Do Perez ee A en a ni Ba nn ee A mn mn. nit he nme 3 x N | $ ’ N H ’ en & HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. fur PR NMoayy > 2 Auguel 1 /900 De Br) EN u FF Em) Dr { ie WER Due Eu BE an Me ih UT 2 Tamer ’ = P = = . - Fe u Bi; = Bi 2 BER a a vr ug, a ie Fi oz a 1 ©, r Te i Bn ARCHINV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT! vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1900. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1900. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1900. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND SECHS TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1900. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Frchralt PauL Schurtz, Ueber die Anordnung der Musculatur im Magen der Batrachier H. J. HaAmBURGER, Ueber das Verhalten des Blasenepithels gegenüber Harnstoff W. v. BECHTEREW, Ueber die sensiblen Functionen der sogenannten motorischen Rindenzone des Menschen . . See e : ni W. v. BECHTEREw, Ueber nern sone Ol nes etinde me in den hinteren Theilen der Hemisphärenrinde bei den Affen : J. VELICHI, Untersuchungen über das elektrische Verhalten des künstlichen Längsschnittes quergestreifter Muskeln . . . . : A . Hürser, Ueber die gleichzeitige quantitative Besenline zweier Far bstofte im Blute mit Hülfe des Spectrophotometers. . . . i : - ÜSKAR ÜARLGREN, Ueber die Einwirkung des constanten anischen Str omes auf niedere Organismen. (Hierzu Taf. I) . . ... aan: . GRIJss, Kritik von Dr. Gerstmann’s Erklärung der Teradın cn er Lans, Ueber Pupillenweite . . . Sr 3 = F. Fuchs, Zur Physiologie und en meellank des er ne Borıs BIRUKOFF, Erklärung . . a A Hans FRIEDENTHAL, Beiträge zur Kenne der Fermante Een 2 G. A. Targert, Ueber Rindenreizung am freilaufenden Hunde nach J. R. Hall D. Frank, Ueber die Beziehungen der Grosshirnrinde zum Vorgange der Nah- TINO Aninaıneres u. Def ee ee ee Hans FRIEDENTHAL, Ueber die bei der Resorption der a in Betracht kommenden Kräfte. . . . . : a Bund: (sustav Muskat, Beitrag zur Lehre vom enzchkichen Stehen. (Hierzu Taf. 11.) J. SEEGEN, Die Vorstufen der Zuckerbildung in der Leber : 5 Hans Koeppe, Die Berechnung der Gerüstsubstanz rother Din elorperchen nach ERS HamDUrSOn ee ee u a Ta. W. EngELmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. (Hierzu Bar DENT) nn .... 2 . ; Max VERWwoRn, Zur Kenntniss der Oberen Werleinpen de rcimes H. ZwWAARDEMAKER, Die Riechkraft von Lösungen differenter Concentration H. ZwaARDEMAKER, Die Compensation von Geruchsempfindungen . . . 2... H. J. HAMBURGER, Versuche über die Resorption von Fett und Seife im Dickdarm ÜSKAR ÜARLGREN, Ueber die Einwirkung des constanten galvanischen Stromes auf niedere Organismen. Zweite Mittheilung: Versuche an verschiedenen Entwickelungsstadien einiger Evertebraten . . . een ADOLF BICKEL, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie der mache a A a ADoLF BıckEL, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie des Frosches . . . . Seite VI InHALT. Hans FRIEDENTHAL, Ueber einen experimentellen Nachweis von Blutsverwandt- Schalt: „a rar Er De ee NE a A Emıt, Bürcı, Der respiratorise he ee] bei Ruhe und Arbeit auf nen H. J. HAMBURGER, Lipolytisches Ferment in Aseitesflüssigkeit eines Menschen. Bemerkungen über die Fettresorption und über die angebliche lipolytische Fünctionzdes Blutes 220 u wm en ee ü H. J. HAMBURGER, Sind es ausschliesslich die Chylusgefässe, welche die Fett- resorptlon besorgen? . .. 02 = wu. 2 a a Se Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1899—1900. PETER BERGELL und FERDINAND BLUMENTHAL, Ueber die Isolirung der Pentose und der Methyipentose ; . 2.20 0 nu. la we ee A. Lorwy, Ueber die Bindungsverhältnisse des Sauerstoffes im menschlichen Blut ALBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung der Phosphor- säure bei Stoffweehselversuchen (zweite Mittheillune) . . 2 2 2 2.2. D. HanseMmann, Ueber die Alveolen-Poren der Lunge EN Hrn. v. Ebner’s Zweifel an ihrer Kxistenz > 5 .. © mus ve ee E. WÖRNER, Zur Bestimmung der Harnsäure . . . Se : (6. Benva. Weitere Beobachtungen über die alschonders und ihr Verhältnies zu Secretgranulationen nebst kritischen Bemerkungen . . . 22... ao Neuere Methoden zur Untersuchung der Herzthätiekeit . Benoa, Paula Günther’s neues Lupenstativ . . 2. 2 2. 2. „. „nu... N. Zuntz, Ueber den Einfluss des Labfermentes auf die Verdauung des Milch- BIWEISBOS. = west 0 hen ee ie ne ee a a E. Rost, Demonstration eines heizbaren Operationstisches für Thiere SE M.Rorumann, Ueber den Stenson’schen Versuch . . . 2 2 2.2 „en ÜCAsPparı, Ueber Eiweiss-Umsatz und -Ansatz bei der Muskelarbeit . . . . . P.Jacog und A. BickEL, Zur sensoörischen Ataxie „0... un Ü. Benpa, Ueber den normalen Bau und einige pathologische Veränderungen der menschlichen Hypophysis cerebri. .-.. 2 2 un LE Ener /untz, a) Ueber die Einwirkung der Galle auf die Verdauungsvorgänge . — b) Ueber die Herkunft der flüchtigen Fettsäuren in der Butter 2 STERNBERG, Ein Fall von angeborener Brustbeinspalte . . 2... e . ABELSDORFF, Zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinnes bei Menschen und Thieren . . 2.2... . . . . . . . . . ° . . . . . . . R. pu Bors-ReymonD, Die Grenzen der Unterstützungsfläche beim Stehen . Cowrt, Ueber das normale Röntgenbild des ruhenden Thoraxinhaltes . Seite 494 509 544 554 155 158 MAY 7 1900 Ueber die Anordnung der Musculatur im Magen der Batrachier. Von Paul Schultz in Berlin, Die Schwierigkeit, welche sich bislang der Erforschung der Physiologie der längsgestreiften (glatten) Musculatur der Wirbelthiere entgegenstellte, bestand, wie ich schon an anderer Stelle hervorgehoben, darin, ein Präparat aufzufinden, in welchem diese Muskeln von umgebenden Gewebsmassen isolirt, nur parallel neben einander und in parallelen Ebenen angeordnet; sind. Zwar hat Sertoli! das Verdienst, bereits im Jahre 1872 darauf hingewiesen zu haben, dass der Retractor penis vom Hund, Esel und Pferd ein solches Präparat sei. Er hat auch selbst eine an wichtigen Ergebnissen reiche Untersuchung damit angestellt. Dennoch hat bisher Niemand seine Versuche nachgeprüft oder erweitert. In physiologischen Instituten ist es schwierig, diesen Muskel zu verwenden, da die nöthigen Thiere (Hunde geeigneter Grösse, Esel, Pferde) schwer oder gar nicht zu beschaffen sind. Ausserdem sind auch die Versuche, wie immer an Warmblütermuskeln, sehr umständlich. In mehreren Veröffentlichungen im Jahre 1895? und 1897? wies ich nun darauf hin, dass aus dem Magen des Frosches ein Präparat gewonnen werden könnte, welches den obigen Bedingungen entspricht. Nächst dem ! Sertoli, Contribution & la physiologie generale des museles lisses. Archives italiennes de Biologie. T. Ill. * Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 5. April 1895. ® P. Schultz, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Leistungsfähigkeit der längsgestreiften Muskeln der Wirbelthiere. Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. Ss. 1. — Die längsgestreifte (glatte) Musculatur der Wirbelthiere. II. Ihre Verrichtung. Ebenda. 8. 307. Archiv f. A.u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. d: 3 PAUL SCHULTZ: Pylorus wird mit einer geraden Scheere ein ringförmiges Stück heraus- geschnitten, der Ring durch einen Querschnitt geöffnet und die Schleim- haut abgetragen, was sehr leicht gelinst. Nun ist die Muscularis auf der einen Seite von der Serosa, auf der anderen von der Submucosa bedeckt; man hat jetzt ein Stück, welches ganz einem Sartoriuspräparate in Bezug auf die Anordnung der Elemente entspricht. „Denn der Magen des Frosches besteht, wie die histologische Untersuchung ergiebt, aus folgenden Schichten von aussen nach innen: Serosa mit Subserosa, Muscularis, Submucosa, Muscularis mucosae, Mucosa. Die mächtigste Schicht bildet die zwischen Serosa und Submucosa gelegene Muscularis. Sie macht den Hauptbestand- theil der Magenwandune aus, und ihre Masse ist es, die den Magen gegen- über dem Oesophagus und dem Dünndarme als ein so voluminöses Organ erscheinen lässt. Die Muskelzellen sind, wie Serienschnitte lehren, nur ringförmig, senkrecht zur Längsaxe des Organes angeordnet.“ Diese letztere Thatsache war, wie ich gelegentlich aus mündlichen Aeusserungen erfuhr, Physioiogen und selbst vielen Histologen unbekannt geblieben. Oeffentlich angezweifelt wurde sie von Cand. med. Winkler: „In einer grossen Menge von Längs- und namentlich Querschnitten durch den Froschmagen, welche mir Hr. Prof. Grützner vorwies, konnte man sich nämlich auf das Leichteste und Sicherste überzeugen, dass, abgesehen von der innen liegenden, zarten Muscularis mucosa, auf der mächtigen, die Hauptmasse bildenden Ringfaserschicht regelmässig eine, wenn auch dünne und zarte Längsschicht aussen aufliest.“ Dem Candidaten sieht man das Vorrecht der Jugend nach, mit Wort und Urtheil schnell fertig zu sein. Es ist ihm daher kein so grosser Vorwurf zu machen, dass er sich auf das „Leichteste und Sicherste“ von Dingen „überzeugt“, die gar nicht existiren. Nur muss er nicht öffentlich darüber reden. Bedauerlich aber ist es, dass der Professor in der von ihm sorgfältig durchgesehenen und mit eigenen Zusätzen versehenen Arbeit seines Schülers jene Bemerkung stehen lassen konnte. Dies Bedauern wird er selbst nach dem Folgenden gewiss am lebhaftesten empfinden. Von den früheren Darstellungen über unseren Gegenstand sei die von E. Klein in Stricker’s Handbuch der Gewebelehre erwähnt. Sie ist völlig falsch, und sie ist es vielleicht, die bei vielen Histologen im Gedächtnisse steht und daher zu der allgemein verbreiteten irrthümlichen Auffassung Veranlassung gegeben hat. Sie lautet: „Die äussere Muskelschicht zeigt, obwohl nicht überall, eine innere Rings- und eine um Vieles schwächere äussere Längsschicht. An einzelnen ' H. Winkler, Ein Beitrag zur Physiologie der glatten Muskeln. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXI. DIE ANORDNUNG DER MUSCULATUR IM MAGEN DER BATRACHIER 3 Stellen finden sich statt der letzteren einige schief verlaufende Bündel, welche weiter unten in die Ringsschicht einziehen. Gegen den Pylorus wird sowohl die Rings-, als auch die nun selbstständig gewordene Längs- schieht mächtiger.“! Auch Oppel? verkennt das wahre Verhältniss, indem er die völlig zutreffende Darstellung Valatour’s mit den Worten zurück- weist, „was nicht der Fall ist“. Diese Darstellung Valatour’s® — sie ver- dient in extenso angeführt zu werden — lautet nun folgendermaassen: „Dans les premieres parties de l’estomac, elles (la couche interne transverse et la couche externe longitudinale) existent encore toutes les deux avec le möme developpement. Mais bientöt la couche transverse augmente con- siderablement d’epaisseur, et la couche longitudinale disparait. Au-dessous de la couche transverse, qui a, dans les parties moyennes de l’estomac 0-4 ou 0-5 "m, existe une couche de 0-05" environ qui ne me parait contenir aucune fibre musculaire. Si on la traite par l’aeide acetique soit sur des coupes transverses, soit sur des coupes longitudinales, on n’y peut reconnaitre aucune apparence de fibres musculaires. ... Sur l’intestin, on retrouve les deux couches musculaires tres nettes, ayant a peu pres la möme £paisseur que sur l’oesophage; dans les derniöres parties de l’estomac, elles ont deja reparu, mais seulement dans les dernieres parties tout & fait. Done sur la plus grande partie de l’estomac de la Grenouille, il n’existerait qu’une couche de fibres musculaires; elle serait transverse et tres £paisse. La couche musculaire longitudinale n’existerait pas, bien quelle soit tres apparente sur l’oesophage et sur Y'intestin.“* Diese Angaben Valatour’s waren mir bis vor Kurzem unbekannt geblieben. Ich glaubte aber auch bei meinen früheren Veröffentlichungen nicht, irgend etwas Neues vorgebracht zu haben, bis mich die erhobenen Einwände und Zweifel und die Umschau in die vorliegende Litteratur eines Besseren belehrten. Die neue Untersuchung ging nun darauf aus, die Anordnung der Musculatur für den ganzen Magen im Einzelnen festzu- stellen, dazu Frösche möglichst verschiedener Herkunft zu benutzen, um die Ergebnisse als allgemeingültige, von örtlichen Einflüssen unabhängige darzuthun und sie durch gute differentielle Färbungen demonstrabel zu machen. ! Stricker, Handbuch der Lehre von den Geweben. Leipzig 1872. Bd.1. S. 399. ” Oppel, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirhel- thiere. 1. Der Magen. Jena 1896. 8.94: „Schon Valatour fand, dass im Magen der Amphibien die Dicke der Ringmuskelschicht gegen den Pylorus zu zunimmt, die der Längsschicht dagegen ab, er glaubt jedoch, die Längsmuskelschicht höre ganz auf, was nicht der Fall ist.“ ® Valatour, Recherches sur les glandes gastriques et les tuniques musculaires etc. Annales des sciences naturelles. Paris 1861. 4. Serie. T. XVI. 1 4 PAUL ScHULTZ: Muscularis propria. Vor Allem wurde Rana esculenta aus der näheren und weiteren Um- sebung Berlins und aus Ungarn, wie solche in physiologischen Laboratorien gehalten werden, verwendet. Vom unteren Ende des Oesophagus bis zum Anfange des Darmes wurde der Magen herausgenommen und entweder direct in die Fixirungsflüssigkeit gebracht, oder er wurde vorher an der kleinen Curvatur der Länge nach aufgeschnitten und flächenhaft auf Kork ausgebreitet. Nach einiger Zeit wurde er mit dem Rasirmesser in kleine, möglichst gleiche Abschnitte zerlegt. Zur Fixation wurden benutzt die Benda’sche Salpetersäure-Kalium bichrom.-Methode und Pikrinsalpeter- ES) 7 / Pylorus ob i BER lesophagus Fig. 3. TE Darm Die schraffirten Stellen wur- Die schraffirten Stellen ent- Fig. 1. den in Serienschnitte zerlegt; halten aussen Längs-, innen sie sind in Fig.4 schematisch Ringmusculatur, der übrige dargestellt. Theil nur Ringmusculatur. säure. Die in Paraffin gebetteten Objecte wurden in Serien von 14, 12 und 10 u zerlegt. Als Färbung benutzte ich mit vortrefflichem Erfolge das von Rawitz! empfohlene Boraxcarmin-Indigocarmin-Gemisch, wodurch die Muskelfasern völlig different von anderem Gewebe in buntem blaugrünen Ton hervortreten. Durch Hrn. Prof. Steinach (Prag) freundlichst auf- merksam gemacht, zog ich auch die van Gieson’sche Färbung in An- wendung, die ebenfalls vortreffliche Bilder ergiebt. Die Ergebnisse werden am besten durch die beigefügten halbschematischen Figuren dargethan. Sie stellen ein Präparat dar, welches einem erossen ungarischen Frosche entnommen ist. Der Magen wurde an der kleinen Curvatur aufgeschnitten, auf Kork flächenhaft ausgebreitet und in der Fixirungsflüssiekeit (Pikrin- salpetersäure) mit einem Rasirmesser in 8 Abschnitte zerleet. Figg. 1 bis 3 geben die wirklichen Grössenverhältnisse wieder, wobei die linke Begrenzung ! Rawitz, Leitfaden für histologische Untersuchungen. Jena 1895. 2. Aufl. DIE ANORDNUNG DER MUSCULATUR IM MAGEN DER BATRACHIER 5 als gerade Linie angenommen ist. Fig. 1 orientirt über die Topographie; man sieht, dass das untere Ende des Oesophagus und der Anfang des Darmes mit entfernt waren. Fig. 2 zeigt, dass in den Abschnitten 1 bis 6 und S jedes Mal die obere Hälfte in Serienschnitte zerlegt wurde, während in 7, dem Pylorus, vom oberen und unteren Theile Schnitte entnommen wurden. Fig. 4 stellt je einen den einzelnen Abschnitten entsprechenden Schnitt dar; das Dickenverhältniss zwischen Längs- und Ringmuskelschicht zu einander ist möglichst genau durch Messungen in vergrössertem Maassstabe nachgebildet. Jeder Millimeter der Zeich- nung entspricht 0.12 "m in dem ge- härteten Präparate Fig. 3 erläutert schliesslich die Vertheilung der Längs- und Ringmuseulatur. Man sieht, dass der grösste Theil des Magens nur Ring- musculatur enthält, und dass nur die unmittelbar an den Oesophagus und an den Darm angrenzenden Theile neben der Ring- auch Längsmusculatur enthalten. In Uebereinstimmung mit Valatour muss ich ferner entschieden behaupten, dass in dem ganzen, in Fig. 3 weiss gebliebenen Theile, also in dem mit ausschliesslicher Ringmuseulatur, über dieser in der Subserosa weder vereinzelte Muskelbündel, noch auch nur einzelne Fasern sich finden. Die reichlich vorhandenen Bindegewebskerne mögen Querschnitte von Muskelfasern vorgetäuscht haben. Ebenso wie bei Rana esculenta liegen die Verhältnisse bei Rana tem- poraria und bei Hylaarborea. Auch Fig. 4. eine Rana mugiens stand mir zur Verfügung, an ihr konnte ich mich ebenfalls überzeugen, dass der grösste Theil des Magens nur Ringmuskeln und keine Längsmuskeln, sei es in Bündeln oder auch nur in einzelnen Fasern, enthält. Des Weiteren untersuchte ich Bufo cinereus. Die Anordnung und Entwickelung der Muscularis ist hier die nämliche wie beim Frosche. Valatour bemerkt über die Kröte: „Dans l’estomac, au-dessous d’une epaisse tunique musculaire transverse, existe encore une couche de tissu Serosa u. Subserosa ir 2) Muskelschich£ 6 PAuL SCHULTZ: cellulaire dont l’aspect differe completement de celui de la couche externe de l’oesophage ou de l’intestin. Tandis que cette derniere est form6e presque entierement de fibres museculaires tres apparentes, la premiere ne parait en contenir aucune.“! Diese Worte entsprechen, wie ich bestätigen kann, durchaus den Thatsachen. Bei Salamandra maculata finde ich, wie Levschin,? eine äussere schwache Längs- und eine innere beträchtlich stärkere Ringmuskelschicht. Valatour sah hier keine besondere Schicht der Längsmuskeln, sondern nur einzelne, der Ringmuskelschicht unmittelbar anliegende Fasern. Triton cristatus zeigt im oberen Abschnitte deutlich äussere Längs- und innere Ringmuskelschicht. Letztere nimmt gegen den Pylorus hin mächtig zu, während erstere ebenso sehr zurücktritt, so dass schliesslich von ihr nur kleine Bündel oder hier und da auch nur einzelne Zellen übrig bleiben. Triton taeniatus besitzt gegen den Pylorus, wie es scheint, nur eine Ringmuskelschicht. Wenigstens konnte ich von Längsmuskeln, die, wenn sie vorkommen, nur in einzelnen Bündeln oder Fasern auftreten können, mit Sicherheit nichts wahrnehmen. Proteus anguineus besitzt, wie schon Oppel? angiebt und wie ich bestätigen kann, im Oesophagus eine innere circuläre Muskelschicht, und aussen, in Bündeln aufliegend, Längsmuskeln. Letztere werden gegen den Magen zu reichlicher, sie treten zu einer ununterbrochenen Schicht zu- sammen, so dass in der Mitte des Magens beide, Ring- und Längsmuskel- lage, gleich stark erscheinen. Muscularis mucosae. Da sich bei meinen Präparaten unmittelbar Gelegenheit bot, die Muscularis mucosae zu beobachten, die ebenfalls mit den oben genannten Färbungen sehr different hervortrat, so will ich einige Bemerkungen dar- über hinzufügen. Für den Frosch muss ich hervorheben, dass die Angaben Valatour’s von allen übrigen den Sachverhalt allein richtig und vollständig wieder- geben. Erst im unteren Theile des Oesophagus treten in gesonderten und von einander entfernten Bündeln in der Mucosa Längsmuskelfasern auf. Gegen den Magen zu nähern sie sich und bilden schliesslich im Magen selbst eine zusammenhängende Lage. Zugleich erscheint innen davon eine Ringmuskelschicht. So verlaufen sie, jede in sich geschlossen und bestimmt 178% 9.20. 2:0 ppel,.2..2.0. 8.105. ® Oppel, Beiträge zur Anatomie des Proteus anguineus. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XXXIV. S. 334. DIE ANORDNUNG DER MUSCULATUR IM MAGEN DER BATRACHIER 7 und deutlich von der anderen gesondert, durch die ganze Länge des Magens; ihr Mächtigkeitsverhältniss ist dabei derart, dass die äussere Längsmuskelschicht die innere Ringmuskelschicht etwa um das Doppelte übertrifft. In dem Maasse wie gegen das Ende des Pylorus hin in der Muscularis propria die Längsmuskeln auftreten, verschwinden hier die Muskelschichten der Mucosa. Valatour betont, dass die Muscularis mucosae überall dem Grunde der Drüsensäckchen folge, immer als Schicht unter ihnen bleibe und nicht zwischen diese eindringe oder Fortsätze hinein- schicke. Die zwischen den Drüsen etwa vorkommenden Muskelzellen sollen nicht von der darunter ligenden Schicht der Mucosa ausgehen, sondern sind davon ganz verschieden. So bestimmt möchte ich mich nach meinen Präparaten nicht aussprechen; an mehreren Stellen glaube ich eine directe Fortsetzung, eine Umbiegung einzelner Fasern aus der Ringschicht con- statiren zu können. Wie bei Rana temporaria und esculenta liegen die Verhältnisse auch bei Rana mugiens und Hyla arborea. Ganz ähnlich ist bei der Kröte die Muscularis mucosae gebildet. Bei Salamandra maculata finde ich beide Schichten, äussere Längs-, innere Ringmuskeln, deutlich, aber äusserst schmal. Auf einem Querschnitte durch die Mitte des Magens übertrifft, nicht durchgehends, wie Levschin angiebt,! aber an einigen Stellen, besonders da, wo die Schleimhaut sich in Falten erhebt, die Dicke der Längsmuskelschicht die der Ringmuskeln. Für den Proteus anguineus kann ich die Angaben Oppel’s? be- stätigen, dass „eine eigentliche Muscularis mucosae als gesonderte Schicht nicht vorhanden ist, doch scheinen einzelne, in die Mucosa eingestreute Muskelfasern eine rudimentäre oder auf einer Larvenstufe stehen bleibende oder eine erst in Entwickelung begriffene Muscularis mucosae darzustellen“. Auch Triton cristatus zeigt eine sehr zarte Muscularis mucosae, die besonders deutlich da hervortritt, wo die Schleimhaut sich in Falten erhebt. In diese erstreckt sie sich hinein, und hier erblickt man eine im Verhält- niss ziemlich breite äussere Längs- und eine schmälere innere Ringmuskel- lage. An den übrigen Schleimhautstellen erscheint sie als eine eben sicht- bare Zellenlage. Gegen den Pylorus hin nehmen beide Lagen an Stärke zu. Bei Triton taeniatus hat Grimm? in der Mucosa Muskelfasern nicht nachweisen können. Ich glaube aber, solche mit Sicherheit wahr- zunehmen. Sie treten als äussere Längs- und innere Ringschicht auf, beide freilich meist nur als einzellige Lage und daher nur schwer erkenn- bar. Am deutlichsten imponiren noch auf einem Querschnitte die quer- getroffenen Längsfasern. ! Nach Oppel, 2.2.0. 8.105. San. 97: ® Nach Oppel, a.a.0. S. 108. — 8 PAUL SCHULTZ: Die ANORDNUNG DER MUSCULATUR UT. S. w. Zum Schluss will ich diese Gelegenheit benutzen, auf eine Besprechung einzugehen, welche A. S. Dogiel! jüngst dem Theile meiner Arbeit „Ueber die glatte Musculatur der Wirbelthiere“ aus dem Jahre 1895 hat an- gedeihen lassen, der über ihre Innervation handelt. Diese Besprechung charakterisirt sich hinlänglich dadurch, dass durchweg nicht einmal mein Name richtig angegeben ist. Auf gleicher Höhe hält sich die ganze Bericht- erstattung. So wird behauptet, dass die von mir gefundenen Ganglienzellen sich „leicht mit Methylenblau, nach der Golgi’schen Methode, besonders aber mit Goldchlorid“ färben. Ich aber habe so, dass darüber ein Zweifel nicht obwalten kann, gesagt, dass diese Zellen sich am leichtesten mit Methylenblau färben; möglich sei dies auch mit der Golgi’schen Methode, viel besser noch mit den früheren Goldmethoden. Meine damaligen Studien und Veröffentlichungen erstrecken sich, was Dogiel entgangen zu sein scheint, lediglich auf folgende zwei Punkte: 1. Auf diejenigen nervösen Theile, welche in der Muskulatur, also zwischen den Muskelzellen liegen. Mit den Ganglien der Darm- geflechte habe ich mich gar nicht beschäftigt. Dogiel führt aber meine Arbeit als gehörig zu denen an, welche „von dem Bau der Ganglien in den Darmgeflechten handeln“? Meine damaligen Ergebnisse und Ab- bildungen und die jüngsten von Dogiel sind völlige disparate Dinge. 2. Auf die Endigungsweise der zu und in den glatten Muskeln ziehenden Nerven. Was anderen auf diesem Gebiete arbeitenden Forschern bis damals gelungen war, habe ich selbst am Eingange des Capitels angeführt. Dass in Vergleichung damit meine Färbungen „sehr mittelmässige Resultate“ ergeben, ist eine Behauptung, für die Dogiel den Beweis schuldig ge- blieben ist. Andere Berichterstatter haben die Sache nicht so angesehen. Seine eigenen neuesten, Abbildungen von Ganglienzellen aus dem Darm- geflechte zeigen übrigens nur, dass er zu dieser abfälligen Kritik auch heute noch nicht berechtigt ist. ı A.S. Dogiel, Ueber den Bau der Ganglien in den Geflechten des Darmes und der Gallenblase des Menschen und der Säugethiere. Dies Archiv. 1899. Anat. Abthlg. S. 133. A322. 0..8.132. Ueber das Verhalten des Blasenepithels gegenüber Harnstoff. Von H. J. Hamburger in Utrecht. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass isolirtes Blasenepithel nicht oder nur wenig durchlässig ist für Kochsalzlösungen,! schien es mir inter- essant zu untersuchen, ob das nämliche Verhältniss auch für Harnstoff- lösungen gelten würde. Denn erstens ist das Ureum eine Substanz, welche im Harn von Carnivoren und ÖOmnivoren in grosser (Quantität vorhanden ist und nach den von mir ausgeführten Gefrierpunktbestimmungen beim Menschen gewöhnlich mehr als ein Drittel des wasseranziehenden Vermögens des sämmtlichen Urins ausmacht. Zweitens interessirte mich die Frage auch besonders aus einem allgemein physiologischen Gesichtspunkt. Bereits 1839 wurde vom Botaniker Hugo de Vries? mittels plasmo- lytischer Versuche nachgewiesen, dass die Protoplaste verschiedener Pflanzen- zellen für Harnstoff sehr durchlässig sind. Nachher gelangten Grijns,? Schöndorff,* Koeppe? und Hedin® zu dem nämlichen Resultat mit ! Hamburger, Ueber den Einfluss von Salzlösungen auf das Volum thierischer Zellen. Zweite Mittheilung. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 431. ® Hugo de Vries, Ueber die Permeabilität der Protoplaste für Harnstoff. Botun. Zeitung. 1889. Nr. 19 u. 20. ® Grijns, Ueber den Einfluss gelöster Stoffe auf die rothen Blutzellen, in Ver- bindung mit den Erscheinungen der Osmose und Diffusion. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXIII. S. 86. * Schöndorff, Die Harnstoffvertheilung im Blute auf Blutkörperchen und Serum. Ebenda. 1896. Bd. LXIII. 8. 192. 5° Koeppe, Der osmotische Druck als Ursache des Stoffaustausches zwischen rothen Blutkörperchen und Salzlösungen. Ebenda. 1897. Bd. LXVIL S. 189. ° Hedin, Ueber die Permeabilität der Blutkörperchen. Zbenda. 1897. Bd. LXVII. S. 229. 10 H. J. HAMBURGER: Bezug auf die rothen Blutkörperchen und es würde mich wundern, wenn viele andere thierische Zellen nicht dasselbe Verhältniss zeigen würden.! Denn a priori muss es zweckmässig erscheinen, dass die Zellen im Stande seien, sich leicht zu entlasten vom wichtigsten Endproduct der Eiweiss- zersetzung. So zweckmässig uns diese Permeabilität aber für die meisten Zellen erscheinen muss, so unzweckmässig muss dieselbe uns vorkommen für das Blasenepithel. Ist ja die Blase ein Reservoir von Abfallprodueten. Und gewiss würde dieselbe ihrer Aufgabe als solches sehr schlecht genügen, wenn die Mucosa dem nicht ungefährlichen Ureum gestattete, wieder in den Kreislauf zurückzukehren. Seit mehr als einem Jahrhundert ist wiederholte Male untersucht worden, ob in der That die intacte Blasenwand für normale und abnormale Urinbestandtheile durchlässig sei. Die Litteratur über den Gegenstand hat einen grossen Umfang erreicht. Letzteres rührt einerseits daher, dass bei den verschiedenen Autoren die betreffenden Versuchsergebnisse einander jedes Mal widersprechen, andererseits, weil es hier ein Problem von grosser praktischer Wichtigkeit gilt. Es scheint mir überflüssig, hier ein Litteraturverzeichniss über den Gegenstand zu geben, zumal, weil noch vor Kurzem Gerota? ein aus- führliches mitgetheilt hat. Was übrigens den Inhalt dieser in mancher Hinsicht ausgezeichneten Arbeit betrifft, stimme ich dem Verfasser ganz bei, wenn er nach einer Kritik seiner Vorgänger und nach Besprechung seiner eigenen Ergebnisse zu dem Resultat gelangt, dass eine physiologische intravesicale Resorption nicht besteht. Wo aber der Verfasser behauptet, dass „wenn auch die Harnstoffmenge, welche die infäcte Blasenwand zu resorbiren im Stande, so gering ist, dass von einer physiologischen Resorption nicht die Rede ist, die Blase doch etwas Ureum resorbirt“, da will ich zwar die Mög- lichkeit des letzteren nicht bestreiten; ich muss jedoch bemerken, dass zu dieser Schlussfolgerung seine Versuche nicht das Recht geben. Gerota bringt nämlich Harn und Harnstofflösungen in die Blase und entfernt eine Probe davon nach verschiedenen Zeiten. Die Analysen der Proben ergeben, dass deren Stickstoffgehalt mit der Zeit abnimmt und der Verfasser folgert daraus, dass in normalen Umständen etwas Ureum von der Wand resorbirt ‘ In der letzten Zeit habe ich dasselbe in der That auch constatiren können für weisse Blutkörperchen und Lymphdrüsenzellen. Schon früher (Pflüger’s Archiv. Bd. LXU.) hat Schöndorff nachgewiesen, dass der Harnstoffgehalt in den Organen eines Thieres der gleiche ist. ! D. Gerota, Ueber die Anatomie und Physiologie der Harnblase. Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. S. 428. DAs VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF. 11 wird und umgekehrt Wasser durch Diffusion an den Blaseninhalt abgegeben wird. Er hat aber vergessen zu bedenken, dass der Blaseninhalt hyper- isotonisch war und dass, wie auch die Abnahme des specifischen Gewichtes zeigte, gerade dadurch Wasser aus der Mucosa in den Inhalt hinein- gedrungen sein konnte. Auch dadurch konnte ja der N-Gehalt allmählich abgenommen haben. Es ist überhaupt zu bedauern, dass Gerota bei seinen sonst sorg- tältig angestellten Versuchen diesen Factor vernachlässigt hat, sonst hätte er mit einer geringen Modification seines Verfahrens die Frage, ob auch kleine Mengen Ureum und anderer Stoffe resorbirt werden, endgültig ent- scheiden können. Dass der Unterschied im osmotischen Druck zwischen Blaseninhalt und Blutflüssigkeit in der That ein Factor ist, welcher in casu Beachtung ver- dient hätte, geht u. A. noch hervor aus den Versuchen von Gaebelein,! der concentrirte Lösungen von Glucose und Harnstoff in die Blase ein- führte und neben einer Abnahme des specifischen Gewichtes, Volums- zunahme constatirte; weiter aus den Experimenten von Treskin,? der z.B. bei einem Hund 118° ® Urin von 1'0284 spec. Gewicht in die entleerte Blase hineinbrachte und nach 4 Stunden 150 ® von 1.0247 spec. Gew. zurückfand. Inzwischen lehrt die gewöhnlich noch immer sehr hohe osmotische Spannkraft des normal entleerten Urins, dass die Ausgleichung des wasser- anziehenden Vermögens zwischen Blaseninbalt und Blutflüssigkeit langsam ° vor sich gehen muss. Und das kann uns nicht wundern; denn, wenn auch die die Blasenwand begrenzende Flüssigkeitsschicht nach relativ kurzer Zeit die osmotische Spannkraft der Blutflüssigkeit angenommen haben möchte, so wird es doch lange dauern müssen, bevor die Flüssigkeit, welche ruhig in der Mitte der angefüllten Blase gelegen ist, mit der Wandschicht aus- gewechselt hat. Indessen die Sache, worauf es hier ankommt, ist, dass es nach ein- gehender kritischer Betrachtung der verschiedenen Arbeiten wohl als fest- gestellt betrachtet werden kann, dass die Blasenwand, wenn nicht voll- kommen undurchlässig, dann doch jedenfalls in sehr geringem Maasse für Ureum permeabel ist; und so haben wir uns denn die Frage vorzulegen, ob das durch Abschaben isolirte Blasenepithel in Ueberein- stimmung mit dem, was die Experimente an der lebenden ' Gaebelin, Ueber das Resorptionsvermögen der Harnblase. Inaug.- Dissert. Halle 1894. — Auch Morro und Gaebelin, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XXXL. S. 11. ® Treskin, Beiträge zur Physiologie der Harnblase und der Niere. Pflüger’s Archiv. 1812. Bd. V. S. 324. 2 H. J. HAMBURGER: intacten Blasenwand zu erwarten das Recht geben, für Harn- stoff impermeabel oder wenig permeabel sind. Eine Beantwortung in positivem Sinne wird dann aussagen, dass das Protoplasma des Blasen- epithels in dieser Beziehung abweicht von dem der anderen bis jetzt unter- suchten Zellen, worunter auch Pflanzenzellen. Um der Frage näher zu treten, fertisten wir Harnstofflösungen an, isotonisch mit NaCl 0-7, 0-9, 1-2 und 1-5 Procent. Dann wurden 10 em dieser Flüssigkeiten abgemessen und versetzt mit gleichen Quantitäten einer Aufschwemmung von abgeschabtem Blasenepithel in 0-9 procent. NaCl- Lösung. Eine halbe Stunde nachher wurde centrifugirt. Wie aus folgender Tabelle hervorgeht, war der Einfluss auf das Volum gering. Harnstofflösungen Volum des Epithels a) Harnstofflösung isotonisch mit NaCl 0-7 Procent 93 b) El Ei > „ 0 - I Ei 91 €) ER) E+) +) Er} 1 = 2 Er} 89 d) ER) 9 ER » 1-5 » 85 Wie ersichtlich, beträgt der Volumsunterschied von a und d nur 93 — 85 93 NaCl-Lösungen (0-7 und 1°5 Proc.) angestellten Versuch ein Volumsunter- schied von 26-2 Proc. ergab. Woher dieser Gegensatz zwischen den Harnstoff- und den entsprechenden NaCl-Lösungen ? Nun hatten wir früher beobachtet, dass rothe Blutkörperchen in reinen Harnstofflösungen jeder Concentration zu Grunde gehen.! Vielleicht — so dachten wir — wird auch das Epithel von solchen Lösungen geschädigt. Darum entschlossen wir uns, statt reiner Harnstofllösungen, Gemische an- zuwenden von Harnstoff- und NaCl-Lösungen, welche mit einander isotonisch waren. Hierzu fanden wir um so mehr Veranlassung, weil im Harn nebst Ureum viel NaCl vorkommt. x 100 = 8.6 Proc., während sich aus einem mit den entsprechenden Also fertigten wir an: 1. Eine NaCl-Lösung von 0-7 Procent; Den: „ „ 1-5 ” 3. „ Harnstofflösung isotonisch mit NaCl 0.7 Procent; 4. ” „ 2) „ „ 1-5 ” I Vgl. Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. S. 481. Es wurde dies von anderen Antoren, Grijns, Schöndorff, Koeppe, Hedin, a.a. O., bestätigt. DAs VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF. 13 Aus 1 und 3 bereiteten wir ein Gemisch von 75° der Flüssigkeit 1 und 25 m der Flüssigkeit 3. Ebenso fertisten wir ein Gemisch an, welches 75 em Flüssigkeit 2 und 25° ® Flüssigkeit 4 enthielt. Die folgende Tabelle bringt das Resultat der mit jenen Gemischen angestellten Versuche. Flüssig oe eiten ' Volum des Epithels ®) \ NaCı- ne Orte Procentey: 2. | 85-5 5 b) 75 cm NaCl-Lösung 0-7 Procent + 25 m a Hametölklokung | isotonisch mit Nacı DI Pı:o Con ee, 102 c) NaCl-Lösung 1-5 Procent. . - 61 d) 75 em NaCl-Lösung 1-5 Procent + 25 ce neo sung isotonisch mit NaCl 1°5 Procent . . . | 70 Vergleicht man die Zahlen von a und b: 85-5 und 102, so ergiebt sich ein bedeutender Unterschied. Derselbe wäre nicht aufgetreten, wenn das Epithel sich mit Bezug auf die Permeabilität für Harnstofi auf gleiche Weise verhalten hätte wie das NaCl. In diesem Falle wäre, da die Flüssig- keiten a und b mit einander isotonisch sind, für a und b beide gefunden 85.5.1 Man bekommt den Eindruck, als ob b eine Flüssigkeit von ! Es kann die Frage gestellt werden, ob die Anwesenheit eines Nichtleiters, wie Ureum, auf die Dissociation eines Elektrolyten, wie NaCl. Einfluss ausübt; mit anderen Worten, ob die osmotische Spannung der NaCl-Lösung als solche durch das Ureum nicht herabgesetzt wird. Arrhenius hat diese Frage für Combinationen von ver- schiedenen Nichtleitern und Elektrolyten beantwortet und zwar in positivem Sinne (Zeitschrift für physikalische Chemie. 1892. Bd.IX. 8.487). Für die Combination: Ureum- und NaCl-Lösungen vermisse ich aber Angaben. Ich habe darum selbst die folgenden Versuche a bis e angestellt, nicht aber mittels des elektrischen Leitungs- vermögens, sondern mittels Gefrierpunkterniedrigung. Versuch a. 0-Tprocentige NaCl-Lösung, in welche 2 Procent Ureum gelöst worden ist 4= 1-029 0O-Tprocentige NaCl-Lösung. . . » » 2 2 2 20... .4=0'422 Wässerige Ureum-Lösung 2 Procent. . . . 2 2.2.2...4= 0.632 4=1:.054 4= 1.054 Versuch b. 1-5procentige NaCl-Lösung, in welche 1 Procent Ureum gelöst worden ist 4= 1.191 1-5procentige NaCl-Lösung . . . . . Mana 2 10892 Wässerige Ureum-Lösung 1 Procent . . . 2. 2......4= 0.321 Ser a . Versuch c. Serum, in welches 1 Procent Ureum gelöst worden St - 2 2 2.0 ...:A = 0.945 Serum s RR RR NG "A = 0.655 Wässerige Urenm: Dose 1 Procant ae 032 420: 958-5 47105958 14 H. J. HAMBURGER: kleinerer osmotischer Spannkraft ist als a Die Erklärung kann, wie mir scheint, nur darin gesucht werden, dass der Harnstoff in die Zellen hinein- gedrungen ist, so dass diese Substanz als solche dessen Einfluss auf das Volum der Zellen nicht entfalten konnte. Die Berechnung lehrt, dass das Zellenvolum im Gemisch b sich gestaltet, als ob 75m NaCl 0.7 Procent verdünnt mit etwa 25 m Wasser verdünnt gewesen wäre. Ist diese Betrachtung richtig, so muss auch das Volum des Epithels in Flüssigkeit c kleiner sein als in d, was auch wirklich der Fall ist. Ich lasse noch einige Versuche folgen, welche dasselbe Resultat geben. Flüssigkeiten | Volum des Epithels B NaCl-Lösung 0-7 Procent. . . 89 b) 75 ® NaCl-Lösung 0-7 Procent + er sem * Hamstoflösung isotonisch mit NaCl 0-7 Procent . . . 105 c) NaCl-Lösung 1-5 Procent. . . 67 d) 75 «m NaCl-Lösung 1-5 Procent + 25 uam * Harnstofflösung isotonisch mit NaCl 0-7 Procent . . 713 a) NaCl-Lösung 0-7 Procent. . . 55 b) 75 cm NaCl-Lösung 0-7 Procent a 95 som " Harnstoflösung isotonisch mit NaCl 0-7 Procent . . 60 e) NaCl-Lösung 1-5 Procent. . . 38 d) 75 em NaCl-Lösung 1-5 Procent + 5 com " Harmstotlösung isotonisch mit NaCl 1-5 Procent . . . | 45 Versuch d. Serum, in welches 2 Procent Ureum gelöst worden it . . » » 2... 4=1.250 Serum un . . .. .41=0:635 Wässerige en oe 2 Prosentd u 0636 A=1-271 4=1-271 Versuch e. Serum, in welches 8 Procent Ureum gelöst worden it . . . » ......4= 1.560 Serum 2. = 2 Ze 0035 Wässerige Ureum TORE 3 Procens ZN Bei genauer Betrachtung der Versuchsergebnisse stellt sich heraus, dass die Gegenwart von Ureum die Gefrierpunkterniedrigung der NaCl-Lösungen, ebenso wie die des Serums, ein wenig herabsetzt. Auf die im Text besprochenen Versuche kann das aber kaum einigen Einfluss ausüben, zumal, weil der Einfluss des Nichtleiters sich nicht nur geltend machen wird auf die NaCl-Lösungen, sondern auch, nach dem, was man beim Serum beobachtet, in den Zellen selbst. Indessen muss erwähnt werden, dass Hedin absolut keinen Einfluss des Ureums auf die Gefrierpunkterniedrigung von Salzlösungen und Serum hat beobachten können (Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVIIL S. 245). Das VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF. 15 e N Auf vielleicht noch übersichtlichere Weise konnte der Fragepunkt untersucht werden, indem man auf das Epithel eine NaCl-Lösung von 0.7 Procent und eine NaCl-Lösung von 0°7 Procent, in welche eine will- kürliche Quantität festen Ureums gelöst worden war, einwirken liess. War die Vorstellung, dass der Harnstoff sich gleichmässig über Zelle und Um- gebung vertheilte und also keine osmotische Druckdifferenz zwischen Zelle und Umgebung herbeiführte, richtig, so musste das Volum der Zellen in reiner 0-7 procent. NaCl-Lösung und in mit Ureum versetzter 0.7 procent. NaÜl-Lösung dasselbe sein. Flüssigkeiten Volum des Epithels a) Na. 0 IR OS Drocen te ee 65 b) NaCl 0-7 Procent, in welches 1 Procent festes Ureum gelöst worden ist (1 = auf 100°) .-, u. 66-5 a) NaA@IE OS Procente ee 73 b) NaCl 0-7 Procent, in welches 1 Procent festes Ureum Salosb zWOrdeik Intern. er ke ee 72°5 a) NaCl 0-7 Proceent . . .. 63 b) NaCl 0-7 Procent, in welches 0- 95 Procent festes Ureum gelöst worden ist eu ee ee 62 Wie ersichtlich, hat die Hinzufügung von Harnstoff zu der NaCl- Lösung keinen nennenswerthen Einfluss auf das Volum des Blasenepithels ausgeübt. Nun besitzt eine 1 procent. Harnstofflösung denselben osmotischen Druck wie eine etwa 0-5 procent. NaQl-Lösung. Wenn also der Harnstoff sich gegenüber dem Epithel verhalten hätte wie das NaCl, so hätte die Flüssigkeit b einer NaQl-Lösung von 0-7 Proc. + 0-5 Proc. = 1-2 Proc. entsprochen und das Volum der Zellen wäre in b + 20 Proc. kleiner ge- wesen als in a. Noch ein paar Versuche mit NaCl 1-5 Procent. Flüssigkeiten Volum des Epithels S)ENACIEB-HFBTOCEnE NE Ta ander gran Be ee are ae der 68 b) NaCl 1-5 Procent, in welches 1 Procent festes Ureum LEelOSLEWOLdEN- BL Sn Se a a 68 a) NaCl 1-5 Proceent . . . 58 b) NaCl 1-5 Procent, in echt 1 Feen Be Drum FEIOBLEWOTGENEISL ae ee ee 59 Diese Versuche bringen eine Bestätigung der vorigen. Wir sind also berechtigt zu schliessen, dass aus NaCl-Harnstofflösungen der Harn- 16 H. J. HAMBURGER: stoff sich über Epithel und Umgebung vertheilt, ohne die ge- ringe Durchlässigkeit des Epithels für NaCl merkbar zu beein- flussen. Und so sehen wir uns dann gestellt vor die Frage, wie ist es zu erklären, dass beim isolirten Epithel das Ureum so leicht in die Zelle hineindringt, während die intacte Blasenwand, wenn auch vielleicht keine absolute, dann doch jedenfalls eine äusserst geringe Permeabilität für Harnstoff zu besitzen scheint. In so weit ich sehen kann, giebt es nur zwei Möglichkeiten: 1. Im Harn kommt das Ureum vor in einer Verbindung, welche vom Blasenepithel zurückgehalten wird. 2. In der normalen Blasenwand ist eine eigenthümliche Vorrichtung vorhanden, welche dem Ureum, in welchem Gemisch dasselbe sich auch im Blaseninhalt vorfinden möge, den Durchgang verweigert. Um die erste Vorstellung auf experimentellem Wege zu prüfen, hatten wir nur zu erforschen, ob der Harn das Volum des isolirten Epithels mit seinem ganzen wasserausziehenden Vermögen beeinflusst oder ob auch hier ebenso wie bei dem Harnstoff-Kochsalzgemisch der Harnstoff von der Fest- stellung des Volums ausgeschlossen ist. Es wurde folgender Versuch angestellt: Gleiche Quantitäten einer frischen Aufschwemmung von Blasenepithel in ein wenig 0-9 procent. NaCl-Lösung werden versetzt mit 15° m NaCl 0.7 procent. und 1-5procent. unverdünntem Harn und verdünntem Harn (30 «m Harn + 20m Wasser. Nach °/,stündiger Einwirkung wird centrifugirt. Von den gebrauchten Lösungen werden Gefrierpunktsbestimmungen ausgeführt mittels des Beeckmann’schen Apparates. Um vom Stand des Nullpunktes sicher zu sein, wurde immer am Anfang und am Ende jeder Versuchsreihe der Gefrierpunkt für destillirtes Wasser festgestellt. Wir schreiben in die dritte Spalte die Gefrierpunktserniedrigungen hinter die entsprechenden Flüssigkeiten. I m =] II 2 SR Volum des Epithels | Gefrierpunkterniedrigung A Binssiokeiten (Schwein) der gebrauchten Lösungen ar | 1. Na€110°7 Procent .. 2... 118 0.463 Ze en N 37 0-879 SlHlarnenec he meet Ne | 58 0990 4. 30°® Harn + 20m Wasser | 106 0:664 DAs VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF. 17 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass, obgleich der Harn (3) eine grössere Gefrierpunktserniedrigung zeigt als NaCl 1.5 Procent (2), das Volum von (3) doch noch etwas grösser ist als von (2). Es liegt auf der Hand, dass, wenn alle Bestandtheile des Harns, namentlich auch das Ureum, sich auf das Volum der Zellen geltend gemacht hätten, das Volum von (3) viel kleiner gewesen sein würde als 87. Zu einer gleichlautenden Schlussfolgerung führt die Vergleichung von (1) und (4). Berechnet man aus (1) und (2) das Volum, welches die Zellen besitzen werden in einer NaÜl-Lösung von 0°664° Gefrierpunkterniedrigung, so ist das ungefähr 98, eine Zahl, welche viel kleiner ist als 106. Es erleidet also keinen Zweifel, dass im Urin Bestandtheile vorhanden sind, welche sich gleiehmässig über Zellen und Umgebung vertheilt und sich auf diese Weise doch der Beeinflussung des Volums entzogen haben. Unter diesen Bestandtheilen ist keine Substanz vorhanden, welche in so bedeutendem Maasse am wasseranziehenden Vermögen betheiligt ist, wie das Ureum. Der vorliegende Urin enthielt etwa 1-4 Procent Harnstoff. Ich lasse noch einige Versuche folgen, welche dasselbe Resultat ge- geben haben. Euieh Kateısıl 5 Gefrierpunkterniedrigung 4 Flüssigkeiten Volum des Epithels der gebrauchten Lösungen 1. NaCl 0-7 Procent . . . . | 107 0.463 F 2. led = ee: 961 0.879 3. Harn (Schwein). . . 99 1°040 4. 30° @® Harn + 20 ° m Waccer 111 0.658 Obgleich die Gefrierpunkterniedrigung von (3) 1-040° ist und also viel grösser als von (2), ist doch das Volum bei (3) grösser als von 0). Das Umgekehrte wäre der Fall gewesen, wenn (2) und (3) beide NaÜl- Lösungen gewesen wären. Die Vergleichung von (4) und (1) führt zu derselben Schlussfolgerung. Der Schweinsurin enthielt etwa 1-7 Procent Harnstoff. a Aeheae. | : Gefrierpunkterniedrigung A Flüssigkeiten | Volum des Epithels der gebrauchten Lösungen 1. NaCl 0-7 Procent . . . . | 84 0.465 ° 2. a ao ” ee: 57 0-876 ? 3. Urin (Mensch) . . : | 76 1-605 4. 50. Urin + 50m Was | 111 0.825 ! Ueber den zuweilen geringen Unterschied zwischen den Volumina in NaCl 0-7 und 1-5 Procent vgl. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 452. ? Die in diesem Aufsatz mitgetheilten Gefrierpunkterniedrigungen von NaCl 0-7 und 1-5 Procent sind ein wenig zu hoch. Das rührt daher, dass zur Anfertigung der Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthig, 2 18 H. J. HAMBURGER: 4 von (4) ist nur ein wenig kleiner als A von (2) und doch ist das Volum der in (4) verweilenden Zellen fast zwei Mal so gross. Dement- sprechend zeigt sich A von (3) viel grösser als von (2), trotzdem ist das Volum in (3) grösser als in (2). Der Harnstoffgehalt beträgt + 3°2 Proc. a i 3 Gefrierpunkterniedrigung A Flüssigkeiten Volum des Epithels der gebrauchten Lösungen 17° NaCWMOw9E Brocent. 2.2. 11 0.549 ° 28 Urinä@Menschvr an 2. 86 0.545 1. NaC10°95Procent - 2. 25-5 0.547 ° 22V rına(Mensch)es ie. 41 1-630 Auch diese beiden Versuche geben dasselbe Resultat. Endlich noch zwei Experimente, wobei dem Urin Harnstoff hinzu- gefügt wurde. Al i : ' Gefrierpunkterniedrigung 4 Flüssigkeiten Volum des Epithels (der gebrauchten Lösungen Felrn (Schwein) . ... | 85 | 1.1299 2. Urin, in welchem 1 Prooent festes Ureum gelöst worden ist 86 2....1°448 1.7 Urin @Mensch)ir . 2 = 69 1.7100 2. Urin, in welchem 1 Bone festes Ureum gelöstworden ist | 67-5 | 2-030 Obgleich in beiden Fällen durch Hinzufügung von Harnstoff die Ge- frierpunkterniedrigung um etwa 032° gestiegen ist, ist das Volum des Epithels nahezu unverändert geblieben. Alle Versuche lehren einstimmig, dass das isolirte Blasen- epithel nicht nur in hohem Maasse permeabel ist für den Harn- stoff in NaCl-Ureum-Gemischen, sondern auch für den im Urin vorhandenen Harnstoff. Die geringe Durchlässigkeit der intacten lebenden Blasenwand für den im Harn vorhandenen Harnstoff lässt sich also nicht dadurch erklären, dass im Harn das Ureum etwa in einer nicht durchtretenden Verbindung anwesend ist (vergl. S. 16). Damit steht im Einklang, dass, wie Gerota u. A. gefunden haben, auch reine Harnstofflösungen die Blasen- betreffenden Lösungen irrthümlich Wasserleitungswasser statt destillirtes gebraucht wurde. Uebrigens thut man das in den Utrechter Laboratorien oft, weil da das Wasser- leitungswasser dem destillirten Wasser so ausserordentlich nabe kommt. Der Salzgehalt ist minimal, trotzdem aber bei der Gefrierpunktbestimmung merkbar. Indessen auf die Richtung unserer Versuchsresultate übt diese Verwechselung selbstverständlich keinen Einfluss aus. DAS VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF. 19 wand zu verlassen kaum im Stande sind. Es erübrigt also nichts anderes als anzunehmen, dass in der normalen Blasenwand eine Vorrichtung vorhanden ist, welche dem Ureum, in welchem Gemisch dasselbe sich auch im Blaseninhalt vorfindet, den Durchgang verweigert. Welche kann diese Vorrichtung sein? Würde hier die Vielschichtigkeit des Epithels verantwortlich gemacht werden müssen? Das ist nicht anzunehmen, denn wie aus den Experi- menten am isolirten Epithel hervorgeht, tritt das Ureum sehr schnell in die Zellen herein und nun liegt es zwar auf der Hand, dass für eine mehr- fache Schicht die Zeit bedeutender sein muss, aber dadurch ist doch nicht erklärt, dass die Schleimhaut für Ureum so gut wie völlig impermeabel ist. Dazu kommt, dass in situ die Bedingungen für das Hineindringen, also für die Resorption von Stoffen günstiger sind, weil dieselben dann fortwährend vom Blut- und Lymphstrom abgeführt werden. Vielleicht — so dachten wir — geben Gerota’s mikroskopisch- anatomische Untersuchungen eine Anweisung. Dieselben haben ja nach- gewiesen, dass im Gegensatz mit dem, was an anderen Schleimhäuten beobachtet wird, die Schleimhaut der Blase keine Lymphgefässe enthält, unter dem vielschichtigen Epithelium findet man nur Spalten, Saftlücken, welche nicht mit einander communiciren. Man könnte sich nun vorstellen, dass zwar die Epithelzelle sich mit Harnstoff tränkt, aber, dass durch Ab- wesenheit eines Lymphstromes keine Abfuhr stattfindet. Das subimucöse Gewebe enthält jedoch ein reiches Netz von Blutgefässen und nach den Untersuchungen der letzten Jahre hat man nicht das Recht, dieselben bei der Resorption zu vernachlässigen (Heidenhain-Orlow, Hamburger, Starling und Tubby u. A.). Das Gegentheil ist wahr. Das schliesst aber nicht aus, dass das Fehlen eines Lymphstromes in der Blasenschleimhaut, wenn dasselbe auch nicht genügt, das sehr schlechte Resorptionsvermögen der Blase zu erklären, mit demselben in Uebereinstimmung ist und viel- leicht auch auf jene Eigenschaft fördernd wirkt. Die Blasenschleimhaut besitzt inzwischen noch eine andere Eigenschaft. Während im Tractus intestinalis, im Uterus u. s. w. die Epithelzelleu mittels Intercellularbrücke mit einander verbunden sind, sind die Epithelzellen der Blasenschleimhaut umgeben und vereinigt mittels einer continuirlichen, hyalinen, stark lichtbrechenden Substanz.! ! Gerota, a.24.0. 