un cH, KORAN eh, BR VER 232.8 HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. OP TEL8, ur OF ALEX. AGASSIZ. \ 2 En ER PUR nn ug) 5% main = Thoescher & Poetsch Berlin pho er —— Verlag von Veit & Comp., Leipzig Meisenbach Riffarth& Co Leip ed) EN REN. Se Be ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND DER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN. JAHRGANG 1897. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1897. ARCHIV FÜR EHYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON DER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN. JAHRGANG 1897. v MIT DEM BILDNISS VON EMIL DU BOIS-REYMOND, ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. Snsgr. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. J. RosentHaL, Emil du Bois-Reymond, Gedächtnissrede, gehalten am 22. Januar 1897 in der gemeinsamen Sitzung der Physikalischen und der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin a ! i PAuL Scauutz, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähiskeit der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere. (Hierzu Taf. I u. II.) E. v. Cyon, Bogengänge und Raumsinn. Experimentelle und kritische Unter- suchung : G. Hürner, Ueber die ES ohiedenen een aa deneny Si ie atmosphärischen Gase im Wasser verbreiten, und über die biologische Be- deutung zweier von diesen Grössen . H. J. HımsuRger, Zur Lymphbildungsfrage H. J. Hamsurczr, Die Geschwindigkeit der Osmose. (Tazarıe Balomı s „Initial rate of osmosis‘“) On EE H. J. HAmBUuRGER, Die Blekorperchenrmeihone für. is ne de 0SMO- tischen Druckes von Lösungen und für die Bestimmung der „Resistenz- fähigkeit“ der rothen Blutkörperchen I. RossntaAat, Calorimetrische Untersuchungen. Siebanter Artikel I. RosentHuar, Calorimetrische Untersuchungen. Achter Artikel. (Hierzu Taf. IT.) A. BENEDIcENTI, Ueber die Einwirkung des Formaldehyds, des Hydrazins und anderer reducirender Agentien auf den Blutfarbstoff . : A. BenepicentI, Beiträge zur Kentniss der chemischen und ven Wirkungen des Formaldehyds. W. LoswentHaar, Zur Kenntniss der Dontanenulgirungn von fetten (Delen J. Oenerr, Ueber die Entwickelung des elektrischen Organes bei Torpedo. (Hierzu Taf. IV u. V.) PAur ScHuLtz, Die längsgestreifte (glatte) eo der Wirbelthiere Pıur ScHuLzz, Zur Physiologie der längsgestreiften (glatten) Muskeln Pauu ScHuutz, Quergestreifte und längsgestreifte Muskeln . E J. Gap, Zu Schenck’s Einwand gegen Allen’s Versuche Max Münpen, Dritter Beitrag zur Granulafrage. (Hierzu Taf. VI u. VIL). A. Beck, Die Erregbarkeit verschiedener Stellen desselben Nerven Ren£ vu Boıs-Reymonn, Nachtrag zur Abhandlung: Ueber das See D. GEROTA, Ueber die Anatomie und Physiologie der Harnblase. (Hierzu Taf. VIII.) AnGELo PusLiese, Ueber den Einfluss der Kohlehydrate, der Fette und des Leimes auf den anorganischen Stoffwechsel . ? H. J. HAmBuRser, Die Gefrierpunkterniedrigung des nen Blutes and dan Volum der Blutkörperchenschatten . . . . . ; H. Heurenopaur, Ein Beitrag zu der Frage der Keane der Sehnensen ; Davıp HansEemAnn, Zusatz zu vorstehender Arbeit . R. pu Boıs-ReymonD, Ueber die Grösse Sedo: Anschläge ide Capillarelektrometers . . . . 2... Seite vIl 112 137 144 171 191 210 219 258 270 307 322 329 336 340 415 426 428 473 486 497 513 516 vI INHALT, Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1896—97: W. CoHnstein, Ueber die Veränderung der Chylusfette im Blute Benno Lewy, Ueber die Reibung des Blutes in engen Röhren und ihren ne auf das Gefälle im Gefässsystem . . N. Zuntz, Ueber die Fette des Fleisches P. Scuurtz, Ueber die Einwirkung he cher aut be Balkonen entwickelung . . . . P. Schutz, Kurze Mittheilung une ne euteken Verhallmisse, an Bord R. nu Boıs-Reymonn, Betrachtungen über das Haimberger’sche Schema und Demonstration eines veränderten Modells . e E. Nawrarzkı, Beiträge zur Kenntniss der Bere Ä J. F. Hrymans, Ueber die Entgiftung von Malonitril . Rawırz, Ueber die Lymphdrüsen des Macacus rhesus . Rosın, Demonstration von Nervenzellenpraeparaten > GastAano Vıncı, Ueber die anaesthesirende und toxische Wirkung einiger om Cocain nahestehender Körper . R. pu Boıs-ReymonD, Ueber ae von Neilher- Hlekiroden KATzENsTEINn, Ueber die Veränderungen in der Schilddrüse nach Exstirpation der zuführenden Nerven . e H. Rosın, Demonstration rother Harnfarbatoite 5 : D. Hansemann, Ueber einige fettige Zustände im Thierkörner R. pu Boıs-ReymonD, Beitrag zur Lehre vom Stehen N M. Levy-Dorn, Demonstration einiger Methoden, die Lage innerer Theile mittelst Röntgenstrahlen zu bestimmen N. Zuntz, Ueber die Bedeutung des Seuerstoluangels oil der Kohlensäure für die Innervation der Athmung . A. Lorwy, Verdünnte Luft und Hohenktumal in ihrem Kinn Aut den Men&cnen PauL JacoB, Ueber die Schutzwirkung der Leukocyten . 5 H. MıcHasetıs und W. Cosnstein, Ein Vorlesungsversuch zur Dimbretranen der „Blutsäure“ : Gustav TOoRNIER, Ueber Bedcheratioh und erde W.Cowı, Ueber die „Sichtbarkeit der Röntgenstrahlen“ . B. Rawırz, Ueber die Beziehungen zwischen unvollkommenem Mlbinienes und Taubheit 2a. Ar C. BEnDA, Neuere Mitkheikumaen uber de Eee der Sangethierspermatnaoen Herm. Munk, Demonstration eines aus England übersandten Affen D. Hansemann, Demonstration mikroskopischer Sehnervenpraeparate S. Scumivt, Ueber die Veränderungen der Ganglien des Herzens nach der Chloroformnarkose { N. Zuntz, Ueber den Werth der ichtiesten Nährstoffe für ie Muskelarbeit eh Versuchen am Menschen , E. Dorn, Zur Frage der Sichtbarkeit Her Rönlgen: Strahlen ; W. Cowr, Ueber die funetionelle Einwirkung der Röntgenstrahlen auf ie) Netz- haut des Auges . { F. Tansu u. St. BuUGARszKYy, Untersuchuneenn über hai rölesalaven Oineeitrationge verhältnisse des Blutserums und Methode zur Bestimmung des relativen Volums der Blutkörperchen und des Plasmas i R. pu Boıs-ReymonD, Demonstration einer Thatsache der) Salon eng a A. NEUMANN, Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung von Phosphorsäure bei Stoifwechselversuchen Seite 948 551 551 552 Emil du Bois-Reymond, Gedächtnissrede, gehalten am 22. Januar 1897 in der gemeinsamen Sitzung der Physikalischen und der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Von J. Rosenthal. Die Bedeutung eines hervorragenden Mannes zu würdigen und ihr, wenn auch mit Liebe, so doch mit strenger Unparteilichkeit in dem Rahmen eines kurzen Vortrages gerecht zu werden, ist sicherlich eine schwere Auf- gabe. Sie wird noch erschwert, wenn es sich um einen Mann handelt, welcher in verschiedenen Gebieten Grosses geleistet hat, wie schon die Stellung beweist, die er als langjähriger Präsident und Ehrenpräsident der physikalischen, als Vorsitzender der physiologischen Gesellschaft während der ganzen Dauer ihres Bestehens eingenommen hat. Sie wird vollends schwierig, wenn sich ganz von selbst die Erinnerung aufdrängt an die Meisterschaft, mit welcher der Verstorbene Lebensbilder zu entwickeln ver- stand, denen gegenüber zweifelhaft bleibt, was man mehr bewundern soll: die ausserordentliche Gelehrsamkeit, das verständnissvolle Eindringen in die verschiedenartigsten Gebiete des Wissens, oder den Schwung der Gedanken und der Sprache, die er zu handhaben verstand wie ein geschickter Experi- mentator seine wissenschaftlichen Apparate, mit Hülfe derer er vor den Augen seiner Zuhörer die verwickeltsten Naturvorgänge wiedererstehen lässt, oder endlich das liebevolle Versenken in die feinsten Regungen der Geistes- thätigkeit seiner Helden, gleich als hätte er alle Regungen ihrer Seele mit- erlebt und mitempfunden. Denn du Bois-Reymond war nicht nur ein grosser Physiker und Physiologe, er war auch ein echter Historiker. Ich denke, wenn ich ihn so nenne, nicht in erster Linie an die muster- haften Beiträge zur Geschichte specieller Zweige der Wissenschaft, welche fall, — er der Darstellung seiner eigenen Untersuchungen einverleibt hat, sondern vielmehr an jene formvollendeten Schilderungen, die er in seinen Reden von vergangenen Zeiten gab, von Menschen und ihren Bestrebungen, von dem ersten Entstehen und der allmählichen Entwickelung der Ideen, an seine Beiträge zur Culturgeschichte, deren selbständigen Werth neben dem, was man sonst schlechtweg als „Geschichte“ zu bezeichnen pflegt, er selbst so schön und treffend hervorgehoben hat.! In seinem Geiste lebte die Vergangenheit, in seiner Darstellung wurde sie wieder lebendig auch für uns andere, mochte er uns einführen in die Gedankengänge der alten Naturforscher und Philosophen, oder in die Ge- sellschaft jener Männer aus der Zeit der Aufklärung, oder in die von ihm besonders geliebte Tafelrunde des grossen Friedrich. Wie in den Schöpfungen des ihm eng befreundeten grossen Altmeisters des Griffels und der Palette jene Gestalten unserem Auge wiedererstanden sind, so hören wir in du Bois-Reymond’s Schilderungen ihre geistvollen Gespräche, vernehmen ihr feines oder auch sarkastisches Lächeln, lernen von ihnen erhabene Ge- danken oder beobachten ihre kleinen Schwächen mit dem milden Auge des Menschenfreundes, der auch in den Fehlern noch die gute Seite eines Jeden zu finden weiss. Man hat mit Recht behauptet, die Geschichte könne nur von reiferen Männern richtig gewürdigt werden. Das gilt, mehr noch als von der äusseren Geschichte der Völker, Staatsmänner und Feldherren, von der Geschichte der Wissenschaften. Darum halte ich es auch für übertrieben, wenn so oft der unhistorische Sinn unserer studirenden Jugend beklagt, wenn getadelt wird, dass Vorlesungen über Geschichte der Mediein so selten gehalten oder, wenn gehalten, nicht gehört werden. Wer in die Wissenschaft selbst erst eingeführt werden soll, für den wird eine chrono- logische Aufzählung der im Laufe der Zeit sich ablösenden Lehrmeinungen oder der einzelnen Entdeckungen taubes Gestein und darum langweilig sein. Anders aber, wenn, wie es du Bois-Reymond empfohlen hat, der Lehr- vortrag eines jeden Faches selbst von historischem Geiste getragen und an der Hand der Geschichte die Wissenschaft, wie sie jetzt ist, gleichsam wie aus ihren Bausteinen aufgebaut wird. Gerade in den inductiven Wissen- schaften ist der historische Gang vielfach auch der einer natürlichen und logischen Entwickelung. Versteht es der Lehrer in diesem Sinne vor- zutragen, so wird er nicht nur seine Zuhörer fesseln, er wird auch in ihnen den Sinn und das Verständniss für die geschichtliche Betrachtung wecken. ! Quiturgeschichte und Naturwissenschaft. Reden. Bd. I. S. 240. Solehen Bestrebungen kommt zu Statten, dass die Methoden der Forschung in den inductiven Wissenschaften und in der Geschichte nicht so verschiedenartig sind, als wohl vielfach geglaubt wird. Und damit er- klärt sich auch, wie in einem Manne von der Art du Bois-Reymond’s die Begabung für diese beiden, sonst getrennten Gebiete vereinigt sein und herrliche Früchte zeitigen konnte. Freilich genügt für eine solche Geschichte der Wissenschaften nicht die trockene Aneinanderreihung von Daten und Ergebnissen; es genügt nicht, dass der sehr gelehrte Historiker Hunderte von alten Folianten durchgelesen und excerpirt hat; nein, wir wollen erfahren, wie es kam, dass Lehrmeinungen entstanden und wieder vergangen, von anderen sogenannten Systemen abgelöst worden sind. Zu solcher Geschichtsdarstellung bedarf es eines weiten Blickes. Die Methode der Einzelforschung dagegen ist nicht so sehr verschieden von der in den sogenannten inductiven Wissenschaften. In beiden Fällen handelt es sich . zunächst darum, Thatsachen festzustellen, die Zeugnisse für dieselben auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, um schliesslich zur Wahrheit, oder, wo diese nicht zu finden ist, zur grössten Wahrscheinlichkeit zu gelangen. Ob die Thatsachen durch Beobachtung und Versuch, oder ob sie durch kritische Prüfung der Zeugnisse aus Archiven oder aus anderen Berichten der Zeit- genossen gewonnen werden, ist für die wissenschaftliche Verwerthung von verhältnissmässig untergeordneter Bedeutung. Diese nimmt erst nach Sicherung der thatsächlichen Unterlagen ihren Anfang. Es könnte nach dem Gesagten auffallend erscheinen, warum du Bois- Reymond bei seinem Uebergang von der Theologie zur Naturwissenschaft nicht von der Geologie, mit der er sich zuerst beschäftigte, dauernd ge- fesselt wurde, da doch die Geologie an sich schon eine historische Wissen- schaft ist, mehr als mancher andere Zweig der Naturwissenschaft. Die Er- klärung liegt nahe. Als du Bois-Reymond am Ende der dreissiger Jahre seine geologischen Studien begann, hatte die Geologie die ihr gemässe Form historischer Forschung noch nicht gefunden. Das thatsächliche Material war noch zu gering; statt aber geduldig die Feststellung der Thatsachen anzustreben und abzuwarten, bis dies gelungen, suchte man die klaffenden Lücken durch kühne Hypothesen zu überbrücken und, dem Geist der da- mals noch mächtigen Naturphilosophie entsprechend, aus willkürlich er- sonnenen Theorien die fehlenden Thatsachen zu construiren. Das konnte einen wahrhaft historisch veranlagten Geist nicht fesseln. Ich bin zu dieser Auffassung durch Aeusserungen aus du Bois-Reymond’s Munde gelangt, welche er gelegentlich eines Gespräches über die Vorlesungen des Dichters und Naturphilosophen Steffens machte. In anderen Zweigen der Naturwissenschaft, die gleichfalls ihrer Natur nach historisch sind, z. B. in der Phylogenie, spukt jenes Bestreben auch heute noch. Hat es doch sogar = Ri: _— in der eigentlichen Geschichte selbst sein Wesen getrieben, wovon uns Buckle in seiner Geschichte der Civilisation ergötzliche Beispiele mit- theilt. Wie dem auch sei, wir können es nur als einen Gewinn für die Wissenschaft ansehen, dass du Bois-Reymond schliesslich bei der Mediein anlangte und auf diesem Wege der grosse Physiker und Physiologe wurde, als welchen wir ihn heute feiern. Seit dem Jahre 1841, wo ihm sein Lehrer Johannes Müller Mateucci’s „Essai sur les phenomenes elec- triques des animaux“ in die Hand gab, bis zu seinem Lebensende hat er im Dienste dieser Wissenschaften gearbeitet. Und wenn auch sein grosses Werk über thierische Elektrieität unvollendet geblieben ist, was er in dem langen Zeitraum von mehr als 50 Jahren geleistet hat, wird von dauerndem Werth für sie bleiben. Unter Johannes Müller hatte die Physiologie eine reiche Entwicke- lung erlangt. Noch war ihre Trennung von der vergleichenden Anatomie nicht vollzogen; aber auch die rein morphologischen Untersuchungen, indem sie unsere Kenntniss von den verschiedenen, in der Thierreihe vorliegenden Organisationen erweiterten, bahnten ein besseres Verständniss der Lebens- vorgänge an. Daneben wurde die von Harvey (1619) begründete experi- mentelle Physiologie durch Johannes Müller selbst, durch die Gebrüder Weber, durch Magendie u. A. eifrig gepflegt. Neben der fortschreitenden Erkenntniss des feineren Baues der Gewebe wurden die Errungenschaften der Physik und Chemie für das Verständniss des Kreislaufes, der Athmung, der Verdauung, der Sinnesthätigkeiten nutzbar gemacht. Aber die Ver- bindung mit Chemie und Physik blieb eine lockere. Gerade das, was der Physiologie am wichtigsten gewesen wäre, war zum grossen Theil den Physikern und Chemikern selbst noch unbekannt. Diese hatten genug zu thun, um die ihnen näher liegenden Aufgaben zu lösen. Von der Physio- logie wussten sie, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in der Regel so wenig, dass sie sich daran gewöhnt hatten anzunehmen, die Gesetze, welche sie erforschten, hätten in den lebenden Wesen keine Geltung. Justus Liebig, der es als einer der ersten unternahm, mit der Fackel der Chemie das dunkle Getriebe des Thier- und Pflanzenlebens aufzuhellen, war doch selbst von jener Ueberzeugung so durchdrungen, dass er den chemischen Wirkungen, bei aller Wichtigkeit, die er für sie zur Aufklärung einzelner Vorgänge in Anspruch nahm, nur eine secundäre Rolle, gleichsam unter Öberaufsicht der „Lebenskraft“ zuschrieb. Trotz aller Förderung, welche die Physiologie diesem grossen Chemiker verdankt, war sein Wirken doch wegen der Willkür, mit der er über noch nicht genügend erforschte Fragen der Physiologie urtheilte, häufig ein verderbliches, so dass die von du Bois- Reymond herrührende Bezeichnung Liebig’s als „Geissel Gottes, welche eh ARTEN in unseren Tagen über die Physiologen verhängt wurde“! der Sachlage vollkommen entsprach. Johannes Müller’s grosses Ansehen zog junge Männer von Be- gabung naturgemäss in seine Nähe. Nach Schwann und Henle traten fast gleichzeitig Ernst Brücke, Emil du Bois-Reymond, Hermann Helmholtz in diesen Kreis, jene drei, welche mit dem aus anderer Schule entsprossenen Carl Ludwig für mehr als ein Menschenalter die Führer der deutschen Physiologen, die Begründer der neuen Physiologie überhaupt werden sollten. Was jene drei auszeichnete, das war ihre damals noch ungewöhnliche gründliche Vorbildung in der Physik. Man kann sie ohne Weiteres als in beiden Wissenschaften gleich heimisch bezeichnen. So kam es, dass die Mediciner Helmholtz und du Bois-Reymond (Brücke hatte kurz vorher Berlin verlassen) mit anderen Theilnehmern des Mag- nus’schen Colloguiums die Begründer der Physikalischen Gesellschaft wurden. Für die Physiologie aber entstand aus dieser Vereinigung eine neue Richtung. Die physikalische Physiologie, deren anerkanntes Haupt sehr bald du Bois-Reymond wurde, hat neue Wege erschlossen. Wenn sie neuerdings wieder etwas in den Hintergrund tritt, so bauen doch die heutigen Physiologen auf dem Grunde, der durch jene Männer urbar ge- macht war, arbeiten mit Apparaten, die jene erfunden, und kein Physiologe wird heute seiner Wissenschaft gerecht werden, wenn er nicht des Geistes, der Helmholtz und du Bois-Reymond beseelte, einen Hauch ver- spürt hat. Bei dem Studium der physikalischen und chemischen Erscheinungen an Lebewesen stösst der Forscher nicht selten auf Lücken in den Grund- diseiplinen; er muss versuchen sie auszufüllen. Auf diese Weise haben Physik und Chemie manche Anregung und Erweiterung erfahren; so, um nur einiges zu erwähnen, in der Hydrodynamik, in der Lehre von der Diffusion. Besonders fruchtbar aber wurden du Bois-Reymond’s elek- trische Arbeiten. Das von ihm construirte Inductorium, bei welchem er den Neeff’schen oder Wagner’schen Hammer in sinnreicher Weise ver- wendete, kann kein Physiologe heute entbehren, und wir finden es in den Händen eines jeden Arztes. Aus ihm haben sich auch die mächtigen In- ductorien entwickelt, welche zur Erzeugung der Röntgenstrahlen dienen; Physiologen wie Physiker bedienen sich des du Bois-Reymond’schen Schlüssels, der von ihm zu einem praktischen Werkzeug umgeformten Pohl’schen Wippe. Dem Nobili’schen Multiplicator hat er eine vor ihm nicht geahnte Empfindlichkeit gegeben, die Theorie der astatischen Nadel- paare hat er entwickelt. Als er statt des Multiplicators die Wiedemann- " Untersuchungen über thierische Elektrieität, Vorrede, Bd.I. 8. 27, — XI — sche Bussole mit Spiegelablesung zu benutzen begann, unterwarf er die Schwingungen der Magnete unter dem Einfluss der Astasirung durch den Haeuy’schen Stab und der Dämpfung einer genauen Untersuchung und stellte die Bedingungen der aperiodischen Bewegung schwingender Magnete fest. Er maass und berechnete den zeitlichen Verlauf der indueirenden und indueirten Ströme bei Inductorien und im Telephon. Die Poggen- dorff’sche Methode der Messung eleetromotorischer Kräfte verbesserte er so, dass sie nicht bloss bequemer, sondern auch sicherer und genauer wurde. Seine Untersuchungen über Flüssigkeitsketten, über innere Polari- sation poröser, mit Flüssigkeiten getränkter Leiter, über Polarisation der Elektroden und unpolarisirbare Combinationen von Metallen und Salz- lösungen, über elektrische Endosmose und die kataphorischen Wirkungen des Stromes, die elektrische Fortführung in Flüssigkeiten suspendirter Pulver, über die Ströme beim Schütteln und Drücken der Elektroden u. s. w. sind durch das praktische Bedürfniss hervorgerufen, bei seinen physiologischen Untersuchungen hervorgetretene Erscheinungen aufzuklären, sie sind aber auch der reinen Physik zu Gute gekommen. Doch auch ohne solchen An- lass hat er physikalische Fragen behandelt, so die Nobili’schen Ringe und die Thermoströme in Krystallen. Neben der Elektrieitätslehre interessirte du Bois-Reymond ganz be- sonders die Lehre von der Diffusion, welche gleichfalls vielfach von Physio- logen bearbeitet wurde, da sie auf wichtige Lebensvorgänge Licht zu werfen versprach. Eigene Untersuchungen hat er in diesem Gebiete nicht ver- öffentlich. Nur in den Fortschritten der Physik berichtete er bis zu Anfang der sechziger Jahre kritisch und hier und da eigene Beobachtungen einflechtend über die einschlägigen Untersuchungen sowie über Elektro- physiologie. Dann übernahm ich auf seinen Wunsch das Referat, gab es aber auf, als mit der weiteren Entwickelung die den Physikern und den Physiologen gemeinsamen Gesichtspunkte in Folge der Zersplitterung in Einzelarbeit immer spärlicher wurden. Heute hat die Diffusionslehre in Folge des Anstosses von Seiten der physikalischen Chemie erneute Be- deutung erlangt und wird wiederum von Physiologen eifrig betrieben. Obgleich du Bois-Reymond, soviel ich sehen kann, die Mathematik nicht selbständig gefördert hat, beherrschte er sie doch so weit, dass er in seinen physikalischen Arbeiten überall da, wo es die Natur der Unter- suchung zuliess, die experimentelle Forschung durch den mathematischen Caleül vervollständigen und zum theoretischen Abschluss bringen konnte. Aber auch da, wo dies nach der Sachlage unthunlich war, bediente er sich gern der mathematischen Ausdrucksweise. Man kann ja in vielen Fällen auch dann, wenn die quantitative Untersuchung zur Aufstellung einer Gleichung nicht ausreicht, die Beziehungen zwischen Grössen- | 4 | | N j j ' XI, reihen unter dem Bilde der mathematischen Function darstellen. Diese, der analytischen Geometrie entlehnte Betrachtungsweise in der Physiologie einzubürgern, war sein stetes Bestreben. Sicher wird dadurch die An- schaulichkeit nicht selten gewinnen. Mit welchen Einschränkungen das Verfahren bei den meist ungenügenden Daten in der Physiologie verwendbar ist, hat er selbst klar dargelegt !; trotzdem hat er nicht verhindern können, dass von mancher Seite Missbrauch damit getrieben wurde. Den grössten Nutzen hat es der Physiologie indirect geleistet, indem es die Einbürgerung der graphischen Methoden begünstigt und dadurch zur Aufklärung ver- wickelter Vorgänge beigetragen hat. Ich komme jetzt zur eigentlichen Lebensarbeit du Bois-Reymond’s der Untersuchung der elektromotorischen Erscheinungen thierischer Ge- webe. Sie begann 1841, 1843 wurden die wesentlichsten Ergebnisse in einer Reihe von Leitsätzen in Poggendorff’s Annalen veröffentlicht, dann in seinem grossen Werke „Untersuchungen über thierische Elektrieität“ mit allen historischen Exeursen, Beschreibung von Apparaten, Versuchs- anordnungen, physikalischen Erläuterungen u. s. w. dargestellt.” Das Hauptergebniss dieser Untersuchungen lässt sich in folgende Sätze zu- sammenfassen: Von allen in den thierischen Organen vorkommenden Geweben sind die Muskeln und Nerven allein im Stande, selbständig elektromotorisch zu wirken; sie thun dies nur, so lange sie ihre Lebenseigenschaften bewahren. Abgestorbene Nerven und Muskeln sind wie alle anderen Gewebe unwirk- sam. Bei der Thätiekeit, welche in den Muskeln durch die Contraction, bei den Nerven durch die äusserlich nicht sichtbare Erregung, die aber auf andere Organe übertragen werden kann, erkennbar ist, erleiden jene von ihnen ausgehenden elektromotorischen Kräfte Veränderungen, die negative Schwankung, wie sie du Bois-Reymond nannte. Der Schlag des elek- trischen Organes muss als eine dieser negativen Schwankung analoge Er- scheinung angesehen werden. An den Nerven entdeckte du Bois-Reymond ausserdem noch eine Veränderung der elektrischen Spannungen unter dem Einfluss eines durch einen Theil des Nerven geleiteten constanten Stromes. An der Seite der Anode nehmen die Spannungen zu, an der Seite der Ka- thode ab und zwar in einem mit der Entfernung von den Elektroden regelmässig abnehmenden Maasse. Diesen sogenannten elektrotonischen ı Untersuchungen über thierische Elektrieität. Vorrede. Bd. I. S. 26. ®2 Der erste Band erschien 1848, der erste Theil des zweiten Bandes 1849, der zweite Theil, Bogen 1—24, 1864; Bogen 24—37, grösstentheils schon lange vorher gedruckt, wurden 1884 ausgegeben. Berlin bei G. Reimer. Einzelne Abhandlungen in den Monatsberichten der k. preuss. Akademie und in diesem Archiv in den Jahren 1856— 1890, gesammelt in zwei Bänden 1875 und 1877, Leipzig bei Veit & Comp. — a Aenderungen der Spannung entsprechen, wie Hr. Pflüger später gefunden hat, Aenderungen der Erregbarkeit, welche an der Anodenseite herabgesetzt, an der Kathodenseite erhöht ist und zwar gleichfalls in regelmässig mit der Entfernung von den Elektroden abnehmendem Maasse. Man kann sich heutzutage kaum eine Vorstellung von den Schwierig- keiten machen, welche zur Feststellung dieser Sätze überwunden werden mussten. Um die Verbindung der zu untersuchenden thierischen Theile, welche elektrisch als feuchte, von Elektrolyten durchtränkte Leiter anzusehen sind, mit den metallischen Enden des zum Nachweis der Ströme dienenden Multiplicators herzustellen, ohne dass an diesen Enden, also ausserhalb der thierischen Theile, elektromotorische Kräfte auftraten, bedurfte es lang- wieriger Vorbereitungen. War dies gelungen, so hatte man mit der Pola- risation zu kämpfen, welche die mühsam errungene Gleichartigkeit der Multiplicatorenden oft wieder aufhob. Als im Jahre 1859 die Einführung der gleichartigen und unpolarisirbaren Combination: amalgamirtes Zink und Zinksulfat ! in die Technik der elektro-physiologischen Versuche erfolste, deren Anwendung es heute dem Schüler gestattet, nach kurzer Anweisung die Hauptversuche selbständig nachzumachen, war die grösste Arbeit längst gethan. Zur Untersuchung der Nervenströme reichten die damals vor- handenen Multiplicatoren nicht aus; du Bois-Reymond musste sich einen Multiplicator von genügender Empfindlichkeit erst herstellen, seine Eigen- heiten studiren, die Ablenkung durch die Drahtmassen compensiren. Um Nerven und Muskeln zu reizen und die Reizstärke abstufen zu können, musste das Inductorium mit verschiebbarer secundärer Rolle (Schlitten- inductorium) hergestellt werden. Alle diese Schwierigkeiten überwand du Bois-Reymond nicht etwa spielend. Schritt für Schritt drang er ein in das von ihm zu bebauende Gebiet, dem Pionier vergleichbar, der mit Axt und Feuerbrand dem Urwald in harter Arbeit den Boden abringt, auf dem er seinen Samen aussäen will. Ich habe oben gesagt, dass Muskeln und Nerven elektromotorisch wirken. Aber die Muskeln sind grossen Theils unregelmässig gebaut; nur wenige bestehen aus einander parallelen, von einem Ende des Muskels zum anderen reichenden Fasern. Schneidet man aus einem solchen ein be- liebiges Stück heraus, das durch zwei parallele, zu der Faserrichtung senk- rechte Schnitte begrenzt ist, so erhält man ein Gebilde, dessen Längs- schnittflächen positiv sind gegen die Querschnitte; an den Längsschnitten ist die Mitte (der elektromotorische Aequator) am positivsten, an den Quer- schnitten der Mittelpunkt am negativsten. Zerschneidet man ein solches Muskelstück in kleinere Stücke, so verhält sich jedes Stück genau so wie 1 Monatsberichte der Akademie. 1859. 8. 443. früher das oanze, ähnlich wie sich Bruchstücke eines Magnetstabes als ganze Magnete verhalten, jedes mit einem Nord- und Südpol und einer Zone schwächster Wirkung, dem magnetischen Aequator. Aehnliche Ver- hältnisse zeigen sich an Nerven, deren Fasern in den Nervenstämmen stets einander parallel liegen. Legt man die Querschnitte an den Muskeln schief an, so dass sie mit der Richtung der Fasern einen nichtrechten Winkel bilden, so ergeben sich Verschiebungen der Spannungsvertheilung: die stumpfen Ecken werden an den Längsschnitten positiver, an den Quer- schnitten weniger negativ, die spitzen Ecken an den Längsschnitten weniger positiv, an den Querschnitten stärker negativ. Diese Verhältnisse gestatten, ‚die Erscheinungen an unregelmässig gebauten Muskeln zu deuten. Die erwähnte Aehnlichkeit des elektromotorischen Verhaltens der thie- rischen Theile mit den Magneten veranlasste du Bois-Reymond zur Aufstellung einer Hypothese, welche der allgemein anerkannten Ampöre’- schen von der Constitution der Magnete nachgebildet ist. Muskeln und Nerven bestehen nach ihr aus regelmässig angeordneten Theilchen, den peripolar negativen Molekeln, welche dem Längsschnitt eine positive Mittel- oder Aequatorialzone, den Querschnitten negative End- oder Polarzonen zu- wenden. Bei der Thätigkeit der Muskeln und Nerven und im Elektro- tonus sollen die Molekeln Lageveränderungen der Art erfahren, dass daraus die beobachteten Aenderungen der Spannung folgen. Hs ist bemerkenswerth, dass die neueren Entdeckungen über den Bau der Muskelfasern sich mit der du Bois-Reymond’schen Vorstellung sehr gut vereinigen lassen. Man kann nämlich die kleinsten Theilchen, durch deren elektrische Potentialdifferenzen die Erscheinungen an ganzen Muskeln oder beliebigen Stücken derselben erklärt werden sollen, sehr wohl mit dem zusammenstellen, was die Histiologen „Muskelkästehen“ genannt haben. Nur thut man gut, die irreleitende Bezeichnung „Molekeln“ fallen zu lassen und lieber von „Muskelelementen‘“ zu sprechen oder einen ähnlichen un- verfänglichen Ausdruck zu gebrauchen.” Für den Nerven freilich ist ein analoger Parallelismus zwischen Strukturelementen und hypothetischen Trägern der elektrischen Spannungen nicht so deutlich nachgewiesen. Ausserdem ist zu erwähnen, dass, wie Helmholtz gezeigt hat, die Span- nungsvertheilung an der Oberfläche eines nach du Bois-Reymond’s Hypothese mit elektromotorischen Kräften erfüllten Leiters den thatsächlich vorhandenen Spannungen entspricht.? ! Vergl. Rosenthal, Allgemeine Physiologie der Muskeln und Nerven. Leipzig Sn Ss, 2224. 2 Helmholtz, Poggendorff’s Annalen. Bd. LXXXIX. S. 211fl.; Rosen- thal, a. a. O. S. 228. Für das elektrische Organ hat Kirchhoff eine mathematische Ableitung gegeben. Du Bois-Reymond, Ges. Abh. Bd. II. S. 637. N. Ich musste diese Auseinandersetzung vorausschicken, um klar zu machen, welche Bedeutung wir der seit dem Jahre 1867 zunächst von Hrn. L. Hermann begonnenen Bekämpfung der du Bois-Reymond’- schen Lehren zuzuschreiben haben. Nach Hrn. Hermann sind die be- schriebenen, von du Bois-Reymond beobachteten Erscheinungen an den Muskeln und Nerven nicht, wie jener angenommen hatte, bedingt durch elektromotorische Kräfte im Innern des Muskels oder Nerven, sondern sie entstehen erst durch die Anlegung der Querschnitt. An den Schnitten sterbe die lebende Substanz äusserst: schnell bis auf eine gewisse Entfernung hin ab, und diese abgestorbene Schicht verhalte sich negativ gegen die lebende. Es lässt sich nicht leugnen, dass man sich die Sache so vorstellen kann; aber daraus folgt noch nicht, dass man sie sich auch so vorstellen muss, dass jede andere Vorstellung, welche den Thatsachen gleichfalls gerecht wird, falsch sei. Allerdings hat du Bois-Reymond selbst nach- gewiesen, dass die Muskelsubstanz, welche während des Lebens neutral oder zuweilen schwach alkalisch reagirt, beim Absterben sauer wird, und ebenso muss zugegeben werden, dass das Absterben an der Schnittstelle rasch ein- tritt. Aber nicht bewiesen ist, dass zwischen lebender und abgestorbener Muskelsubstanz eine elektromotorische Wirkung bestehe, welche der Grösse und dem Vorzeichen nach derjenigen zwischen Längs- und Querschnitt des Muskels gleich ist. Das wird vielmehr von Hrn. Hermann als selbst- verständlich vorausgesetzt. Für den Nerven fehlt es ferner an einer der Säuerung der Muskelsubstanz analogen Erfahrung. Beide Hypothesen stehen sich also zunächst höchstens gleichwerthig gegenüber, und erst die Betrach- tung der übrigen Thatsachen kann zu Gunsten der einen oder der anderen den Ausschlag geben. Hierfür soll nach der Ansicht vieler heutiger Physio- logen entscheidend sein die sogenannte „Präexistenzfrage‘“, d.h. die Frage, ob an einem unversehrten lebenden Muskel überhaupt Potentialdifferenzen nachweisbar sind. Nach den ersten Angaben du Bois-Reymond’s sollten die sogenannten natürlichen Querschnitte eines Muskels, d. h. die vom Sehnengewebe über- zogenen Enden der Muskelfasern gleichfalls negativ gegen den Längsschnitt sein. Als er dann später fand, dass natürliche Querschnitte weniger oder zuweilen gar nicht negativ sind, stellte er die Lehre von der parelektrono- mischen Schicht oder parelektronomischen Strecke auf, d. h. er nahm an, dass an den natürlichen Faserenden die Anordnung der elektromotorisch wirksamen Theilchen eine andere sei, als in den anderen Theilen der Faser. Von Hrn. Hermann wird die Präexistenz des Muskelstromes schlechtweg geleugnet. Findet man bei noch so sorgfältiger Präparation an einem voll- kommen unversehrten Muskel den Querschnitt negativ, dann behauptet er, dass trotz aller Vorsicht dennoch etwas von dem Hautsecret an denselben XVIl gekommen sei, und es wird schwer sein, das Gegentheil zu beweisen. Wird aber keine Potentialdifferenz gefunden, dann erklärt er das für den nor- malen Zustand, was wiederum nicht widerlegt werden kann. Wir werden daher gut thun, die Präexistenzfrage als unentschieden anzusehen. Ja wir können sogar so weit gehen, mit Hrn. Hermann anzunehmen, ein normaler Muskel sei wirklich stromlos; was würde daraus für die du Bois-Reymond’- sche Auffassung folgen ? Wenn die Muskelelemente in der Weise, wie du Bois-Reymond an- nahm, Träger elektrischer Potentialdifferenzen sind, so lässt sich nach dem von Helmholtz entwickelten Princip der elektromotorischen Oberfläche die Vertheilung der Spannungen an dieser Oberfläche berechnen. Ist der un- versehrte Muskel stromlos, d. h. haben alle Punkte der Oberfläche gleiches Potential, dann muss man eine solche Aenderung in der Grundannahme machen, dass auch dieser Forderung genügt wird. Das leistet du Bois- Reymond’s Annahme von der parelektronomischen Schicht. Sie ist also theoretisch durchaus zulässig. Wem diese Betrachtungsweise nicht anschaulich genug erscheint, der wird vielleicht durch den Vergleich mit den Magneten den Sinn derselben leichter erfassen. Man denke sich einen Faraday’schen geschlossenen Ringmagneten, ein sogenanntes Toroid, wie man jetzt sagt. Ein solches Toroid zeigt nach aussen keinerlei magnetische Wirkungen. Schneidet man aber aus demselben einen Sector heraus, so werden dieser sowohl wie der Rest sich als Magnete erweisen, jeder Theil wird einen Nordpol und einen Südpol haben. Angenommen, die ersten Magnete, welche den Physikern zu Händen sekommen, wären solche Ringmagnete gewesen. Hätte nicht ein findiger Kopf auf den Gedanken gerathen können, der nach dem Abfeilen eines Stückes auftretende Magnetismus wäre erst durch dieses Abfeilen entstan- den? Er hätte gewiss auch irgend eine scharfsinnige Hypothese ersinnen können, um das Auftreten anziehender und abstossender Wirkungen, die vorher nicht da waren, zu erklären. So aber hat der historische Gang der Erfahrung, welche uns erst mit natürlichen und künstlichen Magneten und ihren Eigenschaften, dann mit den Erscheinungen der magnetischen Induc- tion, dem Elektromagnetismus u. s. w. bekannt machte, die Physiker zu der Auffassung geführt, dass ein jeder Magnet aus einer grossen Zahl kleinster Magnete bestehe, ja dass solche schon im unmagnetischen Eisen existiren, nur nicht regelmässig geordnet; und diese Auffassung hat selbst gegenüber der von Faraday herrührenden, jetzt erst zum Durchbruch kommenden Auffassung von den Kraftlinien Stand gehalten. Die Veränderungen, welche bei der Thätigkeit in Muskeln und Nerven entstehen, hat du Bois-Reymond als „negative Schwankung“ bezeichnet, * xvIm — was zunächst nur besagt, dass sie entgegengesetztes Vorzeichen haben, wie die gewöhnlich von ihm beobachteten Ströme zwischen Längs- und Quer. schnitt. Ein wesentlicher Fortschritt in der Kenntniss derselben nach du Bois-Reymond’s grundlegender Arbeit wurde von Hrn. Bernstein! an- gebahnt, welcher zeigte, dass bei localer Reizung von Muskel- oder Nerven- fasern gleichzeitig mit dem Erregungsvorgang und mit gleicher Geschwindig- keit eine elektrische Veränderung sich fortpflanzt der Art, dass die erregte Stelle negativ wird gegen jede zurückliegende oder folgende ruhende Stelle. Hr. Hermann hat hierzu noch die Hypothese gefügt, dass bei Erregung des Muskels vom Nerven aus analoge negative Wellen von der Nerven- eintrittsstelle aus nach den Enden der Muskelfasern hinlaufen. Er nennt die bei der Thätigkeit auftretenden Aenderungen der Potentialvertheilung „Actionsströme“. Der Name ist zweckmässig. Für unsere Auffassung ist es aber ohne Belang, ob die neu auftretende Wirkung sich zu einem Strom algebraisch hinzuaddirt, dessen Intensität einen positiven Werth hat oder den Werth Null. Diese Veränderungen lassen sich, wenn man von der Hypothese du Bois-Reymond’s ausgeht, leicht durch Lageänderungen der „Molekeln“ anschaulich machen. Hr. Hermann aber nimmt an, dass in den erregten Theilchen chemische Umänderungen Platz greifen, Zersetzungen oder Spal- tungen einer hypothetischen Substanz, analog den Zersetzungen oder Spal- tungen beim Absterben; durch diese werde die erregte Stelle negativ. Un- mittelbar darauf aber finde die Wiederherstellung der ursprünglichen Sub- stanzen statt, und damit höre die Potentialdifferenz auf.? Man kann die Vorstellung du Bois-Reymond’s eine mechanische oder physikalische nennen und im Gegensatz dazu die des Hrn. Hermann eine chemische. Es giebt, wenn ich so sagen darf, physikalische und chemische Köpfe. In der Vorstellung der einen stellt sich Alles, worüber sie nachdenken, unter dem Bilde von Bewegungen oder Lageveränderungen von Molekeln dar, bei den anderen unter dem Bilde chemischer Vorgänge. Ich vermuthe, dass entscheidend dafür, welche Art von Vorstellungen den Vorrang gewinnen, die ersten und darum auch festesten Associationen sind, welche sich beim Nachdenken über wissenschaftliche Probleme gebildet haben. Solche feste Associationen werden schliesslich zu einer fast unwider- 1 J. Bernstein, Monatsberichte der k. preuss. Akademie 1867. 8. 444 und Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem. Heidel- berg 1871. ° In seiner neueren Darstellung (Handbuch der Physiologie. Bd. I. Hft. 1. 8. 205 ff.) giebt Hr. Hermann diese seine Erklärung zwar in weniger bestimmter Weise wieder als in seinen ersten Publieationen; dass er sie aber noch für zutreffend hält, geht aus seinen Erörterungen über die Theorie der Contraction hervor (8. 250 ff.). XIX stehlichen Macht, welche anderen Vorstellungen den Eintritt in den Ideen- kreis ganz und gar verwehrt. | -Mir will jedoch scheinen, dass auch chemische Gesichtspunkte uns ab- halten sollten, die Hermann’sche Auffassung für eine glückliche zu halten. Ein tetanisch contrahirter Muskel, der äusserlich keinerlei Gestaltverände- rung aufweist, lässt einen Ton hören und zeigt dadurch an, dass in seinem Innern Bewegungen stattfinden. Bei willkürlich zusammengezogenen Mus- keln entspricht der Ton 32—36 Schwingungen in der Secunde. Helm- holtz hat es sehr wahrscheinlich gemacht, dass das, was wir hören, der erste Oberton ist, dass also eigentlich 16—18 Schwingungen in der Secunde statthaben. Wenn man aber einen Muskel von seinem Nerven aus durch schnell auf einander folgende Inductionsströme reizt, dann entspricht die Tonhöhe genau der Anzahl der Reize. Man kann so leicht 500 bis 600 Schwingungen in der Secunde erzeugen. Und jeder dieser molecularen Bewegungen entspricht eine elektrische Schwankung. Die Magnetnadel zwar kann diesen schnellen Schwankungen nicht folgen. Leitet man aber die Muskelströme durch den Nerven eines zweiten Muskels, so verfällt dieser in secundären Tetanus.° Ist es nun, frage ich, leicht, sich vorzu- stellen, dass Spaltungen und Synthesen in den chemischen Bestandtheilen des Muskels mit diesen Geschwindigkeiten sich vollziehen? Demgegenüber scheint mir die Vorstellung bewegter Molekeln, welche uns von den Er- scheinungen des Magnetismus her geläufig ist, den Vorzug zu verdienen. Auch du Bois-Reymond’s Lehre vom Elektrotonus der Nerven lässt Hr. Hermann nicht gelten. Nach ihm sind die betreffenden Erscheinungen nur Folgen der Polarisation eines von elektrolytisch leitender Masse um- gebenen Kernleiters. Ob unter letzterem der Axencylinder oder der ganze Inhalt der Nervenfaser zu verstehen sei, lässt er unentschieden, neigt aber mehr zu letzterer Ansicht. In diesem Falle wäre die elektrolytisch leitende. Hülle durch das Neurilemma, im ersteren durch die Markscheide gegeben Einen Versuch, aus dieser Auffassung des Elektrotonus die mit demselben verbundenen, von Hrn. Pflüger entdeckten Veränderungen der Erregbar- keit abzuleiten, hat er nicht gemacht. Ebenso wenig hat er bewiesen, dass zwischen den in der Nervenfaser vorhandenen Substanzen Polarisation von der Stärke, wie sie zur Erklärung der Erscheinungen erforderlich wäre, auftritt. Aus dem Gesagten geht wohl unwiderleglich hervor, dass an den that- sächlichen Feststellungen du Bois-Reymond’s so gut wie nichts geändert ist und dass sich der ganze Streit nur um die hypothetischen Vorstellungen dreht. Alles Hypothetische ist aber nur ein Gleichniss. Hypothesen sind Formeln, durch welche eine Summe von Einzelthatsachen, in einen kurzen Satz zusammengefasst, dargestellt werden kann. Lassen sich aus dem Satz, x x: wie aus dem Major in einem guten Syllogismus, durch Deduction Schluss- folgerungen ableiten, welche mit der Erfahrung übereinstimmen, dann ist die Hypothese gut. Müssen aber immer neue Hülfshypothesen gemacht werden, um jede Einzelerscheinung zu deuten, dann ist der Zweck der wissenschaftlichen Betrachtung, den Zusammenhang der Einzelthatsachen unter einander klar zu legen, nicht erreicht. Solche Hypothesen sind daher für den Fortschritt der Wissenschaft von geringem oder keinem Werth. Mit seinem grossen Werke waren du Bois-Reymond’s Arbeiten über die elektromotorischen Wirkungen der thierischen Gewebe abgeschlossen. Die Nachträge zu demselben, deren letzter 1890 erschien, betreffen nur einzelne Fragen und ändern an dem Ganzen nichts Wesentliches. Dagegen beschäftigte ihn während dieser Zeit fortwährend das Problem der elek- trischen Fische. Selbstverständlich mussten diese merkwürdigen Thiere, deren gewaltige Wirkungen über die elektrische Natur derselben keinen Zweifel zulassen, ihn mächtig anziehen. Im Jahr 1857 gelang es ihm zum ersten Male, lebende elektrische Fische (Malopterurus electricus aus Südafrika) in Berlin unter- suchen zu können. Später erhielt er auch lebende Torpeden. Zum Studium der elektrischen Gymnoten wurde auf sein Betreiben der leider kurz nach der Rückkehr auf einer Bergfahrt verunglückte Dr. Carl Sachs aus Mit- teln der Humboldstiftung von der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften ausgesandt. Einen schönen Nachruf hat du Bois-Reymond diesem seinem begabten Schüler gewidmet,! das Ergebniss seiner Versuche hat er nach den hinterlassenen Tagebuchaufzeichnungen bearbeitet und nebst zwei anatomischen Abhandlungen des Hrn. Fritsch über Gehirn und Rückenmark und über das elektrische Organ des Gymnotus als besonderes Buch herausgegeben.” Aus den anatomischen Arbeiten von Bilharz, Boll, M. Schultze, Babuchin und Fritsch geht hervor, dass die elektrischen Organe sozusagen umgewandelte Muskeln sind. Hieraus und aus den physiologischen Versuchen hat du Bois-Reymond den Schluss gezogen, dass auch in elektrischer Beziehung die sogenannten elektrischen Platten, welche als Grundelement der elektrischen Organe anzusehen sind, den Muskeln ähnlich wirken und wie diese durch den Nerven zur Thätigkeit angeregt werden; der veränderten Structur ist es zuzuschreiben, dass diese Thätigkeit nicht als Contraction, sondern durch den elektrischen Schlag sich äussert. ! Deutsche Rundschau. Bd. XVIIL. 8.390. — Auch abgedruckt in den Reden. 2. Folge. S. 384 und im Eingang zu dem Buch: Dr. Carl Sachs, Untersuchungen am Zitteraal. Leipzig, Veit & Comp. 1881. ” Vgl. die vorige Note. — XXI — Allgemein ist die Ansicht verbreitet, dass du Bois-Reymond in den von ihm festgestellten elektromotorischen Erscheinungen an Muskeln und Nerven eine für die Erklärung ihrer Thätigkeit hochwichtige Eigenschaft gleichsam das Geheimniss der Muskel- und Nervenwirksamkeit selbst ge- funden zu haben glaubte. Und in der 1848 geschriebenen Vorrede zu seinen Untersuchungen spricht er sich auch ziemlich zuversichtlich in diesem Sinne aus. Diese Zuversicht war nach seinen damaligen Erfolgen nur zu erklärlich. Nachdem Hausen in einem 1744 (ein Jahr nach seinem Tode) erschienenen Werke zuerst die Ansicht ausgesprochen hatte, dass alle sogenannten Naturkräfte auf ein und dasselbe „Fluidum“ zurückgeführt werden könnten, als welches er die Elektrieität ansah, und dass dieses auch den „Spiritus animales“ der Nerven zu Grunde liege, nachdem Galvani 1791 und bald darauf Volta den Grund zu der neuen Rlektrieitätslehre, aber auch zu der späteren Elektrophysiologie gelegt hatten, nachdem du Bois-Reymond selbst 1843, genau hundert Jahre nach Hausen, Ströme in Muskeln und Nerven und ihre Veränderungen bei der Thätigkeit mit exacten Methoden, gemäss dem Standpunkte der damaligen physikalischen Kenntnisse, nachgewiesen hatte, lag es wohl nahe, die enge Zusammen- gehörigkeit beider oder gar ihre Identität anzunehmen. Aber schon im Jahre 1849, in dem Werke selbst?, spricht er sich viel vorsichtiger aus: „Es wird darnach gerechtfertist erscheinen,“ sagt er dort, „wenn wir die negative Schwankung fortan als das äussere Anzeichen der inneren Be- wegung im Nerven hetrachten, aus welchem sich jener Vorgang zusammen- setzt, gerade wie wir die negative Schwankung des Muskelstromes als das Merkmal der inneren Bewegungen im Muskel betrachten, welche die Zu- sammenziehung zur Folge haben.“ In dieser Fassung kann der Satz auch heute noch als richtiger Aus- druck der uns bekannten Thatsachen gelten. Zwar haben manche jüngere Physiologen die elektrischen Erscheinungen der Muskeln und Nerven als etwas Aceidentelles hinstellen wollen, indem sie die Erzeugung elektrischer Potentialdifferenzen, ohne genügende thatsächliche Grundlagen, als eine allgemeine Eigenschaft aller lebenden Substanz ansehen.” Dem ist aber nicht so. Ausser Muskeln, Nerven und den elektrischen Organen der Fische zeigt nur noch ein Gewebe regelmässige elektrische Erscheinungen, das Drüsengewebe. Wegen des unreselmässigen Baues der meisten Drüsen hat an allen Punkten ihrer Oberfläche das Potential entweder gleiche ! Untersuchungen. Bd. 1. 8. 15. * Ebenda. 1849. Bd. II. Abth. 31. S. 563. ® Die an Pflanzen (Dionaea u. a.) nachgewiesenen AuEmasehen Erscheinungen haben eine ganz ändere Bedeutung. — XxI Werthe, oder die Differenzen sind ganz unregelmässig. Wo aber sogenannte einfache Drüsen in regelmässiger Anordnung neben einander stehen, ist die Gesetzmässigkeit ihrer Wirkungsweise nachweisbar.! Es ist aber gewiss bemerkenswerth, dass, wie die Muskeln und die elektrischen Organe der Zitterfische, auch die Drüsen unter dem Einflusse der Nerven stehen, und dass sie wie jene durch Reizung ihrer Nerven zur Thätigkeit angerest werden. In den Muskeln zeigt sich die Thätigkeit als Contraction, in den elektrischen Organen als elektrischer Schlag, in den Drüsen als Secretion. Aber die Erregung ist überall, in den Nerven wie in den von den Nerven aus erregbaren Organen, mit elektrischen Schwankungen verbunden. Wir haben also allen Grund, diese elektrischen Schwankungen als eine constante und darum auch wohl wesentliche Begleiterscheinung dessen anzusehen, was wir bei allen diesen Organen als specifische Erregbarkeit oder Reizbar- keit kennen, und was physikalisch als Auslösung potentieller Energie be- zeichnet werden kann. Als du Bois-Reymond im Jahre 1853 den Lehrstuhl Johannes Müller’s bestieg, war seine wissenschaftliche Hauptarbeit im Wesentlichen abgeschlossen. Neben der Ergänzung und Vervollständigung derselben be- schäftigte ihn jetzt die Bereicherung des physiologischen Instrumentariums mit neuen Vorrichtungen und Versuchsweisen und die Ausgestaltung des physiologischen Unterrichts mit Unterrichtsmitteln. Viele Demonstrations- versuche, welche jetzt Gemeingut aller Lehrer der Physiologie sind, wurden damals ausgearbeitet und sorgfältig geprüft.” Daneben entfaltete er eine rege Thätigkeit in der Ausbildung jüngerer Forscher. Aus den Ländern Europas sowie aus Amerika strömten Jünger herbei, von denen viele jetzt auf Lehrstühlen wirken. Nur das Physiologische Institut in Leipzig unter Ludwig’s Leitung konnte sich einer gleichen Anziehungskraft rühmen; aber dieses Institut war mit einem damals noch ungewöhnlichen Aufwand von Mitteln neu eingerichtet, während du Bois-Reymond’s Laboratorium aus zwei kleinen Zimmern und einem schmalen Gange im obersten Stock des Universitätsgebäudes bestand. Als dann endlich das grossartige Institut, in dem wir hier versammelt sind, nach du Bois-Reymond’s eigensten Plänen entstand, konnte er, auf die Erfahrungen jahrelanger erfolgreicher Lehrthätigkeit gestützt, in ihm das Ideal seines Lebens verwirklicht sehen, der physiologischen Forschung und Lehre eine Stätte zu bereiten, in welcher ‘So in der Haut der Amphibien, wo schon du Bois-Reymond auf sie auf- merksam wurde, sowie in den Drüsen der Schleimhäute. Vgl. J. Rosenthal, dies Archiv. 1865. S. 301. ? Die Apparate sind zum Theil beschrieben in der Abhandlung: Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchsweisen zu elektro-physiologischen Zwecken. Abhandl, der k. preuss. Akademie. 1862. Ges. Abhandl. Bd. I. 8, 145. XXIII alle Zweige dieser ausgedehnten Wissenschaft gleichmässig eine würdige Vertretung finden. Was du Bois-Reymond seinen Schülern bieten konnte, war vor Allem die Unterweisung in der exacten Arbeit, in der Benutzung und Ver- werthung der Hülfsmittel der verwandten Wissenschaften, namentlich der Physik, in der geschickten Verwendung der gegebenen, in der sinnreichen Erfindung neuer und zweckentsprechender Apparate. Auf ihn passt, was Benjamin Franklin gesagt hat, dass Niemand ein Physiker werden könne, der nicht im Nothfalle mit der Säge zu bohren oder mit dem Bohrer zu sägen im Stande wäre. Wie er selbst als junger Mann sich seine Apparate aus Glasplatten und Stäben, Kork und Siegellack gefertigt, wie er seinen ersten grossen Multiplicator für den Nervenstrom sich selbst ge- wickelt hatte, so lernte man von ihm sich seine Vorrichtungen mit geringen Hülfsmitteln herstellen und dennoch gute Untersuchungen machen. Waren die Apparate aber erprobt, dann liebte er es, sie zum Gebrauch Aller auf das Beste und mit einer gewissen Eleganz ausführen zu lassen, worin ihn sein stets hülfsbereiter Freund Halske und der vortreffliche Sauerwald, den wohl noch manche der Anwesenden gekannt haben, wirksam unter- stützten. In den zwanzig letzten Jahren seines Lebens war du Bois-Reymond’s Arbeit fast ausschliesslich von seinen Geschäften als beständiger Secretär der Akademie der Wissenschaften und von seinen Amtspflichten in An- spruch genommen. Daneben aber laufen seine Bestrebungen zur Ausbrei- tung naturwissenschaftlicher Erkenntniss auch ausserhalb seines engerer Zuhörerkreises. Diese Bestrebungen haben ihn berühmt gemacht auch in solchen Kreisen, welche von seinen eigentlichen wissenschaftlichen Leistungen kaum etwas wissen; sie haben ihm viel Ruhm und Lob, aber auch viel Widerspruch und Anfeindungen zugezogen. Zum Thema seiner akademischen Reden! wählte er neben jenen histo- rischen und litterarischen Studien, von denen schon im Eingang die Rede war, gelegentlich auch allgemeine naturwissenschaftliche und philosophische Fragen. Er war ein eifriger Verfechter der Darwin’schen Lehre, zu deren Ausbreitung und Begründung er auch in seinen Öffentlichen Vorlesungen „Ueber physische Anthropologie“ und „Ueber einige neuere Fortschritte der Naturwissenschaften“ beigetragen hat. In der Philosophie vertrat er einen geläuterten Materialismus, der freilich weit entfernt war von jenem seichten und groben Materialismus der fünfziger Jahre, dessen Vertreter in ihrer ! Sie sind nebst einigen ausserhalb der Akademie gehaltenen gesammelt er- schienen unter dem Titel: Reden von Emil du Bois-Reymond bei Veit & Comp. in Leipzig. 1. Folge 1886, 2. Folge 1887. — XXI — Unkenntniss über manche Schwierigkeiten des Problems sich mit leeren Redensarten hinwegsetzten, ohne das Hohle und Leere ihrer Phrasen zu merken. Durchdrungen von der Ueberzeugung, dass alle Naturvorgänge nur erkannt werden vermöge der uns durch die Sinne zugeführten Empfin- dungen, sah er in der mechanischen Auffassung jener Vorgänge unter dem Bilde von Bewegungen materieller Atome die einzig mögliche Art der wissenschaftlichen Erkenntnis. Um so nachdrücklicher wies er auf die Grenze dieser Erkenntniss hin, da, wie er ausführlich darlegte, die Vor- stellung von Bewegungen materieller Theilchen niemals darüber Aufschluss giebt, wie aus diesen Bewegungen Empfindung und Bewusstsein entstehen könne. Wie man auch zu diesen höchsten Fragen, welche den mensch- lichen Geist seit Jahrtausenden bewegen, sich stellen mag, niemand wird leugnen, dass du Bois-Reymond redlich bemüht war, die Anschauungen, zu denen er als der Frucht seiner langen und tiefen Studien gelangt war, nach gewissenhafter Prüfung mit tapferem Freimuth auszusprechen, und dass er sie mit logischer Schärfe und mit einer gerade in der Discussion solcher Fragen seltenen Beredsamkeit vorgetragen und vertheidigt hat. Unwillkürlich drängt sich bei Erwähnung dieser Schriften die Erinnerung an jene erste, allgemeine Fragen der Lebenslehre betreffende Abhandlung „Ueber die Lebenskraft“ auf, welche du Bois-Reymond der Vorrede zu seinen „Untersuchungen über thierische Elektrieität“ einverleibt hat.” Und wahrlich, der Glanz, welchen grössere Lebenserfahrung, vertiefte Studien, umfassendere Kenntniss der Litteratur, geläuterter Stiel den Schriften des reiferen Mannesalters verleihen, vermögen nicht das helle Lieht zu ver- dunkeln, das von jener Arbeit ausgeht. Getragen von dem Bewusstsein, eine grosse Sache zu vertreten, kämpft der Verfasser mit feurigem Schwung und glühender Begeisterung für die von ihm erkannte Wahrheit gegen die damals trotz vereinzelter Angriffe noch unerschüttert herrschende Lehre. Und eben dadurch erklärt sich auch sein grosser und durchschlagender Erfolg. Wie Karl der Grosse die Irmensäule stürzte, so sank unter den wuch- tigen Hammerschlägen der du Bois-Reymond’schen Kritik jener Götze der Lebenskraft und eine geläuterte, wissenschaftliche Auffassung konnte ihren Einzug halten in den Gedankenkreis der Physiologen. Ein glück- liches Zusammentreffen günstiger Umstände hat gerade zu rechter Zeit auch in der Entdeckung des Gesetzes von der Unveränderlichkeit des Energievorrathes die Richtschnur finden lassen, welche in der heutigen Physiologie allen Betrachtungen über Lebensvorgänge eine Stetigkeit ver- U Untersuchungen. Bd.I. S. 34—50; abgedruckt in den Reden. 2. Folge. 8.8 ff. XXV leiht, an der es damals noch fehlte" Ein zweiter glücklicher Umstand war es, dass zu gleicher Zeit durch Hrn. Virchow der Grund zu einer neuen wissenschaftlichen Pathologie gelegt wurde, welche auch die Medi- einer den neuen Anschauungen zugänglicher machte. Darum zweifle ich nicht, dass die neue vitalistische Regung, gegen welche auch du Bois- Reymond wieder Stellung genommen hat?, bald wieder verschwunden sein wird. Du Bois-Reymond war ein ausgezeichneter Schriftsteller. Seine Schriften gehören zu dem Besten, was in deutscher Prosa geschrieben worden ist. Auch sein mündlicher Vortrag war stets sehr gewählt in Ausdrucksweise und Satzbau. Letzterer erinnert, wenigstens in den Schriften der früheren Jahre, daran, dass Französisch die Sprache seines elterlichen Hauses war, dass er an den glänzenden Schriftstellern jenes Landes sich ebenso sehr gebildet hatte wie an deutschen Mustern. Französisch war auch seine Vorliebe für einen gewissen Prunk der Sprache, für das, was die Franzosen „des grands mots“ nennen, für glänzende Bilder und geist- reiche Antithesen. Das trat selbst in der gewöhnlichen Unterhaltung her- vor, in der er oft durch Wendungen überraschte, von denen es zweifelhaft bleiben musste, ob sie geistreiche Eingebungen des Augenblickes waren oder glücklich angewandte Beispiele seines erstaunlichen Gedächtnisses. Und dieser Kelte, in dessen Adern wohl kaum ein Tropfen germanischen Blutes rann, der von französischer Bildung durchtränkt, französische Litte- ratur und Cultur auf das höchste schätzte, war doch ein echter deutscher Patriot, der flammende Worte fand, wenn es galt, fremde Ungebühr ab- zuwehren, der deutsches Wesen gegenüber fremdem mit liebevoller Sorg- falt psychologisch zu ergründen suchte. Das sollte denen zu denken geben, welche Rasseneigenschaften einen ungebührlichen Einfluss auf das Denken, Empfinden und Handeln moderner Culturmenschen zuschreiben. Aber seine Liebe zu Deutschland hinderte ihn nicht, Schatten zu erkennen und War- nungsrufe zu erheben, wo er es für nöthig fand. Sein Patriotismus war echt, gerade weil er frei blieb von Selbstbespiegelung und schmeichelnder Verherrlichung der Fehler seines Volkes auf Kosten anderer. Jetzt ist der beredte Mund verstummt, der so oft grosse und schöne Worte gesprochen. Mit ihm ist dahingegangen der Letzte derer, welche um ! Vgl. hierüber meinen Vortrag über Lavoisier, Verhandlungen der Gesell- schaft deutscher Naturforscher und Aerzte. Versammlung zu Bremen. Leipzig 1890. S. 113. — Biologisches Centralblatt. 1890. 8. 525. 2 Sitzungsberichte der k. preuss. Akademie. 1894. — Deutsche Rundschau. Bd. LXXXI. S. 384. SE — die Mitte unseres Jahrhunderts der experimentellen Naturwissenschaft neue Bahnen eröffneten. Einsamer und einsamer wurde es um ihn, aber noch hielt er sich aufrecht, einem knorrigen Eichbaum vergleichbar, der den Stürmen trotzt. Nun, da auch er gefallen, wie kurz vor ihm alle, die seinem Herzen nahe standen und zu denen wir mit bewundernder Ehr- furcht aufsahen, der feinsinnige Brücke, der geniale Helmholtz, der er- findungsreiche Siemens und so viele andere, beschleicht tiefe Wehmuth unsere Herzen! Denn ach! wir werden niemals ihresgleichen sehen. MAY 11 1897 Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere. Von Dr. med. Paul Schultz, Assistenten am physiologischen Institut zu Berlin. (Hierzu Taf. 1 u. 11.) Bei meinen Untersuchungen über den Einfluss der Temperatur auf das physiologische Verhalten der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere lag es nahe zu prüfen, welchen Einfluss Erwärmung und Abkühlung auf die Leistungsfähigkeit dieser Gebilde bei ihrer durch den elektrischen Reiz hervorgerufenen Zusammenziehung ausübt. Diesen Einfluss für die quer- gestreiften Muskeln hatten Gad und Heymans! in erschöpfender Breite und eleganter Form in ihrer von der Pariser Akademie der Wissenschaften preisgekrönten Arbeit dargelegt; und es galt für mich, die gleichen Methoden der Untersuchung, welche sich dort in so hohem Maasse als zureichend er- wiesen hatten, mutatis mutandis auf die längsgestreiften Muskeln anzu- wenden. Dies ist, wie ich an anderer Stelle auseinandergesetzt habe, ? möglich, da in der Ringmusculatur des Froschmagens diese Muskeln in gleichmässiger paralleler Anordnung sich finden, und damit ihre physiolo- gische Untersuchung sich in breitester und leichtester Weise eröffnet. Den Einfluss verschiedener Temperaturen auf den Contractionsvorgang dieser Muskeln zu studiren musste ja von besonderem Interesse sein inso- ! Gad und Heymans, Ueber den Temperatureinfluss auf die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz. Dies Archiv. Suppl. 1890. ? Siehe die folgende Abhandlung. Archiv f. A. u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 1 2 PaAuL SCHULTZ: fern, als man seit langem weiss, dass die längsgestreiften Muskeln vorzüg- lich empfindlich gegen Erwärmung und Abkühlung sind. Nicht mindere Anziehung bot, sie dabei isotonisch und isometrisch arbeiten zu lassen. Zum ersten Mal wird hier für diese Muskeln der Versuch gemacht, ihre chemische potentielle Energie einmal in kinetische Energie zu verwandeln, indem sie das gleiche kleinste Gewicht! auf eine möglichst grosse Höhe erheben, das andere Mal in mechanische potentielle Energie überzuführen, indem sie ein möglichst grosses Gewicht auf die gleiche kleinste Höhe! heben oder, da dies nicht durchführbar ist, indem sie mit zunehmender Thätigkeit zunehmende Spannung entwickeln. Aus der Vergleichung dieser beiden Arten, die Muskeln bei ihrer Erregung wirken zu lassen, ergeben sich wichtige Schlüsse für die inneren, molecularen Vorgänge bei der Con- traction, insbesondere wenn sie sich unter dem Einfluss einer bestimmten bekannten Variabeln, wie hier der Temperatur, vollziehen. Die Muskelstücke, mit welchen die folgenden Untersuchungen ange- stellt sind, waren im Mittel 11% lang, 31/, == breit und 1I== dick, der Querschnitt betrug also etwa 3!/, wm, Da die Muskelzellen des Frosch- magens im Durchschnitt 0-38 "= lang, 0.008" breit sind, und ihre Dicke etwa die Hälfte ihrer Breite beträgt, so lässt sich die Zahl der in einem solchen Stück enthaltenen Elemente auf ungefähr 3 bis 4 Millionen schätzen. Hieraus ergiebt sich wohl ohne Weiteres, dass geringe Abweichungen in der Länge und Breite des Stückes, wie sie ja selbstverständlich sind, keinen wesentlichen Einfluss haben können. _ Ebenso dürften diese Zahlen Bedenken beschwichtisen, welche sich gegen die Art. der Praeparation erheben könnten, als bewirke diese eine schwere Schädigung der Muskeln, so dass man überhaupt werthvolle Er- gebnisse auf diese Weise nicht erwarten dürfe. Aber, wie ersichtlich, ver- letzen «lie Schnitte, mit welchen man sich das Praeparat zurechtschneidet, nur immer einzelne Fasern, deren Zahl im Verhältniss zur Gesammtmenge gar nicht in Betracht kommt. Selbstverständlich bildet die Praeparation einen Reiz und bewirkt eine starke Zusammenziehung, doch löst sich die- selbe nach kurzer Zeit, und die Untersuchung kann beginnen. Uebrigens erhält man bei Anwendung maximaler Reize regelmässige und überein- stimmende Curven der ausgelösten Contractionen, eine Thatsache, welche wohl die beste Widerlegung aller theoretischen Einwände nach dieser Rich- tung hin sein dürfte. ! Wenn diese Grössen unendlich klein wären und bei der Isotonie die inneren Widerstände (Reibung, Querdehnbarkeit) = 0 wären, so wäre natürlich eine ideale Isotonie und Isometrie gewonnen. TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 3 Einige Punkte scheinen freilich schwerer ins Gewicht zu fallen und die Vergleichung dieser Ergebnisse mit denen von Gad und Heymans zu beeinträchtigen. Zunächst ist die Länge der einzelnen Zellen beträchtlich kleiner als die Länge des Muskelstückes. Während wir annehmen, dass im Sartorius und Semimembranosus des Frosches die einzelnen Primitivfasern ebenso lang sind, wie der ganze Muskel, liegen in unserem Praeparat etwa 30 Zellen in der Längsrichtung hintereinander. Aber auch für den quergestreiften Muskel darf es gegenwärtig als sicher gestellt angesehen werden, dass be- sonders in längeren Muskeln zahlreiche Primitivfasern frei endigen, also kürzer sind als der Gesammtmuskel; und doch sind bei diesen irgendwelche Aenderungen der physiologischen Function, wie sie in einer Zuckungscurve Ausdruck finden könnten, nicht bekannt. Ferner besitzen die längsgestreiften Muskeln, wie ich zuerst gezeigt habe, einen erstaunlichen Reichthum an Nervenelementen, welche ich in zwei Systeme, ein sensibles und ein motorisches, unterschied. Dass diese schon in der Muskelsubstanz selbst oder doch jedenfalls in der sie um- hüllenden Serosa und Submucosa durch Reflexbogen verbunden sind, er- scheint unzweifelhaft. Nun ist es aber noch nicht geglückt, eine chemische Substanz zu finden, welche die motorischen Endigungen lähmt, ein Curare der längsgestreiften Muskeln besitzen wir noch nicht. Aber auch dieser Umstand dürfte bei den gegenwärtigen Untersuchungen nicht von allzu- grosser Bedeutung sein, weil einmal Gad und Heymans für den quer- gestreiften Muskel gefunden haben, dass die nicht curarisirten Muskeln das Wesentliche der Erscheinungen ebenso zeigten, wie die curarisirten, sodann weil- hier durch Anwendung maximaler bis übermaximaler Reize der Ein- fluss der Nerven auszuschalten versucht wurde. Endlich muss erwähnt werden, dass mit dem nämlichen Muskelstück nicht erst die isotonische und dann die isometrische Curve aufgenommen wurde, vielmehr ist jede Curvenschaar mit einem besonderen Praeparat gewonnen. Kann daher auch nicht eine absolute Vergleichung zwischen den entsprechenden beiden Curvenschaaren angestellt werden, so ist doch auf der anderen Seite der Vortheil gewonnen, dass die relativen Verhält- nisse um so treueren Ausdruck finden. Untersuchungsmethoden. Das Stativ, welches ich benutzte (Fig. 1) hatte Hr. Dr. Cowl für Unter- suchungen am quergestreiften Muskel construirt und mir für vorliegenden Zweck gütigst überlassen. Es verbindet grösste Handlichkeit mit völliger Stabilität. Aus dem in Folge der massiven niedrigen Arme äusserst stabilen Fuss a ragt in der Mitte die runde Stahlstange 5 hervor; A 1* 4 PAUL ScHUuTzZ: sie ist um ihre Längsaxe drehbar, ohne dass ihrer Festigkeit gegen das Fussgestell irgendwie Eintrag geschähe. Diese Drehung wird da- durch bewirkt, dass die Schraube c gegen den fest mit der Stange 5 verbundenen Arm d bewegt wird. Indem dieser Arm bis zum Anschlag e Fig. 1. Stativ. geführt wird, kann man die Stange jedes Mal genau bis auf denselben Punkt herum drehen, damit also einen horizontal angebrachten Schreib- hebel genau mit derselben geringen Reibung an eine Schreibfläche an- TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 5 drücken; und dies war hier, wo nur verhältnissmässig geringe Kraft ent- wickelt wird, von besonderer Bedeutung. Die Feder f bewirkt, dass der Hebel d der Schraube c, wenn sie zurückgedreht wird, folgt, damit also der Schreibhebel von der Schreibfläche entfernt wird. g stellt die ohne Weiteres verständliche Einrichtung einer in verticaler Richtung verschieb- baren Klammer dar. Ich benutzte sie derart, dass sie das Drahtstück A aufnahm, an welchem sich für das obere Ende des Muskelstückes die von mir angegebene Klemme befand, während eine gleiche am unteren Ende einen dünnen Platindraht trug, der an dem Schreibhebel angriff. All der vielfältigen Bemühungen, welche sonst auf die Construction des isotonischen Schreibhebels verwendet werden, war ich enthoben, da die Fehlerquelle, welche bei dem Aufschreiben der momentanen Zuckungen des quergestreiften Muskels zu beseitigen gilt, die Schleuderung, hier gar nicht in Betracht kommt. Hier haben wir ja eine langsame Zusammenziehung, deren Gesammtverlauf sich über viele Secunden hinzieht. Die Ordinaten der Curven sind also hier in der That der reine Ausdruck der jeweiligen Verkürzung, und wir haben hier nahezu eine ideale Isotonie. Aber ein Anderes musste erstrebt werden: den Hebel bei völliger Festigkeit genügend leicht zu machen, so leicht, dass er mit seiner Masse einen Zug ausübt, . gerade hinreichend, die Muskeln nach erfolgter Contraction wieder auszu- dehnen, die Elemente wieder zu strecken. Denn, je weniger die Masse des Hebels über das Gewicht hinaus, welches nur diesen Zug ausübt, vergrössert wird, je mehr sich also die Anfangsspannung dem Werth O0 nähert, um so genauer muss die thatsächlich mögliche Verkürzung des Muskels zum Aus- druck gelangen. Beides also macht diese isotonischen Curven so werthvoll, dass sie frei sind von dem Einfluss der Trägheit der bewegten Massen, zweitens, dass sie nahezu der getreue Ausdruck der thatsächlich möglichen Verkürzung sind. Darum muss ihr Gegensatz zum isometrischen Verhalten um so schärfer sein, die Vergleichung beider also um so werthvoller. Der Hebel 2 geht aus einem schmalen Streifen Nickelinblechs (1) in einen Schilfstreifen (2) über, welcher die der Schreibfläche leicht zugebogene Schreibspitze (3) aus fein geschabter Federpose trägt. Der Blechstreifen ist auf einer dünnen Stahlaxe befestigt und über diese hinaus nach der ent- gegengesetzten Seite zu einem kurzen Arm (4) verlängert; durch diesen wird bei geeigneter Belastung der Schreibhebel in gewünschter Weise be- quem äquilibrirt. 3m von der Axe entfernt trägt der Blechstreifen oben bei 5 ein Häkchen festgelöthet, in welches der von der unteren Muskel- klemme herabhängende Platindraht eingehängt wird. Die Entfernung von der Axe bis zur Schreibspitze beträgt 12°“, von dem Angriffspunkt des Muskels bis zur Schreibspitze 9°”, das Drehungsmoment in diesem Angriffs- punkt, an der Wage gemessen, 0.35 em, 6 PAuL Sckurtz: Bei dem isometrischen Verfahren benutzte ich nach Blix’ neuerlichem Vorschlage die Torsionselastieität. Zwischen die um 4°” entfernten Enden eines soliden Messingbügels (A, 1) ist ein Stück besten englischen Uhrfeder- stahls (2) von 0-9mm Höhe und 0-1 m®= Dieke ausgespannt. Ein Hart- sgummiklötzchen (3), welches ein Messingstückchen mit einem genau auf die Stahllamelle passenden Schlitz trägt, ist in der Mitte der Feder völlig unbeweglich mit ihr verbunden. Dieses Klötzchen trägt oben 3!/, "= von der Axe entfernt einen Haken (4) für den Platindraht der unteren Muskel- klemme. Seitlich ist aus dünnem Schilf ein Schreibhebel angebracht, welcher mit einer Schreibspitze von ganz gleicher Beschaffenheit, wie beim isoto- nischen Hebel, endigt. Die Entfernung von der Stahlfederaxe bis zu dieser Spitze ist genau dieselbe, wie vom Angriffspunkt des isotonischen Hebels bis zur Spitze 9°”. Bei der empirischen Graduirung der Spannungswerthe ergiebt sich nun, dass bei dieser Einrichtung zunächst eine völlige Constanz erreicht wird, das heisst, demselben Gewicht entspricht stets dieselbe Ordinate. Sodann findet innerhalb der hier in Betracht kommenden Grenzen in ausreichendem Maasse eine Proportionalität zwischen Spannungswerth und Ordinatenhöhe statt. Diese empirische Gradnirung wurde so ausgeführt, dass die ganze Vorrichtung umgedreht und an den Haken direct die Ge- wichte gebracht wurden. Auf diese Weise sind die Curven in Fig. 18 Taf. II gewonnen. Hierbei muss daran erinnert werden, dass die auf der Schreibfläche verzeichneten Ordinaten Kreisseementen entsprechen; da- durch’ kommt es, dass bei grösseren Excursionen des Hebels in Folge höherer Belastung (158®) ein scheinbares Missverhältniss zwischen Ordinatenhöhe und wirklichem Spannungswerth eintritt. Die Temperatureinwirkungen fanden in der Weise statt, dass das Muskelstück in einer feuchten Kammer aufgehängt, und diese Kammer selbst, dadurch mittelbar die in ihr enthaltene Luft, abgekühlt und erwärmt wurde. Hier war ich in der glücklichen Lage, auf der speciell physiologischen Abtheilung unseres Institutes fertige Apparate vorzufinden, welche vordem für ähnliche Untersuchungen hergestellt waren. Die Kammer für die Er- wärmung (2) bestand aus den durch ein Gelenk verbundenen Hälften eines doppelwandigen Hohleylinders aus Blech. Jede Hälfte trug oben und unten ein eingelöthetes Rohr (1); die beiden Rohre unten wurden zu einem Ab- flussrohr (2) vereinigt. Die beiden Rohre oben ebenfalls zu einem gemein- samen Stück (3) verbunden, um dann wieder durch ein T-förmiges Rohr in zwei Arme getheilt zu werden, von welchen der eine zu dem Behälter mit kaltem, der andere zu dem mit warmen Wasser führte In dem Ver- bindungsstück (3) zwischen den beiden T-Rohren mischte sich das aus den beiden Behältern zuströmende Wasser, und jede Cylinderhälfte erhielt so gleiche Temperatur. In diese Kapsel passt genau hinein ein Messing- TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 7 cylinder, dessen Wandflächen zum grössten Theil durch Glimmer ersetzt sind; oben ist derselbe bis auf eine kleine Oeffnung in der Mitte von 6 mm Durchmesser geschlossen. Hart am äusseren Rand ist hier ein kurzes Rohr eingelassen, welches zur Aufnahme des Thermometers dient. Der Queck- silbereylinder desselben ragt frei in das Lumen des Cylinders und zeigt daher die Temperatur der darin befindlichen Luft an. Von unten her ist die innere Wand des Cylinders mit mehreren Lagen Fliesspapier belegt, welche durch ein Stück Uhrfederstahl angedrückt werden. Dieser Cylinder wurde in die Kapsel gebracht, dieselbe durch einen Kautschukring oder einen dünnen Draht, welcher um die beiden Haken bei 5 gelegt wurde, fest verschlossen, und das Ganze vermittelst eines am Blecheylinder aussen angebrachten Armes (6) am Stativ befestigt. Die Oeffnung oben wurde durch einen Tropfen physiologischer Kochsalzlösung verschlossen, welcher durch Einfetten des unteren Endes des Drahtes am Herabfliessen verhindert wurde. Einen Abschluss unten anzubringen unterliess ich, da dieser die zarten Bewegungen nur gestört hätte. Indem die Fliesspapierlagen des inneren Cylinders mit physiologischer Kochsalzlösung durchtränkt wurden, wurde die Luft in der Kammer hinreichend feucht gehalten. Der Zufluss des verschieden temperirten Wassers aus den beiden Becken wurde durch Klemmschrauben und Quetschhähne geregelt, und so konnte ich leicht und sicher geringe Temperaturänderungen zwischen Zimmertemperatur und 70° in dem äusserst langsamen Tempo, welches bei diesen Versuchen nothwendig war, erreichen. Für das Abkühlungsverfahren benutzte ich einen anderen Apparat, denselben, welchen Gad und Heymans bei ihren Versuchen gebraucht hatten. Derselbe (m) besteht „aus einem dünnwandigen Blecheylinder (1), welcher die Mitte eines geräumigen Blechbeckens einnimmt. Das Becken ist zur Aufnahme des verschieden temperirten Wassers oder der Kälte- mischung bestimmt und hat eine Tubulatur (4), um das Wasser nach Be- lieben abfliessen zu lassen. Die cylindrische Wand der Muskelkammer überragt nach unten und oben das umgebende Blechbecken; das Ueherragen nach oben sichert gegen etwaiges Einfliessen von Wasser oder Salzlösung in die Muskelkammer, zudem wurde dies Ende der Kammer durch einen Kork verschlossen.“ Einen Verschluss am unteren Ende anzubringen wurde auch hier aus dem oben angeführten Grunde vermieden. „Die äussere Wand des Beckens trägt einen metallischen Fortsatz (2) zur Befestigung des Beckens am Stativ.“ Anstatt die Temperatur des Beckeninhaltes zu messen, fügte ich in den Blechcylinder schräg von oben nach unten wasserdicht ein Thermometer (3) ein, so dass der Quecksilbertheil sich frei im Innenraum befand, etwa in der nämlichen Höhe, wie das Muskelstückchen. In das Blechbecken hingen die Kautschukschläuche aus den beiden Becken hinein, 8 PAUL ScHULTZ: Zunächst wurde Wasser von Zimmertemperatur eingelassen, diesem dann allmählich Eiswasser zugefügt, weiterhin Schnee oder feingestossenes Eis eingebracht; so wurde der Gefrierpunkt erreicht. Um weiter abzukühlen wurde das Wasser abgelassen und Schnee oder feinzerstossenes Eis in das Becken gethan unter Zusatz von Kochsalz. Je mehr sich diese Mischung dem Verhältniss von 1:1 nähert, um so tiefer sinkt die Temperatur und man kann so den Innenraum des Cylinders bis auf — 12° abkühlen. Dass auch das Muskelstück jedesmal die Temperatur hatte, welche das Thermo- meter für die umgebende Luftschicht anzeigte, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, wenn man die Kleinheit des Stückes einerseits und das äusserst langsame Tempo der Temperaturveränderungen andererseits erwägt. Die Grade beziehen sich auf die Scala des hunderttheiligen Thermometers. Den maximalen bis übermaximalen Reiz lieferte der Strom einer mehr- gliedrigen Grove’schen Kette während einer Secunde Dauer. Die Kupfer- drähte, welche den Strom zuführen, gehen an die Klemme 1 bei » und o, diese stehen in leitender Verbindung mit der Klemme 2, beide zusammen aber sind gegen die umgebenden Metalltheile isolirt. In die Klemme 2 werden nach Einbringen des Praeparates in die feuchte Kammer die Drähte fest geschraubt, welche von den Silberplättehen der Muskelklemme aus- . gehen; derjenige der unteren ist von äusserster Feinheit, damit die hier stattfindenden zarten Bewegungen keine Störung erfahren. Um nun jedes- mal einen Reiz von genau derselben Dauer (1 Secunde) in demselben Intervall und in Bezug auf die bewegliche Schreibfläche genau an derselben Stelle wirken lassen zu können, wurde folgende Einrichtung getroffen. Der eine Draht der Kette wurde durchschnitten, die beiden Enden durch ein Holzklötzchen geführt und ihnen zwei kleine gleich grosse Stückchen Kupfer- blech aufgelöthet, so dass diese einander parallel und in gleicher Höhe im Abstand von einigen Millimetern fest der glatten Fläche des Klötzchens aufsassen. Dieses wurde dann an der Seitenfläche des Messingarmes, welcher an dem Baltzer’schen Kymographion vorn eine Führung für die obere Fläche der Trommel trägt, nahe seinem Ursprung von dem verticalen Theil des Stativs so befestigt, dass die Fläche des Klötzchens mit den Kupfer- plättehen dem äusseren Radkranz der oberen durchbrochenen Fläche der Trommel gegenüberstand. Diesem Radkranz wurde an einer Stelle ein leicht federndes Stück Kupferblech aufgeschraubt, dessen freies Ende in zwei leicht aufwärts gebogene Zungen auslief, welche, wenn sie bei dem Umlauf der Trommel unter dem Klötzchen vorüberglitten, gerade die Kupferplättchen desselben berührten. Auf diese Weise war ein Schleif- contact hergestellt, dessen Dauer innerhalb gewisser Grenzen leicht durch die Länge der Zungen regulirt werden konnte, und welcher so einen den obigen Bedingungen entsprechenden Reiz lieferte. In den anderen Draht TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 9 der Kette wurde ein Quecksilberschlüssel eingeschaltet, um zu vermeiden, dass der Contact bei jedem Umlauf der Trommel, was sonst hätte geschehen müssen, den Strom schlösse. Der Gang der Trommel war so geregelt, dass ein Umlauf 200 Secunden dauerte, also bei einem Umfang derselben von 50m ein Centimeter 4 Secunden entspricht. Da der Schreibstift schon etwa ein Viertel Trommelumfang eher zeichnete, ehe der Contact eintrat, die Curve am Ende des Umlaufs aber noch nicht immer zur Abscisse zurück- gekehrt war, so liess ich nicht schon beim nächsten Umlauf, also nach 200 Secunden, sondern erst bei dem darauf folgenden, nach 400 Secunden, den Strom wieder schliessen. So kam es, dass die Zwischenzeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Curven 6-6 Minuten betrug. Nur bei einigen Curvenschaaren im Abkühlungsverfahren war, wie aus der dort beigefügten Bemerkung ersichtlich, die Umlaufsgeschwindigkeit eine geringere, ohne dass jedoch eine Aenderung in der Dauer und der Frequenz des Reizes eintrat. Die Praeparate, mit welchen die Untersuchung angestellt wurde, sind der Muscularis des Froschmagens entnommen. Die letzte Sendung frisch gefangener Frösche aus der weiteren Umgebung Berlins erhielt ich Ende November, die Untersuchungen wurden gegen Ende Januar abgeschlossen. Das Praeparat wird in folgender Weise hergestellt. Der Frosch wird mit dem Rücken auf ein Brett genagelt, die Bauchhöhle eröffnet und der Magen hervorgeholt. Ist derselbe von Parasiten durchsetzt, erscheint er aufgetrieben, schlaff oder blassgrau, so ist er zu verwerfen. Der gesunde Magen hat eine zartrothe Farbe, die Oberfläche erscheint glänzend glatt und die Wandungen straff gespannt. Nächst dem Pylorus wird mit einer geraden Scheere ein ringfürmiges Stück herausgeschnitten, der Ring durch einen Querschnitt geöffnet und die Schleimhaut abgetragen, was sehr leicht gelinst. Nun ist die Muscularis auf der einen Seite von der Serosa, auf der anderen Seite von der Submucosa bedeckt; man hat jetzt ein Stück, in welchem die Elemente parallel neben einander geordnet sind, das also ganz einem Sartoriuspraeparat entspricht. Dieses Stück wird in die kleinen Muskelklemmen befestist und von oben in die feuchte Kammer gebracht. Den starken Draht (A), welcher die obere Muskelklemme trägt, nimmt die Klammer (g) des Stativs auf, der Platindraht von der unteren Klemme wird in das Häkchen des Schreibhebels (} 4 bezw. 2 5) eingehakt, und die Kupferdrähte der Klemmen werden am Stativ bei 22 urd o2 festgeschraubt und damit in leitende Verbindung mit den Polen der Kette gebracht. Nachdem die feuchte Kammer oben verschlossen ist, kann der Versuch beginnen. 10 PAuL ScHULTZz: Die Contraetionscurve bei Zimmertemperatur. (Vergl. Taf. II, Fig. 19.) Es ist bekannt, dass die wesentliche physiologische Eigenthümlichkeit der längsgestreiften Muskeln im Gegensatz zu den quergestreiften in dem langsamen Ablauf ihrer Thätigkeit besteht. Mit Recht ist daher hervor- gehoben worden, dass man gegenüber der Zuckung der letzteren von einer Zusammenziehung oder Contraction der ersteren reden müsse. Die lange Dauer (vergl. Fig. 19a, Taf. II) ist nun auch die augen- fällieste und darum erste Thatsache, welche uns bei der Betrachtung einer selbst verzeichneten isotonischen Contractionscurve der längsgestreiften Mus- keln entgegentritt. Während bei den quergestreiften Froschmuskeln die einzelne Zuckung etwa 0-1 bis 0.3 Secunde dauert, erstreckt sich be- diesen die Contraction bis über zwei Minuten hinaus, verläuft also über 600 mal langsamer als jene und über 120 mal langsamer als die der Schild- krötenmuskeln, welche die längste Zuckungsdauer (= 1 Secunde) der bisher untersuchten quergestreiften Muskeln aufweisen. Alle Erscheinungen also, welche sich bei diesen mikrochronisch — sit venia verbi — abspielen, ver- laufen bei den längsgestreiften Muskeln makrochronisch und unterliegen daher bequemer Beobachtung. Das zweite, was an der Curve auffällt, und was ihr eine ganz charak- teristische Gestalt verleiht, ist die Steilheit des aufsteigenden Schenkels gegenüber dem flachen Abfall des absteigenden Schenkels, das Stadium der sinkenden Energie ist gegen das Stadium der steigenden Energie ganz be- trächtlich verlängert und nimmt den grössten Theil der gesammten Con- tractionsdauer ein. Das Stadium der steigenden Energie währt etwa 15 Se- cunden; die Curve beginnt mit einer sehr flachen Convexität gegen die Abseisse, welche alsbald in eine Concavität übergeht; die Verkürzung erfolst zuerst langsam, dann mit zunehmender, dann wieder mit schnell bis 0 abnehmender Geschwindigkeit bis zum Höhepunkt. Dieser stellt eine sehr flache Kuppe dar, so flach, dass sie einem Plateau fast nahe kommt, ohne jedoch wirklich ein solches zu bilden. Die Erschlaffung beginnt wieder sehr langsam, geht vorübergehend etwas schneller vor sich (daher hier in der Curve eine geringe Convexität gegen die Abscisse auftritt), und dann tritt eine asymptotische Annäherung an die Abseissenaxe ein. Es macht daher der absteigende Schenkel im Ganzen nahezu den Eindruck einer unter sehr spitzem Winkel gegen die Abseisse verlaufenden geraden Linie. Die Abnahme der Ordinatenlängen gegen das Ende hin wird schliesslich so gering, dass sie auf 10 Secunden noch nicht 1 “m beträgt. Ja häufig erreichen die Curven die Abseissen überhaupt nicht völlig, und es lässt sich daher eine Bestimmung über die Dauer der Contraction nur annähernd TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 1l geben in der Weise, dass man sie von dem Beginn der Erhebung bis zu dem Punkt berechnet, wo ein’ merkliches Absinken gegen die Abseisse nicht mehr wahrnehmbar ist, die Curve also parallel der Abseisse und über ihr verläuft. Drittens zeigen uns Curven, welche mit verschiedenen Praeparaten auf- genommen sind, dass ihre Hubhöhen, also der Grad der Contraction, nicht gleichmässig sind. Dies rührt zunächst davon her, dass die Grösse der Muskelstücke nicht immer die nämliche ist; ferner dass auch der jeweilige Zustand des Muskelgewebes ein sehr verschiedener ist, insbesondere sich ändert, wenn die Frösche in der Gefangenschaft gehalten sind, wo sie keine Nahrung‘ finden, der Magen also seiner regelmässigen Thätigkeit enthoben ist. Denn überhaupt scheint die Musculatur des Magens am frühesten und am meisten durch Gefangenschaft und Ueberwinterung zu leiden. So findet man häufig bei Fröschen, deren Gastroenemii sich noch völlig geeignet zu freieren Versuchen zeigen, den Magen mit Parasiten durchsetzt oder auf- getrieben oder äusserst schlaff. Daher ist es für diese Untersuchungen von grösster Bedeutung, möglichst frische Thiere zu benutzen. Ich habe des- wegen auch manche Frage, welche sich mir beim Niederschreiben dieses Textes aufwarf und deren Beantwortung wünschenswerth war, noch nicht erledigen können, da ich von gegenwärtig (Februar) noch anzustellenden Versuchen werthvolle Auskunft mir nicht versprechen konnte. Schliesslich zeigt uns die Curve noch das Vorhandensein eines der Contraetion voraufgehenden Latenzstadiums. Die Dauer desselben beträgt etwa 1!/, Secunden, ist also ungefähr 400 mal grösser als beim quer- gestreiften Muskel, wenn man dessen Latenzdauer nach den neueren Unter- suchungen von Gad zu 0-004 Seeunden annimmt. Eine genaue Bestim- mung ist schwierig wegen der Convexität im Anfangstheil der Curve. Ein völlig anderes Bild bietet die isometrische Contractionseurve dar (vgl. Fig. 195, Taf. II). Die ganze Verschiedenheit lässt sich in wenig Worte fassen: ihre Furm ist annähernd symmetrisch und die gesammte Dauer der Contraction ist beträchtlich kürzer. Dies beruht auf folgenden Umständen. Einmal erscheint der aufsteigende Schenkel abgeflacht, da die Curve in Folge der zunehmenden Verhinderung der Verkürzung natürlich niedriger ist. Ferner liegt der Höhepunkt dem Beginn der Erhebung näher als beim isotonischen Verfahren, so dass das Stadium der wachsenden Spannung nur etwa 12 Secunden beträgt. Es tritt also hier der merk- würdiee Umstand hervor, dass die Spannung eher ihren grössten Werth erreicht, als die lebendige Kraft. Sodann, und dies ist die wesentlichste Aenderung der isometrischen Curve, wird der absteigende Schenkel in seinem Verlauf dem aufsteigenden ähnlich, die Geschwindigkeit der Spannungs- abnahme nähert sich derjenigen der Spannungszunahme. Zwar sinkt der 12 PAUL SCHULTZ: letzte Theil auch hier wieder nur langsam gegen die Abscisse ab, doch er- reicht er sie regelmässig, und eine Bestimmung der gesammten Contractions- dauer ist daher hier leichter und sicherer anzustellen, sie beträgt etwa 40 Secunden. Hierdurch treten diese Curven in einen bedeutsamen Gegen- satz zu denjenigen der quergestreiften Muskeln. Bei diesen findet eine bemerkenswerthe Verschiedenheit in der Dauer der isotonischen und iso- metrischen Zuckungseurven nicht statt. Wir müssen es also als eine Be- sonderheit der längsgestreiften Muskeln ansehen, dass es, wie für die Ver- kürzung, so auch für die Erschlaffung von Bedeutung ist, ob sie ungehindert vor sich geht, oder ob ihr durch zunehmende Spannung entgegengewirkt wird, indem sie in letzterem Fall beträchtlich beschleunigt wird. ” Schliesslich musste noch untersucht werden, wie sich dann die Mus- keln verhielten, wenn sie bei Zimmertemperatur in der gleichen Weise gereizt wurden, wie in den Versuchen mit übermaximalem Reiz von 1 Seeunde Dauer in Zwischenräumen von 6-6 Minuten, vor allem, was sich dabei über ihre Erregbarkeit ergab. Curven, welche von solchen Contractionen gewonnen sind, stellt Fig. 19a,c,d,e, Taf. II bei isotonischem, Fig. 195, Taf. II bei isometrischem Regime dar. Fig. 19a, Taf. II, stellt die Verhältnisse dar, wie man sie am häufigsten trifft. Die ersten 2 bis 3 Curven zeigen das Phaenomen der aufsteigenden Treppe, die folgenden Curven das der absteigenden Treppe, wobei die Höhenunterschiede der ersteren unter einander bedeutender sind als die der letzteren, wenn auch, wie in diesem Falle, die Höhe der ersten absteigenden Curve (4) unter der Höhe der ersten aufsteigenden Curve (1) liegt. Nicht ganz so häufig ist der Fallc, wo schon auf die erste Contractionseurve eine ganze Reihe genau gleich verlaufender Curven folgt, deren gemeinsame Ordinate aber niedriger ist als die der ersten. Fig. ce und e sind extreme Fälle; in Fig. c zeigen eben- falls die ersten drei Contractionen das Phaenomen der aufsteigenden Treppe, deren Höhenunterschiede aber sehr beträchtliche Steigerung aufweisen, _ während in Fig. e von vornherein das Phaenomen der absteigenden Treppe einsetzt. Hier liest die Frage nahe, ob nicht der Tonus die Ursache des so ver- schiedenen Verlaufes der ersten Curven in einer jeden Curvenschaar sei. Unter Tonus versteht man bekanntlich die Fähigkeit der längsgestreiften Muskeln dauernd in dem Zustand mehr oder minder starker Contraction zu verharren. Es ist aber sofort ersichtlich, dass dieser Tonus in unseren Versuchen nur bei denjenigen Curven in Betracht kommen kann, welche das Phaenomen der aufsteigenden Treppe zeigen. Man kann sich denken, dass nicht Steigerung der Erregbarkeit sich in der Zunahme der Ordinatenlängen ausdrückt, sondern Nachlassen des Tonus in der Weise, dass bei der ersten Curve die schon bestehende Contraetion nur eine ge- TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 118) ringere weitere Verkürzung gestattet, dass in Folge darauf eintretender stärkerer Erschlaffung die zweite Curve eine Höhenzunahme zeigt, und ebenso die folgende, wenn vorher eine noch weitere Erschlaflung eingetreten war. Ist also ein vorher bestehender Tonus (weiter soll diese Frage hier nicht erörtert werden) die Ursache des Phaenomens der aufsteigenden ‘Treppe, so kann er nur den Verlauf der ersten 2 bis 3 Curven beein- trächtigen. Jedenfalls tritt in allen diesen Curvenschaaren die Thatsache wieder hervor, dass man von der dritten oder vierten Contraction an Curven ‚erhält, welche unter sich nahezu übereinstimmen, wenigstens so überein- stimmen, dass die durch die Temperaturveränderung hervorgebrachten Wirkungen sich in charakteristischer Weise geltend machen müssen. Des- wegen liess ich jedesmal, ehe eine Versuchsreihe begonnen wurde, bei Zimmertemperatur drei Contractionen unter denselben Bedingungen wie im Versuche selbst ablaufen und erst danach die Erwärmung oder Abkühlung eintreten und die entsprechenden Curven aufzeichnen. Eine noch grössere Gleichmässigkeit zeigen die isometrischen Curven in 5 (s. oben), so dass also auch hier Aenderungen unter dem Einfluss wechselnder Temperatur mit Sicherheit erkannt werden mussten. Erwärmung bei isotonischem Verfahren, Drei Wirkungen sind es, welche die fortschreitende Erwärmung auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln bei isotonischem Verfahren hervorbringt, und welche in den Curvenschaaren I bis VII zu charakteristischem Aus- druck gelangen. Steigerung der Hubhöhe, Verkürzung der Contractions- dauer und Verkürzung der Latenzzeit.! Diese Veränderungen erreichen bei einer bestimmten Temperatur einen grössten Werth, über welchen hinaus wieder Abnahme eintritt. Für die Entscheidung, welches diese Temperatur sei, kommen nur die Curvenschaaren I, II und IV in Betracht, welche vom December vorigen Jahres herrühren. Aus diesen und vielen anderen zur selben Zeit gewonnenen erhellt, dass das Maximum dieser Veränderung nahezu ein gemeinschaftliches ist und etwa bei 39° eintritt. Die Curven- schaar V war Ende Januar dieses Jahres gewonnen, hier ist das Maximum‘ schon bei einer niedrigeren Temperatur erreicht. Dieser Umstand und die verhältnissmässig nur noch geringe weitere Zunahme der Hubhöhen beruht ! Dass bei 40 Grad durch Ströme von derselben Stärke viel kräftigere Contrac- tionen hervorgerufen werden als bei Zimmertemperatur, hatte schon Morgen für die Museculatur des Froschmagens gefunden, auf dessen Arbeit ich an anderer Stelle aus- führlich eingehe. Morgen, Ueber Reizbarkeit und Starre der glatten Muskeln. Unter- suchungen aus dem physiologischen Institut zu Halle. Hft. 2. 14 PAvL Scauutz: offenbar auf einer Schwächung der Muskelelemente in Folge der Ueber- winterung. Gerade um diesen Einfluss zu zeigen hat diese Curvenschaar Aufnahme gefunden. Bei den übrigen zeigt sich, dass die Ordinaten, welche den Hubhöhen entsprachen, stetig mit der Erhöhung der Temperatur wachsen, ja im Maximum bei 39° das Doppelte der ursprünglichen Länge betragen (in Ia und III) oder doch nahezu erreichen. Zugleich rücken diese Ordinaten immer mehr nach dem Anfangstheil der Curven hin, so dass aus doppelten Gründen der aufsteigende Schenkel immer steiler wird. Es wächst daher der Winkel, welchen derselbe mit der Abseisse bildet, noch über das Dop- pelte seiner ursprünglichen Grösse. Eine weniger auffällige, aber doch merkliche Veränderung erfährt der Anfangstheil der Curve. Bei Zimmer- temperatur beginnt er mit einer langgestreckten Convexität, so flach, dass es schwierig ist, den Zeitpunkt der Erhebung der Curve genau zu be- stimmen. Mit tortschreitender Erwärmung geht diese Convexität mehr und mehr zurück, ohne freilich völlig zu verschwinden. Während also bei Zimmertemperatur, wie wir gesehen, die Energie erst langsam wächst, dann schneller zunimmt, und schliesslich wieder langsam bis auf 0 zurückgeht, nimmt sie bei höheren Temperaturen von dem beim Beginn sehr schnell erreichten grössten Werth ziemlich gleichmässig bis 0 ab. - Die grössere Steilheit des aufsteigenden Schenkels ist die eine Ursache der Verkürzung der Contractionsdauer, die andere ist das schnellere Ab- sinken des absteigenden Schenkels. Dieses tritt dadurch in Erscheinung, dass jeder absteigende Schenkel bei höherer Temperatur jeden vorher- gehenden bei niederer Temperatur schneidet. Daher wird die bei Zimmer- temperatur nur schwache Convexität in der Mitte dieses Schenkels zunehmend stärker, ohne jedoch die Gestalt der ganzen Curve wesentlich zu verändern. In der Curvenschaar III weisen die absteigenden Schenkel der Curven, welche den höheren Temperaturen entsprechen, eine auffällige Deformation auf, welche hier noch berührt werden soll. Bei Erhöhung der Temperatur auf 30° und darüber geräth nämlich, was an anderer Stelle ausführlich erörtert ist, das Muskelstück in selbständige rhythmische Contractionen; diese sind es, welche sich hier verzeichnet haben. Sie griffen in die Ver- suche bisweilen sehr störend ein, wenn sie kurz vor dem Augenblick auf- traten, wo der elektrische Reiz wirken sollte. Es blieb in solchen Fällen nichts übrig, als die Trommel zurückzudrehen und für die Anbringung des Reizes den Augenblick des tiefsten Absinkens des Schreibhebels abzu- passen. Dass das freilich nicht immer geglückt ist, zeigen in III die Curve bei 41° und in V Curve 2, wo, bevor noch der elektrische Reiz zur Wir- kung kam, schon eine selbstthätige Contraetion begonnen hatte. TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 15 Die Verkürzung der Latenzdauer tritt in allen Curvenschaaren typisch hervor. Von etwa 1-5 Secunden bei Zimmertemperatur sinkt sie bis auf etwa 1/, Secunde bei 39°. Die Verhältnisse bei der Erwärmung über das Maximum hinaus stellen Figge. 2, 6 und 7, Taf. I, in grösserer Breite dar. Es ergiebt sich zunächst, dass die Reizbarkeit bei etwa 50° völlig erlischt.” Die Hubhöhen sinken zuerst nur allmählich, dann plötzlich bis auf 0 ab. Dabei ist aber sehr bemerkenswerth, dass die Höhepunkte der Curven noch etwas weiter nach dem Anfangstheil der Curven rücken, so dass die Steilheit des aufsteigenden Curvenschenkels über 39° noch etwas zunimmt, darauf ebenfalls erst lang- sam, dann plötzlich abnimmt. Die Latenzdauer verkürzt sich noch etwas über das Maximum hinaus, sodann aber tritt die auffällige Thatsache ein, die sich aus Fieg. 2, 4 und 6, Taf. I ergiebt, dass sie, wenn auch in ge- ringem Maasse, wieder zunimmt. Die Contractionsdauer wird dadurch ver- .längert oder richtiger unendlich, dass nach Erreichung des Gipfels die Curve nur unvollkommen absinkt, um so geringer, je mehr die Temperatur sich 50° nähert. Es bleibt eine Verkürzung, welche in den nächsten Minuten nur zum kleinsten Theil zurückgeht, zum grössten Theil verharrt, so dass der Schreibhebel: jedesmal gesenkt werden muss, um bei den folgenden Curven wieder an der Normale einsetzen zu können. Kühlt man, bevor die Temperatur 45° überschritten hat, den Muskel wieder ab, so kann man bei neuer Erwärmung die gleichen Erscheinungen beobachten. Bei 50° hingegen ist, wie schon erwähnt, die Reizbarkeit erloschen und tritt auch nach Abkühlung nicht wieder ein. Erwärmt man über 50° hinaus, so tritt regelmässig bei etwa 60° eine selbständige Verkürzung ein,” welche bei weiterer Erwärmung langsam zunimmt (vergl. Fig. 16, Taf. II). Dabei ist bemerkenswerth, dass dieselbe nur sehr gering ist, sich also gar nicht vergleichen lässt mit den bei der Erwärmung durch elektrischen Reiz hervorgerufenen oder auch ınit den spontan auftretenden rhythmischen Con- tractionen. Dass aber die dauernde Verkürzung, welche, wie eben be- schrieben, nach Contractionen zwischen 40° und 50° eintreten, nicht hierher gehören, erweist sich mit Sicherheit, wenn man die Muskeln, ohne sie ‚elektrisch zu reizen, fortschreitend erwärmt. Dann zeigt sich bis gegen 50° ein zunehmdes Absinken des Schreibhebels, also eine Verlängerung des Muskelstückes, wenn nicht vorher spontane Contractionen erfolgen und eine mehr oder minder beträchtliche Verkürzung bewirken. Aber auch in diesem Falle macht sich typisch zwischen 40° und 45° eine Verlängerung, also ! Auch diese Thatsache hatte schon Morgen (a. a. O.) feststellen können. ? Morgen, a. a. O., giebt für diese Verkürzung als typischen Temperaturpunkt 57° an. 16 Pauu SCHULTZ: eine Erschlaffung des Muskelstückes geltend. Also nur wenn durch einen - Reiz eine Contraction ausgelöst ist, hat dieselbe im Temperaturbereich zwischen 40° und 50° die Neigung in der Verkürzung zu verharren. Erwärmung bei isometrischem Verfahren. Bei isometrischem Verfahren tritt ebenfalls mit zunehmender Erwär- mung eine Steigerung der Spannungshöhe, Verkürzung der Contractions- dauer und Verkürzung der Latenzzeit ein. Diese drei Functionen haben ebenfalls ein Maximum, über welches hinaus wieder Abnahme eintritt; dies ist aber hier kein gemeinschaftliches, wie bei der Isotonie.. Die Ordinaten der Spannungswerthe nehmen von Zimmertemperatur an, ganz im Gegen- satz zu den Hubhöhen, verhältnissmässig nur wenig zu und erreichen ihren grössten Werth schon bei etwa 32°, also wesentlich früher als die Hub- höhen. Dies mag auffallend erscheinen; da es aber in allen Versuchen typisch hervortritt, lässt sich daran nicht zweifeln. Ja interessant ist es, dass auch in Fig. 5, Taf. I, wo wir eine Schwächung der Muskelelemente in Folge der Ueberwinterung angenommen hatten, diese Differenz charak- teristisch hervortritt. Wie hier die grösste Hubhöhe schon bei 27° erreicht ist, liegt das Maximum des Spannungswerthes schon bei 24°. Ueber 32° erfolgt stetige Abnahme der Spannungswerthe. Die Verkürzung der Contractionsdauer erfolgt ebenfalls in Folge des schnelleren Verlaufs der steigenden Energie, welcher sich auch hier in der grösseren Steilheit des aufsteigenden Curvenschenkels bis zum Maximum ausdrückt, von da nimmt die Steilheit in geringem Maasse wieder ab. Auch hier rücken mit zunehmender Temperatur die Gipfelpunkte der Curven in auffallendem Grade an den Anfangstheil heran und die flache Convexität im Beginn des aufsteigenden Schenkels nimmt ebenfalls ab. Eine auffällige Veränderung erfährt ferner der absteigende Schenkel. Es erreicht nämlich von Zimmertemperatur an bei steigender Erwärmung jeder folgende die Abseisse früher wie der vorhergehende, so dass also die kürzeste Contrac- tionsdauer bei etwa 45° liegt, von wo ebenfalls eine wenn auch geringe bleibende Verkürzung auftritt. Da die Steilheit des aufsteigenden Schenkels . in grösserem Maasse wächst, als die des absteigenden Schenkels, so tritt auch die bei Zimmertemperatur annähernd vorhandene symmetrische Ge- stalt der Curve zurück. Die Dauer des Latenzstadiums verhält sich wie bei der Isotonie; es erfolgt stetige Abnahme bis etwa 42° darauf eine sehr geringe Zunahme. Erwärmt man über 50° hinaus, so tritt auch bei isometrischem Verfahren bei etwa 60° eine selbständige Verkürzung ein, doch ist sie so gering, dass sie nur noch eben merklich wird. Ich komme unten noch darauf zurück. TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 17 Dass nun diese in den Versuchen hervortretenden eigenthümlichen Veränderungen in der Leistungsfähigkeit der Muskeln bei zunehmender Temperatur auch den thatsächlichen Verhältnissen im Leben sehr nahe kommen, dafür haben wir bei diesen Gebilden einen schlagenden Beweis. Wenn man nämlich von frischen Fröschen ein solches Muskelpraeparat sich bereitet, so ereignet es sich nicht selten, dass schon bei Zimmertemperatur regelmässig rhythmische Contractionen auftreten, welche man, wie im Ver- such, sich selbst vorzeichnen lassen kann. In Fig. 14 A u. B und Fig. 15a, Taf. II, haben sich solche automatischen Contractionen isotonisch, in Fig. 155, Taf. II, isometrisch aufgeschrieben. Steigertt man nun die Temperatur, so bemerkt man von 30° an deutlich die grössere Steilheit der Curven- schenkel und damit die kürzere Dauer der Contraction. Ferner tritt auch die grössere Hubhöhe und beim isometrischen Verfahren die grössere Span- nungsentwickelung hervor. Abkühlung bei isotonischem und isometrischem Verfahren. Bei der Abkühlung tritt bei der Isotonie umgekehrt eine Verminderung der Hubhöhe, Verlängerung der Contractionsdauer und Verlängerung des Latenzstadiums ein. In Figg. 8, Taf. I u. 12, Taf. II sind diese Wirkungen dargestellt; in Fig. 8, Taf. I waren die aufeinander folgenden Temperatur- unterschiede möglichst gering und in gleichmässigem Abstand gewählt; in Fig. 12, Taf. II war der Gang der Trommel ein viel langsamerer, um die Verhältnisse übersichtlicher zu gestalten; hier sollte die untere Grenze der Reizbarkeit festgestellt werden. Die Ordinaten, welche den Hubhöhen ent- sprechen, nehmen in Fig. 8, Taf. I wie die Temperaturen vollständig regelmässig ab, sie erreichen bei etwa —4° ihren niedrigsten Werth. Sehr deutlich tritt in Fig. 12, Taf. II die stetige Zunahme der Latenzdauer zu Tage, welche sich über 5 Secunden erstrecken kann. Die Verlängerung der Contractionsdauer erhellt am besten aus Fig. 11, Taf. I, während bei den übrigen Figuren der beigefügte Ausschnitt nicht hinreichend lang genug ist, um dies erkennen zu lassen. Was die Gestalt der Curve anbetrifft, so er- fährt der aufsteigende Schenkel die grösste Veränderung; er verliert fort- schreitend an Steilheit, die Höhepunkte entfernen sich immer weiter vom Anfangstheil der Curve, die Convexität im Beginn wird noch flacher, An- stieg und Abstieg bilden schliesslich zusammen eine einzige schwache Con- cavität gegen die Abseisse, dadurch nimmt die ganze Curve zunehmend eine symmetrische Form an, was besonders in Fig. 12, Taf. II zu Tage tritt. Es verliert sich also völlig die charakteristische Gestalt der isotonischen Curve, welche wir ihr bei Zimmertemperatur zugeschrieben hatten. Und da annähernde Symmetrie in Bezug auf den Verlauf des aufsteigenden und Archiv f. A. u. Ph. 1897. Physiol, Abthlg, 2 18 PAUL SCHULTZ: absteigenden Schenkels, wie wir gesehen hatten, eine Eigenthümlichkeit der isometrischen Curve ist, so gleichen die isotonischen Curven 3 und 4 in Fig. 12, Taf. II ganz isometrischen, welche bei grösserer Umlaufsgeschwindig- keit der Trommel gewonnen sind (etwa 2 und 4 in Fig. 8, Taf. ]). Bei dem isometrischen Verfahren tritt ebenfalls eine sehr regelmässige Abnahme der Ordinaten ein, welche den Spannungswerthen entsprechen; die Gestalt der Curve behält, indem aufsteigender und absteigender Schenkel sich gleichmässig verändern, gleichmässig flacher werden, ihre annähernd symmetrische Form. Die Dauer der Contraction nimmt beträchtlich zu, bleibt jedoch immer weit hinter der isotonischen zurück. Die Latenzdauer wird, wie bei der Isotonie, erheblich verlängert. Bei der Untersuchung über die untere Grenze der Reizbarkeit erhob sich naturgemäss die Frage, welches der Einfluss niederer Temperaturen auf die Leistungsfähigkeit.der Muskeln überhaupt sei, wie sich also Mus- keln, welche niederen Temperaturen ausgesetzt waren, bei der Wieder- erwärmung verhielten. Der Beantwortung dieser Frage dienen Figg. 9, 10, Taf. I, und 11, Taf. II. In Figg. 9 u. 10, Taf. I waren die Zeiten zwischen zwei Curven, wie in allen anderen Figuren, 200 Secunden. War bei der niedrigsten Temperatur, welche hier über 0° lag, gereizt: worden, so wurde nach 200 Seceunden mit der Erwärmung begonnen, dann wurde nach 200 weiteren Secunden die erste Curve bei der höheren Temperatur genommen, so dass also zwischen 6 und 7 in Fig. 9, und 3 und 4 in Fig. 10, Taf. I 400 Secunden liegen. Sind auch die Hubhöhen bei der Wiedererwärmung nicht, wie man erwarten sollte, höher als die der Anfangscurve, deren Temperatur viel tiefer liegt, so zeigt sich doch die Reizbarkeit völlig er- halten und der Erfolg der fortschreitenden Erwärmung macht sich auch hier, wenn auch nicht absolut, so doch relativ in der gesetzmässigen Weise geltend, welche oben besprochen war. In Fig. 11, Taf. II wurde die Ab- kühlung noch unter O° getrieben, in dieser niedrigen Temperatur, die dann noch weiter auf — 7° sank, blieb das Stück 10 Minuten, dann wurde in etwa 8 Minuten auf 20° erwärmt, wobei die Curve 6 erhalten wurde. Hier also zeigt sich, dass selbst bei so tiefer Temperatur unter 0° die Reizbarkeit nicht bloss nicht erloschen ist, sondern dass auch die Hubhöhen bei der Isotonie in dem zu erwartenden Maasse absolut wachsen, so dass nach der Erwärmung die erste Curve bei 20° eine grössere Hubhöhe zeigt als die der Anfangscurven bei 12°. Merkwürdig ist bei den isometrischen Curven- schaaren der Umstand, dass die Ordinaten, welche den Spannungswerthen entsprechen, bei der Erwärmung nicht, wie man aus den früheren Ver- suchen erwarten sollte, ihr Maximum bei etwa 32° erreichen und darüber abnehmen, sondern dass sie noch darüber hinaus zunehmen ganz in dem- TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 19 selben Grade wie die Ordinaten der Hubhöhen, also ebenfalls ein Maximum bei etwa 39° erreichen. Nimmt man nun die Abkühlung noch weiter vor über die Grenze hinaus, wo die elektrische Reizbarkeit schon völlig erloschen ist, so tritt bei etwa —S° bis — 10° die höchst merkwürdige Erscheinung einer selb- ständigen beträchtlichen Verkürzung hervor, welche sich ganz in der Form einer echten auf einen maximalen Reiz ausgelösten Contraction verzeichnet. In Fig. 13 A, Taf. II stellt die obere Curve die isotonische Verkürzung dar, welche bei —8° erfolgte, darunter zeigt sich die Wiederausdehnung des Stückes bei eingetretener Erwärmung. Die Hubhöhe scheint hier nicht beträchtlich, sie kommt etwa derjenigen bei Zimmertemperatur gleich; doch hat sie sich in anderen Versuchen viel grösser dargestellt. In 2 ist von einem anderen Praeparat, wo die Contraction erst bei — 10° eintrat, die isometrische Curve aufgenommen, darunter die Wiederausdehnung in der Wärme. Wir finden hier eine Spannungsgrösse, wie sie in den Erwärmungs- versuchen nicht immer erreicht und nur wenige Mal übertroffen ist. Für die Frage der Leistungsfähigkeit dieser Muskeln ist diese Thatsache, welche wohl ein Novum in der Physiologie sein dürfte, von besonderem Interesse insofern, als wenn einmal diese Verkürzung eingetreten ist, man niemals wieder bei der noch so vorsichtig angestellten Erwärmung auf stärksten elektrischen oder mechanischen Reiz irgend eine Contraction erhält. Man kann das Praeparat bis zu dieser Grenze abkühlen, man kann es mehrere Minuten lang auf —3° erhalten, wo der elektrische Reiz keine Spur einer Contraction mehr hervorbringt; — ist diese Verkürzung nicht erfolgt, so tritt bei langsamer Wiedererwärmung die Reizbarkeit wieder ein, niemals aber geschieht dies, wenn die Verkürzung vor sich gegangen war. Zusammenfassung. Gad und Heymans hatten bei ihren Untersuchungen am quer- gestreiften Muskel gefunden, dass beim isotonischen Verfahren für die Hub- höhen sich ein absolutes Minimum in der Nähe des Gefrierpunktes ergiebt und ein relatives Minimum bei etwa 19°; ferner ein absolutes Maximum bei etwa 30° und ein relatives Maximum bei 0°. Dieser überaus inter- essante und scheinbar, so paradoxe Befund trifft für die längsgestreiften Muskeln nicht zu. Hier tritt vielmehr ein, was man von vornherein von einem Einfluss der Temperatur erwarten sollte. Es zeigt sich (vergl. Fig. 2, S. 20), dass die Hubhöhe eine der Temperaturzunahme ganz proportionale Function ist, von etwa —5° nimmt sie in gleichem Maasse mit der Tem- peraturerhöhung zu bis zu einem Maximum. Dies liegt allerdings wesent- lich höher als beim quergestreiften Muskel, bei etwa 39°, von da an nimmt | sie sehr schnell ab bis zum Werth O bei etwa 50°. 9%* = 20 Pıus Scauusz: Was die Form der Curve anbetrifft, so hat dieselbe bei den Tempe- raturen in der Nähe des Gefrierpunktes eine annähernd symmetrische Ge- stalt, indem sie gegen die Abseisse eine flache Concavität bildet. Mit fort- schreitender Erwärmung verliert sich diese Symmetrie sehr schnell dadurch, dass der aufsteigende Schenkel steiler wird, während der absteigende Schenkel in der Mitte eine zunehmende Convexität gegen die Abseisse auf- A B Hubhöne. Sprannungswerti. ar BER; Ba, dEmEE . | | et pa] | l 5202150 100152 20° 25° 3001352 40° 450 50° -5° 0° 5° 10° 15° 20° 250 30° 35° 40° 45° 30° Temperatur Temperatur Fig. 2. Steifheit des aufsteigenden Currenschenkels. DD n— _—— er PrTeRFE Fig. 3. weist, sonst aber nur wenig seine Form ändert, so dass die Curve eine ganz charakteristische Gestalt erhält: das Stadium der steigenden Energie ist kurz und steil, das Stadium der sinkenden Energie sehr in die Länge gezogen und flach. Daher nimmt auch die Dauer der Contraction mit zunehmender Erwärmung ab, bei Temperaturen über das Maximum hinaus geräth dabei der Muskel in einen Zustand, dass eine einmal hervorgerufene Contraction die Neigung hat, bis zu einem gewissen Grade zu verharren (Fig. 3). Auch bei der Isometrie ist der Spannungswerth eine der Temperatur ganz proportionale Function: mit ihrer Erhöhung wachsen die entsprechen- TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 21 den Ordinaten (vergl. Fig. 25). Während aber beim quergestreiften Muskel, wie Gad und Heymans festgestellt hatten, im Temperaturbereich zwischen Zimmertemperatur und der Nähe des Gefrierpunktes auf der Höhe der isometrischen Zuckung ein Plateau auftritt, das heisst, während hier das Maximum der Spannung, nachdem es einmal erreicht ist, während kürzerer oder längerer Zeit constant bleibt, sind die Gipfel der isometrischen Curven bei den längsgestreiften Muskeln stets kuppenförmig, es tritt also, sobald einmal die Spannung ihren grössten Werth erreicht hat, sofort wieder Abnahme derselben ein. Diese Gipfelpunkte liegen nun bei niederen Temperaturen dem Anfangstheil der Curve beträchtlich näher als bei der Isotonie. Hierauf möchten wir an dieser Stelle besonders die Aufmerksam- keit hinlenken; es erreicht also bei niederen Temperaturen die Spannkraft ihr Maximum viel schneller als die lebendige Kraft. Bei der Erwärmung rücken die Gipfel bei der Isometrie und bei der Isotonie dem Anfangstheil der Curve beträchtlich näher, so dass im Bereich von 39° und darüber die Entfernung vom Anfangstheil bei der Isotonie ziemlich gleich ist der freilich immer noch etwas kürzeren Entfernung bei Isometrie. Bei höheren Temperaturen findet also die Entwickelung der Spannkraft und der leben- digen Kraft annähernd gleich schnell statt. Diesen bedeutungsvollen Gegen- satz zwischen Isometrie und Isotonie, der hier in breitester und augen- fälligster Weise zu Tage tritt, hatten auch Gad und Heymans für den quergestreiften Muskel nachweisen können, was freilich aus den dort mit- getheilten Curven weniger leicht ersichtlich ist. Sie beziehen diesen Gegen- satz, was ich auch für den längsgestreiften Muskel annehme, auf Unter- schiede im zeitlichen Verlauf der Processe im Muskelelement selbst. Was die Gestalt der Curve betrifft, so zeigt sie sich auch hier bei der Isometrie in der Nähe des Gefrierpunktes symmetrisch, sie bildet eine flache Concavität gegen die Abscisse. Bei der Erwärmung nimmt zwar auch der aufsteigende Schenkel an Steilheit zu, vorwiegend aber wird der absteigende Schenkel verändert, dessen Verlauf dem ersteren immer ziem- lieh nahe bleibt, so dass eine Asymmetrie der ganzen Curve hier viel weniger stark hervortritt. Mit anderen Worten, wie in der Nähe des Ge- frierpunktes die Zunahme und Abnahme der Spannung gleich langsam er- folgt, findet mit fortschreitender Temperaturerhöhung bis etwa 45° in steigendem Maasse schnellere Zunahme und annähernd gleich schnelle Ab- nahme der Spannung statt. Dies ist also ein bemerkenswerther Gegensatz gegen die isotonischen Curven, wo gerade das Absinken von der einmal erreichten Hubhöhe ausserordentlich verzögert erscheint. Ferner ist die Zunahme der Ordinaten, welche den Spannungswerthen entsprechen, keine gleichmässige. Bis zur Zimmertemperatur wachsen sie sehr schnell, von da nur sehr langsam bis zu einem Maximum, über welches hinaus wieder URIMADS 22 PAUL SCHULTZ: Abnahme bis zum Werth O0 bei etwa 50° eintritt. Beachtenswerth ist, dass dies Maximum wesentlich tiefer liegt (bei etwa 32°) als bei der Iso- tonie (bei etwa 39°); nur wenn der Muskel vorher abgekühlt war, scheint in diesem Punkte Uebereinstimmung zwischen Isotonie und Isometrie statt- zufinden, dann rückt auch bei Isometrie das Maximum auf 39°. In Fig. 24 und B ist Hubhöhe und Spannungswerth miteinander verglichen. Ohne Weiteres ist dies nicht möglich. Dazu ist nöthig, wie schon Gad bemerkt, dass „man der ÖOrdinatenlänge der Hubhöhe, welche in der einzelnen Zuckung bei einer bestimmten Temperatur erreicht wird, die Ordinaten- länge gleich macht, welche der unter gleichen Bedingungen erreichten Spannung entsprechen soll“; in unserem Fall ist 20° als geeigneter Tem- peraturpunkt gewählt worden. Dauer der Contraktion . Tan sl } ! Sal z ' ] 2 | f N tor T | | Dauer des Latenz stadiums I-——! N [ ] = nen mega | | Mel Jsometr: N | | it 740 ulE x 7 + = | | T all | N \ | IN | 20 | \ | IN | | 1 IS >>) nn & NS = S SEEN) SS I 4 4 A ‘ 0? I co AUOPUMYaS ES en rn + E4 4 — s, + a | T | { | | Kl Bald BE I 5° 0°..5° 10° 15° 20° 25° 30° 35° 40° 45° 50° OT NENNE WISE ER ze Temperatur Temperatur Fig. 4. Rıozas» Der Temperatur umgekehrt proportionale Functionen sind die Dauer der Latenzzeit und die Dauer der Contraction: sie verkürzen sich bei steigender Temperatur (Figg. 4 uud 5). In Bezug auf die Latenzzeit hat Gad bekanntlich zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass man unterscheiden müsse „zwischen der Zeit, welche erforderlich ist, damit eine im Muskel schon eingetretene mechanische Zustandsänderung äusserlich merklich werde, und der Zeit, welche vergeht von dem Moment, wo in dem einzelnen Muskelelement der Erregungsprocess beginnt und dem Beginn der sich hieran knüpfenden mechanischen Zustandsänderurg in diesem Muskelelement selbst“.! Die erstere nennt er das Latenzstadium des Gesammtmuskels, die letztere das Latenzstadium des Muskelelementes. Selbstverständlich giebt es für den Eintritt des Erregungsprocesses in einem Muskelelement und der ersten Atomumlagerung innerhalb der dasselbe constituirenden Molekel kein Latenzstadium; dies sind eben identische ! Gad und Heymans, a. a. O. S. 102. TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 23 Vorgänge. Diese erste Atomumlagerung, so könnte man annehmen, ruft nun zunächst eine rein chemische Alteration der Molekel hervor (etwa Bildung eines Zwischenproduetes) und erst eine neuerliche Umlagerung (Bildung eines weiteren Zwischenproductes) bewirkt also oder ist identisch mit Entwickelung mechanischer Energie. Die zwischen beiden Umlagerungen verflossene Zeit wäre dann das mechanische Latenzstadium des Muskel- elementes. Dies war natürlich bei der hier getroffenen Versuchsanordnung der Messung nicht zugänglich, wenn dies überhaupt der Fall ist; ich werde darauf in einer späteren Arbeit zurückkommen. Messbar war hier nur das Latenzstadium des Gesammtmuskels. Doch getreuen Ausdruck findet auch nicht einmal dieses in solchen Curven, wie dies Gad zuerst dargethan hat. Denn erstens wirken bei der wellenartigen Ausbreitung der Erregung im Muskel die zuerst und am meisten contrahirten Elemente dehnend auf die übrigen ein. Dass dieser Umstand in unseren Versuchen von Einfluss ge- wesen ist, möchte ich in Abrede stellen mit dem Hinweis auf die minimale Anfangsspannung, welchen die Muskelelemente hier ausgesetzt waren. Zweitens ist zu berücksichtigen, „dass auch die Verkürzung des Gesammt- muskels, nachdem sie einmal begonnen hat, eine gewisse Grösse erreichen muss, ehe sie durch Vermittelung unseres zusammengesetzten Apparates zum Aus- druck kommen kann, und dass hierzu Zeit erforderlich ist. Diese Zeit, während welcher die schon begonnene Verkürzung des ganzen Muskels unmerklich bleibt, muss um so länger dauern, je langsamer die Verkürzung zunimmt. Einen Maassstab zur annähernden Schätzung dieses Factors auf das graphische Latenzstadium hat man in dem Grade der Steilheit des ersten Theiles des aufsteigenden Curvenschenkels. Je geringer diese Steil- heit ist, um so grösser wird der Einfluss des in das Auge gefassten Fac- tors sein“.! Dies fällt nun besonders bei unseren Curven ins Gewicht, bei denen ja der aufsteigende Schenkel überhaupt nur eine verhältnissmässig geringe Steilheit aufweist. Schon bei Zimmertemperatur fanden wir am Anfang der Curve eine Convexität gegen die Abseisse; mit Erniedrigung der Tem- peratur nimmt nun die Steilheit des aufsteigenden Schenkels schnell ab, und gleichzeitig wird die Convexität immer flacher, bis die ganze Öurve eine lang gestreckte Concavität darstellt. Ist auch bei niederen Tempera- turen die Zunahme der Latenzdauer im Verhältniss zur Abnahme der Steil- heit des aufsteigenden Schenkels eine ganz beträchtliche zu nennen, so dürfte es demnach zweifellos sein, dass ein vielleicht nicht geringer Theil des verlängerten Latenzstadiums auf den obigen Factor zurückzuführen ist. Daher ist auch in der schematischen Darstellung der Latenzdauer (Fig. 5) ! Gad und Heymans, a. a. O. S. 102. 24 PAuL SCHULTZ: dieser Theil gestrichelt dargestellt. Bei Erhöhung der Temperatur hin- gegen (von Zimmertemperatur) nimmt die Steilheit des aufsteigenden Schenkels auffallend zu, die ursprünglich flache Convexität im Beginn der Curve wird schnell sehr steil und tritt weiterhin fast ganz zurück, so dass hier wohl jener Factor keinen oder nur unbedeutenden Einfluss ausüben dürfte, um so mehr, als die Latenzzeit jenseits des Maximums anfänglich noch etwas kürzer wird, während gleichzeitig Steilheit des Anstiegs und Höhe der Curve schon wieder abnehmen. Dass dann weiterhin (etwa zwischen 42° und 50°) die Latenzzeit wieder etwas zunimmt, dürfte auf einer durch die hohe Temperatur be- wirkten Schwächung der Muskelsubstanz und damit auf einer Beein- trächtigung der in ihr ablaufenden inneren Processe ihrer Grösse, nicht ihrer Schnelligkeit nach beruhen. Man muss sich also vorstellen, dass der übermaximale Reiz fortschreitend schwächeren Werth für die Muskeln an- nimmt, dass also hier umgekehrt derselbe Process vor sich geht, welcher eintritt, wenn ein Muskel vom Schwellenwerth angefangen mit zunehmender Stromstärke gereizt wird, wo ja dann auch die Hubhöhen zunehmen und - die Latenzdauer abnimmt. Dass aber nur die Grösse, nicht die Schnellig- keit der inneren Processe, welche zur Verkürzung führen, abnimmt, dafür spricht, dass die Gipfelpunkte der Curven trotz der abnehmenden Ordinaten- längen immer weiter nach dem Anfangstheil der Curve rücken. Gerade diese Thatsache dürfte ein deutlicher Beweis sein, dass die Verlängerung des Latenzstadiums jenseits des Maximums bei abnehmenden Ordinaten eine ganz andere Bedeutung hat, als diesseits bei zunehmenden Ordinaten. Und dies hervorzuheben, darauf kann es hier zunächst nur ankommen. Im Uebrigen kann ich nur auf die Worte Gad’s hinweisen: „Seitdem wir erkannt haben, von wie vielen zum Theil recht unwesentlichen Factoren das der Bestimmung zugängliche Latenzstadium des Gesammtmuskels ab- hängt, und wie schwer Schlüsse daraus auf das für die Theorie allein wichtige Latenzstadium des Muskelelementes zu ziehen sind, glauben wir nicht, dass auf solche Bestimmungen viel Gewicht zu legen sein wird, ehe nicht etwa ganz neue Methoden gefunden sein werden‘.! Gad und Heymans hatten es mit Recht als einen Triumph ihrer Experimentaltechnik betrachtet, die Thatsache, welche allen bisherigen ent- gegengesetzten Meinungen ein Ende machte, zu unmittelbarer Anschauung gebracht zu haben, dass der quergestreifte Muskel aus dem Maximum seiner Leistungsfähigkeit nicht unmittelbar in das Stadium der Wärmestarre ein- tritt, dass vielmehr, ehe dieses beginnt, die Wirkungen des Muskels durch Erhitzung mehr und mehr beinahe bis auf 0 abnehmen. Auch für den ıA.2.0. S. 104. Gau ee a De ” ee ie Se ur ee TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 25 längsgestreiften Muskel haben wir den Beweis erbringen können, dass die Reizbarkeit bei 50° völlig erloschen ist, ehe noch irgend eine Verkürzung durch die Wärme auftritt; erst bei etwa 60° macht sich eine solche be- merkbar. Hier also ist das Intervall zwischen Erlöschen der Reizbarkeit und Eintritt der Verkürzung durch Wärme ein viel grösseres und daher leicht und sicher darzustellendes. Ferner hatten Gad und Heymans festgestellt, dass „die Verkürzung durch die Wärmestarre stets grösser ist wie die grösste Verkürzung bei einzelnem Reiz des erwärmten Muskels, dass dagegen die durch die Wärme- starre erzeugte Spannung stets in beträchtlichem Maasse hinter der maxi- malen Spannung des erwärmten einmal gereizten Muskels zurückbleibt“.! Noch anders verhalten sich die längsgestreiften Muskeln. Die erst bei etwa 60° eintretende Verkürzung ist, verglichen mit der bei einzelnem Reiz in der Wärme hervorgerufenen, äusserst gering und die entwickelte Span- nung sogar nur eben merklich. Will man also von einer Wärmestarre dieser Muskeln reden, so kann man nur diese bei 60° eintretende Ver- kürzung damit bezeichnen. Dass diese auf einer Gerinnung der hier in Betracht kommenden Eiweisskörper beruht, erscheint selbstverständlich ; dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass der innere Vorgang im Muskel- element ein ganz anderer ist als bei der Contraction. Völlig verschieden stellt sich dem gegenüber die in der Kältestarre bei etwa —8° eintretende Verkürzung dar. Sie geht mit Entwickelung be- trächtlicher mechanischer Energie einher, denn sie zeigt grosse Hubhöhe und beträchtlichen Spannungswerth, welche sich beide in einer der Con- traction ganz ähnlichen Curve darstellen. Ich bezeichne diesen Vorgang als die Kältestarre der längsgestreiften Musculatur und gehe wohl nicht fehl, wenn ich darin ein Gefrieren der in den Muskelelementen enthaltenen Gewebsflüssigkeit erblicke. Die moleculare Umlagerung im Innern muss dabei ganz ähnlich sein derjenigen bei der Contraction. Dies scheint mir in gewisser Weise noch für einen anderen Vorgang der Fall zu sein, den ich hier anreihen möchte, nämlich für die Eintrocknung (vgl. Fig. 17, Taf. II. Auch hier wird ganz beträchtliche Hubhöhe und mässig starke Spannung entwickelt. Schluss. Wenn wir annehmen, was freilich noch des Beweises bedarf, aber in Rücksicht auf die Grösse und Anordnung der Elemente höchst wahrschein- lich ist, dass die Veränderungen unter dem Einfluss der Temperatur nicht die Fortpflanzungsgeschwindiekeit der Contractionswelle, sondern vielmehr I 2 OR ln, 26 PAUL SCHULTZ: diese Welle selbst in ihrer Höhe, Länge und Form betreffen, so scheint das wesentliche Ergebniss dieser Untersuchungen folgendes zu sein: Die längsgestreiften Muskeln besitzen im Gegensatz zu den quer- gestreiften die Eigenschaft, dass auf einen Reiz hin nur allmählich eine Umlagerung der Molecüle erfolgt, wobei es von Wichtigkeit ist, ob leben- dige Kraft oder Spannkraft entwickelt werden soll; denn im ersteren Fall wird das Maximum der entwickelten Energie später erreicht als im letzteren. Begünstigt wird diese Umlagerung ähnlich wie bei den quergestreiften Muskeln sowohl in Bezug auf Grösse wie auf Schnelligkeit durch Wärme bis zu einem Maximum, welches bei Spannungsentwickelung früher erreicht wird (32°) als bei Entwickelung lebendiger Kraft (39°); über das Maximum hinaus findet wieder Abnahme statt bis 50° wo die Erregbarkeit völlig erlischt. Vermindert wird diese Umlagerung durch Kälte bis zu einem Minimum bei etwa —5°. Eine ähnliche moleculare Umlagerung tritt ein bei der Kältestarre (—8°) und bei der Eintrocknung, während die inneren Vorgänge bei der Wärmestarre (60°) ganz anderer Natur sind. Bei der Rückkehr der Molekel in ihre frühere Gleichgewichtslage ist ein Unter- schied, ob Verkürzung oder Spannungsentwickelung stattgefunden hatte; im ersteren Falle tritt dieselbe ganz beträchtlich langsamer ein als die anfängliche Umlagerung, ja bei sehr hohen (40° bis 50°, Temperaturen geht sie überhaupt nicht ganz zurück, im anderen Falle geht sie mit grösserer, oder doch annähernd gleicher Geschwindigkeit vor sich. Wenn wir diese Thatsachen erwägen und uns der Erscheinungen er- innern, welche sich bei der Beobachtung dieser Muskeln im polarisirten Lieht dargeboten hatten, so können wir einen Anhalt gewinnen, in welcher Weise wir uns die oft erwähnten inneren molecularen Vorgänge zu denken haben. Wir hatten gesehen, dass im polarisirten Licht die Fasern einaxig doppeltbrechend sind mit der Axe in der Längsrichtung der Fasern, und dass diese Doppelbrechung abnimmt bei der Contraction. Hieraus geht hervor,! dass ein Zusammenwirken der kleinsten Theilchen in der Längs- richtung oder ein Auseinanderrücken in der Querrichtung, oder beides er- folgen müsse. Unterstützt wurde diese Ansicht durch die directe Beobachtung, dass bei der Contraction die Fasern kürzer und breiter werden. Es ist nun eine bekannte Thatsache, dass die längsgestreiften Muskeln arm an wässerigen Bestandtheilen sind. A priori werden wir daher sagen können, dass Vorgänge, welche die Anordnung oder das Verhältniss der festen zu ! Wenn man die gewöhnliche Vorstellung über die Natur des polarisirten Lichtes annimmt. Die Physiker sind hingegen der Ansicht, dass die Lehre hierüber durchaus noch nicht abgeschlossen ist, und dass man aus dem Verhalten eines Körpers im polari- sirten Licht durchaus keinen Schluss auf seine moleculare Structur machen kann. TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN DER MUSKELN. 27 den flüssigen Bestandtheilen alteriren, eine beträchtliche Wirkung hervor- bringen müssen. Lehrt nun die Beobachtung, dass solche Vorgänge (Ge- frieren, Eintrocknen) in der That Wirkungen hervorbringen, und dass diese Wirkungen bestehen in Entwickelung bedeutender mechanischer Energie, so werden wir umgekehrt schliessen dürfen, dass der Oontractionsvorgang, wo in ganz ähnlicher Weise mechanische Energie entwickelt wird, eben- falls auf einer molecularen Umlagerung der festen und flüssigen Theilchen beruhen muss, etwa in der Weise, dass die festen Theilchen eine Längs- attraction erfabren, während die flüssigen in der Querrichtung ausweichen, und dass, wo, wie bei der Isometrie, die Längsattraction verhindert wird, eben die danach strebende, aber nicht zur Ausgleichung gekommene Mole- eularkraft die entwickelte Spannung ist. Sehr gut würde diese Auffassung die Thatsache erklären, welche aus unseren Curven so charakteristisch hervorgeht, dass die Spannkraft eher ihr Maximum erreicht, als die ent- wickelte lebendige Kraft. Denn die Entwickelung der durch die Atom- umlagerung bewirkten Molecularkraft dauert immer die nämliche Zeit; bei der Isotonie aber kommt zu dieser noch diejenige Zeit hinzu, welche die Umlagerung des Molecüls und die damit verbundene Ausgleichung der Energie erfordert. Indessen noch eine andere Vorstellung wäre möglich. Man könnte sich denken, dass die kleinsten festen Theilchen von einer Flüssigkeitskugel umgeben sind, oder dass überhaupt nur flüssige Molekel beständen. Man kann dann annehmen, worauf ja die Bestrebungen in neuerer Zeit gerichtet sind, dass die Oberflächenspannung auf diesen constituirenden Molekeln unter dem Einfluss der Erregung sich ändert, und diese veränderte Ober- flächenspannung wäre dann als die Ursache der für uns in Erscheinung ‚ tretenden mechanischen Energie anzusehen. Dass die Veränderung der Oberflächenspannung gross genug ist, um die entwickelte mechanische Energie zu erklären, erscheint sicher. Schwierigkeiten, unüberwindliche Schwierigkeiten vorläufig bietet aber diese Erklärungsweise, das Ergebniss jener Arbeit von Gad und Heymans, welches im Vorstehenden auch für die längsgestreiften Muskeln gewonnen ist, dass die entwickelte mechanische Energie eine Function der Temperatur ist. Denn soweit bis jetzt Versuche darüber angestellt sind, hat sich für die Oberflächenspannung ein solcher Einfluss nicht nachweisen lassen, ihre Grösse erscheint im Gegentheil geradezu unabhängig von der Temperatur. Nimmt man aber an, dass unter dem Einfluss der Temperatur sich zunächst die Dichtigkeiten der flüssigen Molekel änderten und dadurch dann wieder die Oberflächen- spannungen, so reichen die hier in Betracht kommenden möglichen Dichtig- keitsänderungen bei Weitem nicht aus, die Zunahme der Energie (über das doppelte) zu erklären. 28 PAun SCHULTZ: TEMPERATUREINFLUSS AUF LEISTUNGEN D. MUSKELN. Wie aber auch einmal die Lösung der Frage nach dem Wesen des Contractionsvorganges ausfallen möge, mir will scheinen, als ob vielleicht gerade die eingehendere Erforschung der physiologischen Vorgänge in den längsgestreiften Muskeln diese Lösung zu finden ganz besonders beitragen wird. Ihr einfacher histologischer Bau und der Umstand, dass alle Vor- gänge hier sich makrochronisch abspielen, also jeder Beobachtung leicht und sicher zugänglich sind, bestimmen mich zu dieser Meinung. Zum Schluss spreche ich meinen Dank aus, dass mir zur Ausführung dieser Arbeit eine Beihülfe aus den Mitteln der Gräfin Bose-Stiftung gütigst verliehen wurde. ürklärung der Abbildungen. (Taf. I u. IL.) Sämmtliche Figuren sind Verkleinerungen der Originale im Verhältniss von 2:3. Die Zeitangaben (1 °® = 17 Sec., 1°® = 4 Sec.) beziehen sich auf die Originale. Bogengänge und Raumsinn. Experimentelle und kritische Untersuchung von E. v. Cyon. I. Einleitung. Unwiderstehlich ist die Macht der Legende. Entstanden aus falscher Wiedergabe einer reellen historischen Thatsache, oder, jeder Grundlage ent- behrend, einfach der Phantasie entsprungen, immer fesselt die Legende die urtheilslose und gläubige Menge. Ernste Forschung mag hundertmal deren Falschheit behaupten, ja deren Absurdität zur Evidenz beweisen, die Sage wird dadurch ihre An- ziehungskraft doch nicht einbüssen und die schlichte historische Wahrheit immer in den Hintergrund drängen. Man dürfte hoffen, dass die exacte Naturwissenschaft gegen ähnliches Uebergreifen der Legende geschützt sei; dass besonders in der Physiologie die Sagenperiode eine längst überwundene Sache sei und nur noch als Erinnerung an frühere Unreife fortbestehe. Dem ist leider nicht so. Die fast bis in’s Umüberwältigende angewachsene Litteratur der Physiologie des Ohrenlabyrinthes liefert uns einen eclatanten, aber auch demüthigenden - Beweis hierzu. Neue Untersuchungen über die Functionen der einzelnen Theilstücke des inneren Gehörorganes erscheinen fast allwöchentlich; fast alljährlich werden in denselben ebenso unbekannte wie nutzlose Sinnesorgane entdeckt und die Entdeckung mit entsprechender Feierlichkeit auf den Markt ge- bracht. Nach neuen Thatsachen oder wirklich verbesserten Methoden wird man in diesen Untersuchungen vergebens suchen. Dagegen sind die son- derbarsten Hypothesen um so reichlicher. Mit Recht hat unlängst Hensen! ı Vortrag gegen den sechsten Sinn. Archiv für Ohrenheilkunde. 1893. 30 E. v. Cyox: in schärfster Weise dieses Treiben verurtheilt, „welches den Homäopathen und Naturärzten Recht giebt, die sich erlauben zu dürfen glauben, die Lehren der Wissenschaft federleicht zu nehmen“, Soll weiteres gedeihliches Forschen auf diesem Gebiete ermöglicht werden, so muss der Boden vorerst durch sorgfältiges Lichten von all dem Unkraut gesäubert werden, das auf demselben so reichlich gewuchert hat. Vor zwanzig Jahren habe ich meinen eigenen Versuchen eine kritische und experimentelle Prüfung der verschiedenen Hypothesen vorausgeschickt, welche die Bogengänge als ein Sinnesorgan für die Kopfhaltung, für das Gleichgewicht, den Drehschwindel, die Beschleunigungs-, die statischen Empfindungen u. s. w. erklärten. Unter meinen Versuchen befanden sich solche, bei denen ich die Acustici durchschnitt und somit die Grundlosigkeit aller dieser Hypothesen auf das ‚entschiedenste bewies. „Ein wichtiges Experiment“, sagte Mach,' „würde darin bestehen, ein Thier, dessen Hörnerv durchschnitten wäre, in rotirende Bewegung zu versetzen. Solche Thiere müssen vom Rotationsschwindel frei bleiben.“... Ich habe dieses „wichtige Experiment“ mehrmals aus- geführt und die in meiner letzten Mittheilung? gelieferten Resultate zeigten, dass alle die Erscheinungen, welche als Vorwand zu der er- wähnten hypothetischen Annahme der Sinnesfunctionen in den Bogengängen führten, auch nach Durehschneidung der beiden Acustiei fortbestehen bleiben. Die Frage schien also hiermit erledigt zu sein. Der Spuk mit den sonderbaren Sinnesorganen hat aber nach einigen Jahren, Dank besonders den Untersuchungen von Delage, von Neuem begonnen, und wird seitdem mit ungeschwächter Kraft fortgesetzt. Mach war der einzige, welcher seine Hypothese über die Functionen der Bogengänge aufgegeben hat. In seiner neueren Schrift? lesen wir: „Meine An- sichten über die Bewegungsempfindungen sind bekanntlich mehrfach ange- foehten worden, wobei allerdings die Polemik immer nur gegen die Hypothese gerichtet war, auf welche ich selbst keinen besonderen Werth gelegt habe. Dass ich sehr gern bereit bin meine Ansichten nach Maassgabe der bekannt gewordenen Thatsachen zu modificiren, dafür mag eben die vorliegende Schrift den Beweis liefern.“... „Die Ansicht ist nicht mehr haltbar, dass wir zur Kenntniss des Gleichgewichtes und der Bewegungen nur durch die Halbeirkeleanäle gelangen“... .* ‘ Mach, Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen u. s. w. 8. 126. ” Gesammelte physiologische Arbeiten. Berlin, Hirschwald’sche Buchhandlung. 1888. S. 297 u. ft. ® Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Jena 1886. *A. a. 0. S. 69 und 70. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 31 In der That, wie wir weiter unten sehen werden, nähert sich Mach in seiner neuen Schrift meiner Auffassung der Functionen der Bogengänge. Nicht so seine Jünger: Breuer, Ewald, Kreidl u. A. bleiben den früheren Mach’sehen Ansichten treu, trotz der so entscheidenden Resultate der Acustieusdurchsehneidungen. Nicht etwa weil sie die Richtigkeit meiner Versuchsresultate bestreiten. Im Gegentheil. Breuer selbst hat sämmt- liehe Erscheinungen des sogenannten Drehschwindels auch nach der Exstirpation beider Labyrinthe auftreten sehen. Und dennoch soll das Ohrlabyrinth ein specielles Sinnesorgan für den Drehschwindel bleiben. Bei der Wiederaufnahme unserer experimentellen Untersuchungen sind wir daher gezwungen, gleichzeitig alle diejenigen seit 1878 erschienenen Arbeiten über das Ohrlabyrinth einer kritischen Besprechung zu unterziehen, welehe im thatsächlichen oder theoretischen Widerspruche mit meinen eigenen Untersuchungen stehen. : II. Die Drehversuche von Mach, Delage u. A. Wir müssen zuerst auf die Prämissen zurückgreifen, welche Mach und seine Nachfolger zu den begangenen Irrthümern verleitet haben. Mach wurde zur Untersuchung der Drehempfindungen durch die be- kannte Beobachtung veranlasst, dass, wenn ein Eisenbahnzug mit passender Gesehwindiekeit in einer Curve fährt, Häuser und Bäume schief er- scheinen. Von der Goltz’schen Hypothese beeinflusst, dass bei Neigungen des Kopfes Strömungen der Endolymphe in den Bogengängen entstehen sollen, welche durch Erregung dieser Letzteren uns über die Stellung des Kopfes zu dem übrigen Körper unterrichten, hat Mach die beim Durch- fahren von Curven empfundenen Täuschungen in folgender Weise zu er- klären versucht: Die Beschleunigung des Zuges in den Curven erzeuge eine Strömungstendenz der Endolymphe in den horizontalen Bogengängen. Wir sollten daher nicht die Geschwindigkeiten sondern nur die Be- schleunigungen empfinden; die Empfindungen der Bogengänge sollen uns über die Lage der Verticale unterrichten. - Breuer, Delage, Aubert, Kreidl u. A. betrachten diese Hypo- these von Mach geradezu als Dogma, auf welchem sie dann die Hypothesen über die verschiedenen Sinnesfunctionen der Bogengänge errichtet haben. „Es ist schon oft bemerkt worden“, schreibt Breuer,! „dass wenn man in Eisenbahnzügen mit der passenden Geschwindigkeit durch die Curve fährt, Häuser und Bäume schief erscheinen und zwar nach Aussen vom Cen- trum der Curve weg geneigt. Diese Erscheinung hat auch Mach zur ı Pflüger’s Archiv. 1891. 8. 207. 32 -E. v. Cyonx: Beobachtung des Gegenstandes angeregt. Sie beruht darauf, dass unter solchen Umständen eine Raddrehung der Augen eintritt, deren Meridiane sich mit ihrer oberen Hälfte dem Centrum der durchfahrenen Curve zu- neigen. Diese Drehung ist eine Theilerscheinung der veränderten Per- ception der Verticalrichtung die unter solehen Umständen eintritt. Man glaubt die Verticale noch gegen das Centrum der Öurve geneigt und wenn man dabei steht oder die Curve in activer Bewegung beschreibt, neigt man den ganzen Körper in derselben Linie gegen das Centrum derselben. Man sieht sie bei jedem Ringlauf, beim Schlittschuhlaufen, an den Pferden in der Manege u. 8. w....“ Kreidl! schreibt: „Es war vor Allem Aufgabe, ein Symptom zu finden, dass einerseits gewiss im Zusammenhange mit dem Otholitenapparat stand, andererseits einer objectiven Beobachtung zugänglich war. Es ist eine be- kannte Thatsache, dass wir bei Neigung des Kopfes eine compensatorische Raddrehung der Augen vollführen und dass es die veränderte Stellung des Kopfes gegen ihre Verticale ist, welche diese Reflexe auslöst. Ebenso bekannt ist es, dass, wenn man im Eisenbahnwagen durch eine Curve fährt, Häuser und Kirchthürme schief gestellt erscheinen. Dies beruht darauf, dass bei verticaler Haltung des Kopfes auf denselben ausser der Schwer- kraft eine horizontale Beschleunigung — die Centrifugalkraft — wirkt. Die Centrifugalkraft wirkt auf den Otholitenapparat u. s. w.“. ? Die Erklärungen Breuer’s und Kreidl’s sind weniger klar als die Mach’schen; die Uebereinstimmung besteht darin, dass die Abhängigkeit der Täuschung von den Bogengängen als aprioristische Wahrheit angenommen wird, die keiner weiteren Begründung bedarf. In der Wirklichkeit ist diese Uebereinstimmung noch viel vollkommener: alle drei Erklärungen sind gleich irrthümlich und beruhen auf einer ungenügenden Prüfung des Täuschungs- phänomens. Gleichzeitig mit der Beschleunigung des Zuges beim Durch- fahren einer Curve findet auch Schiefstellung der Waggons statt. Da die Schienen bei Curven an der äusseren Seite entsprechend den grösseren Kreisen höher gelegt werden, so tritt eine Neigung des Waggons gegen das Centrum der Curve ein. Dabei bilden die Waggons nebst Thüren, Fensterrahmen u. s. w. einen Winkel mit den Bäumen, Telegraphenstangen und Thürmen, und zwar hat dieser Winkel an der äusseren Seite der Curve seine Spitze nach unten, an der inneren Seite seine Spitze nach oben. Da wir gewöhnt sind, die Waggons für vertical zu halten, so schliessen wir, dass die Telegraphen- ! Ebenda. Bd. LI. S. 133—144. ° Entgegen der Gewohnheit unserer Gegner, eitiren wir dieselben so genau und ausführlich als möglich; nur auf diese Weise — und nicht durch Verschweigen der widersprechenden Ansichten und Experimente —- hoffen wir einiges Licht in diese verwickelte Frage zu bringen. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 33 stangen und Bäume schief gegen die Verticale des Waggons stehen. Es handelt sich also hier eigentlich gar nicht um eine Sinnestäuschung, sondern um eine Urtheilstäuschung. Um sich von der Richtigkeit dieser Erklärung zu überzeugen, genügt es, sich aus dem Waggon derart hinauszulehnen, dass man die Fensterrahmen und die Waggonwände nicht mehr als Vergleichsobjeete vor den Augen hat: sofort erscheinen die Tele- graphenstangen wieder ganz aufrechtstehend. Ja, es genügt, die schief er- scheinenden Bäume oder Stangen durch einen Operngucker anzuschauen, um sie wieder ganz vertical zu sehen. Natürlich dürfen die Fensterrahmen nicht im Gesichtsfeld erscheinen. Wenn man mit der Abt’schen Bahn einen Berg hinauffährt, so er- scheinen Berge, Häuser und Telegraphenstangen schief, sobald: die Steigung merklich wird — und zwar schief nach der Richtung der Steigung. Von Curven und Beschleunigung des Zuges ist hier natürlich keine Rede; die Bogengänge können also in keiner Weise dabei betheiligt sein. Natürlich erfolet die gleiche Täuschung auch beim Herunterfahren. Ich habe diese Beobachtungen hundertmal, unter Anderem bei der Auffahrt von Glion nach Caux gemacht. Bei der letzten Steigung, wenn man sich Caux nähert, erscheinen einige ganz frei stehende Gebäude (von einem Irrthum : wegen des Terrainunterschiedes ist also keine Rede) ganz schief; ebenso auch das Hotel von Caux. Macht man die Auffahrt in einem offenen Waggon, der weder Fenster, noch Fenster- rahmen besitzt, so tritt die Täuschung nicht auf. Dieselbe fehlt auch, wenn man beim Auffahren auf der vorderen Plattform steht. Mehr- mals habe ich Mitreisende in beiderlei Waggons nach ihren Eindrücken be- fragt; das Resultat war immer dasselbe: im offenen Wagson keine Täuschung, im geschlossenen — Täuschung. Mein vierjähriger Sohn — wie auch einige andere Kinder — unterlag dieser Täuschung nicht und sah auch bei der grössten Steigung die Häuser und Telegraphenstangen immer vertical. Ich habe ihm darauf die Zöllner’schen Muster gezeigt: sofort bemerkte er, dass die parallelen Linien entweder oben ‚oder unten sich einander nähern bezw. entfernen. Es handelt sich also beim Schiefstehen der Körper und Stangen nicht um eine Sinnestäuschung, sondern um eine Urtheilstäuschung, die bei unbefangenen Kindern nicht immer auftritt. Derselbe Knabe! sah auch Häuser auf den Bergen schief, welche dadurch dem Horizonte zu nach einer Seite geneigt erscheinen, weil man aus der Ferne von einer Seite mehrere Stockwerke, von der anderen nur ein Stockwerk sieht. Hier handelt es sich wirklich um eine optische Täuschung. ! Im Schlafeoupe fragte er mich beim Durchfahren einer Curve g3nz spontan, warum der Boden des Waggons plötzlich schief steht. Archiv f. A.u.Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 3 34 E. v. Cyox: Durch eine Art Experimentum crucis kann man sich auf derselben Fahrt von der Richtigkeit der oben gegebenen Frklärung der Urtheils- täuschung überzeugen. Glion und Territet sind durch eine Drahtseilbahn verbunden, deren Steigung viel bedeutender ist, als diejenige der A bt’schen Balın zwischen Glion und Rocher de Naye; trotzdem erscheinen die Tele- graphenstangen auf dieser Strecke immer ganz vertical. Der Grund ist sehr einfach: die Waggons der Drahtseilbahn enthalten auf mehreren Stufen gebaute Abtheilungen, welche bei gleicher Neigung der Bahn horizontal bleiben, in Folge dessen die seitlichen Rahmen der Thüren und Fenster lothrecht stehen, also parallel den gleichfalls verticalen Telegraphenstangen u. 8. w. Die Voraussetzung, von welcher ausgehend Mach und seine Nachfolger die Täuschung beim Durchfahren von Curven beweisen wollen, ist also ganz irrthümlich. Es nimmt sich daher ganz sonderbar aus, wenn Breuer sagt: „Es ist also sicher, dass sie (die Raddrehung) eine Reflexinnervation ist, abhängige von der Richtung der Massenbeschleunigung, welche auf ein Organ im Kopfe wirkt, wenn man auch die Abänderung in der Empfindung der Verticalen bei den Centrifugalversuchen leidlich aus Em- pfindungen des ganzen Körpers erklären (Mach) könnte, wie es auch Schäfer versucht hat“! Die problematische Raddrehung des Auges hat übrigens bei der Durchfahrt von Curven Niemand bemerkt. Dagegen konnte doch jeder sich leicht überzeugen, dass die Lage des Körpers oder des Kopfes auf das Zustandekommen der Täuschung nicht den geringsten Ein- Nuss auszuüben vermag. i Es würde sogar nicht schwer fallen, wenigstens einen Theil der Täuschungen in der Bestimmung der Verticalen, welche Mach bei seinen Drehversuchen beobachtete, auch auf die oben gegebene Erklärung zurück- zuführen. Man lese nur bei Mach die betreffende Stelle nach: „Wir bringen den Beobachter 1 Meter weit von der Rotationsaxe in nahe verticale Stellung, lassen ihn gegen die Axe hinsehen und bringen ihn in Rotation... Der Beobachter meint also mehr auf dem Rücken zu liegen, als dies wirklich der Fall ist. Man empfindet die Richtung der Massenbeschleunigung und hält diese für die Verticale.“ Der bekannte Versuch mit dem Pendel soll die Täuschung bei dem Durchfahren der Curve geben: „Dieses Pendel hält man bei der Rotation für vertical und sich selbst für schief. Doch schien es mir zuweilen, als ob die Verticale zwischen der Richtung und der Axe meines Körpers enthalten wäre.“ Aber, wie gesagt, Mach besteht selbst nicht mehr auf seine Hypothese. Wenn seine Jünger noch an derselben mit dem Schein einiger Berechtigung LA, a..0.'8.208, BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 35 festhalten, so geschieht dies hauptsächlich wegen der Versuche von Yves Delage, welche Aubert in’s Deutsche übertragen und geradezu als bahn- brechend dargestellt hat. Wir müssen also einen Augenblick bei diesen Versuchen verweilen. H Delage unternahm es, zu untersuchen, „in welchem Theile unseres Körpers die Fähigkeit, uns über die Körperlage zu orientiren bei Ausschluss der Wahrnehmung durch den Gesichtssinn, ihren Sitz habe‘! Eigentlich könnte diese Frage mit grosser Sicherheit auch ohne weitere Versuche beantwortet werden: zuerst durch die Tastkörperchen der Haut und dann durch die zahlreichen sensiblen Gebilde der Gelenkbänder, Muskeln u. s. w. Delage zog es vor, durch directe Versuche Aufklärung zu erhalten. Die gewählte Methode sollte die Täuschungen in’der Orientirung eruiren, welchen wir bei verschiedenen Kopf- und Körperstellungen und bei Drehungen ausgesetzt sind. Die erste Reihe seiner Versuche bezieht sich auf statische Täuschungen, d. h. auf Täuschungen, welchen wir bei geschlossenen Augen ausgesetzt sind in der Bestimmung der Richtungen äusserer Gegenstände im Raume. Delage behauptet, dass wir in diesem Zustande „eine genaue Vorstellung von den Richtungen“ (S. 17) bewahren. Die Abweichung soll bei ihm einen constanten Fehler von 3 bis 4 Grad ergeben; bei anderen soll der Fehler viel grösser sein. Diesen persönlichen Fehler vernachlässigt Delage Bei verschiedenen Neigungen, Beugungen und Drehungen des Kopfes soll der constante Fehler immer 15 Grad betragen. Nach Durchmusterung aller möglichen Organe, die an dem Irrthum schuld sein könnten, kommt Delage zu dem Schlusse, dass die Bogengänge an demselben unschuldig seien; die Augenbewegungen, welche die Be- wegungen des Kopfes begleiten, bleiben dagegen stark im Verdacht. Der Verfasser vernachlässigt merkwürdiger Weise dabei einen wichtigen, ja vielleicht den wichtigsten Factor, das Gedächtniss. Bei geschlossenen Augen beurtheilen wir die Richtung früher gesehener Objecte nur aus dem Gedächtniss; bei den betreffenden Versuchen musste eigentlich untersucht werden, welche Störungen die ungewohnten Innervationen der Augen- und Kopfmuskeln in unseren Erinnerungen veranlassen. Wir kommen am Schlusse dieser Arbeit auf den Gegenstand noch zurück. Begnügen wir uns, anzuführen, dass nach Delage das Gehörorgan in keinerlei Beziehung zu den statischen Empfindungen steht; er ist also hier in. vollem Widerspruch mit Breuer, der im Sacculus einen neuen (7. oder 8.) Sinn, den statischen, entdeckt hat. I Physiologische Studien über die Orientirung u.s. w. Tübingen 1888. 8.7. 3* 36 .E. v. Gyox: Delage verneint auch auf Grund seiner Versuche die Existenz eines speciellen Organs für die Empfindung der progressiven Fortbewegung. Auch in dieser Beziehung schliesst er sich also meinen Ansichten an, im Gegen- satz zuMach und Breuer. „Jedesmal,“ sagt er, „wenn ich, seit ich mich mit diesen Fragen beschäftige, auf der Eisenbahn gefahren bin, habe ich mit grosser Sorgfalt meine Empfindungen analysirt, und ich erkläre, dass ich ganz und gar der Meinung des letzteren (Öyon) bin.“ ! Zu den Beobachtungen bei Eisenbahnfahrten, auf welche Delage an- spielt, kann ich noch mehrere andere anführen, die noch in viel höherem Grade beweisen, dass unsere Bewegungsempfindungen den verschiedensten Täuschungen unterliegen, bei welchen unser Sehorgan die Hauptrolle spielt, mit denen aber die Bogengänge absolut nichts zu schaffen haben. Wenn wir am Landungsplatz von Dampfschiffen das Schiff nahe an uns vorbeifahren sehen, so haben wir die Empfindung, dass wir sammt der Landungs- brücke uns in entgegengesetzter Richtung bewegen. Man kann diese Beob- achtung bei jedem Anhalten oder Abfahren eines Dampfschiffes leicht machen, besonders im Augenblick, wo das Schiff seine Richtung plötzlich ändert. Mach bespricht in seiner neueren Schrift? ähnliche Beobachtungen. Seine Er- klärung, nach welcher die Bewegungsempfindung identisch mit dem Willens- act des Fixirens sein soll, scheint mir kaum ganz zutreffend zu sein. Wir haben es sicherlich mit einer Täuschung zu thun, bei welcher die Inner- vationsempfindung der Augenmuskeln eine hervorragende Rolle spielt; zur Erklärung der Bewegungsempfindung unseres Körpers ist sie allein aber wohl kaum ausreichend. denn, wenn ich dabei mit den Augen irgend einen Punkt am Dampfschiff selbst fixire, wenn also mein Auge dem Schiffe folgt, unterliege ich derselben Täuschung. Aehnliche Täuschungen kommen auch vor, wenn unser Körper activ oder passiv mitbewegt wird. Wenn ich auf einem Bahnhof zwischen verschiedenen Zügen nach vorwärts gehe und dabei in der Ferne irgend einen Gegenstand fixire, so bekomme ich die Empfindung, dass ich sammt dem Boden mich nach rückwärts bewege sobald an meiner Seite — also im indireeten Gesichtsraum — sich ein Zug in entgegengesetzter Richtung in Bewegung setzt.” Stelle ich mich bei der Fahrt in einen Schweizer Eisenbahnwaggson in den mittleren Durchgang nahe an der offenen Thür und fixire dabei den Boden zwischen den beiden Schienen, so scheint mir dieser Boden nach vorn oder ‚nach hinten (je nachdem ich gegen den hinteren oder vorderen Waggon hinaus- TER Ba. OS 16: ® Beiträge zur Analyse der Empfindungen. 8. 65f. ® Ich habe diese Beobachtung zum ersten Male im Basler Bahnhof gemacht, als ich mit dem ‘Pariser Morgenzug angekommen den Wartesälen zu ging. f BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 37 sehe) mit grosser Geschwindigkeit unter meinen Füssen sieh fortzubewegen, wobei ich bald die Empfindung der Vorwärtsbewegung einbüsse Man hat dabei auch den Eindruck, als sehe man immer dieselben Schienenstücke vor sich. Beim sehr schnellen Fahren scheint es mir, als fliesse der Sand des Bodens in einem reissenden Strom zwischen den unbeweglichen Rädern des Waggons und den Schienen. Beim Dampfschififahren hat man bekanntlich nicht die Empfindung des Rückwärtsfahrens, auch wenn man das Wasser fixirt und dasselbe in entgegengesetzter Richtung zu fliessen scheint, oder wenn ein anderes Schiff mit grösserer Geschwindigkeit in derselben Richtung vorbeifährt; letzteres im leicht erklärlichen Gegensatz zu den Erfahrungen beim Eisenbahnfahren. Es kam mir aber auch vor, dassich auf einem Dampfschiffe die Empfindung des Fahrens in entgegengesetzter Richtung zu haben und zwar unter folgenden Umständen: Ich betrachtete die Bergspitzen des französischen Ufers, während ich am Verdeck eines Dampfers sass, der von Vevey nach Ouchy fuhr. Fixirte ich dabei die Bergspitzen, so sah ich immer neue Strecken der berge in der Richtung des Fahrens erscheinen und erhalt ganz genau die Empfindung der Vorwärtsbewegung. Wenn nun das Dampfschiff vor den Landungsplätzen eine Schwenkung ausführt, sich von dem Lande mit der vorderen Hälfte entfernend, so erhalte ich die ganz deutliche Empfindung des Rückwärtsfahrens. Die Ursache dieser Umkehr der Bewegungsempfindung liest einfach darin, dass bei der Schwenkung des Dampfers im Gesichtsfeld die Bergspitzen nun in entgegengesetzter Richtung aufeinanderfolgen. Die Fensterrahmen oder die Stangen auf dem Schiffe dienen als Anhaltspunkte. Die Täuschung dauert fort, auch nachdem man sich von der Ursache der plötzlichen Umkehr der Bewegungsempfindung vollkommen Rechen- schaft gegeben hat. | Es würde uns hier zu weit führen, eine erschöpfende Erklärung aller angeführten Täuschungen in unseren Bewesungsempfindungen geben zu wollen. Soviel ist Klar, dass das Ohrenlabyrinth an allen diesen Täuschungen Sanz unschuldig ist, und, wie auch Delage aus seinen Versuchen schliesst, mit den Empfindungen unserer passiven Fortbewegung nicht betraut ist, Die Differenz zwischen Delage und mir beginnt erst bei den Dreh- empfindungen. Hier schliesst sich unser Autor ganz den Ansichten Mach’s und Breuer’s an. Nicht etwa, weil seine Versuche irgend welche directe Beweise für den Zusammenhang dieser Empfindungen mit den Bogengängen geliefert hätten. „Die Ursache der dynamischen Täuschungen und Empfin- dungen,“ ‚schreibt Delage, „scheint mir in den halbzirkelförmigen Canälen und in dem Utriculus gesucht werden zu müssen. Ebensowenig wie Mach und die anderen bin ich im Stande, ‚dies augenblicklich 38 > E. v. Cyon: beweisen zu können, aber ich glaube, für die Beurtheilung der Täuschungen einige neue Gründe beibringen zu können“. ! Diese Gründe bestehen darin, dass Delage die Purkinje’sche Er- klärung des Schwindels nicht für jene Fälle versteht, wo „die Empfindung von Drehen im entgegengesetzten Sinne entsteht, nach dem Anhalten einer passiven Bewegung, wenn die Augen geschlossen sind‘! ? Die Veranlassung zur Verlegung der Drehempfindungen in die Bogen- gänge hat Delage, sowie Mach in folgenden zwei Voraussetzungen ge- funden: 1. Die Erregung der Bogengänge entstehe durch Strömungen bezw. Druckveränderungen der Endolymphe, und 2. Veränderungen in der Kopf- stellung müssen solche Strömungen oder Druckveränderungen herbeiführen. Beide Voraussetzungen rühren von Goltz her. Keine von beiden ist durch directe Versuche bewiesen worden; trotzdem werden sie als unumstössliche Wahrheiten besonders von denjenigen Autoren behandelt, welche die Functionen der Bogengänge mehr durch hypothetische Erörterungen als durch directes Experimentiren zu erforschen suchten. Sie haben nicht wenig zu der Ver- wirrung in der Physiologie dieser Organe beigetragen. Wir sind daher ge- zwungen, hier nochmals auf dieselbe zurückzukommen. Goltz gebührt das Verdienst, der erste gewesen zu sein, welchem es in Deutschland gelang die Aufmerksamkeit auf die Flourens’schen Ver- suche zu lenken? Daher das grosse Zutrauen, welches seine Sätze und Hypo- thesen über die Functionen der Bogengänge in Deutschland errangen, ein Zutrauen, das in gar keinem Verhältniss zum Werthe seiner eignen Experi- mente steht. Anstatt sorgfältig an den einzelnen Bogengängen zu operiren, wie es schon Flourens und nach ihm Schiff, Brown-Sequard, Vulpian, Loewenberg u. A. gethan haben, zog Goltz folgendes summarische Ver- fahren vor: Durch Trepanation trug er bei Tauben an beiden Seiten die Laby- rinthe sammt Oceipitalknochen und den sie bedeckenden Muskeln ab. Starke Blutungen und nicht unbeträchtliche Verletzungen des Kleinhirns waren bei dieser Operationsweise natürlich unvermeidlich. Diese „unzulässigen und keinerlei Schlüsse gestattenden Versuche“, wie sie mit Recht v. Stein* be- zeichnet, sind von Goltz allen seinen Hypothesen über die Functionen der Bogengänge und auch den obengenannten beiden Voraussetzungen zu Grunde gelegt worden. Nie allein haben Goltz berechtigt, die Bogengänge als speeielles II 20208465. :A.2.0. 8. 66. ® Die früheren viel sorgfältigeren von Harless und Czermak angeführten Ver- suche sind fast ganz ohne Beachtung geblieben. * Dr. 8. v. Stein, Die Lehre von den Functionen des Ohrlabyrinthes (russisch) Moskau 1892. Dies mehr als 800 Seiten starke Buch euthält eine ausführliche kritische und historische Uebersicht der ganzen Litteratur des Ohrlabyrinthes. BOGENGÄNGE UND BRAUMSINN. 39 Organ für das Gleichgewicht zu erklären und es sogar zum sechsten Sinne zu befördern. Wir wollen hier schon ganz von den Verletzungen des Kleinhirns ab- sehen, das eine so hervorragende Rolle in dem Bewegungsmechanismus spielt. Nicht mit Unrecht hat dieses grobe Versehen der Goltz’schen Versuche Böttcher u. A. dazu veranlasst, jeden directen Einfluss der Bogengänge auf das Zustandekommen der beobachteten Bewegungsstörungen überhaupt zu leugnen. Wir wollen hier nur auf die bei der Trepanation entstehenden Blutungen hinweisen, welche in dieser zarten Region allein genügen, um, auch ohne Verletzung der Bogengänge selbst die grössten Störungen hervorzurufen. Dr. Samper hat in seiner Schrift ein specielles Capitel „Unreine Ver- suche“? den Folgen solcher Blutungen gewidmet, in welchem nachgewiesen wird, dass auch bei intacten Bogengängen der blosse Bluterguss in die Schädelhöhle unter der Arachnoidea schon Zwangsbewegungen auslöst. Noch schärfer verurtheilt Ewald die Goltz’schen Versuche, indem er wegen der dabei eintretenden Blutung jede Verletzung des Blutsinus bei der Durch- schneidung der Bogengänge für „eine rohe Methode, die zu verwerfen ist“, ? erklärt. Die aus so rohen Versuchen gezogenen Schlüsse konnten natürlich nur zu Irıthümern führen. So ist es auch geschehen. Was zuerst die Strömung der Endolymphe in den Bogengängen anbetrifft, welche von Kopfbewegungen veranlasst werden sollen, so haben schon Mach und Breuer selbst deren Unmöglichkeit dargethan. Mit Bedauern musste sich auch Delage ihren Einwänden anschliessen. Sie haben aber die Goltz’sche Endolymphhypo- these durch eine Amendirung zu retten versucht. In meiner letzten Ab- handlung? habe ich aber zur Genüge bewiesen, dass auch in der Mach’- schen Modification die Goltz’sche Hypothese unhaltbar ist, und zwar ebenso- wohl aus theoretischen Gründen, als auch wegen der Ergebnisse directer Ver- suche über die Endolymphe, wie Einspritzungen erstarrender Flüssigkeiten in die Canäle, Compression der häutigen Gänge durch eingeführte Laminaria- stifte, Aussaugen der Flüssigkeit u. s. w. Haben etwa spätere Versuche die Ergebnisse der meinigen widerlegt und so der Mach-Goltz’schen Hypothese zur Auferstehung verholfen ? Nieht im mindesten. Die von deren Anhängern selbst, wie Spamer, Ewald u. A., den meinigen ganz analogen Versuche haben zu den gleichen Resultaten geführt, was um so werthvoller ist, als diesen Autoren meine ! Experimenteller und kritischer Beitrag u. s.w. Pflüger’s Archiv. Bd. XXI. ? Ueber das Endorgan der N. octavus. Wiesbaden 1892. 8. 121. ® Gesammelte Arbeiten u. s. w. S. 294—297. 40 „E. v. Cyonx: Versuche wahrscheinlich unbekannt blieben; wenigstens erwähnen sie die- selben nicht. Spamer hat ausgiebige Ausflüsse der Endolymphe durch Quer- und Längschnitte in den häutigen Bogengängen erzeugt, ohne Zwangsbewegungen hervorzurufen. „Dieser Umstand“, nämlich dass „das Spannungsverhältniss des Restes der Endolymphe sicherlich so gründlich geändert wird“, ohne Folgeerscheinungen zu veranlassen, „stören eben die Freude“ Spamer’s „an der Mach’schen Theorie“! Bwald, der bei seinen Versuchen an den Bogengängen sich mit Vorliebe zahnärztlicher Methoden bediente, erhielt analoge Resultate. Anstatt, wie ich, Laminarlastifte in die Bogengänge ein- zuführen, zog Ewald das beschwerlichere Plombiren der Canäle vor. Der häutige Canal „wird durch die Plombe gegen die Wand des knöchernen Canals gedrückt oder allseitig von Amalgam umgeben und jedenfalls comprimirt“.?2 Die Plombirung mehrerer Canäle auf der einen oder auf beiden Seiten ruft im Augenblick ‚der Operation keine Flourens’schen /wangserscheinungen hervor und verändert (wie z. B. im Versuch 42) nicht einmal den Kopfnystagmus bei Drehversuchen. Ewald liess auch den häutigen Canal durch Näherung der galvanokaustischen Schlinge „allmählich eintrocknen und schliesslich undurchsichtig machen“, „wobei die Taube ganz ruhig bleibt“. ? Die aus solchen Versuchen mit Evidenz hervortretende Unhaltbarkeit der Strömungshypothese betont zwar Ewald nicht; er bedient sich aber auch derselben kaum bei seiner eigenen Erklärung des Erregungsvorganges in den Bogengängen. Die Annahme, dass Veränderungen in der Kopfstellung zu Erregungen in den Bogengängen führen müssen, beruht ganz und gar auf der Endolymph- hypothese. Sie fällt also mit dem Nachweis deren Irrthümlichkeit. Und so wird denn der Mach-Delage’schen Hypothese: dass die von ihnen bei Drehversuchen an Menschen beobachteten Erscheinungen von den halbzirkelförmigen Canälen abhängen, auch die letzte Stütze entzogen. Wir werden nun zeigen, dass durch De nersdha an Thieren diese Einlass direct widerlegt werden kann. III. Drehversuche an Thhieren. Die Drehversuche an Thieren haben in den Hauptzügen sämmtlichen. _ Experimentatoren ziemlich identische Resultate geliefert. Widersprüche ent- BOGENGÄNGE un RAumsiAn. 41 standen erst bei der Deutung der beobachteten Erscheinungen. Da aber mehrere Autoren schon bei der Bezeichnung der letzteren die Deutung gleich mit inbegriffen haben, so hat dies einige Verwirrung geschaffen und zu einer nur scheinbaren Divergenz in den Versuchsresultaten geführt. Um Missdeutungen zu vermeiden, erachten wir es für angezeigt, über die von den meisten Autoren gebrauchten Ausdrücke wie Drehempfindungen, Drehschwindel u. s. w. einige Worte zu sagen. Beim Experimentiren an T'hieren kommen uns nur Bewegungs- erscheinungen zur Beobachtung. Ueber die Empfindungen der Thiere er- halten wir, streng genommen, keine direeten Anzeigen. Es ist uns nur gestattet, wenn wir bei Thieren Bewegungen beobachten, die beim Menschen unter gleichen Umständen von gewissen Empfindungen begleitet sind, ähnliche Empfindungen auch bei den Thieren vorauszusetzen. Beweisen können wir dies nicht. Wenn ein Mensch zu Versuchszwecken Drehungen ausführt, oder auf der Rotationsmmaschine passiv gedreht wird, so thut er dies willkürlich und bewusst. Er kann seine Empfindungen analysiren, seine Bewegungsimpulse beherrschen und Prüfungen unterziehen, welche objective Beobachtungen zulassen. Ganz anders verhält es sich mit Thieren. Dieselben werden ge- zwungen bewegt; die ersten Empflndungsäusserungen bestehen in Sträuben gegen die unbekannten Bewegungen und das Bestreben, denselben entgegen- zuwirken, bezw. der Drehmaschine zu entweichen. Unter diesen Umständen sind die von ihnen ausgeführten Bewegungen ganz verschieden von den beim Menschen beobachteten, und wir haben nicht den geringsten Anhalt, um von den Empfindungen dieser Versuchsthiere zu sprechen. Wenn die Autoren von Drehempfindungen, von Schwindelempfindungen bei Thieren sprechen, so haben sie also meistens gar keine ernste Berechtigung hierzu. Es ist sogar höchst wahrscheinlich, dass gewisse Thiere, wie z. B. der Frosch, ausser einem leichten Gesichtsschwindel überhaupt keinen Schwindel kennen. Mit diesem Vorbehalt wollen wir nun zur Beschreibung der Erscheinungen, übergehen, welche man bei Thieren, Fröschen, Tauben und Kaninchen (meine Versuche beschränken sich auf diese drei Thierarten), beobachtet, wenn man sie Drehungen auf einer Rotationsscheibe aussetzt. Bewest man leise die Scheibe um ihre verticale Achse, etwa um einen Winkel von 10 bis 15 Grad bei Fröschen, 25 bis 40 Grad bei Tauben und Kaninchen, so beantworten ausnahmslos sämmtliche Thiere diese Bewegung mit einer deutlich ausgesprochenen Wendung des Kopfes; und zwar ge- schieht diese Wendung nach links, wenn die Scheibe nach rechts in der Richtung des Uhrzeigers, nach rechts, wenn sie in ent- gegengesetzter Richtung gedreht wird. Die Richtung der Kopf- wendung ist ganz unabhängig von der Stellung des Thieres auf der Dreh- 42 SU SEN vEAOyON? scheibe, ob es z. B. mit dem Kopfe oder dem Schwanze zur Axe bezw. zur Peripherie der Scheibe gekehrt ist, ob: es in der Mitte der Scheibe steht oder die Drahtglocke berührt, ob es endlich mit dem Kopfe nach vorwärts oder nach rückwärts gedreht wird. Ich füge gleich hinzu, dass dieselbe Gesetzmässigkeit der Kopfwendung sich auch ohne Schwierigkeit aus den Beschreibungen der meisten früheren Beobachter ableiten lässt. Wenn das Gesetz in dieser Form, wenigstens bis jetzt, nicht ausgesprochen wurde, so rührt dies daher, dass die meisten Beobachter die Wendung des Kopfes in Bezug zur Axe oder zur Peripherie der Scheibe beschrieben haben; in solchem Falle scheint wirklich ein Unter- schied in den Kopfwendungen zu bestehen, je nachdem die Taube z. B. mit dem Kopfe oder dem Schwanze zur Richtung der Drehung steht. Schäfer hat besonders diese Unterschiede hervorgehoben. Es genügt aber, seine Zeichnungen anzusehen, um von der Gültigkeit des oben formulirten Ge- setzes auch für seine Beobachtungen überzeugt zu sein.! Wir haben kurzweg den Ausdruck „Wendung des Kopfes“ gewählt, weil es nichts betreffend Deutung der Erscheinung praejudieirt. Will man derselben näher auf den Grund gehen, so überzeugt man sich leicht, dass es sich nicht um eine active Drehung des Kopfes handelt: der Kopf macht einfach die Körperbewegung nicht mit und behält ihn passiv zurück, soweit ihm die Befestigungweise des Kopfes an den Körper es gestattet. Das Gesetz müsste also genauer folgendermaassen formulirt werden: Im Beginn der Drehung des Thieres auf einer horizon- talen Drehscheibe um eine verticale Axe bleibt der Kopf zurück, und zwar in der Richtung nach links, wenn die Rotation nach rechts geschieht, und umgekehrt, und dies ganz unabhängig von der Stellung des Thieres auf der Drehscheibe Um sich von dieser Unabhängigkeit in leichtester Weise zu überzeugen, genügt es, mehrere Frösche gleichzeitig auf die Drehscheibe zu bringen. Wir begnügen uns vorläufig, nur diese Kopfwendung als Folge der Drehbewegung zu analysiren, und zwar, weil dieselbe allein bei allen drei zu Versuchen verwendeten Thierarten auftritt, weil sie die erste Folge der Drehung ist und auch bei ganz langsamer Drehung auftritt, wo von einem Drehschwindel überhaupt noch keine Rede sein kann. Die Er- scheinungen des Kopf- und Augennystagmus, welche dieser Kopfwendung folgen und von Breuer, Ewald u. A. in die Rubrik „compensirende Be- wegungen“ oder „Drehschwindel“ zusammengeworfen werden, wollen wir später gesondert behandeln. Hier wollen wir nur die weiteren Erschei- ! Die Stellung des Frosches im Ewald’schen Buche (Fig. 51) bei der Drehung nach links stimmt auch mit diesem Gesetze. Pflüger’s Archiv. Bd. XLI. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 43 nungen, welche bei fortgesetzter Drehung auftreten, verfolgen. Die Erschei- nungen varliren von nun an bei den verschiedenen Thieren. Der normale Frosch behält gewöhnlich seine beim Beginn der Drehung eingenommene Haltung weiter; er kauert sich etwas zusammen, indem er seine Extremitäten stärker an sich heranzieht und den ganzen Körper sammt Kopf der Scheibe nähert. In dieser Stellung kann er natürlich der Drehung am besten widerstehen, ohne fortgeschleudert zu werden. Die Kopfwendung bleibt meistens während der ganzen Drehung — wenn dieselbe nicht zu heftig ist — unverändert. Im Moment, wo die Scheibe angehalten wird, geht die Kopfwendung plötzlich in die entgegengesetzte über, statt der Kopfwendung nach links erhält man eine nach rechts, und umgekehrt. Diese Umwandlung macht den Eindruck, als wollte das Thier beim Aufhören der Drehung seinen Kopf in die normale Stellung zurückbringen, dass er aber über das Ziel hinausschiesst und über die Normale hinweg den Kopf auf die andere Seite wendet. In 5 bis 10 Secunden kehrt dann der Kopf zur normalen Stellung zurück. 'Geschieht die Rotation der Scheibe so schnell, dass der Frosch seine ‚Stellung nicht mehr behaupten kann und, von der Centrifugalkraft fort- gerissen, au die Wand geschleudert wird, so kehrt er beim Anhalten der Scheibe meistens sofort zu seiner früheren Stellung zurück, wobei die Kopf- wendung nach der entgegengesetzten Seite in derselben Weise wie bei lang- samer Drehung auftritt. Dann und wann macht er ein paar ungeschickte Bewegungen, ehe er diese Stellung wieder einzunehmen vermag. Das Auf- treten wirklicher Zwangsbewegungen habe ich nicht beobachtet. bei der Taube erzeugt die nicht zu heftige Rotation folgende Er- scheinungen: die Taube, anstatt aufrecht zu bleiben, setzt sich hin und stemmt sich gegen den Boden. Die Kopfwendung wird geringer und verschwindet allmählich ganz. Wird dann die Rotation plötzlich sistirt, so findet man meistens den Kopf in der normalen Stellung. (Von Kopf- und Augennystagmus sehen wir vorläufig ab.) Wird dagegen die Rotation so stark beschleunigt, dass die Taube ihre sitzende Stellung nicht mehr beibehalten kann, so stemmt sie sich gewöhnlich mit dem Schwanze gegen die Scheibe, mit Kopf und Schnabel gegen die Wand der Glocke und beharrt fast unbeweglich in dieser Stellung, auch bei den schnellsten Umdrehungen. Wird dann die Drehung plötzlich sistirt, so wird. die Taube von der Wand der Glocke fortgeschleudert, wobei sie gewöhnlich mit dem Schwanz nach hinten herüber- fällt. Sehr oft, wenn die Rotation lange angehalten hat, purzelt die Taube um ihren Schwanz mehrere Male, ehe sie ihr Gleichgewicht wieder zu er- langen vermag. Bei allmählichem Anhalten, nach vorheriger Verlang- 44 >E. v. Cyonx: samung der Drehung, nimmt die Taube ihre frühere sitzende Stellung von Neuem ein. Etwas complicirter sind die Erscheinungen beim Kaninchen, wenn die kotation längere Zeit fortgesetzt wird. Es kauert sich anfangs sitzend in der Weise zusammen, dass es den Kopf dem Hintertheile nähert in der Kichtung der Kopfwendunge, und in dieser Stellung sucht es sich an die Wand anzulehnen. Sodann änderte das Kaninchen oft seine Stellung ganz und gar: mit der Längsaxe des Körpers legte es sich in den Radius der Scheibe, wobei er den Kopf, welcher seine normale Stellung wieder ein- genommen hat, gegen den Drehungsmittelpunkt, das Hintertheil zur Wand der Glocke, hin gerichtet. Kaninchen, welche mehrere Male der Rotation ausgesetzt waren, nehmen gewöhnlich schon beim Beginn derselben diese behaglichere Stellung ein. Wird bei dieser Stellung die Scheibe angehalten, so bleibt das Thier ruhig sitzen. Dagegen führt es eine Kopfwendung nach der entgegengesetzten Seite aus, wenn die Scheibe während der früheren, zusammengekauerten Stellung des Thieres _ angehalten wird. Ist die Drehung der Scheibe so stark beschleunigt, dass das Kaninchen von der Centrifugalkraft fortgerissen und gegen die Wand der Glocke ge- schleudert wird, so bleibt es seiner ganzen Körperlänge nach an’ dieselbe (gewöhnlich mit der Rückenseite) angeheftet. Beim plötzlichen Anhalten führt das Thier mehrere Rollungen um seine Längsaxe aus, und zwar in der Richtung von links nach rechts bei der Rechtsdrehung, und umgekehrt. Die Zahl dieser Bewegungen variirt von 2 bis 8. Manegebewegungen sind beim Kaninchen sehr selten. Verwandelt man dagegen die schnelle Rotation allmählich in eine viel langsamere, so gelangt das Thier schnell wieder auf die Beine, nimmt die radiäre Stellung ein und verhält sich beim Anhalten wie oben beschrieben. Wenn die Thiere mehrere Tage der Reihe nach der Rotation ausgesetzt worden, so nehmen gewöhnlich die beschriebenen Erscheinungen viel an ihrer Stärke ab. Die Taube fängt oft damit an, dass sie der Drehung. zu widerstehen sucht, indem sie in entgegengesetzter Richtung sich mit den Beinen bewegt, als stünde sie auf einem Tretrade und setzte dasselbe selbst in Bewegung. Erst bei einer grösseren Beschleunigung tritt die Kopfwendung auf und das Thier nimmt die beschriebenen Stellungen ein. Setzt man die Drehung der Tauben oder Kaninchen nach dem Eintritt der Kopfwendung fort, so beobachtet,man an ihnen ruckartige Stösse des Kopfes in der Richtung der Drehung, also entgegengesetzt der Richtung der Kopfwendung. Der Eindruck, den diese Stösse machen, ist der, als ob ein reflectorisch wirkender Reiz den Kopf in die Richtung der Drehung, d. h. in die normale Stellung zu. bringen suche; das Thier wendet aber den Kopf u u u re BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 45 immer zurück und erreicht von Neuem die grösste Ablenkung, die es bei der Wendung annahm. Dieser Kopfinystagmus macht nur bei oberfläch- licher Betrachtung den Eindruck des Pendelns, in der That geschieht der ruckartige Stoss in der Richtung der Drehung viel schneller, als die zurück- gehende Bewegung. Die Grösse der Kopfwendung erreicht einen Winkel von SO bis 120 Grad, die des Nystagmus etwa ein Viertel dieser Zahl (20 bis 30 Grad). Bei Fröschen ist von diesem Nystagmus keine Spur be- merkbar; derselbe ist bei Tauben viel stärker als bei Kaninchen. Bei fort- sesetzter Rotation verschwindet der Kopfnystagmus, allmählich schwächer werdend. Nach plötzlichem Anhalten der Rotation tritt — auch wenn der Kopfnystagmus ganz verschwunden ist — ein ausgesprochen pendelnder Nachnystagmus auf; dieser Nachnystagmus ist um so heftiger, je länger und schneller die Rotation war; er überdauert bei Kaninchen (bezw. tritt bei ihnen erst auf) nach dem Aufhören der rollenden Zwangs- bewegungen. Hält man den Kopf während dieses Nachnystagmus fest, so tritt ein ebenso starker Augennystagmus auf, sowohl bei Kaninchen wie bei Tauben. \ Auch der anfängliche Kopfnystagmus kann bei Tauben durch einen Augennystagmus ersetzt werden; um dies beobachten zu können, muss man den Kopfnystagmus nicht mittelst der rotirenden Scheibe, sondern in der Weise erzeugen, dass der Beobachter das Thier in der Hand hält und einige Drehungen um seine eigne Körperaxe ausführt. Man fixirt dann den Kopf einfach durch Festhalten des Schnabels. (Auf das vicariirende Er- setzen des Kopfnystagmus durch den Augennystagmus habe ich schon in meinen letzten Untersuchungen über die Bogengänge aufmerksam gemacht.)! Die sämmtlichen beschriebenen Kopfwendungen, sowie den Kopf- und Augennystagmus betrachten Breuer u. A. als Symptome des Drehschwindels bei Thieren. Sie sollten reflectorisch von den Bogengängen ausgelöst werden und den sogenannten „eompensatorischen Augenbewegungen“ entsprechen, die man am Menschen bei der Drehung seines Körpers beobachtet und die dazu bestimmt sein sollen, uns zu gestatten, den Winkel zu berechnen, welchen der Kopf dabei beschrieben hat! Wir haben in der Einleitung den Vorschlag Mach’s angeführt, der zur Entscheidung der Frage, ob diese Bewegungen wirklich von den Bogen- sängen abhängig seien, führen müsste. Man sollte dieselben Drehversuche bei Thieren vornehmen, denen die Acustici durchschnitten sind. Träten bei so operirten Thieren diese Bewegungen dennoch auf, so würde dadurch direct bewiesen werden, dass es die Bogengänge nicht sind, welche auf reflecto- rischem Wege dieselben hervorrufen. .Ich habe, diesem Vorschlage gemäss, Gesammelte Arbeiten. S. 328. 46 .E. v. Cyon: vor 20 Jahren solche Acusticusdurchschneidungen ausgeführt und das Fort- bestehen der Mach’schen Zwangsbewegungen eonstatirt.! Man sollte glauben, dass damit die Frage über die Betheiligung des Ohrenlabyrinths bei diesen Bewegungen definitiv erledigt sei. In der That war, wie wir gesehen haben, Mach der einzige, welcher sich von seiner Hypothese losgesagt hat. Seine Jünger klammerten sich aber nur noch fester an die Theorie: .die Bogengänge seien das Sinnesorgan für den Drehschwindel, eine Theorie, die, wie wir gesehen haben, nach dem Geständniss ihrer Anhänger selbst nicht durch einen einzigen Versuch direet bewiesen worden ist. Ehe wir die Wege prüfen, mit Hülfe deren Breuer, Delage u. A. das unleugbare Resultat meiner Acusticusdurchschneidung vergeblich zu ent- kräften suchen, wollen wir beiläufig bemerken, dass, wenn das Fort- bestehen der Zwangsbewegungen nach Durchschneidung beider Acustiei unzweifelhaft beweist, dass die Bogengänge nicht an ihnen Schuld sind, das gegentheilige Resultat, d. h. das Wegfallen dieser Bewegungen nicht im Geringsten zu Gunsten der Mach-Breuer’schen ausgesagt hätte. Die Zer- störung der Bogengänge, sowie die Durchschneidung der Acustiei ruft so gewaltige Störungen in der Bewegungssphaere hervor, dass es nicht im Mindesten auffällig wäre, wenn Thiere, welche ihre Bewegung nur noch sehr lückenhaft beherrschen können, die so gesetzmässig auftretenden Kopf- wendungen und Nystagmuserscheinungen nicht mehr zu vollbringen’ im Stande seien. | : Delage und Aubert waren die ersten, zu gestehen, dass meine Ver- suche mit den Acusticidurchtrennungen ihr ganzes Bauwerk umzustürzen drohen. „Ein wichtiger Einwand,“ schreiben sie, „ist dieser Theorie gemacht worden. Cyon giebt an, er habe festgestellt, dass die Durchschneidungen der Gehörnerven bei Kaninchen nicht die Brzeugung des Purkinje’schen Schwindels verursachte. Wenn diese Beobachtung sich bestätigt, so wird man wirklich auf die Theorie verzichten müssen, wenig- stens wenn man nicht in den Augen allein oder in irgend einer Empfindung anderer Ordnung die Ursache von Bewegungen, welche die operirten Kaninchen machen, finden kann. Aber ich gestehe dass der Versuch von Cyon mich nicht vollständig überzeugt hat. Erstens hat der Autor den Fehler begangen, die Kaninchen nicht zu blenden.“ Der zweite Einwand besteht in der etwas naiven Bemerkung, dass „der Autor nichts davon sagt, dass er durch die Autopsie festgestellt hat, ob die Durch- schneidung eine vollkommene gewesen sei“. Um das Sonderbare dieser Einwände noch mehr hervorzuheben, schreiben gleich darauf Delage- Aubert: „Breuer hat festgestellt, dass die compensatorischen Dreh- ! Gesammelte Abhandlungen u. 5. w. N. 297. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 47 bewegungen bei Tauben auftreten, welche ihres häutigen Labyrinthes beraubt waren.“ Also gleichzeitig werden meine Resultate bei Acustici- durchschneidungen bestätigt (Entfernung der häutigen Labyrinthe sind ja für diese Frage mit der Durchtrennung der Gehörnerven identisch) und der Beweis gegeben, dass der zweite Einwand mindestens überflüssig war. Frei- lich, fügt Delage hinzu, Breuer hätte beobachtet, dass die compensato- rischen Bewegungen aufhören, wenn die labyrinthlosen „Thiere ausserdem seblendet“ sind! Das könnte doch höchstens beweisen, dass diese Be- wegungen vom Opticus abhängig seien. Dass aber der Acusticus bei den- selben unbetheiligt ist, folgt mit Sicherheit aus meinen Versuchen, sowie aus denen Breuer’s. Trotz der Evidenz dieser Schlussfoleerung besteht Breuer selbst noch immer darauf, dass die Bogengänge ein Sinnesorgan für die Drehempfin- dungen bilden. In seiner letzten Schrift! gesteht er selbst, „dass nach Exstirpation des Bogengängeapparates die compensirenden Augenbewegungen ausbleiben, wenn die Gesichtswahrnehmungen durch Verdeeken der Augen ausgeschlossen sind“, und anderswo: Da „liess sich constatiren, dass die Tauben, welche nunmehr (nach Exstirpation der Bogengänge) sehr selten Schwindelanfälle (sie!) haben, doch, in die Hand genommen und um die Längsaxe gedreht, nicht die geringste compen- sirende Kopfdrehung machten, wenn ein die Augen bedeckendes Häubehen die Gesichtseindrücke ausschloss.