefelwasserstofl, durch ‚ Zusatz von Platinchlorid, Alkohol und Aether Krystalle zu erhalten. Nach viermaligem Umkrystallisiren wurde das Salz analysirt und hierdurch als Lysinplatinchlorid erkannt. 0.2012 8m gaben: 0- 1164 8m CO, = 0-031745 sm 0 = 15.78 ten 0.0636 &= H,O = 0.007066 =” H = 3-51 Procent, und 0-0654 sm PL = 32-50 ohne, Hiernach ist also das Lysin (und wahrscheinlich auch das Lysatinin) in der Pankreasdrüse schon praeformirt enthalten oder bildet sich bei der Selbstverdauung des Pankreas. Da aber aus 3000 #" feuchtem Fibrin + dem Extract aus 1008" Pankreaspulver 288% reines Chloroplatinat er- halten wurden, aus dem Extract von 1508” Pankreaspulver dagegen nur 0.7srm, so ist durch meine Versuche mit völliger Sicherheit nachgewiesen, dass das Lysin: C,H,,N,0, (und höchst wahrscheinlich auch das Lysa- tinin: C,H,,N,O) bei der pankreatischen Verdauung aus Fibrin entsteht. Dieser Befund wird künftig bei allen Untersuchungen über die Darmverdauung in Betracht zu ziehen sein. | Schliesslich will ich noch bemerken, dass von dem krystallisirten (Lysa- tinin?) Silberdoppelsalze nur so wenig aus dem Pankreasextracte erhalten wurde, dass eine weitere Untersuchung nicht möglich war, und dasselbe gilt von der fluoreseirenden Substanz, deren Anwesenheit sich gleichwohl deutlich zu erkennen gab. Ausser den beschriebenen Substanzen werden durch Phosphorwolfram- ‚saure aus der tryptischen Verdauungslösung des Fibrins auch noch andere Körper gefällt; besonders der ölige Silberniederschlag scheint ausser dem Lysin noch andere Substanzen zu enthalten. Die Untersuchung dieser Körper, sowie auch der durch Phosphorwolframsäure fällbaren Producte der tryptischen Verdauung anderer Eiweisskörper möchte ich mir bis auf Wei- teres vorbehalten. Leipzig, im März 1891. Das phosphorsaure Natron als Reizmittel für Muskel und Nerv. Von Dr. Sven Akerlund. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) (Hierzu Taf. VIL—IX.) Jedes Mittel, welches Nerven und Muskeln zu erregen vermag, ohne die Reizbarkeit zu zerstören, verdient in vollem Maasse unsere Beachtung, weil uns jedes besondere Eigenschaften der irritablen Massen aufdeckt. Wenn die neutralen Natronsalze bis dahin nicht nach Gebühr auf ihren Reizwerth gewürdigt wurden, so mag sich dieses unter Anderem auch erklären durch die Unsicherheit ihrer Anwendung und durch die Schwierigkeit, ihre Leistungen zu messen. Nachdem durch die Untersuchung von Carslaw! gezeigt wurde, wie mit Erfolg zu verfahren sei, entschloss ich mich zur Anstellung einiger Versuche über die reizenden Wirkungen des phosphor- sauren Natrons. Ich sage einiger Versuche, denn dass es mir nicht ge- lingen werde, die Untersuchung nach allen Richtungen hin durchzuführen, liess sich von vornherein einsehen, da die Beziehungen zwischen dem Salz und dem Muskel nicht minder zahlreich sind, als die zwischen dem letzteren und der Elektricität, welche schon seit Jahrzehnten die physiologische Welt beschäftigt. Auf das phosphorsaure Natron richtete sich mein Augenmerk, weil seine Befähigung zu reizen von W. Kühne? ermittelt und von Bieder- ! Dies Archiv. 1887. ? Untersuchungen aus dem physiologischen Institut zu Heidelberg. Bd. Ill. 1879. 280 SVEN ÄKERLUND: mann! weiter verfolgt war, ohne jedoch erschöpfend behandelt zu sein, und nicht minder deshalb, weil das Salz zu den Bestandtheilen des Orga- nismus zählt. Bei der Wahl der Flüssigkeit, welche das phosphorsaure Natron den ‚ Geweben zubringen soll, ist zu beachten, dass sie für sich allein nicht erregt oder die Erregbarkeit ändert, sei es durch ihre chemischen oder physikalischen Eigenschaften. Zu diesem Ende empfiehlt sich die Anwen- dung einer 0-7 bis 0-5 procentigen NaCl-Lösung. Sie ist bekanntlich nicht allein aus Rücksicht auf Sparsamkeit dem Blut oder Blutserum vorzuziehen. Mit dem Kochsalzwasser habe ich nun das phosphorsaure Natron in sehr verschiedenen Verhältnissen zusammengebracht. In einer Reihe blieb der procentische Gehalt der Lösung an Salz unverändert, so dass in dem Maasse, in welchem das NaCl abnahm, das Na,HPO, zunahm, also 0-6 Procent NaCl mit 0-1 Procent Na,HPO,, 0-5 Procent NaCl mit 0-2 Procent Na,HPO,, 0.4 Procent NaCl mit 0-3 Procent Na,HPO, u.s.w. In einer anderen Reihe blieb der Gehalt an NaCl gleich während der Gehalt an Na,HPO, zunahm und zwar entweder 0-7 Procent NaCl mit 0-1, 0.2, 0-3 u.s. w. Na,HPO, oder auch 0-5 Procent NaCl mit 0-5, 1-0, 1-5 Procent Na,HPO,. Wenn sich bei einer so verschiedenen Zugabe an NaCl die Wirkungen der Flüssigkeit auf das physiologische Praeparat nur abhängig von dem Gehalt an phosphorsaurem Natron erweisen, so dürften dieselben wohl unbedenklich der Anwesenheit des letzteren Salzes zuzuschreiben sein. Da Carslaw gesehen hatte, dass die NaCl-Lösungen sehr ungleich- werthige Folgen nach sich zogen, je nachdem ihr Salzgehalt dies- oder jen- seits des physiologischen lag, so schien es mir angezeigt, auch mit dem Gehalt der Lösung an phosphorsaurem Natron bis zu 1-5 emporzugehen. ‚ Einige der Versuche, deren Ergebnisse auf den folgenden Blättern be- schrieben ist, hat noch Hr. Dr. Carslaw ausgeführt und mir dankens- werther Weise die erhaltenen Curven neben den zugehörigen Schriften zur Veröffentlichung überlassen. Als reizbares Praeparat diente mir der Hintertheil des Frosches, wel- cher auf dem auch von Carslaw benutzten Brettchen befestigt war. Mit den Sehnen der beiden Gastroknemii waren die Schreibhebel verbunden. Durch ein Röhrchen, welches in die Aorta eingebunden war, floss die in Gebrauch genommene Lösung in die Glieder und kehrte von dort durch die Bauchvenen zurück. Im Gegensatz zu dem blossen Eintauchen von Nerv und Muskel erlangt man vermittelst der künstlichen Durchströmung eine gleichmässigere und ausgiebigere Benetzung der Formelemente und 1 Wiener akademische Sitzungsberichte. III. Abtheilg. Bd. LXXXI, LXXXLH, LXXXIL, LXXXVI. DAS PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL U. Nerv. 281 zwar um so gewisser, als man nach Belieben den Strom beschleunigen und verlangsamen kann. Auch vermeidet man, wie Kühne! zeigte, durch die Anwendung der unversehrten “lieder die Reize, welche sich nach der Entdeckung Herings der Muskel durch seinen eigenen Strom ertheilen kann. Eine Anzahl der physiologischen Praeparate kaın unvergiftet, eine an- dere mit Curare zur Verwendung; im letzteren Falle «waren zuweilen beide Schenkel, andere Male nur einer derselben vergiftet, so dass an demselben Hintertheil die Wirkung der Salzlösung auf das vergiftete und unvergiftete Glied verglichen werden konnte. Der Hebel, an welchem der Muskel angriff, vergrösserte die natürliche Verkürzung um ein S—1Ofaches, er war möglichst leicht, der Faden, an welchem das Gewicht hing, schlang sich, wie es bei der von A. Fick als isotonisch bezeichneten Zuckung gebräuchlich ist, um die Axe des Hebels. Stets war das Gewicht ein geringes, nicht ‚über 5: hinausgehendes. Der Druck, unter welchem die Flüssigkeit in die Aorta des Frosches einströmte, stand in der Regel auf. 20 "m He. Wirkung des phosphorsauren Natrons auf den Nerven. Durch die Berührung mit phosphorsaurem Natron wird der Nerv nicht erregt, wohl aber wird seine Erregbarkeit bis zum Erlöschen geschädigt. Davon dass der Nerv durch Na,HPO, nicht gereizt wird, habe ich mich auch da- durch überzeugt, dass ich ihn in eine 0.6 procentige Lösung des Salzes bis zum Absterben eintauchte. Niemals zuckte ein Muskel. Auf ihre Reizbarkeit liessen sich die Nerven während des Versuchs zu jeder Zeit prüfen, weil der Plexus ischiadicus auf seinem gesammten Ver- lauf den Elektroden des Inductoriums zugänglich war. Dabei ergab sich, dass nach einer Dauer der Durchspülung von 10 bis 15 Minuten vom Nerven aus überhaupt keine Zuckung mehr zu erhalten war, wenn die Lösung 0-3 und mehr Procente an Na,HPO, enthielt, unabhängig davon, ob ihm 0-4 oder 0-7 Procent NaCl zugesetzt waren. Weniger entschieden lauten die Ergebnisse nach der Durchleitung einer 0-1 bis 0-2 procentigen Na,HPO,- Lösung. Allerdings wurde die Reizbarkeit jedes Mal auch durch diese Dich- tigkeitsgrade geschwächt, denn die Rollen des Inductoriums mussten aus der vordem genügenden grösseren Entfernung beträchtlich genähert werden, wenn vom Nerven aus noch eine Zuckung ausgelöst werden sollte. Ob aber unter Anwendung der niederen Concentration die Reizbarkeit voll- kommen erlöschen werde, liess sich nicht im Voraus bestimmen. Zuweilen erwies sich der Nerv abgestorben, zuweilen aber auch nur stark ermüdet. Ob das eine oder andere zutrifft, ist wohl nur eine Frage der Zeit, oO. Dil 282 SYEN ÄKERLUND: Der Muskel verhält sich gegen die Lösungen des phosphorsauren Natrons wesentlich anders als der Nerv; durch sie büsst er seine Reizbarkeit nicht ein, wohl aber wird er zu Bewegungen angeregt. Aehnlich wie andere Reizmittel muss auch das Na,HPO, eine gewisse - Stärke erreicht, die Dichtigkeit der Lösung muss eine bestimmte Grenze überschritten haben, bevor sie wirksam werden kann. Unterhalb des Procent- gehaltes von 0-1 erzeugte sie niemals Bewegungen, für sehr empfängliche Muskeln war die Schwelle bei 0-1 Procent erreicht, und von 0-2 Procent war sie in der Regel befähigt, Tetanı auszulösen. Weil der Muskel gleichzeitig von dem salzsauren und dem ee sauren Natron bespült wurde, so könnte es fraglich bleiben, welches der beiden reize. Dass das phosphorsaure Natron den Ausschlag giebt, steht aus folgenden Gründen fest. Eine Lösung von NaCl zeigt uns, wenn wir ihre erregenden Wirkungen von den niederen zu den höheren Dichtigkeits- graden verfolgen, eine Lücke im, Sinne der Reizung, denn sie ist unterhalb 0-5 und von 1-0 Procent an befähigt, Bewegungen auszulösen, während die Stufen zwischen den genannten Concentrationen den Muskel nicht zu erregen vermögen. Sowie dagegen zu der unwirksamen NaCl-Lösung ein Zusatz von 0-2 Procent bis zu 1-5 Procent an phosphorsaurem Natron ge- schah, erwies sich das Gemenge als ein Reizmittel. Die Angabe W. Kühne’s, dass der M. sartorius sich dauernd be- wegt, wenn er in eine Lösung getaucht wird, die 0-2 Procent Natrium- phosphat und 0-5 Chlornatrium enthält, findet sich durch meine Beobach- tungen bestätigt. Auch dürfte dieses von den Erfahrungen Biedermann’s gelten, obwohl er dem ebengenannten Lösungsgemenge noch ein Weniges an Na,CO, zugesetzt hatte. Die on zu welcher der Muskel veranlasst wird, ist eine teta- nische; von so ungemein mannigfaltiger Gestalt sind die Curven, welche er liefert, dass eine in’s Einzelne gehende Beschreibung nur für den einen oder den anderen Fall zutreffend sein würde Immer aber dauern die Tetani längere Zeit hindurch, wenn sie einmal in den Gang gesetzt waren, unabhängig davon, ob der Zufluss der Salzlösung zum Schenkel fortdauert oder unterbrochen wird. Seinem zeitlichen Verlauf nach lässt sich ein solcher tetanischer Anfall meist in drei Abschnitte, den Aufstieg, den Gipfel und den Abstieg, zerlegen. Deutlicher als die Beschreibungen sprechen die Bilder auf Taf. VII und VIH. Zum Verständniss derselben ist zu bemerken, dass sie aus den meterlangen Originalen stammen, von welchen einzelne Abschnitte auf Leim- papier durchgepaust wurden. Der Uebergang aus der Ruhe in den tetanischen Anfall gestaltet sich auf verschiedene Weise. Zuweilen (Taf. VIII, Fig. 4) verkürzt sich der DAS PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL u. NERv. 283 Muskel sogleich stetig, so dass der zugehörige Hebel eine glatt emporsteigende Linie schreibt, andere Male wächst zwar auch die mittlere Verkürzung mit der fortschreitenden Zeit, jedoch unter mannigfachen Schwankungen (Taf. VIIIL, Figg. 5 und 6). Nicht selten aber geschieht es auch, wie in Fig. 2 Linie 1, 2, 3 oder in Fig. 3 Linie 1, 2 auf Taf. VII dargestellt ist. Die Erregung beginnt in diesen Fällen mit tetanischen Gruppen, welche Anfangs aus wenigen Gliedern bestehen, die nach grösseren Ruhezeiten aufeinander- folgen. In der Ruhe kommt der Muskel aus der Verkürzung auf seine natürliche Länge zurück; später mehrt sich die Zahl der Glieder in einer Gruppe so weit, dass aus ihnen eine fortlaufende tetanische Figur entsteht, sleichzeitig nähern sich die einzelnen Tetani, und in der zwischen je zweien gelegenen Zeit erschlafft der Muskel nicht mehr vollständig bis zum Gewinn seiner natürlichen Länge. Nachdem sich der Muskel soweit zusammen- gezogen hat, als er es in Folge der Reizung vermochte, verlängert er sich nicht alsbald wieder, er verharrt Secunden hindurch auf dem mittleren Werth seiner Verkürzung. Die von ihm geschriebene Curve läuft sonach statt in einen Gipfel in einen First aus, der sich zuweilen geradlinig, zu- weilen gewellt darstellt, sodass die Zacken des aufsteigenden Curvenschenkels, wenn sie nicht ganz verwischt sind, sich doch zu sanften Unebenheiten umformen. Siehe Fig.2 Linie5 Taf. VII und die Mittelstücke der Figg. 4, 5, 6 auf Taf. VIII. Die Grösse der Verkürzung auf der Gipfelhöhe entspricht günstigsten Falls der einer maximalen Zuckung. Einen Grad der Zu- sammenziehung, wie er sich durch tetanisirende Inductionsströme erzielen lässt, sah ich vom Tetanus Na,HPO, niemals erreicht. Von dem First fällt die Curve sehr allmählich herab, so dass meistens erst aus der Vergleichung längerer Stücke die Senkung deutlich hervortritt. Wenn während des Verweilens auf dem Gipfel der Curve die Schwankungen fehlten, so treten sie nun in der Regel unter der Form niedriger Wellen wieder hervor. Siehe Taf. VIII die Endstücke der Figg. 4, 5,6. Endlich schreibt die Feder eine gerade Linie, die in gleichem Abstand von der Grund- linie fortläuft, mit anderen Worten, wenn nach einer Dauer von vielen Minuten der Tetanus erloschen ist, bleibt der Muskel kürzer, als er vor dem Beginn der Salzzuleitung gewesen ist. Siehe Taf. VII Fig. 4 bei ee Zu seiner ursprünglichen Gestalt kehrt der Muskel erst nach einer Vermehrung des angehängten Gewichtes zurück. Der Muskel ist also in Folge der Salzzuleitung elastischer geworden. Sehr schwankend ist die Dauer zwischen dem Beginn der Zuleitung des Salzgemisches und der Bewegungen, sie ist es für verschiedene Praeparate ebenso wie für die beiden Schenkel desselben Frosches; ja für die ungleich- namigen Muskeln desselben Beines auch nicht annähernd dieselbe. Zuweilen ist schon der Tetanus des Gastroknemius voll entwickelt, nachdem aus der 284 } SVEN ÄKERLUND: Bauchvene 8 bis 10°" der Flüssigkeit entwichen sind, andere Male noch nicht nach dem Durchfluss der doppelten Menge. Wie lange der Muskel, die fortdauernde Durchleitung der Salzlösung vorausgesetzt, in Erregung verharrt, dürfte unter Anderem auch von dem ‘ Gehalt der Lösung an Natronphosphat abhängen. Oefter bewahrte der . Muskel nur 2 bis 3 Minuten hindurch den tetanischen Zustand, wenn die Lösung 0-2 Procent Na,HPO, enthielt, dagegen steigerte sich die Dauer der Zusammenziehung bis zu 6 Minuten hin, wenn der Gehalt der Lösung auf 0-3 bis 0-4 Procent des Phosphates genommen war. Bei noch höherem Procentwerth der letzteren von 1-0 bis 1-5 kehrte der Muskel meist erst nach 10 bis 15 und mehr Minuten zur Ruhe zurück. Damit der Tetanus seinen Verlauf regelrecht fortsetze und vollende, ist‘es nicht nöthig, unausgesetzt die Salzlösung durch den Muskel fliessen zu lassen. Sobald die Bewegungen lebhaft geworden sind, kann der Zu- fluss unterbrochen werden, ohne deren Fortgang zu beeinträchtigen. Wenn der Zufluss nur bis zum Eintritt der Bewegungen gedauert hatte, so ist es mir mehrmals gelungen, die Tetani noch einmal mit dem gleichartigen Lösungsgemenge hervorzurufen, vorausgesetzt, dass zwischen dem Ende des ersten Tetanus und dem Beginn der neuen Leitung 15 bis 20 Minuten verstrichen waren. Der zweite Anfall dauerte dann kürzer als der erste. Zur Vervollständigung der Nachrichten über die Leistungsfähigkeit des Natriumphosphats würde noch als wichtig nachzutragen sein: ob die Lösung nach Maassgabe ihres Salzgehaltes minimal und maximal reizen könne; : ob der Muskel, nachdem er in Folge der Zuleitung einer Lösung von ‘ bestimmtem Salzgehalt für diese ermüdet ist, schon durch längere Ruhe oder erst dann wieder für die gleiche Lösung empfänglich werde, wenn seine Gefässe mit 0-7 Procent NaCl durchgespült sind; ob ein Muskel, welcher durch die Zuleitung einer Lösung von niederem (Gehalt für diese ermüdet ist, durch eine solche höheren Concentrations- srades wieder erregt werde u. s. w. u. S. w. Eine Antwort auf diese und ähnliche Fragen würde für die Beurthei- lung der Wirkungsart des phosphorsauren Natrons unzweifelhaft von Wichtig- keit sem. Zu meinem Bedauern steht mir nach meinen Versuchen keine zu Gebote. Das Wenige, was ich zu sagen weiss, ist so unvollständig, dass es besser verschwiegen wird. Wer aus eigner Anschauung die Vielgestaltigkeit des Muskels kennt, wird von der Mittheilung nicht überrascht sein, dass sich in diesem und jenem Versuch auch manches anders findet, als hier beschrieben. Oefter Das PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL v. Nerv. 285 liegt die Schwelle höher als bei 0-2 Procent an Na,HPO, und zuweilen verkürzt sich der Muskel während des Zuströmens der Slbalnanne stetig und allmählich, als sei er von der Starre ergriffen. Worauf diese Verkürzung beruht, bleibt unbekannt, doch vermuthlich nicht auf einer von stofflichem Umsatz begleiteten Reizung; denn nach der Unterbrechung des Zuflusses verharrt der Muskel noch nnd hindurch in der verhältnissmässig be- trächtlichen Verkürzung. Ein ganz eigenthümliches Verhalten erwähnt Carslaw in den mir gütiest übermittelten Aufzeichnungen. Am Ende des Winters — im März — wurden der eine oder beide Schenkel einer Anzahl von Fröschen von der Aorta abdominalis aus durch curarehaltige 0.7 procentige NaCl-Lösung ver- giftet. Als nun durch die Gefässe ein Lösungsgemenge von Na,HPO, 1-5 Procent oder 1-0 Procent und von NaÜl = 0-5 Procent geleitet wurde und in Folge dessen in dem unvergifteten Glied der gewöhnliche Tetanus ausbrach, wurde die Zuleitung der Flüssigkeit unterbrochen. Alsbald fand sich nun eine mächtige Verkürzung im vergifteten Muskel ein, die jedoch allmählich wieder nachliess. Ein Beispiel giebt die nachstehende Curve, welche auf an: MEN verkleinert wurde. ee ner Se Be SD Ü [EEE I BR EB N ee Ye TE ee el Ber Nez Fig. 1. Die mit Z bezeichnete Linie trägt die Zeitmarken. Der Abstand je zweier entspricht 13-5 Secunden. Die Linien 1 und 2 geben fortlaufende Aufzeichnungen des M. gastro- knemius. Bei den i wurde die Zuleitung der Flüssigkeit unterbrochen, bei i wieder gestattet. Die Curven vergrössern 2-5 Mal die wirkliche Verkürzung. Was in der mitgetheilten Curve sichtbar ist, zeigte sich auch in allen übrigen. Der Verschluss des Stromes rief nur in begrenzter Zahl die Ver- kürzungen hervor, und zwar in der Regel in stetig abnehmendem Umfang. Waren beide Schenkel curarisirt, so stellte sich die Erscheinung auch beider- seits her, zuweilen so übereinstimmend, dass die Meinung nicht abzuweisen war, es sei ein äusserer Anstoss, keineswegs die Reizbarkeit der Muskeln an den Erhebungen des Muskels schuld. (Siehe Fig. 2 auf S. 286.) Der Annahme, dass die Curven nicht von einer durch den Salzstrom bedingten Erregung der Muskeln stammen, widersprechen allerdings alle die Fälle, in welchen trotz doppelseitiger Unterbrechung des Zufliessens nur der vergiftete Schenkel in Tetanus gerieth. Worin die nächste Veranlassung für das Auftreten der Verkürzung 0-5 bis 1-0 Secunde nach der Unter- brechung des Zufliessens gelegen ist, konnte Carslaw nicht ermitteln. 286 SvEN ÄKERLUND: Ne us a ER wich ' En ee — yes Es N N a Be a a area rechts 2 Zeit Ai Bene] ja TR VER BT EE N IEBE N NE FE N RI NL Fig. 2. Die mit Z bezeichnete Linie giebt die Zeitmarken. Der Abstand je zweier Striche entspricht 20 Secunden. Von den Curven ist die untere vom rechten, die obere vom linken Gastroknemius geschrieben. Alles übrige wie in der vorigen Figur. L— Doch konnte er die Annahme widerlegen, dass eine Erschütterung des Muskels, wie sie z. B. durch eine vorübergehende Zerrung desselben ver- anlasst wird, die Contraction bewirke. Die Befähigung, sich durch den elektrischen Strom erregen zu lassen, verbleibt auch solchen Muskeln, durch deren Gefässe so lange eine Lösung von Natriumphosphat geflossen war, bis diese oder auch eine höher concentrirte keine Zuckungen mehr zu wecken vermochten. Die elektrische Erregbarkeit des Muskels wurde zuweilen durch constante, in der Regel dagegen durch Inductionsströme ermittelt. Dem M. gastroknemius wurden die constanten Ströme durch Klemmen aus amalgamirtem Zink zugeführt, welche mit einer starken Lage mit Zinklösung durchtränkten Fliesspapiers überzogen waren. Die Klemmen waren auf der Haut un- mittelbar über dem oberen und unteren Ende des Muskels befestigt. — Zum Einleiten der Inductionsströme dienten zwei blanke Nadeln, welche durch die Haut hindurch in den Muskel eindrangen; eine am oberen, die andere am unteren Ende. Diese Nadeln wurden regelmässig beiderseits ‚durch das Praeparat geführt, nachdem dasselbe auf dem Brettchen befestigt war, wo auch die Hülsen zur Aufnahme des Inductionsstromes selbst isolirt festgeschraubt waren; damit ergab sich die Möglichkeit, vor und zu jeder Zeit nach dem Beginn der Zuleitung des Salzwassers den Muskel zu reizen. Bei den Reizungen zeigte sich, dass der vom Natriumphosphat durch- strömt gewesene Muskel seine Erregbarkeit nach Grösse und Art ver- ändert hatte. In den wenigen Beobachtungen mit dem constanten Strom, die sämmt- lich ausgeführt wurden, nachdem ein Lösungsgemenge von 1-0 Procent Na,HPO, und 0.5 Procent NaCl bis zum Erlöschen der Tetani durch- geleitet war, ergab sich, dass der Schluss und die Oeffinung des Stromes starke Zuckungen erzeugten. Aber auch zur Zeit der constanten Strömung blieb der Muskel in Erregung, oder er verlängerte sich merklich nach der Ausschaltung aus dem elektrischen Strom. Durch den Induetionsstrom liess sich feststellen, dass die Reizbarkeit DAs PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL U. NERV. . 287 des Muskels sich nach Art und nach Grösse geändert habe, beides wie es scheint beträchtlicher, wenn der Gehalt der durchgeflossenen Lösung an Na,HPO, zu-, dagegen der an NaCl abgenommen hatte. Um eine minimale Zuckung durch den Inductionsstrom nach der Durchspülung zu erhalten, musste der Abstand der Rollen geringer als vor- dem genommen werden, und es war, was beweisender ist, die Höhe der maximalen Zuckung vor dem Beginn der Salzströmung grösser als nach einer längeren Dauer derselben. Doch gewann es oft den Anschein, als ob die Schonung der Reizbarkeit vorzugsweise in Beziehung zu dem NaCl-Gehalt der Flüssigkeit stehe. Am wenigsten beschädigt fand sich die Empfind- liehkeit und Kraft des Muskels, wenn ihm das phosphorsaure Natron in einer Lösung von 0-7 Proc. NaCl zugeführt war. Die qualitative Aenderung der Reizbarkeit drückt sich vorzugsweise in dem Verlauf der Zuckung aus, welchen sie nach dem Ueberschreiten ihres Gipfels nimmt. In zwei Gruppen lassen sich die Gestalten unterbringen, welche der abfallende Schenkel der Muskelcurve gewahren lässt. Zu der ersten zählen Zuckungen, welche, um mich eines bekannten Ausdrucks zu bedienen, mit einer sogenannten Contractur behaftet sind. Nachdem der Muskel die grösste ihm erreichbare Verkürzung gewonnen hat, strebt er sogleich wieder seiner Ruheform zu, anfangs rasch, dann aber, wenn er seiner ursprünglichen Länge nahe gekommen ist, sehr langsam, so dass, wenn er dieselbe überhaupt erreicht, dies erst nach einer Reihe von Seeunden geschieht. Namentlich bleibt der Muskel um ein merkliches mehr als sonst und zwar dauernd verkürzt, wenn eine Lösung mit 1-0 bis 1.5 Procent Natriumphosphat durch seine Gefässe geschickt war. Zuckungs- formen dieser Art finden sich in der Fig. 1 auf Taf. IX. Die Länge von 2.7 m entspricht der Dauer einer Secunde. Da dem Muskel auf seinem Rückweg zur Ruheform die Zuckungsfähigkeit bleibt, so lassen sich durch Induetionsschläge, die in je 2 bis 3 Secunden aufeinander folgen, Gestal- tungen hervorrufen, wie Fig. 2 der Taf. IX aufweist; in ihr entspricht 1.4 mm der Dauer von 1 Secunde. Vorkommnisse dieser Art eignen sich ganz besonders zur Veranschaulichung der Abhängigkeit, in welcher das Maximum der Verkürzung zur Höhe des Ausgangspunktes steht! Und verdichtet sich dann die Folge der Einzelreize noch weiter, z. B. zu 5 in 1 Secunde, so entstehen je nach dem Ermüdungsgrade wellige oder ganz glatte Tetani, siehe Figg. 3 und 4 der Taf. IX, in welchen 0-85 "= einer Secunde entsprechen. 8 bis 10 Einzelreize in der Secunde tetanisiren auch den frischen Phosphat-Muskel vollständig. J. v. Kries, dies Archiv. 1879. — M. v. Frey, ebenda. : 1887. 288 SVEN ÄKERLUND: Für die Beurtheilung des vorhandenen Zustandes schien mir auch die Prüfung des Muskels auf seine Dehnbarkeit von Werth. Des Ver- gleichs wegen wurde einer von den beiden Gastroknemii desselben Frosches so lange mit einer J,ösung von 1-0 Procent Na,HPO, und NaCl 0-5 durch- ‚spült, bis sein Tetanus abgelaufen war, der andere blieb unberührt. Dann wurden beide mit je demselben Gewicht und zwar gleichzeitig be- und nach einer kurzen Zeit wieder entlastet. Den Erfolg giebt die Curve Fig.5 auf Taf. IX. Bei a,d, c wurden an jeden der ursprünglich durch 108m gedehnten Muskeln 50, 100, 1508" gehängt und bei d, e, f die Gewichte in umgekehrter Ordnung wieder abgehängt. Bei g g wurde der eine, bei A h der andere dürch einen maximalen Inductionsschlag gereizt. Die mit Punkten versehene Linie ist von dem mit der Salzlösung behan- delten, die andere von dem nicht durchspülten Muskel gezeichnet. Auf dem grössten Theile des Verlaufes decken sich die beiden Linien. Die augenblickliche und die Nachdehnung ist beiderseits dieselbe, erst gegen das Ende findet sich ein merklicher Unterschied. Beide Muskeln, welche noch je 10 == trugen, erwiesen sich überdehnt, der von Salzlösung durchströmt gewesene jedoch mehr als der andere. Und als die Muskeln zum Zucken veranlasst wurden, wodurch nach den Erfahrungen von J. v. Kries! die Ueberdehnung beseitigt wird, kehrte der nicht durchströmt gewesene bei- nahe zu seiner Anfangslänge zurück, der von der Salzlösung durchwaschene näherte sich derselben zwar ebenfalls, doch nicht so viel als der andere. Die bis dahin geschilderten Abweichungen in den Eigenschaften der Muskelmasse, welche die Lösung des Natriumphosphats hervorruft, können nur auf Veränderungen des Aggregatzustandes beruhen, da die gedehnte und die verkürzte Gestalt bis zu Stunden hin gleichmässig fortbestehen. Um sich durch einen Namen mit dem unbekannten Grunde abzufinden, könnte man dem Muskel eine verminderte Rlastieität zuschreiben, welche es bedingt, dass er nach der Verkürzung eben so wenig wie nach der Dehnung ohne äussere Hülfe zu der Gestalt zurückkehrt, die ihm vor der Durechspülung mit phosphorsaurem Natron in der Ruhe eigen war. Eine ähnliche Betrachtung dürfte auf die zweite Gruppe abweichender Erscheinungen nicht anwendbar sein, die, wie Figg. 6 und 7 auf Taf. IX zeigen, darin bestehen, dass der Muskel die Verkürzung, welche er in Folge des Inductionsreizes angenommen hat, mehrere Secunden hindurch festhält. Aus den Figuren ist zu erkennen, dass der vom Reiz betroffene Muskel, nachdem er sich rasch verkürzt hatte, alsbald wieder den Rückweg nach der Abscisse hin antritt, aber nur auf kurze Zeit. Noch nahe dem Gipfel zeichnet der Muskel, indem er von der eingeschlagenen Richtung abbiegt, DAS PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL U. NERV. 289 eine nahezu gerade Linie, die nach Secunden dauerndem Verlaufe sich nach unten wendet und allmählich zur Abseisse gelangt (siehe Fig. 6 Taf. IX). Oder aber, und dieses ereignet sich seltener, es steigt die Linie von Neuem empor und überschreitet den ersten Aufstieg in einem weiten Bogen (Fig. 7 Taf. IX). Dass die zuletzt beschriebene Zusammenziehung zu den tetanischen sehöre, kann keinem Zweifel unterliegen, wie wollte man anders die zweite Verkürzung des Muskels deuten. Aber auch da, wo, wie im Fig. 6, das zweite Aufsteigen fehlt, dürfte durch den Momentanreiz statt eines ein- maligen und vorübergehenden chemischen Processes eine Reihe solcher ein- geleitet gewesen sein, verbunden mit ebensovielen Antrieben zur Muskel- verkürzung. Hierfür spricht, abgesehen von Anderem, die Analogie der hier auftretenden Erscheinung mit der Dauerzuckung nach Veratrinvergif- tung, welche, wie Böhm und Fick! durch Wärmemessung nachgewiesen haben, von einer länger dauernden und umfänglicheren chemischen Umsetzung als eine gewöhnliche Zuckung begleitet ist. Die Muskeln, welche durch einen Inductionsreiz zu Tetanus bezw. zu einer Dauerzuckung veranlasst werden, wie sie nach Veratrinvergiftung am häufigsten einzutreten pflegt, waren von Lösungen mit einem Gehalte von 1:0 bis 1-5 procentiger Na,HPO, durchströmt und mit ‚Curare ver- giftet gewesen. Zu beachten ist, dass vor der Durchleitung der Salzlösung ein einzelner Inductionsreiz niemals eine Dauerzuckung hervorrief. Einer der wesentlichsten Befunde, zu welchen die vorstehende Unter- suchung gelangte, sagt, dass die Reizbarkeit des Muskels theilweise ermüden, dass sie für einen sonst wirksamen Anstoss unempfänglich werden kann, wäh- rend sie allen übrigen zugänglich bleibt. Als der Muskel statt von Blut oder Lymphe von einer Lösung des phosphorsauren Natrons umspült wurde, ward er erregt; das phosphorsaure Natron erwies sich als ein Reiz, sowie jedoch die Zuleitung derselben Lösung eine Reihe von Minuten fortgesetzt worden war, verlor sie ihre erregende Wirkung. Dagegen war zu allen Zeiten vor Beginn und nach beliebiger Dauer des Zufliessens der Salz- lösung der Muskel durch den elektrischen Strom erregbar. Zwischen dem Muskel und einigen Sinnen, z. B. des Gesichts und Geruchs, scheint damit eine Uebereinstimmung hergestellt zu sein; in der That nur eine scheinbare, keine grundsätzliche. — Dass ein Reiz unabhängig von allen übrigen unwirksam werden kann, ist leicht verständlich, wenn das Werkzeug, innerhalb dessen sich dieses ereignet, aus mehrfachen nach Reizbarkeit und Leistung verschiedenen Gebilden zusammengefügt ist, die I Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würzburg. N.-F. Bd. I. Archiv f. A.u. Ph, 1891. Physiol. Abthlg. 19 290 SVEN AKERLUND: selbständig neben einander da stehen. Von einer solchen Einrichtung, die für die Sinneswerkzeuge gilt, ist jedoch bei den Muskeln keine Rede, alle seine Fasern sind grundsätzlich gleich reizbar und leistungsfähig und es kann deshalb, wenn ein Reiz seine Wirkungsfähigkeit einbüsst, dieses nur ‚von einer Aenderung im inneren Zustande des erregbaren Gebildes ab- hängen. Sonach dürfte der Vorgang, welcher während des Zufliessens der Lösung des phosphorsauren Natrons stattfindet, dahin zu verstehen sein, dass das neue Salz bei seinem Fingang in den Muskel reizt, zugleich aber auch den inneren Zustand des Muskels ändert, ein neues Gleichgewicht herstellt, das, wenn es einmal ausgebildet ist, durch das phosphorsaure Natron nicht ge- stört werden kann. Auf welche Art sich das phosphorsaure Natron an der Reizung und der Bildung des neuen Zustandes betheiligt, wird so lange nicht einmal zum Gegenstand einer Erörterung gemacht werden können, als uns un- bekannt bleibt, wie das phosphorsaure Natron den stofflichen Gehalt des Muskels ändert. res Unter die eigenthümlichen Erscheinungen, welche der Muskel gewahren lässt, wenn er durch das phosphorsaure Natron gereizt wird, wurde vordem auch die Unstetigkeit der Zusammenziehung gerechnet; unter dem Einfluss des Salzes sollte sich die Befähigung zu rhythmischen Contractionen, ähnlich denen des Herzens, ausbilden. Hierfür liefern meine Beobachtungen keine Beweise; sie zeigen dagegen dass das Na,HPO, keineswegs Zuckungen, viel- mehr, Tetani auslöst, welche, wie es bei unregelmässigen untermaximalen Reizen der Fall zu sein pflegt, von ungleicher Stärke sind. Wie es ge- schehen kann, dass das Salz, obwohl es in unveränderlicher Menge im ‚Muskel anwesend ist, bald stärker bald schwächer reizt, wird sich vielleicht thatsächlich aufklären, wenn den stofflichen Reizmitteln eine gleiche Auf- merksamkeit geschenkt wird, wie sie seit Jahrzehnten den dynamischen Reizen, dem elektrischen Strom und dem Druck von Seiten so vieler aus- gezeichneter Hände und Köpfe gewidmet worden ist. DAS PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL FÜR MUSKEL U. Nerv. 291 Erklärung der Abbildungen. (Taf. VIL.) Fig. 1. Zu ihr gehören die Linien 1 und 2. Durchgeleitet ist eine Lösung aus 0-1 procentiger Na,HPO, und 0-6procentiger NaCl. Mit den feinen Zacken der Linie 1 beginnt die Wirkung des Salzes; später kommt es — Linie 2 — zu einem unregel- mässigen Tetanus. Fig. 2. Hierzu gehören die Linien 1 bis 5. Durchgeleitet war eine Lösung aus 1-0 procentiger Na,HPO, und O0-5procentiger NaCl. Jede Linie entspricht einer Dauer von 11 Secunden; zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Nummern liegen 50 Secunden. Die Linien folgen nach der Ordnung, in der sie gezeichnet sind; 4 der Anfang, 5 der glatte Abfall vom Gipfel. Die in der 4. Linie stehenden, durch einen darübergesetzten Punkt ausgezeichneten Spitzen verdanken ihre Entstehung einem maximalen Induc- tionsreiz. Fig. 3 zeigt die häufigere Art des Wirkungsanfanges der Lösung von Natrium- phosphat. (Taf. VIII.) Figeg. 4-6. Jede der Figuren ist aus drei durch Striche getrennten Stücken zusammengesetzt, welche meterlangen Aufzeichnungen entnommen sind. Der Tetanus, zu welchem Fig. 4 gehört, dauerte 9 Minuten, der zu Fig. 6 nur 4 Minuten. Der letztere war als zweiter von demselben Praeparat geliefert worden, nachdem sich ein erster von einer früheren Leitung erzeugter Tetanus beruhigt hatte. In Fig. 4 giebt der mit e bezeichnete Strich die Höhe über dem Ausgangspunkt des Tetanus an, bis wohin der Muskel sich nach dem Ende des Tetanus verlängert hatte. In Fig. 6 ist am Ende der absteigenden Schenkel die Curve einer maximalen Zuckung eingeschrieben. (Taf. IX.) Die Figuren sind von zuckenden, tetanisirten und gedehnten Muskeln gezeichnet, durch deren Gefässe eine Lösung Na,HPO, 1 Procent und NaCl 0-5 Procent so lange geleitet war, bis dieselbe ihre reizenden Wirkungen eingebüsst hatte. Die Figg. 1, 2, 6, 7 sind von Muskeln geliefert worden, die mit Curare vergiftet waren. — Das Wegstück zwischen je zwei unter der Abseisse stehenden Zeitmarken wurde in je 5 Secunden durchlaufen. Alle Figuren sind nach den Originalen gepaust. Fig. 1 zeigt, dass von Inductionsschlägen, die einander in grossen Zwischenzeiten folgen, gedehnte Zuckungen verschiedener Form erzeugt werden. 195 292 SVEN AKERLUND: DAS PHOSPHORSAURE NATRON ALS REIZMITTEL. Fig. 2. Die Einzelreize folgen sich in Zwischenzeiten von nur wenigen Secunden, die niederen Spitzen sind von Schliessungs-, die höheren von Oeffnungsschlägen erzeugt. Figg. 3 und 4. Tetani von demselben Muskel, durch je fünf Einzelreize in der Secunde. Fig. 3 unermüdet, Fig. 4 ermüdet. ; Figg. 6 und 7. Gedehnte tetanusartige Zuckungen in Folge eines Momentan- reizes. Fig. 5 vergleicht die Dehnbarkeit der Muskeln desselben Thieres, eines nicht durchspülten und eines mit der Salzlösung durchspülten. Die getüpfelte gehört dem ersten, die ausgezogene dem letzten Muskel an. Bei a, 5b, ce sind beide Muskeln mit gleichen Gewichten gleichzeitig belastet und von denselben bei d, e, f gleichzeitig befreit worden. Bei gg und Ah ist ein Inductionsreiz angewendet. | Die Verdauung lebenden Gewebes und die Darmparasiten. Von Prof. Johannes Frenzel. Gördoba, Argentinien, im April 1891. In einer früheren Schrift! hatte ich einen neuen Beweis geliefert, dass lebendes Gewebe nicht der Einwirkung des Verdauungssaftes des Magens widersteht, indem ich den Schenkel eines lebenden Frosches der Einwirkung einer künstlichen Verdauungsflüssigkeit aussetzte. Gleichzeitig hatte ich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass trotzdem die lebende Magen- wand nicht angegriffen wird, und hatte der darauf bezüglichen Erklärungs- versuche Pavy’s, Virchow’s und Claude Bernard’s gedacht. Was den ersten Punkt, die Verdaulichkeit lebenden Gewebes bezw. lebender Organismen anbetrifit, so kann man sie in weiterer Verbreitung in der Natur verfolgen, als gemeinhin angenommen wird. Vielleicht die meisten Organismen sterben keines natürlichen Todes, der etwa durch Altersschwäche oder dergleichen verursacht wird, sondern sie werden von ihren Feinden gefressen, oft nachdem sie vorher erst getödtet worden, oft indem sie noch lebend verschlungen werden. Sie gelangen lebend in den Magen oder sonstigen Verdauungsraum und sterben hier unter der Einwirkung des Verdauungssaftes, wenn nicht nebenbei Tod durch Er- sticken eintritt. Eine Amoebe ergreift das Infusor, eine Vorticelle strudelt zahlreiche Bakterien durch ihren Schlund und verdaut sie, ohne dass man annehmen müsste, es seien besondere Einrichtungen zum Tödten vorhanden. In meinem oben erwähnten Froschschenkelversuch hatte ich gesehen, dass der Tod des Gewebes sehr rasch durch den Magensaft bewirkt wird, welcher wie ein heftiges Gift seine Kraft äussert. Es kann nun sein, dass es seine ! Verdauung lebenden Gewebes und Selbstverdauung. Biologisches Centralblatt 1887 15. Januar. Bd. VI. Nr. 22. S 681 ff. 294 JOHANNES FRENZEL: Säure ist, die den Tod herbeiführt oder herbeiführen hilft, denn eine Froschlarve in Salzsäure von 2:1000 geworfen, lebt nieht mehr lange. Andererseits hatte ich, wie ich seiner Zeit mitgetheilt, bereits festgestellt, dass ein lebender Froschschenkel durch eine derartige Säure kaum an- gegriffen wird. Hieran reiht sich die interessante Thatsache, dass auch der Pankreassaft eine tödtende Eigenschaft besitzt, ohne doch sauer zu sein. Um diese Eigenschaft zu beweisen, wiederholte ich die früheren Ver- dauungsversuche jetzt mit einem Pankreasinfus, das durch Extraction eines Schweine-Pankreas mittels verdünnten Glycerins hergestellt wurde Es traten dieselben Erscheinungen, und zwar schon bei einer Temperatur von etwa 25°C. ein. Der auf ein gabelfürmiges Brettchen gebundene Schenkel wurde verdaut, wie auch Froschlarven, in ein solches Verdauungsgemisch geworfen, bald starben und sich auflösten. Aus diesen Thatsachen dürfte wohl hervorgehen, dass das tödtliche Agens in erster Linie den Verdauungsenzymen als soichen zukomme, und in entfernterer Linie erst dem Säuregehalte des Magensaftes. Bei den meisten Wirbellosen ist ja auch solch ein saures Verdauungsseeret gar nicht vorhanden, und dennoch sterben verschlungene Organismen in deren Gastralraume binnen kurzer Zeit. So konnte ich hier interessante darauf- bezügliche Beobachtungen an einem noch nicht beschriebenen Heliozoen ! machen, welches seine Beute in Gestalt von kleinen Infusorien mit einem Netzwerke von Strahlen ergriff und in das Innere beförderte, wo das er- beutete Wesen noch kurze Zeit Lebensäusserungen von sich gab. Indem ich mir vorbehalte, an einer anderen Stelle ausführlicher auf diese Vor- gänge einzugehen, möchte ich jetzt nur. noch einige andere Fälle anführen, welche das nämliche bekunden. Ausser den Rhizopoden, Heliozoen u. s. w. sind noch viele ciliate In- fusorien als Schlingthiere aufzuzählen, vor Allem die Bakterienfressen- den, von denen schon die Vorticellen erwähnt sind, und eine Reihe von Flagellaten sowie wohl alle Choanoflagellaten. Auch unter den Coelenteraten ist das unmittelbare Verschlingen der Beute, nachdem sie mit den Fang- armen umklammert ist, der gewöhnliche Fressmodus. Dasselbe trifft man fernerhin bei vielen Echinodermen, besonders bei den Seesternen an, welche nach Beobachtungen Hamann’s? und Anderer, denen sich eigene an- schliessen, lebende Seemuscheln in sich aufnehmen, indem sie ihren Mund- darm weit hervorstülpen und damit die sich schliessende Muschel umhüllen. Bald darauf öffnet sich diese, sei es, dass sie dazu gezwungen wird, um ‘ Siehe meine Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. Vorläufiger Bericht. (Erscheint mittlerweile.) ”0.Hamanr, Beiträge zur Histologie der Echinodermen. Hft. II. Die Aste- riden u.s. w. Jena 1885. a EEE EEE LE LÄUNELEELELELE AED HE LEN EEE WERTET EEE AD NETTE LE nn nn nn Dır VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 295 der Gefahr des Erstickens zu entgehen, sei es, dass sie durch den Ver- dauungssaft hierzu veranlasst wird, wobei man gar nicht einmal mit Hamann ein eigens für diesen Zweck vorhandenes Gift anzunehmen braucht, das von besonderen drüsenartigen Zellen secernirt werden soll. Bei den Würmern, Mollusken und Arthropoden scheint im Gegensatz dazu Regel zu sein, die Beute zu tödten und zu zerkleinern (zerkauen), ehe sie dem Darmtractus übergeben wird. Die Fische hingegen ziehen im All- gemeinen das Verschlingen vor und eigentliche Kauwerkzeuge dürften nur bei den phytophagen und omnivoren unter ihnen eine zweckentsprechende Ausbildung erfahren, während bei den anderen die Zahnapparate doch nur zum Festhalten der Beute dienen. Dass es Fische giebt, welche andere Thiere bewältigen, die ihnen an Grösse fast gleichkommen, um sie dann allmählich ihrem Magen einzuverleiben, wird oft behauptet; man will z. B. Hechte beobachtet haben, welche einen Fisch im Maule stecken hatten, der sie an Länge wohl übertraf, und den sie in Folge dessen gar nicht verschlucken konnten. Man sah dann das vielleicht noch lebende Schwanzende des Opfers bis in das Maul hinein herausragen, während sein Vorderende schon in Verdauung aufgelöst war. Allerdings wird man manchen dieser Berichte nicht ohne Misstrauen begegnen dürfen, nament- lich wenn das Opfer noch weit aus dem Maule herausragt und dies völlig versperrt haben soll; denn in einem derartigen Falle müsste der Sieger ja elend ersticken. Auch Amphibien und Reptilien verschlingen, wie bekannt, die noch lebende Beute, und selbst der ärgste Hunger kann keinen Frosch z, B. dazu bringen, eine todte Fliege zu verzehren. Zählebige Insecten, wie etwa Rüsselkäfer, kann man oft noch am Leben finden, wenn man den Magen eines Anuren öffnet. Da ferner den Vögeln gut ausgebildete Kauwerkzeuge mangeln, so be- gnügen sie sich ebenfalls damit, ihren Schnabel einzig und allein als Fang- werkzeug zu benutzen. Die Taucher, Störche und zahlreiche andere Wasser- vögel mögen hier als Beispiel dienen. Der Cormoran (Phalacrocorax brasi- lianus G m. z. B.), einer der gefrässigsten Räuber, soll oft noch zahlreiche lebende Frösche in seinem Magen beherbergen, wenn er sich vollgefressen hat. Dasselbe fand ich bei der Bigua, einem Taucher, der massenhaft auf dem Rio Parana fischt. Gelangen nun die erbeuteten T'hiere noch lebend in den Magen, so sterben sie hier im Allgemeinen rasch, und keins von ihnen erreicht un- beschadet den Mitteldarm. Merkwürdiger Weise aber giebt es, wie be- kannt, eine Anzahl von Thieren, welche im Darmcanal leben können, ohne verdaut zu werden. Es sind dies die Darmparasiten, unter denen die Bandwürmer die auffallendste Erscheinung sind. x 296 JOHANNES FRENZEL: Es gilt gewissermaassen als selbstverständlich, dass die Eingeweide- würmer nicht verdaulich sind. Aber sie sind nicht die einzigen lebenden Organismen, welche der Einwirkung der Verdauungsenzyme ausgesetzt sind; denn auch die ganze Darmwandung, die ja aus aneinandergereihten Zellen besteht, von denen jede etwa den physiologischen Werth einer Opalina hat, steht unter dieser Einwirkung. Trotz der grossen Zahl von Schriften und Büchern, welche die Ein- geweidethiere behandeln, sind diese so auffälligen und scheinbar den obigen Ausführungen widersprechenden Umstände noch nicht eingehender erörtert worden, weshalb es wohl zweckmässig erscheint, an dieser Stelle einen Ver- such hierzu zu machen. Die erste Frage, welche zu untersuchen ist, ist die, ob die Darmpara- siten denn wirklich ganz unverdaulich sind, eine Frage, welche zu ver- neinen man sofort geneigt sein würde, wenn man sich erinnert, dass ja ‘die Wände der Verdauungsorgane es absolut nicht sind, es wenigstens nach eingetretenem Tode, bei gewissen Krankheiten u. s. w. nicht sind („Magen- erweichung“, „postmortale Selbstverdauung‘‘), eine Thatsache, die, wie ich an früherer Stelle! erwähnt, im gesammten Thierreiche nachweisbar ist. Man würde mithin diesen Schluss verallgemeinern dürfen, und jene Para- siten nur während ihres Lebens für nicht verdaulich erklären, womit aber ein neuer Widerspruch geschaffen wird, wenn man sich der Verdaulichkeit lebenden Gewebes erinnert. Offenbar wird man diesen Widerspruch nur für einen scheinbaren halten können, was zu erörtern im Nachfolgenden versucht werden soll. Wenn wir bei den niedersten Organismen anfangen, so treffen wir zu- erst auf die Bakterien. Sie finden sich weit verbreitet und in colossalen ‚Mengen im Darmtraetus, so bei den Säugethieren, und unter diesen be- sonders bei den Nagern; bei den Vögeln, hier vor Allen bei Gänsen, Enten u. s. w.; und endlich bei den Amphibien, kurz bei allen denen, deren Nahrung eine mehr oder weniger wässerige ist. Bekanntlich schreibt man neuerdings sogar den Bakterien des Blinddarms der Nager einen fördernden und unterstützenden Einfluss auf die Verdauungsvorgänge zu. Viel spärlicher bemerkte ich die Bakterien im Darm der Fische, was vielleicht daher rührt, dass sie nicht so viel Gelegenheit zum Verzehren verwesender Substanzen haben, als viele Landthiere. Nur die Rochen und ähnliche am Grunde sich anfhaltende Fische machen eine Ausnahme. Auch der Insectendarm enthält nur wenig von diesen Organismen, nur eine verschwindende Menge im Verhältniss zu höheren Thieren. Wie bekannt verursachen die Bakterien den Gestank der Faeces, und es lässt ! Verdauung lebenden Gewebes u. s.w. A.a.0. 8. 681. DIE VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 297 sich nicht leugnen, dass dieser bei den niederen Thieren kein so erheblicher ist, als etwa bei den Raubthieren. Müssten da nicht nach der alten teleo- logischen Vervollkommnungstheorie die Wirbellosen viel höher als die Wirbel- thiere, höher als selbst der Affe und Mensch stehen ? Wie überhaupt im Seewasser und in grossen Tiefen das Leben der Mikroorganismen ein sehr beschränktes ist, vielleicht weil ihnen der hohe NSalzgehalt nicht zusagt, vielleicht aber, weil sie durch das flüssige Element zu schnell vertheilt und verstreut werden, so verschwinden sie auch zumeist im Darm der niederen Seethiere, so der Quallen, Aktinien, Seeigel, Crusta- ceen u.S. w. Sehen wir aber andererseits, dass die Landarthropoden eben- falls wenig Bakterien im Darm beherbergen, wovon ich mich oft überzeugt habe, so wird man dafür noch eine andere Ursache suchen müssen und vermuthen dürfen, dass die Lebensbedingungen für sie im Darme dieser Thiere eben keine günstigen sind, wie ja auch der saure Magensaft der Wirbelthiere diese Organismen nicht aufkommen lässt: Nichts liegt näher als die Annahme, dass die etwa verschluckten, im Magen sowohl wie auch im Darmcanal der Wirbellosen getötet und verdaut werden. Von Robert Koch! und seinen Schülern ist, wie bekannt, nachgewiesen worden, dass die Magensäure als solche schon tödtlich auf die so säureempfindlichen Bakterien wirkt, und dass, wenn dies nieht geschieht, ein pathologischer Zustand eintritt, der bis zur asiatischen Cholera hinaufreichen kann. Nach dem Fehlen von Bakterien im Darmcanal der Wirbellosen aber möchte ich annehmen, dass auch in diesem Falle nicht allein die Säure das eigent- lich tödtende Princip, sondern vielmehr in gleichem Maasse das Enzym es ist. Wiederholt bemerkte ich beispielsweise, dass ein Pankreas auffallend lange der Fäulniss widersteht. Es giebt ferner eine ganze Anzahl von In- fusorien,? deren ausschliessliche Speise in Bakterien besteht, so besonders die Vortieellen, ferner nach Bütschli: Chilodon eucullus, Glaukoma sein- tillans, Paramaecium Aurelia; Stylonychia Mytilus u. s. w., von denen letz- tere, wie ferner viele andere Protozoen, auch von ihres Gleichen leben. Das von mir hier entdeckte Mesozoon: Salinella salve® frisst gleichfalls Bakterien. Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, dass die Bakterien im Allge- meinen nicht immun gegen Verdauungsenzyme geschützt sind, und ihre Immunität im Mitteldarme der Wirbelthiere ist entweder nur eine schein- ! Siehe: Carl Fraenkel, Grundriss der Bacterienkunde. u. s. w. Berlin 1887. 2 Null. 18228. ® O0. Bütschli, Bronns (lassen und Ordnungen des Thierreichs. Bd. 1]. Die Protozoen u. s. w.; — III. Abthlg. Die Ciliaten und Suctorien. A.a. 0. 1803. 3 Vergl. meine Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens. I. Mittheilung. Salinella salve; ein vielzelliges infusorienartiges Thier. — (Erscheint mittlerweile.) 298 JOHANNES FRENZEL: bare oder eine sehr beschränkte. Denn untersucht man den Mittel- darm streckenweise, so findet man überall je höher zum Magen hinauf um so weniger davon, die meisten aber im Diek- und Mastdarm, wo man annehmen kann, dass an diesen Orten kaum noch wirksame Enzyme vor- "handen sind. | Kehren wir nun zu dem oben erwähnten Verhalten eines ausgeschnittenen Pancreas zurück, so finden wir allerdings, dass es schliesslich doch der Fäulniss anheimfällt, gerade wie ein genügend feucht gehaltener Insecten- darm endlich auch fault. Dies kann an zwei Umständen liegen. Entweder‘ nämlich kann es gewisse Bakterien geben, welche gerade wie ein Bandwurm gegen Enzyme immun erscheinen; oder man kann annehmen, dass das an der Luft liegende Pankreas im fortdauernden Kampfe mit den einstürmen- den Mikroorganismen schliesslich seine Kraft verliert. Wieweit die erstere Annahme berechtigt ist, lässt sich wohl vorläufig nicht entscheiden, ehe nicht sorgfältige Culturversuche daraufhin angestellt sind, etwa in der Weise, dass man sterilisirtes Pankreasextract der Reihe nach mit verschiedenen Bakterien impft und die Folgen beobachtet. | | Gehen wir nun unter den eigentlichen Protozoen zu den Gregarinen über, so liegen hier die Verhältnisse ganz anders, denn sie leben und ge- deihen unzweifelhaft in den am wirksamsten Darmabschnitten. Oft kann man freilich bemerken, dass sie den hinteren Theil des Mitteldarmes vor- ziehen, z. B, bei Blatta, was aber möglicherweise darin seine Erklärung findet, dass sie hier besser verdaute und absorbirbare Nahrung antreffer, als weiter vorne. Oft aber vertheilen sich die Gregarinen auf alle Re- gionen des Mitteldarmes ohne Auswahl, wie ich dies seiner Zeit bei der Kallyntrochlamys Phronimae Frenz., die in der Phronima des Golfs von ‘Neapel haust, nachgewiesen hatte! Es ist ferner ganz augenscheinlich, dass die Gregarinen den Enddarm ihrer Wirthe als Wohnort verschmähen, wie auch die Coceidien im Besonderen die Zellen des Mitteldarmes und die der Lieberkühn’schen Drüsen bewohnen. Diese Thiere suchen mithin gerade denjenigen Darmabschnitt auf, wo die kräftigsten Enzyme ihre Wirksamkeit äussern. Nur den sauren Magensaft scheinen sie nicht ver- tragen zu können; denn im Magen eines Wirbelthieres sind noch keine lebenden Gregarinen aufgefunden worden. Hinsichtlich ihres mithin auf den Mitteldarm beschränkten Aufent- haltsortes nehmen die Gregarinen unter den Protozoen eine recht beachtens- werthe Stellung ein; denn es giebt in diesem Thierkreis zwar noch sehr zahlreiche Darmschmarotzer, ohne dass sie aber so strenge localisirt wären, wie jene Classe. ı Veber einige in Seethieren lebende Gregarinen. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXIV, S. 545. Die VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 299 Unter den Rhizopoden sind mehrere Darmschmarotzer aufzuführen, welche ebensowenig wie die vorhergehenden Organismen im Magen der Wirbelthiere zu existiren vermögen. Es sind ausschliesslich Amoeben. Es scheint zwar auf den ersten Blick, dass sie zwischen Mittel- und Enddarın des Wirthes keinen Unterschied machen. Bei genauerem Zusehen aber wird man sie mehr im letzteren Abschnitte, im Enddarm antreffen, doch so, dass sie noch ein Stück in den Mitteldarm hinaufgehen. Tritt dann diese Erscheinung in erhöhtem Grade ein, so lässt sie schon auf einen pathologischen Zustand des Wirthes oder doch des Wohnortes schliessen. Hierher gehören z. B. wohl die „Amoeben“, welche Lambl! auf der ent- zündeten Darmschleimhaut erkrankter Kinder fand. Die Amoeba Coli Lösch? hingegen scheint aus dem Dickdarm nieht emporzuwandern. Ist ferner das eigentliche Feld der parasitischen Amoeben der Darmcanal der wasserbewohnenden Amphibien, so ist doch bemerkenswerth, dass auch hier der Enddarm, die Cloake, bevorzugt wird. So fand ich in den hiesigen Kaulguappen mehrere neue Amoeben, massenhaft im Enddarm, spärlicher jedoch, je weiter nach vorne ich nachsuchte. Nicht anders ist es bei den Insecten, wo z. B. die Schaben Amoeben beherbergen; aber ich möchte sehr bezweifeln, dass sich hier jemals eine Amoebe in den Mitteldarm hinein verirrt. Gerade an dieser Stelle tritt mithin der Gegensatz zu den Grega- rinen klar zu Tage. Bei den sich jetzt anschliessenden flagellaten und eiliaten Infusorien herrschen im Grossen und Ganzen dieselben Bedingungen wie bei den schon besprochenen rhizopoden Parasiten, nur dass von den Flagellaten manche weit in den Dünndarm hinaufsteigen. So ist ja an diesem Ort das Vorkommen von Cercomonas intestinalis Lamb. bekannt (bei Kindern), und dasjenige ähnlicher Formen bei pathologischen Zuständen des Darmes (Cholera und Typhus). Nach’ Bütschli? bildet den Hauptsitz parasitischer Flagellaten „der Darmeanal in seinen verschiedenen Abschnitten“, doch ist sehr wahrscheinlich, dass Bütschli den Magen hiervon ausgeschlossen sieht, da er keinen einzigen Flagellaten aus dem Magen namhaft macht, soweit sich dies auf die Wirbelthiere bezieht. Der physiologisch meist gleichwerthe sogenannte Magen von Wirbellosen jedoch kann derartige Parasiten beherbergen, so bei Ostrea edulis, wo Trypanosoma lebt. Bei den Insecten, die oft Flagellaten bewirthen, constatirt man diese ! Siehe R. Leuckart, Die menschlichen Parasiten u. s. w. 1863. Bd.I.; — A.a. 0. 8.140 und 141, sowie Fig. 17 b. ° Bütschli, Profozoa. A.a.0. I. Abthlg. Sarcodina und Sporozoa. 8.168. ® Protozoa. A. a. ©. II. Abthlg. Mastigophora. 8. 868. — Nach Bütschli ist obige Flagellata kein Cercomonas, sondern wohl ein Megastoma oder Monocerco- monas. 300 JOHANNES FRENZEL: fast ausschliesslich im Enddarm, z. B. bei den Orthopteren (Blatta, Termes u. s. w.), wie auch die nahe stehenden Triehonymphiden nur in deren End- darm hausen, z. B. die von mir hier entdeckte merkwürdige Leidyonella cordubensis, aus Butermes inquilinus (?) Fahr. Unter den Suctorien findet bei gewissen Formen, nämlich bei den parasitischen Acineten (Sphaerophrya), ein eigenthümlicher Vorgang statt, indem diese, nachdem sie in das Innere anderer Infusorien eingedrungen sind, darin leben; und da wir das Endoplasma physiologisch nach einer Richtung hin dem Darmraume höherer Thiere gleichsetzen können, so’ können wir jene Parasiten gewissermaassen auch als solche des Darmes ansehen. Erwägt man sodann noch die energische Verdauungsthätigkeit der Infusorien, so wird man sich sogar in hohem Grade wundern müssen, wie jene Sphaerophryen unter solchen Umständen zu existiren vermögen. Die ciliaten Infusorien, um auch von diesen zu sprechen, weisen die holotrichen Opalien als echte Schmarotzer auf. Soweit aber bis jetzt feststeht, ist ihr eigentliches Gebiet ganz unverkennbar der Enddarm z. B. der Mastdarm der Anuren mit Opalina ranarum u. s. w. und der entsprechende Abschnitt bei Blatta mit Nyctotherus ovalis u. s. w. Das Balantidium coli, sowohl beim Menschen wie beim Schweine angetroffen, wandert bei diesem sogar bis in’s Coecum. An gleicher Stelle soll auch das Pferd einige un- sichere Ciliaten beherbergen.” Als merkwürdig sei dann noch Balantidiopis (sog. Bursaria) duodeni genannt, welches, wie schon sein Name andeutet, sich das Duodenum des Frosches, also einen sehr kräftig verdauenden Darm- abschnitt, zum Wohnort ausgesucht hat. Ein scheinbar ganz abweichendes Verhalten zeigen die Genera Ophryo- scolex und Buetschlia, welehe im Pansen und Reticulum der Wiederkäuer leben, also im Anfangstheile des Darmtractus. Wenn man freilich bedenkt, dass diese Theile noch keine eigentlich verdauende Wirkung ausüben, so ist jenes Verhalten ein weniger befremdendes. Mit Recht aber bezeichnet Bütschli die Angaben List’s über das Vorkommen von gewissen Ciliaten im Magen des Schafes zweifellos als einen schlimmen Irrthum. Wird somit der Mitteldarm der Wirbelthiere von Infusorien vermieden, so scheint dies bei den Wirbellosen nicht mehr so strenge durchgeführt zu sein, was aber deswegen nicht sicher beurtheilt werden kann, weil gerade hier zumeist genauere Angaben über den von Parasiten bewohnten Darm- abschnitt nicht gemacht sind. Das in einem Seeigel, Tosopneustes lividus, schmarotzende Kryptochilum Echini glaube ich jedoch auch in seinem Mittel- darme beobachtet zu haben. Zum Schluss sei dann noch erwähnt, dass auch die Gastralhöhle der Coelenteraten ciliate Infusorien als Bewohner führen kann. 1 Bütschli, Protozoa. III. Abthlg. S. 1809. Die VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 301 Gehen wir nunmehr zu den Typen der Coelenteraten und Echino- dermen über, so giebt es unter diesen keine einzige darmschmarotzende Form. Der Typus der Würmer hingegen enthält, wie bekannt, die Mehr- zahl aller bekannten Parasiten. Hier haben wir zunächst die Bandwürmer. Diese vermögen nun nicht im Magen der Wirbelthiere zu leben, sondern nur im Mitteldarm, wo sie allerdings dicht hinter dem Magen sitzen können. Es scheint kein einziger Fall von dem Vorkommen eines Band- wurms im Magen bekannt zu sein, im Gegensatz zu den Trematoden, welche zwar auch den Magen der Warmblüter zu verschmähen scheinen, dagegen an dem entsprechenden Orte gewisser Fische auftreten. So fand ich eine Distomum-Art im mittleren Fundustheile des Magens von Seyllium catulus in Triest. Sonst halten sie sich freilich im eigentlichen Darme auf, wo man gelegentlich auch Distomum hepaticum findet, während bei den Chi- nesen Distomum crassum, und bei den Aegyptern nach Bilharz Distomum heterophyes nicht selten sein soll. Aus dem Darme der Ente ist Distomum militare, aus dem des Frosches Distomum celavigerum bekannt,. während sich den oben genannten Magenparasiten noch Distomum ventricosum des Herings, Distomum excisum! des Scomber u.s. w. anreihen. Von Polytomum ocellatum wird berichtet, dass es in der Rachenhöhle von Emys lebe, was uns hier aber deshalb nicht weiter berührt, weil in jenem Darmabschnitt keine Verdauung mitspielt. Während es immerhin nicht viel Trematoden aus dem Magen von Kaltblütern giebt, so nehmen die Nematoden ein theilweise ganz anderes Verhalten an. Viele sind zwar auch specielle Darmbewohner, wie etwa Ascaris Iumbricoides, aus dem Dünndarm des Kindes, als auch der Neger Brasiliens. Seltener bemerkt man sie im Dickdarm, vielleicht weil die ihnen zusagende Nahrung dort schon fehlt, und noch seltener ereignet es sich, dass sie sich in den Magen hinein verirren, wo sie aber kaum zu leben vermögen, da der durch sie veranlasste Brechreiz sie sofort hinaus- befördert. Ein interessanter Fund Leuckart’s? hat uns jedoch belehrt, dass die Embryonen von Ascaris mystax der Katze auch in deren Magen leben können, wo sie mindestens 24 Stunden verweilen, was nach Nelson nicht selten vorkommen soll. Nichtsdestoweniger kann man hierin nur vor- übergehende Erscheinungen erblicken; und wenn man erwägt, dass auch die anderen Ascariden, wie A. megalocephala aus dem Dünndarm des Pferdes und Rindes sich auf diesen Darmabschnitt beschränken, so wird man dieses Verhalten für die Warmblüter als das normale ansehen dürfen. Anders ist es hingegen bei kaltblütigen Wirbelthieren. So fand ich ! Wohnt gleichfalls im Magen des Wirththieres. ®? Rudolf Leuckart, Die menschlichen Parasiten u.s. w. Bd.Il. S. 280, 302 JOHANNES FRENZEL: im Magen unserer Rieseneidechse, Iguana genannt, (Tupinambis tesuixin Boul.) eine ausserordentliche Menge von sehr grossen, wohlgenährten Spul- würmern, was mit einer früheren, im Magen von Seyllium gemachten Be- obachtung gut übereinstimmt, zwei Befunde, auf welche ich deswegen be- sonders aufmerksam machen möchte, weil Analoga dazu wohl noch wenig bekannt sein dürften. Während es mithin eine ganze Reihe von Würmern giebt, die sich einen sehr kräftig verdauenden Darmabschnitt als Wohnort erwählt haben, so ist dies bei anderen nicht der Fall. So leben die Oxyuren fast aus- schliesslich im Mastdarm der Warmblüter von deren Koth, wie ich auch im Enddarm einer hiesigen Schabe, Blabera Claraziana, Oxyuren antraf, während sie im Mitteldarm durchaus vermisst wurden. Hier lebte vielmehr massenhaft eine Gregarine, G. Blabera Frenz., über die an anderen Orten zu berichten sein wird. Auch die Trichocephalen ziehen die hinteren Darm- abschnitte vor, während der in warmen Ländern nicht seltene Strongylus (Dochmius) duodenalis, wie schon sein Name besagt, das Duodenum, ferner das Jejunum u. s.w. bewohnt. Darin gleicht er also den Ascariden. Es ist bekannt, dass sich die Triehine nur ganz kurze Zeit im Magen aufhält, nämlich so lange, bis die Kalkkapsel durch den sauren Magensaft zerstört ist, um dann schleunigst in den Dünndarm zu wandern. Vermuthlich würde sie in dem ersteren Orte wohl bald zu Grunde gehen. Im Dünndarm aber können die Trichinen wenigstens eine Woche lang leben, oder doch so lange, bis sie ihre Jungen geboren haben, welche ihrer- seits bald die gastlichen Räume des Darmes fliehen. Um die Würmer abzuschliessen, haben wir uns noch der wie die Cestoden darmlosen Echinorhynchen zu erinnern, welche mit diesen den gleichen Aufenthalt bei verschiedenen Wirbelthieren haben. Von Arthropoden, die wir flüchtig überblicken, sind echte Darm- entoparasiten nicht Jekannt; auch Fliegenlarven können nicht, wie zuweilen noch behauptet wird, im Darme leben, da ihnen der für sie zum Athmen nothwendige Sauerstoff mangelt. Was ferner die Mollusken und Fische als Parasiten liefern, verdient kaum noch diese Bezeichnug und beschränkt sich auf den Enddarm von Holothurien, so die Entoconcha mirabilis und Andere ! einerseits und der berühmte Fierasfer andererseits. Aus der nunmehr abgeschlossenen Uebersicht der Darmparasiten können einige interessante Folgerungen gezogen werden, wozu aber zum näheren Verständniss noch einiges vorausgeschiekt werden muss. ' SieheP. Schiemenz, Parasitische Schnecken. Biologisches Centralblatt. Bd. IX. Nr. 18 u. 19. Die VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 8309 Mit Rücksicht auf die Verdauungsorgane der Wirththiere, um da- von auszugehen, muss ein scharfer Unterschied zwischen Wirbelthieren und Wirbellosen gemacht werden. Erstere besitzen einen Darmtractus, der in eine vordere Abtheilung, den Magen, und eine hintere Abtheilung, den eigentlichen Darm (Mittel-, Dünndarm u. s. w.) geschieden ist. Im Magen trifft man ganz alleemein ein saures Enzym, im Darm hingegen ein neu- trales oder schwach alkalisches. Anders ist es nun bei den Wirbellosen. Hier giebt es zwar auch Darmabschnitte, welche ihrer äusseren Gestaltung nach als „Magen“ bezeichnet werden und dem Gebiete des Vorderdarmes angehören. Es fehlt aber sowohl eigentliches Pepsin und die Salzsäure, wie auch oft überhaupt ein besonderes Enzym, so dass dann jener Darm- abschnitt dem Pansen der Wiederkäuer oder dem Kropf der Vögel als analog zu betrachten ist. Und wenn ein Enzym vorhanden ist, so stammt es entweder von besonderen Speicheldrüsen, oder es ist doch identisch mit dem des Mitteldarmes, das oft von selbständigen Drüsen, den Mitteldrüsen, auch Lebern genannt, herstammt und tryptischer Natur ist. Eine Unter- scheidung in Magenparasiten einerseits und Darmparasiten andererseits kann aus diesen Gründen nur bei den Wirbelthieren vorgenommen werden. Hier haben wir nun gefunden, dass die letzteren bei Weitem überwiegen, wäh- rend das Auftreten von Magenparasiten doch ein vereinzeltes zu nennen ist, ein Umstand, der bisher nur wenig beobachtet worden ist und für den mein bei der Iguana gemachter Fund von besonderem Werth sein dürfte. Die Darmparasiten der Wirbelthiere könnte man weiterhin eintheilen in solche des Mitteldarms, in solche des Enddarms und solche, die beiden Gebieten angehören können, eine Unterscheidung, die auch bei den Wirbel- losen angewendet werden mag. Gehen wir nun genauer auf die Wirbelthiere ein und fragen nach der Ursache jener Abgrenzung, so wird man sofort die Meinung äussern, der saure Magensaft sei der Feind der Parasiten. In der That giebt es zahl- reiche Beispiele, welche zu beweisen im Stande sind, dass jene Parasiten, welche im eigentlichen Darme ganz gut leben können, im Magen getödtet und verdaut werden. Ja gerade auf dem Umstande, dass an diesem Orte ge- wisse Theile ihres Organismus zerstört werden, beruht ihr Einwandern durch den Magen in den Darm, derartig, dass sie gewissermaassen erst eine Vor- bereitung erfahren. So äussert sich R. Leuckart:!' „Um den Embryo aus den dicken Eihüllen zu befreien, bedarf es besonders günstiger Um- stände; das Ei gelangt mit seiner Hülle zunächst in den Magen eines Thieres, und hier geht unter dem Einflusse der Magensäfte dann eine Auf- 1 Die menschlichen Parasiten u.s.w. Bd.]. S. 60. 304 JOHANNES FRENZEL: lösung oder wenigstens eine Auflockerung der Eihülle vor sich, so dass der Embryo jetzt ohne sonderliche Schwierigkeiten hervortritt.“ Dass wir es also in derartigen Fällen wirklich mit einem Verdauungsphaenomen zu thun haben, kann nach den von Leuckart in dieser Beziehung an- gestellten Beobachtungen ! und Experimenten kaum noch beweifelt werden. Vielleicht aber ist das wirkende Agens hier in der Säure gegeben; denn Leuckart fand bei Wirbellosen, wo sie ja mangelt, dass die Wurmeier- schalen nicht verdaut wurden. — Bekannt ist ferner, dass auch einge- kapselte Parasiten, z. B. die Trichinen, im Magen von ihrer Kapsel befreit werden, ein Vorgang, der sich leicht begreifen lässt, da diese aus Kalk be- steht. Nach der Ansicht Leuckart’s, wird sodann das hervorgeschlüpfte Thier durch seine dicke Schale vor den Angriffen des Magensaftes geschützt (a. a. 0. I. S. 76), während andererseits die weniger widerstandsfähige Schwanzblase der Finnen, wie auch die sie umgebende Cyste ganz constant der Verdauung unterliegen, was nach demselben Autor auch in künstlichen Verdauungsgemischen stattfindet (a. a. 0. Blasenwürmer. S. 156). Es kann nun ferner der Beweis geführt werden, dass Bandwürmer im Proglottidenzustand im Magen verdaut werden. Füttert man bei- spielsweise, wie es Leuckart that, einen Hund mit (unreifen) Band- würmern von Taenia coenurus (a. a. 0. I. S. 108), so findet man sie nach- her sämmtlich verdaut, und zwar so vollständig, dass auch — und dies ist wichtig — ihre als so widerstandsfähig angesehene Cutieula verdaut wird. Zwar treten diese Erscheinungen nicht überall gleichmässig zu Tage; denn man kann Mäuse mit Eiern von Ascaris lumbricoides füttern, worauf diese oft unverändert den Darm passiren. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass die Eier eine sehr dicke Schale haben, welche sie eine Zeitlang zu schützen im Stande ist, und dass ferner die Verdauung im Mäusedarm eine ungemein rasche ist, so dass also der Einwirkung’ der Verdauungssäfte nicht viel Zeit gelassen wird. Einen Rückschluss auf den schnellen Ver- lauf der Verdaung kann man, dies sei nebenbei bemerkt, aus dem Um- stande herleiten, dass Mäuse nur kurze Zeit, kaum viel mehr als 24 Stun- den, zu hungern vermögen. Ein ganz anderes Resultat fanden Leuckart (a. a. OÖ. II. S. 226) und Davaine bei einem (erwachsenen) Hunde, welcher die Eier des Spulwurmes regelrecht verdaute. Der Schluss, den wir nun berechtigt sind, aus obigen Angaben zu ziehen, ist der, dass die Widerstandsfähigkeit der Eingeweidethiere gegen die Verdauungskraft im Allgemeinen nur eine bedingte ist. Ja, wenn sie eine vollkommene wäre, so würden viele Parasiten, wie etwa die Trichinen \ Die menschlichen Parasiten u.s.w. Bd.I. S. 60; — Die Blasenwürmer und ihre Entwickelung. Giessen 1856. S. 100. Dıe VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 305 oder die Oxyuren gar nicht im Stande sein, in den Darm einzuwandern; denn hierzu ist ein wirklicher, durch ein Enzym veranlasster Verdauungs- ' vorgang erforderlich, und die einfache chemische Einwirkung der Magen- säure genügt nicht. Müssen doch die Eier der in den Schaben hausenden Oxyuren den säurefreien Mitteldarm ihrer Wirthe passiren, um dort von ihren Schalen befreit zu werden. Aber wenn man andererseits sieht, wie ein Bandwurm oft Jahre lang im Dünndarm vegetiren kann, wie doch sein Kopf und die Glieder wenig- stens einige Monate aushalten, so muss uns dies in die grösste Ver- wunderung versetzen, die sich noch steigern müsste, wenn man ferner Thiere sieht, die sogar den sauren Magensaft so gut zu vertragen im Stande sind. Um dies zu beleuchten, möchte ich erwähnen, dass ich eine Iguana etwa drei Monate lang in der Gefangenschaft hielt und mit Fleisch fütterte. Während dieser Zeit gelang es mir nur zwei oder drei Spulwürmer in ihren Abgängen zu finden, und als ich sie nach plötzlich erfoletem Tode öffnete, zeigte sich der Magen stark mit Spulwürmern besetzt, welche ihrer statt- lichen Grösse nach wohl mehr als drei Monate lang im Magen gehaust hatten. Denn ich halte es für wahrscheinlicher, dass die Infection der Eidechse schon vor der Gefangennahme erfolgt war, da sowohl der spätere Aufenthaltsort — das zoologische Laboratorium — wie auch die Nahrung — Rindfleisch — dazu kaum Gelegenheit geboten hätten. Auch sei noch hervorgehoben, dass jene Spulwürmer schon in der ersten Zeit der Ge- fangennahme abgegangen waren. Es gab eine Zeit, wo man sich in schwierigen biologischen Fragen mit der „Lebenskraft“ aushalf; sie musste auch herhalten, um die Nichtverdau- barkeit der Darmparasiten zu erklären. Aber die mystische Lebenskraft ist geschwunden und damit auch diese Erklärung. Später nahm man sodann an, dass es die meist kräftige Cuticula der Parasiten sei, welche den Widerstand bedingt. Jedoch nur soweit, als sich dies auf die dickschaligen Eier bezieht, welche ausserdem nur ganz kurze Zeit im Darmtractus zu verweilen bestimmt sind, kann dieser Widerstand ein hervorragender sein, wie ja sogar auch die dicke Eischale im Magen zu Grunde geht, ohne sich selbst schützen zu können. Die Distomeen, von denen ich, wie schon ge- sagt, welche im Seylliummagen antraf, besitzen ebensowenig wie die Band- würmer eine auffallend dicke und feste Cuticula nach Art der Spulwürmer. Die Amoeben endlich, welche ich hier im Darm von Kaulquappen sah, stiegen gerade wie die Opalinen soweit in dem engen und langen Darm- rohre hinauf, dass sie sicher noch mit Enzymen in Berührung kommen mussten. Demnach haben sie gar keine Cuticula, wie überhaupt keine einigermaassen feste Hautschicht und leisten doch den gleichen Widerstand wie andere Darmbewohner. Erinnert man sich zum Schluss, dass die ge- Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 20 306 JOHANNES FRENZEL: \ sammte Magen- und Darmwandung denselben Enzymen preisgegeben ist und im Allgemeinen ebenfalls eines cuticularen Schutzes ! entbehrt, so wird man der Cuticula, auch wo sie wirklich wohl ausgebildet ist, doch nur eine secundäre Bedeutung zuerkennen dürfen. Um dieser Frage auf experimentellen Wege näher zu kommen, habe ich einige Versuche über die Verdaulichkeit der Bandwürmer ausgeführt. Im Darme gleich hinter dem Magen eines Rochen (Triest) fand ich wieder- holt kleine Bandwürmer (Abothryum?) in grosser Menge. Ich setzte nun ein künstliches kräftiges Verdauungsgemisch an, aus Salzsäure 2:1000- und Pepsinum german. purum von Finzelberg. That ich einige von jenen Bandwürmern hinein, so machten sie zuerst sehr lebhafte Be- wegungen, wie um sich zu befreien. Im Verlauf von etwa 15 Minuten wurden diese schon matter, gingen in scharfe Zuckungen über, und am Ende der 15. Minute trat völlige Bewegungslosigkeit ein, die auch beim Reizen und Uebersetzen der Bandwürmer in Seewasser bestehen blieb. Mithin war Tod eingetreten. Die Cadaver fangen hierauf an zu quellen und glasig durchscheinend zu werden, und nach weiteren 15 Minuten war eine fast vollständige Auflösung, also die Verdauung eingetreten, von der alle Gewebe des Wurmes ergriffen wurden. Die gleichen Thierchen in reine Salzsäure von 2:1000 Gehalt gelegt, starben zwar auch ziemlich schnell, quollen auch auf, wurden aber nicht gelöst. Dasselbe Verdauungsresultat wurde sodann erzielt, wenn ich aus dem Magen des Fisches unmittelbar ein Verdauungsgemisch bereitete, indem ich die Magenwand zerkleinerte und mit verdünntem Seewasser anrührte. Die Bandwürmer starben und wurden verdaut. Werden diese drei Resultate mit einander verglichen, so erscheint es wahrscheinlich, dass das tödtende Agens die Säure ist, obwohl sie im letzten Versuche nur eine schwache sein konnte. Sie bewirkte ferner das Quellen und Glasigwerden. Der Bandwurm ist mithin gegen Säure recht empfind- lich, was andere Gewebe oft nicht sind. Denn in meinem Froschsehenkel- versuch hatte die Salzsäure auf das lebende Hautgewebe (Epidermis) keinen ! Im gesammten Thierreiche besitzt das Mitteldarmepithel wie aber auch die Epi- thelien von Ausführungsgängen der Drüsen (z. B. der Niere) und die Epithelien der Drüsen selbst (z. B. der Malpighi’schen Gefässe) den feinstreifigen aus Härchen oder Borstehen enstehenden Deckelsaum. Seine Vergänglichkeit lässt ihn nicht geeignet erscheinen, als Schutz gegen chemische Insulte zu dienen. Ich möchte ihn aber, wie ferner die oft beobachtete Längsstreifung in den Zellen, als einen mechanischen Schutz für die noch empfindlichere nackte plasmatische Zelle ansehen, der nach Art eines Pfahlwerkes so angeordnet ist, dass einem Durchpassiren von Flüssigkeiten behufs der Secretion und Absorption freier Raum gelassen ist. DIE VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 307 hervorragenden Einfluss ausgeübt, sondern hat dies erst in Verbinäung mit Pepsin. Sind nunmehr die Bandwürmer nicht immun gegen Magensäure, so sieht man, gerade wie bei der Froschepidermis, das Gegentheil bei den- jenigen Parasiten, welche den Magen zum Wohnort haben. Es ist schon oben erwähnt worden, dass im Magen von Scylliium eine Distomum-Art lebt, der sich eine Ascaris zugesellt. Die abpraeparirte Magenschleimhaut dieses Fisches wurde in Streifen geschnitten und mit verdünntem (etwa 1 procentigem) Salzwasser extrahirt, welches Salzsäure 1:1000 enthielt. Bei einer Zimmertemperatur von etwa 18°C. liess ich dies Gemisch auf obige Würmer wirken. Allem An- scheine nach befanden sich diese nun unter solchen Umständen ganz wohl und zeigten noch nach zwei Tagen Zeichen eines normalen Lebens. Dasselbe geschah sogar bei Anwendung stärkerer Salzsäure (2:1000). Ein Vergleichsversuch zeigte ferner ihren geringen Einfluss; denn leste ich die Würmer in eine Säure von jenem Gehalte, so blieben sie mehrere Tage lang am Leben. Zu einem weiteren Versuche setzte ich nun ein kräftiges künstliches Verdauungsgemisch an, bestehend aus dem schon genannten Pepsin, aus Salzsäure 1:1000 und Salzwasser 1 Procent. Die Temperatur war 17°C., der des Seewassers entsprechend. Das Resultat war in gewisser Hinsicht überraschend. Die Ascariden, welche in der Flüssigkeit weilten, verhielten sich zwar während der Be- obachtungszeit von zwei Tagen ganz normal; die Distoineen jedoch blieben nur etwa sechs Stunden unverändert. Dann starben sie und wurden mit sammt ihrer Cutis verdaut. Mithin waren sie nicht im Stande, dieses stärkere Verdauungsgemisch zu ertragen, welches übrigens, was den Säure- gehalt betrifft, nicht stärker als das natürliche, durch Extraction hergestellte war. Reich war es lediglich an Pepsin. Der Tod der Saugwürmer trat verhältnissmässig so schnell ein, dass man als Ursache nicht wohl den Nahrungsmangel betrachten kann. Mit demselben Material aus Seyllium wurden noch weitere Versuche angestellt, nämlich um die Einwirkung des tryptischen Enzyms zu er- proben. Der Mitteldarm und das Pankreas dieses Fisches wurden mit 3/, procentigem Salzwasser extrahirt und das Extract bei etwa 17°C. an- gewendet. Auch in diesem Falle blieben die Ascariden ganz unberührt, “was nicht überraschen kann, da man ja weiss, dass diese Würmer gewöhn- lich im Dünndarme hausen. Auch die Distomeen hielten sich etwa 24 Stun- den. Dann aber starben sie und wurden verdaut. Hier ist es ja nun recht wohl möglich, dass sie an Hunger zu Grunde gingen. Dennoch hielten sie dem tryptischen Enzym länger Stand, als dem peptischen, ohne aber 20* 308 JOHANNES FRENZEL: unverdaubar zu sein, wie sie sich ja auch im Magensaft als verdaubar erwiesen hatten. Ja, die Verdauung ist eine ganz vollständige und läss nicht einmal von der eutieulären Hautschiehte nennenswerthe Reste übrig. Hieran ist nun die Frage zu knüpfen, worin das Nichtverdautwerden einerseits und das Verdautwerden andererseits seinen Grund haben mae. Wie schon betont worden, muss die Cuticula oder Haut vorläufig aus- geschlossen bleiben, und besonders die Ansicht muss bekämpft werden, dass erstere aus einer an sich nicht verdaulichen Substanz von chitinigem Charakter bestehe. Denn dagegen sprechen sowohl die eben erörterten Versuche wie auch zahlreiche Angaben Leuckart’s u. A. Dass allerdings Chitinsubstanzen schwerer verdaulich seien, soll nicht geleugnet werden, denn der Koth der Insectenfresser enthält reichliche Chitinreste. Auch eine Spinne, welche ein Insect aussaugt, verschmäht dessen Panzer. Wie ich oft beobachtet habe, löst sie mittels eines Secretes die Weichtheile der mit den Mundwerkzeugen gepackten Beute und saugt dann die entstandene Flüssigkeit auf, die Chitinschicht zurücklassend. Der Maeensäure der In- sectenfresser widersteht das Chitin auf die Dauer zwar nicht, wie mir ein Versuch lehrte, den ich an einem mit Salzsäure-Pepsin behandelten Käfer anstellte. - Bei dieser Gelegenheit möchte ich einiger Experimente gedenken, welche mein College Professor Kurtz in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Claude du Bois-Reymond im physiologischen Institut zu Berlin vor einer Reihe von Jahren angestellt hatte, ohne sie jedoch zu veröffentlichen. Mit Erlaubniss des Ersteren sei kurz darüber berichtet. Die Experimentatoren behandelten sowohl lebende wie auch todte Insecten mit einem sauren Verdauungs- gemisch und fanden nur die letzteren verdaut. Dies würde gegen die All- gemeingiltigkeit meines Froschschenkelversuches sprechen. Allein jenes Experiment hat einen Fehler. Die Chitinhaut eines lebenden Insectes, namentlich eines- glatten Käfers, benetzt sich bekanntlich nicht mit wässerigen Flüssigkeiten, selbst nicht die eines Wasserkäfers. Es ist, als wenn das Chitin mit einer öligen Schicht überzogen wäre, und es fühlt sich' auch bei einem trockenen Dytieus oder Hydrophilus schlüpfrig an. Ein todtes Insect mit Wasser zu benetzen gelingt viel leichter, namentlich wenn es nicht mehr frisch ist oder gar vorher in Alkohol gelegen hat. Man möchte glauben das Chitin sei mit einer wasserabstossenden Substanz durchtränkt, welche sich in Alkohol löst oder durch Eintrocknen schwindet, einer Substanz, welche gleich dem Chitin ein Secret der Hypodermis sein könnte. Die von jenen Experimentatoren lebend in Verdauungssaft ge- setzten Käfer kamen also wahrscheinlich gar nicht in unmittelbare Be- rührung damit und wurden so geschützt. Ganz anders verhält sich schon eine lebende Fliege, deren Haut nur eine zarte ist und nicht einen solchen DıE VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 309 fettigen Charakter hat. Wenn ein solches Thier in ein Verdauungsgemisch gelegt wurde, womöglich so, dass es untergetaucht war, so wurde es bald verdaut. Dass daneben eine dicke Chitinhülle als solche ein sehr guter Schutz ist, kann man an den so dickschäligen Rüsselkäfern gewahr werden, welche im Magen des Frosches noch eine ganze Zeit lang zu leben vermögen, während eine Fliege wohl sofort stirbt. Wir sind auf jene Erscheinungen deswegen so ausführlich eingegangen, weil wir späterhin noch darauf zurückkommen müssen. Zunächst seien noch einige andere Verdauungsversuche herangezogen. Wie schon mitgetheilt worden, bewirthet der Magen der Iguana zahl- reiche Ascariden. Ich wiederholte nun zuvörderst meine früheren Versuche und unterwarf diese Parasiten einer künstlichen Verdauung. Das Resultat entsprach völlig den vorhergehenden und die Thiere blieben am Leben. Nun fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn sie auf irgend eine Weise abgetödtet und dann sofort in den Verdauungssaft gelegt werden würden. Wiewohl man nun annehmen sollte, dass auch jetzt keine Verdauung stattfinden würde, so war doch das Resultat ein ganz anderes. Einige Ascariden wurden zu diesem Behufe dem Magen einer Iguana entnommen und durch Eintauchen in heisses Wasser getödtet. Als sie starr und todt waren, was sofort geschah, kamen sie in die Verdauungs- flüssigkeit, in welcher zum Vergleich schon einige lebende Spulwürmer lagen. Diese blieben natürlich unversehrt; die todten jedoch quollen bald auf und wurden innerhalb einiger Stunden fast vollständig, also sammt der Cuticula, gelöst bezw. verdaut. Wie ist nun dieser merkwürdige Vorgang zu erklären? Die Organisation der Würmer, die Dieke der Cuticula u. s. w. ist doch bei frisch getödteten Thieren dieselbe wie bei lebenden. Dort wird sie ver- daut und hier nicht. Die Substanz der Cuticula, die ja eine chitinige ist, kann also im ersteren Falle kein Hinderniss abgeben, da sie sich doch gleich bleibt; denn es ist nicht gut anzunehmen, dass sie durch das Ein- tauchen in heisses Wasser oder überhaupt durch den Tod leichter verdau- lich werden, als im Leben. Eher sollte man vielleicht glauben, dass das Gegentheil eintrete, dass die durch Hitze bewirkte Coagulation die Ver- dauung erschwere. Einen anderen Einwand könnte man machen, nämlich, dass die Cutis durch das heisse Wasser leichter permeabel geworden sej- und dem Verdauungssaft einen freien Zutritt gestatte. In der That wird regelmässig das Innenparenchym schneller verdaut als jene Hautschicht, was sich aber so erklärt, dass diese erst gelockert und durchbrochen wird. Dann aber, da sie schwer oder auch wohl unvollkommen verdaulich ist, bleibt sie länger intact. Würde aber wirklich eine grössere Permeabilität 310 | JOHANNES FRENZEL: an der todten Cutis vorhanden sein, so würde sich damit einmal nur ein beschränkter Kreis von Erscheinungen erklären lassen, denn eine schützende Cutis fehlt ja den rhizopoden Parasiten, andererseits aber muss doch schon die lebende Haut der Cestoden einen hohen Grad von Permeabilität besitzen, da durch sie auf osmotischem Wege die Aufnahme der Nahrung erfolgt oder erfolgen soll. Es ist da gar nicht einzusehen, warum nicht mit dieser Nahrung auch die Enzyme absorbirt werden und im Inneren des Parasiten eine Verdauung des Parenehyms bewirken. Trotz aller dieser Gründe wird man die Meinung aufrecht erhalten können, dass der Parasit durch seine Cuticula geschützt werde Man wird nur nach einer anderen und allgemein giltigen Erklärung suchen müssen, welche auch da Stich hält, wo eine solche Cuticula oder ein Ersatz da- für fehlt. Ueberblickt man die Darmparasiten, so muss auffallen, dass fast alle diejenigen, welche verdauungskräftige Darmabtheilungen bewohnen, eine mehr oder weniger kräftige Hautschicht besitzen, so besonders die Ascariden und in gewissem Sinne auch die Bandwürmer. Die im Gegensatz hierzu nackten Protozoen z. B. die Opalinen leben allerdings, wie wir sahen, auch im Mittel- darm, aber doch nicht in einem hinteren Abschnitt desselben, wo ohne Zweifel die enzymatische Wirkung eine gemilderte ist, und ziehen den neutralen Enddarm entschieden vor. Denn je weiter man den Darm eines Anuren etwa nach dem Ausgange zu untersucht, um so mehr Parasiten trifft man an, mit Ausnahme wohl der letzten Strecke. Dies Verhalten lässt sich ohne Zwang so erklären, dass mehr nach vorne im Darm die Verdauung eine derartig kräftige ist, dass viele Parasiten dort nicht mehr zu existiren vermögen, während im Endtheil des Mastdarms keine aus- giebigen Nahrungsstoffe mehr vorhanden sind. Auch würden hier die Para- siten mit dem Koth stets herausgeschleudert werden, was aber nur für die- jenigen einen Zweck hat, welche ausserhalb des Darmes ihre Entwickelung und Fortpflanzung vollenden müssen, wie z. B. die reifen Proglottiden des Bandwurms. Wie bei den Wirbelthieren, so verhält es sich auch bei den Wirbel-. losen, wofür die Gregarinen ein schönes Beispiel abgeben. Ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort ist der Mitteldarm der Arthropoden u. s. w., und alle Gre- garinen besitzen eine recht feste Cuticula, welche gegen Chemikalien sehr resistent ist, sogar gegen starke Essig- und Salzsäure. Wenn man aus den erörterten Gründen eine hohe Widerstandsfähig- keit der cuticularen Bildungen nicht wird von der Hand weisen können, so wird nun nach einer Ursache hierfür zu suchen sein. Dass dieselben nicht absolut unverdaubar sind, wissen wir bereits. Ja, man kann sie nicht einmal als sehr schwer verdaubar bezeichnen. Demnach zeigt sie bei dem Die VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN. 311 langen Aufenthalte der Parasiten im Darm keine Verletzung, keine Spur einer Lösung, einer Anätzung u. s. w. Der Verdauungssaft wirkt stetig ein, und wenn überhaupt eine Verdauung der lebenden Cutieula möglich wäre, so müsste sie mit der Zeit dünner werden, oder Löcher erhalten. oder rauh und schilfrig oder wenigstens schleimig werden. Es geschieht aber nichts von alledem, wie man am besten an einer Gregarine sieht. Allerdings könnte man sagen, dass recht wohl von aussen eine Lösung bezw. Verdauung stattfände, die eine an allen Stellen gleichmässige sei, und dass von innen ein stetes Nachwachsen vor sich geht, so dass die Dicke der Hautschichte immer erhalten bliebe Damit wäre aber ihre Verdaubarkeit während des Lebens zugestanden. Allein diese Erklärung muss grosse Bedenken hervorrufen. Man erinnere sich, dass im Magen oder Dünndarm oder im Mitteldarm der Arthropoden die Verdauung eine so kräftige ist, dass die Cutis rasch angegriffen werden würde, weshalb man sich schwer vorstellen kann, wie sie ebenso rasch wieder ersetzt werden sollte. Ferner müssten nach meiner Ansicht Spuren davon wahrzunehmen sein, was aber nicht der Fall ist. Eine Gregarine z. B. kann man längere Zeit unter dem Mikroskop beobachten, ohne dass die membranöse Cuticula irgend eine Veränderung aufweist. Sie ist und bleibt vollkommen glatt- randig und zeigt stets einen gleichmässig scharfen Umriss, ohne Lücken, Rauhigkeiten und Anätzungen, wie ferner die Ascariden stets dieselbe glatte Haut haben. Man kann beispielsweise die Wirksamkeit von Salzsäurepepsin unter dem Mikroskope an einem kleinen Insect verfolgen und man wird finden, dass die Chitinhaut in ganz unregelmässiger Weise zerstört wird, was schliesslich — und das muss den Ausschlag geben — auch bei einem getödteten Spulwurm eintritt. Und warum sollte die Einwirkung des Enzyms auf die todte Cuticula in anderer Weise als auf die lebende ge- schehen, wenn sie überhaupt in beiden Fällen geschieht? Sind die bisherigen Erklärungsversuche nicht stichhaltig, so wird man nach anderen suchen müssen, wozu aber noch weiter ausgeholt und an die ganze Lebensthätigkeit der Parasiten angeknüpft werden muss. — Im All- gemeinen sind diese einfach organisirt und besitzen einen einfacheren ana- tomischen Bau als ihre nächsten Verwandten im Thierreich. Dass die dem Kreise der Protozoen angehörigen Darmparasiten keinen Darmtractus haben, erscheint uns selbstverständlich. Manchen von ihnen fehlen aber auch jegliche Verdauungsorgane, die ihre Nächstverwandten noch besitzen. Denn wie man das Entoplasma der Protozoen als solch’ ein Organ auffassen kann, so wird es bei den Opalinen, den Gregarinen und gewissen Amoeben ver- misst. Daraufhin angesehen gleichen diesen weiterhin unter den Würmern die Cestoden und Kratzer völlig. Ihre Ernährung geschieht, wie allgemein mit Recht angenommen wird, durch die äussere Haut, bezw. durch die 312 JOHANNES FRENZEL: Oberfläche, ohne dass man aber Genaueres über das Wie dieses Vorganges auszusagen vermag. Für gewöhnlich hilft man sich wohl leicht darüber hinweg, indem man die Nahrungsaufnahme als einen endosmotischen Vor- sang! durch das Integument hindurch bezeichnet; oder aber man spricht von Hindurchfiltriren, Aufsaugen u. s. w. ohne einen klaren Begriff damit zu verbinden. Meist scheint man wohl bei allen diesen Erläuterungen an einen rein physikalischen Process, nämlich den der Endosmose zu denken, indem man sich vorstellt, dass gelöste Chymusbestandtheile, also vornehm- lich Pepton, Zucker u. s. w., in den Körper der Parasiten hineindiffundiren, wie etwa dieselben Stoffe durch eine beliebige thierische Membran hin- durchwandern. Bei Licht betrachtet kann aber eine derartige Auffassung nicht halt- bar bleiben. Denn wenngleich auch eine als osmotische Membran fungirende Cuticula vielfach verbreitet ist, so mangelt sie, wie wir sahen, doch auch ebenso oft. Ferner lebt ein grosser Theil der Schmarotzer, wie wir zu con- statiren Gelegenheit hatten, dort, wo eine kräftige Verdauung stattfindet, wo sie also ausser den Peptonen u. s. w. noch die Enzyme und die Magen- säure antreffen. Fände nun eine einfache Endosmose statt, so müssten zwei Fälle möglich sein können; entweder die Enzyme und die Säure diffun- tirten ebenfalls durch das Integument, oder nicht. Ereignete sich das Erstere, so müsste man sich doch verwundert fragen, warum denn nicht das Parenchym der Parasiten ebenfalls verdaut wird, was doch unzweifelhaft geschieht, wenn es auf dem Wege des Experimentes mit den Verdauungs- säften in Berührung gebracht wird z. B. durch Zerschneiden eines Band- wurms. — Es hat bisher wohl Niemand das Eindringen der Enzyme in das Innere des Parasiten behauptet. Dann müsste man also das Gegen- theil annehmen; aber wie soll sich dies bei einem so einfachen physika- _ lischen Vorgange erklären, wie sollen die Peptone diffundiren können und die ebenfalls in Wasser gelösten Enzyme gezwungen sein, draussen zu bleiben? Denn geschieht dies, so ist doch kein gewöhnlicher endosmotischer Vorgang mehr zu constatiren. Mir scheint diese Ueberlegung danach angethan zu sein, jene Erklä- rung fallen lassen zu müssen. Dann bleibt nichts Anderes mehr übrig, als die Nahrungsaufnahme der Parasiten für Lebensthätiekeit derselben auszusprechen, welche gleichfalls auf eine Lebensthätigkeit von Zellen zurückzuführen sein muss. Mit Bewusstsein unserer jetzigen Kenntnisse ist zwar kaum zu ahnen, um welche Zellen es sich dabei handeln dürfte. bei den Bandwürmern u. s. w. ist es möglicherweise das Matrixepithel, ' Vergl. Carl Gegenbaur, Grundriss der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1878; — A.a.0. S. 169. Dıe VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES UND DIE DARMPARASITEN, 313 welches das Integument liefert, möglicherweise jedoch gewisse davon beson- ders differenzirte Zellen, alles Fragen, die noch nicht gelöst werden können, da unsere anatomischen Kenntnisse gar zu mangelhaft sind und die Forschung erst auf diese Umstände gelenkt werden muss. Das Interessante an diesen Verhältnissen ist aber, dass sie sich an viel allgemeinere Probleme an- schliessen, nämlich an die der Aufsaugung oder Resorption überhaupt, von der man allerdings auch oft anzunehmen scheint, dass sie durch einen einfachen endosmotischen Process zu Stande komme. Indem ich gedenke, bei einer anderen Gelegenheit darauf im Besonderen zurückzukommen, möchte ich hier nur kurz meiner Ansicht dahin Ausdruck geben, dass jene kesorption eine specifische Thätigkeit des Darmepithels sei, gerade wie es bei der Secretion der Fall ist, so etwa, dass jede Epithelzelle, wie schon oben angedeutet, etwa einer ale MD clogı.ch gleichwerthig: ist, bei der die Verdauung ja gewissermaassen auch eine extracelluläre ist. Wenn wir nunmehr eine active Resorptionsfähigkeit der Zellen an- nehmen, so werden wir leicht begreifen können, dass entweder nur die- jenigen Stoffe aufgenommen werden, die resorbirt werden sollen, während die anderen zurückbleiben, oder dass, wenn dies nicht der Fall ist, die mitaufgenommenen Enzyme sofort unschädlich gemacht werden, entweder durch eine bestimmte Substanz innerhalb der Zellen, oder durch irgend ein Secret, das man vielleicht als Antienzym bezw. als Antipepsin oder Antitrypsin bezeichnen könnte Eine solche Auffassung hätte sodann nicht nur für die Darmparasiten Geltung, sondern in gleicher Weise auch für sammtliche Darmepithelien, da diese ja, wie wir sahen, gewisser- maassen als Protozoencolonie dahinzustellen sind, wobei es vorläufig unentschieden bleibe, ob die nämlichen Zellen sowohl einer Secretion der Enzyme, wie auch einer Absorption der Peptone u. s. w., wie auch endlich der Bildung der Antienzyme zu dienen haben. Würde das Vorhandensein von mehreren Arten von Zellen und Drüsen im Magen und Mitteldarm der Wirbelthiere für eine solche Arbeitstheilung zu sprechen scheinen, wo- bei man für die Bedeutung jener Organe eine ganz neue Auffassung ein- führen müsste, so müssen doch die recht abweichenden Einrichtungen bei den Wirbellosen zu ganz besonderer Vorsicht mahnen. Nimmt man nämlich einen sehr einfachen Fall, den Mitteldarm der Artemia beispielsweise, über welchen ich binnen Kurzem zu berichten denke, so lässt sich dort nur eine einzige morphologisch charakterisirte Zellart erblicken, welche entweder . alle jene Functionen in sich vereinigt oder abwechselnd die eine nach der anderen vollzieht. Fassen wir nun die gewonnenen Resultate zusammen, so werden wir dabei stehen zu bleiben haben, dass die Resorption eine Thätigkeit von Zellen ist, welche durch die Zerstörung der Verdauungsenzyme bedingt 314 JOHANNES FRENZEL: DIE VERDAUUNG LEBENDEN GEWEBES U. S. W. wird. Geht man dann zu den Darmschmarotzern über, so wird man zwischen darmlosen und darmführenden zu unterscheiden haben. Die ersteren nehmen die Nahrung durch ihr Integument hindurch auf; es ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die letzteren dies ebenfalls thun. Denn warum sollten sie nicht den sich ihnen bietenden Vortheil ausnutzen und sich gleichzeitig von innen und von aussen ernähren, was möglicherweise schon die mit einem Darm behafteten Vorfahren der Bandwürmer gethan haben. Ja man nimmt auch etwas Aehnliches von jedem Säugethier- Embryo an. \ Finde nun die Ernährung der Darmparasiten in der einen oder der an deren Weise statt, so wird sich doch begreifen lassen, dass sie wohl nach dem Tode, aber nicht während des Lebens verdaut werden, wenn wir gleich- falls hier die Bildung eines Gegenenzyms voraussetzen, mag diese nun in einem bestimmten Gewebe oder einem bestimmten Organcomplexe vor sich gehen. Die gleichmässige Widerstandsfähiskeit des Integumentes allerdings lässt vermuthen, dass dieser Stoff ein Product der Hypodermis sei und die Cuticula in gleicher Art und Weise durchtränke. Wo eine Hautschicht nicht vorhanden ist, wird dieses Gegenenzym am ersten im Ectoplasma und dessen Differenzirungen, sei es eine Pellicula oder eine Alveolenschicht, zu suchen sein, so bei den Protozoen und dem von mir beschriebenen Mesozoon Satinella. Wenngleich wir gezwungen sind mit einer Hypothese zu schliessen, deren Grundlage noch durch keinen exacten Beweis gelegt ist, so glaube ich doch diejenigen Grenzen bezeichnet zu haben, bis zu welchen unser positives Wissen über gewisse Verhältnisse der Verdauungserscheinungen einerseits und der Lebensbedingungen der Darmparasiten andererseits reicht. ‚Vielleicht ist damit nur wenig gewonnen; vielleicht aber werden meine Ausführungen einen Fingerzeig abgeben können, wie allgemeineren phy- siologischen Problemen auf dem Wege einer vergleichend physiologischen Forschung näher zu treten wäre. Die Morphologie und Embryologie haben ja schon längst den innigen Zusammenhang zwischen dem Aufbau des menschiichen und des thierischen Organismus erkannt. Die Physiologie aber macht gemeinhin schon bei unseren „physiologischen Freunden“ Halt, wie man wohl Kaninchen und Frosch genannt hat; und die Zoologie hat mit ihren morphologischen Problemen so viel zu thun, dass sie gar zu leicht in eine einseitige Richtung. hineingeräth. Beitrag zur Lehre von der Unermüdlichkeit der Nerven. Von Alexander Szana, Prakticantem am Institute für allgemeine Pathologie des Hrn. Prof. Andreas Högyes in Budapest. Bernstein! untersuchte die Ermüdungserscheinungen des Nerven, indem er den Nerven eines Nervmuskel-Praeparates centralwärts reizte und, um den Muskel nieht zu ermüden, peripherisch elektrotonisirte. Als er jedoch dann den elektrotonisirenden Strom unterbrach, bemerkte er, dass die unter der Einwirkung des elektrotonisirenden Stromes gestandene Stelle leitungsunfähig war. Diese Leitungsunfähigkeit fasste er als eine Folge des „Abklingens des Elektrotonus“ auf und erklärte sie als eine Ermüdung sul generis. Als er dann ohne diesen elektrotonisirenden Strom experi- mentirte, fand er, dass der Nerv viel später ermüde als der Muskel. Dieses Gesetz ergab sich bei seinen Untersuchungen auch für die sensiblen Nerven. Als Wedenski? die negative Schwankung des Nervenstromes mit einem von ihm ersonnenen telephonischen Verfahren studirte, fand er, dass das Telephon noch bei einem durch neun Stunden gereizt gewesenen Nerven negative Schwankung des Nervenstromes nachwies. Durch diese Erchei- nung angeregt, untersuchte er die Ermüdungserscheinungen des Nerven mit demselben Verfahren, dessen sich ursprünglich Bernstein bediente. Er modifieirte dieses Verfahren folgendermaassen. Nachdem er mit einem mittelstarken oder starken Strome einen von der Reizungsstelle peripherisch gelegenen Nervenabschnitt leitungsunfähig gemacht hatte, verwendete er zur Weitererhaltung dieser Leitungsunfähigkeit die schwächsten Ströme. Nach Unterbrechung dieser schwachen Ströme gewann dann der vorher leitungs- unfähig gewesene Nervenabschnitt gleich wieder seine Leitungsfähigkeit. ! Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd.XV. S. 289. ? Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1884. S. 65. x 316 ALEXANDER SZANA: Bei dieser Versuchsanordnung fand er dann, dass der Froschnerv selbst nach sechsstündigem Erregungszustande nicht erschöpft sei. Bowditch! benutzte bei der Prüfung der Säugethiernerven das Curare. Die Endigungen des N. ischiadicus wurden bei einem Hunde durch Curare gelähmt, worauf dann der N. ischiadicus unausgesetzt gereizt wurde. Nach zweimaliger Application des Curare schwand die Curarelähmung nach vier Stunden, worauf dann der Muskel nach vorhergehenden unregelmässigen Zuckungen bald wieder ganz normale, regelmässige Zuckungen vollbrachte, als Beweis dessen, dass den N. ischiadieus der vierstündige Erregungszustand nicht erschöpfte. Dafür, dass die anfänglich unregelmässigen Zuckungen nicht Ermüdungssymptome seien, gelang es Bowditch den Beweis zu erbringen. Langendorff? hält es auch für die sensiblen Nerven als erwiesen, dass sie unermüdlich sind. Er weist darauf hin, dass der Schmerz, den ein cariöser Zahn hervorruft und welchen Schmerz wir Abends lebhaft fühlen, beim Wiedererwachen des Morgens ebenso lebhaft gefühlt wird. Ein Beweis, dass der sensible Nerv in der Leitung des Schmerzes während . der Dauer der Nacht nieht ermüdete. Er empfiehlt auch für die Hemmungs- nerven des Vagus den Beweis der Unermüdlichkeit zu erbringen.? Derart durch Langendorff angerest, unterzog ich die Ermüdungs- erscheinungen der Hemmungsnerven einer Untersuchung, um so eher, da es geboten schien, nachdem die Unermüdlichkeit der sensiblen und moto- rischen Nerven erwiesen war, den Beweis der Unermüdlichkeit auch für die Hemmungsnerven zu erbringen, um die Uebereinstimmung mit den sen- siblen und motorischen Nerven entweder noch vollkommener zu machen, oder aber eben in dieser Eigenschaft vielleicht einen Unterschied zu finden. Die Reizung des Vagus manifestirt sich bekanntlich hauptsächlich in einer Verlangsamung des Herzschlages. Um jedoch das Herz nicht durch zu lange Vagusreizung zu ermüden, lähmte ich die Vagusendungen durch Atropin. ! Dies Archiv. 1390. 8. 505. * Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften. 1891. 8. 146 im Referate über die Arbeit Bowditch’s. ® Auf die Annahme, dass vielleicht für die Hemmungsnerven dieser Beweis über- flüssig sei, da man aus ihrer Function auf einen ständigen Erregungszustand schliessen kann, bemerke ich, dass wir gar keine Anhaltspunkte dafür haben, die uns auf einen beständigen Erregungszustand zu schliessen berechtigen. Niemand wird den unaus- gesetzt sich zusammenziehenden Herzmuskel für einen unermüdlichen Nerven halten, weil wir gut wissen, dass auch dieser Muskel bei übermässigen Ansprüchen ermüdet. Ob auch der Vagus bei übermässigen Ansprüchen ermüdet, das zu untersuchen, bildet den Gegenstand dieser Arbeit. ! BEITRAG ZUR LEHRE VON DER UNERMÜDLICHKEIT DER NERVEN. 317 Für diese Experimente erwies sich das Kaninchen als überaus ge- eionet. Und zwar einestheils, weil durch den N. vagus des Kaninchens unter physiologischen Umständen fast gar keine Erregung fliesst,! wodurch die von mir als Reiz angewandten Inductionsströme als übermässig starke Reize betrachtet werden können, was die Beweiskraft des Experimentes be- deutend erhöht; andererseits aber, da das Atropin beim Kaninchen — aus eben dem vorher genannten Grunde — keine Beschleunigung des Herz- schlages hervorruft, was wiederum das Herz vor unnützer Arbeit bewahrt. Es empfiehlt sich ausserdem noch deshalb das Kaninchen zu benutzen, da das Atropin sich ziemlich rasch aus dem Organismus der Herbivoren ent- fernt, während es im Körper der Carnivoren 10 bis 12 Stunden verbleibt, was dem Experimente eine überflüssige Länge verleihen würde. Zur Zählung der Herzschläge bediente ich mich nicht der Middel- dorp’schen Nadel, deren Einführung mir für das Herz nicht indifferent erschien, sondern zählte bei Auseultation, wozu sich das Binauralstethoskop als ausserordentlich verwendbar erwies. 1. Versuchsanordnung. ‘ Die Zahl der Herzschläge des 1350 ®"% schweren Kaninchens beträgt 260 in der Minute. Nach Praeparation und Durchschneidung des rechten Vagus lege ich dessen peripheres Ende in eine Elektrode, die von ihrer Umgebung isolirt ist. Auf Reizung mit dem’du Bois-Reymond’schen Schlittenapparate bei einem Rollenabstande von 100"®, Zahl der Herz- schläge 60.” Ich befestige die Elektrode in die Wunde und schütze die Wundoberfläche, sowie den Nerven, mit einem antiseptischen Tampone vor dem Austrocknen. 10 Uhr 00 Min. Ich injieire dem Kaninchen 0-20 Atropin unter die Haut. 10,5.,4 08% 75, Von dieser Zeit an wird der Vagus unausgesetzt bei einem Rollenabstand von 100" gereizt. 102 4,008, 1; Zahl der Hexzschläge 150 KORNL0N, Mh ” 210 12,15, 7? ” 280 un ln, 297 ” 268 ! Rossbach-Nothnagel, Handbuch der Pharmakologie. 1880. S. 690. * Ich bemerke, dass auch ich fand, dass bei Vagusreizung dieser Herzschlag von 60 in der Minute nicht lange regelmässig bleibt, sondern bald von einer kürzeren Periode rascheren Herzschlages, bald von einer solchen noch langsameren Herzschlages unterbrochen wird. Diese Erscheinung, da sie eine gewöhnliche Folge der Vagusreizung ist, erwähne ich fernerhin nicht mehr ausdrücklich. 318 ALEXANDER SZANA: 2 Uhr 15 Min. Zahl der Herzschläge 280 3 2) 15 ” ” ” ” 280 4 ” 15 pr) ” 2] ” 270 4 9 30 ” ” ” ” 150 4 ” 45 2] ” ” ” 130 4 ” 50 ” ” e2] ” 120 4 ” 95 ” ” ” ” 120 5) ” 05 ” ” ” ” 60 Dieses Experiment beweist, dass der Vagus, trotzdem er durch sieben Stunden einen solchen Reiz leitete, der die Anzahl der Herzschläge von 280 auf 60 herabsetzte, keine derartige Veränderung erlitt, welche ihn zur Leitung von Erregungszuständen unfähig gemacht hätte. Ich varüirte die Stärke des Stromes während der Dauer des Experimentes nicht, so dass die um 4 Uhr 30 beginnende Verlangsamung der Herzschläge deutlich zeigt, wie die Vagusendungen langsam aus ihrer Atropinlähmung erwachen. Die um diese Zeit beginnende Verlangsamung des Herzschlages, zeigt das successivere Ueberwundenwerden der Atropinlähmung durch den durch den Vagus geleiteten Reiz. Dass die nur successive eintretende Verlangsamung der Herzschläge nicht plötzlich eintritt, weil das Atropin sich bloss eben so successive aus den Vagusendungen entfernt, gelang mir mit folgender Versuchsanordnung nachzuweisen. 2. Versuchsanordnung. Die Zahl der Herzschläge des 1500 8% schweren Kaninchens beträgt 320. Nachdem das periphere Ende des durchschnittenen Vagus in die isolirte Elektrode gelegt ist, schütze ich die Wundfläche und den Nerven durch einen antiseptischen Tampon vor Austrocknung. Bei Reizung des peripheren Endes mit dem Induetionsschlittenapparate bei einem Rollen- abstand von 100”"” beträgt die Zahl der Herzschläge 84. 9 Uhr 45 Min. Ich injieire 0-35 Atropin. Zahl der Herzschläge 320. Ya nAsı > Zahl der Herzschläge 320. Bei Reizung mit 100 m Rollenabstand ändert sich die Zahl der Herzschläge nicht mehr, mit einem stärkeren Strom kann ich die Zahl der Herzschläge jedoch noch immer auf 84 vermindern. „ 50 ,„ Zahl der Herzschläge 320. Nur bei einem Rollenabstande von 0 und Einlage der Stäbchen aus Weicheisen ver- mindert sich die Zahl der Herzschläge auf 84. BEITRAG ZUR LEHRE VON DER ÜNERMÜDLICHKEIT DER NERVEN. 319 9 Uhr 55 Min. Zahl der Herzschläge 324 und selbst mit dem stärksten Strome ist diese Zahl nicht mehr zu vermindern. Von dieser Minute an wird der Nerv unaus- gesetzt bei einem Rollenabstande von 130 mm gereizt. 10 „ 45 ,„ Zahl der Herzschläge 320 Inn 45 ” ” ” 2) 330 1 „00 ” ” „ ” 320 2 „ @ » ” 2) „ 330 a une N ee re 5 200 Wenn ich jetzt mit dem stärksten Strome reize (Kollenabstand 0, Weicheisenstäbchen) beträgt die Zahl der Herzschläge 84. Bei Reizung mit 130” Rollenabstand beträgt um e Zahl der Herzschläge 160. Den Strom durch An- näherung der Rollen bis 0 verstärkend, Zahl der Herz- schläge 84. Bei weiterer Reizung mit 130 ®= Rollen- abstand beträgt um 4 „ 05 , die Zahl der Herzschläge 160. Eine geringe Stärkung des Stromes genügt schon, diese Zahl auf 84 zu bringen. 4 „ 10 ,„ Zahl der Herzschläge bei 130 "" Rollenabstand 84. 4 „00 „di je Bei dieser Versuchsanordnung wurde von Neuem bewiesen, dass der Vagus selbst nach sechsstündiger Reizung nicht ermüdet. Dadurch aber dass ich bei dieser Versuchsanordnung die Stärke des Stromes änderte, ge- lang es mir gleichzeitig zu beweisen, dass die Thatsache des vorigen Ex- perimentes, wonach die der betreffenden Stromstärke entsprechende Ver- langsamung der Herzschläge nicht auf einmal, sondern erst nach und nach eintritt, keine Ermüdungserscheinung ist, sondern die Folge davon, dass das Atropin nicht auf einmal aus den Vagusendungen verschwindet, son- dern nur successive sich aus demselben entfernt. Und zwar ist dieser Be- weis erbracht dadurch, dass, wie der Befund um 9 Uhr 48 Minuten zeigt, das Atropin in die Vagusendungen herein ebenfalls nicht auf einmal, son- dern nur ganz successive eintritt. Um 9 Uhr 48 Minuten kann ich nämlich mit der Stromstärke des Rollenabstandes von 130 ®m, welche Stärke früher zur Verminderung der Herzschläge auf 84 genügte, eine Verlangsamung nicht mehr hervorrufen, während ein stärkerer Strom dies noch immer ver- mag. Bei der Erwachung aus der Atropinlähmung vermag um 3 Uhr 35 Minuten die Stromstärke des Rollenabstandes von 130 "m bloss eine Verlanssamung auf 200 hervorzurufen, während ein stärkerer Strom die noch übrige Atropinlähmung ganz zu bekämpfen vermag. Später genügt fortwährend ein schon schwächerer Strom, um diese Wirkung hervorzurufen. 330 A. Szana: ZUR LEHRE VON DER UNERMÜDLICHKEIT DER NERVEN. Zur Untersuchung der Frage, welchen Einfluss die Reizung des Nerven auf das Eintreten und Verschwinden der Vaguslähmung ausübt, sind diese Experimente nicht geeignet, doch war dies auch nicht ihr Zweck. Die zweite Versuchsanordnung wiederholte ich, und die Resultate waren immer die gleichen. | Ich habe daher mit diesen Experimenten bewiesen, dass ebenso, wie dies für die motorischen Nerven Wedenski und Bowditch bewiesen haben, und wie wir dies nach Langendorff auch für die sensiblen Ner- ven annehmen können, auch die Hemmunesnerven in der Leitung von Er- resungen nicht ermüden. Dass diese Thatsache der Unermüdlichkeit bei der Beurtheilung jener Theorien eine Rolle spielt, die uns jene Vorgänge erklären wollen, die sich im functionirenden Nerven abspielen, ist selbstverständlich. Zum Schlusse dieser Zeilen muss ich noch dem Director des Institutes Hrn. Professor Högyes meinen Dank aussprechen für die Rathschläge mit denen er mich unterstützte, ausserdem dem Assistenten Hrn. Dr. Szekely, dessen liebenswürdige Hülfe mir bei der Ueberwindung der technischen Schwierigkeiten unentbehrlich war. Zur Physiologie des Schlafes. Von Dr. Leo Breisacher Demonstrator of Comparative Physiology, University Pennsylvania, U.S.A, (Aus dem chemischen Laboratorium des pathologischen Instituts zu Berlin.) Von den verschiedenen physiologischen Vorgängen des thierischen Orga- nismus schliesst keiner so tiefe Probleme in sich, wie der Schlaf; auch herrschen über wenige so unklare Vorstellungen. Im Schlaf sind die Functio- nen aller der Organe, durch welche das psychische Leben erzeugt wird, herab- gesetzt oder unterdrückt, die Gedanken und das Bewusstsein sind erloschen. Ob dem Gehirn während des tiefen Schlafes eine seelische Thätigkeit zu- geschrieben werden kann, ist schwierig zu beantworten, dass jedoch während des tiefen Schlafes ein Zustand vorhanden ist, in welchem die etwa mög- lichen psychischen Thätigkeiten völlig aus dem Bewusstsein treten, glauben wir berechtigt zu sein, annehmen zu dürfen. Wir theilen nicht die Mei- nung derjenigen, welche annehmen, dass in jedem Stadium des Schlafes bewusste Vorstellungen (Träume), welche jedoch zum grössten Theil ver- gessen werden sollen, sich als. die Thätigkeit des Gehirns abspiegeln. Diese Ansicht stützt sich zum Theil auf die Resultate einiger Ver- suche, welche gezeigt haben, dass aus tiefem Schlaf plötzlich absichtlich Erweckte sich in einem Traumzustande befinden. Diese Resultate haben jedoch mehrfach zu unrichtigen Schlussfolgerungen eeführt; der Zustand des Wachwerdens oder Erwachens ist eben nicht Schlafen, und gerade in diesem Zustande bilden sich bekanntlich Träume mit fabelhafter Geschwin- diekeit, wie die Versuche über künstlich provoeirte Träume zeigen. Ich habe selbst derartige Beobachtungen an mir gemacht, halte es jedoch für entbehrlich, die Einzelheiten mitzutheilen, da die Thatsachen wohl allgemein Archiv £.A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 1 x 322 LEO BREISACHER: bekannt sind.! Die Thatsache, dass man beim Gewecktwerden sich meistens in einem Traum befindet, beweist nicht, dass der schlafende Mensch stets träumt, und wenn man in Betracht zieht, dass das Träumen am häufigsten in einem partiell wachen Zustande in die Erscheinung tritt, so wird man eher geneigt sein, diese Thatsache als einen Beweis oder mindestens eine Stütze anzusehen für die Ansicht, dass im tiefen Schlaf eine vollständige Bewusstlosigkeit vorhanden ist. Sehr richtig bemerkt Spitta:? „Wenn wir uns weder erinnern, was wir geträumt haben, noch auch irgend eine Ahnung davon haben, dass uns überhaupt etwas geträumt hat, so sehe ich gar nicht ein, wie wir dazu kommen sollten, zu behaupten, wir hätten geträumt.“ Wir wollen annehmen, dass während des tiefen Schlafes eine voll- ständige Bewusstlosigkeit existirt, dass die etwa möglichen psychischen Thätiekeiten also nicht unmittelbar in das Bewusstsein treten und dass das Träumen nur vor sich gehen kann während eines leichten Schlafes oder in einem partiell wachen Zustande. Diese Anschauung vorausgesetzt, knüpft sich in beinahe nothwendiger Weise der Gedanke an, ob nicht Veränderungen des Organismus, insbesonders aber des Nervensystems, nach- zuweisen sind, welche die verschiedenen Stadien der psychischen Thätigkeit begleiten. Diese Vorstellung hat in verschiedener Weise von Zeit zu Zeit ihren Ausdruck gefunden, aber erst in den fünfziger Jahren wurden Ver- suche angestellt, um diese Vorstellung einer Prüfung zu unterwerfen. Nachdem Vauquelin, Fremy, Gobley u. A. auf das Vorkommen phos- phorhaltiger Fette im Gehirn hingewiesen hatten und ausser diesem später noch das phosphorhaltige Nuclein als Bestandtheil des Gehirns erkannt ‚war, konnte sich naturgemäss die Vorstellung bilden, dass die Thätigkeit des Gehirns von einem Zerfall dieser Substanzen unter Bildung von Phos- phorsäure, die Ruhe des Nervensystems von einer Nachbildung desselben unter Verbrauch von Phosphorsäure begleitet sei. Breed (1851) giebt an, dass die Phosphorsäure im Schlafe abnehme. Mosler (1853) behauptet, dass bei gleichbleibender Nahrung durch ange- strengte geistige Arbeit die gesammte Phosphorsäure zunehme Hammond (1865) fand ebenfalls bei geistiger Arbeit eine Zunahme der Phosphorsäure. L. H. Wood (1869) ist dagegen auf Grund seiner Untersuchung zu der Anschauung gekommen, dass das Gehirn während der Thätigkeit an Phos- phorsäure zunehme und dass daher die Ausscheidung verringert wird.? ı Spitta, Schlaf und Traumzustände. 1882. 2. Aufl. 2 A.a. 0. S. 385. ® Die Phosphorsäure im Urin von Gehirnkranken. Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Zur PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 323 Ob die oben angegebenen Resultate für unsere Betrachtung von erheblichem Werth sind, können wir nicht sagen, da die Versuchsmethoden strengen Anforderungen nicht entsprechen. Im Jahre 1872 veröffentlichte E. Mendel! eine Arbeit über diese Frage, welche an Genauiekeit die obenerwähnten Arbeiten weit übertraf. Mendel fand, dass während der 9 Nachtstunden weniger Phosphorsäure durch den Harn entleert werde, als während der übrigen 15 Stunden des Tages. Jedoch fand er, dass die Phosphorsäurequantität, verglichen mit den festen Bestandtheilen des Harns, in der Nacht in grösserem Verhält- niss war als bei Tage. „Es ergiebt sich,“ sagt Mendel, „der Satz, dass in dem zur Nachtzeit secernirten Urine die Phosphorsäure einen beträcht- lich erheblicheren Theil der festen Bestandtheile ausmacht als in dem am Tage secernirten.“ Dieser Arbeit folgend, erschien eine Untersuchung von W. Zülzer.? Die Resultate, zu welchen Zülzer gelangt war, führten ihn zu der Ansicht, „dass Einflüsse, wodurch die Gehirnthätigkeit herabgesetzt wird — in Depressionszuständen, wie z. B. im Schlaf und nach ‘Anwendung von Morphium und ähnlichen Agentien — im Verhältniss zur Stickstoffmenge eine mehr oder weniger erhebliche Vermehrung der Phosphorsäure im Urine bewirkten“. “Dagegen sollen nach Zülzer excitirende Substanzen die relative Phosphorsäureausscheidung vermindern. Edlefsen® fand bei sechsstündiger Phosphorsäurebestimmung, „dass der relative Werth der Phosphorsäure* von 12 bis 6 Uhr Morgens am höchsten war,“ also in Uebereinstimmung mit Zülzer’s Ergebnissen. „Zül- zer’s Auffassung,“ so schreibt Edlefsen ferner, „würde berechtigt sein, wenn die absolute Menge Phosphorsäure Nachts grösser wäre, wie bei Tage. Die Relation wird grösser, weil bei Nacht der Stickstoff wegen ge- ringer Wasserabsonderung grösser ist.“ L. Feder? behauptet, dass die Phosphorsäureausscheidung nach Ein- nahme von Nahrung nicht Hand in Hand mit der Stickstoffausscheidung erfolet — die Phosphorsäure rascher als der Stickstoff ausgeschieden wird. Die Zülzer’sche Auffassung hält Feder für unrichtig, und er scheint der 1 Ebenda. ? Ueber das Verhalten der Phosphorsäure zum Stickstoff im Urine. Virchow’s Archiv. Bd. XVI u.XX. 3 Ueber das Verhalten der Phosphorsäure zum Stickstoff im Urin. Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1878. Bd. XXIX. 8. 513. * Relative Phosphorsäure nennt Zülzer die Zahl, welche die Phosphorsäure be- trägt, wenn man die N-Ausscheidung = 100 setzt. 5 Der zeitliche Ablauf der Zersetzung im Thierkörper. Zeitschrift für Biologie. 1881. 21% 324 LEO BREISACHER: Ansicht zu sein, dass die Phosphorsäure im Urine zum grössten Theil die mit der Nahrung eingeführte repraesensirt. Die Versuche von B. Schulze! über die Wirkung des Bromkalium auf die Phosphorsäureausscheidung zeigen, dass durch Einnahme von Bromkalium die Phosphorsäure-Elimination ver- ‚ hindert wird. Schulze bezieht diese Erscheinung auf eine Herabsetzung der Zersetzungsvorgänge im Nervensystem. G. Politis? fütterte einen Hund während 9 Tagen mit 500 em Fleisch täclich; dann entzog er 27 sm Fleisch und setzte 508" Hirn, welches an Stickstoffgehalt ungefähr 27 =» Fleisch gleich ist, zu der Nahrung. Er fand keine veränderte Phosphorsäureausscheidung. Diese Resultate scheinen Politis in seiner Ansicht zu bestärken, dass die Grösse der Phosphorsäure- ausscheidung nicht durch den Grad der Activität des Nervensystems be- dingt werden könne. Eine der neuesten und umfangreichsten Arbeiten über den Stofi- wechsel während des Schlafes ist die von A. Laehr,? für welche der Verfasser selbst als Versuchsperson gedient hat. Die Versuchsanordnung war folgende: Eine bestimmte Nahrung wurde gewählt, welche drei Mal in 24 Stunden zu bestimmten Zeiten eingenommen wurde; die chemische Analyse erstreckte sich auf Stickstoff, Phosphorsäure, Säuregrad, Chlor, Schwefelsäure, feste Bestandtheile, und in einigen Fällen auch auf Caleium, Magnesium, Kalium und Natrium. In einigen Perioden wurde der Schlaf auf den Tag verschoben und während der Nacht gewacht. Die Versuche ergaben, dass im Durchschnitt Vormittags 26.4, Nachmittags 25-9 und Nachts 22.78 feste Bestandtheil ausgeschieden wurden. Der Säuregrad war durchschnittlich Nachts 0.341, Nachmittags 0-233 und Vormittaes 0.1938” in Natron ausgedrückt. Während eines dreitägigen ‚Versuches war die Stickstoflausscheidung Nachts am höchsten. Von diesen drei Tagen abgesehen, weil während dieser Periode die Stickstoffeinfuhr zu gering war, zeigt der Vormittag 5-6, die Nacht 5-502 und der Nachmittag 5.264 Stickstoff im Durchschnitt. Chlor war Vormittags durchschnittlich 2.28, Nachmittags 2-21 und Nachts 1-44. Die Phosphorsäuremenge war Nachts 9mal am grössten und 2 mal war sie höher als der Tagesdurch- schnitt, 2mal war sie Nachts am geringsten, erreichte 4mal ihre grösste Höhe am Nachmittag und 2 mal am Vormittag. Die Ausscheidung war Nachts durchschnittlich 0-935, Nachmittags 0.591 und Vormittags 0.873 8m, ' Einfluss des Bromkalium auf den Stoffwechsel. Zeitschrift für Biologie. 1883. ” Ueber das Verhältniss der P,O, zum N im Harn bei Fütterung mit Gehirn- substanz. Zeitschrift für Biologie. 1884. ® Versuche über den Einfluss des Schlafes auf den Stoffwechsel. Zeötschrift für Psychiatrie. Bd. XLV1. ZuR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 325 Die für uns in Betracht kommenden Analysen zeigen also, dass die festen Bestandtheile während der Nacht am geringsten waren (etwa 9 Procent unter dem Durchschnitt), die Säurereaetion Nachts am höchsten (über 33 Procent über .dem Durchschnitt) und Vormittags am niedrigsten, während die Phos- phorsäure Nachts um 4 Procent über dem Durchschnitt vermehrt war. An den Tagen, wo der Schlaf auf ungewohnte Tageszeit verlegt wurde, war in der Schlafzeit der Harnstofl und die Phosphorsäure am höchsten; dagegen fand niemals die Säurereaction ihr Maximum während der Schlafzeit. Der relative Werth der Phosphorsäure überschreitet während 16 Tagen „Nachts das Mittel aus den 3 Tagesperioden 7 mal, erreicht es Imal und bleibt 8 mal dahinter zurück“. Wenn der Nachmittag im den Laehr’schen Versuchen ausgeschaltet wird, wie es Zülzer gethan hat, um den Einfluss des Nachmittagsmahles zu beseitigen, so finden wir die Phosphorsäure Il mal grösser und 4mal geringer als Vormittags, während sie I mal in beiden Perioden eleich ist. Ich gehe nun zu dem von mir angestellten Versuch über, welcher einer grösseren, noch nicht publieirten Reihe von Stoffwechselversuchen an- gehört. Als Versuchsperson diente der Verfasser selbst; zur Zeit der An- stellung des Versuches 23 Jahre alt, 54 Kilo (ohne Kleidung) schwer. Der Harn wurde, wie in den Versuchen von Laehr, 3mal in 24 Stunden zu bestimmten Zeiten gesammelt, der Stickstoff darin nach Kjeldahl, Phosphorsäure durch Titriren mit Uran bestimmt. Die Art und Quantität der Diät wurde dem Zufall resp. dem Bedarf überlassen. Während dieser Versuche wurde täglich 13 bis 14 Stunden gearbeitet, 8 Stunden — von 12 bis S Uhr — wurden für Schlafen benutzt, während die übrige Zeit für die Mahlzeiten gebraucht wurde. Von den 13 bis 14 Stunden wurden 5 in dem chemischen Laboratorium zugebracht; die Beschäftigung während der übrigen Zeit bestand in Lesen und Schreiben. Nachstehende Tabelle erklärt die gefundenen Zahlenwerthe. | Verhältniss Harnmenge 19,0)- N von P,O,:N 20. Januar 12—8 N.! 150 0-772 3:360 1:43 8-4 T. 660 0:940 5-80] 1:61 4—12 Nm. 500 0.871 6.810 1:7-8 DRBEr NE; 12—8 N. 203 0-957 4-841 1:5-0 8s-4T. 605 0-622 6.570 1:10-5 4—12 Na. 430 1-055 7-163 1:6°7 ! N. = Nachts. T. = Tag. Nm. = Nachmittag. 326 LEO BREISACHER: h R Verhältniss Harnmenge 10)- N von P,0,:N 22. Januar | 12—8 N. 205 0.923 4.879 1:5-2 8—4 T. 500 0.717 5-815 1:8°1 4—12 Nm. 505 1-199 71-468 1:6+3 2a 12—8 N. 480 0-997 5.390 12383 8-4 T. 435 0.538 4-693 1BeT 4—12 Nm. 335 0.668 4.599 1:6-9 24 5 12—8 N. 162 0-553 3-346 1:6-0 8—4 T. 680 0.908 5-052 1E525 4—12 Nm. 580 1.090 6.298 1:5-8 Bon, 12—8 N. 345 0-870 4.364 1:5-0 8-4 T. 530 0-577 4.333 1.,8-8 4—12 Nm. 425 0.799 5.295 1:6-6 ZU. 12—8 N. 200 0.841 4-060 1:4-8 s—4 T. 510 0.959 5-008 1:5-2 4—12 Nm. 520 0.952 6-198 1:6-5 ZI. », 12—8 N. 180 0-686 4.208 1116-18 8-4 T. 400 0-683 4.982 Teer 4—12 Nm. 275 0-558 4.543 1:8-1 28.0. 12—8 N. 146 0.701 3.454 1:4-9 8—4 T. 460 0.660 4.655 1:70 4—12 Nm. 465 0.736 5.761 1:7-8 2a 3 12—8 N. 380 0-677 4.301 1:6+3 3s—4 T. 455 0-630 4.754 1.05 4—12 Nm. 550 0-980 6.748 1:68 Die Resultate dieser Untersuchung sind folgende: Die Harnmenge ist )mal Nachts am geringsten, die absolute Phosphorsäuremenge ist 3 mal Nachts am geringsten und 3mal am höchsten, 2 mal ist sie Vormittags am grössten und 5mal erreichte sie die grösste Ausscheidung am Nach- mittag. Die Stickstoffmenge ist dagegen Nachts immer am geringsten, nit einer Ausnahme, wo die nächtliche Stickstoffmenge sogar die des Nachmittags überragte.e An 9 Tagen ist die Stickstoffmenge Vormittags grösser als bei Nacht, Smal ist die Stickstoffausscheidung Nachmittags am grössten. Das Verhältniss von Phosphorsäure zum Stickstoff ist Nachts 9 mal am grössten; $mal ist es Vormittags grösser als Nachmittags. Die goe- sammte Phosphorsäuremenge von den 10 Tagen beträgt: Nachts 7.977, Vormittags 7.184 und Nachmittags 38-903. Die Stickstoffmenge aus den- selben Perioden beträgt: Nachts 42-202, Vormittags 52-112 und Nach- mittags 60°876. In 9 aus 10 Tagen haben wir also, ohne den Nachmit- Zur PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. Bon tagsharn auszuschalten, dasselbe erreicht, nämlich eine im Verhältniss zum N erhöhte P,O,-Ausscheidung, was Zülzer nur erzielen konnte in seinen Versuchen durch die Vergleichung des Vormittagsharns mit dem nächtlichen Harn. Das Verhältniss der gesammten P,O,-Ausscheidung an den 10 Beobachtungstagen zur N- Ausscheidung gestaltet sich in den einzelnen Perioden folgendermaassen: Nachts 12 bis 8 Uhr P,0,:N = 1:5-29 Tags 8 bis 4 Uhr P,0,:N = 1:7-46 Nachmittags 4 bis 12 Uhr P,0,:N = 1:6-93. Oder wenn wir mit Zülzer den Begriff relative Phosphorsäure brauchen, so ist dieselbe: Nachts 12501378, Uhr2N 2,0, — 10021829 Tags & Dass ln NO, — 100187 Nachmittags 4 bis 12 Uhr N:P,0, = 100:14.6. Der Versuch hat also gezeigt, dass eine relative Zunahme der Phos- phorsäure während der Nacht stattfinden kann und das ohne den Nachmittags-Harn auszuschalten. Betrachten wir zunächst einmal die angegebenen Arbeiten in ihrer Reihenfolge, um zu sehen, inwiefern eigentlich unsere Kenntnisse über die vorliegende Frage durch die verschiedenen Untersuchungen befördert wor- den sind. Was die Arbeiten betrifft, die vor der Mendel’schen gemacht worden sind, so scheinen sie alle für unsere Betrachtung von wenig Werth zu sein, da in keiner von denselben die Stickstoffausscheidung berücksichtigt worden ist. Mosler’s Untersuchung hat jedoch den Vorzug, dass dieselbe unter gleichbleibender Nahrung ausgeführt worden ist. Mendel hat in seinen Versuchen die Phosphorsäure mit den festen Bestandtheilen verglichen, eine solche Vergleichung ist jedoch nicht zutreffend, da, wie auch Laehr hervor- gehoben hat, die festen Bestandtheile Nachts stets am geringsten sind und sogar auch während verhältnissmässig gleicher Stickstoffausscheidung. Edlefsen fand, wie wir gesehen haben, dass die relative Phosphor- säure von 12 bis 6 Uhr Nachts am höchsten war. Er sträubt sich jedoch gegen die Zülzer’sche Auffassung, weil er die absolute Menge der Phos- phorsäure während der Nacht nicht grösser fand als bei Tage. Die Ver- minderung der Phosphorsäure, welche Schulze nach Darreichung von Bromkalium gesehen hat, beruht nach der Ansicht von Politis nicht auf einer Wirkung desselben auf das Nervensystem, sondern auf einer Um- setzung des Bromkalium, wobei die Phosphorsäure des Körpers sich mit dem Kalium verbindet und in dem Körper aufgespeichert wird, wie dies der Fall ist nach Darreichung von Chlorkalium und eitronsaurem Kalium 328 LEO BREISACHER: nach den Untersuchungen von Bunge." Ob man berechtigt ist, von Füt- terungsversuchen mit Gehirn Schlüsse zu machen auf den physiologischen Zerfall von Gehirnsubstanz, ist indessen doch sehr fraglich. Auffallend ist die Anschauung, zu welcher Zülzer durch seine Versuche gekommen ist. Zülzer scheint nämlich der Ansicht zu sein, dass die Erhöhung der “relativen Phosphorsäureausscheidung während des Schlafes in direetem Zu- sammenhang mit dem Schlafe stehe, dass während des Tages der Stoff- umsatz in dem Nervensystem gering und dass während des Schlafes der Stoffumsatz erhöht sei. Deprimirende Mittel sollen durch die Herabsetzung: der Thätigkeit des Nervensystems die gleiche Wirkung ausüben, exeitirende Mittel dagegen eine verminderte relative Phosphorsäureausscheidung ver- ursachen.? Hier stehen wir vor einer Anschauung, die wir mit allen unseren Er- fahrungen schlechterdings nicht in Einklang zu bringen vermögen. Dass Ruhe verbunden ist mit erhöhtem Verbrauch oder Stoffumsatz, ist weder in den physikalischen noch in den physiologischen Wissenschaften bekannt. Verständlich wäre es gewesen, wenn Zülzer angenommen hätte, dass der Zerfall phosphorhaltiger Substanzen von der T'hätigkeit begleitet und dass die Ausscheidung durch irgend welche Umstände verzögert wäre. Fine Betrachtung der Laehr’schen Arbeit zeigt, dass der Schlaf selbst nicht ein erhöhtes Freiwerden von Phosphorsäure verursacht, und auch ferner, dass eine erhöhte Phosphorsäureausscheidune nicht nothwendiger Weise den Schlaf begleitet. Mit Recht weist Laehr die Zülzer’sche Theorie von der Hand, andererseits jedoch gelangt er zu einer Schlussfolgerung, die wir kaum für berechtigt ansehen können. Laehr glaubt nämlich, dass seine Versuche den Beweis liefern, dass der Stoffverbrauch des Nervensystems während des wachen Zustandes und während geistiger Arbeit nicht anders sei, als während des Schlafes. Dieses beweisen seine Versuche jedoch nicht. Angenommen, dass der Schlaf von einer erhöhten Phosphorsäureausschei- dung begleitet wäre, so könnte es sich gewiss nicht um eine sehr beträcht- liche Quantität handeln und um eine nur geringe Vermehrung der Phos- phorsäureausscheidung nachzuweisen, bedarf es anderer Versuchsanordnungen als derjenigen, welcher Laehr sich bedient hat. In der ersten Versuchs- periode von Laehr war die Nahrung zu gering, wie er selbst zugiebt. Die ! Zeitschrift für Biologie. 1873. ? A.a.0. 8.309. „Die über die Norm gesteigerte Ausscheidung von P,0O, (wäh- rend des Schlafes und durch deprimirende Mittel) ist auf eine Abgabe auf Seiten des Nervensystems zu beziehen.“ „Die Verminderung dieses Excrets deutet auf ein Prae- valiren der durch die Stoffwechselprocesse zerstörten Bestandtheile des ‘Fleisches’ hin,“ Zum Schluss sagt Zülzer S, 311: „Der allgemeine Stoffwechsel (des Fleisches) ist ab- hängig von der Nerventhätigkeit.“ Zur PrysIioLoOGisk DES SCHLAFES. 329 zweite Periode musste wegen eintretender Diarrhoe unterbrochen werden, und während der drei letzten Perioden hatte er sich darüber zu beklagen, dass er „stets ungewöhnlich müde war und auch bei Tage sich oft zusammen- nehmen musste, um nicht einzuschlafen“. In der vierten Periode wurde eine plötzliche Aenderung der Versuchsanordnung dahin vorgenommen, dass nach 4 Tagen Nachts gewacht und während des Tages geschlafen wurde. Die fünfte Periode wurde bei beständiger Bettruhe ausgeführt und zu verschiedenen Zeiten geschlafen. Auch in dieser Periode trat ein Durch- fall an dem ersten Tage ein. Wie wir schon hervorgehoben haben, zeigen diese Versuche, dass der Schlaf selbst nicht, wie Zülzer glaubt, eine er- höhte Phosphorsäureausscheidung verursacht, jedoch sind sie fern davon, Laehr zu der Anschauung zu berechtigen, „dass die Nervensubstanz hierin bei dem gewöhnlichen Wechsel zwischen Ruhe und Thätigkeit sich dem Muskelgewebe analog verhält“. Wenn wir das annehmen würden, was bliebe uns eigentlich übrige, um die Ermüdung und das unter physio- logischen Verhältnissen begleitende Ermüdungsgefühl — des Nervensystems — zu erklären? Wenn die Restitution des Nervensystems Hand in Hand mit dem Zerfall desselben ginge, dann gäbe es weder eine Ermüdung, noch ein Ermüdungsgefühl. Die psychische und physische Arbeit, welche von einem normalen thätigen Menschen während des Tages verrichtet wird, ist gewöhnlich der Art, dass ohne die Annahme eines ungleichen Verhältnisses zwischen dem Zerfall und der Restitution der Zustand des Schlafens und Wachens überhaupt unerklärlich bleibt. Die Thätigkeit des Nervensystems ist die Bedingung aller anımalen Functionen; jede physiologische Leistung wird von einem graduell, je nach der Grösse der Leistung, verschiedenen Zerfall von Nervengewebe begleitet oder rich- tiger verursacht. Der Schlaf in dem gewöhnlichen Leben ist jedoch nicht, innerhalb gewisser Grenzen, abhängig von einer ganz bestimmten Herab- setzung der Reizbarkeit des Nervensystems. Es ist bekannt, dass man den Schlaf nach einer grossen Anstrengung oder nach langem Wachen über- haupt nicht abwehren kann; zwischen diesem Zustande und dem wachen Zustande liegen viele Stufen, und in diesen nicht näher definirbaren Stufen kann der Schlaf erfolgen, in Bezug auf seine Tiefe variabel, je nach den äusseren und inneren Zuständen. Gerade wie die psychische Thätigkeit abhängig ist von äusseren Reizen, so ist es auch unter gewissen Zuständen und in einem gewissen Grade der Schlaf. Der wohl bekannte Fall des Knaben, der mit Ausnahme des einen N. opticus und einen N. acusticus mit einer vollständigen Anaesthesie behaftet war und den man durch das Schliessen des Augenlides und Verstopfen des Ohres in Schlaf versetzen konnte, zeigt in einer vortrefflichen Weise, wie die psychische Thätigkeit von äusseren Umständen abhängig ist. Beim gesunden Menschen sind die Ver- 330 LEO BREISACHER: hältnisse wenn auch nicht ganz analog, doch nicht im Wesentlichen ver- schieden. Durch Entziehung von äusseren Reizen wird die Neigung zum Schlafen grösser; diese Neigung hängt andererseits von dem psychischen Zustande ab und dem Grade der Reizbarkeit des Nervensystems. Um nun auf die Frage über den Stoffverbrauch eine endgültige Antwort zu geben, wird es, glauben wir, nöthig sein, eine längere Reihe von Versuchen anzu- stellen mit einer gut gewählten Diät, bei genügender physischer und psy- chischer Arbeit und unter absolut normalen Verhältnissen. Laehr ist durch seine Arbeit gezwungen gewesen, als Ursache des Schlafes die Ermüdungsstoffe anzunehmen, jene Stoffe, über die schon so viel geschrieben, aber so wenig bekannt ist. Im Jahre 1863 hat Ranke bekanntlich experimentell nachgewiesen, dass eine Ansammlung von Stoffen in den Muskeln während der Arbeit derselben die Arbeitsfähigkeit herab- setzt. Diese Stoffe, welche man mit dem Namen Ermüdungsstoffe bezeichnet hat, reagiren sauer und bestehen hauptsächlich aus Milchsäure und phos- phorsaurem Kalium, vielleicht auch noch aus bisher nicht genügend er- forschten Verbindungen. Es wurde festgestellt, dass das Ausspülen der Gefässe mit einer 0-6 procentigen NaCl- Lösung die Leistungsfähigkeit der Muskeln wieder erhöht und ferner, dass eine Injection von phosphorsaurem Kalium sowie auch Fleischbrühe die Leistungsfähigkeit der Muskeln herab- setzt. Soll nun dieser experimentelle Befund auf den normalen Organismus für die Erklärung des Schlafes übertragen werden? Wir glauben nicht, denn, abgesehen davon, dass keine Beweise für diese Anschauung vorliegen, sind die Verhältnisse in dem normalen Organismus verschieden von denen, unter welchen Versuche über Ermüdungsstoffe an den Muskeln ausgeführt werden. Es ist auch kaum denkbar, dass die Erholung des Organismus, dessen Existenz und physiologische Thätigkeit doch abhängig ist von einer Har- monie aller seiner Functionen, bedinet und abhängig sein sollte von einer Autovergiftung. Wäre diese Anschauung richtig, so würde die Grösse der physiologischen Arbeitsfähigkeit eines Organismus nie ihren Ausdruck finden können; die Grösse der geleisteten Arbeit wäre nicht abhängig von der physiologischen Arbeitsfähigkeit des Organismus, sondern vielmehr von der Quantität der angesammelten Ermüdungsstofe, In dem normalen Körper werden die deletären Producte, welche durch die Thätigkeit der Organe erzeugt werden, nach unserer Ansicht zum srössten Theile durch die Nieren unter Vermittelung des Kreislaufes von dem Körper ausgeschieden. Es war Obersteiner, der zuerst den Versuch gemacht hat, den Schlaf durch die Ermüdungsstoffe zu erklären, und diese Theorie hat vielfach eine freundliche Aufnahme gefunden. Jedoch, wie wir schon erwähnt haben, Zur PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 331 können wir nicht ersehen, dass für diese Anschauung triftige Gründe vor- liegen. Man hätte glauben sollen, dass Versuche über die toxische Wirkung des Harns eine Stütze für die Ermüdungsstoffetheorie liefern würden. Jedoch die zahlreichen Versuche, die in den letzten Jahren ausgeführt worden sind, liefern nicht nur keine Stütze, sondern im Gegentheil Mittel, wodurch man dieser Theorie den Boden nahezu vollständig entziehen kann. Es war zu erwarten, dass, wenn Ermüdungsstoffe die Ursache des Schlafes wären, man dieselben in dem Nachturin finden würde. Dies ist jedoch nicht gelungen. Die Versuche von M. Stadthagen! sowie auch diejenigen von Lepine und Aubert? zeigen, dass die toxische Wirkung des Harns zu SO bis 85 Procent dem Aschenbestandtheil zuzu- schreiben ist. Aus 100 Liter Harn konnte Stadthagen keine giftigen Substanzen isoliren. Lepine und Aubert haben nachgewiesen, dass 60 em des von ihnen gebrauchten Harn pro Kilo Hund genügend war, um den Tod herbeizuführen, und dass die Salze von 65 °°“ dieselbe Wirkung aus- übten. Die Versuche von Bouchard? zeigen, dass die toxische Wirkung des Tagesharns 2 mal grösser ist, als die des nächtlichen Harns. Diese Thatsache beruht sehr wahrscheinlich, wie die Versuche von Laehr zeigen, zum Theil auf dem Umstand, dass der nächtliche Harn viel weniger Natrium- und Kaliumsalze enthält wie der Harn von den Vormittags- und Nachmittagsperioden. Laehr, welcher diese Thatsachen nicht in Betracht gezogen hat, glaubt in dem Umstande, dass der Nachturin einen höheren Säuresrad in seinen Versuchen gezeigt hat, eine Stütze für die Ermüdungs- stofftheorie gefunden zu haben; er lässt den Säuregrad die Quantität der oxydirten Ermüdungsstoffe repraesentiren. Das Schlafen während des Tages in den Laehr’schen Versuchen vermochte jedoch "nicht, den Säuregrad während der Nacht herunterzudrücken. Laehr sagt in seiner Schrift, dass der Vormittagsurin im Allgemeinen weniger Säure enthält, als der des Nachmittags, und erklärt dann, dass dieses von der Quantität der oxy- dirten Ermüdungsstoffe abhängig sein muss. Diese Behauptung ist ganz unverständlich, denn aus 19 Versuchen, die für die Entscheidung dieser Frage dienen können, ist 9mal sogar nach Laehr’s Tabellen der Vor- mittagssäuregrad höher, wie der des Nachmittags und in manchen von den übrigen Tagen ist der Unterschied zwischen dem Säuregrad des Nachmit- ‘ Ueber Harngifte. Zeitschrift für klinische Mediein. 1887. Bd. XV; — Maly’s Jahresbericht. 1888. ° Sur la toxieite respective des matieres organiques et salines de !’urine. Comptes rendus. t. CI; — Maly’s Jahresbericht. 1888. ® Sur les variations de la toxieite urinaire pendant la veille et pendant le som- meil. Comptes rendus. t. CI. 332 Leo BREISACHER: tags und Vormittags ein sehr geringer. Es folgt daraus, dass diese Be- hauptung, welche als Stütze der Laehr’schen Anschauung dienen sollte, wegfallen muss. Alle diese Thatsachen drängen uns zu der Ansicht, dass die Er- müdungsstofftheorie für die Erklärung des Schlafes nicht zutreffend ist. Jedoch trotz des Vorhandenseins der oben angegebenen Thatsachen, welche doch Jedem zugänglich sind, hat Mauthner! vor Kurzem diese Er- müdungsstofftheorie nicht nur vertheidigt, sondern auch versucht, dieselbe umzugestalten und auszudehnen. Derselbe glaubt nämlich nachgewiesen zu haben, dass der Schlaf zum Theil auf einer Ansammlung von Ermüdunss- stoffen, insbesondere in dem Höhlengrau, beruhe, und auch zum Theil auf einer Unterbrechung der Nervenleitung. Er giebt an, dass man während eines heftigen Gewitters und trotzdem, dass die grellsten Reize das Auge treffen, schlafen kann, ohne dadurch geweckt zu werden. Die Reize, sagt Mauthner, werden in normaler Weise zu dem Öentralorgan fortgepflanzt; der Schlafende hört und sieht jedoch nichts von den äusseren Vorgängen, aber die Seh- und Hörzellen sind in voller Thätigkeit, denn der Schlafende träumt. Mauthner sagt, der Schlafende träume, aber es fragt sich, was er träumt und wie er zu den Träumen gebracht worden ist. Dass er nicht aufwacht, dafür ist Grund genug, als Erklärung den Umstand anzunehmen, dass die Hör- und Sehnerven nicht in genügender Stärke und in nicht genügend anhaltender Dauer gereizt worden sind. Nach dem, was wir über künstlich erzeugte Träume wissen, können wir beinahe mit absoluter Sicherheit behaupten, dass Mauthner’s Träumender von etwas träumt, was in Zusammenhang mit dem Donner und dem Blitz des Gewitters steht. Spitta (a. a. OÖ.) giebt unter anderen Beispielen an, dass das Spielen ‚einer Melodie analoge Träume bei einem Schlafenden hervorrufen kann. Dass solche Träume nur vor sich gehen können, wenn die Reize von einer Stärke sind, welche den Schlafenden nicht zu erwecken vermögen, ist selbstverständlich. Schnelle, vorübergehende Reize treten nicht in das Be- wusstsein des Schlafenden oder des Träumenden, dagegen andauernde Reize, wie wir gesehen haben, und das auch, ohne den Schlafenden oder Träu- menden nothwendiger Weise zu erwecken. Gestützt, wie es scheint, auf die Thatsache, dass ein Schlafender träu- men kann, ohne jedoch dass äussere vorübergehende Reize (wie z. B. Donner und Blitz) in das Bewusstsein treten, äussert sich Mauthner in folgender Weise: „Es ist mir darum zu thun, nachzuweisen, dass im Schlaf einerseits die peripheren Sinnesorgane fungiren, was Niemand leugnet, und dass ‘ Zur Pathologie und Physiologie des Schlafes. Wiener medieinische Wochen- schrift. 1890. Nr. 23 bis 28. ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 333 andererseits die Zellen der Hirmrinde ihre Function nicht einzustellen brauchen, was Niemand leugnen kann, aber dass trotzdem die peripheren Reize nicht zum »Bewusstsein«, d. h. nicht bis zu den Rindenzellen ge- langen. Damit ist auch die Theorie des Schlafes gegeben. Der Schlaf besteht zu einem Theil in einer Unterbrechung der centripetalen Leitung, d. h. in einer Unterbrechung der Leitung zwischen den fungirenden peri- pheren Sinnesorganen und den fungirenden centralen Nervenzellen der Hirnrinde. Es ist aber im Schlafe nicht bloss die centripetale Leitung zur, sondern auch die centrifugale Leitung von der Hirnrinde unterbrochen.“ Nach dem, was wir von künstlichen Träumen gesagt haben, ist die An- schauung Mauthner’s nicht berechtigt; und wenn auch die von uns an- gegebenen Thatsachen nicht vorhanden wären, so bliebe dennoch die Mauthner’sche Auffassung eine unbegründete. Vorstellungen, durch äussere Reize erzeugt und auch zu einem gewissen Grade äussere Reize selbst, treten in das Bewusstsein des Schlafenden oder vielmehr des Träumenden. Es kann daher die Nervenleitung nicht unterbrochen sein; jedoch muss man festhalten, dass in dem Traumzustand das Selbstbewusstsein fehlt, dass äussere Reize bewusste Vorstellungen hervorrufen können, ohne jedoch das Erwachen und das damit begleitete Selbstbewusstsein hervor- zurufen. In der Thatsache, dass, wenn man träumte, dass man z. B. fliehen und sich retten wolle, meistens keine Bewegung erfolet, sieht Mauthner den Beweis, „dass auch die centrifugale Leitung an einer Stelle des Central- organes im Schlafe unterbrochen wird“, welche daher den motorischen In- nervationen keinen Ausgang erlauben. In Bezug auf diese Ansicht können wir nur wiederholen, was Goldscheider! in Betreff dieser Ansicht ausge- sprochen hat, nämlich „dass eine Innervationsempfindung nicht existirt und dass aus der Vorstellung des Fliehenwollens keineswegs zu folgern ist, dass eine motorische Innervation vor sich geht, es handelt sich vielmehr zunächst um ein Bewegungsvorstellungsbild, und die Thatsache, dass das- selbe nicht von einer Bewegung gefolgt wird, ist mit viel grösserem Recht darauf zu beziehen, dass die motorische Innervation eben ausbleibt.“ - Den Sitz des Schlafes kann man weder in das Höhlengrau legen, noch in irgend einen anderen speciellen Theil des Gehirns. Die Ursache des Schlafes ist vielmehr eine Ermüdung des ganzen Nervensystems, in welchem die herabgesetzte Thätigkeit der einzelnen Theile desselben abhängig ist von der Art und dem Grade der geleisteten Arbeit. Wenn wir nun zum Schluss nochmals das Resultat der von mir selbst angestellten Versuchsreihe kurz resumiren wollen, so können wir also in den Thatsachen die Angaben von Zülzer bestätigen, dass nämlich im Zeitschrift für Psychologie. Bd. II. S. 128, 334 Leo BREISACHER: Zur PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. Schlaf bei gewöhnlicher Diät die Phosphorsäureausscheidung erheblich höher ist als am Tage, dagegen können wir ihm in der Deutung dieser Erschei- nung nicht folgen. Es ist nicht undenkbar, dass die Ausscheidung der Phosphorsäure erheblich später erfolgt, als die des Harnstoffs resp. Stick- stoffs, somit die niedrige relative Phosphorsäureausscheidung in den Stunden von 8 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags der Nacht entspricht. Unter diesen Umständen könnte nur eine solche Versuchsanordnung beweisende Resultate geben, bei welchen die Nahrung möglichst gleichmässig auf den ganzen Tag vertheilt wird, so dass die von der Assimilation und Zersetzung der Nahrung herstammende Phosphorsäureausscheidung in jeder auch mög- lichst kurzer Periode dieselbe ist. Laehr kam in einigen Versuchen dieser Versuchsanordnung nahe, jedoch leiden seine Versuche an dem Fehler, dass sein Wohlbefinden während derselben gestört war. Ueber den Berns’schen Athemreflex, Der von Berns unter Donders’ Leitung gefundene Reflex, durch den die erste Inspiration, welche der Lunge Kohlensäure zuführt, sofort vertieft wird,! hatte früh meine Aufmerksamkeit gefesselt wegen der Beziehungen welche derselbe zu den Theorien von Marshall Hall, Volkmann, Vier- ‘ordt und Donders haben konnte, nach denen die Erregung im Inspirations- centrum nicht automatisch (besser autochthon) erfolgen, sondern in ihrer Entstehung (nicht nur in ihrer Regulirung) Glied eines Reflexvorganges sein sollte.? Da Knoll den von Berns beschriebenen Reflex leugnete,? benutzte ich die erste sich mir darbietende Gelegenheit, mir eine Ueberzeugung auf Grund eigener Erfahrung zu bilden und ich konnte in Gemeinschaft mit M. Rosenthal die Angabe von Berns bestätigen, musste aber hinzufügen, dass starke Concentration der Kohlensäure wesentliche Bedingung für Er- zeugung des Reflexes ist. Die Publicationen hierüber von M. Rosenthal und mir veranlassten Knoll zu einer erneuten Prüfung, nach welcher er sich genöthigt sah seinen Standpunkt festzuhalten.® ! Berns, Over den invloed van verschillende Gassen op de Adembeweging. Onderzoekingen gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche Hooge- school. Tweede Recks. III. p. 76. ®2 J. Gad, Ueber Athemreflexe von den Hauptbronchien. Dies Archiv. 1890. S. 588. ® Ph. Knoll, Ueber Reflexe auf die Athmung bei Zufuhr einiger flüchtiger Sub- stanzen zu den unterhalb des Kehlkopfes gelegenen Athemwegen. Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1878. Bd. LXVII. Abthlg. II. * M. Rosenthal, Ueber die Formen der Kohlensäure- und Sauerstoffdyspno&. Dies Archiv. 1886. Suppl. S. 248. 5 J.Gad, Ueber automatische und refleetorische Athemcentren. Dies Archiv. 1886. S. 388. Ph. Knoll, Die Wirkung der Einathmung reiner Kohlensäure durch eine Trachealfistel u. s. w. Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1887. Bd. XCV. Abthlg. Ill. 336 J. Gap: Wenn auch dureh die Arbeit von Zagari,! in welcher ich gemein- schaftlich mit ihm mich nicht nur von der Existenz des Reflexes erneut überzeugen, sondern auch über die Bedingungen seines Entstehens und den Angrnifisort der Kohlensäure Genaueres beibringen konnte, jede Möglichkeit ausgeschlossen worden ist, eine von den genannten Theorien durch den- selben zu stützen, so kann er doch in anderer Beziehung noch von Inter- esse werden und ich bedauerte deshalb lebhaft, eine endgiltige Aufklärung des Widerspruches zwischen den Erfahrungen von Knoll und denjenigen meines Laboratoriums nicht beibringen zu können. Ich musste mich auf folgende Vermuthungen beschränken: ? „Ein Unterschied in der Versuchsanordnung, welcher von Bedeutung sein könnte, ist der, dass unser Kohlensäurebeutel, der stets unmittelbar vor dem Versuche ganz frisch mit reiner Kohlensäure gefüllt wurde, aus Kautschuk bestand und dass sein Inhalt durch die Ausathmungsluft des Thieres nicht verunreinigt wurde, während Knoll eine feuchte Blase anwandte, welche Coneentrationsverlust durch Diffusion mehr begünstigt haben mag und deren Inhalt bei der Athmung verändert wurde. Vielleicht hat auch Knoll mehr Gewicht auf die späteren Versuche einer Versuchsreihe gelegt, als wir für erlaubt halten. Wie weit Ungenauigkeiten im Zusammenfall der Hahndrehung mit dem Ende der Exspiration Knoll’s Resultate zu belasten im Stande sind, lässt sich bei Mangel von Angaben über das Volum der Verbindungsröhren nicht erkennen.“ In sehr dankenswerther Weise und zu meiner grossen Freude hat sich nun Knoll einer erneuten Revision dieser Angelegenheit unterzogen und er schreibt mir über das Resultat derselben, mit der Ermächtigung, davon öffentlichen Gebrauch zu machen, Folgendes: „Es hat sich herausgestellt, dass die Ursache des Unterschiedes unserer Versuchsergebnisse weder in der Verunreinigung der Kohlensäure durch Exspirationsluft und dementsprechend auch nicht in der Athemphase, wäh- rend welcher der Canülenwechsel erfolgte, noch in der Verwendung einer thierischen Blase, sondern ausschliesslich in dem verhältnissmässig grossen Luftraum der zwischen Trachealfistel und Mündung des Kohlensäureballons bei meinem Apparat zur Verzeichnung der respiratorischen Volumschwan- kungen des Versuchsthieres liegenden Röhrenleitung zu suchen ist. Dass ich etwa nur die negativen Ergebnisse späterer Versuche berücksichtigt hätte, war selbstverständlich schon bei meinen früheren Versuchsreihen ausge- schlossen.“ m ‘ ı J. Zagari, Beitrag zur Lehre der Dyspnoöformen. Dies Archiv. 1891. S. 37. 2 Dies Archiv. 1890. 8.591. ÜBER DEN BERNS’SCHEN ATHEMREFLEX. 337 „An die Möglichkeit des Einflusses jener Köhrenleitung hatte ich nicht gedacht, da ich ja bei derselben Versuchsanordnung jenen von dem Berns’- schen Inspirationskrampf nicht unwesentlich verschiedenen Reflex bei der Zuleitung anderer Stoffe gefunden hatte. Bei möglichster Annäherung der Mündung einer mit Kohlensäure gefüllten Blase an die Trachealfistel, zu welchem Zwecke ich zur Verzeichnung der Athmung mittels einer das vordere Mediastinum durchbohrenden Canüle griff, sah ich auch bei Kohlen- saure jenen Reflex regelmässig eintreten. Es handelt sich also in Ueber- einstimmung mit Ihren Ermittelungen darum, dass diese nicht bloss rein zugeführt wird, sondern auch möglichst concentrirt die Bronchialschleimhaut treffen muss.“ Indem ich durch die Veröffentlichung dieser Mittheilung dem Verlangen des verehrten Herrn Collegen nachkomme, dem es „wünschenswerth er- scheint, dass diese Aufklärung über den Unterschied unserer Versuchs- ergebnisse irgend wie im Archiv für Physiologie zum Ausdruck kommt, damit nicht später etwa noch auf den Widerspruch in unseren Angaben Bezug genommen wird,“ ergreife ich zugleich die Gelegenheit, Hrn. Knoll meinen verbindlichsten Dank für die übernommmene Mühewaltung und meine aufrichtige Werthschätzung für die Loyalität seines Vorgehens auszusprechen. Berlin, im Juli 1891. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 22 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1890—91. V1lI. Sitzung am 27. Februar 1891." 1. Hr. ImmAnueL Munk hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Folgen lange fortgesetzter eiweissarmer Nahrung.“ Nachdem E. Salkowsky sowie ich selbst schon vor Jahren für den Hund nachgewiesen hatten, dass bei reichlicher Darbietung von N-freien Stoffen im Futter der Eiweissumsatz und dementsprechend der Eiweissbedarf auf ein sehr niedriges Maass herabgedrückt werden kann, und neuerdings F. Hirschfeld und Kumagawa in einwurfsfreien Selbstversuchen auch für den Menschen zu dem Ergebniss gelangt waren, dass bei. sehr reichlicher Ration von Kohle- hydraten (bezw. Fetten) mit einem niedrigen Eiweisssatz, etwa 408% für den Tag, N- und Körpergleichgewicht, wenigstens für acht Tage, behauptet werden kann, galt es zu ermitteln, ob auch für die Dauer, unbeschadet der Gesund- heit und Leistungsfähiskeit des Körpers, das Leben mit einem geringen Ei- weissquantum in der Nahrung gefristet werden kann. Hierüber hoffte ich durch Versuche am Hunde Aufklärung zu gewinnen, die ich mehrere Monate lang im ' thierphysiologischen Laboratorium der Landwirthschaftlichen Hochschule durch- geführt habe. Eine Hündin von fast 12 Kilo kam mit einem aus Fleisch, Schmalz und heis bestehenden Futter, das 34 2" Eiweiss, 38” Fett und 708m Kohle- hydrate bot (Nährstoffverhältniss = 1:5), allmählich in N- und Körpergleich- gewicht. Dass die Nahrung ausreichend war, wurde dadurch ausser Zweifel gesetzt, dass das Versuchsthier dabei 20 Tage lang auf N- und Körpergleich-. gewicht verharrte. Nunmehr wurde die Hälfte vom Futtereiweiss (178%) fortgelassen und durch die nach Rubner isodyname Menge von Kohlehydraten (17 8% Stärke- ! Ausgegeben am 20. März 1891. | | VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — IMMANUEL Munk. 339 mehl) ersetzt. Bei diesem Futter sank das Körpergewicht ziemlich stark, die N-Ausscheidung durch Harn und Koth überstieg die N-Einfuhr um 1 bis 1.58W, und es mussie allmählich bis auf 558m Fett und 116 Em Kohle- hydrate angestiegen werden, um N- und Körpergleichgewicht zu erzielen. Diese eiweissarme Nahrung (Nährstoffverhältniss = 1:14.3) bot immerhin noch 1.5 8m Eiweiss pro Körperkilo, also 2 bis 3 mal so viel als in den Selbstversuchen von Hirschfeld und Kumagawa. Schon das erscheint bemerkenswerth, dass bei eiweissarmer Kost zur Er- haltung des Körperbestandes der Gesammtinhalt an potentieller Energie in der Nahrung höher sein muss als bei eiweissreicherer Kost; letztere lieferte 67, jene 93 Calorien pro’ Körperkilo, also volle ?/, mehr, ohne dass das Plus der Nahrung zu einem Ansatz von Körpersubstanz geführt hätte. Das Gleiche habe ich! schon früher für den Menschen aus den Versuchen von C. Voit und J. Ranke einerseits, Hirschfeld, Kumagawa und Klemperer andererseits abgeleitet. Mit dem beschriebenen eiweissarmen Futter wurde der Versuch 10 Wochen lang fortgesetzt.” In den ersten 5 bis 6 Wochen traten im Mittel (die Ab- weichungen der einzelnen Tage waren nur gering) 2.1 bis 2-2 N durch den Harn und 0.42 bis 0.52 N durch den Koth pro Tag heraus, im Ganzen pro Tag 2.52 bis 2.69 N, gegenüber 2.7 N in der Einfuhr. Es bestand also N-Gleichgewicht, auch das Körpergewicht erhielt sich constant auf 11-1 bis 11-248. Der Eiweissumsatz war während der ganzen Dauer des Versuches auf einem ausserordentlich niedrigen Stande, noch erheblich unter dem „typi- schen Hungerminimum“ von C. Voit. Ausserdem wurden durch den Kotlh 3 bis 5 Procent des Nahrungsfettes ausgestossen, die Kohlehydrate bis auf Spuren vollständig verwerthet. Im Laufe der 6. Woche wurde die erste Veränderung beobachtet: der Koth wurde etwas reichlicher, die zuvor intensiv gelbe Farbe wurde blasser, mehr sraugelb. Von der 7. Woche ab stieg die N-Ausfuhr durch den Harn von 2-1 bis 2-2 N im Mittel von 6 Tagen auf 2.75 N (Min. 2-3, Max. 3-5 N) an. Für den Anstieg des Eiweissumsatzes lieferte die genaue Untersuchung des Kothes einen erklärenden Gesichtspunkt. Dieser in grösserer Menge als zuvor ausgestossen und nur graugelb gefärbt, liess auf dem Durchschnitt grieskorn- grosse weissliche Einsprenkelungen, Residuen von Reiskörnern, erkennen. Es trafen auf den Tag im Koth 1-08 N, also reichlich doppelt so viel als in den ersten 5 Wochen, ferner 82” Fett (inel. Fettsäuren von Seifen), entsprechend 15.5 Procent des Nahrungsfettes und 2:9 8"® Kohlehydrate, entsprechend 21/, Procent der Einfuhr. Es hatte sich zweifellos die Ausnutzung aller Nähr- stoffe aus dem Futter beträchtlich verschlechtert, am stärksten die des Fettes, am wenigsten die der Kohlehydrate. Indem so weniger Nährstoffe als zuvor zur Resorption gelangten, konnte das N-Gleichgewicht nicht mehr behauptet werden; es stieg die N-Ausscheidung auch durch den Harn an, sodass das Thier rund 1.2 N = 352’" Körperfleisch pro Tag einbüsste. Immerhin traten 1 Oentralblatt für die. medicinischen Wissenschaften. 1889. S. 835. 2 Von der dritten Woche ab wurde das Fleisch durch Fleischmehl, das eine gleichmässige unveränderliche Zusammensetzung bietet, ersetzt und ein entsprechendes Quantum des künstlichen Gemisches der Fleischsalze hinzugefügt. 22* 340 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN aus dem Futter noch so viel Nährstoffe in die Säfte über, dass die Zersetzung des resorbirten Antheils reichlich 85 Calorien pro Körperkilo lieferte. Weiterhin nahm die N-Ausscheidung durch den Harn nur wenig mehr zu, so dass sie im Tagesmittel 2-86 betrug, dagegen wurde die Farbe des reich- licher abgesetzten Kothes immer schwächer gelb, fast grau, so dass der Koth “ fast acholisch, ähnlich wie beim Hunde mit permanenter Gallenfistel aussah. Dabei war niemals Gallenfarbstoff im Harn oder eine Spur von Ikterus am Körper zu beobachten; ebensowenig eine reichlichere Beimengung von Schleim zum Koth, die auf einen Darmkatarıh hingedeutet hätte. Der in der 10. Woche abgesetzte Koth war noch reichlicher, enthielt feste Stoffe, entsprechend 17 Procent der Einfuhr, und war so fettreich, dass er sich nicht pulverisiren liess. Erst nachdem er in toto mit Aether extrahirt worden war, hinterblieb ein gut pulverisirbarer Rückstand. Der Koth enthielt, pro Tag berechnet, 15 8% Fett: = 28 Procent des Nahrungsfettes, d.h. fast doppelt so viel als in der 7. Woche. An N wurde pro Tag 1-.028'%, etwa ebenso- viel als in den letzten 3 Wochen, und an Kohlehydraten nur wenig mehr, ent- sprechend 3 Procent der Einfuhr, unbenutzt ausgestossen. Der aus dem Koth durch Alkohol extrahirbare, zumeist von Rückständen der Galle herrührende N betrug fast nur !/, vom Gesammt-N des Kothes. Während in der 7. und 8. Woche noch das Allgemeinbefinden fast unver- ändert erschien, trat von der 9. Woche ab auch eine Veränderung im ganzen Verhalten des Hundes ein; seine Lebhaftigkeit nahm ab, er wurde zusehends matter, sein vorher lautes Bellen wurde rauh und heiser. Unter diesen Um- ständen und da sein Körpergewicht um 5008'% abgenommen hatte, wurde der Versuch abgebrochen und zu einem eiweissreicheren Futter übergegangen. Da in den letzten 4 Wochen der Hund rund 33 N = 1000 8'% Körperfleisch ein- sebüsst hatte und doch nur um 5008”m leichter geworden war, so mussten 5002"® wohl in Form von Wasser und Fett, zum Ansatz gelangt sein. Bei Zuschuss von 308m Eiweiss zum Futter, unter entsprechendem Ab- zug von 308" Kohlehydraten, stieg innerhalb 5 Tagen das Gewicht, allein ohne sichtliche Besserung des Allgemeinbefindens, die Mattigkeit nahm zu, das . Futter wurde einmal etwa zur Hälfte erbrochen. Unter alleiniger Ernährung mit Fleisch und Fett trat schon in 3 Tagen vollständige Erholung ein. Nun- mehr wurde das Reisfleischfutter wieder gern genommen, der Koth färbte sich gelb bis gelbbraun und wurde ‚spärlicher, auch die Fettausnützung besserte sich sichtlich (nur 2 Procent Fett im Koth); aus der Nahrung wurden pro Tag 2 bis 5em N = 60 bis 908m Körperfleisch zurückbehalten. Aus diesem Versuch geht hervor, dass eine sonst ausreichende, aber eiweissarme Nahrung nach einer Reihe von Wochen zur Beeinträch- tigung der Verdauung und Verschlechterung der Ausnützung führt, die am stärksten das Nahrungsfett trifft, auch wenn nur mässige Mengen davon (55 8m pro Tag) verabreicht werden, in schwächerem Grade das Nahrungs- eiweiss, am wenigsten die Kohlehydrate, dass ferner in Folge davon das vorher bestandene N- und Körpergleichgewicht gestört und weiterhin auch der Kräfte- zustand und der Appetit hochgradig beeinträchtigt wird. Aus der in den späteren Wochen der eiweissarmen Ernährung kaum noch Salligen Färbung des Kothes dürfte mit grösster Wahrscheinlichkeit zu schliessen sein, dass die Galle, und vermuthlich auch die anderen Verdauungssäfte, spär- _ GESELLSCHAFT. — IMMANUEL MuNn&k. — TuEoDoR RosEnHRmMm. 341 licher als in der Norm abgeschieden werden. Bei der Herstellung der Secrete ist das Protoplasma der Drüsenzellen in erster Reihe betheiligt und geht zum Theil dabei zu Grunde. Die eiweissarme Kost dürfte — dieser Schluss scheint nahe zu liegen — nicht genügend Eiweissmaterial zur Regeneration des Proto- plasma’s der Verdauungsdrüsen bieten, daher allmählich die Secretionsgrösse der Verdauungssäfte absinkt. Weitere Versuche unter mannigfacher Varürung der einzelnen Bedingungen sollen darüber Aufschluss liefern, ob die, wie es scheint, durch eiweissarme Kost hervorgerufene geringere Widerstandsfähigkeit des Organismus nicht auch gelegent- lich sich durch andere Störungen äussert, als duxch Verschlechterung der Aus- nützung der Nährstoffe und deren Folgen. 2. Hr. TuEoDoR RosSENHEIM hält den angekündisten Vortrag: „Ueber den oO „ sesundheitsschädigenden Einfluss eiweissarmer Nahrung.“ So interessant die Thatsache auch ist, dass das thierische und menschliche Individuum sich mit verhältnissmässig geringen Eiweissmengen bei entsprechend hoher Kohlehydrat- und Fettzufuhr in’s Stickstoffgleichgewicht zu setzen vermag, so kann dieses Ergebniss nicht für die Beurtheilung der Brauchbarkeit einer Nährstoffmischung verwerthet werden. Denn der Beweis, dass eine eiweiss- arme Nahrung für das Wohlbefinden unbedenklich ist, ist durch die vorliegen- den Untersuchungen keineswegs erbracht, und dass es, in Folge des ausserordent- lichen Anpassungsvermögens des Organismus, vorübergehend gelingt, mit einem Eiweissminimum in der Nahrung für einige Tage auszukommen und Stickstoff- gleichgewicht zu erzielen, beweist nichts gegen die Nothwendigkeit grösserer Mengen Eiweiss in der regelmässigen Kost. Alle vorliegenden Versuche von Hirschfeld, Kumagawa und Klemperer erstrecken sich über viel zu kurze Zeit, um für die Festsetzung der Diät von Gesunden und Kranken ver- werthbare Resultate zu liefern. Ich habe diesen Einwand bereits früher (Pflü- ger’s Archiv u. s. w. Bd. XLVI, 1889) erhoben, als ich zeigte, dass die Aus- nutzung grösserer Mengen Fett bei eiweissarmer Kost sich schlechter gestaltete, als bei eiweissreicher, und ich betonte schon damals, dass bei längerer Dauer derartiger Versuche sich wohl Störungen des Allgemeinbefindens und der Ge- sundheit schliesslich erwarten liessen. Ueber die Art der hier auftretenden Schädigungen bin ich heute in der Lage nach Beobachtungen an einem Thiere, das zwei und einen halben Monat mit eiweissarmer Kost gefüttert wurde, Mit- theilung zu machen. Ein Pudel von 11.3 *3n Körpergewicht erhielt vom 2. December 1889 ab eine eiweissarme Kost, in welcher 1447 Cal. mit 2.825" N pro Tag ent- halten waren. Der Nährwerth dieser Kost wurde im Taufe des Monats auf 1066 Cal. mit 2-525 N herabgemindert; sie setzte sich zusammen aus 1708 Reis, 508m Fett und 25 8% Schabefleisch. Diese Nahrung wurde anhaltend sern genommen, mit derselben setzte sich das Thier in Stickstoffgleichgewicht und nahm an Körpergewicht zu. Die N-Ausscheidung durch den Harn sank bis 1.88% N pro Tag und war selten höher als 28”%, die durch den Koth betrug etwa 0-5 pro Tag. Das Verhältniss blieb während des ganzen Monats Januar bis zum 26. Januar dasselbe; bis zu diesem Zeitpunkte hob sich das Körpergewicht bis auf 12.8 *s"m, die Ausnutzung des Nahrungsfettes war wäh- 342 VERHANDLUNGEN DER BERLINER rend der ganzen Versuchsdauer eine gute gewesen, wenn auch zuletzt etwas schlechter als vorher, da in der Zeit vom 21. December bis 4. Januar das Fett bis auf 0-79 Procent, später bis auf 2.1 Procent verwerthet wurde. Vom 27. Januar an zeigt der Hund Störungen des Allgemeinbefindens: er ist matt, ohne rechten Appetit und im Laufe der folgenden Tage wird ein leichte ‚ ikterische Färbung an der Conjunctiva und Gallenfarbstoff im Urin constatirt. Verschiedene hygienisch-diätetische Maassnahmen (Körperbewegung im Freien, Zusatz von Fleischextract zur Geschmacksverbesserung der Kostrationen) ver- vermögen den Zustand nicht nennenswerth zu beeinflussen. Das Körpergewicht sinkt im Laufe einer Woche um 1.2 ksım, schliesslich gelingt es aber, vom 4. Februar ab, bei dem Hunde die regelmässige Aufnahme einer Kost zu be- wirken, die aus 763% Schabefleisch und 105 8’® Fett bestand, die also unver- hältnissmässig weniger voluminös als die frühere war, dabei aber die gleiche Calorien- (1066) und Stickstoffmenge (2.525) bot. Bis zum 11. Februar einschl. wurde dieses Nährstoffgemenge täglich regel- mässig, wenn auch in Absätzen, verzehrt. Die Controle des Stoffwechsels in dieser Krankheitsperiode lehrte, dass das Thier sich auch jetzt im Stickstoff- gleichgewicht befand, denn es schied durch den Harn nur 2.0 bis 2-1 und durch den Koth 0-403 N pro Tag aus. Die Fettausnutzung war in dieser Zeit schlechter als früher; es werden etwa 4 Procent des Nahrungsfettes mit den Faeces wieder ausgeschieden; das Körpergewicht hob sich nur wenig, von 11-66 bis 11.85 em, Das Befinden des Thieres wurde progressiv schlechter, der Ikterus blieb bestehen, die Faeces waren etwas heller gefärbt als normal, doch nicht von breiiger Beschaffenheit. Vom 12. Februar ab wurde die Nah- rungsaufnahme gänzlich verweigert, auch Fleisch nur in kleinen Portionen hin und wieder aufgenommen und das Thier starb am 16. Februar im Zustande höchster Erschöpfung; das Körpergewicht war auf 118m gesunken. Fieber hatte zu keiner Zeit bestanden. Die Untersuchung des respiratorischen Gas- wechsels (O-Aufnahme und CO,-Ausscheidung) in den letzten Tagen vor dem Tode ergab keine Abweichung von der. Norm. Eine Alkalescenzhestimmung des Blutes zeigte einen in den physiologischen Grenzen gelegenen Werth (in 100 sm Blut 118 mem Na,C0,). Die Spaltung des Fettes im Darmkanal ging bis zum Tode in normaler Weise, wie die Fettsäurebestimmung lehrte, vor sich. Bei der Obduction fanden sich in den Thoraxorganen keine, an Milz und Nieren kaum nennenswerthe Veränderungen, dagegen schwere pathologische Pro- cesse im Magendarmcanal und in der Leber. Die Schleimhaut des Magens und des Darmes war durchgehends beträcht- lich geschwollen, von graugelber bis gelber Färbung, vielfach hyperaemisch, an einzelnen Stellen, besonders im Diekdarm, von kleineren und grösseren Haemor- rhagien durchsetzt. Der Schleimbelag war in den mittleren und unteren Par- tien des Darms auffallend reichlich, der Ductus choledochus war durchgängig, die Leber beträchtlich vergrössert, von fast teigiger Consistenz; beim Durch- schneiden zeigte das Parenchym eine gleichmässige buttergelbe Färbung. Beim Ueberstreichen mit der: Messerklinge über die Schnittlläche blieben Fetttropfen haften. Die mikroskopische Untersuchung erwies die Leberzellen mit zahllosen kleineren, vereinzelten grösseren Fetttröpfchen erfüllt und im Ganzen vergrössert. en PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, — TH&0oDoR RosENnHmEm. 343 Ein Ausfall von Parenchym war nicht nachweisbar. Wir haben also das Bild der Fettleber, wie wir es z. B. im anaemischen Inanitionszustande des Menschen 2. B. bei Phthisikern nicht selten antreffen. Die Epithelien der Drüsen im Magendarmcanal sind hochgradig fettig metamorphosirt und zwar im Magen und .+ . . . a im oberen Theil des Darmes stärker als in dem unteren. Nach Entfernung des Fettes zeigen sich die Drüsenelemente in ihrer Structur wohl erhalten. Eine nennenswerthe interstitielle Wucherung besteht nicht. Wir haben zunächst zu fragen, woran ist das Thier gestorben, und ist die Krankheit und der Tod desselben als die Folge der eiweissarmen Ernährung an- zusprechen? Die Krankheit stellte sich, klinisch betrachtet, als ein allgemeiner Schwächezustand, der sich bis zur höchsten Kraftlosigkeit steigerte, dar, und der sich durch Alteration des Appetits, Hinfälligkeit, Apathie äusserte; als _hervorstechendes Symptom einer Affeetion im Gebiete des Verdauungsapparates bestand Ikterus, dagegen fehlt eine Anomalie des Stoffwechsels. Das Leiden trägt den Charakter der Progression und Malignität an sich. Bei der Beurtheilung des Sectionsbefundes haben wir zu trennen: die Er- scheinungen des Katarrhs und der Entzündungen von denen einer tiefgreifenden parenchymatösen Degeneration, die nicht zum Wesen des erstgenannten, an sich eutartigen Processes gehört und die in dieser Form und Ausdehnung hei Hun- den überhaupt nicht vorkommt, falls es sich nicht um Intoxicationen oder eine Infeetionskrankheit handelt; beides glaube ich mit Sicherheit ausschliessen zu können. Ich setze also die gefundene Degeneration, besonders in der Leber, in Abhängigkeit von der unzweckmässigen Ernährung, vielleicht aber war der Katarrh die unmittelbare Todesursache, der das Thier erlag, ebenso wie ge- schwächte Individuen und Greise an einer, an sich gutartigen, Affeetion zu Grunde gehen können. Die Stoffwechseluntersuchungen während der Krankheitsperiode ergaben eine Reihe beachtenswerther Resultate. Zunächst zeigte sich, dass die Krank- heit des Thieres keine solche ist, die mit einer Steigerung der Oxydationsvor- sänge in den Geweben einhergeht; denn weder die Kohlensäureausscheidung durch die Lungen, noch die N-Ausscheidung durch den Harn war gesteigert. Vor Allem aber ist auffallend, dass das schwerkranke Thier sich im N-Gleich- gewicht zu halten vermochte. Es ergiebt sich hieraus, dass N-Gleichgewicht bestehen kann neben schweren anatomischen Laesionen im Verdauungsapparat und dass das Vorhandensein des Stickstoffgleichgewichts nichts beweist für die Integrität des Eiweissstoffwechsels in allen Organen, denn derselbe kann, wie dies besonders die Degenerationen in den drüsigen Hlementen des Magendarm- canals beweisen, auf’s Schwerste in den Zellen einzelner lebenswichtiger Organe geschädigt sein, ohne dass äusserlich die N-Bilanz gestört ist. Denn das Fett in den Drüsenzellen des Magendarmcanals dürfte vom Eiweisszerfall herrühren, während das Fett in der Leber ebensowohl durch Infiltration als durch Degene- ration entstanden gedacht werden kann. Es ist weiter bemerkenswerth, dass die Assimilationsfähigkeit des Magendarmtractus trotz der vorhandenen anato- mischen Veränderungen eine vorzügliche war, nur die Fettausnutzung war während der Krankheit schlechter als m der Norm, aber immer noch absolut eine gute. Diese Beobachtung erinnert an ähnliche bei Menschen, wie sie von Friedrich Mueller (Darmaffeetion) und mir (Phosphorvergiftung) mitgetheilt 344 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN wurden. Es genügen also immer noch in derartigen pathologischen Zuständen die Protoplasmareste, um Secretion und Resorption nothdürftig zu leisten, indem der Organismus mit seiner letzten Reservekraft arbeitet. Warum die eiweissarme Nahrung bei unserem Versuchsthiere derartige Störungen, in anderen Fällen andere (vergl. die Beobachtung Munk’s) hervor- ’ bringt, das hängt meines Erachtens ganz von der Individnalität des Thieres ab. Uebereinstimmend ist in unserer und Munk’s Beobachtung, dass die Stö- rung den Verdauungsapparat betrifft und dass sie erst in 7 bezw. 8 Wochen mit unzweideutigen Zeichen debütirt. IX. Sitzung am 13. März 1891.' 1. Hr. E. pu Boıs-ReymonD theilt aus einem Schreiben von Prof. Fritsch, aus Kafr-ez-Zayat im Nildelta vom 15. Fehruar mit, dass der Schlag des elek- trischen Organs der Mormyriden, sowohl derer mit durchbohrter wie derer mit undurchbohrter elektrischer Platte, im Organ vom Schwanz zum Kopfe verläuft, und folglich der Pacini’schen Regel folgt, der von den bekannten elektrischen Fischen mithin einzig der Malopterurus entzogen bleibt. 2. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag über die von ihm ge- meinschaftlich mit Hrn. Ad. Magnus-Levi ausgeführten Untersuchungen, be- treffend die Ausnutzung eiweissarmer Nahrung (Brod) beim Menschen. — Neben der aus der directen Vergleichung der Einfuhr und des Kothes sich ergebenden Ausnutzung wurde der Einfluss der Nahrung auf die Oxydationsprocesse durch Respirationsversuche und auf den Eiweissbestand des Körpers durch Unter- suchung des Harns festgestellt; ausserdem wurde dem Einflusse des Alkohols auf die Verwerthung vegetabilischer Kost Beachtung geschenkt. — Die Versuche werden baldigst in Pflüger’s Archiv u. s. w. ausführlicher veröffentlicht werden. X. Sitzung am 17. April 1891. 1. Hr. Dr. Karu MÜLLENHOrFF hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Wirkung der Luftverdünnung auf den menschlichen Körper.“ Im Luftschiffe sind bekanntlich die grössten Höhen erreicht worden, zu denen je Menschen aufgestiegen sind. Die höchste Bergbesteisung war die der Gebrüder Schlagintweit, die am 19. August 1855 auf dem Ibi Gamin bis zu 6882 Meter gelangten. Im Luftschiffe dagegen erhoben sich Welsh am 10. November 1852 bis zu 6987, Gay-Lussac am 16. September 1804 zu ! Ausgegeben am 20. März 1891, ® Ausgegeben am 8. Mai 1891. GESELLSCHAFT, — G. FrıitscH. — N. Zuntz. — Karn MÜLLENHOFT, 345 7016, Barral und Bixio am 26. Juni 1850 zu 7039 Meter. Eine Höhe von 7924 Meter erreichten am 27. Juli 1862 Glaisher und Coxwell, ja Tissan- dier, Sivel und Croc6-Spinelli stiegen am 15. April 1875 bis zu 8600 Meter. Alle diese Hönenangaben beruhen auf zuverlässigen, während der Fahrt ange- stellten Beobachtungen über den Luftdruck und die Temperatur. Weniger sicher sind die Angaben bezüglich der erreichten Höhe bei der Fahrt von Comaschi, der 1842 die Höhe von 9474 Meter erreicht haben will; zweifelhaft sind auch die Behauptungen, dass Andreoli am 22. April 1808 10 000 Meter, dass Blanchard am 20. November 1785 10400 Meter und dass Glaisher und Coxwell am 5. September 1862 gar 11000 Meter erreicht hätten. Bezüglich der letztgenannten Hochfahrt lässt sich aus den von Glaisher selbst publieirten Barometer- und Thermometerablesungen nur eine Höhe von 8836 Meter berechnen. Es ist also gerade dieselbe Höhe, die dem höchsten Berge der Erde, dem Gaurisankar zukommt, die höchste bisher im Luftschiffe erreichte Erhebung über dem Meeresspiegel. Die Luftschiffer sind bei diesen Hochfahrten von mancherlei Beschwerden, theils leichterer, theils schwererer Art befallen worden. Glaisher giebt eine sanz besonders anschauliche und vollständige Schilderung der in grossen Höhen beobachteten krankhaften Zustände in dem Berichte über seine am 5. September 1862 mit Coxwell zusammen unternommene Fahrt. Bis der Ballon die Höhe von 8100 Meter erreichte, hatte Glaisher bequem beobachten können, Coxwell nur eine kleine Mattigkeit gespürt. „Plötzlich,“ so berichtet Glaisher, „fühlte ich mich ausser Stande irgend eine Bewegung auszuführen. Ich sah deutlich Mr. Coxwell vor mir und ich versuchte mit ihm zu sprechen, aber ich konnte meine Zunge, die wie gelähmt war, nicht bewegen. In demselben Augenblicke umgab mich dichte Finsterniss; der Sehnerv hatte plötzlich seine Kraft verloren. Noch war ich im Besitze meines vollen Bewusstseins. Ich dachte, ich würde ersticken, könnte keine Experimente mehr machen und der Tod würde mich ereilen. Noch andere Gedanken tauchten blitzschnell in mir auf, als ich mit einem Male, gleich als ob ich einschliefe, das Bewusstsein verlor.