8.460. — Heidenhain, Beiträge zur Histologie und Physio- logie der Dünndarmschleimhaut. Pflüger’s Archiv. 1888. Bd. XLIH. Suppl. — Barfurth, Verhandl. der anat. Gesellsch. X. Versammlung in Berlin. 1896. Citirt bei Gerota. — Schulze, Ueber die Verbindung der Epithelzelleun unter einander. Sitzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissensch. Berlin 1896. Bd. XXXIX. 8. 971. 20 H. J. HAMBURGER: Und nun drängt sich wie von selbst die Hypothese .auf, dass diese Substanz die Eigenschaft besitzen muss, für Ureum ganz oder nahezu ganz impermeabel zu sein. Wird diese Substanz dann durch die bei Isolirung der Zellen unvermeidliche mechanische Be- leidigung hier und da vom Zellenkörper entfernt, so fehlt da die schützende Substanz und der Harnstoff kann frei in die Zelle hineintreten. So ist es dann zu erklären, dass das isolirte Blasenepithel wohl das Blasenepithel in situ, aber nicht für Harnstoff per- meabel ist. Da das Bblasenepithel mehrere Schichten von Epithelzellen bildet, jede von der genannten hyalinen Substanz umgeben, bleibt bei eventueller Ab- stossung von Zellen die Undurchgängigkeit der Schleimhaut in hohem Maasse garantirt. Ob die genannte Kittsubstanz, ausser für Ureum auch für NaCl im- permeabel ist, kann hier als irrelevant betrachtet werden, weil unsere Ver- suche am isolirten Epithel nachgewiesen haben, dass das Zellprotoplasma bereits selbst für NaCl undurchlässig ist. Es sei schliesslich noch daran erinnert, dass auch schon Gerota der hyalinen Kittsubstanz eine wichtige Rolle für die physiologischen Eigen- schaften der Blasenschleimhaut zugeschrieben hat. Sich stützend auf sein Versuchsresultat, dass die Blasenmucosa für Alkaloide nicht, dagegen für Ureum, Ferrocyankalium, Glucose wohl permeabel sei, schliesst der Verfasser, dass die Zwischensubstanz die Eigenschaft besitzen: muss, grössere Molecüle nicht, kleine dagegen wohl durchtreten zu lassen. Wie wir oben hervor- gehoben haben (S. 11), hat Gerota irrthümlich aus seinen Versuchen gefolgert, dass die Blasenmucosa für Ureum ein wenig durchlässig ist. Mehrere Versuche mit LiBr! und mit KJ? reden dafür, dass die Blasen- schleimbaut auch für Stoffe mit kleinen Molecülen absolut undurch- gängig Ist. | Der directe Beweis, welchen Gerota erbracht zu haben meint für die Permeabilität der hyalinen Zwischensubstanz gegenüber einer Verbindung mit kleinem Molecül, namentlich Ferrocyankalium, scheint mir nicht einwandsfrei. Wenn man die Blutgefässe mit destillirtem Wasser ausspritzt, diffundirt letzteres bald aus den Capillaren in die intercellulare Substanz hinein und dieselbe kann dann nicht mehr als ungeschädigt angesehen ! Pouchon et Segalas, Compt. rend. de l’acad. des Sciences. 1895. 22. Juni. ®? Boyer et Guinard, Archives de med. experiment. et d’anat. pathol. 1894. T. VI. p. 882. — Alapy, COentralblatt für Krankheiten der Harn- und Sexualorgane. Bd. VI. 8.181. Ref. in Jahresber. für T'hierchemie über das Jahr 1895. 8. 360. — Stokvis, Voordrachten over Geneesmiddelleer. 1.Dl. 1.St. 2. Dr. p. 92. DAs VERHALTEN DES BLASENEPITHELS GEGENÜBER HARNSTOFF, 21 werden. Wenn sich dann später Ferrocyankalium in dieser Substanz vor- findet, so kann dies nicht als Beweis gelten, dass die normale Kittsubstanz für das Salz durchlässig sei. Zusammenfassung. 1. Isolirtes Blasenepitheliist für Harnstoff in hohem Maasse permeabel. Dies gilt sowohl für den Harnstoff in Ureum-Kochsalzlösungen, wie auch für den Harnstoff im Urin. 2. Im Gegensatz mit dem isolirten Blasenepithel ist das Blasenepithel in situ für Harnstoff sehr wenig oder nicht per- meabel. 3. Dieser Gegensatz lässt sich erklären durch die Eigen- thümlichkeit des Blasenepithels, dass die Zellen ganz umgeben und vereinigt sind durch eine continuirlich verlaufende hyaline Substanz, welche wir annehmen, für Harnstoff wenig oder nicht permeabel zu sein. Wird diese Substanz dann durch die bei Isolirung unvermeidliche mechanische Beleidigung hier und da vom Zellkörper entfernt und fehlt daselbst also die schützende Schicht, so kann das Ureum frei in die Zelle hineintreten. Von grossem Interesse hierbei ist, dass die Epithelzellen der Blasen- schleimhaut eine mehrfache Schicht bilden; hierdurch bleibt bei eventueller Abstossung von Zellen die Undurchlässigkeit der Mucosa für Harnstoff in bedeutendem Maasse gesichert. Und so hat denn unsere Methode zur Studirung des Einflusses von Salzlösungen auf das Volum thierischer Zellen, eine Methode, welche wohl etwas roh aussieht, wo sie arbeitet, mit durch Abschaben isolirten Zellen unerwartet Veranlassung gegeben, tiefer in die Eigenschaften des Blasenepithels einzudringen. Ueber die sensiblen Functionen der sog. motorischen Rindenzone des Menschen. Von Prof. Dr. W. v. Bechterew. Ob wir im Gebiete der Centralwindungen ausschliesslich motorische Centra oder neben letzteren auch sensible bezw. sensitiv-motorische Centra haben, gehört heute bekanntlich noch zu den uffenen Fragen der Gehirn- physiologie. Zwar ist durch neuere Ermittelungen an Affen in überzeugender Weise dargethan worden, dass die sogen. motorische Zone der Gehirnrinde im Grunde nicht motorische, sondern sensitiv-motorische Centra umfasst. In- dessen können Fragen, wie diejenige nach der sensiblen Natur des muto- rischen Rindenfeldes nur durch unmittelbare Beohachtung am Menschen selbst ihrer endgültigen Lösung näher gebracht werden. Schon mehrfach sind in der Litteratur Beobachtungen zur Sprache gebracht worden, die für die sensible Function der sogen. motorischen Zone sprechen sollten, doch konnten nur wenige davon als genügend beweiskräftig angesehen werden. Es sind nämlich mehr oder weniger veraltete Herdaffectionen der Gehirn- rinde kein geeignetes Material zur Entscheidung der vorliegenden Frage im Hinblick auf die Möglichkeit einer Compensation der eingetretenen Störungen von Seiten der anderen Hemisphäre. Hingegen kommen ernstere Be- schädigungen der motorischen Centra, die zu schnellem Exitus letalis hin- führen, hier nicht in Frage, einerseits wegen der Ausdehnung der Läsion selbst, die oft genug die Grenzen der motorischen Zone überschreitet, andererseits mit Rücksicht auf die unter solchen Verhältnissen ganz ge- wöhnlichen Trübungen des Bewusstseins. Diese Verhältnisse lassen es begreiflich erscheinen, dass eine so bedeutungsvolle Frage, wie die hier vorliegende, mit Hülfe der Pathologie bisher keine definitive Erledigung hat finden können und dass sie ursprünglich nicht so sehr von Seiten der Klinik als vielmehr von der Physiologie gefördert worden ist. W. v. BECHTEREW: DIE SENSIBLEN FUNCTIONEN UV. S. W. 23 In neuerer Zeit nun ist es bei (Gelegenheit operativer Eingriffe am motorischen Felde des menschlichen Gehirnes in Fällen von Rindenepilepsie möglich geworden, die in Rede stehende Frage an der Hand von Beob- achtungen an Menschen über Entfernung von Theilen der motorischen Rindenzone einer Prüfung zu unterwerfen. Besonders lehrreich sind nach dieser Richtung hin die Ermittelungen von Horsley. In einem seiner Fälle war nach Zerstörung des Centrums für den Daumen Lähmung der Musculatur desselben eingetreten, begleitet 1. von Anästhesie gegenüber leichten Tastreizen; 2. Unfähigkeit, mässige Tastreize am Daumen zu localisiren; 3. Vertaubung und Kältegefühl im Daumen, und Unmöglichkeit, die Lage des Daumens im Raume anzugeben, es sci denn, dass der Blick auf denselben gerichtet ist. Die Intensität aller dieser Störungen ist direct abhängig von dem (rrade der Beschädigung des Daumencentrums. Das subjective Gefühl der Vertaubung und Kälte erklärt Horsley als Defeet der psychischen Schätzung der Sensibilität, und den Verlust des Muskelgefühles bringt er in Zusammen- hang mit der motorischen Paralvse, so dass auch der Grund der Herab- setzung des Muskelgefühles dem Grade der Bewegungsstörung entspricht. Die genannten Erscheinungen bringt Horsley ohne Ausnahme in directe Abhängigkeit von der Läsion der motorischen Rindenzone Denn bei Anwesenheit eines irritativen Herdes im Gebiete des Daumencentrums (Tumorenbildung u. s. w.) stellt sich im Daumen ein stechendes (refühl ein, welches sich bis zum Schmerz steigert und im Arm aufsteigend sich ver- breitet, und gleichzeitig besteht manchmal das subjective Gefühl der Bewegung des Daumens bei Mangel einer wirklichen Bewegung desselben. Solche Er- scheinungen gehen bekanntlich nicht selten dem epileptischen Anfalle als Aura voran. Entfernt man nun die Reizquelle, so hören alle jene Empfin- dungen auf, und man muss hieraus den Schluss ziehen, dass der Reiz un- mittelbar von der afficirten Stelle des motorischen Feldes ausgehe und ‘ nicht mittelbar von anderen Rindenregionen, wie beispielsweise vom Gyrus fornicatus, dessen Reizung nach Horsley und Ferrier ebenfalls zu Ver- änderungen der Sensibilität führt. In meiner Klinik sind bereits in 38 Fällen am Menschen Theile der Rindensubstanz operativ entfernt worden. In zweien derselben ist die Sen- sibilität eingehend geprüft und in beiden deutliche Veränderungen der Haut- und Muskelsensibilität nachgewiesen worden. Besonders exact untersucht wurde der letzte Fall. Hier wurde wegen beständiger Zuckungen in der rechten Körperhälfte, insbesondere in der rechten Hand, die linke moto- rische Zone in beträchtlicher Ausdehnung blossgelegt. Nach Oeffnung der Dura wurde darauf mittels des Stromes das Gebiet der Centra für Hand 24 W. v. BECHTEREW: DIE SENSIBLEN FUNCTIONEN U. S. W. und Antlitz bestimmt und darauf ein ansehnlicher Theil der Rinde für die Hand und ein Theil der Rinde für das Antlitz oberflächlich abgetragen. Nach Beendigung der Operation waren im Gesichte nur schwache Ver- änderungen der Sensibilität bemerkbar, dagegen solche an der Hand ausser- ordentlich deutlich vorhanden. Nachdem der Kranke sich von den ersten Folgen des erlittenen Ein- griffes erholt hatte, eruirte die Untersuchung deutliche Abstumpfung des Tastgefühles an der rechten oberen Extremität, insbesondere an den Fingern und theilweise am Vorderarme: der Kranke hat keinerlei Empfindung bei der Berührung der Finger mit dem stumpfen Ende einer Stecknadel, an den übrigen Theilen der Hand und am Vorderarme fühlt er diese Berührung bald gar nicht, bald undeutlich. Aber auch, wenn er die Berührung fühlt, localisirt er dieselbe überaus unrichtig. Bei der Prüfung mittels des Tactio- meters von Motschutkowski! fühlt der Kranke die glatte Oberfläche mit den Fingern nicht, die rauhen Flächen Nr. 2 und Nr. 3 hält er für glatt und unterscheidet sie nur von Nr. 7, während er Nr. 5 nur von Nr. 1 unterscheiden kann; die dazwischen liegenden rauhen Flächen differenzirt der Kranke gar nicht. Bei der Untersuchung mittels des Algesimeters von Motschutkowski ergab sich nur eine geringe Abschwächung der Sensi-. bilität, deutliche Herabsetzung des Muskel- und Druckgefühles der Hand. Zugleich ist das stereognostische Gefühl gestört: der Kranke erkennt weder einen Schlüssel, noch einen Löffel, wenn man sie ihm in die rechte Hand giebt, wohl aber thut er dies mit der linken ohne Schwierigkeiten. Diese Befunde beseitigen alle Zweifel, dass Hautsensibilität und Muskel- gefühl bei dem Menschen mit den willkürlichen Bewegungen in den näm- lichen Rindenregionen sich darbieten, was mit den experimentellen Er- mittelungen an Affen bestens übereinstimmt.” Diese Thatsache wird be- greiflich, wenn wir uns erinnern, dass die genannten zwei Qualitäten der Sensibilität bis zu einem gewissen Grade bestimmend sind für die willkür- lichen Bewegungen. ı Vgl. Obosrenije psichiatrii. 1898. Russisch. ° Vgl. hierzu die bekannten Untersuchungen von Horsley und die Ergebnisse meiner Experimente. (Obosrenije psichiatrii. 1897. p. 462—463. Russisch.) Ueber pupillenverengernde und pupillenerweiternde Öentra in den hinteren Theilen der Hemisphärenrinde bei den Affen. Von Prof. Dr. W. v. Bechterew. Erweiterung der Pupille sahen bereits viele Autoren bei Reizung des hinteren Theiles der Grosshirnhemisphären auftreten. Auch ich habe solche Centra in den 80er Jahren beim Hunde nachweisen können. Weniger bekannt ist die Lage derselben bei den Affen. Was die pupillenverengernden Centra der Gehirnrinde betrifft, so fehlt es, wenn ich nicht irre, bis jetzt an entsprechenden Angaben hierüber. Reizungsversuche an der Rinde von Affen, der Species Macacus, die ich bereits im Frühjahre 1897 ausgeführt habe, ermöglichen eine Darstellung der Lage der Pupillenverengerungs- und Pupillenerweiterungscentra auf der Gehirnoberfläche. Ich habe über diese Versuche in der wissenschaftlichen Versammlung der Aerzte der Psy- chiatrischen und Nervenklinik zu St. Petersburg am 23. October 1897 bereits in aller Kürze berichtet.’ Es ergab sich aus denselben, dass in der Rinde der hinteren Hemisphärentheile zwei Centra nachgewiesen werden können, deren Reizung deutliche Verengerung der Pupille hervorruft, und zwei weitere den vorigen benachbarte Centra, deren Reizung gefolgt wird von Erweiterung der Pupille. | Zuvörderst finden wir zwei Centra, dicht bei einander gelagert, un- mittelbar vor dem unteren Theile der Affenspalte (im Niveau des oberen Endes der ersten Schläfenfurche, oder richtiger, am Orte des Zusammen- flusses der letzteren mit der Fissura Sylvii). Davon ergiebt das nach aussen hin gelegene Centrum (5 auf der Figur und nächste Umgebung desselben) bei Reizung Verengerung der Pupille und Bewegung der Augenbulbi nach 1 Vgl. Obosrenije psichiatrii. 1898. S. 64 und 65. Russisch. 26 W. v. BECHTEREW: unten-innen, wobei das Auge der gleichen Seite etwas stärker nach innen abweicht als das entgegengesetzte. Im Ganzen erinnern die Augen- bewegungen in diesem Falle ganz an jenen Zustand, bei welchem das Versuchsthier einen nahen Gegenstand fixirt. Ein zweites, ebenfalls unmittelbar vor dem unteren bezw. lateralen Ende der Affenfurche, aber etwas nach innen von dem vorigen gelegenes Centrum (a auf der Figur und nächste Umgebung desselben) ergiebt bei Stromreizung einen ganz anderen Effect, nämlich hochgradige Pupillendilatation mit Ab- weichung der Bulbi nach der entgegengesetzten Seite und nach unten. Alle im Bisherigen genannten Reizungseflecte sind, wie ausdrücklich zu bemerken, mehrfach und stets mit gleichem Erfolge zur Darstellung gebracht worden. Reizung anderer Theile des Occipitallappens und der parietalen Rinden- partieen bei meinen Affen löste verschiedene Bewegungen der Augäpfel aus, auf die Pupille jedoch war niemals ein so eklatanter Einfluss, wie in den vorerwähnten Fällen, dabei wahrnehmbar. Weiterhin finden wir in der Parietalgegend unmittelbar nach vorne von dem oberen Theile der Fissura Sylvii (die bei den Affen bekanntlich viel weiter nach innen sich erstreckt als bei dem Menschen) zwei andere nahe bei einander gelegene Gebiete, von welchen das mehr nach aussen gelegene (a’ der Figur) bei Reizung Erweiterung der Pupillen, das mehr nach innen gelegene (d’ der Figur) auf Reizung Verengerung der Pupillen ergiebt. Reizung des erstgenannten (äusseren) Centrums hatte zur Folge Dilatation beider Pupillen mit Divergenz der Augenaxen, wie beim Sehen in die Ferne; Reizung des zweiten, nach innen vom vorigen gelegenen Centrums ergab Verengerung der Pupille, begleitet von einer Bewegung des Bulbus nach oben und etwas nach der entgegengesetzten Seite. PUPILLENVERENGERNDE UND -ERWEITERNDE ÜENTRA. 27 In den hinteren Theilen der Grosshirnhemisphären der Affen finden wir demnach zwei Paare von Centren, welche Erweiterung und Verengerung der Pupillen, begleitet von assocürten Bewegungen der Augäpfel, herbei- führen. Zwei derselben, ein pupillenverengerndes und ein pupillen- erweiterndes, liegen am vorderen Rande des Oceipitallappens und haben wahrscheinlich unmittelbare Beziehungen zu der Sehfunction.” Was die beiden anderen Centra mit der Function der Erweiterung und Verengerung der Pupille betrifft, so muss man mit Rücksicht auf ihre Lage im Scheitel- lappen, also in der Gegend des hinteren Associationscentrums von Flechsig, annehmen, dass sie in nahen Beziehungen stehen zu dem psychischen Centrum der optischen Vorstellungen. Die genannten von mir aufgefundenen Centra scheinen mir gewisse Beziehungen zu besitzen zu der unlängst entdeckten Thatsache der psy- chischen Beeinflussung der Pupille durch den sog. Hirnrindenreflex von Haab° oder zu dem Aufmerksamkeitsreflex und dem Vorstellungsreflex der Pupillen (Piltz).? Das erste in der Nähe der Aflenspalte gelegene Paar der von mir beschriebenen Centra dient möglicher Weise zur Hervorbringung des „Rinden-“ oder des „Aufmerksamkeitsreflexes“ der Pupillen, das zweite im Parietalhirne vor dem oberen Theile der Fissura Sylvii gelegene Paar zur Hervorbringung des Vorstellungsreflexes der Pupillen. Ausser den schon namhaft gemachten Grebieten können bei Reizung der Grosshirnrinde noch andere pupillenerweiternde Regionen aufgefunden werden. So konnte ich bei Reizung des Stirnlappens der Affen vor dem oberen Ende der aufsteigenden Stirnfurche von vielen Punkten einer ziem- lich ausgedehnten Fläche Pupillenerweiterang zugleich mit Lidspalten- eröffnung und Hervortreten der Bulbi auslösen. Dieser Erfolge muss wohl bezogen werden auf die Reizung des Halssympathicus, wie ich schon an anderen Orten dargelegt habe.* Ferner konnte ich Pupillenerweiterung hervorrufen von verschiedenen Punkten an der Fissura Sylvü längs der oberen Grenze des Schläfenlappens, da, wo dieselbe sich mit der gedachten Verlängerung der Rolando’schen Furche schneiden würde. Auch hier wurde die Erweiterung der Pupille begleitet von associirten Bewegungen der Augäpfel. Höchstwahrscheinlich ! Von ihnen bedingt das pupillenverengernde vielleicht zugleich Anspannung der Accommodation oder es befindet sich mit dem Centrum der Accommodation in nächster Nachbarschaft. ® Haab, Der Hirnrindenreflex der Pupille. Zürich 1891. ® Piltz, Neurologisches Centralblatt. 1899. * Newrologitscheski Westnik. 1899. Nr.1. Russisch. — Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 500. 28 W.v. BECHTEREW: PUPILLENVERENGERNDE U. -ERWEITERNDE ÜENTRA. stehen diese Centra in Beziehungen zu dem Gehörcentrum und hierdurch zu der acustischen Aufmerksamkeit. Schliesslich muss ich erwähnen, dass ich, nachdem über meine vor- stehend dargelegten Befunde in der oben näher bezeichneten wissenschaft- lichen Gesellschaft berichtet und sogar nachdem eine kurze Veröffentlichung darüber erschienen war, in einer Arbeit von Piltz eine Angabe finde, welche für die nächste Zeit eine Mittheilung über ein Centrum für die einseitige Verengerung der entgegengesetzten Pupille bei dem Kaninchen in Aussicht stellt. Leider sagt der Autor nichts Näheres über die Gegend der Rinde, von welcher er Pupillenverengerung beim Kaninchen erzielt hat, und so bleibt der Gedanke an eine Vergleichung seiner Befunde am Kaninchen mit den meinigen an Affen vorläufig undurchführbar. Untersuchungen über das elektrische Verhalten des künstlichen Längsschnittes quergestreifter Muskeln. Von J. Velichi aus Bukarest. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Emil du Bois-Reymond hat in seinen Untersuchungen über die elektrischen Erscheinungen im Muskel gezeigt, dass der künstliche Längs- schnitt eines Muskels sich gegen den künstlichen oder natürlichen Quer- schnitt in elektrischer Beziehung genau wie der natürliche Längsschnitt verhält.” Bei der Art aber, auf welche du Bois-Reymond den künst- lichen Längsschnitt erzeugte — Abziehen von Faserbündeln mittels der Pincette — konnte das Resultat nicht wohl anders sein. Hermann, welcher später der Moleculartheorie seine Alterationstheorie entgegenstellte, macht in seinen Untersuchungen über das elektrische Ver- halten des künstlichen Längsschnittes gar keine näheren Angaben. Die ersten weiteren Mittheilungen in dieser Richtung rühren von Engelmann her,? welcher bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die elektrischen Vorgänge bei der Herzcontraction bemerkte, dass die Grösse der elektromotorischen Kraft zwischen unverletzter Oberfläche und künst- lichem Durchschnitt des Herzens nur verhältnissmässig wenig von der Richtung des Schnittes in Bezug auf die Axe der Fasern abzuhängen schien. Im Besonderen wurde die Kraft noch sehr gross gefunden, wenn die grosse Mehrzahl der Fasern längsdurchschnitten war. Sie betrug im Mittel aus ı E. du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elektricität. 1848. Bd. I. S. 501, besonders 505 u. 506. ° Th. W. Engelmann, Proc. verb der gew. vergadering der k. Akad. v. wetensch. te Amsterdam. Afd. Natuurk. 28. October 1876. 30 J. VELICHI: 68 Versuchen an Herzen von Kaninchen und Tauben noch 81.3 Procent von der Kraft zwischen natürlichem Längsschnitt und einem nahezu reinen frischen künstlichem Querschnitt durch die Fasern. Diese Thatsache schien mit der Präexistenzlehre nicht, wohl aber mit der Alterationstheorie in Uebereinstimmung zu sein. Bei der Schwierigkeit jedoch, beim Herzen reine künstliche Längs- und Querschnitte zu erhalten, wendete Engelmann sich an die Muskeln mit vollkommen parallelen Fasern. Wenn es hier gelang, künstliche Längsschnitte innerhalb der Lumina der Sarkolemmröhren genau parallel der Richtung der Fibrillen an- zulegen, so schien sich damit eine Entscheidung zwischen den Hypothesen von Du Bois-Reymond und Hermann treffen zu lassen. Nach der Molecularhypothese durfte offenbar der in dieser Weise angelegte reine Längsschnitt sich im Allgemeinen nicht anders verhalten als der natürliche; speciell durfte er diesem gegenüber nicht merklich negativ sein. Nach der Alterationstheorie war das Gegentheil zu erwarten. Denn es war ja längs des künstlichen Längsschnittes absterbender mit lebendem Faserinhalt in Contact. Hermann und wohl auch du Bois-Reymond scheinen eine solche Annahme nicht für zulässig erachtet, sondern vielmehr gemeint zu haben, dass jede längsdurchschnittene Faser sogleich in ihrer ganzen Dicke ab- stirbt. Denn sie würden sonst gewiss Versuche in dieser Richtung an- gestellt haben. Die mikroskopische Beobachtung überlebender Fasern vom Frosch wie von Insecten lehrt aber, dass unter Umständen der Faserinhalt in der einen Längshälfte Stunden lang reizbar und contractil sein kann, während in der anderen auf den gleichen Querschnitten bereits völlige Starre mit Trübung und fibrillärer Zerklüftung eingetreten ist. Auch lehrt weiter nach Engelmann das Mikroskop, dass die Starre sich in querer Richtung langsamer als parallel zur Faseraxe fortpflanzt. Es war also auf dem Boden der Hermann’schen Theorie zu erwarten, dass ein mitten durch den Faserinhalt gelegter Längsschnitt sich negativ gegenüber der natürlichen unverletzten Oberfläche verhalten würde, wenn- schon nicht so stark negativ wie ein künstlicher Querschnitt. Einen reinen Längsschnitt erzeugte Engelmann theils auf thermischem, theils auf chemischem Wege. Die gerade ausgespannten Muskeln (Sar- torius, Gracilis und Rect. abdominis des Frosches) wurden durch einen plan- parallelen erhitzten Glasstreifen oder durch einen 2" breiten, galvanisch zu erwärmenden Platinstreif in der ganzen Länge mit thermischem oder durch Auflegen eines mit Kali caust. von 380 Proc. oder Ac. carbol. cone. getränkten Streifens Löschpapier mit chemischem Längsschnitt versehen. Die Negativität der thermischen Längsschnitte betrug im Mittel aus 199 Versuchen 28.28 Proc. von der reiner thermischer Querschnitte der ELEKTRISCHES VERHALTEN DES KÜNSTL. LÄNGSSCHNITTES U. Ss. w. 31 nämlichen Muskeln (Maximum 54°7 Proc., Minimum 8-4 Proc.), die der chemischen Längsschnitte für Carbolsäure 22.9 Proc. (Mittel aus 27 Ver- suchen, Maximum 32.03 Proc., Minimum 15.9 Proe.), für Kalilauge 15-9 Proc. (Mittel aus 21 Versuchen, Maximum 17.1, Minimum 15.4 Proc.) von der Kraft der mit den gleichen Flüssigkeiten erhaltenen reinen che- mischen Querschnitte. Auch die mit Scheere oder Messer erhaltenen künstlichen Längsschnitte fand Engelmann merklich negativ (im Mittel aus 150 Versuchen 15.3 Procent von der Negativität reiner mechanischer Querschnitte). Durch vor- sichtiges Abziehen von Muskelbündeln mittels der Pincette hergestellte künstliche Längsschnitte wurden aber zuweilen schwach positiv gegenüber den natürlichen gefunden, was inzwischen weder nach der Molecularhypothese, noch nach der Alterationstheorie befremden kann. Die verhältnissmässig grosse Kraft der mechanischen Längsschnitte beim Herzen erklärt Engelmann aus der hier unvermeidlichen Einmischung von Quer- und Schrägschnitten, dem Fehlen schützender Sarkolemme und der relativ sehr grossen Empfindlichkeit der Herzmuskelsubstanz in elektro- motorischer Beziehung. Da diese Resultate, wie erwähnt, mit der Präexistenzlehre von du Bois- Reymond nicht, wohl aber mit der Contacthypothese von Hermann in Uebereinstimmung sind, so bieten dieselben ein besonderes theoretisches Interesse. Deshalb folgte ich gern der Aufforderung des Hrn. Prof. Engelmann, die Frage weiter zu untersuchen. Es sollten zunächst die Versuche an chemischen Längsschnitten wieder- holt werden, und zwar unter Verwendung solcher ätzenden Substanzen, welche eine besonders scharfe Demarcationsgrenze erwarten liessen. Denn es schien wünschenswerth, Näheres über die absolute und relative Schnellig- keit zu ermitteln, mit welcher die tödtende Wirkung der Aetzung senkrecht und parallel zur Faseraxe fortschreitet, und namentlich auch zu entscheiden, ob der Process des Absterbens beim Fortschreiten in querer Richtung inner- halb einer einzelnen Muskelfaser zum Stehen gebracht werden kann. In Zusammenhang mit diesen mikroskopischen Beobachtungen sollten dann die zeitlichen Aenderungen des elektromotorischen Verhaltens künstlicher Längs- schnitte verfolgt und im Besonderen die Unterschiede festgestellt werden, welche in dieser Hinsicht bei ausgeschnittenen und bei in situ, unter normalen Ernährungsbedingungen befindlichen Muskeln etwa zu Tage treten würden. ; Als Material dienten mir die Muskeln des Hinterschenkels von Rana esculenta. Die zur Herstellung der künstlichen Längsschnitte benutzten Reagentien waren: Sublimat in Lösungen von 1, 2 bis 5 Proc., Silber- 32 J. VELICHT: nitrat 1 bis 2 Proc., Chromsäure 5 Proc.; endlich wurde auch zum gleichen Zwecke die Berührung des Muskels mit einer erwärmten Zink- platte verwendet. Der herausgeschnittene und bis zu seiner natürlichen Länge wie im Körper gedehnte oder auch der in seiner natürlichen Lage gelassene Muskel wurde, auf eine Länge von 1-5 bis 2, in der Breite von ungefähr 5 wm, durch ein mit der betreffenden Lösung angefeuchtetes Stück Löschpapier geätzt. Die Dauer der Aetzung schwankte zwischen 1 bis 5 Minuten und betrug immer die gleiche Zeit für den Längsschnitt wie für den Quer- schnitt. Nach der Aetzung wurde die Wunde mit in physiologischer Koch- salzlösung oder Wasser eingetauchter Watte sorgfältig abgetupft und, meist nach vorheriger Prüfung des elektrischen Verhaltens, zur mikroskopischen Untersuchung hergerichtet. Hierbei kamen zwei Methoden in Anwendung: 1. die Gefriermethode, welche für alle gebrauchten ätzenden Lösungen geeignet ist, und 2, die gewöhnliche Methode der Härtung in Alkohol, welche nur im Falle, wo die Aetzung durch Silbernitrat stattgefunden hat, brauchbare Resultate gab. In allen diesen Fällen war bei den künstlichen Längsschnitten unter dem Mikroskop die Demarcationslinie zwischen dem abgestorbenen und noch lebendigem Faserinhalte ganz scharf; sie erschien, im Längsschnitt betrachtet, als eine gerade Linie, welche im Inneren der Muskelfaser parallel der Axe verläuft, auf den Querschnitten des Muskels in Form einer die im Allgemeinen etwa kreisförmigen Querschnitte der Muskelfaser in verschiedener Tiefe ein- schneidenden Secante. Der Theil des Faserinhalts, in welchem die Tödtung eingetreten ist, bietet ein sehr unregelmässiges, ganz undurchsichtiges An- sehen dar, im Gegensatz zum Reste des Faserinhaltes, welcher noch lebendig geblieben und welcher eine dem Inhalte der übrigen unversehrten Muskel- fasern wesentlich gleiche Structur zeigt. Beim Silbernitrat verfuhr ich so: Sofort nach der Aetzung und dem Abtupfen wurde der Muskel in Alkohol erhärtet und während der Er- härtung und der folgenden Einbettung in Paraffin im Dunkeln gehalten. Nach dem Aufkleben der Schnitte wurden dieselben 10 bis 20 Minuten den Lichtstrahlen einer elektrischen Glühlampe von 16 Kerzen ausgesetzt, wodurch alles, was mit dem Silbernitrat in Berührung gekommen war, gelbbraun bis schwarzbraun wird. Die Resultate waren genau dieselben, welche mittels der Gefriermethode erhalten worden sind. Um die relative Geschwindigkeit zu ermitteln, mit welcher die tödtende- Wirkung sich innerhalb der Fasern in der Längs- und in der Querrichtung: fortpflanzt, verfuhr ich folgendermaassen: ELEKTRISCHES VERHALTEN DES KÜNSTL. LÄNGSSCHNITTES U. S.w. 33 Zuerst wurde die Gefriermethode angewendet; dieselbe aber bietet eine grosse Schwierigkeit dadurch, dass sich die noch nicht durch die Aetzung getödteten Muskelpartieen sofort nach dem Schneiden zusammenziehen, wo- durch eine genaue Beobachtung der Demarcationslinie zwischen abgestorbenem und noch lebendigem Faserinhalt verhindert wird. Viel geeigneter dazu ist die Methode mit Silbernitrat. Dem heraus- geschnittenen und in gedehntem Zustande sich befindenden Muskel wurde durch eine kleine, sehr scharfe Scheere ein künstlicher Querschnitt angelegt und derselbe sofort, genau in demselben Augenblicke wie die natürliche Oberfläche geätzt. Gleich nach der Aetzung, welche im Allgemeinen 1 bis 2 Minuten dauerte, wurde der Muskel sorgfältig abgetupft, in Alkohol ge- härtet und in Paraffin eingebettet. Die Schnitte wurden parallel der Muskel- faser, senkrecht zur geätzten Oberfläche des Muskels angelegt. Hierbei erhält man sehr scharfe, nicht verzerrte Bilder. Bei etwa 75 Procent solcher Präparate war Folgendes klar zu con- statiren: Die zwei bis drei zunächst unter der geätzten Oberfläche liegenden Muskelfasern sind vollständig, die dritte oder vierte aber ist nur in einem Theil ihrer Dicke abgestorben. Der Inhalt der letzteren erscheint in seiner ganzen Länge und parallel zur Längsaxe in zwei Streifen von ganz ver- schiedenem Aussehen getheilt. Der eine, welcher auf der Seite der Aetzung liest, ist auch durch Silbernitrat gefärbt, undurchsichtig und hat genau dasselbe Aussehen wie die oberflächlicheren, ganz abgestorbenen Muskel- fasern; dagegen ist der Streifen, welcher auf der Seite der noch lebend gebliebenen Muskelfasern liegt, durchaus ungefärbt, durchsichtig und von demselben Aussehen wie die übrigen noch nicht vom Absterben begriffenen Fasern des Muskels. Diese beiden Streifen sind durch eine scharfe De- marcationslinie getrennt, und zwar läuft diese streng parallel zur Muskel- faseraxe. Prüfen wir das Ende desselben Präparates, welches dem geätzten künst- lichen Querschnitt entspricht, so zeigt sich, dass sämmtliche Primitivröhren des Muskels in ganzer Dicke bis in eine gewisse Tiefe unter der Wund- fläche abgestorben sind. Die Demarcationslinie zwischen abgestorbener und noch lebendiger Muskelsubstanz verläuft jetzt genau senkrecht zur Lärgs- axe der Fasern. Vom Aussehen der jenseits dieser Demarcationslinie lagernden, nicht geätzten Theile der Muskelfasern gilt dasselbe wie am künstlichen Längsschnitt. Bei schwacher Vergrösserung wurde der Verticalabstand der Demar- cationsgrenze von der geätzten Oberfläche gemessen. Dieser Abstand erwies sich stets für den künstlichen Querschnitt 1!/, bis 2 Mal grösser als am künstlichen Längsschnitt. Es schreitet also der Process des Absterbens, Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 3 Seren 8 D» BEE EEE Sue BösH Eh HB 8: BI u +2 © un © = = { =) , [er N Oo" » =) ] SI © B © fe} B Sr 5 5 BE > 09 "% EN © un & - BER ‘ DE v oO oO = Q & ® © a a. - [e >) B [o} H z = n r_ [mar 2 2 eilt 2: (>) (>) pers ler ==) 8% = =) -[ı 3 > S ° © Ss Ei senlel fen) =) =) o es 0q S S 5 fe) m = 16) Q = [= au) ©. o© B © = = | vun = IEIlg$B N) ne Ale En o = E|”28 28 \eleer = [6 3 Ho» = = | Nam = © o SsEHo 5 Seal Eis 1% 109 .2.0 = 2.) 28)" a S Bu I N ne 2 Q el u Q Q Kl ® = DD Hr ei © » De ER b Por |o m [or) = 2 2 Else ae je} (>) 5, ur 5 S 8 Na- ge — as |& 2 = 2 Sen 8 = Sees er co [e) ® m» » ® em = o se S =) ) D B u 5 5 |E| 2,,|% ”m ER F Be pr & | oa oO o 5 Ss |&E| = e: 2 || E, | NE: Qi l& | fe = Pl>s an = Meg 2 ee \2|8:8 & © e | = D | es [en 8, Mm 1 [6 +) Zu o o o © 5 B ® ® | Part en = = Re 5 ® DD — | Br Dz rt 22 E u 3: S HE: = m > 3 Bag (U =. | Die o aus: - le: ) ai zal.d8 = © J. VELICHI: insofern er durch Vordringen einer chemisch alterirenden Flüssigkeit be- dingt wird, in der Längsrichtung der Fibrillen 1!/, bis 2 Mal rascher vor- wärts als in der Querrichtung. Die Tiefe, bis zu welcher das Ab- sterben vorgeschritten ist, wird übrigens keineswegs der Dauer der Aetzung pro- portional gefunden, wie ja auch von vornherein zu erwarten. Mit länger dauernder Aetzung nimmt die Ge- schwindigkeit ihres Fortschreitens ab. Der thermische Weg ist, bei der Ermittelung einer Grenze zwischen dem lebenden und abgestorbenen Faserinhalt sowie der Fortpflanzungsgeschwindiekeit des Absterbens, weniger zu empfehlen, da hier eine Demarkationslinie nicht ebenso deutlich zu erkennen ist, wie es bei dem chemischen Längs- und Quer- schnitt der Fall war. Nachdem wir so die Möglichkeit erwiesen haben, einen reinen künstlichen Längsschnitt innerhalb der contractilen Substanz im Inneren der Lumina der Muskelfasern zu bekommen, gehen wir jetzt zur Schilderung des elektrischen Verhaltens dieser Längsschnitte über. Die Messung der Kraft des ent- wickelten Muskelstromes geschah mittels des du Bois-Reymond’schen Com- pensationsverfahrens mit Verwendung von Thonstiefelelektroden und einem Bequerel’schen Element (von 1°146 Volt) als Maasskette. Die Resultate, welche im Allge- meinen mit den von Engelmann angegebenen übereinstimmen, sind in der nebenstehenden Tabelle zusammen- gefasst. ELEKTRISCHES VERHALTEN DES KÜNSTL. LÄNGSSCHNITTES U. S.w. 35 Aus dieser Tabelle sehen wir zuerst, dass die elektromotorische Kraft zwischen Längsschnitt und künstlichem Querschnitt sofort nach der Aetzung des Längsschnittes herabgesetzt ist, und zwar im Mittel aus 16 Versuchen bis auf 25 Proc. von der elektromotorischen Kraft, welche vor der Aetzung zwischen natürlichem Längsschnitte und künstlichem Querschnitte gefunden war. Der Strom zwischen künstlichem Längs- und Querschnitt nimmt aber allmählich ab und beträet, 30 Minuten nach der Aetzung, fast nur noch die Hälfte der gleich nach der Aetzung, und weniger als die Hälfte der vor der Aetzung gefundenen elektromotorischen Kraft. Das Sinken hält auch weiterhin noch an. Die Negativität der künstlichen Längsschnitte tritt noch auffallender in die Erscheinung, wenn wir den Strom zwischen demselben und einem natürlichen Längsschnitte beobachten, wie dies gleichfalls aus der Tabelle hervorgeht. Der Muskelstrom, welcher vor dem Anlegen eines künstlichen Längs- schnittes im Allgemeinen fehlte (seine Kraft betrug im Mittel aus 21 Ver- suchen 0-00068 Volt), hat gleich nach der Aetzung eine Kraft von durch- schnittlich 00115 Volt (Mittel aus 21 Versuchen). Die Richtung dieses Stromes war immer im leitenden Kreise von natürlichem gegen künstlichen Längsschnitt, also im Muskel vom künstlichen gegen den natürlichen Längsschnitt. | Die Kraft eines solchen Stromes nimmt allmählich zu und ist 30 Mi- nuten nach der Aetzung fast doppelt so gross geworden. Nachdem sie aber ein gewisses Maximum erreicht hat, fängt sie allmählich an wieder herab- zusinken, jedoch viel langsamer. Sie verschwindet erst mit dem allgemeinen Tode des Muskels. Die Abnahme des Muskelstromes im ersten Falle und die Zunahme desselben im zweiten Falle sind immer zu beobachten, gleichviel, ob die Elektroden dauernd dem Muskel auflagen oder nur für die wenigen Augen- - blicke der Messung, die von 5 zu 5 Minuten stattfand. Auch der thermische Längsschnitt verhält sich elektrisch negativ, und diese Negativität wurde im Mittel ebenso gross gefunden wie die des chemischen Längsschnittes. Während aber bei dem herausgeschnittenen Muskel die Starre sich allmählich weiter entwickelt, bis sie in den allgemeinen Tod übergeht, ist dies nicht der Fall, wenn der künstliche Längsschnitt durch Aetzung des Muskels in situ bei erhaltener Circulation erzeugt wird. Man schneidet die Haut der Vorderseite des Hinterschenkels vom Frosche in der Längsrichtung vom Knie bis zum Becken auf, hält die Schnittränder aus einander und ätzt sorgfältig mit einem in einer von den 3% 36 J. VELICHI: oben gegebenen Lösungen eingetauchten Stück Löschpapier oberflächlich einen parallelfaserigen Muskel, man wäscht gut aus und näht die Haut wieder. Nach 24 (5 Beobachtungen), 48 (4 Beobachtungen) Stunden, 4, 8, 13 Tagen (je 3 Beobachtungen) habe ich den Muskelstrom zwischen einem solchen künstlichen Längsschnitte und einem Punkte des natürlichen Längsschnittes desselben oder eines anderen Muskels geprüft. Vor der Prüfung wurden die Thiere getödtet. Die Resultate waren immer negativ; einen Muskelstrom habe ich dann nie gefunden, bei keiner Weise und Reihenfolge der Ableitung. Als Controle habe ich das elektrische Verhalten des in vivo vor längerer Zeit erzeugten künstlichen Längsschnittes geprüft: 1. gegen einen frischen künstlichen Querschnitt desselben oder eines anderen Muskels, und 2. gegen einen durch die Aetzung neu angelegten künstlichen Längsschnitt. In dem ersten Falle wurde die entwickelte elektromotorische Kraft, im Mittel aus 9 Versuchen zu 0.0539 Volt (Maximum 0.069, Minimum 0.047) gefunden. Das Anlegen des künstlichen Längsschnittes wurde meist nach dem Herausschneiden des Muskels vorgenommen. In dem zweiten Falle wurde der künstliche Längsschnitt meist auf der Oberfläche eines anderen benachbarten, gleichfalls parallelfaserigen Muskels erzeugt. Der so gefundene Strom zwischen altem und neuem Längsschnitt betrug im Mittel aus 11 Versuchen 0°0098 Volt (Maximum 0-017, Mi- nimum 0003). Bei der nachherigen mikroskopischen Prüfung zeigten die Präparate auch einen abgestorbenen und einen noch lebend gebliebenen Theil; die Demarcationslinie aber war etwas weniger deutlich zu sehen. 4 Tage nach der Aetzung erschienen die Contouren der LMERGLIEFENN. im abgestorbenen Theile nicht mehr so scharf. Aus dem elektrischen wie morphologischen Verhalten des in vivo er- zeugten und in situ unter möglichst normalen Bedingungen verbleibenden künstlichen Längsschnittes muss man demnach schliessen, dass das Ab- sterben bald Halt macht und der unter der Demarcationsgrenze befindliche Faserinhalt weiter lebt und zur Norm zurückkehrt. Keinesfalls also stirbt unter den normalen Ernährungsbedingungen eine durch einen künstlichen chemischen Längsschnitt partiell getödtete Faser in ihrer ganzen Dicke ab, sondern der nicht direct getödtete Theil bleibt — vermuthlich durch die Thätigkeit der zahlreichen in ihm befindlichen, nicht geschädigten Muskel- körperchen bezw. Muskelkerne — lebendig und ergänzt die Faser ad in- tegrum. Sehr wahrscheinlich bildet sich bald auch ein neues Sarkolemm an der Demarcationsfläche. Doch habe ich hierüber keine weiteren Beob- achtungen angestellt. ELEKTRISCHES VERHALTEN DES KÜNSTL. LÄNGSSCHNITTES U. S. w. 37 Das hier beschriebene Verschwinden der elektromotorischen Kraft künstlicher Längsschnitte ist in vollkommener Uebereinstimmung mit den Resultaten, welche Engelmann! aus seinen Untersuchungen über den Einfluss des Blutes und der Nerven auf das elektromotorische Verhalten künstlicher Muskelquerschnitte erhalten hat. Um den Einfluss des Blutes auf die Negativität eines Muskelquerschnittes zu ermitteln, verfuhr Engel- mann in folgender Weise: Er durchschnitt beim Frosche mittels eines kleinen scharfen Messerchens den Sartorius der einen Seite unter der Haut möglichst genau quer und maass nach 1, 4, 8 Tagen die elektro- motorische Kraft A) des unverletzten Sartorius, zwischen natürlichem Längsschnitt und zwei künstlichen Querschnitten, die 1 bis 2 Minuten nach einander in ungefähr 4 und 5"” Entfernung vom Beckenursprung des Muskels her- gestellt wurden; . B) des operirten Sartorius, zwischen natürlichem Längsschnitt und nach einander dem alten Querschnitt und einer Reihe künstlicher Quer- schnitte, die in Pausen von 1 bis 2 Minuten in bezw. etwa 1, 2, 3 u. s. w. Millimeter Entfernung von der Wundfläche angelegt wurden. Hierbei fand Engelmann, dass die manifeste Kraft des subcutan an- gelegten Querschnittes verhältnissmässig rasch sinkt, und zwar tiefer unter die latente Kraft, d. i. unter die Kraft, welche durch Anfrischen noch zu erzielen ist. Ist die letztere = 1, so betrug die erstere: nach 1 Tage im Mittel 0.32 (Maximum 0-44, Minimum 0-11), a Tagen ” „ 0.20 „ 0.32, ” 0.06), LO „ 0.09 2) 0.16, „ 0-00). Bei Ausschliessung der Blutcireulation aber hielt sich die manifeste Kraft auf sehr viel bedeutenderer Höhe, während die latente etwas tiefer sank. Wird die letztere wiederum = 1 gesetzt, so sank die erstere nur im Mittel auf 0:72 (Maximum 0.96, Minimum 0.54). Weiter hat Engelmann bewiesen, dass die manifeste Kraft des Muskels auch bei durchschnittenem Nerven absolut sowohl wie im Vergleich zur latenten Kraft bedeutend langsamer abnimmt. Das Sinken erfolgte durch- schnittlich etwa um die Hälfte langsamer als bei erhaltenem Zusammen- hang der Muskeln mit dem centralen Nervensystem. ! Th. W. Engelmann, Ueber den Einfluss des Blutes und der Nerven auf das elektromotorische Verhalten künstlicher Muskelquerschnitte. Pflüger’s Archiv. Bd. XV. S. 323—334. 38 J. VELICHI: ELEKTRISCHES VERHALTEN U. S. W. Sowohl aus den eben erwähnten, von Engelmann angegebenen Re- sultaten wie aus unseren Untersuchungen ergiebt sich also in unzweifel- hafter Weise, dass in dem Einflusse der Nerven und der Bluteireulation Bedingungen gegeben sind, welche zu einer Vernichtung der vom künst- lichen Längs- oder Querschnitt entwickelten elektromotorischen Kraft führen; mit anderen Worten, je näher sich der ruhende, nicht gereizte Muskel dem normalen Zustande befindet, desto kleiner ist seine manifeste elektro- motorische Wirksamkeit, ein Resultat, das mit der Alterationstheorie von Hermann vollkommen, mit der Präexistenzlehre in keiner Weise zu ver- einigen ist. Ueber die gleichzeitige quantitative Bestimmung zweier Farbstoffe im Blute mit Hülfe des Spectrophotometers. Von G. Hüfner. Es ist schon oft, schon von Vierordt, dem Begründer der quantitativen Spectralanalyse, betont worden, dass, wenn man es unternimmt, den Gehalt eines Blutes an Farbstoff mit Hülfe des Spectrophotometers zu bestimmen, es nicht genügt, die Lichtintensität des Absorptionsspectrums nur in einer einzigen Region zu messen, sondern dass es jeder Zeit nötbig ist, diese Messung in zwei verschiedenen Regionen vorzunehmen, weil man nur hier- durch darüber Aufschluss erhalten kann, ob die Grösse der Lichtabsorption, die ja das Maass für die vorhandene Farbstoffmenge sein soll, in den unter- suchten Regionen in der That nur durch den vorausgesetzten einen oder durch das Zusammenwirken mehrerer verschiedener Farbstoffe, die gleich- zeitig neben einander vorhanden sind, bedingt ist. Untersucht man das Absorptionsspectrum einer mit !/,, Procent Soda schwach alkalisch gemachten Oxyhämoglobinlösung photometrisch, so findet man, dass darin die Lichtstärken der verschiedenen Regionen, — welches auch die Concentration der angewandten Lösung sein möge —, doch stets in demselben Verhältnisse zu einander stehen. Am zweckmässigsten lässt sich diese Constanz beobachten, wenn man die Lichtstärke, welche der helle Zwischenraum zwischen den beiden charakteristischen Absorptionsstreifen des genannten Spectrums — speciell zwischen den Wellenlängen 554 und 565 «u — besitzt, mit derjenigen vergleicht, die in der dunkelsten Partie des breiteren der beiden Streifen — speciell zwischen 531-5 und 542.5 uu — noch übrig ist. Bezeichnet man den Extinctionscoöfficienten der Lösung für die erste Gegend mit &,, denjenigen für die zweite Gegend / o mit &,, so ergiebt sich für den Quotienten e stets der gleiche Werth, 0 40 G. Hürner: nämlich die Zahl 1-578,! — wie auch die Concentration der Lösung sich ändern möge. Ebenso verhält es sich aber auch mit dem Spectrum jedes anderen Blutfarbstoffes, z. B. demjenigen des sauerstofffreien Hämoglobins. Auch hier herrscht strenge Constanz in dem gegenseitigen Verhältnisse der in den verschiedenen Gegenden des Spectrums seiner Lösung beobachteten Licht- intensitäten; nur fällt bei letzterem Farbstoffe die Gegend, wo die Licht- absorption eine grosse ist, mit derjenigen zusammen, die im Spectrum des Oxyhämoglobins gerade sehr hell erscheint, nämlich mit der oben erwähnten Zwischenregion zwischen den zwei dunkeln Streifen. Bezeichnen wir die Extinetionscoöfficienten des redueirten Farbstoffes für die oben gewählte Region 554 bis 565 uu mit &,, für 531-5 bis 542-5 uu &, mit &,‘, so ist also der Quotient wiederum für alle Concentrationen der €, Lösung eine constante Grösse; nur hat diese einen ganz anderen Werth als der Quotient —-; sie ist ein echter Bruch, und zwar, wie sich aus einer {2 Reihe von Messungen ergeben hat, = 0-762.? Sind nun in einer Lösung zugleich beide Farbstoffe enthalten, so werden sich ihre Spectren über einander lagern und es wird das Verhältniss der beiden Extinctionscoöfficienten = die man durch Photometrie der gleichen Gegenden. des gemischten Speetrums findet, sich seinem Werthe nach zwischen den Zahlen 1-578 und 0762 bewegen. Der betreffende Werth wird sich um so mehr der ersteren nähern, je mehr Oxyhämoglobin, und um so mehr der zweiten, je mehr reducirtes Hämoglobin neben dem anderen in Lösung ist. Es wird demnach eine gesetzmässige Beziehung bestehen zwischen dem Werthe des Quotienten m und dem jeweiligen Verhältnisse, in welchem die vorhandenen Mengen beider Farbstoffe sich zur Zahl 100 ergänzen. Es muss sich also auch eine Tabelle berechnen lassen, in welcher jedem einzelnen Werthe des genannten Quotienten, der zwischen den Zahlen 1'578 und 0.762 liegt, ein solcher für jenes wechselnde Verhältniss entspricht. Um eine solehe Rechnung durchzuführen, werden wir am besten die- selbe Gleichung benutzen, deren sich zuerst Dreser? zu ähnlichem Zwecke - I Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130 ff." — Die bemerkenswerthbe That- sache, dass dieser Quotient sogar für das Oxyhämoglobin sehr verschiedener Thierarten den gleichen Werth besitzt, ist schon des Oefteren hervorgehoben worden. ? Ebenda. ® Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakolugie. Bd. XXIX. 8. 