“? Das sagt ja, trotz der absichtlich unklaren Redewendung, deutlich genug, dass bei labyrinthlosen Tauben die compensirenden Kopfbewegungen fortbestehen bleiben, wenn die Gesiehtswahrnehmungen nicht ausgeschlossen sind; dieselben können also unmöglich von den nicht mehr existirenden Bogengängen veranlasst werden! Ihr Verschwinden bei Blendung der Thiere beweist wieder einmal deren Ab- hängigkeit von den Gesichtswahrnehmungen! Schrader war wenigstens consequent, wenn er behauptete, dass beim Frosche nach Zerstörung des Ohrlabyrinthes die Kopfwendungen bei der Rotation wegfallen. Aber Ewald corrieirt selbst mit Recht diese Behaup- tung: „Diese Angabe ist wieder nicht ganz genau. Sie wird es erst, wenn man dafür sorgt, dass bei der Rotation keine Verschiebung des Netzhautbildes stattfindet. Kann nämlich die Rotation direct auf das Auge wirken, so macht nicht nur dieses, sondern auch noch der Kopf — gewissermaassen dem Auge zu Liebe (!) — nystagmusähnliche Be- wegungen“.?® Na. 0..8.291. 2A.a.0. 8. 139. 3A. a. 0. 8. 142, 48 E. v. Cyonx: Bei erhaltenen Bogengängen werden also die Kopf- und Augen- hewegungen von ihnen ausgelöst; sind dieselben zerstört, so entstehen die Kopfbewegungen dem Auge zu Liebe und die Augenbewegungen wohl dem Kopfe zu Liebe! Steiner, Baginsky und Bechterew, welche Durchschneidungen der Acustiei unternommen haben, beobachteten ziemlich analoge Erscheinungen wie ich. Breuer, Ewald, Kreidl constatiren das Fortbestehen der Rotations- erscheinungen nach Exstirpation der beiden Ohrenlabyrinthe, wie es übrigens Frl. Tomaszewitez schon vor ihnen gethan hat. Es herrscht also volle Uebereinstimmung darin, dass die compensatorischen und Zwangsbewegungen auch bei Thieren ohne Acustici bezw. ohne Ohrenlabyrinthe bei der Rotation auftreten; und trotzdem bestehen die letzteren Autoren darauf, dass die be- treffenden Bewegungen von den Bogengängen abhängig seien. Mit der- artigen Schlüssen könnte man ja beweisen, dass der Acusticus der eigent- liche Sehnerv sei. Nach Durchschneidung der Acustici sehen die Thiere nicht mehr, „wenn die Gesichtswahrnehmungen durch Verdecken der Augen aus- geschlossen sind“ (Breuer), oder wenn die Thiere bei offenen Augen dabei noch sehen, „so thun es die Augen nur den Ohren zu Liebe“ (Ewald). Dabei wirft Breuer mir und den genannten Forschern vor, wir „haben den Fehler begangen“, die Thiere nach der Acustieusdurchschneidung nicht zu blenden! „Bei keinem von ihnen sind, soviel mir bekannt, die Augen der Thiere verdeckt worden und immer wieder wurden dieselben heftie (?) rotirt. Da Thiere mit durchsehnittenen Acusticis auf jede aufregende Störung ihrer Ruhe Rollbewegungen machen, so ist nicht zu verwundern u. s. w.“! Und warum ruft dieselbe „Ruhestörung“ nicht dieselben Rollbewegungen bei denselben 'Thieren hervor, wenn man ihnen die Augen verdeckt? Darüber schweigt Breuer; er vergisst auch, dass bei seinen eignen Versuchen mit zerstörtem Ohrenlabyrinth es sich ja gar nicht um „Rollbewegungen“, sondern um die bekannte Kopfwendung und den Nystagmus handelt. Noch einen zweiten Vorwurf macht uns Breuer: „Den Versuch von Mach, während der Rotation den Kopf des Thieres in verschiedener Stellung zu fixiren und dadurch die Ebene des Drehschwindels zu variiren (2), hat Niemand nach durchschnittenen Acustici gemacht... . Ein solcher Versuch hätte allerdings entschieden, dass auch labyrinthlose Thiere Drehschwindel haben.“ Warum hat Breuer diesen seiner Ansicht nach „entscheidenden ıA.a. 0. 8. 291. Gegen die Deutung, welche Bechterew seinen Versuchen mit durchschnittenen Acustici giebt, führt Breuer noch folgendes Argument an: „die natürliche Auffassung der Phaenomene (die sofort nach Durchschneidung des einen Gehörnerven auftretenden Rollbewegungen) und ihres Schwindens (nach Durch- schneidung des zweiten) ist doch die, dass dies Reflexe von der langsam hei- lenden (!!) Nervenwunde aus seien“, Gleich nach der Durchschneidung! BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 49 Versuch“ nicht selbst ausgeführt? Ueberhaupt, sowohl er, als auch Delage, Kreidl u. A. haben es sorgfältig vermieden, Drehversuche bei Thieren mit durchsehnittenen Gehörnerven auszuführen. Ja, Ewald, der mehreren Hunden die beiden Acustici durchtrennt hat, liess dieselben verschiedene akrobatische Kunststücke ausführen, unterliess es merkwürdiger Weise, sie auf die Drehscheibe zu bringen; wenigstens spricht er in seinem Buche nicht davon. Breuer’s Schlussworte, womit er sowohl unsere Versuche mit Durch- schneidung der Acustici, als auch seine eignen mit Zerstörung der beiden Labyrinthe widerlegt zu haben glaubt, verdienen wiedergegeben zu werden: „Die letzteren Versuche haben durchaus nicht bewiesen, dass Thiere mit zerstörten oder vom Centrum abgetrennten Labyrinthen noch Drehschwindel hatten oder Rotation durch Kopf- und Augennystagmus compensirten.“! Ewald hat die Kopfbewegungen der Thiere bei Rotation ausführlich. beschrieben und auch durch Abbildungen versinnlicht. Mit Breuer schreibt er die Kopfwendung einem Reflexe von den Bogengängen zu, während der Kopfnystagmus von diesen Organen unabhängig sein soll. Dies ist um so auffallender, als die Ewald’schen Versuche geradezu die Unabhängig- keit der Kopfwendung von den Bogengängen beweisen und auch seine Auffassung der Functionen dieses Organs ihn nicht im Entferntesten dazu zwingen, den Thatsachen solche Gewalt anzuthun. Das VII. Capitel seines Buches „Der Drehschwindel“ (warum Schwindel ?) ist ganz dieser Frage gewidmet. Seine Beobachtungen stimmen im All- gemeinen mit den oben von uns beschriebenen überein. Die Bezeichnungen sind meistens verschieden; so gebraucht er das Wort Rotationsbewegung anstatt Kopfwendung u.s. w. Unter den Versuchen Ewald’s giebt es, wie. gesagt, mehrere, welche direct die Unrichtigkeit der Breuer’schen Hypothese beweisen. So z. B. der Versuch 33. Einer Taube werden beide Labyrinthe zerstört. Auf die Drehscheibe gebracht, beobachtet Ewald bei offenen Augen sowohl Augennystagmus, als auch die Reactionsbewegung (Kopfwendung), obwohl etwas schwächer. Nun werden bei dem Thiere die Gesichtswahrnehmungen ausgeschlossen, und jetzt „fehlt jede Spur eines Drehschwindels oder Nachschwindels“. Der Schluss ist klar: die Reactions- bewegung hängt nicht von dem Labyrinthe ab. Für Ewald dagegen ist diese Bewegung „rein mechanisch durch die Trägheit des Kopfes entstanden“. Also bei labyrinthlosen Fröschen bewegt sich der Kopf. „den Augen zu Liebe‘, bei ebensolchen Tauben „aus Trägheit“! Noch belehrender ist der Versuch 34. Eine normale Taube zeigt einen Reactionswinkel von 110 Grad und eine „Nystagmusphase“ von 40 Grad. .‚Ueber das Thier wird: jetzt ein ıA.a.0. S. 296. Archiv f. A,u. Ph, 1897. Physiol. Abthlg. 4 50 = E. v. Cyox: undurchsichtiger Cylinder gestülpt, der nur oben eine Oeffnung im Deckel hat, um dadurch die Taube sehen zu können.“ In dem Cylinder bleibt ausserdem eine brennende Kerze stehen. Resultat der Rotation: keine Reactionsbewegung und kein Nystagmus, oder eine Reactions- bewegung von 3 Grad! Und doch sollen es nicht die Gesichtswahrnehmungen — nämlich nicht die Verschiebung der Netzhaut oder das Streben des Thieres, das Netzhautbild festzuhalten —, sondern die Bogengänge sein, welche die Bewegungen hervorrufen! Und warum? Weil bei einer anderen Taube (Versuch 35), der beide Augen exstirpirt wurden zwar sämmtliche Reactionsbewegungen verschwanden; aber nach mehreren Tagen sollten sie, wenn auch bedeutend (uın mehr als die Hälfte) geschwächt, wieder er- schienen sein! Ausser der Erregung der Bogengänge bleibt für Ewald nur noch „die in Folge von Trägheit eintrefiende Bewegung des Kopfes und seines Inhalts übrig. Die Rotationsbewegung überträgt sich von dem Rumpfe des Thieres auf den Kopf; da aber dieser beweglich mit dem ersten verbunden ist, so wird er in Folge der Trägheit seiner Masse das Bestreben haben, in der Bewegung zurückzubleiben. Dadurch entsteht eine Bewegung (?), welche, relativ zum Körper, die entgegengesetzte Richtung der Drehung hat und welche ich die Remanensbewegung (sic!) nennen werde.“! Darauf folgen mehrere ziemlich unklare Versuche und auf Seite 151 der Schluss: „Die Rotationsremanens muss also den Drehschwindel auslösen. Den Kopf kann man während der Rotation festhalten, das Grosshirn und Kleinhirn entfernen, ohne dadurch die Bewegungen (des festgehaltenen Kopfes?) wesentlich zu beeinträchtigen, und so kommen wir denn per ex- clusionem und ohne andere Operationen oder Reizungen an dem Labyrinth zu der Ueberzeugung, dass von letztgenanntem Organ der Drehschwindel ausgeht und dass dieses im Sinne von Mach und Breuer durch die Rotation erregt werde!“ Mit anderen Worten: Die Reactionsbewegung des Kopfes kann von der Trägheit abhängen und nur ein Zurückbleiben sein; sie: ist also eine Remanensbewegung (?). Dieses Rotationsremanens existirt wirk- lich — auch bei fixirtem Kopfe — und kann sogar Drehschwindel erzeugen. Folglich muss die Rotationsbewegung von den Bogengängen abhängen und das Labyrinth muss, dem Wunsche Breuer’s gemäss, ein Sinnesorgan für den Drehschwindel sein! Dagegen weicht Ewald von Breuer in der Auffassung der „Nystagmus- phase“ ab; dieselbe soll von den Bogengängen unabhängig sein. Die Gründe, welche Ewald hierzu angiebt, sind wenig zwingend. Als Hauptbeweis, dass 1A.2.0. S. 146. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 51 die Nystagmusphase nicht von den Bogengängen abhängig ist, führt Ewald folgende Betrachtung an: Beim Frosche tritt „nur eine ganz unbedeutende Nystagmusphase bei seinen Augenbewegungen“ auf; „so scheint schon hier- aus die Unabhängigkeit der Nystagmusphase von dem Labyrinth hervor- zugehen. Die anatomische Anordnung und die physiologische Bedeutung des Bogengangapparates“ ist analog; „es ist deshalb schon im hohen Maasse unwahrscheinlich, dass dasselbe Organ beim Frosch nur eine Bewegung des Kopfes in einer Richtung, bei den Vögeln aber zwei Bewegungen in ent- gegengesetzter Richtung auslösen sollte“.! Diese Ueberlegung würde schon wenig überzeugend sein, wenn es auch bewiesen wäre, dass die „Kopf- wendung“ wirklich von den Bogengängen ausgelöst werde. Wir haben aber zur Genüge bewiesen, dass gerade das Gegentheil bewiesen worden ist, nämlich, dass diese „Kopfwendung‘“ vom Ohrenlabyrinth unabhängig: ist. Die Ueberlegung Ewald’s verliert also jeden Werth. A priori wäre die Abhängigkeit des Kopf- und Augennystagmus von den Bogeneängen viel zulässiger, als die der Kopfwendung. Denn die Flourens’schen Versuche haben schon ergeben, dass ein Kopfnystagmus bei Operationen an den Bogengängen wirklich entsteht; für den Augen- nystagmus haben unsere Versuche gezeigt, dass die Reizung der Bogen- gänge denselben in sehr gesetzmässiger Weise hervorruft, indem von jedem Bogengang ein ganz bestimmter Augennystagmus ausgelöst wird. „Von allen Versuchen der bemerkenswerthen Arbeit von COyon ist in meinen Augen folgender der wichtigste: die Reizung jedes halbzirkelförmigen Canals ruft pendelnde Augenbewegungen hervor, deren Richtung durch die Wahl des gereizten Canals bestimmt wird,? geben ja selbst Delage-Aubert zu.“ Dieses Ergebniss ist seitdem von vielen Autoren, wie z. B. von Ewald? u. A., denen meine Untersuchungen entgangen sind, neu entdeckt worden — es ist also über jeden Zweifel erhaben. Die Möglichkeit, dass der bei Rotation auftretende Kopf- und Augennystagmus von einer Erregung der Bogengänge abhängen, ist also wirklich gegeben (im Gegentheil zu der „Kopfwendung“). Um diese Möglichkeit zu einer Gewissheit werden zu lassen, musste nur der Nachweis geliefert werden, dass Kopfbewegungen die Bogengänge in den Zustand der Erregung versetzen können oder müssen. Goltz, Breuer, Delage, Ewald nehmen diesen Satz als Axiom an, die keines Beweises bedarf, und gründen darauf ihre ganze Theorie des Schwindels. Es ist ihnen dabei eine einfache Ueberlegung entgangen, die ihren ea 0: Ss ?A.a. 0. 8. 98. 3.2. 0. S. 157 bis 165. 4* 52 = E. v.@yon: ganzen Bau zu nichte macht. Wenn die Kopfbewegungen die Bogengänge erregen und die Erregung der letzteren den Drehschwindel erzeugt, so müssten Thiere und Menschen ununterbrochen diesem Schwindel ausgesetzt werden. Denn Erregung der Bogengänge ruft nachgewiesenermaassen pendelnde Bewegungen des Kopfes hervor; sollten nun letztere ihrerseits die Bogengänge erregen, so würden wir ein Perpetuum mobile ganz son- derbarer Art erhalten, das zu einer fortdauernden rhythmischen Erregung des Ohrlabyrinths führen müsste! Wir könnten also den Schwindel und die Beschleunigungsempfindungen nur durch zwangartiges Fixiren des Kopfes los werden! Man beobachte nur z. B. die Flugbewegungen der Turteltauben oder, noch besser, der Möven, wenn letztere den in die Luft geworfenen Speise- stücken nachfliegen; sie beschreiben da mit blitzschneller Geschwindigkeit grosse und kleine Kreise, und doch ist bei ihnen keine Spur von Kopf- wendungen, Schwindel oder Augennystagmus zu beobachten. Dies lässt sich nicht nur durch directes Zusehen, sondern auch durch die Thatsache leicht ° constatiren, dass die Möven mit der grössten Präcision im Fluge Speise- stücke aufzufangen vermögen, auch wenn sie dabei die Richtung des Fluges mehrmals mit der grössten Geschwindigkeit wechseln müssen. Eine einzige Auffassung der Functionen der Bogengänge, nämlich die unsrige, könnte mit einer solchen constanten, rhythmischen Erregung der Bogengänge vereinbar sein. Wir haben daher in unserer letzten Abhand- lung dieMöglichkeit zugegeben, dass Kopfbewegungen bei der functio- nellen Erregung der Bogengänge betheiligt sein können. ! Wir kommen auf diese wichtige Frage noch weiter unten zurück. IV. Elektrische Reizungen des Ohrlabyrinthes. Beim vollständigen Mangel an direeten experimentellen Beweisen für die Function der Bogengänge als Organ für die Drehempfindungen und den Drehsehwindel suchte man indirecte Stützen zu finden in Beobachtungen, welche mehr oder weniger mit diesen Organen in Beziehung gebracht werden können. So griff Breuer zu den Hitzig’schen Versuchen über die Durchleitung elektrischer Ströme durch den Schädel, um aus denselben Schlüsse im bekannten Sinne auf die Functionen des Ohrlabyrinthes zu ziehen. Wegen ihrer Vieldeutigkeit eignen sich auch die elektrischen Reizungen der ÖOhrlabyrinthe ganz vorzüglich zu solchen Zwecken. Diese Vieldeutigkeit hat ihren doppelten Grund: erstens in der Unmög- lichkeit, die Bogengänge isolirt zu reizen, und zweitens in der Schwierig- ı A.a. 0. S. 383, BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 53 keit, Bewegungsstörungen bei fixirten Thieren genau zu beobachten. Will man aber elektrische Reizungen an freien Thieren anstellen, so ist eine Präeisirung der gereizten Partien noch bedeutend schwieriger. Aus allen diesen Gründen habe ich .in meiner letzten Abhandlung kein besonderes Gewicht auf die Resultate gelegt, die man auf diesem Wege etwa erhalten könnte.! Es genügt, die grundverschiedenen Schlüsse zu er- - wähnen, zu welchen die Autoren durch die Ergebnisse der sogenannten Laby- rinthreizungen gelangt sind, um diese Zurückhaltung 'zu rechtfertigen. Beim Durchfliessen eines elektrischen Stromes von einem Ohr zum anderen beobachtete Hitzig, dass die Patienten den Kopf zur Anode neigten und dabei die Empfindung hatten, zur Kathode hin umzufallen. Er gab dieser Erscheinung die naheliegende Erklärung, dass die elektrische Reizung des Kleinhirns diese Empfindung hervorruft und die Neigung des Kopfes zur Anode eine natürliche Reaction sei, um dieser Empfindung des Hinüber- fallens auf die Kathodenseite entgegenzuwirken. Beiläufig gesagt, protestirt Ewald? mit Entrüstung gegen die Erklärung, dass „die Bewegung eine Folge des Gefühls“ sei, und hält nur das Gegentheil für zulässig, nämlich, dass „dieses Gefühl nur in Folge der Bewegung entsteht“. Dies ganz mit Unrecht. Es ist ganz unverständlich, wie eine Bewegung nach rechts z. B. uns das Gefühl geben soll, dass wir nach links umfallen, während es leicht erklärlich ist, dass wir auf das Gefühl, nach links umzufallen, eine Gegenbewegung nach rechts machen. Diese einfache Erklärung stimmt aber nicht zu der „Breuer’schen Theorie“, welche es verlangt, die Hitzig’- schen Versuche am Menschen ganz anders zu deuten. Nach Breuer nämlich sollen bei diesem Versuche die Labyrinthe, und nicht das Klein- hirn, erregt werden. Als vermeintlichen Beweis dieser Deutung führt er an, dass bei Tauben, welchen man in das Kleinhirn eine Nadelelektrode einbohrt und eine Kopiwendung von der Kathode weg bei ihnen erhält, man durch allmähliche Abschwächung des Stromes dazu gelangen kann, keine Reaction mehr zu veranlassen. Diese abgeschwächte Stromstärke soll aber noch genügen, um die Kopfwendung zu erzeugen, wenn man die Nadel- elektrode in die Bogengänge sticht. Angenommen, diese Thatsache stehe fest, so lässt sie mehrere Erklärungen zu, ohne im Geringsten zu beweisen, dass bei dem Hitzig’schen Versuche es sich ausschliesslich um eine Reizung der Bogengänge handelt, ge- schweige denn, dass diese Organe zur Function haben, den Drehschwindel zu erzeugen. Dass elektrische Reizung der Bogengänge eine Neigung des Kopfes veranlasst, ist ja bekannt gewesen; ich habe ja auch schon längst 20, S. 306. Na. 0. S. 227. 54 _ E. v. Cyox: angegeben, dass diese Bewegung nach der Seite des Reizes zu stattfindet.! Was berechtigt aber Breuer zu dem Schluss, dass bei Reizung des Bogen- ganges die Taube dieselben Schwindelempfindungen hat, wie der Mensch bei dem Hitzig’schen Versuche? Der Schluss ist durchaus willkürlich. Ja, Breuer geht noch weiter und glaubt durch seine elektrischen Reizungen direct die speciellen Functionen der äusseren Ampullen nachgewiesen zu haben.” Ewald, der zwar auch für die Bogengänge die Functionen des Drehschwindels vindieirt, ist in dieser Hinsicht ganz entgegengesetzter An- sicht. Nach ihm nämlich soll der elektrische Strom weder auf die Am- pullen, noch auf die Bogengänge direet einwirken können, sondern nur auf „die letzten Verzweigungen des Octavus“.? Beide stützen sich auf directe Versuche; wir wollen nicht in Zweifel ziehen, dass die Beobachtungen beider Untersucher den Thatsachen entsprechen. Woher also dieser diame- trale Widerspruch? Welch eclatanter Beweis, dass aus ähnlichen Reizungen, wo die unbekannten Verzweigungen des Stromes an entfernten Punkten Wirkungen hervorrufen können, die mit dem vermeintlich direct gereizten Organ nichts zu thun haben, keine sicheren Schlüsse zu ziehen sind! Sogar über die Richtung der Kopfwendungen bei ihrer Reizung sind Ewald und Breuer verschiedener Ansicht. Letzterer behauptet, bei gleicher Reizung Bewegungen bald in dem einen, bald in dem anderen Sinne er- halten zu haben, während Ewald „auch kein einziges Mal“ gesehen hat, dass derselbe Reiz ‚die entgegengesetzten Wirkungen hervorbringen soll“. Aber wie gesagt, trotz der so entgegengesetzten Resultate ihrer Versuche hält Ewald fest, dass die Breuer’sche Deutung der Hitzig’schen Ver- suche die richtige ist. Und warum dieses Festhalten? Weil man bei Tauben nach Zerstörung der Labyrinthe „auch bei den stärksten Strömen“ „nie die früher beob- achtete Wirkung“ erhält, oder „es. kommt keine starke Kopfneigung mehr zu Stande“. Dieser Behauptung Ewald’s widersprechen aber am ent- schiedensten die sehr klaren Versuche von Strehl.* Bei seinen Versuchen an labyrinthlosen Fröschen und Tauben beobachtete dieser Autor dieselben Kopfneigungen, wie bei normalen. Der labyrinthlose Frosch reagirt auf den galvanischen Strom vielleicht noch stärker als ein gesunder. Ganz in jüngster Zeit hat Paul Jensen seinerseits Versuche an drei labyrinthlosen Tauben angestellt, welche ihn mit Unrecht bewogen haben, sich mehr der Ansicht Ewald’s als Strehl’s zuzuwenden. I A. 2..0...S. 306. ? Pflüger’s Archiv. Bd. XLIV. 8. 135. s A.a. 0. 8. 249. 4 Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LXI. NO Sl BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 55 Die drei Tauben sind von Dr. Matte vor einem Jahr von ihren Laby- rinthen beiderseits befreit worden. Bei diesen Tauben vermochten nun Stromstärken von 0,05 bis 0,1 Milli-Amperes, welche „bei normalen Tauben nie versagten“, keine Reaction hervorzubringen. Erst bei 0,25 bis 0,4 Milli- Amperes fingen die Reactionen bei labyrinthlosen Tauben an zu erscheinen, die sich in ruckartigem Zucken des Kopfes kundgaben. Bei noch grösserer Verstärkung der Ströme bis zu 0,7 Milli-Amperes wachsen diese Zuckungen und „schliesst sich ihnen ein Kopfnystagmus an, welcher stets die Form von Pendelbewegungen hat, ohne einen deutlichen Unterschied von Reactions- und Nystagmusphase zu zeigen. Hin und wieder schon bei 0,7 Milli-Amperes, häufiger erst nach 1,0 Milli-Amperes, findet man, dass der Kopf der Taube nach der Schliessungs-Zuckungsreaction nicht wieder ganz in die Normalstellung zurückkehrt, sondern während des Stromschlusses in einer schwach nach der Anode geneigten Stellung verharrt, was als eine Dauerwirkung des geschlossenen Stromes erkannt wurde.“ ! Wir haben es vorgezogen, den Text von Jensen direct zu reproduciren, weil aus demselben mit Evidenz hervorgeht, dass die Kopfneigung und der Kopfnystagmus auch bei völlig labyrinthlosen Tauben bei galvanischer Reizung aufzutreten vermag, ebenso wie sie es auch bei der Rotation thun. Dass diese Neigungen und der Kopfnystagmus schwächer als bei normalen Tauben sind, Jass sie stärkerer Ströme als Erregungsmittel bedürfen, ändert an der Sache selbst nichts. Dies kann sich sehr leicht aus den ver- änderten Leitungsverhältnissen bei den vor einem Jahre operirten Thieren ergeben. Jedenfalls ist der Beweis nochmals geliefert worden, dass die Labyrinthe, bezw. die Bogengänge diesen Kopfwendungen und dem Kopf- nystagmus in dieser Art Versuchen ganz fremd sind. Denn abwesende Organe? können weder auf sehr starke Reize reagiren, noch können sie schwach reagiren. Diese einfache Ueberlegung haben Breuer, Ewald u. A. immer zu machen vernachlässigt. Denn Ewald hat ja auch bei labyrinth- losen Tauben schwache Reactionen beobachtet, „welche der Richtung nach mit der Labyrinthreaction übereinstimmen“ Freilich schiebt er dieselbe auf eine Reizung des Stammes des Acusticus; bei den von Matte vor einem Jahre operirten Tauben kann doch von einer solchen Reizung nicht mehr die Rede sein. Trotz der Evidenz seiner Ergebnisse neigt Jensen der Breuer- Ewald’schen Auffassung zu. So stark ist die Macht der Legende von den 72.0, 8. 205. ®? Paul Jensen erinnert noch selbst, dass schon einige Wochen nach der Exstir- pation der Labyrinthe eine aufsteigende Degeneration der Nervi cochlearis und Vesti- bularis auftreten. Ein Jahr nach der ÖOperaticn ist also von denselben sicherlich wenig zurückgeblieben. 56 oE. v. Cyox: Schwindelfunctionen der Bogengänge! Kein einziger der angeführten Autoren, welche die galvanischen Reizungen vornahmen, stellt die Abhängigkeit der Kopfneigung von der Schwindelempfindung in Zweifel. Diese Kopfneigung wird schlechterdings als Symptom des „galvanischen Schwindels“ bezeichnet. Wie nun, wenn die Kopfneisung nur eine dem Schwindel parallel ver- laufende Erscheinung wäre und wenn die Tauben bei gewissen Formen der galvanischen Reizung sogar überhaupt keinen Schwindel empfänden? Es ist ja leicht möglich, dass die Kopfneigungen der mit schwachen Strömen elektrischen Taube ebenso wenig von Schwindel begleitet werden, wie bei den Kopfneigungen, welche durch eine sanfte Drehung der Scheibe um 20 bis 25 Grad ausgelöst werden. Bei den Menschen sind ja zur Erzeugung wirklichen Schwindels schon ziemlich starke Ströme noth- wendig. Nach an mir selbst vor Jahren gemachten Erfahrungen scheint das Wort Schwindel für diese Art von Empfindungen, welche bei Durchleitung starker Ströme von den Ohren aus durch das Gehirn entstehen, kaum ganz genau den Thatsachen zu entsprechen. „Betäubung“ würde den erzeugten Zustand viel genauer bezeichnen. Beim Drehschwindel z. B. ist man noch befähigt, seine Empfindungen ziemlich genau zu verfolgen. Beim sogenannten galvanischen Schwindel dagegen ist mir wenigstens dies ganz unmöglich. Wie dem auch sei, der Versuch, in galvanischen Durehströmungen der Ohrlabyrinthe irgend welche Stützen zu Gunsten der Breuer’schen Hypothese zu finden, ist vollständig misslungen. Sowohl die Strehl’schen, als die Jensen’schen Versuche beweisen geradezu das Gegentheil, dass nämlich die Bogengänge mit dem sogenannten galvanischen Schwindel wenig zu schaffen haben. Es würde uns zu weit führen, wollten wir auf die Ursachen der Detaildifferenzen zwischen den verschiedenen Autoren ein- gehen. Für die uns hier interessirende Frage wäre es auch ganz über- flüssig. V. Versuche und Beobachtungen an Taubstummen. Gegenüber der Unmöglichkeit, nach den Resultaten meiner Gehör- nervendurchschneidungen und ihrer eigenen Labyrinthzerstörungen die Hypo- these über die statischen und Schwindelfunctionen ‘des Ohrlabyrinthes mit Hülfe von Versuchen an Thieren aufrecht zu erhalten, suchten Breuer u. A. neue Stützen für dieselbe in den Beobachtungen von Taubstummen. „Mir erscheint eine Wiederholung dieser Versuche (der James’schen an Taub- stummen) viel wichtiger, als die abermalige Durchschneidung des Acusticus an Thieren,“ erklärt Breuer. Kreidl fand in diesem Ausspruch Veran- lassung zu seinen Versuchen. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 57 James hat eine grosse Anzahl Taubstummer auf die Fähigkeit unter- sucht, durch Rotation schwindelig zu werden. Von 519 Taubstummen sollen dabei 186 keinen Schwindel gezeigt haben. Für Kreidl ist diese Beobachtung geradezu ein Experimentum crucis. Da nämlich viele Taub- stumme Defeete an den Bogengängen haben, so müssen diese gegen den Schwindel refractären 186 Taubstumme an solchen Defecten leiden! Sollte einmal der Beweis geliefert werden, dass die schwindelfreien Taubstummen wirklich keine functionsfähieen Bogengänge besitzen, so würde dies viel eher einen eclatanten Beweis zu Gunsten der Theorie des Gesichts- schwindels liefern, die wir vor 20 Jahren gegeben haben. „Die Illusion einer scheinbaren Bewegung (d. h. des Gesichtsschwindels) muss eintreten, so oft ein Mangel an Uebereinstimmung zwischen unseren Sinneswahrnehmungen und unserer Vorstellung des-idealen Raumes besteht“,! welche die Erregung der Bogengänge uns liefert... „Nehmen wir ein die drei Dimensionen des Raumes repräsentirendes Öoordinatensystem an. Auf dieses System übertragen wir. eine Zeichnung, welehe den gesehenen Raum, d. h. das Bild unseres Gesichtsfeldes, darstellt. Jedesmal, wenn diese Zeichnung ihre Lage im Verhältniss zu diesem Coordinatensystem ändern wird, werden wir die Empfindung der Bewegung wahrnehmen, sei es, dass diese Aenderung durch eine wirkliche Bewegune des äusseren Raumes, sei es, dass sie nur durch eine passive Bewegung der Retina hervorgebracht wird, der Effect wird immer derselbe sein: wir werden die Gegenstände sich bewegen sehen. Wenn die Bewegung der Retina durch willkürliche Muskelcontraction hervorgebracht wird, behüten uns die Empfindungen der Innervation dieses Muskels vor einer Illusion, indem sie uns davon benachrichtigen, dass die Verrückung der Zeichnung durch uns selbst veranlasst wurde.“ Durch dieses etwas grobe Bild versuchten wir unsere Ansicht über das Entstehen des Gesichtsschwindels zu veranschau- lichen. Ist unsere Ansicht richtig, so können Taubstumme mit angeborener oder in der frühesten Jugend erworbener Functionsunfähigkeit der Bogen- gänge keinen Gesichtsschwindel haben, und wenn man sie noch so lange auf der Drehscheibe rotirt. Wir können also — immer wenn der betreffende Defect wirklich bei den 186 Taubstummen existirte — auch ohne die An- nahme eines speciellen Schwindelorganes uns die James’schen Versuche leicht und ungezwungen erklären. Man vergisst zu leicht, dass der Schwindel und die Schwindelempfindungen pathologische Erscheinungen sind. Ein specielles Organ, wie die Bogengänge, für das Erzeugniss dieser Erscheinung zu vindieiren, kommt ja auf dasselbe hinaus, als wollte man die Function 1 Gesammelte Arbeiten u. Ss. w. S. 324. ° 58 „E. v.. Cyox: der Niere in Erzeugung von Nierensteinchen sehen oder die Hirnhäute als Sinnesorgan für Kopfschmerzen betrachten ... Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Bogengänge als Organ für Drehempfindungen uns helfen, die Richtung der Verticalen zu be- stimmen, hat Kreidl die James’schen Versuche an Taubstummen fort- gesetzt, wie er glaubt, mit verbesserten Methoden. Anstatt sich mit den subjectiven Angaben der Taubstummen zu begnügen, zog er es vor, von denselben bei der Rotation die Verticale bestimmen zu lassen; auf diese Weise erhielt er rein objective Resultate. Er gelangte zu folgendem Resul- tate: „Das wichtigste Ergebniss dieser Versuche ist jedoch, dass von 62 Taub- stummen 13 den Zeiger während der Rotation annähernd vertical stellen.‘“! „Von 71 normalen Personen, an welchen die gleiche Beobachtung angestellt wurde, hat nur einer den Zeiger richtig gestellt.“ Für den unbefangenen Forscher lässt dieses „wichtigste Ergebniss“ logisch nur folgendes Dilemma zu: entweder besitzen die 13 Taubstummen . keine functionsfähigen Bogengänge (wie es Kreidl voraussetzt), und dann haben Bogengänge mit der Bestimmung der Verticalen nichts zu schaffen, oder die Bogengänge sind die „wichtigsten“ Organe für diese Bestimmung, und dann müssen die 13 Taubstummen vorzüglich funetionirende Bogen- gänge besitzen. Wie aber Kreidl gleichzeitig annehmen kann, dass diese 13 Taubstummen keine Bogengänge besitzen, und dass gleichzeitig ihre Fähig- keit, die Verticale zu bestimmen, beweisen soll, die Bogengänge übten diese Function aus, das bleibt unverständlich!” Ja, Kreidl findet in diesem Ergebniss nicht nur den Beweis, dass „der Vestibularapparat fungirt also, als Sinnesorgan für geradlinige Beschleunigungen“ im Sinne Mach’s und Breuer’s, sondern dass „die Thatsachen mit der Theorie übereinstimmen, nach welcher die Otholiten (!) dieser Function dienen“.3 Wir haben im vorigen Capitel Versuche kennen gelernt, die uns be- weisen sollten, dass abwesende, d.h. vor einem Jahre zerstörte Organe, noch durch starke Ströme, wenn auch schwach, erregt werden können. Die Kreidl’schen Versuche sollen uns nun belehren, dass abwesende Bogen- gänge noch: viel präciser functioniren, als normale Was wir doch für sonderbare Dinge annehmen müssen, um Breuer zu Liebe die Mach’sche Hypothese zu retten, von der Mach selbst sich längst losgesagt hat! Kreidl stimmt der Ansicht von Delage-Aubert zu, dass der Bogen- gangapparat „die compensatorischen Bewegungen der Augäpfel hervorruft, welche dazu bestimmt sind, die Gesichtstäuschungen zu verhindern“.* ı Pflüger’s Archiv. Bd. LI. ? Strehl hat auch schon diesen Widerspruch hervorgehoben. ®A.2.0. S. 144. Na ORESLHS: BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 59 Wäre dies richtig, so dürfte man erwarten, dass Taubstumme, welche nur functionsunfähige Bogengänge besitzen, widerstandslose Opfer der Ge- siehtstäuschungen seien. Gerade das Gegentheil beweisen die Kreidl’schen Versuche: diese Täuschungen fehlen den Taubstummen! Darin liest ja eben der Grund, warum sie die Verticale richtiger zu bestimmen vermögen, indem sie, mit einem Worte, nicht schwindelig werden können. Noch mehr als die James’schen Beobachtungen heweisen die Kreidl’schen, wie richtig meine Theorie des Gesichtsschwindels ist. Wir werden noch weitere Belege dafür unten geben und dann auch auf die Beobachtungen Kreidl’s u. A. auf gewisse Eigenthümlichkeiten der Bewegungen bei Taubsiummen ein- gehen, welche ebenfalls in eclatanter \Veise meine Auffassung der Func- tionen der ÖOhrlabyrinthe bestätigen. Hier wollen wir eine nebensächliche Consequenz der Versuche an Taub- stummen hervorheben. Ich habe gleich nach der Veröffentlichung der Mach’schen Beobachtungen versucht, seine Drehversuche an mir selbst zu wiederholen, musste aber sofort darauf verzichten, weil ich wegen der auf- tretenden Schwindelempfindungen mich ausser Stande fühlte, irgend welche ernste Selbstbeobachtungen anzustellen. Ich schrieb diese Unfähigkeit zwar meiner ganz ausserordentlichen Empfindlichkeit für Drehungen zu; ich kennte nie 2 bis 3 Walzertouren machen, ohne stark schwindelig zu werden, auch nie das Schaukeln vertragen. Ein gewisses Misstrauen zu den Ergeb- nissen der Drehversuche ist mir aber dennoch zurückgeblieben und, wie ich glaube, nicht ganz mit Unrecht. Es genügt, z. B. bei Delage zu lesen, in welchen Zustand ihn gewisse fortgesetzte Drehversuche versetzten, um zu grösste Vorsicht bei der Deutung seiner in solchem Zustande gemachten Beobachtungen ermahnt zu werden. ‚Die Schwindelgefühle pflegen die Selbstheobachtung sehr zu beeinträchtigen,“ schreibt Aubert selbst, „wenn sie mit Lebhaftigkeit auftreten und es dahin kommt, dass, wie Budde! treffend sagt: ‚das Versuchsergebniss nicht eine Beobachtung ist, sondern ein Schwindel, welcher bald zu völliger Unfähigkeit des Beobachters führt.“ Dieses Geständniss hat aber leider Aubert nicht verhindert, mit Hülfe solcher „Schwindelbeobachtungen“ meine auf zehnjährige, fast ununter- brochene experimentelle Untersuchungen gegründete Theorie der Func- tionen der Bogengänge umstossen zu wollen. Die Kreidl’schen Versuche beweisen nun, dass 13 Taubstumme, die fast sämmtlich in ihrer Kindbeit schwere Gehirnleiden durchgemacht haben und ja sicherlich psychisch, wie die meisten. Taubstummen, nur gering ent- ! Budde, Ueber metakinetische Scheinbowesungen. Dies Archiv. 1884. 8.131. 50 SE. v.'CyYon: wickelt waren, bei Drehversuchen im Stande sind, viel präcisere Angaben als normale Menschen zu machen. Unser Misstrauen zu den Selbstbeobach- tungen auf der Drehscheibe war also wohl begründet. VI. Die Zwecklosigkeit eines Sinnesorganes fürDrehempfindungen. Teleologische Beweisführungen sind in der Physiologie, ganz mit Un- recht übrigens, in schlechten Ruf gekommen. Die beispiellose Popularität welche sich die Darwin’sche Lehre unter den Naturforschern im Beginne erworben hat, beruhte zum grossen Theile auf der. Hoffnung, dass diese Lehre ein für alle Mal das Studium der Natur von den teleologischen Auffassungen befreien wird. Und doch ist der Darwinismus mit der natürlichen Selection und mit der Vererbung erworbener zweckmässiger Vorrichtungen nichts anderes als die angewandte Teleologie! Der physio- logische Forscher, wenn er an die Prüfung der Function eines Nerven oder einer Drüse geht, macht doch auch, wenn nicht ausdrücklich, die Voraus- setzung, dass der Nerv oder die Drüse einem vernünftigen Zwecke entspricht. Wenn man neue Sinnesorgane entdecken will, so ist daher die knappste Forderung, welche man an den Entdecker stellen kann die, dass dieses Organ auch irgend eine Bestimmung, einen Zweck haben, irgend einem Bedürf- nisse entsprechen soll. Ein specielles Organ für Schwindelempfindungen ist geradezu ein Unding. Und nun erst für Drehempfindungen! Ohrlabyrinthe befinden sich ‚bei Thieren, die nie Drehbewegungen ausführen. Frösche haben wohl zum ersten Male Walzerbewegungen in meinem Petersburger Laboratorium im Jahre 1872 ausgeführt. Von Tanzunterhaltungen der Neunaugen oder Haifische ist in den Zoologischen Handbüchern auch wenig zu lesen. Und selbst der Mensch bewegt sich ja normal nur nach vorwärts. r Ich habe auf die Nutzlosigkeit eines solchen Organes für Dreh- empfindungen schon in meiner letzten Abhandlung aufmerksam gemacht. Auch Breuer ist die Gewichtiekeit eines solchen Einwandes nicht ent- sangen; nur suchte er ihn in folgender Weise zu entkräften: „Ob ein solches rapides Arbeiten (wie beim Seiltänzer) denkbar wäre, wenn die auslösenden Sensationen in der Summe aller Tast-, Gelenk- und Muskel- empfindungen bestände, wie wir bisher meinten, muss dahingestellt werden (warum?). Jedenfalls sind wir, hoffe ich, nunmehr berechtigt anzunehmen, dass die auslösende Perception in den Bogengängen entsteht, und dass eben die Auslösung der Balancirreflexe der Zweck dieses Ap- parates ist.“ ! Ueber die Function der Bogengänge u. s. w. Medic. Jahrbücher. 1374. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 61 Kreidl kommt auch ausdrücklich auf diese Bestimmung der Bogen- gänge zurück. Mit Hülfe der durch die Kopfbewegungen entstehenden statischen und Drehempfindungen soll dem Seiltänzer ‘das Balanciren er- möglicht werden. Analoges ist ja auch von Goltz u. A. bei den Balancir- versuchen an labyrinthlosen Fröschen angenommen worden. - Die Bogengänge sollen also zur Förderung der Kunst des Seiltänzers dienen, indem sie es ermöglichen durch die Kopfbewesungen „rapide“ genug die Reflexbewegungen auszulösen, welche ihn vor dem Genickbrechen bewahren. Die Breuer’sche Irrlehre von den Functionen des. Ohrlabyrinthes ist mehreren Physiologen-so tief eingewurzelt, besonders seitdem der Begründer durch die „Otholitentheorie“ diese Functionen in so scheinbar einfacher Weise zu erklären vermochte, dass wir es für nothwendig halten, nach allen den direeten Widerlegungen dieser Lehre in den früheren Capiteln, auch noch diese scheinbar unwesentlichen Stützen näher zu prüfen. Das erste was uns bei der Beobachtung eines Seiltänzers auffält, wenn er auf dem Seile vorwärts schreitet, ist die starre Haltung seines Kopfes. Er fixirt mit der grössten Präcision den Endpunkt des Seiles, und auch keinen Augenblick verliert er diesen Punkt aus den Augen, welches auch die Nebenexereitien sein mögen, die er ausführt. Dies ist auch ganz natürlich: die grösste ihm drohende Gefahr besteht ja im Gesichts- schwindel. Wenn wir auf einem schmalen Bergpfade an einem Abgrunde ent- lang gehen, thun wir ja das nämliche; wir sehen gerade hinaus vor uns dem Endziele des Pfades zu, und kümmern uns sehr wenig um unsere Füsse. Hätten die Bogengänge wirklich zur Function gehabt, die Dreh- und Schwindelempfindungen hervorzurufen, so wären Taubstumme mit functions- unfähigen Bogengängen ja geborene Seiltänzer! r Rapides Auslösen von Reflexbewegungen ist ja z. B. auch beim Fechten und Velocipedfahren ebenso nothwendig wie beim Seiltanzen, und doch wird beides bei unbeweglichem Kopfe ausgeführt. Eben beim Degenfechten kann man sich ja leicht überzeugen, dass die Gesichts- und Tastempfindungen für die Ausführung wirklich blitzsehneller Reflexbewegungen allein in Betracht kommen. Denn die complieirtesten Paraden mit den darauf- folgenden Gegenangriffen (Ripostes) werden rein reflectorisch (natürlich von geübten Fechtern) ausgeführt, indem man die Absichten des Gegners ihm an den Augen abliest oder die fast unsichtbaren Bewegungen seines Degens mit dem eigenen Degen, dank dem Tastsinne, durchfühlt. Man täuscht daher auch am leichtesten seinen Gegner auf dem Fecht- boden, wo die Maske die Augen verhüllt, wenn man ihm die Berührung seines Degens versagt. So schnell der Gedanke auch abläuft — man würde 62 s!E: v.CyYox: immer mit der Parade zu spät kommen, wenn man dieselbe erst Frucht der Ueberlegung sein lässt. Es ist auch leicht zu demonstriren, dass die blosse geistige Aufmerksamkeit schon die Auslösung der Reflexbewegung hemmt, oder richtiger gesagt verzögert. Beim Veloeipedfahren genügen die Tast-, Gelenk- und Muskelempfin- dungen vollständig zur raschen Auslösung der zur Erhaltung des Gleich- gewichtes der Maschine nothwendigen Reflexbewegungen. Die Anhänger des Drehsinnes und der compensirenden Rolle der Bogengänge unterlassen es auch selten, zu Gunsten ihrer Ansichten die „be- kannten Haltungen“ des Pferdes in der Manege anzuführen, ohne übrigens auf Einzelheiten einzugehen. In der That nimmt ein im Circus oder in der Manege regelrecht galoppirendes Pferd eine Kopfhaltung ein, welche der Richtung nach ganz der Kopfwendung entspricht, welche Tbiere bei passiver Rotation auf der Drehscheibe machen, — nämlich nach links beim Galoppiren in der Richtung der Uhrzeiger und umgekehrt. Auch an dieser Kopfhaltung sind die Bogengänge ebenso unschuldig wie an der be- schriebenen Kopfwendung der Frösche, Tauben und Kaninchen. Dies beweist schon der Umstand, dass Pferde die bekannte Kopfhaltung schon einnehmen, bevor sie die Bewegungen ausführen können. Der Druck der Schenkel des Reiters, die Reizung gewisser Partieen der Mund- schleimhaut, bei der Amazone sogar die Reitpeitsche, zwingen das Pferd die obenerwähnte Kopfhaltung einzunehmen. Es gehört eine lange Dressur dazu, um dem Pferde das regelrechte Galoppiren mit dem rechten oder linken Beine voran (auf die rechte oder linke Schulter) beizubringen. Beim Galoppiren auf der rechten Schulter erleichtert die Neigung des Kopfes nach links die springende Bewegung des Pferdes, und umgekehrt. Nun galoppirt man in der Manege oder im Circus aus leicht verständlichem Grunde! regelrecht auf dem rechten Beine, wenn man in der Richtung der Uhrzeiger reitet und umgekehrt. Dies der alleinige Grund der geneigten Kopfhaltung des Pferdes. Bei ungeübten Reitern galoppirt das Pferd auch nach rechts mit gerader oder verkehrter Kopfhaltung. Auch bei dem schnellsten Trab in der Manege behält das Pferd trotz der Drehung im Kreise seine gerade Kopfhaltung, wie es auch beim Kurz- galopp im Freien, wenn er in gerader Linie sich fortbewegt, die beschriebene Kopfhaltung beibehalten kann. In den russischen Troikas galoppiren gleichzeitig die beiden Seiten- pferde, das linke mit dem Kopfe nach links gedreht, das rechte nach rechts. Die Tiefstellung der Köpfe ist dabei oft so stark, dass die Unterkiefer des Pferdes nur um einige Händebreiten vom Fussboden entfernt bleiben. Bei- ı Um das Stolpern bei den Wendnngen in den Ecken zu vermeiden. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 63 läufig gesagt, gehen die auf diese Weise martyrisirten Thiere gewöhnlich an Hirnhautentzündungen zu Grunde. Da es sich hier um Organe handelt, welche rapide Reflexbewegungen auslösen, so möchte ich hier eine Beobachtung anführen, welche direct den Weg bezeichnet, auf welchem die blitzschnelle Reflexbewegung ausgelöst wird; wobei das Öhrenlabyrinth ganz unbetheiligt bleibt. Es ist mir mehrmals aufgefallen, dass, wenn ich plötzlich den Einfall habe die Allüren des Pferdes zu wechseln, das Pferd die zu der neuen Allüre gehörige Stellung einnimmt, und sogar diese Allüre selbst einschlägt, noch ehe ich die zur Veranlassung der neuen Allüre nothwendigen Hand- und Sehenkelbewegungen ausgeführt habe, oft ja sogar, ehe ich ent- schieden habe, ob ich die neue Allüre wirklich einschlagen werde. Diese blitzschnelle Uebertragung der Gedanken vom Reiter zum Pferde kommt natürlich dadurch zu Stande, dass der Gedanke an die neue Allüre durch eingeübte Association bestimmte, noch für mich selbst unperceptible Contractionen, oder richtiger gesagt, Spannungen in den Muskeln meiner linken Hand und der Schenkel auslöst, welche schon genügen, um beim Pferde Tastempfindungen hervorzurufen, die ihrerseits sofort auf refleetorischem Wege die von mir gedachten Bewegungen ver- anlassen. Die Auslösung aller dieser Vorgänge geschieht oft in einem Zeitraume, der fast ebenso kurz ist wie die Uebertragungszeit meiner be- wussten Idee zu meinem Willensorgane.! Wir haben also hier eine Rapidität der Auslösung von Bewegungen, welche diejenige beim Seiltänzer bedeutend übertrifft, da es sich hier um Uebertragung durch zwei individuelle Organismen handelt und doch sind die Bogengänge bei allen diesen Vorgängen ganz unbetheiligt geblieben. Man hat also nicht die geringste Veranlassung in denselben ein Sinnes- organ zu sehen, das zum Zwecke haben soll, rapide Reflexbewegungen auszulösen. Wir haben schon früher die wirkliche Rolle der Bogengänge beim Auslösen zweckmässiger Bewegungen festgestellt. Diese Rolle als Regulator der Innervationsstärken? ist an sich schon eingreifend genug, um beim Ausfall oder auch bei Störungen der normalen Functionen dieser Organe die Bewegungen des Thieres unsicher, unpräcise zu machen. Complieirtere - "Bewegungen, wie z. B. der Flug der Tauben, wird ganz unmöglich gemacht. Bei erkrankten oder fehlenden Bogengängen würde das Seiltanzen, das Fechten, Velocipedfahren u. s. w. wirklich unmöglich sein; aber aus ganz ! Ich habe mehrere gute Reiter auf diese Beobachtung aufmerksam gemacht; dieselben hatten keine Schwierigkeit Sslches zu bestätigen. ' 2 Siehe unten Capitel VII. \ 64 E. v. Eyon: anderen Gründen als Breuer, Kreidl u. A. vermuthen. Die vermeintlichen Störungen in den Drehempfindungen oder das Wegbleiben des problema- tischen statischen Sinnes sind !bei dieser Unmöglichkeit ganz unbetheilist. VII. Versuche an geblendeten Thieren. Wir haben schon oben gesehen, dass die Kopfwendungen und der Kopfnystagmus, welche man im Beginne der Drehversuche beobachtet, nicht von den Bogengängen ausgelöst werden, da sie auch bei Thieren mit zerstörten Labyrinthen (Breuer, Ewald u. A.), fortbestehen bleiben. Dass die bei fortdauernder Rotation der Thiere auftretenden Zwangsbewesungen auch nach Durchschneidung der Acustiei auftreten, habe ich schon bei meiner früheren Untersuchung beobachtet. Die Anhänger der Delage-Breuer’schen Hypothese behaupten nun, dass alle diese Bewegungen wegfallen müssen, wenn ausser der Zerstörung des Ohrlabyrinthes bezw. der Durchtrennung der beiden Acustici, noch die Blendung der Thiere vorgenommen wird. Die Behauptung ist ja an sich schon plausibel, und würde, wie schon genügend festgestellt wurde, nicht im mindesten die Abhängigkeit dieser Bewegungen von den Bogengängen beweisen. Dies auch der Grnnd, warum ich bei meinen früheren Untersuchungen dieser Frage weiter keine Auf- merksamkeit schenkte. Ich habe damals die „sogenannten compensatorischen“ Bewegungen bei meinen Drehversuchen wenig berücksichtigt, und haupt- sächlich die heftigen Zwangsbewegungen, welche nach längerer Rotation auftreten im Auge gehabt, weil sie allein für die Theorie des Schwindels in Betracht kommen. Die Bedeutung der bei leiser Drehung auftretenden Kopfbewegungen erschien mir wenig von Belang zu sein. Denn wenn sie auch direct von den Bogengängen erregt würden, so hätte dies nicht im mindesten zu Gunsten des. statischen Sinnes und des Sinnes für Drehempfindungen ge- sprochen. Meine Auffassung von den Functionen der Bogengänge war ja zum grössten Theile auf die Ergebnisse der Versuche über den Augennystagmus gegründet, der bei Reizung der Bogengänge auftritt: Ergebnisse, welche die Breuer’sche Deutung überhaupt erst discussionsfähig machten. Wenn ich jetzt von Neuem Versuche über die Blendung gesunder und Jabyrinthloser Thiere anstellte,, so geschah dies hauptsächlich in der “s,olnung, neues Beweismaterial für meine Auffassung des Gesichtsschwindels “zu gewinnen, da ja diese Auffassung zum Verständniss der Raumvorstellungen, so wie ich sie aus den Functionen der Bogengänge ableite, von hoher Be- deutung ist. Die James’schen und Kreidl’schen Versuche an Taub- BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 65 stummen haben mir schon werthvolle Stützen für diese Auffassung geliefert.! Sollte sich die Breuer-Ewald’sche Behauptung bestätigen, dass bei ge- blendeten labyrinthlosen Thieren sowohl die compensatorischen Kopf- bewegungen als die Zwangsbewegungen des Körpers (Roll- und Mantge- bewegungen) ausfallen, so wäre dies für meine Theorie der Bogengang- functionen im hohen Grade werthvoll. Zur Erzielung der Blendung sahen wir von den grausamen Operationen, wie sie Ewald u. A. ausführte ganz ab. So schwere operative Eingriffe‘ wie die Exstirpationen der Augäpfel sind nicht nur überflüssig, sondern durch ihre Folgen sogar störend. Sie gestatten ausserdem auch nicht die Beobachtung, wie die geblendeten Thiere auf die Rotation reagiren, wenn sie wieder in den Besitz ihrer Gesichtswahrnehmungen gelangen. Ich be- nutzte zur Blendung Kappen aus festen und dunklen Stoffe, die. inımer mit Baumwolle ausgefüllt wurden. Für Frösche genügt es, leichte Kappen aus Handschuhfingern herzustellen, die vorne geschlossen sind. Einen Theil meiner Versuche habe ich in dunkelem Raume ausgeführt. Setzt man gesunde Frösche, welche durch leichte lederne Kappen geblendet sind, aufdie Drehscheibe, so geben sie gleich- eültig, ob stark oder langsam rotirt, gar keine Reaction. Der Kopf bleibt ganz in der normalen Haltung sowohl beim Beginn als beim Anhalten der Drehung. Wird der Frosch so heftig rotirt, dass er an die Wand der Drathglocke geworfen wird, so nimmt er beim Anhalten seine frühere zusammengekauerte Position an, ohne vorher Zwangsbewegungen zu zeigen. Vielleicht ist er bei dieser Rückkehr zur normalen Stellung nur etwas unbeholfen. Oft macht das Thier sowohl vor als nach der Drehung vergebliche Versuche die Kappe vom Kopfe loszureissen. Es giebt aber auch Fälle, wo es wie hypnotisirt unbeweglich auf der Scheibe verharrt, und diese Position während der Dauer der Drehung bewahrt.. Der Ausschluss der Gesichtswahrnehmungen genügt also schon beim normalen Frosche, um die bekannten Kopfwendungen bei der Drehung nicht zum Areehkin kommen zu lassen. Wenn die Unabhängigkeit dieser Kopfwendung von den Bogengängen noch eines weiteren Beweises bedürfte, so liefert ihn diese Thatsache so völl- kommen wie nur möglich. Um genauer festzustellen, welchen Einfluss die Verschiebung des Netzhautbildes auf die Kopfwendung hat, genügt folgender - sehr einfache Versuch: Ein Frosch wird in der Bauchlage auf das Brettehen befestigt und zwar derart, dass sein Kopf und Vorderkörper be- weglich bleiben. Auf die Drehscheibe gebracht, zeigt er bei der leisesten - Drehung die bekannte Kopfwendung. Nun wird derselbe Frosch auf dem 1! Siehe oben Capitel V. Archiv £. A.u.Ph. 1897. Physiol. Abthig. i 5 66 _ E. v. Cyonx: Brettchen in der Rückenlage in der gleichen Weise befestigt. Keine Spur von Kopfwendung, auch wenn die Drehung noch so lange fortgesetzt wird. In dieser Lage bleibt bei der Drehung das Netzhautbild des Frosches (die entsprechenden Theile des Brettchens unverschoben) und der Kopf behält seine normale Stellung zum Körper. Bei Gelegenheit dieser Versuche wollte ich noch das Verhalten labyrinth- luser Frösche auf der Drehscheibe beobachten. Die Zerstörung der Labyrinthe wurde entweder nach der Schrader’schen oder Hasse’schen Methode ausgeführt. Die erstere ist vorzuziehen, weil sie sicherer zum Ziele führt und keiner Verletzung von Muskeln bedarf. Die Wunde der Mundschleim- haut heilt auch viel leichter und schneller als die Hautwunde. Für das Studium der Functionen der halheirkelförmigen Canäle sind natürlich beide Methoden unzureichend. Dazu sind Operationen an den einzelnen Canälen, wie sie Böttcher, Bloch, Solucha und ich ausgeführt haben, durchaus erforderlich. Es handelte sich aber bei meinen Versuchen nur darum, das Verhalten labyrinthloser Frösche auf der Drehscheibe zu studiren, und dazu reicht das Schrader’sche Verfahren vollkommen aus. Die Erscheinungen, welche die ein- und beiderseitigen Zerstörungen der Labyrinthe erzeugen, sind genügend bekannt, und brauchen hier nicht von Neuem beschrieben zu werden. Nur auf drei-Symptome möchte ich aufmerksam machen, die bis jetzt den Experimentatoren entgangen zu sein scheinen. Das eine besteht in einer ganz ausserordentlichen Hautsecretion, welche sehr oft sofort nach der Zerstörung der beiden Labyrinthe entsteht; in kaum einer Minute wird das Wasser einer grossen Schale, in welcher der Frosch sich befindet, stark schäumend von dieser scharf riechenden Secretion erfüllt, die, bei mir wenigstens, sehr heitiges Niessen hervorruft. Die zweite Erscheinung ist das fast fortwährende Quaken der labyrinth- losen Frösche, das sehr lange anhält. Es genügt, einen solchen Frosch in die Hände zu nehmen, um das unausstehliche Quaken, in welches seine Leidensgenossen sofort mit einstimmen, zu erzeugen. Die Angaben Ewald’s über die Schwächung der Stimmorgane nach Exstirpation der Labyrinthe ist also, wenigstens für Frösche, nicht zutreffend. Das dritte Symptom scheint mir viel wichtiger zu sein. Es tritt häufig sofort nach der Operation ein deutlicher Exophthalmus auf beiden Seiten auf, der wochenlang anhält. (Ich glaube, dass ähnliche Exophthalmen schon früher von einem Beobachter bei anderen Thieren beschrieben wurden, bin aber dessen nicht ganz sicher.) Dieses Auftreten verdient genauer untersucht zu werden, besonders in Anbetracht der unten beschriebenen Veränderung bei Kaninchen nach Durchschneidung des Acusticus. BOGENGÄNGE UND RAumsınn. 67 Das Verhalten der labyrinthlosen Frösche auf der Drehscheibe ist im Allgemeinen ein viel unruhigeres als dasjenige normaler Frösche. Die Kopf- wendung tritt nur bei jenen Fröschen ein, bei welchen nach der Operation die bekannte Verdrehung des Kopfes entweder gar nicht aufgetreten ist, oder nur zeitweise entsteht; bei diesen letzteren meistens nur, wenn man sie den Kopf beim Beginne der Drehung in normaler Stellung halten lässt. Dies gilt sowohl für einerseits, als wie für beiderseits operirte Frösche. Die Kopfwendung ist immer schwächer ausgeprägt als bei gesunden Fröschen, und immer bei der Drehung in der einen Richtung stärker als in der anderen. Beim Anhalten der Drehung tritt nie die Kopfwendung nach der entgegengesetzten Seite auf, es mag die Drehung noch so lange gedauert haben. Die Frösche behalten viel schwieriger ihre im 3. Capitel beschriebene zusammengekauerte Haltung ein. Beim Anhalten nach längerer Drehung führen sie häufig heftige Bewegungen (Manegebewegungen, oder Springen in die Höhe mit Herumpurzeln um ‘die Queraxe des Körpers u. s. w.) aus, je nach der Art ihrer durch die Operation erzeugten Zwangsbewegungen. Sie kehren auch viel schwieriger zur Ruhe zurück. Wenn man gesunde Frösche in der Schwimmschale auf die Dreh- scheibe bringt, so schwimmen sie meistens in der Richtung der Drehung, wobei die Kopfwendung sehr deutlich ausgesprochen ist. Labyrinth- lose Frösche schwimmen auf der Drehscheibe entweder wie gewöhnlich um ihre Längsaxe sich drehend (Walzerbewegungen), oder nur paddelnd. Die Kopfwendung habe ich beim Schwimmen nicht beobachten können. Dagegen suchen sie häufig gegen die Richtung der Drehung zu schwimmen, wenn sie ausserhalb der Drehscheibe in dieser Richtung zu schwimmen pflegen. Gewöhnlich schwimmen labyrinthlose Frösche in der gleichen Richtung, in welcher sie ihre Sprünge oder Manegebewegungen ausführen. Nach Blendung der labyrinthlosen Frösche konnte natürlich keine andere Erscheinung auftreten, als wir bei ungeblendeten gefunden. Die Zwangsbewegungen sind oft etwas heftiger, und die Schwierigkeit, das Gleichgewicht zu erlangen ist noch grösser. Aufgefallen ist mir bei ge- blendeten, labyrinthlosen Fröschen die grosse Geschicklichkeit, mit welcher einige die complieirten Bewegungen noch auszuführen vermögen, durch welche sie, wie normale Frösche, die Kappe loszureissen versuchen. Auch bei Tauben hebt gewöhnlich das Blenden mittelst einer gut schliessenden Haube die bekannte Kopfwendung beim Drehen ganz auf. Nachdem die Taube mehrere vergebliche Versuche gemacht hat, die Kappe loszuwerden, bleibt sie auf der Scheibe ganz ruhig; der Schnabel verharrt aber selten ganz genau in der Mittellinie. Die leise Rotation verändert an dieser Stellung nichts, Dann und wann, besonders -an Tauben, an 68 "ER. v. (yox: welchen oft schon Drehversuche ausgeführt wurden, beobachtet man bei fortgesetzter Drehung eine ganz schwache Kopfwendung. Der Kopf- nystagmus kommt dagegen bei geblendeten Tauben schon etwas häufiger vor; fehlt aber auch in der Mehrzahl der Fälle. Ich beobachtete ihn auch einmal, wenn ich, mit einer normalen Taube in der Hand, mich in einem dunklen Raume um meine Längsaxe drehte. Man fühlt leichte Stösse des Schnabels, wenn man den Zeigefinger an der entsprechenden Seite des Taubenkopfes vorstreckt, Stösse, die vom Kopfnystagmus herrühren. Bei fortgesetzter schneller Drehung sind die Erscheinungen an einer seblendeten Taube ziemlich die nämlichen, wie bei einer normalen Taube. Beim plötzlichen Anhalten nimmt sie fast ebenso schnell ihre ruhige Lage en — ohne Nachnystagmus. Nimmt man dagegen beim Anhalten schnell die Haube weg, so treten einzelne sehr deutliche Nystagmusschläge sowohl des Kopfes als auch der Augen auf. Das Kopfüberschlagen beim plötz- lichen Anhalten nach sehr rascher Drehung ist sowohl bei geblendeten Tauben wie auch im dunklen Raume merklich schwächer als bei offenen Augen. Natürlich sind solche Vergleiche nur an denselben Tauben statthaft. Ist der Raum nicht vollkommen verdunkelt, so dass man noch die Kopfhaltung der Taube beim Beginne der Drehung beobachten kann, so ist die Kopf- wendung sehr schwach, aber noch bemerkbar. Auch in solchem Falle treten bei plötzlichem Annähern des Lichtes im Momente des Anhaltens der Drehung einige Nystagmusschläge auf. Wenn man eine normale Taube anstatt sie im Kreise zu drehen, schnell seitlich, aber in gerader Linie bewest, so sind ihre Kopfbewegungen sehr unregelmässig; sehr häufig eilt der Kopf sogar dem Körper voraus; der Kopfnystagmus tritt fast regelmässig auf, welches auch die Kopfstellung sen mag. Wird dieser Versuch an derselben Taube mit durch eine Kappe verschlossenen Augen ausgeführt, so bleibt der Kopf meistens etwas zurück; der Kopinystagmus fehlt. _ Auch bei Drehungen der gesunden Taube (mit der Hand) um die Längs- oder Queraxe gelingt es nie bestimmte Kopfstellungen fest- zustellen. Dagegen ist dabei ein Augennystagmus ganz deutlich zu con- statiren. Wird die Taube bei diesen Drehungen mit der Kappe ge- blendet, so gelingt es natürlich ebensowenig an ihr irgend eine constante „compensirende“ Kopfbewegung zu beobachten. Merkwürdiger Weise sucht Breuer auch diesen Umstand zu Gunsten des bekannten Ursprunges der „compensirenden‘“ Bewegungen zu verwerthen. Da „liess sich constatiren, dass die Taube (nach Exstirpation der Labyrinthe), welche nunmehr sehr selten (sie!) Schwindelanfälle hatte, doch in die Hand genommen-und um die Längsaxe gedreht, nicht die geringste compensirende Kopfdrehung machte, BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 69 wenn ein die Augen bedeckendes Häubchen die Gesichtseindrücke aus- schloss.“! „Eine normale Taube hält, während man den Körper dreht, den Kopf aufrecht und compensirt die Lageveränderung vollkommen (?) und zwar ist das nicht der pendelnde Kopfnystagmus, welcher Rotationen compensirt, sondern eine veränderte Haltung des Kopfes. Man darf also von der operirten Taube sagen, dass sie den Reflex nicht zeige, womit die normalen Thiere die veränderte Lage des Kopfes gegen die Verticale be- antworten.“ Um den Werth dieser Schlussfolgerung noch genauer zu kennzeichnen, wollen wir nur noch hinzufügen, dass Breuer selbst in einer Anmerkung anführt, dass manchmal die normale Taube, anstatt zu compensiren, die Drehungen des Körpers mitmacht. ‚Es dürfte dies vom psychischen Zustande des Thieres abhängen.“ Der Wegfall kann als auf Benommensein bezogen werden.“ Um das Verhalten der Kaninchen zu verdeutlichen, wollen wir einen Versuch anführen, in dem die Erscheinungen vor, während und nach der Blendung an demselben jungen Kaninchen beobachtet wurden. Dasselbe Kaninchen hatte schon zwei Tage vorher zu Drehversuchen gedient. Bei einer Umdrehung in fünf Secunden trat die Kopfwendung schon im Beginne der Drehung auf und war sehr ausgesprochen. Der Kopf- nystagmus sehr schwach, aber bemerkbar. Bei verdoppelter Geschwindig- keit der Umdrehung wurde der Kopfnystagmus häufiger und heftiger. Bei längerer Rotation mit einer Geschwindigkeit von vier Umdrehungen in fünf Seeunden traten beim plötzlichen Anhalten einige heftige Körper- bewegungen auf. Das Nämliche bei sechs Umdrehungen in fünf Secunden. Nach zwei Minuten langer Rotation nach rechts (in Uhrzeigerrichtung) mit einer Geschwindigkeit von zuletzt drei Umdrehungen in der Secunde traten beim plötzlichen Anhalten fünf bis sechs heftige Rollbewegungen des ganzen Körpers nach rechts auf. Die Kopfwendung nach rechts hielt minutenlang an; Zittern am ganzen Körper. Nach einer Viertelstunde wurde der nämliche Versuch mit Rotation nach links gemacht; das Resultat blieb das gleiche, nur im umgekehrten Sinne. Nach einer Unterbrechung von fünfzehn Minuten wurde derselbe Versuch mit Rotation nach rechts ausgeführt; Geschwindigkeit wie früher. Das Kaninchen wechselte mehrmals seine Stellung, ist aufgestanden, hat sich mit dem Rücken gegen die Drathglocke gestemmt und ist in dieser Lage bei der grössten Geschwindigkeit verblieben. Nun wurde statt die Scheibe plötzlich anzuhalten die Rotation allmählich, im Verlaufe von zehn Secunden verlangsamt. Beim Anhalten weder Zwangsbewegungen noch Kopfwendung nach rechts. Derselbe Versuch wurde noch zweimal in N 2.0. 8.239. 70 —E. v. CYon: verschiedenen Richtungen mit dem gleichen Resultate ausgeführt. Bei der Rotation nach links wurden beim Anhalten einige Kopfbewegungen nach links gemacht, es kam aber nicht zur wirklichen Kopfwendung. Nach einer Pause von einer Viertelstunde ward das Kaninchen mittels der Kappe geblendet. Bei langsamer Drehung eine ganz schwache, kaum merkliche Kopfwendung. Bei Wiederholungen des Versuches mit leiser Drehung nach rechts wendete das Kaninchen den Kopf anstatt nach links ein wenig nach rechts; diese Rechtswendung wurde verstärkt, wenn die Rotation (immer nur sehr langsam, etwa eine halbe Umdrehung in zwei bis drei Secunden) in entgegengesetzter Richtung (nach links) geschah. Nur wenn diese Drehung plötzlich in eine Rechtsdrehung umgewandelt wurde, erhielt man eine ganz leichte Kopfwendung nach links. Wurde das Thier frei auf den Boden gelegt, so blieb es unbeweglich und war nicht einmal durch Stösse von der Stelle wegzubringen. Bei Wiederholung der früheren Versuche (zwei Minuten lange Drehung mit grosser Geschwindigkeit) sah ich nach plötzlichen Anhalten, wie oben beschrieben, mehrere Rollbewegungen. Das Kaninchen fiel bei den Roll- bewegungen auf den Rücken, die Beine nach oben gestreckt, und verharrte einige Secunden in dieser Lage ehe es wieder die Normalhaltung annehmen konnte. Im dunkeln Raume verhält sich das Kaninchen so ziemlich wie bei Blendung durch eine Kappe. Rollbewegungen traten beim plötzlichen Anhalten nach schneller Drehung ein; sie waren aber schwach und kurz- dauernd. Nähert man den Augen des Kaninchens sofort beim Anhalten der Drehscheibe schnell ein Licht, so tritt ein schwacher aber deutlicher Nystagmus auf. Es ist mir ein paar Mal bei Drehversuchen an Kaninchen im dunkeln Raume vorgekommen, dass, wenn die Rollbewegungen beim Anhalten nicht auftraten, dieselben sofort hervorgerufen wurden, wenn den Thieren schnell ein Licht vor die Augen vorgehalten wurde. Diese Erscheinung ist für die Deutung des Gesichtsschwindels in dem von mir oben angedeuteten Sinne noch viel bezeichnender, als das blosse Auftreten des Kopf- oder Augennystagmus nach. plötzlicher Abnahme der Kappe. Denn es zeigt klar, dass auch der Gehirnschwindel (der Purkinje’- sche Schwindel) durch Hinzutreten des Gesichtsschwindels verstärkt werden kann. Nachdem so festgestellt wurde, dass die sogenannten „compensatorischen“ Kopfbewegungen bei geblendeten Kaninchen sich entweder gar nicht oder nur durch eine schwache Kopfwendung von unbestimmter Richtung mani- festiren, und dass die Zwangsbewegungen nach schnellem Drehen beim Anhalten ganz deutlich, wenn auch nur in geschwächter Form auftreten, BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 71 der Augennystagmus aber nur beim plötzlichen Einfallen von Licht erscheint, war es von keinem besonderen Interesse, noch Rotationsversuche an geblendeten Kaninchen mit durchschnittenen Acustiei anzustellen. Das Resultat war nicht schwer vorauszusehen. Ich habe dennoch ein Paar soleher Controlversuche ausgeführt, von welchen ich hier nur einen an- führen will, bei dem die Durchschneidung besonders gut gelungen war. Versuch vom 30. Juni. Ein grosses Kaninchen. Vor der Durch- sehneidung der Acustiei auf die Drehmaschine gebracht, zeigte die Kopf- wendung besonders bei Rechtsdrehung nur schwach ausgesprochen; dagegen war der Kopfnystagmus sehr deutlich. Bei plötzlichem Anhalten nach schneller Drehung in Uhrzeigerrichtung heftige Rollbewegungen von links nach rechts und heftiger Augennystagmus. Der linke Acusticus wird durchschnitten. Sofort nach der Durch- schneidung heftiger Augennystagmus und die bekannten Rollbewegungen von ausserordentlicher Heftigkeit. Der rechte Acusticus durchschnitten ; der Augennystagmus hört sofort auf, um einer tetanischen Verdrehung der Augäpfel Platz zu machen. Ein Paar Rollbewegungen des abgebundenen Thieres, die aber bald aufhören. Das Kaninchen bleibt ruhig auf die Seite liesen, in der bekannten hülflosen Lage, mit nach links gedrehtem Kopfe, wie dies so oft beschrieben worden ist. Nach einer viertelstündigen Ruhe auf die Drehscheibe gebracht, bekommt es bei leiser Drehung deutlichen Augennystagmus; der Kopf bleibt bewegungslos in der früheren Haltung. Beim Aufhören der schnellen Drehung einige schwache, aber vollständige Rollbewegungen und ein sehr heftiger und anhaltender Augennystagmus. Nun werden dieselben Versuche im dunkeln Zimmer angestellt, und zwar nur mit plötzlichem Anhalten nach schneller Drehung. Bei sechs Versuchen traten zweimal anscheinend heftige, aber kurzdauernde Roll- bewegungen ein. Viermal fehlten diese Rollbewegungen; traten aber sofort auf, sobald Licht in die Augen geworfen wurde. Heftiger Augennystagmus war in allen sechs Versuchen zu constatiren. Das Kaninchen wurde am nächsten Tage getödtet; die Section ergab die vollständige Durchtrennung der beiden Acustici; auf der rechten Seite mit innerer Blutung. Bei beiden operirten Kaninchen beobachtete ich an der linken Seite (wo die Acustiei zuerst durchschnitten wurden) einen leichten Exophthalmus, Unempfindlichkeit der Cornea und Unmöglichkeit das Augenlid zu schliessen. Beim zweiten Kaninchen, das ich 24 Stunden am Leben liess, ist ausser- dem auch eine Eiterung der Cornea aufgetreten, ganz wie bei Durch- schneidung des Trigeminus; das Thier brachte die Nacht im Kasten mit Stroh zu, auf der linken Seite gelegen; die linke Gesichtshälfte stark im 72 E. v. Cyvox: Stroh verhüllt. Bei der makroskopischen Betrachtung fand ich keine Ver- letzung der Facialis vor. Ich führe diese Thatsache nur an, weil, mit Aus- nahme des Exorphthalmus Aehnliches schon Baginsky beobachtet hat und die Sache mir einer weiteren Untersuchung würdig erscheint. Ich verziehte vorläufig darauf, irgend eine Erklärung zu geben. Die Acustici wurder nach dem in meiner Methodik angeführten zweiten Verfahren durchschnitten. Schreiten wir nun zur Deutung der bei der Rotation der Thiere ein- tretenden Kopfbewegungen. Der aufmerksame Leser wird wohl schon selbst den richtigen Schluss gezogen haben. Es handelt sich sowohl bei den Kopfwendungen als auch beim Kopf- und Augennystagmus um reine Gesichtsphaenomene. Was nun zuerst die Kopfwendung anbetrifft, welche auch bei der leisesten Drehung um einen Winkel von 10° his 20° auf- tritt, so giebt schon das blosse Anschauen der Thiere die richtige Er- klärung: Die Thiere bleiben mit den Augen an das Netzhautbild gefesselt und suchen dasselbe festzuhalten. Man sehe nur von unstatthaften Analogien mit den Drehversuchen am Menschen ab. Letzterer giebt sich Rechenschaft von der stattfindenden Rotation; er denkt auch | nicht an einen Widerstand gegen dieselbe, sein Kopf folgt den Be- wegungen des Körpers ebenso vollkommen, wie der Kopf der Thiere bei den willkürlich von ihnen ausgeführten Drehunsen. Im Beeinne der Drehung empfindet das Thier nur die Verschiebung des Netzhautbildes; dieser Verschiebung sucht es eben zu widerstehen, indem es sich mit den Augen an dem Gesehenen festzuhalten strebt. Tritt die Drehung ohne solche Verschiebung der Netzhaut auf — wie bei dem oben beschriebenen Versuch an den in der Rückenlage befestigten Frosch — so fällt auch die Kopfwendung weg; der gleiche Wegfall bei geblendeten Thieren. Die ganz unbedeutende Wendung, welche man dann und wann auch an ge- blendeten Tauben bemerkt, ist der Trächeit zu verdanken. Der leicht be- wegliche Kopf bleibt etwas hinter dem Körper zurück. Das Festhalten des Netzhautbildes beobachtet man ja auch beim Menschen, dessen Augapfel dank der Unabhängigkeit seines Muskelapparates und seiner freien Beweglichkeit in der Orbita bei den Bewegungen des Kopfes etwas hinter denselben zurückbleibt. Die sogenannten compen- satorischen Augenbewegungen beim Menschen entstehen nicht nur weil man das Netzhautbild festzuhalten sucht, sondern auch weil die Innervation der Augenmuskeln von derjenigen der Körpermusculatur ganz gesondert er- folst; daher man auch mit geschlossenen Augen häufig ein deutliches Nachbleiben des Augapfels bei der Bewegung des Kopfes beobachtet. Tauben und Kaninchen, welche mehrmals der Rotation ausgesetzt worden sind, also an die Verschiebung des Netzhautbildes gewöhnt sind, ver- BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 13 zicehten auch meistens auf die Kopfwendung und suchen der unliebsamen Bewegung auf andere Weise entgegenzuwirken, indem sie sich entgegen der Drehrichtung zu bewegen suchen (Tauben), oder eine solide Körper- stellung mit dem Kopfe gegen das Centrum einnehmen (Kaninchen), welche die Folgen der Drehung vermindert. Daher verschwindet auch die Kopf- wendung bei Tauben und Kaninchen, wenn die Drehung länger fortgesetzt wird; mehrere Kaninchen schlossen dabei auch die Augen. Das Festhalten des Netzhautbildes durch die Kopfwendung ist also zum grössten Theile auch ein willkürlicher, überlegter Act. Es ist daher leicht erklärlich, dass Verletzungen der Hemisphaeren des Grosshirns ‘grosse Störungen in der Auslösung dieser Bewegungen veranlassen, wie dies v. Koranyi und Loeb bei ihren Versuchen constatirt haben. Die ruckartige Bewegung des Kopfes nach der Richtung der Rotation, welche einen nur scheinbar pendelnden Kopfnystagmus erzeugt,! ist rein refleetorischer Natur, wie schon Ewald. Breuer gegenüber, richtig be- hauptet. Er wird offenbar von der Erregung der Netzhaut ausgelöst, durch die schnelle Verschiebung der Netzhautbilder. Nur dadurch, dass die will- kürliche Kopfwendung dieser ruckartigen, reflectorischen Bewegung ent- gegenwirkt, wird dieselbe anscheinend pendelartig und gestattet dem Kopfe nicht über die natüliche Lage hinauseine Kopfwendung nach der Richtung der Rotation einzunehmen. Diese Erregung durch Verschiebung des Netzhautbildes steigert sich bei fortdauernder Rotation zum Gesichtsschwindel, der sich bei anhaltender Drehung in einer Kopfwendung nach der Richtung derselben und bei Tauben und Kaninchen in einem Kopfnystagmus mani- festirt. Da das Gesichtsfeld sich in einer der Drehung entgegegesetzten Richtung zu bewegen scheint, so erhalten sowohl die Kopfwendung als der Kopfnystagmus eine der Drehung entsprechende Richtung. Beim Frosche, der wegen der geringen Beweglichkeit seines Kopfes keinen Kopfnystagmus zeigt, beobachtet man nur die Kopfwendung. Er sucht bei der Drehung nach rechts z. B. das frühere Gesichtsfeld zu fixiren und muss dazu den Kopf nach links drehen. Beim Anhalten .der Drehung, während das Gesichtsfeld sich scheinbar nach links bewegt, dreht er den Kopf nach rechts, um das Gesichtsfeld festzuhalten und so den Gesichtsschwindel zu bekämpfen. Sind seine Bogengänge zerstört, so kann dies natürlich auf seine Reaction gegen die reelle Bewegung des Gesichts- feldes keinen Einfluss haben, daher erscheint die initiale Kopfwendung. Dagegen kommt die Kopfwendung beim Anhalten der Drehung nicht mehr zum Vorschein, weil ein labyrinthloser Frosch keinem Gesichtsschwindel ! Vgl. Cap. II. 74 E. v. Cyonx: mehr unterliegen kann, in Uebereinstimmung mit meiner oben wieder- gegebenen Auffassung des Gesichtsschwindels. Beiläufig gesagt scheinen Frösche dem wirklichen Gehirnschwindel, den wir als den Purkinje’schen Schwindel bezeichnen wollen, nicht zu unterliegen. Wenigstens beobachtet man bei ihnen keines der Symptome bei der Rotation (Rollbewegungen u. s. w.), die man bei anderen Thieren, als von solchen Sehwindelanfällen abhängig, zu bezeichnen pflegt. Haben Tauben diesen Gehirnschwindel? Ich würde nicht wagen, dies mit Be- stimmtheit zu behaupten. Beim Anhalten der Drehscheibe, auch nach der schnellsten Rotation, erlangen sie sofort ihr Gleichgewicht; höchstens über- schlagen sie sich ein- oder zweimal um die Queraxe des Körpers, was auch sehr leicht durch den mechanischen Effect der Centrifugalkraft erklärt werden könnte. Wenn ein Mensch ungewohnter Weise aus einem Eisenbahnzuge, ja sogar aus einem schnell fahrenden Wagen herausspringt, wird er auch umstürzen, mitunter sogar ein paar Mal. Von Schwindelempfindungen ist dabei keine Rede. Wenn man bei Fröschen die Abwesenheit des Gehirnschwindels durch die anatomischen Lageverhältnisse erklären kann, so muss man bei Tauben wohl mehr die grosse Gewohnheit an Dreh- bewegungen als Ursache ihrer Immunittät in Anspruch nehmen. Kaninchen dagegen scheinen dem Gehirnschwindel ebenso wie Menschen zu unterliegen, wie dies die heftigen Zwangsbewegungen, das Zittern am ganzen Körper und auch die längere Zeit andauernde Unsicherheit der Bewegungen beweisen, die man nach längerer Rotation an diesen Thieren beobachtet, und zwar auch wenn dieselben geblendet sind. Dass die Schwindelbewegungen dabei schwächer ausfallen, darf kein Wunder nehmen, da der hinzukommende Gesichtsschwindel die Bewegungsstörungen ja natürlilch doch nur zu ver- stärken vermag. Im dieser Hinsicht ist eine Beobachtung an Kaninchen, die im dunklen Raume der Rotation ausgesetzt werden, sehr bezeichnend: in den selteneren Fällen, wo beim Anhalten der Rotation die Rollbewegungen nicht hervortreten, erscheinen .dieselben sofort, wenn man plötzlieh Licht in die Augen der Thiere fallen lässt. Der als neuer Reiz hinzukommende Gesichtsschwindel ist unzweifelhaft an diesen Bewegungen schuld. (Dass dieselbe Erscheinung auch beim Kaninchen mit durchschnittenen Acustiei beobachtet ward, kann nicht als Widerspruch gegen meine Auffassung des Gesichtsschwindels angesehen werden, da ja im Gehirn die gewonnene Vorstellung des idealen uns umgebenden Raumes nicht so schnell, wenn überhaupt, ausgelöscht werden kann.) Um mich davon zu überzeugen, machte ich folgende Selbstbeobachtung. Wie schon oben erwähnt, bin ich für den Rotationsschwindel ungeheuer empfindlich, und kann bei offenen Augen mich nicht drei- bis viermal um meine Längsaxe drehen, ohne vom Schwindel befallen zu werden; nur durch das BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 1D Steifwerden der Beine werde ich gezwungen, innezuhalten. Bei geschlossenen Augen, im hellen Raume kann ich es bis zu einer zehn und zwölf Secunden dauernden Drehung bringen. Die Schwindelempfindungen beim Aufmachen der Augen sind aber um so heftiger. Im dunkeln Raume und mit geschlossenen Augen habe ich es bis zu 50 Secunden langer Rotation bringen können. Den Empfindungen der Spannung in den Beinen und später im Brustkasten, welche ich nicht besser bezeichnen kann, als dass sie eine Tendenz der Zwangsbewesungen in der der Rotation entgegengesetzten Richtung ent- sprechen, konnte ich, obgleich nicht ohne Mühe, widerstehen und die Rotation fortsetzen; das Gefühl des Schwirren im Kopfe. unter dem Schädeldache wurde auch höchst peinlich. Der Gesichtsschwindel trat aber nur auf, als ich die Augen aufmachte und eine Oefinung im Fensterladen fixirte. Dabei wurden alle Empfindungen so überwältigend, dass ich mich auf einen Stuhl werfen und an demselben festhalten musste, um nicht umzufallen. Ich versuchte es, um die bekannte Helmholtz’sche Be- hauptung zu controliren, die Augen erst fünf bis sechs Secunden nachdem ich mit der Drehung aufgehört hatte aufzumachen; der Gesichtsschwindel war nicht weniger heftig. Die entgegengesetzte Behauptung von Helmholtz wird wohl auf einer individuellen Verschiedenheit beruhen, da nirgends die individuellen Differenzen so häufig sind, wie bei Selbstbeobachtungen die den Schwindel betreffen. Beobachtete jaauch Helmholtz, dass nach der Drehung um die Längsaxe die Objecte sich noch eine Zeit lang in der Richtune fortzubewegen scheinen, in der man sich gedreht hat,! während bekanntlich die scheinbare Drehung sonst immer in entgegengesetzter Richtung stattfindet. ? Aus den in diesem Capitel beobachteten Erscheinungen bei Tauben und Kaninchen, sowie auch aus der erwähnten Selbstbeobachtung geht jedenfalls hervor, dass der Gesichtsschwindel erst auftritt, wenn bei der Rotation oder nach Beendigung derselben, Gesichtseindrücke auf die Retina einwirken. Diese Thatsache genügt schon allein, unı die Breuer’sche Auffassung der „compensirenden Bewegungen“, welche von den Bogengängen ausgehen sollen, als unzulässig darzustellen. Sie zwingt uns auch, den Gesichtsschwindel als gesonderte Folge der Rotation zu betrachten, die nicht nothwendig den Gehirnschwindel begleitet und, noch weniger, als mit diesem identisch betrachtet werden darf. Bekanntlich hat Purkinje gezeigt, dass die Ebenen der scheinbaren Drehung beim Schwindel mit den Verstellungen 1 Physiologische Optik. 8. 603. ®? Wenn ich bei einem solchen Drehversuch einen Dampfer auf den Genfer See fixire, der in der Richtung der Drehung marschirt, so erscheint er mir ziemlich lange in entgegengesetzter Richtung zu gehen oder häufig ganz unbewegt zu sein. Ich mag noch so deutlich die Wellenbewegung und die Richtung des Dampfes beobachten; die Täuschung bleibt dieselbe. 76 E. v. Cyox: des Kopfes während der Rotation wechseln. Der regelmässige Zusammen- hang dieser scheinbaren Drehungsebenen mit gewissen Stellungen des Kopfes hat ja auch die Veranlassung zu der verlockenden Hypothese ge- geben, dass die Verstellungen des Kopfes erst durch Erregung der in den entsprechenden Ebenen gelegenen Bogengänge diese Drehtäuschungen er- zeugen. So kam man allmählich zu der irrthümlichen Induction, sämmtliche Erscheinungen des Drehschwindels auf diese Erregung zurückzuführen und die Bogengänge als Organ für Dreh- und Beschleunigungsempfindungen zu bezeichnen. Der Beweis dafür, dass Kopfbewegungen die Bogengänge erregen müssen oder können, ist bis jetzt nicht erbracht, ja nicht einmal ernstlich versucht worden. Man zog es immer vor, diese Möglichkeit oder Noth- wendigkeit als unzweifelhafte Prämisse anzunehmen. Wir haben schon oben hervorgehoben, dass wenn einmal ein solcher Beweis geliefert wäre, dies nur zu Gunsten meiner Auffassung der Functionen der Bogengänge als peripherer Organe für die Raum- oder Richtungsempfindungen ge- deutet werden könnte. Es würde aber auch ohnedies nicht schwer fallen, das Wechseln der Ebenen der scheinbaren Drehung des Gesichtsfeldes - durch die wirklich bei Verstellungen des Kopfes auftretenden Verschiebungen der Netzhautbilder zu erklären, wie wir ja sonst vielen Gesichtstäuschungen bei anormaler Kopfstellung ausgesetzt sind, die ohne Zuhülfenahme der Bogengänge leicht erklärt werden.! Nachtrag: Wir glauben genügend bewiesen zu haben, wie fehlerhaft es war, die Augenbewegungen, welche bei Drehversuchen an Thieren beobachtet werden, als durch Vermittelung der Bogengänge entstanden zu betrachten. In neuester Zeit ist wieder der Versuch gemacht, auf diese Entstehungsweise zu schliessen aus der Analogie der Augenbewegungen bei Drehungen um die Axen der Bogengänge, mit denjenigen, welche durch direete Reizungen der Bogengänge erzeugt werden. Eine solche vollkommene Analogie würde, wenn sie ernstlich bewiesen wäre, jedenfalls zu Gunsten der Möglichkeit sprechen, durch Kopfbewegungen die Bogengänge zu erregen. Wir spielen auf Versuche von Frederick S. Lee an: „A Study of the sense on Equilibrium in Fishes.“? Die Versuche sind an Haifischen . ausgeführt worden, besonders am Galea canis (Dogfish). Die erste Mit- theilung des amerikanischen Physiologen beschäftigt sich mit den Beob- achtungen der Augenbewegungen bei direeten Reizungen und Durch- ! Siehe z. B. die Irrthümer bei der Bestimmung des Horopters bei Verstellungen des Kopfes. Helmholtz’ Optik. 8. 722. ® The Journal of Physiologie. 1894. Vol. XV u. 1896. Vol. XVII. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 77 schneidungen der Bogengänge. Herrn Frederick Lee scheinen meine darauf bezüglichen Versuche lan Kaninchen unbekannt gewesen zu sein, wenigstens erwähnt er dieselben nirgends. Um so erfreulicher war für mich die fast vollständige Uebereinstimmung der bei Reizung ver- schiedener Bogengänge bei Haifischen auftretenden Augenbewegungen mit den von mir beim Kaninchen beschriebenen. Etwas gedämpft wurde aber meine Freude über diese Uebereinstimmung durch die Ueberlegung, dass die Lace der Augen doch bei Fischen so verschieden von der es beim Kaninchen ist, und dass der Dogfish (Galea canis) tagesblind ist, wie Beer unzweifelhaft bewiesen hat.! Diese Blindheit erwähnt Frederick 8. Lee gar nicht. Sie konnte ihm aber doch unmöglich bei der Beob- achtung von Augenbewegungen entgehen. Bei Beurtheilung „compen- satorischer Bewegungen“, welche dazu bestimmt sein sollen, das Thier vor Gesichtstäuschungen zu bewahren, sollte doch das Vorhandensein einer solchen Tagesblindheit entscheidend sein! In der zweiten Reihe seiner Versuche versetzt Frederick Lee seine Haifische in Rotationen um alle möglichen und unmöglichen Axen. Dabei enthält er sich genauerer Angaben, in welcher Weise diese Rotationen aus- geführt wurden und wie er dabei doch die so complieirten Verdrehungen der Augen mit der grössten Praecision beobachten und beschreiben konnte. Die Ergebnisse dieser Versuche sollen mit einer auffallenden Genauigkeit mit den Erfordernissen der Breuer’schen Hypothese über die compensato- rische Natur der Augendrehungen (bei tagesblinden Thieren!), sowie mit deren Erzeugung durch Erresung der Bogengänge übereinstimmen. Frederick Lee hat alle möglichen direeten Reizungen nicht nur an den Acusticis, sondern auch an einzelnen, die Bogengänge verbindenden Nervenzweigen vorgenommen und immer alles bestätigt gefunden, was die Hypothese erheischt. Nach einer neueren Mittheilung? sah er die compen- satorischen Augenbewegungen nach Durchschneidung der Acustici ver- schwinden. Nur in einem Punkte erlaubte er sich einen Widerspruch gegen Breuer: die Entfernung der Ötholiten soll von keinem Einfluss auf die compensatorischen Bewegungen sein. Es wäre nach dem Gesagten wohl überflüssig, den Versuchen von Lee die widersprechenden Ergebnisse der Versuche an Haifischen von Sewal und Steiner entgegenzustellen. Aehnliche Beobachtungen über die Verschiedenheit der Augenbewegungen bei der Rotation der Thiere um ver- schiedene Drehungsaxen werden erst ernstlich in Erwägung gezogen werden, wenn es gelingen wird, graphische Aufzeichnungen dieser Bewegungen zu ı Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. 8. 523) 2 Centralblatt für Biologie. Bd. VI. 78 Eifyv. 008: erhalten. Dies gilt sowohl für die von Lee an Fischen, als auch für die von Högyes an Kaninchen angestellten Versuche. Ob aus einer Uebereinstimmung der Augenbewegungen bei der Rota- tion mit denen bei Reizungen der Bogengänge auch wirklich der Beweis erbracht wird, dass diese Augenbewegungen auch durch die rotatorische Erregung der Bogengänge erzeugt werden, ist eine andere Frage; dieselbe zu erörtern wird noch Zeit sein, wenn eine solche Uebereinstimmung ernstlich nachgewiesen sein wird. VIII. Ursprung der Bewegungsstörungen. In unserer letzten Abhandlung! sind wir zu dem Schlusse gelangt, dass die nach den Verletzungen der halbzirkelförmigen Canäle sich kund- gebenden Störungen ihre Entstehung verdanken: a) einem, durch den Mangel an Uebereinstimmung zwischen dem ge- sehenen Raume und dem idealen Raume hervorgebrachtem Gesichts- schwindel; 6) den daraus resultirenden falschen Vorstellungen über die Stellung unseres Körpers im Raume; c) den Störungen in der Vertheilung und Abstufung der Innervationen an die Muskeln. Wir werden im nächsten Capitel ausführlicher auf die beiden ersten Punkte zurückkommen und wollen hier nur die Innervationsstörungen näher besprechen. Diejenigen Forscher, welche die nach Verletzung der Bogengänge ein- tretenden Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen auf Nebenverletzungen des Gehirns zurückzuführen suchen, machten ihren Gegnern den Vorwurf, dass die einen diese Störungen einer Erregung der Bogengänge, die anderen einer Lähmung derselben zuschrieben. Sie wollten in dieser Verschiedenheit der Erklärungen einen Widerspruch sehen, der die Bedeutung der operativen Eingriffe auf die Bogengänge für die Bewegungsstörungen bedeutend ver- mindern sollte. Dieser Einwand ist aus vielen Gründen ganz und gar hinfällie. Durch- trennung eines Nerven — nehmen wir z. B. den Vagus an — veranlasst unzweifelhaft seine Lähmung, d.h. den Ausfall seiner Functionen, und in Folge dessen charakteristische Veränderungen der Pulsfrequenz. Künst- liche Reizung der Vagi erzeust ebenfalls Abweichungen von der normalen Pulsfrequenz. Weit davon entfernt, gegen die hemmenden Wirkungen der Vagi aufs Herz zu sprechen, ‚beweisen die in beiden Fällen auftretenden 1 Gesammelte Arbeiten. 8. 332. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN, 79 Unregelmässigkeiten gerade das Vorhandensein dieser Wirkungen. Es kommt nur darauf an, die Natur dieser Störungen beim Ausfall und bei der Erregung dieser Nerven gesondert zu studiren und zu vergleichen. Durchtrennungen der Bogengänge sind jedenfalls nicht so einfach zu deuten, wie die Durchschneidung eines Nerven; es ist hier viel schwieriger die Erscheinungen der Erregung gewisser Functionen von denen des Aus- falls derselben von einander streng zu scheiden: dass beide in Störungen des Gleichgewichtes sich manifestiren können, ist aber leicht erklärlich, da solche Störungen sowohl durch Ausfall einer Function, als durch künst- liche Steigerung derselben entstehen können. Künstliche Reizung eines verletzten Organes kann ja nur unvollkommen die normale Erregung er- setzen. ; Die Sonderung der Erregungs- von den Ausfallserscheinungen ist aber dennoch bei operativen Eingriffen an den Bogengängen ziemlich streng durchführbar. Ich habe diese Sonderung schon in meiner ersten Arbeit über die Bogensänge versucht! und bei meinen späteren Untersuchungen weiter praecisirt. Das Gleiche haben auch seitdem die meisten Experimen- tatoren auf diesem Gebiete gemacht, wie z. B. Bornhardt, Spamer, Ewald, Matte u. A. Ich habe der früher gemachten Sonderung nichts Wesentliches hinzuzufügen, und wenn ich hier allgemein von „Innervations- störungen‘“ spreche, so sind unter solchen sowohl Störungen durch Weg- fall des normalen Innervationsimpulses, als auch durch Steigerung mittelst künstlicher Reizung zu verstehen. Es ist ja klar, dass in beiden Fällen zweckmässige Bewegungen der Thiere nicht ausgeführt werden können, die Erhaltung des Gleichgewichtes also unmöglich wird. Wir haben in unserer erwähnten Abhandlung diesen Gedanken genauer verfolet, als wir festgestellt haben, „dass die Nervencentra, denen die von diesen Canälen ausgehenden Empfindungen zugeführt werden, in der Vertheilung der Innervationsstärke in entschei- dender Weise eingreifen‘“.” Dort haben wir auch auseinandergesetzt, wie fehlerhaft es ist, die Bogengänge als ausschliessliches Gleichgewichts- organ betrachten zu wollen. Störungen des Gleichgewichtes können durch unzählige Ursachen veranlasst werden, ohne jede Betheiligung des Ohr- labyrinthes oder seiner centralen Endigungen. Das Fehlerhafte der An- nahme eines einzigen ausschliesslichen Gleichgewichtsorganes haben wir schon vor mehr als 30 Jahren? in unserer ersten wissenschaftlichen Arbeit 1 Gesammelte Arbeiten u. s. w. S. 260. ZEN a4 0. S. 331. ® De Choreae Indole ete. Inaug.-Diss. Berlin 1864. Siehe auch Wiener med. Jahrbücher. 1865. 80 E. v.. Cyox: nachzuweisen versucht; was jetzt wohl so ziemlich allgemein anerkannt ist. Es wird wohl im Gehirn kaum nur ein Üentralorgan für die Coordi- nation der Bewegungen bestehen können; denn die Wahl der zu innervirenden Fasern, um eine bestimmte Bewegung auszulösen, ist doch etwas ganz Anderes, als die Abstufung der Innervationsstärke, welche jeder Nerven- faser zugetheilt werden muss, damit diese Bewegung auch zweckmässig wird. Es wären also mindestens zwei Centralorgane für die Coordination unserer willkürlichen Bewegungen erforderlich. Von diesen beiden Oentral- organen beherrschen die Ohrlabyrinthe das zweite; dies glauben wir in unseren früheren Arbeiten genügend bewiesen zu haben. Diese Regulirung der Innervationsstärken kann ja auch natürlicher Weise am besten durch dasjenige Organ geschehen, welchem wir unsere Raumvorstellungen ver- danken und welches uns zur richtigen Orientirung unseres Körpers im Raume in so hohem Grade behülflich ist. Wir haben in der früheren Abhandlung hervorgehoben, dass schon Flourens dieser Auffassung der Rolle, welche die Bogengänge spielen, sehr nahe getreten ist. Citiren wir den Wortlaut der Flourens’schen Auf- fassung: „Le nerf des canaux semi-circulaires est un nerf special et propre. Tl est dou& de la faculte singuliere d’agir sur la direction des mouve- ments. Il y a donc dans les canaux semi-cireulaires, il y a dans les fibres opposees de l’encephale, une force qui contient et modere les mouve- ments.“ Bei dem damaligen Zustand unserer physiologischen Kenntnisse war es unmöglich, der Wahrheit näher zu kommen, als dies von Seiten Flourens geschehen ist. Die seit dem Erscheinen unserer letzten Abhandlung veröffentlichten Untersuchungen über die Bogengänge haben nicht im Mindesten irgend welche Thatsachen ans Licht gebracht, , welche geeignet wären, unsere Auf- fassung der Art, wie die Bogengänge die motorische Sphaere beherrschen, zu modificiren.. Im Gegentheil, unsere Auffassung, die selbstverständlich auch unabhängig von der Raumsinntheorie bestehen kann, hat eher Anklang gefunden; sie ist jetzt die einzig noch zulässige. Einige Anhänger der Mach-Breuer’schen Hypothese, wie Delage-Aubert, Ewald u. A., haben sich derselben Auffassung bedeutend genähert, obgleich sie es für nöthig erachteten, neue Bezeichnungen für die Vertheilung der Innervations- impulse zu geben. Die Wahl dieser neuen Bezeichnungen ist meistens unglücklich aus- gefallen, war auch ganz nutzlos. Was Abstufung der Innervationsstärke sagen will, versteht jeder Physiologe; was das alte, von Legallois her- stammende Wort „exeitomotorische Wirkungen“ (Delage und Aubert) oder BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. sl das neue, von Ewald eingeführte ‚„‚Tonuslabyrinth“! bedeutet, bedarf erst der Auslegung. Ist es ein Fortschritt, da, wo die „Begriffe (nicht) fehlen“, zur unrechten Zeit Worte einzustellen? Es ist wohl kaum erforderlich, auf die vage Bezeichnung ‚exeitomotorisch“ von Delage einzugehen. Die Bogen- gänge sollen „auf dem Wege des Reflexes diejenigen Bewegungen der Augen, welche die des Kopfes zu compensiren haben und die berichtigenden Muskelzusammenziehungen, welche zur Erhaltung unseres Gleich- gewichtes und zur genauen Ausführung unserer allgemeinen Be- wegungen dienen, hervorrufen“.” Dies ist eine Umschreibung meiner Auffassung, mit der Mach-Breuer’schen Hypothese zusammengemischt. Dagegen sind wir gezwungen, auf Ewald’s „Tonuslabyrinth“, wie es in dem Buche „Ueber das Endorgan des Nerves Octavus“ vorgelegt wird, näher einzugehen. Dieses schön ausgestattete Werk verkündet zwei bahn- brechende Entdeckungen von urgleicher Natur, aber von gleichem Werthe. Hier ist es für uns ohne Interesse, dass das Labyrinth für das Hören nicht nothwendig sei, sondern dass der Acusticusstamm diese Function aus- zuüben vermöge.” Dagegen ist die zweite Entdeckung von grosser Tragweite nicht nur für den Gegenstand unserer jetzigen Untersuchung, sondern für die ganze Physiologie. Wir wollen sie mit den Worten des Verfassers selbst wiedergeben: „Man wird nach einigen Decennien in der Geschichte der Physiologie deutlich die Zeit vor und nach der Einführung der Westien’- schen Lupe erkennen können. Wer dies für eine Ueberschätzung ihres Werthes hält, der denke nur daran, dass das wichtigste Thier für den Physiologen der Frosch ist und dass dieser durch die Lupe zur Grösse eines riesenhaften Ochsenfrosches wächst.“* Diese Eintheilung der Physio- logie in zwei Epochen wäre für diejenigen Physiologen, welche das Unglück hatten, während der Vorwestien’schen Periode zu leben und zu wirken, höchst betrübend, hätte nicht Ewald eine vorzügliche Methode erfunden, um, wenn nicht diese Forscher selbst, so doch wenigstens ihre Werke vor Vergessenheit zu schützen. Von der Ueberzeugung durchdrungen, dass Alles, was in der Vorwestien’schen Epoche entdeckt und beobachtet wurde, keinen wissenschaftlichen Werth beanspruchen darf — wenigstens auf dem Gebiete der Physiologie des Ohrlabyrinthes —, hat Ewald die anerkennens- ‘ werthe Aufgabe übernommen, dies Alles von Neuem wieder aufzufinden, durch schöne Zeichnungen zu versinnlichen und mit weniger schönen Be- zeichnungen zu versehen. Um diese mehr archäologische Arbeit mit grosser ! Das Wort Tonus hat zuerst Högyes für die Functionen des Ohrlabyrinthes gebraucht. Na. 0. 8.115... 3 Dies ist übrigens von Bernstein und Küttner definitiv widerlegt worden. *A.2.0. 8. 9. Archiv f.A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthig. 6 82 E. v. Cyox: Gründlichkeit ausführen zu können, hatte Ewald den glücklichen Einfall, zu den zahnärztlichen Methoden zu greifen, welche mit Unrecht bis jetzt von den Physiologen etwas vernachlässigt worden sind. Dank dieser glücklichen Vereinigung der Westien’schen Lupe mit den zahnärztlichen Methoden ist es Ewald auch gelungen, die meisten Thatsachen, welche über die Folgen der Operationen an den Bogengängen bekannt waren, mehr oder weniger zu reconstruiren und mit Hülfe von Momentaufnahmen vor Vergessenheit zu schützen. Wir wollen nun einige Beispiele der grossen Erfolge anführen, welche Ewald mit Hülfe der neuen Methoden erzielt hat. Su findet er: „die Tauben ohne Labyrinth können nicht mehr fliegen“,! und diese wichtige Entdeckung versetzt ihn in solches Erstaunen, dass er die citirten Worte in grosser gesperrter Schrift drucken liess. Nun hat schon Flourens diese Unfähigkeit der operirten Tauben constatirt, die natürlich auch den späteren Beobachtern nicht entgangen ist. In meiner ersten Untersuchung über die Bogengänge, welche im Jahre 1873 in Pflüger’s Archiv erschien, habe ich sogar die Veränderungen der Flugfähigkeit nach Durchschneidungen der einzelnen Canäle studirt. In meiner letzten Arbeit, die während der Jahre 1875 bis 1877 ausgeführt wurde, sage ich ausdrücklich von der Taube, welcher alle sechs Bogengänge zerstört waren: „die Fähigkeit zu fliesen aber hat sie vollständig ein für alle Mal eingebüsst“.? Unzählige Male ist die Thatsache beschrieben worden, dass Tauben mit operirten Bogengängen, wenn sie sieh erholt haben und zu gehen be- ginnen, beim Antreffen eines Widerstandes stolpern und umfallen. Eine aller sechs Bogengänge beraubte Taube, sagte ich, „scheint bei jedem. Schritte den Boden zu betasten“.? Ewald hat merkwürdiger Weise mit der Westien’schen Lupe dasselbe constatiren können (Versuch 9). „Wir wählen nun aber einen diekeren Stab, etwa einen Besenstiel undsehenzu unserem Erstaunen, dass die Taube über denselben fällt.“ „Das Thier hat das Bewusstsein von seiner Ungesicklichkeit.“* Ewald’s Erstaunen ist so auf- riehtig, dass er diese Beobachtung zu einem heftigen Ausfall gegen Goltz benutzt: „Ich möchte diesen Versuch denjenigen Herren ganz besonders empfehlen, welche alle Störungen durch solche, die den Kopf betreffen ... erklären möchten. ... Es hiesse doch in kindlicher Weise auf einer vor- gefassten Meinung bestehen wollen, wenn man die Unfähigkeit unserer Thiere, das Bein genügend emporzuheben, durch ein Schwindelgefühl (dies betrifft Mach, Breuer u. A.) oder doch durch den Mangel der Empfin- ıA.a.0. 8. 16. ?A.a. 0. S. 309. > A. a. 0. 8. 309. IN AO SA BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 83 dungen der Kopfbewegungen (Goltz) erklären würde.“ ! Im VIII Capitel tritt er wieder fast ebenso heftig gegen die Goltz’schen und Mach-Breuer’schen Hypothesen von der Rolle der Kopfbewegungen bei gewissen Functionen der Bogengänge auf.” Im diesem Capitel? stossen wir wieder auf einen neuen Beweis, wie aufrichtig Ewald überzeugt ist, allbekannte Thatsachen wirklich neu entdeckt zu haben. „Meine Absicht war dabei nicht die fast beispiellose Gesetzmässigkeit, der alle Nystagmusbewegungen unterliegen, nnd die enge Abhängigkeit dieser Erscheinungen von bestimmten einzelnen ‚Labyrinththeilen klarzustellen, sondern es kam mir ganz speciell auf die Wirkung des Labyrinthes auf die Augenbewegungen an, weil die letzteren ein ausgezeichnetes Beispiel an die Hand seben, um den allgemeinen und von den Kopfbewegungen un- abhängigen Einfluss des Labyrinthes auf die Muskeln zu be- weisen. Von diesem Einfluss hat man bisher nichts gewusst.“ * Ich will nur erinnern, dass meine erste Mittheilung an die französische Akademie der Wissenschaften über die „beispiellose Gesetzmässigkeit der Nystagmusbewegungen und ihre enge Abhängigkeit von bestimmten einzelnen Labyrinththeilen“, und über den „von den Kopfbewegungen unabhängigen Einfluss des Labyrinthes auf die Muskeln“ schon im Jahre 1876 erfolgte! Eben diese Beobachtungen bildeten ja den Ausgangspunkt der Schlüsse, welche ich in meiner ausführlichen Mittheilung später benutzt habe, um die Art des Einflusses der Bogengänge auf die Muskeln festzustellen! Was nun überhaut den Einfluss des Labyrinthes auf die Muskeln des Rumpfes anbetrifft, so sind dieselben von Böttcher (1873), Cursch- mann (1874), Berthold (1874), Bornhardt (1875), Spamer (1880) u. A. beschrieben worden. Das Merkwürdigste an den soeben wiedergegebenen Behauptungen Ewald’s ist, dass er gar keine directen Versuche üher die „Abhängigkeit gewisser Erscheinungen (gesetzmässiger Nystagmusbewegungen) von be- stimmten einzelnen Labyrinththeilen“ mitgetheilt hat. Kaninchen eignen sich seiner Ansicht nach „nicht sehr gut zur Untersuchung der Labyrinthstörungen“; wahrscheinlich, weil alle die Erscheinungen über die Gesetzmässigkeit der Augenbewegungen von mir vor 20 Jahren an Kanin- chen ohne Hülfe der Westien’schen Lupe festgestellt worden sind. Auch N 0 Sell m: 0.8. 16% »A.a.0. S. 166. * A.2.0. S. 166. 5A.a. ©. S. 266: „Selbst bei Tauben kann man die allerauffallendsten Coordi- nationsstörungen in den Rumpfbewegungen beobachten, während der Kopf seine normale Stellung beibehält“ u. s. w. 6* 84 E. v. Cyox: Högyes, Baginsky u. A. haben an Kaninchen experimentirt. Ewald selbst hat Hunden den Vorzug gegeben; er hat aber nur immer das ganze Labyrinth herausgenommen, anstatt die einzelnen Bogengänge zu operiren. Letzteres hat er übrigens meistens auch bei anderen Thieren, trotz der Vorzüglichkeit der Westien’schen Lupe, vermieden! ! Wir wollen nur kurz noch einige Beispiele der glücklichen Funde Ewald’s erwähnen, wie z. B. die bekannte Kopfstellung der operirten Taube mit dem Hinterkopfe nach unten und dem Schnabel nach oben, die ich schon im Jahre 1873 beschrieben habe und welche Munk bei einer Taube mit angeborenem Defect eines Labyrinthes so genau wiedergegeben hat; sodann die allgemein anerkannte Nothwendigkeit, Blutungen bei Opera- tionen an den Bogengängen zu vermeiden, wobei er, wie wir oben gesehen haben, die operativen Methoden, wie die von Goltz angewandte, für roh und verwerflich erklärt.? In einer neueren Schrift „Die Beziehungen des Grosshirns zum Tonus- labyrinth* nach Versuchen von Ida H. Hyde“ erklärt es Ewald aus- drücklich, dass, wenn auch Flourens, Berthold, Bornhardt, Löwen- berg, Cyon ähnliche Versuche mit den nämlichen Resultaten ausgeführt, dies nicht von Belang ist, da „ihre Labyrinthoperationen unbrauchbar waren“, weil für dieselben die „Methodik noch nicht ausgebildet“ war,® d. h. diese Autoren weder die Westien’sche Lupe, noch das zahnärztliche Plombiren benutzten. Kehren wir zu dem Einfluss des Labyrinthes auf die Muskeln zurück, um den es sich hier besonders handelt. Was versteht Ewald unter dem Tonuslabyrinth? Das soll ein Organ sein, „welches einen Einfluss auf die Muskelbewegungen ausübt und aus später zu erläuternden Gründen das, Tonuslabyrinth heissen mag. Seine Function ist der Labyrinthtonus oder Ohrtonus, und die Störungen, welche von ihm ausgehen, will ich als Tonus- störungen bezeichnen. Dieselben offenbaren sich als Störungen im Gebrauch der Musculatur.... und es könnte zu Missverständnissen führen, wenn man dieselben einfach Muskelstörungen nennen wollte... Denn wenn auch das sichtbare Resultat dieser Störungen eine Schädigung im Gebrauch der Musculatur ist, so braucht doch der eigentliche Sitz der Abnormität nicht ! Aus eigener Erfahrung finde ich die Westien’sche Lupe wenig für Vivisectionen geeignet, gerade darum, weil ihre Vergrösserung zu stark ist; dies giebt über die Grössen- und Lageverhältnisse der Theile falsche Vorstellungen und erschwert ent- sprechend das Operiren. Um an den einzelnen Bogengängen bei Fröschen zu operiren, genügte für Solucha und mich eine Uhrmacherlupe Wenn man sich auf das blosse Ange nicht mehr verlassen kann, ist die Brücke’sche Brille jedenfalls nach allen Seiten hin für das Viviseciren nützlicher. 2A. a0, 8. 2121. > A.a.0. S. 506. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 35 der Muskel selbst zu sein. Dagegen scheint der Ausdruck Tonusstörungen nichts zu praejudieiren. Man gebraucht das Wort Tonus in so verschiedenem Sinne, dass man ihm ohne Zwang als Labyrinthtonus eine ganz besondere Bedeutung vindieiren kann.“ Mit einem Worte, „die Function des Tonus- labyrinthes ist der Labyrinthtonus“, „die Störungen dieser Function sind Tonusstörungen“. Diese Störungen sind „von eigenthümlicher und nicht genau definirbarer Art‘; das Wort „Tonus“ ist so oft missbraucht worden, dass man es ohne Schaden auch noch zur Entdeckung eines „neuen Sinnes“, des Tonuslabyrinthes, benutzen kann. Diese S. 291 gegebene Definition scheint Ewald selbst weder klar, noch erschöpfend zu sein. Er kehrt daher zum Tonuslabyrinth auf S. 294 zurück. Die Tonusstörungen ‚lassen sich in Bezug auf die sichtbaren Folgen als einen Mangel an Praecision be- zeichnen. Ein solcher kann vielerlei Ursachen haben. Es kann die Ver- kürzung des Muskels zu spät beginnen, sie kann zu langsam ablaufen, es kann an Kraft dabei fehlen u. s. w. Welche von diesen Störungen speciell in unserem Falle vorliegt, kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen. Häufig habe ich nachweisen können, dass die Kraft herabgesetzt war. Eben- falls muss es dahingestellt bleiben, ob die eigentliche Störung im Muskel oder in Centraltheilen ihren Sitz habe, denn auch der Mangel an Kraft könnte ja auf einem zu schwachen Innervationsreiz beruhen.“ Wäre Ewald nicht so befangen durch die Beobachtungen der Kraft- abnahme bei den Bewegungen der vor längerer Zeit operirten Thiere, sondern hätte er den kolossalen Kraftverschwendungen der frisch operirten Thiere, welche oft mehrere Tage lang anhalten, grössere Aufmerksamkeit geschenkt, so würde es ihm eingeleuchtet haben, dass es sich dabei eben- sowohl um „zu starke“ als um „zu schwache“ Innervationsreize handelt. Die stürmischen Bewegungen sind alle insofern streng coordinirt, als sie mit einer grossen Gesetzmässigkeit immer durch dieselben Muskelgruppen aus- gelöst werden. Für eine ganze Gruppe dieser Bewegungen, nämlich für die Augenbewegungen, ist durch meine Versuche direct festgestellt worden, dass dieselben reflectorisch von den Bogengängen ausgelöst werden. Einige dieser Versuche zeigten in klarster Weise, dass die Reizübertragung eine gekreuzte ist und dass die Reizung der Bogengänge auf der einen Seite hemmend, auf der anderen reizend wirkt. Wir erinnern nur an die von uns schon im Jahre 1876 gemachte Beobachtung, dass die pendelartigen Augen- bewegungen, welche nach Aufhören der Reize auftreten, „verschwinden, wenn man den Nervus acusticus der entgegengesetzten Seite durch- schneidet“. ! ! Die schöne Beobachtung einer solchen hemmenden Wirkung auf die Augen- muskeln bei directer Hirnreizung, welche Sherrington im letzten physiologischen Congress in Bern demonstrirt hat, gehört sicherlich zu dieser Art gekreuzter Wirkungen- 86 E. v. Cyox: | h Im vorigen Capitel haben wir gesehen, dass auch der nach Durch- schneidung des einen Acusticus auftretende Augennystagmus verschwindet, sobald der Acusticus der anderen Seite auch durchtrennt wird. Die Ver- suche von Bechterew haben ähnliche Erscheinungen ergeben. Alle diese Beobachtungen der gekreuzten Wirkungen sind noch nicht vollständig genug, um uns einen näheren Einblick in den Mechanismus dieser theils hemmenden, theils erregenden Wirkungen der Bogengänge zu gestatten: Eines beweisen sie aber zur Genüge: nämlich dass die Bogengänge direct die Innervations- centren der Muskeln beeinflussen und dass der allgemeine Charakter dieser Einwirkung sich in übertriebener oder mangelhafter Zusammenziehung dieser Muskeln äussert. „Der Mangel an Praecision,‘ wie sich Ewald mit Recht äussert, „charakterisirt die Muskelbewegungen beim Ausfall der Functionen des Ohrlabyrinthes.“ Dies hat Ewald am meisten frappirt, weil er fast ausschliesslich seine Beobachtungen an labyrinthlosen Thieren gemacht hat, und zwar meistens längere Zeit nach der Operation. Während der Opera- tion selbst, wo die Reizerscheinungen vorherrschen, sind die Bewegungen zwar praecis, aber darum nicht minder anormal — eben durch ihre Ueber- treibung. Wenn „der Mangel an Kraft auf einem zu schwachen Inner- vationsreiz beruht“ (Ewald), so beweist dies eben, dass das Thier die Fähigkeit verloren hat, seine Inneryationsreize zu reguliren. Da aber dieser Verlust immer in gesetzmässiger Weise durch den Ausfall der Funetionen der Bogengänge entsteht, so beweist dies, dass die Beeinflussung der Innervationsstärken durch die operativen Eingriffe an den Bogengängen nicht eine zufällig auftretende Erscheinung ist, sondern davon herrührt, dass der Bogengang- apparat normaler Weise die Aufgabe hat, die Innervations- stärken zu bestimmen und zu reguliren. Zu diesem Schlusse sind wir schon vor 20 Jahren gelangt, und die neueren Beobachter — z.B. Ewald, der in der That nur über die Modi- fieationen der Muskelkraft nach Durchtrennung der Labyrinthe etwas Neues gebracht hat! — kommen im Grunde zu denselben Schlüssen. Dass der Ausdruck „Tonuslabyrinth“ nichtssagend ist, wie Ewald glaubt, ist nicht ganz richtig. Er sagt jedenfalls aus, dass die von dem Ohrlabyrinth ausgehenden Reize fortdauernd und anhaltenddas Inner- vationscentrum der Muskeln erregen, was weder bewiesen, noch wahr- scheinlich ist. Unsere willkürlichen Muskeln werden in einem anhal- tenden, schwachen Erregungszustand gehalten (den Brondgeest’schem ! Matte hat übrigens die Angaben Ewald’s über die Veränderungen in den Muskeln mit Recht bedeutend rectificitt. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 87 Tonus). Wie ich durch mehrere Untersuchungen! gezeigt habe, werden die dazu erforderlichen Erregungen von der Haut auf dem Wege der hinteren Wurzeln durch das Rückenmark auf die vorderen Wurzeln und von diesen zu den Muskeln geleitet. Diese Erregungen erhalten die Muskeln in einem Zustande der schwachen Verkürzung, welche für den Effect der Zusammenziehung vortheilhaft ist, indem sie beim Hinzutritt eines Willens- reizes oder eines von aussen her kommenden künstlichen Reizes der Con- traction schnell die nöthige Stärke verleiht. Um eine ähnliche Rolle den Erregungen der Bogengänge zuschreiben zu können, müsste zuerst der Beweis geliefert werden, dass Zerstörung der Bogengänge, analog der Durchschneidung der Hinterstränge, eine Verlänge- rung der Muskeln und eine geringere Leistungsfähigkeit derselben erzeugt. Nun tritt aber, wie man weiss, gerade das Gegentheil ein. Wochenlang (bei Fröschen sogar monatelang) dauert bei so operirten Thieren eine Exacer- bation jeder willkürlichen Bewegung, auch dann noch, wenn die heftigen Zwangsbewegungen schon verschwunden sind. Wir beobachten also hier das Gegentheil von dem, was beim Wegfall der durch die Hinterstränge übertragenen Reize auftritt. Es ist daher geradezu unerlaubt, das Wort „Lonus“ bein Labyrinthe zu gebrauchen, auch wenn, was nicht der Fall ist, bewiesen wäre, dass die Bogengänge ununterbrochen dem Innervations- centrum Erregungen zuführen. Man könnte sich zwar mit der Ausrede behelfen wollen, dass die Erregungen hemmend auf das Innervations- centrum wirken. Es müsste aber erst bewiesen werden, dass die hemmende oder regulirende Wirkung eine ununterbrochene ist, was dem wahren Sachverhalt geradezu widerspricht. Nach unserer Anschauungsweise regulirt das Ohrlabyrinth direct die vom Willensorgan ausgehenden Reize und vertheilt sie zwischen die einzelnen Muskeln mit Hülfe seiner Richtungs- oder Raumempfindungen. Wir werden im nächsten Capitel näher auseinander setzen, in welcher Weise man sich diese Regulirung zurechtlegen muss. Hier wollen wir nur noch einige Worte über die Beförderung des so schlecht bezeichneten Tonuslabyrinthes zu einem sechsten Sinnesorgane hinzufügen. Wir glauben schon genügend die Bodenlosigkeit des statischen Sinnes, des Drehsinnes, des Sinnes für Beschleunigungsempfindungen, und des Goltz’schen Gleichgewichtssinnes erwiesen zu haben. Das „Tonus- labyrinth“ hat als vermeintlicher Sinn mit diesen verewigten Sinnesorganen das eine gemeinschaftlich, dass, wenn die dem Ohrlabyrinth von seinem Erfinder zugeschriebenen Furctionen auch der Wirklichkeit entsprechen. ! Sämmtliche diese Frage betreffenden Abhandlungen sind in meinen Gesammelten physiologischen Arbeiten (8. 197 bis 218) wiedergegeben worden. 83 E. v. Cyox: würden, dasselbe auch nicht die entfernteste Berechtigung hätte, als Sinnes- organ aufgefasst zu werden. Sonst hätte man ja dasselbe Recht auch die hinteren Wurzeln, das Innervationscentrum der Gefässe oder des Herzens, mit einem Worte alle Organe, die tonisch erregt sind oder tonische Erregungen vermitteln, als Sinnesorgane zu betrachten. Sehen wir nun, wie Ewald seine Benennung motivirt: „Indem das Tonuslabyrinth, vielleicht in seiner ganzen Ausdehnung, jedenfalls aber in seinen Ampullen, durch die Drehungen des Kopfes beeinflusst wird und eine Wirkung der letzteren, je nach ihrer Richtung und Stärke, auf den Körper vermittelt, ist es ein Sinnesorgan. Dieser zuerst von Goltz be- hauptete und seitdem oft angefeindete Satz wird durch die Wirkung der Plomben zur Evidenz bewiesen.“! „Seit Jahrtausenden glaubte man fünf Sinne zu haben und erst im Jahre 1870 kam der sechste, der Goltz’sche Sinn dazu.“ ? Diese Citate genügen. IX. Der Raumsinn. Welcher Art sind die von den Bogengängen ausgehenden Empfindungen? Es sind, wie wir gesehen haben, weder Dreh- oder Beschleunigungsempfin- dungen, noch statische oder Schwindel- una Gleichgewichtsempfindungen. Schon bei meinen ersten Untersuchungen über die Bogengänge habe ich das grösste Gewicht auf die gesetzmässige Abhängigkeit? der Ebenen gelegt, in welcher die Kopfbewegungen nach Verletzung der Bogengänge auftreten, von der Ebene, in welcher dieselben gelegen sind; ich hob schon damals die „anatomische Lage der Bogengänge, welche den drei Dimensionen des Raumes entspricht“, hervor. Schon im Jahre 1873 war für. ia „kein Zweifel mehr übrig, dass die Bogengänge mit gewissen räumlichen Vorstellungen in Be- ziehung stehen“ * Ich will nur an meinen damaligen Versuch erinnern, mit Erzeugung des künstlichen Strabismus bei Tauben durch Anwendung einer Brille mit prismatischen Gläsern, wodurch „eine Reihe von Bewegungs- ITZA2 2.0.8. 302: ZA AOL 321504: ® Gesammelte physiologische Arbeiten. S. 260 u. f. Ueber den Unterschied in meiner. ersten Auffassung der Functionen der Bogengänge und jener von Goltz, ‚s. ebendaselbst, S. 291 u. f., sowie S. 327. Schon als ich im Jahre 1869 Dr. Löwen- berg veranlasste seine Versuche über die Bogengänge anzustellen war ich durch diese nur bei der Widerholung der Flourens’schen Versuche aufgefallene Gesetzmässigkeit geleitet. * A. a. 0. S. 260. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 39 ‚störungen zum Vorschein kommen, welche mit den leichteren Graden der- jerigen unzweideutige Analogien haben, welche nach Durchschneidung der Bogengänge auftreten“. Aehnliche Bedeutung haben meine Versuche mit künstlicher Verdrehung des Kopfes bei Tauben durch An- legen einiger Nähte, welche den Hinterkopf an die Brust befestigten. „Läuschungen in den Gesichtswahrnehmungen, wenigstens wenn sie plötzlich eintreten“! waren damals schon der Ausgangspunkt der Be- trachtungen, welche mich bei der Erläuterung der Functionen der Bogen- sänge leiteten. Sie waren auch die Veranlassung zu den Untersuchungen über die Beziehungen der Bogengänge zu dem Innervationscentrum der Augenbewegungen, welche die bekannte Gesetzmässigkeit derselben er- geben haben. „Die Erregung eines jeden Bogenganges ruft pendelnde Augapfelbewegungen hervor, deren Richtung durch die Wahl des gereizten Canals bestimmt wird.“” „Daraus, dass einerseits unsere, die Vertheilung der Gegenstände im äusseren Raume "be- treffenden Vorstellungen hauptsächlich von den unbewussten Innervations- oder Contractionssensationen der oculomotorischen Muskeln abhängen und, dass, andererseits, jede selbst minimale Reizung der Bogengänge gesetzmässige Innervationen und Contractionen ebenderselben Muskel erzeust, muss man als unbestreitbar anerkennen, dass die Nervencentren, in welche die in den Canälen sich vertheilenden Nervenfasern eintreten, in innigem physiologischen Zusammenhange mit dem oculomoto- rischen Centrum stehen und, dass folglich ihre Erregung in die Bildung unserer Raumbegriffe in entscheidender Weise ein- greifen kann.“ - „Diese Schlussfolgerung ist im Grunde nichts Anderes, als der einfache Ausdruck der Thatsachen selbst; sie enthält also nichts Willkürliches “, fügte ich hinzu.? Diese Schlussfolgerung bildet den Fundamentalsatz, auf welchem unsere Raumsinntheorie aufgebaut wurde. Wir müssen daher bei derselben länger verweilen. Bechterew, welcher in seiner letzten Abhandlung: „Die Empfindungen der Eeichgewichtscrgare u. s. w.“,* meinen Anschauungen über die Ent- wiekelung unserer Raumvorstellungen sehr nahe kommt, findet diese Schluss- folgerung nicht einwandsfrei. „Einem aufmerksamen Leser“, sagt er,° „wird doch nicht der Umstand entschlüpfen, dass der erste Theil dieser sich auf den Zusammenhang der centralen Endigungen der den semicircu- E22 0228:254 = A 96 0, 8% ill), BANG O ES Sl * Dies Archiv. 1896. Hft. i u. 2 ENG En On Sy la 90 E. v. Cxox: laeren Canälen angehörenden Nervenfasern mit dem Oculomotoriuscentrum beziehende Behauptung keinem Zweifel unterliegt, was jedoch von dem zweiten Theile derselben Behauptung bei Weitem nicht gesagt werden kann.“ Die Behauptung Bechterew’s beruht auf einem Missverständniss, Wenn ich den zweiten Theil meiner Behauptung, nämlich „dass die Erregung der Bogengänge in entscheidender Weise in die Bildung der Raumvorstellungen eingreifen kann“, nur durch den anatomischen Zusammenhang der cen- tralen Endigungen der Nervenfasern der Bogengänge mit dem Oculomotorius- centrum begründet hätte, dann wäre er wirklich nicht einwandsfrei. Meine Versuche haben aber ergeben, dass es sich um einen engen physiologischen Zusammenhang handelt, dass nämlich die Erregung der Bogengänge in ganz sesetzmässiger Weise das Centrum der Augenbewegungen beherrscht. Meine Schlussfolgerung, weit davon entfernt, willkürlich zu sein, ist geradezu eine zwingende Nothwendigkeit. Wenn ich beweise, dass ein Nerv die Herzbewegungen gesetzmässig beherrscht, so folgt daraus, dass dieser Nerv in die Functionen des Herzens in entscheidender Weise ein- greifen kann, oder richtiger gesagt, eingreifen muss. Bechterew, welcher das obige Citat meiner Arbeit aus dem Russischen übersetzt hat, drückt ihn auch viel richtiger! aus, „dass also ihre Erregung einen vorwaltenden Einfluss auf die Bildung unserer Raumvorstellungen ausüben muss“. Bechterew brauch sich nur die Rolle der Augenbewegungen bei der Bildung der Raumvorstellungen vergegenwärtigen, um zu begreifen, dass der Nach- weis der Beeinflussung dieser Bewegungen durch die Bogengänge,, welchen ich geliefert habe, gleichzeitig die bedeutende Rolle dieser Bogengänge bei der Bildung der Raumvorstellungen bewiesen hat. Er gesteht selbst zu, dass dieser Nachweis „keinem Zweifel unterliegt“; folglich sind seine Be- denken gegen den obigen Fundamentalsatz auch ganz hinfällig. Man kann sich der nothwendigen Anerkennung dieses Satzes nur ent- ziehen, wenn man die Gültigkeit meiner betreffenden Versuche selbst be- streiten wollte. Wir haben aber im Gegentheil gesehen, dass deren Er- gebnisse von allen Seiten nur Bestätigungen? erfahren haben, und zwar an den verschiedensten Thierarten. Wenn ich mich in dieser Beziehung zu be- schweren hätte, so ist dies eher, dass gewisse Bestätigungen, wie z. B. die durch Högyes oder Frederick Lee, mehrere Autoren zu Erweiterungen verleitet haben, welche ich nicht genügend begründet finden kann. ! Die deutsche Uebersetzung meiner Abhandlung, welche in meiner Sammlung erschienen ist, rührt nieht von mir her. Sie enthält viele Ungenauigkeiten, und hat schon zu manchen Missverständnissen Veranlassung gegeben. ? Bechterew spricht sein Befremden aus, dass mein Name dabei nicht erwähnt wird. Mir sind diese Verschweigungen meines Namens vollkommen gleichgültig, wie ich schon in der Vorrede meiner Gesammelten Arbeiten erklärt habe. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 91 Bechterew selbst hat in dieser Beziehung werthvolle Bestätigungen „meiner Ergebnisse geliefert, sowohl durch seine Durchschneidungen der Acustiei, als-durch seine sonstigen Versuche über die Bogengänge und die Gleiehgewichtsvorgänge Wir wollen nur die Uebereinstimmung in der Auffassung der Art, wie die Bogengänge die letzteren beherrschen, hier hervorheben. Auch Bechterew betrachtet die Motilitätsstörungen beim Ausfall der Fünctionen der Bogengänge als durch Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Innervationstärken veranlasst, durch eine „Disharmonie“ der Impulse, durch aus „einer ungenügenden Entstehung der Impulse in den Organen der operirten Seite“ und andererseits an „den von der .ge- sunden Seite stammenden, diese Impulse an Intensität übertreffenden Er- regungen“. ! Wenn es mir auch gelungen ist, direct experimentell nachzuweisen, dass die Bogengänge die Bildung von Raumvorstellungen beeinflussen können und sogar müssen, so musste ich dagegen bei der weiteren Erklärung der Natur dieser Beeinflussung mich meistens mit Wahrscheinlichkeitsbeweisen begnügen. Ueber die intime Natur der Empfindungen, welche die Erregung der Bogengänge veranlasst, könnten direete Beweise nur durch Versuche an Menschen geliefert werden. Solche sind aber, aus leicht begreiflichen Gründen, kaum ausführbar. Wir müssten uns also mit Wahrscheinlichkeitsbeweisen begnügen, welche sowohl durch den anatomischen Bau der Bogengänge und deren erwiesene Functionen, als durch Analogie mit den bekannten That- sachen und Gesetzen der Nervenphysiologie gegeben werden. Genügt unsere so entstandene Hypothese noch ausserdem dem Bedürfnisse nach einem Ver- ständnisse der Lebensvorgänge, welches wir untersuchten, so ist sie völlig berechtigt. | Diese Hypothese ist ausführlich in meiner letzten Arbeit auseinander- gesetzt worden. „Die halbeirkelföürmigen Canäle,“ sagten wir, „sind die peripheren Organe des Raumsinnes, d. h. die Empfindungen, welche durch die Erregung der in den Ampullen dieser Canäle sich verbreitenden Nerven- endigeungen hervorgerufen werden, dienen dazu, unsere Vorstellungen von dem dreidimensionalen Raume zu construiren..... Mit Hülfe dieser Empfin- dungen kann in unserem Hirne die Vorstellung von einem idealen Raume zu Stande kommen, auf welchem unsere sämmtlichen übrigen Sinneseindrücke, soweit sie auf die Anordnung der uns umgebenden Gegenstände und auf die Stellung unseres eigenen Körpers inmitten derselben Bezug haben, sich beziehen lassen.‘ ? 2 2 (Ol 2 N, a. 0 8 Sl 92 E. v. Cyox: Ehe wir weiter gehen, möchte ich auf eine merkwürdige Ueberein- stimmung der eben angeführten Auffassung unserer Raumvorstellungen mit denen, welche mit so grosser Klarheit schon Purkinje gegeben hat, auf- merksam machen. Aubert hat bekanntlich die Delage’sche Arbeit ins Deutsche übertragen in der ausgesprochenen Absicht, meine Theorie der Raumvorstellungen zu bekämpfen. Er hatte dabei den glücklichen Einfall, Purkinje’sOriginalmittheilungen über Scheinbewegungen und über Schwindel, so wie sie in den Beilagen der Breslauer Zeitung vom Jahre 1825 abgedruckt wurden, aufzusuchen und wörtlich wiederzugeben. Diese Beilage zu der Delage’schen Schrift ist vielleicht der belehrendste Theil der ganzen Aubert’- schen Publication. Wir wollen nur einige dieser werthvollen Mittheilungen Purkinje’s wiedergeben. Wir führen diejenigen Stellen mit gesperrter Schrift an, welche mit unserer Auffassung der Raumvorstellungen sich genau decken. „Pur- kinje unterscheidet zuerst wahre Bewegungen im organischen Subject, sowie auch ausserhalb dessselben, insofern sie sich auf Ortsveränderungen der Materie oder bestimmter Qualitäten derselben im realen Raume beziehen, von den scheinbaren Bewegungen, die zunächst im idealen Raume vor sich gehen und aufs Object übertragen werden. Dann gab er die Methode an, welche man anzuwenden hat, um von der objeetiven Anschauung zu abstrahiren und sich rein in den sub- jectiven Raum zu versetzen, welche Anschauungsweise er mit derjenigen vergleicht, in welcher der staargestochene Blindgeborene befangen ist, ehe er sich in allmählicher Uebung im objectiven Raume orientirt.“ Purkinje unterschied also, ganz wieich es später gethan, einen idealen (subjeetiven) Raum von dem realen (objectiven). Nun gehter auf die Hauptphaenomene der Schein- bewegungen sichtbarer Gegenstände ein und sagt: „Zur Erklärung wird ein allgemeiner Raumsinn angenommen, der alle specifischen Sinne beherrscht und ihre einzelnen Empfindungen und An- schauungen in sich einordnet.“ Diesem entspricht fast wörtlich meine oben eitirte Definition der Beziehungen unserer „Vorstellung von einem idealen Raume“ zu unseren „sämmtlichen übrigen Sinneseindrücken“. Wir sind mehreremal hier zurückgekommen auf die in unserer letzten Abhand- lung gegebene Erklärung des Gesichtsschwindels,? als entstanden durch „den Mangel an Uebereinstimmung zwischen unseren Sinneswahrnehmungen und unserer Vorstellung des idealen Raumes“ An der betreffenden Stelle zählen wir mehrere Beispiele auf, wodurch ein solcher Mangel an Uebereinstimmung veranlasst werden kann, wie plötzlich eingetretener Nystagmus, passive Augapfelbewegungen, mechanische Störungen innerhalb ISA. 2.0.18, 8322rDis 326. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 93 der Hirnsubstanz (bei der Rotation), Verletzungen der halbeirkelförmigen Canäle u. s. w. Purkinje führt schon mehrere ähnliche Beispiele an und erklärt das Entstehen des Schwindels ganz in der gleichen Weise; wir wollen nur drei anführen: 1. „Wird hingegen das Auge über die Maassen schnell bewegt, dass die Besinnung der Bewegung nicht folgen kann, so kann diese Compensation zwischen subjectiver Bewegung und orts- bestimmender Thätigkeit des Raumsinnes nicht erfolgen, und man trägt dann die Scheinbewegung ins Objeetive über. 2. Noch mehr findet dieses statt, wenn sich das Auge in einer unwillkürlichen Bewegung be- findet, wie z. B. beim Schwindel“ (es folgen dann die Selbstbeobachtungen Purkinje’s im Drehstuhl, sowie ähnliche Beobachtungen an Wahnsinnigen). „3. Während dem durch ungewöhnlichen Lichtreiz erregten Blinzeln der Augen erscheinen die Gegenstände ebenfalls in einer oscillirenden Bewegung aus demselben Grunde der Uebertragung des subjectiven Unwill- kürlichen aufs Objeetive.“ Purkinje hat alle diese Sätze noch vor der Veröffentlichung der Flourens’schen Versuche über die Bogengänge aufgestellt. Er konnte also keine Beziehungen zwischen der Art wie die Vorstellung von dem idealen oder subjeetiven Raume gebildet wird und den Empfindungen, welche die Bogengänge auslösen, vermuthen. Dagegen hat er die Beziehungen, welche zwischen diesem Raume und dem anderen, objeetiven Raume, so wie er durch unsere Sinneseindrücke gegeben ist, ganz genau festgestellt und den Unterschied zwischen diesen beiden Raumvorstellungen scharf praeecisirt, was leider von den meisten jüngeren Physiologen nicht geschieht, , welche bei ihren vermeintlichen Einwänden gegen meine Theorie des Raumsinnes diese beiden Vorstellungen fortwährend verwechseln. Wir müssten hier geradezu mehr als 20 Seiten unserer letzten Ab- handlung (S. 311 bis 332) wörtlich wiedergeben, wollten wir alle unsere An- _ sichten über die Bildung der Raumvorstellung, über die Erklärung der ver- schiedenen Formen des Schwindels, über die Stellung unserer Theorie zu den empiristischen und naturalistischen Theorien des binocularen Sehens, sowie zu den rein metaphysischen Auffassungen der Raumvorstellung erläutern. Begnügen wir uns mit dem Verweis auf die betreffenden Stellen unserer Abhandlung; ich füge nur hinzu, dass wir die Hauptzüge unserer Theorie nach jahrelangem Verfolgen dieser Frage und aller auf die Functionen des Ohrlabyrinthes gerichteten Untersuchungen, noch jetzt für vollgültig und unserem jetzigem Wissen am besten entsprechend halten. Unsere Theorie gipfelt in der Annahme, dass wir mit Hülfe der - die Bogengänge treffenden Erregungen Raumperceptionen empfangen, welche ganz unabhängig sind von den uns durch die anderen Sinnesorgane gelieferten Empfindungen über die 94 E. v. Cyox: Lage verschiedener Gegenstände im Raume, oder über die Be- ziehungen unseres Körpers zu diesen Gegenständen. Im Gegentheil; unserer Theorie nach vermögen wir die von den anderen Sinnesorganen erhaltenen Empfindungen nach aussen zu projieiren — erst dank unserer Vor- stellung von der Existenz eines uns umgebenden Raumes — die aus diesen Raumperceptionen entstanden ist. Diese Raumperceptionen begründen auch unser Selbstbewusstsein und gestatten, dass wir unser „Ich“ von der äusseren Welt als verschieden be- trachten, oder, wie Hensen ganz richtig meine Gedanken wiedergegeben hat, „dass wir nach unserem ursprünglichen Gefühle uns ais Mittelpunkt erscheinen, um welchen sich alle Körper drehen“. ! Dagegen glaube ich auf die wenigen ernstlichen Angriffe, welche gegen meine Theorie gerichtet wurden, etwas näher eingehen zu müssen. Auf rein speculative, von Philosophen herrührende Einwände braucht der Naturforscher wohl keine besonderen Rücksichten zu nehmen, sobald sie in Confliet mit sicheren Beobachtungen gerathen. Soviel mir bekannt, hat übrigens meine Theorie des Raumsinnes, wenigstens in Frankreich und England, bei den Metaphysikern eher Anklang gefunden. Den von Naturforschern gemachten Einwänden werde ich um so leichter ba- gegnen können, als dieselben fast ohne Ausnahme sämmtliehe thatsäch- iche Angaben, die mir zum Aufbau meiner Theorie gedient haben, als richtig anerkannt und theilweise, wie es z. B. bei Delage der Fall ist, durch neue Versuche an den verschiedensten Thierclassen bestätigt haben. Die gemachten Einwände tragen daher einen rein speculativen Charakter. Der erste mir bekannt gewordene Widerspruch meiner Auffassung der Rolle der Bogengänge als periphere Organe des Raumsinnes gehörte dem Professor Viguier,? welcher eine selbständige, auf magnetischen Strömungen in den Bogengängen beruhende Hypothese ihrer Functionen aufgestellt hat. Ich erwähne dieselbe nur, weil dieser Widerspruch auf einem Missverständ- niss beruht, der auch von mehreren anderen Forschern, wie z. B. Laborde, Exner u. A., begangen wurde. Der mehrfache Gebraueh des Wortes „Orientation“ in meiner Abhandlung hat zu der irrthümliehen Annahme geführt, als schriebe ich den Bogengängen die ausserordentliche Fähigkeit gewisser Thiere zu, sich zu orientiren. Die Bogengänge sollten danach ein Örientirungsorgan sein, dank welchem z. B. die wandernden Vögel ihren Weg finden und auch die Menschen in unbekannten Gegenden sich zurecht- zufinden wissen. Exner stellte sogar darauf bezügliche Versuche an, indem er Brieftauben auf einer Eisenbahnfahrt mitnahm und ihnen die Bogen- ! Handbuch der Physiologie, von L. Hermann. Bd. III. Theil 2. S. 141. 2 De sens de l’orientation ete. Paris 1882. Germer Bailliere. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 95 gänge elektrisch reizte, in der Hoffnung, sie auf diese Weise zu verwirren. Durch die Bogengänge sollten, wie er vermuthete, im Gehirn eine Art topographischer Aufnahmen der durchwanderten Gegend mit Hülfe der Kopf- beweeungen stattfinden, die dann der Taube auf der Rückreise zur Orien- tirang dienen. Wir besässen also in den Bogengängen ein automatisches kartographisches Institut. Nie ist mir eine solche Auffassung der Functionen der Bogengänge in den Sinn gekommen.! Ich gebrauchte das Wort „Orien- tirung“ nur in dem Sinne, dass wir uns mit Hülfe der von den Bogen- sängen ausgehenden Raumperceptionen in dem uns umgebenden äusseren Raum, sowohl in Bezug auf die Lage unseres Körpers, als auch auf die Vertheilung der von unserem Gesichts- oder Tastsinne wahrgenommenen Ge- genstände, unterrichten. Steiner glaubte meine aus den Versuchen an Neunaugen zu Gunsten dieser Theorie gezogenen Schlüsse dadurch zu entkräften, dass er die Schwierig- keit dieser Fische, das Gleichgewicht zu erhalten, und ihre sonderbare Schwimm- art nicht dem mangelnden Paare der Bogengänge zuschreibt, sondern dem Fehlen der Brust- und Bauchflossen. Man könnte dem entgegenhalten, dass . das Fehlen der zwei Flossen eben in Beziehung zu dem Mangel eines Bogengangpaares steht. Wenn die Neunaugen sich im Wasser nicht ruhig auf einer gewissen Höhe erhalten können, sondern wie unbelebte Körper zu Boden sinken, oder sich an andere Gegenstände ansaugen, so scheint dies nur meine Behauptung zu bestätigen, „dass die vorhandenen Canäle der Neunaugen dem horizontalen und dem oberen verticalen Canal ent- sprechen“, richtig ist. Der mangelnde Canal würde also der hintere, vertieale ein, welchem eben nach meiner Theorie die Empfindung der Richtungen nach oben und unten zukommt. Die zwei Flossen fehlen dem Neun- auge, eben weil sie ihm ohne diesen letzteren Bogengang auch nutzlos wären. Eingehender und dem Anschein nach gewichtiger sind die Einwände gegen meine Theorie, welche von Delage und Aubert gemacht worden sind. Der erste Einwand ist der, alle meine Versuche an Bogengängen „lassen sich ebenso wohl durch stürmische Drehungsempfindungen und ungeordnete excitomotorische Antriebe bei Reizung, als durch die Abwesenheit dieser näm- liehen Empfindungen und Antriebe bei Fällen von Lähmung derselben er- klären“.?2 Wir haben das Unhaltbare der Drehhypothese, sowie das Nichts- sagende der „excito-motorischen Antriebe“ genügend hervorgehoben, um mit Entschiedenheit bestreiten zu können, dass die Flourens’schen Er- scheinungen durch sie erklärt werden könnten. Dagegen ist es ganz richtig, ! Delage hat mich schon früher gegen dies Missverständniss vertheidigt. N. 2.0. 8.103. A. 2.0.8. 105. 96 E. v. Cyox: dass meine Theorie der Bildung der Raumvorstellungen nicht unentbehrlich für die Erklärung der durch Reizung oder Lähmung der Bogengänge ein- tretenden Bewegungsstörungen ist. Dazu habe ich sie ja auch gar nicht aufgestellt. Diese Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen habe ich ja selbst, wie ich hoffe, in überzeugender Weise durch die mangelhafte Regu- lirung der Innervationsstärken erklärt, welche von den Bogengängen den Muskeln der Augen, des Kopfes und des übrigen Körpers zugeführt werden, um unsere Bewegung zweckentsprechend zu machen. Die Theorie des Raumsinnes ist zuerst der Nothwendigkeit entspruugen, den Mechanismus und die Natur dieser Beeinflussung unserer motorischen Sphaere von dem Ohrlabyrinthe aus aufzuklären. Als ich schon bei den ersten Versuchen auf die intimen Beziehungen der Bogengänge zu dem Sehorgane und auf die Rolle, welche die Wahrnehmungen der Lage unseres Körpers im Raume spielen, aufmerksam wurde, leitete ich meine Erklärungs- versuche eben nach dieser Richtung hin. Die Abhängigkeit der Ebenen, in welchen die Zwangsbewegungen nach der Durchschneidung jedes einzelnen Bogenganges geschehen von der Ebene, in welcher dieser gelegen ist, sowie die anatomische Lagerung der Canäle in drei senkrecht zu einander stehenden Ebenen, den drei Dimensionen des Raumes entsprechend, gaben die nächste Veranlassung zum Aufbau meiner Theorie. Und als ich erst durch die Versuche über den Einfluss der Erregung der Bogengänge auf die Augen- bewegungen zu den oben entwickelten Ergebnissen gelangt war und daraus den Fundamentalsatz ableitete, dass die Bogengänge nothwendig in die Bildung unserer Raumvorstellung eingreifen müssen, da war der einzige Weg zu der weiteren Entwickelung meiner Theorie gezeigt. Das Bedürfniss, die Functionen der Bogengänge aufzuklären, war aber bekanntlich nicht die einzige Veranlassung zur Aufstellung meiner Theorie. Das Ungenügende unserer Kenntnisse über das Zustandekommen unserer Raumvorstellungen war sowohl für den Physiologen, als auch für den an natur- wissenschaftliches Denken gewöhnten Philosophen, wie z. B. Lotze, un- zweifelhaft. Wird dies doch schon durch die Thatsache selbst bewiesen, dass in der Physiologie zwei so unversöhnliche Theorien, wie die von Helmholtz und Hering verfochtenen, sich schroff gegenüberstehen können. Beiden Theorien wurde mit Recht vorgeworfen, „dass nichts in der Welt uns be- sreitlich erscheinen lassen könnte, weshalb ein System von Empfindungen, welches noch keinerlei Raumbegriff involvirt, nothwendiger Weise unter der Form des Raumes (Lotze) von drei Dimensionen percipirt werden müsse.‘! In der Theorie, dass die Erregungen der Bogengänge Raumempfin- dungen auslösen, dass diese Bogengänge also die peripheren Organe des Ara. OST LTR BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 97 Raumsinnes sind, fand ich die Möglichkeit, sowohl die Funstionen dieser Organe aufzuklären, als auch in unseren Begriffen über die Bildung der Raumvorstellung eine Lücke auszufüllen und, womöglich, eine Brücke zwischen den empiristischen und nativistischen Theorien zu schaffen. Aubert und Delage würden wohl zugeben, dass weder „die excito-motorischen Antriebe“, noch die „stürmischen Drehungsempfindungen“ eine solche Möglichkeit geber könnten. Der :zweite Einwand dieser Autoren war: „wenn die Canäle das peri- pherische Organ des Raumes sind, so muss Oyon anderswohin und in den Kopf die Drehungsempfindungen verlegen“. Dies ist ja schon längst von Purkinje geschehen. Die Forderung, dass, wenn ich ein besonderes Organ für den Raumsinn bezeichne, ich auch ein solches für den Zeitsinn finden muss, „für welches die Vorstellung völlig der für den Raum vom meta- physischen Standpunkte aus vergleichbar ist“,! kann ich wohl unberücksichtigt lassen. Metaphysische Standpunkte sind überhaupt für den Physiologen nicht bindend. Es würde auch nicht schwer fallen, zu behaupten, dass sogar, von einem solchen Standpunkte aus, Raum- und Zeitvorstellung nicht absolut vergleichbar sind. Wir wollen nur einige Sätze von Kant über diese Frage anführen; der denkende Leser wird wohl selbst die Differenzen herausfinden. „Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der irgend von einer Erfahrung ab- geleitet worden. Denn das Zugleichsein oder Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht a priori zum Grunde läge.“ Ist es wirklich so sicher, dass man die Vorstellung der Zeit nicht aus dem Aufeinanderfolgen der Wahr- nehmungen erklären könnte? „Sie (die Zeit) hat nur eine Dimension; verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacheinander, sowie ver- schiedene Räume nicht nacheinander, sondern zugleich sind.“? Liegt nicht in der Thatsache, dass wir uns die Vorstellung von einem Raume nur mit. drei Dimensionen bilden können, ein principieller Unterschied zwischen unseren Begriffen von Zeit und Raum? Viel ernster ist aber der folgende Einwand von Delage. „Die Vor- stellung des Raumes scheint zu denjenigen zu gehören, welche, einmal er- worben, nicht wieder erneuert zu werden brauchen. ... Was soll ein bleibendes Organ unter diesen Umständen nützen, statt eines vergänglichen Organes, wie der Thymus? Wenn im Gegentheil diese Vorstellung immer- fort erneuert werden muss, so verstehe ich nicht, wie die Kaninchen und ra. 0. SS. 107. ? Kritik der reinen Vernunft. Leipzig 1818. 8. 34. Archiv f. A.u. Ph. 1897, Physiol. Abthlg. — 98 E. v. Cyox: Tauben, denen Cyon die Gehörnerven durchschnitten hat, dahin gelangen können, sich aufrecht zu halten und zu gehen.“! Viel präeiser formulirte Hensen schon früher einen? ähnlichen Ein- wand: „Wir kennen aber bis jetzt keinen Fall, wo dieses Gefühl (des kaumes) nicht vorhanden oder verloren gegangen wäre, während die halb- eirkelförmigen Canäle muthmaasslich bei Taubstummen nicht immer functions- fähig und in der That derartige Befunde schon verzeichnet sind.“ Die Bogengänge dienen auch anderen Zwecken, als zur Bildung der Vorstellungen im Raume, mit Hülfe von Richtungs- oder Raumempfindungen. Nachgewiesenermaassen beherrschen ja die Bogengänge die Regulirung der Innervationsstärken. Ihre Function ist also anhaltend. „Die Ortsbewegung und die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes“ sind bei labyrinthlosen Tauben und Kaninchen in der That auf immer gestört, so- weit sie von einer regelmässigen und auf beiden Seiten gleichstarken Innervation ihrer Muskeln abhängig sind. Dies ist ja jetzt wohl über allen /weifel erhoben. Durch das Wegnehmen der Labyrinthe wird ja auch in unserem Gehirne nicht die einmal gebildete Vorstellung eines uns umgebenden Raumes zerstört; mit Hülfe der uns vom Gesichts- und Tastorgan ge- - lieferten Empfindungen können sich daher die labyrinthlosen Thiere noch weiter zurecht finden. Nicht viel schwieriger ist es, das Verhalten von Taubstummen, was ihre Bewegungssphaere anbetrifft, zu deuten. Die Beobachtungen von James, Kreidl, Strehl, Bruk u. A. stimmen alle darin überein, dass die Taubstummen häufig Abnormitäten in ihrem „stampfenden, schlürfen- den“ (Strehl) Gange zeigen, wie das Spreizen der Beine u. s. w., dass sie unfähig sind, sich mit einem Beine von einem Stuhle zu erheben, bei ge- schlossenen Augen das Gleichgewicht zu erhalten u. s. w. Die Differenzen zwischen den genannten Beobachtern beziehen sich nur auf das procen- tige Verhältniss der Bewegungsanomalien bei verschiedenen Taub- stummen; dies ist um so begreiflicher, da wir ja auch nichts Bestimmtes über die Zahl und den Grad der Bogenganganomalien bei den Taubstummen wissen. Dagegen stimmen die beobachteten Bewegungsanomalien bei Taub- stummen in auffallender Weise mit denjenigen überein, die man bei an Tabes leidenden Personen beobachtet. Diese Uebereinstimmung scheint mir von ganz ausserordentlicher Tragweite für das Verständniss des Mechanismus der Coordination der Bewegungen und der speciellen Rolle der Bogengänge zu sein. 171.,2..0228. 106. 2A.a. 0.8. 141. ® Ein Symptom, das Remak bei vielen Tabischen in seinen Vorlesungen zu de= monstriren pflegte, BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 99 In meiner letzten Abhandlung, noch vor der Veröffentlichung der erwähnten Beobachtungen an Taubstummen, bestand ich auf der Analogie gewisser Bewegungsstörungen bei Tabischen mit denen, welche man nach Zer- stöorung der Bogengänge beobachtet, namentlich, auf dem Einknicken der Beine beim Gehen. Die pathologischen Veränderungen bei Tabischen, welche diese analogen Störungen begleiten, sind ja grundverschieden. Bei ihnen rühren die Unregelmässigkeiten in der Vertheilung der Innervations- stärken von dem Ausfall oder der Exacerbation der tonischen Spannung der Muskeln ab, welche ihnen auf dem Wege der hinteren Wurzeln, haupt- sächlich von der ganzen sensiblen Hautfläche zugeführt werden.! Trotzdem die Bogengänge fortfahren, normal zu fungiren, ist also bei ihnen die Regu- . lierung der Innervationsstärken doch gestört. Bei labyrinthlosen Tauben ist der Reflextonus der Muskeln intact, aber der Regulator der Inner- vationsstärken ist weggefallen; das Resultat ist analog und nur graduell verschieden. Ein Theil der Taubstummen verhält sich in dieser Beziehung ganz wie die labyrinthlosen Tauben; das war «a priori voräuszusehen und ist auch seitdem bestätigt worden. Man sieht aus dieser Auseinandersetzung, wie verfehlt es war, aus den Flourens’schen Erscheinungen schliessen zu wollen, dass die Bogengänge die Muskelempfindungen (Bornhardt?), die Muskeln selbst (Ewald) be- herrschen oder gar den complicirten Reflexmechanismus auslösen, der in der That von sämmtlichen sensiblen Gebilden der Haut, der Sehnen, der Gelenkflächen u. s. w. veranlast wird (Breuer). Auf welchen anatomischen Bahnen, mit Hülfe welcher physiologischer Processe sollten solche unmög- liche Einwirkungen der Bogengänge stattfinden? Warum die so klaren und unzweifelhaften Einflüsse der sensiblen Sphaere auf das Zustande- kommen unserer Bewegungen, wie sie durch unzählige Untersuchungen dargethan sind, 2. B. noch in der neuesten Zeit durch die Durchschneidungen der hinteren Wurzeln des Plexus brachialis bei Affen (Sherrington), durch- aus den Bogengängen zuschreiben? Nur um unrettbare Hypothesen aufrecht zu erhalten, lohnt sich dies wahrlich nicht. Um auf die Beobachtungen an Taubstummen zurückzukommen, muss ‚ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen. Ich habe oben (V. Capitel) die Kreidl’schen Versuche einfach dadurch erklärt, dass nach meiner Theorie des Schwindels Taubstumme, bei welchen die Bogengänge functions- I Gesammelte Arbeiten. 8. 205 u. f. ® Dr. Bornhardt hat auf meine Veranlassung seine Untersuchung unternommen und mit Hülfe der in meinem Laboratorium üblichen Methoden ausgeführt, nachdem ich schon Petersburg verlassen hatte. Seine Hypothese der directen Mukelempfindungen scheint mir aus einer Verwechselung mit den Empfindungen der Innervationsstärken herzurühren. ME 100 E. v. Cyox: unfähig sind, nicht schwindelig werden können. Wenn der Gesichtsschwindel aus dem Mangel an Uebereinstimmung zwischen unserem idealen Raume, sowie er auf Grund der von den Bogengängen ausgehenden Empfindungen vorgestellt wird, und dem gesehenen Raume entsteht, so folgt daraus a priori, dass Taubstumme den Täuschungen des Gesichtsschwindels nicht unter- liegen können. Nun finde ich neuerdings in den so sorgfältig und ohne vorgefasste Mei- nungen ausgeführten Beobachtungen von Strehl, dass „den meisten Taub- stummen der Begriff Schwindel absolut unbekannt ist“! Strehl behauptet auch, dass Taubstumme gut und gerne tanzen. Ich bin über- zeugt, dass sie besonders unermüdlich walziren können, eben weil sie nicht schwindelig werden können. Es erreichen ja auch norinale leidenschaftliche Tänzer die Möglichkeit, den Schwindel zu bekämpfen, indem sie die Augen halb schliessen. Haben Taubstumme mit functionsunfähigen Bogengängen wirklich richtige Vorstellungen vom Raume, wie es Hensen zu vermuthen scheint? Ich glaube kaum. Hereditäre Vorstellungen können ja bis zu einem ge- wissen Grade existiren; ich möchte aber mit Sicherheit behaupten, dass‘ ihre Begriffe vom Raume ebenso mangelhaft sind, wie der Begriff des Schwindels. Erzieher und Lehrer von Taubstummen könnten uns darüber am besten belehren, besonders Lehrer der Geömetrie. Dass Leute mit er- krankten Bogengängen ihre einmal erworbenen Raumvorstellungen nicht einbüssen, ist ja leicht verständlich. Bleiben diese Vorstellungen auch ganz normal? Darüber sind mir bis jetzt keine ernstlichen Beobachtungen be- kannt. Der blinde Saunderson hat eine Geometrie geschrieben. Würde dies auch ein Taubstummgeborener, dem nachweislich die Bogengänge fehlen, thun können? Beobachtungen an Taubstummen müssten vorzugsweise in frühester Jugend beginnen, und parallel mit ähnlichen an normalen Kindern geführt werden. Die Entwickelung des Raumsinnes bei Kindern in den ersten Jahren, ja sogar Monaten, wird sicherlich beachtenswerthe Angaben liefern. Ich habe die intellectuelle Entwickelung meines Knaben : von seiner Geburt an mit der grössten Genauigkeit während der ersten vier Jahre seines Lebens fast ununterbrochen verfolgt, und manche interes- sante Beobachtung dabei gemacht. Seinerzeit werden dieselben auch wissenschaftlich verwerthet werden. Hier nur zwei Beispiele, die in das Gebiet der uns hier interessirenden Erscheinungen gehören, und die be- zeugen sollen, wie genau Kinder in der frühesten Jugend zu beobachten verstehen, eben weil sie weder definirte Kenntnisse noch Ansichten besitzen. ı Pflüger’s Archiv. Bd. LXIL. S. 223. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 101 Im Bette liegend, liess ich den Kleinen einmal umpurzeln. Sofort bemerkt er: „Ö’est dröle, la tete de papa est de l’autre cöte du lit!“ Diese Gesichts- täuschung amüsirte auch ihn so sehr, dass jedesmal, wenn er wünschte im Bette umgepurzelt zu werden, er sofort sagte: „Je veux vois la töte de papa de l’autre cöte du lit.“ Bei geschlossenen Augen amüsirte ihn das Purzelschlagen nicht im Geringsten. Ein anderes Mal führte der Knabe spielend eine Reihe schneller Kopf- wendungen um die verticale Axe aus. Ich riefihm streng zu, er möchte doch auf- hören diese Bewegungen zu machen. Der Kleine antwortet sofort, verschmitzt mich fixirend: „Mais c’est papa qui remue, ce n’est pas moi“. Die schein- bare Bewegung des fixirten Gegenstandes hat ihn sofort frappirt. Meinen Beobachtungen nach ist die Behauptung Preyer’s, dass Kinder in den ersten Monaten sich noch von der Tiefendimension keine Rechenschaft geben, jedenfalls nicht für alle Kinder geltend. Wir haben schon früher Bechterew’s Einwand gegen meine Theorie, als auf einem Missverständniss beruhend, zu entkräften gesucht. Bechterew stellt selbst eine Hypothese auf, die, wenn ich sie richtig verstanden habe, darauf hinausgeht, dass sämmtliche Gleichgewichtsempfindungen an der Bil- dung unserer Vorstellung vom Raume participiren. „Somit schaffen wir uns durch unmittelbar von uns pereipirte Empfindungen der Lage des Kopfes und des Körpers den Begriff über den uns umgebenden Raum mit drei Dimensionen, welcher nach der Meinung Kant’s als nothwendige Voraus- setzung, von welcher unser Bewusstsein sich sogar keinen Augenblick be- freien kann, erscheint.“ ..... „Die Projection der Empfindungen nach aussen muss unserer Meinung nach hauptsächlich von der Function besonderer Organe des Nervensystems, welche von uns Gleichgewichtsorgane genannt werden, abhängen.“! Wenn wir den Verfasser richtig verstehen, so nennt er Gleiehgewichtsempfindungen die Empfindungen, mit Hülfe welcher wir gewöhnlich das Gleichgewicht unseres Körpers erhalten können. Das scheint mir eine Verwechselung der Ursache mit den Folgen zu sein. Wie diese irrthümlich als Gleichgewichtsempfindungen bezeichneten Sensationen die Vorstellung eines Raumes bilden, und warum dieser Raum gerade von drei Dimensionen sein muss, ist mir aus den Erörterungen Bechterew’s nicht klar geworden. Dr. v. Stein warf meiner Theorie vor, dass sie schon von Auten- rieth aufgestellt worden sei. Wäre dies richtig, so könnte mir ein solches Zusammentreffen nur angenehm sein. Dem ist aber nicht so. Durch v. Stein aufmerksam gemacht, habe ich vergeblich bei Autenrieth nach einer Andeutung der Rolle der Bogengänge bei der Bildung der !A.a.0. 8. 136 u. 137. 102 E. v. Cyon: Vorstellung vom Raume gesucht. Dagegen sind seine Ausführungen über die Bedeutung der Bogengänge für die Schallrichtungen, besonders durch die vielen vergleichend anatomischen Erläuterungen von hohem In- teresse: ... „Die Verrichtung der halbzirkelförmigen Organe bestehe darin, die Richtung, in welcher ein Schall auf uns antrifit, zur Empfindung zu bringen“... Die halbzirkelförmigen Canäle sind so gelagert, „dass sie den drei Dimensionen des Cubus der Länge, Breite und Tiefe entsprechen, und dass jeder in einer dieser drei Richtungen ankommende Schall immer den einen Canal senkrecht auf seine Axe, den anderen der Länge derselben nach trifft.“ Autenrieth hat seine Schlüsse auf eine Reihe sehr interes- santen Versuche gegründet, welche Kerner über die Schallrichtung aus- geführt hat. Erst Preyer hat im Jahre 1887 den Versuch gemacht, die Auten- rieth’sche Auffassung der Rolle der Bogengänge mit meiner Theorie zu verschmelzen. Auf Grund von Versuchen über die Schallleitung, welche sein Schüler, Schäffer angestellt hat, und welche den Kerner’schen ziemlich analog sind, kam Preyer zu dem Schlusse: „Es ist also eine völlig leeitime Hypothese, wenn ich behaupte: die specifische Energie der Ampullarnerven ist, ein mit Schall verbundenes Ran zu geben, und zwar ein Richtungsgefühl.“ Schaltet man diesem Satze die drei Worte „mit Schall verbun- denes“ aus, welche die Erregungsart der Ampullarnerven betreffen, so stimmt Preyer’s „völlig legitime Hypothese“ ganz genau mit der von mir im Jahre 1878 gegebenen überein. Meine Freude über diese Zu- stimmung wird nur durch den Umstand gedämpft, dass die Versuche, auf Grund welcher Preyer meine Theorie adoptirt, zu den Raumempfindungen in keiner direeten Beziehung stehen; neue Beweise hat er also für die Theorie leider nicht geliefert. Preyer ist übrigens nicht der Einzige, der von Raumempfindungen der Bogengänge zu sprechen beginnt. Der eifrigste Verfechter des statischen Sinnes, Breuer, verschmäht es in seiner letzten Abhandlung nicht,” mehrmals von solchen „Raumempfindungen“, z. B. den „Raumempfindungen der lnkerseits operirten Thiere nach rechts gedreht zu werden“ u. s. w. zu sprechen ($. 282). Ja er will sogar finden, dass seine Theorie und die von Preyer „einander nicht ausschliessen“ (S. 301), und sucht einen Boden für deren Versöhnung in der Vermuthung, dass „aus den Empfindungen der Ampullen im Centrum wieder eine einheitliche räumliche Empfindung — der Schall- oder Drehungsrichtungen — gebildet werde.“ Mit anderen Worten, die Aussöhnung soll auf dem ! Reil’s Archiv für Physiologie. 1809. Bd. IX. ? Pflüger’s Archiv. 1891. BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 103 Boden meiner Theorie der Raum- oder Richtungsempfindungen geschehen. Es ist mir nicht ganz eimleuchtend, wie eine Schall- oder Drehempfindung in eine Raumempfindung umgewandelt werden soll. Man könnte höchstens den Schall oder die Drehung als Reize für die Ampullarnerven betrachten; die hervorgerufenen Empfindungen wären dann Richtungsempfindungen, die für jeden Bogengang, d.h. für jede Dimension einen specifischen Charakter haben müssten. Aus den drei Arten der Raumempfindungen würde dann unser Gehirn die Vorstellung eines Raumes von drei Dimensionen con- struiren. Ich gebe nieht die Hoffnung auf, dass Breuer auch noch diese Concession machen wird und seine Dreh- und statische Sinne ganz wird fallen lassen. Er würde darin nur dem Beispiele seines Vorgängers, Mach folgen, der, wie wir schon in der Einleitung hervorgehoben haben, seine frühere Hypothese aufgegeben hat. Wir wollen noch einige Citate dieser neueren Schrift an- führen,! die den Raumempfindungen gewidmet sind. Es ist nicht schwer zu ersehen, dass es genügen würde, die neuen Ansichten Mach’s etwas näher zu praecisiren, um sie in vollen Einklang mit meiner Theorie zu bringen. In dem Capitel: „Die Raumempfindungen der Augen“ scheint Mach ganz den Hering’schen Anschauungen zu huldigen: „Hierdurch theilen sich,“ sagt er,? „die Gesichtsempfindungen in Farbenempfindungen und unenpkindnneene Betrachtet man die Erläuterungen und die Beispiele Mach’s genauer, so entgeht einem doch nicht eine gewisse Differenz zwischen den Mach’schen und den Hering’schen Auffassungen. Was dort als Beispiel der, an- gegebenen Schlussfolgerung vorangeht (Vergleich einer gelben runden Frucht mit einer gelben kernförmigen Blüthe), könnte viel richtiger als Form- empfindung, denn als Raumempfindung bezeichnet werden. Die Differenz zwischen den beiden Auffassungen wird aber noch evidenter im zweiten Capitel, wo Mach eine ganz neue, schon von der Netzhaut ganz unabhängige Definition der Raumempfindung giebt: „Der Wille, Blickbewegungen auszuführen, oder die Innervation, ist die Raum- empfindung selbst“ (8. 57). „Alle diese Erscheinungen, sagt Mach weiter nachdem er mehrere Beispiele von bekannten Täuschungen angeführt hat, sind keine rein optischen, sondern sie sind von einer unverkenn- baren Bewegungsempfindung des ganzen Körpers begleitet. Es bleibt höchst wahrscheinlich, dass ein Organ im Kopfe existirt, wir wollen es das Endorgan (#0) nennen, welches auf Beschleunigungen reagirt, und durch dessen Vermittelung wir zur Kenntniss von Bewegungen ! Beiträge zur Analyse der a A Jena 1886. ZN 8.025.741. 104 E. v. Cyox: gelangen. Statt uns aber vorzustellen, dass es besondere Bewegungs- empfindungen giebt, welche von diesem Organe als einem Sinnesorgane ausgehen, können wir auch annehmen, dass dasselbe lediglich refleetorische Innervationen sind.‘“! Dieses Endorgan bilden die Bogengänge mit den Am- pullen. Die Innervationsvorgänge, welche dieselben reflectorisch beherrschen (wie dies aus unseren Versuchen zur Evidenz hervorgeht), dienen uns nach Mach zur Bildung unserer Raumvorstellungen; soweit sind wir also einig. „Die Erregungen der drei Canäle geben uns auf solche Weise Richtungs- empfindungen in drei auf einander senkrechten Ebenen und diese Empfindungen dienen zur Bildung der Vorstellung eines Raumes von drei Dimensionen.“ Dieser von mir gegebenen Praecisirung der in Be- tracht kommenden Vorgänge! stimmte Mach nicht ausdrücklich zu; es geht die Uebereinstimmung aber deutlich aus seinen folgenden Erörterungen (S. 73 bis 76) hervor. (Gleiche Richtungen [gesehener Iinien] sollen gleiche Innervationsempfindungen ergeben u. s. w.). Was Mach dann von dem „Raume des Geometers von dreifacher Mannigfaltigkeit“ und seinen Beziehungen zu dem optischen Raume spricht, ist ziemlich identisch mit dem, was ich von dem idealen Raume von drei Dimensionen (auch sub- _ jectivem Raum von Purkinje) im Gegensatze zu dem gesehenen (objeetiven Purkinje’s) gesagt habe. In meiner letzten Abhandlung habe ich schon hervorgehoben, wie sehr nahe Mach meiner Auffassung des Gesichtsschwindels war, so lange er sich auf die reine Beobachtung beschränkte. Ich führte namentlich folgende Stelle aus der Mach’schen Schrift an: „man sollte meinen, dass der°optische Raum auf einen anderen Raum projieirt werde, welchen wir. mit Hülfe unserer Bewegungsempfindungen construiren“. Es würde genügen, sagte ich damals, in diesen Zeilen von Mach das Wort „Bewegungs- empfindungen“ durch Raum- oder Richtungsempfindungen zu ersetzen, um seinen Vergleich mit meiner Theorie in Uebereinstimmung zu bringen. Auch Mach’s Beschreibung des Gesichtsschwindels ist interessant. „Es sieht so aus, als ob der sichtbare Raum sich in einem anderen drehen würde, den man für unverrückt festhält, obgleich letzterer nicht das mindest: Sichtbare kennzeichnet. Man möchte glauben, dass hinter dem Seh- raume ein zweiter Raum steht, auf welchen ersterer immer be- zogen wird.“ Dieser uns umgebende — und nicht hinter dem Sehraum stehende — Raum, ist eben der ideale, den wir vermittelst der Bogengänge pereipiren und auf den — oder vielleicht richtiger, indem — wir unser Gesichtsfeld projiciren. Das, was wir gewöhnlich als Sehraum 200° Son MOLIS: 5 DEAN 2UA: 335 BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 105 oder Tastraum bezeichnen, ist nichts Anderes, als die Projection unseres Seh- oder Tastfelds in dem von uns empfundenen, allseitig uns umgebenden und ins Unendliche sich ausbreitendem Raume. Die Deutung der einzelnen Sinnesphaenomene, der reellen, sowie der nur auf Täuschungen beruhenden, bietet nur wenig Schwierigkeiten, sobald man als Grundlage ein für alle Mal die Existenz solcher specieller Raum- empfindungen, sowie eines speciellen Raumsinnes in meiner Auffassung annimmt. Es würde mich zu weit führen, wollte ich diese Deutungsweise auch auf die zahlreichen von Mach in seiner letzten Schrift- angeführten Beobachtungen anwenden. Nur eine dieser letzteren will ich hier hervor- heben, weil dieselbe für das Verständniss unserer Auffassung der Raum- vorstellung von grossem Interesse ist. Die eigenthümliche Schwierigkeit, uns des Nachts beim Erwachen zu orientiren, hat wohl Jedermann oft be- merkt. Mach will sie durch unmittelbar dem Erwachen vorausgehende Träume erklären. Ich will hier eine Beobachtung dieser Art mittheilen, die ich unlängst während mehrerer Stunden machen konnte; für dieselbe gilt Mach’s Erklärung jedenfalls nicht. Ich muss vorausschicken, dass ich gewöhnlich gegen neun Uhr Abends zu Bette gehe und regelmässig zwischen ein und zwei Uhr Morgens aufwache; meistens gehe ich dann an den Arbeitstisch. Vor einigen Wochen auf der Reise, erwachte ich in meinem Hötelzimmer gegen zwei Uhr Morgens. In diesem Zimmer schlief ich zum ersten Male, und wie ge- wöhnlich war ich im ersten Augenblicke beim Erwachen im neuen Raume einigermassen desorientirt. Ich griff mit der linken Hand nach der Repetiruhr, um die Zeit zu erfahren, stiess aber dabei mit der Hand an die Wand, und erinnerte mich sofort, dass ich nicht in meinem gewöhnlichen Bette schlafe, das frei in der Mitte des Zimmers steht und nur mit der Kopf- seite sich an die Wand lehnt. Meine Uhr hängt gewöhnlich an der linken Bett- seite. Ich hatte einige Mühe mich zu orientiren, ohne die Augen auf- zumachen, und benutzte nun die langen Stunden, die ich schlaflos zubringen musste, über die Natur der Desorientation nachzudenken. Ich bemerkte, dass, trotzdem ich selbst vor dem Schlafengehen die mein Bett umgeben- den Gegenstände aufgestellt hatte, und mich dieser Aufstellung erinnerte, ich dennoch bei geschlossenen Augen in diesem Zimmer mich nicht zurechtfinden konnte. Ich wusste, dass ich nicht in meinem gewöhnlichen Schlafzimmer war, ich fühlte aber den mich umgebenden kaum in der Form meines Schlafzimmers mit der dortigen Vertheilung der Möbel, Lage der Thüren und Fenster u. s. w. Ein Beispiel zum Ver- ständniss.. Mein Schlafzimmer in Territet ist so gelegen, dass dieFenster ‚auf eine Terrasse ausgehen, welche bis an.den See reicht. Es können vor den Fenstern also keine Wagen vorbeifahren. Wenn ich einen Wagen’entfernt rasseln 106 E. v. Cyonx: höre, was selten geschieht, vernehme ich dies in entgegengesetzter Richtung des Hauses, d. h nach der Kopfseite meines Bettes. Im Hötel war die Wand meines Schlafzimmers, worin sich die Fenster befanden, gegenüber meinem Bette und gingen auf eine ziemlich belebte Pariser Strasse hinaus. In der betreffenden Nacht jnun, jedesmal wenn ein Wagen geräusch- voll vor meinen Fenstern vorbeifuhr, hörte ich das Gerassel nicht an der Seite, wo es wirklich geschah, sondern an der Kopfseite, also hinter mir. Ich konnte mir noch so oft sagen, dass dies nur Täuschung sein könne. Die Empfindung blieb dieselbe und der Schall wurde immer wieder an der falschen Seite vernommen. Oeffnete ich auf einen kurzen Augenblick die Augen und betrachtete das durch die Fensterladen schimmernde Licht, so konnte ich mich gleich orientiren, und in diesem Falle hörte ich auch das Wagengerassel an der richtigen Seite. Wie gewöhnlich im dunklen Raume, erschienen mir die Fenster viel entfernter, als sie wirklich waren, auch der Zwischenraum zwischen den beiden schien viel grösser zu sein. So- bald ich die Augen geschlossen hatte, empfand ich wieder den Raum meines eigenen Schlafzimmers, und mehrere Male, wenn ich, ohne gerade meine besondere Aufmerksamkeit darauf zu lenken, nach der Uhr oder einem anderen Gegenstande griff, der gewöhnlich an der linken Seite meines Bettes war, brachte mich erst das Anstossen an die Wand zum Bewusst- sein der Realität zurück: und trotzdem fühlte ich mich immer wieder in dem gewohnten Raume. Erst nach 1'/, stündigen Selbstbeobachtungen und Experimenten öffnete ich die Augen während zehn Minuten; als ich sie dann wieder schloss, war ich ohne Rückfall in meinem neuem Raume orientirt. Ich steckte ein Licht an und notirte diese Beobachtung. Dass wir immer, auch mit geschlossenen Augen, einen uns umgebenden Raum empfinden, ist wohl Jedem bekannt, der seine Empfindungen analysırt. Der empfundene Raum ist ganz unabhängig sowohl von dem vor dem Sehliessen der Augen gesehenen Raume, wie auch von den im gegebenen Augenblick empfundenen Tasteindruck. Erst wenn wir uns mit geschlossenen Augen in dem empfundenen Raume über die uns umgebenden Gegenstände orientiren wollen, gelangen wir dazu, uns den wirklichen optischen Raum zu vergegenwärtigen. Das Interessante der beschriebenen Beobachtung — und jeder wird leicht dieselbe wiederholen können, wenn er nach langer (Gewohnheit plötzlich in einem ungewohnten'Zimmer schläft und der eigen- thümlichen Desorientation verfällt — besteht darin, dass, trotzdem ich mir durch Nachdenken die wirkliche Einrichtung des Zimmers zum Bewusst- sein bringen konnte, ich bei geschlossenen Augen mich doch wieder in dem altgewohnten Raume fühlte, d. h. mir diesen letzteren als mich um- gebend vorstellen konnte. Die Empfindung des nur in der Erinne- rung fortbestehenden, also imaginären Raumes, behielt in meiner BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 107 Vorstellung die Oberhand über dem bewussten reellen Raum. Mit anderen Worten, ich konnte in den empfundenen Raum nur die- jenigen Gegenstände verlegen, welche ich gewohnheitsgemäss in denselben zu projieiren pflegte; damit ich in diesen Raum neue Gegenstände in un- sewohnter Anordnung zu übertragen vermöge, gehörten lange andauernde Gesichts- und Tastempfindungen, die ich von diesen Gegenständen erst er- halten musste, Ich erinnere mich noch einer analogen Täuschung, die ich vor Jahren zu machen Gelegenheit hatte. In Folge einer Verletzung in einem der Fingergelenke und einer Anschwellung der ganzen rechten Hand, musste ich mehrere Tage meinen Arm in abducirter Stellung, die Hand in die Höhe auf Kissen gestützt, halten. Ich sass dabei in einem hohen Lehn- sessel, und es begegnete mir natürlich mehrmals am Tage in dieser Stellung einzuschlafen. Gewöhnlich wurde ich aus dem Schlafe durch das. peinliche Prickeln in den Fingerspitzen beider Hände, in Folge des Einschlafens der Arme, geweckt. Dabei pflegte ich immer das Prickeln in den Finger- spitzen beider Hände empfinden, als wären beide an den Enden der Lehnarme des Sessels gelegen, d.h. an derselben Stelle, wo ich bei der normalen Lage meiner beiden Arme dieses Prickeln zu empfinden pflegte. Um dieser sonderbaren Täuschung in der Lage meiner rechten Hand zu ent- gehen, musste ich mit offenen Augen die Hand längere Zeit fixiren. Die Täu- schung wiederholte sich jedesmal unter den gleichen Umständen. Ich konnte noch so lange über die wirkliche Stellung meiner Hand nachdenken, die Empfindung projieirte sich immer an die falsche Stelle, so lange die Augen geschlossen blieben. Es wäre interessant, bei Amputirten zu unter- suchen, in welche Richtung sie beim Kribbeln ihre fehlenden Glieder ver- legen. Ich möchte zum Schlusse noch über eine Beobachtung berichten, bei welcher sowohl meine Tast- und Sehempfindungen gleichzeitig derselben Täuschung unterlagen; dieselbe steht zwar nur in indireeter Beziehung zu der uns hier beschäftigenden Frage, ist aber dennoch von Interesse. Im Salonwagen eines Eisenbahncoupes sass ich auf einem Sopha, das an die aussere Wand des Waggons angelehnt war. Mein linker Vorderarm ruhte auf der ziemlich hohen Lehne des Sophas, wobei mein Ring- und kleiner Finger auf dem Fensterrahmen lagen, die drei übrigen aber auf der Lehne. Wir fuhren in einen langen Tunnel hinein, und da fühlte ich plötzlich mit den beiden am Fensterrahmen ruhenden Fingern, dass die Wand des Wagens sammt den Fenstern stark zu wackeln begannen und heftige Schwankungen von innen nach aussen machten. Da der ganze Wagen dabei stark umhergeworfen wurde, bemerkte ich zu einem gegen- über sitzenden Nachbar, dass irgend etwas passirt sein müsse, weil die Wand 108 E. v. Cyon: stark schwanke. Als wir uns dem Ausgange des Tunnels näherten, sah ich das Wackeln der Wand ganz deutlich, also ganz in Uebereinstimmung mit den Empfindungen der beiden Finger. Erst mehrere Secunden nach- dem wir den "Tunnel verlassen hatten, gelang es mir, die Ursache der sonderbaren Täuschung zu finden; in der That wackelte wegen starker Erschütterung des Wagens auf den Schienen die Lehne des Sophas, die sich dabei der Fensterwand näherte. Die drei auf dieser Lehne ruhenden Finger, sowie der Arm näherten sich also dabei rhythmisch den beiden auf dem Fensterrahmen gelagerten Fingern: ich erhielt dagegen eine Be- wegungsempündung, als schwankten im Gegentheil die beiden unbewegten Finger. Mein Auge unterlag, vielleicht schon von dieser Täuschung des Tastgefühles beeinflusst, der analogen Täuschung und sah die Wand sammt Fenster schwanken und die Lehne des Sophas unbeweglich. Man sollte doch erwarten, dass die viel grössere Anzahl der vom Arm und den drei Fingern ausgehenden Bewegungsempfindungen eine Täuschung der räum- lichen Verhältnisse ausschliessen müsste; dennoch traf das Gegentheil ein, und zwar wahrscheinlich, weil ich aus der Unbeweglichkeit des ganzen Körpers auf dem feststehenden Sopha den unbewussten Schluss zog, dass das periodische Annähern der zwei Finger an die übrige Hand, von der dem Arm ertheilten Bewegung abhängig sei, und dieser falsche Schluss führte zu einer Täuschung der Sinne, in der Projection nach aussen, und der Empfindungsursachen ... . Es bleibt uns noch die Frage zu erörtern, in wie weit wir berechtigt sind, die Organe des Raumsinnes als ein specielles Sinnesorgan den übrigen Sinnesorganen analog zu betrachten. Die früher von mir zu Gunsten einer. solchen Betrachtung gelieferten Gründe scheinen mir auch jetzt noch voll- kräftig zu bestehen. Die Beobachtungen, welche seitdem von den Autoren gemacht worden sind, die, wie wir gesehen haben, sich unserer Auffassung genähert haben, sowie auch meine eigenen Beobachtungen können der Auffassung des Bogengangapparates als peripheres Organ für den Raum- sinn nur förderlich sein. Man dürfte deshalb nicht gerade von einem sechsten oder siebenten Sinne sprechen. Der Temperatursinn, welcher speciellen Endigungen peripherer Nervenenden zugeschrieben werden muss, wird‘ ja auch nur als eine weitere Specialisation der Organe des Tastsinnes betrachtet. Es würde mich nicht überraschen, wenn man wenigstens bei gewissen Thieren noch einen speciellen Spürsinn entdecken würde, der eine be- sondere Thätigkeitsäusserung des Organs für den Geruchsinn darstellen würde. In ähnlicher Weise könnten auch die Raumempfindungen als eine specielle Nebenfunction der Gehörorgane betrachtet werden. Der Raumsinn und die Raumempfindungen sind ja nicht erst in letzter Zeit, um mit Hensen zu sprechen, „von Physiologen im Menschen entdeckt worden“, sie sind ja seit BOGENGÄNGE UND RAUMSINN. 109 undenklicher Zeit bekannt gewesen. Wir haben nur ihre Entstehungsweise aufgeklärt und in den Bogengangapparat localisirt. Die Bezeichnung als specielles Sinnesorgan ist ja an sich auch von untergeordneter Bedeutung. Unendlich wichtiger wäre es, die Natur der Erregungen, welche die Bogengänge normal in Function versetzen, zu eruiren. Man wird die Stellung des Raumsinnes unter den anderen Sinnen erst dann mit Sicherheit praecisiren können, wenn uns die Ursache ihrer normalen Erregung genauer bekannt sein wird. Leider sind wir in dieser Beziehung bis jetzt nur auf Vermuthungen angewiesen. Wenigstens will es mir nicht scheinen, dass die zahlreichen in den letzten Jahren darauf gerichteten Untersuchungen uns jetzt schon gestatten positivere Angaben in dieser Rich- tung zu machen, als dies in unserer letzten Abhandlung geschehen ist. Breuer hat viel Scharfsinn und Mühe darauf verwendet um die so- genannte Otolithentheorie der Erregungen zu schaffen. Als befriedigend kann diese Theorie aber nicht betrachtet werden. Sie wird auf die durch Nichts bewiesene und sogar höchst unwahrscheinliche Annahme basirt, dass Kopfbewegungen das Ohrlabyrinth zu erregen vermögen. Wir haben schon mehrfach hervorgehoben, dass man viel mehr Gründe gegen, als für diese Annahme anführen könnte. Ausserdem scheint uns die Art und Weise, wie Kopfbewegungen, nach Breuer, Verschiebungen der Otolithen hervorbringen sollen, doch etwas zu primitiv für ein so complieirtes Organ; sie erinnert eben zu sehr an gewisse Kinderspielzeuge, die durch Bleigewichte von selbst die verticale Stellung einnehmen können. Bei dem so feinen Bau einzelner hier in Betracht kommender Theile des Ohr- labyrinthes müssen die Srregungsvurgänge sicherlich viel complieirter an- geordnet sein. Dazu kommt noch der Umstand hinzu, dass Säugethiere nur zwei Oto- lithenapparate besitzen, während man bei niedriger stehenden Organismen deren drei findet. Breuer’s Erklärung, diese Inferiorität rühre daher, dass Säugethiere nur Bewegungen in horizontalen Ebenen angepasst sind, ist doch kaum ernstlich gemeint. Die experimentellen Grundlagen der Otolithentheorie sind noch zu winzig und zu widersprechend, um entscheidende Schlüsse zu gestatten. Kreidl’s Versuche mit den Magneten sind in dieser Beziehung auch wohl kaum beweisend. Auf Exner’s Vorschlag hat bekanntlich Kreidl die glückliche Idee gehabt, den Krebsen Eisenpulver in die Otolithensäckehen hineinzubringen und mittels eines Magneten Bewegungen dieser eisernen Otolithen hervorzu- rufen. Bei den Versuchen zeigte es sich, dass wenn man den mit solchen Otolithen gefüllten Otocysten einen Electromagneten nähert, die Krebse sich vom Magneten zu entfernen suchen, 110 E. v. Cyox: Kreidl erklärt das Verhalten der Krebse, wobei sie anstatt der „physi- kalischen Anziehung“ des Magnetes zu folgen sich von ihm abwenden, dadurch dass die Verschiebung der Otolithen bei den Thieren falsche Wahrnehmungen von der Lage ihres Körpers zur Verticale erzeugen, indem die magnetische Kraft die normal wirkende „Schwerebeschleunigung“ modificirt. Diese Erklärung setzt bei den Krebsen mehr geometrische Kenntnisse voraus, als man beiihnen wohl annehmen darf. Man könnte ja die Bewegung der Krebse in einer Richtung, welche der Anziehungskraft des Magnetes entgegengesetzt ist, viel einfacher dadurch erklären, dass die sich nach dieser letzteren Richtung sammelnden Eisenotolithe bei den Thieren eine peinliche Empfindung hervorrufen, etwa wie wenn man an dieser Stelle mit einer Stecknadel die Wand des Säckchens reizte. Dieser peinlichen Empfindung suchen die Thiere durch Abwendung der betreffenden Theile zu entgehen. Wenn man denselben Versuch mit dem Einführen von Eisenstückchen in eine andere beliebige sensible Höhle ausgeführt hätte, so würde man sicherlich bei Annäherung eines Elektromaenetes beim Thiere auch eine Bewegung in einer der Anziehungskraft entgegengesetzten Rich- tung finden. ö Am wenigsten ist es gestattet aus diesen Versuchen auf das Vorhanden- sein eines statischen Sinnes oder eines Sinnes für Drehempfindungen zu schliessen, wie es Kreidl thut. Clark hat übrigens über die Gleichgewichtsphaenomene bei Crustaceen Beobachtungen veröffentlicht, die zeigen, dass bei einigen sehr beweglichen Arten derselben, die „great runners and swimmers“ sind, gar keine Oto- lithen in den Otoceysten vorhanden sind! Frederick Lee, der ebenso wie Clark Anhänger des statischen Sinnes ist, beobachtete nach Entfernung der Otolithen bei Haifischen keinen Einfluss auf die compensatorischen Bewe- gungen. Bei denselben Thieren fand Steiner dagegen während Zerrung der Otolithen sehr heftige Zwangsbewegungen, die er Schmerzäusserungen (in Folge von Reizungen des Acustieus) zuschreibt. Mit einem Worte, es lässt sich auch jetzt nichts Bestimmtes über die Rolle der Otolithen bei der Erregung der betreffenden Theile des Ohrlaby- rinthes aussagen. Breuer wirft mir daher mit Unrecht vor, dass ich mich in meiner letzten Abhandlung über die eventuelle Rolle der Otolithen nicht bestimmter ausgesprochen habe. Dies scheint mir auch jetzt unmöglich zu sein. Nicht viel praeciser sind die anderen Hypothesen über die Erregungs- arten der Ampullarnerven, wie z. B. die activen oder passiven Bewegungen der Härchen der Epithelialzellen u. s. w. Eines ist nur sicher: es liegen keine ernstlichen Gründe vor, die Möglichkeit zu bestreiten, dass die Erregung der Endorgane der Ampullarnerven durch Schwingungen der BOGENGÄNGE UND RAUMSInN. nl Luft oder des Wassers direct auf dem Wege des äusseren Gehörorgans oder indirect durch die Kopfleitung erzeugt werden können. Man muss daher vorläufig noch die Erregungsmomente für diese Nerven zuerst in den bekannten physiologischen Reizen der anderen Acusticusfasern suchen. Wenn ich mit geschlossenen Augen den Kopf unter Wasser tauche und mir dabei die Ohren durch die Daumen verstopfe, so verliere ich voll- ständig jede Kenntniss, sowohl über die Lage meines eigenen Körpers, als auch über die Raumverhältnisse der Umgebung. Für diese Art der Orien- tirang beim Menschen sind also die durch das äussere Ohr gelangenden lirregungen entschieden von Belang. Auf andere Thatsachen dieser Art habe ich schon in meinen früheren Arbeiten aufmerksam gemacht. In wie weit; die Bogengänge für die Bestimmung der Schallrichtungen benutzt werden, kann vorläufig, nach den bisherigen Versuchen von Auten- rieth, Kerner und Preyer-Schäffer, nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Territet (Schweiz), im August 1896. Ueber die verschiedenen Geschwindiekeiten, mit denen sich die atmosphärischen Gase im Wasser verbreiten, und über die biologische Bedeutung zweier von diesen | (srössen. Von G. Hüfner. Bekanntlich ist vor einer Reihe von Jahren von einigen Physikern die Vermuthung ausgesprochen worden, dass sich Gase, die in Flüssigkeiten gelöst sind, ebenso wie nach Fick die gelösten Salze, nach dem Fourier’- schen Gesetze der Wärmeleitung in ihren Lösungsmitteln weiter verbreiten. „Darnach verbreitet sich das Gas von Schicht zu Schicht, von den Orten, wo es in grösserer Dichte vorhanden ist, zu jenen, in welchen es eine kleinere Dichte besitzt, und die Art dieser Verbreitung kann aus der An- nahme abgeleitet werden, dass der Diffusionsstrom in jedem Orte innerhalb der Flüssigkeit dem Gefälle, welches die Dichte des Gases an diesem Orte besitzt, folgt und seine Stärke diesem Gefälle proportional ist. Der Factor, welcher, mit diesem Gefälle multiplieirt, die Gasmenge liefert, welche durch die Einheit des Querschnittes in der Zeiteinheit sich bewegt, ist der Diffusionscoöffieient.“! Wesentlich erst Stefan? ist es gelungen, nicht allen den Vorgane klar mathematisch zu formuliren, sondern auch den ersten experimentellen Beweis für die Richtigkeit der ausgesprochenen Vermuthung zu erbringen. Er zeigte am Beispiele der Kohlensäure, dass sich das Diffusionsgesetz ı Stefan, Ueber die Diffusion der Kohlensäure durch Wasser und Alkohol. Separatabdruck aus dem LXXVI. Bd. der Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften. 1878. II. Abthlg. Märzheft. »A.2.0, G. HüFNER: GESCHWINDIGKEIT D. ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WassER. 113 durch zwei Arten von Versuchen erweisen lässt, die beide durch eine ingeniöse Einfachheit ausgezeichnet sind. . Die erste Art besteht darin, „dass man Kohlensäure, welche in einem abgeschlossenen Raume unter constantem Drucke und bei gleicher Tem- peratur erhalten wird, mit der einen Endfläche einer langen Flüssigkeits- säule von constantem Querschnitte in Berührung bringt und die in be- stimmten Zeiten von der Flüssigkeit aufgenommenen Gasmengen misst.“ Die Beobachtungen ergeben alsdann, dass sich diese Gasmengen ver- halten wie die Quadratwurzeln aus den vom Beginne des Versuches an gerechneten Zeiten. Die zweite Art der Versuche besteht darin, „dass man Kohlensäure von der äusseren Luft durch einen kurzen Flüssigkeitsfaden absperrt. Die Kohlensäure diffundirt durch diesen Cylinder in den äusseren Raum, und wenn alle Bedingungen gleich erhalten werden, so tritt ein Beharrungs- zustand in der Diffusionsbewegung ein, in welchem die in gleichen Zeiten in den freien Raum ausgetretenen Kohlensäuremengen gleich werden. Die in der Zeiteinheit austretende Menge des Gases ist der Länge der Flüssig- keitssäule verkehrt proportional.“ Bei den Versuchen der ersten Art ist die in die Flüssigkeit eindringende Gasmenge durch die Gleichung bestimmt: P=2ugy/*, (1) worin & den Bunsen’schen Absorptionscoöfficienten des Gases für die Flüssigkeit, g den Querschnitt der Flüssigkeitssäule, k den Diffusions- coöfficienten und Z die Zeit in Tagen bedeutet, während nz seine übliche Bedeutung behält. Durch den Werth von «, multiplieirt mit dem Drucke p des über der Flüssigkeit befindlichen Gases, ist die Dichte gegeben, welche das gelöste Gas in der oberflächlichsten Schicht besitzt. Gleicht der herrschende Druck also nicht der Druckeinheit (= I Atmosphäre), so muss, wenn v die absolute Gasmenge angeben soll, welche diffundirt, die Gleichung lauten: 7 kt In ay- a) Die bei den Versuchen der zweiten Art austretende Gasmenge lässt sich dagegen nach der einfachen Formel berechnen: ke u, (8) in welcher / die Länge der Flüssigkeitssäule oder die Dicke der Wasser- schicht angiebt, durch die das Gas hindurchdringen muss. Auch hier ist es nöthig, wenn der Druck von der Druckeinheit abweicht, den Werth von « Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 8 114 G.“HÜFNER: noch mit dem vorhandenen Gasdrucke, =: zu multiplieiren, damit genau der Sättigungsgrad bestimmt sei, der auf derjenigen Seite der Flüssigkeit herrscht, auf welcher das Gas eintritt. Wegen der geringen Diffusionsgeschwindigkeit, die der Kohlensäure eigenthümlich ist, wählte Stefan als Zeiteinheit den Tag; als Längen- einheit aber behielt er das Centimeter. Er fand so durch Versuche der ersten Art den Diffusionscoefficienten der Kohlensäure für Wasser von 16 bis 17° gleich 1.36%, nach Versuchen der zweiten Art gleich 1-41, im Mittel also gleich 1.38 m. Bei der grossen physiologischen Bedeutung mancher Naturvorgänge, in denen gerade die Diffusion unserer atmosphärischen Gase in wässerigen Flüssigkeiten eine wesentliche Rolle spielt, schien es mir dringend noth- wendig, den Diffusionscoeffieienten auch des Sauerstofis durch Versuche festzustellen. | Zwar lassen sich nach der von Fr. Exner! aufgestellten Regel, dass die Geschwindigkeiten, mit denen die einzelnen Gase durch Wasser diffun- diren, sich umgekehrt verhalten wie die Quadratwurzeln aus deren speci- - fischen Gewichten, die Diffusionscoefficienten aller übrigen Gase mit Hülfe des für die Kohlensäure gefundenen und der bezüglichen specifischen Ge- wichte ohne Weiteres berechnen; allein es blieb doch fraglich, ob sich die genannte Regel, die zunächst nur an unendlich dünnen Flüssigkeitslamellen erprobt war, auch bei Anwendung dickerer Flüssigkeitsschichten bewähren würde. Ich habe deshalb eine eigene Reihe dahin gehender Versuche mit sechs verschiedenen Gasen durchgeführt, und zwar nach zwei von einander ab- weichenden Verfahren, die sich in Wiedemann’s Annalen? ausführlich beschrieben finden. Ueber das hauptsächlich eingeschlagene Verfahren möge nur so viel bemerkt werden, dass dabei senkrechte Wassersäulen von 5 bis 20” Höhe und 7.8 bis 13.4 "m Querdurchmesser zur Anwendung kamen, die von entsprechend breiten, aber selten mehr als 0-5 wm dicken Hydrophanplatten getragen wurden. Da die Hydrophanplatten natürlich selber von Wasser durchtränkt waren, so ging, mochte nun das Gas von oben oder von unten in die Wassersäule eintreten, mochte also sein Ein- tritt oder sein Austritt durch die Platten erfolgen, die Diffusion doch allent- halben durch die Flüssigkeit vor sich. Ich gebe hier nur die Versuchsresultate, und stelle sie in der folgenden Tabelle mit den Zahlen zusammen, die nach der Exner’schen Regel be- rechnet sind. .. X Poggendorff’s Annalen. 