“ Während dessen öffnete Coxwell, mit grosser Anstrengung gegen die ihn überkommende Müdiskeit ankämpfend, das Ventil und brachte dadurch den Ballon zum Sinken. Erst nach Verlauf einer Viertelstunde, in einer Höhe von 7117 Metern, kam Glaisher wieder zur Besinnung und konnte seine Beobach- tungen wieder aufnehmen. Der Erstarrungszustand, der die beiden Luftschiffer befiel, ist, wie es scheint, theilweise durch die ‚starke Kälte herbeigeführt. Die Temperatur am Erdboden betrug -+ 15-3°C., die in der Höhe dagegen — 24°C.; und diese Temperatur- erniedrigung um 39.3° C. erfuhren die Luftschiffer innerhalb einer Stunde. Neben der Einwirkung der Kälte hat aber wohl eine Vergiftung durch das Ballongas stattgefunden. Der Glaisher’sche Ballon war 2500 Kubikmeter gross und hatte in der kurzen Zeit von 53 Minuten eine Barometerstandschwankung von 747 mm quf 247 wm erfahren; wobei allerdings das Thermometer von + 15-3°C. auf — 24°C. sank. Durch diese Druckverminderung musste trotz der Abkühlung um fast 40°C. eine sehr bedeutende Ausdehnung des Ballongases erfolgen; es mussten, wie die Berechnung ergiebt, 1620 Kubikmeter Gas, im Durchschnitt also ein halber Kubikmeter in der Secunde aus dem Appendix entweichen und sich über die Insassen der Gondel ergiessen. Nun ist, wie Glaisher selbst angiebt, das 346 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zur Füllung seines Ballons verwendete Leuchtgas in der Art hergestellt, dass die Steinkohlen ganz besonders lange in den Retorten erhitzt wurden. Hierdurch erhält das Gas einen hohen Procentsatz an Wasserstoff und demgemäss eine erhöhte Tragkraft. Zugleich wird aber durch das starke Erhitzen der Kohle eine ganz besonders grosse Menge Kohlenoxyd erzeugt und dem Gase beigemischt. ‚ Man darf gewiss diesem giftigen Gase eine Mitwirkung bei der Lähmung der Luftschiffer zuschreiben. Ob neben der Temperaturerniedrigung und der Kohlenoxydvergiftung bei Glaisher und Coxwell noch eine directe Beeinflussung durch die Luftver- dünnung stattgefunden hat, ist aus den Glaisher’schen Beobachtungen nicht mit Sicherheit zu ersehen. Ebensowenig liessen die zahlreichen einander viel- fach widersprechenden Berichte anderer Luftschiffer eine sichere Deutung zu bezüglich der Ursachen der zuweilen auftretenden Ohnmachts- und Erstickungs- anfälle. Es war daher im höchsten Grade dankenswerth, dass Paul Bert (in seiner Pression barometrique, Paris 1878) zunächst einmal Alles sorgfältig zusammen- stellte und kritisch bearbeitete, was von früheren Beobachtern bei Hochfahrten im Ballon und bei Hochtouren im Gebirge bezüglich der physiologischen Wir- kungen der Luftdrucksverminderung aufgestellt worden war, und dass er sodann zweitens durch zahlreiche exacte Versuche die Wirkungen der Luftverdünnung für sich allein, frei von allen den sonstigen bei Ballonfahrten und Hochgebirgs- touren mitwirkenden Factoren zu ermitteln unternahm. Es können hauptsächlich zwei Umstände sein, durch welche das Normal- befinden des Menschen bei starker Abnahme des Luftdruckes gestört wird. Der Druck der Atmosphaere hält bekanntlich die Gliedmaassen in ihren Gelenken. Durch das Nachlassen dieses Druckes könnte man sich also die Schwere der Glieder zu erklären versuchen, welche bei starker Luftverdünnung häufig ein- tritt. Indessen zeigt die Rechnung, dass erst bei einer sehr bedeutenden Luft- verdünnung der Druck der Atmosphaere so schwach wird, dass die Gelenke nicht mehr durch den Luftdruck zusammengehalten werden. Da die Oberfläche des Gelenkkopfes beim Oberschenkel 23 Quadratcentimenter, der Druck der Atmosphaere für jeden Quadratcentimeter ein Kilogramm, das Gewicht des Beines "höchstens 7-58 beträgt, so würde man erst bei einem Barometerstand von 250 "m, d.h. also in einer Höhe von 8850 Metern über dem Meere, anfangen das Gewicht des Beines zu fühlen. Es ist demgemäss auch bei den bedeutendsten bisher erreichten Höhen die Wirkung der Luftverdünnung noch niemals in Wirk- samkeit getreten. Neben der mehr mechanischen Wirkung des Gesammtdruckes der Atmo- sphaere geht noch die mehr chemische Wirkung des Partialdruckes des Sauer- stofis. Dieses Gas tritt durch die Athmung in das Blut und löst sich ent- sprechend seinem Partialdrucke in demselben auf; d. h. also in einer Luft von normaler Zusammensetzung findet bei 760%" Barometerstand die Lösung des Sauerstoffs entsprechend einem Partialdrucke von einem Fünftel der Atmosphaere, also mit einem Drucke von 152 "m statt. Findet eine bedeutende Luftverdünnung statt, so tritt entsprechend der Verminderung des Partialdruckes des Sauerstofis eine immer kleinere Menge dieses Gases in das Blut ein und es muss dann also eine Herabminderung des mit der Athmung verbundenen Oxydationsprocesses stattfinden, Pre nn a a nn nn nn Lulu. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KARL MÜLLENHOFF. 347 Paul Bert’s Versuche zeigten, dass in der That bei eintretender Luft- verdünnung dem Blute zu wenig Sauerstoff zugeführt werde, dass dagegen alle krankhaften Veränderungen des Organismus sich vermeiden lassen, wenn bei eintretender Luftverdünnung durch Einathmen von sauerstoffreicher Luft der Partialdruck des Sauerstoffs auf der normalen Höhe erhalten wird. Nach zahl-. reichen Versuchen an Säugethieren, Vögeln und Kaltblütern experimentirte Paul Bert auch mit dem eigenen Körper. In einem pneumatischen Cabinet empfand er bei 450 "" Quecksilberstand, entsprechend einer Höhe von 4300 Metern, Uebelkeit, Benommenheit des Kopfes und Herzklopfen. Jedes Unwohlsein hörte dagegen auf, als er eine Luftmischung einathmete, welche 75 Procent Sauerstoff enthielt. Auch als nach Verlauf einer Stunde das Quecksilber auf 250 WM ge- fallen war, was einer Erhebung von 8850 Metern entsprechen würde, blieb Herz- schlag und sonstiges Befinden des Experimentators normal, sobald er von seinem Behälter mit Sauerstoff Gebrauch machte. Aus diesen Versuchen geht mit Sicherheit hervor, dass die von Paul Bert beobachteten Wirkungen grosser Luftverdünnung in der Abnahme des Partial- druckes des Sauerstoffes ihre Erklärung finden. Es schien daher eine leichte Aufgabe zu sein, die nur auf der Sauerstoffverdünnung beruhenden schäd- lichen Wirkungen grosser Erhebungen über den Meeresspiegel dadurch zu ver- hindern, dass man zu derartigen Unternehmungen Sauerstoff mitnahm und zwar in verschiedener Concentration je nach der Höhe, in der er gebraucht werden sollte. Die einfache Berechnung ergiebt, dass man beim Einathmen einer Mischung von Luft und Sauerstoff im Volumverhältnisse von 5:1 einen Baro- meterstand von 510 "®m d.h. 3200 Meter Meereshöhe erreichen kann, ohne dass der Partialdruck des Sauerstoffs unter das normale Maass sinkt; dass die Mischung 3:1 einem Luftdrucke von 416", d.h. 4800 Meter Meereshöhe ent- spricht. Mit einem Gemische von gleichen Volumen Luft und Sauerstoff liessen sich 250%" Druck, d. h. 8850 Meter Meereshöhe erreichen. Wird das Gas- gemisch von Luft und Sauerstoff im Volumverhältnisse 1:2 zusammengesetzt, so darf man den Luftdruck auf 205 %®, entsprechend 10 500 Meter Meereshöhe bringen. Mit reinem Sauerstoff versehen würde man gar den Luftdruck auf 152 "m reduciren dürfen und man würde eine Höhe von 12900 Metern er- reichen können, ohne dass der Partialdruck des Sauerstoffes eine Abnahme er- fährt. Da nun, wie die Erfahrung zeigt, erst bei Abnahme des Partialdruckes des Sauerstoffes auf °/, der normalen Höhe ernstliche Unbequemlichkeiten für die Athmung eintreten, so würde bei Anwendung von reinem Sauerstoff die Höhenkrankheit erst eintreten bei 100%" Barometerstand, also in einer Höhe von 16200 Meter über dem Meere. Durch die zahlreichen und in durchaus einwandsfreier Weise angestellten Versuche Paul Bert’s schien eine jede Gefahr bei Hochfahrten ausgeschlossen. Indessen bewies das tragische Geschick, das Sivel und Croee-Spinelli bei ihrer gemeinsam mit Tissandier am 15. April 1875 unternommenen Hoch- fahrt ereilte, dass im Ballon die Verhältnisse weit complieirter liegen als im pneumatischen Cabinet. Die Fahrt war veranstaltet worden mit der Absicht eime möglichst grosse Höhe zu erreichen. Die Luftreisenden waren mit Sauerstoffbehältern ausgerüstet, doch waren diese Behälter für die Ausdehnung der Fahrt lange nicht gross 348 VERHANDLUNGEN DER BERLINER genug. Bereits in der Höhe von 3300 Metern wurden die Luftschiffer von Athembeschwerden geplagt und zwar in Folge des ausströmenden Ballongases. Tissandier berichtet darüber (im Aeronaute, 1875, p. 170): „Obgleich der Ballon bei der Abfahrt nicht vollständig gefüllt war, um der Ausdehnung des Gases reichlichen Platz zu lassen, entwich doch in der Höhe von 3300 Metern ‚das Gas mit Gewalt aus dem klaffenden Appendix über unserem Kopfe. Der Gasgeruch war unverkennbar.“ Sivel bemerkte zu derselben Zeit in seinem Notizenheft „11 Uhr 57 Minuten. Barometer 500°”, Temperatur + 1°C. Leichter Ohrenschmerz. Ein wenig keängstist. Es ist das Gas.“ Bei weiterem Steigen athmet Tissandier Sauerstoff ein, seine beiden Gefährten dagegen nicht. Tissandier landet nach zweimaliger Betäubung lebend, Croc&e-Spinelli und Sivel waren todt. Dass die Luftschiffer von der Luftdrucksverminderung direct beeinflusst worden seien, ist aus den gemachten Beobachtungen nicht mit Sicherheit zu schliessen. Zweifellos ist dagegen, dass das Ballongas bei dem raschen Steigen des Aerostaten besonders stark aus dem Appendix ausströmte und die Insassen der Gondel belästigte. Ja es spricht nichts dagegen, die Ursache des bedauer- lichen Unglücksfalles in diesem Umstande und der gleichzeitigen Verminderung des Partialdruckes des Sauerstoffs zu suchen. Etwas abweichend wie bei den erwähnten beiden Hochfahrten Glaisher’s und Tissandier’s waren die Beobachtungen, die Robertson und Lhoest auf ihrer am 18. Juli 1503 gemeinsam unternommen Luftreise machten. Bei dem Aufstiege wurden sie von Ohrensausen befallen; dasselbe steigerte sich je mehr der Luftdruck abnahm und ging in einen empfindlichen Schmerz über. Die angeführten Erscheinungen lassen sich einfach durch die Annahme erklären, dass bei beiden Luftreisenden die Eustachische Röhre verstopft war, in Folge dessen musste sich die im mittleren Ohr abgesperrte Luft bei ihrer durch die Abnahme des äusseren Luftdrucks bewirkten Ausdehnung auf das Trommelfell und Nebentrommelfell drücken. Die Ohrenschmerzen würden also als Wirkungen des verminderten Luftdruckes anzusehen sein. Ausser den Ohrenschmerzen empfanden Robertson und Lhoest noch Beklemmungen, Uebelkeit, Puls- beschleunigung und Anschwellung der Adern. Alle diese Erscheinungen kann man wohl als Wirkungen einer Leuchtgasvergiftung betrachten. Zu dieser An- schauung ist man um so mehr berechtigt, als die eudiometrische Untersuchung der durch Robertson in grosser Höhe aufgefangenen Luft dem Verhältnisse nach einen bedeutend geringeren Sauerstoffgehalt zeigte, als die Luft in der Nähe der Erdoberfläche. Diese Abnahme des Sauerstofigehaltes lässt sich wohl am einfachsten durch die Vermischung der Luft mit ausgeströmtem Ballongase erklären. : Jungius wurde bei seiner am 16. September 1805 von Berlin aus bis zur Höhe von 6500 Meter ausgeführten Luftfahrt von einer schlafartigen Be- täubung befallen, bei dieser Fahrt bekam die Ballonhülle am Untertheil einen Riss, durch welchen das Gas ausströmte. Man wird auch in diesem Falle wohl nicht fehlgreifen, wenn man die Beschwerden, die den Luftschiffer befielen, als eine Wirkung des ausgeströmten Ballongases ansieht. Diesen Beobachtungen gegenüber steht die bemerkenswerthe Thatsache, dass Gay-Lussac und Biot bei ihrer am 24. August 1804 veranstalteten Fahrt abgesehen von einer unbedeutenden Pulsbeschleunigung keinerlei Unbequemlich- PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. — KARL MÜLLENHOFF., 349 keiten verspürten. Das Athemholen war nicht erschwert und die Reisenden befanden sich durchaus wohl. Ebensogut war Gay-Lussac’s Befinden, als er am 16. September 1804 bis zur Höhe von 7000 Meter aufstieg. Aehnliche Erfahrungen machte im Jahre 1852 Welsh, als er bei drei Fahrten die Höhen von 5820, 5945 und 6987 Meter erreichte. Aus allen diesen bei Hochfahrten im Ballon gemachten Beobachtungen er- giebt sich als Gesammtresultat: 1. Die bei wissenschaftlichen Luftreisen — und solche sind alle bisherigen Hochfahrten gewesen — bestehende Nothwendigkeit innerhalb weniger Minuten eine grosse Menge von Beobachtungen zu machen und niederzuschreiben, er- zeugt eine fieberhafte Unruhe; diese sowie das Bewusstsein der mit der Ballon- fahrt verbundenen Gefahr können allein schon die beschleunigte Pulsfrequenz herbeiführen. 2. Die Abkühlung, die der Körper im Folge der niedrigeren Temperatur der höheren Luftschichten erfährt, ist häufig sehr beträchtlich, sie ist in ein- zelnen Fällen lästig empfunden worden. 3. Die Luftdrucksverminderung bewirkt, wenn die Eustachische Röhre ver- stopft ist, Ohrensausen und selbst Ohrenschmerzen. 4. Die Verringerung des Partialdruckes des Sauerstoffs hat vielleicht in einzelnen Fällen die Luftschiffer beeinflusst. Bemerkenswerth ist, dass gerade die besten Beobachter, die berühmten Physiker Gay-Lussac und Biot und der Astronom Welsh durch die Verringerung des Partialdruckes des Sauerstoffs in keiner Weise beeinflusst worden sind. 5. Das bei raschem Auffahren dem Ballon in grosser Menge entströmende Gas hat vielfach den Luftschiffern grosse Beschwerden und selbst Lebensgefahr, ja Tod bereitet. Aehnlich wie mit den Ballonfahrten ist es mit den Besteigungen hoher Berge: auch bier wirken neben einander eine ganze Anzahl verschiedener Um- stände, die das Allgemeinbefinden des Bergsteigers in der mannigfaltigsten Weise beeinflussen. Die wichtigsten derselben sind: 1. Die mit Wanderungen auf Firnschneefeldern und Gletschern sowie an steilen Felswänden verbundene Gefahr bewirkt eine gewisse Aufregung. 2. Die Hochtouren erfordern ausserordentliche Körperanstrengung, die häufig bis zur äussersten Ermüdung, ja vollständigen Erschöpfung gestei- gert wird. 3. Der bei schwierigeren Wanderungen im Hochgebirge wegen der Er- weichung des Schnees durch die Sonnenstrahlen unvermeidliche frühzeitige Auf- bruch, vielfach bereits vor dem Morgengrauen, bedingt Schlafentziehung und bringt oft Abgespanntheit und Ueberreiztheit hervor. 4. Die ungewohnte Ernährung des Touristen beeinflusst vielfach sein Befinden. 5. Die reflectirten Sonnenstrahlen erhitzen häufig so stark, dass Gesicht und Hände verbrennen. 350 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN 6. Die Intensität des Sonnenlichtes blendet zumal auf Schneefeldern die Augen und wirkt ermüdend und vielfach auch wieder aufregend. -7. Die langandauernde Besteigung hoher Berge ohne freien Ausblick bringt vielfach eine psychische Ermüdung hervor. 8. Der abnehmende Partialdruck des Sauerstofis beeinträchtigt Athmung und Gesammtstoffwechsel. Selten wird es vorkommen, dass alle diese acht Factoren gleichzeitig wirk- sam sind; meist wird bald der eine, bald der andere, dann wieder eine mannig- faltige Mischung der verschiedenen Combinationen derselben sich geltend machen und wird je nach Körperconstitution und geistiger Energie des Bergsteigers sich in sehr verschiedener Weise zeigen. Die sehr zahlreichen Beeinflussungen, die der menschliche Körper beim Ersteigen grosser Höhen erfährt, werden unter dem Namen „Bergkrankheit“ zusammengefasst. Die Symptome derselben sind ebenso mannigfaltig wie die sie bedingenden Factoren; es handelt sich eben um äusserst complicirte Wirkungen zahlreicher sehr verschiedener Ursachen und daher sind erklärlicher Weise die Erscheinungen noch nicht in allen Fällen in ausreichender Weise erklärt. Es ist daher im höchsten Grade dankenswerth, dass neuerdings ein Ver- such angestellt ist, der die Mehrzahl der die „Bergkrankheit‘“ bedingenden Factoren ausschliesst und daher die Wirkung der ‘übrig bleibenden reiner er- kennen lässt. Der französische Astronom Janssen hat sich nämlich im Sommer 1890 behufs speetroskopischer Beobachtung der Sonnenatmosphaere auf den Montblane tragen lassen. Dabei sind nun, was für die Frage nach den Wir- kungen der Luftverdünnung besonders wichtig ist, keinerlei körperliche Bechwer- den eingetreten; weder die Verminderung des Luftdruckes noch auch die Ab- nahme des Partialdruckes des Sauerstoffs erwiesen sich als schädlich. Diesem ersten passiven Transporte von Menschen oberhalb der Schnee- srenze der Alpen werden hoffentlich recht bald zahlreiche andere folgen, wenn, wie zu erwarten steht, das Jungfraubahn-Project zur Ausführung gelangt. Es wird dann die Möglichkeit gegeben sein, die Wirkung der Luftverdünnung auf den Menschen im Einzelnen bequem zu studiren, ohne dass die zahlreichen anderen mit Ballonfahrten und Bergbesteigungen verbundenen störenden Factoren in Geltung treten. 2. Hr. Fr. FAuk berichtet über die Section eines Anencephalus, welchem mit dem Hirn auch die Medulla oblongata fehlte und welcher trotzdem 10 bis 12 Minuten lang Extremitätenbewegungen ausführte, aber natürlich nicht athmete. IX. Sitzung am 1. Mai 1891." Hr. Av. Lorwy hält den angekündigten Vortrag: „Ueber einige Um- stände, welche den Stoffwechsel bei Muskelarbeit beeinflussen.“ Speck hatte gewisse, den respiratorischen Quotienten, die Höhe des Sauer- stoffverbrauches, das Verhalten der Nachperiode betreffende, Veränderungen des ! Ausgegeben am 8. Mai 1891. GESELLSCHAFT. — Fr. FALK, — Av. LoEwY. — HırscHBErg. 351 Respirationsprocesses bei der Muskelarbeit angegeben, die in Katzenstein’s Arbeitsversuchen sich nicht wiederfanden. Man musste deshalb an besondere ursächliche Momente denken, die in des ersteren Versuchen die Resultate be- einflusst hatten. Loewy theilt nun die Resultate einer grösseren Reihe von Versuchen mit, aus denen hervorgeht, dass in Uebereinstimmung mit Katzenstein nicht die Muskelarbeit an sich, wohl aber Ermüdung und mangelhafte Sauerstoff- zufuhr zu den arbeitenden Muskeln diejenigen Veränderungen des Gaswechsels hervorruft, die Speck der Muskelarbeit überhaupt zuschreibt. Im grössten Theil der Versuche, die ausführlicher in Pflüger’s Archiv Bd. 49 behandelt werden, handelt es sich um Dreharbeit am Gärtner’schen Ergostaten. Weiterhin berichtet der Vortragende ganz kurz über Versuche, die er über den Einfluss der Athemmuskelanstrengung auf den Sauerstoff- verbrauch anstellte. Sie ergaben, dass die Athmungsthätigkeit deutlich auf die Höhe der Zersetzungsprocesse einwirkt, und, wie zu erwarten war, nicht nur unter verschiedenen äusseren Bedingungen verschieden, sondern auch unter gleichen Bedingungen in individuell ungleichem Maasse. Die individuell ver- schiedene Anstrengung, die für die Erweiterung des Thorax erforderlich ist, er- klärt letzteres. In der Mehrzahl betrug die Zunahme im Sauerstoffverbrauch 3—7 *w für jeden mehr respirirten Liter Athemluft, in einer Anzahl von Fällen erreichte sie die Zahl Speck’s, nämlich 8°“, in einigen anderen 10 bis 11°“, und unter ungünstigen Verhältnissen bis 15%. — Wenn auch an sich gering, spielen diese Werthe doch eine Rolle, wo das Athemvolum stark gesteigert ist. Bei einer Athemgrösse von ca. 18 bis 20 Litern kann der aus der erhöhten Athem- muskelthätigkeit herrührende Mehrverbrauch an Sauerstoff bis 40 Procent des sesammten Sauerstoffverbrauchs in der Ruhe ausmachen. Sodann fallen sie auch in den Versuchen in’s Gewicht, in welchen es sich überhaupt nur. um geringe Ausschläge handelt, so bei Fieberversuchen; hier müssen diese Verhältnisse, wenn erhöhtes Athemvolum vorliegt, berücksichtigt werden, und zwar nicht ein- fach unter Zugrundelegung einer. Mittelzahl, sondern unter Feststellung der in Betracht kommenden Grösse für jeden einzelnen Fall. Ob die gesteigerte Athemgrösse willkürlich oder durch künstlichen Athem- reiz —- CO,-Einleitung — zu Stande gebracht war, machte in Bezug auf die Höhe des eingetretenen Sauerstoffmehrverbrauchs keinen deutlichen Unterschied, so lange als die willkürliche Athemsteigerung noch nicht zur Ermüdung ge- führt hatte. XII. Sitzung am 22. Mai 1891." Hr. HırscuBeRe spricht „Ueber das Auge des Kätzchens.“ Das Auge der Katze ist den Physiologen wohl bekannt; es hat zu zahl- reichen Versuchen gedient, z. B. über die Druckverhältnisse im Augeninneren, ! Ausgegeben am 26. Juni 1891. 352 VERHANDLUNGEN DER BERLINER über die Innervation der kegenbogenhaut. Dasselbe ist auch recht ge- eignet, die Pupillenbewegung zu studiren. ; Denn die Erweiterung der Pupille ist am Katzenauge nicht nur sehr ausgiebig, sondern auch noch dazu mit einer auffälligen Gestaltverände- rung verbunden. Im verengten Zustande hat die Pupille der Katze die Ge- stalt eines senkrechten Spaltes, die man übrigens auch in der Augenheilkunde des Menschen mit dem Namen der Katzenpupille belegt, oder eigentlich die eines sphaerischen Zweiecks, welche bei stärkster Verengerung sogar in eine senkrechte Linie übergeht; im erweiterten Zustande nimmt sie eine kreisrunde Form an. Auf Atropineinträufelung antwortet die Pupille der Katze sehr rasch und sehr deutlich. Deshalb kann das Katzenauge als Reagens auf Atropin be- nutzt werden. Als ich einmal vor Jahren eine von dem Apotheker mit Pilo- carpin bezeichnete, frisch bereitete, uneröffnete Flasche benutzt und nicht Pilo- carpin-, sondern Atropinwirkung erhalten hatte, träufelte ich sofort einem Kätzchen von der Lösung in den Bindehautsack und überzeugte mich durch den physiologischen Versuch, dass ich wirklich Atropin statt Pilocarpin empfangen hatte: was weiterhin durch die chemische Probe bestätigt wurde. Sodann eignet sich das Katzenauge ganz besonders zur Augenspiegel- untersuchung. Dass das Auge der Katze (und anderer nächtlicher 'T’hiere) in der Dunkel- heit leuchtet, wussten schon die Alten. Nocturnorum animalium, sagt Plinius,! veluti felium, in tenebris fulgent radiantque oculi. _Wenn er aber hinzufügt, lucemque jaculantur, so hat er einen seltsamen Irrthum ausgesprochen, der erst in unserem Jahrhundert aufgeklärt worden ist: durch Pr&evost, welcher die Zurückstrahlung des Lichtes betonte, durch Rudolphi, der in dem glänzenden Tapet die Ursache der Erscheinung fand, und durch Johannes Müller. Die Katze ist das erste Thier, dessen Augengrund man von vorn, durch die Pupille hindurch, ohne Eröffnung des Augapfels gesehen hat, und zwar nachdem das Thier unter Wasser getaucht worden. Diesen Versuch hat Mery bereits im Jahre 1704 angestellt, - und schon fünf Jahre später hat ‘de la Hire die Erscheinung richtig erklärt durch die Divergenz des von einem Punkte des Augengrundes zurückkehrenden Strahlenbündels, da die Bre- chung an der Hornhaut durch das Eintauchen fortgefallen. Dieser Versuch ist Ausgangspunkt für eine neue Untersuchungsmethode geworden, die des Auges unter Wasser, welche allerdings für die Augenheilkunde keinen praktischen Werth besitzt, aber zur Prüfung des Sehens und der Fernpunkt- einstellung von Wasserthieren, namentlich von Fischen, auch von mir selber benutzt wurde. In dem Zeitalter des Augenspiegels ist merkwürdiger Weise vom Katzenauge wenig die Rede, obwohl dasselbe einerseits wohl den leichtesten Fall der Augenspiegeluntersuchung darstellt und weit eher als das Kaninchen- auge verdient, in den Vorlesungen über Physiologie dem Anfänger gezeigt zu werden; und andererseits von allen mir bekannten Augen das schönste und farbenprächtigste Hintersrundsbild liefert. ı Natural. hist. lib. XI, e. XXXVIL, $ 151. (Edit. Sillig 1852, UI, p. 292.) GESTERN N An PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HIRSCHBERG. 353 Im Jahre 1882 habe ich eine kleine Zeichnung und Beschreibung des letzteren veröffentlicht. ! Man kann bequem bei Tageslicht untersuchen. In die eine Hand nimmt man das Kätzchen, die Rückseite seines Kopfes gegen das Fenster gewendet; in die andere den Augenspiegel zum aufrechten Bilde. Natürlich geht es auch bei künstlicher Beleuchtung, wobei die Farben nicht einmal an Glanz verlieren, und im umgekehrten Bilde, wozu ein Gehülfe das Thier halten muss. Der Sehnerveneintritt ist rundlich, von zart grauröthlicher Farbe, mit einer kleinen Vertiefung in der Mitte. Blut- und Schlagadern sind deutlich zu unter- scheiden, die letzteren mehr geschlängelt. Gewöhnlich sind drei Hauptvenen vorhanden, die auf der Sehnervenscheibe, nahe dem Rande, hervortreten, von den entsprechenden Arterien begleitet: die eine (Fig. 1, A) zieht gerade nach oben in die Netzhaut, die beiden anderen nach unten, und zwar eine nach der Nasen-, eine nach der Schläfenseite (G u. J). Die Sehnervenscheibe wird um- seben von einem gesättist blauen Streifen und dieser von einem rein grünen. Das Tapet liegt in der oberen Hälfte des Auges und stellt ein ziemlich grosses Dreieck dar, dessen oberer Winkel abgerundet ist, während der nasen- wärts gerichtete spitz, der schlä- fenwärts gewendete rechtwinkelig erscheint. Der Sehnerv liegt insel- förmig innerhalb des Tapets. Das letztere ist sehr hell und glän- zend, beim getigerten Kätzchen aus weissen und grünen, geschlän- gelten und verästelten Streifen zusammengesetzt und dazu fein punktirt. Die Punkte entsprechen den Durchtrittsstellen zarter Ader- hautgefässchen. Der unterste Theil des Tapets ist am wenigsten weiss; das Grün herrscht allmählich vor, dann das Blau und schliesslich Violet. Der untere Bezirk des Augengrundes, unterhalb des sicht- baren Tapets, ist roth mit ein- zelnen gelbgrünlichen Inseln, nahe dem Rande des Tapets. (In Wirk- lichkeit ist, nach H. Munk, das Tapet grösser als es im Augen- spiegelbilde erscheint, indem von unten her der Pigmentzellenbelag Fig. 1 übergreift, aber in unregelmässiger Weise, so dass gewissermaassen Tapetinseln unbedeckt bleiben. Wer das glitzernde, astigmatische Bild der Katzennetzhaut unmittelbar (d. h. aufrecht, ohne ein dickes Sammelglas vorzuschieben) aufmerksam betrachtet, 2 Centralblatt für Augenheilkunde. 1882. S. 176; — Ophthalmoskopie, Eulen- burg’s Bealeneyclopädie. 11. Aufl. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 23 le zu zeigen. terie. ehschnitt des Kätzehenauges, | örperar Fig. 4. Glask lauf der Glaskörperarter ischer Dur ıl der chemat um den Ver The Fig. 2. ©» vorderer N) tzchens, s, (Durch- örperarterie. a enauge VERHANDLUNGEN DER BERLINER es K ch d h, hinterer Theilder Glask G fi erund Augen D 354 Vorderer Abschnitt des Kät euchtung) PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HIRSCHBERG. 355 23* 356 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wird sofort die Ueberzeugung gewinnen, dass dem Auge der Katze ein so feines Unterscheidungsvermögen, wie dem des Menschen, nicht gegeben ist. Dies wird sehr leicht am lebenden Thier durch Fütterungsversuche bestätigt. Dagegen muss die kräftige Rückstrahlung des Tapets die Wahrnehmung licht- schwacher Gegenstände bei herabgesetzter Beleuchtung begünstigen. Hier möchte ich die Gelegenheit benutzen, dass unsere Hauskatze vor etwa vier Wochen geworfen hat, um den Augengrund des jungen Kätzchens zu zeigen. Zunächst will ich an die bekannte Thatsache erinnern, dass die Kätzchen mit geschlossenen Augenlidern zur Welt kommen, aber sogleich die Brustdrüse der Mutter zu finden wissen und kräftig saugen. Dass die Netzhaut der katzenartigen Thiere keine Stäbchenschicht besitze, ist zwar vor Kurzem behauptet, aber bald widerlegt worden. Im Embryonalzustand ist die Netzhaut der Wirbelthiere zunächst gefässlos. Bei einigen bleibt sie so. Bei anderen entwickeln sich Blutgefässe, die von dem Glaskörper aus hineinwachsen. Die Glaskörperarterie schwindet später bei den 'Thieren mit gefässhaltiger Netzhaut, beim Menschen schon vor der Geburt; und nur ganz ausnahmsweise bleibt sie während des ganzen Lebens erhalten oder persistirend, wie es in der ärztlichen Sprache heisst. Bei dem jungen Kätzchen kann man nun diese Glaskörperarterie sehr schön mit dem Augenspiegel wahrnehmen. Sie tritt hervor (Fig. 2) aus der Mitte der Sehnervenscheide,! zieht durch die Axe des Glaskörpers und strahlt in einiger Nähe vom hinteren Pol der Linse pinselförmig aus (Fig. 3). Diese Be- obachtung der vergleichenden Ophthalmoskopie ist recht geeignet, die gelegent- lich beim Menschen vorkommenden Fälle aufzuklären. Man trifft auch beim Menschen fast genau dasselbe Bild wie beim Kätzchen. Fig. 5 stammt von einer Neunzehnjährigen, die mich wegen starken Astigmatismus (+ 6 DA) aufsuchte. Auf dem rechten Auge (A) entspringt die Glaskörper- arterie in der Mitte der Sehnervenscheibe, zieht mindestens 5% nach vorn, um hier bei 5 pinselförmig auszustrahlen. Auf dem linken Auge (BD) ist es ähnlich, nur entspringt die Glaskörperarterie neben der Mitte des Sehnerven. Das aufrechte Bild ist gezeichnet, und zwar, wie alle in dieser Ver- öffentlichung, von meinem ersten Assistenten, Hrn. Dr. Perles. Die Zweige des Pinsels bis zur Linse zu verfolgen, war unmöglich wegen der Lichtempfindlich- keit der jungen Dame. Endlich vermag das Auge des jungen Kätzchens uns noch aufzuklären über die Reste der Pupillarmembran, die wir gelegentlich beim Menschen beöbachten, obwohl hierzu das Auge des jungen Kaninchens sich vielleicht noch besser eignet. Es ist in manchen Fällen recht wichtig für uns zu wissen, ob einzelne Stränge, welche mit der Regenhogenhaut zusammenhängen, Reste der foetalen Pupillenhaut darstellen oder Ueberbleibsel einer früheren Entzündung. Es ist ja richtig und bekannt, dass die Fasern der Pupillenhaut beim Menschen immer von der vorderen Schicht der Regenbogenhaut ausgehen, die entzündlichen Verwach- ! Vielleicht ist diese Austrittsstelle auch noch im Auge der erwachsenen Katze sichtbar. — Wann die Glaskörperarterie des Kätzchens unsichtbar wird, muss noch erst festgestellt werden. c {3 3D 7 PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HIRSCHBERG. — MARINESCU. sungen (Synechien) immer mit der hinteren (Pigment-) Schicht der Regenbogen- haut zusammenhängen. Bei unseren Kätzchen sieht man nun ganz deutlich mit der Lupe, dass ein kreisförmiges Blutgefäss in der Regenbogenhaut, nahe dem Rande des Sehloches und mit diesem gleichlaufend, einzelne speichenförmige - Aestchen über den Rand der Pupille in das freie Gebiet der letzteren hinein sendet. Von diesen kurzen Aestchen gehen zarte Fädchen ab, die mehr dem Pupillenrand parallel ziehen und mit den benachbarten sich vereinigend Bögen bilden, welche in das Pupillengebiet hineinragen. Genau dieselbe Form habe ich auch beim Menschen beobachtet. Ich empfehle also den Herren Physiologen, das lebende Auge der Katze, sowohl der neugeborenen als auch der erwachsenen, dem angehenden Arzte als Beobachtungs- und Lehrgegenstand vorzuführen. XII. Sitzung am 5. Juni 1891. Hr. G. Marınescu hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Inner- vation der Drüsen der Zungenbasis.“ Der histologisch merkwürdige Bau der Papillae foliatae bietet auch für das Studium der Drüsenthätigkeit und deren Beziehüngen zur Circulation grosse Vortheile. Die Drüsenschicht liegt hier nämlich unter einer Schleimhaut von ganz eigenartiger Vascularisation. — Die Drüsen selbst schliessen sich hier dem Typus der Eiweissdrüsen an, im Gegensatz zu denen der Zungenwurzel, welche das Aussehen durchscheinender Perlen und den Charakter der Schleimdrüsen haben. Die Acini bestehen aus einer dünnen Membrana propria, in deren Innerem sich nur eine einzige Art Zellen findet; die Drüsenzellen haben einen Kern und granulirtes Protoplasma. In der Umgrenzung der einzelnen Läppchen und zwischen denselben verlaufen Gefäss- und Nervenstränge, welche letztere sich aus myelinhaltigen und myelinfreien Fasern zusammensetzen und in deren Verlauf kleine Ganglienhaufen angeordnet sind. Während aber die myelinhaltigen Fasern die Ganglien durchlaufen, ohne in engere Beziehung zu denselben zu treten, findet ein Theil der myelinlosen Fasern gerade in ihnen seinen Ursprung. Von den Nervenstämmchen zweigen sich Nervenfasern ab, welche sich gegen den Drüsenacinus wenden, denselben, wie man nach Methylenblaufärbung vorzüglich sehen kann, mit einem zarten Nervennetz umspinnen und von dort aus ganz feine Fibrillen in das Innere der Membrana propria zwischen die Zellen entsenden. Nach der Methode von Raman y Cajal erhält man das gleiche Bild. Nur durch diese engen Beziehungen zwischen Drüsenzellen und Nerven- fasern wird die Abhängiskeit der Secretion von den letzteren verständlich, ähn- lieh wie der Durchtritt der motorischen Nervenfasern durch das Sarkolemm die Einwirkung der Nerven auf die Muskelaetion erklärt. ! Ausgegeben am 26. Juni 1891, 358 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Die Ganglienhaufen treten in verschiedenen Formen auf: entweder stellen sie ein Centrum für eine Ausstrahlung von Nervenfasern dar, oder mit wein- traubenartig gruppirten Zellen, welche, wie es scheint, nur einen, manchmal später dichotomisch oder mehrfach sich theilenden Fortsatz besitzen. Auch findet man isolirte bipolare Ganglienzellen im Verlauf der Nerven- fasern. In der Adventitia der Gefässe an der Zungenbasis bei Mäusen fand ich einzelne oder gruppirt stebende Ganglienzellen. h Die Nerven, welche sich zur Zungenbasis begeben, sind der Glossopharyn- seus, der Hypoglossus und die die Gefässe begleitenden Sympathicusäste. — Vulpian hat gefunden, dass der Glossopharyngeus vasomotorische Fasern ent- hält, während Drasch nachwies, dass die Secretionsfasern in ihm verlaufen. Reizung des Glossopharyngeusstammes ergiebt, wie auch schon Drasch fand, stärkere Röthung der Papillae foliatae und eine erhöhte Secretion. — Auf Rei- zung des Halssympathicus werden die Papillae foliatae blass oder manchmal bläulich. Reizung des Nervus hypoglossus wie des Nervus lingualis hat keinen Einfluss auf die Absonderung und Blutfülle der Papillae foliatae. Durchschnei- dung des Glossopharyngeus verändert die Absonderung in nicht auffallender Weise, vielleicht ist sie ein wenig verringert; keinesfalls hebt sie dieselbe auf. “ Sofort nach der Durchschneidung im Laufe desselben Tages, am 3., 5., 10. 20,, 30., 40., 50. Tage, bestand die Secretion fort und war in den ersten Tagen sogar vermehrt. — Eine wahre und zwar sehr starke Hypersecretion beobachtete ich nur einmal nach Durchschneidung aller Nerven. Directe Reizung der Papillen hat Steigerung der Secretion zur Folge, Pilo- carpin wirkt auf die Secretion wie die Reizung des Glossopharyngeus, nur ist die ' Absonderung viel intensiver; dagegen erweitern sich die Sinus und nehmen oft, ebenso wie die Blätter, intensive Cyanose an. Nach Atropin nimmt die Hyper- secretion ab. Nicotin steigert im Allgemeinen in kleinen Dosen die Secretion, in grossen Dosen tritt Lähmung der secretorischen Fasern ein. Man sieht gleichzeitig eine allgemeine Lähmung zum Mindesten der motorischen Nerven. Nach Durchschneidung des Glossopharyngeus oder aller Nerven der einen Seite wirken die Gifte, welche überhaupt die Secretion befördern, früher und auch intensiver auf der operirten Seite als auf der anderen. Zur Erklärung der nach Durchschneidung aller Nerven erfolsenden Abson- derung konnte man entweder annehmen, dass die Drüsenzellen, dem Einflusse der Nerven entzogen, spontan Secerniren können oder dass innerhalb der Drüsen Centra vorhanden sind, die der Secretion vorstehen. Der letztere Vorgang, analog den Bewegungen des aus dem Körper ent- fernten, nur der Leitung der eigenen Ganglien unterstehenden Herzens, ist als der thatsächliche anzunehmen aus folgenden Gründen: 1. Auch andere acinöse Drüsen, wie Pankreas, Glandula submaxillaris, Parotis u. 8. w. zeigen nach der Durchschneidung der Nerven ein Fortbestehen der Se- cretion, welche um so ergiebiger ist, je mehr die Drüse Ganglien enthält. Speciell bei dem sehr ganglienreichen Pankreas bleibt in der That nach Durch- schneidung aller Nerven, die die Art. pancreat. begleiten, die Absonderung immer bestehen. 2. Umgekehrt stockt die Secretion nach Durchschneidung der Nerven bei den Drüsen, die keine eigenen Ganglien haben, z. B. bei den Schweissdrüsen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — MaArınzscu. — Kossen. 359 3. Einige Monate nach der Durchschneidung beobachtete ich eine Ver- minderung der Zahl der Ganglienzellen, und Hand in Hand damit eine ver- ringerte Secretion. 4. Während nach Durchschneidung des Glossopharyngeus die zu den Schmeck- bechern tretenden Fasern degeneriren, findet man die Drüsenfasern noch nicht entartet. Dies beweist eine trophische Einwirkung der Ganglienzellen auf die Drüsenfasern. Was die Natur dieser Beobachtungen anlangt, so sind dieselben, glaube ich, den Vorgängen anzureihen, die man seit Cl. Bernard unter dem Namen der paralytischen Speichelabsonderung kennt. Ich werde auf diesen Gegenstand noch in einer ausführlicheren Arbeit zurückkommen. XV. Sitzung am 17. Juli 1891.! Hr. Kosszu hält den angekündigten Vortrag: „Ueber einige Bestand- theile des Nervenmarks.“ Die als Nervenmark bezeichnete Masse ist in chemischer Hinsicht noch wenig hekannt. Man hat aus ihr einzelne Substanzen in mehr oder minder zweifelhafter Reinheit isolirt, aber es ist gewiss, dass andere bis jetzt der chemischen Untersuchung entschlüpft sind und wir können uns heute noch keine Vorstellung machen über die quantitativen Verhältnisse, die innerhalb dieses Organs obwalten. Wäre die Aufgabe der chemischen Erforschung des Thierkörpers nur auf die Klarstellung der Function der Theile beschränkt, so würden wir diese Lücken kaum bemerken oder sie doch über andere wichtige Aufgaben vergessen, denn für die Kenntniss der Function der Nervenfasern verspricht die chemische Untersuchung der sie umhüllenden Marksubstanz bei dem heutigen Zustand unserer Kenntnisse keine Aufschlüsse.. Wenn ich es unternommen habe, nach vielen Vorgängern von Neuem an diese mühevolle Aufgabe hinanzutreten, so war für mich ein anderer Gesichtspunkt maassgebend. Der Chemiker, welcher sich mit der Untersuchung der Gewebe befasst, unterscheidet sich von dem Anatomen nur durch die Methode, die Ziele beider sind die gleichen. Der Anatom beschäftigt sich nicht allen mit solchen Forsch- ungen, von denen er eine unmittelbare Anwendung auf das Verständniss der Functionen voraussieht, sondern er versucht durch vergleichende und entwicke- lungsgeschichtliche Studien einen Aufschluss über die Gesetze zu gewinnen, nach denen die Organismen gebildet sind und gebildet werden. In demselben Sinne arbeitet der Chemiker, wenn er neben die anatomische Beschreibung eines Gewebes die chemische zu setzen versucht, wenn er die chemischen Umwand- lungen studirt, die in gesetzmässiger Weise die Entwickelung der Gewebe be- 1 Ausgegeben am 24. Juli 1891. 360 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gleiten, wenn er das Gleichartige und das Verschiedene in der chemischen Be- schaffenheit der Gewebssysteme zum Gegenstand seiner Untersuchung macht. Ich habe vor Kurzem versucht, in einem hier gehaltenen Vortrage die chemischen Verbindungen zu charakterisiren, die in jeder jugendlichen ent- wickelungsfähigen Zelle enthalten sind, und ich habe vier Gruppen organischer Stoffe als primäre Bestandtheile der Zelle genannt: die Eiweissstoffe, die Nucleine, die Leeithine, die Cholesterine. Wenn nun die jugendliche Zelle sich zur Muskelzelle entwickelt, so nimmt die Menge der eiweissartigen Stoffe zu, die übrigen verschwinden oder treten in quantitativer Hinsicht zurück, bildet sie sich hingegen zum nervösen Element, sei es zur Nervenzelle oder zur Nervenfaser, aus, so erfolgt eine beträchtliche Vermehrung des Lecithins und des Cholesterins und es treten neue Substanzen hinzu, die in chemischer Hinsicht eine gewisse Familienähnlichkeit mit dem Leecithin erkennen lassen und deren Mannigfaltigkeit sich noch nicht übersehen lässt. Ich habe einige der letzterwähnten Substanzen zum Gegenstand wmeiner Untersuchungen gemacht. Den grössten Theil dieser analytischen Versuche hat Hr. Freytag gemeinschaftlich mit mir ausgeführt, bei einem anderen Theil ist mir auch Hr. Dr. Krüger behülflich gewesen. Ich statte uaselben meinen besten Dank ab. Im Jahre 1865 machte Liebreich einen Bestandtheil des Gehirns be- kannt, welcher von seinem Entdecker als Protagon bezeichnet wurde. Es ist dies eine krystallisirende Substanz, welche sich in Alkohol und in Aether m der Wärme leicht! auflöst, in der Kälte weniger löslich ist und mit Wasser zu einer schleimigen Masse aufquillt. Dieser Körper zersetzt sich nach Liebreich ser leicht unter Bildung von höheren Fettsäuren, Glycerinphosphorsäure und‘ Neurin und liefert zugleich einen reducirenden Körper aus der Gruppe der Zuckerarten. Die Analysen Liebreich’s stimmen am meisten mit der Formel C16H54, N,PO,, überein, welche im Stande ist, einen Begriff von derjenigen Grösse des Molecüls zu geben, die man mindestens anzunehmen hat. Dieser Befund nahm das Interesse der physiologischen Chemiker in hohem Grade in Anspruch und man bemühte sich, das Protagon in den verschiedensten Organen nachzuweisen. Bald aber wurde die Aufmerksamkeit auf eine zweite phosphorhaltige Substanz gelenkt, die ähnliche Löslichkeitsverhältnisse besitzt, und die ebenso wie das Protagon bei der Zersetzung unter Bildung höherer Fettsäuren zerfällt, nämlich das Leeithin. Diakonow und Hoppe-Seyler stellten die Ansicht auf, dass in dem Protagon das Molecül des Lecithins ent- halten sei, und Hoppe-Seyler regte die Frage an, ob das Protagon nicht als eine chemische Verbindung von Leeithin nnd Cerebrin zu betrachten sei. Dieser Gedanke veranlasste neue Untersuchungen über das Protagon, von Gam- gee und Blanckenhorn und von Baumstark; diese bestätigten wohl die intdeckung Liebreich’s, aber sie brachten doch keine Entscheidung über die Frage, ob das Protagon eine Vereinigung der genannten Substanzen darstelle. Bevor ich unsere Versuche in dieser Frage anführe, möchte ich Einiges über das Cerebrin bemerken. Müller stellte zuerst eine phosphorfreie Substanz aus dem Gehirn dar, welche er mit dem Namen „Cerebrin‘“ bezeichnete. Wäh- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KossEL. 361 rend das Protagon Liebreich’s durch eine äusserst vorsichtige Extraction des Gehirns mit Alkohol und Aether dargestellt wurde, gewann Müller sein Cere- brin durch Kochen von Gehirn mit Barytwasser, also durch einen ziemlich ein- greifenden Process. Diese Substanz ist in Aether fast unlöslich, in warmem Alkohol leicht, in kaltem schwer löslich, sie enthält C,H,N,O und liefert bei der Einwirkung von Schwefelsäure ein zuckerartiges Spaltungsproduct, welches neuerdings von- Thierfelder als Galaktose erkannt ist. Neben diesem Zucker entsteht nach Geoghegan eine den Fetten ähnliche Substanz, das Cetylid, welches unter der Einwirkung schmelzenden Kali’s in Palmitinsäure übergeht. Später ist nun durch Parcus erwiesen, dass das „Cerebrin‘“ der früheren Autoren eine Mischung von drei einander sehr ähnlichen Substanzen darstellt und Parcus giebt diesen die Namen Cerebrin, Homocerebrin und Enkephalin. Das Homo- cerebrin ist auch Kerasin genannt und ich ziehe diesen Namen der Kürze wegen vor. Parcus betrachtete diese Körper als ursprüngliche Bestandtheile des Ge- hirns, während Baumstark die Meinung vertritt, dass sie Zersetzungsproducte des Protagons darstellen, ohne freilich einen Beweis dafür zu erbringen. Für unsere Untersuchungen stellten wir zunächst eine grössere Reihe von Protagon-Praeparaten dar und unterwarfen dieselben der Analyse, um gewiss zu sein, dass die von uns zur Zersetzung bestimmte Substanz wirklich dem Protagon der früheren Autoren entspricht. Die Darstellung grösserer Protagonmengen wurde ermöglicht durch die Freundlichkeit des Hrn. Dr. Bannow, welcher die Verarbeitung von Gehirnsubstanz in der chemischen Fabrik von C. A. F. Kahl- baum veranlasste. Nach den Untersuchungen von Gamgee und Blanckenhorn sowie von Baumstark, deren Zahlen etwas von den früheren Angaben Liebreich’s ab- weichen, sollte man erwarten, dass es bei einiger Vorsicht nicht schwierig sei, Praeparate des Protagons von einheitlicher Zusammensetzung zu gewinnen. Denn die Analysen dieser Forscher stimmen ziemlich gut mit einander überein. Auch wir erhielten bei der Analyse gewisser Praeparate die gleichen Zahlen, und wollten wir nur diese in Betracht ziehen, so könnten wir von einer erfreulichen Uebereinstimmung berichten. Aber leider ergaben sich bei der Untersuchung anderer Protagone, die mit nicht minder grosser Sorgfalt, aber nach einer etwas abweichenden Methode dargestellt wurden, abweichende Werthe, so dass ich mich der Ansicht nicht verschliessen kann, dass mit dem Namen Protagon mehrere einander sehr ähnliche Körper bezeichnet worden sind, die in ihren Eigenschaften etwa in demselben Maasse von einander abweichen, wie die verschiedenen Cere- brine. Selbstverständlich ist bei dieser Auffassung nicht ausgeschlossen, dass es bei genauer Innehaltung gewisser Darstellungsweisen gelingen mag, ein ein- heitliches Praeparat zu erzielen. Die Darstellung dieser Substanzen wird ganz ausserordentlich erschwert durch den Umstand, dass andere Bestandtheile des Gehirns Verbindungen mit dem Protagon eingehen, insbesondere ist das Vor- handensein einer in Aether sehr löslichen Verbindung von Protagon und Kephalin oder Lecithin leicht zu constatiren. Ich will zunächst die analytischen Ergebnisse eines Praeparates anführen, welches ungefähr dem Mittel der Liebreich’schen Zahlen entspricht, und welches als eine Bestätigung dieser Zahlen betrachtet werden muss. 362 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Protagon Liebreich’s (Mittel) Praeparat V. Praeparat 1. 5 2, 11:39 1 nicht bestimmt N 2.80 3-19 3.19 0) 17.40 16-98 — P 1.23 1-35 1-23 S nicht angegeben 0-88 0-78 Andererseits ergaben sich aber wieder Zahlen, welche bezüglich des Phos- phorgehaltes mehr den Analysen von Gamgee und Blanckenhorn, sowie von Baumstark ähnlich sind. Protagon von - Gamgee und z en SEE Praeparat VII. Praeparat VIII. Blanekenhorn. B 1.068 1-0661 1-066 1.045 Sehr bemerkenswerth ist der Gehalt unseres Protagons an Schwefel. Der- selbe schwankte bei sechs ‘untersuchten Praeparaten zwischen 0-50 und 0:92 Procent. Dieser Schwefelgehalt ist von keinem der bisherigen Untersucher erwähnt worden und stellt eine neue Complication in der Frage nach dem Wesen des Protagons vor. Nachdem wir somit festgestellt hatten, dass unsere Praeparate in von Eigenschaften und in ihrer Zusammensetzung dem Protagon der früheren Autoren entsprachen, begaben wir uns an das Studium der Zersetzungsproducte. Zunächst wurde die Frage zur Entscheidung gebracht, ob das Protagon eine dem Lecithin ähnliche Zusammensetzung besitze. i Vor einiger Zeit habe ich in Gemeinschaft mit Hrn. Obermüller gefunden, dass man die Fette wie überhaupt alle bisher untersuchten Ester sehr leicht bei gewöhnlicher Temperatur zerlegen kann, wenn man sie in ihrer Lösung der Einwirkung von Natriumalkoholat unterwirft; sie zerfallen hierbei m Glycerin und Fettsäuren. Das Lecithin, welches in seiner Constitution den Fetten ganz analog ist, verhält sich ebenso, bei seiner Zersetzung entsteht Fettsäure, Glycerin, Phosphorsäure (oder Glycerinphosphorsäure) und Cholin. Es wurde nun folgender Versuch angestellt. Wir versetzten eine Lösung von Lecithin in Benzol oder Aether mit Natriumalkoholat und zogen die durch Ausscheiden der Seifen völlig trübe gewordene Lösung mit Wasser aus. Das Wasser nimmt sämmtliche Phosphorsäure auf, wenn man also den Aether ver- jagt und den Rückstand verascht, so- bleiben nur sehr geringe Spuren von Phos- phorsäure zurück. Anders verhält sich das Protagon. Wenn man eine Lösung von Protagon in Benzol mit Natriumalkoholat versetzt, so findet keine völlige Abspaltung der Phosphorsäure statt, sondern das Benzol enthält auch nach dem Auswaschen mit Wasser zwei gut krystallisirende phosphorhaltige Säuren, mit deren Untersuchung ich beschäftigt bin, und über welche ich der Gesellschaft bald weiter zu berichten hoffe. Es ergiebt sich aus diesem Versuche, dass mindestens ein Theil des Phosphors in dem Protagon in anderer Weise ge- bunden ist als in dem Leeithin. Die zweite Frage ist nun folgende: Entsteht aus dem Protagon das Ge- misch jener Substanzen, die man als Cerebrine bezeichnet? Für diese Unter- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KossEL, 363 suchungen wurde ein etwas grösseres Quantum, etwa 150m Protagon, rein dargestellt und analysirt. Dasselbe hatte folgende Zusammensetzung: 66-03°/, 0; 11-30°/, H; 3-15°%/, N; 0-90°/, P; 0-50°/, S. Die Zersetzung der Protagons wurde durch Baryt herbeigeführt, dasselbe Agens, welches bisher stets zur Dar- stellung des Cerebrins angewandt. wurde. Das Protagon wurde in Methylalkohol gelöst, mit einer heissen methylalkoholischen Lösung von Aetzbaryt. versetzt und auf dem Wasserbade einige Minuten erwärmt. Dies Verfahren hat ganz be- deutende Vorzüge vor sämmtlichen bisher benutzten Methoden zur Isolirung der Cerebrine, da selbst eine partielle Zersetzung derselben umgangen wird. Auf Zusatz der methylalkoholischen Barytlösung entsteht ein voluminöser, weisser Niederschlag, welcher die ganze Menge des aus dem Protagon entstehenden Cerebrins enthält. Diese Verbindung wird abfiltrirt, in Wasser zertheilt, durch Kohlensäure vom Baryt befreit und der in Wasser nicht gelöste Theil mit Alkohol erwärmt. Die Cerebrine lösen sich in dem heissen Alkohol auf und fallen beim Abkühlen zum grössten Theil wieder aus. Zur weiteren Reinigung der Cerebrine diente häufiges Umkrystallisiren. Die Menge des auf diese Weise aus dem Protagon dargestellten Cerebringemisches betrug-50 Procent des an- sewandten Protagons. Ich habe diesen Versuch mit den verschiedensten Prae- paraten von Protagon angestellt und stets Cerebrin erhalten; es ist somit be- wiesen, dass das Cerebrin ein Spaltungsproduct des Protagons ist. Man wird wohl kaum den Einwand erheben, dass das Cerebrin nur eine Beimengung der untersuchten Protagonpraeparate darstelle, dass also das von uns untersuchte Praeparat zur Hälfte aus Cerebrin zur anderen Hälfte aus einem noch unbekannten phosphorhaltigen Körper bestanden habe. Eine solche Mischung würde bei der mikroskopischen Untersuchung ohne Weiteres kenntlich sein, denn die Krystalle des Protagons sind von denen des Cerebrins leicht zu unter- scheiden. Es ergiebt sich aus allen Beobachtungen, dass die Bindung der Cerebrine im Protagon eine ziemlich lockere ist, die Abspaltung erfolgt sehr leicht, und ebenso wie Baryt sind auch die Salze der schweren Metalle z. B. Bleiacetat im Stande, diese Körper in Freiheit zu setzen. An diese Thatsachen knüpft sich die weitere Frage: Entsteht aus dem Protagon nur das Cerebrin allein oder auch das Kerasin und das Enkephalin? Ueber letzteren Körper kann ich keine Angaben machen, hingegen gelang es uns, reines Cerebrin und Kerasin aus den Zersetzungsproducten des Protagons darzustellen und durch die Elementaranalyse als solche zu charakterisiren. Ich kann die Angaben von Parcus über diese Substanzen in allen wesentlichen Punkten bestätigen, wie folgende Analysen der aus Protagon gewonnenen Körper zeigen. n Cerebrin von Cerebrin aus Kerasin (oder Homocerebrin) Kerasin aus Parcus Protagon von Pareus Protagon (Mittel) (Mittel) (AMittel) - (Mittel) C 69-08 68-95 70-06 70-00 H 11-47 11-52 11.59 11.65 N 2.13 2.25 2.23 2.42 10) 17-32 17-30 16-12 15-93 Wir haben uns eingehender mit diesen Substanzen beschäftigt und haben versucht, die von Parcus aufgestellten Formeln einer experimentellen Prüfung 364 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zu unterwerfen. Nach Parcus ist das Moleculargewicht des Kerasins mindestens 1198, wobei 70 Atome Kohlenstoff angenommen werden. Wir untersuchten das Kerasin nach der Raoult-Beckmann’schen Siedemethode und fanden das Moleculargewicht 981, welches in Anbetracht der grossen Fehler, die bei dieser Bestimmung möglich sind, nicht gar zu weit von der Annahme von Parcus abweicht. Bemerkenswerth ist es ausserdem, dass es gelingt, verschiedene Ver- bindungen des Kerasins darzustellen. Durch Benzo6säureanhydrit gewinnt man eine Benzoylverbindung, durch Brom eine Bromverbindung. Letztere enthält an- scheinend 3 Atome Brom unä ist leicht löslich in Aether, Benzol und Alkohol. Die Bildung dieser leicht löslichen Bromverbindung dürfte von Interesse für die histologische Technik werden, da es mit Hülfe derselben leicht gelingt, die cerebrinbildenden Bestandtheile des Nervenmarks zu lösen. Wenn man eine markhaltige Nervenfaser gut zerzupft und nach vorheriger Entwässerung in eine Lösung von Brom in Benzol legt, so wird das Nervenmark schon in der Kälte ausgezogen und man erhält ein ähnliches Bild, wie das, welches Kühne durch langwierige Extraetion der Nervenfasern hervorrief. Das Bromkerasin lenkt die Ebene des polarisirten Lichtes nach links ab, die spec. Drehung beträgt — 12° 48’. Diese Verbindung wurde nicht im krystalli- sirten Zustand erhalten, sondern blieb beim Verdunsten der Lösung als farblose, lackartige Masse zurück. Endlich wurde auch noch die Verbindung des Kerasins mit Baryt einer Untersuchung unterworfen, dieselbe wird durch Kohlensäure zerlegt und ist der Verbindung der Zuckerarten mit den alkalischen Erden ähnlich. Dieses sind die Resultate, welche wir bei der Untersuchung des aus Ge- hirn gewonnenen Protagons und seiner Spaltungsproducte erhielten. Sind diese Substanzen nun ausschliesslich Bestandtheile des Nervenmarks oder finden sie sich in anderen Gewebstheilen ebenfalls vor? Sind sie überhaupt in jeder mark- haltigen Faser nachzuweisen? Die letztere Frage müssen wir nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse bejahen. Ich habe, um eine Nervenmasse zu. untersuchen, die aus einem möglichst entlegenen Theile des Wirbelthierreiches stammt, das Gehirn eines Störs ana- lysirt. Der Fisch war 16 Kilo schwer und sein Gehirn wog in feuchtem Zustande 3.5 8m, davon entfiel ein beträchtlicher Antheil auf die daran hängen- den Enden der Trigeminus-Nerven. Aus diesem Gehirn konnte ich Cerebrin darstellen, und durch seine Eigenschaften sowie seine Spaltungsproducte er- kennen. Während nun die markhaltigen Nervenfasern stets Cerebrin enthalten, findet es sich in den Nervenzellen nur in geringerer Menge oder gar nicht. Dies geht aus den unter Hoppe-Seyler’s Leitung ausgeführten Untersuchungen von Petrowsky hervor, welcher in der grauen Substanz des Gehirns nur soviel Cerebrin fand, als dem unvermeidlichen Gehalt an markhaltigen Fasern ent- spricht. Ebenso vermisste Raske Cerebrin in dem embryonalen Gehirn, welches, wie Jastrowitz zuerst dargethan hat, frei von markhaltigen Elementen ist. Um so auffallender ist es, dass das Cerebrin wiederum in anderen zelligen Elementen des Thierkörpers auftaucht. Lehmann und Hoppe-Seyler haben gezeigt, dass in den Riterzellen eine nicht unbeträchtliche Menge eines Körpers vorhanden ist, der nach seinen Eigenschaften zur Gruppe der Cerebrine gezählt werden muss. Diese Substanz ist in heissem Alkohol löslich und fällt beim PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KossEL. 365 Erkalten desselben aus, sie wird durch siedende Schwefelsäure unter Bildung eines reducirenden zuckerartigen Körpers zerlegt. Ist dieser Körper Cerebrin, Kerasin oder Enkephalin? Wir haben uns mit dieser Frage beschäftigt und sind zu dem Resultat gekommen, dass der als „Cerebrin des Eiters‘“ bezeichnete Körper nicht mit dem Cerebrin des Nervenmarks übereinstimmt, sondern dass in den Eiterzellen neue bisher unbekannte Substanzen aus der Gruppe der Cere- brine enthalten sind. Wir haben nach der oben erwähnten Methode zwei der- artige Körper isolirt, für die wir die Namen Pyosin und Pyogenin vor- schlagen. Beide zeigten die Löslichkeitsverhältnisse des Cerebrins und krystalli- siren in Knollen. Der erste dieser Körper, das Pyosin, schmilzt bei 238°; das Pyogenin bei 221°, die Zusammensetzung derselben erhellt aus folgenden Zahlen. Pyosin (Mittel) Pyogenin (Mittel) Ü 64.34 62-62 H 10-43 10-45 N 2.64 2-47 Ö 22.59 24.46 Die Zusammensetzung dieser Substanz weicht von den bisher bekannten Cerebrinen viel weiter ab, als diese unter sich, die Zersetzungsproducte sind ähnliche, insbesondere entsteht aus ihnen, wie Hoppe-Seyler schon am Üere- brin des Eiters nachwies, ein reducirendes Kohlehydrat. Diese Körper gehören. nicht dem Eiterserum, sondern den Eiterzellen an; ob sie in jeder Eiterzelle, ob sie auch in den Lymphkörperchen, und den Blut- Leukocyten vorhanden sind, das lässt sich noch nicht entscheiden. Wir werden das Studium dieser Substanzen vervollständigen, sobald wir in den Besitz grösserer Mengen von Eiter gelangen. Wenn man bedenkt, dass die Cerebrine eine Vereinigung darstellen von einem Körper, der sich von einer höheren Fettsäure ableitet, mit einem Kohle- hydrat, so wird man über die Mannigfaltigkeit dieser Gruppe nicht erstaunt sein. Von den Verbindungen der höheren Fettsäuren finden wir in den thie- rischen Geweben niemals einen einzelnen Repraesentanten für sich, sondern stets ein Gemenge mehrerer homologer Körper; nicht minder zahlreich sind die Kohle- -hydrate, die in den Organismen neben einander gefunden werden. Es ist also ganz einleuchtend, dass auch die Verbindungen beider so vielgestaltiger Com- ponenten, die Cerebrine, in mehreren Arten erscheinen. Da vielleicht der Einwand erhoben werden könnte, dass die Eiterzellen im Laufe ihrer uncontrolirbaren Schicksale die Cerebrine irgendwo in sich auf- genommen haben könnten, so habe ich noch auf anderem Wege den Beweis zu erbringen versucht, dass Cerebrine in solchen Zellen vorkommen, welche mit dem Nervenmark in keiner erkennbaren Beziehung stehen, nämlich in den Sper- matozoen. Miescher hat im Laufe seiner ausgezeichneten Untersuchungen über die Spermatozoen kein Cerebrin gefunden, obgleich er seine Aufmerksamkeit auf dasselbe gerichtet hat. Dieser negative Befund hat mich nicht abgehalten, die Untersuchung von Neuem zu machen, denn aus Miescher’s Angaben geht hervor, dass die Menge des von ihm verarbeiteten Materials zu gering war. Ich ‚stellte meine Versuche mit einem sehr beträchtlichen Quantum Spermatozoen an, welche aus Störhoden gewonnen waren, und konnte in der That Cerebrin in 366 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — KoSSEL. ihnen nachweisen. Leider gelang es wegen der geringen Menge der gewonnenen Substanz nicht, den Körper durch Elementaranalyse zu charakterisiren; aber die Eigenschaften sowie die Bildung eines reducirenden Körpers unter der Einwir- kung der Schwefelsäure, liessen keinen Zweifel zu, dass es sich in der That um Cerebrin handele. wi Ich möchte zum Schlusse noch bemerken, dass die Cerebrine gegen die Fäulniss sehr widerstandsfähig sind. Das bewies mir die Untersuchung eines Falles von Adipocire-Bildung in Leichen, welche zehn Jahre in einem Massengrab gelesen hatten. Ich fand im Inneren einer Schädelhöhle einen Klumpen von Leichenwachs, aus dem ich Cerebrin darstellen konnte. Beriehtigunug. In den Verhandlungen vom 28. November 1890, oben 8. 172, 18 15 2. 10: tt —- Sec. lies —— , 7. 31 v. 0. statt 100 Dec. lies 1000 Sec APR Zur Physiologie der Cephalopodenretina. Von Dr. Bernhard Rawitz, Privatdocenten an der Universität Berlin, (Hierzu Taf. X.) Boll hat bekanntlich zuerst die interessante Thatsache festgestellt, dass im Auge der Vertebraten unter dem Einflusse der Dunkelheit Verände- rungen in der Pigmentvertheilung eintreten. Die Retina von Dunkelfröschen „schlüpft“, wie der nicht ganz glücklich gewählte Ausdruck lautet, pigment- frei aus dem Bulbus heraus, die Retina von Fröschen dagegen, die in nor- maler Belichtung sich befunden hatten, „schlüpft“ stark pigmentirt aus. Es zieht sich also das Pigment, welches gewöhnlich die Aussenglieder der Stäbchen und Zapfen wie ein Mantel umhüllt, nach hinten zurück, und zwar ist, wie Kühne nachgewiesen hat, diese Rückwanderung eine intra- celluläre. Denn es reichen die Fortsätze der Zellen des Retinaepithels auch bei Dunkelfröschen in die Region der Stäbchen und Zapfen hinein, ganz wie bei Lichtfröschen, nur dass bei letzteren in den Fortsätzen noch das Pigment gelegen ist. Für das Facettenauge der Arthropoden war von Exner, Miche- line Stefanowska und Anderen nachgewiesen worden, dass ebenfalls unter dem Einflusse der Dunkelheit bezw. des Lichtes Pigmentverschiebungen auftreten, ganz analog denen, welche die Vertebratenretina erkennen lässt. Als ich im vorigen Jahre während der Sommerferien in der zoologischen Station zu Neapel arbeitete — die Mittel zu dem Aufenthalte in Neapel verdanke ich einem mir von der hiesigen medicinischen Facultät aus der Gräfin-Bose-Stiftung bewilligten Stipendium — glaubte ich die günstige Gelegenheit benutzen zu sollen, um nachzusehen, ob auch im Mollusken- 368 BERNHARD Rawiıtz: auge, speciell im Auge der Cephalopoden, ähnliche Vorgänge sich ab- spielen. Es hatte das Problem ein um so grösseres Interesse, als einer- seits das Cephalopodenauge in seinem Baue dem Sehorgane der Vertebraten zwar sehr ähnlich ist, andererseits aber die Retina ein ganz anderes Ver- ‚ halten zeigt. Hier, bei den Caphalopoden, sind die Stäbchen dem Lichte bekanntlich zugewendet, während bei den Vertebraten die entgegengesetzte Anordnung statt hat. Erhöht wurde das Interesse dann ferner dadurch, dass das Pigment der Cephalopodenretina im Inneren derjenigen Gebilde gelegen ist, welche die Stäbchen, oder, wie wir die das Licht percipirenden Elemente vieler Wirbellosen seit Grenacher nennen, die „Rhabdome“ bilden, während bei den Vertebraten das Pigment an besondere epitheliale, von der Retina getrennte Elemente gebunden ist. Das Rhabdom der CGephalopodenretina ist ganz anders gestaltet, als das Stäbchen der Wirbelthiere. Durch Grenacher! wissen wir, dass an der Bildung der Rhabdome mindestens vier, häufig mehr Retinazellen be- theiliet sind. Jede der letzteren scheidet in derjenigen Partie, welche nach innen von der Grenzmembran (Taf. X Fig. 1a, g) gelegen ist, in der Region der sogenannten „Sockel“ zwei Hohlrinnen ab, welche der Zelle dicht an- und einander gegenüberliegen, etwa wie die beiden Klammern eines Paren- thesezeichens. Indem nun die gleichen Gebilde von vier benachbarten Retinazellen mit einander verschmelzen, entsteht die regelmässige Form des Rhabdomes, ein vierkantiges Prisma mit eingebogenen Flächen.? Jedes Rhabdom hat also Beziehungen zu mindestens vier Retinazellen und jede Retinazelle steht in Beziehung zu zwei Rhabdomen. Im Centrum der Re- tinazelle verläuft die Nervenendfaser und demgemäss ist jedes Rhabdom in Connex mit mindestens vier Nervenfasern und jede einzelne Nerven- faser in Connex mit zwei Rhabdomen. Sehr häufig wird die regel- mässige Gestalt der Rhabdome alterirt, da die Rhabdomeren von mehr als vier Retinazellen mit einander verschmelzen und man erhält in Folge da- von auf einem Querschnitte durch die Retina ein ganz wirres, schwer ver- ständliches Bild (Taf. X Fig. 2b), das nur mit Mühe auf das eben be- schriebene Schema zurückzuführen ist. Dieselben Retinazellen, welche die Rhabdome erzeugen, beherbergen‘ auch das Pigment. Die Vertheilung des letzteren, wie ich sie an den Retinae von Eledone moschata, Sepia officinalis und Sepiola Rondeletii ge- funden habe, ist folgende: ! Grenacher, Abhandlungen zur vergleichenden Anatomie des Auges. I. Die Retina der Cephalopoden. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. 1884. Bd. XV. ® Vergl. Grenacher, a.a. 0. S. 23—33. Zur PHYSIOLOGIE DER ÜEPHALOPODENRETINA. 369 Auf einem Längsschnitte durch die Retina von Eledone und Sepiola erkennt man nach Innen von der Grenzmembran die Kerne der Limitans- zellen (Stäbchenkörner von Hensen) (Taf. X, Fig. 1a,/z) und nach innen von diesen einen dichten, dunkelbraunen, fast schwarzen Streifen (Taf. X, Fig.1a,p,), der durch ausserordentlich kleine, sehr dicht stehende Pigmentkörnchen ge- bildet wird. Dieselben erfüllen prall die Stäbchensockel Grenacher’s, d.h. die nach Innen von der Grenzmembran gelegene Partie der Retina- zellen. Diese „äussere“ Pigmentanhäufung sendet zahlreiche Fortsätze in die Rhabdomregion hinein (Taf. X, Fig. 1a, rh), welche im Anfang ziemlich stark sind, dann aber, nach dem freien Rande der Retina zu, schmal werden und auf hinreichend feinen Schnitten (5—7-5u) nur noch als zarte, aus wenigen längs aneinander gereihten Pigmentkörnchen bestehende Striche erscheinen. Die in der Rhabdomregion erkennbare Pigmentirung besteht nicht aus continuirlichen Pigmentzügen, sondern aus zahlreichen bald mehr bald weniger nahe aneinander stehenden Pigmentstrichen. An der inneren freien Fläche der Retina, dicht an der Limitans findet sich eine zweite Piementanhäufung, die „innere“ (Taf. X, Fig. 1a, p;,), die viel schwächer ist als die äussere und nicht wie diese als eine continuirliche Schicht imponirt, sondern sich unter dem Bilde kleiner, ziemlich dicht an einander stehender Pigmentknöpfchen darstellt. Auf einem Querschnitte durch die Retina in der Mitte der Rhabdom- reeion sieht man, dass das Pigment im Inneren der Retinazellen gelegen ist (Taf.X, Fig. 1b, p). Man trifft in denselben eins, zwei, drei und mehr Pig- mentkörnchen an, in mancher Retinazelle aber auch gar keines, was sich durch die oben hervorgehobene Discontinuität der innere und äussere Pig- mentanhäufung verbindenden Züge erklärt. Es decken sich also meine Befunde vollkommen mit dem, was bisher allgemein hinsichtlich der Pigmentirung der Cephalopodenretina angegeben wurde. In Etwas anders, wie bei Eledone und Sepiola, ist die Pigmentirung der Retina bei Sepia offieinalis. Oeffnet man durch einen aequatorialen Scheerenschnitt den einem eben getödteten Exemplare dieser Species ent- nommenen Bulbus, so sieht man einen feinen hellen Streifen, welcher genau in der Richtung des Eintrittes der Fasern des Ganglion opticum meridional verläuft. Auf einem dünnen Längsschnitte durch die gehärtete Retina, welcher den hellen Streifen senkrecht kreuzt, erkennt man, dass entsprechend demselben die innere Pigmentanhäufung fehlt. Es reichen die von der äusseren Pig- mentanhäufung nach der inneren, freien Fläche der Retina strebenden Pigmentzüge nicht bis zum inneren Ende der Retinazellen, sondern hören vor demselben auf, so dass die innerste Partie der Rhabdomregion, un- gefähr in !/, ihrer Ausdehnung, pigementfrei ist. Im Centrum des hellen Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 34 370 BERNHARD RaAwıTz: Streifens reicht das Pigment am wenigsten weit nach innen, nach den Seiten zu nähert es sich allmählich dem inneren Ende der Retinazellen, um peripher von dem Streifen die innere, knöpfchenförmige Pigmentanhäu- fung zu bilden. Fig. 1a der Taf. X ist von einer Stelle der Retina ent- nommen, die dem hellen Streifen dicht angrenzte. Hensen! spricht in seiner berühmten Arbeit „Ueber das Auge einiger Cephalopoden“ davon, dass die Retina von Sepia officinalis einen „gelben Fleck“ besitzt. Ich vermuthe, dass dieser Forscher den hier zum ersten Male beschriebenen hellen Streifen darunter versteht; Genaueres ist in der eitirten Arbeit über die fragliche Erscheinung nicht enthalten. Grenacher? giebt an, dass bei Sepia und Loligo „nur die äussere Pigmentzone im Sockel der Stäbchen enthalten ist“, dass also die innere bei beiden Gattungen fehlt. Das trifft nur für Loligo zu, während bei Sepia die Verhältnisse so liegen, wie es meine obige Schilderung und Fig. 1a Taf. X lehren. Die beschriebene Pigmentvertheilung findet sich in den Augen der oben genannten drei Species, denen sich noch Octopus vulgaris an- schliesst, wenn die Thiere unter normalen Belichtungsverhältnissen gelebt haben. Hat man die Thiere im Dunkelzimmer gehalten, selbstverständlich in Aquarien mit stetig fliessendem Wasser, so erkennt man an feinen Längs- schnitten durch die Retina nach 24 Stunden und besser noch nach 48 Stun- den Folgendes: Das Pigment hat sich vom inneren Ende der Rhabdomresion völlig zurückgezogen, meistens soweit, dass nur noch das äussere, d. h. der Sockel- region benachbarte Viertel Pigment enthält (Fig. 2a, Taf. X). Zuweilen . aber auch fand ich die Pigmentirung fast völlig auf die Sockel beschränkt. In Folge des Zusammendrängens der Pismentmassen auf einen kleineren Raum, als dieselben normal einnehmen, erscheint die Pigmentirung als eine dich- tere, intensivere. Die Sockelregion sieht fast schwarz aus, die nach den Rhabdomen sich hinbegebenden Züge beginnen sehr diek und sind con- tinuirlich (Fig. 2a p,, Taf. X); nur in den mehr inneren Partien findet man stellenweise eine Discontinuität und diese discontinuirlichen Partikel sind bald weiter von der Sockelregion entfernt, bald näher an ihr heran- gelegen, aber auch sie sind sehr viel stärker und dunkler als die Pigment- züge des normal belichteten Auges. Diesem Verhalten entspricht das Querschnittsbild; auf demselben er- ‘ Hensen, Ueber das Auge einiger Cephalopoden. Zeitschrift für wissenschaft- liche Zoologie. 1865. Bd. XV. 2 A.2. 0.8.22. Zur PHYSIOLOGIE DER ÜEPHALOPODENRETINA. Dr. scheinen die Retinazellen in den inneren Dreivierteln der Rhabdomregion völlig pigmentfrei (Fig. 2b, Taf. X). Brachte ich die Thiere statt in ein völlig verdunkeltes Zimmer in ein solches, in welches das Licht durch eine bunte (rothe, grüne oder blaue) Scheibe fiel — die übrigen Scheiben waren vollständig verdunkelt worden —, so war in den Retinae Dunkelwirkung zu erkennen, wenn die Thiere dem Fenster abgewendet, Lichtwirkung, wenn sie dem Fenster zugewendet im Wasser sich befanden. Interessant ist dabei folgende Beobachtung. Hatten die Eledone, und nur an dieser Species sind die Versuche mit farbigem Lichte ausgeführt worden, eine solche Stellung eingenommen, dass nur ein Theil jedes Auges belichtet, der andere im Dunkeln geblieben war, so zeigte sich auch im mikroskopischen Praeparate die Pigmentvertheilung in dem belichtet gebliebenen Abschnitte der Netzhaut wie in der Norm; in dem verdunkelt gewesenen wie in Fig. 2a, Taf. X; ich konnte also in derselben Retina und in demselben Schnitte beide Modi der Pigmentirung constatiren. Eledone ist für solche Versuche besonders geeignet, weil das Thier, wenn es in dem Aquarium zur Ruhe gekommen ist, selten seinen einmal ein- senommenen Platz freiwillig verlässt. Wir treffen also in der Retina der Cephalopoden dieselben Pigment- verschiebungen an, wie sie durch Licht bezw. Dunkelheit im Vertebraten- und Arthropodenauge hervorgebracht werden. Das Interessante, was meines Bedünkens in den geschilderten Thatsachen zu finden ist, beruht darin, dass hier bei den Cephalopoden dieselben Zellen, welche die Rhabdome produciren, das Pigment enthalten, dass die intracelluläre Pigmentwande- rung also in einem integrirenden Bestandtheile der Retina vor sich geht. Bei den Vertebraten ist das Pigment an das retinale Pigmentepithel ge- bunden und dies muss nicht unbedingt vorhanden sein, wie die Augen der Albinos lehren. Die Bedeutung des Pigmentes für das Sehen besteht unstreitig darin, durch Absorption der Lichtstrahlen eine übermässige Reizung der Retina zu verhüten; es wird offenbar nur so viel Licht wirksam sein, als für den Sehact nothwendig ist. Durch Zurückweichen des Pigmentes im Dunkeln ist dann die Möglichkeit geschaffen, dass Lichtstrahlen zur Wirksamkeit gelangen, die unter normalen Verhältnissen durch das weit vorgestreckte Pigment absorbirt worden wären. Hrn. Professor Dr. H. Munk bin ich zu grossem Danke verpflichtet, . dass er mir durch Ueberlassung eines Arbeitsplatzes in seinem Institute die Durcharbeitung des in Neapel gesammelten Materiales ermöglichte. 24* 372 BERNHARD RaAwıtz: Zur PHYSIOLOGIE DER ÜEPHALOPODENRETINA. krklärung der Abbildungen. (Taf. X.) Die Figg. 1a und 2a sind mit der Abbe’schen Camera entworfen, die Figg. 1b und 2b aus freier Hand gezeichnet. Sie beziehen sich alle auf Praeparate von Sepia offieinalis. Fig. 1a. Normale Pigmentirung. /. = Limitans; rh. = Rhabdomregion; p, äussere, p, = innere Pigmentanhäufung; /z. = Kerne der Limitanszellen; g. = Grenz- membran; rz. = Retinazellen; 2. = Nervenfasern. Längsschnitt. Vergrösserung: 100. Fig. 1b. Normale Pigmentirung. rh. = Rhabdome; rz. = Retinazellen; p. = Pigmentkörnchen. Querschnitt. Vergrösserung: 750. Fig. 2a. Dunkelretina. 48 Stunden. Bezeichnung wie Fig. 1a. Längs- schnitt. Vergrösserung: 100. Fig. 2b. Dunkelretina. 48 Stunden. Bezeichnung wie Fig. 1a. Quer- sehnitt. Vergrösserung: 750. Ueber intracellulare Genese von rothen Blutkörperchen im Mesenterium des Meerschweinchens. Von R. Nicolaides. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Athen.) (Hierzu Taf. XI.) 1. Einleitung. In seiner neulich erschienenen Abhandlung stellte Bizzozero! das allgemeine Gesetz auf, dass die Bildung der rothen Blutkörperehen „bei allen Wirbelthieren durch eine durch Mitosis stattfindende Vermehrung einer typischen Zellenform stattfindet, welche aus einem sphaerischen Kerne gebildet wird, der von einer dünnen Schicht haemoglobinhaltigen Proto- plasma’s umgeben ist“, Diesem Gesetze Bizzozero’s lassen sich aber einige alte Beobachtungen nicht unterordnen. So sah Ranvier? im grossen Epiploon des Kaninchens rothe Blutkörperchen endogen in protoplasmatischen Zellen entstehen, welche er, da aus diesen Gefässe sich bilden, vasoformative Zellen (cellules vaso- formatives) genannt hat. Aehnliche Bildungsvorgänge hat Schäfer? im Unterhautzellgewebe junger Ratten beobachtet, Hayem* im Netze neu ! Bizzozero, Neue Untersuchungen über den Bau des Knochenmarkes bei den - Vögeln. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXXV. S. 428. ® Ranvier, Traite technique d’histologie. p. 615. ®? Schäfer, Monthly microscop. Journal. Vol. XI. p. 261. * Hayem, Gazette medicale. 1878. p. 330. 374 R. NIcoLAIDES: geborener Kätzchen und neuerdings Kuborn! in der Leber während des Embryonallebens. Diese Beobachtungen so namhafter Forscher sind aber nicht genügend berücksichtigt, ja nach Sigm. Mayer sogar sind die vasoformativen Zellen Ranvier’s mit den in denselben liegenden rothen Blutkörperchen nicht mit Neubildung, sondern im Gegentheile mit Rückbildung von Gefässen in Zusammenhang zu bringen. Dem ist aber nicht so. In den foleenden Zeilen theile ich die Resultate von Untersuchungen mit, welche mich schon seit längerer Zeit beschäftigen. Meine Beobachtungen über die im Mesen- terium des Meerschweinchens stattfindende Haematogenese werden auf das Bestimmteste die Lehre von der intracellularen Entstehung der rothen Blutkörperchen begründen und das oben erwähnte allgemeine Gesetz Bizzozero’s nicht als solches gelten lassen. Schon im Jahre 1889 bei Betrachtung einiger Praeparate vom Mesen- terium des Meerschweinchens stiess ich auf einige Bilder, welche sehr an die vasoformativen Zellen Ranvier’s erinnerten. Ich entschloss mich des- halb, das Mesenterium des Meerschweinchens einer Untersuchung in Bezug auf die Haematogenese zu unterziehen, um so mehr, als Niemand meines Wissens in der nachembryonalen Zeit im Mesenterium des Meerschweinchens ähnliche Beobachtungen wie Ranvier im grossen Epiploon des Kaninchens gemacht hat, und als die hochinteressante Frage über die intracellulare Entstehung der rothen Blutkörperchen nicht in ihren Details untersucht wurde. : Der Abhandlung ist eine Tafel beigefügt, auf welcher mit grosser Sorg- falt die Praeparate naturtreu wiedergegeben worden sind. II. Untersuchungsmethode. Ich chloroformirte junge Thiere, welche 1 bis 29 Tage alt waren, spannte sie mit Nadeln auf und eröffnete durch einen Kreuzschnitt die Bauchhöhle. Mesenteriumpartien wurden sodann mittels Igelstacheln auf Korkringen ausgespannt und in gesättigter wässeriger Pikrinsäurelösung oder in einer 5proc. , also nahezu kalt gesättieten, wässerigen Sublimat- lösung fixirt. In der Pikrinsäurelösung verblieben die Mesenteriumpartien eine Stunde, werden dann von dem Korkring befreit, in destillirtes Wasser übertragen und nachdem sie hier mit einer feinen Scheere in etwa 1m grosse Stücke geschnitten sind, der Färbung unterworfen. In der Subli- ‘ Kuborn, du developement des vaisseaux et du sang dans le foie de Pembryon. Anatomischer Anzeiger. V. Jahrg. 8. 277. INTRACELLULARE GENESE VON BLUTKÖRPERCHEN DES MEERSCHWEINES. 375 matlösung werden die Mesenteriumpartien 2 bis 10 Stunden belassen, dann in destillirttem Wasser gewaschen und nachdem sie einige Zeit in Alkohol von 75, 90, 100 Procent gelegen haben, ebenfalls in kleine Stücke ge- schnitten, welche der Färbung unterworfen und schliesslich, nachdem auf dem Objestträger etwaige Falten mit Nadeln sehr sorgfältig ausgeglichen sind, in Canadabalsam eingeschlossen werden. Was die Färbung der Mesen- teriumstücke anbelangt, so habe ich verschiedene Flüssigkeiten benutzt, aber die besten Praeparate habe ich mit einer Doppelfärbung mit Haema- toxylin und Eosin bekommen. Haematoxylin färbt die Kerne der Zellen violet und Eosin die rothen Blutkörperchen roth, welche dann ganz ausser- ordentlich deutlich und elegant zum Vorschein kommen. Um aber sicher zu sein, dass die in den vasoformativen Zellen auftretenden und mit Eosin sich roth färbenden Gebilde rothe Blutkörperchen sind, habe ich nicht versäumt das Mesenterium auch frisch in Peritonealflüssigkeit zu untersuchen. III. Die vasoformativen Zellen und die Art und Weise der in denselben entstehenden rothen Blutkörperchen. Zum Studium der Neubildung der Blutgefässe giebt es kein so schönes Objeet wie das Mesenterium junger Thiere. Man sieht hier ausserordentlich klar die Neubildung durch Sprossen und die intracellulare Neubildung der Blutgefässe. Die erstere Bildungsart ist sowohl normal wie pathologisch - sehr wichtig. Sie ist schon vor vielen Jahren von Julius Arnold und Gobulew im Froschlarvenschwanz studirt. Im Mesenterium junger Meer- schweinchen kann man an einigen Blutcapillaren beobachten, dass sie körnige nach aussen zugespitzte solide Stränge, die Sprossen, treiben, an anderen, dass ihre Sprossen weiter in das Gewebe hineingewachsen und in gebogenem Verlaufe im Begriffe sind, mit den benachbarten oder mit der Gefässwand selbst in Verbindung zu treten. Bei der zweiten Bildungsart, der intracellularen Gefässbildung, ent- wickeln sich ganz unabhängig von der Gefässwand besondere zellige Ele- mente. Diese Elemente, in welchen die rothen Blutkörperchen entstehen, interessiren uns hier. Untersucht man mit mässig starker Oelimmersion nach obiger Vor- schrift bereitete Praeparate vom Mesenterium, so sieht man im Bindegewebe neben zahlreichen, stark granulirten meistentheils runden Iymphoiden Zellen, viele bald spindelförmige Zellen, welche oft, indem sie an ihren Enden an einander wachsen, lange Stränge bilden, bald rundlich ovale Zellen, deren viele Pyrenokinese, d. h. indireete Kerntheilung zeigen, bald lange mit Pro- toplasmaspitzen und Fortsätzen versehene Zellen. Die Kerne dieser Zellen 376 R. NICOLAIDES: färben sich durch Haematoxylin violet. In dem feinkörnigen Protoplasma, meistentheils in der Nähe der Kerne, aber auch in den Fortsätzen, sieht man rothe Blutkörperchen einzeln oder hintereinander aufgereiht (Figg. 1, 12) und mit Eosin roth, wie die in den Capillaren liegenden rothen Blutkörper- chen gefärbt. Oft sieht man diese vasoformativen Zellen, denen an manchen Stellen spindelförmige Bindegewebszellen aufliegen, durch ihre Fortsätze mit dem Gefässsystem in Verbindung treten. An manchen Stellen bekommt man mehr oder weniger umfangreiche Herde zu Gesicht, in welchen zahl- reiche rothe Blutkörperchen liegen. Untersucht man genau diese Herde, so überzeugt man sich leicht, dass sie aus vasoformativen Zellen bestehen, welche durch ihre Fortsätze zu dichten Netzen zusammentreten. Die Blut- körperchen liegen in dem Protoplasma der Zellen. Fast immer stehen diese Herde in Verbindung mit den benachbarten Capillaren. Bis jetzt habe ich Meerschweinchen, welche 1 bis 29 Tage alt waren, untersucht und stets die beschriebenen vasoformativen Zellen mit den in ihnen liegenden Blutkörper- chen gefunden, es scheint aber, dass sie um so zahlreicher sind, je jünger das Thier ist. Auch an frischen Praeparaten kann man sich von dem Vorhandensein der vasoformativen Zellen und den in denselben liegenden Blutkörperchen überzeugen. Es genügt dazu Hartnack System 9, Ocular 3. Die Form der vasoformativen Zellen, welche nicht selten derjenigen einer sternförmigen Zelle (Fig. 2) mit ziemlich umfangreichem Körper ähnlich sind, das Auftreten derselben in einer Zeit, in welcher das Mesenterium im Wachsen begriffen ist, die bei vielen derselben zu constatirende Ab- wesenheitirgendwelcher Verbindung mit den benachbarten Capillaren zwingen uns zu der Annahme, dass dieselben nicht in Rückbildung begriffene Ge- fässe sind. Ueber die Art und Weise, wie die rothen Blutkörperchen in den vasoformativen Zellen entstehen, giebt folgende Erscheinung uns einen Anhaltspunkt. In den vasoformativen Zellen sieht man nämlich sehr oft nicht nur ausgebildete rothe Blutkörperchen, sondern auch Granula von verschiedener Grösse. Bald sind sie sehr klein und rosa gefärbt, bald aber bekommt man grössere Granula zu Gesicht, welche viel intensiver roth ge- färbt sind und wie die Blutplättchen Bizzozero’s aussehen, endlich be- obachtet man in den vasoformativen Zellen rothe Gebilde, welche halb so ' gross sind, wie die ausgebildeten rothen Blutkörperchen (Figg. 8 und 9). Sie lassen sich mitunter mit der für Granula speeifisehen Methode von Altmann! (Fixirung mittels einer Mischung von gleichen Theilen einer 2-procentigen Osmiumsäurelösung mit einer 5-procentigen Doppelchrom- " R. Altmann, Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu den Zellen. 1890. 8. 27. INTRACELLULARE GENESE VON BLUTKÖRPERCHEN DES MEERSCHWEINES. 377 säurelösung, Färbung mit Fuchsin und Differenzirung in einer Pikrinsäure- lösung) sehr gut demonstriren. Diese Granula von verschiedener Grösse halte ich für die Uebergangsformen zu den rothen Blutkörperchen, und nehme an, dass die rothen Blutkörperchen intracellular aus den Granulis des Protoplasma’s der vasoformativen Zellen entstehen, etwa wie die Amylon- körner oder Chlorophylikörner aus Plastiden des Pflanzenprotoplasma’s sich entwickeln." Möglich ist auch, dass nicht nur ein Granulum, indem es grösser und grösser wird, zu einem rothen Blutkörperchen sich entwickelt, sondern dass viele Granula zu einem Blutkörperchen sich verbinden, etwa wie die zusammengesetzten Amylonkörner aus vielen Körnchen sich bilden, und wie die Plastiden, aus welchen die Chlorophylikörner hervorgehen, farblos sind, so sind auch wahrscheinlich die Blutkörperchenbildner des Protoplasma’s der vasoformativen Zellen anfangs farblos und erst später werden diese wie jene von den entsprechenden Farbstoffen tingirt, welche vielleicht durch die Einwirkung der Plastiden entstehen. Es fragt sich jetzt, ob die Blutkörperchenbiläner, d. h. die Plastiden oder die Granula im Protoplasma der vasoformativen Zellen entstehen oder aus- dem Kerne in dasselbe treten. Manche Erscheinungen sprechen für die letztere Ansicht. Man sieht nämlich in dem Kern der vasoformativen Zellen rothe Körner, deren einige an der Peripherie des Kernes liegen (Fig. 8). Ausserdem beobachtet man sehr oft Blutkörperchenbildner und ausgebildete Blutkörperchen in der Nähe des Kernes, ja sogar in einer sichelförmigen Vertiefung desselben liegend (Fig. 6), wie die in den letzten Jahren in einigen Drüsenzellen entdeckten Nebenkerne Ob hier ein ähnlicher Vor- sang stattfindet konnte ich nicht entscheiden, es scheint aber dass der Kern eine Rolle dabei spielt. Was den Modus, durch welchen die in den vasoformativen Zellen gebildeten Blutkörperchen in den Blutstrom gelangen, anbelangt, so geben die Figg. 4 und 6 meiner Tafel eine klare Auskunft. Man sieht nämlich an denselben, dass die Kerne der vasoformativen Zellen, welche aneinander wachsen, nach der Wand zu verdrängt werden. Der Leib der Zelle wird hohl und von den in demselben und aus dessen Bestandtheilen entstandenen Blutkörperchen eingenommen. Indem dann die vasoformativen Zellen mit den benachbarten Gefässen in Verbindung treten, werden die Blutkörperchen aus ihnen weggeschwemmt. Aus den vasoformativen Zellen entstehen also Gefässe und rothe Blutkörperchen. Erstere bleiben bei jüngeren Thieren als solche bestehen, bei älteren bilden sie sich wahrscheinlich zurück. Da- ! Schimper, Untersuchung über die Entstehung der Stärkekörner. Botanische Zeitung. 1880; — Derselbe, Ueber das Wachsthum der Stärkekörner. Zbenda. 1881; Derselbe, Ueber Chlorophyll. Zbenda. 1882. 378 R. NICOLAIDES: für spricht bei solchen Thieren das Vorkommen von Strängen, welche wandständige Kerne zeigen und keine Blutkörperchen enthalten. Ob bei allen erwachsenen Säugethieren und nur bei diesen die kern- losen rothen Blutkörperchen intracellular sich bilden, wie Minot! glaubt, muss durch weitere Untersuchungen in den blutbildenden Organen, beson- ders im Knochenmarke, bewiesen werden. Erst dann darf man Minot’s Meinung beipflichten, nach welcher das embryonale Auftreten von kern- haltigen rothen Blutkörperchen dem biogenetischen Gesetze zufolge als eine ontogenetische Wiederholung der Blutbildung bei den Vorfahren der Säuge- thiere zu erklären ist, bei welchen Blut mit kernhaltigen rothen Blut- körperchen vorkommt. ! Minot, Zur Morphologie der Blutkörperchen. Anatomischer Anzeiger. V. Jahrg. S. 601. — INTRACELLULARE GENESE VON BLUTKÖRPERCHEN DES MEERSCHWEINES. 379 Erklärung der Abbildungen. (Taf. XI) Die Figuren bei Leitz Oelimmersion !