119. ÜBER QUANTITATIVE BESTIMMUNG DER FARBSTOFFE IM BLuTE 41 bedient hat. Wir gehen dabei’von der Thatsache aus, dass sich jeder der beiden in den gewählten Spectralgegenden gefundenen Extinctionscoöfficienten aus zwei Antheilen zusammensetzt, davon der eine auf Rechnung des Oxy- hämoglobins, der andere auf Rechnung des reducirten Farbstoffes kommt. Sind e und 8 die gefundenen Extinctionscoefficienten, &, und & die Ex- tinetionscoöfficienten des in Lösung befindlichen Oxyhämoglobins, &, und &,' die bezüglichen Coöfficienten des vorhandenen Hämoglobins, und sei end- lich x die vorhandene procentische Menge des Hämoglobins, daher 100 — x diejenige des Oxyhämoglobins, so besteht die Gleichung: 8° 100 — a)e/ + ze, = MW -N.,+te:,' Man führt nun zunächst die Werthe sämmtlicher hier vorkommenden Extinctionscoöffieienten auf ein einheitliches Maass zurück, in der Weise, dass man z. B. den für die erste Spectralregion gültigen Extinctionscoeffi- cienten &, der Gewichtseinheit Oxyhämoglobin, gelöst in einem bestimmten Volum des Lösungsmittels, ein für alle Mal = 1 setzt und dann die übrigen Extinctionscoöfficienten, bezogen auf gleiches Gewicht der Substanz und gleiches Volum des Lösungsmittels, entweder als Vielfache oder als Bruch- theile dieser Einheit ausdrückt. Man erfährt dieses Verhältniss in folgen- der Art. Nach dem Früheren! ist A, = 0-002070 und A, = 0°001778, folg- lich > =1-164. Da nun Arie,’ so wird, wenn &, den Werth 1 haben soll, 1% —: 1164: Ebenso ist nach dem Früheren? A, = 0.001354; daher 4, 2070 4, za 17529: Da aber so erhält man & = 1'529. , Da endlich nach dem Obigen — den constanten Werth 1.578 be- sitzt, so ist in unserer Gleichung &,' selber auch = 1-578. 1 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130 ff. 2 Ebenda. 42 G. Hürner: Setzen wir diese Werthe in obige Gleichung ein, so erhalten wir € _ (100— 2).1:578 +1:164x _ 157-8 — 0-414 x : ZTa0o0=ea)1+ 1529: 10+0529€ woraus: 157-8 - 100 2 3 = b d 0.529 &- + 0-414 E Mit Hülfe dieser Formel sind für alle um je 0-025 von einander ver- schiedenen Werthe von . die zwischen den Zahlen 1.578 und 0.762 liegen, die entsprechenden x-Werthe direct berechnet, für die dazwischen liegenden, alle Mal nur um je 0-005 von einander abweichenden, Quotienten- werthe aber geradlinig interpolirt worden. Sie finden sich sämmtlich in ’ Tabelle I zusammengestellt, und zwar in Stab I unter dem Zeichen die einzelnen Werthe des Quotienten, in Stab II unter x die zugehörigen Mengen redueirten Hämoglobins in Procenten des Gesammtvorrathes an Blutfarbstoff. Im dritten Stabe endlich sind die je einer Differenz von 0.001 der Quotientenwerthe entsprechenden Differenzen der x-Werthe ver- zeichnet. Mit Ausnahme der ersten und der letzten gelten diese Differenzen jedes Mal für ein Intervall von 0-025 der ersten Zahlenreihe; die erste dagegen für ein solches von 0-028, die letzte für ein Intervall von 0.038. Man sieht, dass diese Differenzen mit abnehmendem — nicht unmerklich anwachsen. Tabelle I. Oxyhämoglobin und reducirtes Hämoglobin. 5 = oo oe | 2. 10-0018 € € € 3 E € 1538| 0 | 1:570 | 0-64 1-520 | 4-77 1-470 9:07 1-565 1-05 1-515 | 5-19 1-465 9.51 1560 1:46 | 0-0815 | 1-510 | 5-62 | 0-0852 | 1-460 9:95 | 0.0880 1-555 1:86 1-505 | 6-04 1-455 | 10-39 1-550 | 2-27 1-500 | 6+47 1:450 | 10-85 1-545 | 2-68 1-495 | 6-90 1-445 11-30 1540 | 3-10 1-490 | 7-33 1-440 | 11-75 1:535 | 3-51 | 0-0828 | 1-485 | 7-77 | 0-0864 | 1-435 | 12-21 | 0-0904 1530 | 3-98 1:480 | 8-20 1-430 | 12-66 1-525 | 4-34 1-475 | 8-63 1-425 | 13-11 ÜBER QUANTITATIVE BESTIMMUNG DER FARBSTOFFE IM BLUTE. 43 Tabelle I. (Fortsetzung.) ! 0.001 = ® ‚0.001 2 x 09001 | | € 20 | 13-57 | 1-195 | 36-64 Er Le I 415 | 14-08 | 1-190 | 37-22 0:965 | 66-39 10 | 14-50 | 0-09%4 | 1-185 | 37-79 | 0.1148 | 0-960 | 67-12 | 0-1468 405 | 14:96 | 1-180 | 38-37 | 0-955 | 67-86 .400 | 15-42 | 1-175 | 38-94 0:950 | 68-59 95 | 15-90 1-170 | 39-54 0-945 | 69-35 90 | 16-38 | 1.165 | 40-13 0.940 70-10 | s5 | 16-85 | 0.0956 | 1.160 | 40-73 0.1192 | 0-985 | 70-86 | 0-1512 s0 | 17-38 | 1155 | 41-32 | 0:9380 | 71-61 | 25 | 1781 | L-150 | 41-92 0-925 | 72-37 1.370 | 18-29 1.145 | 42-52 | 0°920 | 73-15 65 | 18-78 | 1-140 | 48-18 | 0-915 | 73-98 | 60 | 19-26 | 0-0968 | 1-135 | 48-73 | 0-1208 | 0-910 | 74-70 | 0-1556 55 | 19-75 1-130 | 44-34 | 0-905 | 75-48 50 | 20-23 1.125 | 44-94 | 0900 76-26 45 | 20-73 | 1-120 | 45-56 | 0-895 | 77-06 40 | 21-22 | 1.115 | 46-18 | 0-890 | 17-86 35 | 21-72 | 0-0992 | 1-110 | 46-81 | 0-1244 | 0-885 | 78-67 | 0.1604 30 | 22-21 1105 | 47-48 | 0-880 | 79-47 | 325 | 22-71 1-100 | 48-05 | 0-875 | 80-27 20 | 23-22 1-095 | 48:69 0.870 | 81-10 15 | 23-73 | 1-090 | 49-38 0-365 81-92 10 | 24-23 | 0-1016 | 1-085 | 49-96 | 1-1276 | 0-860 | 82-75 | 0+1652 05 | 24-74 | 1-080 | 50-60 | 0-855 | 83-57 | 00 | 25-25 1-075 | 51-24 0.850 84:40 | 1.295 | 25-77 | 1-070 | 51-90 0-845 | 85-25 1:290 26-30 | 1:065 | 52-55 0-840 | 86-10 1-285 | 26-82 | 0.1048 | 1-060 | 53-20 | 0.1312 | 0-835 | 86-95 | 0-1700 1-280 | 27-35 | 1-055 | 53-86 0-830 | 87-80 1-275 | 27-87 | 1-050 | 54-52 0-825 | 88-65 1-270 | 28-40 1-045 | 55-19 0-820 | 89-58 1-265 | 28-94 1-040 | 55-87 0-815 | 90-41 | 1-260 | 29-47 | 0-1068 | 1-035 | 56-54 | 0-1348 | 0-810 | 91-28 | 0-1756 1-255 | 30-01 1-030 | 57-22 0-805 | 92-16 1-250 | 30-54 | 1-025 | 57-89 0-800 | 93-04 | 1-245 | 31-09 1-020 | 58-58 0-795 93-95 | 1-240 | 31-63 1-015 | 59-28 0-790 | 94-87 1235 | 32-18 | 0-1092 | 1-010 | 59-97 | 0-1388 | 0-785 | 95-78 | „1899 1-230 | 32-72 1-005 | 60-67 0-780 | 96-70 1-225 | 33-27 1-000 | 61-36 0-775 | 97-61 | 1-220 | 33-83 0°995 | 62-07 0-770 | 98-58 1-215 | 34-39 0-990 | 62-78 0-765 | 99-44 1-210 | 34-95 01120 | 0-985 | 63-50 | 0-1424 | 0-762 | 1060-00 1-205 | 35-51 0-980 | 64-21 | 1.200 | 36-07 0-975 | 64-92 44 G. Hürner: (renügt es nicht, bloss das Verhältniss zu kennen, in welchem beide Farbstoffe in einem Blute vertreten sind, will man vielmehr die absolute Menge wissen, welche von jedem vorhanden ist, so braucht man die unter- suchte Probe nur mit Luft zu schütteln und die photometrische Messung hierauf an ihr zu wiederholen. Man wird alsdann die Gesammtmenge des Farbstoffes als Oxyhämoglobin vorfinden. Ergäbe sich dabei z. B. ein Gehalt von 14-5 sm Oxyhämoglobin in 100 «= Blut, so waren darin ursprünglich, falls man vorher 30-01 Procent red. Hämoglobin neben 69.99 Procent Oxyhämoglobin gefunden hatte, an — 4.35 m Hämoglobin neben 14.5 — 4.35 = 10-158 m Oxy- hämoglobin. Man wüsste damit zugleich, wie gross der in jenen 100 m Blut enthaltene Vorrath an lose gebundenem Sauerstoff gewesen; nämlich 10-15.1-.34 = 13-6", red. auf 0° und 760 "m Druck.! — Der Praktiker wird schwerlich in die Lage kommen, feststellen zu müssen, wie viel Hämoglobin und wie viel Oxyhämoglobin ein gegebenes Blut gleichzeitig enthält. Dagegen dürfte es für ihn in manchen Fällen wünschenswerth sein, zu erfahren, in welchem Grade das Blut eines Menschen „verdorben‘“ ist. Als solche ‚„Verderbniss‘“ möchte ich aber in erster Linie nicht etwa die Bildung von Kohlenoxydhämoglobin — denn diese Verbin- dung kann ja innerhalb des lebendigen Körpers allmählich wieder in nor- males Oxyhämoglobin zurückverwandelt werden —, sondern die theilweise Umwandlung des normalen Farbstoffes in das funetionsunfähige und nicht so leicht reducirbare Methämoglobin betrachten. Ein Blut, das neben unverändertem Oxyhämoslobin auch Methämo- globin enthält, wird nach dem Verdünnen mit !/ „procent. Sodalösung ein Spectrum liefern, das von dem einer Lösung reinen Oxyhämoglobins nur wenig verschieden und deshalb durch einfache Betrachtung bisweilen nur schwierig von diesem zu unterscheiden ist. Der dunkle Streifen im Roth, den neutrale Lösungen des Methämoglobins zeigen, ist in Folge des Soda- zusatzes? verschwunden und nur ein leichter Schatten links von dem schmäleren Absorptionsstreifen des Oxyhämoglobins deutet dem Erfahrenen die gleichzeitige Gegenwart des pathologisch veränderten Farbstoffs an. Die Anwesenheit des Körpers wird aber sofort bewiesen, wenn man das Spectrum der Photometrie unterwirft, und zwar wiederum in den ein für alle Mal gewählten charakteristischen Regionen. Man findet alsdann, ob- ! Vgl. Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130 ff. ? Weshalb trotzdem die Verdünnung immer mit der genannten Soda- lösung: geschehen soll, ist erst vor Kurzem wieder in der Arbeit des Hrn. Dr. von Zeynek (Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 464) auseinandergesetzt und betont worden. ÜBER QUANTITATIVE BESTIMMUNG DER FARBSTOFFE Im BuuTeE. 45 gleich die Blutlösung mit Luft in Berührung ist,! den Werth des Quotienten — merklich verringert gegenüber der Zahl 1578, dem bekannten Quotienten © des reinen Oxyhämoglobins. Es lässt sich deshalb auch eine der obigen analoge Tabelle anfertigen, welche sämmtliche zwischen dem Quotienten des reinen Oxyhämoglobins und dem des reinen Methämoglobins liegenden, um 0.005 von einander abweichenden Zahlenwerthe enthält, denen ver- schiedene Mischungsverhältnisse beider Farbstoffe entsprechen. Die einzelnen x-Werthe, hier die Procentzahlen des Methämoglobins, berechnen sich nach der gleichen Formel, wie oben. Wir haben nur statt e, und &, die Zeichen &„ und &m, bezw. ihre auf eine gewählte Einheit be- zogenen Zahlenwerthe einzusetzen. Nach v. Zeynek’s zuverlässigen Bestimmungen? an Lösungen von Pferde- und Schweineblutkrystallen ist 4. = 0-002077, Am = 0-001754. Hiernach wird, da &, aber wieder die Einheit bilden soll, &n = 0-996. Bei der nahen Uebereinstimmung von &, und &„ können wir wohl, ohne einen wesentlichen Fehler zu begehen, &„ ebenso gut wie s, gleich der Einheit setzen, und da nach Zeynek I = im Mittel = 1.185, so erhält unsere Bedingungsgleichung die einfache Form & _ (100 —a)1-578 +1-1852 _ 157-8 — 0398 En (100 —2)+x u 100 ? woraus: 1578 — 100 —- = — 0883 Folgende Tabelle II enthält die zu einander gehörigen Zahlen in der gleichen Weise angeordnet, wie Tabelle I. Der erste Stab, unter = giebt ! Wäre die Lösung, was in den Versuchen mit venösem Blut natürlich immer der Fall sein muss, vor Luft geschützt, so könnte die Veränderung des Quotienten ja auch durch das Vorhandensein von reducirtem Hämoglobin bedingt sein. Bei Be- rührung der Lösung mit Luft würde sich aber in solchem Falle alsbald der normale Quotient, Se 1-578, einstellen. € ® Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 460 ff. 46 G. Hürner: wieder die einzelnen Werthe des Quotienten, der 2., unter x, das vorhandene Methämoglobin in Procenten des gesammten Hämoglobinvorrathes. Einem Plus oder Minus von 0-001 in der Reihe der © Werthe entspricht allent- halben ein Minus oder Plus des Methämoglobingehaltes um 0-2546 Procent.. Die Curve der ansteigenden x-Werthe verläuft im vorliegenden Falle also geradlinig. Tabelle IL. Oxyhämoglobin und Methämoglobin. r | ’ ‚ r ‚ : r _ z jroı2| — z |oı-| z 10001 E & € € € 1-578 0 1.445 | 33-85 1-310 | 68-22 | 0-2546 1-55 0-76 1:440 | 35-12 1-305 | 69-49 1-570 | 2-04 1-435 | 36-40 | 0-2546 | 1.300 | 70-77 1-565 | 3-31 | 0.2546 | 1430 | 37-67 1:295 | 72-04 1.560 4:58 1.425 | 38-94 1290 | 73-31 1555 | 5-85 1-420 | 40-21 1:285 | 74-59 | 02546 1-550 | 7-12 1-415 | 41-49 1:280 | 75-86 1-545 | 8-39 1-410 | 42-76 | 0.2546 | 1.275 | 77-18 1.540 | 9-67 1.405 | 44-03 1:270 | 78-40 1535 | 10-94 | 0.2546 | 1400 | 45-31 1:265 | 79-68 1550 | 12-21 1-395 | 46-58 1-260 | 80-95 | 0-2546 1.525 | 13-48 | 1-390 | 47-85 1-255 | 82-22 1-520 | 14.76 1.385 | 49-18 | 0.2546 | 1.250 | 83-50 1-515 16-08 1.380 | 50-40 1.245 | 84-77 1-510 | 17-30 | 0.2546 | 1:375 | 51-67 1:240 | 86-04 1-505 | 18-57 | 1:370 | 52-94 1-235 | 87-32 | 0-2546 1-500 | 19-85 1-365 | 54-22 1-230 | 88-59 1-:495 | 21-12 1-360 55:49 | 0:2546 1°225 89:86 1:490 | 22-39 1.355 | 56-76 1-220 | 91-13 1-485 | 23-67 | 0-2546 | 1:350 | 58-04 1.215 | 92-41 1:480 | 24-94 1:345 | 59-31 1-210 | 93-68 | 0-2546 1.475 | 26-21 | 1.340 | 60-58 1-205 | 94-95 1°470 | 27-48 | 1-335 | 61-86 | 0-2546 | 1-200 | 96-23 1:465 | 28-76 | 1.330 | 63-13 1-195 | 97-50 1-460 | 30-08 | 0.2546 | 1.325 | 64-40 1-190 | 98-77 | 0-2546 1-455 | 31-30 | 1-320 | 65+67 1-185 | 100-00 1-450 | 32-58 | 1-315 | 66-95 Will man nicht bloss das Mischungsverhältniss beider Farbstoffe, son- dern die absoluten Mengen wissen, die in 100 «m Blut enthalten sind, so genügt es, eine der gesuchten Grössen, z. B. des Methämoglobins, nach der ÜBER QUANTITATIVE BESTIMMUNG DER FARBSTOFFE IM BLUTE. 47 bekannten Vierordt’schen Formel zu berechnen. Darnach ist aber die fragliche Methämoglobinmenge AA AT A Ton ee en) 4, An == A, An Das Zeichen rn bedeutet hier den Grad der Verdünnung. Die Werthe von Am, Am, Au 4. sind von früher bekannt, nämlich An = 0-002077, Am‘ =. 0-001754, 4, = 0:002070, Ar = 0.001312. ge und 8 sind wieder die für die Lösung ermittelten Extinctionscoefficienten. Hätte man z.B. in einem bestimmten Falle den Quotienten 1°445 gefunden und dafür in Tabelle II den entsprechenden z-Werth 33-85 ab- gelesen; hätte man weiter nach der Vierordt’schen Formel An = 4-34 8" berechnet, so betrüge der in 100° ® Blut befindliche Gesammtvorrath an Farbstoff 100.434 BET = 12:82 27, bestehend aus 4-34 "m Methämoglobin und 12:82 — 4-34 = 8.48 8m Oxy- hämoelobin. Für die Beurtheilung des „Verderbnissgrades“ des Blutes genügt in- dessen in allen Fällen die Kenntniss der relativen Zahlenwerthe. — Ich gebe zum Schlusse noch eine dritte Tabelle. Sie enthält die wechselnden Mischungsverhältnisse von Oxyhämoglobin und Kohlen- oxydhämoglobin, die denselben photometrischen Quotienten eines Blutes entsprechen, das in verschiedenem Grade mit Kohlenoxyd vergiftet ist. Das Spectrum des Kohlenoxydblutes ist bekanntlich dem des normalen sauerstoffhaltigen äusserst ähnlich. Der photometrische Quotient einer /f Lösung reinen Kohlenoxydhämoglobins, =, bezogen auf die gleichen Spec- tralregionen wie die vorigen, hat aber nach früheren! Untersuchungen nur den Werth 1.095. 4. ist = 0-001383, A. = 0-001263. Hiernach ist &., bezogen auf &, als Einheit, = 1-497, und &/ = 1-639. z bedeutet in folgender Formel die procentische Menge der Kohlenoxyd- verbindung. Die Bedingungsgleichung lautet also: € _ (100— 2)1-578 +@.1-6389 _ 157-8 + 0.061 5 (100 —z)1 +2. 1-497 100 + 0-4972 1 Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 130 ff. 48 &. HürneR: ÜBER QUANTITATIVE BESTIMMUNG VD. Ss. w. Tabelle Ill. Oxyhämoglobin und Kohlenoxydhämoglobin. = 2 0:00 = 19-0012 | — = 10.001 € & © | € 1578| 0 1-415 | 25-38 1-250 | 58-55 1-575 | 0-42 1-410 | 26-26 | 0-1760 | 1-945 | s0.73 1570| 1-11 122057 2715 1240 | 60-91 1.565 | 1-81 | 0.1412 | 1.400 | 28.04 1-235 | 62-08 | 0-2356 1-560 | 2-52 1:395 | 28-96 1-230 | 63-26 1.555 | 83-28 1:390 | 29-85 | 1-225 | 64-44 1550 | 3-95 1-385 | 30-77. 0-1852 | 1.220 | 65-67 1-545 | 4-67 1.380 | 31-69 | 1-215 | 66-90 1.540 | 5-39 1.375 | 32-62 | 1-210 | 68-14 | 0-2464 1-535 | 6-18 | 0-1460 | 1-370 | 33-57 1-205 | 69-37 1-530 | 6-86 1.365 | 34-52 1-200 | 70-60 1.525 7-60 1360 | 35-48 | 0-1904 | 1.195 | 71.89 1-520 | 8-35 1.355 | 86-43 | 1-190 | 73-18 1-515 | 9-10 1:350 | 37:38 1-185 | 74-48 | 0-2584 1-510 | 9-86 | 0-1528 | 1-345 | 38-37 1-180 | 75-77 1-505 | 10-63 1-340 | 39-36 1.175 | 77-06 1.500 | 11-42 1-335 | 40-36 | 0-1984 | 1.170 | 78-42 1-495 | 12-17 1.330 | 41-35 1.165 | 79-77 1-490 | 12-95 1.325 | 42-34 1.160 | 81-13 | 0-2712 1°485 | 13-74 | 0-1564 | 1-320 | 43-37 1.155 | 82-48 1-480 | 14-53 1-315 | 44-41 1:150 | 83-84 1.475 | 15-83 1-310 | 45-44 | 0-2068 | 1.145 | 85-26 1-470 | 16-13 1.305 | 46-48 1-140 | 86-68 1°465 | 16-94 1.300 | 47-51 1:135 | 88-11 | 0.2844 1-460 | 17-75 | 0.1682 | 1-295 | 48-59 1-130 | 89-53 1-455 | 18-58 1:290 | 49-67 1:125 | 90-95 1-450 | 19-41 1-285 | 50-75 | 0.2160 | 1.120 | 92-44 1-445 | 20-24 1.280 | 51.83 1.115 | 93-93 1-440 | 21-08 1.275 | 52-91 1-110 | 95-43 | 0.2984 1.435 | 21-98 | 0-1692 | 1-270 | 54-04 1-105 | 96-92 1-430 | 22-78 1265 | 55-17 1-100 | 98-41 1:425 | 23-64 1-260 | 56-29 | 0-2256 | 1.095 | 100-00 1420 | 24-51 1-255 | 57-42 Für den Fall, dass ausser der Kenntniss der relativen Zahlenwerthe auch noch diejenige der absoluten nöthig oder wünschenswerth ist, gilt das Gleiche, was oben S. 47 über die Ermittelung des absoluten Methämo- globingehaltes gesagt wurde. Ueber die Einwirkung des constanten galvanischen Stromes auf niedere Organismen. Von Dr. Oskar Carlgren, Docent an der Hochschule zu Stockholm. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Jena.) (Hierzu Taf. I.) Seitdem die ersten eigenthümlichen galvanotactischen Erscheinungen an Froschlarven und Fischembryonen von Hermann entdeckt worden sind, haben mehrere Forscher, wie Verworn, Nagel, Ewald, Loeb, Bla- sius und Schweizer, die Einwirkung des constanten elektrischen Stromes auf verschiedene Tiere geprüft. Als Versuchsobjecte sind immer, wenn wir die festsitzende Ciona intestinalis ausnehmen, einzelne, nicht stockbildende Organismen gebraucht worden. Darum dürfte wohl folgende Untersuchung, die zuerst nur die Galvanotaxis bei den schönen, beweglichen Colonien von Volvox aureus zu umfassen beabsichtigte, nicht ohne Interesse sein. Ehe ich zur Beschreibung der Versuche übergehe, scheint es mir indessen zweck- mässig, kurz an den Bau von Volvox zu erinnern und gleichzeitig einige Notizen über die Colonien mitzutheilen. I. Einiges über Bau, Bewegung und Biologie von Volvox aureus. Die in vielen Hinsichten eigentümliche Flagellaten- (oder Protococeideen-) (Gattung Volvox enthält die durch Protoplasmastränge mit einander verbundenen Einzelindividuen in einer kugelförmigen oder sphärischen Gallerte einge- bettet. Wie Meyer neulich (22, 23) beschrieben hat, nimmt die Gallerte bei Volvox aureus den grössten Teil der Kugel ein, nur in der Mitte der Kugel findet sich ein Hohlraum mit einem ziemlich kleinen Durchmesser. Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 4 50 OSKAR ÜCARLGREN: Die Peripherie der Kugel ist von einer Lamelle umgeben, unter welcher das von der Oberfläche der Kugel gut wahrnehmbare, jedes einzelne Indi- viduum ringförmig umgebende, maschenförmige Leistensystem sich befindet. Von den Leisten gehen in den Ecken der Maschen nach dem Centrum der Kugel zu festere Fäden aus, um sich mit der inneren, den Hohlraum be- grenzenden, sternförmig ausgebuchteten Lamelle zu verbinden (Taf. I Fig. 2). Die Form der von mir in ziemlich grosser Zahl und mehrmals in der Woche während zweier Monate (Aug., Sept. 1898) aus einem Wasserbassin des hiesigen zoologischen Instituts geholten Colonien war im Allgemeinen sphäroidisch, nur die jungen, aus den Muttercolonien ausgeschlüpften Tochter- colonien waren fast kugelrund. Eine Längsaxe war also gewöhnlich deutlich ausgeprägt, am meisten entwickelt war sie bei grösseren Colonien, die auch in der Regel eine weichere Consistenz hatten. Der trophische, bei der Bewegung nach vorn gerichtete Teil der Colonie nahm die Hälfte bis ein Drittel der Kugel ein, während der generative hintere Teil die ganze übrige Partie umfasste. Die auf geschlechtslosem Wege entstandenen Parthenogonidien waren in ver- schiedenen Entwickelungsstadien und traten in jeder Colonie in der Zahl von 2 bis 10 auf, am gewöhnlichsten kamen 5 bis 7, am seltensten 2 bis 3 und 9 bis 10 vor. Ausser den Parthenogonidien habe ich in einzelnen Colonien auch Spermatidien beobachtet. Die Bewegung der Colonie habe ich etwas näher studirt. Wenn sich die Colonie von einer Stelle nach einer anderen bewegt, dreht sie sich mit dem trophischen Pole voraus um ihre Längsaxe alternirend bald nach der einen Seite, bald nach der anderen, eine Bewegungsart, die schon Rösel nach Klein (13) angegeben hat. Wie dieser letztere Forscher habe ich gefunden, dass keine Drehungsrichtung bevorzugt ist. Die Dauer der Drehung in einer Richtung ist nach meiner Beobachtung sehr verschieden. Oft wendet sich die Colonie mehrmals um ihre Längsaxe, ehe sie die um- gekehrte Richtung einschlägt, was man besonders bei neugeborenen Tochter- kugeln sieht. Nicht selten kommen da aber einmalige Drehungen vor, ja, in gewissen Fällen, wo die Bewegung sehr langsam ist, z. B. wenn die Colo- nien in einer sehr dünnen Gelatinelösung sich bewegen, machen sie nicht einmal eine ganze Drehung, ehe sie die entgegengesetzte anfangen. Ebenso sind die Drehungen nach rechts und links oft nicht von gleicher Dauer. Auf mehrere Umdrehungen nach der einen Seite können eine oder wenige nach der anderen Seite folgen. Besonders bei jüngeren Individuen beob- achtete ich oft, wie nach einer langwierigen Umdrehung in einer Richtung mehrere kurze Umdrehungen in beiden Richtungen nach einander folgten, darnach folgten wieder eine oder mehrere Drehungen von längerer Dauer, dann wieder einige kurze u. s. w. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 51 Auch die durch das Austreten von Tochterkugeln mehr oder minder beschädigten Colonien rotirten auf ganz ähnliche Weise, bald nach rechts, bald nach links, wie die normalen Colonien. Bisweilen sieht man bei den beschädigten Colonien ein Vorwärtsschwimmen ohne Umdrehung, eine Bewegungsart, die ich übrigens auch einige Male _bei nicht lebenskräftigen Individuen beobachtet habe. Schliesslich können die Colonien auf der Stelle rings um ihre Längsaxe sich bewegen, ohne den Ort zu verändern. In solchem Falle habe ich keinen Wechsel in der Umdrehungsrichtung gesehen, obgleich ich mehrmals die Colonien länger als 10 Minuten beobachtet habe, vielmehr rotirten sie die ganze Zeit über entweder nach rechts oder nach links. Klein giebt an, dass „bei Rotation am Ort der Nordpol fast stets vom Beschauer abgewendet ist“. Wenn diese Behauptung Gültigkeit haben soll, muss Klein hinzu- setzen: „Wenn man die Colonie unter dem Mikroskop betrachtet.“ Diese Erscheinung beruht nämlich "darauf, dass die Colonien bei Rotation am Ort sich mit dem vorderen Pole in Contact mit der Glaswand befinden oder an die Glaswand anstossen und thigmotactisch sind. Eine Rückwärts- bewegung habe ich nicht gesehen. Wie Klein habe ich gefunden, dass die Rotationsaxe mit der Längs- axe oder Colonienaxe zusammenfällt. Durch die Lage der Parthenogonidien und der geschlechtlichen Individuen in dem hinteren Theil der Colonie kommt der Schwerpunkt derselben in die hintere Hälfte zu liegen, was man am besten bei abgetödteten Colonien sieht, die in einer Flüssigkeit von gleichem Gewicht wie ihre eigene Substanz sich mit dem hinteren Ende nach unten einstellen. Die senkrechte Linie, die in dieser Stellung der Colonie durch den Mittelpunkt derselben geht, ist die Längsaxe der Colonie. Während der Mittelpunkt der Colonie constant in der Bewegungsrichtung bleibt, ist, wie Klein sagt, die Rotationsaxe von hinten unten nach vorn oben leicht gegen die Bewegungsbahn geneigt, ein Verhältniss, das, wie wir unten sehen werden, sich während der Einwirkung des galvanischen Stromes verändert. Dass die Schwerpunktsverhältnisse der Colonie diese Neigung der Ro- tationsebene gegen die Bewegungsrichtung verursachen, halte ich für sehr wahrscheinlich. Denn diese Neigung ist am grössten bei den grossen Colonien mit wohl entwickelten Parthenogonidien, am kleinsten bei den neugeborenen Tochterkugeln, die schon bei der Geburt kleine Anlagen neuer Parthenogonidien in dem hinteren Theil der Colonien tragen. Uebrigens sprechen die in dem Abschnitt II geschilderten Verhältnisse auch dafür, da die Colonien bei Veränderung der Lage des Schwerpunktes auch ihre Bewegungsbahn verändern. 52 OSKAR ÜCARLGREN: Jedes vegetative Individuum in der Colonie ist mit zwei langen Geisseln versehen. Ihrer Feinheit und Durchsichtigkeit zufolge war es sehr schwer, die Bewegung derselben zu sehen; am deutlichsten traten die Geisseln bei neugeborenen Parthenogonidien hervor. Durch Gebrauch von Karminkörn- chen und mittels directer Beobachtung konnte ich sehen, dass die Geisseln von vorn nach hinten schlagen, aber nicht gerade parallel mit der Längs- axe, sondern etwas schräg, was am deutlichsten bei Rotation am Ort her- vortrat. Die eingesammelten Colonien wurden in einen Glascylinder gebracht, der gegen die Lichtseite mit schwarzem Papier bedeckt war. Nur eine etwa 2°@ hohe Wasserschicht in dem obersten Theile des Cylinders war von der schwarzen Umhüllung frei. Durch die stark ausgeprägte Heliotaxis, die diese Oolonien zeigen, waren in wenigen Minuten alle oder fast alle Colonien nach der Lichtseite zu geführt worden und hatten sich an der nicht bedeckten, schmalen Randschicht gesammelt: hier schwammen sie ruhig umher oder rotirten am Orte, am häufigsten hafteten sie thigmotaetisch mit dem Vorderende oder der Seite an der Glaswand fest und blieben dort, ohne Rotation zu zeigen, wahrscheinlich mit sehr schwachen Geissel- bewegungen stundenlang sitzen. Ich sage wahrscheinlich, denn in den Ver- suchsgläsern war keine directe Beobachtung möglich, aber ich habe in anderen Fällen, wenn ich thigmotactische Colonien unter dem Mikroskop betrachtete, gesehen, dass die Geisselbewegung während des Contactes sehr schwach war. Ich gehe jetzt zu der Beschreibung der Einwirkungen des constanten elektrischen Stromes über. II. Ueber die Galvanotaxis von Volvox aureus. Für meine Untersuchungen habe ich mich einer Chromsäure-Tauch- batterie von 30 kleinen Kohle- und Zinkelementen bedient, die auch einzeln benutzt werden konnten. In dem Stromkreise waren ein Quecksilberschlüssel und eine Pohl’sche Wippe eingeschaltet. Bei allen in diesem und den folgen- den Abschnitten angestellten Versuchen sind unpolarisirbare Pinselelektroden angewendet worden. Die durch die Phototaxis gesammelten Thiere wurden mit einer Pipette in das von Verworn gebrauchte Kästchen für galvanische Reizung kleinerer Organismen gebracht, die Pinselelektroden an die Thonleisten angelegt und der Strom geöffnet. War der Strom nicht zu schwach — um gute Re- sultate zu erhalten, war die Einwirkung von wenigstens fünf der oben er- wähnten Kohle-Zinkelemente nothwendig — so reagirten die Colonien sehr deutlich und wanderten nach einigen Augenblicken zu der kathodischen EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 53 Thonleiste, um sich bald darnach als grüner Fleck an der Stelle, wo die kathodische Pinselelektrode an der Thonleiste lag, zu sammeln. Wurde die Wippe umgelegt, so gingen unmittelbar alle Colonien ohne Ausnahme in gerader Richtung gegen die neue Kathode und sammelten sich dort zu einem ähnlichen grünen Flecken an wie vorher. Nach einer erneuten Um- lesung der Wippe erhielt ich dasselbe Resultat u. s. w. Wenn die Colonien sich nach einer solchen Umlegung der Wippe in gesammelten Schäaren gegen die Kathode bewegen und man plötzlich den Strom wendet, kehren die Colonien augenblicklich um und suchen die neue Kathode auf. Sehr schön und typisch tritt die Wanderung nach der Ka- thode zu hervor, wenn man die Colonie unter schwacher mikroskopischer Vergrösserung betrachtet. Hat man nicht zu wenige Colonien in das Object- kästchen gebracht, so sieht man bei guter Einstellung das ganze Mikroskopfeld voll von Volvoxcolonien, die alle in derselben Richtung mit dem vorderen Ende voraus parallel mit einander oder nach einander von der früheren Kathode nach der neuen Kathode zu gehen. Was besonders in die Augen fällt, ist die ausserordentliche Regelmässigkeit der Bewegung. Und noch mehr, man kann nämlich beobachten, dass die etwas schwankende Be- wegung, die die Colonien unter gewöhnlichen Verhältnissen, also ohne Ein- wirkung des constanten Stromes zeigen, jetzt vollkommen aufgehoben ist. Die Rotationsaxe der Colonie ist nicht weiter gegen die Bewegungsaxe geneigt, sondern fällt mit ihr zusammen. Nach alternirenden Drehungen, die wie gewöhnlich bald nach links, bald nach rechts um ihre Längsaxe erfolgen, suchen sie die neue Kathode auf, Dabei scheint es, als ob sie einen Widerstand zu überwinden hätten. Man kann auch bei genauer Betrachtung eine leichte Zusammendrückung der Colonie in der Bewegungs- richtung sehen, was bei grösseren und etwas schlanken Individuen am deutlichsten hervortritt. Während ich die ersten 5 bis 20 Minuten nach der ersten Schliessung die Wippe beliebig oft mit demselben guten Erfolge umlegen konnte, wurde die kathodische Galvanotaxis bei längerer Einwirkung des Stromes undeut- licher, wie wir unten näher sehen werden. Bisweilen trat übrigens die Bewegung der Colonien nach der Kathode zu auch während der ersten Zeit der galvanischen Einwirkung nicht so schön und regelmässig, wie oben beschrieben ist, hervor, ohne doch je ihren wirklichen Charakter als eine kathodische Galvanotaxis zu verlieren. Die Ursache dieser Störungen der Bewegung nach der Kathode ist die Phototaxis, welche die Thiere besonders bei nicht zu starkem Licht zeigen. Nachdem man die Colonien von dem Glasaguarium in das Objectträgerkästchen gebracht hat, sieht man am öftesten, wie die Colonien in Kurzem nach derjenigen Seite des Kästchens hin gehen, von der das Licht kommt. Legt man dann die Pinselelektrode an die 54 ÜSKAR ÜARLGREN: Mitte der Thonleisten, so dauert es jetzt viel länger, ehe die Colonien sich an der Kathode gesammelt haben, ja, wenn man nicht etwas stärkere Ströme als gewöhnlich braucht, kann es geschehen, dass einige der Colonien überhaupt nicht gut reagiren. Um auch unter solchen Umständen gute Resultate zu bekommen, habe ich mit Vortheil die Pinselelektroden auf die nächst dem Licht zuliegenden Theile der Thonleisten angelegt. Noch undeutlicher tritt die kathodische Galvanotaxis nach der Schliessung des Stromes ein, wenn die Colonien ruhig an einer Stelle liegen, d. h. thigmo- tactisch sind — gleich wie wir wissen, dass die in Thigmotaxis sich befinden- den Paramäcien gar nicht oder nur für bedeutend stärkere galvanische Ströme als gewöhnlich empfindlich sind. Wenn man indessen bald nach der Ueberführung der Colonien in das Kästchen den galvanischen Strom schliesst, pflegen die Colonien während der ersten Zeit nach der Schliessung keine thigmotactischen Erscheinungen zu zeigen. Bringt man die Volvoxcolonien in ein Uhrglas und taucht man die Pinselelektroden in die Flüssigkeit ein, so treten dieselben Erscheinungen, welche Verworn bei Paramäcien beobachtet hat, auf, nämlich eine Be- wegung in der Richtung der Stromeurven und eine Ansammlung der Colonien hinter der Kathode. Doch wirken hier die Phototaxis und die Thigmotaxis im Allgemeinen mehr störend auf die Bewegung nach der Ka- thode zu, als wenn man die Colonien in dem Öbjectkästchen hat. Die in der Peripherie sich bewegenden Colonien werden nämlich leicht thigmo- tactisch, besonders auf der gegen die Lichtquelle gekehrten Seite, an der sich die Colonien in Folge ihrer Phototaxis oft ansammeln. Wie oben gesagt, wird bei längerer Einwirkung des Stromes die Be- wegung der Colonien nach der Kathode zu weniger deutlich. Die Undeut- lichkeit fängt damit an, dass die Colonien beginnen von der Kathode weg- zugehen. Zuerst machen sie kleine Excursionen und kehren darnach in einem grösseren oder kleineren Bogen wieder nach der Kathode zurück; später werden die Excursionen weiter und weiter, bis sie die Anode erreicht haben, wo die Colonien bisweilen thigmotactisch haften bleiben. Legt man jetzt die Wippe um, so kann man nicht selten eine Bewegung der Colonien in zwei entgegengesetzten Richtungen sehen; die meisten Colonien gehen von der früheren Kathode nach der neuen Kathode zu, während die an der früheren Anode befindlichen Colonien gegen die neue Anode hin sich bewegen. Dann und wann bekommt man aber auch vollkommen typische, kathodische Ansammlungen von Colonien, die in einem grünen Fleck dicht zusammengedrängt sind. Aber bei längerer Einwirkung des Stromes scheinen die Colonien nach dem Umlegen der Wippe früher als vorher von der Kathode fortzugehen. Sehr störend wirkt auch die Thigmotaxis, indem einige Colonien unterwegs hier und da zwischen den Polen ruhig liegen bleiben. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 55 Auch bewegen sich die Colonien im Allgemeinen nach längerer Behandlung mit dem galvanischen Strome langsamer als im Anfange. Bei noch längerer Einwirkung des galvanischen Stromes scheint die überwiegende Mehrzahl der Colonien eine grosse Tendenz zu zeigen, die Anode aufzusuchen. Ich habe mehrmals gesehen, wie die Colonien sich fast ebenso deutlich an der Anode wie früher an der Kathode an einem Flecke angesammelt hatten. Gewöhnlich ist indessen die anodische Ansammlung viel undeut- licher, doch kann man gut sehen, dass die Colonien eine entschiedene Tendenz haben, nach der Anode zuzugehen. Um die Versuche zu con- troliren, hatte ich in das Kästchen, wo die Volvoxcolonien sich befanden, einige Individuen von Paramaecium aurelia gebracht. Es zeigte sich dann, dass, während die Paramäcien regelmässig nach der Kathode zu eilten, die Volvoxeolonien überwiegend in der entgegengesetzten Richtung gingen. Her- vorzuheben ist auch, dass die anodische Galvanotaxis nicht regelmässig bei jedem Umilegen der Wippe sich zeigt. Möglicher Weise hat dieses Ver- hältniss aber seinen Grund darin, dass die Thigmotaxis bei langer Einwirkung des Stromes sehr störend. hinzukommt. Nach einer Umschüttelung der Flüssigkeit des Kästchens mit einem Glasstäbchen hört die Thigmotaxis für einige Augenblicke wenigstens auf und man kann dann oft eine Bewegung der Colonie nach der Anode hin sehen. Die Zeit, während welcher der galvanische Strom einwirken muss, bis die kathodische Galvanotaxis anfängt undeutlich zu werden, scheint zu varliren, ebenso ist die Zeit bis zum Auftreten der anodischen Galvanotaxis verschieden; das erste Stadium geht allmählich in das zweite und dies all- mählich in das dritte über. So habe ich gefunden, dass während einer Zeit von 5 Minuten bis zu einer halben Stunde eine deutliche und charak- teristische kathodische Galvanotaxis nach jedem Umlegen der Wippe sich zeigt, doch kommt es gegen das Ende der halben Stunde schon oft vor, dass die Colonien kleine Excursionen nach der Anode zu machen. Von da bis zum Auftreten der typischen anodischen Galvanotaxis ist die Zeit noch unbestimmter, in einzelnen Fällen kann die anodische Galvano- taxis ziemlich schnell auftreten, in anderem Falle dauert es eine bis mehrere Stunden, ehe eine deutliche anodische Galvanotaxis auftritt. Schliesslich will ich auch bemerken, dass die Colonien, die einmal eine anodische Galvanotaxis gezeigt hatten, auch nachdem der Strom 20 Stunden geöffnet geblieben war, bei erneuter Schliessung sofort wieder eine anodische Galvanotaxis zeigten, oder, wenn sie sich zuerst nach der Kathode zu be- wegten, doch sehr schnell wieder anfingen nach der Anode zuzugehen. Die Volvoxcolonien zeigen also während der ersten Zeit nach der Schliessung des constanten Stromes eine ausgeprägte katho- dische Galvanotaxis, die bei jedem Umlegen der Wippe regel- 56 ° OSKAR ÜARLGREN: | mässig auftritt. Bei längerer Einwirkung des Stromes wird die kathodische Galvanotaxis undeutlicher, bei noch längerer Ein- wirkung tritt eine anodische Galvanotaxis mehr oder minder deutlich auf, die aber weder so charakteristisch, noch so regel- mässig wie die kathodische Galvanotaxis auftritt. Hemmend auf die Galvanotaxis wirkt besonders bei einer längeren Durch- strömung die Thigmotaxis und die Phototaxis. III. Einwirkung des constanten Stromes auf lebende, aber sich nicht bewegende Colonien von Volvox aureus. Zu den in diesem Abschnitte erwähnten Experimenten habe ich mich immer der ganzen Batterie von 30 Zink-Kohleelementen bedient. Die Colonien lagen bei den Versuchen entweder in demselben Wasser, in dem sie lebten, oder in dünner Gelatinelösung. Der Abstand zwischen den Pinselelektroden war sehr gering, meist nur einen bis einige Millimeter. Wenn die Versuchsflüssigkeit dünne Gelatine war, waren die Elektroden direct in die Gelatine eingesteckt, im anderen Falle waren sie auf kleine Leisten von gebranntem Thon gelegt. Ich suchte natürlich dafür zu sorgen, dass die Objeste möglichst parallel mit der Längs- oder Queraxe durch- strömt wurden. Um gute Resultate zu bekommen, muss übrigens die durchströmte Wasser- oder Gelatinenschicht sehr dünn sein. Um zu erfahren, welche Seite, ob die-anodische oder die kathodische contractorisch erregt wird, und um womöglich einen körnigen Zerfall der erregten Seite hervorzubringen, wurden die Volvoxcolonien in einer dünnen Lösung von Gelatine so zwischen die nahe an einander liegenden Pinsel- elektroden gebracht, dass sie in ihrer Längsrichtung durchströmt wurden. War die Gelatineschicht nicht zu dick, so zeigte die anodische Seite der Colonie bald nach der Schliessung des Stromes eine Zusammenschrumpfung, die im Anfang unbedeutend war, aber während der Dauer des Stromes mehr an Umfang zunahm. Gleichzeitig konnte man eine Ausdehnung an der Kathodenseite der Colonie beobachten. Mit dieser Zusammenschrumpfung an der Anode und Ausdehnung an der Kathode war eine Verkürzung der Längsaxe und eine Verlängerung der Queraxe der Colonien verknüpft. Besonders gut konnte man diese Gestaltveränderung bei solchen Colonien wahrnehmen, deren Membran und wohl auch Gallerte nicht sehr fest war, was besonders bei grösseren Colonien der Fall ist. Lest man die Wippe um, so hört die Einschrumpfung der Anoden- und die Ausdehnung der Kathodenseite nach und nach auf, und die Colonie bekommt zuerst ihr gewöhnliches Aussehen wieder, als wenn kein Strom EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 57 durchginge; darnach beginnt aber allmählich die neue anodische (früher kathodische) Seite einzuschrumpfen, während die frühere Anode (jetzt Kathode) mehr und mehr vorgewölbt wird; gleichzeitig treten entsprechende Verände- rungen der Axenlänge auf. Wird der Strom schliesslich geöffnet, so ver- schwindet bald die Einschrumpfung der Anodenseite und die Vorbuchtung am kathodischen Theile, und die Kolonie nimmt ihre gewöhnliche Gestalt wieder an. Ich habe die Versuche oftmals angestellt und immer dasselbe Resultat bekommen und dies nicht nur wenn das äussere Medium dünne (relatine, sondern auch, wenn es nur das Wasser war, in dem die Colonien lebten. Zwar treten die Erscheinungen in dem letzteren Falle bei der Anwendung von gleicher Stromstärke nicht so scharf hervor wie in dem ersteren, aber sie ist doch deutlich sichtbar. Ausnahmsweise habe ich auch dieselben Einwirkungen an Colonien, die in einer sehr dünnen Wasser- schicht in dem gewöhnlichen Kästchen lagen, beobachtet. Hier war aber offenbar der Strom nicht so stark, dass alle Individuen eine Reaction zeigten. Wenn die in einer dünnen Gelatineschicht liegenden Volvoxcolonien von dem elektrischen Strom quer durchströmt werden, zeigen sie dieselbe Einschrumpfung an der Anoden- und Ausbuchtung an der Kathodenseite wie bei Längsdurchströmung. Die Einwirkung des elektrischen Stromes auf die Geisseln habe ich in Folge der ausserordentlichen Feinheit derselben nicht direct beobachten können. Doch habe ich mehrmals, wenn Karmin- körnchen in der Gelatine aufgeschwemmt worden waren, gesehen, dass die Strömung an der anodischen Seite aufhörte, während sie an der katho- dischen fortbestand. Eine Erscheinung, die die Aufmerksamkeit des Beobachters noch mehr fesselt als die Gestaltveränderung der Colonien, ist die Wanderung der im Inneren der Volvoxkugeln liegenden Parthenogonidien. Sobald man den Strom schliesst und schon ehe die Einschrumpfung des Anodenendes deut- lich hervortritt, beginnen die Parthenogonidien sich in Bewegung zu setzen und nach der Anode zuzugehen. Nachdem sie aber ein längeres oder kürzeres Stückchen nach der Anode zu gewandert sind, scheinen sie nicht weiter kommen zu können, sondern bleiben still liegen, wobei sie oft quer im Verhältniss zu der Stromesrichtung zusammengepresst erscheinen. Die Erscheinung zeigt sich etwas verschieden, je nachdem das hintere oder das vordere Ende der Colonie der Anode zugewandt ist. Liegt das hintere Ende der Colonie, in dem die Parthenogonidien sich befinden, nach der Anode zu, so sehen die dem hinteren Ende am nächsten liegenden Parthenogonidien dicht an die Membran, die übrigen nicht so weit; ist dagegen das vordere Ende des Thieres der Anode zugewandt, so erreichen die Parthenogonidien nicht ‚die Membran, sondern bleiben etwa in der mittleren Region der Colonie 58 ÜSKAR ÜARLGREN: still liegen. Mit anderen Worten: die Parthenogonidien sind zwar beweg- lich, aber dies nur innerhalb gewisser Grenzen. Die Ursache davon ist darin zu suchen, dass sie durch protoplasmatische Stränge mit den Indi- viduen der Colonie in Verbindung stehen, ohne deren Abreissen die Par- thenogonidien nicht unbehindert bewegt werden können. Uebrigens legen auch die von Meyer (22, 23) beschriebenen radiären Fäden, die die Gallert- hülle durchsetzen, wohl Hindernisse in den Weg für eine freie Bewegung Parthenogonidien. STR ra Ss BT 2) | un N \ A TER ) N \ \ ( H > / \ N RE, N \ 7 \ ) AN \ BUS OS N @) ) Ge FR N N Na ee IT \ Hana ee a b c WR EREE DPPRER: Fig. 1. Lebende Volvoxcolonie in Gelatinelösung, von der Seite gesehen. Vorderer Pol nach rechts gerichtet. Alle Figuren sind gleich orientirt. Die abgerundeten Figuren in dem Inneren bezeichnen die Parthenogonidien. a) Lage der Colonie vor der Schliessung des Stromes. b) Strom geschlossen. 3 Minuten nach der Schliessung des Stromes gezeichnet. c) Wippe umgelegt. Intermediäres Stadium. d) 7 Minuten nach dem Umlegen der Wippe gezeichnet. e) Nach der Oeffnung des Stromes abgebildet. Bei jedem Umlegen der Wippe tritt die Wanderung der Partheno- sonidien nach der Anode zu unmittelbar und typisch ein, so dass man die Versuche beliebig oft anstellen kann. Gleichwie bei dem Umwenden des Stromes die Colonien ein intermediäres Stadium durchlaufen, wo sie ihre gewöhnliche Gestalt annehmen, in gleicher Weise kehren auch die Partheno- gonidien, wenn man den Strom wechselt, zuerst in ihre gewöhnliche Lage in der Colonie zurück, um dann nach der der früheren Anode entgegengesetzten EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 59 Seite zu gehen. Schliesslich ist zu bemerken, dass die Wanderungen der Parthenogonidien am deutlichsten hervortreten, wenn die Colonien in Gelatine liegen; mit Wasser als Medium war die Wanderungserscheinung schwächer, aber doch auch sehr deutlich. Die hier oben geschilderten Erscheinungen bei der Einwirkung des eonstanten Stromes auf lebende Colonien von Volvox sucht die Fig. la bis e, die mit Hülfe einer Nachet’schen Camera gezeichnet ist, zu veranschau- lichen. Die beiden Endstadien a und e, die die Uolonie vor und nach der Durchströmung vorstellen, sind einander etwa gleich, ebenso ist die Figur c, die das intermediäre Stadium zwischen b und d repräsentirt, wenig von den mit a und e bezeichneten Figuren verschieden, während dagegen die Figuren b und d zwei verschiedene Stadien zeigen, b ein Stadium, bei dem das hintere Ende der Colonie eingeschrumpft ist und die Parthenogonidien ziemlich dicht an dem anodischen Theile der Colonie zusammengedrängt liegen, d dagegen ein Stadium, bei dem der vordere Pol abgeplattet er- scheint und die Parthenogonidien in der Mitte der Colonie gelegen sind. Bei der Einwirkung eines hinreichend starken constanten Stromes auf lebende Colonien von Volvox aureus schrumpft die Colonie an dem anodischen Pol zusammen, wölbt sich aber an dem kathodischen Pole vor. Mit der Dauer des Stromes werden diese Erscheinungen stärker. Die Parthenogonidien sehen regelmässig und unmittelbar nach der Stromschliessung nach der Anode hin. Nachdem mir diese Erscheinungen bekannt geworden waren, entstanden vornehmlich zwei Fragen: 1. War die Einschrumpfung an der Anodenseite, die Vorwölbung an. der Kathodenseite als eine Contractions- bezw. Expansionserscheinung auf- zufassen oder nicht? 2. War die Bewegung der Parthenogonidien eine active oder passive Wanderung? Was die zweite Frage betrifft, so war sie leicht zu beantworten. Denn da die Parthenogonidien auch in den allerfrühesten Furchungsstadien, in welchen sie sich selbst noch nicht von der Stelle bewegen können, doch immer bei der Schliessung des Stromes nach der Anode zu gingen, so konnte die Bewegung keine active sein. Dagegen war die Beantwortung der ersten Frage nicht a priori zu finden. Die Erscheinungen ähnelten so einer wirklichen Contraetion und Expansion, dass ich zuerst geneigt war, anzunehmen, dass es sich auch um solche handelte, bis mir einige Erscheinungen bekannt wurden, die in dem nächsten Abschnitte beschrieben werden sollen. 60 ÜSKAR ÜARLGREN: 1V. Einwirkung des constanten Stromes auf leblose Colonien von Volvox aureus. Die Versuchsanordnungen waren dieselben wie die in dem vorigen Abschnitte angewandten. Während ich mit dem in dem dritten Abschnitt geschilderten Ver- suche beschäftigt war, setzte ich mehrmals die in Gelatine auf dem Object- träger liegenden Colonien in eine feuchte Kammer, um zu sehen, ob die von dem elektrischen Strome verursachten Erscheinungen auch später noch auftraten. Ich fand da zu meinem Erstaunen, dass ich dieselben Reactionen von den Colonien bekam, auch wenn sie einen bis mehrere Tage in Gelatine gelegen hatten und ich keine Geisselbewegung mehr beobachten konnte. Es lag also nahe, zu zweifeln, ob die Einschrumpfung der Anodenseite und die Ausbuchtung der Kathodenseite wirklich an das Leben gebunden war. Um dies festzustellen, wurden die Colonien in Formalin getödtet, darnach in Wasser ausgewaschen, in dünne Gelatine eingelest und dem elektrischen Strome ausgesetzt. Es zeigte sich bei der Schliessung des Stromes, dass die Erscheinungen an den Anoden- und Kathodenpartien und die Bewegung der Parthenogonidien auch bei den getödteten Individuen in ganz ähnlicher Weise wie bei den lebenden auftraten. Dass die Colonien wirklich todt waren und dass keine Beobachtungsfehler in dieser Hinsicht vorhanden sein konnten, dafür dürfen die untenstehenden, aus der Versuchsreihe beispiels- weise herausgenommenen zwei Versuche als Beweis dienen. Versuch 1. Zu dem Wasser, in dem die Colonie sich befand, wurde ein Tropfen von dem gewöhnlichen, im Handel vorkommenden Formalin zugesetzt (die Wasserlösung enthielt etwa 20 Proc. Formalin). Nachdem die Colonien 7 Minuten in der Formollösung gelegen hatten, wurden sie über Nacht in destillirtem Wasser ausgewaschen und in dünne Gelatine gebracht. Bei der Schliessung des Stromes trat eine deutliche Bewegung der Paıthe- nogonidien nach der Anode zu, ebenso wie eine Einschrumpfung an der Anoden- und eine Vorbuchtung an der Kathodenseite auf. Versuch 2. Zwei Colonien wurden eine halbe Stunde in etwa 20 Proc. Formalin gebracht, darnach abgespült und in dünne Gelatine eingelegt. Bei dem Schliessen des Stromes zeigte die kleinere Colonie nur schwache Reactionen, die grössere dagegen deutliche Bewegung der Parthenogonidien und bei langdauernder Einwirkung des Stromes deutliche Einschrumpfung an der Anoden- und Verwölbung an der Kathodenseite. Diese schwächere Reaction bei dem Versuch 2 beruht sicher darauf, dass die äussere Membran der Colonien durch die lange Einwirkung des Formalins zu stark gehärtet und also zu starr war, um eine Formver- änderung der Colonie gestatten zu können. Ich habe nämlich die Beobachtung gemacht, dass die Colonien, die längere Zeit in Formalın EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 61 gelegen hatten, immer mehr widerstandskräftig gegen die Einwirkung des elektrischen Stremes waren, so dass immer mehr Zeit nöthig war, um eine Einschrumpfung an der Anode der Colonie zu bekommen. Bisweilen war in Folge dessen die Einschrumpfung an der Anodenseite und die Vor- wölbung an der Kathodenseite wenig deutlich, ja fast gar nicht sichtbar, Fig. 2. Volvoxeolonie von dem hinteren Pole gesehen. Die Colonie war in etwa 20 Procent Formalin getödtet, nach 5 Minuten in destillirtes Wasser übergeführt und wieder nach einem Tage in Gelatine gebracht. Die Figuren sind mit Hülfe von Nachet’s Camera gezeichnet, nachdem die Colonie 8 Tage in Gelatinelösung gelegen hat. a) Strom offen. b) 10 Minnten nach der Schliessung des Stromes. c) Strom ge- wendet. d) Strom geöffnet. während die Bewegung von wenigstens einigen Parthenogonidien fast aus- nahmslos deutlich hervortrat. Dass eine Anwendung von stärkeren Strömen eine Formveränderung der Colonien auch in diesen Fällen mit sich bringen würde, ist kaum zweifelhaft, aber stärkere Stromquellen als die 30 Kohle- Zinkelemente standen mir zur Zeit bei meinen Versuchen auf Volvox nicht zur Verfügung. 