1875. Bd. CLV. S. 321 u. 448. ® Wiedemann’s Annalen. 1897. Bd. LX. 8. 134. GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 115 k Name des Gases het efinden Bemerkungen 1-41 i Kohlensäure ..... . - — af: 38 een 1-37 Hydrophanversuch Want. 202.) 0 | las |) Mrdvopkanrersuche | 7.53 Capillarversuch eo. . . .. 1-62 1-62 Si es a 1.73 1-73 | Hydrophanversuche Stickstofoxydul . . . . 1-34 1-35 BAlngeast a3 Lies arsi jacke 1.087 1-098 | Capillarversuch Wie man sieht, stimmen die gefundenen Zahlen mit den berechneten meist sehr befriedigend überein.: Sie gelten sämmtlich für die Temperatur von etwa 16° und: beziehen sich auf den Tag als Zeit- und auf das Centi- meter als Längeneinheit. I. Ueber die Beziehung des Diffusionscoöffiecienten des Sauer- stoffs zum Naturhaushalt im Grossen. Aus allen Untersuchungen über den Gasgehalt der Seeen und Meere, so viele deren auch bis jetzt angestellt worden sind, geht so viel hervor, dass das Wasser selbst bis in die grössten Tiefen hinab gemäss den vor- handenen Bedingungen: 1. des Atmosphärendruckes, 2. seiner Temperatur und seines Salzgekaltes wohl mit Stickstoff, nicht dagegen mit Sauerstoff gesättigt ist; ja es lässt sich sogar als Regel aussprechen, dass der Sauer- stoffgehalt mit der Tiefe abnimmt.! So fanden es zuerst O. Jacobsen, der Chemiker der Pommerania-Expedition vom Jahre 1871, kurze Zeit später J. Y. Buchanan,° der an der bekannten Challenger-Expedition, und Hercules Tornöe,* der an der norwegischen Nordmeer- Expedition (1877) Theil nahm. Während aber Buchanan im südlichen Polarmeere gefunden hätte, dass der Procentgehalt an Sauerstoff bis zu etwa 300 Faden (etwa = 600”) Tiefe erst abnimmt, um dann bei weiter zunehmender Tiefe wieder etwas zu steigen, kam Tornöe für die Nordmeere zu dem Resultate, dass der Sauerstoffgehalt allerdings auch dort bis zu der Tiefe von 300 Faden ! Hercules Tornöe, Resultate der norwegischen Nordmeerexpedition. Kolbe’s Journal. 1879. Bd. XIX. S8. 401. ? Liebig’s Annalen. Bd. CLXVM. S. 1. % Berliner chem. Berichte. Bd. XI. S. 410. *A.2.0. 8* 116 (+. HÜrNER: erst schnell, dann langsamer sinkt, danach aber in grösseren Tiefen wesent- lich constant bleibt. Auf den von der österreichischen Regierung während der Jahre 1890 bis 1893 ausgeführten Mittelmeer-Expeditionen sind reichliche Bei- träge zur Kenntniss der Gasvertheilung im Mittelmeerwasser gesammelt worden, und namentlich hat Natterer,! der Chemiker dieser Expeditionen, durch die Untersuchung sehr zahlreicher, den verschiedensten Tiefen ent- nommenen Wasserproben festgestellt, dass das Deficit an Sauerstoff im östlichen Mittelmeere unterhalb 400” Tiefe durchgehends über 20 Procent, unmittelbar am Boden des Meeres aber (in 3700” Tiefe) sogar 56 Procent des berechneten Gehaltes beträgt. Die gleiche Erscheinung abnehmenden Sauerstoffgehaltes mit zunehmender Tiefe fanden J. Walter?” im Jahre 1880 für den Genfer- und F. Hoppe- Seyler,®? bei einer Reihe von Versuchen, die in den Jahren 1891 bis 1892 ausgeführt wurden, für den Bodensee. Da beide Gase, der Sauerstoff wie der Stickstofl, immer gleichzeitig in das Wasser eindringen können, beide auch von allen Veränderungen des Druckes der Atmosphäre, sowie der Temperatur und des Bewegungszustandes des Wassers immer gleichzeitig getroffen werden, und da endlich auch die Diffusionscoöfficienten beider Gase (vergl. obige Tabelle) nur unbedeutend von einander verschieden sind, so ist ein physikalischer Grund, weshalb das Meer- und Seeenwasser nicht in jeder Tiefe eben so gut mit Sauer- stoff wie mit Stickstoff gesättigt sein dürfte, nicht aufzufinden. Besteht daher wirklich ein solches Deficit, so kann die Ursache davon lediglich in einem steten Verbrauche des Sauerstofis liegen, sei es durch Lebensprocesse mannigfacher Art, sei es durch Oxydationsvorgänge rein chemischer Natur. Mit Hülfe unserer Kenntniss vom Absorptionscoöfficienten des Sauer- stoffs für Meerwasser und auf Grund einer ungefähren Schätzung der Wassermasse, von der unsere Erde zum grössten Theile bedeckt ist, würde es ja möglich sein, auch die Sauerstofimenge anzugeben, die eine so grosse Wassermasse unter dem normalen Partiardrucke dieses Gases in der 1 Denkschriften der kaiserl. Akademie der Wissenschaften der naturwissen- schaftlichen Classe. 1892—1894. Bd. LIX, LX u. LXI. — Jeder Band enthält an- gefügt einen Bericht der „Commission für Erforschung des östlichen Mittelmeeres“, worin auch die Arbeiten Natterer’s. ® F. A. Forel la faune profonde des lacs Suisses, p. 44 in Neue Denkschriften der Allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften. Zürich 1885. Bd. XXIX. ® Hoppe-Seyler, Ueber die Vertheilung absorbirter Gase im Wasser des Boden- sees u. s. w. Sonderabdruck aus dem 24. Hefte der Schriften des Vereins für Ge- schichte des Bodensees und seiner Umgebung. 1896. (FESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 117 Atmosphäre und bei einer gewissen mittleren Temperatur im Maximum gelöst enthalten könnte. Ein Vergleich dieser Menge mit dem oben- erwähnten, in grösserer Tiefe statthabenden Deficitt würde, wenn auch keine genaue Vorstellung, so doch eine Ahnung von dem gewaltigen Ver- brauche geben, dem der Sauerstoff auch ausserhalb des uns umgebenden Luftkreises, dem er unter der Oberfläche des Meeres unterworfen ist. Es möge genügen, damit wir uns von den Proportionen dieser Art des Naturhaushaltes wenigstens eine einigermaassen genügende Vorstellung bilden können, an beschränktere Verhältnisse anzuknüpfen und zwar an die Beobachtungen, die man über die Gasvertheilung in unserem enger um- grenzten heimischen Bodensee gemacht hat. Der Bodensee und zwar der zwischen Constanz und Bregenz liegende Theil desselben, der sogenannte Obersee, besitzt eine Oberfläche von etwa 539 Quadratkilometern und stellt eine Wassermasse dar, die neuerdings — mittlerer Wasserstand vorausgesetzt — auf 47609 Millionen Cubikmeter geschätzt worden ist.! Der Luftdruck, der auf seiner Oberfläche lastet, beträgt im Mittel 725", der mittlere Partiardruck des Sauerstoffs also 192,0: Nehmen wir einmal an, die mittlere Temperatur des Bodenseewassers betrage 10° und sein Absorptionsvermögen für Sauerstoff sei gleich dem des reinen Wassers, also & bei 10° gleich 0,038, so wird der Bodensee im Maximum eine Sauerstoffmenge, red. auf 0° und 760 "m Druck, enthalten können, welche gleich ist | 47 609.109. 0-038.725.0-21 760 — 362-4 Millionen Cubikmeter oder 362400 Millionen Liter. Nimmt man den täglichen Sauerstoffverbrauch des einzelnen Menschen za 432 Liter an, so würde ein solcher Sauerstoffgehalt des Bodensees hin- reichen, um 16 Tage lang die Athmung der gesammten Bevölkerung Deutschlands — dieselbe zu rund 52 Millionen geschätzt — zu unter- halten. Fragt man nun, wie viel Zeit dazu gehören würde, um dem Boden- see dieses gewaltige Sauerstoffguantum lediglich durch Diffusion durch seine Oberfläche von der Atmosphäre aus zuzuführen, so lässt sich diese Frage mit Hülfe von obiger Gleichung (2), unter Einsetzung der bekannten Werthe von «&, p, g und A, sofort berechnen, — freilich nur unter zweierlei ! Hoppe-Seyler, a. a. 0. S. 17. 118 G. Hürner: Einschränkungen: 1. unter der, dass der See allenthalben von unendlicher Tiefe und 2. dass das Wasser darin während der ganzen Dauer der Diffusion absolut ruhig, d. h. frei von jeglicher Strömung: sei. Sei die Temperatur wieder 10°, also x = 0-038, feıner k = 1-62, und drücken wir, da dieser letztere Werth sich auf den Tag als Zeit- und auf das Centimeter als Längeneinheit bezieht, die Grösse g (hier die Ober- fläche des Sees) in Quadratcentimetern und die Gasmenge v, red. auf 0° und 760=m Druck, in Cubikcentimetern aus, so lautet Gleichung (2) in Zahlen 362400.10 =: nn. NT 539 105 60 3.14 Darnach wird 1.62 |0-076. 152-25.539. 1010 = 37820900 Tage oder 103619 Jahre. In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse freilich anders. Zunächst ist der See ja nicht von unendlicher Tiefe: dieser Umstand muss die zur Ein- führung der bewussten Sauerstoffmenge erforderliche Zeitdauer erheblich verlängern. Sodann aber ist sein Wasser nicht frei von Strömungen mannie- fachster Art: diese werden im umgekehrten Sinne wirken. Was den ersteren Umstand betrifft, so ist klar, dass bei begrenzter Tiefe ein Zeitpunkt kommen wird, wo die am weitesten vorgeschobenen Sauerstofftheilchen auf den Boden treffen und zurückstauen. Dadurch muss das Gefälle noch rascher als sonst vermindert und folglich auch der Diffusionsstrom noch mehr geschwächt werden. Da nun aber doch im Laufe der Zeit immer mehr Sauerstofftheilchen am Boden anlangen, so wird auch diese abnorme Abnahme des Gefälles fortdauern und damit die entsprechende Schwächung des Stromes. Der Zeitpunkt aber, wo endlich völlige Sättigung eintritt, wird weiter und weiter hinausgeschoben. ! Um noch eine klarere Vorstellung zu gewinnen von der allmählichen Verbreitung und Vertheilung eines Gases in einer unendlich tiefen Wasser- säule, durch deren obere Endfläche es unter constantem Drucke eindringen kann, wollen wir um der Einfachheit willen einmal nach der Zeit fragen, die vergehen muss, bis ein einziger Cubikcentimeter. Sauerstoff unter dem constanten Drucke einer vollen Atmosphäre durch ein Quadratcentimeter der Oberfläche hindurch getreten ist. Wir nehmen dabei an, dass die N 3.14 (Oeone mer .5 | ! Meinem Collegen, dem Prof. der mathematischen Physik C. Waitz hier, ver- danke ich hierüber folgende wörtliche Mittheilung: „Nimmt man an, der Bodensee sei 250 Meter tief und der Sauerstoff gelange nur durch ungestörte Diffusion von der 2 Oberfläche in das Wasser, so wären bei einem Diffusionscoöffieienten = 1:62 Tag rund 1160000 Jahre nöthig, um das Bodenseewasser mit Sauerstoff zu sättigen.“ GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM Wasser. 119 Wassersäule selbst allenthalben denselben Querschnitt von nur einem Quadrat- centimeter habe, und lassen in betreff der Temperatur und des Absorptions- coefficienten die gleichen Annahmen wie oben gelten. Mit Hülfe der aus Gleichung (1) abgeleiteten Formel n[ v \2 um on) erhalten wir, wenn wir für die einzelnen Zeichen ihre Zahlenwerthe ein- setzen, aaa 2 t= lem) = 335-7 Tage. Zugleich erfahren wir die Tiefe, bis zu welcher dann die äussersten Sauerstofftheilchen vorgedrungen sein werden, durch Multiplication von zZ mit A. Sie beträgt 335-.7.1-.62 =544 m, ‘ In derselben Weise berechnet sich die für das Eindringen von 2 m nöthige Zeit zu 1343 Tagen und die für 3°" zu 3022 Tagen. Folgende kleine Tabelle giebt eine Zusammenstellung einiger solch’ eintretender Sauerstoffvolumina mit den dazu gehörigen Zeiten und Tiefen. Sasmenge un Daun Zeit in Tagen Tiefe in Metern bei 0° u. 760 mm 1:0 335-7 5.44 2:0 1343 0 21°76 3.0 3022-0 48-95 4-0 5369-0 86-98 5.0 8389-0 135.90 6-0 12080: 6 195.71 7.0 164433 266.39 s-0 214770 347.93 Die Zusammenstellung lehrt, wie tief bereits die äussersten Gastheil- chen vorgedrungen sein müssen, ehe ein so unbedeutendes Volumen, wie 8m, die oberflächlichste Wasserschicht passirt hat. Sie zeigt aber ferner auch, eine wie lange Zeit vergehen muss, bis überhaupt die äussersten Theilchen in eine gewisse Tiefe gelangt sind. Die grösste Tiefe des Bodensees misst 250”. Dazu, um bis da hinab zu gelangen, braucht ein Sauerstofftheilchen _. = 15432 Tage oder 42 Jahre und 102 Tage. Die Menge des Sauerstofis, die dann bei einem constanten Drucke von 760m durch die Flächeneinheit des Seespiegels eingetreten wäre, beträgt aber erst 6-.78° =". Wirkt nun vollends nicht 120 G. Hürner: ein Sauerstoffdruck von 760, sondern nur ein solcher von 725.0-21 — 152.25 "m, so redueirt sich dieses Volumen sogar noch auf 1-36 m, Nimmt man freilich nicht bloss die Flächeneinheit von 1 Quadrat- centimeter, sondern die ganze Oberfläche des Sees, = 539 Quadratkilometer, in Rechnung, so ist schon diejenige Sauerstoffmenge, die innerhalb des kurzen Zeitraumes einer einzigen Minute unter dem Partiardrucke von 152.25 "m in sein Wasser — dasselbe natürlich immer luftfrei gedacht — eintreten kann, beträchtlich genug; denn 2.0.038.725.0-21 599,110 „/1.62, 1 sie it = SOSE ER 760 3.14 1440 — 15539000000 en = 1553 Cubikmeter in 1 Minute, also ein Quantum, gross genug, um während der gleichen Zeit das Sauer- stoffbedürfniss von 5177 000 Menschen, d.h. etwa der Gesammtbevölkerung des Königreichs Baiern, zu befriedigen. Es wurde oben die von Hoppe-Seyler erwiesene Thatsache mitgetheilt, dass, wie im Weltmeere, so auch im Bodensee die tieferen Wasserschichten, ja schon diejenigen, die sich nur 5 Meter unter der Oberfläche befinden, weniger Sauerstoff enthalten, als die höher gelegenen, oder gar als die ganz Oberflächlichen. Dieses Deficit macht Hoppe-Seyler’s Berechnung zu- folge für alle tieferen Schichten — nur die unmittelbar den Boden be- rührende ausgenommen, wo es beinahe drei mal so gross wird — ungefähr 0.68°em auf das Liter Wasser aus. Berechnet man aber das unter den vorhandenen Temperatur- und Druckbedingungen zur völligen Sättigung des Seewassers nöthige Sauerstoffquantum nicht, wie es Hoppe-Seyler um der Kürze willen gethan, durch Multiplication der gefundenen Stickgas- menge mit einem für alle Temperaturen constanten Quotienten, sondern unter Anwendung des besonderen, nur für die jeweilige Temperatur gültigen Absorptionscoöfficienten des Sauerstoffs, so findet man das Deficit noch grösser, und zwar beträgt es dann etwa 1-15 im Verhältniss zu dem theoretischen Gehalte von S-8°em im Liter, d.h. alsu etwa 13 Procent. Es ist nicht festgestellt, ob die Sauerstoffvertheilung sich allenthalben im See so verhält, wie sie Hoppe-Seyler zunächst nur an fünf ver- schiedenen Stellen desselben gefunden hat; ebenso wenig wie wir wissen» ob sie in allen Jahreszeiten — Hoppe-Seyler machte seine Unter- suchungen nur im September und October — die gleiche ist; aber wir wollen beides einmal annehmen und darnach in absolutem Maasse die Grösse des Sauerstoffdeficits berechnen, das dann den ganzen See beträfe. Es wurde bereits mehrfach angegeben, dass der See eine Oberfläche von 539 Quadratkilometern besitzt. Ziehen wir von seiner Gesammtwasser- masse, deren Schätzungswerth gleichfalls schon oben angeführt wurde, eine GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. zalı Schieht ab, die eben jene Oberfläche und 5 Meter Dicke hat, so behalten wir übrig 47609.10% — 2695.10% = 44914 Millionen Cubikmeter. Das wäre die Wassermenge, an deren theoretischem Sauerstofigehalte durchweg 13 Procent fehlen. Der theoretische Gehalt, abermals berechnet für 10° und 152.25 "m Druck, wäre gleich 341 885 Millionen Liter und das Deficit = 44445 Millionen Liter. Von dieser letzteren Sunme könnte die Athmung von 103 Millionen Menschen einen Tag lang unterhalten werden. Ehe dieselbe aber dem See durch blosse regelrechte Diffusion von der Oberfläche aus ersetzt sein würde, müsste abermals eine Zeit vergehen, die — natürlich wiederum unter der Vorraussetzung unbegrenzter Tiefe des Sees und völliger Luftlosigkeit des Wassers — gleich wäre 3-14 Ee ’ 1-62 | 0-076.152-25.539. 1010 — 568550 Tagen oder nahezu 558 Jahren. Ich führe alle diese Berechnungen nur deshalb durch, um 1. einen Begriff von dem erstaunlichen Umfange der jedenfalls wesentlich physio- logischen Oxydationsprocesse zu geben, die dazu nöthig waren, das gewaltige Sauerstoffdefieit im Bodensee überhaupt erst zu schaffen; sodann aber auch 2. um zu zeigen, wie wenig die ruhige, nicht von Strömungen unterstützte, Diffusion allein genügen würde, um den durch jene Processe bedingten stetigen Verbrauch zu decken. Die Länge der Zeit, innerhalb deren sich das Deficit überhaupt gebildet hat, entzieht sich freilich jeder sicheren Schätzung. Dass es aber besteht, und dass es dauernd besteht gleichzeitig mit dem Zustande voll- ständiger Sättigung des Wassers mit Stickstoff, beweist, dass selbst alle diejenigen Einflüsse, die, wie Brandung und schäumender Wogenschlag, den Eintritt des Gases in die Flüssigkeit, oder, wie vertical und schräg abwärts gehende Strömungen, seine Verbreitung nach der Tiefe beschleunigen müssen, — dass selbst derartige Einflüsse, die ja wohl täglich wirksam ‘ sind, nicht ausreichen, den Sauerstoffgehalt zurück auf normale Höhe zu bringen und darauf zu erhalten. Den Biologen reizt es, die Frage aufzuwerfen, wie gross wohl der tägliche Sauerstoffverbrauch im Bodensee sein möchte. Derselbe lässt sich in der That, wenn auch nur sehr annähernd, schätzen. Wir brauchen nämlich nur die Annahme zu machen, dass allerdings die Wassermassen, die dem See täglich durch die mancherlei Flüsse zugeführt werden, voll- ständig mit Sauerstoff gesättigt: ankommen, dass sie aber von dem mit- gebrachten Sauerstoff schon während des ersten Tages nach ihrer Ankunft im See etwa 12 Procent verlieren, und dass nun Wasser von einem ent- sprechend verminderten Sauerstoffgehalte in diesem zurückbleibt. Man hat 122 G. Hürner: die bei Constanz aus dem See ausfliessende Wassermenge auf 278 Cubik- meter pro Secunde geschätzt.! Das macht auf den Tag 2400000 Cubik- meter, Ebenso gross, — unter Nichtbeachtung dessen, was verdunstet, — wollen wir die Wassermenge rechnen, die täglich in den See hineinfliesst. Nun ist die Sauerstoffmenge, die sich unter den hier ein für alle Mal angenommenen Bedingungen des Druckes und der Temperatur in dieser Wassermasse lösen kann, 725.0-21 = 2400000.38. folglich entspricht der Verlust von 12. Procent der Summe von 2192400 Liter. Das wäre also das fragliche Sauerstoffguantum, das hauptsächlich zu Zwecken physiologischer Oxydationsprocesse täglich innerhalb des Sees ver- braucht wird. Es wäre, wie man sieht, gross genug, um einen Tag lang den Athmungsprocess von etwas über 5000 Menschen zu unterhalten. — 18270000 Liter: Ob aber sämmtliches Wasser, das unserem See durch seine Flüsse zugeführt wird, auch wirklich den idealen Sauerstoffgehalt besitzt, ist frei- lich noch keineswegs festgestellt. | Erst ziemlich weit unterhalb des See’s, am Rheinfall bei Schaffhausen, macht die Natur in grossartigem Maassstabe gewissermaassen einen an- dauernden Absorptions-Schüttelversuch, bei welchem innerhalb weniger Secunden eben so viele hundert Cubikmeter Wasser, als dem See in der gleichen Zeit entströmen, zu Schaum geschlagen: werden. Es würde sich verlohnen, durch den Versuch zu prüfen, ob das Wasser des Rheins unmittelbar unterhalb des Falles in der That dem Drucke und der Temperatur gemäss mit Sauerstoff gesättigt ist. II. Ueber die Beziehung der Diffusionscoefficienten des Sauerstoffs und der Kohlensäure zur Athmung des Menschen. Wichtiger und von eingreifenderem Einflusse, als auf den Naturhaus- halt im Grossen, sind die Diffusionscoöffieienten der oben genannten Gase auf die kleineren Diffusionsvorgänge, die sich im Inneren der lebenden Organismen abspielen, und vor Allem auf den respiratorischen Gaswechsel des Menschen. Dazu uns über diese Vorgänge eine klarere Vorstellung zu verschaflen, sind gerade jene Versuche geeignet, die zur Ermittelung der Diffusions- ! Honsell, Der Bodensee und die Tieferlegung seiner Hochwasserstände. Stuttgart 1879. S. 57. GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE ıM WASSER. 123 eoöfficienten obiger Gase mit wasserdurchtränkten Hydrophanplatten unter- nommen wurden. Ehe ein Gas aus den Alveolen in das Blut der Lungencapillaren über- treten kann, muss es zuvor deren Wand durchdringen, die durchaus kein so widerstandsloses und undichtes Häutchen ist. Wie alle unsere biegsamen und elastischen Gewebe ist auch sie völlig mit Wasser durchtränkt, und sie verhält sich im gewissen Sinne ähnlich wie meine mit Wasser durch- tränkten Platten aus Hydrophan. Hier wie dort ein Gerüst, das dem Ganzen Form und Halt giebt, und zwischen den Balken desselben Lücken und Hohlräume, mit Wasser erfüllt, das in Folge von Capillarattraetion ziemlich fest an den Gerüsttheilen haftet. In beiden Fällen ist es allein dieses Wasser, durch welches das Gas diffundiren kann; weshalb denn das Gas auch dem oben erläuterten Diffu- sionsgesetze gehorchen muss. Denken wir uns einmal ein Flächenstück einer solchen Capillarwand, so gross wie ein Quadratcentimeter, als trennende Membran zwischen zwei Gase geschaltet, die beide im Stande sind, durch Wasser zu diffundiren; und denken wir uns weiter, es sei auf irgend eine Weise dafür gesorgt, dass der Druck jedes der beiden Gase auf der einen Seite immer gleich hoch, auf der anderen dagegen entweder stets gleich Null oder wenigstens gleich niedrig bleibe, so wird sich für jeden einzelnen Diffusionsvorgang bald jener Beharrungszustand einstellen, bei welchem in gleichen Zeiten gleiche Gasvolumina durch die Wand hindurchgehen, und für welchen die oben (S. 113) erläuterte Gleichung (3) gilt: agkt aus Beide Theile des grossen Diffusionsprocesses, der sich in der lebenden Lunge vollzieht, sowohl derjenige, der den Sauerstoff aus dem Alveolarraum in das Blut der Capillaren, wie der andere, der gleichzeitig, aber umgekehrt, die Kohlensäure aus dem Blute in den benachbarten Luftraum befördert, verhalten sich zusammen dem oben angenommenen Falle bis auf den einen Punkt analog, dass in der Lunge durch die Capillarwand nicht ein Luft- raum von einem andern Luftraum, sondern vielmehr von einer vorüber- strömenden Flüssigkeit getrennt ist. Wir werden im Folgenden zunächst den ersten der beiden Diffusions- vorgänge, also die Diffusion des Sauerstoffes, etwas eingehender betrachten. Hier wird der Bedingung, dass der Sauerstoffdruck auf der einen Seite der Membran, d. h. im Luftraum der Alveolen, möglichst auf gleicher Höhe erhalten werde, durch den Mechanismus der Exspiration, der zweiten dagegen, dass der Sauerstoffdruck auf der andern Seite der Membran, d. h. an der 124 (@&. HÜrNER: Grenze zwischen Capillarwand und strömender Flüssigkeit, möglichst gleich 0 oder wenigstens gleich niedrig erhalten bleibe, durch das vorüber- strömende venöse Blut Genüge geleistet, insofern letzteres die aus der Capillarwand austretenden Sauerstofftheilchen sofort aufnimmt und mit sich fortführt. Zwar kann der Sauerstoffdruck auf der Blutseite der Wand während des Lebens niemals ganz auf Q herunter sinken; denn auch das venöse Blut enthält in seinem Plasma stets noch so viel Sauerstoff gelöst, als es unter einem Partiardrucke dieses Gases von etwa 4m (Queck- silber aufzunehmen vermag:! allein es wird doch jedenfalls die Differenz zwischen den auf den beiden Seiten der Membran herrschenden Sauerstoff- drücken annähernd constant erhalten werden. Damit ist nun die Analogie zwischen der natürlichen Sauerstoffdiffusion in der Lunge und unseren an Hydrophanplatten angestellten Diffusions- versuchen deutlich erwiesen, und es muss deshalb gestattet sein, auch obige Gleichung (3) auf die Verhältnisse der ersteren anzuwenden, z. B. zu dem Zwecke, die unter bestimmten Bedingungen in der Lunge diffun- dirende Sauerstoffmenge ziffernmässig festzustellen. Wir bedürfen dazu ausser der Kenntniss von « und k noch derjenigen des wirksamen Druckes p, ferner der Grösse der Diffusionsfläche, g, und endlich der Grösse Z, d. i. des „Diffusions-Wasserwerthes“? oder des Diffusionswiderstandes der Scheide- wand, gemessen am Widerstande einer Wasserschicht von 1°” Dicke. Was den Partiardruck betrifft, den der Sauerstoff der Lungenluft im Mittel auszuüben vermag, so dürfen wir denselben, da sich der Gesammt- druck der feuchten Lungenluft zusammensetzt aus der Tension des ge- sättigten Wasserdampfes (bei 37° = 46-.6"m) und aus den Partiardrücken des Stickstoffs, Sauerstoffs und der Kohlensäure, und da im Besonderen der Procentgehalt der trocknen Exspirationsluft an Sauerstoff durchschnitt- 16-(760— 46-6) SEID von dieser Zahl noch die oben genannte Sauerstoffspannung des venösen Plasmas im Betrage von 4m ab, so ist der bei der Diffusion wirksame Partiardruck p = 110". lich rund 16 Procent beträgt, = — 114 "m 3 setzen. Ziehen wir ! Hüfner, Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1890. 8.1. ? Vgl. über diesen Begriff meine Abhandlung: Ueber die Bestimmung der Diffu- sionscoefficienten einiger Gase für Wasser. Wiedemann’s Annalen. 1807. Bd. LX. S. 134. ® Diese Zahl ist jedenfalls noch zu hoch, da ja der Sauerstoffgehalt der Alveolar- luft noch geringer sein muss, als derjenige der Exspirationsluft. — Beträgt z. B. das exspirirte Volumen 500 eem, so sind darin 5-16=80 «em Sauerstoff. Rechnen wir nun den schädlichen Raum, der mit Luft von 21 Procent Sauerstoff erfüllt war, in runder Zahl, = 100, so enthalten die übrigen 400 eem zusammen SO— 21=59 ccm Sauerstoff, und ihr Procentgehalt daran ist also = 14-8. GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 125 Das Areal der athmenden Lunge oder die Grösse der Diffusionsfläche, das g unserer Gleichung, berechnet Zuntz in seiner vortrefflichen Be- arbeitung der „Physiologie der Blutgase und des respiratorischen Gas- wechsels“! zu 90 Quadratmetern. Davon kommen etwa ?/,, sagen wir 70 Quadratmeter, auf die dem Luftraume zugekehrten Wände der die Alveolen austapecirenden Capillaren.? Es erübrigt jetzt nur noch eine genügende Schätzung der Grösse Z. Man hat den Durchmesser einer Lungencapillare im Mittel = 0.01" gefunden.? Ueber die Dicke ihrer Wand aber liegen directe Angaben bis jetzt nicht vor. Dass diese nur sehr gering sein kann, folgt daraus, dass der Hohlraum der Capillare für Blutkörperchen, deren grösster Durch- messer durchschnittlich 0.008" beträgt, noch eben durchgängig sein muss, Andererseits ist die früher strittige Frage, ob die ganze innere Lungen- oberfläche noch mit einem zarten Plattenepithel ausgekleidet ist, schon seit einer Reihe von Jahren durchaus im positiven Sinne entschieden.“ Die Capillaren sind also vom Luftraume des Alveolus noch durch ein zartes Häutchen geschieden, das allerdings kaum dicker als 0.002 "m ist. Alles in Allem dürfte der Diekedurchmesser des zwischen Blut und Luft geschalteten Gewebes höchstens 0.004 "® betragen. Wie hoch dürfen wir den Diffusionswiderstand einer solchen Schicht, gemessen an dem Diffusionswiderstande von i“® Wasser, schätzen? Zu einer solchen Schätzung mögen folgende Betrachtungen eine Unter- lage bieten. Es ist klar, dass die Capillarwand eine hinlängliche Festigkeit besitzen muss, so dass sie nicht etwa unter dem im Innern der Capillare herrschenden Blutdrucke zerreisst. Sie muss ferner aber auch genügend dicht, d. h. ihre Poren müssen eng genug sein, um nicht bloss den Durchtritt von Blut- körperchen, sondern auch eine rasche Filtration von Wasser,°® die sonst ! Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1882. Bd. IV. 2. Theil. S. 90. ? Vgl. hierzu indessen die weiter unten (8. 127) gemachten Bemerkungen. 3 Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 3. Aufl. 8. 482. — Es heisst daselbst: ‚„Gefässchen von 0:003—0-005"".““ 0:004' sind aber etwa=0-01 "m, * Küttner, Virchow’s Archiv. 1876. Bd. LXVI. 8. 12. — Kölfiker, Zur Kenntniss des Baues der Lunge des Menschen. Separatabdruck aus den Werhand- lungen der phys.-med. Gesellschaft zu Würzburg. N. F. 1881. Bd. XVI. Der Breitedurchmesser der grösseren Platten wird von Kölliker auf 0-.064—0.076 wm geschätzt. 5 Allerdings scheiden wir durch die Lunge täglich auch etwa 1 Liter, in der Minute also 0-7 eem Wasser aus. Das ist aber äusserst wenig auf eine Oberfläche von mindestens 90 Quadratmetern — Wir haben mit dieser Grösse nur insofern zu rechnen, 126 G. Hürner: unausbleiblich wäre, zu verhindern. Man schätzt den in den Pulmonal- arterien herrschenden Druck im Allgemeinen zu !/, desjenigen, den das Blut in der Arteria carotis übt. Das gleiche Verhältniss wird man auch zwischen den Drücken annehmen dürfen, die in den entsprechenden Capil- laren herrschen. Nun ist nach v. Kries! der Druck in den Capillaren des äusseren Ohres etwa dem von 20 =m Quecksilber gleich; er dürfte des- halb in den Lungencapillaren gewiss nicht weniger als 5"= Quecksilber betragen. Es ist wohl nicht anzunehmen, dass eine Scheidewand, die ganz aus Wasser bestände und dabei nur eine Dicke von 0.01" hesässe, einem solchen Drucke ohne Zerreissung widerstehen könnte. Will man daher als Maassstab für die im Nenner unserer Gleichung stehende Grösse Z eine Wasserschicht von der Dicke eines Öentimeters wählen, so hat man Z/ jeden- falls grösser als = 0-01”” zu setzen. Das Beispiel des wasserdurchtränkten Hydrophans hat gelehrt, dass die Menge des in der Zeiteinheit durch eine solche Platte diffundirenden Gases in zweierlei Weise durch die Beschaffenheit der letzteren beeinflusst werden muss: 1. indem die Platte als siebförmiges Gebilde den Querschnitt verringert, 2. indem sie nicht von kurzen Canälen, die direct und gerade von der einen Seite zur andern gehen, sondern von männigfach zusammen- hängenden Hohlräumen durchsetzt ist, die den Weg verlängern, den die diffundirenden Molecüle zu durchlaufen haben. Der erste Fall muss, der zweite kann auch für die Capillarwand, sowie für das darüber liegende Plattenepithel, zutreffen. Die Versuche mit dem Hydrophan hatten ferner gelehrt, dass eine 0.5wm dieke Platte desselben im wasserdurchtränkten Zustande dem Durch- gange unserer beiden Gase einen gleich grossen Widerstand entgegensetzt wie eine Wasserschicht von gleichem Querschnitt, aber der 20 bis 24fachen Dicke? Wir wollen in unserem Falle annehmen, dass die Wand, die das Blut von der Lungenluft trennt, dem Durchgange der Luft keinen grösseren Widerstand bietet, als eine Wasserschicht von 10Ofacher Dicke, und wollen demnach die Grösse Z vorläufig gleich 0.04” oder 0-004® setzen. Wir nehmen ferner den Absorptionscoöfficienten des Sauerstoffs für die Gewebeflüssigkeit gleich dem für reines Wasser an, erhalten also für als sie uns zeigt, dass das Wasser innerhalb des Lungengewebes nicht ganz absolut frei von Strömung ist. Die Riehtung dieser Strömung kommt aber nicht der Sauer- stoffaufnahme, sondern der Kohlensäureausscheidung zu Gute. 1! Berichte der k. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Math.-physik. Classe. 1875. Bd. XXVL. S. 149. ? A..a. ©. GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 127 und zwar für das bei 37° eültige die Zahl 0.02450;? und endlich wollen wir zugeben, dass der »Diffusionscoöfficient k bei 37° nicht mehr 1.62 wie bei 16°, sondern, da sein Werth möglicherweise mit dem Quadrat der absoluten Temperatur wächst, = 1-68 sei, und können nunmehr alle Zeichen unserer Gleichung durch Zahlenwerthe ersetzen. Aus = Th wird somit __ 0.0245.110 700000 _ TU760 0.004 —= 1042600 m, Das wäre also das auf Null-Grad und 760%” Druck reducirte Sauer- stoffvolumen, das während eines Tages und bei gewöhnlichem Luftdrucke im Maximum durch die Lungenoberfläche eines Erwachsenen ins Blut diffundiren kann. Das während einer Minute diffundirende Sauerstoffvolumen wäre daher OL m = are | Diese Zahl scheint in der That auffallend klein, und sie mag nament- lich demjenigen viel zu klein vorkommen, der sich gewöhnt hat, die hier in Betracht kommenden Widerstände mit denen der dünnen, aus Seifen- wasser bestehenden, Lamellen in eine Linie zu stellen, mit denen Exner bei seinen bekannten Versuchen operirte. Indessen werden wir bald sehen,” dass die in dieser Hinsicht von mir vorgenommenen Schätzungen den wirklichen Thatbestand sehr nahe treffen. Für die Grösse g freilich, d. h. also für das Areal der athmenden Lunge, darf vielleicht ein etwas grösserer Werth angenommen werden, als oben geschah. Frühere Anatomen (Huschke) schätzten dasselbe auf 2000 Quadratfuss = 200 Quadratmeter, also mehr als zweimal so gross als Zuntz. Nehmen wir aus beiden Zahlen, der Huschke’schen und derjenigen von Zuntz das Mittel, so erhalten wir etwa 140 Quadratmeter, und setzen wir diese Zahl ohne allen Abzug in unsere Gleichung ein, so wird die pro Minute diffundirende Sauerstoffmenge freilich doppelt so gross als vorhin, d. h. 1448 m; allein immer bleibt sie dann doch noch weit hinter den Vorstellungen zurück, die man sich eine Zeit lang von ihrer Grösse gemacht hatte. Nach Speck’s® Untersuchungen kommt der Sauerstofiverbrauch eines © 1.68 ! Winkler, Zeitschrift für physikalische Chemie. Bd. IX. S. 171. — Die im Texte angegebene Zahl ist durch geradlinige Interpolation gewonnen. * Vergl. weiter unten, S. 131, bei der Berechnung der Druckgrösse, die bei der Diffusion der Kohlensäure wirksam ist. ® Siehe die Zusammenstellung bei Zuntz, Hermann’s Handbuch. A. a. O. S. 144. 128 G. Hürner: erwachsenen Mannes pro Minute etwa 361m gleich. Da nun aber diese Menge nach Hirn’s! und Zuntz’s? Versuchen durch Arbeit auf das Vier- bis Fünffache gesteigert wird, so ist sofort begreiflich, dass eine Herabsetzung des Atmosphärendrucks bis nahe auf die Hälfte — wie z. B. in der berüchtigten, in der Höhe von 4350” auf der Andeskette gelegenen Bergstadt Cerro de Pasco — die Athmung und damit die Leistungsfähigkeit des Menschen deswegen schädigen muss, weil dann unserem Körper innerhalb einer be- stimmten Zeit nicht mehr diejenige Sauerstoffmenge durch Diffusion zu- geführt wird, deren er für die gleiche Zeit, namentlich wenn er Arbeit leisten soll, bedarf. Die Sauerstoffmenge, die er unter halbem Drucke von aussen erhält, würde, wenn man das athmende Lungenareal zu 70 Quadrat- meter annimmt, nicht mehr als 362 «m betragen, also eben noch ausreichen, um den ruhenden Menschen zu versorgen, aber durchaus nicht mehr, um seinen durch Arbeit auf das Mehrfache erhöhten Bedarf zu decken. Daher die Mattigkeit beim Gehen und besonders beim Steigen und andererseits das plötzliche Verschwinden aller beängstigenden Symptome mit dem Auf- hören der Bewegung und nach dem Niedersitzen, wovon alle Reisenden, die die hohen Anden besucht haben, übereinstimmend berichten.’ Aber auch bei Einsetzung des doppelten Werthes von g in die Gleichung ist die unter halbem Drucke in der Minute diffundirende Sauerstoffmenge, 724 °°m, immer noch gering genug, um die genannten Erscheinungen, nament- lich die Schwächezustände bei anstrengender Muskelarbeit, ausreichend zu erklären. Ich habe schon früher * die durch die Thierversuche verschiedener Forscher bewiesene Thatsache, dass das Blut infolge stark, d.h. bis auf die Hälfte und noch weiter verminderten Atmosphärendruckes allmählich an Sauerstoff verarmt, ebenso wie manche andere Physiologen, auf die nächst- liegende Weise, d. h. durch die einfache physikalische Thatsache zu er- klären versucht, dass unter der Hälfte oder einem Drittel eines bestimmten Druckes eben nur noch halb oder ein Drittel so viel Gas durch eine Mem- bran diffundiren kann, wie unter dem vollen Drucke. Ich habe aber namentlich durch eine Reihe von Messungen nachgewiesen,’ dass unter einem Drucke und bei einer Temperatur, wo das Blut des lebenden Thieres ı H. Vierordt, Daten und Tabellen. II. Aufl. S. 175. ® Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1890. S. 371. 3 Vergl. vor Allem A. v. Humboldt’s Kleinere Schriften. 1853. Bd.I. 8. 147 und 191; ferner Pöppig, Aeise in Chile, Peru und auf dem Amazonenstrome. 1836. Bd. II. 8. safl. * Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1890. 8.1. SAN a.LOETSES: (GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 129 in der That bereits merklich an Sauerstoff verarmt, die Dissociation des Oxyhaemoglobins noch eine äusserst geringe ist, und speciell habe ich ge- zeigt, dass bei einem Partiardrucke des Sauerstoffis von 50 "", also bei etwa einem Drittel des normalen, nicht einmal ganze 5 Procent dieses Körpers zerfallen sind. Man müsse also, so schloss ich damals,! die Ursache der Sauerstoffverarmung, wenn sie bei solchen Drucken am lebenden Thiere beobachtet werde, anderswo suchen, als in der Dissociation jener Sauerstofl- verbindung. Bekannte Thatsachen der Geographie und die Beobachtungen und An- gaben aller Reisenden, die nach eigener Erfahrung über die durch Sauer- stoffmangel hervorgerufene Bergkrankheit berichtet haben,? sprechen dafür, dass man sich an den Aufenthalt in der verdünnten Luft grosser Höhen allmählich gewöhnen kann; derart, dass sogar die körperliche Leistungs- fähigkeit Staunen erregen muss, die man von Leuten entwickelt sieht, die schon Jahre lang an sehr hoch gelegenen Orten wohnen, an Orten, wo der neue Ankömmling von den ärgsten Qualen der Bergkrankheit über- fallen wird. Eine solche Gewöhnung ist aber nur dadurch möglich, das allmählich, sei es durch Verbesserung der Athemmechanik (tiefere Inspirationen sind nicht bloss geeignet, mehr Sauerstoff in den Lungenraum zu befördern, sondern gewiss auch manche Lungenpartien überhaupt erst in Dienst zu stellen und damit das Athemareal zu vergrössern), sei es durch Vermehrung der rothen Körperchen, Compensationen geschaffen werden, die nun auch unter vermindertem Drucke wiederum eine grössere und auch für den arbeitenden Menschen genügende sowohl Zufuhr wie Aufnahme von Sauer- stoff ermöglichen. Läge nun die Schuld des Sauerstoffmangels, statt an einer verminder- ten Zufuhr durch Diffusion, lediglich an der zu frühzeitigen Dissociation unseres Oxyhaemoglobins, so wäre das ein Fehler, der sich — wenn man namentlich auch noch eine Compensation durch absolute Vermehrung der Blutkörperchen von sich weist — nicht mehr, auch nicht durch eine ver- besserte Athemmechanik, tiefere und ausgiebigere Inspirationen, beseitigen und ausgleichen liesse; denn das Blut wäre ja dann auf keine Weise mehr im Stande das frühere grosse Sauerstoffguantum, auch wenn es ihm ge- boten würde, noch ferner in sich aufzunehmen. Und so bliebe denn, um die thatsächlich erfolgende und beobachtete Anpassung des Organismus an die neuen Athembedingungen dennoch zu erklären, nichts anderes als die DNS as 078. 21: ? Ich verweise noch einmal auf Pöppig, a.a. 0. S.88ff.; ferner auf Tschudi, Peru, Reisescizzen aus den Jahren 1838—1842. 1846. Bd. 1I. 3. 69. Archiv £ A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 9 130 G. Hürner: erstaunliche Annahme übrig, dass im Laufe der Zeit, oft schon eines halben Jahres,! überhaupt eine ganz neue Art Blutfarbstofl! angezüchtet werden könne, eine solche, die sich erst unter bedeutend niedrigerem Drucke in gleichem Maasse dissociirte, wie angeblich das gewöhnliche Oxyhaemoelobin. Gerade der Umstand, dass veränderte Athemmechanik, namentlich Vertiefung der Athemzüge,? hier Abhülfe zu schaflen vermag, beweist aufs Deutlichste, dass es hauptsächlich auf die Schaffung günstigerer Diffusions- bedingungen in der Lunge (grössere Diffusionsfläche bei Erhaltung des mög- lichen Druckmaximums) ankommt. Diese günstigeren Diffusionsbedingungen erleichtern und befördern aber nur die Zufuhr des Sauerstofs zum Blute; der einmal gesunkenen chemischen Capacität des Blutes könnten sie nicht aufhelfen. Sie würden das ursprüngliche Aufspeicherungsvermögen des- selben für Sauerstoff nicht wieder hertstellen können, wenn das durch Ver- tiefung der Athemzüge erreichbare Druckmaximum selber schon einen Druck darstellt, bei welchem die Dissociation bereits einen gefährlichen Umfang erreicht hat. Eine nicht minder interessante Anwendung auf die Lehre vom respira- torischen Gaswechsel, als der Diffusionseoöffieient des Sauerstoffs, gestattet der Diffusionscoöfficient der Kohlensäure. Die Menge des Gases, die in gegebener Zeit den umgekehrten Weg, nämlich aus dem Blute durch die Capillarwand in den Luftraum des Alveolus geht, ist für den erwachsenen Durchschnittsmenschen einiger- massen bekannt. Natürlich schwanken die Zahienangaben je nach dem körperlichen Zustand der Personen, an denen experimentirt wurde. So be- trägt die tägliche Kohlensäureausscheidung eines Erwachsenen nach Speck® 457 920 cm (818m auf 1 Minute), dagegen nach Pettenkofer und Voit! 463 700 em (322° m auf 1 Minute); man darf also im Mittel 460 000 e” annehmen. Wir wollen nun mit Hülfe unserer Gleichung (3) den Druck p in Millimetern Quecksilber berechnen, unter dem ein solches Volumen an einem Tage in der lebenden Lunge diffundiren kann. Den Diffusionscoöffieienten der Kohlensäure, %, der für die Temperatur 16° gleich 1-38 gefunden wurde, wollen wir dabei, ebenso wie vorhin den des Sauerstoffs, proportional dem Quadrate der absoluten Temperatur wachsen lassen und deshalb für die Temperatur 37° gleich 1.42 setzen. ı Pöppig, a. a. O. S. 89. ? Schumburg und Zuntz, Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXID. S. 461. > Archiv für wissenschaftliche Heilkunde. 1857. Bd. II. S. 317. * Liebig’s Annalen. 1867. Bd. CXLI. S. 295. — Die hier mitgetheilte Zahl ist durch Versuche an einem Manne gewonnen, der fast keine Tagesarbeit verrichtete, GESCHWINDIGKEIT DER ATMOSPHÄRISCHEN GASE IM WASSER. 131 Der Absorptionscoöfficient, &, der Kohlensäure ist bei 37° gleich 0.5630. - Die Grössen q und Z sollen vorerst die gleichen Werthe wie oben auf S. 127 behalten. Wir haben dann zunächst: 460.000 = 0-5630p 700000 , 7600-004 1.42 und daraus 460 000 . 760 . 0-004 P = 0.5630. 700.000 .1-42 — 2 ASS m oder, wenn man die Difiusionsfläche q doppelt so gross, d. h. zu 1 400 000 Quadratcentimeter annimmt, Da 2 Ann Die geforderte Druckdifferenz ist also ausserordentlich Klein und be- weist von Neuem, dass die Heranziehung einer besonderen Secretionsthätig- keit des Lungengewebes für die Erklärung der Kohlensäureausscheidung durchaus nicht von Nöthen ist. Wäre z. B. der Kohlensäuregehalt der Alveolarluft gleich 5 Procent, ein Gehalt, der bei 37° und normalem Barometerstande ungefähr 35-7 m Druck entsprechen würde, dann brauchte also, bei g = 70 Quadratmeter, die Spannung der Kohlensäure im Blute der Lungencapillaren nicht mehr als 38.2 "m (entsprechend 5-4 Procent) zu betragen, um im Stande zu sein, die oben genannte Kohlensäuremenge täglich auf dem Wege der Diffusion aus dem Blute in die Alveolen zu befördern. Wären uns die Werthe von » und g von vornherein besser bekannt, so würde es möglich sein, durch Einsetzung der bezüglichen Zahlen in unsere Gleichung umgekehrt den Werth von / genauer festzustellen. Tübingen, im November 1896. ı Nach Bohr und Bock, Wiedemann’s Annalen. 1891. Bd. XLIV. S. 318 ist & bei 37-29° gleich 0-5629. 9* Zur Lymphbildungsfrage. Von H. J. Hamburger in Utrecht. ; Bekanntlich sind die Ansichten über die Lymphbildung noch getheilt. Von den betreffenden Autoren vertheidigen Heidenhain! und ich? die Secretionshypothese, während Starling,? Leathes? und Cohnstein? alle bei den Lymphbildungsversuchen beobachteten Erscheinungen als rein physikalische deuten zu können meinen; demzufolge ist für diese Forscher die Annahme einer activen Zellenthätigkeit überflüssig. Das vorige Jahr habe ich meine zu Gunsten der Secretionshypothese ausgefallenen Schlussfolgerungen, gegen die Einwände Starling’s zu ver- theidigen versucht.‘ | Es kommt mir aber nicht überflüssig vor, hier noch einmal auf den Gegenstand einzugehen, weil meine diesbezüglichen Versuchsergebnisse die Gegner der Secretionshypothese noch nicht überzeugt zu haben scheinen. Erstens hob ich hervor, dass, wenn ein Pferd mit ruhendem Kopfe sich bewegt, wodurch der Blutdruck in der Carotis sinkt, doch drei bis fünf Mal mehr Lymphe aus der in der Mitte des Halses gelegenen Hals- ! Versuche und Fragen zur Lehre der Lymphbildung. Pflüger’s Archiv. 1892. Lafayette Mendel, Journal of Physiol. 1895. Bd. XIX. H. 3. ® Zeitschrift für Biologie. 1893. Bd. XXX. 8. 143. Ziegler’s Beiträge zur pathol. Anatomie und allgemeinen Pathologie. 1393. 3 Journal of Physiol. 1894. Vol. XVI, XVII. * Ibidem. 1895. Vol. XIX. p. 9. 5 Virchow’s Archiv. Bd. CXXXV. 8.514. Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LIX, S:,350>) Bd. EX 18. 5035 Bd IS DIE TBAIZTLRIT, 858% 8% Dies Archiv. 1895. S. 364. H. J. HAMBURGER: ZUR LYMPHBILDUNGSFRAGE. 133 lymphfistel fliesst, als wenn das Pferd ruhig steht. Es handelt sich hier also um eine Vermehrung der Lymphproduction bei vermindertem Blut- druck. Hat doch Kaufmann gefunden, dass, wenn ein Pferd mit Rumpf und Extremitäten arbeitet, der Blutdruck in der Carotis abnimmt. Nun machte Starling die Bemerkung, dass, wenn der Blutdruck in der Carotis vermindert ist, dies noch nicht der Fall in den entsprechenden Capillaren zu sein braucht. Nach ihm würde es also möglich sein, dass während des Gehens der Blutdruck in der Carotis sank, derselbe in den Capillaren hingegen bedeutend stieg. Der letzten Erscheinung würde dann die Beschleunigung des Lymphstroms zuzuschreiben sein. Ich glaube diesen Einwand Starling’s genügend widerlegt zu haben, einerseits indem ich hervorgehoben habe, dass es keinen einzigen Grund giebt anzunehmen oder zu befürchten, dass bei geringerer Blutzufuhr in die Carotis, der Blutdruck in der Jugularis sich steigern würde; andererseits indem ich durch neue Experimente zeigte, dass bei der Bewegung des Pferdes der Blutdruck in der Jugularis nicht steigt, sondern vielmehr sinkt. In einem später erschienenen Aufsatz erhebt Leathes! gegen den genannten Versuch einen neuen Einwand, welcher mir nachher von Star- ling auf’s Neue vorgehalten wird, und auch in einer Arbeit Cohnstein’s eine Stelle findet? Man meint, dass, wenn ein Pferd geht, der Kopf nicht ruhig gehalten werden kann, und die hierbei sich zusammenziehenden Muskeln des Halses für die osaalerinnann des yenlizames verantwort- lieh gemacht werden können. Ich muss diese Meinung, welche, es sei nebenbei gesagt, mit keinem Experi- ment von den Autoren gestützt wird, aus zweifachem Grunde zurückweisen. Erstens habe ich gefunden, dass, wenn man beim ruhig- stehenden Pferde den Kopf auf- und niederbewegen lässt, selbst schneller und mit viel grösseren Ausweichungen als sich beim Gehen zeigt, der Lymphstrom absolut nicht beschleunigt wird. Die folgenden an zwei Pferden angestellten Versuche mögen dies zeigen (s. 8. 134). Aus.diesen Experimenten erhellt, dass durch das Auf- und Nieder- bewegen des Kopfes der Lymphstrom nicht beschleunigt wird. Zweitens lassen die anatomischen Verhältnisse des Lymph- bahnenverlaufs eine derartige Beschleunigung auch nicht er- warten. Ich verdanke meinem verehrten Collegen der Anatomie, Herrn vau Esveld, darüber die nachfolgenden Angaben. ! Some experiments on the exchange of fluid between the blood and tissues. The Journal of Physiol. 1895. Vol. 19. No. 1. 2 Pflüger’s Archiv. Bd. LXI. S. 77. 134 H. J. HAMBURGER: S Versuch. Lymphmenge, Lymphmenge von | lymphmenge von aufgefangen jede 30 Minuten Ruhe 30Min. Bewegung 10 Minuten (1) + @) + 5) | (2) + (4) + (6) 1. Bei Ruhe des Kopfes 3-4 ccm | 2 ” IE ” ” 5 ; ” 1 3. ” uhe ” 2) = DE) N 10 ea 9.9 ccm 4. „ Beweg. „ „ | 32 „ | | 3. Ruhe „ ” 34, 6... Beweg, ,, 5 3-4 „ Dasselbe Pferd, 2 Stunden später: 1. Bei Rube des Kopfes 3.5 cm | | s ” ne „ „ nn „ | | .» ule 5. 2) 98, | 10-7 cm | 10-2 ccm 4. „ Beweg. ‚, 5; Bu2, | | by „ Ruhe „ „ 3:4 „ | 6. ” Beweg. ” ” 3 5 ” | } Dasselbe Pferd, !/, Stunde nach dem vorigen Versuch: 1. Bei Ruhe des Kopfes 3.4 ccm | 2%, Beweo.ns n 3W20% | 3, „ Ruhe‘, „ 3-5 „ 10 com | 10.4 com 4. „ DBeweg. ,„ 5 3.69,,.> | 5. „ Ruhe „ „ 31 , | 6. „ Beweg. „ ” 35, Anderes Pferd. 1. Bei Ruhe des Kopfes Bu RI s: „ Beweg; „ ” a ” m une „ tn 10:9 com 10-6 cm 4. „ Beweg. „, n 3edrn 526, Ruhe rn, rn 326 3; 6.2... Bewegen, 5 3-5 „ Eine Stunde nachher: 1. Bei Ruhe des Kopfes Seucem | 5 „» Domes: „” 2) ar ” n une 5, „ Be) 10-8 com 10.9 com 4. „ Beweg. „, , DS | 52,5. Ruher 3% kr 3-6 „ | 6. „ „Beweg. „ „ 3.6 „ Wieder eine Stunde nachher: 1. Bei Ruhe des Kopfes | 36cm E ” ud 2) ” an ” | I une ,„ EB) eh) | 10.8 com | 10.9 som 4. „ Beweg. „ ” 3-7 ” | 535,0) Ruhe! 1, 5 3E0W, | 6.) .,. Bewerte 3-5 „ | ZUR LYMPHBILDUNGSFRAGR. 135 bei den Bewegungen des Kopfes kommen die folgenden Muskeln in Betracht: - 1. die kleinen Kopfstrecker: M. spinalis capitis, M. rectus capitis posticus major, M. rectus capitis posticus minos; 2. die kleinen Kopfbieger: M. rectus capitis anticus minor, M. rectus Gapitis lateralis; 3. die Dreher des Kopfes (zu gleicher Zeit Strecker) M. obliquus capitis inferior, M. obliquus capitis superior. Weiter kommen in Betracht der M. longus colli und der M. rectus capitis anticus major, M. splenius, M. complexus, Pars M. deltoidei. Die genannten Muskeln sind nur wirksam, wenn Kopf und Hals eine gezwungene Haltung anzunehmen genöthigt sind, aber nicht, wenn das Pferd bei ruhigem Gehen den Kopf frei hat. Wohl aber sind in diesem letzteren Fall wirksam der M. cleido-mastoideus, M. cueularis und M. rhomboideus. Ob die Zusammenziehung der drei genannten Muskeln einigermassen beiträgt zur Vermehrung des Lymphabflusses aus der etwa in der Mitte des Halses gelegenen Fistel, wird von Herrn van Esveld sehr bezweifelt, zumal weil die in Betracht kommenden Theile sehr sehnig sind. Die aufgefangene Lymphe stammt somit so gut wie ausschliesslich aus dem Kopfe. Wie man bemerkt, lassen also auch die anatomischen Verhältnisse die Annahme nicht zu, dass die drei- bis fünfmalige beim ruhigen Gehen des Pferdes beobachtete Lymphstrombeschleunigung durch Muskelbewegungen herbeigeführt wird. Ein anderes Argument zu Gunsten der Secretionshypothese stützte ich auf die Zusammensetzung der Lymphe in Vergleichung mit der des ent- sprechenden Blutserums. Lässt man ein Pferd mit ruhendem Kopfe gehen, so stellt sich heraus, dass der Alkaligehalt des Jugularisserums kleiner ist als wenn das Thier ruhig steht. Man könnte nun erwarten, dass auch die Halslymphe des sich bewegenden Pferdes einen kleineren Alkaligehalt zeigen würde als die des ruhig stehenden Thieres; denn an der Arbeit von Rumpf und Extremitäten sind die Gewebe des Kopfes nicht betheiliet gewesen. Die Arbeit von Rumpf und Extremitäten kann also keine Ver- änderung in den Geweben des Kopfes hervorgerufen haben. Und doch weist die Halslymphe des arbeitenden Pferdes einen grösseren Alkali- gehalt auf als die des ruhenden Thieres, eine Thatsache, welche mit: der Filtrationshypothese nicht in Einklang zu bringen ist. Selbstverständlich musste der gegen den vorigen Versuch erhobene Einwand auch den vorliegenden treffen; denn auch hier konnte man aus dem nämlichen Grund die Vermehrung des Alkaligehaltes auf Rechnung 136 H. J. HımsurGer: Zur LYMPHBILDUNGSFRAGE. von Muskelbewegungen des Halses bringen. Dieser Grund hat sich aber als hinfällig erwiesen. Folgende Versuchsreihe giebt ausserdem noch eine Bestätigung. Ich habe namentlich von der in der vorigen Versuchsreihe (S. 134) bei Ruhe und Bewegung des Kopfes aufgefangenen Lymphe den Alkaligehalt bestimmt.! / „°®-normales H,SO, nöthig zur Sättigung von 10°, Ruhelymphe Bewegungslymphe einer halben Stunde einer halben Stunde a 8 . 6 ccm { F3 H F 7 Ss . 7 ccm Fr 8 “ 65 „ 8 2 6 Er] 8-65 „, 8:65 „ Zweites Pferd: Ss . 7 ccm g a 7 ccm 8 2 68 Er} fo) E > 8 ” 7 9 8 = 12 ss Aus diesen Zahlen erhellt, dass wenn man beim Ruhigstehen des Thieres den Kopf auf- und niederbewegt, der Alkaligehalt der Lymphe sich nicht ändert,- und wenn also der Alkaligehalt sich wohl ändert während des (Grehens, so muss dies nothwendig den Bewegungen von Rumpf und Extremi- täten zugeschrieben werden. Nun hat sich herausgestellt, dass durch diese Bewegungen der Alkaligehalt des Blutplasma abnimmt. Der Alkaligehalt der Lymphe aber nimmt zu. Mir ist es nicht möglich, dieses Ergebniss mit der Filtrationshypothese in Einklang zu bringen und dasselbe auf andere Weise zu erklären als dadurch, dass bei der Arbeit von Rumpf und Fxtremi- täten Stoffe produeirt werden, welche mit dem Blutstrom fortbewegt werden, in das Capillargebiet der Carotis gelangen und das Capillarendothel zur erhöhten Lymphproduction anregen. Ich muss jetzt wiederholen, was ich früher hervorhob: wo es noch Erscheinungen giebt, welche mittelst physikalischer Begriffe nicht zu erklären sind und wo keiner der bis jetzt bekannt gewordenen Versuche gegen die Secretionshypothese das Wort redet, darf man die Secretionshypothese nicht fallen lassen. ! Die Titration geschah mittelst Lackmoid, in der mittelst Alkohol von Eiweiss beraubten Flüssigkeit. Vergl. hierzu Zeitschr. f. Biologie. Bd. XXX. 8. 153. Die Geschwindigkeit der Osmose. (Lazarus Barlow’s „Initial rate of osmosis“.) Von H. J. Hamburger in Utrecht. Vor einiger Zeit hat Lazarus Barlow eine Arbeit veröffentlicht,! welche die Aufmerksamkeit erregen muss bei Allen, welche sich für die Lehre der Osmose und die damit zusammenhängenden Probleme interessiren. Denn nach seiner Auffassung hat die mittelst der bis jetzt üblichen Methoden (Gefrierpunktserniedrigung, Pflanzenzellen- und Blutkörperchen- methoden) vermittelte osmotische Spannkraft für die Physiologie und Pathologie nur sehr geringe Bedeutung, und wird man dieselbe zu ersetzen haben durch einen ganz neuen Werth, welchen der Verfasser mit dem Namen „initial rate of osmosis“ bezeichnet. Was Lazarus Barlow darunter versteht, lässt sich aus Folgendem entnehmen: Ein langes, horizontales, mit einer Scala versehenes Thermometerrohr endigt an einer Seite in einen 11.75°em enthaltenden, horizontalen, offenen Cylinder c, welcher mit einer verticalen Membran, m, verschlossen wird. Das andere Ende des Thermometerrohres ist offen. Der Cylinder ist umschlossen von einem 100° m fassenden Reservoir r. Wird nun das Reservoir mit Wasser und der Cylinder mit einer Lösung, z. B. mit: einer Kochsalzlösung gefüllt, so constatirt man an der Bewegung des Meniscus im Thermometerrohr eine Zunahme der Flüssigkeit im Cylinder. Die durch den Meniseus während einer gewissen Zeit abgelegte Strecke nennt ! Observations upon the initial rates of osmosis of certain substances in water and in fluids, containing albumen. T’he Journal of Physiology. 1895. Vol. XIX. 8. 140, 138 H. J. HAMBURGER: Verfasser „initial rate of osmosis“! im Gegensatz zu der eigentlichen osmotischen Spannkraft, wie man dieselbe durch Gefrierpunktserniedrigung u. Ss. w. bestimmt, und die er mit dem Namen „final osmotie pressure“ bezeichnet. Die Flüssigkeiten, mit welchen er arbeitet, sind !/ „normal Kochsalz-, Glucose- und Ureumlösung, aequimoleculare Lösungen also, deren osmo- tische Spannkräfte aber nicht dieselben sind. Kochsalz besitzt ja den isotonischen Coöfficient drei, während der Coöfficient von Glucose und Ureum zwei beträgt. Die wasseranziehende Kraft von Kochsalz ist also anderthalbmal grösser als die von Glucose und Ureum, welche beide unter sich gleich sind. Verfasser hat mit zwei Arten von Membranen gearbeitet, erst mit nur für Wasser durchgeängigen Ferrieyankupfermembranen, später mit getrocknetem, entfettetem Kalbsperitoneum. Diese Membran lässt bekanntlich auch andere Stoffe hindurch, und weil das auch der Fall ist mit den meisten thierischen lebenden Membranen, hat er mit Kalbsperitoneum die meisten Versuche angestellt. Die Versuchsresultate waren in Kurzem folgende. Bei Anwendung von Ferrieyankupfermembranen bewegte sich der Meniscus im Thermometerrohr während 24 Stunden bei Zimmertemperatur, wenn NaÜl-Lösung im Cylinder war, 51 m „7 Glucose „ „ „ 35 „ ‘ ”„ Ureum „ „ „ 24.5 ”„ Bei einer Temperatur von 36-5 Grad waren die Zahlen bezw. 255, 172 und 127m, | Bei Anwendung von Kalbsperitoneum erhielt Verfasser ganz andere Resultate, Da bewegte sich der Meniscus viel schneller und waren auch die Verhältnisse der Fortbewegungsgeschwindigkeiten für die drei Lösungen andere. So bewegte sich der Meniscus bei Zimmertemperatur jede fünf Minuten (während drei Stunden) wenn NaCl-Lösung im Cylinder war, im Mittel 3.5" „ Glucose ” 2) ” „ ” 6.5, ” Ureum ” ” ” ” ” 1 ” ! In einer zweiten Abhandlung (Contribution to the study of Iymph-formation with especial reference to the parts played by osmosis and filtration. The Journal of Physiology. Vol. XIX, p. 421), hat er diesem Ausdruck eine etwas genauere Bedeutung beigelegt. Da heisst es: „By the term initial rate of osmosis is here meant the nume- rical value which represents the rate at which solution of a erystalloid attracts water through a membrane at atmospherie pressure, compared with the rate at which deei- normal glucose-solution attracts water under identical conditions.“ DIE GESCHWINDIGKEIT DER ÜSMOSE. 139 The initial rate of osmosis ist also bei Glucose bei weitem am grössten ; dann folgt NaCl und nachher Ureum, während „the final osmotic pressure“ (der nach den bis jetzt üblichen Methoden bestimmte osmotische Druck) für NaCl am grössten, und für Glucose und Ureum gleich sind. Das Verhältniss ist 3, 2, 2. Wie gesagt, ist nun Lazarus Barlow der Meinung, dass man für die in der Physiologie und Pathologie mit Osmose zusammenhängenden Probleme nicht mehr die Zahlen der „final osmotic pressure“, sondern die der „initial rate of osmosis‘“ eebrauchen soll, weil bereits geringe Unter- schiede der „final osmotic pressure“ so grosse mechanische Druckunterschiede repräsentiren, wie man dieselben mit Rücksicht auf das relativ geringe Widerstandsvermögen von lebenden Capillarwänden und Zellen in der Wirklichkeit nicht annehmen kann. (Einleitung S. 140.) Diese Beschwerde ist mir nicht recht klar geworden. Mischt man einen Tropfen Rinderblut mit einer grossen Quantität einer hyperisotonischen Salzlösung, z. B. 1.3 procent. NaÜQl-Solution, so schrumpfen die Blut- körperchen fast momentan, und der Inhalt hat sehr schnell dieselbe osmotische Spannkraft erreicht wie die Umgebung. Die Kraft, welche diesem osmotischen Processe zu Grunde liegt, entspricht einer Quecksilbersäule von etwa 2” Höhe. Und doch ist dadurch das Leben der Blutkörperchen nicht vernichtet. Denn bringt man dieselben wieder in ihr eigenes Serum zurück, so zeigen sie sich wieder in jeder Hinsicht normal. ’ Untersuchen wir nun, was man eigentlich durch die sogenannte „initial rate of osmosis“ bestimmt, und besprechen inwieweit dann dieselbe eine für physiologische und pathologische Messungen brauchbare Grösse sei. Folgen wir zu diesem Zweck den vom Verfasser angestellten Versuchen. Wie gesagt, befindet sich im Reservoir Wasser, während im mit todtem Kalbsperitoneum bedeckten Cylinder sich eine NaCl-Glucose- und Ureum- lösung befindet. Bald sieht man den Meniscus im Thermometerrohr sich bewegen, - offenbar weil die Crystalloide durch die Membran hindurch Wasser aus dem Reservoir anziehen. Aber es geschieht noch mehr. Ein Theil der Crystalloide geht auch durch die Membran in das Reservoir hinüber. Wie viel hinüber geht, lässt sich aus den Tabellen S. 154, 156 und 158 bereehnen, und zwar mittelst der daselbst erwähnten Gefrierpunktsbe- stimmungen und chemischen Analysen. Aus diesen Tabellen erhellt dann, dass nach drei Stunden der Cylinder- inhalt die folgenden Gefrierpunkterniedrigungsabnahmen erfahren hat. 140 H. J. HAMBURGER: 0-.351—0-274 0-189—0-177 0.189—0 -154 0-077 Grad beim Gebrauch von NaCl, VAOT2ER, Y e „ Glucose, 02033 r h „ Ureum. I Hieraus geht hervor, dass die Oylinderflüssigkeit am meisten verliert von NaCl, dann von Ureum und am wenigsten von Glucose. Das stimmt mit den Resultaten der chemischen Analysen überein. Namentlich aus den Tabellen lässt sich weiter berechnen, dass nach drei Stunden der Cylinderinhalt verloren hat: 18 Procent NaCl, 0-.068—0-.0556 = 0-0124® — 0-210--0-197 = 0-013 ?=6 4 Glucose, 0-07 —0-.058 = 0-012 E = 17 ® Ureum. Es blieb also nach derselben Zeit viel mehr von der Glucose als von NaCl im Cylinder zurück. Bei der Anwendung von Glucose verlor also der Cylinder weniger von seinem wasseranziehenden Inhalt als bei der An- wendung von NaCl. Hierdurch wird es meiner Meinung nach verständlich, dass die „Initial rate of osmosis“ von Glucose sich viel. grösser erwies, als der von NaCl. Auf das Verhalten von Ureum komme ich sofort zurück. _ Ausser dem eigentlichen Wasseranziehungsvermögen der Lösung und dem Durehgängigkeitsgrad der Membran liegt in der ‚initial rate of osmosis“ noch ein dritter Factor. Man denke sich wieder einen Versuch angefangen. Im Reservoir be- findet sich Wasser, im Cylinder eine NaCl-Lösung. Die gegen die Membran gelegene NaCl-Lösungsschicht fängt bald an Wasser anzuziehen; die da- hinter gelegenen NaCl-Schichten folgen, und werden sich um so schneller des aus dem Reservoir stammenden Wassers bemeistern können, mit anderen Worten, die „Initial rate of osmosis“ wird um so grösser sein, je nachdem das Wasser sich leichter zwischen den NaCl -Theilchen hindurch bewegen kann, je nachdem also die Diffusionsgeschwindigkeit grösser ist. Der Einfluss dieses Factors tritt am reinsten hervor bei Barlow’s Versuchen mit Ferricyankupfermembranen. Da verhalten sich namentlich, wie hier oben auf S. 138, erwähnt, die bei aequimolecularen NaCl-Glucose- und Ureumlösungen nach 24 Stunden beobachteten Verschiebungen des Meniscus nicht wie die Grössen des wasseranziehenden Vermögens, also als 3, 2, 2, sondern als 255, 172 und 127, oder 3, 2, 1-5. Die Wassertheilchen bewegen sich also weniger schnell zwischen den Ureumtheilchen als zwischen den Glucosetheilchen. Und so ist es verständlich, dass die „initial rate of osmosis“ für Ureum geringer ist als für Glucose. Mit dem Einfluss der Diffusionsgeschwindiekeit stehen noch zwei andere Thatsachen in Einklang: DIE GESCHWINDIGKEIT DER ÜSMOSE. 141 1. Die von Lazarus Barlow beobachtete bedeutende Herabsetzung der „initial rate of osmosis“, wenn zu den Versuchsflüssigkeiten ein wenig Eiweiss hinzugesetzt wird. 2. Die sehr bedeutende Vergrösserung der „initial rate of osmosis‘“ bei Temperaturerhöhung der Flüssigkeiten (vergl. oben, S. 138). Die obigen Betrachtungen lassen es deutlich erscheinen, was man nun eigentlich mit der „initial rate of osmosis“ bestimmt, und sie erklären zu gleicher Zeit, warum bei Anwendung von Kalbsperitoneum als Membran das Verhältniss der „initial rate of osmosis“ für aequimoleculare Glucose- und Ureumlösungen so ganz abweicht vom Verhältniss ihrer osmotischen Spannkräfte. Dass namentlich Verfasser bei Anwendung von Kalbsperitoneum, für Glucose eine viel grössere „initial rate“ findet als für NaCl, erklärt sich durch die Thatsache, dass diese Membran für Glucose viel weniger durchlässig ist als für NaCl; wie die Versuche mit Ferrieyankupfermembranen lehrten, zeigte die Diffusionsgeschwindigkeit von Wasser in beiden Lösungen keinen Unterschied, denn, wie aus diesen Experimenten hervorgeht, verhielten sich bei diesen zwei Substanzen die Verschiebungen Meniscus zu einander, gerade wie ihre osmotischen Spannkräfte. Dass Verfasser für Ureum eine kleinere „initial rate of osmosis“ findet als für NaCl, kann man dadurch erklären, dass, obgleich die Mem- bran sich für Ureum weniger durchlässig ergiebt als für NaCl, die Diffusions- geschwindigkeit von Wasser in Ureumlösung viel kleiner ist als in NaCl- Lösung. Jetzt die Frage, ob die mittelst Kalbsperitoneum bestimmte „initial rate of osmosis“ eine für physiologische und pathologische Processe direct übertragbare Grösse sei. Ich glaube diese Frage verneinend beantworten zu müssen: 1. Weil der von Barlow bestimmte Werth ausser der wasseranzie- henden Kraft der Lösung auch den Durchgängiekeitsgrad der Membran für die verschiedenen Stoffe enthält; und wo nun das Verhältniss der Durchgängigkeitsgrössen für verschiedene Substanzen bei jeder Membran ein anderes ist, so dürfen die mittelst getrockneten Kalbsperitoneums gefundenen Werthe nicht auf jede willkürliche lebende thierische Membran oder Zelle übertragen werden. 2. Weil im lebenden Organismus, wo es sich bei der osmotischen Ausgleichung gewöhnlich um mikroskopisch dünne Flüssigkeitsschichten handelt, die Diffusionsgeschwindigkeit, welche nicht weniger als wasser- anziehende Kraft um Durchgängigkeit der Membran, in Barlow’s Versuchs- anordnung eine mächtige ‚Rolle spielt, kaum in Betracht kommen kann. | 142 H. J. HAMBURGER: Wenn ja im lebenden Organismus ein Unterschied in osmotischer Spann- kraft vorliegt, wird derselbe gewöhnlich fast momentan ausgeglichen; die stete Strömung der Säfte trägt dafür Sorge, dass unaufhörlich neue Schichten der genannten Wirkung unterworfen werden. In dem schon genannten zweiten Aufsatz hat Barlow bereits das Prineip der „initial rate of osmosis“ benutzt, um der Lymphbildungsfrage näher zu treten. Zu diesem Zweck injieirte er Salzlösungen und bestimmte dann die ‚initial rates of osmosis“ der gewonnenen Lymphe und des ent- sprechenden Blutserums, beides gegenüber Wasser; die Membran war, wie gewöhnlich, Kalbsperitoneum. Ob nun Lazarus Barlow das Recht hat, die auf diese Weise für die „Initial rate“ erhaltenen Zahlen ohne Weiteres zur Entscheidung osmo- tischer Processe zu gebrauchen, welche sich in den mikroskopisch feinen Capillaren und Gewebsspalten abspielen, erlaube ich mir auf Grund des oben Besprochenen, zu bezweifeln. Trotz meiner Einwände gegen die Anwendbarkeit für physiologische Zwecke der mittels seiner Versuchsmethode erhaltenen numerischen Werthe scheint mir Lazarus Barlow doch eine verdienstvolle Arbeit verrichtet zu haben, indem er auf die Geschwindigkeit der Osmose hingewiesen hat, und aus den von ihm dabei erhaltenen Ergebnissen die vor ihm nicht erkannte Möglichkeit abgeleitet hat, dass, wenn zwei isotonische Lösungen erystalloider Stoffe durch eine für Salze permeabele Membran ge- schieden sind, zu-weilen ein Hinübertreten von Wasser von der einen nach der anderen Lösung zeitweise stattfinden kann, ja dass sogar Wasser hinüber- gehen kann aus einer hyperisotonischen in eine isotonische Lösung." Für das erstere hat er keinen und für das zweite nur einen directen Versuch angeführt. Dieser Versuch, dessen Ergebniss Verfasser ebenfalls nicht erklärt hat, bestand darin, dass er ins Reservoir 1/,„-normale Glucose-Lösung und in den Cylinder ?/,„-normale NaCl-Lösung brachte. Bekanntlich besitzt nun diese NaCl-Lösung eine anderthalbmal höhere osmotische Spannkraft als die Glucose- Lösung, und bei oberflächlicher Betrachtung würde man nun erwarten, dass das Volum der im Cylinder sich befindenden Na0l-Lösung zunehmen würde. Es stellte sich aber heraus, dass umgekehrt der Meniscus im Thermometerrohr zurückging; dass also die Flüssigkeit höherer osmotischer Spannkraft Wasser an eine Flüssigkeit von niedriger osmotischer Spannkraft ! Dasselbe wurde auch von Cohnstein und Starling hervorgehoben für den Fall, dass die eine der beiden Lösungen eiweisshaltig war. Es fand immer ein Hinüber- treten von Flüssigkeit in die eiweisshaltige Lösung statt. DiE GESCHWINDIGKEIT DER ÜSMOSE. 143 abzugeben schien. Die Erklärung ist, meine ich, darin gelegen, dass die im Cylinder sich befindenden NaCl-Molecülen schneller durch das todte Kalbsperitoneum hindurchgehen als die Glucose-Moleceülen; die Diffusions- geschwindigkeiten von Wasser in aequimoleculärer NaÜl- und Glucoselösung sind ungefähr gleich. Ich habe diesen Versuch bestätigen können. Auch andere derartige Versuche ergaben das nämliche Resultat. Man könnte nun hier vielleicht auf den Gedanken kommen, in diesem Versuchsresultat liege eine einfache physikalische Erklärung für die That- sache, dass hyperisotonische und isotonische Flüssigkeiten aus dem Darm en werden. Diese Erklärung wäre aber, meiner Meinung nach, nicht heftienigand: denn dieselbe würde, was entschieden nicht gestattet ist, voraussetzen, dass die feinen Blutgefässwände immer mehr durchgängig seien für jeden Be- standtheil eines willkürlichen Darminhalts als für die Blutbestandtheile selbst. Und wie würde man sich die Resorption von isotonischen Blutserum zu erklären haben? Dazu kommt, dass, wie unter anderem schon aus den Versuchen Heidenhain’s hervorgeht, eine hyperisotonische Lösung, nachdem dieselbe in eine Darmschlinge hineingeführt worden ist, anfangs im Volumen zunimmt, was mit Barlow’s Versuchsergebniss* also nicht übereinstimmt. Nachtrag. Als vorliegender Aufsatz schon der Redaction dieses Archivs zuge- cangen war, nahm ich Kenntniss von einer dritten Arbeit Lazarus Barlow’s!. Ich werde hier die darin ausgesprochenen Meinungen nicht zu widerlegen versuchen, weil W. Cohnstein?, der, ebenso wie ich in der Auffassung der ganzen Frage wesentlich von dem Verfasser abweicht, sich vorbehalten hat, die Gründe für diese Meinungsdifferenz gelegentlich dar- zuthun. ! On the initial rate of osmosis of bloodserum with reference to the composition of physiological saline solution in mammals. Journal of Physiol. Bd. XX. p. 145. ” Centralbl. f. Physiol. 1896. 14. Nov. S. 513. Die Blutkörperchenmethode für die Bestimmung des osmotischen Druckes von Lösungen und für die Bestimmung der „Resistenz- fähigkeit“ der rothen Blutkörperchen. Von. H. J. Hamburger in Utrecht, Bis jetzt hat die Blutkörperchenmethode! sowohl für die Bestimmung des osmotischen Druckes der Flüssigkeiten, wie für die Bestimmung der sogenannten Resistenzfähigkeit (von Limbeck) der rothen Blutkörperchen vielfach Verwendung gefunden. Sie verdankt dieselbe unzweifelhaft der grossen Genauigkeit und der bequemen Ausführbarkeit. Dennoch pflegen sogar die Autoren, welche die Methode benutzen, den Nachtheil hervorzu- heben, dass dieselbe einen langen Zeitraum erfordert. Lautete ja die von mir gegebene Vorschrift, dass man den Blutkörperchen während 24 Stunden die Gelegenheit geben muss, sich zu Boden zu senken. Ein so grosser Zeitraum nun macht in der That das Verfahren für verschiedene Unter- suchungen nicht nur beschwerlich, sondern zuweilen auch unbrauchbar. In den letzten Jahren habe ich die Methode derweise modifieirt, dass die genannte Schwierigkeit nicht mehr besteht. Es hat sich namentlich herausgestellt, dass man mit der Notirung des Versuchsresultates nicht zu warten braucht, bis die Blut- körperchen sich ganz oder nahezu ganz zu Boden gesenkt haben, sondern dass man die Notirung schon machen kann, wenn sich eine blutkörperchenfreie, klare Schicht von 1 bis 2 Höhe gebildet 1 Dies Archiv. 1886, 8. 476; 1887, 8. 31. Vergl. auch Oentralblatt f, Physiol. 24. Februar 1894. H. J. HAMBURGER: Die BLUTKÖRPERCHENMETHODE VD. S. W. 145 hat. Und das geschieht gewöhnlich innerhalb etwa zwei Stunden. Hat man Centrifugalkraft zur Verfügung, so kann man diesen Zeitraum noch abkürzen. Genannte Abänderung beeinträchtigt die Genauigkeit der Methode absolut nicht; im Gegentheil habe ich erfahren, dass die Erscheinung einer rothen Nüance noch schärfer sichtbar ist nach 2 als nach 24 Stunden; so dass ich dann auch in den letzten Jahren gewöhnt bin, mit der Notirung der Versuchsresultate nicht mehr 24 Stunden zu warten. Mit Rücksicht auf eine grössere Verwendbarkeit der Methode meinte ich obengenannte Bemerkung nicht vorenthalten zu müssen. In’sbesondere, wo man neben einander eine Reihe vergleichender Bestimmungen der osmo- tischen Spannkraft oder der sogenannten Resistenzfähigkeit auszuführen hat, kann ich die Blutkörperchenmethode nicht genug empfehlen. Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 10 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1896 —1897. I. Sitzung am 30. October 1896.1 1. Hr. W. Connstein hält den angekündigten Vortrag betreffend seine mit Hrn. H. Michaelis ausgeführten Untersuchungen: Ueber die Ver- änderung der Chylusfette im Blute. Die Frage nach dem Uebergang der Fette aus den Blute in die Gewebe ist bisher keiner experimentellen Prüfung unterzogen worden. Man hat auf Grund der Beobachtung, dass in die Blutbahn gebrachte Substanzen, wie Milchkügelchen, Zinnober, Bakterien die Capillarwand durchsetzen und in der Lymphe und im Harn erscheinen, es als wahrscheinlich ange- nommen, dass Fett in Form feinen Staubes durch die Capillarwand zu den Geweben gelangt. Gegen diese Annahme spricht die Erfahrung, dass intra- venös infundirtes Fett weder in der Lymphe noch im Harn aufgefunden wird. Sogar nach reichlichen intravenösen Infusionen von fetthaltigem Chylus zeigt die Lymphe des Ductus thoracieus keine Zunahme an Aether- extract. Es muss — da das Fett nach kurzer Zeit aus dem Blute ver- schwindet — daher angenommen werden, dass es im Blute selbst eine chemische Umwandlung erleidet, und dass das Umwandlungsproduct die Capillarwände zu durchsetzen vermag, um zu den Geweben zu gelangen. Um diese Annahme einer experimentellen Prüfung zu unterziehen, wurde durch ein Blut-Chylusgemenge viele Stunden hindurch Luft, welche durch Watte filtrirt war und. alsdann durch H,SO, und NaOH getrocknet und von CO, befreit war, mittels der Wasserluftpumpe gesaugt. Vor und nach dem Durchleiten der Luft wurde der Fettgehalt des Blutes durch Extraction mit Aether bestimmt. Es ergab sich, dass mit der Dauer der Durchlüftung der Fettgehalt des Blutes abnahm. Es fand hierbei keine, irgendwie in Betracht kommende Oxydation des Fettes in CO, und H,O statt; die im vorgelegten Kaliapparat aufgefangene CO, entsprach durchaus nicht der Menge des, aus dem Blut-Chylusgemenge verschwundenen Fettes. Diese Thatsache entspricht auch der, von Magnus-Levy gemachten Beob- achtung, dass selbst nach sehr reichlicher Fettfütterung keine erhebliche Steigerung der CO, Ausscheidung stattfindet. 1 Ausgegeben am 18. December 1896, VERHANDL.D. BERL. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — ÜOHNSTEIN. — LEewyY. 147 Um zu entscheiden, welcher Theil der Blutflüssigkeit für die Umwand- lung des Fettes von wesentlicher Bedeutung sei, wurde Chylusfett mit Blut- serum gemenst und in der oben beschriebenen Weise durchlüftet. Es war alsdann keine Fettabnahme zu constatiren. Hingegen fand auch bei lack- farbig gemachtem Blute Fettzerstörung statt. Bei einfacher Mischung des Blutes mit Chylus ohne Durchlüftung wurde keine Fettabnahme bemerkt. Es lag die Vermuthung nahe, dass unter den Versuchsbedingungen eine Aufspaltung des Fettes in seine näheren Componenten Glycerin und Fettsäure stattfände und das letztere mit dem Alkali des Blutes Seifen bilde. Jedoch ist diese Umwandlung des Fettes nach den bisher angestellten Versuchen noch zweifelhaft. — Es gelang nicht, ausser Chylusfett andere Fette (Milchfett oder Leberthranemulsion), welche mit dem Blute gemischt und durchlüftet wurden, zu zerlegen. Ebenso wenig konnte eine Verseifung von Phenolsalicylsäure-Ester und Phenolbenzoesäure-Ester unter den ange- gebenen Bedingungen erzielt werden. Eine fettzerstörende Einwirkung von Bakterien ist schon aus dem Grunde sehr unwahrscheinlich, da der Versuch mit Blutserum negativ ausfiel. Nach den vorliegenden Versuchen muss daher angenommen werden, dass in den rothen Blutkörperchen eine Substanz vorhanden ist, welche Fett in Gegenwart”"von Luft bezw. O zerlegt. Ob diese lipolytische Function des Blutes, welche der fettspaltenden Wirkung des Pankreas und einiger Pflanzensamen an die Seite zu stellen ist, durch ein Ferment, oder durch eine andere, chemisch wirksame Substanz (Hämoglobin?) bewirkt wird, sollen weitere Versuche aufklären. Eine ausführliche Mittheilung erscheint in Pflüger’s Archiv. 2. Hr. Benno Lewy berichtet über seine im Laboratorium des Prof. Zuntz angestellten Versuche über die Reibung des Blutes in engen Röhren und ihren Einfluss auf das Gefälle im Gefässsystem. Gewöhnlich wird für die Reibung des Blutes bei seiner Strömung durch die kleinen Gefässe die Gültigkeit der sog. Poisseuille’schen Gesetze ohne Weiteres als zutreffend angenommen, obwohl Poisseuille selbst diese Gültigkeit durchaus bezweifelte und obwohl Blut eine nicht - homogene Flüssigkeit darstellt, auf deren Strömung die theoretischen Grundlagen der Poisseuille’schen Gesetze nicht ohne weiteres übertragbar sind. Poisseuille konnte bei seinen Versuchen mit defibrinirtem Blute nicht eine gleichmässige Strömung erzielen und schloss daraus, dass defibrinirtes Blut überhaupt nicht durch die Capillaren gehe. In der Folge wurden nur wenige Versuche in dieser Hinsicht von anderen Forschern angestellt. Vortragender bespricht eingehender die Untersuchungen von Haro und Ewald, welche den Reibungsecoöfficienten des Blutes zu ermitteln strebten; er zeigt, dass die Versuchsanordnung bei diesen Forschern, welche sich einer senkrecht stehenden Capillare bedienten, nieht geeignet war, um die Gültigkeit der Poisseuille’schen Gesetze, deren Formel eine horizontale Röhre voraussetzt, in aller Strenge zu erweisen, und dass dieselbe nur angenäherte Werthe für das Verhältniss zwischen den Reibungscoöfficienten des Blutes und des Wassers liefern konnte. Vortragender hat sich bemüht, festzustellen, ob die Poisseuille’schen Gesetze auch für Blut gelten und im Bejahungsfalle den Werth der dabei in Betracht kommenden Constanten zu ermitteln. 10* 148 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Nach dem Gesetze von Poisseuille, dessen theoretische Grundlagen von Neumann, Jacobson u. A. gegeben worden sind, gilt für die durch eine wagerecht liegende Röhre von kreisföormigem Querschnitt, der Länge / und dem Halbmesser r für die in der Zeit # hindurchfliessende Flüssigkeitsmenge Q die Formel: DEP, In 3 Veen Ir 5 le worin p, und p, der am Anfange und am Ende der Röhre herrschende Druck und 7 und & zwei von der Natur der Flüssigkeit abhängige Con- stanten sind. & ist die sog. Constante der äusseren Reibung, », die der inneren Reibung. Für Flüssigkeiten, welche die Röhrenwand benetzen, ist &= 00, für nicht benetzende Flüssigkeiten hat & jedoch einen endlichen Werth. In den eigentlichen Capillaren findet jedenfalls Benetzung statt, so dass für diese & = CO zu setzen ist; in dem übrigen Theil der Gefäss- bahn findet jedoch möglicher Weise keine Benetzung statt. Es war Vor- tragendem nicht möglich, hierüber Genaueres zu ermitteln, er folgt daher vorläufig der bisher allgemein angenommenen Vorstellung, dass Benetzung überall stattfinde, wie dies ja für Glascapillaren sicher gilt. Bei den vom Vortragenden angestellten Versuchen erwies es sich als vortheilhaft, den Druck p, am Ende der Capillare = 0 zu machen, wozu nur erforderlich war, dass die Strömung sehr langsam erfolgte. Die Formel reducirte sich alsdann auf den Ausdruck we pP 4 g-n 8nl A so dass also, wenn das Gesetz von Poisseuille gültig sein soll, die durch die benutzte Capillare fliessende Blutmenge proportional dem Drucke und der vierten Potenz des Halbmessers, umgekehrt proportional der Bänge der Röhre sein muss. Vortragender zeigt noch, in welcher Weise sich der Ausdruck für eine nicht horizontal liegende Capillare ändert und beschreibt den von ihm benutzten Apparat, welcher so construirt werden musste, dass die Beobachtungen auch bei Körpertemperatur angestellt werden konnten und dass eine Sedimentirung des Blutes vermieden wurde. Der Apparat wurde an der Strömung destillirten Wassers geprüft, wobei sich die von Poisseuille selbst angegebenen Zahlenwerthe herausstellten. Der Vortragende benutzte zu seinen Versuchen Blut von Hammeln, Hunden, Schweinen, theils von gesunden, theils von kranken Thieren; das Blut wurde theils durch Schlagen defibrinirt, theils wurde es durch Auf- fangen in oxalsaurem Ammonium vor dem Gerinnen geschützt. Die Versuche ergaben, dass defibrinirtes Blut den Poisseuille’schen Gesetzen thatsächlich ebenso wie eine homogene Flüssigkeit gehorcht, wenigstens für die vom Vortragenden benutzten Capillaren, deren Halb- messer zwischen 0-2 und 0-56 lag. Gleichzeitig ergab sich für die Reibungs- constante 7, bei Temperaturen zwischen 37° und 40° ein Minimalwerth von 0.00013, ein Maximalwerth von 0.00068; es zeigten sich sonach recht erhebliche Schwankungen. Die Differenzen traten bereits bei Individuen derselben Thierart in der gleichen Weise auf. Oxalat-Blut und durch Schlagen defibrinirtes Blut zeigten keinen wesentlichen Unterschied. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — BENNO LEewy. — N. Zuntz. 149 Als Mittelwerth von » für Körpertemperatur ergab sich 0,00025; der entsprechende Werth für Wasser ist 0.00007. . Dies Ergebniss passt gut zu den von anderen Forschern ermittelten Werthen der Verhältnisszahlen für die Reibungscoöfficienten von Blut und Wasser. Im zweiten Theile seines Vortrages verwerthet Vortragender den auf diese Weise ermittelten Werth der Reibung des Blutes zur Bestimmung des Gefälles in den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems. Die Beobachtungen weisen darauf hin, dass der grösste Theil des Blutdrucks in den kleinen Gefässen verbraucht wird, die Ansichten gehen jedoch dahin aus einander, ob dieser Verbrauch in den kleinsten Arterien, oder in den kleinsten Venen oder in den eigentlichen — im anatomischen Sinne — Capillaren stattfindet. Die Gestalt des Gefässsystems macht es sehr schwierig, hierüber durch Benutzung der Poisseuille’schen Gesetze sich eine einiger- massen genaue Vorstellung zu bilden, da diese Gesetze unmittelbar nur für geradlinige, unverzweigte Capillaren gelten. Ferner besteht die Schwierig- keit, dass die anatomischen Capillaren gerade nur so gross sind, um die Blutkörperchen einzeln hinter einander passiren zu lassen, und dass es fraglich ist, ob die Poisseuille’schen Gesetze alsdann noch gelten, ob nicht eventuell 7 einen ganz anderen Werth als für nur wenig weitere Gefässe annimmt. Vortragender hat sich bemüht, hierüber Näheres zu ermitteln, kann jedoch noch nicht über brauchbare Ergebnisse berichten. Setzt man die Poisseuille’schen Gesetze auch für die anatomischen Capil- laren als gültig voraus und legt man die in ihnen wirklich zu beobachtende Strömungsgeschwindigkeit von 0.5 bis 0.9"®® der Berechnung zu Grunde, so ergiebt sich, dass für die eigentlichen Capillaren nur ein Gefälle ent- sprechend einer etwa 60 ”® hohen Blutsäule verbraucht wird, dass dagegen die kleinsten Arterien einen sehr viel grösseren Antheil des gesammten arteriellen Blutdrucks, nämlich etwa 400 bis 1500 ®® verbrauchen, während für die kleinsten Venen nur noch ein geringes Gefälle erfordert wird. Bei der Berechnung sind dabei die Dimensionen der verschiedenen in Betracht kommenden Gefässe und die Art ihrer Verästelung berücksichtigt; bei ver- schiedenen Arten der Verästelung ergeben sich andere Beträge des Gefälles, immer aber zeigt sich, dass der Haupttheil des ganzen Blutdrucks in der kleinsten Arterien verbraucht wird und dass nur ein ziemlich kleiner Antheil in den eigentlichen Capillaren und den kleinsten Venen verzehrt wird. Vortragender macht darauf aufmerksam, dass in dieser Berechnung noch sehr vieles hypothetisch ist, dass sie uns jedoch eine genügende, unseren jetzigen Kenntnissen entsprechende Vorstellung über den Verbleib des Blutdrucks gewährt. II. Sitzung am 13. November 1896. 1. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Fette des Fleisches (nach von Hrn. E. Bogdanow unter seiner Leitung aus- geführten Versuchen). Hr. Bogdanow hat über einen Theil der Versuche schon in Pflüger’s Archiv, LXV, 8. 81 berichtet. Er hat gezeigt, dass jene Antheile des Muskel- 150 VERHANDLUNGEN DER BERLINER fettes, welche nach der Entdeckung von Pflüger und Dormeyer der prompten Extraction im Soxhlet’scheu Apparat widerstehen, eine wesent- lich andere Zusammensetzung haben, als das leicht extrahirbare Fett. Letzteres unterscheidet sich nicht von dem Fette, welches man durch Aus- schmelzen aus dem Fettgewebe desselben Thieres gewinnt. Es enthält fast gar keine freien Fettsäuren und verbraucht bei der Verseifung mit alkoholischer Kalilauge pro Gramm etwa 190”s KOH, d. h. die theore- tische Menge für ein Gemisch der Triglyceride von Stearin-, Palmitin- und Oelsäure. Dagegen enthalten die späteren Aetherextracte aus Muskelfleisch erhebliche Mengen freier Säuren, welche zum Theil so leicht flüchtig sind, dass sie beim Abdestilliren des Aethers mit diesem übergehen. Nach dem Verseifen betrug die von einem Gramm dieser späteren Extracte neutralisirte Kalimenge bis zu 600”8, wovon die grössere Hälfte auf die freien Säuren entfiel. — Durch Behandeln des fein gepulverten Fleisches in den verschiedenen Stadien der Aetherextraction mit Osmiumsäure und mikroskopische Unter- suchung konnte festgestellt werden, dass bei der ersten gröberen Extraction mit Aether wesentlich das zwischen den Muskelfasern gelegene Fett gewonnen wird, ohne dass die Schwärzbarkeit dieser Fasern selbst eine merkliche Ein- busse erleidet. — Erst bei vieltägiger Behandlung der Fleischfaser mit Aether lässt sich eine fortschreitende Abschwächung der Reaction mit Osmiumsäure nachweisen. Man kann daher kaum zweifeln, dass jenes an flüchtigen Säuren reiche Fett, welches in den späteren Stadien der Extraction gewonnen wird, der eigentlichen quergestreiften Muskelsubstanz entstammt und deren Schwärzbarkeit durch Osmiumsäure im Wesentlichen bedingte. Weitere Untersuchungen, über welche Hr. Bogdanow in einiger Zeit ausführlicher berichten wird, haben gelehrt, dass diese schwer extrahir- baren, in der contractilen Substanz selbst vertheilten Fette zur Thätigkeit derselben in inniger Beziehung stehen. Dieselben scheinen bei der Arbeit verbraucht, aber durch Neuzufuhr vom Blute her rasch wieder ersetzt zu werden. Der Vortragende demonstrirte als Beleg hierfür drei correspondirende, mit Osmiumlösung behandelte Muskelproben von Fröschen. Die Farbe der drei in genau gleicher Weise bereiteten Praeparate varriirte von hellem Gelbbraun bis zu Schwarzbraun. Die hellste Farbe zeigten die Muskeln, welche nach Aufhebung des Blutkreislaufs bis zur Erschöpfung tetanisirt waren, am dunkelsten waren jene, welche nach zweitägiger Curarelähmung bei gut erhaltener Circulation ausgeschnitten wurden. In der Mitte stand die Färbung der nach langer Tetanisirung bei erhaltenem Blutkreislauf praeparirten Muskeln. 2. Hr. P. Scauutz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Ein- wirkung monochromatischer Lichter auf die Bakterienentwicke- lung. Erscheint in extenso in der Zeitschrift für Hygiene und Infeetions- krankheiten. 3. Derselbe macht die angekündigte kurze Mittheilung über die sani- tären Verhältnisse an Bord. Auf einer in diesem Sommer unternommenen Reise nach Buenos- Aires versuchte ich einmal zu prüfen, wie sich denn in Bezug auf den Keimgehalt die vielberühmte Sanität der Seeluft und die Luft der Wohn- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — P. SCHULTZ. 151 räume auf Passagierdampfern während längerer Oceanfahrten in Wirklich- keit verhielte. Zu dem Zwecke hatte ich mich mit sterilisirten Agar-Agar- Röhrehen und mit sterilisirten Petri’schen Schalen von hier aus versehen. Zu geeigneter Zeit wurde dann das verflüssigte Agar-Agar in die Schalen ge- gossen und dieselben der zu untersuchenden Luft während zwölf Nacht- stunden ausgesetzt. Diese Zeit erscheint sehr hoch. Ich ging aber dabei von der Voraussetzung aus, dass die Luft bei der beständigen Ventilation mit der nahezu keimfreien Seeluft sehr wenig Keime enthalten müsste. Solche Ventilation wird auf den Schiffen des Bremer Lloyd in sorgfältigster Weise vorgenommen.! Die Nacht wurde gewählt, weil während der dann herrschenden Ruhe in den betreffenden Räumen wie überhaupt an Bord am wenigsten Gelegenheit zur Staubaufwirbelung geboten wird. Es wurde nun eine Schale im Zwischendeck einen Tag vor der Ankunft in Montevideo, eine andere Schale auf offenem Meer zwischen Montevideo und Las Palmas in einer Cajütenkabine erster Classe ausgesetzt, ferner eine dritte vier Tage vor der Ankunft in Las Palmas (von Montevideo aus) auf das Dach des Navigationszimmers auf der Brücke gestellt. Niederschläge fanden bei den drei Versuchen nicht statt, die Luft war völlig klar. Dann wurden die wieder bedeckten Schalen in dem Maschinenraum an einer Stelle, die gemäss vorheriger Beobachtung 37°C. hielt, drei Tage belassen. Die entwickelten Colonieen wurden durch Eingiessen von Formalin in die untere, nicht be- schickte Schale conservirt. Schliesslich wurde eine vierte Platte in der Apotheke etwa 2 Minuten der Luft ausgesetzt an dem auf den letzterwähn- ten Versuch (über die Seeluft) folgenden Tage und in gleicher Weise be- handelt. Die Schale aus dem Zwischendeck zeiste nun eine ausserordent- liche Zahl von Colonieen. Die ganze Platte ist dicht besät, wie dies bei der Betrachtung mit der Lupe deutlich hervortritt. Es sind nur Bakterien, kein Schimmelpilz findet sich darunter. Die Schale stand in der Höhe der oberen Betten an einer Stelle, wo unmittelbar in der Nähe keine Personen schliefen. Weniger dicht erscheint die zweite Platte in der Cajüte, auf ihr haben sich neben den Bakterien zwei Schimmelpilzeulturen entwickelt. Die Schale aus der Apotheke enthält nur zwei Colonien und eine Schimmel- pilzeultur, die vom Oberdeck blieb absolut steril. Diese Ergebnisse sind vielleicht insofern von Interesse, als sie einerseits zeigen, dass der Aufent- halt im Zwischendeck wie in den Cabinen kein sehr empfehlenswerther ist, dass man also auf grösseren Reisen wohl daran thut, möglichst das Prome- nadendeck zu benutzen, die Zwischendeckspassagiere werden ja von den Capitänen, wenn irgend das Wetter es erlaubt, direct dazu angehalten. Andererseits geben sie aber auch einen praktischen Hinweis auf eine Um- änderung in der Ausstattung der Räume. In den Cajütecabinen bedecken Teppiche den Fussboden, Stoffvorhänge befinden sich vor den Fenstern, vor den Betten und vor den Thüren. So ist bei den kleinen Dimensionen dieser Räume fast die Hälfte mit Decken belegt. Diese können natürlich nicht jeden Tag ausserhalb des Raumes gereinigt werden, trotzdem beim Bremer Lloyd auf jede mögliche Weise für das Wohl der Passagiere ge- sorgt wird. Dazu kommen die Schlafdecken, die Kleider der Passagiere und dergl. Hiergegen dürfte es sich empfehlen, auf den Fussboden Linoleum ! Meine Erfahrungen beschränken sich nur auf Schiffe des Bremer Lloyd. 152 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zu legen und statt der Stoffvorhänge leinene einzuführen, die auf der Fahrt einige Male gewechselt und dann, wie es mit der ganzen übrigen Wäsche regelmässig geschieht, in den Endhäfen leicht gewaschen werden könnten. Natürlich müsste auch dem Publicum bedeutet werden, dass diese Verein- fachung der bisherigen luxuriösen Ausstattung nur zu seinem Wohle ge- schehe. Für das Zwischendeck aber möchte es geeignet sein, das Aufwaschen des Fussbodens mit Creolinlösungen, was schon jetzt vielfach geübt wird, regelmässig Morgens und Abends vornehmen zu lassen. Zum Schluss möchte ich bemerken, dass solche Untersuchungen der Luft auf Mikroorganismen in Schiffsräumen sich in der Litteratur fast nirgends verzeichnet finden. Die von mir angewandte Methode ist bekannt- lich nur eine rohe; wir sind jetzt im Besitz sehr viel vollkommenerer, welche auch eine hinreichend genaue quantitative Bestimmung zulassen. Die vor- liegenden Versuche wollen und können daher nichts anderes sein, als Tast- versuche zur oberflächlichen vorläufigen Orientirung. Es wäre daher sehr wünschenswerth, wenn mit den bekannten verbesserten Methoden solche Untersuchungen von Neuem aufgenommen würden. Insbesondere wäre es nöthig, die Frage nach der Sterilität der Seeluft damit noch einmal zu prüfen. Seit der classischen Arbeit Fischer’s, die wegen der aufge- wendeten Sorgfalt und Umsicht und nicht minder wegen der vorsichtigen Zurückhaltung in der Beurtheilung der Ergebnisse alle Bewunderung ver- dient, ist keine neue eingehende Untersuchung angestellt worden. Und Fischer arbeitete noch mit dem Hesse’schen Gelatineverfahren. An dieser Stelle möchte ich noch der Direction des Norddeutschen Lloyd meinen Dank abstatten für die Ueberlassung einer Schiffsarztstelle in diesem Sommer zu einer einmaligen Reise nach dem La Plata. III. Sitzung am 27. November 1896. Hr. R. pu Boıs-Reymon hält den angekündigten Vortrag: Betrach- tungen über das Hamberger’sche Schema und Demonstration eines veränderten Modells. Nachdem die Versuche von Hrn. Masoin und mir über die Function der Musculi intercartilaginei, über die ich im vorigen Jahre berichtet habe, ! inzwischen durch die Hrrn. Bergendal und Bergman in Stockholm?. be- stätigt und auch auf die übrigen Gruppen der Zwischenrippenmuskeln aus- gedehnt worden sind, ist die Lehre Hamberger’s über die Wirkungsweise der Intercostalmuskeln als vollkommen bestätigt anzusehen. Aus Anlass dieser neuesten Arbeit bin ich daran gegangen, einen Einwand gegen die Beweiskraft des Hamberger’schen Demonstrationsmodelles, der sich mir schon längst aufgedrängt hatte, einer genaueren Prüfung zu unterwerfen. Zu diesem Zwecke habe ich die Originalschrift Hambergers, oder viel- ! Zur Lehre von der Function der Musculi intercostales intern. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1896. S. 86. ? Zur Physiologie der Intercostalmuskeln. Skandinavisches Archiv für Physiol. 1896. Bd. VI. S. 178. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-REYMond. 153 mehr die zweite Ausgabe,! der eine grosse Anzahl der daran anknüpfenden Streitschriften beigefügt sind, durchgeblättert, und daraus eine Reihe interessanter Einzelheiten entnommen, die wohl hier Erwähnung finden dürfen. Der berühmte Streit zwischen Hamberger und Haller wird deshalb immer nur in kurzen Auszügen erwähnt, weil die Originalschriften in un- erträglicher Breite gehalten sind. Der Streit bezieht sich nicht allein auf die Intercostalmusculatur, sondern vielmehr auch darauf, dass Hamberger lehrte, die Pleurahöhle enthielte Luft. Er ist übrigens in diesem Punkte, durch ein von seinen Anhängern vor vielen gelehrten Zeugen ausgeführtes Experiment am lebenden Hunde zeitweilig Sieger geblieben. Die Erklärung der Bewegung des Modells dadurch, dass der schräg gespannte Faden auf den einen Hebel mit einem längeren Hebelarm, also mit grösserem Moment wirke, giebt schon Hamberger selbst. Sein „mechanischer Lehrsatz“ ist von dem Mathematiker und Physiker Segner in strengerer und allgemeiner Form ausgedrückt worden, doch fehlt die Stellenangabe. Haller? und ebenso Boerhave versuchten am Bänderpraeparat des Thorax nach Ham- berger’s Princip Bewegung hervorzurufen, und verwarfen, da ihnen dies nicht gelang, die ganze Lehre. Dasselbe that auf Grund theoretischer Ueberlegung Borelli schon fast hundert Jahre vorher. Schon Borelli tritt nämlich gegen die Ansicht, es seien die Externi Inspira- toren, die Interni Expiratoren, als gegen eine herrschende Lehre auf.? Der Einwand gegen das Hamberger’sche Schema, von dem ich sprechen will, ist natürlich auch schon früher erhoben worden. Das Modell besteht bekanntlich aus einem beweglichen Parallelogramm von Holzstäben, das durch Verkürzung und Verlängerung von diagonal gespannten Fäden seine Gestalt ändert. Abgesehen von anderen weniger wesentlichen Unterschieden zwischen diesem Schema und dem Brustkorbe (Form der Gelenkverbindung der Rippen, Krümmungen der Rippen) muss auffallen, dass in dem Modell durch den dem Brustbein vergleichbaren Theil eine Parallelführung der „Rippen“ gegeben ist, die in der Wirklichkeit nicht existirt. Denn die Rippen gehen winklig in die biegsamen Knorpel über, sodass ihre Endigun- gen als relativ frei angesehen werden müssen. Hamberger selbst giebt diesen Fehler des Modells in den Worten zu: „Sterni quoque necessitas ex modo atque supra dietis sufficienter patet. Costae enim aut contiguae in parte anteriore esse debebant, aut per intermedium corpus connexae“.t Bringt man zwischen zwei freien Hebeln, die man, um ihnen eine stabile Ruhelage zu geben, am bequemsten senkrecht aufhängt, eine schräge Verbindungsschnur an, so erfolgt bei der Verkürzung der Schnur nicht ein gemeinsamer Ausschlag nach einer Seite, wie beim Hamberger’schen Modell, sondern beide Hebel werden gegen einander gezogen. Der Hebel an welchem der Zug mit grösserem Drehungsmoment wirkt, bewegt sich um ı Hambergeri‘ de respirationis mechanismo et usu genuino dissertatio etc. Jenae 1748. ® Haller, De respiratione experimenta anatomica. Bei Hamberger, a.a.0. ® Borelli, De motu anımalium. Neapel 1734. S. 269. (Geschrieben 1680.) * Hamberger, a. a. 0. S LXL S. 32. 154 VERHANDLUNGEN DER BERLINER — einen grösseren, der andere um einen kleineren Winkel. Hat man diesen Versuch angestellt, so liegt der Gedanke nahe, den wenig bewegten Hebel seinerseits zum stark bewegten Hebel eines neuen Paares zu machen, indem man ihn durch einen zweiten schrägen Faden mit einem dritten freien Hebel verbindet. Thatsächlich führen dann die beiden ersten Hebel eine Parallelbewegung aus. Man kann nun eine beliebige Zahl freier Hebel so aneinanderreihen, und sie in der Weise horizontal übereinander anordnen, dass die Zugfäden im Sinne der Externi wirken. Alle diese Hebel bis auf den obersten führen dann bei Verkürzung der Fäden eine vollkommene Parallelbewegung aus. Man kann dies Modell ebensogut wie das Hamberger- sche demonstriren, ohne den obenerwähnten Einwand zu fürchten. Durch Einfügen einer Stütze zwischen oberstem und zweitem Hebel wird die Be- wegung der des gewöhnlichen Modells vollkommen anolog, und dieser Kunstgriff lässt sich damit entschuldigen, dass die oberste Rippe mit dem Brustbein bekanntlich in festerer Verbindung steht als die übrigen, also that- sächlich gehoben werden kann. Aehnliche Schemata A, bildet übrigens schon Sibson ab, der jedoch die oberste Rippe von einem an der „Wirbelsäule“ selbst entspringenden Faden hängen lässt, also gleichsam R, die Scaleni mit in Rechnung bringt.! Dies Ergebniss schien mir insofern paradox, als offenbar die unteren Rippen der Reihe nach an den oberen aufgehängt sind. Es ist nicht zu verstehen, dass unter diesen Umständen die Be- R, wegungsbedingungen für alle Rippen dieselben sein sollten. Nähere Ueberlegung zeigt, dass die Parallel- bewegung nur scheinbar auf gleichen Bedingungen Del R beruht, indem die Spannungen, denen die verschie- 8 denen Fäden unterliegen, thatsächlich verschieden sind. Die Gleichheit der Bewegung ist nur voll- ip kommen, wenn relativ undehnbare Fäden an- | al gewendet werden. Die Spannungsverschiedenheit ist aber bedeutend geringer als man denken sollte, indem jede Rippe nur einen sehr schnell ab- nehmenden Bruchtheil von dem Gewichte jeder folgenden zu tragen hat. Die Summirung der Spannungen für eine schematische Brustwand gestaltet sich folgendermaassen (s. Fig.): Es seien OR, O,R,, O,R, u. s. f. eine Anzahl paralleler gleicher um 0, O0,,0, u.s. f. drehbarer Hebel (Rippen) AB, A,B,, A,B, u.s. f. schräge Zugfäden (die Resultirende der Externi). Die Schwere wirke auf den Hebel OR mit der Resultante p, deren Angriffspunkt 8 sei. Dann ist ihr Drehungsmoment a msoor =ıp eos a, wo dh = os, und Kae die Neigung des Hebels gegen die Wagrechte. ‚@& ! Sibson, On the Mechanism of Respiration. Philos. Transact. 1846. Part IV. p. 501, nn nn m En PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu BoIs-ReYMmonD. 155 Hat nun der unterste Faden die Spannung s und greift an OR n A mit dem Winkel £ an, so ist, wenn OA = |,, sein Drehungsmoment misoR = bs sin. P. Ist das System in Ruhe, so besteht die ee l,ssnß = I, p.cos « Im Punkte B des Hebels O, R, wirkt die en s in der Richtung BA. Daraus entsteht ein nach Unten drehendes Moment /, s sin $, wo l,—= BO.. Ausserdem wirkt auf O, R, die Schwere mit dem nenn Moment wie oben, folglich wirkt im "Ganzen die nach unten drehende Kraft l,ssnß + 1,p cos @. Um dieser die Wage zu halten, muss der Faden A, B, die Spannung s, besitzen, die der Gleichung entspricht l,s,snß =1,ssin® + !,p cos «. Ebenso lässt sich entwickeln, dass auf O, R, die nach unten drehende Kraft wirkt l,s,sinß +1,peose, dass daher im Faden A,B, die Spannung s, entsteht, von der die Glei- chung gilt: l,s;sinß = 1,s,sinß + I, peos«. Danach ergeben sich für die folgenden Fäden A, B, u.s.f. die Spannungs- gleichungen: l,s,mß=1,s,sinP +1, pcos« l,s,sin#? =1,s,sn# +1, pcoseu.s.f. Durch wiederholtes Einsetzen der Werthe für die vorhergehenden Grössen s, erhält man aus diesen Gleichungen die Spannungsreihe |: Sn 1,cos« I; IR En er 1,sing? ol1+7) I; 1,cos« l\cosa _ L,cosa 2, Sl rem »[i u, 2) ua u Ten (14145) =: COS « 1, sin BP »(i 2) und schliesslich allgemein: _1,cos« (Be Ua ea la er (2) +) Mi (2) Da nun ,< lg, so ist es klar, dass die Werthe 2)” I: ol u.s8.f. schnell abnehmen, und dass die letzten Glieder der Reihe kaum mehr in Betracht kommen. Die geringe Ungleichheit in der Beanspruchung der Muskeln, die aus der Summirung der Spannungen entspringt, kann man sich also sehr leicht ausgeglichen denken durch verschiedene Steilheit des Faserverlaufs, durch die Krümmungen der Rippen oder geradezu -durch verschiedene Dicke der Muskelbündel, und die Anschauung ist begründet, dass die Rippen sich voll- ständig parallel bewegen können, auch ohne, wie am Modell, verbunden zu sein. Von dieser Bewegung der knöchernen Rippen ausgehend, muss man sich alsdann eine Vorstellung zu machen suchen von der Bewegung, die sich 156 VERHANDLUNGEN DER BERLINER für die Rippenknorpel ergiebt, wenn sie ihrerseits durch die Intercartilaginei bewegt werden. Zu diesem Zwecke habe ich ein erweitertes Ham- berger’sches Modell construirt, an welchem man sich überzeugen kann, dass bei winklig gebogenen „Rippen“ die Thätigkeit der „Externi“ allein nur eine sehr geringe Erweiterung, ja unter Umständen Verengerung des Thorax bewirkt, während das „Brustbein“ stark kopfwärts gehoben wird. Setzt man dagegen die „Rippenknorpel“ mittelst der „Intercartilaginei“ gleich- zeitig in Bewegung, so wird die Hebung des „Brustbeins“ durch eine gleich- zeitige Senkung ausgeglichen, die Rippenwinkel flachen sich ab, und der Sagittaldurchmesser des Brustkorbes nimmt stark zu. Einer ganzen Reihe von Einwänden hätte Hamberger die Spitze abgebrochen, wenn er selbst sein Modell in dieser Weise weiter ausgebildet hätte. IV. Sitzung am 11. December 1896. 1. Hr. Dr. E. Nawratzeı (Dalldorf) hält den angekündigten Vortrag: Beiträge zur Kenntniss der Cerebrospinalflüssigkeit. Angeregt durch gewisse Widersprüche und schwankende Angaben über einzelne Bestandtheile der Cerebrospinalflüssigkeit, die sich in der Litteratur vorfinden, hat es Verf. unternommen, an einem einwandfreien, von Thieren herstammenden, als normal zu erachtenden Materiale Untersuchungen über den Kupferoxyd in alkalischer Lösung redueirenden Stoff, ferner über den Eiweiss- gehalt und die Arten der Eiweisskörper anzustellen, und fügt einige Mitthei- lungen über die entsprechenden Verhältnisse in der menschlichen Flüssigkeit an. Hinsichtlich des redueirenden Körpers war es namentlich die auffällige Angabe Halliburtons, der diesen Körper als Brenzkatechin nachgewiesen zu haben glaubte, welche den Verf. zu einer Nachprüfung veranlasste. Die einander ‚vielfach widersprechenden Beobachtungen der Autoren führt Verf. zum Theil darauf zurück, dass fast nur Flüssigkeiten von Kranken mit sehr schwer affieirtem Centralnervensystem untersucht worden seien und ausgiebige Studien an normalem thierischen Liquor cerebrosp. so gut wie ganz fehlen. Deshalb wählte Verf. für seine Untersuchungen, um eine normale, von ge- sunden Individuen, rein und ohne fremde Beimengungen entnommene Flüssigkeit zu haben, die Cerobrospinalflüssigkeit des Kalbes. Er konnte zunächst entgegen der Annahme von Hoppe-Seyler und Ransom, dass Zucker seinen Weg nur in kranken Liquor cerebrosp. fände, feststellen, dass in dem wasserklaren, farblos aussehenden, schwach alkalisch reagiren- den, normalen thierischen Liquor stets eine reducirende Substanz mittelst der Trommer’schen Probe nachweisbar war. Weitere Prüfungen an einer Menge von über zwei Litern Flüssigkeit, die von 85 Kälbern gesammelt waren, ergaben, dass nicht Brenzkatechin den reducirenden Körper repräsen- tirte, sondern dass derselbe in all seinen Eigenschaften mit Traubenzucker übereinstimmte. Er redueirte Kupfer- und Wismuthoxyd in alkalischer Lösung, gab mit essigsaurem Phenylhydrazin typische Phenylglucosazon- erystalle, deren Schmelzpunkt zwischen 204 und 205° gelegen war, war ver- gährbar und drehte die Polarisationsebene deutlich nach rechts. Seine Menge betrug 0,0461 °/,. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. NAWRATZKI. — J. F.Hrymans. 157 Der Eiweissgehalt der thierischen Flüssigkeit ist ein ganz minimaler und schwankte, wie aus einer Reihe von quantitativen Bestimmungen her- vorging, zwischen 0,0125°/, und 0,0281°/,, das sind wesentlich niedrigere Zahlen, als bisher je für normale Flüssigkeiten angegeben worden sind. Das Eiweiss besteht nach dem Verf. wohl nur aus Globulin. In ähnlicher Weise wie bei der thierischen wurden die Verhältnisse auch bei der menschlichen Cerebrospinalflüssigkeit geprüft. Das Material war von Kranken, die wegen progressiver Gehirnparalyse in der städt. Irren- anstalt zu Dalldorf sich befanden, mittelst der Quincke’schen Lumbal- punktion gewonnen worden. Verf. konnte feststellen, dass auch in dem menschlichen Liquor cerebrosp. der redueirende Körper regelmässig mittelst der Trommer’schen Probe nachweisbar und mit Traubenzucker identisch war. Es wurden alle oben aufgezählten Eigenschaften desselben auch hier aufgefunden. Während hinsichtlich der Mengen des Trockenrückstandes und der an- organischen Bestandtheile wesentliche Differenzen zwischen thierischer und menschlicher Cerebrospinalflüssigkeit nicht zu Tage traten, war der Eiweiss- gehalt der letzteren durchgehends höher und schwankte zwischen 0,0468 °/, und 0,1696°/,. Verf. lässt es unentschieden, ob Alter und Gattung oder die Art des Leidens einen Einfluss auf die Menge der Riweissausscheidung haben könnte, glaubt aber noch darauf hinweisen zu müssen, dass dem Fieber vielleicht eine nieht unwichtige Rolle hierbei zukäme; dieses dürfe natürlich nicht durch eine Entzündung der Gehirnhäute bedingt sein. Zum Sehlusse weist Verf. auf gewisse Veränderungen hin, die ihm an Cerebrospinalflüssigkeiten aufgefallen waren, welche kurze Zeit p. m. ent- nommen waren. Er glaubt beobachtet zu haben, dass die reducirende Kraft schon bald nach dem Tode abzunehmen beginne und zwar zu einer so frühen Zeit, dass der Einfluss der Fäulniss, worauf schon Hoppe hingewiesen hat, nieht gut annehmbar erscheint. Vielleicht, meint er, könnte man hier an eine glykolytische Wirkung des Blutes denken. (Die Arbeit wird in extenso in der Zeitschrift für physiologische Chemie erscheinen). 2. Hr. J. F. Heymans (Gent) hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Entgiftung von Malonitril. Die erste Mittheilung, welche ich die Ehre hatte, in der physiologischen Gesellschaft vorzutragen, handelte über die relative Giftigkeit der Oxal-, Malon-, Bernstein- und Brenzweinsäuren.! Damals beschäftigte ich mich schon mit der Untersuchung der entsprechenden Nitrile, d. h CN—CN (Cyan oder Oxalnitril), ON—CH?—CN (Malonitril), ON—(CH?),—CN (Bernstein- säurenitril), CN—(CH?),—CN (Brenzweinsäurenitril). Gelegentlich demon- strirte ich in 1890 verschiedenes über die physiologische Wirkung dieser Substanzen. Die Giftigkeit dieser Dinitrile wechselt von Thierart zu Thier- art; bei derselben Art ist sie nicht proportional dem ON-Gehalt oder um- gekehrt proportional dem Moleculargewicht, hauptsächlich ist sie Function erstens des Radicales CN, welches seinerseits durch den Molecülrest in seiner Wirkung modifieirt wird; zweitens der chemischen Zusammensetzung und Thätigkeit des Organismus. 1 Dies Archiv. 1889. S. 168, 158 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Obwohl es von chemischer Seite noch nicht gelungen ist, die Kette der drei höheren Dinitrile zu sprengen, bringt der Organismus dieses unzweifelhaft fertig; nach Einverleibung jedes dieser vier Dinitrile erscheint Sulfoeyan reichlich im Urin. Wie bekannt ist Sulfocyan für Säugethiere sehr wenig giftig; Cyankali in Gegenwart von leicht Schwefel abgebenden Körpern, wie Unterschwefligsaures Natron, wandelt sich schon in KCNS um. Dagegen reagiren die zwei höheren Dinitrile und Hyposulfit gar nicht auf einander. Trotzdem ist letzteres ein Gegengift der ersteren. Ueberhaupt wirken alle leicht Schwefel abspaltende Körper in demselben Sinne: (CH?)?S, (C2H°)HS,«. (C’H)S, » (C2E)332, 7 (C3H7)8,/ COSH—- CH?) Na35’02 Tree besitzen alle der Malonitrilvergiftung gegenüber nicht nur eine praeventive (Lang für KCN), sondern auch eine eurative antitoxische Wirkung. Aus verschiedenen Gründen lässt sich dieses am bequemsten für Malonitril einerseits, Hyposulfit oder Thioacetsäure andererseits demonstriren. Ich habe hier drei Kaninchen (I, U und III) von eirca 1%® Körpergewicht; jedem spritze ich unter die Haut 2,0°® einer zweiprocentigen Malonitril- lösung (= 4.0"8 pro Kilo, oder die sechs- bis siebenfache tödtliche Dosis). Dem Kaninchen Nr. I spritze ich gleich darauf 5°” einer zehnprocentigen Hyposulfitlösung ein; die Wirkung des Malonitril wird dadurch verhindert; das Thier unterscheidet sich keinen Moment von einem normalen. Nach circa 15 Minuten ist die Vergiftung bei II und III bis zur Paralyse fort- geschritten; diese Thiere liegen auf der Seite in ausgesprochen dyspnoischem Zustand. Dem Thiere Nr. Il wird alsdann ebenfalls 5°” Hyposulfitlösung beigebracht; nach etwa fünf Minuten tritt deutliche und progressive Besserung der Athmung und Motilität sowie der sonstigen Functionen ein; nach eirca 15 Minuten zeigt das Thier normales Verhalten, während inzwischen das Thier Nr. III verendet ist. Die Dinitrile sowie die Mononitrile sind die ersten Gifte deren Wirkung jeden Moment aufgehoben werden kann. Die einmal bewiesene Thatsache des Vorhandenseins von wirklichen Gegen- giften eröffnet in dieser Richtung ein ganz neues Gebiet, welches speciell’ der Therapie fruchtbringend sein wird. Für weitere Einzelheiten vergleiche „Archives de pharmacodynamie“, 1896, vol. II. 3. Hr. Rawırz trägt vor: Bemerkungen zu einer Abhandlung des stud. med. Siegmund Schumacher: Ueber die Lymphdrüsen des Macacus rhesus. Im 48. Bande des Archivs für mikroskopische Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte ist eine Abhandlung des stud. med. Schumacher „über die Lymphdrüsen des Macacus rhesus“ erschienen, welche sich vor- wiegend mit meiner unter dem Titel „über die Zellen in den Lymphdrüsen von Macacus eynomolgus“ im 45. Bande derselben Zeitschrift abgedruckten Arbeit beschäftigt. Da ich in der nächsten Zeit wohl kaum Musse und Neigung finden werde, der Frage über die Zellen der Lymphdrüsen wiederum näher zu treten, zumal da ich Material von Macacus eynomolgus bisher nicht mehr erhalten konnte, so möchte ich die antikritischen Bemerkungen, welche ich den kritischen Ausführungen von Schumacher entgegen zu setzen habe, sofort und hier an dieser Stelle machen. Sofort, weil einzelne der zahl- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — RAWITZ. 159 reichen Irrtümer, die meinem Kritiker begegnet sind, nieht lange unwider- sprochen bleiben dürfen, und hier an dieser Stelle, weil ich seinerzeit hier über meine Untersuchungsergebnisse zuerst berichtet habe. Zunächst eine Bemerkung über die von Schumacher gewählte syste- matische Bezeichnung. Er nennt das Thier „Macacus rhesus“. Kann sein, dass dieser Name vielfach üblich geworden ist, richtig ist er aber nicht, wenn man dem ausgezeichneten Handbuche der Zoologie von Carus und Gerstäcker trauen darf. Im ersten Bande desselben, 8. 74, ist als zehnte Gattung in der Familie der Catarrhini die Gattung Inuus aufgeführt mit den drei Untergattungen Macacus, Rhesus und Inuus, über deren systematische Differenzen das betreffende Handbuch den nöthigen Aufschluss gewährt. Die von Schumacher untersuchte Art war wahrscheinlich Rhesus erythraeus, welcher Affe von den Rhesusarten am häufigsten zu uns kommt. Ich urgire diesen Umstand darum, weil mein Kritiker glaubt, dass bei der „so nahen“ Verwandtschaft zwischen der von ihm und der von mir untersuchten Species so durchgreifende Abweichungen vom gewöhnlichen Bau der mesenterialen Lymphdrüsen, wie ich sie beschrieben, nicht wahrscheinlich seien. Gar so nahe sind die Arten also nicht verwandt, und darum ist auch eine Differenz im Bau der Lymphdrüsen nicht ohne Weiteres unwahrscheinlich. Zudem habe ich in Band IX des anatomischen Anzeigers eine bis dahin nicht bekannte Eigenthümlichkeit von Macacus cynomolgus beschrieben, nämlich die Existenz ramifieirter Darmzotten, während z. B. bei Inuus radiatus gewöhnliche Zotten vorkommen. Inuus radiatus ist aber dem Macacus eyno- molgus eben so nahe verwandt, wie Rhesus erythraeus. Mein Kritiker meint, dass meine von den bisher bekannten Thatsachen so abweichenden Befunde an den Lymphdrüsen von Macacus cynomolgus — es fehlen hier die Secundärknötchen (Keimcentren im Sinne Flemmings) — sich daraus erklären lassen, dass ich vermuthlich zu wenig Lymphdrüsen untersucht habe. Wo in meiner Arbeit eine Stütze für diese Vermuthung liegt, weiss ich nicht, da ich über das Quantum des verarbeiteten Materiales bestimmte Angaben zu machen nicht für nöthig hielt. Nunmehr will ich mittheilen, dass ich von zusammen zwei Thieren zwölf Drüsen untersucht habe, eine Zahl, die mich hinreichend gross dünkt, um mich zu einem Urtheil über meine Befunde zu befähigen. Selbstverständlich habe ich mir nicht alle Schnitte, die ich angefertigt, aufgehoben, dazu lag bei der abso- luten Gleichartigkeit des Materiales für mich gar keine Veranlassung vor. Betreffen die beiden bisher gemachten Bemerkungen anscheinend mehr nebensächliche Punkte, so riehten sich die folgenden gegen den Kern der Kritik. Schumacher hat die von mir empfohlene adjective Färbung mit Anilinfarben wiederholt, aber, wie er a. a. O. S. 147 bemerkt, keine be- friedigenden Resultate mit derselben erzielt und hält sich trotzdem zu der Bemerkung berechtigt (a. a. ©. S. 159), dass die Methode Schrumpfungs- vorgänge „einzuleiten“! scheint. Ich habe nur zu erklären, dass ich niemals während der Jahre, die ich mit der Methode arbeite, irgend etwas beob- ! Der Ausdruck Schrumpfung „einleiten“ ist unklar und darum unrichtig. Eine Färbungsmethode, welche Schrumpfungen einleitet, beendet dieselben auch, das heisst: sie bedingt Schrumpfungen überhaupt. Von einer Einleitung allein kann über- haupt logischerweise niemals geredet werden, nur von einem grösseren oder geringeren Grade der Schrumpfung. . 160 VERHANDLUNGEN DER BERLINER achtete, was auf eine durch dieselbe bewirkte Schrumpfung der Schnitte hingewiesen hätte. Im übrigen kann ich die Kritik des stud. med. Schu- macher nicht für zulässig und berechtigt erachten. Ich wenigstens würde niemals ein von einem anderen Forscher empfohlenes technisches Verfahren zu kritisiren mir erlauben, wenn ich mit dem Verfahren lediglich Misserfolge und niemals gute Resultate gehabt hätte. Es sei denn, ich könnte exact nachweisen, dass die Erfolge einem Zufall zugeschrieben werden müssen, bei dessen Nicht-Eintreffen regelmässig Misserfolge zu verzeichnen sind. Einen solchen Nachweis hat Schumacher nicht einmal andeutungsweise zu erbringen versucht, und darum ist seine Kritik unberechtigt. Dass ihm die Tannin-Brechweinsteinmethode versagte, bedaure ich lebhaft; ich glaube indessen, dass die Ursache nicht in der Methode liegt. Dieselbe ist etwas complieirt, verlangt daher eine grosse Uebung in der Anfertigung mikro- skopischer Praeparate, dürfte aber in der Hand erfahrener Mikroskopiker sowie an geeigneten Schnitten — für Schnittfärbung ist sie ausschliesslich empfohlen — niemals Fehlschläge ergeben. Unter den Zellen der Lymphdrüsen beschreibt Schumacher „Phago- eyten“, grosse Gebilde, welche rothe Blutkörperchen in sich aufnehmen. Diese Zellen liegen in dem Reticulum, ihr Zusammenhang mit dem Bindegewebe ist unverkennbar, ja „es scheinen sich Reticulumzellen in Phagocyten umwandeln zu können, oder umgekehrt Phagocyten in Retieulum- zellen“ (a. a. O. 8.156). Ich beschrieb bei Macacus cynomolgus Riesenzellen, ! welche zahlreiche kugelige homogene Körper enthalten und frei im Reticulum liegen, das heisst also Zellen besonderer Art, welche nicht in den Strängen des Reticulum sondern in den von den Strängen gebildeten Maschen sich finden. Wie es daher möglich ist, dass mein Kritiker seine Phagocyten mit den von mir erwähnten Riesenzellen identifieirt, verstehe ich nicht. Es leuchtet doch ohne Weiteres ein, dass wir zwei vollkommen verschiedene Zellarten vor uns hatten, die weiter nichts gemeinsam haben, als dass sie in Lymphdrüsen angetroffen werden. Daher fallen auch alle kritischen Bemerkungen, die Schumacher gegen mich richtet, in sich zusammen, eben weil sie auf Gebilde Bezug nehmen, die er gar nicht gesehen hat. Ich hätte somit auch gar nicht nöthig, meine Deutung der homogenen Körper, welche in den Riesenzellen eingeschlossen sind, als Gebilde, die in den Kreislauf gelangen, gegen die Bemerkung zu verteidigen, dass es sich um rothe Blutkörperchen handle, welche aus dem Kreislaufe entfernt werden, wenn nicht die eigen- artigen Anschauungen, die Schumacher bei dieser Kritik entwickelt, eine Zurückweisung erheischen würden. Ich habe ausdrücklich hervorgehoben, dass die homogenen kugeligen Körper kleiner als die rothen Blutkörperchen sind. Schumacher meint, dass die von mir beschriebenen Gebilde rothe Blutkörperchen seien, die, was möglich wäre, vor ihrem Zerfall Kugelgestalt annehmen; „ist dies der Fall, so muss mit dieser Formänderung zugleich eine Abnahme des grössten Durchmessers eintreten“ (a. a. 0. 8. 159). Das ! Warum Schumacher sich vor der Anwendung des Terminus „Riesenzellen“ scheut, ist mir nicht erfindlich. Wer da weiss, dass es sich um Riesenzellen der Lymphdrüsen handelt, wird dieselben weder mit den Riesenzellen des Knochenmarkes noch der embryonalen blutbildenden Organe noch der Tuberkeln und wo sonst Riesen- zellen vorkommen können verwechseln. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Rıwırtz. — Rosın. 161 heisst also: die rothen Blutkörperchen schrumpfen (ihr grösster Durchmesser nimmt ab) und erlangen dabei Kugelgestalt. Eine solche Auffassung wider- spricht aber Allem, was wir über den Zerfall der rothen Blutkörperchen wissen. Nehmen diese vor ihrem Zugrundegehen Kugelgestalt an, dann blähen sie sich auf, vergrössern sich also; schrumpfen sie, dann erscheinen sie zackig (morgensternartig) oder unregelmässig conturirt. Schon die Thatsache also, dass die von mir beschriebenen Körper kleiner sind als die rothen Blutkörperchen und dabei Kugelgestalt besitzen, verbietet geradezu die von Schumacher gemachte Annahme. Dazu kommt, dass die rothen Blutkörperchen bei adjectiver Anwendung der Anilinfarben sich gar nicht färben (gelb erscheinen), während die von mir beschriebenen homogenen Körper sich intensiv tingiren. Allerdings ist dies nur bei gelungener Färbung der Fall, wie sie sich bei misslungener verhalten, kann ich wenigstens nicht beurtheilen. Dies sind die antikritischen Bemerkungen, die ich einigen der haupt- sächlichsten kritischen Irrthümer des stud. med. Schumacher entgegen- setzen will; auf die verschiedenen anderen Verkennungen einzugehen, würde heissen, die Geduld der Gesellschaft ungebührlich in Anspruch zu nehmen. Auch ohne neue Untersuchungen nöthig zu haben, kann ich die Be- hauptung aufstellen, dass Schumacher weder die von mir geschilderten Thatsachen als irrig erwiesen noch meine Deutungen derselben widerlegt hat. Davon könnte erst die Rede sein, wenn er an derselben Species, wie ich, gearbeitet und meine Methoden mit hoffentlich besserem Erfolge als bisher nachgemacht haben wird. So viel nur geht aus der sonst ganz verdienstlichen Arbeit hervor, dass Macacus eynomolgus hinsichtlich seiner Lymphdrüsen sich von Rhesus erythraeus ebenso unterscheidet, wie hinsicht- lich seiner Darmzotten von Inuus radiatus. 4. Hr. Rosın hält die angekündigte Demonstration von Nervenzellen- Praeparaten. Zu der Demonstration, welche ich mir erlaubt habe heute zu machen, sei es mir gestattet nur wenige Bemerkungen hinzuzufügen, um so mehr als ich im Verein für Innere Mediein schon darüber berichtet habe. Ich beabsichtige ein Gesetz zu demonstriren, welches die Gang- lienzellen des erwachsenen Menschen mit wenigen Ausnahmen betrifft, und welches ich so formuliren möchte: Jede Nervenzelle des erwachsenen Menschen ist zu einem beträchtlichen Theile ihres Leibes erfüllt von feinen Körnchen, welche sich durch Osmiumsäure schwarz, bezw. dunkelbraunschwarz färben. Diese Körnchen erscheinen zuweilen, durch das Mikroskop betrachtet, mehr als die Hälfte der Nervenzellen einzunehmen, fast immer handelt es sich um einen beträchtlichen Antheil; die Körnchen sitzen zu einem oder in mehreren Haufen zusammen, zwischen denen eine feine Verbindungsbrücke von Körnchen hin und wieder besteht. Sie finden sich also in den Nervenzellen der grauen Vorderhörner des Rückenmarks ebenso gut wie in den kleinen der Hinterhörner; sie finden sich durch die ganze Hirnrinde wie auch in den Centralganglien, in der Medulla oblongata u. s. w. Eine Ausnahme machen nur die Purkinje’schen Zellen, in denen die Körnchen nur in minimalster Menge als feinster Staub sich zeigen und ferner die pigmentirten Ganglien- Archiv f. A. u, Ph, 1897.. Physiol, Abthlg. 11 162 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zellen, welche so zahlreich in den Nervenkernen der Medulla, im locus eäruleus u. s. w. vorkommen; das in braunen Körnchen hier vorhandene Pigment färbt, sich nicht durch die Osmiumsäure. Die Körnchen, welche ich in 30 verschiedenen Fällen regelmässig gefunden habe, sind bereits vollständig ausgebildet im 17. Lebensjahre, scheinen aber dann noch ein wenig an Zahl zuzunehmen, bis etwa in das 30. Lebensjahr. Beim Neugeborenen fehlen sie vollständig, doch sind sie im ersten Lebensjahre schon als feiner zarter Staub angedeutet und kommen dann bis zum Pubertätsalter hin zu einer stärkeren Entwickelung. Bei den Thieren fehlen sie, wenigstens habe ich sie nicht gefunden beim Rind, Hund, Kaninchen, bei der Ratte und Katze. Beim Rinde findet sich an manchen Ganglienzellen an einer ganz kleinen Stelle eine An- häufung ganz zarter Pünktchen, welche vielleicht mit denen beim Menschen in Beziehung stehen. Auch in frischen Ganglienzellen kann man die Körnchen sehen, sie liegen genau an derselben Stelle als theils ungefärbte, theils, nämlich in den grösseren Nervenzellen, blassgelb gefärbte Körner; diese sind in den grossen Nervenzellen nicht übersehen worden und, da ihre Farbe im Alter etwas dunkelt, so sind sie besonders bei älteren Individuen als Pigment- körner öfter beschrieben worden; manche Autoren haben die Gebilde sogar. für pathologisch gehalten und von Pigmentatrophie gesprochen. Ich habe mich bemüht alle diese Verhältnisse durch Praeparate klar zu stellen und möchte nur noch erwähnen, dass ich stets ganz dünne l/,procentige Osmiumsäure angewendet habe und sowohl ganz frisches, als auch in Formol- und Müller’scher Flüssigkeit gehärtetes Material verwendet habe. Die Ösmiumsäure muss stets längere Zeit, auf Stücke sogar 4 bis 6 Tage, einwirken, natürlich in der Dunkelheit. Sehr empfehlens- werth ist besonders die Marchi’sche Färbungsmethode. Ich könnte mich mit der Demonstration dieser Thatsache begnügen, dass nämlich die Nervenzellen eine durch ÖOsmiumsäure sich schwarz färbende Substanz in so reichlicher Menge enthält, und sie einfach ersuchen, von dieser, wie ich glaube für die Histologie, vielleicht auch Biologie dieser Zellen wichtigen Eigenschaft Kenntniss nehmen zu wollen. Ich möchte jedoch noch einige Worte hinzufügen, welche Vermuthungen ich über die Natur der Substanz hege. Lediglich um Pigment kann es sich nieht handeln, wie Sie wohl auch auf Grund der Praeparate urtheilen werden: ich habe Ihnen solche unter anderem auch ausgestellt, welche vorher mit Chlor völlig gebleicht, des Pigmentes also. beraubt und dann mit Osmium geschwärzt worden waren. Dazu kommt, dass die Körnchen nur zum Theil hellgelb gefärbt zum Theil aber farblos sind, dass ferner dieser gelbe Farbstoff keine der bekannten Pigmentreactionen giebt, wie Pilez nachgewiesen hat, endlich dass das echte Pigment der Nerven- zellen sich eben nicht mit Osmiumsäure schwärzt. Hingegen glaube ich, dass die Substanz zu den Fettkörpern, im weitesten Sinne des Wortes zu rechnen ist: das beweist einmal die Schwarzfärbung mit Osmiumsäure und sodann das völlige Ausbleiben dieser Schwarzfärbung, wenn mit Alkohol, Aether die Körnchen vorher extrahirt sind; ich glaube nicht, dass eine Substanz, welche diese beiden Eigenschaften vereinigt, zu etwas anderem als zu den Fettkörpern zu rechnen ist, wenigstens ist mir eine solche unbekannt. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Rosın. — GAETANOs Vıncı 163 Was für eine Substanz nun vorliegt, ob ein Lipochrom oder aber Leeithin oder Protagon, das lässt sich vorläufig nicht bestimmen; ich will versuchen dieser Frage noch auf andere Weise näher zu treten. 5. Hr. Dr. GawtAno Vıncı aus Messina (als Gast) hält den angekündigten Vortrag: Ueber die anaesthesirende und toxische Wirkung einiger dem Cocain nahestehender Körper! (Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Berlin.) Wie bekannt, besitzen ausser Cocain eine ganze Reihe chemischer Substanzen eine local anaesthesirende Wirkung. Zwar kommt diese Eigenschaft nicht nur solehen Köpern zu, welche ihrer Constitution nach in Beziehung zum Cocain stehen, sondern auch vielen anderen Substanzen, welche chemisch in keiner Weise dem Cocain nahe stehen, noch unter sich verwandt sind. Da jedoch im Allgemeinen die physiologische Wirkung einer Substanz in direecter Beziehung zu ihrer chemischen Constitution steht, so schien es mir von Interesse zu sein, von diesem Gesichtspunkte aus, einige neuere der Constitution nach dem Cocain nahestehender Körper zu untersuchen. Eine Reihe dieser Körper entsteht durch Ersatz des Hydroxylwasser- stoffs durch Benzoyl und des Carboxylwasserstoffs durch Alkoholradicale in den synthetisch hergestellten Triacetonalkamincarbonsäuren (Merling), HO COOH NH auf dieselbe Weise, wie man aus Eegonin durch Benzoyliren und Esterifieiren nach den bekannten Methoden von Liebermann, von Giessel und von Einhorn das Cocain synthetisch herstellen kann. OH CH CH CH, —=Ecgonin c c-COOH ? N-CH; 0-C0-C.H; CH CH CH, = (ocain CH! c-C00.CH N-CH; ! Vinci, Ueber ein neues locales Anaestheticum, das REucain. Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie und Physiologie. 1896. Bd. CXLV. I 164 *% VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wie es bei einer anderen Gelegenheit schon gezeigt werden konnte, existitt also eine grosse Aehnlichkeit zwischen solchen Triaceton- alkamincarbonsäuren und der Grundsubstanz des Cocains, dem Eegonin, indem das Carboxyl und die y-Stellung des Hydroxyls zum Stickstoff ge- meinsam ist und nur die Brücke CH,-CH, fehlt und die Stellung des Stick- stoffs zum Carboxyl eine andere ist. Ein Zusammenhang also der auf die oben erwähnte Weise entstan- denen Körper mit Cocain liegt auf der Hand. Ueber die Wirkung des einen hierher gehörenden Körpers habe ich bereits an anderer Stelle! eingehend berichtet. Es ist der n-Methyl-Benzoyltetramethyl-y-oxypiperidincarbonsäuremethyl- ester CH,.C00 CO.0.C,H, Os Noll, CH, U Mel { CH cH,>& __ 0CN__ C A 0CN__CO\__ CTu > In T,, bleibt, wie wir voraus- setzen, constant, 7;—7, wird gemessen. Von den theoretischen Voraussetzungen unterscheidet sich dieser Fall also dadurch, dass die Abseissenaxe für die Temperatureurve in 7 selbst verlagert wird. Ich habe versucht, dies in Fig. 2 darzustellen. Statt der punktirt dargestellten Curve (welche eine Wiederholung der Curve 1 des vierten Artikels ist) würden wir etwa eine Curve von der Gestalt erhalten, Fig. 1. 1 Dies Archiv. 1894. 8. 226. 176 Il. RosENTHAL: wie sie die ausgezogene Curve der Fig. 2 zeist. Da die Wärmeabgabe von innen nach aussen erfolgt, so erklärt es sich, warum die Temperatur in A zu hoch steigt, und dann erst ihren endgültigen Stand annimmt, was dann einen analogen Verlauf der Temperaturcurve von J zur Folge hat, wie dies in unserer Figur angedeutet ist. Wie weit diese Unregelmässigkeit sich aus- bildet, das hängt hauptsächlich von der Geschwindigkeit des Temperatur- anstiegs ab; sie wird bei hohen Wärmeproductionen relativ stärker sein als bei geringen. Als Beispiel eines solchen Verhaltens füge ich einen Versuch ein, bei welchem die Verhältnisse den hier angenommenen entsprachen. Durch einen im Wasser selbst angebrachten Thermoregulator wurde die Temperatur desselben auf 15-1° erhalten. Bei Beginn des Versuches war dies die Temperatur. des ganzen Apparates, es war also: Warn, N, 15% Während die Wärmequelle wirkte, stieg 7, auf 16-8 und sank dann auf 16-65. In dieser Zeit stieg das Manometer auf 74, dann auf 78 Fig. 2. und sank wieder auf 73. Der höchste Manometerstand fiel aber nicht etwa mit dem Maximum von 7, zusammen, sondern trat erst ein, als 7, schon zu fallen begann. Da der Manometerstand der Differenz 7,—7, proportional ist, so beweist dies, dass 7; noch etwas stieg, während 7, schon wieder fiel, und dass dann erst das Gleichgewicht zwischen den drei Tempe- raturen 7;, 7, und 7, zu Stande kam, welches der vorhandenen Wärme- production wirklich entsprach. Diese Umstände verzögern also die Erreichung: des festen Manometer- standes, sie erhöhen sozusagen die „Trägheit“ des Apparates. Sie machen aber auch wegen der durch sie bedingten Schwankungen des Manometer- standes die Berechnung der Wärmeproductionswerthe unsicherer, als sie sonst sein würde. Ist aber die Wärmeproduction nicht vollkommen constant, dann wiederholen sich alle diese kleinen Ungenauigkeiten, freilich in ver- kleinertem Maassstabe, bei jeder Zu- und Abnahme der Wärmeproduction; das Manometer steht nicht still, sondern geht hin und her und dement- sprechend wird die Berechnung fehlerhaft. ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 177 4. Nothwendigkeit der Kühlung des Aussenraumes. - Wir müssen deshalb die Wärmeregulirung so einrichten, dass der Raum A nahezu constante Temperatur behält. Dazu ist es nothwendig, dass A nicht bloss erwärmt, sondern auch abgekühlt werden kann; letzteres muss eintreten, wenn von 7’ her mehr Wärme zugeführt wird, als A in der gleichen Zeit an das Wasser verliert. Also darf das den Raum A um- spülende Wasser selbst keine constante Temperatur haben, sondern muss nach Bedarf wärmer oder kälter werden; doch muss dafür gesorgt sein, dass diese Kühlung wie die Erwärmung möglichst schnell wieder aufgehoben Fig. 3. werden, sobald sie die gewünschte Wirkung ausgeübt haben. Der Zweck wurde erreicht durch Benutzung eines Regulators, der bei steigender Tempe- ratur in A die das Wasser erwärmenden Flammen auslöschte und gleich- zeitig kaltes Wasser zuführte.! ! Um Missdeutungen vorzubeugen, bemerke ich ausdrücklich, dass ich diese und alle anderen Anordnungen, welche ich benutzt habe, nicht als neue Erfindungen an- sehe, und denen, welche Aehnliches oder Gleiches vor mir oder unabhängig von mir benutzt haben, nichts von ihren Verdiensten rauben will. Die meisten dieser Methoden sind ja Gemeingut aller Experimentatoren, lassen sich kaum mit Sicherheit auf einen Archiv f. A. u. Ph. 1897. Physiol. Abtblg, 12 178 I. ROSENTHAL: Aus einem hochstehenden grossen Gefässe, welches immer gefüllt er- halten wird, kann dem Calorimeter kaltes Wasser zugeführt werden. Das von diesem Grefäss ausgehende Zuleitungsrohr theilt sich in zwei Arme. Der eine wird in der Regel verschlossen gehalten; von ihm wird später die Rede sein. Der andere theilt sich abermals und tritt von unten her an zwei Stellen mit dem Wasserraum in Verbindung. Auf diesem Wege strömt dauernd Wasser zu; der Ueberschuss läuft oben durch passende Röhren ab. Das in dieser Weise in fortwährender langsamer Strömung erhaltene Wasser wird durch einen Gasbrenner auf eine passende Temperatur ge- bracht. Das hierzu erforderliche Gas gelangt von dem Hahn der Gas- leitung zum Rohr r und durch das Rohr r’ zum Brenner. Die Kapsel X, durch welche das Gas hindurchgeht, ist oben mit einer Kautschukplatte verschlossen, in deren Mitte ein Messingplätichen aufgekittet ist. Wird dieses nach abwärts gedrückt, so wird das Rohr r verschlossen, der Gas- strom wird unterbrochen, die Flammen erlöschen. Hört der Druck auf, so stellt sich der Gasstrom wieder her, die Flammen werden durch eine kleine Zündflamme wieder entzündet. In den Luftraum A ist eine Art von grossem Thermometergefäss (Fig. 3A) versenkt. Dasselbe ist mit Aethyläther, das mit ihm zusammen- hängende, zu einem Doppelhaken gebogene Glasrohr bis zum Punkte g mit Quecksilber gefüllt. Bei D ist dieses Glasrohr durchschnitten und seine Enden in ein kurzes Stück Eisenrohr eingekittet. Von diesem geht ein Draht zu den Windungen eines Elektromagneten, deren anderes Ende mit dem einen Pol einer Kette verbunden ist. Vom anderen Pol dieser Kette geht ein Draht nach D’ zu einem starren Draht, der durch eine Schraube mehr oder weniger tief in das Glasrohr eingesenkt werden kann. Steigt die Temperatur in 4 bis zu einer gewissen Höhe, so kommt das Quecksilber in g in Berührung mit dem Draht; der Strom wird ge- schlossen und der Anker #/ angezogen. Dadurch wird der Gasstrom ab- gesperrt, die Flammen erlöschen und das Wasser wird abgekühlt, bis durch bestimmten Autor zurückführen. Kleine Modificationen, die der einzelne Experimentator anbringt, sind von geringer Bedeutung. Alles was ich beanspruche ist, dass ich die verschiedensten Methoden durchgeprüft habe, um theoretisch und experimental-kritisch festzustellen, was die Wärmemessung mit dem Luftcalorimeter zu leisten im Stande. ist, welchen Grad von Zuverlässigkeit sie zu erreichen gestattet und welche die günstigsten Bedingungen sind, die einen möglichst hohen Grad der Genauigkeit gewähr- leisten. Von einem Messinstrument muss man vor Allem seine Fehlergrenzen kennen und die Umstände, welche auf diese Einfluss haben. Aus diesen Gründen wird es sich auch, wie ich glaube, rechtfertigen, dass ich bei diesem methodologischen Theil meiner Untersuchungen so lange verweile. CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 179 die Volumsabnahme in A der Strom wieder unterbrochen und dadurch der Gasstrom wieder freigegeben ist. Die so herzustellende Temperaturregulirung wirkt nur unvollkommen aus folgendem Grunde. Wenn die Temperatur in 4 über die gewünschte Temperatur steigt, so hört zwar die Erwärmung des Wassers auf; es dauert aber ziemlich lange, bis durch das zugeführte kalte Wasser eine solche Ab- kühlung von 4 hergestellt ist, dass der Strom bei g wieder unterbrochen wird. Inzwischen ist die Temperatur des Wassers fortwährend mehr und mehr gefallen; während nun die Flammen schon wieder brennen, sinkt die Tempe- ratur in 4 noch weiter und steigt dann erst wieder. Mit einem Worte, A hinkt immer mit Verzögerung hinter den Temperaturbewegungen des Wassers rach und die Schwankungen sind viel zu gross. Um diesen Fehler zu beseitigen, ist in dem Stromkreis ausser bei g noch eine zweite Unterbrechungsstelle angebracht, welche durch einen zweiten Regulator bethätigt wird. Dieser liegt aber nicht im Luftraum A, sondern im Wasser. Das Spiel der Regulatoren gestaltet sich dann, wenn beide richtig eingestellt sind, so: Steigt die Temperatur in A, so wird der Strom geschlossen, die Flammen erlöschen; das Wasser kann aher nicht zu kalt werden; denn wenn die Temperatur desselben um ein geringes gefallen ist, wird der Strom an der zweiten Unterbrechungsstelle geöffnet. Jetzt fällt zwar die Temperatur noch ein wenig; aber ehe dies zu weit fortschreiten kann, wird es durch die inzwischen wieder beginnende Erwärmung des Wassers aufgehalten. | Diese Regulirung genüst, so lange keine Wärmequelle im Calorimeter vorhanden ist. Wird aber dem Raume 4 auch von innen her Wärme zu- geführt, so bedarf es einer stärkeren Kühlung. Dazu dient der oben er- wähnte, in der Regel verschlossen gehaltene Zweig des Kühlwasser zu- leitenden Rohres. Der Verschluss dieses Rohres erfolet auf dieselbe Art wie bei dem Gasstrom in der Kapsel X, nur ist die für das Wasser be- stimmte Kapsel viel grösser. Durch ein Gewicht wird die Kapsel ver- schlossen erhalten; ein Elektromagnet, welcher das Gewicht hebt, giebt den Zufluss frei. In den Stromkreis, welcher diesen Elektromagneten erregt, sind die Drähte d und a’, welche man in Fig. 3 rechts sieht, eingeschaltet. Wie man in der Figur sieht, ist dieser Stromkreis bei Ruhelage des Hebels HH’ an der Stelle ce unterbrochen, der Schluss wird aber hergestellt, wenn H durch seinen Elektromagneten angezogen wird. Man hat es also jeder Zeit in der Hand, auch diese stärkere Kühlung in Wirksamkeit treten zu lassen. Selbstverständlich kann eine derartige Regulirung durch strömendes Wasser nicht so prompt und genau wirken, wie es Thermoregulatoren guter 127 180 I. ROSENTHAL: Construction sonstim Stande sind.! Das ist aber auch nicht nöthig; es genügt, wenn die Temperaturschwankungen im Raume A innerhalb eines oder einiger weniger Zehntel eines Grades gehalten werden, besonders wenn sie langsam erfolgen, was bei den grossen Massen in unserem Apparat der Fall ist. Denn dann kann die Temperaturdifferenz 7;—T7,, auf welche es allein ankommt, sich immer den langsam wechselnden Zuständen anpassen. Durch passende Wahl der Strömungsgeschwindigkeit, der Zahl und Grösse der Gasflammen und durch passende Einstellung der Wärmeregu- latoren gelingt es, die Temperatur des Calorimeters so zu reguliren, dass sie ein wenig unter der Zimmertemperatur steht, wenn keine Wärme- quelle in ihm vorhanden ist. Unter dem Einfluss der Wärmequelle steigt die Temperatur des inneren Raumes einige Grade über die Tempe- ratur des Zimmers. Das gewährt den Vortheil, dass die Ventilationsluft, welche mit Zimmertemperatur in das Calorimeter eintritt, mit nur wenig erhöhter Temperatur wieder austritt, so dass die Correcturen wegen Venti- lation und Fortführung von Wasserdampf gering sind und kleine Fehler in der Berechnung derselben auf das Gesammtresultat wenig Einfluss haben.? Um die Temperaturen der eintretenden und austretenden Luft richtig ab- zulesen, sind die durch die Rohrstutzen s, und s, eingeführten Thermo- meter z, und Z,° rechtwinklig gekrümmt und ihre horizontalen Schnäbel so lang, dass die Quecksilbergefässe bis zur Eintrittsstelle in, bezw. bis zur Austrittsstelle aus dem eigentlichen Calorimeterinnenraume reichen. Ueber diese Correctionen wegen Ventilation und Fortführung von Wasserdampf werde ich später noch einige Bemerkungen anzufügen haben. Ist die Einstellung auf die gewünschte Temperatur richtig getroffen, so überlässt man das Calorimeter einige Stunden lang sich selbst. Die Ther- mometer z, und z,, welche die Temperaturen im inneren und äusseren Luft- raum anzeigen, müssen dann gleich hoch stehen. Jetzt kann man durch Drehung der Hähne 4, und H,! die Verbindung dieser Räume mit der Zimmerluft ab- und die Verbindung mit dem Manometer herstellen. Das Manometer muss dann, so lange als keine Wärmequelle im Calorimeter ist, unverrückt auf O stehen bleiben. Hat man sich hiervon überzeugt, so kann man die Versuche beginnen. | ! Bei den thermoelektrischen Untersuchungen nach der von mir beschriebenen Methode (dies Archiv. 1895. S. 191) benutze ich Regulatoren, welche die Temperatur des’ Thermostaten Stunden lang bis auf 0-01° constant halten. Ich werde dieselben gelegentlich beschreiben. Aber in diesem Falle ist die Aufgabe leichter, weil es sich um ‚eine kleine, begrenzte Wassermasse handelt, die nur an die Umgebung Wärme abgiebt, und die zu erhaltende Temperatur (32°) bedeutend über der Zimmertempe- ratur liegt. bu 2 Vgl. Artikel 5. Dies Archiv. 1894. 8. 243. s)no® Dies Archiv. 1894. Taf. I. ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 181 5. Wiederholte Versuche mit Wasserstoff. Um den Grad der Zuverlässigkeit des Calorimeters zu prüfen, habe ich wieder Versuche mit verschiedenen Brennstoffen (Wasserstoff, Oel, Aethylalkohol) vorgenommen, ausserdem aber noch die Heizung mittelst elektrischen Stromes hinzugefügt. Die Versuche wurden anfangs ohne die eben beschriebene Regulirung ausgeführt, später (namentlich die mit dem elektrischen Strom) mit dieser wiederholt. Ich spreche hier zunächst nur von den ersteren. Man verfährt ganz so, wie ich es in den früheren Artikeln für die Aichung des Apparates beschrieben habe, indem man in jedem Versuche die Wärmeproduction (aus dem verbrannten Brenn- stoff, der Brennzeit und der Verbrennungswärme des benutzten Brennstoffes, bezw. aus der Stromstärke und dem Widerstand berechnet) als bekannte Grösse einsetzt und daraus den Emissionsfactor # berechnet. Man erhält so eine grosse Zahl von Werthen von Z, deren Verhältniss zu dem gemein- samen Mittelwerth eine Anschauung von dem Grade der zu erreichenden Genauigkeit gewähren. Die Versuche mit Wasserstoff wurden in derselben Weise vorgenommen, wie es im sechsten Artikel ($ 4) beschrieben worden ist.” Nachdem durch eine constant brennende H-Flamme der Gleichgewichtszustand des Appa- rates erreicht war, wurde ein in einer grossen Flasche enthaltenes gemessenes H-Volum in constantem Strom verbrannt. Aus diesem Volum (redueirt auf 0°, 760 «m Ho und Trockenheit) und der Dauer der Verbrennung er- giebt sich die Wärmeproduction in Stunden-Calorien = n, und aus dieser und dem abgelesenen Manometerstand m der Werth von # nach der Formel n b, E — m . 7 a Als Beispiel lasse ich hier zunächst das Protocoll eines solchen Ver- suches folgen. I. — 284-7 ba = 139.0. Beginn der Vorheizung 8 Uhr 55 Min. Beginn des Versuches 10 „ 22 „ Ende des Versuches 11 „ 8 , 35 Sec. Dauer des Versuches = 46 Min. 58 Sec. H-Volum (redueirt) 8.680 Cal. In 1 Std. verbr. H = 11:69 „ n = 35-58. 1 Dies Archiv. 1894. Taf. 1. I 2 Ebenda. 1894. S. 260 ff. r9llı 182 I. ROSENTHAL: An diesem Werth ist jedoch eine doppelte Correetur vorzunehmen: 1. enthielt das benutzte Gas (comprimirter 7 aus der Fabrik von Dr. Elkan in Berlin) nach mehreren unter einander gut stimmenden Analysen 3-6 Proc. nicht explosible Beimengungen; 2. wegen der Ventilation und Fortführung von Wasserdampf. Danach reducirt sich der Werth von n auf 30.02. Das Manometer war während der Vorheizung auf 140 gestiegen. Während des Versuches wurden-abgelesen: 140-5 140.5 140-5 140-0 140.0 140-5 Mittel: 140.3. Berechnung: log n = 1-5054 log m = 2.1471 „ Da = 2-8686 „ Ja = 2-4544 4.3740 4-6015 log E = 0-7125—1 E = 0.5923. Eine Reihe von 11 Versuchen dieser Art ergab folgende Werthe: Nummer Nummer des Versuches 4 2 des Versuches 3 = 1 24-01 0:5423 2 15:59 0.5159 2 17-18 0-5639 8 23-51 0:5303 3 22-42 0.5692 9 13-48 0-5745 4 23-59 05602 10 27:26 0-5758 5 35.58 0-5925 11 22-97 05814 6 29.49 0-5862 Mittel: 0-5629. Eine andere Versuchsreihe, bestehend aus 15 Wasserstoffversuchen ergab als Mittel: E = 0.5680. 6. Wiederholte Versuche mit Alkohol und Olivenöl. Zu den Versuchen mit Alkohol wurde eine kleine Mariotte’sche Flasche benutzt. An einen Kolben mit langem Hals war unten ein hori- zontales, an seinem etwa 18 ® vom Kolben entfernten Ende rechtwinklig nach oben gebogenes und dort etwas erweitertes Glasrohr angeschmolzen. Auf dieses passte eine Tülle von Messing, durch welche der dünne Baum- wolldocht hindurchging. Der Kolben war mit einem durchbohrten Kork- stopfen verschlossen, durch welchen ein starkwandiges, oben und unten offenes, enges Glasrohr bis fast an den Boden des Kolbens gesteckt war. ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 183 Wurde der Kolben mit Alkohol gefüllt, so hielt sich das Niveau desselben constant auf der durch das untere Ende des Luft zuführenden Bchues gegebenen Höhe, Das Lämpchen brannte sehr gut und gab während mehrerer Stunden eine constante Flamme. Aus dem Gewicht der Lampe vor dem Anzünden und nach dem Auslöschen ergab sich die verbrannte Alkoholmenge und aus der Brennzeit die in einer Stunde verbrannte Menge. Durch Bestimmung des specifischen Gewichtes wurde der Gehalt an absolutem Alkohol be- rechnet (derselbe betrug 96 bis 97 Gewichtsprocent) und daraus die Wärme- production in Stunden-Calorien. Eine Reihe solcher Versuche, aus zehn Einzelversuchen bestehend, ergab: E = 0.5663. In ähnlicher Weise wurden Versuche mit Oel angestellt. Ein napf- förmiger Glasbehälter war mit einer Mariotte’schen Flasche so verbunden, dass er stets bis zu gleichem Niveau gefüllt blieb. In diesen Behälter tauchte ein aus Baumwoll- oder Asbestfäden gebildeter Docht, durch eine Tülle gehalten. Die Flamme blieb drei bis vier Stunden lang sehr gut constant. Bei längerem Brennen nahm ihre Helligkeit und damit die Wärmeproduction ab, weil sich etwas Kohle am Docht ablagerte. Trotzdem gaben auch diese Versuche einen zu den anderen Reihen leidlich stimmenden Werth; aus zehn solchen Werthen berechnete sich £ = 0.5796. Stellen wir die gefundenen Werthe zusammen, so haben wir: 1. Aus 11 Versuchen mit Wasserstoff: 7 = 0.3680) tel — 0.5659 » ” „ 0.5680 3. „ 10 „ „ Alkohol 0:5663 | Be en 10 ” „ Olivenöl 0. 5106| Mittel = 0.5730. Wenn wir den aus den Wasserstoffversuchen berechneten Werth als maassgebend ansehen, so weicht der aus den Alkoholversuchen berechnete Werth um weniger als 1, der aus den Oelversuchen berechnete dagegen um etwa 21], Procent ab. Dies gilt für die Mittelwerthe aus grösseren Versuchsreihen. Die Fehlergrenzen für einzelne Versuche sind erheblich grösser. So weicht z. B. in der oben mitgetheilten Versuchsreihe mit Wasser- stoff der kleinste Werth (0.5303) vom Mittel um fast 6 Procent, der grösste Werth (0-5925) um etwas mehr als 5 Procent ab. 7. Versuche mit elektrischer Heizung. Diese Abweichungen beruhen zum Theil auf der Unsicherheit der Berechnung der Wärmeproduction. Geringe Fehler in der Ablesung der Temperatur des Wasserstoffes oder in der Zeit der Verbrennung des ab- 184 I. RosEnTHAL: abgemessenen Volums haben einen verhältnissmässig grossen Einfluss. Es war daher von Anfang an mein Wunsch, eine von diesen Mängeln un- abhängige Wärmequelle zu benutzen, um zu erkennen, welchen Grad der Genauigkeit die benutzte calorimetrische Methode an sich zu erreichen gestattet. Als solche eignet sich vor Allem die Wärmeproduction durch den elektrischen Strom.! Bei der Heizung mittelst des elektrischen Stromes hat man nur eine Ablesung zu machen, die der Stromstärke, welche mit hinlänglicher Ge- nauigkeit geschehen kann. Ventilation und Fortführung von Wasserdampf fallen ganz fort. Die einzige Unsicherheit ist gegeben in der Aenderung des Widerstandes, welchen der im Calorimeter enthaltene Draht durch die Temperaturzunahme erfährt. Aber auch diese kann, wie wir sehen werden, mit genügender Genauigkeit berechnet werden. Ist die Stromstärke J und der Widerstand W bekannt, dann berechnet sich die in einer Secunde produeirte Wärme nach der Joule’schen Formel zu 0.24 x J2 x W Sec.-cal. Da es für unsere Zwecke bequemer ist, nach Stunden-Calorien zu rechnen, so muss der Factor 0-24 mit 3-6 multiplicirt werden. Wir er- halten also n = 0.864 x J? x W St.-Cal. wenn J in Ampere und W in Ohm gemessen sind. Zur Ausführung der Versuche wurde in das Calorimeter ein constanter Widerstand von 200 42 eingeführt. Derselbe bestand aus zwei parallel ge- schalteten Reihen von je 26 Spiralen aus Kruppindraht, welche in einem Rahmen von Schiefer vertical eingespannt waren. Die Enden des Drahtes sind an zwei 7.5 ”=® starke Kupferdrähte gelöthet, welche gut isolirt durch die Verschlussplatte des Calorimeters hindurchgeführt sind und vor derselben in zwei Klemmschrauben enden. Mittelst dieser sind ausserhalb des Calo- rimeters vorgeschaltet: 1. Ein Hitzdrahtamperemeter von Hartmann und Braun in Bockenheim bei Frankfurt. Dasselbe ist in 0-02 Ampere direct getheilt und gestattet, 0-001 A. schätzungsweise abzulesen. Eine Vergleichung desselben mit einem anderen guten Galvanometer ergab, dass die Messung von J bis auf 0-001 A. hinreichend genau war. ! Da das Erlanger physiologische Institut nicht über eine genügende Starkstrom- quelle verfügt, so wären mir diese Versuche auch jetzt noch unmöglich gewesen, wenn nicht mein College, Hr. E. Wiedemann, die Liebenswürdigkeit gehabt hätte zu ge- statten, dass eine Leitung von dem physikalischen nach dem physiologischen Institut gelegt würde, so dass ich mit dem in jenem Institut erzeugten, in einer Accumu- latorenbatterie aufgespeicherten Strom von 110 Volt Spannung arbeiten konnte. Hierfür zu danken ist mir eine angenehme Pflicht. CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 185 2. Ein Kurbelrheostat bestehend aus Kruppindrahtspiralen, welcher von 0 bis zu 200 2 Widerstand vorzuschalten gestattet. 3. Ein Schieberrheochord, der von 0-3 bis 66 2 ging. Mit Hülfe dieser beiden konnte die Strom- stärke innerhalb gewisser Grenzen varlirt und, bei etwaiger Inconstanz der Spannung, regulirt werden. Der Strom durchlief zuerst den Kurbelrheostaten, dann das Schieber- rheochord, dann das Amperemeter und zuletzt den im Calorimeter befind- lichen Hauptwiderstand. Von. dem Anfang des Amperemeters und dem Ende des Hauptwiderstandes zweigten Drähte zu einem Voltmeter ab, um die zu der jeweiligen Stromstärke gehörige Spannung messen zu können. Diese Spannung ergab sich als vollkommen constant, so lange die Accumulatorenbatterie nur mit den eben beschriebenen Apparaten verbunden war. Wenn jedoch im physikalischen Institut gearbeitet wurde, so traten plötzliche Schwankungen derselben ein.! Die Messung des im Calorimeter befindlichen Widerstands ergab, dass derselbe bei 15° = 200 2 war; der Widerstand des Amperemeters wurde =0:-8.0 gefunden. Nach den Untersuchungen von G. Dettmar? ist der Temperaturecoöfficient des Kruppins ziemlich gering. Sein Widerstand nimmt bei Erwärmung von 15-1° auf 28-85° zu im Verhältniss von 243 : 246. Danach wurde dann in jedem Versuch der Widerstand berechnet unter der Annahme, dass die Temperatur der Widerstandspiralen gleich sei der Tempe- ratur des inneren Calorimeterraumes. Da dies sicherlich nicht ganz zu- trifft, die Drahtspiralen vielmehr, welche die Wärmequelle darstellen, etwas wärmer sein müssen, so war der berechnete Werth von n etwas zu klein. Der Fehler kann aber nur gering sein. Man kann die Wärmeproduction auch aus der Stromstärke und der Spannung (/ in Volt ausgedrückt) berechnen nach der Formel n=0-864 x Jx V St.-Cal. Da jedoch die Spannung an den Enden des Calorimeterwiderstandes + Amperemeters gemessen wurde, so muss man von dem nach dieser Formel gefundenen Werth den Antheil der Wärmeproduction, welcher auf das Amperemeter fällt, abziehen. Die nach beiden Formeln ausgeführte Be- rechnung ergab stets erhebliche Unterschiede, was an der Ungenauigkeit des Voltmeters liegt;® z. B.: ! Um von diesen unabhängig zu sein, wurden die eigentlichen Messungen meistens nur in der Zeit von 12 bis 2!/, Uhr Mittags vorgenommen, die Zeit vorher nur zur Vorheizung benutzt, in welcher es genügte, bei vorfallenden Schwankungen mit dem Schieberrheochord nachzuhelfen, ohne dass dadurch die Messung selbst gefährdet wurde. ? Elektrotechnische Zeitschrift. 1893. S, 710. ® Auch der Widerstand des Amperemeters ändert sich mit der Temperatur. Da diese unbekannt ist, so könnte man zur Berechnung desselben die am Voltmeter abgelesene 186 L RosENTHAL: n = 0:864 x (0-36)? x 201 = 22-51 n=0-864 x 0-36 x 74-7 = 23-28. Die benutzten Stromstärken lagen meist zwischen 0-26 und 0-42 Amp, was Wärmeproductionen von rund 12 bis rund 30 Stunden-Calorien ent- spricht; nur einige Male wurde bis zu 0.5 Amp. gestiegen, was 43-6 Stunden-Calorien ergiebt. Bei Beginn des Versuches kann man durch einen stärkeren Strom vorheizen, um schneller zu dem erwarteten Mano- meterstand zu gelangen. Man stellt dann auf die gewünschte Stromstärke ein und wartet ab, ob das Manometer seinen Stand ändert. Geschieht dies nicht mehr, so kann der Versuch beginnen. Als Beispiel führe ich einen derartigen Versuch an: T, = 281.3 ba = 133.1. Der Strom wird auf 0-4 Amp. eingestellt; er sinkt dann auf 0.398 und bleibt so constant bis zum Schluss.! Zeit Manometer Zeit Manometer 126 — 124 12220, 129 12& 10° 124 15 30' 129 125 20’ 124 15 40' 128 12b 30° 124 15 50' 128 125 40° 125 22h — 128 125 50° 126 22510; 128 1b — 129 2h 20’ 128 110% 129 2122307 128 n berechnet sich zu 27.65 St.-Cal, m wird = 128.4 gesetzt. Spannung benutzen, indem man aus dieser (V) und der Stromstärke (J) den Widerstand W 4 s N | — 7) berechnet. Das so gefundene W stellt die Summe Amperemeter- + Haupt- widerstand im Calorimeter dar. In dem oben im Text angeführten Beispiel würde sich = 207-5 ergeben; davon entfallen auf den Widerstand im Calorimeter 201, auf das Amperemeter würden &lso 6-5 (2 kommen, was offenbar falsch sein muss. ! Bei diesem Versuch wurde ebenso wie bei den oben ($ 5) angeführten Versuchen mit Z die Temperaturregulirung in dem äusseren Wasser vorgenommen. Die Tempe- ratur des äusseren Luftraumes A war deshalb nicht constant, sondern stieg allmählich. Dementsprechend erreichte das Manometer ganz allmählich seinen höchsten Stand und sank dann wieder, allerdings nur um 1””. Zur Berechnung hätte vielleicht richtiger der letzte Werth (128 statt 128-4) benutzt werden sollen, was für Z den Werth 0-5512 ergeben hätte. CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 157 Berechnung: log n = 1-4417 log m = 2.1086 ‚„ Da = 2.8652 » Ta = 2-4584 4.3069 4.5617 log # = 0.7399 — 1 E = 0.5492. Eine Reihe von zehn Versuchen dieser Art ergab folgende Werthe für #: Vers ' Resultat Ve Resultat 1 0-5644 6 0-5744 2 0-5624 7 0-5517 3 0-5507 8 0.5526 4 05466 1) 0.5335 5 0-5389 10 05782 Mittelwerth für #= 0.5553 (Max. 0.5782 — Min. 0.5335). Der Mittelwerth verhält sich zum Maximalwerth wie 100 : 104.14. Der Mittelwerth verhält sich zum Minimalwerth wie 100 : 96-08. Die grössten Abweichungen betragen also nach oben wie nach unten etwa 4 Procent. 8. Vergleichung der verschiedenen Heizmethoden. Wenn diese Versuche eine bessere Uebereinstimmung aufweisen, so liegt dies erstens daran, dass mit dem elektrischen Strom eine viel gleich- mässigere Wärmeproduction hergestellt werden kann als mit den anderen zur Heizung benutzbaren Methoden und dass zweitens die Berechnung der produeirten Wärme sicherer ist. Da diese allein von der gewählten Strom- stärke abhängt, so kann man schon im Voraus wissen, welchen Manometer- stand man zu erwarten hat. Man kann also his zu diesem schneller oder langsamer vorheizen, je nach Belieben. Man kann den Versuch unter den denkbar günstigsten Bedingungen beginnen und beliebig lange fortsetzen. Wir lernen bei diesen Versuchen die Eigenheiten des Apparates, unabhängig von Nebenumständen, rein kennen; wir arbeiten unter Bedingungen, welche der dem Verfahren zu Grunde liegenden Theorie möglichst nahe kommen Diese Theorie setzt, wie wir gesehen haben, zweierlei voraus: 1. dass die Wärmeproduetion in der Zeit gleichmässig stattfinde; 2. dass die Um- gebungstemperatur vollkommen constant bleibe. Die erstere Bedingung kann mit der elektrischen Heizung fast absolut vollkommen erfüllt werden. Die zweite war bei den hier angeführten Versuchen nicht vollkommen er- füllt, weil die Wärmeregulirung nicht in dem Raum A, sondern in dem diesen umgebenden Wasser erfolgte. 188 I. RosEnTHaL: Ich habe aber absichtlich diese älteren Versuche hier angeführt, weil ich an ihnen die Verhältnisse besser zu demonstriren in der Lage bin. Ist die erste Bedingung (Constanz der Wärmequelle) erfüllt, so sollte nämlich, wie aus den Krörterungen in $ 3 und der Curve Fig. 2 hervorgeht, der schliesslich zu erreichende Manometerstand davon nicht beeinflusst werden. Dagegen kann die Zeit bis zum Eintritt desselben etwas verlängert, und es kann demselben (wie es auch die angeführten Versuche zeigen) ein etwas zu hoher Stand vorausgehen. Benutzt man diese zu hohen Angaben mit bei der Berechnung, so fällt der berechnete Werth der Wärmeproduction zu hoch oder (wenn es sich um Berechnung von E handelt) dieser zu niedrig aus. Diese Fehler können bei den Versuchen mit elektrischer Heizung bis zu 4, bei den anderen bis zu 6 Procent steigen. Wir haben somit für Z folgende Werthe erhalten: 1. Durch Heizung mit Wasserstoff. . . . 0.5658 DET, a „Alkohole . =... ...0:.5663 BY „ „.Olvenolen 2... 222.:029096 Au aha, 3 „ elektrischem Strom . 0.5553. Der letzte Werth ist aus den angeführten Gründen als der wahr- scheinlich richtigste anzusehen, doch kommen auch die anderen ihm so nahe, als man bei der Complication der Bedingungen, welche in ihre Be- rechnung eingehen, nur erwarten kann. Wir sehen hier das wiederholt, was sich schon früher! bei den noch unvollkommeneren Versuchsbedingungen der damaligen Versuche gezeigt hatte. So gross auch die Abweichungen der einzelnen Versuche untereinander sein mögen, die Mittelwerthe grösserer Versuchsreihen weichen nur wenig von einander ab. Das beweist, dass die Mängel weniger in der Methode zu suchen sind als in der Unvollkommen- heit der meisten für die Aichung benutzten Verfahren. Die elektrische Heizung ist von diesen Mängeln so gut wie frei. Sie kann hinlänglich constant erhalten werden und in die Berechnung gehen nur zwei Grössen ein, welche mit ziemlich grosser Genauigkeit gemessen werden können: die Stromstärke und der Widerstand des im Calorimeter befindlichen Drahtsystems. Gegenüber den Complicationen, welche die anderen Verfahren, Verbrennung von Wasserstoff oder anderen Brennstoffen, oder das früher von mir benutzte aber bald wieder aufgegebene Verfahren des Durchleitens von warmem Wasser bieten, ist die elektrische Heizung von der denkbar grössten Einfachheit. Sie eignet sich daher zur Aichung ganz besonders gut. Was bei ihr noch an Genauigkeit vermisst wird, ist zum grossen Theil noch durch die mangelhafte Regulirung der Aussen- temperatur verschuldet. ' Siehe den fünften Artikel. Dies Archiv. 1894. S. 262 f. ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 189 Aber freilich arbeitet das Calorimeter bei dieser Art der Heizung unter so günstigen Verhältnissen, wie sie bei Thierversuchen, für die es doch be- stimmt ist, niemals erreicht werden. Namentlich ist es der Wegfall der Ventilation und der Fortführung von Wasserdampf, welcher der elektrischen Heizung nur noch mit der Methode der Wasserdurchleitung gemeinsam ist. Da dieselbe aber bei den Thierversuchen nicht entbehrt werden kann, muss ihr Einfluss gesondert untersucht werden. 9. Einfluss der Ventilation. Ich habe schon im fünften Artikel darauf hingewiesen,! dass die Wärme- fortführung durch die Ventilationsluft gering ist. Sie wird noch geringer bei der jetzt beschriebenen Einrichtung. Bei den früheren Verfahren war die Temperatur des äusseren Raumes, an welches das Calorimeter Wärme abgiebt, gleich oder etwas höher als die des Zimmers, die Temperatur des Calorimeters selbst also immer höher, und die Ventilationsluft musste, da sie mit Zimmertemperatur in das Calorimeter eintritt, abkühlend auf dasselbe einwirken. Benutzt man Wasser zur Constanthaltung der Aussen- temperatur, so kann man dieselbe über oder unter der Zimmertemperatur wählen, letzteres allerdings nur, wenn fortwährend kaltes Wasser das UOa- lorimeter umspült. Es ist aber unzweckmässig, grosse Unterschiede zwischen der Zimmer- und der Calorimetertemperatur herzustellen. Die Zimmerluft muss, ehe sie in den Thierraum eintritt, den Rohrstutzen s,? passiren, welcher durch das Wasser und den äusseren Mantel hindurch in den Thierraum geht. Die durch diesen Stutzen streichende Luft wird deshalb immer von der Temperatur des Wassers beeinflusst; die Luft, welche durch den Stutzen streicht, wird vom Wasser, je nach dessen Tempe- ratur, abgekühlt oder erwärmt werden. Je kleiner der Unterschied zwischen Zimmertemperatur und Wassertemperatur ist, desto geringer ist dieser Einfluss. Wenn man, wie ich es jetzt thue, die Regulirvorrichtung in dem Raum 4A anbringt, so wechselt je nach der Wärmeproduction die Tempe- ratur des Wassers. Die Unterschiede bleiben aber immer gering, wenn man die Regulirung so einstellt, dass 7; etwas über, 7‘, etwas unter der Zimmertemperatur liegt. Die Ventilation ändert dann an dem Wärme- zustand des Calorimeters wenig, die durch sie bedingten Correctionen können sogar ganz vernachlässigt werden, ohne das Ergebniss merklich zu ändern. Die Temperaturdifferenz der ein- und austretenden Luft übersteigt selten den Werth von 1°. Das entspricht bei einer Ventilation von 200 Liter etwa 0-06 Cal. in der Stunde. Dementsprechend sah ich auch bei elek- ı Dies Archiv. 1894. 8. 2483. 2 Ebenda. 1894. Taf. ]. 190 I. ROSENTHAL: CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. trischer Heizung keine merkliche Aenderung des Manometerstandes ein- treten, wenn die Ventilation ein- oder ausgeschaltet wurde. Dies gilt noch viel mehr für den Fall, dass die Ventilation nach dem Verfahren von Regnault und Reiset benutzt wird, da hierbei das bewegte Luftquantum absolut geringer und die im Kreise herumbewegte Luft beim Durchgang durch das Calorimeter ihre Temperatur noch weniger ändert. Die aus dem Calorimeter abziehende Luft ist, falls Wasserbildung innerhalb des Apparates stattfindet, das heisst bei Versuchen an Thieren, beim Brennen von Flammen u. s. w., nicht aber bei der elektrischen Heizung oder derjenigen durch innen Wasser, immer ganz oder nahezu mit Wasserdampf gesättigt. Was mehr als dieser Betrag innerhalb des Calorimeters gebildet wird, wird in flüssiger Form niedergeschlagen und kommt für die Wärmeberechnung nicht in Betracht. Bei der Venti- lation nach Regnault und Reiset, bei welcher der austretenden Luft ‚alles Wasser entzogen und der zum Ersatz des verbrauchten Sauer- stoffes zugeführte Sauerstoff vor seinem Eintritt in das Calorimeter ge- trocknet wird,! kann das in den vorgelegten Absorptionsgefässen gebundene Wasser nur bei der Verbrennung gebildet oder durch Verdunstung fort- geführt sein. Bei der Ventilation nach Pettenkofer’s Methode aber ist zu beachten, dass auch die 'in den Apparat eintretende Luft schon sehr viel Wasserdampf enthalten kann. In meinen Versuchen stieg der Gehalt an manchen Tagen bis 70’ Procent und darüber der zur Sättigung erfor- derlichen Menge. Dieser hohe Wassergehalt der Luft kann nicht be- fremden, wenn man bedenkt, dass zur Ventilation, zur Kühlung des Calori- meters und zu anderen Zwecken fortwährend Wasser in dem Zimmer reich- lich in Strömung erhalten wurde. Alle diese Umstände sind zu beachten, wenn man genauere Ergebnisse erzielen will. Viel wichtiger aber ist die Frage, ob durch Verbesserung der Temperaturregulirung in der oben ($ 4) beschriebenen Weise die Wärme- messung über das in den bisher mitgetheilten Versuchen erhaltene Maass der Genauigkeit gesteigert werden kann. Das soll im nächsten Artikel unter- sucht werden. Zugleich aber will ich dort die andere Frage erörtern, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn die Wärmeproduction nicht constant verläuft. Da für solehe Fälle eine graphische Registrirung der Calorimeterangaben wünschenswerth ist, so werde ich auch die Gelegenheit benutzen, eine von mir schon seit Jahren benutzte Registrirvorrichtung zu beschreiben und die mit ihr gewonnenen Ergebnisse mit den durch Manometerablesungen ge- wonnenen zu vergleichen. Erlangen, September 1896. 1 Vergl. Artikel 5. Dies Archiv. 1894. S. 258. . Calorimetrische Untersuchungen. Von I. Rosenthal. (Hierzu Taf, 111,) Achter Artikel. Die Registrirung der Calorimeter-Angaben. 1. Die Wichtigkeit richtiger Temperaturregulirung. Nachdem wir im vorhergehenden Artikel die Mittel kennen gelernt haben, die calorimetrischen Angaben durch zweckmässige, den theoretischen ‘ Voraussetzungen besser entsprechende Regulirung der Aussentemperatur zuverlässiger zu machen, haben wir jetzt zu erörtern, ob hierdurch eine grössere Uebereinstimmung der einzelnen Versuche unter einander und somit eine grössere Genauigkeit der Messungen erzielt werden kann, als dies bei den bisherigen Versuchen der Fall war. Aus den erörterten Gründen eignet sich für diese Prüfung die elek- trische Heizung, weil sie am besten gestattet, die Wärmeproduction con- stant zu halten und die Berechnung der producirten Wärme ohne erheb- liche Fehler vorzunehmen. Wie ich zu wiederholten Malen hervorgehoben habe, steigt das Mano- meter unter der Einwirkung einer constanten, im Innern des Calorimeters wirkenden Wärmequelle nur langsam an, um so langsamer, je geringer die Wärmeproduction ist. Durch die am Schluss des siebenten Artikels beschriebene Art der Wärmeregulirung wird diese Vorbereitungszeit merk- lich abgekürzt, noch mehr, wenn man, wie ich dies schon früher empfohlen habe, anfangs mit einer stärkeren Wärmequelle vorheizt. Bei der Aus- führung von Versuchen nach diesem Schema fiel mir aber ein Verhalten auf, welches ich früher nicht so deutlich erkannt hatte. Ich will dasselbe an der Hand eines bestimmten Versuchsprotocolls erläutern, 192 IL ROSENTHAL: Es sollte der Werth von Z durch Heizung mit dem elektrischen Strom bestimmt werden, die zu benutzende Stromstärke sollte = 0-34 A. sein. Aus vorhergehenden Versuchen war bekannt, dass dieser Stomstärke ein Manometerstand von ungefähr 90 entsprechen müsse. Um die Vorbereitungs- zeit abzukürzen wurde um 11 Uhr 30 Min. der Strom mit der Strom- stärke J =0-52A. geschlossen; dieselbe ging (hauptsächlich wegen Zunahme des Widerstandes durch Erwärmung) langsam auf 0-51A. zurück. Um 11 Uhr 37 Min. war m = 92. Jetzt wird J auf 0-34A. eingestellt; m steigt weiter bis 102, sinkt dann auf 87 und steigt wieder langsam bis 91, auf welchem Stand es sich mit ganz geringen Schwankungen, bei denen es bis 92 steigt, dauernd erhält. — Die Regulirung der Temperatur im Aussenraum war so, dass dieselbe nur innerhalb der Grenzen 16-33° und 16-38 schwankte; jeder Abnahme dieser Temperatur entsprach ein Steigen, jeder Zunahme ein Sinken von m. Die Berechnung von Z£ ergab, wenn man m = 91 ansetzt, den Werth 0.5569; für m = 92 wird E = 0.5508. Der aus anderen Versuchen be- rechnete Mitteiwerth für # ist 0-5553, die grösste Abweichung also. = 0-8 Procent. Man ersieht aus diesem Beispiel, dass man, um genaue Werte zu er- langen, die Temperatur von A sehr sorgfältig constant halten und dass man lange genug warten muss, um sicher zu sein, dass m schon seinen rich- tigen Werth angenommen hat. Die Nichtbeachtung des eigenthümlichen Verhaltens nach Vorheizung mit stärkerer Wärmeproduction als die zu messende hat mir viel zu schaffen gemacht. Da das Manometer zuweilen auf einem der von ihm durchlaufenen Werthe etwas länger stehen bleibt, so glaubte ich öfter diesen als den richtigen ansehen zu müssen und brach den Versuch ab, ehe der wahre Stand erreicht war. Oder ich setzte den Versuch zwar fort; da ich aber den Grund der Manometerschwankungen nicht kannte, glaubte ich alle Ablesungen als gleich werthvoll ansehen zu müssen, legte deshaib den Mittelwerth der Berechnung zu Grunde und erhielt so in der Regel einen zu grossen Werth für 2. Ist man erst auf diese Erscheinung aufmerksam geworden, so fällt es nicht schwer sich davon Rechenschaft zu geben, wodurch sie veranlasst wird. So lange keine Wärmequelle im Calorimeter wirkt, haben alle Räume desselben gleiche Temperatur. Nach Schliessung des Stroms beginnt zu- erst die Erwärmung des Innenraums J und damit das Steigen des Mano- meters. Nach einiger Zeit steigt auch die Temperatur in 4; der Tem- peraturunterschied zwischen J und A wird geringer. Zugleich beginnt aber auch die Kühlung, und damit ist ein neues Moment zum Steigen des Manometers gegeben. ‘Wird jetzt; die Wärmeproduction vermindert, so hört: die Steigerung der Innentemperatur nicht sofort auf, sie wird nur ver-: ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 193 zögert; da aber gleichzeitig die Aussentemperatur sinkt, so wird die Diffe- renz grösser und damit auch der Manometerstand. Ist in Folge der Kühlung die anfängliche. Temperatur von A wieder hergestellt, so nimmt der Mano- meterstand wieder ab, und es dauert längere Zeit, bis vollkommenes Gleich- gewicht hergestellt und damit der richtige Manometerstand dauernd er- reicht ist. Man gewinnt aber auch nicht an Zeit, wenn man die Vorheizung kürzere Zeit wirken lässt oder wenn man ganz ohne Vorheizung sofort mit der Wärmeproduction beginnt, welche gemessen werden soll. Es bleibt nichts anderes übrig, als ruhig abzuwarten, bis sich der Zustand der Con- stanz hergestellt hat. Je besser man die Wärme des Aussenraums regulirt, desto schneller wird man zu diesem Zustand gelangen und desto genauer werden die Ergebnisse unter einander stimmen. 2. Zu erzielende Genauigkeit. Welchen Grad von Genauigkeit man bei guter Regulirung zu er- reichen vermag, lehrt die nachstehende Versuchsreihe. Nr. des Versuches | m E 1 15:61 0:5552 2 11:71 0:5554 3 15.63 0-5541 4 11-73 0:5552 5 | 20-06 0.5558 6 25:08 05540 7 25-06 0:5590 8 30-67 0-5548 9 20:05 0:5508 10 30:62 0-5571 Mittelwerth: 0-5551. Der Mittelwerth verhält sich zum höchsten wie 100:100.7, der Mittel- werth verhält sich zum niedrigsten wie 100:99-4. Vergleicht man diese Reihe mit der im vorigen Artikel mitgetheilten, so sieht man eine fast, vollkommene Uebereinstimmung der Mittelwerthe (früher 0.5553, jetzt 0-5551); während aber in der früheren Reihe die Fehler bis zu rund 4 Procent stiegen, bleiben sie jetzt unter 1 Procent. Eine grössere Genauigkeit wird wohl auf keinen Fall erreicht werden können. Bevor ich jedoch daran gehe, zu untersuchen, wie sich die Brauch- Archiv f. A, u. Ph, 1897. Physiol, Abtblg. 13 194 I. RosENnTHAL: barkeit des Apparates bei anderen Wärmequellen gestaltet, insbesondere bei der Verwendung zur Messung der von Thieren produeirten Wärme, für welche er in erster Linie bestimmt ist, will ich noch die Einrichtungen beschreiben, welche ich zur graphischen Registrirung der Calorimeterangaben getroffen habe. 3. Registrirung der Calorimeterangaben. Eine solche Registrirung, welche den Experimentator davon ent- bindet, fortdauernd die Manometerstände abzulesen und zu notiren, ist ja auf alle Fälle angenehm und erleichtert die Lösung vieler Aufgaben. So lange jedoch allerlei äussere Umstände, Temperaturschwankungen und dergl. von so erheblichem Einfluss waren, dass eine fortwährende Beaufsichtigung des Apparates von Seiten des Experimentaters nothwendig war, hatte es keinen Zweck, die zu messenden Werthe durch irgend eine mechanische Vorrichtung aufschreiben zu lassen. Nachdem ich aber jetzt gezeigt habe, auf welchem Wege es gelingt, genauere und zuverlässigere Angaben zu - erhalten, werde ich nach der Beschreibung der von mir schon vor längerer Zeit construirten und in einzelnen Versuchsreihen benutzten Vorrichtung ! an der Hand der erhaltenen Aufzeichnungen in der Lage sein eingehender zu untersuchen, wie sich der Apparat verhält nicht nur bei vollkommen constanter Wärmeproduction, sondern auch bei Schwankungen derselben. 4. Princip der benutzten Registrirvorrichtung. So zahlreich auch die bisher construirten Apparate zur graphischen Registrirung von Drucken sind, so war doch keiner der mir bekannten für meinen Zweck geeignet. Die Schwierigkeit lag darin, dass wir es mit zwei vollkommen abgeschlossenen Lufträumen (den im vorigen Artikel erwähnten Röhrensystemen r; und r.) und einem zwischen dieselben geschalteten Differentialmanometer zu thun haben. Diesem Umstande musste Rechnung 1 Diese Vorrichtung wurde von mir zuerst beschrieben in meinem Vortrag vor der biologischen Section der British Association for the Advancement of Science zu Edinburgh im Jahre 1892 (abgedruckt, leider sehr verstümmelt, in der Zeitschrift Nature, XLVII. 88) sowie auf dem zweiten Internationalen Physiologen-Congress zu Lüttich in demselben Jahre. In der vereinigten Sitzung der physiologischen und hygienischen Sectionen der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Nürnberg (welche mi physiologischen Institut zu Erlangen abgehalten wurde) habe ich den Apparat nach Vollendung des Vortrages demonstrirt. Dieser Vortrag ist abgedruckt in der Berliner klinischen Wochenschrift. 1893. Nr. 38; die Registrirvorrichtung selbst ist dort nicht beschrieben, sondern nur kurz erwähnt. ÜALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 195 getragen werden, wenn die Grundlage des Messungsverfahrens beibehalten werden sollte. | | Der Registrirapparat ist auf Taf. III in seinem wesentlichsten Theil dargestellt; einige Einzelheiten werden durch die schematischen Figg. 4 u. 5 erläutert. Es seien J und A die beiden durch das Manometer M mit einander verbundenen Lufträume. In J sei durch die Wirkung der Wärmequelle ein Ueberdruck = a entstanden, welcher registrirt, d.h. in eine dem Ueberdruck a proportionale Bewegung verwandelt und aufgeschrieben werden soll. ‚o Fig. 4. Wir können a messen, wenn wir in 4 einen gleichen Ueberdruck er- zeugen, welcher das Manometer wieder in die Nullstellung zurückbringt. ! Um dies zu erreichen, verbinden wir mit 4 ein zum Theil mit einer 1 Wir verfahren dabei gerade so, als wenn wir, um den Druck eines auf die eine Schale einer Wage gesetzten Gewichtes zu messen, auf die andere Schale ein jenem gleiches Gewicht bringen, welches den Wagebalken in die Gleichgewichtsstellung zu- rückführt. Auf demselben Prineip beruhen bekanntlich alle in den verschiedensten Zweigen der Physik gebräuchlichen sogenannten Nullmethoden. 195 196 < I. RosENTHAL: Flüssigkeit! gefülltes Glasgefäss y; das untere Ende dieses Gefässes steht mit dem Cylinder C in Verbindung, in welchem der gut schliessende Stempel 5 verschiebbar ist. Wird 5 vorgeschoben, so drängt er Flüssigkeit nach g und comprimirt dadurch die Luft in 4. Hört diese Bewegung auf, sobald das Manometer auf Null steht, so ist die Bewegung des Stempels 5 ein Maass für die Druckdifferenz a. . Es ist also dafür zu sorgen, dass der Stempel S in Bewegung gesetzt wird, sobald in dem Manometer eine Druckdifferenz entsteht, und dass die Bewegung aufhört, sobald die Druckdifferenz ausgeglichen ist. Wird der Druck in 4 geringer, etwa durch Abnahme der Wärmeproduction, dann muss der Stempel in entgegengesetzter Richtung bewegt werden, er muss Flüssigkeit aus g heraussaugen und damit den Druck in 4 so lange ver- mindern, bis das Manometer wieder auf Null steht. Die Theilstriche der Manometerscala verlieren dadurch jede Bedeutung für uns. An ihre Stelle treten die Linearverschiebungen des Stempels 5; das Manometer hat nur noch die Aufgabe eines Indicators, welcher angiebt, ob eine Druckdifferenz in dem einen oder anderen Sinne vorhanden ist. Je empfindlicher es in dieser Beziehung ist, desto besser. Wir können des- halb das bis jetzt benutzte Manometer durch eine leicht bewegliche Mem- bran ersetzen, welche je nachdem der Druck in J grösser ist als der in A oder umgekehrt, auf zwei leicht bewegliche Hebel wirkt und dadurch auf der einen oder der anderen Seite einen elektrischen Stromkreis schliesst. Ist die Druckdifferenz positiv, d.h. der Druck in J grösser als in A, so geht der Strom durch einen Contact auf der rechten Seite, ist: die Druck- differenz negativ, so geht der Strom durch einen Contact auf der linken Seite. Je nachdem wirkt der Strom erregend auf den einen oder den anderen von zwei Elektromagneten Z und Z’ (Fig. 5), und dies hat zur Folge, dass der Stempel $ entweder vorgeschoben oder zurückgezogen wird. Der Stempel $ ist fest verbunden mit einer Schraubenspindel, so dass er in der einen oder anderen Richtung bewegt wird, je nachdem die zu- gehörige Schraubenmutter rechts oder links herum gedreht wird. Mit der Mutter sind zwei Kronräder fest verbunden, deren radial gestellte, nach entgegengesetzten Richtungen abgeschrägte Zähne einander zugekehrt sind. Zwischen „den beiden gezahnten Flächen bewegt sich frei eine Klinke s, welche. durch ‚einen kleinen Motor (eine Art Turbine) in fortwährender Hin- ! Die Flüssigkeit muss, wenn sie ihren Zweck erfüllen soll, bestimmte Eigen- schaften ‚haben. „Sie muss eine möglichst geringe Dampfspannung haben, dickflüssig sein, ‚das, Metall_nicht angreifen, nicht ranzig werden u. s. w. Ich benutze „flüssiges Paraffin“, ‚welches sich durchaus bewährt hat. Dasselbe wird vor dem Gebrauch mit ‚Magnesia, mehrmals geschüttelt und, nachdem es 24 Stunden mit demselben in Be- rührung gewesen, von demselben abfiltrirt. 54 ÜALORIMETRISOHE UNTERSUCHUNGEN. 197 und Herbewegung erhalten wird. Die Klinke ist mit einem Anker von weichem Eisen fest verbunden, welcher zwischen den Elektromagneten # und E’ um eine verticale Axe drehbar frei spielt. Wird #’ erregt, so zieht er den Anker an, die Klinke lest sich gegen das Kronrad Z und dreht dies so, dass Stempel $ gegen g hingeschoben wird. Wird Z# erregt, so wirkt die Klinke auf das andere Kronrad Z’, der Stempel $ wird von g fort- gezogen. Sobald die Druckdifferenz zwischen J und 4 = O wird, ist der Strom unterbrochen, der Stempel $ steht still. Die Schraubenmutter, durch welche der Stempel 5 in Bewegung gesetzt wird, überträgt gleichzeitig ihre Drehungen auf einen Satz von Zahnrädern, ' deren Axen dementsprechend verschiedene, aber immer den a Z linearen Bewegungen des == Ur Stempels proportionale Dreh- Z bewegungen ausführen. Eine dieser Axen wird benutzt, um ihre Drehung durch Ver- mittelung eines doppelten Gardani’schen Gelenkes (so- genannten Universalgelenkes) Fig. 5. auf die Axe eines mit Papier bespannten Oylinders zu übertragen. Die Drehungen dieses Cylinders stehen also in einem festen Verhältniss zu den Ver- schiebungen des Stempels.. Und da, wie wir gesehen haben, diese Ver- schiebungen immer proportional den Druckdifferenzen in den Räumen 4 und J sind, so sind auch die Drehungen des Cylinders diesen Druckdifferenzen proportional und können als Maass derselben benutzt werden. 5. Beschreibung des Apparates. Der auf Taf. III in horizontalem Durchschnitt sichtbare Cylinder A B ist durch die Böden C und D und die inneren, ringförmigen Rippen & und 7 versteift und dann sorgfältig abgedreht. Seine Axe @ 4 kann in die halbeylindrischen Lager des Rahınens ZY nach dem Aufspannen des Papiers leicht eingelegt werden. Ein an der Axe @H bei H angebrachter ! Die Uebertragung der Bewegung von der Schraubenmutter auf das erste dieser Zahnräder geschieht durch zwei conische Räder, von,‚denen. eines mit,,der Schraubenmutter, das andere mit der Axe des ersten Zahnrades fest verbunden ist. Durch Verschiebung der Axe dieses Rades in ihrer eigenen Richtung kann man die Verbindung leicht herstellen und aufheben. y "Im letzteren Falle ist bau ander auf 'welcheni geschrieben 'wird, frei um seine Axe ‘drehbar. 