/,;, Ocular 3 gezeichnet, sind getreue Abbildungen der Praeparate ohne irgend welche Schematisirung. Fig. 1. Drei Tage altes Meerschweinchen. Vasoformative Zellen mit protoplas- matischen Fortsätzen und Spitzen. r = rothes Blutkörperchen in der Nähe des Kernes. Fig. 2. Vasoformative Zellen aus einem 14 T’age alten Meerschweinchen. r = rothes Blutkörperchen in der Nähe des Kernes. % k = Kerne der vasoformativen Zellen. Fig. 5. Vasoformative Zelle aus einem 22 Tage alten Meerschweinchen. r = rothes Blutkörperchen. k = Kern. Fig. 4. Drei Tage altes Meerschweinchen. Vasoformative Zellen, deren Fortsätze zu zarten Netzen zusammengetreten sind. Bei v» Verbindung mit einer Blutcapillare Fig. 5. Vasoformative Zellen aus einem 3 Tage alten Meerschweinchen. A = Ausläufer und N = Netz der vasoformativen Zellen. » = rothes Blutkörperchen in der Nähe des Kernes. Fig. 6. Vasoformative Zellen aus einem 8 Tage alten Meerschweinchen. r. = rothe Blutkörperchen in der Nähe der Kerne. Fig. 7. Sechs Tage altes Meerschweinchen. Vasoformative Zelle mit protoplas- matischen Fortsätzen und Spitzen. % = Kern. r = rothes Blutkörperchen umgeben von einer hellen Zone. Fig. 8. Vasoformative Zellen aus einem 22 Tage alten Meerschweinchen. In dem Kern % ist ein rothes Körnchen sichtbar. pp = Blutkörperchenbildner noch nicht zu rothen Blutkörperchen ausgebildet. » = rothes Blutkörperchen. Fig. 9. Vasoformative Zellen aus einem 29 Tage alten Meerschweinchen. p = drei Blutkörperchenbildner von verschiedener Grösse in der Nähe des Kernes in einem hellen Raume liegend. » = rothes Blutkörperchen. Fig. 10. Drei vasoformative Zellen aus einem 5 Tage alten Meerschweinchen. Die Zelle links enthält ein. rothes Blutkörperchen. Fig. 11. Verästigte vasoformative Zellen ohne Blutkörperchen aus einem 8 Tage alten Meerschweinchen. % = Kerne der vasoformativen Zellen. Fig. 12. Vasoformative Zellen aus einem 8 Tage alten Meerschweinchen. r = ausgebildete rothe Blutkörperchen von einer hellen Zone umgeben. p = Blutkörperchen- bildner. %% = Keıne. Ueber die Hirncentren der Scheidenbewegungen bei Thieren. Von W. v. Bechterew und N. v. Mislawski. (Hierzu Taf. XII u. XIIJ.) Ueber die Innervation aer Scheidenbewegungen besitzen wir bis jetzt nur eine äusserst spärliche Litteratur und auch diese behandelt entweder nur die periphere Innervation dieses Organs oder nur die niederen im Rücken- mark und in der Medulla oblongata befindlichen Centren. In dieser Hinsicht verdienen besondere Berücksichtigung die experi- mentellen Untersuchungen von Dr. Ferd. Ad. Kehrer! und Professor Jastreboff.? Die Arbeit Kehrer’s war uns leider nicht zugänglich. Da aber die Resultate seiner Untersuchungen in der Arbeit von Jastreboff wörtlich mit Angabe der Seiten des Textes angeführt sind, werden wir diese Quelle benutzen. Bei seinen an Kaninchen ausgeführten Beobachtungen fand Kehrer drei bestimmte Formen der Scheidencontractionen, welche aber aus der Verkettung zweier so zu sagen primärer Bewegungen zusammengesetzt sind: aus Längscontractionen, welche das Organ verkürzen, und Quercon- tractionen, welche die Scheide verengern. Wenn beide Arten der Contraction eine Zone der Scheide nach der anderen ergreifen, so erhält man nach ‘ Kehrer, Ueber die Zusammenziehungen des weiblichen Genitalcanals. Giessen 1869. ” Jastreboff, Ueber die Contraction der Vagina bei Kaninchen. Dies Archiv. 1884, 8. 90, Er ee De ÜBER DIE HIRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI THIEREN. 381 Kehrer eine in gewisser Richtung fortschreitende Bewegung oder die Pro- gressiv-Contraction, d. h. eine peristaltische, wenn die Contraction vom Ge- wölbe zum Eingang und eine antiperistaltische, wenn sie umgekehrt ver- jäuft. Beschränken sich die beiden Contractionsformen auf eine Stelle, so erhält man eine andere Contractionsform: stationäre Einschnürung oder Strietur. Bildet sich am ganzen Genitalcanal oder an einem Uterushorn oder an der Scheide eine allgemeine Zusammenziehung aus, so erhält man noch eine andere Contractionsform: den Starrkrampf oder Tetanus. Kehrer gebraucht noch die Bezeichnung „rhythmische“ Bewegungen und versteht darunter überhaupt alle spontanen Bewegungen, welche schon nach der Oeffnung der Bauchhöhle oder in Folge einer einmaligen Reizung eintreten. In Bezug auf letztere giebt der Autor folgende Erklärung: „Auf jede ein- malige Reizung, welche nach Eröffnung des Peritonealsackes auf die bis dahin ruhigen Genitalien einwirkt und stark genug ist, eine kräftige fort- schreitende Contraetion, die regelmässig periodisch in der Scheide, weniger regelmässig in den Eileitern und der nichtträchtigen Gebärmutter, längere Zeit hindurch bis zum Eintritt gewisser Veränderungen in den 'vitalen Eigen- schaften dieser Theile sich wiederholen.“ Diese Contractionen sollen, nach Kehrer, nur bei Unversehrtheit der Rr. sacrales plexus hypogastriei, und wenn die Genitalien nicht blutleer sind, eintreten. Zu den Reizen, welche die soeben beschriebenen Contractionen aus- lösen, sind zu rechnen: der constante Strom, chemische Mittel, wie Salze, Alkohol u. s. w., Abkühlung und Erwärmung, mechanische Reize, Ein- spritzungen von Flüssigkeit u. s. w. Jedoch muss bemerkt werden, dass Kehrer in einer Reihe von Versuchen die Genitalien so wenig reizbar fand, dass sie auf die Einflüsse, welche bei ihrer Freilegung wirksam werden, als Luft- zutritt, Abkühlung und Lageveränderung wegen der Darmverschiebungen, gar nicht reagirten; während es andererseits solche Fälle giebt (bei träch- tigen Thieren), wo die Einflüsse, welche bei der Freilegung der Genitalien unvermeidlich sind, wobei äusserst sorgfältig alle anderweitigen Reize ver- mieden wurden, starke Contractionen der Gebärmutter und der Scheide hervorrufen. Was die Innervation der Geschlechtsorgane der Kaninchen anbetrifit, so erzielte Kehrer folgende Resultate: „I. Die rhythmischen Bewegungen der Scheide erlöschen nach der Trennung aller Sacraläste des Plexus hypogastricus posterior entweder so- fort vollständig, oder man beobachtet nachher noch ein bis drei regelmässige Contractionen. II. Exstirpation des Plexus hypogastricus magnus und Trennung der Nn. spermatiei interni und uterini anteriores lässt die rhythmischen Utero- Vaginal-Contractionen fortdauern. 382 W. BECHTEREw UND N. MISLAWwSKIT: III. Die Fähigkeit, aut einen angewendeten Reiz in eine einmalige fortschreitende Bewegung zu verfallen, überdauert die Durchschneidung aller genannten Nervenbahnen. IV. Die vollständige Ablösung der Scheide von ihrer Umgebung hebt ihre Bewegung vollständig auf. Derselbe Erfolg wird nach Eröffnung der Genitalgefässe bei unversehrten Nerven ebenfalls beobachtet. V. Durch elektrische, chemische und mechanische Reizung des Plexus hypogastrieus magnus lassen sich in den ruhenden Genitalien nicht mit Sicherheit Contractionen auslösen und Charakter und Rhythmus der ein- geleiteten Bewegungen nicht verändern. V1. Elektrische Reizung der Rr. sacrales eines Plexus hypogastrieus post. erregt Contractionen in den nach dem Tode ruhig gewordenen Genitalien. VII. Die Centren für die rhythmischen Vaginal-Contractionen sind weder in den Ganglien des Plexus hypogastricus post. oder magnus noch in denen des Plexus mesentericus, noch in den Ganglien der Scheidewände selber, sondern im Rückenmark oder Gehirn zu suchen. VIII. Nach Unterbrechung des Genitalkreislaufes durch einfache Unter- bindung der Aorta abdominalis oder der Cava inferior oberhalb des Ab- sanges der Vasa spermatica oder durch gleichzeitige Ligatur beider Ge- fässe treten zunächst keine oder nur sehr schwache Zusammenziehungen in dem ruhenden Genritalcanal auf, und dauern die bereits angeregten rhyth- mischen Bewegungen gewöhnlich noch eine gewisse Zeit unverändert fort, während später deren Energie vermindert und deren Rhythmus verlang- samt wird. IX. Nach dem asphyktischen Tode treten gewöhnlich rhythmische Öontractionen in den bis dahin ruhigen Genitalien ein und überdauern den- selben gleich den schon vorher beobachteten Bewegungen noch eine ge- wisse Zeit. Sie halten länger an bei trächtigen als bei nichtträchtigen Thieren. X. Injection von Flüssigkeiten in die Bauchavrta erregt in den ruhigen Genitalien rhytbmische Contractionen und vermehrt vorübergehend die Frequenz und Energie der bereits eingetretenen rhythmischen Bewegungen. XI. Nach Durchschneidung sämmtlicher Genitalgefässe, d. h. nach dem Eintritt einer vollkommen acuten Anaemie verfällt die Vagina in einen vorübergehenden Tetanus, wonach alle rhythmischen Bewegungen aufhören.“ Auf Grund seiner Versuche behauptet Prof. Jastreboff, dass die Vagina unter normalen Verhältnissen stets spontane, rhythmische Contrac- tractionen macht (S. 98), welche in allen Phasen des Geschlechtslebens des Thieres vor sich gehen (S. 104), und dass die Form der Scheidencontrac- tionen durchaus nicht durch das Einführen eines Ballons und Aufblähen des letzteren mit Flüssigkeit abgeändert wird (S. 99). ÜBER DIE HIRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI THIEREN. 383 Was die Contraetionsform anbetrifft, so beobachtet man nach Jastre- boff im normalen Zustande peristaltische und antiperistaltische Bewegungen der Vagina, während stationäre Einschnürungen oder Strieturen unter nor- malen Verhältnissen nicht vorkommen sollen. Sie konnten aber vom Autor durch elektrische Reizung der Vagina, nach dem Tode des Thieres oder seiner Abkühlung, wo die automatischen Bewegungen schon aufgehört hatten, hervorgerufen werden (8. 99). Gleicher Weise hat Jastreboff nicht den Tetanus der Scheide in der Form, wie ihn Kehrer beschrieben, gesehen. Er beobachtete nur, dass bei gewissen Reizungen peristaltische Bewegungen entstehen, welche sich von normalen dadurch unterscheiden, dass der erste Abschnitt des Organs, wo die Contraction begann, noch nicht erschlafft ist, als schon der zweite sich zusammenzieht, so dass zu gewisser Zeit die ganze Scheide contrahirt ist, d.h. im Tetanus sich befindet (S. 99— 100). Nach Jastreboff verstärkt die Anaemie für eine gewisse Zeit die Scheidencontractionen und macht sie frequenter (S. 110). In zu physiologischen Versuchen gebräuchlichen Dosen verändert das Curare weder die Kraft, noch den Rhythmus der Scheidencontractionen; in grossen Dosen aber vermindert es die Kraft der Contractionen ohne auf ihren Rhythmus zü wirken (8. 114). Die Contractionen der Scheide werden durch mechanische, elektrische oder thermische Reize der Scheide oder der Blase, oder weniger sicher des Uterus und der Eierstöcke ausgelöst (S. 113). Die spontanen, rhythmischen Contractionen der Scheide dauern noch nach der Durchschneidung des Rückenmarkes in verschiedenen Höhen und selbst nach Zerstörung des Lendenmarkes fort, ebenso wie sie erhalten bleiben, wenn man alle sym- patkischen Zweige, welche zum kleinen Becken ziehen, durchschneidet (5. 119). Sogar die von ihren umgebenden Organen isolirte Vagina zeigt rhyth- mische Contractionen (S. 120). Letztere sieht man auch an der von den umgebenden Organen losgelösten hinteren Hälfte der Scheide, nachdenı letztere in zwei Theile zerschnitten worden war. Somit ist es klar, dass die Vagina ihre Contractionen automatisch, d.h. mit Hülfe von Centren, welche in ihrer eigenen Wandung liegen, aus- führt (S. 120). Jastreboff überzeugte sich ferner, dass bei elektrischer Reizung der Scheide diese nicht wie ein Muskel, sondern wie ein mit Nervencentren versehenes Organ reagirt (S. 123), weil nach dem elektrischen Schlag eine oder zwei stärkere als normale Contractionen eintreten. Schaltet man an- dererseits die erschlaffte Scheide auf eine mehr oder weniger lange Zeit in die Stromkette ein, so führt sie während der ganzen Reizungsperiode starke und frequente Contractionen von ganz regelmässigem Rhythmus aus; nach 384 W. BECHTEREw unD N. MIsSLAwWSKT: dem Aufhören der Reizung zeigen sich wieder schwächere Contractionen, welche dann allmählich in normale übergehen (S. 121—122). Bei unver- sehrtem Rückenmark nehmen bei der Reizung des centralen Ischiadicus- stumpfes die Contractionen an Umfang zu, und ihr Rhythmus wird ver- langsamt. Gleiches Resultat ergiebt die Reizung des centralen Ischiadieus- stumpfes, wenn vordem das verlängerte Mark oberhalb der Gefässcentren durchschnitten war. Nach der Durchschneidung des Rückenmarks in der Gegend des ersten Lendenwirbels, ebenso wie nach der Zerstörung des ganzen Lendenmarks hat die Reizung des Ischiadicus keinen Einfluss mehr auf die Scheideneontractionen (S. 124). Den Einfluss des centralen Nervensystems auf die Scheidencontraetionen studirte Jastreboff nur am Rückenmark und der Medulla oblongata. Diese Versuche ergaben folgende Resultate: Wird die Medulla oblongata oberhalb „aller vitalen Centren“ (?) durchschnitten und die Schnittstelle kurze Zeit elektrisch gereizt und zwar während einer Pause zwischen den spon- tanen Contractionen der Scheide, so wird die Pause länger und darauf folgt eine stärkere Oontraction. Die hierauf folgende Pause ist noch verlängert, worauf schon Contractionen von normaler Stärke und Frequenz kommen. Reizte er das verlängerte Mark längere Zeit hindurch, so erschlaffte die Vagina nach einer starken Contraction nicht mehr bis zu den normalen Grenzen, sondern vollführte eine ganze Reihe schnell folgender Contractionen, wobei sie einen gewissen Tonus beibehielt; wurde die Reizung aber unter- brochen, so erschlaffte die Scheide sogleich und nach kurzer Zeit stellten sich Contraetionen von normalem Typus ein. Dauernde elektrische Reizung wirkt auf die Scheidencontractionen gleich der Asphyxie (S. 124—125). Machte man nach der Durchschneidung des verlängerten Markes einen Durchschnitt durch das Lendenmark (in der Gegend des dritten Lenden- wirbels), so gab die Reizung des verlängerten Markes eine lange Pause, ohne den Tonus und die Contractionen zu verstärken, oder die letztere frequenter zu machen. Wurde das Rückenmark im Niveau des ersten, zweiten, dritten oder vierten Lendenwirbels durchschnitten und die Schnittstelle während der Pause zwischen zwei Contractionen gereizt, so wurde die Pause länger und darauf folgte eine verstärkte Contraction, worauf die Scheide bis zur Norm erschlaffte und eine viel längere Pause eintrat. Legt man die Elektroden an das hintere Ende des Rückenmarks, ohne das obere Ende mitzureizen, 'so ruft die Reizung des Lendenmarks bald stärkere und häufigere Contraetionen hervor. Die Reizung des vorderen indes vom Rückenmark verlängert im Gegentheil die Pause zwischen den Contractionen. { EEE ET Em ÜBER DIE HIRNOENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI TuIEREN. 385 Auf Grund aller dieser Ergebnisse kommt der Autor zum Schluss, dass „im Lendenmark ein Erregungscentrum, im verlängerten Mark aber ein Hemmungscentrum und vermuthlich auch ein Erregungscentrum für die Bewegungen der Vagina liegt.“ Trotzdem der Autor auch einige Versuche angestellt hat, um die Bahnen, welche diese Centren mit den automatischen Centren der Scheide verbinden, nachzuweisen, so fehlt bei ihm doch die Angabe der Resultate, weil diese noch, wie er selbst sagt, der Bestätigung bedürfen (S. 126). Nicht ohne Absicht sind wir so speciell auf die beiden Arbeiten ein- gegangen, gehören sie doch gegenwärtig zu den fundamentalsten und fast einzigen in der uns interessirenden Frage. Nur die allerletzte Zeit brachte uns noch eine kurze Mittheilung über die Innervation der Scheide von J. N. Langley.' Für uns wäre darin Folgendes wesentlich: Die Reizung des Sympathicus an der Strecke zwischen dem zweiten Lenden- und dem vierten Sacralknoten führt eine Contraction zuweilen aber auch eine Er- schlaffung der Vagina herbei. Dabei verursacht diese Reizung auch Er- blassung, in anderen Fällen aber Röthung der Scheidenschleimhaut. Die Fasern gehen zu den angegebenen Knoten durch die Rr. communicantes der Sacralnerven. Möglich ist, dass die sympathischen Fasern auch im N. hypogastricus verlaufen. Die Reizung der Sacralnerven im Rückenmarks- canal kann ebenfalls Contraction und Erschlaffung, Verblassung und Röthung der Vagina herbeiführen. Die Erschlaffung und Röthung der Scheide tritt hauptsächlich als Effect der Reizung des dritten und vierten Sacralnerven, die Contraction und Verblassung aber als der des ersten und zweiten auf. Die Innervation des Penis gleicht dem der Scheide. Aus dieser Litteraturübersicht kann man leicht entnehmen, dass der Einfluss höherer Hirncentren auf die Scheidenbewegungen bis zur Gegen- wart noch ganz unbekannt ist. Gleichfalls sind die Bahnen, auf welchen dieser Einfluss zur Scheide gelangt, theils gänzlich unbekannt, theils un- genügend erforscht. Den Gegenstand unserer vorliegenden Untersuchung bildeten diese unserer Meinung nach äusserst interessanten Fragen. Als Versuchsobjecte dienten uns Kaninchen und Hunde. Bei Kanin- chen war die Versuchsanordnung folgende: Nachdem bei dem Thier der untere Theil der Bauchwand aufgeschlitzt war, führten wir durch eine in ein Uterushorn gemachte Oeffnung einen an eine Glascanüle befestigten Ballon aus Fischblase in die Scheide. In anderen Fällen wurde derselbe Ballon vermittelst eines Glasrohres durch den Scheideneingang unmittelbar in die ı J.N.Langley, The Innervation of the pelvie viscera. Journal of physiology. 1890. Nr. VI. Archiv £. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 25 ob) [bP) \W. BECHTEREw UND N. MisLAwsKT: Scheide gebracht. Das freie Ende der Canüle wurde in beiden Fällen mit einem Wassermanometer, das seine Schwankungen der Feder eines Marey’- schen Ballons übergab, verbunden, und auf solche Weise die Curve der Scheidenbewegungen auf einem sich drehenden Cylinder erhalten. Bei Versuchen an Hunden benutzten wir in allen Fällen die letz- tere Methode, d. h. führten den auf eine Glascanüle gebundenen Ballon durch den Scheideneingang direct in die letztere. In der Versuchsanord- nung bestand bei Hunden und Kaninchen nur der Unterschied, dass der bei Hunden benutzte Ballon aus Condom gemacht war. Selbstverständlich waren sowohl die Canüle, an welche das Condom befestigt war, wie auch das Rohr zum Einführen dieser Canüle in die Scheide bei den Versuchen an Hunden von etwas grösseren Dimensionen als an Kaninchen. Lassen wir auch eine etwas eingehendere Beschreibung des Charakters der Scheidenbewegungen bei Seite, so müssen wir doch die Aufmerksamkeit auf den Unterschied der Bewegungen bei den verschiedenen Thieren lenken, wie er bei der soeben angegebenen, graphischen Methode zum Vorschein kommt. Während in unseren Versuchen bei Kaninchen die Scheidenbewegungen in der Form einzelner, sich periodisch wiederholender Wellen auftraten, die entweder schnell bis zur Akme anwuchsen und langsam bis zum Niveau des ruhigen Scheidenstandes wieder zurücksanken, oder im Gegentheil, langsam bis zur Akme stiegen und schnell zurückgingen, beobachteten wir bei Hunden bei Weitem nicht immer einen solchen Contractionstypus. Nicht selten fanden wir bei denselben, wenigstens während der Laufzeit, deutlich verlängerte und zugleich verstärkte Wellen, wobei jede derselben aus zwei, drei oder mehr Erhebungen, auf einer gemeinsamen Erhöhung sitzend, oder aus mehreren kleinen, unmittelbar auf einander folgenden Wellen bestand, so dass der ganze Gange der Scheidenbewegungen in solchem Falle sich als eine periodisch wiederholende, mehrfache Contraction der Scheide darstellte. Die beigegebenen Curven (Taf. XII, Figg. 1 und 2) illustriren diesen Unter- schied im Charakter der Contractionen der Scheide, dessen Grund wir un- aufgeklärt lassen müssen. Bei dieser Gelegenheit halten wir es für nöthig, die Thatsache anzu- führen, dass bei Hunden in der Laufzeit stets sowohl die spontanen als auch die durch Reizung dieser oder jener Theile des Nervensystems her- vorgerufenen Contractionen der Scheide viel energischer waren. Bei unseren Versuchen bemühten wir uns vor Allem, den Einfluss der Hirnrinde auf die Scheidencontractionen festzustellen. Wir fanden, dass durch die Reizung der Hirnrinde die Scheidenbewegungen sowohl erregt als auch gehemmt werden können. ÜBER Die HIRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI THIEREN. 387 Bei Kaninchen concentrirt sich die active Hirngesend im vorderen Abschnitte, dort, wo die motorischen Rindenbezirke gelegen sind. Die Er- regung der Scheidenbewegungen äussert sich bei ihnen gewöhnlich durch mehr oder weniger bedeutende Zunahme der Frequenz (Taf. XII, Fie. 3) und zuweilen der Kraft oder Aeusserung der Contractionen, wenn sie früher nicht vorhanden waren; die Hemmung aber durch Verlangsamung und zuweilen Abnahme der Kraft (Taf. XII, Fig. 4); in einigen Fällen auch sogar durch gänzlichen Stillstand derselben.! Beim Hunde konnte ein Einfluss auf die Scheideneontractionen haupt- sächlich von der Sigmoidalwindung der Hirnrinde aus bemerkt werden, und nur in wenigen Versuchen erwiesen sich Gegenden, welche unmittel- bar an die äusseren und an die hinteren und äusseren Abschnitte der Sigmoidalwindung stossen, als activ. Durch die Reizung der soeben angegebenen Hirnrinden kann man beim Hunde sowohl erregende als hemmende Abschnitte absondern. Die Reizung ersterer ruft eine mehr oder weniger starke Zunahme der Frequenz und Kraft der einzelnen Scheidencontractionen hervor; die Reizung letzterer wird von Schwächung und Verlangsamung oder zeitweiligem Stillstand der Scheidencontractionen begleitet. Die Verstärkung der Scheidencontractionen bei der Reizung der er- regenden Abschnitte äussert sich gewöhnlich an der Curve durch eine so- wohl hinsichtlich der Kraft als auch der Dauer bedeutende Welle, welche nicht selten einige, ungleich hohe Gipfel besitzt (Taf. XII, Fig. 5). Hierbei muss bemerkt werden, dass nach dem Schluss der Reizung in diesen Fällen gewöhnlich Verlangsamung der Scheidencontractionen auf mehr oder weniger lange Zeit, zuweilen aber sogar zeitweilige Einstellung derselben eintritt. Bei der Reizung der hemmenden Abschnitte macht sich aber eine gegentheilige Erscheinung bemerkbar: nach dem Schluss der Reizung, welche während ihrer ganzen Dauer Schwächung und Verlangsamung oder Stillstand der Vaginacontractionen bewirkt hatte, tritt gewöhnlich eine äusserst deutliche Verstärkung der Contractionen ein, welche sich durch eine vielgipfelige oder durch einige Wellen, nicht selten von bedeutender Höhe und Dauer äussern. Diese nachherige Contraction trat nach dem Schluss der Reizung entweder sofort (Taf. XIII, Fig. 6), oder auch nach einer kleinen Weile ein (Taf. XIII, Fig. 7). ! In einem Versuche am Kaninchen haben wir energische Scheidencontractionen auch von der Occipitalgegend der Hirnhemisphaere aus erhalten, doch sind wir nicht sicher, ob nicht in diesem Falle eine Wirkung des Stromes auf tiefer gelegene Hirn- theile vorlag. 25” o (es) oo W. BECHTEREW UND N. MisLAwsKT: In einzelnen Versuchen erfolgte nach dem zeitweiligen Stillstande der Scheidencontractionen beim Hunde ein einige, bisweilen ziemlich lange Zeit dauernder Starrkrampf der Scheide. Werden die hemmenden Bezirke in dem Moment gereizt, wo die Scheide sich zusammenzieht, so geht die Contraction schnell zurück und "verschwindet ganz bis zum Schluss der Reizung, worauf, wie auch in an- deren Fällen, besonders kräftige Scheideneontractionen erfolgen (Taf. XIII, Fig. 6 bei R, und Fig. 7). In den Fällen, in welchem aus irgend einem Grunde die spontanen Scheidencontractionen fehlten, war die Reizung der hemmen- den Centren nicht von Veränderungen in dem Spannungszustande der Scheidenwandung begleitet, ebenfalls traten grösstentheils (nicht immer!) keine nachherigen Scheidencontraetionen auf. Bezüglich der Topographie der erregenden und hemmenden Bezirke der Hirnrinde können wir nur angeben, dass in unseren Versuchen der hintere Abschnitt der Sigmoidalwindung (d. h. die nach hinten vom Suleus cruciatus liegende Gegend der Windung) mit Ausnahme seines äussersten Theiles und ebenfalls der innerste Theil des vorderen Abschnittes der Sig- moidalwindung (d. h. der nach vorn vom Sulcus cruciatus liegenden Gegend der Windung) hauptsächlich eine erregende Wirkung auf die Scheiden- contractionen äusserten. Dagegen übte der nach aussen gelegene Theil des vorderen Abschnittes der Sigmoidalwindung und der äusserste Theil ihres hinteren Abschnittes, die Uebergangszone zwischen beiden Abschnitten und in einigen Fällen der angrenzende Theil der zweiten Windung hauptsächlich eine hemmende Wirkung auf die Scheidencontractionen aus un zwar in dem oben beschriebenen Sinne. Wie es scheint äussern die übrigen Abschnitte der Hirnrinde keinen be- merkbaren Einfluss auf die Scheidencontractionen, wenigstens. konnten wir ‘einen solchen nicht constatiren. Uebrigens ist im Auge zu behalten, dass die oben angegebene Topographie der activen Hirnrindenbezirke bei den verschiedenen Thieren sich durchaus nicht als beständig erweist. In dieser Hinsicht können bedeutende individuelle Abweichungen zur Beobachtung ngen. Man kann sogar bei einem und demselben Thiere, je nach der Hirnrinde, von diesem oder jenem Bezirk bald einen be- stimmten, z. B. hemmenden Erfolg erhalten, bald aber nicht, zuweilen aber stösst man sogar auf einen Effect von entgegengesetztem Charakter. Letzterer Umstand zwingt ‘uns, anzunehmen, dass in der Gehirnrinde die Centren für Erregung und Hemmung der Scheidencontraetionen nicht scharf von einander getrennt sind, sondern vielmehr durcheinander liegen, nur dass in diesem Bezirk die einen, in jenen die anderen überwiegen. Was die centralen Gehirntheile anbetrifft, so konnten wir uns durch Versuche an Kaninchen und Hunden überzeugen, dass in der vorderen er EEE EEE EEE EEE DEE 5 ÜBER DIE HIRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI THIEREN. 389 Hälfte der Thalami optici, in der Nachbarschaft der Centren für die Harnblase und den Mastdarm, ein Erregungs- und auch ein Hemmungs- centrum für die Scheidencontractionen liegt. Bei Kaninchen ruft die Reizung des vorderen Sehhügeltheiles eine deutliche Verstärkung und Beschleunigung der Scheidencontractionen (mit nachheriger Abnahme ihrer Kraft) hervor (Taf. XIII, Fig. 8). In einigen Fällen erhielten wir dabei äusserst kräftige Contractionen der Scheide, welche in . einen anhaltenden Tetanus übergingen (Taf. XII, Fig. 9); nachdem dieser auf- gehört hatte, trat gewöhnlich Stillstand der Scheidencontractionen auf eine mehr oder weniger lange Zeit ein. Wurden die Elektroden etwas nach aussen gerückt, so konnte bei Kaninchen auch noch ein hemmender Einfluss herbeigeführt werden. Dieser äusserte sich durch Verlängerung der Pause zwischen den Contractionen und durch zeitweilige Erschlaffung der Scheide, worauf gewöhnlich eine ziemlich bedeutende Verstärkung und Beschleunigung der Scheidencontrac- tionen folgte (Taf. XIII, Fig. 10). Beim Hunde kann man durch die Reizung des vorderen Sehhügel- abschnittes äusserst deutliche Contractionen der Scheide, welche nicht selten dabei dem Tetanus verfällt, hervorrufen (Taf. XII, Fig. 11). Diese Contraetion hört gewöhnlich sogleich mit dem Schluss der Reizung auf, zuweilen, bei langdauernder Reizung, sogar vor dem Schluss derselben, gerade so, wie in anderen Fällen nach einer solchen Contraction gewöhnlich eine mehr oder weniger lange dauernde Verlangsamung oder ein Stillstand der Scheiden- bewegungen sich einstellt. Was den erregenden und hemmenden Effect bei der Reizung der Seh- hügel der Hunde anbetrifft, so haben wir vorläufig in dieser Beziehung keine besonders überzeugende Resultate zu verzeichnen. Dieser Umstand lässt sich aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch erklären, dass in der Mehr- zahl der Versuche, in welchen wir durch Reizung der Thalami optici den hemmenden Effect herbeizuführen gedachten, die spontanen Scheiden- bewegungen, aus uns unbekannten Gründen, frühzeitig erloschen. Ausser den Sehhügeln haben wir in unseren Versuchen auch das Corp. striatum, aber mit negativem Resultat gereizt. Specielle Versuche mit Reizung der Vierhügel und des Kleinhirns haben wir nicht angestellt, weshalb wir auch nicht angeben können, ob in diesen Gebilden Centren oder Leitungsbahnen für die Scheidencontraction enthalten sind, oder nicht. Was das verlängerte Mark anbetrifft, so konnten wir durch seine Reizung kräftige Scheidencontractionen herbeiführen. 390 W. BECHTEREW unD N. MISLAWSKT: Der Einfluss des oben beschriebenen Centrums in den Sehhüseln auf die Scheidencontractionen ist nicht allein durch elektrische Reizung, sondern auch durch einen tiefen Einschnitt hinter den Sehhügel zu demonstriren. Nach einem solchen Schnitt werden die spontanen Scheidenbewegungen so- gleich bedeutend schwächer und nicht selten erlöschen sie anf längere Zeit ganz. In einem solchen Falle wurden die spontanen Scheidenbewegungen bei unseren Thieren sogar durch Reizung sensibler Nerven nicht wieder erweckt. Was die Leitungsbahnen anbetrifft, auf welchen der Einfluss der cen- tralen Gehirnbezirke zur Scheide gelangt, so ‘sind solche, nach unseren Versuchen zu schliessen, ziemlich zahlreich. Vor Allem gehört zur solchen Leitungsbahn das Rückenmark mit den von ihm abgehenden Sacralnerven- wurzeln, dann zweitens die ebenfalls aus dem Rückenmark ihren Anfang nehmenden Nn. splanchnici, und drittens die Nn. vagi. Unsere Versuche überzeugten uns, dass dem Lendenmark eine erregende Wirkung zukommt, sich wahrscheinlich hier also das nächstliegende Centrum für die Scheidencontractionen befindet. Dieses Centrum übt seinen Ein- fluss auf die Scheide vermittelst der Sacralnerven aus, weil es grössten- theils gelingt durch die Reizung derselben, besonders des zweiten und dritten, äusserst energische Scheidencontractionen hervorzurufen.! Nachdem wir das Rückenmark in der unteren Hälfte des Brusttheiles durchschnitten hatten, reizten wir seinen unteren Abschnitt und erhielten stets noch Scheidencontractionen. Diese konnten in einzelnen Versuchen auch vom N. ischiadicus aus herbeigeführt werden, obgleich das Rücken- mark in zwei Theile zerschnitten war. Aehnlich den Saeralnerven zeigt die Reizung des peripheren Splanch- nicusstumpfes auch eine erregende Wirkung auf die Scheidenbewegungen. Die Reizung des centralen Stumpfes dieses Nerven, wie auch die in beiden Richtungen vorgenommene Reizung am Bruststamm des Sympathicus blieb bei unseren Versucher resultatlos. In Bezug auf den Vagus haben wir in zahlreichen Versuchen feststellen können, dass dieser Nerv der Scheide hemmende Einflüsse seitens höherer Gehirncentren zuträgt. Auf Reizung des peripheren Vagusstumpfes erfolgte in unseren Versuchen immer Erschlaffung der Scheide und Verlangsamung ihrer Contractionen (Taf. XII, Fig. 12). Reizt man diesen Nerven in dem Moment, wo eine Contraction der Scheide anfärgt, oder auch schon ausgebildet ist, so lässt diese Contraction sofort nach und hört darauf ganz auf, indem siein Erschlaffung der Vagina übergeht (Taf. XII, Fig. 13). Es muss angeführt werden, dass in einzelnen Versuchen ' Ob eine Erschlaffung der Scheide durch Reizung der Spinalwurzeln, wie Langley angiebt, erhalten werden kann, können wir positiv nicht behaupten, weil unsere Ver- suche mit Reizung der Wurzeln nicht zahlreich genug waren. ÜBER DIE HiRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN Br THIEREN. 391 ein hemmender Effect auf die Scheidencontractionen auch unter dem Ein- flusse starker peripherer Reize von uns beobachtet worden ist. So z.B. geschah es, dass die Eröffnung des Schädels nicht selten schon einen deut- lichen hemmenden Effect zeigte, indem sie einen länger dauernden Still- stand der spontanen Scheidenbewegungen herbeiführte. Im Gegensatz zum peripheren Vagusstumpf gab die Reizung seines centralen Endes, eleich den centralen Stümpfen anderer sensibler Nerven (z. B. des Ischiadicus) mehr oder weniger energische Scheidencontractionen (Taf. XII, Fig. 14). Es ist nothwendig, hier auf einen wichtigen Unterschied zwischen dem erregenden Einfluss des Rückenmarkes, der Medulla oblongata und der Seh- hügel und dem der Hirnrinde auf die Scheidencontractionen aufmerksam zu machen. In ersteren Fällen erhält man gewöhnlich eine starke grossentheils einmalige und nicht sehr. lange dauernde Contraction. Diese tritt fast eleich beim Anfang der Reizung ein; somit liegt hierbei also ein verhält- nissmässig geringes latendes Stadium vor (Taf. XII, Fig. 11). Bei der Reizung der erregenden Bezirke der Gehirnrinde erhält man an der Curve entweder eine vieleipfelige Contraction von bedeutender Dauer und Höhe, oder aber einige kräftige Contractionen, welche schnell auf- einander folgen. Dabei erfolgt die Contraction selbst gewöhnlich nicht so- gleich nach der Reizuug, sondern nach einer ziemlich langen Zeitperiode (Taf. XII, Fig. 5). Werden hiervon auch Ausnahmen beohachtet, so ist dies doch verhältnissmässig selten. Somit erhält man bei der Reizung der Hirnrinde einen solchen Ein- druck, als ob hier eine Zeit lang zwischen dem erregenden und dem hemmen- den Einfluss ein Kampf stattfände, bis schliesslich ersterer den letzteren überwindet, was an den mehr oder weniger deutlichen, wenn auch der Zeit nach schwankenden Erhebungen an der Curve sichtbar wird. Wie wir schon früher bemerkt haben, lässt sich dieser Umstand unserer Meinung nach nur so erklären, dass in der Hirnrinde die er- regend und hemmend auf die Scheidencontractionen wirkenden Leitungs- bahnen wahrscheinlich durcheinander liesen, im bestimmten Bezirk der Gehirnrinde aber diese oder jene Bahnen überwiegen. Nicht weniger wichtig ist die Thatsache, dass bei der Reizung der Hirncentren nach dem deutlich erregenden Effect gewöhnlich zeitweilige Hemmung der Scheidenbewegungen beobachtet wird, und im Gegentheil nach dem hemmenden Effect constant sehr kräftige Contractionen der Scheide auftreten. Diese Thatsachen sprechen unserer Meinung nach für das Vorhanden- sein automatischer, die Bewegungen der Scheide unmittelbar beherrschender 392 W. BECHTEREwW uNnD N. MIsLAWSKT: Centren, durch welche eigentlich auch der Einfiuss höherer Hirncentren auf die Scheidencontraction sich äussert. Wenn wir auch nicht specielle Versuche zur Lösung der Frage, ob die spontanen Scheidenbewegungen von den in der Wandung derselben vor- ‚ handenen Nervenknoten abhängen, wie Prof. Jastreboff behauptet, oder ob das Centrum für diese Bewegungen ausschliesslich im centralen Nerven- system, speciell im Rückenmark zu suchen sei, wie Kehrer glaubt, voll- führt haben, so sind wir nichtsdestoweniger überzeugt, dass wir doch durch unsere Versuche unzweifelhafte Beweise geliefert haben, dass die centralen Hirngebiete, als: die Rinde der Hemisphaeren, die Sehhügel und das ver- längerte Mark äusserst deutlich die spontanen Scheidencontractionen beein- flussen. Somit, wenn diese Contractionen durch die Thätigkeit der in der Peripherie gelegenen, automatischen Centren bedingt sind (was unserer Meinung nach wahrscheinlich ist), werden letztere doch in ihrer Thätiekeit durch die höheren Hirncentren, besonders durch die Öentren in den Seh- hügeln unterstützt. Schliesslich halten wir es nicht für überflüssig anzuführen, dass in unseren Versuchen die Unterbindung des oberen Abschnittes der Scheide, wie auch die Unterbindung des Gebärmutterhalses dicht bei seiner Mün- dung die Scheidencontractionen ganz und für immer sistirten. In solchen Fällen sind dieselben weder durch Reizungen des centralen Nervensystems, noch durch die peripherer, sensibler Nerven wieder zu erwecken. Wir notiren hier diese interessante Thatsache, müssen uns aber die eingehendere Erörterung derselben für ein anderes Mal aufsparen. cD co ÜBER DIE HIRNCENTREN DER SCHEIDENBEWEGUNGEN BEI THIEREN. 3 Erklärung der Abbildungen. (Taf. XII u. XIII.) Fig. 1. Spontane Contractionen der Vagina beim Kaninchen. Fig. 2. Spontane Contractionen der Vagina beim Hunde während der Laufzeit. Fig. 3. Beschleunigung der Contractionen der Vagina bei Reizung der Hirnrinde im vorderen Hemisphaerenabschnitte des Kaninchens. Fig. 4. Verlangsamung und Schwächung der Contraetionen der Vagina bei Reizung der Hirnrinde im vorderen Hemisphaerenabschnitte des Kaninchens (etwas nach hinten und aussen von der vorstehenden Stelle). Fig. 5. Verstärkung der Contractionen der Vagina bei Reizung des Gyrus syg- moides beim Hunde. Fig. 6. Bei R Reizung des Gyrus sygmoides beim Hunde mit nachherigen Con- tractionen der Vagina; bei $, neue Reizung derselben Stelle des Gyrus während der Contraction der Vagina mit deprimirendem Effect. Fig. 7. Reizung des Gyrus sygmoides beim Hunde während der Vaginacontrac- tion mit deprimirendem Effeet und nachherigem Starrkrampf der Vagina. Fig. S. Verstärkung und Beschleunigung der Vaginacontraclionen bei Reizung des Thalamus optieus beim Kaninclıen. Fig. 9. Starrkrampf der Vagina bei Reizung des Thalamus opticus beim Hunde. Fig. 10. Erschlaffung der Vagina mit nachherigen starken Contractionen bei Reizung des Thalamus optieus beim Kaninchen. Fig. 11. Starrkrampf der Vagina bei Reizung eines Thalamus optieus beim Hunde. Fig. 12. Erschlaffung der Vagina bei Reizung des peripheren Stumpfes des Vagus beim Hunde. Fig. 13. Erschlaffung der Vagina bei Reizung des peripheren Stumpfes des Vagus während der Vaginacontraction beim Hunde. Fig. 14. Starrkrampf der Vagina bei Reizung des centralen Stumpfes des Vagus beim Hunde. - Auf allen Curven bedeutet $ den Anfang, X das Ende der Reizung, folglich muss man die Curven von R nach E lesen. Die Verarmung des Peptonbiutes an Kohlensäure. Von Dr. Blachstein. (Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.) Lahousse! hat festgestellt, dass der Gehalt des Hundeblutes an CO, durch die Vergiftung mit Pepton herabgesetzt wird. Unzweifelhaft gehört der Grund, aus welchem dies geschieht, in die Kette der chemischen Vor- sänge, welche das Pepton wie überhaupt die Toxalbumine befähigen, dem Leben des Gehirns und Rückenmarks gefährlich zu werden. Darum habe ich auf Anrathen des Hrn. Prof. C. Ludwig hin die von Lahousse be- sonnene Arbeit fortgesetzt. Da das Blut des Kaninchens, wie wir durch Fano wissen, im Gegen- satz zu dem des Hundes seine Befähigung zu gerinnen durch die Zufüh- rung des Peptons nicht einbüsst, so erhob sich zunächst die Frage, wie sich das Blut des Kaninchens gegen die CO, stelle, ob sein Gehalt an diesem Gas nach der. Vergiftung mit Pepton gleichfalls verringert oder un- verändert geblieben sei. Denn weil auch das Kaninchen von dem Pepton vergiftet wird. so würde die Minderung am CO,-Gehalt des Blutes, voraus- gesetzt sie habe sich beim Kaninchen nicht eingestellt, schwerlich für die Störungen verantwortlich zu machen sein, die das Pepton in der Thätigkeit des Hirns und Rückenmarks bedingt. Von einem Kaninchen können nicht 80 bis 100 ° m Blut, so viel wird zu vier vertrauenswürdigen Analysen verlangt, gewonnen werden. Zu diesem linde müssen zwei bis drei Kaninchen Blut hergeben. Von jedem einzelnen genügten dann 15 bis 25 °°“ Blutes vor und ebensoviel nach der Einspritzung I Dies Archiv. 1889. 8.77. BLACHSTEIN: DIE VERARMUNG DES PEPTONBLUTES AN KOHLENSÄURE. 395 des Peptons. — Von allen Blutmengen verschiedener Art und Herkunft wurden gleiche Theile abgemessen und gemenet, so dass in jeder Mischung des normalen und des Peptonblutes der von jedem einzelnen Thier gelieferte Antheil gleichmässig vertreten war. Während der genannten Handgriffe blieb das Blut mittels ausgepumpten Quecksilbers vor der Berührung mit Luft bewahrt. Das analytische Ergebniss der gewonnenen Blutgase zeigte, dass das Verhältniss zwischen der CO, des normalen und des Peptonblutes beim Kaninchen gleich dem beim Hunde sei. Die Volumina sind für 1” He-Druck und 0°C. berechnet. In den Versuchen I und II liegen für jede Blutart zwei Analysen vor. Sie sind mit a und b bezeichnet. | Unterschied im Pro- Versuchs- “ Gefundene - cent-CO,-Gehalt des nummer Blutart CO,-Procente Uulniellyienune | normalen und Peptonblutes 1 Normal | ar 32.22 \ b 31-46 | a 9.86 Pepton } lese j \ b 26-82 ren. Normal sh | 19-05 | b 19-74 | rain: Pepton ! ie a) rl b 15-17 III Normal 24-30 ee = 9.12 Pepton 15-18 | Der chemische Vorgang, welcher dem Blut die Gerinnbarkeit nimmt, hat sonach mit dem nichts gemein, durch welchen sich der CO,-Gehalt des Blutes erniedrigt. Weil nach Fano! das Blut des lebenden Kaninchens keinen Faserstoff mehr ausscheidet, nachdem ihm Peptonblut des Hundes beigemischt war, so wird man schliessen dürfen, dass im Gegensatz zu dem des Hundes dem Blute des Kaninchens ein Stoff fehlt, welcher durch das Pepton in einen die Gerinnung hemmenden umgeformt wird. Den Sauerstoffgehalt im Blute des Kaninchens hat das Pepton nach meinen Beobachtungen nicht in demselben Sinne verändert, wie nach Lahousse bei dem des Hundes. Während der Sauerstoffgehalt im Pepton- blut des Hundes gleich oder um ein merkliches höher als im Normalblut angetroffen wurde, verhielt es sich beim Kaninchen umgekehrt. 1 Dies Archiv. 1881. 396 BLACHSTEIN: Die nachstehenden Zahlen stammen aus denselben Versuchen, welchen die vorstehenden, die CO, betreffenden, entnommen sind. Unterschied im Pro- nr | Gefundener : as: Blutart ı Sauerstoffgehalt | Mittelwerthe cent-Sauerstoff nummer ES Ten gehalt des normalen und Peptonblutes - | I Normal a Se | 8.00 1 | + 2-52 5-64 \ Pepto 7 5-48 ns b 5-33 ) II Normal 5 ss 8-48 Pepton J la U.7.77 a b 7-88 Ne III Normal 10-90 \ Pepton 8-87 f 2 Da der den Thieren zugemuthete Blutverlust im Verhältniss zum Körpergewicht beim Kaninchen’ grösser als beim Hunde gewesen ist, so kann möglicher Weise das dem zweiten Aderlass entstammende Peptonblut ärmer an rothen Scheiben sein, als das zuerst entzogene Normalblut. Dann wäre die Abnahme des Sauerstoffs im Peptonblut selbstverständlich. Die Entscheidung darüber, was dem Pepton oder der Abnahme des Haemo- globins zuzuschreiben ist, würde sich ergeben, wenn das zur Analyse nöthige Blut so vielen Kaninchen entzogen würde, dass je eines höchstens 10 «m Blut abzugeben brauchte. Da nun der erhobene Zweifel niedergeschlagen ist, indem sich zeigte, dass durch das Pepton auch im Blute des Kaninchens der CO,-Gehalt vermindert wird, so können wir uns wiederum zur Lösung unserer Aufgabe des leiehter zu beschaffenden Hundeblutes bedienen. Was von ihm wird auch von dem Säugethierblut überhaupt gelten. Warum das Peptonblut weniger CO, als das normale zu enthalten pflegt, wäre u. A. aus seinem geringen Absorptionsvermögen für das ge- nannte Gas zu erklären. Ob die Annahme berechtigt sei, lässt sich am lebenden und am Aderlassblute prüfen. Um das erstere Vorhaben zu verwirklichen verglich ich den CO,-Gehalt des geathmeten mit dem des erstickten Blutes. Hierzu waren zwei Paar Aderlässe nothwendig, welche stets an der Art. carotis von grossen mehr als 20 Kilo wiegenden, mit einer Trachealfistel versehenen Hunden unternommen wurden. Dis VERARMUNG DES PEPTONBLUTES AN KOHLENSÄURE. 397 Die ersten beiden Blutentziehungen geschahen vor der Einführung des Peptons, das gewonnene Blut mag als normal bezeichnet werden. Der erste Antheil des Normalblutes, etwa 50°", wurde über Hg hinausgeführt, während das Thier ausgiebig athmete; dann wurde die Fistelröhre der Trachea verschlossen bis nahe zum Erstickungstod; sobald dieser einzutreten drohte, wie aus den seltener gewordenen Athemzügen hervorging, wurden wiederum 50° m tief schwarzen Blutes abgefangen. Sogleich liess man die Luft wieder zur Lunge treten, und unterstützte, wenn nöthig, den Eintritt der selbstthätigen Athmung durch künstliche Nachhülfe. Wenn das Thier etwa 10 Minuten hindurch wiederum ruhig und ausgiebig geathmet hatte, wurde ihm durch die Vena jugularis Pepton — auf je 1 Kilo Körper- gewicht 0.38% — eingeflösst, und einige Minuten später mit dem Ab- fangen des Blutes begonnen. Bei der Gewinnung der beiden Antheile des Peptonblutes wurde genau nach der Vorschrift wie für die Entziehung des Normalblutes verfahren. Mit Hülfe der Gaspumpe konnte nun erkannt werden, wie sich der Unterschied des CO,-Gehaltes zwischen beathmetem und ersticktem Blute vor und während der Peptonvergiftung gestellt habe. Durch die Ausführung der Bestimmungen kamen die folgenden Zahlen zum Vorschein: \ Kohlensäuregehalt des Blutes Unterschied zwischen beath- .| Mittel metem und er- Analyse a | Analyse b: ken 5 En ne Namen des Blutes Versuchs- nummer I Beathmetes Normalblut 29-17 _ Erstickungs-Normalblut 39-61 40-13 SILS NEE 10-70 Beathmetes Peptonblut 12.73 — Erstickungs-Peptonblut 26-15 26-07 26-11 13-38 II Beathmetes Normalblut 31-98 _ Erstickungs-Normalblut 38-69 _ = 6-71 Beathmetes Peptonblut 12-88 _= Erstickungs-Peptonblut 26-65 26-84 26-79 13-91 Il | Beathmetes Normalblut 30-86 29-71 30-28 Erstickungs-Normalblut 40.77 41-35 41-06 10-78 Beathmetes Peptonblut 17.24 17:09 17.16 Erstickungs-Peptonblut | 27.73 27-71 PA 10-56 Unter gleichen Bedingungen, während des Ueberganges von freier Athmung zur Erstickung ist der CO,-Gehalt des Normal- und des Pepton- blutes gewachsen und namentlich wiederholt in der letzteren Blutsorte um ein merkliches mehr als in der ersteren. Danach liegt zum Mindesten 398 BLACHSTEIN: kein Grund mehr für die Annahme vor, dass das Peptonblut deshalb eine Einbusse an semem CO,-Gehalt erlitten habe, weil es zu einer weiteren Aufnahme des Gases unfähie geworden sei. Aus den Blutproben, von welchen soeben die Rede war, wurde neben der CO, auch der O gewonnen und bestimmt; damit war es ermöglicht, den Verlust an Sauerstoff, welchen das beathmete Blut beim Uebergange in das erstickte erlitten, zu vergleichen mit dem Gewinn an CO,. Die vorliegenden Zahlen geben keine Veranlassung zu dem Verdacht, dass in dieser Beziehung ein Unterschied zwischen dem Blute des vergifteten und sesunden Thieres bestehe. 2 Unterschied des | Unterschied in eg O-Gehalt des O-Gehaltes im be-) CO,-Gehalt des 7 5 Alzunlen dlas inte: Blutes athmeten und Er- beathmeten und Sa stickungsblute | erstickten Blutes I Beathmetes Normalblut 12-65 Proc. Ersticktes Normalblut 0:00 12.65 Proc. 10-70 Proc. Beathmetes Peptonblut UI 5 Ersticktes Peptonblut 0-00 ,„ os ISEsser 11 Beathmetes Normalblut NAD Erstiektes Normalblut 0-00 , 14-06 ,, 6-80 , Beathmetes Peptonblut 9 Ersticktes Peptonblut 3:89 10:49 ,, 1308 III Beathmetes Normalblut So 5 Frstiecktes Normalblut 0-00 „, OB 20 LOSE Beathmetes Peptonblut 15.0355 Ersticktes Peptonblut 0:00 ,„ 19.0305 10-56 „ Auch dürfte aus dem Verhalten, in welchem die Zahlen des O zu denen der CO, im Normal- und Peptonblute zu einander stehen, der Schluss erlaubt sein, dass in der Verwendung, welche der O findet, kein grund- sätzlicher Unterschied zwischen dem gesunden und dem mit Pepton ver- sifteten Thiere besteht. Auf die Vorgänge im lebendigen Blut pflegt man öfter aus den Eigen- schaften des todten der Ader entnommenen zu schliessen. Eine Anwendung dieses Beginnens auf die absorbirenden Leistungen verknüpft sich jedoch mit besonderen Schwierigkeiten, namentlich wenn man die Befähigungen des normalen und des Peptonblutes mit einander vergleichen will. Denn abgelassenes normales kann im Gegensatz zu dem Peptonblute erst nach _ der Entfernung des Faserstoffes zum Versuche benutzt werden. Nun ändert das Blut während der Gerinnung seine basischen Eigenschaften, darum wird nach der Abzapfung das Normalblut sich weiter vom lebendigen Zu- Dis VERARMUNG DES PEPTONBLUTES AN KOHLENSÄURE. 399 stand entfernt haben, als das durch Pepton ungerinnbar gewordene. Ausser der hierdurch bedingten Trübung des Vergleichs entsteht eine weitere aus dem ungleichen Gehalt an CO, und O, welchen die beiden Blutarten von vornherein mitbringen. Mit den zu dem Absorptionsversuch gehörigen Be- stimmungen der Volumina, des Druckes und der Temperaturen wird des- wegen die Analyse der Gase des Blutes und der nach der Absorption zu- rückbleibenden Luftmengen zu verbinden sein, Verwickelungen, welche die Genauigkeit der Ergebnisse keineswegs zu fördern geeignet sind. Zu den Beobachtungen, welche die nachstehenden Zahlen erbrachten, habe ich Blutsorten verwendet, die mit Luft geschüttelt waren, um den CO,-Gehalt vor Beginn der Absorption auf eine annähernd gleiche Stufe zu bringen. Der Apparat, in welchem die Absorption ausgeführt wurde, ist derselbe, welchen schon J. Gaule! vor Jahren benutzt und beschrieben hat. Die Gasvolumina verstehen sich für 1% He und 0°C. | 0 ' Summe der : | CO, in 100°» S cm, Partiardruck |n en Blut absorbirti 0» im 100. ger co, |Temperalun CO, in 100 cm Blutart | Blut vor der 5 Absorption Versuchs- nummer I} IT | Normal 1a 22-14 ccm 34.95 ccm PB LD = Pale E 52002 99-5 Pepton 14.85 „, BIO cn Salt, God 14-70, II | Normal | 11-40 „ 24-20 „ 35-60 „ On oo Pepton 14-49 „, 23-00 „, 37-49 „, 25-9 „ 13-50, III | Normal | 22-38 „ 29.35 „ AT, 24-8 15200 Pepton | 20-90 „ Re. | ea, De 14-80 „, Ausserhalb der Gefässe zeigt also das Blut in seinen beiden Zuständen gleiche Absorptionskraft für CO, und darum darf man doch auch eine ähnliche Befähigung dem im lebenden Kreislauf vorhandenen zuschreiben. Die vorhin erhobene Frage, ob der geringere CO,-Gehalt, den das Peptonblut dem normalen gegenüber zu führen pflegt, von einer verminderten Fähigkeit CO, zu absorbiren abhängt, muss nach den mitgetheilten That- sachen verneint werden. Mit der Hinfälligkeit der ersten Annahme, dass das Peptonblut un- vermögend sei, mehr CO, als es besitzt zu absorbiren, tritt eine andere in den Vordergrund, welche den mindergrädigen Gehalt an CO, in eine Be- schränkung der von aussen her zugeführten sucht. Wenn diese Voraus- setzung das Richtige trifft, so ist zu erwarten, dass in der nächsten Um- gebung der Orte, an welche man die Quellen der CO, zu legen pflegt, auch 1 Dies Archiv. 1878. 400 BLACHSTEIN: der Gehalt an CO, herabgesetzt sei. Von diesem Gesichtspunkte aus wurde zu einer vergleichenden Bestimmung der CO, in dem Blut und der Lymphe des mit Pepton vergifteten Thieres geschritten. Zu den Versuchen dienten nüchterne vor 36 Stunden zum letzten Mal gefütterte Hunde, das Blut wurde aus der Art. carotis, die Lymphe aus dem Ductus thoracicus genommen. Als die ersten Antheile der Säfte gesammelt wurden, waren die Thiere entweder noch nicht mit Pep- ton, dann aber mit Curare versehen. Bei einer zweiten Entnahme von Blut und Lymphe war dagegen allen Thieren Pepton durch die Vena jugularis beigebracht worden. Das Blut wurde entweder den Thieren ent- zogen, nachdem die zur Analyse nöthige Lymphmenge gewonnen war, oder einmal vor und ein zweites Mal nach der Aufsammlung von Lymphe. — Wenn das noch nicht von Pepton betroffene Thiere die nöthige Menge von Säften hergegeben hatte, wurden die hinteren Gliedmaassen und der Unter- ieib so lange kräftig durchgeknetet und die aus dem Brustgange fliessende Lymphe als unbrauchbar zur Seite gestellt, bis sicherlich der Duetus und seine grösseren Luftwege entleert waren. Beim Auffangen der Säfte und der Auspumpung der CO, wurde nach bekannten Vorschriften verfahren. a5 CO, in 100 Theilen = s Zustand des Thieres Reihenfolge des Aufsammelns ‚S = des Blutes der Lymphe ve) Pepton Erst Lymphe, dann Blut | 12-31 22-66 II Pepton Erst Blut, dann Lymphe, dann 27-50 32-90 abermals Blut 14-40 | — III |Curare ohne Pepton Erst Lymphe, dann Blut 36-44 36-07 Pepton und Curare Erst Lymphe, dann Blut 25-02 35-74 IV Curare ohne Pepton Erst Lymphe, dann Blut 38-41 32-57 Pepton und Curare | Erst Blut, dann Lymphe, dann 16-77 30.80 abermals Blut 14790 We Sehr auffällig drückt sich in den Zahlen die Verschiedenheit der Wir- kung aus, die das Pepton auf die CO,-Procente im Blute und in der Lymphe übt. Nach der Vereiftung mit Pepton behauptet sich der CO,-Gehalt in der Lymphe auf der im Normalzustand eingenommenen Höhe, gleichzeitig sinkt er im Blute ganz bedeutend herab. — Die Vergleichung der beiden Flüssigkeiten versagt uns den erhofften Aufschluss, im günstigen Falle hat sich nur die Zahl und Richtung der Wege eingeschränkt, auf welchen die Lösung der Aufgabe zu suchen ist, und zwar deswegen. — Vorausgesetzt, dass die CO, des Blutes nur aus den Flüssigkeiten stammt, welche die DıE VERARMUNG DES PEPTONBLUTES AN KOHLENSÄURE. 401 Gefässe umspülen, und dass sie der Geschwindigkeit ihrer Bildung gemäss in das Blut übertritt, so würde aus der vorstehenden Zusammenstellung folgen, dass die Verarmung des Peptonblutes an CO, keinesfalls durch ein Trägerwerden des Stoffwechsels verursacht sei. Doch werden, bevor man dieser Voraussetzung Vertrauen schenkt, noch mancherlei Versuche anzustellen sein, bei deren Ausführung viel- leicht auch Grad und Ursache der unabhängigen Stellung des Blutes zur Lymphe zu Tage kommen. Ihre Durchführung muss ich jedoch einem Anderen überlassen, da ich, als die Untersuchung bis zu diesem Punkte gediehen war, leider durch meine Verhältnisse gezwungen wurde, sie abzubrechen. ? j y A N N k Archiv f. A.u.Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 96 Ueber secundär-elektromotorische Erscheinungen an den elektrischen Geweben. Von E. du Bois-Reymond. Zweite Mittheilung.! Earästtzert ACDEszcHhhanetae: Von der inneren negativen Polarisation der Muskeln. $ 1. Einleitung. Vor mehreren Jahren habe ich ein neues Feld elektrophysiologischer Forschung erschlossen, welches ich das der secundär-elektromotorischen Er- scheinungen nenne, weil es sich darin um elektromotorische Erscheinungen an den elektrischen Geweben handelt, welche denen der Ritter’schen secundären Säule gieichen, sofern sie in Folge des Hindurchfliessens eines primären Stromes auftreten.? Als ich anfing mich mit der thierischen Elektricität zu beschäftigen, war schon an zwei Stellen einmal ein Fuss auf dieses Gebiet gesetzt wor- den. Configliachi hatte 1805 aus den elektrischen Organen von Zitter- rochen eine Art von Ritter’scher Ladungssäule ohne Metalle gebaut; doch war seine Angabe ganz unbeachtet geblieben, und ich fand sie erst wieder ' Aus den Sötzungsberichten der kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften vom 19. December 1889 (ausgegeben am 9. Januar 1890) 2. Hlbbkd. S. 1131-1165. — S. auch Mathematische und naturwissenschaftliche Mittheilungen u. s. w. 1889. 8. 723 — 757. ° Sitzungsberichte u. s. w. 5. April 1883. 1. Hlbbd. S. 343; — Dies Archiv. 1884. 8.1. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MınrH. 403 auf, lange nachdem ich selber Streife vom Zitierwelsorgan mit einem über den seinigen weit hinausgehenden Erfolge polarisirt hatte. ! Peltier entdeckte sodann 1834, dass länger durchströmte Frosch- gliedmaassen, auch blosse Froschmuskeln, ja Stücke von Muskeln, einen Strom im umgekehrten Sinne des ursprünglichen Stromes entwickeln. Er deutete dies darauf, dass an den Grenzflächen zwischen thierischen Theilen und zuleitender Flüssigkeit, wie an einer metallischen Zwischenplatte, Wasserstoff und Sauerstoff ausgeschieden würden, welche er jedoch nicht nachwies. Zugleich läugnete er ausdrücklich, dass auch die dazwischen liegenden, nicht in die Zuleitungsflüssigkeiten tauchenden Strecken elektro- motorisch wirksam werden.” Es ist daher nicht richtig, wenn Hr. Her- mann die innere Polarisation der Muskeln und Nerven durch Peltier entdecken lässt.? An Nerven hat Peltier gar nicht experimentirt. Matteucci wiederholte Peltier’s Versuch, ohne etwas anderes hinzu- zufügen, als dass man mittels des secundären Stromes ein Froschpraeparat zum Zucken bringen kann; auch liess er mehrere Froschpraeparate hinter- einander durchströmen, und bildete so daraus, wie schon Configliachi aus elektrischen Organen, gleichsam eine Ritter’sche Ladungssäule ohne Metalle.* Gleich meine ersten Versuche in dieser Richtung zeigten mir, dass Peltier’s Beschreibung des Thatbestandes unvollständig sei und dass seine Erklärung nicht ausreiche. Zwar gelang es mir, dieser Erklärung die ihr noch fehlende thatsächliche Grundlage scheinbar zu verleihen, indem ich an den Grenzflächen der eingetauchten Theile Säure und Alkali nachwies Zugleich aber fand ich, dass der secundäre Strom, wenn überhaupt, jeden- falls nicht allein von diesen Ionen, sondern auch von den dazwischen ge- legenen Strecken ausging, so zwar, dass ich mich zur Annahme säulenartig im Inneren der Muskeln vertheilter secundär-elektromotorischer Kräfte ge- trieben sah. Aehnliche Erscheinungen bieten die Nerven und andere thierische Gewebe dar. Keineswegs aber sind sie auf solche beschränkt. Sind ‚hinsichtlich der Leitungsfähigkeit der festen Substanz und der trän- kenden Flüssigkeit gewisse Bedingungen erfüllt, so leisten die verschieden- sten von Elektrolyten durchdrungenen Capillargerüste oder mit Wasser sequollenen imbibitionsfähigen Stoffe dasselbe wie die thierischen Gewebe: unorganische wie organische, organisirte wie amorphe, lebende wie todte IS. meine Gesammelten Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nerven- Blosir. Bd. II. Ten. 252719 Anm. ®? Peltier’s Angaben finden sich wörtlich abgedrnckt in meinen Untersuchungen über thierische Elektricitat, Bd. II. Abth. II, 1884. S. 378. ® Pflüger’s Archiv u. s. w. 1872. Bd. V. S. 233. * Essai sur les Phenomenes electriques des Animaus. Paris 1840. p. 14. 15. 26* 404 E. Du Boıs-REyMonD: Gebilde. So entstand meine Lehre von der inneren Polarisation feuchter poröser Körper, von der ich schon seit 1848 wiederholt Nachricht gab welche aber vollständig, soweit ich sie geführt habe, erst in der Schluss- lieferung meiner “Untersuchungen über thierische Elektrieität’ vom Jahre 1884 dargelegt sich findet.! Sehr bald erkannte ich, dass mit dieser Art der Polarisation der Kreis des Geschehens hier noch nicht abgeschlossen sei. Bei thierischen Geweben sowohl wie bei anderen porösen feuchten Körpern kam es unter bestimmten Umständen vor, dass die secundär-elektromotorische Kraft, statt dem pola- risirenden Strom entgegen, ihm gleich gerichtet war, so dass die Polari- sation als positiv sich darstellte. Bald wurde klar, dass es in solchen Fällen um zwei ganz verschiedene Dinge sich handelte. Ausser der inneren Polarisation der feuchten porösen Körper giebt es erstens noch eine äussere Polarisation an deren Grenzflächen, etwa in der Art wie Peltier es sich gedacht hatte. Bei Anwendung einer geeigneten Zuleitungsflüssiekeit lässt sich, wie schon bemerkt, an diesen Flächen Säure und Alkali nachweisen. Zu dieser Polarisation ist aber der poröse Körper unnöthig, sie findet auch statt an der Grenze passend übereinander geschichteter Elektrolyte, und in gewissen Zusammenstellungen hat sie dieselbe Richtung, wie der polari- sirende Strom; wozu es bei den Metallen nur wenige Seitenstücke giebt.” Beispielsweise kann man aus Pappscheiben, von denen die einen mit Koch- salz-, die anderen mit Kalihydratlösung getränkt sind, eine Ladungssäule aufbauen, welche im umgekehrten Sirne wie die Ritter’sche, d. h. in dem- selben Sinne wie der polarisirende Strom wirkt. Hr. Hermann hat neuerlich, zum ersten Male nach dreissig Jahren, mit den seitdem in diesem Gebiete von mir geschaffenen Hülfsmitteln, un- polarisirbaren Elektroden, aperiodischer Bussole, Compensation, und mit einer von ihm eigens dazu gebauten Vorrichtung, die Polarisation an der Grenze von Elektrolyten nachuntersucht, und die positive Polarisation der Combinationen, an denen ich sie beobachtete, nicht wiedergefunden.” Er schreibt die Verschiedenheit seiner und meiner Ergebnisse ohne Weiteres der Unvollkommenheit meiner Versuchsweisen zu: wenn ich mich weiter Heberröhren bediente, der geringeren Schärfe der Trennungsflächen der ! Untersuchungen u. s. w. Bd. I. 1843. 8. 377 fi.; — Gesammelte Abhand- lungen u. s. w. Bd. I. 8. 13 ff.; — Bd. Il. S. 191 ff.; — Untersuchungen u. S. w. Bd. II. Abth. II. S. 406 ft. °” Vergl. Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. 1. 8. 6. 48. 57—60; — Wiede- mann, Die Lehre von der Hlektricität. (Zugleich als... 3.-Aufl. u.s.w.) Bd. II, 1883. S. 791 X. ° Nachrichten von der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg- Augusts- Universität zu Göttingen. ‚Juli 20. 1887. 8. 326. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtTH. 405 übereinander geschichteten Flüssigkeiten; wenn ich eng ausgezogene Heber- röhren benutzte, bei schlechter Leitungsfähigkeit der darin enthaltenen Flüssigkeit deren Fortführung durch den Strom; endlich bei Anwendung von Bäuschen, die mit den beiden Flüssigkeiten getränkt waren, gleichfalls der kataphorischen Wirkung des Stromes. Ich zweifle nicht an der Ueberlegenheit von Hrn. Hermann’s Ver- suchsweise, und es wäre wunderbar, wenn er nach solchen Fortschritten der Versuchstechnik, auf meinen Schultern stehend, nicht über mich hinaus- gegangen wäre. Doch glaube ich noch nicht, dass meine Ergebnisse un- richtig waren, und dass schon jetzt, wie er behauptet, „festgestellt sei, dass verkehrte Polarisationen bei Durchströmung eines Systems von Elektrolyten nicht vorkommen, wenn alle fremdartigen, d. h. nicht von der blossen Folge der Elektrolyten herrührenden Einwirkungen vermieden werden.“ Um zu diesem Schlusse berechtigt zu sein, hätte Hr. Hermann erklären müssen, wie die von ihm beschuldigten Umstände in meinen Versuchen zu einem Strom im Sinne positiver Polarisation Anlass geben können. Er begnügt sich aber damit, sich dies so vorzustellen, wobei er unrichtige Voraus- setzungen macht. In Bäuschen, welche mit so gut leitenden Flüssigkeiten wie Kochsalz- und Kalihydratlösung getränkt sind, findet keine merkliche Fortführung durch den Strom statt, und von Fortführung schlechter leiten- der Flüssigkeiten in meinen Walker’schen Röhren kann ebensowenig die Rede sein, da, wie ich ausdrücklich bemerkte, diese Röhren nur angewendet wurden, „wenn der Widerstand der Flüssigkeit es erlaubte, ihren Quer- schnitt stellenweise dergestalt zu verkleinern,“ also nur mit gut leitenden Flüssigkeiten.” ÖOhnehin wäre schwer zu verstehen, dass nur gewisse Zu- sammenstellungen, diese aber ganz beständig, und bei jeder Versuchsweise, mit weiten wie mit engen Heberröhren und mit Bäuschen, mir positive Polarisation gaben, während doch bei allen Combinationen die Versuchs- weisen dieselben waren, also auch noch bei anderen als den obigen hätten positive Polarisation vortäuschen können. Wir wissen viel zu wenig von den elektromotorischen Wirkungen an der Grenze von Elektrolyten, um darüber absprechen zu dürfen, ob nicht die Polarisation daselbst unter sehr ähnlichen Umständen, das eine Mal positiv, das andere Mal negativ sein könne, und was wir davon wissen, spricht eher für als wider die Möglich- keit solchen Verhaltens, da oft sehr geringfügige Umstände in unerklär- licher Weise die Richtung der Ströme in Flüssigkeitsketten beeinflussen. Wie dem auch sei, es fand sich zweitens, dass, wo erregbare Frosch- 1 Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. i. S.4; — Untersuchungen u. s. w. a. a. O. S, 404. — Ueber Fortführung in Röhren vergl. Wiedemann, Die Lehre von der Hlektrieität u. s. w. Bd. II. 1883. S. 177 ff. 406 E. pu Boıs-REyMmonDp: Gliedmaassen oder -Muskeln im Kreise waren, scheinbar noch eine andere Art von positiver Polarisation zu der inneren negativen sich gesellte, eine solche, welche zunächst gleichfalls auf säulenartiger Anordnung elektromoto- rischer Kräfte im Inneren der Gewebe zu beruhen schien. Bei jeder Lage der in stets gleichem Abstande die Muskeln berührenden Keilbäusche des Multiplieatorkreises erfolgten unter sonst gleichen Umständen ungefähr gleich starke positive Nachströme, und bei hinreichendem ausserwesent- lichem Widerstande wuchs der Nachstrom mit dem Abstand der ableiten- den Keilbäusche: zwei im Vereine scheinbar untrügliche Wahrzeichen in- nerer Polarisation. Von der inneren negativen Polarisation unterschied sich die schein- bare innere positive Polarisation ausser durch die Richtung aber noch durch die höhere Schwelle der zu ihrer Erzeugung erforderlichen Stromdichte, sowie durch die verschiedene Abhängigkeit von der Schliessungszeit, d. h. der Dauer des polarisirenden Stromes, und von der Oeffnungszeit, d. h. der seit seiner Oeffnung verflossenen Zeit. Während die innere negative Pola- risation mit dem Product aus Stromdichte in Schliessungszeit wuchs, er- reichte die positive Polarisation mit wachsender Schliessungszeit schnell ihren grössten Werth, und während jene vom Augenblick der Oeffnung an verhältnissmässig steil abfiel, sank diese sehr allmählich von ihrer schneller erstiegenen Höhe herab. Uebrigens übertraf die grösste anfängliche Strom- stärke der inneren negativen Polarisation bei gleichem Widerstande die Muskelstromstärke zwischen natürlichem Längs- und künstlichem Quer- schnitt um eine ansehnliche Grösse; die anfängliche Stromstärke der schein- baren inneren positiven Polarisation dagegen war nur etwa ebenso gross, wie die Muskelstromstärke, wobei aber nicht zu vergessen ist, dass die in- nere negative Polarisation verhältnissmässig rein zur Erscheinung kam, von der inneren positiven nur ihr Ueberschuss über die innere negative. Das waren die hauptsächlichsten Züge des neuen Phaenomens, welches ich dann auch bei den Nerven erkannte, wo ich es wegen der Unvoll- kommenheit meiner damaligen Versuchsweisen Anfangs vermisst hatte, Nun fragte es sich, was seine Bedeutung sei. Die negative Polarisirbarkeit der Muskeln und Nerven der von feuchten porösen Leitern völlige eleich- zusetzen, verbot einigermaassen ihr Verhalten beim Absterben und Todt- sieden der Gewebe, indem ich damals zu finden glaubte, dass sie dabei nahezu vernichtet werde, während hartgesottenes Hühnereiweiss, durch Schlagen erhaltener Blutfaserstoff, gekochte Bindesubstanz noch negativ polarisirbar sind. Doch sprach schon für diese Auffassung die Art ihrer Abhängigkeit von der polarisirenden Stromdichte und der Schliessungszeit. Was die scheinbare positive Polarisation betrifft, so lag es mir nahe, sie an den Nerven mit der von mir angenommenen säulenartigen Anordnung Y * SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 407 elektromotorischer Elemente im Elektrotonus zu verknüpfen, und von da aus dieselbe -Vermuthung auch auf die Muskeln zu übertragen. In dieser Anschauung wurde ich dadurch bestärkt, dass ich ähnliche Erscheinungen auch an den elektrischen Organen entdeckte, neben innerer negativer innere positive Polarisation, welche letztere sogar eine bestimmte Beziehung zur Richtung des Schlages verrieth. Diese drei elektromotorischen Gewebe, Muskeln, Nerven und elektrische Organe schienen also nach einem und demselben Gesetze secundär-elektromotorisch zu wirken, und dadurch einen tiefen Einblick in ihren Mechanismus in Aussicht zu stellen. Unter diesem Gesichtspunkte handelte ich vor bald sieben Jahren die secundär-elektromotorischen Erscheinungen zusammenhängend ab, und be- schrieb sie als ein neues und wichtiges Forschungsgebiet. Obwohl ich keinesweges glaubte, dasselbe völlig bewältigt zu haben, liess ich mich zur Veröffentlichung meiner Ergebnisse verleiten theils durch die Wahrnehmung, dass man sich von verschiedenen Seiten her jenem Gebiete näherte, so dass ich bei längerem Zögern leicht die Frucht vieljähriger Bemühungen ver- loren hätte; theils durch die nur zu richtige Ueberlegung, dass es mir in absehbarer Zeit doch nicht gelingen würde, diese Untersuchung so zu voll- enden, wie ich es sonst wohl zu thun gewohnt war. Für diese Abweichung von dem bis dahin stets von mir befolgten Grundsatze, nur nach allen Richtungen Erwogenes und Erprobtes mitzutheilen, sollte ich empfindlich bestraft werden. Ich hatte mich zu meinen Versuchen des aus Gracilis und Semimem- branosus bestehenden Muskelpaares bedient, an welchem die säulenartige Anordnung gleichsinniger secundär-elektromotorischer Kräfte in Folge eines kräftigen Stromstosses sich scheinbar ganz unzweifelhaft beobachten liess. Gelegentlich bemühte ich mich wohl dieselben Wirkungen am Sartorius oder Cutaneus femoris als mehr regelmässigen Muskeln zu erhalten; über den mangelhaften, ja nichtigen Erfolg dieser Versuche setzte ich mich mit Hülfe verschiedener Erklärungsgründe hinweg. Meine Angaben wurden von mehreren Seiten geprüft, von Hrn. Tschirjew,! Hrn. Hermann, Hrn. Bernstein und von den beiden Forschern, welche neuerlich die Fach- genossen durch ihre Fruchtbarkeit in der allgemeinen Nerven- und Muskel- physiologie in Erstaunen setzten, von Hrn. Ewald Hering und seinem Mitarbeiter Hrn. Wilhelm Biedermann, damals noch in Prag. Sie haben binnen neun Jahren dreiundzwanzig Abhandlungen über Reizversuche und Elektrieität der Muskeln und Nerven? veröffentlicht, welche zusammen einen " Dies Archiv. 1883. Supplement-Bd. (Festschrift). S. 280. ® Sie finden sich, bald unter Hın. Hering’s, bald unter Hın. Biedermann’s Namen, aber unter dem durchgehenden Titel: ‘Beiträge zur allgemeinen Nerven- und 408 E. pu Boıs-REeymonxp: starken Band ausmachen, und durch die Fülle der darin enthaltenen Auf- stellungen keine geringen Ansprüche an die Auffassungskraft, den Fleiss und die Musse des Lesers stellen, der mit den Verfassern Schritt zu halten wünscht. Die zwölfte und dreizehnte dieser Abhandlungen beschäftigen sich ausdrücklich mit den von mir beschriebenen secundär-elektromotorischen Erscheinungen der Muskeln.! Hering und Biedermann haben die einst von Albert v. Bezold’ auf den Muskel übertragene Pflüger’sche Lehre von der polaren Erregung des Nerven durch zahlreiche und sorgfältige Versuche am entnervten Sar- torius des Frosches neu und sicher begründet. Sie zeigten aber nicht allein, dass der Muskel nur dort erregt wird, wo der Strom ein- oder austritt, also an anodischen oder kathodischen Punkten der Muskeloberfläche; wenn es um Kettenströme sich handelt, an letzteren Punkten nur zu Anfang, an ersteren nur zu Ende des Stromes. Sondern Hr. Biedermann fügte noch hierzu die ganz neue und überraschende Entdeckung, dass auch an anodischen und kathodischen Punkten Erregung nur dann stattfindet, wenn diese Punkte unversehrt sind, nicht oder ungleich schwächer, wenn sie mechanisch, kaustisch, chemisch verletzt wurden. Stellt man sich einen ideal regelmässigen Muskel, durch senkrechte künstliche Querschnitte be- grenzt, geradlinig ausgesgannt vor in einem Kreise, der diesen Querschnitten mit gleichem Querschnitt anliegt, so dass die Fäden eines Stromes im Kreise senkrecht auf die Querschnitte ein- und austreten: so würde Entstehen und Vergehen des Stromes den Muskel in Ruhe lassen. Ich stehe nicht an, in . Hrn. Biedermann’s Wahrnehmung eins der denkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte der seit hundert Jahren tausendfältig durchforschten Reiz- versuche anzuerkennen. Diese Thatsache erscheint nun im Bi derspruch mit meiner Anschauung einer auf säulenartiger Anordnung elektromotorischer Kräfte beruhenden positiven Polarisation des Muskels. Man kann sich nicht gut vorstellen, wie eine tief eingreifende Einwirkung des Stromes auf die contraetile Sub- stanz in jeder Querscheibe des Muskels vor sich gehen sollte, ohne dass dieser dabei erregt würde. Bei den Versächen, welche Hering und Bieder- mann am entnervten Sartorius mit allen von mir angegebenen Hülfsmit- Muskelphysiologie’ eine zusammenhängende Reihe bildend, in den Sitzungsberichlen der Wiener Akademie, III. Abth., vom LXXIX. Bande (1879) bis zum XCVII. Bande (1888). ! Weber Veränderungen des elektromotorischen Verhaltens der Muskeln in Folge elektrischer Reizung. A. a. O. 1883. Bd. LXXXVIH. S. 415 ff. — Ueber du Bois- Reymond’s Untersuchung der secundär-elektromotorischen Erscheinungen am Muskel, Ebenda S. 445 ft. ? Mona’sberichte der Berliner Akademie. 1860. 8. 764; — Untersuchungen üher die elektrische Erregung der Nerven und Muskeln. Leipzig 1861. S. 235 #f. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtTa. 409 teln und Vorsichtsmaassregeln anstellten, konnten sie denn auch in der interpolaren Strecke keine innere Polarisation, weder positive noch negative, nachweisen. Sie erhielten Polarisation nur, wenn sich anodische oder katho- dische Punkte, Ein- oder Austrittsstellen des ‘Reizstromes’, im Bussolkreise befanden. An solehen polar erregten Stellen, von welchen allein die Zuckung aus- geht und dem Muskel entlang sich fortpflanzt. findet nach ihrer der Her- mann’schen sich anschliessenden Auffassung eine ‘Alterirung’ der Muskel- substanz statt, welche die ‘alterirte’ Substanz negativ gegen die unangegriffen gebliebene macht. Liegt die eine Bussolelektrode im Bereich der von einer Reizelektrode sich ausbreitenden ‘Alterirung’, so entsteht dadurch im Muskel ein Nachstrom von der Reizelektrode fort, also positiv, wenn diese die Anode, negativ, wenn sie die Kathode war. Die am Muskelpaare des Gracilis und Semimembranosus von mir be- schriebenen Polarisationserscheinungen, wobei die Ableitung des Nachstromes von der interpolaren Strecke geschah, erklärt Hr. Hering durch den meiner- seits nicht beachteten Umstand, dass diese Muskeln, der Gracilis ganz, der Semimembranosus zum Theil, von einer schrägen Scheidewand durchsetzt sind.” Im einen oder anderen Sinne durchströmt, stelle diese Scheidewand auf der dem Strom zugewandten Seite eine kathodische, auf der ihm ab- gewandten eine anodische Fläche dar, welche nach dem Vorigen Sitz von Erregung, also von ‘Alterirung’ der Muskelsubstanz sein werden. Da auf diese Weise das längstdurchströmte Muskelpaar immer zwei anodische und zwei kathodische Stellen besass, deren Wirkungen sich algebraisch summiren konnten, waren zach Hrn. Hering meine Versuchsbedingungen so ver- wickelt, dass es nicht möglich sei, das Ergebniss jedes einzelnen Versuches theoretisch abzuleiten. Wie die Folge lehren wird, ist Hr. Hering im Recht, wenn er aus seinen Erfahrungen den Schluss zieht, dass es eine innere positive Polari- sation des Muskels, wie ich sie annahm, nicht gebe. Ich habe mich geirrt. nicht in den Thatsachen, mit welchen ich vielmehr, nach jahrelangen müh- samen- Vorarbeiten, die Wissenschaft bereicherte, sondern in deren Aus- legung, und der experimentirende Naturforscher, dem dies nie begegnet ist, werfe den ersten Stein auf mich. Ich habe in meinem wissenschaft- lichen Leben oft genug Recht behalten, um es zu vertragen, wenn auch an mich einmal die Reihe kam, einen Fehler eingestehen zu müssen. Hr. Hering, der mit solcher Liebe und psychologischen Vertiefung den Ur- sachen nachspürt, die mich zu Falle brachten, macht die Entschuldigung ı S. meine Beschreibung und Abbildung der Inseriptiones tendineae der beiden Muskeln in den Gesammelten Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 513 ff. 410 E. pu Bors-REYMonND: für mich geltend, dass ich von der polaren Erregung der Muskeln nichts wusste, weil ich mich zu wenig mit den mechanischen Reizerfolgen der Muskeln beschäftigt habe. Leider darf ich nicht einmal diese gütige Ver- wendung annehmen, denn ich war es, welcher in der Unterhaltung mit Hrn. Pflüger über seinen grossen Fund einst zuerst von allen Sterblichen die so wichtig gewordenen Wörter Anelektrotonus und Katelektrotonus aus- sprach, ich theilte 1860 meines jungen Freundes Albert’s von Bezold Entdeckung der Berliner Akademie mit,! ja ich zuerst beschrieb, um die polare Erregung sichtbar zu machen, eine Art von Doppelmyographion, wie jetzt Hr. Hering ein solches, natürlich vollkommeneres, anwandte.? Hr. Hering hätte lieber bemerken sollen, dass, da ich mich nicht entnervter Muskeln bediente, in welchen die Erregung durch die intramusculären Nerven die polaren Unterschiede verwischt, ich keinen Anlass hatte, der polaren Erregung in meinen Versuchen eine so bedeutende Rolle zuzu- schreiben, wie Hr. Hering es thut. Er selber aber wird sogleich erfahren, wie schwer es hält, hier unfehlbar zu sein, und dass er unter Anderem in keiner kleinen Täuschung befangen war, als er unbedingt schrieb, und ge- sperrt druckte: „eine innere negative Polarisation des Muskels in du Bois-Reymond’s Sinne ist nicht nachweisbar.“® Ich bin meinerseits seitdem nicht müssig geblieben und habe mir, nach fortgesetzten Untersuchungen, über diese Verhältnisse meine eigenen Vorstellungen gebildet, welche, wenn sie von meinen früheren Anschauungen abweichen, doch auch in wichtigen Punkten von denen meiner Berichtiger entfernt sind. Die folgende Darlegung bezweckt meine neuen Einsichten und die für mich daraus sich ergebenden Schlüsse zusammenfassend zu entwickeln, obgleich ich auch jetzt noch keineswegs glaube, in diesem ver- worrenen Gebiete, wo alle Schwierigkeiten der Reizversuche mit allen denen _ der thierisch -elektrischen sich verbinden, zu einem sicheren Abschluss ge- langt zu sein. Hr. Hermann, dem ich nichts recht mache, erhebt sich mit Heftig- keit gegen die von mir gebrauchten Ausdrücke „negative“ und „positive‘ Polarisation. Er meint, negativ zu sein, liege im Begriff der Polarisation; negative Polarisation sei ein Pleonasmus, positive Polarisation eine Con- tradictio in adjecto, Polarisation, als ein Fall von Erhaltung der Energie, ! Monatsberichte der Berliner Akademie. 1860. S. 760. ” Monatsherichte a. a. O. S. 904. 905; — Gesammelte Abhandlungen u. S. w. Bd. I. 3.129; — v. Bezold, Untersuchungen über die elektrische Erregung U. S. W. S. 254; — Hering, Zweite Mittheilung. A. a. ©. 1879. Bd. LXXIX. II. Abth S. 258. 3 Zwölfte Mitth. A. a. O. S. 420. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırrH. 411 könne ihrem Wesen nach nicht positiv sein! Hr. Hermann irrt sich aber hinsichtlich des ursprünglichen Begriffes der Polarisation. Dieses Wort wurde bekanntlich in der Optik von Malus eingeführt, indem er die Wir- kung der bei der Polarisation des Lichtes thätigen Kräfte dem Einfluss eines Magnetes verglich, der die Pole einer Reihe maenetischer Nadeln alle nach der nämlichen Richtung kehrt.” Faraday nannte sodann Pola- risation die Anordnung der Theilchen eines Dielektricums, welche er einer Reihe kleiner Magnetnadeln verglich.” Nach solchen Beispielen, denen sich noch mehrere anreihen liessen, durfte ich doch wohl von positiver Polari- sation sprechen, wo es sich in meiner Vorstellung um das Richten elektro- motorischer Molekeln in solehem Sinne handelte, dass ein dem polarisiren- den Strome gleichsinniger Nachstrom entsteht. Mit der Erhaltung der Energie hat, wie man sieht, der Begriff der Polarisation ursprünglich und unmittelbar nichts zu schaffen. Von Polarisation der Elektroden fing man erst spät zu reden an. In Fechner’s klassischem ‘Lehrbuch des Galva- nismus und der Elektrochemie’ vom Jahre 1829, seinen ‘Maassbestimmungen über die galvanische Kette” vom Jahre 1831 kommt das Wort noch nicht vor; anstatt dessen ist immer nur in Ritter’scher Weise die Rede von Ladungen. Diese’ nannten die französischen Elektriker Polarites secondaires, und von ihnen scheint der heutige Gebrauch der Ausdrücke ‘Polarisation’, ‘Polarisiren’ im Gebiet des Galvanismus zu uns herübergekommen zu sein. Vielleicht herrschte ursprünglich Scheu davor, wegen des Missbrauches, welchen die naturphilosophische Schule mit der ‘Polarität’ getrieben hatte. Das Gesetz der Erhaltung der Energie ist mir nicht so fremd, wie Hr. Hermann zu meinen scheint; die geschichtliche Entwickelung vor Augen sehe ich aber nicht ein, worum man secundäre Polaritäten, wenn sie einen dem primären Strome gleichgerichteten Strom liefern, nicht mehr sollte Polaritäten, und diesen Zustand eines durchströmten Systemes von Leitern Polarisation nennen dürfen; und ich denke, dass, wenn ein Physiker wie Hr. Gustav Wiedemann die von von Beetz bei Metallen, von mir bei Elektrolyten beobachtete anomale Polarisation im Gegensatz zur normalen, negativen, unbedenklich positiv nennt,* ich trotz Hrn. Hermann’s Wider- spruch ruhig fortfahren kann, mich derselben Redeweise zu bedienen, an der ja auch Hr. Hering keinen Anstoss genommen hat. ! Pflüger’s Archiv u. s. w. 1884. Bd. XXXIU. 8. 103. ? Gilbert’s Annalen der Physik. 1814. Bd. XLVI. 8.10; — Biot’s Lehrbuch der Erperimental-Physik u. 5. w. Uebersetzt von Fechner. 1829. Bd. V. S. 106. 3 Experimental Researches in Electrieity. Aeprintcd ete. 1849. Vol. I. p. 534. S.1677. (June 1838.) 4 Die Lehre von der Elektrieität u. s. w. Bd. II. 1883. $. 791—793. 412 E. pu Boıs-REyMoND: s 2. Vorrichtungen und Versuchsweisen. Die Vorrichtung, welche mir zum Uebertragen der Schliessung vom Säulenkreise auf den Bussolkreis in den Polarisationsversuchen dient, die Folarisationswippe, habe ich, seit meiner Mittheilung über die secundär- elektromotorischen Erscheinungen, nunmehr in der .oben S. 404 angeführten Schlusslieferung meiner ‘Untersuchungen’ beschrieben und auf Taf. VI da- selbst in Fig. 151. 152 abgebildet. Man wird ihr, wie dies meine Nach- folger auf diesem Gebiete schon thaten, verschiedene Formen geben können, wobei aber stets der von mir aufgestellte Grundsatz festzuhalten ist, dass jeder der beiden sorgfältig isolirten Kreise, von denen das Polaris.tions- object abwechselnd einen Theil bilden soll, an zwei Punkten unterbrochen werden muss. A. a. OÖ. ist gesagt, wie durch einen passenden Mechanismus die Schliessungszeit an der Wippe geregelt wurde. Ich habe seit der Zeit, auf welche jene Beschreibung sich bezieht, meine experimentellen Hülfsmittel noch vervollkommnet, und besitze eine Vorrichtung, welche Schliessungs- zeiten bis zu wenigen Tausendteln der Secunde herzustellen erlaubt, auch habe ich die Uebertragungszeit der Wippe bestimmt. Zu den Versuchen über die innere negative Polarisation, welche für die Erforschung der secun- där-elektromoturischen Erscheinungen den Grund legen, und mit welchen wır uns demgemäss zunächst zu beschäftigen haben werden, bedarf es dieser Vorkehrungen nicht. Die Schliessungszeiten sind dabei so beträchtlich, dass die beim Bewegen der Wippe mit der Hand begangenen Fehler dagegen verschwinden, und die Polarisation ist so nachhaltig, dass auch auf Klein- ‚ heit und genaue Innehaltung der Uebertragungszeit nicht viel ankommt. Ich verspare also die Beschreibung meines Apparates zur Herstellung kurzer Schliessungszeiten bis zu dem Punkte, wo ich von der positiven Polarisation der Muskeln zu handeln gedenke, für deren Erforschung die kurzen Schlies- suneszeiten unentbehrlich sind. Doch habe ich in der Tezhnik der elektrophysiologischen Versuche einige kleine Fortschritte gemacht, welche passend an dieser Stelle zu er- wähnen sind, da sie im Folgenden fortwährend angewendet werden. Sie betreffen die Art, Ströme den thierischen Thei'en zu- und davon abzuleiten. Eine erhebliche Verbesserung des bisherigen Verfahrens bestand in der Einführung der von mir sogenannten Thonstengel in Verbindung mit den Keilbäuschen. Früher überzog ich die Schneide der Keilbäusche nach dem Vorbilde der längst verlassenen Eiweisshäutchen mit einem aus Thon gewalzten Streifen von gleicher Breite mit der Länge der Schneide (15 "®), SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 413 und von 20mm Länge jederseits von der Schneide.! Dies erwies sich als mehrfach unzweckmässig, besonders sofern der Thonüberzug die Neigung hatte, nach der Schneide hin zu gleiten, wo er dann hohl lag, was den Widerstand erhöhte und die Berührung mit dem Polarisationsobjeet un- sicher machte. Ich verfiel darauf, statt dessen einfach die Schneide, welche allein des Ueberzuges bedarf, abzustumpfen und einen dünnen Thon-Stab oder -Stengel von gleicher Länge daran zu kleben. Es zeigte sich, dass solcher Thonstengel mit ebener Schnittfläche der Schnittfläche des Bausches sehr gut anhaftet. Mein in physiologischen Kreisen wohlbekannter lang- jähriger Laboratoriumswärter Gustav Asch empfahl mir zur Herstellung der Stengel das bei der Wurstbereitung von den Fleischern angewendete Verfahren des Spritzens, und Hr. Pfeil baute eine Spritze, welche je nach der aufgesetzten Mündung die eine oder die andere der beiden in Fig. 1 erkennbaren Formen von Stengeln liefert. Die abgerundete Form dient in Fig. 1. Fällen, wo Widerstand und Stromdichte an der Berührungsstelle mit dem Polarisationsobjectt zu vermindern sind, also zur Bekleidung der Säulen- schneiden, die scharfkantige in Fällen, wo möglichst beschränkte Stellen zu berühren sind, also zur Bekleidung der Bussolschneiden. Wenn im Folgenden von Säulen- und Bussolschneiden die Rede ist, sind darunter stets die mit Thonstengeln versehenen Schneiden der Keilbäusche verstanden. Ein Kunstgriff, welcher die Handhabung des Thones sehr erleichtert, besteht nebenbei gesagt darin, dass man als Unterlage, um ihn zu Platten auszuwalzen und diese zu schneiden, nicht polirtes Glas oder glasirtes Porzellan nimmt, welchen der Thon in sehr lästiger Weise anhaftet, sondern etwas rauhes mattes Glas, oder noch besser die zur Arsenikprobe dienenden Bis- I Gesammelte Abhandlungen u.s. w. Bd.]. 3.88. 89. 161; — Untersuchungen u.s. w. Bd. H. Abth. II. S. 425. 426. Taf. VI. Fig. 158. 414 E. pu Boıs-ReymonxD: cuitplatten, zwischen denen und dem Thon ihrer Unebenheit wegen keire Adhaesion stattfindet. Den Seiten der Keilbäusche entlang empfiehlt es sich, um ihnen mehr Halt zu geben, Glimmerstreifen von angemessener Steifigkeit in der Art zu befestigen, wie man es in Fig. 1 sieht. Unter Umständen, wo es an Platz fehlte, zwei Elektrodenpaare in Ge- stalt von vier unpolarisirbaren Röhrenelektroden mit Thonspitzen dem Pola- risationsobject anzulegen, und wo ich nicht aus anderen Gründen vermeiden musste, die Reizstellen in den Bussolkreis aufzunehmen, habe ich den Pola- risationsstrom durch dieselben Thonspitzen abgeleitet, welche den polarisiren- den Strom zuführten. Aehnlich sind schon Hr. Tigerstedt,! Hr. Hering? und Hr. Hermann? verfahren. Hr. Tigerstedt hat, wenn ich ihn recht verstehe, sogar gewagt, den polarisirenden Strom dem Nerven mittels derselben Zinktröge zuzuführen, mit welchen er den Nachstrom ableitete. Ich halte dies für höchst bedenk- lich, da die Unpolarisirbarkeit des verquickten Zinkes zwar sehr weit geht, aber doch ihre Grenze hat. Man kann, wie ich fand, nicht einmal so ver- fahren, dass man in dieselbe mit Zinklösung gefüllte und mit einer Thon- spitze verschiossene Röhre zwei Zinkplatten versenkt, deren eine dem Säulen-, die andere dem Bussolkreise angehört. Die polarisirenden Stromfäden in der Flüssigkeit gehen auf die ableitende Platte als Zwischenplatte über und polarisiren sie bei irgend grösserer Stärke und Dauer dermaassefi, dass nicht daran zu denken ist, auf diese Weise etwas Sicheres über die Polarisation der thierischen Theile herauszubringen. Dagegen sind die äussere und innere Polarisation des mit Zinklösung und des mit physiologischer Steinsalzlösung angekneteten Thones bei der Stärke und Dauer der Ströme, wie sie hier gebraucht werden, in der That zu unbedeutend, um Störungen zu veranlassen. Man kann daher in manchen, wenn auch nicht in allen Fällen, so zu Werke gehen, dass man dem Pola- risationsobject eine passend gestaltete Thonmasse anknetet, und dieser die Thonspitzen zweier unpolarisirbaren Zuleitungsröhren anlegt, deren eine den polarisirenden Strom zu-, die andere den Nachstrom abführt. So verfuhr Hr. Hering, während Hr. Hermann, was eine gleichbedeutende Ver- suchsweise ist, die stromzuführenden Thonspitzen den stromableitenden an- legte. Später bediente sich Hr. Hermann ypsilonförmig gegabelter Röhren, deren beide Schenkel einen verquickten Zinkdraht, den einen zur Zuleitung des polarisirenden, den anderen zur Ableitung des Nachstromes enthielten. I Dies Archiv. 1884. S. 39. 40. ? Dreizehnte Mitth. A. a. ©. S. 468. > Pflüger’s Archiv u. s. w. 1884. Bd. XXXIU. S. 123. 129; — 1888. Bd. XLI. 8. 4. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2, MırrtH. 