62 ° OSKAR ÜARLGREN: Fig. 2a, b, c, d zeigt uns einen solchen Fall, wo die Formveränderung der Colonie nicht sehr in die Augen fällt, dagegen tritt die Bewegung der Parthenogonidien sehr deutlich hervor. Die Colonie war in etwa 20 Proc. Formalin getödtet, nach 5 Minuten in destillirtes Wasser übergeführt und wieder nach einem Tage in dünne Gelatinelösung gebracht worden. Nach- dem die Colonie 8 Tage lang in dieser Gelatinelösung in einer feuchten Kammer gestanden hatte, wurde sie mit dem constanten Strom durch- strömt. Die Figuren, die mit Hülfe der Nachet’schen Camera gezeichnet sind, stellen die Colonie von dem hinteren Ende gesehen vor und sind alle gleich orientirt. Fig. 2a zeigt die Colonie vor der Schliessung des Stromes, Fig. 2b 10 Minuten nach der Schliessung. Man sieht, dass sich die Par- thenogonidien (die abgerundeten Figuren) gegen die anodische Seite hin bewegt haben und dass die der Anode zunächst liegenden stark zusammengepresst sind. Fig. 2c ist 10 Minuten nach dem Umlegen der Wippe gezeichnet. Die Parthenogonidien sind wieder nach der neuen Anode zu geführt und die an die Anode grenzende ist stark zusammengepresst. Fig. 2d stellt die Colonie nach der Oeffnung des Stromes vor und ist der Fig. 2a ganz gleich. Die Einwirkung des constanten Stromes auf das Aussehen der leblosen Colonien ist, wie oben gesagt, ganz dieselbe als die in dem vorigen Abschnitte seschilderte auf die lebenden. Ebenso kann man die Versuche beliebig oft mit demselben Resultat wiederholen. Bei jedem Umlesen der Wippe be- kommt die Colonie also eine Einschrumpfung an der Anode und eine Vor- buchtung an der Kathode, während die Parthenogonidien regelmässig nach der Anode zu gehen. Die Vorwölbung an der Kathode ist im Allgemeinen nicht so in die Augen fallend wie die Einschrumpfung an der Anode. Dass aber dennoch eine Vorbuchtung vorhanden ist, sieht man immer bei dem Umlegen der Wippe, denn alsdann dehnt sich die früher eingeschrumpfte Anodenseite rasch wieder aus. Ebenso tritt die Ausbuchtung der Kathoden- seite gut hervor, wenn die Colonie aus dieser oder jener Ursache ihre normale Form verloren hatte und mit einer Delle an der Kathode ver- sehen war, in welchem Falle diese Delle bei der Schliessung des Stromes alsbald verschwindet. Bei langdauernder Einwirkung des constanten Stromes kommt es als seltene Erscheinung vor, dass eine kleine nicht regelmässige Einbuchtung (Delle) an der Kathodenseite entsteht. Ich kann diese Erscheinung in keiner anderen Weise deuten, als dass die Einbuchtungspartie etwas starrer als der übrige kathodische Theil der Colonie ist, so dass die umgebenden, nicht so starren Theile an der Kathode sich weiter ausspannen als die mehr starren, und die letzteren also wie eine Einbuchtung erscheinen. Aehnliche Beobachtungen bei der Schliessung des Stromes kommen auch bei Paramaecium und Amöben vor. (Siehe nächsten Abschnitt.) EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 63 Bei dem Umlegen der Wippe erhält, wie ich in dem vorigen Abschnitt geschildert habe, das Thier zuerst seine gewöhnliche Form (vgl. intermediäres Stadium Fig. 1c), ehe die Einschrumpfung an der neuen Anode eigentlich beeinnt. Die Zeit, die die Colonie braucht, um ihre gewöhnliche Form wieder zu bekommen, ist bedeutend geringer, wenn man die Wippe umlegt, als wenn der Strom geöffnet wird. Schliesslich will ich auch bemerken, dass ich ausnahmsweise, aber dann regelmässig, einen schwachen Transport der in dünner Gelatine liegenden Colonie nach der Anode zu habe beob- achten können. Bei der Einwirkung des constanten elektrischen Stromes auf leblose Colonien von Volvox aureus erhält man also dieselben Erscheinungen wie auf lebende, d.h. eine Einschrumpfung an der Anoden-, eine Herausbuchtung an der Kathodenseite und eine Wanderung der Parthenogonidien nach der Anode zu. V. Einwirkung des constanten Stromes auf leblose Individuen von Paramaeecium aurelia und bursaria, sowie von Colpidium colpoda und von Amöben. Die bei den leblosen Volvoxcolonien gefundenen Erscheinungen veran- lassten mich, die Einwirkung des constanten elektrischen Stromes auf andere leblose Protisten zu prüfen. Ich that dies um so lieber, als ich durch Prof. Verworn auf die von Hermann (11) bei der elektrischen Durch- strömung von leblosen Nerven gefundenen Erscheinungen aufmerksam ge- macht wurde. Als Untersuchungsobject wählte ich in erster Hand das leicht zugängliche Paramaecium aurelia, von dem ich für andere Zwecke Culturen angelegt hatte. Zuerst fielen die Versuche negativ aus, weil ich nicht eine hinreichend starke Stromquelle hatte, aber als ich später 70 kleine Kohle-Zinkelemente unter denselben Anordnungen, wie sie in den vorigen Abschnitten geschildert sind, gebrauchte, bekam ich gute Resultate. Die Paramäcien wurden durch Aetherdampf in einer geschlossenen Kammer oder durch mehrmals wiederholtes Zugiessen von Aether zum Wasser getödtet. Die allermeisten Paramäcien bekommen zwar bei der Aethereinwirkung grössere oder kleinere hyaline Ausstülpungen, so dass ihre normale Form mehr oder minder verändert wird, aber viele Exemplare be- halten doch ihre ursprüngliche Form im Wesentlichen bei. Nach dem Ab- sterben — um ganz sicher zu sein, dass die Individuen todt waren, liess ich sie bisweilen 1 bis 2 Tage nach der Behandlung mit dem Aetherdampfe im Wasser liegen, ehe ich die Versuche anstellte — wurden sie in dünne Gelatine oder in gewöhnliches Wasserleitungswasser gebracht, und die 64 ÜSKAR ÜARLGREN: Pinselelektroden auf einen Abstand von einem bis einigen Millimetern an- gelegt. Sobald man den Strom schliesst, schrumpft plötzlich der anodische Teil der Thiere zusammen, während der kathodische Theil vorgewölbt wird. Das Resultat ist dasselbe, ob die Thiere ihre ursprüngliche Form beibehalten haben oder ob sie mit hyalinen Ausstülpungen bedeckt sind. Im letzteren Falle können die Ausstülpungen, wenn sie klein sind, an der Anode ganz und gar verschwinden (Taf. I, Fig. 3b). Legt man die Wippe um, so ent- steht augenblicklich eine Einschrumpfung der neuen Anodenseite und eine Ausdehnung der neuen Kathode. Oeffnet man dagegen den Strom, so ver- schwinden beide und das Thier nimmt seine ursprüngliche Gestalt wieder an. Die Erscheinungen bei der Oeffnung des Stromes zeigen, besonders wenn dünne Ausstülpungen vorhanden sind, eine schwache Zusammen- schrumpfung an der Kathodenseite und eine schwache Ausdehnung an der Anodenseite. Die Figg. 3a und 4a, Taf. I, zeigen zwei Exemplare von Paramaecium aurelia, die mit Aetherdampf getödtet und in eine dünne Gelatineschicht überführt worden sind. An der Fig. 1a, Taf. I, die das Thier vor der Oeffnung des Stromes vorstellt, sieht man, dass das Thier eine protoplasma- tische Ausstülpung an dem einen (linken) Pole hat. An der Fig. 3b, die gleich wie 3a und 3c orientirt ist und ein Bild von dem Thiere nach der Schliessung des Stromes zeigt, ist diese Ausstülpung, die sich jetzt an dem anodischen Pole des Thieres befindet, verschwunden. Dieser Pol des Thieres ist auch deutlich zusammengeschrumpft, während der kathodische Pol ausgedehnt ist. Die Fig. 3c zeigt die linke (kathodische) Seite ausgedehnt, die protoplasmatische Ausstülpung tritt wieder, und zwar noch deutlicher als unter normalen Verhältnissen hervor, während die linke (anodische Seite) jetzt schwach zipfelförmig zusammengezogen ist. Noch deutlicher treten die Zusammenschrumpfungen an der Anodenseite und die Ausdehnungen an der Kathodenseite in den Figg. 4b und 4e hervor, die nach längerer Einwirkung (5 bis 10 Minuten) des elektrischen Stromes. ge- zeichnet sind. Mit einer Mischung von Aether und Wasser, die mehrere Tage in einem geschlossenen Gläschen gestanden hatte, als Medium, traten bei den Thieren dieselben Erscheinungen auf. Brauchte ich dagegen anstatt dieser Mischung nur Aether’ als Versuchsflüssigkeit, konnte ich keine Aus- spannungen und Zusammenschrumpfungen sehen. Sobald Wasser oder mit Wasser verdünnter Aether dagegen zugesetzt wurde, erhielt ich wieder die typischen Erscheinungen. Ein anderer Versuch wurde mit concentrirtem Chlornatrium angeordnet. Die Thiere starben schnell in einer eoncentrirten Kochsalzlösung und schrumpften dann durch Wasserentziehung zusammen. Brachte ich die Paramäcien in dieser Lösung zwischen die Elektroden, so EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 65 war keine Veränderung der Körperoberfläche zu sehen, wurde die concen- trirte Lösung weggegossen und Wasserleitungswasser zugegossen, so traten wieder die Zusammenschrumpfungen und Ausdehnungen auf. Ich habe die Versuche mit Aether und Kochsalz mehrmals geprüft und immer dasselbe Resultat bekommen. Aehnliche, regelmässige, bei der Schliessung des Stromes augenblicklich entstandene Zusammenschrumpfungen an der Anode und Verwölbungen an der Kathode habe ich auch bei Paramaeeium bursaria, Colpidium colpoda und zwei Amöbenarten gefunden. Die Individuen von Paramaecium bursaria und Colpidium colpoda wurden mit Aether getödtet und in einer dünnen Gelatinelösung oder auch in Wasserleitungswasser (Colpidium) dem constanten Strom ausgesetzt. Als Versuchsflüssigkeit bei meinen Experimenten auf Amöben diente entweder dasselbe Wasser, in dem die Thiere lebten, oder dünne Gelatine; die Amöben waren vorher mit Aether oder Formalin getödtet worden. Um gute Reactionen zu bekommen, darf auch die Flüssigkeit, in der die Thiere getödtet werden, nicht zu stark härtend wirken, so dass die Oberflächenschicht des Thieres steif und fest wird. So bekam ich z. B. keine deutliche Einwirkung des Stromes, wenn die Amöben in starkem Formalin, die Paramäcien in dünner Schwefelsäure getödtet waren. Bisweilen trat die -Ausbuchtung und die Schrumpfung nicht deutlich polar auf. Wenn nämlich z. B. ein stark zusammengezogener Theil einer Amöbe gegen die Kathode gewandt war, und dünne Pseudopodien in der Nachbarschaft dieses kathodischen Körperpols lagen, sah ich bei der Schliessung des Stromes die Pseudopodien sich ausspannen, während der kathodische Körperpol selbst unverändert blieb. Die sich im Inneren der Amöbe nach der Kathode zu bewegende Flüssigkeit vermochte also hier nicht die harte Oberflächenschicht auszudehnen, statt dessen strömte die Flüssigkeit in die Pseudopodien ein, obgleich sie nicht ganz polar ge- richtet waren. Wenn der Gerinnungszustand der behandelten Objecte nur so weit fortgeschritten war, dass die Körnchen im Inneren der Thiere beweglich blieben, so gingen sie ganz wie die Parthenogonidien der Volvoxcolonien regelmässig nach der Anode zu. Leblose Paramaecium aurelia und bursaria, Colpidium col- poda und Amöben zeigen augenblicklich nach der Schliessung eines hinreichend starken constanten galvanischen Stromes eine Zusammenschrumpfung an der Anode und eine Vorwölbung an der Kathode, und zwar tritt diese Erscheinung hervor, wenn das Medium entweder dünne Gelatine ist oder das Wasser, in dem die Thiere lebten. Wenn die Körnchen im Inneren der Thiere beweglich sind, gehen sie nach der Anode. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. or 66 ÜSKAR ÜARLGREN: Zusammenfassung der in den Abschnitten II bis V gefundenen Resultate. 1. Volvox aureus ist nach Schliessung des constanten Stro- mes zuerst ausgeprägt kathodisch galvanotactisch, bei längerer Einwirkung des Stromes wird die Galvanotaxis undeutlich, ja, geht in eine anodische Galvanotaxis über, die aber immer bedeutend schwächer und unregelmässiger als die zuerst auf- tretende kathodische ist. 2. Bei der kathodischen Galvanotaxis fällt die Bewegungs- bahn der Colonie mit der Rotationsaxe derselben zusammen. 3. Sowohl lebende als leblose Colonien von Volvox aureus wie auch leblose Individuen von Paramaecium bursaria und aurelia, von Colpidium colpoda und von zwei Amöbenarten zeigten, wenn sie von hinreichend starken Strömen durchströmt wurden, eine Einschrumpfung an der Anodenseite und eine Vorwölbung an der Kathodenseite. Bei Volvox trat diese Form- veränderung des Thieres bei der Einwirkung des Stromes zuerst allmählich auf, während sie bei den übrigen Species unmittel- bar nach der Schliessung des Stromes sichtbar wurde. 4. Die Parthenogonidien sowohl der lebenden als der leb- losen Volvoxcolonien wurden unmittelbar nach der Schliessung des Stromes nach der Anode zu in Bewegung gesetzt. Dieselbe Reaction zeigten lose Körnchen, die in dem Inneren der übrigen untersuchten leblosen Species lagen. Was die Galvanotaxis bei Volvox angeht, so ist die kathodische Gal- vanotaxis, die in Deutlichkeit der Galvanotaxis von Paramaecium aurelia nicht nachsteht, sondern diese fast übertrifft, als die typische Galvanotaxis anzusehen, da sie auch regelmässig und bei vollkommen lebenskräftigen Colonien auftritt. Dagegen ist die immer mehr undeutliche und langsame Ansammlung der Colonien an der Anode wohl kaum eine typische Galvano- taxis, weil sie dann auftritt, wenn die Colonien eine längere Zeit von dem elektrischen Strome durchströmt worden sind. Ich war zuerst geneigt, an- zunehmen, dass die anodische Galvanotaxis eine passive Wanderung nach der Anode sei, ganz wie die Parthenogonidien in der Colonie bei der Schliessung des Stromes nach der Anode gehen, und sah auch in den Wanderungen der Parthenogonidien einen Beweis dafür, aber die Versuche, die mit abgestorbenen Colonien angestellt worden sind, hatten nur ein negatives Resultat. Zuerst machte ich Versuche mit todten Volvoxcolonien in Wasser unter ähnlichen Bedingungen und mit einem gleich starken Strome, ohne aber eine Reaction zu bekommen. Ich vermuthete zunächst, EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 67 dieses negative Ergebniss rühre daher, dass die Colonien an dem Glase etwas anklebten, aber spätere Versuche, die mit einer Kochsalzlösung, in der die Colonien schwammen, angestellt wurden, waren ebenso negativ, obwohl mehr als die doppelte Zahl von Elementen dabei angewandt wurde. Uebrigens habe ich wenigstens einmal gesehen, dass die ermüdeten Colonien mit dem vorderen Ende nach der Anode zu sich einstellten. Ob dies indessen immer der Fall ist, kann ich leider nicht sagen, da gerade zu der Zeit, als ich diese Frage untersuchen wollte, alle Volvoxeolonien in dem Wasserbassin auf einmal verschwunden waren. Gegenwärtig möchte ich daher die anodische Galvanotaxis auch bei Volvox als eine wenigstens theilweise active Wanderung ansehen. VI. Zur Theorie der Galvanotaxis. Nur wenige Versuche sind bisher gemacht worden, die galvanotactischen Erscheinungen zu erklären. Der Grund dazu ist wohl darin zu suchen, dass theils diese Erscheinungen noch wenig studirt worden sind, theils die Ursachen dieser Erscheinungen bei den höheren Thieren durch das Vor- handensein eines Centralnervensystems gewiss sehr complieirt werden. Bei den niedrigsten Organismen dagegen, denen ein Centralnervensystem fehlt, ist anzunehmen, dass die bei der Einwirkung des constanten elektrischen Stromes auftretenden Erscheinungen von einfacheren Ursachen abhängen. Indem ich hoffe, einige Beiträge zur Lösung der Frage der Galvano- taxis geben zu können, möchte ich hier zunächst die Veränderungen, die der constante elektrische Strom im Körper der niedrigsten Organismen herbeiführt, und die Ursachen derselben etwas näher betrachten. Zunächst muss eine von Loeb und Budgett (19) kürzlich gegebene Erklärung der galvanotactischen Erscheinungen Berücksichtigung finden. Die Loeb-Budgett’sche Theorie gründet sich auf die Annahme, „dass die Wirkungen des Stromes auf reizbare Gebilde nur indirecte sind, dass der Strom in diesen Fällen in erster Linie vielmehr Elektrolyse herbeiführt und dass das, was wir als die Wirkungen des Stromes bezeichnen, nur die chemischen und moleculären Wirkungen (oder Giftwirkungen) der zur Aus- scheidung gelangenden Ionen und deren weiterer Verbindungen sind.“ — Von dieser Annahme ausgehend, kommen Loeb und Budgett zu dem Resultate, „dass die Erregungserscheinungen, bezw. der Zerfall an der Anoden- seite von Amblystoma und Protozoön von der Ausscheidung elektropositiver Ionen des äusseren Elektrolyten an der Anodenfläche der betreffenden Orga- nismen herrühren. Das Freiwerden dieser Ionen führt zur Bildung von Alkalien und die letzteren bewirken die Secretion, bezw. das Einschmelzen an der Anodenseite.“ 5* 68 ÜSKAR ÜARLGREN: Als Stütze für diese Theorie haben Loeb und Budgett folgende Momente angeführt: „a) dass verdünnte Natronlauge bei Amblystoma und Protozo&n (Paramaecium aurelia, Oxytricha und einige mit Oxytricha ver- wandte Formen sind in dieser Hinsicht von Loeb und Budgett untersucht) genau dieselben Erscheinungen herbeiführt, wie der Strom an der Anode, b) dass die Secretionsvorgänge, bezw. die Einschmelzungsprocesse überall da stattfinden, wo die von der Anode ausgehenden Stromfäden in den Proto- plasmakörper eintreten und c) dass eine gewisse Dauer des Stromes er- forderlich ist, um die Wirkungen herbeizuführen.“ Wenn ich Loeb und Budgett recht verstehe, sollten also die galvano- tactischen Erscheinungen nichts anderes als eine Art von Chemotaxis vor- stellen, und die Ursache der Wanderung der Paramäcien nach der Kathode zu darin zu suchen sein, dass die Paramäcien die Alkalien, die während ihrer Bewegung nach der Kathode zu sich an der Anodenseite des Para- maeciums absetzen, fliehen. Eine Stütze für diese Anschauung giebt zwar die von Jennings (12) kürzlich beobachtete Erscheinung, dass Paramaecium für Alkalien negativ chemotactisch ist, aber verschiedene andere Verhältnisse sprechen doch offen gegen die Loeb-Budgett’sche Theorie. Was die Aehn- lichkeit zwischen der Einwirkung der verdünnten Natronlauge und der Ein- wirkung des constanten Stromes an der Anode betrifft, hat schon Ver- worn (33) hervorgehoben, dass die durch thermische und verschiedene chemische Reizungen hervorgebrachten Zipfel wesentlich von denen, die bei Reizung mit starken galvanischen Strömen auftreten, verschieden sind. „vor allem,“ sagt Verworn, „zeichnen sich die letzteren durch ihre ausser- ordentliche Regelmässigkeit und Gleichmässigkeit aus.“ Uebrigens muss bemerkt werden, dass die Bedingungen, denen z. B. Paramaecium unter dem Einflusse von Natronlauge und unter der Behandlung mit dem elek- trischen Strom ausgesetzt sind, nicht vergleichbar sind. In der Natronlauge ist das Thier allseitig von Alkali umgeben, bei dem Einflusse des elek- trischen Stromes dagegen würde es sich nach Loeb und Budgett’s Auf- fassung doch nur um eine einseitige Einwirkung von Alkali, und zwar an dem anodischen Ende des Thieres handeln. Im ersten Falle entsteht eine Zipfelbildung nur in dem hinteren Theile des Thieres, obgleich das Thier ringsum von Alkali umgeben ist; im zweiten Falle kommt eine Zipfelbildung zu Stande, wenn entweder das vordere oder das hintere Körperende gegen die Anode gekehrt ist (vergl. Verworn [33]). Aehnliche Zipfelbildungen, wenn auch nicht so regelmässig, wie die durch den elek- trischen Strom entstandenen, kann man übrigens auch durch Zusatz von Aether bekommen. Ich muss also die Aehnlichkeit zwischen der Einwirkung des constanten Stromes an der Anodenseite des Paramaeciums und der Einwirkung von Alkali als eine rein äusserliche deuten. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 69 Auch der Umstand, dass die Verfasser an dem Kathodenende des Para- maeciums keine Säurewirkung constatiren konnten, spricht gegen ihre Theorie. Loeb und Budgett heben weiter hervor, „dass eine gewisse Dauer des Stromes erforderlich ist, um die Wirkungen herbeizuführen.“ Dies hängt aber allein von der Stärke des Stromes ab, denn wenn man schwache Ströme gebraucht, sieht man überhaupt keine Contraction an der Anode. Uebrigens gilt die Behauptung nur in dem Falle, dass es sich bei Anwen- dung sehr starker Ströme um eine Zipfelbildung handelt. Was die galvano- tactische Bewegung betrifft, so wissen wir ja, dass die Paramäcien und viele andere Protisten auf die Einwirkung des elektrischen Stromes augen- blieklich reagiren, was man am besten sehen kann, wenn man die Wippe umlegt. Wie soll man weiter die eigenthümliche Einwirkung des galvanischen Stromes auf die Flimmerhaare (Ludloff [21]) mit der Loeb-Budgett’- schen Theorie erklären und wie die ausserordentliche Regelmässigkeit in der Bewegung, wie sie z. B. durchströmte Paramäcien und Volvox zeigen, obwohl sie bei Schliessung des Stromes in den verschiedensten Körperlagen getroffen werden. Wer die Einwirkung sehr verdünnter Alkalien und Säuren auf Paramaecium gesehen und diese Einwirkung mit derjenigen, die der con- stante Strom verursacht, verglichen hat, muss gestehen, dass die Thiere in beiden Fällen sich ausserordentlich verschieden verhalten. Schliesslich sei noch bemerkt, dass Paramäcien eine gute Galvanotaxis zeigen, auch wenn sie sich in destillirtem Wasser befinden (Jennings [12]). Hier kann man doch wohl kaum von einer Alkaliwirkung sprechen. Meines- theils muss ich also gegenwärtig sagen, dass die lonisirung nicht die Rolle spielt, wie Loeb und Budgett es glauben. Damit will ich eine Ionen- wirkung an sich durchaus nicht ohne Weiteres leugnen, denn zweifellos finden Ionenverschiebungen bei allem Geschehen in der lebendigen Natur statt. Es wäre ja möglich, dass sie in gewisser Weise auch auf die Gal- vanotaxis Einfluss haben könnten, wenn auch gegenwärtig nach meiner Meinung keine Beweise für eine solche- Einwirkung vorliegen Müssen wir also gegenwärtig die Loeb-Budgett’sche Theorie, dass die galvanotactischen Erscheinungen durch einen chemischen Reiz der äusseren Elektrolyten auf die Organismen verursacht werden, unbedingt verwerfen — es wäre viel wahrscheinlicher, dass die bei der Schliessung des galva- nischen Stromes im Inneren des Protoplasten vor sich gehende Elektrolyse auf die galvanotactischen Erscheinungen Einfluss hat — müssen wir entweder eine allgemein physikalische oder eine speciell physiologische Erklärung für die Galvanotaxis zu finden suchen. Es scheint mir auch, dass die in dieser Arbeit geschilderten, an leblosen Colonien und Individuen von Volvox, Para- maccium, Colpidium und Amöben bei der Schliessung des constanten Stromes 70 ÜSKAR ÜARLGREN: auftretende Einschrumpfung an der Anodenseite und Vorbuchtung an der Kathodenseite darauf hindeuten, dass in den galvanotactischen Erscheinungen wenigstens ein rein physikalisches Moment enthalten ist. Denn die bei der Durchströmung der leblosen Organismen auftretende Einschrumpfung an der Anodenseite und Vorwölbung an der Kathodenseite zeigt eine so in die Augen fallende Aehnlichkeit mit der bei den lebenden Protoplasten unter denselben äusseren Bedingungen auftretenden Contraction der Anuden- seite und Expansion der Kathodenseite, dass man sich fast veranlasst findet, zu sagen, sie seien identisch. Ehe wir indessen die Identität oder Nicht- Identität dieser beiden bei den lebenden und leblosen niederen Organismen auftretenden Erscheinungen näher erörtern, möchte doch die Ursache für diese Einschrumpfung an der Anodenseite und Vorbuchtung an der Ka- thodenseite näher untersucht werden. Was die Einschrumpfung und Vorwölbung bei leblosen Organismen betrifft, so ist ihre Ursache zweifellos in der Eigenschaft des elektrischen Stromes zu suchen, Wasser und andere Flüssigkeiten von der Anode zu der Kathode hin fortzuführen, d. h. in der sog. kataphorischen Wirkung des elektrischen Stromes, die von Wiedemann (35), Quincke (29), du Bois- Reymond (2), H. Munk (25) und Braun (3) näher studirt worden ist. Da nämlich bei der Schliessung des Stromes die Flüssigkeitspartikelchen auch in den Versuchsorganismen von der Anodenseite zu der Kathodenseite hin fortgeführt werden, muss die Anodenseite der Versuchsthiere schrumpfen, vorausgesetzt, dass die Membran des Protoplasmakörpers nicht zu starr ist und dass die Partikelehen der Aussenflüssigkeit an der Anodenseite des Versuchsthieres entweder nicht oder mit geringerer Geschwindigkeit durch die Membran in das Innere eindringen, als die Flüssigkeitspartikelchen in dem Inneren von der anodischen zu der kathodischen Seite hin fortgeführt werden. Ebenso muss die Kathodenseite anschwellen, soweit nicht die _ Körperflüssigkeit des Versuchsthieres schneller durch den kathodischen Theil der Membran nach aussen hindurchtritt, als die Flüssigkeit in dem Versuchs- thiere fortgeführt wird, Momente, die wesentlich vom Leitungsvermögen des umgebenden Mediums und der Körperflüssigkeit der Organismen, sowie von der Durchlassbarkeit der Membran abhängig sein dürften. Spielt bei der Einwirkung des constanten Stromes auf leblose niedere Organismen die Fortführung der Flüssigkeit des Körperinneren eine wesent- liche Rolle, was unsere Versuche direct gezeigt haben, so ist es naheliegend, anzunehmen, dass das gleiche Verhältniss auch bei lebenden Organismen vorliegt. Allein es fragt sich, ob die durch die Flüssigkeitsfortführung ver- ursachte Einschrumpfung an der Anodenseite und Vorwölbung an der Ka- thodenseite bei leblosen Organismen mit den als Contraction der Anoden- seite und Expansion der Kathodenseite gedeuteten Erscheinungen bei EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 71 lebenden Organismen wirklich identisch sind. Wer die Einwirkung, die der constante Strom auf leblose und auf unbewegliche, aber lebende Volvox und Amöben verursacht, vergleicht, muss gestehen, dass die Erscheinungen bei den lebenden und bei den leblosen ausserordentlich Ähnlich sind. In der That muss ich auch die Formveränderung, der die unbeweglichen, aber lebenden Volvoxcolonien während des Einflusses des constanten Stromes unterliegen, als eine rein physikalische, d.h. nicht an das Leben ge- bundene Erscheinung ansehen, obgleich es auch hier möglich ist, dass die einzelnen Volvoxindividuen an der Anodenseite der Colonie in Folge der Wasserentführung von diesem Theile sich ausserdem noch activ contrahiren, wie auch dass die Individuen, die an der wasserreichen Kathodenseite liegen, sich activ ausdehnen. Mir scheint es auch, dass mehrere als Contractions- erscheinungen beschriebene Veränderungen an der Anodenseite und Ka- thodenseite verschiedener Organismen in Wirklichkeit nicht untrennbar mit dem Leben zusammenhängen, sondern ebenfalls rein physikalischer Natur sind. So sind wahrscheinlich die Auspressungen, die an der Kathodenseite von Pelomyxa bei längerer Einwirkung des Stromes auftreten (Verworn [31], Taf. I, Fieg. 8 u. 10), nicht an das Leben gebunden. Ebenso scheinen mir folgenden Beschreibungen, die Verworn von der Einwirkung des galvanischen Stromes auf Pelomyxa und Aethalium gegeben hat, Erscheinungen zu Grunde zu liegen, die direct von der kataphorischen Wirkung abhängen. Verworn schreibt nämlich von Pelomyxa (31, S. 17): „Der Process verläuft in der Form eines Schnürringes über den ganzen Körper, was sich nament- lich bei langgestreckten Individuen deutlicher beobachten lässt. Der Schnür- ring setzt an der Anode ein und schreitet nach der Kathode zu vorwärts,“ und von Aethalium (32, S. 274): „Während der Dauer des Stromes schritt der Zerfallsprocess nach der Kathode hin immer weiter vorwärts.... nach Verlauf mehrerer Secunden war die Oberfläche des ganzen 1 "m grossen Klümpchens bis zur Kathode hinüber zerfallen und zerklüftet.“ Ebenso dürften solche Formveränderungen, wie die von Ludloff (21), Taf. VII, Fig. 12) bei Paramaecium abgebildeten, nicht entstehen ohne eine directe Einwirkung der Flüssigkeitsfortführung des Stromes. Es scheint mir, dass eine solche Zerstörung der Kathodenseite nicht stattfinden könnte, ohne dass die Körperflüssigkeit nach längerer Einwirkung des Stromes schliesslich durch ihren Druck die Membran vorgepresst oder eventuell zersprengt hätte. Auch die Veränderungen, die Verworn an der Kathodenseite der durch- strömten Opalina gefunden hat, scheinen nicht durch eine Contraetion entstanden zu sein, sondern sind vermuthlich als kleine, durch die katapho- rische Wirkung des Stromes verursachte Auspressungen anzusehen. Inwie- weit alle diese Vermuthungen zutreffen, müssen indessen erneuerte Unter- suchungen in dieser Hinsicht entscheiden. 1 ÜSKAR ÜARLGREN: Giebt es also bei der Einwirkung des constanten Stromes auf lebende, niedere Organismen Erscheinungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur rein physikalischer Natur sind, so treten auf der anderen Seite bei der Durchströmung dieser Organismen zweifellos Veränderungen auf, die gegen- wärtig nicht erklärt werden können ohne die Annahme, dass sie an das intacte Leben geknüpft sind. So ist es z. B. schwer, sich vorzustellen, dass die Auspressung der körnig zerfallenen Massen, die Verworn (31), Taf. I, Fig. 7, an der Anode von Pelomyxa abgebildet hat, anders als durch eine wirkliche Contraction entstanden ist. Und vor Allem sind die kugelförmigen Bildungen, welche die feinen Pseudopodien von verschiedenen Rhizopoden, z. b. von Actinosphaerium, Orbitolites, Amphistegina u. s. w. bei der Durch- strömung bekommen, wohl zweifellos Zeichen einer wirklichen Contraction. Ferner wage ich auch bei Paramaecium trotz der Uebereinstimmungen, die die Erscheinungen bei lebenden und leblosen Individuen zeigen, nicht, eine wirkliche Contraction zu verneinen. Ebenso sind die Auspressungen an der Anodenseite bei Paramaecium bursaria (Verworn [32], Taf. IV, Fig. 11) und die von Bursaria truncatella (Verworn [32], Taf. V, Fig. 13) aller Wahrscheinlichkeit nach durch eine heftige Contraction an der Anoden- seite und nicht durch die kataphorische Wirkung entstanden. Nach unserer gegenwärtigen Kenntniss von der Einwirkung des elek- trischen Stromes auf niedere Organismen ist es also schwer, zu verneinen, dass sowohl rein physikalische, als physiologische Momente in den speciell Salvanotactischen Erscheinungen enthalten sind. Ich will hier nicht versuchen, alle galvanotactischen Erscheinungen bei den niederen Organismen in ihren Details zu analysiren, denn für eine richtige Deutung aller dieser Erschei- nungen sind viel umfassendere Untersuchungen nöthig. Hier möchte ich nur die grosse Bedeutung der kataphorischen Wirkung des con- stanten Stromes für die Galvanotaxis betonen. Besonders für die Galvanotaxis der Rhizopoden liegt die Bedeutung der Flüssigkeitsfortführung auf der Hand. Denn wenn z. B. eine Amöbe sich bewegt, kann sie, da die Bewegung von der Flüssigkeitsströmung abhängt, nicht leicht in einer anderen Richtung kriechen als in der, nach welcher die Flüssigkeit in Folge der kataphorischen Wirkung des Stromes geführt wird, d. h. nach der Kathode. Ja, um die kathodische Galvanotaxis einer Amoeba zu erklären, dürfte es kaum nothwendig sein, das Vorhandensein einer Contraetion und Expansion zu Hülfe zu nehmen; die durch die kataphorische Wirkung verursachte Flüssigkeitsfortführung könnte vielleicht sogar hinreichend sein, die Bewegung zu erklären. \ Indessen glaube ich doch, dass wir der Wahrheit näher kommen, wenn wir die Erregbarkeit des lebendigen Objectes berücksichtigen und uns vorstellen, dass die Einwirkung des elektrischen Stromes auf niedere Organismen EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. (68) in erster Hand eine Flüssigkeitsfortführung in dem Körperinneren zur Folge hat, so dass die Flüssigkeit von der Anodenseite der Organismen weggeht, und dass dadurch eine contractorische Erregung hervorgerufen wird, während umgekehrt an der Kathodenseite in Folge der Flüssigkeits- zuströmung eine expansorische Erregung stattfindet. Durch die bei der Einwirkung des constanten Stromes auftretende Fortführung der Körperflüssigkeit von der Anode nach der Kathode hin wird ferner der Schwerpunkt des durchströmten Organismus wesentlich ver- ändert. Ob diese Schwerpunktsverlagerung die galvanotactischen Er- scheinungen wesentlich zu beeinflussen im Stande ist oder nicht, ist eine Frage, deren Beantwortung ebenfalls ganz gewiss von grossem Interesse wäre. Es scheint jedenfalls nicht unmöglich, dass die Schwerpunktsversetzung bei der Galvanotaxis eine wichtige Rolle spielt, ‚besonders wenn man sich erinnert, dass die Bewegungsrichtung und die Körperaxe der horizontal sich bewegen- den Volvoxcolonien während des Einflusses des constanten Stromes mit einander zusammenfallen, während unter normalen Verhältnissen die Ro- tationsaxe gegen die Bewegungsrichtung leicht geneigt ist. Eine der Flüssigkeitsfortführung nach der Kathode hin ganz entgegen- gesetzte Erscheinung des constanten Stromes, die den Schwerpunkt der Organismen nach der Anode hin zu verlegen strebt, haben wir in der Wan- derung der Parthenogonidien sowohl bei lebenden als leblosen Volvox- colonien, wie auch in der Fortführung der Körnchen bei den leblosen Paramäcien, Colpidien und den Amöben nach der Anode zu kennen gelernt. Diese Erscheinung, die, wie ich früher hervorgehoben habe, nicht mit dem Leben zusammenhängt, sondern mit dem besonders von Quincke (29) näher studirten sog. Reuss’schen oder Jürgensen’schen Phänomen identisch ist, dürfte schliesslich ebenfalls ein Factor sein, der bei einer Beurtheilung der galvanischen Erscheinungen in Betracht gezogen zu werden verdient. Ich hoffe später diese Fragen näher studiren zu können. Ehe ich aber diese Mittheilung schliesse, ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Max Verworn meinen wärmsten Dank für alle werthvollen Rathschläge, die er mir während des Ganges der Versuche gegeben hat, auszusprechen. Ebenso möchte ich Herrn Prof. Biedermann für das Entgegenkommen, mit dem er mir die Mittel des physiologischen Instituts zur Verfügung gestellt hat, herzlich danken. 74 ÜSKAR ÜARLGREN: Litteraturverzeichniss. 1. E. Blasius und F. Schweizer, Elektrotropismus und verwandte Er- scheinungen. Pflüger’s Archiv. 1893. Bd. LI. 2. du Bois-Reymond, Ueber den secundären Widerstand, ein durch den Strom bewirktes Widerstandsphänomen an feuchten, porösen Körpern. Monatsber. d. kgl. preuss. Akad. d. Wissensch. zu Berlin 1860. Berlin 1861. 3. F. Braun, Ueber Bewegungen, hervorgebracht durch den elektrischen Strom. Annalen der Physik und Chemie. 1897. N.F. Bd. LXIU. 4. OÖ. Bütschli, Ueber die Struetur des Protoplasmas. Verhandl. d. naturk. Verein. Heidelberg. 1889. N.F. Bd. IV. H.3. 5. Derselbe, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Proto- plasma u. s. w. Leipzig 1892. 6. R. Ewald, Ueber die Wirkung des galvanischen Stromes bei der Längs- durchströmung ganzer Wirbelthiere. Pflüger’s Archiv. Bd. LV. 7. Derselbe, Ueber die Wirkung des galvanischen Stromes bei der Längs- durchströmung ganzer Wirbelthiere. 2. Mitth. Zbenda. 1895. Bd. LIX. 8. L. Hermann, Eine Wirkung galvanischer Ströme auf Organismen. Zbenda. 1885. Bd. XXXVI. 9. Derselbe, Weitere Untersuchungen über das Verhalten der Froschlarven im galvanischen Strome. Zbenda. 1886. Bd. XXXIX. 10. L. Hermann und Fr. Matthias, Der Galvanotropismus der Larven von Rana temporaria und der Fische. Zbenda. 1894. Bd. LVI. 11. L. Hermann, Eine physikalische Erscheinung am Nerven. Ebenda. 1897. Bd. LXV1I. 12. H.S. Jennings, Studies on reactions to stimuli in unicellular organisms. I. Reactions to chemical osmotie and mechanical stimuli in the eiliate infusoria. Journal of Physiology. London 1897. Vol. XXI. 13. L. Klein, Morphologische und biologische Studien über die Gattung Volvox. Jahrb. wissensch. Botanik. Berlin 1883. Bd. XX. 14. W. Kühne, Ueber das Porret’sche Phänomen am Muskel. Dies Archiv. 1860. Physiol. Abthlg. 15. Derselbe, Untersuchungen über das Protoplasma und seine Contractilität. Leipzig 1864. 16. J. Loeb und Maxwell, Zur Theorie des Galvanotropismus. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. IXI. 17. J. Loeb und W.S. Gerry, Zur Theorie des Galvanotropismus. II. Mittheil. Versuch an Wirbelthieren. Zbenda. 1897. Bd. LXV. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. "5 18. J. Loeb, Zur Theorie des Galvanotropismus. III. Mittheilung. Ueber die polare Erregung der Hautdrüsen von Amblystoma durch den constanten Strom. Ebenda. 1897. Bd. LXV. 19. J. Loeb und 8. P. Budgett, Zur Theorie des Galvanotropismus. IV. Mit- theilung. Ueber die Ausscheidung elektropositiver Ionen an der äusseren Anodenfläche protoplasmatischer Gebilde als Ursache der Abweichungen vom Pflüger’schen Er- regungsgesetz. Ebenda. 1897. Bd. LXV. 20. J. Loeb, Zur Theorie des Galvanotropismus. V. Mittheilung. Influenzver- suche. Zbenda. 1897. Bd. LXVII. 21. K. Ludloff, Untersuchungen über den Galvanotropismus. Zbenda. 1895. Bd. LIX. 22. A. Meyer, Ueber den Bau von Volvox aureus Ehrenb. und Volvox globator Ehrenb. Botanisches Centralblatt. Cassel 1895. Bd. LXIU. 23. Derselbe, Die Plasmaverbindungen und die Membranen von Volvox globator, aureus und tertius, mit Rücksicht auf die thierischen Zellen. Botanische Zeitung. Leipzig 1896. Bd. LIV. 24. H.Munk, Untersuchungen über das Wesen der Nervenerregung. Leipzig 1868. 25. Derselbe, Ueber die kataphorischen Veränderungen der feuchten porösen Körper. Dies Archiv. 1873. Physiol. Abthlg. 26. W. Nagel, Beobachtungen über das Verhalten einiger wirbelloser Thiere gegen galvanische und faradische Reizung. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LI. 27. Derselbe, Fortgesetzte Beobachtungen über polare galvanische Reizung bei Wasserthieren. Zbenda. 1893. Bd. LIll. 28. W.A. Nagel, Ueber Galvanotaxis. Zbenda. 1895. Bd. LIX. 29. G. Quincke, Ueber die Fortführung materieller Theilchen durch strömende Elektrieität. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. 1861. Bd. CXI. 30. W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Ueber die „morphologische Polarisation“ von Eiern und Embryonen durch den elektrischen Strom u.s.w. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien. 1891. Bd. CI. Abth.3. — Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik der Organismen von Roux. 1895. Bd. II. 31. Max Verworn, Die polare Erregung der Protisten durch den galvanischen Strom. Pflüger’s Archiv. 1889. Bd. XLV. 32. Derselbe, Die polare Erregung der Protisten durch den galvanischen Strom. (Fortsetzung.) Ebenda. 1890. Bd. XLVI 33. Derselbe, Untersuchungen über die polare Erregung der lebendigen Substanz durch den constanten Strom. III. Mittheilung. Zbenda. 1896. Bd. LXII. 34. Derselbe, Die polare Erregung der lebendigen Substanz durch den con- stanten Strom. IV. Mittheilung. Zbenda. 1897. Bd. LXV. 35. G. Wiedemann, Ueber die Bewegung von Flüssigkeiten im Kreise der geschlossenen galvanischen Säule. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. 1852. Bd. LXXXVL. 76 ÜSKAR ÜARLGREN: EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. Erklärung der Abbildungen. (Taf. I.) Fig. 1. Colonie von Volvox aureus. Die schwarzen Punkte bezeichnen die Individuen, die fünf grösseren kugelförmigen Bildungen die Parthenogonidien. Der Pfeil giebt die Bewegungsrichtung der Colonie bei der Schliessung des constanten Stromes an. Fig. 2. Schema eines Stückehens einer Colonie von Volvox aureus nach Meyer. äl = äussere Lamelle, 2 = innere Lamelle, 2 = periphere Leisten, = Individuen, g = Gallerte, A = Hohlraum, rf = radiäre Fäden. Fig. 3. Ein Individuum von Paramaecium aurelia, mit Aetherdämpfen getödtet. Nachdem es einen Tag in Wasser gelegen hatte, wurde es in eine dünne Gelatine- lösung gebracht und mit dem constanten Strom durchströmt. 70 Kohle- und Zink- elemente angewandt. Alle drei Figuren gleich orientirt. a) vor der Schliessung des Stromes, b) unmittelbar nach der Schliessung des Stromes, c) unmittelbar nach dem Umlegen der Wippe gezeichnet. Fig. 4. Ein anderes lebloses Individuum von Paramaecium aurelia, gleich be- handelt wie das in der Fig. 3 gezeichnete. 70 kleine Kohle- und Zinkelemente gebraucht. Alle drei Figuren gleich orientirt. a) vor der Schliessung des Stromes, b) etwa 5 Minuten nach der Schliessung des Stromes, c) etwa 5 Minuten nach dem Umlegen der Wippe gezeichnet. Kritik von Dr. Gerstmann’s Erklärung der Irradiation.' Von Dr. G. Grijns in Batavia, Hr. Dr. Gerstmann giebt in diesem Archiv eine Theorie der Ent- stehung der sogenannten Flächen-Irradiation, in der er versucht, diese Erscheinung auf das rein physikalische Phänomen der Beugung des Lichtes zurückzuführen. FEN Man kann aber durch ganz einfache Rechnung zeigen, dass, was Dr. Gerstmann photographirt hat, bloss die Zerstreuungskreise sind, welche durch die Oefinung in seinem Diaphragma verursacht werden. Sei 4B der halbe Kreis, CD die Diaphragmaöffnung, deren Mitte # und in 7 die photographische Platte. Seien weiter die geraden Linien ZC und BD verlängert bis @ und 4, wo sie die Platte schneiden, und BX senkrecht auf /K. Wenn AB leuchtend ist auf dunklem Grunde, dann ist Z der fernste Punkt, bis zu welchem das Licht von 3 durchzudringen vermag, FH also der halbe Durchmesser des lichten Scheibenbildes, wovon @ 4 Halbschatten. Ist AB dunkel auf hellem Grunde, so ist G der am nächsten zu gelegene Punkt, zu dem kein Licht vordringen kann, #G also der halbe Durchmesser des dunklen Scheibenbildes. ! Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. 8.1. 78 G.GRIINS: KRITIK VON DR. GERSTMANN’S ERKLÄRUNG D. IRRADIATION. Nach Gerstmann’s Angabe! ist AB = 20m, AB = 1235 m, ER. Asp an CD A uuN Da DJ | HK, ist: BJ:BK=JC:KG=JD:KH, also: BKxJO BHxJD Ko=— DZ, KHZ ug oder: Y (1235 + 485) x (20 — 2) mg eijauLın Ko= 1235 ea ve er SEE 1235 FG = K@— KF=25-.0 — 2000 = Dom, FH=KH-—- KF= 30-6 — 20 um = 10.6, Das Bild der leuchtenden Scheibe ist also 21-2 mm jm Durchmesser. „ „ „ Schwarzen ” „9 10.0 PR) Diese Zahlen stimmen genau mit den von Dr. Gerstmann gefundenen. ” USERLOR TR Ueber Pupillenweite. Von Dr. L. J. Lans. (Aus dem physiologischen Laboratorium in Utrecht.) Die Pupillenweite hat von jeher die Aufmerksamkeit der Untersucher auf sich gezogen und es ist daher schon vielfach beschrieben worden wie sich die Pupille unter normalen Umständen verhält, ferner wie sie durch einfallendes Licht, durch Accommodation und Convergenz, sowie durch sen- sible und psychische Reize beeinflusst wird. Auch über die physiologische Pupillenweite bei constanter Beleuchtung, bei verschiedenem Lebensalter und verschiedener Refraction ist schon sehr viel publicirt worden. Schadow! machte darauf aufmerksam, dass sich die Pupillenweite nach längerer, gleichbleibender Lichtintensität vergrössere; diese Zunahme soll abhängig sein von der Wahrnehmungsintensität in der Fovea centralis. Schirmer”? hat besonders viel Werth auf die Beleuchtungsdauer gelegt; er hat also einen neuen Factor gefunden, der entschieden die Grösse des Pupillendurchmessers beeinflusst; das ist der Adaptationszustand des Auges. Mit einem selbst construirten Pupillometer machte er verschiedene Wahr- nehmungen und schloss daraus, dass sich die Pupillenweite zwischen 100 und 1100 Meterkerzen nach maximaler Adaptation nicht ändert; unter und oberhalb dieser Grenze wird sie weiter, bezw. enger. Silberkuhl,? dessen Wahrnehmungen zahlreicher waren, fand ebenso constante Pupillenweite bei maximaler Adaptation zwischen 100 und 1100 Meterkerzen. Dem Alter nach verhält sie sich folgendermaassen: I v.Graefe’s Archiv f. Ophthalmologie. Bd. XXVIM. 3. ? Ebenda. Bd. XL. 5. 8.8. ® Ebenda. Bd. XLU. 3. 80 Id. Lans: Zwischen 15 und 20 Jahren Pupillenweite von 4 bis 4-1 mm, „ 20 ” 50 „ ” „ Sl „ 3-6 „9 über 50 Jahre ns an! Refraction und Pigmentirung sind dabei ohne Einfluss. Im Anschluss an diese Wahrnehmungen habe ich mir die Frage gestellt: Wie verhältsich die Pupillenweite zwischen Ound 1000 Meter- kerzen bei maximaler Adaptation und mit Ausschluss von Accom- modation, Convergenz, sowie von psychischen und sensiblen Reizen? Die Untersuchungen zur Auflösung dieser Frage sind in folgenden drei Rubriken zu übersehen: I. Bestimmung der Pupillenweite nach Adaptation für 0 Meterkerzen. II. „ 7 ” 7 ” ” 0 bis 28 ” 1006 PR ” ” ” ” „ 25 ” 1000 ” I. Bestimmung der Pupillenweite nach Adaptation für 0 Meterkerzen. Ueberschreitet man eine gewisse schwache Beleuchtungsgrenze, so bleibt nur ein Mittel übrig zur Messung der Pupillenweite in einem willkürlichen Augenblicke und zwar: die Momentphotographie. Schon im Jahre 1888 hat du Bois-Reymond! mit Hülfe des Astro- nomen Miethe, des Entdeckers der Magnesiumblitzphotographie, die Pupille nach einem Aufenthalt von 15 Minuten in absoluter Dunkelheit photo- graphirt. Später haben sich noch Andere, besonders Cohn,? damit be- schäftigt, und von Garten? und von Bordier* sind einige vorzügliche Abbildungen vorhanden. Auch hier wird natürlich der Adaptationszustand des Auges die Re- sultate beeinflussen und es entsteht die Frage: wie lange muss das Auge einer constanten Lichtintensität ausgesetzt bleiben um von einer vollstän- digen Adaptation sprechen zu können? Hierüber giebt es verschiedene Ansichten; wie aus der Curve von Charpentier? hervorgeht, ist beim Uebergang von Tageslicht in absolutes Dunkel nur wenig Zunahme der Retinaladaptation zu erkennen. Schirmer® 1 Dies Archiv. 1888. Physiol. Abthlg. ” Centralblatt für Augenheilkunde. 1888. ® Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. LXVIII. * De l’acuite visuelle. Paris 1893. 5 Arch. d’ophtalm. T.Vl. A220: ÜBER PUPILLENWEITE. s1 dagegen glaubt, dass betrefis der Pupillenweite beim Uebergang von stär- kerer zu schwächerer Beleuchtung wenigstens 15 bis 20 Minuten, umge- kehrt von schwächerer nach stärkerer 2 bis 4 Minuten adaptirt werden muss. Ausserdem ist aus den Resultaten von Garten! zu entnehmen, dass der Unterschied der Pupillenweite nach 5 Secunden und 15 Minuten langem Aufenthalte im Dunkeln 0-29 =" beträgt und dass nach 8 Stunden der Durchmesser noch um 0-4 "m zunimmt. Das Auge S Stunden adaptiren zu lassen beansprucht aber zu viel Zeit, darum wurde nach den Angaben Schirmer’s immer mindestens 15 bis 20 Minuten adaptirt für eine bestimmte Lichtintensität, bevor eine photographische Aufnahme gemacht wurde. Will man auf der photographischen Platte ein genaues Bild der Pu- pillengrösse in absoluter Dunkelheit erhalten, so muss die Zeit, während der die Pupille erleuchtet wird, um eine Aufnahme zu ermöglichen, kürzer sein als die Reflexzeit der Pupille; dieselbe beträgt nach Donders 0-49 Sec., nach Vintschgau 0-33 Secunden. Zur Momentbeleuchtung wurde Magnesiumblitzpulver gebraucht, also 4 Theile Magnesium auf 3 Theile Kalium permanganicum. Zur Bestimmung der Verbrennungszeit von 0.18“ dieser Mischung wurde eine Stimmgabel von bekannter Schwingungszahl benutzt, an deren einer Zinke eine weisse Spitze befestigt war; die Stimmgabel stand auf einer Wippe und zwar so, dass ihr ausser der schwingenden horizontalen auch eine verticale Bewegung beigebracht werden konnte. Letztere wurde durch die Hand mittels einer Stange ausgelöst, wobei gleichzeitig ein elektrischer Contact entstand und ein Inductionsfunken das genau gemessene Blitzpulver entflammte. Dabei musste streng darauf geachtet werden, dass die Stimmgabelspitze scharf auf der photographischen Platte eingestellt war und dass die Ausschläge der schwingenden und der verticalen Bewegung ganz in den Bereich der Platte kamen. War dies alles vorbereitet, so wurde die Stimmgabel angeschlagen, die Wippe mittels der Stange nach unten gedrückt und hiermit die verti- cale Bewegung der Spitze ausgelöst, sowie zu gleicher Zeit das Blitzpulver entflammt: je länger die Beleuchtung, desto mehr Schwingungen sollen auf der Platte sichtbar sein. Es konnte auf diese Weise bestimmt werden, dass die Verbrennung von 0-18 Blitzpulver 0-062 Secunden dauert, die von 0-22m 0.125 Secunden, also immer noch geringer bleibt wie die Reflexzeit der Pupille. Auf der Platte ist sehr deutlich zu erkennen, wie am Anfang die Beleuchtung der Spitze am intensivsten war und dann langsam geringer wird. INaNO. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 6 82 L. J. Lass: Müller Pouillet (II, 1. 2: S.3. 389) und Mach! fanden für diese Werthe 0.04 und 0-05 Secunden, aber ohne Angabe der Methode. Bordier? giebt als Verbrennungszeit von 0-1 :”® Blitzpulver, das mit einer Lunte entzündet wurde, 0:04 bis 0-05 Secunden an. Nach 15 bis 20 Minuten in absoluter Dunkelheit stellte ich meinen Kopf auf eine Stütze; zuvor war auf diesen Stand genau eingestellt worden. Eine in halbe Millimeter eingetheilte Scala, die neben der Pupille in der- selben verticalen Ebene aufgestellt war, wurde immer mitphotographirt; hierdurch wird die Vergrösserung oder Verkleinerung des Bildes direct messbar. Durch einen Induetionsfunken wurde dann das Blitzpulver ent- zündet und eine Momentphotographie aufgenommen. Zur Messung des Pupillendurchmessers wurde eine in halbe Millimeter eingetheilte gläserne Scala hinter der photographischen Platte angebracht und das Ganze gegen das Licht gehalten; so konnte bis auf !/,=m genau abgelesen werden. Da die Grenze des Pupillenrandes nicht immer genügend scharf ist, so ist es zur Messung nicht vortheilhaft eine starke Vergrösserung anzuwenden. Hier folgen die mittleren Werthe von 10 Messungen des horizontalen Durchmessers meiner rechten Pupille. Horizontale Pupillendurchmesser Adaptationszeit für absolutes Dunkel 12,Serien 8. ou 15 Minuten ZEN 1282, 15 ” Do er 15 ER Tas 0 Refraction: Myopie 0:5 D. Alter: 29.5 Jahre. Cohn? fand für die Pupillenweite im Dunkeln bei Emmetropen von 18 bis 22 Jahren 8 bis 9", bei Leuten über 40 Jahren 6"=. du Bois- Reymond* constatirte nach !/,stündlichem Verbleiben in absoluter Dunkel- heit einen horizontalen Pupillendurchmesser von 10%, wobei die Iris als ein schmaler Saum von 1:5wm Breite erschien. Garten fand unter diesen Verhältnissen 7.59 = Pupillendurchmesser und Bordier‘® 7.58=m, Meine Werthe stimmen also am meisten mit diesen letzteren überein. Wieviel bei diesen Unterschieden dem Lebensalter zuzuschreiben ist, ist schwer zu sagen; alle Untersucher geben es nämlich nicht an. 1 Sitzungsber. der kaiserl. Akad. d. Wissensch. 1897. S. 1027. ZA aO: seAN2. 0: * 2.2.0. SA ra... STA.anO: ÜBER PUPILLENWEITE. s3 II. Bestimmung der Pupillenweite nach Adaptation für 0 bis 25 Meterkerzen. Auch hierbei war die Momentaufnahme wieder unentbehrlich. Um so viel als möglich unter denselben Umständen wie Schirmer und Silber- kuhl zu experimentiren, welche bei Tageslicht arbeiteten, musste in erster Linie darauf geachtet werden, dass nur gleichmässig diffuses Licht in das Auge hineingelangte und dass das Gesichtsfeld nicht zu eng war. Allen diesen Bedingungen nachzukommen wäre nur möglich, wenn man die Beob- achtungen im Halbdunkel machen und dabei jedes Mal die Lichtintensität und die hiermit übereinstimmende Pupillenweite bestimmen würde Es wurde mir bald klar, dass auf diese Weise schon bei 8 Meterkerzen Licht- intensität die Pupillengrenzen äusserst schwer, darunter aber gar nicht mehr zu bestimmen wären, und zwar mit einem der mir zur Verfügung stehenden Pupillometer. Wollte man im Halbdunkel die Pupille jedes Mal photographiren, ohne die Adaptation ganz zu vernachlässigen, welche min- destens 15 Minuten in Anspruch nahm, so konnten nicht mehr als 1 bis 2 Aufnahmen gemacht werden, da nach 2 x 15 Minuten, wenigstens im Winter, das Halbdunkel ganz vorbei war. Von grösserem Werthe ist noch folgendes Argument: dass nämlich auf diese Weise, also bei inconstanter Beleuchtung, von vollkommener Adap- tation für eine bestimmte Intensität eigentlich keine Rede sein kann; auch wenn man die Adaptation auf 5 Minuten verkürzt, wenn man also von schwächerer zu stärkerer Beleuchtung übergeht, auch dann verlieren die oben angeführten Argumente nichts von ihrem Werthe. Es wurde darum Kunstlicht gewählt, und am besten eignete sich dazu die Hefner-Alteneck’- sche Amylacetatlampe. Nach 10 Minuten giebt dieselbe ein constantes Licht, das 1’14 Mal intensiver ist als die englische Normalkerze (Flammenhöhe 45 ") und 1-2 Mal intensiver als die deutsche Paraffinkerze (Flammenhöhe 50”), Wirft man das Licht dieser Flamme auf eine gleichmässig weisse Fläche und setzt das untersuchte Auge dem davon reflectirten Lichte aus, so ent- steht ein Schatten, welcher einen sehr grossen Theil des Gesichtsfeldes ein- nimmt und daher diese Methode ganz unbrauchbar macht; ausserdem würde auch das Photographiren auf diese Weise sehr schwer sein. Ferner konnte mit Hülfe des Photometers von Weber constatirt werden, dass das Licht dieser Flamme nicht ganz diffus zu erhalten war, weder nach Durchtritt durch Milchglas, Seidenpapier, Oelpapier, noch nach Durch- tritt durch einen aus Paraffin und Wachs verfertigten Schirm, Nur nach dem Passiren einer 2°” dicken Milchschicht erhielt man gleichmässig diffundirtes Licht. Sogar wenn die Flamme auf 5° von 6* 34 L. J. Lans: dieser Milchschicht gebracht wird, so vertheilt sich das hindurchtretende Licht bis auf eine Oberfläche von 200 «= ganz gleichmässig. Für meinen Zweck wurde ein rundes Glasgefäss verfertigt mit parallelen \Vandungen, so dass die eingegossene Flüssigkeit sich über eine Oberfläche von 150 am vertheilte in einer Schicht von 2% Dicke. Dasselbe wurde mit 10fach verdünnter und durch Watte filtrirter Milch angefüllt. Die Zusammensetzung der Milch war immer dieselbe; sie war in einer Fabrik für künstliche Kindermilch hergestellt und die Ver- dünnung wurde häufig mit dem Lactoskope von Donn& controlirt. Das Milchgefäss wurde an dem freien Ende eines hölzernen Stabes befestigt, der an einer 'Scheidewand zwischen zwei Zimmern aufgehängt war. In dieser Scheidewand befand sich eine runde, mit Sammet ausge- kleidete Oeffnung von 14% Durchmesser. Nun war die Länge des Stabes so gewählt, dass bei dessen Ruhezustand das Milchgefäss die Oeffnung in der Scheidewand genau bedeckte. Seitwärts am Milchgefässe war ein ÜBER PUPILLENWEITE. 85 Gummischlauch angebracht, der mit einem festen Punkte der Scheidewand verbunden war. Bedeckte nun das Milchgefäss die Oeffnung in der Wand, so wurde es in dieser Lage durch das Häkchen W (siehe Fig. 1) festgehalten und der Gummischlauch war dabei ausgespannt; wurde das Häkchen W nach unten gezogen, so zog der Gummischlauch das Milchgefäss seitwärts und von der Oeffnung weg (siehe Fig. 2); um zu grossen Ausschlägen vorzu- beugen, waren Hemmungsvorrichtungen (4 und BZ) an der Wand an- gebracht. In X befindet sich am Stabe ein Faden, welcher um C verläuft und bei Seitwärtsbewegung des Milchgefässes den Contact mit dem Quecksilber in D unterbricht (siehe Fig. 2). Der secundäre Strom wird durch einen Apparat geleitet (siehe Fig. 3), welcher einen elektrischen Funken durch eine zuvor bestimmte Menge Blitzpulver sendet. Ein Apparat von Rhum- korf und ein Strom von 6 Volt genügten, um das Blitzpulver auf elek- 86 L. J. Lans: trischem Wege zu entzünden. Die ganze Einrichtung ermöglicht also, dass durch Zug am Häkchen W das Milchgefäss von der Oeffnung nach der Seite gezogen wird, und dass zu gleicher Zeit durch die Stromunterbrechung in D ein Inductionsfunken das Blitzpulver entzündet. Je höher das Queck- silber in D, desto grösser ist der Zeitraum, der vom Hinwegziehen des Milchgefässes bis zur Entzündung des Blitzpulvers verstreicht. Da nun, wie sich später zeigte, dieses Intervall möglichst klein sein muss, so hat man mit Recht darauf hingewiesen, dass es besser sei, D ganz wegzulassen und die Stromunterbrechung bei W herzustellen. In demselben Zimmer stand der photographische Apparat mit Momentschliesser und die Amylacetatlampe. Diese war in gleicher Höhe neben der Linse des Appa- rates aufgestellt, in willkürlicher Entfernung von dem Milchgefässe. Der photographische Apparat war eigens zu diesem Zwecke hergestellt und nur für Platten von 4 bei 6°“ geeignet; er war mit einer von Hrn. Milatz erfundenen Einrichtung versehen, welche eine Reihe von 12 auf einander folgenden Aufnahmen gestattete. Der Momentschliesser bestand aus einer kleinen Thüre, die sich mittels Luftdruck öffnete und dabei Jas Licht der Hefnerlampe nach der Richtung des Milchgefässes hin aufhielt; durch diese Einrichtung wurde also beim Oefinen des Momentschliessers das Milchgefäss beschattet. Im zweiten Zimmer waren an der Scheidewand eine Kinn- und Stirnstütze angebracht, ferner eine Halbemillimeterscala und ein grosses schwarzes Tuch. Der Gang der Untersuchung war nun folgender: Die Experimente wurden nur Abends 1 bis 2 Stunden nach der Mahlzeit unternommen. Das Milchgefäss wurde \ mit 10fach verdünnter Milch von bekannter Zusammen- Fig. 3. setzung gefüllt, an dem Stabe festgebunden und hinter W gestellt, so dass die Oefinung ganz bedeckt war. Der an derselben angebrachte schwarze Sammet verhinderte jedes Passiren seitlichen Lichtes durch die Oeffnung. In willkürlicher Entfernung von dem Milchgefäss stand die Hefnerlampe, und nach 10 Minuten wurde das durch die Milehschicht tretende Licht (im zweiten Zimmer) mit Hülfe des Weber’- schen Photometers gemessen. Der Untersuchte setzte sich im zweiten Zimmer nieder, sein linkes Auge mit einem schalenförmigen Verband so bedeckt, dass kein Druck ausgeübt wurde, Kinn und Stirn auf den angebrachten Stützen. Das ÜBER PUPILLENWEITE. 87 rechte Auge, auf welches also diffuses Licht von bekannter Intensität ein- wirkte, befand sich in einer Entiernung von 1-5‘°“ vom Milchgefäss; das Gesichtsfeld streckte sich aus temporalwärts 72°, nasalwärts 60°, nach oben 58° und nach unten 74°. Die Millimeterscala wurde direct neben dem Auge in der Verticalebene der Pupille aufgestellt. War dann der photo- graphische Apparat scharf eingestellt, das Blitzpulver vorbereitet, so wurde das Milchgefäss hinter W gesetzt und das Experiment konnte anfangen. Nach 15 bis 30 Minuten Adaptation, während der das Auge gut offen ge- halten wurde und ringsum alles ruhig war, um keine äusseren Reize ein- wirken zu lassen, wurde zu einer Aufnahme der Pupille geschritten. Dies geschah einfach so, dass von meinem Mitarbeiter W nach unten gezogen wurde: das Milchgefäss verschwand nach der Seite, das Blitzpulver ent- flammte; zu gleicher Zeit öffnete er dureh Luftdruck den Momentschliesser, und die Aufnahme war fertig. Für ein folgendes Experiment brauchte man nur die Intensität des durch das Milchgefäss tretenden Lichtes auf’s Neue zu messen, das Auge 15 bis 30 Minuten adaptiren zu lassen, und zwar war bei jedem folgenden Experiment die Lichtintensität grösser als bei dem vorhergehenden; dann wurde eine neue Platte vorgeschoben, frisches Blitzpulver aufgestreut und nach der bestimmten Zeit W nach unten gezogen und der Momentschliesser in Thätigkeit gesetzt. Die erhaltenen Photographien sind nur dann als ein wahres Bild der Pupille zu betrachten, wenn von dem Verschwinden des Milchgefässes vor dem Auge bis zur vollständigen photographischen Aufnahme nach Ent- zündung des Blitzpulvers keinerlei Veränderung des Pupillendurchmessers stattgefunden hat, d. h. wenn diese Zeit also kleiner ist als die Reflexzeit der Pupille. Berechnung des Zeitraumes vom Anfang der Bewegung des Milchgefässes bis zur Entzündung des Blitzpulvers: Diese Zeit ist direct zu bestimmen, wenn bekannt sind: 1. Zeitpunkt, an dem die Bewegung anfängt; 2. Geschwindigkeit der Bewegung des Milchgefässes; 3. die Stelle, an der sich das Milchgefäss befindet, sobald die Ent- zündung anfängt. Für 1. und 2. wurde auf dem Gefäss eine Aluminiumplatte von 30 Länge und 10°= Breite angebracht und dieselbe mit berusstem Papier überzogen; das Gewicht der ganzen Vorrichtung entsprach dem des sonst . mit Milch gefüllten. Gefässes. Das Gefäss befand sich wieder am Ende des Stabes und wurde hinter W gestellt; eine Stimmgabel von bekannter Schwingungszahl, die mit einer Spitze versehen war, wurde angeschlagen 83 L. J. Lans: und ungefähr in derselben horizontalen Ebene, in der sich sonst das unter- suchte Auge befand, vor das berusste Papier gehalten; nun wurde W nach unten gezogen. Die Stimmgabel zeichnet dann eine Curve auf das Papier; der Nullpunkt giebt dabei den Beginn der Bewegung des Milchgefässes an, und aus der Anzahl der Schwingungen kann die Geschwindigkeit des Ge- fässes berechnet werden. Ad 3. Das Gefäss wurde mit schwarzem Papier überzogen und nur eine Stelle von 2°” Durchmesser, die sich in derselben Horizontalebene als das untersuchte Auge befand, blieb weiss. Das Gefäss wurde wieder hinter W gestellt und die ganze Einrichtung zur Entzündung des Blitzpulvers blieb dieselbe als bei der Pupillenaufnahme. Ein grosser Photographie- apparat wurde sodann so aufgestellt, dass die Bewegung des Gefässes in toto aufgenommen werden konnte. Wird W nach unten gezogen, so ge- schieht die Momentaufnahme und auf der Photographie muss die weisse Stelle des im übrigen schwarzen Gefässes in dem Augenblicke am hellsten er- scheinen, in welchem die Intensität des Magnesiumlichtes am grössten war. Diese Stelle ist auf der Platte leicht zu erkennen und ist 16.6” von der ursprünglichen Stelle entfernt. Mit der oben erwähnten Methode ist leicht zu berechnen, dass eine Distanz von 16-6“, 33 Schwingungen einer Stimmgabel von 255 Schwin- gungen pro Secunde entspricht. Es waren also = = 0.129 Secunden nöthig, bevor die weisse Stelle, bezw. das untersuchte Auge, photographirt werden konnte. Da nun die Reflexzeit der Pupille 0-33 bis 0.49 Secunden beträgt, so folgt daraus, dass die Aufnahme innerhalb der Reflex- zeit stattfand. Wenn es auch nach den Abbildungen Garten’s klar ist, dass die Pu- pillenweite sich nach reflectorischen Augenlidbewegungen nicht ändert, so war es doch bei meinen Versuchen nicht uninteressant, entscheiden zu können, ob die auf oben beschriebene Weise erhaltenen photographischen Aufnahmen die Pupillenweite vor oder nach einem reflectorischen Lidschlag wiedergaben, und dies zwar besonders darum, weil 50 Procent der Aufnahmen ganz miss- langen, d.h. ein ganz oder theilweise geschlossenes Auge zeigten. Berechnung des Zeitraumes vom Anfang der Bewegung des Milchgefässes bis zum refleetorischen Lidschlag. Zu dieser Untersuchung wurden dieselben Vorrichtungen getroffen wie zur Photographie der Pupille. Dabei wurde mittels eines elektromagne- tischen Signales von Pfeil der Augenblick des Nachuntenziehens von W auf einem Kymographion aufgeschrieben. Eine Stimmgabel gab wiederum die Zeit auf dem Kymographion an, worauf dann auch der Moment des Lidschlages sichtbar werden sollte. + ÜBER PUPILLENWEITE. s9 Nach dem Prineip von Mayhew wurde ein kleines Heftpflasterstreifehen hart am Cilienrand angeklebt; von demselben führte ein Faden nach oben und war hier an dem kurzen Arın einer Miniatur-Aluminiumwippe befestigt, die mittels eines Ringes oberhalb des Auges fest mit dem Kopf verbunden war. Das Ganze war so construirt, dass die Augenlidbewegungen gar nicht gehindert wurden. Beim Nachuntenziehen des Fadens wurde der lange Arm der Wippe, an dem sich ein kleiner Bügel befand, aus einem Miniatur- quecksilberbehälter gezogen und so der elektrische Contact unterbrochen. Diese Unterbrechung wurde wieder mittels eines elektromagnetischen Signales auf dem Kymographion sichtbar gemacht. Der Untersuchte stellte sich nun mit dem Registrirapparat des Lid- schlages am Kopfe vor der ÖOeffnung in der Scheidewand auf; plötzlich wurde W nach unten gezogen, das Milchgefäss ging nach der Seite weg vor dem Auge vorbei, das Blitzpulver entzündete sich und es wurde auf dem Kymographion aufgeschrieben: 1. Augenblick des Nachuntenziehens von W. 2. Anfang des reflectorischen Lidschlages. 3. Zeiträume von 0-1 Secunden. Daraus lässt sich leicht berechnen die Zeit vom Beginn der Bewegung des Gefässes bis zum Lidschlag. Diese beträgt bei zwei Personen bezw.: 1. Serie 0-15 Secunden und 0-15 Secunden, 2. „ 0.13 ” ” 0.15 „ ’ De 0-15 ns a OA Fi Die photographische Pupillenaufnahme, die 0.129 Secunden nach An- fang der Bewegung des Milchgefässes stattfindet, geht also gerade dem Lidschlage voran. Der kleine Zeitunterschied macht das Misslingen von 50 Procent Auf- nahmen leicht erklärlich; auch folgt daraus, dass die Zeit von Anfang der Bewegung des Milchgefässes bis zur Entzündung des Blitzpulvers so klein als möglich sein muss. Die Angaben Garten’s machten es a priori unwahrscheinlich, dass der Lidschlag vor der photographischen Aufnahme stattfände. Garten fand für die Dauer der vollständigen Pupillenbedeckung nach willkürlichem Lidschlag: 1. bei seinem Diener bei einem Pupillendiameter von 2-5" 0-17 Secunden, 2. bei sich selbst Ba? 45 Er er Als Intervall vom Ueberspringen eines Inductionsfunkens bis zum Anfang des Lidschlages 0-061 bis 0.132 Secunden, also zusammen, von dem optischen Reiz bis zum Moment, wo die Pupille nach reflectorischem Lidschlage wieder unbedeckt ist: 90 I. NBANS: bezw. 0-231 bis 0-302 Secunden und 0-194 „ 0.265 5 Im Allgemeinen, sagt Garten, ist die Dauer des ganzen Lidschlages seines Dieners etwas kürzer nach optischem wie nach willkürlichem Lid- schlage. Nach diesen Angaben kann also auf oben beschriebene Weise die photographische Aufnahme einer unbedeckten Pupille nur dann stattfinden, wenn sie mindestens 0-06 bis O-132 Secunden oder 0.194 Secunden nach Anfang des optischen Reizes geschieht; in casu wird dieser Reiz durch das Verschwinden des Milchgefässes hervorgerufen. Ja, die letzteren Zahlen- werthe müssen sogar noch etwas grösser genommen werden, wenn die photographirte Pupille nicht 2-5 bis 3 wm Durchmesser hat, wie bei Garten, sondern wie im vorliegenden Falle 5.5 bis Tım, Die gefundene Zahl 0-129 lässt also, auch in Uebereinstimmung mit den Angaben Garten’s, den Schluss zu, dass die Pupillenaufnahme vor dem Lidschluss stattfindet. Da aber die von Garten und. von mir angewendeten optischen Reize nicht ganz gleich waren, ergab sich die Nothwendigkeit, die oben beschriebenen Experimente über Reflexzeit vor- zunehmen. Es schloss sich daran ein genaues Studium dieser Lidschlag- reflexe; wegen der höchst interessanten Resultate verweise ich auf den Vortrag auf dem IX. internationalen ophthalmologischen Congress in Utrecht: „Ueber refractäre Phasen bei Augenreflexen“ von Prof. Zwaardemaker und Dr. Lans.! hesultate: Im Ganzen wurden 124 Pupillenaufnahmen von Hrn. Milatz und von mir angefertigt. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle Hrn. Milatz meinen besten Dank auszusprechen, und zwar sowohl für die vielen Stunden, die er diesen Experimenten opferte, als auch für die fachkundige Hülfe beim Photo- graphiren. Von diesen 124 Aufnahmen mussten 60, welche nur geschlossene oder halbgeschlossene Augen wiedergaben, als unbrauchbar erklärt werden; von den übrigen waren 13 auch nur mehr oder weniger brauchbar. Zur Messung des Pupillendurchmessers wurde eine Millimeterscala - benutzt nach der in Capitel I beschriebenen Weise. Von jeder Aufnahme wurden mindestens 10 Messungen des horizontalen Durchmessers ausgeführt und die Mittelwerthe in einer Tabelle zusammengestellt. Die Lichtintensität wurde, wenn möglich, mit Weber’s Photometer gemessen. Betieffs Inten- sitäten unter 1 Meterkerze siehe unten. Ich lasse hier eine Tabelle von 64 Pupillenmessungen folgen: ' Siehe auch: Centralblatt für Physiologie. 16. September 1899. ÜBER PUPILLENWEITE. 91 Tabelle 1. Milatz. Rechtes Auge. Emmetropie. Jahresalter 24. rer Nr. j en N una en Mkkal, Bemerkungen | Intensität zeit werthe von 10 Messungen Be | Meterkerzen Minuten mm 52 ) 20 T-6 53 0 20 7-5 6 0-54 13 6-75 Pupille ist nicht ganz rund. S 0-54 15 6-73 10 0-54 15 1-13 11 0-54 20 6-37 12 0-54 15 7.29 15 1-6 20 6-7 26 1-6 15 6-3 27 1-6 20 6-18 29 26 15 6-17 30 1-6 20 6-57 31 6-5 20 5-22 32 6-5 20 So) 35 6-5 15 6-97 36 6-5 20 6-91 46 6-5 20 5-96 41 24 20 5.4 43 24 20 5°6 44 2 20 6-5 Lans. Rechtes Auge. Myopie 0.5. Jahresalter 29.5. 47 NP id) 20 6-93 45 0 20 7-26 49 0 20 olo 23 0-36 20 Bes h 3 24 0-36 20 5-06 | Pupillengrenzen undeutlich. 41 0-36 20 4-37 desgl. 42 0-36 | 20 5-53 n (2 19 20 Ungenaue Aufnahme. 2 0-54 15 5-45 43 0.54 20 5-75 49 0-54 5 5-94 Adaptationszeit zu kurz. 52 0-54 20 7-0 53 0-54 30 6-29 Etw.nervös gerade v.d.Aufn. 54 0-54 30 el 55 0-54 20 4-75 56 0-54 10 7-42 39 0-54 20 6-37 60 0-54 15 1-5 92 L. J. LAns: Tabelle I. (Fortsetzung.) ana Nr. h az adar ans a] Bemerkungen intensität zeit werthe von 10 Messungen Meterkerzen Minuten mm 3 1-6 8 7-16 4 1:6 14 1.35, | 5 1-6 10 Ra ‚ Adaptationszeit zu kurz. 6 1:6 15 7-2 | 2 1:6 12 7.2 15 126 20 5-31 | 16 1-6 20 5-28 Undeutliche Pupillengrenzen. 19 1.6 20 4:22 20 1-6 20 5-02 33 1:6 20 6-65 35 1:6 20 1-25 36 1:6 15 6-16 37 1:6 20 de Bu 1:6 20 5-95 38 1:6 20 deal, ) 5-7 15 7:04 Das Auge ist ermüdet. 21 59 20 6.49 22 5.9 20 6-12 45 6 20 BEZ) 13 20 15 65 14 20 15 x 6-92 Das Auge ist ermüdet. 24° 35 20 9.88 25 22 20 5.73 26 22 20 5.0 31 36 20 5+3 47 | 18) 20 5-87 Wenn wir nun die 47 ganz werthvollen Aufnahmen übersehen, so sind dieselben in 5 Rubriken einzutheilen: 1. Pupillenaufnahme nach Adaptation für 0 Meterkerze, 2. ” „ „ „ 0.5 „ ’ 3: » or » „ 1-5 Meterkerzen, 4. „ „ „ „ 6 „ 9 BY n ss ee „19bs 30er 1. Liehtintensität O Meterkerze. Zum Erlangen direct vergleichbarer Resultate war es nothwendig, unter ganz gleichen Verhältnissen zu experimentiren wie bei den folgenden Rubriken. Darum konnten auch die Resultate von Capitel I nicht ge- nügen und wurde die in Capitel II erwähnte Aufstellung gemacht, nur ÜBER PUPILLENWEITE. 95 mit dem Unterschiede, dass die. Hefnerlampe nicht angezündet wurde. Die mittleren Werthe des horizontalen Pupillendurchmessers sind um 0.6" kleiner als die in Capitel I gefundenen. Resultate: Mittlere Werthe von 3 Aufnahmen von Lans 7-26 mm 2 Milatz 7.55 „ hp) „ „ = ” „ 2. Lichtintensität 0-5 Meterkerze. Kleinere Werthe als 1 Meterkerze sind mit dem Weber’schen Photo- meter nicht direct zu messen, es wurde daher nach folgender Methode verfahren. Die Hefnerlampe wurde in solcher Entfernung von dem Milch- gefäss aufgestellt, dass das hindurchtretende Licht noch eben mit dem Photometer gemessen werden konnte. Nun wurde vor dem Gefäss und mit diesem fest verbunden eine Anzahl sog. „Caramelpapiere‘“ aufgestellt; photometrisch war zuvor bestimmt, dass diese Papiere das diffuse Licht nicht ändern, sondern nur absorbiren; dabei wurde auch der Absorptions- coöfficient gemessen. Mit Hülfe dieser Papiere mit bekanntem Absorptions- vermögen konnte man also das schwache Licht noch beliebig abschwächen. Um eine Lichtintensität von 0-54 Meterkerze zu erhalten, musste die Lampe auf 50 ® vor dem Milchgefäss aufgestellt und dieses mit 10 Caramel- papieren belegt werden. Resultate: Mittlere Werthe von 8 Aufnahmen von Lans 6.54 m Pa) ” „ Milatz 6-85 „, ” ” 3. Liehtintensität 1'6 Meterkerzen. Distanz der Hefnerlampe. bis zum Milchgefäs = 60". Mittlere Werthe von 8 Aufnahmen von Lans 6-.31um „ „ ” B) | ” ” Milatz 6-38 „ 4. Lichtintensität 5-5 bis 7.5 Meterkerzen. Distanz des Milchgefässes (dieses mit 10 Caramelpapieren belegt) bis zur Hefnerlampe = 10 bis 15, Mittlere Werthe von 3 Aufnahmen von Lans 6-.13um „ ” » > „ ” Milatz 6.19 „ 5. Lichtintensität 19 bis 30 Meterkerzen. Distanz der Hefnerlampe bis zum Milchgefäss = kleiner als 15 “. Mittlere Werthe von 5 Aufnahmen von Lans 5-71 m „ ” „ 3 ” ” Milatz 5.84 ” 94 L. J. LAns: Wie aus der Tabelle hervorgeht, hat eine Adaptation von mehr als 15 Minuten keinen entscheidenden Einfluss auf den Pupillendurchmesser. Ermüdung macht, wie zu erwarten war, die Pupille grösser (siehe Platte 9 und 14). Die mittleren Pupillenwerthe beider Untersuchten sind in allen 5 Rubriken nicht nennenswerth verschieden; dies ist besonders deut- lich aus der unten stehenden graphischen Darstellung zu ersehen, auf welcher auf der Linie der Absecisse die Lichtintensität in Meterkerzen, auf der der Ordinate der Pupillendurchmesser in Millimetern angegeben ist; das mm. 8 is Im Sleje T | Bi ' | l 1 n Sı Pupüllendurchmesser Y MEN Fig. 4. (Granze ist nach den oben erwähnten 4 Rubriken eingetheilt. Jedes Pünktchen bedeutet einen Mittelwerth von mindestens 10 Messungen einer Pupillenauf- nahme. Verbindet man die mittleren Werthe jeder Rubrik unter einander durch eine Linie, so entsteht eine Curve, welche den Zusammenhang zwischen Liehtintensität und Pupillendurchmesser deutlich macht (Fig. 4). Mit punktirter Linie sind die gefundenen Werthe von Milatz, mit schwarzer Linie diejenigen von Lans angedeutet. Die grössten Unterschiede in den Pupillenwerthen bestehen also gerade im Anfang: nach Adaptation für 0.54 Meterkerzen ist dieser Durchmesser ÜBER PUPILLENWEITE. 95 um 0°72 und 0.75 mm kleiner als in absoluter Dunkelheit. Langsam wird diese re geringer, und zwischen Rubrik 4 und 5 beträgt sie nur noch 0:42 bis 0-39 m. Beim Nachschlagen der Litteratur findet man in einem Referat des Centralblattes für Augenheilkunde,! dass schon R. Greeff und du Bois- Reymond die Pupille im Dunkel photographirt haben. Das Auge war dabei auf eine runde Opalglasscheibe gerichtet, hinter der sich eine Zireonlampe befand. Durch Verändern der Entfernung der Lampe zur Scheibe wurde auch die Lichtintensität geändert, und es wurde eine Serie Momentaufnahmen der Pupille vorgenommen mit entsprechender stärkerer oder schwächerer Liehtintensität. „So war es möglich, eine Curve zu construiren, die mit der Dunkelpupille begann und mit einer von 4" Durchmesser endigte.“ Ich konnte mir keine genaue Beschreibung dieser Untersuchungen verschaffen, welche, wie ich meine, schon im Jahre 1893 mitgetheilt wurden. Unsicher bleibt für mich dabei also die Stärke der Lichtintensität und die Dauer der Adaptation; ebenso wenig weiss ich, ob das Licht diffus war, welche die Grösse des Gesichtsfeldes und wie gross die Anzahl der unter- suchten Personen war. Vielleicht sind diese Punkte in extenso im Original behandelt. Sommer” untersuchte mit einem übrigens nicht fehlerlosen Pupillo- meter den Pupillendurchmesser bei 4, 8 und 36 Meterkerzen. Seine Wahr- nehmungen erstreckten sich auf drei Personen: zwei davon hatten patho- logische Cerebralveränderungen, die dritte Person war normal. Bei dieser war die Pupillenweite: bei Lichtintensität von 4 Meterkerzen OS 5*/, ==, OD 3°/, ==, ” „ ” 8.4 ” „ 3 VE) 25, „2 ” ” ” 36 ” ” Zee 202 ” 2, 27° Auch hier wird die Adaptation nicht erwähnt, wahrscheinlich betrug sie nicht mehr als 2 bis 3 Minuten; ich meine also, dass sich diese Werthe mit den von mir gefundenen nicht vergleichen lassen. III. Bestimmung der Pupillenweite nach Adaptation für 25 bis 900 Meterkerzen. Die pupillometrische Bestimmungsweise konnte bei dieser Lichtinten- sität bedeutend vereinfacht werden, da man sich des Tageslichtes und eines Pupillometers bedienen konnte. Mittels matt-schwarzen Papieres wurde in ! Centralblatt für Augenheilkunde. 1894. 8.171. ” Lehrbuch der psychopathologischen Untersuchungsmethoden. 96 L. J. Las: in einem Zimmer ein Raum von je 1-5” Länge und Breite abgegrenzt und zwar so: Zwei Wände wurden durch das Papier gebildet, die dritte \Wand durch ein Fenster und die vierte, an dieses Fenster anstossende Wand, durch gleichmässig weisses Papier. Das Fenster war bis auf eine Oefinung von 7.54m Länge und 5a Breite, welche das Tageslicht einliess, ganz mit undurchsichtigem schwarzem Papier verklebt; sonst konnte kein Licht in den Raum eindringen. Die Zimmerhöhe betrug 3%. Der Untersuchte sass 75 ® von der weissen Wand entfernt und derselben zugekehrt. Das Gesichtsfeld wurde von 90° tem- poral bis 40° temporal von dem aus der Fensteröffnung dringenden Licht eingenommen, von da bis 45° nasal durch das von der weissen Wand reflectirte Licht, nach oben und unten theils durch directes, theils durch zurückgeworfenes Licht. Es wurde nur bei klarem Himmel und in den Mittagsstunden von 2 bis 4 Uhr experimentirt. Zur Abschwächung des eindringenden Lichtes gebrauchte ich Perga- _ entpapier; dasselbe war gelblich-weiss und absorbirte eleichmässig das diffuse Licht. Als Pupillometer erwies sich das von Schirmer angegebene Prisma als sehr brauchbar und zuverlässig. Da ich aber sehr schnelle Wahrneh- mungen und nur unter sich vergleichbare Resultate wünschte, bediente ich mich eines Pupillometers, das ursprünglich als Exner’s Laryngometer! beschrieben worden ist. Dasselbe besteht aus einem Kalkspathkrystall, der sich in einem Metallrohre befindet und willkürlich mittels einer Schraube um eine Axe gedreht werden kann. Die lineare Distanz der beiden Axen kann so vergrössert werden und diese Vergrösserung ist auf einer Scala ablesbar. An dem Metallrohre kann senkrecht dazu ein Nebentubus angebracht werden; an dessen einem Ende befindet sich ein verstell- barer, horizontal oder vertical drehbarer Spalt; an dem anderen, dem Haupt- tubus zugekehrten Ende und mit dessen Axe einen Winkel von 45° bildend, ist ein Deckglas angebracht. Sieht man in den Haupttubus, so muss man durch den Reflex des Deckglases auch den Spalt sehen, wenn er genügend beleuchtet ist. Bei der Pupillenmessung richtet man das Instrument unter einem Winkel von 60° mit der Sehaxe auf das untersuchte Auge; man befindet sich dabei in willkürlicher Entfernung davon und hält es soviel wie möglich in der horizontalen Ebene. Als Nullpunkt wird derjenige Stand genommen, bei dem die Doppelbilder der Pupille den horizontalen Spalt mit ihren oberen Rändern.gerade berühren. Beim Drehen des Krystalles drehen sich ! Archiv für Laryngologie und Rhinologie. Bd. VI. 8.312. ÜBER PUPILLENWEITE. 97 auch die Doppelbilder, wobei sich die lineare Distanz vergrössert; man kann dann die Bilder so einstellen, dass der Spalt gleichzeitig den oberen Rand der einen und den unteren Rand der anderen Pupille berührt. Ist dies der Fall, so hat sich die Distanz der Bilder um die Länge des verticalen Pupillendurchmessers vermehrt, und diese Vermehrung ist auf der Scala ablesbar. Stellt man sich seitwärts vom untersuchten Auge auf, so darf man nur den verticalen Pupillendiameter messen, da der horizontale ver- kürzt gesehen wird. Die Vorzüge dieses Instrumentes sind also folgende: man kann sich in willkürlicher Entfernunz von dem untersuchten Auge aufstellen, da die aus dem Krystalle tretenden Strahlen parallel sind; ferner braucht das untersuchte Auge nicht ganz unbeweglich zu bleiben, weil die lineare Distanz der Doppelbilder nur durch Drehen des Krystalles verändert wird; drittens eignet sich dieses Pupillometer ganz besonders für viele auf einander folgende Messungen und die Wahrnehmungen sind auf 0-1 "m genau. Als Versuchspersonen hatten sich bereitwillig Studenten und andere Personen von 18 bis 30 Jahren angeboten. Der Untersuchte setzte sich so hin, dass sein Gresichtsfeld die schon erwähnten Grenzen hatte und blickte, ohne zu accommodiren, auf die gleich- mässig weisse Wand. Mit Weber’s Photometer wurde die Lichtintensität an der Stelle, an der sich das untersuchte Auge befand, gemessen und dann nach 15 bis 20 Minuten Adaptation der verticale Durchmesser des rechten und des linken Auges bestimmt. Beim hierauf folgenden Experi- ment wurden einige Pergamentpapiere vom Fenster weggenommen und die Liehtintensität wurde also grösser. In der folgenden Tabelle II sind die Resultate der Wahrnehmungen an 11 Personen zusammengestellt. Jede Zahl bedeutet einen Mittelwerth von wenigstens 10 Wahrnehmungen. Tabelle II. Verticale Pupillendurchmesser in Millimetern. Unter 50 Meterkerzen | 50-100 Meterkerzen | 100-500 Meterkerzen ‚500-1000 Meterkerzen 0S OD 7708 ODE AMOS 42 OD OS 12200 2-92 2-98 3-0 | 4-1] | 3-08 3-26 4:10 | | 3.49 3-07 | 4-01 | 2-97 | 3.86 | 3-64 3-41 | 2-98 3-31 2-9 3232 1023.37 | 4-09 4-17 | | Ifssslı ach: il Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 7 98 L. J. Lans: Tabelle II. (Fortsetzung.) Unter 50 Meterkerzen | 50-100 Meterkerzen || 100-500 Meterkerzen | 500-1000 Meterkerzen OS OD OS OD OS OD OS OD 4:04 4:13 3:87 3:74 5.4 5:15 | 4-0 3-81 51 5:0 4-2 4:0 3.7 | 83-71 3:25 3-18 3:12 3:06 4:07 4:175 4:12 3:02 3-19 z3enlg 3-11 3:08 4.27 4.48 3-15 3:22 4:07 4-08 3:3 3:3 3:57 3-85 3-17 3.14 1 3:43 3:43 3-14 3:15 "4:12 3:88 3:6 3:55 4-58 5-12 4-58 4-48 4:06 3.58 Mittelwerthe: | | 4:17 4:21 3:79 3:62 3:43 | 3:32 3:38 3:25 „mm { T a = 5 : D) 2 ea nu N | ‚ S Il A Se EBEO HH Sy ' L a T N KL | R) som nu 3 a > A = = = - = = > > = un] R= Aucl — = 2 f . Aa, = B= 2 ud =) .- a Zi © 80 ai >= m Er © = o a © © =} ® = D En = 8 © = | = 5 E > on > -_ 3 2A = = "2 as = = 4 = ee ea ee ee > 3 n {=} | o&8 [>) > oO8aH >) > © oz er =) © Sa = (=) = je ae == & Bao|l 8 = 025 3 >» [u>A 8 > > S [>) - 2} SQ = B A B a = © a een E = & |Rr E: Bä Een E E 5 en —63 a © = Er N RS N V | 8-00 [11-00 | 3-00 |37-50| 7-75 |—0-25 |-3-13 || 67-00 | 95-00 | 28-00 |41-94 | 67-00 | 0-00 | 0-00 frei- nicht | präparirt VI | 8-25 | 9-00 0-75 | 9-09 | 8-00 |—0-25 —3.04 82-00 | 91-00 | 9-00 | 10:98 | 82-00 | 0-00 | 0-00 || vollkommen nicht | fixirt VII | 8-75 |12-00 | 3-25 [37-14 | 9-00 0:25 | 2.86 || 64-00 | 82:00 | 18-00 | 28-13 | 64-00 | 0:00 |, 0:00 frei- nieht präparirt XI || 6:72 |11-16 | 4-44 |66-07 | 7:28 0:56 | 5.02 || 74:70 | 85-20 | 10-50 | 14-06 74-80 | 0:10 , 0-13 || vollkommen nicht fixirt XII | 7:78 113-832 | 5-54 | 71-21 | 8-81 1:03 | 13:24 ||76-40 | 99:08 | 22:68 | 29:67 | 86-50 10-10 |13-22 || vollkommen | wasserstarr | fixirt IX || 8-40 | 10:20 | 1-80 |21:43 | 9:10 0:70 | 8-331179°00 | 89-00 | 10:00 | 12-66 81-00 3:00 | 3-80 | Bogengefäss | todtenstarr | durchtrennt IXa| 6-00 | 6:80 | 0:80 13:33 6-10 0:10, 1-67141°00 | 55-50 | 14-50 | 35-37 41-00 0-00 | 0-00 frei- gelöst | präparirt XXa| 6-16 | 7-63 | 1-47 23-86 | 6-30 0:14 | 2-271|41:10 57:20 |13-10 | 29-71 44:63 | 0-53 | 1-20 frei- gelöst | | präparirt XVal| 4-50 | 6-48| 1-98 |44-00 | 4-70 0-20 | 4-44 || 72-50 | 72-83) 0-33 | 0-46 | 73-00 0-50 | 0-69 || vollkommen | todtenstarr | fixirt z PhHYsIoLo@IE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 119 Die in Tabelle II enthaltenen Zahlen drücken sämmtlich die Werthe in Millimetern aus. Die Höhe der maximal verwendeten Drucke ist nicht für alle Versuche dieselbe, insbesondere für Fall VI, wo Bestimmungen mit niedrigen Druckwerthen gemacht wurden, bei den anderen Versuchen handelt es sich um dem mittleren Blutdrucke äquivalente Druckgrössen. Zu dieser Tabelle sei ferner noch erwähnt, dass diejenigen römischen Zahlen, welchen ein a hinzugefügt wurde, Versuche an der Aorta abdominalis be- deuten, während alle anderen Beispiele von der Aorta thoracalis entnommen sind. Ich habe es unterlassen, auch hier noch eine Anzahl gleichsinniger Beobachtungen von den anderen untersuchten Gefässen anzuführen, weil dieselben prineipiell das gleiche Verhalten zeigen wie die Aorta. Was speciell den Fall XI der Tabelle angeht, welcher durch die grosse Differenz der Durchmesser bei den beiden Messungen unter 0-Druck hervorsticht, ohne dass die Todtenstarre vorhanden gewesen wäre, so muss ich hervor- heben, dass dieser Versuch gerade eine jener sehr lange andauernden Durch- strömungen war, welche von früh bis Abend ohne grössere Pausen fort- gesetzt wurden. Ursprünglich hatte ich (13) erwartet, dass meine. Versuche auch die quantitative Seite der aufgeworfenen Fragen erledigen würden, aber mein Versuchsmaterial reichte nicht hin, um die individuellen Schwankungen mit emiger Sicherheit eliminiren zu können, so dass die Deutung, welche ich meinen Versuchen beilegen darf, nur auf die qualitative Seite beschränkt bleiben muss, wodurch auch die Bedeutung der noch vorhandenen Ver- suchsfehler ganz erheblich vermindert wird. Ich habe die principiell wich- tigen möglichen Fehler der Methode hauptsächlich deshalb etwas eingehender besprochen, um mir einen Vorwurf, dass ich die Grenzen der Leistungs- fähigkeit der angewandten Methode überschätzt hätte, zu ersparen. Im Folgenden soll zunächst auf das specielle Verhalten der Aorta ausführlich eingegangen werden. Die Anatomen pflegen die Maasse für die Aorta, soweit es sich um die Längenwerthe handelt, an der Leiche in situ zu eruiren, wogegen die Durchmesser, wenn eine genaue Be- stimmung derselben erwünscht ist, am herausgeschnittenen Gefässe ermittelt werden, weil, wie früher bereits betont wurde, die Aorta gleich allen anderen Gefässen in der Leiche deformirt ist, indem die Gefässwände auf einander platt gedrückt sind. Häufig aber finden sich über die Art der Messung gar keine strieten Angaben, ja es ist oftmals nicht einmal ersichtlich, ob das Gefäss in situ oder nach dem Herausschneiden gemessen wurde. Bei der Beurtheilung dieser Messungen ist man bezüglich der Länge wenigstens im Stande, wenn es sich um Grössenangaben vom 120 R. F. Fucas: Menschen handelt, aus dem absoluten Werthe mit ziemlicher Wahrschein- lichkeit zu schliessen, ob die Messung in situ oder am herausgeschnittenen Gefässe erfolgt ist, da z. B. eine Zusammenstellung Hiller’s gezeigt hat, dass die Länge der ganzen Aorta descendens in situ für ein Alter von 16 bis 78 Jahren sich nur zwischen 37 und 31°" bewegte, wobei die Aorta von 90 verschieden grossen Individuen gemessen wurde Die aus dem Körper frei präparirte Aorta descendens zeigte je nach dem Alter des Indi- viduums eine verschiedene grosse procentuelle Verkürzung gegenüber jener in situ gemesenen Länge. Am grössten war die Verkürzung nach Hiller’s Tabelle für die Jahre vom 16. bis 22., wo dieselbe 27 Procent der Ge- sammtlänge ausmacht, während in dem Alter von 65 bis 78 Jahren die Retraction nur 2-3 Procent beträgt. Bei den verschiedenen Versuchs- thieren würden aber Zahlenangaben über die Gefässmessungen vollständig werthlos erscheinen müssen, insofern dieselben nicht durch detailirte An- gaben, wie sie gewonnen worden sind, ergänzt werden, weil die Verschieden- heiten der einzelnen Individuen viel beträchtlichere sind als beim Menschen. Man denke doch nur an die Verschiedenartigkeit der einzelnen Hunderassen. Unter solchen Verhältnissen können wir nicht einmal bezüglich der Längen- werthe vermuthen, unter welchen Cautelen dieselben gemessen wurden, falls die ergänzenden Angaben fehlen. Als man anfing, die Grösse der Retraction ziffermässig festzustellen, liess man es sich genügen, für die gesammte Aorta die Verkürzung zu constatiren, wie dies Hiller für die Aorta descendens that. Ich glaube wohl annehmen zu dürfen, dass man jene Differenzen der Retraction der einzelnen Aortenabschnitte nicht gekannt habe, oder dieselben zumindest nicht entsprechend würdigte, weil mir bisher keine Arbeit be- kannt geworden ist, welche auf diesen speciellen Punkt näher eingegangen wäre. Und doch bietet gerade ein genaues Studium dieser Differenzen wichtige Anhaltspunkte über die Entstehung jener Summe von elasti- schen Kräften, welche der in situ belassenen Aorta innewohnt, welche ich kurz unter dem Namen „Längsspannung des Gefäss- systems“ zusammenfassen will. Messen wir zunächst an der vollkommen in situ belassenen Aorta bei dem Durchströmen unter O-Druck die Durchmesser und Längen und vergleichen mit diesen Werthen jene, welche wir an der aus dem Körper herausgeschnittenen Aorta constatiren können, so zeigt sich in dem letzteren Falle eine Verminderung der Länge, welche stets mit einer Vergrösserung des Durchmessers einhergeht. Auf diese Coincidenz der beiden Erscheinungen hat man bisher gar keine Rücksicht genommen. In der Tabelle III, welche einige Beispiele für das Einhergehen der Ver- kürzung mit der Durchmesservergrösserung enthalten soll, sind die ent- PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 121 sprechenden Werthe ein und desselben Gefässes vor und nach dem Heraus- schneiden enthalten. Es sind sowohl Versuche von der Aorta thoracalıs, als auch solche von der Aorta abdominalis (kenntlich an dem der Ziffer beigefügten a) in diese Zusammenstellung aufgenommen worden, ohne dass zunächst auf die zwischen den beiden Aortenabschnitten bestehenden Unter- schiede eingegangen werden soll, was einem späteren Punkte dieser Unter- ‚suchung vorbehalten bleiben mag. In Tabelle III ist für alle Messungen 0-Druck vorhanden. [In den sämmtlichen folgenden Tabellen sind die Gefässwerthe in Millimetern angegeben und die Drucke in Millimeter Hg, insofern etwas anderes nicht ausdrücklich bemerkt ist. Tabelle IIl. Durchmesser | Länge | es — Kugel: II. | II. IV: 4 E : voll. |Nacı a. | Zuwachs El Nacral. a kommen.| Heraus- | yon I m U kommen. Heraus- | Kürzung | von III ‚Fixation schneiden in Proc. | Fixation schneiden Yon IH in Proc. V 6-00 | 8.00 2-00 33-33 94-50 65-00 29-50 31-22 VI 8-00 | 9-75 eh 21-88 || 82-00 64-00 18.00 21-95 VII 7-00 | 10-00 4-00 57.14 35.00 65-00 20-00 23-65 XII 4-30 | 4-72 0-42 9-72 | 43-10 | 38-00 5-10 112832: XIX 3-00 3-18 0.78 26-00 | 30-75 27-33 3-42 10-79 XXI 3.42 | 3-84 | 0-42 | 12-28 | 34-10 | 29-08 | 5-02 | 14-81 VIlla 6-00 | 7-00 1-00 | 16-67 | 72-00 | 42-50 | 29-50 | 40-97 IXa 4-60 ;, 6-00 1:40 30-43 | 63-50 41-00 22-50 35.43 Xa 4-00 5-50 1-50 37:50 | 60-00 36:00 | 24-00 | 40-00 XVa | 4-54 | 6-30 | 1-76 | 38-77 | 72-50 | 47-60 | 24-90 | 34-35 XXa 4-83 6-16 1:23 | 25-47 || 67-00 44-10 22.90 | 34-19 Bevor wir in der Besprechung der einzelnen Versuchsresultate fort- fahren, möchte ich auf einige Momente eingehen, welche bei der Messung an dem herausgeschnittenen Gefässe in Betracht kommen. Falls an der freipräparirten Aorta die abgehenden Gefässe unterbunden werden sollen, was zur Ausführung der Dehnungsversuche aber nicht unbedingt nöthig ist, wie später gezeigt werden wird, so ist besonders darauf zu achten, dass die abzweigenden Aeste in nicht zu grosser Nähe ihrer Ursprungsstellen ligirt werden, da bei Ausserachtlassung dieser Vorsichtsmaassregel fehler- hafte Messungen zu Stande kommen. Sind die abgehenden Zweige zu knapp an ihrem Ursprunge unterbunden worden, dann zeigt die unter O-Druck entfaltete Aorta bereits an den Unterbindungsstellen leichte Einziehungen, welche mit steigendem Drucke um so stärker sich ausprägen, so dass bei 122 R. F. Fuchs: Druckwerthen von der Höhe des mittleren Blutdruckes ein rosenkranzartiges oder perlschnurförmiges Aussehen der Aorta zu Stande kommt. Dass an emem derartig deformirten Gefässe eine Messung, welche Anspruch darauf erhebt, als Ausdruck der natürlichen Form angesehen zu werden, nicht vor- genommen werden kann, bedarf ‚wohl keiner weiteren Begründung. Die freie Aorta wird zum Zwecke der Messung auf eine mit physiologischer Kochsalzlösung stark befeuchtete, glatte Glasplatte gelegt. Die Reibung, welche das Gefäss bei seiner Ausdehnung und Zusammenziehung zu über- winden hat, ist dabei eine minimale und der entstandene Fehler immer der gleiche. Eine Streckung des Gefässes bis zur Geraden ist gar nicht einmal nöthig, weil die Art der Längenmessung mit dem Faden es ge- stattet, alle Biegungen entsprechend genau auszumessen. Ein Blick auf die Tabelle III lehrt, dass die Zunahme des Dia- . meters und die Verkürzung nach dem Herausschneiden inner- halb sehr weiter @renzen schwanken; eine bestimmte einfache Rela- tion zwischen der Durchmesserzunahme und der stattgehabten Verkürzung konnte ich leider nicht ermitteln, weil die wirklich brauchbaren Versuche (50) zu gering an Zahl waren. In meiner vorläufigen Mittheilung hatte ich zwar gehofft, auch einige Annäherungswerthe für die quantitativen Verhält- nisse ermitteln zu können, aber je länger ich mich mit diesen Unter- suchungen beschäftigte, um so mehr musste ich erkennen, dass die weit- gehenden Verschiedenheiten des Untersuchungsmateriales eine Statuirung von Mittelzahlen nicht zuliessen, so dass die quantitative Seite des ganzen Fragencomplexes als ungelöst betrachtet werden muss. Geht man an die Freilegung der Aorta, so fällt es auf, dass sich nach der Durchtrennung der abgehenden Gefässe sowohl die Aorta, als auch die durchschnittenen Aeste unter einer entsprechenden Diameterzunahme retrahiren; ausserdem findet man, dass die Aorta in ihrem ganzen Verlaufe durch mehr oder minder ausgeprägte Bindegewebszüge an der Wirbeluäterlage befestigt ist. Diese Bindegewebszüge sind an einzelnen Stellen mächtig entwickelt und können sogar zu einer solchen Stärke gelangen, dass sie der Anatom als eigene wohlcharakterisirte Bänder beschreibt. An den untersuchten Thieren fand ich eine besonders kräftig ausgebildete Fixation unterhalb der Uebergangsstelle des Arcus aortae in die Aorta descendens. Noch weit mächtiger war die bandartige Fixation der Aorta bei ihrem Eintritt in den Hiatus aorticus diaphragmatis, welche sich sowohl cranial-, als auch caudalwärts von dieser Stelle eine Strecke weit fortsetzt. Auch an der Theilungsstelle der Aorta abdominalis in die beiden Arteriae iliacae interna sind die Bindegewebszüge etwas kräftiger als im übrigen Verlaufe der Bauchaorta, ohne PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 123 sich aber mit den hervorgehobenen Fixationen der Brustaorta bezüglich ihrer Stärke messen zu können. Bei der Durchsicht der mir zugänglichen anatomischen Litteratur fand ich, dass Luschka (14) die Befestigung der Aorta auf der Wirbelunterlage einer eingehenden Untersuchung unterzogen hatte und ähnliche fibröse Haftbänder für den Menschen beschreibt, wie ich sie an meinen Versuchsthieren erkennen konnte. Luschka be- schreibt gleichfalls eine besonders kräftige Fixation an der Grenze zwischen Arcus und Aorta descendens, ferner wird ein vom siebenten Brustwirbel nach abwärts ziehendes Band erwähnt. Schwalbe (15) konnte die Luschka’schen Angaben vollinhaltlich be- stätigen, und er belegte die besonders kräftig entwickelten Bänder in der Gegend des Hiatus aorticus diapkragmatis mit dem Namen Ligamenta phrenico-aortica. Dass die Bauchaorta gleichfalls bindegewebige Fixationen besitze, wird auch von Schwalbe betont, desgleichen stimmen seine diesbezüglichen Angaben auch mit meinen Befunden darin überein, dass die einzelnen Fixationen nicht so scharf charakterisirt und von jener Mächtigkeit sind, wie bei der thoracalen Aorta. Erst wenn alle abgehenden Gefässe der Aorta und die ligamentösen Verbin- dungen der Aorta durchtrennt sind, befindet sich dieselbe in ihrer vollkommenen elastischen Gleichgewichtsfigur. Somit ist die Leichenaorta in situ auch bereits bei O-Druck über ihr elasti- sches Gleichgewicht ausgedehnt und Sitz ganz erheblicher Spannkräfte. Diese Spannung ist nun nicht etwa eine derartige, dass sich das Gefäss nur zwischen den Fixationspunkten in Spannung befände, so dass die cranial- und caudalwärts von diesen Punkten gelegenen Strecken nicht ge- spannt wären. Die Gesammtspannung der Aorta ist eine bedeu- tend grössere als die, welche durch die Entfernung der beschrie- benen Fixationspunkte bedingt ist, denn die gespannte Aorta übt auf alle abgehenden Gefässe einen Zug aus, wodurch die letzteren gleich- falls über ihre elastische Gleichgewichtsfigur gedehnt werden und mehr oder minder stark gespannte Stränge darstellen, welche ihrerseits wieder auf die Aorta einen Gegenzug ausüben müssen; denn es verkürzt sich nach der Durchtrennung sowohl die Aorta, als auch das durch- trennte abgehende Gefäss. Wurden nach jeder Durchtrennung die Verkürzungen und Durchmesserzunahmen bestimmt und mit einander ver- glichen, so zeigte es sich, dass die procentuellen Verkürzungswerthe der Gefässe um so grösser waren, je kleiner der Winkel war, welcher von der Stammaxe und Radialaxe, also der Ursprungs- winkel nach Roux (16), gebildet wird. Mit anderen Worten heisst das, diejenigen Gefässe, welche unter kleinerem Ursprungswinkel abzweigen, sind stärker gespannt, als die unter minder spitzem Winkel entspringenden, 124 R. F. Fucas: Wann das relative Maximum der Verkürzung eintritt, konnte ich aus meinen Versuchen nicht ermitteln, denn bald war die Verkürzung nach der Durch- trennung der abgehenden Gefässe, bald die nach der Lösung der Fixationen auftretende die grössere, so dass ich aus diesem, wie mir schien, regel- losen Wechsel einen Schluss zu ziehen mir nicht erlauben darf. Eine weitere Reihe von Versuchen wurde nach folgendem Principe vorgenommen. Nachdem am lebenden Thiere unter Zuhülfenahme von Nebennierenextractinjectionen ein entsprechend hoher Blutdruck erzielt worden war, wurden die Längen und Durchmesser der Aorta gemessen. Unmittelbar nach dem Tode des Thieres wurden an der vollkommen in situ belassenen Aorta wieder dieselben Maasse bestimmt, und zwar bei O-Druck, einem mittleren Druck, z. B. 55"" Hg, und einem den Blutdruck zu- mindest erreichenden von 170”® Hg. Hierauf wurden die vom Aorten- bogen abgehenden Gefässe möglichst weit eranialwärts durchtrennt und eventuell abgebunden. Das retrahirte Aortenstück wird neuerdings unter den drei oben angeführten Druckhöhen durchströmt, wobei die gleichen Messungen wie früher erfolgen. Sodann wurde der Arcus ganz frei prä- parirt und die ligamentösen Fixationen am Beginne der Aorta descendens gelöst. In diesem weiter fortgeschrittenen Stadium der Entspannung werden die gleichen Durchströmungsversuche und Messungen wie bereits angegeben vorgenommen; endlich wurde das vollkommen herauspräparirte Gefäss, also das in seiner elastischen Gleichgewichtslage befindliche, unter den erwähnten gleichen Versuchsbedingungen einer neuerlichen Prüfung unterzogen. Eine ähnliche schrittweise Lösung der Fixationen wurde auch an der Aorta abdominalis geübt, indem zuerst bei vollkommener Belassung in situ, dann nach Durchtrennung der an der Theilungsstelle abgehenden Gefässe, hierauf nach Lösung der bindegewebigen Fixation an der Theilungsstelle und endlich nach dem Herausschneiden bei den entsprechenden Druckhöhen das Gefäss durchströmt und gemessen wurde. Als Beispiel eines derartigen Versuches sei der Fall VIII gewählt. Es handelt sich in dem gegebenen Beispiele um die Daten von der Aorta thoracalis eines erwachsenen, nicht zu alten Hundes (Tabelle IV). Dieses Beispiel, welches geradezu typisch genannt werden muss für den allgemeinen Charakter der sich unter der schrittweisen Lösung der Fixationen vollziehenden Veränderungen der Durchmesser und Längenwerthe bei den sonst gleichen Versuchsbedingungen, lässt folgendes Verhalten er- kennen. Unter dem Einflusse der sich verringernden Längs- spannung werden die procentuellen Zuwächse der Durchmesser bei den gleichen Drucken immer kleiner, während jene der Längen beständig wachsen, wenn wir als Ausgangspunkt zur Bestimmung der jeweiligen relativen Dehnungszuwüchse den Werth bei O-Druck in einem PHYsIoLoGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 125 jeden Stadium der erfolgten Entspannung annehmen. Bei dem stärksten Grade der Längsspannung, wie sie die in situ belassene Aorta aufweist, vollziehen sich unter dem Einflusse des dehnenden Druckes relativ grössere Dehnungen in der queren Richtung, als in der longitudinalen, während bei aufgehobener Längs- spannung die relativen Längenveränderungen jene der Durch- messer bei weitem überwiegen. Es zeigt sich, dass eine bestehende Längsspannung je nach ihrer Stärke von Bedeutung für die ge- stattete Dehnung in querer Richtung ist. Tabelle IV. u F | Zuwachs | a ‚des Durch-, Zuwachs 2 nmaole ° ers messers II. der Länge rn Proc ER Druck Durch- Ton dar. Proc. % von der | on der Fixation messer A . von der | Länge | Ausgangs- Ausgangs- | \ svangs- | ass Ausgangs- grösse | 5 grösse > grösse | 0 7-00 | _ = | 85-00 —_ _ vollkommen 50 13:00 | 6-00 85-71 35.00 0:00 0:00 170 14-00 7:00 100:00 |) 10000 15:00 17:65 | 0 8-50 | _ E= 78-00 _ _ Bogengefässe 50 | 13-33 | 4-83 56-82 85-00 7:00 8-97 | durchtrennt 170 13-75 5-25 61:77 98:50 20-50 25-64 0 1110-13 | - — 72-00 _ _ Freilegung 50 12-75 2-65 25-86 86.00 14:00 19.44 des Bogens 170 13-50 | 3-37 33-28 98-50 26:50 36:81 0 11:00 _ — 65-00 — — heraus- 50 |125| 1-3 15-91 87-00 | 22-00 33-85 | geschnitten 170 14-00 | 3:00 27.27 98-50 33-50 51.54 Die Tabelle IV zeigt aber auch eine andere höchst auffallende Eigen- thümlichkeit, indem die Durchmesser und Längenwerthe bei dem Drucke von 50"" Hg trotz der verschiedenen Grade der bestehenden Längsspan- nung nahezu die gleichen absoluten Werthe erreicht haben; ein Gleiches ist auch bei dem Drucke von 170" Hg der Fall. Die Diffe- renzen, welche bei diesen Drucken die einzelnen Werthe unter einander erkennen lassen, bewegen sich ganz innerhalb der Fehlergrenzen, die der geübten Messungsmethode anhaften, wie aus der folgenden Gruppirung der in Tabelle IV enthaltenen Zahlen mit aller Evidenz hervorgeht. 