198 I. RosENTHAL: Arm und der an der Axe JÄ befestigte Mitnehmer dienen dazu, die Dreh- ungen von JÄK auf GH zu übertragen. JK aber wird durch das oben beschriebene Spiel des Stempels 8 in Drehung versetzt, und damit werden diese Bewegungen auf den Cylinder 4.5 übertragen. Die Axe JÄ besteht ihrerseits aus zwei Theilen, zwischen denen das Federhaus opnm und der an X mittelst einer Schraube befestigte Bügel tu die Verbindung herstellen. Wird durch Drehung des Gehäuses op die im Innern befindliche Feder gespannt und vermöge der Sperrzähne gr, in welche sich eine bei s an dem Bügel u befestigte Sperrklinke einlegt, ge- spannt erhalten, so erhält dadurch der Axentheil J, welcher vermöge des Zapfens Z in der centralen Bohrung des Axentheils X drehbar steckt, ein Drehungsmoment, vermöge dessen das auf J sitzende Sternrad g4 mit einem seiner 9 Zacken fest gegen einen der beiden an « angebrachten Fortsätze v oder w angedrückt wird. Das ganze System @HJK ist da- durch starr verbunden und jede auf X wirkende Drehbewegung muss von dem Cylinder 4B mitgemacht werden. Die auf der linken Seite sichtbare Axe MN steht durch ein doppeltes Cardani’sches (Universal-)Gelenk mit einem Uhrwerk in Verbindung. Auf ihr sitzen die Zahnräder O und /. Auf der ihr parallelen Axe TU sitzen die (im Durchschnitt gezeichneten) Zahnräder 5 und /£, zwischen ? und % auf einer eigenen Axe das Zwischenrad ©. In der auf der Tafel gezeich- neten Stellung greift @ in ?P und A ein, $ und O sind frei. Wird UN im Sinne des Uhrzeigers gedreht, so überträgt sich die Drehung durch @ und A auf die Axe 7U; diese wird im gleichen Sinne gedreht. Werden aber die Zahnräder /# und S nach links verschoben, so greift O in S ein - und die Drehung von ZU erfolgt im entgegengesetzten Sinne. Der zwischen den festen Axenlagern enthaltene Theil ef der Axe TU bildet eine enge Schraubenspindel, auf welcher die Schraubenmutter 7, je nachdem TU in dem einen oder dem anderen Sinne gedreht wird, nach rechts oder nach links hin verschoben wird. An / ist der Schreibstift be- festigt. Da die Zahnräder O und $ unter sich und ebenso die Zahnräder P, Q und % unter sich gleich sind, so bleibt die dem Schreibstift durch das Uhrwerk mitgetheilte Lineargeschwindigkeit dieselbe, mag er von rechts nach links oder von links nach rechts fortschreiten. Der Körper V/, welchem die ihn durchbohrende cylindrische Gleitstange WX als Führung dient, trägt an seinem Ende das aus harter Bronce ge- schnittene Prisma go, dessen Seitenflächen glatt und eben abgeschliffen sind. Bewegt sich V, wie es in der Zeichnung angenommen ist, nach links, so kommt schliesslich die schiefe Ebene g in Berührung mit der Schraube x, wirkt auf dieselbe als Keil und drängt den Körper », von dem auf der Führungsstange WX festsitzenden Halter #f’ ab. . », ist das obere Ende mer —— CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 199 eines Hebels, dessen Drehaxe, der Schnittebene parallel, unterhalb derselben liegt, und der durch eine schwache Feder gegen %P° gedrängt wird. Ist Y an das linke Ende seiner Bahn gekommen (in unserer Zeichnung ist er ihm schon sehr nahe), so ist », so weit von # abgedrängt, dass die bei z sicht- bare Verstärkung von 7 kein Hinderniss mehr bildet. In diesem Augen- blicke kommt ein auf die Gleitstange WX in der Richtung nach W hin wirkender Druck zur Geltung; WX und damit die mit ihr verbundenen Räder ? und $ rücken nach links, $ kommt in Eingriff mit O, die Dreh- richtung von ZU wird umgekehrt. In demselben Augenblick springt die Verstärkung 9 gegen & vor und hält somit WX in der neuen Lage fest. Kommt aber Y/, welches sich jetzt nach rechts bewegt, an das rechte Ende seiner Bahn, so wiederholt sich hier dasselbe Spiel, das wir soeben für das linke Ende beschrieben haben. / dränst durch die schiefe Ebene o und die Schraube A den Hebel £ von ««’ ab und, sobald & von % frei gegeben wird, macht ein auf die Gleitstange WX (jetzt in der Richtung nach X hin) wirkender Druck, dass die Stange nach X hin verschoben wird, dass # in @ ein- sreift und dass wiederum die Bewegungsrichtung von / (und damit des Schreibstifts) umgekehrt wird. ! Der ‚Schreibstift bewegt sich also abwechselnd in der einen oder in der anderen Richtung von dem einen Ende seiner Bahn bis zum anderen hin und schreibt dabei, da seine Bewegung parallel der Cylinderaxe erfolgt, auf dem ruhenden Cylinder eine der Axe parallele Linie, die Abscissenaxe, welche die Zeiten darstellt. Durch passende Einstellung der Schrauben x und A wird dafür gesorgt, dass die Zeitdauer eines Hin- und Herganges genau 12 Stunden beträgt. In dieser Zeit legt der Stift 24°“ zurück, so dass also einer Stunde eine Abseisse von 20” entspricht. Da der Cylinder 26 m lang ist, so bewegt sich der Stift innerhalb 12 Stunden zwischen zwei um 24°@ von einander abstehenden Grenzlinien einmal hin. Ist er an einer solchen Grenze angekommen, so wird durch den eben beschriebenen Mecha- nismus die Bewegungsrichtung des Stiftes umgekehrt. Zugleich wird aber der Cylinder um einen bestimmten Bruchtheil seines Umfangs gedreht. Wir erhalten eine neue Abseissenaxe, deren Abstand von der ersten be- kannt ist. Die Zeiten werden auf der einen Abscissenaxe von links nach rechts, auf der anderen von rechts nach links gemessen. Hierdurch wird ! Die Vorrichtung, welche den abwechselnd nach der einen und anderen Richtung auf WX wirkenden Druck ausübt, ist in der Zeichnung fortgelassen. Sie besteht aus einem mit dem Ende X verbundenen Excenter, welcher, sobald WX frei geworden, durch Federkraft um 180° gedreht wird und damit WX um eine bestimmte Grösse in dem einen oder dem anderen Sinne verschiebt. 200 Ion ROSENTHAL: bewirkt, dass die Registrirung 24 Stunden lang oder auch länger, ohne jede Unterbrechung erfolgen kann. Wir müssen jetzt noch den Mechanismus betrachten, durch welchen diese Verlagerung der Abscissenaxe zu Stande kommt. Wenn die Gleit- stange WX ihre kleine Verschiebung von rechts nach links oder umgekehrt macht, so nimmt sie mittels des an ihr befestigten Stiftes « das Ende 3 des um ce drehbaren Hebel dd mit. In unserer Zeichnung ist, wie wir ge- sehen haben, der Zeitpunkt dargestellt, wo eben die Gleitstange sich an- schickt nach links zu gehen; somit geht der Hebelarm cd nach rechts. Derselbe greift mit seinem Ende in eine Nuth des auf der Axe JX sitzen- den oben erwähnten Sternrades gh ein. Dieses kann sich auf der Leiste 2 parallel der Axe verschieben. Wenn es nach rechts geht,! so wird der Zacken des Sternrades, welcher durch die Feder kA gegen den Anschlag w angedrückt war, frei; Sternrad und Cylinder beginnen sich zu drehen. Unmittelbar darauf aber legt sich der nächstfolgende Zacken (in unserer Zeichnung der mit y bezeichnete) gegen v, und damit hört die Drehung auf. Wenn 12 Stunden später das Sternrad wieder nach links gehen wird, dann wird sich der folgende Zahn gegen w legen. So ist dafür gesorgt, dass die Verlagerung der Abscissenaxe immer nur um einen bestimmten Theil des Cylinderumfangs (!/,, desselben) erfolgen kann. | Wenn Druckdifferenzen gemessen werden, so muss natürlich auf diese Abseissenverlagerung Rücksicht genommen werden. Bei Thierversuchen pflege ich es so einzurichten, dass die Verlagerung um 6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends erfolgt. Man übersieht dann die Tag- und Nachteurve unter einander mit einem Blick. Der Maassstab, in welchem die Registrirung erfolgt, hängt von dem Querschnitt des Stempels $ und der Uebersetzung durch das Räderwerk ab. Er kann innerhalb weiter Grenzen varliren. In meinem Apparat waren die Verhältnisse so gewählt, dass einer Stundencalorie ein Linearausschlag von ungefähr 12 mm entsprach. Dass die zu messenden Werthe durch eine Winkelbewegung, die der Zeit entsprechenden dagegen durch eine geradlinige Fortbewegung darge- stellt werden (während es sonst bei Registrirapparaten umgekehrt zu sein pflegt), hat seinen Grund nur in praktischen Erwägungen und ist für den Erfolg ohne Bedeutung. Die gewählte Einrichtung gestattet eine bessere Ausnützung der Cylinderfläche bei gegebener Länge der Cylinderaxe, welche nicht allzu gross genommen werden konnte, um das Gewicht des Cylinders bei genügender Stärke innerhalb passender Grenzen zu halten. "Um mit ! In der Zeichnung ist die Sache so dargestellt. als wenn diese Verschiebung schon zum grössten Theil erfolgt wäre. CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 201 dem Apparate zu arbeiten, stellt man den Schreibstift riehtig ein, nämlich so, dass er Mittags 12 Uhr genau in der Mitte seiner Bahn steht, giebt den Federn, welche die Umsteuerung der Schreibstiftbewegung und die Verlagerung der Abscissenaxe bewirken eine gelinde Spannung und setzt das Uhrwerk und die Triebkraft für die Klinke s (Fig. 5) in Gang. Man legt sodann den mit Papier überzogenen Cylinder ab in sein Axenlager, soret dafür, dass die Mitnehmer zwischen // und J in einander greifen und giebt dem Cylinder durch Drehung um seine Axe eine für die Zeich- nung der Abseisse passende Lage Dann stellt man die Verbindung zwischen der Schraubenmutter und den Zahnrädern, welche zur Ueber- tragung der Bewegung auf den Cylinder A dienen (vergl. S. 197, Anm.) her, und alles ist zur Registrirung bereit. Sorgt man dafür, dass das Uhrwerk aufgezogen bleibt nnd stellt man alle 12/Stunden die Spannungen der oben (S. 198 u. 199, Anm.) erwähnten Federn her, so kann man beliebige Zeit ohne Unterbrechung registriren, 6. Aichung der Registrirvorrichtung. Da der Maassstab, nach welchem die Wärmeproduction bei dieser Registrirung gemessen wird, ein ganz willkürlicher ist, so muss man ebenso wie bei dem früheren Verfahren durch Aichung den Werth, welcher der Einheit entspricht, feststellen. Die bisher benutzte Formel Ta n = E-.m- m gilt auch für die neue Anordnung. Aber während bisher » den Ausschlag eines bestimmten Flüssigkeitsmanometers bedeutete, tritt an dessen Stelle Jetzt die in Millimetern gemessene Länge des Bogens, der zu einem Dreh- ungswinkel des Cylinders gehört. Nennen wir diese Länge m’, so tritt an die Stelle von # in unserer Formel ein anderer Factor, den wir mit 4’ bezeichnen wollen, so dass Z’.m’ = E.m wird. Zur Aichung wurde wie in den früher mitgetheilten Versuchen der elektrische Strom benutzt; die Wärmeproduction schwankte zwischen rund 11 und rund 30 St.-Ca. Da solche Aichversuche immer nur einige Stunden dauern, so kann man von beliebigen Stellungen des Schreibstiftes ausgehen; auch ist es gleichgiltig, ob die Verschiebung des Stiftes von links nach rechts oder umgekehrt erfolet. Man kann dabei entweder die Registrirung sofort mit Beginn der Wärmeproduction beginnen lassen, indem man alles in Gang setzt, ehe der wärmeproducirende Strom geschlossen wird; der Schreibstift schreibt dann ein Stück der Abscissenaxe. Wird nun die Wärmequelle im Innern des Oalorimeters in Thätigkeit versetzt, so beginnt nach wenigen Minuten der Cylinder sich zu drehen und kommt erst zur 202 I. ROSENTHAL: Ruhe, wenn vollkommene Constanz der Temperaturen im Calorimeter ein- getreten ist. Oder aber man schliesst den wärmeprodueirenden Strom, wartet aber mit der Regi- strirung, bis die Constanz der Temperaturen schon eingetreten ist. Dazu hat man nur nöthig, den Kreis des die Elektromagnete # und E’ (Fig. 4) umkrei- senden Stromes irgendwo zu unterbrechen. Schliesst man dann den Kreis, so steigt die gezeichnete Curve sofort steil an mit einer Geschwindigkeit, welche nur von der Arbeit der die Drehung von ZZ’ bewirkenden Klinke ab- hängt. Für die Aichung kommt es nur -auf die Ordinate an, welche zu dem Endpunkt der auf- gezeichneten,schwach gegen die Verticalegeneigten Linie gehört. Ist die Wärme- production constant und die Temperaturregulirung des Calorimeters gut, so geht, sobald die Drehung des Cylinders ihren rich- tigen Werth erreicht hat, die gezeichnete Linie in eine horizontale, der Ab- scissenaxe parallele über, deren Ordinatenhöhe das gesuchte m’ darstellt. Wird dann der wärmeprodu- in - IE —“ cirendeStrom unterbrochen, al so fällt die Curve erst steil, ug dann immer langsamer, zu- Su ’ Fig. 6. letzt in kleinen Zacken ab. CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 203 Zur Erläuterung des Gesagten gebe ich in Fig. 6 die Copie einer nach dem letztgeschilderten Verfahren gezeichneten Curve, bei welcher jedoch (der Raumersparniss wegen) die Masse der Ordinaten sowohl als der Abseissen auf die Hälfte reducirt sind. Die-an der Abscissenaxe angeschriebenen Zahlen ra b Een +1301nm. r3 3 2 7 d 730 IM <—tt Beweg.d. Schreibstifts Fig. 7. | geben die vom Beginn der Registrirung an verlaufenen Zeiten in Stunden an. Der oben angeschriebene Buchstabe o bezeichnet den Zeitpunkt der Strom- unterbrechung. In den ferneren zur Erläuterung des Textes beigebrachten _ Beispielen werde ich, da es nicht auf den ganzen Verlauf der Curven, 204 .I. RosENTHAL: sondern nur auf ihre Gipfel ankommt, nur diese und zwar in der Regel in natürlicher Grösse wiedergeben; zur Bestimmung der Ordinatenhöhe werde ich in diesen Fällen eine der Abseissenaxe parallele Linie einzeichnen und an derselben ihren Abstand von der Abscissenaxe in Millimetern sowie die Zeitverhältnisse in Stunden anschreiben. Auch bei den mit dem Registrirapparat aufgezeichneten Curven lassen sich die Einflüsse der Vorwärmung sowie der Wärmeregulirung in der- selben Weise erkennen, wie ich sie im Eingang dieses Artikels ($ 1) ge- schildert habe. Sie treten hier, wegen des grösseren Höhenmaassstabes, noch viel stärker hervor. Ein sehr deutliches Beispiel der dadurch ver- ursachten Schwankungen zeigt Figur 7. In dem mit © bezeichneten Zeit- punkt (um 10 Uhr 35 Min.) wurde der Heizstrom mit der Stärke 0.56A. geschlossen; als die Curve bis a gestiegen war (11%) wurde J auf 0-3A. ermässigt und fortan auf dieser Stärke erhalten. Die Curve steigt noch weiter und fällt dann wieder. Zwischen 5 und c war die Wärmeregulirung des Calorimeters ungenügend; die Temperatur des Aussenraumes 4 stieg um 0-2° zu hoch, fiel dann um fast ebensoviel zu tief. Wie man sieht, ent- spricht (abgesehen von dem anfänglichen zu hohen Steigen in Folge der Vorheizung) dem Steigen der Temperatur im Raume 4 ein Sinken, dem Fallen dieser Temperatur ein Ansteigen der registrirten Curve. Werden solche Schwankungen vermieden, so wird, wie auch Fig. 6 zeigt, eine vollkommen gerade Linie gezeichnet. Aus einemsolchen Ver- such kann man daher den Werth £’ ebenso berechnen, wie wir früher den Werth Z aus den Manometerständen berechnet haben. Eine Reihe derartiger Versuche ergab folgende Werthe: Nr. des Versuches n | E 1 17:80 | 0.2136 2 15-60 0-2122 3 15-63 0.2126 4 15-60 | 0.2122 5 15.83 | 0-2118 6 15-49 | 0.2130 7 15-50 0-2154 8 | 27:95 0-2132 h) | 11-70 0-2137 10 | 27:79 0-2146 Mittelwerth: 2 =0.2132. Der Mittelwerth verhält sich zum höchsten wie 100:101, der Mittel- werth verhält sich zum niedrigsten wie 100:99.3. ÜCALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 205 Eine zweite Reihe ergab: Nr. des Versuches n E 1 15:63 | 0:2169 2 11:73 0-2142 3 20:06 0:2130 4 25.08 0:2152 5 19-81 0:2126 6 25-06 0:2157 7 30 67 02143 8 20-05 0:2132 9 20-06 0:2173 10 19:82 0:2128 Mittel für Z° = 0.2145. Der Mittelwerth verhält sich zum Maximalwerth 100:101-3, der Mittelwerth verhält sich zum Minimalwerth = 100:99.1. Aus einer dritten Reihe ergab sich als Mittelwerth # = 0.2140. Die einzelnen Versuche schwankten aber in viel weiteren Grenzen als in den beiden mitgetheilten Reihen. Da diese Reihe angestellt worden war, ehe ich die Temperaturregulirung genügend zu beherrschen gelernt hatte, so verzichte ich auf ihre Wiedergabe im Einzelnen. Aus mehreren guten Reihen ergab sich das Gesammtmittel: E' = 0.2147 und als grösste Abweichungen in allen Versuchen 1.6 bezw. 1 Procent, Bei diesem Ergebnis wollen wir uns vorerst beruhigen. 7. Einfluss von Schwankungen der Wärmeproduction. Um festzustellen, wie sich die Registrirung bei schwankender Wärmeproduction gestalten würde, wurde eine Anzahl von Versuchen angestellt, von denen ich einen im Protocoll und die dazu gehörige Curve! in Fig, 8 wiedergebe. Versuch 23. Der Strom wurde mit einer Stärke von 0-56 A. kurze Zeit geschlossen, dann auf 0-26A. ermässigt. Nachdem sich das Manometer eingestellt hatte, begann die Regeistrirung um 11% 7. Die Aufzeichnung beginnt, von der Abseissenaxe AA’ ansteigend, bei ) und schreitet bis c fort, worauf die Curve constant wir. Um 11% 55’ (beim Zeichen d) wird ! Die Coordinatenmaasse sind wieder auf die Hälfte reducirt; und der abfallende Theil der Curve ist nicht vollständig wiedergegeben, 206 I. ROSENTHAL: der Strom auf 0-4 A. verstärkt. IM Etwa 2 Minuten später be- ginnt die Steigung, erst schnell, dann langsamer, staffelförmig fortschreitend bis e, wo sie con- stant wird. Um 3 Uhr 15 Min. (beim Zeichen f) wird der Strom unterbrochen, worauf die Curve in der gewohnten Weise abfällt. Der Stromstärke 0-26 entspricht eine Wärmeproduc- tion von 11-70 St.Ca., die auf- gezeichnete Höhe ist = 137 un, woraus sich #’° = 0.2137 er- giebt. Der Stromstärke 0-4 A. entspricht eine Wärmeproduc- tion von 27.79 St.Ca., die aufgezeichnete Höhe ist = 325mm, woraus sich ZI = 0.2139 ergiebt. Die beiden Werthe für E’ verhalten sich zu einander wie 100:100-01. Wenn man aus den Höhen (m) mit dem früher gefundenen Mittelwerth für # (0.2147) die Wärme- production berechnet, so er- hält man: Kleh35)) Für den ersten Zeit- abschnitt n = 11-81 statt 11.70 (Fehler + 0.9 Proc.), für den zweiten Zeitabschnitt n=21.89 statt 27.79 (Fehler = + 0.4 Procent). Die Abweichungen sind also sehr gering, was nicht Eee Ä De Wunder nehmen kann, da i a ‚beweg,. d.Sschreibstilts (nkp ja auch die aus diesem Einzel- Fig. 8. versuch berechneten Werthe (ALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 307 für E’ dem aus allen Reihen berechneten Mittelwerth für #’ (0.2147) sehr nahe liegen. Nach alle dem können wir wohl annehmen, dass dieser gemeinsame Mittelwerth aus allen Versuchen (0.2147) dem wirklichen Werthe ausser- ordentlich nahe kommt. Aber die so zu erlangende Genauigkeit gilt doch nur für die Zeiten der Constanz der Wärmeproduction. Wollte man für die Zeit zwischen den Punkten d und e unserer Fig. 8 die Wärmeproduction durch planı- metrische Ausmessung des von der Curve begrenzten Fläschenraums be- rechnen, so erhielte man natürlich einen viel zu kleinen Werth, In dem allmählichen Anstieg zeigt sich ebenso wie in dem allmählichen Abfall nach , Unterbrechung der elektrischen Heizung der Einfluss dessen, was ich in den früheren Auseinandersetzungen als „Trägheit‘“ des Calorimeters bezeichnet habe. Diese Trägheit ist in dem in Fig. 8 dargestellten Beispiel noch recht gross. Ich muss aber darauf aufmerksam machen, dass der betreffende Versuch noch nach der früheren Methode, mit Constanthaltung der Temperatur des Wassers, nicht im Raume A, angestellt wurde. Ich habe schon im vorigen Artikel darauf hingewiesen, dass zwar, wenn man lange genug wartet und wenn die Wärmeproduction, welche gemessen werden soll, wirklich vollkommen constant ist, man auch nach jener früheren Methode recht gute Resultate erhalten kann, dass aber gerade für die Fälle schwankender Wärmeproduction das jetzt von mir angenommene Ver- fahren den Vorzug verdient. Nun kommen ja, wie. ich schon früher bemerkte, solche plötzliche Schwankungen der Wärmeproduction wie in dem Beispiel der Fig. 8 bei Thierversuchen niemals vor. Selbst wenn wir die äussersten Fälle an- nehmen, z. B. den des plötzlichen Todes eines im Calorimeter befindlichen, oder des plötzlichen Erwachens eines im Winterschlaf liegenden Thieres, so könnte die Wärmeproduction oder Wärmeausgabe! des Thieres auch nicht, wie in unserem Beispiel plötzlich, sondern nur allmählich ab- oder zu- nehmen. Dabei werden dann die Angaben des Calorimeters den wirklichen Veränderungen der Wärmeproduction jedenfalls viel näher kommen. Um aber zu. zeigen, was in dieser Beziehung das neue Verfahren zu leisten vermag, gebe ich in Fig. 9 noch ein zweites Beispiel. Versuch 31. Um 10 Uhr 35 Min. wird der Heizstrom geschlossen. J= 0.52; fällt auf 0-51A. Um 10 Uhr 50 Min. wird J auf 0-34 A. eingestellt. Die Stromstärke ist anfangs sehr inconstant und muss fort- während durch Verschiebungen am Schieberreochord eorrigirt werden. ı Vergl. dies Archiv. 1894. S. 235. 208 I. ROSENTHAL: Um 11 Uhr 45 Min. beginnt die Registrirung. Dieser Zeitpunkt ist in Fig. 9 mit O0 bezeichnet. Nachdem die Maximalhöhe erreicht und als gerade Linie aufgezeichnet worden, wird um 12 Uhr 30 Min. (beim Zeichen a) die Stromstärke auf 0-38A. gesteigert. Die Curve steigt und erreicht bei d ein neues Maximum. Um 1 Uhr 17 Min. (beim Zeichen c) wird die 2 1 —+#* Beweg.d. Schreibstifts Fig. 9. Stromstärke wieder auf 0-34 A. gebracht. Die Curve fällt, hat aber bei d, wo die Stromlieferung abgebrochen wurde, noch nicht ganz die frühere Höhe wieder erreicht. | Für die Berechnung dieser Curve haben wir zunächst die beiden Maxima bei a und bei dc zu betrachten, welche den beiden Stromstärken CALORIMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN. 209 0-34 und 0°38A. entsprechen. Aus diesen berechnen sich die Wärme- productionen zu 1981 und 2507 St.-Ca. Ausden Werthen für m’ erhält man: für den ersten Theil des Versuches 19.88 statt 19-81 (Fehler + 0-3 Proe.) für den zweiten Theil des Versuches 25-16 statt 25.07 (Fehler + 0-3 Proc.) Beide Fehler fallen innerhalb der Fehlergrenzen, welche auch die Aichversuche aufwiesen. Wir sehen also, dass bei dem neuen Verfahren nicht nur die Aenderungen in den Curven sich schneller bemerklich machen als bei dem früheren (was aus der Vergieichung der Figg. 8 und 9 deut- lich hervorgeht),! sondern auch die Messung bei wechselnder Wärmepro- duction mit kleineren Fehlern behaftet ist. Aber freilich müssen wir be- denken, dass die Unterschiede in dem letzten Versuch sich in mässigen Grenzen hielten und Zeit genug zur Herstellung des Gleichgewichtes ge- geben war. Die Fehler würden natürlich grösser werden, wenn wir nicht bloss die Maxima vergleichen, sondern die Curven integriren wollten. Bei der Stromverstärkung im Punkte a hätte die Curve (wenn sie den thatsäch- lichen Verhältnissen der Wärmeproduction entsprechen würde) direct nach a’ aufsteigen müssen. Statt des Rechteckes aa’ 55’ wurde aber das Vieleck a5’ gezeichnet, dessen Flächeninhalt ungefähr die Hälfte von dem des Recht- ecks betragen mag. Wir werden also, wie ich schon früher bemerkte, auf die genaue Berechnung schwankender Wärmeproductionen mit unserem Calorimeter noch verzichten müssen und nur als Regel gelten lassen, dass bei zunehmender Wärmeproduction das Calorimeter zu kleine, bei abnehmender Wärmeproduction zu grosse Werthe angiebt. Die hierdurch bedingten Fehler werden natürlich viel kleiner ausfallen alsin den Versuchen der Figg. 8u. 9, wenn die Aenderungen der Wärmeproduc- tion nur langsam eintreten, und das ist ja glücklicher Weise für alle Anwen- dungen des Apparates für physiologische} Zwecke der Fall. Auch habe ich schon früher angedeutet, wie man trotz dieser Unvollkommenheit unseres calorimetrischen Apparates dennoch zu brauchbaren Messungen der physio- logischen Wärmeproduction gelangen kann. Ich will mich daher mit diesen, schon allzulang gewordenen vorbereitenden Erörterungen, welche aber für die Kenntniss des Apparates durchaus nothwendig waren, nicht noch länger aufhalten, sondern in den nächsten Artikeln die Berichte über die eigent- lichen Versuche beginnen. Erlangen, im October 1896. ! Bei dieser Vergleichung muss allerdings beachtet werden, dass der Maassstab in Fig. 8 halb so gross ist als in Fig. 9. Archiv f. A, u. Ph. 1397. Physiol, Abthlg. 14 Ueber die Einwirkung des Formaldehyds, des Hydrazins und anderer reducirender Agentien auf den Blutfarbstoff. Vorläufige Mittheilung von Dr. A. Benedicenti, Assistenten am physiol. Institut zu Erlangen. (Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen.) I. Gelegentlich des Studiums der Wirkung des Formaldehyds auf Blut- serum habe ich die Beobachtung gemacht, dass das Formaldehyd eine sehr wichtige Veränderung des Blutfarbstoffes hervorbringt, und dass die Wirkung des Formaldehyds auf den Organismus ausschliesslich oder doch im Wesent- lichen auf dieser Veränderung des Blutfarbstoffes beruht. Ich hoffe in kurzer Zeit noch näher die physiologische Wirkung des Formaldehyds und besonders in Vergleichung mit jener des Hydrazins studiren zu können. Jetzt möchte ich nur kurz die bisher gewonnenen Resultate darlegen. Schon im Jahre 1826 versuchte Piorry! in einer Abhandlung dar- zulegen, dass beim Vipernbiss eine tiefere Veränderung des Blutes statt- fände. Lewin? hat später beobachtet, dass Hämatin direct im Blut ent- stehen kann bei Vergiftung mit Nitrobenzol und xanthogensauren Salzen. Die Wirkung des Hydroxylamins als Blutgift haben Raimondi und Bertoni? sowie Binz* studirt; genauere Arbeiten über diesen Gegen- ı Piorry, Hämopathologie. Uebersetzt von Krupp. Leipzig 1839. 8. 336. 2 Lewin, Virchow’s Archiv. 1879. Bd. LXXVI. ® Raimondiund Bertoni, Rendiconti Istituto Lomb. Scienze e Lettere. Serie II. Vol. XV. *4 Binz, Virchow’s Ärchiv. 1888. Bd. CXIII. A. BENEDICENTI: EINWIRKUNG DES FORMALDEHYDS v.Ss.w. 211 stand verdanken wir Lewin! und G. Hoppe-Seyler.”? Lewin konnte durch spektroskopische Blutuntersuchung nachweisen, dass bei Einwirkung des Hydroxylamins auf todtes Blut Methämoglobin neben Hämatin entsteht. Hoppe-Seyler hat in Bezug auf Phenylhydrazin die Beobachtung ge- macht, dass die Wirkung dieses Körpers auf das Blut in der Bildung eines charakteristischen, bisher nicht bekannten Farbstoffes mit scharfem Absorptionsstreifen. besteht, der jedoch sehr leicht in eine andere, nicht durch scharfe Absorption des Spectrums gekennzeichnete Substanz übergeht. In einem weiteren Beitrag zur Kenntniss der Blutgifte studirte Lewin? die Wirkungen des Phenylhydroxylamins und kam zu dem Schluss, dass die spektroskopische Prüfung das Vorhandensein des Methämoglobinstreifens im Roth ergiebt, dass aber niemals Hämatin entsteht. Ueber methämoglobinbildende Gifte wurden noch andere Beobachtungen von Paul Dittrich“ gemacht. Aus allen diesen Arbeiten geht hervor, dass eine Gruppirung der Blutgifte in solche, die nur Methämoglobin oder nur Hämatin oder endlich Methämoglobin neben Hämatin erzeugen, mög- lich ist. Alle bis jetzt von mir gemachten Versuche haben gezeigt, dass auch Formaldehyd am Blutfarbstoff eine tiefere Veränderung hervorbringen kann, und zwar dass, so viel ich vorläufig gesehen habe, keine Reduction des Oxyhämoslobins zu Hämoglobin, wie z. B. durch Schwefelammonium oder ähnliche Reagentien, eintritt, sondern eine directe Bildung von Hämatin. 10T, Die physiologische Wirkung des Formaldehyds hat zuerst Zuntz studirt. Er giebt die Formaldehydtoxieität zu 0.24 s® pro Kilo Kaninchen un. Aronson? hat beobachtet, dass Meerschweinchen, unter einer Glocke Formalindämpfen während einer Stunde ausgesetzt, sehr unruhig werden; die letale Dosis für Kaninchen ist nach ihm 0-3 pro Kilo, nach Trillat® 0.5 pro Kilo Thier. Gegner’? hat ferner gezeigt, dass Mäuse in 4 Tagen zum Absterben gebracht werden können, wenn man Schwanz oder Hinter- beine mit Formalin bestreicht. Ein so bestrichenes Kaninchenohr war am 7. Tage mumificirt. Gurgeln mit 0-2 procentiger Formalinlösung hat nach ! Lewin, Archiv für exper. Pathologie u. Pharmakologie. 1889. 2 G. Hoppe-Seyler, Zeitschr. f. physiolog. Chemie. 1885. Bd. IX. ® Lewin, Archiv für exper. Pathologie u. Pharmakologie. 1895. Bd. XXXV. * Paul Dittrich, Zbenda. 1892. Bd. XXIX. 5 Aronson, Berliner klinische Wochenschrift. 1892. Bd. XXX. 6 Trillat, Bull. ac. Sciences. 1892. ? Gegner, Münchner Medieinische Wochenschrift. 1893. Bd. XXX. 14* aD A. -BENEDICENTI: Gegner keine wesentliche Wirkung; 0-5 bis 0-6 procentige Lösungen erzeugen Geschmack und Brennen. Valude! hat später die Toxieität des Formaldehyds untersucht und glaubt, dass sie gleich 0-4 bis 0-5 pro Kilo Kaninchen sei, während Pottevin? fand, dass die Dosis letalis gleich 0-25 pro Kilo Kaninchen ist, wenn das Gift unter die Haut, und 0-03, wenn es in eine Vene eingespritzt wird. Nach einer Injection von 0.04 sm pro Kilo in die Jugularis sterben die Thiere fast plötzlich. Das Blut coagu- lirt in diesem Falle sehr rasch. Ich habe Versuche an Fröschen und Kaninchen gemacht und lasse hier eines meiner Versuchsprotocolle folgen: Versuch I. Rana eseulenta. Die Zahl der Herzschläge vor der Einspritzung betrug 16 in 30 Sec. Um 2 Uhr 21 Min. werden 0.023 S”” Formaldehyd in den Rückenlymph- sack injieirt. Zeit E U.30M. Herzschläge 200 112.002 2. kind lo Versuch Il Rana esculenta. 3 Uhr 20 Min. werden 2 °” einer 2 procent. Formaldehydlösung ? sub- eutan injieirt. Nach der Injection wird der Frosch unruhig und fängt an, sich an die Wände der Glocke zu klammern. Nach dieser vorübergehenden Exeitation zeigt sich Herabsetzung der Reflexerregbarkeit und ein soporöser Zustand. Nach 25 Min. auf den Rücken gelegt, vermag das Thier sich nicht mehr aufzurichten. Nach einer Stunde tritt Lähmung der Extremitäten ein, die bedeutender wird. Dagegen bleibt die peripherische Sensibilität sehr lange ungeschwächt. Erst nach 2 Stunden ist das Thier unempfindlich ge- worden; die Athmung hört auf, die Herzthätigkeit wird immer schwächer, endlich schlagen nur die Vorhöfe. Das Thier stirbt. Das Blut, welches allmählich schwarz geworden war, coagulirt nach dem Tode sehr rasch. Versuch MI. Junges kleines Kaninchen. Gewicht 250 Sn 4 Uhr 49 Min. Athmung 24 in 15 Sec. 4 Uhr 50 Min. Injection von 1 © 2 procent. Formalinlösung. Nach der Injection Athmung 30 in 15 Sec. 4 Uhr 53 Min. Das Thier ist unruhig; es bewegt sich fortwährend; erweiterte Pupille; kleine klonische Muskelzuckungen. ı Valude, Union medicale. 1893. Nr. 65. 2 Pottevin, Ann. Inst. Pasteur. 1894. ® Alle von mir gebrauchten Lösungen waren auf die käufliche Formaldehyd- lösung von 40 Procent, als Formalin oder Formol bekannt, berechnet. 2 U. 50 Mm. 3 Uhr 4 v.10 Ma U. 20 M. 4 U. 30 Ms U. 38M. — un ii EINWIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF DEN BLUTFARBSTOFF. 213 4 Uhr 57 Min. Starke Verengerung der Ohrgefässe. Das Thier wird immer unruhiger. 4 Uhr 58 Min. Athmung 20 in 15 Sec. Eine Remission der Aufregung ist deutlich wahrnehmbar. Das Thier liegt ruhiger. 4 Uhr 59 Min. Athmung 17 in 15 Sec. 5 Uhr 15.Min. Athmung 15 in 15 Sec. Die Verengerung der Ohr- sefässe wird immer deutlicher. Herzschläge 40 in 15 Sec. 5 Uhr 27 Min. Athmung 18 in 15 Sec.. Herzfrequenz etwas ver- mindert = 55 in 15 Sec. 5 Uhr 30 Min. Das Thier erhält wieder 1° der 2 procent. Lösung. Wiederholung des früheren Zustandes, Unruhe und klonische Muskelzuckungen. Athmung gleichmässig, beschleunigt. 5 Uhr 35 Min. Es ist wieder ruhig. Athmung 27 in 15 Sec. Er- weiterte Pupille. Schmerzempfindlichkeit normal. Das Thier ist wie schläfrig, lässt den Kopf hängen. 5 Uhr 44 Min. Athmung 19 in 15 Sec. Herzschlag 34 in 15 Sec. Athmung etwas unregelmässig. 5 Uhr 50 Min. Neue Injection von 3 °% 2 procent. Lösung. Exacer- bation des Zustandes. Beschleunigung der Athmung und des Herzschlages. 6 Uhr 1 Min. Pupille stark erweitert. Herzschlag unregelmässig: 50-—43—35 in 15 See. Athmung 25 in 15 See. 6 Uhr 8 Min. Das Thier fällt in narkotischen Zustand. Athmung 21 in 15 Sec. 6 Uhr 11 Min. Peripherische Sensibilität sehr vermindert. Auf den Rücken gelegt, vermag das Thier sich wieder aufzurichten. Allgemeine Depression. 6 Uhr 30 Min. Pupille miotisch. Neue Injection von 3 “®@ einer 4 procent. Formaldehydlösung. 6 Uhr 32 Min. Athmung wird beschleunigt und dyspnoisch, bis zu 36 in 15 Sec. Herzschlag 59 in 15 Sec. Lähmung der Hinterbeine. 6 Uhr 34 Min. Athmung 50 in 15 Seec., sehr tief. 6 Uhr 38 Min. Starke Dyspnoe und Athemnoth. Muskelzuckungen. Athmung 51 in 15 Sec, Herz 49 in 15 Sec. 6 Uhr £6 Min. Das Thier fällt um. Kurze jagende Athmung. 6 Uhr 48 Min. Die Athmung wird plötzlich langsam = 22 in 15 Sec. Vollständige Lähmung. 6 Uhr 49 Min. Athmung 17 in 15 Sec., sehr obenflächlich. 6 Uhr 51 Min. Die Athmung wird immer flacher und flacher; die Herzthätigkeit sehr schwach. 6 Uhr 52 Min. Pupille stark miotisch. Athmung 8 in 15 Sec. 6 Uhr 53 Min. Schwere Asphyxie, mit Maulaufsperren und Exoph- thalmus. Das Thier schnappt nach Luft, hat Krämpfe wie bei Sauerstoff- mangel. 6 Uhr 55 Min. Noch 4 Athembewegungen in 15 Sec. Kurze klonische Zuckungen der Hinterbeine. Pupille sehr stark mydriatisch. 6 Uhr 56 Min. Tod. Bei der Section zeigt sich das Blut etwas dunkler und coagulirt sehr rasch. 214 A. »BENEDICENTI: Diese Versuche zeigen, dass die physiologische Wirkung des Form- aldelıyds sehr ähnlich der physiologischen Wirkung anderer Blutgifte ist. Lewin hatte schon in einem gewissen Stadium der Vergiftung mit Phenyl- hydroxylamin die Verengerung der Ohrgefässe beobachtet und auch am Frosch-Mesenterium eine Gefässverengerung festgestellt. Die wachsende Unruhe, und der vermehrte Bewegungstrieb sind ebenfalls bekannte Sym- ptome. Auch die kurzen klonischen Zuckungen, die Wiederholung der Dyspnoe und der Unruhe nach weiterer Einspritzung des Giftes, das Schwächerwerden der Athmung in der letzten Periode sind charakteristisch für die Vergiftung durch Phenylhydroxylamin, durch Hydroxylamin und andere Methämoglobin und Hämatin bildende Gifte. Und wie bei anderen Blutgiften, so ist auch bei Formaldehydvergiftung nach der vorübergehenden Exeitation der Collaps oder die „langsame Erstickung“, wie Raimondi und Bertoni in Bezug auf Hydroxylamin gesagt haben, ein sehr wichtiges Symptom. Binz hat diesen Umstand als „nervöse Depression“ bezeichnet und erklärt dieses letzte Stadium einer Vergiftung mit einem Blut- bezw. Respirationsgifte als eine primäre depressive Einwirkung auf das Gehirn durch Nichtdisponibelmachen von activem Sauerstoff. Lewin hält seiner- seits diese Einwirkung auf das Gehirn für eine Folge unvollkommener Er- nährung des Gehirns durch das veränderte Blut. Dieses Symptom muss in diesem Falle besonders mit Hämatinbildung einhergehen, und in der That ist es sehr bedeutend und klar bei Form- aldehydvergiftung. Das Thier scheint unter der Wirkung eines Narcoticums zu stehen; es reagirt nicht mehr, wird ganz träge, hält die Augen ge-. schlossen und lässt den Kopf hängen. Ein solcher narkotischer Zustand kommt auch bei Einathmung starker CO,-dosen vor. Während aber bei der CO,-Narkose das Thier ruhig und ohne Krämpfe stirbt, stirbt es bei Formaldehydvergiftung wie bei Phenylhydroxylamin- und Hydroxylamin- vergiftung unter den Erscheinungen des Sauerstoffmangels. . Die Dyspnoe wird schwer, mit Maulaufsperren und grösseren apnoischen Pausen; krampf- hafte Bewegungen treten auf, die Pupille erweitert sich, und das Thier stirbt in Asphyxie. | II. Das Formaldehyd ist ein Blutgift in dem Sinne, dass es das Blut makroskopisch, mikroskopisch und spektroskopisch verändern kann. Nach Lewin kann das Phenylhydroxylamin sehr schnell und in sehr kleinen Dosen eine Blutveränderung hervorrufen. Aber auch das Formaldehyd wirkt sehr stark auf den Blutfarbstoff, und die mit Formaldehyd vergifteten Thiere sind nicht zu retten, wenn die Aenderung des Blutfarbstoffes schon nachweisbar geworden ist. Lewin hat beobachtet, dass die Blutfarbstoff- er EINWIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF DEN BLUTFARBSTOFF. 215 derivate nosologisch nicht gleichwerthig sind. Es können grosse Mengen Methämoglobin im Blutstrome kreisen, ohne alsbald den Tod zu veranlassen, während viel kleinere Mengen Methämoglobin bei gleichzeitigem Vorhanden- sein von Hämatin bezw. Hämatoporphyrin den tödtlichen Ausgang sicher herbeiführen. Deswegen sind nach Lewin’s Untersuchungen die Thiere, bei welchen Hydroxylamin eingeführt wurde und in denen sich regel- mässig Hämatin bildet, nicht zu retten, dagegen wohl mit Phenylhydr- oxylamin vergiftete, bei denen Hämatin nicht entsteht. Es kann unmöglich sein, Hämatinstreifen im Blute so mit Hydr- oxylamin vergifteter Thiere zu finden, weil diese früher sterben, ehe eine der- artige Veränderung des Blutes sich herausgebildet hat, dass das Hämatin spektroskopisch direct sichtbar wird. In solchen Fällen lässt sich ein positives Resultat fast immer dadurch erreichen, dass man das Blut redu- eirt. Die Streifen des reducirten Hämatins werden meist deutlich zu er- kennen sein. Versuch IV. Rana esculenta. 9 Uhr 40 Min. Subeutane Einspritzung von 0-002 8% Formaldehyd. 10 Uhr. Das Blut in dem freigelegtem Herzventrikel erscheint bräunlich. 10 Uhr 10 Min. Mit Glascapillare Blut aus dem Herzen entnommen; es ist nur wenig dunkler als normales Blut. Spektroskopische Untersuchung lässt die Oxyhämoglobinstreifen deutlich erkennen. Versuch V. Rana esculenta. 11 Uhr 5 Min. Subeutane Einspritzung von 0.005 &”% Formaldehyd. 11 Uhr 15 Min. Ventrikel erscheint schwarz. 12 Uhr. Sehr seltene peristaltische Herzbewegungen. 12 Uhr 10 Min. Nur die Vorhöfe schlagen. Die schwarze Färbung des Herzens wird stärker. Spektroskopisch sieht man nur die Oxyhämo- globinstreifen. Nach der Reduction mit Schwefelammonium oder mit Stokes’ Flüssigkeit kann man die zwei dem reducirten Hämatin ent- sprechenden Streifen im Grün nachweisen. Versuch VI. Kaninchen. Gewicht 550 sm, 3 Uhr. Subeutane Einspritzung von 2 °® 10 procent. Formaldehyd- lösung. 3 Uhr 5 Min. Ohrgefässe sehr eng geworden. Blut darin ist etwas bräunlich. 3 Uhr 15 Min. Blut aus durchschnittenen Ohrgefässen entnommen, liefert nieht deutlich reducirtes Hämatin. Versuch VII. Kaninchen. Gewicht 925 sm, 4 Uhr 40 Min. Diesem Kaninchen wird die linke Carotis zur bequemen Blutgewinnung freigelegt. Mehrere Reagensgläser werden mit je 10 m 216 A. BENEDICENTI: ausgekochten destillirten Wassers beschickt; auf diese wird dann eine Oel- schicht von 1 °” Dicke gegossen. 4 Uhr 45 Min. Einspritzung von 3 °® 4 procent. Formaldehydlösung. 4 Uhr 52 Min. Blut wird entnommen und direct aus der Carotis- canüle in ein Reagensglas geleitet, ohne mit Luft in Berührung zu kommen. Spektroskopisch zeigt es nur Oxyhämoglobinstreifen. 5 Uhr 26 Min. Neue Injection von 3 °® 10 procent. Formaldehydlösung. 5 Uhr 28 Min. Das entnommene Blut zeigt nur die Oxyhämoglobin- streifen. Die Blutfarbe ist nicht wesentlich verändert. 5 Uhr 30 Min. In einem Reagensglas werden 10 “= Wasser und 5 Tropfen Formaldehyd gemischt. Die Lösung wird mit 10 Tropfen verdünnter Natriumcarbonatlösung ganz schwach alkalisch gemacht. Dann wird eine Oel- schicht aufgegossen. Das Blut entnommen und direct in diese Mischung ge- leitet, zeigt sofort sehr deutlich das Spectrum des alkalischen Hämatins. 5 Uhr 35 Min. Das Blut coagulirt sehr rasch. Die Canüle ist immer von Coagulis verstopft. Das entnommene Blut coagulirt in Reagensgläsern sofort, so dass es unmöglich ist, eine Lösung desselben zu machen und die Beobachtungen weiter zu verfolgen. . IV. Die Versuche, welche ich an todtem Blut mit Formaldehyd gemacht habe, führen zu dem Schluss, dass man mit Formaldehyd nicht eine Re- duction des Oxyhämoglobins erhalten kann, sondern nur direct eine Spaltung desselben in Hämatin. Versuch T. 20 verschiedene Reagensgläser werden mit je 10 “" einer Blutlösung beschickt, bei der die Oxyhämoglobinstreifen gerade bequem zu unter- scheiden sind. In das erste Reagensglas werden dann ein Tropfen Formalde- hydlösung, in das zweite zwei Tropfen, in das dritte drei Tropfen u. s. w. gegeben. Diese verschiedenen Blutproben werden dann sogleich spektroskopirt. In allen sind die beiden Oxyhämoglobinstreifen immer sehr deutlich erkennbar. Nach 2 Minuten aber hat das Blut in den letzten Reagensgläsern schon eine braune Farbe angenommen; die Oxyhämoglobinstreifen verschwinden, das Spectrum enthält keine scharfen Absorptionsstreifen mehr, sondern nur eine diffuse schwache Verdunkelung in Grün und Blau. Nach 5 Minuten ist schon der Inhalt der Reagensgläser Nr. 18—20 bräunlich geworden. Spektroskopische Untersuchung zeigt, dass die Oxy- hämoglobinstreifen verschwunden sind und kein scharfer Streifen mehr wahr- nehmbar ist. Der Inhalt der anderen Röhren zeigt immer noch die Oxy- hämoglobinstreifen. Allmählich aber werden alle die Blutlösungen bräunlich, die mit sehr wenig Formaldehyd gemischten nur sehr spät. Wenn man eine solche Lösung fortwährend spektroskopirt, sieht man, dass die Oxyhämoglobinstreifen immer schwächer werden und dann ver- schwinden; niemals aber ist das Speetrum des redueirten Hämoglobins wahr- zunehmen. EINWIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF DEN BLUTFARBSTOFF. 217 Versuch II. - Um zu zeigen, dass das Formaldehyd nicht durch die spurenweise in ihm enthaltene Säure das Blut verändert, habe ich eine Formaldehydlösung gebraucht, die mit einer Lösung von Natriumcarbonat (oder wenigen Tropfen Natronlauge) neutralisirt war, so dass sie sich gegen Phenolphtaleinpapier sehr schwach alkalisch erwies. Controlversuche mit Normalblut, welches mit wenigen Tropfen Natriumcarbonatlösung gemischt war, haben gezeigt, dass diese verdünnte Lösung (ohne Formaldehyd) keine Aenderung im Blutfarbstoff hervorbringen kann. 20 Reagensgläser werden mit je 10 “® Blutlösung beschickt. Die Blut- lösung ist hergestellt aus einem mit 0-7 procent. Kochsalzlösung mehrfach gewaschenen Brei von Blutkörperchen. In jedes Reagensglas werden dann 1 bezw. 2, 3, 4, 5 u. s. w. Tropfen der ganz schwach alkalischen Form- aldehydlösung gebracht. Die Oxyhämoglobinstreifen sind bequem zu unterscheiden, aber all- . mählich wird die Blutfarbe bräunlich, die Oxyhämoglobinstreifen verschwinden, und es ist kein Absorptionsstreifen mehr wahrnehmbar, nur schwache Ver- dunkelung im Grün und Blau. Versuch IH. Derselbe Versuch; nur ist das Blut noch mehr verdünnt und bleibt längere Zeit stehen. Die Reagensgläser werden bis zum Rand gefüllt und verstopft, so dass atmosphärischer Sauerstoff die Wirkung des Formaldehyds nicht stören kann. Ein Spectrum des redueirten Hämoglobins ist nicht wahrzunehmen. Ganz anders verläuft aber der Versuch, wenn die Blutlösung concen- trirter ist und auch mit stärkeren Formaldehydlösungen in Berührung kommt. In diesem Falle zeigt die Lösung schnell eine braune Färbung, und wenn sie spektroskopisch untersucht wird, zeigt sie das Spectrum des Häma- tins in saurer Lösung, d. h. das charakteristische Absorptionsband im äussersten Roth. Versuch IV. In ein Reagensglas werden 10 °” einer sehr concentrirten Blutlösung gebracht, welche aus Blutkuchen gewonnen war. Die Lösung wird mit starker, neutral reagirender Formaldehydlösung (40 Procent) geschüttelt. Die Farbe ändert sich plötzlich und wird ganz braun. Die spektroskopische Untersuchung lässt das Speetrum des Hämatins in saurer Lösung erkennen. Die braun gewordene Lösung wird mit Ammo- niak versetzt, es entsteht eine rothe Farbe; das Spectrum der Lösung ist das des alkalischen Hämatins. In allen diesen Fällen ist auch der blaue und der äusserste grüne Theil des Spectralbandes bei scharfer Einstellung des Apparates deutlich zu sehen. Die Reduction mit Schwefelammonium oder mit Stokes’scher Flüssigkeit giebt das Speetrum des reducirten Hämatins. Es ist jedoch zu bemerken, dass diese Ergebnisse nicht immer ganz leicht zu finden sind. In der That ist das Speetrum des Hämatins selten klar und deutlich zu erhalten, weil neben Hämatin oft noch Streifen, welche für Oxyhämoglobin, auch für Methämoglobin sprechen, zu sehen sind. 318 A. BENEDICENTI: EINWIRKUNG DES FORMALDEHYDS U. S. w. Ich will hier endlich erwähnen, dass das Formaldehyd nicht nur diese spektroskopischen, sondern auch sehr charakteristische mikroskopische und makroskopische Veränderungen im Blut hervorbringt. Fügt man zu frisch einem Gefässe entnommenem Blute (Froschblut) einen Tropfen concentrirter Formaldehydlösung, so sieht man, dass die Blut- körperchen etwas undeutliche Contouren zeigen. Bleibt das Blut lange mit concentrirtem Formaldehyd in Berührung, so werden die Blutkörperchen ganz zerstört. Eine andere wichtige Veränderung des Blutes besteht in der Härtung der Eiweisskörper, die ihren Grund in einer Reaction zwischen Formaldehyd und dem Blutserum hat. Wie ich an anderer Stelle! gezeigt habe, kann das Blutserum mit Formaldehyd sich verbinden und ganz fest werden. Frisches wie auch älteres Blut wird, in Berührung mit Formaldehyd, im Laufe von Tagen oder Wochen vollkommen fest, so dass es sehr schwer ist, die consistente Masse aus dem Reagensglase wieder herauszunehmen. Diese makroskopischen, mikroskopischen und spektroskopischen Ver- änderungen des Blutes sprechen schon an sich für eine starke Toxieität des Formaldehyds. Erlangen, im August 1896. ı Dies Archiv. 1897. 8.219 ff. — Beiträge zur Kenntniss der chemischen und physiologischen Wirkungen des Formaldehyds. Erste Mittheilung. Ueber die Rinwirkung des Formaldehyds auf einige Proteinstoffe, Von Dr. A, Benedicenti, Assistenten am physiologischen Institut zu Erlangen. (Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen.) I: Es ist in den letzten Jahren durch zahlreiche Untersuchungen fest- gestellt worden, dass das Formaldehyd, H.CHO, auf Eiweiss und eiweiss- ähnliche Stoffe eine sehr energische Wirkung ausübt. Gelegentlich des Studiums der antibakteriellen Wirkung des Form- aldehyds, dessen wässerige 40 procentige Lösung den Namen Formalin oder Formol führt, machte G. Hauser! die Beobachtung, dass Gelatine unter dem Einfluss desselben die Fähigkeit erhalten hatte, bei Temperaturen, bei denen sie sonst schmilzt oder in Wasser löslich wird, den festen Aggregat- zustand zu bewahren, d.h. gehärtet zu werden. Später? hat Hauser das Formalin als Conservirungsmittel für Bakterienculturen gebraucht, da das ‘ Formalin nicht nur die Gelatine härtet, sondern auch die Bakterien in kurzer Zeit abtödtet. Trillat? stellte fast gleichzeitig fest, dass Formaldehyd Eiweiss co- agulirt und in eine durchsichtige, gelatinöse Masse verwandelt. Hierauf gründete Beckmann? ein Verfahren, Eiweiss und Gelatine von einander zu unterscheiden bezw. zu trennen. Er zeigte auch, dass der Härtungs- ı Hauser, Münchener medic. Wochenschrift. 1893. S. 30. ? Derselbe, Zbenda. 1893. S. 35. ® Trillat, Compt. rend. Bd. CXIV. S. 1278. * Beckmann, Forschungsberichte über Lebensmittel. München 1894. S. 11. 220 A. BENEDICENTI: process sich nur theilweise bei Gegenwart geringer Säuremengen und gar nicht bei stark saurer Reaction vollzieht. Ein Jahr später hat Pottevin! beobachtet, dass die Milch in Be- rührung mit Formalin verändert und coagulirt wird. Das Labferment und die Diastase werden ebenfalls alterir. Auch das Blut coagulirt sehr rasch. Dieselbe Einwirkung von Formalin auf Milch und auf andere Nah- rungsmittel haben auch Th. Weigle und S. Merkel? beobachtet. Das -Formalin wirkt verändernd auf das Casein ein, so dass letzteres in dem Schwefelessigsäuregemisch der Gerber’schen Fettbestimmungsmethode un- löslich wird. Die Fällung des Caseins in formalinhaltiger Milch ist dick- flockig, voluminös. Die Verdauung der Milch sowie des Hühnereiweisses wird durch Formalin aufgehalten. Bei Butter, die mit Formalin versetzt ist, nimmt der Säuregrad äusserst langsam zu. Die verzuckernde Wirkung der Diastase wird durch Formalin begünstigt, die Gärung des entstandenen Zuckers aufgehalten. Das Verhalten der Eiweissstoffe der Milch zu Formalin untersuchten auch H. Droop-Richmond und Kidgell Boseley? und neuerdings auch Hueppe.* Besonders charakteristisch für die specifische Wirksamkeit des Forma- lins ist es, dass es seit einigen Jahren eine ausgedehnte praktische Ver- wendung in der histologischen Technik gefunden hat. Die Anatomen Hermann,’ Jores Leonh,® Pleng’ u. A. haben beobachtet, dass mittelst Formalin die Gewebe gehärtet und conservirt werden können. Die ausgezeichnete bakterieide Wirkung des Formalins hat im ver- flossenen Jahre zuerst Schleich® für die Therapie zu verwerthen gesucht, indem er als trockenes Desinficiens das Glutol einführte, das aus formol- gehärteter und fein geraspelter Gelatine besteht. Welcher Art die Reaction sei, die das Formaldehyd und andere Alde- hyde (Acetaldehyd, Paraldehyd, Propionaldehyd, Isobutylaldehyd u. s. w.) auf Eiweiss und Gelatine ausüben, hat bisher nur Elsner? näher studirt. 1 Pottevin, Annales Inst. Pasteur. 1894. ? Weigle und Merkel, Forschungsberichte über Lebensmittel. München 1895. Ss. 91—94. i ® Droop-Richmond u. Kidzell Boseley, Chem. Centralblatt. Bd. VII. 8.2. *“ Hueppe, Naturwissenschaftliche Einführung in die Bakteriologie. Wies- baden 1896. ° Hermann, Anatomischer Anzeiger. December 1893. ° Jores Leonh, Centralblatt für allgem. Pathologie. Bd. VII. S. 4. ” Pleng, Münchener medie. Wochenschrift. Bd. XLIH. 8. 4. ® Schleich, Centralblatt für medie. Wissenschaften. 1896. 8. 22. ® Elsner, Ueberführung von Gelatine in unlösl. Modificat. Inaugural-Dissert. Erlangen 1895. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 221 Da sehr geringe Quantitäten von Formaldehyd genügen, Gelatine zu härten bezw. wasserunlöslich zu machen, so vermuthet er, dass es sich hierbei um ein Gerinnen der Gelatine handle, welches dem Gerinnen des Eiweisses durch Erhitzen seiner wässerigen Lösung vergleichbar sei. Um die Menge des Formaldehyds zu bestimmen, welche zur Härtung der Gelatine nothwendig war, legte Elsner Gelatine 24 Stunden lang in Wasser, so dass sie mit demselben vollständig imbibirt war. Dann legte er die gequollene Gelatine eine viertel Stunde lang in Formalinlösungen von 0-01—0.1—0.12 bis 0-15 u.s. w, Procent. Nach dem Herausnehmen wurde sie über Glasstäbe aufgehängt und an der Luft wieder vollständig getrocknet. Um dann die Menge des in die Gelatine übergetretenen Formaldehyds zu bestimmen, machte Elsner mehrere Analysen nach den Methoden von Legler,! Lösekann? und Trillat,® kam aber dabei zu dem Schluss, dass diese Methoden keine absolut genauen Zahlenwerthe liefern können. Er gelangt schliesslich zu der Ansicht, dass das Formalin nur eine physika- lische, nämlich eine katalytische Wirkung auf die Gelatine ausübe. Aber er fügt hinzu, dass es gleichwohl nicht ausgeschlossen sei, dass auch chemische Reactionen der Katalysatoren bei der Härtung der Gelatine sich betheiligen.* Classen? schliesst sich der Meinung Elsner’s an. Er glaubt, dass es sich beim Erhärten der Gelatine durch Formaldehyd unter normalen Verhältnissen lediglich um den Uebergang eines labileren Zustandes in einen stabileren handele Das Schleich’sche Glutol enthält thatsächlich, nach Classen, nur minimale Quantitäten von beigemengtem Trioxymethylen, welches durch Auskochen entfernt wird. ‘Wenn man aber bedenkt, dass die mittelst Formalin gehärtete Gelatine stark desinfieirend wirkt und dass die Veränderungen ‚ die Formalin an Eiweisskörpern hervorruft, nicht allein sehr augenfällig sind wie eine Co- agulation, sondern dass sie bei den verschiedenen Proteinsubstanzen in durch- aus verschiedener Gestalt hervortreten, so wird man es für sehr wahr- scheinlich halten, dass das Formaldehyd chemisch auf das Eiweissmolekül einwirkt. Ich habe deswegen, auf Anregung des Hrn. Dr. O. Schulz, dem ich auch an dieser Stelle für seinen Rath und Unterstützung freundlich danken möchte, das Studium der Einwirkung des Formalins auf Proteinstoffe aufgenommen und lasse nun in dieser ersten Mittheilung die bisher ge- wonnenen Resultate meiner Untersuchungen hier folgen. ! Legler, Berichte der deutschen chem. Gesellschaft. Bd. XVI. 8. 13533. ®? Lösekann, Zbenda. Bd. XXTL S. 1564. ® Trillat, Comp£. rend. Bd. CXVI. 8. 891, 3. Aa 085 S: 31. 5 Classen, Therapeut. Monatshefte. Juni 1896. 222 A. BENEDICENTI: 108 Es war vor Allem wesentlich, ein gutes und bequemes Verfahren für die quantitative Bestimmung des Formaldehyds anzuwenden. Die analytischen Methoden zur qualitativen und quantitativen Bestimmung des Formaldehyds sind sehr zahlreich. Die bekannte Methode von Tollens! ist gegründet auf die Reaction des Aldehyds gegen ammoniakalisch-alkalische Silberlösung. Diese Lösung? wird sehr rasch und stark reducirt, man bekommt einen schwarzen Nieder- schlag oder einen Silberspiegel, die auch bei äusserst geringen Mengen von Formaldehyd noch deutlich erkannt werden. Nach Trillat? verwandelt man zur quantitativen Bestimmung des Formaldehyds das Aldehyd durch gemessenes überschüssiges Ammoniak in Hexamethylentetramin (CH,),.N,, verjagt durch einen Luftstrom den Ueber- schuss des Ammoniaks ab und titrirt es im Destillat; oder man fällt das Aldehyd durch wässerige Anilinlösung, filtrirt, trocknet bei 40° und wägt es als Anhydroformaldehydanilin C,H,N:CH,. | Zum Nachweis des Formaldehyds schlagen Droop-Richmond und Kidgell Boseley folgende Reaction vor. Man vertheilt Diphenylamin in Wasser und setzt so viel Schwefelsäure hinzu, dass völlige Lösung eintritt. Zu diesem Reagens fügt man die formalinhaltige Flüssigkeit oder deren Destillat und kocht. Bei Gegenwart von Formaldehyd entsteht ein weisser, flockiger Niederschlag, der sich bei Vorhandensein von Nitraten in der Schwefelsäure grün färbt. Eine sehr empfindliche und brauchbare Reaction zur quantitativen Formaldehydbestimmung hat Klar? angegeben. 38m reinstes Anilin werden in 1000 m Wasser gelöst und der Gehalt durch Titriren mit !/,.-Salz- säure und einigen Tropfen Congorothlösung (1:1000) ermittelt, wobei ein Umschlag in ein stark .blaustichiges Violett als Endpunkt der Titration anzusehen ist. Zu 400° m dieser Anilinlösung, in einem 500 «"-Kolben befindlich, wird 1° der zu prüfenden Formalinlösung tropfenweise zu- gegeben, die Flüssigkeit bis zur Marke 500 aufgefüllt, nach einiger Zeit der Ruhe abfiltrirt und ein aliquoter Theil des Filtrates mit '/ „-Salzsäure und Congoroth als Indicator zurücktitrirt. Aus der Titerdifferenz lässt sich dann der Formaldehydgehalt berechnen. ! Tollens, Ber. der deutschen chem. Gesellsch. Bd. XV, 2. S. 1635 u. 1828. ? Diese von mir so vielfach gebrauchte Lösung ist folgendermassen zusammen- gesetzt: 3&@ AgNO, in 30°®= NH, vom specif. Gew. 0-95 + 3::m NaOH in 30 «m Wasser. ® Trillat, Zbenda. Bd. XV, 2. S. 1635 u. 1828. * Klar, Pharm. Zeitung. 1895. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 223 Ausser diesen sind noch viele andere Methoden vorgeschlagen worden; ich erwähne nur die von-G. und R. Fritz,! Voltering,? Pottevin,? Thompson,‘ Lösekann® und Goldschmidt.* Alle diese Methoden aber sind unsicher, wie theilweise Elsner schon gezeigt hat, oder erfordern eine zu lange Zeit bei ihrer Anwendung. Bei meinen Versuchen habe ich die Methode von Brochet und Cambier’ vorgezogen. Dies Verfahren gründet sich auf die Einwirkung von Formaldehyd auf salzsaures Hydroxylamin. Formaldehyd reagirt rasch und glatt mit gelöstem salzsauren Hydroxylamin im Sinne der Gleichung: NH,0H.HCl + H.CHO = CH, :N.OH + H,O + HCl Formaldoxim Auf diese Umsetzung lässt sich eine bequeme titrimetrische Bestimmung von Formaldehyd gründen, wobei Methylorange als Indicator zu benutzen ist, weil salzsaures Hydroxylamin diesem Farbstoff gegenüber neutral reagirt. Die in Freiheit gesetzte Salzsäure muss mit titrirter Natronlauge bestimmt werden. IM: Die eben erwähnte Methode von Brochet und Cambier geht darauf hinaus, aus der Menge freier Salzsäure, die sich bei der Reaction bildet, das Formaldehyd zu berechnen. Ich habe deswegen vor Allem zu ermitteln ge- sucht, wie Formaldehyd und Hydroxylamin allein gegen die gewöhnlichen Indieatoren reagiren, und habe, je nachdem sie alkalisch oder sauer reagirten, die Grösse der Alkalinität bezw. der Acidität bestimmt. Ich gebe zunächst die Resultate der daraufhin angestellten Versuche. Formalin, die gewöhnliche käufliche 40 procentige Lösung, von E.Merk- Darmstadt bezogen, reagirt sauer gegen Phenolphtalein und gegen Lakmus. Mit !/ ,-normaler Natronlauge bestimme ich die Acidität. Unter Anwendung von Phenolphtalein brauchte ich zur Neutralisation von 0.5 «m !/ „normaler . Natronlauge 4-8—4-7—4-8—4.8° m Formalin, d. h. auf 1 «m Formalin 0.104 cm 1/ „normaler Natronlauge. Danach ist die Acidität des angewen- deten käuflichen Formalins, in Procenten Salzsäure ausgedrückt, gleich. 0-00366 Procent HÜl. Diese Acidität ist vielleicht freier Ameisensäure zuzuschreiben. 1 G. und R. Fritz, Pharm. Post. Bd. XXVIU. ? Voltering, Chemisches Centralblatt. Bd. VI. 8. 2. 3 Pottevin, Annal. Inst. Pasteur. 1894. * Thompson, Chem. News. Bd. LXXI. 8. 247. 5 Lösekann, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 1889. 6 Goldschmidt, Ebenda. 1896. " Brochet und Cambier, Compt. rend. Bd. CXX. S. 449—452. 224 A. BENEDICENTI: Das salzsaure Hydroxylamin reagirt ebenfalls sauer gegen Phenol- phtalein und Lakmus. Seine Aeidität ist aber viel bedeutender. Zu 1m 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrat-Lösung fügt man einen Tropfen Phenol- phtalein hinzu. Die Flüssigkeit bleibt ganz unverändert. Man braucht 2.9—3° m 1/ „normaler Natronlauge, um eine vollständige Neutralisation zu erzielen. Anders ist es, wie Brochet und Cambier beobachtet haben, wenn statt Phenolphtalein oder Lakmus Methylorange als Indicator gebraucht wird. Die Farbe bleibt in diesem Falle fast unverändert. In je ein Re- agensglas werden gleiche Mengen Wasser, Formalin, Hydroxylamin gegeben und die drei verschiedenen Flüssigkeiten werden mit je einem Tropfen Methylorange gefärbt: der Farbenten ist in allen drei Gläsern ganz gleich. Da also Methylorange durch Formalin und durch salzsaures Hydroxyl- amin nicht verändert wird, so kann man diesen Farbstoff benutzen als Indicator bei der titrimetrischen Bestimmung der freien Salzsäure, die bei der Reaction zwischen Formaldehyd und Hydroxylamin entsteht. Diese Reaction . geht, wenn die Flüssigkeiten rein sind, sehr rasch und glatt vor sich. Die mit einem Tropfen Methylorange versetzte Flüssigkeit wird durch freie Salzsäure sofort intensiv roth gefärbt. Der Farbenumschlag bei der Titration der freien Säure mit Natronlauge ist sehr scharf und prompt; nur muss man die Natronlauge sehr langsam und tropfenweise in die zu titrirende Flüssigkeit fallen lassen, sonst bekommt man keine genauen und constanten Zahlenwerthe, wie weiter unten gezeigt werden wird. Da das Molekulargewicht des Formaldehyds CH,O gleich 30 und dasjenige des Hydroxylaminchlor- hydrats NH, OH.HCl gleich 69.5 ist, so habe ich die Versuche mit 4 m 2 procent. Formalinlösung, bereitet durch 20fache Verdünnung der käuf- lichen Lösung, deren Gehalt bekanntlich zu 40 Procent angenommen wird, und 10° 2 procent. Hydroxylaminchlorhydratlösung gemacht, d. h. mit einem kleinen Ueberschuss von Hydroxylamin. 4m des verdünnten Formalins werden aus einer in !/,,°® getheilten Quetschhahnbürette in einen kleinen Kolben abgelassen und mit 10 «= salz- sauren Hydroxylamins, ebenso gemessen, gemischt. Man fügt einen Tropfen Methylorange hinzu. Die Flüssigkeit wird plötzlich roth. Man schüttelt um und wartet ein wenig, um sicher zu sein, dass die Reaction vollendet ist. Dann lässt man aus einer Bürette tropfenweise !/,-n. NaOH zufliessen, bis der, Farbenumschlag eintritt. Der Umschlag tritt in unserem Falle ein nach Zusatz von 26° m 1/ ,-n. NaOH. Wenn die angewendete Formalinlösung genau 2 procentig wäre, so müssten sich in 4° dieser Lösung 0.080 :% Formaldehyd finden. In der That findet man etwas weniger, wie folgende Rechnung ergiebt: WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 225 26 m 1/,.-n. NaOH entsprechen: 36-5.1 9] 26 X 1000.10 Gramm HCl und da 36.5 8m freisewordener HC] 30 g"® Formaldehyd voraussetzen lassen, so entsprechen: 36-51 36-51 30 26.30 26. X Zooo.,0 Framm HCl 26 x 590.10 * 36-5 — 1000.10 ” 0.078 sm Formaldehyd. Der gleiche Versuch, die Titration eines Gemisches von 4° m der ver- dünnten Formalinlösung und 10 °® der 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrat- lösung mittelst '/, normaler Natronlauge, wurde vielfach wiederholt. Ver- braucht wurden bei Innehaltung der angegebenen Bedingungen: 26—26 - 1—26. 1—25-9—26— 26.1 °® 1/ ‚normaler Natronlauge. Ich glaube daraus schliessen zu können, dass die Titrationen ganz zuver- lässig sind, dass man also das Formaldehyd auf diesem Wege quantitativ bestimmen kann. Aber ganz andere und nicht zusammenstimmende Daten erhält man, wie gesagt, wenn die Titration zu rasch gemacht wird, d. h. wenn die Natronlauge nicht vorsichtig und tropfenweise hinzugefügt wird. In ver- schiedenen solchen Analysen habe ich folgende Resultate bekommen: a) 10° 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrats werden mit 4 m 2 pro- cent. Formalinlösung gemischt und mit einem Tropfen Methylorange gefärbt. Man lässt 10» !/ „normaler Natronlauge rasch in die zu titrirende Flüssig- keit fliessen. Man sieht, dass ganz kleine Gasbläschen sich in der Flüssig- keit entwickeln. Mit fünf weiteren Cubikcentimetern Natronlauge bekommt man den Farbenumschlag. Menge der angewendeten Natronlauge = 15 «m, Die Flüssigkeit wird bei längerem Stehen allmählich roth. b) In einem anderen in derselben Weise gemachten Versuch fand ich die nöthige Menge von Natronlauge gleich 16-3 m, c) Verbrauchte !/ „-normal-Natronlauge = 17.4, d) „ h =20.5 ,. e) „ ” = 21-0 m. Die Werthe können, wie man sieht, sehr unbeständig sein und hängen von der Schnelligkeit der Titration ab. Der Fehler ist dadurch bedingt, dass das Hydroxylamin bei raschem Zusatz von Natronlauge sich »zersetzt und dass sich freies Ammoniak entwickelt, welches seinerseits vorübergehend einen Theil der freien Salzsäure binden kann. Das Entweichen von Am- moniak (Hydroxvlamin) kann sowohl am Geruch des Gases wie mittelst feuchten Lakmuspapieres constatirt werden. Hat man sich auf diese Titration eingeübt, so wird man bisweilen auch bei raschem Arbeiten noch richtige Resultate erhalten, besonders wenn Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 15 226 A» BENEDICENTI: man die Flüssigkeit im Kolben mässig erwärmt; aber man darf sich durch den ersten vorübergehenden Farbenumschlag nicht irreleiten lassen. Ich halte es immer für besser, nicht zu erwärmen und die Natronlauge lang- sam in den Titrirkolben einfliessen zu lassen. f) 10° m 2 procent. Hydroxylaminchloıhydratlösung + 4“ 2 procent. Formalinlösung. Man fügt einen Tropfen Methylorange hinzu. Es entsteht eine rothe Farbe. Durch rasche Neutralisation mit !/, „normaler Natronlauge bekommt man einen Farbenumschlag, und die Flüssigkeit wird deutlich gelb. Verbrauchte Lauge = 20«=, Man erwärmt die Flüssigkeit sehr mässig. Die rothe Farbe, welche die freie Salzsäure anzeigt, kehrt wieder. Um eine vollständige Neutralisation zu erzielen, braucht man jetzt noch 6° m 1/ ..n. NaOH. Das heisst, im Ganzen: 20 +6 = 26 !/ „normaler Natronlauge. Die Flüssigkeit ändert bei längerem Stehen ihre Farbe nicht mehr. g) 10° m 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrat + 4°” 2procent. Formalin- lösung. Man lässt die Natronlauge langsam und tropfenweise in die zu titrirende Flüssigkeit fallen. Verbrauchte !/ „normale Natronlauge = 26 m. Man erwärmt die Flüssigkeit mässie. Die Farbe wird ein wenig röthlich. Man erzeugt den ursprünglichen Farbenton mit 0.3" Lauge. Im Ganzen sind also verbraucht 26 + 0-3 = 26.3 m !/ „normaler Natronlauge. h) 15m 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrat + 4° 2 proc. Formalin- lösung. Man lässt die Natronlauge langsam zutropfen. Farbenumschlag bei 26-.5°m Lauge. Nach mässigem Erwärmen entsteht wieder eine schwache Rothfärbung, die durch 0-1 m Lauge definitiv beseitigt wird. Im Ganzen verbraucht 26.6" 1/ ‚normaler Natronlauge. Die oben dargelegten Versuche haben gezeigt, dass, wenn die Titration _ unter tropfenweisem Zufügen der Natronlauge ausgeführt wird, es gar nicht nöthig ist, die Flüssigkeit zu erwärmen. Die Erwärmung muss jeden- falls sehr gering sein, weil bei starkem Erhitzen sehr leicht secundäre keactionen eintreten können. A. Scholl! hatte schon gezeiet, dass das Trioximidomethylen (CH, : NOH),, das Trimere von Formoxim CH,:NOH, wenn die Temperatur hoch ist, in Wasser und Blausäure zersetzt werden kann: CH, : NOH = CNH + H,O. Brochet und Cambier? haben ferner gefunden, dass die Zersetzung sehr leicht eintreten kann, wenn man eine Mischung von Formalin und Hydroxylaminchlorhydrat bis zum Siedepunkt erhitzt. In diesem Falle kann man die Blausäure durch den Geruch und ihre specifischen Reactionen nachweisen. !R. Scholl, Berichte der deutschen chem. Gesellschaft. Bd. XXIV. S. 576. 2 Brochet und Cambier, Compt. rend. Bd. CXX. S. 449—52. — Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 1895. Bd. IV. S. 233. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 227 IN - In den Versuchen, die ich gemacht habe, um die Einwirkung des Formalins auf Proteinstoffe zu studiren, ist es oft nothwendig gewesen, die zu untersuchenden Substanzen längere Zeit in Berührung mit Formalin in verschlossenen Kolben stehen zu lassen. Es fragt sich nun, ob nicht Formaldehyd so leicht flüchtig ist, dass schon während dieser Zeit etwas durch Verdunstung verloren gehen kann, und ferner, ob die Möglichkeit vorhanden ist, eine Formalin enthaltende Flüssigkeit so zu destilliren, dass das Formalin vollständig im Destillat wiedergewonnen wird. A priori kann man nach den Erfahrungen, die man an sehr ver- dünnten wässerigen Formalinlösungen gemacht hat, annehmen, dass Form- aldehyd nicht sehr flüchtig ist. Die Anatomen können ihre Präparate Jahre lang in sehr verdünnten Formalinlösungen gut conservirt halten; selbst wenn die Gefässe nicht vollkommen schliessen, bewahren die Formalin- lösungen ihre desinficirende und conservirende Kraft. Auch die Beob- achtung, dass pulverförmige Substanzen, wie Stärke, Mehl oder dergl., die mit Formalin imprägnirt worden sind, bei langem Liegen an freier Luft den charakteristischen stechenden Formaldehydgeruch richt verlieren, spricht für eine auffallend geringe Flüchtigkeit des Aldehyds.. Um aber über die Verdunstungsgeschwindigkeit des Formaldehyds selbst ein Urtheil zu ge- winnen, habe ich folgenden Versuch angestellt: 20°" 2 procent. Formalinlösung werden mit 50 «= Wasser verdünnt und in einem mit Rückflusskühler versehenen Kolben eine Stunde lang gekocht. Nach dem Erkalten wird die Flüssigkeit mit Hydroxylamin- chlorhydrat versetzt und mit Natronlauge titrirt. berechnete = 130 m, verbrauchte = 129-5 ° m, Es ist also aus dem Kühler, der nur mit einem schwachen Strom kalten Wassers versorgt wurde, keine Spur Aldehyd entwichen. Will man aus einer Formalinlösung das Formaldehyd durch Destil- lation gewinnen, so kommt man durch Kochen am absteigenden Kühler nicht leicht zum Ziel; dagegen gelingt es durch Destillation im Wasser- dampfstrom, das Aldehyd in 1!/, bis 2 Stunden vollkommen in das Destillat überzuführen. In diesem Falle reagirt der Rückstand nicht mehr mit Hydroxylamin und ebenso wenig mit der ammoniakalischen Silbernitratlösung. Um alle Umstände, welche für meine weiteren Versuche von Bedeutung sein konnten, kennen zu lernen, musste ich noch untersuchen, wie die Spaltungs- und Polymerationsproducte des Formaldehyds mit Hydroxylamin reagiren. Das Formaldehyd kann, wie zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben, leicht gespalten oder verändert werden. Vorhin habe ich schon die Beob- 5 Natronlauge i 228 5 A: BENEDICENTI: achtungen von Scholl, Brochet und Cambier erwähnt; Lösekann! hat auch gezeigt, dass beim Eindampfen von Formalinlösungen Paraformaldehyd (CH,O)n entstehen kann. Dieses kann dann in Trioxymethylen (CH,O), übergehen. Wir wissen ferner, worauf Eschweiler? eine der quantitativen Formaldehydbestimmungen gegründet hat, dass auch Hexamethylenamin sehr leicht aus Formaldehyd bei Gegenwart von Ammoniak entstehen kann, und es ist bekannt, dass auch Zuckerarten (Methylenitan, Formose) aus Form- aldehyd gebildet werden. ® Wie Elsner beobachtet hat, besitzen diese aus Formaldehyd ent- stehenden Producte den härtenden Einfluss auf Gelatine im Allgemeinen nicht. Ich habe daher nur das Verhalten des Paraformaldehyds geprüft, weil nur dieses unter den Bedingungen meiner Untersuchungen leicht ent- stehen kann. Es ergab sich, dass Paraformaldehyd mit Hydroxylamin genau wie Formaldehyd reagirt, und dass es auch möglich ist, das Para- aldehyd im Dampfstrom zu destilliren und im Destillat nachzuweisen. Die Reaction ist nur ein wenig langsamer. a) 0.0258m Paraformaldehyd werden in 20°” Wasser suspendirt. Man erwärmt mässig, so dass man eine vollständige Lösung bekommt. Die Flüssigkeit wird mit 5°” Hydroxylaminchlorhydrat gemischt und mit einem Tropfen Methylorange gefärbt. Es entsteht freie Salzsäure Die Titration mit ?/ normaler Natronlauge ermöglicht das Paraformaldehyd quantitativ zu bestimmen. b) 2sm Paraformaldehyd, genau gewogen, werden in 200m destil- lirten Wassers suspendirt. Die Flüssigkeit wird dann im Dampfstrom destillirt. Nach 5 Minuten langem Dampfeinleiten entsteht im Destillir- kolben eine starke Trübung, nach 10 Minuten ist das Paraformaldehyd voll- kommen gelöst. Das Destillat riecht nach Formalin. Mit Hydroxylamin- chlorhydrat reagirt es sehr glatt; es entsteht freie Salzsäure. Die Titration mit Natronlauge liefert nur in dem Falle genau die berechneten Zahlen, wenn der Rückstand keine Reaction mit der alkalisch-ammoniakalischen Silberlösung mehr giebt. Um diese vollständige Destillation zu erzielen, braucht man auch bei dem Paraformaldehyd 1!/, bis 2 Stunden. Nach dieser Zeit kann man, wie das Formaldehyd, aueh das Paraformaldehyd genau titriren. ! Lösekann, Chemische Zeitung. Bd. XIV. S. 1408. 2 Eschweiler, Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Bd. XXI. S. 1992. ® Siehe die Arbeiten von Loew (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft, Bd. XXII. 8. 470), von Tollens (Zbenda. Bd. XV. 8.1629) und die genaue Litteratur in O. Schulz, Die Synthese des Traubenzuckers. Biologisches Centralblatt. 1890. Bd. X. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 229 Ye Die erste Reihe von Versuchen habe ich an Gelatine gemacht und zwar an frischer, wie sie Elsner schon angewendet hat, dann an solcher, die durch langes Kochen ihre Gelatinirfähigkeit verloren hatte und endlich an einer, welche durch verschiedene Bakterien flüssig gemacht worden war. Auf die nach Elsner’s Methode gemachten Versuche werde ich später eingehen. Ich wende mich zuerst zu den Versuchen mit ver- Hüssigter Gelatine. Es war zunächst unerlässlich, das Verhalten der Gelatine gegen die gewöhnlichen Indicatoren kennen zu lernen. Ich prüfte sie an einer d procent. Lösung von käuflicher Gelatine (beste Handelswaare) und gebe in nachstehender Tabelle die Resultate. Sämmtliche, auch die weiterhin noch angeführten Titrationen an frischer Gelatine wurden natürlich bei Temperaturen gemacht, bei denen die betreffende Gelatinelösung eben noch flüssig war. Reaction von 10 °= 5 procentiger Gelatinelösung gegen: = © = | Eu Phenolphtalein | Lakmus Methylorange = I ————— ————— FT || m nn 7 qualit. quantitativ | qualit. quantitativ qualit. quantitativ I | l|| sauer |0-9 «m 1/.-n. NaOH, sauer |0-7m1/ -n. NaOH, alkal. | 4.6 m1/ -n. HC} u er} 0-8 £}} E}} Er „ 0-7 „ 3a 23 3 4-8 er} EL} ») 108 ”) 0-9 ” ” „ | „ 0-7 „ ”„ ” | >” 48 E23} ” ” Aus dieser Tabelle sieht man, dass die Gelatine gegen Methyl- orange wie eine Basis reagirt! und die Fähigkeit hat, freie Salzsäure zu binden. Jetzt fragt es sich, ob sich diese Fähigkeit etwa ändert, wenn die Gelatine mit Formalin oder mit Hydroxylamin gemischt wird. Die in diesem Sinne gemachten Versuche zeigen, dass das Vorhandensein von Formalin und Hydroxylamin die Alkalinität der Gelatine gegen Methyl- ‘orange nicht zu ändern vermag. ! Da von der „alkalischen Reaction“ der von mir untersuchten Proteinstoffe noch oft die Rede sein wird, so möchte ich hier beiläufig bemerken, dass diese Reaction nicht etwa durch Methylorange angezeigt wird. Ich will mit jenem kurzen Ausdruck nur bezeichnen, dass die einzelnen Proteinstoffe, wenn sie mit Salzsäure versetzt werden, mehr oder minder viel von dieser Säure in einer Weise an sich reissen, dass die Gegenwart der Säure durch Methylorange nicht erkannt werden kann. Es ver- schwindet also für den Indicator die Säure genau so, als wenn ein Alkali mit Säure titrirt wird. Durch die Stärke der „alkalischen Reaction‘, wie sie titrimetisch bei den einzelnen Proteinstoffen von mir ermittelt wurde, soll also nur ausgedrückt werden die Grösse des Säurebindungsvermögens, nicht aber die Grösse einer wirklichen Alkalinität. 230 A. BENEDICENTI: a) 10°em 5procent. frischer Gelatine allein (gleich 0.52% käuflicher Gelatine) binden 4-8 °°m !/ "normaler Salzsäure. 1008”” Gelatine binden: 100 3-65 nl HC. b) 10 «m 5procent. frischer Gelatine, mit 4°” 2 procent. Formalin- lösung gemischt, binden ebenfalls 4.8 «m 1/ -n. HCl. c) 10° m 5 procent. frischer Gelatine, mit 10°" 2 procent. Hydroxyl- aminchlorhydrat gemischt, binden gleichfalls 4-8 !/,,-n. HCl. Hieraus geht hervor, dass, wenn man das Formalin, welches mit Gelatine in Berührung war, bestimmen will, zuerst die Alkalinität der Gelatine neutralisirt werden muss, so dass die Gelatine keinen Theil der freien Salzsäure, die bei der Reaction zwischen Formalin und Hydroxyl- aminchlorhydrat entsteht, binden kann. Die Fähigkeit, Salzsäure zu binden, hat auch die durch langes Kochen verflüssigte Gelatine. Um eine 10 procent. Lösung von Gelatine so flüssig zu machen, dass sie nicht mehr gelatinirt, muss sie ziemlich lange, 5 bis 10 Stunden, im Dampfstrom kochen. Gespannter Dampf wirkt, was nicht weiter betont zu werden braucht, rascher. Wenn aber die Gelatinelösungen schwächer sind, so genügt eine kürzere Zeit. Zwischen gekochter und frischer Gelatine besteht in Bezug auf Al- kalinität: kein erheblicher Unterschied. 10° ® einer 10 procent. frischen Gelatine brauchen 9.4 m !/ -n. HOI, bis die Flüssigkeit sich deutlich roth färbt. 10m gekochter und nach dem Erkalten flüssig bleibender Gelatine brauchen 9.2 «m 1/ -n. HCl, um denselben Farbenton zu geben. Dieses alles vorausgeschickt, können wir nun eingehender verfolgen, welchen Einfluss das Formaldehyd auf Gelatine ausübt. Ich will mit wenigen Worten auf die augenfälligen Veränderungen hinweisen, welche das Formalin an der Gelatine hervorzurufen im Stande ist. Diese Veränderungen be- stehen hauptsächlich in der Härtung. Wenn in Wasser gequollene Gelatine in eine Formalinlösung getaucht wird, so wird sie hart, d. h. sie wird in warmem Wasser ganz unlöslich. Aber ich habe beobachtet, dass in dieser Härtung der Gelatine so zu sagen verschiedene Stufen angenommen werden können. Wenn die Formalinlösung, in welche die Gelatine getaucht wurde, sehr schwach ist, so kann sich die Gelatine unlöslich zeigen, wenn die Er- hitzung nur kurze Zeit dauert, aber sie löst sich bei weiterem Kochen oder noch besser beim Kochen im Dampfstrom. Wenn aber die Formalinlösung sehr stark ist oder lange Zeit mit Gelatine in Berührung bleibt, so ist die Härtung viel vollkommener, und es bedarf eines stundenlangen Kochens oder anhaltender Einwirkung des Dampfstromes, bis eine vollständige Lösung WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 231 erreicht wird. Auf dieses Verhalten werde ich noch einmal später ein- gehen. Die Härtung der Gelatine. durch Formalin ist prompt und constant nur mit gequollener Gelatine oder mit einer ganz wenig verdünnten Gelatinelösung. Bei mässiger Verdünnung der Gelatinelösungen tritt die Härtung nur langsam ein; bei sehr starker Verdünnung findet sie gar nicht mehr statt. a) 17. V. 1896. 10cm 3procent. Gelatine, durch Kochen dauernd verflüssigt, werden in einem kleinen Kolben mit 4°” 2 procent. Formalins gemischt und bleiben bei Zimmertemperatur stehen. 27. V. 1896. Keine sichtbare Veränderung. -b) 17. V. 1896. 10°°® 3 procent. Gelatine werden mit 2 °m 40 procent. Formalins gemischt. 1. VI. 1896. Ebenfalls keine sichtbare Veränderung. c) 17. V. 1896. 10m 3 procent. Gelatine werden mit 3 m 40 procent. Formalins gemischt. 10. VI. 1896. Keine Veränderung. Die Titrationen zeigen in diesem Falle, dass nur minimale Mengen von Formalin gebunden sind. 10 kleine Kolben werden beschickt mit je 10 °® 3procent. Gelatine, durch Kochen dauernd verflüssigt, und 4° m 2procent. Formalinlösung. Einige von diesen Kolben werden unter normaler Temperatur gehaiten, andere werden in den auf 38° eingestellten Brütofen gebracht. In der folgenden Tabelle theile ich die Daten in Bezug auf den Nachweis von Formaldehyd mit. Zur Erleichterung des Verständnisses dieser und der folgenden Tabellen wiederhole ich, dass am Ende der Beobachtungszeit bei der Analyse jedes einzelnen Kolbeninhaltes zunächst so viel !/,,-normale Salzsäure zugefügt wurde, dass Methylorange gerade den Uebergang in die saure Reaction an- zeigte (verbrauchte '/ ,-n. HCl ist stets in der 3. Columne der Tabellen an- gegeben); dass nach dieser Neutralisation der Kolbeninhalt jedesmal mit 10m 2 procent. Hydroxylaminchlorhydrat-Lösung versetzt (in den Tabellen nicht angegeben), und dass dann die nunmehr bei der Reaction des noch disponiblen Formaldehyds auf das Hydroxylaminchlorhydrat frei werdende Salzsäure mittelst !/,„-normaler Natronlauge titrirt wurde (verbrauchte !/,.-n. NaOH in der 4. Columne der Tabellen. Bei Abwesenheit einer Form- aldehyd bindenden Proteinsubstanz würde die Titration eines Gemisches von 4°m 2procent. Formalinlösung und 10m 2 procent. Hydroxylamin- chlorhydrats 26.1 m 1/ ,-n. NaOH erfordert haben; war aber Formaldehyd durch die verwendete Proteinsubstanz gebunden worden, so musste bei der Titration weniger Natronlauge gebraucht werden, und aus diesem Minder- 232 A. BENEDICENTI: verbrauch an Natronlauge (in den Tabellen 5. Columne) konnte man direct auf die Menge des verschwundenen, d. h. an die Proteinsubstanz gebundenen Formaldehyds (in den Tabellen 6. Columne) schliessen. I. 3procent. durch Kochen verflüssigte Gelatine. | Alkalinität Ver- Ge- Daten Alter der durch!/,o-n. brauchte Differenz bundenes Bemerkungen Mischung | HCl neu- Jio-2.- Form- - | tralisirt NaOH aldehyd TEN. _ 2 26-1 — = Normal-Temper. 18.V. 1 Tag » I. 7.26 0-1 0:0003 | ” 19.V. | 2 Tage 5 26-1 — — 22 20:8. 01 830 %,; > 26 0-1 0-0003' | PR 21.V. 4 „ 0 25.8 0-3 0-0009 | > 22.V. Du > 26 0-1 0-0008 | r 19V. 2:05, DB . 26 0-1 0°0003 | + 38°C. 20. V. 3; 2 26-1 — el 5 2aNVE 4 „ „ 25.8 0:3 00009 „ 22.V Da rc 25-9 0-2 0-0006 f Man sieht hieraus, dass die Quantität des gebundenen Formaldehyds in allen diesen Fällen ganz gering ist, und dies stimmt auch mit dem vorher Gesagten, dass das Formalin keine Veränderung in so verdünnten Gelatinelösungen hervorbringt. « Etwas anderes jedoch ergiebt sich, wenn die Gelatinelösungen concen- trirt sind, wie folgende Versuche zeigen. a) 22. V. 1896. 10cm 10 procentiger, durch Kochen dauernd ver- flüssigter Gelatine werden mit 4° m 2 procentiger Formalinlösung gemischt. Nach 6 Tagen zeigt sich keine wesentliche Veränderung; nach 10 Tagen beginnt eine langsame Verdichtung; nach 14 Tagen ist die Veränderung noch deutlicher; nach 20 Tagen ist die Lösung zwar gelatinirt, aber noch nicht ganz starr geworden. _ ; b) 22. V. 1896. 10m derselben 10 procentigen Gelatine werden mit 2 cm 40) procentigen Formalins gemischt. Die Veränderung vollzieht sich rascher, und in 15 Tagen ist der Kolbeninhalt bereits ziemlich fest geworden. Der Formaldehydgeruch wird auch allmählich schwächer, wenn das Formaldehyd in Berührung mit concentrirter Gelatinelösung gewesen ist, und endlich wird er ganz unmerklich. Da, wie ich schon oben gezeigt habe, eine Verdunstung des Aldehyds nicht in Frage kommt, so spricht schon das Verschwinden des Geruchs für eine chemische Reaction. s WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 233 In einer Reihe kleiner Kolben habe ich Formalin und Gelatine ge- mischt in folgendem Verhältniss: 10°® 10 procentiger Gelatine, durch Kochen verflüssigt, 4m 2 procentiger Formalinlösung. Einige von diesen Kolben werden in den auf 38° eingestellten Brüt- ofen gebracht, andere unter normaler Temperatur gehalten. Nach Verlauf von gewissen Zeitabschnitten wurde das in dem Inhalt der einzelnen Kolben noch frei vorhandene Formaldehyd nachgewiesen. Die Resultate dieser Versuche sind in folgender Tabelle niedergelegt. II. 10procent. durch Kochen dauernd verflüssigte Gelatine. | Alkalinität Ver- | Gebund. Datum ae I ni ne Differenz a da Bemerkungen neutralisirtt NaOH | ‚Le®» Gelat. ccm | grm 23EN: 1 Tag Sonn 026 —_ | — Flüssig 23.V. 3 Tage 8 25.4 0:6 0-0018 ss 28. V. 67 7-5 25°3 0-7 0:0021 ” TSV 10 7-5 I 22289 3-5 0-0105 Gallertig as Ten Wohn 1405 0-0135 x 23. V. 1 Tag 85 24-8 | 1.2 0:0036 | Flüssig 25. V. 3 Tage 8 23:3 | 2%7 0-0071 Gallertig 28. .V. GR 1-5 .|..23-2 2-8 0-0074 % IHAnME 10 „ 75 12.022 4 0:0120 Br Dome 14", olsaa ungerlee 45 | 0.0135 R | | | | Aus den Daten dieser Tabelle ersieht man, dass die Fähigkeit der Gelatine, Salzsäure zu binden, nur ganz wenig variirt, dass aber die Quan- tität des Formaldehyds, welche sich nachweisen lässt, immer kleiner wird. Die erhöhte Temperatur beschleunigt nur die Reaction; endlich aber wird nach 14 Tagen in beiden Fällen die Quantität des gebundenen Form- aldehyds in allen Kolben ganz gleich. Die Menge des gebundenen Form- aldehyds (Columne 6) ergiebt sich aus dieser Rechnung: 26:0-078 = 4-5 : z (vgl. 8. 225) z = 0.0135 für je 1°”® Gelatine. Trotz dieser ziemlich bedeutenden Menge gebundenen Formalins tritt der härtende Einfluss nur langsam ein. Aber wie wir gleich sehen werden, können sich bedeutende Quantitäten von Formaldehyd mit Gelatine ver- binden, ohne dass es zu einer merkbaren Härtung kommt. Dies ist näm- lich der Fall, wenn Formalin mit Gelatine reagirt, welche durch Bakterien verflüssigt worden ist. Die von mir bei meinen Versuchen verwendete 234 A. BENEDICENTI: Gelatine war in einer Reihe von Fällen durch Hundekothbakterien ver- flüssigt, in anderen Fällen durch Reineulturen, besonders von Pyocyaneus, Fluorescens liquefaciens und Proteus. Die behufs Klärung filtrirte Gelatine und durch Bakterien verflüssigte Gelatine wurde mit Formaldehyd gemischt, immer in demselben Ver- hältniss, d. h.: 10m 10 procentiger Gelatinelösung, durch Bakterien verflüssigt, 4m 2 procentiger Formalinlösung. Die Veränderungen, welche in dieser verflüssigten Gelatine in Folge der Einwirkung des Formaldehyds auftreten, sind nicht erheblich. Wie ich schon früher erwähnt habe, hat Hauser beobachtet, dass die Bakterien- ceulturen mittelst Formalin conservirt werden können, und dass, wenn die Gelatine durch Bakterien verflüssigt zu werden beginnt, sie am besten durch Formalindämpfe gehärtet werden kann, so zwar, dass in Folge des Absterbens der Bakterien die Cultur in ihrer charakteristischen Form fixirt und als Dauerpräparat erhalten wird. Aber diese Fixirung tritt nur ein, wenn die Quantität der verflüssigten Gelatine noch gering ist, wie im Beginn der Verflüssigung durch Bakterien. Wenn die ganze Gelatine durch Bakterien verflüssigt ist, so wird sie durch Formalin nicht mehr fest oder verändert sich wenig und nur ungemein langsam. a) 15.V. 1896. Ein Reagensglas wird mit 3°” 1Oprocentiger Gelatine, die durch Pyocyaneus vollständig verflüssigt ist, beschickt und mit einem Wattepfropfen geschlossen, welcher mit Formalin getränkt ist. Nach zwei Monaten erscheint die verflüssigte Gelatine noch ganz unverändert. | b) 15.V. 1896. 5m Gelatine, durch Streptococcus verflüssigt, werden mit 2 Tropfen einer 2 procentigen Formalinlösung gemischt. Nach zwei Monaten ist keine wesentliche Veränderung an der Flüssigkeit zu bemerken. Auch alle späteren mit Hundekothbakterien und mit Pyocyaneus ge- machten Versuche zeigen, dass an der Consistenz des Nährbodens keine sichtbaren physikalischen Veränderungen durch das Formalin hervorgebracht werden. Nur die Farbe der Gelatine kann sehr bedeutend verändert werden, wie in dem Falle, wo man mit reinen Pyocyaneusculturen arbeitet. Die von Pyocyaneus verflüssigte Gelatine ist bekanntlich zumeist dunkelgrün, aber sie wird auf Zusatz von Formalin nach einigen Tagen röthlich- violett Diese Aenderung der Farbe, die ich an allen Kolben beob- achtet habe, erinnert an die Farbenreaction, welche gewisse Bakterien- eulturen bei Einwirkung starker Säuren geben, wie zum Beispiel Cholera- culturen (Cholerarothreaction). Die durch Formalin erzeugte röthlich-violette Färbung tritt nur sehr langsam ein und nur, wenn Formalinlösung mit der Cultur gemischt worden ist, nicht — so viel ich beobachtet habe — durch WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 235 Formaldehyddämpfe. Auf eine Erklärung dieser Reaction will ich nicht weiter eingehen. Die durch Hundekothbakterien verflüssigte Gelatine reagirt gegen Lakmus und Phenolphtalein neutral oder sehr schwach sauer, gegen Methyl- ‘orange alkalisch. Um 10°” einer so verflüssigten 10 procentigen Gelatine für Methylorange zu neutralisiren, braucht man 9.2 !/,,-n. HCl. Dieselbe Quantität von dieser Gelatine, mit Formalin oder mit Hydroxylamin ge- mischt, bindet ebenfalls 9.2 =!/,,-n. HCl; die Alkalinität wird also durch beide Reagentien nicht verändert. Vergleichen wir diese Zahl mit der Grösse der Alkalinität der durch blosses Kochen verflüssigten Gelatine, so sehen wir, dass die durch Bakterien verflüssigte Gelatine eine höhere Alka- linität hat als die durch Kochen verflüssigte. Aber der Unterschied ist nicht sehr gross. In den folgenden Tabellen gebe ich die Resultate über die Bindung des Formaldehyds durch Gelatine, die von Hundekothbakterien und durch solche, die von Pyocyaneus verflüssigt worden war. Von der Beschickung der einzelnen Kolben gilt das S. 231 Gesagte. III. 10 procent. Gelatine, durch Hundekothbakterien verflüssigt. Alkalinität Ver- Gebund. ‚ Alter der |durch!/,„.n.. brauchte . Form- Datum nschune Her 1 .n, Differenz | ]gen yd für Bemerkungen | neutralisirtı NaOH 1 Xu Gelat. J [ cem grm 28. V 3 Tage g 22-5 3-5 0°0105 | Normale Temp. ZINLV. 4 „ 8 21°5 4-5 0-0135 ” 1BVIE Ta 7-5 19-5 6-5 0-0195 N | 10, 7 18 8-0 0:0240 | " 28. V Do 9 21 5.0 0-0150 + 38°C. Es a Maar 8 19-5 6-5 0-0195 SE IN Be 71-5 18 8-0 0-0240 | A SESVI. 102%, 7-5 18 8-0 0.0240 Hr IV. 10Oprocent. Gelatine, durch Pyocyaneus verflüssigt. | Alkalinität, Ver- Gebund. | Alter der |durch!/,„-n.| brauchte En Form - : Datum ee ach im Differenz aldehyd für Bemerkungen neutralisirttt NaOH ıLerm Gelat ccm 1% grm BIVE | = 85 26-1 —_ —_ — 16. VI. Ss Tage 8:0 19 7.0 0-0210 Röthlich-violett 22. Vl. Io 80 15 11-0 0.0330 En 24. VI. IS; 8:0 13 13.0 0.0390 EB 27. VI. 20» 8:0 13 13-0 00390 » 30. VI. | 24 „ 8-0 13 13-0 09-0390 y> 236 i A... BENEDICENTI: Man sieht hieraus, dass das freie Formaldehyd aus der Gelatinelösung langsam schwindet. Wenn wir mit einer Curve die Menge des gebundenen Aldehyds graphisch darstellen, so erhellt deutlich, dass in den ersten Tagen die Reaction schneller vor sich geht, dann langsamer wird und endlich ganz aufhört. Andere Versuche werden darthun, dass das Formaldehyd wirklich gebunden ist, und zwar so, dass es möglich ist, es wieder zu ge- winnen. Auf diese Versuche werde ich erst später eingehen. vl. Eine andere Reihe von Versuchen habe ich mit Eiweiss gemacht, mit frischem Hühnereiweiss oder mit getrocknetem und fein pulverisirtem Eier- Albumin. Es kam zunächst darauf an, über das chemische Verhalten des Hühner- eiweisses, d.h. über seine basische oder saure Natur eine bestimmte Vorstellung zu gewinnen. Das Hühnereiweiss ist schon in Bezug auf sein Verhalten gegen Alkali und Säuren sehr genau studirt worden. Tarchanoff! hat gefunden, dass Eiweiss durch Alkali zur Gerinnung gebracht werden kann; Rosenthal und Schulz? haben Alkali-Albuminat als Nährboden bei bakteriologischen Untersuchungen vorgeschlagen. Im hiesigen Institut hat ferner Geissler? eine Arbeit über das Verhalten des Hühnereiweisses gegen Alkalien aus- geführt, welche später von Gundlach* noch fortgesetzt worden ist Gundlach hat verschiedene Reihen von Versuchen gemacht, um das Ver- halten des Hühnereiweisses gegen verdünnte Schwefelsäure zu bestimmen. Er hat Phenolphtalein als Indicater gebraucht. Die Resultate seiner Versuche, so weit sie uns hier interessiren, sind, dass frisches Hühnereiweiss sich verdünnter Schwefelsäure gegenüber wie ein Alkali verhält, es bindet bei Zimmertemperatur Säure, sowohl wenn die Säure direct dem Eiweiss zugefügt, als auch wenn eine Mischung von Ei- weiss und Natronlauge mit Säure versetzt wird. Zu meinen Versuchen habe ich das Eiweiss von 15 Eiern gebraucht. Dieses frischen Hühnereiern entnommene Eiweiss ist, ehe dasselbe mit der Salzsäurelösung titrirt wird, zuvor von den Chalazen zu befreien und ab- zuklären, was am einfachsten dadurch geschieht, dass man es unter ge- lmdem Druck durch ein sehr feines Leinenfilter hindurchdrückt. ! Tarchanoff, Pflüger’s Archiv. Bd. XXXII. S. 303 und Bd. XXXIX. S. 176 und 185. ? Rosenthal und Schulz, Biologisches Centralblatt. Bd. VIII. Nr. 10. ® Geissler, Beiträge zur Kenntniss des Hühnereiweisses. Inaugural-Dissertation. Erlangen 1889. * Gundlach, Ueber die Verwendung von Hühnereiweiss zu Nährböden. Inaug.- Dissertation. Erlangen 1894. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 237 Dieses Filtrat reagirt alkalisch gegen Methylorange. Die Stärke der alkalischen Reaction gegenüber !/,,.n. HCl habe ich titrimetrisch bestimmt. a. 10°°m frisches Eiweiss, mit einem Tropfen Methylorange gefärbt, werden mit !/,„-n. HCl neutralisitt. Man findet, dass 10°em Eiweiss 17.5— 18m 1/ ,-n. HC] binden. Drei weitere Titrationen ergeben dasselbe Resultat. Die Fähigkeit, Salzsäure zu binden, wird grösser bei längerer Be- rührung des Eiweisses mit der Salzsäure. Der Zusatz von Formalin oder von Hydroxylamin ändert die basische Natur des Eiweisses nicht. b) 10 ccm frisches Hühnereiweiss, mit 10°” 2 procentiger Hydroxyl- aminlösung oder mit 4°" 2 procentiger Formalinlösung gemischt, binden ebenfalls 17.5—18 m !/ ,.n. HCl. Das heisst: 3-65 17.5 com Non. HÜ= 17-5: 1000 Gramm HC. Nun wiegen 10 „ frisches Hühnereiweiss 10.2 sw, 10-2 s@ binden also 17-5 - nn Gramm HCl, 100 3-65 oder LoBE= binden? : 173° m 0.62, HC. Die Versuche mit gepulvertem Albumin aus Eiern (E. Merck) stellte ich in der Weise an, dass 28m des feinen pulverisirten Stoffes in 10 em destillirtten Wassers suspendirt, dann mit Formalin gemischt und längere Zeit stehen gelassen wurden. Auch dieses Albumin reagirt alkalisch gegen Methylorange: a) 22m Bieralbumin (Merck) werden in. 10°°@ destillirten Wassers suspendirt und mit einen Tropfen Methylorange gefärbt. Unter lebhaftem Schütteln wird tropfenweise !/,,„-n. HCl hinzugefügt. Man braucht 26 em dieser Säure, um den Farbenumschlag in Roth zu erzielen. Titration b) bis e) ergeben dieselben Resultate. 25m Biweiss, mit 10°” 2 procentigem Hydroxylaminchlorhydrat gemischt, binden ebenfalls 26 m 1/ -n. HCl. Ganz gleich verhält sich das gepulverte Eiweiss, wenn es mit Formalin gemischt und neutralisirt wird. Bei längerer Berührung mit Formalin ändert sich aber die Fähigkeit des Eiweisses, Salzsäure zu binden, ein wenig, wie in der folgenden Tabelle zu sehen ist; sie nimmt ein wenig ab. Das aber geschieht nicht, so lange das Formalin nicht gebunden wird. Die physikalischen Veränderungen, welche von dem Formalin am Ei- weiss hervorgerufen werden, sind auch nicht sehr erheblich. An dem ge- pulverten Eieralbumin ist nichts Besonderes zu sehen; in dem frischen Hühnereiweiss aber tritt bei Berührung mit Formalin eine Veränderung ein. Es wird in der That etwas dicker, hängt sich an die Wände des Gefässes an, ist nicht mehr durchsichtig, wird opalisirend wie im Beginn 238 A, BENEDICENTI: der Coagulation. Dieser sichtbaren Veränderung geht parallel eine viel wichtigere: das Eiweiss wird den Verdauungsfermenten gegenüber mehr und mehr resistent, wie bereits Weigle und Merkel beobachtet haben, und wie ich im Anfang der Arbeit auch erwähnt habe. In einer ganz kürzlich erschienenen Arbeit, welche Blum! publieirt hat, als diese hier schon fast fertig war, hat er diese durch Formalin erzeugte Modification des Eiweisses näher beschrieben. Er hat nämlich gefunden, dass das Eiweiss von frischen Hühnereiern, mit Wasser verdünnt und durch Filtriren geklärt, seine Fähigkeit in der Hitze zu gerinnen verliert, wenn man ihm wenige Tropfen von Formalin zusetzt, und dass es auch dann nicht gerinnt, wenn man die Flüssigkeit stark einengt und das über- schüssige Formaldehyd dabei vollkommen verjagt. Er glaubt, dass das Ei- weiss mit Formaldehyd reagiren kann, so dass sich ein synthetischer Process im Eiweissmolecül abspielt. Aehnliche Beobachtungen habe ich auch an Blutserum gemacht, auf die ich später noch zurückkommen werde. Wenn das Eiweiss, welches sehr lange in Berührung mit Formalin _ gewesen ist, mit Salzsäure titrirt wird, so ergiebt sich eine Fällung, welche bei weiterem Zusatz von Säure sich wieder löst. Diese Fällung und ihr Verhalten Salzsäure gegenüber kann zu der Annahme führen, dass Albu- mosen in der Flüssigkeit vorhanden seien. Ich habe daher noch einige Reactionen daraufhin angestellt. 25 em Hühnereiweiss bleiben längere Zeit in Berührung mit Formalin. — 10m dieses Eiweisses werden mit verdünnter Salzsäure gemischt. Es entsteht eine Fällung, welche auf weiteren Zusatz von Säure ver- schwindet. Andere 10°" werden mit verdünnter Natronlauge gemischt. Es ergiebt sich die gleiche Fällung, die ebenfalls durch Ueberschuss von Alkali verschwindet. — Endlich 5 °® dieses Eiweisses werden mit Natron- lauge und Kupfersulfat versetzt: es ergiebt sich eine violette Farbe etwa von dem Farbenton, wie ihn die durch Pepsinverdauung erzeugten Albu- mosen bei der Biuretreaction geben. Wir können also schliessen, dass in diesem Eiweiss albumosenartige Körper entstanden sind. Wenn wir aber bedenken, dass solche Modifica- tionen oder Umwandlungen des Eiweisses sehr leicht schon bei längerem Stehen oder durch Zusatz von Alkali und Säuren entstehen können, so dürfen wir diesen Veränderungen keine zu grosse Wichtigkeit beilegen. Die weiter unten aufgeführten Analysen zeigen nun, dass, trotzdem nicht grosse und sichtbare Veränderungen am Eiweiss hervortreten, das Formalin mit Eiweiss dennoch reagiren und mit demselben sich ver- binden kann. ! Blum, Ueber eine neue Gruppe von Verbindungen der Eiweisskörper. Zeit- schrift für physiologische Chemie. 1896. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 239 Will man das in einer Eiweissprobe noch ungebunden gebliebene Formaldehyd titriren, so muss man nach dem Zusatz von Hydroxylamin- chlorhydrat lebhaft schütteln und ein wenig warten, um sicher zu sein, dass die Reaction zwischen Formaldehyd und Hydroxylaminchlorhydrat voll- kommen ist. In den folgenden Tabellen theile ich die Daten in Bezug auf die Quantität des gebundenen Formaldehyds mit, Eiweiss aus frischen Hühnereiern. Alkalinität| Ver | Datum alter der durch '/,o-n. brauchte Differenz jaldehyd für) Bemerkungen Mischung HCl Iio-N. 10°» frisch. | | neutralisiirt NaOH Bilveiss f ccm ccm grin DANT. _ 17.5 28 — _ —_ Vl. 1 Tag rl 24 2.0 0.0060 Unverändert v1. 2 Tage 16 21-5 4-5 0-0135 | Etwas gallertig 5. VI. len 19-5 6-5 0-0195 % 8. VI. Be 15-5 18-5 7-5 0-0225 | a 9. VI. mu 15-5 )| #17-5. | .8-5 0.0255 Gallertig Icvaı 14 15-5 16 10 00300 " 18V 21/16; ',, Tora len.d5 11 0.0330 = 22.V. 20 „ 15-5 14 12 0.0360 “ a, 15-5 13-5 12-5 0-0375 R 26. VI. 24 „ 15-5 13-5 12-5 '0:0575 » Man sieht hieraus, dass Formalin sich mit Hühnereiweiss verbinden kann und dass die Reaction ungefähr denselben Verlauf wie bei Gelatine nimmt. Gepulvertes Ejeralbumin (E. Merck). Alkalinität Ver- Seuand Alter der |durch!/,,-n.| brauchte 2 Form- ® Datum : „" N Differenz |aldehyd für, Bemerkungen | Mischung HC ans a ! | | neutralisirt NaOH el | cem ccm grm 4.V1. | — ‚26 N zinob) u — Gallertig 6.VIL. | 2 Tage 24 22-5 4 0-0120 : 8. VI. A, 24 21 5-5 0.0165 N Teamlanıı) 12. „ 24 19-5 7-0 0-0210 nn 18. VI. As, 24 19-3 T-2 0:0216 jr DOSE LS 55; 23 15-5 11 0:0330 E 24. Vl. 20 23 15 11-5 0:0345 ”s 26. N.; | 22, „ 22-5 14+5 12 0.0360 5 28. VI. 2A, 22-5 14-5 12 0:0360 | e 240 | A. "BENEDICENTI: vn. Nach dem Eiweiss habe ich die Einwirkung des Formalins auf Blut- serum studirt. Das Blutserum war aus frischem nicht geschlagenen Rinderblut gewonnen, d. h. aus dem Blutkuchen; es war hellgelb und klar. Das Blutserum reagirt alkalisch gegen Methylorange; 10 °®= binden 17.5 m 1/,.n. HCl. Es ist also kein grosser Unterschied in Bezug auf die Alkalinität zwischen Blutserum und frischem Hühnereiweiss. Ich will hier nicht alle diese Versuche umständlich beschreiben, weil sie immer constante und gleiche Werthe gegeben haben. Auch das Verhalten des Formalins gegen Blutserum ist gleich dem gegen Hühnereiweiss. Bei längerem Stehen des Blutserums in Berührung mit Formalin kann eine Modification ein- treten, welche an die schon beim Eiweiss erwähnte Modification erinnert. Das Blutserum wird nach wenigen Tagen opalisirend, dann fängt es an sich zu verdichten, und nach 10 Tagen ist es gallertig fest geworden. Nach 15 Tagen wird es noch fester, dann aber bleibt es unverändert. Auch in diesem Falle ist das Vorhandensein von Albumosen in der Flüssigkeit leicht zu demonstriren. Ich habe jedoch beobachtet, dass das Formalin nicht immer diese Veränderungen hervorruft. In der That tritt das Gallertigwerden nicht immer ein und geht nicht immer so rasch vor sich, als ich vorhin be- schrieben habe. Eine viel wichtigere Veränderung des Blutserums spricht aber aus der Unfähigkeit, bei stärkerem Erwärmen zu coaguliren. Diese Unfähigkeit ist manchmal schon zu sehen in dem Blutserum, welches kurze Zeit in Berührung mit Formalin war; kleine Proben, die im Reagensglase bis zum Sieden erhitzt werden, liefern nicht das geringste Coagulum. Blutserum aus nicht geschlagenem Rinderblut. Alkalinität| Ver- GEB Datum Alter der durch !/, on. brauchte Differenz 'aldehyd für Bemerkungen Mischung HC Iio’D. 10 ccm Blut- neutralisirti' NaOH serum | cem cem gım Bay ee 17+5 26 2 Be - 16. VI. | 10 Tage 16-5 20 6 0.0180 — 18. VI. 12: 15°5 19-5 6-5 0:0195 Opalisirend 29.v. | 16. 15. 01 Beh 8-5 0-0255 Rn 2a yı 1sı,, 15 16-5 9«5 0-0285 r 26. VI. 20055 15 15.5 10-5 0-0315 Gallertig 30. vo 15 15+5 10-5 0-0315 a Na e 15 15+5 10-5 0-0315 \ I Auch bei Blutserum, wie bei Eiereiweiss, ändert der Zusatz von Formalin oder Hydroxylamin die Alkalinität nicht. Die Reaction zwischen dem frei WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 241 gebliebenen Formalin und Hydroxylaminchlorhydrat geht ebenfalls ganz glatt vor sich, aber es ist auch in diesem Falle nöthig, lebhaft zu schütteln und mit der Titration etwas zu warten. In vorstehender Tabelle theile ich die Resultate der Analysen mit. VIIL Eine andere Reihe von Versuchen habe ich an Fibrin gemacht, und zwar an Fibrin, welches in Alkohol eonservirt war. Es wurde vor der Verwendung in einem Wasserstrom gründlich gewaschen und hierauf an der Luft getrocknet. In verschiedenen kleinen Kolben habe ich 3 "= dieses lufttrockenen Fibrins mit 10 em Wasser und 4 °® 2procentiger Formalinlösung über- gossen. Nach längerem Stehen der Mischungen habe ich das freie Form- aldehyd in der bekannten Weise bestimmt. Die Versuche, welche ich gemacht habe, um die Alkalinität des Fibrins zu ermitteln, stiessen auf grosse Schwierigkeiten. Bekanntlich besitzt das Fibrin die Eigenschaft, mit Salzsäure zu quellen, aber es absorbirt auch gleichzeitig den Farbstoff, der als Indicator dienen soll, so dass es nöthig ist, nach und nach einige Tropfen von Methylorange und gleichzeitig Salz- säure hinzuzufügen, damit die Säure vollständig mit dem Fibrin in Be- rührung kommen kann. Wenn diese Bestimmungen vorsichtig und zu wiederholten Malen gemacht werden, so ergiebt sich, dass man 10.5 m 1/\o.n. HC1 auf 3 s” getrockneten Fibrins braucht, bis eben eine bleibende Röthung hervortritt. Dieses so gequollene Fibrin kann nicht weiter Salz- säure aufnehmen, ohne stark sauer zu reagiren. Ich beschränke mich auf diese Bemerkung und beschreibe die verschiedenen Versuche nicht ein- gehender. Auch das Fibrin bindet Formaldehyd, und die Reaction zwischen dem frei gebliebenen Formaldehyd und Hydroxylaminchlorhydrat verläuft sicher, freilich auch hier nicht so rasch wie bei Abwesenheit von Proteinstoffen. Man muss ungefähr 9 oder 10 Minuten warten, bis die Reaction vollkom- men ist. Formaldehyd, das, wie wir gleich sehen werden, die Alkalinität des Fibrins bei längerer Einwirkung in höchstem Grade ändert, beeinflusst gleichwohl die Menge der Salzsäure, die bei einer titrimetrischen Bestim- mung der Alkalinität einer frischen oder älteren Fibrinprobe verbraucht ‚wird, nicht im geringsten; ebensowenig Hydroxylaminchlorhydrat. Die Veränderungen, welche das Formalin am Fibrin hervorbringt, be- stehen in einer Art von Härtung” Das in Formalin conservirte Fibrin sieht sehr schön weiss aus. Nach zwei Jahren ist es noch ganz gut er- halten, aber es ist nicht mehr elastisch und wird sehr leicht zerreissbar. Archiv f. A. u. Ph. 1897, Physioi. Abthlg. 16 242 A. BENEDICENTI: Die wichtigste Veränderung besteht darin, dass das Fibrin seine Quellbar- keit ganz verloren hat. Es quillt nicht mehr mit Kalilauge, noch weniger mit Salzsäure. Infolgedessen ist es auch unverdaulich und bleibt unter der-Einwirkung von Magensaft und Pankreassaft bei Temperaturen von 38° bis 40° ganz unverändert. Ich habe versucht, Fibrin zu quellen und künst- lich zu verdauen, nachdem es kürzere Zeit mit Formalin in Berührung war, aber schon nach ein- bis zweitägiger Formalineinwirkung ist es mir nicht mehr gelungen. Nach eintägiger Wirkung ist die Quellung schon unvollständig, am zweiten Tage tritt sie gar nicht mehr ein.!) In folgender Tabelle theile ich die Daten der Analysen mit. Wir sehen, dass schon innerhalb kurzer Zeit ziemlich viel Formaldehyd gebun- den wird, was ja den auffallenden Veränderungen am Fibrin entspricht. Fibrin vom Rind, in Alkohol conservirt, gewaschen und getrocknet. Alkalinität, Ver- Gebund. \ Alter der |durch!/,o-n.. brauchte n. Form- | Datum tie Ha" me Differenz | | dehyd für Bemerkungen neutralisirt' NaOH 3 srm Fibrin‘ ] | ccm ° Bor = grm 22. VI. _ 10-5 26 — _ Quillt sehr stark 23. MI. 1 Tag 20: 6:0 00180 Quillt sehr wenig 24. V1. 2 Tage 3 17-5 8-5 0-0255 |[Quillt nichtmehr 26. VI. 4 „ 2-5 16-5 9-5 0-0285 >» 30. VI. Sumın, 19 16 10 0.0300 =5 Bo NAIR OS, 1°3 15*5 11-5 0-0345 & a a I a an 10 155° |: 11°5 0-0345 4 10% Das für: die letzte Versuchsreihe verwendete Casein war Casein. puriss. von. E. Merck. 5.erm dieses rein weissen feinen Pulvers werden in 25 °® Wasser sus- pendirt und mit Methylorange gefärbt. Die Reaction ist alkalisch gegen Methylorange, sauer gegen: Lakmus und auch gegen Phenolphtalein. Bis zum Eintritt des Farbenumschlags in Roth braucht man 36 = !/, ,-n. HÜl. Andere Titrationen ergaben immer das gleiche Resultat. — In verdünnter Salzsäure quillt dieses Casein nicht unbeträchtlich auf. ! Beiläufig möchte ich bemerken, dass nach Erfahrungen im hiesigen Institut Magensaft und Pankreassaft, welche lange Zeit in Berührung mit Formalın bleiben, ihre fermentative Kraft ungemein langsam verlieren. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 243 Wie ich schon bei Blutserum, Eiweiss, Gelatine, Fibrin gezeigt habe, so habe ich auch bei Casein gefunden, dass Formalin oder Hydroxylamin die Alkalinität des Caseins gegen Methylorange innerhalb weniger Minuten — und darauf kommt es bei den Titrationen mit !/,„.n. HCl an — nicht zu ändern vermögen. In verschiedenen Kolben werden 5 srm Casein in 25 em Wasser sus- pendirt und mit 4m 2 procentiger Formalinlösung gemischt. Bei längerem Stehen wird das Casein dureh Formalin ebenfalls modificirt. Ich habe schon vorher an die Beobachtungen von Pottevin, Weigle und Merkel erinnert, aber ich möchte hier noch hinzufügen, dass das Casein. puriss., wenn es mit Formalin in Berührung war, ganz unquellbar in Salzsäure und unverdaulich geworden ist. Die erstere Veränderung zeigt sich schon bei der Untersuchung des mit Formalin behandelten Caseins. In der That, 5 sm unveränderten Caseins binden 36 «= / -n. HCl, während 5 em Casein, welche einen Tag in Berührung mit Formalin waren, nur 29 «m !/ ‚-n. HCl binden. Von einer Quellung nach dem Säurezusatz ist nichts mehr zu merken. In den oben erwähnten kleinen Kolben (mit 5 s’"” Casein, 25 em Wasser und 4 m 2 procentiger Formalinlösung beschickt) habe ich nach verschie- denen Zeiträumen das noch freigebliebene Formaldehyd titrirt. Casein (Casein. puriss., E. Merck). | Alkalinität Ver- Gebund. Datum | en EN Mom: Ir Differenz al debra für Bemerkungen neutraliirti NaOH 5 8m Öasein cem ccm grm 16. VIL — 36 26 —_ _ ‚Quillt sehr stark re VAT. 1 Tag 29 23-2 2-8 0-0074 Quillt wenig 20. VII. 4 Tage 27 22 4-0 0-0120 "Quillt nichtmehr 21. VI. 30, 26 | 20 6-0 0-0180 ; 23. VI. He on 20 19 7-0 0.0210 55 27. VL de 1, 20 ie, «lfd: 9.0 0-0270 7 eva] 16: ..; 19 16-2 9-8 0.0294 % Das formalinisirte Casein wird von Magen- und Pankreassaft nicht mehr verdaut. X. Die bisher geschilderten Versuche haben gezeigt, dass die Wirkung des Formaldehyds auf Proteine in der That eine chemische Wirkung ist, dass sich Formaldehyd mit Proteinen verbinden kann. 16* 244 A. BENEDICENTI: In einer solchen Verbindung ist der Aldehydcharakter verloren gegangen, und man kann a priori annehmen, dass die Giftigkeit des Formaldehyds, wenn es an Proteine gebunden wird, wesentlich gemildert, vielleicht ganz aufgehoben ist. Nicht um für den fraglichen chemischen Vorgang bei der Bindung des Form- aldehyds ein Analogon heranzuziehen, sondern nur um vom toxicologischen Standpunkt aus ein Vergleichsobject zu bezeichnen, möchte ich hier daran erinnern, dass Nicotin in Berührung mit Leberextract weniger giftig wird, so dass man einem Thiere ziemlich viel eines mit Nicotin versetzten Leber- extractes einspritzen muss, um eine Nicotinvergiftung zu erzielen. Diese Ueberlegung veranlasste mich, einige toxicologische Versuche mit den Formaldehyd-Proteinverbindungen anzustellen. Es sind dies nur einige orientirende Versuche; ich behalte mir aber vor, diese toxicologische Frage weiter zu verfolgen. Bei zwei grossen Fröschen wurde eine subcutane Injection von frischer und von alter Formalineiweissmischung gemacht. Die letztere Mischung war bereits 17 Tage alt; es musste also ein bedeutender Theil des Formaldehyds gehunden sein (vgl. Tabelle S. 239). Beide Mischungen waren nach dem früher innegehaltenen Verhältniss hergestellt: 10 °® filtrirten Hühnereiweisses + 4 “= 2 procentiger Formalinlösung. Die Frösche waren kräftig und beide ungefähr von gleicher Grösse und gleichem Gewicht. Ich lasse hier nun die Protocolle der Versuche folgen. Versuch I. 15. Juni 1896. A. B. Zeit Frosch mit frischer Formalin- Frosch mit alter Formalin- eiweissmischung eiweissmischung 3 Uhr 51 Min. Injection 1 °= Lösung Sam ED90 Injection 1 °® Lösung 3 „ 58 „ | Unruhig. Fänst an sich an die | Normal Wände der Glocke zu klammern. Die Bewegungen sind etwas un- regelmässig 3 „ 59, | Immer unruhiger. Erweiterte Pu- | Pupille normal pille. Zeichen von Ataxie 4 „ 4, | Athmung 24 in 15 Sec. » 6, | Springt mit verminderter Kraft „ 10, Athmung 20 in 15 Sec. Springt normal und sehr lebhaft 4 „ 13 „ | Die Ataxie wird bedeutender 4 „ 14 „ | Die Kraft der willkürlichen Bewe- gungen ist vermindert. Auf den Rücken gelegt, vermag er sich nicht mehr aufzurichten WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 245 (Fortsetzung.) A. B. Zeit Frosch mit frischer Formalin- Frosch mit alter Formalin- eiweissmischung eiweissmischung 4 Uhr 16Min. Etwas weniger lebhaft. Auf den Rücken gelegt, vermag sich das Thier wieder aufzurichten 4 „ 20 „ | Athmung 12 in 15 Sec. Das Thier ist sehr empfindlich, fast hyper- ästhetisch A 2 „ Athmung 22 in 15 Sec. Empfind- lichkeit normal 4 „ 25 „ | Athmung 16 in 15 Sec. 4 „ 27 , | Die Hyperästhesie ist sehr bedeu- | Springt normal tend. Der Frosch ist immer sehr unruhig 4 „ 34 „ | Kann noch springen, ist aber sehr schwach geworden 4 „ 42 „ Pupille erweitert 4 „ 45 „ | Neue Injection von 1 = A AR,.;; Neue Injection von 1 = 4 „ 49 ,„ | Frosch kann nicht mehr springen.| Springt noch normal Lähmung der Hinterbeine. Er schleppt sich mühsam fort Au nur56 Springt sehr weit mit kräftigen Bewegungen 4 „ IT, Springt zu wiederholten Malen und scheint normal. Auf den Rücken gelegt, vermag er sich wieder aufzurichten 5 „ 2 ,„ | Stark unterbrochene Athmung. Voll- ständige Lähmung. Der Frosch kann sich nicht mehr bewegen » 9» Springt sehr weit, wie normal » 13 „ | Bedeutende Hyperästhesie „ 14, Nicht bedeutende Hyperästhesie. Der Frosch ist etwas schwächer geworden 5 ,„ 30 „ | Athmet fast nicht mehr. Das Herz frei gelegt, um die Schläge zählen zu können 5 „ 831, Athmet noch normal. Das Herz freigelegt zur Vergleichung mit A 5 „ 32 „ | Das Blut ist ganz schwarz. Thier | Das Blut ist viel heller. Das Thier vollständig unempfindlich bewegt sich zu widerholten Malen. | Sehr empfindlich. 5 „ 35 „.| Das Thier ist ganz unbeweglich. | Athmung hat ganz aufgehört. | Herzschläge 19 in 30 Sec. 246 A. BENEDICENTI: (Fortsetzung. A. "B. Zeit Frosch mit frischer Formalin- Frosch mit alter Formalin- eiweissmischung eiweissmischung 5 Uhr 38Min. Herzschläge 25 in 30 See. 5 „ 43, | Hexrzschläge 17 in 30 Sec, un- regelmässig 5 „ 44 ,„ Herzschläge 24 in 30 Sec. Thier ist sehr empfindlich. Blut heller. Athmung unregelmässig. 5 „ 58 „ | Blut ganz schwarz. Herzschläge ' 11 in 30 Sec. Oft schlagen nur die Vorhöfe | Dean Das Thier bewegt sich. Herz- schläge 22 in 30 Sec. Das Blut fängt an schwarz zu werden 5 „ 57 „ | Herzschläge 7 bis 8 in 30 Sec. Nur die Vorhöfe schlagen Heuer Das Blut ist ganz schwarz ge- worden. Herzschlag 22 in 30 Sec. Das Thier ist vollständig re- gungslos 6 „ — „ | Todt BEER Herzschläge 17 in 30 Sec., regel- ınässig 67 5820 ,, Der Herzschlag wird immer Bei zwei kleinen Fröschen wird das Herz freigelest. schwächer, die Blutveränderung immer deutlicher. Das Thier stirbt 20 Minuten später unter denselben Erscheinungen Versuch I. 20. Juni 1896. Dann werden dem einen 2.5 °@ einer frischen Formalineiweissmischung unter die Haut gespritzt, dem anderen 2.5 m einer 20 Tage alten Mischung von derselben Zusammen- setzung. A. B. Zeit Frosch: mit frischer Formalin- Frosch mit alter Formalin- eiweissmischung eiweissmischung 3 Uhr 15Min.) Die Injection war vor 15 Minuten gemacht. Das Herz pulsirt regel- mässig. Das Blut ist schon dunkel geworden ET CN En Blut noch sehr hell. Herzschläge normal und kräftig 3 „ 50 „ | Blut vollständig schwarz. Herz schwach und unregelmässig or. DD Blut fängt an dunkler zu werden. Herz noch kräftig 4 „.10 „ | Todt EB Todt WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 247 XI. Bis jetzt haben wir gesehen, dass das Formaldehyd sich mit Proteinen verbinden und Producte bilden kann, welche neue Eigenschaften besitzen. Jetzt fragt es sich, ob diese Producte, die ich kurz als Formaldehydgelatine, Formaldehydalbumin, Formaldehydfibrin, Formaldehydeasein, Formaldehyd- serum bezeichnen will,! feste chemische Verbindungen sind, oder ob es möglich ist, diese Verbindungen wieder in ihre Componenten zu zerlegen und das gebundene Formaldehyd frei zu machen. Die von mir zur. Lösung dieser Frage gemachten Versuche haben er- geben, dass es gelingt das Aldehyd wieder zu gewinnen. Das Spaltungs- mittel, das ich gebraucht habe, war der Dampfstrom; aber schon durch langes Kochen kann eine partielle Spaltung eintreten. Da ich in allen meinen Versuchen die Formaldehydproteine im Dampfstrom destillirt habe, um das Destillat dann zu untersuchen, so war es erforderlich zu bestimmen, ob die erwähnten Proteine schen für sich durch Destillation im Dampfstrom reducierende Stoffe ergeben könnten. Ich habe daher zuvor Gelatine im Dampfstrom gekocht, um das Destillat dann mit Tollens’ Flüssigkeit und mit Hydroxylaminchiorhydrat zu prüfen. Die Destillation dauerte fast eine Stunde, aber das Destillat ergab keine Reduction. In derselben Weise habe ich Eiweiss, Fibrin, Blutserum und Casein geprüft, und bei allen diesen Stoffen war. die Reaction negativ. Dieses vorausgeschickt, komme ich nun zur Spaltung der Formaldehyd- proteine. Gelatine. Versuch I. 10 sm Gelatine bleiben 24 Stunden in Wasser liegen, so dass sie mit demselben vollständig imbibirt sind, dann werden sie eine viertel Stunde lang in eine 2 procentige Lösung von Formalin gelegt und endlich auf Glasstäben getrocknet. Die Austrocknung dauert so lange, bis an den Gelatinestreifen kein Formalingeruch mehr wahrnehmbar ist. 4 s'm dieser lufttrockenen Formaldehydgelatine werden in einem kleinen Kolben mit 250 «m Wasser übergossen und !/, Stunde lang auf ! Die vielleicht bequemeren, weil kürzeren Bezeichnungen: „Formolgelatine“, „Eormolserum“ u. s. w. oder „Formalivgelatine‘“, „Formalinserum“ u. s. w. habe ich vermieden, weil „Formol“ und „Formalin“ technische Namen für Formaldehydlösungen sind, und weil ich glaube, dass man überall da, wo es sich um wissenschaftliche Untersuchungen der Formaldehydreactionen handelt, jene Bezeichnungen für technische Praeparate nicht anwenden sollte. Die Bezeichnung „Methylengelatine“ und „Methylen- serum“ u. s. w. würde mehr sagen, als wir von den Formaldehydproteinen wissen. 248 . A. BENEDICENTI: freiem Feuer am absteigenden Kühler gekocht. Das Destillat giebt starke Reaction mit Tollens’ Flüssigkeit. Die Gelatine aber ist gequollen und hat sich nur zu einem sehr kleinen Theil gelöst. Das Destillat, 130 cm, wird mit destillirtem Wasser verdünnt bis zu 340 «em, 50 «m desselben werden mit einem Tropfen Methylorange gefärbt. Die Flüssigkeit reagirt neutral. Dann werden 1.5 «m 2 procentigen Hydroxylaminchlorhydrats hinzugefügt. Die Flüssigkeit wird roth durch freie Salzsäure; man braucht 0.9 «m 1/ ,-n. NaOH, um sie zu neutralisiren. Weiter werden 4 8'= derselben Formaldehydgelatine ebenfalls in einem kleinen Kolben mit Wasser übergossen und im Dampfstrom !/, Stunde lang destillirt. Das Destillat mit Spülung wird auf 340 «® gebracht. Auch in diesem Falle hat sich die Gelatine noch nicht ganz gelöst, aber sie sieht anders aus, d.h. sie ist stärker gequollen und weicher. 50 °® des Destillates, mit 1.5 °® 2procentigen Hydroxylaminchlorhydrats gemischt und mit Methyl- orange gefärbt, brauchen zur Neutralisation 1-8 m !/,-n. NaOH. Am nächsten Tage wird die Destillation im Dampfstrom weiter fortgesetzt. Nach ungefähr !/, Stunde löst sich die Gelatine vollständig. In dem Destillat ist noch Formalin nachzuweisen, aber in etwas kleinerer Menge. Das Destillat ist gleich 200 =. 50 «m desselben, mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylaminchlorhydrat gemischt, brauchen 0-4 !/,;-n. NaOH. Tollens’ Flüssigkeit giebt eine deutliche Reaction. Sobald die Gelatine ganz gelöst ist, wird die mit dem Destillat angestellte Reaction negativ. Die Rech- nungen geben folgendes Resultat. Im ersten Falle hat die einfache Destillation aus den 4=m direct. gekochter Formaldehydgelatine 0. 00457 8’ Formaldehyd pro Gramm Gelatine in Freiheit gesetzt. 50 <= Destill. 0-9 -n. NaOH = 340: z — 6.12:m 1 0.n. NaOH 26:0-078 = 6-12: x = 0.0183 em Formaldehyd für 4 Em Gelatine, d. h. für 12 Gelatine 0. En — 0.00457 em, Durch Destillation im Dampfstrom aber bekommt man in derselben Zeit die doppelte Menge Formaldehyd. 50° Destill.: 1-8 m 1/ -n. NaOH = 340: x x = 12.24 m 1) „n.NaOH 26:0.078 = 12.24: x x = 0.0367 2m Formaldehyd für 42” Gelatine, d. h. für 18m Gelatine u _. — 0.00916 em. Durch weiter fortgesetzte Destillation im Dampfstrom bekommt man noch 0-00120 8% Formaldehyd pro Gramm Gelatine. c = WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 249 Dieser Versuch lehrt, dass Gelatine, die mit Formalin in Berührung war und die im getrockneten Zustand nicht mehr nach Formalin riecht, dennoch Formaldehyd enthalten kann, das sich unter der Einwirkung des strömenden Dampfes vollkommen abspalten lässt. Aber dieser Versuch zeigt ferner, dass die Gelatine, die vorher in warmem Wasser ganz unlös- lich war, ihre Löslichkeit wieder erlangen kann. Ihre Lösung kann bei Abkühlung wieder fest werden wie die Lösung gewöhnlicher Gelatine. Eine Probe von dieser Gelatine, mit Magensaft versetzt, wird verdaut, und die Flüssigkeit giebt dann rothe Biuret-(Pepton-)reaction. Versuch II. Um den vorigen Versuch zu bestätigen und gleich- zeitig die in Elsner’s Arbeit dargestellten Versuche zu controlliren, habe ich die zu prüfende Gelatine genau nach Elsner’s Vorschrift präparirt. 102" Gelatine werden 24 Stunden lang in Wasser, dann eine viertel Stunde lang in eine Formalinlösung von 0-15 Procent gelegt. Nach dem Herausnehmen werden die Streifen auf Glasstäben vollständig lufttrocken gemacht. Eine kleine Probe dieser Gelatine zeigt, dass sie in warmem Wasser unlöslich ist. 8.58m werden im Dampfstrom destillirt. Nach 25 Minuten ist die Gelatine vollständig gelöst, aber die Destillation wird fortgesetzt, bis das Destillat keine Aldehydreaction mehr giebt. Das Destillat mit Spülung ist gleich 280 em, Zu 50°®@ braucht man 0-9 !/,..n. NaOH, was 0-00177 sm Form- aldehyd auf je 18m Gelatine entspricht. Die so von Formaldehyd befreite Gelatine ist in warmem Wasser leicht löslich und ist durch Pankreas und Magensaft auch sehr leicht zu verdauen. Dieser zweite Versuch aber zeigt auch, dass die Gelatine viel leichter das Aldehyd vollkommen verliert, wenn dessen Quantität gering ist. In diesem Falle waren die 8.5 8”® Formaldehydgelatine (Elsner) in 25 bis30 Minuten ganz gelöst, während ich in dem vorhergehenden Versuch viel längere Zeit gebraucht hatte, um eine vollständige Lösung zu erzielen. Es giebt höchst wahrscheinlich, wie ich schon früher bemerkt habe, mehrere Stufen in der Härtung der Gelatine, und es ist leicht möglich, dass nach längerer Einwirkung grösserer Formalinmengen die Spaltung der Formaldehydgelatine nicht mehr so leicht vor sich geht und vielleicht nur im Dampfstrom unter erhöhtem Druck glatt erreicht werden kann. Auch über diese Frage hotte ich später noch weitere Mittheilungen machen zu können. Versuch III. Der Versuch wurde mit Glutol gemacht, mit jener Formolgelatine, welche Schleich als Desinfectionsmittel empfohlen hat. Das Glutol ist in warmem Wasser ganz unlöslich, wird aber — nach Schleich — von Wundflächen aus gut resorbirt. 5m Glutol werden in destillirtes Wasser gelegt und im Dampfstrom destillirt. Die Destillation dauert !/, Stunde. 250 A. "BENEDICENTI: Nach 40 Minuten ist das Glutol ganz gelöst. Das Destillat ist gleich 140°®,. Der Rückstand giebt noch eine sehr schwache Reaction mit ammoniakalischer Silberlösung. Beim Abkühlen erstarrt er und kann sehr leicht durch mässige Er- wärmung wieder flüssig gemacht worden. Schon die ersten Tropfen des Destillates haben eine sehr starke Reaction mit Tollens’ Flüssigkeit ge- geben. Mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylaminchlorhydrat ge- mischt, liefert es sehr rasch freie Salzsäure. 30°” des Destillates werden mit 2 Hydroxylaminchlorhydrat gemischt. Man braucht zur Neu- tralisation 1.3 m 1/,.-n. NaOH, woraus sich ein Gehalt von 0.3656 Procent Formaldehyd für das untersuchte Glutol berechnet. Classen hat 0-35 Pro- cent in seinen Analysen gefunden. Diese kleine Menge von Formalin ist genügend, um dem Glutol desinficirende Wirkungen zu verleihen. Eiweiss. Versuch I. In einem kleinen Kolben werden 2 em gepulverten Eier- albumins mit 4°® 2 procentiger Formalinlösung und 10° m Wasser, und in einem grösseren Kolben gleichzeitig 108% desselben Albumins mit 20°: m 2 procentiger Formalinlösung und 50 = Wasser angerührt und ge- mischt. Die beiden Kolben bleiben dann stehen. Nach 14 Tagen wird das frei gebliebene Formaldehyd in dem kleinen Kolben bestimmt. Statt 26“ braucht man nur 19m !/ .-n. NaOH, das. heisst: es ist etwa !/, des angewandten Formaldehyds gebunden. Das Albumin im grossen Kolben wird der Destillation im Dampfstrom unter- worfen. Es gehen reichliche Mengen von Formaldehyd über. Nach kurzer Zeit quillt das Albuminpulver flockig auf, während das Destillat noch starke Reduction zeigt. Da auch nach zwei Stunden eine Probe des Destil- lates im Reagensglase noch sehr deutlich auf ammoniakalische Silber- lösung reagirt, so unterbreche ich für kurze Zeit die Destillation, bringe etwa den dritten Theil des Kolbeninhalts in eine Reibschale, zerreibe ihn, wasche mit Wasser, decantire und setze dann die Destillation mit dem mehrfach gewaschenen Albumin fort. Im Verlauf von 1'/, Stunden wird die reducirende Wirkung des Destillats allmählich schwächer und hört schliesslich ganz auf. Das Albumin ist während der Dampfstrom- destillation ganz homogen geworden, etwa wie dünner Stärkekleister. Mit Salzsäure und Magensaft versetzt wird es bei 38°C. fast ganz gelöst und giebt eine starke rothviolette Biuret-(Pepton-)reaction. Bei langer Erhitzung in Dampfstrom giebt das Albumin schon für sich diese Reaction, aber nur in viel schwächerem Grade. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFEFE. 251 Das mit Formalin behandelte Albumin wird, wie ich schon früher prüfen konnte, durch Magensaft nicht im Geringsten verändert; nach der Destillation im Dampfstrom hat es seine Verdaulichkeit zum Theil wieder erlangt. Versuch II. Den gleichen Versuch habe ich mit 2 sm Eieralbumin, das in einem kleinen Kolben mit 4°® 2 procentiger Formalinlösung und 10° m Wasser 14 Tage stehen geblieben war, wiederholt. Es gelang durch eine 21/,stündige Destillation im Dampfstrom das Formaldehyd fast voll- kommen in das Destillat überzuführen. Der Rückstand ist ein sehr feiner und homogener Eiweissniederschlag. Das Destillat beträgt 290 m, — 30 «m desselben, mit Hydroxylaminchlorhydrat gemischt, brauchen zur Neu- tralisation 2-6 !/,,.n. NaOH. Das ganze Destillat würde also 25.1 m 2/\o.n. NaOH gebraucht haben. Zur Titration der angewendeten 4m 2 procentiger Formalinlösung wären 26°" Lauge erforderlich gewesen: es ist hiernach eine sehr kleine Menge Formaldehyd verloren gegangen bezw. nicht wiedergefunden worden. Blutserum. Versuch I. Frisches Serum, aus nicht geschlagenem Rinderblut gewonnen, wird am 6. Juli in einem Kolben mit 2 procent, Formalinlösung gemischt in folgendem Verhältniss: 60 «m Blutserum 24 °m 2 procentige Formalinlösung. Auf je 10° = Blutserum kommen also 4°® 2procentiger Formalin- lösung. Am 20. Juli werden genau 14 m dieser Mischung in einen kleinen Kolben übertragen und mit Methylorange gefärbt. Die alkalische Flüssig- keit wird durch 19° m !/ on. HCl neutralisirt. Mit Hydroxylaminchlor- hydrat gemischt, wird sie durch frei werdende Salzsäure stark roth. Zur Neutralisation dieser Salzsäure braucht man 1-9 = 1/,,-n. NaOH. Aus der angestellten Mischung werden weitere 14°” Formaldehydserum entnommen und im Dampfstrom destillirt. Während der Destillation ändert sich das Serum nicht merklich, das heisst, es coagulirt nicht sichtbar, wie dies beim normalen Blutserum der Fall ist. Die Destillation dauert sehr lange. Die ersten Tropfen des Destillates geben eine sehr starke Reaction mit Tollens’ Flüssigkeit und mit Hydroxylaminchlorhydrat. Später wird die Reaction immer schwächer und tritt nur noch beim Erwärmen ein. Nach drei Stunden langem Dampfeinleiten lässt sich im Destillat kein Aldehyd mehr nachweisen. Das Destillat ist gleich 900m, 100m, mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylaminchlorhydrat gemischt, brauchen zur vollständigen Neutralisation 2,8 m 1/ nm. NaOH; das ge- 252 A. BENEDICENTIT: sammte Destillat also 25.2”, während die angewendete Formalinmenge 26 «m Lauge erfordert haben würde. Ich glaube, dass man sich mit einem solehen Ergebniss wohl zufrieden geben kann. Versuch II. 10°“® frischen Rinderblutserums + 4°" 2 procentiger Formalinlösung bleiben 40 Tage bei Zimmertemperatur stehen. Das Blutserum war opalisirend und ganz gallertig geworden, so dass es an den Wänden des Gefässes etwas anhaftete. Man spült diese Mischung in einen grossen Kolben und leitet Dampf ein. Ein weisser Niederschlag, welchen das Spülwasser hervorgerufen hatte, geht bald in Lösung. Die Destillation dauert zwei Stunden. Der Kolbeninhalt schäumt sehr stark, und schon in den ersten Tropfen des Destillates kann man reichlich Aldehyd mit Tollens’ Flüssigkeit nachweisen. Diese Reaction wird im Laufe der Destillation immer schwächer und hört endlich ganz auf. Das Destillat ist gleich 650°; es braucht, mit Hydroxylaminchlor- hydrat versetzt, im Ganzen 25-3 m !/ ,-n. NaOH — statt der berechneten 26 °® — zur Neutralisation. Auch dieser Versuch zeigt, dass man fast das ganze Tormalden al | welches dem Blutserum zugefügt worden war, wieder gewinnen kann, Das rückständige Serum ist gleichmässig flüssig, etwas opalisirend und giebt eine rothviolette Biuretreaction. Casein. Versuch I. In einem kleinen Kolben werden 58m Casein (Merck) mit 4 m 2 procent. Formalinlösung und 25 «m Wasser gemischt. Nach 7 Tagen wird die Mischung filtrirt. Das auf dem Filter zurück- gebliebene Casein wird wiederholt mit destillirtem Wasser gewaschen, bis ein Tropfen des Filtrates keine Reaction mehr mit Tollens’ Flüssigkeit giebt. Das Filtrat, mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylamin- chlorhydrat gemischt, braucht im Ganzen zur Neutralisation der in Freiheit gesetzten Salzsäure 16-5 «m !/, ,-n. NaOH. Das ausgewaschene Casein wird in einen Kolben gebracht und im Dampfstrom eine Stunde lang destillirt. Die ersten Tropfen des Destillates geben eine sehr starke Reaction mit Tollens’ Flüssigkeit. Die Reaction wird nach und nach immer undeutlicher, und endlich hört sie ganz auf. Das Destillat (200 °®) wird mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxyla- minchlorydrat gemischt, es braucht zur Neutralisation der freien Salzsäure im Ganzen 8.9 ccm 1/,,-n. NaOH. Man hat also: für das Filtrat = 16-5 © !/, ,-n. NaOH für. das Casein = 8-9 !/ ,.n. NaOH gebraucht. Im Ganzen 25.4°°m statt der berechneten 26 °m. Lauge. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 253 Das durch den Dampfstrom von Formaldehyd befreite Casein quillt in Salzsäure und kann verdaut werden. Das von mir stets verwendete Casein. puriss. Merck giebt schon für sich nach langem Kochen eine starke violette Biuretreaction. Bei dem mit Wasserdampf behandelten Formaldehyd-Casein fällt diese Reaction deutlich roth aus. Fibrin. Versuch I. In einem Kolben werden 128% gewaschenen und an der Luft getrockneten Fibrins mit 40°” destillirten Wassers und 16°" 2 procentiger Formalinlösung übergossen. Der Kolben wird gut verschlossen und bleibt stehen. Nach 8 Tagen wird der Inhalt im Dampfstrom destillirt. Die Flüssigkeit im Kolben wird sehr trübe und milchig. Das Destillat giebt schon im Beginn der Destillation eine starke Reaction mit Tollens’ Flüssigkeit und mit Hydroxylaminchlorhydrat. Die Destillation dauert 2 Stunden. Das Destillat ist gleich 700 en, Das Fibrin wird aus dem Destillirkolben dann zum Theil in verdünnte Salzsäure und zum Theil in verdünute Kalilauge gelegt. Es quillt sehr rasch und stark. Mit Magensaft resp. mit Pankreassaft versetzt, wird es vollständig verdaut, und die Lösung giebt eine sehr deutliche Peptonreaction. 50 °“” des Destillates, mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylaminchlorydrat versetzt, brauchen zur Neutralisation der entstandenen freien Salzsäure 7.2 m 1/, .-n. NaOH, das gesammte Destillat also 100-8 m; berechnet waren, entsprechend den angewendeten 16 m 2 procentiger Formalinlösung, 104 = Lauge. Wir sehen wiederum, dass Formaldehyd, welches an Fibrin gebunden war, durch den Dampfstrom wieder abgetrennt werden kann, und dass das Fibrin seine früheren Eigenschaften wieder gewinnt, das heisst, dass es wieder quelibar und verdaulich wird. Versuch II. Der zweite Versuch wurde an zwei Jahre altem, in Formalin conservirtem Rindsblutfibrin vorgenommen. Die Conservirungs- flüssigkeit bestand aus 1400 m 0.6 procent. Kochsalzlösung und 15 °“= des käuflichen 40 procentigen Formalins. Dieses Fibrin wird durch einen starken Wasserstrom tüchtig gewaschen, bis sich im ausgepressten Wasser keine Aldehydreaction mit Tollens’ Flüssigkeit mehr zeigt. Das gewaschene Präparat ist ganz unquellbar und unverdaulich. Es wird zwei Stunden lang mit Wasserdampf behandelt. Auch in diesem Falle wird die Flüssigkeit im Beginn der Destillation milchig und trübe, und schon die ersten Tropfen des Destillates geben eine starke Reaction mit ammoniakalischer Silberlösung und mit Hydroxylaminchlor- hydrat. Das Fibrin quillt nach der Destillation in verdünnter Salzsäure 254 A. BENEDICENTI: und Kalilauge und wird durch Magen- resp. Pankreassaft ganz gut ver- daut. Die Lösungen geben Peptonreaction. Versuch Ill. In einem kleinen Kolben werden Fibrin und Formalin zusammengebracht in folgendem Verhältniss: 3 ern frischen lufttrockenen Fihrins, 10 em destillirten Wassers, 4 em 2 procentiger Formalinlösung und 10 Tage lang stehen gelassen. Nach der Tabelle, die ich früher (S. 242) aufgestellt habe, muss nach 10 Tagen schon ein sehr bedeutender Theil des Formaldehyds an Fibrin gebunden sein. In der That braucht man statt 26 nur 16-5 m !/ ,-n. NaOH, das heisst, es entspricht: das in der Flüssigkeit noch vorhandene Formaldehyd 16-5 m !/ „-n. NaOH, das an Fibrin gebundene Formaldehyd . . . . . 9.5 cm1/ „-n. NaOH. Nach 10 Tagen entferne ich das Fibrin aus der Flüssigkeit und wasche es mit destillirttem Wasser, welches dann der Flüssigkeit wieder hinzu- - gefügt wird. Ich titrire hierauf sowohl das Formaldehyd, das in der Flüssig- keit enthalten ist, als auch jenes, das an Fibrin gebunden worden ist. Dieses letztere setze ich durch Destillation im Dampfstrom in Freiheit. Die Flüssigkeit, in welcher das Fibrin gelegen hatte, ist mit dem Spül- wasser gleich 55 =, Mit Methylorange gefärbt und mit Hydroxylamin gemischt, wird sie durch 16-5 «m !/ ,-n. NaOH neutralisirt. Das Fibrin seinerseits liefert bei zweistündiger Destillation im Dampf- strom ein Destillat, das im Ganzen 8.78 m statt der berechneten 9-50 «m !/\o-n. NaOH bei der Titration auf Formaldehyd verbraucht. Diese mit Fibrin gemachten Versuche stimmen also mit den anderen genau überein. XI. Die systematische Reihe meiner Versuche an Formaldehydproteinen habe ich hiermit vorläufig abgeschlossen. Ich komme nunmehr noch zu einigen theoretischen Bemerkungen. Eine Kritik der von mir so ausgiebig angewendeten Pörmättehyil Bestimmung könnte mir vielleicht entgegenhalten, dass das Aldehyd in den Destillaten nicht streng identifieirt worden sei; die Reaction mit Hydroxyl- aminchlorhydrat und mit ammoniakalischer Silberlösung sei nicht beweisend grade für Formaldehyd. Das ist ohne Weiteres zuzugeben. Aber ich möchte doch fragen, welche Verbindung, die an Stelle des Formaldehyds im Destillat auftreten könnte, etwa gleichfalls diese Reactionen so ausgezeichnet liefert. Ameisensäure war sicher nie vorhanden, denn die Destillate reagirten nie- mals sauer. Paraldehyd aber, dessen Bildung kaum anzunehmen ist, würde weder für die Analyse noch für die Berechnung einen Unterschied bedingen. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 235 Eine andere Frage, die ich noch berühren will, ist: Spalten die Form- aldehydproteine, im Dampfstrom destillirt, vielleicht noch andere Producte ab, die zum Theil sehr schwer in das Destillat übergehen? Die Trübung der rückständigen Flüssigkeit im Destillirkolben, besonders bei der Destil- lation des Formaldehydfibrins, scheint für eine solche Abspaltung zu sprechen. Ich: habe diese rückständige Flüssigkeit von dem Fibrin abfiltrirt und für sich am absteigenden Kühler destillirt und hierauf Reactionen sowohl mit dem Kolbenrückstand als auch mit dem Destillat gemacht. Das Destillat ist eine ganz klare Flüssigkeit. Es reagirt alkalisch gegen Methylorange und etwas schwächer, aber auch sichtlich alkalisch gegen Phenolphtalein und Lakmus. Mit Tollens’ Flüssigkeit giebt es eine sehr schwache Reaction, die beim Erwärmen deutlicher wird. Mit Hydroxylaminchlorhydrat giebt es nicht die charakteristische Reaction der freien Salzsäure. Nessler’s Reagens zeigt die Gegenwart von Ammoniak an; später tritt eine schwache Reduction ein. Der Kolbenrückstand ist eine ganz milchige Flüssigkeit. Die Peptonreaction fällt negativ aus. Mit Tollens’ Flüssigkeit giebt er eine sehr schwache Reaction, die beim Erwärmen besser hervortritt. In Salpetersäure, Salzsäure und anderen verdünnten Säuren bleibt er unverändert. Ammoniumoxalat + Essigsäure erzeugen keine Fällung. Mit verdünnter Salpetersäure erwärmt, giebt er beim Erkalten eine Fällung. Fehling’sche Lösung redueirt er nicht. Concentrirte Schwefelsäure, tropfenweise hinzugefügt, ruft eine Färbung hervor, die an die sogen. Adamkiewicz’sche Reaction erinnert. Durch Alkohol + Aether erhält man eine Fällung; der Niederschlag, abfiltrirt und gewaschen, liefert, nach Lassaigne auf Stickstoff geprüft, Berlinerblau. - Die Trübung hat also ihren Grund in einem stickstoffhaltigen orga- nischen Körper, der den Albumosen nahe zu stehen scheint. Die reducirende Kraft der rückständigen Flüssigkeit ist zu wenig ausgesprochen, um irgend welche Schlüsse auf ein redueirend wirkendes Spaltungsproduct zu be- gründen. Die Quantität der secundären Producte ist immer sehr minimal, und eine genauere Untersuchung wäre nur in dem Falle möglich, dass mit grösseren (QJuantitäten von Formaldehydproteinen gearbeitet würde. 256 A. BENEDICENTI: Es bleibt mir schliesslich noch übrig, für den chemischen Vorgang bei der Bindung des Formaldehyds an die Proteinsubstanzen eine Deutung zu suchen. Wie mir scheint, können wir diese Reaction ohne Schwierigkeit er- klären, wenn wir den Angriffspunkt für das Aldhehydmolekül in die stick- stoffhaltigen Gruppen des Eiweiss- bezw. Gelatinemoleküls verlegen. Wir stellen damit den Vorgang in Parallele zu den bekannten Reac- tionen der Aldehyde auf Ammoniak und Amidoverbindungen. Ammoniak addirt Aldehyd direct und geht nach der Gleichung: H H ce "+ NH, = C/yH & Nom in Aldehydammoniak über, das sich sogleich in Hexamethylentetramin um- wandelt; Amidoverbindungen reagiren mit Aldehyd unter Wasserabspaltung, und dabei können mit einem Molekül Aldehyd ein oder auch zwei Moleküle Amidoverbindung zusammentreten. Nehmen wir als Beispiel das Verhalten - des Harnstoffs! und das des Anilins: NH, NH col DER 200 SCH, 4 HLO, 1) Sn + OCH, me NH Dar 0x : NNH, SR 2) + OCH, = Pau: + H,0, yNB, NH co x NNH, NH, 5) C,H, NH, + OCH, = C,H,N: CH, + H,O. Je nachdem nun das Aldehydmolekül mit einer oder zwei stickstoff- haltigen Gruppen des Eiweiss- bezw. Gelatinemoleküls reagirt, würde eine Verbindung entstehen, die dem Aldehydammoniak oder einer der beiden bezeichneten Harnstoffderivate oder dem Anilinabkömmling zu vergleichen wäre. Bezeichnen wir z. B. die Formel der Gelatine mit Gel.—=NH, oder NH ’ mit Gel. ° so würde die Formaldehydverbindung der Gelatine durch NHN | N 2 H .c/ Gel. NH I NH oder ea N I Sehiff, Liebig’s Annalen. Bd. CLI. S. 186. WIRKUNG DES FORMALDEHYDS AUF PROTEINSTOFFE. 257 NH CZ 5 NNH oder SCH: 2: 7 Gel< NH, oder Gel. N: CH, wiederzugeben sein. Die grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit dieser Formelbilder zu discutiren scheint mir vorläufig zwecklos, um so mehr als wir von der Anzahl und dem Charakter der stickstoffhaltigen Gruppen in dem Molekül der Proteinkörper nichts Sicheres wissen. Nur das Eine möchte ich zur Begründung der skizzirten Auffassung von der Constitution der Formaldehydproteine noch hervorheben, dass ebenso wie Aldehydverbindungen des Ammoniaks und der Amidokörper, so auch die Formaldehydverbindungen der Gelatine, des Eier- und Serumeiweisses, des Caseins und des Fibrins ohne Schwierigkeit in ihre Componenten ge- spalten werden können. Erlangen, im August 1896. - Archiv f. A. u, Ph. 1897, Physiol. Abthlg. g 17 Zur Kenntniss der Spontanemulgirung von fetten Oelen. Von W. Loewenthal in Berlin. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Seitdem Gad! 1878 das Phänomen der Selbstemulgirung von Oel in wässerig-alkalischen Flüssigkeiten beschrieben und G. Quincke? 1879 eine physikalische Erklärung für den Vorgang gegeben hat, ist dieser Gegen- stand nicht wieder bearbeitet worden. Gad beschrieb die interessante Beobachtung, dass ein Tropfen eines ranzigen Oeles, auf eine dünne Sodalösung gebracht, unter Umständen ohne äussere mechanische Beihülfe (Verreiben, Schütteln) emulgirt werden kann, und dass dabei verschiedene Bewegungserscheinungen auftreten. Gad er- klärt die Erscheinungen durch die Diffusion der aus der freien Fettsäure und dem Alkali gebildeten und nun von der emuleirenden Flüssigkeit ge- lösten Seife; in dem Tropfen selbst sollte zum Ersatz der verseiften Fett- säure immer neue vom Centrum zur Peripherie nachströmen. Bei gewisser Geschwindigkeit, mit der die Bildung und Lösung der Seife erfolge und neue Fettsäure nachströme, brauche nur das Volum des Tropfens sich zu ändern. „Es wird aber auch vorkommen können“, fährt Gad dann fort, „dass die Seife schneller gebildet und fortgeführt wird, als Fettsäure zur Ausfüllung der entstandenen Lücke zur Peripherie hin diffundirt. Dann werden Fett und umgebende Flüssigkeit im Verhältniss der leichteren Ver- schieblichkeit ihrer Moleküle in die Raumerfüllung sich theilen, die Ober- fläche, namentlich der Rand des Tropfens, werden mannigfache Formver- änderungen erleiden, ja es wird zur Absplitterung kleiner Fettmolekeln kommen können u. s. w.“ (8. 187). Von den Schlusssätzen, in denen die ! Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1878. S. 181. * Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. XIX. S. 129. W. LOEWENTHAL: SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 259 Ergebnisse zusammengefasst sind, seien die hier besonders interessirenden angeführt (S. 199): 3. „Die Emulgirbarkeit verschiedener Fette bei Berührung mit der- selben (alkalischen) Flüssigkeit ist abhängig: a) vom Säuregrade des Fettes, b) von der Löslichkeit der aus den Säuren des Fettes gebildeten Seifen in der betreffenden Flüssigkeit, ec) von der Zähflüssigkeit des Fettes.“ 4. „Die Emulgirbarkeit desselben Fettes bei Berührung mit verschie- denen Flüssigkeiten ist abhängig: a) von dem Grade der Alkalescenz der Flüssigkeit, b) von ihrer sonstigen Zusammensetzung, namentlich Insofern diese aan Löslichkeit der gebildeten Seifen beeinflusst.“ 6. „Kochsalz und Galle sind geeignet, Verhältnisse, welche dem Ent- stehen einer guten Emulsion ungünstig sind, in entgegengesetztem Sinne zu. eorrigiren.“ 7. „Leberthran besitzt einen auffallend hohen Grad der Emulgirbar- keit innerhalb sehr breiter Grenzen.“ Die von Gad beschriebenen Erscheinungen erkennt G. Quincke an, wendet sich aber gegen die theoretische Erklärung und weist selbst nach, „dass die Emulsionsbildung im Wesentlichen auf der Ausbreitung dünner Seifenwasserlamellen an der Grenze von Oel und wässeriger Flüssigkeit beruht, und dass die sogenannten amöboiden Bewegungen der Oeltropfen dieselbe Ursache haben“ (S. 132). Er führt dann des Weiteren aus, wie durch die Ausbreitung und durch Spannungsdifferenzen der Oeltropfen zer- rissen wird. Von den Resultaten sei hervorgehoben (S. 143): 2. „Durch die Ausbreitung der Seifenlösung entstehen Wirbelbewegungen im Innern des Oels und der umgebenden Flüssigkeit, einzelne Oeltröpfehen werden in die umgebende Flüssigkeit hereingerissen und bilden hier kleine Oelkugeln.“ 3. „Sehr kleine Mengen Seife, die mikroskopisch oder auf andere Weise ' nicht mehr wahrnehmbar sind, genügen, um die Ausbreitungserscheinungen und die dadurch hervorgerufenen Bewegungen der ganzen Oelmasse herbei- zuführen.“ Waren danach auch die grundlegenden Thatsachen und deren’ Deu- tung gegeben, so schien es doch der Mühe wohl werth, die genaueren Bedingungen für das Gelingen des Versuchs zahlenmässig festzustellen; denn die blosse Angabe Gad’s, „die besten Resultate seien zu erreichen mit Leberthran in Sodalösung von 0-2 bis 0-5 Procent“, reicht ohne die Angabe der Rancidität des Leberthrans offenbar nicht aus, eine Erfahrung, die bei einem Vorlesungsversuch Hrn. Prof. J. Munk in nicht geringe Ver- legenheit versetzte und die den Anlass zu dieser Untersuchung gab. Auch mir erging es nicht anders: gleich der erste von mir unter- suchte käufliche gelbbraune Leberthran gab überhaupt keine Spontan- ne 260 W. LOEWENTHAL: emulsion; wie wir später erkannten, weil er nicht ranzig genug war. Es erscheint also zur genaueren Kenntniss des Phänomens die Feststellung der Rancidität nothwendig; man kann dann erst jedes Mal mit Sicherheit auf das Gelingen des Versuches rechnen, wenn man den vorhandenen und den nothwendigen Gehalt des Oeles an freier Fettsäure kennt. Neben der Feststellung des Optimum schien mir das Aufsuchen des geringsten Oelsäuregehaltes, bei dem Selbstemulgirung möglich ist, be- sonders interessant, um so interessanter, als man geneigt sein sollte, nach Quineke’s Annahme schon eine äusserst geringe Rancidität für aus- reichend zu halten. Spricht ja doch Quincke gelegentlich der Erklärung der Emulsionsvorgänge von „Schichten verdünnter Seifenlösung, deren Dicke nur einige Milliontel eines Millimeters beträgt. Eine sehr geringe Seifen- menge genügt also schon, um die fraglichen Erscheinungen herbeizuführen.“ Wenngleich die Versuche wesentlich im Interesse der Theorie unter- nommen wurden, habe ich mich ausserdem noch bemüht, die thatsächlichen Verhältnisse im Darm nach Möglichkeit im Auge zu behalten. Ich habe daher auf die Sodalösungen höherer Concentration vollständig verzichtet und als concentrirteste eine 1 procent. Lösung krystallinischen, reinen Natrium- carbonats (Na,00, + 10 aq) benutzt. Ich verwendete zu den Versuchen folgende Lösungen, die ich der Kürze wegen mit Zahlen bezeichnen will: 1. 0-15 Procent Na,C00,, 2. 0-25 Procent Na,C0,, 3. 0-5 Procent Na,00,, 4. 0-75 Procent Na,00,, 5. 1 Procent Na,CO,. 1a bis 5a, dieselben je mit Zusatz von 1 Procent NaCl. Der that- sächliche Gehalt an wasserfreiem Na,CO, ergiebt sich, wenn man die an- . geführten Werthe mit 0-367 multiplieirt.! Das zu untersuchende Oel, in Aether gelöst, wurde nach Zusatz von 2 Tropfen alkoholischer Phenolphtaleinlösung mit alkoholischer !/,, Normal- lauge titrirt, bis eben der Umschlag von Gelb in Rosa eintrat, und der ge- fundene Säuregehalt als Oelsäure in Procenten berechnet. Ein Theil des Oels wurde durch Ausschütteln mit Barythydrat nach Möglichkeit ent- säuert und nun wurden durch Mischen des ursprünglichen und des ent- säuerten oder durch Zusatz reiner Oleinsäure (von Kahlbaum) die Oele verschiedenen Säuregrades hergestellt. Zur Ausführung des Versuches wurden von den zehn Sodalösungen je 5 °® in grössere Uhrschalen ge- gossen und nun aus einer capillaren Pipette aus möglichster Nähe je ein Oeltropfen auf die Oberfläche fallen gelassen. Nach Ablauf der Erscheinungen * Das Molekulargewicht von Na,C0, +10aq beträgt 286, das des wasserfreien Na,CO, nur 106. Es sind daher zur Reduction des ersteren auf letzteres die Gewichte des ersteren mit 3: = 0.367 zu multipliciren. ZUR KENNTNISS DER SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 261 wurde gewöhnlich ein zweiter Tropfen hinzugefüst. Die Versuche ge- langen weniger gut, wenn der Oeltropfen im Vergleich zur Menge der Sodalösung zu gross war. Von einer ins Einzelne gehen- den Beschreibung der Vorgänge glaube ich Abstand nehmen zu dürfen, da ja schon Gad eine klare und ausführliche Schilderung derselben gegeben hat, und wende mich nunmehr der zusammenfassenden Darlegung meiner Versuche zu. Olivenöl. Das käufliche Ol. olivarum provinciale (Nizza extrafein) besass einen Säuregrad von 2-4 Procent, auf Oelsäure berechnet; nach Entsäuern mit Barythydrat behielt es noch 0-9 Procent. Daraus wurden hergestellt und untersucht Oele von: 0-9, 1-06, 1.1, 1-3, 1-5, 1-8, 2-1, 2.3, 2-4, 3-6, 4.8, 5-0, 5.5, 6.0, 7.0, 9-0 und 10.0 Procent Oelsäure. Der Verlauf der Versuche war folgender: 1. Niedriger Grad der Raneidität, 0-9 bis 2-1 Procent Oelsäure. In den salzfreien Lösungen (2 bis 5)! wird von dem auffallenden Tropfen sofort eine nach allen Seiten aus einander fahrende Zone kleiner, mit blossem Auge sehr wohl wahrnehmbarer Oeltröpfchen abgesprengt. Ein zweiter hinzugefügter Tropfen bleibt vollkommen ohne Bewegungserscheinungen. Die Bildung dieser „Oelsonne“ wird mit zunehmender Rancidität immer ge- ringer und der nach der Absprengung zurückbleibende grosse Tropfen, der bei 0-9 Procent noch vollständig klar bleibt, zeigt eine mit wachsender Raneidität immer deutlicher werdende milchige Trübung. Der zweite Tropfen wird jedes Mal intensiver getrübt als der erste. In den salzhaltigen Lösungen (2a bis 5a): Der erste Tropfen giebt eine Oelsonne, die mit abnehmendem Sodagehalt (also von 5a nach 3a) und zunehmender Rancidität schwächer wird. Auf Lösung 2a entsteht überhaupt keine Oelsonne, sondern der Tropfen zieht sich in die Länge und bildet ein geschlängeites Band, das sich schnell in kleinere Tropfen theilt; diese fliessen später theilweise wieder zusammen. Derselbe Vorgang spielt sich am zweiten Tropfen ab, nur in geringerem Maasse. Mit zunehmender Raneidität werden diese Erscheinungen geringer: bei 1-5 Procent giebt auf Lösung 2a der zweite Tropfen schon keine Schlange mehr, sondern bleibt ruhig und umgiebt sich mit einem deutlichen trüben Hof, während in der Mitte des Tropfens ein weisser Fleck zu erkennen ist. Bei 2:1 Procent bietet auf Lösung 2a auch der eıste Tropfen schon diese Erscheinung. Auf Lösung 3a treten die eben geschilderten Erschemungen sämmtlich erst etwas später auf, der zweite Tropfen auf 3a giebt eine Schlange bei ! Die schwächsten Sodalösungen, 1 und 1a, kamen erst später in Anwendung. 262 W. LOEWENTHAL: 1-1 Procent, erster und zweiter Tropfen bei 1.3 Procent (gegen 0-9 Procent auf Lösung 2a), zweiter Tropfen keine Schlange mehr und Hof bei 1-8 Procent (gegen 1-5 Procent auf Lösung 2a). Dagegen verzieht sich auf Lösung 1a bei 2-1 Procent der erste Tropfen sternförmig und der zweite liefert etwas Emulsion (in einer kaum nennenswerthen Menge), Erschei- nungen, die auf den anderen Lösungen erst bei etwas höherer Rancidität auftreten. 2. Mittlerer Grad der Rancidität, 2-3 bis 5-5 Procent Oelsäure. In den salzfreien Lösungen (1 bis 5) nehmen die bei den schwächsten Säuregraden beschriebenen Bewegungserscheinungen weiter ab, so dass bei 4.3 Procent überhaupt keine Sonnenbildung mehr zu bemerken ist. Dafür nimmt die schon bei geringerer Raneidität beginnende Trübung des Tropfens weiter zu und theilt sich bei 4.3 Procent auch schon etwas der umgeben- den Flüssigkeit mit, so dass rings um den Tropfen ein trüber Hof in der sonst klaren Sodalösung zu sehen ist. Beim zweiten Tropfen, sowie bei 5-0 und 5.5 Procent ist dies noch deutlicher. In den salzhaltigen Lösungen (1a bis 5a) bleibt die mit wachsender Raneidität immer schwächer gewordene Sonnenbildung bei 2.3 Procent ganz aus. Dagegen werden die früher auf 1a bis 3a nur erst beginnenden Bewegungserscheinungen jetzt vollkommener und treten nach und nach auch auf 4a und 5a ein. Alle neuen Erscheinungen setzen bei den schwächsten Sodalösungen zuerst ein und treten auf den con- centrirteren immer erst bei etwas höherem Säuregehalt auf. Es nehmen daher bei allen Säuregraden bis 3-6 Procent die Erscheinungen jedes Mal von 1a bis 5a an Vollkommenheit ab; über 3.6 Procent dagegen ändert sich die Reihenfolge: 3a bis 5a, 2a, 1a. Das Verhalten des zweiten Tropfens auf einer Sodalösung nähert sich jedes Mal dem Verhalten des ersten Tropfens eines Oeles von etwas höherer Rancidität auf derselben Lösung. Der geringste Säuregehalt, bei dem der aufgefallene Oeltropfen sich sternförmig verzieht und Emulsion liefert, ist 2-3 Procent auf Lösung la. Auf 2a verzieht sich der erste Tropfen und giebt etwas Emulsion, auf 3a thut dies erst der zweite, auf 4a und 5a bleibt noch erster wie zweiter Tropfen ohne bemerkenswerthe Bewegung. Die Emulsionserscheinungen nehmen mit der Rancidität weiter zu und treten auch noch auf 4a und 5a auf. Ihr Optimum für die salzhaltigen Lösungen erreichen sie bei 3-6 Procent auf Lösung la und 2a. 3. Hoher Grad der Raneidität, 6 bis 10 Procent Oelsäure. Salzfreie Lösungen (1 bis 5). Der Unterschied zwischen mittlerem und höherem Grad der Raneidität tritt scharf hervor. Bei 6 Procent Oelsäure tritt auf den salzfreien Lösungen zum ersten Mal Sternbildung und Aus- 1 Zur KENNTNISS DER SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 263 strahlung von Emulsion ein und zwar auf Lösung 1 und 2, während auf 3 bis 5 die Emulgirung ohne Stern, höchstens unter Bildung Pseudopodien ähnlicher, kurzer Fortsätze vor sich geht. Diese Fortsätze verfeinern sich bei 7 Procent auf Lösung 3 bis 5 zu dünnen, nicht allzu langen Haaren, die aus herausgeschleuderter Emulsion zu bestehen scheinen. Die Er- scheinungen nehmen von 3 bis 5 bedeutend an Intensität ab, eine Ab- nahme, die bei 9 Procent in noch viel grösseren Sprüngen vor sich geht. Gleichzeitig erreicht mit 9 Procent die Emulsionsbildung ihr Optimum und zwar auf Lösung 1; doch ist ein vollkommen deutlicher Unterschied zwischen 9 und 10 Procent nicht zu constatiren. Es wird fast der ganze Tropfen in feine Emulsion übergeführt, und auch beim zweiten Tropfen ist das Re- sultat nicht viel geringer. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass bei guter Stern- und Emulsionsbildung (also z. B. etwa von 7 Procent freier Säure an) die Bewegung weit über die amöboide hinaus- geht: es strecken sich zahlreiche, an ihrer Basis höchstens etwa 0.5 m breite Arme aus, die, nachdem sie die Länge von ungefähr 1°” erreicht haben, anfangen sich zu schlängeln und so bis zum Rande der Flüssigkeit hinziehen, wo sie sich in feinste Partikelchen zertheilen; alles unter stetiger Bildung einer intensiv weissen Milch. Salzhaltige Lösungen (la bis 5a). Nachdem auf den salzhaltigen Lösungen mit 3.6 procent. Oelsäure das Optimum erreicht ist, nehmen mit zunehmender Rancidität die Erscheinungen wieder ab, derart, dass die Arme des Sterns immer dicker, kürzer und weniger zahlreich werden, so dass man den Eindruck gewinnt, als müsste ein Widerstand überwunden werden. Die Emulsion wird an Menge spärlicher und schlechter (grauweiss), der Tropfen umgiebt sich mit einer Membran, die mit wachsender Ran- eidität immer dicker wird, und der Verlauf der gesammten Erscheinungen wird stetig langsamer. Nach der Güte der schliesslich nur noch äusserst seringen Emulsionsbildung und Bewegungserscheinungen ist die Reihenfolge (abnehmend) 3a bis 5a, 2a, 1a jetzt auffallend deutlich. Einfluss der Seife. Es wurde oben des Oefteren erwähnt, dass ein Unterschied der Er- scheinungen beim ersten und zweiten Oeltropfen in derselben Sodalösung besteht. Der Unterschied war immer derart, als ob der Säuregehalt er- höht worden wäre, bei den am schwächsten sauren und daher nicht spontan emulgirbaren Oelen also gleich einer Correetion. Ich glaubte mir dies so erklären zu sollen, dass die Sodalösung, wenn sie schon eine gewisse Menge Seife gelöst hatte, neu hinzukommende Seife langsamer löse, und dass dadurch bei nur geringem Oelsäuregehalt die Bedingungen zur 264 W. LOEWENTHAL: Emulsionsbildung günstiger würden. Zur Bestätigung dieser Ansicht stellte ich mir eine etwa 1 procent. wässerige Lösung einer neutralen Oelsäure- natronseife! her und setzte von dieser 3 Tropfen zu je 5“ der salz- haltigen Sodalösungen zu. Wenn es mir auch nicht mit Sicherheit gelang, dadurch mit Oel von geringerem Säuregehalt Emulsion zu erzielen, so war doch der günstige Einfluss der Seife zweifellos. Am deutlichsten war die Verbesserung auf Lösung la und 2a. Es ist also nicht nur die neu sich bildende, sondern auch die in der emulgirenden Flüssigkeit schon in Lösung vorhandene Seife von Einfluss, freilich wohl nur indirect. Auffällig ist die Thatsache, dass die Emulsionsbildung zuerst bei ge- ringerem Sodagehalt auftritt, besonders auffällig bei den schwach sauren Oelen, wie etwa 2-3 Procent. Es lässt sich dies wohl nicht anders erklären, als durch die Ueberlegung, dass bei noch so grossem Sodagehalt doch nur eine der vorhandenen Oelsäure entsprechende Seifenmenge gebildet werden kann, und dass hierzu auch in den schwachen Lösungen genügend Soda enthaltend sei; ferner durch die Annahme, dass es vornehmlich auf genügend _ schnelle Lösung der doch nur sehr geringen Seifenmenge ankomme, damit sich die verfügbare Seifenlösung auf einmal auf der Oberfläche des Oel- tropfens ausbreite und dabei in der von Quincke erörterten Weise wirke. Ich habe mir durch genaue Neutralisirung einer Oelsäurelösung mit Natronlauge eine neutrale Seife hergestellt (s. oben) und gefunden, dass die Lösung fester neutraler Seife in den schwächeren salzhaltigen Sodalösungen bedeutend schneller erfolgt als in den stärkeren, noch schneller in den salzfreien und am schnellsten im destillirten Wasser. | An dieser Stelle will ich noch erwähnen, dass eine dickflüssige, con- centrirte wässerige Seifenlösung von den salzfreien Sodalösungen gut im Lösung gehalten wird, während sich in den salzhaltigen daraus feste Seife ausscheidet und zwar am schnellsten in den salzhaltigen schwächeren Soda- lösungen. Einfluss der Galle. Die Wirkung des Zusatzes von Galle ist leicht nachweisbar: 3 Tropfen einer der normalen Ochsengalle entsprechenden Lösung von Fel tauri de- puratum ? auf 5m der Sodalösung haben schon recht erheblichen Einfläss. Die emulgirende Kraft der salzireien Lösungen wird bedeutend herabgesetzt, U Es wurde ein Quantum Oelsäure in Alkohol gelöst und nach Zusatz von Phenolphtalein so lange alkoholische !/,, Normallauge tropienweise zufliessen gelassen, bis eben Farbenumschlag eintrat. Danach wurde der Alkohol abgedampft und der feste Rückstand in möglichst wenig warmem Wasser gelöst. ” 7 Theile des trockenen offieinellen Praeparates entsprechen 100 Theilen frischer Rindergalle, Zur KENNTNISS DER SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 265 und dabei sind nun die stärkeren Lösungen die wirksameren, während es ohne Galle gerade die schwächeren waren. Auf Lösung 1 und 2 zeigt bis hinauf zu einem Gehalt von 10 Procent Oelsäure der Oeltropfen nur Trübung und auf den übrigen salzfreien Lösungen tritt Beginn von Stern- und Emulsionsbildung erst bei 9 Procent ein. — Auch von den salz- haltigen Lösungen zeigen sich die concentrirteren wirksamer. Noch bei 7 Procent entsteht ein Stern und eine recht gute Emulsion, während sich bei 9 Procent die Seifenmembran doch schon bemerkbar macht. Die feste, neutrale Seife wird von salzfreien wie salzhaltigen Soda- lösungen nach Zusatz von 3 Tropfen Gallenlösung schneller gelöst, als vorher. Leberthran. Eine neue, aus der Droguenhandlung bezogene Probe Leberthran ent- hielt 4.6 Procent Oelsäure (die Gesammtacidität als Oelsäure berechnet); nach Schütteln mit Barythydrat und Absitzen des Oeles enthielt er noch 3-3 Procent. Es wurde untersucht Leberthran mit 3-3, 4-0, 4-6, 6, 7, 9 Procent Oelsäure. Ausserdem stand mir noch ein alter, verharzter Leber- thran zur Verfügung, der 5 Procent Oelsäure enthielt. Auch von diesem wurden verschiedene Säuregrade hergestellt, doch war ein besonderer Unter- schied in Bezug auf die Emulsirung zwischen verharztem und nicht ver- harztem Leberthran nicht zu beobachten. Um so deutlicher ist der Unter- schied gegen Olivenöl. Während ein Olivenöl mit einem Säuregehalt von 3-3 Procent auf den salzhaltigen Lösungen gute Resultate giebt (das Op- timum liest ja bei 3-6 Procent), tritt bei einem Leberthran von dieser Raneidität nirgends Sternbildung ein, und die um den Tropfen sich lagernde Emulsion ist nur winzig. Erst bei 6 Procent Säuregehalt entsteht auf Lösung 3a bis 5a die Emulsion unter sternförmiger Verziehung des Tropfens, die aber schon bei 7 Procent wieder geringer ist. Dabei giebt bei 4-6 und 6 Procent der zweite Tropfen auf Lösung 3a bis 5a ein besseres Re- sultat als der erste; dies ein Beweis, dass die Rancidität nicht etwa schon zu hoch ist. — Auf den salzfreien Lösungen ist von 4-6 Procent an ein Hof von Emulsion zu sehen, der sich ohne erkennbare Strahlung um den Tropfen gebildet hat. Die erste Sternbildung tritt bei einem Gehalt von 7 Procent Oelsäure auf Lösung 2 ein, bei 9 Procent auch auf Lösung 3 bis 5. Die Erscheinungen sind sämmtlich weniger gut ausgeprägt als beim Olivenöl. Rüböl. Das von mir benutzte Rüböl hatte einen Säuregehalt 4-3 Procent Oel- säure entsprechend, nach Schütteln mit Barythydrat noch 3-5 Procent, 266 W. LoEWENTHAL: Das Rüböl scheint leichter emulgirbar zu sein als Olivenöl; schon das 4-3 wie das 3-5 proc. giebt auf den salzfreien Lösungen, besonders auf den schwächeren, recht gute Stern- und Emulsionsbildung, was mit Olivenöl erst bei 6 Procent geschieht. Auch bei hohem Säuregehalt (7 und 9 Pro- cent) scheint noch ein Unterschied zu Gunsten des Rüböles zu bestehen. — Auf den salzhaltigen Lösungen verzieht sich der Tropfen stern- oder faden- förmig, dabei Bildung von wenig Emulsion. Ein Unterschied zwischen dem Rüböl von 3-5 und dem von 4-3 Procent Säure tritt nicht deutlich hervor. Rieinusöl. Das käufliche Rieinusöl enthielt 1-2 Procent Ricinolsäure. Durch entsprechenden Zusatz von Oelsäure, in einem zweiten Versuche durch Zu- satz von Ricinolsäure! wurde es auf eine Rancidität von 3, 6, 10 Procent gebracht. Nirgends, auch nicht nach Zusatz von 6 Tropfen Gallenlösung zu 5° Sodalösung, trat eine Spur von Emulsion auf, nur Lacunenbildung, wie sie Gad als zweite Möglichkeit beschrieben und durch Fig. 2 für Leber- thran abgebildet hat. Beim Umrühren entsteht mässig gute Emulsion. Andere flüssige Fette. Von anderen Fetten stand mir zur Verfügung: 1. ein vor etwa 10 Jahren ausgelassenes Pferdefett mit einem Säuregehalt von 2-3 Procent, auf Oel- säure berechnet. In den salzhaltigen Lösungen wurde Emulsion gebildet unter haarfeiner Ausstrahlung beim ersten, Sternbildung beim zweiten Tropfen; auf den salzhaltigen Lösungen zeigte sieh nur Lacunenbildung. 2) Fett aus der Bauchhöhle eines (winterschlafenden) Murmelthieres. Die zuerst ausgeschmolzene Portion enthielt 0-31 Procent freie Säure als Oelsäure berechnet, und gab nicht einmal beim energischen Umrühren mit einem Glasstabe Emulsion. Die zweite, aus den Rückständen gewonnene Portion enthielt 0.59 Procent Oelsäure, war von dunkelbrauner Farbe, fluoreseirend und enthielt brenzliche Beimengungen. Ein Tropfen dieses Fettes wird auf den salzhaltigen Lösungen intensiv getrübt und liefert etwas Emulsion. Ein aus der ersten Portion durch Zusatz von Oelsäure her- gestelltes Fett von gleichem Säuregehalt, wie das durch brenzliche Bei- mengungen verunreinigte, zeigt diese Erscheinung nicht. Diese Beobachtung wird berücksichtigt werden müssen, wenn einmal die Emulgirbarkeit der zum Genuss dienenden Fette geprüft wird, die ja durch Kochen und Braten in ähnlicher Weise verändert werden. ! Von Sehuchard (Görlitz) bezogen. Zur KENNTNISS DER SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 267 Einfluss der Viscosität. Beim Ricinusöl scheint es, wie dies schon Gad hervorhebt, selbstver- ständlich, für das Ausbleiben der Selbstemulgirung die hohe Viscosität in Betracht zu ziehen, zumal wenn man berücksichtigt, dass durch mässiges Umrühren bei genügendem Säuregehalt auch das Ricinusöl sich emulgirer lässt. Es läge nun nahe, minder grosse Unterschiede der Viscosität auch bei der verschiedenen Emulgirbarkeit der übrigen Oele derart betheiligt zu denken, dass ein weniger zähflüssiges Oel bei entsprechend geringerer Raneidität emulgirt werden könnte, als eines von grösserer Zähflüssigkeit. Bei der hierauf gerichteten Untersuchung erwies sich diese Annahme als nicht zutreffend, so dass man wohl annehmen muss, es seien noch weitere, bisher nicht aufgedeckte Momente hier im Spiel. Die Ermittelung der Viscosität geschah nach der Angabe von Neumann-Wender! durch Ver- gleichung «der Zeit, in der bei dem nämlichen Druck (gleiche Höhe der Flüssigkeitssäule) die gleiche Menge der verschiedenen Flüssigkeiten durch ein 1.-5"m weites, U-förmiges Capillarrohr hindurchtrat. Setzt man die Viscosität proportional der beobachteten, zum Durchfliessen erforderlichen Zeit, so ergiebt sich, wenn man diese für Olivenöl = 100 setzt (die Zahlen sind Mittelwerthe aus je 3 Beobachtungen): für Olivenöl mit 2.4 Proc. Oelsäure Viscosität—= 100 „ ” „ 10 2) ) ” = 106.5 „ Leberthran (frisch) „ 4-6 „ . a 12043 „ Leberthran (verharzt) , 5-0 „ as a a „ Küböl ad. giaun, h; a BIOS „ Rieinusöl a Bil, u 51150. Rüböl ist bei gleicher Rancidität besser, Leberthran weniger gut emul- girbar als Olivenöl, und dabei sind sie beide um annähernd den gleichen Betrag viscöser als dieses. Andererseits ist die Viscosität des frischen und des verharzten Leberthrans sehr verschieden und doch ist ein deutlicher Unterschied der Emulgirbarkeit nicht vorhanden: Die Ergebnisse der Untersuchung möchte ich in folgenden Sätzen zu- sammenfassen: * Fluidometer von Neumann-Wender (Czernowitz). Berichte der Berliner Pharmaceutischen Gesellschaft, I. 1891. Bd. XI, 8. 342. ° Dieser auffällige Unterschied findet seine Erklärung wohl in der Annahme, dass beim Verharzen (wie auch die Besichtigung der Flaschenwand zeigt) zähere Bestandtheile ausgeschieden werden und der Glaswand anhaften;; daher das ausfliessende Oel leichter flüssig ist. ° Richtiger Rieinolsäure; dieser kommt dieselbe Formel wie der Oelsäure zu: C1sH,40,. 268 W:- LOEWENTHAL: 1. Zur Erzielung einer guten und reichlichen Emulsion sind die schwächsten salzfreien Sodalösungen (0-06 bis 0-18 procent. wasserfreies Na,00,) die geeignetsten, demnächst die wenig concentrirten salzhaltigen (1 Procent NaQ]). 2. Der geringste Oelsäuregehalt, bei dem Selbstemulgirung des Oliven- öls eintritt, ist 6 Procent in 0-15 procent. Sodalösung (0-06 Procent Na,C0,). 3. Durch Zusatz von 1 Procent Kochsalz zur Sodalösung wird diese Grenze weiter herabgesetzt, und es tritt auf einer Lösung von 0-06 Procent Na,C0O, + 1 Procent NaCl schon bei einem Gehalt von 2-3 Procent Oel- säure Selbstemulgeirung unter Sternbildung ein. 4. Durch Zusatz einer verdünnten Lösung neutraler Seife kann die emulgirende Kraft der Soda-Kochsalzlösung noch weiter gesteigert werden. Die Seife kann auch aus einem vorher in die Flüssigkeit gebrachten, un- vollkommen oder gar nicht emulgirten Oeltropfen gebildet sein. 5. Die Thatsache, dass bei geringem Oelsäuregehalt gerade die schwächsten Sodalösungen die wirksameren sind, findet möglicher Weise in den Löslichkeitsverhältnissen der Seife ihre Erklärung. 6. Kochsalz wirkt nur bei geringem Oelsäuregehalt corrigirend, bei höherem (von 6 Procent ab) dagegen schädigend auf die Emulsionsbildung. 7. In diesen Fällen tritt Correetion durch Galle ein, während in den zfreien Lösungen sowie bei geringerem Säuregehalt die Galle schä digend wirkt. 8. Das Optimum der Emulsionsbildung in salzhaltiger Sodalösung liefert Olivenöl mit 3-6 Procent Oelsäure in einer Lösung von 0-06 oder 0.1 Procent Na,CO, + 1 Procent NaCl. Die schönste und reichlichste Spontanemulsion überhaupt wird erzielt durch Rüb- oder Olivenöl mit 9 Procent Oelsäure in einer 0-15 procent. Sodalösung (0-06 Procent Na,00,). 9. Verschiedene Oele sind bei gleichem Säuregehalt verschieden gut emuleirbar: Rüböl besser, Leberthran schlechter als Olivenöl, Rieinusöl überhaupt nicht. 10. Als Ursache hierfür kann man den Unterschied der Viscosität nur in den extremen Fällen gelten lassen, in denen er das Vielfache (rund 10 fache) von der Viscosität des Oliven-, Rüböls und Leberthrans beträgt. Es wäre wohl interessant, zum Vergleich mit den hier gefundenen Zahlen einerseits den Fettsäuregehalt der Speisefette nach ihrer Zubereitung, andererseits den Gehalt an Alkali und Kochsalz im Darm zu untersuchen. Ich selbst musste leider aus Mangel an Zeit von dieser Untersuchung vor- Zur KENNTNISS DER SPONTANEMULGIRUNG VON FETTEN ÖLEN. 269 läufie Abstand nehmen. Es dürfte überhaupt die Frage der Fettemulgirung jetzt von etwas geringerem physiologischen Interesse sein, wofern sich die neuesten Angaben von J. Levin! bestätigen, denen zu Folge selbst emul- eirtes Fett nur bei Gegenwart von Pankreassaft und Galle im Darm zur Resorption gelangt. Hrn. Prof. J. Munk, dem ich die Anregung zur vorliegenden Unter- suchung verdanke und der mich während der Dauer derselben mit Rath und That gefördert hat, drängt es mich, an dieser Stelle meinen verbind- lichsten Dank auszusprechen. ı Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. 1896. Born. Sen. Ueber die Entwickelung des elektrischen Organes bei Torpedo. Von Dr. J. Ogneff in Moskau, (Hierzu Taf. IV u. V.) Der Bau des elektrischen Organes bei Torpedo lenkt fortdauernd die Aufmerksamkeit vieler Histologen auf sich. Die lange Reihe sich hierauf beziehender Arbeiten hat sich unlängst um manche neue vermehrt, von denen die von Iwanzoff und Ballowitz eine besondere Aufmerk- samkeit verdienen. Die beiden Autoren haben verschiedene neue Methoden zur Untersuchung des Organes benutzt: Ballowitz — die Methode von Golgi und zwar mit bestem Erfolge. Man kann aber nicht sagen, dass die beiden Forscher zu vermittelnden Schlüssen gekommen wären und die mannigfaltigen Differenzen in den Ansichten über den Bau und die morphologische Bedeutung verschiedener Bestandtheile des Organes, wenn auch etwas, ausgeglichen hätten. Iwanzoff geht soweit, dass er über- haupt die Brauchbarkeit der Golgi’schen Methode für die Untersuchung des elektrischen Organes in Abrede stellt und die meisten Ergebnisse von Ballowitz für Kunstproduete hält. Man kann überhaupt jetzt nach wie vor sagen, dass, trotz der Arbeiten von mehreren hervorragenden Histologen, noch manche Lücken, und zwar in manchen sehr wichtigen Punkten, in unseren Kenntnissen über den Bau und die morphologische Bedeutung der Be- standtheile des Organes bestehen. Was ist in der That die elektrische Platte? Ist dieselbe ein einzelliges oder mehrzelliges Gebilde? Was stellt die Boll’sche Punktirung dar? Nach der Meinung Mancher sind die die- selbe bildenden Stäbchen ein besonderes Nervenendorgan, Andere (Babuchin) wollen darin Reste embryonaler Muskelfibrillen sehen, Dritte halten die Stäbchen für ein besonders differenzirtes Neurilemm oder Sarcolemm. Was ÖGNEFF: DIE ENTWICKELUNG D. ELEKTRISCHEN ÜRGANES BEI TORPEDO. 271 sind die Bogenfasern Krause’s und die sogenannten Interstitialkörperchen ? Dies sind alles Fragen, auf die bei dem jetzigem Stande unserer Kenntnisse über das Organ etwas Bestimmtes zu antworten sehr schwer ist. Der Grund davon liegt hauptsächlich darin, dass wir in allen bis jetzt erschienenen Arbeiten über die Entwickelung des Organes keine genügenden Antworten auf die erwähnten, wie auch auf manche anderen Fragen finden. Es existiren nur zwei Arbeiten, in denen die Entwickelung des elek- trischen Organes ziemlich vollständig und eingehend beschrieben ist, die eine derselben ist von Babuchin, dieandere von Krause. Fritsch! begnügt sich mit einigen ganz kurzen Bemerkungen, welche zwar sehr interessant sind, aber keine Vorstellung von dem gesammten Gange der Entwicke- lung geben. Die Arbeit Babuchin’s, die zuerst erschienen und besonders be- merkenswerth ist, geht wenig in Einzelheiten der Entwickelung ein. Babuchin? hat, wie bekannt, entdeckt, dass das elektrische Organ als Muskel angelegt wird, und die ganze Entwickelung der Platten in den Hauptzügen der Entwickelung der Muskelfasern ähnlich ist, wobei aber die einen Theile der letzteren verschwinden, die anderen im Gegentheil eine besondere Mächtigkeit bekommen. Diese Thatsache wurde von allen späteren Beobachtern bestätigt und kann im Augenblicke gar keinem Zweifel unterliegen. Die Angaben Babuchin’s wurden aber in manchen wesentlichen Punkten von Krause ergänzt und modifieirt. Da die beiden Arbeiten eine besondere Bedeutung in der uns interessirenden Frage haben, so will ich etwas länger: bei ihrem Inhalte verbleiben. — Nach den Be- obachtungen Babuchin’s® muss man in der Entwickelung des Organes drei Perioden unterscheiden: In der ersten werden die elektrischen Lappen, die elektrischen Nervenstämme und die primitiven elektrischen Säulchen angelegt. Die letzten bestehen um diese Zeit aus embryonalen Muskel- fasern. Die Nervenstämme gehen dicht an die Säulchen heran. Die zweite Periode wird dadurch charakterisirt, dass die „Enden der embryonalen Muskelfasern, welche gegen die Bauchseite gerichtet sind, anzuschwellen beginnen.“ Diese Anschwellung soll daher zu Stande kommen, dass der dem Bauchende nächste Kern der Faser sich in zwei theilt. Die neu- gebildeten Kerne entfernen sich nicht mehr von einander wie früher der ! Gustav Fritsch, Bericht über die Fortsetzung der Untersuchungen an elektrischen Fischen. Beitrag zur Embryologie von Torpedo. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1884. 8. 74—78. ® A. Babuchin, Uebersicht der neuen Untersuchungen über Entwickelung, Bau und physiologische Verhältnisse der elektrischen und pseudoelektrischen Organe. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1876. FAUEASO. 3.510. 272 > J. OGNErF: Länge der Fasern nach, sondern bleiben neben einander liegen. Das End- stück des Protoplasmas, von den neugehildeten Kernen anfangend, nimmt an Dicke zu. Das Ganze erinnert an einen Quast, welcher an einer mit Knoten (Muskelkerne) versehenen Schnur hängt. Zuweilen bilden sich Erweite- rungen nicht an den Enden, sondern an der Mitte der Fasern und die „Plattenbildner“, wie Babuchin die quastförmigen Gebilde nennt, sind dann kettenartig untereinander verbunden. Im Laufe der weiteren Entwickelung „wandeln sich die Plattenbildner in birnförmige Körper, mit einem sehr langen knotigen und quergestreiften Stiel um. Der birnförmige Körper besteht aus homogener, oder je nach der Behandlung mehr oder weniger körniger Substanz. Quergestreifte Fibrillen erstrecken ‚sich von der Basis des birnförmigen Körpers zu den Kernen, mit welchen sie aber in keine Verbindung eingehen, sondern durch oder über dem Haufen desselben sich an die quergestreiften inneren Fäden des Stieles anschliessen.“ Derselbe wird allmählich atrophirt, der Körper selbst aber wird flacher, die Kerne legen sich in eine Reihe, fahren dabei fort sich zu vermehren. In dem Plattenbildner kann man um diese Zeit: zwei Schichten unter- scheiden: die obere ist körnig, die untere ist durchsichtig, erscheint aber gestreift wegen der dieselbe durchlaufenden Fibrillen. Man kann noch eine feine Lage homogener protoplasmatischer Substanz, die die körnige Schicht dorsal deckt, unterscheiden. Die Räume zwischen den kuchenförmigen Körpern sind mit Zellen verschiedener Form gefüllt, welche Babuchin als innere Belegzellen bezeichnet, um dieselben von den äusseren Beleg- zellen zu unterscheiden, welche die Räume zwischen den Säulchen aus- füllen. Die Plattenbildner werden immer dünner und breiter, nehmen die Form flacher Scheiben an, welche den ganzen Durchmesser der Säulchen einnehmen, in Folge dessen die letzteren sich allmählich verdicken und bei weiterem Wachsthum vom Druck, den sie gegen einander ausüben, prismatisch werden. Die Säulchen wachsen in die Länge hauptsächlich dadurch, dass zwischen die Platten Bindegewebe sammt Blutgefässen und Nerven hineinwächst. — Die Ausbildung des Nervenapparates schildert Babuchin folgendermassen: Die elektrischen Nerven bilden sich aus den Axencylindern der Nervenzellen in den elektrischen Lappen. Allmählich werden die Stämmchen immer dicker und geben ‚Zweige in das Parenchym des künftigen elektrischen Organes und bilden hier scheinbare Maschen. Sehr feine Nervenfasern dringen in das Organ hinein, wenn es noch aus embryonalen Muskelfasern besteht. Selbstverständlich konnte es Babuchin damals nicht gelingen, das Schicksal dieser Nervenfasern aufzuklären. Auch kann er nichts Bestimmtes von den Nerven der Plattenbildner sagen. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 273 Nachdem aber aus diesen die Platten sich gebildet haben, findet man folgende Verhältnisse: ‚Die Platten sammt den Belegzellen bestehen jetzt aus zwei Schichten. Die dorsale Schicht bilden eigentlich durch Metamor- phose der Muskelfaser entstehende Platten.“ „Die Bauchschicht besteht aus runden, spindelförmigen und auch mit verästeltem Fortsatz versehenen Zellen. Manchmal sieht man, dass die eine oder die andere von letzt ge- nannten Zellen vermittelst ihres Fortsatzes mit einem Faden in Verbindung tritt... Bei genauer Betrachtung kann man sich überzeugen, dass in der sehr feinkörnigen Masse der Faden eine feine Fibrille durchläuft und dass auch die mit ihm verbundenen Zellen in ihrer Substanz .... eine Fibrille enthalten. Diese Fäden sind elektrische Nervenfasern, welche nur aus der embryonalen Sehwann’schen Scheide und dem Axeneylinder be- stehen. Die Schwann’sche Scheide wird also von den Belegzellen ge- bildet und wächst mit den Fibrillen zusammen. Dabei „entstehen an den Enden der Fibrillen haltigen Zelle immer zwei Sprossen, welche mit der Zeit zu kleinen Aestchen auswachsen und wieder am Ende jedes dieser Aestchen bilden sich zwei Sprossen u. s. w.“ „Das Protoplasma der Zellen begleitet immer diese sprossenhaft entstehenden Fibrillen, bildet aber immer eine dünnere und dünnere Schicht um sie herum, welche endlich ganz verschwindet.“ Mit dem Wachsthum der aus Muskeln entstehenden Platten geht die Ramification der Nervenfibrillen immer vorwärts, bis es zu der feinsten und dichtesten Verästelung oder der Bildung des sogenannten Netzes kommt, welches in und auf einer feinkörnigen Substanz gelagert ist. Diese Sprossenbildung dauert hier fortwährend weiter auch bei er- wachsenen Thieren, bis zu welchem Alter konnte aber Babuchin nicht auffinden. Eine jede elektrische Platte besteht also nach dem Befunde Babuchin’s aus zwei Haupttheilen, erstens aus Muskelprotoplasma (meta- sarkoplastisches Glied), der andere Hauptbestandtheil muss nervöses Glied genannt werden. Fritsch, dessen Arbeit chronologisch an die von Babuchin sich anschliesst, bestätigt, dass die Untersuchung der Entwickelung der Torpedo-Embryonen gezeigt hat, dass die elektrischen Organe aus um- sewandelten Muskeln sich bilden. Bei dieser Umwandlung handelt es sich um die äussere Gruppe der besonderen Kiemen- und Kiefermuskeln. Mikroskopisch wird dabei ein Quellungsproces der Muskelscheiden bei starker Kernvermehrung (Nucleation, Virchow) der embryonalen Muskel- elemente beobachtet. Birnförmige Plattenbildner hat Fritsch an seinen Präparaten nicht auffinden können, glaubt aber gern, dass, durch Mace- ration, isolirte Elemente solche Gestalt annehmen können. Die Platten- bildner sind flache kuchenförmige Körper von Anfang an. Das Wesentliche in dem Verlaufe ihrer Entwickelung ist die Zurückbildung des Protoplasmas A, f. A. u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 18 274 > J. OGNEFF: bei Erhaltung der Kerne, welche an den ausgebildeten Platten von einem fast leer erscheinenden Hofe umgeben sind. Dabei verschwindet allmählich die muskuläre Längsfaserung und die Kerne werden rund. Die Ver- änderungen der zum nervösen Glied gehörigen inneren Belegzellen, sowie der äusseren Belegzellen der Säulen, welche ebenfalls hauptsächlich zu den Nerven und Gefässen in Beziehung treten, soll Babuchin richtig be- schrieben haben und dazu ist nichts hinzuzufügen. Krause! bestätigt im Allgemeinen die Angaben Babuchin’s, wie ge- sagt, aber macht zu denselben sehr wichtige Ergänzungen und Abänderungen. So bildet sich nach der Meinung Krause’s eine elektrische Platte nicht immer aus einem Plattenbildner, wie es Babuchin gefunden hat, es können zwei, drei, ja sogar zehn Plattenbildner zusammenschmelzen und eine Platte formiren. Krause leugnet aber auch nicht die Möglichkeit, dass aus einem Bildner sich eine einzelne Platte bilden kann. Die Zahl der Platten ist also nach den Beobachtungen Krause’s nicht in den Prismen präformirt, wie es Babuchin gefunden hat, wenigstens ist diese Präformation sehr schwer verständlich. Nicht minder wichtig ist die Beobachtung Krause’s, dass die quergestreiften Fibrillen nicht aus den Plattenbildnern verschwinden, sondern für immer als soge- nannte Bogenfasern erhalten bleiben. Dieselben stellen sehr feine Fäden dar, welche von der dorsalen zu der ventralen Fläche in den Platten ziehen. An Bogenfasern soll die Querstreifung gut bemerkbar sein und sie sollen eine wichtige physiologische Rolle spielen. Die Entwickelung der Nerven im Organe beschreibt Krause folgender- massen: Die Nervenfasern verbinden sich unmittelbar mit der Substanz der Plattenbildner. Nerven treten an dieselben immer von der dorsalen Fläche, „niemals an deren ventralen? Spitze“. Bei dem starken Wachs- thume der Plattenbildner wandern die Nervenfasern von der Seitenfläche der Muskelfasern „an das ventrale Ende, oder den scheinbaren natür- lichen Querschnitt des Plattenbildners.“? Bei der Profilansicht sind sie hier dann in Form zahlreicher dreieckiger Ansätze zu jsehen. Die Palis- saden (die Boll’sche Punktirung) erscheinen verhältnissmässig spät (erst ' bei Embryonen von 6 Länge). Von deren Bedeutung sagt Krause nichts. Aus allem eben Dargelesten ist es klar, . wie grundverschieden die Angaben der Forscher sind, die sich mit der Entwickelung des elektrischen ı W. Krause, Die Nervenendigung im elektrischen Organe. Zweiter Artikel. Internationale Monatsschrift f. Anatomie u. Physiologie. 1887. Bd. IV. 3. 372—392. ” A. a. 0. 8. 384. ®A.2a.0. 8. 387. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 275 Organes bei Torpedo beschäftigt haben. Die gegenseitigen Widersprüche sind kaum nur durch verschiedene Bearbeitungmethoden zu erklären, da dieselben nicht so sehr verschieden waren, um ganz ungleichartige Bilder zu geben. Sicher hängt es nicht von der Methode allein ab, wenn der eine Forscher die quergestreiften Fibrillen zu Bogenfasern werden lässt, nach den Beobachtungen des Anderen aber die Fibrillen gänzlich ver- schwinden, oder nur zum Theil vielleicht als Boll’sche Punktirung er- halten bleiben. Oder soll die elektrische Platte nur einer Muskelfaser, oder mehreren homolog sein? Sicher könnten nur neue Untersuchungen dergleichen Verschiedenheiten erklären und die willkürlichen Erklärungen der morphologischen Bedeutung dieser oder jener Theile des Organes be- seitisen. Diese Aufgabe habe ich unternommen. Dazu hat mich noch eine Ueberlegung gezwungen, nämlich die, dass bis jetzt noch keine der neueren Methoden der Untersuchungen des Nervengewebes auf das embryo- nale Organ angewandt wurde, nämlich weder die Golgi’sche, noch die von Ehrlich mit Methylenblau. | Auch war es interessant, verschiedene neue Fixirungsflüssigkeiten zur Bearbeitung zu verwenden, um sicher und genau feststellen zu können, welche Structurveränderungen von diesen hervorgerufen werden. Meine Untersuchungen wurden im Sommer 1894 an der zoologischen Station in Neapel ausgeführt. Ich benutze hier die Gelegenheit, allen den Vorstehern der Station meinen herzlichsten Dank für die liebenswürdige Hülfe bei der Beschaffung des Materials zu bringen; nur Dank dieser Hülfe konnte die Arbeit in einer verhältnissmässig kurzen Frist zu Ende ge- bracht werden. Bevor ich die von mir erzielten Resultate niederlege, will ich einige Worte über die von mir angewandten Methoden sagen. Gewöhnlich wur- den kleine Stücke des Organes an lebendigen Embryonen mit einer scharfen Scheere abgeschnitten und zwar so, dass die Säulchen oder Prismen nie quer getroffen wurden, sondern immer der Länge nach, also die Schnitte dorso-ventral geführt wurden. In der Mitte eines- kleinen cubischen Stück- chens blieben einige Säulchen gänzlich unversehrt und nur diese wurden zur Untersuchung gebraucht. Immer wurden die Stücke von denselben Embryo- nen in verschiedene Flüssigkeiten gelegt. Gewöhnlich wurde 1 bis 2 procent. Osmiumsäure, Flemming’sche Flüssigkeit und besonders die Hermann’- sche Modification derselben gebraucht. Nach Behandlung mit der letzteren (24 bis 48 Stunden) wurden die Stücke in 70 procentigen Alkohol über- tragen. Zur Färbung wurde gewöhnlich Saffranin oder Haematoxylin (nach Delafield, Haemalaun, Haemocaleium) verwandt. Man kann aber nicht sagen, dass die so gefärbten Praeparate bessere Bilder lieferten, als die ungefärbten. Sehr gute Resultate gab die Färbung nach R. Heidenhain 18* 276 >.J. OÖGNErFF: (Haematoxylin, Kali bichromie.), an solchen Praeparaten traten die Nerven- endigungen merklich schärfer hervor, während die Schwärzung nach Kolossow (Osmium, Pyrogallol) gar keine besonderen Vorzüge darbot. Um gute Praeparate nach Golgi zu erhalten, muss man unbedingt schonungsvoll das Organ beim Zerschneiden behandeln. Die Schnitte müssen durch die ganze Dicke des Organes geführt werden. Imprägnirt werden nur die mittleren von schneidenden Instrumenten nicht berührten Säulchen. Kali bichromic. wurde in 2 bis 3 procentiger Lösung gebraucht. Das Gemisch mit Osmiumsäure wurde nach Cajal angefertiet. Hier verblieben die Stücke während 1—3 Tagen. Ein längeres Verweilen in dem Ge- mische gab keine merkbaren Vortheile, wirkte vielmehr schädlich. Man muss aber bemerken, dass sehr oft keine Imprägnation eintrat, ohne dass man dazu irgend einen Grund auffinden konnte. Es scheint, dass das Gelingen der Praeparate nach Golgi vom Alter des Embryo gewisser- massen abhängt. Wenigstens sind mir die besten Imprägnationen an sehr jungen und schon ziemlich entwickelten (5 bis 7 ®® Länge) Embryonen gelungen. An einigen Perioden der Entwickelung ist trotz aller Mühe die Imprägnation nicht gelungen. Die Methylenblaumethode wurde in ver- schiedenen Modificationen gebraucht; dennoch aber wollte die Färbung der Nerven gar nicht gelingen. Gewöhnlich bekam man von frischen Praepa- raten nur eine schwache allgemeine Färbung, wobei die Nerven etwas schärfer heraustraten und ziemlich gut beobachtet werden konnten. Ge- wöhnlich wurde eine Lösung von !