415 Er nennt diese Vorriehtung, von der er einen sehr ausgedehnten Gebrauch machte, die Doppelelektroden. Da ich nicht oft, und stets ungern, zu solcher Versuchsweise mich bequemte, begnügte ich mich damit, mit einer meiner gewöhnlichen flachen Röhren, wie sie zu unpolarisirbaren Elektro- den dienen, eine andere fest zu verbinden, in welche die zweite Zinkplatte versenkt wurde, während ein gemeinsamer Thonpfropf die in einer Ebene liegenden unteren Mündungen der beiden Röhren verschloss und die Leitung zum Polarisationsobject vermittelte. Hr. Hermann erneuert wider die unpolarisirbaren Röhrenelektroden in der ihnen von mir ertheilten Gestalt den Vorwurf, dass sie oft nicht gleichartig seien, und er sucht den Grund davon in der Art, wie das obere Ende des Zinkbleches mit dem Messing des Ständers verbunden sei. Ob- sleich ich die Röhrenelektroden wochenlang so gleichartig fand, dass die mittlere elektromotorische Kraft eines Nerven die mittlere der Elektroden hundertmal übertraf)! so kommt es doch auch mir vor, dass sie für feinere Versuche untauglich sind. In einem solchen Falle erkannte ich zu meiner Ueberraschung, dass die Ungleichartigkeit nicht, wie auch ich immer ohne Weiteres annahm, ihren Sitz in der metallischen Verbindung am oberen Ende der Zinkplatte hatte, sondern in dem die Röhre verschliessenden Thon. Während die sorgfältigste Reinigung jener Verbindung die Ungleichartig- keit bestehen liess, verhielten sich die beiden wie sonst an ihren Ständern befestigten Zinkplatten nach Entfernung der Röhren einander metallisch berührend oder in Quecksilber oder in Zinksulphatlösung tauchend, völlig gleichartig; mit dem Dazwischentreten von Thonspitzen war die Ungleich- artigkeit sofort wieder da. Ich habe schon bei einer früheren Gelegenheit ? darauf aufmerksam gemacht, dass Unterschiede im Wassergehalt des Thones eine elektromotorische Kraft bis zu 0-014 Raoult erzeugen können. Etwas der Art mag auch hier im Spiele sein; doch lässt sich die Erscheinung nicht hinlänglich beherrschen um ihr völlig auf den Grund zu kommen. Wie dem auch sei, ich habe seitdem die Ursache der Ungleichartigkeit der Röhrenelektroden fast stets im Thon gefunden. Bei unreinlicher Behand- lung kann sie aber natürlich auch ihren Sitz an der von Hrn. Hermann bezichtisten Stelle haben. Es wird in der Folge der M. sartorius vom Frosch, als das wenn auch unvollkommene, doch noch am meisten zweckentsprechende Paradigma eines regelmässigen monomeren Muskels, vielfach angewendet werden, und es wird nützlich sein, hier vorweg die Art zu beschreiben, wie ich ihn auf- zustellen pflege. Damit er den Säulen- und den Bussolschneiden bequem 1 Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. I. 8. 167. ? Dies Archiv. 1884. S.9. Anm. 416 | E. pu Bo1s-REYMonD: zugänglich sei, muss er mit seinen Flächen in senkrechter Ebene wagerecht frei ausgespannt sein. Dazu dient die in Fig. 2 4 und B in zwei Drit- teln der natürlichen Grösse im Aufriss und Grundriss abgebildete kleine Vorrichtung. | Sie besteht im Wesentlichen aus einem passend zugeschnittenen dünnen Brettchen, das mittels eines an die Rückseite gekitteten Korkes und eines Glasarmes von einem Nörremberg’schen Ständer! allerwärts beweglich und fein verschiebbar getragen wird. Links von dem mit dem Sartorius zu überspannenden Ausschnitt ist eine Korkplatte aufgekittet, auf welche das obere sehnige Ende des Muskels ohne Verletzung des Fleisches mit Igelstacheln? festgesteckt wird. Rechts ist durch das Brettchen ein Kork \ Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. 8. 251. 648; — Dies Archiv. 1885. S. 109. ° Die Anwendung von Igelstacheln zu diesem Zwecke findet sich auch bei Hrn. Hermann (Pflüger’s Archw u. s. w. 1888. Bl. XLII. S. 10), Mir lag sie sehr nahe von meinen Beschäftigungen am anatomischen Museum her. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 417 gesteckt, in welchem ein Wirbel sich dreht; ein um die untere Sehne, unterhalb der letzten Muskelbündel geknüpfter Faden wird in den Wirbel eeklemmt, durch dessen Drehung nunmehr dem Muskel gleich der Saite einer Geige jede gewünschte Spannung ertheilt werden kann. Fig. 2 B zeigt, wie die Säulenschneiden von hinten der femoralen, die Bussolschnei- den von vorn der äusseren Fläche des Muskels angelegt werden. Dies ge- schieht nach verschiedenen Normen, von welchen gehörigen Ortes die Rede sein wird. Zu vielen wichtigen Ermittelungen dient der Doppelsartorius, das Praeparat, welches man gewinnt, wenn man beide Sartorien des Frosches von ihren spitzen Enden am Knie aus nach der Symphyse hin frei zu- richtet, und durch ein Stück Symphyse mit einander verbunden lässt. Für den Doppelsartorius dient eine Vorrichtung, welche von der vorigen nur dadurch sich unterscheidet, dass der mit den Muskeln zu überspannende Raum mehr als doppelt so gross ist (115 statt 55"), und dass beider- seits Wirbel zum Spannen vorhanden sind. In gewissen Fällen empfiehlt es sich, hinter der Symphyse ein Widerlager in Gestalt einer senkrechten Korkplatte anzubringen, an welcher die Symphyse mittels Igelstacheln be- festigt werden kann.! $S 3. Von der inneren negativen Polarisation entnervter Muskeln. Hr. Hering gelangt in seiner zwölften Mittheilung, nach Unter- suchungen von ihm selber und von Hrn. Biedermann, zu dem, wie schon bemerkt, mit unbedingter Schärfe ausgesprochenen und betonten Satze, dass es keine innere negative Polarisation des Muskels gebe (S. oben S. 410). Diesen Satz gründet er auf Versuche, welche er am curarisirten Sartorius in folgender Weise anstelltee Der Muskel wurde mittels eines Stückes Becken und eines Stückes Tibia wagerecht ausgespannt, und der ‘Reizstrom’ durch die Knochen zugeleitet. Unpolarisirbare Elektroden als Enden des Bussolkreises lagen der einen Fläche des Muskels an, so dass sie das mittlere Drittel der Länge des Muskels umfassten. Der von nur zweien Daniell gelieferte “Reizstrom’ wurde noch überdies durch das Rheo- chord abgestuft. Unter diesen Umständen gab sich auch bei 10” Schlies- sungszeit kein Polarisationsstrom zu erkennen, erst bei 20” langer Schlies- sung erschien eine Spur negativer Polarisation, welche aber Hr. Hering dann auf im Muskel verborgene polar erregte Stellen bezog.? 1 Auch Hr. Hermann hat den Doppelsartorius zu Polarisationszwecken ange- wendet (Pflüger’s Archiv u. s. w. 1884. Bd. XXXII S. 120). 2 A. a. O. S. 434—436. Archiv f. A. u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 27 418 “ —_ E. ou Bors-Reymonxp: Hr. Hering fragte sich nicht, ob nicht vielleicht bei diesem Ver- fahren das Product von Stromdichte in Schliessungszeit zu gering war, um die gesuchte Erscheinung hervortreten zu lassen. Er meint, ich hätte am Muskelpaare des Gracilis und Semimembranosus „die Stromzuführung durch die natürlichen Muskelenden vermieden, weil ich den von mir nach- gewiesenen secundären Widerstand in den dünnen Sehnen fürchtete, welcher, da bis zu 50 Grove’sche Elemente und Schliessungszeiten bis zu 5 Mi- nuten benutzt wurden, allerdings erheblich sein müsste“.! Dazu ist erstens zu bemerken, dass ich zwar irgendwo gesagt habe, ich besitze fünfzig kleine Grove,? nirgend aber, dass ich einen lebenden Muskel oder Nerven dem Strome von fünfzig Grove aussetzte, was Hr. Hering wiederholt für eine gewohnheitsmässig von mir geübte Versuchsweise ausgiebt.” Für’s zweite irrt Hr. Hering, wenn er sagt, ich hätte den von mir nach- gewiesenen secundären Widerstand in den Sehnen gescheut, worunter er nur inneren secundären Widerstand verstehen kann. Wie in meiner Ab- handlung über den von mir entdeckten secundären Widerstand zu lesen ist, wurde aber innerer secundärer Widerstand bisher nur an lebendem Pfilanzengewebe beobachtet, und die Sehnen insbesondere wurden davon frei gefunden.“ Der Widerstand, den ich bei der von mir vermiedenen, von Hrn. Hering gewählten Art der Stromzuführung fürchtete, war, wie ich deutlich gesagt zu haben glaube,’ der durch Erhitzung und in Folge davon Austrocknung der Sehnen erzeugte. Nach dem Gesetze, dass die Wärme- entwickelung durch den Strom in einer Theilstrecke des Kreises unter sonst gleichen Umständen dem Widerstand der Strecke proportional ist, muss insbesondere die dünne untere Sehne des Sartorius, von einem einiger- maassen starken Strome durchflossen, sehr bald fast zum Nichtleiter werden. ‚Hr. Hering hat deshalb, auch wenn er ausnahmsweise bis zu acht Daniell in Gebrauch nahm, einfach einen zu schwachen Strom zu kurze Zeit ein- wirken lassen, um die innere negative Polarisation des Muskels inmitten der mancherlei sie umgebenden Störungen deutlich zu erkennen. Dass diese Polarisation kein Hirngespinnst, sondern eine sehr wirkliche Erschei- nung ist, zeigt sich bei richtiger Versuchsweise leicht. Die im Folgenden erwähnten Muskeln sind, wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil gesagt ist, völlig curarisirten Fröschen entnommen. Ein entnervter Sartorius also wird in der soeben beschriebenen, in Fig. 2 sicht- 1 Dreizehnte Mitth. A. a. O. 8. 470. ® Dies Archiv. 1884. 8. 10. ® Dreizehnte Mitth. A. a. O. u. 8. 449. " Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. I. 8. 120. ° Dies Archiv. 1884. 8.8. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtrH. 419 baren Art autgestellt, und zwar so, dass seine Bündel geradlinig gestreckt sind, und bei Zuckungen so wenig wie möglich sich verschieben. Den beiden Enden des Muskels werden, wie die Figur zeigt, von hinten die Säulenschneiden angelegt, von vorn, an wechselnden Stellen der interpolaren Strecke, die Bussolschneiden. Die untere Säulenschneide liegt dem spitz zulaufenden Zipfel am unteren Ende des Muskels in solcher Höhe an, dass oberhalb derselben der Querschnitt des Muskels nicht mehr merklich wächst, und dass die untere Bussolschneide, auch bei tiefstem Stande in nächster Nähe der unteren Säulenschneide, doch nie in den Bereich des schrägen unteren natürlichen Querschnittes kommt. So wird nicht allein die Verwickelung möglichst vermieden, welche, wie wir sehen werden, der natürliche Quer- schnitt in die Polarisationserscheinungen einführt, sondern auch in der Strecke zwischen den Bussolschneiden die Dichte so gleichförmig wie mög- lich gemacht, obschon sie an der mit den Säulenschneiden berührten Fläche des Muskels aus leicht ersichtlichen Gründen stets etwas grösser bleibt als an der anderen Fläche. Die Zuleitungsgefässe mit den Bussolschneiden stehen nöthigenfalls auf einen gläsernem Schlitten, der dem Muskel genähert und davon ent- fernt werden kann. Eine auf die Glasplatte des Schlittens geklebte Milli- - metertheilung dient dazu, den Schneiden gemessene Abstände zu ertheilen. Um bestimmte Punkte am Muskel wiederzufinden, bezeichnet man sie mit Drachenblut, da Russ als Nebenleitung und als polarisirbare Zwischenplatte wirken könnte. Die ganze Vorrichtung befindet sich natürlich in einer feuchten Kammer, zum Schutze nicht bloss des Muskels, sondern auch der scharfkantigen Bussolschneiden gegen Trockniss während der nicht selten über eine Stunde dauernden Versuche. Die Lage der Bussolschneiden wurde auf die in Fig. 3 A und B ge’ A schematisirte Art gere- gelt, wo die wagerechte Gerade C P die Axe des Muskels, C' dessen cen- @ p trales, 7° sein peripheri- sches Ende, S’ und S$, die Säulenschneiden, die Bögen den Bussolkreis in seinen mannigfaltigen Lagen bedeuten. In den durch Fig. 3 A darge- Fig. 3. stellten Versuchen behiel- ten die Bussolschneiden stets dieselbe kleine Distanz d, je nach der Grösse ZI 420 E. pu BoiIs-REYmonD: der Frösche von 3—5"", und sie wurden dem Muskel entlang von der Mitte nach dem Centrum, bez. der Peripherie, in die fünf Stellungen Ö,, Ömc; Om; Ömp ©, gebracht. In den Fig. 3 B entsprechenden Versuchen wurden ihnen drei verschiedene Abstände ertheilt: ö, je nach der Grösse ‚ der Frösche wie vorher von 3—5°"%, d von 10—15==, Dvon 15—25 m, Bei den Abständen ö und D nahmen die Schneiden eine symmetrische Lage zur Mitte der interpolaren Strecke ein, so dass das Ö dieses Mes- sungssystems mit dem ö„ des ersten zusammenfällt. Bei dem Abstande d wurden sie aus der gleichfalls symmetrischen Lage d,„ in die Lagen d. und d, verschoben. Nachdem nun zuerst bei dem einen oder anderen Systeme von Lagen der Bussolschneiden. die an jeder Stelle herrschende Muskelstrom-Stärke und -Kraft beziehlich nach Scalentheilen und Compensatorgraden aufgezeichnet worden war, wurden die Bussolschneiden vom Muskel abgerückt, und durch die Säulenschneiden der Strom einer angemessenen Anzahl von Grove, bei- spielsweise zehn, eine angemessene Zeit, beispielsweise 15 Minuten, dem Muskel zugeführt. Nach dieser Zeit und nach doppelter Oeffnung des Säulenkreises wurden die Bussolschneiden dem Muskel wieder angelegt, und die Muskelstromstärken und elektromotorischen Kräfte möglichst genau an denselben Stellen wie früher wieder aufgenommen. Wie sie auch ur- sprünglich gewesen waren, meist fanden sie sich jetzt in dem dem polari- sirenden Strom entgegengesetzten Sinne mehr oder weniger verändert, und bei dem in Fig. 3 B dargestellten Messungssysteme um so mehr, je grösser der Abstand der Bussolschneiden. Im Verlauf der zahlreichen und höchst einförmigen Versuchsreihen, die ich nach diesem Plane anstellte, gelangte ich bald zu der Einsicht, . dass die Beobachtung und Aufnahme der Muskelstromstärken nur sehr selten von Nutzen sei, und begnügte mich mit der Aufnahme der elektro- motorischen Kräfte. Auch pflegte ich anfangs, ehe ich den Säulenstrom in entgegengesetzter Richtung durch den Muskel sandte, in Erwartung einer raschen Depolarisation den Zustand der verschiedenen Stellen nach 10—15’ abermals zu prüfen. Ich gab später diese zeitraubende und die Leistungsfähigkeit des Muskels allzusehr beanspruchende Controle als ent- behrlich auf, da unter den obwaltenden Umständen die Polarisation meist so nachhaltig war, dass sie auch nach so langer Zeit zum grössten Theile noch bestehen blieb, oder dass ihre Abnahme gegen Veränderungen der Kraft aus anderen Ursachen nicht in Betracht kam. Daher es auch kei- nen erheblichen Unterschied machte, in welcher Reihenfolge am polarisirten Muskel die fünf Stellen geprüft wurden, was höchstens ebensoviele Minuten dauerte. In der Mehrzahl der Versuche wurde demgemäss, sobald der durch die Polarisation veränderte Zustand des Muskels festgestellt war, bei SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıTTH. 421 abgerückten Bussolschneiden die Wippe des Säulenkreises umgelegt, und der Strom abermals 15’, auch wohl 20° lang in entgegengesetzter Richtung durch den Muskel geleitet. Nach doppelt geöffnetem Säulenkreise und wieder angelegten Bussolschneiden fand sich der Muskel überall im um- gekehrten Sinne von vorhin, wiederum dem Säulenstrom entgegen, pola- risitt. Die so erhaltene Wirkung setzte sich natürlich zusammen aus Depolarisation in unbekanntem Betrage und neuer Polarisation, doch konnte dies den angestrebten Erfolg, Nachweis einer inneren negativen Polarisation am längsdurchströmten Muskel, nur der Grösse nach beeinflussen. Es ergab sich, dass jede Muskelstrecke mehreremal negativ polarisirt werden konnte, wie aus den folgenden Beispielen erhellt, in welchen, wie in allen Tabellen dieser Abhandlung, nicht Mukelstromstärken in Scalen- theilen, sondern stets nur elektromotorische Kräfte in Com- pensatorgraden angegeben sind. Die ersten, mit M bezeichneten Reihen enthalten die vor der Polarisation vorhandenen elektromotorischen Kräfte der Muskelstrecken, die römischen Zahlen sind Grove, die mit einem Haken versehenen Pfeile zeigen die Richtung des polarisirenden Stromes an. Die hinter der Schliessungszeit eingeklammerten Zahlen sind die in Scalentheilen an einer Bussole im Säulenkreise abgelesenen polarisirenden Stromstärken. Sie fehlen in einigen Fällen, wo sie zufällig nicht beobachtet oder bei einer verschiedenen und nicht reducirbaren Einrichtung der Bussole verzeichnet wurden. A. Bussolschneiden in beständigem kleinen Abstand ö dem Muskel entlang wandernd. Sartorius I. | Sartorius 1I. de Öme Öm Ömp öp de Öme dm Ömp öp er 35 a 220 Mm: 80,50 51 A55 „89 X 15'172) = y15' (178) 45.32 Ale a7 yıa Ag A068 Aso Ar 2 Non ne. See nr 2 Zoe Weg Sa Beh A20' (176) | A20' (139) Kor ce Io a Men | I34 124 | 139 | SS WE ee In eeerTenN 20’ (139) a 20’ (136) a er | 430, aa 2 25) 22 ns P,— 48 -49 —123 — 77 — 7 PP -64 —37 — 69 —62 —56 422 E. pu Boıs-REyMonD: In jeder Strecke des Muskels ist eine secundär-elektromotorische Kraft im umgekehrten Sinne des polarisirenden Stromes erzeugt worden. B. Bussolschneiden in wachsenden Abständen dem Muskel angelegt. Sartorius 1. | Sartorius 11. h) de dd, De OR dm dp D \ | A IN N | | | A A | M k44 „199 A 88 A128 N 10 90 ae as 22 2% 415 (196) | y15' (171) N | | IN | | | IN A A 114 1230 „27 A109 „134 y54 y 95 A 60 A207 Ans PR—30 — 31 —65 — 19 —144 |) P,—36 + 69 — 32 —174 —200 720 (185) | Ag (173) I" = A ana Na N N | | | A | 7 yıos A142 Aıes A 5 y82 195 yı2a' A 86 iz P, es 155, Ines Deere | y25' (149) 1 May 70.0 Mal2a ale ed DATEN en Nennt man Pr das Mittel der Polarisation in den drei Stellungen de, Amy dp, ferner P5, Pp die Polarisation in den Abständen d, D, so hat man in den obigen fünf Reihen: I. | | I. 1 2. ie 2. a. Ps =A-30 T—-6 | T-36 A-28 T— % Pu = |— 88 | UT | — 48 er —ıı Pp = _—14 y—ı799 | y-200 |-295 y—237 Die secundär-elektromotorische Kraft wächst mit dem Abstand der Bussolschneiden, was in anderer Form dasselbe Ergebniss ist wie das der ersten Versuchsweise, und soviel bedeutet wie dass überall in der inter- polaren Strecke säulenartig angeordnete elektromotorische Kräfte walten. Dass das Wachsthum der Polarisation mit der Länge der abgeleiteten Strecke streng porportional geschehe, wird kein mit solchen Versuchen Vertrauter erwarten. Der Werth eines Compensatorgrades belief sich bei diesen Versuchen auf 1/7092 R. An ähnlich beschaffenen Fröschen (Winterfröschen) be- stimmte ich früher die mittlere Muskelstromkraft eines Sartorius bei einer Graduationsconstanten von 1/8000 D zu 285 °er.! Da ein Daniell ungefähr = I Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 356. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 423 1.115, ein Raoult = 1.059 Volt ist,! entsprechen jenen 285 ° nur 266 der jetzigen. Dies giebt eine Vorstellung von der verkältnissmässigen Grösse der Polarisation in den obigen Versuchen. Die stärkste darin verzeichnete Polarisation im Betrage von 295°" übertrifft die Kraft zwischen natür- lichem Längs- und künstlichem Querschnitt des Sartorius, und ist etwa 44 Milli-Volt gleichzusetzen. Die Stärke des polarisirenden Stromes wurde wie bemerkt an einer besonderen Bussole überwacht. Obschon zwischen den unverrückt bleibenden Säulenschneiden stets derselbe Widerstand herrschen sollte, unterlag er nicht unbedeutenden Schwankungen. Zuerst sank er etwas, dann stieg er um eine beträchtliche Grösse, ersteres wohl wegen Erwärmung, letzteres wegen Austrocknung des Muskels und der Thonstengel. Secundärer Wider- stand wird dabei kaum eine Rolle gespielt haben, und ebenso wenig kam die Polarisation selber in Betracht, da ihr höchster beobachteter Werth etwa 450 Mal kleiner war als die gegen zwanzig Volt betragende Kraft der Säule. Dass der Widerstand stieg, wenn der Muskel im Laufe der Zeit nachgegeben hatte und neu gespannt werden musste, versteht sich von selbst. Die Abnahme der Stromstärke wegen Zunahme des Wider- standes hinderte übrigens nicht, dass, wie sogleich besprochen werden wird, gerade bei längerer Fortsetzung der Versuche an demselben Muskel die negative Polarisation sich mit grösserer Regelmässigkeit kundgab. Den Verlauf der polarisirenden Stromstärke in die hier mitgetheilten Tabellen ' aufzunehmen, schien nutzlos; es genügte, einen möglichst wahrscheinlichen Mittelwerth zu verzeichnen. $ 4. Ueber verschiedene bei den obigen Versuchen zu beachtende Umstände. Mehrere Ursachen führen in diesen Versuchen Abweichungen vom gesetzlichen Verhalten herbei. Erstens trifft man trotz allen Vorkehrungen doch nie mit den Schnei- den genau dieselben Punkte der Muskeloberfläche wieder, sobald zwischen den. Berührungen längere Zeit verfloss. Der gespannte Muskel reckt sich nachträglich, entspannt sich und giebt unter dem Druck der wieder ge- näherten Schneiden mehr nach als vorher, so dass kleine Verschiebungen unvermeidlich sind, gleichviel ob man ihn erschlafft lasse, oder durch Drehen des Wirbels neu spanne. So lange der Muskel erregbar bleibt (s. unten), gesellen sich zu diesen Verschiebungen noch solche durch Zuckungen. Es giebt freilich eine Art der Ableitung, bei welcher dieser ! Vergl. Kittler in Wiedemann’s Annalen u.s. w. 1882. Bd. XVII. S. 893. 424 E. pu Boıs-ReyMmoxp: Uebelstand vermieden wird, nämlich die zuerst von Hrn. Meissner am Gastroknemius eingeführte! mittels eines um den Muskel geknüpften feuchten Fadens. Es braucht nicht auseinandergesetzt zu werden, weshalb diese Versuchsweise, von welcher Hr. Hering Gebrauch machte, für meinen ‚ Zweck nicht passte Wie aber durch die Verschiebungen, was auch ihr Ursprung sei, von einer Messungsreihe zur anderen die Ergebnisse gefälscht werden, geht am besten daraus hervor, dass wenn man den Muskel, ohne ihn zu polarisiren, nach dem System A (mit wanderndem kleinem Ab- stand ö der Bussolschneiden) wiederholt durchmisst, man von scheinbar sanz denselben Stellen nicht bloss verschieden grosse, sondern zuweilen sogar verschieden gerichtete Wirkungen erhält. Bei dem System 2 (mit wachsenden Abständen der Bussolschneiden) verschwinden die Veränderungen der Kraft in Folge geringer Verschiebungen der Schneiden um so eher gegen die Kraft der abgeleiteten Strecke, je länger diese im Vergleich mit der Verschiebung ist. Zweitens ist, auch abgesehen von der Polarisation, die elektromotorische Wirkung der verschiedenen Strecken des Muskels keine unveränderliche, sondern von seinen Enden her geht häufig Stromentwickelung im Sinne wachsender Negativität vor sich. Diese Aenderungen der elektromotorischen Wirkung im Verein mit denen wegen Verschiebung der Berührungspunkte, _ vermischen sich mit der inneren negativen Polarisation, so dass besonders bei der ersten Einwirkung des polarisirenden Stromes manche Unregel- mässigkeiten sich einstellen, wie man dies in den obigen Beispielen sieht, wo einzelne fehlerhafte Erfolge an Pluszeichen kenntlich sind. Später er- reicht dann der Muskel einen stabileren Zustand, sowohl in Bezug auf Dehnung wie auf Stromentwickelung, und die Polarisation tritt, wie schon . bemerkt, ungetrübter hervor. Ein dritter Fehler besteht darin, dass zuweilen die Polarisation in der Nähe eines Muskelendes, auch wo sie durch Entwickelung des Muskelstromes verstärkt erscheinen könnte, umgekehrt gerade schwächer erscheint als in einiger Entfernung davon, z. B. bei absteigendem Säulenstrom schwächer in ö, als in ö,„» (Versuchsweise A, Sart. I, P, P,) Auch mit Berück- sichtigung der polaren Wirkungen weiss ich hierfür keinen sicheren Er- klärungsgrund anzugeben. Auf alle Fälle kann bei der Ueberzahl und Grösse der regelmässigen Erfolge nach dem Obigen kein Zweifel bleiben an der von Hrn. Hering so emphatisch geläugneten inneren negativen Polarisation längsdurchströmter Muskeln. Fraelich könnte nur noch erscheinen, ob ein Theil der beob- achteten Wirkungen auf Rechnung der von Hrn. Hering allein zugelassenen \ Gesammelte Abhandlungen u. 5. w. Bd. Il. S. 300. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıtTTH. 425 polaren ‘Alterirung’ der Muskelsubstanz an unverletzten Ein- und Austritts- stellen des Stromes zu bringen sei. Nach Hın. Hering herrscht an der Anode eines schwachen kurzdauernden Stromes schwache negative, an der eines starken länger dauernden Stromes starke positive Polarisation.! Da- nach würde es bei Oeffnung eines so starken und so lange anhaltenden Stromes, wie wir ihn anwenden, sich um nichts handeln als um anodische positive Polarisation, welche wohl positive, aber nicht negative Polarisation vortäuschen könnte. Sie kann mithin an unseren Erfolgen keinen Antheil gehabt haben. Hätte polare Erregung mit unserer inneren negativen Polarisation etwas zu thun, so wäre doch ein von der Stromrichtung ab- hängiger, regelmässiger Unterschied der Polarisation an den beiden Muskel- enden zu erwarten, da die ‘Alterirung’, wenn überhaupt, nicht füglich mit linear abnehmender Stärke über die ganze interpolare Strecke sich aus- breiten würde. Nichts der Art giebt sich mit irgend welcher Beständigkeit kund; die Polarisation ist bald in d. d., bald in ö,, d, grösser, ohne irgend einen nachweisbaren Bezug auf die Stromrichtung. Wenn also Hr. Hering sagt, dass meine innere negative Polarisation, falls es über- haupt eine solche gebe, gegen seine ‘Alterirung’ völlig verschwinde, so ist dieser Satz, falls wirklich seine ‘Alterirung’ in unseren Versuchen mitspielt, vielmehr umzukehren. Hr. Hering wird auch schwerlich unsere Erfolge durch die ihm geläufige Annahme freier Bündelendigungen im Muskel verdächtigen können, denn nichts würde diese Annahme in fast jeder Querebene irgend eines Sartorius, geschweige jedes von mir untersuchten Sartorius rechtfertigen. Eine andere Erklärung, welche Hr. Hering gleichfalls für solche Fälle bereit hat, ist die durch Knickung oder ziekzackförmige Lagerung der Muskelbündel, in Folge wovon der natürliche Längsschnitt jedes Bündels abwechselnd anodische und kathodische Stellen darbiete, welche Sitz der ‘Alterirung’ sein können. Wir werden weiter unten sehen, dass nach Hrn. Hermann der Muskel bei querer Durchströmung stark negativ polarisirbar ist. Ich weiss nicht ob diese Polarisation von Hrn. Hering als ein Theil seiner ‘Alterirung’ in Anspruch genommen wird; wie dem auch sei, auch an sie könnte gedacht werden, um auf Grund der ge- knickten Lagerung der Muskelbündel die innere negative Polarisation in den obigen Versuchen anders als in unserem Sinne zu deuten. Allein erstens waren die Muskeln in diesen Versuchen scharf gespannt, so dass von einer Knickung der Bündel nicht die Rede sein kann. Zweitens lässt sich beweisen, dass Hrn. Hering’s Vorstellung von der Wirkung der ! Zwölfte Mitth. A. a. O. 8. 424; — Dreizehnte Mitth. A. a. O. S. 452. 426 E. pu Boıs-REYMoxD: geknickten Lage der Bündel in hohem Grade übertrieben ist. Er selber hat diese Wirkung meines Wissens nur theoretisch erschlossen, und keinen Versuch angestellt, um sich ein Bild davon zu verschaffen. Ich habe mir dies angelegen sein lassen, und habe mich bemüht zu ermitteln ob der nicht gespannte Muskel stärker polarisirbar erscheine als der gespannte, bin aber dabei auf nicht geringe Schwierigkeiten gestossen. Das erste Hinderniss entspringt dem Umstande, dass, wie zu erwarten, der gespannte Muskel den schlaffen an Widerstand bedeutend übertrifft. Selbst bei zehn kleinen Grove im Kreise sinkt die Stromstärke durch das Spannen des Sartorius, auf welchen man hier angewiesen ist, unter zwei Drittel, ja fast auf die Hälfte ihres Werthes im schlaffen Zustande. Der Widerstand des Sartorius ist aber überhaupt so gross, dass um seine Schwankungen, also um ihn selber gegen den Gesammtwiderstand des Säulenkreises ver- schwinden zu lassen, ein ausserordentlich grosser additioneller Widerstand, und demgemäss, um noch eine hinreichende Stromstärke zu erlangen, eine entsprechend grosse elektromotorische Kraft aufgeboten werden muss. Diese Schwierigkeit gelang es mir mittels des oben S. 417 beschriebenen Doppelsartorius zu besiegen. Da es hier darauf ankommt, die Spannung auf das äusserste Maass treiben zu können, ist es rathsam, den Muskeln ein Stück Tibia zu lassen, oberhalb dessen die Fadenschlinge liegt, welche sonst abgleiten könnte. Ausserdem aber muss der Doppelsartorius in der oben a. a. O. erwähnten Art gegen eine hinter ihm angebrachte Korkwand zu beiden Seiten der Symphyse mit Igelstacheln so befestigt werden, dass jeder der beiden Muskeln zwischen der Symphyse und seinem Wirbel einzeln gespannt werden kann. Indem man nun bald den linken Muskel spannt, den rechten schlaff lässt, bald umgekehrt verfährt, erreicht man es, dass nicht nur die Stromstärke in jedem der Muskeln in beiden Zu- ständen nahe dieselbe bleibt, sondern auch dass sie in dem einen Muskel im schlaffen, im anderen im gespannten Zustande genau dieselbe ist. Natürlich hat der Doppelsartorius von Zipfel zu Zipfel den doppelten Wider- stand vom einfachen Sartorius, ja wegen der Symphyse sogar einen noch grösseren, so dass man, um gleiche Wirkungen zu erhalten wie am ein- fachen Sartorius mit zehn Grove, deren zwanzig braucht. Wenn nun aber auch dergestalt der Unterschied der Stromstärken im gespannten und im schlaffen Sartorius ausgeglichen ist, so bleibt doch zweitens noch der Unterschied der Stromdichten übrig, welcher davon herrührt, dass durch das Spannen des Muskels sein Querschnitt verkleinert wird. Da das Volum 7 des Muskels bei der Dehnung beständig bleibt, so ist der Querschnitt dabei der Länge umgekehrt proportional, g= V/Z. Bedeutet & den specifischen Widerstand des Muskels, W den übrigen Widerstand des Säulenkreises mit Inbegriff der Symphyse und des anderen, SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırrH. 427 schlaffen Muskels, # die elektromotorische Kraft, so hat man die Strom- stärke: pre Ei Wg + ol folglich die Dichte: 7 EL a az Differenziirt man A nach Z, so findet man UN EAN 012) m (NE woraus folgt, dass so lange W>oZ/g, d.h. so lange der übrige Widerstand des Säulenkreises den des Muskels übertrifft, die Stromdichte im Muskel mit der Dehnung wächst; sie ist am grössten, wenn die beiden Wider- stände einander gleich sind. Bei unserer Anordnung ist zu Anfang der Dehnung des einen Muskels dessen Widerstand sichtlich kleiner als der des übrigen Kreises, und es wird also die Dehnung zunächst von einer Zunahme der Dichte im gedehnten Muskel begleitet sein. Ob das Maxi- mum überschritten werde, ist nicht auszumachen, noch weniger, wie tief etwa jenseit des Maximums die Dichte sinke. Wird drittens ein innerlich polarisirbares feuchtes poröses Elasticum sedehnt, so rücken die polarisirbaren Flächenelemente in der Längsrichtung auseinander, während sie in der Querrichtung sich einander nähern. Es kann nicht ausbleiben, dass dadurch die Polarisirbarkeit beeinflusst wird, doch ist es ohne eine theoretische Untersuchung, zu welcher es an den nöthigen Grundlagen fehlt, unmöglich, etwas Näheres und Sicheres darüber auszusagen. Gelänge es also auch, was unausführbar ist, zwei längsdurch- strömte Muskelstrecken von gleicher Länge, gleichem Querschnitt, gleicher darin herrschender Stromdichte herzustellen, die sich in nichts unterschieden als darin, dass die eine gedehnt, die andere schlaff wäre, und man fände zwischen beiden einen Unterschied der Polarisirbarkeit, so dürfte man immer noch nicht schliessen, dass die geknickte Lage der Bündel im schlaffen, ihre gestreckte Lage im gedehnten Muskel die Ursache des Unterschiedes sei. Zu diesen Bedenken tritt endlich noch eine experimentelle Schwie- riekeit, nämlich dass es nicht gelingt, bei abwechselnd gespanntem und schlaffem Muskel den Polarisationsstrom von ganz denselben Stellen des Muskels abzuleiten, da beim Spannen der mit Drachenblut gezogene Strich nicht bloss sich verbreitert, sondern auch wellig schräg sich verzieht. Inzwischen musste zugesehen werden, was wohl die Erfahrung lehren möchte. Ich stellte die Versuche nach einem zweifachen Plan an. In einer ersten Versuchsreihe legte ich die Bussolschneiden in beiden Zuständen AN= 428 E. pu Boıs-ReyMoxD: \ des Muskels möglichst genau denselben Punkten seiner Oberfläche an. Die zu Doppelsartorien verbundenen Sartorien waren schlaff etwa 37mm, ge- spannt etwa 50”® lang. Die von den Bussolschneiden umfasste Strecke maass schlaff etwa 14, gespannt 19=m, Die Dehnung betrug also ein Drittel der Länge, und die abgeleitete Strecke wurde dem ganzen Muskel proportional verlängert. An jedem Doppelsartorius wurde viermal der eine, viermal der andere Muskel gespannt. Man sieht den Erfolg unter den entsprechenden Ordnungszahlen in den nachstehenden Tabellen. S bedeutet ‘Schlaf’, @ ‘Gespannt’. Es wurden jedesmal die elektromotorischen Kräfte beider Muskeln in ihrem Zustande vor der ersten, beziehlich der erneuten Durchleitung des polarisirenden Stromes aufgenommen. Diese Kräfte finden sich in den Tabellen in der mit M7 bezeichneten wagerechten Reihe. Die Richtung der Kräfte ist nicht durch auf- und abwärts weisende, sondern durch wagerechte Pfeile angegeben. Ein auf die $ und @ trennende senkrechte Linie, wo man sich die Symphyse zu denken hat, zu gerichteter Pfeil zeigt aufsteigende, ein davon fort gerichteter absteigende Richtung an. Ebenso sind die langen, mit Haken versehenen, die Richtung des polarisirenden Stromes anzeigenden Pfeile zu deuten. Nach Entfernung der Bussolschneiden wurde der polarisirende Strom 10’ hindurchgeleitet. Darauf wurden die Bussolschneiden wieder angelegt, und die Veränderung der elektromotorischen Wirkung verzeichnet. Endlich die Zahlen in der Reihe ? geben Zeichen und Betrag der Polarisation an. Doppelsartorius I. 1 2 a 4 Ss G G Ss Ss G |; @ Ss M 90 13 99 23 25 54 68 20 —> | > | + | + || —> | > > ÄXX 10) >|) >||< (> ( (136) (102) (96) (110) - 59 9 59 81 96 16 140 71 < < < < > > > > Zee eernennnlerm|- Doppelsartorius II. 1 2, &) 4. (e} Ss Ss (@ BmlaNs Ss G M 22 66 21 49 52 19 25 47 x <— | <— | « > > | &— | +— XX 10 (|< |) = nn (184) (174) (180) (178) 28 42 34 24 58 43 60 130 ix < | > > | <— |< < < P +6 ) = | Saure SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırrH. 429 Wie man sieht, überwiegen am ersten Doppelsartorius die Polarisa- tionen im schlaffen die im gespannten Zustand. Das Mittel der ersteren ist 82.25, das der letzteren nur 51-0. Allein in dem unter ganz gleichen Umständen angestellten zweiten Versuche trifft das Umgekehrte ein, dies- mal überwiegen die Polarisationen am gespannten Muskel. Das Mittel für sie ist 65-0, das am schlaffen Muskel nur 44.0. In zwei anderen ganz gleich geführten Versuchsreihen war der Erfolge ebenso unbestimmt. Die Mittel der Polarisationen für den schlaffen Muskel betrugen 68-0; 51.5, für den gespannten beziehlich 40-4; 55-0. Immerhin bleibt zuletzt ein gewisses Uebergewicht auf Seiten des schlaffen Muskels, da das Mittel aus allen sechszehn Versuchen für ihn 61.4, für den gespannten 52.8 beträgt, wobei noch in Betracht kommt, dass, wie wir fanden, die polarisirende Stromdichte im gespannten Muskel möglicherweise grösser war als im schlaffen, und dass selbst bei gleicher Stromdichte die Polarisation im ersteren Falle stärker erscheinen kann als im zweiten. Nun stellte ich aber auch noch ähnliche Versuchsreihen in der Art an, dass ich die Bussolschneiden den Muskeln in beiden Zuständen in stets gleichem Abstand anlegte, wobei sie also verschiedene Stellen des natür- lichen Längsschnittes berührten. Vermuthlich in Folge hiervon war das Ergebniss dabei vollends so unregelmässig, dass es sich nicht verlohnt, es ausführlich mitzutheilen. Auch hier blieb indess im Mittel aus allen acht Bestimmungen (92.8 für den schlaffen, 80-3 für den gespannten Muskel) ein Uebergewicht für ersteren bestehen, und so mag wohl der schlaffe Muskel mit zickzackförmig gelagerten Bündeln in der That etwas mehr negativ polarisirbar sein, als der gespannte mit geradlinig gestreckten Bündeln. Wenn aber dies aus meinen Versuchen nur mit einiger Wahr- scheinlichkeit folgt, beweisen andererseits diese Versuche, in welchen die Muskeln bis fast zur Zerreissung gespannt wurden, gerade auf das Schla- gendste, dass die innere negative Polarisation der Muskeln nicht an die Knickung der Muskelbündel gebunden ist, sondern auch bei völlig gerade gestreckten Bündeln fast ebenso stark erscheint, wie bei völlig erschlaffter Bündeln. | Hier ist schliesslich der Ort hervorzuheben, wie ein besonderer und wesentlicher Vorzug meiner Versuchsweise zur Untersuchung der inneren negativen Polarisation darin liegt, dass, da die Bussolschneiden den Muskel während der Durchströmung gar nicht berühren, die Ableitungsstellen des Polarisationsstromes auch nicht als Aus- und Eintrittsstellen in die Schnei- den sich einbiegender Stromfäden, und daher weder als Sitz kathodischer und anodischer Erregung, noch als querdurchströmt aufgefasst werden können. Vielmehr bleibt bei dieser Versuchsweise die Längsdurchströmung 430 E. pu Boıs-ReYmonD: der interpolaren Strecke von einem gewissen Abstand von den Säulen- schneiden ab so strenge wie möglich gewahrt. Die Frage liest nahe, ob die so erwiesene innere negative Polarisir- barkeit des längsdurchströmten Muskels nicht vielleicht allein dem Sarko- ‚lemm und den fremden Geweben im Muskel zukomme, so dass die contractile Substanz selber dabei nicht betheiligt sei. Ich weiss keinen Versuch, um diese Frage sicher zu entscheiden, sehe aber keinen Grund, der quergeschichteten contractilen Substanz eine Eigenschaft abzusprechen, welche hartgesottenes Hühnereiweiss und durch Schlagen erhaltener Blut- faserstoff besitzen.” Gehörte indess die Polarisirbarkeit nur dem Sarkolemm und den fremden Geweben an, so hätte sie doch vollends nichts mit der polaren Erregung des Muskels zu thun. $5. Von der inneren negativen Polarisation der abgestorbenen Muskeln. Allein die Unmöglichkeit, meine Ergebnisse auf Hrn. Hering’s Art zu erklären, erhellt noch aus anderen Thatsachen. Zunächst fährt die innere negative Polarisation fort zu erscheinen, ja sie tritt in vollster Regelmässigkeit noch auf zu einer Zeit, wo der Muskel sich nicht mehr zusammenzieht, also auch schwerlich noch der polaren ‘Alterirung’ fähig ist, nämlich nachdem der Säulenstrom mehreremal abwechselnd in beiden Richtungen jedesmal eine Viertelstunde oder 20 Minuten lang hindurch- gesandt wurde. Ein guter Sartorius im entnervten Zustande verträgt zwei solcher Stromwechsel; nach dem dritten entspannt, antwortet er meist bei keiner Strömungsrichtung mehr, weder auf Schliessung, noch auf Oeffnung _ des Stromes, noch auf Umlegen der Wippe im Säulenkreise. Zuletzt findet man ihn, trotz der feuchten Kammer, offenbar in Folge der Erwärmung, trocken und steif. Aus den Versuchen am Doppelsartorius gingen die Muskeln stets in diesem Zustand hervor. Hr. Hering betrachtet nun zwar die vorausgesetzte ‘Alterirung’ als ein feineres Merkmal der Erregung denn die Zusammenziehung selber,” doch wird er diese an sich etwas bedenkliche Meinung wohl kaum auf den Fall eines unter dem Einfluss des Stromes halb abgestorbenen Muskels ausdehnen wollen. Aber noch mehr. Ich habe früher angegeben, dass die Siedhitze. die negative innere Polarisation des Muskels vernichte, und daraus entsprang sogar in meinen Augen eine Schwierigkeit für die Gleichstellung dieser ! Untersuchungen u. Ss. w. Bd. II. Abth. II. 8. 435. 436. ” Zwölfte Mitth. A. a. O. 8. 427. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıttH. 431 Polarisirbarkeit mit der anderer feuchter poröser Körper.! Ich verfuhr damals so, dass ich einen sehr starken Strom, von 30—50 Grove, 20” lang durch todtgesottene Muskeln oder Muskelmassen leitete, weil nämlich dies die Art war, wie ich, bei dem unvollkommenen Stande meiner Ver- suchsweisen, noch ohne unpolarisirbare Elektroden und ohne Einsicht in den secundären Widerstand, im äussersten Falle innere negative Polarisirbarkeit an feuchten porösen Körpern zum Vorschein zu bringen suchte. Dabei erhielt ich von den gesottenen Muskeln allerdings nur noch unmerkliche Spuren von Polarisation. Als ich aber neuerlich todtgesottene Sartorien ganz wie vorher die lebenden behandelte, sah ich einen sehr verschiedenen Erfolg, wie folgende Beispiele lehren. Der Muskel wurde auf Kork stark ausgespannt eine halbe Minute lang gesotten, nicht in physiologischer Steinsalzlösung, welche zweimal bes- ser leitet als der Muskel,” und dadurch Störungen hätte verursachen können, sondern in Leitungswasser. Die Versuche wurden nach dem Messungs- systeme D, mit wachsendem Abstande der Bussolschneiden, angessellt. Todtgesottener Sartorius. DR er aD mo 2 on la 12 x 115’ (134) Mae L 300 E16 o A 40 26 ae Apr A20' (110) | | | ya 738, 56.182. 1.59 2, 0 N ae er | y20' (98) l NER IN y9 A5o Aa y39 N 63 2, BER Er Baer Auf dieselbe Art wie oben S. 422 zusammengestellt, findet sich für die drei Abstände 1. 2. 3. PR =T7T—-6 A-50 T— 5 Pr = | —1il — 10 |— 60 PD =y—28 |—99 y— 122 ‚Selbst eine Minute langes Sieden hob die Polarisirbarkeit nicht völlig auf. In einem Falle erhielt ich ! Dies Archiv. 1884. 8. 55. 56. — Vergl. oben S. 406. ? Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. 8. 373 ff. 432 E. pu BoIs-ReyMonD: ie 2. 3. P3 =T-—- 50 A—- 73 T— 29 Br 27592 > 100 Pp =y-102 |—-217 y—-140 in einem anderen freilich nur noch il, 2. ES EN lee Pını = | —-2 — 12 Pp =y+5 [—-14 immerhin in der Mehrzahl der Prüfungen richtig gerichtete Wirkung. Nach einer Minute Aufenthalt in 100° heissem Quecksilber geben zwei Sartorien ie 2. 3% 1% 2. 3. P5 ee 3 T— 7 A—13 | een. Teile Pr = 18 —ı2 |-24 | (5 Bern PD Sy 5 en a sr In diesen Versuchen wurden die Muskeln plötzlich der Siedhitze aus- gesetzt, wobei sie nach meinen Beobachtungen bekanntlich sich nicht säuern.!” Wie der bei nur 45° wärmestarr gemachte und gesäuerte, oder sonstwie abgestorbene Muskel sich verhalte, habe ich noch nicht untersucht. Die obigen Thatsachen reichten aus für meinen gegenwärtigen Zweck, zu beweisen, dass die negative innere Polarisirbarkeit unabhängig von der polaren Erregung besteht, welche Hr. Hering doch wohl kaum noch an einem todtgesottenen Muskel annehmen wird. Will er nicht behaupten, und kann er nicht beweisen, dass das Todtsieden die Muskeln negativ polarisirbar mache, so werden sie es wohl schon vorher gewesen sein. Man kann diese Versuche dahin abändern, dass man nur die Enden des Muskels durch Siedhitze abtödtet, die Säulenschneiden den todten Endstücken, die Bussolschneiden, nach doppelt geöffnetem Säulenkreise, der lebenden Strecke symmetrisch anlegt. Da nach Hrn. Biedermann’s Entdeckung am künstlichen Querschnitt keine Erregung, folglich keine ‘Alterirung’ stattfindet, so wird auch so bewiesen, dass die innere negative Polarisation nichts mit der ‘Alterirung’ zu schaffen hat. Von den beiden Sartorien, welche zu den folgenden Versuchen dienten, wurden dem ersten die Enden durch Eintauchen in physiologische Kochsalzlösung, dem zweiten durch Eintauchen in Olivenöl von 90—100° verbrüht. Wegen der Ver- kürzung der abgetödteten Strecken nehmen diese von der gesammten Muskellänge einen so beträchtlichen Theil ein, dass von der lebenden Strecke zur Ableitung eine Länge von nur etwa 10” verfügbar bleibt. Die von dieser erhaltenen Wirkungen stehen nach Analogie der obigen _ ' Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. 8. 18 fl. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıttH. 433 Versuchstabellen unter d,„; unter ö die mit einem Abstand der Bussol- schneiden von nur 3—4mm erhaltenen. Sartorius mit verbrühten Enden. I. II. Ö dm h) dm M A40 A163 M y31 A45 XA15' (250—172) X Ay | | m a y24 )46 P,—55 — 172 ee A20' (94) Yıs 4a 48 18 As6 Po Pr erg A20' (78) Az y25 y2ı AT ya y20' (112) T20' | vo A16 As5 m 0 Pergm=ig A20' | log 12 Das Mittel aus allen ? für ö beträgt im ersten Versuche — 42, für d„— 75; im zweiten Versuche beziehlich — 15; —65. Die verhältniss- mässige Kleinheit der Wirkungen überhaupt erklärt sich durch die Kürze der Strecken; die anfangs bedeutende Stromstärke am ersten Sartorius ver- muthlich durch die noch erhöhte Temperatur. In dem Versuch am zweiten Sartorius wurden die polarisirenden Stromstärken nicht aufgezeichnet. Hierher gehören endlich Versuche an Muskeln warmblütiger Thiere, sofern diese Muskeln so schnell unerregbar werden, dass Hrn. Hering’s Erklärung der Polarisationserscheinungen auf sie nicht passt, obschon in ihrem Inneren eher, als im Froschsartorius, freie Endigungen der Muskel- bündel eine Rolle spielen könnten. Ein Streifen Gracilis von einem eurarisirten Kaninchen gab Archiv f.A.u. Ph. 1891. Physiol. Abtblg. 28 434 E. pu Boıs-Reymonp: EG M A832 A112 x A15’ (196) | 2 y3 Pr=200115 15’ (290) ler ler gg 20' A (226) A99 r 80 419 1 19 N — © Das Wachsthum des polarisirenden Stromes ist wohl der Ausdruck des im Absterben verminderten Widerstandes des Muskels. 8 6. Von der inneren negativen Polarisation nicht entnervter Muskeln. Wie am todten Muskel lässt sich andererseits auch am nicht ent- nervten Muskel die innere negative Polarisation nachweisen, wie folgende Beispiele zeigen, deren ersteres wieder nach dem Messungssystem A, das zweite nach dem 3 eingerichtet ist. Die polarisirenden Stromstärken konnten nicht mit den vorherigen auf denselben Maasstab reducirt werden. Nieht entnervte Sartorien. I. | II de Öme Om” Ömp üp ß) a du. di D Mm y15ı Aıe Aalı Aa N a7 M\) 14 Ace Aue x J15' x J15' ass os 10 or 105 | A105° ,, 18) M2sNal are P, —192 —6 +76 —91 —66 | P,—119 + 80 —172 —229 114 Nach 10° nochmals durchgemessen | Nach 5° nochmals durchgemessen ns De ge 488 63 N uıa u 116 Aaoı Yıo Mo yıs Au As | /112 170 )165 Aa 1a N. 1 19 Mer Mer BEREIT | Ye Me x Y ee ae ei — 95 li SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 435 In beiden Versuchsreihen giebt sich die Polarisation unzweifelhaft kund, wenn auch zwei Fehler vorkommen, und in dem zweiten Beispiele die wie oben berechneten Polarisationen das Gesetz des Wachsens mit den Abständen nicht gehörig befolgen, denn man hat il, 2. Ps = T— 119 A— 200 Ja = 2 On 21160 PD=y— 114 |— 173 Solche Unregelmässigkeiten wiederholten sich öfter an den nicht entnervten Muskeln, glichen sich aber in einer grösseren Anzahl von Versuchen wieder aus, denn im Mittel aus vierzehn Versuchen, in denen der polarisirende Strom siebenmal auf- und siebenmal abstieg, ergab sich Ps Pu PD — 118 —132 —175 Noch an zwei anderen regelmässigen monomeren Muskeln des Frosches habe ich die innere negative Polarisation, gleichfalls im nicht entnervten Zustande, beobachtet.’ Der Adductor magnus Ecker? gab nach einmaliger Durchströmung Ps Pıu PD : —67 —119 — 97 also mit einer ähnlichen Abweichung, wie zuweilen am nicht entnervten Sartorius. Der Cutaneus femoris, welcher nur etwa halb so dick ist wie der Sartorius,’ wurde auf der: Vorrichtung für den Elektrotonus der Nerven* ausgespannt, sonst wie der Sartorius untersucht. Er lieferte nach dem zweiten Systeme ganz regelmässig: Cutaneus femoris, nicht entnervt. Nach 10’ nochmals durchgemessen. ö dein dm # Klang SD N ö BES dar. do. | | | | | M,s ,8 y107 y72 )116 vlg 196 1202,12 y160 Rene N, RX 115 y20 | | | | Ne N A A yllz y172 „175 „13 „164 29 Na Bl Aa As De 0 ei Ps 165, 229 153, 9 " 2. oder Pr = 183 7 148 Pu= 46 | 18 Pp = |_—48 y— 244 1 Die Mm. hyoglossi vom Frosch, deren Ed. Weber zu seinen classischen Ver- suchen sich bediente, erwiesen sich hier wegen ihrer wenig bestimmten Endigung in der Zunge nicht so brauchbar wie ich erwartet hatte. 2 Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. Il. S. 577. 3 Untersuchungen u. s. w. Bd. I. 8. 705. 4 Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. Taf. III. Fig. 4. 28* 436 E. pu Boıs-REyMmonp: Der Fehler bei «d,, der zu kleine Werth von D in Reihe /,, der auffallend grosse von D in Reihe ?, erklären sich genugsam durch Entwickelung des aufsteigenden Muskelstromes am unteren natürlichen Querschnitt. Einen sicheren Erklärungsgrund für die geringere Gesetzmässigkeit ‚ der Erscheinungen am nicht entnervten Muskel weiss ich übrigens nicht anzugeben; doch wird die Vertheilung der inneren Nachwirkung der nega- tiven Schwankung am entnervten und am nicht entnervten Muskel noth- wendig eine verschiedene sein. Ich sehe voraus, dass man diesen Versuchen vorwerfen wird, ich hätte mit ‘unerlaubt’ starken Strömen und langen Schliessungszeiten gearbeitet. Allein der Leitungswiderstand eines gedehnten Sartorius ist so gross, dass der von einer mehrgliederigen Grove’schen Säule herrührende Strom hier keineswegs als ein übermässig starker zu betrachten ist. Ohnehin sehe ich nicht ein, warum nicht die Wirkung starker und lange anhaltender Ströme Gegenstand der Untersuchung sein dürfe; warum man auf so schwache Ströme und so kurze Zeiten sich beschränken solle, dass sie nur undeut- liche Spuren der Erscheinung erkennen lassen, während bei den von mir gewählten Verhältnissen kräftige Wirkungen mit voller vesstuns au sich kundgeben. Uebrigens versteht es sich von selbst, und wird durch Vorhergehendes bestätigt, dass es so starker Ströme und so langer Schliessungszeiten nicht bedarf, um die innere negative Polarisation zum Vorschein zu bringen. Aber natürlich giebt es auch eine untere Schwelle der Stromdichte und Schliessungszeit, oder ihres Productes, unterhalb welcher die Polarisation im Gewirre verschiedener anderer damit zu verwechselnden Wirkungen undeutlich wird und zuletzt verschwindet. Hr. Hering und, wie wir noch sehen werden, Hr. Bernstein sind unterhalb dieser Schwelle geblieben. Deutliche Zeichen der Polarisation liefert bei unserer Versuchsweise ein Sartorius meist erst, aber auch nicht immer, bei 5° dauernder Durch- strömung mit drei Grove. Denn, was sehr bemerkenswerth erscheint, die Schwelle kann für verschiedene Individuen eine. beträchtlich verschiedene sein. Andererseits ist noch die Frage unbeantwortet, welches Product aus Stromdichte in Schliessungszeit die stärkste Polarisation liefere. Es wird noch viel Arbeit nöthig sein, um diese Dinge vollständig zu ergründen; vor Allem aber ist nun ein anderer Umstand von viel grösserer Wichtigkeit hier aufzuklären. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırrHn. 437 $ 7. Von der negativen Polarisation an Muskeln mit sehniger Scheidewand.! Jetzt fragt es sich nämlich, was von den auf innere negative Polari- sirbarkeit von mir gedeuteten Wirkungen zu halten sei, welche ich am (racilis und Semimembranosus beschrieb, welche aber Hr. Hering durch polare ‘Alterirung’ der Muskelsubstanz erklärt wissen will. Meine an diesen Muskeln gewonnenen Ergebnisse in Gestalt einer Tabelle mit dop- peltem Eingange, in deren einem Kopfe wachsende Stromstärken, in dem anderen wachsende Schliessungszeiten sich finden, bedeuten allerdings etwas Anderes als ich mir zur Zeit dachte, sind aber doch als ebenso viele Thatsachen nicht so werthlos, wie Hr. Hering meint, und da ich mich hier und da auf sie beziehen muss, werde ich sie gehörigen Ortes noch mittheilen. Die Reihe der damals angewendeten Stromstärken fängt an mit Einem Daniell, Einem Grove, zweien Grove, und es zeigt sich die auffallende Erscheinung, dass das Maximum der negativen Polarisation unter allen versuchten Combinationen von Stromstärken und Schliessungs- zeiten mit Finem Grove bei 10 Minuten Schliessungszeit erreicht wurde. Die Lage der Bussolschneiden entsprach dabei der jetzt am Sartorius mit D bezeichneten. Jenes Maximum betrug 423°“, während der Muskelstrom zwischen natürlichem Längs- und künstlichem Querschnitt unter sonst gleichen Umständen eine Ablenkung von im Mittel nur 260° gab. Da nun, nach einem ungefähren Ueberschlage,” die Dichte des polarisirenden Stromes im Querschnitt des Muskelpaares mit nur Einem Grove bedeutend kleiner sein muss als mit zehn Grove in dem zwölfmal kleineren Quer- schnitt des Sartorius, so war schon hiernach klar, dass das Muskelpaar ungleich empfänglicher für negative Polarisation sich zeigt als der Sartorius ! Hier beginnt der Zweite Theil des Ersten Abschnittes der Zweiten Mittheilung über secundär-elektromotorische Erscheinungen an den elektrischen Geweben. Das nun Folgende ist entlehnt aus dem Sitzungsbericht der Akademie vom 12. Juni 1890 (ausgegeben am 19. Juni). 2. Hlbbd. S. 639—677. — S. auch Mathematische und naturwissenschaftliche Mittheilungen u. s. w. 1890. 8. 407—445. ?” Untersuchungen u. s. w. Bd. I. S. 705. — Ist G die elektromotorische Kraft und » der Widerstand eines Grove, W der übrige Widerstand des Säulenkreises bis zur interpolaren Strecke von der Länge Z, dem specifischen Widerstande « und dem Querschnitt g, so hat man die Ungleichheit 10G @G BED, wer Zn Die linke Seite, welche die Diehte im Sartorius vorstellt, ist wegen grösseren Zählers und kleineren Nenners die grössere. 438 E. pu Boıs-ReyMmonp: und natürlich auch als andere regelmässige monomere Muskeln. Dies stimmt mit der älteren, allerdings nicht mehr ganz eindeutigen Erfahrung, dass der mit zwei Punkten des natürlichen Längsschnittes oder mit zwei künstlichen Querschnitten aufliegende Gracilis merkliche negative Polari- sation annimmt durch einen mittels des Compensators hindurchgesandten Stromzweig von der Stärke des Muskelstromes, und unstreitig durch seinen eigenen Strom.! Die gleiche Ueberlegenheit gab sich aber auch kund, als ich das nicht entnervte Muskelpaar derselben Versuchsweise nach dem Messungssysteme B (s. oben S. 422) unterwarf, wie im Vorigen den Sartorius, aber statt mit zehn, mit nur Einem Grove. Gracilis und Semimembranosus, nicht Nach 10° nochmals durchgemessen. entnervt. Ö de dm dp D I den dm lau D Aca A 59 Ayo Ass A 63 NE 2 es N 3 |20' (195) N) I2a \ 84 \) 80 52 Jıas | | | | | | el x x aEER vis y188 098 „138 „295 Pepe Re P,—141 —161 —ı69 —213 —335 Man findet Nach 10° nochmals durchgemessen. 1 9. 3, Dre hear ben. Ian Ps =A—141 T—-133 A—188 Ve a Pu=|\-ısı |-ı | 1a 15’ (167) PD = —335 y—356 | 256 A119 102 A165 a A210 pP, 1332 165g 19sy2- 16472356 Die folgenden Versuche (S. 439) sind am entnervten Gracilis allein an- . gestellt, der erste nach dem System 4, der zweite wieder nach dem System 2. Die Säulenschneiden lagen der äusseren, die Bussolschneiden der inneren, femoralen Fläche des Muskels an. Doch ist dies von keinem deutlichen Einfluss auf den Erfolg. Die Empfindlichkeit der Bussole für den polari- sirenden Strom war im zweiten Versuche kleiner als im ersten. Wie man sieht, spricht sich in den beiden Versuchen nach dem System 5 das Gesetz der mit dem Abstand der Bussolschneiden wachsenden Wirkungen so entschieden aus wie möglich, und täuscht im Verein mit dem Erfolg beim System 4 bis auf Weiteres innere negative Polarisirbarkeit der Muskelbündel vor. Zwischen natürlichem Längs- und thermischem Querschnitt des Muskel- paares erhielt ich 250— 275 °@” Potentialunterschied. Die negative Polari- sation übertrifft also hier bei weitem die Muskelstromkraft, und die ' Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. I. S. 191. 192. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtHa. 439 Wirkungen sind erheblich stärker als am Sartorius mit zehn Grove, vollends als an diesem Muskel mit nur Einem Grove, da, wie bemerkt, der Sartorius bei meiner Versuchsweise meist erst bei drei Grove und 5’ Schliessungs- zeit sichere Zeichen innerer negativer Polarisation giebt. Graciles. I. | I. Öec Öme öm Ömp öp 0) de dm dp D | | | | | A | M yı09 „21 450 A 76 yı14 My y8 yaAı19 „ia 7 10’ (108) T \15' (88) | | A A A N A Aa« ya ya ya ya da 4100 492 #194 Aı1s 4220 aA=-»-m =) = 7 2 a en) in = iR 15’ (108) 20° (40) | N | | | ya» eat 4122 24 97T 143 „148 235 P,=-32 4 2 —98 —19 | PB, 7T6 —ı89 —337 —261 —464 15, (109) \20' (43) | | la | A N A A A ya „17 „25 y106 419 02 480 #91 497 dım = ea Ne ie 2, —_ı0 lm ZB an = 15° (111) 20 (44) ) 52 A1os Aızo Ass Ass A48 %91 103% 80 „168 2 = 0 10 ion Enm P,— 54 —ı171 —194 —177 —339 Ms (119) Es ergiebt sich: R i ' | 1 >» 3. 4. ya ya | Pr = 112A- 7167 — T8A— 54 P, 83 — 94 —198 158 —91 | Pu= |—- 1389| —262| — 217 — 181 Pn = y— 243 | — 464y— 406_ — 339 Mit zehn Grove fällt nach meinen älteren Erfahrungen die negative Polarisation am Muskelpaare schwächer aus als mit Einem Grove, schwächer sogar als die Muskelstromkraft.! Auf diesen Umstand wird später zurück- gekommen werden, zunächst handelt es sich darum, den Grund des ersteren Verhaltens, der stärkeren Polarisation des Muskelpaares und des Gracilis im Vergleich zum Sartorius bei Durchströomung mit nur Einem Grove, wo möglich aufzudecken. 1 Vergl. Dies Archw. 1884. S. 13. 440 E. pu Bois-ReyMmonp: $8. Die elektromotorische Wirkung der sehnigen Scheidewand im nicht polarisirten Gracilis. | Natürlich ist nicht daran zu denken, dass die Muskelbündel des Gracilis und Semimembranosus in ihrem Verlaufe stärker innerlich negativ polarisirbar seien, als die des Sartorius. Bei der geringeren Dichte des polarisirenden Stromes werden sie an den beobachteten Wirkungen sogar nur einen sehr kleinen Antheil gehabt haben. Sondern Sitz und Grund der starken negativen Polarisirbarkeit des Muskelpaares und des Gracilis ist unstreitig zu suchen in den sehnigen Scheidewänden, welche nach meiner Beschreibung den Gracilis ganz, den Semimembranosus zum Theil schräg durchsetzen. Ich gab zugleich an, dass die Muskelbündel an den Scheidewänden die von mir sogenannte facettenförmige Endigung zeigen, wesentlich wie die Bündel der Myokommata an den Ligg. intermuscularia der Seiten- rumpfmuskeln der Fische. Die schrägen natürlichen Querschnitte, mit welchen die obere und die untere Abtheilung des Gracilis in der Inseription aneinanderstossen, müssen der Sitz von Neigungsströmen sein, welche aber bei gleicher Parelektronomie der beiden Querschnitte einander aufheben, wie dies aus der Theorie und aus den Versuchen an Muskelrhomben sich ergiebt.! Dass sie für gewöhnlich es wirklich thun, folgt daraus, dass gerade am Gracilis das Gesetz des Muskelstromes bei natürlichem sowohl wie bei künstlichem, senkrechtem und auch schrägem Querschnitt am sichersten und reinsten sich darstellt.” Weil in so zahlreichen Versuchen über den Muskelstrom am Gracilis die Inscription keine augenfälligen Störungen verursachte, wurde eben meine Aufmerksamkeit so wenig auf diese Structur gelenkt. Jetzt aber ist hier eine Lücke auszufüllen. Es erscheint unerlässlich, sich zunächst einmal um das elektromotorische Ver- halten der Insceription im natürlichen Zustande des Muskels zu kümmern, ehe ihre Rolle bei seiner Polarisation näher erforscht wird. Es hält nicht schwer die elektromotorische Oberfläche (im Helm- holtz’schen Sinne)? des Gracilis, soweit sie durch die Inscription bestimmt wird, für verschiedene Zustände der in der Inscription zusammentreflenden natürlichen Querschnitte zu entwerfen. Bei völlig gleicher Parelektronomie dieser Querschnitte wäre, wie gesagt, kein Neigungsstrom zugegen. Ist die Parelektronomie nur gering, so wird sich ein Punkt der Inscription ! Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 127 ff. ? Ebenda, S. 56. 57. 127. 128. 576. > Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1853. Bd. LXXXIX. S. 211. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ÜRSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıTtH. 441 negativ verhalten gegen einen darüber oder darunter gelegenen Längs- schnittspunkt, beispielsweise in Fig. 4, welche die Aussenfläche des rechten Gracilis darstellt, der Punkt c gegen die Punkte d, e, f, g. Bei höherer Parelektro- nomie verschwindet der Potentialunterschied, bei noch höherer kehrt er sich um. Ist die Parelektronomie der beiden Querschnitte un- gleich, so verändern sich diese Wirkungen in leicht angebbarer Weise. Ausserdem aber gesellt sich dazu längs der Inseription ein Neigungsstrom im Sinne des minder parelektronomischen (Querschnittes. Ist beispielsweise der untere Querschnitt minder parelektro- nomisch, so wird Punkt 5 gegen a positiv, die Gegend 5 gegen die a wie eine stumpfe gegen eine spitze Rhombusecke sich verhalten. Ich ging nun daran, diese Schlüsse in der Erfahrung zu prüfen, indem ich die elektromotorische Oberfläche des Gracilis mit den Thonspitzen der unpolarisirbaren Röhrenelektroden absuchte. Wegen des verwickelten Verlaufes der Inscription an der Innenfläche hielt ich mich an die Aussen- fläche des Muskels. Ich kann nicht sagen, dass ich guten Erfolg hatte. Dann und wann zwar zeigt sich ein Punkt der Inscription negativ oder positiv gegen einen darüber wie gegen einen darunter gelegenen Längs- schnittspunkt. Ebenso oft aber verhält er sich negativ gegen einen darüber, positiv gegen einen darunter gelegenen Längsschnittspunkt, oder auch um- gekehrt, was soviel heisst, wie dass im Muskel aus anderen Gründen zufällig der entsprechende Potentialunterschied herrscht, den es denn auch gelingt, mit: den Spitzen in Lagen nachzuweisen, bei welchen sie, wie in df, eg, die Inscription zwischen sich fassen. Der Inscription entlang erhält man Ströme bald im einen, bald im anderen Sinne, ohne die Möglichkeit, sie auf die verschiedenen Parelektonomie der beiden Muskelabtheilungen zu beziehen. Alle diese Wirkungen sind sehr schwach, oft nur von gleicher Ordnung mit den Ungleichartigkeiten der Thonspitzen und dann schwer von deren Schwankungen zu unterscheiden. Mit der Innenfläche des Gracilis, mit dem Semimembranosus ist vollends hier nichts anzufangen. Uebrigens habe ich diese Versuche bisher nur an Winterfröschen angestellt, und es ist nicht undenkbar, dass sie an Sommerfröschen besser gelängen. Unter den jetzigen Umständen musste ich auf die Ausführung eines Versuchsplanes verzichten, der sich darbot und in mehrfacher Hinsicht anzog: nämlich den Neigungsstrom der Inscription dadurch zu verstärken, dass nur die eine Muskelabtheilung tetanisirt und durch die darin statt- findende Nachwirkung der negativen Schwankung die Oberhand der anderen Abtheilung verschafft würde. 442 FE. pu Boıs-Reymonp: $ 9. Muthmaassliche Rolle der sehnigen Scheidewand bei der Polarisation. Was nun die Bedeutung der Inseription bei der Polarisation betrifft, so scheint es zunächst, als lasse sich über die Art, wie ein den Muskel axial durchfliessender Strom sich durch die Inscription bewegen werde, Folgendes festsetzen. Bei dem jedenfalls nur geringen Unterschiede zwischen der Leitungsfähigkeit von Muskel und Sehne können wir von der Brechung des Stromes in der Scheidewand nach dem Kirchhoff’schen Gesetze! füglich absehen. Ohnehin wird die Brechung beim Austritt die beim Eintritt, wenn auch nicht so vollkommen wie beim Durchgang des Lichtes durch ein planparallel begrenztes Mittel, doch wohl zum Theil aufheben, und bei der geringen Dicke der Scheidewand kann die seitliche Verschiebung nur unmerklich sein. Mit Einem Wort, der Strom wird so gut wie un- entwegt und in unveränderter Dichte die Scheidewand in lauter den Bündeln parallelen Fäden überschreiten, und am einfachsten erscheint die vorläufige Annahme, dass jeder Stromfaden in dem von ihm durchdrun- genen Flächenelement der Scheidewand eine ihm entgegengerichtete axiale elektromotorische Kraft erzeugt. Dass die Scheidewand im Gracilis negativ polarisirbar sei, ist leicht zu beweisen, indem man eine Anordnung trifft, welche die Inseription im Wesentlichen nachahmt. Eine Sehnenhaut geeignet, die Scheidewand vor- zustellen, findet sich in der bandartig breiten Patellarsehne des Triceps femoris vom Frosch. Diese klemmte ich in einen queren Schlitz eines den Muskel vorstellenden Thonphantoms ein. Mit einem wirklichen Muskel lässt der Versuch sich nicht ausführen, theils weil trotz allen Vorkehrungen die Muskelstümpfe sich zurückziehen und einen unregelmässig klaffenden Spalt bilden, theils aus einem anderen Grunde, welcher erst später zur Sprache kommen kann (s. unten, $ 16). Dagegen mit dem Thonphantom des Muskels gelingt der Versuch gut genug. Man braucht dazu keine Säulen- schneiden, sondern bringt einfach ein Stück Thonstengel von der rundlichen oben 8. 413 in Fig. 1 sichtbaren Form mit seinen Enden zwischen die nackten Säulenbäusche und legt ihm die Bussolschneiden an. Nachdem man sich von der ursprünglichen Unwirksamkeit der Anordnung überhaupt überzeugt hat, schickt man den Strom Eines Grove 10’ lang durch den Thonstengel, und verzeichnet den sehr geringen Betrag der dem Thone selbst angehörigen inneren negativen Polarisation. Dann schneidet man den Stengel mitten durch und klemmt die Patellarsehne ein. Nun erhält man ' Poggendorff’s Annalen u. 3, w. 1845. Bd. LXIV, S. 500. Anm, 2, SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 443 schon bei kürzerer Dauer des polarisirenden Stromes stärkere negative Polarisation, welche von nichts herrühren kann, als von der Sehne, aber doch nicht entfernt von solcher Stärke, dass man die Wirkungen am Gra- eilis ohne Weiteres dadurch erklären könnte. Ich wollte wissen, ob vielleicht durch die schräge Richtung der In- seription ihre stärkere Polarisirbarkeit bedingt sei. Ich wiederholte also den vorigen Versuch mit dem Unterschiede, dass ich in ein hinreichend langes Stück Thonstengel die beiden Patellarsehnen desselben Frosches hinterein- ander einklemmte, aber die eine senkrecht, die andere unter einem mög- lichst spitzen Winkel. Nachdem nunmehr derselbe Strom, des vermehrten Widerstandes halber jetzt von zweien Grove ausgehend, gleich lange und in gleicher Richtung in Bezug auf Aussen- und Innenfläche die beiden Sehnen durchflossen hatte, wurden die Bussolschneiden dem Thonstengel abwechselnd so angelegt, dass sie bald die senkrecht, bald die schräg ein- gefügte Sehne zwischen sich fassten. Es zeigte sich das Gegentheil von dem Gesuchten; die Polarisation der senkrechten Sehne überwog stets bei weitem die der schrägen, auch wenn diese zuerst abgeleitet wurde, obschon alsdann die Wirkung der senkrechten Sehne durch die schnell vor sich gehende Depolarisation ınerklich gesunken sein musste. In dem nachstehenden Beispiele geben die Ordnungszahlen die Zeitfolge der Prüfungen an, die zusammen nicht viel über zwei Minuten dauerten. Mittels der Poggendorff’schen Umschaltung Patellarsehne. R - Fahräe senkrecht (& Unten $ 15) hätte dem Versuch noch eine bes- 1) — 2008 2) — 44 sere Gestalt gegeben werden können, der Erfolg 3) — 13 4) — 33 war aber auch bei diesem Verfahren so schlagend Di ll 6) — 27 und beständig, dass es mir überflüssig schien, noch D=.9 8) — 22 mehr Zeit und Mühe daran zu wenden. Lassen wir die Frage, in welcher Art die Scheidewand bei der Polari- sation betheiligt sei, für jetzt auf sich beruhen, und untersuchen wir, ob die am Graeilis wahrgenommene Vertheilung der Polarisation aus der obigen Vorstellung sich herleiten lasse, wonach in jedem Flächenelement der In- scription eine axial gerichtete Gegenkraft entsteht. Dies ist nicht so leicht zu entscheiden, wie es beim ersten Anblick scheinen möchte. Um darüber in’s Klare zu kommen, muss zuerst ein einfacherer Fall behandelt werden, als der sehr verwickelte der Inseription am Graeilis. Fig. 5 stelle die breite Seite eines dünnen, rectangulären, leitenden Prisma’s vor, welches von einer polarisirbaren Scheidewand schräg durch- setzt ist, die in der Figur nur in ihrer Projection zwischen + und — erscheint. Diese Scheidewand sei durch einen im Prisma fliessenden Strom, von der Richtung, welche der Pfeil mit dem Haken anzeigt, polarisirt worden, so dass nach unserer Annahme jedes Flächenelement der Sitz einer 444 E. pu Boıs-REyMmonp: der Axe des Prisma’s parallelen, umgekehrt gerichteten Kraft geworden ist. Auf eine solehe Anordnung passt die Art, wie ich die Wirkung des schrägen Muskelquerschnittes und die Entstehung der Neigungsströme erläuterte. Die axial gerichteten Kräfte zerlegen wir, wie die Figur zeigt, in zwei Öomponenten, die eine parallel der Scheidewand, die andere senk- recht darauf. Uebrigens wird in jeder den Seitenflächen des Prisma’s parallelen Ebene derselbe Vorgang stattfinden, so dass wir für unseren Zweck uns an dasjenige halten können, was in der uns zugewendeten Seitenfläche vorgeht. Wird das Prisma an beiden Enden isolirt gedacht, wie der Muskel bei doppelt geöffnetem Säulenkreise und abgerückten Bussolschneiden, so erzeugen die senkrechten Componenten keinen Strom, sondern setzen nur zwischen den Strecken dies- und jenseit der Scheidewand einen über die ganze Oberfläche des Prisma’s gleichmässig verbreiteten Potentialunterschied. Wird das Prisma zwischen seinen Enden zum Kreise geschlossen, so ent- steht ein Strom im Sinne negativer Polarisation, welchem zwar nur eine geringe elektromotorische Kraft zu Grunde liegt, welcher aber auch in der Scheidewand selber nur auf einen geringen Widerstand trifft. Die der Scheidewand parallelen Componenten dagegen steigern säulen- artig ihre Wirkung; die Scheidewand ist dadurch gleichsam in eine aus sehr zahlreichen, sehr kleinen Gliedern bestehende bandförmige Säule von grosser elekromotorischer Kraft, aber auch sehr grossem wesentlichen Wider- stande verwandelt, deren linearen Pole in der oberen und unteren Fläche des Prisma’s liegen, und in den Punkten + und — in Projection er- scheinen. Denkt man sich die bandförmige Säule bis auf diese ihre linearen Pole isolirt, so würde sich von ihrem + Pole zu ihrem — Pole eine im Rohen leicht zu construirende Strömung durch die Masse des Prisma’s ergiessen. Denkt man sich die isolirende Hülle entfernt, so werden Stromcurven die Oberfläche der Säule schneiden. Das genaue Gesetz dieser Curven anzugeben, wäre eine sehr schwierige Aufgabe, Glück- SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırttH. 445 licherweise bedürfen wir deren strenger Lösung zu unserem gegenwärtigen Vorhaben nicht. Es genügt die Einsicht, dass die so zu Stande kommende Strömung sich von der in der Figur angedeuteten nicht wesentlich unter- scheiden könne, wo die ausgezogenen Curven die isoölektrischen, die ge- strichelten die Stromeurven vorstellen. Jetzt fragt es sich, was beim Anlegen der Bussolschneiden an die Seite des Prima’s geschehen werde. Die Breite dieser Seite setzen wir der Länge der Schneiden gleich, und legen letztere senkrecht zur Axe an. In der Figur sind die Bussolschneiden durch starke Doppellinien vorgestellt. Den Erfolg zu beurtheilen dient wieder das Helmholtz’sche Princip der elektromotorischen Oberfläche in Verbindung mit dem der Superposition der Ströme. Danach bleiben bekanntlich in dem körperlichen Leiter, der elektromotorische Wirkungen in sich birgt, die vor dem Anlegen der Bussolenden vorhandenen Stromeurven bestehen, setzen sich aber nach dem Parallelepiped der Kräfte zusammen mit den Curven der neuen Strömung, welche die leitende Masse von den Bussolenden her so durchdrinet, als würde sie irgendwo im. Bussolkreise erzeugt durch eine elektromotorische Kraft gleich dem Potentialunterschied der von den Enden berührten Punkte. Wird der Strom im Bussolkreise compensirt, was unsere gewöhnliche Beob- achtungsweise ist, so bleiben die Stromcurven in dem körperlichen Leiter ungestört, und die zum Compensiren aufgewendete Kraft misst den Potential- unterschied der abgeleiteten Punkte der elektromotorischen Oberfläche. Bei Anwendung dieser Sätze hätte es keine Schwierigkeit hinreichend genau für unseren Zweck anzugeben, welche Wirkung beim Anlegen punkt- förmiger Elektroden, wie der Thonspitzen der unpolarisirbaren Röhren- elektroden, an verschiedene Punkte der Oberfläche des Prisma’s man er- halten würde. Misslicher gestaltet sich die Aufgabe, wenn es um Ableitung durch die linearen Schneiden sich handelt. Alsdann ist es nöthig, die mittlere Spannung der Schneiden zu kennen, nämlich die Spannung, welche jede Schneide dadurch annimmt, dass sie eine ganze Schaar von isoölektrischen Curven an der elektromotorischen Oberfläche berührt.! Da das Potential in den verschiedenen Curven verschiedenen Werth hat, wird in der Schneide selber, d. h. in dem Thonstengel und dem Keilbausch, eine Ausgleichung dieser Unterschiede stattfinden. Diesen Vorgang scharf und erschöpfend zu zergliedern, ist so gut wie unmöglich; doch scheint es wiederum, als lasse auch ohnedies Folgendes mit hinreichender Sicherheit sich erschliessen. | ! Auf den Begriff der mittleren Spannung nicht pnnktförmiger ableitender Elek- troden bin ich schon einmal, bei meinen Untersuchungen über den Zitterwels, geführt worden. Gesammelte Abhandlungen u s. w. Bd. Il. S. 636. 446 E. pu Borıs-REYMOND: Liegt eine Schneide dem Prisma so an, dass sie die Mitte der Scheide- wand berührt, so wird ihre mittlere Spannung = Null sein. Rückt die Schneide auf den einen Pol der Scheidewand zu, so nimmt sie eine Span- nung von dem Zeichen dieses Poles an, um so stärker, je näher dem Pole. Führen wir also von der Mitte der Scheidewand ausgehend die Schneiden symmetrisch auseinander, so wird die dem positiven Pole der Säule nähere Schneide gegen die dem negativen Pole nähere um so positiver sich ver- halten, je grösser ihr Abstand von einander. In der Stellung der Schnei- den 5° und $” in der Figur, wo sie gerade die Pole der Säule berühren, wird ihr Potentialunterschied am grössten sein. Wird dieser nicht com- pensirt, so fliesst im Bussolkreise ein Strom im Sinne negativer Polarisa- tion, dessen Curven im Inneren des Prisma’s mit den dort schon bestehen- den nach dem Parallelepiped der Kräfte sich zusammensetzen. Wenn die Schneiden irgendwo zwischen den Polen eine zur Mitte der Säule asymmetrische Stellung einnehmen, wird der Erfolg im Wesentlichen derselbe bleiben. Die dem positiven Pole nähere Schneide ist positiv gegen die dem negativen Pole nähere; die Polarisation erscheint negativ. Nun handelt es sich darum, was erfolgen werde, wenn die Schneiden ausserhalb der Pole liegen, und zwar erweist sich als das Vortheilhafteste, die mittlere Spannung der Schneiden bei den in Fig. 5 in $° und $,, 8” und s,, abgebildeten Lagen zu schätzen, wo die beiden Schneiden sich auf derselben Seite der Säule, ungleich weit "von ihrem Pole befinden. Dazu scheint folgendes eninlısen dienen zu können. Auf die Länge der Schneide als Abscissenaxe ad trägt man die ihren verschiedenen Punkten entsprechen- den Potentiale als Ordinaten auf, und verbindet die Köpfe der letzteren durch eine Curve. Je grösser der so umschlossene Flächenraum, um so grösser ist die mittlere Ordinate, welche wir als Maass der mittleren Spannung annehmen dürfen. Indem man diese Construction für zwei verschiedene Lagen der Schneiden über derselben Abscisse ausführt, erfährt man also, in welcher Lage den Schneiden die grössere mittlere Spannung zukommt. In Fig. 6 ist dies für die Lagen der Schnei- den in $' und &, dargestellt. Die beiden Grenz- ordinaten für die Lage 8, liegen nach der in der Fig. 5 gewählten Bezeichnungsweise einander nahe in der Mitte zwischen den isoölektrischen Curven + 3 und + 4; für die Lage 5’ entspricht die höchste Ordinate dem Pole selbst, welcher in dieser Notation die Spannung + 6 hat; die niedrigste Ordinate liegt etwa in der Mitte zwischen den isoölektrischen Curven + 2 und + 3. Der Unterschied der Flächenräume «a dc dwdadbe f fällt Fig. 6. m SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıTTH. 447 sichtlich zu Gunsten von 5° aus; die dem positiven Pole nähere Schneide ist positiv gegen die entferntere. Der Unterschied der Flächenräume ist eine Function des Winkels, unter welchem die Scheidewand gegen die Axe des Prisma’s geneigt ist; er verschwindet mit der zur Scheidewand paral- lelen Componente, wenn dieser Winkel ein rechter wird; unter keinen Um- ständen scheint er negativ werden zu können. Dass er positiv ist, heisst nun aber so viel, wie dass die Polarisation hier die umgekehrte Richtung habe von der zwischen den Polen; bei nicht compensirtem Unterschiede wird der Strom im Bussolkreise positive Polarisation vortäuschen. Auf der negativen Seite gilt mit vertauschten Zeichen das Nämliche; auch hier wird der Schein positiver Polarisation entstehen. Die Pfeile in den Bögen zwischen 8,8, 8'°5”, 8°8,, in Fig. 5 zeigen demgemäss die Richtung des Stromes im Bussolkreise, wobei zu bemerken ist, dass man die Bögen nicht an die obere Seite des Prisma’s angelegt sich zu denken hat, sondern an den Punkt mittlerer Spannung der Bussolschneiden. Es geht ferner daraus hervor, dass wenn die beiden Schneiden ausser- halb des Bereiches der Scheidewand sich befinden und diese zwischen sich fassen, ihre mittlere Spannung wohl noch in demselben Sinne sich unter- scheiden wird, wie wenn sie im Bereich der Säule liegen, aber um eine geringere Grösse, als wenn sie die Pole berührten, mit anderen Worten, wenn die Schneiden bei symmetrischer Lage zum Nullpunkte über die Pole hinausrücken, wird ihr Potentialunterschied, anstatt weiter zu wachsen, vielmehr abnehmen. Zu diesen, den der Scheidewand parallelen Componenten entspringen- den secundären Wirkungen summirt sich nun noch die, welche von den auf die Scheidewand normalen Componenten ausgeht. Aus dem schon oben S. 444 darüber festgestellten folgt aber, dass bei isolirtem Prisma und ausserhalb des Bereiches der Scheidewand auf deren einer Seite be- findlichen Schneiden gar keine solche Wirkung stattfinden werde, sondern nur, wenn die Schneiden die Scheidewand ganz, oder einen Theil davon zwischen sich fassen; und hier sieht man sofort ein, dass bei wachsendem Abstand der Schneiden über den Bereich der Scheidewand hinaus keine Steigerung des Potentialunterschiedes mehr möglich sei. $ 10. Vergleichung der theoretischen Ergebnisse mit der Erfahrung. Wir sind nun so weit, dass wir an den uns in Wirklichkeit beschäf- tigenden Fall des Gracilis herantreten können. In Fig. 6 sieht man eine schematische Anordnung, welche die Inscription am Gracilis treuer nach- ahmt als die in Fie. 5 dargestellte, sofern die polarisirbare Scheidewand 448 E. pu Bors-REYMoND: in der Mitte geknickt ist, so dass ihre beiden Hälften einen Winkel bilden wie die beiden Flächen eines spitzen Daches. Es ist leicht, sämmtliche obige Schlussfolgerungen auf dieses neue Schema zu übertragen, da es längs der die Axe CP einschliessenden, in der Figur wagerechten Strö- mungsfläche in zwei Spiegelbilder spaltbar ist, deren jedes der Fig. 5 ent- spricht. Allerdings ahmt auch das neue Schema den sehr eigenartigen Verlauf der Scheidewand am Gracilis nur unvollständig nach, jedoch hilft es uns einigermaassen beurtheilen, wie weit die Beobachtungen an diesem Muskel den theo- retischen Erwartungen entsprechen, zu welchen dessen Bau nach den jetzt gewonnenen Ein- sichten uns berechtigt. Dies ist nicht in befriedi- sender Weise der Fall. Nach den oben S. 439 mitgetheilten Tabellen erhält man vom Gra- cilis sowohl mit dem im kleinen Abstande wandernden, wie mit den in wachsendem Abstande symmetrisch angelegten Busolschneiden Wirkungen in dem Sinne, als seien negativ elektromotorische Kräfte durch die ganze Länge des Muskels, auch über die Grenze der Inscription hinaus, zwischen diesen und den Säulenschneiden säulenartig verbreitet. Im Bereiche der Inseription stimmt dies mit den Forderungen der Theorie. Auch lässt sich vorhersehen, dass in den sehnigen Enden des Muskels, soweit sie vom pola- risirenden Strome getroffen werden, Aehnliches vor sich gehen werde, wie in der sehnigen Scheidewand. Aber zwischen der Inscription und jenen Enden hätte nach unseren bisher gewonnenen Vorstellungen nichts sich kundgeben dürfen, ais höchstens eine Spur innerer negativer Polarisation, obendrein noch geschwächt durch die von der Inseription aus dorthin sich verbreitende scheinbar positive Polarisation, und demgemäss auch beim Vergrössern des Abstandes der Schneiden über den Bereich der Inseription nicht weitere Verstärkung, sondern Schwächung des negativer Polarisation entsprechenden Potentialunterschiedes. Solchem Widerspruch zwischen Theorie und Erfahrung gegenüber war es geboten, den Thatbestand nochmals und schärfer zu prüfen, als in den obigen Versuchen, in welchen bei der Wahl der abgeleiteten Punkte noch | nicht strenge Rücksicht auf die Inscription genommen worden war. Ich setzte mir also jetzt vor, mit Thonspitzen die elektromotorische Oberfläche des polarisirten, wie vorher die des Gracilis in seinem natürlichen Zustande ee SEOUNDÄR-ELETROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN — 2. MiırttH. 449 abzusuchen. Der Muskel wurde so aufgestellt, dass er seine Aussenfläche nach oben kehrte, während von unten her als Säulenschneiden ihm Thon- stengel den polarisirenden Strom zuführten. Die Thonspitzen berührten die in Fig. 4 mit d, e oder die mit f, g bezeichneten Punkte zwischen den Säulenschneiden und den oberen oder unteren Grenzen der Inscription. Der nie ganz fehlende geringe Potentialunterschied wurde compensirt und verzeichnet, dann bei doppelt geöffnetem Bussolkreise der Strom Eines Grove 15’ hindurchgeleitet, endlich zur Beobachtung der Polarisation mittels der Polarisationswippe der Säulenkreis doppelt geöffnet und der Bussolkreis doppelt geschlossen. So musste hier verfahren werden, weil mit den Spitzen, auch bei Bezeichnung der abzuleitenden Punkte mit Drachenblut, dieselben Punkte doch nieht genau genug wieder gefunden wurden, um sicher zu sein, dass eine beobachtete Veränderung des Potentialunterschiedes von Polarisation herrührte, und nicht von einer Veränderung des Muskel- stromes. Noch weniger thunlich war es, am polarisirten Muskel die Spitzen umherzuführen, um die Polarisation zwischen verschiedenen Punkten zu ermitteln, da man dann gar nicht wusste, was vorher der Potential- unterschied zwischen den untersuchten Punkten gewesen war. . Bei dem beschriebenen Verfahren gab sich nun, ganz wie in den früheren Versuchen mit den Schneiden (s. die Zahlen /, bis /, unter ©, und ö, in der Tabelle I oben S. 439), negative Polarisation kund, bei- spielsweise — 137°" in fg, — 75 in de bei aufsteigendem, — 82 in f 9 — 51 in de bei absteigendem Strom. Mit der Inscription zwischen den Spitzen erfolgten freilich sehr viel stärkere Wirkungen, wie sich dies auch schon in der Tabelle zeigt, beispielsweise zwischen e und g — 324°8' bei auf-, — 299 bei absteigendem Strome; ebenso der Inscription entlang zwischen a und 5 bei aufsteigendem Strom einmal — 424, bei absteigen- dem — 322°, Immerhin bestätigt sich auch bei dieser Versuchsweise, dass die Strecke zwischen Inscription und Säulenschneiden in auffallendem Maasse negative Polarisation annimmt. Ohne über die Wirklichkeit dieser Polarisation, geschweige ihre Natur, schon jetzt etwas aussagen zu wollen, soll sie, um sie kurz bezeichnen zu können, die unächte innere Polari- sation heissen. Wir werden dieser Erscheinung sogleich unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden. Zunächst bietet sich hier noch eine andere Frage dar, nämlich, ob nicht neben der neuen Polarisation, gleichsam durch sie hindurch, die nach unserer Schlussfolge von der Inscription her sich ausbreitenden Stromcurven doch .vielleicht nachweisbar seien. Zwischen Punkten, welche der Länge des Muskels nach auseinanderliegen, lässt sich dies nicht gut ausmachen, da der Potentialunterschied verschiedener Punkte der Curven sich dann nur durch algebraische Summation mit den Potentialunterschieden Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 29 450 E. pu Boıs-Reymoxp: wegen der unächten inneren Polarisation zu erkennen geben könnte. Nur in dem Falle wäre dabei ein entscheidendes Ergebniss zu erhoffen, dass der Potentialunterschied längs den Stromcurven von der Inscription her den wegen der unächten inneren Polarisation überträfe. Einmal habe ich dies wirklich gesehen. Für gewöhnlich findet man zwischen a, k und a, 1, Fig. 4, sowohl bei auf- wie bei absteigendem Strome negative Polarisation, jedoch, was schon auffällt, anfangs stets schwächer zwischen den beiden zuerst als zwischen den beiden zuletzt genannten Punkten, wie die folgende Tabelle I zeigt. Einmal aber fiel bei diesem Versuche die Polarisation zwischen a, k bei den drei ersten Stromwechseln sogar positiv aus (Ta- belle II), was die Vorstellung erweckt, als sei in den anderen Versuchen die negative Polarisation zwischen a, % schwächer erschienen, weil positive Polarisation sich davon abzog. Dies erklärt sich auf keine andere Weise als mit Hinblick auf die in Fig. 7 schematisch dargestellten Stromeurven. Um nun aber auch aen Potentialunterschied wegen dieser Curven frei von der Störung durch die unächte innere Polarisation aufzufassen, müssen die abzuleitenden Punkte in der Quere des Muskels gewählt werden, wie ke, el; hf, fm oder hg, gm in Fig. 4. Ich habe ziemlich viel Versuche der Art angestellt, leider mit geringem Erfolge. In dem günstigsten Falle, der mir vorkam, erhielt ich auf sechsmal vier richtige Ergebnisse. Graciles. JE N VDE ak leh ah | ak ah EN | \ | A en Be | M,y35 A 14 SE | ve I y10 10 N 48 N163 A189 N 46 y105 P!=66 =169) 105 ale N3' \10 | | | IN N y46 y31 „168 N 45 A252 oa | 72, 4 | INS y!5 | 115 a eN Kar | N er ea Tea J2® 9 54 —183 | P, +29 —390 \15 Tr y15 15 | N N | ar al Nez | aa P_284 -- I1 —208 | PATE T SECUNDÄR-ELEKTOMOT. FRSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırrHa. 451 Jetzt handelt es sich darum, was von der vorläufig so genannten unächten inneren Polarisation zu halten sei. Es ist klar, dass ehe wir uns in deren Dasein finden, die Unmöglichkeit auf das Bestimmteste erwiesen sein muss, die Erscheinungen, welche uns zur Vorstellung einer solchen Polarisation führten, durch die gewöhnliche innere negative Polarisation zu erklären. Dieser Beweis ist nicht leicht zu erbringen, so lange er um Schätzungen von Stromdichten in Versuchen an zwei verschiedenen Muskeln sich dreht, wie Gracilis und Sartorius. Insbesondere wird es in hohem Grade wünschenswerth, an Stelle eines so verwickelten und in vieler Be- ziehung undurchsichtigen Versuchsobjeetes wie der Graeilis, ein einfacheres und leichter beherrschbares zu setzen. Dazu ist der uns schon von früher her (s. S. 417. 426 ff.) bekannte Doppelsartorius geeignet. $ 11. Von der negativen Polarisation am Doppelsartorius. Der Doppelsartorius ist einem Muskel mit sehniger Scheidewand ver- gleichbar, sofern die Symphyse eine solche vorstellt, mit dem Unterschiede freilich, dass die Symphyse die Muskelmassen weiter von einander trennt, als die Inscription, dass sie nicht schräg, sondern mehr senkrecht sie durch- setzt, und dass die Muskelbündel nicht facettenförmig daran endigen. Aber gerade diese Umstände sind es, welche im Gegensatz zu den schwierigen Verhältnissen am Gracilis uns hier zu Statten kommen. Fig. 8 zeigt die Stellungen, welche man den Bussolschneiden giebt, um den secundär-elektromotorischen Zustand des Doppelsartorius zu ermitteln. 