126 R. F. Fvers: Tabelle V. le: Sg | ® en | Se S \kehr =] ER nn | 7 2 En 0 2) | 7 = a SS an un 2 = |F33 1338| 3- | 24 |3590 3-4 | Su |s8S| Su | er 3 |.-3eE z So 8g SS. |Z 2o Sa Su A253 Sa Sa = Karel B.5 Se 33 © B.= Zs| 2s >= alas ehlisskelise SH ı'8 Ss> B- von =} > len! | .gseds& Ss Se Ba8| S Se ASE NS SE | AR = FR ie l > = a) Durchmesser. 0 || 7:-00| 8-50) 1-50| 21-43 | 10-13 3:13) 44-71 11-00 4-00| 57-14 50 || 13-00 |113:33| 0-33] 2-54 12-75 | — 0-25 — 1-92 | 12-75 |— 0-25 |— 1-92 170 || 14-00 | 13-75 |—0:25 |—1-64 | 13:50 |— 0:50 |)— 3-57 14-00 0-00 0-00 b) Länge. 0 85-00 | 78-00 — 7:00 1— 8-24 | 72-00 --13-00 —15-20 | 65-00 |— 20-00 | — 23-65 50 || 85-00 85:00 0-00 | 0-00 | 86-00 1:00 1-18 | 87-00 2-00 2-37 170 ||100-00 | 98-50 ı— 1-50 |—1.-50 | 98-50 )— 1-50 |— 1-50 | 98-50 |— 1-50 |— 1-50 Ich darf darum wohl mit gutem Rechte sagen, dass in unserem spe- ciellen Falle bei jenen wirksamen Druckwerthen, welche zwischen 50 wu Hg und 170”=m Hg liegen, der jeweilig verschiedene Grad der vorhandenen Längsspannung keinen sichtbaren Einfluss auf die zu eruirenden Maass- zahlen hatte. Die Tabellen IV und V zeigen aber auch, dass die Leichen- aorta in situ bereits bei O-Druck auf jene Länge gedehnt ist, welche ihr bei der Wirkung eines Druckes von 50" Hg zukommt, wenn dieser dehnende Druck auf das in seiner elastischen Gleichgewichtslage befindliche Gefäss einwirkt. Darum ist es auch vollkommen verständlich, dass bei der vollkommen fixirten Aorta unter der Einwirkung des Druckes von 50 wm Hg nur noch die in querer Richtung wirkende Componente der dehnenden Kraft nach aussen in Erscheinung tritt und sich als beträchtliche Durch- messerzunahme documentirt, während die Länge dieselbe geblieben ist. Wir hätten in unserem speciellen Falle in dem Drucke von 50 "" Hg ein Maass. für die der vollkommen fixirten Aorta bei O-Druck eigenen Längsspannung. Es lässt sich immer ein Druck finden, welcher der herausge- schnittenen Aorta jene Länge verleiht, welche die vollkommen fixirte bei O-Druck besitzt und unter dessen dehnender Kraft die Durchmesser in beiden Fällen für die freie und vollkommen fixirte Aorta die gleichen Grössen aufweisen. Ich schlage nun vor, diesen Druck als das Maass der jeweilige vorhandenen Längs- spannung anzusehen. In meinen Versuchen wechselte derselbe zwischen 50 und 90=m Hg für die Aorta thoracalis des Erwachsenen, so dass ich davon Abstand nehme, einen Mittelwerth zu statuiren. Dass sich für Druckwerthe, welche dem mittleren oder maximalen Blutdrucke entsprechen, gleiche Durchmesser- und Längenwerthe trotz der PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 127 verschiedenen Grade der vorhandenen Längsspannung an der Aorta thora- calis des Erwachsenen ergeben, ist ganz selbstredend. Da für das er- wachsene Thier derjenige Druck, welcher als Maass der Längs- spannung für die Aorta thoracalis angesehen wurde, immer unterhalb des mittleren Blutdruckes gelegen war, so gestattete meine Versuchsanordnung, auch den absoluten Werth der Längsspannung an der herausgeschnittenen Aorta thoracalis zu bestimmen, wenn das Gefäss in seinen elastischen Eigenschaften durch Fäulniss oder Behandlung mit chemisch wirksamen Agentien nicht verändert war. Ich will gleich hier noch hinzufügen, dass zum Zwecke der exacten Bestimmung der Längs- spannung eines Gefässes dasselbe sich nicht im Zustande der Todten- starre befinden darf, ein Punkt, auf welchen in einer später folgenden Mit- theilung noch näber einzugehen sein wird. Tabelle VI. Zuwachs | Zuwachs | Y h Zuwachs , |des Durch- des Durch- f Nr ° der Länge i messers |messers in| I. SZENEN Wan Proc: FR Druck) Durch- | yon der |Proec. vond.| 1; von der | yon der Fixation | | | Länge Ausgangs- , messer | Ausgangs- | Ausgangs- | SangSs- | Ausgangs- grösse grösse | BunERe grösse 0 4-60 | — — 63-50 _ _ vollkommen 50 | 5-50 0-90 19-52 || 63-50 0-00 0-00 fixirt 170 6-00 1:40 | 30-48 64:00 0:50 0:78 0 | 4-90 | EI —_ 59:00 —_ — Gefässe an der 50 | 5-90 | 1.00 20-41 || 60-00 1:00 1:69 nalunestele 170 ! 840 | 1-50 | 30-61 || 60-20 | 1-20 2-03 BuclizennN 0 || 5-10 | — — || 52-50 _., _ Theilungsstelle 50 | 6-00 0-90 19-61 | 52-00 | —0-50 | —0-95 freigelegt 170 6-60 1:50 29-41 || 55-30 2:80 5-33 0 6-00 — —_ 41-00 | — —_ heraus- 50 | 6-30 | 0-30 5-00 | 44-00 | 3-00 7-32 geschnitten 170 6-80 | 0-80 13-33 55-50 14:50 35-37 Dass die Längsspannung der Aorta des Erwachsenen unterhalb des mittleren Blutdruckes gelegen ist, gilt nicht für die ganze Aorta, son- dern nur für den thoracalen Abschnitt derselben, denn die Aorta abdo- minalis zeigt diesbezüglich ein wesentlich verschiedenes Verhalten. Zwar ist dieser Unterschied kein prineipiell qualitativer, sondern nur ein quantitativer, der sich kurz dahin präcisiren lässt, dass derjenige Druck, welcher als Maass für die Längsspannung der in situ befind- lichen Aorta abdominalis des Erwachsenen angesehen werden kann, hoch über dem maximalen Blutdrucke gelegen ist. Ich habe schon erwähnt, dass ich in meinen Versuchsreihen auch an der Aorta 128 R. F. Fucas: abdominalis durch schrittweise Lösung der Fixationen eine allmähliche Ver- minderung der Längsspannung hervorgebracht habe. Bei diesen verschie- denen Graden der bestehenden Längsspannung wurden nun ganz in Analogie mit den Dehnungsversuchen an der Aorta thoracalis auch an der Bauch- aorta die entsprechenden Durchströmungsversuche mit den nothwendigen Messungen vorgenommen. Die Tabelle VI soll den Verlauf eines der- artigen Versuches an der Aorta abdominalis illustriren. Es ist der Fall IX meiner diesbezüglichen Untersuchungsreihe, bei welchem ein vollkommen ausgewachsener, nicht zu alter Hund verwendet worden ist. Wir ersehen aus der Tabelle VI, dass gerade so, wie bei der Aorta thoracalis, mit der Entspannung eine Verminderung der relativen Durch- messerzuwüchse auftritt, welche mit einer Vergrösserung der procentuellen Längenzunahmen Hand in Hand geht, wenn wir als Ausgangspunkt zur Bestimmung der relativen Veränderungen die Werthe bei O-Druck unter einem gegebenen Grade der Längsspannung annehmen. Auch hier sind bei der bestehenden Längsspannung unter gleichen Druckwerthen die Durch- ınesserzunahmen viel grösser als jene der Längen, insofern dieselben über- haupt in Betracht gezogen zu werden verdienen, während nach der Auf- hebung der bestandenen Längsspannung die relativen Längenzunahmen jene der Durchmesser bei weitem überwiegen. In so weit finden wir im allge- meinen Charakter der stattgehabten relativen Veränderungen der Längen und Durchmesser bei der Entspannung eine vollkommene Analogie zwischen der thoracalen und abdominalen Aorta. Trotz dieser Ueberein- stimmung bestehen zwischen den beiden Fällen doch so bedeutende Diffe- renzen, dass wir über dieselben nicht ohne Weiteres hinweggehen können. Gruppiren wir die Zahlen der Tabelle VI in Analogie mit der Tabelle V, so werden diese Abweichungen der Aorta abdominalis von dem Verhalten der Aorta thoracalis um so prägnanter hervortreten. Tabelle VI. Ro Ss, Ss 38 S | S slesasesa &- 22655 3 | 28 5553| Elsssäess 28 | 83 l5m2 855 | g= Zoe Seirse Alaseee 8° | ae | een “" Fass se |” er S a) Durchmesser. 0| 4:60 4:90 0:30 | 6:52 5-10 0:40 8:70 | 6:00 1:40 | 30-43 50 5:50 5:90 0:40 7°:17| 6-00 0:50 9:10 | 6-30 0:80 14-55 170 6:00 6-40 0-40 6:67 | 6-60 0:60 10:00 | 6-80 0:80 13-33 b) Länge. 0| 63:50 | 59-00 |—4*50 |—7-09 | 52-50 |— 11-00 — 17-32 | 41-00 |—22-50 |—35 43 50 | 63-50 | 60-00 |—3-50 |—5-51 | 52-00 —11-50 — 18-11 | 44-00 |--19-50 |— 30-71 170 | 64:00 | 60:20 |—3:80 |—5:94 | 55:30 )— 8:70 |—12:03 | 55-50 I— 8-50 |—13-28 PHYsIoLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 129 _ In unserem Beispiele ist bei keinem der angewandten Drucke eine Congruenz der Längen und Durchmesser an der vollkommen fixirten und vollständig entspannten Aorta abdominalis zu er- mitteln, wie wir es bei der Aorta thoracalis unter den analogen Versuchs- bedingungen gesehen haben. Die Durchmesser sind in dem Versuchs- beispiele (Tabelle VI und VII) für alle Grade der theilweise bestehenden Längsspannung grösser, als jene bei vollkommener Fixation unter der Ein- wirkung der gleichen Druckhöhen, sie zeigen ihre grössten Werthe nach der vollständigen Entspannung des Gefässes, während die Läugenwerthe bei allen Graden der verminderten Längsspannung hinter jenen bei voll- kommener Fixation zurückstehen. Die herausgeschnittene Aorta ab- dominalis des Erwachsenen erreicht somit bei jenen Drucken, welche bis zum mittleren Blutdruck reichen, niemals jene Werthe für Durchmesser und Länge, welche dem in situ befind- lichen Gefässe unter O-Druck zukommen; somit besitzt die Aorta abdominalis des Erwachsenen einen bedeutend höheren Grad der Längsspannung, als die Aorta thoracalis. Bei ge- nauerem Studium des Verhaltens der Durchmesser in der Tabelle VI zeigt es sich, dass die relativen Zunahmen derselben bei den gleichen Drucken trotz der verschiedenen Grade der Längsspannung dieselben geblieben sind, denn die Differenzen liegen ganz innerhalb der Fehlergrenzen meiner Messung. Bei dem Drucke von 50"m Hg betrugen die relativen Durch- messerzunahmen in allen Stadien der noch vorhandenen Längsspannung 19.52, 20-41, 19.61 Procent, beim Drucke von 170mm Hg 3048, 30-61, 29.41 Procent. Auch die Tabelle VII zeigt gleichfalls, dass sich das rela- tive Dehnungsverhältniss nicht geändert hat, so lange noch die Längs- spannung besteht. Es hat sich z. B. der Durchmesser nach der Durch- trennung der von der Theilungsstelle abgehenden Gefässe bei O-Druck um 0-3mm, d. i. 6-52 Procent, vergrössert; wirken nun die Drucke von 50 und 170m Ho, dann betragen die Durchmesservergrösserungen 7-17 und 6-67 Procent. Die Differenzen dieser drei Procentwerthe unter einander liegen gleichfalls innerhalb der Fehlergrenzen der geübten Methode, kommen also nicht in Betracht. Erst mit der vollständigen Aufhebung der Längs- spannung tritt eine plötzliche Veränderung in dem Verhalten der relativen Durchmesserzuwüchse hervor, wie aus den Tabellen ersichtlich ist. Wenn wir das Verhalten der Längen analysiren, so finden wir, dass bei voll- kommener Fixation durch die angewandten Drucke eine Varia- tion derselben nicht herbeigeführt wird; während die quer Compo- nente sich doch nach aussen als wirksam erweist, ist die longitudinale Componente der dehnenden Drucke noch nicht in ihrer Wirkung in Er- scheinung getreten. Wir verringern nun die Längsspannung durch die Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 9 130 R. F. Fucns: Durehtrennung der an der Theilungsstelle abgehenden Gefässe; die Aorta abdominalis hat sich dabei um 4-5 "" oder 7-09 Procent retrahirt. Trotz dieser Verminderung der Längsspannung ist das Verhältniss der Wirksamkeit der beiden Componenten des dehnenden Druckes dasselbe geblieben. (Die verzeichneten Differenzen der Tabelle sind, als innerhalb der Fehlergrenze liegende, belanglos.) Es wird eine neuerliche Verminderung der Längs- spannung durch vollständige Freilesgung der Theilungsstelle, d. h. durch Lösung der daselbst vorhandenen bindegewebigen Fixationen vorgenommen. Die Längscomponente des Druckes von 50" reicht noch nicht hin, um eine sichtbare Verlängerung des Gefässes herbeizuführen; erst der Druck von 170m Hg bringt eine deutliche Wirkung der Längscomponente zur Anschauung. Die in diesem Stadium noch vorhandene Längsspannung ist bereits kleiner geworden als der wirkende Druck von 170"w Hg. Das Ver- halten der Durchmesser bringt diese Thatsache noch nicht so deutlich zum Ausdruck. Schliesslich wird die Aorta abdominalis in ihr elastisches Gleichgewicht gebracht, und nun wirken sowohl beim Drucke von 50 "= Hg, wie auch bei jenem von 170"m He beide Componenten in sichtbarer Weise nach aussen. Dabei zeigt es sich, dass der Druck von 170mm Hg die freie Aorta abdominalis gerade bis zu jener Länge ausdehnte, welche das Gefäss im letzten Stadium der Längsspannung unter der Wirkung des gleichen Druckes hatte. Auch die Durchmesser zeigen in den beiden Fällen eine vollkommene Uebereinstimmung. Die Längsspannung war im letzten Stadium ihrer Wirksamkeit nahe dem Druckwerthe von 170m gelegen. Wie bereits mehrfach erwähnt wurde, decken sich bei der freipräparirten Aorta abdominalis des Erwachsenen die Werthe für den Durchmesser und die Länge, welche bei Einwirkung eines Druckes von 170m Hg gemessen werden können, nicht mit jenen, welche das vollkommen fixirte Gefäss unter den gleichen Drucken besitzt. Die Längsspannung der vollkommen fixirten Bauchaorta des erwachsenen Versuchsthieres lag in meinen Versuchen weit über dem Druck von 170"m Hg. Den absoluten Werth dieser Längs- spannung konnte ich in meinen Versuchen nicht bestimmen, weil meine Versuchsanordnung nur die Erzeugung von Drucken bis zur Höhe von 200"m Hg gestattet. Aber auch bei diesem mir erreichbaren Drucke war es nicht möglich, die herausgeschnittene Aorta abdominalis des Er- wachsenen auf jene Länge zu dehnen, welche ihr bei intacten Fixationen zukommt. Die unzweifelhafte Thatsache, dass die Aorta abdominalis des Er- wachsenen eine weit grössere Längsspannung besitzt, als die Aorta thora- calis, lässt sich auch noch auf einem anderen Wege zur Anschauung bringen. Wir brauchen zu diesem Zwecke nur die procentuellen Ver- kürzungen der beiden Aortenabschnitte zu vergleichen, welche dieselben PHYsIoLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES 131 erkennen lassen, sobald sie aus der Lage in situ in ihre elastische Gleich- gewichtslage zurückkehren; denn das stärker gespannte Gefäss muss eine grössere procentuelle Verkürzung als das minder gespannte erfahren, sobald die dehnenden Kräfte in Wegfall kommen, Dass wir zu einem derartigen Vergleiche nur die Maasse der Gefässabschnitte von ein und demselben Thiere verwenden können, ist ganz selbstverständlich, ebenso kann nur ein Vergleich zwischen dem Verhalten bei vollkommener Fixation und vollständig aufgehobener Längsspannung, also der elastischen Gleich- gewichtslage, in beiden Fällen "gestattet sein. Die dazwischen liegenden Stufen der schrittweisen Entspannung, wie sie durch die Lösung der binde- gewebigen Fixationen und Durechtrennung der abgehenden Gefässe sowohl an der Aorta thoracalis, als auch an der Bauchaorta erzeugt werden, sind für die beiden Gefässabschnitte vollkommen incomparabel, denn die so er- folgende Entspannung ist in den beiden Fällen durchaus keine gleich- werthige zu nennen, da die Verminderung der Längsspannung ganz will- kürlich vorgenommen worden ist. Dagegen ist der Vergleich der beiden Endglieder unserer Versuchsreihen an den beiden Gefässabschnitten ohne Weiteres als zulässig zu bezeichnen. In der Tabelle VIII will ich eine vergleichende Zusammenstellung der Retractionen der Brust- und Bauch- aorta des Erwachsenen geben, wenn dieselben vollkommen entspannt und in beiden Fällen die entsprechenden Längen bei O-Druck gemessen werden. Tabelle VII. 44:10 Länge der = IR Aorta thoracalis | Aorta abdominalis ar Es | ;: Da | iv. | v. vI. | vi | van |2g 68° B Beivoll'Nachid.|' Ver- | Ver- ||Beivoll:|Naoh d.| Ver | Verk. le rleAs komm. | Heraus- kürzung kürz.v.I| komm. | Heraus- kürzung| von V =5 R= u Fixat. schneid. von I ‚in Proe. | Fixat. schneid.| von V in Proc. || A> re | | | | VII || 85-00 | 65-00 | 20-00 | 23-65 ı 72-00 | 42-50 | 29-50 | 40-97 ||17-32 | 73-23 IX | 82-00 | 62-50 | 19-50 | 23-78 | 63-50 | 41-00 | 22-50 | 35-43 ||11-65 | 48-99 X 73-00. 57-00 | 16-00 , 21-92 | 60-00 | 36-00 | 24-00 40-00 ‚18-08 82-48 XI 74-00 | 56-40 | 18-30 | 24-50 | 61-16 | 34-90 | 26-26 | 42-94 | 18-44 75-27 XV | 98-40 | 77-60 | 20-80 | 21-14 || 72-50 | 47-60 | 24-90 | 34-35 | 13-21 | 62-49 | | XX 110-80 | 82-10 | 28-70 | 25-90 | 67-00 | | | 22-90 | 34-19 | 8-29 | 32-01 Entsprechend der starken procentuellen Verkürzung der Aorta abdominalis nach dem Herausschneiden, welche jene der thora- calen Aorta so bedeutend überwiegt, wie die wenigen angeführten Beispiele in Tabelle VIII zur Genüge darthun, muss sich auch eine ent- 9* 132 R. F. Fucas: sprechende Differenz in den Durchmesserzunahmen nach dem Herausschneiden finden lassen. Da die procentuelle Durchmesser- zunahme nach dem Herausschneiden des Gefässes bei O-Druck um so grösser ausfallen wird, je stärker das Gefäss längsgespannt war, so ist auch zu erwarten, dass die Aorta abdominalis nach dem Herausschneiden eine grössere procentuelle Durchmesserzunahme wird erkennen lassen, als die Aorta thoracalis. Dass dem wirklich so ist, lehrt die Tabelle IX, in welcher das Verhalten der Durchmesserzunahmen der beiden Aortenabschnitte für einige Fälle zahlenmässig zum Ausdrucke gelangt ist. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass ich einmal Gelegenheit hatte, ein gerade umge- kehrtes Verhalten der Durchmesserzunahme zu beobachten, indem der Zu- wachs des Durchmessers nach dem Herausschneiden bei der Aorta abdo- minalis nur 16 Procent betragen hatte, während an der Aorta thoracalis 57.14 Procent constatirt wurden, obgleich die Längenabnahmen für die beiden Gefässabschnitte sich ganz dem typischen Verhalten anschlossen. Eine Erklärung dieser wie gesagt ganz vereinzelt dastehenden Abweichung von der Norm vermag ich leider nicht zu geben. Tabelle IX. Durchmesser der = ESS Aorta thoracalis Aorta abdominalis ee S9a n Be Oo le m. | DE | m. || ws VE. |, von | vmalesfe Ei Beivoll-Nach d. Zu- Zuw. |IBeivoll-/Nach d. Zu- | Zuw. | Ze S komm. |Heraus- wachs | von I | komm. Heraus- wachs | von V es R gm Fixat. |schneid. von I iin Proc.|| Fixat. schneid. von V |in Proc.) A © = IX | 7:30 | 8:30 1:00 . 13.70 | 4:60 6-00 | 1.40 | 23-33 | 9:63 | 71-02 X | 6-80 | 8-00 1:20 | 17-65 || 4-00 5.50 1:50 | 37:50 || 19-85 1112-46 XI || 6-72 8-00 1-28 | 19-05 || 3-38 5-30 | 1-92 | 56-83 137.78 1198-32 XV | 6-98 8:10 1-12 | 16-05 || 4-54 6-30 | 1.76 | 38-77 || 22-72 1141-62 XX || 7-93 8:86 0:93 11-737 483 6-16 | 1:33 | 27-54 15-81 1134-78 Jedenfalls muss es als ein ganz eigenartiges Phänomen erscheinen, dass das arterielle Hauptgefäss des Körpers in seinen beiden Abschnitten eine so grosse Differenz bezüglich seiner Längsspannung aufweist. Dass dieser Unterschied kein zufälliger sein kann, beweist die Constanz seines Vor- kommens, und gerade deshalb muss man bestrebt sein, die Ursachen für dieses Verhalten kennen zu lernen. Iu erster Linie fordert die Frage, auf welche Weise entsteht die Längsspannung der Aorta? im Allge- meinen eine Beantwortung, bevor wir auf den Unterschied in der Längs- spannung der einzelnen Abschnitte näher eingehen können. An einer PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 133 früheren Stelle unserer Betrachtungen wurde erwähnt, dass die Aorta an bestimmten Stellen durch wohlcharakterisirte bindegewebig-ligamentöse Befestigungen an der Wirbelunterlage festgelöthet ist. Wenn wir nun annehmen, von irgend einem Zeitpunkte der Entwickelung an, wo sich diese Befestigungen ausgebildet haben, wachse die Aorta aus irgend einem Grunde langsamer als ihre Wirbelunterlage, dann muss sich als Folge dieses Verhaltens eine allmählich stärker werdende Längsspannung des (Grefässes einstellen, weil mit dem fortschreitenden Wirbelwachsthum die Fixationspunkte immer weiter und weiter aus einander rücken, ohne dass die Aorta in ihrem Wachsthum mit demjenigen der Wirbelsäule gleichen Schritt halten kann. Auf diese Weise wird die Aorta allmählich immer stärker längsgespannt. Wir könnten uns den Vorgang sehr gut unter einem Bilde veranschaulichen, wenn wir z. B. annehmen würden, dass das Wachsthum der Aorta in arithmetischer Progression sich entwickele, während jenes der Wirbelsäule nach den Gesetzen der geometrischen Progression vor sich gehen würde. Damit soll natürlich keineswegs gesagt werden, dass diese beiden mathematischen Formeln in Wirklichkeit als Ausdruck für die Wachsthumsvorgänge betrachtet werden sollen. Schwalbe war bezüglich der Aorta auf einem ganz anderen Wege, als es der meinige war, zu dem gleichen Resultate gelangt, indem er die eigenartig fächerförmige An- ordnung der parietalen Aortenäste einer genauen Analyse unterzogen hatte. Roux hatte die Gesetze der Verzweigung des Blutgefässsystemes eingehend untersucht und war auf Grund seiner umfangreichen Beobach- tungen und Experimente unter Anderem auch zu dem Resultate gelangt, dass an einem durchströmten Rohre, welches aus einem für die wirk- samen hydrodynamischen Kräfte bildsamen Materiale besteht, ein recht- winkliger oder gar stampfwinkliger Astursprung, wie er bei den zahlreichen Arteriae recurrentes vorhanden ist, aus hydrodynamischen Ursachen allein nicht vorkommen kann, selbst dann nicht, wenn wir den stärksten Druck zur Anwendung bringen. Im Anschluss an Roux’ Arbeit hat Schwalbe diese Ausnahmen von den Roux’schen Regeln einer genauen Untersuchung unterzogen, und er erklärte diese Abweichungen durch das Princip der Wachsthumsverschiebungen. Solche Wachs- thumsverschiebungen können auf mehrfache Weise zu Stande kommen;,- immer aber sind sie durch eine Differenz des Eigenwachsthums des Gefässes und seiner Unterlage wesentlich bedingt. An den Lumbal- arterien fand nun Schwalbe, dass der Ursprungswinkel der obersten Arteria intercostalis ein stumpfer ist, dessen Grösse sich an den folgenden Gefässen immer mehr verkleinert, so dass die Zweige von der vierten Inter- costalarterie bis zu den oberen Lumbalarterien einen rechtwinkligen Ursprung aufweisen, der an den untersten Lumbalarterien in einen spitzwinkligen sich 134 R. F. Fucas: verwandelt. Namentlich bei Kindern überwiegt der geschilderte fächer- förmige Verlauf der Intercostal- und Lumbalarterien, während beim Er- wachsenen der Typus mit horizontaler, oder auch aufsteigender Lumbal- arterie der herrschendere ist. Bei jüngeren Föten zeigt aber auch die oberste Intercostalarterie einen horizontalen Verlauf, ein Verhalten, welches weder beim Kinde, noch beim Erwachsenen jemals beob- achtet werden konnte. Bei der Erklärung dieser Befunde sagt Schwalbe, dass die Aorta in der Zeit von der 11. Woche des intrauterinen Lebens bis zur 20. Woche nach der Geburt langsamer wächst als die Wirbelsäule, so dass am Ende dieser Periode die Aorta eine relativ kleinere Strecke der vorderen Fläche der Wirbelsäule bedeckt, als in früherer embryonaler Zeit. Schwalbe hatte nämlich auch die Lage des Aortenbogens und diejenige der Theilungsstelle der Aorta zur Wirbelsäule bestimmt, worauf sich der letzte Theil des oben angeführten Citates bezieht. Durch die Annahme der verschiedenen Wachsthumsenergie zwischen Aorta und Wirbelunterlage ist die Frage nach der Entstehung der Längs- spannung der Aorta im Allgemeinen gelöst, so dass es nunmehr nur noch erübrigt, die grosse Differenz zwischen der Längsspannung der thoracalen und abdominalen Aorta zu erklären. Wir hatten bei der Beschreibung der ligamentösen Aortenfixationen besonders die sehr kräftigen Ligamenta phrenico-aortica hervorgehoben, durch welche die Aorta ungefähr in ihrer Mitte an der Wirbelsäule festgelöthet wird. Nachdem das Diaphragma seinen definitiven Stand zur Wirbelsäule erreicht hat, wird die Aorta in ihre beiden Abschnitte getheilt, welche sich also cranial- und caudalwärts von dieser Fixation erstrecken. Da nun ein jeder der beiden Aortentheile durch die abgehenden Gefässe und weiteren bindegewebigen Fixationen bestimmte Haltpunkte erlangt hat, so wird im folgenden Verlaufe der Wachsthumsperiode ein jeder der beiden Aortenabschnitte das Schicksal seiner Wirbelunterlage theilen müssen. Einer der auf- fallendsten Unterschiede, den die obere und untere Körperhälfte im Laufe der Wachsthumsperiode aufweisen, ist die Veränderung ihres gegenseitigen Grössenverhältnisses. Zur Zeit der Geburt ist die obere Körperhälfte mächtiger entwickelt als die untere. In der Zeit nach der Geburt überwiegt aber das Wachsthum der unteren Körperhälfte das- jenige der oberen in beträchtlich hohem Grade; dieses vermehrte Wachs- thum erstreckt sich aber nicht in gleicher Weise auf die Gewebe und Organabschnitte, welche im Bereiche dieses Körperabschnittes liegen. In erster Linie sind es die Wirbel, welche an diesem gesteigerten Wachsthum besonders participiren, während andere Organe keine gleichwerthige Ver- mehrung ihres Eigenwachsthumes aufzuweisen haben, wie es z. B. beim Rückenmarke der Fall ist, wodurch die anatomischen Verhältnisse, wie sie PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 135 sich beim Erwachsenen vorfinden, verständlich werden. Ein ganz analoges Verhältniss, wie es zwischen Wirbelsäulenwachsthum und dem- jenigen des Rückenmarkes besteht, muss auch zwischen dem Eigenwachsthum der Bauchaorta und seiner Unterlage Platz gegriffen haben. Nur so lässt es sich verstehen, warum die Aorta abdo- minalis viel stärker gespannt ist, als die Aorta thoracica. Demgemäss ist die Differenz in der Längsspannung der beiden Aortenabschnitte erst durch die postembryonalen Wachsthumsvorgänge entstan- den. Im diesem Stadium reicht das Eigenwachsthum der Bauchaorta und die Verlängerung des Gefässes, welche durch die dehnende Kraft des vitalen Blutdruckes hervorgebracht wird, nicht mehr aus, dem Gefässe jene Länge zu geben, welche durch den Abstand der Fixationspunkte gefordert wird. Während bei der Aorta thoracalis das Eigenwachsthum zwar auch hinter jenem der Wirbelsäule zurückgeblieben ist, so ist doch die Verlängerung des Gefässes durch die Wirkung des vitalen Blutdruckes eine so grosse, dass sie hirreicht, die Wachsthumsdifferenz mehr als überreichlich zu com- pensiren. Wenn der von mir gegebene Erklärungsversuch, dass die Differenzen in der Längsspannung für die beiden Aortenabschnitte lediglich durch den postembryonalen Wachsthumsprocess bedingt seien, richtig ist, dann durfte am Neugeborenen ein derartig verschiedenes Verhalten der beiden Aortenabschnitte in Bezug auf ihre Längsspannung nicht vorhanden sein, wie es beim Erwachsenen mit vollkommener Constanz angetroffen wird. Zur Entscheidung dieser Frage wurde eine Anzahl von Thieren unmittelbar post partum und in den ersten Lebenstagen diesbezüglich untersucht. Bei diesen Versuchen wurde zuerst der Blutdruck in einer Carotis gemessen. Hierauf wurde das Thier durch Anlegung eines doppelseitigen Pneumo- thorax getödtet und die Aorta unter sorgfältiger Schonung der Fixationen in der angegebenen Weise zur Messung in situ freigelegt. Die Zufluss- canüle wird in den Ursprung der Aorta ascendens eingebunden. Ist Alles so weit vorbereitet, so wird zuerst eine Messung der Durchmesser und Längen der analogen Gefässstrecken wie am Erwachsenen unter der Durch- strömung bei O-Druck vorgenommen. Sodann wird der Druck der durch- strömenden Kochsalzlösung auf die Höhe des im Leben constatirten mitt-- leren Blutdruckes gesteigert, um neuerlich die entsprechenden Messungen auszuführen. Nun wird die ganze Aorta aus dem Körper herauspräparirt und auf die befeuchtete Glasplatte gelegt, um wiederum bei O-Druck und dem in vivo constatirten Blutdrucke gedehnt und gemessen zu werden. In der Tabelle X ist ein derartiger Versuch von einem 4 Tage alten Hünd- chen, Nr. XIX meiner diesbezüglichen Versuchsreihe, zur Anschauung ge- bracht. 136 R. F. Fucas: Tabelle X. i | Zuwachs | Zuwachs | EEE Zuwachs || des Durch-|des Durch- “UWa@ | der Länge || I || der Länge | | $ messers | messers in| II. on = | in Proc. |\ " Druck | Dureh- | yon der |Proc.von d.| Länge A en © g. „von der Fixation | messel | Ausgangs- | Ausgangs- | = Bee “ Ausgangs- grösse grösse | a nleroes a) Aorta thoracalis. 0 || 3-00 _ — | 30-75 —_ | _ vollkommen 16 | 4-30 | .1-30 43-33 | 37.00 | 6-25 20.322 | fixirt 0 aa lee — | herans- 76 || 4-40 0-62 16-40 | 36-67 9-34 | 34-18 | geschnitten b) Aorta abdominalis. 0 || 2-35 — — 19.00 | = vollkommen 716 | 2-75 0-40 17-02 || 21-00 | 2-00 10-58 fixirt 0 2-70 — _ 17-00 _ -- heraus- 76 || 2-80 0-10 3.70 || 21-00 | 4-00 23-53 geschnitten Aus dieser Zusammenstellung lässt sich folgendes Verhalten für die Aorta des Neugeborenen ableiten. Die Aorta abdominalis und thoracalis sind in situ bei O-Druck über ihre elastische Gleich- gewichtsfigur ausgedehnt, denn beide Gefässabschnitte ziehen sich nach dem Herausschneiden aus dem Körper unter einer gleichzeitig erfolgenden Durchmesserzunahme zusammen. Ein Druck von der Höhe des mitt- leren vitalen Blutdruckes bringt sowohl an der Aorta thoracalis, als auch an der Bauchaorta eine Vermehrung der Durchmesser- und Längenwerthe gegenüber jenen bei 0-Druck in situ gemes- senen hervor. Es liegt somit die Längsspannung der beiden Aortenabschnitte unter der Höhe des vitalen mittleren Blut- druckes. Demzufolge erklärt sich auch das auffallende Phänomen, dass die aus dem Körper herausgeschnittene Aorta in beiden Abschnitten unter der Wirkung eines dem mittleren Blutdrucke gleichen Druckes dieselben Längen- und Durchmesserwerthe erreicht, wie die in situ belassene, wofern die letztere der gleichgrossen dehnenden Kraft ausgesetzt war. Um so deutlicher kommt dieses Verhalten durch die Gruppirung in der Tabelle XI zum Ausdrucke. Tabelle XI. ERS TG LEER ANNELIERSNEVE GH | Durch- Dee Zu- Au | Länge Länge Zu- an | Druck | messer 'nach dem wachs | Y° \ bei voll- nach dem wachs ee IT Gefäss bei vollk. Heraus- | von I. Proc, Kommen. Heraus- von HE De ||Fixation | schneid.| | "|| Fixation| schneid. | ie ge Di N) 3-00 3.78 | 0-78 | 26-00 || 30-75 | 27-33 | 3-32 |—-10-79 || Aorta 716 || 4-30 | 4-40 | 0-10 | 2-38 || 37-00 Le thorae. 0-33 |— 0.89 36-67 | | | 0 2-35 | 2-70 0-35 | 14-89 | 19-00 | 17-00 | —2-00 |—10-53 || Aorta 16 || 2-75 | 2-80 0:00 0-00 ) abdom. 0-05 1-82 | 21-00 | 21-00 PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 1837 Aus der letzteren Zusammenstellung geht übrigens auch hervor, dass die beiden Aortenabschnitte die gleiche procentische Verkürzung nach dem Herausschneiden aufwiesen, ein Verhalten, das am Neugeborenen nahezu regelmässig zu beobachten war. Die Längsspannung der beiden Aorten- abschnitte ist beim Neugeborenen die gleiche oder wenigstens nahezu die gleiche; es besteht somit für die ganze Aorta des Neugeborenen bezüglich der Längsspannung ein Zustand, wie er später beim Erwachsenen nur au der Aorta thoracalis noch vorhanden ist. Ich glaube, dass das angeführte Beispiel die Richtigkeit meiner Erklärungshypothese für das differente Verhalten der Längsspannung an den beiden Aortenabschnitten des Er- wachsenen genügend beweist. Denn bis zur Zeit der Geburt haben wir ein in beiden Theilen gleichmässig gespanntes Aortenrohr vor uns, dessen Spannung sich im weiteren Verlaufe des Wachsthums gerade so ändert, wie das Wachsthumsverhältniss zwischen oberer und unterer Körper- hälfte. Wir sind mit diesen Erörterungen bereits auf einen Vergleich der Längsspannung der Aorta des Neugeborenen mit jener des Erwachsenen eingegangen. Mit dem soeben ausführlich beschriebenen Verhalten sind aber die Diiferenzen zwischen den beiden Fällen noch nicht erschöpft, es muss vielmehr zu dem Gesagten noch besonders hinzugefügt werden, dass die Aorta des Neugeborenen viel weniger längsgespannt ist, als die Aorta thoracalis des Erwachsenen. Zur Vergleichung des vorhandenen Grades der Längsspannung können wir, wie früher betont wurde, die relativen Verkürzungen der Gefässe nach ihrer Entspannung in Rechnung ziehen. In der Tabelle VIII hatte ich einige Beispiele der pro- centuellen Retractionen der beiden Aortenabschnitte für den Erwachsenen mitgetheilt. In allen meinen diesbezüglichen Versuchen lag die relative Verkürzung der Aorta thoracalis nach dem Herausschneiden über 20 Pro- cent von der Länge bei vollkommener Fixation und O-Druck, während bei der Aorta abdominalis die procentuelle Retraction unter den gleichen Be- dingungen immer über 30 Procent ausmachte. Die Retraction der Aorta des Neugeborenen schwankte immer nur wenig um 10 Procent und betrug bei einem 7 Tage alten Hunde nur 14 Procent. Wenn wir das relative Verhältniss der Längsspannung der Aorta des Neugeborenen, der Aorta thoracalis und abdominalis des Erwachsenen zu einander ausdrücken wollen, so erhalten wir für die drei Intensitäten in der angeführten Reihenfolge der Gefässe folgendes Verhältniss, wenn wir die Längsspannung der Aorta des Neugeborenen als Einheit ansetzen: die Längsspannungen verhalten sich wie 1:2:3. Das heisst nun in Worten: die Aorta wächst bis zur Zeit der Geburt langsamer als ihre Wirbelunterlage, aber diese Wachsthums- differenz zwischen den beiden bleibt für die weitere Wachsthums- 138 R. F. Fucas: periode keine constante, sondern sie wird stetig grösser. Gerade dieser Punkt scheint mir den Schlüssel dafür zu geben, warum die Aorta überhaupt langsamer wächst als ihre Unterlage. Bevor wir jedoch in die Discussion dieser Frage eingehen, möchte ich vorerst noch eine andere Frage zu beantworten versuchen, nämlich wie verhalten sich die übrigen arteriellen Gefässe bezüglich ihrer Längsspannung? Nachdem die Untersuchungen an der Aorta gezeigt hatten, dass die Längsspannung das Resultat der Wachsthums- differenz des Gefässes und seiner Unterlage sei, war auch anzunehmen, dass sich analoges Verhalten nicht nur für die übrigen arteriellen Gefässe, sondern .auch für das gesammte Blutgefässsystem überhaupt würde nachweisen lassen. Zu diesem Zwecke wurde zunächst die Arteria carotis communis und die Arteria femoralis in den Kreis der Untersuchung einbezogen. Es wird die Arteria carotis communis in der bereits ange- gebenen Weise am erwachsenen Thiere bei normalem Blutdrucke bezüglich Länge und Durchmesser gemessen. Unmittelbar post mortem wird eine Durchströmung des Gefässes bei O-Druck in situ mit den entsprechenden Messungen vorgenommen, um dann den Druck auf die Höhe des zuvor constatirten mittleren Blutdruckes zu steigern. Sind die nöthigen Messungen beendet, so wird das Gefäss herausgeschnitten und unter den analogen Ver- suchsvariationen, wie früher in situ, gemessen. Auch an der Carotis des Erwachsenen zeigte sich eine vollkommene Analogie mit dem Ver- halten der Aorta. Nach dem Herausschneiden verkürzte die Carotis ihre Länge unter gleichzeitiger Zunahme des Durchmessers. Die Druckversuche am herausgeschnittenen Gefässe lehrten, dass dasselbe durch einen dem mittleren Blutdruck entsprechenden Druck nicht mehr auf jene Länge ge- dehnt wurde, welche es in situ unter dem gleichen Drucke besessen hatte, fast immer war eine mässige Differenz vorhanden. Allerdings kann es auch ab und zu einmal, aber immerhin seltener, vorkommen, dass für die beiden Modificationen, vollkommene und aufgehobene Längsspannung, eine complette Congruenz der Durchmesser und Längenwerthe für die Drucke von der Höhe des mittleren Blutdruckes auftritt. Wir müssen demnach sagen, dass die Arteria carotis communis bezüglich ihrer Längsspannung hart an der Grenze des mittleren Blutdruckes steht. Die Beob- achtung lehrt, dass bei vollkommen ausgewachsenen Thieren hier sehr be- deutende Variationen vorkommen können, indem z. B. das eine Mal die Carotis in situ bei der Wirkung eines Druckes von der Höhe des mittleren Blutdruckes gegenüber der Länge bei O-Druck eine Verlängerung zeigte, während ein anderes Mal die Längenwerthe jene bei 0-Druck nicht über- PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 199 schritten. Dementsprechend erreichte die herausgeschnittene Aorta unter dem Einflusse des mittleren Blutdruckes manchmal die Längen, welche das in situ belassene Gefäss bei O-Druck aufwies, in anderen Fällen bestand auch zwischen diesen beiden Längen noch eine Differenz. Die Längs- spannung der ÖCarotis würde somit ein Verhalten zeitigen, wel- ches zwischen jenem der Aorta thoracalis und abdominalis steht. Dabei muss aber erwähnt werden, dass ein so niedriger Druck, wie er für die Aorta thoracalis als Maass der Längsspannung gefunden werden konnte, für die Carotis des Erwachsenen sich absolut nicht-ermitteln lässt. Dieser Druck war, wenn sich für die Carotis eine absolute Bestimmung der Längs- spannung vornehmen liess, immer nahe dem mittleren Blutdruck gelegen. Daraus ergiebt sich wiederum, dass die Carotis jedenfalls stärker längs- gespannt ist als die Aorta thoracalis.. Im Vergleiche zur Längsspannung der Aorta abdominalis kann die Carotis hinter der ersteren zurückstehen, aber es kann auch vorkommen, dass die beiden Gefässe eine gleichstarke Längsspannung aufweisen, ja die Carotis kann gelegentlich eine grössere Länesspannung besitzen als die Aorta abdominalis. Hier variren die Ver- hältnisse bei den einzelnen Versuchsthieren in sehr grossen Breiten, was uns geradezu als selbstverständlich erscheinen muss, wenn wir bedenken, dass die verschiedenen Hunderassen so verschieden lange Hälse besitzen; und es zeigte sich auch in der That, dass bei den langhalsigen Ver- suchsthieren immer die stärkere Längsspannung mit all’ ihren charak- teristischen Eigenthümlichkeiten zu finden war. Als Beispiel für das Ver- halten der Carotis sei der Fall XX von einem Hunde mit mittelgrossem Halse angeführt. : Tabelle XI. Zuwachs | n | (man eur | zuane | Zuwachs, a ee messers | ]f, | der Länge rn Pin | Druck | Durch- Bu der | ja Proe. |. on der \ Fixation messer Ausgangs- ders, kane2 | Ausgangs: Ausgangs- 5 srögse Ausgangs-| grösse grösse | = grösse 0 || 2-28 — — | 38-60 = —_ vollkommen 120 | 3-50 1-22 53-51 | 39-50 | 0-90 2.38 fixirt 0 3-30 — _ 26-00 | _ | — | heraus- 120, 4-00 0-70 21-21 38-20 | 12-20 | 46-92 | geschnitten Wenn wir diese Zahlen in Analogie mit den früheren Tabellen grup- piren, so wird das oben Gesagte um so deutlicher hervortreten. 140 R. F. Fuchs: Tabelle XIII. 1 BORA ERBEN 1 ERTORR | R 5 ® | | ID! IV. I Duck u end Zul] änge | Länge | Zuwachs “21.1, mmesseii messen Irkr wachs | , ER Zuwachs Druck || yei voll- [nach dem [BEE | von I || be en nach dem | on 1ır, ueralll a RODERE kommener Heraus- in Proc. hEk || Fixation schneiden | MR | Fixation | schneid. u ı_ — — U _ — - 07 ERDE U 3330 | 1:02 | 44-74 | 35-60 | 26-00 — 12:60 | —32-63 120 | 3-50 4-00 | 0-50 | 14-29 | 39-50 | 88-20 | 1-30 |— 3-29 In dem gegebenen Falle war für die Länge im herausgeschnittenen vollkommen fixirten Zustande nahezu Congruenz erzielt worden, wenn der Druck von 120”"" Hg wirkte, während die Durchmesser noch immer eine nicht zu vernachlässigende Differenz aufwiesen. Die Längsspannung musste darum in unserem Falle etwas über dem Drucke von 120Wm Hg ge- legen sein. Untersuchen wir die Arteria femoralis nach den gleichen Gesichts- punkten, so finden wir ein ganz ähnliches Verhalten, wie bei der Arteria carotis communis; der einzige Unterschied, welcher in diesem Falle existirt, ist der, dass die Längsspannung der Arteria femoralis diejenige der Carotis erheblich übertrifft, sie war auch beträchtlich grösser als jene der Aorta abdominalis In meinen Versuchen war die Ar- teria femoralis das stärkst gespannte unter den untersuchten Ge- fässen. Ich will allerdings hier bemerken, dass dieses Verhalten streng senommen nur für jene Fälle Geltung haben kann, wenn das Versuchsthier wie in meinen Experimenten mit vollkommen gestrecktem Ober- und Unter- schenkel aufgebunden war. Die Art und Weise des Aufbindens des Thieres auf das Operationsbrett ist selbstredend im Stande, erhebliche Variationen der Längsspannung herbeizuführen. Um zu halbwegs brauchbaren Ver- gleichswerthen zu gelangen, ist es unbedingt nöthig, eine typische Stellung des Thieres zu wählen, welche man in den einzelnen Versuchen immer leicht in der ähnlichen Weise wieder finden wird. Ich habe in meinen Versuchen auch für den Hals die mögliche Streckung vorgenommen, welche das Thier im Leben ohne Schädigung ertragen kann; eine vollkommene Uebereinstimmung der Längsspannungen kann natürlich auch hier von Fall zu Fall nicht erzielt werden; wir können nur die entstehenden Fehler nach Möglichkeit verkleinern und so Vergleichswerthe ermitteln. Wir finden bei diesen Streckstellungen zwischen Carotis und Femoralis bezüglich ihrer Längs- spannung ein Ähnliches Verhältniss, wie zwischen Aorta thoracalis und ab- dominalis, indem auch das der oberen Körperoberhälfte zugehörige Gefäss weniger längsgespannt erscheint, als das zur unteren Körperhälfte gehörige. Nehmen wir die relativen Retractionen der Gefässe nach ihrem Heraus- PaYsIoLoGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 141 schneiden als ein Criterium für den bestandenen Grad der Längsspannung an, so ergaben sich in dem angeführten Versuche folgende procentuelle Verkürzungen für die einzelnen Gefässabschnitte: Aorta thoracalis . . 2.2. .2...25-90 Procent Arteria carotis communis . . .„. 32:63 „ Aorta abdominalis © © » 2. .....83419 „ Arteria femoralis . » 2 2... .42:.00 „ In einem anderen Versuche (Nr. XV) waren die relativen Verkürzungen folgende: Aorta thoracalis . .» » 2. ....21-14 Procent Aorta abdominalis. . 2. 2.2... 834835 „ Arteria carotis communis . . . 43-75 „ Arteria femorals . . » .2....46-60 „ Für die Arteria femoralis habe ich in meinen Versuchen stets die höchsten Werthe der Retraction erhalten, während die Carotis zwischen dem zweiten und dritten Platze wechselte, wenn wir die Gefässe des Erwachsenen in eine Reihe mit steigender Längsspannung ordneten. An erster Stelle blieb immer die Aorta thoraecica. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, dass beim Neugeborenen die Längsspannung der beiden Arterien noch weit unterhalb der Höhe des mittleren Blutdruckes gelegen ist. Die Arteria carotis und femoralis werden am Neugeborenen durch den mittleren Blutdruck sowohl in situ, als auch nach dem Herausschneiden auf die gleichen Längen und Durchmesserwerthe gedehnt, gerade so, wie es bei der Aorta des Neu- geborenen der Fall war. Es ist auch bei diesen (Grefässen die Wachsthums- differenz zwischen dem Eigenwachsthum und jenem der Unterlage im Zeitpunkte der Geburt deutlich ausgeprägt, aber sie ist nicht im Entfern- testen von jener Grösse, zu welcher sie sich im Verlaufe der postembryo- nalen Wachsthumsperiode allmählich heranbildet. Die Tabelle XIV illustrirt den Fall XXI meiner Versuchsreihe. Es handelt sich um einen jungen, etwa 3 bis 5 Tage alten Hund. i Wie aus Tabelle XIV ersichtlich ist, bringt der mittlere Blutdruck an dem in situ belassenen Gefässe eine sehr beträchtliche Verlängerung hervor. Wie stark der mittlere Blutdruck die Carotis über die Entfernung ihrer Fixationspunkte verlängert, kann auch daraus ersehen werden, dass es mir regelmässig gelang, das freigelegte Gefäss auf den unterliegenden Muskeln in stark gekrümmten Bogen zu legen, ohne dass sich das Gefäss von selbst wieder gestreckt hätte. An dem bogenförmig gelagerten Gefässe konnte man deutlich ein Oscilliren mit dem Pulse wahrnehmen. 142 R. F. Fucas: Tabelle XIV. | Zuwachs | Zuwachs | | h Zuwachs | , ‚des Durch- |des Durch- | Zuwachs | der Länge messers | messersin' II. ı der Länge jn Proc. ; Druck | Durch- | von der Proc. von d. 7; von der | yon der Fixation | | messer | Ausganos- Ausgangs- Wange | Ausgangs- | Ausgangs- | | grösse grösse 3” Össe | grösse a) Be oe eommunis. 0 1.78 - — I 7-90 — —_ | vollkommen 70 |) 2-18 | 0-40 22.47 | 9.80 1.90 | 24-05 | fixirt 0 || 2-10 — — | 6-79, — | = heraus- 70 || 2-25 0-15 7-14 | 10-00 | 3-21 | 47.28 | geschnitten b) Akne femoralis. 0 || 0-86 -— | — | 7-30 _ | —_ | vollkommen 70 | 1.24 0-38 44.19. || 8:67] 1287 18.7) Akiıt | | 022 1218 — 6:00 _ — heraus- 70 | 1-30 | 0-12 |) 11.69 9-00 | 3-00 50-00 | geschnitten Unseren früheren Tabellen entsprechend, wollen wir auch die Werthe der Tabelle XIV wieder in ähnlicher Weise ordnen, wodurch die Congruenz der Durchmesser und Längenwerthe für die hevanspeschne (refässe mit jenen in situ unter der Einwirkung eines dem mittleren Blutdrucke entsprechenden Druckes um so präciser zum Ausdrucke gelangen wird. Tabelle XV; aA ZIE za IV. ze ıDurehm. Durehm.| Zu- | hs |, Länge | Länge EI, En Druck | bei voll- nachdem! wachs En T \bei voll- nach dem, wachs I Tr Gefäss kommen. Heraus- von 1. pen kommen. Heraus- | von III in Pros Fixation! schneid. | alErationl schneid. | g - | 0 | 1-78. | 2-10 | 0-82 | 18-09 | 7-90 | 6-79 | —1-11|—14-05 |Art.car. 70 | 2-18 | 2-25 | 0-07 | 3-21 9-80 | 10-00 | 0-20) 2-04 | comm. | || | | | N 0.| 0-86 1-18 0.32 | 37:21 | 7-30 | 6-00 1-30) 17-81 Arteria 70 || 1-24 | 1-30 [0.06 | 4-84 8.67 | 9-00 | 0-33| 3-81) femor. Zu diesen tabellarischen Angaben will ich noch die relativen Retrac- tionen für die Aorta thoracalis mit 14-81 Procent und die der Aorta ab- dominalis mit 10.67 Procent hinzufügen. Wir erhalten dann, wenn wir. die untersuchten Gefässe in eine Reihe mit steigender Längsspaunung ordnen, nachstehende Folge: Aorta abdominalis’. ".°.. .* „7.7 10-67 Brocent Arteria carotis communis . . .„ 14-05 „, Aortasthoracalis me Arteria -femoralis mu Er en PHYsioLoOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 143 Es besitzen demnach die arteriellen Gefässe des Neuge- borenen einen gewissen Grad von Längsspannung, dieselbe ist aber bei weitem nicht von jener Mächtiekeit, wie an den Ge- fässen des Erwachsenen. Während beim Erwachsenen die Längs- spannung der einzelnen Gefässe sehr grosse Differenzen gegen einander aufweist, scheinen die Arterien des Neugeborenen einen ziemlich gleichen Grad von Längsspannung zu besitzen, denn die Werthe schwanken nur wenig um den Werth von 14-34 Procent, welcher sich als das arithmetische Mittel aus den vier mitgetheilten Zahlen ergiebt. “Die Differenz nach unten beträgt nur 3-67 Procent, die nach oben 3-47 Pro- cent. Ich darf wohl diese Abweichungen als durch unvermeidliche Ver- suchsfehler bedingt betrachten und sagen, dass die arteriellen Gefässe des Neugeborenen einen gleichen Grad der Längsspannung aufweisen. Nehmen wir aber trotzdem an, dass die beobachteten Differenzen in der relativen Retraction der Gefässe des Neugeborenen der Ausdruck einer thatsächlich verschiedenen Längsspannung der Gefässe seien, dann dürfen wir im Ver- gleiche mit den Verhältnissen am Erwachsenen nicht ermangeln, hinzuzu- fügen, dass die Längsspannung der einzelnen Gefässe des Neugeborenen nur in sehr geringem Grade gegen einander abweicht. Nach diesen Auseinandersetzungen glaube ich wohl nicht ohne Be- rechtigung meine an der Aorta, Carotis und Femoralis gewonnenen Er- fahrungen bezüglich der Längsspannung für das gesammte Blutgefäss- system verallgemeinern zu dürfen, zumal meine Untersuchungen an den Venen vollkommen übereinstimmende Resultate zu Tage gefördert haben. Die Verschiedenheiten, welche sich zwischen den Arterien und Venen hinsicht- lich ihrer Längsspannung beobachten liessen, erscheinen mir um so inter- essanter, als es durch dieselben wahrscheinlich gemacht wird, einen der bestimmenden Punkte für die Wachsthumsdifferenz zwischen dem Gefässe und der Unterlage kennen zu lernen. Bei der Untersuchung der Venen begnügte ich mich mit folgendem Verfahren. Zunächst wird der Vener- druck in der Vena jugularis externa und Veua femoralis bestimmt, dann werden auf der contralateralen Seite die genannten beiden Venen zur Messung freigelegt, desgleichen die Vena cava inferior in ihrem abdo- minalen Antheile. Nachdem am Lebenden die entsprechenden Durchmesser und Längenmessungen in situ erfolgt sind, wird das Thier durch Anlegung eines doppelseitigen Pneumothorax und Ausblutenlassen aus einer zur Mes- sung nicht benutzten Arterie getödtet. In einem Seitenzweige der Jugularis und Vena femoralis werden sodann die Canülen für die Durchströmungs- 144 R. F. Fucas: versuche eingebunden und zunächst bei 0-Druck in situ gemessen. Gleich- sam in parenthesi will ich bemerken, dass die Durchströmung in der natürlichen Richtung des Blutstromes erfolgte. Es zeigte sich bei diesen Messungen, dass die Durchmesser der einzelnen Venen bei 0-Druck gegen- über den beim vitalen Druck gemessenen sich in verschieden starkem Grade verringert hatten, aber bei der Vena cava inferior abdominalis lag die Ab- nahme des Durchmessers noch ganz im Bereiche der Fehlergrenzen meiner Messungen, während bei der Vena jugularis externa und Vena femoralis die Durchmesserverringerung in weiten Grenzen schwankte. Waren die nothwendigen Messungen in situ vorgenommen worden, dann wurden die Venen aus dem Körper herauspräparirt, um auf der befeuchteten Glasplatte bei O-Druck und dem vitalen Venendruck durchströmt und gemessen zu werden. Dabei hatte es sich gezeigt, dass das Venensystem des Er- wachsenen in situ in Uebereinstimmung mit dem Arteriensystem gleich- falls über seine elastische Gleichgewichtsfigur ausgedehnt ist, denn die Venen verkürzten nach dem Herausschneiden ihre Längen unter gleichzeitiger Vergrösserung ihrer Durchmesser. Die Durchströmung unter dem vitalen Venendrucke war an den untersuchten Venen (Cava inferior abdominalis, Vena jugularis externa und Vena femoralis) nicht im Stande, dieselben auf jene Länge zu dehnen, welche ihnen in situ eigen war; die Längen blieben stets kleiner und die Durchmesser waren immer grösser als die in situ gemessenen. Wenn wir die untersuchten Venen nach dem Grade ihrer Längsspannung in eine steigende Reihe bringen, so ergiebt sich z. B. bei Fall XXXII der Versuche folgende Gruppirung, sobald wir aus der relativen Verkürzung nach dem Herausschneiden auf den be- standenen Grad der Längsspannung schliessen: Cava inferior abdominalis . . . 14.47 Procent Vena jugularis externa . . . . 3-71 „ Vena femoralis . 2... 2025.93 8 Die Grade der Längsspannung wechseln bei den einzelnen Venen noch viel mehr als bei den entsprechenden Arterien, und ich kann aus meinen diesbezüglichen Untersuchungen nur so viel sagen, dass die Venen des Erwachsenen in sehr verschieden starkem Grade längsgespannt sind, und dass der Grad der Längsspannung über dem in vivo constatirbaren mittleren Venendruck gelegen ist. Von einer Untersuchung des thoracalen Antheiles der Vena cava inferior und der Vena cava superior musste ich Abstand nehmen, weil in vivo die Herzbewegungen eine genauere Messung vereiteln. In mortuo werden aber durch die Eröffnung des Thorax zu grosse Lageveränderungen des Herzens geschaffen, welches nach dem Collabiren der Lungen stark PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 145 dorsalwärts sinkt und an den vollkommen freien Gefässen ganz uncontrolir- bare Spannungen erzeugt, von denen nur das eine feststeht, dass sie mit den Verhältnissen in vivo gar nichts gemeinsam haben und auch mit ihnen nicht einmal annäherungsweise verglichen werden können. Vergleichen wir die procentuellen Retractionen, welche die Venen des Erwachsenen nach dem Herausschneiden erkennen lassen, mit denen, welche die Arterien unter den gleichen Verhältnissen aufweisen, dann finden wir für die Aorta abdominalis stets eine grössere relative Verkürzung, als für die Vena cava inferior abdominalis, während bei der Carotis und Vena jugularıs externa, sowie bei der Arteria und Vena femoralis diese Unter- schiede nicht so deutlich ausgesprochen sind. Als Beleg für das Gesagte sei der Versuch Nr. XNAXXV gewählt. Tabelle XVI. Arterien Venen ls Sr = Se - PEr e a let m E lsH | 5 Bes 24. So 23 22. 59 \3> |ä5 Bes|=s2 $> 2» |mg8lHs3| 5 2 | Es | RS ES SI eg RZ) o3.2lo53| #5 a I ge |, oc nein Er = es || 5. ES IN Seal © sSSsästa ss B seta es ® = Be rel er = ide) Haals „dA = ie) Sei | En DzreAasSg| A „ErHaSE oA En |97 =? SS |H# FE es IPs __|8 |#& ER (ERRARTERETIGERGE|N | | glkessn: En 76-00 49.00 | 35-53 | Aorta abdom. || 64:29 | 51-40 | 20-05 | Cava inf. abd.|| 15-48 | 43-57 63-00 36-50 42-06) Carotis | 55-00 35-00 | 36-36 Jugularis ext.) 5-70 | 13-55 43-00 24.00 | 45-24 Femoralis | 42-00 25-00 40-48 Femoralis | 4-76 10-53 Dass nur die Arterien- und Venenabschnitte eines und desselben Ver- suchsthieres mit einander verglichen werden dürfen, ist ganz selbstverständ- lich, ebenso ist ein Vergleich zwischen Aorta abdominalis und Cava inferior .abdominalis, ferner zwischen Arteria und Vena femoralis, so lange dieselben mit einander verlaufen, gestattet. Anders verhält sich die Zulässigkeit eines Vergleiches zwischen Carotis und Vena jugularis externa; derselbe ist streng genommen nicht zulässig, das entsprechende venöse Gefäss wäre die mit der Carotis verlaufende Vena jugularis interna gewesen. Diese letztere Vene ist aber am schon Erwachsenen ein so zartes Gefäss, dass ein Vergleich zwischen Erwachsenen und Neugeborenen nicht möglich gewesen wäre, weil am Neugeborenen dieses Gefäss wegen seiner Kleinheit nicht gut gemessen werden könnte. Da mir aber doch daran gelegen war, auch eine Vene des Halses zu untersuchen, so wählte ich dennoch die Vena jugularis externa. Es galt nun zu ermitteln, wie sich das Venensystem des Neu- geborenen bezüglich seiner Längsspannung verhielt. Es zeigte sich eine ganz vollkommene Uebereinstimmung mit dem Verhalten des Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 10 146 R. F. Fucas: Arteriensystemes. Nach dem Herausschneiden verkürzen sich die Venen des Neugeborenen gleichfalls, aber die Verkürzung ist bei Hunden nament- lich oftmals sogar innerhalb der Fehlererenzen der Messungen gelegen; durch die Anwendung eines dem vitalen Druck entsprechenden wurden die Venen stets auf jene Länge gedehnt, welche ihnen in situ unter dem gleichen Drucke zukamen. Wenn wir am Neu- geborenen die procentuellen Verkürzungen der Venen nach dem Heraus- schneiden mit jenen der Arterien vergleichen, dann tritt der am Erwach- senen schon betonte Unterschied um so stärker hervor, indem sich auch hier die Venen viel weniger retrahiren als die Arterien. Als Beispiel sei der Versuch Nr. XXXIX an einem 7 Tage alten Kätzchen angeführt. Tabelle XVII. Arterien Venen & Re EEE RER TETN ; 38 A; > S> | 85 25.[223=| Ss 25.238 57 er as 233252 => 8 STAR 2 Sn sg an o0| 95 iS ass mm 0| ©. 5 Sen > © in s|aHl = Ks} S jun oO . er So.Aa|ı:E Si» Q © so 4 ‚= sı> S © Fageen = reelle | - 5 I. 8 Ss Pati (ds) D SH ZAHrsg| He „eras2ah Elze mp je = Biel je 2 zo ra = es N 22-93 | 18-50 | 19-31 | Aorta abdom. || 17-83 | 16-22, 9-03 | Cava inf. abd.| 10-28 | 53-23 10:00 | 8:00 | 20:00 Carotis 17:00 15-50 | 8-82 ‚ Jugularis ext. | 11-18 55-90 14-00 | 11.00 | 21-43 Femoralis 8-75, 8-00, 8-34 Femoralis 13-09 | 61-08 In Tabelle XVII fällt vor Allem die grosse relative Retraction der arteriellen Gefässe auf, welche nahezu jene der Aorta thoracalis des er- wachsenen Hundes erreicht, während die Retraction der Arterien des neu- geborenen Hundes in meinen Versuchen um 10 Procent schwankte. Die Längsspannung der Gefässe ist, wie ich mich überzeugen konnte, für die verschiedenen Thierspecies sehr verschieden. Entsprechend der grossen Retraction der Gefässe der neugeborenen Katze, war auch die Retraction an den Gefässen des erwachsenen Thieres bedeutend erhöht, ohne dass sich sonst eine Abweichung gegenüber den Verhältnissen beim Hunde ergeben hätte. Da ich mir zur Zeit dieser Versuche keine neu- geborenen Hunde verschaffen konnte, war ich auf die Katze als Versuchs- object angewiesen. Aus dem angeführten Beispiele geht mit voller Deutlichkeit hervor, dass sich die Venen um einen ziemlich gleichen Procentsatz weniger retra- hirt haben als die Arterien. Ferner zeigen die angeführten Zahlen aber auch, dass am Neugeborenen eine verschieden starke Spannung der einzelnen Venen ebenso wenig vorhanden ist, wie ein Gleiches PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 147 auch bei den Arterien der Fall ist, womit ein weiterer Punkt in der Uebereinstimmung der Arterien und Venen gegeben ist. Wenn wir nach all’ dem Voranstehenden das Arterien- und Venensystem bezüglich des Ver- haltens der Längsspannung mit einander vergleichen, so ergiebt sich eine nahezu vollkommene Uebereinstimmung zwischen den beiden; nur ein be- merkenswerther Unterschied hat sich in allen Versuchen als constant vor- handen gezeigt, nämlich der, dass das Venensystem eine geringere Längsspannune besitzt als das Arteriensystem, wenn wir die geringeren procentuellen Retractionen der Venen nach dem Herausschneiden unmittelbar mit jenen der Arterien vergleichen dürfen. A priori kann man keineswegs behaupten, dass ein solcher Ver- gleich ohne Weiteres zulässig erscheinen muss, denn die Venen könnten überhaupt weniger dehnbar sein als die Arterien, wodurch ein Vergleich der Retractionen, wenn wir aus denselben Schlüsse auf den Grad der be- standenen Längsspannung des Arterien- und Venensystems ziehen wollten, hinfällig werden müsste. Der angedeutete Einwand ist in den thatsächlichen Verhältnissen nicht begründet, weil die Venen eine kleinere Elasticität als die Arterien besitzen, aber ein anderes Moment könnte gegen die Zulässigkeit des Vergleiches sprechen. Bardeleben hat in seiner aus- führlichen Arbeit über Venenelasticität angegeben, dass die elastischen Nachwirkungen sich an den Venen ausserordentlich langsam vollziehen. Es könnte daher angenommen werden, dass der letzte Rest der Zusammen- ziehung sich bei den Venen erst in einer späteren Zeit, als der, wo die Venen nach dem Herausschneiden gemessen wurden, einstellen würde, dass also die Venen zur Zeit der Messung sich noch nicht in ihrem elastischen Gleichgewichte befunden hätten, dass aber zu der Zeit, wo die beiden zu vergleichenden Arterien und Venen ihre elastische Gleichgewichtslage er- reicht haben, eine Differenz zwischen ihren relativen Verkürzungen nicht mehr besteht. Ich hielt es für nicht sehr wahrscheinlich, dass die elastische Nachwirkung sich in so hohem Grade würde geltend machen, um die Differenz der relativen Verkürzungen der Arterien und Venen zum Ver- schwinden zu bringen. Meine diesbezüglichen Experimente haben mich gelehrt, dass selbst 48 Stunden und 3 Tage nach dem Heraus- schneiden das ursprüngliche Verhältniss der relativen Verkür- zungen nicht wesentlich geändert worden ist, indem auch nach dieser Zeit, in welcher die elastische Nachwirkung sich hatte genügend ent- falten können, die Arterien eine grössere relative Retraction zeigten, als die entsprechenden Venen. Wir hätten demnach anzunehmen, dass die ein- zelnen Venen des Erwachsenen in situ verschieden stark gespannt sind, dass aber ihre Längsspannung eine geringere ist, als jene der Arte- rien. Diese Differenz scheint mir einen Fingerzeig zur Erklärung 10* 148 R. F. Fucas: der Ursache der Wachsthumsdifferenz zwischen Gefäss und seiner Unterlage zu enthalten. Können wir in den in vivo bestehenden Verhältnissen irgend welche Momente finden, welche uns eine wahrscheinliche Erklärung dafür bieten würden, warum die Venen ein relativ grösseres Eigenwachsthum besitzen als die Arterien? In erster Linie müssen wir an den Binnendruck denken, welcher in den beiden Gefässkategorien herrscht. In den Arterien ist der Blutdruck viel höher als in den Venen, denn in der Vena cava inferior ist der Binnendruck bereits vor ihrem Eintritt in die Brusthöhle gleich Null. Die Dehnungsversuche an den Gefässen haben aber ergeben, dass ceteris paribus die Gefässwand durch einen grösseren Binnendruck um so stärker in der Längs- und Querrichtung gedehnt wird. Die sämmtlichen Gefässe des Neugeborenen werden nach dem Heraus- schneiden durch einen Druck, welcher dem vitalen Binnendruck gleich gross ist, auf jene Längen und Durchmesser gedehnt, welche ihnen in vivo zukamen. Die Arterien werden entsprechend dem höheren Binnendrucke mehr gedehnt als die Venen, wie aus den Versuchen hervorging. Die Dehnung könnte das Wachsthum der einzelnen Gewebselemente in ungünstigem Sinne beeinflussen, indem sie wachsthums- hemmend wirkt. Dass mechanische Einwirkungen das Wachsthum in sehr einschneidender Weise beeinflussen, dafür bietet die Pathologie eine grosse Reihe von Beispielen; ich nenne nur die Druckatrophien. Da nun die Dehnung der Gefässwand durch den Binnendruck für die Venen geringer ist als bei den Arterien, so müsste die durch den Binnendruck bedingte wachsthumsschädigende Ursache für die Venen in geringerem Umfange wirksam sein als für die Arterien. Die Venen würden ein grösseres Eigenwachsthum besitzen als die Arterien, sie wären relativ länger als die Arterien, womit die beob- achtete Thatsache der geringeren procentuellen Retraction nach dem Heraus- schneiden, das ist die geringere Längsspannung der Venen, vollkommen übereinstimmen würde. Eine weitere Stütze findet die Annahme, dass der sinnendruck des Gefässes bei der Entstehung der Wachsthumsdifferenz zwischen Gefäss und Unterlage eine wichtige Rolle spiele, dadurch, dass die relative Verkürzung der Gefässe nach dem Herauschneiden mit dem Alter zunimmt und nicht constant geblieben ist. Bei der ersten Anlage des. Gefässsystems kann von einer Längsspannung desselben nicht die Rede sein, erst in einem späteren Stadium der Entwickelung wird sie angenommen und vergrössert sich immer mehr. Je jünger das Individuum ist, desto niedriger ist sein Blutdruck, um so ge- ringer wäre dann auch die durch’ denselben bedingte Wachs- thumsschädigung der Gefässe, wofür die mitgetheilten Versuche gleich- PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 149 falls zu sprechen scheinen. Wenn auch der Binnendruck nicht die einzige Ursache der Wachsthumsdifterenz ist, so glaube ich dennoch, dass derselbe an ihrem Zustandekommen wesentlich mit betheiligt ist. Ist aber einmal eine nachweisbare Längsspannung vorhanden, dann wird die- selbe die gleiche Schädigung des Wachsthumes wie der Binnendruck be- dingen und sich der Wirkung des letzteren noch summiren. Die bisher mitgetheilten Versuche haben ergeben, dass die Gefässe unter der Einwirkung des dehnenden Druckes der durchströmenden Flüssig- keit um ein Bedeutendes in der Länge und im Durchmesser vergrössert werden. In einer Reihe von Versuchen hat es sich nun gezeigt, dass die einzelnen Gefässe bei gleichem Druck und gleicher Längsspannung_ die gleichen Längen und Diameter zeigen, gleichgültig, ob die Gefässe ab- gebunden waren, oder ob der dehnenden Flüssiekeitssäule ein vollkommen freier Abfluss aus dem untersuchten Gefässe gestattet war. In der Tabelle NVIII seien zwei Beispiele meiner diesbezüglichen Untersuchungs- reihe angeführt. Tabelle XVII. Freier Abfluss | Abgebunden Ditferenz zwischen | | | | | Ne Druck L..| IL | IE.| IV. | IIu.Ill] ILu.IV|| Gefäss | Durch- | en Durch-| Lane An Pioa uN in Proc. i messer |“ > "Imesser |" >| Ivo I von IL = rs = —> EEE = = — — —— = ._ nee — — VIII 55 16-25 | 99-00 16-00 10000) 0-25/| 1-54| 1-00| 1-01 Aorta thor. 175 || 18-20 1107-00 | 18-00 1106-00) 0-20) 1-10) 1-00| 0-93 8 XX| 120 | 13-30 1117-00 | 18-40 |117-50 |—0+10 |—0-75 |—0-50 |—0-43)| Aorta thor. 7:63 | 57:20 | 7-80 | 57-50 1—0-171—2-23 —0-30 |—0-52|| Aorta abd. 00 38-20) 4-00 | 38-00 | 0-00) 0-00| 0-20| 0-52 Carot.comm. +63 17-83 | 3-50| 17-60|| 0-13] 3-58| 0-23| 1.29) Art. femor. r Die Differenzen der einander entsprechenden Werthe liegen für die Durchmesser nicht über 3-58 Procent, für die Längen nicht über 129 Procent; sie bewegen sich also noch ganz innerhalb der Messungsfehler, so dass wir ganz gut von einer Uebereinstimmung der Werthe unter den beiden Modi- ficationen sprechen dürfen. Für die beiden Arten der Dehnung besteht aber doch ein wesentlicher Unterschied, wenn wir den Ort des Angriffs- punktes der dehnenden Kraft in’s Auge fassen. In dem Falle, wo wir das zu untersuchende Gefäss an seinem freien Ende, sowie auch die abzweigenden Aeste abbinden, lastet ein hydrostatischer Druck von der Höhe der angewandten Flüssigkeitssäule auf der Abbindungsstelle, es befindet sich also an dieser Stelle der Angriffspunkt der dehnenden Kraft, gerade so, wie wenn wir an das Gefäss ein dehnendes Gewicht auf irgend eine Weise angehängt hätten. Anders liegen aber die Verhältnisse, 150 R. F. Fucas: wenn in dem zu untersuchenden Gefässrohre stationäres Strömen stattfindet. Hier müssen wir in erster Linie daran denken, dass die einzelnen sich be- wegenden Flüssigkeitscylinder an einander sich reiben, der peripherste hat die Gefässwand benetzt und kann als unbewegt angesehen werden. Durch die Reibung des nächstfolgenden an dem ersteren gewinnt die strömende Flüssigkeit gleichfalls einen Angriffspunkt zur Entfaltung ihrer dehnenden Kraft in der Längsrichtung. Ferner hat die strömende Flüssigkeit an den Abzweigungsstellen der Gefässe neue, sehr wichtige Angriffs- punkte zur Entfaltung ihrer der Längsrichtung wirksamen Druckcompo- nente; denn Roux hat gezeigt, welchen bedeutenden Formveränderungen die Gefässursprünge durch die hydrodynamisch wirksamen Kräfte unter- worfen sind. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese hydro- dynamischen Ursprungskegel ein sehr wichtiges Hypomochlion für die dehnenden Kräfte darstellen. So finden wir, dass ein unter Druck durch- strömtes Gefässrohr durch die strömende Flüssigkeit nach allen Richtungen hin gedehnt wird; es wird also durch den Blutdruck auch eine nach aussen hin sichtbare Arbeit, die Dehnung der Gefässe, geleistet, während man früher als den einzigen Effect der Reibung des strömenden Blutes die Wärmeproduction durch Reibung angesehen hatte. Wollten wir einen annähernd richtigen Werth für die durch die Circulation gelieferte Wärmemenge ermitteln, so müsste vor Allem die durch die Dehnung der Gefässe geleistete Arbeit in Abzug gebracht werden. Unsere diesbezüg- lichen bisherigen Vermuthungswerthe scheinen daher zu hoch angenommen zu sein. ; Wir hatten erkannt, dass das gesammte Blutgefässsystem im Körper bei 0-Druck bereits über seine elastische Gleichgewichtsfigur ausgedehnt ist, wobei die Längsspannung der einzelnen Gefässabschnitte beim Er- wachsenen erhebliche Differenzen in der Intensität erkennen lässt. Durch den Blutdruck werden die bestehenden Differenzen der Längsspannung beim Erwachsenen keineswegs ausgeglichen, weil eine grosse Anzahl von (refässen eine weitaus grössere Längsspannung besitzt, als ein dem Blut- druck äquivalenter Druck die Gefässe dehnen würde. Das Gefässsystem des Neugeborenen besitzt zwar auch einen gewissen Grad der Längsspannung, er ist aber wesentlich kleiner als beim Erwachsenen. Ueberdies sind die Arterien alle in gleichem Grade gespannt, wie auch die Venen unter einander eine gleichmässige Längsspannung zeigten. Diese durch den Wachsthums- process bedingten Unterschiede in der Längsspannung des Arteriensystemes namentlich scheinen mir mit einer auffallenden Beobachtungsthatsache in Zusammenhang zu stehen. Landois (17), Özermak (18) und Grumnach (19) hatten gefunden, dass sich die Pulswelle in der Richtung der unteren Extremität rascher PHYSIOLOGIE UND WACUHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTERMES. 151 fortpflanze, als in der Richtung der oberen; ferner fand Özermak, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses bei Kindern eine kleinere ist als beim Erwachsenen, was auch von Grumnach bestätigt wurde. Czermak hat überhaupt erklärt, dass die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Pulswelle für die verschiedenen Arterien- äste eines und desselben Individuums eine ungleich grosse ist. Die Erklärungsversuche für diese Thatsachen sind sehr zahlreich. Von den Momenten, welche für die Fortpflanzungsgeschwindiekeit der Pulswelle von Bedeutung sind, hat E. H. Weber (20) bereits im Jahre 1834 betont: „quo magis arterlae extensioni, quam a sanguine impulso patiuntur, retistunt, eo celerius undam propagari necesse est.“ Czermak hält die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Pulswelle in erster Linie von der anatomisch-physi- kalischen Beschaffenheit der Arterienwandung abhängig. Zur Erklärung der von ihm beobachteten Differenzen beim Erwachsenen macht er auf die verschiedene Wandstärke der Gefässe und die verschiedenen Grössen der Gefässquerschnitte aufmerksam, während der Unterschied zwischen dem Erwachsenen und dem Kinde dadurch bedingt sein soll, dass die kindlichen Arterien dehnbarer seien als die des Erwachsenen. Moens (21) hat die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses /p durch folgende Formel aus- gedrückt: EI u g9Ea = ey ID" In dieser Formel bezeichnet /p den Weg des Pulses in der Secunde, qg die Beschleunigung durch die Schwere, # den Elasticitätscoöfficienten der durchströmten Röhre, & deren Wanddicke, 4 das specifische Gewicht der zur Durchströmung verwendeten Flüssigkeit und c endlich eine Öon- stante.e Grumnach (22) hat in einer Untersuchung aber gezeigt, dass die Durchmesser und die Wanddicke für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses von untergeordneter Bedeutung sind, dass das wesentlichste Moment vor Allem das Verhalten des Elastieitätscoöffieienten ist. Alle Autoren, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben, sind bisher zu dem über- einstimmenden Resultate gelangt, dass sich die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit des Pulses mit der Zunahme des Elasticitätscoöfficienten vergrössere. Wenn die Annahme erlaubt wäre, dass ein Gefäss durch eine Längs- spannung seinen Elasticitätscoöfficienten erhöhe, so wäre ein stärker ge- spanntes Gefäss ceteris paribus im Stande, die Pulswelle rascher fortzu- pflanzen. Nun sind in vivo aber die verschiedenen Gefässabschnitte des Erwachsenen verschieden stark längsgespannt, mithin hätten dieselben auch in diesem Zustande der Längsspannung verschieden grosse Elastieitäts- cotfficienten. Wenn wir uns nun vor Augen halten, dass die Aorta 152 R. F. Fucas: abdominalis viel stärker gespannt ist als die Aorta thoracalis und dass die Arteria femoralis in ihrer Längsspannung die Arteria carotis communis bei Weitem übertrifft, so müssen wir sagen, dass die Pulswelle auf ihrem Wege nach der unteren Körperhälfte ein stärker gespanntes Gefässsystem durch- eilen muss, als wenn sie nach der Carotis geht. Nach Czermak’s Ver- suchen besteht auch für die Carotis eine Verlangsamung der Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Pulses im Vergleiche zu jener der unteren Extremität. Ziehen wir das Verhalten der Pulsgeschwindigkeiten beim Erwachsenen und beim Kinde in Erwägung, so erscheinen die Differenzen in der Längs- spannung des Arterienrohres in den beiden Fällen mit jenen der Fort- pflanzungsgeschwindigkeiten des Pulses gleichsinnig. Beim Neugeborenen ist die Längsspannung eine viel geringere, als beim Erwachsenen, mit dem zunehmenden Alter steigt auch die Längsspannung; die Pulsgeschwindigkeit ist beim Kinde kleiner als beim Erwachsenen. Es spricht aber noch eine weitere Beobachtung zu Gunsten meiner Vermuthung, dass zwischen den Differenzen der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten des Pulses in den einzelnen Arterien und der verschiedenen Grösse der Längsspannung derselben ein Zusammenhang bestehen könnte. Beim Kinde ist gleichfalls eine Differenz in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses nach der oberen und unteren Extremität ermittelt worden, wie aus den Fällen hervorgeht, welche Grumnach und Özermak mitgetheilt haben. Aber diese Differenz ist beim Kinde erheblich kleiner als beim Erwachsenen, worauf ich besonderes (rewicht legen möchte. Diese Differenz wird nun, wie aus den Beispielen der genannten Autoren hervorgeht, um so kleiner, an je jüngeren Kindern die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses untersucht wurde Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass am Neugeborenen eine Differenz in der In- tensität der Längsspannung der einzelnen arteriellen Gefässe noch nicht nachweisbar war, dass die verschieden starke Längsspannung der einzelnen (Gefässe sich erst allmählich ausbildet, dann zeigt sich auch hier eine neue Uebereinstimmung zwischen Pulsgeschwindigkeit und Längsspannung in dem von mir vermutheten Sinne. Ferner haben die Autoren gefunden, dass beim Sinken des Blutdruckes die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses abnimmt, während dieselbe mit dem Ansteigen des Blutdruckes zunimmt. Durch den gesteigerten Binnendruck werden aber die Gefässe, wenn sich dieselben nicht in einem höheren Grade der Längsspannung befinden, als es der Blutdruck ist, nicht nur in der queren Richtung, sondern auch in der Längsrichtung gedehnt, wie die voranstehenden Experimente zur Genüge gelehrt haben. Der Blut- druck wirkt also mit der einen Componente ebenso wie eine Längsspannung; also eine weitere Analogie zwischen Längsspannung und Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Pulses. PHYSIOLOGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK D. BLUTGEFÄSSSYSTEMES. 153 Wenn es mir auch bis jetzt noch nicht gelungen ist, die directe Abhängigkeit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses von dem Grade der Längsspannung eines Gefässes auf physikalischer Basis einwandsfrei nachzuweisen, so glaube ich doch die gewiss an und für sich höchst merkwürdige Ueberein- stimmung zwischen der Längsspannung der Gefässe und der Pulsgeschwindigkeit besonders betonen ‘zu müssen, welche die Vermuthung eines causalen Zusammenhanges der beiden als sehr wahrscheinlich erscheinen lässt. Dass alle jene pathologischen Veränderungen der Gefässwand, welche eine Erhöhung des Elasticitätscoöfficienten derselben zur Folge haben, wie z. B. die Atheromatose derselben, zu einer Steigerung der Puls- geschwindigkeit führen müssen, sei an dieser Stelle gleichsam als Beifügung erwähnt. Ich kann unsere Ausführungen über das Verhalten der Längsspannung nicht abschliessen, ohne noch hinzuzufügen, dass trotz der verschieden starken Grade der Längsspannung, welche die einzelnen in situ befindlichen Gefässe aufweisen, doch alle Gefässe des Körpers, selbst die stärkst gespanntesten, nicht bis zur Grenze ihrer vollen Elasticität in Anspruch genommen sind. Ich habe mich stets davon überzeugen können, dass dıe herausgeschnittenen Gefässe eine noch viel bedeutendere Verlängerung gestatten, als jene ist, welche sie in situ bei maximalem Blutdrucke besitzen, ohne dass ihre Elasticitätsgrenze überschritten worden wäre; denn nach einer so forcirten Dehnung zogen sich die Gefässe vollkommen auf ihre ursprüngliche Länge zurück. In Uebereinstimmung mit Roy und Bardeleben habe ich auch beobachten können, dass die Venen namentlich eine kleine und vollkommene Elastieität besitzen, welche eine geradezu erstaunliche Verlängerung des Gefässes er- möglicht. Wenn auch die in situ befindlichen normalen Gefässe durch die vor- handene Längsspannung in keiner Weise geschädigt werden, so könnte doch die immerhin beträchtliche Längsspannung an nicht mehr normal resistenten Gefässen zu Einreissen einzelner Gefässhäute oder vollkommenen Zer- reissungen führen. Zum Schlusse dieser Ausführungen sei es mir gestattet, meinem hoch- verehrten Chef, Hrn. Prof. Dr. J. Gad, für seine freundliche Unterstützung, welche er mir bei der Ausführung der voranstehenden Untersuchung zu Theil werden liess, meinen ergebensten Dank auszusprechen. 154 R.F. Fuchs: PuysıoLoGIE UND WACHSTHUMSMECHANIK U. S. W. Litteraturverzeichniss. 1. L.Szymonowicz, Die Function der Nebenniere. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXIV. 2. Ch.8. Roy, The clastie properties of the arterial wall. Journal of physiol. 1880—1883. Vol. III. 3. J. Henle, Handbuch der systematischen Anatomie. Bd. III. I. Gefässlehre. Braunschweig 1868. 4. R. Thoma, Untersuchungen über die Grösse und das Gewicht der anato- mischen Bestandtheile des menschlichen Körpers u.s. w. Leipzig 1882. 5. R. Hiller, Ueber die Elastieität der Aorta. Inaug.- Dissert. Halle 1884. 6. F. Suter, Ueber das Verhalten des Aortenumfanges unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharma- kologie. 1897. Bd. XXXIX. 7. Wertheim, Memoire sur Pelastieite et la cohesion des prineipaux tissus du corps humain. Comp. rend. 1846. Annales de chimie et de physique. 1847. III. Ser. ERXT. 8. W. Wundt, Ueber die Elastieität feuchter organischer Gewebe. Dies Archiv. 1857. Physiol. Abthlg. 9. A. W. Volkmann, Ueber die Elastieität der organischen Gewebe, Zbenda. 1859. Physiol. Abthlg. 10. W.Preyer, Das myophysische Gesetz. Jena 1874. 11. W. Braune, Beitrag zur Kenntniss der Venenelastieität. Deiträge zur Anatomie und Physiologie. Festschrift für Ludwig. 1874. 12. C. Bardeleben, Ueber Venenelastieität. Jenaische Zeitschrift für Natur- wissenschaften. 1878. Bd. XH. N.F. Bd. V. 13. R. F. Fuchs, Die Längsspannung der Aorta. Vorläufige Mittheilung. Central- blatt für Physiologie. 1898. 14. Luschka, eitirt nach Schwalbe. 15. G. Schwalbe, Ueber Wachsthumsverschiebungen und ihren Einfluss auf die Gestaltung des Arteriensystemes. Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaften. 1878. Bd. XIL N.F. Bd. V. 16. W. Roux, Ueber die Verzweigung der Blutgefässe. Zbenda. 1878. Bd. XII. N. F. Bd. V. . 17. L.Landois, Die Lehre vom Arterienpuls. Berlin 1872. 18. J. N. Czermak, Sphygmische Studien. AMittheilungen aus dem Privat- Laboratorium in Prag. 1864. 19. E. Grumnach, Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen. Dies Archiv. 1879. Physiol. Abthlg. 20. E.H. Weber, De pulsu, resorptione, auditu et tactu. Lipsiae 1834. (Citirt nach Czermak.) 21. A. J. Moens, Die Pulscurve. Leiden 1878. 22. E.Grumnach, Ueber die Beziehung der Dehnungscurve elastischer Röhren zur Pulsgeschwindigkeit. Sifzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. 1887. Bd. XVI. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1899—1900. I. Sitzung am 27. October 1899." 1. Hr. Dr. Peter BERGELL (a.G.) und Hr. FErDinann BLUMENTHAL halten den angekündigten Vortrag: Ueber die Isolirung der Pentose und der Methylpentose. (Aus dem Laboratorium der I. medicinischen Klinik; Director Geh. Medieinalrath Professor von Leyden.) Im Jahre 1892 fanden Salkowski und Jastrowitz? neben Glukose ein Kohlenhydrat in einem Harn, das die Tollens’sche Phloroglueinreaction auf Pentosen gab und ein Osazon lieferte, dessen Schmelzpunkt mit dem der Pentosazone übereinstimmte. 1895 beschrieben Salkowski?® und Blumenthal* 2 Harne, welche nur ein solches Osazon lieferten, das Salkowski durch Elementaranalyse als Pentosazon identifieirt hatte. Nach unserer Ansicht ist durch diese Untersuchungen das Vorkommen einer Pentose im Harn des Menschen und damit auch im Thierreich festgestellt. Auch Külz und Vogel? konnten nach der Verarbeitung vieler Liter mensch- lichen Harns beim Diabetiker und Nichtdiabetiker geringe Mengen von Pentosazon erhalten. Gegen alle diese Untersuchungen erhoben Friedrich Müller‘ und Seemann’ den Einwand, dass sie nicht in genügender Weise das Vorhandensein einer Pentose dargethan hätten, da nach ihrer Meinung der Schmelzpunkt des Osazons nichts beweise und die Elementaranalyse ebenfalls bei geringen Mengen Osazon keine Beweiskraft haben könnte. Da ferner die Phloroglucinreaction ebenso wie von den Pentosen auch von Glyeuronsäure gegeben wird, so vermutheten sie, dass eine Verwechselung mit dieser vorläge, welche sich unter den verschiedensten Verhältnissen im ! Ausgegeben am 10. December 1899. ? Salkowski und Jastrowitz, Centralblatt für die medicinischen Wissensch. 41892. Nr. 19. 3 Salkowski, Berliner klinische Wochenschrift. 1895. Nr. 17. * F., Blumenthal, Zdenda. 1895. Nr. 26. ° 5 Külz und Vogel, Zeitschrift für Biologie. 1896. Bd. XIV. ° Friedrich Müller, Sitzungsber. d. Gesellschaft z. Beförd. der ges. Natur- wissenschaften zu Marburg. 1898. Juli. Nr. 6. " Seemann, Archiv für Verdauungskramkheiten. 1898. Bd.IV. - 156 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Thierreich bilde, während die Pentose der charakteristische Zucker des Pflanzenreichs sei und bis dahin nur in diesem gefunden worden sei. Da Salkowski in seiner Beweisführung für den Nachweis der Pentose bereits alle damals bekannten Hülfsmittel verwerthet hatte, wie die Furfurol- und Ösazonbildung, so war es nöthig, wenn man in der Beweisführung noch weiter kommen wollte, erst die chemischen Kenntnisse der Harnpentose zu erweitern, bevor an die endgültige Lösung der biologisch höchst wichtigen Frage, ob Pentosen auch im Thierreich vorkommen können, gedacht werden konnte. Er waren uns die Versuche, die Benzoylverbindung der Pentose aus dem Harn zu gewinnen, fehlgeschlagen und auch die Versuche, die wir mit reiner Xylose und l-Arabinose angestellt hatten, ergaben, wie auch Stone gefunden, nur inconstante Verbindungen von wechselnder Zusammensetzung, so dass dieser Weg bald verlassen wurde. Auch die Pentosen mit Bleiessig und Ammoniak aus dem Harn zur Abscheidung zu bringen, gelang nur unter sehr grossen Verlusten, da das Ammoniak schon bei Zimmertemperatur die Pentose zer- stört und erst, als wir mit kleinen Mengen Ammoniak nach einander fractionirte Fällungen vornahmen, gelang es uns, die fragliche Substanz in grösseren Mengen zu fällen. Als wir nun die Bleiverbindung mit Schwefelwasserstoff zerlegen wollten, zeigte es sich, dass dieser ebenfalls das Kohlenhydrat zerstörte, so dass wir hinfort die Ausfällung des Bleis mit Schwefelsäure vornahmen. Das Filtrat wurde im Vacuum stark eingedampft; der Rückstand mit Alkohol extrahirt und der Alkohol ebenfalls im Vacuum langsam verdunstet. Nach mehreren Wochen krystallisirte endlich ein bitter schmeckender Körper aus, der aber noch stark aschehaltig war und auch nach wiederholtem Um- krystallisiren mit absolutem Alkohol immer noch reichlich Asche zeigte. Dieser Weg schien uns nicht zu einer befriedigenden Lösung zu führen. Es hatte sich uns gezeigt, dass die Arabinose und Xylose in ähnlicher Weise wie dies beim Rohrzucker bereits bekannt war eine Strontium- und namentlich eine Baryumverbindung lieferte, welche in Alkohol unlöslich war und infolgedessen leicht durch diesen abgeschieden werden konnte. Wenn man eine 2- bis 3 procent. Lösung von Xylose oder Arabinose mit gesättigter Barythydratlösung versetzte und das 2- bis 3fache Volumen von absoluten Alkohol hinzusetzte, so schied sich bald ein weisser Niederschlag aus, welcher nach seiner Analyse Baryumdixylosat bezw. Baryumdiarabinosat war. 2.28m Xylose + 2-59 [Ba(OH), + SH,0] ergaben 3.5 8% Ausbeute 0.1972 2” Xylosat ergaben 0-1014 BaSO, = 30-40 Procent Ba 0.0782 „ v; s; 0.0396 BaSO, = 30-00 E Ba 0123 7, „ 0.0625 Bas, —= 29.75 > Ba für [c, H.,05): + BaO)] berechnet. 30.24 Procent Ba Es existirt im Gegensatz zu allen anderen Kohlehydraten nur eine Baryumverbindung der Pentosen, denn wir konnten, auch wenn wir einen reichlichen Ueberschuss an Baryumhydrat hinzufügten, stets nur diese Ver- bindung erhalten. Auch die Titrirung mit Fehling’scher Lösung ergab die obige Formel, so dass damit schon der Beweis für die Existenz dieser Verbindung geliefert zu sein schien. Trotzdem hielten wir es für nöthig, mit absoluter Sicherheit den Beweis zu erbringen, dass es sich nicht um PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — P. BERGELL uUnD F. BLUMENTHAL. 157 ein Zersetzungsproduct der Pentose mit Baryt, sondern um das obige Additionsproduct derselben handelte. Zu diesem Zweck versuchten wir aus der Baryumverbindung die Pentose wieder darzustellen. Hierzu wurde die Baryumverbindung durch den Kohlensäurestrom zerlegt, von dem aus- geschiedenen Baryumecarbonat abfiltrirtt und das Filtrat in Vacuum ein- gedampft; der Rückstand wurde mit Alkohol ausgezogen, der Alkohol im evaeuirten Exiecator verdunstet und nach mehrmaligem les stallieiten und Verreiben mit Alkohol und Behandeln mit Aether die Arabinose bezw. die Xylose wieder erhalten. Nachdem nun Hr. Dr. Suleiman,! welcher uns auch bei derDars tellung der Baryumverbindungen der Xylose und Arabinose unterstützt hatte, nach Verfütterung von Xylose die Baryumverbindung der- selben aus dem Harn erhalten und aus derselben die Xylose dargestellt hatte, versuchten wir diese Methode an unserem Harn, von dem wir annahmen, dass er Pentose erhielt. Zu diesem Zweck wurden mehrere Liter Harn bei einem Falle von Pentosurie auf dem Wasserbade nach geringer Ansäuerung mit Schwefelsäure bis auf etwa 300°" eingedampft. Der Rückstand wurde mit Thierkohle verrieben und so stark entfärbt. Das Filtrat wurde mit ge- sättigter Barythydratlösung so lange versetzt, bis es deutlich alkalisch war. Nun wurde durch ein Faltenfilter filtrirt und das Filtrat bei 0° im Eisgefäss mit dem 2fachen Volumen Alkohol übergossen. Bald schied sich ein reichlicher Niederschlag aus, welcher abfiltrirtt und mit Alkohol und Aether gewaschen wurde. Die Analysen dieses Niederschlages ergaben folgende Werthe: 0.1620 m Baryumniederschlag ergaben 0.0836 BaSO, = 30-08 Proc. Ba 0.1400 , h 0.0711 BasO, = 29.6 „ Ba für Baryumdipentosat berechnet 30.24 Procent Ba. Darnach handelt es sich im Harn um ein Baryumdipentosat, und dürften wir hiermit eine weitere Bestätigung der von Salkowski und Jastrowitz zuerst erhobenen Behauptung, dass Pentosen gelegentlich im Thierreich vor- kommen, gegeben haben. Wir suchten nun noch die Frage zu entscheiden, welche Pentose hier vorliegt. Zu diesem Zwecke wurde die Baryumverbindung mit Kohlensäure zerlegt und in der oben erwähnten Weise rein darzustellen versucht. Es zeigte sich hierbei, dass selbst eine etwa Sprocent. Lösung, welche durch Titration mit Fehling’scher Lösung ermittelt war, optisch inactiv war, so dass es sich also, falls eine der bekannteren Pentosen, wie Arabinose und Xylose, vorlag, um ihre inactive Modification handeln musste. Dass der Zucker i-Xylose sein konnte, war unwahrscheinlich, da i-Xylosazon bei 213° schmilzt, während das aus unserer Lösung hergestellte Osazon bei 153° schmolz. Auch gelang es uns nicht, das für Xylose charakteristische Bromeadmiumsalz der Xylonsäure darzustellen, was bei der Xylose leicht von Statten ging. Gegen Arabinose sprach, dass die aus der Blei-Ammo- niakfällung gewonnene Substanz keine Verbindung mit para-Bromphenyl- hydrazin gab. ! Die Arbeit des Hrn. Dr. Suleiman wird in der Zeitschrift für klinische Mediein erscheinen und eine Beschreibung dieser Körper enthalten, sowie die analytischen Belege. 158 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Wir sind Hrn. Neuberg, Assistenten des Hrn. Prof. Salkowski, der über die Darstellung dieser Verbindung grosse Erfahrungen besitzt, zu grossem Dank verpflichtet für den Versuch, diese Verbindung für uns darzustellen. Die Unmöglichkeit, mit para-Bromphenylhydrazin eine Ver- bindung zu erhalten, spricht auch gegen Glycuronsäure, da diese, wie Neuberg gezeigt hat, noch in sehr dünnen Lösungen eine solche giebt. Es handelt sich demnach bei der Pentose im Thierkörper um eineinactive Verbindung, welche wir nach vielen Mühen krystallinisch als süss- schmeckende Substanz gewonnen haben. Eine solche inactive Pentose konnten wir ebenfalls aus den Heidelbeeren gewinnen, ohne dass wir damit für die Identität der Pentose aus Heidelbeeren mit der aus Harn eintreten wollen. Das Barytverfahren ist ferner geeignet, Pentosen vom Trauben- und Fruchtzueker zu trennen, indem der Traubenzucker gleichfalls als Ba-Ver- bindung von verschiedener Zusammensetzung (wie bekannt) zugleich mit der Pentose niedergeschlagen wird. Durch Kohlensäure werden dann beide Verbindungen zerlegt, und es gelingt so, nach Vergährung des Traubenzuckers und der Fructose, die Pentose zu erhalten. Sehr geeignet erscheint ferner diese Methode zur Trennung der Pentose von der Methylpentose, da die Rhamnose keine in Alkohol unlösliche Baryum- verbindung giebt. Es gelang uns nach Mischung von Arabinose und Rham- nose durch Behandlung mit Baryt das in Alkohol unlösliche Baryumdipentosat von der Baryumverbindung der Rhamnose durch Filtration zu trennen. Aus beiden Baryumverbindungen konnte dann durch Abscheidung des Baryts durch Kohlensäure bezw. im Filtrat durch Schwefelsäure Arabinose bezw. Xylose und Rhamnose neben einander in Substanz gewonnen werden. Da es sich im Thierreich häufig nur um geringe Mengen von Pentosen handelt, so möchten wir bemerken, dass das Baryumverfahren nur bei mindestens 1!/,- bis 2 procent. Lösung geht. Ist weniger Pentose vorhanden, so muss man reinen Traubenzucker hinzufügen; die Baryumverbindung des Traubenzuckers reisst dann bei ihrer Fällung durch Alkohol die der Pen- tose nieder. Die beiden Verbindungen können dann in der obenerwähnten Weise von einander getrennt werden. Als Anhaltspunkt dafür, ob eine Baryumverbindung der Pentose vorliegt, kann die Orcinprobe dienen, die uns bei unseren Versuchen .als Orientirungsprobe vortreffliche Dienste ge- leistet hat. Die bei der Zerlegung der Baryumdipentosate gewonnenen Pentosate zeichneten sich dureh grosse Reinheit und Schönheit der Krystalle vor den Ausgangspräparaten der Xylose und Arabinose aus (Präparate von ver- schiedenen Fabriken benutzt). Es ist daher möglich, dass die Abscheidung der Arabinose oder Xylose durch Baryumhydrat auch technisch verwerthbar ist zur Gewinnung einer reineren und billigeren Xylose und Arabinose, als die jetzt im Handel befindlichen. 2. Hr. A. Lorwy hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Bindungs- verhältnisse des Sauerstoffes im menschlichen Blut. Vortragender berichtet über Versuche, die er an frischem menschlichem Blute über die Dissociation des Oxyhämoglobins bei niedrigen Sauerstoff- PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — A. LOEWY. — ALBERT NEUMANN. 