/, procentigem Methylenblau in filtrirtem Meerwasser gebraucht. Lösungen von Sublimat und verschiedene Ge- mische desselben mit Pikrinsäure, Osmium und anderen Säuren haben gar keinen Vorzug vor reiner Osmiumsäure und Hermann’scher Flüssigkeit, geben vielmehr schlechtere Bilder. Ich gehe jetzt zu den Resultaten über, die mir meine eigene Unter- suchung gegeben hat. Schon von Anfang an will ich bemerken, dass ich die Angaben meines verstorbenen Lehrers Babuchin in ihren Hauptzügen gänzlich bestätigen kann, ja manches in der folgenden Darlesung nur eine Wiederholung der Ergebnisse von Babuchin sein wird. Auch will ich dem Beispiele Babuchin’s folgend, die verschiedenen Veränderungen, welche das Organ während seiner Entwickelung durchläuft, in drei Perioden theilen. Ein genaues Längenmaass der Embryonen dabei anzugeben wäre überflüssig, da erstens eine jede Periode eine gewisse Dauer hat und man bei Embryonen verschiedener Länge die nämlichen Bilder auffinden kann; zweitens aber, weil bei den Embryonen von Torpedo marmorata und occelata, die mir ausschliesslich zur Untersuchung gedient haben, die Ent- wickelung des Organes bei marmorata immer etwas derjenigen bei occelata vorangeht, obgleich die Länge der Embryonen beinahe die gleiche ist. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN OÜRGANES BEI TORPEDO. 277 Der Bau des Organes und die Vorgänge bei der Entwickelung des- selben ist bei den beiden Arten so ähnlich, dass wohl kaum eine Mög- lichkeit, dieselben von einander zu unterscheiden, gegeben ist. Die jüngsten von mir untersuchten Embryonen fingen kaum an sich abzurunden, die charakteristische Torpedoform anzunehmen. Es ist leicht, sich zu überzeugen, dass bei solchen Embryonen das Organ aus eng aneinander geschmiegten Säulchen besteht, welche senkrecht von der dorsalen zur ventralen Fläche des Thieres gehen und an denselben stumpf abgerundet endigen. Die Säulchen sind, wie schon längst bekannt ist, Anlagen von Prismen, und ihre Zahl, wie es zuerst Della-Chiaje ge- zeigt hat, entspricht vollkommen der der Prismen. Diesen Satz Della- Chiaje’s wenigstens muss ich vollkommen bestätigen. Niemals konnte ich weder irgend eine Spur, noch irgend eine Andeutung auf Zerklüftung und Zerspaltung eines Säulchens in zwei bemerken. Auch fliessen die Säulchen nie unter einander zusammen. Wie es selbstverständlich ist, sind die Säulchen, die mehr median liegen, länger, als die peripherischen. Auch kann man sich leicht überzeugen, dass die medialen sich früher als die lateralen in ihrem feineren Baue differenziren. Dieser Bau ist auch sehr einfach. Die Säulchen bestehen aus langen spindelförmigen Zellen, welche an ihren Enden je einen langen, zuweilen bandartigen oder faden- förmigen Ausläufer abgeben. Die Zellen enthalten in ihrer Mitte einen srossen ovalen Kern (Taf. IV, Figg.1u.2). Nicht selten findet man Mitosen an den Kernen, wobei sich dieselben immer quer also zur Längsachse des Säulchens senkrecht theilen. Schon um diese Zeit kann man inmitten des Protoplasmas der spindelförmigen Zellen feine quergestreifte Fibrillen bemerken. Beim Zerzupfen macerirter Praeparate (Drittel Alkohol nach Ranvier, Müller’sche Flüssigkeit) gelingt es ziemlich leicht bandartige Bildungen zu isoliren, welche aus mehreren spindelförmigen mit ihren Enden ver- lötheten Zellen bestehen und in ihrem Inneren die quergestreiften Fibrillen enthalten. Wie Babuchin schon bemerkt hat, ist die Aehnlichkeit mit den sich entwickelnden Muskelfasern auffallend. Vergleicht man aber solche Praeparate mit denen von Muskelfasern desselben Embryos, welche man in der Nähe des Organes entnehmen kann, so springt auch gleich der Unter- schied in die Augen. Die echten embryonalen Muskelfasern lassen sich erstens viel leichter isoliren, zweitens sind die Fibrillen und das Sarko- plasma viel klarer zu sehen und von einander zu unterscheiden, besonders aber ist: die Querstreifung viel schärfer ausgeprägt. Um dieselbe an den Fibrillen des embryonalen elektrischen Organs zu beobachten, muss das Praeparat besonders sorgfältig fixirt werden und dennnoch ist die Streifung nur mit Hülfe guter Objeetive und bei günstiger Beleuchtung zu sehen. \ 2718 J. OGNEFF: Die Säulchen sind anfangs durch eine kleine, später eine grössere Quan- tität Bindegewebe von einander geschieden. Bei der regelmässigen Ver- theilung der Säulchen, welche immer gleich weit von einander entfernt sind, ist es selbstverständlich, dass die von Bindegewebe gebildeten Nester und Septen auch regelmässig angeordnet sind. Wie Fritsch! richtig angiebt, ist nämlich eine annähernd reihenförmige Anordnung der Säulchen im Organ zu bemerken. Dieselbe ist sowohl am inneren Rande, als an der äusseren Peripherie des Organes mehr ausgeprägt und hängt wahr- scheinlich von dem Verlaufe der ausstrahlenden Nervenstämme ab. An gehärteten Praeparaten erscheinen die von Bindegewebe gebildeten Nester und Fächer an ihrer äusseren Peripherie annähernd prismatisch, während die Säulchen selbst im Querschnitte rund sind. Das nämliche hat auch Fritsch gesehen und meint, dies sollte von einem besonderen Quellungs- processe des Bindegewebes abhängen. Worin sich aber dieser besondere Process ausprägt, davon sagt Fritsch nichts. Auch ich konnte von be- sonderen Quellungsprocessen hier nichts auffinden, konnte mich nur über-- zeugen, dass hier wie in jedem embryonalen Bindegewebe, die Zellen an Zahl die Fibrillen überwiegen und das Gewebe an schleimiges Bindegewebe erinnert. Die Zellen sind meistens stern- und spindelförmig. Runde Zellen von verschiedener Grösse sind besonders an den Enden der Säulchen an- gehäuft; sie enthalten in ihrem Inneren Ballen einer Substanz, welche mit ÖOsmiumsäure sich braun färbt (zuweilen auch Pigmentkörnchen). Es ist kaum zu zweifeln, dass um diese Zeit die Zellen in das Innere der Säul- chen eindringen und sich hier den embryonalen Muskelfasern beimischen. Auch ist es zuweilen nicht leicht solche Zellen an zerzupften Praeparaten von den Muskelfasern zu unterscheiden und irgend eine Regel in ihrer Ver- theilung zu bemerken. Sicher ist nur, dass diese Zellen mit ihrer Längs- axe den Säulchen parallel gelagert sind. Nach Fritsch! sollen die Säulchen die für sie bestimmten Fächer nicht gänzlich ausfüllen. Ich muss gestehen, dass ich nie so etwas ähn- liches bemerken konnte, ganz im Gegentheil füllte das Säulchen das für dasselbe bestimmte Fach immer gänzlich aus. Es war gar keine Mühe, sich an frischen Praeparaten davon zu überzeugen. Nur an gehärteten und dabei geschrumpften Stücken konnte man zuweilen zwischen den Säulchen und den Fächerwänden enge Spalten hier und da auffinden. Waren aber die Praeparate vorsichtig fixirt, so war von solchen nichts zu sehen. Man kann nur sagen, dass die Säulen in ihren Nestern ziemlich locker befestigt sind und es gelingt ohne besondere Mühe die Säulchen mit Nadeln aus den Fächern unverletzt heraus zu praepariren. Daraus aber lässt sich gar IA 90.028: 16: ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ÜRGANES BEI TORPEDO. 279 nicht folgern, dass das Wachsthum der Fächer der Entwickelung der Säul- chen nicht angemessen wäre. — Vielmehr scheint es sicher zu sein, dass in den beiden Geweben die Entwickelungsprocesse einander gänzlich an- gepasst sind. Schon um diese Zeit gelingt es ziemlich leicht die Nerven zu sehen, welche von den sich bildenden Lobi electrici zu der Anlage des Organes ziehen. An Schnitten,! welche quer zu der Längsachse des Embryo geführt sind, kann man kleine Bündel sehen, welche aus äusserst feinen Fäden bestehend, zu dem medialen Rande des Organes herantreten. Das mediale Ende des Bündels ist immer ansehnlich dicker als das peripherische. Die Verdünnung geschieht ganz allmählich, wobei die Bündel sich dichotomisch theilen und die Aeste feine Zweige an ihren Enden ab- geben. An Praeparaten, die mit Osmiumsäure oder mit der Hermann’- schen Flüssigkeit behandelt waren, sind die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Säulchen und den an diese herantretenden Nervenzweigen ausser- ordentlich schwer zu bestimmen. Babuchin? konnte sich aber über- zeugen, „das einige Fibrillenbündelchen mit den elektrische Säulchen sich verbinden, einmal mit dem Bauchende derselben, manchmal mit dem oberen Ende, nicht selten auch mit ihrer Seite.“ Es gelang ihm aber nie, die Fibrillen weit in der Substanz des Oylin- derchens selbst zu verfolgen. Er kann nur behaupten, dass die Fibrillen dort inwendig der Länge nach verlaufen. Ich bin im Stande im Allgemeinen diese Angaben Babuchin’s zu bestätigen, ich konnte aber an solchen Praeparaten mich nicht überzeugen, dass die Fibrillen in der That in das Innere der Säulchen eindringen. — Nähere Auskunft über diese Verhältnisse geben die nach G olgi behandelten Praeparate, welche während dieser Periode auch am besten gelingen. An solchen Praeparaten (s. Taf. V, Figg. 12 und 13) kann man Folgendes beobachten. Die an das Organ herantretenden Nervenstämmchen zerfallen in dessen medialer Grenze in einige mehr feine Aestchen, welche quer von der medialen beinahe bis zur lateralen äusseren Peripherie des Organes ziehen. Diese Aestchen geben feine Seitenzweige ab, welche sich gewöhnlich bogenförmig umbiegen und nachdem sie eine kleinere oder grössere Strecke auf- resp. abgestiegen sind, mit den grösseren etwa parallel ziehen. Solche feine Zweige treten von der medialen Seite an die Säulchen heran und dabei gewöhnlich gegen die Mitte, seltener zu dem ventralen oder dorsalen Ende derselben. Hier angelangt, geben die Aestchen drei ! Es gelingt bei einiger Uebung leicht junge Embryonen in feine Querschnitte aus freier Hand und ohne irgend eine Einbettung (weder Photoxylin noch Paraffin) zu zerlegen. Solche Schnitte sind unentbehrlich bei Untersuchung der nach Golgi behandelten Praeparate. | NE2203 8. 515. 280 'J. OanErrF: oder mehr feine kurze Zweige, von welchen einige sich ventral oder dorsal umbiegen und. entweder frei zugespitzt, oder mit kleinen ovalen, resp. un- regelmässig rundlichen Verdiekungen endigen. Wie man aus den Zeich- nungen, die möglichst genau die mikroskopischen Bilder wiedergeben, ersehen kann, sind diese Endigungen nicht unähnlich denen, welche man an embryonalen Muskelfasern der Säuger oder an manchen Drüsen findet. Soweit ich sehen konnte, liegen diese Endigungen immer auf der Oberfläche der Säulchen, oder ganz nahe an derselben, in das Innere der Säulchen konnte ich auch bei dieser Methode keine Nervenfasern eindringen sehen. Im Inneren der Säulchen imprägnirten sich schwarz mit Silber viele spindel- förmige Zellen, ja ganze Ketten derselben, aber nie konnte ich einen Zu- 'sammenhang solcher Zelle oder Zellenkette mit einer Nervenfaser auffinden. Man könnte glauben, dass die in den Fieg. 12 und 15, Taf. V, wieder- gegebenen Bilder, noch keine vollständigen Imprägnationen darstellen. Dagegen kann man aber, wie es mir scheint, mit Recht einwenden, dass die Imprägnation der Säulchen und Nerven so vollständig gelang, dass _ kaum noch ein Zweifel bleiben konnte, dass dieselbe sich bis an die letzten Enden der Nerven erstreckt. Dabei muss noch bemerkt werden, dass die Nervenverzweigungen aus ausserordentlich feinen Fasern bestanden (also wenigstens sehr nahe den Endfasern gelegen waren), dass die Nervenfasern in ihrem Verlaufe ganz glatte und scharf umschriebene Conturen hatten und varicös nur die Endverzweigungen erschienen. Dies Alles, wie noch hauptsächlich die Bilder, welche die Nervenverzweigungen in späteren Stadien dar- bieten und von denen weiter die Rede sein wird, lässt mich schliessen, dass in der beschriebenen Entwickelungsperiode die Nerven in und an den Säulchen mit besonderen Endverzweigungen frei endigen. — Folgende Periode wird durch das Erscheinen der Plattenbildner Babuchin’s oder der birnförmigen Körper charakterisirt. Die sonderbare oben schon erwähnte Angabe Frritsch’s, dass dieses Stadium der Entwickelung nicht existire, kann ich mir einzig dadurch erklären, dass Fritsch keine ent- sprechenden Embryonen vor sich hatte. Nach Babuchin! würden die Plattenbildner folgendermassen erscheinen: Anden Bauchenden der Muskel- fasern, nicht selten auch irgendwo in der Mitte, hat eine Kernvermehrung stattgefunden, gleichzeitig schwillt auch auf einer gewissen Strecke das Muskelprotoplasma an. „In Folge dessen entsteht ein quastenförmiges Gebilde, dessen Basis, das heisst der Plattenbildner, eine gewisse Zeit mit dem Bauchabschnitte der Muskelfasern in Verbindung steht.“ Bei Krause finden wir beinahe keine Angaben über das erste Erscheinen der Platten, 17 A202205,,8.520: ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ÜRGANES BEI TORPEDO. 281 er bemerkt nur!, dass bei sehr jungen Embryonen von Torpedo (3 *® Länge) die ventralen Enden der Muskelfasern, die das embryonale Organ bilden breiter und kürzer sind, als die dorsalen. „Die Neigung zur Verdickung des ventralen Abschnittes zeigt sich schon sehr frük.“ Desto umständ- licher beschreibt Krause den Bau der Plattenbildner, wovon unten weiter die Rede sein wird. Nach meinen Beobachtungen fängt die Entwickelung der Plattenbildner so an, wie es Babuchin beschreibt. An den Bauchenden der dünnen Fibrillenfasern, aus welchen die Hauptmasse jedes Säulchens besteht, fängt ein durchsichtiges klares Protoplasma an sich anzuhäufen. Die Kerne ver- mehren sich hier durch Karyokinese, werden aber dabei nicht von einander in der Richtung der langen Axe des Säulchens entfernt, sondern bleiben nahe bei einander liegen und bilden kleine Haufen, in denen sie ohne irgend eine besondere Anordnung darzubieten gelagert sind. Etwas später lässt sich schon leicht eine Tendenz der Kerne bemerken, sich in querer Richtung zu der Längsaxe zulagern, obgleich sie dennoch nahe an einander liegen bleiben. All- mählich wird das sich anhäufende Protoplasmamehr rund und die ganze Bildung nimmt die Form einer Birne an, deren Stiel dorsal gerichtet ist. In diesem Stiele sind gewöhnlich ein oder zwei Kerne zu sehen, welche gänzlich denen gleichen, die in dem Körper der Birne sich befinden. Die Stiele haben eine verschiedene Länge, je nachdem die Plattenbildner mehr ventral, oder mehr dorsal gelegen sind und endigen im Allgemeinen mit einer feinen keulen- förmigen Spitze. Sie erscheinen gewöhnlich varicöos, wegen der Kerne, welche über die Oberfläche des Stieles etwas hervorragen. — Der feinere Bau und die weitere Entwickelung der Plattenbildner haben ein besonderes Interesse erhalten, seit den oben schon erwähnten neuen Angaben Krause’s über die Bogenfasern und das Zusammenschmelzen der Plattenbildner bei der Formation der Platten. — Ich habe mir darum viel Mühe gegeben, diesen Bau und die weiteren Schicksale der Plattenbildner möglichst genau zu untersuchen. Was den feineren Bau betrifft (Taf. IV, Fig. 3), so habe ich Folgendes auffinden können. Die Substanz, aus welcher der Körper der Birne besteht, erscheint klar und homogen, oder nur schwach feinkörnig, je nach der Bearbeitung. Am Stiele ist diese Substanz weniger klar ausgeprägt, weil sie hier nur eine feine oberflächliche Schicht bildet. Die Mitte des Stieles ist von einem feinen Bündel Fibrillen eingenommen, die ununter- brochen zwischen den Kernen an der Grenze des Stieles und des Platten- bildnerkörpers passiren, und in den letzten nach allen Seiten hin ganz regelmässig pinselföürmig divergirend, beinahe bis an die äussere Contur des birnförmigen Körpers ziehen. Die Fibrillen sind sehr blass und äusserst ı A. a. O. Int. Monatsberichte. Bd. IV. S. 383. 282 J. OenErr: fein und nur an gelungenen Praeparaten und bei gutem Lichte kann man an ihnen eine Querstreifung bemerken. An den Figg. Nr. 3—5 Taf. IV ist diese Querstreifung so wiedergegeben, wie sie nach Behandlung mit Drittel- alkohol erscheint, also etwas verschwommen. Man kann sich ziemlich leicht überzeugen, dass die Fibrillen, wenigstens was den Körper des Plattenbildners anbetrifft, nicht untereinander anastomosiren, sondern immer durch eine kleine Quantität Protoplasma von einander geschieden sind. — Das ist alles, was man am feıneren Baue der Plattenbildner auffinden kann und was im Wesentlichen mit dem Befunde Babuchin’s gänzlich übereinstimmt. Bevor ich aber zu der Beschreibung des weiteren Schicksales der Plattenbildner und ihrer Bestandtheile übergehe, will ich noch einige Worte über die „Belegzellen“ resp. das Bindegewebe der Säulchen und über das Verhalten der Nerven zu denselben während der beschriebenen Periode sagen. — Während sich die birnförmigen Körper bilden, noch klarer aber nachdem sie sich gebildet haben, lassen sich Bindegewebszellen inmitten . der Säulchen leicht demonstriren. Sowohl an Schnitten, als noch besser an zerzupften Praeparaten überzeugt man sich, dass die birnförmigen Platten- bildner von allen Seiten von einer zarten feinen Lage sternförmiger Zellen umgeben sind; an den ventralen Basen der Bildner ist diese Lage etwas deutlicher ausgeprägt, als an den seitlichen Partien und an dem Stiele. Zwischen den sternförmigen und auch spindelförmigen Zellen sind an den beiden Enden der Säulchen in kleiner Menge, auch in den Säulchen selbst, die schon früher erwähnten runden Zellen verschiedener Grösse zu sehen; diese Zellen enthalten, wie gesagt, in ihrem Leibe Schollen aus einer Sub- stanz, die mit Osmiumsäure sich braun färben lässt. Die sternförmigen Zellen hängen, wie Babuchin schon richtig be- merkt hat, sehr fest mit Körpern der Plattenbildner zusammen und diese werden gewöhnlich mit den an sie haftenden Belegzellen isolirt. Sowohl in diesen Belegzellen, als in dem die Säulchen umgebenden wabigen Binde- gewebe sieht man bei passender Bearbeitung zu dieser Zeit zahlreiche Mitosen. Es muss noch bemerkt werden, dass hier an den sich theilenden Kernen sehr schön die achromatischen Spindeln und Centrosomen zu sehen sind. Die Ausbildung des Bindegewebes zwischen den Säulchen geht immer der Ausbildung derselben inmitten der Säulchen etwas voran. Man kann dort schon gut ausgebildete leimgebende Fibrillen auffinden, während hier noch keine Spur von solchen vorhanden ist. Was nun das Verhalten der Nerven zu den birnförmigen Körpern anbetrifft, so stimmen die Meinungen beider Forscher, welche diese Verhältnisse untersucht haben, wie auch in manchen anderen, nicht mit einander überein. Was Babuchin betrifft, so sagt er wörtlich Folgendes: „Man sieht auch lange aus dem ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ÖÜRGANES BEI TORPEDO. 283 Haufen der Zellen (es werden Belegzellen gemeint) heraustretende (Nerven?) Fibrillen. Man kann manchmal sehr klar sehen, dass diese Fibrillen mit spindelförmigen Körperchen im Zusammenhange! stehen.“ Wie man aus diesen Worten ersehen kann, weiss Babuchin von den Nerven während der beschriebenen Entwickelungsperiode nichts Be- stimmtes zu sagen. Ganz anders Krause.” Schon sehr früh, beim ersten Erscheinen der Plattenbildner, kann man sehen, dass deren ventraie Spitze öfters wie gespalten aussieht, es soll eine „seitlich herantretende marklose Nervenfaser daran hängen, die sich schon durch den Mangel von Quer- streifung und Körnchen von dem ventralen Theile der Muskelfaser unter- scheidet.“ An etwas mehr entwickelten Plattenbildnern sieht man stets an deren ventralem Abschnitte eine „mit dreieckigem resp. trompeten- föürmigem Ansatz sich inserirende Nervenfaser“ (vergl. in Figg. 15 u. 16, Taf. 17.. Babuchin hat auch sicher die von Krause beschriebenen Dinge gesehen. Auf S. 521 seines Aufsatzes steht Folgendes: „Ich habe nicht selten die feinkörnigen und cylindrischen Fortsätze gesehen, welche von der Basis der Plattenbildner ausgehen und gleich Kerzen senkrecht stehend ihren Rand umgeben. Diese Fortsätze (zwei, drei bis vier an Zahl) verschwinden bald ganz und gar.“ Seite 519, bei der Beschreibung des ersten Auftretens der’ Plattenbildner liest man: „Die entgegengesetzten Enden der Muskelfasern sind abgerundet, manchmal aber geschweift zu- gespitzt. Die quergestreiften inneren Fäden reichen bis zu dieser Spitze.“ — Wenn wir betrachten, wie Krause die von ihm aufgefundenen interessan- ten feinen und nur mühsam aufzuklärenden Verhältnisse zu bestätigen sucht, so finden wir nur äusserst Weniges. Niemand wird wohl weder glauben können, dass eine Härtung der Embryonen durch Müller’sche Flüssigkeit und dann Schneiden mittelst eines Gefriermikrotomes in dorso- ventraler Richtung und Untersuchung in Glycerin eine passende Methode für so zarte und vergängliche Structuren ist, noch im wasserlöslichem Anilinblau ein Speecificium für die Färbung der Nervenenden sehen wollen. Auch wird nicht einmal der Versuch gemacht zu zeigen, dass die ver- meintlichen trompetenförmigen Nervenenden in der That mit unzweideu- tigen Nervenfasern im Zusammenhange stehen. Was nun meine eigenen Beobachtungen anbetrifft, so muss ich hier gleich bemerken, dass die Golgi’sche Methode während des Auftretens der Plattenbildner trotz aller Mühe und verschiedener Veränderungen, die ich an der Methode angewandt habe, gänzlich versagte. Dennoch konnte ich mich mit Hülfe anderer Methoden von folgenden Thatsachen, welche, wie es mir scheinen will, nicht ohne Interesse sind, überzeugen. 2088522. 2 A. a.0. 8. 384—387—- 388, 284 = . ÖGNEFF: An gut gelungenen zerzupften Osmiumpraeparaten, auch an Praeparaten, die mit Müller’scher Flüssigkeit, Chromsäure verschiedener Concentration, Ranvier’schen Drittelalkohol bearbeitet wurden, gelingt es Plattenbildner mit trompetenförmigen Ansätzen Krause’s zuweilen zu isoliren. Man kann aber erstens leicht einsehen, dass dergleichen Ansätze an den meisten Plattenbildnern trotz aller Mühe nicht zu finden sind. Schnitte helfen in diesem Falle auch wenig, da, wie gesagt, die birnförmigen Plattenbildner von Belegzellen umgeben sind, welche sich an dieselben eng anschmiegen; die vermeintlichen Nervenansätze erscheinen gewöhnlich entweder als eine solche Zelle oder deren Fortsatz, die dem Körper eines Plattenbildners fest arhängen. Zuweilen aber, wenn man Plattenbildner mit den Ansätzen auffindet, so ist es sehr leicht sich zu überzeugen, dass zwischen den Körpern des Plattenbildners und dem Ansatze keine Grenze besteht, dass die beiden ein Ganzes bilden. Der Ansatz kann ‘in diesem Falle ent- weder aus reinem Sarkoplasma gebildet werden, oder in seinem Inneren einige feine quergestreifte Fibrillen enthalten, wie es von Babuchin be- - merkt wurde, jedenfalls also ist er von keiner nervösen Natur. Es scheint mir auch sehr wahrscheinlich zu sein, dass während der Ausbildung der Plattenbildner die heranwachsenden Nervenenden noch in gar keinem Ver- hältnisse zu denselben stehen, oder wenn gewisse Verhältnisse auch existiren, sie ganz andere sein müssen als die von Krause beschriebenen. Es gelingt Nervenfasern an den Plattenbildnern in der That ohne besondere Mühe zu sehen, aber erst in einer etwas späteren Periode der Entwickelung und dann bekommt man Bilder, die sich sehr schwer mit den Angaben Krause’s in Uebereinstimmung bringen lassen. Davon wird später noch die Rede sein. Was man an Nerven des Organes während der beschriebenen Periode bemerken kann, besteht kurz in Folgendem: Die an das Organ herantretenden Nervenstämme werden dicker, dadurch auch im Inneren des Organes leichter zu verfolgen; auch kann man ziemlich leicht einzelne Bündel an die Prismen herantreten und deren Oberfläche sich dichotomisch verzweigen sehen. Die so entstandenen Aeste verzweigen sich auch dicho- tomisch weiter, bis sie der Beobachtung entgehen. Jeder Nervenstamm und deren Zweige bestehen um diese Zeit aus einem bleichen Axenstrang, der aus äusserst feinen, zuweilen schwach varicösen Fäserchen, und einer äusserst dünnen, durchsichtigen, homogenen Hüllenmembran (s. Taf. V, Fig. 8) zusammengesetzt ist. Es ist wohl kaum nöthig zu bemerken, dass die gleich erwähnten Fädchen oder Fibrillen Axencylinder darstellen. Die- selben sind untereinander durch eine homogene, schwächer als die Fibrillen selbst lichtbrechende Substanz zusammengeklebt. Die den Strang bedeckende Hülle ist demselben an gröberen Stämmchen und Zweigen nicht eng an- gelegt, sondern immer durch einen feinen Spalt geschieden. Nur an feinen ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISOHEN ÖRGANES BEI TORPEDO. 285 Aestchen und Zweigen lest sich die Hülle enger an den Strang an, bis sie endlich an sehr feinen Zweigen mit den Conturen des Stranges zusammen- fliesst und schliesslich verschwindet. Hier finden wir also die nämlichen Verhältnisse, welche später an einzelnen Platten noch deutlicher hervor- treten werden und von denen später die Rede sein wird. Es sei noch bemerkt, dass die Hülle von aussen durch anliegende spindelförmige und sternförmige Bindegewebszellen verstärkt ist und ihre Wand noch ovale grosse Kerne enthält, welche durch ziemlich grosse Zwischenräume von ein- ander geschieden sind. — So weit man ersehen kann, ist also nun die beschriebene Periode der Nervenvertheilung zwischen den Säulchen in all- gemeinen Zügen ziemlich klar angedeutet, und einzelne zu den Säulchen herantretende Bündel, wahrscheinlich bis auf die sogen. Wagner’schen Büschel (Bouquet de Wagner, Ranvier), sind schon gänzlich angelegt. Sie entbehren nur der Markscheide, welche viel später erscheint. Die gröberen Verhältnisse bei der weiteren Entwickelung der Plattenbildner sind ausser- ordentlich einfach. Die birnenförmigen Körper werden allmählich grösser, indem sie in die Breite wachsen und sich eng zusammenschieben. An Schnitten, die der Längsaxe der Säulchen parallel geführt waren, findet man gewöhnlich fünf bis acht Plattenbildner, welche in der Querrichtung den Durchmesser der Säulchen einnehmen (Taf. IV, Fig. 4). Dabei ist die Zahl der Plattenbildner an den mehr axial gelegenen Säulchen etwas grösser als an den lateralen; später aber scheinen diese Unterschiede gänzlich zu verschwinden und, so viel man ersehen kann, wird die Zahl der Platten in allen Prismen annähernd dieselbe. — Beim weiteren Wachsthume ver- ändert sich allmählich die Form der Plattenbildner, sie werden flacher und breiter, der dorsale Fortsatz erscheint kürzer und verhältnissmässig dünner. Zuweilen, wie es Babuchin ganz richtig beschrieben hat, sitzt er nicht immer in der Mitte der dicken scheibenförmigen Körper, sondern etwas seitlich. Am Ende verschwindet er gänzlich, als ob dabei die ihn bildende Substanz von der Scheibe hineingezogen würde. Auch verschwinden alle die Fortsätze an der ventralen Fläche der Plattenbildner. Isolirte Scheiben erscheinen um diese Zeit zuweilen nicht rund, sondern eckig (Taf. IV, Fig, 6), dabei kann die Substanz der künftigen Platte an den Ecken fadenförmig herausgezogen werden. Solche kurze Fäden können an die ventralen und die dorsalen Fort- sätze erinnern. Bald aber wird die Platte rund, und von Ecken und Fäden bleibt keine Spur mehr. Während dieser Umgestaltungen der äusseren Form der Plattenbildner findet auch ein sehr wichtiger Vorgang statt, nämlich eine gegenseitige Verschiebung der Plattenbildner, welche in den Säulen jetzt ihre definitive Lage einzunehmen anfangen. Dieser Vorgang ist sehr leicht an Schnitten, welche der Längsaxe der Säulchen parallel 236 “J. OGNEFF: geführt sind, zu verfolgen (Fig. 5). An solchen Schnitten sieht man leicht, dass die Plattenbildner während ihres Wachsthumes eine Form von Keilen bekommen, welche mit ihren Basen der Peripherie anliegen, mit ihren Spitzen aber dem Inneren der Säulchen zugewendet sind und sich so gegenseitig verschieben, dass sie nicht neben einander wie früher, sondern nur über einander zu liegen kommen. Diesen Vorgang hat Babuchin! schematisch, aber ganz richtig in einer Skizze dargestellt. Ist die Platte soweit ausgewachsen, dass sie den ganzen Querschnitt des Säulchens ein- nimmt, so verliert sie schnell ihre keilförmige Gestalt und wird in ihren Theilen gleich dick, ausser am Rande, wo unter ganz allmähliger Ver- dünnung der Randpartie der Platte die ventralen und dorsalen Flächen zu- sammenfliessen. Bei weiterem Wachsthume wird die auf beschriebene Weise gebildete Platte dünner und kann dabei etwas ausgebogen werden, die ventrale Fläche erscheint dann schwach concav, während die dorsale schwach convex wird. Wie man aus meiner Beschreibung ersehen kann, wird aus jedem Plattenbildner eine elektrische Platte. In diesem wichtigen Punkte stimmen also meine Beobachtungen gänzlich mit denen von Babuchin, und ich muss also nicht nur die Präformation der Prismen, sondern auch die Präformation der Platten gänzlich bestätigen. Ich habe mir alle Mühe gegeben, um die von Krause beschriebenen Vorgänge der Verschmelzung einiger Plattenbildner in eine Platte zu sehen, konnte aber nicht dergleichen auffinden und muss entschieden die Behauptungen Krause’s in Abrede stellen. Krause sagt wörtlich Folgendes:? „Früher hatte ich die Anzahl der Plattenbildner, welche an der Bildung je einer elektrischen Lamelle theilnehmen, auf etwa zehn angenommen. Dies ist jedoch ein Irrthum; die Plattenbildner schichten sich derart über einander, dass nur zwei bis drei sich an der Bildung je einer elektrischen Lamelle betheiligen. Man könnte sogar mit Herrn Babuchin annehmen, jeder Plattenbildner würde zu je einer Lamelle; ich habe aber die Verschmelzung der beiderseitigen weichen Protoplasmamassen von zwei Plattenbildnern nahe der Längsaxe der Säule unzweifelhaft beobachtet.“ Wie gesagt, konnte ich nie eine Spur von Verschmelzung der Plattenbildner unter einander auffinden. Nicht selten kann man, besonders in den lateralen Partien des embryonalen Organes, Säulchen auffinden, in welchen die Plattenbildner, wegen ihres energischen Wachsthumes, auf’s Engste an einander gepresst werden, ja manche eben deswegen deformirt, anstatt birnenförmig, eckig und gebogen erscheinen und ! Babuchin, Zur Begründung des Satzes von der Präformation der elektrischen Elemente im Organ der Zitterfische. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1883. $S. 252. ” Internationale Monatsschrift. Bd. IV. S. 386. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 287 dennoch keine Spur von Verschmelzung zeigen. Dieselbe wäre auch kaum möglich, weil doch immer zwischen den Plattenbildern, trotz aller gegen- seitigen Compression, doch eine, wenn auch sehr dünne Lage von Belegzellen bleibt. Ich muss also die Angaben Krause’s für Producte der Behandlung der Praeparate halten. Um die feinere Structur und die verschiedenen Ver- änderungen derselben während der Entwickelung der elektrischen Platten zu studiren, ist es unentbehrlich, feine Schnitte, die in dorso-ventraler Richtung geführt sind, mit Flächenbildern isolirter Lamellen zu vergleichen. Nur auf diese Weise gelingt es, sich eine klare Vorstellung von der Ver- theilung der Muskelfibrillen, der Kerne und der allmählichen Entwickelung der Nervenschicht zu machen. Bei der folgenden Darlegung meiner Beab- achtungen will ich die Differenzirung dieser Bestandtheile der Platten einzeln betrachten, ohne aber dabei das Gesammtbild aus den Augen zu lassen. Ich beginne mit den Veränderungen an den Kernen. Nach Fritsch’s Meinung muss man, wie früher schon erwähnt wurde, in dem Vorgange die Kernvermehrung für das wichtigste Moment der Plattenbildung halten. Die Wucherung des Protoplasmas soll dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen, was aus dem weiteren Verlaufe der Entwickelung des Proto- plasmas der Platte bei Erhaltung der Kerne hervorgehen soll. Mit dieser Meinung kann ich mich keineswegs einverstanden erklären, wie aus einer gleich folgenden Darstellung ersichtlich sein wird. — In birnenförmigen Plattenbildnern liegen, wie gesagt, die ovalen Kerne haufenweise im oberen Theile des Körpers an der Grenze desselben und des dorsalen Stieies. Wenn die Plattenbildner kuchenförmig werden, ordnen sich auch die Kerne in querer Richtung zur Säulenaxe an. Dieser Vor- gang ist von Babuchin und Fritsch beschrieben worden. An Schnitten (Fig. 5) sieht man die Kerne eine unterbrochene Reihe bilden; Anfangs sind die Zwischenräume zwischen den Kernen enger, später beim fort- währenden Wachsthum der Lamelle in die Breite werden diese Zwischen- räume auch breiter, bleiben aber, nach wie vor, ziemlich gleich unter einander. Flächenbilder können nur die regelmässige Vertheilung der Kerne in der mittleren Zone der Platte bestätigen, obgleich man dabei ziemlich oft mitotische Figuren an den Kernen trifft. Die Vermehrung der Kerne scheint also mit dem Flächenwachsthume der Platte zusammenzuhängen. Die Kerne werden mit der Vergrösserung der Platte runder und selbst srösser (es scheint dabei die Quantität des Kernsaftes zuzunehmen, nicht die chromatischen Bestandtheile des Kernes). Anfangs sieht man um die Kerne herum keine Spur von hellen Zonen. Diese erscheinen bei ziemlich grossen Embryonen (von etwa 5 bis 6), bei denen schon die Haupt- bestandtheile der Platten, auch die heranwachsenden Nervenverzweigungen 288 >). OGNEFF: klar zu unterscheiden sind. Anfangs sind die Zonen nur an einigen Kernen zu sehen, und dabei sehr schmal, zuweilen nicht an der ganzen Peripherie des Kernes und nicht scharf von dem umgebenden Protoplasma abgegrenzt. Später aber werden die Zonen breiter und auch zahlreicher. Von Anfang an erscheinen dieselben wie aus einer hellen Substanz bestehend, in der ich niemals Körnchen bemerken konnte. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass die Substanz, aus welcher die Zonen bestehen, dennoch von dem übrigen Protoplasma der Platte nicht scharf zu trennen ist. Bei Embryonen, bei denen der Dottersack schon beinahe vollständig absorbirt ist, auch bei neugeborenen Torpedo findet man noch Kerne in den Platten, die keine oder nur unvollständige Zonen um sich haben. Ja, man kann sogar dieselben an gänzlich erwachsenen Thieren zuweilen vermissen, wie schon vor langer Zeit von Kölliker angegeben ist." An Praeparaten, die zu lange in den härtenden Flüssigkeiten gelegen sind, können die Kerne aus den Zonen herausfallen, diese letzteren aber bleiben immer an ihrem Orte und fallen nie heraus. Die Meinungen der Autoren über die Bedeutung der hellen Zonen sind ziemlich verschieden. Kölliker wagt nicht, diese Gebilde als Zellen zu bezeichnen.. M. Schultze? bezeichnet den scharf begrenzten lichten Hof als „Zellenhöhle“, spricht aber nicht klar aus, dass es sich hier um Zellen handelt; so findet man bei ihm den Ausdruck: „die Kerne oder Zellen dieser Membran“. Ebenso, drückt sich auch Babuchin aus (S. 523: es sind ausgebildete elektrische Platten, in welchen die Kerne [eigentlich Zellen] liegen. Ranvier? bestreitet die zellige Natur dieser Gebilde und hält sie für Kunstproducte (la zone claire, qui parfois se forme autour des noyaux est due a un retrait de la substance qui les entoure). Iwanzoff* ist auch derselben Meinung und hält die Zonen für Vacuolen, als Resultat einer Schrumpfung unter Einfluss härtender Reactive.. Für Fritsch® sind die uns interessirenden Gebilde „fast leer“ erscheinende Räume, ein Zeichen von Zurückbildung des Protoplasmas in der Platte. — ı A. Kölliker, Untersuchungen zur vergleichenden Gewebelehre, angestellt in Nizza im Herbste 1856. Ueber Endigungen der Nerven im elektrischen Organismus der Zitterrochen. Verhandlungen der physik.-medie. Gesellschaft zu Würzburg. 1858. Boy 2520. x ® M. Schultze, Zur Kenntniss der elektrischen Fische. II. Abthlg. Torpedo. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. Bd. V. ° Ranvier, ZDecons sur Uhistologie du systeme nerveux. 1878. T. II. p. 134. * Iwanzoff, Ueber den mikroskopischen Bau des elektrischen Organes bei Torpedo. Moskau 1894. 3 Tafeln (russisch). S. 92—93. DIA KA LOELISERUT: ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 289 Ballowitz,! der mit Hülfe der Golgi’schen Methode arbeitete, beschreibt im Protoplasma des dorsalen Abschnittes der elektrischen Platte eine be- sondere feinfädige und feinkörnige Gerüstsubstanz, von der etwas weiter noch die Rede sein wird, bespricht auch, wie die hellen Höfe um die Kerne histologisch aufzufassen sind. Man könnte diese ganze Schicht als ein grosses, aus zahlreichen Zellen bestehendes Syneytium deuten. Das Gerüstwerk würde dann die allen gemeinsame Filarmasse im Sinne Flemming’s, oder das Protoplasma im Sinne Kupffer’s darstellen. Die helle Substanz zwischen den Gerüstmaschen, welche die Lücken des Gerüstwerkes ausfüllt, wäre die Interfilarmasss Flemming’s, oder das Protoplasma im Sinne Kupffer’s. Dieses Protoplasma communieirt, wenn man so will, durch die Lücken der Kapselwände mit der hellen Substanz, welche die Kerne in Gestalt der Höfe umgiebt und dasselbe helle, an- scheinend homogene Aussehen besitzt wie die helle Substanz in den Lücken der schwammigen Gerüstsubstanz. Eine andere Auffassung wäre die, das spongiöse, feinste Netzgerüst als eine specifisch . umgeformte protoplasma- tische Zwischensubstanz zu betrachten, etwa zu vergleichen mit den specifisch umgeformten contractilen Fibrillen in den quergestreiften Muskelfasern. Die hellen Höfe um die grossen Kerne wären dann die Reste der Bildungs- zellen, gleich den „Muskelkörperchen“ der Muskelfasern, während die die Lücken des Netzgerüstes ausfüllende Substanz mit der Füllmasse zwischen den contractilen Fibrillenbündeln dem Sarcoplasma zu vergleichen wäre. Diese Annahme schiene fast mehr Berechtigung als die andere zu haben. Allerdings kann sich Ballowitz für keine der beiden Ansichten entscheidend aussprechen. Abgesehen davon, dass bei den Embryonen die hellen Höfe um die Kerne der Platten sich ganz allmählich auszubilden scheinen, muss noch Folgendes bemerkt werden: Ich konnte mich überzeugen, dass die lichten Höfe sowohl an embryonalen als an gänzlich entwickelten Platten, nur an Präparaten, die mit Reactiven bearbeitet wurden, klar zu sehen sind. Die Behandlung kann aber sehr verschieden sein, man trifft die Zonen sowohl an gehärteten als auch an macerirten Stücken. In gewissem Sinne kann man also die Zonen für Kunstproducte halten, wie auch so manche Einzelheiten der Structur in verschiedenen Geweben, die nur nach künstlicher Behandlung zum Vorscheine kommen. Auch kann ich die Zonen nicht einfach für Vacuolen halten. Nach misslungener Fixation entstehen, wie bekannt, sehr leicht zahlreiche körnige Niederschläge und ! Ballowitz, Ueber den Bau des elektischen Organes von Torpedo mit be- sonderer Berücksichtigung der Nervenendigungen in demselben. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XLII. S. 479—482 Archiv f. A, u. Ph, 1897. Physiol. Abthle. 19 290 "J. O@nErF: Vacuolen in den elektrischen Platten. An gut gelungenen Praeparaten ist es aber nicht schwer, Platten aufzufinden, wo keine Vacuolen zu sehen sind und dennoch sind die lichten Höfe um die Kerne sehr gut ausgeprägt. Höhlen und leere Räume sind nur an zu stark gehärteten Praeparaten zu finden, an welchen, bei Zerzupfen und Ausrecken der Platten, die Kerne aus denselben theilweise herausgefallen sind. Aber, wie schon gesagt, bleibt dabei die Substanz der Zone im Zusammenhange mit der Platte und fällt nie heraus. Ich muss also glauben, dass wahrscheinlich die lichten Höfe um die Kerne der elektrischen Platten ein optischer Ausdruck eines be- sonderen Gefüges des Protoplasmas in dieser Gegend sind, keinesfalls aber einen Zerfall der Platte in einzelne Zellen bedeuten können. Die Platten sind ihrer Entstehung nach vielkernige Zellen, und als solche verbleiben sie für immer. Diese Idee wurde von Ramon y Cajal! auf Grund der Untersuchung von ganz entwickelten Platten ausgesprochen. Wie man ersehen kann, lässt sich diese Idee auch durch embryologische Gründe gänzlich bestätigen. Sicher kann man mit vollem Rechte das Protoplasma der Platten mit Sarcoplasma der Muskelfasern vergleichen, und die Kerne sammt den dieselben umgebenden Höfen mit Muskelkörperchen, wie es Ballo- witz will und wie es sich schon aus Babuchin’s Untersuchungen klar herausstellte, weil eben die Plattenbildner und embryonalen Platten quer- gestreifte Muskelfibrillen in ihrem Inneren enthalten. Ich will jetzt num zur näheren Betrachtung dieser Muskelfibrillen und deren Veränderungen im Laufe der Entwickelung der Platten über- gehen. Es wurde schon oben erwähnt, dass nach Babuchin’s Angaben? die Fibrillen nicht gänzlich verschwinden und theilweise als Boll’sche Punktirung erhalten bleiben. Krause behauptet ganz im Gegentheil, die Fibrillen würden nicht verschwinden und man könnte dieselben als quergestreifte elektromotorische oder Bogenfasern an ganz entwickelten Platten wahrnehmen. Diese letzten Angaben von Krause wurden aber von Ramon y Cajal,® Ballowitz‘ und Iwanzoff® gänzlich in Abrede ge- stelit. Nach Ramon y Cajal erscheint das Protoplasma der dorsalen Schicht, mit starken Objectiven untersucht, als aus einem sehr feinen Netz- werk von gewundenen perlschnurförmigen Fäden gebildet, welche von der Dorsalmembran ausgehen, um sich theils an der unteren Grenzschicht, ‘ Nach Krause: Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie. Bd. VIII. S. 250—254. 2 Dies Archiv. 1883. ° Nach Krause: Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie. Bd. VIII. S. 250—254. “A.2.0. S. 481, 540—544. ’A.2.0. S. 89. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 291 theils in der Mitte der Dicke des Protoplasmas zu verlieren... „Wir können die Behauptung von Krause nicht bestätigen, welcher sagt, er habe deutliche Querstreifen an den Fäden des Netzwerkes gesehen“. ... Ballo- witz beschreibt, wie schon bemerkt wurde, hier ein Fädchengerüst mit Granulaeinlagerungen; man könnte versucht sein, dieses Gerüstewerk als grob sichtbares Paradigma vom feineren Bau des Protoplasmas aufzufassen. Was die Bogenfasern anbetrifft, so kann Ballowitz dieselben als solche, wie sie W. Krause beschreibt, d.h. als regelmässig angeordnete nicht mit einander in Verbindung stehende Fasern, nicht anerkennen. „Unzweifelhaft, sagt Ballo- witz, ist das, was W. Krause für Bogenfasern erklärt, ein Theil des von mir beschriebenen Netzgerüstes, an welchem sich hier und da die körnigen Fädchen eine Strecke weit verfolgen lassen. Auch auf verticalem Durchschnitte treten solche Fädchen in dorso-ventraler Richtung hie und da deutlicher hervor. Da W. Krause aber das Netzgerüst des dorsalen Abschnittes noch nicht erkannt hat, wird er jedenfalls auch häufig mit dem Ausdruck der „bogenfasern“ die Knotenpunkte dieses Netzgerüstes gemeint haben, welehe Knotenpunkte bei der Regelmässigkeit des zarten engmaschigen, filzartigen Gerüstes auf dem genau vertical angefertigten, feinen Durchschnitt optisch oft reihenweise angeordnet erscheinen und Fasern vortäuschen können.“.... Auch stimmt Ballowitz der zweiten Abhandlung von Krause,! wo derselbe die Querstreifung der Bogenfasern genauer beschreibt, nicht bei. „Dass die „Querstreifung“ der Fädchen dennoch nicht alle wünschenswerthe Deutlichkeit besitzt, beweisen schon die Abbildungen, welche der Autor seiner Abhandlung auf Taf. XVI und XVII beigegeben hat. Man sieht in denselben dunkle Stellen, alternirend mit hellen, so dass ein Aussehen entsteht, welches einigermassen an Querstreifung erinnert, indessen durch die eingelagerten kleinen Körnchen bedingt wird.“... „Kurz und gut, ich muss eine „Querstreifung‘“ der Fädchen, welche sich mit: der Querstreifung der Muskelfibrillen vergleichen, geschweige denn identificiren liesse, ganz entschieden in Abrede stellen.“ In seiner dritten Mittheilung spricht sich Krause selbst sehr re- servirt über die Querstreifung aus,? indem er sagt: „keineswegs sollte eine Identität mit der Substanz der Muskelfibrillen behauptet werden, wie Ramon y Cajal zu glauben scheint, da ja die elektrischen Lamellen nicht etwa contractil sind. Will man die Fasern lieber varicös statt quergestreift nennen, so kann man sich dabei auf die Osmiumpräparate berufen (Taf. XII, Fig. 1).“ Iwanzoff ist überzeugt, dass die Bogenfasern ein Kunstproduct ! Die Nervenendigung im elektrischen Organe. Zweiter Artikel. Internationale Monatsschrift. 1887. Bd. IV. 2 FEbenda. Bd. VIII. S. 256. 19* 292 'J. OGNEFF: darstellen. Nie werden dieselben so regelmässig vertheilt, wie es Krause darstellt, und man sieht deren desto mehr, je stärker die Congulation der Zwischenschichten war. Selbstverständlich ist auch die Existenz der von Krause beschriebenen Membrana perforata, welche von oben dicht dem Palissadensaume auflieet und von den Enden der Bogenfasern gebildet sein soll, in Abrede gestellt. Für Ballowitz stellt dieselbe nur einen Theil des von ihm beschriebenen Netzgerüstes dar und existirt also keines- wegs als eine „abgesetzte und abtrennbare Membran“ Iwanzoff! glaubt, dass Krause unter dem Namen Membrana perforata zwei verschiedene Kunstbildungen beschrieben hat, an Schnitten — den gerunzelten unteren Theil der Zwischenschicht, an Flächenbildern und Flächenschnitten — Vacuolen, die sich in der ganzen Dicke dieser Schicht gebildet haben. Bei der Beschreibung der birnenförmigen Plattenbildner wurde schon erwähnt, dass die quergestreiften Muskelfibrillen in denselben von dem dorsalen Stiele ausstrahlend, pinselförmig in den Körper der Birne nach allen Seiten divergiren. Nachdem der Stiel verschwunden und die Platten- bildner kuchenförmig geworden sind, sieht man die Fibrillen an Quer- schnitten und an Falten als äusserst feine, parallel zu einander gelagerte, blasse, nie sich verzweigende Fädchen, welche von der dorsalen zur ventralen Fläche des Plattenbildners ziehen. Es ist sehr schwer, an diesen Fädchen eine Spur von Querstreifung zu bemerken, dieselben erscheinen beinahe homogen. Etwas später, nachdem die Plattenbildner flacher und gleich- mässig dick geworden sind, kann man an Schnitten derselben folgende drei Schiehten oder Zonen unterscheiden (Taf. IV, Fig. 5), abgesehen von der Nervenverzweigung, welche schon angedeutet sein kann. In der Mitte der Platte liegen in einer Reihe, durch gleiche Zwischenräume von einander getrennt, die schon beschriebenen rundlich-ovalen Kerne. Dorsal davon liegt eine feine Schicht beinahe homogenen Protoplasmas, in welcher nach Osmium oder Hermann’scher Flüssigkeit kaum nur einige Körnchen erscheinen können. Ventral von den Kernen liegt eine dickere Lage Proto- plasmas, welche wegen der in derselben enthaltenen senkrechten Fibrillen gestreift erscheint. Dasselbe wurde, wie es scheint, auch von Babuchin gesehen.? Die Fibrillen scheinen noch zarter und blasser geworden wie zuvor. Von Querstreifung sieht man trotz aller Mühe und den besten Apo- chromaten nichts. Dorsal gelingt es dieselben nur bis zur Kernlage zu ver- folgen, wo ihre Enden im Protoplasma verschwinden, ventral ziehen die- selben bis zu der basalen Fläche des Plattenbildners, fliessen aber nicht mit dessen ventralem Conture zusammen, sondern scheinen von ihm durch ı A. a.0. S. 90-91. SATA 021525228 ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 293 eine äusserst feine Lage Protoplasmas geschieden zu sein. Bei der Beob- achtung von der Fläche an isolirten embryonalen Platten bekommt man folgende Bilder. Wenn die ventrale Fläche dem Auge des Beobachters zugewendet ist, so sieht man zuerst die mehr oder weniger entwickelte Nervenverzweigung, und gleich darunter, nur durch eine äusserst dünne Lage Protoplasmas von derselben getrennt, eine äusserst feine regelmässige Punktirung, welche sanz gleichmässig an der ganzen Platte verbreitet ist und von der man sich leicht mit Hülfe der Mikrometerschraube überzeugen kann, dass sie nicht etwa von feinen Körnchen, sondern nur von im Protoplasma ein- gebetteten senkrechten Fädchen erzeugt wird. Bei der Untersuchung von der dorsalen Fläche bekommt man ähnliche Bilder; zuerst erscheint die feine homogene Schicht, dann die grossen Kerne, worunter man die feinen Punkte und deren gleichmässige Vertheilung bemerkt. Im Allgemeinen erinnert das Flächenbild der Fädchen an die sogenannten Cohnheim’schen Felder in den quergestreiften Muskeln der Frösche oder der »äuger mit dem einzigen Unterschiede, dass in den embryonalen Platten das Bild viel blasser, zarter und die einzelnen Punkte viel kleiner er- scheinen als in den Muskeln. W. Krause beschreibt die Fibrillen in den Plattenbildnern als S-förmig gebogen und erklärt! diese Form dadurch, dass die Fibrillen der embryonalen quergestreiften Muskelfasern aus der Plattenebene in die dorso-ventrale Richtung übergehen. Ich muss ge- stehen, dass ich nicht ganz klar einsehen kann, was W. Krause darunter eigentlich versteht, da ich trotz aller Mühe nie einen solchen Uebergang der Fibrillen aus einer Ebene in eine andere beobachten konnte. Krause? sagt selbst, dass innerhalb der Plattenbildner sich der Verlauf seiner Bogenfasern nicht ändert. Zu jeder Zeit laufen sie im Wesentlichen parallel der Längs- richtung der Säulen. Dies kann ich nur bestätigen; eine Umbiegung aber der ventralen und dorsalen Enden der Fasern konnte ich nie auffinden. Nur wenn die Plattenbildner noch birnenförmig sind, kann man eine seichte Beugung beim Uebergange aus dem Stiele in den Körper der Birne an den in der letzten peripher gelegenen Fibrillen bemerken, während die centralen einen geraden Verlauf haben. Ueberhaupt, was die morpho- logische Bedeutung der Krause’schen Bogenfasern betrifit, muss ich hier gleich bemerken, dass ich gänzlich die Beobachtungen von Cajal und Ballowitz bestätigen und diese Fasern an erwachsenen Platten für einen Theil der von beiden Forschern beschriebenen netzartigen Protoplasma- ıA. a. 0. Bd. IV. S. 389 und Bd. VIIL. S. 255. 2A. 2.0. Bd. IV. S. 387. 294 >. J. OGNERFF: structur halten muss. Diese Structur ist an Praeparaten, die nach Golgi, oder auch mit 1 bis 2 Procent Osmiumsäurelösung bearbeitet wurden, zu- weilen klar zu sehen. An Embryonen gelingt es, dieselbe nur spurweise zu bemerken und dabei an solchen, die in ihrer Entwickelung schon ziem- lich weit vorgeschritten sind und schon ganz deutliche Platten zeigen. In den Plattenbildern erscheint gewöhnlich das Protoplasma ganz homogen oder nur etwas körnig. Das Schicksal der eigentlichen Muskelfibrillen, oder besser gesagt der feinen, homogenen, blassen Fädchen, welche aus diesen hervorgegangen sind, ist ein ganz anderes als wie es von Krause dargestellt wird. Die feinen Fädchen werden etwas kürzer bei der zunehmenden Grösse der wachsenden und dünner werdenden Platten. Man muss annehmen, dass dabei die Zahl dieser Fädchen zunimmt und dass dieselben sich aus dem Proto- plasma der embryonalen Platte herausdifferenziren, in ähnlicher Weise, wie die quergestreiften Fibrillen aus dem Sarcoplasma. Wenigstens findet man gar keine Andeutung von Längsspaltung der Fädchen und bei der Beobachtung der Platten von der Fläche findet man, wie schon beschrieben, die Fädchen dicht neben einander und regelmässig in der ganzen Platte vertheil. Die Fädchen verschwinden auch gar nicht, sondern an deren Stelle erscheinen die Boll’schen Palissaden. Am einfachsten wäre anzu- nehmen, dass die Palissaden sich gerade aus den Fädchen herausbilden und jedes Fädchen zur Palissade wird. Dafür scheint Folgendes zu sprechen: 1. die Vertheilung der Palissaden an jungen Platten bei sehr crossen Embryonen und neugeborenen Torpedo ist eine gleichmässige auf der ganzen Platte, wenn man auch Stellen auffinden kann, wo die Palissaden die feinen Nervenverzweigungen zu umsäumen scheinen; es lässt sich diese Erscheinung einfach dadurch erklären, dass die heranwachsenden Nerven- zweige sich an die Platte fest anschmiegen und zum Theil in die Substanz der letzteren hineindrücken, wobei sie die Fädchen oder Stäbchen theilweise aus einander rücken und selbstverständlich dabei von diesen um- säumt erscheinen. Ich muss hier noch ausdrücklich bemerken, dass ich die regelmässige Vertheilung der Punktirung über die Nervenverzweigung und in den Zwischenräumen der letzteren viele Male auch an jungen (etwa einjährigen, nach der Meinung von Hrn. Lo-Bianco) beobachtet und weiter oftmals an den Platten Stellen gefunden habe, wo die Nervenverzweigungen von den Stäbchen umsäumt erscheinen. Dennoch sind auch an solchen Stellen die Palissaden in den Zwischenräumen der Nervenverzweigung vorhanden. 2. Die jungen Palissaden sind ihrem Ansehen nach sehr den von mir beschriebenen Fädchen ähnlich, sind blass, haben eine cylindrische Form und scheinen der Endkügelchen oder der Endverdickungen zu entbehren. Wie bekannt, färben sich die Palissaden ÜBER DIE ERTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 295 mit Osmiumsäure etwas dunkler als die Substanz der Platte selbst; bei den grösseren Embryonen (etwa von 5 bis 6°% Länge) findet man nach solcher Behandlung die einen Fädchen etwas dunkler als die anderen, sonst aber keine merklichen Unterschiede unter einander. Wenn Alles dies zu beweisen scheint, dass die Boll’schen Stäbchen als letzte Reste der um- gewandelten Fibrillen zu betrachten sind, so kann man sich doch von der Vermuthung nicht befreien, dass die echten Boll’schen Stäbchen neben den Resten der Fibrillen im Protoplasma sich herausbilden können. Bei der Kleinheit der genannten Elemente und bei dem Mangel an durch- greifendem Merkmale zwischen den Fibrillen und Stäbchen ist es gewiss nicht leicht, eine solche Vermuthung bei Seite zu lassen. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass die Boll’schen Stäbchen sich in und aus dem Protoplasma der embryonalen Platten herausbilden. Keineswegs also kann man dieselben entweder für eine Art Neurilemm! (Krause) halten oder in denselben eine Art von hypothetischen regelmässigen Ausläufern eines nicht vorhandenen Sarcolemm? (Iwanzoff) entdecken wollen. Nicht weniger unwahrscheinlich erscheint die Auffassung derselben als Sarcous- elements oder Neurokokken (Trinchese).? Die Entwickelung der Boll’schen Palissaden und der Nervenverzweigung sind zwei gänzlich von einander unabhängige Vorgänge, wie man sich leicht überzeugen kann. Während die Palissaden schon an der ganzen Platte verbreitet sind, findet man z. B. bei Embryonen von etwa 4 bis 5w Länge die Nervenverzweigungen an den Platten nur in Form von dichotomisch sich verzweigenden blassen Fasern, welche die Anlage der gröberen, an den Platten sich verbreitenden Aeste bilden und zwischen denen alle Zwischenräume mit Stäbchen besetzt sind. Eine einzige derartige Präparation genügt, um sich zu überzeugen, dass die Nervenfasern und Stäbchen keinesfalls in einander übergehen können und zwei ganz verschiedene Bildungen sein müssen. Zu der Be- sprechung der Frage über die gegenseitigen Beziehungen der Palissaden und der Nervenverzweigung will ich später noch zurückkehren, jetzt aber zu der Entwickelung der Nervenschicht übergehen. Wie aber schon dar- gelegt wurde, werden die gröberen, zu den Säulen ziehenden Nervenäste schon sehr früh, zur Zeit als die Säulen noch aus embryonalen Muskel- fasern bestehen, angelegt. Es wurde auch erwähnt, dass um diese Zeit Nervenfasern unzweifelhaft nur bis zu der Oberfläche der Säulchen, nicht aber im Inneren derselben zu verfolgen sind. Ebenso wenig gelingt es hier Nervenfasern während des Auftretens der birnenförmigen Plattenbildner nach- 1 Krause, A. a. ©. Bd. III. S. 291—293. 2 Iwanzoff, a. a. O. S. 96. 3 Citirt nach Krause, Bd. IV. S. 375. 296 >J. OGNEFF: zuweisen, obgleich die gröberen Aeste an der Oberfläche der Säulen und in dem die letzteren von einander trennenden Bindegewebe ziemlich leicht zu verfolgen sind, um sich zu überzeugen, dass an den erwachsenen Thieren zu beobachtende Verhältnisse der gröberen Nervenstämme zu den Prismen schon jetzt angelegt werden. An Plattenbildnern findet man unzweifelhaft Nervenfasern nur dann herantreten, wenn die birnenförmigen Körper kuchenförmig geworden sind. An isolirten Platten, nach einer Behandlung mit Osmiumsäure oder Hermann’scher Flüssigkeit und einer nachfolgenden Färbung mit Delafield’schem Hämatoxylin, Hämo- caleium, Bismarckbraun u. s. w. ist es leicht, den Verlauf der Nerven an den Platten zu verfolgen. Die gröberen Verhältnisse stellen sich folgender- massen dar (Taf. IV, Fig. 7). An jede Platte tritt gewöhnlich eine diekere Faser heran, biegt den Rand der Platte an einer kurzen Strecke rinnen- förmig ein und geht auf deren ventrale Fläche über. Hier erscheint die Faser in zwei oder drei Aeste zertheilt, welche sich allmählich zuspitzend etwa in der Mitte oder auch unweit der Eintrittsstelle dem der Faser gegenüber- liegenden Rande der Platte frei auslaufend endigen. Zuweilen treten an eine Platte zwei, drei, sogar vier Nervenfasern, welche sich an deren unterer Fläche verzweigen. An grösseren Platten sieht man leicht, dass die Fasern sich allmählich mehr und mehr, gewöhnlich dichotomisch ver- zweigen, wobei die Zweige sich ziemlich gleichmässig an der unteren Fläche der Platte vertheilen; es kann aber auch vorkommen, dass an der einen Seite der Platte die Verzweigung dichter erscheinen kann als an der anderen, später aber wird diese Ungleichmässigkeit ausgeglichen. Die gröberen Fasern anastomosiren an grösseren Platten zuweilen untereinander, wobei sie verhältnissmässig grosse Maschen bilden, geben immer mehr und mehr Sprossen und Aeste von sich, welche die ganze Platte bedecken und schein- bar frei mit feinen, spitz auslaufenden kleinen Zweigen endigen. Solche Verhältnisse sind während der ganzen Entwickelung der Nervenschicht an den Platten zu beobachten. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadien der Entwickelung erscheinen mehr quantitativ als qualitativ. Die feineren Vorgänge bei der Entwiekelung der Nervenschicht sind ganz vor- trefflich von Babuchin beschrieben worden und ich kann hier nur wenig Neues den Angaben desselben hinzufügen. Bei der Betrachtung mit stärkeren Objectiven sieht man mit grösster Klarheit, dass die an die Platten herantretenden Fasern genau denselben Bau haben, wie in den früheren Entwickelungsstadien die Anlagen der gröberen Nervenstämme, welche zu den einzelnen Theilen des Organes und zu den Prismen ge- hören; eine jede Faser besteht aus einer sehr feinen durchsichtigen, homo- genen Hüllenmembran, welche einem dünnen Bündel von äusserst feinen Fibrillen aufliegt. Die Membran enthält in ihrer Wandung ovale, längliche ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 297 Kerne, welche in ziemlich gleichen Zwischenräumen von einander geschieden sind und kleiner oder etwas mehr in die Länge gezogen erscheinen, als die Kerne der Platten und die Kerne der gleich zu beschreibenden verästelten Zellen, der „inneren Belegzellen“ Babuchin’s. Die Membran liegt dem Hauptstamme und dessen gröberen Aesten nicht fest auf, sondern es bleibt zwischen den beiden immer ein feiner Spalt sichtbar. An feinen Zweigen lest sich die Membran den Fibrillen dichter an und endlich fliessen die Conturen des centralen Bündels und der Membran zusammen. Es scheint nicht unwahrscheinlich zu sein, dass auch die feinsten Zweige von allen Seiten von der Membran bedeckt sind, da man Kerne derselben an den äusseren Conturen solcher Aeste und Zweige zuweilen be- merken kann. Irgend eine quere Grenzlinie, welche das Ende der Membrana an den feinen Zweigen der Nervenfasern der embryonalen elektrischen Platten bezeichnen würde, konnte ich nie wahrnehmen. Was die centralen Fibrillen anbetrifft, so sind dieselben, wie Babuchin zuerst bewiesen hat, Axeneylinderfortsätze der riesigen Nervenzellen der elektrischen Gehirn- lappen. Die Fibrillen sind ausserordentlich fein, blass und zart. Sie er- scheinen in eine äusserst feinkörnige, sie zusammenklebende Substanz ein- gebettet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Zahl der Fibrillen in den Axencylindern der Hauptstämme und in den Nervenfasern, welche an die Platten herantreten, sich allmählich während der Entwickelung ver- grössert und die Fasern dabei an Dicke zunehmen. Man überzeugt sich von dieser Thatsache leicht, wenn man bei kleineren Embryonen die An- lagen der elektrischen Nerven, bei den grösseren die an den Platten heran- tretenden Nervenfasern in verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung unter- einander vergleicht. Die angelegten Nervenstämme bestehen aus wenigen Nervenfasern, welche, wie schon bemerkt wurde, ganz dasselbe Aussehen haben, wie bei den grösseren Embryonen später die an die Platten heran- tretenden einzelnen Fasern; sie bestehen also aus einem centralen Bündel feinster Fibrillen und einer dasselbe lose umgebenden Membran. Nicht nur die Zahl der einzelnen Fasern in den Nervenstämmen, sondern auch die Zahl der Fibrillen in den Axencylindern der einzelnen Fasern vermehrt sich allmählich. An den Nervenfasern, welche zu den Platten herantreten und an denen längere Zeit das Myelin nicht gebildet wird, ist diese Er- scheinung leichter zu beobachten. Selbstverständlich nimmt auch die die Fibrillen des Axencylinders zusammenklebende Substanz etwas an Masse zu, während die Zahl derselben wächst. Mit der Vermehrung der Fibrillen des Axencylinders wird die Nervenfaser dicker und es vermehrt sich auch die Zahl der Verzweigungen derselben; es ist also klar, dass mit dieser Erscheinung die Entwickelung der Endverzweigung eng verbunden ist. Die Verzweigung geht gewöhnlich, wie schon Babuchin bemerkt hat, dicho- 298 J. OGnErr: tomisch vor sich. Dabei spaltet sich von dem Hauptbündel der Fibrillen, stets am Ende des Zweiges, ein kleiner Theil in Form einer Sprosse ab und wird sogleich entweder von der Fortsetzung der Membrana der Nerven- faser bedeckt, oder vom Protoplasma einer verästelten Zelle umhüllt, wovon weiter unten noch die Rede sein wird. Die auf die beschriebene Weise gebildeten Aeste und Verzwei- gungen wachsen weiter an die untere Seite der Platte fest angeschmiest und verzweigen sich mehr und mehr. Bei Embryonen, etwa aus der Mitte der Entwickelungszeit (Taf. V, Fig. 9), im Monate Juni oder Juli 5 bis 6 = Länge, sind die Verzweigungen an den Platten ziemlich gleichmässig ver- theilt. Bei dem Studium solcher Verzweigungen giebt die Golgi’sche Methode keinen besonderen Vortheil, da man auch recht klare und schöne Bilder an Praeparaten, welche mit Osmiumsäure, Hermann’scher Flüssie- keit, Sublimat, Platinchlorid u. s. w. behandelt wurden, bekommen kann. Solche Praeparate erlauben ausserdem noch manche Einzelheiten der Structur (z. B. den Bau des Axencylinders, die Membran), welche an den geschwärzten Praeparaten gewöhnlich vollständig verschwinden, genauer zu untersuchen. Sicher kann man aber nicht leugnen, dass an gelungenen Imprägnationen die Verzweigungen der Nervenfasern an den Platten an- schaulicher hervortreten, als nach Behandlung mit anderen üblichen Methoden. Im Allgemeinen aber decken sich die Bilder, welche verschiedene Be- arbeitungen ergeben, unter einander vollkommen. Bei Embryonen von etwa 4!/, bis 6 ® Länge sind an Platten die gröberen Verzweigungen schon angelegt und das Bild erinnert an jenes, welches man bei der Betrachtung einer vollkommen entwickelten Platte mit schwachen Objectiven bekommt. Nur sind diese Verhältnisse viel kleiner und weniger regelmässig. Weder von den Endverzweigungen, noch von den feinen Aesten, aus welchen diese hervortreten, ist irgend eine Spur zu sehen. Vom Myelin bemerkt man kaum die erste Anlage an den dickeren Fasern in Form von einer durchsichtigen, kaum sich bräunenden Substanz unter der Schwann’schen Scheide. — An Praeparaten, welche nach Golgi imprägnirt werden, erscheinen die Nervenverzweigungen in Form von schwarzen oder tief braunen Bäumchen, von denen nur die gröberen Aeste sich zuweilen untereinander in Maschen verbinden. Die feineren Zweige enden zuweilen unregelmässig verdickt und aus diesen Verdickungen können noch einige feine spitze Zweigchen hervortreten. Die Verdickungen erinnern an solche, welche man an den Einden der sich entwickelnden Nervenzellenfortsätze nach Silberimprägnation bemerkt und welche von vielen Forschern, welche sich mit der Entwickelung der Nervenzellen beschäftigt haben (R. y Cajal, van Gehuchten, Golgi, ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 299 jüngst Popoff!) gesehen wurden. Hier werden gewöhnlich solche Ver- dickungen als Anwachsstellen der Fortsätze gedeutet. Wahrscheinlich haben auch die Verdickungen der embryonalen Nervenzweige in den elektrischen Platten dieselbe Bedeutung. Wie an den Nervenzellen, so haben auch an den Platten die Verdiekungen unter einander das gemeinsame, dass sie sich nach keiner anderen als der Golgi’schen Methode darstellen lassen. Oft erscheinen die Verzweigungen nach Imprägnation mit Silber, trotz aller Vorsichtsmassregeln, die dabei beobachtet wurden, steif und grob, mit Nieder- schlägen bedeckt. — Bei allen Methoden aber, sowohl der Golgi’schen als den übrigen, findet man die feinen Vorzweigungen frei endigend und stets keine Tendenz zeigend, sich mit ihren Enden in Netze zu verbinden. Zu der Entwickelung der die Nervenfasern umhüllenden Membranen und dem Erscheinen der Verzweigungen stehen die seit K. Wagner be- kannten und von vielen Forschern genau beschriebenen verästelten Zellen in naher Beziehung, wie es zuerst von Babuchin beschrieben wurde. Nach Babuchin? dringt, wie oben erwähnt, das die Säulchen um- gebende Bindegewebe zwischen den Plattenbildnern ein und junge Binde- gewebszellen lagern sich der Bauchfläche der Plattenbildner dicht an und bilden hier die sogenannten inneren Belegzellen. Diese sollen zwischen die herantretenden Nervenbündel hineinwachsen und dieselben auf diese Weise in feinere Stämme und Verzweigungen zerspalten. Am Ende sollen die Zellen auch die einzelnen Fibrillen von’ einander trennen, dieselben rundherum mit ihrem Protoplasma umziehen und auf diese Weise die embryonale Schwann’sche Scheide bilden. Ich konnte mich nicht über- zeugen, dass, wie Babuchin meint, die Zellen des umgebenden Binde- gewebes sich ohne Weiteres in Nervenverzweigungen begleitende sternförmige Zellen verwandelten. Dieselben sind vielmehr Abkömmlinge oder eine ganz besondere Modification dieser eingedrungenen Zellen. Bei der Isolation von Platten, zur Zeit als die Nervenfasern an denselben sich zu ver- zweigen anfangen, findet man oft Platten, an deren ventralen Flächen grosse rundliche, spindelförmige oder nur mit einem kurzen, spitzen Fortsatze ver- sehene Zellen haften. Von den benachbarten, sternförmigen Zellen des Bindegewebes unterscheiden sich dieselben durch ihre Grösse und Form, be- sonders aber durch ihren grossen ovalen, bläschenförmigen Kern. Zuweilen haften die rundlichen Zellen so fest an den Platten, dass man den Ein- druck bekommt, an der ventralen Fläche dieser letzteren hätten sich Aus- wüchse in Form von abgestumpften breiten Zapfen gebildet, in welche dann ! Ueber die Entwickelung der Kleinhirnrinde. Biologisches Centralbtatt. 1895. Histogenese der Kleinhirnrinde. Dissertation. Moskau 1896. ®A. 2.0. S, 526—529. 300 J. OGnkrr: je ein Kern der Platte eingedrungen sei. Der Eindruck wird noch dadurch erhöht, dass eben die Kerne der Platten und der betreffenden Zellen einander nicht unähnlich sind. An Schnitten überzeugt man sich aber leicht, dass zwischen der Platte und der an dieselbe festgeklebten Zelle immer eine scharfe Grenze wahrzunehmen ist. Auch von gefärbten Prä- paraten bekommt man den Eindruck, dass Kerne der Zellen sich dunkler färben und zuweilen eine andere Nüance bekommen als die Kerne der Platten. Später vermehren sich die Zellen durch Karyomitose und senden nach verschiedenen Seiten lange, steife Fortsätze, welche aus ganz homogenem durchsichtigen Protoplasma bestehen. Diese Fortsätze, oder auch die Körper der so geformten Zellen, schmiegen sich eng an die feinen, sprossenartig wachsenden Bündel der Nervenfibrillen und umhüllen dieselben von allen Seiten, ganz in der Art und Weise, wie es Babuchin beschrieben hat. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass Babuchin darin ganz recht hat, dass sich auf diese Weise die Schwann’sche Scheide bildet; noch sei aber bemerkt: erstens, dass es nicht gelingt, diese Bildung genau und stufenweise zu verfolgen, zweitens, dass man oft dergleichen Zellen findet, welche sich der schon gebildeten Scheide von aussen auflegen oder zwei mit einer Scheide versehene Zweige unter einander verbinden. Die Bedeutung der Zellen bleibt dabei etwas räthselhaft. Vielleicht handelt es sich im ersten Falle um die Bildung der sogenannten Henle’schen oder secundären Scheide. Es können sich aber dergleichen Verhältnisse auch für immer erhalten. In diesem Falle entstehen wahrscheinlich die zuerst von Ciaccio beschrie- benen Anastomosen der Nervenverzweigungen durch sogenannte Binde- « gewebszellen.! Wenn man feine Nervenfibrillenbündel von den Zellen umgeben beob- achtet, so überzeugt man sich leicht, dass die freien Endigungen von diesen Bündeln nie aus dem Protoplasma der Zelle oder deren Fortsätzen nackt hervorragen, sondern immer von einer feinen Schicht Protoplasma von allen Seiten bedeckt sind. Dieser Umstand macht es auch sehr wahrscheinlich, dass die Nervenverzweigungen in den elektrischen Platten bis auf die feinsten von einer Membran bedeckt sind. Es sei hier noch bemerkt, dass auch an embryonalen Nerven der Platten nie Varicositäten oder tropfen- artige Anschwellungen zum Vorschein kommen, was schon von manchen Forschern beim Studium des vollständig entwickelten Organs bemerkt wurde und was ohne Zweifel zu Gunsten der Vermuthung spricht, dass auch die feinsten marklosen Nervenäste in den Platten von einer Nervenscheide um- geben sein müssen. ı Ciaccio, La terminaison des nerfs dans les plaques electriques de la Torpille. Journal de Micrographie. 1888. ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 301 Wie bekannt, existiren im Augenblicke folgende Meinungen über die Art der Endigung der Nerven in den elektrischen Platten: 1. Die feinsten Nervenäste endigen, nach mehrfachen baumförmigen Verzweigungen, frei. Es giebt nur scheinbare Anastomosen, welche durch Anlagerung der Nerven- fasern an einander erklärt werden (Boll, Krause, Ramon y Cajal, Iwanzoff). 2. Die terminale Nervenverzweigung bildet ein in sich ge- schlossenes Netz. Freie Endigungen existiren nicht und stellen nur Kunst- producte dar (Kölliker, M. Schultze). Zu den neuesten Vertretern dieser Anschauung gehört E. Ballowitz!, der mit Hülfe der Golgi’schen Methode sich überzeugen konnte, dass nicht ein, sondern zwei auf einander gelagerte Netze den terminalen Nervenapparat an den elektrischen Platten bilden. Das eine, „Stäbchennetz“ vom Verfasser genannt, besteht aus zarten und dünnen Netzbalken, an welche unmittelbar die. Boll’schen Stäbchen befestigt sind. Nach gelungener Imprägnation erscheint das Stäbchennetz hellbraun. Das dunkle „Nervenendnetz“ erscheint dieker und seine Maschen breiter, zugleich erscheinen sie auch etwas rauh und uneben, fast höckerig, hier und da eingeschnürt und von ungleicher Breite; an den Rändern, gegen die Lücken hin, sind sie oft mit kleinen, rundlichen Buckeln versehen. Diese vorspringenden Buckel vergrössern sich hier und da zu kleinen, abgerundeten, frei in die Lücken vorspringenden Seiten- sprossen. Das Ganze macht nicht einen so zarten, zierlichen und regel- mässigen Eindruck wie das Stäbchennetz. Die beiden Netze sind differente Gebilde. Das zarte Stäbchennetz kann nicht ohne Weiteres als Nerven- endorgan aufgefasst werden, da es sich nicht direct mit den Nervenenden verbindet. Vielmehr bildet dieses Netz eine mit der specifischen Function des elektrischen Organes in engstem (wenn auch noch völlig dunklem) Zusammenhange stehende specifische Structur. 3. Es existiren ausser den freien Endigungen auch unzweifelhafte Anastomosen (Intextus, Inter- eation — Ciaccio, Ranvier). 4. Die Terminalverzweigung existirt als solche nicht, an deren Stelle liegt eine Körnerschicht, Stratum granulosum. Die Nervenzeichnung wird für eine „Oberflächenrunzelung“? erklärt (Fritsch). Gewöhnlich werden alle Systeme sich bildender Runzeln wegen des grösseren Widerstandes der Nervenfäserchen an diese selbst angeschlossen und die verzweigten Runzeln erscheinen selbstverständlich als Fortsetzungen der Terminalverzweigung der Nerven. Ich habe mir viel Mühe gegeben, um auf Grund der Entwickelungs- geschichte mit Zuhülfenahme von verschiedenen Methoden, besonders aber ı Emil Ballowitz, Ueber den Bau des elektrischen Organes mit besonderer Berücksichtigung der Nervenendigungen in demselben. Archiv für mikrosk. Anatomie. 1893. Bd. XLII. S. 462—468. ?2 Fritsch, Die elektrischen Fische. II. Abtheil. Die Torpedinien. S. 109. 302 J. O6nErF: der Golgi’schen Methode, genau die Form der Terminalverzweigung zu bestimmen und bin zu folgenden Resultaten gekommen. Wie gesagt, sieht man an embryonalen Platten nur freie Endigungen der Nervenzweige und bemerkt keine Spur von Zusammenfliessen der spitzen Sprossen, mit denen oft diese Zweige endigen. Die eigentlichen Endzweige in ihrer typischen Arabeskenform fangen erst kurz vor der Geburt an bemerkbar zu werden, zur Zeit, wo von dem Dottersacke noch ein kleiner Rest bemerkbar ist. Klar ausgeprägt und gänzlich ausgebildet sind die Arabesken an neu- geborenen Thieren mit gänzlich verschwunderiem Dottersacke zu sehen. Solche Thiere geben auch einen empfindlichen elektrischen Schlag. Weder bei den oben erwähnten sehr grossen Embryonen, noch bei neugeborenen Thieren, konnte ich irgend welche Endnetze auffinden, sondern stets nur freie Endigungen. — Verhältnissmässig selten konnte ich nur bei ganz er- wachsenen Thieren Anastomosen zwischen den Endzweigen der Terminaläste finden, und zwar nur zwischen solchen Zweigen, welche einem und dem- selben Hauptaste angehörten, nicht aber von verschiedenen Stämmchen aus- gingen. Die Zahl solcher Verbindungen war aber zu gering, um zu be- haupten, dass bei Erwachsenen die Verhältnisse sich anders gestalten als bei den Embryonen. Ich muss mich also entschieden auf die Seite von Ranvier und Ciaccio stellen in der Entscheidung der Frage von der Art der Endigung der Nerven in den elektrischen Platten. Von einer Ueber- einanderlagerung der Nervenenden, wie es R. y Cajal und Krause wollen, konnte ich mich nie mit Sicherheit überzeugen. Auf die Kritik der sonder- baren Meinung Fritsch’s will ich hier nicht eingehen, da diese Meinung schon genügend von Krause, Ballowitz und Iwanzoff beurtheilt wurde; ich muss aber bei den äusserst interessanten Angaben von Ballowitz, von welchen oben die Rede war, ein wenig länger verweilen. Alle die von Ballowitz äusserst genau beschriebenen Bilder habe ich gesehen und muss deren Richtigkeit gänzlich bestätigen, bin aber nicht mit deren Deutung einverstanden. Die Methode von Golgi, an den elektrischen Platten an- gewandt, bleibt, wie immer, ausserordentlich launisch und eaprieiös, und die bei dieser Methode erhaltenen Bilder sind, trotz der Meinung von Ballowitz, nicht weniger einwandsfrei, als z. B. alle Bilder, welche man von imprägnirten Gehirnen bekommt. Die Wirkung des Silbers kann bei der Imprägnation, sowohl an elektrischen Platten als an dem Gehirne, als zweifache bestimmt werden. Einmal werden die Elemente durch Silber braun gefärbt, bleiben dabei aber durchsichtig, zweitens bildet sich ein braunschwarzer Niederschlag über den Zellen, deren Ausläufern und Fasern. Die beiden Momente der Silberwirkung können bald zusammenfallen, bald aber auch für sich allein vorhanden sein. Sehr gewöhnlich kann man an einem und demselben Praeparate verschiedene Stellen auffinden, an denen ÜBER DIE ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ORGANES BEI TORPEDO. 303 entweder die Färbung oder die Niederschläge mehr ausgeprägt sind. Je nach der Zeitdauer der Behandlung mit dem Chromgemische und dessen Quantität und Gehalt an Kalisalz, kann man entweder die Boll’sche Punktirung, oder das netzartige Protoplasmagerüst, auch die verzweigten Zellen imprägniren. Alle diese Bestandtheile kommen oft auch zusammen geschwärzt, aber auch zuweilen vereinzelt zum Vorschein, dabei ist das Nervengeflecht meistentheils mit Niederschlag bedeckt, alle übrigen Theile sehr oft nur braun gefärbt oder nur sehr sparsam mit Niederschlag bedeckt. Meiner Meinung nach ist die räthselhafte Bildung, welche Ballowitz Stäbchennetz nennt, nichts Anderes als eine schwache vereinzelte Impräg- nation der Boll’schen Stäbchenschicht mit einer Färbung der darunter liegenden äusserst dünnen Protoplasmaschicht combinirt. Zuweilen kommt dazu noch eine schwache Imprägnation der Nervenverzweigung, oder, wenn man will (Iwanzoff), vielleicht eine Imprägnation der Kittsubstanz, welche die Nervenzweige an die ventrale Fläche der Platte befestigt. Dadurch wird klar, warum das Stäbchennetz allein mit Hülfe der Golgi’schen Methode zum Vorschein gebracht werden kann, bei allen anderen Methoden aber von diesem Netze nichts zu sehen ist als eine äusserst feine Proto- plasmalage und die Boll’schen Stäbchen. Wenn die Imprägnation gut gelungen und die Nervenfasern reichlich vom Chromsilber bedeckt sind, so geschieht es sehr oft an den elektrischen Platten, wie auch an den Fort- sätzen der Nervenzellen in grauer Substanz des Gehirnes, dass die nahe liegenden Enden der Fasern durch den Niederschlag zusammengelöthet werden und man bekommt dann anstatt freier Endigungen Bilder von Netzen. Wenn man die richtigen Verhältnisse an imprägnirten Schnitten aus Gehirnrinde verstehen will, so muss man, wie bekannt, Stellen auf- suchen, wo nur wenige Nervenzellen geschwärzt erscheinen, und man findet dann deren Fortsätze frei endigend; ebenfalls muss man an den elektrischen Platten Stellen aufsuchen, wo durch Silber nur vereinzelte Nervenbäumchen imprägnirt sind und dann bekommt man Bilder, welche mit denen durch Osmium und andere Methoden erhaltenen gänzlich übereinstimmen und mit der Entwickelungsgeschichte der Nervenverzweigung in bestem Ein- klange stehen, also Bilder von freien Endigungen. Es sei noch bemerkt, dass man wenigstens ebensoviel Endnetze als freie Endverzweigungen an den mit Silber imprägnirten elektrischen Platten auffindet. Ballowitz hat auch freie Endigungen gesehen und beschrieben, erklärt aber dieselben durch mangelhafte Imprägnation. Die Möglichkeit einer übermässigen Im- prägnation wird von ihm nicht einmal erwähnt. Die Nervenverzweigung muss als die eigentliche Endigung der Nerven in den elektrischen Platten betrachtet werden, in dieser Hinsicht bin ich gänzlich mit Ballowitz einverstanden, welcher dieselbe Bedeutung seinem 304 "J. OGNEFF: „Nervennetze“ giebt. Auch muss ich Ballowitz völlig beistimmen, dass die Stäbchen (Stäbchennetz, Ballowitz) und die Nervenausbreitung zwei sanz differente Bildungen sind und zwei verschiedene Substanzen dar- stellen, was, wie bekannt, mit der Meinung sehr vieler Forscher (Ranvier, Ciaccio, Cajal u. s. w.) in gänzlichem Widerspruche steht. Die beiden Bildungen aber stehen bei Torpedo in sehr intimen Verhältnissen zu einander, die Stäbchen und die Nervenenden berühren sich beinahe unter einander. Diese Verhältnisse erinnern in der That an die gegenseitigen Beziehungen der quergestreiften Fibrillen in den Muskelfasern zu den Nervenenden; sowohl die Stäbchen, als die Fibrillen sind von den Nerven durch eine feine Schicht Sarkoplasma von einander getrennt. Erinnert man sich der Entwickelung der Stäbchen und deren morphologischer Bedeutung, so wird man sagen können, dass die Analogie in den Beziehungen der Nerven zu den quergestreiften Muskelfasern an den elektrischen Platten eine beinahe vollständige ist. Es war sehr interessant, die bei Torpedo gefundenen Verhältnisse der Nerven zu den Platten auch bei den anderen elektrischen Fischen nach- zuprüfen. Leider war ich nur im Stande, dies bloss bei einigen Arten von Raja und Mormyrus zu machen, welche, wie bekannt, nur schwache oder pseudoelektrische Organe besitzen. Ohne in die Einzelheiten ein- zugehen, will ich hier noch bemerken, dass ich auch bei diesen Fischen nach jeder möglichen Behandlung der Praeparate (Osmium, Gold, Silber- imprägnation nach Cajal) freie Nervenendigung gefunden habe. Anfangs glaubte ich auch, dass die schwachen Organe sich von den starken nur hauptsächlich dadurch unterscheiden, dass in den ersten die embryonalen Verhältnisse der letzten für immer erhalten bleiben. Jetzt aber muss ich annehmen, dass die freie Nervenendigung überhaupt als allgemeine Regel für alle elektrischen Organe gelten muss. September 1896. ÜBER DIE.ENTWICKELUNG DES ELEKTRISCHEN ÜRGANES BEITORPEDO,ı 305 { Erklänmg‘ ‚dar 7 Abbildungen: [ers (Tat, Iv u. or Taf TE 0 eo day Alle Zeichnungen sind: mit‘ -Hülfe: der Abbe aden Camera ‚hergestellt und un liehst“naturgetreu wiedergegeben.“ 2. © Fig. 1: Junger Embryo ‘von Torpedo occelata - (etwa 2 bis 24, em), Einzelne Muskelfasern aus einem zerzupften elektrischen Säulchen nach Behandlung mit 1 proc. Osmiumsäure. ''In den''Zellen a sind noch keine quergestreiften Fibrillen zu erkennen; in b sind dieselben schon angedeutet. Apochrom. 3/0-95. Comp. 4. Zeiss. Fig. 2. Ein Theil des Schnittes durch ein Säulchen von einem Embryo von einem Entwickelungsstadium wie Fig. 1. Einer der Muskelkerne in karyokinetischer Theilung begriffen. Hermann’sche Flüssigkeit. Apochr. 3/0-95. Compocul. 4. Zeiss. Fig. 5. Embryo von Torpedo occel. (3/, ®). Birnförmige Plattenbildner, in denen Muskelfibrillen bemerkbar sind. Die Querstreifung an denselben ist schwach angedeutet. Drittelalkohol. Ranvier. Apochr. 2®/1-3 h. J. Comp. 4. Zeiss. Fig. 4. Längsschnitt durch die Säulchen im Stadium der birnförmigen Platten- bildner. Die letzteren in ihrer gegenseitigen Lage und das umgebende embryonale Bindegewebe. Object !/,. Powel and Lealand. Comp. 4. Fig. 5. Die Plattenbildner sind kuchenförmig geworden. Dorsales Ende des Säul- chens. Innere Belegzellen zwischen den Plattenbildnern. Hermann’sche Flüssigkeit, Colloidin. Powel and Zealand Y,. Comp. 4. Fig. 6. Eine kaum gebildete Platte von einem Embryo (4 °® Länge) von Torpedo occelata; a runde Kerne der Platte; db’ Belegzelle. 1. Apochr. 3/0-95. Comp. 4. Zeiss. 2. Hermann’sche Flüssigkeit. Fig. 7. Theil einer Platte (Embryo von Torpedo occel. von 4!/, °® Länge) am Anfange der Verbreitung der Nervenverzweigung. Osmiumsäure 1 Procent. a Kerne der Platte, b Belegzellen, ce Nervenfaser mit noch wenigen Verzweigungen. An der Eintrittsstelle der Nervenfasern ist der Rand der Platte eingebogen. Die Faser ist mit einer dünnen Hülle bedeckt (bei d sieht man eine Belegzelle, welche mit der Hülle zusammenfliesst). Die Boll’sche Punktirung ist ganz klar mit stärkeren Objectiven zu sehen. Apochr. 3/0-95. Comp. 4. Die Punktirung bei 2/1-3 h. J. angegeben. Taf, V. Fig. S. Theil einer sich verzweigenden an die embryonale Platte herantretenden Nervenfaser (Embryo 4!/, ®, Torpedo marm.). Bei a eine äussere Belegzelle, an deren Kerne noch Protoplasma zu sehen ist. An anderen Zellen ist dieselbe nicht zu bemerken. Osmiumsäure 1 Procent. Apochr. 2/1-3 h. J. Comp. 4. Zeiss, Archiv f. A, u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 20 306 OGNEFF: Die ENTWICKELUNG D. ELEKTRISCHEN ÜRGANES BEI TORPEDO. Fig 9. Theil einer Platte eines Embryo von Torpedo occel. (etwa 6°” Länge). Hermann’sche Flüssigkeit. a Kerne der Platte. a’ helle Zone an einem derselben. b Belegzellen. d Boll’sche Punktirung. e Nerv. Apochr. 2/1.3 h. J. Comp. 4. Zeiss. Fig. 10. Schnitt durch die Platten desselben Embryo, wie Fig. 9. 5 Beleg- zellen. d Punktirung. Apochr. 2/1-4. Comp. 4. Zeiss. Fig. 11. Theil einer Platte eines grossen Embryo von Torpedo occel. unweit von der Geburt. Hermann’sche Flüssigkeit. a Kerne der Platte. 5 Belegzellen. c Nervenfaser, deren Verzweigungen sehr zahlreich geworden sind. d Boll’sche Punk- tirung gleichmässig vertheilt. Apochr. 2m/1-4 h. J. Comp. 4. Figg. 12 u. 13. Nervenendigungen an Säulchen von sehr jungem Embryo von Torp. marm. Die Säulchen bestehen aus Muskelfasern. Imprägnation mit Silber nach R. y Cajal. Obj. C. Zeiss. Ocul. 2. Fig. 14. A.B.C. Nervenendigungen an Platten eines Embryo von Torpedo oecel. (von 4'/, ® ]..). Imprägnation nach R. y Cajal. Apochr. 3/0-95. Comp. 4. Fig. 15. Nervenendigung an Platten eines Embryo von Torp. occel. von 6 ® L. A ein Stämmchen mit zahlreichen Verzweigungen, welche theilweise mit Silbernieder- schlägen bedeckt und nicht überall gleichmässig imprägnirt sind. 2 eine Endverzwei- gung. Apochr. 2 "m/1-3 h. J. Zeiss. Comp. 4. Die längsgestreifte (glatte) Musculatur der Wirbelthiere.' Von Dr. med. Paul Schultz, Assistenten am physiologischen Institut zu Berlin. II. Ihre Verrichtung. Erster Beitrag. Einleitung. Während die Litteratur über die Physiologie der quergestreiften Muskeln bereits einen erstaunlichen Umfang angenommen hat und noch täglich mehr und mehr anschwillt, sind der Physiologie der längsgestreiften? Muskeln bisher nur wenig Untersuchungen gewidmet worden. Da auch diese in ihren Ergebnissen aus einander gehen oder fragmentarischen Charakter tragen, sind unsere Kenntnisse über die Verrichtung dieser Gebilde bis auf den heutigen Tag sehr gering. Dies hat einen einfachen Grund. Wie Engelmann? bei seinen eingehenden und grundlegenden Untersuchungen am Ureter des Kaninchens, so haben auch die späteren Forscher an Organen oder Organtheilen experimentirt, wo diese Muskeln nur einen Bestandtheil derselben, eine Schicht der Wandungen bilden, also mit anderen Geweben mannigfaltig verbunden sind, und wo ferner ihre Anordnung unter einander eine sehr zusammengesetzte ist. Man hat in diesen Fällen eine Resultante erhalten aus Componenten, deren Bewegungs-Grösse und -Richtung man nicht kannte und nicht bestimmen konnte. Es wäre genau das Nämliche, als ob man, um die quergestreiften Muskeln zu untersuchen, die Be- ! Die Arbeit ist October 1896 bei der Redaction eingegangen. ® Vergl. P. Schultz, Die glatte Museulatur der Wirbelthiere. Dies Archiv. Physiolog. Abthlg. 18 5. 3 Engelmann, Zur Physiologie des Ureter. Pflüger’s Archiv. Bd. II. 20* "308 Pıvu SCHULTZ: wegungen eines Armes oder Beines studiren würde. Man hat daher auch die autographische Methode auf die längsgestreiften Muskeln noch nicht anwenden können. Die Schwierigkeit also, welche sich der Erforschung der Physiologie dieser Gebilde entgegenstellte, bestand darin, ein Präparat darzustellen, in welchem sie von umgebenden Gewebsmassen isolirt sind und nur parallel neben einander und in parallelen Ebenen angeordnet sind. Da ein solches bisher fehlte, so konnte es kommen, dass wir, wie Bernstein in seinem neuesten Lehrbuch der Physiologie hervorhebt, noch nieht einmal eine ein- fache Zuckungscurve der glatten Muskeln besitzen." Im Jahre 1895 war es mir nun gelungen, ein solches Präparat im Magen des Frosches zu finden, und ich konnte damals der physiologischen Gesellschaft zu Berlin die erste selbst verzeichnete Contractionscurve der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere vorlegen.? Mehrere Monate später hatte Hr. Prof. J. Munk die Güte, mich auf eine Arbeit aufmerksam zu. machen, die in Bezug auf den letzteren Punkt mich eines Besseren belehrte. In einer Zeit, wo Prioritätsstreitigkeiten selbst in den kleinsten Dingen einen so breiten Raum und eine oft so unangenehme Form in wissenschaftlichen Abhandlungen einnehmen, freut es mich, selbst dazu beitragen zu können, — ob ich auch des eigenen Vor- rechtes dadurch verlustig gehe — dass der früheren Arbeit eines Forschers Gerechtigkeit widerfahre und Anerkennung werde. $Sertoli? hat bereits im Jahre 1832 eine Abhandlung veröffentlicht, in welcher er darlegt, dass der Retractor penis vom Hund, Esel und Pferd aus glatten Faserzellen besteht, dass diese hier parallelfaserig in der Längsrichtung zu einem be- sonderen Muskel angeordnet sind, also sich ebenso wie ein Sartorius zu physiologischen Versuchen eignen. Solche hat Sertoli angestellt; er. theilt die Ergebnisse, auf welche ich unten an geeigneter Stelle eingehen werde, in jener Abhandlung mit. Dabei wird zum ersten Mal eine einfache Con- tractionscurve dieser Muskeln abgebildet. Es ist auffällige, dass diese höchst interessante Thatsache den Physiologen hat entgehen können, so dass man sie in der Litteratur nicht: verzeichnet findet.* Meine eigene histologische Nachuntersuchung dieses Muskels beim Hunde kann im Wesentlichen nur die Richtigkeit der Angaben Sertoli’s bestätigen. ! Bernstein, 'Lehrbuch der Physiologie. Stuttgart 1894. * Vergl. Verhandlungen .der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. XI. Sitzung vom 5. April 1895. Dies Archiv. Physiolog. Abthlg. 1895. ® Sertoli, Contribution & la physiologie generale des muscles lisses. Archives Italiennes de Biologie. U. | * Ausgenommen: J. Munk, Lehrbuch der Physiologie. 2. Aufl., 1888, S. 325; 3. Aufl., 1892, S. 341; 4.-Aufl., 1897, $. 350. DIE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 309 Dennoch eignet sich das Präparat nicht zu ausgedehnteren Versuchen, da man in physiologischen Instituten nicht Hekatomben von Hunden, Pferden und Eseln opfern kann. Aber immerhin ist es höchst werthvol. Denn nachdem man erst einmal die Methoden an einem leichter zugänglichen Präparat festgestellt hat, besitzt man so ein Mittel, die wesentlichen Ver- suche auch an längsgestreiften Muskeln der Warmblüter anzustellen und ‘ihr Verhalten mit denen der Kaltblüter zu vergleichen. Auch ich habe mich daher, wo es von Wichtigkeit war, dieses Präparates vom Hunde bedient. Das Präparat. Der Magen des Frosches besteht, wie die histologische Untersuchung ergiebt, aus folgenden Schichten von aussen nach innen: Serosa mit Sub- serosa, Muscularis, Submucosa, Muscularis mucosae, Mucosa. Die mächtigste ‘Schieht bildet die zwischen Serosa und Submucosa gelegene Muscularis. Sie macht den Hauptbestandtheil der Magenwandurg aus, und ihre Masse ist es, die den Magen gegenüber dem Oesophagus und dem Dünndarm als ein so voluminöses Organ erscheinen lässt. Die Muskelzellen derselben sind, wie Serienschnitte lehren, nur ringförmig, senkrecht zur Längsaxe des Organs angeordnet. Man hat also hier in der That Faserzellen, welche alle in derselben Richtung unter einander parallel verlaufen. Ueber die Gewinnung des Muskelpräparates für den physiologischen Versuch ist bereits in meiner ersten Mittheilung! ausführlich die Rede ge- wesen. Ich will hier kurz wiederholen, dass der Frosch mit dem Rücken auf ein Brett genagelt, die Bauchhöhle eröffnet und der Magen hervor- ‚geholt wird. Dann wird mit einer scharfen geraden Scheere ein ring- förmiges Stück herausgeschnitten, der Ring durch einen Querschnitt geöffnet und die Schleimhaut abgetragen, was sehr leicht gelingt. Die Museularis ist jetzt auf der einen Seite von der Serosa, auf der anderen Seite von einem geringen Rest der Submucosa bedeckt. Man hat so ein Stück, in welehem die Elemente parallel neben einander angeordnet sind, das also ganz einem Sartoriuspräparat entspricht. Die Breite eines solchen Präparates war im Mittel 3!/,"=, die Länge 11”®, die Dicke Im, Es lässt sich sonach die Zahl der darin enthaltenen Muskelzellen auf etwa 3 bis 4 Millionen schätzen. Unmittelbar nach der Bereitung befindet sich ‚das Stück in Folge des mechanischen Insultes in einem Zustand starker Contraction, welche jedoch: bald bis zu einem gewissen Grade von selbst zurückgeht. i Veber den Einfluss der Temperatur u. s. w. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. Sr, 8b Ale 310 PAUL SCHULTZ: Um nun auch physiologisch zu erhärten, was die mikroskopische Unter- suchung lehrt, nämlich, dass die Muscularis des Froschmagens ringförmig, senkrecht zur Längsaxe desselben angeordnet ist, genügt ein einfacher Ver- such. Das auf die eben beschriebene Weise gewonnene Präparat wird in einen den feineren Verhältnissen entsprechend umgeänderten Muskeltele- graphen gespannt und mit den Polen einer mehrgliedrigen Groves’schen Kette oder eines mit zwei Daniells armirten Schlitteninductoriums in Ver- bindung gesetzt. Schickt man jetzt den Strom hindurch, so erfolgt eine Contraction der Art, wie ich sie in meiner ersten Mittheilung beschrieben habe. Bereitet man sich nun ein gleich grosses Präparat aus demselben Magen in ähnlicher Weise, nur dass man anstatt senkrecht, jetzt parallel zur Längsaxe des Magens schneidet, also keinen Ring, sondern ein gerades Stück erhält, so bewirkt die Reizung selbst mit dem stärksten Strome nicht die geringste Verkürzung, der Telegraph bleibt in Ruhe. Denn man hat die Elemente quer durchschnitten und die Verkürzungsrichtung der un- versehrt gebliebenen steht senkrecht zur Zugrichtung des Telegraphen. Am Froschmagen hat übrigens auch Morgen,! wie ich später ersehen habe, vor mehreren Jahren experimentirt. Er schnitt ebenfalls ein ring- förmiges Stück heraus, trug die Schleimhaut ab, wodurch er die nervösen Elemente ausgeschaltet.zu haben glaubte, und brachte einen solchen Ring in die feuchte Kammer des Myographions. Dabei nahm er an, dass die quer zur Längsaxe des Magens verlaufenden Ringmuskeln wegen ihrer stärkeren Entwickelung die Längsmuskeln überwiegen. Von der wirklichen Anordnung der Zellen wusste er nichts. Trotz der unvollkommenen Versuchseinrich- tung ist Morgen dennoch in mehreren Punkten zu sehr bemerkenswerthen Ergebnissen gekommen, die leider nicht die verdiente Beachtung gefunden haben. Ich werde unten an geeigneter Stelle näher darauf eingehen. l. Mechanische Reizung. Quetschung, Druck und Stoss gegen eine harte Unterlage, Scheeren- schnitt, kurz jeder hinreichend starke, kurze mechanische Insult bewirkt eine Zusammenziehung der Muskeln, auch der atropinisirten.” Mehrere auf einander folgende kurze Insulte, wie man sie etwa mit dem Tetanomotor von Heidenhain einwirken lassen kann, verstärken die Dauer und die Stärke der Contraction. Doch gelingt es hierdurch nicht, eine gleich- mässige, länger anhaltende Zusammenziehung, also einen Tetanus dieser ! Morgen, Ueber Reizbarkeit und Starre der glatten Muskeln. Untersuchungen aus dem Physiologischen Institut der Universität Halle. 1890. Hft. 2. ? Siehe unten 8. 312. DIE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 311 Muskeln hervorzurufen. Natürlich werden durch diese mechanischen Ein- wirkungen die Muskelfasern der betrefienden Stelle zum Absterben gebracht. Engelmann giebt an, dass schon blosses Streichen des Ureters mit der Nadel locale Contraction und Peristaltik hervorrufe! Auch an unserem Präparat kann man bisweilen dadurch oder schon durch blosses Bestreichen mit dem mit physiologischer Kochsalzlösung getränkten Pinsel eine Zu- sammenziehung hervorrufen. Doch geht diese nicht aus unmittelbarer Ein- wirkung auf die Muskelzellen selbst hervor; denn am atropinisirten Prä- parat findet sie nicht statt. Sie ist vielmehr ein Reflexphänomen, ver- mittelt durch die zahlreichen sensiblen Nervenendigungen, die sich hier finden. Ein Gleiches muss auch für die Erscheinungen am Ureter an- genommen werden. Ebenso erklärt sich auch, dass bei unserem Präparat eine kurze, nicht zu starke Dehnung eine Contraction auslösen kann. Ferner gehört in das Gebiet der Reflexerscheinungen, dass an den Gefässen Streichen mit einer Nadel eine locale Erweiterung hervorruft.? 2, Chemische Reizung. Dieselbe wurde so vorgenommen, dass das Präparat in den um- geänderten Muskeltelegraphen eingespannt wurde. Dies geschieht mit Hülfe von zwei kleinen Drahtklemmen, die mit den Polen eines Inductoriums in Verbindung gesetzt werden können. Mit Pinsel oder Glasstab wurde das chemische Agens, dessen Wirkung geprüft werden sollte, in der Mitte des Präparates auf die obere und untere Fläche aufgetragen. Hierdurch sollte vermieden werden, dass ein etwa vorhandener Eigenstrom der Muskelfasern vom Längs- zum Querschnitt, indem die Flüssigkeit als feuchter Leiter diente, ausgelöst wurde. Denn an den beiden Rändern befinden sich nur Längsschnitte der Zellen, während die Querschnitte an den Enden auf der Klemme liegen. Also nur auf die freiliegende Mitte des Präparates wurden die verschiedenen Substanzen zur Einwirkung gebracht. War ein Erfolg eingetreten, so wurde die elektrische Erregbarkeit mittelst eines Du Bois’schen Schlitteninductoriums geprüft, dessen primäre Rolle mit zwei Daniells armirt war. Salze wurden in physiologischer Kochsalzlösung gelöst. Um gasförmige Substanzen zu untersuchen, wurde das Präparat in eine kleine runde Glaskammer gebracht. Diese wurde oben durch einen aufgelegten Glasdeckel verschlossen und trug an zwei gegenüberliegenden Stellen einen Schlitz zum Hineinbringen des in den Telegraphen ein- IA.a.0. S. 289. ° 8. Mayer, Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. V. Anh. 2. S. 476. 3 | PıuL ScHuntz: gespannten Muskelstückes, so dass sich der zum Hebel gehende Faden völlig frei bewegen konnte. Aqua destillata wirkt als. schwacher Reiz. Es erfolgt nach Auf- tragen desselben eine geringe Zusammenziehung. ! Wäscht man gleich darauf mit physiologischer Kochsalzlösung aus, so kann man noch ein zweites und drittes Mal solche Wirkung erzielen. Die u SH Reizbar- keit wird dadurch nicht verändert. Eintr ocknung bringt die Muskelfasern Rallz zum Absterben. Diese zu vermeiden muss man daher bei allen Ver suchen sorgfältig bedacht sein. Dass hierbei ganz beträchtliche Hubhöhe und mässig. starke Spannung ent- wickelt wird, habe ich schon in meiner ersten Mittheilung dargethan. Mittel, welche in. besonderer Beziehung zu den längsgestreiften | Muskeln stehen. Es lag nahe, zuvörderst diejenigen Substanzen zu en von denen wir aus klinischen Erfahrungen wissen, dass sie specifische Bedeutung für die „elattmuskeligen Organe“ haben. Zunächst solche, ualans Wehen und Peristaltik anregen. i ' Extractum Secal. cornut. fluid. (wässeriger Extrakt) bewirkt in starker Lösung energische Contraction. Eine schwächere, aber doch deut- liche Zusammenziehung bewirkt Extract. Hydrast. fluid. in starker Lösung, ‘ebenso Extract. Alo& aquos. und Podophyllin, in Substanz auf ‘das Präparat gestreut. Auch Tet. Coloeynthidis ruft Contraetion hervor; da diese Tinetur indessen alkoholisch ist, so kann nicht entschieden erden: ob dies nicht eine Wirkung des Alkohols ist. Eine schwache Zu- sammenziehung erfolgt ferner nach Einwirkung von Oleum ricini, wäh- rend Oleum olivarum und Oleum crotonis keinen Einfluss ausüben. Hieraus geht also hervor, dass das Oleum crotonis erst mittelbar durch chemische Veränderung (Abspaltung des wirksamen Bestandtheiles der Crotonolsäure) zur Wirksamkeit im Darme gelangt, während die anderen Mittel schon direet die Muskeln zur Contraction bringen können. Ob dies der wirkliche Vorgang ist, wird hierdurch keineswegs ausgemacht. Denn es können sehr wohl die Substanzen von der Schleimhautoberfläche oder vom Blut aus entweder so, wie sie eingeführt sind, oder erst: chemisch verändert, auf die grossen Gangliencomplexe, welche sich immer in den ! Im Folgenden ist unter Contraction und Zusammenziehung die echte Muskel- zusammenziehüung .verstanden; unter Verkürzung eine Verringerung der . Länge des Präparates, wobei über die Natur dieser Längenabnahme nichts ausgemacht sein soll. DiE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 313 Organen mit längsgestreiften Muskeln finden, wirken und dadurch einen grösseren und anhaltenderen Effect hervorbringen. Ueber die Wirkungsweise des Atropin. sulf. soll in einer demnächst erscheinenden Arbeit besonders berichtet werden. Hier sei bemerkt, dass es, auf unser Präparat gebracht, den Tonus und die auftretenden auto- matischen Contractionen aufhebt, dass es dagegen sogar in stärkster Lösung (2 Atrop. sulf.:5 physiol. NaCl-Lösung) die Muskeln selbst nicht angreift, da ihre mechanische und elektrische Erregbarkeit keine merkliche Einbusse erleidet. Es lähmt also offenbar die enthaltenen nervösen Elemente, wahr- scheinlich die motorischen Nervenendigungen (siehe unten bei Nicotin). Ich benutzte für diese Versuche eine 5 procent. Lösung,! von der eine geringe Menge mittelst eines Pinsels auf das Präparat gebracht wurde. Atropini- sirter Muskel ist aiso ein solcher, in dem die nervösen Elemente ge- lähmt sind. | Physostygmin salicylic. in 2procent. Lösung brachte keine Wirkung hervor. Weder fand eine irgendwie merkliche Zusammenziehung statt, noch war die elektrische Erregbarkeit verändert. Es ist also wenigstens für die Kaltblüter völlig irrthümlich, dass das Physostygmin die Muskeln selbst erregen, ja bis zum anhaltenden Krampfe reizen soll, ebenso wenig kann es auf die intramusculären motorischen Nervenapparate irgend einen Einfluss ausüben. Da nun aber heftige peristaltische Bewegungen und Contractionen des Magens, der Milz, der Blase und des Uterus beobachtet sind, so muss, wenn es erlaubt ist, die Verhältnisse des Froschmuskels ohne "Weiteres auf die Warmblüter zu übertragen, die Wirkung des Physostyg- mins mehr centralwärts sich entfalten, sei es in den Ganglienhaufen in den umgebenden Schichten (Submucosa), sei es noch weiter hinauf. Hierbei ist Folgendes zu beachten. Bei den bisherigen Versuchen, durch die man die Wirksamkeit solcher Substanzen festzustellen suchte, brachte man meist Lösungen davon in die Blutbahn. Hierdurch kann ein- mal eine Veränderung dieser chemischen Agentien bewirkt werden, wenn wir sie auch zur Zeit noeh nicht kennen. Zum andern hat man vielfach geglaubt, dass der Ort, wo sichtbare Erscheinungen auftraten, auch der nämliche sein müsse, wo die Substanz ihre Wirkungen entfalte. Bei der Combination: Neuron und Muskelzelle, ist dies aber ein durchaus unzu- lässiger Schluss. Um so unzulässiger in unserem Falle, als wir die Inner- vation dieser Muskeln kennen zu lernen erst anfangen, und als diese ober- flächliche Kenntniss uns schon belehrt, dass die Verhältnisse hier äusserst eomplieirt sind. Wo man aber die zu prüfenden Mittel local einwirken ! Eine 1 procent. Lösung genügt schon; nur der schnelleren und sicheren Wirkung ‘wegen wurde die stärkere Lösung gewählt. 314 PAUL SCHULTZ: liess, ist es immer durch die Schleimhaut oder die Serosa hindurch ge- schehen. Auch dann treteu wieder die beiden eben genannten Bedenken auf. In meinen Versuchen dagegen wird die Substanz direct auf die überlebende isolirte Muskelsubstanz gebracht. Die Innervationsverhältnisse fn dem benutzten Präparat sind uns bekannt, und wir vermögen ferner durch die locale Anwendung des Atropins die nervösen Elemente auszu- schalten. Wo nun ein Widerspruch zwischen den hier vorgetragenen Ergebnissen und den bisherigen Erfahrungen sich zeigt, bleibt es weiterer Nachuntersuchung vorbehalten, die Gründe dafür aufzufinden. Andere Mittel. Keine Einwirkung bei localer Application zeigten ferner Lösungen von 0-1 Procent Pikrotoxin, 0-1 Procent Muscarin, 1 Procent Pilocarpin hy- drochl., 1 Procent Strychnin nitr., 1 Procent Chin. sulf.,, 5 Procent Chloralhydrat. Ebenso wenig rief eine 5procent. Veratrinlösung eine Aenderung der elektrischen Erregbarkeit oder des Contractionsverlaufes hervor. Eine frisch bereitete 2 procent. wässerige Blausäurelösung brachte regelmässig zuerst ein leichtes Absinken der Fahne, dann ein mässiges Ansteigen zu Stande. Wahrscheinlich ist die erstere Wirkung eine nervöse, lähmende, während bei längerem Verweilen die Bläusäure die Muskeln selbst in geringem Grade reizt. Nach 1 procent. Nicotinlösung findet ein Absinken der Fahne statt, doch bleiben die Muskeln völlig reizbar mit dem elektrischen Strom. An eineın atropinisirten Präparat tritt dieses Absinken nicht ein. Bringt man dagegen nach Nicotin die Atropinlösung auf, so folgt noch ein weiteres und schnelles Absinken der Fahne, also ein Aufhören des bestehenden Tonus.! Nach dem, was wir durch Langley über das Nicotin wissen, müssen wir annehmen, dass in unserem Präparate einige motorische Ganglienzellen erhalten geblieben sind. Ihre Lähmung bewirkt die 1 procent. Nicotin- lösung und damit ein geringes Nachlassen des Tonus, während das Atropin durch die Lähmung noch weiter peripher gelegener nervöser Apparate, also etwa der motorischen Nervenendigungen, jede Erregung der Muskelzellen aufhebt und damit den Tonus völlig beseitigt. Concentrirtes Nicotin bringt eine starke Verkürzung der Muskeln selbst hervor, darauf folgt eine Er- schlaffung, die Muskeln sind abgestorben und zeigen ein trübes, weiss- liches Ansehen. Wirkungslos sind wiederum Terpentin und Amylnitrit in Dampf- form. Glycerin bringt wie Milchsäure weder verdünnt noch concentrirt ! Dieser Tonus ist, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ein Reflextonus. DıE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 315 eine Veränderung hervor, während für den quergestreiften Muskel beide in verdünntem Zustand Reize abgeben.! Von anderen Säuren wurden H,SO,, HNO, und HÜl geprüft. Sie bringen concentrirt und verdünnt (auch 1 Procent und D.1 Procent HÜ]) die Elemente ohne Verkürzung zum Absterben. Bei den concentrirten Säuren geschieht dies sofort; bei concentrirter H,SO, tritt dann meist eine geringe Verkürzung ein, die durch schnelle Wasserentziehung bedingt sein mag. Dies Verhalten der glatten Muskeln hatte schon Morgen? beob- achtet, und er findet es mit Recht um so eigenthümlicher, als beim quer- gestreiften Muskel die Säuren selbst in starker Verdünnung erregend wirken. Ganz anders verhalten sich, wie auch schon Morgen an seinem Prä- parat beobachten konnte, die Alkalien. NaHO und KHO sind starke Reize. Eine 1 procent. NaHO gehört zu den stärksten chemischen Er- regungsmitteln für die längsgestreiften Muskeln; auch eine 0.1 procent. NaHO zeigt sich noch deutlich wirksam. Aehnlich verhält sich KHO. Auf die sofort nach Aufbringen der Laugenlösungen eintretende energische Con- traction folgt meist unmittelbar ein Absinken der Fahne; dies geht noch weit unter den ursprünglichen Stand hinunter. Das Präparat ist abgestorben es zeigt ein opakes, gallertiges Aussehen. Die Laugen wirken zuerst wahr- scheinlich als heftiger chemischer Reiz; dabei dringen sie sehr schnell in das Präparat ein. Darnach folgt, wie die mikroskopische Beobachtung lehrt, eine Quellung der Elemente bis zur Vernichtung ihres histo- logischen Baues. Eine 10 procent. NaCl-Lösung bewirkt Absinken der Fahne, also Dehnung; auch wieder, wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, in Folge Quellung der Elemente. Sie werden dadurch natürlich zum Absterben ge- bracht. Engelmann® hatte dieses Reagens bekanntlich zur Darstellung der Fibrillen bei den Elementen des Froschmagens benutzt. Eine 10 proc. Traubenzuckerlösung ist ohne jeden Einfluss. Kupfersulfat, Eisenchlorid, beide Bleiacetate, die heftige Reize für den quergestreiften Muskel bilden, sind hier ohne jeden Einfluss. 10 procent. Arg. nitric.-Lösung ruft geringe Verkürzung hervor, wahrscheinlich in Folge der Coagulation der obersten Schichten. Bei Aufbringen von Alkohol findet ebenfalls eine geringe Verkürzung statt. Die Reizbarkeit gegen den elektrischen Strom bleibt erhalten, ! Landois, Lehrbuch der Physiologie. 1891. 8. 588. ®2 Morgen, a. a. O. 8. 158. ° Engelmann, Ueber den faserigen Bau der contractilen Substanzen, Pflüger’s Archiv. Bd. XXV. 316 -Pıvu Scavunrz: doch ist sie herabgesetzt; die erhaltenen Contractionen sind nicht mehr so energisch. Und sie werden es, immer weniger, je länger der Alkohol ein- wirkt. Es bringt also der Alkohol offenbar die Elemente zur Gerinnung und zum gleichzeitigen Absterben. Da er aber nur sehr langsam eindringt, so bleiben anfänglich im Innern noch unverletzte Schichten übrig. Aether in Dampfform bewirkt Absinken der Fahne, also Dehnung des Präparates. Die Erregbarkeit bleibt erhalten; es gelingt, auch wenn die Dämpfe schon einige Zeit eingewirkt haben, noch energische Con- tractionen mit dem elektrischen Strom auszulösen. Das hatte auch schon Morgen! bemerkt. Und ganz richtig deutet er’ dieses Verhalten als Lähmung der nervösen Elemente und damit Aufheben des Tonus. Dies können wir jetzt noch direct beweisen: am atropinisirten Muskel tritt die Dehnung nicht ein. Bei längerem Verweilen des Präparates in den Aether- dämpfen glaube ich schliesslich eine Abnahme der Erregbarkeit bemerkt zu haben, es würden also bei hinreichend langer Einwirkung die Muskel- elemente selbst angegriffen werden. Lässt man Chloroformdämpfe auf ein Muskelstück einwirken, das sich im Tonus befindet oder automatische Bewegungen zeigt, so erfolgt als- bald ein schnelles Absinken der Fahne; der Tonus lässt nach, die Be- wegungen hören auf. Diese Thatsache, die sich jedes Mal mit voller Sicher- heit ergiebt, ist Morgen? entgangen. Richtig dagegen hat er wieder den weiteren Verlauf beobachtet. Lässt man noch weiterhin das Präparat in den Chloroformdämpfen, so tritt eine ganz langsame Verkürzung ein, die zunimmt bis zur völligen Starre. Auf der Höhe derselben ist die Reizbar- keit völlig erloschen, die Muskeln sind abgestorben. Kurz vorher indessen ist das Präparat noch elektrisch reizbar. Wir müssen uns also, wie beim Aether, so auch hier vorstellen, dass das Chloroform anfänglich die Nerven . Jähmt, die den Tonus unterhalten und die automatischen Bewegungen verursachen. Erst nach längerer Einwirkung greift es, freilich viel kräf- tiger als Aether, die Muskelelemente selbst an und bringt sie unter energischer Verkürzung zum Absterben. Indem es nur sehr langsam in das Präparat eindringt, geht diese Verkürzung sehr langsam vor sich; andererseits bleiben dabei im Innern bis zuletzt noch unversehrte aka. die auf den elektrischen Reiz noch reagiren können. Dass diese Auffassung richtig ist, dafür spricht, dass am atropinisirten Muskel nur Va zuza nach über Einwirkung der CHCl,-Dämpfe eintritt. ö Sehr verdünnte Ammoniakdämpfe wirken reizend auf die Muskeln selbst, da auch beim atropinisirten Muskel Verkürzung eintritt. Die. Reiz- Zonen, ara 02 8159: ®? Morgen, a. a. ©. S. 154. DIE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 8317 barkeit gegen den elektrischen Strom bleibt dabei erhalten. Bringt man dagegen das Präparat in die mit cone. Ammoniakdämpfen gefüllte Gas- kammer, so tritt sofort starkes Absinken der Fahne ein. Der elektrische Strom ist unwirksam, die Muskeln sind todt. Aehnliches hatte auch Morgen! beobachtet. Bei der Untersuchung über den Einfluss der Kohlensäure ist zu beachten, dass dieselbe chemisch völlig rein ist (keine HCI-Dämpfe enthält), ferner, dass sie auf den Boden der Gaskammer geleitet wird und dieselbe in allmählichem Aufsteigen anfüllt, dass sie also nicht direct auf das Prä- parat einströmt, schliesslich, dass das Präparat vor Austrocknung geschützt bleibt. Die anfänglich sich widersprechenden Resultate konnten doch durch immer und immer wieder von Neuem angestellte Versuchsreihen zu einem übereinstimmenden Befunde geführt werden. Im Beginne der Kohlensäure- einwirkung tritt Absinken der Fahne ein; sind automatische Contractionen vorhanden, so werden ‘dieselben aufgehoben, und es tritt ebenfalls Absinken der Fahne ein. Unterbrieht man jetzt die Zufuhr der Kohlensäure und wäscht mit O oder mit H aus, so erfolgt eine sehr energische Contraction. Leitet man anstatt dessen weiter CO, zu, so erfolgt häufig noch ein lang- sames Ansteigen der Fahne, eine Verkürzung. Bringt man ein atropini- sirtes Präparat in die CO,, so erfolgt bisweilen noch ein geringes Absinken der Fahne, meistens aber ist gar keine Wirkung bemerkbar. Beim Unter- brechen des CO,-Stromes und Auswaschen mit O oder H erfolgt nichts. Fährt man dagegen mit CO,-Zufuhr fort, so kann noch eine Contraction erfolgen. _Die Deutung dieser Ergebnisse scheint mir folgende zu sein: Sehr geringe Mengen von CO, reizen die nervösen ‚Apparate. Dies tritt beim Auswaschen des Präparates in einem bestimmten Augenblick ein, während beim atropinisirtten Muskel diese Wirkung ausbleiben muss. Grössere Mengen CO, lähmen die nervösen Apparate, daher Nachlassen des Tonus und Aufhören der automatischen Contractionen. Noch weitere Zu- fuhr von CO, wirkt reizend auf das Protoplasma der Muskelzellen, daher dann noch eine Verkürzung erfolgen kann. Die Erregbarkeit gegen den elek- trischen Strom bleibt den Muskeln auch bei stärkstem O0,-Zufluss erhalten, bis die eben erwähnte Verkürzung eintritt, wobei die Erregbarkeit abnimmt. HCl als Gas ruft energische Contractur und sofortiges Absterben hervor. Schliesslich lag nun noch der Gedanke nahe, Cholera- und Typhus- gift zu prüfen. Zu dem Zweck wurden Reinculturen dieser Bakterien in Bouillon angelegt. Leider zeigte es sich, dass diese Bouillon schon im sterilen Zustande reizend auf die Muskeln wirkte. Eine wässerige Lösung der Toxine dieser beiden Bakterienarten stand mir aber nicht zu Gebote. ı Morgen, a. a. O. S. 154, 318 PAuvL ScHuutz: 3. Thermische Reize. Schon seit Langem hat man angenommen, dass die glatten Muskeln besonders empfindlich gegen thermische Reize sind. Eingehende Unter- suchungen hierüber haben zuerst Grünhagen und Samkovy! angestellt. Sie fanden (und diese Angaben haben sich bis heute in allen Lehrbüchern erhalten), dass lebende glatte Muskeln des Frosches sich ausdehnen bei der Erwärmung, sich eontrahiren bei der Abkühlung und dass die glatten Muskeln der Säugethiere sich im Allgemeinen umgekehrt verhalten. Für die glatten Muskeln der Säugethiere ist indessen Sertoli? zu anderen Er- gebnissen gekommen. Die Muskeln bleiben verlängert, wenn die Tem- peratuwr des umgebenden Mittels niedrig ist (2 bis 5°), oder wenn sie in den physiologischen Grenzen liegt (35 bis 37%). Als Reiz wirkt lediglich die Veränderung der Temperatur, also die Abkühlung, wenn der Muskel sich im warmen Medium befand, und die Erwärmung, wenn das Medium kühl war. Bei sehr reizbaren Muskeln beginnt bei langsam fortschreitender Erwärmung etwa bei 12° die Verkürzung, die bei etwa 18° oder 20° ihr Maximum erreicht. Darnach beginnt von Neuem eine Verlängerung. Ist die Reizbarkeit herabgesetzt, dann liegt das Maximum der Contraction bei 30° und darüber. Die Contractionen, die durch Veränderungen der Tem- peratur hervorgerufen werden, sind stärker als die durch starken elektrischen Reiz hervorgebrachten; so verkürzt sich der Retractor um die Hälfte, ja um ?/, seiner ursprünglichen Länge. Die thermische Reizbarkeit scheint länger vorzuhalten als die elektrische; es gelang Muskeln durch Wärme zur Zusammenziehung zu bringen, die auf elektrischen Reiz nicht mehr reagirten. Die Curve der durch die Wärme hervorgebrachten Contraction gleicht im Wesentlichen der auf elektrischen Reiz erfolgenden. Morgen,‘ der die frühere Arbeit Sertoli’s nicht kannte, kommt zu dem nämlichen Resultat wie Grünhagen und Samkovy, dass die glatten Muskeln des Kaltblüters sich beim Abkühlen ceontrahiren, sich dehnen bei Erwärmen, die des Warmblüters dagegen sich beim Erwärmen contrahiren. Meine eigenen Untersuchungen haben das Interesse, zu zeigen, wie die experimentelle Physiologie in der Lage ist, auf ihre Weise einen histo- logischen Befund zu bestätigen und den daran geknüpften hypothetischen ! Grünhagen und Samkovy, Ueber den Einfluss der Temperatur auf den Dehnungszustand u. s. w. Pflüger’s Archiw. Bd. IX. S. 399. ? Sertoli, a. a. ©. 8. 16. 3 Hier wie in allen folgenden Temperaturangaben beziehen ‘sich die Zahlen auf die hunderttheilige Scala. * Morgen, a. a. ©. 8. 165. Die LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 319 DOE SOE Of > 06 el eEEWDEREE OR “uopumoog CH = wI :1—E 'SIg "UOPUMDES CE = mE :z pun I "Iäry “uredo,) "gosong °L "SH "urdoayy "yosoL] 9 "SLA "gosorg °C "dıg Ber cdE os€ Ok -urdoryy eu g 'Iıg AM yerederg ogjesseq °F 'SLH "yS0LT 3 "SIT 20277 202 0 22 00E u; ‘pung woA sıuad Iopenay "E "SIa yosorg 7 "SI4 320 PAUL SCHULTZ: Erwägungen thatsächliche Grundlage zu verleihen. Der Apparat, der zu den Untersuchungen verwandt wurde, war derselbe, den ich bereits in meiner Arbeit über den Einfluss der Temperatur auf die elektrische Erreg- barkeit der längsgestreiften Muskeln abgebildet und ausführlich beschrieben habe,! Er hat den Vortheil, dem Muskelstück sicher die jedesmalige Temperatur der umgebenden Luft zu. ertheilen und die Temperaturveränderungen in sehr grossen Grenzen (— 12 bis 70°) und in beliebigem Tempo leicht und bequem vornehmen zu lassen. Bringt man in diesen Apparat ein Muskelstück und erwärmt fort- schreitend, so beginnt bei etwa 20° eine langsame Dehnung, die etwa bei 28° plötzlich durch eine oder mehrere auf einander folgende, sehr energische Contractionen unterbrochen wird. Ganz das Nämliche erhält man beim Retractor penis vom Hunde, nur dass die Temperatur, bei der die erste energische Contraction eintritt, höher liegt, bei 30° und darüber. Hat sich dann das Präparat einige Zeit in der höheren Temperatur befunden, so dass die Contractionen nachgelassen haben, so bringt weitere Erwärmung oder Abkühlung dieselbe Wirkung hervor. In der That ist es völlig richtig, was Sertoli behauptet, dass die Aenderung der Temperatur, mag sie langsam oder schnell vor sich gehen, einen Reiz für die längs- gestreiften Muskeln abgiebt. Ebenso richtig ist, dass die durch die Wärme ausgelösten Contractionen viel kräftiger sind als die durch starken elektrischen Reiz hervorgebrachten. Bei genauerem Zusehen muss es in- dessen auffallen, dass jedes Mal beim Erwärmen, noch bevor die Con- tractionen auftreten, eine ausgesprochene Dehnung zu beobachten ist. Es lässt sich nun nachweisen, dass die Curven, welche man erhält, Resultanten sind aus zwei Componenten. Die eine dieser Componenten stellt die Ein- wirkung auf die nervösen Elemente dar. Als solche dürften in diesem Falle die zahlreichen Ganglienzellen mit ihren Endverzweigungen anzu- sehen sein, welche ich in den längsgestreiften Muskeln nachgewiesen habe, und welche ich als sensibles System von dem bereits bekannten, dem motorischen System unterschied.” Diese sensiblen Apparate sind äusserst empfindlich gegen Veränderungen der Temperatur und sie werden bei Kaltblütern selbst bei langsam fortschreitender Erwärmung bei etwa 25 bis 30° (bei Warmblütern etwas höher) besonders heftig erregt. Reflectorisch werden dann die Contractionen der Muskeln ausgelöst. Der Nachweis hierfür lässt sich so führen, dass man die nervösen Elemente lähmt einmal dureh Atropin (wahrscheinlich die motorischen), das andere Mal durch Cocain (die sensiblen). In beiden Fällen bleiben bei langsamer und schneller 1 Dies Archiv. 1897. 8.4. ” Dies Archiv. 1895. S. 540 ff. DiE LÄNGSGESTREIFTE (GLATTE) MUSCULATUR DER WIRBELTHIERE. 9321 Erwärmung die plötzlichen energischen Contractionen aus, ja eine eigent- liche Contraetion findet überhaupt nicht mehr statt. Selbstverständlich ist die sonstige Reizbarkeit der Muskeln (gegen den elektrischen Strom) vollständig erhalten. Wir haben dann die zweite Componente vor uns, welche den Einfluss der Temperatur auf die Muskelzellen selbst darstellt. Hier zeigt sich nun, dass diese bei Warmblütern wie bei Kaltblütern durch die Wärme sehr allmählich gedehnt werden, durch die Kälte mässig, jene kräftiger als diese, verkürzt werden. Die prompte Reaction auf Temperaturveränderungen also, welche man bisher den glatten Muskeln selbst als eine ihnen wesent- liche Eigenthümlichkeit zuschrieb, kommt ihnen durchaus nicht zu. Sie ist vielmehr eine Wirkung der darin enthaltenen sensiblen Ganglienzellen in der Weise, wie dies oben angedeutet wurde. Ebenso muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass der bisher angenommene Unterschied zwischen "Warm- und Kaltblütermuskel gegenüber Temperaturveränderungen nicht besteht. Archiv f. A.u.Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 21 Zur Physiologie der längsgestreiften (glatten) Muskeln. Von Dr. med. Paul Schultz, Assistenten am physiologischen Institut zu Berlin. Spontane Bewegungen, Tonus, Peristaltik. Dritter Beitrag. Bereitet man sich ein Muskelpräparat der längsgestreiften Muskeln, indem man, wie ich angegeben,? aus dem Froschmagen senkrecht zu seiner Längsaxe einen Ring herausschneidet, diesen öffnet und die Schleimhaut abträgt, und bringt dieses Präparat in einen Muskeltelegraphen, so beob- achtet man nicht selten die höchst merkwürdige Erscheinung, dass dieses herausgeschnittene, völlig isolirte Stück spontane rbythmisch auf einander- folgende Contractionen zeigt. | Solche spontanen Contractionen hatte bereits Sertoli® een und eingehend beschrieben. Ich theile das Wesentliche daraus an dieser Stelle mit, da es sonst nirgends in der Litteratur erwähnt ist. Er hat die Bewegungen am Retractor penis des Pferdes und des Esels studirt. Ein solcher Muskel, mit 15% belastet, wurde in einer feuchten Kammer aufgehängt. Nach einer gewissen Zeit beginnen die Contractionen, indem sich der Muskel ohne jede äussere Ursache verkürzt und wieder verlängert. Diese Bewegungen sind langsam, aber beim Muskel des Pferdes so deut- lich, dass man sie myographisch verzeichnen kann. Dabei ist die Gestalt der erhaltenen Öurve ausserordentlich wechselnd. In einem besonders günstigen Fall dauerte die kürzeste Contraction zwei Minuten, die längste vier, sechs und mehr Minuten. Die Verkürzung beträgt vielfach !/, bis !/, ! Die Arbeit ist Ende October 1896 bei der Redaetion eingegangen. ?® Siehe die vorhergehende Abhandlung. S. 309. ® Sertoli, Contribution a la physiologie generale des Muscles lisses. Archives Italiennes de Biologie. Tom. III. Fase. 1. PAUL SCHULTZ: Zur PHYSIOLOGIE U. S. w. 323 der gesammten Länge des Muskels in seiner völligen Erschlaffung. Wo solche spontane Contractionen auftreten, erfolgen sie fast unmittelbar auf einander. Die Zeit der Pause ist sehr kurz in Vergleichung mit der Dauer der Erschlaffung. Dabei währt die Periode der Verkürzung ebenso lange wie die der Erschlaffung ganz im Gegensatz zu den durch einen Reiz her- vorgebrachten Contractionen, bei welchen die erstere viel kürzer ist als die letztere. Diese spontanen Contractionen können sehr lange anhalten; in einem Fall zeigten sie sich eine ganze Stunde, während deren sie Sertoli sich verzeichnen liess. Damit sie in Erscheinung treten, darf die Temperatur nicht zu niedrig sein; 20° genügen indessen schon. Hält man das Prä- parat in der feuchten Kammer, so kann man sich überzeugen, dass sie bei constanter Temperatur auftreten, dass also nicht etwa Temperaturveränderung die Ursache sei. Von besonderer Wichtigkeit sind zwei Thatsachen. Erstens, dass der Muskel solche spontane Bewegungen noch 24 oder 48 Stunden nach seiner Exstirpation zeigt, ja in einem Fall hat sie Sertoli sogar am fünften Tage nach derselben, wenn auch etwas abgeschwächt, beobachtet. Zweitens hat die mikroskopische Untersuchung, welche Sertoli an Muskeln angestellt hat, die besonders stark das Phänomen der spontanen Contractionen zeig- ten, weder zwischen den Muskelbündeln noch im umgebenden Bindege- webe die Anwesenheit irgend eines nervösen Ganglions ergeben. - Daraus folgert Sertoli, dass diese Contractionen nicht durch nervösen Einfluss hervorgebracht werden; und dass die Muskelzellen selbst irritable Gebilde sind, ganz analog den weissen Blutkörperchen. Die Contractionen zeigen sich nun auch an Muskeln, welche am Thiere belassen sind. Diese hat Sertoli am Hund beobachtet. Auch hier sind sie unter einander sehr ungleich, bald kräftig, bald schwach, bald schneller, bald langsamer. Meistens sieht man grosse ausgedehnte Curven und dazwischen oder auf ihnen selbst secundäre kleinere, welche kurzen Zusammenziehungen des Muskels entsprechen. Die Dauer ist auch hier verschieden, doch beträchtlich länger als in den übrigen Fällen, im Durchschnitt 75 Secunden. Auch hier können die Contractionen lange Zeit anhalten. Ist der Hund durch grosse Dosen Chloral stark narcotisirt, so werden sie schwächer oder treten überhaupt nicht auf, zeigen sich aber wieder beim Erwachen des Thieres.. Wird bei curarisirten Thieren die künstliche Athmung unterbrochen, so zieht sich der Muskel zusammen. Beginnt man wieder mit der Respiration, so tritt plötzlich Erschlaffung ein, und der Muskel bleibt während einer, zwei oder mehreren Minuten erschlafft, um so länger, je länger die Respiration sistirt war. Dasselbe Ergebniss erhält man bei einem Thier, welches natürlich atmet, wenn 2 324 PAuL SCcHULTZ: man auf einen Augenblick den Mund und die Nase verschliesst. Die Com- pression der Aorta erzeugt nach einer kurzen und schwachen Contraction eine Erschlaffung des Muskels, welche aufhört, wenn die Circulation wieder hergestellt ist. Lässt man endlich einen schwachen Strom von 6 Paar Daniells auf den Muskel einwirken, so entsteht keine Contraction, wohl aber eine Erschlaffung mit völliger Unterbrechung der spontanen Be- wegungen, so lange als der Strom geschlossen ist. Diese Wirkung ist ganz constant, gleichgültig welches die Stromrichtung und welcher Art die Elek- troden sind. Meine eigenen Untersuchungen erstrecken sich vornehmlich auf das Magenmuskelpräparat des Frosches. Auch hieran sieht man also, wie Ein- gangs erwähnt, ohne jeden äusseren Reiz völlig selbständige rhythmische Contractionen. Dies trifft nicht bloss für Präparate zu, welche unmittelbar dem lebenden oder dem getöteten Thiere entnommen sind, sondern sogar für solche, die man sich mehrere Stunden nach dem Tode des Thieres be- reitet. Ja, in einem Falle traten dieselben an einem Stück auf von einem Magen, der 24 Stunden vorher herausgeschnitten und dann in Zoio in einer feuchten Kammer bei 10° aufbewahrt war. Dies weist darauf hin, eine wie grosse Lebensfähigkeit den hier in Betracht kommenden Ge- bilden inne wohnt. Die Dauer, während deren diese Bewegungen sich zeigen, kann sehr lang sein. Ich sah sie in einem günstigen Falle drei Stunden anhalten, während deren ich sie aufschreiben lies. Da das Präparat sich zufällig nicht in einer feuchten Kammer befand, so war Eintrocknung der Grund, dass sie nach dieser Zeit aufhörten. Gewöhnlich folgen sich die Contractionen unmittelbar auf einander. Sobald die Erschlaffung eingetreten, der Hebel völlig abgesunken ist, be- ginnt alsbald wieder eine neue Zusammenziehung. Ein eigentliches Ruhe- stadium ist kaum bemerkbar. Einige Male jedoch sah ich grössere Pausen vollkommener Ruhe zwischen zwei Contractionen liegen. Darunter hob sich wieder ein besonderer Typus ab. In diesem folgte nach einer stärkeren Contraction eine kurze Pause, dann trat eine schwächere Contraction ein, darauf eine längere Pause; dann wiederholte sich starke Contraction, kurze Pause, schwächere Contraction, lange Pause. In allen Fällen findet man zwischen starken schwächere Contractionen oder auch kleinere Curven den grösseren aufgesetzt. Diese dürften zum Theil daher rühren, dass sich dann nur Theile des Präparats contrahiren, nicht das ganze Muskelstück zu gleicher Zeit. Solche Unregelmässigkeiten im Curvenablauf treten fast immer auch an vorher ganz regelmässigen Öurven auf, wenn man die Temperatur erhöht. Die Dauer der einzelnen Contractionen ist sehr ver- schieden und schwankt etwa zwischen 40 und 100 Secunden, ist also ZUR PHYSIOLOGIE DER LÄNGSGESTREIFTEN (GLATTEN) MUSKELN. 325 jedenfalls kürzer als bei Contractionen, die durch maximalen elektrischen Reiz ausgelöst werden. Die Gestalt der Curve ist im Allgemeinen die charakteristische; sie besteht aus einem steilen aufsteigenden und einem flachen absteigenden Schenkel. Das Stadium der wachsenden Energie ist kürzer als das Stadium der sinkenden Energie. Den Gipfel bildet eine flache Kuppe. Wie nun die Dauer der Contraction verschieden ist bei annähernd gleicher Ver- kürzungsgrösse, so ist auch natürlich die ganze Form der Curve bald steiler und kürzer, bald flacher und mehr in die Länge gezogen. Bisweilen verlaufen auch beide Schenkel zu einander mehr gleichmässig, so dass dann die Gestalt der Curve annähernd symmetrisch wird. Die kleineren, den grösseren aufgesetzten Curven hatten in einigen seltenen Fällen wirklich symmetrische Gestalt. Sonst aber ist es durchaus constant, dass die Curven das erwähnte charakteristische Verhältniss der beiden Schenkel zeigen. Ich kann daher für mein Präparat Sertoli’s Beobachtungen nicht bestätigen, Selbstständige rhythmische Contractionen. Dieselben bei Temperaturerhöhung. 1°" = 25 Sec. dass bei diesen spontanen Contractionen die Verkürzung gerade "ebenso lange währt wie die Erschlaffung, die Curvenform also völlig symmetrisch ist, wodurch sie allerdings in einen bemerkenswerthen Gegensatz zu den durch elektrischen Reiz ausgelösten treten würden. Diesen Gegensatz kann ich nicht statuiren. Erniedrigung der Temperatur (10° und darunter) bringt sie zum Ver- schwinden, Erhöhung der Temperatur ändert, wie erwähnt, die Form der Curven und kann solche Contractionen ganz neu an einem Präparat auf- treten lassen, an dem vorher keine wahrnehmbar waren. Was nun der Grund dieser spontanen Bewegungen sei, darüber kann für uns nach den bisherigen Ergebnissen kein Zweifel mehr sein. Für die Muskeln des Frosches wenigstens wissen wir, dass darin reichliche Mengen sensibler Ganglienzellen enthalten sind, deren kurze cellulipetale Fortsätze sich überall zwischen den Muskeln verbreiten, während ein cellulifugaler 326 PAüUL SCHULTZ: Fortsatz zu einem grösseren Nervenbündel tritt, um weiterhin mit einem anderen Neuron in Contact zu treten. Dass nun diese sensiblen Elemente mit den motorischen in den dichten Ganglienplexus der Umgebung in Ver- bindung treten, erscheint zweifellos. Daneben mögen aber auch durch Collaterale noch kürzere directe Reflexbögen vom sensiblen zum motorischen Muskelneuron! in den Muskeln selbst sich finden. Wir müssen uns nun vorstellen, dass durch jede Contraetion selbst die sensiblen Elemente, sei es mechanisch (durch Druck), sei es chemisch (durch die bei der Con- traction entstehenden Stoffwechselproducte) gereizt werden, und dass dadurch wiederum die Muskeln reflectorisch zu neuer Contraction gebracht werden. Jede Zusammenziehung giebt also immer wieder den Reiz für die nächste Zusammenziehung. Wir hätten somit scheinbar ein Perpetuum mobile vor uns, das eben durch seine Action wieder den Grund zur nächsten Action abgiebt, wenn nicht selbstverständlich durch die Thätigkeit Stoffe verbraucht würden, die der Erneuerung bedürfen. Immerhin wird man lebhaft daran erinnert, wenn man zum ersten Mal ein solches Präparat sieht, welches - Stunden lang ohne jede äussere Veranlassung unaufhörlich regelmässige ‘automatische Contractionen ausführt. Diese Bewegungen, ich will es noch einmal ausdrücklich hervorheben, werden reflectorisch durch sensiblen Reiz hervorgebracht. Den Muskel- fasera selbst kommt keine selbstständige Bewegung, keine Bewegung ohne äusseren oder inneren nervösen Reiz zu.” Der Beweis lässt sich hierfür direct erbringen und ist im Wesentlichen schon in der früheren Mittheilung über die chemische und thermische Reizbarkeit enthalten. Wir haben, wie (dort gezeigt, ein Mittel, welches die nervösen Elemente in den längsgestreiften Muskeln lähmt, ohne die Reizbarkeit der letzteren selbst zu verändern, das Atropin. Bringen wir von einer 5 procent. Atropinlösung einen Tropfen auf unser Präparat, so hören alsbald die automatischen Bewegungen auf. Andere Mittel giebt es ferner, die erst bei längerer Ein- wirkung die Muskeln angreifen, im Anfang dagegen, wo die Reizbarkeit der Muskeln völlig erhalten ist, doch die automatischen Bewegungen auf- hören machen: Aether und Chloroform. Schliesslich haben auch noch die Untersuchungen über die thermische Reizbarkeit einen schönen directen Beweis für unsere Behauptung erbracht. Wenn nun also die automatischen Bewegungen erklärt werden müssen ‘1 Unter Muskelneuron ist hier das Neuron verstanden, welches unmittelbar mit den Muskeln in Berührung tritt, also das sensible Anfangs- und das motorische Endneuron. ” Diese Bemerkungen gelten nur für die Muskeln des entwickelten Thieres. Ueber die Verhältnisse beim Embryo oder bei niederen Thieren ist hiermit natürlich nichts präjudieirt. ZUR PHYSIOLOGIE DER LÄNGSGESTREIFTEN (GLATTEN) MUSKELN. 327 nicht als herrührend von einer den Muskelfasern innewohnenden Fähigkeit, sondern als ein einfaches Reflexphänomen, so fällt von hier aus sofort ein erhellendes Licht über die bis dahin dunklen Erscheinungen des Tonus und der Peristaltik. Unter Tonus der glatten Muskeln versteht man bekanntlich einen Zustand. anhaltender mässiger Contraction, welcher nicht bloss im lebenden Körper, sondern auch an isolirten Stücken sich zeigt. Man nahm bisher an, dass dies auf einer besonderen Fähigkeit der Muskelzellen selbst beruhe. Auch an unserem Präparat zeigt sich nach der Präparation bald stärker, bald geringer ein Tonus. Wir haben aber bereits gesehen, dass dieselben Mittel, welche die automatischen Bewegungen hemmen und dabei doch nicht die Muskeln selbst angreifen, auch den Tonus aufheben. Wir müssen daraus schliessen, dass der Tonus nichts Anderes ist als ein Reflex- phänomen, als ein durch beständige kleine Reize refleetorisch unterhaltener mittlerer Contractionszustand. In gleichem Sinne muss die Peristaltik erklärt werden. Darunter versteht man bekanntlich Bewegungen an Hohlorganen, welche durch die aufeinander folgende Contraction der in ihren Wandungen befindlichen längsgestreiften Muskeln in Form von Einschnürungen, Verengerungen des Lumens, automatisch in rhythmischer Folge wellenförmig an diesen Organen entlang laufen. Als Ursache sah man lange Zeit intramusculäre Ganglienzellen an, deren Vorhandensein man zwar nicht nachweisen konnte, die man aber als nothwendig zwischen den Muskelzellen hypostasirte. Diese Ansicht fiel indessen dahin, als Engelmann! seine classischen Unter- suchungen am Ureter veröffentlichte. Er zeigte darin, dass herausgeschnit- tene, vom Körper völlig getrennte Stücke des Ureter noch regelmässige peristaltische Bewegungen ausführen. Und doch konnte er an solchen Stücken bei der mikroskopischen Untersuchung nichts von Ganglienzellen weder in der Muskelschicht noch in der Adventitia oder in der Schleimhaut finden. Es sollten daher die peristaltischen und antiperistaltischen Be- wegungen der Ureter ohne Mitwirkung von Ganglienzellen zu Stande kommen. Ferner wies er nach, dass die Muskelschicht des Ureter in ihrer ganzen Länge eine physiologische Einheit darstelle, und dass die Zahl der Nervenendigungen in der Tunica muscularis ansehnlich kleiner sei als die Zahl der contractilen Elemente. Auf Grund dieser Ergebnisse kam er zu dem Schluss: „das peristaltische und antiperistaltische Fortschreiten der Bewegung kommt dadurch zu Stande, dass die Erregung ohne Vermittelung von Ganglienzellen und Nervenfasern, direct von Muskelzelle auf Muskel- zelle fortgepflanzt wird“. Als Ursache dieser Bewegungen nimmt er dann ! Engelmann, Zur Physiologie des Ureter. Pflüger’s Archiv. Bd. 1l. 328 PAuL ScHuLTz? ZuR PHYSIOLOGIE UV. S. w. an, dass die glatte Muskelfaser ein automatisch erregbares Gebilde sei, ähnlich wie viele amöboide Zellen. Dieser Ansicht hat sich, wie oben an- geführt, Sertoli angeschlossen. Für uns kann esindessen nach dem Bisherigen keinem Zweifel mehr unter- liegen, dass die Peristaltik, sowohl die örtliche Contraction, die Einschnürung, wie ihr Fortschreiten erklärt werden muss in der nämlichen Weise, wie die spontanen rhythmischen Contractionen unseres Muskelpräparates, als Reflexphänomen. Dabei bleibe hier vorläufig ganz dahingestellt, ob wäh- rend des Lebens die Reizung der sensiblen Elemente durch die Ingesta oder den Harn eine mechanische oder chemische sei. Wie wir an unserem Präparate gesehen, können solche äusseren Reize sogar fehlen, und doch treten noch rhythmische Bewegungen auf. Sensible nervöse Apparate sind nun für unsere Muskeln keine Hypothese mehr, ich habe sie demonstriren können. Ferner hat sich auch die Zahl der motorischen Endapparate viel zahlreicher herausgestellt als man bisher angenommen hatte. Aber auch für andere Organe, so für den Magen und den mittleren Abschnitt des _ Ureter vom Hund, für den Darm des Kaninchens, ist es mir gelungen diese nervösen Elemente darzustellen.! Die Bedeutung der mächtigen Ganglienanhäufung im Plexus my- entericus wird bei dieser Auffassung erst in das rechte Licht gerückt. Sie bilden gewissermassen das erste Centralorgan für die Darmmuskulatur, und es wird klar, dass ihnen eine regulatorische Aufgabe zufallen kann und dass sie zugleich die Fortleitung der Reize und damit der Contractionen zu bewirken vermögen. Daneben erscheinen dann Sympathicus, Rücken- mark und Gehirn als Centralorgane höherer Ordnung, deren Einfluss auf die Organe mit längsgestreiften Muskeln ja hinreichend bekannt ist und durchaus nicht unterschätzt werden soll. 1 Dies Archiv. 1895. 8. 540fl. Quergestreifte und längsgestreifte Muskeln.’ Von Dr. med. Paul Schultz, Assistenten am physiologischen Institut zu Berlin, In dem ersten Theil meiner Untersuchungen über die glatte Muscu- latur der Wirbelthiere, welcher ihrem histologischen Aufbau gewidmet war,? hatte ich auf Grund der dort mitgetheilten Ergebnisse Verwahrung dagegen eingelegt, dass man, wie dies noch häufig geschieht, einander gegenüber- stellt glatte und gestreifte Muskeln, vielmehr, so schlug ich vor, müsse unterschieden werden zwischen längsgestreiften und längs- und quer- gestreiften oder, nach dem Satz: a potiori fit denominatio, einfach quer- gestreiften Muskeln. Dies führte ich dort nur kurz aus, da ich annahm, was Autoren wohl begegnen kann, die sich in ihren Gegenstand ganz hineingedacht haben, dass bei so klarem und sicherem Thatbestand Be- denken gegen diese neue Bezeichung nicht erhoben werden könnten. Dies scheint indessen, wie ich erfahren habe, nicht ganz der Fall zu sein. Indem ich annehme, dass solche Bedenken nicht gegen die Neuerung als solche, sondern gegen ihre Richtigkeit und Begründung erhoben werden könnten, will ich hier noch einmal näher darauf eingehen. Zugleich soll dies die Veranlassung geben, die Frage zu untersuchen, ob es auch nach meinen neueren Untersuchungen wesentliche Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Muskelarten giebt, und ob es daher möglich oder sogar erforder- lich ist, eine scharfe Grenze zwischen beiden zu ziehen. Dass nun zunächst bei der makroskopischen Betrachtung die quer- gestreiften Muskeln die längsgestreiften an Masse bei Weitem überwiegen, ist ein sofort auffallender, aber natürlich kein wesentlicher Unterschied. ! Die Arbeit ist October 1896 bei der Redaction eingegangen. ? Die glatte Musculatur der Wirbelthiere. Dies Archiv. 1895. 330 Pıvs ScHhuntz: Ebenso wenig, dass diese blass aussehen, jene eine rothe Farbe haben und das ausmachen, was man gemeinhin Fleisch nennt. Denn abgesehen von den Fischen, von den Reptilien und Amphibien, wo wir blasse, quer- gestreifte Muskeln finden, haben schon Krause und Ranvier deren Vor- handensein auch bei höheren Wirbelthieren nachgewiesen. Auf der anderen Seite ist der Magen der Vögel! roth, ebenso der gravide Uterus. Dass die quergestreiften Muskeln, ungleich den längsgestreiften, die meistens Aus- kleidungen von Hohlorganen bilden, eigene Gebilde darstellen, die sich leicht isolirt aufzeigen lassen, ist richtig, aber andererseits bilden sie auch verzweigte Geflechte und Netze, wie im Herzen und in der Lunge. Ebenso haben wir wiederum in der Iris der Säugethiere, im Accommodationsmuskel, im Rectococeygeus und ähnlichen und im Retraetor penis bei einigen Thieren wohl isolirbare Organe von längsgestreiften Muskeln. Die makroskopische Betrachtung gewährt uns also keinen Anhalt für eine principielle Unterscheidung; um so sicherer ergiebt sich solche bei der mikroskopischen Untersuchung. Die einen, das weiss man schon seit Langem, zeigen schon bei schwacher Vergrösserung Querstreifung und meist weniger deutlich auch Längsstreifung. Erst in neuerer Zeit hat man ge- lernt, letztere als das für den Aufbau der Elemente wichtigste Merkmal an- zusehen, nämlich als den optischen Ausdruck von Fibrillen. Diese also sind, wie vor Allem Kölliker und ferner Rollett gezeigt haben, das wesentliche Constituens dieser Muskelfasern, und sie sind durchaus normale vorgebildete Bestandtheile. Aber sie sind diesen Gebilden nicht allein eigen- thümlich; auch der zweiten Classe der Muskelfasern, wie ich gezeigt habe, müssen sie zugesprochen werden. Schon bei mittleren Vergrösserungen, wenn man nur nicht die früher üblichen brusquen Isolationsmethoden an- wendet, zeigen diese Zellen ein leicht längsstreifiges Aussehen, und eine schonende Macerationsmethode, wie ich sie empfohlen, überzeugt bei stär- keren Vergrösserungen sicher von der Anwesenheit der Fibrillen. Auch hier sind sie durchaus normale Gebilde und zugleich der wichtigste Be- standtheil. So gehört es demnach im Allgemeinen zu den cha- rakteristischen Merkmalen jeder Muskelfaser, dass sie der Längsrichtung der Zelle parallel angeordnete Fibrillen zeigt. Weiterhin aber scheiden sich die Muskeln in zwei deutlich getrennte Gruppen, indem die Fibrillen bei den einen mit Querstreifen besetzt sind, deren Grösse, Anordnung und Deutlichkeit sehr verschieden sein kann, während ! Es sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die Musculatur des Vogel- magens längsgestreift ist. Sie bildet nicht, wie man noch vielfach hört und liest, den Uebergang zu den quergestreiften Muskeln; der Querstreifung an ihnen habe ich eine ganz andere Deutung gegeben. Vergl. a. a. O, QUERGESTREIFTE UND LÄNGSGESTREIFTE MUSKELN. 351 sie bei den anderen durchaus homogene Beschaffenheit zeigen. Wir werden also unterscheiden müssen zwischen einfachen längsgestreiften und längs- und quergestreiften oder für die letzteren kürzer, da ja die Querstreifung am meisten in die Augen fällt, quergestreiften Muskeln. Noch richtiger freilich wäre es, wenn man die fibrilläre Structur, also die Längsstreifung, als selbstverständliche Voraussetzung aller Muskelfasern machte und nun secundär unterscheidet Muskeln mit homogenen und mit differenzirten Fibrillen. Doch genügt vor der Hand die Unterscheidung in längsgestreifte und in längs- und quergestreifte oder kürzer quergestreifte Muskeln voll- ständig, da sie ja — und das ist gewiss ein schätzenswerther Vorzug einer Bezeichnung — das Wesen der Sache ausdrückt. Man kann dagegen nicht ernstlich einwenden, dass man bei letzteren Muskeln die Fibrillen schon bei schwacher Vergrösserung und vielfach in frischem Zustande sieht, während man bei ersteren meist besondere che- mische Massnahmen und starke Vergrösserungen anwenden müsse. Mit blossem Auge sieht man in beiden Fällen nichts, Hülfsmittel muss man immer anwenden. Die Stärke der Vergrösserung ist dabei ein rein zu- fälliges Moment. Ob die Fibrillen 1,5 w oder °?/, w dick sind, Fibrillen bleiben sie immer, und ihre optische Wirkung ist in beiden Fällen, dass das ganze Gebilde streifig aussieht. Man könnte also gegenüberstellen Muskeln mit groben und mit feinen Fibrillen, oder grob- und feinlängs- gestreifte Muskeln, wenn man daran Geschmack fände; es wäre jedenfalls richtig, wenn auch noch nicht erschöpfend. Falsch aber ist durchaus die Unterscheidung iin glatte und gestreifte Muskeln. Ebenso ist es von keinem Belang, ob ich direct oder erst durch Anwendung chemischer Agentien zur Erkenntniss der inneren Structur gelange, wenn nur die Gewähr vorliest, dass das, was ich erkannt habe, in der That auch der Wirklichkeit ent- spricht. Dies dürfte in unserem Falle wohl zweifellos zutreffen. Dass schliesslich bei den quergestreiften Muskeln die Differenzirung der Fibrillen selbst kein wesentliches Moment sei, sondern vielmehr eine secundäre und neben- sächliche Erscheinung, ist vielfach behauptet worden, am frühesten und noch jetzt am entschiedensten von Kölliker. Die Entscheidung hierüber kann aber nicht die Histologie, sondern lediglich die Physiologie und die Chemie geben. Erstere muss lehren, ob den quergestreiften Muskeln eine andere Art der Thätigkeit zukommt als den längsgestreiften, die letztere, ob ein Unterschied in der chemischen Zusammensetzung und damit in den Stoffwechselproducten bei ihrer Thätigkeit sich statuiren lässt. Wenden wir uns daher zunächst zu ihrer Verrichtung, ihrer Con- traction. Hier bot ein bequemes Prineipium dividendi die Beobachtung, dass die eine Art der Muskeln dem Willen unterworfen sei, die andere 332 Pıuu Sconuntz: nicht. Die Unterscheidung in willkürliche und unwillkürliche Muskeln, so zutreffend sie im Allgemeinen auf den ersten Blick erscheint, darf dennoch keine wesentliche genannt werden. Denn man muss sofort die zahlreichen Ausnahmen anführen. Das Herz, die Speiseröhrenmuskel zum Theil, die Cremasteren, die Muskeln der Gehörknöchelchen und viele mehr sind quer- gestreift und doch nicht dem Willen unterworfen; abhängig aber vom Willen sind der Aceommodationsmuskel, wahrscheinlich auch der Sphincter ani int. und der Detrusor urinae, und doch sind sie längsgestreift. Was heisst denn aber überhaupt dem Willen unterworfen? Sind es die einzelnen Muskeln denn wirklich? Welcher Anatom, begabt mit der genauesten Kenntniss des mensch- lichen Körpers, vermöchte wohl von den 49 Muskeln des Armes und der Hand und den 61 am Bein und Fuss einen bestimmten wirklich allein zu bewegen? Ja, vermöchte er überhaupt anzugeben, welche Muskeln im Leben bei einer einfachen Bewegung gebraucht werden? Muskeln zusammen- ziehen wollen wir überhaupt nicht, wir wollen nur bestimmte Bewegungen ausführen. Die Feder will ich ergreifen, nicht die einzelnen zu diesem Zweck nöthigen Muskeln des Armes und der Hand contrahiren. Ebenso wenig will ich den Brücke’schen Muskel contrahiren, sondern ich will nach der Betrachtung jenes fernen Hauses diesen nahen Gegenstand fixiren.! Am interessantesten in dieser Beziehung ist der Kehlkopf. Obgleich hier die quergestreiften Muskeln sehr einfach angeordnet sind, vermögen wir doch nicht die kleinste oder einfachste Bewegung an den Knorpeln oder den Stimmbändern als solche zu vollführen, nur Töne können wir erzeugen. Der Wille für diese Muskeln sitzt demnach im Ohr. Diese Erwägungen einmal anzustellen, heisst nicht nodum in scirpo quaerere. Denn jene oberflächlichen Bezeichnungen geben der Betrachtung sehr leicht eine falsche Richtung. Zu einer anderen Unterscheidung aber, die zugleich eine principielle ist, führt uns die Betrachtung der Contraction selbst. Sie lässt sich in wenige Worte zusammenfassen: die quergestreiften Muskeln zucken auf einen Reiz, die längsgestreiften ziehen sich zusammen. In der That ist die Art und der Ablauf ihrer Thätigkeit ein toto ceolo verschie- dener, für die Wirbelthiere sicher und nach den Untersuchungen Bieder- mann’s? auch für die niederen Thiere. Für die ersteren lässt sich nach meinen Untersuchungen mit völliger Sicherheit sagen, dass nicht, wie man ! Dies sollten sich doch diejenigen vergegenwärtigen, die noch immer bestreiten, dass der Brücke’sche Muskel zu den „willkürlichen“ gehört. ° Biedermann, Zlectrophysiologie, I. Jena 1895. QUERGESTREIFTE UND LÄNGSGESTREIFTE MUSKELN. 300 bisher vielfach als selbstverständlich annahm, die Art der Innervation es ist, also die unmittelbare Abhängigkeit der längsgestreiften Muskeln vom System des Sympathicus, welche den fundamentalen Unterschied in der Thätigkeit dieser Muskeln gegen die quergestreiften setzt, sondern dass die Be- schaffenheit der Muskelfasern selbst ihre langsame Zusammen- ziehung bedingt. Gegen diese Unterscheidung könnte man einwenden, dass die Dauer des Thätigkeitsablaufes doch wieder etwas sehr Relatives sei, dass es doch auch sehr träge Zuckungen bei den quergestreiften Muskeln (z. B. der Schildkröten) gäbe. Aber erstlich ist dieser Unterschied selbst zwischen den längsten Zuckungen der quergestreiften Muskeln bei gewöhnlicher Temperatur und den schnellsten Zusammenziehungen der längsgestreiften im Temperatur- Optimum ein ganz beträchtlicher, völlig unvermittelter; jene be- tragen 1 bis 2 Secunden, diese ®/, bis 1 Minute," Hierzu kommen noch einige Besonderheiten, wie sie sich in der Form der Thätigkeitscurve aus- drücken. Die längsgestreiften Muskeln zeigen auch bei Belastung die aus- gesprochene Neigung, nach der Contraction in der Verkürzung zu verharren, der absteigende Schenkel kehrt meist nicht wieder zur Abscisse zurück. Dadurch wird er so sehr viel flacher, das Stadium der sinkenden Energie dauert auffallend länger als das der steigenden. Die ganze Curve erhält eine charakteristische Gestalt. Gerade zu umgekehrten Verhältnissen neigen die quergestreiften Muskeln. Wie die Dauer der Contraction eine ausser- ordentlich verschiedene ist, so ist es natürlich auch die des Latenzstadiums. Das also ist, was sich bereits jetzt nach der noch sehr oberflächlichen Kenntniss der Physiologie der längsgestreiften Muskeln als Unterschied festsetzen lässt. Zugleich aber kann schon hinzugefügt werden, dass sich bei weiterem Studium noch andere, wahrscheinlich ebenfalls principielle Verschiedenheiten zeigen werden. So ist es denn zwar keine nothwendige, aber doch sehr naheliegende Folgerung, die Ungleichartigkeit des Thätig- keitsablaufes mit der Ungleichartigkeit der inneren Structur in Verbindung zu bringen und zu schliessen, wie dies schon mehrfach geschehen ist, dass die Schnelligkeit der Contraction an die Querstreifung gebunden sei. Selbst für die Wirbellosen kommt Biedermann? zu gleicher Ansicht: „Es wurde schon früher hervorgehoben, dass eine deutlich ausgeprägte Querstreifung der Fibrillen bei den einkernigen Muskelzellen der Evertebraten ausnahms- weise vorkommt und stets handelt es sich dann (wie z. B. bei den Medusen, ! Selbst für den Herzmuskel des Frosches beträgt nach Marchand die Dauer der Contraction (nicht, wie Biedermann irrthümlich daraus gelesen hat, das Stadium der steigenden Energie) 2 bis 3 Seeunden. ®2 Biedermann, a. a. ©. 8. 33. 334 PAUL SCHULTZ: bei dem Schliessmuskel von Pecten u. s. w.) um relativ rasch sich zu- sammenziehende Muskeln. So bemerken OÖ. und R. Hertwig, dass das Einzelthier des Hydroidstöckchens glatte Muskelfibrillen hat, so lange es als träger Hydroidpolyp am Stocke sitzen bleibt; es erhält dagegen quer- gestreifte Fibrillen, wenn es sich als behende Meduse zu einem frei beweg- lichen Dasein ablöst.“ Schliesslich aber können wir auch in dem chemischen Aufbau schon jetzt wesentliche Verschiedenheiten feststellen, obgleich freilich über die Zusammensetzung der längsgestreiften Muskeln noch sehr wenig bekannt ist. Myosin und ein reichlicher Wassergehalt zeichnet die quergestreiften Muskeln aus;! ersteres fehlt den längsgestreiften gänzlich. Denn aus ihnen ein spontan gerinnendes Plasma darzustellen, dessen Gerinnsel sich in Koch- salzlösung oder Salmiaksolution löst, ist noch nicht gelungen.” Das blosse Starr- oder richtiger Hartwerden aber von Organen aus längsgestreiften Muskeln beweist noch nicht das Vorhandensein von Myosin, wie am besten das Beispiel der Leber lehrt? Mit dem Fehlen des Myosins hängt nun wohl zusammen, dass, wie ich gezeigt habe, die längsgestreiften Muskeln bei einer Temperatur noch reizbar sind und sich zusammenziehen, bei welcher die quergestreiften Muskeln bereits wärmestarr sind, und dass es eine Wärmestarre in gleichem Sinne, wie bei diesen, bei den ersteren nicht giebt. Der geringere Wassergehalt ferner bei den längsgestreiften Muskeln (1!/, bis 5 Procent weniger als bei den quergestreiften) geht aus Unter- suchungen hervor, über die später berichtet werden soll.“ Dazu kommt noch eine andere bedeutsame Thatsache. Schon E. du Bois-Reymond hatte gezeigt, dass die längsgestreiften Muskeln beim Ab- sterben nicht sauer werden. Ich habe nun direct feststellen können, dass ! Vergl. Hammarsten, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1895. 8. 344. Dort wird der Wassergehalt für Säugethiere zu 74 bis 78 Proc., für Vögel zu 71 bis 77 Proe., für Kaltblüter zu SO Procent angegeben. ®2 Vergl. Hammarsten, a. a. O. S. 346. ® Hier möchte ich noch vor einem Irrthum warnen. Bei Warmblütern findet man nach dem Tode bei Eröffnung der Bauchhöhle die Blase meist hart und fest. Man darf dies aber nicht etwa als eine Totenstarre der Blasenmusculatur deuten. Es ist leicht zu zeigen, dass es sich hier um nichts anderes handelt als um eine durch die Abkühlung bewirkte energische Contraction der Musculatur. Denn erstlich tritt sie auch beim lebenden Thier in Erscheinung, wenn die Bauchhöhle längere Zeit ge- öffnet gewesen ist. Zweitens geht sie nach Bedecken der Blase mit warmen Tüchern oder Berieseln mit warmem Wasser alsbald wieder zurück und kann ebenso sicher durch erneute Abkühlung wieder erzeugt werden. * Solche Untersuchungen sind von Hrn. Prof. J. Munk angestellt und ihre dies- bezüglichen Ergebnisse mir gütigst mitgetheilt worden. In einer späteren Veröffent- lichung wird Hr. Prof. J, Munk ausführlich darauf eingehen. QUERGESTREIFTE UND LÄNGSGESTREIFTE MUSKELN. 335 dieselben in der Ruhe eine neutrale oder schwach alkalische Re- action zeigen und dass bei ihrer Thätigkeit eine mit den üblichen Mitteln nachweisbare saure Reaction nicht eintritt, weder auf der Höhe der stärksten Oontraction, noch nach mehreren auf einander folgenden Contractionen. Dies ist gewiss ein sehr beachtenswerther Gegensatz zu den quergestreiften Muskeln, der auf eine fundamentale Verschiedenheit ihrer chemischen Constitution zurückgeführt werden muss. Fassen wir die Unterschiede noch einmal kurz zusammen, so erscheinen sie bedeutend genug, eine fundamentale Trennung der beiden Muskelarten nothwendig zu machen. Wir stellen die Muskeln nämlich gegenüber als: Anatomisch Längsgestreifte, Längs- und quergestreifte oder kürzer quergestreifte Physiologisch Sich träge zusammenziehende Zuckende Chemisch Myosinfreie, wasserärmere, bei der Myosinhaltige, wasserreiche, bei Thätigkeit neutral reagirende der Thätigkeit sauer reagirende. Berichtigungen. In meiner S. 1 u fig. des laufenden Jahrganges dieses Archives veröffentlichten Abhandlung: „Temperatureinfluss auf Leistungen der Muskeln“ ist zu ändern: SER} 19 v. o. feht hinter „November“: 1895; hinter „Januar“: 1896. Ss. 11, 2. 20 v. o, fehlt hinter „Februar“: 1896. Sr Alk va l. statt Fall e: Fall d. Saut3, 12 1. statt I bis VIL: 1 bis 7. . 1. statt I, II und IV: 1, 2 und 4, Taf. 1. . 1. statt V: 5, Taf. I; statt dieses Jahres: 1896. l. statt Ia und III: 1a und 3, Taf. I. estatla1]:235 DarıT. ie 4.18 un 14, INSNSSNsnunNNNN —I < statt III: 3, Taf. I. 2. 2 v. statt V: 5, Taf. I. Auf Taf. I fehlt in Figg. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9 und 10 vor der Zeitangabe: 4 See. die ihr entsprechende er ==; unter Figg. 3 und 8 fehlt 1°” = 4 Sec. Auf Taf. II fehlt unter Figg. 11, 12, 13, 15 vor der Zeitangabe: 17 Sec. die ihr entsprechende Abseissenlänge: 1 °® =; ebenso unter Fig. 19 vor 4 Sec. die Länge ==. Alle diese Zeitangaben beziehen sich auf die ?/, mal grösseren Originale, vgl. S. 28. Die Arbeit ist von mir im Mai 1896 bei der Redaction eingeliefert. {94} SU See ‚BeReennas: Zu Schenck’s Einwand gegen Allen’s Versuche. Von J. Gad. In Pflüger’s Archiv (Bd. LXIV, S. 636) hat Fr. Schenck Kritik an der vor Kurzem in diesem Archiv! (S. 294 u. ff.) veröffentlichten Arbeit von R. Allen „Ueber die longitudinale Attraction während der isotonischen Muskelzuckung“ geübt. Sein Einwand bezieht sich darauf, dass die plötz- liche Spannung bei dem archimetrischen Regimewechsel den Ablauf der Erregungsprocesse selbst beeinflusst haben könne. Ich erkenne den Ein- wand im Prineipe sehr gerne. an, wenn ihm auch die gleiche Berechtigung gegenüber allen den zahlreichen myographischen Versuchen von Fick, Kries, Blix und Schenck selbst beigemessen wird, bei denen es sich ebenfalls wie bei der archimetrischen Methode um einen plötzlichen Regime- wechsel während des im Ablauf begriffenen Erregungsvorgänges handelt. Es wäre in der That sehr nützlich, wenn eine gründliche Revision aller myographischen Versuche mit Regimewechsel unter Rücksichtnahme auf den leider erst sehr spät in der Litteratur hervorgetretenen Einwand vor- genommen würde. Im Speciellen ist « priori doch nicht gerade zu er- warten, dass die plötzliche Spannung mit Erschütterung bei der An- schlagszuckung, dass die plötzliche Entspannung bei Zuckungen mit Anfangshemmung oder Belastungswechsel, dass die plötzliche Spannung mit sofortiger Entspannung bei der Zugzuckung u. s. w. geringere Eingriffe in den normalen Ablauf der Erregungsvorgänge bedeuten, als die einfache plötzliche Spannung bei Archimetrie, und ebenso wenig ist zu erwarten, dass ein gestörter Verlauf der Erregungsprocesse stärker die Spannungsmessung bei Archimetrie als die Verkürzungsmessung bei Schenck’s Methoden be- einflussen werde, da ja doch die Verkürzung anerkanntermassen von mehr Einzelbedingungen abhängt, deren jede einzelne durch den Eingriff modi- fieirt sein kann. Um einige Postulate noch weiter zu präcisiren, so müsste 1 1896. J. GAD: Zu SCHENCK’S EINWAND GEGEN ALLEN’S VERSUCHE. 337 gezeigt werden, dass Schenck’s Resultate der Anschlagszuckung ! wirklich, wie er annimmt, nur bedingt sei durch das zeitweise Vorhandensein einer grösseren Spannung und nicht beeinflusst durch die plötzliche Spannungs- zunahme; es müsste gezeigt werden, dass Schenck’s Resultate der Zuckungen mit Anfangshemmung ? nicht beeinflusst seien von einer Schwächung der Erregungsprocesse durch plötzliche Entspannung, welche ja doch nach Schenck’s eigenen myothermischen Untersuchungen 3 vor- handen sein muss; es müsste ferner gezeigt werden, dass Schenck’s Resultate bei der Zugzuckung * wirklich nur zu beziehen sind auf das zeit- weise Vorhandensein einer grösseren Spannung und die plötzliche Spannungs- zunahme und nicht auch auf die plötzliche Entspannung u. s. w. Die von Schenck hervorgehobene Fehlerquelle, über welche er sich bei seinen eigenen Untersuchungen Jahre lang hinweggesetzt hat, ist bei der Planung der archimetrischen Methode so wenig unbeachtet geblieben, dass ich mich zu dem archimetrischen Regimewechsel erst entschlossen habe, nachdem ich mir die Ansicht gebildet hatte, dass derselbe weniger eingreifend und leichter in seinen Resultaten zu beurtheilen sei als alle anderen bisher angewandten Arten des Regimewechsels. Zu dieser Ansicht bin ich allerdings durch verwickelte Schlussfolgerungen gelangt, und ich kann deshalb nicht erwarten, dass sie von Anderen acceptirt werde Wenn ich aber hiermit offen die Verpflichtung anerkenne, bündige Beweise durch neue Experimente für eine genügend annähernde Freiheit der archimetri- schen Methode von dieser Fehlerquelle beizubringen, so habe ich auch das Recht, bestimmt zu erklären, dass ich keine Schlussfolgerungen aus Ver- suchen mit andersartigem Regimewechsel anerkennen werde, ehe nicht auch für diese der entsprechende Beweis erbracht ist. Alle Schlüsse, welche ich in den unter meinem Namen erschienenen Publi- cationen aus myographischen Versuchen ohne Regimewechsel gezogen habe und welche den Resultaten von Schenck’s Versuchen mit Regime- wechsel widersprechen, bleiben also zunächst zu Recht bestehen. Hierzu will ich noch bemerken, dass ich an der Ansicht, dass die behinderte moleculare Umlagerung den sogenannten zweiten Process ver- zögere, welchen ich unter die „Grundgesetze des Energieumsatzes am thätigen Muskel“ aus hier nicht zu erörternden Gründen nicht aufgenommen habe, zunächst festhalte. ı Pflüger’s Archiv. Bd. LV, S. 626 und Bd. LVII, S. 606. ” Ebenda. Bd. LV. 8. 184. ® Ebenda. Bd. 1. S. 520. * Ebenda. Bd. LXI S. 77 und Bd. LXI, S. 499. Archiv f. A, u. Ph. 1897. Physiol, Abthlg. 22 338 Hr. Schenck hat diesmal auch einen Vorwurf gegen meine Experi- mentaltechnik wiederholt, den er schon öfter vorbrachte, ohne dass ich Ver- anlassung genommen hätte, dagegen zu remonstriren. Er betrifft das Auf- treten des Plateaus bei isometrischem Regime, von welchem er behauptet, dass wo es bei meiner Experimentaltechnik hervorgetreten sei, letztere fehlerhaft gewesen sein müsste. Er vermisst das Plateau in den von Allen gezeichneten isometrischen Curven und giebt als Grund an, dass Allen nicht mit dem früher von mir gebrauchten, sondern mit dem Spannungsmesser von Blix gearbeitet habe. Mit dieser Vermuthung hat Schenck nicht das Glück, das Rechte getroffen zu haben. Die Spannungs- messer von Blix und von mir sind in Bezug auf die von ihnen gelieferten Curven ganz gleichwerthig; nicht wegen überlegener Curvenzeichnung habe ich den Blix’schen Spannungsmesser bei der archimetrischen Methode benutzt, sondern weil sich diese sinnreiche Construction leichter mit den übrigen erforderlichen Hülfsstücken combiniren liess. Der Grund, weshalb in Allen’s isometrischen Curven kein Plateau erscheint, ist einfach der, dass Allen den Muskel nicht abgekühlt hat. Dass Temperaturerniedrigung nothwendige Bedingung für das Auftreten eines Plateaus bei Isometrie ist, geht aus den Angaben zu allen Curven, welche ich in dieser Beziehung veröffentlicht habe, hervor! und ich bedarf des Plateaus auch gar nicht zu meiner Begründung des oben angeführten Satzes von der Verspätung des zweiten Processes durch verhinderte Umlagerung. Mein Briefwechsel mit Hrn. Schenck, welchen dieser in die öffent- liche Diseussion hineinzieht, ist darum resultatlos verlaufen, weil der Herr College nicht einsah, dass ein Process a verglichen mit einem anderen Process 5 dann als verspätet und verlangsamt bezeichnet werden kann, wenn a später beginnt, langsamer zum Maximum ansteigt, später das Maximum erreicht, später endigt und länger dauert als d, bloss weil « in einem Theil seines Verlaufes steiler ansteigt als 5 zu derselben Zeit, was doch unter den übrigen genannten Bedingungen gar nicht zu vermeiden ist. Auf diese Meinungsverschiedenheit ist der „nicht glaubliche und leicht zu erkennende Fehler“, welchen Schenck den Ueberlegungen Kohnstamm’s vorwirft, zurückzuführen und die Incorrectheit, deren ich mich nach Schenek’s Darstellung unseres Briefwechsels dadurch schuldig gemacht zu haben scheine, dass ich schrieb: meine „zweite Curve für Isometrie sei nur verspätet gezeichnet“, während sie nach Schenck’s Ansicht „that- sächlich auch steiler war als bei Isotonie“. Dass ich bei dem Bestehen 1 Dies Archiv. 1890. Suppl. S. 75 und 84, dazu Taf. IV A ,a',b,c' und Taf. VI, Figg. &, 9, 11, 15, 16 mit den zugehörigen Erklärungen auf S. 109 u. ff. — Ebenda. 1894. S. 392. — Mein Lehrbuch. 8. 14, Zu SCHENCK’S EINWAND GEGEN ALLEN’S VERSUCHE. 339 dieser und ähnlicher Meinungsverschiedenheiten einen ferneren Briefwechsel für unfruchtbar hielt, wird man begreiflich finden. Zum Dank für die auf die Correspondenz und auf die Hrn. Schenck gesandten neuen Con- structionen aufgewandte Zeit musste ich dann noch die brieflichen Be- merkungen hinnehmen, dass ich „mich genau an seine Fragestellung halten solle“, dass ich „Nichts zugeben wolle“, dass er mir gezeigt habe, dass „die Art und Weise, wie ich meine Hypothesen gemacht habe, doch wohl etwas übereilt war“ u. s. w. Diese Erfahrungen und die Beobachtungen, welche ich an anderen von Hrn. Schenck geführten öffentlichen Dis- cussionen gemacht habe, zwingen mich das Eingehen auf detaillirte Er- örterungen mit diesem meinem „Gegner“ brieflich und öffentlich nach Möglichkeit zu vermeiden. Statt zu discutiren wollen wir experimentiren! Prag, im September 1896. 22* Dritter Beitrag zur Granulafrage.' Von Max Münden in Hamburg, (Hierzu Taf. Vl u. VII.) Wenn man mit starker künstlicher Beleuchtung, wie sie die Flamme eines Auer’schen Gasglühlichtes liefert, Cytoblasten — Granula — irgend welcher Art oder Herkunft aus Theilen eines Metazoon betrachtet, so sieht man stets, dass dieselben von einer hyalinen, weisslichen oder bläu- lichen Hülle umgeben sind. Dieselbe ist bei einigen Exemplaren so schmal, dass man versucht sein könnte, sie für den Ausdruck einer Brechungserscheinung zu halten; bei der weit überwiegenden Mehrzahl besitzt sie jedoch eine nicht geringe Dicke, welche oft den Innenkörper um das Vielfache übertrifft. Hierdurch erscheint die Gestalt der Cytoblasten gegen die bisherige Betrachtungsweise, welche die Hülle nicht berücksichtigte, vielfach als eine ganz verschiedene. So sind, wie Taf. VI, Fig. 1a zeigt, die Pigmentstäbchen der Froschchorioidea thatsächlich eiförmige Elemente, was man auf das Schönste an sich bewegenden Individuen überblicken kann. Diese Hülle gewährt nun den Vortheil, die verschiedenen Formen der Metacytoblasten genauer feststellen zu können und zwar vorzüglich hin- sichtlich der Frage, ob eine, wenn auch sehr häufig vorkommende Grup- pirung wirklich einem einzigen Individuum angehört oder nur die zufällige Lagerung mehrerer zum Ausdruck bringt. Fig. 1 zeiet die verschiedenen Formen pigmentirter Metacytoblasten, wie man sie im frischen Praeparat der Froschchorioidea und sonstigen Pigmentansammlungen findet und wie man sie am lebenden unversehrten Thier bequem im Schwanz der Kaul- quappe betrachten kann. Sie zeigen mit wünschenswerther Klarheit die- selben Bilder, welche uns in ihrer Fortpflanzung die bekannten Autocyto- blasten, pathogene und saprophytische Schizomyceten darbieten. Vor allen ! Erster und zweiter Beitrag in diesem Archiv. Physiol. Abthlg. 1896. Max MÜNDEN: DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 341 Dingen bitte ich die Figuren d, d, f, 9, ü Ak, Z, m, g und r zu beachten, da diese zeigen, wie das schon deutlich ausgebildete Tochterindividuum noch mit dem Mutterkörper zusammenhängt und so die Einrede ausschliessen, dass Figuren wie c, f, i, Ak und » nur der Ausdruck einer zufälligen Lagerung seien. In einem Falle zeigte mir die zweistündige Beobachtung eines Cytoblasten aus der Froschchorioidea von der Form der Fig. 15, wie der dünne Hals immer schmächtiger wurde und schliesslich die Fig. 1c mir vor Augen lag. Besonders instructiv sind die Bilder Z, m, n, welche nur einen speciellen Fall der Formen f und f, darstellen. Hiernach be- ginnt die Spaltung eines vielfach stark angeschwollenen Stäbchens durch eine leichte einseitige Einschnürung von Hülle und Innenkörper, /, und während diese stärker wird, stellt sich der eine Theil zum anderen im Winkel, m, wodurch bei immer stärker werdender Beugung die beiden Theile sich trennen und dann die bekannte rechtwinkelige Stellung „ab- brechender“ Stäbchen annehmen, wie sie Fig. In zeigt. In vielen Fällen tritt keine Trennung -des Tochter- vom Mutter- individuum ein und es entstehen dann zoogloeaartige Bildungen der ver- schiedensten Form, wie sie Fig. 1s darstellt. Die Zwischenschicht zwischen den einzelnen Individuen ist dann vielfach mit Fuchsin matt rosa färbbar, die umhüllende Aussenschicht für sich allein jedoch nicht. Es ist klar, dass, wenn die Elemente der Zellen morphologisch gar nicht von Schizomyceten unterschieden werden können — denn, was vor- stehend von pigmentirten Metacytoblasten gesagt wurde, gilt auch von den hyalinen — alle jenen vielfachen Angaben einer Nachprüfung und eventuellen Correctur unterworfen werden müssen, welche behaupten, pathogene Bakterien in den Zellen nachgewiesen zu haben. Während nun ein Theil der Metacytoblasten sich in den Formen der Autocytoblasten fortpflanzt, verändert sich ein anderer durchaus gleicher Her- kunft in bemerkenswerther Weise. Taf. VI, Fig. 2 zeigt einige dieser Formen, wie sie in der Chorioidea des Frosches vielfach vorkommen. Alle besitzen sie die hyaline Membran, welche mitwächst und oft sehr breit wird. Ent- weder haben sie einen homogenen Innenkörper oder letzterer zeigt körnige Differenzirung, Fig. 25, die immer weiter geht, so dass schliesslich gewisser- massen ein „Zerfall“ des Innenkörpers stattfindet, Fig. 2c, und in einer solchen „Zelle“ hin und wieder ein Theil der kleinen neuen Körper sich in der bekannten bienenschwarmartigen Bewegung befindet. Intra vitam kann man diese Formen sehr schön im Schwanz der Kaulquappe beob- achten, wo sie sowohl in den Pigmentzellen, wie auch einzeln vorkommen. Ja, es giebt bei manchen Kaulguappen grosse Hautbezirke, wo ausschliess- lich Formen wie Fig. 2a die Pigment,,zellen“ darstellen. Sehr häufig besitzt 342 Max MÜnDen: diese Form im Innern des Binnenkörpers wiederum einen sich sehr deutlich abhebenden Theil, wie ihn Taf. VI, Fig. 1%, zeigt. Die innere Differenzirung lässt sich ungemein deutlich darstellen, wenn man die Pigmentcytoblasten sich in geeigneten Medien weiter entwickeln lässt. Häufig gelingt dieses bei einer Flüssigkeit, die reichliche Blutkörperchen, Kammerwasser u. s. w. des Frosches enthält, unter mit Vaseline verschlossenem Deckglas. Als ganz vorzügliches Mittel hat sich mir die Anilinwasserfuchsin-Farbflotte erwiesen, in welche man die lufttrocken gewordenen Objectträger senkrecht mehrere Tage bei 15 bis 25° Celsius hineinstellt. Selbstverständlich muss die Farb- flüssigkeit mehrfach filtrirt sein und auf Farbstoffniederschläge geprüft werden. Da die sich entwickelnden Cytoblasten ihren ursprünglichen braun- gelben Farbenton beibehalten, sind sie auch so schon von etwaigem Farb- stoff zu unterscheiden. Um aber zweifellos festzustellen, dass die Entwickelungsformen solche der Cytoblasten der Froschchorioidea und nicht sonstige durch Zufall herein- gerathener Elemente seien, wurde folgendermassen verfahren. Fünf starke, mit Watte verschlossene Farbeylinder nebst entsprechendem Inhalt wurden durch dreimaliges dreistündiges Kochen, welches in Zwischenräumen von je drei Tagen erfolgte, sterilisirt. Zwei Cylinder enthielten eine frisch zu- bereitete, filtrirte, wässerige Fuchsinlösung, zwei Aqua destillata mit einer kleinen Messerspitze Weinsäure und einer nur destillirtes Wasser. Es wurden sodann zehn vorher sorgfältig mit Aether und Alkohol gereinigte Objectträger auf ein Blech gelegt, mit einer Glasglocke bedeckt und so eine Stunde der direeten Einwirkung dreier starker Flammen eines Petro- leumofens ausgesetzt, welcher das Blech rothglühend machte Nach dem Erkalten wurden die Objectträger mit geglühter Pincette angefasst und bis zum baldigen Gebrauch in absoluten Alkohol gestellt. Dann wurde der ab- geschnittene Kopf eines Frosches mit geglühten Stecknadeln auf einen Kork gesteckt, welcher eine Stunde in Sublimat 1:1000 gelegen hatte und mit Instrumenten, welche ausgeglüht wurden, dann eine Stunde in absolutem Alkohol waren und unmittelbar vor dem Gebrauch in der Spiritusflamme abgebrannt wurden, folgendermassen verfahren. Mit einer Scheere wurde die Kopfhaut vom Gehirn zum Mund durchschnitten und auf beiden Seiten, ohne das Auge zu verletzen, vollständig abpräparirt. Dann wurde mit einem frischen Messer das Auge von der Öpticusseite her eröffnet, die Chorioidea soweit wie möglich herausgezerrt und dann schnell auf den Objectträgern verrieben, welche inzwischen abgebrannt und auf das Blech unter die Glas- glocke gelegt worden waren. Blech mit Glasglocke waren wieder frisch geglüht worden, so dass die unter der Glocke befindliche Luft als sterilisirt betrachtet werden konnte. In 1 bis 2 Minuten waren die Objectträger lufttrocken geworden und wurden dann schnell in die bereitstehenden sterl- DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 343 lisirten Flüssigkeiten übergeführt. Dass der Operationstisch und die Hände des Experimentirenden nach dem strengsten Lister ‚gehalten wurden, brauche ich wohl kaum noch hinzuzufügen. Dieser Versuch wurde zweimal wiederholt und zeigten sich jedes Mal, nachdem die Gläser, welche der Vorsicht halber auch noch sorgfältig ver- siegelt worden waren, nach 14 Tagen geöffnet wurden, in beiden Fuchsin- lösungen und im destillirten Wasser zahlreiche Entwickelungsformen, wäh- rend sie in beiden Gläsern mit Weinsäure fehlten. Einestheils sieht man, wie die bekannte Kokkenform, Fig. 3a, sich zu Formen wie Taf. VI, Fig. 3a, und a, entwickelt, die im Centrum stets den schon intra vitam zu beobachtenden runden Körper enthalten. In zwei Fällen war dieser runde Körper in lebhaft peitschender Bewegung, ohne während der eine Viertelstunde dauernden Beobachtung über die Grenze des Innen- körpers zu treten. Um zu prüfen, ob nicht nur zufälliger Weise eines der ähnlichen draussen suspendirten Körperchen hier eine Täuschung bereite, habe ich in diesen beiden Fällen wiederholt künstlich heftige Strömungen erzeugt, doch wurden die Körperchen nicht im Geringsten davon berührt, trotzdem alles Andere in der Umgebung hinweggerissen wurde. Wir sehen also auch im Cytoblasten einen Körper, der ohne Zweifel austreten und dann wieder zur gleichen Form heranwachsen kann — eine Spore. Denn seinesgleichen sind überall frei suspendirt im Zupfpraeparat zu finden und bis zur Grösse regulärer Pigmentkokken zu verfolgen. Bei Weitem mannigfaltiger und interessanter gestaltet sich die Ent- wickelung der länglichen Formen, wie Fig. 36. Dieselben schwellen im Laufe von zwei Tagen schon sichtbar an und lassen bald einen im Innern des Farbstoffkörpers gelegenen zweiten Körper verschiedener Form erkennen, Fig. 35,, der sich durch seine dunklere braune Färbung sehr scharf abhebt. Lässt man das Praeparat bis zu 8 Tagen stehen, so haben sich die Cyto- blasten in einer ungemein lehrreichen Weise entwickelt. Fig. 32, bis 5, zeigen, wie hyaline Fortsätze theils aus der Farbstoffmasse, theils aus der sich bedeutend vergrössernden Membran herauswachsen, während der zweite Innenkörper selbst wieder eine körnige Differenzirung aufweist. Bei Fig. 32, hat sich die Membran in auffallendem Maasse vergrössert und zeigt eine sehr deutliche streifige und am Rande körnige Differenzirung. - Ich muss bemerken, dass alle diese feineren Details an der hyalinen Membran nur dann zu sehen sind, wenn das luft- trockene Object mit starker Lichtquelle und enger Blende ohne Einschluss in Canadabalsam, Wasser u. s. w. betrachtet wird, da nur der Breehungsexponent der Luft genügend differirt, um sie überhaupt sichtbar zu machen. 