58, sind wie gewöhnlich die Säulenschneiden. > ist die Symphyse, /,>, >), sind die Lagen der Bussolschneiden, bei welchen die eine Schneide der Symphyse, die andere dem Aequator eines der Muskeln anliegt. Z,,, 2,,A sind symmetrische Lagen der Bussolschneiden am Längsschnitt jedes der beiden Muskeln. Z,A,, ist die Lage, bei welcher die Schneiden die Symphyse und die oberen natürlichen Querschnitte beider Muskeln zwischen sich fassen, endlich o die Lage, bei welcher sie, jederseits in dem schmalen Raume zwischen den oberen Bündelenden und der Symphyse angelegt, nur 29* S 452 E. pu Boıs-REeymoxp: letztere zwischen sich haben. Die scharfen Kanten der Bussolschneiden gestatten dies hinreichend sicher zu thun. Von den übrigen in der Fieur sichtbaren Lagen wird später die Rede sein. Ein einzelner Grove bringt durch den Doppelsartorius hindurch an der Bussole im Säulenkreise eine Ablenkung von nur 5°° hervor, wenn er durch den Gracilis hindurch 35—40°“, also sieben- bis achtmal stärkere Wirkung giebt. Da aber der Sartorius einen sechsmal kleineren Quer- schnitt hat als der Graceilis,! so wird die Stromdichte im Gracilis und im Doppelsartorius nicht sehr verschieden ausfallen; und der Bruch 7/y ist sogar für den Gracilis grösser als für den Doppelsartorius im Verhältniss von 37.5/6:5 oder von 6:5. Auf alle Fälle ist die Stromdichte mit nur Einem Grove im Doppelsartorius sehr viel kleiner als mit zehn Grove im einfachen Sartorius, wobei die Ablenkung an der Bussole in demselben Zu- stande 140 bis 180 °° betrug. Trotz diesem auf das 28- bis 36fache sich belaufenden Unterschiede erscheint nun am Doppelsartorius in den Lagen, wo die Symphyse bethei- list ist, negative Polarisation in solchem Maassstabe, dass sie mit der am Gracilis beobachteten als von eleicher Ordnung sich darstellt. Folgendes ist ein Beispiel eines vollständig durchgeführten Versuches der Art. Die Stromrichtungen sind hier wieder nicht als auf- und absteigend angegeben, sondern als von rechts nach links und umgekehrt (vergl. oben 5. 428). Doppelsartorius. I, 1,2 bh Zı, A,,h | Il, 1,2 L,,hyr Zı, Anh M 34 49 104 59 13 er 1 ((O)) un | 9... 109° 2570 ars Te (10° (6) > + > > = 15 71 253 295 31 P, —20 —198 —475 —218 —36 Ir 7 Mr ende I = ee) P,ı -19 +22 —149 —236 —44 5 307 201 199 41 ) — — 15 (BB) FR en ie = > 11 307 218 160 29 P, -14 —198 —458 —179 —24 ee ei Se + —( 15’ (45) m an a aa er 8.115 190 Sscomesı < < > _ > —> . P, +3. 192 SS Teen In den Strecken 7 /,, A,, A ist die innere negative Polarisation so schwach, dass auf zehnmal die Veränderungen der elektromotorischen Kraft dreimal positiv statt negativ ausfallen, d. h. überwogen werden durch zu- fällige andere Veränderungen, welche ihren Grund in den früher (oben >. 423) erörterten, bei solchen Versuchen unvermeidlichen Störungen haben. Der Mittelwerth aller zehn Zahlen ist — 14; man kann vorläufig an- ! Untersuchungen u. s. w. Bd. I. S. 705. SEOUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEREN. — 2. MırtH. 453 nehmen, dass die im negativen Sinne davon abweichenden höheren Zahlen gleichfalls auf solchen Störungen beruhten. Dagegen in den Lagen /,>D, /,,A,,, &%,, in welchen die Bussolschneiden die Symphyse mit den daran grenzenden Muskelenden zwischen sich haben, stösst man auf Zahlen, welche nicht bloss die mit zehn Grove am ein- fachen Sartorius, sondern zuweilen sogar die mit Einem Grove am Gracilis und dem Muskelpaare erhaltenen übertreffen. Es ist also klar, dass die Enden der Muskelbündel hier ebenso der Sitz besonders starker negativer Polarisation sind, wie an den Inscriptionen des Gracilis und des Semi- membranosus. Man könnte meinen, dass dies von der grösseren Strom- dichte in den kegelförmigen Muskelbündelenden an der Symphyse herrühre. Allein die starke Polarisation wird auch wahrgenommen, wenn man an der Symphyse soviel Stümpfe der benachbarten Muskeln stehen lässt, oder die Symphyse sammt den Muskelenden mit einem so dicken Ring aus physio- logischem Thon umknetet, dass die Stromdichte gewiss nicht grösser, eher kleiner ist, als im Verlaufe der Muskeln zwischen /, und /, 4, und 4; und es ist sicher richtiger, in der hohen Polarisirbarkeit der natürlichen Sartoriusenden die Erklärung der ähnlichen Eigenschaft der Inseriptionen am Gracilis und Semimembranosus zu suchen, und somit beide Erschei- nungen auf ein gemeinsames Princip zurückzuführen. Was die Symphyse selber betrifft, so ist ihr, wenn sie mit durch- strömt wird, ein gewisser Antheil an der Polarisation freilich nicht abzu- sprechen. In der obigen Tabelle bemerkt man leicht, dass die Lagen ],,A,, in den Versuchen 2—5 zu starke Wirkungen liefern. Es erscheint in der Ordnung, dass diese Wirkungen so stark seien, wie die Summen der Wirkungen in den Lagen J,>D,>%,; aber sie übertreffen diese Summen nicht unbeträchtlich, denn man hat (2) Ari = 236 { 135) + 100 (3) 475 = (218 + 198) + 59 (4) 458 = (198 + 179) + 81 ®), a = (OR an) 2 aeı Es liegt nahe, die Ursache hiervon in der negativen Polarisirbarkeit dder Symphysengewebe selber zu suchen, und der Versuch bestätigt diese Annahme, wie folgende Reihe zeigt, in welcher mittels der jederseits zwischen Symphyse und Bündelenden angelegten Bussolschneiden, also in der Lage o, die Polarisation der Symphyse getrennt aufgenommen wurde. Die Polarisation in der Lage o ist unter der in der Lage /,,i,, durch eine wagerechte Linie davon geschieden, verzeichnet und durch fetten Druck hervorgehoben. 454 E. pu BoIs-Rrymonp: Doppelsartorius. [07 [02 DI > 0 DE er) De les m Sa, 109 ) —> 15’ (15) ER OR en An 148 a 2 205° <> Sr — do DD = > a a ra) | 2 47 141 ©. 8 7 IP +8tI — 61 62 —51 +6 een 2 — (15° (15) | 146 | | > 2 — +36 +34 | 32 51 —— 14 8 ee | —> > 9 — Ei I NE 173 BO A oe 8, 396, 0 ee | re) 2 || BON 104 P,+107 — 30 ——- —-W+20 | 3 181, smile > i — 66 | au gu —— 3 | — | 129 I 2 — a Sa TORE | Ps + = 72 0 Die Reihe bietet in den Lagen Z,, und A,A wieder grosse Unregel- mässigkeiten dar, da auf zehnmal die Polarisation sechsmal statt negativ, scheinbar positiv sich darstellt, zweimal Null ist. Dies hat hier nichts zu bedeuten, und um so regelmässiger tritt die negative Polarisation der Symphyse in der Lage o hervor, indem sie in den fünf Versuchen — 68, — 66, — 64, — 65, — 62 beträgt, wenn sie auch, was nicht zu erwarten, nicht die Summen Z> + >%, zu den Werthen /,,A,, ergänzt. Auch die ausgeschnittene Symphyse giebt negative Polarisation, wovon man sich mittels desselben Verfahrens überzeugt, welches uns zur Erfor- schung der Polarisirbarkeit der Patellarsehne gedient hat (s. oben S. 443). Statt dieser klemmt man die Symphyse in den Spalt des Thonstengels ein. Dabei erhält man eine grössere negative secundär-elektromotorische Kraft als mit dem Thon allein, z. B. mit Einem Grove nach 5’ ohne Symphyse — 12, mit Symphyse — 42°. Dass äussere Polarisation zwischen der Knochen- und Knorpelsubstanz der Symphyse und dem Thon dabei mit- spiele, ist sehr unwahrscheinlich, da zu deren Erzeugung ungleich stärkere Ströme gehören. Dass die Polarisirbarkeit in den Bündelenden an der Symphyse zu suchen sei, geht sodann daraus hervor, dass nach Abtödten dieser Enden nur ein geringer Rest davon zurückbleibt, der zu einem kleinen Theil innere Polarisation sein mag, zu einem grösseren wohl von der Symphyse herrührt, auch wohl noch einen anderen Ursprung haben mag, wie unten im $ 16 erhellen wird. Die folgende Tabelle zeigt das Verhalten, nachdem SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırtH. 455 die beiden oberen Enden des Doppelsartorius nebst der Symphyse vor dem Versuch in 100° heisses Olivenöl getaucht worden waren, während die beiden unteren Zipfel mit der Pincette empor gehalten wurden. In anderen Fällen geschah mit dem gleichen D EN: Erfolge die Abtödtung so, dass die Bündelenden oppelsatorius mit abge- ER : 3 tödteten oberen Enden. mit einem in 250° heisses Olivenöl getauchten LZ& 1, 24, Holzstäbchen (einem Zündholze) berührt wurden, SR 2° welches sich in dem Öle bräunte. Ich halte IV)———- >10 (51) dies für eine bessere Versuchsweise als das von 3 02 EL Anderen geübte Versengen mittels eines heissen P, +13 30 —g3 Glasstabes, welcher die berührten Stellen aus- —— (15’(38) dörrt und den Widerstand erhöht, was das 108 42 155 heisse Öl jedenfalls in viel geringerem Grade thut. +- — : N og Es giebt am Frosche noch ein anderes ) >20'(37) Versuchsobject, welches zu denselben Wahr- 10 all ae nehmungen Gelegenheit bietet, wie der Doppel- +. TE pP, #381 — 31 sSartorius. Zwar der M. rectus abdominis, an welchen man denken könnte, thut dies nicht; seine Muskelbäuche sind zu kurz, und die schräge Verzerrung seiner In- scriptionen widersetzt sich der gehörigen Ableitung der sonst sehr aus- giebigen Polarisation. \Venn es bloss um Darstellung der Polarisation an sehnigen Scheidewänden sich handelte, an welchen Muskelbündel facetten- förmig enden, könnte es, beiläufig gesagt, gar keine bessere Gelegenheit geben, als an den Lige. intermuscularia der Seitenrumpfmuskeln der Fische, wo eine lange Reihe von Inscriptionen, denen des Gracilis vergleichbar, folgweise durchströmt würden. Das Versuchsobjeet am Frosche, welches ich meine, wird geboten durch den Cutaneus femoris, der sich ganz wie der Sartorius behandeln lässt. Man kann die beiden Cutanei so prae- pariren, dass ihre Beckenenden durch einen fibrösen Strang verbunden bleiben. Da der Querschnitt des Cutaneus nur etwa halb so gross ist wie der des Sartorius (vergl. oben S. 435), so muss, um ungefähr gleiche Stromdichte zu erhalten, eine etwas grössere elektromotorische Kraft auf- geboten werden. Mit drei, auch mit zwei Grove und 10 Schliessungszeit erhielt ich in Lagen der Schneiden, welche denen am Doppelsartorius ent- sprachen, ausserordentlich starke negative Polarisation. In der Lage Z,, A,,) war sie so mächtig, dass sie den Verdacht erweckte, als kämen im Verlaufe des Muskels, etwa da wo er mit der Haut zusammenhängt, freie Bündelenden vor. 456 E. pu Boıs-Reymonp: $ 12. Vergleich der anodischen mit der kathodischen Polari- sation der sehnigen Muskelenden. Im Vergleich zu den Versuchen am Gracilis kann man die am Doppelsartorius und Doppeleutaneus so auffassen, als hätten wir die In- "seription des Gracilis in zwei Blätter gespalten, deren jedes nach seiner Seite zu an Muskelsubstanz stösst und uns die hier stattfindende Polari- sation offenbart; da wir keinen Grund haben anzunehmen, dass im Gewebe der Inscription selber besonders polarisirbare Begrenzungen vorkommen. Diese Anordnung hat uns also gestattet, die Polarisation an einer einfachen Grenze von Sehne und Muskel zu untersuchen. Allenfalls könnte dies auch an nur einem Sartorius geschehen, indem man der Symphyse den polarisirenden Strom zu-, und nachmais den Polarisationsstrom davon ab- leitete. Der Doppelsartorius und Cutaneus bieten aber den grossen Vor- theil, dass in einem und demselben Versuche an zwei gleichnamigen Muskeln desselben Thieres mit gleicher Dichte und gleichem zeitlichen Verlaufe des polarisirenden Stromes, die Wirkung bei beiden Stromrich- tungen zur Frscheinung kommt. | Dabei giebt sich nun eine sehr auffallende Frscheinung kund, welche bei den Versuchen am Doppelsartorius vollkommen beständig wiederkehrt, aber auch am Doppelcutaneus nicht ausbleibt. Sie besteht darin, dass anfangs die negative Polarisation zwischen Symphyse und Aequator, also in den Lagen />', >%, merklich stärker ausfällt auf der Seite, wo der Strom die Bündelenden verlässt, als auf der, wo er sie betritt. Die katho- ılische negative Polarisation überwiegt entschieden die anodische. Für den Doppelsartorius zeigt sich dies sehr deutlich in den beiden obigen Tabellen. Am Doppeleutaneus verhielt sich in vier Versuchen nach der ersten Durch- strömung die kathodische zur anodischen Polarisation wie — 244: —70; —407: —43; —287: —84; — 218: —52. Hier wird das Verhalten schon bei der zweiten Durchströmung unsicher, am Doppelsartorius erst nach mehreren Stromwechseln. Allein bei dieser Ueberlegenheit der kathodischen über die anodische negative Polarisation hat es sein Bewenden nicht Sondern es kommt am Doppelsartorius sogar recht häufig vor, wie man es auch schon in den obigen Tabellen sieht, dass das erste Mal die anodische Polarisation statt negativ, positiv ist, dann aber negativ wird, und kleiner bleibt als die kathodische. Beim ersten Anblick erinnert die Erscheinung an die oben S. 450 am Gracilis beschriebene bei Ableitung des Polarisationsstromes vom vorde- ren Rande des Muskels oberhalb und unterhalb der Inscription, doch ist die Uebereinstimmung nur eine scheinbare. Denn dort war bei beiden Stromrichtungen die Polarisation oberhalb der Inceription positiv oder SECUNDÄR-EL,EKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırttH., 457 schwächer negativ als unterhalb. Hier dagegen trifft dies immer nur auf der anodischen Seite der Symphyse ein. Immerhin besteht zwischen beiden Fällen eine formale Aehnlichkeit. Ganz wie in dem Versuch am Gracilis kann man sich hier vorstellen, dass nicht die negative Polarisation auf der einen Seite schwächer ist als auf der anderen, sondern dass mit ihr zugleich eine bei Wiederholung des Versuches schnell sinkende, positive Polarisation besteht; dass man nur den Unterschied beider zu sehen be- kommt, und dass dieser in günstigen Fällen anfangs positiv, später stets und meist auch von vorn herein negativ ausfällt. Am Gracilis wird aber nur der Anschein positiver Polarisation durch den eigenthümlichen Lauf von Stromeurven erzeugt, welche negativer Polarisation entspringen; hier dagegen hätten wir es mit wirklicher positiver Polarisation zu thun, von deren Ursprung noch wird die Rede sein müssen. $ 13. Von der unächten inneren Polarisation am Doppelsartorius. Jetzt wenden wir uns zurück zu der Frage, vor der wir oben S. 449 stehen blieben, nach dem Grunde der am Gracilis ausserhalb des Bereiches der Inseription bemerkbaren negativen Polarisation, welche uns zu stark erschien, um als ächte innere Polarisation gedeutet zu werden, und die wir deshalb vorläufig als unächte innere bezeichneten. Diese Frage kann vielleicht von hier aus Licht erhalten, denn, wenn von der durchströmten Inscription im Graeilis ne- Doppelsartorius. gative Polarisation über deren Grenzen 12 a a Zu, sich ausbreitet, so darf man Aehnliches H Ss nee | s 2 auch von der Polarisation an irgend wel- En ae a ee chen sehnigen Muskelenden, zunächst hier ne > .— am oberen Ende der Sartorien erwarten. P; en Dem Versuche lässt sich eine doppelte Re 1gG 167 19 Gestalt geben, welche schon auf Fig. 8 P Brun = — dargestellt sich findet. Es ist nämlich r < — — ——{10' 18) jetzt an der Zeit, die übrigen dort sicht- Ze 206 | 486 519 baren Bögen in Augenschein zu nehmen. 2. Zagon Fade Das erste Verfahren besteht darin, nach ver et u Analogie des Messungssystems D am ein- a 5 > fachen Sartorius, die Polarisation in den P, —218 —246 |-263 —260 Lagen Z, N, X}, mit der in den Lagen @, a zu vergleichen. Findet eine Ausbreitung statt, so muss der Poten- tialunterschied wachsen, wenn die dem Längsschnitt anliegende Schneide weiter abgerückt wird. Dies kommt nun zwar vor, und dabei wächst gelegentlich nicht allein die negative, sondern, wie folgendes Beispiel 458 E. pu Boıs-Reymoxp: in der Reihe ?, zeigt, auch die positive Polarisation auf der Anodenseite der Symphyse; in fünf Fällen von acht indessen blieb der Erfolg aus, so dass man auf diesem Wege zu keiner Ueberzeugung gelanst. Doppelsartorius. Bet Be ER mo M 11 28 s1 7 20 113 12 13 4-4. >. Do a rn? (ar) 9 59 127 77 323 213 26 23 a 2 Se er I Sen 52 ze) eng Zoe ra 5 )—— > 10° (56) 4 gl 219 137 136 125 48 64 nr A PR, +13 —32 — 92 —60 | —1377 —8 +74 —A4 < ( 15’ (60) 1 93 143 68 | 214 207 22 19 I: = Se 2 BE 2 En En a ya ze a — > 5’ (56) 9 96 ug 151 149 146 43 23 ee A P+8 -3 -3 -— 83 —65 —61 +65 —- A Bei dem anderen Verfahren, nach Analogie des Messungssystemes 4A, prüft man die kleinen gleich langen Strecken a, b, c, d; «, ß, y, ö, welche jederseits von der Symphyse in wachsenden Abständen von ihr liegen, und vorher mit Drachenblut bezeichnet werden, auf Polarisation durch einen Strom, der zu schwach ist, um ächte innere negative Polarisation zu erzeugen. Werden die Strecken polarisirt, so kann dies also nur durch . Ausbreitung der Polarisation von den Bündelenden an der Symphyse her geschehen, deren besondere Polarisirbarkeit ausser Zweifel steht. Trotz vielen Unregelmässigkeiten scheint an der Ausbreitung der Polarisation wenigstens in die zunächst benachbarte Strecke kein Zweifel zu sein. Auch breitet sich wieder positive Polarisation aus. Man kann denselben Versuch auch an den beiden unteren Enden des Doppelsartorius in der Art stellen, wie es Fig. 8 in den Bögen a’, Ö', ce, di; 0,9, Y, 0. 2eist. Obschon ein Theil der Bündelenden schon ausserhalb der Säulen- schneiden und weit entfernt liest, zeigt sich doch auch hier die Ausbreitung der Polarisation, ja fast reiner als an den oberen Enden. Uebrigens ist wieder die anodische negative Polarisation schwächer als die kathodische, ganz wie an den oberen Enden des Sartorius und des Cutaneus. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die Ausbreitung der Polarisation vorgetäuscht werde durch freie Bündelenden, welche den Re SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2.MırrH. 459 sehnigen Muskelenden nahe in grösserer Menge vorhanden, als anodische und kathodische Stellen, selber stark polarisirt würden. Doch wäre ein Doppelsartorius. solches Verhalten sehr un- wahrscheinlich schon im Hin- e’ CH Bi Y blick auf Aeby’s genaue und mM 2 10% Blue gründliche Untersuchung des > —->+.— — +. — : hi na: > 10 (32) Sartoriusbaues.! Er könnte es 37 Te 1 Ar 12:94 bei seinen äusserst zahlreichen “- -.— —> 0 ; 21, 2 Se Meg gr Beobachtungen unmöglich (10' übersehen haben. Um vol- A eh 7 6028 lends sicher zu gehen, bat ich — — 14. ; Yar 2 ey ER PT Hrn. Dr. Benda den Sar- ) > 195 torius nochmals ausdrücklich ae 18 , 8 108 auf diesen Punkt zu unter- “- *-.— *- 0 re Pe Fe er suchen. Er löste den Muskel ZINN en mittels des bekannten Ge- 1350, 06400 160° 10 4 8 misches von Salpetersäure und u ie in na 12, er a war krystallisirtem j chlorsaurem a ——— 1) (a0) Kali in seine Bündel auf, und 13 el 2 59 139 breitete ihn auf dem Object- > *+- a : m Eee] träger so aus, dass man die sämmtlichen oberen Bündel- enden in gleicher Höhe nebeneinander vor sich hatte. Beim ersten Blick erkennt man hier und da zwischen den stumpfen auch scheinbar spitze Bündelenden, und sie könnten den Anschein erwecken, als sei unsere Ver- muthung gegründet. Doch liegen sie viel zu sehr in gleicher Höhe mit den stumpferen Enden, um mit ihrer Hülfe die Ausbreitung der Polari- sation über makroskopische Strecken erklären zu können, und wenn man die scheinbaren Spitzen tiefer in’s Innere verfolgt, zeigt sich, dass sie nichts anderes sind, als gewöhnliche aus der gemeinschaftlichen Sehne losgelöste Enden dünnerer Muskelbündel. $14. Von der Polarisation an den sehnigen Muskelenden und ihrer Ausbreitung im Muskelbündel. Lassen wir also fortan, und bis auf Weiteres, die Ausbreitung der Polarisation von den Muskelenden aus in den Bündeln, oder den Anschein einer solchen, als eine neue Thatsache gelten. Diese Ausbreitung erklärt ! Henle und Pfeufer, Zeitschrift für rationelle Medicin. 1862. Bd. XIV. S. 198. 3. Reihe, 460 E. pu Boıs-Reymonp: hinreichend das oben ausführlich behandelte Verhalten am Gracilis, näm- lich die auffallend starke negative Polarisation in den Strecken zwischen der Inscription und den Säulenschneiden, welche wir unächte innere Pola- risation nannten. Sie erklärt vielleicht auch die auffallend starke Pola- ‚risation, welche sich am Doppelcutaneus in den am Doppelsartorius mit N, ,, A,, 4 bezeichneten Strecken zeigt. Dagegen könnte es jetzt fraglich erscheinen, ob nicht alle unsere Ermittelungen über die ächte innere Polarisation der Muskeln hinfällig geworden seien, insofern was wir dafür ausprachen, vielleicht nichts war als von den Säulenschneiden her sich ausbreitende Polarisation der Bündel- enden. Die negative Polarisation in der Aequatorialzone des Sartorius, der Strecke Ö„ des Messungssystemes A, fällt nicht bloss eben so stark aus, wie die Polarisation in den Strecken d., 0, zunächst den Säulenschneiden, sondern unter Umständen sogar stärker, wie man dies in den Tabellen der S. 421 sieht, wo im ersten Beispiele das Mittel der / für d„ — 56-3, für Ö., 0» — 33-8, Im zweiten Beispiele das erstere Mittel — 100-0, das zweite — 58-5 beträgt. Es läge nahe, dies darauf zu deuten, dass von beiden Säulenschneiden aus in Bezug auf den primären Strom negative, also einander gleichgerichtete Polarisationen bis zur Aequatorialzone sich er- strecken und dort sich summiren. Indess damit die Summe in ö,„ die ein- zelnen Summanden in d., d, übertreffe, müsste die Polarisation bis zur Strecke Ö,„ um weniger als die Hälfte abnehmen. In den Versuchen mit nur Einem Grove nahm sie sichtlich um viel mehr ab. Man könnte ein- wenden, dass in den Versuchen über innere Polarisation am einzelnen Sar- torius zehn Grove angewendet wurden. Allein hier befanden sich die seh- nigen Enden nicht einmal sicher und gleichmässig auf der Bahn des ‚Stromes, und am Muskelpaare erwies sich die negative Polarisation aus noch zu untersuchenden Gründen mit Einem Grove stärker als mit zehn. Wie dem auch sei, für das Bestehen der ächten inneren negativen Pola- risation spricht unwiderleglich, dass sie auch am abgestorbenen oder ver- brühten Muskel nachgewiesen wurde, und vor Allem, dass sie nicht minder sich zeigte, wenn die Säulenschneiden den abgetödteten Enden des Sar- torius anlagen. So käme es denn nun darauf an, uns eine Vorstellung zu bilden von dem, was in den durchströmten sehnigen Muskelenden vor sich geht und mit abnehmender Stärke über makroskopische Strecken sich ausbreitet; in Folge wovon in den Bündelenden und den benachbarten Strecken säulen- artig angeordnete negative elektromotorische Kräfte rege werden und eine Zeitlang mit abnehmender Stärke wirksam bleiben. Zunächst ist nochmals zu betonen (s. oben S. 443), dass nicht daran zu denken ist, die am sehnigen Ende stattfindende Polarisation dem dort SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. ÖEWEBEN. — 2. MittH. 461 die Bahn des Stromes durchsetzenden Sehnengewebe als solchem zuzu. schreiben. Nicht allein haben wir in schematischen Versuchen die Pola- risirbarkeit des Sehnengewebes zu gering gefunden, um sie so zu ver- werthen, sondern die Ausbreitung der Polarisation den Muskelbündeln ent- lang widerstreitet vollends solcher Auffassung. Der Sitz der Polarisation am sehnigen Ende ist vielmehr zweifellos zu suchen in der parelektrono- mischen Schicht oder Strecke, und die einzige Art, diese Erscheinungen an schon Bekanntes zu knüpfen, würde sein, sie auf negative Schwankung wegen Zu- sammenziehung zurückzuführen, sei’s dass sie eine Nachwirkung solcher Schwan- kung, sei’s dass sie die eine Dauerregung begleitende Schwanknng selber seien. Das Erste, was hier geschehen muss, ist offenbar, die Erscheinungen der Zusammenziehung zu beobachten, welche etwa mit den secundär- elektromotorischen Erscheinungen Hand in Hand gehen. Bei der bisherigen Versuchsweise war dies unausführbar, weil sie eine Spannung des Muskels voraussetzt, wobei eine Zusammenziehung unmerklich wird. Man kann aber so verfahren, dass man den polarisirenden Strom durch den Muskel schickt, genau-jwie”bei den Polarisationsversuchen, und statt der elektro- motorischen Wirkungen. die etwaigen mechanischen Reizerfolge beobachtet. Dazu wurde der eine Muskel eines curarisirten Doppelsartorius in 50 warmer physiologischer Steinsalzlösung abgetödtet, der Doppelsartorius, wie früher wagerecht und mit seinen Flächen in senkrechter Ebene, diesmal aber zwischen zwei sehr schwach belasteten Zuckungstelegraphen aufgestellt, und der Aequator des lebendigen Muskels mittels zweier Igelstacheln auf einer Korkleiste festgesteckt. So konnten Zuckungen der oberen und der unteren Hälfte des lebendigen Sartorius einzeln sicher wahrgenommen werden, während der todte nur zur Zuleitung des Stromes in derselben Art diente, wie sie in den Polarisationsversuchen stattgefunden hatte. Diese Vor- richtung steht Hrn. Hrrıne’s Doppelmyographion an Feinheit freilich nach, doch reichte sie nach den Erfahrungen, die ich schon vor langer Zeit damit machte (s. oben S. 410), für den gegenwärtigen Zweck völlig aus. Um dem zuckungsfähigen Muskel den Strom in derselben Art zuzuführen, wie in den Polarisationsversuchen, wurde ferner über dem Zipfel jedes der beiden Sartorien von einem Faden getragen ein sattelförmig gebogener Thonstengel von der rundlichen Form (s. oben 8. 413) gehängt, dessen freie Enden in ein Gefäss mit Zinksulphatlösung tauchten, welches zur Verbindung mit der polarisirenden Kette eine verquickte Zinkplatte enthielt. Die angewendete Stromdichte und die Schliessungszeiten waren dieselben wie bei den Polarisationsversuchen, Ein Grove und 10—15 Minuten. Bei gleicher Leistungsfähigkeit mussten also im Wesentlichen dieselben mechanischen Reizerscheinungen eintreten, die möglicherweise bei den Polarisations- versuchen, der Beobachtung entzogen, zugegen gewesen waren. 462 E. pu Boıs-REYMmonp: Leider muss gesagt werden, dass trotz aller Sorgfalt das Ergebniss dieser Versuche nicht so beständig ausfiel, wie zu wünschen gewesen wäre. Es kamen Unregelmässiskeiten vor, am oberen Ende vielleicht bedingt durch Beeinträchtigung seiner Erregbarkeit beim Verbrühen des anderen Sartorius, am unteren Ende durch eine etwas verschiedene Lage des strom- zuführenden Thonstengels. In den scheinbar gelungensten Versuchen er- folgte beim ersten Schliessen nichts; beim Oeffnen nach zehn Minuten starke anodische Zuckung, beim Schliessen zum entgegengesetzten Strom starke kathodische, schwache anodische Zuckung; beim Oeffnen nur noch spurweise anodische Zuckung; und von hier ab nichts mehr als das clas- sische Bild der sogenannten VoutA’schen Abwechselungen,! nämlich nichts beim Oeffnen und Schliessen des längere Zeit geschlossen gehaltenen Kreises, aber beim Schliessen nach Umlegen der Wippe gelegentlich noch lebhafte, besonders kathodische Zuckung. Von Dauererregung, welche bei Hrrıne und BIEDERMANN eine grosse Rolle spielt, sah ich nie eine Spur. Es kommt indess auf die Besonderheiten im Gange der Erscheinungen nicht an. Sondern das Wesentliche daran für uns ist dies, dass zwischen den mechanischen Reizerfoleen und der Polarisation durchaus keine solche Beziehung obzuwalten scheint, wie sie nöthig wäre, um die Polarisation als Nachwirkung negativer Schwankung oder als negative Schwankung selber aufzufassen. Nach einer Anzahl von Stromwechseln, nach welcher die Polarisation noch völlig ausgebildet erscheint, wird jede Spur einer Oeffnungs- zuckung vermisst, die doch allein die negative Schwankung hinterlassen könnte, als welche wir die Polarisation erkennen möchten. Dass keine Dauererregung dazu sich darbiete, wurde erst eben angeführt. Allein noch aus anderen Gründen scheitert die Bemühung, die nega- ‚tive Polarisation der Bündelenden auf negative Schwankung wegen Zu- sammenziehung zurückzuführen. Ich will hier in die Erörterung darüber, wie örtliche Zusammenziehung der Bündelenden die elektromotorische Wirkung des Muskels verändern müsse, nicht eintreten. Es können darüber die Meinungen auseinandergehen, doch ist auch dieser Punkt für die gegenwärtige Frage zunächst gleichgültig. Denn während daran kein Zweifel zu sein scheint, dass die elektromotorische Wirkung der Zusammen- ziehung die nämliche sein werde, gleichviel ob das gereizte Bündelende Anode oder Kathode sei, wechselt ja im Gegentheil die Polarisation ihre Richtung mit dem Strome, da sie immer diesem entgegengesetzt, negativ bleibt. Allerdings fanden wir, dass die anodische Polarisation anfangs bis- weilen positiv war, dass sie im weiteren Versuch zwar negativ wurde, jedoch noch lange schwächer blieb, als die kathodische. Der Augenschein “ Untersuchungen u. s. w. Bd. I. 36% ff, SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MırTH. 463 drängte zu der Vorstellung, dass hier zwei Wirkungen, eine positive und eine negative, zugleich vorhanden seien, deren erstere anfänglich die Ober- hand habe, sie aber im ferneren Verlauf mehr und mehr einbüsse. Da in derselben zeitlichen Folge die anodische Oeffnungszuckung verschwindet, so liegt es nahe, die positive Polarisation mit dieser Zuckung in Verbindung zu bringen. Hr. Hrrına lässt sehr schwache Ströme sowohl an der Anode wie an der Kathode negative Polarisation geben, starke und länger dauernde Ströme dagegen an der Anode positive Polarisation.! Er kommt überall mit seiner ‘Alterirung’ durch, welche die ‘“alterirte’ Muskelsubstanz nach Bedürfniss bald positiv, bald negativ gegen die nicht alterirte macht; eine um so bequemere Auskunft als die ‘Alterirung’ ohne irgend einen sicht- baren mechanischen Reizerfolg zugegen sein kann, und ein empfindlicheres Mittel als die Zusammenziehung selber abgiebt, um die Einwirkung des Stromes auf die Muskelsubstanz wahrzunehmen (vergl. oben S$. 430). Wie sich diese Lehre mit der des Hrn. Hermann verträgt, zu welcher doch Hr. Hering ausdrücklich sich bekennt, wonach aber, soviel ich weiss, ‘alterirtes’ Protoplasma stets negativ gegen nicht ‘alterirtes’ sich verhalten soll, finde ich bei Hrm. Hering nicht erklärt; doch mag ich, in der Fülle seiner Mittheilungen, die Stelle übersehen haben. Noch eine Schwierigkeit widersetzt sich der Zurückführung der nega- tiven Polarisation auf negative Schwankung des Muskelstroms, das ist dıe viel zu grosse Stärke der ersteren. Nach meinen Erfahrungen beläuft sich die negative Schwankung nach stärkstem mittelbarem Tetanus nur auf die Hälfte der Muskelstromkraft zwischen natürlichem Längs- und künstlichem Querschnitt. Sie ist dabei absolut grösser als die Schwankung mit natür- lichem Querschnitt. Die Nachwirkung mit künstlichem Querschnitt kann nach Hermann Roeber etwa ein Fünftel der Muskelstromkraft betragen; bei natürlichem Querschnitt verharrt in einigen Fällen die Stromkraft auf der Stufe wie im Tetanus selbst.” Die mittlere Stromkraft des Sartorius beläuft sich bei dem Zustande des Compensators während der obigen Ver- suche, auf 266°. Danach könnte die grösste negative Schwankung, vollends die grösste Nachwirkung einer solchen, höchstens 133 ‘8 gleich- kommen; und diese Zahl dürfte schwerlich je erreicht werden. Ein Blick auf unsere Tabellen zeigt nun aber eine Menge Zahlen, welche jene viel weiter übertreffen, als schon sie selber von der Wahrscheinlichkeit ab- weicht. Die anodische positive Polarisation erreicht zwar solche Höhe nicht, aber wir bekommen auch nur den Unterschied zwischen ihr und der 1 Dreizehrte Mitth. A. a. 0. 1883, Bd. LXXXVIII. S. 422. ? Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 413. 123. 424, 537. 464 E. pu Boıs-ReyMmonp: negativen Polarisation zu sehen. Wie dem auch sei, selbst sie getraue ich mir, in Ermangelung eines hinreichenden Tetanus um sie zu erzeugen, noch nicht als die bekannte Nachwirkung negativer Schwankung anzu- sprechen, und wir müssen auf eine andere Auskunft bedacht sein. Eine Vermuthung steht noch offen, welche sichtlich viel für sich hat. Der Anschein einer Ausbreitung der Polarisation am Doppelsartorius könnte daher rühren, dass in der Nähe der Symphyse und der Säulenschneiden die Stromfäden noch nicht parallel der Axe der Bündel verlaufen, dass sie noch vielfach seitliche Begrenzungen der Bündel überschreiten, und dass solche anodische und kathodische Stellen wie die Bündelenden selber als Sitz von Polarisation sich verhalten mögen, wie ja auch von ihnen polare örregung der contractiien Substanz ausgeht. Diese Erklärung würde uns der Nöthigung überheben, der wir sonst nicht ausweichen könnten, einen neuen elektrischen Zustand der lebenden Muskelsubstanz anzunehmen, einen dritten neben der negativen Schwankung und ihrer Nachwirkung und neben der ächten inneren Polarisation. Das beängstigende Gespenst der unächten inneren Polarisation wären wir los. Es würde sich nur noch darum .han- deln, herauszubringen, was an den anodischen und kathodischen Stellen des Bündelumfanges vor sich gehe, ob dieser Vorgang einerlei sei mit dem freilich auch noch unverstandenen an den Bündelenden, und was, seine Beziehung zu der von Hrn. Hermann erkannten queren Polarisation des Muskels sel. Ein erstes Bedenken gegen diese Auffassung entspringt jedoch daraus, dass, wie wir fanden, die geknickte Lage der Bündel in einem schlafen Muskel dessen Polarisirbarkeit im Vergleich zu der eines gespannten, wenn überhaupt, kaum merklich erhöht (oben S. 425 fi... Ein zweites bedenken wäre, dass die Erklärung nicht zu passen scheint auf die Ausbreitung der Polarisation von der Inscription des Gracilis aus, wo man meinen sollte, die Stromfäden müssten der Axe der Bündel so parallel verlaufen wie nur möglich (s. oben 8. 442). Aber vielleicht rührt hier das, was wir unächte innere Polarisation nannten, gar nicht von der Inscription her, sondern allein von den Säulenschneiden. Jedenfalls wird es, um eine breitere Grundlage für diese Erörterung zu gewinnen, nöthig sein, die polarisirenden Ströme noch in anderer Art abzuändern als bisher, wie auch die Polarisation beim Ein- und Austritt des Stromes am Längsschnitt mit der am natürlichen Quer- schnitt zu vergleichen, was mit grossen Schwierigkeiten verknüpft sein wird. Zunächst jedoch ist noch von einigen, die innere negative Pola- risation der Muskeln betreffenden Angaben anderer Forscher Kenntniss zu nehmen. BEE SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MıntH. 465 $ 15. Hrn. Hermann’s Versuche über die innere negative Polarisation der Muskeln. Mittlerweile hat nämlich Hr. Hermann die Polarisation der Muskeln zum Gegenstand einer umfangreichen Untersuchung gemacht,! welche ihn dazu führte, die Wirklichkeit der inneren negativen Polarisation anzu- erkennen und gegen Hrn. Hering in Schutz zu nehmen. Hr. Hermann verwirft, ich begreife nicht aus welchem Grunde, den Namen der inneren Polarisation, den ich, im Gegensatz zur äusseren Polarisation an der Grenze von Elektrolyten. der von mir entdeckten Er- scheinung gab. Er will sie ‘Infiltrationspolarisation’ genannt wissen. Abge- sehen von ihrer Schwerfälligkeit und Unnützlichkeit erscheint mir diese neue terminologische Schöpfung des Hrn. Hermann als keine glückliche, da das Wort auch so verstanden werden kann, als entstehe die innere Pola- risation durch Infiltration, und da man von den naturgemäss Flüssigkeiten im Inneren beherbergenden thierischen und pflanzlichen Geweben doch nicht sagt, sie seien infiltrirt, was so klingt, als sei die Flüssigkeit von aussen eingedrungen. Hrn. Hermann’s Verfahren, um die Polarisation der Muskeln zu untersuchen, bestand darin, dass er dem Muskel ein Paar Doppelelektroden (s. oben S. 415) seitlich anlegte, und durch sie den polarisirenden Strom zuführte, sowie den Polarisationsstrom ableitete. Die Muskeln waren nicht curarisirt, wenigstens ist es nicht gesagt. Meist rührte der polarisirende Strom von nur Einem Daniell her, wurde noch durch Nebenschliessung geschwächt und dauerte nur 5 Secunden, höchstens 5 Minuten. Den Ge- brauch starker Ströme müsse man durchaus vermeiden, um den Oeffnungs- actionsstrom zu umgehen, d. h. in Hrn. Hermann’s Kunstsprache, die Nachwirkung der von der Anode ausgehenden negativen Schwankung. Damit wäre unseren obigen Ergebnissen über innere negative Polari- sation am einzelnen Sartorius der Stab gebrochen, wenn nicht aus den dargelegten Gründen bestimmt folgte, dass unsere innere Polarisation nichts mit der polaren Erregung des Muskels zu schaffen habe, und wenn nicht gerade umgekehrt Hın. Hermann’s Versuchsweise ganz ungeeignet dazu schiene, über die Polarisirbarkeit der Muskeln in’s Klare zu kommen. Denn Hr. Hermann hatte bei seinem Verfahren stets die anodischen und katho- dischen Stellen am Muskel im Bussolkreise, und die Trennung der an diesen stattfindenden polaren Wirkungen und der inneren Polarisation war dabei unmöglich. Stets hatte er es zu thun mit der Summe: 1. der nach Hrn. Hering bei sehr schwachen Strömen an der Anode stattfindenden negativen ı Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XLII. 1888. S. 1 ff. Archiv f. A. u. Ph. 1891. Physiolog. Abthlg. 30 466 E. pu Bo1s-REyYMmoxD: Polarisation (s. oben S. 463); 2. der gleichfalls von Hrn. Hering nach- gewiesenen negativen kathodischen Polarisation, welche beide auch in unseren obigen Versuchen am Doppelsartorius sich zeigten; 3. der wahren inneren negativen Polarisation der Muskelbündel; 4. der von Hrn. Hermann selber zuerst beschriebenen queren Polarisation der Muskeln. So verfährt aber Hr. Hermann nicht bloss aın Sartorius und am Adductor magnus, sondern sogar am Gracilis, ohne sich um die Inseription zu kümmern. Ich be- greife nicht, wie er angesichts der ihm doch wohl bekannten Aufstellungen Hrn. Hering’s, und der von diesem an meinen Versuchen am Muskel- paare geübten Kritik, sich bei seiner Versuchsweise beruhigen konnte, ohne auch nur mit einem Worte die dawider sprechenden Bedenken zu erwähnen, überlasse es aber billie Hın. Hering, welcher ja sonst Hrn. Hermann treue Heeresfolge leistet, sich weiter mit ihm darüber auseinanderzusetzen. Seiner eigenen Warnung zum Trotze kommen übrigens bei Hrn. Hermann doch auch Versuche, und zwar am Sartorius, mit 18 Zink- kohleelementen und 16 Minuten Schliessungszeit vor, ohne dass vom ano- dischen “Oeffnungsactionsstrom’ weiter die Rede wäre. Wie dem auch sei, die rohe Summe der secundär-elektromotorischen Wirkungen zwischen den Doppelelektroden bezeichnet Hr. Hermann schlechthin als Polarisation des Muskels, und untersucht sie mit einem mächtigen Rüstzeug scheinbar höchst exacter Methoden. Schade nur, dass diese Bemühungen nicht an eine mehr eindeutige und durchsichtige Erscheinung gewandt werden. Vor Allem liess er sich angelegen sein, den Polarisationsquotienten @ zu bestimmen, d. h. das Verhältniss P//, wo die Polarisation ? in Volt, die Stromstärke in Ampere, folglich @ in Ohm ausgedrückt werden. Allein ich irre mich sehr, oder Hr. Hermann vernachlässigt dabei die Hauptsache, nämlich dass es bei der Polarisation nicht einfach auf die Stromstärke ankommt, sondern auf das, was wir hergebrachter Weise mit dem vor fünfzig Jahren von Moritz Jacobi vorgeschlagenen,! etwas un- eigentlichen Ausdruck als Stromdichte bezeichnen. Es heisse die elektro- motorische Kraft der Polarisation in einem gegebenen Falle ?, der wahre Polarisationsquotient Ä, der Querschnitt, in welchem X zu bestimmen ist, g, die Dichte A, so ist X nicht gleich P/Z, sondern ?JA, wo A=7/q, oder da (s. oben S. 427) I a A =, woraus KA = es ch) W-ı T q ar 02 Y sich ergiebt. Ich verstehe um so weniger, wie Hr. Hermann bei seiner Auffassung des Polarisationsquotienten beharren konnte, als er in einer ' Poggendorff's Annalen u. s. w. 1839. Bd. XLVII. S. 44. \ SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. Mırrta. 467 früheren Arbeit, auf welche er sich in der gegenwärtigen sonst mehrfach beruft, von der specifischen Polarisirbarkeit ganz richtig sagt: „So kann man füglich den Quotienten: Polarisation/Stromdiehte bezeichnen“,! und als er auch jetzt den Einfluss der Dichte auf die Polarisation gelegentlich wohl in Betracht zieht.? Es ist, nebenher gesagt, eine Lücke in dem von dem internationalen Elektriker-Congress zu Paris 1881 aufgestellten €. G. S.-System elektrischer Maasseinheiten, dass die Dichte des Stromes leer ausging, welche bei der Elektrolyse, der Polarisation, den Reizversuchen, der Elektrotherapie so oft eine entscheidende Rolle spielt” Es hätte eine Einheit der Dichte, etwa ein Ampere im (uadratcentimeter, gewählt und mit einem passenden Namen belegt werden müssen. Freilich wirdes keine leichte Aufgabe sein, die Stromdichte in so unregelmässig gestalteten Leitern zu bestimmen, wie sie die Versuchsobjeete der Elektrophysiologie fast stets, die Heilobjecte der Elektrotherapie ausnahmslos darstellen. Liegen beispielsweise dem Muskel seitlich stromzuführende Thonspitzen an, so nimmt die Dichte von der Berührungsfläche in das Innere hinein ab in dem Maasse, wie die höchst verwickelt gekrümmten, stetig ihre Richtung ändernden iso@lelek- trischen Flächen an Grösse zunehmen, bis endlich diese Flächen mit dem Querschnitt des Muskels mehr oder weniger genau zusammenfallen. Sogar dann aber bleibt, wie schon oben S. 419 bemerkt wurde, der Fläche des Muskels entlang, welcher die Spitzen anliegen, wegen grösserer Kürze der Stromfäden die Dichte etwas grösser als längs der anderen. Natürlich giebt es zahlreiche Fälle, wie wir selber solchen fortwährend begegnet sind, wo bei constantem g in einem und demselben Polarisations- object, oder gleichem y, oder überhaupt gleicher Grösse und Gestalt zweier zu vergleichenden Polarisationsobjecte, auch die blosse Bestimmung des Quotienten //I schon zu lehrreichen Aufschlüssen führen kann. Hr. Her- mann findet, dass sein Polarisationsquotient im Bereiche schwacher Ströme annähernd proportional der Stromstärke, in dem starker Ströme langsamer wächst. Er wächst ferner mit der Schliessungszeit fast unbegrenzt, wenn auch mit abnehmender Gesehwindigkeit, und hierzu bemerkt Hr. Hermann, es „fänden sich schon bei mir manche Andeutungen“ solchen Verhaltens. In meiner Abhandlung über die Erscheinungsweise des Muskels- und Nerven. stroms u. s. w. heisst es von dem Ausschlag durch die negative Polarisation, ! Pflüger’s Archiw u. s. w. Bd. V. 1872. S. 249. Ann. 1. ? Ebenda, Bd. XLII. 1888. S. 32, > Es verdient bemerkt zu werden, dass Hr. Bunsen schon vor langer Zeit bei seinen elektrolytischen Versuchen die Stromdichte nach absolutem Maasse bestimmte. (Ueber die Darstellung von metallischem Chrom auf galvanischem Wege. In Pog- sendorff’s Annalen u. s. w. 1854. Bd. XCI. 8. 619.) ; 30* 468 E. pu Boıs-ReymonD: welche Ströme von der Ordnung des Muskelstromes erzeugen: „Dieser Aus- schlag wächst mit der Dauer der Durchströmung“.! Der $ VIII meiner ersten Mittheilung ‘über secundär-elektromotorische Erscheinungen’ ist über- schrieben ‘Graphische Darstellung und Discussion der Polarisationscurven bezogen auf die Schliessungszeit’; ein schematisches Curvenbild zeigt, wie die negative Polarisation mit der Schliessungszeit wächst, und auf S. 13 ist davon auch ein numerisches Beispiel gegeben. Dasselbe Gesetz wird in dem Curvenbilde zu $ IX, “Von den Polarisationscurven bezogen auf die Öffnungszeit’, vorgeführt. So bestimmte Angaben anderer Forscher nennt Hr. Hermann „Andeutungen“. Wenn er gesagt hätte, dass meine An- gaben über das Wachsen der Polarisation mit der Schliessungszeit dadurch verdunkelt seien, dass sie mit Inscriptionen versehene Muskeln betreffen, so wäre diese Ausstellung an und für sich nicht unberechtist gewesen, nur dass seine eigenen Versuche, wegen der seitlichen Zu- und Ableitung durch Doppelelektroden, auch nicht rein sind. Übrigens fällt das Wachsen der inneren negativen Polarisation der Muskeln mit der Schliessungszeit beim ersten Anblick und bei jeder Gelegenheit: dermaassen in die Augen, versteht sich auch nach der Analogie mit der Polarisation der feuchten porösen Halbleiter so von selbst, dass ich es nicht für nöthig hielt, im Vorigen noch ausdrücklich davon zu handeln. Um die Abhängiekeit der Polarisation von verschiedenen Umständen zu erforschen, bediente sich Hr. Hermann wieder des schönen, was er nicht zu wissen scheint, von Poggendorff angegebenenen Kunstgriffes, die beiden hinsichtlich ihrer Polarisirbarkeit zu vergleichenden Objecte zuerst in demselben Säulenkreise zu polarisiren, dann in demselben Bussolkreise einander entgegenzusetzen.” So werden Widerstand und Zeit eliminirt, und der Sinn des Ausschlages zeigt ohne Weiteres an, welches Object das mehr polarisirbare sei. Mittels dieses Verfahrens untersuchte Hr. Hermann den Einfluss des Durchströmungswinkels, der Streckenlänge, der Zuleitung durch den künstlichen Querschnitt und der Temperatur; auch verglich er die Polarisirbarkeit der Muskeln mit der der Nerven und anderer Gebilde. Uns gehen unter diesen Versuchen hier zunächst diejenigen näher an, welche Hrn. Hermann bewogen, eine innere negative Polarisation der Muskeln anzunehmen. „Bei gewöhnlicher lateraler Zuleitung,‘“ sagt er, „zeigt sich eine unzweifelhafte Zunahme des Quotienten P/I mit der Streckenlänge, wie folgende Beispiele zeigen.“ Es folgen drei Versuche am Graeilis, in denen unter sonst gleichen Umständen der Abstand der Doppel- elektroden bald gross, bald klein gewählt wurde: Der grössere Abstand be- ‘ Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 191. 192. ” Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1844. Bd. I,XT. S. 612 ft. SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2, MırtH. 469 trug 22—31, der kleinere 5—9 "m, Die Polarisation erschien im ersteren Falle stärker als im letzteren. Nach unseren obigen Ermittelungen ist wegen der Inseription am Gracilis dies Ergebniss für die Frage nach der inneren Polarisation völlig werthlos, und es ist, ich ‘wiederhole es, nicht zu begreifen, wie bei dem heutigen Stande der Kenntniss Hr. Hermann auch nur einen Augenblick dabei verweilen konnte. Er macht aber gar keinen Unterschied zwischen diesen Versuchen und zwei anderen, zu welchen regelmässige monomere Muskeln in folgender Art verwendet wurden. „Der aufgespannte Muskel wurde an zwei Stellen mit einem Messerrücken quer durchgequetscht, auf diese Stellen zwei kleine Holzkeile mit ihren Schneiden fest aufgesetzt, und die Thonspitzen diesen Keilen angedrückt. Die Holz- keile waren durch Kochen in verdünnter Schwefelsäure mit dieser ge- tränkt.“ So wurden zwei Adductores magni und zwei Sartorien behandelt. An dem einen Adductor betrug der Abstand der Keile 20, an dem anderen Ymm und die Quotienten /// verhielten sich 2-1:1. An den Sartorien waren die entsprechenden Zahlen 27mm: Jam und 1-6:1.! Das sind die Erfahrungen, auf welche hin Hr. Hermann „es für mindestens sehr wahrscheinlich hält, dass ein gewisser Theil der Pola- risation der Muskeln wirkliche innere... ist.“?” Sein Verfahren, wobei nicht einmal verschieden lange Strecken desselben Muskels verglichen wurden, und die mit Schwefelsäure getränkten Holzkeile eine ebenso be- denkliche wie unnütze Verwickelung einführten, hat schwerlich irgend einen Vorzug vor dem von mir angewandten, und ich glaube nicht, dass seine beiden Versuche die Schaar der meinen entwerthen. Den Durchströmungswinkel anlangend bestätigt Hr. Hermann seine frühere Angabe, dass der querdurchströmte Muskel viel stärker polarisirbar ist als der längsdurchströmte. Auf seine Veranlassung hatte dann schon Hr. Franz Boll mittels derselben Versuchsweise, Poggendorff’scher Um- schaltung und Doppelelektroden, den Einfluss der Temperatur auf die Polarisation der Muskeln zu ermitteln versucht,? doch waren seine Be- mühungen erfolglos geblieben. Jetzt gelang es Hrn. Hermann fest- zustellen, dass Kälte die Polarisation erhöht, Wärme sie vermindert.‘ Endlich untersuchte auch Hr. Hermann, wiederum mittels der Poggen- dorff’schen Umschaltung, ob es einen Einfluss auf die Polarisation übt, wenn der Strom in den Muskel durch künstlichen Querschnitt ein- und durch natürlichen Längsschnitt austritt, oder wenn er den umgekehrten UA. a. 0. S. 24—26. eME2 07 S.61. 3 Über den Einfluss der Temperatur auf den Leitungswiderstand und die Polari- sation thierischer Theile. /raugural-Dissertation. Königsberg 1887. 8. 21 ff. = Aa. 0. S. 30. 470 E. vu Boıs-REeyMonD: Weg einschlägt. Hr. Hermann sah meist die Polarisation im ersten Falle stärker als im zweiten; jedoch vermochte er gewisse Bedenken gegen diese Wahrnehmung nicht völlig zu beseitigen. Dies führt nunmehr zu einer merkwürdigen hierher gehörigen Beobachtung Hrn. Bernstein’s. $ 16. Hrn. Bernstein’s Versuche über Polarisation der Muskeln. Hr. Bernstein hat unlängst eine grosse Arbeit veröffentlicht, in welcher er eine in sich geschlossene Theorie der elektrischen Erregunes- vorgänge und Erscheinungen an den Nerven und Muskeln zu geben unter- nimmt, und auch eine Anzahl eigener neuer Versuche mittheilt.! Es ist nicht meine Absicht, hier auf seine sehr beachtenswerthen Aufstellungen einzugehen, welchen eine im Wesentlichen der meinigen sich anschliessende Molecularhypothese zu Grunde liest; ich bezwecke nur eine Besprechung seiner Beobachtungen über die innere Polarisirbarkeit der Muskeln und ein damit zusammenhängendes Phaenomen. Hr. Bernstein sagt: „Nach neueren Versuchen von E. Hering findet überhaupt eine innere Polari- sation der Faser nicht statt, wenn die Ströme parallel ihrer Axe darin verlaufen... In der That lässt sich der Hering’sche Versuch leicht be- stätigen. Man erhält keine oder nur unbedeutende Nachströme, wenn man den Enden des ausgespannten Sartorius den polarisirenden Strom zuführt, und von der Mitte des Muskels eine kleine Strecke ableitet. Noch besser ist es, auch die Enden des Sartorius abzutödten, weil die Stromfäden dann in die künstlichen Querschnitte eintreten, keine Zuckungen verursachen; und voraussichtlich auch parallel in dem lebenden Stück verlaufen. Wir werden also hieraus schon entnehmen, dass die Polarisation bei der Längs- ' durchströmung nur zwischen todter und lebender Substanz der Faser stattfindet. Dies lässt sich aber ganz direct in folgender Weise demon- striren. Hat man den eben beschriebenen Hering’schen Versuch an- gestellt, und sich von der Abwesenheit jeder Polarisation in einer mitt- leren Strecke des Muskels überzeugt, so zerquetsche man mit einer schmalen Pinzette den Muskel zwischen den ableitenden Elektroden. Ist die ab- geleitete Stelle vorher stromlos gewesen, oder hat man einen schwachen Strom derselben compensirt, so bleibt auch jetzt die Stelle ungeändert, denn die Muskelströme der beiden Hälften heben sich völlständig auf. Leitet man aber nun den polarisirenden Strom zu, so sieht man nach dessen Öffnung eine beträchtliche negative Polarisation auftreten. Der Ver- such ist ein so einfacher, dass es wohl unnöthig ist, besondere Daten aus meinen Beobachtungen hierfür anzugeben. Das Resultat lässt keine andere 1 Umtersuch. aus dem physiol. Institut der Universität Halle. 1888. 4. 8. 29, SECUNDÄR-ELEKTROMO!. ERSCHEIN. AN ELBKTR. GEWEBEN. — 2, MirtH. 471 % Deutung zu. Die Polarisation geschieht in diesem Falle einzig und allein an der Grenze der todten und lebenden Substanz“. Aus unseren Versuchen ergiebt sich, dass Hr. Bernstein sich nicht in der Lage befand, um die innere negatige Polarisation wahrzunehmen, deren Dasein er deshalb, wie Hr. Hering, mit Unrecht in Abrede stellt. Sein eigener Versuch ist aber nicht minder richtig, nur dass es sich dabei nicht darum handelt, dass der Muskel durch die Quetschung negativ polari- sirbar wird, denn dies ist er schon vorher, sondern um Erhöhung der schon vorhandenen negativen Polarisirbarkeit durch das Hinzutreten einer neuen Art von negativer Polarisation. Um ihn sicher anzustellen, muss man also natürlich zuerst sich vergewissern, dass ohne die Quetschung bei der angewandten Stromdichte und Schliessungszeit negative Polarisation nicht oder nur in einem bestimmten, geringen Maasse stattfindet, wofür sich wegen der verschiedenen Empfänglichkeit der Muskeln keine allgemein sültige Regel aufstellen lässt (vergl. oben S. 436). Dann führt man die (Quetschung aus. Dadurch wird gewöhnlich das Gleichgewicht etwas ge- stört; mittels des Compensators oder einer angemessenen seitlichen Ver- schiebung der Schneiden in der dem hervorgetretenen Strom entgegen- gesetzten Richtung stellt man es wieder her, und sendet nunmehr den Strom, welcher vorher keine oder unbeträchtliche Polarisation erzeugte, von Neuem hindurch. Bei dieser Versuchsweise und bei beiden Richtungen des polarisirenden Stromes fand* ich nun in der That an entnervten Sar- torien die Polarisation, wenn auch nicht immer, doch zuweilen deutlich verstärkt, wovon zwei Beispiele folgen. Die Lage der Bussolschneiden war das D unserer früheren Bezeichnungsweise (siehe S. 419), welcher auch alles Übrige entspricht. Sartorii. IE 1. Ma Mo lo):l9.p y9l IV5 (0): y 22; P= 6. a IS ” 50f Ben 12; a N Ar Ba AR NER ’ Polarisation also unsicher. Nun Quetschung. also oe se schätzen. Aas 5° (97): A ag Das Gleichgewicht bleibt fast ungestört. Nach 5 Minuten v3 15 @0:450;P=-5. Ay \» 5° (10:4 75; P = — 66. Na Be noch Nach 5 Minuten | Im :y68; P= — 9. 169 ©A,,.52.(105)2 12; PP = —81. | u Nach 5’ nur noch % T, REN y66 1» 5 (88) : 463; P= — 129. VNy > 1022, >. 002: y 33;P = 137. SARA 008 39% 412 E. pu Bois ReymonD: £ Die Zunahme der Polarisation bei mehrmaliger Wiederholung des Ver- suches scheint ein beständiger Zug der Erscheinung zu sein. Es stieg mir der Verdacht auf, dass die Wirkung der Quetschung vielleicht nur auf Vermehrung der Stromdichte an der gequetschten Stelle beruhe Um dies zu prüfen, versuchte ich die Stelle auszuschneiden, und nach aneinandergerückten Schnittflächen die Durchströmung zu wieder- holen. Der Muskel wurde auf gefirnisstem Kork mit Igelstacheln fest- gesteckt. Da er nach der Zerschneidung nicht mehr gespannt werden konnte, wurde auch seine zu quetschende, dann auszuschneidende Mitte jederseits durch zwei Stacheln fixirt. Wie man sieht, bleibt nach dem Ausschneiden die Polarisa- tion nicht bloss bestehen, sondern erscheint sogar sehr verstärkt. Sartorius. \23 VII 5 (180): 129; P= +6. Also keine Polarisation. Nun Quetschung. "40 1» 5° (132): ld; P=—55. Die Meinung war somit wider- Nach kurzer Zeit nur noch legt, als ob grössere Dichte in y12 ) „ 5 (129): A42; De der gequetschten Stelle die Ur- Die gequetschte Stelle ausgeschnitten, die sache der Verstärkung der Pola- Schnittflächen aneinander gerückt. risation durch die Quetschung "70 1 . De), a 2 lan) sel. Dagegen ergab sich nun- \ „ 5a: Ass; P= —148. mehr hieraus eine Form des Bernstein’schen Versuches, welche vor der ursprünglichen vielleicht den Vorzug verdient. Der Sar- torius, wie oben befestigt, wird, ohne ihn erst zu zerquetschen, zwischen den beiden Paaren seine Mitte fixirender Stacheln mit einem Rasirmesser durchschnitten, und die beiden Schnittflächen werden miteinander in mög- ‚lichst innige Berührung gebracht. Damit dies gelinge, muss der Muskel natürlich völlig schlaff sein; mit Rücksicht auf eine frühere Erörterung (oben S. 425 ff.) verdient bemerkt zu werden, dass er dessen ungeachtet vor dem Schnitt durchaus keine besondere Polarisirbarkeit zeigte. Es kann demnach kein Zweifel daran sein, dass eine Schicht abge- storbener Muskelsubstanz zwischen lebender Substanz, nach Art einer metallischen Zwischenplatte in einem Elektrolyten, negative Polarisation annimmt. Innere negative Polarisation der abgestorbenen Substanz kann dies nicht sein, vielmehr muss die Polarisation, wie schon Hr. Bernstein es aussprach, an der Grenze der todten und der lebenden Substanz ihren Sitz haben; da denn verschiedene Möglichkeiten obwalten. Sie kann ent- weder nur an einer von den beiden Grenzflächen stattfinden, oder aus zwei Polarisationen sich zusammensetzen, einer beim Eintritt des Stromes in die todte Substanz und einer beim Austritt daraus; diese beiden Polarisationen können gleichsinnig oder entgegengesetzt sein, und überdies gleich oder SECUNDÄR-ELEKTROMOT., ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2.MrwiH. 475 verschieden stark. Hier greift Hrn. Hermann’s oben erwähnte Erfahrung ein, wonach der Strom vom künstlichen Querschnitt zum natürlichen Längsschnitt stärkere negative Polarisation erzeugt, als der entgegengesetzte. Hr. Hermann glaubt, wie gesagt, selber nicht recht an dies Ergebniss, und in der That ist seine Dalazi Versuchsanordnung mit zwei j N E Muskeln, Doppelelektroden und ’ ö sy PR 2 a RENTEN: 6 Ye Fu Poggendorff’schr Um- Nach einiger Zeit durch Depolarisation schaltung schwer nach allen und Veränderung des Muskelstroms Mas... (98). ©) Bu = 32: Nun Schnitt. Richtungen controlirbar. Die folgende Anordnung gewährt, wenn ich nicht irre, grössere 9 1.5 @8): „107; P=— 126. Sicherheit. Sie besteht darin, ET 5 (8): A 82; P=— 18. die beiden Enden eines ent- Mi nervten Sartorius in physio- Ohne Schnitt keine Polarisation. Nun logischer Steinsalzlösung von Schnitt. 50° abzutödten, ihm bei ab- A134 N, 5' (108): y 111; P=/ 145. gerückten Bussolschneiden den E 5 (8): A 93; P=— 20. polarisirenden Strom durch die todten Strecken zuzufüh- Ill. en hl) Ohne Schnitt keine Polarisation. Nun u) nur en nl aM I; Schnitt. kreise die Bussolschneiden Kaı MIL 5° (59): a 2 — ÜE wieder anzulegen und den n Polarisationsstrom vom Ae- bo el a Pe quator und abwechselnd von einem Punkte der einen und der anderen todten Strecke abzuleiten. So bleiben bei beiden Richtungen des polarisirenden Stromes alle Umstände unverändert, bis auf den, dessen Einfluss erkannt werden soll, nämlich den Sinn, in welchem die Grenze zwischen lebender und todter Substanz überschritten wird. Die Zahlen unter 0 S. 474 sind die elektromotorischen Kräfte am oberen, die unter U die am unteren thermischen Querschnitt. Der Strom war so schwach gewählt (drei Grove), dass er keine merkliche innere negative Polarisation erzeugte. Wie man sieht, ist in den vier ersten Versuchen stets die Polarisation auf der Seite stärker, wo der polarisirende und der Muskel- strom gleiche Richtung haben; erst beim fünften Wechsel trübt sich die Erscheinung, wie dies bei öfterer Wiederholung von Polarisationen wohl vorkommt. Der Versuch lehrt zugleich, dass in Bezug auf diese Art der Polarisation der mechanische und der thermische Querschnitt sich ähnlich verhalten. Wegen der am künstlichen Querschnitt stattfindenden Polarisation (Fortgesetzt auf S. 475). 474 E. pu Boıs-REeyMmonp: konnte der Versuch über Polarisirbarkeit einer _artorius, Endenverbrüht. Sehnenhaut (s. oben 8. 442) nicht mit einem 0 U Schlitz in einem Muskel, sondern musste mit N TUI Fe einem Thonphantom angestellt werden. Me Soweit wäre diese Angelegenheit aufge- a klärt. Sie bietet aber noch eine Dunkelheit, ae vor der ich bisher rathlos stehen geblieben Br Bi bin. Sobald festgestellt ist, dass eine Quet- = Sr: schung oder ein Schnitt der Sitz negativer —> x Polarisation wird, erscheint es als eine unaus- pP, ee weichliche Folge, dass eine zweite Quetschung, DS ein zweiter Schnitt bei gleicher Stärke des po- 2 a < a larisirenden Stromes die Kraft der Polari- a sation verdoppeln, eine dritte ähnliche Ver- a letzung sie verdreifachen müsse u. s. f., gerade 8 BR wie in einem Satze metallischer Zwischenplat- en Br a ten die Polarisation mit der Zahl der Platten er 1 wächst. Ich habe aber zu meinen Erstaunen #Pı-6% < -130 gefunden, dass dies nicht der Fall ist. Der ar Versuch III auf voriger Seite wurde in der a el a Weise fortgesetzt, dass in einigen Millimetern u Entfernung vom ersten Schnitt ein zweiter BR-65 < —%© angelegt wurde. Nach dem neuen Schnitt: 434. Obschon der aufsteigende Strom in un- veränderter, der absteigende in etwas erhöhter DIT 52 @9): Yo, Pr eo SD, fe: = Stärke einwirkte, war die Polarisation statt — NEN 5 r 9 “ y» 5.69: 768; P- 152 verdoppelt, im ersten Falle nur um !/, stärker, im zweiten aber sogar um !/, schwächer. Bei diesem Versuche konnte man sich denken, dass. vielleicht die kurze Strecke zwischen den beiden Schnitten schon abgestorben war. Ich stellte daher einen anderen Versuch in der Art an, dass ich die Bussolschneiden den Säulenschneiden so nahe wie möglich, und die beiden Schnitte wiederum den Bussolschneiden so nahe, also von einander so weit wie möglich anleste. Sartorius ohne Schnitt. Brstenäschniet | ai a N DB Ds 5 (12): 125; P—_=25 Nur schwache innere negative Polarisation. Zweiter Schnitt. (14 ).„ 5 (0): A120; P= —134. N» 5.60: ) 34 P=—154. OR N = las SECUNDÄR-ELEKTROMOT. ERSCHEIN. AN ELEKTR. GEWEBEN. — 2. MrrtH. 475 Die Stromstärke nach dem zweiten Schnitt ist kleiner als nach dem ersten; doch ist nicht daran zu denken, dass deshalb die Polarisation, wenn sie bei eleicher Stromstärke verdoppelt erschienen wäre, im Mittel um !/,, Sechwächer ausfiel. Auch von der öfteren Wiederholung der Pola- risation kann dies nach anderen Erfahrungen nicht herrühren. Die lange Strecke zwischen den beiden Schnitten konnte auch in diesem Falle unmöglich abgestorben sein. Eher wäre Dauererregung der Strecke zu vermuthen, da es dann nicht bedeutungslos wäre, dass an der Grenze einer in Dauererregung begriffenen und einer abgestorbenen Strecke keine Polarisation stattfände. Doch war von solcher Erregung dem Auge nichts bemerkbar, und so muss die Aufklärung dieses Dunkels ferneren Ver- suchen anheimgestellt bleiben. [Aus dem physiologischen Institut in Königsberg. ] Zur Erklärung des Curare - Diabetes. Von O.Langendorff in Königsberg. Für die Entstehung der in Folge von Curarevergiftung eintretenden (lykosurie ist wiederholt die Schädigung der Respiration verantwortlich oemacht worden. Schiff! vermuthete die zur Zuckerausscheidung führende Ursache in den durch die künstliche Athmung eingeführten abnormen Kreislaufs- bedingungen. Ihm schloss sich Tieffenbach? an, der unter v. Wittich’s Leitung experimentirt hatte. v. Wittich” selbst meinte, dass weder durch Curare an sich noch durch ungenügende Ventilation Glykosurie entstehe, ‚dass aber dureh die Curarevergiftung eine Assimilationsstörung bewirkt werde, die bei ungenügender Ventilation Glykosurie herbeiführe. Dastre* gelangte in einer im Jahre 1879 angestellten Untersuchung zu. dem Schlusse, dass der Curarediabetes nur eine Form des asphyktischen Diabetes sei. Mit Entschiedenheit hat auch Zuntz° die Meinung vertreten, dass ledig- lich im Sauerstoffmangel die Ursache der Curareglycosurie liege. Sein " Schiff, Untersuchungen über die Zuckerbildung in der Leber. Würzburg 1859. 8. 123. ° Tieffenbach, Ueber die Existenz der glycogenen Kunction der Leber Dissert. Königsberg 1869. $. 30. ° v. Wittich in Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd. V. 2. 1881. S. 393. ' Dastre in Compt. rendus de l’ Acad. ete. 1879. T. 89 p. 669 und Soc. de. Biologie 1891 Nr. 28 p. 681. > Zuntz, dies Archiv 1884. S. 346. ZUR ERKLÄRUNG DES ÜCURARE-DIABKTES. AT Schüler Sauer! hat diese Behauptung neuerdings durch experimentelle Be- weise zu stützen gesucht. Auch Araki,? der im Laboratorium von Hoppe- Seyler gearbeitet hat, ist geneigt, sich dieser Erklärungsweise anzuschlies- sen. Die Gründe, auf welche Zuntz und Sauer sich stützen, sind im Wesentlichen folgende. Sauerstoffmangel vermag zweifellos Glykosurie zu erzeugen. (Vergl. darüber besonders die Angaben Dastre’s und Araki’s) Bei der ge- wöhnlichen Art und Weise, wie man bei curarisirten Thieren künstliche Athmung besorgt, ist aber das Eintreten einer ungenügenden Lüftung des Blutes nieht ausgeschlossen. Sorgt man für vollkommene Ventilation, so bleibt, wie Zuntz findet, die Glykosurie beim curarisirten Thiere aus. Schon Penzoldt und Fleischer hatten sie zuweilen fehlen sehen, wenn sie mit Curare vergiftete Hunde in Apnoe erhielten. Die Angabe von Gaglio, der bei Kaninchen und Hunden, denen er kleine, zur Vergiftung der motorischen Nerven nicht ausreichende Curaredosen gegeben hatte, Zucker im Harn auftreten sah, vermochte Sauer nicht zu bestätigen: die Glyko- surie trat niemals auf, so lange das Allgemeinbefinden der Thiere ungestört blieb. Sie erschien nur, wenn Dyspnoe sich einstellte, und wenn dieser nieht alsbald durch genügende Ventilation abgeholfen wurde. Mir schien es, alsob Versuche an Fröschen geeignet sein möchten ein Wort in dieser Frage mitzusprechen. Der Frosch lässt sich, wie man schon seit den Untersuchungen von Winogradoff® weiss, durch Curare leicht diabetisch machen. Es schien mir nun zweifelhaft, ob der durch die Athmungslähmung bedingte Sauerstoffmangel bei einem kaltblütigen Thiere, welchem zudem noch das reiche Gefässnetz der Haut zum Gas- austausch offen steht, eine so schwere Stoflwechselstörung sollte herbei- führen können. Auch Zuntz hat an die Glykosurie des curarisirten Frosches gedacht Eine von Winogradoff gefundene Thatsache schien ihm aber geeignet auch die an diesem Thiere gemachten Erfahrungen zu (Gunsten seiner Anschauungsweise verwerthen zu lassen. Winogradoff hatte gefunden, dass Frösche in gewissen Wintermonaten durch Curare nicht diabetisch werden. Zuntz schloss nun: in der warmen Jahreszeit werden sie diabe- tisch, weil hier die Hautathmung zur Sauerstoffzufuhr nicht ausreicht; in .der Kälte ist aber der Sauerstoffbedaif so gering, dass zu seiner Befrie- dieung die Hautathmung genügt; folglich bleibt hier die Glykosurie aus. Mit dieser Deutung kann ich mich nicht einverstanden erklären. ! Sauer, Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. XLIX. S. 423. ? Araki, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XV. 8. 335 und 8. 541. 3 Winogradoff, Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. XXVII. S. 533. 478 0. LANGENDORFF: Allerdings sieht man, wie Schiff und Winogradoff beobachteten, in gewissen Wintermonaten den experimentellen Diabetes beim Frosche öfters ausbleiben. Aber daran kann nicht die Kälte schuld sein, denn ich habe in anderen ebenfalls kalten Monaten die Curareglykosurie prompt eintreten sehen. So beobachtete ich, um nur einen von mir genau aufgezeichneten Versuch anzuführen, im November 1885 bei einem mit Curare vergifteten Froscehe eine 12 Tage lang andauernde Glykosurie bei fortdauernd sehr niedriger, zuweilen bis unter 0° sinkender Temperatur des Versuchs- vaumes.. Am 12. Tage begann das Thier sich wieder zu bewegen, am 13. war der Harn zuckerfrei.! Bei dem geringen Respirationsbedürfniss, das wir bei einem bewegungs- losen und dazu noch bis zum Gefrierpunkt abgekühlten Frosch voraus- setzen dürfen, kann doch wohl an eine Wirkung des Sauerstoffmangels hier nicht gedacht werden. Ich möchte aber ferner gegen die Deutung der Curareglykosurie 'als einer asphyktischen noch folgende Beobachtungen in die Wagschale werfen. Man kann Frösche auf anderem Wege als durch Curarisirung ihrer Lungenathmung berauben, und diese werden nicht dia- betisch. Exstirpirt man einem Frosch die Lungen,? so kann er, wenn man ihn nicht in allzu warme Räume brinst, viele Tage lang am Leben bleiben. Niemals tritt hier Zucker im Harn auf. Dennoch ist ein solches Thier gerade so allein auf seine Hautathmung angewiesen, wie ein curari- sirtes, und da das Thier sich bewegt, ist das Athmungsbedürfniss sicher grösser, als beim gelähmten. Ich hielt zwei curarisirte Frösche und zwei solche, denen ich die Lungen exstirpirt hatte, unter möglichst ähnlichen Bedingungen gleich- ‚zeitig in demselben Zimmer. Die Temperatur desselben schwankte in den Versuchstagen zwischen 12—16° C. Mehrere Tage lang wurde bei allen vieren der Harn geprüft; der der vergifteten T’hiere war stets zuckerhaltie, der der lungenlosen dauernd zuckerfrei. Einer der letzteren Frösche erlitt nach einigen Tagen eine hohe Rückenmarksdurchschneidung; 24 Stunden darauf hatte er Glykosurie. Man könnte gegen die Beweiskraft dieser Yalsualle einwenden, dass die Curarevereiftung nicht allein die Lungenathmung vernichte, sondern ! Auch in der Strychninvergiftung sah ich Frösche tagelang zuckerhaltigen Harn absondern, wenn die Temperatur so niedrig war, dass sie am Morgen völlig eingefroren sefunden wurden. ” Zuweilen kann man die Lungen leicht vom Kehlkopf her hervorholen, abbinden und wegnehmen. Sicherer gelingt ihre Abtragung , wenn man jederseits eine kleine Oeffnung in der Flanke anlegt, die man nachher durch Näthe wohl verschliesst. ZUR ERKLÄRUNG DES ÜURARE-DIABETES, 479 dass sie auch wegen ihrer Einwirkung auf das Herz und die Blutgefässe die Hautathmung beeinträchtigen könne. Ich glaube indess, dass bei vor- sichtiger Dosirung des Giftes und bei Benutzung nur frischbereiteter Lösungen die Gefahr einer Circulationsstörung nicht gross ist. Sieht man doch bei curarisirten Fröschen noch ganz beträchtliche Blutdruckgrössen. In den Gefässen der Lunge und der Schwimmhäute ist die Blutströmung tagelang lebhaft und kräftig. Auch die oft bedeutende Steigerung der Harnabsonderung, die man bei curarisirten Fröschen findet, spricht nicht im Sinne einer Circulationsschwächung. Ich meine deshalb, dass die von Dastre, Zuntz und Anderen ver- theidigte Auffassung der Curareglykosurie als einer asphyktischen für den Frosch nicht anwendbar ist. Ist dies aber nicht der Fall, so wird die Zulässigkeit dieser Deutting auch für den Warmblüter zweifelhaft. Erst weitere Untersuchungen werden über die wahre Ursache des Öurarediabetes Aufschluss geben. Die plausibelste Erklärung bleibt noch immer die, dass durch die Muskellähmung der Zuckerverbrauch eine Einschränkung erfahren habe, und der überschüssige Zucker durch den Harn entfernt werde (Wi- nogradoff). Freilich hat Simson! kürzlich nachgewiesen, dass die Zuckermenge im Harn des curarisirten Thieres auch dann nicht merklich abnimmt, wenn man die Muskeln stundenlang tetanisirt. Doch muss gegen diese Experimente eingewendet werden, dass dabei eine neue Veranlassung zur Glykosurie, nämlich eine Reizung sensibler Nerven und des Rücken- markes, nicht ausgeschlossen war. (Die Elektroden waren in die Muscu- latur der hinteren Extremitäten und des Rückens eingestossen.) Dass solche Reizungen Glykosurie machen können, ist zweifellos; der Curare- diabetes konnte also in diesen Versuchen wohl ausgeblieben, ein nervöser Diabetes aber an seine Stelle getreten sein. Die Beobachtung, dass bei lebhafter künstlicher Athmung die Curare- glykosurie ausbleibt, zwingt doch wohl, wie mir scheint, nicht unbedingt dazu, für das Eintreten der Zuckerausscheidung den Sauerstoffmangel ver- antwortlich zu machen. Vielleicht sind gerade in der ungewöhnlich aus- siebigen Lüftung des Blutes Bedingungen gegeben, die eine Glykaemie und damit die Glykosurie unmöglich machen. 1 J. Simson, Zum Curarediabetes. Inaug.-Dissert. Halle a/S. 1888. [Aus dem physiologischen Institut in Königsberg. ] Eine Glycerinwirkung. Von O. Langendorff in Königsberg Angeregt durch die von Heidenhain auf dem Basler Physiologen- Congress gemachten Mittheilungen über Lymphbildung! wollte ich unter- suchen, ob bei Fröschen sich grössere Lymphmengen durch Injection wasseranziehender Stoffe in die grossen Lymphräume gewinnen lassen. Ich wählte zu diesen Versuchen zunächst das Glycerin. In einer Menge von 1.5 bis 2° unverdünnt in den Rückenlymphsack eines mittelgrossen Frosches injieirt, führt dasselbe in der That in kurzer Zeit zu beträcht- lichen Flüssigkeitsansammlungen unter der Hant. Nach einer Stunde kann man durch Anschneiden der Lymphsäcke leicht das 4—5fache des ein- gespritzten Flüssigkeitsvolumes gewinnen. Die ausfliessende Lymphe ist klar, meist blutfrei und gerinnt spontan oder nach Zusatz von etwas Blut. Weit mehr als durch dieses wohl vorauszusagende Ergebniss wurde meine Aufmerksamkeit durch eine Reihe von Erscheinungen gefesselt, von denen ich annehmen muss, dass sie mit der Wasserentziehung im Zusam- menhang stehen. Die Frösche gerathen einige Zeit nach der Glycerininjection in heftige Krämpfe. Diese zeigen bald mehr einen klonischen, bald einen tetanischen Charakter. Sie hängen theils von den nervösen Centralorganen theils von den peripherischen Nerven ab. Denn Zerstörung der ersteren schwächt sie, ohne sie gänzlich aufzuheben, während Curare sie beseitiet. Offenbar "SS. Centralblatt für Physiologie Bd. III Lit. 1889. S. 307. Nähere Mitthei- lungen folgten auf dem X. Internationalen mediein. Congress (Verhandlg. Bd. II. 2. Abth. 8. 56) und Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. 49. 8. 209. EINE GLYCERINWIRKUNG. 481 handelt es sich um eine Reizung des Nervensystems durch die Wasser- entziehung. Zuweilen kommt es nicht zu spontanen Krämpfen; in solchen Fällen genügen leichte Hautreize, um heftige Krampfanfälle hervorzurufen. Soweit. dürften die Erscheinungen nichts besonders Bemerkenswerthes darbieten; denn dass Wasserverlust die Nerven und die nervösen Central- organe heftie erregt, ist eine bekannte Thatsache. Sehr auffallende, und Fig. 1. soviel mir bekannt, bisher noch nicht beobachtete Veränderungen machen sich aber an den Muskeln bemerklich. Am reinsten, durch nervöse Einflüsse ungestört zeigen sich dieselben an curarisirten Thieren, denen man etwa 1-5°m starkes Glycerin in den Rückenlymphsack oder auch in das Blut gespritzt hat. Fig. 2. Ich sagte vorhin, Curare vernichte den Glycerinkrampf. Dies ist aber nur so lange richtig, als man das Thier in Ruhe lässt. Reizt man es durch die Haut hindurch durch Druck oder Schlag auf einen Muskel oder durch einen Inductionsschlag, so tritt jedesmal eine heftige, lange andauernde tetanische Zusammenziehung nicht nur des gereizten Muskels, sondern auch einer ganzen Anzahl benach- barter Muskeln ein. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 31 O. LANGENDORFF: 482 EINE GLYCERINWIRKUNG. 483 Es gewährt einen eigenthümlichen Anblick, wenn man das ruhig daliegende, motorisch anscheinend vollständig gelähmte Thier auf einen leichten Stoss mit Bewegungserscheinungen reagiren sieht, welche Reflex- krämpfen täuschend ähnlich sehen. Um solche kann es sich natürlich nicht handeln. Es kann nur directe Muskelreizung im Spiele sein. Wie kommt es aber, dass eine schwache locale Reizung eines Muskels eine so gewalt- same und umfängliche Reaction zur Folge hat? Der Schlüssel dafür liegt in den Beobachtungen, die Kühne! und nach ihm Biedermann? über die secundäre Erregung von Muskel zu Muskel gemacht haben. Kühne zeigte, dass für gewöhnlich zwar ein Muskel durch den Actionsstrom seines Nachbars niemals gereizt wird, dass aber solche Reizwirkungen eintreten, wenn man einen Muskel mit einer gewissen Kraft gegen den primär zu reizenden presst. Biedermann wies nach, dass in ähnlicher Weise das Austrock- nen der Muskeln an der Luft wirkt. Die Aehnlichkeit des von ihm geschilderten, vor Biedermann wohl schon mehrfach gesehenen, aber nicht genügend erklärten Verhaltens eintrocknender Muskeln mit dem der Muskeln eines Glycerinfrosches ist nun eine vollständige. Auch bei letzteren geht, wie Beobachtungen an freigelegten oder iso- lirten Muskeln lehren, die locale Erregung einer Faser oder einer kleinen Fasergruppe auf die benachbarten über. Auch hier bietet die natürliche Begrenzung eines Muskels kein Hinderniss für den Übertritt der Erregung auf benachbarte Muskeln. Auch hier treten auf Einzelreize nicht Einzel- zuckungen, sondern Tetani auf. Da nun beim Glycerinfrosch ganz ähnliche Bedingungen zur Hervor- rufung des Phaenomens gegeben sind, wie in den Vertrocknungsversuchen, da die in den Lymphsack übergegangene Flüssigkeit offenbar aus den Geweben stammt, die Muskeln in der That ein glanzloses und auffallend trocknes Aussehen haben, so stehe ich nicht an, den oben beschriebenen Erscheinungen dieselbe Deutung zu geben, wie die genannten Forscher, sie also für eine Folge elektrischer Erregung vom Muskel zum Muskel zu erklären. Es ist mir auch gelungen, graphische Aufzeichnungen gereizter Glycerinmuskeln zu gewinnen. Sie sind, wie mir scheint, recht lehrreich. In Fig. 1 und 2 wurde der am directen Myographon zeichnende iso- lirte M. gastrocuemius durch einzelne Oeffinungs- und Schliessungsinduc- tionsschläge (bei O Oeffnungsschlag, bei 5 Schliessungsschlag) gereizt. Man 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XXIV. S. 383 und Bd. XXVI. S. 203. ® Sitzber. d. Wiener Acad. d. Wiss. Math.-nat. Cl. Bd. XCVII Abth. III. 8. 145. 31* 484 O0. LANGENDORFF: erkennt, dass an die Stelle einzelner Zuckungen Tetani von nicht unbe- trächtlicher Dauer getreten sind. Die in Fig. 3, 4 und 5 wiedergegebenen Aufzeichnungen sind ver- mittelst des Marey’schen Transmissionsmyographen gewonnen, an dem der ‚ freigelegte, aber im Zusammenhang mit dem Thiere gebliebene und blut- durchströmte Muskel arbeitete. In Fig. 3 und 4 erfuhr der Muskel leichte und möglichst momentane mechanische Reizungen. Auch sie wurden mit tetanischen Zusammen- ziehungen beantwortet, denen, wie in Fig. 3, nicht selten klonische Zuckun- gen folgten. In Fig. 5 wurde eine ganz beschränkte Stelle des Muskels elektrisch gereizt, indem ich die von Kühne eingeführte unipolare Me- thode -anwendete. Ein Daniell setzte den Hammer eines Schlittenapparates in Bewegung. Von der secundären Rolle war ein Pol mit der Gasleitung verbunden, der andere mit einem Metallblech, auf welchem der Frosch lag. Jede Berührung des M. gastrocuemius mit einer Nadel wirkte als streng auf die Reizungsstelle beschränkter Reiz. Dennoch gerieth der ganze Muskel in Tetanus. Was Eintritt und Dauer der Erscheinung anlangt, so ist das ab- norme Verhalten der Muskeln schon !/, Stunde nach der subcutanen Injection des Glycerins nachweisbar, hält sich mindestens 2 Stunden lang auf seiner Höhe und kann noch 7 Stunden nachher bei einzelnen Muskeln vorhanden sein. Zapft man die im Lymphsack enthaltene Flüssigkeit ab, und bringt man den Frosch in Wasser, so können die Erscheinungen sich wieder voll- ständig verlieren, das Thier am nächsten Tage ein ganz normales Verhalten darbieten. Dies gilt besonders von nicht eurarisirten Fröschen. Vergeblich habe ich mich bemüht, ähnliche secundäre Bewegungen am Herzen hervorzurufen. Ich dachte, dass, wenn man einem Glycerin- frosch nach dem Bernstein’schen Verfahren die Herzspitze abklemmte, diese nicht wie gewöhnlich in Ruhe bleiben, sondern von dem benachbarten thätigen Theile des Ventrikels aus zu Zusammenziehungen veranlasst wer- den möchte. Indessen ist es mir nicht geglückt, etwas derartiges zu sehen: die abgeklemmte Spitze bleibt völlig schlaglos, so kräftig sich auch das obere Drittel der Kammer zusammenzieht. Vermuthlich kommt es hier wegen des Blutgehaltes der Kammer nicht zu einer für die Hervorrufung der Erscheinung ausreichenden Trocknung. Anhang. Erscheinungen am Auge. Natürlich machen sich die Folgen der durch die Glycerininjection bedingten Wasserentziehung. auch - an anderen Organen geltend. Sehr auflallend sind sie am Auge. Hier EINE GLYCERINWIRKUNG. 485 kann der Flüssigkeitsverlust so gross werden, dass nicht nur die vordere Kammer völlig verstreicht, die Hornhaut sich faltet und an die Iris an- legt, sondern der Bulbus kann völlig zusammensinken, indem selbst der (rlaskörper grösstentheils resorbirt wird. Sehr bemerkenswerth schien mir dabei das Verhalten der Linse. Schon lange ist bekannt, dass, wenn man Fröschen Kochsalzlösungen inji- eirt, die Linse sich trübt. Von Vielen wird diese Trübung auf die Wasser- entziehung zurückgeführt. Es war mir nun sehr merkwürdig, dass bei meinen Glycerinversuchen nur ein einziges Mal die Linsen sich getrübt zeigten, dass sie in allen anderen Fällen, selbst dort, wo das Kammer- wasser völlig geschwunden war, ihr krystallklares Aussehen behalten hatten. Diese Erfahrung scheint darauf hinzudeuten, dass bei der Kochsalzkatarakt weniger die Wasserentziehung als eine eiweissfällende Wirkung des resor- birten Salzes im Spiele ist — eine Auffassung, die ja auch von einigen anderen Beobachtern vertreten wird. Schon der Umstand, dass beim Salzfrosch der Bulbus seine normale Spannung, die Vorderkammer ihre gewöhnliche Tiefe, die Hornhaut die ihr zukommende Wölbung behalten hat,! spricht in diesem Sinne; denn es ist viel wahrscheinlicher, dass vom Wasserverlust in erster Linie die flüssigen Augenmedien betroffen werden, als dass die Linse zuerst ihr Wasser hergeben sollte. Dass übrigens auch die Linse durch Wasser- verlust trüb werden könne, bezweifle ich nicht; bringt man ausgeschnittene Froschlinsen in Glycerin, so büssen sie alsbald ihre Durchsichtigkeit ein. Erstaunlich ist es, wie schnell sich bei Wasserzufuhr die Füllung des Augapfels wieder herstellt. Setzt man den Glycerinfrosch in Wasser, so ist schon nach wenigen Stunden der Humor aqueus wieder vorhanden, die Hornhaut normal gespannt, der Bulbus von der gewöhnlichen Härte. 1 Nach Kunde tritt sogar eine Zunahme des Kammerwaässers ein. Kleine Mittheilungen zur Athmungslehre. Von O. Langendorft, in Königsberg. (Aus dem physiologischen Institut in Königsberg.) 1. Untersuchungen zur Athemmechanik und zur Athmungs- innervation bei einigen Reptilien. Die hier mitzutheilenden Untersuchungen sind vor mehreren Jahren gemeinschaftlich von mir und Hrn. Dr. C. Franck begonnen und neuer- dings von mir allein weitergeführt worden. Sie sind, wie aus dem Nach- stehenden hervorgehen wird, keineswegs abgeschlossen; ich gedenke sie fort- zusetzen, sobald ich wieder im Besitz geeigneten Arbeitsmaterials sein werde. Wir haben zunächst hauptsächlich an Sauriern (Lacerta viridis, Lacerta agilis, Anguis fragilis) experimentirt. Der Typus der Eidechsenathmung. Es besteht kein Zweifel darüber, dass bei den Eidechsen die anato- mischen Bedingungen zur aspiratorischen Athmungsweise gegeben sind. Ihr mit vollständigem Rippenskelet ausgestatteter Thorax zeigt rhythmische Volumveränderungen, die auch nach Einführung einer Glascanüle in die eröffnete Luftröhre unverändert bestehen bleiben. Die Ansicht, dass sie activ durch Rippenhebung den Brustkorb erweitern, dürfte allgemein ge- theilt werden. ! ıS. P. Bert, Lecons sur la physiologie comparee de la respiration. Paris 1870. p. 301. KLEINE MITTHEILUNGEN ZUR ÄATHMUNGSLEHRE. 487 Um die Athembewegungen zu analysiren, muss man sie graphisch darstellen. Man kann dies thun, indem man eine in die Luftröhre ein- geführte Canüle mit oder ohne Hinzufügung einer Luftvorlage mit einer Marey’schen Schreibkapsel verbindet, oder indem man auf die Seitenwand des Thorax einen einfachen Fühlhebel auflegt. Fig. 1. Athmungseurven einer Eidechse, von der Luftröhre aus aufgezeichnet. Im ersten Falle erhält man Zeichnungen von der in Fig. 1 wieder- gegebenen Form. Die absteigenden Curvenstücke entsprechen der Inspi- ration, die aufsteigenden der Exspiration. Jede Athmungsperiode beginnt mit einer Ausathmungsbewegung, der sich sofort eine tiefe Einathmung anschliesst. Dieser folgt wieder unmittelbar eine partielle Exspiration. Fig. 2. Athmungscurven einer Eidechse; Fühlhebel auf der Seitenwand des Thorax. Dann verharrt der Thorax eine Zeitlang in Ruhestellung. Diese Pause, die natürlich eine inspiratorische ist, da der Thorax ja nur einen meist kleinen Theil seiner aspirirten Luft wieder ausgegeben hat, ist von wechselnder Dauer. Die Athmung erscheint daher in vielen Fällen sehr arhythmisch. Nach Beendigung der Pause kehrt der Thorax durch eine tiefe Ausath- mung in stärkste Exspirationsstellung zurück, und damit hat eine andere Periode begonnen. 488 0. LANGENDORFF: Die stethographische Darstellung der Athembewegungen liefert die- selben Ergebnisse, wie die Trachealzeichnung. : Man erkennt auch hier (Fig. 2) die inspiratorische Pause und die drei sich daran anschliessenden Phasen. Natürlich bedeutet hier das Ansteigen ‚der Curve eine Volumzunahme, ihr Abfall eine Volumverminderung des Thorax. Etwas anders, als bei den eigentlichen Lacerten gestaltet sich die Athmungsweise der Blindschleiche (Auguis fragilis). Allerdings muss ich hier bemerken, dass ich dieselbe nur im October untersucht habe, alsc zu einer Zeit, wo diese Thiere, sich bereits zum Winterschlaf rüstend, schon recht träge geworden sind. Stülpt man einer Blindschleiche ein Stück Gummischlauch so über den Kopf, dass er überall gut anschliesst, und ver- bindet man das freie Ende desselben mit der Zeichenkapsel, so kann man Fig. 3. Athmungscurven einer Blindschleiche. (Die obere Zeichnung bei grösserer, die untere bei geringerer Trommelgeschwindigkeit aufgenommen). 10—15 Minuten hindurch gute Athmungszeichnungen erhalten, ohne das; das durch die Kopfkappe in eine Art von Hypnose versetzte Thier störende Bewegungen macht. Die Beobachtung des frei athmenden Thieres zeigt übrigens, dass durch diese Versuchsanordnung eine Veränderung der Ath- mungsweise nicht hervorgebracht wird; denn man nimmt an ihm schon durch die einfache Beobachtung denselben Athemmodus wahr, den man an der Curve erkennt. Die Athmung hat, wie man aus Fig. 3 entnimwt, hier eine einfachere Form als bei Lacerta. Der Thorax verengt sich, erweitert sich gleich darauf und bleibt im Zustande der Erweiterung längere Zeit stehen; dann kommt wieder die Exspiration mit gleich darauf folgender Einath- mung. Es fehlt hier also die der Inspiration unmittelbar sich anschlies- sende partielle IE;xspiration. KLEINE MITTHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 489 Die inspiratorische Ruhestellung findet nicht immer in derselben Höhe statt. Schon die in Fig. 3 mitgetheilten Aufzeichnungen lassen dies er- kennen. Noch deutlicher ist der Tiefenwechsel in Fig. 4, die demselben Thier entstammt, zu sehen. Fig. 4. Athmungseurven der Blindschleiche. Aehnlich wie bei Anguis kann nach den von Bert mitgetheilten Beobachtungen die Athmuug bei anderen Reptilien, nämlich bei den Kro- kodilen und bei den Ophidiern beschaffen sein; in Fig. 5 reprodueire ich zwei seiner Aufzeichnungen, von denen die obere die Trachealeurve einer Fig. >. Die obere Curve ist die Trachealeurve einer Schlange, die untere die Athmungscurve eines Kaimans. Schlange, die untere die durch die Kappe aufgezeichneten Athembewe- gungen eines Kaimans wiedergibt. ! Bei den Schildkröten, bei denen mir auch eigene Erfahrungen zu Gebote stehen, entspricht die Athmung, wenigstens im normalen Zustand, ganz und gar derjenigen der Lacerten. Unter gewissen Bedingungen aber ! Fano hat dagegen von Champsa lucius Curven mitgetheilt, die einen ganz anderen Charakter zeigen. ‘(uapunqıoA [osduyuayplaZ Aauta Yu aıgoaypnf) asyoapıg Aap Sunmwyy opeurdg 9 a1 O. LANGENDORFF: nimmt, wie Bert gezeigt hat, auch hier die Athmung den bei der Blindschleiche beobachteten Typus an.! Bei Eidechsen und anderen Reptilien sieht man an der Kehle rhythmische Bewegungen, die an die bekann- ten Schluckathmungsbewegungen der Amphibien erin- nern. Bert glaubt, dass durch . dieselben nur eine Ventilation des Pharynx bewirkt werde; er stellt in Ab- rede, dass dadurch Luft in die Lungen hineingeschluckt werden könne. Wir haben uns dagegen dadurch, dass wir bei Eidechsen das Kopfende der durchschnittenen Luftröhre mit einer Schreibkapsel verbanden, mit aller Sicherheit davon überzeugen können, dass es sich um echte Schluckathmungen (in der Art des beim Frosch bekannten Luftschluckens) handelt. Weitere Mittheilungen darüber, ob und wie dieses Moment in den Athmungsvor- gang eingreift, möchte ich mir indessen noch vorbehalten. Das Athemcentrum der Eidechse. Durchschneidet man bei einer kräftigen und leb- haften Eidechse (im Sommer) das Rückenmark dicht unterhalb der Medulla oblongata, so treten, nachdem bald kürzere, bald längere Zeit die Athmung stillgestan- den hat, aufs Neue rhythmische Athembewegungen auf und dauern dann stundenlang an. Die Athmungen sind von den vor der Operation zu beobachtenden verschieden. Sie sind erstens lang- samer; die Einzelathmungen folgen einander in Zwi- schenräumen von /, bis 1 Minute, selten in kürzeren zuweilen in grösseren Zeiträumen. Sie bestehen, wie Fig. 6 und Fig. 7, die von ver- schiedenen Thieren stammen, zeigen, aus einer etwa 1 Indessen dürfte nach den Beobachtungen von Fano (S. G. Fano, Di aleuni metodi di indagine in fiosologia. Milano- Torino. 1888. p. 20. Daselbst auch die frühere Litteratur) für die Athmung der Schildkröte ein eigenartiges, bei anderen Thieren wohl kaum in Betracht kommendes Moment bedeutungs- voll sein. Fano fand nämlich das Lungengewebe der Schild kröte mit reichlicher, in Abhängigkeit von den Vagi stehender Musculatur ausgestattet. Diese Muskeln machen nach seiner An- gabe rhythmische Zusammenziehungen, die wie Exspirationen wirken. Möglicherweise spielen sie bei der Athmung eine Rolle. KLEINE MITTMHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 491 im Laufe von 7-5 bis 10 Secunden bis zum Maximum ansteigenden Exspiration und einer sich daran anschliessenden, erst mit grösserer, später mit gerin- gerer Geschwindigkeit erfolgenden Inspiration. Es folgt eine lange Inspi- rationspause, danach wieder die Ausathmung u. s. f. Hat die Inspiration vor der Pause nicht ihr Maximum erreicht, so geht der Ausathmung meistens noch eine kleine inspiratorische Senkung des Zeichenhebels unmittelbar voran. Auch ohne graphische Hilfsmittel lassen sich diese Bewegungen durch Beobachtung des Brustkorbes leicht erkennen. Nach dem, was oben über die normale Athmungsform der Eidechsen mitgetheilt worden ist, liegt also eine zweifellose Aenderung derselben vor. Diese Aenderung ist aber keine sehr bedeutende, da sie im Wesentlichen nur auf einer oft nicht einmal erheblichen Abnahme der Steilheit der Fig. 7. Spinale Athmungen der Eidechse (Trachealcanüle). Inspiration und auf dem Fortfall des postinspiratorischen Partialcollapses beruht. Die Form der Curve ruft daher die für die Blindschleiche, die Schlangen und Krokodile charakteristische ins Gedächtniss. Wahrscheinlich kann sich auch die Athmung der im Vollbesitz ihres Centralnervensystems befind- lichen Lacerten unter gewissen Einflüssen so ändern, dass sie derjenigen der genannten Thiere ähnlich wird. Untersuchungen über den Einfluss des N. vagus auf die Athmung der Eidechse dürften hierüber nähere Auskunft geben. Auf alle Fälle ist durch die mitgetheilten Versuche bewiesen, dass bei der Eidechse spinale Athemcentren bestehen, die ohne Hilfe des Kopfmarkes automatisch zu functioniren und längere Zeit hindurch die Athembewegungen zu erhalten im Stande sind. 492 0. LANGENDORFF: 2. Ueber einen Versuch des Hrn. Ch. Rouget. Im ersten Bande der fünften Serie der Archives de Physiologie S. 336 ‚ bespricht Brown-Sequard unter der Ueberschrift: „De la cause du rhythme respiratoire, d’apres un fait d&couvert par M. Charles Rouget“ folgende von diesem Forscher 1882/83 veröffentlichte Notiz: „Continuation des mouvements respiratoires de la tete et du tronc chez les chats nou- veau-nes, apres la section de la mo&lle au dessous du bulbe; persistance de l’association et du synchronisme des mouvements respiratoires des deux segments, tete et tronc, physiologiquements separes.“ Eine solche Synchronie der spinalen und der vom Kopfmark aus innervirten Athmungen nach Durchschneidung des Markes unter dem Cal. seriptorius ist von mir bereits früher beobachtet und im ersten Theil meiner „Studien über die Innervation der Athembewegungen“ im Jahre 1879 mitgetheilt worden. Es heisst daselbst (Dieses Archiv 1880. Physiol. Abth. S. 542): „— — Hat man nämlich die M. oblongata vom Rückenmarke bei einem ganz jungen Thiere abgetrennt, so macht in vielen Fällen der Kopf längere Zeit hindurch noch kräftige schnappende Athembewegungen, die ich mit Rosenthal für automatische halte. Treten nun auch ohne Strychninvergiftung spontane Zwerchfell- und Brustkorb-Athmungen ein, so sieht man oft genug zu seiner grössten Ueberraschung eine genaue Goincidenz der Kopiathmung und der Rumpfathmung. Ich habe diese Beobachtung, die ich anfangs für eine Täuschung hielt, in einer Anzahl von Versuchen angelegentlich geprüft und mehreren Personen gezeigt. Es versteht sich von selbst, dass jedesmal durch die Section die vollständig . gelungene Abtrennung der M. oblongata bestätigt wurde.“ Brown-Sequard benutzt die mitgetheilte Thatsache, um daraus Schlüsse gegen die Annahme einer reflectorischen Thätigkeit der Athmungscentren zu ziehen. Er sagt, wenn eine solche bestände, so wäre nicht einzusehen, wie zwei von einander getrennte Centralapparate völlig synchron zu arbeiten vermöchten, von denen der eine die starken Impulse von den Nn. vagi und den übrigen Kopfnerven empfange, während der andere lediglich auf die Anregungen von der Rumpfperipherie ange- wiesen sei. Das Bestehen einer solchen Uebereinstimmung sei ein Beweis dafür, dass die wesentliche Ursache des Athmungsrhythmus die directe Erregung der verschiedenen Theile des Athmungscentrums durch das Blut sei. | So sehr ich auch mit dem hervorragenden französischen Forscher in der Annahme einer automatischen Thätigkeit des Athemcentrums übereinstimme, und obwohl ich selbst meine von Rouget aufs Neue ge- KLEINE MITTHEILUNGEN ZUR ÄTHMUNGSLEHRE. 495 machte Beobachtung in ganz ähnlicher Weise verwerthet habe, wie das hier Brown-Sequard thut, — so muss ich doch sagen, dass mir Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Auffassung gekommen sind, und dass mir zur Zeit eine ganz andere Deutung der Erscheinung näher zu liegen scheint. Ich glaube nämlich, dass bei den in Rede stehenden Versuchen die Kopfathmungen deshalb in demselben Rhythmus wie die kumpfathmungen erfolgen, weil sie von ihnen beeinflusst sind. Das beeinflussende Moment liegt in den Volumschwan- kungen der Lungen, und die Vermittelung übernimmt der Nervus vagus. Ich meine damit nicht, dass die Spinalathmungen die Ursache der Kopfathmungen sind; denn dass solebe auch am völlig ab- getrennten Kopfe beobachtet werden können, weiss Jeder. Den vorhan- denen Kopfathmungen wird aber ein bestimmter Rhythmus durch die regulatorische (selbststeuernde) Wirksamkeit der pulmonalen Vagusendi- gungen gewissermaassen aufgedrängt. Die Kopfathmungscentren, die ja trotz der hohen Halsmarkdurchschneidung durch die Vagi noch mit den Lungen zusammenhängen, befinden sich hier in demselben Falle wie das Gesammtathmungscentrum bei Einleitung künstlicher Respiration. Nach der Entdeckung L. Traube’s bequemt sich in diesem Falle bekanntlich die spontane Athmung des Thieres dem Rhythmus der künstlichen an. So hat auch in unserem Falle jeder exspiratorische Collaps der Lunge eine inspiratorische Bewegung der Kopfathmungsmuskeln zur Folge, jede Lungenentfaltung entfesselt eine Hemmungswirkung. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liesse sich durch doppelseitige Vagusdurchschneidung an einem durch Abtrennung des Kopf- marks synchrone Rumpf- und Gesichtsathmungen zeigenden Thiere er- bringen. Die Synchronie müsste dann aufhören. Obwohl mir bis jetzt ein solcher Versuch fehlt, halte ich die hier mitgetheilte Erklärung der auffallenden Thatsache einstweilen für richtig, jedenfalls für wahrschein- licher, wie die früher von mir und jetzt auch von Brown-Sequard an- genommene. Allerdings glaube ich auch jetzt noch an die Möglichkeit einer synergischen oder synchronen Thätigkeit von nervösen Üentral- apparaten, zwischen denen ein anatomischer Zusammenhang nicht besteht. Gleicher Reiz und gleiche Erregbarkeit ist ihre Bedingung. Diese Bedin- gung ist aber für den vorliegenden Fall nicht erfüllt. Denn nehmen wir auch eine gleiche Erregbarkeit der beiderseitigen Centralapparate an, setzen wir auch einen gleichen gemeinschaftlichen Reiz, nennen wir ihn den „Blutreiz“, voraus — so muss doch, wie ja auch Brown-Sequard aus- führt, das bulbäre Centrum eine ganze Reihe von Anregungen mehr er- halten, als das spinale: das eine steht unter dem Einfluss der Vagi, das andere nicht. Dies wird zugegeben werden müssen, gleichgiltig ob man 494 0. LANGENDORFF: diesen reflectorischen Impulsen eine capitale oder nur eine accessorische Bedeutung zuschreibt. Es wird die Aufgabe späterer Untersuchungen sein, die experimentelle Entscheidung in dieser Frage zu bringen. 3. Zur Lehre vom Cheyne-Stokes’schen Phaenomen. Marckwald! hatte gefunden, dass, wenn man bei einem Kaninchen durch die Ausführung der hohen Oblongata-Durchschneidung die oberen Hirnbahnen ausschaltet, zuweilen eine periodisch aussetzende Athmung ein- tritt, die aber sofort verschwindet und den von ihm näher geschilderten Athemkrämpfen Platz macht, wenn man die Nn. vagi durchschneidet. Dieser Versuch steht im Einklang mit der Vorstellung, die sich Traube? von dem Zustandekommen einer bestimmten Art der periodisch-aussetzenden Athmung, nämlich des Cheyne-Stokes’schen Respirationsphaenomens ge- bildet hatte Nach ihm wäre zur Entstehung dieses Athmungsmodus die Unversehrtheit der Nn. vagi erforderlich. Ich bin durch eine gelegentliche Beobachtung in den Stand gesetzt, den Nachweis zu führen, dass periodisch-aussetzendes Athmen auch nach Durchschneidung der Nn. vagi möglich ist. Schon in der mit C. Franck gemeinsam angestellten Untersuchung über die Leistungen des isolirten Athemcentrums® machten wir die Er- fahrung, dass Durchschneidung eines N. vagus das Auftreten periodischer Respiration nicht hindert. Bei meiner Fortsetzung dieser Versuche, zu denen ich ausser Kaninchen auch Katzen verwendete, wurde in einem Falle folgende Beobachtung gemacht. Versuch vom 26. III. 1888. Drei- bis vierwöchentliches Kätzchen. In tiefer Chloralnarkose wird nach Ausführung der Tracheotomie Grosshirn und Mittelhirn, dazu der oberste Theil des Kopfmarkes bis hinter die Mitte des Pons Varolii entfernt. Nach dieser Verletzung ist aufangs die Ein- leitung künstlicher Athmung nothwendig; später athmet das Thier selb- ständig, und zwar in einem etwas unregelmässigen periodischen Rhythmus. Darauf wurden die beiden Nn. vagi durchschnitten; die Folge ihres Ausfalls ist zunächst, dass die periodische Athmung in langsame Einzelathmungen ! M, Marckwald, Die Athembewegungen und deren Innervation beim Kanın- chen. 1887. S. 72. ? L. Traube. Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie. II. Bd. 2. Abth. S. 832 und III. Bd. S. 103. ® Mitth. XI meiner Studien über die Innervation der Athembewegungen. KLEINE MITTHEILUNGEN ZUR ÄTHMUNGSLEHRE. 495 übergeht, die aber bereits nach kurzer Frist von einer ganz typischen regelmässigen Periodik abgelöst werden (s. Fig. 8). Erwähnenswerth ist, dass die Einzelathmungen in einer gewissen Tiefstellung des Zwerchfells erfolgen, dass also während der Dauer der Gruppen ein verstärkter Zwerchfelltonus vorhanden ist, der in den Pausen fehlt. In der Folge wurde noch das Rückenmark in der unteren Cervical- region durchschritten. Die Athmung wurde dadurch sehr geschwächt, anfangs blieben noch kurze Gruppen, die sich aber bald in Einzelath- mungen auflösten. Unter zunehmender Verlängerung der Pausen trat bald Athemstillstand ein. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass schon Filehne* sich gegen die Noth- wendigkeit der Vagi für das Zustandekommen der Cheyne-Stokes’schen Athmung ausgesprochen, dass aber Traube in seiner Entgegnung ent- LT urn III mn mm aan Il Fig. S. schieden daran festgehalten hatte, mit der Einschränkung freilich, dass das Phaenomen ‚in seiner gewöhnlichen Gestalt“ die Unversehrtheit der Vagi voraussetze. Der Beweis, dass die periodisch-aussetzende Athmungsweise auch bei durchschnittenen Vagi möglich ist, dürfte deshalb nicht ohne Werth sein, weil dadurch einer nicht undenkbar scheinenden Deutung des Gruppen- athmens der Boden entzogen wird. Nehmen wir an, das Athemcentrum befände sich in einem solchen Zustande, dass nur seltene aber tiefe Athem- züge möglich wären, so liesse sich, unter Zugrundelegung der Hering- Breuer’schen Selbststeuerungslehre und bei Annahme eines gewissen Grades der Erregbarkeit der Lungenvagi, denken, dass jeder von diesen Athem- “ W. Filehne. Berliner klin. Wochenschrift. 1814. Nr. 13 und 14. (Citat b. Traube a. a. O.) Derselbe, Ueber das Cheyne-Stokes’sche Athmungsphaenomen. Erlangen 1874. 496 0. LANGENDORFF: zügen zur Ursache einer bald grösseren, bald kleineren Reihe von Ath- mungen würde. Die erste Exspiration würde eine neue Einathmung, diese wieder eine Ausathmung anregen und so fort, bis Erschöpfung und mit ihr die Athempause einträte. Auf diese Weise erklärte sich die Gruppen- bildung ohne Zwang. Wäre diese Erklärung zutreffend, so müsste nach der doppelseitigen Vagusdurchschneidung die periodische Athmung der gewöhn- lichen Platz machen. Ist dies nicht der Fall, und ich habe im Voran- gehenden gezeigt, dass es nicht so ist, so ist diese Erklärung unmöglich, und wir müssen, um eine zutreffende Erklärung zu finden, andere Factoren herbeiziehen. 4. Die Ausathmungsbewegungen des Frosches. In einer von mir vor einigen Jahren mitgetheilten Arbeit! habe ich zu beweisen gesucht, dass die exspiratorischen Flankenbewegungen des athmenden Frosches rein passiv durch das elastische Zusammensinken der vorher aufgeblasenen Lungensäcke zu Stande kommen. Die völlig frei- gelegte, allen Einwirkungen der Brustbauchwand entzogene Lunge sieht man durch die hineingelangte Luft sich ausdehnen; man sieht sie den Füllungszustand bewahren, so lange die Stimmritze geschlossen bleibt, und schnell collabiren, so wie diese sich öffnet. Kurz vor der Publication meiner Mittheilung hatte Knoll eine Unter- suchung über die Athmung des Frosches veröffentlicht, in welcher er be- züglich der Exspirationsbewegungen zu demselben Schlusse gelangte, den ich aus meinen Beobachtungen ziehen musste. Beide waren wir weit entfernt von der Behauptung, dass es active . Exspirationen beim Frosche überhaupt nicht gebe. Mir standen schon damals gewisse Beobachtungen zu Gebote, die unzweifelhaft auf die Möge- lichkeit einer unter geeigneten Bedingungen eintretenden Betheiligung der Bauchmuskeln hinwiesen. Ich bin jetzt in der Lage, einen Fall anführen zu können, in welchem die active Exspiration die einzig mögliche ist, und in welchem sie in der That Platz greift, obwohl sie für das Thier ganz bedeutungslos geworden ist. Es ist das der Fall des lungenlosen Frosches. Exstirpirt man einem Frosche die Lungen, nachdem man dieselben vorher im Hilus abgebunden hat, so setzt er seine Athembewegungen in anscheinend ganz normaler Weise fort. Zu den Schluckbewegungen der Kehle, zu den rhythmischen Schliessungen der Nasenlöcher gesellen sich Flankenbewegungen, die von denen eines gesunden Frosches nicht zu ı Dieses Archiv 1888. S. 304. KuEınk MITTHEILUNGEN ZUR ATHMUNGSLEHRE. 497 unterscheiden sind. Einen Unterschied nimmt man nur wahr, wenn man anstatt beider Lungensäcke nur einen fortgenommen hat. Die Seite, wo die Lunge erhalten geblieben ist, zeigt dann deutlich kräftigere Exspirations- bewegungen, als die andere. Ebenso wie nach Entfernung der Lungen sieht man zweifellos active Flankenbewegungen auch bei Fröschen, bei denen man durch Tamponirung (les Maules oder des Kehlkopfes mittelst Watte den Eintritt von Luft in und den Austritt derselben aus den Lungen unmöglich gemacht hat. Schon Heinemann gab an, dass nach Ausrottung der Nn. vagi die Exspirationen unter sichtbarer Anstrengung der Bauchmuskeln ausgeführt werden. Hier ist die Oeffnnng der Stimmritze unmöglich geworden; das Thier befindet sich also in einem ähnlichen Zustand wie bei der Tampo- nade des Kehlkopfes. Das durch die Hautathmung nur unvollkommen’ befriedigte Athem- bedürfniss führt also zur Anspannung von Muskelkräften, die hier zwar nutzlos vergeudet werden, die aber bei dem im Besitz seiner freien Lungen- athmung befindlichen, aber durch irgend welche Ursachen in Dyspnoe gerathenen Thiere die periodische Lungenentleerung wesentlich zu unter- stützen im Stande wären. Es erschien mir wünschenswerth zu erfahren, ob die activen Exspi- rationen des seiner Lungen beraubten Frosches reflectorische oder auto- matische sind, oder ob sie vielleicht durch willkürliche Impulse erzeugt werden. Bekanntlich ist die Frage, ob es ein automatisches Ausathmungscen- trum giebt, noch controvers. Es wird schwer gelingen, sie durch Versuche an Näugethieren, bei denen meistens elastische Kräfte zur Exspiration aus- reichen, zur Entscheidung zu bringen. Ein geeigneteres Object ist jedenfalls der Frosch ohne Lungen. Doch muss freilich bemerkt werden, dass die für ihn gemachten Ermittelungen nicht nothwendiger Weise auch auf den ganz andersartigen Athemmechanismus des Säugethiers übertragbar zu sein brauchen. Dass die activen Ausathmungsbewegungen des lungenlosen Frosches reflectorische seien, wird man schwer annehmen können, wenn man be- denkt, dass hier die pulmonalen Vagusverzweigungen und deren inspira- torische Dehnungen ausgeschaltet sind und dass auch von einer inspirato- rischen Anspannung der Bauchwände hier nicht die Rede sein kann. Eher wäre an die Willkürlichkeit dieser Bewegungen zu denken. Das Experi- ment giebt aber auch hier eine verneinende Antwort. Entfernt man bei einem lungenlosen Frosch das Grosshirn sammt den Sehhügeln, so tritt keine Aenderung seiner Athmungsweise ein; die activen Exspirationsbewe- gungen bleiben nach wie vor bestehen. Da die genannten Hirntheile es Archiv f. A. u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 32 498 O0. LANGENDORFF: ZUk ÄTHMUNGSLEHRE. sind, denen man die Aussendung willkürlicher Bewegungsimpulse in der Regel zuschreibt, so muss man folgern, dass die active Ausathmung eine unwillkürliche se. Man kann sogar noch weiter gehen; man kann dem Frosche auch noch das Mittelhirn (Lobi optiei) fortnehmen, ohne dadurch die Athmung mehr als vorübergehend zu verändern. | Dadurch scheint mir die Unwillkürlichkeit der activen Hxspi- rationen sichergestellt zu sein. Es erhebt sich nun die Frage, wo das Centrum für die rhythmischen Ausathmungen liegt. Meine Untersuchungen darüber sind noch nicht ab- geschlossen; doch deuten sie darauf hin, dass es seinen Sitz im oberen Theile des Rückenmarkes habe. Im Rückenmark sitzt auch ein Theil des „Quakcentrums.“ An kopfmarklosen Fröschen sah ich zuweilen auf mechanische Reizung der Rückenhaut kräftige reflectorische Zusammenziehungen der Bauchmuskeln eintreten. Zum Zustandekommen des Quakens sind freilich noch andere, vom Kopfmark innervirte Bewegungen, insbesondere am Kehlkopf, noth- wendig.2 Schrader? hat gezeigt, dass das Centrum des Quakreflexes nicht, wie frühere Angaben lauteten, in den Lobi optiei, sondern in dista- leren Theilen des Cerebrospinalapparates liegt. Seine Folgerung, dass es in der M. oblongata enthalten sei, ist aber nur bedingt richtig. Es ist eben auch das Quakcentrum nicht ein einheitliches, anatomisch darstellbares Gebilde, sondern ein Complex von Einzelcentren, die durch Uebung und Vererbung zu einer physiologischen Einheit geworden sınd. 1 S. Heinemann, Virchow's Archiv ete. Bd. XXI. S. 28. ? Schrader, Dflüger’s Archiv ete. Bd. XLI. S. 80. Ueber den Grund der geringen Kohlensäuremenge im Peptonblute. Von Dr. V.Grandis. (Aus der physiologischen Anstalt in Leipzig.) (Hiezu Taf. XIV.) Erster Theil. Ergebnisse der Versuche. Als ich begann nach dem Grund zu suchen, weshalb durch die Ein- führung einer Peptonlösung in den Kreislauf der CO,-Gehalt des Blutes so bedeutend herabgedrückt wird, fand ich schon eine auf dasselbe Ziel ge- richtete Arbeit von Dr. Blachstein vor (S. oben S. 394 in d. Archiv). Sie hatte bewiesen, dass gleichmässig im Blute des Hundes und Kaninchens der Gehalt an CO, durch das Eiweissgift gemindert wird, dass die Ursache dieser Ab- nahme keineswegs auf einer Unfähigkeit des Blutes mehr CO, zu absorbiren beruhe, und endlich dass die Lymphe des Hundes, obwohl sie ebenfalls ihre Gerinnbarkeit einbüsst, von einem Verlust an CO, nicht betroffen wird. Weildie CO, der Lymphe aus den Säften stammt, welche die geformten Stoffe des Körpers durchtränken und umgeben, so könnte aus dem unver- sehrten Bestand an 00, geschlossen werden, dass die innere Athmung unverändert geblieben sei. Ob die genannte Voraussetzung zutreffend sei, muss sich aus den Athemgrössen erkennen lassen, welche vor und während der Peptonvergiftung bestimmt worden waren. An Kaninchen und Hunden habe ich darum den Um- fang der respiratorischen Gasbewegung gemessen und mich dabei des hier öfter benutzten und von Sanders Ezn beschriebenen Gasfängers bedient. Für Kaninchen reichte der Apparat in der ihm früher gegebenen Räumlichkeit 32* er 500 V. GRANDIS: aus, für Hunde musste er vergrössert werden; wie dies geschehen, ist im zweiten Abschnitt der Abhandlung beschrieben. Da jedes Thier nur wenige Stunden hindurch vor dem Apparat zu verweilen hatte, so wurde seine Verbindung mit dem letzteren durch eine Luftröhrenfistel hergestellt. An den Thieren wurde die Athemgrösse in der Regel dreimal ge- messen, einmal kurz vor und zweimal nach der Einführung des Peptons. Mit der zweiten Bestimmung wurde meist sogleich nach der Einspritzung des Peptons in die Vene begonnen, oder spätestens zwei Minuten nach der beendeten Einfuhr des Giftes; die dritte Bestimmung wurde eine halbe bis ganze Stunde hinter der zweiten her ausgeführt. Ausser den, an der Lüftung der Lunge betheiligten Gasen wurden auch die des Blutes bestimmt; jedesmal die des Hundes, wiederholt auch dieder Kaninchen. Der hiezu nöthige Aderlass wurde auf das eben genügende Maass eingeschränkt. Zum Beginn der Beobachtungen wurde das Normal- blut, nach beendeten Athmungsversuchen das Peptonblut entzogen. Alle Bestimmungen der Athemerösse waren sonach bei dem gleichen Reichthum des Thieres an Blut durchgeführt. Um sich auch aus den Kaninchen die zu den Analysen nothwendigen Blutmengen zu verschaffen, wurde je ein Paar zu einem Versuch zusammengefasst und dann verfahren wie bei Blachstein zu lesen. Die Beobachtungen führten zu den folgenden Zahlen. I. Kaninchen. oe 2 Gase in | © © . N Könner eynstandüder Mes Yen, das für 1 Minute | CO 100 'Thl. Se 552 | Versuches men Blut geW. | & Thieres = | Ae | CO, (0) co, O| 8, 0 Min. | Cem | Cem | | 1885 gr. Vor Pepton 22 .331-10/486-21| 15-05 | 22-10 0-68 2 Min.nach Pept. 27 |377-19/472-77]| 13-97 | 17-51 |0-79 1 Std. nach Pept. | 24 |345*121467.28| 14-38 | 19-47 | 0-73 1900 Vor Pepton 18 [311-33/481-71) 17-85 | 26-76 | 0-66 Sogl. nach Pept. 22 [338-80/476-70] 15-40 | 21-70 0-71 48 M. nachPept. | 20 |324-00/485-99| 16-22 24-24 | 0-66 1710 A. |Vor Pepton 19-5,308-30 1504-08] 15-81 |25-85 [0-61 || vor |2,.7Q 9.40 Sogl.nach Pept. | 23 1327-31/520-50]| 14-23 | 22-62 |0-63 |[ Pept. Tran PB. |Vor Pepton Dogl. nach Pept. -_ Ne) -5.284-541502-62| 14-59 25-77 0-56 || nach 308-51450.07| 14-69 , 21-43 0-68 |[ Pept. 20-71,11°69 DD — 2127 A. |Vor Pepton 30767/46550] 13-36 20-21 0 OT 190.56) 9-17 Sogl. nach Pept. 342-16/469-95| 13-16 | 18-07 |0-72 |( Pept. 1905 B. |Vor Pepton 19 1330-42/510-S0| 17-39 | 26-84 0-64 3 Min. nach Pept.| 22 1325-40,501-80| 14-79 22-80 0-64 || Pept. DD [oris®) 10-34 9-15 GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. II. Hunde. 82 hr Körper- Zustand las SE a. In 1 Minute SEeW. a Thieres 35 al ol, Ko) 00, 60) af } Min bee an TE 5950 | Vor Pepton ı 25 1127-00) 1885-3] 45-00 | 75-41 Unm. nach Pept. | 31 [1179 |1997-2| 38-03 | 64-42 (1 Std. nach Pept. 25 11032 | 1771-4| 39-69 | 68-13 5500 | Vor Pepton — | = == m |2 Min.nach Pept. | 35 [1287 | 2303 36-77 | 65.79 1Std. mach Pept. | 32 [1260-2 2216-9] 39-38 1-15 4750 | Vor Pepton 28 11475-4 1903-2 52-69 | 67-97 2 Min. nach Pept. 35 1567-0 | 1910-0| 44-77 | 54-57 64 „ nach Pept. | 28 1344-8 1938-8 48-03 | 69-24 4750 | Vor Pepton \ 29 1479-2 2004-0] 51-0 | 69-10 Sogl. nach Pept. | 29 1433 Ber 49-41 | 54-17 ‚31 M. nach Pept. 19 1223-5 1470-0| 64-39 | 77-83 501 Gase iu 100 Thl. Blut 15:16 12-92 7:94 12-08 12-08 8:35 10-01 Mit der Vergiftung durch Pepton zeigt sich also der respiratorische Gasaustausch nach Art und Umfang geändert. In wie weit lässt sich besser als aus den vorstehenden Tabellen durch die Verhältnisszahlen erkennen die zwischen dem Gasverkehr vor und nach der Einfuhr des Peptons bestehen. Die folgend mitgetheilten Quotienten sind durch Division der vor der Ver- eifttung gefundenen Zahlen in die nach ihr bestimmten entstanden. A. Kaninchen. | Quotient Quotient . unmittelbar 1 Stunde Auoen! nach Pepton | nach Pepton | der CO, desO derCO, des O derco,| 465 Blutes ı | 0.79 | 0-93 | o.s | 0.96 | 2 0-81 0-86 0-91 0:91 DT OR N. 6 OR eo in 2/06 0160 0-39 | 0:98 | — deli. = os | oa ee B. Hunde 5 «85 0:84 0:90 0:88 0-42 7 | .0-80 0-84 1:01 0:91 0:36 8 | 0-78 | 0-96 | 1-12 | 1.26 | 0-49 | | 502 V. GRANDIS: Unmittelbar nach der Einspritzung des Peptons sinkt jedesmal die Athemgrösse, doch ist der Verlust, welchen die beiden Gase erfahren, nicht gleichmässig vertheilt; der Sauerstoffverbrauch ist stärker herabgedrückt als die CO,-Bildung. In Anbetracht der tiefen Abspannung, ja des lähmungs- artigen Zustandes, welchem das Thier nach der Einspritzung des Peptons anheimgefallen ist, erscheint die Abnahme der Athemgrösse jedoch keineswegs als eine bedeutende. — Eine Stunde nach der Zuführung des Peptons hat sich dann die Athemgrösse dem Normalwerth genähert oder sie hat ihn erreicht, ja sogar überschritten. Zu dieser Zeit ist dagegen im Blut noch ein ebenso niedriger CO,-Gehalt vorhanden, wie in der ersten Minute nach der Hin- spritzung. Der Quotient aus dem CO,-Gehalt der normalen in das Pepton- blut bewegt sich um 0-5, während derjenige der CO, in den Athemgasen bei 1.0 gelegen ist. Aus diesen Thatsachen lässt sich ohne weitere Ueberlegung erkennen, dass der niedere Stand der 00,-Procente im Blute keinesfalls begründet sein kann in einer verminderten Befähigung des lebendigen Stoffwechsels CO, zu bilden. Die Anschauung, welehe durch den vom Pepton unberührt gebliebenen 60,-Gehalt der Lymphe hervorgerufen wurde, bestätigte der Respirationsversuch. Indem die Bestimmung der Athemgrösse die Vorstellung beseitigte, als ob die CO, im Blut desshalb vermindert sei weil sie langsamer ent- stehe, lenkte sie zugleich die Aufmerksamkeit auf die Mechanik des Gas- austausches in den Lungen hin. Nach allem was wir wissen entspricht die Geschwindigkeit, mit welcher die CO, aus dem Blut in die Lungenluft übergeht, dem Unterschied ihres Partiardruckes hier und dort, und da die Bewegungen des Brustkastens die Zusammensetzung der Lungenluft stets um denselben Mittelwerth 'schwankend erhalten, so muss es in erster Linie der Druck der CO, im Blut bedingen wieviel von ihr in der Zeiteinheit ausgeathmet wird. Nach- weislich hängt aber die Spannung der (O0, im Blut von dem Gehalt desselben an CO, ab, so dass wenn dieser sich unverändert erhält, ein Gleiches auch von der durch die Lunge ausgeschiedenen (O0, gilt. Mit dieser Anschauung im Widerspruch sehen wir aus dem Pepton- blut in der Zeiteimheit ebensoviel CO, als aus dem normalen hervorgehen, obwohl der ©O,-Gehalt beider ein so sehr verschiedener ist. Darum muss das Pepton die Spannung der ÜO, gesteigert haben, entweder weil es in der Lungenwand oder in dem herbeiströmenden Blut einen neuen, die Dich- tigkeit der CO, ersetzenden Einfluss hervorgerufen hat. Um wie viel sich die CO,-Spannung in der Lunge des normalen von der des Peptonthieres unterscheidet, liess sich durch die Anwendung des Lungenkatheters von Pflüger erfahren. Bei der Herstellung eines solchen war ich darauf bedacht die Lichtung der Röhren, welche zur Lunge führen, (GRUND DER GRRINGEN KOHTLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 503 möglichst zu verengen, damit ihr Inhalt gegen den von den Lungen- ;apillaren umschlossenen Raum weit genug zurücktrete um die Analysen nicht zu trüben. In die Lungenlappen führte ich ein gemessenes Volum an Luft ein, und sorgte dafür dass es absatzweise wieder zurückzunehmen war. Durch die Einrichtung, beliebig oft und viel von der eingesperrten Luft abfangen zu können, liess sich erfahren, wann sich ihr Ö0,-Gehalt mit dem des Blutes ausgeglichen hatte. Durch eine Reihe von Beobach- tungen wurde dann auch festgestellt, dass eine Aufenthaltsdauer von höch- stens 6 bis 8 Minuten zur Sättigung genügt. Die vergleichenden Versuche mit Lungensperre wurden stets an grossen Hunden ausgeführt; sie verliefen folgendermaassen: Nach der Herstellung der TLuftröhrenfistel wurde der Lungenkatheter eingeführt, welcher dann während der gesammten Versuchsdauer in der ihm gegebenen Lage fest- sebunden wurde. Alsbald wurde mittelst einer durch Wasser ausgedehnten Kautschukröhre der Bronchus abgeschlossen, den der Katheter durchsetzt hatte, und durch den letzteren 100 “® Luft unter Hedruck in das ab- abgeschnürte Lungenstück eingebracht. Zehn bis’fünfzehn Minuten später wurde die Luft aus der Lunge über Hg und sogleich danach Blut aus dem rechten Herzen in einer zur Analyse der Gase nöthigen Menge ausgesogen. Hierauf wurde der Verschluss des Bronchus beseitigt, sodass das Thier den bisher abgeschlossenen Bezirk wieder durchlüften konnte. Nach Verfluss von 10—15 Minuten, während welcher der Hund leicht und ausgiebig geathmet hatte, wurde er auf stets gleiche Weise mit Pepton vergiftet; hatte sich die Aufregung gelegt, so wurde der Bronchus von Neuem abge- schlossen und dann des Weiteren so wie vor der Einführung des Peptons verfahren. Aus den Aufzeichnungen im zweiten Theil der Abhandlung wird man entnehmen, dass durch die Luftsperre die Brust und Herzbewe- sungen nur wenig geändert wurden. Aus der Section, welche nach der Vollendung des Peptonversuches an dem getödteten Thier stattfand, liess sich nachweisen, wo der Katheter gelegen hatte, und dass der Abschluss des Bronchus ein vollkommener gewesen. Den Zahlen voraus, welche die Beobachtungen mit dem Katheter an der Lunge des normalen und Peptonthieres erbrachten, setze ich eine Ueber- sicht der Erfahrungen, wie rasch sich der CO,-Gehalt der abgesperrten Luft mit dem des Blutes in Gleichgewicht setzt. Dauer der | [a 100 Theilen | In 100 Theilen | In 100 Theilen Lungenluft venös. Herzblutes) Arterienblutes Absperrung - Co, Ö CO, 0 | 60 DR 123, Mind wor a a 6 9 | 2-59 | 4-56 = — | — ran 100 0 32800. 23.07 near Ines > 504 V. GRANDIS: De In 100 Theilen | In 100 Theilen | In 100. Theilen Fe ” Lungenluft venös.Herzblutes| Arterienblutes 1% o 00. Como co, 0 II. 5 Min: | 2.77 | 4.86 —_ Ze je Su 2.73 | 4-92 = = = 15,0% 3e51 | 52.04 | res aa j | | ISO 84 1562 — m A 20 NA ” 3-74 | 10-29 _ le An 5; eo | Boss) rar wor = een men | Bock — Turks; 3.31 0 2.59 _ zu ai | | 20.0: 3-79 | 1-89 | 29-06 | 6-96 | 25-69 | 12-6 Die Zahlen theilen uns mit, dass in den ersten Minuten der Absperrung der CO,-Gehalt der Luft rasch von der 6. Minute an, aber sehr langsam, steigt und in der Höhe von 3-5 bis 4-0 p. ce. endlich still steht. Ueber die Schwankungen der Abhängigkeit zwischen der CO, diesseits und jenseits der Gefässwand lassen uns die Zahlen wegen der annähernd gleichen CO,-Menge in den verschiedenen Blutarten im Dunkeln, aber sie eröffnen uns übereinstimmend, dass in der Norm der CO,-Gehalt der Lungenluft nicht über 4 p. c. hinaus geht, wenn der des Blutes 30 p. ce- beträgt. — Weit ausserhalb meiner Aufgabe liegend, gehe ich auf die über den Sauer- stoff erbrachten Nachrichten nicht ein. Ich führe nun die vom Katheter gelieferten Thatsachen vor, wenn er nacheinander in der Lunge des normalen und des Peptonthieres je 10 bis 15 Minuten lang gelegen hatte. Dauer | In 100 Theilen In 100 Theil. Zustand | des Ver- Lungenluft ven. Herzblutes EEE 2 100,0 1..0 00 ae Be VI. Normal 10 3-74 | — 31-24 | 5-68 Peptonisirt 8-62 — 33-05 0 VII Normal 10 a aan we Peptonisirt 639 _ 21-60 0 VII. Normal 1a 1 eb emeible. Qail Peptonisirt m ee) | — 30-49 | 1-15 IX. Normal I Aens — 34-57 | 6-52 Peptonisirt | 7-90 _ 27.69 | 2.65 x. Normal 75 3.79 = 28-88 | 2-44 Peptonisirt | 3.76 = | oe XI. Peptonisirt 10 | 7.00 _ 18-30 |) 1-10 GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄURTMENGE IM PEPTONBLUTE. 505 In der zweiten Versuchsreihe finden sich die das Normalblut betreffen- den Angaben der ersten bestätigt. Vor der Vergiftung mit Pepton steigt auch hier die CO, der eingesperrten Lungenluft nicht höher als auf 4 Procent. Auf das doppelte dieser Zahl kann sie sich dagegen nach der Zufuhr des Peptons heben. Schon hieraus würde zu schliessen sein, dass die CO,, nachdem das Pepton gewirkt hat, einem weit höheren Druck entgegen aus- geschieden werden kann, als vordem. Einen noch schärferen Ausdruck für die Befähigung des Peptons, die Abdunstung des kohlensauren Gases zu steigern, gewinnen wir durch den Vergleich des CO,-Gehaltes im Blut mit dem in der Lungenluft. Dort sehen wir, dass die CO, aus dem daran ärmeren Peptonblut reichlicher und dichter in die Lungenluft übergetreten ist, als aus dem Normalblute. Nachdem feststeht, in wie hohem Grade das Pepton die Kraft steigert, welche die CO, aus dem Blute in die Lungenluft hinüber treibt, erhebt sich von neuem die oben aufgeworfene Frage: wirkt das Pepton auf die Lungenwand oder unmittelbar auf das Blut? Der gangbarste Weg eine Entscheidung zu finden dürfte in dem Versuche liegen, die Grösse der Spannung zu vergleichen, welche die CO, in dem Normal- und dem Pepton-Blut besitzt. Da ein Versuch solcher Art nur an Aderlassblut ausgeführt werden kann, so bedarf es mehrfacher Vorsichten, wenn das Ergebniss auf die leben- digen Verhältnisse anwendbar sein soll. Ein erstes Bedenken beschäftigt sich mit dem Zustand der beiden Blutarten in welchem sie mit einander verglichen werden sollen. Aus der Ader gelassen gerinnt das Normalblut und verliert dabei an Alkalescenz, das Peptonblut aber bleibt flüssig. Um beide vergleichbar zu machen, kann man dem Normalblut die Gerinnbarkeit dadurch nehmen, dass man ihm nach der Vorschrift von Arthus gerade genug oxalsaures Ammonium zusetzt, um den aufgelösten Kalk auszufällen. Hiezu sind für 100 °® Blut, 0-2 ® oxalsaures Ammon nöthig. Obwohl nicht abzusehen ist, wie durch die geringe Menge des neutralen Salzes die Bindung der CO, im Blut geändert werden soll, so schien es mir doch richtig auch dem Peptonblut, obwohl es der Gerinnbarkeit wegen unnöthig gewesen, gerade soviel oxalsauren Ammoniaks zuzusetzen, als dem Normalblut beigemengt war. Als Gegenprobe auf ein bei dieser Behandlung des Blutes gefundenes Resultat konnte die Vergleichung des entfaserstofften Normal- mit dem Pep- tonblut dienen, das unverändert, wie es aus der Ader kam, dem Versuch unterworfen wurde. Wenn jetzt ebenfalls die Spannung der CO, im Pep- tonblut ihr Uebergewicht bewahrte, so war der Beweis gewiss erbracht. In meinen Versuchen habe ich darum Peptonblut mit künstlich ungerinnbar gewordenem und ebenso mit entfaserstofftem normalen verglichen. 506 V. GRAnNDIS: Unter den verschiedenen vom Thier beherbergten Sorten fiel die Wahl auf das Erstickungsblut. Für den vergleichenden Spannungsversuch empfahl es sich, weil vermuthlich wegen der grösseren Diehtigkeit seiner CO, die etwa vorhandenen Spannungsunterschiede sich deutlicher von einander ab- heben werden. Aber in noch viel höherem Grad gebührt ihm der Vorzug, weil seine Gase nur aus N und CO, bestehen. Hiedurch vereinfachte sich die Beobachtung und ihre Ergebnisse gewannen an Vertrauen. Dies ist verständlich, weil die Spannung der verdunstbaren Stoffe des Blutes durch den Gegendruck gemessen wird, den die in einem abeeschlos- senen Raum übergetretenen Gase üben. Aus dem Erstiekungsblut treten Stiekgas und Kohlensäuregas hervor, jedes in einem nur von seinem Ver- dunstungsbestreben ‚abhängigen Umfang, so dass der Druck in dem Luft- raum über dem Blut die Summe der beiden Theildrucke darstellt. Also kann der Antheil CO, an dem gesammten Druck in dem Gasraume sogleich bestimmt werden, wenn ihr procentischer Gehalt in dem Gemenge bekannt ist. — Ohne Schwierigkeit lässt sich der fragliche Procentsatz des CO, finden, indess würde auch die hierauf verwendete Mühe unnöthig sein, wenn es sich wie hier nur um ein Mehr oder Weniger handelte. Denn es ist das N-Gas nach allem was wir wissen, in dem Blute nur gelöst, nicht gebun- den, und zudem durchweg in sehr annähernd gleichen Mengen vorhanden. Ein Uebergewicht, den das abgedunstete Gasgemenge eines Blutes über das eines anderen nachweist, wird demnach von dem grösseren Antheil der CO, abhängen. Zu den Bestimmungen wurden jedesmal 103.5 °® venösen Erstickungs- blutes angewendet, dessen Gasgehalt bekannt war. Die Messung der Spannung wurde in dem schon von Gaule beschriebenen Apparat aus- geführt. Da er einige Aenderungen erfuhr, so wurde er, siehe Taf. XIV, noch einmal abgebildet. Alle Bestimmungen wurden bei 20° C. durchgeführt. a | 8 E =» Darin Druck 3 s8 »| Darin | Druck Eee on ee |Gesammt 00, N Be esamm B ‚Gesamm 9 I. Normalblut mit 32-24 CO, u.2-52 N. | Peptonblut mit 24-83 CO, u. 3-29 N. ccm | Hg. | 50 1.60, ae 50 Deore oe 100. 2:87 | 0.50 2 | 100) 22.89 | As re 2001 8535| — | 19.01 — | 200 2133| 2 ao re 300 +19 °— |150| — | — [300 5590| — | 97 | — | — 400| 5-21 140 |. ZN linoo|/eao |) A Ri 500 5-81 | 3-24 | 12-5 | 6-98 5-52 [500 7-07 | 3-81 | 15-2 [8-19 | 6-01 | (GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE, 507 2 | FR 3 822 Darin | Diuckzez = 82 a| Darin | Druck a 285 CO = 285 (C |25 ‘O, & |255| co, Fa | en Gesammt, © 6 2 N o Gesammt COJEEN I Normalblat ie 32» 08 ß o, u.2- 1.83 N. ann m. ae 31 CO,. 0-76 O u.2-66N. zo | nero Par een | | ee ar — ae ons a en alas 15-1 | 100 1-94 0-34, 20-9 |3-70 16-20|100 3-68 0-82 | 39-6 8-79 130.81 III. Normalblutm.37-1C0, 1-40 u.2-58N. | Peptonblut mit 29-5 CO, u. 2-4 N. 1095| -— 1420| — | - | 2.60 2 daran! ihrlnn 130 1092.44 Fr DS om ln, 103.09 | Zn u RTL DER x | | 100. 2-93 | 0-14 31-5 |1:52 |29-98[100 | 3-74 0-92 | 40-2 9-89 130-31 IV. ee it 46-44 CO, u. 1-64N. | Peptonblut mit 29-67 CO, und 2-57 N. | 0 ar an | = Dr a en | I 140 5-08 2-68 | 39-0 20-59 18-41|140 5-63 3-39 43-2 | | | | | | | | Obwohl in jedem der vier Versuche das Peptonblut beträchtlich weniger CO, .als das Normalblut enthielt, so entleerte es doch gegen einen höheren Druck mehr CO, als dieses. Was sonst die grössere Dichtiekeit des Gases im Blut erzielt, hat jetzt das Pepton zustande gebracht. Aus dem zuletzt mitgetheilten Beobachtungen wird es nun auch ver- ständlich, warum die Lymphe ihren höheren CO,-Gehalt dem niederen des Blutes gegenüber festhält. Die grössere Dichtigkeit einer weniger gespann- ten CO, in der Lymphe ist gleichwerthig der grösseren Spannung eines weniger dichten im Blute. Ausserdem ist in der vorstehenden Tabelle noch zu lesen (vergleiche den ersten Versuch mit den zweiten und dritten), dass der Antheil des Stickgases an dem gesammten im Luftraum vorhandenen Druck den der CO, um so mehr übertrifft, um so geringer der Umfang des Luftraums gegen den des Blutes genommen war. Dies erklärt sich, wenn man eine verschiedene Bindung der beiden Gasarten annehmen darf. Im Verhält- niss zum Volum des Blutes ist das des aufgelösten Stickgases klein, aber es steht unter einem Druck, gleich 0-8 des atmosphaerischen. Trotz der Kleinheit des Absorptionscoefficienten? enthält deshalb das Blut eine genü- sende Menge von N, um iu einem mässie grossen Luftraum eine merk- liche Dichtigkeit zu erzielen. — Umgekehrt ist die CO, ihrem Volum 1 Das Normalblut war diesmal nieht durch Ammonoxalat flüssig erhalten, sondern entfaserstofft angewendet. 2 Siehe im zweiten Theil der Abhandlg., S. 529. 508 V. GRANDIS: nach im Verhältniss zu dem des Blutes nicht unbedeutend, aber es genügt ein niedriger Gegendruck um ihre Verdunstung zu verhindern. Darum dauert bei fortschreitender Vergrösserung des leeren Raumes die gasförmige Entfernung der CO, noch fort, während schon früher das freie N-Gas nur an Dichtigkeit einbüsst. Als eine einfache Folgernng aus den am Venenblut gewonnenen Er- fahrungen ist es anzusehen, dass das Peptonblut, nachdem es die Lunge durchsetzt hat, CO, von gleicher oder ähnlicher Spannung enthält, wie das Normalblut. Durch eine Beobachtung am Carotidenblut eines schwer- athmenden Hundes, ist wie man im Folgenden sieht, diese Annahme be- stätigt worden. Abge- R Druck Abge- h Druck Raum | dunstet Dane Raum | dunstet on 2 Gas s Ges. CO, Gas = Ges. CO, Normalblut m. 33-5 CO, 3-85 Ou.2-02N. | Peptonblut mit 24-98 CO, 4-92 O0 2-59 N. 112-5 _ — —_ 112-5 _ — -— 1 162-5 _ _ _ _ 162-5 — — un Sr 212-5 —_ — _ — 212-5 —_ — = se 312-5 _ — _ _ 312-5 —_ — — 2, 412.5 _ —_ _ _ 412-5 _ — = 2 512-5) 5-26 4:06 10-2 8-00 | 512-5| 4-12 2.12 8-3 4-26 Der Druck, welcher der Abdunstung des CO, eine Grenze setzt, liegt diesmal für das Peptonblut tiefer, als für das normale, entsprechend dem ihrer C0,-Gehalte. Auf dem Punkt, wohin uns die Untersuchung führte, erhebt sich die Frage, in welchem Bestandtheil des Blutes ist die gespannte CO, zu suchen, in den Körperchen? oder im Plasma? Um hierüber ins Klare zu gelangen, wurden von demselben Thier die Sera des Erstickungsblutes vor und nach der Peptonvergiftung gewonnen. In einem Antheil jeden Serums wurde die Spannung der CO, bestimmt, ein anderer diente zur Auswerthung der locker und fest gebundenen CO,. Die Spannungen im Serum sind genau nach den Vorschriften er- mittelt, die bei den entsprechenden Beobachtungen am Blute innegehalten wurden. Ob die CO, fest oder locker gebunden ist, lässt sich aus dem Ver- halten gegen den luftleeren Raum schliessen. Was ohne Anwendung weiterer Hilfsmittel in den leeren Raum abdunstet, wird, wenn auch nicht einfach gelöst, doch jedenfalls nur lose gebunden sein, im Gegensatz zu dem (GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 509 Antheil, dessen Entfernung nur mit Hilfe von fixen Säuren gelingt. Bin vergleichbares Ergebniss lässt sich jedoch nur dann erzielen, wenn die beiden Seren genau übereinstimmend behandelt werden. Gleiche Volumen des Serums müssen gleich lange und bei gleicher Temperatur der gleich grossen Luftleere ausgesetzt werden. Da die letztere das Volum des Serums um das mehrfache übertraf, so blieb der Partiardruck der in ihm enthaltenen CO, stets gering. Die Versuche erbrachten die Zahlen, die in mehrfacher Beziehung beachtenswerth sind. Normalserum Peptonserum F n a 5 F $ebdn. In en 'reie | Gebdn.) Summe, n Span-| Freie | Gebdn. Summe | „,, | Span- EOFILCOE LEO Daun nung | CO, CO, (007 un nung | | 24 u 4 5 f FB 4 | 1 | 15-06 | 28-80 | 43:S6| — — 13.24 | 23.20 | 36-44 _ — 2 | 17-15| 28-22 | 45-07 25 | 46-5 | 20-75 8-80 | 29-55 25 46° 5 115 | 19-0 | 115 | 20-0 3 | 12-00 | 37-24 | 49.27 25 | 40-0 | 15-37 | 13-09 | 33-46 25 45-0 | 115 | 19-0 | 119=217021-0 5 | 21-20| 14-93 | 36-13 25 66-2 | 23-64 | 9-11 | 32-75 25 75-1 115 | 28-0 115 33.0 4 | 19-82 | 25-33 | 4515| — — 192912 11-9127 3182 — | _ Durehweg ist der gesammte CO,-Gehalt des Peptonserums niedriger als der des normalen; dagegen überwiegt der Antheil an locker gebundener des Peptonserums den gleichnamigen des normalen. Demgemäss besitzt die CO, im Peptonserum eine höhere Spannung als im dem Serum des Normalblutes. Insoweit die am Blut und am Serum beobachteten Erschei- nungen einen Vergleich zulassen, stimmen sie nach Art und Grösse durch- aus überein. Deshalb werden in der Flüssigkeit, nicht aber in den Kör perchen, die Gründe zu suchen sein, in Folge deren sich im Peptonblut die CO, anders als im Normalblut verhält. Da sich der Gesammtbetrag der CO, im Peptonserum kleiner, der seiner locker gebundenen CO, dagegen um etwas grösser als im Normalserum stellt, so wird der grösste Unterschied des CO,-Gehaltes auf die festgebun- dene CO, fallen. Mithin darf man behaupten, dass sich in Folge des zugebrachten Pep- tons ein Stoff bilde, der die basischen Eigenschaften der Blutflüssigkeit ab- schwäche. Die Fortsetzung der Versuche, die ich vorerst anderen Kräften über- 510 V. GRANDIS: lassen muss, wird den Stoff aufzusuchen und zu ermitteln haben, wodurch das Pepton an seiner Entstehung betheiligt ist, warum die Einverleibung des neutralen Peptons mächtiger als die der fixen Säuren auf die Austreibung der CO, aus dem Blute des Fleischfressers wirkt. An der fraglichen Umformung des Peptons betheiligen sich die ver- schiedenen Bezirke des Blutstroms augenscheinlich in ungleicher Weise. Denn die giftigen Eigenschaften werden ihm durch die Berührung mit der Darm- wand genommen, aber sie verbleiben ihm, wenn es vom rechten Herzen aus in den Kreislauf gelangt. Ueber diese Beziehungen verspricht uns der künstliche Strom eines mit Pepton versetzten Blutes durch überlebende Gewebe einen Aufschluss. So scheint es mir wenigstens nach einem in dieser Richtung unternommenen Versuch. Nachdem mich eine Analyse davon überzeugt hatte, dass das Blut, durch einen Zusatz von 1-5 p. c. Pepton an seinem Gasgehalt keine Aenderung erleidet, führte ich durch den Hin- tertheil eines Hundes wechselnd erst normales, dann peptonhaltiges Blut, und untersuchte, wie sich während der Leitung die Blutgase und die Reiz- barkeit der Muskeln geändert hatten. Dabei ergab sich, dass ein Blut, mit einem Peptongehalt von 1-5 p. c. dem überlebenden Muskel sehr bald die Reizbarkeit raubte, ohne dass sie ihm durch Zuführung frischen Blutes wiederzugeben war, zugleich dass sich der Anspruch des Muskels an die (rase änderte wie man aus der folgenden Zusammenstellung sieht. | In en In 1 Minute co Blutart | ; | m Blut- co, 2 NETREERER ä Co, iD - /durchstr. gewonn. O verlor. ar f ren Arterien 19-71 | 12-39 | Venen | 30-10 | 1-39 5-3 | 0-55 0.59 0-94 (Arterien 1 12-61 | 10-91 \ Venen a 337 57 | 08 | 045 | 1-9 3 Venen 31-49 | 6831 | 40 0-47 0-23 | 2-04 Je nachdem das Peptonblut durch das unversehrte 'Thier, oder nur durch den Muskel strömt, verhält sich sein Gaswechsel nicht voll- kommen gleichartig. In beiden Fällen erwiess sich der Sauerstoffverbrauch gegen den des Normalblutes vermindert, dagegen hatte beim Durchgang des Blutes durch den Muskel die CO,-Bildung zu-, bei dem durch den unversehrten Körper aber abgenommen. Auch war die Schädigung, welche die irritablen Eigenschaften erfuhren, weit grösser im künstlichen, als im natürlichen Blutstrom. — Ob der Unterschied unabhängig von der | | (GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 5ll grösseren Dichtigkeit des durch das Muskelpraeparat fliessenden Blutes an Pepton ist, wird sich erst durch sorgfältig abgestufte Versuche zeigen, deren Ausführung jedenfalls lohnend sein dürfte. Auf den nachfolgenden Blättern sind die Versuche und die Arten ihrer Ausführung beschrieben. ]. Athemgrösse vor und nach Peptonzufuhr. Bei ihrer Bestimmung diente der von Sanders Ezn zuerst beschrie- bene und nachher öfters benutzte Apparat. 4. Kaninchen. Wurden sie verwendet so verblieb dem Apparat die ursprüngliche Gestalt und Grösse, jedoch trat an die Stelle der Schnauzen- kappe eine Metallröhre, welche durch einen luftdichten Kautschukschlauch mit der Canüle einer Luftröhrenfistel verbunden wurde. Der Apparat wurde in seinen einzelnen T'heilen ausgemessen, der ver- wendete O vorher analysirt, und ebenso die schliesslich in den Birngefässen über dem Barytwasser vorhandene Luft. Vor und nach dem Versuch wurde die Barytlösung, wovon 1 °® einem Millier. Kohlensäure entspricht, sorgfältig titrirt. Nach diesen Daten wurden die Resultate der nachstehend mitgetheilten Experimente ausgerechnet. I. Experiment: Ausgewachsenes Kaninchen, Gewicht 18858". Durch den Luftröhrenschnitt führe ich eine rechtwinkelig gebogene Metalleanüle in die Luftröhre ein und binde sie hier fest, sodann lege ich eine der Jugularvenen bloss und führe eine Röhre in dieselbe ein. Um 9 Uhr 55 Min. bringe ich das Thier mit dem Apparat in Ver- bindung und lasse es dort bis 10% 17’; während dieser Zeit hat es 486.2 «m Sauerstoff consumirt und 331.10 «em CO, erzeugt. Um 10% 26’ erhält es in die Jugularvenen 5°" einer Peptonlösung, wovon 1 gr in10 cem einer 0-75°/,-igen NaC-Lösung aufgelöst. In den ersten Augenblicken nach der Injection wird dem Thiere das Athmen schwer, doch zeigt es keine Convulsionen. Um 10.28 bringe ich es wieder mit dem Apparat in Verbindung, in welcher es bis 10.55 verbleibt, es hat 472.77 °® Sauerstoff verbraucht und 377.14 em 00, erzeugt. Um 11.27 wird es von Neuem mit dem Apparat in Verbindung ge- bracht und dort bis 11-51 gelassen; es hat 467.28 «cm Sauerstoff verbraucht und 345.12 cm CO, erzeugt. Diese Werthe auf die Zeit einer Minute reducirt, geben folgende Zahlen. Sauerstoff verbraucht. CO, erzeugt. CO,/O Im normalen Zustande : 223310 15-05 0-68 Gleich nach der Peptoninjeetion 17.51 13-97 0.79 Eine Stunde nach der Injection 19-47 14.38 0.73 512 V. GRANDIS: ll. Experiment: Ausgewachsenes Kaninchen; Gewicht 19008"; Opera- tion in der beim Experiment I angegebenen Weise. Es wird um 9 Uhr 45 Min. mit dem Apparat in Verbindung gebracht und dort bis 10-3 gelassen, es hat 481.708 m Sauerstoff ann. und 311.33 ccm CO, erzeugt, Um 10. 20 erhält es 6 °” Peptonlösung in den oben angegebenen Proportionen in die Jugularvene, gleichzeitig wird es wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht, in welcher es bis 10.42 verbleibt. Während die- ser Zeit hat es 476-711 u Sauerstoff verbraucht und 338.80 «" 00, erzeugt. Um 11-20 wird es zum dritten Male mit dem Apparat in Verbindung gebracht und dort bis 11.40 gelassen; es verbraucht 485.99 eu Sauerstoff und erzeugt 324 cm 00,. | Diese Werthe entsprechen nachstehenden Zahlen, berechnet für eine Minute. Sauerstoff verbraucht. CO, erzeugt. CO,/O Im normalen Zustande 26-76 17.85 0-66 Gleich nach der Injection 21.70 15-40 0.71 Eine Stunde nach der Injection 24.24 16.22 0.66 Bei den nachfolgenden Experimenten wurde nicht nur der respira- torische (Gaswechsel bestimmt, sondern auch die infolge der Peptoninjection stattgefundene Modification in der Zusammensetzung der Blutgase. Die Blutmenge, die ein Kaninchen abgeben kann ohne getödtet zu werden, ist nicht genügend, um an derselben zwei Bestimmungen bezüglich der Gase vorzunehmen, nämlich eine an dem normalen Thiere und eine an dem nach erfolgter Peptoninjeetion extrahirten Blutee Und die individuellen Unterschiede in der Menge der Blutgase sind zu bedeutend, als dass man vergleichbare Resultate erhalten könnte, wenn man die Bestimmungen an zwei verschiedenen Thieren vornehmen wollte, so ähnlich auch deren Alters- Ernäkrungs- und Lebensverhältnisse einander sein mögen. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, wählte ich zwei an Gewicht und Alter möglichst gleiche ausgewachsene Kaninchen, legte eine Carotis und eine Jugularvene bloss und extrahirte einem jeden von ihnen 20 «m Blut aus der Carotis das in emem und demselben mit Quecksilber gefüllten Behälter aufgefangen wurde, und zwar so, dass es mit der atmosphaerischen Luft nicht in Be- rührung kam. Dabei wurden alle Vorsichtsmaassregeln angewendet, welche die lange Erfahrung in diesem Laboratorium als nothwendig erkannt hat und die ich, weil schon oftmals beschrieben, hier nicht wiederhole. Das Blut wurde sorgfältige defibrivirt, mdem es mit dem im Behälter enthal- tenen Quecksilber zusammengeschüttelt wurde, und dann in einem KEis- schrank aufbewahrt, bis es, nach beendigtem Experiment, zur Bestimmung (GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 513 der Gase, der Wirkung des Vacuum unterworfen werden konnte. Nach dieser Operation wurde der respiratorische (raswechsel bei jedem der beiden Kaninchen bestimmt, sodann einem jeden die gewöhnliche Menge Pepton- lösung injicirt, darauf wieder der respiratorische Gaswechsel bestimmt und endlich einem jeden wieder 20 “m Blut entzogen, das unter denselben Ver- hältnissen wie das erste Mal aufgefangen und behandelt wurde. Das bei der Extraction der Blutgase und deren Analyse eingehaltene Verfahren will ich hier nicht näher beschreiben. Die Evacuation wurde mit der Ludwig’schen (Quecksilberpumpe bewerkstelligt und die Analyse _ nach der Bunsen’schen Methode vorgenommen. Zur Ablesung diente ein Kathetometer, währerd die Endiometer sich, wie Bohr vorschreibt, unter Wasser befanden, das auf die Temperatur des Zimmers gebracht war. Die erhaltenen Daten, entsprechend corrigirt für den Meniskus und die Span- nung des Wasserdampfes, wurden sters auf die Temperatur von 0°C uud auf 1 = Quecksilberdruck reducirt. Ill. Experiment: Kaninchen 4., Gewicht 1710 gr, auf die oben- beschriebene Weise vorbereitet, wird um 10 Uhr 22 Min. mit dem Apparat in Verbindung gebracht und bis 10-41!/, dort gelassen; es verbraucht 504.08 «m Sauerstoff und erzeugt 308.30 «m CO,. Um 11-45 erhält es 5.5 °m Peptonlösung und wird gleichzeitig wie- der mit dem Apparat in Verbindung gebracht, in welcher es bis 12-8 verbleibt; es verbraucht 520.5 °® Sauerstoff und erzeugt 327.31 m CO,. Jede Minute verbrauchte es und erzeugte es Sauerstoff Co, 0,0 Im normalen Zustande 25.85 15-81 0.61 Nach der Injection 22.62 14.23 0.63 Kaninchen 2. wird um 10 Uhr 55 Min. mit dem Apparat in Verbin- dung gebracht und dort bis 11.14!/, gelassen; während dieser Zeit hat es 502.62 «m Sauerstoff verbraucht und 284.54 “m CO, erzeugt. Um 12.24 erhält es 6 °“ Peptonlösung in die Jugularvene und wird wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht, in welcher es bis 12:45 verbleibt; es verbraucht 450.07 Sauerstoff und 8308-51 «= CO,. Jede Minute verbrauchte es und erzeugte es Sauerstoff eo, C0,/0 Im normalen Zustande 25-77 14.59 0.56 Nach der Injection 21.43 14.69 0.68 Das diesen Kaninchen vor und nach der Peptoninjection extrahirte Blut zeigte folgende Zusammensetzung: Normal Peptonisirt Co, 34.70), 20.71°/, 0 9.4207, 11.699, Archiv f. A. u. Ph. 1891. | hysiol. Abthlg. 33 514 j V. GRANDIS: IV. Experiment: Die Verhältnisse sind dieselben wie vorher. Kaninchen A wiegt 2127 gr, wird mit dem Apparat um 10.28 in Verbindung gesetzt und bleibt dort bis 10-51; es consumirt 465.5 cm Sauerstoff und erzeugt 307.67 «m 00,. Um 12.22 erhält es 6 ° = Peptonlösung von der Jugularvene aus, um 11:24 wird es wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht und bleibt so bis 11.50; es verbraucht 459.95 «= Sauerstoff und erzeugt 342. 16cc2200). Jede Minute verbrauchte es und erzeugte es Bauerstoff Co, C0,/0 Im normalem Zustande 20-21 13.36 0.66 Nach der Injection 1820R 13-16 De Kaninchen 2, wiest 1905 °”%, bleibt von 10 Uhr 56 Min. bis 11-15 mit dem Apparat in Verbindung; es ist sehr unruhig, und verbraucht 510.8 «a Sauerstoff und erzeugt 330.42 «m CO,. Um 12.1 erhält es 6 °“ Peptonlösung, um 12-4 wird es wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht, in welcher es bis 12-26 verbleibt; es verbraucht 501-8 «= Sauerstoff und erzeust 325.40 «m CO,. Jede Minute verbrauchte es und erzeugte es Sauerstoff Co, C0,/0 Im normalen Zustande 26.84 17.39 0-64 Nach der Injection 22.80 14-79 0-64 Das diesen Kaninchen vor und nach der Peptoninjection entzogene Blut zeigte folgende Zusammensetzung: Normal Peptonisirt Co, 20.56°/, 10.34°/° 0 9.170), 9.150), Aus diesen Experimenten geht hervor, dass die Athemgrösse infolge des injieirten Peptons im Allgemeinen etwas abnimmt. In die durch das Pepton bewirkten Aenderungen des Gaswechsels gewinnt man rasch eine Einsicht, wenn man von den vor und nach der Einspritzung des Peptons gewonnenen Werthen die ersteren gleich Eins ansetzt, sodass dann die während der Peptonwirkung erbrachten als Bruch- theile erscheinen. Aus solchen durch Division der Pepton- in die Normalwerthe erhal- tenen Quotienten entsteht die folgende Tabelle. \ oO GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. Hi Tabelle I. Verbrauchter Sauerstoff Erzeugte CO, Gleich nach der 1 St. nach der Gleich nach der 1 St. nach der Injection Injection Injeetion Injeetion IR 0.79 0.88 0.93 0.96 DR 0-81 0-91 0.86 0.91 n\ ET — 0:90 BE 0253 In 4 f 0.89 _- 0:98 \ 0.85 — 0.85 B. Hunde. Um ähnliche Experimente an diesen Thieren anstellen zu können, mussten die Dimensionen des Apparates abgeändert werden. Damit die Experimente regelrecht von statten gehen, muss das Thier ungehindert zu athmen im Stande sein, der Druck, unter welchem die Ein- und Ausath- mung erfolgt, darf keine bedeutende Veränderung erleiden. Die von einem Kaninchen bei der Ausathmung ausgestossene Luftmenge erzeugt bei der geringen Brustweite desselben keine bedeutende Druckvermehrung in dem geschlossenen Raume, in welchem das Thier athmet. Ganz anders jedoch sind die Verhältnisse, wenn es sich um einen Hund handelt; deshalb ergab sich die Nothwendigkeit, dass der Apparat nicht ausschliesslich von einem System von Röhren mit steifen Wänden gebildet werde; er musste eine Erweiterung zulassen, um die ausgeathmete Luftmenge aufzunehmen. Zu diesem Zwecke wurde an jede der Röhren, welche die ausgeathmete Luft zu der Barytlösung führen, unter rechtem Winkel ein kurzes Metallrohr eingelöthet, und an das freie Ende jedes der beiderseits gleichweiten köhren ein dünnwandiger, leicht ausdehnbarer Gummibeutel festgebunden. Bei Beginn des Experiments ist der Gummibeutel leer, sobald aber das den Apparat zusammensetzende Röhrensystem mit der Luftröhre im Ver- bindung gebracht wird, dehnen sich die beiden Beutel bei jedesmaliger Ausathmung aus, indem sie einen Theil der ausgestossenen Luft aufnehmen. Damit ist es erreicht, dass die Ausathmung den Druck der Gase im Apparat nicht steigert. Ausserdem musste verhindert werden, dass der bei der Athmung ausgeschiedene, auf der Röhrenwand condensirte Wasserdampf in die Luftröhre zurückgelangt, weil ohnediess durch den Reiz, den er auf das Thier ausübt und dadurch, dass er die freie Bewegung der Luft ver- hindert, der Verlauf des Experimentes gestört worden wäre. Dieser Uebelstand fie] bei den Kaninchen, wegen der spärlichen Wasser- menge, die sie ihrer geringen Körpergrösse gemäss ausscheiden, nicht ins Gewicht. Demselben wurde durch eine einfache Abänderung des zur Ver- bindung mit der Luftröhrencanüle bestimmten Stücks abgeholfen, welches, wie bereits bei den Mittheilungen der an Kaninchen gemachten Experimente an- 332 516 V. GRANDIS: gegeben wurde, in eine Art Schachtel umgewandelt worden war. Die vom Boden der Schachtel ausgehende und mit der Luftröhrencanüle verbundene Röhre wurde über den Boden der Schachtel um 3"” verlängert, so dass die in der Schachtel befindliche Flüssigkeit nicht in die Trachea zurück- fliessen konnt. Trotz dieser Abänderungen wird dem Thiere das Athmen sehr erschwert, wenn die den Sauerstoff enthaltende Kugel gegen Ende des Experiments nahezu mit Wasser gefüllt ist. Auch diese Schwierigkeit ent- steht, weil der von den festen, unnachgiebigen Wänden begrenzte Raum gegenüber der durch die Athmung des Thieres in Bewegung gesetzten Gas- menge zu klein wird. Also musste über dem Sauerstoffbehälter ein anderer 250 °® messender und ‚mit einem Hahn versehener Glasballon angebracht werden. Vor Beginn des Experiments wird dieser Ballon ebenfalls mit Sauerstoff gefüllt und man fährt mit dem Experiment nur so lange fort, bis der in dem grossen unteren Ballon enthaltene Sauerstoff ganz aufge- braucht ist. Das im kleinen Ballon übrig gebliebene Gas wird analysirt, um zu erfahren, welche Menge Sauerstoff von dem Thiere wirklich verbraucht wurde. Auf diese Weise geändert, leistet der Apparat vorzügliche Dienste. Der Versuch lässt sich, wenn das Thier nicht allzutief athmet, bis zum Ende fortsetzen, ohne dass der Druck im Gasraum den Werth von 5m Hg erreicht. Selbstverständlich kann das mir zu Gebote stehende Exemplar nur auf Thiere angewendet werden, deren Grösse gewisse Grenzen nicht übersteigt. Das Gewicht der zu benutzenden Hunde durfte nicht über 6 Kilo hinausgehen. Kleinere konnte ich nicht nehmen, denn da ich zugleich die Blutgase analysiren wollte, so war zu befürchten, dass der nothwendige Aderlass Störungen verursache. Um jeden Einfluss vorzubeugen, den der Aderlass auf die Athmungs- producte haben könnte, ging ich auf folgende Weise vor. Nachdem ich das Ende einer rechtwinklig gebogenen Metallcanüle in die Trachea eingeführt und dieselbe hier mit doppelter Ligatur befestigt hatte, praeparirte ich die Carotis und die äussere Jugularvene. Aus der Carotis fing ich, unter den gewöhnlichen Vorsichtsmaassregeln, in einem graduirten Behälter über Quecksilber eine zwischen 35—40 «m schwankende Menge Blut auf und definibrirte es, indem ich es mit dem Hg schüttelte. Nach dieser Operation setzte ich das Thier mit dem Apparat in Verbin- dung und begann mit dem Experiment, auf die Zeit, die Temperatur, die Athmungszahl , Pulsfrequenz und alle anderen den Apparat betreffenden Daten achtend. Wenn das Thier allen in dem unteren grossen Ballon ent- haltenen Sauerstoff verbraucht hatte, hob ich das Experiment auf und rich- tete den Apparat zu einer neuen Bestimmung ein, sodann injieirte ich das Pepton. Bekanntlich vollführt das Thier, sobald das Pepton in Circulation (#RUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 517 gelangt, tetanische Convulsionen mit einigen tiefen Athembewegungen, welche dem für die Peptonvergiftung charakteristischen komatischen Zustand voraus- gehen. Es war also interessant zu erforschen, welchen Einfluss das erste Stadium der Vergiftung auf die Respirationsprocesse ausübt. Deshalb brachte ich in einigen Fällen, wie ich es schon bei den Kaninchen gethan hatte, das Thier in dem gleichen Augenblick mit dem Apparat in Verbindung, in welchem ich die Peptoninjection vornahm, während ich in anderen Fällen damit wartete, bis das Thier in den komatischen Zustand gefallen war. Nach diesen Normen verliefen die folgenden Experimente. V. Experiment. Einem kleinen Hunde von 5950 gr Gewicht entziehe ıch 30° m Blut, sodann bringe ich denselben, um 10 Uhr 8 Min., mit dem Apparat in Verbindung, in welchem er bis 10.33 verbleibt. Während dieser Zeit hat er im Durchschnitt 22 mal in der Minute geathmet, ver- braucht 1885-30 °°m Sauerstoff und erzeugt 1127 m CO,. Um 10.49 erhält er 15 °m Peptonlösung in die Jugularvene. Um 10.50 wird er wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht und bleibt so dort bis 11-21; er macht im Durchschnitt 20 Athemzüge per Minute, verbraucht 1997.2 m Sauerstoff und erzeugt 1179 m CO,. Um 11.25 ziehe ich aus der Carotis weitere 30°“ Blut und bringe ihn um 11-49 wieder mit dem Apparat in Verbindung, in welchem er bis 12.15 verbleibt. Während dieser Zeit athmet er 29mal per Minute, ver- braucht 1771.40 m Sauerstoff und erzeugt 1032" CO,. Diese Werthe auf die Zeiteinheit von 1 Minute reducirt geben Sauerstoff verbraucht. CO, erzeugt CO,/O Im normalen Zustande 75.41 45 0.59 Gleich nach der Injection 64-42 38.03 0.59 1 Stunde nach der Injection 63.13 39.69 0.58 Die Analyse des diesem Hunde extrahirten Blutes hat folgende Resul- tate ergeben: Normal Peptonisirt Co, 34.03°/, 14-38°/, Ö 9.15°/, 15-16), VI. Experiment: Hund von 5500 gr Gewicht. Bei diesem Experiment fehlen die Daten des respiratorischen Gaswechsels im Normalzustande, weil während deren Feststellung wahrgenommen wurde, dass aus dem Apparat Gase entwichen. Um 10.35 werden 16 “= Peptonlösung injieirt. Um 10.37 wird der Hund mit dem Apparat in Verbindung gebracht und bis 11.12. so gelassen. Er athmet 21mal per Minute, consumirt 2303 °°m Sauerstoff und erzeugt 1287 m 0Q,. | Um 11:15 ziehe ich 35 °m Blut aus der Carotis. Ich wiederhole die 518 V. GRANDIS: Bestimmung von 11.35 bis 12.7. Während dieser Zeit athmet er im Durchschnitt 29mal per Minute, verbraucht 2276.9 «m Sauerstoff und er- zeugt 1260-2 (0,. Diesen Werthen entsprechen per Minute die folgenden: Sauerstoff verbraucht CO, erzeugt CO,/O Gleich nach der Injection 65.74 36.79 0-55 1 Stunde nach der Injection 7a 39.080 mars Die Zusammensetzung des Blutes war folgende: Normal Peptonisirt co, 20 260, 122.9322% Ö 1029327 7.949), VI. Experiment: Hund von 4750 gr Gewicht. Um 10-35 ziehe ich 41 «= Blut aus der Carotis; um 10-47 wird der Hund mit dem Apparat in Verbindung gebracht, wo er bis 11-15 verbleibt; er ist sehr unruhig, die Athmungszahl ist 54 per Minute. Während dieser Zeit verbraucht er 1903.2°® Sauerstoff und erzeugt 1475.4°m CO,. Um 11:26 erhält er 14° Peptonlösung in die Jugularvene und um 11.28 wird er wieder mit dem Apparat in Verbindung gebracht, an welchem er bis 1-23 verbleibt. Er athmet 13mal per Minute, verbraucht 1910 cm Sauerstoff und erzeugt 1567 «m 00Q,. Um 12.6 extrahire ich weitere 30 «= Blut und von 12-20 bis 12-58 bestimme ich nochmals den respiratorischen Gaswechsel. Er athmet 24mal per Minute, verbraucht 1938-8 m Sauerstoff und erzeugt 1344.84 m (O,. Also per Minute: Sauerstoff verbraucht CO, erzeugt CO,/O Im Normalzustande 67-97 52.69 0.77 Gleich nach der Injection 54-57 44-17 0.82 1 Stunde nach der Injection 69.24 48.03 0.69 Die Analyse des Blutes ergab folgende Resultate: Normal Peptorisirt (0, 26-.57°%/, 9.65%, (0) 12.08°/, 12-08°/, VIII. Experiment: Hund von 47508 Gewicht. Um 10-10 entziehe ich ihm 35° Blut. Von 10.20 bis 10-49 athmet er im Durchschritt 23mal per Minute, verbraucht 2004 °® Sauerstoff und erzeugt 1479.2 m CO,. Um 10:56 erhält er 14°” Peptonlösung in die Jugularvene und wird gleichzeitige mit dem Apparat in Verbindung gebracht, in welcher er bis 11-25 verbleibt. Er athmet 27mal per Minute, verbraucht 1572 m Sauer- stoff und erzeugt 1433 «m CO,. GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 519 Um 11.30 werden ihm weitere 35° Blut entzogen. Von 11-56 bis 12-15 athmet er im Durchschnitt 37mal per Minute, verbraucht 1470 cm Sauerstoff und erzeugt 122.35 ° m CO, Also per Minute;, Sauerstoff verbraucht CO, erzeugt CO,/O Iın Normalzustande 69.10 51: 0-73 Gleich nach der Injection 54-17 49.41 0-91 1 Stunde nach der Injection 17:83 64.39 0.82 Die Peptoninjection modifieirte die Blutgase wie folgt: Normal Peptonisirt 00 28-75 14-16 0 8.35 10-01 Wie ich es bereits für die Kaninchen gethan, so stelle ich auch hier in folgender Tabelle die Verhältnisse zwischen den vor und nach der Pepton- injection erhaltenen Resultaten zusammen: die Werthe vor der Pepton- einspritzung sind gleich eins gesetzt. Tabelle II. Verbrauchter Sauerstoff Erzeugte CO, Gleich nach der 1 St. nach der Gleich nach der 1 St. nach der Injection Injection Injection Injection b. 0-85 0.90 0.84 0-88 7 0-80 1.01 0.84 0-91 5. 0-78 E12 0-96 1-26 Untersuchen wir das Verhalten des vor und nach der Peptoninjection absorbirten Sauerstoffs, so gewahren wir stets, bei den Kaninchen wie bei den Hunden, eine Abnahme im Sauerstoffverbrauch. Die nach der Pepton- injection verbrauchte Sauerstoflmenge schwankt zwischen 0-78 und 0-89 von der im Normalzustande verbrauchten. Die Wirkung des Peptons hält jedoch nicht lange an und wir sehen, dass schon nach einer Stunde der Unterschied bedeutend weniger hervortritt und sogar verschwindet. Dauern- der als auf die Hunde wirkt das Pepton auf die Kaninchen. Eine Stunde nach der Einverleibung des Peptons verbraucht das Kaninchen noch 0.88 bis 0-90 des vor dem aufgenommenen Sauerstoffes, der Hund aber kann nach Veıfluss derselben Zeit ebensoviel, ja noch mehr als vor der Zufuhr des Peptons verzehren. Aus allem folgt, dass die Zugabe von 0-3 gr Pepton auf 1 Kilo des Körpergewichtes, wenn sie unmittelbar in das Blut geschieht, dem vorher bestandenen Sauerstoffverbrauch um zwanzig Procent erniedrigen kann. Auch die Erzeugung der CO, wird durch das Pepton herabgedrückt, doch im minderen Grade als der Verbrauch des Sauerstoffes. Im Ver- 520 V. GRANDIS: hältniss zu der CO,-Menge welche vor der Einverleibung des Peptons aus- geathmet wurde, stellte sich die nach der letzteren gelieferte, in den Ver- suchen beim Kaninchen wie 1:0-85 oder auch 1-00, und beim Hunde wie 1:0-84 bis 0-96. Nach Verfluss einer beschränkten Zeit, sicher nach einer Stunde, tritt jedoch schon der eben besprochene Unterschied zurück, wahrnehmbarer beim Hunde als beim Kaninchen, denn bei diesen finden wir noch Verhältnisszahlen wie 0-91-—-0-96, während wir bei den Hunden auch die Einheit übersteigende Quotienten antreffen. Eine Folge des verschie- denen Verhaltens von Sauerstoff und CO, ist eine Zunahme des respirato- rischen Quotienten. Bei Vergleichung der Abnahme im Sauerstoffverbrauch mit der ver- minderten Erzeugung der CO, finden wir, dass diese Verminderungen einander nicht regelmässig entsprechen; so sehen wir eine der stärksten Verminderungen im Sauerstoffverbrauch beim Kaninchen B. des III. Ex- periments, welches eben gar keine Verminderung in der CO,-Erzeugung aufwies. Nur in zwei Fällen, nämlich beim Kaninchen B. des IV. Experi- ments und beim Hunde des V. Experiments finden wir, dass die beiden Factoren des Gaswechsels gleichwerthig sind, wesshalb der respiratorische (uotient unverändert bleibt. Dieselben Wahrnehmungen können wir be- züglich des respiratorischen Gaswechsels eine Stunde nach der Peptoninjec- tion machen; hier nimmt jedoch der relative Unterschied zwischen der erzeugten CO, und dem verbrauchten Sauerstoff eher ab und die respirato- rischen Quotienten nähern sich mehr dem Werthe, den sie im Normal- zustande hatten. I. Bestimmung der Grenze, bis zu welcher der CO,-Gehalt n der Lungenluft vor und nach Pepton ansteigen kann. Zum Erkennen der fraglichen Werthe wurde der Lungenkatheter Pilüger’s herangezogen und zwar in der auf Taf. XXI. fig. 1 abgebildeten Gestalt. Ein capillares Rohr a. b. durchsetzte ein weiteres d. e. und war an dessen beiden Enden durch Kautschuk befestigt. — Von den beiden Kautschuken war der bei K angebrachte dünnwandig. — Von den Mün- dungen des feinen Rohrs ragte die eine frei hervor, sie sollte in einen Bronchus eingebracht werden, die andere stand mit den Gefässen f. g. in Verbindung, welche mit Luft und Hg gefüllt, Luft in die Lunge eintreiben und aus ihr entnehmen konnten. Die Gefässe waren geaicht. — Das weite Rohr war am oberen Ende verschlossen, dagegen schickte es nahe hievon einen Fortsatz aus, auf welchen eine Spritze gesetzt werden konnte. Mit seinem unteren Ende mündete das weite Rohr in den Hohlraum der Kautschuk- schlauches K. Durch den Zufluss von Wasser aus der Spritze konnte darum der Schlauch K soweit ausgedehnt werden, dass ein Trachealast, in welchen die Rohre eingebracht waren, verschlossen wurde. — Auf diese Artı (GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 521 zusammengestellt besass der Apparat möglichst wenig an schädlichem Raum und erlaubte gemessene Volumina an Luft der Lunge zuzuführen und zu entnehmen. Den grossen Hunden, nur solche wurden gebraucht, brachte ich durch einen Schnitt eine T-förmige weite Canüle in die Trachea und durch sie den Katheter in einen Bronchus, und befestigte ihn mittelst eines Gumni. schlauchs an der Canüle. Bei meinen zahlreichen Experimenten geschah es nur einmal, dass der Katheter in den linken Luftröhrenast drang, alle übrigen Male drang er stets in den rechten. War der Katheter an seinem Platze, dann injieirte ich mittelst einer Spritze Wasser in seine äussere Hülle, so dass der am Ende sitzende dünnwandige Gummischlauch K sich kugelförmig erweiterte. Nachdem dies geschen, vereinigte ich das freie Ende des Katheters mit einem Ballon von 100°” Rauminhalt, der mit Luft gefüllt war. Durch Druck mittelst einer Hg-Säule trieb ich die im Ballon enthaltene Luft in die Lunge. _ Nach veränderlichen Zeitinterwallen von 2 bis 20 Minuten zog ich durch Aspiration mittelst der Hg Säule Proben der injieirten Luft aus den Lungen. Jede dieser Luftproben wurde in einem durch zwei Hähne hermetisch verschlossenen Glasballon aufgefangen, aus diesem sodann in die Eudiometer übergeführt und nach Bunsen ana- lysirt. Gleichzeitig mit der letzten Luftprobe wurde aus einer Canüle, die von der Jugularvene aus in’s rechte Herz eingeführt war, eine Probe Venen- blutes aufgefangen, und zuweilen auch aus der Carotis eine Probe Arterien- blutes. Das Blut wurde evacuirt und seine Gase analysirt. Nach der Ent- nahme des Blutes wurde das Thier getödtet und bei der Autopsie festgestellt, ob der Abschluss des Bronchus eine vollkommener gewesen war. Bei allen Experimenten wurde die Schliessung der beiden unteren Lappen der rechten Lunge constatirt, ausgenommen einmal, wo der linke Luftröhrenast ge- schlossen war. Vor und nach der Einführung des Katheters und der Schliessung der Bronchen wurde die Zahl der Athemzüge und der Herz- schläge bestimmt. Die Thiere schienen stets durch die Schliessung sehr wenig zu leiden und nur in den ersten Augenblicken nach Einführung des Katheters husteten sie, alsbald aber wurden sie ruhig. I. Experiment. Hund im Gewicht von 23 Kilo, athmet 120mal per Minute und hat 100 Pulsschläge. Nach Schliessung des Luftröhren- astes athmet er 130mal und hat 108 Pulsschläge per Minute. 3—6—10 Minuten nach der Injection extrahire ich Luftproben. Gleichzeitig mit der letzten Luftprobe entnehme ich dem rechten Herzen eine Probe venösen Blutes. Die Analyse hat folgende Resultate gegeben: 522 V. GRANDIS: Dauer der Schliessung Luft aus den Lungen Venöses Blut ) ‚0, 16) 5 3 5.97 2-06 — 6 4.56 2-59 — 10 3-50 6-51 23-07 II. Experiment: Hund im Gewicht von 20-5 Kilo, hat 8 Athem- züge und SO Pulsschläge per Minute, nach Schliessung der beiden unteren Lappen der rechten Lunge S Athemzüge und 72 Pulsschläge. 5, 8 und 15 Minuten nach der Injection ziehe ich Luft aus der geschlossenen Lunge und extrahire wie oben eine Probe venösen Blutes. Die Analyse ergab: Dauer der Schliessung Luft aus den Lungen Venenblutgase OECD, co, 5 4.86 2.77 N 8 4-92 . 2.73 ei ae 15 5:02 8.51 07 13.1 Ill. Experiment: Hund im Gewicht von 34 Kilo, athmet 20mal und hat 92 Herzschläge per Minute. Nach Schliessung der beiden unteren Lappen der rechten Lunge athmet er 21mal und hat 100 Herzschläge. 2, 6 und 20 Minuten nach der Injection extrahire ich Luft und nehme wie oben eine Probe venösen Blutes. Die Analyse ergab: Daucr der Schliessung Luft aus den Lungen Venenblutgase 0 00) 0 »Rdor 9 15-62 1.84 Ba — 6 10-29 1:74 (er 20 5-31 3.94 6.74 27-67 IV. Experiment: Hund im Gewicht von 33-5 Kilo. Vor Schliessung athmet er 30mal und hat 85 Herzschläge per Minute. Nach Schliessung der beiden unteren Lappen der rechten Lunge 28 Athemzüge und 80 Herz- schläge. 3, 7 und 20 Minuten nach der Injection extrahire ich Luft; gleichzeitig mit der letzten Luftprobe nehme ich eine Probe Venen- und Arterienblut. Die Analyse ergab: Dauer der Schliessung Luft aus den Lungen Venenblut Arterienblut 0 co, 77,501. 00, Moe 3 3:97 8.17 oe. 2 a 7 ra _ 20 1.89 3:79 6.96 29-06 1-26 25-69 (HRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE, By} Da aus diesen Beobachtungen hervorging, dass der Zeitraum von 6—8 Minuten schon genügt, damit das Blut alle CO, an die Luft verliert die es an sie abgeben kann, bestimmte ich nach derselben Methode, die maximale Quantität CO,, welche das peptonisirte Blut an die in den Lungen eingeschlossene Luft abgeben kann. Damit meine Untersuchungen nicht durch die individuellen Variationen beeinflusst würden, habe ich stets bei demselben Thiere vorher festgestellt, welche CO,-Menge das Blut des gleichen Lungenbezirkes an die in diesem eingeschlossene Luft in dem gleichen Zeitraum unter normalen Verhältnissen abgab. Gleichzeitig bestimmte ich die Gase des venösen Blutes, das ich dem rechten Herzen entnahm, während ich die Luft aus dem geschlossenen Lungenbezirk zog. Die injieirte Peptonmenge ist stets die gleiche gewesen, die ich bei den Ausmessungen des respiratorischen Gaswechsels verwendete, nämlich 0-3 gr pro Kilo Körpergewicht. Da alle diese Experimente ebenso verliefen wie die schon mitgetheilten Beispiele, so dürfte es genügen wenn ich auf die schon S. 504 mitgetheilten Resultate verweise. Bei dieser Reihe Experimente verfuhr ich in folgender Weise: Ich praeparirte das Thier, schloss auf 10—15 Minuten - den Lungenbezirk, entnahm eine Luftprobe und eine Probe venösen Blutes, öffnete den Lungenbezirk damit die darin eingeschlossene Luft sich erneuern konnte, dabei jedoch den Katheter an seinem Platze lassend, injicirte Pepton, schloss wieder auf 10—15 Minuten den Lungenbezirk, extrahirte von neuem Luft und venöses Blut und stellte nach Tödtung des Thieres den Lungentheil fest, der von der Athmung ausgeschlossen war. Bei den vorhergehenden Experimenten boten die normalen Thiere, wie bereits be- merkt, wenn die Hälfte einer Lunge bei ihnen .vom Luftwechsel ausge- schlossen wurde, keine grossen Störungen in der Respiration dar; noch geringere Störungen boten sie unter dem Einfluss des beruhigenden Pep- tons dar. III Vergleichung der ÜO,-Spannung im Normal- und Peptonblut. Mit dem seiner Gerinnbarkeit beraubten Peptonblut wurde entfaser- stofftes oder durch Zusatz von oxalsaurem Ammoniak vor Gerinnung ge- schütztes Normalblut verglichen. Der Apparat, dessen ich mich zur Bestimmung der Spannung bedient, ist bis auf wenige Abänderung der schon von Gaule beschriebene. Er setzt sich im Wesentlichen aus einer luftdicht schliessenden Glocke und aus einer Reihe von Röhren zusammen, die in den Glockenraum münden. Durch das Röhrenwerk a, b, c, d, e, f, g kann der Hohlraum der Glocke mit Quecksilber gefüllt oder luftleer gemacht werden, je nachdem die Kugel a gehoben oder gesenkt wird. In den Verlauf des Zu- und Abflussrohres ist luftdicht ein Hohlprisma aus Eisen eingeschaltet, in welchem 524 V. GRANDIS: sich ein von aussen her luftdicht eingesetzter Hebel bewegen lässt, der mit dem Ring h in Verbindung steht. Vermöge dieser Einrichtung lassen sich Hg und Blut, die sich im Inneren der Glocke befinden, durcheinander schütteln. Zwischen b u. d kann das Hauptrohr durch einen aus Eisen gefertigten Hahn ver- ‚ schlossen werden, jenseits desselben, nach d zu, entspringt vom Hauptrohr ein Seitenzweig c der ebenfalls durch einen Hahn abzusperren ist. Aus der gebogenen Oeffnung des Rohres nimmt man, nachdem die Glocke ge- füllt und der Hahn des Hauptrohres verschlossen ist, Hs ab. In dem Maasse, als es abfliesst, entsteht in der Glocke ein leerer Raum, dessen Grösse also durch das abgeflossene Hgvolum bestimmt ist. Der zweite Röhrenstrang 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 dient zur Messung des im Inneren der Glocke vorhandenen Druczes. Der Abschnitt 1 bis 6 stellt gleichsam eine Quecksilberwanne vor in die das Messrohr 7,8 eingetaucht ist. Durch die aus Seitenzweig 4 angesetzte Schraube lässt sich der Stand des Hg im Manometer 7,8 fein einstellen. Die Hähne der beiden Rohre bestehen aus Eisen. Das dritte kurze Glasrohr R wird, bis zum Hahn voll Blut, mit dem Inneren in Verbindung gesetzt. Soll das Blut in den Raum der Glocke übertreten, so wird der Hahn gedreht und es tauscht sich der blutige Inhalt der Röhre gegen Hg aus. Die abschliessbare Kugel K, welche oben auf der Glocke aufsitzt wird benutzt, um die in die Glocke eingetretenen Gase abzunehmen, um sie zu analysiren. | Soviel über das Prineip des Apparates, seinen Gebrauch und die dabei anzuwendenden Handgriffe; das Nähere beschreibt Gaule.! Zur Recht- fertigung der an dem Apparat angebrachten Aenderung führe ich das Fol- gende an. | Die eisernen Hähne mit langem Griff, wie bei 2, welche die Schenkel der Röhren von einander abschliessen, die einerseits zum Absorptionsraum, andererseits zu den Quecksilberkugeln führen, treten an die Stelle von Klemmschrauben, die eine Kautschukverbindung zusammenpressten. Sie ge- währen dem Abschluss grössere Sicherheit, und eine grössere Bequemlich- keit für die Ablesung der Quecksilberstände in dem Messrohr und im Glockenraum, während man das Zufliessen des Metalles zu regeln hat Der Seitenzweig 4 in der Röhre 1, 2, 3, 4, 5 wurde mit einer luft- dicht schliessenden Schraube versehen um von hier aus, wenn der Hahn bei 2 geschlossen war, aus dem Messrohr etwas Hg herauszunehmen oder es hinein zu geben, so dass sich nun mit grösster Genauigkeit der Null- punkt der Scala einstellen liess. Endlich wurde noch der Hals der Glocke G eingetheilt und calibrirt ! Dies Archiv 1378. 8. 470. GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 525 Die Keuntniss seines Inbaltes ist nöthig, weil er zu dem Absorptionsraum, der durch das aus c fliessende Quecksilber ermittelt wird, noch hinzuzu- rechnen ist, denn es darf, wenn die Auswerthung des Absorptionsraumes durch Hg genau werden soll, der Hals der Glocke G nicht mit Metall erfüllt sein. Sollte ungeronnenes normales mit dem Peptonblut verglichen werden, so kam Ammonoxalat in Verwendung, welches, im Verhältniss von 0.2°/, zum Blute gemischt, nach Arthus! die Gerinnbarkeit aufhebt. Für meinen Gebrauch löste ich je 2 gr neutralen oxalsauren Ammoniaks in 100 Theilen Wasser unter Zusatz von 0-75 gr NaCl; von einer solchen Lösung brachte ich 15°°® in ein Gefäss über Hg und fing in diesem unter Abschluss der Luft das Blut auf. Um mich gegen jeden Fehler zu decken, der durch diesen Zusatz in Folge der Verdünnung oder irgend welcher Wirkung des Ammonoxalates entstehen konnte, setzte ich die gleiche Menge dem Peptonblut zu. Alle Versuche wurden unter möglichst gleichen Bedingungen angestellt; die Blutmengen, die Umfänge des leeren Raumes und die Temperaturen waren stets die gleichen. Von den möglichen Blutsorten fiel die Wahl auf Erstickungsblut. In der Regel wurde es aus dem rechten Herzen, nur einmal aus der A. carotis genommen. Die Ausgleichung der Spannung des Gases im Blut und im Absorp- tionsraum galt für hergestellt, wenn trotz anhaltenden und wiederholten Schüttelns keine Aenderung im Stand des Druckmessers sichtbar ward. Zu der Bestimmung der Spannung fügteich die der CO,, welche aus dem Blute in den leeren Raum übergetreten war, ausserdem jedesmal den procentischen Gasgehalt der verwendeten Blutarten. I. Experiment. Hund im Gewicht von 26 Kilo; nach hervorge- rufener Asphyxie fange ich 150 m Blut aus dem rechten Herzen auf und vermische es, mit 15m Ammoniakoxalat-Lösung. Ich stelle sodann die Athmung wieder her, injieire 76° m Peptonlösung, erneuere nach 3 Minuten die Asphyxie und fange unter den gleichen Bedingungen weitere 150° Blut auf, dass ich ebenfalls mit 15° m Oxalatlösung vermische. Das normale Blut enthält 32-24°/, CO, und 2°52N, keinen Sauerstoff Ich bestimme die Spannung der Gase von 103-5°®% Blut bei einer Temperatur von 20-.5° und erhalte ! Recherches fur la coagulation du sang. Paris 1890. 526 V. GRANDIS: Raum Spannung Gasmenge bei O° in ccm jn mm und 1” Druck 50 4-5 1.60 100 25-5 2-37 200 19 3.53 300 15 4.19 400 14 5-21 500 1225 5-81 Das injieirte Blut enthält 24.83°/, CO, 3-29 N und keinen Sauerstofl. Die Spannung der Gase von 103.5°® Blut bei einer Temperatur von 20° wird durch folgende Zahlen dargestellt: Raum Spannung Gasmenge bei O° Ines ine und 1” Druck 50 43.2 2.01 100 sl-1l 2.89 200 22.2 4.13 300 IT 5.50 400 1102 6.40 500 15-2 7.07 In den Raum von 500 °m hat das Blut 3-81 = CO, ausgehaucht, gleich 53.9°/, der ausgeströmten und gleich 16-49°/, der im Blute enthalten gewesenen Gasmenge. I. Experiment. Hund im Gewicht von 29 Kilo. Es wird, wie beim vorhergehenden Experiment, während der Asphyxie Blut aus dem rechten Herzen aufgefangen; nachdem die Athmung wieder hergestellt, in- jieire ich 85 °®® Peptonlösung, rufe wieder Asphyxie hervor und fange weiteres Blut unter den gleichen Bedingungen auf. Das normale Blut enthält 32-08 CO, 2-83 N und keinen Sauerstoff. 103.5 m Blut haben bei einer Temperatur von 20° folgende Span- nung: Raum Spannung Gasmenge bei O° im om gar und 1% Druck 50 38 1-59 75 25-6 1.79 100 20.9 1.94 In den Raum von 100° m hat das Blut 0.37 m 00, ausgeströmt gleich 17.7°/, der entwichenen Gasmenge, und gleich 1-15°/, der im Blute enthalten gewesenen 0O,-Menge. GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 597 Das peptonisirte Blut enthält 24.31° CO, 2.66 N und 0: 7°/, Sauerstoff, 103.5 m Blut haben bei einer Temperatur von 20° C. folgende Span- nung: Raum Spannung Gasmenge bei 0° in ccm in mm und 1" Druck 50 54-1 2.52 165) 45-1 3-15 INOSE 39-6 3.68 In den Raum von 100 hat das Blut 0-82 CO, ausgeströmt, gleich 22.2°/, der entwichenen Gase, und gleich 3-59°/, der im Blute enthalten gewesenen CO,-Menge. IR Experiment. Hund im Gewicht von 32-5 Kilo. Ich fange Blut in der gleichen Menge und unter denselben Bedingungen, wie bei den vorhergehenden Experimenten auf, und injicire 95 °= Peptonlösung. Das normale Blut enthält 37.10/ CO, 2.58 N und 1.40 Sauerstoff. 103-5’ Blut haben bei einer Temperatur von 20° C folgende Span- nung: Raum Spannung Gasmenge bei O° innce ankn und 1® Druck >0E 42 1-95 75 5) 2.44 100 31-5 2-93 Das Blut hat in den Raum von 100 ° 0-15 ° CO, ausgeströmt, gleich 4.82°/, der entwichenen Gssmenge und 0-40°/, der im Blute enthalten gewesener OO,-Menge. Das peptonisirte Blut enthält 29.50 CO, und 2.40 N d. h. 95.34°,, seiner Gase wird von CO, gebildet. 103.5 °°® Bluthaben bei einer Temperatur von 20°C. folgende Spannung: Raum Spannung Gasmenge bei O° Inge un und 1” Druck 50 56 2.60 75 47.1 3.29 100 40.2 3-74 In 100m Raum hat das Blut 0-92 «= CO, ausgeströmt, gleich 24.6°/, der entwichenen Gasmenge und gleich 3-36°/, der im Blute enthalten gewesenen CO,-Mense. 528 V. GRANDIS: V. Experiment: Hund im Gewicht von 17 Kilo. Während der Asphyxie fange ich 200 “= Blut aus dem rechten Herzen auf, ohne es mit Oxalatlösung zu vermischen, und defibrinire es, indem ich es mit dem im Behälter verbliebenen Quecksilber schüttele. Nach wiederhergestellter Ath- mung injieire ich 50°" Peptonlösung in die Jugularvene, rufe dann wieder Asphyxie hervor und fange weiteres Blut unter denselben Beding- ungen wie bei Entnahme des normalen Blutes auf. Das normale Blut enthält 46.44 CO, 1-46 N und keinen Sauerstoff. 103.5 «= Blut geben bei einer Temperatur von 23 °C folgende Spannung: Raum Spannung Gasmenge bei O° in ccm im am und 1” Druck 50 61 2.84 140 39.0 5-08 In 140° Raum hat das Blut 2.68 = CO, ausgeströmt, gleich 52. 8°), der ausgehauchten Gase und gleich 2-9°/, der im Blute enthalten gewesenen CO,-Menge. Das peptonisirte Blut enthält 29.67°/, CO, 2.57 und keinen Sauerstoff. 