344 Max Münpen: Aus den runden Formen pflegen zwei hyaline Erhebungen der Mem- bran, in welche der Farbstoffkörper dann successive hineinwächst, eine Entwickelung einzuleiten, welche zu Formen wie Fig. 3c, und c, führt. Fig. 3c, zeigt bei 1 einen gelblichen zweiten Binnenkörper, in dessen Innern selbst wieder ein dunklerer grösserer und mehrere kleinere Körner liegen. Fig. 3d, und d, zeigen, wie leichte seitliche Anschwellungen eines Kurz- stäbchens zu baumartig verzweigten Formen führen, welchen man übrigens auch hier und dort im frischen Zupfpraeparat der Froschchorioidea be- gegnet. Geradezu verblüffend wirken aber mächtige Formen, wie sie uns Fig. 3e bis m vor Augen führt. Nicht nur, dass hier ein aussergewöhn- liches Wachsthum des Farbstoffkörpers — e, , m — oder der Membran — e, 9, h, i, k — in die Augen springt, es zeigt sich hier ein der- artiger Reichthum an Formen, welche vielfach denen im Reiche der Proto- und Metazoen nahe kommen, dass eine ganze Reihe von dogmatischen Ansichten dadurch in’s Wanken kommt. Ich wiederhole daher ausdrücklich, dass der Umstand, dass der braune Farbenton der Cytoblasten der Froschchorioidea und die hyaline Hülle voll- ständig in der anders gefärbten Flüssigkeit erhalten bleibt, die Gewissheit giebt, dass wir es hier mit Abkömmlingen eben jener Cytoblasten zu thun haben, eine Gewissheit, die noch dadurch gestützt wird, dass wir Ueber- gänge der anschwellenden Formen verfolgen können und die Controle der als Nährmedium dienenden abgestandenen Farbflotte, die überdies vielfach filtrirt wurde, nichts Aehnliches in ihr aufweist. Fig. 3e zeigt im Farbstoffkörper noch die proportional mächtig ent- wickelte Form eines anschwellenden Stäbchen mit innerer Differenzirung und 5fingerartigen, leicht gelblichen, an einzelnen Stellen dunklere Körner tragenden Fortsätzen, die vom Farbstoffkörper ausgehen und von der gemein- samen Membran umkleidet sind. An der einen Seite ist die Membran sehr breit geworden und gehen hier von ihr hyaline schmale Fortsätze aus, welche bei Fig. 3f den ausgesprochenen Charakter geisselartiger Elemente tragen. Fig. 39 stellt eine stellenweise sehr häufig vorkommende Form dar, bei welcher der Innenkörper vollständig die Gestalt einer verästelten Nervenzelle mit groben und feinen Ausläufern angenommen hat, die Mem- bran mächtig unregelmässig vergrössert ist und streifige wie körnige Dif- ferenzirung zeigt. Fig. 3% zeigt den Innenkörper nur mässig vergrössert, die Membran mit pseudopodienartigen Ausläufern und wenn ich mich nicht getäuscht habe, habe ich einmal an einem derselben eine schwache Vor- wärtsbewegung wahrgenommen. Fig. 37 zeigt ein mächtiges, kreisförmiges Anwachsen der Membran, Fig. 3% eine Art von Zoogloea, in welcher die Exemplare & und # bemerkenswerth sind. Formen wie & findet man auch DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 345 - viel im frischen Zupfpraeparat der Froschchorioidea, sie entsprechen der Dreitheilung eines Stäbchens (s. Taf. VI, Fig. 1r) und zeigen hier auch drei kleinere dunklere Körper im Innenkörper. Bei £ hat nur eine Einschnürung stattgefunden und demgemäss zeigt der grössere Theil im Innenkörper keinen dunkleren punktförmigen sondern einen länglich ovalen Körper, der den zwei anderen punktförmigen Körpern entspricht. Fig. ! und m stellen Formen vor, welche man wohl als Parasiten oder deren Eier bezeichnen und benennen würde, wenn man ihnen im Frosch selbst begegnete. Die vorstehend besprochenen und abgebildeten Formen stellen nur einen kleinen Theil aller jener mannigfaltigen Gestalten dar, welche die Entwickelung der Cytoblasten der Froschehorioidea darbietet und zwar nicht nur sowohl in Anilinwasserfuchsin als auch in wässeriger Anilinlösung und in wässeriger Fuchsinlösung allein. Es ist also sowohl die hyaline ' Membran wie der farbige Innenkörper dieser CGytoblasten im Stande, das Material, welches eine ganz andersartig gefärbte Flüssigkeit darbietet, synthetisch in Stoffe eigener Art und Farbe umzusetzen und dadurch zu wachsen, eine Fähigkeit, welche wir nur belebtem Stoff zuzuerkennen pflegen. Lässt man Objectträger, welche derartige Formenentwickelung auf- weisen, noch einige Wochen stehen, so zeigt sich an vielen, dass bei fast allen Gebilden zahlreiche hyaline oder leicht gelblichgrünliche Fortsätze aus dem Binnenkörper oder der Membran hervorgehen, die aber nie über eine bestimmte Länge hinauswachsen und so dem ganzen Körper, wie Fig. 39 zeigt, etwas Spinnenhaftes verleihen. Fig. 3r zeigt eine Kokke vom Typus 3a, welche wie eine regelrechte Spore einen Fortsatz getrieben hat. Be- merkenswerth ist, dass in allen diesen Fällen nur sehr selten noch etwas von der ursprünglichen hyalinen Membran zu sehen ist, so dass die An- nahme berechtigt erscheint, dass es vorzüglich diese ist, welche die Kosten der Entwickelung der Fortsätze bestreitet. Während wir so mächtige Entwickelungsformen der Pigmentcytoblasten durch die Cultur erzielen können, liefert uns die Leber des Frosches prin- eipiell gleichartige Erscheinungen im lebenden Thiere. Seitdem ich darauf aufmerksam wurde, habe ich dieselben noch in jedem mir unter die Hand gekommenen Frosch gefunden, was ich in Bezug auf den Einwand einer „Krankheit“ ausdrücklich bemerke. Wir treffen in jedem Zupfpraeparat | der Froschleber eine grosse Anzahl Pigmenteytoblasten gleicher Farbe wie in der Chorioidea an, welche hier jedoch in der Mehrzahl dem Kokken- typus, wie Fig. 1? und % ihn darstellen, angehören. Wir finden dann auch die gross gewordene Kokke der Fig. 2a wieder, welche in Taf. VI, Fig. 4 wiederum abgebildet ist. Fig. 45 zeigt, wie die hyaline Membran und der Innen- körper sich an zwei Stellen als glänzend hyaliner, stark bläulich bis bräun- 346 Mıx Münnpen: licher Körper vorwölben. In Fig. 4c ist die eine hyaline Knospung von kleinsten Pigmenteytoblasten erfüllt, welche in der bekannten bienenschwarm- ähnlichen Bewegung sind. Fig. 4d zeigt bei gleichzeitigem Wachsthum des Gesammtkörpers in beiden Knospen die Bewegung der Oytoblasten. Fig. 4e stellt die fast vollendete Abschnürung einer solchen Knospe vom Mutter- körper dar und findet man erstere vielfach allein im Praeparat. Fig. 4f zeigt eine den ganzen Mutterkörper umschliessende Knospe, 4g ein der- artiges zu bedeutender Grösse herangewachsenes Individuum, 4: und A in anderer typischer Weise ausgewachsene Cytoblasten. Bei 4% ist der Mutterkörper in schollenartiger Zerklüftung, in allen Formen sind die kleinen Pigmenteytoblasten in bienenschwarmähnlicher Bewegung. Fig. 47 zeigt eine der hier selteneren länglichen Formen angeschwollen und m dieselbe in offenbarer Fortpflanzungsform. Auch die hier vorstehend geschilderten Bilder sind nur gewissermassen Stichproben der äusserst mannigfaltigen Erscheinungen, in welchen man diesen braunen Öytoblasten in einer und derselben Leber begegnet. Ich zweifle gar nicht daran, dass diese oder jene Form schon beschrieben und als „Parasit‘“ angesehen wurde, trotzdem man diese Parasiten aus der Froschleber bezeichnender Weise nie ausserhalb derselben hat züchten können. Sie theilen eben das Schicksal der Leberzellen und wer etwa jetzt noch behaupten will, dass hier Parasiten im zoologischen Sinne ohne Wort- klauberei vorliegen, der hat seine Behauptung zu beweisen. Ich muss daher noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass ich diese Verhältnisse bisher in jedem der ungefähr 100 Frösche, welche mir im letzten Halb- jahr unter die Hand kamen und die der Umgegend von Berlin, Hamburg und Lübeck entstammten, vorfand. Ja, diese Erscheinungen trifft man schon in der Kaulquappe und den ganz kleinen Fröschen in einer Weise an, welche einen parasitären Anspruch geradezu ausschliesst. Die hell- braune, durchscheinende kleine Leber derselben erscheint schon dem blossen Auge stark gesprenkelt pigmentirt. Schon mässige Vergrösserung zeigt, dass diese Sprenkelung durch die vorstehend beschriebenen Gebilde hervor- gerufen wird. Will man diese hier „Parasiten“ nennen, so muss man folgerichtig auch die Pigmentzellen der Haut u. s. w. als solche ansprechen, was doch Keinem einfallen wird. Im Uebrigen liegt hier in der Frosch- leber der Ursprung dieser Gebilde in Beziehungen klar, welche schon längst bekannt sind und vom Physiologen und Kliniker verwerthet werden. Die Leber ist nämlich, wie man ja weiss, ein Ort, in welchem ein Theil der rothen Blutkörper untergeht. Nun zeigen die Blutkörperchen der Froschleber Folgendes: Der Kern derselben wird einestheils granulär und je grösser die Granula werden, desto mehr nimmt der Kern die braun- gelbliche Pigmentfarbe an, Taf. VI, Fig. 5a. Andererseits erhält der braun- DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 347 gelblich werdende Kern jenes spiegelnde, glatte Aussehen, welches man sonst „verhornt“ zu nennen pflegt, Fig. 5f. In beiden Fällen sehen wir an zahl- reichen Exemplaren das Schauspiel, dass der Kern seine centrale Stellung aufeiebt, gegen den Rand wandert, diesen überschreitet — Fig. 55 und A — und ohne Zweifel gänzlich auswandert, da wir zahlreiche derartige Elemente frei in der Leber finden. Dieser Process vollzieht sich sowohl an Blut- körperchen, die ihre reguläre Gestalt beibehalten, wie an solchen, welche sich zu mehr oder minder runden Kreisen verändern, Fig. 5e und g. Die „verhornten‘“ Kerne bieten je nach der Menge des in ihnen angehäuften Farbstoffes alle Nüancen bis zu der Form der Fig. 4a und sind zweifellos mit derselben identisch. Die granuläre Form scheint zu zerfallen und dann durch das Anwachsen ihrer Granula wieder auf die Formen der Fig. 4 zu führen. Kernlose Blutkörperchen sind als Reste nach der Auswanderung der Kerne vielfach vorhanden. In vielen Fällen zeigen sich sowohl normal gestaltete wie rundliche rothe Blutkörperchen in Kern und Aussenscheibe granulirt, Fig.5c und d, und erhalten so einen desto ausgesprocheneren braunen Pigmentton, je stärker die Granulirung ist. In klinischer Hinsicht möchte ich darauf hinweisen, wie ungemein diese Bilder an die Erscheinungen im Blute bei Melanämie und Malaria erinnern. Ich habe deshalb auch stets das frei strömende Blut der untersuchten Frösche darauf hin nachgesehen , jedoch stets mit negativem Erfolg. Eine besondere Beachtung erheischt die schon oben geschilderte That- sache, dass die hyaline Hülle der Cytoblasten ungemein wachsen kann und dann einen Körper vorstellt, den wir überall, wo wir ihn sonst finden, als hyalines oder körnerfreies Protoplasma bezeichnen. Fig. 35,, b,, e, gund A zeigen ihn mit pseudopodienartigen Fortsätzen und ergiebt auch eine genauere Betrachtung der Pigment- und sonstiger Zellen, dass er identisch ist mit dem hyalinen, strang-, netz- oder wabenförmigen Protoplasma der Autoren. Taf. VI, Fig. 6 stellt einen Fetzen einer Chorioideazelle des Frosches dar, der zeigt, wie in diesem Falle es die nicht verbreiterte Membran ist, welche die die farbigen Körper trennende hyaline Schicht bildet, in welcher nach bis- heriger unvollkommener Ansicht die Farbkörper nur „eingebettet“ sein sollten, ohne dass man eigentlich angeben konnte, wie sie dahin gekommen seien. Denn die Annahme, dass diese Zwischenschicht sie hervorgebracht hätte — wie? — war doch nur der Ausdruck einer Verlegenheit. Wächst nun die Hülle eines oder mehrerer Cytoblasten in der Weise, wie wir es oben sahen, so ergeben sich je nach dem Umfange derselben die Zellenbilder mit mehr oder weniger hyalinem Protoplasma oder Körner, welche die zahlreichen Forschungen 348 Max Münpen: der Autoren uns vor Augen geführt haben. Reihen sich die Oyto- blasten aber nicht neben-, sondern wie Fadenpilze nach einander an, so erhält man die strang-, netz- und wabenförmigen Zellstructuren, wie sie vorzüglich Bütschli und seine Schule beschrieben hat. Alle diese Verhältnisse lassen sich ohne viele Vorbereitungen an gewöhnlichen Zellen und an solchen der Chorioidea aus dem Froschauge überschauen. Man braucht ein solches Praeparat eben nur lufttrocken werden zu lassen und unter Deckgläschen mit 1000facher Vergrösserung guter Apparate und starker Beleuchtung zu betrachten.” Die bedeutende Differenz ihres Brechungs- exponenten von dem der Luft lässt die zartesten Theile der Zelle äusserst deutlich ersehen. Noch deutlicher hervorheben kann man sie, wenn man ein solches lufttrocken gewordenes Praeparat nach der Löffler’schen Geisselfärbungsmethode färbt und zwar geben vorzüglich Beizen mit einem Zusatz von über 20 Tropfen einprocentiger Natronlauge oder bis 40 Tropfen Normalschwefelsäure die besten Bilder. Die Anwendung von Wärme ist jedoch streng zu vermeiden und Beize wie Farbflotte je eine halbe Stunde lang bei Zimmertemperatur einwirken zu lassen. Taf. VI, Fig. 7 stellt einen Theil einer derartigen Zelle dar, welche beide Typen derZellstructur in sich vereinigt. Der Theil bei Azeigt ein unregelmässiges Maschenwerk, welches von breiten hyalinen Fäden gebildet wird, welche in keiner Weise von wachsenden Schizomycetenfäden zu unterscheiden sind und sporenartige Einschlüsse enthalten, welche vielfach die Farbe der Pig- menteytoblasten in mehr oder minderer Stärke zeigen. Der Theil bei 3 weist in der Hauptsache hyaline, bläuliche runde und ovale Kokken auf und ist dadurch ausgezeichnet, dass in ihm zahlreiche hyaline mit sporen- artigen Einschlüssen erfüllte dünne Fäden vorkommen, Fig. Ta. An vielen Stellen schwellen diese Einschlüsse zu scharf glänzenden, grünlichen, hya- linen Körpern an, welche im Zupfpraeparat suspendirt eine lebhaft schüt- telnde Bewegung zeigen und wo sie durch das mechanische Zerzupfen nicht von ihren Fäden getrennt wurden, dasselbe Bild wie mit Geisseln versehene Bakterien zeigen. Auch im Zusammenhang mit der Zelle tritt diese Aehn- lichkeit, wie Fig. 7a zeigt, schlagend hervor. | Fig. 7 C zeigt den Kern der Zelle. Er wird durch einen verhältniss- mässig dicken, grünlichen hyalinen Faden begrenzt, welcher vielfach zahl- reiche sporenähnliche Gebilde enthält, worauf ich schon in meiner vorigen Arbeit aufmerksam machte. Das Innere ist in der verschiedensten Art und Weise von kleinen und grossen, ovalen und runden Körnchen, dünnen und - dieken Fäden mit oder ohne sporenähnlichen Anschwellungen erfüllt. Die ! Es genügt schon Zeiss # neuester Construction (Semiapochromat). Ocul. 4 und Gasglühlicht mit enger Blende, DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 349 Fäden stellen vielfach Spirillen oder geisselförmige Anhänge der Körner vor und sind auch hier gar nicht von ähnlichen Gebilden anerkannter Schizo- myceten zu unterscheiden. Lufttrocken gewordene rothe und weisse Blutkörperchen zeigen mit grösster Deutlichkeit, wie ihre Hülle bezw. die des Kernes von sporenähn- lichen Elementen erfüllt ist, worauf ich schon in meiner vorigen Arbeit aufmerksam machte. Ungemein instructive Bilder erhält man, wenn man ein lufttrocken sewordenes Zupfpraeparat, in welchem sich viele einigermassen erhaltene Zellen der Chorioidea befinden, nach der Bunge’schen Geisselfärbungs- methode unter Anwendung von Carbolgentiana färbt, dabei aber jede An- wendung von Wärme ausschliesst und die Beize und Farbflotte je !/, bis !/, Stunde darauf einwirken lässt. Die Beize, welche direct auf das luft- trocken gewordene Praeparat gebracht wird, besteht aus 3 Theilen 20 procent. Tanninlösung und 1 Theil im Verhältniss von 1:20 verdünntem Liquor ferri sesquichlorati. Zu 10° dieser Lösung wird 1 “= concentrirte wässerige Fuchsinlösung gethan und die Beize 8 bis 14 Tage stehen gelassen. Häufig giebt auch frische Beize ganz gute Bilder. Die Beize wird mit Aqua destillata sorgfältig abgespült, dann wird mit Carbolgentiana gefärbt, !/, bis 1 Minute lang in 1procent. Essigsäure entfärbt und schliesslich in Aqua destillata abgespült. Lässt man derartige Praeparate vollständig lufttrocken werden und bedeckt sie mit einem Deckgläschen, welches am Rande mit einem der üblichen Wachs-Colophoniumkitte sorgfältig angekittet wird, so stellen sie Dauerpraeparate, welche sich unverändert erhalten, dar. Sucht man sich in einem solchen Praeparat die Chorioideazellen auf, ‚so ersieht man sofort die von anderen Autoren schon berichtete Erscheinung, dass, abgesehen von den die Randzone bildenden bekannten Pigmenteyto- blasten, der Inhalt der Zelle aus einem netzförmigen Gefüge besteht, in welches einzelne farbige oder hyaline Cytoblasten eingebettet liegen. Im Prineip entspricht diese Anordnung der in Fig. 7 abgebildeten. Betrachtet man aber freiliegende Stellen dieses netzförmigen Gefüges mit besten op- tischen Hülfsmitteln und vor Allem mit sehr starker Lichtquelle — Gas- glühlicht — und sehr enger Blende, so enthüllt die Gentianafärbung un- gemein instructive Verhältnisse, wie sie in Taf. VI, Fig. 8 abgebildet sind. Wir sehen hier eine Anzahl von Pigmenteytoblasten, von welchen nicht zu sagen ist, ob nur die Gentiana sie gefärbt hat, oder ob sie auch ohne besondere Färbung farbig erschienen wären und welche sehr deutliche nicht gefärbte - hyaline Hüllen aufweisen. Bei a liest ein Cytoblast mit besonders breiter Membran; am Rande der letzteren sieht man gentianagefärbte Körnchen, von welchen aus hyaline oder ganz schwach gentianagefärbte dünne Fäden ausgehen. Diese Fäden gehen auch direct aus dem Rande der Membran 350 M AX MÜNDEN: hervor, sie sind gebogen oder gewellt, theilen sich häufig und beherbergen vielfach kleinere und grössere Körnchen. Vielfach laufen sie frei aus, eine erosse Anzahl jedoch verläuft zu benachbarten grösseren Oytohlasten und endigt hier in der Membran derselben. Zwischendurch sieht man einen einzelnen Faden, wie bei c, liegen, der an dem einen Ende ein grösseres Korn trägt. An vielen Stellen trifft man, wie b zeigt, eine Art von Zoo- eloea, aus welcher dann die Fäden wie Geisseln hervorragen. Die ganze Anordnung dieses Gerüstes der Chorioideazelle macht den Ein- druck einer Bakteriencolonie, deren Geisseln gefärbt sind. Es kann demnach nicht in Erstaunen versetzen, wenn man in einem Zupfpraeparat, welches nach einer der Geisselfärbungsmethoden behandelt worden ist, zahlreiche Stellen findet, welche der Ansicht Raum geben, dass man es hier mit einer Geisselfärbung der Pigment- und hyalinen Cytoblasten der Chorioidea oder sonstiger Elemente des Froschauges zu thun hat und dass so die Locomotionsorgane der „Molecularbewegung“ enthüllt seien. Es sind vorzüglich die kleinsten Cytoblasten, welche derartige „Geisseln“ tragen und deren Geisseln relativ und absolut die längsten sind, während die grösseren in jeder Weise kleinere Organe aufweisen. Es erklärt dieses die schon früher hervorgehobene Differenz in der Ausgiebigkeit der Bewegung der Öytoblasten im Zupfpraeparat überhaupt. Denn während die kleineren auf das Heftigste peitschen, bewegen sich die grössten ganz schwach und nahm ich schon in meiner vorigen Arbeit an, dass dieser Unterschied eben in der verschiedenen Leistungsfähigkeit der Bewegungsorgane zu suchen sei, was sich jetzt bestätigt. Auch ohne jede Färbung kann man am luft- trocken gewordenen Zupfpraeparat schon zahlreiche, vorzüglich unter den kleineren Elemente finden, welche derartige geisselförmige Ansätze tragen. Die vorstehend geschilderten Verhältnisse werden vorzüglich erläutert durch eine sorgfältige Betrachtung der Pigmente am unversehrten lebenden Thier, wie es die Kaulquappe gestattet. Taf. VI, Fig. 9 stellt einen Bezirk des Schwanzes dar, so weit er pigmentirt ist. Wir sehen bei 4 und 2 zwei ausgesprochene „Pigmentzellen“, welche durch einen Fortsatz zusammen- hängen. Dieser Fortsatz, wie alle übrigen Fortsätze, besteht aus reihenweis hinter einander gelagerten Cytoblasten und endigt stets mit einer einfachen Reihe derselben. A besteht aus einer einschichtigen Lage von Cytoblasten, ganz wie eine Kahmhaut und zeigt bei @ einen von diesen Cytoblasten ge- bildeten Kreis, dessen Deutung, ob Vacuole, ob Kern, zweifelhaft ist. Die Zelle enthält intra vitam schon drei Entwicekelungsformen, wie wir sie oben durch künstliche Züchtung erzielten: In der Mitte einen kleinen punkt- förmigen Körper, bei 5 eine längliche Form, welche der in Fig. 3? und bei c ein rundes Element, welches dem in Fig. 3a bis a, entspricht. 2 be- steht aus mehreren Schichten von Cytoblasten. Ihr gleichen neurologische DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 351 nicht pigmentirte Zellen mit einem oder zwei Fortsätzen, die unter der Oberhaut liegen und deren Cytoblasten das bekannte hyaline bläulich- erünliche Aussehen haben. Diese primitivsten Nervenfasern stellen demnach, wie Schema Taf. VI, Fie. 10 zeigt, eine Kette von Körpern dar, deren beiden Pole stets durch eine andersartige Masse, die hyaline Hülle des Cytoblasten, gebildet werden. Es ist dieses in Beziehung auf das elektromotorische Ver- halten der Nervenfibrillen, welche einen gleichen Bau aufweisen, interessant, wenn man sich der diesen Verhältnissen gleichartigen, allerdings auf Mole- cüle bezogenen Theorie erinnert, welche du Bois-Keymond seiner Zeit aufstellte. } Bei C sehen wir jene runden Entwickelungsformen der Cytoblasten, welche, wie schon oben erwähnt, in grossen Hautbezirken das allein vor- handene Pigment ausmachen können und von den Autoren direct als „Zellen“ bezeichnet worden sind. Wir sehen sie auch in Formen, welche uns den Gedanken einer fast vollzogenen Zelltheilung aufdrängen, oder von einem Hof kleiner pigmentirter Cytoblasten umgeben. Sie scheinen viel- fach in den Zellen des Epithels zu liegen und aus Umbildung der Cyto- blasten der letzteren hervorzugehen, in zahlreichen Fällen liegen sie offen- bar ganz frei. Die kleinen Cytoblasten in ursprünglicher Form findet man sodann allein oder in Gruppen zerstreut. Diese Gruppen wachsen, nehmen vielfach „Zellform“ an, mit oder ohne Membran, D, und lassen es so als selbstverständlich erscheinen, dass auch die grossen Cytoblastencomplexe 4 und B aus solchen Anfängen heraus erwachsen seien und demnach eine regelrechte Schizomycetencolonie darstellen, welche langsam auf einem be- stimmten „lebenden“ Nährboden wuchert, wie anerkannte Bacillen in Nähr- gelatine. Denn ich habe schon in meinem zweiten Beitrag zur Granulafrage darauf hingewiesen, dass die Photographien anerkannter pathogener Schizo- mycetencolonieen Bilder zeigen, welehe in morphologischer Beziehung der „Zelle mit Kern“ gleichen. Inzwischen habe ich Gelegenheit gehabt, in dieser Beziehung Reineulturen des Bacillus diphtheriae, Typhi abdominalis, " Staphylococcus pyogenes aureus, Vibrio cholerae asiaticae und Bacterium coli commune sowie Culturen von Fäulniss- und saprophytischen Bacillen zu unter- suchen ! und meine Erwartungen weit übertroffen zu sehen. Denn nicht nur, dass derartige Schizomycetencolonieen in morphologischer Beziehung der „Zelle mit Kern u. s. w.“ in jeder Weise gleichen und fast nie von solchen unterschieden werden können, diese ! Ich verdanke dieselben zu einem grossen Theil dem hiesigen hygienischen Institut, wofür ich Hrn. Prof. Dunbar und Hm. Dr. Abel an dieser Stelle meinen besten Dank abstatte. 352 Max MÜNDEN: pflanzen sich durch Theilung und Knospung auf ihrem Nähr- boden fort, zeigen Fortsätze und amöboide Bewegung und bilden häufig auf dem Nährboden echte Drüsen- und Epithelgewebe. Sie liefern ihrerseits den Beweis, dass der Autocytoblast dem Metacyto- blasten wesensgleich ist, dass eine Trennung in Elemente, welche dem „Zellenreich“ angehören und in solche, welche man bisher Schizomyceten nannte, höchstens der Uebersicht halber statthaft sei, dass aber in Wirk- lichkeit beide Reiche ein einziges bilden. Taf. VI, Fig. 11 zeigt eine Auswahl von Colonieen einer Reincultur des Bacillus der Diphtherie, die sich auf einem und demselben Nährboden befinden, den ich gleich wie alle im Folgenden zu erwähnenden Bilder als Dauer- praeparat aufbewahre. Diese Praeparate fertige ich in verschiedener Weise an. Ueppig wachsende und dunkel gefärbte Colonieen werden mitsammt dem möglichst dünn abgehobenen Nährboden in der üblichen Weise in Alkohol gehärtet und wenn es nicht auf feinere Details ankommt in Canada- balsam eingeschlossen. Da der Balsam aber hyaline Elemente leicht ver-. deckt, so lässt man, falls man auf letztere zu achten hat, das gehärtete Praeparat lufttrocken werden und kittet die Deckgläschen nur mit einem der üblichen Wachskitte an. Handelt es sich um matte, nicht farbige Colonieen, wie ich sie vielfach bei Fäulnissbakterien auf schlechten Nähr- böden antraf, so lässt man die auf Objectträger dünn ausgegossenen Böden in einem trockenen Raum unter Glasbedeckung austrocknen und kittet das Deckglas ebenfalls einfach am Rande an. Findet dann selbst unter Deck- glas noch eine Entwickelung der Colonieen statt, so ist sie doch nicht von der sonstigen unterschieden und sistirt in Folge des Luftabschlusses, der allerdings streng vollständig sein muss, sehr bald. Sehr gute Resultate erzielt auch die Härtung in Formalin und Aufbewahrung unter angekitteten Deckgläschen. Fig. 11a—d zeigen sehr grosse, üppige, dunkelbraune Colonieen. Die ovale Form a zeigt an beiden Enden eine hüllenartige Abhebung, in der Mitte einen hyalinen Abschnürungsstreifen und zu beiden Seiten desselben Formen, welche man nach Belieben als Kerne, Kernkörperchen, Centro-* somen u. s. w. auffassen kann. Die einem Infusorium ähnelnde Form 5 lässt einen sich scharfrandig von der Umgebung abhebenden dunkelbraunen Kern erkennen, der an der Seite ein helleres Bläschen — & — einschliesst. Unterhalb des letzteren ragt ein Fortsatz über die Grenzen des Gesammt- körpers heraus, der nach oben eine hellere blasenartige Ausstülpung — $# — begrenzt. Ueber den sich sehr dunkel abhebenden hohen Rand der Colonie erstrecken sich im ganzen Umfang derselben hellbraune zackige Fortsätze hinaus. Fig. I11c und d stellen zwei besonders merkwürdige Exemplare einer Form dar, welche sonst als dunkelbraune, scharfrandige, kugelige Ge- DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 353 bilde vorkommen und nichts Besonderes in ihrem inneren Bau erkennen lassen. Diese sind hier jedoch dadurch bemerkenswerth, dass die Gesammt- colonie kleine spitzenförmige Ausläufer treibt. In der abgebildeten Fig. Ile setzt sich bei & eine solche Spitze in einen langen aus hyalinen, weit- maschigen Fäden gebildeten Fortsatz, welcher sich am Ende durch Ein- lagerung compacter brauner Elemente verdickt, fort. Bei % entwächst dem kugeligen Hauptkörper ein nur aus wenigen Lagen von Bacillen gebildeter und deshalb hellbrauner Körper mit lappenförmigen Ausläufern. In diesen Körper sind zahlreiche Entwickelungsformen der Diphtheriebaeillen ein- gestreut, welche sich principiell wie die oben geschilderten der Cytoblasten der Froschehorioidea verhalten. Bei Fig. 11d ist der auswachsende Strang aus einem dichteren, hyalinen Netzwerk gebildet und hat sich das Ende desselben schon zu einer dichten, hyalinen Kugel herausgebildet. In beiden Fällen geht der Fortsatz in leicht erkennbarer Weise aus der hüllenartigen Oberfläche der Colonie hervor. Fig. e bis g stellen Colonieen derselben Platte dar, welche flächen- förmig wachsen und deshalb stets ein hellbraunes Aussehen bewahren. In vielen derartigen Colonieen ist nichts Beachtenswerthes zu sehen, eine An- zahl zeigt aber Einschlüsse, welche man Kerne und Kernkörperchen be- nennen würde, wenn man ihnen bei anerkannten Zellen begegnete. In - Fig. f ist soleh ein durch diehteres und höheres Wachsthum der Bacillen dunkelbraun erscheinender scharf abgegrenzter „Kern“, in Fig. g ein bläschenförmiges, mit solidem „Kernkörperchen“ ausgestattetes Gebilde dar- gestellt. Viele dieser flächenhaften Colonieen zeigen ganz bestimmte Theilungs- formen, welche auch im fixirten Praeparat durch alle Uebergänge hindurch verfolgt werden können. Es tritt ein ganz scharfer, durch die ganze Fläche gehender Spalt auf, der einen kleinen oder grösseren Theil vom Gesammt- körper abtrennt. Derselbe wird weiter und weiter, der abgetrennte Theil verändert seinen Ort und wird so zur selbständigen Colonie. An sapro- phytischen Spaltpilzen, deren Dauerbeobachtung aus erklärlichen Gründen leiehter zu bewerkstelligen ist, habe ich thatsächlich die amöbenartige Be- wesung derartiger Flächencolonieen häufig beobachtet, worauf ich noch später zurückkommen werde. In vielen Fällen theilt sich eine Fläche gleichzeitig in drei oder vier Theile. Taf. VI, Fig. 12 stellt in « eine einzelne Choleracolonie dar, welche schon makroskopisch eine sehr deutliche Trennung in Kern und Aussenkörper aufweist; 5 zeigt eine derartige Colonie nach Trennung der Kerne in Theilung, welche oben und unten durch eine scharfe Einkerbung und in der Mitte durch einen weisslichen Strich markirt wird. Fig. ce zeigt einen zusammenhängenden Belag, welcher von einzelnen unregelmässig geformten, Archiv f.A.u. Ph. 1897, Physiol. Abthlg. 98 354 Max MÜNDEN: scharf von einander getrennten — Membran? — Colonieen gebildet wird, wie sie im Speciellen schon in Fig. I1e, f und g geschildert wurden. Die Colonieen ordnen sich hier um eine Art Gang herum an und geben so dem Ganzen ein drüsenartiges Aussehen. Fig. d zeigt zahlreich vorhandene Stellen aus dem lufttrockenen Praeparat einzelner Vibrionen einer Rein- eultur einige Tage nach der Anfertigung. Membran und vielfach Innen- körper sind derart hyalin „aufgequollen“, dass ich, der ich seit Jahren Tausende von Amöben mit grösster Aufmerksamkeit verfolgt habe, nicht weiss, worin sich diese Körper von ruhenden Amöben unterscheiden. Taf. VI, Fig. 13 stellt Colonieen eines Fäulnissbacillus dar, welcher aus dem Wasser eines faulenden Organstückes auf Nährgelatine verimpft, dieselbe bei gewöhnlicher Zimmertemperatur unter Entwickelung von Ammoniak in 24 Stunden verflüssigte. Die dunkelbraunen, runden oder ovalen, vielfach unregelmässig geformten Colonieen zeigten zwei charakteristische Arten der Fortpflanzung. Zuerst schwillt ein Theil der Colonie, wie Fig. 13a zeigt, kappenartig an. Indem dann die Kappe immer grösser wird, tritt durch Einschnürung eine deutliche Abtrennung vom Mutterkörper ein, Fig. b, bis die junge Colonie vollständig abgeschnürt ist. In anderen Fällen wird die Colonie nach einer Richtung hin breiter, es tritt in der Mitte eine deut- liche Einkerbung des Randes und ein heller Trennungsstreifen auf — Fig. 13c — bis schliesslich zwei abgerundete Colonieen daliegen. Von diesen Colonieen impfte ich auf eine magere 5 procent. Gelatine, der nur etwas Fleischbrühe und NaHCO, zugesetzt worden war und er- zielte bei Zimmertemperatur eine grosse Anzahl von Colonieen, welche, da sie nur aus wenigen Schichten von Schizomyceten bestanden, sehr licht- schwach und hell waren, die den Nährboden nicht verflüssigten und auch keine Entwickelung von Ammoniak aufwiesen. Ihre Durchsichtigkeit ge- stattete einen Einblick in die speciellere Art und Weise ihrer Fortpflanzung, welche, wie Taf. VII, Fig. 14 lehrt, eine Reihe von Bildern vorführt, welche uns die mitotische und amitotische Zelltheilung kennen gelehrt hat. . Manche dieser kugelrunden, scharfrandigen Colonieen zeigen im Innern keinerlei Differenzirung, die meisten weisen aber bläschenförmige oder solide Körper auf, welchen man ihrem Aussehen und Verhalten nach die Be- zeichnung „Kern“ kaum vorenthalten kann. Fig. 14a zeigt eine derartige Colonie, deren „Kern“ gerade in Theilung begriffen ist, während seitwärts sich drei Körperchen befinden, die man bei anerkannten Zellen Centrosomen nennen würde, worauf Fig. g hinweist. Fig. 5 zeigt einen einfachen, sehr scharfrandligen Kern, der selbst wieder deutlich granulirt ist. Fig. ce zeigt eine Colonie mit bläschenförmigem Kern und einem ähnlichen länglichen Gebilde. Die Colonie hat, wie schon in Fig. 13 dargestellt wurde, eine Kappe getrieben, welche durch Einwachsen der sehr deutlichen Membran DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE, 355 der Gesammteolonie von letzterer schon abgetrennt ist. Fig. d zeigt eine derartig schon grösser gewordene Tochtercolonie, Fig. e eine Zelltheilung durch Einwachsen der Membran und Fig. f die Abschnürung einer sichel- förmigen Kappe. Fig. g— und o weisen Verhältnisse auf, die auf das Lebhafteste an die Ausstossung von „Richtungskörperchen“ erinnern und bei denen besonders die häufige Anwesenheit von Gebilden in der Mutter- colonie und dem ausscheidenden Theil zu beachten ist, welche man un- willkürlich den Centrosomen an die Seite stellen muss. Fig. o zeigt ein solches „Richtungskörperchen“ noch zum Theil in der Colonie liegend, Fig. y ein derartiges an einem Pol, an dem schwer festzustellen ist, ob seine Mem- bran noch wirklich mit der Membran der Colonie zusammenhängt oder die scheinbare Abschnürung nur noch optisch vorgetäuscht wird. Fig. und: zeigen, wie derartige Körper grösser werden und zuletzt eine neue Colonie bilden, wobei sie m dem festen Nährboden ohne Zweifel langsam activ fortkriechen, da sie schon in 24 Stunden ihre Lage zum Mutterkörper bedeutend verändern können. Fig. A zeigt übrigens noch durch stärkeres centrales Wachsthum ein „Endo- und Ectoplasma“. Derselbe Nährboden zeigt aber nicht nur runde, sondern auch sonst- wie gestaltete blasse Colonieen. Fig. 14% führt eine solche von ovaler Form vor, man trifft aber auch ausgesprochen spindelförmige Körper, welche gar nicht von ähnlichen Gewebszellen zu unterscheiden sind. Viele dieser Körper pflanzen sich durch eine Theilung fort, die oft ein ganz anders seformtes Tochterindividuum entstehen lässt und wenn diese Neubildungen mit einander verbunden oder dicht bei einander liegen bleiben, so ent- steht im Nährboden ein oft sehr ausgedehntes epitheloides Ge- webe, wie es Fig. Z und m im Kleinen vorführen. Denselben epitheloiden Charakter besitzen die zusammenhängenden Flächen der auf Nährböden wuchernden pathogenen Bakterien, Cholera, Typhus und Diphtherie. Auch diese Flächen bestehen aus einer grossen Anzahl verschieden geformter, im Ganzen scharf getrennter Colonieen vom Charakter eines Plattenepithels, in welchem häufig Gruppirungen anzutreffen sind, welche an Drüsen oder Aehnliches erinnern. Fig. 12c stellt so ein Stück einer zusammenhängenden Choleracultur dar, von welchen jede einzelne Platte von der anderen sehr scharf, vielleicht auch durch eine Membran, geschieden ist und den Werth einer einzelnen Öolonie, wie sie in Fig. Ile, f und g vorgeführt wurden, besitzt. Taf. VII, Fig. 15 stellt Formen einer Plattenreineultur von Staphylococeus pyogenes aureus dar. Das Hauptcontingent stellen bräunliche, scharf um- schriebene, ovale, runde oder spindelförmige Elemente, wie sie a, d und e zeigen. Von einem Kern ist ohne Anwendung künstlicher Mittel nichts zu sehen, hingegen treten vielfach durch Abschnürung gestreckter Exemplare DIR 356 "MAx Münnex: dargestellte Fortpflanzungsformen auf, die in Fig. c, d und f abgebildet sind. Fig. © zeigt eine nur seltene Art, wo aus dem bohnenförmigen Mutterkörper der Spross wie ein Haufen wirrer Fäden hervorwächst, viel- leicht gar herausfliesst. Fig. g und k stellen zarte Gebilde dar und mache ich besonders darauf aufmerksam, wie sehr die Formen der Fig. k Leuko- cyten ohne Kern gleichen, welch letzterer vielleicht auch noch durch Essigsäure sichtbar zu machen sein wird. In geringerer Menge findet man sodann grössere Exemplare der verschiedenartigsten an Ciliaten und der- gleichen erinnernde Formen vor, Fig. —o, bei welchen sich auch hin und wieder, wie ‘bei Fig. /, ein Kern zeigt. Typhus abdominalis in Plattencultur führt Taf. VII, Fig. 16 vor. In allen Platten sind zwei Haupttypen vertreten, doch stets die eine derselben in sehr geringer Anzahl. Die eine Type, Fig. «&—m, stellt eine gelbbräun- liche, scharf umrandete Colonie vor, an der stets eine hyaline Membran in oft bedeutender Dieke wahrzunehmen ist. Es überwiegen kugelrunde Formen und bilden solche, wie sie Fig. f und g vorführt, die Ausnahme. Die runden Formen zeigen in sehr vielen Fällen einen scharf abgegrenzten Kern — Fig. «a —, in andern sind sie ohne einen solchen. Vorzüglich an letzteren zeigt sich eine merkwürdige Entwickelung. Es tritt an zwei symmetrischen Stellen eine blasenartige Erhöhung auf, von welcher aus leichte Andeutungen eines Wulstes in das Innere der Zelle führen, Fig. ce. Es treten weitere Hervorragungen auf, die Grenzen der Wülste werden deutlicher und so entsteht eine Form, wie sie in Fig. d abgebildet ist. Hiermit hat die Entwickelung jedoch noch nicht ihr Ende erreicht; denn indem nun jeder Theil der Colonie selbständig wächst, entstehen solch bizarre Gebilde, wie sie Fig. e vorführt. Was dann mit diesen Elementen vorgeht, weiss ich nocht nicht zu sagen. An Theilungsformen findet sich die oben bei den Fäulnissbakterien besprochene Kappe, Fig. }, die man häufig, wie Fig. 4 zeigt, schon be- trächtlich herangewachsen und abgeplattet in grösserer Entfernung vom noch abgeplatteten Mutterkörper antrifft, so dass sie also in dem festen Nährboden activ fortkriechen können muss. Fig. m zeigt eine sonder- bar differenzirte Kappe, die ich bisher nur einmal und dicht dem Mutter- körper anliegend antraf. Fig. ’ und / zeigen die bekannten Theilungen durch Einschnürung und Einwachsen der Zellhaut. Die zweite Type führt Fig. n vor Augen. Es handelt sich um weiss- liche dünne Flächen, welche bis zu 1°® im Durchmesser gross werden können und stets pseudopodienartige, lappige Ränder besitzen. Bei vielen ist schon makroskopisch ein scharf contourirter Kern mit oder ohne Kern- körper sichtbar. Einige zeigen eine Sonderung in Endo- und Ectoplasma, andere eine gleichmässige Fläche. Ein Exemplar der ersteren Form ist in DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 357 Fig. O bei 400facher Vergrösserung dargestellt. Sowohl Kern, Kernkörper, Endo- und Ectoplasma bestehen aus häufig in eleganten Schleifen angeord- neten Fäden, welche aus Kurzstäbchen und Kokken, die hinter einander liegen, zusammengesetzt sind. Ueber die Bedeutung der mächtig ver- grösserten hyalinen Stäbchen bei & weiss ich nichts zu sagen.! Eine Thei- lungsfigur habe ich bei den drei Plattenculturen, welche mir hiervon zur Verfügung standen, nicht bemerkt. Histologisch erweckt die ganze Colonie den Eindruck von Bindegewebe, welches, wo man es auch hernehmen mag, entweder ganz dieselbe Anordnung zeiet oder lange solide Fäden aufweist, die, häufig mit „Sporen“ erfüllt, eben den sogenannten Pilzfäden entsprechen, besser gesagt solche sind. Und auch die ontologisch ja aus dem Bindegewebe entstehenden quergestreiften Muskelfasern sind gar nichts anderes wie Pilzfäden, welche aus einzelnen hinter einander gelagerten Stäbchenschizomyceten bestehen. Fig. 10 stellt nicht nur eine Nerven- sondern auch eine Muskelfibrille dar, die bis auf die Hensen’sche Quer- scheibe, welche ja ein specifisches Product des Binnenkörpers des Muskel- cytoblasten sein kann und vielleicht auch an pathogenen Bakterien dar- stellbar sein wird, ganz genau das bekannte Bild der Muskelfibrille wiedergiebt. Thatsächlich hat schon Altmann Figuren vorgeführt,? welche die Entstehung der Muskelfibrille aus runden Cytoblasten der glatten Muskelzelle veranschaulichen. Taf. VII, Fig. 17 zeigt eine spontane Cultur auf Nährgelatine, welche, nachdem sie sterilisirt worden war, eine Minute frei an der Luft gestanden hatte. Die einzelnen braunen Colonieen bestehen aus dicken Pilzfäden, welche gleichsam in wirrer Weise zu einem Knäuel Garn aufgewickelt sind und überall aus dem Knäuel hervorragen. An der Spitze sind diese sprossenden Fäden stark gebräunt, so dass sie bei geringer Vergrösserung eine auf- fallende Pigmentirung gewisser Theile der Colonie vortäuschen. Fig. 5 giebt ein Flächenbild dieser Verhältnisse um den weisslich erscheinenden Kern herum. Letzterer ist in vielen Fällen mit ähnlichen, hyalinen Fäden er- füllt, in einzelnen ist nichts davon zu sehen. Von allen Colonieen gehen Pilzfäden aus, welche, wie Fig. 17a zeigt, die gesammte Oberfläche des Nährbodens bedecken. Fig. 17a« zeigt eine Colonie mit zwei getrennten Kernen, £ eine Colonie in zweifacher Theilung, von welchen die eine schon fast vollendet ist. Die Tochterzelle hängt mit der Muttercolonie, von welcher sie durch eine deutliche Einkerbung schon getrennt ist, nur noch ! In einer wirklichen Zelle würde man solche Elemente als von „aussen“ ein- gewanderte „pathogene Bakterien“ bezeichnen. ? Altmann, Die Elementarorganismen u. S. w. 358 -MAx Münpenr: durch eine wirre, weissliche Masse von Fäden zusammen, welche sich unter dem Einfluss des absoluten Alkohols, mit welchem fixirt wurde, so zu- sammenzog, dass die Verbindung zwischen beiden Colonieen im Dauer- praeparat aufgehoben erscheint. Bezeichnender Weise haben aber beide Colonieen an dieser Stelle nicht ihre sonst so scharfen, runden Contouren, man sieht, dass sie noch unfertige, gleichsam verstümmelt sind. Taf. VII, Fig. 18 stellt eine in vielfacher Hinsicht interessante spontane Cultur auf Nährgelatine eines kleinen Kurzstäbchens dar. Die makroskopisch so gross wie eine Stecknadelspitze erscheinenden braunen Colonieen entwickelten sich von einer Stelle der Oberfläche der in einem Glase befindlichen Ge- latine aus in der Weise, dass sie erst innerhalb fünf Tagen die ganze 2 «m im Durchmesser betragende Oberfläche besetzten und dann von dort aus langsam gegen die Tiefe vordrangen, die sie innerhalb 14 Tagen in einer Dicke von 1 ““ durchsetzt hatten. Da die Gelatine fest blieb und jede Colonie von der anderen durch einen bestimmten makroskopisch wahr- nehmbaren Zwischenraum getrennt war, so muss eine active Wanderung der Tochtercolonieen stattgefunden haben, worauf ich noch unten zurückkommen werde. Jede Colonie zeigt schon bei mässiger Vergrösserung eine dicke hyaline Membran, welche sich vielfach abhebt und dann schon im frischen Zu- stande, stets im Trockenpraeparat, ihre Zusammensetzung aus einem wirren Gefüge hyaliner Pilzfäden darlest. Sie gleicht in dieser Beziehung voll- kommen den früher! besprochenen Membranen des Hühnereies. Fig. 18a stellt eine bräunliche einzelne Colonie, 5 eine solche in Zweitheilung dar, e zeigt die Bildung einer Tochterzelle durch Ausbildung und Abschnürung einer Art von Kappe, wie sie schon bei den Figuren 13 u. 14 beschrieben wurde. An flottirenden und halb zerstörten Exemplaren ersieht man, dass die ganze Oolonie aus einer dicken, kugeligen Membran besteht, welche einen mehr oder minder festgeformten Inhalt von Stäbchen umschliesst. Demgemäss zeigen auch Formen mit durchsichtiger Membran, wie f und y eine Vertheilung des Inhaltes in „Kern“ und „Plasma“ — f — oder ein wirres „protoplasmatisches“ Gefüge, g. Nun benimmt sich die Membran bei vielen Colonieen in einer ganz auffallenden Weise. Sie hebt sich ab, faltet sich ein und so entstehen bläschenartige Ausbuchtungen, welche dem Ganzen das Aussehen einer Morula geben, Fig. 17c. Streckt sich die Colonie dabei, so kommt eine traubenförmige Form wie Fig. d zu Stande. Oder die Membran erhebt sich in einer oder mehreren Stellen als weisslich glänzender Zapfen — Fig. A —, der grösser wird und so schliesslich durchsichtige Blasen ! Zweiter Beitrag zur Gramulafrage. Dies Archiv. 1896. 8. 279. DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 359 bildet, welche den Umfang der Colonie selbst um das Vielfache übertreffen können, Fig. k. Fig. i stellt einen solchen Zapfen in stärkerer Vergrösserung dar und ersieht man, wie derselbe durch Fasern gebildet wird, welche sich bogenförmig aus der Membran heraus erheben. An einigen Stellen im Dauerpraeparat sind nicht nur die Membranen dicht nebeneinander liegender Colonieen miteinander verwachsen — Fig. 172 —, sondern auch die Colonieen selbst entsenden Ausläufer zwischen den Membranen und an einer Stelle liegt m der Membran eine kernförmige gleichartige Blase mit braunen „Kernkörperchen“, wie Fig. !« zeigt. Ich möchte darauf hinweisen, wie sehr diese Bilder principiell denen gleichen, welche Fig. 4 darstellt. Auch bei diesen Colonieen oder Zellen in der Froschleber ist das Bezeichnende die mannigfaltige Form, zu welcher die Membran auswächst. In Taf. VII, Fig. 19 sehen wir Einzelcolonieen einer Reineultur eines Spalt- pilzes aus der Milch. A stellt eine blässlich-weisse Colonie in natürlicher Grösse dar, aus welcher sich der dunkle Kern stark abhebt. 2 zeigt eine sich theilende Colonie, um deren Kerne sich eine Art dunkles „Endoplasma“ im Gegensatz zum weisslichen „Eetoplasma“ gebildet hat. C weist einen Kern auf, der sich in die Länge gestreckt hat und wie eine scharfe Ein- kerbung andeutet, theilt. D zeigt einen Theil einer derartigen Colonie in 150facher Vergrösserung. Der scharf umrandete Kern besteht aus einer dichten Masse dunkler dicker Stränge, welche sich bei stärkerer Ver- grösserung in ein Geflecht feiner Fäden auflösen und enthält stellenweise noch eigenartig geformte Einschlüsse, die man ja als Kernkörperchen oder Centrosomen bezeichnen könnte. Die dicken Stränge erstrecken sich über den Kern noch etwas in die Aussenmasse hinein. Letztere besteht aus einem hellen Grundkörper, der aus hyalinen Reihen zusammengesetzt ist, welche oft, wie Fig. e zeigt, eine zierliche schleifenförmige Anordnung auf- weisen, trotzdem die Reihen selbst aus einzelnen hintereinander liegenden Stäbchen bestehen. Ihnen liegen vielfältig gestaltete dunklere Stränge auf, welche, gleichwie die Stränge des Kernes, aus einem Geflecht feinster Fäden bestehen, aber lange nicht so dick und dunkel gefärbt wie letztere sind. Die ganze Anordnung erweckt lebhaft das Bild von Binde- sewebe oder Faserknorpel. Eine grosse Anzahl verschiedener Formen, die in Taf. VII, Fig. 20 ab- gebildet sind, führt eine Cultur aus der Milch vor. Fig. a zeigt einen braunen Innenkörper, den ein hellbrauner Aussenring umgiebt. Das Ganze ist von einer durchsichtigen Membran umgeben, welche wie die zusammen- geklappten Schalen einer Muschel gestaltet und deren Kante sehr deutlich in Vorderansicht zu erkennen ist. Fig. 5 führt eine etwas bizarre braune Form, c eine aus drüsenartigen, traubenförmigen Theilen gebildete 360 Max MÜnDen: Colonie vor, von welchen jeder Theil aus zellenartigen Elementen zusammen- gesetzt ist. Einige Colonieen entsenden im ganzen Umfang einen dichten Wald von feinen, hyalinen Fäden, die wie Pseudopodien aussehen. Fig. d zeigt eine braune, im Innern deutlich differenzirte grosse Colonie, deren Hülle beiderseits eine tiefe spaltenartige Einschnürung: besitzt, welche nach Analogie des vordem Erwähnten als Fortpflanzungsmodus betrachtet werden muss. Fig. e zeigt einen derartigen Spalt nur an einer Seite, bei f nimmt er den Charakter eines Canales an, welcher nach Innen führt. Sämmt- liche Colonieen, mit Ausnahme von c, besitzen eine starke chitinartige Membran. Fig. f zeigt im Innern einen dunkelbraunen Ken — « — und einen bläschenartigen Körper — £ —, der in Theilung begriffen ist; Fig. y eine kugelige Colonie mit zahlreichen Wimpern oder wenn man will Pseudopodien. Wenn die im Vorigen beschriebenen Figg. 11 bis 20 Culturen vor- führen, welche, in üblicher Weise auf festen Nährböden gezüchtet und mir zum grössten Theil von erfahrenen Bakteriologen übergeben, zweifellose Schizomyceteneulturen im bisherigen Sinne vorstellen, so ist dieses nicht der Fall mit einer ganz eigenartigen Erscheinung, welche Taf. VII, Fig. 21 darstellt. Es handelt sich hier um die Ergebnisse einer Impfung von Oytoblasten aus der Froschchorioidea auf Blutserum. Dieselben wurden direct aus dem frisch eröffneten Auge des Frosches, der wie 8. 342 geschildert praeparirt wurde, unter den strengsten antiseptischen Vorsichtsmassregeln mit der Platinnadel herausgeholt und durch Stich auf Blutserum verimpft. Die beiden Reagensgläser, um welche es sich hier handelt, standen 6 Wochen im Brütofen bei einer Temperatur von 30 bis 36° ©., wurden dann noch 14 Tage bei gewöhnlicher Temperatur gehalten und darauf geöffnet. Ma- kroskopisch sah der Nährboden undurchsichtig durch einen leichten Belag aus, er war zusammengeschrumpft und hart. Mikroskopisch erwies sich das Innere des gesammten Nährbodens — welchen ich aus einem Reagensglas vollständig aufbewahre — durchaus klar, nur die Oberflächen, sowohl nach der Glas- wie Luftseite, waren mit den Culturen bedeckt, welche ich im Nachfolgenden schildern werde. Vorher will ich noch bemerken, dass ich durch diesen vorläufigen kleinen Versuch es durchaus noch nicht als entschieden betrachte, dass Cytoblasten der Chorioidea sich auf Blutserum cultiviren lassen, obgleich bei diesen wie bei ähnlichen Impfungen auf Gelatine die angewandte Methode in den ersten 14 Tagen keinerlei sonst übliche Pilz- infection dem Auge zeigte und eine derartige Züchtung nach dem, was ich hier vorstehend mitgetheilt habe, schliesslich gar nicht so wunderbar, ja sogar zu erwarten wäre. Aber auch, wenn man annimmt, dass hier sonstige Schizomyceten übertragen worden seien, wird dann deren Gestaltungsfähig- keit jede Aufmerksamkeit rechtfertigen. DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 361 Der Impfstich war von einer schwarzen Masse erfüllt, die aus grossen und kleinen Schollen, Kurzstäbchen und Kokken bestand. In der Umgebung des Stiches befanden sich Ansammlungen ähnlicher Elemente und diejenigen beider Oberflächen, welche farbig waren, zeigten denselben Charakter, so dass kein Zweifel daran sein konnte, dass sie mit jenen gleichartig und nach Lage der Sache aus ihnen hervorgegangen waren. Der Belag der beiden Oberflächen zeigte einen durchgreifenden Unterschied. Die dem Luft- raum des Reagensglases zugewandte Fläche zeigte eine dichte Lage hyaliner Elemente, welche in epithelartiger Anordnung, wie sie Fig. 21 A darstellt, die gesammte Oberfläche bedeckten. In ungleichmässiger Weise waren ihnen jene blauschwarzen Massen aufgelagert, welche sich auch im Stich- canal befanden. Diese aus kleinen und grossen Schollen, Kurzstäbchen und Kokken bestehenden Elemente waren nun auf der Oberfläche des Nähr- bodens, welche dem Glase direct anlag, zu zelligen Elementen und Geweben ausgewachsen, welche eben aus genau denselben dunklen Stäbchen, Kokken und Schollen zusammengesetzt waren. Taf. VII, Fig. 21 3 zeigt die häufigste Form derartiger Zellen mit sehr hervortretendem Kern und einer Anzahl Theilungsfisuren &. Fig. C giebt eine bedeutend grössere und ebenfalls vielfach vorhandene Zelle wieder, deren Kern die mannigfaltigste Differenzirung zeigt und deren concentrisch angeordnetes „Plasma“ eine Anzahl von Blasen oder Vacuolen mit oft im Centrum eingelagerten kernartigen Körpern aufweist. Fig. # stellt eine ähnliche Zelle dar, deren „Plasma“ sich nicht nur in scharf von einander getrennte Endo- und Ectoplasmen getrennt hat, sondern deren Ectoplasma auch eine zierliche fünfstrahlige Anordnung aufweist. Was aber am Be- merkenswerthesten ist, ist der Umstand, dass sich an verschiedenen Stellen dichtgedrängte Nester einer Formation finden, welche man sonst als „Drüsen“ zu bezeichnen pflest. Fig. D zeigt einen Theil einer derartigen Stelle. Der Mitteltheil ist, wie man sieht, aus unregelmässig gestalteten, granulirten Zellen gebildet, welche sich vielfach zu einer kugelartigen Figur zusammenlegen. Der Rand der Schläuche und Kugeln ist von einem hyalinen Epithel begrenzt, welches trotz seines oft unregelmässigen Wachsthums den Charakter des Oylinderepithels aufweist. Dieser Charakter sowie die mathe- matisch regelmässige Anordnung der Drüsen wird auf das Allergenaueste an einer Stelle nachgeahmt, welche ungefähr einen halben Centimeter im Durchmesser misst und einen Kreis darstellt. Von der Peripherie des Kreises ordnen sich die keilförmig verlaufenden Drüsen centripetal gegen die Mitte zu an und das Cylinderepithel ist mit der grössten Regelmässig- keit gebaut. Fig. 7 stellt diese Stelle in schwacher Vergrösserung dar, wo die oft breiten Ausführungsgänge ein Situationsbild des Ganzen geben, 362 "MAx MÜnDen: Fig. @ zeigt eine kleine Stelle bei starker Vergrösserung an einer. bucht- artigen Ausweitung eines Hauptausführungsganges. Eine ganz eigenartige Fundstätte für Zellbildungen seitens freier Schizomyceten bilden Gläser, welche an feuchten, womöglich dunklen Orten stehen und welche man der Ordnung halber gerne vorher sterilisiren kann. Ein Jeder kennt den tupfenartigen Beschlag, der sich dann häufig bildet und die Hausfrau zum Putzen der Gläser veranlasst. Ein jeder der oft bis zu einem halben Centimeter messenden Tupfen stellt eine ungemein durchsichtige Schizomycetencolonie in ausgeprägter Zellenform dar. Die Begrenzung bildet stets ein sehr dicker hyaliner Faden und wenn irgendwo, dann ist hier mit der auffallendsten Deutlichkeit zu sehen, wie das Wachs- thum dieser Fadenmembran die Bildung neuer Zellen oder Colonieen einleitet. Taf. VII, Fig. 22 stellt eine solche Colonie dar, wo die beiderseits ein- wachsende Membran eine Tochtercolonie abschnürt. Der Inhalt derartiger Zellen besteht aus kleinsten, kahmhautartig oder fadenförmig angeordneten hyalinen Cytoblasten, von welchen einzelne zu grösseren vielgestaltigen Individuen heranwachsen, welche denen der Figg. 1, 2 und 3 entsprechen. In einzelnen Zellen findet man auch in der Mitte oder seitlich liegend einen durch einen dicken hyalinen Faden abgegrenzten Kern mit Inhalt, den man nach Belieben mit den üblichen Namen der Kernkörperchen, Linin u. s. w. be- legen kann, da sich alle diese Bildungen bei dam einen oder anderen Exemplar Baimstnktsem lassen. Die an vorstehenden Schizomyceten geschilderten Verhältnisse sind, insofern sie sich auf die mit geringer Vergrösserung betrachteten morpho- logisch-histologischen Thatsachen der Colonieen beziehen, schon vielfach von Bakteriologen beschrieben und abgebildet worden. Merkwürdiger Weise hat der Umstand, dass man für Kern „Centrum“, für Pseudopodien oder Wimper „Ausläufer“ u. s. w. sagte, die Bakteriologen bisher nie auf den doch nahe- liegenden Gedanken gebracht, dass ein Zoologe oder Botaniker, der diese Colonieen im Wasser schwimmend fände, sie ganz selbstverständlich als „Zellen“ beschreiben würde und thatsächlich schon beschrieben hat. Denn alle die ungemein zierlichen „Colonieen“ sind mit mehr oder weniger Aehn- lichkeit unter die schier unendliche Anzahl einzelliger Lebewesen des Plank- ton aufgenommen worden. Man betrachte z. B. die Tafeln der Arbeit von W. Winkler im Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde. 1895. S. 609, welche Culturen verschiedener Käsebakterien, Tyrothrix, zur An- schauung bringen, die nicht nur Kern, Membran, Epithelsaum der Membran- fortsätze aller Art darbieten, sondern eine so ungemein regelmässige und zierliche Differenzirung der Colonie aufweisen, dass man sich doch schon längst die Frage hätte vorlegen müssen, warum Bakterien, die sich ver- nn Van De. sn m rm 2 mm — Dritter BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 363 mehren, denn das gerade in Haufen und noch dazu in so künstlerisch ge- gliederten Haufen thun müssten. Es ist in der Vermehrung an sich ja absolut kein Anstoss gerade dazu gegeben. Diese Tyrothrixeulturen sind nach Winkler noch dadurch merk- würdig, dass die Colonieen durch zierlich angeordnete Fäden der Stäbchen gebildet werden — ein Gegenstück zum Bact. typhi abdominalis, Fig. 16 0 und des Spaltpilzes aus der Milch, Fig. 19e — und dass der genannte Forscher die verschiedenen Arten derselben durch verschiedenartiges Oul- tiviren in Formen überführen konnte, die sich sowohl physiologisch wie auch morphologisch in Bezug auf Bau der Colonie und des Stäbchen different verhielten. Derartige Angaben sind ja vielfach in der bakterio- logischen Litteratur enthalten und weisen darauf hin, wie geringe Unter- schiede in der Ernährung oft genügen, um Colonieen, Zellen zu erzielen, welche so wesentlich in physiologischer und morphologischer Beziehung von ihren Ahnen abweichen. Auf letzterer Beziehung beruht aber unsere ge- sammte schematisirende Eintheilung der Natur seitens Zoologen, Botanikern und Anatomen, beruht vor Allem das Dogma von der Artconstanz. Ist Alles im Fluss, so steht es allerdings um die Etiquetten in denjenigen Re- sionen schlimm, in welchen das einzelne Individuum eine gegen die mensch- liche so gering an Zeit bemessene Entwickelung hat. Denn auch hier maass der Mensch dieses Jahrhunderts alles nach seinem Maasse. Seine und Seinesgleichen Entwickelung misst nach Jahrhunderttausenden und deshalb wird es ihm schwer fallen, sich klar zu machen, dass die Entwickelung des so unendlich kleineren Cytoblastenindividuums mit weit geringeren Zeit- räumen rechnet, also hier scheinbar — d.h. an der menschlich-thierischen Entwickelung gemessen — Alles im Flusse ist. Ich habe in meinem zweiten Beitrag zur Granulafrage die Angaben Hauser’s mitgetheilt, wonach auf Gelatine gezüchtete Colonieen von Fäul- nissbakterien eine active Bewegung zeigen, welche der Schilderung und den Photogrammen nach vollständig dem Verhalten von Amöben gleicht, wie auch Hauser die Fortsätze, welche diese wandernden Colonieen entsenden, „pseudopodienartig“ nennt. ich habe meine eigenen wiederholten Beob- achtungen gleicher Art an Wasserspaltpilzen mitgetheilt und kann jetzt noch hinzufügen, dass schon Theodor Billroth im Jahre 1874 in seinen „Untersuchungen über die Vegetationsformen von Coccobacteria septica“ Aehnliches berichtet. Er spricht auf S. 15 von „amöboiden Formver- änderungen“ des kolbige Zoogloeen bildenden Asococcus und berichtet auf S. 11, dass kurze Mikrococeusketten und 10 bis 15 gliedriger Streptomikro- coceus sich schlängelnd drehend bewegen, was er auch auf S. 18 von Bak- terienketten mittheilt. Ich habe inzwischen zahlreiche Gelegenheit gehabt, derartige Bewegungen auf Gelatineculturen zu verfolgen und muss gestehen, 364 MAx MÜNDEN: dass ich absolut nicht weiss, worin sich solche Massen von Amöben unter- scheiden. Es wäre schlimmste scholastische Sophistik, nur deshalb einen Unterschied machen zu wollen, weil man die einen den Wänden eines mit Flüssigkeit gefüllten Glases oder Grabens entnimmt und die anderen der Gelatine. Aeussere Erscheinung und ganzes Verhalten stimmen so überein, dass Jeder, der ahnungslos ist, warum es sich handelt, irre zu führen ist und wenn in dieser oder jener Colonie eine bedeutungslose Kleinigkeit in der Form dem Beobachter nicht mit seinen sonstigen Kenntnissen von Amöben überein zu stimmen scheint, dann sollte er sich vor Augen halten, dass die Formen der beschriebenen Amöben schon Legionen sind und seine eigenen Kenntnisse doch leicht nicht genügend sein dürften. Es liegen jetzt hier die oft wiederholten Beobachtungen dreier verschiedener Beobachter an verschiedenen Schizomyceten vor, sie werden harmonisch ergänzt durch die zahlreichen einschlägigen Beobachtungen, die ich in dieser und den vorhergehenden Arbeiten vorgeführt habe und es hiesse Vogel-Strauss-Politik treiben, wenn man sich ihren Consequenzen einer Lieblingstheorie wegen entziehen wollte. Und noch ein anderer Bakteriologe hat diese Erscheinungen beobachtet, wenngleich er dieselben nicht wie Hauser und Billroth in ihrer Be- deutung erfasst hat. M. W. Beyerinck veröffentlicht nämlich im Central- blatt für Bakteriologie und Parasitenkunde 1896 einen Aufsatz „Cultur- versuche meiner Amöben auf festem Substrat“, in welchem er mittheilt, wie er auf festem Nährboden durch Verimpfen von Gartenerde, welche nitrificirende Bakterien enthält, Culturen dieser Bakterien und gleichzeitig eine grosse Anzahl lebhaft kriechender und sich durch Theilung vermehren- der Amöben erzielt. Das Gleiche erhält er beim Verimpfen von Essig- säurebakterien und von Apiculatus. Er „verimpft“ diese Amöben, wie man es mit Bakterien thut, auf andere Nährböden, betrachtet sie als aus der Gartenerde herstammend, trotzdem er nicht mittheilt, ob er sie auch in der Gartenerde selbst gesehen hat und trotzdem er beobachtet, dass sie erst einige Zeit nach dem Erscheinen der Colonieen der Nitratbakterien auf- treten. Er hebt sodann selbst mit Erstaunen hervor, dass diese „Amöben“ den Nährboden gleichwie Bakterien verflüssigen und dass ein Amöbenwachsthum ohne gleichzeitiges Dasein von Bakterien auf keinem der vielen Culturböden, die er versuchte, zu erzielen gewesen sei. Da seine Annahme, dass diese „Amöben“ als solche der ‚Gartenerde u. s. w. entstammen, eben nur eine Annahme ist, wie er sie auch nicht anders machen konnte — denn woher sollten diese Amöben denn sonst gekommen sein? — so bedeuten die gesperrt gedruckten That- sachen, dass Beyerinck genau dasselbe wie Hauser, Billroth und ich gesehen hat — wandernde Fetzen seiner Bakterien, die er auf dem festen DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGEH. 365 Nährboden züchtete. Wenn also ein erfahrener Biologe diese Fetzen für Amöben hält und sie als solehe beschreibt — ich bitte die Zweifler sich seine Figuren anzusehen — trotzdem sie sich so eigenthümlich benehmen, so wird man mir wohl auch glauben, wenn ich berichte, dass wandernde Inseln veritabler Bakterien gar nicht von Amöben zu unterscheiden seien, oder besser gesagt solche sind. In demselben Jahrgang des Centralblattes für Bakteriologie und Para- sitenkunde berichten noch A. Celli und Franz Schardinger über ähn- liche Erscheinungen. Der Erstere erzielte nach seiner Angabe mit wenigen Bakterien prachtvolle Amöben, kann diese Amöben aber nie allein züchten. Der Letztere hebt hervor, dass in dem Stuhl, welchem er die Amöben liefernden Bakterien entnahm, Amöben mikroskopisch nicht nachzuweisen waren. Er konnte aber nach sehr langem Uebertragen auf frische Nährböden schliesslich bakterienfreie Amöben erlangen, offenbar ein typisches Beispiel dauernder Vererbung erworbener Eigenschaften durch fortgesetzte Züchtung unter bestimmten Bedingungen im evolutionistischen Sinne. Aber noch von einer anderen Seite her kommt mir in dieser Frage eine wichtige Unterstützung. Unzweifelhafte Theile des Kernes be- nehmen sich nach einwandfreien Autoren wie activ wandernde Pilzfäden. N. Sacharoff berichtet im Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde 1895 „Ueber die selbständige Bewegung der Chromosomen bei Malariaparasiten“. Er schildert wie diese Chromosomen einzeln activ aus dem Kern heraustreten, die Zellmembran durchbohren, vielfach dabei in die Länge wachsen und schliesslich so die sogenannten Geisseln der Malariaparasiten bilden. Dasselbe soll Sala bei Ascaris megalocephale im Hertwig’schen Institut beobachtet haben und auch Strassburger hat seine Meinung dahin ausgesprochen, dass die Bewegung der Chromosomen bei der Zelltheilung eine active sei. Wenn aber diese offenbaren Zelltheile sich wie Schizomyceten activ bewegen, warum sollen es nicht auch andere Zelltheile thun? Warum soll es bei letzteren eine „Molekularbewegung“ sein? Und wenn die die Zelle bildenden Cytoblasten sich activ wie Schizo- myceten bewegen, sich wie diese vermehren und wie diese aussehen, worin sollen wandernde Fetzen eines Schizomycetenrasen sich von „Zellen“ unter- scheiden? Besonders wo ich vordem gezeigt habe, wie zweifellose Rein- culturen pathogener und saprophytischer Bakterien „Zellen“ bilden. Warum sollen also gewisse saprophytische Bakterien nicht „Zellen“ bilden können, die eben der „Amöbenzelle‘“ ähnlich sehen? Fassen wir die Gesammtergebnisse der vorliegenden Abhandlungen zu- sammen, so glaube ich die Identität des sogenannten Zellenreiches mit dem der Schizomyceten in ausreichender Weise festgestellt zu haben. Denn 366 MıAx Münpven: einerseits besteht jede Zelle, von verdunstender Flüssigkeit abgesehen, aus- schliesslich aus Elementen, welche von Schizomyceten äusserlich nicht zu unterscheiden sind, sich in gleicher Weise fortpflanzen, bewegen und zu neuen Formen entwickeln, sowie pseudopodien- oder geisselartige Fortsätze besitzen und andererseits stellt die Schizomycetencolonie eine Zelle mit Kern, Kernkörper, Vacuolen, Centrosomen und Membran dar, welche sich auf dem üblichen Nährboden durch Theilung oder Mitose verschiedenster Art vermehrt, activ wandert, Cilien und Pseudopodien besitzt und sich zu einer Reihe von Formen entwickelt, welche ausgeprägten epitheloiden, drüsenartigen oder bindegewebigen Charakter des Metazoon, die Entwickelungs- stufe der Morula und zahlreiche Formen höher differenzirter Protozoen oder Metazoen aufweisen. In Bezug hierauf möchte ich noch einmal ausdrück- lich darauf hinweisen, dass die von mir hier vorgeführten Formen gewisser- massen nur Stichproben sind und dass selbst die verhältnissmässig geringe Anzahl von Untersuchungsobjecten, die mir bisher zur Verfügung standen, eine weit grössere Mannigfaltiskeit principiell gleicher Erscheinungen dar- _ bieten. Eine ausführliche Erforschung dieses Gebietes wird ohne Zweifel einen Formenreichthum ergeben, gegen den selbst der Inhalt eines Radio- larienatlas Kinderspiel ist. Sowie wir uns nun mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, dass „Zelle“ und „Schizomycetencolonie“ identische Begriffe sind, lösen sich uns eine Reihe hochwichtiger biologischer Räthsel. So hat eine ausgedehnte physiologische Forschung gezeigt, wie die Bildung der ver- schiedenartigsten Säuren, Basen, Salze u. s. w. ihren Sitz in der Zelle hat. Wie aber die Zelle derartige Schöpfungen zu Stande bringe, war, von der ganz andere Verhältnisse treffenden chemischen Formel natürlich abgesehen, so dunkel, dass man sich meines Wissens überhaupt nie an eine bezügliche Theorie heranwagte und sich damit begnügte, bis auf Weiteres zu sagen, dass die lebendige Zelle diesen oder jenen Stoff „ausscheide“. Erst Alt- mann hat einen kleinen Anlauf in Bezug auf die Drüsenabsonderung unter- nommen, jetzt ist uns das ganze bisher so dunkle Gebiet mit einem Schlage verständlich. Der Bakteriologe führt uns im Reagensglas an in Nährböden wuchernden Schizomycetencolonieen Säuren, Basen, Salze, Toxine u. s. w. als Umsetzungsproducte des lebendigen Spaltpilzes vor. Dasselbe zeigt uns aber der Physiologe an den zum Metazoon vereinigten Schizomycetencolonieen und so verstehen wir, wie diese „Zellen“ dann überhaupt dazu kommen, Säuren, Salze u. s. w. zu bilden. Diese im Metazoon auftretenden Stoffe sind Umsetzungsproducte des leben- digen Cytoblasten (Schizomyceten) der Zelle (Colonie,. Wie nun der Cyto- blast dazu im Stande ist, dieses aufzudecken, bleibt späterer Forschung: vor- behalten. DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 367 Die Probleme der Entstehung der bestimmt und unbestimmt geformten „Zellen“ dürfte ich schon in Vorstehendem genügend erläutert haben, ich möchte nur noch auf die grosse Wahrscheinlichkeit hinweisen, dass der vielumstrittene Bathybius Häckelii aller Beschreibung nach identisch mit ausgedehnten Massen kahmhautartiger Schizomycetencolonieen ist, die den Boden des Meeres ebenso bedecken wie ähnliche Massen den Boden und die Wände unserer Glasgefässe, in welchen Protozoen, Fische u. s. w. ge- züchtet werden, oder der vielen Sümpfe. Dass diese Massen active, amö- boide Bewegung gezeigt haben, ist demnach sehr glaubhaft und den activen Bewegungen bekannter Schizomycetenrasen gleichartig. Desgleichen hellen sich eine Reihe von Erscheinungen auf entwickelungs- geschichtlichem Gebiete auf. Ich habe schon betont, dass die anscheinend bizarren Formen der Zell- und Kerntheilung sich als Entwickelungsstufen einer Schizomycetencolonie entpuppen und kann zum directen Studium dieser Erscheinungen nur die Cultivirung von Colonieen oder vielleicht gar echten durchsichtigen Eizellen auf festem Nährboden empfehlen. Ich selbst könnte schon mit einer Reihe interessanter Bilder aufwarten, wenn es in den Rahmen dieser Abhandlung hineinpassen würde. Aber noch eine wich- tige Beziehung liegt sofort klar vor Augen: Die männliche Spore bezw. das Spermatozoon ist ein Cytoblast. Sowohl Zoologen wie Botaniker haben vielfach beschrieben, wie beide sich eben aus den Granula der Zelle oder des Kernes entwickeln. Das Spermatozoon ist stets morphologisch nichts wie ein solider Cytoblast mit vielgestaltiger hyaliner Hülle, die eine bewegliche Geissel ausgebildet hat. Die Spore ist häufig nur dasselbe oder trägt schon einen cellulären Charakter, der sich eben aus dem Oytoblasten in der Eizelle heraus entwickelt hat. Spore und Spermatozoon stellen prin- eipiell und häufig auch genau in der Gestalt die Entwickelungsformen dar, wie sie schon Fig. 3 vorführt. Sie entstehen, wie die Autoren berichten, in der Zelle aus den Granula derselben und wenn der Botaniker uns diese Cytoblasten in oder ausserhalb der Zelle als „Schwärmsporen“ vorführt, be- trachtet er sie als lebendige Individuen und ihre Bewegung als active und nicht als „moleculare“. Und doch sind diese schwärmenden Oytoblasten gar nichts Anderes wie die in der Chorioideazelle oder dem Leukocyten sich bewegenden, in die man eine „Molecularbewegung“ hineininterpretirte. Wieso man einer geschlossenen Alge ansehen will, ob die sich in ihr tummelnden Wesen lebendige „Sporen“ mit activer Bewegung oder unbe- lebte „Massen‘‘ mit „Moleeularbewegung‘ seien, wüsste ich nach allem hier Mitgetheilten absolut nicht. Auch ein sogenanntes „Experiment“ hinsicht- lich des Entstehens junger Algen aus solehen Wesen würde nichts bedeuten. Denn echte Auto- und Metacytoblasten können sich ebenfalls zu Zellen ent- 368 Mıx Münpen: wickeln und „echte“ Sporen brauchen nicht zu keimen, weil sie bekanntlich eben nicht alle keimfähig sind. Es ist mir von beachtenswerther Seite entgegengehalten worden, dass ich mit meinen Darlegungen die Grundlagen der heutigen naturwissen- schaftlichen Anschauungen vom Lebendigen erschüttern und wohl Alles um- stürzen wolle. Ich muss dagegen auf das Entschiedenste Einspruch erheben und betonen, dass ich ganz im Gegentheil meine, dass dieselben für die Erkenntniss wichtiger Vorgänge und als Stütze weit verbreiteter Ansichten dem Bestehenden von Nutzen sein und es weiter ausbauen werden. Ich bestreite nicht, dass einige Theorieen und Hypothesen sich jetzt ganz oder theilweise als unhaltbar erweisen. Ihre Begründer hätten sie aber doch nicht Theorieen oder Hypothesen benannt, wenn sie nicht damit hätten aus- drücken wollen, dass sie sich vorbehielten, sie eines Tages gegen eine neue Erkenntniss einzutauschen und so von dem schönsten Vorrecht der Grossen, offen und sonder Scheu ihre Meinungsänderung einzugestehen, Gebrauch zu machen. Auch bin ich der Meinung, dass die hier vorgeführten Thatsachen. mit den Ansichten correspondiren, welche die glänzendsten Namen seit Langem vertreten haben. So möchte ich vor Allem auf die heute führenden Zoologen Häckel, Hertwig und Weissmann hinweisen. Sie alle vertreten die Anschauung, dass eine tiefere Stufe lebendiger Einheit der Zelle zu Grunde liege. Bei Häckel knüpft sich dieses an die Namen der Plastidule und Organellen, bei Hertwig am Bioblast, bei Weissmann am Keimplasma. Häckel hat in den Organellen der Protozoen und Weissmann in den Fäden und Körnern der Zelltheilungsfiguren schon richtig die thatsächliche lebendige Einheit erkannt und diese Dinger nicht in kurzsichtig-bequemer Weise für „leblose Körner“ gehalten, sondern ihnen die wichtigsten vitalsten Eigen- schaften zugeschrieben. Sie werden selbst am Besten ermessen können, wie ungemein fördernd ihren Lehren der hier erbrachte Nachweis der tieferen Lebenseinheit des Cytoblasten sein muss und wie belebend auf ihre bezüg- lichen Forschungen der Umstand sein wird, dass diese Einheit aus dem Dunkel der Theoriein den Bereich des Mikroskops gerückt und so direct greifbar wird. Unter den Botanikern und Biologen habe ich vor Allem Nägeli, Wiesner, Roux, Haacke und de Vries, unter den Histologen Köl- liker, v. Kupffer, Flemming, Altmann und Waldeyer zu erwähnen, welche in der einen oder anderen Weise diesen Anschauungen nahe stehen. Die Botaniker haben zudem die Ansicht, dass die Chromatophoren der Pflanzen lebendige Individuen mit Stoffwechsel, Eigenbewegung und Fort- pflanzung sind, generell angenommen und würden Jeden auslachen, der ihnen diese z. B. Chlorophyll führenden Granula als „Ausscheidungsproduete“ präsentirte oder ihnen gar mit einer „Molecularbewegung‘“ käme. — DRITTER BEITRAG ZUR GRANULAFRAGE. 369 Eng verwandt sind die hier berichteten Thatsachen denjenigen, welche Embryologen und pathologische Anatomen seit Langem anerkennen. Vor allen Dingen möchte ich auf die hier herrschenden Anschauungen hin- weisen, dass eine Zellart aus der anderen entstehen kann und vielfach ent- steht. Aus der einen Eizelle entstehen ja schliesslich alle anderen des entwickelten Körpers, bei krankhaften Processen erzählt man uns, wie sich die reconvalescirende Neubildung hier aus Bindegewebskernen, dort aus weissen oder rothen Blutkörperchen u. s. w. wieder in orieinaler Zellform entwickle. Die Zellform an sich ist also anerkanntermassen durchaus nicht etwas Artconstantes, was ich allen denen zu bedenken gebe, welche den oben angeführten Thatsachen der Entstehung verschiedenster Zellformen in Reineulturen feindlich gegenüberstehen. Aber noch mehr. Bekannt ist der langwierige Streit der Embryo- logen über die Frage, ob aus dem Dotter des Hühnerei Elemente in die zellige Keimanlage einwandern, welche schon den Charakter von rothen und weissen Blutkörperchen oder formbildender Zellen haben und direct am Aufbau des Embryo Theil nehmen. Die Frage ist jetzt endgültig be- jJahend beantwortet und ist für die hier mitgetheilten Thatsachen aus dem Cytoblastenreiche von fundamentaler Bedeutung. Denn man vergegen- wärtige sich doch, dass der Inhalt des gelben Dotter, der Kern der Eizelle, aus derartigen Elementen besteht, welche man ja als leblose Granula an- spricht. Bei diesem Kern und dieser Zelle wie bei jeder anderen! Nun entstehen in und aus diesem „leblosen‘‘ Milieu, welches von der infectiösen Aussenwelt besser wie die sorgfältigste Reincultur abgeschlossen ist, Elemente, welche, wie ja gesagt, anerkanntermassen lebendige Zellen repräsentiren, welche in die Keimanlage einwandern und am weiteren Aufbau derselben theilnehmen. Es ist merkwürdig, dass noch keiner der vielen Forscher auf diesem Gebiet die unerhörte Ketzerei bemerkt hat, dass hier aner- kanntermassen lebendige Zellen sich nicht durch Fortpflanzung aus ihresgleichen, sondern aus einem sogenannten leblosen Granulagemisch entwickeln. Wo bleibt das omnis cellula ex cellula? Wie „erklärt“ ein mechanischer Physiologe diese Belebung des Leblosen, diese anerkannte Generatio aequivoca? Der Leser wird jetzt wissen, dass wir es nicht mehr nöthig haben, zu erklären und zu deuteln. Lebendiges entsteht auch hier aus Lebendigem, der lebendigen Einheit des Cytoblasten. Im Uebrigen habe ich schon in meinem zweiten Beitrag zur Granula- frage darauf hingewiesen, dass man schon im gelben Dotter des nie be- brüteten Hühnereies rothe und weisse Blutkörperchen u. s. w. antrifft und deren Entstehung aus kleinsten Cytoblasten, welche in der Weise der Sporen in den Fäden der Dottermembran entstehen, durch alle Uebergänge hindurch verfolgen kann. Archiv f.A.u.Ph. 1897. Physiol. Abtble. 24 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1896—1897. VII. Sitzung am 12. Februar 1897.ı Hr. R. vu Boıs-Reymonp macht eine Mittheilung: Ueber Polarisir- barkeit von Neusilber-Elektroden. Am 6. März 1896 wurde in dieser Gesellschaft eine Mittheilung? der HH. Asher und Lüscher (Bern) verlesen, die Beobachtungen über die elektrischen Vorgänge beim Schluckact betraf. Die Schwierigkeit dieser Beobachtungen bestand hauptsächlich darin, eine geeignete Ableitungsvor- richtung herzustellen, die Verfasser legen daher sehr viel Gewicht auf das vor ihnen zu diesem Zweck angewendete Mittel, nämlich Häkchen aus Neusilber. „Die Polarisirbarkeit derselben erwies sich als sehr gering.“ Zur selben Zeit war ich mit Versuchen zur photographischen Aufnahme der negativen Schwankung im Capillarelektrometer beschäftigt, und auf die Idee gekommen, silberne Elektroden zu verwenden. Diese zeigten eine durchaus unregelmässige Polarisation, so dass der Meniskus des Elektrometers nicht im Gesichtsfeld enthalten war. Ich ging also zu den empfohlenen Neusilber- elektroden über, die mich ebenso sehr befriedisten, wie die Berner Herren. Als ich einige Zeit darauf von Hrn. Lewandowsky gefragt wurde, ob es für seine Versuche am Lungenvagus erforderlich sei, dass er Thonelektroden anwende, empfahl ich ihm daher ebenfalls Neusilberelektroden,® indem ich angab, sie seien jedenfalls weniger polarisirbar als Platinelektroden, und überhaupt so gut wie gar nicht polarisirbar. Ich habe seitdem Anlass ge- nommen, Neusilberdrähte auf ihre Polarisirbarkeit zu untersuchen, und habe gefunden, dass diese Anschauung unrichtig ist. Ich prüfte die Polarisation an einem Paar Nadelelektroden, die 1 ““ von einander etwa 1°” tief in physiologische Kochsalzlösung tauchten. Ich liess einen Strom, der am Gal- vanometer einen Ausschlag von 190 Scalentheilen hervorrief, !/, Minute lang wirken, und erhielt bei Einschaltung der Elektroden in den Galvanometer- kreis einen Ausschlag von 22 Scalentheilen. Aehnliche Elektroden aus Platin gaben unter denselbe Umständen ebenfalls einen Ausschlag von 22 Scalentheilen, dagegen Kupfer 41, Silber 51, Zink 100 (frischer Fläche). ! Ausgegeben am 9. Juni 1897. ° Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1896. 8. 358. ® Centralblatt für Physiologie. 1896. Hft. 20. VERH.D. BERL.PHYS. GESELLS. — R. DU Bo1s-REYMOND. — KATZENSTEIN. 371 Durch eine weitere Reihe von Versuchen stellte ich fest, dass auch die Dauer des Polarisationsstromes in den Neusilberelektroden und Platinelek- troden sich ungefähr gleich blieb. Es ist also in Bezug auf Polarisirbarkeit zwischen Neusilberelektroden und Platinelektroden kein wesentlicher Unter- schied. VIII. Sitzung am 26. Februar 1897. 1. Hr. KArzenstmein hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Ver- änderungen in der Schilddrüse nach Exstirpation der zu- führenden Nerven. Vortragender berichtet über eine Reihe von Versuchen, durch welche festgestellt wurde, welchen Einfluss die Exstirpation der zuführenden Nerven auf die Schilddrüse hat. Dazu war zunächst nöthig, über die Innervation der Schilddrüse Klar- heit zu bekommen. Die darüber in der Litteratur vorhandenen Angaben waren nicht übereinstimmend. Nach Lindemann! „wird die Gl. thyreoidea vom Vagosympathicus innervirt und zwar treten an die Drüse nur zwei Nerven, nämlich: eine vom Laryngeus recurrens und der andere vom Laryngeus superior. Der erstgenannte Nerv ist ein feiner, 2 bis 3 “% langer Faden, der in der Höhe des zweiten oder dritten Trachealknorpels entspringt und mit dem Plexus oesophageus durch einen kurzen Zweig anastomosirt. Unweit der Gl. thy- reoidea theilt er sich in zwei Endäste, welche am lateralen Ende in die Kapsel der Drüse eindringen und dort in feinere Zweige zerfallen, die dem unbewaffneten Auge nicht mehr sichtbar sind. — Der andere Nerv, ein Zweig des N. laryngeus superior, entspringt von dessen äusserem Zweige an der Stelle, wo dieser über den Rand des N. thyreo-pharyngeus verläuft, geht anfänglich in derselben Richtung bis an die Gefässverzweigungen der Drüse und tritt zusammen mit dem mittleren Aste der Art. thyreoidea in die Kapsel der Drüse. Dieser Ast ist noch dünner als der zuerst be- schriebene und 5 bis 7 % lang.“ In der Darstellung von Ellenberger und Baum?” „entspringt der Ramus pharyngeus inferior mit einer Wurzel zusammen mit dem Ramus pharyngeus superior aus dem N. vagus, mit der anderen Wurzel aus dem Plex. nodosus und empfängt Unterstützungsfäden aus dem Gangl. cervicale supremum des sympathischen Nerven. Der Nerv verläuft alsdann fast parallel mit dem Ram. pharyng. sup. auf der lateralen Fläche des M. con- strietor pharyngis caudo-ventral und giebt dabei Zweige an diesen Muskel, an den Schlund und an den Plex. pharyng. ab. Sein Endstamm vereinigt sich mit einem Aste vom N. laryng. inf. Aus diesem Theile der Nerven entspringt eine grössere Anzahl feiner Fäden, die mit Aesten der Art. thy- reoidea sup. in die Schilddrüse eingehen“. Fuhr? findet, „dass ein starker Faden des Ram. ext. des N. laryng. sup. zur Schilddrüse geht“. ı Zur Frage über die Innervation der Schilddrüse. Centralblatt für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 1891. Nr. 8. ? Systematische Anatomie des Hundes. 3 Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXI. 8. 420. 24* Sn 32 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Die anatomischen Untersuchungen des Vortragenden, die dieser an Hunden ausführte, stimmen mit denen von Lindemann fast ganz überein. Nach denselben entspringt der N. thyreoideus sup. aus dem Ram. ext. des N. laryng. sup. als ein sehr feiner und je nach Grösse der Gl. thyreoidea ‘5 bis 7 “% Janger Faden dort, wo derselbe über den Rand des M. thyreo pharyng. geht. Er läuft dann parallel und median von der mittleren der in den Hilus einmündenden drei Arterien in die Kapsel der Gl. thyreoidea ein. — Der N. thyreoideus inf. entspringt aus dem N. recurrens in der Höhe des zweiten und dritten Trachealknorpels, geht kurz nach seinem Entstehen eine Anastomose mit dem Plex. oesophagus ein und endet nach einem 2 bis 3 @ Jangen Verlauf, nachdem er sich in mehrere Fäden getheilt hat, in der Drüse. Die Darstellung von Lindemann und Katzenstein unterscheidet sich von denen der anderen Autoren dadurch, dass Ellenberger und Baum der vom N. laryngeus sup., Fuhr der vom N. laryng. inf. zur Schild- drüse gehende Zweig entgangen ist. Vortragender stellte, nachdem er über die nervöse Versorgung der Schilddrüse Klarheit bekommen hatte A. Reizungsversuche, B. Degenerationsversuche an. A. Reizungsversuche. Den in Morphiumäthernarkose sich befindenden Thieren wurde die Gl. thyreoidea der einen Seite entfernt und sofort fixirt. Darauf wurden der N. laryng. sup. und der N. laryng. inf. der anderen Seite freigelegt und nach einander in steigender Stromstärke gereizt. Die Dauer der Reizung betrug 1!/, bis 2 Stunden. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass histologisch ein durchgreifender Unterschied zwischen gereizter und un-. gereizter Drüse nicht nachweisbar ist. Diese Untersuchungen des Vortragenden sind mit denen von Hürthle! übereinstimmend. Letzterer sagt nämlich, dass „es nicht möglich ist, eine bestimmte Veränderung der Schilddrüse als Folge der Nervenreizung zu betrachten“. Wenn dagegen Hürthle „es für wahrscheinlich hält, dass die beiden Nn. laryngei keinen Einfluss auf den Secretionsvorgang in der Schilddrüse besitzen“, so kann ihm Vortragender nach den von ihm angestellten Dege- nerationsversuchen darin nicht beipflichten. B. Degenerationsversuche. Diese Versuche wurden an elf Hunden angestellt. In einigen Fällen wurde die Drüse von allem sie umgebenden Bindegewebe frei gemacht und damit auch die zuführenden Nerven abgetrennt, da Vortragender am lebenden Thiere bei der Feinheit der fraglichen Nerven nur so Gewissheit gewinnen konnte, dass alle Nerven der Schilddrüse abgelöst waren. In anderen Fällen wurden entweder einerseits oder beiderseits der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — KATZENSTEIN. 373 Hierdurch wurden die aus diesen Nerven entspringenden Schilddrüsennerven ebenfalls ausgeschaltet. In weiteren fünf Fällen hatte Hr. Prof. H. Munk zu einem anderen Zwecke auf der einen Seite den N. vagus in grosser Ausdehnung, auf der anderen Seite die Schilddrüse exstirpirt und dem Vortragenden bei Tödtung der Thiere die noch vorhandene Schilddrüse gütigst überlassen. Die Lebensdauer der Thiere von der Operation bis zur Tödtung der- selben war verschieden; sie währte vom 2. bis 122. Tage nach der Operation. Bei der Untersuchung der Drüsen ergab sich 1. dass die Exstirpation der Nerven in der That Veränderungen an der Schilddrüse herbeiführt und dass dieselben 2. in zwei scharf unterschiedenen Formen auftreten. l Bis ungefähr zum 77. Tage sind folgende Veränderungen an der Schild- drüse wahrnehmbar: An Stelle der Epithelzellen sieht man einen etwas dunkler als das Colloid tingirten Saum; in demselben liegen die stark geschrumpften Kerne, die ihre rundliche Form verloren und eine mehr eckige, viereckige bis vieleckige Form angenommen haben. Die Kerne erscheinen bei Färbung der Schnitte mit Eosin-Hämatein sehr stark dunkelblau gefärbt, das innere Structurbild des Kernes ist nicht zu erkennen. Der Zellleib ist wesentlich verändert, ein Unterschied zwischen Haupt- und Colloidzellen besteht nicht nur nicht, sondern man sieht neben einander liegen gleichmässig gefärbte Zellleiber, zwischen denen eine Grenze nicht oder höchst selten zu beobachten ist. Die Form der Epithelzellen ist im Gegensatz zu den normalen cylindrischen eine ganz unregelmässige, stets sehr abgeflachte. Eine Grenze zwischen den einzelnen Follikeln lässt sich nur schwer erkennen; man sieht an Stelle der normalen Grenze nur wenige und unregelmässig verlaufende Capillaren, die mit gelblich gefärbten rothen Blutkörperchen stark angefüllt sind. — Die Anfüllung der einzelnen Follikel mit Colloid ist eine so starke, dass man auf den ersten Blick glaubt, man sehe nur eine homogene Colloidfläche, in der die Kerne in regelmässiger Anordnung zerstreut liegen. Die sonst bei Sublimatpraeparaten stets beobachtete Schrumpfung des Colloids ist hier nicht zu bemerken; sogenannte Vacuolen zwischen Colloid und Epithel sind nirgendwo zu bemerken. Im Colloid liegen in ungewöhnlich grosser Zahl Epithelzellen und deren Zerfallsproducte; manche Colloidfläche erscheint von blauen Epithelkernen wie übersäet. Dagegen sind rothe und weisse Blutkörperchen im Colloid seltener zu beobachten als in Normalpraeparaten. Die im Colloid liegenden Zellkerne erscheinen stets als tiefblaue, gleich- mässig tingirte, unregelmässig contourirte Körper, an denen ein Structurbild nicht zu erkennen ist. Der Zellleib erscheint an den im Colloid liegenden Zellen in den verschiedensten Lösungsstadien. 105 An den Schilddrüsen, die ungefähr vom 77. bis zum 122. Tage nach der Operation den Hunden entnommen waren, wurde durch die mikrosko- pische Untersuchung Folgendes festgestellt: 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Die Anordnung der normal und auch noch im ersten Degenerations- stadium neben einander liegenden Epithelzellen ist gänzlich verloren gegangen; dieselben ragen als grosse Zellhaufen ohne charakteristische Form wie Darmzotten von der Basis des Follikels heraus; zwischen ihnen finden sich je nach Form derselben verschieden lange und breite Einbuchtungen. Die Zellkerne erkennt man als schwachblaue, rundliche, ovale oder eckige Körper, an denen nur in ganz seltenen Fällen die chromatische Substanz noch wahrzunehmen ist. Eine Grenze zwischen den Zellleibern existirt nicht; Haupt- und Colloidzellen sind nicht zu unterscheiden. An der Basis der darmzottenähnlich angeordneten Zelleonvolute sieht man häufig Stellen, die sehr stark mit rothen Blutkörperchen angefüllt sind. Hier und da findet man Follikel, die nach der Colloidhöhle zu nur noch einen eben erkennba. en Protoplasmasaum haben; die von letzterem abgetrennten zotten- ähnlichen Gebilde befinden sich im Follikelinhalte. Colloid ist fast nicht mehr vorhanden. Dort, wo noch geringe Spuren davon zu beobachten sind, ist dasselbe eben blau gefärbt, füllt an einzelnen Stellen die Einbuchtungen zwischen den darmzottenähnlichen Gebilden aus und ist mit Trümmerresten von Zellen, von einzelnen Zellen und solchen in zusammenhängenden Haufen angefüllt. Die Zwischenräume der Follikel sind mit verschieden starken Zügen von Bindegewebe durchsetzt. Die Untersuchungen wurden angestellt im physiologischen Laboratorium _ der thierärztlichen Hochschule. Vortragender spricht Hrn. Prof. H. Munk für die stete Unterstützung bei denselben seinen Dank aus. 2. Hr. H. Rosın hält den angekündigten Vortrag: Demonstration rother Harnfarbstoffe. Der Vortragende demonstrirt drei rothe Harnfarbstoffe, welche sehr häufig im Harn zur Beobachtung gelangen und auch dem Praktiker inter- essiren. Ueber zwei derselben hat Rosin selbst eingehende Untersuchungen angestellt. Diese beiden gehören nicht zu den im Harn präformirten Farb- stoffen, sondern werden erst durch chemische Reagentien aus einer farblosen, im Harn vorhandenen Muttersubstanz dargestellt. Der eine dieser beiden Farbstoffe ist das Indigoroth. Seine farblose Muttersubstanz ist das Harnindican, oder vielmehr, wie man seit den wichtigen Untersuchungen von Baumann, Brieger und Tiemann sich besser aus- drückt, die Indoxylverbindungen des Harns. Aus diesen farblosen Substanzen wird das Indigoroth aus dem Harn, der an Indoxyl reich ist, durch Hinzu- fügen von Mineralsäure und einem Oxydationsmittel unter gleichzeitigem Er- hitzen erhalten, So entsteht es durch Erwärmen mit viel Salzsäure und etwas Chlor (— in der Kälte bildet sich Indigoblau —) oder auch durch Erwärmen mit Salpetersäure (vorsichtiger Zusatz derselben zum Harn, um höhere Oxydationsproducte zu vermeiden!) u.s.w. Es bildet den rothen Farb- stoffantheil der burgunderfarbenen Reaction Rosenbach’s. Rosin demon- strirt die kupferfarbenen, in langen Nadeln dargestellten Krystalle desselben, sowie seine meist schön ecarmoisinroth gefärbten Lösungen in Alkohol, Aether, Chloroform, Benzol u. s. w., ferner die Sulfosäure der Substanz, also die Indigo- rothschwefelsäure, und macht auf die wichtige Thatsache anfmerksam, dass Reductionsmittel, wie Traubenzucker, ebenso ein farbloses Leukoproduct, das PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. Rosın. — D. Hansemann. 375 sich mit Luft wieder röthet, ergaben, wie das bei Indigoblau schon längst bekannt ist (Küpenbildung). Es giebt also ein Indigorothweiss neben Indigoblauweiss.. Indigoroth giebt einen scharfen Streifen im Blau des Spectrums. Rosin demonstrirt auch Krystalle, die aus dem Pflanzen- indigo gewonnen sind. Ueber das Verfahren der Darstellung und über Einzelheiten hat er bereits 1890 in Virchow’s Archiv berichtet. Zugleich hat er auf Grund der Analyse gefunden, dass Indigoblau und Indigoroth isomere Körper sind. Endlich demonstrirt Rosin die Reaction, wodurch es ihm gelungen ist, Indigoblau in Indigoroth überzuführen und zwar durch einfache Sublimation, durch Erhitzen des Indigoblau bis zum Aufsteigen rother Dämpfe. Diese bestehen bereits zum Theil aus Indigoroth. Hier- durch erklärt sich, weshalb dieselbe Reaction (s. o.), die in der Kälte aus den Indoxylverbindungen Indigoblau erzeugt, in der Wärme Indigoroth bildet. Die zweite Substanz ist das Harnrosa oder Urorosein. Dasselbe bildet sich in vielen Harnen als eine rosafarbene Lösung beim Versetzen derselben mit Salpetersäure oft schon in der Kälte, zuweilen erst in der Wärme. Auch bei der Jaffe’schen Probe auf Indigoblau entsteht es sehr oft und man erkennt es an der Rosafärbung der Flüssigkeit, wenn man alles Indigo- blau mit Chloroform ausgeschüttelt hat. Im Gegensatz zu Indigoroth ist es in den meisten alkoholischen und ätherischen Lösungsmitteln unlöslich. Es lässt sich nicht wie jenes aus dem Harn, z. B. mit Aether oder Chloroform ausschütteln. Nur in Amylalkohol geht es mit schön rosenrother Farbe leicht über. Es giebt im Blaugrün einen scharfen Streifen. Setzt man zum Harn Alkali oder schüttelt man damit den amylalkoholischen Auszug, so verschwindet die rothe Farbe, tritt aber wieder auf beim Ansäuern mit Mineralsäure. Leider ist sowohl der Farbstoff, wie diese salzartige farblose Verbindung mit Alkali so zersetzlich, dass er sich nicht weiter rein dar- stellen lässt. Rosin hat jedoch damit begonnen, eine Reindarstellung der Muttersubstanz zu versuchen und hofft, wenn die augenblicklich unter- brochenen Versuche fortgesetzt sein werden, noch weiter darüber berichten zu können. Vermehrt kommt das Harnrosa besonders bei Diabetes und Nephritis vor, oft findet es sich in farbstoffarmen Harnen reichlicher, als in dunklen. Es bedarf auch nach dieser Seite hin weiterer Nachforschung. Jedenfalls wird es bei Anstellung der Eiweissproben mit Salpetersäure viel- fach beobachtet. Der dritte rothe Harnfarbstoff gehört zu den präformirten. Das ist das Uroerythrin, der Farbstoff des Sedimentum lateritium. Derselbe löst sich ohne Zersetzung in keinem Lösungsmittel und ist einer genaueren Unter- suchung bisher unzugänglich geblieben. Er besitzt nur eine ihn allerdings genau charakterisirende Eigenschaft. Er färbt sich mit Kalilauge grün. Rosin demonstrirt dies, indem er ein mit Uroerythrin bedecktes Filter mit einem in Kalilauge getauchten Glasstabe bestreicht. Weitere Untersuchungen dieses im Fieberharn, bei Leberaffeetionen und in besonders concentrirten Harnen so häufigen, interessanten Farbstoffes sind dringend erwünscht. 3. Hr. D. HansemAnN hält den angekündigten Vortrag: Ueber einige fettige Zustände im Thierkörper. Vortragender betont die Nothwendigkeit der Unterscheidung von Fett- infiltration und Fettmetamorphose. Abgesehen von denjenigen Organen 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die zum Stoffwechsel des Fettes in besonderer Beziehung stehen (Darm, Leber, Fettgewebe), findet man auch in anderen Organen Fetttropfen, die nicht auf eine degenerative Metamorphose der Zellen bezogen werden können. Das gilt z.B. von den entwickelungsgeschichtlich sich nahestehenden drei Organen Hoden, Nieren und Nebennieren. In den Nieren hat man bisher meist eine Fettmetamorphose angenommen und nur von wenigen Autoren ist auch eine Infiltration behauptet worden. Physiologisch findet sich die- selbe bei einigen Thieren, z. B. Hund und Katze, in sehr geringem Maasse beim Menschen. Dagegen kann sie sich unter pathologischen Bedingungen steigern und eine diffuse Ausdehnung gewinnen, z. B. bei Diabetes, ver- schiedenen Intoxicationen, Polycarcie, auch ohne besondere nachweisliche Ursache. So fand sie sich bei einem sonst gesunden Menschen, der durch ein Unglück ums Leben kam. Der Vortrag wird ausführlich in Vir chow’s Archiv publicirt.! IX. Sitzung am 12. März 1897. Hr. R. pu Boıs-Reymonp hält den angekündigten Vortrag: Beitrag zur Lehre vom Stehen. Die Lehre H. v. Meyer’s, der im Jahre 1853 über die Haltung beim Stehen schrieb, geht von dem Prineip minimaler Muskelwirkung aus.” Schon Henke bekämpfte jedoch diese Anschauung mit den Worten: „Das Hängen der Last des Körpers an Hemmungsbändern von Gelenken, die passiv ex- treme Stellungen einnehmen, wie es Meyer noch an mehreren Stellen in der Mechanik des Gehens und Stehens in Rechnung bringt, ist sicher keine normale Oekonomie der Kräfte, sondern ein Nachlass, der, wo er vollständig eintritt, zu übermässiger Dehnung der Bänder und Druckschwund der gegen- einander angestemmten Bänder der Gelenkflächen führen müsste.“? Seitdem haben Braune und Fischer die „bequeme Haltung“ eines ausgewählten normalen Individuums photographisch aufgenommen und genau analysirt.* Es schien mir von Interesse, den Unterschied der von Meyer be- schriebenen Haltung und der natürlichen mittelst derselben Methode zu untersuchen. Ich liess also eine Anzahl Aufnahmen von verschiedenen Stellungen .eines eben ausgedienten Soldaten im Maassstabe 1:10 machen. Es zeigte sich, dass die „bequeme Haltung“ und das „Strammstehen“ bei meiner Versuchsperson von den Figuren in Braune und Fischer’s Arbeit sehr stark abwich. Dagegen stimmte die von mir aufgenommene Meyer’sche Haltung („Bauch heraus, Schultern zurück“) mit der „bequemen Haltung“ des Leipziger Modelles fast genau überein, mit dem Unterschiede, dass der ganze Körper viel mehr nach vorn geneigt war. (Eine Uebereinstimmung ! Ist inzwischen im Maiheft 1897 erschienen. ® H. v. Meyer, Das aufrechte Stehen. Dies Archiv. 1853. S. 9 bis 44. & 3 Th. Jac. Wilhelm Henke, Anatomie und Mechanik der Gelenke. 1863. =215: * W. Braune und O. Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen men 8 w. Abhandlungen der k. sächs. Gesellschaft den Wissenschaften. 1890. V 559. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. Du Bo1s-REYMoND. Sr dürfte sich aus individueller Verschiedenheit der Lendenkrümmung der Wirbelsäule erklären, indem man annimmt, dass die Leipziger Versuchs- person in der Meyer’schen Haltung eine noch viel stärkere Durchbiegung des Kreuzes gezeigt hätte.) Trägt man, was bei der Uebereinstimmung der relativen Lage der Körpertheile gestattet ist, den von Braune und Fischer ermittelten Schwerpunkt in meine Aufnahmen ein, so geht die Schwerlinie durch den Ballen. Hierdurch fand ich eine subjective Erfahrung bestätigt, dass sich nämlich beim Einnehmen der Meyer’schen Haltung meist un- willkürlich Wippen auf den Zehen einstellt. Es ist klar, dass durch diese Vorlagerung des Schwerpunktes eine erhebliche Vermehrung der Muskel- arbeit bedingt ist. Die Gelegenheit nahm ich wahr, zugleich einer anderen Frage näher zu treten, die von den meisten Autoren leider gar nicht behandelt wird. Es ist bekannt, dass die „bequeme Stellung“ Braune und Fischer’s eigentlich gar nicht die wirkliche Ruhestellung des Menschen ist. Vierordt, dessen Versuche über die normalen Schwankungen des stehenden Menschen für die physiologische Betrachtung des Stehens grundlegend sind, hat allein diesem Umstand Rechnung getragen.” Er bespricht die Stellung, die Turner und Soldaten auf das Commando: Rührt euch! einnehmen, oder vielmehr das Extrem dieser Stellung, das die Franzosen des Vortretens der Hüfte wegen „Position hanchee“ nennen. Die mechanischen Bedingungen dieser Stellung sind von denen der symmetrischen „natürlichen Haltung“ sehr verschieden und scheinen geradezu ungünstige. Die Unterstützungsfläche ist scheinbar auf die wirksame Sohlenfläche eines Fusses eingeschränkt. Damit der Schwerpunkt über dieser Fläche zu liegen komme, muss der Körper seitlich verschoben werden. In dieser neuen Stellung muss das Becken durch Muskelthätigkeit fixirt, und nun die ganze Körperlast auf dem einen Bein im Gleichgewicht gehalten werden. Der Vortheil, den diese Stellung trotz- dem erfahrungsgemäss gewährt, beruht darauf, dass die Arbeit des Gleich- gewichterhaltens durch mehrere Umstände wesentlich verringert wird. Nach den scharfsinnigen Ausführungen Vierordt’s wird Arbeit dadurch erspart, dass der Körper viel feiner eingestellt werden kann als sonst. Denn erstens wirken die kleinsten Schwankungen auf den Drucksinn der einzelnen, mit dem ganzen Körpergewicht belasteten Sohle stärker. Zweitens ist das Muskelgefühl des freien Beines, von dem die Einstellung wesentlich abhängt, bei dessen unbelastetem Zustande um so feiner. Die Schwankungen des Körpers sind daher bei der asymmetrischen Ruhestellung thatsächlich nur etwa halb so gross wie bei der symmetrischen.? Es schien mir, dass Vierordt hier noch einen wesentlichen Punkt ausser Acht gelassen habe. Der grosse Vortheil, von dem er spricht, würde zum Theil aufgehoben sein, wenn der Schwerpunkt bei der asymmetrischen Ruhestellung ebenso weit vor der Fussgelenkaxe bliebe, wie bei der sym- 1 Vierordt, Physiologie. * Die Helmspitzencurven Leitenstorfer’s (Das militärische Training. Stutt- gart 1897) sind mir erst später bekannt geworden. Sie stehen in diesem Punkte mit Vierordt’s Figuren im Widerspruch, den der Hr. Verf. nicht aufklärt. Bei dem grossen Einfluss der Uebung auf die Sicherheit des Stehens, der durch die „Kephalo- gramme“ bewiesen wird, scheint nicht ausgeschlossen, dass die Versuchspersonen auf die verschiedenen Stellungen verschieden gut eingeiibt gewesen seien. 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER metrischen. Meine Aufnahmen zeigen aber, dass der Schwerpunkt beim „Rührt euch“ um ein gutes Stück weiter nach hinten gebracht wird, indem sich der Körper aus der gewöhnlichen vornübergeneigten Stellung aufrichtet. Hierdurch wird die Wadenmuskulatur des Standbeins entlastet. Der Schwer- punkt liegt dann allerdings an der hinteren Grenze der Unterstützungsfläche, der Sicherheit der Stehens schadet das aber nicht, weil das Gewicht des vorgestellten Beines das Hintenüberfallen verhütet. Die besprochenen Verhältnisse lassen sich sehr anschaulich demonstriren, indem man Glasplatten mit den zu vergleichenden photographischen Auf- nahmen auf einander legt und in der Durchsicht oder Projection betrachtet. X. Sitzung am 26. März 1897. 1. Hr. M. Levy-Dorn demonstrirt vor der Tagesordnung einige Methoden: Die Lage innerer Theile mittelst Röntgenstrahlen zu bestimmen. Um die in der Praxis oft auftretende Frage, ob ein Fremdkörper in der Hohlhand oder mehr nach dem Handrücken liest, zu entscheiden, ist es nur nöthig, die Hand hinter einen Fluorescenz-Schirm hin und her zu bewegen und dabei zu beachten, wie sich der Fremdkörper gegenüber den benachbarten Theilen verschiebt. Nach den Gesetzen der Projection muss dabei dasjenige Object, welches der Strahlenquelle näher liegt, in der Zeit- einheit grössere Excursionen wie das entferntere machen. Damit hängt zu- sammen, dass sich dieses im entgegengesetzten Sinne, jenes in demselben Sinne wie die Hand zu bewegen scheint. — Es ist selbstverständlich, dass sich dasselbe Verfahren auch für die Ortsbestimmung an anderen Körper- theilen verwerthen lässt. Sind diese aber sehr umfangreich, so empüiehlt sich die Lage des inneren Theiles genauer festzustellen. Redner empfiehlt dafür eine Methode, welche vor der Exner’schen! den Vorzug besitzt, dass sie die Rechnung erspart und keine bestimmte Stellung zwischen Object, Schirm und Rohr vorschreibt. Er führt ein Metallstück die Körperoberfläche entlang, bis sich das Bild desselben auf dem Fluorescenzschirm mit dem des Fremdkörpers deckt, thut dasselbe mit einem zweiten Metallstück auf der entgegengesetzten Seite des Körpers und befestigt beide auf der Haut. Der Fremdkörper muss dann auf der Verbindungslinie der Marken liegen, da die Röntgenstrahlen geradlinig verlaufen. — Nun muss der Patient eine Wendung machen und es wird genau in der eben beschriebenen Weise eine zweite Linie bestimmt, auf welcher sich das Object befindet. Der Schnitt- punkt beider Linien ist offenbar der gesuchte Ort. Um diesen festzustellen, lege ‘man einen biegsamen Draht um die Körperoberfläche in der Höhe der Marken, schmiege ihn an, bezeichne die Stellen, wo sich Metallstücke und Draht treffen, nehme ihn ab, ohne seine Form zu verändern, übertrage . diese auf Papier, wie wir es mit der Üyrtometercurve des Brustumfanges zu thun pflegen, markire die Stellen der Metallstücke und ziehe endlich die gedachten Linien. Es ist wünschenswerth, dass das Röntgenrohr so gestellt 1 Wiener medieinische Wochenschrift. 1897. Nr. 1. u PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — M. LEvVY-Dorn. — N. Zuntz. 379 werde, dass Metallstücke und Fremdkörper in derselben Horizontalebene liegen. Durchaus nöthig ist es nicht. Zum Schluss zeigt Levy-Dorn Röntgen-Stereoskopbilder von einer Hand herum, auf welche ein Metallstück geklebt war. Es tritt an diesem das Skelett mit deutlicher Plastik hervor. Auf dem einen sieht man in die Hohlhand, auf dem anderen auf den Handrücken. Die Biegungen des Metacarpi, das Vorspringen des Daumens, das Mosaik der Handwurzelknochen zeigen sich in allen drei Dimensionen. Die Röntgenstereoscopbilder ermög- lichen es ohne Rechnung, ohne Construction und ohne Maassstab — mit einem Blick die Lage innerer Theile zu übersehen. 2. Hr. N. Zunzz hält zugleich im Namen von Hrn. Ad. Loewy den angekündigten Vortrag: Ueber die Bedeutung des Sauerstoffmangels und der Kohlensäure für die Innervation der Athmung. Es wird wohl heute allgemein anerkannt, dass sowohl Minderung des Sauerstoffgehaltes als Zunahme der Kohlensäure im Blute die Athmung verstärkt. Es fragt sich nur, ob man entsprechend der jüngst von Bene- diecenti! auf’s Neue durch Experimente vertheidisten Ansicht Rosenthal’s die Abnahme des Sauerstoffes, oder entsprechend der späteren Lehre Traube’s, welche namentlich in Miescher einen sehr geschickten Vertheidiger ge- funden hat, das Anwachsen der Kohlensäure im Blute als das stärker wirk- same und besonders als das die beständigen physiologischen Schwankungen der Athemsrösse beherrschende Moment ansehen soll. Sie wissen, dass ich mit Geppert den Nachweis geführt habe, dass bei Muskelthätigkeit der Gasgehalt des Arterienblutes eine Erklärung für das Anwachsen der Athemgrösse überhaupt nicht zu liefern vermag, ein Nachweis, dessen Richtigkeit noch jüngst von Filehne und Kionka an- erkannt wurde. Ich habe Ihnen auch im vorigen Jahre über die Differenz zwischen der Ansicht jener Forscher und der unserigen berichtet.” Filehne und Kionka glauben, dass die in den Muskeln reichlicher gebildete Kohlen- säure auf reflectorischem Wege das Athemcentrum errege, während wir den Nachweis geführt zu haben meinen, dass auch nach Ausschaltung jeder nervösen Verbindung zwischen thätigen Muskeln und verlängertem Mark die Muskelthätigkeit die Athmung verstärkt, ohne dass die Blutgase derart geändert sind, dass sie zur Erklärung herangezogen werden könnten. Auch die neuesten Ausführungen von Filehne und Kionka°® haben unsere Auffassung nicht erschüttert, wir möchten aber nicht ohne experimentelle Controle zu diesen letzten Darlegungen unserer verehrten Widersacher Stellung nehmen und gehe ich deshalb auf die Bedeutung der bei Muskel- thätigkeit im Blute cireulirenden besonderen Athemreize, welche nach Lehmann’s und Jacquet’s Untersuchungen wahrscheinlich leicht oxydir- bare organische Säuren sind, hier nicht näher ein. Herr Loewy und ich verfügen seit längerer Zeit über eine grosse Zahl von Erfahrungen, welche uns gezeigt haben, dass ziemlich erhebliche Aenderungen der Sauerstoffdichte der Athemluft die Athmung viel weniger ! A. Benedicenti, Die Wirkung der Kohlensäure auf die Athmung. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1896. S. 408. ? Siehe Pflüger’s Archw. Bd. LXII. S. 234 u. 29. ® Ehenda. Bd. LXIlI. S. 234. 380 VERHANDLUNGEN DER BERLINER beeinflussen, als mässige Aenderungen des Kohlensäuregehaltes. Das Gleiche hat Speck! in zahlreichen Selbstversuchen gefunden: Bei Athmung normaler Luft ventilirt erim Mittel 7 433°°® pro Min. = \ einerLuftimitalaleErocHor En 8020 N ” ” ” ” ” LK 50 ” Ö ” ” 10 713 „ ” „ ” ” ” ” 2) 7. 25 „ Ö (3 Vers. ) ” ” 13 696 ” ” ” Die Steigerung der Ventilation durch mässige Kohlensäuremengen ist viel bedeutender: er findet bei Inspiration von 0-95 Proc.CO, u. 20-2Proc.O 9060 m ” ” (2 Vers.) ” ” ” 2 x 97 ” ” ER) 18 , 06 ” ” ul 326 „ ” ” ” ” ” 5 h 40 ” ” ” 19 ? 76 ” „ 15 91 2] 2) ” ” „ „ 7.16 2) 3? 19.37 27?) 24 077 „ 11791P 8,7 79,,59 5, 218-429, U 2 ” „ ” ” 2) Während der Sauerstoffmangel erst, wenn er bereits anfängt, die Hirn- functionen sichtbar zu schädigen, die Athmung nennenswerth steigert, thut dies die Kohlensäure schon in Mengen, welche keinerlei Beschwerden erzeugen. Eine grössere Zahl von Erfahrungen, die mit den eben genannten durch- aus übereinstimmen, hat Loewy gemacht. Ein Theil derselben ist in der Monographie „Ueber Respiration und Cireulation bei Aenderung des Druckes und Sauerstoffgehaltes der Luft“ (Berlin 1895) niedergelegt. Wir erwähnen aus diesen Versuchen, dass bei Luftverdünnung bis an die Grenze des Erträglichen die Athemgrösse nur sehr wenig wächst, so bei Loewy selbst von 4027 °® unter Atmosphärendruck au 5986,55 1. 860m und bei W. von 5284 „ ,„ Atmosphärendruck au9610,5,, „,,.. „AA ums viel stärker als so erhebliche Luftverdünnung wirken geringe mechanische Hindernisse steigernd auf die Athmung. Das zeigte sich in jenen Ver- suchen Loewy’s, in welchen die Versuchsperson behufs Herstellung sauer- stoffarmer Luft in einem grossen, in sich geschlossenen Luftraum von 220 Liter Inhalt athmete. Die In- und Exspiration bewirkte hier Druck- schwankungen entsprechend 1 bis 1-5"" Hg. Das genügte, um bei normal zusammengesetzter Luft das Athemvolumen von etwa 5300 “m auf 6400 bis 8400 °m zu erhöhen. Eine Sauerstoffverarmung der Inspirationsluft bis 13 Procent, entsprechend einer Erniedrigung des Barometerdruckes auf 470 "m Hg steigerte diese Werthe nicht; zwischen 13 und 11-5 Procent Sauerstoffgehalt haben wir dann als Athemgrösse 7325 bis 9000 «m, zwischen 11-5 bis 10 Proe. ‚, " 8166,,.,494285,5 ” 10 ” ) ” 2 ” 9093 ” 12810 ” also auch hier eine nennenswerthe Steigerung erst an der eben noch mit dem Leben verträglichen Grenze. Ben ı Speck, Physiologie des menschlichen Athmens. 8. 110, Tab. 33 und 8. 129, ab. 39. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNTz. 381 Zum Vergleich hiermit geben wir aus einer von Loewy bereits vor mehreren Jahren ausgeführten, noch nicht veröffentlichten Versuchsreihe die Beziehungen zwischen CO,-Gehalt der Exspirationsluft und Athemgrösse (siehe folgende Tabelle). Bei ganz unbehinderter Athmung durch Speck’- sche Darmventile wurde in diesen Versuchen dem Inspirationsventil ein schwacher Kohlensäurestrom aus einer Bombe zugeleitet. Reine atmosphärische Wenig CO, der inspirirt. Mehr CO, der inspirirten Luft Luft inspirirt | Luft zugemischt zugemischt Co,- O,- C9,- | .0;,- C0,- O,- Gehalt | Gehalt , Athem- | Gehalt | Gehalt | Athem- | Gehalt | Gehalt | Athemgrösse der exspirirten tes der exspirirten | der exspirirten Liter Luft in Procenten er | Tuftin Procenten Der ‚Luft in Procenten 2.88 17.14 5-87 9.46 132.2 9E 348 el 18-45 | 25-58 121920 52510005263) 1 °18520.| 15-581 -— 1 — = = = 5:98 17:62 | 13-89 — — —_ 2.89 1762 7-24 4*51 18-02 25T 6°20 18-37 17:20, R. — _ = 4.54 17-98 11.07 6°03 —_ 11.25 2.62 I OIIR) 5-64 9.60 17:48 14-52 6-51 18-17 | 19.43 = — = 35 18-19 | 15-19 6-08 18-50 19-34 22971 as] 7-69 drd4 SCHE) 15-38 = — — — — _ 5-64 | 18-03 | 1572 | — an — — _ 6-28 6-10 — 14.64 | — —_ 13-63 3°06 16-49 6-57 ASIA 17-52 11028) | OS 17:87 19-52 Zen 16-93 6-50 4.583 17:89 11.68 7.80 19212 23.32 3.22 16-43 6-81 4-63 Urs OFTEN ET ol 16-08 Mittel | | 2:90 6-46 | 5-28 13-44 | 6:66 19-59 ! Mit der verstärkten Athmung nimmt, wie selbstverständlich, der Sauer- stoffgehalt der ausgeathmeten Luft zu, da ja der Verbrauch nur sehr un- wesentlich gesteigert ist. Erheblicher noch als in der exspirirten Luft muss der Sauerstoffgehalt in der Alveolenluft erhöht sein; das Wachsen der Athem- grösse geschieht nämlich mehr durch Vertiefung als durch Frequenzzunahme; es entstammt daher ein grösserer Bruchtheil der exspirirten Luft den Alveolen. Da also der Sauerstoffgehalt der Alveolenluft, auf die es doch allein an- kommt, noch mehr als der der Exspirationsluft bei der CO,-Athmung erhöht ist, fällt hier der Einwurf Benedicenti’s, die auf Kohlensäure bezogenen Steigerungen der Athmung seien vielfach durch Sauerstoffmangel in Folge der Beimengung der CO, zu atmosphärischer Luft bedingt gewesen, sicher- lich weg. Noch stärker als der Mensch reagirt das Pferd auf sehr mässige Steigerung der Kohlensäuretension. Behufs Messung des der Athemarbeit äquivalenten Sauerstoffverbrauches habe ich mit Hagemann im Jahre 1892 eine grössere Reihe von Versuchen an Pferden gemacht, wobei die bereits seit längerer Zeit an das Athmen durch eine Trachealecanüle gewöhnten Thiere ganz wie die Menschen in den eben besprochenen Versuchen durch ! Erhöhung der Kohlensäure in der exspirirten Luft um 1 Procent steigert die Athemgrösse um 2-93 Liter bei schwächerer, um 4-24 Liter bei stärkerer CO,-Zufuhr. ‚In Procenten des Ausgangswerthes: um 45-4 Procent bezw. um 31-5 Procent. 382 VERHANDUUNGEN DER BERLINER Einleiten von Kohlensäure in ein weites, mit dem Inspirationsventil verbundenes Rohr zu verstärkter Athmung angeregt wurden. Die Versuche werden demnächst in den Landwirthschaftlichen Jahrbüchern ausführlich zur Ver- öffentlichung kommen. Uns genügen hier folgende Mittelwerthe. Pferd III (10 Versuche), gesundes, jugendkräftiges Zugthier: bei Inspiration atmosphär. Luft: Athemgr.= 33.95 Liter bei 4-98 Proc. CO, „ Zuleitung von CO,: Athemgrösse = 189-335 „ „ 6-34 „ ,„ Einem Zuwachs von 1-86 Procent CO, in der exspirirten Luft entspricht eine Ventilationssteigerung um 153-8 Liter; auf 1 Proc. CO, entfällt eine Steigerung um 82.69 Liter = 244 Procent des Normalwerthes. Aehnliche Zahlen ergaben 5 Versuche an vier alten, aber noch leistungs- fähigen Pferden: Mittel bei Athmung atmosphär. Luft: 32.44 Liter bei 8. 22 Proc. CO, ni hs „ 5 EO5reicherin.,n 112-414 „e,, 3210677, Wie bei der gewaltigen Steigerung der ae selbstverständlich, ist auch hier während der CO,-Athmung die Alveolenluft reicher an Sauerstoff als in der Norm. Wir burn in den 10 ersten Versuchen im Mittel folgendes Sauerstoffdeficit (gegen atmosphärische Luft) in der Be Normal: 5-56 Procent, bei CO,-Athmung 1-50 Procent, bei den alten Pferden: Normal: 4-20 Procent, bei CO,-Athmung 1-52 Procent. Wenn aus dem bisher Besprochenen uns die Ueberzeugung erwächst, dass die Kohlensäure gerade bei den geringen Schwankungen im Gasgehalt des Blutes, welche unter physiologischen Bedingungen in Betracht kommen, der bei Weitem wesentlichste Regulator der Athmung ist, stehen wir vor der Aufgabe, zu erklären, wie Benedicenti durch seine Versuche zu dem Ergebniss geführt werden konnte, „dass die Kohlensäure, wenn sie sorgfältig mit genügendem Sauerstoff vermischt ist, nicht als Reiz für das Athmungs- centrum in dem Sinne betrachtet werden kann, dass durch sie eine erheb- liche Vermehrung der Thätigkeit des Athmungsapparates bewirkt werde“. Der nicht geringe Unterschied der in beiden Fällen sehr bedeutenden Empfindlichkeit für den Kohlensäurereiz, welchen wir zwischen Mensch und Pferd constatirt hatten, liess zunächst an die Möglichkeit denken, Bene- dicenti’s Versuchsthier, das Kaninchen, sei für Kohlensäure weniger empfind- lich. Dagegen sprachen freilich frühere Erfahrungen von uns an Kaninchen.! Auch jetzt wieder, bei Nachprüfung der Angaben Benedicenti’s, konnten wir uns überzeugen, dass Kaninchen schon auf sehr mässige Zufuhr von Kohlensäure durch energisches Anwachsen der Athemgrösse reagiren und dass es sich hierbei keineswegs um eine flüchtige Reizwirkung handelt, sondern dass die Wirkung, so lange man auch beobachtet, un- geschwächt fortdauert. Wir experimentirten allerdings in etwas anderer Weise als Benedicenti und hätten darum zunächst die Aufgabe, diese Abweichungen von seiner Versuchsanordnung zu rechtfertigen. ! Vergl. Geppert u. Zuntz, Pflüger’s Archiv. Bd. XLU. S. 240. Tab. 25 und 26 sowie Ad. Loewy, ebenda. 8. 265, Tab. II u. S. 269, Verauch 8 bis 10 und ebenda die Curven Fig. 6. S. 266. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTz. 383 Wir haben ausschliesslich an tracheotomirten Kaninchen gearbeitet, und zwar mit der Vorsicht, dass wir nach Einlegung der Canüle 1 bis 2 Stunden warteten, bis völlige Beruhigung des Athmens eingetreten war. Die von Benedicenti bei vielen Versuchen benutzte Schnauzenkappe hat, wie dieser Autor selbst erprobt hat, den Nachtheil, dass sie den schädlichen Raum für die Athmung in einer Weise vergrössert, dass das Thier von vornherein zu foreirtem Athmen genöthigt und daher viel weniger im Stande ist, auf den neuen Reiz der eingeathmeten Kohlensäure zu reagiren. Wenn die Kappe nieht ganz zweckmässig construirt war und eine zu grosse Capacität hatte, beobachtete Benedicenti sogar Erstickung der Thiere, wenn sie einfach durch die Kappe atmosphärische Luft athmeten. Das ist leicht begreiflich; der normale Athemzug der Kaninchen fördert etwa 8 bis 10° m Luft, bei starker Dyspno@ beobachteten wir nie mehr als 25°” pro Athemzug. Das Kaninchen würde also bei normaler Athemtiefe ersticken, wenn die Kappe einen Luftraum von nur 10°® hat, es muss auch bei stärkster Athem- anstrengung zu Grunde gehen, wenn der Inhalt 25°” erreicht. Macht man andererseits die Kappe zu eng anschliessend, so hindert sie die Bewegungen der Nasenlöcher, wie denn überhaupt nie zu vermeiden sein wird, dass bei einer Schnauzenkappe sehr viel stärkere, auf die Athmung refleetirende Reize sich geltend machen, als bei lege artis ausgeführter Tracheotomie. Dieser letztere Einwand bleibt auch bestehen, wenn man die Luft, wie das Benedicenti meist gethan hat, unter mässigem Ueberdruck durch die Schnauzenkappe leitet und dadurch die Wirkung des schädlichen Raumes eliminirt. — Wenn in letzterem Falle die Vergleichsathmung normaler Luft durch die Kappe ohne Durchleiten eines Gasstromes erfolgt, würde hierbei durch den schädlichen Raum leicht eine ebenso erhebliche Verstärkung der Athmung herbeigeführt, wie nachher durch die beigemischte Kohlensäure Wir sind auch bei Hunden und Pferden, wo der günstigeren Raum- verhältnisse wegen der zuerst genannte Hauptübelstand weniger in Betracht kommt, angesichts der unvermeidlichen Beunruhigung, von Anwendung masken- artiger Apparate ganz und gar zurückgekommen. Wir haben uns ferner, wie im Folgenden noch bewiesen werden soll, überzeugt, dass jede Steigerung des Widerstandes für den Luftstrom die Athmung derart beeinflusst, dass das Versuchsthier weniger vollkommen auf den Reiz der Kohlensäure reagirt. Als derartige Erschwerung der Athmung wirkt in Benedicenti’s Versuchen das Gasometer, bezw. das Fass, aus welchem das Thier seine Inspirationsluft bezieht, sowie die Einschaltung eines Müller’schen Ventils in die Bahn der ausgeathmeten Luft. Um diese Uebelstände zu vermeiden, erzeugten wir die zur Einathmung bestimmte Luftmischung in einer offenen, durch ein etwa ®/, ® langes und gm weites Rohr mit der Atmosphäre communieirenden weithalsigen Flasche von 11/, Liter Inhalt. Der Stopfen dieser Flasche war ausser von dem eben genannten, in die Luft mündenden Rohr, das dicht unter dem Kork begann, noch von zwei engen Glasröhren, die unter einer den Boden bedeckenden Wasserschicht mündeten, durchsetzt. Durch diese Röhren wurde aus zwei Behältern ein je nach Bedarf regulirter Strom von Kohlensäure und von 384 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Sauerstoff in die Flasche geleitet. Ein relativ weites, in halber Höhe der Flasche beginnendes Rohr führte das Luftgemisch zum Inspirationsventil. Kurz vor diesem zweigte noch eine capillare Leitung zu einer Hempel’schen Bürette ab, in welcher der Gehalt der Inspirationsluft an Kohlensäure und Sauerstoff bestimmt werden konnte. Zur Trennung der Luftströme benutzten wir Darmvefitile in der Modi- fieation, welche in meinem Laboratorium schon länger in Gebrauch und welche schon mehrfach beschrieben ist; endlich wurde zur Bestimmung der Athemgrösse die ausgeathmete Luft durch einen Elster’schen Gasmesser geleitet, dessen Widerstand so gering war, dass man selbst bei stärkster Athmung des Kaninchens nicht die mindeste Bewegung an dem daran an- gebrachten Manometer wahrnehmen konnte. Um aber auch objective Documente der Veränderungen der Athmung Ihnen vorlegen zu können, haben wir die Exspirationsgrösse dadurch registrirt, dass ein auf die Axe des Gasmessers an Stelle des Zeigers angebrachter Ring mit 50 Contactstiften jedes Mal einen Strom schloss, wenn 200 °® den Gasmesser passirt hatten. Die Contacte wurden durch einen Elektromagneten auf der rotirenden Trommel des Kymographion markirt, auf welcher gleich- zeitig ein Elektromagnet die Zeit im Zweisecundenintervall und eine Marey’sche Kapsel die Athemzüge registrirte. Die Marey’sche Luftkapsel communieirte durch einen Gummischlauch mit einer am Halse in den Oeso- phagus eingebundenen Sonde, welche bis in die Mitte des Brusttheiles vor- geschoben war. So erzielten wir eine Registrirung der Athemzüge nach dem Ceradini-Rosenthal’schen Prineip, wobei, da die Bewegung des Schreibhebels durch die intrathoracalen Druckschwankungen erfolgt, die Senkungen der Inspiration entsprechen. Einigermaassen lässt sich auch aus der Grösse der Exeursionen des Hebels ein Schluss auf das Maass der Athemanstrengung ziehen, wie dies Rosenthal! dargelegt hat. Wir wollen nunmehr die aus den direeten Ablesungen am Gasmesser und der Ausmessung der Curven resultirenden Zahlen übersichtlich für einige typische Versuche geben. Versuch vom 23. Februar 1897. Nieht narkotisirtes Kaninchen, vor 1!/, Stunden operirt, sorgfältig in Watte gehüllt, wie in allen Versuchen. Durch Ausmessung der Curve Beobachtungs- Inspirationsluft Athemgrösse B zeit, aus pro Minute ermittelt welcher das Mittel der Athem- ) ; Mittel Sauerstoff Beulen ganzen grösse . 5 ern £ u in Minuten Periodeincem in cem |P 20 20-9 0 399 — _ = 0) ca. 45-0 0 411 429 34 12-5 4 21-8 14-1 2360 2400 12 25-0 5 ca. 28 3-1 1580 | 1714 71 24-0 4 25-6 5-7 1800 1680 64 26-4 ! Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1880. Suppl. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuntTz. 385 Zu dieser und den folgenden Tabellen ist zu bemerken, dass die Beobachtung der Athemgrösse auch während der Aenderung des Gas- gemisches alle Minuten erfolgte und dass die hier in Colonne 4 gegebenen Mittelwerthe und die Curven erst dann aufgenommen wurden, wenn die Zahlen mehrerer auf einander folgender Minuten bewiesen hatten, dass die Athmung unter der Einwirkung der geänderten Inspirationsluft constante Werthe angenommen hatte, wozu nach jeder Aenderung des Gasstromes 5 bis 15 Minuten nöthig waren. Versuch vom 23. Januar 1897. Narkose mit Chloralhydrat. Beobachtungs- Inspiratorische Luft N it in Mi Ath zeit in Min. | Sauerstoff | Kohlanshrn emgrosse 4 20-9 0 | 555 4 24-0 3-97 | 1575 Der Kohlensäuregehalt wird jetzt stark erhöht, das Thier stirbt nach einiger Zeit ohne Dyspno& und ohne Krämpfe. Der folgende Versuch (26. Januar) zeigt, dass auch bei lang anhaltender Kohlensäureathmung (in diesem Falle 1 Stunde 24 Minuten ohne Unter- brechung) die Wirkung derselben auf die Athmung selbst dann fast unver- ändert bleibt, wenn man sehr hohe, narcotisirende Dosen (51.2 Procent) zeitweilig angewendet hat. Versuch vom 26. Januar 1897. Choralhydratnarcose. OR) Se ) = Durch A Azee 22 urch Ausmessung, : S, e5$ Inspirationsluft B=) Ss = - der Curve. ermittelt ._ 7 ga = anzu SM E " a 3 32-3 Saner- |Kohten-| OS 33 Se] nz | ee | ungen = 8588 Sal 228 =3°= 5| in ccm pro Min.| in cem a NS u" — 1 6 20:9 0 838 960 53 18°1 Athmung noch 2 11 >40:.0 0 494 — — — nicht ganz be- 3 8 32-3 | 3-9 1269 = = ee ruhigt. 4 9: 30-4 4-7 1524 — —_ — 5 6 28-3 4-9 1783 — _ — 6 17 25-4 11-5 2281 — — — 7 7 20-6 51-2 1406 = — — 8 13 27-2 8:0 1635 —_ — — 9 19 20-9 0 680 660 46 14-3 Der folgende Versuch demonstrirt noch deutlicher, dass die Lungen- ventilation wieder abnimmt, wenn der Kohlensäuregehalt der Luft eine gewisse Grenze überschreitet, sowie dass einigermaassen erhebliche mecha- nische Athemhindernisse die Wirkung der Kohlensäure zu unterdrücken vermögen; endlich zeigt dieser. Versuch in Nr. 2, dass die durch Wasserstoff- einleitung in die Mischflasche bewirkte Sauerstoffverarmung der Inspirations- luft (12-3 Procent O) eine nur sehr geringe Wirkung auf die Athem- grösse hat. A. f. A. u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 25 386 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Versuch vom 29. Januar 1897. Hierzu Curven I bis VI, zu den gleichen Versuchsnummern gehörig. Se akt Son 3 Durch Ausmessung | s ge52 In Plan ul 238 =) S der Curve ermittelt | == . = ee See R 2 : 3 5335| Saner- |Kohlen-|ES 8 83 dene | quonz | tiefe | -E.. ee Bo au =#&>= 5| in ccem [pro Min.) in cem ea No e ui 1 7 20-9 0 390 3751052 7-3 2 8 12:3 0 490 600 54 11-1 3 5 30-3 4:3 1000 1000 70 14-3 4 3 23-1 11-4 2183 2000 90 22-31 5 3 40:4 14-6 1543 1600 80 20-0 6 5 | 43-9 42-1 440 414 27 15-4? u 2... )>400 0 470 m Jetzt werden In- und Exspirationsleitung durch Schraubklemmen verengt. 8 4 >40:0 0 345 462 39 11-8 9 3 76°6 Tl 457 — 40 — 10 2 unverändert 415 429 39 11-1 Schraubklemmen entfernt; Kohlensäure abgesperrt. 11 22 >45 (0) 4718 706 | 74 | 9:5 12 h) 40-8 lo% 1750 1920 97 | 20-0 14 4 46-4 39-5 492 414 9829 , 14-33 15 | 2 >40 22-5 | 1125 1200 | 65 | 15-4 | Versuch vom 17. Februar 1897. In diesem Versuche wurde die Athmung zeitweilig durch Einschaltung Voit’scher Quecksilberventile erschwert, wobei durch Aenderung der Lage des Ventils die Höhe der zu überwindenden Quecksilbersäule variirt wurde. Hierzu Curve VII bis IX. 243 BR 2 @| Durch A Sr) 20 urch Ausmessung 5 |82#8 Innpirationaluftig auto 2 5 NE er Curse ermittält 3 53] Sauer- | Kohlen- E- E 5 ES , Dar An Bemerkungen Zziee5,.| stoff | säure ass “.3| sTösse | quenz |. 8.4. > ©| in cem ıpro Min. in ccm m N’o & | Athmung durch widerstandslose Darmventile. 1 8 20:9 0 334 333 48 OR) 2 5 34-9 5:6 1680 1600 16 | 21-0 ı Eine weitere Erhöhung der Kohlensäure bewirkt Krämpfe, die Einleitung von CO, wird unterbrochen und nach !/, Minute wieder in schwächerem Maasse begonnen. * Die Curve zeigt regelmässigen Wechsel je eines flacheren und eines tieferen Athemzuges. Nach Absperrung der Kohlensäure steigt die Athemgrösse in den nächsten Minuten auf 1000—1180—1070—780, es macht sich also beim Absinken des Kohlensäuregehaltes des Blutes von der narkotisirenden Höhe sofort wieder die Reiz- wirkung geltend. ® Es ist interessant hier den Abfall der Athemgrösse bei Zunahme der Kohlen- säure genauer zu verfolgen: Letzte Minuten bei 11-7 Proc. CO,: 1750—1700—1800— 1600. Kohlensäurestrom verstärkt: 1900— 1400— 1060—540—430—520— 500. 2 vermindert: 480—650—1030—1220. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZunTz. 387 (Fortsetzung.) la:= RE © 2| Durch Ausmessun Km - ee) urch Ausmessung S =) EEE Inspirationsluft 352 a S der Curve ermittelt De R=] [0,1 \, 8a {o] oda N m ” H a = 3 3 8>3 Sauer. [Kohlen ges 5a ben Fe, ee | orsungen = 383# stoff | säure = &= 5 in ccm |pro Min.| in cem Jetzt Ersatz der Darmventile durch Voit’sche. 3 6 20-9 0 333 324 30 10-3 | mässiger Wider- stand 4 6 41-3 7-4 967 923 44 21:0 | Widerst. wie b. 3 5 _ >40 12-4 500 500 25 20:0 | Widerst. erhöht hierzu Curve VII 6 5 ‚>40 2-3 480 500 45 11-0 Widerst. ver- ringert, C. VII 7 5 >30 8-2 860 800 68 11:8 Widerst. wie b. 6 | e Curve IX Jetzt wieder die anfänglichen Darmventile. 8 5 >30 4:9 1388 1520 69 22-1 9 9 >30 0 458 462 48 9:5 Versuch vom 6. Februar 1897. Auch in diesem Versuche wurden durch Anwendung Voit’scher Quecksilber- ventile die Athemwiderstände variirt. Die Ventile wurden gleich Anfangs benutzt. a ea Bor: © S| Durch A a2 58 ; ad u UrC usmessung = |: E Inspirationsluft S 3 = - der Curve ermittelt _ u .-i | 3 < Fer: Sauer | Konlene FEIE = & Athem- | Fre- | Athem- | Bemerkungen = Dis stoff | -säure a 25 %.2| grösse | quenz | tiefe 33438 = 58° 5| incem |pro Min.| in cem RE & | 1 4 20-9 | 0 272°5 = pn — Ventile leicht 2 6 »2.1) 6-48 1508 eh 2 ee >39.1 | > es Be = — | Widerstände ver- stärkt 4 6 >22:1 | > 6-4 517 —_ — — Widerstände weiter verstärkt 5 6 ? wenig 325 _ — — | Widerst. wie in 4 Ben >24 OR 206 Er wen 2 7 3 >22 wachsend 470 > en —; 8 B 23-8 41»6 143 — — —_ Thier reactions- - los ! 9 |: 5 >21 0 302 300 33 9:1 Ventile leicht 10 21 7-7 875 u 5 > |°/10°7 | 109% | 1143 57.| 204 12 8 _ 14»7 '820 1000(?) 32 210028«6 Widerst. erhöht 13 2 — |>14-7 720 —_ —_ — ‚noch mehr erhöht 14 % — 16-7 554 600 30 20 6 15 13 — 0 289 — 30 9-6 | Widerst. wie 13 und 14 (Fortsetzung S. 390.) * Nach diesem Versuche liessen wir das Thier 18 Minuten lang atmosphärische Luft direct durch die Canüle ohne Ventile athmen; schon nach 4 Minuten reagirte das Thier wieder auf Berühren der Conjunctiva. 25” VERHANDLUNGEN DER BERLINER 388 Versuch vom 29. Januar 1897. Leichte Chloralhydratnarkose Curve I bis VI. Vergleich der Wirkung des Sauerstoffmangels und der Kohlensäure. Jede Curve entspricht 200 «= geathmeter Luft. Ja N NE Ba, nt N NEN: IE rs EUER NR SHE R [a Fl RER PS: ee Te TS ee ee Me er er er Fl Curve I. Normale Athmung. Volumeurve fortgelassen; die Curve entspricht genau 200°” geathmeter Tuft; oben Oesophagusdruck, unten Zeit je2”. In 32” = 200° in 27'/, Resp. = 375 °® pro Min., 7.3 m pro Resp. Im Durchschnitt von 7 Min. = 390 °®® pro Min. Curve II. Inspirationsluft hat 12-3 Proc. O, 87:7 Proc. N+H. In 20” = 200m in 18 Resp. = 600 «= pro Min., 11-1 m pro Resp. Im Durchschnitt von 8 Min. = 490°"; zufällig war der höchste Minutenwerth zum Registriren benutzt worden. Curve III. Inspirationsluft 4-3 Proc. CO,; 30-3 Proe. OÖ. In 12” Curve IV. Inspirationsluft = 11.4 Proc. CO, = 200°" und 14 Resp. In 1 Min. = 1000 «»; 14-3 m pro Resp. — 23-1 Proc. O. In 6° = 200° = 2000 «= Im Durchschnitt von 5 Min. = 1000 °® pro Minute. pro Min. u. 9 Resp., = 90 pro Min.; 22.2 °m pro Resp. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N, ZUNTZ. 389 ar, rn —ı Curve V. ee itakionäl] = 14:65 Proe. CO, 40-42 Proc. O. In 7!/," = 200 «= u. 10 Resp. = 1600 Cem pro Minute, 20 «= pro Resp. Curve VII. Voit’s Ventile 12-4 Proc. CO,, 500 cm pro Min.; 25"/, Resp. pro Min.; 20 °® pro Resp. en h \ I 200 «m in 29” und 13 Resp. = 414 “= pro Min.; 15 4 °® pro Resp. Min tu un Curve VIII. In 15 Sec. 200 = und 17 Resp. 800 «m pro Min.; 11-8 = pro Resp. Widerstand geringer als bei V. 8-2 Proe. CO,. Curve VIII. In 15%," = 400m = is Resp. 1520 «= pro Min. 22-2 «= pro Resp. Darmventile 4 9 Proc. CO,. 390 VERHANDLUNGEN DER BERLINER (Fortsetzung. a DH © = „| 202>=%| Inspirationsiuft 222 E Durch Ausmessung S = Se SERSas der Curve ermittelt 3 3 R=| 1771 fe] [ST od N’ Se © - 'e- = 5 8335| Sauer- | Kohlen- g=$ 52 Athem- | Fre wi Bemerkungen 2 (Selen | Meta | eaute = Sie Tale ee ee | Ze e| in cem pro Min. in cem Jetzt werden die Voit’schen durch Darmventile ersetzt; Inspirationsluft reichlich mit Sauerstoff versetzt. 5 15 & o | 6 660 | 65 | 102 | 17 3 — 4-8 1427 1330 7 17-8 18 2 _ 16-0 | 1150 Bla man36 22-6 Vgl. Nr. 14 19 | 5 — | 5-0 | 1308 | 1500: | 105 14:3 |Vgl. Nr. 2 u. 10 | ! | Am Schlusse einiger Versuche haben wir die Thiere durch Athmung reinen Wasserstoffgases erstickt und auch hierbei das Volumen der aus- geathmeten Luft in der Gasuhr gemessen. Trotz der bekannten’ heftigen Erstickungserscheinungen erreicht auch während des höchsten Stadiums der- selben die Athemgrösse kaum den Werth, welchen sie bei Zumengung von wenigen Procenten Kohlensäure zur Inspirationsluft beliebig lange innehält. Die Ausmessung einer derartigen Ourve zeigt die stärkste Athmung von der 19. bis zur 27. Secunde nach Beginn der Wasserstoffathmung; hier sind 200 °® in 7?/, Secunden geathmet worden, entsprechend 1548 “m pro Minute. Dasselbe Thier hatte vorher bei Athmung sauerstoffreicher Luft mit 3-1 Proc. CO, 5 Minuten lang je 1580 = ventilirt, bei 14-1 Proc. CO, gar 2360°”. Im Ganzen wurden während der 4 Minuten dauernden Erstickung mit 88 Athemzügen 1830 °® exspirirt. Die mittlere Athemtiefe war also 20-8, während sie bei demselben Thier unter der Einwirkung von Kohlensäure 24 bis 26 °® betrug. Wir wissen aus den Blutgasanalysen von Pflüger, dass bei derartiger Erstickung durch Athmung eines indifferenten Gases der Kohlensäuregehalt des Blutes unter die Norm sinkt; wir haben also hier nur den Sauerstoff- mangel als erregenden Factor, und sehen, dass er in höchster Intensität einwirkend zwar die Athmung etwa auf’s Vierfache steigern kann, dass aber dieser Erregung sehr schnell die Lähmung folst. Wir können unsere Untersuchung schliesslich dahin zusammenfassen, dass jede kleine Steigerung des Kohlensäuregehaltes der Athemluft die Athmung verstärkt, und dass nur bei grossen Dosen die Athemgrösse in Folge der Narkose wieder sinkt. Die stärkste Wirkung scheint bei Kaninchen mit einem Kohlensäuregehalt von etwa 15 Procent zusammenzufallen. Wenn die Athmung mechanisch erschwert ist, tritt die Wirkung der Kohlensäure viel weniger stark hervor und es scheint unter diesen Umständen schon bei einem niedrigeren Kohlensäuregehalt wieder eine Abnahme der Athemgrösse einzutreten. Die Luftgemische in Benedicenti’s Versuchen waren nun so kohlensäurereich, dass bei seiner Versuchsanordnung das Opticum der reizenden Wirkung überschritten und die Steigerung der Athemthätigkeit eine relativ geringe sein musste, bezw. nicht zur Beobachtung kommen konnte. — Aende- rungen des Sauerstoffgehaltes der Inspirationsluft zwischen 12-5 und 60 Proc. haben nur einen geringen Einfluss auf die Athemgrösse. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. LoewY. — P. JacoBg. 391 XI1. Sitzung am 9. April 1897. 1. Hr. A. Lorwy hält den angekündigten Vortrag: Verdünnte Luft und Höhenklima in ihrem Einfluss auf den Menschen (nach in Ge- meinschaft mit Dr. J. Loewy und Cand. med. Leo Zuntz unternommenen Versuchen). Die Versuche des Vortragenden betreffen zunächst das Verhalten der Respirationsmechanik und ihres Chemismus bei Körperruhe und gemessener Muskelthätigkeit einerseits in der verdünnten Luft der pneumatischen Kammer, andererseits im Hochgebirge, sodann die Zusammensetzung des Blutes in der Höhe. Die bezüglichen Untersuchungen wurden an jedem der drei in der Ueberschrift Genannten angestell. Die Methode der Untersuchung des Athmungsprocesses war im Princip die Zuntz-Geppert’sche; die Muskel- arbeit bestand im Hochgebirge in Bergansteigen, wobei der Weg durch eine Messleine, die erstiegene Höhe durch Nivelliren bestimmt wurde. In der Kammer wurde sie durch Drehen am Gärtner’schen Ergostaten geleistet. Es ergab sich Folgendes: Unter der Wirkung der reinen Luftverdünnung in der pneumatischen Kammer blieb die Respiration bis zu einem Barometerdruck von 450 "" Hg bei Ruhe wie bei Muskelarbeit ungeändert, entsprechend. den Resultaten der früheren Versuche A. Loewy’s. Dagegen fand sich eine, individuell aller- dings wechselnde, Steigerung des Gaswechsels im Hochgebirge schon bei 520 ”® Hg-Druck gleich ca. 2800 " Höhe, mehr bei ca. 3800 ® ent- sprechend ca. 485 "m Hg, in ganz erheblichem Maasse bei 425 “m gleich einer Höhe von 4560 ". Das Höhenklima wirkt also anders als die Luftverdünnung und die gefundenen, den Stoffwechsel anregenden Effecte desselben können nicht auf den im Hochgebirge verminderten Barometerdruck bezogen werden. Auch der Einfluss etwaiger Abkühlung als erklärenden Momentes ist für die vorliegenden Versuche auszuschliessen, so dass man zur Erklärung der Gaswechselsteigerung an andere Reize, vielleicht an den Effect des Lichtes denken muss. — Bezüglich des Verhaltens des Blutes ergab sich kein Factum, das für eine absolute Steigerung der Körperchenzahl sprach. Der Wassergehalt des Blutes war vermehrt, das Blut dünner geworden als es in Berlin war. Be- trächtlich war der Einfluss der klimatischen Faktoren der Höhenluft aut die Vertheilung der rothen Blutzellen im Gefässsystem. Die ausführliche Darstellung der Versuche ist indessen in Pflüger’s Archiv, Bd. LXVI, erschienen. 2. Hr. Paun JAacop hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Schutzwirkung der Leukocyten. Er berichtet hier über Versuche, welche er im Anschlusse an die im letzten Jahre mitgetheilten ausgeführt hat und in denen er das Ziel ver- folgte, weitere Aufschlüsse über die Natur der bakterieiden Wirkung der weissen Blutkörperchen bei den Infectionskrankheiten zu gewinnen. Speciell handelte es sich darum, zu ergründen, ob diese Schutzwirkung der Leuko- eyten an dieselben in ihrem lebenden Zustande geknüpft sei oder ob sie auch zu Stande käme, nachdem sie zerfallen sind. Die Versuche, welche 392 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Vortragende in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Ferdinand Blumenthal ausgeführt hat, wurden in folgender Weise angestellt: Es wurden Kaninchen sowohl im Stadium der Hypo- und der Hyperleukocytose als auch nach Ab- lauf dieser Erscheinungen, sowie normalen Thieren Blut entnommen; dies wurde anderen Kaninchen subeutan injieirt, und zwar einmal direct, zweitens dessen Serum und drittens eigens daraus hergestellte Auszüge. Alsdann wurden diese Thiere 10 bezw. 20 Stunden nach den vorbehandelnden Injeetionen durch hochvirulente Pneumoniebouillon infieirt. Die Resultate waren folgende: Die- jenigen Thiere, welche mit dem aus dem Stadium der Hypoleukocytose ent- nommenen Blute bezw.den daraus hergestellten Praeparaten vorbehandelt waren, starben sämmtlich, meist früher als die Controlthiere; etwas günstiger waren die Ergebnisse bei denjenigen Kaninchen, denen das von normalen Thieren stammende Blut vorher injieirt war; noch besser fielen sie in den Versuchen aus, in denen die infieirten Thiere vorher mit dem Blute behandelt waren, das nach Ablauf der Leukocytoseerscheinungen gewonnen war; am meisten aber erwies es sich als vortheilhaft, den zu infieirenden Thieren Blut zu injieiren, welches Thiere geliefert hatten, die sich auf der Höhe der Hyper- leukocytose befanden. Sehr bemerkenswerth war ferner, dass in fast allen Versuchsmodificationen die Vorbehandlung mit den Auszügen günstigere Resultate ergab als die mit dem Blute selbst, noch weit bessere aber als die mit dem Serum. Aus diesem und einer Reihe anderer Gründe meint daher der Vor- tragende, dass auch die bakterieiden Eigenschaften des todten Materiales hauptsächlich von seinem Gehalte an Leukocytenproducten abhänge, dass aber dies todte Material allein nicht genüge, die Schutzwirkung der Leukocyten bei den Infectionskrankheiten zu erklären; er meint vielmehr, gestützt auf eine Anzahl von Momenten, die in dem im nächsten Heft der Zeitschrift für klinische Mediein erscheinenden Aufsatze ausführlich besprochen werden sollen, dass die baktericiden Eigenschaften der weissen Blutkörperchen haupt- sächlich an ihre Lebensfähigkeit im Blute selbst geknüpft sei und zwar hauptsächlich auf Secretions-, nicht aber auf Phagocytoseerscheinungen beruhe. XI. Sitzung am 7. Mai 1897. 1. Hr. H. MıcH#Aeuıs und Hr. W.Cornstein: Ein Vorlesungsversuch zur Demonstration der „Blutsäure“ (vorgetr. von Hrn. H.Michaelis). Gelegentlich der Untersuchungen „über die Veränderung der Chylus- fette im Blute“ (s. diese Verhandlungen, Sitzung vom 30. October 1896) stellte es sich als nothwendig heraus, das Blut, welches 24 Stunden lang in der Wärme von Luft durchströmt wurde, steril zu halten. Eine Substanz, welche zur Sterilisirung des Blutes geeignet sein sollte, musste eine Reihe von Eigenschaften besitzen, welche man kaum in einem chemi- schen Körper vereinigt findet. Sie durfte vor allem die Eiweissstoffe des Blutes nicht fällen, nicht flüchtig sein, sich nicht zersetzen, sie musste in Wasser löslich, dagegen in Aether unlöslich sein, gegen Akalien unempfind- lich sein und schon in kleinen Mengen die Sterilisirung des Blutes bewirken. Unter den verschiedenen Substanzen, welche versucht wurden, schien das Cyanquecksilber am besten diesen Anforderungen zu entsprechen. Ueber- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. MicHARLIS U. W. COHNSTEIN. 393 raschender Weise zeigte sich jedoch, als eine wässerige Oyanquecksilber- lösung mit Blut vermischt wurde, ein intensiver Blausäuregeruch, der nur auf einer Zersetzung des Salzes durch das Blut beruhen konnte. Was sonst nur eine Säure, z. B. die Salpetersäure, zu Stande brachte, hatte das Blut schon bei gewöhnlicher Temperatur geleistet. Das Blut spielte also dem Cyanquecksilber gegenüber die Rolle einer starken Säure. Die Säurenatur des Blutes ist seit längerer Zeit bekannt, besonders durch die Arbeiten von Pflüger, Zuntz, Setschenow, Preyer u. A. Die Thatsache, dass die gesammte Kohlensäure, die physikalisch absorbirte und die chemisch gebundene, durch das Vacuum aus dem Blute gewonnen werden kann, wie auch die Fähigkeit des Blutes, Carbonate zu zerlegen, wird durch die Säurenatur des Blutes erklärt. — Auch ein von O. Lieb- reich ausgeführter Versuch, durch die Einwirkung von Blut auf Magnesium- draht Wasserstoff zu entwickeln, spricht für die Säurenatur des Blutes. — Offenbar war auch in unserem Falle die „Blutsäure“ das Agens, welches das Oyanquecksilber zerleste.e Es schien nun nicht ganz werthlos, die be- obachtete Reaction zu einem Vorlesungsversuch zu gestalten. Es geschieht dies in folgender Weise: in einem kleinen, flachen Glasgefässe wird Blut mit einer wässerigen Cyanquecksilberlösung gemischt. Man stülpt alsdann über dieses Gefäss ein Uhrglas, an dessen der Flüssigkeit zugekehrten Wandung man einen Tropfen Silbernitratlösung gebracht hat. Nach wenigen Minuten wird dann der hängende Tropfen weisslich getrübt und schliesslich vollständig opak. Die durch Einwirkung des Blutes auf Oyanquecksilber frei werdende Blausäure bildet mit dem Silbernitrat Cyansilber, dessen feine Krystalle schon mit dem blossen Auge, noch besser jedoch unter dem Mikroskop, wahrge- nommen werden können. Der strikte Beweis, dass es sich hier um eine Cyanverbindung handelt, wird dadurch geführt, dass man durch das Blut- salzgemenge einen Luftstrom leitet und die mit Blausäure geschwängerte Luft in Kalilauge auftängt. In der letzteren kann man schon nach kurzer Zeit das entstandene Cyankali durch die Berlinerblau-Reaction nachweisen. Lackfarbiges Blut giebt die Reaction schneller, als gewöhnliches de- fibrinirtes Blut, dagegen ist die Reaction bei Blut, dessen körperliche Ele- mente man durch Magnesiumsulfat zum Schrumpfen gebracht hat, deutlich verzögert. Serum giebt die Reaction entweder gar nicht oder nur äusserst verzögert und ganz schwach; Hämoglobinlösung wirkt wie lackfarbiges Blut Es ist daher in dem Hämoglobin, welchem auch sonst saure Eigen- schaften zugeschrieben werden, die eigentliche „Blutsäure“ zu erblicken. Dass das Serum, wenn auch nur sehr schwach, zersetzend auf das Cyan- quecksilber einwirken kann, beruht auf seinem Gehalt an Kohlensäure. Denn wie jede andere Säure wirkt auch die CO, nach längerer Zeit schwach spaltend auf die wässerige Lösung unseres Salzes. Ebenso wie die Zerlegung des Cyanquecksilbers in vitro, verläuft sie auch in vivo. Ein Kaninchen, dem man einige Cubikcentimeter Cyanqueck- silberlösung subeutan injieirte, ging nach wenigen Minuten zu Grunde; sein Blut roch stark nach Blausäure und gab die Silberreaction im hängenden Tropfen. Wie Kaninchenblut verhält sich auch das Blut vom Menschen, Pferde, Hunde und Rinde. 394 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Anschliessend an vorstehende Mittheilung ist noch zu erwähnen, dass die Oyanquecksilberreaetion unter Umständen zur forensischen Feststellung von Blutspuren dienen kann, besonders in solchen Fällen, in welchen das mit Eisenrost gemengte Blut die Teichmann’schen Krystalle gar nicht oder nur undeutlich giebt. — Versetzt man geringe Mengen der auf Blut verdächtigen trockenen Masse in einem hohlen Objectträger mit etwas wässeriger COyanquecksilberlösung und bedeckt das Gemenge mit einem Deckgläschen, an welchem ein Tropfen Silbernitrat haftet, so kann man unter dem Mikroskop unter Umständen das Anschiessen der Cyansilber- krystalle beobachten. Es müssen jedoch ganz bestimmte Versuchsbedingungen bei dem Anstellen der Reaction beobachtet werden, auf welche später noch eingegangen werden soll. 2. Hr. Gustav TOoRNIER (a. G.) hält den angekündigten Vortrag: Ueber Regeneration und Hyperdactylie. Der erste Theil des Vortrages enthielt ein Referat über den gegen- wärtigen Stand der Lehre von der Regeneration. Da der Verfasser seine eigenen Regenerationsergebnisse (experimentelle Erzeugung von Spaltfingern, Polydactylie und Doppelgliedmaassen bei Tritonen) bereits in den Sitzungs- berichten der Gesell. nat. Freunde zu Berlin 1896, S. 24 und 144 und seine Anschauungen über Regeneration im Archiv für Entwickelungsmechanik 1896 publieirt hat, so sei hier nur auf die betreffenden Artikel hingewiesen und wird aus dem Vortrag nur das berichtet, was bisher noch nicht veröffent- licht worden ist. Durch welche Ursachen die Regenerativkräfte in einem Körpertheil ausgelöst werden, lehrt am besten der Eidechsenschwanz: Während in einem normal entwickelten, unbeschädigten Eidechsenschwanz alle Gewebe normal ernährt werden, werden beim Bruch dieses Schwanzes die Gefässe, welche den Schwanz ernähren, in ihren im Körper zurückbleibenden Theilen nicht alterirt, sie schaffen daher an die Bruchstelle des Schwanzes das Maass von Nahrung, das ursprünglich für den ganzen Schwanz bestimmt war und er- zeugen dadurch eine Uebernährung der Gewebe an der Bruchstelle. Diese Uebernährung des Gewebes an der Bruchstelle löst die in dem Schwanzrest liegenden Regenerativfähigkeiten aus; macht sich aber auch ausserdem noch an dem in Regeneration begriffenen Schwanz sehr bemerklich. Dieser wird nämlich viel mächtiger (namentlich breiter) angelegt als nothwendig ist, und wenn auf ihm die Schuppen in Wirteln stehen, dann sind die Wirtel des regenerirten Schwanzes viel schuppenreicher als die des normalen. Ausser- dem werden auf dem in Regeneration begriffenen Schwanz, wenn er nor- maler Weise Schuppen von verschiedener Grösse besitzt, nur die grössten und phylogenetisch am weitesten fortgeschrittenen Schuppen angelegt. Sobald aber der in Regeneration begriffene Schwanz eine bestimmte Länge erreicht hat und dann noch weiter in die Länge wächst, reicht die Nahrung, die ihm zugeführt wird, für den zu gross angelegten Schwanz nicht mehr aus, er wächst noch weiter in die Länge, zeigt aber gleichzeitig starke Rück- bildung in seinem Umfang und an vielen seiner Schuppen. Es findet also bei der Schwanzregeneration der Reptilien ein Ernährungsmodus statt, sehr ähnlich dem, welcher beim Narbenschwund an grösseren Wunden beobachtet wird. Aus der Thatsache, dass der Eidechsenschwanz unter dem Zeichen der Uebernährung regenerirt wird, lässt sich dann ableiten, unter welchen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GUSTAY TORNIER. 395 Umständen bei Eidechsen Doppelschwänze von hoher Vollendung entstehen müssen. Es geschieht, wenn der Schwanz einer Eidechse doppelt eingeknickt wird und zwar so, dass dabei die Schwanzspitze verloren geht, während das zweite Bruchstück am Schwanzstummel hängen bleibt. Dann wächst aus der oberen Knickstelle des Schwanzes ein secundäres Schwanzende hervor, während gleichzeitig die Schwanzspitze regenerirt wird und vermittelst des Bruchstückes aus dem sie herausgewachsen ist, mit der secundären Schwanz- spitze winklig zusammenwächst. Das secundäre Schwanzende und die in Regenerationbegriffene Schwanzspitze wachsen unter diesen Umständen zu gleicher Länge aus und erzeugen so einen besonders schönen Doppelschwanz. Der Vortragende zeigt 4 Eidechsen vor, deren Doppelschwänze auf diese Weise entstanden sind. Der Vortragende legt dann 4 Schweine-Vorderfüsse vor, welche an ihrer Innenseite Hyperdactylie aufweisen und demonstrirt ausserdem ein Rehbein, aus dessen Unterschenkel ausser dem normalen Fuss ein, neben dem normalen Fuss liegender, wesentlich kleinerer, aber fast vollständiger überzähliger Fuss herausgewachsen ist. Die untersuchten Schweine-Vorder- füsse bilden in ihrer Hyperdactylie eine Art Entwickelungsreihe. Der von ihnen am wenigsten verbildete Fuss hat die an jedem Schweine- Vorderfuss vorhandenen vier normalen Zehen, also einen d,, d,, d, und d,,. An seiner Innenseite trägt eraber ausserdem noch zwei überzählige Finger und zwar, wie die anatomische Untersuchung mit zweifelloser Sicherheit ergiebt, einen dritten Finger, der mit dem normalen zweiten verwachsen ist, und einen überzähligen vierten Finger, der dem überzähligen dritten anliegt. Also haben wir an diesem Fuss einen d,, d,, d,, d,, d,, d,. Auch der zweite der untersuchten Füsse hat die vier normalen Finger, sein Digitus , ist aber bereits etwas verkümmert. Neben ihm, aber selbst- ständig angelegt, liegen ein überzähliger d, und d,. Der dritte der untersuchten Schweinefüsse unterscheidet sich von dem zweiten nur dadurch, dass an ihm die überzähligen beiden Finger syndactyl verbunden sind. Der vierte der untersuchten Füsse unterscheidet sich wesentlich von den vorigen. Er hat nur noch drei normale Zehen: einen d,, d, und d,; sein normaler d, ist völlig verschwunden. Dafür trägt aber auch dieser Fuss einen überzähligen d, und d, an seiner Innenseite; diese sind ausserdem so stark entwickelt, dass sie mit ihren Hufen den Boden berühren und wie der normale d, und d, auf ihn aufgesetzt worden, was bei den vorher er- wähnten Füssen nicht der Fall war, denn hier erreichten die überzähligen Zehen den Boden noch nicht. Aiso hat dieser Fuss einen d,, d,, d,, d, und d.. Diese Untersuchungen und Durchsicht der Fälle von Hyperdactylie, welche in der Litteratur beschrieben sind, lassen deutlich erkennen, unter welchen Umständen die Säugethierfüsse hyperdactyl verbildet werden. Wie schon Zander richtig vermuthet hat, liegt der Hauptgrund für die hyper- dactyle Verbildung der Säugethiergliedmassen in Amnionfalten, welche in die wachsende Gliedmasse des Embryos hineindrücken. Ihre Wirkung auf die Gliedmasse ist dabei nach meinen Untersuchungen folgende: Die Theile der Gliedmassen, welche durch sie einem starken Druck unterworfen werden, verschwinden in Folge von Druckatrophie (auf diese Weise ist z. B. an dem einen der untersuchten Füsse der ganze d, verloren gegangen); während 396 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die durch die Amnionfalten an der Peripherie der Gliedmasse entstandenen abnormen Auswulstungen danach streben, soviel von der Gliedmasse zu regene- riren, wie sie vermögen. Durch diese Form der Superregeneration entstehen alsdann alle Formen der Hyperpedie und Hyperdactylie des Säugethierfusses. In allen hier beschriebenen Fällen sind, wie auch die Beschreibung er- giebt, die superregenerirten Zehen derart den normalen angefügt, dass es den Anschein erweckt, als wären entweder Theile eines rechten Fusses mit einem normalen linken Fuss oder Theile eines linken Fusses mit einem normalen rechten verwachsen. In ganz gleicher Weise sind an dem erwähnten Reh- bein der superregenerirte und normale Fuss mit ihren Innenseiten gegen einander gekehrt. Das Factum ist wichtig; aus der Litteratur scheint mir aber hervorzugehen, dass die Superregeneration nicht immer in dieser Weise verläuft, sondern zuweilen auch so, dass es den Anschein erweckt, als wären zwei rechte oder zwei linke Hände oder Füsse mit einander verwachsen, Hyperdactylie der Säugethierfüsse ist öfter mit Syndactylie verbunden. denn unter sechs von mir auf Hyperdactylie untersuchten Säugethierglied- massen zeigen zwei gleichzeitig Syndactylie an den überzähligen Fingern. Die Syndactylie der Finger und Zehen ist eine ontogenetische Hemmungs- bildung, wie ein genaues Studium der Gliedmassenontogenese klar erkennen lässt. Die Zehen und Finger der Säugethierembryonen liegen nämlich im Beginn ihrer Ontogenese parallel neben einander und sind dann mit ein- ander bis zu ihrer Spitze durch eine Art Schwimmhaut fest verbunden. Erst später wachsen sie strahlenförmig auseinander und dann atrophirt auch die Haut, welche sie ursprünglich verbindet. (Genau dieselbe Zehenentwickelung zeigt übrigens sehr schön der Fuss des Triton cristatus während seiner Regeneration. Er wird in seinem ersten Entwickelungsstadium durch einen Gliedmassenknopf repräsentirt, der Fusswurzel und Finger des Thieres un- gesondert enthält. Später werden die Zehen gemeinsam von der Fusswurzel durch eine Hautgrube abgesondert, die im vorderen Theil des Knopfes parallel zum Rande des Knopfes entsteht. Noch später entstehen dann Hautgruben, welche die Zwischenräume zwischen den bis dahin parallel liegenden Zehen andeuten. Noch später wachsen die Zehen strahlenförmig auseinander und nun atrophirt die Schwimmhaut zwischen ihnen, wenn auch nur recht langsam.) Diese Beobachtungen lehren, dass zwei erwachsene Zehen dann syndactyl verbunden sein müssen, wenn die ursprünglich zwischen ihnen ausgespannte Hautfalte bei der Ontogenese des Fusses erhalten bleibt. Dies wird der Fall sein, wenn die Zehen am strahlenförmigen Auseinander- wachsen verhindert werden und kann dadurch veranlasst werden, dass die Zehen während ihrer Ontogenese durch Amnionfalten wie in einen Sack eingeschlossen werden. Amnionfalten, welche Zehen fest einschliessen, sind daher zweifellos Schuld an der Syndactylie der von ihnen eingeschlossenen Zehen, drücken sie sich dabei zugleich mit einem ihrer Ränder in die Glied- masse hinein, so können sie einmal normale Theile der Gliedmasse zur Atrophie bringen, sie können aber auch gleichzeitig anormale Randwülste an den Füssen erzeugen und diese zur Superregeneration anregen; auf diese Weise entstehen dann die complieirt verbildeten Füsse, die gleichzeitig Hyper- und Syndactylie und Defecte aufweisen. Zu bemerken wäre noch, dass die superregenerirten Gliedmassentheile, wie die untersuchten Gliedmassen lehren, nur aus den gleichartigen normalen PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — GUSTAV TORNIER. — W. CowuL. 397 Gliedmassentheilen entstehen, so dass also z. B. die superregenerirten Knochen aus den normalen Knochen, die superregenerirten Muskeln aus den normalen Muskeln herauswachsen. Es erzeugen also beim Entstehen der Hyperdactylie die Gewebe einer bestimmten Qualität nur Gewebe derselben Qualität. Die Fähigkeiten der Gewebe sind also beim Embryo zu der Zeit wo seine Gliedmassen Hyperdactylie erwerben — in den Gliedmassen wenigstens — bereits localisirt. 3. Hr. W. Cowu hält den angekündigten Vortrag, betreffend seine mit Hrn. M. Levy Dorn ausgeführten Untersuchungen: Ueber die „Sicht- barkeit der Röntgenstrahlen“. Gleich in seiner ersten Mittheilung „über eine neue Art Strahlen“ gab Röntgen an,! dass die Netzhaut für dieselben unempfindlich sei, wiewohl man annehmen müsse, dass die Medien des Auges leicht durchlässig seien. Später hat Salvioni? ein besonderes Hinderniss für die Strahlen in in der Krystalllinse erblickt. Hierauf fussend hat Brandes? vor einem Jahre zuerst bei einem wegen Kurzsichtigkeit operirten Aphakischen Versuche angestellt, welche eine deut- liche Liehtempfindung bei Annährung des Kopfes an die Röntgenröhre er- gab, sodann bei sich und bei anderen normalsichtigen Menschen durch ähn- liche Versuche den gleichen Befund erhalten. Doch stellte er später mit Dorn zusammen wiederum Versuche an, welche in letzter Zeit veröffentlicht wurden.“ Im dieser Arbeit halten die Verfasser die früheren Angaben Brandes’ aufrecht, und stellen durch Skiagramme des herausgenommenen Thierauges fest, dass die Krystalllinse keine sehr beträchtliche Undurch- lässigkeit für Röntgenstrahlen besitzt. Sie erklären die gefundene „Sichtbarkeit“ der Röntgenstrahlen dem negativen Befund Röntgen’s gegenüber dadurch, dass sie Entladungsröhren mit stärkerem Vacuum angewendet haben. Röntgen hatte hauptsächlich Röhren von 3 ®, sie selbst dagegen solche von 3 bis 8 °® „Schlagweite“ benutzt. Bei den Versuchen mit posi- tivem Erfolg betrug die Schlagweite 5.5 bis 8.0 °”. Diese, gemessen mittelst eines parallel geschalteten Funkenmikrometers, nehmen: die Verfasser als Maassstab der Luftverdünnung und der „durchdringlichen Kraft“ der be- nutzten Strahlen ohne Weiteres an. Aus den Versuchen von Brandes und Dorn geht mit Sicherheit her- vor, dass keine besonderen Hindernisse für Röntgenstrahlen in den durch- siehtigen Medien des normalen Auges bestehen. Anders ist die Sache in Betreff der Empfindlichkeit der Netzhaut für dieselben, denn es findet sich in der Beschreibung der Versuche nur eine flüchtige Beachtung der besonderen Fehlerquellen, welchen solche Experi- mente ausgesetzt sind. Von Purkinje, Czermak, Helmholtz u. A. sind wechselnde Licht- empfindungen aus inneren Ursachen genau beschrieben,° welche von ee der Physik.-medie. Gesellschaft zu Würzburg. December 1895. 4 2 Nature. 1896. Bd. LIlI. S. 424. London. 3 Mathematische und naturwissenschaftliche Mittheilungen aus den lzunge berichten der k. preuss. Akademie der Wisseuschaften. Mai 1896. Bd. V. 8. Bericht vom 7. Mai. * Wiedemann’s Annalen. 1897. Bd. LX. Hft. 3. 8. 478 bis 490, 5 Siehe Handbuch der physiologischen Optik. 2. Aufl. S. 239 bis 241. 398 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Jedermann in der Dunkelheit, namentlich bei Aufmerksamkeit und bei Accommodation des Auges mehr oder weniger lebhaft wahrgenommen werden können. Diese Erscheinungen (I. der sog. Lichtstaub bezw. Lichtchaos, II. das Accommodationsphosphen, III. die Mitempfindung durch Erregung anderer Nerven) sind in der ganzen Abhandlung von Brandes und Dorn nur in den folgenden (durch Sperrdruck hier hervorgehobenen) Worten be- rührt. „Es muss vorausgeschickt werden, dass diese (ihre) Be- obachtungen keineswegs leicht sind. Der ganze Charakter der Erscheinung ist verwaschen; eine scharfe Auffassung wird noch durch das Flackern bei dem Spiel des Unterbrechers sowie durch rein subjective Lichtempfindungen erschwert.“ Hierauf geben sie, ohne diese verschiedenen Momente weiter in Be- tracht zu ziehen, eine ausführliche Beschreibung der Wahrnehmungen einer Reihe von Beobachtern, deren Angaben im grossen Ganzen unter einander übereinstimmen. Die Verfasser geben auch Abbildungen von der Form der wahrgenommenen Lichtempfindungen und zwar stellen sie dieselben als Ringe und Segmente dar. Brandes und Dorn erwähnen nicht, dass diese Erscheinungsform eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Accommodation- sphosphen hat. Wir sind daher wohl berechtigt anzunehmen, dass sie keine Maassregeln gegen Fehlerquellen dieser Art angewandt haben. Aus der Beschreibung der Versuche und deren Ergebnissen ist nur eine ungefähre Vorstellung von der Controle der Beobachtungen zu gewinnen. Am meisten ist dies noch in Bezug auf etwaige elektrische Reizungen des Sehnerven der Fall. Es könnten hier entweder elektrische Wellen oder Ent- ladungen der hochgespannten Inductionsschläge durch die feuchten Gewebe des menschlichen Körpers auf den N. opticus einwirken. Die Verfasser sagen darüber wörtlich nur das Folgende (hier durch Sperrdruck z. Th. hervor- gehoben), nämlich: „Dass etwa von der Röntgenröhre ausgehende elektrische Einwirkungen den Sehnerv reizten, war von vorn- herein nicht gerade wahrscheinlich. Ein Aluminiumblech von j mm Dicke und 30 “® im Quadrat musste jeden elektrischen Ein- fluss abschneiden, während die Röntgenstrahlen nur wenig ge- schwächt werden. Thatsächlich konnte man das Aluminiumblech vorhalten oder entfernen, ohne dass der Beobachter eine Aen- derung der Lichterscheinung merkte. Wurde aber eine Scheibe von diekem Schaufensterglas in den Weg der Röntgenstrahlen gebracht, so verschwand der Lichteindruck. Eine solche Scheibe absorbirt die Röntgen- strahlen kräftig, hatte aber elektrische Wirkungen durchgelassen.“ Hierzu ist zu bemerken: die stille Entladung hochgespannter Ströme von jeder metallischen Uebergangsstelle, aber auch von Zuleitungsdrähten trotz ihrer Isolireinhüllung, ist ziemlich beträchtlich, wie sich Jeder in einem genügend verdunkelten Zimmer durch die Erscheinung büschelförmiger, von Licht begleiteter elektrischer Ausstrahlungen überzeugen kann. Gegen Ab- leitung solcher Entladungen ist eine vorgehaltene Glasscheibe ein sicherer Schutz; andererseits bedarf es bei vollkommen ausgeruhtem Auge nur ganz minimaler Mengen Hlektrieität, um eine unzweideutige Lichterscheinung hervorzurufen. Dazu kommt, dass Aluminium!, namentlich in einer Dicke ! Vergl. W. Cowl, Ueber Röntgen’sche Dichtigkeitsbilder. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1896. S. 364. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. ÜowL. 399 von 1 ®®, ein schon ganz merkbares Hinderniss für Röntgenstrahlen bildet, wie man jederzeit auch bei den stärksten, insbesondere aber bei schwächeren Strahlen durch Zuhülfenahme eines Fluorescenzschirmes beobachten kann. In Folge dessen sollte man meinen, dass eine durch Röntgenstrahlen ver- ursachte Lichterscheinung beim Zwischenschalten einer Metallplatte abge- schwächt werden müsste. Ferner ist von den Verfassern nicht angegeben, ob die Aluminiumplatte so gehalten wurde, bezw. gehalten werden könnte, dass die Büschelentladung von irgend einer Stelle der Stromleitung das Gesicht des Beobachters nicht treffen konnte. Schliesslich ist die Grösse der dieken Glasscheibe nicht angegeben, was schon im obigen Citat wohl wünschenswerth wäre, doch jedenfalls war sie viel schwerer und umständ- licher zu handhaben als die Aluminiumplatte und bei dem kurzen Abstand des Gesichtes des Beobachters von der Röntgenröhre (8 bis 10 °®) sicher genügend, um bei vielen Personen die ruhige Beobachtung zu stören oder in gewissem Sinne zu beeinflussen. Ein Vorbringen bezw. Entfernen eines Gegenstandes so nahe an den Ohren verursacht fast unvermeidlich vollauf genügendes Geräusch, um bei einem in Folge der Ausschaltung des gewöhnlichen Sehens hierfür besonders empfindlich gemachten Beobachter eine Wahrnehmung des betreffenden Vor- ganges ohne Weiteres hervorzurufen. Diese Erregung der Aufmerksamkeit durch einen in der Nähe sich abspielenden Vorgang wird dann leicht Anlass zur Entstehung eines Accommodationsphosphens oder in Folge Mit- empfindung zur Verstärkung der Erscheinung des Lichtstaubes. Nach Brandes und Dorn sollen die Röntgenstrahlen den Sehnerv nur in geringem Maasse erregen. Sie verursachen daher Liehtempfindungen von gleicher Ordnung wie der Lichtstaub (das Lichtehaos) und das Accommoda- tionsphosphen oder können bei Erregung anderer Nerven auf dem Wege der Mitempfindung diese Erscheinungen verstärken. In Folge dessen bedarf es ganz besonderer Vorsichtsmaassregeln, um nicht objektive mit subjektiven Phänomenen zu verwechseln. Dieses ist aber durch den Umstand erschwert, dass die Lichtempfindungen aus inneren Ursachen äusserst wechseln- der Natur sind und sich von Augenblick zu Augenblick ändern können. Nach alledem erscheint es zweifelhaft, ob die Schlussfolgerung von Brandes und Dorn richtig ist, dass die Röntgenstrahlen eine Erregung der Netzhaut bewirken. Es erschien daher wünschenswerth, die Frage von Neuem zu prüfen, zumal die heutige Entwiekelung der Röntgentechnik Röhren von weit mehr als 5-5 bis 8-0 @ Schlagweite überall zur Verfügung stellt. Zunächst handelt es sich um die Thatsache, ob eine bestimmte Aen- derung in den subjeetiven Liehtempfindnngen bei verschiedenen Personen vor der thätigen Röntgenröhre eintritt und in diesem Falle, ob die Er- scheinung auf die Einwirkung von Röntgenstrahlen zurückzuführen ist. Die erste .dieser Fragen haben wir bisher zu entscheiden gesucht. Die sorgfältig ausgewählten Versuchspersonen waren: ein Dr. theol., seit vielen Jahren nach beiderseitiger Operation wegen grauen Staares aphakisch, ein Professor der Physiologie, ein Professor der Pharmakologie, ein Privatdocent der Augenheilkunde, ein Dermatologe und Naturforscher, ein praktischer Arzt und Skiagraphologe, ein Physiologe, ein von Hrn. Dr. Silex wegen Kurzsichtigkeit operirtes, auf einem Auge aphakisches, intelli- gentes 20jähriges Mädchen. 400 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Bei der Adaption der Netzhaut für schwächste Eindrücke, welche je nach der Tageszeit, d.h. nach der Intensität des vorher einwirkenden Tages-, bezw. künstlichen Lichtes, 20 bis 40 Minuten dauerte, wurde in 5 Fällen der im verdunkelten Zimmer ruhig sitzenden Beobachter, dessen Augen durch 6 bis 12 Lagen schwarzen Tuches lichtdicht verhüllt waren, einfach aufgefordert, etwaige Lichtempfindungen 1. ohne Weiteres, 2. bei der Accommodation für die Nähe anzugeben. Die hierbei erhaltenen Angaben waren untereinander verschieden und stimmten völlig mit den oben an- geführten Beschreibungen überein. Die Deutlichkeit der Erscheinungen wuchs im Allgemeinen mit dem Grade der Adaption und der Dauer der Beobachtung. Der Lichtstaub erschien im Auge der Mehrzahl der Personen als eine dunkelgraue oder wolkige Fläche von grösserer oder kleinerer Ausdehnung. In 3 Fällen war die Mitte dieser Scheibe in keinem Falle, aber die Peri- pherie derselben am hellsten. Auch erschien, wenn für die Nähe accommo- dirt wurde, bei den meisten Beobachtern das Accommodationsphosphen. Nachdem eine Röntgenröhre grösster Leistungsfähigkeit! mit einem Funkeninductor von „25 oder 50°“ Funkenlänge“ verbunden und durch eine doppelte Lage schwarzen Tuches vollkommen eingehüllt war, wurde der Versuchsraum immer vollständig verdunkelt. Eine 8" dicke, 30 x 40% grosse Porzellanplatte wurde dicht an der Röntgenröhre zwischen derselben und dem 20 “% entfernten Gesichte des sitzenden Beobachters gehalten. Nach Ingangsetzen des Inductors wurde die Platte geräuschlos und ohne dass die Versuchsperson es merken konnte weggezogen; gab nun der Beobachter keine Aenderung seiner Lichtempfin- dungen an, so wurde eine Versuchsreihe in der Weise vorgenommen, dass in Zwischenräumen von 5 bis 10 Secunden die Platte unmerklich vorgebracht und wieder weggezogen wurde. Verlauteten nun nur die Worte: „Nichts!“ „Dunkel!“ oder „Keine Aenderung!“, so erfolgte nach einer Pause von einigen Minuten eine zweite ähnliche Prüfung. Schliesslich wurde der Moment des Vorlegens, bezw. des Wegnehmens der Platte dem Beobachtenden jedes Mal mit dem Worte „Jetzt!“ kund gegeben. Wir haben es hierbei nicht unterlassen, die thatsächliche Intensität der angewandten Röntgenstrahlen, sowie ihre Absperrung durch die Porzellan- platte mittelst des Fluorescenzschirmes. direet zu prüfen. In weitaus der meisten Fällen waren sie so stark, dass ein in 3-5” Entfernung von den Röntgenrohr gehaltener Platinbaryumeyanürschirm? die Metacarpalknochen der Hand mit unverkennbarer Deutlichkeit zeigte. Derselbe Schirm, hinter die Porzellanpatte gehalten, gab ganz bedeutend weniger Fluorescenzlicht aus. Die benutzte Schlagweite des Inductionsstromes betrug bis über 30 ®., Die Versuchsergebnisse lassen sich kurz zusammenfassen: 5 Beobachter — 3 normalsichtige, 2 aphakische — bemerkten keinen Unterschied, ob. die Porzellanplatte vorgehalten wurde oder nicht, ob der Inductor in oder ausser Thätigkeit sich befand. Drei andere normalsichtige Beobachter haben ! Wir haben die gangbare Röntgenröhre von C. Richter (Berlin), Reiniger, Gebbert und Schall (Erlangen), Müller (Hamburg), Gundelach (Thüringen) und der Allg. Elektr.-Gesellschaft (Berlin) benutzt. 5 ® „Fluorescenzschirm B“ mit Doppelbelag aus der Kahlbaum’schen Fabrik erlin, O. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. Cowtr. 401 unter vielen unrichtigen Angaben auch kurze Reihen von richtigen Angaben gemacht, und zwar in folgender Weise: Beobachter A. — Nachdem auf Ein- und Ausschaltung der mit lautem Geräusch verbundenen Thätigkeit des Inductors eine ganze Reihe bestimmter richtiger Angaben erfolgt waren, wurden beim Vorbringen bezw. beim Ent- fernen der Porzellanplatte doch nur, wenn das Wort „Jetzt!“ zugerufen wurde, eine Reihe von vier hinter einander folgenden, dem Sinn und der Zeit nach richtigen Angaben — „Hell! — Dunkel! — Hell! — Dunkel!“ — semacht. Während die Helligkeit der Erscheinung und die Bestimmtheit der Angaben in der ersten dieser Reihen auffallend waren, blieben sie in der zweiten zurück. Dieses könnte man nun sowohl auf eine Wirkung der Röntgenstrahlen, wie auf Mitempfindung zurückführen. Die falschen Angaben lassen sich durch Ermüdung erklären. Beobachter B. — Beim einfachen, für den Beobachter unmerklichen Vorbringen, bezw. Entfernen der Porcellanplatte wurde, wie im letzten Falle, nichts vermerkt. Auf das Signalwort „Jetzt!“ kamen zuerst einige unrichtige, dann vier auf einander folgende richtige Angaben, worauf im Grossen und Ganzen nur unrichtige Angaben folgten. Im dritten Falle, wo Hr. Dr. Silex die Liebenswürdigkeit hatte, die Platte für den Beobachter unmerklich hin und her zu bewegen, verlauteten am Anfang jeder von zwei Versuchsreihen eine Anzahl — bei der einen 5, bei der anderen 6 — hinter einander folgende richtige, ziemlich prompte Angaben, die dann in weitere, zeitlich und inhaltlich unrichtige übergingen. Die besondere Lichtempfindung in diesem Falle bestand aus regelmässig äusserst schnell auf einander folgenden blitzartigen Aufleuchtungen, die zeit- lieh und in ihrer Frequenz mit dem lauten Geräusch am Unterbrecher übereinzustimmen schienen. In denjenigen Versuchen, in welchen wir eine Röntgenröhre mit nur 8°% Schlagweite, wie sie Brandes und Dorn als grösste Schlagweite be- nutzten, anwandten, wurde nie von einem Beobachter eine Aenderung seiner Liehtempfindungen angegeben. Unsere Versuche haben also die Angaben von Brandes und Dorn nicht bestätigen können. Bei dem Gebrauch von so stark lufthaltigen Röhren, wie die genannten Autoren sie benutzten, gelang es uns niemals einen auch nur scheinbaren Einfluss auf die Lichtempfindungen des Beobachters auszuüben. Röhren mit bei Weitem stärkeren Vacuum lieferten meist ebenfalls negative Er- gebnisse. Dass in unseren Versuchen einige Reihen gut übereinstimmende positive Angaben gemacht wurden, d.h. dass bei der Thätigkeit von Röntgenröhren Aenderungen der schon bestehenden Lichtempfindungen auftraten, welche dem Sinne und der Zeit nach eine dem Beobachter nicht angezeigte Ab- schwächung, bezw. Verstärkung der Bestrahlung des Gesichtes mit Röntgen- strahlen entsprechen, giebt unzweideutiges Zeugniss dafür, dass der Sehnerv hierbei einem objectiven Reiz ausgesetzt war. Diese Thatsache erledigt somit die erste von uns in Angriff genommene Frage. Die von uns bisher erzielten Versuchsergebnisse erlauben aber nicht den allgemeinen Schluss zu ziehen, dass die Netzhaut für Röntgen- strahlen empfindlich sei, geschweige dass die Röntgenstrahlen „sichtbar“ seien. Wir sind zur Zeit mit der Ausführung von weiteren Versuchen be- Archiv f. A, u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 26 40% VERHANDLUNGEN DER BERLINER schäftigt, welche die letzte Frage zur bestimmten Entscheidung bringen sollen, nämlich, ob die Röntgenstrahlen oder die elektrischen Entladungen in der Nähe der Versuchsperson die von uns festgestellte objective Erregung. der Netzhaut verursacht, und werden uns erlauben, der physiologischen Gesellschaft hierüber nächstens Mittheilung zu machen. Wir möchten aber nicht unterlassen, dem Hrn. Prof. H. Munk, Hrn. Prof. A. König, Hrn. Prof. J. F. Heymans, Hrn. Dr. Silex, Hrn. Dr. Hugo Apolant für ihre gütige Mitwirkung auch an dieser Stelle unseren Dank auszusprechen, XIII. Sitzung am 21. Mai 1897. 1. Hr. B. Rawırz hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Be- ziehungen zwischen unvollkommenem Albinismus und Taubheit. Meine Herren! Vor längerer Zeit hatte ich die Ehre, Ihnen über das Gehörorgan und das Gehirn eines weissen Hundes mit blauen Augen zu berichten. Dies Thier bot die seit Buffon für Hunde, seit Darwin für Katzen bekannte Erscheinung dar, dass es völlig taub war, zeigte also die höchst interessante und zur Zeit noch nicht erklärte Correlation von un- vollkommenem Albinismus und Taubheit. Thiere mit weissem Felle und blauen Augen bezeichnet man nämlich zweckmässig als unvollkommen albinotische im Gegensatze zu den vollkommen albinotischen, bei denen auch das uveale Pigment fehlt, das Auge daher roth erscheint. Ich habe an anderer Stelle! ausführlich die Ergebnisse meiner an diesem Thiere an- gestellten Beobachtungen geschildert und darf mich daher wohl bei den folgenden Auseinandersetzungen gelegentlich auf meine Arbeit beziehen. Heute beabsichtige ich Ihnen über eine grössere Zahl von Thieren zu berichten, welche ich seither entweder selbst untersuchte, oder von denen ich doch wenigstens Kenntniss erhielt. Es handelt sich um folgende Thiere: 1. Grosse Hündin; Fell weiss mit spärlichen grauen Flecken und voll- kommen farblosen Lippenwinkeln, Augen hellblau. Das Thier ist taub. 2. Junger Hund, Sohn der Hündin; weisses Fell mit kleinem grauen Fleck über dem linken Ohre, hellblaue Augen. Das Thier ist taub und zugleich blind, doch ist die Blindheit nach Angabe des Verkäufers die Folge einer eitrigen Augenentzündung. 3. Junger Hund, Sohn der Hündin; gelbes Fell mit weissen und grauen Flecken. Linke Iris gelb, rechte Iris in der oberen Hälfte gelb, in der unteren blau. Das Thier ist taub. 4. Junge Katze;? schneeweisses Fell, hellblaue Augen; Taubheit. 5. Junger Kater; schnee- weisses Fell, gelbe Iris; Taubheit. Diese fünf Thiere wurden längere Zeit, mit mich zu Dank verpflichtender Erlaubniss des Hrn. Prof. H. Munk, von mir im physiologischen Institute der hiesigen thierärztlichen Hochschule beobachtet und dann getödtet; die anatomischen Befunde sollen nachher mitgetheilt werden. ! Rawitz, Gehörorgan und Gehirn eines weissen Hundes mit blauen Augen. Morphologische Arbeiten. Herausgegeben von Dr. Gustav Schwalbe. Bd. VI. Hft. 3. 2 Ich verdanke dieses Thier der liebenswürdigen Aufmerksamkeit des Hrn. Dr. Doflein, Assistenten am zoologischen Institute in München. Ich benutze die a ihm auch von dieser Stelle aus für sein bethätigtes Interesse bestens zu anken, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — DB. Rawiıtz. 403 Zu diesem selbst beobachteten Materiale kommt solches hinzu, von dem ich brieflich oder mündlich Kenntniss erhalten habe. Es sind das fünf Hunde und drei Katzen, welche alle weisses Fell und blaue Augen haben und gleichzeitig, nach Angabe der Correspondenten, vollkommen taub sein sollen. Nicht ohne Interesse für die Vererbungslehre dürfte die Thatsache sein, dass sich unter den letzterwähnten Thieren ein Hundepaar befinden soll (Männchen und Weibchen), von denen ein Wurf von zwei ebenfalls unvollkommen albinotischen und total tauben Thieren abstammt. Unter den von mir beobachteten Thieren befand sich nur eine Hündin mit ihrem Wurf; welche Färbung des Felles und der Augen der Hund hatte, durch den die Hündin belegt war, liess sich nicht in Erfahrung bringen. Zu erwähnen ist schliesslich noch die Thatsache, dass jene Hündin, die ich unter Nr. 1 angeführt, einen Hund gleichzeitig mit den übrigen geboren hatte, der bei weissem Felle und biauen Augen dennoch normales Gehör besass. Zwar habe ich das Thier nicht selbst beobachtet, die Angaben stammen von Prof. Zuntz, in dessen Laboratorium das Thier längere Zeit gehalten wurde, sie sind daher als zuverlässige anzusehen. Für die Hörprüfung bei Hunden ist es von Wichtigkeit, dass man die Thiere, wenn ich mich so ausdrücken darf, freundlich behandelt und sie an sich gewöhnt. Nur so kann man es erreichen, dass dieselben sich im Laboratorium ruhig verhalten und sich hinlegen; denn nur, wenn die Thiere ruhig sind, hat die Hörprüfung Erfolg. Erst dann ist mit Sicherheit zu entscheiden, ob die leichten Hörreize (Schnalzen mit der Zunge, leises Pfeifen, Anrufen) vernommen werden, auf welche der normal hörende Hund jeder Zeit sofort reagirt. Versäumt man diese Vorsicht, kommen die Thiere nicht zur Ruhe, ich möchte sagen, zu einer behaglichen Empfindung, dann versagt die Hörprüfung oder aber man gelangt zu einer irrigen Auffassung über das Hörvermögen. Diese tauben Hunde sind nämlich, was ich schon in meiner eitirten Abhandlung bei Erwähnung der von dem dort beschriebenen Thiere ausgeführten brüsken Bewegungen angedeutet habe, sehr nervös. Sie können sich in ihrer Umgebung nur durch den Gesichtssinn genau orientiren, bewegen daher, um überallhin zu sehen, den Kopf schnell nach den ver- schiedensten Richtungen; und fällt eine solche Kopfbewegung mit einem Anruf oder dergleichen zusammen, so ist-man leicht geneigt, die Bewegung als eine durch Gehörsempfindung veranlasste aufzufassen. Schwieriger ist die Untersuchung bei Katzen. Sind diese Thiere jung, so sind sie zugleich so lebhaft und verspielt, dass mit ihnen ausserhalb des Käfigs eine Hörprüfung nicht vorgenommen werden kann. Man muss sie daher im Käfig beobachten, und zwar dann, wenn sie hier zusammengekauert liegen. Ich prüfte gewöhnlich so, dass ich an der Wand des Käfigs kratzte oder klopfte. Eine normal hörende Katze wird durch ein derartiges wenn auch noch so leises Geräusch sogar aus dem Schlafe erweckt; meine beiden Katzen reagirten selbst auf stärkere Geräusche nicht und zeigten eben dadurch den Mangel des Hörvermögens. Eine Fehlerquelle muss man aller- dings bei derartigen Untersuchungen vermeiden. Wenn sich das Thier nämlich so gelagert hat, dass es mit dem Körper eine Wand des Käfigs berührt, dann darf man an dieser Wand nicht kratzen. Denn die tactile Erregbarkeit der Thiere ist, so gross — ob gesteigert gegen die der normal hörenden möchte ich nicht entscheiden —, dass sie die leisen Erschütterungen 20 404 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Holzwand, welche durch das Kratzen u. s. w. veranlasst werden, durch die Hautsinnesnerven empfinden. Die so eintretende Reaction (Bewegung der Ohren oder des ganzen Körpers) kann dann leicht fälschlicher Weise als Ausdruck einer Gehörsempfindung betrachtet werden. Hörprüfungen bei normaler Weise so fein hörenden Thieren, wie Hund und Katze, dürfen immer nur mittelst schwacher Geräusche oder Töne vorgenommen werden. Wenn Thiere, die nach so angestellten Prüfungen als taub erscheinen, bei sehr starken Geräuschen (heftigem Schreien, starkem Klopfen) Bewegungen machen, die auf einen Gehörseindruck zurückgeführt werden müssen, so hat das wenig zu bedeuten. Ganz abgesehen davon, dass „Harthörigkeit“ bei solchen Thieren vom Standpunkte der Lehre vom Kampfe um’s Dasein aus mit völliger Taubheit gleichbedeutend ist — Hunde bedürfen ausser dem Geruchssinne auch des Hörsinnes, und Katzen müssen nicht bloss scharfe Augen, sondern ebenfalls feines Gehör haben —, so kommen bei so starken Geräuschen, wie ich sie erwähnt, sicherlich noch gewöhnliche Erschütterungen hinzu, die namentlich von den feinfühlenden Katzen als tactile wahrgenommen werden dürften. Nur bei sorgfältiger Innehaltung aller Cautelen und Vermeidung aller Fehlerquellen kann man daher über das Hörvermögen solch unvollkommen albinotischer Thiere zu eindeutigen Resultaten gelangen. Bei den beiden tauben Katzen, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, ist mir eine Erscheinung aufgefallen, die eine besondere Erwähnung verdient. Beide nämlich, der gelbäugige Kater allerdings weniger als die blauäugige Katze, hatten ganz auffällig weite Pupillen,' während sonst bei Katzen die Pupille im Tageslichte bekanntlich nur einen schmalen Schlitz der Iris dar- stellt. Bei der blauäugigen Katze konnte ich dann durch daraufhin an- gestellte Beobachtungen constatiren, dass das Thier kurzsichtig war. Liess ich dasselbe nämlich sich ausserhalb des Käfigs frei bewegen und warf ich ihm, während es spielte, einen Papierball, ein Stück Semmel u. s. w. vor, so sprang es nach dem Gegenstande und sprang regelmässig zu kurz. Gleichgültig, ob es vom Boden oder von einer mehr oder minder beträcht- lichen Erhöhung aus nach seinem ziemlich nahe liegenden Spielzeug sprang, ausnahmslos verfehlte es dasselbe, ausnahmslos war der Sprung zu kurz. Das aber lässt sich nur durch die Annahme von Kurzsichtigkeit erklären, denn normalsichtigen Katzen passirt das nie oder nur sehr selten, und dann nur bei weiten Sprüngen. Ob auch bei den Hunden, welche ebenfalls stets ganz ungewöhnlich weite Pupillen hatten, Kurzsichtigkeit vorhanden war, vermag ich nicht zu sagen. Es war mir nicht möglich, eine Versuchs- anordnung zu treffen, welche sicher zu eindeutigen Ergebnissen geführt hätte, wenn auch die Prüfungen, die ich angestellt (Vorbeiwerfen eines Stückes Fleisch z. B.), die Kurzsichtigkeit wahrscheinlich machen. Die anatomische Untersuchung der Gehörorgane der betreffenden Thiere ergab überall eine hochgradige Atrophie beider Schnecken, die sich schon äusserlich durch eine beträchtliche Abflachung der cerebralen Wölbung des Schläfenbeines documentirte. Die Gehörknöchelehen waren nirgends, wie ich Anfangs irriger Weise annahm, ankylotisch (was ich übrigens schon bei ! Das Pigment der Uvea dieses letzteren Thieres war so schwach entwickelt, dass bei schrägem Lichteinfall das ganze Auge roth erschien. Ich fand einen solchen rothen Schimmer auch häufig bei den hellblauen Hundeaugen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — B. RAwITz. 405 meiner früheren Publieation richtig stellte), sondern zeigten normale Beweg- lichkeit. Eine histologische Untersuchung habe ich bisher noch nicht vor- nehmen können. An den Gehirnen zeigte sich überall eine Reduction der Munk’schen Hörsphäre, also des Schläfenlappens. Und zwar waren von der Atrophie der caudale Abschnitt der ersten und der der dritten Schläfen- windung betroffen, von denen an einzelnen Gehirnen namentlich der der ersten Schläfenwindung fast völlig geschwunden war. Der caudale Abschnitt der mittleren Windung dagegen zeigte nur wenig oder gar keine Reduction. Im Allgemeinen war der Lobus temporalis flacher als der eines normal hörenden Thieres. Der Acusticus war überall hochgradig entartet. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass auch der aus dem Zuntz’schen Laboratorium stammende Hund die erwähnten Veränderungen zeigte, was sich mit der bei ihm constatirten Hörfähigkeit nicht gut vereinen lässt. Bezüglich der Correlation zwischen unvollkommenem Albinismus und Taubheit lehren die vorstehend mitgetheilten Beobachtungen meines Er- achtens Folgendes: Es ist nieht nothwendig, dass der Albinismus des Felles ein vollkommener ist; eine Sprenkelung desselben nicht nur, sondern auch ein Uebergang zum Chrysismus, d. h. zur gelben Farbe! und auch eine nur unvollkommene Abblassung des Irispigmentes (also gelbe Iris, vgl. Hund 3 und Kater 5) geben die Correlation mit Taubheit. Beim Chrysismus haben wir zwei Arten zu unterscheiden. Die eine Art desselben tritt auf als Anpassung an die Existenzbedingungen, z. B. beim Löwen, und ist ebenso wenig als eine Entartung zu betrachten, wie das Auftreten eines weissen Felles bei polaren Thieren. Hier bei letzteren, bei denen die Farblosigkeit ebenfalls als Anpassungserscheinung zu erklären ist, dürfte daher die Bezeichnung „Albinismus“ als unzutreffend sich erweisen und der von Hahn hierfür verwandte Terminus „Leucismus“ besser sein. Mit Albinismus wären demnach nur degenerative Vorgänge zu benennen. Der Chrysismus dagegen, welcher sich bei domestieirten Thieren zeigt, ist sicherlich, eben weil er nichts mit Anpassung zu thun hat, das Zeichen einer Entartung und dann wohl als die unmittelbare Vorstufe des Albinismus zu betrachten, worauf auch sein gleichzeitiges Vorkommen mit Albinismus hinweist (vgl. 3 und 5). Beim Chrysismus ist noch ein Rest von Pigment vorhanden, aber eben nur ein Rest, und dieser reicht nicht hin, wenn er in der Haut sich findet, bei blauen Augen, also an sich farbloser Iris, oder, wenn er in der Iris vorkommt, bei weissem Fell die Correlation mit Taub- heit zu verhindern. Dass Taubheit bei Hunden und Katzen auch ohne unvollkommenen Albinismus vorkommen kann — ob sie beobachtet ist, weiss ich nicht —, ist möglich; eine solche Taubheit wäre aber keine Offenbarung einer Cor- relation, sondern eine pathologische Erscheinung. Dass aber bei Carnivoren, und, wenn ich recht unterrichtet bin nur bei diesen, unvollkommener Albinis- mus (gelegentlich auch Chrysismus) sich immer oder fast immer (wenn wir den Zuntz’schen Hund berücksichtigen) mit Taubheit verbindet, das ist eine Correlation, deren Existenz die vorstehenden Mittheilungen definitiv erhärten, deren Räthselhaftigkeit sie aber nicht zu lösen vermögen. ! Ich acceptire diesen, wenn ich nicht irre, von Hahn (vergl. meine eitirte Ab- handlung) herrührenden, durchaus treffenden Ausdruck zur Bezeichnung der gelben Färbung. 