103.5 «m Blut haben bei einer Temperatur von 23°C. folgende Spannung: Raum Spannung Gusmenge bei O® imlicc In und 1®= Druck 50 69.4 3-23 140 43.2 3.63 In 140 °® ]eeren Raum hat das Blut 3.39 «= CO, ausgehaucht, gleich 60.2°/, der gesammten in den leeren Raum übergegangenen Gasmenge und 3-8°/, der im Blut vorhanden gewesenen CO,. Aus den Aufschlüssen, die den vorstehenden Versuchen zu verdanken sind, lässt sich noch ein Hinweis auf die Bindungsart des Stickgases im Blute dadurch gewinnen, dass man die Mengen desselben, die das Blut mitbrachte, mit den in den Luftraum abgedunsteten vergleicht. Da sich auf die Bestimmungen des N-Gases sämmtliche Fehler der Analyse häufen, so werden die Zahlen die vorhandenen Werthe nicht vollkommen wahr- heitsgetreu wiedergeben. Dess ungeachtet dürfte aus ihnen zu lesen sein, dass das vom Blut beherbergte N-Gas nahezu vollständig in den Luftraum übergegangen ist. N A a GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 529 Normal | Pepton Raum | N.Gas im N-Gas N-Gas im N-Gas Blut abgedunstet | Blut | abgedunstet ccm Raum Der ng: TE 500 2-53 | 2-57 3-29 3-26 100 2-83 | 1-60 2-66 2-87 100 DEBSn LE arg 2-40 2-82 140 1-64 | 2-40 2-57 2-24 Jedenfalls ist die Uebereinstimmung der auf verschiedenen Wegen erhaltenen Zahlen in der Mehrzahl der Beobachtungen auffallend. IV. Einfluss des Peptons auf die Kohlensäure des Blutserums. Ausser der Spannung, unter der die CO, im Serum des Normal- und des Peptonblutes stand, sollte auch noch ermittelt werden, welcher Antheil des gesammten CO,-Gehaltes locker und welcher festgebunden war. Unter locker gebundener — der sog. freien — CO, versteht man den Antheil, welcher bei mässig andauernder Einwirkung des Vacuums ohne Zuthun einer fixen Säure gewonnen werden kann. Die unter solchen Umständen gewonnene wurde gesondert aufgefangen, gleiches geschah mit dem noch im Serum vorhandenen CO,-Rest, der durch eine schwache Oxalsäure ausgetrieben wurde Um die erhaltenen Werthe der freien CO, vergleichbar zu machen. diess ich beim normalen und peptonisirten Serum das Vacuum gleich lange Zeit wirken und trug auch Sorge, dass die Temperatur eine gleiche blieb. Nachstehend theile ich die aus diesen Bestimmungen erhaltenen Resultate mit und bemerke noch, dass ich bei jedem Experiment auf alles Rücksicht nahm was die Resultate irgendwie beeinflussen konnte. I. Experiment: Hund von 27 Kilo Gewicht. Ich fange während der Asphyxie 400 ° m Blut aus dem rechten Herzen auf, stelle die Athmung wieder her und injieire 80 ° = Peptonlösung in die Juguiarvene; sodann rufe ich wieder die Aspbyxie hervor und fange weitere 400 °= Blut auf. Ich sondere das Serum ab, indem ich das Blut centrifugiren lasse. Die Spannung konnte ich nicht bestimmen, weil das dazu bestimmte peptonisirte Serum gerann, als es aus dem Eisschrank genommen wurde. Das Serum hatte folgenden? CO,-Gehalt. Normal Peptonisirt Freie CO, 15.06°/, 13.249, Gebundene CO, 28.80, 23.20], Il. Experiment: Hund von 27 Kilo Gewicht. Ich fange das Blut in der gleichen Menge und unter denselben Bedingungen wie beim vorher- gehenden Experiment auf. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 34 530 V. GRANDIS: Das normale Serum enthält 17.15°/, freie und 23-22°/, gebundene 0Q,. 46° m Serum haben bei 21°C. folgende Spannung: Raum in m Spannung in == Hg. 25 46-5 115 19 Das peptonisirte Serum enthält 20-75°/, freie CO, und 8-8°/, gebun- dene CO,. | 46m Serum haben bei 21°C. folgende Spannung: Raum in m Spannung in wm Hg. 25 46-5 115 20 Ill. Experiment: Hund von 27 Kilo Gewicht. Das Blut wurde in derselben Menge und unter den gleichen Bedingungen wie bei den vorher- gehenden Experimenten aufgefangen, doch evacuirte ich es, indem ich die beiden Proben des normalen und des peptonisirten Blutes gleich lange Zeit und bei gleicher Temperatur der Wirkung des Vacuum aussetzte. Das normale Blut enthält 12°/, freie und 37.24°/, gebundene O(),. 46 ccm davon haben bei einer Temperatur von 21°C. folgende Spannung, Raum in m Spannung in == Hg. 25 40 115 19 Das peptonisirte Blut enthält 15-37°/, freie und 18-09 gebundene CO,. 46 «m davon haben bei 21°C. folgende Spannung: Raum in m Spannung in == Hg. 25 45 115 21 IV. Experiment: Hund von 35-1 Kilo Gewicht. Das Blut wird unter denselben Bedingungen wie bei den vorhergehenden Experimenten aufgefangen. Das peptonisirte Blut gab keine genügende Menge Serum zur Bestimmung der Spannung. Das Serum wurde unter den beim I. Experiment angegebenen Vorsichts- massregeln evacuirt und gab folgende Resultate: Normal Peptonisirt Freie CO, 19.82%/, 19-91°/, Gebundene CO, 25-.83°/, 11-.91°/, (RUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGE IM PEPTONBLUTE. 531 V. Experiment. Hund von 33 Kilo Gewicht. Das Blut fange ich unter denselben Bedingungen, wie bei den vorhergehenden Experimenten in Röhren auf; in denen 190 m Hg. und 19° einer 2°/,-igen Ammoniak- oxalat-Lösung, zur Verhinderung der Gerinnung, enthalten sind. Das Se- rum evacuire ich unter den vorher angegebenen Vorsichtsmassregeln und bestimme die Spannung. Das normale Serum enthält 21-2°/, freie 14-93°/, gebundene CO,. 46° davon haben bei 21° C. folgende Spannung: Raum in °® Spannung in wm Hg. 25 66-2 115 28 - Das peptonisirte Serum enthält 23-64°/, freie und 9.11°/, gebundene Co,. — 46 «= davon haben bei 21° C. folgende Spannung: Raum in m Spannung in == Hg. 25 75-1 115 33.0 Ueber die Beziehungen, welche zwischen der hier besprochenen Wir- kungsweise des Peptons im Blute die Co, zu spannen und der die Gerin- nung zu hemmen,! müssen uns fortgesetzte Untersuchungen aufklären. ! Schmidt-Mülheim, dies Archiv. 1880. 8. 33. — Unabhängig von Schmidt hat T. Albertoni die gerinnungswidrige Eigenschaft des Peptons aufgefunden. 8. Centralblatt f. d. med. W. 1830. 8. 577. 34* 532 Dr. V. GRANDIS: GRUND DER GERINGEN KOHLENSÄUREMENGET.S.W. Erklärung der Abbildungen. | (Taf. XIV.) Fig. 1. Der Lungenkatheter. Durch das Röhrchen a. b. dessen freies Ende in den Bronchus ragen soll, kann von der entgegengesetzten Seite 5 aus Luft in die Lunge geblasen werden, die aus den Behältern d. e. zugeführt wird. X ist ein dünn- wandiger Kautschukschlauch, der, wenn er durch Wasser ausgedehnt ist, den Bronchus luftdieht abschliesst; er ist an dem Rohre A festgebunden, das von der Spritze S aus das Wasser nach ® führen kann. Von den Gefässen d. e. aus kann Luft eingetrieben und ausgesogen werden. Fig. 2. Apparat zur Bestimmung der Spannung. Die Glocke G@ sitzt luft- dicht auf der eisernen Platte ««, wenn die Bestimmung der Spannung im Gang ist, enthält sie einen Luftraum, Flüssigkeit und Quecksilber. In ihrem Hohlraum münden von unten her drei Röhren. 1. Röhrenleitung a. b. d. e. g. bringt und nimmt der Glocke das Quecksilber zur Herstellung der Luftleere. Diese Leitung entlässt einen abschliessbaren Seitenzweig e und durchsetzt ein prismatisches Eisenkästchen f. Durch den Seitenzweig lässt sich, nachdem man die Glocke mit luftfreiem Hg gefüllt und alle anderen Hähne geschlossen sind, dem Binnenraum der Glocke eine beliebige Menge Hg’s entnehmen und damit ein Luftleere von bekanntem Umfang herstellen. In dem Kästchen liegt ein Hebel, deı sich von Aussen her unter Vermeidung des Luftzutritts drehen lässt, so dass er wegen seiner Verbindung mit dem Rührer % Luft, Flüssigkeit und Hg zu durch- schütteln erlaubt. 2. Die Röhrenleitung 1. 2. 3. 5. 6. 7. 8 besorgt die Messung des Druckes im Luftraum. Die Ablesung geschieht an der eingetheilten Röhre 7.8, die mit ihrem . oberen Ende in den Hals der Glocke, mit ihrem unteren in das Hg der weiteren Röhre 5.6 taucht und beim Uebergang aus dem weiten Rohr in den Raum der Glocke luft- dicht in die Platte vw eingeschraubt ist. — Die ausgezogenen Enden der weiten Röhre 5.6 sind durch luftdichten Kautschuk mit den anstossenden Eisenröhren ver- bunden. Das obere Eisenrohr ist seitlich durchbohrt — 6 — und mit einem Hahn ver- sehen, sodass der Luft der Zutritt erlaubt oder verwehrt ist. — Auch von dem unteren Eisenrohr geht ein seitlicher stets mit Quecksilber gefüllter Fortsatz aus, dessen freie Mündung durch eine lange eiserne Schraubenspindel verschlossen ist. Mit ihrer Hilfe lässt sich das Quecksilber in dem Behälter 6.7 um etwas heben und dadurch das in dem Messrohr enthaltene genau auf den Nullenpunkt einstellen. 3. KR ist ein mit Blut oder Lymphe gefülltes Gefäss, das seinen Inhalt gegen Quecksilber austauscht, wenn der Hahn geöffnet wird. Der Behälter X, welcher auf der oberen Oeffnung der Glocke GG sitzt, wird im Beginn der Versucls mit luftfreiem Quecksilber gefüllt, und es kann dann der Analyse wegen sein Inhalt gegen die Luft der Glocke ausgetauscht werden. EA u Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1890—91. Nachtrag. In der XV. Sitzung am 3. Juli 1891 hielt Hr. LEoProLD AUERBACH aus Breslau (a. G.) den angekündigten Vortrag: Ueber einen sexuellen Gegen- satz in der Chromatophilie der männlichen und weiblichen Ge- schlechtsproducte. Seit etwa zwei Jahrzehnten haben Forschungen, die auf die Zellkerne im Allgemeinen, und solche, die auf die cellulären Zeugungsvorgänge gerichtet waren, sich vielfach gegenseitig angeregt und befruchtet. So erging es auch mir sowohl in meinen früheren wie in neuerlichen Untersuchungen. In einer vor einem Jahre der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgelesten und in ihren Sitzungsberichten gedruckten Abhandlung habe ich nachgewiesen, dass in jedem einzelnen Zellkerne der meisten thierischen Gewebe neben einander zweierlei Substanzen enthalten sind, die sich mikrochemisch verschieden und gleichzeitig auch tinctionell gegensätzlich verhalten und letzteren Gegensatz bei Doppelfärbung in folgender Art kundgeben. Wenn aus einer gewissen Reihe rother und einer anderen bestimmten Reihe blauer Farbstoffe je zwei beliebige, den beiden Reihen entnommene zur Färbung combinirt werden, so gehen gewisse Bestandtheile der Zellkerne immer mit rother, andere immer mit blauer Farbe aus dem Tinctionsverfahren hervor. Ich habe deshalb, und zwar nur in dem umschriebenen Sinne, die eine Substanz erythrophil, die andere kyanophil genannt. Beide Substanzen können in Form von Nucleolis vorkommen, in Folge dessen sehr oft ein Zellkern gleichzeitig Nucleoli beider Farben in sich birgt, beide aber auch in Form äusserst feiner Körnchen sowie auch gelegentlich in Form von Fäden und intranucleären Netzen. So ist es jedoch nur im ausgebildeten Organismus, während in embryonalen Zellkernen beide Substanzen noch derartig vermischt sind, dass bei der Doppeltinction eine violette Mischfarbe der einzelnen Kernbestandtheile resultirt. Die Sonderung tritt bei den Amphibien erst in der Anfangsperiode des Larvenlebens ein, und ich habe namentlich an den Blut- körperchen der Froschlarven den Differenzirungvorgang verfolgen können und in der genannten Abhandlung beschrieben. ! Ausgegeben am 31. Juli 1891. 534 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Nach diesen Ermittelungen drängte sich mir im Hinblick auf die Bedeutung der Zellkerne für die Fortpflanzung der Zellen wie des ganzen Organismus die Frage auf, ob nicht die qualitative Differenz der beiden Kernsubstanzen einen sexuellen Gegensatz bedeute in dem Sinne, dass die eine männlichen, die andere weiblichen Keimstoff darstelle. Dieser Gedanke schloss die Vorstellung eines hermaphroditischen Charakters der meisten Zellkerne in sich. Im Falle seiner Richtigkeit aber war zu erwarten, Jass die Kerne der Fortpflanzungszellen sich anders als die übrigen verhalten würden, insofern an diesen Einseitigkeit sich kundgeben, nämlich in Folge divergenter Entwickelung auf männlicher Seite die eine, auf weiblicher die andere der beiden Substanzen in den Vordergrund treten oder sogar ausschliesslich vorhanden sein und zur Geltung gelangen dürfte. An letzteren Punkt der Vermuthung konnte die weitere Forschung anknüpfen und zunächst prüfen, ob sich an der männlichen und weiblichen Keimsubstanz der bewusste tinctionelle Gegensatz herausstellen werde. Eine Reihe derartiger Untersuchungen nun habe ich zu geeigneten Jahres- zeiten an den in voller - Thätigkeit begriffenen und darin schon weit vorge- schrittenen Keimdrüsen, sowie auch an den reifen Geschlechtsproducten von zehn Species aus fünf Classen der Vertebraten durchgeführt, und die Resultate haben meine Vermuthung in vollem Maasse bestätigt. Um eine völlige Uebereinstimmung iu der Behandlung der zu vergleichenden Objecte zu sichern und jede, sei es auch unbeabsichtigte und gerirgfügige Ab- weichung der Beeinflussung auszuschliessen, verfuhr ich so, dass ich nach semeinschaftlicher Vorbehandlung eines Ovariums und eines Hodens Schnitte beider Organe auf ein und dasselbe Objectglas neben einander aufklebte und dann gemeinschaftlich der Doppelfärbung und allen weiteren Proceduren unter- warf. In der Brunstperiode, eventuell kurz vor der Laichzeit enthält ja das Ovarium neben allen Abstufungen kleiner unreifer Ovula auch reife oder beinahe reife Eier, der Hoden andererseits beinahe reife Spermien (Spermatozoen). Der Vollständigkeit halber wurde aber ausserdem in einzelnen Fällen neben die. Schnitte reifes Sperma aufgestrichen, auf dem Objectträger gehärtet und dann alles gemeinsam den weiteren Vornahmen unterworfen. Diese Methode der Doppelpraeparate verbürgt eine absolut übereinstimmende Beeinflussung der zu vergleichenden Gebilde, und es können deshalb tinctionelle Differenzen, die sich nach Beendigung der Proceduren an den Objecten herausstellen, nur durch die Natur der letzeren bedingt sein. Gleich meine ersten bezüglichen Versuche an Fischen, nämlich am Karpfen und Hecht, lieferden ein höchst frappirendes Ergebniss, indem an den Doppel- praeparaten bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge die Eierstocksschnitte ganz roth, die Hodenschnitte und das Sperma ganz blau aussehen. Erst die mikroskopische Besichtigung weist in den beiderlei Objecten eine geringe Bei- mischung von gewissen Bestandtheilen der anderen Farbe nach. An den ent- sprechenden Organen anderer Thiere, wie gewisser von mir untersuchter Tritonen, Frösche, Eidechsen, Vögel und Säuger tritt makroskopisch ein derartiger Gegensatz nicht hervor, insofern dem blossen Auge alles roth erscheint. Um so über- raschender ist dann das Ergebniss der mikroskopischen Prüfung, welche durch- weg in allem Wesentlichen das Gleiche zeigt wie bei den Fischen, und zugleich nachweist, dass nur das wechselnde Massenverhältniss der versckieden gefärbten Bestandtheile für die makroskopische Erscheinungsweise maassgebend ist. In der Hauptsache aber sind die Ergebnisse folgende; ae Fe Fe u PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — LEOPOLD AUERBACH. 535 Ueberall bestehen die Köpfe der reifen Spermien aus kyanophiler, die Mittelstücke und Schwänze aus erythrophiler Substanz. An unreifen Spermien ist der blau tingirte Kopf noch von einer roth gefärbten, sehr zarten, über dem vorderen Ende etwas dickeren Hülle umkleidet, welche indess vor der völligen Reifung abgestreift wird. An den Eiern hingegen, und zwar in allen Abstufungen ihres Wachsthums und ihrer Reifung, bestehen das Keimbläschen mit seinem sesammten Inhalte und ausserdem alle Dotterkörperchen aus entschieden und erossentheils hochgradig erythrophiler Substanz, und zwar gehen mit besonders intensiv rother, eventuell gelber Färbung die Keimflecke oder Nucleoli, sowie andererseits die Dotterkörperchen aus dem combinirten Tinctionsverfahren und der zugehörigen Auswaschung in Alkohol hervor. Auch das Protoplasma der Eier hält meistens ein, wenn auch blasseres Roth oder gelb fest, befindet sich aber hinsichtlich seiner Chromatophilie nahe einem Indifferenzpunkte, verhält sich einigermaassen amphichromatisch. Es kommt nämlich bei gewissen Farb- stoffeombinationen zuweilen vor, dass dieser Bestandtheil des Eies eine blass- blaue Färbung annimmt, zu welcher das gleichzeitige Roth der anderen Ni- bestandtheile in lebhaftem Gegensatze steht.! Indessen tritt diese immerhin sehr schwache Blaufärbung des Eiprotoplasma’s nur in einer kleinen Minderzahl von Fällen ein. Da nun der Kopf der Spermiums der wesentliche befruchtende Bestandtheil desselben ist, und da von weiblicher Seite das Material des Keimbläschens die ergänzende Rolle bei der Zeugung spielt, so geht aus dem Ermittelten hervor, dass die qualitative Differenz der beiden Zeugungstoffe auch in einem tinctionell segensätzlichen Verhalten ausgesprochen, dass nämlich der männliche Zeugungsstoff kyanophiler, der weibliche erythrophiler Natur ist. Des weiteren aber ergiebt sich unter Hinzuziehung des ven den Dotterkörperchen erwähnten, dass die Mutter ihrem Sprössling im Ei vorherrschend erythrophile Substanz mitgiebt, der Vater ihm weit überwiegend, wenn nicht ausschliesslich, kyanophile Substanz liefert. Ob nun die beiden Zeugungsstoffe mit den zwei in den meisten Zellkernen nachweisbaren Substanzen qualitativ identisch oder doch verwandt sein mögen, ist eine besondere, wie ich meine, interessante Frage, die weiterer Nachforschungen bedürfen wird. Ausserdem aber möchte ich nochmals betonen, dass die von mir gewählten, eine gegensätzliche Chromatophilie betreffenden Bezeichnungen nicht eine absolute Bedeutung haben sollen, weder hinsichtlich aller möglichen Farbstoffe, noch auch in dem Sinne einer gänzlichen Unveränderlichkeit der hervorgehobenen Eigen- schaften. Diese beanspruchen vorläufig nur Geltung einerseits bezüglich der „ruhenden“ Zellkerne, andererseits bezüglich der Keimstoffe vor der Vereinigung der beiden Fortpflanzungszellen. Weiteres namentlich betrefis des chromatischen Verhaltens der beiden Pronuclei im befruchteten Ei werden fortgesetzte Unter- suchungen zu ermitteln haben. ! Durch diese und andere, hier und schon früher von mir mitgetheilten Thatsachen wird die vielfach gebräuchliche Unterscheidung zwischen Protoplasma- und Kernfärbe- mitteln als unhaltbar erwiesen. (Ende des Jahrgangs 1890/91 der Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin.) 536 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Jahrgang 1891—1892. I. Sitzung am 16. October 1891. 1. Hr. E. pu Boıs-Reymonn legt der Gesellschaft ihm von Hrn. Dr. Oswalt Gerloff in Göttingen eingesandte Photogramme des Augengrundes des lebenden Menschen vor. Das längst von verschiedenen Seiten vergeblich an- sestrebte Ziel, die Netzhaut zu photographiren, zeigte sich hier in höchst voll- kommener, wichtige practische Folgen in Aussicht‘ stellender Weise erreicht. Man sieht in der stark erweiterten Pupille die Papille mit einem sehr breiten Scleralring und einer tiefen physiologischen Excavation. Die Aufnahmen sind directe, d. h. die Platten sind nicht nachträglich vergrössert. Sie vertragen aber starke Lupenvergrösserung, wobei die Gefässe in solcher Schärfe erscheinen, dass man sie weithin verfolgen und Arterie und Vene deutlich unterscheiden kann. Die Photogramme sind mit Magnesiumblitz aufgenommen, der Cornea- reflex war durch eine etwas modificirte Czermak’sche Wasserkammer beseitigt. 2. Hr. LILIENFELD (a. G.) macht eine Mittheilung: Ueber die chemische Beschaffenheit und die Abstammung der Plättchen. Die Frage nach der chemischen Constitution des sog. „dritten Formber ek theiles des Blutes“ oder der „Blutplättchen“ wurde bisher trotz vielfacher Untersuchungen durch kein befriedigendes Ergebniss geklärt. Die Anschauungen der Forscher gehen weit auseinander: Ranvier hält die Plättchen für Fibrin- partikeln, welche die Irradiationscentren der Gerinnung darstellen; Hayem spricht sie als entwicklungsfähige Zellen, also sehr complieirt organisirte Elemente an; Bizzozero sieht in ihnen zwei „eiweissartige‘“ Substanzen und Loewit erklärt sie einfach für Globulin und belegt sie mit dem Namen „Globulinplättchen“. Auch ihre Abstammung gehört zu den Streitfragen: die Einen fassen sie als selbstständige, praeformirte Elemente, die Anderen als ' Zerfallsproducte der Leukocoyten auf. Da es ohne Erforschung der chemischen Beschaffenheit der Plättchen schwer fallen würde, sich einen Begriff von ihrer Genesis und physiologischen Aufgabe im menschlichen Organismus zu bilden, so hatten die Versuche, über welche ich mir hier zu referiren erlaube, in erster Linie den Zweck, die chemischen Eigenschaften dieser bisher räthselhaften Elemente zu prüfen. Es verhalf mir zu meinen Resultaten die Verdauungsmethode mit Pepsin- chlorwasserstoffsäure. Ich habe Menschenblut auf zweifache Art der Ver- dauung unterworfen: erstens im hängenden Tropfen im Brütofen und zweitens unter dem Mikroskope Der ersterwähnte Weg liefert Verdauungsrückstände nach beliebigen Verdauungszeiten; der zweite gestattet die Verdauung in ihren allmählich nacheinander folgenden Phasen zu studiren. Auf die Art der richtigen Handhabung beider Methoden kann ich hier nicht näher eingehen — ich ver- weise auf den hierauf bezüglichen Theil meiner ausführlichen Darstellung. Bringt man unter dem Mikroskope einen Blutstropfen mit Pepsinsalzsäure zusammen, wobei es bei Einhaltung einiger Maassregeln immer gelingt, ein von rothen Blutkörperchen ganz freies, mit Plättchen aber geradezu besätes Gesichts- feld zu erhalten und studirt den Verdauungsprocess an einem Plättchen, welches seine typische und runde Form und homogenes Ansehen zeigt, so beobachtet; ı Ausgegeben am 23. October 1891. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0). GERLOFF. — LILIENFELD. 537 man, dass zu allererst die feine Granulirung des Plättehens deutlich hervortritt und dass sich letzteres etwas verkleinert. Nach ganz kurzer Zeit differenzirt sich das Plättchen ganz in derselben Weise, wie bei der Einwirkung von ver- dünnten Salzlösungen, verdünnter Essigsäure, Natronbicarbonat u. s. w. in eine äusserst blasse homogene Kugel und eine körnige Masse. Die körnige Masse liegt bei manchen Plättchen im Centrum der homogenen Kugel, bei anderen an deren Peripherie, dieselbe bedeckend oder auch nur tangirend. Bald beginnt die körnige Masse langsam ihr Volumen zu vergrössern und bekommt ein etwas gequollenes, blasiges Ansehen. Mit der Zeit wird sie fast ganz homogen und stellt einen eircumscripten, sehr stark lichtbrechenden, ein wenig flavescenten Körper dar. Fast zu derselben Zeit, wo die körnige Masse homogen wird, löst sich die blasse, homogene Kugel in der Verdauungsflüssigkeit auf und verschwindet; alsbald liest das Residuum als ein fast ganz homogener, manchmal stellenweise gekörnter, fast immer gerundeter Körper vor uns. Selbst 24 stündige Einwirkung des künstlicheu Magensaftes vermag an demselben nichts zu ändern. Die unverdauten Plättchenresidua sind grösstentheils kreisrund; man bemerkt jedoch auch solche mit ellipsoidischer, ovoider, Halbmond- Kipfel- und Flaschenform. Jedesfalls ist die Rundung ein allen unverdauten Plättchen zu Grunde liegendes Formmerkmal. Die microchemischen Reactionen, welche ich mit den unverdauten Plättchen- resten angestellt habe, gestalten sich ihren Ergebnissen nach folgendermaassen: Absoluter Alkohol, Aether, Benzol, kaltgesättigte Kochsalzlösung und destillirtes Wasser rufen in den Verdauungsrückständen keine merklichen Ver- änderungen hervor. Wirkungslos bleiben auch verdünnte Salzsäure und con- centrirte Essigsäure. Sodalösung aber, selbst wenn sie noch so verdünnt ist, lässt die Plättchenresidua aufquellen und bis zur vollständigen Unkenntlichkeit verblassen. Sofortiger Zusatz von 0-3 Procent Salzsäure stellt die früheren Formverhältnisse wieder her und lässt die Plättchen scharf zu Tage treten. Nach längerer Einwirkung der Sodalösung erweist sich ein Salzsäurezusatz als vergeblich. Dasselbe Verhalten wie Sodalösung zeigt phosphorsaures Natron. Verdünnte Kalilauge löst die Plättchenresidua unter momentaner Quellung auf. Unter der Einwirkung von concentrirter Salzsäure schrumpfen die Plättchen im Verdauungsrückstand und verschwinden allmählich. Concentrirte Salpetersäure zeigt ähnliche Wirkung. 10 Procent Kochsalzlösung verleiht den Plättchen- resten das Aussehen frischer Plättchen. 5 Procent und 1 Procent Kochsalz- lösung bewirken Quellungserscheinungen. Behandelt man einen Verdauungsrückstand mit einer Lösung von Salzsäure, welche auf 4 Vol. reiner concentririer Salzsäure 3 Vol. Wasser enthält, so ver- blassen die Plättchen vollständig. Zusatz von Jod in Jodkalium lässt sie wieder in ihrer früheren Deutlichkeit hervortreten. Für die chemische Beschaffenheit der Plättehen sehr bezeichnend ist die Thatsache, dass die mierochemischen Reactionen der Plättchen mit denen der Zellkerne der Leukocyten vollkommen übereinstimmen. Sowohl vor wie nach ‚der Verdauung mit Pepsinsalzsäure findet man im chemischen Verhalten der Plättehen und der Leukocytenkerne gar keinen Unterschied; die mierochemischen Reactionen der Plättchen involviren jene der Kerne. Unter der Einwirkung von Pepsinchlorwasserstoffsäure treten ungefähr zu der Zeit, als das Cytoplasma zu schwinden beginnt, in den Kernen der Leuko- cyten kleine, stark glänzende Körperchen sehr schön und deutlich zu Tage, 538 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Man bezeichnet diese, bei der grössten Anzahl der Zellkerne im Allgemeinen leicht zu beobachtenden Gebilde, welche vielleicht den optischen Querschnitten der Gerüststränge des Karyomitoms entsprechen, mit Zacharias als „Nuclein- körperchen“. Ganz ähnliche, nur natürlicherweise viel kleinere Küsgelchen, bemerkt man bei der Anwendung des künstlichen Magensaftes auch in den Plättchen. Tritt man an die Plättchen mit den stärksten Systemen heran, so fällt sofort die Aehnlichkeit dieser kleinen, runden, das Licht sehr stark brechenden Kügelchen mit den Nucleinkörperchen der Leukocytenkerne auf. Extrahirt man nun einen Verdauungsrückstand in dem Momente, wo in den Plättchen diese Kügelchen in den Kernen der Leukocyten die Nucleinkörper deutlich hervortreten, mit absolutem Alkohl und untersucht in schwach essig- saurem Methylgrün und Glycerin, so ergiebt sich, dass sich in den Plättchen nur die kleinen, glänzenden Kügelchen und in den Leukocytenkernen nur die Nucleinkörper intensiv tingiren. \ Die mierochemischen Reactionen, welche ich mit frischen Plättchen, also ohne Herbeiziehung der Verdauungsmethode ausgeführt habe, ergaben folgende Resultate: 0-1 Procent Salzsäure bewirkt Quellung der homogenen Substanz, während die in ihrem Inneren liegenden Kügelchen deutlich hervortreten. Bei Be- handlung eines frischen Blutstropfens mit concentrirter Salzsäure verblassen die Plättchen und verschwinden nach längerer Einwirkung dieses Reagens. Setzt man nachträglich eine Lösung von Jod in Jodkalium hinzu, so kommen sie in ihrer früheren Gestalt zum Vorschein und färben sich gelb. Ammoniak und verdünnte Kalilauge löst die frischen Plättchen momentan auf, während sie 40 Procent Kalilauge, wie Laker fand, ziemlich gut conservirt. 10 Procent Kochsalzlösung erzeugt schwache Quellungserscheinungen; die Plättchen werden fast homogen. Concentrirte Essigsäure ruft bei den mit Kochsalz behandelten Plättchen das Erscheinen der körnigen Masse hervor, welche aber bald darauf schrumpft. Ganz verdünnte Essigsäure löst die Plättchen unter den erwähnten Differenzirungserscheinungen allmählich auf. Sodalösung lässt ıdie Plättchen ganz blass werden. In Anlehnung an diese Reactionen und das gleichartige chemische Ver- halten der Leukocytenkerne und der Plättchen ziehe ich den Schluss: Die körnige Masse der Plättchen besteht aus Nuclein. Die homogene Masse der Plättchen besteht vorwiegend aus Eiweiss. Es drängt sich nunmehr die Frage auf: welcher Modus der Vereinigung dieser beiden Substanzen liest uns in den Plättchen vor? Haben wir es hier mit einer chemischen Verbindung, einem Gemenge, oder einer einfachen Ein- lagerung des körnigen Nucleinantheils in den homogenen HBiweissantheil zu thun? Ein Rückhalt in der Thatsache findend, dass die frischen Plättchen in verdünnter Essigsäure in toto löslich sind, während sich Nuclein in diesem Lösungsmittel nicht auflöst, vermuthe ich, dass das Nuclein ind Verbindung mit Eiweiss, also als Nucleoalbumin in den Plättchen enthalten sei. Ob diese Verbindung des Nucleins mit den bisher bekannten Nucleoalbuminen in seinen Löslichkeitsverhältnissen übereinstimmt muss zweifelhaft erscheinen. Durch Pepsinchlorwasserstoffsäure wird der Eiweissantheil vor dem Plättchen abgespaltet und geht in die Pepsinlösung über. Das zurückgebliebene Residuum besteht zweifellos aus Nuclein PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAET. — LILIENFELD. 539 und erscheint in allen für diesen Körper charakteristischen Eigen- schaften. Wenn also frühere Autoren im ausgeschlagenen Fibrin auch Nuclein fanden, so bezieht sich dasselbe nicht nur, wie man annahm, auf die Kerne der Leukocyten, sondern auch zum grossen Theil auf die vom Faserstoff ein- geschlossenen Plättchen. In Angesicht des Umstandes, dass die bisherige Plättchennomenclatur zu mannigfachen Verwirrungen Anlass giebt, erlaube ich mir den Namen „Nucleinplättchen“ für diese Gebilde vorzuschlagen. Es erübrigt noch einen Versuch anzuführen, welcher auf die chemische Constitution der Plättchen ein Licht wirft. Ich fange einen Blutstropfen mit einem ÖObjectträger auf, decke darüber ein Deckgläschen, umgebe das Praeparat mit einem Wachsringe und lasse das Blut gerinnen. Nach einigen Stunden kratze ich den Wachsring ab, entferne das Deckglas, wasche mit dem Wasser- strahl einer Pipette die rothen Blutkörperchen gründlich aus und färbe das Praeparat mit einer Anilinfarbe oder mit Jod. Auf diese Weise bekomme ich das Ranvier’sche Fibrinnetz mit seinen Knotenpunkten, welche aus Nuclein- plättchen bestehen, zu Gesichte. Behandle ich jetzt das Praeparat mit Pepsin- salzsäure, so löst sich das ganze Faserstoffnetz momentan auf, während die Nucleinplättchenhaufen und die einzelnen Nucleinplättchen er- halten bleiben und die beschriebenen Verdauungsphasen durch- machen, um dann aus dem Praeparate nicht mehr zu verschwinden. Fasse ich jetzt die Frage nach der Abstammung der Nucleinplättchen in’s Auge, so muss ich eingestehen, dass sich aus den bisher eitirten Ergebnissen für die Beantwortung derselben nicht viel Capital schlagen lässt. Es fällt that- sächlich schwer, sich dem Gedanken zu verschliessen, dass die Erkennung der Plättchen als Nucleinelemente der Erklärung derselben für selbständige, prae- formirte Elemente im Sinne Hayem’s und Bizzozero’s sehr das Wort rede. Andererseits könnte auch die zweite T'heorie in diesen Befunden ihre Stütze suchen, indem sie dieselben dahin deutet, dass die Nucleinplättchen bei der De- composition der Leukocyten von ihrem Zellkerne stammen. Ich erlaube mir nun, auf einen Versuch aufmerksam zu machen, welcher — wie mich dünkt — für die Lösung dieser Frage nicht ohne Bedeutung ist. Bringt man einen Tropfen kalt filtrirten Pferdeblutplasma’s, in welchem mit den schärfsten Systemen gar keine körperlichen Elemente zu entdecken sind, auf einen Objectträger und lässt nun, unter fortwährender Beobachtung, einen Tropfen von Sperma — ich benutzte Ebersperma — welches mikroskopisch untersucht nur vollkommen ausgebildete Spermatozoön und sonst gar keine anderen Gebilde enthält, zu dem Praeparate hinzufliessen, so tritt folgende Er- scheinung zu Tage: in das vollkommen leere Gesichtsfeld treten die Sperma- tozoen ein und vertheilen sich darin gleichmässig. Anfänglich sieht man nur Spermatozoön. Allein nach ganz kurzer Zeit erscheinen im Gesichtsfelde kleine, runde Gebilde, welche mit den Nucleinplättchen in ihrer Form und Grösse voll- ständig übereinstimmen. Man sieht ihrer zuerst zwei oder drei, dann aber ver- mehren sie sich allmählich und in etwa zwei Minuten hat sich ihrer eine grosse Menge gebildet. Ich konnte 35—40 in einem Gesichtsfelde zählen. Bald zeigen sie Granulirung und die für die Nucleinplättchen charakteristische sternförmige Defiguration und bilden kleine Haufen. Unter der Einwirkung der entsprechenden Reagentien zeigen sie die typische Differenzirung der Nucleinplättchen in eine 540 VERHANDLUNGEN DER BERLINER körnige und homogene Masse. Lässt man das Praeparat gerinnen, so bilden sie die Knotenpunkte des Faserstoffnetzes. Mit Pepsinsalzsäure behandelt zeigen sie dieselben Erscheinungen wie die Nucleinplättchen. Kurzum, es sind Ge- bilde, welche mit den Nucleinplättchen chemisch und morphologisch vollkommen übereinstimmen — ja, mit ihnen identisch sind. Man ist demnach gezwungen, anzunehmen, dass sich diese Elemente in dem Blutplasma von den Spermatozoön abgespaltet haben. Wenn man nun dieser Erscheinung Rechnung trägt, so muss man die wohlbegründete Vermuthung hegen, dass die Nucleinplättchen keine selb - ständigen Elemente, sondern Derivate des Zellkerns der Leuko- cyten sind. { Die mitgetheilten Untersuchungen habe ich in der chemischen Abtheilung des physiologischen Instituts ausgeführt. Ich ergreife die Gelegenheit, um dem Hrn. Prof. Kossel für die mir vielfach zu Theil gewordene Leitung meinen aufrichtigen Dank zu sagen. II. Sitzung am 30. October 1891." Die Gesellschaft beschloss, Hrn. v. HELMHOLTZ zu seinem siebzigsten Ge- burtstage folgende von Hrn. H. Munk verfasste Ansprache zu überreichen: Hochgeehrter Herr! Physiologische Studien waren der Keim, aus welchem der hohe und weithin ragende Baum Ihrer wissenschaftlichen Schöpfungen er- wuchs, und reich betheiligt an den Früchten ist die Physiologie. So lassen Pflicht wie stolze Freude auch uns glückwünschend heute nahen. War auch für den umfassenden Geist, der von der Ganglienzelle bis zu Wind und Wellen die Natur durchforschte, der dort in das Faulen und Gähren, hier in das Zählen und Messen die scharfe Analyse trug, unser Arbeitsgebiet viel zu eng: wir sehen uns, wo wir lernen und lehren, auf dem Boden, den der seltene Forscher geschaffen; wir finden im Laboratorium wie am Studirtisch von dein grossen Experimentator und mächtigen Denker aller Orten die Wege ge- ‘ bahnt, ja die Strassen ausgebaut. Umzählbar sind die thatsächlichen Bereiche- rungen, welche unsere Wissenschaft durch Sie erfuhr, die Versuchsmethoden, mit welchen Sie uns beschenkten, die klargestellten Probleme, bis zu den obersten unseres Gebietes hinauf, welche wir Ihnen verdanken. Doch noch darüber hinaus geht der Segen, der für uns aus Ihrem Wirken floss. Bei der genauesten Er- mittelung des Einzelnen das Ganze nicht aus dem Auge zu verlieren, bei der Erwägung des Allgemeinen immer wieder Kraft und Sicherheit am Besonderen zu erproben, — eindringlich prägt uns für das eigene Thun Ihr Vorbild diese Lehre ein. Und bleiben wird sie auch denen, die nach uns kommen: haben Sie doch —- und zwar so jung, dass solche Frühreife die erstaunten Altersge- nossen einst zuerst die kaum fassbare Höhe Ihrer Begabung ahnen liess — mit dem Gesetze der Erhaltung der Kraft den sicher leitenden Faden für die Erforschung des Lebens gegeben. Solchen wissenschaftlichen Grossthaten gegenüber unserer Bewunderung, unserer Verehrung, unserer Dankbarkeit einen entsprechenden äusseren Ausdruck ' Ausgegeben am 20. November 1891. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. Munk. — Gap. 541 zu geben, sind wir nicht im Stande Nur eine bescheidene Gabe bringen wir dar. Es war bisher unser besonderer Stolz, in Ihnen unser Mitglied zu sehen: wir bitten Sie, fortan unser Ehren-Praesident sein zu wollen, zu welchem wir sie einmüthig ernannt haben. Herzlichst wünschen wir, dass unser ruhmgekrönter Meister noch durch viele Jahre glücklich unter uns leben und mit ungeschwächter Kraft weiter segensreich wirken möge. Berlin, den 2. November 1891. Die Physiologische Gesellschaft zu Berlin. Seiner Excellenz dem Wirklichen Geheimen Rath Herrn Dr. v. Helmholtz. 2. Hr. Gap hielt den angekündigten Vortrag: Ueber Beziehungen des Grosshirns zum Fressact beim Kaninchen. Durch elektrische Reizung bestimmter Stellen der Hirmoberfläche kann man beim Kaninchen typische, zum Acte der Nahrungsaufnahme in deutlicher Be- ziehung stehende coordinirte Bewegungen auslösen. Einseitige Tetanisirung mässiger Stärke in der Gegend der Kreuzungsstelle von Coronarnaht und Fissura longitudinalis ruft ein vorwärts und nach der anderen Seite gerichtetes Vor- stossen des Kopfes hervor mit einer Bewegung von Kiefer, Lippe und Zunge, als ob das Thier nach einem dort befindlichen Kohlblatt schnappen wollte. Von der orbitalen Fläche des Stirnhirns erhält man paroxysmale Anfälle von Kau- bewegungen, von dazwischen liegenden Stellen verschieden coordinirte Bewegungen von Lippen, Zunge und Kiefern. Eine typische, durch Hirnexstirpationen zu erzielende, den Fressact betreffende Ausfallserscheinung hatte Vortragender schon in seinem Artikel „Reflexe“ (Eulenburg’s Realencyklopädie) beschrieben. Ein Kaninchen, dem der Hirnmantel ganz oder grossentheils weggenommen ist, kann vom zweiten Tage nach der Operation an folgendes Verhalten zeigen. Schiebt man ihm ein Stück Kohlblattstiel zwischen die Lippen, so ergreift es dasselbe mit den Lippen, schiebt es zwischen die Zähne und kaut darauf herum. Nach einiger Zeit hört dieses Kauen auf, und das ziemlich zerkleinerte Stück bleibt entweder im Maule liegen oder fällt heraus. Durch Reizung am hinteren Gaumen kann man bei solchem Thiere regelmässige Schluckbewegungen auslösen. Vor- tragender hatte daraus geschlossen, dass das Zerkleinern und Verschlucken der Nahrung bei dem Kaninchen rein reflectorische Acte seien, welche durch den Hirnstamm vermittelt würden, dass aber zu dem Formen und Zurückschieben des Bissens die Mitwirkung des Hirnmantels erforderlich sei. Hr. Schtscher- back hat nun in dem Laboratorium des Vortragenden und in Gemeinschaft mit ihm den Theil der Hirnrinde festgestellt, welcher hieran betheiligt ist und die Art, auf welche es geschieht. Ein normales Kaninchen, dem man ein in Wasser getränktes Röllchen Fliesspapier zwischen die Lippen oder Zähne schiebt, kaut darauf herum, lässt es im Maul liegen oder aus demselben herausfallen, wie es ein des Hirnmantels beraubtes Thier mit einem Stück Kohlblattstiel thut. Ist das Papier statt mit Wasser mit concentrirter Chininlösung getränkt, so fängt das normale Kaninchen an, darauf zu kauen, stösst es aber dann schnell aus unter Zeichen von Missbehagen, und es sucht jeden Rest des Chinins durch Lecken und Wischen zu entfernen. Stark riechenden Substanzen gegenüber, wenn sie nicht schmecken oder ätzen, verhält sich das normale Kaninchen ganz indifferent. Hat man den einen Trigeminus intracraniell durchschnitten, so ver- 542 VERHANDLUNGEN DER BERLINER hält sich das Thier gegen ein mit Chininlösung getränktes Papierröllchen, welches auf den vorderen Theil der gleichseitigen Zungenhälfte gebracht wird, wie ein normales Kaninchen gegen ein in Wasser getränktes Papierröllchen. Den gleichen Effect des Geschmackausfalles, aber für die ganze Zunge, erreicht man, wenn man beiderseits ein Feld der Hirnrinde bis zu 1'/, mm Tiefe abträgt, welches von der Coronarnaht bedeckt ist, sich nach vorn etwa 2, nach hinten 3 mm von derselben ausdehnt und seitlich bis zur Umbiegung der Rindenfläche in die Orbitalregion reicht. Nach dieser Exstirpation zeigen die Thiere den oben ge- schilderten typischen Ausfall des mittleren Theiles des Fressactes ebenso wie Thiere, denen der ganze Hirnmantel entfernt ist. Elektrische Reizungen im Bereich dieser Gegend lösen keine Bewegungen, auch keine Fressbewegungen aus, und der nach vorn gelegene, elektrisch reizbare Theil der Hirnrinde kann allein weggenommen werden, ohne dass es zu Störungen im Fressacte oder zu anderen Zeichen der gestörten Geschmackswahrnehmung kommt. Ist die be- schriebene Stelle einseitig entfernt, so tritt der Geschmacksausfall auf der ge- kreuzten Seite der Zunge auf. In zwei Fällen war nur der vordere Theil dieser Stelle beiderseits entfernt worden, und diese Thiere verhielten sich dem Chinin und dem Kohlblattstiel gegenüber nur mit dem vorderen Theile der Zunge so, als wenn sie des Geschmackes beraubt wären; Chininpapier, das auf den hinteren Theil der Zunge gebracht war, wurde sehr geschickt und schnell entfernt, Kohl- blattstiel auf gewöhnliche Weise verzehrt. Hieraus, sowie aus der Trennung der Stellen an der Hirmrinde, von denen Reiz- und von denen Ausfallserschei- nungen zu erzielen sind, geht hervor, dass letztere nicht auf Parese oder cor- ticaler Ataxie, sondern auf dem Fortfall des Schmeckvermögens beruhen, und dass also die beschriebene Stelle der Hirnrinde beim Kaninchen der Schmeck- function dient. Ein Kaninchen, welches beiderseits dieser Rindenpartie beraubt ist und deshalb gar keinen Geschmack mehr hat, zeigt aus diesem Grunde den typischen Ausfall des mittleren Theiles des Fressactes. III. Sitzung am 13. November 1891." 1. Hr. Hermann Munk hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber den N. laryngeus superior des Pferdes“. Ich komme auf einen Gegenstand wieder zurück, den ich schon vor einem Jahre hier behandelte,’ um ihn auf Grund neuer Erfahrungen nochmals zu besprechen. Es handelt sich um die Abweichungen, welche das Pferd gegen- über den anderen Säugethieren in den Beziehungen der Mukeln des. Kehlkopfes zu seinen Nerven darbieten soll. Beim Pferde soll der N. laryngeus superior keinen einzigen Kehlkopfmuskel motorisch innerviren, und doch soll seine Durch- schneidung die sofortige Lähmung der sgleichseitigen Kehlkopfhälfte, seine Resection die Atrophie und Degeneration der gleichseitigen Kehlkopfmuskeln nach sich ziehen. Das hat zu Folgerungen und Vorstellungen von wesentlicher Bedeutung für die Nervenphysiologie geführt, so dass ich wünschen musste, selber in den Sachverhalt Einsicht zu gewinnen. Ich habe deshalb die erforder- lichen Untersuchungen angeregt und will übersichtlich vorführen, was dieselben ergeben haben. \ Ausgegeben am 20. November 1891. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. Munk. 543 Der M. cricothyreoideus des Pferdes soll, wie es bei Möller? heisst, „nach den Angaben der Veterinär-Anatomen, namentlich Günther und Franck, vom ersten Halsnerven mit motorischen Nerven versehen werden“ Indess findet sich eine solche Uebereinstimmung, wie man sie danach erwarten könnte, bei den Veterinär-Anatomen nicht. Allerdings sagt Günther,? dass der Cricothyreoideus „vom ersten Halsnerven mit Nerven versorgt wird“, und Franck,* dass „seine Nerven nicht vom zehnten Kopfnerven, sondern vom ersten Halsnerven stammen“ Aber im Gegensatze dazu lässt Hr. Chauveau® motorische Vagusfasern zum Muskel gelangen. Wir lesen in Hrn. Chauveau’s Beschreibung des Laryngeus superior: „Avant de penetrer dans le larynx, et meme tres-pres de son origine, il fournit un filet moteur aux museles crico- pharyngien et crico-thyroidien, filet qui peut provenir, soit du pneumogastrique directement, soit plus souvent du rameau pharyngien, c’est le nerf laryng6 externe des anthropotomistes.“ Und diese, offenbar auf vieler und genauer Praeparation beruhende Schilderung von Hrn. Chauveau muss um so mehr in’s Gewicht fallen, als Günther und Franck ihren vorhin angeführten Aus- sagen gar nichts über den Verlauf der bezüglichen Halsnervenfasern hinzufügen, ja sogar Franck nicht einmal des Cricothyreoideus Erwähnung thut, wo er die Endausbreitung des ersten Halsnerven beschreibt.® In der That hat nun auch Hr. Breisacher aus Detroit, U. S. A., bei den oft wiederholten Praeparationen, welche er hier ausführte, den Chauveau’schen Nervenfaden zum Cricotbyreoideus stets wiedergefunden. Der sehr dünne Nerv entsprang aus dem zarten Nervengeflechte, welches da, wo der Laryngeus superior vom Vagusstamme abgeht, zwischen diesen beiden Nerven sich befindet, und verlief in recht beträchtlicher Länge zum Cricothyreoideus, in welchem er sein Ende fand. Auch hat dann der Anatom unserer thierärztlichen Hochschule, Hr. Geheimrath C. Müller, dessen Interesse für die Frage ich zu gewinnen vermochte, durch eigene Praeparationen regelmässig den Chauveau’schen Nervenfaden constatirt, der meist aus dem eben erwähnten Nervengeflechte, sonst etwas weiter peripherisch aus dem Laryngeus superior hervorging und zum Cricothyreoideus oder zu diesem und dem Cricopharyngeus verlief. Hr. Müller hat nur manchmal (in einem Theile der Fälle, in welchen er darnach suchte) noch den feinen vom ersten Halsnerven stammenden Nervenfaden, der zum Hyoihyreoideus zieht, auf seinem Wege einen äusserst feinen Ast zum Crico- thyreoideus abgeben sehen. Doch ändert das letztere nichts an dem,“ worauf es hier ankommt. Es steht jetzt fest, dass beim Pferde, ebenso wie bei den anderen Säugethieren, Vagusfasern zum Cricothyreoideus ziehen. Neben solcher grundsätzlichen Uebereinstimmung findet sich nur beim Pferde die unwesent- liche Abweichung, dass hier jene Vagusfasern meist nicht so deutlich, wie sonst, als Ramus externus des Laryngeus superior sich darstellen, indem sie oft schon sehr früh, sogar schon dicht hinter dem Abgange des Laryngeus superior vom Vagusstamme, einen selbstständigen Nervenfaden bilden. Und bloss weil 1 Diese Verhandlungen, 1890—91, Nr. 3—4 (Dies Archiv, 1891. 8. 175). ” Das Kehlkopfpfeifen der Pferde. Stuttgart 1888. 8. 13. ® Topographische Myologie des Pferdes. Hannover 1866. S. 92. * Handbuch der Anatomie der Hausthiere. Stuttgart 1871. 8. 607. ° Traite d’anatomie comparee des animaux domestiques. 2me edit. (avec collabo- ration de S. Arloing). Paris 1871. 8. 777. STA.a. 0. S. 94. 544 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die erstgenannten Veterinär-Anatomen diesen Nervenfaden übersahen, wird bei uns als Laryngeus superior des Pferdes derjenige Nervenstamm bezeichnet, der in Wahrheit als Ramus internus des Laryngeus superior bei diesem Thiere zu gelten hätte. Dass Hr. Möller und Hr. Sigm. Exner! bei ihrer Reizung des Laryngeus superior des Pferdes keinen Muskel des Kehlkopfes sich contraliren sahen, ist darnach ganz natürlich; sie hatten eben gar nicht die Nervenfasern auf den Elektroden, die zum Cricothyreoideus gehen und diesen motorisch innerviren. Freilich ist für die letztere Innervation der unmittelbare Nachweis nicht er- bracht: Hr. Breisacher hat von Reizversuchen absehen müssen, weil der zarte Nervenfaden — wegen seiner schiefen Lage und noch dazu unter dem umfang- reichen Luftsacke, welcher an der dorsalen Seite des Pharynx beim Pferde sich befindet — schon an der Leiche sehr schwer zu praepariren war und deshalb seine unversehrte Freilegung am lebenden Thiere unmöglich erschien. Aber die aufgedeckte anatomische Uebereinstimmung zwischem dem Pferde und den anderen Säugethieren verlangt die Annahme auch der physiologischen Uebereinstimmung, so lange nicht das Gegentheil bewiesen ist. Und ein solcher Beweis lässt sich nicht in den Versuchen an Pferden erkennen, welche Hr. Möller (a. a. O.) folgendermassen beschreibt: „Es wurde in der Narkose der erste Halsnerv in der Flügelgrube des Atlas und ebenso der kingschildmuskel freigelegt. Letzterer reagirte ganz prompt auf jede elektrische Reizung des Halsnerven. Führte man durch das getrennte Ringschildband den Finger in den Kehlkopf ein, so konnte man bei jedesmaliger Reizung sowohl die Muskelcontraction wie auch die Annäherung des Reifes des Ringknorpels an den Schildknorpel deutlich fühlen.“ Denn weder erfährt man hier, dass bei der Reizung in der tiefen Nackenwunde die Gefahr der Stromschleifen zum Kehlkopfe und zu den Nerven desselben vermieden wurde, noch dass einzig und allen der gleichseitige Cricothyreoideus und nicht andere Kehikopfmuskeln sich contrahirten. Ueber- dies würde, selbst wenn eine motorische Abhängigkeit des Cricothyreoideus vom ersten Halsnerven erwiesen wäre, nur ein neuer Fall vorzuliegen brauchen von mehrseitiger Innervation, wie sie für andere Muskeln schon bekannt ist. Nehmen wir jetzt, um weiter zu sehen, den Laryngeus superior des Pferdes in der bei uns üblichen Bezeichnungsweise, so hat also der Nerv mit der motorischen Innervation der Kehlkopfmuskeln nichts zu schaffen, und doch soll seine Durchschneidung die sofortige und andauernde Lähmung der gleich- seitigen Kehlkopfhälfte zur Folge haben. So hat es Hr. Exner nach drei Versuchen angegeben, welche unter Benutzung des Kehlkopfspiegels angestellt waren. Aber hier haben in diesem Sommer die HH. Breisacher und Gütz- laff,? indem sie ebenfalls den Kehlkopfspiegel benutzten, andere Erfahrungen gemacht. An drei Pferden wurde ein Laryngeus superior resecirt, und in keinem Falle trat in der Stellung oder Bewegung des gleichseitigen Stimm- bandes eine Veränderung ein. Das eine dieser Pferde zeigte immer respira- torische Bewegungen der Stimmbänder und der Aryknorpel, das andere, wenn es aufgeregt war; an dem dritten Pferde kamen solche Bewegungen nicht zur Beobachtung. Und die respiratorischen Bewegungen stellten sich, ebenso wie ı Centralblatt für Physiologie, 22. Juni 1889. ' Oentralblatt für Physiologie, 15. August 1891. | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. Munk. 545 die Verschlussbewegungen des Kehlkopfes auf Kneipen oder Anblasen des Pferdes, nach der Resection des Nerven nicht anders als ver derselben dar. Aber auch die andere Angabe von Hrn. Möller und Hrn. Exner, dass der Resection des Laryngeus superior des Pferdes Atrophie und Degeneration der gleichseitigen Kehlkopfmuskeln folge, hat sich nicht bestätigen lassen. Die Befunde waren von Hrn. Möller an einem Pferde 6 Wochen, an einem zweiten Pferde 41/, Monate nach der Durchschneidung eines Laryngeus superior und von Hrn. Exner an einem Pferde 1!/, Monate nach der Resection des linken Laryngeus superior erhoben worden. Dagegen haben sich in drei Versuchen von Hrn. Breisacher! nach der Resection eines Laryngeus superior die gleich- seitigen Kehlkopfmuskeln durchaus unverändert ergeben; weder makroskopisch noch mikroskopisch liess sich irgendwelche Abnormität an ihnen entdecken. Bei den zwei Versuchen vom Jahre 1889 ist das eine Pferd 3'!/, Monate nach der rechtsseitigen, das andere Pferd 3°/, Monate nach der linksseitigen Resection getödtet worden. Bei dem dritten Versuche, welchen Hr. Brei- sacher in diesem Jahre gemeinsam mit Hrn. Gützlaff ausführte, hat das Pferd 3!/, Monate die rechtsseitige Operation überlebt. Angesichts solcher thatsächlichen Widersprüche erhebt sich die Frage, wo- her dieselben rühren mögen. Hr. Exner? ist, wie sein Schüler Hr. Pineles, mit der Möglichkeit individueller Verschiedenheiten bei der Hand; sei es, „ja in der Physiologie zur Genüge bekannt, dass Nervenfasern von gewisser Function bisweilen den einen, bisweilen den anderen Weg in den peripheren Nerven ein- schlagen“. Aber dass alle die Nervenfasern, welche sonst bei allen Säuge- thieren im Recurrens verlaufen, gerade bei den Versuchspferden von Hrn. Möller und Hrn. Exner ihren Verlauf im Laryngeus superior nahmen, so dass hier nach der Zerstörung des letzteren Nerven die so schweren Folgen für die Kehl- kopfsmusculatur eintraten, die sonst überall nur die Zerstörung des Recurrens mit sich bringt, das wird man doch nicht glauben wollen. Und überhaupt lässt sich nach meinem Ermessen nicht von ernstem Forschen sprechen, wenn man, wo abweichende Ergebnisse sich einstellen, sofort individuelle Verschiedenheiten zu Hülfe ruft, ohne dass man einen etwaigen Irrthum durch wiederholte Ver- suche sicher ausgeschlossen und andere Möglichkeiten der Erklärung in Er- wägung gezogen hat. Ich habe in meiner vorigen Mittheilung darauf aufmerk- sam gemacht, dass eine Stimmbandlähmung aus Hrn. Exner’s Schilderung der Kehlkopfspiegelbefunde nicht zu entnehmen ist; aber nachdem Hr. Exner dem entgegen die Kehlkopflähmung „auf das Bestimmteste behauptet“ hat, halte ich es nicht für lohnend, über die im Grunde wenig bedeutende Sache noch in weitläufige Erörterungen einzutreten. Dagegen muss ich bei dem bleiben, was ich in meiner vorigen Mittheilung ausführlich dargelegt habe, dass die Möller- Exner’schen Erfahrungen ihre Erklärung durch das Kehlkopfpfeifen finden können, durch diese oft vorkommende Krankheit des Pferdes, welche fast immer auf einer Schädigung des Recurrens und zwar wiederum fast immer des linken Recurrens beruht. Je leichter darüber Hr. Exner in seiner Entgegnung hin- weggegangen ist, desto mehr will ich es betonen, dass nach meiner Ueberzeu- 1 Centralblatt für die medieinischen. Wissenschaften 1889, Nr. 43; — Centralblatt für Physiologie, 15. August 1891. 2 Centralblatt für Physiologie, 28. Februar 1891. 3 Pflüger’s Archiv, Bd. 48, 1890. S. 32. Archiv f. A.u. Ph. 1891. Physiol. Abthlg. 35 546 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gung, soweit nicht etwa andere unglückliche Zufälle, besonders bei den Möller ’- schen Versuchen, obgewaltet haben, das Kehlkopfpfeifen die Lähmungen und Atrophien als Folgen der Schädigung des Laryngeus superior vorgetäuscht hat. Ich darf erwarten, dass Hr. Exner nicht säumen wird, seinerseits durch neue Versuche die nöthige Aufklärung zu verschaffen, nachdem ich seinem an mich gerichteten Appell, selber bezüglich der Kehlkopflähmung nachzusehen, so prompt nachgekommen bin. Doch für das, was uns von Wichtigkeit ist, für das allgemeine wissen- schaftliche Interesse kommt es nicht darauf an, welche Erklärung die Möller- Exner’schen Erfahrungen finden. Hätten Hr. Möller und Hr. Exner einfach mitgetheilt, dass sie nach der Durchschneidung oder Resectien des Laryngeus superior an ihren Versuchspferden das gleichseitige Stimmband gelähmt oder die gleichseitigen Kehlkopfmuskeln atrophisch und degenerirt sefunden haben, so würde dagegen nichts zu sagen gewesen sein. Sie haben jedoch ihre Erfahrungen dahin verallgemeinert, dass Stimmbandlähmung und Kehlkopfmuskel- atrophie die Folgen von Verletzung des Laryngeus superior beim Pferde seien; und sie haben daraus geschlossen, Hr. Möller, dass dieser Nerv tro- phische Fasern für die Kehlkopfmuseulatur enthalte. Hr. Exner, dass Muskel- lähmung erzeugt werde durch die Durchschneidung eines Nerven, dessen elek- trische Reizung keinerlei Muskelcontraction hervorruft, woran Hr. Exner noch weiter Hypothesen geknüpft hat, auf welche zurückzukommen überflüssig ist. Nun kann von jener Verallgemeinerung und den daraus gezogenen Schlüssen nach den Breisacher’schen und den Breisacher-Gützlaff’schen Versuchen nicht mehr die Rede sein. Diese Versuche zeigen, dass, was für Kaninchen, Katze, Hund und auch für den Menschen längst durch hundertfältige Erfahrung feststeht, dass die Schädigung des Recurrens, nicht aber die Schädigung des Laryngeus superior Lähmung und Atrophie der gleichseitigen Kehlkopfmuskeln mit Ausnahme des Cricothyreoideus nach sich zieht, ganz ebenso für des Pferd gilt. Es wäre auch wunderbar gewesen, wenn hier das Pferd aus der Reihe fiele, in welcher es mit den anderen Säugethieren steht. Selbst nicht einmal bezüglich der Innervation des Cricothyreoideus nimmt das Pferd eine Ausnahme- stellung ein; denn wie wir im Eingange sahen, wird der Muskel auch beim Pferde, wie bei den anderen Säugethieren, durch Fasern des Laryngeus superior und jedenfalls des Vagus innervirt. 2. Hr. Dr. M. Krüser a. G. hielt den angekündigten Vortrag: Ueber Adenin. In Folgendem möchte ich Ihnen die Resultate einiger Versuche mittheilen, welche in der chemischen Abtheilung des physiologischen Instituts angestellt sind und sich mit der Frage nach der Constitution des Adenins und Hypöxan- thins beschäftigen. Hrn. Prof. Kossel, welcher mir die Entscheidung dieser Frage in gütiger Weise überlassen hat, verfehle ich nicht, auch an dieser Stelle meinen besten Dank für die Anregung zu dieser Arbeit auszusprechen. Seit den Untersuchungen von E. Fischer sind die Basen der Harnsäure- gruppe nur selten Gegenstand einer rein chemischen Untersuchung gewesen; und in der That musste nach Feststellung ihrer Constitution das Interesse für dieselben wesentlich erschöpft sein. Doch ist, wie bekannt, von E. Fischer nur die Constitution der Xanthinbasen im engeren Sinne, des Xanthins selbst, des Theobromins und des Coffeins und von Hrn. Prof. Kossel die des Theo- phyllins aufgeklärt worden, während von dem Hypoxanthin und dem Adenin Ze u u PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. Munk. — M. KRÜGER. 547 bisher noch kein einziges Spaltungsproduct bekannt ist, welches über deren Zu- sammensetzung Aufschluss geben könnte. Die Erledigung der angeregten Frage würde nicht nur die Lücke, welche in der Kenntniss der Basen der Harnsäure- gruppe vorhanden ist, ausfüllen, sondern sie beansprucht auch vom physiolo- gischen Standpunkte im Hinblick auf die allgemeine Verbreitung dieser Basen, ihren genetischen Zusammenhang mit dem Zellkern und endlich im Hinblick auf die Herkunft der Harnsäure im Thierorganismus ein besonderes Interesse. Auf einen genetischen Zusammenhang der Harnsäure mit den Xanthinbasen wurde man von verschiedenen Seiten hingewiesen; erwähnen will ich nur die bei Leukämie gleichzeitig stattfindende Vermehrung der Harnsäureausscheidung und der Xanthinbasen. Von Kerner, Nencki und Sieber aufgenommene Versuche, diesen Zusammenhang experimentell am Thierkörper zu beweisen, verliefen jedoch resultatlos. Nach Verfütterung von Guanin und Xanthin er- schien im Harn von Hunden und Kaninchen nur die Harnstoffausscheidung ver- mehrt, während die Harnsäureausscheidung unbeeinflusst blieb. Ein erneutes Interesse gewann die Frage nach der Herkunft der Harnsäure, seitdem von Hrn. Prof. Kossel die allgemeine Verbreitung der Xanthinbasen im Thierorganismus gezeigt und ihre Eigenschaft, wesentliche Bestandtheile der Zellkerne und in diesen der Nucleine und der Nucleinsäuren zu sein, erkannt war. Auf seine Veranlassung nahm Hr. Dr. Stadthagen die von Kerner und anderen be- sonnenen Versuche wieder auf. Jedoch auch diese führten zu keinem positiven Resultate. Auch hier war weder nach Verfütterung von Guanin noch von Nuclein, der Muttersubstanz der Xanthinbasen, eine Vermehrung der Harnsäure- ausscheidung zu constatiren; ebensowenig konnte Allantoin, welches in manchen Fällen die Harnsäure vertreten kann, im Harne nachgewiesen werden. In letzter Zeit endlich ist der zwischen Harnsäure und Xanthinbasen ver- muthete Zusammenhang von Horbaczewsky bestätigt worden. Diesem Forscher ist es bekanntlich gelungen, durch Digeriren von bei 50° bereiteten wässerigem Milzpulpaauszug mit frischem arteriellen Blute, mit Wasserstoffsuperoxyd oder mit Luft Harnsäure zu erhalten. In gleicher Weise wurde aus allen Organen vom Menschen und vom Kalbe mit Ausnahme der Sehnen Harnsäure dargestellt. Auch im Organismus selbst, im normalen wie in pathologischen Zuständen, steht die Harnsäureausscheidung in directer Beziehung zur Menge der Leukocyten, d. h. kern- und nucleinhaltiger Zellen. In allen Fällen wurde als Muttersub- stanz der Harnsäure das Nuclein erkannt. Für Xanthin und Guanin ist ja nun die Möglichkeit, Harnsäure bei der Oxydation zu bilden, durch ihre Constitution gegeben. Von Adenin und Hypoxanthin dagegen, welche zwar eine gleiche Anzahl von C-Atomen, wie die oben genannten Basen enthalten, und nach ihren Reactionen schon längst zu den Basen der Harnsäuregruppe gezählt werden, wird man erst dann sagen können, dass sie einen Beitrag zur Bildung der Harnsäure liefern können, wenn ihre Constitution sie den Basen der Harnsäuregruppe anreiht. Die früher von Hrn. Prof. Kossel ausgeführten Versuche, welche nur mit kleinen Mengen von Adenin angestellt waren, hatten den Zweck, das allgemeine Verhalten dieser Base gegen spaltende, reducirende und oxydirende Substanzen kennen zu lernen, um auf diese Weise einen geeigneten Weg zur Feststellung der Constitution des Adenins zu finden. Die Versuche hatten die ausserordentliche Widerstandsfähigkeit des Adenins ergeben: dasselbe kann stundenlang mit Salzsäure, Kalilauge oder Barytwasser erwärmt werden, ohne 35* 548 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zersetzt zu werden. Durch schmelzendes Kali wird es allerdings unter Bildung von Cyankalium gespalten. Kaliumpermanganat ist in verdünnten Lösungen ohne Einfluss, durch stärkere Lösungen wird Adenin vollständig zersetzt. Zink und Schwefelsäure reduciren es in der Wärme leicht; es gelang, aus dem Reactionsproduct einen Körper zu isoliren, der mit Azulminsäure entweder identisch oder derselben sehr nahe verwandt ist. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung waren jedoch die folgenden: 1. Adenin wird durch mehrtägiges Erwärmen auf 135° vollkommen gespalten und 2. Adenin giebt mit Bromwasser und Salpetersäure die Xanthinprobe, wäh- rend Salpetersäure allein dazu nicht ausreicht. Hr. Prof. Kossel veranlasste daher Hrn. Bruhns zunächst, ein bromirtes Adenin darzustellen und auf dieses Oxydationsmittel eingreifen zu lassen. Das Bromadenin kann in derselben Weise wie Bromguanin, durch einfaches Ueber- giessen von Adenin mit Brom, erhalten werden. Es zeigt die vermuthete Eigen- schaft, mit Salpetersäure behandelt die Xanthinprobe zu geben. Da für die Constitutionsbestimmung des Adenins vermuthlich grosse Mengen an Material nöthig sein werden, so stellte ich mir zunächst aus 50 Liter Thee- lauge 280 ®% vollkommen reines Adenin dar. Meine Untersuchungen begann ich mit dem Studium der Einwirkung der Salzsäure auf Adenin. Die schon früher ausgeführten Spaltungen der Harnsäure und des Xanthins durch das- selbe Reagens hatten eine vollkommene Analogie in den Spaltungsproducten ergeben. Man durfte daher erwarten, dass auch Adenin unter Bildung der- selben Producte gespalten würde, falls es zu der Gruppe der Harnsäure ge- hörte. Die Vermuthung bestätigte sich vollkommen: Adenin wird nämlich durch concentrirte Salzsäure unter Aufnahme von 8 Mol. Wasser glatt ge- spalten in 1 Mol. Glykokoll, 4 Mol. Ammoniak, 1 Mol. Kohlensäure und 2 Mol. Ameisensäure. Hypoxanthin, welches dieselbe Atomgruppirung wie das Adenin hat und nur ein B-Atom für eine Imidgruppe des Adenins enthält, muss sich unter den- selben Umständen nach folgender Gleichung zersetzen: C,H,N O(Hypoxanthin) + 7H,0 = (,H,NO, (Glykokoll) + 3NH, +C0, + 2CH,0,. Vergleicht man mit dieser Formel die für Harmsäure und Xanthin an- segebenen Zersetzungsgleichungen, so ergiebt sich ohne weiteres die nahe Beziehung, welche zwischen Hypoxanthin (resp. Adenin) und Harnsäure (Xanthin) besteht. Harnsäure und Xanthin werden nämlich durch Salzsäure in folgender Weise zersetzt: C,H,N,O, (Xanthin) + 6 H,0 = 0,H,NO, + 3NH,; + 2C0, + CH,0,. CH,N,O, (Harnsäure) + 5H,0 = (,H,NO, +3 NH, + 300, + CH,0,. me Xanthin und Hypoxanthin liefern Alcm beim Digeriren mit Salzsäure je 3 Mol. Ammoniak, 1 Mol. Glykokoll; die Zersetzungsproducte unterscheiden sich nur durch das verschiedene Verhältniss von Kohlensäure zu Ameisensäure, welches in dem verschiedenen Sauerstoffgehalte der drei Körper ohne weiteres seine Erklärung findet. Die nächste Aufgabe der weiteren Untersuchung musste es sein, das Vor- handensein eines Alloxankerns und Harnstoffkerns im Adeninmolecül nachzu- weisen. Da Adenin selbst gegen Salpetersäure und andere Spaltungsmittel äusserst beständig ist, so ging ich von dem Bromadenin aus und wählte als Oxydationsmittel zweckmässig das Gemenge von Salzsäure und chlorsaurem Kali, welches E. Fischer beim Coffein mit so grossem Erfolge angewandt hat, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — M. KRÜGER. — 0. BrnvA. 549 Die Oxydation des Bromadenins und die Isolirung der Zersetzungsproducte geschah in der von E. Fischer angegebenen Weise. Es gelang mir, wie ich glaube, mit voller Sicherheit, Harnstoff und Alloxantin unter den Zersetzungs- producten nachzuweisen, und zwar wurden aus 178% Bromadenin 1 3" Allo- xantin und 28% Harnstoff erhalten. Obwohl das für Harnstoff gehaltene Product, mit starker Salpetersäure be- handelt, niemals die für salpetersauren Harnstoff charakteristischen Krystalle zeigte, so hob doch die Analyse seines oxalsauren Salzes, welche sehr gute, mit den berechneten übereinstimmende Werthe ergab, jeden Zweifel an der Identität des Körpers mit Harnstoff auf. Alloxantin wurde durch eine N-Bestimmung und durch seine Reactionen identifieirt. Seine wässerige Lösung reducirte so- fort Silbernitrat, gab mit Barytwasser einen veilchenblauen Niederschlag und färbte sich ebenso, wie die Lösung eines aus Harnsäure dargestellten Alloxan- tinpräparates, mit Eisenvitriol und Ammoniak intensiv indigoblau, eine Reaction, die bisher nur für Amalinsäure als charakteristisch angenommen wurde. Die Frage, ob in dem Adenin ein Harnstoffkern neben einem Alloxankern vorhanden oder ob der erhaltene Harnstoff aus dem Alloxan entstanden ist, was ich jedoch für unwahrscheinlich halte, muss bisher noch offen bleiben. Die Entscheidung derselben ist auf zweierlei Weise möglich, einmal durch quanti- tative Bestimmung der Zersetzungsproducte, wie es Fischer beim Coffein ge- macht hat, andererseits durch Einführung einer Alkylgruppe in das Adenin- molecül. Doch scheint die erstere Methode beim Bromadenin nicht anwendbar zu sein, da die Zersetzung desselben nicht so glatt, wie die des Coffeins, verläuft. Haben diese Versuche auch noch keinen vollständigen Aufschluss über die Constitution des Adenins und Hypoxanthins ergeben, so ergiebt sich so viel mit Sicherheit aus ihnen, dass diese Basen gleich wie Harnsäure und Xanthin einen Alloxankern, d. h. die im Alloxan vorhandene Gruppirung der C- und N-Atome enthalten. V. Sitzung am 11. December 1891.' 1. Hr. C. BenpaA hält den angekündigten Vortrag: Neue Mittheilungen über die Entwickelung der Genitaldrüsen und über die Metamor- phose der Samenzellen (Histiogenese der Spermatozoen). Die Untersuchungen betrafen in erster Linie die Spermatozoen der Säuge- thiere. Als Härtungsmittel wurden Flemming’sche Lösung, Hermann’sche Lösung, 10°/,ige Salpetersäure mit Nachbehandlung von Osmium oder Kali bichromicum, Sublimat, Pikrinosmiumsäure verwandt. Die Färbung wurde in folgender Weise vorgenommen: Celloidin- oder aufgeklebte Paraffinschnitte wurden erst 24 Stunden mit Anilin-Safraninlösung (1 g Safranin, 90 g Anilinwasser, 10 g Alkohol) gefärbt, dann in einer Lösung von 0,5 g Lichtgrün F.-S. oder Säureviolet (beides bezogen von Dr. Grübler, Leipzig) in 200,0 Alkohol etwa eine halbe Minute ausgewaschen, und durch Alkohol. absol., Bergamottöl, Toluol in Canadabalsam gebracht. Die Schnitte zeigen eine sehr scharfe rothe Färbung der Chromatintheile durch Safranin, eine lebhafte grüne oder violette Färbung ! Ausgegeben am 18. December 1891, 550 VERHANDLUNGEN DER BERLINER des Nebenkerns (Archiplasma’s)! und eine diffuse des Zellprotoplasma’s durch die sauren Anilinfarben einzelne Theile (Centrosomen und Spitzenknopf zeigten sich bald grün, bald roth). F. Hermann hatte durch Safranın Gentianafärbungen beim Salamander einen färbbaren, aus einem Ringe und einem Korn bestehenden Nebenkörper entdeckt, der dem nach der betreffenden Methode nicht gefärbten Archiplasma anliegt, und von dem Autor dem Nebenkern zugerechnet wird. Dieser Neben- körper betheiligt sich bei der Geisselbildung, indem das Korn zum Ausgangs- punkt des Axenfadens, der Ring zum Ausgangspunkt des Flossensaums wird. Hermann hatte diesen Nebenkörper auch bei der Maus wiedergefunden, aber seine genaueren Schicksale nicht verfolgen können. h Nach den oben geschilderten Methoden habe ich unter Anwendung eines, mir aus der Gräfin-Bose-Stiftung zuertheilten Zeiss’schen Aprochromaten von 1-5 Brennweite und mit Reproduction meiner Praeparate durch Photographie die Verhältnisse bei Ratte, Maus, Meerschweinchen, Igel und anderen Säuge- thieren verfolgt. Während bei allen „germinativen“ Hodenzellen das grün oder violet färb- bare Archiplasma nachzuweisen ist, in dem bisweilen Centrosomen gefunden werden, tritt im Stadium der Mutterzellen zuerst der mit Safranin roth färbbare (chromatoide) Nebenkörper Hermann’s zur Beobachtung. Da derselbe aber neben Centrosomen vorkommen kann, und durchaus keine constanten Beziehungen zum Archiplasma erkennen lässt, ist seine Herleitung aus diesem Zelltheile un- sicher, und ist vielleicht in Betracht zu ziehen, ob es sich um ein vom Kern isolirtes Chromosom handeln könnte. Bei den Theilungen der Mutterzellen, aus denen die Samenzellen hervorgehen, verschwindet das Archiplasma als gesonderter Zelltheil; der chromateide Körper ist neben der mitotischen Figur einfach oder doppelt und ganz unabhängig von derselben zu erkennen. Bei den neugebil- deten Spermatocyten ist neben dem sofort mit Nucleolus versehenen Kern das grüngefärbte Archiplasma und der chromatoide Nebenkörper sichtbar. Ersteres hat einen sehr merkwürdigen Bau. Beim Meerschweinshen, wo dieser zuerst auffiel, fand sich ein scharf umgränzter, runder, sich intensiv grün färbender Körper, dem sich ein blasser gefärbter, etwas unregelmässiger Haufen derartig anschmiegt, dass er sich gegen den anderen Theil wie eine Lunula ausbuchtet. Bei anderen Thieren, besonders deutlich bei der Ratte, hatte der blasse Körper das gleiche Verhalten, -während der andere Theil eine scharf begrenzte Vacuole darstellt, in deren Centrum eine kleinste intensiv grün oder röthlich gefärbte Kugel erscheint. Bei weiterer Entwickelung der Spermatocyten legt sich das Archiplasma dem Kern dicht an, derart, dass sich die Vacuole resp. der dunkle Körper des Meerschweinchen gegen den Kern abplattet, und sich der blassere Theil von aussen in der charakteristischen Gestalt einer Lunula anschmiegt. Des weiteren trennt sich die Lunula von der Vacuole und rückt an der Kern- peripherie herum. Alle diese Vorgänge fallen noch in das sechste und erste Funetionsstadium meines früher gegebenen Schemas, demjenigen, in dem die Samenzellen frei in der Wandung des Canälchens liegen. Im zweiten Stadium, beim Eintritt der Copulation mit der Fusszelle, stellt sich die Vacuole gegen den Copulationspol ein, der in ihr enthaltene kleine dunkle Körper legt sich Tele, Tao die Hirschberg hat mich überzeugt, dass aus Rücksicht auf Clas- sieität die Schreibung Archiplasma der eingebürgerten Archoplasma vorzuziehen ist. se Zn a An PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — 0. BENDA. 551 der Kernperipherie an, der blasse Archiplasmatheil löst sich von der Kernperi- pherie ab und tritt in den distalen Zelltheil, wo er während des ganzen weiteren Umwandlungsprocesses unverändert verharrt. Der kleine dunkle Körper ist nichts anderes, als der von Merkel zuerst gesehene Spitzenknopf, dessen Herleitung aus dem Protoplasma der Entdecker bereits vermuthete. Das Vorhandensein einer grösseren Vacuole um den Spitzenknopf erklärt das beim frischen Prae- parat so auffallend deutliche Herausragen des Spitzenknopfes in den Zellleib, sowie anderer gleich zu besprechender Phaenomene und giebt den Wegweiser für das Verständniss des bekannten Gebildes am Kopf des Meerschweinchen- spermatozoons, welches ich übrigens in gleicher Weise beim Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) vorfand. Dieser Körper ist gleichbedeutend mit einer vom Spitzenknopf ausgefüllten Vacuole, in der sich die Substanz des Spitzenknopfes nicht vom Vacuoleninhalt gesondert hat, andererseits geht die Vacuole bei allen Säuge- thieren dieselben Veränderungen ein und hat dieselbe Persistenz, wie die Spitzen- körper des Meerschweinchens, nur dass diese Phaenomene bei der Vacuole wegen der mangelnden Färbbarkeit des Inhalts schwerer zu sehen sind. In den weiteren Umwandlungsstadien des Spermatozoons legt sich die Spitzenknopf- flach gegen die Kernperipherie und ist meist nicht mehr als besonderes Gebilde zu unter- scheiden (nur beim Eber fand ich ihn gerade sehr lange). Die Vacuole plattet sich ebenfalls ab, sie umgreift schliesslich den ganzen Vordertheil des Sperma- tozoenkopfes, ihre Wände legen sich auf einander und bilden so die Kopf- kappe. Ihre Grenze ist der hauptsächlichste der Valentin’schen Streifen. Für die Metamorphose des eigentlichen Kerns zum Spermatozoenkopf be- harrt Vortr. grösstentheils auf seiner früheren Darstellung." Die von Merkel treffend beobachtete stärkere Lichtbrechung des proximalen Kernabschnittes lässt sich jetzt als eine Lichtwirkung der Vacuole erklären; zu einer localen Verdickung der chromatischen Kernmembran kommt es hier aber nicht. Ebenso- wenig zieht sich normal, abgesehen von einer geringen Vorwölbung durch die Vacuole, das Chromatin von dem vorderen Pol zurück, wie es von mehreren neueren Autoren dargestellt ist. Dieses Phaenomen beschrieb bereits Merkel ebenfalls und führte es treffend auf eine artificielle Schrumpfung zurück. Die Umwandlungen der chromatischen Kernsubstanz lassen sich kurz dahin zusammen- fassen: Das den jungen Spermatocyten zukommende Chromatingerüst und die Nucleolen verschwinden, um mit der chromatischen Kernmembran zu ver- schmelzen, die in den ersten Umwandlungsstadien in toto verdickt erscheint. _ Der Schwund der Nucleolen ist bei verschiedenen Species verschieden (s. die Tafel V l.c.) bei der Maus erhält er sich besonders lange, hat aber auch hier nicht die besondere Rolle bei der Metamorphose, die ihm Hermann zuschreibt. Die nun entstandene Chromatinblase wird elliptisch und geht im einfachsten Falle z. B. beim Kaninchen durch Abplattung in die endliche Kopfform über. Bei anderen Spermatozoenformen kommt es zu erheblicherer Gestaltveränderung, (Asyınmetrie Ratte, Maus) am meisten bei den Beutelthieren. Eine grosse Anzahl von Spermatozoen zeigt besondere Veränderungen am distalen Pol, den Vortr. früher als Kuppentheil bezeichnet hat. Bei Meerschweinchen, Stier, Raubthieren, Mensch zeigt sich hier allmählich eine Verdickung der Chromatin- kapsel, dann eine conische Abschrägung und Verlängerung, die schliesslich an der Abplattung des Kopfes theilnimmt, und wie jetzt mit Sicherheit verfolgt l Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XXX. 552 VERHANDLUNGEN DER BERL. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — 0. BENDA. werden konnte, beim reifen Spermatozoon den an jenen Species charakteristischen „Hals“ liefert, eine Art Sockel, auf dem die Geissel aufsitzt, und der sich scharf von dem mehr oder weniger abgestutzten Kopf abhebt. Die Species, die keinen Kuppentheil zeigen (Ratte, Maus) haben auch keinen „Hals“. Wir kommen nun zu dem achromatoiden Nebenkörper. Derselbe erscheint bei den Mutterzellen einfach gebaut, lässt aber bei den Spermatocyten auch eine complicirtere Natur erkennen, obgleich diese bei der Kleinheit des Objectes nicht so sicher zu stellen ist. Es scheint sich auch hier um eine Vacuolisation zu handeln, wobei sich ein punktförmiges Körnchen von einem ursprünglich mützenförmigen Körper sondert. Beide stellen sich während der Copulation gegenüber dem Spitzenknopf ein, das Körnchen legt sich an die Kernperipherie und zeigt sich bald als Ansatzpunkt, Endknopf der primären Geissel, ganz wie dies Hermann für den Salamander beschrieb. Der andere Theil entfernt sich ein wenig von der Kernperipherie und umlagert häufig die Geissel ringförmig, innerhalb einer feinen Röhre, die den Anfangstheil der Geissel umgiebt, und die die Fortsetzung der chromatischen Kernmembran darstellt. Bei der Um- wandlung der primären Geissel in die reife Gestalt erkennt man, dass die primäre Geissel nur den Axenfaden bildet. Der chromatoide Ring rückt nun- mehr gegen das Ende der Schwanzkappe, jener oben erwähnten Röhre, vor, und lässt hinter sich den Spiralfaden entstehen, dessen von Jensen gesehene Schlussscheibe er bildet. Jenseits dieser Scheibe entsteht gleichzeitig der protoplasmatische Mantel des Geisselhauptstücks, in den das ganze Protoplasma- netz der Samenzelle aufzugehen scheint. Von einem Zerfliessen des Samen- zellkörpers, wie es früher auch Vortr. mit anderen Autoren annahm, erkennt er jetzt bei guten Härtungen nichts mehr, vielmehr ist die Begrenzung der stark verlängerten Samenzellen bis zuletzt erhalten. Die Blase, die man an den Spermatozoengeisseln des Nebenhodens anhaftend findet, scheint der ganze Rest der Samenzelle zu sein, der nicht in die Bildung des Spermatozoons auf- geht. Die Blase enthält oft einen runden Körper, der wohl als der Archi- plasmarest anzusehen ist. Entgegen meinen früheren Anschauungen vertrete ich somit Be die Ansicht, dass das Spermatozoon eine vollständige, allerdings reducirte Zelle darstellt, deren Kern im Kopf, deren Archiplasma im Spitzenknopf und Kopf- kappe enthalten ist. In der Beurtheilung der Beziehungen der Geissel zu dem chromatoiden Nebenkörper schliesse ich mich den Beobachtungen Hermann’'s an, lasse aber die Frage nach der Abstammung des chromatoiden Nebenkörpers noch offen. Die Beobachtungen über die Entstehung des Spitzenknopfes, deren Zulänglichkeit an vorläufigen Praeparaten auch für andere Wirbelthierklassen (Vögel, Reptilien, Amphibien) bereits festgestellt wurde, eröffnen die Aussicht, in ihm die Anlage der nach den Beobachtungen van Beneden’s, Boveris, Fol’s bei der Befruchtung in Thätigkeit tretenden Attractionssphaere aufgefunden zu sehen. S S z Si S 3 S E NAUNANANAN NIAANAN 0) VRR RAN ERENUNDA ee = Sr Ih AnstrE A Far Lay eipzig, mr Li g Veit& Comp. Verla .r ’ Archiv f.Anat.w.Phys.1891 Phys. Abthlg. Taf. 1l. IVVVVVV VIA VVVAAUM NVA NN Na TANZ DAVAVVAVAVATAVAVADAVAVZVANZ ge ee Fe sar3N u “ I Archiv f. Anat. u. Phys. 1891. Physiol. Abthlg. Taf. DI. ı 1. 2. Verlag Veit & Comp. Leipzig. Pot. . Lichtdruck v. Julius Klinkhardt, Leipzie. Archiv fAnat.u Phys.18g1. Phys. Abthlg. Tat: IV. ins ar SA m ee 1 Ion 20 40 60 80 100" 120°. 140° 160" 180" Roll rar. En: Reizfolge veränderlich. 20+ ö 10 Sec. 0-2 14,7 Sec. eat rn Ne Dar Ü 107 127 Aber ale, (pe fe 0" 20 40" 60" 80 D, 2 OO, 160 180 200 220 Rollenabstand 1 em. Reizfolge veränderl. . + + + 20" 103011608 GO 10022000120.: ‚kollenabst öcm. ‚heizt. 40. Reizdauer veranderl. 0 u Reizung d. N. splanchnieus. 0" u n u j u t u j u n t n " ZI: " 20 40 60 80 , 100 23 120 140 160 180 200 Rollenabst. öcm. Reizf. 40. Reizd . veränderl. Reizung des Halsmarkes. Sr D \ Ina fh. Ans£.v: B.A.Fımke, Leipzie, Verlag Veit &Comp. Leipzig. ln ung Archiv f_Anat.u. Phys. 18g1. Phys. Abthlg. Taf. V. 69 Sec. S0 Sec. 30 Sec. Z ern Bel IE en ee re re 7 be En Ir en ; 0 20 40" 60 80 100 120 140 160" 180 200 Dollenabst-8 em, ‚Reizk-20. Reizd.veränderl. 7120 - EI Te AT, ein 7 AT SE Rama Ti) PRomeRTEIRe 07) Kam 7 7 0 20" 40 60" 80 100 i 120 140 160 180 200 Rollenabst=8 cm. Reizt:- 40. Reizd. veränderl. — + . 1 9" = er ; rn — — I . 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 Rollenabst -$ cm. Beizf 10. Reizd. veränderl. " + 7 h Set sT + n t " ran Im j 1 0 20” 40" 60" so" 100" 130 110 160 180" Mollenabst -8 em. Reizf. 5. Neizd. veränderl. Reizung d.N. splanchnicus. \ T Verlar Veit Comp. Leimzit. nit Anst.y: b..A.Funke Lapzig. Archiv F Anat.u.Phys.18g1. Phys Abdlg. Taf. VI 8 Sec. 120 100 - 80 + 60 40 —- 20 + et O0: 10” 60" 30" 100" 120" 10" 160" 180" Rollenabst veränderl. Reizfolge 37. VO —- : 8 Sec, 1204 Fig. 12. 100 7 / 0See. 80 60 + 40 . | 20- 16:Sec ST SIE 0 Sn a ET 2, berg d au lPoge —+ — 20 0" 60 SO 700 120 Kollenabst. veränderl. 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I + ? y I = = 2 ee { = „2 ? . = - ö Re i r ARE } < A I EIER 2 er re x E J _ ; f > > 5 B R : En hi 3 n u ri P, IE 2 U r 37% Z 3 a 3 Arc R > S 2 St ä - 2 5 \ : 2 = 2 y & - . ri 4, = E77 4 f : Ko ; “ x } { I ; \ & A ß hr r 5 . } , : R ? Serie, PR InE 5 = ö . ö E 7 = 35 = ie R ’ . hr er Y “ . x a h Hei x ” \ A + ; 2 > (@ er = \ Eee: HOT = \ ) 5 R 5, Archiv kAnat. u. Phys. 1891. Phys. Abthlg. Tal! XV. NENENEN EN LULNUNEHEN NENNEN RN NNNNG SCI TPEEIT F Physiologische Abtheilung. 1891. I. u. I. Heft. N pre 7 ara Er TEEN Va | | | un ar ARUOHIV | 1 83°. FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, I. RB MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG UND D.. EMIL DU BOIS-REYMOND. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. - JAHRGANG 1891. — PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG, — ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT ZEHN" ABBILDUNGEN IM TEXT UND SECHS TAFELN. A LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1891. | D». WILH. HIS uso Ds. WILH. BRAUNE, : Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 19. Mai 1891.) at einer Beilage von Wilhelm Engelmann in Leipzig. Inhalt. Seite H. BURMEISTER, Studien zur ron der Descendenzlehre .. . . Re Jurıus Lazarus, Ueber Reflexe von. der Nasenschleimhaut auf die Bronchial- lumina.. (Hierzu Taf. I.) k 19 JosEPH ZaGARı, Wirkung des Chloroforms, de: Kennohiak er es Dome. si auf die Athmung mit besonderer Beziehung auf den durch die Kohlen- säure bedingten a Reflex von Seiten der Hauptbrönchien. : = (Hierzu Taf. U.) RE i 37 RupoLF ArnoT, Ueber trophische Nerven en er Ne ER Max Josern, Ueber Schweiss- und Paledıfisonseeretion. Hierzu Taf. EN 81 G. Hörner, Ueber die Farbe des Wassers. 88 J. E. JoHANsson, Die Reizung der Vasomotoren inch des mans der cere- brospinalen Herznerven. (Hierzu Taf. IV/VI.). AnoLr Szıuı, Zur Erklärung der „Flatternden Herzen“ ; DT Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 189091 OB a GOLDSCHEIDER, Ueber die Summation von Hautreizen. — Marrını, Ueber eine en, der Pulswellengeschwindigkeit zu den Athmungsphasen. ii HeRrMAnN Munk, Ueber Versuche betreffend den N. laryngeus superior des Pferdes. — KosseL, Ueber die chemische Zusammensetzung der Zelle. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an ‘ Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. die 'hysiologische Abtheilung. 1891. III. u. IV. Heft. ARCHIV | Bee ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES VON REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND urrAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAU SGEGEBEN 5 ESEORBÜUNEN DER-ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND es PROFESSOR DER EENIGTOGEE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. J AURGANG 1891. een PIYSIOLOGISOHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT ZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND DREI TAFELN. ©: 2 DBIEZIG, - VERLAG VON VEIT & COMP. | 1891. Dr. WILH. HIS uno Da. WILH. BRAUNE, - Zu beziehen durch alle Fuchhandhuiien des In- und Auslandes., ( een am 11. September 1891.) a, r Inhalt. EUR F., Wer&grt, Der Uebergang des. Blutzuckers in verschiedene Körpersäfte ... 187 ELLENBERGER und HormEISTER, Ueber die Verdauung der Stärke bei Hunden . 212. B.. Bastnsey, Hörsphaere-und Ohrbewegungen ... . . ou. 200. 0. 227 F. Dercase, Beiträge zur Kenntniss des Stoffwechsels . .. . .. .2.2..°.286 E. Dercuser, Der Abbau der Eiweissstöfe .. . . oe NENNE REAL Sven Ärerrunn, Das phosphorsaure Natron als Heizmiiet‘ für Muskel ad Nerv.. (Hierzu Taf. VU-IX.). 279 ' JOHANNES FRENZEL, Die Verdauung lebenden Bee und die Darmparasiten 293 ALEXANDER Szana, Beitrag zur Lehre von der Unermüdlichkeit der Neryen. . 315 Iso BREISACHER, Zur Physiologie des Schlafes . . . ....2... ER J. Gap, Ueber den Berns’schen Athemreflex . . . BEE SOER) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Bart 1890 91 ED a8 ImmanveL Munk, Ueber die Folgen lange fortgesetzter eiweissarmer Nah- rung. — TuEoDor RosEnTHAL, Ueber den gesundheitsschädigenden Einfluss eiweissarmer Nahrung. — E. Du Bois-REeymonD, Schreiben von Prof. Fritsch. — N. ZuNntz, Ueber. die Ausnutzung eiweissarmer Nahrung (Brod) beim: ‘Menschen. — Karı Mürtenuorr, Ueber die Wirkung der Luftverdünnung auf den menschlichen Körper. — Fr. Fark, Ueber die Section eines Anen- cephalus. — An. Lozwy, Ueber einige Umstände, welche den Stoffwechsel bei Muskelarbeit beeinflussen. — HIRSCHBERG, Ueber das Auge des Kätzehens. — G. Marınzseu, Ueber die Innervation der Drüsen der Zungenbasis. — Kosser, Ueber einige Bestandtheile des Nervenmarks. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig _ Separat - ‚Abzüge ihrer Bei- träge gratis. eR Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, ER: Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Seite hysiolıgische Abtheilung. 1891. V. u. VI: Heft. 2 er LS TENSEER, ie ER 7388 ARCHIV FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. FÜR | ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, HERAUSGEGEBEN voN D». WILH. HIS uno D». WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND De. EMIL DU’ BOIS- REYMOND. PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. > JAHRGANG 1891. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT EINUNDZWANZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. LEIPZIG. | VERLAG VON VEIT & COMP. = | | 1891. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. \ Er (Ausgegeben am 17. März 1892.) Ant einer Beilage von Marpmann & Schurig in Leipzig. In hal * i jez > A \ Seite ‚BERNHARD Rawırz, Zur Physiologie der Cephalopodenretina. (Hierin Taf, X); R. NicoLames, Ueber intiacellulare Genese von. rothen Bo pe im Mesenterium des Meerschweinchens. (Hierzu Taf. XI.) ar Be W. v. BECHTEREw und N. v. Mistäwskı, Ueber. die Hirncentren der Schalen x bewegungen bei Thieren. (Hierzu Taf. XII u. XL). >: 380. Bıacästeis, Die Verarmung des Peptonblutes an Kohlen ne ERS - 394 E..pu Boıs-Reymonn, Ueber secundär-elektromotorische ec an den DR: ‚elektrischen Geweben. Zweite Mittheilung ’ ee O. LANGENDOREE, Zur Erklärung des Curare- Diabetes ; . 476 . ©. LANGENDORFF, Eine Glycerinwirkung O. LANGENDOREF, Kleine Mittheilungen zur Alknursslehre .. 486° V. Granois, Ueber. den Grund. der geringen nn im Peptonblute. KRSN (Hierzu Taf. XIV.). 2 ae Verhandlungen. der hen chen Geseliecha zu "Berlin 1s1— _99 ;> 533 LEoPoLD AUERBACH, Ueber einen sexuellen Gegensatz in der ‚Chromato- Er 408.5 philie der männlichen und weiblichen Geschlechtsproduete. — E. pu Boıs- Reymonn legt der Gesellschaft ihm von OswArn oe in ‚Göttingen ' eingesandte Photogramme des Augengrundes vor. — LILIENFELD, Ueber ‚die ‚chemische Beschaffenheit und die Abstammung der Plättchen, — H. Mun&, Ansprache zum siebzigsten Geburtstage v. HrımuoLtz. — Gan.. Ueber Beziehungen des Grosshirns zum Fressact beim Kaninchen. — ‚HERMANN Mung, Ueber den N. laryngeus superior des Pferdes. — M. Krüger, Ueber Adenin. — C. BEwpa, Neue Mittheilungen. über die Entwickelung der Genitaldrüsen und über die eos der an, (Histioge- >. ER nese der Spermatozoen). Lt Die Herren ‚Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer "Bei- träge gratis. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an ‚ Professor Dr. W. His oder. Professor Dr. W. Braune. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an ‚Professor Dr: E. du Bois-Reymond in Berlin „N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind © auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulesen, Bestehen die Zeich- nungen zu 'lafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des, Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen, 22480 en REES = UATTERN Aeme Bookhirfing Ce., Inc. 306 Summer Street Boston. Moss. 02210 INUHNININNL INN EN ERW HH ER: u a ve NS ERRTER AA va SNCHAAUNN KERNE KON AAN Le ram, MAR 13 SauN \ ii ya ageg ra iR INERTeee es SEE RNCREN * LSuh Auer LEER My 2 e ve NW » OEMT“ wer BAR % NSERRANSRSRHERNANG SS SONENURn ERST a Kan KR ERSTER, KERN 3 Ra Y x “ BANK N Ur RN * ht ' ir NN, N! x ki x - HD Ye RN re I ER N ; HRS VADERN NEN, I: 5 r UN Ss Eh KONIHRAENIRERN HOlaoc N ROM RN un imanie KRONE AN NEN) HIN iR NORSEhN N ELSE, \ in) f \ ki N ' RN ERS x ET u ar NER KERNE i A) KEÄNRRN {} ‚2 NRERRER RER EN ER N N MN IRTIRAN IR RR RR a