406 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 2. Hr. ©. BenpA hält den angekündigten Vortrag: Neuere Mitthei- lungen über die Histiogenese der Säugethierspermatozoen. Die Spermatogenese der Säugethiere ist in der letzten Zeit wieder der Gegenstand mehrfacher Arbeiten gewesen, und da möchte auch ich wieder einmal nach längerer Pause Veranlassung nehmen, dieses Thema hier zu besprechen, um in einigen Punkten meine Priorität zu wahren, einige An- sriffe abzuwehren, einige meiner Resultate zu modifieiren und durch neuere Beobachtungen zu ergänzen. Ich beschränke mich heute auf die Histio- gsenese und werde die Besprechung nach den Hauptabschnitten, die sich bei dieser Betrachtungsweise jetzt am Spermatosoma ergeben, eintheilen. Diese Abschnitte sind 1. die Gebilde des vorderen Pols, 2. der Kopf, 3. der An- satz und der Axentheil der Geissel, 4. der Geisselmantel. 1. Dieser Abschnitt war der Hauptinhalt meiner letzten Mittheilung in unserer Gesellschaft! auf die ich besonders hinweisen muss, da sie bisher übersehen worden zu sein scheint. Ich erbrachte Ihnen damals den Nachweis, den ich mit Praeparaten und Photogrammen belegte, dass Spitzenknopf und Kopfkappe des Säugethier-Spermatosoma Abkömmlinge des Archiplasma der Spermatide darstellen. Ich beschrieb die Sonderung des Archiplasma in eine scharf umgrenzte Vacuole, die ein Korn enthält, und eine die Vacuole umlagernde Lunula. Die Lunula trennt sich von der Vacuole und rückt in den distalen Zelltheil. Die Vacuole lest sich dem proximalen Pol des Spermatidenkernes an, das Korn tritt an die Kernperipherie. Letzteres wird zum Spitzenkopf, die Vacuole plattet sich ab und ihre Wand bildet die Kopfkappe. Ich erwähnte das abweichende Verhalten bei Meerschweinchen und Eichhörnchen, wo die ganze Vacuole von einer dem Spitzenknopf analogen Masse ausgefüllt ist. Ich berichtete, dass ich mich an vorläufigen Praeparaten von ähnlichen Verhältnissen bei Vögeln, Reptilien, Amphibien überzeugt habe und sprach die Ver- muthung über die Betheiligung dieses Archiplasmaderivats bei der Bildung der Attraktionssphäre im befruchteten Ei aus. Später beschrieb ich? die Verhältnisse bei Vögeln und Reptilien etwas genauer. Die Chancen dieser Beobachtungen waren zuerst sehr ungünstig. Bald darauf erschienen R. Fick’s treffliche Beobachtungen über die Befruchtung der Axolotleies,? die wenigstens betreffs meiner physiologischen Speculationen die directe Widerlegung zu enthalten schienen, indem dort nachgewiesen wurde, dass die Sphärenstrahlung beim Axolotlei vom Mittelstück des Spermatozoons aus- geht. Ich war und bin von dem gleichartigen Bauplan der Amphibien- und Säugethierspermien soweit überzeugt, dass ich unter dem Eindruck der Fick’schen Praeparate auch an der Bedeutung meiner erwähnten Beobach- tungen zweifeln musste. Neuerdings haben sich aber die Aussichten etwas gebessert. Ich kann behaupten, dass die Arbeiten von Moore* und ©. Niessing,? besonders aber eine vorläufige Mittheilung von v. Lenhossek alle meine thatsächlichen Angaben fast wörtlich bestätigen, allerdings meist. ohne Nennung meines Namens, oder höchstens mit Citirung der zweiten, die ! Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1891. S. 549. ® Verhandlungen der anatom. Gesellschaft. 1892. ® Zeitschrift für Zoologie. 1893. Bd. LVI. * Internationale Monatsschrift für Anatomie. 1894. ° Archiv für mikroskopische Anatomie. 1897. Bd. XLVII. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, — 0. BENDA. 407 Sauropsiden betreffenden Arbeit. Auch eine vorläufige Mittheilung von Mewes über Salamandra, sowie eine Arbeit von Moore über Elasmobranchier! stehen mit meinen Angaben gut im Einklang. Auf die abweichenden Deutungen dieser Autoren werde ich erst unten eingehen. Von abweichenden Befunden möchte ich Folgendes besprechen. Niessing beschreibt ein Centrosoma und strahligen Bau des Archiplasma in den Spermatocyten, Lenhossek das eonstante Vorkommen von zwei Centrosomen in denselben. Beides kann ich auch jetzt nicht zugeben, sondern finde wie Moore in den Spermatocyten die Centrosomen meist vom Archiplasma getrennt. Niessing und Moore lassen in den Spermatiden die Vacuole (die Niessing als „glashellen Körper“ bezeichnet) und das Spitzenknopfkörnchen aus Confluenz vieler derartiger Bildungen entstehen. Ich habe wie v. Lenhossök gewöhnlich nur eine Vacuole oder — wie v. Lenhossek es richtiger als ich bezeichnet — nur ein Bläschen mit einem Korn finden können. Zwei Bläschen mit je einem Korn hatte ich als Ausnahmefall schon früher bei der Ratte gefunden und ein solches Bild photographirt. Bei neuer Durchsicht meiner Praeparate sehe ich in meinen Eichhörnchenschnitten häufig die Moore-Niessing’schen Bilder, kann mich aber noch nicht entschiessen, welches Verhältniss ich für das normale halten soll. Für das Meerschweinchen möchte ich noch fest- stellen, dass ich meine frühere Beschreibung dahin verbessern muss, dass das Korn nicht die ganze Vacuole ausfüllt, sondern dass doch auch dort wenig- stens ein schmaler, wahrscheinlich von Flüssigkeit ausgefüllter Raum das sehr srosse Korn von der Bläschenmembran trennt. Ich habe ferner die Archiplasmavacuole jetzt bei den menschlichen Spermatiden sowie bei denen des Beutelfuchses (Phalangista) wiedergefunden. Bei beiden ist das Spitzen- knopfkorn äusserst klein, ebenso bei Raubthieren (Hund, Katze), Insectivoren (Igel), Wiederkäuern (Stier). Gross ist es nur von den untersuchten Arten bei Cavia, Seiurus, und allenfalls, obwohl erheblich kleiner bei Sus. Ueber die weiteren Umwandelungen habe ich meinen früheren Mittheilungen, die in allen Punkten von den Nachuntersuchern bestätigt sind, nichts hinzu- zufügen. Bei Phalangista ist durch die weiter zu beschreibende Drehung des Kopfes das Schicksal der Vacuole schwer zu verfolgen. Mir scheint, dass sie sich vornehmlich der proximalen Plattenoberfläche des Kopfes anlegt, und in dem Ausschnitt des Kopfes, der seinem. eigentlichen Vorderpol entspricht, einen kleinen zungenartigen Zipfel oder Sporn bildet. Beim Menschen ist der Vorgang wegen der Kleinheit der Verhältnisse schwer zu verfolgen. So viel ich sehe, legt sich hier das Bläschen etwas seitlich an den proximalen Kornpol und schmiegt sich unter starker Verkleinerung bei der Prüfung der Fläche des zungenförmigen Vorderpoles der Spermie an. 2.)Die Entstehung des Spermienkopfes aus dem Zellkern gehört mit zu den am einheitlichsten dargestellten Abschnitten der Spermienhistogenese. Ich möchte mir aber den Hinweis gestatten, dass, soweit fragliche Punkte vorlagen, die von mir? gegebenen Darstellungen, soweit die Kopfent- wickelung darin berührt ist, im Recht geblieben sind. Ich will nament- lich meine Tafel, die ich bisher nirgends citirt gefunden habe, etwas der Be- 1 Anat. Journ. of mikr. Sc. 1895. ? Archiv für mikroskopische Anatomie. 1886. Bd. XXX, Taf. V und ferner Oentralblatt für Physiologie und Pathologie der Harnorgane. 1890. Jahrg. I. 408 VERHANDLUNGEN DER BERLINER rücksiehtigung empfehlen. So viel ich weiss, ist dort zum ersten Mal für eine grössere Reihe von Säugern der Nachweis geführt, dass der Umwand- lungsvorgang des Spermatidenkerns ein sehr einfacher und continuirlicher ist, während sonst noch auch nach meiner Veröffentlichung manche leicht ent- stehenden Artefacte in den Entwickelungscycelus eingereiht wurden. Solche Formen finden sich noch in breiter Berücksichtigung in den Arbeiten von Fürst über Beutelthiere, von Hermann über die Maus, von Georg Nies- sing über den Stier, so dass ©. Niessing wenig Ursache hat, diese Arbeit als hierfür maassgeblich zu ceitiren. Die Theilung des Kernes in einen chromatinhaltigen und chromatinlosen Theil wurde von den genannten Autoren noch als ein wichtiges Glied der Kernmetamorphose aufgefasst. Demgegen- über ‘wurde von mir in meiner erwähnten Arbeit, sowie bei weiteren Be- sprechungen des Themas Folgendes betont: Die Chromatinmasse des Sperma- tidenkernes sammelt sich in der Kernperipherie zu einer Kapsel oder Blase, der Kern wird zunächst ellipsoid und geht dann unter Abplattung und Schwund des Binnenraums in die endgültige Kopfform über. Dieser einfachste Weg findet sich etwa beim Kaninchen, eine besondere Modification dieser Form zeigt die Gattung Mus, wo aus der ellipsoiden Form eine etwas gebogene Aussackung der Vorderspitze hervorgeht und dann eine seitliche Abplattung erfolgt. Besonders bin ich auch schon früher auf die Eigenthümlichkeiten eingegangen, die die Entwickelung des distalen Pols bei vielen Species zeigt. Hier tritt, verbunden mit der gleich zu besprechenden Entstehung der Schwanzblase die Abgrenzung eines kuppenförmigen Theiles des zur Zeit eine elliptische Blase darstellenden Kernes in Erscheinung. Die Kuppe macht eine Ver- diekung der Chromatinschicht, verbunden mit einer der des übrigen Kernes vorauseilenden Verkleinerung durch, so dass sie zuerst kegel-, dann zapfen- förmig in die Schwanzkappe hineinragt. Betreffs ihrer endgültigen Ver- wendung änderte ich mehrmals meine Ansicht. Ich entschied mich aber in meiner letzten Mittheilung? dahin, dass ich den feinen Sockel, der bei einer Anzahl vor Spermatozoen die Geissel trägt, und dem von Jensen als Hals bezeichneten Abschnitt entspricht, daraus herleite. Diese Metamorphose habe ich schon in meiner erwähnten Tafel bei Stier, Hund, Katze abgebildet. Sie findet sich auch bei Meerschweinchen und Eber ausgeprägter, als es dort dargestellt ist, und ist selbst beim Kaninchen angedeutet. Sehr ausgeprägt ist sie beim menschlichen Spermatozoon. Keine deutliche Ausbildung dieses Abschnittes findet sich bei der Gattung Mus und bei Phalangista. Die Umbildung des Kopfes bei Phalangista, die ziemlich schwierig zu verfolgen ist, möchte ich hier kurz anschliessen. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit über dieses, schon seit dem Jahre 1889 in meinem Besitz be- findliche Material zu sprechen, welches ich damals durch die Güte meines entschlafenen Chefs E. du Bois-Reymond erlangte und selbst lebensfrisch conservirt habe. Die ersten Umwandlungen des ziemlich grossen Spermatiden- kernes entsprechen denen aller anderen Species, auch ihre Lagerung ist die gleiche, indem der vordere Pol der Canälchenwand, der hintere dem Lumen zugewandt ist. Der Kern verkleinert sich beim Uebergang in die ellipsoide Form sehr schnell, so dass hier die Chromatinkapsel eine erhebliche Dieke besitzt und sich entsprechend intensiver färbt als bei anderen Species. Nach ! Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1891. S. 549. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. 409 dem ellipsoiden Zustand zeigt sich eine etwas intensivere Färbung des distalen Abschnittes, ohne dass es zu einer ausgeprägten Kuppenform kommt. Von nun beginnt eine Abflachung, die aber im Verhältniss zu der allgemeinen Volumenverkleinerung des Kernes geringfügig bleibt und gleichzeitig prägt sich eine Zuspitzung und eine Einbuchtung des vorderen Pols aus. So ent- wickelt sich die Form eines Hufeisens oder Bügels (Selenka), dessen con- caver Rand dem convexen nicht parallel läuft, sondern einen Winkel statt des Bogens bildet. Die Convexität entspricht, soweit ich verfolgen kann, genetisch dem hinteren, die Einbuchtung dem vorderen Pol. Dieses Verhältniss wird aber durch eine eigenthümliche Drehung des Kopfes um seine quere Axe sehr complieirt. Diese Drehung beginnt nach dem ellipsoiden Stadium, und vollzieht sich derartig, dass der hintere Kernpol zuerst auf die gleiche Höhe mit dem vorderen, und nachher sogar ein wenig proximal von demselben rückt. Der Kern stellt sich also im Ganzen quer oder in verkehrter Richtung schräg innerhalb der Spermatide und seine Längsaxe bildet mit dem Geisselursprung zuerst einen gestreckten, dann einen rechten, schliesslich gar bisweilen einen spitzen Winkel. Der Geisselansatz rückt ganz auf die nunmehr nach hinten gerichtete Fläche des Bügels herum und beim reifen Spermatozoon steht die Längsaxe des Kopfes etwa senkrecht zu der der Geissel. Soweit ich mich meiner Beobachtungen der lebenden Spermie erinnere, wird diese Stellung bei der Bewegung und wahrscheinlich auch bei der Function innegehalten. Die Kopfmetamorphose des Menschen schliesst sich besonders derjenigen des Katers sehr nahe an. Die Kuppe ist deutlich ausgebildet. Eine Ab- flachung des reifenden Kopfes findet nur in geringem Grade statt. Bei allen Metamorphosen der Säugethierspermatiden ist eine beträcht- liche Reduction des Kernvolumens zu bemerken; wenn der reife Kopf in einer Dimension die Kerngrösse erreicht oder überschreitet, ist dafür sicher in anderen Dimensionen eine desto beträchtlichere Verkleinerung feststellbar; die scheinbar so grossen Spermienköpfe von Cavia, von Sceiurus sind ausser- ordentlich dünn; die langen der Ratte sind verschmälert. Ich erwähne dies, weil C. Niessing eine Verkleinerung der Kerne beim Meerschweinchen bei Besprechung der Schwanzblasenentstehung in Zweifel zieht. Hier ist nun auch die Bildung der Schwanzblase zu erwähnen, die genetisch mit dem Kern Beziehung hat, deren Umwandlung aber allerdings erst bei der Geissel besprochen werden kann. Dieselbe geht nach allgemeiner Anschauung aus der achromatischen Kernmembran hervor. Ihre Entstehung hängt mit der Verkleinerung des Kernes, mit dem Vorsprossen des Schwanzes zusammen, aber ich stimme C. Niessing bei, dass das nicht zu ihrer Rr- klärung genügt; sie zeigt vielmehr eine selbstständige progressive Ent- wickelung und wächst weit über das ursprüngliche Gebiet der Kernmembran hinaus. 3.) Ich komme nun zu dem Theil, auf den sich hauptsächlich meine neueren Untersuchungen beziehen, und in dem ich manches meiner älteren Angaben zu berichtigen habe, zur Geisselbildung. Nachdem ich in meiner ersten Ar- beit die Geissel vom Kern ableitete, habe ich mich später in der Hanptsache F. Hermann! angeschlossen, der sie aus einem besonderen Nebenkörper 1 Archiv für mikroskopische Anatomie. 1889. Bd. XXXIV. 410 VERHANDLUNGEN DER BERLINER entstehen liess. Dieser Körper ist erst von Hermann vollauf gewürdigt worden, nachdem ihn Flemming allerdings in späteren Umwandelungs- stadien schon früher bemerkt hatte. Hermann sah ihn beim Salamander aus einem färbbaren Korn, einem färbbaren Ring und einer farblosen Kugel bestehen. Aus dem Korn sollte der Axenfaden der Geissel hervorsprossen, nachdem er mit der Kernperipherie verschmolzen war. Der Ring sollte den Flossensaum bilden, die Kugel zu Grunde gehen. Bei der Maus fand Hermann nur ein Analogon des Kornes und der nicht färbbaren Kugel, denen er die gleiche Function wie beim Salamander zuschrieb. Er deutet kurz an, dass er den gesammten Nebenkörper in Be- ziehung zu der Attractionssphäre und den Centrosomen setzt. Hermann’s nicht färbbare Kugel entspricht meinem „Archiplasma“, dessen von Her- mann übersehene Verwendung beim Aufbau der Spitzengebilde ich darlegte. Den übrigen von Hermann verfolgten Theil fasste ich als „ehromatoiden Nebenkörper“ vorerst morphologisch zusammen, ohne mir über seine Genese ein bestimmtes Urtheil bilden zu können. Es ist aber aus allen Stellen, an: denen ich diesen Punkt berühre, klar zu ersehen, dass von mir, wie vor mir von Hermann die Frage erörtert wird, ob im chromatoiden Nebenkörper die Centrosomen nachweisbar enthalten sind. Ich komme erst später auf die genetische Bedeutung des Nebenkörpers zurück. Ueber seine Verwen- dung kam ich damals zu einem ähnlichen Resultat wie Hermann beim Salamander. Ich bemerkte aber, dass auch bei den Säugern eine zweifache Zusammensetzung des färbbaren Körpers zu beobachten ist, und dass nur ein Theil als Endknopf der Geissel verwendet wird, der andere, beim Meer- schweinchen ringförmig, zur Bildung des Spiralfadens und der Jensen’- schen Endplatte des Verbindungsstückes in Thätigkeit tritt. Moore lässt den Axenfaden aus dem Kern, unabhängig vom Nebenkörper entstehen, nachher aber letzteren sich anlegen, und theilweise bei der Geisselbildung. mit wirken. Niessing lässt den Axenfaden aus dem Kern entstehen, den Nebenkörper bei den Hüllen und der Schlussplatte Verwendung finden. Nach v. Lenhossek entsteht der Axenfaden aus den Üentrosomen schon bevor sie dem Kerne anlagern, der chromatoide Körper findet bei der Hüllenbildung der Geissel Verwendung. Er lehnt sich damit der Auffassung an, die Mewes jüngst für den Salamander vertreten hat. Ich habe diesen Punkt von Neuem geprüft. Ich halte daran fest, dass der Nebenkörper der Spermatide zuerst einen complieirteren Bau zeigt, und dass der Körper, den v. Lenhossek mit diesem Namen belegt, nicht identisch mit dem ist, was ich so bezeichnet habe. Mein chromatoider Körper schliesst eben das mit ein, was v. Lenhossök als Centrosoma auffasst, und v. Lenhossek’s chromatoider Körper stellt nur die Hälfte des meinigen dar, die nach seiner Theilung übrig bleibt. Der ursprüngliche complicirte Nebenkörper erscheint, bevor er dem Kern angelagert ist, manchmal ziemlich lang gestreckt. Ich kann mich aber nicht überzeugen, dass bei den Säugethieren von irgend: einem, vom Kern getrennten Zellgebilde der Axenfaden auswächst, wie es Mewes beim Salamander, v. Lenhoss&k bei der Ratte beschreibt, dagegen glaube ich manchmal recht deutlich ein vom Kern ausgehendes Fädchen erkannt zu haben, bevor der Nebenkörper dem Kern angelagert ist. Das würde also für die Auffassung von Moore und Niessing sprechen, nach der das eigentliche Aussprossen des Axenfadens doch ausschliesslich vom PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (Ü. BENDA. 411 Kern ausgeht. Jedenfalls muss sich aber der Nebenkörper fast unmittelbar danach mit dem Axenfaden in Beziehung setzen, denn gewöhnlich erkennt man ein ihm zugehörendes Korn im Anfangstheil der Geissel als Endknopf, wie es Hermann und ich früher beschrieben haben." Der übrige Theil der Nebenkörpers hat bei den einzelnen Species der Säuger einen etwas ver- schiedenen Bau, wie C. Niessing ganz richtig erkannt hat; die Ringform beim Meerschweinchen habe ich allerdings selbst vor ihm gesehen, der kugelige Theil des Nebenkörpers der Ratte ist sogar schon auf meiner Taf. V? an- gedeutet. Dieser zweite Abschnitt des Nebenkörpers rückt erst kurz vor der Reifung der Spermie vom Endknopf ab, und findet sich dann am Ende der Schwanzblase als Jensen’sche Scheibe, wie beim Meerschweinchen, beim Menschen, oder ist nicht mehr als eigenes Gebilde nachweisbar wie bei Mus. Ich muss aber jetzt besonders meine Behauptung zurücknehmen, dass der Ring mit der Bildung des Spiralfadens zu thun hat. Alle Ab- schnitte des Nebenkörpers liegen stets innerhalb der Schwanzblase, während die Spirale, wie ich jetzt sicher erkannt habe, sich ausserhalb der Schwanz- blase bildet. Bei Phalangista ist der Nebenkörper äusserst klein. Ich habe ihn nur in den neugebildeten Spermatiden und den ersten Umwandlungs- stadien erkennen können, doch war allerdings die Conservirung hierfür nicht ganz geeignet. ( 4.) Meine ganz besondere Aufmerksamkeit habe ich der Bildung des Spiral- fadens zugewandt. Schon seit dem Frühjahr 1894 zeigte ich mehrfach einige Praeparate von der Maus, in denen der Spiralfaden in selten scharfer Zeichnung dargestellt ist. Die Praeparate waren in der Weise hergestellt, dass nach sehr intensiver Härtung mit Hermann’scher Lösung, nachfolgender Reduction mit 25 procent. Ameisensäure, Paraffineinbettung, die Weigert’sche Mark- scheidenfärbung angewandt war. Die Spiralen zeigten sich hier intensiv schwarz, der Faden war in allen seinen Drehungen, mit jeder kleinen Un- regelmässigkeit, die bisweilen durch Ausziehen der Spirale auftritt, zu ver- folgen. Meine Hoffnung, aus diesen Praeparaten die Genese der Spirale zu verfolgen, erfüllte sich zuerst nicht. Die Zellen erschienen wie bestäubt mit kleinen schwarzen Körnchen, die ich für Osmiumniederschläge hielt. Erst seitdem es mir mit einer Methode, die ich noch geheim halten möchte, gelungen ist, diese Körnchen, sowie die Spiralen auch mit Anilinfarben zu färben, und so von den osmirten Fetttröpfehen, die auch, wie besonders v. Ebner? zeiste, in den Spermatiden vorkommen, zu unterscheiden, ist mir ihre Beziehung zur Entstehung der Spirale klar geworden. Diese Körnchen, - die vielleicht mit den neuerlich von Reinke? und von Flemming in jungen Bindegewebszellen gefundenen identisch sind, sind in allen Hodenzellen ent- halten. In den Fusszellen bilden sie sehr zarte Reihen, die wahrscheinlich innerhalb der Copulationsfäden liegen. In den germinativen Zellen sind sie in den Vorstadien (Spermatogonien, Spermatocyten) spärlich; sie sind hier oft in streptokokkenähnlichen Fäden oder vereinzelt in der Umgebung des Kernes ver- theilt, das Archiplasma ist frei davon. Ir den Spermatiden liegen sie gleich nach ihrer Bildung reichlieh und scheinen während der Metamorphose an 1 Archiv für mikroskopische Anatomie. 1886. Bd. XXX. ” Ebenda. Bd. XXXI. ? Ebenda. Bd. XLIIl. * Dies Archiw. Anat. Abthlg. 1897. 8. 171. 412 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Menge zuzunehmen. Sie rücken sämmtlich in den distalen Zelllappen, wo sie während der ersten Stadien regellos vertheilt sind. Nachdem der Kopf seine volle Ausbildung erlangt hat, ist mit jeder guten Conservirung noch der vollständige Zellleib der Spermatide distal vom Kopfe zu erkennen. Er ist dann bei den verschiedenen Species in sehr verschiedenem Grade ver- längert, mit einer kolbenartigen Verdickung des distalen Endes. Bei der Gattung Mus sind diese Kolben sehr lang, meist kaum in ihrer ganzen Länge im Schnitte zu treffen. Erheblich kürzer und leichter zu erkennen sind sie bei Cavia, am kürzesten bei Raubthieren und beim Menschen. Sie sind dann vom Axenfaden durchlaufen, der von der Schwanzblase bis nahe an die Zellgrenze umgeben ist. Bei Anwendung meiner Körnchen- färbung findet man nun in diesem Stadium die Schwanzblase aussen von Körnehen dieht überdeckt, während der Rest des Spermatidenleibes als eine helle Blase darum hängt. Diese Körnchen liegen zuerst ganz unregelmässig gehäuft. Während der Loslösung der Spermien von den Fusszellen erkennt man zwischen den unregelmässigen Haufen einige scharfe Querlinien von derselben Farbe, wie die Körnchen. Bei einigem Suchen findet man sämmt- liche Uebergänge bis zu einer regelmässigen Spirale, die beim Hervortreten der Spermien in’s Lumen das Verbindungsstück umkreist, während vom. Spermatidenleib nur noch der bekannte bläschenförmige Anhang übrig ist. Bei den im Canälchenlumen, sowie im Nebenhoden liegenden, ganz reifen Spermien ist auch mit meinen Färbungen die Spirale nicht mehr erkennbar, die Hülle des ganzen Verbindungsstückes färbt sich gleichmässig, aber etwas blasser mit der Körnchenfarbe. Ich habe die Färbungsbedingungen am Mäusehoden ausprobirt; sonst habe ich noch nicht viel Zeit gehabt, neues Material für diese Untersuchung vorzubereiten, sondern nur mein fertiges auf seine Eignung für meine Methode geprüft. Da hat sich nun mein Phalangistamaterial für diesen Zweck besonders glücklich eonservirt erwiesen, und ich habe dort sehr reine und scharfe Färbungen der Körnchen erhalten. Ich habe sie ferner bei Seiurus, Sus und beim Menschen dargestellt, so dass ich sicher bin, ein allgemein gültiges Verhältniss der Spiralfadenbildung der Säugethiere gefunden zu haben. Ich möchte nun an meine Befunde einige physiologische Folgerungen anknüpfen. Ich bespreche zuerst die genetische Bedeutung der in den Bau der Spermie eintretenden Nebenkernbestandtheile, eine Betrachtung, die auch über den Werth dieser Theile für die Befruchtung Schlüsse zulassen muss. Ich erwähnte bereits, dass ich schon in meiner ersten Mittheilung über das Archiplasma diese Frage berührt habe. Nach meinem damaligen Standpunkt erschien mir die Betheiligung von Centrosomen am Aufbau des chromatoiden Nebenkörpers unwahrscheinlich, und ich vermuthete in den Archiplasma- derivaten des Vorderpols den Ausgangspunkt der gesammten Attraetionssphäre des befruchtenden Spermakernes. Diesen Standpunkt hielt ich auch in meiner zweiten Mittheilung über die Sauropsiden fest, lenkte aber bei einer Unter- suchung über die Kerntheilungen des Salamanderhodens! besonders auf Ver- anlassung der Fick’schen Arbeit etwas ein, indem ich die Möglichkeit zugab, dass der Nebenkörper aus Centrosoma und Flemming’schen Zwischen- körperchen hervorgehe. Den zweiten Theil dieser Vermuthung muss ich ı Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft. 1893. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. 415 jetzt jedenfalls zurücknehmen; ich muss die Bilder, die mir eine Theilung des Zwischenkörperchens bei der letzten Spermatocytentheilung ergaben, und aus denen ich somit auf einen Eintritt von Zwischenkörperchensubstanz in die Spermatide schloss, als Ausnahme betrachten. Von den neueren Unter- suchungen verlegt nun Moore das Spermocentrum in den Spitzenknopf, obgleich er die Centrosomen am hinteren Pol findet. C. Niessing betrachtet das Spitzenknopfkorn als Centrosoma (Mitosom). v. Lenhoss&k verlegt die Sphäre in den Vorderpol, die Centrosomen in den hinteren Pol, entsprechend den Resultaten, die Mewes am Salamander fand, während Moore aus- drücklich einen Unterschied zwischen Säugern und Amphibien statuirt. Ich habe diese Frage immer wieder auf's Neue geprüft. Ich muss gegen v. Lenhossek daran festhalten, dass auch bei den Spermatocyten die Centro- somen gewöhnlich von der Archiplasmakugel getrennt liegen. Bei den Theilungen der Spermatocyten gelang es mir nicht, sichere Bilder von dem Verbleib der Centrosomen in den neugebildeten Spermatiden zu gewinnen. Ich will aber zugeben, dass nach dem tinctoriellen Verhalten die Verwandt- schaft des Hermann’schen Nebenkörpers, soweit er von mir als chromatoid gekennzeichnet wurde, mit Centrosomen einleuchtet. Auch mit der Centro- somenfärbung M. Heidenhain’s — ich verstehe darunter die Färbung von Sublimatpraeparaten mit meinem oder einem ähnlichen Eisenhämatoxylin — zeigt der Nebenkörper die Centrosomenreaction.e Ich möchte aber nicht entscheiden, ob er nun ganz und gar aus Üentrosomen besteht, oder noch andere Bestandtheile dazu treten. Im ersteren Falle müsste eine bedeutende Zunahme von Centrosomenmasse erfolgen, da der Nebenkörper sehr viel grösser ist, als je die Oentrosomen der germinativen Hodenzellen. Man darf unter dieser Voraussetzung annehmen, dass sich bei der Umwandlung der Spermie in den Spermakern das Archiplasma vom Vorderpol und die Centro- somen vom Hinterpol zum Spermacentrum vereinigen. Diese Vermuthung tauchte mir schon bei Betrachtung der Fick’schen Praeparate auf, in denen die Zusammenkrümmung des Spermatozoenkopfes und die Zusammenlagerung des vorderen und hinteren Kopfpoles wunderschön hervortritt. Ich will aber nicht verschweigen, dass College Fick diese Deutung damals zurückwies, und auch die Sphärenstrahlung vom Mittelstück ableiten wollte. Ich darf erwarten, dass die Befruchtungsbilder noch einmal von diesem Gesichtspunkt aus geprüft werden. Was meine Beobachtungen über den Spiralfaden betrifft, so möchte ich bemerken, dass ich in der Herleitung dieses Gebildes aus dem Zellprotoplasma, dem die „neuen Körner“ angehören, eine wichtige Stütze für seine functionelle Würdigung sehe. Ich habe schon einmal gegen Ballowitz Opposition gemacht, der den Axenfaden der Geissel für das contractile Organ erklärt. Ich habe damals! die Vermuthung ausgesprochen, dass eine protoplasmatische Bildung am Verbindungsstück das contractile Organ darstellen müsse. Ich stand damals noch auf dem Standpunkt, alle bisher bekannten Theile der Spermie aus dem Kern abzuleiten, und glaubte eine neue Entdeckung als Erfüllung meines Postulates abwarten zu müssen. Das ist meines Ermessens nunmehr überflüssig, und so schliesse ich mich C. Niessing an, der die Spirale für das contractile Organ der Säugethierspermien hält. Die Ein- ı Centralblatt für Harnorgane. 1. 414 VERHANDLUNGEN D. BERLINER PHYSIOL, GESELLSCHAFT. — (, BENDA. wände, die Ballowitz bereits gegen Niessing erhoben hat, scheinen mir nicht stichhaltig. Dass Spermien, die keine Spirale zeigten, ein anderes contraetiles Organ besitzen müssen, ist klar. Demgegenüber steht mein alter Einwand gegen Ballowitz, dass bei den einzigen Spermatozoen, deren Axenfaden wir genau beobachten können, denen der urodelen Amphibien, derselbe sicher unbeweglich ist. Dass bei absterbenden Spermatozoen, wenn die gewöhnlich starre Verbindung zwischen Kopf und Mittelstück erschlafft, die Contraetionen der Geissel bisweilen auch den Kopf gegen das Mittelstück beugen können, wie dies Ballowitz von Fledermäusen angiebt, erscheint mir eher als eine Stütze denn als eine Widerlegung unserer Ansicht. Viel bedenklicher als diese Einwände Ballowitz’ ist die Erwägung, die Niessing selbst macht, dass die Spirale bei der Reifung wieder verschwindet. Ich glaube aber, dass dieser Einwurf nicht zu schwer wiegt. Es ist kaum denk- bar, dass ein so scharf und zierlich aufgebautes Organ, wie der Spiralfaden, wirklich nur ein vorübergehendes Dasein während der Reifung führen sollte. Es ist wohl wahrscheinlicher, dass er fortbesteht, und nur seine differente Lichtbrechung und Färbbarkeit, durch die er sich anfänglich von seiner Umgebung abhebt, einbüsst. Diese selbe Erscheinung sehen wir auch an den anderen Theilen der Spermie. So verschwinden bei allen Wirbelthieren bei der Reifung die Unterschiede zwischen dem archiplasmatischen Spiess und dem vom Chromatin stammenden Kopfhauptstück, die vorher scharf ausgeprägt sind. Zu erwägen ist ferner, ob die Windungen der Spirale nicht zu eng liegen, um weitere Annäherungen bei der Contraction zuzu- lassen. Dies wäre nur zu entscheiden, wenn man die ganz reife Spirale sichtbar machen könnte; vorläufig bleibt es mindestens wahrscheinlich, dass durch eine weitere Verfeinerung des Fadens die Zwischenräume zwischen den Windungen wieder vergrössert werden. Allerdings wäre es auch denkbar, dass die Spirale als elastisches Organ den Antagonisten des contractilen darstellt. Auch dann wäre es aber unwahrscheinlich, dass sie diese Wirkung auf den Axenfaden ausüben könnte, da dessen Knickung bei den Geissel- schlägen stets hinter dem Ende der Spirale erfolgt. Man hätte also immer- hin das contractile Element im Mantel des Verbindungsstückes zu suchen, wo neben der Spirale kaum noch Platz für ein solches Organ ist. Die sichtbaren Veränderungen bei diesen Bewegungen sind so vieldeutig, dass sich kaum eine sichere Entscheidung der Streitfrage von Seiten der Beobach- tung für's Erste erwarten lässt. Die Contractilität des Spiralfadens bleibt eine Hypothese. Aber dieselbe erfüllt meines Erachtens das mechanische Postulat für die sichtbaren Bewegungen der Säugethierspermien. Sie wird gestützt durch den von mir geführten Nachweis der protoplasmatischen Abstammung des Spiralfadens, durch die sich letzterer den sämmtlichen uns bekannten contraetilen Gebilden angliedert. VAN 5 1898 Die Erregbarkeit verschiedener Stellen desselben Nerven. Von Prof. A. Beck. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Lemberg.) Bekanntlich hat die von Budge! entdeckte Thatsache, dass der Froschschenkelnerv an seinem centralen Theile erregbarer ist als an dem dem Muskel näher gelegenen Theile, Pflüger” zur Annahme geführt, dass der durch irgend einen Reiz im Nerven hervorgerufene Actionszustand während seines Verlaufes in der Nervenfaser lawinenartig anwachse. Diese Behauptung, obgleich von vielen Physiologen anerkannt, hat doch auf Widerspruch gestossen. Zu den Anfechtern der Pflüger’schen Theorie gehören vor Allem Heidenhain®? und Hermann.“ Die wichtigsten Vor- würfe, welche von dieser Seite Pflüger’s Theorie gemacht wurden, sind folgende: Die grössere Erregbarkeit am centralen Ende des ausgeschnittenen Frosehschenkelnerven könne als Folge einer künstlich durch die Anlegung des Querschnittes selbst hervorgerufenen Steigerung derselben an den dem Querschnitte nahe gelegenen Nervenstellen betrachtet werden. Jede Durch- schneidung eines Nerven an beliebiger Stelle steigere direct die Erregbar- keit derselben. Durch die Anlegung eines Querschnittes und Durchschneidung der Nervenäste werden Bedingungen geschaffen, welche elektrotonische Er- scheinungen am Nerven hervorrufen, die die Erregbarkeit näher dem Quer- schnitte ebenfalls steigern. Die ungleiche Dicke des Nerven verursacht eine Ungleichheit seines elektrischen Widerstandes, somit auch der als Reiz angewandten Stromstärke. ! Froriep’s Tagesberichte. 1852 ? Physiologie des Electrotonus. 1859. ® Studien des physiologischen Institutes zu Breslau. 1861. * Handbuch der Physiologie. 1879. Bd. Il. 416 = A. Beck: Nun lag es nahe, um Belege für oder gegen die Annahme Pflüger’s bringen zu können, somit vor Allem der erwähnten Einwürfe zu entgehen, die Prüfung der Erregbarkeit verschiedener Stellen solcher nicht durch- schnittener Nerven zu unternehmen, welche an einer bestimmten, wo- möglich grösseren Streeke ungetheilt, das heisst ohne Abzweigungen ab- zugeben, verlaufen und dabei dieselbe Dicke an der ganzen untersuchten Strecke besitzen. Dabei müssten diese Nerven, wenn auf ihre Erregbarkeit aus dem Verhalten der entsprechenden Endorgane (Muskeln) geschlossen werden sollte, entweder gar keine centripetalen Nervenfasern enthalten, oder jedenfalls keine solchen centripetalen Nervenfasern, deren Reizung auf dem Wege des Reflexes dieselben Endorgane in Thätigkeit setzen würden. Mit anderen Worten, es sollte kein Hinderniss im Wege stehen, an diesen Nerven die Versuche zu unternehmen, ohne dieselben vom centralen Nerven- system lostrennen zu müssen. Von diesen Gedanken geleitet, habe ich bereits vor 10 Jahren in Prof. Cybulski’s physiologischem Institute zu Krakau eine Reihe von Versuchen an dem Halssympathicus und am Nervus phrenieus bei Warm- blütern angestellt, deren Resultate in den Denkschriften der Krakauer Akademie der Wissenschaften 1888 veröffentlicht worden sind.! Da diese Arbeit, wie ich mich zu überzeugen bereits Gelegenheit hatte, einem grösseren Leserkreise nicht bekannt ist, ferner um meine neueren Versuche, über welche ich gegenwärtig zu berichten beabsichtige, verständ- licher zu machen, werde ich mir erlauben, den Inhalt der Arbeit hier an- zugeben und in die Methodik und die Resultate der Untersuchungen etwas näher einzugehen. Die Versuche am Halssympathicus wurden ausschliesslich an Katzen angestellt. Als Reiz wandte ich den Inductionsstrom an und es wurde die Wirkung des Reizes auf den Nerven mit Rücksicht auf seinen Einfluss auf den Pupillenerweiterer als Endorgan geprüft. Da aber der Halssympathicus durch einige rasch nach einander folgende Inductionsschläge viel leichter zu erregen ist, als durch einen einzigen, wenn auch starken Stromschlag, da ferner der Effect der Reizung mit spielendem Hammer des Induetionsapparates nicht nur von der Stromstärke (Rollen- abstand), sondern auch von der Dauer der Reizung und der Zahl der Strom- unterbrechungen abhängt, so musste, wenn über die Erregbarkeit des Nerven bei gleichbleibender (z. B. minimaler) Muskelcontraction aus der Stromstärke geschlossen werden sollte, eine Anordnung getroffen werden, die es ermöglichen würde, dass immer dieselbe Zahl von Inductionsschlägen während einer immer gleich bleibenden Zeitdauer den Nerven treffe. ! Referat im Centralblatt für Physiologie. 1888. ERREGBARKEIT VERSCHIEDENER STELLEN DESSELBEN NERVEN. 417 Zu diesem Zwecke habe ich den allgemein bekannten Pflüger’schen Hammer angewandt. Dieser Apparat wurde in den primären oder secun- dären Kreis des du Bois-Reymond’schen Schlittenapparates derart ein- geschaltet, dass nur während der Zeit des Herabfallens des Hammers der Nerv gereizt wurde. Diese Zeitdauer konnte in gewissen Grenzen Ver-, schieden gross genommen werden, blieb aber selbstverständlich in jedem einzelnen Versuche während der ganzen Dauer desselben ganz gleich und betrug im Allgemeinen !/, bis !/, Secunde. Die Zahl der Stromunterbrechungen, die während dieser Zeit den Nerven trafen, betrug 6 bis 8. Die Erregbarkeit des Nerven wurde nach der Reizschwelle geschätzt, indem derjenige Rollenabstand gesucht wurde, bei welchem die Reizung eine minimale Pupillenerweiterung hervorrief. Der Nerv wurde in den meisten Fällen nicht auf einer langen Strecke isolirt, sondern ich praeparirte ihn lediglich an zwei event. drei Punkten rein von seiner Umgebung los, wo die Elektroden untergelegt werden sollten. In einem kleineren Theile der Fälle wurde der Nerv an der ganzen zu untersuchenden Strecke losgelöst. Die Reihenfolge, nach welcher das Praepariren geschah, war verschieden, d. h. in einigen Versuchen wurde zuerst die proximale, dann die periphere, dann die dazwischen liegende Stelle geprüft, in anderen wurde eine andere Reihenfolge eingehalten. Die gereizten Stellen werde ich unten auf folgende Weise bezeichnen: C bedeutet die am meisten central, P die am meisten peripher gelegene Stelle, M event. 7, M, (in centrifugaler Richtung) die dazwischen liegenden gereizten Punkte. Aus elf Versuchen an 22 Nerven mögen folgende drei als Beispiel angeführt werden. Versuch Nr. IV. Kleine Katze. Der linke Halssympathicus wird nur an zwei Stellen, deren Abstand 20 “® war, lospraeparirt. Die Reizdauer betrug 0-15”, die Zahl der Schläge 7. VER ödlorzRollenabstand PR ee. AHORN, n o Linker Halssympathieus. Nervenstrecke wie des vorigen 20 "m, GE AHaneRollenabstand Me ar ES ne Br; n . Versuch Nr. VI Kleine Katze. Rechter Nerv an zwei 25 =” von einander entfernten Stellen abgelöst. Reizdauer und Zahl wie in Nr. IV. Re N SA Rollenabstand: Ta en 535 „ R Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 27 418 > A. Beck: Nach 5 Minuten erneuerte Reizung in umgekehrter Reihenfolge: 420 ®® Rollenabstand Ok sage aaa BR Fr 2.00, 42 ” £ Linker Nerv. Abstand der untersuchten Stellen von einander 30 ""; a) One een 320 ZusRollenabstand ERS EN. Ve >00. nn n : Nochmalige Prüfung bei entgegengesetzter Reihenfolge: DER Sen see 34.0 "ueRollenabsiand Oase u ee 300 h; ; Nochmalige Prüfung wie bei a): eo Omen. 300 nusRollenabstand Be E40) 5; : Versuch Nr. VI. Grosse Katze. Rechter Halssympathicus an einer grossen Strecke blos- gelegt, wurde an drei Stellen isolirt, deren Abstand von einander nahezu 20 "m betrug und welche in centrifugaler Reihenfolge gereizt wurden. O3 IFRollenabstand Mr Be Ba 38,0 ” Das a ee 430 er Der linke Nerv wurde auf dieselbe Weise wie der rechte geprüft, mit dem Unterschiede, dass die Reizung in entgegengesetzter Reihenfolge (d. h. zuerst die periphere Stelle, dann die Mitte, zuletzt die proximale) geschah. Das Ergebniss war gleich demjenigen, welches bei Reizung des rechten Nerven erhalten wurde, nämlich: a 7490 anFRollenabstand! ML. 1 2 A. 290. 5“ On mel N. 280. er Ausser zwei Fällen, in denen die Resultate mit den angegebenen nicht übereinstimmten, in denen aber Versuchsfehler entdeckt werden konnten, war in allen anderen Versuchen somit insgesammt an 20 Nerven das Er- gebniss gleich demjenigen, welches aus den hier angeführten Versuchs- protokollen leicht zu ersehen ist. Bei Reizung des Sympathicus musste nämlich, um eine minimale Pupillenerweiterung herbeizuführen, ein um so stärkerer Inductionsstrom angewendet werden, eine je grössere Strecke der durch den Reiz hervorgerufene Actionszustand in Nerven noch zu durch- laufen hatte. Genau dieselben Resultate lieferten die am Nervus phrenicus an- gestellten Versuche. Dieselben wurden insgesammt an zehn Nerven von Hunden und Katzen ausgeführt. Der Nerv wurde nach Eröffnung des Brustkorbes an einer langen Strecke blosgelest, an zwei oder drei von einander um einige Centimeter entfernten Stellen vorsichtig zur Unter- legung der Elektroden von dem ihn lose umgebenden Gewebe abgelöst und mit einzelnen Inductionsschlägen gereizt. Als Maass der Erregbarkeit diente ERREGBARKEIT VERSCHIEDENER STELLEN DESSELBEN NERVEN. 419 hier der Rollenabstand, bei welchem der Oeffnungsinductionsstrom eine minimale Zuekung der entsprechenden Hälfte des Zwerchfelles hervorrief. Selbstverständlich konnte, da Einzelschläge angewendet wurden, die oben geschilderte bei Reizung des Sympathicus so nützliche Einrichtung, als hier ganz entbehrlich, wesfallen. Um die Athembewegungen des Thieres, d.h. die hier sehr störenden Contractionen des Zwerchfelles zu beseitigen, wurde . entweder das Rückenmark dicht unter der Medulla oblongata durchschnitten, oder vermittelst Stich in das ‚verlängerte Mark die Athmung aufgehoben. Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass sowohl aus diesem Grunde, wie auch in Folge der Eröffnung des Brustkorbes während der ganzen Dauer des Versuches künstliche Athmung eingeleitet wurde. Folgende zwei Versuche führe ich beispielsweise an: Versuch Nr. IV Mittelgrosse Katze. Rückenmark hinter der Oblongata durchtrennt. Nach Eröffnung des Brustkorbes wurde der linke Phrenieus an zwei 80 ®” von einander entfernten Stellen isolirt. Minimale Zwerchfellzueckung wurde erhalten bei: O3 830rznFRollenabstand N ke CA, |, i ; Rechter Phrenieus wurde an drei Stellen gereizt, deren Abstand je 40 mm betrug: BE ss rarRollenabstand TR SEE uch, Darren 35.08 5 Mes: 3. 10285, „ Versuch Nr. V Grosse Katze. Rückenmark durchschnitten. Rechter Phrenicus an zwei Stellen isolirt, deren Abstand 100 “® betrug: GR anemollenabstand a yo an lt 22191686 Nochmalige Untersuchung: „ ” De oananmRrollenabstand Ne NR SU. N ORG, N 3 Linker Nerv: C 550 mm Rollenabstand \ Abstand der untersuchten Stellen von einander I 6A0N., & 100 um, Ueberblickt man die Ergebnisse der geschilderten Versuche sowohl über die Erregbarkeit des Halssympathicus, wie des Phrenicus, so bemerkt man leicht, dass dieselben in Widerspruch mit den allgemein am Frosch- schenkelnerv erhaltenen stehen. Je näher dem Muskel der Nerv gereizt wird, um so schwächere Reize genügen eine minimale Muskelcontraction hervorzurufen. Wenn nun diese Ergebnisse, welche von Versuchen an 27* 420 _ A. BEcekx: langen, überall denselben Querschnitt besitzenden, sich nicht verzweigenden, mit einem Worte an allen zu untersuchenden Stellen die gleiche Zahl von Fasern enthaltenden Nerven auf alle Nervenfasern übertragen werden dürfen, so müssen wir zum Schlusse kommen, dass nicht, wie Pflüger behauptete, der Actionszustand in der Nervenfaser an Energie gewinnt, sondern im Gegentheil, wenn wir nicht annehmen wollen, wozu wir übrigens gar keinen Grund haben, dass die Erregbarkeit peripher gelegener Nerven- faserstellen specifisch grösser ist als diejenige mehr central gelegener, der durch den Reiz in der Nervenfaser hervorgerufene Zustand bei der Ueber- tragung an benachbarte Nerventheilchen in der Richtung zum Endorgan geschwächt wird. Auf die diese Behauptung bestätigenden, von anderen Autoren an- gegebenen Thatsacken, will ich hier nicht näher eingehen. Es möge nur erwähnt werden, dass die Versuche du Bois-Reymond’s! und Pio- trowski’s? über die Abhängigkeit der Grösse der negativen Schwankung von der Entfernung der gereizten, von der abgeleiteten Nervenstelle, die Versuche Rutherford’s® und Hälsten’s* über die Erregbarkeit centri- petal leitender Nerven mit den Ergebnissen meiner Untersuchungen voll- kommen in Einklang stehen. Fernerhin sprechen auch die bekannten Untersuchungen Helmholtz’s® und Heidenhain’s® über die Erwärmung der Nerven während der Reizung und diejenigen Bernstein’s?” und We- denskij’s® über die Ermüdbarkeit der Nerven auch gegen die Annahme, dass im Nerven während der Leitung des Actionszustandes irgend welche Entladungen von Energie zu Stande kämen. An diese Thatsachen, die allgemein bekannt sind, wollte ich nur nebenbei erinnern. Im Uebrigen ist die Frage über das Verhalten der Erregbarkeit ver- schiedener Nervenstellen bekanntlich Gegenstand so vieler Abhandlungen gewesen, wo auch die einschlägige Litteratur berücksichtigt worden ist, dass ich mich ganz der Pflicht enthoben fühle, alle für und gegen Pflüger’s Theorie aufgestellten Gründe nochmals aufzuzählen und die ganze hier einschlagende bis nun beträchtliche Litteratur anzuführen. ! Untersuchungen über thierische Elektrieität. Bd. II. S. 463. 2 Piotrowski, G., Ueber die negative Schwankung bei Reizung verschiedener Nervenstellen. Abhandlungen der Krakauer Akademie der Wissenschaften (polnisch). ® Journal of anat. and physiol. 1871. * Dies Archiv. 1876. ° Ebenda. 1868. ® Studien des physiol. Institutes zu Breslau, IV. 1868. ” Ppflüger’s Ärchiv. 1877. Bd. XV. Wedenskij, Russische Abhandlung. Petersburg 1882. ERREGBARKEIT VERSCHIEDENER STELLEN DESSELBEN NERVEN. 421 Die Versuche, deren Ergebnisse oben angeführt wurden, habe ich in letzter Zeit wieder aufgenommen, wobei ich aber als Reiz statt des Induc- tionsstromes Condensatorentladungen nach der von Cybulski und Zanie- towski! angegebenen Methode angewendet habe. Diese exacte Methode, welehe den elektrischen Reiz genau zu messen und in Zahlen (Energie- werthe in Ergs) auszudrücken gestattet, schien mir besonders für Unter- suchungen der Erregbarkeit verschiedener Nervenstellen geeignet, da sie einzig und allein es ermöglichen könnte, eventuell den Verlauf dieser Erreg- barkeit im ganzen Nerven etwa in Form einer graphischen Ourve dar- zustellen. Die neueren Versuche wurden ebenfalls am Halssympathicus (von Katzen und Kaninchen) und am N. phrenieus (Hund und Kaninchen) an- gestellt. Die Reizung des Sympathicus geschah durch eine Reihe von Condensatorentladungen, bei spielendem Commutator, welcher hinter einander den Condensator mit der Stromquelle und dann mit dem Nerven verbindet (s. Taf. IV, Fig. 5 in der citirten Abhandlung von Oybulski und Zanie- towski),. Um auch hier den Reiz immer gleich in Bezug auf Dauer und Zahl der Schläge, d. h. der Condensatorentladung zu erhalten, wurde zwi- schen dem Commutator und Nerven das du Bois-Reymond’sche Feder- myographion auf diese Art vorgeschaltet, dass während der erste Contact des Myographions geschlossen blieb, derselbe einen Kurzschluss nach Art des Vorreiberschlüssels bildete, so dass die Entladungen durch denselben und nicht durch den Nerven gingen. Erst nachdem die Feder losgelassen und der Rahmen den ersten Contact geöffnet hatte, konnte der Conden- sator nur durch den Nerven entladen werden. Derselbe wurde somit damals gereizt, aber nur so lange, bis der Rahmen auch den zweiten Platincontact des Myographions öffnete, wodurch der Kreis unterbrochen wurde. Die Entfernung beider Contacte. von einander war derart gewählt, dass die Reizdauer in allen Versuchen 0:2 Secunden betrug. Es war mir leider mangels an entsprechender Einrichtung nicht möglich, die Zahl der Entladungen während einer jeden Reizung zu bestimmen. Dieser Umstand erlaubt deshalb nicht die absoluten Energiewerthe eines jeden Reizes kennen zu lernen. Wenn nun aber eine solche Bestimmung für die Erforschung der specifischen Erregbarkeit des Halssympathicus von grossem Interesse wäre, war sie doch für meine Versuche ohne Belang. Da die Geschwindig- keit der Schwingungen des Commutators mindestens während der ganzen Dauer eines jeden Versuches gleich blieb, so musste doch die Zahl der Ent- ladungen in einem gleichen Zeitraum von 0-2 Secunden auch gleich bleiben. Es genügt deshalb für unsere Zwecke die Energie einer einzigen Entladung ı Pflüger’s Archw. Bd. LV. 422 | "A. Beck: zu bestimmen. Dieselbe bildet nun einen aliquoten Theil der Energie des ganzen Reizes; wir müssten, um diese Gesammtenergie zu bestimmen, die erhaltenen Grössen mit einer zwar unbekannten, aber immer gleich grossen Zahl n (Zahl der Schwingungen während 0-2 Sec.) multiplieiren. Die Bestimmung der Erregbarkeit geschah wie früher durch Aufsuchen der Reizschwelle. Es wurde nämlich die Länge des eingeschalteten Rheo- chordstückes (Taf. VII, Fig. IR der eitirten Abhandlung von Cybulski und Zanietowski), bei welcher eine minimale Pupillenerweiterung eintrat, notirt. Waren die Stromintensität, der Widerstand des Rheochords und die Capacität des Condensators bekannt, so konnte leicht die Energie X einer jeden Entladung berechnet werden nach der Gleichung: & = 1 U? (10-7 Rıgs, wo U die Potentialdifferenz, © die Capacität des Condensators bezeichnen. Die Länge des Platindrahts in dem von mir angewandten Rheochord betrug 2000 ””, der Widerstand des ganzen Drahtes 70 Ohm. In den unten angeführten vier Versuchen, welche ich aus der Ge- sammtzahl (6) herauswählte, werden sowohl die Rheochordlängen wie die. Energiewerthe, letztere in zehntausendstel Eres, angegeben. Versuch Nr. 1.! Grosse gut genährte Katze. Rechter Halssympathicus wurde blossgelegt und in drei je 20 ”” von einander entfernten Stellen isolirt. Die Capaeität des Condensators war 0-02 % F. Stromintensität 0°005 Amp. Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1-10—4 Erg C 1900 mm 110 M 1740 „ 92 pı 1260 „ 48 . Linker Halssympathieus an zwei Stellen lospraeparirt, deren Abstand — 35 mm, Länge des Rheochordstückes Energie einer einzigen Entladung in 1-10— Erg C 1080 mm 35 17 800 „ 1:9 Versuch Nr. 2. Mittelgrosse, gut genährte Katze. Linker Halssympathieus. Abstand der untersuchten Stellen von einander 45 “m, Capacität des Condensators —= 0:02” F. Stromintensität 00065 Amp. Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1-10-4 Erg P 550. Su sl C 710, 52 ! Die Reihenfolge, wie die Ergebnisse der Reizung angegeben ist, war zugleich auch diejenige, nach der thatsächlich die betreffenden Nervenstellen untersucht worden sind. Diese Reihenfolge wurde in verschiedenen Versuchen verschieden eingeschlagen. ERREGBARKEIT VERSCHIEDENER STELLEN DESSELBEN NERVEN. 423 Der rechte Sympathicus wurde auf einer und zwar am meisten central gelegenen kleinen Stelle isolirt und untersucht. Die Reizung dieser Stelle rief bei 1710 ®® Rheochord (307.10? Erg) minimale Pupillen- erweiterung hervor. Hiernach wurde eine zweite 15 ®® von der ersten entfernte peripher- wärts gelegene Stelle isolirt und gereizt. Von diesem Punkte aus tritt minimale Reaction bei 1420 Rheochordenlänge (211-10-* Erg) ein. Eine dritte Stelle, die wieder 20 ”® von der letzten peripherwärts ge- legenen war, wieder erst frisch praeparirt, zeigte folgenden Schwellenwerth: Rheochordenlänge 720 m® (54.10-* Ers). Endlich wurde eine Stelle zwischen den zwei letzteren untersucht; das Ergebniss war: Rheochordenlänge 930 "= (Energie 90-10-* Erg). Obiges Verfahren hatte den Zweck, jeglichen schädlichen Einfluss zu vermeiden, welchen ein Entblössen des Nerven auf einer längeren Strecke und das wenn auch noch so vorsichtige Isoliren vom umgebenden Gewebe auf die Erregbarkeit des Nerven ausüben könnte. Auf diese Weise wurde nur jede Stelle sofort nach der Lospraeparirung untersucht und der durch den Reiz hervorgerufene Actionszustand hatte, den letzten Fall ausgenommen, noch gar nicht berührte Nervenfasern zu passiren. Aus demselben Grunde wechselte ich auch die Reihenfolge der Reizung in den einzelnen Versuchen.! Die Ergebnisse der Reizung des rechten Nerven waren somit: BG ee... 2.280710 Dre Me a. 21-104. RS u. 90.104 „ P 54.10-4 Versuch Nr. IH. Mittelgrosse, schlecht genährte Katze. Rechter Halssympathicus. Drei Nervenstellen, deren Abstand von einander 15 ”® gleich war, werden unter- sucht. Capac. des Condensators 0-01 ” F. Stromintensität 0-005 Amp. Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1-10—4 Erg M 1320 mm 96 C 1890 „ 57 P 105 „ 2 Linker Sympathicus. Sonst alles wie oben. Tänge des Rheochordstückes Energie einer einzigen Entladung in 1-10-4 Erg J2 Ab 0ER 3 M 630 „ 6 C 1000 „, 15 Versuch Nr. IV. Kaninchen. Rechter Halssympathieus. Zwei Stellen. Abstand 20 mm, Condens. 0-02 % F. Stromintensität 0-005 Amp. ! Siehe Anmerkung auf voriger Seite. 494 A. Beck: a a Energie einer einzigen Entladun Länge des Rheochordstückes Two ae Erg 5 C 11070 3 a 302, 2 Linker Halssympathieus. Zwei Stellen. Abstand = 15 "m, Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1-10-4 Erg C san 23 Je 500 „ 7 Derselbe Nerv durchschnitten: C (dieht am Querschnitt) 700 mm 14 P 500 „ 7 Die Versuche am N. phrenicus unterschieden sich von denen am. Halssympathieus selbstredend nur dadurch, dass hier nur Einzelentladungen als Reiz angewendet wurden. Die Anordnung des Versuches war sonst ‚derjenigen gleich, wie sie oben bei den mit Inductionsströmen am N. phre- nicus angestellten Untersuchungen geschildert worden. Versuch Nr. VI. Grosses Kaninchen. Oondensator 0-02 ® F. Stromintensität 0-005 Amp. Der rechte Phrenicus wurde an drei je 30 "” von einander entfernten Stellen untersucht. Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1.104 Erg C Su og 22 iz 575 „ 10 M 800 „ 19 Linker Phrenieus, gleich behandelt wie der rechte: 12 380 um 29 M 1100 „ 37 C 1180 „, 42 Versuch Nr. VIM. Mittelgrosse Hündin. Rechter Phrenicus an drei je 40 ”® von einander entfernten Stellen praeparirt. Stromintensität 0-005 Amp. Condensator 0° 02 m F. Energie einer einzigen Entladung Länge des Rheochordstückes in 1-10-4 Erg P N) 3 M 150 „ 6 C SUR, 11 Der linke Phrenicus wurde ebenfalls an drei Stellen untersucht. Der Abstand der centralen von der mittleren Stelle betrug 50 "", der Abstand des letzteren vom peripheren 40 ®®, Condensator 0-01 %® F. Strominten- sıtät 0°005 Amp. Länge des Rheochordstückes Huzele rn ne Alladung 72 5) 3 Abstand 50 mm Fan 490 „ 3 Abstand 40 mm ])O 820 „ 10 ERREGBARKEIT VERSCHIEDENER STELLEN DESSELBEN NERVEN. 425 Aus den angeführten Versuchsprotocollen ist leicht zu ersehen, dass die Untersuchungen vermittelst der exacten Methode der Condensatorent- ladungen die Ergebnisse meiner früheren Versuche über die Erregbarkeit der verschiedenen Nervenstellen für den Halssympathicus und N. phrenicus vollends bestätigt haben. Da nun gar kein Grund vorhanden ist anzunehmen, dass in Bezug auf Erregbarkeit und Leitung diese Nerven sich qualitativ von anderen motorischen Nerven unterscheiden, da diese Nerven vielmehr, was bereits hervorgehoben, Dank dem Umstande, dass sie an jeder unter- suchten Stelle eine gleiche Fasernzahl enthalten, sich fast einzig und allein für vergleichende Versuche über die Erregbarkeit verschiedener Punkte der- selben eignen, so können wir mit der grössten Wahrscheinlichkeit die Re- sultate der Versuche am N. sympathicus und N. phrenieus auf andere motorische Nervenfasern übertragen und behaupten, dass der Actionszustand während des Verlaufes in der Nervenfaser nicht verstärkt wird, sondern vielmehr an seiner Stärke einbüsst. Nachtrag zur Abhandlung: Ueber das Sattelgelenk. Von Dr. Rene du Bois-Reymond in Berlin. Die Stellungen und Bewegungen der Knochen im lebenden Körper lassen sich mittelst der Röntgenstrahlen so deutlich erkennen, dass es den Eindruck macht, als würden alle Fragen aus der Gelenklehre auf diese Weise spielend zu lösen sein. In meiner Arbeit: „Ueber das Sattelgelenk“! hatte ich über Bewegungsmodus des Carpometacarpalgelenkes des Daumens Annahmen gemacht, die mit Hülfe des neuen Beobachtungsmittels leicht geprüft werden konnten. Ich führte am Anfang jener Arbeit aus, dass die Gestalt einer Gelenkfläche in der Regel einer bestimmten Idealfläche nahe- kommt, in der die Beziehung der Gelenkform zur Bewegung ihren voll- kommensten Ausdruck findet. Ich wies nach, dass die bisher für das Sattelgelenk angenommenen Idealformen den Bewegungsbedingungen nicht entsprechen, und unternahm es, eine neue Darstellung zu geben. Schleif- bewegung auf einer Sattelfläche um zwei aufeinander senkrechte Axen ist eine mathematische Unmöglichkeit. Folglich sieht man sich genöthist eine andere Art der Bewegung, nämlich rollende Bewegung, in Betracht zu ziehen. Jede der beiden Bewegungsarten, Rollen oder Gleiten, kann bei der theoretischen Betrachtung als die vorherrschende angenommen werden. Entgegen der bisher geltenden Auffassung, nach der die Bewegung als Schleifbewegung betrachtet wurde, zu der allenfalls eine minimale Roll- bewegung durch die Unvollkommenheit des Mechanismus hinzukommt, stellte ich die Rollbewegung in den Vordergrund der Betrachtung. Hierzu bewog mich vor Allem der Umstand, dass bei der Rollbewegung ein viel grösserer Bewegungsumfang möglich ist, ohne dass eine Gelenkfläche die andere überragt. Dies Ueberragen findet zwar am anatomischen Praeparat ' Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1895. S. 433. Rent pu Bois-ReYMmonD: ÜBER DAS SATTELGELENK. 497 in beträchtlichem Maasse statt, doch schien es mir sehr zweifelhaft, ob man daraus auf das Verhalten beim Lebenden schliessen dürfe. Die Röntgenstrahlen machen es jetzt möglich, die Bewegungsform des Sattel- geelenkes am Lebenden unmittelbar zu betrachten. Hierzu gab mir Hr. Levy-Dorn, dem ich dafür hier meinen Dank ausspreche, gütigst Gelegenheit. Auf dem Fluorescenzschirm sah ich, dass von dem Gelenk nur die Krümmungen in der Längs- (annähernd Radioulnar-)Richtung deutlich erkennbar wurden. Die Krümmungen in der Quer- (annähernd Dorsovolar-)Richtung würden auf dem Schirm nur erscheinen, wenn die Projection in der Radioulnarrichtung geschähe. . Dann ist aber das Bild des Sattelgelenkes von dem der anderen Handwurzelknochen verdeckt, so dass es nicht möglich ist, die Umrisse der Gelenkflächen zu unterscheiden. Die Krümmung der Gelenkflächen in der Längs- (annähernd Radio- ulnar-)Richtung, (also um die Ab- und Adductionsaxe) die deutlich zu sehen waren, wichen erheblich von einander ab, und zwar war die convexe des Metacarpalknochens stärker als die concave des Multangulum. In diesem Punkte fand ich also meine Erwartung bestätigt. Die Bewegung der Knochen gegen einander hatte aber einen ganz anderen Typus als ich in meiner Arbeit angenommen und nun zu sehen erwartet hatte. Der Metacarpalknochen gleitet nämlich bei maximaler Adduetion und Abduction auf der concaven Fläche des Multangulum so stark hin und her, dass wohl die Hälfte seines Gelenkkopfes über den Pfannenrand hinausragt. Dabei findet Drehung um eine Axe statt, die etwa 15 ®® von der Gelenkfläche entfernt in der Basis Metacarpi liegt. Demnach ist wenigstens in dieser Richtung die Rollbewegung im Vergleich zur Gleitbewegung so gut wie Null. Gilt dasselbe auch für die Dorsovolarrichtung, so fällt natürlich meine auf vorherrschende Rollbewegung gegründete Anschauung. Die ganze Betrachtung hätte vielmehr von der Voraussetzung aus angestellt werden müssen, dass neben dem Schleifen nur minimale Rollbewegung eintrete. Das Hauptergebniss, dass nämlich Sattelflächen, die Bewegung um zwei Axen zulassen, auch Rotation zulassen müssen, wird dadurch nicht berührt. Aber die Aufgabe, die ich zu lösen versucht hatte, tritt nun un- gelöst nur um so deutlicher hervor: Die Bewegungsform des Sattel- gelenkes ist die eines Schleifgelenkes. Die Sattelfläche ist aber keine Schleiffläche. Welcher Form muss sich die Sattelfläche nähern, um den Anforderungen der Bewegungsform möglichst vollkommen zu entsprechen ? Ueber die Anatomie und Physiologie der Harnblase. Von Dr. D. Gerota, Volontärassistenten am J. anatomischen Institut zu Berlin. (Aus dem I. anatomischen Institut zu Berlin und aus dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule zu Berlin.) \ (Hierzu Taf. VIlL) Hat die Harnblase Lymphgefässe und besitzt sie Absorptionsvermögen ? Das sind zwei Fragen, an deren Beantwortung sich viele praktische Schlüsse knüpfen. Sie sind schon oft gestellt worden und haben eine grosse Anzahl von Arbeiten hervorgerufen. Wenn man aber diese Arbeiten liest, so ist man überrascht, so vielen Widersprüchen zu begegnen. Berühmte Anatomen und Experimentatoren, deren bona fides man nicht bezweifeln kann, bringen Beweise dafür bei und zeigen durch Versuche, dass die Blase keine Lymphgefässe be- sitze, und, wenigstens im normalen Zustande, auch kein Absorptions- vermögen. Andere dagegen behaupten mit derselben Ueberzeugung gerade das Gegentheil. Auf Anregung meines verehrten Lehrers, Prof. Waldeyer, dem ich hiermit meinen Dank ausspreche, habe ich versucht, durch neue Unter- suchungen die verschiedenen Angaben zu controliren. Kurz nach dem Beginn meiner Untersuchungen habe ich im April des vergangenen Jahres auf dem Anatomencongress zu Berlin eine kurze vorläufige Mittheilung über die Lymphgefässe der Blase gemacht; seitdem habe ich die Arbeiten über diese Frage fortgeführt und so weit zum Ab- D. GEROTA: ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 429 schlusse gebracht, dass ich ohne den geringsten Zweifel die Schlussfolgerungen zu ziehen vermag, die ich in dieser Arbeit aufstellen möchte. Die anatomischen Untersuchungen wurden im I. Berliner anatomischen Institute an mehr als 40 Leichen ausgeführt, die mikroskopischen ausserdem auch an einer grossen Anzahl thierischer Harnblasen. Die Experimente wurden im physiologischen Laboratorium der Thier- arzneischule zu Berlin ausgeführt, und zwar unter der Leitung des Hrn. Prof. H. Munk. Der ausserordentlichen Freundlichkeit, mit der ich unter- stützt wurde, ist sicherlich das gute Resultat, zu dem ich in physiologischer Hinsicht gelangt bin, zu verdanken. Ich möchte an dieser Stelle gleichfalls Hrn. Prof. Munk meinen Dank für die freundliche Aufnahme und die oütige Unterstützung aussprechen. — Hiermit meinen Dank an Hrn. Dr. W. Cohnstein für die Liebenswürdigkeit, die er mir während meines Besuches im genannten Institut bewiesen hat. Um die Beschreibung zu erleichtern, wollen wir die Arbeit in zwei Theile zerlegen: der erste umfasst den anatomischen Theil und eine Ueber- sicht über die Litteratur der Lymphgefässe der Harnblase, der zweite den physiologischen Theil nebst einer kurzen Zusammenfassung und einer Kritik der verschiedenen anderen Arbeiten über diese Fragen. Es könnte vielleicht überflüssig erscheinen, die anderen Arbeiten auszuführen, aber ich erweise vielleicht Manchem, der sich für diese Fragen interessirt, damit einen Dienst, dass er mit einem kurzen Blicke die älteren Arbeiten übersehen und ver- gleichen kann. Auch wird man sich so am besten darüber klar werden, woran die Verschiedenheit der erhaltenen Resultate liegt. A. Die Lymphgefässe der Blase. Zeller war der erste, der die Lymphgefässe der Blase erwähnt; Haller,! der ihn eitirt — „Zellerus vasa lymphatica (vesicae) injecto vin- culo confirmavit“ —, spricht von Lymphknoten in der Nachbarschaft als zur Blase gehörig. Watson (769) stellt auf einer Figur mit Quecksilber injieirte Gefässe dar, die er für Lymphgefässe der Blasenschleimhaut hält. Später giebt Mascagni (787, 789) eine Beschreibung und eine Abbildung der Lymphgefässe der Blase. Er äussert sich in seiner Beschreibung hierüber wie folgt: „Lymphatica vesicae, prostatae, ac seminalium vesicu- larum, extremi intestini recti, ac musculorum qui in pelvi locantur, nu- merosisimis ramulis ex is partibus derivant — Hi in unum conveniunt, diversosque formant truncos, qui rursus in ramos divisi vario modo vasa ! Die von Mascagni gegebenen Citate über die Arbeit von Zeller konnte ich in dem Werke von Haller, Op. Select. med. nicht finden. 430 "D. GERoTA: earumdem partium sanguinea amplectentes cum praedictis ex inguinalibus glandulis, et ab ineisura ischiadica provenientibus, in plexibus et glandulis in pelvi sitis, concurrunt. Horum tantummodo aliqua ex vesicae fundo pro- deuntia, antequam conveniant, quasdam glandulas sibi proprias pervadunt sita juxta arteriam, seu ligamentum umbilicale.“ Cruikshank (789) drückt sich etwa ebenso aus wie Mascagni: „Die Saugadern der Harnblase begleiten bei beiden Geschlechtern die vor- züglichen Stämme der Blutadern der Blase und gehen unten an dem Boden auf der rechten und linken Seite in die Drüsen, welche die inwendige Darmbeinschlagader und -blutader umringen, doch vorher gehen sie ge- meiniglich noch erst in kleine Drüsen, welche an den Seiten der Blase selbst liegen.“ Diese anatomische Thatsache hat die Autoren zu dem physiologischen Schlusse verleitet, dass die Blase auch absorbiren müsse. — Alle deutschen und englischen Anatomen haben nach Mascagni’s und Cruikshank’s Beschreibung zugegeben, dass die Blase Lymphgefässe besitze und in Folge. dessen auch Absorptionsvermögen angenommen. Aus Mascageni’s und Cruikshank’s Darstellung ist nicht zu er- sehen, ob die Lymphgefässe, die sie beschreiben und abbilden, aus der Mueosa oder aus der Muscularis kommen; dagegen beschreiben Teichmann (61) und alle deutschen und englischen anatomischen Lehrbücher Lymph- gefässe in der Blasenwandung, und z. Thl. auch ausdrücklich in der Blasen- schleimhaut. Von ihnen möchte ich als Beispiel nur Quain (86) anführen, der sagt: „Die Lymphgefässe der Blase entspringen an der Innenfläche dieses Organes und enden in den Lymphdrüsen, die in der Nachbarschaft der Art. iliaca liegen.“ Und ferner Rauber (92): „Die Lymphgefässe sind sparsamer als an den Ureteren, am meisten im Blasengrunde und am Trigonum vesicae entwickelt.“ Neben Lymphgefässen hat W. Krause (76) schon 1860 solitäre Lymphfollikel in der Schleimhaut des Trigonum vesicae beschrieben. Stöhr (96) erwähnt gleicher Weise Lymphgefässe in der Blasen- schleimhaut. Anders dagesen in Frankreich, Sappey (88), der jedes Vorhanden- sein von Lymphgefässen in der menschlichen Hamblase leugnete: „J’ai explor&e la surface interne de la vessie sur tous les points, et toujours sans suce6s. La tunique muqueuse semble tout & fait depvurvue de cet ordre de vaisseaux; aucun fait du moins ne les d&montre. Quant & la tunique musculaire, j’ai longtemps doute aussi de leur existence. Cependant j’ai reussi A les voir sur la face posterieure de la vessie chez le chien et le lapin. Chez l’homme on apercoit sur la surface externe de cet organe deux ou trois trones absorbants de chaque cöt6; ce sont ces trones qui ont ete ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 431 vus par Cruikshank et par Mascagni. Mais ils ne partent pas des parois vesicales, ils viennent de la prostate.....* — Sappey’s Auto- rität in Untersuchungen dieser Art war unantastbar: und so bestritten alle fran- zösischen Anatomen mit ihm die Existenz von Lymphgefässen in der Blase und in Folge dessen auch ihr Absorptionsvermögen. Unter den älteren französischen Anatomen vertrat Cruveilhier (52) eine entgegengesetzte Ansicht. Er gab an, die Lymphgefässe der Blase kämen aus der Schleimhaut und seien leicht zu injieiren; wir werden weiterhin sehen, wie weit sowohl Sappey wie Cruveilhier von der Wahr- heit entfernt waren. Bis zum Jahre 1880 findet man über diese anatomische Frage keine weiteren Arbeiten; dagegen waren hinter einander mehrere Arbeiten er- schienen, welche die Frage vom physiologischen Standpunkte behandelten. Später lieferten die Eheleute Hoggan (81) durch mikroskopische Unter- suchungen einen Beitrag zur Aufklärung über die Frage der Lymphgefässe der thierischen Blase; sie nehmen solche auch in einigen Bezirken der Schleimhaut an. Endlich beschrieben Albarran und Lluria (92), welche die von Hoggan empfohlene Methode der Imprägnation mit Argentum nitricum und Aurum chloratum anwandten, Lymphgefässe in der Blasenschleimhaut. Durch die Anwendung dieser leicht trügerischen Methode kam es, dass Albarran an der Leiche eines Mädchens von 19Monaten das schöne Netz von Lympheapillaren zu sehen meinte, das er in der Fig. 5 seiner Arbeit ab- bildet, ein Praeparat, das dreiviertel Stunden nach dem Tode hergestellt war; wie wir aber bald nachweisen werden, war das, was Albarran sah und abbildete, nichts als ein Blutgefässnetz. Diese beiden letzten Arbeiten haben viel dazu beigetragen, die Lehre von der Existenz der Lymphbahnen in der Blase zu festigen. Die neueren anatomischen Lehrbücher und viele Kliniker stützen sich auf diese Abhand- lungen und geben damit das Vorhandensein von Lymphgefässen der Blasen- schleimhaut zu; Testut (94) reproducirt die Abbildung von Albarran. Die Ergebnisse, zu denen ich gekommen bin, stimmen zum Theil mit den Resultaten Hoggan’s bei thierischen Blasen überein. Die Muscu- laris der Harnblase des Menschen und der Thiere besitzt eigene Lymphgefässe, während die Schleimhaut ihrer ganz und gar ermangelt. Die dicht unter der Mucosa des Trigonum vesi- cale befindlichen Lymphgefässe gehören nur der Muscularis an. Es ist ausserordentlich schwierig, die Lymphgefässe der Blase sich tbar zu machen. Ich habe mich zu diesem Zwecke an mehr als 40 mensch- lichen und mehreren thierischen Blasen verschiedener Methoden bedient, 432 "D. GEROTA: Zuerst der Injection mit Quecksilber. Ich erhielt auf diesem Wege stets eine Injection eines sehr feinen Gefässnetzes in der Schleimhaut des Trigonum vesicale. Dies hätte mich leicht dazu verleiten können, es für ein Netz von Lympheapillaren zu halten: doch niemals habe ich aus diesem Netze ein Lymphstämmchen hervorgehen sehen, das mich davon hätte überzeugen können, dass es sich um Lymphcapillaren handele. Dies war vermuthlich Cruveilhier’s Lymphnetz, das er für so leicht zu injieiren hält, Die Quecksilberinjection hat mir also kein Ergebniss geliefert, und zwar ebensowenig für die Muscularis, so dass es leicht begreiflich erscheint, warum es Sappey, der nur diese Methode anwandte, nicht geglückt ist, die Lymphgefässe der Muskelhaut der menschlichen Blase sichtbar zu machen. Eine andere Methode, die ich verwandte, war die Injection mit der Masse, welche ich angegeben habe (Gerota, 965). Ich habe mich ihrer sowohl bei der Muscularis, wie bei der Mucosa der Blase bedient, und ihr ist es zu verdanken, dass ich zu befriedigenden Resultaten gekommen bin. _ Von 30 menschlichen Blasen habe ich in 9 Fällen eine vortreffliche, ja fast vollkommene Injection erhalten, in 16 Fällen eine partielle, während sie in 5 Fällen missglückte. Die Abbildungen (Figg. 1 bis 6, Taf. VIII) sind getreue Copien der frischen Praeparate, und man sieht an ihnen deut- lich den Reichthum der Blasenmusculatur an Lymphgefässen sowie deren Einmündung in die Lymphdrüsen. Die Injection der Lymphbahnen der Blasenwand erfordert äusserste Geduld neben strieter Befolgung der Methode. Stets liefern Kinderleichen das beste Material. Bei der ausserordentlichen Feinheit dieser Gefässe darf man beim Injieiren nur sehr niedrigen Druck anwenden, und die Leiche muss möglichst frisch sein. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb man an Neugeborenen, die man schon einige Stunden nach dem Tode bekommen kann, die besten Resultate erhält. Aber wenn auch die Injeetion der Lymph- gefässe beim Erwachsenen bei weitem mehr Schwierigkeiten macht, so habe ich doch in 4 Fällen eine partielle Injection der Muscularis-Lymphgefässe auch beim Erwachsenen erhalten. Die mit Farbmasse injieirte Blasenwand kann zur mikroskopischen Untersuchung dienen. Man fixirt mit Formol- lösung gut ausgebreitete Stücke der Blasenwand, trennt sorgfältig die Mus- cularis von der Mucosa und behandelt sie für die mikroskopische Unter- suchung nach den gebräuchlichen Methoden. Endlich habe ich noch die Methode der Imprägnation mit Silbernitrat (Argentum nitricum) und die Methode der Doppelimprägnation mit Argentum nitricum und Aurum chloratum, die Hoggan empfiehlt, verwendet. Ich muss hier bemerken, dass im Allgemeinen die Behandlung mit Silbersalzen die beste für Gefässendothelien ist — doch ist sie sehr un- ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 433 beständig und sind daher die Ergebnisse zweifelhaft. Bedient man sich einzig dieser Methode, so kann man z. B. zwar sagen, dass ein mikro- skopisches Praeparat Lymphgefässe aufweist; man kann aber nicht mit Sicherheit behaupten, dass es keine hat, wenn man an diesem Praeparat keine Lymphgefässe erblickt: denn es kommt oft vor, dass das Gefäss- endothel sich überhaupt nicht oder nur sehr wenig färbt, so dass es grosse Schwierigkeiten macht, aus einem Praeparate auf die Anwesenheit von Lymphgefässen zu schliessen, zumal weil sich die Blutgefässe viel leichter färben. Ferner muss für dieses Verfahren die Blase so frisch wie möglich sein. Befindet sie sich im contrahirten Zustande, so muss man sie mit Luft oder mit destillirtem Wasser ausdehnen, um die Muskeln zu spannen. Man isolirt sorgfältig die Muscularis von der Schleimhaut, und entfernt durch Kratzen mit dem Scalpell von dieser die Epithelzellen. Die so praeparirten Stücke spannt man mit Hülfe von Igelstacheln auf eine Wachsplatte oder auf einen Kork- oder Hartgummiring, wie es Hoggan (79) zu diesem Zwecke empfohlen hat. — Man behandelt sodann eine oder beide Flächen 3 bis 8 Minuten lang mit 1 procent. Silbernitratlösung, wäscht mit destil- lirtem Wasser aus und setzt das Stück 5 Minuten bis eine halbe Stunde dem Tageslicht aus, das heisst so lange, bis die Reduction des Silbersalzes stattgefunden hat. Man führt eine Doppelimprägnation, wie sie Hoggan empfiehlt, in folgender Weise aus: nach der Behandlung des Stückes mit Silbernitrat bringt man es 30 Secunden bis eine Minute lang in eine 2 procent. wässerige Lösung von Goldchlorid. Man lässt es am dunklen Ort im destillirten Wasser so lange liegen, bis die Goldreaction eingetreten ist. Die Behandlung mit Gold bezweckt die Färbung des übrigen Ge- webes: man erhält also negative Bilder der Gefässe auf roth-violettem Grunde. Zwischen Silbernitrat und Goldchlorid spielt sich ein Reductions- vorgang ab dergestalt, dass das Praeparat nach der Behandlung mit Silber- nitrat unmittelbar in das Gold gebracht werden kann, ohne dass man auf die Reduction des Silbers im Tageslicht zu warten braucht. Die Erfahrung lehrte mich bald, dass man das gleiche Resultat, wie bei der Doppelfärbemethode, erzielen kann, wenn man das Silber derart reducirt, wie dies in der Photographie geschieht. Man wäscht das mit Silbersalz behandelte Stück gut mit destillirtem Wasser aus, bringt es in die reducirende Hydrochinonlösung,! bis das Stückchen dunkelbraun bis schwarz erscheint, wäscht es mit Wasser aus und fixirt es 5 Minuten lang ! Solut. A. 10 ©” krystallisirtes schwefligsaures Natron, 150 °°® destillirtes Wasser, 1.5 em Hydrochinon. Sol. B. 15 2°= Kohlensaures Kali (Potasche), 150 <= Wasser. Man nehme 2°” von jeder Lösung, und vermische sie mit 10 T'heilen Wasser. Archiv f, A, u. Ph, 1897. Physiol, Abthlg. 238 434 "D. GEROTA: in einer Lösung von unterschwefligsaurem Natron (Natrium subsulfurosum). Dann wird es in Glycerin oder in Canadabalsam eingeschlossen. Ich möchte diese Fixirung mit unterschwefligsaurem Natron für alle in Silber be- handelten Praeparate und vor Allem für die mit Silber und Gold doppelt gefärbten empfehlen, bevor man sie als Dauerpraeparate einschliesst, denn die Reduction geht weiter und wird mit der Zeit immer stärker; freilich wird nach längerer oder kürzerer Zeit das Stück ganz schwarz und damit unbrauchbar. Man kann indessen ein mit Silbernitrat und Goldehlorid doppelt imprägnirtes Praeparat, bei dem die Reduction zu intensiv geworden ist, in einer Lösung von Cyankali (Kalium cyanatum) [1:25] wieder auf- hellen. Die Lymphbahnen der Blasenschleimhaut. Mit Hülfe der Einstichinjeetion erhält man auf der Blasenschleimhaut ein feines Capillarnetz; dies Bild könnte leicht zu dem Irrthum ver- führen, dass es sich hier um Lymphcapillaren handele. Doch wie das vollkommene Eindringen der Injectionsmassen und die mikroskopische Untersuchung zeist, sind es nichts als Blutcapillaren. Bei früheren Untersuchungen war ich zu der festen Ueberzeugung gekommen, dass die Blasenschleimhaut Lymphgefässe besässe (Gerota 96a). Das Praeparat, das mich zu dieser Schlussfolgerung hinführte, war der Blase eines 7monatlichen Fötus entnommen. Die weitere mikroskopische Unter- suchung ergab jedoch, dass das Netz, was ich für Lympfbahnen in der Mucosa gehalten hatte, zwar aus Lymphgefässen bestand, aber der Mus- cularis angehörte, indem die ausserordentlich dünne Schleimhaut es so durchschimmern liess, dass es den Anschein gewann, als liege es in der letzteren selbst. Injieirt man die Lymphgefässe der Urethralschleimhaut, so sieht man, dass die Lymphgefässe sehr reichlich in der Pars cavernosa vorhanden sind, dass sie dagegen an Zahl in der Pars membranacea und prostatica mehr und mehr abnehmen. Einige von diesen Lymphcapillaren der Urethra setzen sich bis unter die Schleimhaut des Collum vesicae fort, entfernen sich aber zugleich mehr und mehr von der Schleimhaut, um die Muscularis zu gewinnen. Ich muss noch bemerken, dass einerseits die Gegend des Trigonum vesicale keine gut entwickelte Submucosa aufweist, so dass die Schleimhaut und Muscularis, eng mit einander verbunden, ohne Grenze in einander übergehen; andererseits, dass die Lymphgefässe der Museularis des Trigonum sehr zahlreich sind. Daher kommt es oft vor, dass man einige von diesen Lymphgefässen direct unter der Mucosa liegen sieht, un- mittelbar unter dem Blutgefässnetze. Oder, um es anders auszudrücken, man kann sagen, dass in der Gegend des Trigonum, der ihm eigenthümlichen ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASH. 435 anatomischen Anordnung seiner Schichten halber, einzelne Lymphgefässe, die in Wirklichkeit der Muscularis angehören, so nahe unter die Mucosa gerückt sind, dass sie vielleicht auch die Rolle von Lymphgefässen der Mueosa spielen können; anatomisch liegen sie jedoch in der Muscularis; wie ich meinen, vorhin citirten früheren Angaben gegenüber, hier aus- drücklich hervorheben will. Kurz, um noch einmal die Ergebnisse zusammenzufassen: einige Lymphgefässe, die man in der Submucosa des Blasenhalses trifft, sind nichts weiter als vorgeschobene Lymphgefässe der Urethra; die ganze Mucosa und Submucosa der Blase entbehrt durchaus der Lymphbahnen. Die Imprägnation der Blasenschleimhaut mit Silbernitrat nach der oben beschriebenen Methode liefert uns interessante Aufschlüsse. Man sieht unter dem Mikroskop das negative Bild eines feinen, reichen Netzes von Blutgefässcapillaren, welche regelmässige enge Maschen bilden, von 0-03 bis 0.05" Breite. Die feinen, mit Endothelkernen versehenen Capillaren liegen in der Mucosa propria, unmittelbar unter den tiefsten Schichten des Epithels. Die Form der polygonalen Maschen, die sich gleichmässig auf der ganzen Blasenschleimhaut vorfinden, ist eine andere in der Schleimhaut des Halses, eine andere im Trigonum vesicae; hier haben die Maschen nicht mehr die regelmässige polyedrische Form, die man auf der übrigen Blasen- schleimhaut findet, sondern sie zeigen eine Uebergangsform zwischen der Anordnung zu rautenförmigen Polygonen, wie sie sich auf der Urethral- schleimhaut finden, und der regulären polyedrischen Form, wie sie auf der übrigen Blasenschleimhaut vorkommt. In der That nun zeigen die venösen Capillaren der Urethralschleimhaut bei Kindern spindelförmige, bei Er- wachsenen varicöse Erweiterungen; sie bilden unter einander rautenförmige, längliche Maschen. Zwischen dieser rhombischen Maschenform der Urethral- schleimhaut und der regulär-polygonalen der Mucosa der Blasenwandung giebt es eine Uebergangsform von unregelmässigen Polygonen in der Schleim- haut des Trigonum und des Collum vesicae. Dies ergiebt ein Bild, ganz ähnlich demjenigen, welches Albarran für ein Lymphgefässnetz ansprach. Unsere Fig. 9, Taf. VIII, welche das negative Bild dieses Netzes auf der Blasenschleimhaut von Menschen darstellt, ist der von Albarran in seiner Abhandlung veröffentlichten ganz ähnlich. Als Controle der Silberpraeparate kann man solche verwerthen, die durch Injeetionen dieser subepithelialen Capillarplexus der Mucosa erhalten werden (Fig. 8, Taf. VIII). In Abständen von 2 bis 5" gehen kleine Sammel- stämmchen ab, die die Mucosa senkrecht durchbohren und in der Sub- mucosa einen neuen, viel dichteren Plexus erzeugen, der seinerseits auch wieder in Abständen von 2 bis 5 == orössere Sammelstämmchen abgehen 28* 436 D. GEROTA: lässt. Die Anordnung dieser Sammelstämmchen in der Weise, dass ein jedes das Centrum eines Territoriums einnimmt, ist von Gillette (69) geradezu mit der Anordnung der Vasa verticosa der Chorioidea ver- glichen worden. Man könnte hier einen Widerspruch finden zwischen der unumgäng- lich nöthigen Menge von zuzuführenden Ernährungsstoffen und dem ausser- ordentlichen Reichthum der Blasenschleimhaut an Blutgefässen. Denn, wenn man anders an dem anatomischen Gesetze festhält, nach dem ein Organ desto besser entwickelte Capillaren besitzt, je grössere functionelle Thätigkeit ihm zukommt, so geräth man in Schwierigkeiten, wenn man diesen Reichthum an Capillaren in der Blasenschleimhaut erklären will, falls man der Blase nur die einfache Rolle eines Reservoirs, das sehr wenig Arbeit leistet, zubilligen möchte. Diejenigen, welche zu dem Ergebnisse gekommen waren, dass die Blase ein grosses Absorptionsvermögen besitze, haben zwischen dem Absorptions- vermögen und dem Gefässreichthum eine Beziehung zu erblicken gemeint.- Doch, wie wir im zweiten Theile dieser Arbeit sehen werden, ist es ganz richtig, wenn man zugiebt, dass die Venencapillaren es sind, welche die Stoffe, die die Blasenschleimhaut durchdringen können, hinwegführen, aber wir können nicht zugeben, dass der Zweck dieses Gefässreichthumes der sei, Lymphbahnen zu ersetzen und als absorbirende Gefässe zu dienen. Wie wir wissen, ist die Blasenschleimhaut mit mehreren Schichten von Epithel- zellen bekleidet. Einerseits bildet die Integrität dieses Epithels die Haupt- bedingung dafür, dass der Blaseninhalt nicht in den Blutstrom gelange, andererseits muss man auch wissen, dass mehrere Zellschichten viel mehr Nährsubstanz und einen viel grösseren capillaren Druck verlangen, damit diese Nährstoffe in alle Zellschichten gelangen können: und damit hat man die richtige Erklärung dieser Erscheinung. Also ist die richtige Erklärung, die man für dieses reiche subepitheliale Blutgefässnetz geben kann, die folgende: es leistet Gewähr für die Lebensfähigkeit, die Integrität, und die Regeneration eines in mehreren Schichten angeordneten Epithels, das im Körper eine hochwichtige Rolle spielt. Die Lymphgefässe der Muscularis der Blase. Es sind dies die Gefässe, welche Mascagni (789) auf einer Tafel seines Werkes abgebildet hat. Sie sind ziemlich reichlich vorhanden und relativ leicht zu injieiren, und zwar ist dies sowohl beim Menschen wie bei Thieren der Fall. Betrachten wir zunächst das mikroskopische Bild. Man findet die betreffen- den Lymphgefässe unregelmässig verstreut zwischen den Muskelbündelchen der ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 437 Blase. Am häufiesten findet man sie in der Nachbarschaft der Blutgefässe. Ihr Volumen übertrifft das der Blutgefässe, die sie begleiten, bei Weitem. Der Charakter ihres Endothels (Fig. 7, Taf. VIU), die charakteristischen Ausbauchungen, ihre Klappen, ihr unregelmässiges Caliber, ihre seltene und eigenartige Theilungsweise, das sind alles Charaktere, wie sie nur unzweifelhaften Lymphgefässen zukommen. Welches ist nun der Ursprung dieser Lymphgefässe? Die Injections- methode und ebenso die der Imprägnation mit Silbernitrat zeigt uns über- einstimmend zunächst, dass diese ausschliesslich in der Muskelhaut der Blase ihren Weg nehmen, und dass sie niemals sich bis in die Mucosa propria der Blase fortsetzen. Man sieht sie auch nicht einmal bis in die Submucosa reichen, die man isoliren und für sich darstellen kann. In der Gegend des Trigonum, wo keine Submucosa vorhanden ist, sieht man, wie bemerkt, Lymphgefässe, die unter dem Plexus von Venencapillaren gelesen sind; d.h. also, sie reichen hier weit näher an die Schleimhaut heran, wie in der übrigen Blasenwandung. Es ist ausserordentlich schwierig sich über den Ursprung der Lymph- sefässe in der Blasenmuscularis klar auszusprechen. Die mit der Im- prägnationsmethode erhaltenen Resultate setzen uns in Widerspruch mit der Ansicht v. Recklinshausen’s über den Anfang der Lymphgefässe und flössen uns starke Zweifel an der Richtigkeit dieser Lehre, wenigstens für die Blasenwand, ein. An frischen Blasen kann man mit dem Scalpell die Mucosa, die Sub- mucosa und zwei Muskelschichten isoliren und sie getrennt mit Silber- nitrat und Goldchlorid behandeln. Die mikroskopische Untersuchung zeigt uns sehr klar, dass sich sowohl in der Mucosa propria, wie in der Sub- mucosa eine grosse Anzahl von Negativabdrücken von sogenannten Saft- lücken vorfinden. Man erblickt diese Saftlücken auch noch im Zwischen- raume zwischen den Muskelfasern und, um mich kurz und bündig aus- zudrücken: man sieht sie überall da, wo es Bindegewebe giebt (s. Figg. 7, 10 s f, Taf. VIII). An keinem einzigen Praeparate habe ich zwischen diesen zahlreich vorhandenen Saftlücken und den Lymphgefässen irgend welche Verbindung constatiren können. Die grosse Zahl der Saftlücken in der Mucosa und Submucosa, wo man kein einziges Lymphgefäss beobachten kann, muss uns zu der Ueberzeugung bringen, entweder die Lehre v. Recklinghausen’s kann nicht, auf alle Organe Anwendung finden, oder diese Saftlücken vertreten die Lymphgefässe in der Schleimhaut und die Lymphstämmchen der Blasenmuscularis communieciren in der That mit den Saftlücken, die in der Mucosa sich finden, aber die Imprägnationsmethode mit Argentum nitricum vermag uns hier die Verbindung nicht sichtbar zu machen. Ich möchte mich begnügen, die Thatsache, wie ich sie beobachtet Sn 438 D. GEROTA: habe, anzuführen, ohne mich, mit negativen Ergebnissen an nur einem, und zwar schwierigen Objecte versehen, mit der Frage nach der Bedeutung der Saftlücken und Saftcanälchen für den Ursprung der Lymphgefässe zu beschäftigen. Die Lymphbahnen der Muskelhaut bilden Stämmchen, die die Maschen, welche die Muskelbündel formen, durchbrechen, um zur Oberfläche der Blasenmusculatur zu gelangen, wo sie einen Plexus bilden, den man einen subperitonaealen oder subfascialen benennen kann. Dieser Plexus, gebildet durch ziemlich voluminöse Stämmchen ist dem makroskopischen Studium zugänglich und weist ein recht charakteristisches Aussehen auf. Die Stämme nehmen, wenn die Blase leer ist, einen geschlängelten Weg und zeigen relativ wenig Klappen; sie haben eine Grösse von 0-3 bis 1 m bei Kindern und von 0-5 bis 1.5 ”® bei Erwachsenen. Man sieht sie häufiger eine Arterie als eine Vene begleiten. Ist die Blase im aus- gedehnten Zustande, so sieht man, dass sie alle eine ganz bestimmte Richtung haben: diejenigen, welche vom Scheitel und vom Körper der Blase kommen, laufen nach unten und aussen nach der Seite der Blase, ‚und die, welche von der Basis kommen, nach oben und lateralwärts. Topographisch kann man die Lymphgefässe der Blase scheiden in die der vorderen und solche der hinteren Fläche. An Stelle jeder weiteren Beschreibung will ich lieber einige Abbildungen der Anordnung dieser Lymphstämme und des Weges, welchen sie ein- schlagen, hier beifügen (Fig. 1 bis 6, Taf. VIII. Die Figuren stellen eine schematische Abbildung der kindlichen Blase dar, auf welcher, nach frischer Praeparation, die Lymphgefässe getreulich eingetragen sind. Die Lymphgefässe der vorderen Wand, unter der Faseia vesicalis anterior gelegen, schliessen sich auf ihrem Wege den Zweigen der Artt. vesicales an, dann denen der Art. umbilicalis. Während ihres Verlaufes treffen sie auf ein oder zwei Lymphdrüsen, die sie durchsetzen. Unter diesen möchte ich zunächst auf eine kleine Lymphdrüse hinweisen, die ent- weder auf der Art. vesicalis superior (aus der Art. umbilicalis) rechts oder links (Fig. 1, 2, r, Taf. VIII), gelegen ist, oder tiefer im retropubischen Fettgewebe (Fig. 2, 3, A, Taf. VIII). Mit Waldeyer möchte ich diese als Lymphoglandulae vesicales anteriores bezeichnen; ich habe diese unter 25 Fällen 15 Mal injicirt. | Andere Lymphgefässstämme ziehen auf ihrem Wege zu mehreren kleinen Lymphdrüsen, welche in dem die Arteriae umbilicales umgebenden Fett- gewebe gelegen sind; offenbar sind dies die bereits von Cruikshank und von Mascagni gesehenen Drüsen; ich nenne sie die Lymphoglandulae vesicales laterales; ich fand sie 17 Mal in 25 Fällen. ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 439 Fig. 3, 59, Taf. VIII, stellen zwei Fälle dar, in denen diese Drüsen in grosser Anzahl vorhanden waren. Die erwähnten Drüsen sind auch beim Erwachsenen zu finden; aber sie liegen viel tiefer im Becken, wie bei Kindern, entsprechend der Lage der Blase und der der Art. umbilicales beim Erwachsenen; sie sind aber hier viel schwerer sichtbar zu machen: denn einerseits ist es überhaupt beim Erwachsenen schwerer, Lymphgefässe zu injieiren und andererseits ist es durch einfaches Praepariren in dem praevesicalen und perivesicalen Fette unmöglich, diese kleinen Drüsen darzustellen, welche nur auf dem Wege der Injection — in der Mehrzahl der Fälle — augenfällig gemacht werden können. Nachdem die Lymphgefässe diese Drüsen verlassen haben, wenden sie sich zur lateralen Beckenwand, um dort bald in eine unter der Art. iliaca externa gelesene Drüse einzumünden, bald in Lymphknoten, die an der Haupttheilungsstelle der Art. hypogastrica gelegen sind. Diese Lymph- drüsen sind es auch, welche einen Theil der Lymphgefässe der Vagina und des Uterus aufnehmen. Auf der Hinterfläche bemerkt man eine ganz analoge Anordnung wie vorn, d.h. also: die Lymphgefässe vom Scheitel und Corpus gehen nach unten und lateralwärts zu der lateralen Wand der Blase, die Lymph- gefässe vom Fundus nach oben und lateral. Alle diese Stämme münden direct in die erwähnten lateralen Drüsen, oder sie vereinigen sich zuerst mit den Stämmen, die von der Vorderfläche herkommen. Beim Manne com- municiren die Lymphgefässe des Blasenfundus mit denen der Prostata und der Samenblasen (Fig. 4 /, Taf. VIII); beim Weibe mit denen der vorderen Wand der Vagina (Fig. 5 mn, Taf. VIII). Auch bei einer Katze habe ich sehr deut- lich diese Verbindung zwischen den Lymphgefässen des Blasenfundus und der Urethra mit denen der Vagina beobachten können. Man findet auch direete Verbindung zwischen den Lymphgefässen des Blasenfundus und denen des unteren Theiles der Ureteren (Fig. 6p, Taf. VIII). Nach dieser Beschreibung der bis zu einem gewissen Grade typischen Verhältnisse möchte ich noch einige Fälle als Varietäten anführen. So stieg in einem Falle ein Lymphstamm sehr hoch an der Art. umbilicalis hinauf, durchsetzte eine Drüse und stieg in normalem Verlaufe wieder herab (Fig. 3, Taf. VII). Zuweilen dringt ein oberflächlich gewordenes Lymphgefäss von Neuem in die Musculatur ein, legt dort eine kurze Strecke zurück und wird dann wieder oberflächlich. Neben den erwähnten Lymphknoten findet man manchmal noch kleine Lymphdrüsen unter der Arterie obturatoria, in dem Fette des Cavum laterale vesicae, welche Lymphgefässe vom Blasenfundus aufnehmen. 440 "D. GEROTA: B. Ueber die Absorptionsfähigkeit der Harnblase. Eine viel grössere Anzahl von Arbeiten hat sich mit der physiologischen Frage der Absorptionsfähigkeit der Harnblase beschäftigt, als mit der Frage der Lymphgefässe dieses Organes. Im Allgemeinen vermag man die aus- gesprochenen Ansichten in zwei Reihen unterzubringen: Die eine Gruppe von Untersuchern hat gefunden, dass die Blasenwand vollkommen undurch- lässig ist, und hat das Fehlen von Lymphgefässen und die Anordnung der Epithelien in Beziehung gebracht zu der Undurchlässiskeit der Blasenwand. Die zweite Gruppe fand, dass die Blasenwand ein gewisses Absorptions- vermögen besitzt; dabei geben einige dieser Untersucher das Vorhandensein von Lymphgefässen in der Blasenschleimhaut, die die Absorption bewirken sollen, zu, während andere jedes Vorkommen von Lymphgefässen in Abrede stellen und annehmen, dass die Absorption durch Vermittelung des Venen- systems vor sich gehe. Es erscheint nicht ohne Interesse, die wichtigsten der Arbeiten kurz zu - recapituliren, um erkennen zu lassen, wie jeder der Untersucher die Frage aufgefasst hat und worauf die Verschiedenheit der erhaltenen Resultate zurückzuführen ist. I. Schon in ziemlich früher Zeit findet man Angaben über die Ab- sorption der Blase; man beobachtete, dass der Morgenurin viel concentrirter ist als der während des Tages gelassene Urin, und nahm an, dass ein Theil der Urinflüssigkeit während der Nacht durch die Blasenwand resorbirt wird. Auch zur Zeit von Prevost und Dumas (23) glaubte man an ein Absorptionsvermögen der Blasenwand, wie aus einer Arbeit dieser beiden Autoren hervorgeht. Sie fanden, dass der nach Nierenexstirpation im Blut vorkommende Harnstoff identisch sei mit dem des Urins.. Damit nichts von dem in der Blase enthaltenen Urin absorbirt werde, wendeten sie immer die Vorsichtsmassregel bei ihren Experimenten an, dass sie die Blase entleerten. Ferner erwähnt Longet in der zweiten Auflage seines Handbuches der Physiologie: „die einfache Beobachtung lehrt schon, dass allein durch die Ansammlung von grösseren Mengen Urins in der Blase die Flüssigkeit concentrirter, die Farbe dunkler, der Geruch stärker ist, wenn diese Urin- mengen einige Zeit in der Blase zurückgehalten werden, als wenn sie gleich, nachdem sie in die Blase gelangten, wieder entleert werden.“ Civiale (50) sagt: „Es scheint, dass einige Bestandtheile des Urins auf diesem Wege (durch die Absorption von der Blasenwand) in den Körper gelangen, wodurch der urinähnliche Geruch von Auswurf und von gewissen Schweissarten sich erklärt.“ ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 441 Segalas d’ Etchepare (24), der vergleichende Untersuchungen über die Absorptionsfähigkeit der verschiedenen Schleimhäute anstellte, sah bei Hunden den Tod eintreten, wenn er ihnen eine Strychninlösung in die Blase injicirte. Eine ähnliche Beobachtung machte Orfila (54), der der Blasenwand eine, wenn auch schwache und langsame Resorptionsfähigkeit zuspricht. Auch findet man in der Litteratur Autoren wie Hicks (67), Black (69) und Medicus (34), die zu therapeutischen Zwecken Einspritzungen von Medicamenten in die Blase empfehlen. Im Jahre 1869 berichtete Paul Bert (69) über Experimente, welche die Absorptionsfähigkeit der Blase beweisen sollen. Bei dieser Gelegenheit erwähnt Brown-Sequard, dass man während der Choleraepidemieen in Russland und Italien das Absorptionsvermögen der Blase benutzt habe, um den Kranken auf diesem Wege Medicamente einzuverleiben. Genauere physiologische Untersuchungen stellte Kaupp (56) an. Aus- gehend von der Voraüssetzung, dass die Analyse ein quantitativ oder qualitativ verschiedenes Resultat geben müsse bei Urin, der lange in der Blase zurückgehalten, und bei solchem, der in kurzen Intervallen entleert wurde, analysirte Kaupp seinen eigenen Urin während 60 Tagen, nachdem er ihn nach verschieden langen Zeiträumen entleert hatte. So untersuchte er den Urin, den er stündlich gelassen hatte, und verglich ihn quantitativ und qualitativ mit den Urin, der von einer einmal in 12 Stunden erfolgten Entleerung stammte. Dabei kam er zu dem Schluss, dass die in 12 Stunden stündlich entleerte Urinmenge die einmal in 12 Stunden entleerte Menge bei weitem übertrifft und reicher ist an festen Substanzen. Bei dem Urin, der einmal in 12 Stunden gelassen wurde, fand er, auf die Stunde be- rechnet, einen Verlust von 7.2 «m Volumen, 0.077 em Harnstoff, 0.065 sr" Chlornatrium, 0.014 sn Phosphorsäure, 0.005 s’= Schwefelsäure, 0-176 feste Bestandtheile. Segalas junior (62) kam auf Grund von Versuchen, die er mit Martineau anstellte, zu dem Resultate, dass die Blase resorbire. Sie soll nach ihm für Strychnin das gleiche Resorptionsvermögen besitzen wie der Magen. Ein Schüler Guyons, Alling (68) fand bei seinen Experimenten, dass die gesunde Blase zwar die Fähigkeit der Absorption besitze, dass dann aber die in die Blase gebrachte Lösung sehr concentrirt und die Blase selbst im Uebrigen leer sein müsse. Später aber kam derselbe Verfasser (71) zu dem Schluss, dass die Blase bemerkenswerthe Mengen toxischer und medicamentöser Substanzen überhaupt nicht zu resorbiren im Stande sei. Hier wären noch zu erwähnen die zweifelhaften Resultate von Demar- quay (67). Er injieirte bei einer Anzahl von Kranken mit Strieturen der 442 "D. GEROTA: Urethra Jodkali in die Blase; bei einigen erhielt er positive, bei anderen negative Resultate. Durch das Experiment kam Treskin (72) zu dem Resultate, dass eine Diffusion bestehe zwischen dem Inhalt der Blase und den in der Blasenwand circulirenden Flüssigkeiten (Blut und Lymphe), und dass der Urin an Harnstoff verliere, aber an Flüssigkeit und an Chlor- natrium zunehme. Fleischer und Brinkmann (80) nahmen eine Absorption der Blasen- wand an nach Versuchen, die sie an Kranken anstellten. Die Art, wie sie die Versuche vornahmen, war die folgende: Sie injieirten bei einer Anzahl von Kranken 200 sm einer 0-5 procent. wässerigen Lösung von Jodkali in die Blase, bei drei Kranken spritzten sie eine 1 procent. Lösung ein. Dann wuschen sie, bevor sie den Katheter aus der Blase herauszogen, den- selben mit Wasser sorgfältig aus, um zu vermeiden, dass kleine Reste der injieirten Lösung in die Urethra gelangten. Danach machten sie den Kranken eine subcutane Pilocarpininjection, um möglichst viel Speichel von ihnen zu erhalten. Nach 1!/, Stunden enthielt der Speichel in einer Reihe von Fällen keine Spur von Jod; in einigen anderen Fällen konnten sie die Anwesenheit von Jod constatiren. Da jedoch die Untersucher selbst es für nicht unmöglich hielten, dass geringe Mengen von der Jodkaliumlösung zwischen Catheter und Harnröhrenwand eindringen konnten, so führten sie bei einer Frau durch einen weiten Catheter kleine Kugeln von Jodkali ein. Aber auch in diesem Falle fanden sie Jod im Speichel. Noch ein weiterer Fall liess die Verfasser auf eine Durchlässigkeit der Blasenwand schliessen. Bei einer Frau wurden durch einen doppelläufigen Catheter 150 es” einer 5 proc. Jodkalilösung in die Blase eingespritzt, und der Catheter 20 Minuten in der Blase liegen gelassen. Nach dieser Zeit wurde die Blase von ihrem Inhalt entleert und ausgewaschen, bis das Spülwasser keine Spuren von Jod mehr enthielt. Dann wurde der Catheter herausgezogen und die Kranke erhielt ihre subeutane Pilocarpininjeetion. Der während 1!/, Stunden gesammelte Speichel der Kranken enthielt deutlich Jod. Ein Jahr später veröffentlichten Maas und Pinner (80, 81) eine Arbeit über diese Frage, durch welche sie zur Annahme geführt wurden, dass sowohl Urethra wie Blase zu resorbiren vermögen. Die Verfasser stellten ihre Versuche an normalen und pathologischen Blasen von Menschen und von Thieren an. Sie brachten die Lösungen in die Blase entweder mittelst des Catheters und banden dann den Blasenhals ab, oder sie führten die Lösungen durch Punction der Blasenwand mit der Nadel einer Pra- vaz’schen Spritze ein, wonach sie die Stichstelle unterbanden. Während der Versuche sammelten sie den von den Nieren abgesonderten Urin, um genau den Zeitpunkt bestimmen zu können, wann die durch die Blasen- wand absorbirten Substanzen durch die Nieren wieder eliminirt wurden. ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 443 In anderen Fällen liessen sie den Dauercatheter während des Experimentes liegen, wobei sie jedoch darauf achteten, dass durch das stundenlange Ver- weilen des Catheters keine Läsion der Schleimhaut bewirkt wurde. Sie injieirten bei Hunden 30 &”=, bei Kaninchen 10 =® einer 10 procentigen Lösung von Kaliumferrocyanatum; nach °/, Stunden zeigte der durch die Nieren abgesonderte Urin, dass Resorption stattgefunden hatte. In einer Versuchsreihe fanden sie, dass Kalium cyanatum in die Blase von 0-10 bis 0-13 2m in 5 procentiger wässeriger Lösung injieirt, das Kaninchen in 20 Minuten tödtete und eine stärkere Dosis auch bei Hunden den Tod herbeiführte. Ebenso brachten 0.014 &= von Strychnin (in 1 procentiger Lösung) Kaninchen in 10 Minuten zum Sterben. Mit Curare und Atro- pinum sulfuricum hatten die Verfasser negative Resultate. Unter 41 am Menschen angestellten Versuchen konnte 26mal constatirt werden, dass die normale Blase des Menschen Jod absorbirt — bei Injection von 50 sm einer 10 procert. Lösung — und ebenso Pilocarpin — bei Injection von 120 stm einer Lösung von 0-2 Procent. Fast auf die gleiche Art wurden die Versuche von Ashdown (87) angestellt. Dieser Untersucher wendete Eserinum sulfuricum, Strychnin und Jodkali in verschiedenen Lösungen an und bewirkte den Tod eines Kanin- chens mit einer starken Strychninlösung in einigen Minuten. Bei Hunden entleerte er die Blase, wusch sie aus, unterband die Ureteren und injicirte eine Lösung von Harnstoff. Nach 5 bis 6 Stunden fand er, dass sich die Menge und die Concentration der injieirten Flüssigkeitsmenge vermindert hatte. Gaebelein (94) wandte Harnstoff, Glycose und Natrium chloratum zur Injection an. Nachdem er die Blase durch Druck entleert und die Ureteren unterbunden hatte, spritzte er durch einen Catheter eine Glycose- oder Harnstofflösung ein, deren Volumen und Concentration vorher bestimmt war. Nach kürzerer oder längerer Zeit entleerte er die Blase von Neuem und bestimmte das Volumen und die Concentration der gewonnenen Flüssig- keitsmenge. Er fand, dass eine Glycose- oder Harnstofflösung beim Ver- weilen in der Blase an Menge zunimmt, an ÜOoncentration aber abnimmt. Mit Natrium chloratum und mit destillirtem Wasser erhielt er keine sicheren Resultate. Zwei Arbeiten, die durch die Art, wie die Verfasser der Frage näher traten, sehr interessant erscheinen, sind die von Bazy (94) und Sabatier (94). Bazy spritzte durch einen weichen Catheter in die leere Blase verschiedene starke Lösungen von medicamentösen und toxischen Substanzen, so 100 procent. Kalium jodatum-Lösung, ferner Lösungen von Coffein 1:5, Coeain 1:5, Strychnin 1:30, Aconitin 1: 100, Brucin 1:15, Morphium 1:10, Veratrinum 1-5:100 u. a., immer ohne die Urethra zu unter- 444 "D. GEROTA: binden. Auch Bakterienculturen spritzte Bazy in die Blase und bewirkte den Tod der Thiere in 24 Stunden bis 3 Tagen. Aus seinen Versuchen schloss Bazy, dass die Blase resorbirt, und dass sogar ein ziemlich leb- hafter Resorptionsvorgang stattfindet. Sabatier, dessen Arbeit nur eine eingehende Widerholung der Ver- suche Bazy’s darstellt, wendet die gleichen oben erwähnten Mittel, wie Bazy, zur Injection an. Er kam zu dem Resultate, dass die gesunde Blase resorbirt, und zwar ebenso rasch oder vielleicht noch rascher, als die oberen Theile des Verdauungstractus. Endlich ist unter den Untersuchern, die eine Absorptionsfähiskeit der Blase annehmen, noch Hottinger (96) zu erwähnen. Im Gegensatz zu den angeführten Arbeiten bringt eine Anzahl von Untersuchern verschiedene Argumente gegen eine Resorption seitens der Blase. So stellte 1846 Küss, Professor der Physiologie in Strassburg, die Durchlässigkeit der Blasenwand in Abrede auf Grund folgenden Versuches. Er brachte in die Blase eine Lösung von Ferrocyankalium und auf die Aussenfläche der Blasenwand eine Lösung von Lig. ferri sesquichlorati, und unter normalen Verhältnissen zeigte sich keine Reaction durch die Blasen- wand hindurch. Aber sobald mit einem Eisendraht auf der inneren Ober- fläche der Blase Theile des Epithels weggekratzt waren, entstand sofort die Berliner Blau-Reactiin. Küss nahm an, dass das Epithel der Blase eine unüberwindliche Schranke für jede Resorption bildet. Einige Schüler von Küss bestätigten durch Wiederholung der Versuche diese Resultate. Ebenso machte Susini (1867) die Experimente von Küss nach. Ausserdem injieirte er, um nachzuweisen, dass es eine vitale Eigenschaft der Blasenepithelien sei, die die Absorption verhinderte, in die Blase eines noch warmen Cadavers eine Lösung von Chromsäure. Obgleich die Epithel- zellen der Schleimhaut noch überall ganz intact waren, fand doch an allen Stellen die Osmose statt, weil die Zellen mit dem eingetretenen Tode ihre vitale Eigenschaft verloren hatten. Der Verfasser stellte auch an sich selbst Versuche an, indem er :sich eine Jodkalilösung (4: 150) und eine Ferro- cyankaliumlösung (5 : 150) in die Blase injieirte und konnte nicht die ge- ringsten Spuren einer Absorption constatiren. Später waren es Cazeneuve und Livon (78, 79), welche die Frage von einem anderen Gesichtspunkte aus behandelten. Davon ausgehend, dass vielleicht die Blase ein ähnliches Verhalten zeige wie die Darm- wandung, die bekanntlich einige Stoffe sehr rasch resorbirt, für andere aber ganz unzulässig ist, wollten sie sich zunächst überzeugen, ob überhaupt die Blasenwandung durchlässig ist. Zu diesem Zwecke unterbanden sie bei ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 445 Hunden den Penis, um in die Blase eine Retentio urinae zu erzeugen. Dann nahmen sie die gefüllte Blase aus dem Körper des Thieres heraus, wuschen sie äusserlich und brachten sie in ein Gefäss mit destillirtem Wasser. Von Zeit zu Zeit prüften sie das Wasser mit Hülfe von Natrium hypobromicum darauf, ob es Harnstoff enthielt. Bei frisch entnommenen Blasen trat die Dialyse erst 3 bis 4 Stunden nach dem Tode des Thieres ein, während dieselbe schon nach 10 bis 15 Minuten zu constatiren war, wenn die Blase einen Tag vor der Vornahme des Versuches exstirpirt war. Die Verfasser kamen, wie Küss, zu dem Schlusse, dass unter physiologischen Verhältnissen das Blasenepithel eine Schranke bildet für jede Absorption. Auf Grund von Versuchen, die auf ähnliche Art, wie die von Bazy und Sabatier, nur unter Anwendung schwächerer Lösungen ausgeführt wurden, gelangten Boyer und Guinard (94) zu Ergebnisse, die gegen jede Absorption der Blasenwände sprachen. Sie spritzten in die Blase von Hunden 5 procent. Lösungen von Cocain (0-25 bis 0-50) ein, ferner 2 proc. Morphiumlösungen (V-10 8”), 4 proe. Pilocarpinlösungen (0-20 &%), 1 proc. Strychninlösungen (0-04 bis 0-10) u. A. m. Die Thiere zeigten nie Vergiftungserscheinungen. Endlich ist noch die Arbeit von Lewin und Goldschmidt (96) zu erwähnen, die ebenfalls gegen die Annahme einer Absorption sich wendet. Die Verfasser arbeiteten mit Strychnin und mit Phenylhydroxylamin und endlich mit salzsaurem Hydroxylamin, dessen Anwesenheit im Blut mit Hülfe des Spectroscops schon in Mengen von 0-0008 8m sich nachweisen lässt. Die Untersucher fanden, dass die Blasenwand ganz undurchgängig war; wenn doch positive Resultate sich zeigten, so war der Grund in einer Resorption seitens der Urethra oder der Ureteren, in die der Blaseninhalt eindrang, zu suchen. Nach dieser Litteraturübersicht sind es zwei Richtungen, in welchen die Untersuchungen geführt worden sind: die physiologische und die klinische. Die physiologische Untersuchung, der experimentelle Weg, konnte zwei Bahnen einschlagen: die Untersuchung des Harns nach verschiedenem Ver- weilen in der Blase, oder die Einführung verschiedener chemischer Stoffe in die Blase, an die sich die Analyse der Wirkungen schliessen musste. Von Neuem muss man sich die Frage vorlegen: Woran liegt es, dass von den Experimentatoren so verschiedene, einander widersprechende Er- gebnisse erhalten wurden? Zunächst an einer grossen Zahl von Operationsfehlern, welche die Experimentatoren entweder übersehen oder deren Wirkungen sie falsch deuteten. Sodann aber an der falschen Auffassung des Absorptionsvermögens eines Organes. 446 >D. GEROTA: Es heisst die Gesetze und den Mechanismus der Absorption durchaus verkennen, wenn man der Blase ein Absorptionsvermöcen abspricht aus dem Grunde, weil man nach Injection einer Lösung von Natrium ferro- cyanatum nicht die charakteristische Reaction erhält mit einer Eisenlösung, die man auf die äussere Oberfläche der Blase bringt. Die Absorptions- vorgänge verlaufen doch nicht zwischen Innen- und Aussenfläche eines Organes, sondern zwischen der Innenfläche und den Blut- und Lymph- gefässen. Andererseits, wenn nach Abkratzung des Epithels Absorptions- vorgänge stattfinden, so hat man es nicht mehr, wie Bazy ganz richtig bemerkt, mit der normalen Blase zu thun, sondern mit einer verletzten, und dann findet Absorption statt, wie an irgend einer beliebigen Wandfläche. Dies ist der Einwand, den man gegen die Experimente von Küss erheben muss, die man überall wider die Absorption der Blase sprechen lässt. Ebenso, will man den Schluss ziehen, dass die Blase absorbirt und zwar sehr energisch, wenn man Lösungen, wie Kalium jodatum 100 Procent, Veratrin 3:200, Aconitin 1 Procent, Coffein 20 Procent u. s. w., in die Höhlung einführt, so vergisst man, dass die Blase von einer Schleimhaut, die wie alle Schleimhäute empfindlich ist, ausgekleidet ist, und übersieht, dass die genannten Stoffe heftige locale Reizwirkungen haben. Dies ist gegen die Experimente von Bazy, Sabatier u. A. geltend zu machen. Drei Fragen sind es, die man sich betrefis der Absorption der Blase vorzulegen hat: 1. Absorbirt die Blase im normalen Zustande etwas von ihrem Inhalt? 2. Absorbirt die gesunde Blase etwas von ihrem Inhalt in den Fällen von Harnverhaltung? 3. Können Medicamente oder toxische Stoffe, die man in die Blase einführt, von ihr resorbirt werden? Für die Beantwortung dieser Fragen ist zunächst zu bedenken, dass die Blase ein musculöses Reservoir darstellt, bestimmt, Stoffe aus dem Organismus herauszuschaffen, welche demselben schädlich wären, wenn sie resorbirt würden, und zwar nicht nur toxische Stoffe, die der Organismus selbst herstellt, sondern auch Gifte, die zufällig aufgenommen wurden. A priori muss man also annehmen, dass die Blase nicht absorbirt; denn es wäre unverständlich, wenn sie Stoffe resorbirt, deren sich der Organismus entledigen will; das hiesse doch, das sich der Körper selbst und gerade mittelst des Organes vergifte, das dazu bestimmt ist, ihn von Giftstoffen zu befreien. Wiederum ist die Blase mit einer Schleimhaut versehen, bedeckt mit mehrschichtigem Plattenepithel — einem Epithel, das, wie man weiss, für Absorptionszwecke sehr ungeeignet ist. Auch besitzt die Blasenschleimhaut keine eigene Lymphgefässe;! ebenso wenig können wir die Existenz von ! Hiernach darf man nicht glauben, dass die Gegenwart von Lymphgefässen in der Wand eines Hohlorganes voraussetzt, dass nothwendig diese Lymphgefässe etwas von dem Inhalt des Organes absorbiren müssen. ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 447 Drüsen, die eine Absorption vermitteln könnten, in der Blasenschleimhaut zugeben [siehe hierüber Hey (95), Aschoff (94)]. Also fehlt für die Ab- sorption der Blase auch jeder anatomische Anhaltspunkt. Aber wenn der Blase auch nicht die physiologische Function der Ab- sorption zukommt, so besitzt sie doch die physikalische Eigenschaft, für gewisse Flüssiekeiten durchlässig zu sein. Betrachten wir nun unsere Versuche. 2. Technik. Das technische Vorgehen könnte man wohl als das Wichtigste bei der Untersuchung betrachten, denn nur an der Technik lag es, dass man so widersprechende Ergebnisse erhalten hat. Die Thiere wurden stets im anästhetischen Zustande operirt, um jede brüske Bewegung zu verhindern, die das Resultat hätte beeinträchtigen können. Weibliche Hunde und Katzen boten die günstigsten Objecte, denn es ist bei ihnen sehr leicht, das Collum vesicae zu unterbinden, dagegen männliche Kaninchen die ungünstigsten wegen der Vesicula prostatica. Nach der Operation muss das Thier ganz in Ruhe bleiben. Niemals kann man an demselben Thier den Versuch wiederholen. Die Zahl der von mir verwandten Substanzen war eine beschränkte. Denn für mich konnte es sich nicht darum handeln, die Zahl der Stoffe zu vermehren, die nach den Angaben der Experimentatoren die Blasenwand durchlässt oder nicht durchlässt. Vielmehr war es mein Ziel, genau fest- zustellen, unter welchen Umständen eine Substanz die Blasenwand durch- dringen kann, und ob die Blase überhaupt durchdringlich ist oder nicht. Verwandt wurden: Ferrocyannatron, Glucosen, Urea, Kalium jodatum und Acidum eyanhydricum; ferner von Alkaloiden: Strychninum nitricum und sulfurieum, Cocain und Atropin. Die Lösungen wurden stets von mir selbst hergestellt und frisch angewendet. Bei der Einspritzung hatten die Lösungen entweder Zimmertemperatur, oder eine Temperatur von 25 bis 28°. Die Temperatur der injieirten Lösungen ist von einigen früheren Untersuchern für die. Verschiedenartigkeit der Resultate verantwortlich gemacht worden. Es ist wohl möglich, dass eine kalte Lösung auf eine leere Blase eine Ein- wirkung hat, doch konnte dies in keiner Weise bei einem meiner Versuche constatirt werden. Die Blase wurde stets durch die Laparotomie frei gelegt, und in allen Fällen wurden die Ureteren unterbunden. Die Ligatur ist sehr nahe der Blasenwand vorzunehmen, und man muss sich hüten, Arterien zu zerstören oder zu unterbinden. In mehreren Fällen habe ich eine besondere Canüle in einen oder in beide Ureteren eingeführt, um den während des Versuches secernirten Harn auffangen zu können; dabei muss die Canüle an der 448 >”D. GEROTA: Bauchwand befestigt werden. Die Blase wurde mittelst Punction mit der Pravaz’schen Nadel entleert; zuweilen bei den Oontrolversuchen auch durch Catheterisiren oder durch leichten Druck auf die Blase. Die grösseren technischen Schwierigkeiten bereitet die Injection der Lösung, mit der man experimentirt. Der am häufigsten von den Experimentatoren beschrittene Weg war die Einspritzung der Lösung mit Hülfe eines in die Urethra eingeführten Katheters. So haben Fleischer und Brinkmann, Maas und Pinner, Bazy, Sabatier u. A. experimentirt. Einige zogen dann den Catheter, nachdem sie mit Wasser nachgespült hatten, heraus und unterbanden das Collum vesicae; Andere liessen den Catheter in der Blase (Maas, Pinner), von der Ansicht ausgehend, dass er das Orificium vollständig abschlösse und keine Läsion während der wenigen Stunden, die der Versuch dauert, bedingte; noch Andere endlich zogen den Catheter heraus, ohne den Blasen- hals zu unterbinden. Unsere Experimente zeigten, dass man niemals sicher davor ist, dass der Blaseninhalt in die Urethra eindringt, wenn man nach dieser Methode vorgeht. Der Injectionsact selbst, der die Blase plötzlich und brüsk aus- dehnt, reizt die Musculatur zur Contraction. Schon die Manipulationen an der Blase, während man die Ligaturen an den Ureteren oder der Urethra anlegt, reichen hin, um eine öfter recht kräftige Contraction der Blase hervorzurufen. Und dass während der Contraction der Inhalt der Blase neben dem Catheter in die Urethra eintritt, ist nicht zu bezweifeln. Ja, selbst wenn die Quantität der injieirten Flüssigkeit nicht so gross ist, dass durch die Ausweitung der Blase ihre Contraction hervorgerufen wird, so reicht schon der mechanische Reiz des Catheters am Blasenhals hin, um die Blasenmusculatur zur Contraction zu bringen: physiologische Thatsachen, die bekannt genug sind, um sie hier nicht mehr zu besprechen. Aber auch noch Anderes spricht gegen die Methode. Vor Allem die Verletzung des Blasenepithels durch die Einführung des Catheters, auch wenn dieser noch so biegsam ist. Ich habe mich überzeugt, dass das leiseste Hinüberfahren über die Schleimhaut mit einem nur 5 em wiegenden Instrument schon Läsionen am Epithel der Blase eines Kaninchens zur Folge hat. Und zugegeben selbst, dass der Catheter keine Läsionen des Epithels verursacht, so bleibt noch eine andere Schädlichkeit des Cathete- risirens bestehen. Man muss sich hier an die anatomischen Verhältnisse des Blasenhalses erinnern, und ich möchte zur Erleichterung des Verständ- nisses eine schematische Beschreibung geben. Wenn der Theil der Musculatur, welcher den Sphincter des Blasen- halses bildet etwa wie eine Membran, wie ein elastisches Diaphragma an- . geordnet wäre, so müsste sich dies beim Herausziehen des Catheters con- ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 449 trahiren und unmittelbar hinter dem Catheter die Mündung verschliessen, so dass der Inhalt der Blase den Blasenhals nicht durchbrechen könnte. Der Sphincter bildet aber einen kurzen musculösen Canal, und wenn ein Catheter ihn durchlaufen soll, so öffnet er ihn in seiner ganzen Länge. Umgekehrt, wenn ein Catheter die Blase verlässt, bleibt der kurze Canal, den der Schliessmuskel bildet, halb offen, und schliesst sich erst vollständig, wenn der Catheter die Region des Sphincters verlassen hat. Daher ist es nicht schwer zu verstehen, dass diese Art des Verschlusses hinter dem Ende des Catheters nicht so absolut sicher wirken kann, dass nicht eine kleine (Quantität des Blaseninhaltes zugleich mit dem Ende des Catheters in die Urethra gelangen könnte. Eine Reihe von Thierversuchen bestätigte dies. Man mache bei einem Hunde oder einem Kaninchen die Laparotomie und lese um den Blasenhals einen Faden, ohne zu unterbinden. Dann führe man mit äusserster Vorsicht einen biegsamen Catheter (Nelaton Nr. 8) gut geölt ein, und injieire durch diesen 10 «m einer 20 proc. Ferro- eyannatriumlösung, darauf spüle man den Catheter mit einem sanften Strome destillirten Wassers aus, und ziehe ihn dann heraus, wobei man die Wand des Catheters wohl zusammenpresse, um die darin enthaltene Flüssigkeit nicht in die Urethra fliessen zu lassen; ein Assistent zieht die am Blasenhals angelegte Schlinge in dem Augenblick zu, wo das Ende des Catheters den Faden passirt hat. Sodann tödte man das Versuchsthier, spalte die Symphyse und schneide die Urethra in ihrer ganzen Länge (mit eimer reinen Scheere) auf, ohne die Blase an der Stelle der Ligatur zu berühren. Giesst man nun eine Eisenlösung auf die Urethralschleimhaut, so erhält man auf ihr die Reaction des Berliner Blau, zum Beweise, dass der Blaseninhalt in die Urethra drang, während der Catheter herausgezogen wurde. Oder man mache folgenden Versuch. Dieselbe Technik wie vorher. Man leert die Blase und injieirt 100 «m Ferrocyankaliumlösung. Der Catheter wird ruhig liegen gelassen, während man die Ligatur um den Blasenhals legt. Die Reaction mit einer Eisenlösung zeigt in den meisten Fällen, dass die Flüssigkeit in die Urethra gedrungen ist, sei es in Folge der grossen Flüssigkeitsmenge, sei es in Folge einer Contraction der Blase im Augenblick der Injection, wie sie sich ja häufig zeigt. Eine andere Art, Flüssigkeit zu Versuchszwecken in die Harnblase zu bringen, ist folgende: Man führt eine feine Canüle in einen Ureter ganz nahe der Blasenwand und injieirt die Lösung durch diese Canüle. Wir haben diese Methode in einigen Fällen mit Erfolg angewandt; jedoch bietet auch sie Nachtheile dar. Erstens ist die Befestigung einer Canüle in dem Ureter sehr schwierig bei kleinen Thieren und erfordert sehr feine Canülen. Ferner lassen sich die benachbarten Gewebe während des Herausziehens der Canüle Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 29 450 -D. GEROTA: vor der Flüssigkeit, die dabei ausfliessen kann, schwer schützen. Aber der grösste Fehler dieser Injectionsmethode ist, dass man nicht den Blasen- inhalt vor der Injection der Versuchsflüssigkeit entleeren kann. Immerhin ist diese Methode recht gut, wenn man die Blasenschleimhaut sicher nicht verletzen will und die Blase leer ist, da man den Blasenhals nicht abzu- binden braucht; denn, wie wir es weiter auseinander setzen werden, halten wir es für ausserordentlich wichtig, dass der Blasenhals nur dann unter- bunden werde, wenn die Blase durch Harn gut ausgedehnt ist. Der dritte Weg, auf dem Flüssigkeit in die Blase injieirt werden kann, ist der der Blasenpunction. Ohne behaupten zu wollen, dass diese Methode einwandsfrei ist, haben wir ihr dennoch den Vorzug gegeben, weil sie uns als die beste erschien. Sie scheint auch von anderen Experimentatoren, wie Dewin und Goldschmit, Boyer et Guinard u.s. w. mit viel grösserem Erfolg, als die übrigen angewandt worden zu sein. Nach mehreren Controlversuchen sind wir zu folgenden Regeln für diese Methode gelangt. Vor Allem muss das Thier die Blase mit Urin oefüllt haben. Man sorgt dafür, indem das Thier vor der Operation an einem warmen Orte richtig gehalten wird, oder indem ihm der Penis (die Urethra) einige Stunden vor der Operation abgebunden wird. Die opera- tiven Schwierigkeiten und die Möglichkeit, die Schleimhaut zu verletzen, sind bei leerer Blase so gross, dass wir es sogar für unnütz erachten, an solchen Thieren zu experimentiren, besonders an Kaninchen. Nur eine durch Urin stark gedehnte Blase lässt sich leicht am Halse und an den Ureteren abbinden, ohne diese zu beschädigen. Man isolirt dafür mit einer Sonde das den Hals umgebende Fett und legt mit einer Cooper’schen Nadel einen starken Seidenfaden herum, mit dem man dann die Ligatur des Blasenhalses ausführt. Darauf bindet man die Ureteren nahe an der Blase ab. Dann fasst man mit einer Pincette den Gipfel der Blase, ohne die Blasenschleimhaut mitzunehmen und übt einen leichten Zug aus, so dass man eine conisch verlängerte Parthie der ganzen Blasenwand bekommt, die man mit einem Seidenfaden umschlinst. In diesen hervorspringenden Theil, der also auch die Schleimhaut enthält, sticht man eine feine Pravaz’sche Nadel, die ein Assistent mit grosser Vorsicht fixirt hält; dann zieht man die Seidenschlinge über der Nadel zu und knotet den Faden nur einmal. Jetzt aspirirt man mittelst einer Spritze den in der Balse befindlichen Urin. Doch darf man die Entleerung der Blase nie zu weit treiben, weil man, je weniger Urin in der Blase ist, desto mehr Gefahr läuft, dass die Blasenwand von der Nadel berührt wird; ich habe immer mindestens 2m Urin in der Blase gelassen. Weiter injieirt man durch die Canüle die Versuchsflüssig- keit — entweder mittelst der Spritze oder mittelst einer graduirten Bu- rette — und zieht sehr schnell die Nadel heraus, während ein Assistent ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 451 den um die Nadel geschlungenen Faden anzieht und das Knoten der Ligatur beendet. Durch ein Wattetampon um die punktirte Stelle herum wird, wenn ein Tropfen von der Nadel fällt, derselbe aufgefangen. Nur den Vorwurf kann man dieser Methode machen, dass sie nicht die vollständige Entleerung der Blase ermöglicht. In einigen Fällen haben wir die Blase auch auf andere Weise entleert. Man legt eine Fadenschlinge an den Blasengipfel, wie oben auseinander gesetzt, und macht, anstatt eine Pravaz’sche Nadel einzustechen, die Punetion mit einem sehr feinen Scalpel. Darauf wird eine kurze feine Canüle eingelegt und festgebunden, so dass die Spitze der Canüle nicht in das Blaseninnere hineinragt. Auf diese Weise wird es möglich, den Blasen- inhalt zu entleeren, ohne dass die Canüle die Blasenschleimhaut berührt. Nach der Injection der Versuchsflüssigkeit legt man eine Ligatur unterhalb der Canüle an und zieht die Canüle heraus. Der Theil der Blasenwand, der bei der Punction oder durch die Canüle verletzt ist, wird so durch die Ligatur abgeschlossen. Diese Methode unterliegt Bedenken, weil die unter- halb der Canüle angelegte Ligatur einen grossen Theil der Blasenschleim- haut umgreift. Dadurch ist die Gefahr vergrössert, dass die Versuchs- flüssigkeit in Berührung mit der bei der Unterbindung entblössten Schleim- haut kommen kann. Deshalb haben wir nur in einigen Fällen unter Anwendung der grössten Vorsicht uns dieser Methode bedient, und sonst immer die Methode der Punction mit der Pravaz’schen Nadel bevorzugt, bei der die Punktions- stelle sehr klein und die Schleimhaut vor der Injection der Versuchsflüssig- keit abgebunden wird. Hinsichtlich der Ligatur des Blasenhalses und der Blasenwand an der Stelle der Punction müssen wir noch eine wichtige Bemerkung machen. In der Mitte der Ligaturstelle zeigt die mikroskopische Untersuchung die Schleimhautzellen zerquetscht und fast vollkommen zerstört; zu beiden Seiten dieser Zone liegt eine andere, in der nur die oberflächlichen Zellen zerstört sind, und endlich folgt eine Zone mit unversehrten Zellen. Man weiss aber (London 81), dass bei der Ausdehnung der Blase das Epithel seine Oberfläche unter Abnahme seiner Dicke vergrössert und zugleich die vielen Falten verschwinden, welche die contrahirte Blase aufweist. Daher wird, wenn eine Ligatur um die contrahirte Blase gelegt wird, eine grosse Anzahl von Schleimhaut-Epithelzellen zermalmt, die dann bei der Aus- dehnung der Blase unter der Ligatur frei hervortreten, so dass sie in Be- rührung mit dem Blaseninhalte kommen. Wird dagegen eine Ligatur um die dilatirte Blase gelegt, so ziehen sich, selbst wenn um die Ligatur herum einige Verletzungen des Epithels bestehen, diese zurück und verschwinden 29* 452 D. GEROTA: unter der Ligatur, sobald wir die Blase entleeren. Und so können wir, da wir immer darauf geachtet haben, dass in die Blase weniger Flüssigkeit injieirt wurde als wir Urin aus ihr entleerten, dessen sicher sein, dass kein Theil der verletzten Blasenschleimhaut mit dem Blaseninhalte in Be- rührung kam. Zur Erläuterung diene noch die schematische Zeichnung Fig. 15 AB Taf. VIIL. Fig. A stellt einen Theil der Schleimhaut im contrahirten Zu- stand dar; die Ligatur f, durch die schwarze Linie angedeutet, hat die Zellen 6, 7, 8, auf denen sie angebracht war, zerstört. Im dilatirten Zu- stande, Fig. B, hat sich dieselbe Schleimhaut ausgedehnt, wodurch die zer- störten Zellen 6 und 8 unter der Ligatur hervortreten und in Folge dessen mit dem Inhalte des Organs in Berührung kommen. Man kann die Verhältnisse mit einer Ligatur über einer Gummiröhre vergleichen: dehnt man die Röhre, so wird die Ligatur frei beweglich, weil der von der Ligatur gefaste Theil der Röhre an Dicke in Folge der Dehnung abnehmen muss. Das Dargelegte beweisen nach meiner Ansicht folgende Experimente. Laparatomie bei einem Hunde. Man bindet die Ureteren ab und entleert die Blase vollständig durch leichten Druck oder schwachen elektri- schen Strom. Dann bindet man den Blasenhals ab und injieirt mit einer Pra- vaz’schen Spritze 80 bis 100 “m einer 5 proc. Ferroeyannatriumlösung. Eine halbe Stunde später tödtet man das Thier und lest die ganze Blase in eine 20 procent. Formollösung. Nach einer Viertelstunde ist die Musculatur der Blase so fixirt, dass man die Blase Öffnen kann, ohne ihre Form zu verändern; jedoch dürfen beim Oeffnen die Unterbindungsfäden nicht gelöst werden. Dann legt man die Blase in eine Lösung von Lig. ferrisesquichlorati, bis die Reaction von Berliner Blau zu Stande gekommen ist, worauf man sie mit Wasser abspült und noch einmal in eine Formollösung legt, um sie vollständig zu härten. Die Besichtigung ergiebt eine ausgeprägte Blau- färbung um die Ligatur des Halses und die Ligatur der Punctionsstelle herum, während der übrige Theil der Schleimhaut nicht eefärbt ist oder nur einen sehr leichten bläulichen Schimmer zeigt. In die durch die Ligatur verletzte Schleimhaut, welche durch die starke Ausdehnung der Blase frei geworden ist, dringt das Ferrocyannatrium schnell ein, während die übrige unverletzte Schleimhaut die Flüssigkeit nur nach langer Zeit eindringen lässt und deshalb zunächst keine Färbung zeigt. Als Controlversuche können die unten folgenden Versuche dienen, bei denen wir die Unterbindung der Blase und ihre Punction im Zustande der Füllung ausgeführt haben. ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 453 3. Die Versuche. Die Versuche, die ich nunmehr beschreibe, sind alle mehrmals mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden. Versuch (12. November 1896. Ferrocyannatrium 10 Procent = 6°), — Hund von 5 88. — Aethernarcose. Laparotomie. — Die Blase ist durch den Harn sehr gut ausgedehnt. Ich unterbinde die Urethra und die Ureteren, und führe dann in den rechten Ureter eine Canüle ein, um den von der Niere ausgeschiedenen Urin zu sammeln. Durch eine Punction der Blase mit einer Pravaz-Nadel nach der be- schriebenen Methode fange ich 10%” Urin auf und injieire 6° ® einer 10 procent. Ferrocyannatriumlösung (= 0-60 2% reine Substanz). Ich schliesse darauf das Abdomen und bringe das Thier an einen warmen Ort. Der von der Niere ausgeschiedene Urin wird von Zeit zu Zeit untersucht.: Man er- hält weder sofort, noch auch im Verlaufe von 31/, Stunden irgend welche Reaction. Um mich von dem normalen Functioniren der Nieren zu überzeugen, injieire ich dem Thiere subeutan !/, °@® derselben Flüssigkeit. Der von der Niere ausgeschiedene Urin fällt Tropfen um Tropfen in eine Schale, die mit einer Lösung von Lig. ferri sesquichlorati gefüllt ist. Nach 15 Minuten erhält man die on des Berliner Blau, dr mit jedem Augenblicke an Intensität zunimmt. Das Thier wird getödtet. — Einige Tropfen einer Eisenlösung, die auf die äussere Fläche der Blase geträufelt werden, geben selbst nach Ablauf einer halben Stunde keine Reaction. Die Blase enthält 30 °® Flüssigkeit. Die Blase wird mikroskopisch untersucht.! Versuch (30. November 1896. Ferrocyann. 10 Procent = 20 m), — Hund von 8-3*®. Subeutane Injection von 3 ®’” Chloralhydrat und Aether- narcose. Dieselbe Technik. Die durch den Urin sehr ausgedehnte Blase leere ich beinahe vollständig durch die Punction mit der Pravaz-Spritze, und injieire dann 20 °® einer 10 procent. Ferrocyannatriumlösung (= 28” reine Substanz). — Der von der Niere ausgeschiedene Urin ergiebt die Reaction des Berliner Blau nach 2 Stunden 38 Minuten. Nach 3!/, Stunden tödte ich das Thier. Einige Tropfen von Lig. ferr. sesquichlorati, die auf die äussere Fläche der Blase gegossen werden, ergeben keine Reaction. Der Inhalt der Blase beträgt 23 °. Versuch (Februar 1897. Ferrocyann. 15 Procent = 20°”). — Hund von 8%, Subeutane Injection von 12 ° Morphium muriatieum und Aether- nareose. Laparotomie. — Die Blase mit Urin gefüllt. Unterbindung am Halse, Punction der Blase und vollständige Entleerung durch eine feine kurze Cantile (8. Technik S. 451). Ich injieire mit einer graduirten Burette 20 °® einer 15 procent. Ferro- cyannatriumlösung (= 3°”” reine Substanz). Dann lege ich unterhalb der Stelle des Einstiches der Canüle, die ich wieder entferne, eine Ligatur an. “ In allen folgenden Versuchen wurde die Blase makroskopisch und ileroskopisch untersücht. Siehe hierüber S. 456. 454 D. GERoRA: Der von der Niere ausgeschiedene Urin ergiebt die Reaction des Berliner Blau nach 2 Stunden 12 Minuten. Nach 3 Stunden tödte ich das Thier; auf der Aussenfläche der Blase erhalte ich mit Lig. ferri sesquichlorati keine Reaction. Der Inhalt der Blase hat nicht bestimmt werden können. Versuch (24. November 1896. Glucose 16 Procent). — Hund von 7.3*®. Nareose durch Morphium und eine sehr geringe Menge Aether. Laparotomie. — Die Blase ist mit Urin gefüllt. — Ligatur des Blasen- halses und der Ureteren. — Ich leere die Blase vollständig durch eine kurze, in der Blasenwand fixirte Canüle, die in die Cavität der Blase nicht hineinragt. Ich injieire mit dieser Canüle 25 “” einer 16 procentigen Glucoselösung (= 4 ®” reiner Glucose) von 1055 specifischem Gewicht (mit Urometer). Der von den beiden Nieren ausgeschiedene Urin wird mittelst zweier Canülen aufgefangen, die in den renalen Theil der Ureteren eingeführt sind. Der in der Blase enthaltene und der von den Nieren ausgeschiedene Urin wird vor dem Experimente und während desselben untersucht. Erst nach 2 Stunden konnte Zucker im Urin nachgewiesen werden. Nach 4 Stunden tödtete ich das Thier. Die Blase enthielt genau . 25.5 a Glucoselösung von 1052 specifischem Gewicht. Versuch (20. November 1896. Glucosa 50 Procent). — Hund 7.18. Morphium und Aethernarcose. Laparotomie. — Die Blase ist mit Urin ge- füllt. Ligatur an Urethra und Ureteren. Ich leere die Blase mit einer Pravaz’schen Spritze; jedoch, um eine Berührung der Nadel mit der Blasen- wand zu verhindern, lasse ich noch ein wenig Urin in der Blase. Darauf injieire ich 10 °”% einer 50 procent. Traubenzuckerlösung. In dem von den Nieren ausgeschiedenen Urin findet man nach 48 Minuten Spuren von Zucker und die Reaction nimmt mit der Zeit an Schärfe zu. Nach 21/, Stunden wird das Thier getödtet.! Versuch (Januar 1897. Glucosa + Kalium jodatum). — Hund 6-95"; dasselbe Verfahren, nur mit dem Unterschiede, dass in der gleichen Trauben- zuckerlösung noch 0-50 8% Jodkalium gelöst sind. Der Zucker erscheint in dem von der Niere ausgeschiedenen Urin nach 57 Minuten, während man das Jod nach 4 Stunden noch nicht finden kann. Nach 4!/, Stunden wird das Thier getödtet. In 258”% Blut ist keine Spur von Jod nachzuweisen.? Versuch (Februar 1897. Urea 10 Procent = 10 “®). — Hund 7:28, Die gleiche operative Technik. — Ich entleere 15°“ Urin mittelst Punction und injieire mit einer Burette 10%” einer 10 procent. Lösung von reinem Harnstoff. Sodann binde ich die Punctionsstelle ab und schüttele die Blase sanft, um ihren Inhalt zu mischen. Nach 15 Minuten punctire ich an der- ! Für den Nachweis des Zuckers habe ich die Trommer’sche Methode ge- braucht, mit welcher der Zucker in 1 °® einer 0-0025 proc. wässerigen Lösung noch nachgewiesen werden kann (s. Hoppe-Seyler, Chemische Analyse. 1893. 6. Aufl. S. 64). ? Zum Aufünden des Jod im Urin habe ich Chloroform und Acidum nitricum benutzt und um es im Blute nachzuweisen, habe ich zuerst das Blut verascht. Mit dieser Methode kann man die Gegenwart von Jod in 5 °® einer Lösung von 0-002 Proc. nachweisen, das heisst man entdeckt die Gegenwart von 00001 &= Jod. ÜBER DIE ANATOMIR UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 455 selben Stelle von Neuem und aspirire mit einer sauberen Spritze 5°“ des Blaseninhaltes, der zu 5 Harnstoffuntersuchungen dienen soll. Nach 1'/, Stunden aspirire ich von Neuem 5°“ des Blaseninhaltes zu 5 anderen Proben und nach 10 Stunden noch 5°” des Blaseninhaltes zu einer dritten Probe. Die Gesammtmenge des Blaseninhaltes war nahezu 33°“, Zwischen der ersten und der nach 1!/, Stunden entnommenen Probeflüssigkeit habe ich keinen Unterschied im Procentgehalt des Harnstoffes feststellen können. Jedoch besteht ein wenn auch nur geringer Unterschied zwischen diesen beiden Probeflüssigkeiten und der dritten, nach 10 Stunden entnommenen dahin, dass letztere weniger Harnstoff enthält. Der gleiche Versuch bei einem Kaninchen. Zwischen der ersten und der 3 Stunden später entnommenen Probeflüssigkeit war ein Unterschied im Harnstoffgehalt nicht sicher nachzuweisen. Aber es bestand ein deutlicher Unterschied zwischen der ersten und der dritten, nach 10 Stunden ent- nommenen Probeflüssigkeit. Der Gesammtinhalt der Blase zu Anfang des Versuches betrug 42° m, Der gleiche Versuch bei einem Hunde. Es wurden 20°” einer 15pro- centigen Harnstofflösung injieirt. Der in der Blase befindliche Urin betrug ungefähr: 7° Mm, Mittelst desselben Verfahrens entnahm ich drei Proben: eine nach der Injection, die zweite 3!/, Stunden später und die dritte nach 7 Stunden. Für jede Probe liegen fünf Analysen vor. Den Unterschied zwischen den Proben illustriren die folgenden Zahlen.” Je 1°“ Flüssigkeit enthält bei I. der ersten Probe (10 Minuten nach der Injection): 0 :00475—0.- 00473—0 - 00474— 0 :00475—0-00474 N, II. der zweiten Probe (3!/, Stunden nach der Injection): 0. 00450—0 - 00448—0 - 00451 — 0 :00450—0.00450 N, III. der dritten Probe (7 Stunden nach der Injection): 0.00420—0 -00419—0 .00420—0 -00420—0-00421 N. Versuch (6. November 1896. Strychnin 4‘ sesättigte Lösung). — Hund 68. Nur Aethernarcose. — Laparotomie. Ligatur des Blasenhalses und der Ureteren. Punction der Blase mit einer feinen Pravaz’schen Nadel und Abbindung der Blasenwand auf der Nadel. — Es wird der Blasen- inhalt theilweise entleert und 4 °“® einer wässerigen Lösung von Strychninum nitrieum injieirt, die warm gesättigt und nach dem Erkalten filtrirt wurde. Die Lösung ist mit Methylenblau gefärbt. Beim Herausziehen der Nadel zieht man die Ligatur an der Punctionsstelle fest zu. Das Thier wird 24 Stunden lebend erhalten, ohne dass die geringste Erscheinung einer Strychninvergiftung eintrat. Die nach dem Tödten in den Nierenbecken und Ureteren gefundene Flüssigkeit wird einem Frosche injieirt, der keine Strychninreaction zeigt. Von dem Inhalt der Blase wurde 0.2°m einem Frosche injieirt, der unter Krämpfen in 2 Minuten stirbt. Versuch (18. November 1896. Strychnin 2 Procent + Glucosa 0.25 8”, — Kaninchen 1-8". Aethernarcose. — Technik wie beim Hunde. — Ich injieire 4 “m einer 2 proc. Strychninum nitrieum-Lösung (0-08 ”® Strychnin. ! Die Harnstoff’bestimmung habe ich nach dem Verfahren von Kjeldahl (s. Hoppe-Seyler, Chemische Analysen. 1897. VI. Aufl. S. 340) ausgeführt, sie jedoch vorher durch 20 bis 30 Analysen controlirt. 456 D. GEROTA: pur.), in der noch 0-25 ®% Traubenzucker gelöst sind. Das Thier erholt sich sehr schnell nach der Laparotomie und lebt 24 Stunden. Darauf wird es getödtet und die Blase untersucht. Der in dem Nierenbecken und Ure- teren aufgefangene Urin führt, einem Frosche injieirt, keine Strychninerschei- nungen bei diesem herbei. Da die Strychninpraeparate sauer sind und wenig löslich in Wasser, und Alkalien das Strychnin aus seiner Lösung fällen, so war daran zu denken, dass das Strychnin aus seiner Lösung durch den alkalischen Urin ausgefällt werden könnte. Unsere Befürchtung hat sich jedoch als unbegründet erwiesen, da die Urin-Stryehninmischung ihre physiologischen Eigenschaften nur verändert, wenn der Urin sehr stark alkalisch ist. Mit neutralem Strychninum sulfurieum hat der Versuch auch dasselbe Resultat ergeben. Versuch (2.Februar 1897. Strychnin. sulf. neutral. 0° 123"”). — Kaninchen 2-18. Aethernarcose. Dieselbe Technik. — Die sehr erweiterte Blase wird zuerst abgebunden und sodann theilweise durch Punctionen entleert (12 *®). Darauf injieire ich 3°” einer 4proc. neutralen Strychninum sulfurieum- Lösung (= 0.128’” reiner Substanz). Das Thier lebt 36 Stunden ohne die geringsten Symptome einer Strychninresorption. 4. Untersuchung der Blase. Wir haben die Blase bei allen unseren Versuchen untersucht. Für die mikroskopische Untersuchung des Schleimhautepithels verfuhren wir so, dass wir die Blase, wenn sie noch Flüssigkeit enthielt, gleich nach der Entnahme in eine 5 procent. Formollösung legten. War aber die Blase leer oder fast leer, so wurde sie mit sehr grosser Vorsicht geöffnet und besonders darauf geachtet, dass die Spitze des Messers oder der Scheere nicht die innere Oberfläche der Blase berührte, dann wurde sie mit Nadeln auf einer Wachstafel fixirt und in Formol gehärtet. Bei jenem Fixiren darf die Blase nicht gedehnt werden; andernfalls Fissuren oder Rupturen der Schleimhaut entstehen, welche das Resultat der Versuche beeinträchtigen. Anders verfahren wir, wenn der Zustand festgestellt werden sollte, in dem . sich die gesammte Schleimhaut und die Stellen der Ligaturen befanden. Die Blase wurde mit grosser Vorsicht ohne Berührung der Schleimhaut geöffnet, in schwach gedehntem Zustande ohne Entfernung der Ligaturen mit Nadeln befestigt und für 2 bis 5 Minuten lang in eine Lösung von 15 proc. Ferrocyannatrium und 10 proc. Formol gelest. Sodann wurde die Blase ungewaschen für 1 bis 5 Minuten in eine Lösung von Lig. ferri sesqui- chlorati 0-5, Acidum nitricum 0-1, Wasser 100 gelegt. Dann wurde die Blase gewaschen und makroskopisch untersucht. Diese Untersuchungsmethode der Blasenschleimhaut in ihrer Gesammt- heit ergiebt bisweilen überraschende Resultate. Man sieht leicht Rupturen oder Fissuren der Blasenschleimhaut, die man anders nicht sehen oder ver- muthen konnte. un ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYsioLoGIE DER HARNBLASE. 457 Wenn während des Versuches oder der Oeffnung der Blase ihre innere - Oberfläche gekratzt oder verletzt worden ist, so weist es jetzt die Berliner Blaureaction sicher nach. Wo die innere Blasenoberfläche angegriffen ist, dringt die Ferrocyannatriumlösung sehr leicht und schnell ein, während die un- versehrte Schleimhaut die Lösung in so kurzer Zeit nicht eindringen lässt. Das Imprägniren mit Silbernitrat, das Einige benutzt haben, ist für die Untersuchung der Schleimhaut nicht zu empfehlen. Denn da das Silber- nitrat auf alle Zellen mit der gleichen Intensität einwirkt und die Zellen sehr schnell fixirt, so genügt eine ausserordentlich kleine Ausdehnung der mit Argentum nitricum behandelten Schleimhaut, wie sie während unserer Manipulationen wohl vorkommen kann, um den Glauben hervorzurufen, dass die Fissur während des Experimentes entstanden ist. 5. Discussion der Versuche. Wir müssen von vorneherein betonen, dass weder die makroskopische noch die mikroskopische Untersuchung der Blasen bei den vorerwähnten Versuchen uns irgend eine Veränderung der Schleimhaut oder ihres Epithels zeigte. Die mikroskopischen Schnitte gingen in verschiedener Richtung durch die Punctionsstelle in den Blasenhals. Niemals haben wir verletzte Schleimhaut in Berührung mit dem Blaseninhalte gefunden. Wir sehen nun, dass einige Substanzen, wie Harnstoff, Traubenzucker und Ferrocyannatrium, positive Resultate ergaben, das heisst Resultate, welche für die Blasenresorption sprechen, während beim Strychnin das Resultat negativ war. Ueberdies sehen wir dieselbe Substanz, das Ferro- cyannatrium, bald positive, bald negative Resultate liefern in Abhängigkeit von dem Grade der Concentration und von der Menge der injicirten Substanz. Indem wir 4 m gesättigter Strychninlösung für den Hund (6 '*) und 0-08 und 0.12 8m reines Strichnin für Kaninchen (1-8 und 2-1») benutzten, unsere Versuchsthiere aber 24 bis 36 Stunden ohne jedes Ver- siftungssymptom lebten, sind wir sicher, dass eine Resorption des Strych- nins nicht stattgefunden hat, da wir ja wissen, dass winzige Strychninmengen ausreichend sind, um Symptome hervorzurufen. Und man kann auch nicht einwenden, dass etwa das in kleinen Mengen resorbirte Strychnin durch die Nieren in demselben Maasse, wie es resorbirt war, wieder ausgeschieden wurden, weil wir bei unseren Versuchen die Ureteren abgebunden hatten und auch der während des Versuches abgeschiedene Harn negative Resultate lieferte. Wie lassen sich nun angesichts dieser unserer Erfahrungen die Resultate von Maass und Pinner erklären, dass nach Injection von 0.014 sm Strychnin in die Blase eines Kaninchens, das heisst einer 10 Mal schwächeren 458 "D. GERoTA: Dose, als die unsere war, das Versuchsthier nach 10 Minuten an Ver- eiftung starb? Wie lässt ferner sich die Behauptung Sabatier’s verstehen, dass 0-06 e”® Strychnin in die Blase eines Kaninchens injieirt, dasselbe in 30 Minuten tödtet? Man kann dieselben Fragen bei den Versuchen von Bazy, Ashdown, Höttinger u. s. w. stellen. Ohne Zweifel beruhen diese Differenzen auf technischen Fehlern, die wir schon aufgezählt und die jene Antoren übersehen haben, und ferner darauf, dass einige Autoren nicht die Ureteren oder die Urethra abgebunden haben, so dass der Blaseninhalt in der Höhe der Niere oder Urethra resorbirt werden konnte. Demnach _ müssen wir den Schluss ziehen, dass die Blasenschleimhaut für das Strych- nin völlständig undurchgängig ist. Giebt man zu, dass sich eine thierische Membran dem Eindringen einer Flüssigkeit widersetzt, so heisst das zugeben, dass diese Membran eine be- sondere Structur besitzt und ihren Elementen biologische Eigenschaften zu- kommen, welche die Diffusion verhindern. Aber wenn auch die Blasen- schleimhaut, die Anordnung ihres Epithels und vitale Integrität derselben dem Eindringen der Flüssigkeiten Widerstand leisten, so ist doch der Wider- stand nur ein relativer und hängt von der chemischen Constitution der mit den Zellen in Berührung gebrachten Substanzen ab. Denn wie ein Blick auf die mit Ferrocyannatrium, Traubenzucker, Harn- stoff angestellten Versuche zeigt, sind hier, wo hinsichtlich der Technik jeder Zweifel auszuschliessen ist, die verwendeten Substanzen durch die Blasen- wand hindurchgetreten. Immerhin hat auch bei diesen Substanzen, trotz ihres grossen Diffusionsvermögens, nur wo sie in grosser Concentration und grosser Menge (10 bis 15 Procent Ferrocyannatrium und Harnstoff, 16 bis 50 Procent Traubenzucker) angewandt wurden, und nur nach einer ver- hältnissmässig sehr langen Zeit, das Eindringen durch die Blasenwand fest- gestellt werden können. Denn nach Injection von 20 em 10 procent. Ferro- cyannatriumlösung in die Blase lässt sich die Diffusion erst nach 2 Stunden 30 Minuten, und bei 6 “m derselben Lösung überhaupt keine Diffusion, selbst nicht nach 3!/, Stunden, constatiren. Ebenso ist es beim Harnstoff. Ferner gelingt der Nachweis von Traubenzucker im Nierensecret, wo eine 50 procent. Traubenzuckerlösung in die Blase injieirt ist, nach 48 Min., wo eine 16 procent. injieirt ist erst nach 2 Stunden. Nach unseren Versuchen muss, damit die Substanzen durch die Blasen- wand treten, die Concentration der in die Blase injieirten Flüssigkeit sehr gross sein; und daher ist man leicht technischen Fehlern ausgesetzt, weil sich eoncentrirte Lösungen selten mit einer lebenden Schleimhaut in Be- rührung bringen lassen, ohne dass das Epithel der Blasenschleimhaut ge- fährdet ist. Andererseits muss aber auch die Menge der injieirten Flüssig- keit gross sein, wenn die Absorption soll constatirt werden können. Denn ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 459 dafür bestehen unsere Hülfsmittel bei lebenden Thieren nur in der chemi- schen Analyse des Urins oder Blutes und in der Analyse der physiologischen Erscheinungen, welche die Substanz hervorbringt und es muss deshalb die resorbirte Menge der diffundirten Substanz gross genug sein, um nach ihrer Verbreitung durch den thierischen Körper noch chemisch oder physiologisch nachgewiesen werden zu können. Dadurch ist man aber wieder neuen Fehlern ausgesetzt, denn wenn man eine Flüssigkeit in grosser Menge in- jieirt, so wird ein Druck ausgeübt, wodurch nicht mehr von einer Diffusion, sonder von den dem Wesen nach ganz verschiedenen Vorgange der Filtra- tion zu sprechen ist. Es sind aber, wie man sieht, bei diesen Versuchen so viel Schwierigkeiten zu überwinden, dass man sich über die Verschieden- artiekeit der Ansichten nicht wundern darf. Und wir können behaupten, dass es nur sehr wenig Substanzen giebt, welche bei unseren Versuchen allen Anforderungen zu genügen im Stande sind. Traubenzucker, Ferro- cyannatrium, Harnstoff, Strychnin können in concentrirter Lösung gebraucht werden, ohne eine Veränderung des Epithels der Blase hervorzurufen, und gleichzeitig in sehr kleinen Mengen, das Strychnin physiologisch, die andere chemisch nachweisbar werden. Zur Sicherung der beim Strychnin gewonnenen Resultate haben wir noch andere ähnliche Substanzen zu unseren Versuchen benutzt. Versuch. (Coecain). Kaninchen 1'82"®. Aethernarcose, Laparatomie. — Die Blase ist durch Urin sehr stark gedehnt. Ich unterbinde den Hals und die Ureteren und mache eine kleine Oeffnung (s. Technik, S. 451), in welche ich eine feine kurze Canüle einführe. Dann entleere ich die Blase fast vollständig und injieire 8°” einer 10 procent. Lösung von Cocainum hydro- chloricum (0-8 2” reine Substanz). Nun folgt eine Ligatur unterhalb der Canüle, die ich herausziehe. Das Thier erholt sich sehr schnell nach der Operation, ohne ein Symptom der Cocain-Absorption zu zeigen. Nach 24 Stunden tödte ich es. Der Blaseninhalt beträgt 9 °", Versuch. (Febr. 97. Cocain 10 Procent + Ferrocyannatrium.) Kanin- chen 1-98. Dasselbe Verfahren. — Nach einer Punction der Blase mit einer Pravaz’schen Spritze entleere ich 10 °” Urin und spritze 8 “® einer 10 procent. Cocainlösung (0-8 Cocain) ein, in der noch 0-5 8“ Ferrocyan- natrium gelöst sind. Nach 28 Stunden, während welcher das Thier keine Vergiftungserscheinungen gezeigt hat, wird das Thier getödtet. Der Urin der Nierenbecken und der Ureteren giebt die Reaction des Berliner Blau. Aus diesen Versuchen ist ersichtlich, dass man nach einer Injection von 0.8 #= Cocain in die Blase eines Kaninchens von 1-8'% kein In- toxieationssymptom selbst nach 28 Stunden beobachten kann. Eine Mischung von Cocain und Ferrocyannatrium zeigt uns aber, dass die erste Substanz nicht diffundiren konnte, während die zweite es that. Wenn in den Versuchen von Sabatier und Bazy ein Kaninchen, dem 460 "D. GERoTA: sie 2 em einer Lösung Cocain 1:5 (= 0-4 erm Cocain) in die Blase injieirten schon nach 15 Minuten starb, so wird man das nach unseren Ergebnissen nur Versuchsfehlern zuschreiben können. Versuch. (29. Jan. 97. Atropin 2 Procent.) Kaninchen, 1-76*®®. Die- selbe Technik wie bei den früheren Operationen. — Ich injieire in die Blase 2 “@ einer 2 procent. Atropinum sulfuricum-Lösung (0-04 2" reiner Substanz). Die Pupille zeigt keine Veränderung. Das Thier lebt 18 Stunden; dann wird es zur Untersuchung der Blase getödtet. Versuch. Katze, 3-5®8. Aethernarkose. Sonst dieselbe Technik. Ich injieire in die Blase 8 “" einer 2 procent. Atropinum sulfurieum-Lösung (= 0-16 8” reiner Substanz). Selbst nach 24 Stunden zeigt die Pupille keine Veränderung. Ich tödte das Thier und sammele 2 “"® Urin aus beiden Ureteren, die ich allmählich einem Hunde vollständig in’s Auge bringe. Ich konnte an der Pupille dieses Hundes keine Veränderung wahrnehmen. Zur Controle brachte ich einem anderen Hunde einige Tropfen des Blaseninhaltes in's Auge; die Pupille war nach 15 Minuten sehr stark dilatirt. Indem nun die drei Versuchsreihen mit Alkaloiden übereinstimmend negative Resultate ergeben haben, fragt es sich, wie man die Unmöglichkeit, dass die Allkaloide durch die Blasenschleimhaut diffundiren, erklären soll. Man glaubte, dass die toxischen Substanzen nach ihrer Injection in die Blase sich verändern und in Folge ihrer Vermischung mit dem Urin ihre Wirkung verlieren. Diese Ansicht kann aber nicht aufrecht erhalten werden, weil, wenn man einen Theil des Blaseninhaltes den Thieren unter die Haut spritzt, man dieselben Symptome erzielt wie mit den reinen Substanzen von gleichem Concentrationsgrade. Die einzige Erklärung die wir für diese Erscheinung haben finden können, ist die, nach Hrn. Prof. H. Munck an- zunehmen, dass die Alkaloide in Folge der Grösse ihrer Molecüle durch die Blasenschleimhaut nicht diffundiren können. Von den Molecülen der Alkaloide, wie Strychnin, Atropin, Cocain, wissen wir ja, dass sie ausser- ordentlich gross sind im Verhältniss zu den Molecülen von Harnstoff, Traubenzucker und Ferrocyannatrium. Wir wollen deshalb darauf unter- suchen, ob diese Schleimhaut einer Membran mit kleinen Poren entspricht. Die Blasenschleimhaut besteht aus mehreren Epithelzellenschichten, die als Uebergangsepithelien bekannt sind. Die Form der Zellen variirt dabei bei den verschiedenen Thieren. Die innerste Lage besteht aus mehr oder weniger polygonalen .Plattenzellen. Auf sie folgt eine Schicht mehr oder minder cylindrischer, spindelförmiger Zellen, die drei oder vier Reihen, z. B. beim Kaninchen, ausmachen kann, und endlich eine tiefe Schicht von Rund- zellen. An der Oberfläche der obersten Zellen findet sich ein Cuticular- saum. Die Zellen sind unter einander sehr fest verbunden. Jede ober- flächliche Plattenzelle bedeckt 3 bis 6 Zellen der mittleren Schieht und ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 461 zeigt Vertiefungen, in welche sich die Zellen der unteren Reihe einbetten, wie auch Fortsätze, welche sich zwischen den letzteren in die Tiefe senken (Fig. 14, Taf. VII). Diese Anordnung verhindert eine Lageveränderung der Zellen während der Ausdehnung der Blase. Die geschichteten Epithelzellen der Blasenschleimhaut sind überdies durch eine hyaline, stark lichtbrechende Substanz mit einander verbunden, deren Structur von der der Zellkörper abweicht, da sie sich den mikro- technischen Reactionen ganz anders gegenüber verhält. Die Consistenz dieser Intercellularsubstanz ist geringer als die der Zellkörper, denn eine mechanische Trennung des Zusammenhanges findet immer nur durch Zer- reisung der Intercellularsubstanz, nicht der Zellkörper statt. Es gilt heut zu Tage als feststehend, dass die cylindrischen Epithel- zellen des Verdauungstractus (Heidenhain, 88), die Epithelzellen des Uterus (Barfurth, 96) ebenso wie gewisse platte Epithelialzellen (Schulze, 96) unter einander vereinigt sind durch Brücken (Intercellularbrücken), zwischen denen sich Lücken befinden. Und Dogiel (90) sieht eine Ana- logie zwischen diesen Intercellularbrücken und den protoplasmatischen Fortsätzen, welche die Zellen der oberflächlichen Schicht der Blasenschleim- haut zu den darunter liegenden Zellen senden. Aber dieser Ansicht können wir nicht zustimmen. Denn niemals konnten wir mit unseren heutigen Hülfsmitteln bei den Epithelzellen der Blasenschleimhaut eine Anordnung wahrnehmen, die an die Brücken und Lücken anderer Epithelzellen erinnerte. Nun es ist leicht verständlich, dass die Diffusion einer Flüssigkeit durch eine Schleimhaut hindurch bei einer einzigen Reihe von Zellen, die noch dazu durch Brücken mit einander verbunden sind, viel leichter vor sich geht, als bei mehreren Epithelschichten, deren Zellen durch eine Inter- cellularsubstanz mit einander verkittet sind, wie es bei der Blase der Fall ist. Nur als ein sehr dichtes Filter mit engen Poren lässt sich die Zellen- schicht an der Blase ansehen. Selbst die Ernährungsflüssigkeit dringt nur mit Mühe durch solche Zellreihen und eben daher leitet sich für eine solche Schleimhaut die Nothwendigkeit eines reichen Gefässnetzes ab. Ich kann schliesslich zur Unterstützung heranziehen, dass Boyer und Guynard (94) auch mit Pilocarpin, Eserin, Veratrin u. a. Alkaloiden negative Resultate bei der Blase erhalten haben. Ebenso waren die Re- sultate negativ bei Versuchen, welche Lewin und Goldschmidt (96) mit dem Phenylhydroxylamin, ebenfalls einem Körper mit grossen Molecülen, angestellt haben. Andererseits haben wir selbst noch bei Versuchen mit einer Substanz von sehr kleinen Molecülen, nämlich dem ausserordentlich stark diffusiblen Oyanwasserstoff (Acidum cyanhydricum) positive Resultate gewonnen. 462 > D. GEROTA: Versuch. (28. Dec. 96. Acidum eyanhydricum). Kaninchen, 1-6#8, Aethernarkose, dieselbe Technik. Ich aspirire nach der Punction 12 «m Urin aus der Blase und injieire 8 °® einer 1 procent. Lösung von Acidum eyanhydricum (Cyanwasserstoff). Das Thier stirbt nach 35 Minuten; bei Oeffnung des Abdomens nimmt man den charakteristischen Geruch des Giftes wahr. Die genaue makroskopische und mikroskopische Untersuchung der Blase zeigt keine Verletzung des Epithels. Versuch. (3. März 97. Acidum Cyanhydricum 10 °®, 1 procent). Kaninchen, 2-5®®. Dasselbe Verfahren. Injection von 10 °”® einer 1 procent. Oyanwasserstofflösung. — Nach 30 Minuten hat das Thier Zuckungen, nach 38 Minuten verfällt es in Prostration und erst nach 3 Stunden tritt der Tod ein. Wir müssen aber auch hier wieder den Unterschied zwischen unseren Versuchen und den Versuchen der Vorgänger betonen. Während nämlich z. B. Sabatier (94) fand, dass 2 “m einer 1 procent. Cyanwasserstofflösung nach Injection in die Blase ein Kaninchen von 1750 sm in 11 Minuten tödten (39. Versuch), lehrte uns unser Versuch, dass das Thier selbst bei einer 4mal grösseren Dosis erst nach 35 Minuten zu Grunde ging, und dass in dem zweiten Falle ein Kaninchen von 2.58 bei einer 5mal stärkeren Dosis sogar (10 °®) erst nach 3 Stunden starb. Zweifellos trugen technische Fehler an den früheren Ergebnissen die Schuld. Findet nun die Diffusion durch das Protoplasma der Zellen oder durch die Intercellularräume statt? Für die Blase ist es sehr schwierig, hierauf sicher zu antworten. Jedoch lieferten uns die folgenden Versuche, die wir mehrmals angestellt haben, mikroskopische Praeparate, welche zu der An- nahme führten, dass die Diffusion leichter durch die Intercellularräume als durch die Zellkörper selbst stattfindet. Bei einem Thiere verfuhr ich nach allen vorgeschriebenen Regeln, um eine starke Ferrocyannatriumlösung in die Blase zu injieiren, ohne das Epithel zu verletzen. Nach 4 bis 5 Stunden unterband ich in der Chloroform- narkose dem Thiere die Aorta abdominalis und legte in ihren peripherischen Theil eine Canüle ein, durch die ich destillirtes Wasser so lange injieirte, bis die Blase von Blut frei war (1 bis 2 Minuten). Darauf injieirte ich durch dieselbe Canüle eine Lösung von Lig. ferri sesquichlorati 1: 1000 mit 2 pro mille Acidum nitricum angesäuert. War die Injection gut gelungen, so sah man in den Gefässen der Blasenwand die Reaction des Berliner Blau. Man nahm die Blase nun schnell’ heraus, öffnete sie unter fort- währendem Bespülen mit Wasser, und härtete sie in Formol. Darauf wurde dieselbe in Celloidin gebettet und mit dem Mikrotom geschnitten. Bei diesem Verfahren bekommen wir, wenn die Injection geglückt ist, eine sehr schöne blaue Injection der Schleimhautcapillaren als unwiderleg- ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 463 lichen Beweis für die Gegenwart des Ferrocyannatriums in den Capillaren der Schleimhaut (Fig. 11, Taf. VIII). Bei einem Querschnitt durch die Blasenwand bemerkt man weiter, dass die Reaction des Berliner Blau zwischen den Zellen, d.h. die Substanz, die wir als Kittsubstanz kennen, als eine feine blaue Linie erscheint, während der Zellkörper ungefärbt ist; und es ist leicht zu beobachten, wie gerade die gefärbten Intercellular- räume in direeter Verbindung mit den Blutcapillaren stehen, welche ihrer- seits mit Berliner Blau gefüllt sind (Fig. 12, Taf. VII). Ich habe mich zum Ueberfluss überzeugt, dass man eben solche Bilder auch dann erhält, wenn man nicht die Eisenlösung injieirt, sondern nur die Blasenstücke in Eisenlösung einlegt. — Kann man nach solchen Be- weisen die Diffusion durch die Blasenschleimhaut noch leugnen? Es wird hier am Orte sein, noch auf die Versuche mit Jodkalium ein- zugehen, einer Substanz, welche viel von den Experimentatoren gebraucht worden ist, und bei welcher man vor Allem den Schluss zog, dass die Blase überhaupt absorbirt. Es ist richtig, dass diese Substanz kleine Molecüle besitzt, demnach für die Diffusion geeignet ist; aber das Jodkalium hat so stark die zellenätzende Eigenschaft, dass es hier nicht für ausschlaggebend zu erachten ist. Bei den obigen Versuchen (s. S. 454) haben wir schon gesehen, dass, wenn 0-58” Jodkalium in 5 procent. Lösung in die urinhaltige Blase in- jleirt wird, selbst nach 4 Stunden noch nicht Jod im Blut gefunden werden kann. — In diesen Fällen sind Verletzungen der Blasenschleimhaut nicht wahrzunehmen. — Wenn man aber concentrirte Jodkaliumlösungen, 100 proc. Lösungen, wie Sabatier und Bazy, oder 1Oprocent., wie die Mehrzahl der übrigen Autoren, mit der Blasenschleimhaut mehrere Stunden in Be- rührung lässt, so geht allerdings Jod in’s Blut über, aber man findet auch Verletzungen der Blasenschleimhaut; man kann daher mit Jodkalium weder für noch gegen die Resorption der Blasenschleimhaut die Ent- scheidung bringen. Wir geben einige Versuche, um zu zeigen, auf welche Weise Jodkalium wirkt. Versuch. (25. Nov. 96. Kalium jodatum 10 procent.) Katze, 3-78. Ligatur des Urethra und der Ureteren. Ich entleere die Blase vollständig mit einer sehr kurzen Canüle, die ich in die Blasenwand eingelegt habe, und injieire 20 °® einer 10 procent. Jodkaliumlösung. 2!/, Stunde später tödte ich das Thier. Die Menge der in der Blase gefundenen Lösung be- trägt genau 20 “m. Die mikroskopische Untersuchung der Blase zeigt die Blutgefässe erweitert und an einigen Stellen einen leichten Blutaustritt in die Submucosa. Versuch. (16. November 96. Kalium jodatum 10 procent.) Kaninchen. Nach der Punction injieire ich 6 °“ einer 10 procent., ganz frisch bereiteten 464 "D. GEROTA: Jodkaliumlösung in die noch Urin enthaltende Blase. Nach 10 Stunden tödte ich das Thier. Die Blase enthält jetzt noch 8 “® von Urin, gemischt mit Jodkaliumlösung. Die Blasenschleimhaut ist hier und da mit einzelnen Eechymosen und mit mehreren kleinen hämorrhagischen, punktförmigen Herden bedeckt. Die mikroskopische Untersuchung der Blase zeigt, dass die ganze Submucosa mit Blutkörperchen infiltrirt ist; die Epithelialzellen sind von einander getrennt und zwischen ihnen sind Blutkörperchen eingedrungen. Die Gefässe sind stark mit Blut gefüllt und erweitert. Die nach einer Mikrophotographie wiedergegebene Fig. 13, Taf. VIII ist ein Beispiel für die Verletzungen, welche die Jodkaliumlösung auf der Blasenschleimhaut her- vorbringen kann. Versuch. (14. Nov. 96. Kalium jodatum 100 proe.) Hund, 11.2*®8. Nach der Punction injieire ich 5!/, °® einer 100 procent. Jodkaliumlösung (5!/, ®”% reines Jodkalium). Nach 4 Stunden tödte ich das Thier. Der Blaseninhalt von 30 °® ist röthlich-sanguinolent. Die Blasenschleimhaut ist ödematös, sehr stark mit einer grossen Zahl hämorrhagischer Punkte und Flecke bedeckt, und zeigt ausserdem zwei Ulcerationen von 2 und 6 ım Ausdehnung. Bei der mikroskopischen Untersuchung sieht man nichts mehr von Epithelialzellen, nur hier und da einige zerfetzte und verstümmelte Zellen. Die Mucosa propria zeigt eine ausgedehnte Blutinfiltration, die Sub- mucosa ist ödematös, die Blutgefässe sind erweitert und mit blutigen In- filtrationen ringsherum umgeben. Kann man solche Versuche für die Lehre von der Blasenabsorption benutzen? Man hätte doch bedenken müssen, dass das Jodkalium eine sehr reizende Substanz ist. Will man sich von seiner Wirkung überzeugen, so braucht man nur einige Tropfen der erwähnten Lösungen einem Kaninchen in’s Auge zu bringen, um sehr schnell eine mehr oder minder intensive Conjunctivitis zu bekommen. Schliesslich bleibt noch die Frage zu beantworten, ob der Urin in normalem Zustande und während der Urinverhaltung die Blasenwand durchdrinst. Bekanntlich hat Hoppe-Seyler gezeigt, dass, wenn man Urin gegen defibrinirtes Blut desselben Thieres durch eine Membran diffundiren lässt, der Austausch beider Flüssigkeiten so erfolet, dass die Urinmenge sich allmählich auf Kosten der Blutmenge vermehrt. Setzt man nun voraus, dass im normalen Zustande der Urin concentrirter ist als das Blut, und dass keine besonderen Vorrichtungen in der Blasenwand die Diffusion durch die Wand hemmen, so ist a prior im Fall der Retentia urinae eine Ver- mehrung der Flüssigkeit des Urins und ein Verlust desselben an Salzen zu erwarten. . Dem haben die Versuche, wie sie schon von Treskin eingestellt sind, in der That entsprochen; aber weil die normale Blasenschleimhaut eine sehr schwer diffussible Membran ist, ist die Diffusion so gering, dass sie nur durch sehr genaue Experimente festgestellt werden kann. Wir wollen einige ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 465 von Treskin’s Versuchen anführen. Er entleerte die Blase eines Hundes durch einen Catheter und injieirte demselben Urin, nachdem er ihn ge- messen und chemisch analysırt hatte Nach 3- bis 4stündiger Verhaltung leerte er die Blase und untersuchte von Neuem den Inhalt. Er fand z. B.: 1. Injieirte Harnquantität 118°, specifisches Gewicht 1-0284; nach 4stündigem Verweilen in der Blase gefunden 150 ° m, specifisches Gewicht 1.0247. 2. Injieirte Harnquantität 141°”, specifisches Gewicht 1.0132; in der Blase nach 4stündigem Verweilen gefunden 150°, specifisches Ge- wicht 1-0130 u. s. w. Unsere Versuche stimmen damit im Grossen und Ganzen nicht überein, und so müssen wir glauben, dass Treskin, der nichts über den mikro- skopischen Befund der Blasenschleimhaut nach dem Versuche sagt, eine nicht einwandfreie Technik verfolgt hat; wir haben ja auch gesehen, wie schwer es ist, die Blase zu behandeln, zu entleeren und zu unterbinden, ohne Verletzungen des Epitheliums hervorzurufen. Unsere Versuche haben die folgenden Resultate ergeben. Versuch. (19. Jan. 97. Hund, 8®®.) Einige Stunden vor dem Ver- such binde ich den Penis ab, um den Urinaustritt zu verhindern — Lapara- tomie, Ligatur des Colum vesicae und der Ureteren. Nach der Punction mit der Pravaz’schen Spritze ziehe ich 6 °" Urin heraus, die mir für drei Stiekstoffbestimmungen! dienen. Nach 6 Stunden öffne ich von Neuem das Abdomen und entnehme an derselben Stelle durch eine Punction wieder 6 «m Urin zu einer zweiten Reihe von Bestimmungen. Mit der grössten Vorsicht binde ich dann wieder die Stelle der Punktion ab und lasse das Thier bis zu 20 Stunden leben. Darauf nehme ich eine dritte Urinprobe. Die Blase, und insbesondere die Unterbindungsstelle, wird sorgfältig mikro- skopisch untersucht: es findet sich keine vom Epithel entblösste Stelle, welche in Berührung mit dem Urin gekommen ist. Der Durchnitt der drei Bestimmungen ergab für 2 “% Urin bei: I. Brobess a nit tra SOSE OLN: IE nach 6 Stunden. . 0-1154, dal 20 > 2.003968, Dieser Versuch wurde drei Mal wiederholt, wobei sich ergab, dass noch nicht nach 5 Stunden, wohl aber immer nach 6 Stunden ein Unter- schied zwischen der ersten und der zweiten entnommenen Probe festzu- stellen war. Versuch. (25. März 1897). Kaninchen. Laparatomie. Die Blase ist durch Urin ausgedehnt. Ich binde den Hals ab und entleere die Blase vollständig mit einer kurzen Canüle (s. o. Technik). Dann injieire ich 12 “@ einer 10 procent. Lösung reinen Harnstoffes. Nach 6 Stunden wird das Thier getödtet und in der Blase finden sich 14 m Lösung. ! Ueber die Methode siehe Hoppe-Seyler’s Chemische Analyse. S. 340. Archiv f. A.u. Ph. 1897, Physiol. Abthlg. 30 466 >D. GEROTA: Versuch. (28. März 1897). Kaninchen. Die gleiche Technik. Der entleerte Blaseninhalt beträgt 30 °" mit einem spec. Gewicht von 1-0138; er wird wieder in die Blase zurückgebracht. 6 Stunden später ist der Blaseninhalt 31 “® mit 1-0137 spec. Gewicht.! Diese Versuche lehren uns: 1. dass durch die Blasenwand eine Diffusion des Urins selbst im normalen Zustande stattfindet; 2. dass in Folge dieser Diffusion der Urin an Volumen zunimmt; 3. dass diese Diffusion so schwach ist, dass man sie kaum eher als nach 6 Stunden wahrnehmen kann; 4. dass diese Diffusion schneller von Statten geht, wenn der Urin reicher an krystalloiden Substanzen ist. Die Langsamkeit, mit welcher sich die Diffusion vollzieht, kann man auch aus den Versuchen von Cazeneuve und Livon (79) ersehen. Diese haben eine mit Urin gefüllte Blase in ein Gefäss mit destillirttem Wasser gebracht, und von Zeit zu Zeit das Wasser untersucht; sie konnten erst nach 3 bis 4 Stunden Urin in dem Wasser finden. So langsam schreitet die Diffusion selbst bei einer abgestorbenen Blase vor. Welche praktische Ableitungen können wir nun aus unseren Versuchen machen ? Die Anordnung und die Structur des Blasenepithels lässt keine Zweifel über die grosse Bedeutung des Epithels für die Verhinderung oder Ver- zögerung der intravesicalen Diffusion; andererseits haben wir das Blasen- epithel als ausserordentlich leicht zerstörbar kennen gelernt. — Man wird demgemäss nicht wohl von einer intravesicalen Absorption sprechen dürfen, die uns als Mittel zur Einverleibung von Medicamenten dienen kann. — Die Resorption eines Medicamentes, das zu dem Zweck einer localen Ein- wirkung in die Blase eingebracht ist, hängt von den Verletzungen ab, die man am Epithel durch die Instrumente hervorgebracht hat, oder von dem pathologischen Zustande, in dem sich das Blasenepithel schon befindet. — Man wird daher mit grösster Aufmerksamkeit bei der Einführung toxischer Medicamente in die Blase verfahren müssen. Schlussfolgerungen. 1. Die Blasenschleimhaut stimmt mit den übrigen thierischen Mem- branen darin überein, dass sie Substanzen aus dem Hohlraum der Blase diffundiren lässt. ! Dieser Versuch wurde noch zweimal wiederholt und ergab einen Unterschied in Volumen von 1 bis 1-5 °®. Bei einem ferneren Versuche setzten wir zu dem Urin noch etwas Traubenzucker hinzu, so dass die Flüssigkeit eine 5 procent. Zuckerlösung repräsentirt, und hier betrug die Differenz 2 °”= zwischen der ursprünglichen und der nach 6 stündiger Verhaltung gefundenen Menge. a a Ta Zu ne ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 467 2. Diese Diffusion vollzieht sich aber in Folge der besonderen Anordnung und Dicke des Blasenepithels so langsam, dass man von einer physiologischen intravesicalen Absorption nicht wohl reden kann. 3. Dieselbe ist nur für Körper mit kleinen Molecülen nachweisbar, und dann auch nur nach langer Zeit und bei sehr concentrirten Lösungen. Die Alkaloide diffundiren wegen ihrer grossen Molecüle nicht. 4. Wo die Diffusion stattfindet, vollzieht sie sich wahrscheinlich ganz besonders durch die Intercellularsubstanz. 5. Das Venensystem nimmt die Substanzen auf, welche die Blase durchdringen. 6. Die Ergebnisse von Bazy, Sabatier, Fleischer und Brink- mann, Maas und Pinner, Ashdown u. s. w., die eine physiologische Resorption der Blasenschleimhaut vertreten, sind durch technische Versuchs- fehler herbeigeführt worden. 7. Bei der Urinverhaltung findet eine Diffusion zwischen dem Inhalt der Blase und dem der Blutgefässe statt, aber sie ist so schwach, dass sie für kein Symptom, welches man bei der Harnverhaltung bemerkt, verant- wortlich gemacht werden kann. Berlin, 20. Mai 1897. 30* 468 " D. GERoTA: Litteraturverzeichniss.’ 769. Watson, A description of the Lymphaties of the Urethra and Neck of the Bladder. Philosophical Transactions. 17169. Vol. LIV. p. 392. 787. Mascagni, Paul, Vasorum lymphaticorum corporis humani historia et ichonographia. Senis 1787. p. 44. 789. Derselbe, Geschichte und Beschreibung der einsaugenden Gefässe. Aus dem Lateinischen von Fr. Ludwig. Leipzig 1789. S. 62 und S. 27 im Zusatze. 789. Cruikshank, W., Geschichte und Beschreibung der einsaugenden Gefässe. Aus dem Englischen von Fr. Ludwig. Leipzig 1789. S. 136. 790. Derselbe, The Anatomy of the Absorbing Vessels of the Human Body. London 1790. 23. Prevost, J. L. et Dumas, J. A., Axamen du sang et de son action dans les divers phenomenes de la vie. Annales de Chemie et Physique. Paris 1823. T. XXIII. p. 50 et 90. 24. Segalas d’Etchepare, Note sur quelques points de physiologie. Journal de physiologie experimentale et pathologique. 1824. T. IV. p. 284. 34. Medicus (Pseudonym), in Schmidt’s Jahrbücher. 1834. Bd. II. S. 14. Ref. aus London Med. a surg. Journal. 1834. Nr. III. March. 46. Küss, Gazette medicale de Strassbourg. 1846. No. 2. 50. Civiale, Traite pratique des maladies des voies urinaires. 1850. 2 edit. t. I. 52. Cruveilhier, Anatomie descriptive. Paris 1852. ». 586. 54. Orfila, Traite de toxicologie. Paris 1854. 56. Kaupp, W., Beiträge zur Physiologie des Harnes. Archiv f. Physiologische Heilkunde. Jahrgang 1856. S. 125, 554. 61. Teichmann, L., Das Saugadersystem. Leipzig 1861. S. 99. 62. Segalas, E. (fils), Des difficultes et des accidents de la lithotritie. These de Paris. 1862. 67. Demarquay, Union medicale. 27 annee. (Cit. von Cazeneuve.) 67. Hicks, The Lancei. 1867. Oct. 67. Susini, De ’impermeabilite de l’epithelium vesical. These de Strasbourg. 1867. ı Wir haben diese Litteratur nach dem System des Prof. Mark in Cambridge angeordnet. Siehe nach: Field Haviland, Sur la maniöre de donner des indications bibliographiques in Bulletin de la SocieteE Zoologique de France. 1894. T. XIX. IN ab Sb Aa ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 469 68. Alling, Edw., Emploi therapeutique des injections de chlorhidrate de mor- phine dans la vessie. Bulletin general de therapeutigue. 1868. T. LXXV. p. 546. 69. Bert, Paul, Öomptes rendus des sceances de la Societe de Biologie de Paris. 1869. Nov. 13. 69. Black, Vesical Absorption. The British med. Journ. 1869. Febr. 20. p- 164 und March 20. p. 273. 69. Gillette, P., Recherches anatomiques sur les veines de la vessie et sur les plexus veineux intrapelviens. Journal de l’anatomie et de la physiologie. Paris 1869. p- 470. 71. Alling, De Pabsorption par la muqueuse vesico-urethrale et de quelques unes de ses applications therapeutiques. Gazette des Höpiteaux. Paris 1871. Nr. 53, 71. Derselbe, De l’absorption par la muqueuse urethro-vesicale. These de Paris. 1871. 72. Treskin, Beiträge zur Physiologie der Harnblase und der Nieren. Pflüger’s Archiv für Physiologie. 1872. Bd. V. 8. 324. 76. Krause, W., Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Hannover 1876. p- 249. 78. Cazeneuve, P. et Livon, Ch., Nouvelles recherches sur la physiologie de Pepithelium vesicale. Comptes rendus de l’Academie des Sciences de Paris. 1878. T. LXXXVII p. 485. 79. Dieselben, Recherches experimentales sur l’absorption par la muqueuse vesicale. Revue mensuelle de medecine et de chirurgie. Paris 1879. T. II. p. 1. 79. Hoggan, George u. Elisabeth. Hoggan’s Histological Ring. Journal of the Royal Microscopical Society. June 1879. p. 357 und in Journal de l’anatomie et de la physivlogie. Paris 1879. p. 54. 80. Fleischer, R. und Brinkmann, L., Ueber das Resorptionsvermögen der normalen menschlichen Blasenschleimhaut. Deutsche Medicinische Wochenschrift. 1880. Nr. 49. p. 649. 80. Maas, H. und Pinner, O., Ueber die Resorptionsverhältnisse der Blasen- und Harnröhrenschleimhaut. Centralblatt für Chirurgie. 1880. Nr. 48. 8. 773. 81. Hoggan, George und Frances Elisabeth, On the comparative anatomy of the Iymphatics of the mammalian urinary bladder. The Journal of Anatomy and Physiology. 1881. Vol. XV. p. 355. 81. London, B., Das Blasenepithel bei verschiedenen Füllungszuständen der Blase. Dies Archiv. Physiol. Abthlg. 1881. p. 317. 81. 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Boyer, J. et Guinard, L., Etude et recherches experimentales sur l’imper- meabilite physiologique de Pepithelium vesical sain. Archives de medecine experi- mentale et d’anatomie pathologique. 1894. Nov. 1. T. VI. No. 6. p. 882. 94. Gaebelein, Richard, Ueber das Resorptionsvermögen der Harnblase. Inaugural-Dissertation. Halle a. S., Mai 1894. 94. Sabatier, C., Etude experimentale et comparative de l’absorption vesicale. These de Paris. 1894. G. Carre edit. 94. Testut, L., Traite d’anatomie humaine. Paris 1894. T. III. p. 893. 96. Barfurth, Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft. X. Versammlung in Berlin. 1896. 96a. Gerota, D., Ueber die Lymphgefässe und die Lymphdrüsen der Nabel- gegend und der Harnblase. Anatomischer Anzeiger. 1896. Bd. XII. Nr. 4 u. 5. S. 91. 96b. Derselbe, Zur Technik der Lymphgefässinjection. Eine neue Injections- masse für Lymphgefässe. Ebenda. 1896. Bd. XII. Nr. 8. 8. 216. 96. Hottinger, Zur Frage der Absorptionsfähigkeit der gesunden Harnblase. Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. April 1896. 8. 211. 96, Lewin, L. und Goldschmidt, H., Die Resorption körperfremder Stoffe aus der Harnblase. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1896. Bd. XXXVI. S. 60. 96. Schulze, Eilhard, Ueber die Verbindung der Epithelzellen unter einander. Sitzungsberichte der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1896. 16. Juli. Bd. XXXIX. 8. 971. 96. Stöhr, Philipp, Lehrbuch der Histologie. Jena 1896. 7. Aufl. S. 247. ÜBER DIE ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE DER HARNBLASE. 471 Erklärung der Abbildungen. (Taf. VIIL) Die Figg. 1, 2, 3, 4, 5, 6 stellen Lymphgefässe der sehr wenig ausgedehnten Blase dar. Die Zeichnungen sind genau nach frischen Praeparaten von kindlichen Blasen angefertigt, an denen die Injection gut gelungen war. Die Figg. 1, 2, 3 zeigen die Lymphgefässe der vorderen Blasenfläche und ihren Verlauf mit den Arterien. Die Figg. 4, 5, 6 solche von der Hinterfläche. Zur Ver- einfachung der Abbildungen sind die Venen der Blase fortgelassen. ago ug = = oem ma wos: 7 Feines Netz von Lymphcapillaren an der Einstichstelle. Lymphstämmcehen von der hinteren Fläche kommend. Lymphstämmchen von der vorderen Fläche kommend. Lymphdrüse unter der Art. iliaca externa an der lateralen Beckenwand. Lyıphdrüse unter der Art. hypogastrica aın Ursprung der Art. obturatoria. Aufsteigendes Lymphstämmchen, das aus der Nachbarschaft des Collum vesicae kommt. Lymphdrüse unter der Art. hypogastrica gelegen. Lymphoglandulae vesicales laterales. Lymphoglandulae vesicales laterales, sehr tief unter der Art. umbilicalis gelegen. Lymphoslandulae vesicales anteriores, auf der Art. vesicalis anterior gelegen. Lymphoglandulae vesicales anteriores, im Cavum praevesicale gelegen. Truncus lymphaticus afferens, aus den Vasa Iymphatica iliaca externa kommend. (Fig. 4). Plexus Iymphaticus subperitonealis auf der hinteren Blasenwand. (Fig. 4). Lymphstämmchen, das Lymphe aus dem Grunde der Blase und den Samenbläschen führt. (Fig. 5). Vasa Iymphatica des Septum vesicovaginale. (Fig. 5). Vasa lymphatica der Vagina. ; (Fig. 5). Vasa Iymphatica des Uterus. (Fig. 6). Vasa lymphatica aus dem Grunde der Blase und dem Endtheile des Ureter, (Fig. 6). Vasa lymphatica des rechten Ureters. Fig. 7. Die Submucosa und die erste Muskelschicht der Blase eines Neugeborenen. 85fache Vergrösserung; nach einer Mikrophotographie. A. V. = Arterie und Vene. cap. = Blutcapillare. y. = Lymphgefäss. A s.f. = Saftlücken und Safteanälchen um die Blut- und Lymphgefässe, m, = Muskelfasern, 472 D. GEROTA: ÜBER DIE ANATOMIE UV. S. w. Fig. Ss. Das Blutcapillarnetz der Mucosa und Submucosa von der Blase eines Affen. Injieirtes Praeparat. 20fache Vergrösserung. Fig. 9. Das Blutcapillarnetz der Mucosa des Trigonum vesicae eines Neu- geborenen. Negatives Bild erhalten durch Argentum nitricum und Aurum chloratum. Nach einer Mikrophotographie. 385fache Vergrösserung. Fig. 10. A. Die Blutcapillaren der Blasenschleimhaut bei einer Maus. 120fach vergrössert. s. f. = Saftcanälchen. Praeparat mit Argentum nitricum. DB. Dasselbe von einem Affen, um die Kerne dieses Endothels zu zeigen. 124fache Vergrösserung. Nach Mikrophotographie. Fig. 11. Schnitt durch die Blasenwand einer Katze. 30fache Vergrösserung. Praeparat nachı dem im Versuche S. 462 beschriebenen Verfahren. Die Reaction des Berliner Blau findet sich in den Capillaren der Mucosa (cap.), sowie in den Venen der Blasenwand vor. Fig. 12. Aehnliches Praeparat wie das vorhergehende von einem Kaninchen. 130fache Vergrösserung. Man sieht zwischen den Epithelzellen die Reaction des Berliner Blau (%s). Die Blutcapillaren (cap), sowie die Sammelgefässe sind mit dem Niederschlag des Berliner Blau gefüllt. Fig. 13. Blasenwand eines Kaninchens (53fache Vergrösserung) zur Demonstration der Verletzungen durch Jodkalium in 10 proc. Lösung nach 10 stündiger Verhaltung in der Blase (s. Versuch 8.463). c. ep. Epithelialzellen durch das Blut-Extravasat (bl) zersetzt und geschwemmt. Fig. 14. Isolirte Plattenepithelzellen der Blasenschleimhaut eines Kaninchens. 130 mal vergrössert. a = Vertiefungen in welchen die Zellen der unteren Schicht eingebettet sind. k = Kanten und Fortsätze welche sich zwischen den unteren Zellen einsenken. Fig. 15. A. Schematische Darstellung einer Schleimhaut im eontrahirtem Zu- stande mit einer Ligatur f. f B. Dasselbe in ausgedehntem Zustande (Beschreibung (8. 452). Ueber den Einfluss der Kohlehydrate, der Fette und des Leimes auf den anorganischen Stoffwechsel. Von Dr. Angelo Pugliese, Assistent des Institutes. (Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Bologna [Prof. Ivo Novi). Bei meinen Untersuchungen über die physiologische Wirkung der Nahrungsmittel auf den thierischen Organismus! stiess ich auf die bemer- kenswerthe Thatsache, dass die Verfütterung von Fett oder Trauben- zucker nicht nur den Stickstoffgehalt, sondern auch den Phosphor- säuregehalt des Harns herabsetzte und zwar den letzteren noch erheb- licher als ersteren. — Auch die Hinzufügung von Leim zur Nahrung bewirkte eine Verminderung der Phosphorsäure im Harn. Diese Thatsache trat mit besonderer Deutlichkeit bei hungernden Thieren in Erscheinung. Während die Einwirkung der sogenannten „eiweisssparenden Substan- zen“ auf den Stiekstoffwechsel in neuerer Zeit vielfach zum Gegenstand des Studiums gemacht worden ist, verfügt die Litteratur meines Wissens noch nicht über Angaben hinsichtlich des Einflusses jener Stoffe auf den anorganischen Stoffwechsel. Ich erlaube mir, im Folgenden über einige Versuche zu berichten, welche ich zur Klärung dieser Frage an hungernden und gefütterten Hun- den angestellt habe. Die ersteren erhielten als einzige Nahrung täglich eine - 2 A. Pugliese, Azione fisiologica delle sostanze alimentari sull’ organismo. Nota I: Influenza sui movimenti respiratori e cardiaci e sul fenomeno della rarefazione espiratoria del palpito cardiaco.. Nota II: La termogenesi in rapporto alle sostanze alimentari studiata negli animali nutriti e a digiuno. Dal Bulletino delle Scienze Mediche di Bologna. Fascicolo di Dicembre 1895 e Fascicolo di Gennaio 1896. ANGELO PUGLIESE 474 | 0201:0 |e2920-0 jeep0-0 | est-T | 916-0 9916-0 | 378-4 99-179 | 88361 TOMIM UI hmmm — zz —— Tr nen a. “ #09 | 0280°0 | 0850-0 | 0680-0 | uaxopwa | 021-9 | 020-1 | 008-9 | ose 2 F00EBTE EZ OLIL-O | CF90-0 C3C0-0 083-1 | O0F8-9 | 076-0 | 996-8 69 00161 ET, 40 was 001 — — _ 099-T | 08#-4 | 016-0 | 094-8 008 00867 | Tunf 'IZ 8888-0 | C80-8 EBEC-0 GIG-T GL-8CH \ 83967 :PHIM WI De) 905-TL | 018-8 | 683-0 | cH0-F | gee 2 | 00961 20; 98C-0 | 001-8 | C8F-0 | 086-8 Car % 00161 2 6F Y0Y wı3 0) Orl-IL | 088-9 | 081-0 | OFL-F csF = 00F6L HT | dal], oft oad gcH-0 | 069-6 | 087-0 | 0CI-F 068 | wa3g-G = 9S09NIN) was 00L | O0F6T | Tunf sr LL-C | 286-0 88°C | 99-919 997161 :TOyI ur UM was OL 0-9 | H6-0 | 12-35 ueynpänzurg uoreyg uoyon Iyoımag| wnyec ee De Zee -Bereei Ss | © oe & z ee ee a ul, gQ be|nBo ve Eo© en a Bo Bo ie] 5 © oEB| 9°eB oeoB soB oB oB “TOSSEM u 009 Pun IT ws 045 ‘YOSTOLT SONII0N9I wis OOT YORK) upunp amp Yaurzdure Sunigen SIVy — "UOWwuLoLuuo 1990yJe/) yoanp oz uagfes Anz yaruosıowpe pam ug Pg upung adnjery I yansıa\ nr 475 ÜBER DEN EinFLUSs DER KOHLEHYDRATE U. S. w. u LSOT-O | 6C0-O | 2970-0 | SI69-0 88L-0 | 00-L | €-L19 00661 : To9gıpı WI] 6LOL-O | L°0-0 | 6080-0 | 082-0 028-0 | o9c-ı | 0x9 | oosen | 201 GE0L-O | 190-0 | E270-0 819.0 91-0 | 087-9 19 | | 00008 | nf '6 9COLL-O | 8190-0 98650-0 | 6012-0 LF9C-0 | 265-6 oLS 00008 :TPYIM TUE nn | FEOT-O | 88C0-0 | ICF0-O | 2889-0 0017-0 | 089-6 039 - 00008 Ge UM wıscc | 680-0 | OTCO-O | 880-0 | 0001-0 0C8F-0 | 081-6 erde! x 00003 se A9Iq ], oJ 01d 8SET-O | 9720-0 | 3590-0 | I6FL-V0 2681-0 | 9T0-6 09% | wı3 3-4 = Juepoh) mı3 00T | 00008 | Inf ‘9 9110-0 | 0T90-0 | C#C0O-O | SOLS-0O | 984-9 0900-1 | 689-9 | 88-809 00867 :ToYIpL wI “ «08 | FF01-0 | F8c0-0 | 0950-0 | s2LL-0O | 0GE-9 |08I0-T | O#F-9 SIE 00861 Sul O9TT-O | 08C0-0 | 0890-0 0066-0 | 056-9 | 0486-0 878-9 079 00861 SE: yo wı3 00T | F931-0 | 8310-0 | 98C0-0 | 8888-0 | 068-9 |8250-T | 088-9 0L9 0086T | IM 'E 6821-0 982200 | 09°0-0 9058-0 | 094-9 | 908-0 FCh-E |98-989 | YIT6T :TOgYL mT elle Se dar ler Sr Sn len es I ed Sims ee I I El ee tet Fr ak re Be LITL-O | F8L0-0 | F990-0 | 9658-0 | OET-L |969L-0 O8F-G 084 5 00661 en OIST-O | 8920-0 0090-0 | 0L88-0 | OLL-9 | #98-0 | PEG-4 019 = 0086T | nf 'T A9Iyf, ON Od wı8g-G Joy wich | EFFL-O | FIL0-O | 8870-0 | 2ec8-0 | OFF-9 | 088-0 | 048-4 089 |= ZIemg9SIUMMUIS wı3 00T , 00861 | Tunf '0E 9GET-0 | 6220-0 | 220-0 | OF8o-T | 008-4 | LITT | 029-9 | 99-962 08T6T : PAIN m LITT-O | 2190-0 | 0570-0 786-0 | 069-4 | 80T-L | 085-9 099 0086T | “163 Yo wıs 00T | OICT-O | 0780-0 0190-0 021-1 | OFd-S | OF%-T | 096-9 088 00861 El EFFL-O | 0380-0 | 8390-0 0°0-T | 0LF-9 | 0T0-T | 074-9 088 09961 | Tunf ‘La G60T-0 | 9T90-0 | 6170-0 | 9818-0 | 009-8 | 8819-0 | 1608-4 | 88-888 gEL6T :TOIN WL 0011-0 | 0190-0 | 0670-0 | aLss-0 | 069-8 | <09-0 | 00161 “oz IM or], op oxd 1060-0 | 8860-0 | 8980-0 88EI6-0 : 083-8 819-0 | OFF4-S G6F | wı3 3-G = 9So9n[d mı3 00T | 00L6L nunf 73 476 ANGELO PUGLIESE: nach ihrem Körpergewicht bestimmte Menge Wasser per Schlundrohr, die letzteren wurden mit abgewogenen Mengen Fleisch, Brot und Wasser er- nährt. Die Harngewinnung geschah bei den weiblichen Thieren mittelst Cathe- ter nach Falck, die männlichen Thiere waren daran gewöhnt, möglichst ihren Harn vollständig zu entleeren, wenn sie aus dem Käfig gelassen wurden. In allen Versuchen wurde der 24stündige Harn auf N (nach Kjel- dahl) und Phosphorsäure (nach Neubauer) verarbeitet, in zwei Fällen auch die Menge der ausgeschiedenen Alkalien und Erden nach bekannten Methoden bestimmt. (S. Versuch I, Tabelle S. 474 u. 475). Aus der umstehenden Tabelle ergiebt sich, dass die der täglichen Ration hinzugefügten Nährstoffe, mit Ausnahme der Gelatine, eine beträchtliche Verminderung der täglichen Stickstoffausfuhr bewirkten. In Folge dessen sahen wir denn auch während der genannten Fütterungsperioden das Körper- gewicht des Versuchsthieres nicht unwesentlich zunehmen. Gleichzeitig mit der Verminderung der täglichen Stickstoffausfuhr sehen wir auch die 24stündige Phosphorsäureausscheidung abnehmen und zwar ist diese Abnahme bemerkenswerth höher, wenn der täglichen Futterration Traubenzucker oder Leim, als wenn ihr Fett beigefügt wurde. Betrachtet man den Quetienten N/P,O,, so sieht man denselben wäh- rend der Glucose- und Fettdarreichung, besonders aber während der ersteren, erheblich zunehmen, ein deutlicher Beweis dafür, dass die Phosphorsäure- ausscheidung durch jene Nährstoffe in bedeutenderem Masse vermindert wird, als die N-Ausfuhr. Während der Leimfütterung konnte natürlich die Grösse des Quotienten N/P,O, nicht festgestellt werden, da der Stickstoffgehalt des Harns in Folge der Darreichung einer so N-reichen Kost erheblich zunahm. Berücksichtigt man jedoch, dass in der der Leimperiode vorangehenden Normalperiode die Hündin täglich durchschnittlich 1-006 &= P,O,, in der jener nachfol- genden Normalperiode täglich durchschnittlich 0.788 sm P,O,, während der Leimperiode selbst aber nur durchschnittlich pro die 0.5647 s"® P,O, ausschied, so ergiebt sich, dass die Leimfütterung vorwiegend die phosphorhaltigen Körper- bestandtheile eingespart hat. Die Menge des ausgeschiedenen Natrium und Kalium (als Chloride be- rechnet) sieht man unter der Glucosefütterung erheblich abnehmen. Auch während der Fettfütterung ist die Quantität der ausgeschiedenen Alkalien kleiner, als in der Normal-Vorperiode, doch sind die Werthe der Normal- Nachperiode annähernd dieselben, wie während der Fettperiode. Ungefähr dasselbe, wie während der Fettfütterung, sehen wir während der Leim- fütterung eintreten, ÜBER DEN EINFLUSS DER KOHLEHYDRATE UT. S. W. 477 Wenn man also nicht etwa annehmen will, dass Fett und Gelatine eine sehr verzögerte Spätwirkung ausüben, so kommt man zu dem Resul- tat, dass der vorstehende Versuch einen sicheren Schluss über die Wirkung der Sparmittel auf die Ausscheidung der Alkalien nicht gestattet. Was die Ausscheidung der alkalischen Erden anlangt, so scheint die- selbe, — wenigstens so weit der Harn in Betracht kommt — nicht wesent- lieh durch die Darreichung von Traubenzucker, Fett oder Leim beeinflusst zu werden. Endlich ist noch auf die Beobachtung aufmerksam zu machen, dass die 24stündige Harnmenge während der Glucoseverfütterung nicht uner- heblich sank. Es steht dies in einem bemerkenswerthen Gegensatz zu den Erfahrungen, welche man nach intravenöser Infusion von Traubenzucker gemacht hat!. Man sieht hier eine gewisse Analogie zu den Erfahrungen, welche ich an hungernden Thieren bei Verfütterung von Kochsalz gemacht habe. Auch hier sah ich die 24stündige Harnmenge bei gleichbleibender Wasser- zufuhr sinken ?. Versuch HU. Hund, hungernd. en| > | 2a s =. 33288. = = 3 | Verfütterte Menge von | 24stündiger |. 2 Sen N ne 5 Nährstoffen Harn) |. =, &0P,0; Semeniungen En asealns3 & ErIenE | grm g B ccm grm grm 10 14850 360 2:60 |0-65 |4-00 |Nicht ceatheteris. 11 | 14700 360 2.95 | 0-83 3-55 12 | 14550 350 2-82 0-76 |3-71 13 | 14300 330 3-14 |0-86 |83-65 14 | 14200 | 100srm Gelatine = 310 hell 9.504 | 0-42 — 7grm pro Kilo Hund 15 | 14000 350 6:675 | 0-40 — 16 | 13900 440 3-790 | 0-867 |4-37 | 28grm Koth 17 13900 98 rm Glucose = 210 hell |2-837 | 0-403 | 7-04 7 grm pro Kilo Hund 18 | 13750 330 dunkel | 3-211 | 0-765 | 4-19 19 | 13600 380 3-352 | 0-910 | 3-68 20 13550 | 140grm Glucose = 230 hell |2-977|0-552| 5-41 10 srm pro Kilo Hund 21 | 13400 400 dunkel |3-388 |1-088 | 3-11 22 13300 | 118 stm Schweineschm. | 360 hell |2-935 | 0-607 | 4-83 — 9grm pro Kilo Hund 23 | 13200 340 hellgelb| 3-000 | 0-612 | 4-00, 16srm Koth 24 | 12900 310 3278 | 0.868 | 3-74 ! Albertoni, Annali di Chimica e Farmacologia. Ser. IV, vol. IX e ser. V, vol. XII. ®? Pugliese, Atti della R. Academia dei Fisioeritiei. Serie IV, vol. VI. 478 ANGELO PUGLIESE: Aus diesem Versuche ergiebt sich, dass die Verfütterung von Trauben- zucker, Schmalz oder Gelatine beim hungernden Hunde dieselben Ver- änderungen im Stickstoff- und Phosphor-Stoffwechsel hervorruft, welche wir oben bei gefüttertem Hunde eintreten sahen. Eine Proportionalität zwischen der Quantität des dargereichten Zuckers und der Menge des eingesparten Stickstoffes bezw. Phosphors scheint nicht zu bestehen, sehen wir doch den Quotienten N/P,O, bei Verfütterung von 7 ®”” Glucose pro Kilo Hund höher liegen, als bei Darreichung von 103” Traubenzucker pro Kilo Thier. Ausserdem ist es bemerkenswerth, dass auch in diesem Versuche das Fett eine weit geringere Beeinflussung des Stoffwechsels verursachte als die Nährstoffe und dass bei Fett- und Gelatine-Darreichung eine gewisse Spät- oder Nachwirkung zu constatiren war. Wie in Versuch I sehen wir auch in diesem Experiment die 24 stündige Harnmenge während der Zuckerperiode nicht unwesentlich sinken. Man könnte einwenden, dass meine Zahlen nicht sicher seien, da der Hund nicht catheterisirt wurde Berücksichtigt man aber, dass wir in beiden Zucker- perioden die Harnmenge erheblich sinken sehen (in der ersten Periode von 440 m auf 210° ®, in der zweiten Periode von 380° m auf 230 m), so kommt man zu dem Resultat, dass in unserem Experiment die Verfütterung des Traubenzuckers nicht nur keinen diuretischen Effect gezeitigt, sondern im Gegentheil, eine Beschränkung der Wasserausfuhr durch die Nieren bewirkt hat. Schliesslich ist noch auf eine interessante Thatsache aufmerk- sam zu machen, welche ich auch bei der Untersuchung anderer hungern- der Hunde wiederholt constatiren konnte. Ich fand nämlich, dass der Harn eines hungernden Hundes, weleher unmittelbar nach der Entleerung von der gewöhnlichen hellgelben Farbe ist, allmählich beim Stehen an der Luft nachdunkelt und ein braunes Colorit annimmt. Dieser Farbenum- schlag trat nicht ein, wenn dem hungernden Hunde Fett, Gelatine oder Traubenzucker dargereicht wurde. Ich begnüge mich vorläufig damit, diese Thatsache zu constatiren, behalte mir aber vor, später ausführlicher auf dieselbe einzugehen (siehe Versuch III, Tabelle S. 480 u. 481). Die grossen Schwankungen in der täglichen Harnmenge und der 24 stündigen Ausscheidung von N und P,O, erklären sich daraus, dass der Hund seinen Harn nicht ganz regelmässig entleerte. Da ausserdem an dem Versuchsthiere nicht nur der organische und anorganische Stoffwechsel, sondern auch gewisse andere Erscheinungen untersucht werden sollten, so konnte ich die verschiedenen Fütterungsperioden nicht so lange Zeit hin- durch ausdehnen, wie in dem ersten mitgetheilten Experiment. Trotzdem jedoch waren die nach Fütterung von Glucose, Gelatine oder Schmalz auf- tretenden Veränderungen im Stickstoff- und Phosphorstoffwechsel so erheb- ÜBER DEN EinrLuss DER KOHLEHYDRATE UT. S. w. 479 liche und so constante, dass man sie nicht nur als zeitliche, sondern auch ursächliche Folgen jenes Fütterungsmodus auffassen muss. So sehen wir z. B. nach Verfütterung von 1 &’® Glucose pro Kilo Thier (36. Hungertag, 7. Juli). Die tägliche N-Ausfuhr von 3.393 em auf 0-678 8m, die 24 stündige Phosphorsäureausscheidung von 0.888 &” auf 0-13 Em sinken und gleichzeitig den Quotienten N/P,O, von 3.82 auf 5-21 ansteigen. — In ähnlicher Weise bewirkt die Darreichung von 2 == Glucose pro Kilo Thier (16. Juni, 15. Hungertag) ein Sinken der 24stündigen N-Menge von 1-36 8m auf 0.6487 8m und ein gleichzeitiges Herabgehen der. Phosphor- säureausscheidung von 0.432 8” auf 0-054 8m, Dabei stieg der Quotient N/P,O, von 3-12 auf 12. In einem anderen Falle (41. Hungertag) sank die Stickstoffausscheidung von 2.187 2" auf 1.262 m, die Phosphorsäure- ausscheidung von 0-442 auf 0-195 =’”. Der Quotient N/P,O, stieg von 4-94 auf 6-97. Wurden 10®m Glucose pro Kilo Thier verfüttert (19. Juli, 48. Hungertag), so sank die Stickstoffausscheidung von 1-710 sm auf 0.91 sm, die Phosphorsäureausscheidung von 0-52 2” auf 0.048” (N), der Quotient N/P,O, stieg von 3-08 auf 18-95 (!). Endlich, bei Verfütterung von 20 8m Glucose pro Kilo Thier (25. Juli, 54. Hungertag), sank die 24 stündige Stickstoffausscheidung von 1,306 sm auf 0.885 ==, die Phosphorsäureausscheidung von 0.804 auf 0-09”, der Quotient N/P,O, stieg von 2-24 auf 9-83. Aus diesen Zahlen ersieht man, dass schon die Darreichung von recht kleinen Mengen Glucose die Stickstoff- und Phosphorsäure- ausscheidung erheblich herabsetzt. Wie man ferner aus der Steige- rung des Quotienten N/P,O, erkennt, nimmt die Ausscheidung der Phosphorsäure in weit bedeutenderem Maasse ab als die Stick- stoffausfuhr. Der Einfluss kleiner Mengen Schmalz auf den Phosphorsäurestoff- wechsel war zweifelhaft: Der Quotient N/P,O, bleibt unverändert, Die kleine Verminderung der 24stündigen N- und P,O,-Ausfuhr ist möglicher Weise nur auf die Herabsetzung der 24stündigen Harnmenge zurückzu- führen. — Sehen wir doch auch in der Zeit vom 2. bis 5. Juli (31. bis 34. Hungertag), während der Hund gar keine Nahrung bekam, in Folge der sehr verminderten Harnausscheidung die 24stündige Ausfuhr von N und P,O, erheblich sinken, während der Quotient N/P,O, unverändert blieb. Grössere Mengen Schmalz hatten einen deutlichen Einfluss auf den Stiekstoff- und besonders auf den Phosphorsäurestoffwechsel. So stieg z. B. nach Verfütterung von 2,5 ®® Schmalz pro Kilo Hund der Quotient N/P,O, von 9-24 auf 5-475; ebenso nach Verfütterung von 10 =” Schmalz pro Kilo Thier von 3-48 auf. 7.0. ANGELO PUGLIESE G88+0 098 0696 "sE ENG 89-F 6°T-0 g1E+-0 c6l 0386 "IE RG Wo wıs CZ #68 c99.0 089*% 088 0086 ‘08 me 7 69-7 384.0 008*% 088 0°66 "68 le 96-3 6FT-0 68.1.0 085 0°TOL "85 “68 81-F 608-0 888-8 oFF 0S10L "L3 Fe Fr gor-0 G6L-1 012 00F0L "9 EZ 09-8 299-0 6Ir-@ = 098 OOTIL a ee 18-F rrH.0 gL8-T er OLE 08311 fh: a El 0°-F 9EC8-0 | 964-1 qrasppyunp oFE O0STL "9L es] pung ojty o1d el 760-0 2889-0 IPy ıqas 012 ws 6 = SON) us 76 00971 "GI gl ION wıs 08 sl-E 287-0 098-1 Ss 098 O09TT ‘FI ET eL-F 897-0 112-2 = 068 OOLIT "el nt — 88-0 618°7 ” 083 O06LL 24 PESEN pung ojty od = za) 08L-01 = 005 | ws8 = aumepod) wis 00T 006LL "IT cl 90-8 665-0 LEF-S = 08F 08351 ‘ol il 0F-F 38-0 178-7 a 088 00F81 ‘6 0 JALSLIOIOUNED AUOIN 36-F 318-0 LFC-T aqpsppyunp 093 08451 ‘8 tunf '6 w.Aas ws wod was *Q°a 0% Sum N en um uayogsıye au = auapargasaa "109 an 75 uoA eh IN auto Sryr Sum Zune gay up | 8 ve u 480 "puodung ‘pung aadryeıy ‘adunp "III y9nsıo\ 481 ÜBER DEN EINFLUSS DER KOHLEHYDRATE UT. 8. w. YyYoM was Gl G56-1 088-0 908-L- LLEO-T 868-1 G60-T sI4-L 016-0 0TL-1 607 °6 617-1 019-7 699-1 9669-7 696-1 LAST» 088-1 GsI 14 ıyos G12 008 Iey OLT 008 AO PEUSEMP c8Z qrasjogunp 0,7 14 1498 005 09% 018 09% 068 0L8 0#85 Tal 018 085 095 19][OU SEMP 0,5 088 OLT 018 OLL 045 pung ojıy od wı3 06 = SOHN was 09T pung ojry oıd wis] = ZEWUIS wı3 08 pung ofty o1d wı3G.-5 = ZIEWUIS wı3 05 pung oyy od wı3 0] = 9S09N]N) was 08 punpj ojıyy oıd wg = 9809) was ST pung ojıyy o1d ws | = 91099) mu 6 pung oıry oad wı3 I = SON was 6 pung ojıy oıd wa GO = ZEUMS wu 08-F [13 6“ [13 [13 [i3 31 Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. S 482 ANGELO PUGLIESsE: Versuch Junge kräftige Hündin mit einem Anfangsgewicht von 14400 =”, Der Harn täglich 25 °°® Wasser pro Kilo Thier; das Wasser’ s © 35 E Verlust an $ ER ES Hungertag, Gewicht Gewicht in Menge des a Trauben- a > 3 &: ı SA zuckers arnmenge RI SS 5 | 7) B= = grm grın ccm | grm lk 12600 = — Re. 12. 12500 100 350 1-96 13. 12300 200 365 2-095 14. 12200 100 315 | 1:9845 1 Im Mittel: 133 | 3438-33 | 2-0131| 15. 12100 100 24 srm Glucose = 287m pro Kilo Thier, 325 1.787 | 16. 12000 100 n = 305 1.875 | iR 11900 100 n = 325 1.956 | Im Mittel: 100 318-33 1.8726) | 18. | 11700 | 200 | 325 1-9987°° 19. 11500 150 315 1-968 © 20. | 11450 | 100 335 2-135 )] Im Mittel: 150 | 825 | 200g 26. 10800 ei = we | Du“ 10700 100 305 ' 2-983 28. 10550 150 335 3.046 29. 10450 100 285 | 2.9329 Im Mittel: 116.66 ' 308-33 | 2-986 30. 10300 150 20-608” Gluc. = 2 pro Kilo Thier| 305 2.74 31. 10200 100 = a 290 2-70 | 32. 10100 180 30-60 Gluc. = 3°” pro Kilo Thier| 275 2.73 || 33. 10050 50 5; % 240 2.676 | 34. 10000 50 2 % 280 2.6421) Im Mittel: 90 278 2-T11 | l | 35. 9850 | 150 308 3.34 |) 36. 9750 | 100 290 3-25 )| UN SEEN Lo 0. 1 2U EB RE N ie Im Mittel: 125 299 | 3.296 Ä N ÜBER DEN EINFLUSS DER KOHLEHYDRATE U. S. w. 483 = © zo8d go >) =) SER, BEER or naeh ts: a Ne en & N el. je 2 = S.. ee B208= = 3-3 a=M5 Ssol»oÄde | o.= nad imo esse Feen E 05 >; NHRDE a5 | An8 Aa: Ar 5 ss 382 | He>a a A 25 a Oo 2 Es Asss = = = Es grm grm grm grm grm grm 0.4795 4:08 0:609 0-520 4-03 0:5986 0.446 4-45 0-5796 0.4818 | 4-18 | 0-5957 0-3117 | 5.73 0:607 0:0348 00495 0:0342 0:0837 0.3270 5:73 0-579 0:0345 0°0480 00346 | 00826 0.3250 | 6-00 0:590 0:0342 0-0520 0:0325 0-0845 70-3215 | 5-82 0:592 ı 0:0345 004983 0:0337 0:0835 10-4452 | 4:49 0600 0:0336 00425 0:0335 0076 0.410 4-75 05872 0.0330 0:0500 0:0312 0:0812 0-4465 | 4:78 06435 0:03285 0:0478 0:0373 00851 "10-4339 | 4:67 0:6103 0:03315 0:04666 0°034 0-0807 "0.506 | 5-42 0:493 0.031 0:02272 0-0445 0:06722 0.523 5-82 0.4825 0:0305 0:0257 0:0420 0:06677 ‚0.487 6:02 0:5048 00302 0-029 0.0380 0:067 0.5053 | 5-75 0:4934 0:03056 0:0258 0:0415 0:0673 ‚0.436 6-36 0.49 00299 0-02135 0:0435 0°0648 ‚0.4145 6:59 0.491 0:0293 0:0235 0:033 0:0565 0.4275 6°46 0:495 0:0293 0:024 0.044 0.0680 ‚0.3999 6-77 0°-472 | 0-0287 0-021 00487 0:0697 ‚0.3999 6-68 0:466 0:0287 0:022 0:0411 0°0631 ‚0.4155 6-572 0.4828 0:0271 0-0224 0:0420 0:0643 ‚0.546 6-11 0:502 0-0281 0-0258 0-0434 0:0584 ‚0.594 5-47 0:528 0:0276 0:0298 0.0440 0:0608 057 5-79 0515 0-0278 00278 0:0437 0:0715 31 484 ANGELO PUGLIESE: Die Gelatine verhielt sich ungefähr wie der Schmalz: Die Wirkung kleiner Dosen war zweifelhaft, die Verfütterung einer grösseren Menge (12. Hungertag) bewirkte eine deutliche Verminderung der Phosphorsäure- Ausfuhr. (Diese sank von 0.479" auf 0.24 s’® in 24 Stunden.) Der Einfluss des Traubenzuckers auf die Harnmenge blieb in diesem Versuche zweifelhaft, weil der Hund seinen Urin nicht mit genügender Regelmässigkeit entleerte. (S. Versuch IV, Tab. 5. 482 u. 483.) In diesem Versuche wurde nur Traubenzucker verfüttert und zwar in einer Dosis, welche 3:’” pro Kilo Thier nicht überstieg. Der Effect war deutlich, wenn auch nicht so bedeutend wie in dem vorigen Experiment. Wir sehen den Körpergewichtsverlust. Die Menge des in 24 Stunden aus- geschiedenen Stickstoffes und der Phosphorsäure sinken und gleichzeitig den Quotienten N/P,O, wachsen. Dies weist mit Deutlichkeit darauf hin, dass auch hier unter dem Einfluss der Glucosefütterung die Phosphor- säure reichlicher eingespart worden ist, als der Stickstoff. Was den Einfluss des Traubenzuckers auf die Ausscheidung von Kalium und Natrium anlangt, so ist ein solcher aus dem vorstehenden Versuch nicht mit Sicherheit zu erkennen. Wir finden die während der Glucose- fütterung ausgeschiedene Menge Alkali entweder gleich oder ein wenig geringer als in der Vorperiode und stets ein wenig kleiner als in der Nach- periode. — Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass in der zweiten Hälfte der Hun- gerperiode die Menge der im Harn ausgeschiedenen Alkalien nicht uner- heblich geringer war, als in der ersten Hälfte des Versuches. Dieses Re- sultat entspricht im Grossen und Ganzen den Angaben von J.Munk,! welcher bei dem Hungerkünstler Cetti ebenfalls mit zunehmender Länge der Hun- gerperiode die Menge der ausgeschiedenen Alkalien abnehmen sah. Es ist jedoch auffällig, dass in meinem Versuche dieser Abfall so ausserordentlich plötzlich, zwischen dem 20.—26. Hungertage erfolgte, während in der Periode vor dem 20., und nach dem 26. Hungertage die Alkaliausfuhr viele Tage hindurch nahezu constant blieb. Bezüglich der Ausscheidung der alkalischen Erden liess sich in un- serem Versuche ebenso wenig, wie in dem oben erwähnten Versuch No. I eine Beeinflussung durch die Zuckerdarreichung constatiren. Jedoch sind die Zahlen, welche die Kalk- und Magnesiumanalysen bei unserem Versuche ergaben, von einem anderen Gesichtspunkte aus interessant. ! Bericht über die Ergebnisse des an Cetti ausgeführten Hungerversuches, Berliner klin. Wochenschrift. 1887. 8.428. — Untersuchungen an zwei hungernden Menschen von Curt Lehmann, Friedrich Müller, ImmanuelMunk, H. Senator, N. Zuntz. Virchow’s Arckiw. 1893. Bd. CXXXI. Supplementheft. S. 136. ÜBER DEN EINFLUSS DER KOHLEHYDRATE U. S. w. 485 J. Munk! fand, dass während des Hungerns die Menge der in 24 Stunden ausgeschiedenen alkalischen Erden zunimmt, und schloss daraus auf eine Einschmelzung von Knochensubstanz. Darnach hätte man an- nehmen sollen, dass mit zunehmender Dauer der Hungerperiode die Aus- scheidung von Kalk und Magnesia proportional wachse. In meinem Ver- suche hat sich jedoch das Gegentheil ergeben: wir sehen, dass die mittlere Menge der in 24 Stunden ausgeschiedenen alkalischen Erden in der zweiten Hälfte des Versuches geringer ist, als in der ersten (0.0663 &m gegen 0.0835 gm). — Wenn man jedoch getrennt die Mengen des ausgeschiede- nen Kalks und der Magnesia bestimmt, so findet man, dass letztere — völlig entsprechend den Munk’schen Angaben — langsam aber constant während der Hungerzeit zunimmt. Die Ausscheidung des Kalkes dagegen verhält sich umgekehrt. Wir sehen sie, abgesehen von der kleinen Steige- rung in den letzten Hungertagen, mit zunehmender Dauer des Hungers stetig abnehmen. Die Erklärung für diesen, zunächst paradox erscheinenden Befund, könnte in der Thatsache gefunden werden, dass meinem Hunde täglich mit dem Trinkwasser eine erhebliche Menge Kalk eingeführt wurde, von welcher er zu bestimmten Zeiten (dritte und vierte Periode des Experiments) sogar Bruchtheile im Organismus zurückbehielt. Nun wissen wir aber, dass der Organismus selbst im Hungerzustande recht erhebliche Mengen Kalk durch den Koth verliert; fand doch z. B. Etzinger? bei einem Hungerhunde von 348 Gewicht die 24stündige Kalk- ausscheidung im Harn = 0.07e", im Koth dagegen = 0.14”; und J. Munk?® fand während eines zehntägigen Hungerversuches im Harn in$- gesammt 0.677, im Koth jedoch 1.763 == CaO. Leider war es in meinem Falle nicht möglich, auch die Fäces auf ihren Kalkgehalt zu untersuchen, denn es wurde während der ganzen Ver- suchsdauer niemals Koth in dem Käfig des Thieres vorgefunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach frass der Hund jedes Mal in der Nacht seinen Koth wieder auf. In -einer neuen Versuchsweise werde ich mich bemühen, diesem Mangel meiner bisherigen Experimente abzuhelfen, und der Ausscheidung der alka- lischen Erden im Koth meine besondere Sorgfalt zuzuwenden. 1 Bericht u.s. w. Berliner klinische Wochenschrift. 8. 432. — Untersuchungen u.s. w. Virchow’s Archiv. 8. 164. — Beiträge zur Stoffwechsel- und Ernährungs- lehre. Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVIII. Von 8. 309 bis S. 408. ® Ueber die Verdaulichkeit der leimgebenden Gewebe. Zeitschrift für Biologie. SI B ARTE 3.286: ® Beiträge zum Stoffwechsel u. s. w. Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVIIl. S. 333. Die Gefrierpunkterniedrigung des lackfarbenen Blutes und das Volum der Blutkörperchenschatten. Von H. J. Hamburger in Utrecht.’ In einem Aufsatze: „Ueber die Bestimmung der osmotischen Spann- kraft von physiologischen und pathologischen serösen Flüssigkeiten mittelst Gefrierpunkterniedrigung“! habe ich nachgewiesen, dass die Gefrierpunkt- bestimmung eine für die Dosirung der osmotischen Spannkraft seröser Flüssigkeiten zuverlässige Methode ist. Um dann weiter zu untersuchen, ob die in pathologischen Fällen oft vorkommende Vermischung mit ein wenig Blutfarbstoff einen merkbaren Einfluss auf das Resultat ausüben kann, wurde die Gefrierpunkterniedrigung festgestellt von Blut, dessen Körperchen durch Verdünnung des Blutes mit 100 Proc. Wasser den Farbstoff abgegeben hatten. Es zeigte sich, dass die Gefrierpunkterniedrigung des auf diese Weise lackfarben gemachten Blutes notorisch geringer war als die Hälfte der des Serums, was mich zu der Schlussfolgerung führte, dass die Blutkörper- chen offenbar eine kleinere osmotische Spannkraft besitzen mussten als das entsprechende Serum. Grijns, der die betreffenden Versuche bestätigen konnte,” machte hierbei die richtige Bemerkung, dass der Blutkörpercheninhalt wohl die- selbe osmotische Spannkraft besitzen wird, wie das Serum. Und wo es sich trotzdem herausstellt, dass, wenn man Blut mit der gleichen Quantität Wasser verdünnt, die osmotische Spannkraft der also erhaltenen Flüssigkeit kleiner ist als die Hälfte der osmotischen Spannkraft des Serums, da muss man dies nach dem Verfasser daraus erklären, dass bei Verdünnung des Blutes mit dem gleichen Volum Wasser das Stroma selbst sich vollkommen neutral verhält, d. h. kein Wasser oder lösliche Stoffe aufnimmt; wodurch also die eigentliche Flüssigkeit (rother Inhalt der Blutkörperchen + Serum) mehr als einmal verdünnt wird. \ Centralblatt für Physiologie. 1894. 24. Februar. ® Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXII. S. 111. HAMBURGER: GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG D. LACKFARBENEN BLUTES. 487 Grijns hat diese Auffassung dadurch zu beweisen gesucht, dass er Blut lackfarben machte durch wiederholtes Gefrieren und Aufthauen. Und in der That fand er dann ganz entsprechend seiner Vorstellung, dass die osmotische Spannkraft des auf diese Weise lackfarben gemachten Blutes gleich der des ursprünglichen Serums war. Verfasser meint nun, dass in der osmotischen Spannkraft des mit Wasser verdünnten Blutes auch ein genaues Maass für das Volum der Blutkörperchenstromata gelegen sein muss. Er bestimmt daher die osmotische Spannkraft des mit dem gleichen Volum Wasser verdünnten Blutes und die des ursprünglichen unverdünnten Serums und berechnet daraus das Schattenvolum. Wie ich schon früher erwähnte, war mir bei meinen Untersuchungen über den Einfluss von CO,, HCl und NaOH auf das Volum der rothen Blutkörperchen! viel daran gelegen, das Volum der Schatten unter den ver- schiedenen Einflüssen bestimmen zu können. Die erwähnten Mittheilungen von Grijns interessirten mich darum sehr; es schien mir aber erwünscht, erst die Zuverlässigkeit seiner Methode zu prüfen, was Grijns selbst ver- säumt hatte. Hierzu verdünnte ich Blut mit verschiedenen Quantitäten Wasser und untersuchte dann, ob die Bestimmung des Schattenvolums desselben Blutes das gleiche Resultat gab, was nach der Annahme von Grijns, dass die Schatten kein Wasser oder lösliche Stoffe aufnehmen, erwartet werden musste. Leider war das nicht der Fall. Versuch. A= (1) Pferdeserum . . . ...—0-.620° (2). LorBkut 10 cu Waer .....—0-288 (>) 10m en ;,, 5 0.235. Berechnen wir erst das Schattenvolum in 10°“ Blut aus (1) und (2). Es sei das Schattenvolum x, so ist (10—x) das Volum des Serums, dessen wasseranziehende Kraft ausgedrückt werden kann durch (10 — x) x 0.620. (10— x) “= Serum sind verdünnt mit 10 ° m Wasser, wodurch das Volum (20—x) wird und die wasseranziehende Kraft (20— x) x 0-288. £ (10—x) x 0.620 = (20— x) x 0.288 z=1-33. Nach dieser Rechnung enthalten also 10 °® Blut 1.33 «m Schatten, oder 100 «= Blut 13.3 °m Schatten. Nun enthielten 100 «= des be- nutzten Blutes 36.3 “® Blutkörperchen, deren Schattenvolum also 13.3 «m, 1 Zittingsversl. d. Koninkl. Akad. v. Wissensch. Amsterdam, 28. November 1896 und 21. Februar 1897. — Zeitschrift für Biologie. 1897. 8. 252. 488 H. J. HAMBURGER: ap Be = (0.36 des ganzen Blutkörperchenvolums betrug, ein Werth, welcher mit dem Grijns’schen (0.33—0.35) seht gut übereinstimmt.! Berechnen wir jetzt, wie gross das Schattenvolum in 100 «m des Blutes ausfällt, wenn man es nicht, wie Grijns immer that, mit 100 Procent, sondern mit 150 Procent Wasser verdünnt. Man bekommt dann die folgende Gleichung: (10— x) x 0.620 = (25— x) X 0-235 x = 0:84. Nach diesem Versuch enthalten 10 “= Blut 0.84 «m Schatten; also 100 «m Blut 8.4 «m Schatten, ein Werth, welcher bedeutend von dem so- eben erhaltenen 13-3 abweicht. Woher nun dieser Unterschied? Warum fällt das Schattenvolum bei Verdünnurg mit 150 Procent Wasser kleiner aus als bei Verdünnung mit 100 Procent? In meinem ersterwähnten Aufsatz habe ich schon hervorgehoben, dass- durch Hinzufügung von Wasser zu einer serösen Flüssigkeit eine Disso- ciation stattfinden muss, wobei eine neue Quantität freies Alkali entsteht. Nun besitzt freies Alkali eine zweimal grössere osmotische Spannkraft als gebundenes. Nach Hinzufügung von 150 Procent Wasser muss also die Flüssigkeit eine höhere osmotische Spannkraft besitzen als nach Hinzu- fügung von 100 Procent. Und je höher die osmotische Spannkraft ist, desto kleiner fällt in der Berechnung das Schattenvolum aus. Um letzteres mittelst eines Beispiels vor Augen zu führen, nehmen wir die letztere Formel (10-2) x 0.620 = (25—.) x 0.235. Denken wir uns einen Augenblick, dass die osmotische Spannkraft des mit 150 Procent Wasser verdünnten Blutes nicht 0-255 war, sondern 0,240, so würde die Formel lauten: (10—x) x 0620 = (25—x) 0.240 6.20 — 0.622 = 6-00 — 0.24 z=(0:-52. In diesem Fall würden 10 «= Blut 0.52 m, oder 100 «m Blut 5.2 cm Schatten statt 3.4 «m enthalten. Wie gesagt, war die Veranlassung zur Prüfung des Grijns’schen Ver- fahrens die Beantwortung der Frage, ob die durch CO, herbeigeführte An- schwellung der Blutkörperchen, durch Quellung der Stroma oder durch Zu- nahme des Volums der intracellularen rothen Flüssigkeit erklärt werden musste. IA ROSE DIE GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG DES LACKFARBENEN BLUTES. 489 Es interessirte mich also zu wissen, welche Zahlen die Methode für das Schattenvolum geben würde, wenn das vorige Blut mit CO, behandelt war. (1) Serum von CO,-Blut . . . ...—0.735 10 «m (0O,-Blut + 10 cm Wasser . . —0-330 10% ER a Ka RT Aus (1) und (2) berechnet man für das Schattenvolum in 100 = Blut 18.5 cn, Aus (1) und (3) berechnet man für das Schattenvolum in 100 «= Blut 15.8 cm, Wieder verschiedene Resultate bei verschiedenen Ver- dünnungen. Die Methode kann also nicht richtig sein. Indessen fällt es auf, dass die Schattenvolumina in 100 °® CO,-Blut grösser sind als in 100 °® des normalen Blutes. Es wäre aber sehr gewagt, hieraus ohne Weiteres zu schliessen, dass die CO, wirklich eine Quellung der Blutkörperchenschatten herbeizuführen im Stande ist. Denn es ist die Frage, ob das Resultat nicht auf andere Weise erklärt werden kann. Wir denken hier an den Einfluss der Verdünnung als solche auf die osmotische Spannkraft. Wie verhält sich letztere bei Verdünnung des normalen und des CO,-Serums mit 10, 20 und 30 Procent Wasser? Die folgende Tabelle giebt hierauf eine Antwort. Normales Serum Mit CO, behandeltes Serum Berechnet auf Berechnet auf unverdünntes ı unverdünntes Unverdünntes Serum . . 0.568 0-568° 0-640° 0°640' 20m Serum + 2m Wasser 0-520 . 0-572 0:577 0°635 zone nei lol 0488 0585 0.522 0626 20 „ on +6, 9 0:453 0°:589 0.470 0°611 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die osmotische Spannkraft des normalen Serums mit der Verdünnung zunimmt. Mit dem CO,-Serum ist gerade das Umgekehrte der Fall: Je stärker die Verdünnung, desto mehr nimmt relativ die osmotische Spannkraft ab. Und das ist begreiflich, wenn man Folgendes bedenkt: Nach den isotonischen Gesetzen von Hugo de Vries besitzt ein Alkali- metall den isotonischen Coöfficient 1, jedes gebundene Säuremolecül den Coöfficient 2, während jedes Säuremolecül den Coöfficient 4 besitzt. Schreiben wir also unter jedem Molecül den entsprechenden Coöfficient, so bekommen wir: 490 H.-J. HAMBURGER: Na,CO, + H,O = NaHC0, + NaOH 4 3 2 Na,HPO, + H,0 = NaH,PO, + NaOH 4 3 2 In diesen zwei Gleichungen, welche eine Vorstellung von der durch Wasserverdünnung herbeigeführten Umsetzung der Salze im normalen Serum geben, constatirt man eine Vergrösserung des isotonischen Werthes, also der osmotischen Spannkraft von 4 auf 5. Im CO,-haltigen Serum findet folgendes statt: Na,CO, + ©0, + H,O = 2(NaHC0,) 4 +4 2x3 Na,HPO, + CO, + H,O = NaH,PO, + NaHCO, 4 + 4 3 32 Sowohl in der ersten wie in der zweiten Gleichung constatirt man eine Verminderung der osmotischen Spannkraft, welche bei Anwesenheit einer genügenden Quantität CO, durch Wasserverdünnung steigt. Also treibt Verdünnung des normalen Serums die osmotische Spannkraft in die Höhe, während Verdünnung des CO,-Serums dahingegen Abnahme der osmotischen Spannkraft herbeiführt. Bringen wir das auf das Blut hinüber, so ergiebt sich, dass bei gleicher Verdünnung die osmotische Spann- kraft des normalen Blutes steigt, während die des CO,-Blutes abnimmt. Und da nun, wie wir auf 8. 488 betonten, die Berechnung bei steigender osmo- tischer Spannkraft eine Abnahme des Schattenvolums aufweist und umgekehrt, so wird eine Verdünnung von CO,-Blut mit 100 Proc. Wasser ein grösseres Schattenvolum ergeben müssen als eine Verdünnung des normalen Blutes mit 100 Procent Wasser. Mit dieser Schlussfolgerung stimmt auch das Versuchsresultat überein. Endlich wäre dann noch die Frage zu stellen, warum beim CO,-Blut eine Verdünnung von 100 Procent ein Schattenvolum von 18-5 “® und eine Verdünnung von 150 Procent ein Schattenvolum von 15-3 “ ergab. Nach dem soeben Gesagten sollte man doch gerade das Umgekehrte, d. h. bei einer grösseren Verdünnung ein grösseres Schattenvolum erwarten. Man bedenke aber, dass noch ein anderer Factor eine Rolle spielt. Durch Einwirkung von CO, namentlich hat sich aus dem nichtdiffusibeln Alkali (Alkalialbuminat u. s. w.) ein Theil des Alkali abgespaltet, um sich mit der CO, zu Carbonat zu verbinden. Mit dieser Zunahme von alkalischem Salz hat sich auch bei der Wasserverdünnung das freie Alkali vermehrt. Und wir haben auch constatirt, dass dadurch das Volum der Schatten kleiner ausfallen muss. Nun ist die durch Einwirkung von CO, freigewordene Alkali- menge nach den Untersuchungen von Loewy-Zuntz und mir selbst sehr gross, und der betreffende Factor muss also auch bedeutend sein. Aus obigen Betrachtungen geht hervor, wie bedeutend der von Grijns vernachlässigte Einfluss der Wasserverdünnung auf die Resultate der Schattenvolumsbestimmungen ist. Schon darum wäre seine Methode un- anwendbar. Es giebt aber noch einen anderen Einwand. Wie gesagt, geht die Methode Grijns’ von der Annahme aus, , dass die Schatten kein Wasser und keine löslichen Stoffe aufnehmen, eine DIE GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG DES LACKFARBENEN BLUTES. 491 Annahme, welche stützte auf den Befund, dass das durch Gefrieren und Aufthauen lackfarben gemachte Blut bis auf ein Hundertstel eines Grades dieselbe Gefrierpunkterniedrigung zeigte wie das Serum. Ich habe diese Annahme auf experimentellem Wege geprüft, und zwar in erster Stelle mit normalem Pferdeblut — mit Hühnchenblut, habe ich keine Versuche an- gestellt. Grijns experimentirte mit beiden Blutsorten. Verfasser sagt bei seinen Bestimmungen nicht weiter als bis auf Hundertstel eines Grades gegangen zu sein, weil die Methode mit Rücksicht auf die Schwierigkeit zu beurtheilen, ob viel oder wenig Eis gebildet ist, eine grössere Genauig- keit nicht zulässt. Mir war es nicht schwer die Bestimmungen bis auf Tausendstel aus- zuführen. Fast immer sinkt die Temperatur der zu untersuchenden Flüssigkeit hinab bis unter den eigentlichen Gefrierpunkt und muss man mittelst eines Stückehens Eis „impfen“, um die Gefrierung herbeizuführen. Ich pflege nun die Temperatur nicht weiter hinabsinken zu lassen als ungefähr 0.1—0.2° unter den muthmaasslichen Gefrierpunkt. Nach der „Impfung“ halte ich die Flüssigkeit in stetiger Bewegung; bald tritt eine plötzliche Steigerung des Quecksilberfadens auf; man wartet bis das Niveau einige Zeit constant geblieben ist und liest ab. Auf diese Weise habe ich auch bei allen meinen früheren Gefrierpunktbestimmungen gearbeitet und auch immer sehr be- friedisende übeinstimmende Resultate bekommen. Bei diesem Verfahren brauche ich mich um die Menge des gebildeten Eises nicht zu bekümmern. Früher habe ich schon bemerkt, dass vor jeder Versuchsreihe aufs Neue der Nullpunkt des Thermometers festgestellt wird. Und so erhielt ich denn bei der Vergleichung des lackfarbenen Pferdeblutes mit dem entsprechenden Serum die foleenden Resultate. Lackfarbenes Pferdeblut Blutserum A= 2 = 0:594 0:601 0:595 0:600 0:589 0600 0-598 0:605 Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Gefrierpunkterniedrigung des lackfarbenen Pferdeblutes etwa 5 bis 11 Tausendstel eines Grades, d.h. 1 bis 2 Procent kleiner ist als die des Serums. Bis auf Hundertstel giebt es also völlige. Uebereinstimmung. Für Schweinsblut aber — von Grijns nicht untersucht — stimmen die Gefrierpunkterniedrigungen des lackfarbenen Blutes und des Serums viel weniger überein. 492 H. J. HAMBURGER: TLackfarbenes Schweineblut | Serum 0:566 0606 0:560 0-625 0:570 0:614 0558 0611 Man sieht, dass die Gefrierpunkterniedrigung des lackfarbenen Schweine- blutes 5—12 Procent kleiner ist als die des entsprechenden Serums. Da angenommen werden muss, dass der rothe Inhalt der Blutkörperchen mit dem umgebenden Serum in osmotischem Gleichgewicht verkehrt, ist man wohl genöthigt zu schliessen, dass nach dem Gefrieren das Protoplasmanetz der Blutkörper- chen sich gegenüber Wasser oder löslichen Stoffen nicht neu- tral verhält. Es interessirte mich zu wissen, wie sich in dieser Hinsicht das Pferde- blut verhalten würde, nachdem es mit CO, behandelt war. Die folgende Tabelle enthält die diesbezüglichen Versuchsresultate. Ausserdem ist in der ersten Spalte die Gefrierpunkterniedrigung des nor- malen lackfarben gemachten Blutes angegeben, um zu gleicher Zeit einen Eindruck von der festgelegten CO,-Menge zu geben. Normales Pferdeblut, Mit CO, behandeltes Pferde- Serum des mit CO, lackfarben gemacht blut, lackfarben gemacht behandelten Pferdeblutes A A= Ar 0.594 0663 0.742 0-595 0°670 0°725 0.589 0°615 0:639 0-598 0:633 0°674 Während für normales Pferdeblut die lackfarbene Flüssigkeit und das entsprechende Serum annähernd dieselbe Gefrierpunktserniedrigung zeigen, ist das für das CO,-Blut keineswegs mehr der Fall: das lack- farbene CO,-Blut hat eine viel geringere osmotische Spannkraft als das entsprechende Serum. Das CO,-Schweineblut zeigt genau dasselbe Verhalten. Die folgende Tabelle braucht keine weitere Erklärung nach dem, was schon bei der vorigen gesagt worden ist. DIE GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG DES LACKFARBENEN BLUTES. 493 | Normales Schweineblut, | Mit I & a nn Serum des mit CO, lackfarben gemacht a behandelten Schweineblutes ME lackfarben gemacht DE: A= 0-566 | 0.679 0.732 0.560 0.725 0.753 0-570 0.663 0.699 Die Meinung, dass beim Gefrieren und Aufthauen die Blutkörper- schatten weder Wasser noch lösliche Stoffe aufnehmen oder abgeben, ist also entschieden unrichtig. Da mir viel daran gelegen war, das Schattenvolum unter verschie- denen Einflüssen vergleichen zu können, habe ich versucht, die Methode in der Weise abzuändern, dass dieselbe zu meinem Zwecke brauchbar wurde. Mit Rücksicht auf die schon besprochenen Einflüsse der Verdünnung schien es mir erwünscht, dieselbe möglichst zu beschränken." Daher fing ich an, einige Versuche mit schwächeren Verdünnungen zu wiederholen. Ich wählte hierzu Schweineblut, weil Pferdeblut sich durch Gefrieren und Aufthauen so schwierig lackfarben machen lässt. Schweineblut wurde dann verdünnt mit 10, 15 und 20 Procent Wasser und von den lackfarben gemachten Gemischen die Gefrierpunkterniedrigung bestimmt. Nach der Angabe von Grijns bleiben, wenn man normales Blut mit Wasser verdünnt, die Schatten vollkommen intact. Unter dieser Voraus- setzung kann dann die Gefrierpunkterniedrigung ein Maass für das Schatten- volum sein. Unter dieser Voraussetzung ist dann auch das Schattenvolum be- rechnet. A= BENormales Sehwemeblutr? 2... 2. 2...» lackfarben 0:636 ° (2) 20° = normales Schweineblut + 2m Wasser | gemacht durch 0.549 (8) 20 „, “ 32, rn Gefrieren und 0+527 (4) 20 „ ” 5 +4, ” Aufthauen 0.498 (5) CO,-Schweinebut . . . . . ...71 lackfarben 0-718 (6) 20 °® CO,-Schweineblut + 9 cm acer . . | gemacht durch 0640 W200) r 3er, Gefrieren und 0.609 2207, 5 +4, n Aufthauen 0.578 Schattenvolum in 100 m normalem Blut, berechnet aus (1) u. (2) 37.3 cm ” ” 100 ” ” „ ” ” (1) ” (3) 28. J ” ” „ 100 „ ” ” ” »„ (1) „(4 20.6 2) ! Wenn man Serum mit 10 Procent Wasser verdünnt, so steigt die Gefrier- punkterniedrigung durch die Dissociation nur um 0-004 ° (vergl. S. 489). 494 H. J. HımBuRekr: Schattenvolum in 100 m CO,-Blut, berechnet aus (5) und (6) 18 ccm ” ” 100 ” „ PR ” (5) „ () 16.2 ” „ ” 100 ” ” „ ” (9) ” (8) 17.4 2) Anderes Thier. A= (@)ENormales Schweineblute ae 2 2 22 lackfarben 0.619 (2) 20°” normales Schweineblut + 2°®= Wasser | gemacht durch 0-528 (3) 20 „ cn . +3, 5 Gefrieren und 0.501 (4), 20, 5 Mn +4, ig Aufthauen 0-485 (5) CO,-Schweineblut . . . . ach lackfarben 0-739 (6) 20 ® CO,-Schweineblut + 9 cm Wasser . . | gemacht durch 0.667 ME20R » +3, 2 . . [ Gefrieren und 0.629 (8) 20, ,, s +4, hr u Aufthauen 0.582 Schattenvolum in 100 «" normalem Blut, berechnet aus (1) u. (2) 42 cm ” „ 100 ” ” ” „ ” 1) ” (8) 36-4 Mo: ” ” 100 ” „ ” ” N) „ (4) 27.6 ” Schattenvolum in 100 «= CO,-Blut, berechnet aus Su und (6) 1.8 5 „ ” 100 ” ” 2) ” (5) ” () 14.2 ” „ ” 100 ” ” ” ” &) ”„ (8) 25.9 ” Auch bei Anwendung von schwachen Verdünnungen ist die Methode also, wenigstens für Schweineblut, nieht brauchbar. Endlich habe ich noch versucht statt mit Wasser mit 5 Volumprocent einer starken NaQl-Lösung zu verdünnen. A= (1) Normales Schweineblut . . . u lackfarben 0.619 (2) 50 °® normales Schweineblut + 2: 5 om N acl 3 Proc. | gemacht durch 0-569 (8)502 n = rad DD. Gefrieren und 0.688 (4) 50 „ „ ” eben 9, Aufthauen 0-859 (5) CO,-Schweineblut . 0 6 lackfarben 0:739 (6) 50 = CO,-Schweineblut + 2-5 m NaCl 3 Procent | gemacht durch 0769 - (OO 5 onen) ee Gefrieren und 0.839 (8) 50 „ 55 ahnen Bar) = | Aufthauen 0:979 Schon beim ersten Anblick der hier gewonnenen Zahlen stellt sich heraus, dass die Berechnung des Schattenvolums überflüssig ist. Denn un- mittelbar fällt es auf, dass die Gefrierpunkterniedrigung von (1) grösser ist als von (2), obgleich bei (2) das Blut mit einer stark hyperisotonischen Lösung vermischt ist. Man kann das wohl nicht andersals dadurch erklären, dass die Schatten eine grosse Quantität NaCl auf- senommen haben. b DiE GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG DES LACKFARBENEN BLUTES. 495 _ Damit stehen auch im Einklang die Differenzen von (1) mit (3) und (4), was aus den folgenden Daten erhellt: (9) 50m Wasser + 2-5 m NaCl 3 Procent a (10) 50 „ 0 a ee 0-179 (diN)1508,, u ER 0-259 Vergleicht man nun (1) und (3), so sieht man, dass nach Hinzufügung von 2.5 «m NaCl 5 Procent zu 50 °® Blut die Gefrierpunkterniedrigung 0.688 — 0-619 = 0.069° beträgt, während dieselbe, sogar wenn keine Schatten im Blute vorhanden gewesen wären, noch 0.179° hätte betragen müssen (vgl. (10). Unzweifelhaft muss NaCl in die Schatten hinein- gedrungen sein und zwar müssen die Schatten relativ mehr NaÜl auf- genommen haben als die hinausgetretene Flüssigkeit. Aehnliches constatirt man bei Vergleichung von (4)—(1) = 0.240° mit (11) = 0-259°. Und auch die beim CO,-Blut erhaltenen Zahlen zeigen dasselbe. (6) — (5) = 0-030° (9) — (5) = 0.0940 (D) — (65) = 0-100 (10) — (5) = 0-179 (8) — (5) = 0.024 (11) — (5) = 0.259 Hätten die Blutkörperchenschatten kein NaCl aufgenommen, so würden die Zahlen der ersten Spalte grösser gewesen sein als die entsprechenden der zweiten. Das Umgekehrte ist der Fall: die Zahlen der ersten Spalte sind kleiner als die der zweiten. Es erleidet also keinen Zweifel, dass nach Vermischung des Blutes mit NaCl-Lösung und Gefrierung, die Schatten viel NaCl auf- genommen haben. Das, was die Blutkörperchenschatten betrifft nach Gefrieren und Auf- thauen. Nicht so weit ist Grijns gegangen mit den normalen frischen Blutkörperchen. Diese hält er wohl durchgängig für Wasser, nicht aber für Salz. Letzteres ist im Widerspruch mit dem von mir vertretenen Stand- punkt.! Grijns hat denselben dann auch bekämpft und zwar auf eine sehr eigenthümliche Weise. Hierzu wählt er zwei meiner Experimente, zeigt durch eine Umrechnung, dass die von mir erhaltenen Zahlen zu einer Schlussfolgerung führen, welche mit einem anderen Befund streitig ist und schliesst dann ohne Weiteres, d. h. ohne ein einziges Experiment an- zuführen oder auf Analogieen hinzuweisen, dass meine Angabe, die Blut- körperchen seien permeabel für Salze, falsch ist. Ich werde hier nicht auf diesen Gegenstand eingehen. In einem anderen Aufsatz hoffe ich mittelst einer neuen Versuchsmethode die Permea- bilität der normalen Blutkörperchen für Salze abermals nachzuweisen. ı Zeitschrift für Biologie. 1889. Bd. XXVI. 8. 414. 496 HAMBURGER: GEFRIERPUNKTERNIEDRIGUNG D. LACKFARBENEN BLUTES. Manchem wird das vielleicht überflüssig erscheinen. Habe ich ja doch auch gezeist — Grijns erwähnt die betreffenden Untersuchungen nicht —, dass bei Einwirkung von CO, und anderen Säuren auf Blut, das Serum Chlor an die Blutkörperchen abgiebt und bei Einwirkung von Alkali Chlor von den Blutkörperchen empfängt, und dass genannte Processe umkehrbar sind; Angaben, welche von anderen Autoren (von Limbeck, C. Lehmann, Gürber u. A.) experimentell bestätigt worden sind, und an sich selbst schon genügen dürften, die Durchgängigkeit von Blutkörperchen für lösliche Stoffe ausser Zweifel zu stellen. Zur Feststellung einer wichtigen Thatsache kann man aber niemals die Versuchsmethoden und Versuchsbedingungen zu viel varliren. Zusammenfassung. Die vorliegende Arbeit hat in der Hauptsache Folgendes ergeben: 1. Die Aunahme, dass das Stroma der Blutkörperchen selbst nach wiederholtem Gefrieren und Aufthauen des Blutes weder Wasser noch lösliche Stoffe aufnimmt, ist im Allgemeinen unrichtig. Zwar trifft die Annahme für normales Pferdeblut annähernd zu, für das mit CO, behandelte aber keineswegs; während vom Schweineblut weder das normale noch das kohlensäurehaltige der Regel folgen. Beide nehmen z. B. NaCl in grossen Mengen auf. 2. Auch ist es nicht richtig, dass der rothe Blutkörpercheninhalt oder das Serum bei einmaliger Verdünnung eine Halbirung der osmo- tischen Spannkraft erfährt. Die osmotische Spannkraft nimmt mit der Verdünnung zu oder ab, je nachdem die Flüssigkeit arm oder reich an CO, ist (vergl. S. 489 und 490). 3. Da die Grijns’sche Methode zur Bestimmung des Blut- körperchenschattenvolums auf den unter 1° und 2° ge- nannten Annahmen beruht und dieselben sich als fehlerhaft erwiesen haben, so ist auch die Methode nicht brauchbar, eine Schlussfolgerung, welche auch noch durch Controlversuche in diesem Aufsatz bestätigt worden ist. Ein Beitrag zu der Frage der Kreuzung der Sehnerven. Von Dr. H. Hellendall, Assistent der anatomischen Abtheilung. (Aus der anatomischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses Friedrichshain in Berlin. Prosector Prof. Dr. D. Hansemann.) Auf dem vorjährigen anatomischen: Congress ist von v. Kölliker die‘ vollständige Kreuzung der Sehnerven beim Menschen behauptet worden. Von der Mehrzahl der früheren Untersucher ist die unvollständige Kreuzung jedoch bis dahin als bewiesen angesehen worden. Einer Anregung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Prof. Dr. Hanse- mann folgend, bin ich dieser Frage näher getreten. Ich habe ein nor- males Chiasma, sowie 3 andere, in denen jedesmal der rechte Opticus voll- ständig atrophisch war, in Horizontalschnittserien zerlegt. Die pathologischen Chiasmen stammten von Erwachsenen. Der Zeitpunkt, wann die Atrophie begonnen hat, ist in keinem Fall sicher festzustellen. Sicher ist nur, dass die Krankheit des Auges, welche zur Zerstörung desselben geführt hat, ein- mal 10 Jahre, einmal 15 und einmal 22 Jahre dem Tode vorausging. Das Material wurde in Müller’scher Flüssigkeit 4 bis 6 Wochen im Brütofen gehärtet, in Celloidin eingebettet, in toto gekupfert und in Hori- eontalschnittserien zerlegt. Nur an dem 3. pathologischen Chiasma wurden auch aus Stückchen, die an den Enden abgeschnitten wurden, Querschnitt- serien gewonnen. Bei den beiden ersten pathologischen Chiasmen sind jedesmal A bis 5 Schnitte ausgefallen. Das 3. Chiasma ist in eine voll- ständige Serie zerlegt. Die Schnitte von 3 Chiasmen sind 50 u, die des in vollständiger Serie geschnittenen 40 u diek. Die Horizontalschnittführung hat ihre Schwierigkeiten, doch ist sie beim letzten Chiasma gelungen. Die Methode Obreggia’s zur Färbung von Serien bot Schwierigkeiten bei der Entfärbung. Sie wurde deshalb nur einmal benutzt. Es zeigte sich, dass eine sorgfältige Entfärbung jedes einzelnen Schnittes der Mühe lohnt. Es wurde vorwiegend nach Pal, aber auch nach Weigert und van Gieson mit Nigrosin und Carmin gefärbt. Archiv f. A.u. Ph. 1897, Physioi. Abthlg. 32 498 H. HELLENDALL: Auf Grund der Durchsicht der Serie des normalen Chiasmas (134 Schnitte) kam ich zu keinem positiven Resultate. Das lag daran, dass es ausgeschlossen war, in den Aussenbündeln der Optiei Faserzüge in ihrem weiteren Verlaufe sicher zu verfolgen. | Damit kann ohne Weiteres zu den pathologischen Chiasmen übergegangen werden, denen von vornherein das grössere Interesse zugewandt wurde. Das Material wird in der Reihenfolge wiedergegeben, wie es zur Beobachtung kam. Es soll aus den Sectionsprotocollen uur das ee kurz hervor- gehoben werden. Die beigefügten Abbildungen (Figg. 1 bis Su beziehen sich auf das an dritter Stelle beschriebene Chiasma. I. Frau Henriette Lehmann, 52 Jahre. Section 4. October 1896. Klin. Diagnose: Leberkrebs. Am rechten Auge hatte Patientin October 1881 ein acutes Glaucom und wurde deswegen in der Kgl. Augenklinik hierselbst operirt (Irideetomie). Nachträglich allmählicher Schwund des Auges ohne glaucomatöse Anfälle. Rechter Opticus sehr viel schmäler als der linke, er ist ganz durch- scheinend. Rechtes Auge sehr stark geschrumpft. Cornea sehr klein, flach. Selera stark an sie herangezogen. In ihrer Mitte verläuft eine horizontale und eine diese in der Mitte kreuzende verti- cale Einziehung. Am hinteren Pol des Auges wird eine erbsengrosse, schwarze Geschwulst sichtbar, welche die Selera nach hinten vorbuchtet. Schwärzliche kleinere Knötchen sind daneben zu sehen. Consistenz der der hinteren Partie des Auges sehr hart im Vergleich zum übrigen ge- schrumpften Bulbus. Seetionsdiagnose: Phthisis bulbi dextriex glaucomate. Melano- sarcoma retrobulbare. Tumores metastatici cornu posterioris ventrieuli sinistri lateralis cerebri, cerebelli, cordis, pulmonum, mediastini anterioris, pleurae utriusque, hepatis, renum, caudae pancreatis, glandulae suprarenalis dextrae, mesenterii, mesocoli, cavi Douglasii, integumenti. Atrophia nervi optici dextri. Atrophia fundi linguae. Pleuritis chronica fibrosa, Hyperaemia venosa pulmonum. Atrophia fusca myocardii. Myocarditis fibrosa levis.. Atrophia granularis renis dextri ineipiens. Die mikroskopische Untersuchung (64 Schnitte) der Serie des Chiasmas: 1 bis 3.1 Der rechte Optieus und der hintere Theil des Chiasmas sind in diesen Schnitten noch nicht getroffen. Das Uebrige ist vorhanden. Der rechte Traetus ist schmäler als der linke. Beide Tractus jedoch erscheinen schmäler als die Optiei. An der medialen Seite des rechten Traetus liegt ein stark gefärbtes Bündel, welches von ihm getrennt ist durch einen breiten Zug ungefärbter dünner Fasern. Auf das gefärbte Bündel folgt dann noch mehr nach innen ein schwach gefärbtes mit ihm parallel laufendes Bündel. Das Gleiche ist an der Innenseite des breiteren linken Tractus zu constatiren. Die Züge des linken Optieus tendiren mit ihrer äusseren Hälfte deutlich in ı Die Nummern bezeichnen die Horizontalschnitte, wie sie sich im Chiasma in der Richtung von oben nach unten, d. h. dorsoventral folgen. Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 499 den linken Tractus und es macht den Eindruck, als ob diese Züge endgültig in den linken Tractus übergehen. 4. Der Eindruck, als ob die aussengelegenen Bündel des linken Optieus . auf derselben Seite im Traetus weiterverlaufen, wird hier noch deutlicher. 9. Das Chiasma ist fast ganz im Schnitt. Das mittlere Drittel besteht _ nur aus parallel laufenden Zügen, die eine Fortsetzung des linken opticus bildend, in den rechten ÖOptieus hinübertendiren. Das Verbindungsstück jener stark gefärbten den Tractus anliegenden Bündeln tritt am hinteren Ende des Chiasmas noch ohne Zusammenhang mit jenen auf. 13. Es fällt jetzt an den Praeparaten auf, dass im Chiasma, welches jetzt ganz im Schnitt liegt, helle ungefärbte Stellen, die durch dünne Fasern repräsentirt werden, liegen. “Sie sind nicht scharf abgegrenzt. Aber man sieht, dass diese Stellen eine bestimmte Richtung haben, nämlich die Richtung von dem rechten atrophischen Opticus in den linken Tractus hinein und an dessen Anfang ist die Stelle breiter und geht in jene beschriebene an der Innenseite des linken Tractus liegende ungefärbte Partie über. 15. Das hintere Commissurenbündel ist jetzt geschlossen da. 21. Die ungetärbten Bündel zwischen dem Tracetus und der Commissur verschwinden. 25. Das Commissurenbündel liegt rechterseits dicht. dem Tractus an. 28. Der atrophische Optieus ist ganz im Schnitt. Die Atrophie des- selben bildet eine ziemlich scharfe Grenze gegenüber den in ihn umbiegenden gekreuzten linken Optieusfasern. An der Aussenseite des Chiasmas findet sich constant ein atrophisches dreieckiges Feld, welches mit dem atrophischen Optieus immer in Verbin- dung steht. 30. Die hintere Commissur verschwindet. Die hellen Zonen im Chiasma sind nicht mehr da. Das Mittelstück des Chiasma besteht aus parallel laufenden sich nirgends kreuzenden Fasern. Eine Kreuzung ist deutlich nur im linken Seitenstück des Chiasmas wahrzunehmen. 34, 35, 36. Helle Zonen treten wieder auf. Eine liegt ganz links im Chiasma innerhalb des Bogens derjenigen Fasernbündel des linken Opticus, die sicher auf die andere Seite gehen. Eine andere im Anfang des linken Traetus in der Richtung des rechten Optieus. 37. Die atrophische Zone am Anfang des linken Tractus ist sehr breit. 45. Dieselbe greift weiter hinein in den linken Tractus, aber immer an dessen medialen Hälfte An der Aussenseite des linken Opticus liegt ein Bündel, welches den Eindruck macht, als liefe es ungekreuzt in den linken Tractus hinein. Dasselbe hat die Breite der Hälfte des Opticus. Die Innenhälfte läuft in scharfem Bogen hinüber zum rechten Traectus. 48. Die Umbiegungsstelle der Fasern des linken Opticus in den .atro- phischen Opticus hinein ist hier sehr gut zu sehen. Die helle Zone im Chiasma liegt im linken äusseren Drittel denjenigen Faserbündeln an, welche den Eindruck machen, als blieben sie auf derselben Seite. 51. Hier sind diese Partien sehr scharf abgegrenzt. Namentlich die am linken Opticus liegende Zone. Das linke äussere Optieusbündel macht wieder den Eindruck, als bliebe es auf derselben Seite. 56. Die helle Zone greift nicht mehr in den linken optieus, dagegen tiefer in den mittleren Theil des Chiasmas ein. Niemals aber wird beobachtet, 32* > 500 H. HELLENDALL: dass die helle Zone auf das rechte äussere Drittel des Chiasmas und den rechten Traetus übergreif. Vielmehr zeigen sich diese Fasern dauernd erhalten. 56. Während die vordere Hälfte des mittleren Theiles des Chiasmas gut gefärbt ist, ist die hintere Hälfte heller und weniger reich an gutgefärbten Bündeln. Auch die helle Zone an der Innenseite des linken Traetus tritt zurück. Die letzten Praeparate bieten nichts wesentlich Neues. Die hellen Zonen innerhalb des Chiasmas und an der Innenhäfte des linken Traetus bestehen bei stärkerer Vergrösserung aus einer feinkörnigen Masse, die leicht gelblich tingirt ist. In diese sind eingelagert feinste Fasern, die ungefärbt sind, ferner Bruchstücke von feinen und dicken Fasern, die gefärbt sind. Sie haben varicöse Auftreibungen, theils kugeliger, theils spindelförmiger Art. Manche Bruchstücke erscheinen bei stärkerer Ver- erösserung durch ein feines ungefärbtes Verbindungsstück im Zusammen- hang. Ausserdem liegen kleine und grössere kugelige Gebilde darin, welche gefärbt sind, namentlich in ihrer Peripherie. Hier herrschen also offenbar atrophische Processe im Nerven vor. Demgegenüber bestehen jene innerhalb der ersten 10 bis 20 Prae- parate sichtbaren hellen Zonen an der Innenseite der beiderseitigen Tractus aus parallel laufenden, ganz feinen, nicht gefärbten Faserzügen. Alle anderen Veränderungen fehlen hier. Das sind offenbar keine atrophischen Partien. Was die Ausbreitung des atrophischen Processes in diesem: Chiasma anlangt, so ist darüber zusammenfassend Folgendes hervorzuheben: Während die Atrophie den rechten Optieus in seiner ganzen Ausdehnung ergriffen hat und in das Ohiasma mit einem kleinen dreieckigen Felde an der Aussenseite des Chiasmas übergeht, lässt sich der atrophische Process im Chiasma in den oberen Schnitten, mehr nach links hin, sowohl am Be- ginn des linken Tractus als bis in den Anfang des linken Opticus, noch tiefer fast an der ganzen Innenseite des linken Tractus verfolgen. Die Atrophie vorne im Chiasma und innerhalb noch des hinteren Drittels des linken Opticus entspricht in ihrer Ausdehnung dem Bogen, den die sich kreuzenden Fasern des Opticus jedesmal in den Opticus der anderen Seite machen. Demgegenüber erscheint der ganze linke Opticus, der ganze rechte Tractus, ?/, des ventralen Abschnittes des linken Tractus und der ganze linke Tractus in seinem dorsalen Drittel gut gefärbt. Ganz besonders muss hervorgehoben werden, dass jeder einzelne Schnitt an der Aussen- seite seines Tractus vollständig frei ist von jeglichem atrophi- schen Bündel. Es muss jedoch betont werden, dass die Tractus an- dauernd sich schmäler darstellen als die Optici. Em BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 501 U. Krentel, August, 75 Jahre. Section. 2. November 1896. Im Jahre 1875 stiess sich Patient den Bügel seiner Brille ins rechte Auge. Dasselbe entzündete sich darnach und lief trotz Behandlung aus. Er SI jahrelang ein künstliches Auge getragen haben. Klin. Diagnose: Umalsshsrrmilin Rechter Ne opticus etwa nur halb so en wie der linke. Der Traetus opticus auf beiden Seiten deutlich atrophisch. Seetionsdiagnose: Phthisis chronica apieis pulmonis sinistri. Pneumonia recens et apostematosa lobi inf. dextri. Metamorphosis adiposa myocardii. Endoearditis verrucosa ostii aortae. Infaretus lienis. Splenitis apostematosa. Perisplenitis purulenta. Atrophia granularis renum. Atrophia pancreatis. Oedema piae matris et cerebri. Enucleatio oculi dextri sanata. Atrophia permagna nervi optici dextri. Mikroskopische Untersuchung der Serie: 74 Schnitte: Es ist in derselben Richtung geschnitten wie beim vorigen Chiasma. 18. Noch im 18. Schnitt ist. das Bild nicht vollständig. Der vollständig atrophische rechte, sowie der erhaltene linke Opticus, sowie das Chiasma sind darin. Die Atrophie im Optieus reicht bis an ein dreieckiges atrophisches Feld an der Aussenseite des Chiasmas. Es fehlen aber die Tractus. In Folge dessen sind die Faserbündel, die dem erhaltenen linken Optieus ent- stammen, und die Richtung des Tractus derselben Seite haben, nicht zu verfolgen. 35. Daran ändert sich bis hierher wenig. Helle, nicht scharf begrenzte Zonen finden sich am Eintritt des rechten Opticus in das Chiasma und dann in querer Richtung desselben, ferner im rechten Theil des Chiasma und im Beginn des rechten Tractus. Gerade der äussere Theil des rechten Tractus erscheint aber gut gefärbt. Sehr schön lassen sich die zur Kreuzung ge- langenden Fasern des linken Opticus durch das Chiasma in den Tractus der anderen Seite verfolgen. Die Umbiegung der Bündel des linken Opticus in den rechten Opticus nach der Kreuzung ist ziemlich scharf aussepragt. Jedesmal sind die Tractus schmäler als die mine. 39. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man am Uebergang der voll- ständig entfärbten Partie des rechten Opticus in den schwach gefärbten An- fangstheil des Chiasmas die gefärbten Fasern in grossen Zwischenräumen von einander liegen. Diese Zwischenräume sind ausgefüllt von wellig an- geordneten feinfasrigen Zügen, wie sie im Verlauf des ganzen rechten Optieus wahrzunehmen sind. Die gefärbten Fasern sind nun theils sehr dünn, theils von gewöhnlicher Dicke. Da, wo sie sehr fein sind, tritt eine besonders starke varicöse Anschwellung nicht hervor. Dagegen finden sich Bruch- stücke von Fasern vor. Jene hellen Zonen im Chiasma und in dem Anfang des rechten Traetus sind durch feinste, ungefärbte Fasern ohne varieöse Anschwellung mit Er- haltung ihrer Continuität ausgefüllt. 50. Im linken äusseren Drittel des Chiasmas findet sich zwischen dem äusseren Bündel des linken Optieus und dem inneren, welches sich sicher in den gegenüberliegenden Traetus verfolgen lässt, eine helle Zone, welche 502 H. HELLENDALL: die mediale Seite des linken Traetus weit begleitet. Das ist eine sicher atrophische Partie Der rechte Traetus, welcher in seinen äusseren 21a sicher erhalten erscheint, zeigt an seinem inneren Drittel auch eine helle Zone. Diese rührt zum Teil wohl her von einer zu starken Entfärbung an dieser Stelle, da es sich nicht um atrophische Veränderungen hier handelt, vielmehr die Fasern in ihrer Continuität erhalten und nur schwach tingirt erscheinen, zum Theil aber ist diese Stelle wohl mit jener Zone identisch, die sich auch im vorigen Chiasma in seinem dorsalen Theil zwischen Tractus und hinterer Commissur findet. Dass diese Zone erst jetzt erscheint, liegt wohl daran, dass die Tractus überhaupt in den späteren Schnitten vollständig getroffen sind. | 53. Die atrophische Zone greift auf den linken Traetus über und lässt nur das äussere Drittel gut gefärbt. Die übrigen ?/, sind, je mehr man sich der medialen Seite nähert, immer schwächer gefärbt. 54. Die äussere Hälfte des linken Opticus ist scharf abgesetzt von der inneren, die sich sicher kreuzt. Während diese nach innen und rechts ab- biegen, laufen jene nach aussen und links in der Richtung des linken Traetus. 56. An der Innenseite des linken Tractus nimmt die atrophische Zone ab. Dagegen bleibt sie im linken Theil des Chiasma deutlich gross. Nach rechts ist nirgends eine helle Zone mehr vorhanden. Jene äussere Hälfte des linken Optieus ist hier, wie im nächsten Praeparat noch schärfer abgesetzt. 60. Die atrophische Zone innerhalb des Chiasmas ist sehr breit. Hier fehlt, wie bereits von 50 an, der atrophische Opticus ganz und nur das hintere Drittel des erhaltenen linken Opticus ist vorhanden. 66, 68. Die Atrophie greift von der linken Hälfte des Chiasmas weit über auf den linken Traetus, so dass die Innenhälfte desselben ganz atrophisch ist. | Es ergiebt sich also Folgendes: Der rechte Optieus ist ganz atrophisch. Auch hier besteht andauernd ein atrophisches dreieckiges Feld an der Aussenseite des Chiasmas mit dem Opticus in Zusammenhang. Die Tractus sind beide schmäler als die Optici. Der linke Optieus ist ganz erhalten, während eine bedeutende Atrophie im linken Tractus und im Chiasma zu constatiren ist. Der atrophische Process herrscht in den dorsalen Partien des Chiasmas am Eintritt des rechten atrophischen Opticus in das Chiasma vor. Je tiefer man kommt, um so mehr dehnt sich die Atrophie nach links im Chiasma aus, greift dann über auf die Innenseite des linken Traetus, beherrscht hier- anfangs nur das innere Drittel, dann auch das mittlere, aber nur unvollständig. Vollständig ist die Atrophie andauernd in den tieferen Partien in dem linken Theil des Chiasma. Während im Traetus die Atrophie mehr ventral zurücktritt, prägt sie sich noch tiefer wieder schärfer aus. III. Quaekper, Julius, Arbeiter, 44 Jahre. . Section. 25. Januar 1897. Klin. Diagnose: Bösartige Leber- und Magen- geschwulst (Melanosarcomatose), Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 503 Patient will bis vor 9 Jahren stets gesund gewesen sein. Damals be- gann eine Erkrankung des rechten Auges. Das Auge sei nach und nach ausgelaufen. Vor 1 Jahre (1894) fing das erblindete Auge an aus der Höhle hervorzutreten und wurde deshalb im Juni 1895 enucleirt. R. Optieus vollständig atrophisch und glasig durchscheinend. In den Traetus keine makroskopischen Differenzen. Reste des rechten Auges sind nicht wahrzunehmen. Dicht am ÖOptieus ein linsengrosser, schwarzer Knoten. Auf dem Sagittalschnitt 2 erbsengrosse schwarze Tumoren in einem festen fibrösen Grundgewebe. Seetionsdiagnose: Melanosarcoma retrobulbare Atrophia n. optici dextri. Tumores metastatieci lobi frontalis sin. cerebri, cordis, pericardii, mediastini, pleurarum, pulmonum, renum, hepatis, glandulae suprarenalis sin, omenti maioris, peritonei visceralis et parietalis, cavi Douglasii, gland. lymphatic. abdominis, thoracis, regionis iliacae et femo- ralis sin, axillarium, integumenti, praesertim regionis femoris sin. Ele- phantiasis femoris sin. et sceroti. Leucoderma scroti et thoracis. Pigmen- tatio fusca scroti, femoris, faciei. Anasarca. Macies universalis. Epididymitis purulenta dextra. Die mikroskopische Untersuchung der Serie (93 Schnitte) ergiebt: 5. Es sind bereits alle Theile des Chiasma, wenn auch nicht vollständig, im Schnitt. Nur der hintere Theil des Chiasma steht noch aus. 7. Am Eintritt des linken Optieus in das Chiasma liegt an dessen Innen- seite eine atrophische Zone. Nach der Kreuzung und der Umbiegung in den atrophischen Opticus laufen die medial gelegenen linken Optieus-Bündel die äusseren kreuzend an die Innenseite des rechten Tractus. Das sieht man auch gut in Praeparat 10. 10. Jetzt ist der hintere Theil des Chiasma auch im Schnitt. Aber in demselben (siehe Figur 1) und zwar in seinem mittleren Theil, tritt eine atrophische Zone auf, die sich bis an den Anfang des linken Traetus er- streckt. Dessen inneres Drittel ist aber augenscheinlich noch nicht ganz im Schnitt. 14. Auch die Innenseite des linken Tracetus ist im Schnitt (siehe Figur 2). Das innere Drittel desselben ist deutlich atrophisch. Es ist keine vollständig helle Zone. Es bestehen vielmehr bei schwacher Vergrösserung darin deutlich schwach gefärbte Züge, die sich einzeln aus kleinsten Körnernzu- sammensetzen. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man ausserordentlich starke varicöse Anschwellung der ganz atrophischen Fasern. Die varicösen Anschwellungen folgen sich dieht auf einander und bilden oft die wunder- lichsten Figuren, namentlich dann, wenn eine Verbindung durch ein feines Faserstück fehlt. Im übrigen herrschen dieselben Verhältnisse bezüglich der anderen atrophischen Partien noch weiter fort. 18. Die Atrophie ist schon weiter nach links vorgerückt, so dass die äussere Hälfte des rechten Tractus, welche gut gefärbt erscheint, nur eben noch in das Chiasma eintritt, dann beginnt schon die atrophische Zone. Auch dehnt sich die Atrophie von der medialen Seite des Tractus her tiefer in den linken Traetus aus. Das Chiasma besteht immer aus parallel laufenden Bündeln, die deutlich dem linken Optieus entstammen und in den rechten S 504 H. eer DALL: Tractus übergehen, um diesen auf dem Schnitt auszufüllen. Ein atrophisches Bündel fehlt hier andauernd vollständig. 20. Im hinteren Theil des Chiasma ist die Atrophie nur noch gering. 21. Während die Atrophie noch mehr vom linken Tractus ergriffen hat, weicht sie jetzt vom linken Opticus aus dem Chiasma zurück. 23 ist mit Hoyer’s carminsaurem Ammoniak nachgefärbt. Bei schwacher Vergrösserung zeigt sich (siehe Figur 3) das innere Drittel des linken Tractus sehr stark roth gefärbt und in dieser Masse treten schwärz- liche gekörnte Fasern hervor. Diese Bündel gehen über in einen Herd, der dicht am Eintritt des Tractus in das Chiasma im Chiasma selbst liest. Niemals erreicht jedoch die Atrophie die laterale Peripherie der linken Chiasmahälfte. Durch den Herd sieht man gut erhaltene linke Optieus- fasern zum anderen Tractus hinüberlaufen. Auch der atrophische rechte Opticus ist gut gefärbt. Die Atrophie erstreckt sich immer bis an die Stelle, wo die gekreuzten linken Optieus- fasern in den rechten Opticus ein- und umbiegen. Da, wo diese Bündel die rechte Aussenseite des Chiasmas erreichen, erkennt man immer, namentlich in diesem Präparat gut ausgeprägt, ein kleines atrophisches Dreieck im . Chiasma, mit dem atrophischen Optieus in Verbindung. Bis hierher scheint sich die Atrophie in den Aussentheilen des Opticus auszudehnen. Innerhalb des atrophischen linken Traetusbündels sieht man bei stärkerer Vergrösserung die beschriebenen stark varicösen Veränderungen der vereinzelt liegenden Nervenfasern. Dazwischen erkennt man gleiche Fasern mit gleich starker varicöser Auftreibung, die gar nicht nach Pal gefärbt sind, wohl aber eine deutliche Carmintinetion besitzen. Auch ein feinstes leicht roth gefärbtes Fasernetz erkennt man hier und da. Der atrophische Opticus besitzt eine Hülle, welche aus stark roth tingirten, wellig verlaufenden Fasersträngen besteht. Sein Inneres wird ausgefüllt durch ein feinstes Fasernetzwerk, welches sich in den ver- schiedensten Richtungen durchflicht. Nur ganz vereinzelt finden sich nach Pal gefärbte Faserreste mit stark varicöser Anschwellung. Das wellig angeordnete Gewebe findet sich in Bruchstücken auch innerhalb des Längsschnittes des Optieus, namentlich um die Gefässe herum. In den Spalten dieser Stränge finden sich sehr lange, schmale Elemente, deren Enden spitz zulaufen und mit bräunlichem Pigment dicht erfüllt sind. ‚Das Pigment tritt auch in zahlreichen freiliegenden Körnern auf. Es handelt sich wohl um verschlepptes Pigment von dem Melanosarcom des rechten Auges aus. ’ Auf der Aussenseite des rechten Tractus, der ganz erhalten erscheint, fehlt andauernd ein isolirtes atrophisches Bündel. 26. Die atrophischen Zonen nehmen schnell ab, schneller im Tractus als im Chiasma. 27, 28, 29. Im Traetus sind gar keine atrophischen Partien mehr. Die vordere Partie des atrophischen Opticus nimmt ab. Hier, wie bereits in vorangehenden Praeparaten fallen Züge im linken Opticus auf, welche divergirend von aussen nach innen zur Innenseite des linken Traetus ausstrahlen, sich jedoch in ihrem endgültigen Verlauf nicht darstellen, da sie in andere Ebenen übertreten (Fig. 6, 7, 8). Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN, 505 Fig. 2, siehe Chiasma III, Schnitt 14. Fig. 3, siehe Chiasma III, Schnitt 23. Fig. 4, siehe Chiasma III, Schnitt 36. Fig. 7, siehe Chiasma III, Schnitt 28. Fig. 8, siehe Chiasma III, Schnitt 29. 506 H. HELLENDALL: 31. Das Chiasma erscheint mit Ausnahme des atrophisehen Optieus und einer kleinen atrophischen Zone hinten im Chiasma am Eintritt des linken Tractus fast normal. Der linke Tractus istin seiner ganzen Ausdehnung intensiv gefärbt. In demselben zeigen sich die Faserbündel jedoch fast nie in einfach geradem Verlauf, sie bilden vielmehr mit anderen offenbar aus anderen Ebenen stammenden Bündeln gitterförmige Figuren. Das Mittelstück des Chiasma jedoch besteht nur aus parallel laufenden Faserbündeln, nirgendwo eine Kreuzung innerhalb desselben. 36, 39. Daran ändert sich bis hierher nichts (s. Figur 4). Die hintere Commissur, die schon früher auftrat, wird hier allmählich deutlicher. 46. Eine helle Zone zeigt sich, immer deutlicher werdend, in der rechten Hälfte des Chiasmas, während sie linkerseits ganz verschwunden ist. Sie grenzt an die stark hervortretende hintere Commissur. 49. Diese atrophische Zone durchgreift das Chiasma von vorn nach hinten in der Richtung des rechten Opticus. 56. Die atrophische Zone tritt zurück. Dagegen zeigen sich schon in einer Reihe von vorangegangenen Praeparaten, namentlich aber in diesem an der medialen Seite des Tractus, an die Commissur grenzend, jene hellen Zonen, wie sie oben schon beschrieben sind und von denen bereits wieder- holt hervorgehoben wurde, dass man sie wohl nicht als atrophische Stellen auffassen darf. 59, 66. Vom Chiasma ist fast nichts mehr da. Vorhanden sind die Traetus. Die hinteren Drittel der Optiei liegen noch im Schnitt (s. Figur 5). Ein gekreuztes atrophisches Bündel ist mit Sicherheit nicht da. Ein un- gekreuztes atrophisches Bündel im rechten Tractus an dessen Aussen- seite ist nicht. vorhanden. Dieser Befund ändert sich in den folgenden Schnitten nicht mehr. Die letzten Schnitte sind, da Faserzüge überhaupt nicht mehr zu erkennen sind, überhaupt gleichgültig, Es ist bei diesem Chiasma durch Schneiden von der ventralen nach der dorsalen Seite gelungen, schon in den ersten Schnitten sämmtliche Theile des Chiasmas zu treffen. Es ist kein Schnitt ausgefallen, die Fär- bung ist durchweg als gelungen zu bezeichnen. Wenn ich die Ausbreitung der Atrophie in diesem Chiasma zusammen- fassend darstelle und dabei hervorhebe, welche Theile intact geblieben sind, so ergiebt sich Folgendes: Der rechte Opticus ist vollständig atrophisch. Der linke Opticus ist ganz erhalten. Der rechte Tractus erscheint in ganzer Ausdehnung intact, namentlich giebt es in keinem Schnitt ein äusseres.atrophisches Bündel des rechten Tractus. Die Atrophie nun schreitet im Chiasma in folgender Weise von ventral nach dorsal fort. Ganz ventral zeigt sie sich zuerst an dem Eintritt des linken Opticus in das Chiasma an seiner medialen Seite in einem Herd, der in seiner Gestalt die Umbiegung der medialen rechten Optieusbündel in den linken Opticus und dann den linken Tractus hinein nachahmt. All- mählich reicht die Atrophie mehr nach hinten und links in das Chiasma, Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 507 und schliesslich steht dieser Herd mit dem medialen atrophischen linken Traetusbündel in Verbindung, welches nunmehr in zahlreichen Schnitten an der medialen Seite des linken Tractus immer breiter werdend auftritt. Während das atrophische innere linke Tractusbündel weiter dorsalwärts ganz verschwindet, bleibt der atrophische Herd im Chiasma, kleiner werdend, immer noch bestehen. Schliesslich tritt in der Richtung des rechten atro- phischen Opticus eine breite atrophische Zone in der rechten Hälfte des Chiasmas auf. Das Mittelstück des Chiasmas besteht immer aus parallel laufenden Faserzügen, welche dem linken Opticus entstammen, niemals findet in ihm eine Kreuzung statt. In zahlreichen Schnitten bestehen die beiden Tractus dorsalwärts immer nur aus stark gefärbten Bündeln, atrophische Herde sieht man nicht in ihnen, jedoch sind sie durchweg schmäler als die Optici. ' Sehen wir nun zu, welches Ergebniss die Betrachtung der Querschnitte dieses Chiasmas liefert. Es sind die Querschnitte von Stückchen gemacht, die an den Enden der Traetus und Optici abgeschnitten sind. Sie sind zum Theil in einer Serie von 10 Schnitten zu verfolgen und nach den verschiedensten Me- thoden gefärbt. Von den Schnitten, welche nach Pal gefärbt sind, sind einzelne mit Hoyer’s Carmin nachgefärbt. Der linke Opticus ist nicht geschnitten. Es genügt ja aber auch, dass er in der Horizontalschnittserie völlig erhalten ist. Der rechte Opticus: Hämatoxylin-Bosin. Ein stark mit Eosin gefärbtes, feinstes Maschenwerk wird von dieken fibrösen Zügen septenartig durchsetzt, welche viele runde Kerne enthalten und einzelne Gefässe besitzen. Die Kerne finden sich auch innerhalb des Netzwerkes. Sie haben einen feinen Saum. Das Netzwerk zeigt eine feinste Körnelung. Die übrigen Färbungen ergeben nichts Besonderes. Der linke Tractus, nach Pal: Innen und unten eine atrophische Partie. Grosse dünne Ringe, die nur schwach gefärbt und auch gar nicht gefärbt sind. Auch kleinste Faserstücke mit varieöser Auftreibung. Das tritt auch bei der Nachfärbung mit Carmin gut hervor. Der rechte Traetus, nach Pal: Gut erhalten, keine atrophische Partie wahrzunehmen. Das vollständige Fehlen eines isolirten atrophischen Bündels im rechten Tractus, das Vorhandensein der atrophischen Partie innen und ventral im linken Traetus ist das Ergebniss der Untersuchung auf dem Querschnitt. Dies stimmt glatt überein mit dem Resultat der Horizontalschnittserie. Eigenthümlich ist sämmtlichen 3 pathologischen Chiasmen: i. Die vollständige Atrophie des rechten Optieus. 2. Das kleine atrophische dreieckige Feld an der rechten Aussenseite des Chiasmas. — 508 H. HrLLENDALL: 3. Das constante Vorherrschen der Atrophie im Mittelstück des Chias- mas, wodurch die sich sicher kreuzenden Bündel des linken Opticus in ihrem Bogenverlauf schön hervortreten. 4. Das Uebergreifen des atrophischen Processes auf den Anfang des linken Optieus, die linke Hälfte des Chiasmas und das mediale Drittel des linken Traetus. 5. Die vollständige Erhaltung des linken Opticus. 6. Das constante Fehlen eines isolirten atrophischen ungekreuzten Bündels im rechten Tractus, der in allen Fällen durchweg nur gut gefärbte Faserbündel erkennen lässt. 7. Das Vorkommen von Aussenbündeln des linken Opticus, welche in den linken Tractus ausstrahlen. S. Die Verschmälerung der Tractus. Die Atrophie ist aber nicht bei allen gleich stark entwickelt. Während sie in dem erstbeschriebenen Falle am geringsten sich auspräst, überwiegt derselbe im letzten und wird von dem an zweiter Stelle genannten noch übertroffen. Diese Steigerung der Atrophie greift offenbar von innen nach aussen und von hinten nach vorn und von ventral nach dorsal im Chiasma und im linken Traetus Platz. Die Litteratur über die Kreuzung der N. optici beim Menschen ist eine sehr umfangreiche. Man ist der Frage auf verschiedenem Wege näher getreten. Man hat die Zerfaserungsmethode angewandt. Auf Horizontal- schnittserien ist das normale Chiasma untersucht. Bei peripherischer ein- seitiger oder beiderseitiger Opticusatrophie hat man die fortschreitende Atrophie verfolgt und damit die Frage zu lösen getrachtet. Auch die atrophischen Processe im Chiasma aus centraler Ursache haben zur Unter- suchung vorgelegen. Es kann nicht innerhalb des Rahmens dieser Arbeit liegen, in eine Kritik der in ihren Ergebnissen so vielfach von einander abweichenden Untersuchungen der zahlreichen Forscher auf diesem Gebiet einzutreten. Darüber findet sich Ausführliches in den Arbeiten von Michel,! Kölliker,? Mauthner,? Delbrück‘ und Henschen.° Ich will auch nicht erörtern, ! Michel, Sehnervendegeneration. Festschrift. Würzburg 1887. ? Kölliker, Handbuch der Gewebelehre, Il. 1896. 8. 571. ® Mauthner, Vorträge über Augenheilkunde, 1. * Delbrück, Zur Lehre von der Kreuzung der Nervenfasern im Chiasma nervor. optic. Archiv für Psychiatrie. 1890. 8. 746. 5 Henschen, Pathologie des Gehirns, II. 1892. S. 217 bis 248. Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 509 in wie weit die verschiedenen Untersuchungsobjecte für die Beant- wortung der Frage der Totalkreuzung oder Partialkreuzung der Sehnerven verschiedenen Werth besitzen, sondern nur zeigen, inwiefern das Ergebniss dieser Arbeit mit den Resultaten aller derjenigen Untersucher übereinstimmt, welche diese Frage durch Verfolgung der atrophischen Processe im Chiasma nach totaler einseitiger Optieusatrophie aus peripherischer Ursache zu lösen versucht haben. Bei vollständiger einseitiger Opticusatrophie aus peripherischer Ursache ist die Atrophie in beide Tractus verfolgt worden von: Woinow, Donders, Sprimmon, Plenk, Schmidt-Rimpler, Manz, Baumgarten, Keller- mann, Gudden, Purtscher, Burdach, Marchand, Henschen, Bern- heimer, Schmidt-Rimpler, Leonowa. Ueber die Lage des ungekreuzten Bündels werden folgende Angaben gemacht: Baumgarten findet dasselbe dorsal, lateral und peripher, Gudden dorsal, excentrisch aber nicht peripher, Purtscher central, Burdach lateral und peripher, ein wenig dorsal und ventral, Marchand dorsal und medial peripher, Henschen im Opticus unmittelbar peripher und zwar dorsal und ventral je ein Fascikel, im Chiasma und Tractus centrodorsal nur ein Fascikel, Bernheimer dorsal und lateral, Leonowa lateral. Gowers und Nieden verfolgten die Atrophie nicht sicher über das Chiasma hinaus. Kellermann konnte eine isolirte Atrophie in beiden Tractus nicht nachweisen. Biesiadechi und Mandach constatirten nur Atrophie des gegenüber- liegenden Tractus. Michel erhält auf Grund einer lückenlosen Horizontalschnittserie das Resultat, dass die Atrophie auf den gegenüberliegenden Traetus sich fort- setzt und nirgend ein Bündel des gleichseitigen Tractus von der Degenera- tion ergriffen ist. Biesiadechi und Michel sind, namentlich der letztere, Hauptver- treter der Totalkreuzung auf Grund gerade dieser Untersuchungen. Der von Michel mitgetheilte Befund ist von Kölliker jüngst bestätigt worden. Jedoch hat Michel ebensowenig, wie irgend ein anderer Beobachter, soweit mir die Litteratur darüber bekannt ist, bisher einen Fall mitgetheilt, in welchem der gegenüberliegende Tractus vollständig atrophisch war, der gleichseitige dagegen ganz erhalten blieb. Auch mir gelang es nicht, isolirt liegende atrophische Züge im gleich- seitigen Tractus nachzuweisen, während im gekreuzten Tractus ein ventro- mediales Feld atrophisch war. — Eine Reihe von Autoren nehmen an, dass die ungekreuzten Fasern sich mit den gekreuzten im Tractus vermischen, also gar nicht in einem 510 H. HELLENDALL: isolirten Bündel verlaufen. Unter denen, welche zu diesem Ergebniss auf Grund von Untersuchungen am Chiasma mit einseitiger totaler Opticus- atrophie gelangten, ist Kellermann der Hauptvertreter dieser An- schauung. — Was nun die Lage des gekreuzten atrophischen Bündels betrifft, so findet Gudden dasselbe halbringförmig ventral, medial und lateral, Mar- chand ebenso, Purtscher ringförmig, jedoch nur peripher, Baumgarten sectorartig ventral und medial, Burdach keilförmig ventral und medial, Henschen im Traetus ventromedial, Bernheimer ventral. Insofern stimmen meine Beobachtungen mit den Resultaten der grossen Mehrzahl anderer Untersucher überein, als die Atrophie als ventromediales isolirt laufendes Bündel in den gegenüberliegenden Tractus sich deutlich weit hinein verfolgen lässt. Insofern aber weichen dieselben von jenen ab, als in meinen Praeparaten ein isolirtes atrophisches ungekreuztes Bündel, insbesondere in den dorsalen Partien, nirgend vorhanden war. Eın BEITRAG ZU DER FRAGE DER KREUZUNG DER SEHNERVEN. 511 Litteraturverzeichniss. 1. Adamück, Zur Frage über die Kreuzung der Nervenfasern im Chiasma n. opt. des Menschen. Graefe’s Archiw. Bd. XXVI. 2. Baumgarten, Zur sogen. Semidecussation der Optieusfasern. Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1878. S. 561. 3. Bernheimer, Die Sehnervenkreuzung beim Menschen. Wiener klin. Wochen- schrift. 1896. Nr. 34. 8. 767. 4. Biesiadecki, Ueber das Chiasma n. optiei des Menschen und der Thiere. Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften in Wien. 1861. S. 86. 5. Burdach, Zur Faserkreuzung im Chiasma und in den Tractus nerv. optic. Archiv für Ophthalmologie. Bd. XXIX. 8. 135. 6. Delbrück, Zur Lehre von der Kreuzung der Nervenfasern im Chiasma n. optic. Archiv für Psychiatrie. Bd. XXIV. 8. 747. 7. Deutschmann, Zur Semidecussation im Chiasma n. opt. des Menschen. Graefe’s Archiv. Bd. XXIX. 8. Ganser, Ueber die periphere und centrale Anordnung der Sehnervenfasern und über das Corpus bigeminum anterius. Archiv für Psychiatrie. Bd XII. 8. 341. 9. Gowers, Pathologischer Beweis einer unvollständigen Kreuzung des Sehnerven beim Menschen. Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1878. Nr. 31. 10. Grützner, Kritische Bemerkungen über die Kreuzung im Chiasma opticum. Deutsche med. Wochenschrift. 1897. 8.1. - 11. Gudden, Ueber die Kreuzung der Fasern im Chiasına nerv. opt. Archiv f. Ophthalmologie. Bd. XX, 2, XXL, 3, XXV, 1,5. — Gesammelte Abhandlungen. Bd. XVII bis XX. — Archiv für Psychiatrie. Bd. 11. 12. Hannover, Das Auge. Beiträge zur Anatomie, Physiologie und Pathologie dieses Organes. Leipzig 1852. 13. Hebold, Der Faserverlauf im Sehnerven. Meurologisches Oentralblatt. Bd. X. Nr. 6. 14. Henschen, Pathologie des Gehirns. Upsala 1892. 15. Hüfler, Ueber Faserverlauf im Sehnerven des Menschen. Deutsche Zeit- schrift für Nervenheilkunde. 1895. Bd. VI. 16. Jacobsohn, Zur Frage der Sehnervenkreuzung. Neurologisches Centralblatt. 1896. S. 839. 17. Kellermann, Anatomische Untersuchungen atrophischer Sehnerven. Klin. Monatsblätter für Augenheilkunde. Ausserordentliches Beitragsheft 1879/17. 18. Kölliker, Gewebelehre. 1896. Bd. I. 512 H.HELLENDALL: BEITRAG ZU D. FRAGE D. KREUZUNG D. SEHNERVEN. 19. Leonowa, Beiträge zur Kenntniss der secundären Veränderungen der primären optischen Centren und Bahnen in Fällen von congenitaler Anophthalmie und Bulbus- atrophie bei neugeborenen Kindern. Archiv für Psychiatrie. Bd. XXVII. S. 52. 20. Mandelstamm, Ueber Sehnervenkreuzung und Hemiopie. Archiv f. Ophthal- mologie. Bd. XIX. S. 39. 21. Marchand, Beitrag zur Kenntniss der homogenen und bilateralen Hemianopie und der Faserkreuzung im Chiasma opticum. Archiv für Ophthalmologie. Bd. XXVIL. S. 68. 22. Mauthner, Gehirn und Auge. Wiesbaden 1881. 23. Michel, Ueber den Bau des Chiasma nerv. optie. Archiv für Ophtkalm. Bd. XIX, 2, S. 59 u. Bd. XXIII, 2, S. 227. — Sehnervendegeneration. Hestschrift. Würzburg 1887. 24. Monakow, Experimentelle und pathologische Untersuchungen über die Be- ziehungen der sogenannten Sehsphäre zu den infracorticalen Optieusganglien und zum N. opticus. Archiv für Psychiatrie. Bd. XVL, XXI u. XXIV. 25. Nieden, Ein Fall von Atrophie des eines Sehnervenstammes mit nahezu gleichmässigem und normalem Dickendurchmesser der beiden Tract. opt. Centralblatt für praktische Augenheilkunde. 1879. 26. Popow, Zur Kenntniss der Sehnervendegeneration bei Tabes dorsalis. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1893. Bd. IV; 8. 270. 27. Purtscher, Ueber Kreuzung. und Atrophie der Nervi und Tractus optiei. Archiv für Ophthalmologie. Bd. XXI. S. 191. 28. Richter, Pathologisch anatomisches und Klinisches über die optischen Leitungs- bahnen des menschlichen Gehirns. Archiv für Psychiatrie. Bd. XX. S. 504. 29. Singer und Münzer, Beiträge zur Kenntniss der Sehnervenkreuzung. Kais. ‚Akademie der Wissenschaften in Wien. 1888. Bd. LV. 30. Schlagenhaufer, Anatomische Beiträge zum Faserverlauf in den Seh- nervenbahnen und Beiträge zur tabischen Sehnervenatrophie. Jahrbücher für Psy- chiatrie. 1897. 31. Schmidt-Rimpler, Ophthalmologencongress. Bd. XXV. Heidelberg. 32. Woinow, Ueber die Krenzung des Sehnerven. Berichte über die gesammten Verhandlungen der ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg. 1875. 33. Willbrand, Ein Fall von rechtsseitiger lateraler Hemianopsie mit Sections- befund. Archiv für Ophthalmologie. Bd. XXXI. 3. 8. 119. Zusatz zu vorstehender Arbeit. Von Prof. Dr. David Hansemann, Prosector. Die bekannte Sitzung des Anatomencongresses 1896 zu Berlin ent- behrte nicht der dramatischen Momente. War es schon bemerkenswerth, dass eine Autorität, wie von Kölliker, für eine bis dahin wenig beachtete Theorie Michel’s eintrat, so war die Energie, mit der das geschah, noch weit auffallender. Weit mehr als dies irgendwo im Druck in Erscheinung getreten ist, wies v. Kölliker von vorne herein jeden Einspruch der Physio- logen und Pathologen zurück, indem er sich auf die vollkommen sicheren anatomischen Untersuchungen stützte. Er verlangte, dass anatomisch Fasern nachgewiesen würden, die von dem Nervus opticus in den Tractus derselben Seite übergingen. Und es ist interessant, dass seiner Zeit Gudden! Munk mit derselben Energie entgegenhielt: „Die partielle Kreuzung war mit voller Sicherheit nachgewiesen (sc. durch anatomische Untersuchung) schon vor den Munk’schen Versuchen.“ Es fehlte denn auch nicht an Stimmen, die das Bekenntniss v. Kölliker’s als die Erlösung von einem Banne auffassten, unter dem die Wissenschaft lange gestanden habe. Demgegenüber will ich offen bekennen, dass ich nicht ohne Vorurtheil an diese Untersuchungen herangegangen bin, denn die Arbeiten von Gudden und seinen Nachfolgern, die physiologischen Versuche von Munk (Functionen der Grosshirnrinde), die Berichte der Pathologen und Ophthalmologen, die neuesten Mittheilungen von Jacobsohn waren doch alle zu exact und eindeutig, um ohne Weiteres in das Kölliker-Michel’sche Lager überzugehen. Indessen übertrafen die Befunde, die sich an den Präparaten Hellendall’s erheben liessen, noch meine Erwartungen. An Sehnitten durch normale Chiasmen kommt man in der That zu keinem eindeutigen Resultat. Sind die Schnitte dünn, so verliert man die ı Gräfe’s Archiv. Bd. XXV. Abthlg. 4 8. 245. Archiv f. A.u. Ph. 1897. Physiol. Abthlg. 33 514 Dim HANSEMANN: Fasern, die nieht in derselben Ebene verlaufen, bald aus dem Gesicht. Sind aber die Schnitte dicker, so bildet ihre Masse ein solches Gewirr, dass man einzelne Fasern gar nicht verfolgen kann. An diesen Objeeten lässt; sich also die Forderung v. Kölliker’s, ungekreuzte Fasern nachzuweisen, nicht erfüllen. Wohl aber gelingt dies an geeigneten pathologischen Objecten und solche waren die vorliegenden, die Hellendall bearbeitet hat. Die voll- kommene Uebereinstimmung in allen drei Fällen giebt eine gewisse Garantie für die Zuverlässigkeit der Resultate. Ich sehe in denselben drei Arten von Faserzügen. Erstens solche, die von der Innenseite des Nervus in flachem Bogen zur Innenfläche des Tractus der anderen Seite übergehen. Im Tractus bilden sie ein geschlossenes Bündel, das auf dem Querschnitt des Tractus ein bogenförmiges Segment desselben ausmacht. Dieses Bündel ist also nicht in allen Horizontal- schnitten sichtbar, sondern nur in einem Theile derselben, dem die Fig. 3 entspricht. Man kann hier diesen Faserzug an der atrophischen Stelle erkennen, die von dem rechten atrophischen Opticus kommt und in den linken _ Tractus am inneren Rande übergeht. Zweitens sehe ich gekreuzte Faser- züge, die aus dem Nervus kommen, im Chiasma eine starke Schleife nach dem andern Nervus zu machen, und sich dann im Tractus nicht zu einem geschlossenen Bündel vereinigen, sondern über den ganzen Querschnitt ver- theilen mit Ausnahme des Raumes für das zuerst beschriebene Bündel. Während die ersten Fasern ziemlich in einer Ebene verbleiben, so verläuft diese zweite Art von einer Ebene in die andere. Dadurch entstehen die gitterförmigen Figuren, die im Verlaufe dieser Fasern schon lange bekannt sind. Endlich kann ich an vielen Praeparaten aller drei Fälle Faserzüge verfolgen, die in den Figuren 6—8 wiedergegeben sind. Dieselben kommen aus dem linken Nervus und gehen in den linken Tractus hinein, indem man sie eine kurze Strecke weit verfolgen kann, worauf sie in andere Ebenen eintreten. Man sieht, dass auch diese Fasern nicht ein geschlossenes Bündel bilden, sondern im Traetus divergiren, so dass sie sich mit den gekreuzten Fasern vermischen. Durch diese Art des Faserverlaufs ist der grösste Theil der Erscheinungen, wie man sie in Fig. 3 sieht, erklärt. Der rechte Nervus ist vollständig atrophisch. Das atrophische ungekreuzte Bündel kann man nur bis in den Anfang des Tractus verfolgen, und es stellt sich hier als ein schmales Dreieck (Fig. 3) an der rechten Kante dar. Später verschwindet es durch die Ver- mischung der Fasern in dem ganzen Querschnitt. Beide Tractus sind schmäler, als normal, aber von einer Narbenschrumpfung ist nichts zu sehen. Im linken Tractus aber sieht man erhaltene Fasern, die offenbar nicht alle den ungekreuzten Fasern entsprechen. Eine solche Zahl von ungekreuzten Fasern giebt es jedenfalls nicht. Es ist das auch besonders deutlich aus /USATZ ZU VORSTEHENDER ARBEIT. Dil) den Figuren 6—8 ersichtlich. Man muss annehmen, dass die gekreuzten Fasern, die sich mit nicht gekreuzten vermischen, nicht vollständig atrophisch geworden sind, und dass also ein Theil der im linken Tractus erhaltenen Fasern aus dem rechten Nervus stammt. Es besteht aber zwischen den vorliegenden Befunden und denen mancher Autoren ein bisher ungelöster Widerspruch, der auch früher schon vielfach hervorgetreten ist. Derselbe liegt in den verschiedenen Angaben der Autoren über den Verlauf der Fasern im Tractus. Die Einen geben an, dass die Fasern hier in geschlossenen Bündeln verlaufen, die Anderen, dass sie sich mit einander vermischen. Auch über die Anordnung der Bündel werden sehr verschiedene Angaben gemacht. Henschen sucht diesen Widerspruch dadurch zu lösen, dass er angiebt, man könne den Ver- lauf in geschlossenen Bündeln nur an frischen Degenerationen verfolgen, während in älteren Fällen die Narbencontraction die Beobachtung unmöglich macht. Dem widersprechen unsere Praeparate in doppelter Beziehung. Ein- mal ist von einer Narbe überhaupt nichts zu sehen. Zu einer Narbe ge- hört neugebildetes Bindegewebe und das fehlt vollständig. Zweitens aber ist ein atrophisches Bündel durch den ganzen linken Tractus zu verfolgen, und es ist nicht einzusehen, warum dieses nicht auch verschwunden ist, wenn eine solche Retraction stattgefunden hätte. Ich lege dabei einen besonderen Werth auf das übereinstimmende Resultat in allen unseren drei Fällen. Da nun an den Beobachtungen der Forscher sicher nicht zu zweifeln ist, viele auch durch Abbildungen und genaue Beschreibungen ihre Befunde belegen, so kann ich mich den Anschauungen Henschen’s in seiner Deutung nicht anschliessen, sondern nehme an, dass individuelle Verschiedenheiten in dem Verlauf der Fasern vorkommen können. Haben wir doch in den Fällen von Schlagenhaufer und Ganser gesehen, dass das ungekreuzte Bündel in seltenen Fällen ganz isolirt verläuft. Durch die vorstehende Untersuchung habe ich also meine frühere An- schauung von dem Vorhandensein ungekreuzter Fasern im Chiasma bestätigt gefunden. Es ist aber noch mehr dadurch erreicht. Es sind die unge- kreuzten Fasern, wie dies v. Kölliker forderte, anatomisch nachgewiesen _ worden, indem sie sich in Horizontalschnitten eine Strecke weit verfolgen liessen. Aus diesem Grunde habe ich die Präparate am 4. Juni d. J. der Physiologischen Gesellschaft demonstrirt, wo sich die anwesenden Herren von der Richtigkeit dieser Angaben überzeugen konnten. 33* Ueber die Grösse entgegengesetzter Ausschläge des Capillarelektrometers. Von Dr. R. du Bois-Reymond. (Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.) 1. Fragestellung. Obgleich das Capillarelektrometer immer häufiger zu physiologischen Untersuchungen angewendet wird, scheinen die Bedingungen, von denen seine Bewegung abhängt, im Allgemeinen wenig beachtet worden zu sein. Zwar sind schon einige Arbeiten erschienen, die ausschliesslich von den Eigenschaften des Instruments handeln, aber diese enthalten theils nur Beobachtungen ohne Erklärung, theils die Lösung einzelner besonderer Auf- gaben. Es scheint, als ob sich diejenigen Forscher, die sich des Capillar- elektrometers bedienten, absichtlich darauf beschränkt hätten, die Angaben des Instruments auszunutzen, ohne sich auf eine Untersuchung ihres Ent- stehens einzulassen. Dies mag daher kommen, dass für die Veränderung der Capillarconstante durch den elektrischen Strom, also für den wesent- lichsten Vorgang im Capillarelektrometer, noch keine sichere Erklärung ge- geben werden kann. Begnügt man sich aber, diesen einen Punkt unerklärt zu lassen, und nur die mechanischen Bedingungen des Capillarelectrometers der Betrachtung zu unterwerfen, so werden manche auffallende Eigen- schaften des Apparates auf das einfachste erklärt. Zum Beispiel giebt v. Fleischl? an, dass bei gleicher Stromstärke die Bewegung basiswärts ! Die Abhandlung ist im Laufe des Jahres 1896 niedergeschrieben und aus äusseren Gründen erst jetzt zum Druck gegeben worden. ® Dies Archiv. Physiol. Abth. 1879. S. 280, R. pu Boıs-REeYMmoNnD: AUSSCHLÄGE DES ÜCAPILLARELEKTROMETERS. 517 stets kleiner ausfalle als spitzenwärts.! Dagegen fordert Einthoven,? dass die Ausschläge den eingeschalteten elektrischen Potentialunterschieden pro- portional sein sollen. Sogar Burch,? dessen vortreffliche Arbeiten beweisen, wie sehr er die Handhabung des Apparates beherrscht, stellt die Angabe, dass jedes Capillarelektrometer nach der Spitze zu empfindlicher wird, wie einen rein empirischen Satz auf, der sich ebensogut hätte umgekehrt heraus- stellen können. An die angeführten Litteraturstellen knüpfen sich eine Reihe von Fragen, die ich durch eine zusammenhängende Betrachtung zu erledigen versuchen will. Das Capillarelektrometer dient zur Messung elektromotorischer Kräfte. Man hat zunächst zwei Fälle zu unterscheiden, erstens den, wo es sich um constante Kräfte handelt, unter deren Einfluss sich das Instrument fest einstellt, und zweitens den, wo die zu messenden Kräfte Schwankungen unterliegen, denen das Instrument nicht vollständig zu folgen vermag. Die Betrachtung des ersten Falles hält sich im Gebiete der Statik, die des zweiten fällt in das der Dynamik. Für den zweiten complicirteren Fall haben Burch und Einthoven Messungsmethoden angegeben, die auf empirischer Aichung beruhen, so dass sie auch ohne Kenntniss der Bedingungen zu richtigem Ergebniss führen müssen. Die oben angeführten Stellen beweisen aber, dass diese Be- dingungen selbst für den ersten einfacheren Fall nicht als bekannt angesehen werden können. Einthoven stellt wie gesagt die Anforderung an das Capillarelektrometer, dass seine Ausschläge den eingeschalteten Potential- unterschieden proportional sein sollen. Wie er selbst angiebt und jeder weiss, der sich mit der Anfertigung von Capillarelektrometern beschäftigt hat, trifft dies nur für vereinzelte Exemplare ein. Von welchen Um- ständen hängt die Proportionalität der Ausschläge ab? In erster Linie kommt in Betracht, dass der Meniscus beim Ausschlage an eine andere Stelle der Röhre gelangt. Es sind also die mechanischen Be- dingungen der Lageveränderung in Betracht zu ziehen. Zweitens ist der Einfluss der elektrischen Vorgänge auf den -Meniseus daraufhin zu un- tersuchen, ob directe Proportionalität besteht oder nicht.* ! Martius (Verhandl. der Physik. Gesellschaft. 1883. Nr. 10) bespricht die Wirkung schnell wechselnder Ströme, und „erklärt“ das Fortrücken des Meniscus aus dieser von v. Fleischl beobachteten Thatsache. 2 Pflügers Archiv für die gesammte Physiologie. 1894. Bd. LVI. S. 537. ® On the Calibration_of the Capillary Electrometer. Proceedings of the Royal Society. 1895. Bd. LIX. S. 23. * Ergiebt sich in beiden Fällen, dass Proportionalität der Ausschläge bestehen kann, so ist noch die Frage aus der Dynamik offen: ob sich der Meniscus in entgegen- gesetzter Richtung auf gleiche Weise bewegt? Diese Frage ist die von Burch und Einthoven behandelte. 518 R. ou Boıs-Reymonp: 2. ÖOberflächenspannung und Meniseusbildung. Es empfiehlt sich, die Betrachtung von den Grundanschauungen aus aufzubauen. In einer ruhenden Flüssigkeit befinden sich alle Theile im Gleichgewicht. Die Bedingungen dieses Gleichgewichts sind verschieden für Theilchen, die an der Oberfläche liegen, und solche, die in der Mitte zwischen anderen Theilchen liegen. Denn die letzten unterliegen einer gleichmässig von allen Seiten wirkenden Molecularattraction (Cohäsionskraft), während jene nur von der Seite her angezogen werden, mit der sie sich innerhalb der Attractionssphäre der benachbarten Theilchen befinden. Die Folge dieser einseitigen Anziehung ist die sogenannte Oberflächenspannung. Wenn die Bedingungen für verschiedene Stellen einer und derselben Flüssigkeits- oberfläche gleich sind, ist auch die Oberflächenspannung überall dieselbe. Daher nimmt ein freischwebender Tropfen Kugelgestalt an. Unter dem Einfluss der Schwere stellt sich dagegen die Flüssigkeitsoberfläche horizontal ein, indem sich sowohl Schwere als auch Oberflächenspannung an allen Stellen die Waage halten. Wo die Flüssigkeit mit festen Körpern in Berührung tritt, sind die Bedingungen für die Molecularattraction andere. Erstens kann die An- ziehung zwischen dem festen Körper und den Flüssigkeitstheilchen stärker sein, als die der Flüssigkeitstheilchen unter sich, dann wird der Körper benetzt. Dies ist der Fall z. B. bei Wasser und Glas. Befindet sich Wasser in einem Glasgefäss, so benetzt es die Wand, und wird vermöge der stärkeren Anziehung an den Wänden in die Höhe gezogen. Ebenso verhält sich Quecksilber in einem blanken Metallgefäss. Es kann aber auch die Cohäsion der Flüssigkeit stärker 'sein als die Anziehung der Ge- fässwände, dann zieht sich die Flüssigkeit von der Wand zurück. So verhält sich Quecksiber in Glasgefässen. Ist nun das Gefäss so eng, dass sich der Einfluss der Wand auf der ganzen Oberfläche bemerkbar macht, so zeigt diese eine zusammenhängende, im ersten Falle concave, im zweiten Falle convexe Wölbung, den Meniscus. Für enge runde Röhren kann man die Form des Meniscus als die eines Kugelabschnittes betrachten. Durch die Gestalt des Meniscus wird die Kraft, mit der die Oberflächentheilchen nach unten gezogen werden, beeinflusst. Ist nämlich die Oberfläche concav, so tritt jedes Oberflächentheilchen gegen die Nachbartheilchen zurück, es wird also von ihren Attractionssphären vollständiger umschlossen, als dies bei ebener Oberfläche der Fall wäre. Ist umgekehrt die Oberfläche convex, so ragt jedes Oberflächentheilchen aus den Attractionssphären der Nachbar- theilchen stärker hervor, als bei ebener Oberfläche. Sei nun die Kraft, mit der die Theilchen einer ebenen Oberfläche nach unten gezogen werden, gleich X, so wird diese Kraft bei concavem Meniscus um eine gewisse AUSSCHLÄGE DES ÜAPILLARELEKTROMETERS. 519 Grösse vermindert, bei convexem Meniscus um eine gewisse Grösse ver- mehrt sein. Bezeichnet man diese Grösse mit g, so ist bei concavem Meniseus die Oberflächenspannung = K —-g, bei convexem Meniscus =K+g. 3. Gleichgewichtsbedingungen des Quecksilbermeniscus in eylindrischen Capillarröhren. Ist ein weites eylindrisches Glasgefäss mit Quecksilber gefüllt, so steht dieses unter dem Druck D+XK, wo D die Druckhöhe der Quecksilber- säule, K die Oberflächenspannung bedeutet. In ein am Boden des Ge- fässes einmündendes Steigrohr wird das Quecksilber einfliessen, bis es ebenso hoch steht wie in dem Gefäss, und nun auch in dem Steigrohre der Druck D-+K herrscht. Bringt man aber ein so enges Steigrohr an, dass sich darin ein stark gekrümmter Meniscus bildet, so wird die Oberflächen- spannung im Steigrohre nicht mehr gleich X, sondern gleich X +9 sein. Es wird daher schon Gleichgewicht der beiden Quecksilbersäulen eintreten, ehe die dem Druck D entsprechende Höhe erreicht ist, in dem die Gleich- gewichtsgleichung die Form annimmt D+K=D, +(K+9), wo D, 534 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Ueber die Veränderungen der Ganglien des Herzens nach der Chloroformnarkose (aus dem physiologischen Institut der Universität Bern). Hr. Botscharoff hat in seiner 1893 in Kiew erschienenen Disser- tation nachzuweisen gesucht, dass der Tod nach der Chloroformnarkose durch histologisch nachweisbare Veränderungen der Herzganglien bedingt sei, und hat eine typische Reihenfolge der Degenerationsvorgänge beschrieben. Da mir die Resultate seiner Versuche einer Bestätigung bedürftig schienen, habe ich in systematischer, und, wie ich glaube, exacterer Weise die Folgen einfacher und wiederholter Chloroformnarkose untersucht und bin zu vielfach abweichenden Ergebnissen gekommen. Zahlreiche an Kaninchen, Hunden und Affen angestellte Versuche haben ergeben, dass die Herzganglien bei der Chloroformnarkose eine mit der Dauer der Narkose und mit der Menge der zugeführten Chloroformdämpfe wechselnde Veränderung erleiden, welche sich in der verschiedensten Weise. kund giebt. Eingeleitet wird die Degeneration in der Regel von dem Schwunde der Gebilde, welche den Nissl’schen Körnerschollen in den spinalen und cerebralen Nervenzellen entsprechen, die jedoch in den Herz- ganglien durchweg in einer peripheren Zone liegen, welche auch den Kern enthält. Dem Schollenschwunde, der bereits nach einer etwa 1!/,stündigen Narkose einzutreten pflegt, folgt gewöhnlich der Schwund, der von den Schollen scheinbar unabhängigen Krümel im Zellprotoplasma, wodurch letzteres ein mehr gleichartiges Aussehen erhält. Im Anschluss daran sieht man gewöhnlich erst nach mehrstündiger Narkose die Zellen schrumpfen und sich trüben, wobei auch der Zellkern undeutlich wird. Das Zell- protoplasma erscheint dabei von der Kapsel zurückgezogen und der ver- grösserte pericelluläre Raum mit Iymphatischer Flüssigkeit ausgefüllt. Un- mittelbar nach der Schrumpfung des Protoplasma sieht man, meist schon nach einmaliger mehrstündiger Narkose, Vacuolen auftreten, die sich als kleine kugelige Hohlräume an der Peripherie der Zelle bilden und zu grossen Vacuolen zusammenfliessend, dem Protoplasma ein unregelmässig zackiges Aussehen verleihen. Diese peripherische Vacuolisirung geht bisweilen, be- sonders nach mehrmaliger Narkose, soweit, dass der grösste Theil des Zell- protoplasma diesem Processe unterliest. Beim Kaninchen sind die Ver- änderungen, auch nach wiederholter Narkose, meist weniger ausgesprochen als beim Hunde und Affen. Bei Kaninchen erscheint nach dem Schwunde der Schollen und Krümel das Proloplasma der Zelle gleichartig, wohingegen bei den letztgenannten Thieren, oft schon nach einer einmaligen mehrstündigen Narkose, auch die centralen Theile des Zellprotoplasma mit zahlreichen kleinen runden Vacuolen durchsetzt sind. Neben diesen Degenerations- zuständen finden sich, insbesondere beim Hunde, nach wiederholter Narkose verschiedenartig degenerirte Zellen im gleichen Ganglienhaufen, nämlich solche mit ausgesprochener Schwellung, deren Protoplasma zahlreiche spalt- artige Räume enthält und andere, geschrumpfte Zellen, mit runden, centralen und peripherischen Vacuolen. Bei einem Hunde fand ich nach einer vier- tägigen Narkose von im Ganzen 11stündiger Dauer in den geschwellten Ganglienzellen neben den erwähnten spaltartigen Räumen auch solche von runder Form, die im Centrum der Zelle eine kranzartige Anordnung zeigten. Fettige Degeneration der Ganglien wurde mit Sicherheit nur bei ‚einem Affen festgestellt, der einer im Ganzen 7stündigen Narkose auf 6 Tage PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — S. Scumipt. — N, Zuntz. 535 vertheilt, unterworfen worden war. Das Protoplasma der Zelle sah in diesem Falle schaumartig aus. In anderen Fällen liess sich das Fett nicht nach- weisen; vielleicht wurde es durch die Behandlung der Präparate mit Xylol extrahirt. Die Kerne der degenerirten Ganglienzellen liessen keine eigent- liche Anomalie erkennen. In einigen Zellen mit vorgeschrittener Ent- artung zeigte der Kern eine gleichmässig helle Umrandung. Die Reihenfolge der Degenerationsvorgänge ist nicht immer die gleiche. Uebrigens sind bekanntlich die Thiere gegen Chloroform verschieden empfindlich. Am besten scheint die Chloroformnarkose von den Affen vertragen zu werden, obschon durch dieselbe deren Herzganglien merklich verändert werden. Aehnliche Veränderungen, besonders die peripherische Vacuolisirung der Herzganglien, wie nach der Chloroformnarkose, habe ich auch bei nicht narkotisirten Thieren als postmortale Erscheinung angetroffen, doch nur dann, wenn die Präparate nicht mehr frisch oder ganz frische Herz- ausschnitte nicht genügend durchfixirt worden waren. Die erwähnten Be- funde beziehen sich natürlich auf Präparate, die diese Mängel ausschliessen. Bei allen wiederholt chloroformirten Thieren scheint sowohl die histo- logisch wahrnehmbare Veränderung als auch die allgemeine Schädigung des Organismus dauernd zu sein. Ausser den Narkosen mit Chloroform wurden auch vergleichende mit Aether angestellt und dabei gefunden, dass diese die Herzganglien nur wenig verändern. Abgesehen von einzelnen peripherischen Vacuolen zeigte das Zellprotoplasma danach keine merkliche Veränderung. Sowohl Schollen als Krümel waren erhalten. Einige Versuche mit narkotisirenden und anderen Alkaloiden ergaben z. Th. ähnliche Veränderungen wie Chloroformnarkosen. 2. Hr. N. Zuntz hält den angekündigten Vortrag: Ueber den Werth der wichtigsten Nährstoffe für die Muskelarbeit nach Ver- suchen am Menschen, ausgeführt von Prof. Newton Heyneman aus New-York. Meine Herren, die Versuche, über die ich Ihnen heute berichten will, hat Hr. Prof. Newton Heyneman aus New-York im vorigen Jahre in meinem Laboratorium ausgeführt. Sie behandeln ein Thema, mit dem ich mich selbst schon früher be- schäftigt habe, und über das ich Ihnen auch schon in einigen kurzen Mit- theilungen berichtet habe, die Frage nämlich nach der Quelle der Muskel. kraft, resp. die Frage, wie weit die chemische Energie der wesentlichen Nährstoffe, welche wir aufnehmen, und welche in unserem Blute eirkuliren, geeignet ist im thätigen Muskel in mechanische Arbeit umgesetzt zu werden. Ich hatte Ihnen nach der Richtung hin bereits vor etwa 2 Jahren! über Versuche berichtet, die ich mit Herrn Dr. Walter Löb und zum Theil mit Herrn Dr. Frentzel gemacht hatte, in denen wir an Hunden die Frage in der Art zu entscheiden suchten, dass wir durch Respirationsversuche bei ruhenden und arbeitenden Thieren die Grösse der Sauerstoffaufnahme und der Kohlensäureausscheidung einmal in der Ruhe, dann bei genau ge- messener Arbeitsleistung und gleichzeitig durch quantitatives Auffangen des Harns die 24stündige Stickstoffausscheidung bestimmten. Wir konnten so 1 Dies Archiv. 1894. 8. 541. 536 VERHANDLUNGEN DER BERLINER feststellen, welchen Antheil das Eiweiss, wenn auch nicht an den Vorgängen im Moment der Contraction — denn der Harn lässt sich eben nicht für so kurze Zeit sammeln, und wenn man ihn sammeln würde, würde man doch nieht wissen oder behaupten können, dass der eben gesammelte Harn der voraufgegangenen oder gleichzeitigen Muskelthätigkeit entspricht — doch an dem ganzen im Laufe von 24 Stunden stattfindenden Umsatz hat. Die gleichzeitige Bestimmung der Sauerstoffaufnahme und Kohlensäure- ausscheidung diente in der bekannten und mehrfach von mir hier schon besprochenen Weise dazu, die stickstofffreien Nährstoffe auf die beiden durch ihren respiratorischen Quotienten ja so scharf geschiedenen Kategorieen Fett und Kohlehydrate zu vertheilen. Wir hatten damals gefunden, dass annähernd dieselbe Menge Energie für Leistung einer bestimmten mechanischen Arbeit erforderlich ist, einerlei, ob wir durch die Ernährungsbedingungen das Thier dazu bringen, vorwiegend Eiweiss oder vorwiegend Fett oder vorwiegend Kohlehydrate für die Muskel- arbeit zu verwenden. Inzwischen habe ich Ihnen ja auch anderweitiges Material beigebracht, welches geeignet war, mitzureden in der Frage, ob die drei Nährstoff- kategorieen gleichmässig geeignet sind, als Quelle der Muskelkraft zu dienen. Man war lange Zeit besonders geneigt, nachdem das Eiweiss durch freilich zu weitgehende Folgerungen aus dem berühmten Fiek-Wislicenus’schen Versuche in gewissem Sinne depossedirt war, die Kohlehydrate vorwiegend oder allein als Quelle der Muskelkraft anzusehen, und zwar erklärt sich diese Anschauung aus zwei Umständen: Einmal aus dem Ergebnis älterer Respirationsversuche, die fast immer ein Steigen des respiratorischen Quotienten ergeben hatten, woraus man den Schluss zog, dass diejenige Substanz, welche den höchsten respiratorischen Quotienten giebt, den Quotienten 1, vorwiegend oder allein im thätigen Muskel zersetzt würde. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, im Verein mit Hrn. Loewy und Hrn. ©. Lehmann am Menschen und am Pferde nachzuweisen, dass diese älteren Anschauungen entstanden waren durch unvollkommene Versuchs- anordnungen, und dass, wenn man den Respirationsversuch so anordnete, dass weder eine besondere Schädigung der Athmung, noch ein besonderer Reiz zu foreirter Athmung besteht, namentlich aber, wenn man die Arbeit längere Zeit gleiehmässig andauern lässt und dadurch Unregelmässgkeiten, die in den ersten Arbeitsminuten in Folge der veränderten Circulation, in Folge der plötzlich eintretenden verstärkten Athmung auftreten, aus- schliesst, man dann mit Sicherheit nachweisen kann, dass die Arbeit an sich keine Veränderung des respiratorischen Quotienten bedingt, weder eine Erhöhung noch eine Verminderung. Wenn wir die Versuche machten an Pferden, die vorwiegend mit Kohlehydraten genährt, in der Ruhe den respi- ratorischen Quotienten 0-96 etwa hatten, so war in der ersten Zeit der Arbeit genau derselbe Quotient zu beobachten. Dauerte dann eine schwerere Arbeit längere Zeit an, ohne dass das Thier neues Futter bekam, so nahm der Quotient allmählich bis auf 0-85, weiterhin bis auf 0-80 ab. Wenn man dann die Arbeit sistirte und aufs Neue den Stoffverbrauch in der Ruhe mass, so ergab sich, dass jetzt auch in der Ruhe dieser niedrige Quotient herrschte, dass also einfach deshalb der Quotient herunterging, weil der Vorrath an Kohlehydrat im Blute und im Darmcanal aufgebraucht und Br.‘ PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. 537 nicht durch neue Nahrungsaufnahme ersetzt war. Gab man dann dem Thiere wieder ein neues, kohlehydratreiches Futter, so konnte man schon nach einer halben Stunde ein neues Ansteigen des Quotienten nachweisen. Es wurde also beim Pferde zunächst mit absoluter Sicherheit — und ich sage darum „mit absoluter Sicherheit“, weil es sich hier nicht um Versuche von wenigen Minuten Dauer, sondern um continuirlich durch mehrere Stunden fortgesetzte Messungen handelt, um ganz colossale Mengen um- gesetzter Substanz — festgestellt, dass die Art des bei der Muskelthätigkeit Umgesetzten nicht von der Muskelthätigkeit an sich, sondern einfach vom jeweiligen Nährzustande des Thieres abhing. Analoge Versuche haben wir dann später ausgeführt am Menschen und am Hunde und haben da ganz dieselben Resultate gefunden. Ich darf bei der Gelegenheit vielleicht auch eine andere vielfach noch in Lehrbüchern der Physiologie eireulirende Behauptung, die einen direeten Schluss aus dem respiratorischen Umsatz auf die Natur der oxydirten Stoffe zu erschweren scheint, als irrthümlich zurückweisen. Das ist die Lehre, dass der Mensch zunächst, aber dann auch wohl die Thiere, in absoluter Ruhe, also speciell im Schlafe, grosse Mengen Sauerstoff aufspeichern, um diese später im wachen Zustande, wo also mehr Muskelthätigkeit herrscht, zu verbrauchen. Diese Lehre ist bekanntlich aufgestellt worden von Pettenkofer und Voit auf Grund einiger Respirationsversuche, in denen anscheinend mehrere 100 Gramm Sauerstoff im Laufe einer Nacht im menschlichen Körper aufgespeichert worden waren. Es hat aber dann Voit selber in sehr dankenswerther Weise später die Fehler dieser Ver- suche klargelest, so dass dieselben heut zu Tage absolut nicht mehr als Beweis dafür, dass der thierische Körper Sauerstoff in irgend nennenswerther Menge aufspeichere, angezogen werden können. Sie werden aber trotzdem selbst in neueren Lehrbüchern der Physiologie immer noch eitirt, und deshalb halte ich es nicht für überflüssig, an dieser Stelle nochmals zu betonen, dass dieser Beweis für eine Sauerstoffaufspeicherung im Körper nicht stichhaltig ist. Es giebt dann noch eine analoge Angabe, das ist die von Regnault und Reiset zuerst dargethane Sauerstoffaufspeicherung bei winterschlafenden Murmelthieren. Hier handelt es sich aber, wie man bei Vergleich der Zahlen findet, um so geringe Sauerstoffmengen, die im Laufe von 24 Stunden aufgenommen werden — weniger als ein Zehntel von dem, was das wache Thier aufnimmt — dass man die Sache wohl verstehen kann, ohne dass man besondere unbekannte Prozesse annimmt. Man braucht nur an die jüngst von Hrn. Dr. Frentzel bestätigte Thatsache zu denken, dass unter Umständen im ruhenden Organismus die Zersetzung des Eiweisses eine un- vollkommene ist, in der Art, dass der stickstoffhaltige Atomcomplex aus- geschieden und ein Kohlehydrat abgespalten und als Glykogen aufgespeichert wird. Hr. Dr. Frentzel konnte nachweisen, dass das durch vorherige Muskelthätigkeit, etwa durch Strychninkrämpfe, glykogenfrei gemachte Thier, wenn man es 24 Stunden schlafen lässt, — Chloralhydrat oder Urethan wurden als Narcotica angewendet — wieder merkliche Mengen von Glykogen in seiner Leber und auch in seinen Muskeln aufspeichert. Es wird also in der That aus anderem Material Glykogen im Thierkörper gebildet, eine Bildung, die indess heut zu Tage, obwohl sie inPavy’s Versuchen, der Kohlen- hydratmolecule aus Eiweiss abspalten konnte, eine Stütze findet nicht mehr 538 VERHANDLUNGEN DER BERLINER so zwingend auf Eiweiss zurückgeführt werden kann, wie man das früher glaubte. Denn wir wissen, dass viele glykosidähnliche Körper noch’ in unserem Organismus vorkommen, von deren Existenz man bisher keine Ahnung hatte, und von deren Menge wir uns auch heute wohl noch keine recht zutreffende Vorstellung machen können. Immerhin sprechen die Versuche von Regnault und Reiset und ganz analoge Erfahrungen, die vielfach, u. A. von Lehmann und mir an Hungernden gemacht worden sind, Erfahrungen, die auch eine so niedrige Kohlensäureausscheidung im Verhältniss zur Sauerstoffaufnahme im Hunger- zustande darthun, dass selbst die Annahme einer ausschliesslichen Ver- brennung von Fett zur Erklärung des Quotienten nicht genügt, — diese Versuche sprechen mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass wirklich Kohle- hydrate unter besonderen Umständen in mässigen Mengen im Thier- körper, sei es aus Fett, sei es aus Eiweiss — das wollen wir einmal dahingestellt sein lassen — gebildet werden können. Seegen behauptet positiv, auch aus Fett würden in grosser Menge Kohlehydrate gebildet. Sie wissen aber, dass diese Behauptung vielfach bestritten worden ist, während die Lehre, dass Kohlehydrat aus Eiweiss entstehe, in den Erscheinungen des experimentellen Phlorhizindiabetes, in der Thatsache, dass im schweren Diabetes des Menschen auch bei vollkommen kohlehydratfreier Kost Zucker gebildet wird, und dass die Menge des gebildeten Zuckers abhängt von der Menge des zugeführten Eiweisses, aber ganz unabhängig ist von der Menge des zugeführten Fettes — eine feste Stütze findet. Wenn wir uns nun also fragen, welche Stoffe kommen als Quelle der Muskelkraft in Betracht? so müssen wir sagen, einmal das Eiweiss als solches, dann das in der Nahrung und im Vorrath des Körpers enthaltene Fett, das im Vorrath enthaltene Kohlehydrat und endlich das aus Eiweiss gebildete Kohlehydrat. Wie gesagt, selbst wenn der Körper an Kohlehydrat ganz verarmt ist, lässt sich nur eine sehr langsame und allmähliche Kohle- hydratbildung aus Eiweiss darthun. Diese Kohlehydratbildung dürfte des- halb nicht ausreichen, um die colossale Menge von Stoffen, welche bei der Muskelthätigkeit nöthig sind, wo ja schon bei mässiger Arbeit der Stoff- umsatz auf das Drei- bis Vierfache des Ruhewerthes steigt, in Form des Zuckers den Muskeln zur Verfügung stellen. Inzwischen habe ich aber auch noch eine andere Thatsache Ihnen mit- theilen können, welche darthut, oder wenigstens sehr wahrscheinlich macht, dass auch das Fett als solches direct Quelle der Muskelkraft sein kann. Man hatte die Kohlehydrate zum Theil deshalb als Heizmaterial des Muskels angesprochen, weil man für sie so bequem nachweisen konnte, dass sie im thätigen Muskel verbraucht werden. Man kann leicht nachweisen, — wir wissen das seit Otto Nasse’s Arbeiten — dass bei der Muskelcontraetion das Glykogen des Muskels ziemlich rasch schwindet. Wir wissen ferner durch Versuche von Chauveau und anderen, die allerdings bestritten worden sind, dass das zum thätigen Muskel fliessende arterielle Blut zucker- reicher ist, als das abfliessende venöse. Dieser direete Nachweis des Zucker- verbrauchs zeigt, dass Zucker Quelle der Muskelkraft sein kann. Es wäre aber falsch, daraus zu schliessen, dass nur Zucker allein dieser Function dienen kann, um so mehr falsch, als Chauveau seine Versuche angestellt hat bei dem Thier, bei dem wir auch durch andere Versuche, beispielsweise durch meine PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNTz. 539 Respirationsversuche und durch die Kenntniss der ganzen Ernährungsweise wissen, dass es seine Muskelkraft hauptsächlich aus dem Kohlehydrat be- zieht, nämlich beim Pferd. Das Pferd hat so vorwiegend Kohlehydrat in seiner Nahrung, dass es bei ihm gar nieht anders sein kann, als dass die Muskelthätigkeit ihre Hauptquelle im Kohlehydrat hat. Für das Fett liegen nun aber die Versuche von Hrn. Bogdanow, über die ich Ihnen vor etwa einem halben Jahre berichtet habe, vor, welche dargethan haben, dass auch ein Consum von Fett, ein Schwinden jenes Fettantheils, welcher im Innern der Muskelfasern, wie Pflüger und Dormeyer nachgewiesen haben, äusserst schwer extrahierbar sich findet — durch mikrochemische Reaction in einer wie mir scheint, einwandsfreien Weise nachgewiesen werden kann. Wir haben also keinen Grund, zu zweifeln, dass auch Fett Quelle der Muskel- kraft sein kann. Zur Beurtheilung der Frage, ob Fett oder Kohlehydrate in erster Linie für die Muskelthätigkeit in Betracht kommen, ist namentlich durch Chauveau ein Gesichtspunkt hervorgehoben worden, den ich Ihnen neulich schon einmal betont habe, der Gesichtspunkt nämlich, dass, wenn aus Fett erst Zucker werden muss, ehe es im Muskel verbraucht werden kann, und wenn diese Zuckerbildung, wie Seegen und Chauveau annehmen, an einem anderen Orte, als im thätigen Muskel — sie nehmen an, in der Leber, — stattfindet, ein erheblicher Theil der Energie des Fettes für die Muskel- eontraction verloren gehen muss. COhauveau selbst hat eine Rechnung der Art mitgetheilt — ich habe sie Ihnen schon früher vorgelegt — wonach etwa 29 Procent der Energie des Fettes verloren geht resp. Wärme wird, bei dem von ihm angenommenen Process seiner Umwandlung in Zucker. Er nimmt nämlich an, dass so viel Zucker aus dem Fett entsteht, dass der Wasserstoffgehalt des entstandenen Zuckers gleich sei dem Wasserstoffgehalt des Fettes, aus dem er entstanden ist. Dann muss ein wenig Kohlenstoff in Form von Kohlensäure wegoxydirt werden, und wenn man die Ver- brennungswärme der gebildeten Zuckermenge mit der Verbrennungswärme des Fettes, aus dem der Zucker entstanden sein soll, vergleicht, so findet man, dass dieser Zucker 29 Procent weniger Wärme bei seiner Ver- brennung liefert. Man kann nun allerdings noch einen anderen Process der Zuckerbildung aus Fett annehmen, nämlich so, dass der ganze Kohlenstoffgehalt des Fettes in den gebildeten Zucker übergehe, und dass der fehlende Wasserstoff in Form von eintretendem Wasser, also in Hydratform, zugeführt werde. Dann würde eine etwas grössere Verbrennungswärme des Zuckers resultiren. Aber immer würden noch 24.3 Procent der Energie des Fettes bei diesem Um- wandlungsprocess verloren gehen. Wenn das aber der Fall ist, dann muss natürlich, wenn ein Thier so genährt ist, dass es keine Kohlehydrate in seinem Körper hat, dass es also nur von Fett seine Muskelthätigkeit be- streiten kann, diese Muskelthätigkeit unter höherem Energieverbrauch er- folgen. Es muss eben ausser der im Muskel selbst auftretenden, der mecha- nischen Arbeit zu Gute kommenden, im Körper auch noch die Energiemenge in Form von Wärme frei werden, welche in der Leber bei der Umwandlung des Fettes in Zucker abfällt. Bei länger anhaltender Arbeit wenigstens, wo der Vorrath an Glykogen bei Weitem nicht ausreicht, da muss diese Zucker- bildung aus Fett während der Arbeit erfolgen. Auch der niedrige respira- 540 VERHANDLUNGEN DER BERLINER torische Quotient, welchen man während der Arbeit kohlenhydratarm ge- nährter Wesen beobachtet, kann, wenn man eine directe Verbrennung des Fettes im thätigen Muskel nicht zulassen will, nur so gedeutet werden, dass die Bildung des Zuckers in der Leber und sein Verbrauch im thätigen Muskel gleichzeitig erfolgen. Es muss dann dieser Zuckerbildung ent- sprechend die im Körper bei Leistung einer gemessenen Arbeit freiwerdende Energie um etwa 25 Procent grösser sein, als wenn dieselbe Arbeit bei kohlenhydratreicher Kost ausgeführt worden wäre. Ich habe Ihnen nun schon vor 2 Jahren etwa mit Dr. Walter Löb zusammen angestellte Ver- suche am Hunde mitgetheilt, welche dieser Annahme widersprechen; Ver- suche, in denen wir bei verschiedenartiger Ernährung ziemlich genau die gleiche Energiemenge frei werden sahen, ob nun die Ernährung so geleitet war, dass das Thier mit Eiweiss überschwemmt wurde, und also vorwiegend aus Eiweiss seine Energie beziehen musste, oder so, dass ihm wesentlich nur Fett und nur mässige Mengen von Eiweiss zur Verfügung standen. Ich war aber von diesen Versuchen noch nicht ganz befriedigt, und namentlich schien es mir wünschenswerth, auch analoge Versuche am Menschen anzu- stellen, und die auszuführen hat Prof. Heineman, wie schon erwähnt, übernommen. Das Versuchsobjeect für alle Versuche war ein an leichte mechanische Arbeit gewöhnter Tagelöhner. Derselbe wurde in der einen Reihe von Versuchen genährt mit einer möglichst eiweissreichen Kost; also mit Fleisch, Eiern und Käse. Allerdings konnte, da sein Magen nur mässige Fleischmengen vertrug, nicht dasjenige erreicht werden, was Pflüger beim Hunde so vollkommen erreicht hat: eine ausschliessliche Ernährung mit Ei- weiss. Es lieferte immer noch das Eiweiss den kleineren Theil der ge- sammten im Körper umgesetzten Energie. Der Mann war gerade für Ei- weissnahrung nicht hervorragend geeignet. Wir konnten es nicht über ein Quantum von 208 Stickstoff im täglich ausgeschiedenen Harn bringen. In einer zweiten Reihe wurde möglichst wenig Eiweiss und möglichst reichlich Kohlehydrat in Form von Reis, von stärkehaltigen Puddings und in Form von verschiedenen Zuckerarten, Milchzucker, Traubenzucker und Rohrzucker, gegeben und dabei die Stickstoffausscheidung bis auf 7-48 pro Tag, also etwa ein Drittel des Quantums bei Eiweisskost, herabgesetzt, und endlich wurde in einer dritten Reihe möglichst viel Fett, fette Wurst und ähnliche Dinge, gegeben, allerdings immerhin etwas Brot dabei, weil es anders nicht zu machen war. Dabei ging der Stickstoffumsatz auf etwa 8° pro Tag, also ungefähr auf denselben Werth, wie bei Kohlehydratkost, herunter. Was die absolute Bedeutung dieser zugeführten Stickstoffmenge betrifft, so haben wir berechnet, dass bei der eiweissreichen Kost der ruhende Mensch etwas über 66°” des pro Minute aufgenommenen Sauerstoffs für Oxydation von Eiweiss brauchte Er nahm auf 306”, hatte also nicht einmal ein Viertel des gesammten Sauerstoffs für Oxydation von Eiweiss brauchen können. In den Reihen mit Kohlehydratfütterung betrug die für Oxydation von Eiweiss verwendete Sauerstoffmenge nur noch 31 “® von 274, also etwa ein Achtel, und in der Fettreihe betrug sie 36 von 318, also auch ungefähr ein Achtel des gesammten Umsatzes. Bei Muskelthätigkeit, wo der Umsatz fast aufs Vierfache stieg, müssen wir uns fragen, welchen Antheil der Ei- weissumsatz an dieser Steigerung hat? Ist er mitgestiegen in dem Ver- hältnis wie der gesammte Stoffwechsel, vielleicht sogar noch etwas mehr, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZunTz. 541 oder ist er derselbe geblieben wie in der Ruhe? Dann würde das ganze Plus von Energie bei der Muskelthätigkeit durch Oxydation von Fett und Kohlehydrat geliefert sein. Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu entscheiden, hat Herr Dr. Frentzel vor längerer Zeit schon mehrere Ver- suchsreihen am Hunde in meinem Laboratorium gemacht. Er fütterte Hunde mit ausreichenden Mengen von reinem Fett, wobei die Thiere natürlich langsam Eiweiss verlieren, der Eiweissumsatz aber auf einen sehr niedrigen Werth herabgedrückt ist. Liess er dann diese Thiere ein paar Tage lang Arbeit, Ersteigen von Höhen, die etwa 1500—2000” pro Tag betrugen, leisten, so brauchten sie deutlich mehr, aber nur wenig mehr Eiweiss als in der Ruhe. Jedenfalls aber betrug das Plus an Eiweiss nur einen kleinen Bruchtheil des für die Arbeit mehr gebrauchten Nährstoffes, und die pro- eentische Steigerung des Sauerstoffverbrauches war sehr viel grösser als die des Eiweissumsatzes. Auf Grund dieser Erfahrungen können wir nun bei den Versuchen von Herrn Heineman, über die ich Ihnen hier zu berichten habe, annehmen, dass auch während der Muskelthätigkeit hauptsächlich stickstofffreies Material und nur wenig mehr Eiweiss umgesetzt worden ist. Sie werden aber aus der Rechnung, die ich Ihnen gleich kurz resumiren will, ersehen, dass auch unter der Annahme, dass der Eiweissumsatz bei der Muskelthätigkeit ein ziemlich erhöhter sei, doch noch der Hauptschluss, den ich aus diesen Ver- suchen zu ziehen habe, der Schluss nämlich, dass die verschiedenen Nährstoffe sich annähernd im Verhältniss ihrer Verbrennungs- wärme für die Muskelarbeit vertreten, zu recht besteht. Um zu ermitteln, wie viel Energie bei der Arbeit aus den chemischen Umsetzungen entwickelt worden ist, verfuhren wir in der Weise, dass zunächst in jedem Arbeitsversuche die Grösse der Sauerstoffaufnahme und die Grösse der Kohlensäureausscheidung bestimmt wurde. In derselben Reihe wurde in einer ähnlich grossen Zahl von Versuchen, die meist an demselben Tage oder am Tage vorher gemacht wurden, die Grösse des Umsatzes für den ruhenden Menschen bestimmt. Es wurde dann vom Umsatz des arbeitenden Menschen der Umsatz des ruhenden abgezogen, und man erhielt so die Steigerung des Stoffwechsels durch die Arbeit. Die Grösse der Arbeit war möglichst genau gemessen. Sie wurde geleistet an dem bekannten Gärtner’- schen Ergostaten, einem gebremsten Rade, das von dem Arbeiter gedreht wird. Man weiss, dass bei einem solchen gebremsten Rade die Arbeits- leistung wechselt, je nach dem Zustand, der Schmierung der Axen und der bremsenden Flächen. Es wurde deshalb bei den Versuchen ganz besonders Werth gelegt auf sorgfältigste Schmierung und stets wiederholte Aichung. Um die Grösse der Widerstände in jedem Augenblicke leicht bestimmen zu können, war auf die Axe des Ergostaten ein zweites gekehltes Rad auf- gekeilt, um welches eine Schnur gewickelt war, die über eine an einem hohen Gestell angebrachte Rolle führte und dann eine Wagschale trug. Es wurde dann geprüft, wieviel Gewicht man auf diese Wagschale auflegen musste, um das durch einen leichten Anstoss in Bewegung gesetzte Rad gerade in langsamer Bewegung zu erhalten, um also dasselbe zu leisten, was der Mensch, nachdem er einmal den ersten Widerstand beim Andrehen überwunden hatte, bei der Arbeit fortwährend zu leisten hat. Diese Aichung wurde täglich vor und nach jeder Arbeit ausgeführt, so dass wir also trotz 542 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Unsicherheiten, die, wie gesagt, in Folge der wechselnden Schmierung, in Folge der Erwärmung des Schmiermaterials u. s. w. bei solehem Apparat immer bestehen, doch sagen können, dass die in Kilogrammmetern aus- gedrückte Arbeit mit leidlicher Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, dass aber jedenfalls die etwaigen kleinen Fehler in allen Versuchsreihen die- selben sind. Durch Division der geleisteten Arbeit in den Zuwachs des Sauerstoff- verbrauchs finden wir den Sauerstoff pro Kilogrammmeter Arbeit. Er beträgt bei den verschiedenen Versuchsreihen zwischen 2-01 und 2.38°w. In dieser Zahl ist aber auch der Verbrauch enthalten, welcher der hier nicht mitgemessenen Arbeit entspricht, die der Mensch auch leisten würde, wenn er das vollkommen ungebremste, widerstandslos sich bewegende Rad drehen würde. Er muss den Schwerpunkt seines Körpers und seiner Arme heben und senken. Diese Arbeit, die ich früher in den mit Dr. Katzenstein angestellteu Versuchen besonders bestimmt habe, ist in diesen Versuchen nicht extra bestimmt worden. Sie durfte unberücksichtigt bleiben, so lange ihr Antheil bei jedem Kilogrammmeter geleisteter Arbeit derselbe blieb. Dafür aber wurde dadurch gesorgt, dass die Bremsung immer auf annähernd demselben Werth gehalten, und ausserdem immer dieselbe nach der Uhr regulirte Umdrehungsgeschwindigkeit innegehalten wurde. Nun muss ich zunächst betonen, dass in den Versuchen eine sehr be- friedigende Uebereinstimmung des respiratorischen Quotienten im Mittel der Ruheversuche und der zugehörigen Arbeitsversuche sich zeigt. Diese Gleichheit der respiratorischen Quotienten bestätigt unsere An- nahme, dass bei Ruhe und bei Arbeit dieselbe Mischung von Nährstoffen in den einzelnen Versuchsreihen umgesetzt worden ist. Man kann nun, da man die Verbrennungswärme der einzelnen Nährstoffe und die der Abfall- producte, welche aus dem Eiweiss entstehen, also der in Harn und Koth übergehenden Stoffe, genügend kennt, in der Ihnen ja schon mehrfach vor- getragenen Weise sehr genau die Energiemenge, welche bei Umsatz der Nährstoffe bei den verschiedenen Quotienten frei wird, berechnen. Die Grundlagen dieser Rechnung habe ich in einer kleinen Mittheilung „Ueber den Stoffwechsel des Hundes bei: verschiedener Arbeit“, welche eben in Pflüger’s Archiv erscheint, dargelegt. — Das Resultat zeigt folgende kleine Tabelle, welche die Mittelwerthe der Versuche enthält. Ich bemerke noch, dass der in üblicher Weise berechnete mittlere Fehler des Sauerstoff- verbrauchs per mkg Arbeit beträgt: Für 16 Versuche bei Fettkost: + 0:0375 em ) 5 „ Kohlenhydrat: + 0.0545 m le R „ Eiweisskost: -+ 0.0644 °m, Die für Fett und Kohlenhydrat gefundenen Zahlen besagen genau das Gegentheill von dem, was man nach der Chauveau’schen Hypothese erwarten müsste. Statt dass bei vorwiegender Fettverbrennung mehr, und zwar nach Chauveau 30 Proc. mehr verbraucht wird, wird weniger Energie verbraucht, als bei Kohlehydratverbrennung. Wenn wir die Energie, die pro Kilogrammmeter bei Fettverbrennung verbraucht wird, 100 nennen, dann ist die Energiemenge bei Kohlehydratverbrennung 111, also ganz erheblich grösser. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZuNTz. 543 Stoff- und Kraftverbrauch bei verschiedener Ernährung. | Ruhe | Arbeit | Per. nike Arbeit job} 80 | ke 2 Fr E 25 < RE- RZ! Ben Ai de] ; Nahrung asia 88 2533| 88 | 3811355 388 Dr Se) a7] 2,5 =& Bere 524 88 5383 5 sa | Eune| SHE m 7 — — ——— Sm Fr Zee Fett. . ER ah, 319 0.72 1029 0-72 354 2-01 | 9:39 Kohlenhydrat 9. 20T 0:90 1029 0:90 Sao ER | 10.41 IERWeISSIRE zuse 1 : 306 0-80 1127 0:80 345 | 2:38 | 11:35 Was die dritte Vesuchsreihe mit eiweissreicher Kost anbetrifft, so können wir dieselbe offenbar unter zwei Annahmen berechnen. Entweder so, dass wir annehmen, es wird bei Arbeit nicht mehr Eiweiss zersetzt, als in der Ruhe; es würde also der Mehrverbrauch an Sauerstoff wiederum nur durch Verbrennung von Fett und von Kohlehydrat bestritten. Dann kommen wir zu dem in der Tabelle angegebenen Werthe von 11-35 Calorieen pro Kilogrammmeter mechanischer Arbeit. Wir können aber auch annehmen, dass das eiweissreich genährte Individuum, in dessen Blut also viel Eiweiss eirculirt, auch eine sehr grosse Menge von Eiweiss bei der Arbeit zersetzt. Da der respiratorische Quotient 0.797 fast genau derselbe ist, welcher bei der Verbrennung von Eiweiss im Körper resultirt, steht er nicht in Wider- spruch mit der extremen Annahme, dass hier nur Eiweiss bei der Arbeit zersetzt werde; unter dieser Annahme finden wir den niedrigeren Energie- verbrauch von 10-72 Cal. Innerhalb dieser Grenzen 10-72 und 11-35 Cal. kann also überhaupt nur der für die Arbeitseinheit beanspruchte Umsatz schwanken. Jedenfalls zeigt der Versuch, dass auch bei Eiweissumsatz mehr Energie verbraucht wird, als bei vorwiegendem Fettumsatz, dass also, wenn nicht etwa noch Fehler vorliegen, das Fett das allergünstigste öko- nomischste Nährmittel für den Muskel ist, und dass Eiweiss und Kohlehydrat ungefähr gleichwerthig sind, wenigstens innerhalb der Fehlergrenzen, die wir hier noch zulasssen müssen. Der Verbrauch bei der Kohlehydrat- ernährung würde sich auch etwas niedriger berechnen, wenn man annimmt, dass hier neben Kohlehydrat viel Eiweiss und nicht, wie ich vorher annahm, wesentlich Fett verbrennt: der Unterschied beträgt aber auch nur wenige Einheiten in der zweiten Decimale. Wenn Sie nun die Energiemenge, die bei ausschliesslicher Fettver- brennung verbraucht wird, pro Kilogrammmeter Arbeit 100 nennen, dann ist die Energiemenge bei Eiweisszersetzung, je nachdem Sie die eine oder die andere der eben erörterten Hypothesen zu Grunde legen, 114 bezw. 121, und in der Kohlehydratreihe ist sie 110 unter der Annahme, dass Eiweiss und Kohlehydrate die Muskelarbeit erzeugen, und 111 unter der Annahme, dass Kohlehydrate und Fett die Muskelkraft liefern. Wie dem auch sei, Sie sehen so viel aus den Versuchen, dass sehr erhebliche Unterschiede bei verschiedener Ernährung nicht bestehen, dass also die Nährstoffe einander für die Muskelarbeit, annähernd im Verhältnis ihrer Verbrennnngswärme vertreten. Prof. Heyneman’s Arbeit hat also zu demselben Ergebniss geführt, wie die früheren Versuche an Hunden, über die ich Ihnen in Nr. 14 unserer Verhandlungen 1894 berichtet habe. 544 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wenn man die in jenen Versuchen am Hunde gefundenen Energiemenge für die Einheit der Arbeit bei Fettverbrennung 100 nennt, dann ist sie bei Eiweissverbrennung unter der Annahme, dass wirklich das Eiweiss als solches verbrennt, und die müssen wir hier machen, weil der Hund wirklich so reichlich mit Eiweiss ernährt wurde, dass ihm kein anderes Material zu Gebote stand, 106 und bei einer Mischung von Eiweiss, Fett und Kohle- hydraten, also bei einer typisch gemischten Kost, wo auch der Quotient entsprechend 0-83 war, also in der Mitte lag zwischen dem für Eiweiss und dem für Kohlehydrat geltenden, ebenfalls 106, und endlich bei einer kohlehydratreichen Kost mit dem Quotienten 0-88 — es war also nicht ganz so vollkommen wie beim Menschen gelungen, die Kohlehydrate als Hauptnährstoff in die Verbrennung einzuführen — ist die Zahl 108. Sie sehen, die Verhältnisse stimmen sehr gut. Auch beim Hunde ist das Fett der ökonomischste Nährstoff, und Eiweiss und Kohlehydrate verhalten sich einander annähernd gleich, kommen aber dem Fett hier noch näher, als in der Versuchsreihe beim Menschen. Ich möchte zum Schlusse nur noch bemerken, dass ich diese Versuche am Menschen noch nicht als abgeschlossen betrachte. Man kann beim Menschen die Arbeit noch genauer messen, als es in diesen Versuchen ge- schehen ist, wenn sie durch Bergansteigen geleistet wird. Die Herren Dr. Frentzel und Dr. Reach sind in meinem Laboratorium augenblicklich mit einer derartigen Versuchsreihe beschäftigt. XVI Sitzung am 9. Juli 1897. 1. Der Schriftführer verliest eine Mittheilung: Zur Frage der Sicht- barkeit der Röntgen-Strahlen von Prof. Dr. E. Dorn in Halle a./S. I. Durch die Tagespresse! erhielt ich zunächst Kenntniss von Unter- suchungen der HHrn. Dr. med. Cowl und Dr. med. Levy-Dorn über die Sichtbarkeit der Röntgen-Strahlen, worüber Hr. Dr. Cowl in der Sitzung der Physiologischen Gesellschaft am 7. Mai berichtet hat. Durch die Freundlichkeit des Hrn. Schriftführers der Gesellschaft, der mir einen Correeturabzug des Vortrages übersandte,? bin ich in die Lage versetzt, mich über die Einwendungen äussern zu können, welche darin gegen die von Dr. Brandes und mir gemachten Versuche erhoben sind. Die HHrn. Dr. Cowl und Dr. Levy-Dorn haben unsere Ergebnisse nicht bestätigen können und wollen eine Erklärung hierfür darin suchen, dass wir uns durch subjeetive Liehterscheinungen (insbesondere durch das bei Accommodationsanstrengung auftretende „Accommodationsphosphen“) und elektrische Einwirkungen haben täuschen lassen. II. Dem gegenüber muss ich zunächst betonen, dass diese Einwände für jeden unbefangenen Leser unserer ausführlichen Mittheilung? sich von selbst erledigen, und dass ich die Siehtbarkeit der Röntgen-Strahlen durch unsere Versuche als zweifellos erwiesen erachte. 1 Berliner Neueste Nachrichten. Nr. 217 vom 11. Mai 1897. * Hr. Dr. Cowl hatte mir schon früher eine Abschrift seines Manuscriptes zu- gehen lassen. > Wiedemann’s Annalen. 1897. Bd. LX. 8. A78ff. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. Dorn. 545 A.a. 0. ist S. 479 und 480 ein Versuch beschrieben, auf den ich zurück- kommen muss, da Hr. Dr. Cowl denselben mehrfach bemängelt und bei einer Wiederholung desselben unter etwas abgeänderten Bedingungen nicht zu dem gleichen Resultat gelangte. Der Kopf des Beobachters war durch einen Cartoncylinder und ein Sammettuch lichtdicht verhüllt; das Auge befand sich 8 bis 10% von der Strahlenquelle und sah die Lichterscheinung (bei voller Ausbildung Helligkeit im ganzen Gesichtsfelde mit noch hellerer Peripherie) deutlich. Man konnte ein Aluminiumblech von 0.6“% Dicke! vorhalten oder entfernen, ohne dass der Beobachter etwas merkte; wurde aber eine Scheibe von dieckem Schaufensterglase? in den Weg der Röntgen-Strahlen gebracht, so verschwand der Lichteindruck. Beiläufig sei bemerkt, dass die Glasscheibe (ebenso wie die Aluminium- platte) sich — im Gegensatz zu der Annahme von Hrn. Dr. Cowl — be- wegen liess, ohne dass der Beobachter, dessen ganzer Kopf eingehüllt war, ein Geräusch hörte. Eine Beeinflussung des Urtheils hierdurch war also ausgeschlossen. Die Aluminiumplatte wie die Glasscheibe mussten vom Gehülfen wegen des geringen Abstandes der Röhre ziemlich dicht an den Cartoncylinder gehalten werden, schon um nicht Schläge von den Platindrähten der Röhre her zu erhalten. Hieraus geht hervor, dass der Kopf mindestens bis zum Munde herab gegen jede Ausstrahlung von der Röhre und auch von den Zuleitungsdrähten geschirmt war. Selbst wenn also elektrische Einflüsse von der Röhre oder den Zuleitungen her das Auge zu reizen vermöchten (s. u.), so wären diese von dem Aluminiumblech aufgehalten. Ueber die schirmende Wirkung der Gasplatte bin ich zum Theil anderer Ansicht als Hr. Cowl, indem ich meine, dass rasche elektrische Oscillationen hindurchgelassen worden wären. Dass die Aluminiumplatte die Röntgen-Strahlen nur wenig schwächte, die Glasplatte dagegen sehr stark, haben wir durch Versuche am Baryum- platineyanürschirm noch besonders nachgewiesen.’ Der oben angegebene Erfolg unseres Versuches war nun zweifellos, und insbesondere wurde das nicht vorher angekündigte Vorhalten der Glas- scheibe vom Beobachter ohne Ausnahme richtig angegeben, so dass wir breite Ausführungen bei der einfachen Sachlage für überflüssig erachteten. Den Vorwurf des Hrn. Dr. Cowl, dass wir den Fehlerquellen nur eine flüchtige Beachtung geschenkt hätten, muss ich daher als unbegründet zurückweisen. Wie aus der Darstellung des Hrn. Dr. Cowl hervorgeht, hat er bei seinen eigenen Versuchen das 20 °% von der Strahlenquelle entfernte Auge des Beobachters durch eine 6- bis 12fache Lage von schwarzem Tuch ge- schützt und dann eine Porcellanscheibe benutzt. Es ist dies also im Wesent- lichen unsere Versuchsanordnung, nur unter ungünstigeren Bedingungen, denn die Entfernung war grösser und das schwarze Tuch wird wahr- ! A. a. OÖ. war nach einer ungefähren Schätzung 1 "= Dicke angegeben. ®2 21 °= Durchmesser, 8" Dicke. ® Am 29. Juni hielt ich ein Kalbsauge vor den Fluorescenzschirm, das zur Hälfte mit der Aluminiumplatte verdeckt war. Der Helligkeitsunterschied beider Hälften war kaum merklich. Archiv f.A.u. Ph, 1897. Physiol. Abthlg. 35 546 VERHANDLUNGEN DER BERLINER scheinlich mehr absorbirt haben als unsere Schutzvorrichtungen. Den für die Ausschliessung elektrischer Einflüsse entscheidenden Versuch mit der Aluminiumscheibe hat Hr. Cowl gar nicht wiederholt — wenigstens nichts darüber angegeben. Hr. Dr. Cowl hat nach meinem Dafürhalten also nicht mehr, sondern weniger zur Ausschliessung von Fehlerquellen gethan als wir. Weiter möchte ich noch, ohne auf Einzelheiten einzugehen, auf die unter V. unserer Abhandlung beschriebenen Beobachtungen hinweisen. Ein Auge war z.B. ständig mit einer Bleiplatte verdeckt, vor das andere wurde (unter dem schützenden schwarzen Papier und Tuch) eine Bleiplatte gehalten und verschoben, bis der erste Liehteindruck bemerkbar wurde. Es liegt doch auf der Hand, dass dieser Erfolg aus elektrischen Reizungen und Täuschungen durch subjeetive Lichterscheinungen nicht erklärt wer- den kann. Wie wir in unserer Arbeit mitgetheilt haben, sind die Erscheinungen nicht nur von Dr. Brandes und mir, sondern von vielen anderen Personen gesehen worden, u. A. von Geh. Medicinalrath Prof. Dr. v. Hippel (Ophthal- mologe), Dr. Braunschweig (Augenarzt), Dr. Völlmer (Physiker), Dr. Dittenberger (Physiker, speciell auch in psychophysischen Beobachtungen geübt), Polizeiinspector Weise (auf einem Auge aphakisch). III. Zum Ueberfluss habe ich auf Grund der Einwendungen des Hrn. Dr. Cowl am 28. und 30. Mai die Versuche vor einer geladenen Gesell- schaft von Naturforschern und Laien wiederholt. Alle Herren, die sich dem Versuch unterzogen, nämlich Hr. Geh. Medicinalrath Prof. Dr. v. Hippel (Ophthalmologe), Dr. Schlootmann (ebenso), Prof. Dr. Bernstein (Physio- loge), Sanitätsrath Dr. Scharfe, Prof. Dr. Meyer (Mathematiker und Phy- siker), Oberlehrer Dr. Wagner (ebenso), Oberlehrer Dr. Grassmann (ebenso), Oberlehrer Dr. Smalian (Naturforscher), Major Dr. Förtsch, sowie ein Redacteur, haben die Erscheinung, nämlich eine an der Peripherie besonders hervortretende Helligkeit, wahrgenommen, beim Einschalten der Aluminium- platte von 0-6 ”® Dicke fortbestehen sehen,! und ohne eine einzige Ausnahme das Verschwinden richtig angezeigt, sobald ohne ihr Vor- wissen die Glasplatte? vorgehalten wurde. Sämmtliche Herren ermächtigten mich ausdrücklich, sie als Gewährs- männer für die „Sichtbarkeit der Röntgen-Strahlen“ anzuführen. Nach dem Zeugniss so zahlreicher und zum grössten Theil sehr geübter und kritischer Beobachter dürfte ein Zweifel nicht mehr zulässig sein. Ich bin in der glücklichen Lage, die bedeutendste Autorität auf diesem Gebiete, nämlich Hrn. Professor Röntgen selbst, zu unseren Gunsten an- führen zu können. In einer Mittheilung an die Berliner Akademie hat Hr. Röntgen die Sichtbarkeit der von ihm entdeckten Strahlen bestätigt. IV. Die Frage, ob eineAccommodationsanstrengung und eine dadurch ausgelöste subjective Liehtempfindung mitspielt (was nach dem oben Gesagten bereits ausgeschlossen erscheint), liess sich noch durch Versuche bei gelähmtem Accommodationsapparat unmittelbar entscheiden. Hr. Dr. Schlootmann ! Einige Herren konnten eine unbedeutende Schwächung der Lichterscheinung erkennen. ® Es wurden zwei Platten von je 8 "= Dicke hintereinander verwendet. Da sie etwa 21 ®@ Durchmesser hatten, waren sie leicht und geräuschlos zu handhaben. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. Dorn. 547 hatte die grosse Liebenswürdigkeit, zweimal eines seiner Augen mit Homatropin zu behandeln und sich mir für Beobachtungen zur Verfügung zu stellen. Am 25. Mai wurde die Erscheinung auf dem gelähmten Auge nur wenig schwächer wahrgenommen als auf dem normalen. Am Mittag des 30. Mai schien der Unterschied zunächst bedeutender zu sein, doch schwand derselbe bei längerem — etwa halbstündigem — Aufenthalt in der Dunkelheit immer mehr. Es war also augenscheinlich das gelähmte Auge wegen der Erweiterung der Pupille bei dem Gang über die Strasse durch die helle Mittagsbeleuchtung geblendet worden. V. Ueber die Möglichkeit, durch electrische Vorgänge in der Nähe des Kopfes eine Reizung des Sehnerven herbeizuführen, habe ich unter Mit- wirkung von Hrn. Dr. Dittenberger eine Reihe von Versuchen an- gestellt. Ein Pappeylinder wurde über den Kopf gestülpt, der lichtdichte Abschluss durch ein Sammettuch bewirkt und zunächst festgestellt, dass der Beobachter die Röntgenstrahlen deutlich sah. Kine Aluminumscheibe, 1.03 ®® diek, 60 °“ lang, 45 ““ breit, schwächte beim Zwischenhalten die Erscheinung etwas, brachte sie nicht zum Verschwinden. Nunmehr liess ich an dem vorher von der Röntgenröhre eingenommenen Orte, etwa 10 °% vom Auge, 10 “® Jange Funken desselben Induetoriums, welches die Röhre ge- speist hatte, überschlagen, es zeigte sich jedoch nicht die geringste Liehtempfindung. Ebenso wenig war dies der Fall bei Benutzung einer Einrichtung für Teslaströme nach Himstedt, obwohl ich mit Funkenlängen von 4, 6, 10, 16 ©“ bei horizontaler und verticaler Stellung der Funken- strecke beobachtete. Entsprechende Versuche wurden bei einer anderen Anordnung der Ver- hüllung (schwarzes Papier über den Augen und Sammettuch über dem sanzen Kopf) gemacht mit dem gleichen negativen Erfolg, trotzdem dass hier die Länge der Teslafunken bis zu 21 °% gesteigert und der Beobachter mit der Augengegend geradezu in den „Lichtballen“ der Entladung ein- getaucht wurde. Die schlagendste Widerlegung der Deutung der durch Röntgenröhren erzeugten Lichtreize als Täuschung durch elektrische Einflüsse bietet aber folgender Versuch. Die Röntgenröhre wurde umgekehrt, d. h. mit der Rückseite der Antikathode dem Auge zugewandt. Es konnte mit dem adaptirten Auge nicht die geringste Wirkung bemerkt werden, obwohl be- richtiger Stellung der Röhre vor und nachher die Lichterscheinung deut- lich gesehen wurde. Die umgekehrte Röhre erregte auch auf einem Baryum- platineyanürschirm nur sehr schwache Fluorescenz. VI. Nun noch einige Worte über die verwendeten Apparate. Das In- ductorium (von Kohl in Chemnitz) wurde mit 10 grossen Accumulatoren betrieben und vermochte dann zwischen Spitze und Scheibe 40 ““ lange Funken zu geben. Es wurde ein Foucault’scher Quecksilberunterbrecher mit etwa 6 Unterbrechungen in der Secunde benutzt. Der zur Röntgenröhre parallel geschaltete Funkenzieher hatte abgerundete Zinkstäbe von 1 Durchmesser. Die meisten in der Abhandlung beschriebenen Versuche und ebenso die meisten vorstehend aufgeführten sind mit einer nach meinen An- gaben hier geblasenen und von mir selbst evacuirten Röhre mit Platinanti- kathode und Kaliregulirung angestellt. Das Vacuum entsprach bei unseren letzten Beobachtungen in der Regel einer Schlagweite von 8 bis 11“. 30% 548 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Eine. Siemens’sche Röhre mit Phosphorregulator gab nach sorgfältiger Regulirung noch etwas bessere Helligkeit. Auf einem Baryumplatineyanür- schirm von Kahlbaum mit dieker Schicht zeigten beide Röhren die Mittel- handknochen in 3-5 " Entfernung. mit vorzüglicher Deutlichkeit; bei der Siemens-Röhre konnte ich dieselben noch in mehr als 5 " Abstand gut unterscheiden. Kürzlich habe ich mieh noch überzeugt, dass auch ein mit 6 Aceumu- latoren gespeister Inductionsapparat für 30 “® Schlagweite von Reiniger, Gebbert & Schall (Quecksilberunterbrecher, etwa 10 Unterbrechungen in 1 Sec.) in Verbindung mit der Siemensröhre genügte, um die Licht- erscheinung — wenn auch schwächer — zu erzeugen. VU. Ich will hier noch kurz eine am 10. d. M. gemachte Beobachtung erwähnen, weil dieselbe einen nicht vorausgesehenen Erfolg hatte, und daher als Bekräftigung dafür dienen kann, dass eine subjective Täuschung nicht vorlag." Ich beobachtete den „Röntgenschatten“ eines (unter schwarzem Papier und Sammettuch) vor das rechte Auge gehaltenen Messingstabes von 5 "mM Durchmesser; als der vertical gehaltene Stab nach der Schläfenseite geführt wurde, erschien der Schatten Als geraden Stabes stark gekrümmt, ebenso als der Stab in horizontaler Lage nach oben geführt wurde. Nach- träglich ist ja diese Erscheinung leicht verständlich, worauf ich aber hier nicht näher eingehen will. VII. Hr. Dr. Cowl bezeichnet die Helligkeit des durch eine Röntgen- röhre erzeugten Lichtreizes als von derselben Grössenordnung wie der „Lichtstaub“ und das „Accommodationsphosphen“. Ich habe ersteren merklich heller gefunden. Dass Hr. Dr. Cowl unsere Ergebnisse nicht zu bestätigen vermochte, wird zum Theil in der geringen von ihm erzielten Intensität be- gründet sein. Warum er nicht eine stärkere Wirkung erreichte, lässt sich ohne genaue Kenntniss seiner Apparate nicht sagen. Ich will aber nicht unterlassen zu bemerken, dass ich zwei (in fremdem Besitz befindliche) Apparatzusammenstellungen, die für Photographie und Durchleuchtung des menschlichen Körpers vorzüglich geeignet waren, fast unbrauchbar für die Erzeugung der Lichterscheinungen fand. 2. Hr. W.Cows macht eine Mittheilung über den zweiten Theil seiner mit Hrn. Levy-Dorn angestellten Versuche: Ueber die functionelle Ein- wirkung der Röntgenstrahlen auf die Netzhaut des Auges, welcher im hiesigen physiologischen Institut ausgeführt wurde. Im ersten Theil unserer Untersuchungen, wie vor Kurzem an dieser Stelle berichtet wurde, sind Lichterscheinungen von eine Röntgenröhre aus bei einigen sachverständigern Beobachtern, deren wohl adaptirte Augen von gewöhnlichem Licht nicht getroffen werden konnten, constatirt worden. Hierbei wurde besonderes Gewicht auf ein strenges Auseinanderhalten der subjeetiven Lichterscheinungen gelegt, welche, wie das wohl nicht Jeder- mann bekannt sein dürfte, einem Jeden zukommen, sobald er mit für vollkommene Dunkelheit adaptirten Augen sein Gesichtsfeld aufmerksam beobachtet. Der zweite Theil unserer Arbeit, welcher vornehmlich darin bestand, ı Erst na nach Absendung des Manuscripts konnte ich die Mittheilung von Hrn. Prof. Dr. Röntgen an die Berliner Akademie (Sitzung vom 13. Mai) einsehen. Hr. Röntgen hat einen Versuch mit einem Spalt angestellt und ähnliche Ergebnisse erhalten. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — W. (own. 549 festzustellen, ob beim Gebrauch von stärkeren sowohl wie schwächeren seläufigen Röntgenröhren mit starken Induktionsströmen, die sicher beob- achteten nicht subjeetiven Lichterscheinungen von denRöntgenstrahlen oder von der zum grossen Theil in der Luft entladenen Elektrieität her- rührten, konnte seitdem mit Zuhilfenahme einiger instrumenteller Hülfsmittel des physiologischen Instituts der Hauptsache nach erledigt werden. Ueber weitere interessante physiologische Einzelheiten, die noch zu verfolgen sind, wird einer von uns bei einer späteren Gelegenheit hier ausführlich berichten. Heute wollte ich nur im Anschluss an die soeben verlesene Mittheilung des Hrn. Prof. Dorn in Halle einen vorläufigen Bericht über das Wesentlichste unserer Versuche erstatten. Durch eine den ganzen Körper des Beobachters umschliessende Metall- hülle (eylindrischer Blechkasten mit Aluminiumfenster aus 0:2 "m diekem Blech) wurden Theilentladungen der hochgespannten Induktionsströme vom Körper ausgeschlossen; diese konnten in unseren früheren Versuchen den eigent- lichen Reiz gebildet haben, da gerade bei demjenigen Beobachter, bei dem die Lichterscheinungen am lebhaftesten waren, die beobachteten Aufleuchtungen in Folge der Bestrahlung deutlich blitzartige waren, und zeitlich mit den Unter- brechungen des primären Stromes des Inductors, d. h. mit den Oeffnungs- inductionsschlägen, welche wegen ihrer Intensität hier wohl allein in Betracht kommen dürften, völlig übereinstimmten. Eine weitere Reihe allgemein geschulter, nicht auf die zu erwartenden Erscheinungen unterrichteter Beobachter standen uns zur Verfügung. Zuerst konnten wir die Uebereinstimmung der intermittirenden Aufleuchtungen mit den Oeffnungsinductionsschlägen constatiren und zweitens durch eine noch weiter ausgebildete Controle strengster Art fanden wir wieder, dass nur bei einem Theil der Beobachter unzweideutige Lichterscheinungen auftraten. Die Uebrigen beobachteten nur ihre ge- wöhnlichen subjeetiven Lichterscheinungen. Die Adaption der Netzhaut war eine vollkommene, denn es blieben die Beobachter !/, bis 3/, Stunde innerhalb des Kastens bei vollständigem Ausschluss des Tages- lichtes; zugleich wurden für den darin Befindlichen Aussengeräusche be- deutend schwächer vernehmbar. Andererseits konnte jetzt ohne Bedenken die Röntgenröhre bis auf 8 bis 10 *® dem Auge des Beobachters genähert werden. Die angewandten Röntgenstrahlen liessen die Finger hinter einer 4" di else Bleiplatte auf einem Fluorescensschirm deutlich erkennen. Nun hat Hr. Dorn seine Versuche, die er einer Versammlung von Ge- lehrten und Laien vorgeführt hat, dahin geändert, dass er nicht mehr wie früher Inductionsschläge von nur 5!/, bis 8 ®, sondern, wie wir zuerst weit stärkere, und zwar nach seiner Angabe solche von 40 ““ Schlagweite benutzt hat. Er hat auch unsere angegebene Bestimmungsweise der Kraft der Röntgenstrahlen adoptirt, und ebenso wie wir, nur bei etwas kräftigeren Stromschlägen denselben angegebenen Werth der benutzten Strahlen gefunden. Hiermit fällt sein merkwürdiger Schlusseinwand, „dass Hr. Cowl unsere früheren Ergebnisse nicht zu bestätigen vermöchte, wird zum Theil in der geringen von ihm erzielten Intensität begründet sein.“ Sein früherer Maassstab der durchdringenden Kraft der Strahlen, die Schlagweite des Induetionsstroms, gemessen an -einem der Röntgenröhre 550 VERHANDLUNGEN DER BERLINER parallel geschalteten Funkenmikrometer, scheint er nicht mehr benutzt zu haben. Für diese neuen Versuche hat er sich ausserdem einer ähnlichen strengen Controle, wie wir sie beschrieben haben, bedient. Hr. Dorn hat also im Wesentlichen unsere Versuche wiederholt. Unverständlich bleibt uns aber, dass sämmtliche seiner Versuchspersonen bei diesen wie bei seinen früheren Versuchen Lichterscheinungen in Folge der Einwirkung der Röntgenstrahlen auf das Auge beobachtet haben sollen. Jetzt beschreibt er den Befund für alle Beobachter der neuen Reihe als „eine an der Peri- pherie besonders hervortretende Helligkeit“. Es geht aus dieser knappen Beschreibung seines Versuchsresultates nicht hervor, dass die Erscheinung aus momentanen, in Bruchtheilen einer Secunde hinter einander fol- senden Aufleuchtungen, wie wir sie gefunden haben, bestand. In Betreff seiner mit Brandes zusammen früher ausführlich ver- öffentliehten Versuche, meint er, „dass wir breite Ausführungen bei der ein- fachen Sachlage für überflüssig erachteten“. Thatsächlich aber fehlten in ihrer Veröffentlichung breite Ausführungen nur in Bezug auf die Controle der Beobachtungen und die Berücksichtigung der Fehlerquellen. Indem Hr. Dorn unseren Versuchsplan nebst Cautelen angenommen und der Hauptsache nach neuerdings allein benutzt hat, scheint er unsere Be- merkung, dass er den möglichen Fehlerquellen, namentlich den von Helmholtz, Purkinje u. A m. genau beschriebenen Liehterscheinungen aus inneren Ursachen eine nur flüchtige Beachtung geschenkt hat, zu bestätigen. Im Uebrigen, wie es aus dieser und unserer früheren Mit- theilung hervorgeht, ist die Sachlage doch nicht so einfach. Herr Dorn klagt uns an, dass wir nicht den „entscheidenden Versuch“, ob die Lichterscheinungen von Röntgenstrahlen oder von Elektrieität her- rühren, gemacht hätten. Wie wir s. Z. ausführten, sollte dies eben den zweiten Theil unserer Untersuchungen, deren Hauptergebniss oben mit- getheilt worden ist, bilden. Mit einer kleinen, das Gesicht vor Elektrieität unsicher schützenden Aluminiumplatte konnten wir uns aus den angegebenen Gründen nicht begnügen. Ferner findet er, ohne selbst Versuche angestellt zu haben, dass das schwarze Tuch in 6 bis 12 facher Lage, vermittelst dessen wir früher die Augen des Beobachters auch von jeder Spur Licht (z. B. der stillen Entladung an Punkten der Stromleitung) in dem vollständig verdunkelten Zimmer geschützt haben, wahrscheinlich mehr Röntgenstrahlen absorbirt wie die von ihm benutzte Pappe. Kommt es auf diese die Röntgenstrahlen in nur geringem Bruchtheil absorbirende Stoffe an, so sind wir, wie ausdrücklich früher erklärt, bereit, auf einen direeten Vergleich der von Hrn. Dorn und von uns benutzten Stoffe einzugehen, glauben aber den Nachweis führen zu können, erstens, dass auch 12 Lagen unserer schwarzen „Satinnette“ ebenso gut Röntgenstrahlen durchlassen wie dünne geschweige denn dieke Pappe. Auf diesen Punkt allein konnte man den sonst unvermittelten Schlusseinwand des Hrn. Dorn be- ziehen. Unsere neue Versuchsreihe wird, wie oben ersichtlich, durch den Einwand nicht berührt. Wir hatten vielmehr hier zwischen Auge und Röntgenröhre nur 0-2 %® dieke Aluminium, statt wie Hr. Dorn Aluminium von 1-0 M® nebst Pappe von unbekannter Dicke, Die Versuche des Hrn. Dorn, Lichterscheinungen durch Entladungen von Induetionsschlägen zwischen Polspitzen in der Tue hervorzurufen, nahe PHYS. GESELLSCHAFT. — W.Cowu. — F.TaAngu. — R.pu Boss-Reymond. 551 ‘ den vor Licht geschützten Augen seiner Versuchsperson, sind nicht recht überzeugend: denn erstens stand nichts wie Luft in dem kürzesten Funkenweg und zweitens war kein leichterer Weg der Entladung offen. Wie anders das ist beim Gebrauch einer Röntgenröhre lehrt eine einfache physikalische Betrachtung. Der von Röntgen neuerdings angeführte Versuch, vermittelst eines engen Spaltes in einer Bleiplatte Lichterscheinungen in Form gerader bezw. krummer Streifen hervorzurufen (je nachdem die optische Axe des Auges, ver- längert durch die Mitte der Röntgenröhre, die Spaltlinie traf bezw. abseits von ihr lag), so wie auch die von Dorn angegebenen ähnlichen Versuche haben unter den günstigsten Umständen in unseren Untersuchungen bisher zu keinem Resultat geführt, namentlich hat derjenige unserer Beobachter, der die stärksten Lichtempfindungen in Folge der Einwirkung von Röntgenstrahlen - bekam, keine Lichterscheinungen beim Vorhalten eines Spaltes von 0.7 @” Breite in einer Bleiplatte von 4.0 "® Dicke wahrgenommen. 3. Hr. Prof. F. Taneu (a. G.) aus Budapest hält den angekündigten Vortrag über die von Dr. St. Bugarszky und dem Vortragenden aus- seführten „Untersuchungen über die molecularen Concentrations- - verhältnisse des Blutserums“ und im Anschluss daran 2. über die von ihnen erfundene „Methode zur Bestimmung des relativen Volums - der Blutkörperchen und des Plasmas. Die moleeularen Concentrationsverhältnisse des Blutserums wurden durch Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung und der elektrischen Leit- fähigkeit bestimmt. Die Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit ge- " schah nach der F. Kohlrausch’schen Methode mit Wechselströmen und Telephon. Untersucht wurden Pferde-, Hunde-, Schweine- und Katzenblut- ) serum. Die bisher erlangten Hauptergebnisse dieser Untersuchungen sind - die folgenden: Die moleculare Concentration des normalen Blutserums ist | ziemlich constant. Sie entspricht einer 0-28 bis 0-39 Normallösung. Bei - den verschiedenen Säugethieren scheint das Blutserum ähnlich, aber nicht gleich eoncentrirt zu sein. Die niedrigste Concentration zeigte das Serum ‚ der Pferde, die höchste das der Katze. Von den im Serum gelösten ‚Molekeln sind der Zahl nach über °/, anorganisch. Bei ein- und ‚ derselben Thierart ist der Gehalt des Serums an anorganischen Molekeln ein ‚ viel constanterer als der an organischen. Die neue Methode zur Bestimmung des relativen Volumens ‘der Blutkörperchen beruht auf der Bestimmung der elektrischen Leit- fähigkeit des Blutes und des blutkörperchenfreien Plasmas. Die Blut- körperchen leiten den elektrischen Strom fast nicht, sie setzen durch ihre Gegenwart die Leitfähigkeit des Plasmas herab. Aus dem Verhältniss zwischen den Leitfähigkeiten des Blutes und des Plasmas lässt sich mittels einer einfachen linearen Gleichung das relative Volumen des Plasmas be- rechnen. Das Verhältniss zwischen den Leitfähigkeiten des Blutes und des Plasmas ist aber nicht einfach proportional dem Verhältniss zwischen Blut- volum und relativem Plasmavolum. XVII. Sitzung am 23. Juli 1897. 1. Hr. Ren& pu Boss-Reymonp demonstrirte an einem Präparat vom Frosch die Thatsache, dass bei dorsalflectirtem Fussgelenk der Musculus 552 VERHANDLUNGEN DER BERLINER gastroenemius zuerst eine Streekung und dann erst eine Beugung des Knies hervorbringt. Die Thatsache selbst ist von Fischer als allgemeine Folgerung aus den Bewegungsbedingungen der zweigelenkigen Muskeln erkannt und erklärt worden.! Die Demonstrationsmethode ist von H. E. Hering an- gegeben.? 2. Hr. A. Neumann hält einen Vortrag: Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung von Phosphorsäure bei Stoffwechsel- versuchen. Bei den bisherigen Methoden, die Phosphorsäure in Stoffwechselversuchen zu bestimmen, waren hauptsächlich zwei Mängel zu beobachten, welche eine häufige Anwendung derselben verhinderten. Einerseits war die Substanz- zerstörung eine zu langwierige Operation, besonders, da bei der geringen Phosphormenge etwa 5 bis 7 Mal soviel Material angewendet werden musste wie bei den Stickstoffanalysen. Andererseits konnte die gewichtsanalytische Bestimmung als pyrophosphorsaure Magnesia erst am nächsten Tage beendet werden. Die Methode, welche ich seit Kurzem benutze, sucht beiden Schwierig- keiten zu begegnen. Was zunächst die Substanzzerstörung anbelangt, so beruht dieselbe auf der Beobachtung, dass die organischen Stoffe leicht und schnell durch conc. Schwefelsäure und Salpeter vernichtet werden. Statt Kaliumnitrat kann man auch Ammoniumnitrat verwenden, welches den Vor- theil bietet, dass das leichtlösliche Ammonsulfat statt des schwerlöslichen schwefelsauren Kalis entsteht. Dadurch wird es möglich, die Urantitration zu benutzen, welche bei Gegenwart grösserer Mengen Kaliumsulfats versagt.° Die Veraschung wird in einem Kjeldahl-Kölbehen ausgeführt, am besten mit vorher getrockneter Substanz. Flüssigkeiten und feuchte Stoffe werden zu- nächst mit conc. Schwefelsäure bis zum starken Schäumen erhitzt. In die so entwässerte oder mit conc. Schwefelsäure versetzte Trockensubstanz giebt man mehrere (2—3)Portionen Ammonnitrat und zwar im Ganzen soviel Gramme wie QCubikcentimeter conc. Schwefelsäure verwendet wurden. Man fügt das salpetersaure Ammoniak jedes Mal erst nach vorangegangener Abkühlung hinzu, da sonst die Reaktion zu heftig ist, und erwärmt dann, bis die rothen Nitrosodämpfe verschwunden sind und starker Rückfluss an den Wänden des Kölbehens sichtbar wird (5 bis 10 Min.) Wenn man die letzte Portion Ammonnitrat hinzugegeben hat und die rothen Dämpfe verschwunden sind, erhitzt man mittelst Dreibrenners, bis die Flüssigkeit im Kolben hellgelb und klar geworden ist. Die ganze Operation erfordert 30 bis 40 Minuten und mehrere Veraschungen können neben einander ausgeführt werden. Es ist allerdings nöthig, den Vorgang im Kölbchen während der Veraschung be- ständig zu beobachten, da zu Anfang leicht starkes Aufschäumen stattfindet. Sollte dasselbe zu heftig werden und nicht bald nachlassen, so fügt man ! Otto Fischer, Beiträge zu einer Muskeldynamik, zweite Abhandlung: Ueber die Wirkung der Schwere und beliebiger Muskeln auf das zweigliedrige System. Abhandl. der math.-phys. Classe der k. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. 1897. Bd. XXIIL S. 475 u. ff. ®? H. E. Hering, Ueber die Wirkung zweigelenkiger Muskeln auf drei Gelenke und über die pseudoantagonistische Synergie. Archiv für die gesammte Physiologie. Bonn 1897. Bd. LXV. S8. 630. 3 Vergl. die Beobachtungen von Scholz, Centralblatt für innere Mediein. 1895. S. 1043. | | PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. NEUMANN. 553 weitere 5 “u cone. Schwefelsäure hinzu; in den meisten Fällen hört dann das Schäumen auf. Zur Zerstörung von 25 °® Harn sind 10 “" Schwefel- säure und 2 Mal 5 ®”% Ammonnitrat nöthig. 25 “” Milch und 8 2 feuchtes (= ca. 3 SU setrocknetes) Fleisch erfordern 15 °” Schwefelsäure und 3 Mal 5 gm Ammomnitrat; 5 2% setrocknete Fäces 20 °" Schwefelsäure und 1 Mal 10 2% und 2 Mal 5 © Ammonnitrat. Unter Berücksichtigung des oben Gesagten kann man durch einen Probeversuch leicht die nöthigen Mengen ‚ermitteln. An diese Substanzzerstörung lassen sich sehr einfache Methoden der Phosphorsäurebestimmung anfügen. In den meisten Fällen kann man die Urantitration verwenden. Zu diesem Zwecke wird das erhaltene Veraschungs- product im Kölbcehen mit Wasser und Ammoniak versetzt bis zur schwach alkalischen Reaction, die Flüssigkeit übergespült in ein Becherglas (mit der aufgeklebten Marke 100 °"“) und auf 100 “” aufgefüllt, dann mit Essig- säure schwach sauer gemacht und nun mit Uranlösung austitrirt. Man kocht nach jedem Uranzusatz einmal auf und prüft durch die Tüpfelprobe mit Ferrocyankalium in Substanz. Dazu bringt man einen grossen Tropfen auf einen Porzellanteller und sättigt diesen mit Pulver von Blutlaugensalz; nach dem Antrocknen erkennt man innerhalb ?/,, °® deutlich, wo das Ende der Reaction liegt. Durch eine Controlbestimmung wird das Resultat bestätigt. Ist nach dem Zusatz von Essigsäure die Flüssigkeit nicht klar oder nur leicht getrübt, sondern enthält einen deutlich gelb bis braun gefärbten Niederschlag, der vom Eisen herrührt (z. B. bei Fäces häufig), so ist die Urantitration nicht zu verwenden. Es empfiehlt sich in diesen Fällen, die von Woy! erst kürzlich angegebene Bestimmung als Phosphormolybdänsäure- Anhydrid zu benützen. Zu diesem Zwecke erhitzt man die essigsaure Lösung mit ca. 50 °® Salpetersäure (25°/,), giebt 150 *" molybdänsaures Ammoniak (3°/,) heiss hinzu und behandelt des Weiteren wie von Woy angegeben. Den Zusatz von Ammonnitrat, den der genannte Autor angiebt, kann man wegen der grossen Mengen Ammonsulfat weglassen. Die an- geführten Mengen sind gemäss dem angewandten Ausgangsmaterial zu varliren. Man kann natürlich auch die früheren Methoden an die oben be- schriebene Substanzveraschung anschliessen. Eine Bestimmung durch Uranti- tration ist in 1!/, Stunden auszuführen, durch die Anfügung der Woy’schen Methode werden 2 bis 2!/, Stunden erforderlich. Die Richtigkeit der Resultate ist durch eine grössere Anzahl von Analysen geprüft worden. Dieselben werden demnächst in einer ausführlicheren Mittheilung veröffent- licht werden. Durch diese Modification der früheren Veraschungs- und Bestimmungs- methoden werden die Anfangs erwähnten Mängel beseitigt. Man ist nun- mehr in der Lage, die Phosphorsäure bei Stoffwechselversuchen für klinische Zwecke hinreichend genau und schnell zu bestimmen. ı Chemiker-Zeitung. 18397. Nr. 44, 8.441. R TE | 1tD8 Arco flnal.u.Phys.IS97. Phys Abthlg. Fig = . Su TarT. 11 Veit &Comp ung enges ser er Andıuv fAnaluPhys.0I7. Phys Abthlg. ö in Fig. 11 Selbständige Zusammenziehungen Fig.16 Abkühlung Ibkuhlung Selbständige isotonische Zusammenziehungen Sek r Veit &( omp. SEEERREHEERE = PeYr v Archiv Fnatu.Phys.IBIZ Phys Abihlg. £ Taf’ UI. | A A — — N PLITLILELLLELEIIETEITEIEITTIELTT | Bl | Kin zZ D 11 I nA 0-5 d. nat. Grösse. lag Veit &Comp. Leipzig j ‚iv £AnatuPhys.1897. Phys. Abthlg. = ER 3 U hemmen 3 meTFIBTe Te nn rn, lg / = In Anst vB Afınkelagie. Verlag Veit &Comp. Leipzig Archiv fAnatu.Phys.1897. Phys. Abthlg. Tal’W Fig.10 Verlag Veit &Comp. Leipzig Arekiot. Inatu Phys. 1892. Phys. Abthlg Taf: VI Br Fig. 2. lin TTaR Ben Be | 0a Fig.A. \ B Fig. 10. SreEZZ=;, Fig.d. IE 5 ei) AUL, „9% ® 7) Kerr erlag Veil &Comp. Leif PR. U fe m Verlag Veit & Comp. Leipzig. PR Paar Taf: VI, \ ni x 4 DREHEN 2 BETH IürAnstv. Afonkei Archiv £Anatu.Phys.1892 Phys. Abthlg. () --Umbo Fig.l. Urachus — -- sam "art ven Urao ent Aorta... |.. Fig. 14. a Jsolierle Plallengpnihelzelle aus der Blasenschleimheaut cnes Kanueltens. 30mal vergr. a=lertiefungen k=Kanten u. Forlsäülze 12399617 831092 Veit &Comp. Leipaig - -urvler Taf VL. Physiologische Abtheilung. | 189. IL u. I. Heft. | ARCHIV MAY 11 = andto OMIE UND PHYSIOLOGIE, FÜR \ FORTSETÄUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND VON DER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN. JAHRGANG 1897. — PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —— ‘ ERSTES UND ZWEITES HEFT. ' MIT NEUN ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFELN. en 4 | LEIPZIG, ES VERLAG VON VEIT & COMP. 1897. u beziehen durch ulle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 9. April 1897.) | | | A | | Inhalt. * Seite Pur Scuurzz, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere. (Hierzu Taf. Iu. IL) . . 1 E. v. Cyon, Bogengänge und Raumsinn. Experimentelle und kritische Unter- SUCHUNE N EN ARE Be ER Kon G. Hürser, Ueber die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit denen sich die atmosphärischen Gase im Wasser verbreiten, und über die biologische Be- deutung.zweier' von) dieseny.Grossena... Wo. nee 112 H..J.. Hamsurger, Zur bymphbildungsftrage 4°. 9.20. 20 2. EE >182 H. J. HamsBurGer, Die Geschwindigkeit der Osmose. (Lazarus Barlow’s ‚Initial Tate20L,0SMOSISE)IHH, DES ae le 1 RE REN er A N H. J. HamBuURGER, Die Blutkörperchenmethode für die Bestimmung des osmo- tischen Druckes von Lösungen und für die em. der „Resistenz- fähigkeit“ der rothen Blutkörperchen . . . . 2 > AA Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1896—97 . . . . 146 W. CoHnsTeEin, Ueber die Veränderung der Chylusfette im Blute. — BEnNo Lewv, Ueber die Reibung des Blutes in engen Röhren und ihren Einfluss auf das Gefälle im Gefässsystem. — N. Zuntz, Ueber die Fette des Flei- sches. — P. ScHurtz, Ueber die Einwirkung monochromatischer Lichter auf die ‚Bakterienentwickelung. — Derselbe macht die angekündigte kurze Mittheilung über die sanitären Verhältnisse an Bord. — R. pu Boıs-ReymonD, Betrachtungen über das Hamberger’sche Schema und Demonstration eines veränderten Modells. — E. NawratzkI, Beiträge zur Kenntniss der Cere- brospinalflüssigkeit. — J. F. Heymans, Ueber die Entgiftung von Malo- nitril. — Rawırz, Ueber die Lymphdrüsen des Macacus rhesus. — Rosın, Demonstration von Nervenzellen-Präparaten. — GaeTAno Vıncı, Ueber die anaesthesirende und toxische Wirkung einiger dem Cocain nahestehender Körper. I. RosentHaL, Calorimetrische Untersuchungen. Siebenter Artikel... . . 171 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat- Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 # Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an die Physiologische Gesellschaft zu Berlin, zu Händen des Herrn Professor H. Thierfelder, Berlin W., Kleiststr. 6 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. » ._ Physiologische Abtheilung. 1897. TIL. u. IV. Heft. i S 7883. ARCHIV ] | 17 . x FUR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND VON DER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN. JAHRGANG 1897. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. ——= DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT DREIUNDZWANZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1897. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 30. Juli 1897.) Inhalt I. RosentHuAt, Calorimetrische Untersuchungen. Achter Artikel. (Hierzu Taf. II.) A. BENEDICENTI, Ueber die Einwirkung des Formaldehyds, des Hydrazins und anderer reducirender Agentien auf den Blutfarbstoff . A. BENEDICENTI, Beiträge zur Kentniss der chemischen und physiologischen Wirkungen des Formaldehyds. W. LoEWENTHAL, Zur Kenntniss der Spontanemulgirung von fetten Oelen .J. Osnerr, Ueber die Entwickelung des elektrischen bei Torpedo. (Hierzu Taf. IV u. V.) | PAvL Schutz, Die längsgestreifte (late) Möscuiatee der Wirbelthiere PAus ScHurtz, Zur Physiologie der längsgestreiften (glatten) Muskeln PauL Schutz, Quergestreifte und längsgestreifte Muskeln . J. Gap, Zu Schenck’s Einwand gegen Allen’s Versuche Max Münpen, Dritter Beitrag zur Granulafrage. (Hierzu Taf. VI u. vo). Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1896—97 5 R. pu Boıs-Reymonn, Ueber Polarisirbarkeit von Neusilber- Elektroden. — KATZENSTEIN, Ueber die Veränderungen in der Schilddrüse nach Exstirpation der zuführenden Nerven. — H. Rosın, Demonstration rother Harnfarb- stotfe. — D. Hansemann, Ueber einige fettige Zustände im 'Thierkörper. — R. pu Boıs-Reymonn, Beitrag zur Lehre vom Stehen. — M. Levr-Dorn, Die Lage innerer Theile mittelst Röntgenstrahlen zu bestimmen. — N. Zunzz, Ueber die Bedeutung des Sauerstoffmangels und der Kohlensäure für die Innervation der Athmung. — A. Lorwy, Verdünnte Luft und Höhenklima in ihrem Einfluss auf den Menschen. — Pıun JAcog, Ueber die Schutz- wirkung der Leukoceyten. — H. MicHaeLıs und W. CotHxstein, Ein Vor- lesungsversuch zur Demonstration der ‚Blutsäure“. — Gustav TorNIER, Ueber Regeneration und Hyperdactylie. — W. Cowı, Ueber die Sichtbarkeit der Röntgenstrahlen. — B. Rawırz, Ueber die Beziehungen zwischen unvoll- kommenem Albinismus und Taubheit. — C. BenpA, Neuere Mittheilungen über die Histiogenese der Säugethierspermatozoen. Die Herren Mitarbeiter erhalten vwierzig Separat - Abzüge ihrer träge gratis und 30 >%# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an die Physiologische Gesellschaft zu Berlin Seite 191 210 219 258 270 . 307 322 329 336 340 370 Bei- zu Händen des Herrn Professor H. Thierfelder, Berlin W., Kleiststr. 6 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung - der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Physiologische Abtheilung. | } Borssarzume DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, { MIT DEM BILDNISS VON EMIL DU BOIS-REYMOND, ZEHN ABBILDUNGEN "1897. V..u. VI. Heft. N | | van 5 1898 ARCHIV | BD ee | | ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN i von u De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND DER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN. JAHRGANG 1897. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG, — ‚FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. IM TEXT UND EINER TAFBL. | LEIPZIG, VERLAG voN VEIT: & coMP. 1897. Sn Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 10. December 1897.) Nr. 1. Dermatologisches Centralblatt. Ersier Jahrgang. Mit einer Beilage: a Inhalt. 'A. Beck, Die Erregbarkeit verschiedener Stellen desselben Nenn ; Ren£ pu Boıs-Reymonv, Nachtrag zur Abhandlung: Ueber das Sattelgelenk D. GeroTA, Ueber die Anatomie und Physiologie der Harnblase. (Hierzu Taf. VIII.) AngELo PucLiese, Ueber den Einfluss der Kohlehydrate, der Fette .und des Leimes auf den anorganischen Stoffwechsel . H. J. HAmsuRcer, Die Gefrierpunkterniedrigung des lackfarbenen Blutes und das Volum der Blutkörperchenschatten H. HeııLenvauı, Ein Beitrag zu der Frage der Kreuzung der Sehnerven.. DaAvıp HAnsEMmANN, Zusatz zu vorstehender Arbeit . R. pu Boıs-ReymonD, Ueber die Grösse Be 1 Gapillar- elektrometers . Verhandlungen der plysiologischen Gesellschaft zu "Berlin 1896— 97 Herm. Munk demonstrirt einen aus England übersandten Affen. — D. Hansez- MANN stellt mikroskopische Praeparate vor. — S. Schmior, Ueber die Ver- änderungen der Ganglien des Herzens nach der Chloroformnarkose — N. Zuntz, Ueber den Werth der wichtigsten Nährstoffe für die Muskel- arbeit: nach Versuchen am Menschen. — E. Dorn, Zur Frage der Sichtbar- keit der Röntgen-Strahlen. — W. CowL, Ueber die functionelle Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Netzhaut des Auges. — F. TAnsı und Sr. BusaArsz&y, Untersuchungen über die molecularen Concentrationsverhältnisse des Blutserums und Methode zur Bestimmung des relativen Volums der Blutkörperchen und des Plasmas. — R. pu Boıs-Reymonn demonstrirt an einem Praeparat vom Frosch. — A. NEumAnn, Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung von Phosphorsäure bei Stol!wechselversuchen. Seite 415 426 nn AT en ee 128 4713 486; 497 513 \ 516 533 Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. % Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Beikrage für die physiologische behpllung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin‘ "NW. Dorotheenstr. 35 portofrei Eraser — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen, RN EN, RR Ü A N Re = A cme Bookbinding Co., Inc. 300 Sumirer Street Boston, Mass 02210 nun 2044 093 332 526 {A ü vr % KERN H N ER SRRY ‘ NN Y AN ‘ \ . D TRUE EBEN IE RUN 41