159 drucken ausgeführt hat. Er fand die Dissociation umfangreicher als Hüfner, dagegen in guter Uebereinstimmung mit den Werthen von Paul Bert und von Strassburg und Wolffberg. Bei 35" O-Druck betrug bei ihm die Sättigung des Oxyhämoglobins mit Sauerstoff nur noch etwa 77 Procent (gegen 93 Proc. bei Hüfner), bei 30"® nur 75 Procent (gegen 92 Proc. bei Hüfner), bei 25"® nur noch etwa 65 Procent (gegen 91 Procent bei Hüfner), bei 22 bis 23 "mM nur noch etwa 58 Proc. (bei Hüfner gegen 90 Proe.). — Ist der Hämoglobingehalt und damit der Gesammtsauerstoffgehalt eines Blutes gering (12 bis 13 Procent OÖ), so genügt die gefundene Disso- eiation, um den Sauerstoffmangel, unter dem die Gewebe zu leiden beginnen, sobald der Sauerstoffdruck in den Lungenalveolen weniger als etwa 30" He beträgt, ohne Weiteres zu erklären, ohne dass man nöthig hätte (mit Hüfner) anzunehmen, dass das Blut etwa zu kurze Zeit in den Lungenalveolen ver- weilte, um sich für den dort herrschenden Druck sättigen zu können. Der Gegensatz zwischen den Resultaten Hüfner’s einerseits und den des Vortragenden, sowie der obengenannten Autoren andererseits dürfte seine Aufklärung finden durch Versuche, die Zuntz mit dem Vortragenden an- gestellt hat und aus denen hervorzugehen scheint, dass die Sauerstoffbindung im frischen Blut lockerer ist als am rein dargestellten Hämoglobin. Hüfner hat an letzterem, die übrigen Autoren haben direct an Blut ihre Unter- suchungen gemacht. II. Sitzung am 10. November 1899. Hr. ALBert NEUMANN hält den angekündigten Vortrag: Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung der Phosphorsäure bei Stoff- wechselversuchen (zweite Mittheilung). In einem früheren Vortrage! über denselben Gegenstand habe ich eine neue Veraschungsmethode organischer Stoffe beschrieben, welche darin be- steht, dass man die Substanz im Kjeldahl-Kölbehen mit cone. Schwefelsäure übergiesst und dann unter Erwärmen so lange portionsweise Ammonium- nitrat einträgt, bis die Flüssigkeit klar und hellgelb geworden ist. An dieses Verfahren lässt sich dann unter Beobachtung genau festgestellter Be- dingungen die Urantitration anschliessen. Es wurden gute Resultate er- halten. Nicht anwendbar ist die Methode bei Gegenwart von Eisen und somit auch bei Fäces. In diesem Falle war man wie bisher auf gewichts- analytische Bestimmungen angewiesen. Es ist mir nunmehr gelungen, nicht nur den Veraschungsprocess noch bedeutend abzukürzen, sondern auch eine einfache Titrationsmethode zur Bestimmung der Phosphorsäure daran anzuknüpfen, welche in allen Fällen Anwendung finden kann. ' Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Sitzung vom 23. Juli 1897. Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. S. 552. 160 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Zunächst bespreche ich die Veraschung. Schon bei der Ausarbeitung des obigen Verfahrens mit Ammonnitrat hatte ich versucht, freie conc. Salpetersäure zu verwenden. Ich konnte aber damit keinen besonderen Er- folg erzielen. Denn wenn ich zu der im Kolben befindlichen, mit Schwefel- säure übergossenen Substanz cone. Salpetersäure hinzugab und erhitzte, so trat wohl vorübergehend starke Oxydationswirkung ein, aber nach kurzer Zeit färbte sich der Kolbeninhalt schwarz und die Veraschung ging dann so langsanı vor sich, als wenn ich gar keine Salpetersäure hinzugefügt hätte. Der Hauptvortheil bei der Verwendung des Ammonnitrats liegt darin, dass ich dasselbe portionsweise zugebe, und somit immer von Neuem eine kräftige Oxydationswirkung hervorrufe. Dieses Verfahren hat aber auch mannigfache Nachtheile. Zunächst ist die Menge des Ammonnitrats abhängig von der Menge Schwefelsäure; letztere muss aber so knapp wie möglich bemessen werden, weil zu grosse Mengen von Säure bezw. Sulfaten jede Anknüpfung einer Bestimmungsmethode ver- hindern. Man kann nicht mehr Gramme des Salzes anwenden, als man Cubikeentimeter Schwefelsäure genommen hat, weil diese sonst völlig in Ammonsulfat übergeführt und dadurch unwirksam wird. Aber auch so wird die im Kolben befindliche Flüssigkeit durch die Ammonsalze immer dick- flüssiger und erstarrt schliesslich beim Abkühlen zu einer festen Masse. Doch nicht nur der Umstand, dass die Menge Ammonnitrat begrenzt ist, beeinträchtigt die Reaction, es ist vielmehr auch zu berücksichtigen, dass beim Hinzufügen des Salzes die Oxydationswirkung eine so heftige ist, dass ein beträchtlicher Theil der Salpetersäure sich ohne Wirkung ver- flüchtigt. Da nun, wie bereits bemerkt, das portionsweise Zugeben von Ammon- nitrat einen deutlichen Fortschritt bedeutet, so lag der Gedanke nahe, anstatt eine feste Substanz in einzelnen Portionen hineinzugeben, eine Flüssigkeit continuirlich hineinlaufen zu lassen. Versuche mit conc. Salpetersäure (spec. Gew. 1-4) hatten das Ergebniss, dass jeder einfallende Tropfen eine sehr stürmische Reaction hervorrief, welche sich durch Stossen und Spritzen im Kolben äusserte. Es scheint, als ob das Wasser in der Salpetersäure beim Zusammentreffen mit der heissen Schwefelsäure die Ursache für diese Er- scheinung ist. Dabei war eine recht beträchtliche Menge Säure zur Oxydation erforderlich. Man muss also auch hier annehmen, dass bei der Heftigkeit der Reaction ein Theil der Salpetersäure ebenfalls ohne Wirkung den Kolben wieder verlässt. Verwendet man aber Gemenge von conc. Schwefelsäure und cone. Salpetersäure (spec. Gew. 1-4) — am wirksamsten ist ein solches zu gleichen Volumteilen —, so hat man ein Oxydationsmittel in Händen, welches an Stärke alle anderen übertrifft und keinen der vorher angeführten Nachtheile besitzt. Eine Veraschung mit diesem Säuregemisch wird in folgender Weise ausgeführt: Man kann trockene oder feuchte Substanz verwenden; selbst Flüssigkeiten können in den meisten Fällen ohne Weiteres in Arbeit genommen werden. Sollte ein Stossen oder Schäumen eintreten, wie es bei fett- oder kohlehydrathaltigen Stoffen zuweilen der Fall ist, so empfiehlt es sich, vorher mit etwa 15°” (I procent.) Kalilauge bis zur Syrupdieke einzudampfen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ALBERT NEUMANN. 161 Die — ev. so vorbereitete — Substanz wird in einem Kjeldahl-Kölbehen mit 5 ‘u Säuregemisch übergossen, der Kolben durch einen Trichter bedeckt und nun in einen darüber befindlichen Hahntrichter weitere 20 bis 30 «m Säuregemisch gegeben. Man erhitzt den Kolben bis zur Entwickelung brauner Nitrosodämpfe mit mässiger Flamme und lässt, wenn die Ent- wickelung der braunen Dämpfe geringer wird, aus dem Tropftrichter langsam ! weiteres Gemisch zufliessen. Man fährt damit fort, bis ein Nachlassen der Reaction eintritt und die Intensität der braunen Dämpfe abgeschwächt er- scheint. Um zu entscheiden, ob die Veraschung beendet ist, unterbricht man das Hinzufliessen des Gemisches einen Augenblick, erhitzt aber weiter, bis die braunen Dämpfe verschwunden sind und beobachtet, ob sich die Flüssig- keit im Kolben dunkler färbt oder gar noch schwärzt. Ist dieses der Fall, so lässt man wieder Gemisch zufliessen und wiederholt die obige Probe. Wenn nach dem Abstellen des Gemisches und dem Verjagen der braunen Dämpfe die Flüssigkeit hellgelb oder farblos geworden und sich bei weiterem Erhitzen nieht mehr dunkler färbt, dann ist die Veraschung beendet. Mit dieser Methode ist man im Stande, selbst sehr schwer verbrenn- liche Stoffe, wie Fette, Milch, Kohlehydrate, in sehr kurzer Zeit zu zer- stören. Zur Veraschung von 13'”® Fäces, Fett, Mehl, Knochenmehl, Zucker, sowie von 25° Milch sind 10 bis 20 Minuten erforderlich. Die Menge des Säuregemisches beträgt 25 bis 35 “”%, Auch grössere Mengen Substanz können sehr leicht verascht werden, ohne dass die Zeitdauer und die Säure- menge in gleichem Verhältniss steigt: 1% Knochenmehl erfordern bei 10 Minuten Zeitdauer 20 °® Gemisch; 5 ®"" Knochenmehl bei 20 Minuten Zeitdauer 50 °” Gemisch. Die Vorzüge dieses Verfahrens gegenüber dem früheren mit Ammon- nitrat sind leicht ersichtlich: 1. wird das Hineinbringen der Ammonsalze vermieden und bleibt der Kolbeninhalt auch nach dem Erkalten flüssig; 2. wird das ÖOxydationsmittel gleiehmässiger und vollständiger aus- genützt und ist in Folge dessen weniger Schwefelsäure nöthig, wodurch die Weiterbearbeitung der veraschten Materie erleichtert wird; 3. wird alles Schäumen und Stossen vermieden, was besonders für quantitative Zwecke von Wichtigkeit ist; 4. ist die Zeitdauer erheblich kürzer und 5. ist von Seiten des Experimentators keine allzu grosse Aufmerksamkeit nöthig, da der Process im Allgemeinen ruhig und glatt verläuft. Theoretisch betrachtet ist der Hauptfortschritt darin zu erblicken, dass während der ganzen Veraschung keine Verkohlung der Substanz eintritt, wie das bei allen früheren Methoden beobachtet wird. Durch das stark wirkende und continuirlich zufliessende Säuregemisch wird beständig der Kohlenstoff der organischen Substanz zu Kohlensäure oxydirt und es tritt nirgends Reduction zu Kohle ein, welche, einmal abgeschieden, dann be- kanntlich viel schwerer verbrennlich ist. Des Weiteren ist noch zu bemerken, ! Man regulire das Hinzufliessen so, dass beständig braune Dämpfe den Kolben erfüllen. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. al 162 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dass die angeführten Vortheile nur dann völlig erreicht werden, wenn man in der vorgeschriebenen Weise verfährt. Würde man z. B. die nöthige Menge Säuregemisch mit Umgehung des Tropftrichters gleich zugeben, so würde die Reaction zu heftig werden, ein Teil der Salpetersäure sich ohne Wirkung verflüchtigen, die Substanz in Folge dessen verkohlen und erst nach Hinzufügen weiteren Gemisches vollständige Veraschung eintreten. Diese Veraschungsmethode, deren Princip also darauf be- ruht, durch continuirliches Hinzufügen eines geeigneten Oxy- dationsmittels eine Verkohlung der Substanz zu vermeiden, ist ziemlich allgemeiner Anwendung fähig. Ich will zur Zeit nur einige Andeutungen darüber machen, behalte mir aber vor, demnächst darüber ausführlicher zu berichten. Interessant ist, dass bei Verwendung des oben beschriebenen Säuregemisches der Stickstoff, welcher bei der Veraschung nach Kjeldahl in Ammoniak verwandelt wird, nicht in dieser Form nach- gewiesen werden kann. Bei Versuchen, die mit Harn und Milch angestellt wurden, konnte in diesem Falle keine Spur von Ammoniak aufgefunden werden. Es erscheint aber zweifellos, dass z. B. Eisen,! Kalk und andere basische Bestandtheile durch die üblichen Methoden bestimmt werden können. Von Säuren sind natürlich die Componenten des Gemisches auszuschliessen. Phosphorsäure lässt sich, wie wir gleich sehen werden, ohne Weiteres be- stimmen, aber auch die Halogenwasserstoffsäuren können quantitativ er- mittelt werden, wenn man die Operation in einem verschlossenen Kolben ausführt und die entweichenden Dämpfe durch eine Lösung von Silbernitrat leitet. Ich gehe nunmehr zur Bestimmung der Phosphorsäure über. Selbst- verständlich kann man auch an die neue Veraschungsmethode ohne Weiteres die bekannten gewichtsanalytischen Bestimmungen und unter den früher beschriebenen Bedingungen die Urantitration anfügen. Da aber im letzten Falle die Methode, wie oben erwähnt, Beschränkungen unterworfen ist, so galt es, ein allgemein gültiges Verfahren zu ermitteln. Dasselbe kann, wenn es einen Fortschritt gegen früher bedeuten soll, nur auf einer Titrations- methode beruhen. Es sind nun für die Zwecke der Agriceulturchemie in dem letzten Jahrzehnt eine grössere Anzahl derartiger Bestimmungen ver- öffentlicht worden, von denen sich keine bisher als wirklich brauchbar er- wiesen hat. Es lag u. A. nahe, den gelben Niederschlag von phosphormolybdän- saurem Ammoniak in Alkali zu lösen und darauf ein derartiges Verfahren zu basiren. Es sind nun bereits vor Jahren von verschiedenen Autoren? ı F.Röhmann und F. Steinitz berichteten vor Kurzem in der Zeitschrift für analytische Chemie. Bd. XXXVIll. 8.433 „Ueber eine Methode zur Bestimmung des Eisens in organischen Substanzen“, bei der sie von meiner frühören Veraschung mit Ammoniumnitrat ausgehen. Sie geben dabei an, dass die Methode, welche im Uebrigen brauchbare Resultate liefert, in Folge der grossen Mengen von Ammonsalz ziemlich umständlich geworden ist. — Es ist demnach zu erwarten, dass sich bei Anwendung meiner neuen Veraschungsmethode die Bestimmung des Eisens bedeutend verein- fachen lässt. ® E. Thilo, Chemiker-Zeitung. 1887. 8.193. — J.'O. Handy, Chem. News. 1892. 8. 324. — H. Pemberton jun., Journ. Amer. Chem. Soc. 1893. Nr. 15. $. 382, referirt Chemiker-Zeitung (Repertorium). 1893. 8.818. — F. Hundeshagen, Che- miker-Zeitung. 1894. S. 506. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ALBERT NEUMANN. 163 Methoden hierzu beschrieben worden, welche aber bisher nirgends Anwendung gefunden haben, weil sie Fehler enthalten und in Folge dessen keine zu- verlässigen Resultate geben können. Neben anderen Schwierigkeiten waren es besonders zwei Punkte, welche grosse Hindernisse in den Weg stellten: Erstens die Erzeugung eines stets constanten Niederschlages und zweitens ein scharfes Erkennen des Farbenumschlages bei der Titration. Was den letzten Umstand anbelangt, so waren die Hauptfehler die, dass einerseits Lösungen, welche Phosphorsäure enthielten, mit Lakmus titrirt wurden, wo- bei bekanntlich amphotere Reaction eintritt, während Andere Phenolphtalein als Indieator anwandten, obwohl die Flüssigkeit Ammoniak enthält. Es er- schien mir nun zweckmässig, letzteres nach dem Lösen des gelben Nieder- schlages in Natronlauge durch Kochen zu entfernen. Man konnte dann hoffen, eine scharfe Endtitration zu erhalten,’ besonders da Geisler! nach- gewiesen hatte, dass in phosphorsäurehaltigen Lösungen Phenolphtalein den Uebergang vom Dinatriumphosphat in das Triphosphat deutlich anzeigt. Wenn ich auch zugeben will, dass das Erkennen des Farbenumschlages nach dem Wegkochen des Ammoniaks erheblich schärfer ist und für ein geübtes Auge vielleicht ausreichen mag, so war ich doch der Ansicht, dass, wenn es gelänge, den Endpunkt noch weiter zu verschärfen, dies für die Methode von Vortheil wäre. Ich glaube nun dieses dadurch erreicht zu haben, dass ich, wie Maly” angiebt, die Phosphorsäure als Baryumphosphat ausfälle, wobei ein gleichzeitiger Zusatz von Natriumsulfat sich als sehr zweck- mäsig erwiesen hat. Das durch die erzeugten Niederschläge hervorgerufene Stossen wird leicht durch Hinzufügen von Talkum vermieden (siehe Nachtrag). Wie bereits oben erwähnt, ist eine weitere Schwierigkeit des Verfahrens darin zu erblicken, dass stets constante Niederschläge nur unter ganz be- stimmten Fällungsbedingungen erhalten werden. Ich habe dieselben er- mittelt und weiter unten näher beschrieben. Eine grosse Anzahl von Ver- suchen, welche mit einer gewichtsanalytisch festgestellten Lösung von Dinatriumphosphat unter Berücksichtigung des eben gesagten in der unten beschriebenen Weise ausgeführt wurden, ergaben nun in grosser Ueber- einstimmung, dass 1 Mol. P,O, des gelben Niederschlages® 56 Mol. NaOH entsprechen. Daraus berechnet man, dass 1°" norm. Natron- lauge = 2-5357 "® P,O, oder bei halbnormalen Lösungen 1” halbnorm. Natronlauge = 1'268"® P,O, entspricht. Zur Fällung des Nieder- schlages und zur Titration werden folgende Lösungen benutzt: Ammonmolybdat (10 Procent), Ammonnitrat (50 Procent), halbnormale Natronlauge, halbnormale Salzsäure, 5. alkoholische Phenolphtaleinlösung (2 Procent). WM Kenne Die Ausführung der Bestimmung ist folgende: Der nach obigem Ver- fahren erhaltene Veraschungsrückstand wird mit Wasser verdünnt, in einen ı Pharmac. COentralblatt. 1894. S. 145. ® Zeitschrift für analytische Chemie. Bd. XV. 8.417. 3 Eine genaue Untersuchung des gelben Niederschlages beabsichtige ich demnächst gemeinsam mit Hrn. W. Sadikoff auszuführen. ill 164 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Literkolben mit der aufgeklebten Marke 150 “" übergespült und bis zur Marke Wasser hinzugefügt. Nach dem Hinzugeben von 50 “® Ammon- nitrat wird auf etwa 70 bis 80° erhitzt, d. h. bis gerade Blasen auf- steigen, und dann mit 40°® Ammonmolybdat der gelbe Niederschlag erzeugt. — 40°” Ammonmolybdat reichen aus für 60” P,O,. Es ist zweckmässig, die Phosphorsäuremenge nicht grösser zu wählen als 508 P,O,, weil man sonst unnöthig viel von den Normallösungen gebraucht, und die Bestimmungen selbst bei 15”® P,O, noch zuverlässige Resultate geben. — Man lässt 15 bis 20 Minuten abkühlen und filtrirt dann durch ein Falten- filter von gutem (am besten aschefreiem) Papier, welches man vorher ganz mit kaltem Wasser gefüllt hat. Der Zweck dieser Manipulation ist, die Filterporen möglichst zusammenzuziehen, weil sonst die noch warme Lösung in Folge des äusserst feinpulverigen Niederschlages zuweilen nicht ganz klar filtrirtt. Man wäscht durch Dekantiren mit möglichst kaltem Wasser aus, bis das Waschwasser gerade nicht mehr gegen Lakmus sauer reagirt (etwa 3 bis 4 Mal), lässt die Hauptmenge der Fällung in dem Kolben und bringt schliesslich auch das Filter wieder in denselben zurück. Darauf löst man kalt in halbnorm. Natronlauge und giebt, wenn gerade Lösung ein- getreten, noch weitere 5 bis 6°" im Ueberschuss hinzu. Man versetzt nun mit 100 °® Wasser, erhitzt nach dem Hinzufügen von Talkum ! zum Sieden und giebt dann von einer (7 procent.) Chlorbaryum- und einer (10 procent.) Natriumsulfatlösung so viele Cubikcentimeter hinein, wie vorher zur Lösung des gelben Niederschlages halbnorm. Natronlauge gebraucht wurde (siehe Nachtrag). Darauf kocht man etwa 15 bis 20 Minuten, bis mit den Dämpfen kein Ammoniak? mehr weggeht, fügt 10 Tropfen Phenolphtalein hinzu und titrirt dann mit halbnorm. Salzsäure zurück. Der Endpunkt ist innerhalb 1 bis 2 Tropfen scharf zu erkennen. Man giebt nochmals 2 °® halbnorm. Natronlauge hinein, kocht wieder 5 Minuten, titrirt nochmals zurück und überzeugt sich auf diese Weise, ob Volumeonstanz eingetreten ist (siehe Nachtrag). Die zur Neutralisation, d. h. nach Abzug der Salzsäure ver- brauchten Cubikcentimeter halbnorm. Natronlauge werden mit 1-268 mul- tiplieirt; man erhält dann die in der Substanz enthaltene Menge Phosphor- säure in Milligrammen P,O,. Controllanalysen nach derselben Methode, mit der Urantitration oder mittels Gewichtsanalyse ausgeführt ergaben Schwankungen nur innerhalb weniger Zehntel Milligramme. Die Entwickelung dieser Methode, ihre Vorzüge gegenüber den anderen und ihre Brauchbarkeit, dargethan durch eine Anzahl von Analysenresultaten, beabsichtige ich demnächst in einer ausführlichen Abhandlung darzulegen, welche in der Zeitschrift für physiologische Chemie erscheinen soll. Von den vielen Versuchen, welche angestellt werden mussten, ist ein erheblicher Theil von Hrn. Cand. rer. nat. W. Sadikoff aus Petersburg mit grosser Sorgfalt und Sachkenntniss ausgeführt worden, wofür ich ihm meinen besten Dank ausspreche. ! Das Talkum muss zu diesem Zweck mit kochender Salzsäure mehrfach extrahirt und dann mit heissem Wasser völlig säurefrei gewaschen werden. ” Bei Versuchen, das weggehende Ammoniak quantitativ aufzufangen, wurden bisher keine constanten Zahlen erhalten. Sollte dies möglich sein, so könnte man vielleicht aus der Menge des Ammoniaks die Phosphorsäure berechnen. . PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — D. HAnsEMANnNn. — E. WÖRNER. 165 Nachtrag: Nachträglich angestellte Versuche haben ergeben, dass, wenn man nach völligem Abkühlen der Flüssigkeit und bei Ver- meidung von Säureüberschuss titrirt, das Erkennen des Farbenum- schlages so scharf wird, dass man den Zusatz von Talkum, Baryumchlorid und Natriumsulfat entbehren kann. Unter diesen Umständen hat sich auch eine Prüfung auf Volumceonstanz als überflüssig erwiesen. III. Sitzung am 24. November 1899. 1. Hr. D. Hassemann hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Alveolen-Poren der Lunge und Hrn. v. Ebner’s Zweifel an ihrer Existenz. (Abgekürztes Referat.) In der ersten Hälfte des dritten Bandes zu Kölliker’s Handbuch der Histologie bezweifelt v. Ebner die Existenz der Alveolen-Poren der Lunge, einmal weil er sie nicht gesehen hat und zweitens weil er die Injections- methode für ungeeignet hält, da bei Schrumpfung der Injeetionsmasse Fäden an den Wandungen der Alveolen hängen bleiben. Als ich an die Frage heranging, bestand durch die Arbeiten von Kohn, Hauser, Ribbert und seinen Schülern schon kein Zweifel mehr, dass die Poren wirklich vorhanden sind. Die Frage war nur, ob sie normal vorgebildet sind, oder durch patho- logische Processe entstehen. Dass sie wirklich normale Gebilde sind, ergiebt sich einmal durch die Injection und zweitens durch Betrachtung dicker Lungenschnitte, bei denen man die Poren von der Fläche sieht. Die In- jeetion zeigt, dass die Fäden der Injectionsmasse nicht, wie v. Ebner glaubt, an den Wandungen der Alveolen haften, sondern durch die Poren hindurch- ziehen, von einem Alveolus zum anderen. An den Flächenbildern kann man die Poren als regelmässige runde Löcher, die etwas grösser als ein Zellkern sind, direct beobachten. Es bleibt unaufgeklärt, warum v. Ebner an solchen Präparaten die Poren nicht sah. Daraus geht mit Sicherheit hervor, dass die Poren thatsächlich an normalen Lungen vorhanden sind. Beim Emphysem erweitern sich die Poren, dann werden sie vielfach oval, eonfluiren mit einander und bilden grössere Wanddefecte. Darauf wies ich schon bei meiner ersten Veröffentlichung hin. Später wurde das von Ribbert bestätigt und von Sudsuki ausführlich dargethan. Der Gesellschaft erlaube ich mir, Präparate von normaler injieirter Kaninchenlunge, normaler menschlicher Lunge, die die Alveolenwandungen im Flächenbild zeigt, fibrinöser Pneumonie, Carnification der Lunge und von Emphysem bei einem alten Mantelpavian vorzulegen. An diesen Prä- paraten wird sich Jeder leicht von der Richtigkeit meiner Angaben über- zeugen können. 2. Hr. E. Wörner hält den angekündigten Vortrag: Zur Bestimmung der Harnsäure. Nach dem Verfahren des Vortragenden gestaltet sich die Bestimmung der Harnsäure folgendermaassen: 166 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 150 °® filtrirter Harn werden in einem Becherglase auf 40 bis 45° erwärmt und darin 30 &”" Chlorammonium aufgelöst. Nach !/, bis 1 Stunde ist alle Harnsäure als Ämmonsalz ausgefällt und der grösste Theil des letzteren hat sich zu Boden gesetzt. Man giesst die über dem Niederschlag stehende trübe Flüssigkeit in ein anderes Becherglas ab, bringt den Nieder- schlag auf’s Filter und filtrirt dann erst die Mutterlauge durch das so dieht gemachte Filter. Man wird so in allen Fällen sofort ein klares Filtrat erhalten, während sonst der Niederschlag leicht durch’s Filter geht. Beide Becher- gläser werden mit Mutterlauge wiederholt nachgewaschen, bis alles Urat auf’s Filter gebracht ist. Ist das erreicht und aller Harn abgelaufen, so wird der Niederschlag mit 10 procent. Ammonsulfatlösung chlorfrei ge- waschen und dann auf dem Filter in, am besten heisser, 1 bis 2 procent. Natronlauge gelöst, und das Filter mehrmals mit heissem Wasser nach- gewaschen. Filtrat und Waschwasser werden in einer Schale auf dem Wasserbade so lange erhitzt, bis kein Ammoniak mehr weggeht, dann in einen Kjeldahlkolben gespült und die Harnsäure durch Kochen mit 15 m concentrirter Schwefelsäure und einigen Krystallen Kupfersulfat zerstört und in bekannter Weise die so gebildete Ammoniakmenge ermittelt. 20 bis 25 m 1/ , Normalschwefelsäure werden in der Regel als Vorlage genügen. 1% entspricht 0-0042 8” Harnsäure. Beleganalysen und Begründung des Verfahrens sollen in der Zeitschrift für Physiologische Chemie veröffentlicht werden. 3. Hr. C. BexpA hält den angekündigten Vortrag: Weitere Beob- achtungen über die Mitochondria und ihr Verhältniss zu Secret- granulationen nebst kritischen Bemerkungen.! Als Fortsetzung meiner Untersuchungen über die Mitochondria stellte ich mir die Aufgabe, ihr Verhalten in neuen Zellarten zu verfolgen, um so meinen Gesichtspunkt betreffs ihrer functionellen Bedeutung zu erweitern. Meine bisherigen Untersuchungen hatten vorwiegend ausgebildete Gewebe oder ausgeprägte Gewebsanlagen, wie z. B. die der quergestreiften Museulatur, betroffen. Es war nunmehr zunächst von Interesse, ihr Vorkommen in der ontogenetischen Entwickelung zurück zu verfolgen. Leider standen mir bisher keine Evertebrateneier zur Verfügung; ich zweifle nicht, dass der grösste Theil der bei Echinodermen, bei Nematodeneiern bekannten Körnungen, die an diesen Objeeten theils ohne besondere Färbung (van Beneden), theils mit Eisenhämatoxylin (so besonders durch v. Kostanecki) als Mikrosomen bereits beschrieben wurden, mit den Mitochondria identisch sind. Mein Object waren einige Tritoneier aus älteren Blastulastadien. Obgleich die für meine Methode nothwendige Härtung mit Flemming’scher Lösung bei diesem Material grosse Schwierigkeiten macht, habe ich von einigen Eiern brauchbare Präparate erhalten. In jeder günstig im Schnitt getroffenen Blastomere sind die charakteristischen Körner enthalten. Ihre Menge er- scheint in den verschiedenen Zellen sehr ungleichmässig. Die kleinen Zellen des animalen Poles enthalten bisweilen scheinbar viel reichere Mengen als ! Zum Theil auch in der anatomischen Section der 71. Naturforscherversammlung zu München vorgetragen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — FE. WÖRNER. — (. BEnpa. 167 die grösseren des vegetativen Poles, besonders im Ruhezustand; doch dürfte dieser Anschein durch eine diehtere Lagerung vorgetäuscht werden. Die Mitochondria sind in meinen Präparaten von den mit Alizarin gelbroth ge- färbten Dotterplättehen und von den osmirten Fetttröpfehen sehr wohl zu unterscheiden. Sie liegen hauptsächlich in der Nachbarschaft des Kernes und spärlicher an der Zellmembran, fehlen aber in der dazwischen gelegenen Zone. Bei ruhenden wie bei sich theilenden Blastomeren ist die Anordnung der Mitochondria gegen die Centralkörperchen typisch. Sie lassen stets eine Zone um das Centralkörperchen frei und häufen sich dann in einer weiteren Zone, wo sie bei ruhenden Zellen eine undeutlich radiäre, bei Mitosen eine ausgeprägte radiäre Anordnung haben. Ich glaube mich hier mit Sicher- heit von ihrer Lagerung innerhalb der Polstrahlungsfäden überzeugt zu haben. In absoluter Gesetzmässigkeit bleiben die Spindelfäden von Körnern frei. Das gilt sowohl für die Centralspindel, wie für die zu den Chromo- somen verlaufenden Mantelfäden. Vom Stadium der Metakinese sammeln sich reichlichere Körnermengen an den Seiten der Spindel, aber stets ausser- halb des noch von Chromosomen durchsetzten Bezirkes an. Ihre Anordnung lässt deutlich erkennen, dass sie den zum Zelläquator zu gerichteten Pol- strahlen angehören, wie man deren an einzelnen günstigen Stellen auch zwischen ihnen mit Sicherheit nachweisen kann. Erst in den Teleophasen schieben sich Körner in der Theilungsebene in das Spindelgebiet ein. Mein Material hat mir noch nicht ermöglicht, festzustellen, ob sie hier identisch mit denjenigen sind, die Ballowitz mit der Bildung des Zwischenkörperchens in Verbindung bringt. Övarialeier von Triton zeigen reichliche Mengen von Fadenkörnern. Die jüngsten Eier sind scheinbar bisweilen frei von denselben. Durch Ver- gleichung einer kleinen Schnittserie erkennt man jedoch, dass in diesen Jüngsten Stadien nur ein einzelner grösserer Körnerhaufen (vielleicht ent- spricht seine Lage dem Dotterkern?) vorhanden ist, der demnach nicht immer im Schnitt getroffen zu sein braucht. Beim Auftreten der Dotterplättchen werden die Körner in die Randzone gedrängt. Sie lagern hier in den kleineren Eiern noch in etwas ungleichmässiger vertheilten Gruppen und Häufchen, bei den grössten Eiern fast gleichmässig vertheilt ausserhalb von den Dotterplättchen in einer rein protoplasmatischen Schicht unter der Zell- oberfläche. Letztere zeigt sich in meinen Präparaten mit sehr zierlichen Stacheln besetzt, die als Intercellularbrücken zu den Follikelzellen ver- laufen. Die Follikelzellen enthalten kleine Gruppen von Fadenkörnern neben dem Kern. Das untersuchte Ovarium einer jungen Maus enthält noch vorwiegend Jüngste Follikel mit einer einfachen Schicht Follikelzellen und nur ver- einzelte wachsende Follikel mit einer höchstens sechs Zelllagen dicken Follikelepithelschicht, stets noch ohne Follikelhöhle. Einer der grössten günstig im Schnitt getroffenen Follikel zeigt das Ei mit Kern und Kern- körperchen. Der Zellleib enthält reichliche Fadenkörner in annähernd radiärer Anordnung der Gruppen. Die Radien strahlen von einer etwas dichteren Häufung in der Nähe des Kernes zu einer unter der Zona pellucida gelegenen körnerreichen Randschicht. Sehr reichliche Körnermassen enthalten die Follikelzellen. Die Zellen der dem Ei zu gelegenen Follikelzellen, die der späteren Zona radiata entsprechen, senden sehr deutlich jene Fortsätze 168 VERHANDLUNGEN DER BERLINER in die Zona pellucida, die zuerst durch Flemming und durch Dietrich von Sehlen, dann später genauer durch Retzius beschrieben wurden. ‘Diese Fortsätze enthalten ebenfalls vereinzelte Körner. Sie ähneln also in dieser Beziehung allerdings nur unvollkommen den ihnen sonst entsprechenden Copulationsfäden der Fusszellen des Hodens, da letztere Copulationsfäden, wie ich in einer früheren Mittheilung erwähnte, äusserst reich an Faden- körnern sind. Meine Bestrebungen, die Fadenkörner auch in der phylogenetischen Reihe zurück zu verfolgen, haben bisher an Schwierigkeiten, das geeignete Material zu conserviren, vielfach Schiffbruch gelitten. Besonders sind mir, da ich auf die Härtung mit Flemming’scher Lösung und Schnittpräparate angewiesen bin, erst wenig Protozoönuntersuchungen gelungen, sie betrafen die parasitischen Darminfusorien von Frosch und Unke, die ich in abgebundenen Stücken des Reetum härtete und schnitt. Neben mir noch nicht ganz verständlichen Bildern in Flagellaten besitze ich einen günstigen Durchschnitt eines Balantidium entozoon vom Bombinatorrectum. Eine schmale, ziemlich dichte Körnerschicht umgiebt den ganzen Zellleib dicht unter der Membran. Deutlich gesonderte, zu Reihen oder Fäden geordnete Körner liegen an der Basis der grossen, das Stoma umgebenden Wimpern. Die Körnerfäden gleichen hier völlig den von mir an den Wimperwurzeln mancher Flimmerepithelzellen dargestellten Bildern. Einige feine, annähernd parallel verlaufende Fibrillen in der Färbung der Mitochondria verlaufen von dem Grund des Mundtrichters durch den ganzen Zellleib bis in die Nähe der gegenüber gelegenen Stelle der Membran. Hinsichtlich der morphologischen Stellung der von mir vorläufig als Mitochondria bezeichneten Gebilde gegenüber den anderen bisher bekannten granulären Zelleinschlüssen war ich bisher zu dem Ergebniss gelangt, dass sie sich von den Altmann’schen Granulationen durch ihre Lagerung inner- halb der Mitomfäden im Allgemeinen unterscheiden. Ich habe aber darauf wiederholentlich hingewiesen, dass Altmann wahrscheinlich bisweilen neben Secretgranulationen auch Mitochondria zu Gesicht bekommen hat. Gegen- über den Ehrlich’schen Granulationen ist ihre Unterscheidung von den eosinophilen und: basophilen auf Grund ihrer Vertheilung und Grösse leicht nachzuweisen. Schwieriger liegt aber die Abgrenzung gegen die neutro- philen Körnungen. Ich konnte bisher nur als Unterscheidungsmerkmal an- führen, dass in den intravasceulären Leukocyten meiner Flemmingpräparate bei der Färbung der Fadenkörner keine in Grösse und Anordnung den neutrophilen Körnern entsprechende Gebilde erkannt werden, sondern nur ein kleiner, häufig radiär geordneter Körnerhaufen, der dem Gebiet der Flemming’schen Sphärenstrahlung entspricht und eben von mir als Faden- körnergruppe gedeutet wird. Auch in einem mit Flemming’scher Methode gehärteten leukämischen Knochenmark fand ich mit meiner Alizarin-Krystall- violettmethode keine neutrophilen Körner gefärbt, die eosinophilen färbten sich allerdings violett, aber viel schwächer als die Fadenkörner. Dement- sprechend fiel andererseits der Versuch negativ aus, in ausgestrichenen Hoden- zellen nach Trocknung und Fixirung auf der Kupferplatte die Mitochondria mittels Ehrlich’s Triacid zu färben. Trotzdem blieb es noch immer wün- schenswerth, eine Färbung der neutrophilen Körner im Schnittpräparat zu erreichen, eine Aufgabe, die mich ausser für die vorliegende Vergleichung PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. -— 0. BENDA. 169 ® mit den Fadenkörnern auch schon längst für hämatologische Untersuchungen beschäftigt hatte. Ich hoffe nunmehr eine Methode gefunden zu haben, die nicht nur für die Leukoeytengranula, sondern auch für andere Secretgranula ganz überraschende Resultate ergeben hat. Ich erwähne z. B., dass ich mit dieser Methode ganz neue Structurbilder der Zellen der Hypophysis, mit deren Studium ich mich seit einiger Zeit beschäftige, erhalten habe. Es handelt sich hier hauptsächlich um die geeignete Härtung. Schon seit längerer Zeit war es mir gelungen, an Gefrierschnitten von Material, welches in starkem Alkohol oder in 10procent. Formalinlösung gehärtet war, die neutrophilen Granula zu erkennen und auch leidlich zu färben. Doch sind die Gefrierscehnitte einerseits zu dick, andererseits verschwindet bei Durch- tränkung mit Celloidin oder Paraffin das Granulationsbild offenbar durch Verklumpung der Körner. Durch die von Weigert in seiner Neuroglia- arbeit angewandten Nachbärtungen des Formalinmaterials wurde auch ich zu Versuchen über die Wirkung von Chrompräparaten auf Gewebe, die mit Formalin vorläufig fixirt sind, angeregt. Ich habe in der Chromsäure ein Mittel gefunden, welches in dieser Anwendung höchst bemerkenswerthe Eigenschaften besitzt. Dieselbe vermag, soweit ich meine Versuche deuten darf, bei unmittelbarer Folge auf Formalinhärtung, d. h. ohne Einschiebung von Wasser oder Alkohol, Gewebsbestandtheile zu fixiren, die durch die Formalinwirkung zwar nicht verändert, aber auch noch nicht genügend fixirt sind, um der lösenden oder schrumpfenden Wirkung anderer Agentien, be- sonders des Wassers und Alkohols, ferner des Aethers und der ätherischen Oele zu widerstehen. Andererseits wird bei der Vorbehandlung mit Formalin die Schrumpfung und besonders das ungleiche Eindringen, welches bei der Behandlung frischer Gewebe mit Chromsäure stört, vermieden, zumal man von dem in grösseren Stücken vorgehärteten Material beliebig kleine Stücke der Nachbehandlung aussetzen kann. Die Härtungsmethode für die Darstellung von Secretgranulationen ver- läuft darnach in folgender Weise: 1. Gewöhnlich grosse Stücke möglichst frischen Gewebes werden auf mindestens 24 Stunden in 10procent. Formalinlösung eingelegt. 2. Hieran schliesst sich ohne vorhergehende Waschung die Nach- härtung in Chromsäure in steigender Concentration. Hierzu werden Stücke von höchstens !/, “® srösster Dieke aus dem Formalinmaterial ausgeschnitten. Sie kommen zunächst einen Tag in 0°25procent. wässerige Chromsäurelösung, einen zweiten in 0°33 procent., schliesslich zwei bis drei Tage in 0-5 procent. Lösung. Sie müssen hiernach auf dem Durchschnitt eine gleichmässig gelb- braune Farbe haben. In dieser selben Zeit sind Stücke des Centralnerven- systems ebenfalls völlig mit Chrom durchgehärtet und zeigen eine prächtige Differenzirung zwischen grauer und weisser Substanz, wie nach Monate langem Liegen in Müller’scher Lösung. An solchem Material gelingt auch mit einer Modification meiner Alizarinfärbung die elective Darstellung der Gliafasern. 3. Nach ein- bis dreitägiger Wässerung erfolgt die Entwässerung in steigendem Alkohol, Bergamottöl, Benzin, Benzinparaffin, in dem die Stücke in offenen Gefässen bei Zimmertemperatur so lange liegen, bis das Paraffin auskrystallisirt. Endlich einige Stunden Paraffindurchtränkung im Ofen. 170 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Zu 1. bemerke ich noch, dass für die Darstellung der Seeretgranula gar keine so übermässige Frische der Gewebe nöthig zu sein scheint. Ich habe an gewöhnlichem Leichenmaterial bis zu 24stündigem Alter die neutro- philen Granula der Eiter- und Knochenmarkszellen, die Secretgranula der Hypophysis scharf dargestellt, allerdings natürlich für derartige Unter- suchungen lebensfrisches Material bevorzugt. Die Härtung mit Formalin muss gut durchgedrungen sein, was bei 24stündiger Einwirkung auf nicht gar zu grosse Stücke sicher der Fall ist. Wie weit eine übermässige Ver- längerung der Formalinwirkung schliesslich die Darstellbarkeit der Körnungen schädigt, kann ich nicht sicher angeben. Mehrwöchentliche Verlängerung hatte noch keine merkliche Schädigung ergeben; dagegen gelang mir in ganz altem, schon zwei Jahre in Formalin verwahrtem Material die Behand- lung nur unvollkommen. Die Färbung der Paraffinschnitte kann nach den verschiedensten Me- thoden erfolgen. Ich habe die Secretgranula, wie bei anderer Gelegenheit näher auseinandergesetzt werden soll, mit Eisenhämatoxylin-Eosin in der Weise dargestellt, dass nach Eisenbeizung (nach M. Heidenhain’s oder meiner Vorschrift) mit einem Gemisch von wässerigem Hämatoxylin und Eosin gefärbt wir. Auch mit einer Modification meiner Fadenkörner- färbung (Eisenalizarin-basische Anilinfarbe), derselben, die für die Neuroglia- färbung geeignet ist, gelingt die Darstellung der Secretgranula, während sie bei typischer Fadenkörnerfärbung entfärbt sind. Für vorliegende Untersuchung habe ich nur auf die Beobachtung einzugehen, dass mit der Eosin-Methylenblau-Methode L. Michaelis’ an dem Formol-Chromsäurematerial eine äusserst scharfe, allerdings nicht sehr haltbare gleichzeitige und differente Färbung der basophilen, acidophilen und neutrophilen Granula Ehrlich’s zu erzielen ist. Mit Triacid habe ich noch keine befriedigenden Resultate gehabt, da erst die günstigste Mischung auszuproben ist.! Die aufgeklebten Schnitte kommen für einige Stunden in das von Michaelis empfohlene Gemisch von Eosin, Methylenblau, Alkohol und Aceton, werden dann in gewöhnlichem (eher leicht alkalischem als saurem) Wasser abgespült, ge- trocknet und unter Vermeidung von Alkohol und Oelen in Balsam ein- gebettet. Nun zurück zu unserem Thema. Mit Hülfe der Formalin-Chromsäure- härtung habe ich Folgendes festgestellt: 1. In Hodenschnitten lassen sich mit Hülfe meiner Alizarin-Krystall- violettfärbung, d. h. der typischen Fadenkörnermethode, die Spiralen der Spermien und die grossen Fadenkörnerhaufen der Spermatiden etwas ver- quollen, aber immerhin erkennbar darstellen. 2. In Schnitten des chronisch leukämischen Knochenmarkes sind mit der Fadenkörnermethode keine neutrophilen Granula erkennbar. 3. In Schnitten des ehronisch leukämischen Knochenmarkes sind mit der Michaelis’schen Methode die neutrophilen Granula scharf gefärbt. ! Anmerkung bei der Correetur: Die Schnittfärbung der Granula mit Tri- acid (modifieirt) ist mir inzwischen ebenfalls gelungen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 171 4. In Hodenschnitten sind mit der Michaelis’schen Methode weder Spiralen noch Fadenkörner gefärbt. Hiermit glaube ich neben der morphologischen auch die chemische Ungleichheit der Fadenkörner und der neutrophilen Granula erwiesen zu haben. Alles in Allem sprechen auch diese, wie meine früheren Beobachtungen dafür, dass die Fadenkörner keine Secretgranula, sondern eigentliche Form- bestandtheile der Zelle, Plasmosomen im Sinne J. Arnold’s, sind. Schon in meiner vorigen Mittheilung hatte ich auf die mannigfachen Berührungspunkte, die meine Ergebnisse mit den durch andere Methoden ge- wonnenen anderer Autoren besitzen, hingewiesen. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in ihnen die Mikrosomen van Beneden’s, M. Heidenhain’s und v. Kostanecki’s, die Plasmosomen Arnold’s, besonders auch die Zone corti- cale der Attractionssphäre E. van Beneden’s wiederfinden. Namentlich hat sich die schon damals von mir nur vermuthete weitgehende Uebereinstimmung meiner Mitochondria mit dem Ergastoplasma Garnier’s, Bouin’s, Prenant’s bestätigt. In einer sehr umfangreichen und gewissenhaften „kritischen Studie“ hat Prenant neuerdings unter dem Titel „Le protoplasma sup6rieur“! die einschlägige Litteratur besprochen und seine Anschauungen entwickelt. Er erkennt in einer sehr eingehenden und wohlwollenden Besprechung den Antheil meiner Untersuchungen an der Förderung der morphologischen Analyse des Protoplasmas an. Ich bedauere um so mehr, dass er 8. 434 einen, wie ich glaube, überflüssigen Prioritätsstreit in diese Besprechung hineinträgt. Prenant stellt fest, dass wir Beide darin übereinstimmen, ein besonderes, bisher unbekanntes Zellorgan, welches er als Ergastoplasma, ich als Mitochondria bezeichne, innerhalb aller Zellen mit besonderen Structuren zu statuiren. Er beansprucht die Priorität für diese Deutung, weil ich meine Ansicht erst am 1. Februar 1899 ausgesprochen habe, er dagegen seine bezüg- liche Arbeit bereits im April 1898 in den Druck gegeben habe — während übrigens die Publication der einschlägigen Capitel sicher nicht vor meiner Mittheilung erfolgt ist — und er seine „Idee“ bis in den December 1897 (bis zur Arbeit Garnier’s) zurückverfolgen könne. Ich kann darauf nur antworten, dass ich gar keinen Grund habe, Prenant die Priorität einer „Idee“ strittig zu machen, wenn mir nur die Priorität der thatsächlichen Be- gründung bleibt. Die Arbeit Prenant’s, eine kritische Studie, enthält aber überhaupt keine neuen Thatsachen. Meine in das betreffende Gebiet fallenden Arbeiten beginnen im Jahre 1891, wo ich zuerst im Anschluss an die Arbeiten F. Hermann’s anfing, die Umwandlungsphänomene bei der Histio- genese der Spermien für die Analyse der Nebenkernsubstanzen zu verwerthen, und zunächst die Sonderbetheiligung des Archiplasmas am Bau der Spermie feststellte. Meine Betheiligung wurde dann durch Irrwege, in die ich be- treffs der Centralkörperchen gerieth, längere Zeit unterbrochen, so dass in diesem wichtigsten Capitel andere Autoren, besonders F. Mewes, die Führung übernahmen, dessen Resultate ich meistens nur nachprüfen und bestätigen konnte. Nur die Verhältnisse der Centralkörperchen bei Selachiern und 1 Journ. de l’anat. et de la physiol. T. XXXIV u. XXXV von November 1898 bis September 1899. 172 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Pulmonaten habe ich unabhängig und vielleicht einige Wochen vor Mewes gefunden. Das letzte zugehörige Capitel nahm ich im Frühjahr 1897 in Angriff, und meine erste Veröffentlichung datirt vom 21. Mai 1897,! also erheblich vor Garnier. Hierin stellte ich zunächst die Betheiligung des von mir als „neue Körner“ bezeichneten Protoplasmatheiles an dem Aufbau des Spiralfadens der Säugethierspermien fest, und entdeckte damit auf’s Neue — übrigens ohne Kenntniss dieser Vorarbeit und mit ganz anderen Me- thoden — eine bereits von v. Brunn gemachte, aber in den bezüglichen Arbeiten F. Hermann’s, C. Niessing’s, F. Mewes’, v. Lenhossek’s nicht bestätigte und wahrscheinlich ganz vergessene Beobachtung. Ich war übrigens auch schon in jener ersten Arbeit erheblich weiter als v. Brunn gekommen, indem ich das von diesem nur vereinzelt gesehene Verhältniss sogleich bei einer grösseren Anzahl von Säugethieren verschiedener Ab- theilungen fand und damit seine Gesetzmässigkeit beweisen konnte. Ich betone das, weil in einer Besprechung Mewes’ die Sache so dargestellt wird, als ob ich nur dasselbe wie v. Brunn gefunden hätte, dessen Priorität ich übrigens selbstverständlich anerkannte, sobald ich durch Ballowitz auf sie aufmerksam gemacht wurde (in Kiel 1898). Von jener Arbeit im Mai 1897 an wird sich die consequente Verfolgung und die allmähliche Klärung, die meine Ansichten an der Hand neuer Be- obachtungen erfuhren, Schritt für Schritt nachweisen lassen. Da ich auch jetzt noch meine Beobachtungen fortsetze, und auf diese mehr Gewicht als auf die vorläufig daran geknüpften Hypothesen, die für mich nur heuristi- schen Werth hatten, lege, so bin ich also auch heute noch nicht so weit mit der „Idee“ wie Prenant. Von einem Prioritätsstreit mit diesem meinem hochgeschätzten Mitarbeiter desselben Gebietes wird aber um so weniger die Rede sein, als sich mein Schlussergebniss von dem seinen wahrschein- lich ganz erheblich unterscheiden wird. Der Berührungspunkt unserer An- schauungen liegt lediglich darin, dass meine Mitochondria sein Ergastoplasma einbegreifen, soweit ich sie bei der Histiogenese zahlreicher functioneller Zellstrueturen betheiligt finde. Ich betone „zahlreicher“, da ich in diesem Punkte sehr viel vorsichtiger als Prenant bin, und beispielsweise die Nissl- körperchen“ der Ganglienzellen entschieden ausschliesse, zumal ich letztere längst nicht mehr für specifische funetionelle Differenzirungen ansehe. Eine wesentliche Verschiedenheit meiner Beobachtungen mit denen Garnier’s und M. und P. Bouin’s, auf die Prenant sich stützt, liegt aber schon darin, dass diese ihr Ergastoplasma in bestimmten Functionsstadien verschwinden sehen, während ich die Mitochondria, wo sie überhaupt vorkommen, zwar in wechselnden Anordnungen, aber in ihren typischen Eigenschaften erhalten finde. Die auf der unvollkommeneren Technik jener Autoren begründeten Beobachtungslücken leiten zu der Grunddifferenz unserer Anschauungen über. Prenant will die Identität des „Ergastoplasma“ der functionirenden Zellen mit dem Kinoplasma oder Archoplasma der sich theilenden Zellen beweisen und beide zu seinem „Protoplasma sup6erieur“ vereinigen. Ich werde durch jede neue Beobachtung weiter gedrängt, die starke Indivi- ! Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. S. 406. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. Ihre? dualität beider Zellbestandtheile scharf hervorzuheben. Wie bei der Sper- matogenese Archiplasma, Centrosoma, Mitochondria ganz verschiedene Theile der Spermie bilden, hat sich schon früher bei den Mitosen der Spermatocyten und jetzt in den Blastomeren die Sonderung der Centralkörper, der archi- plastischen Spindel und der gekörnten Polfasern feststellen lassen. Ich be- trachte es also im Gegensatz zu Prenant als das Resultat meiner bisherigen Untersuchungen, dass die Mitochondria gesondert vom Archiplasma und Centralkörperchen ein eigenes, der Zelle als solcher zukommendes, durch die indireete Theilung auf die Tochterzellen übergehendes Organ der Zelle darstellen; ich sehe in ihnen ein Primitivorgan der Zelle, welches für mannigfache funetionelle Differenzirungen des Zellleibes, besonders auch für motorische Organe, das Bildungsmaterial liefert. Aus diesen Fortschritten in der Erkenntniss des Wesens und der Be- deutung der betreffenden Körnungen leite ich auch meine Berechtigung ab, für sie einen neuen Namen, an den sich die von mir begründete Auffassung knüpft, anzuwenden, indem ich dabei keineswegs in Abrede stelle, sondern sogar betone, dass unter diesem Namen Gebilde theils gesichtet, theils zu- sammengefasst sind, die zweifellos schon gelegentlich unter anderen Namen völlig zutreffend erkannt und geschildert wurden. Im Anschluss an meine Mittheilungen habe ich schliesslich noch zu einem neuerdings erschienenen Werke A. Fischer’s! Stellung zu nehmen, da meine Beobachtungsmethoden und Ergebnisse vielfach mit den Ergebnissen Fischer’s in Collision gerathen, obgleich sie dort noch nicht ausdrücklich berücksichtigt sind. Das Werk Fischer’s soll eine stark nihilistische Ten- denz gegenüber der neueren Zellforschung haben. „Dies Buch bedeutet, wenn sich die darin mitgetheilten Thatsachen, Versuchsergebnisse, bestätigen — woran nicht zu zweifeln sein dürfte — und wenn nur ein Theil der auf Grund davon an unseren allgemein angenommenen Anschauungen geübten Kritik berechtigt ist — dies Buch bedeutet eine vollständige Umwälzung auf dem Gebiete der Zellenlehre, eine Zerstörung der von den weitaus meisten Forschern für richtig gehaltenen, unbedenklich angenommenen Grund- lagen unserer Wissenschaft. Es scheint fast so, als wenn wir wieder von vorn anfangen, zu den Methoden der fünfziger und sechziger Jahre zurück- kehren müssten, — zu der Untersuchung lebender Zellen — da alle, ja alle „Fixirungs“-Methoden Artefakte liefern und die Färbemethoden viel weniger aussagen, als man jetzt allgemein annimmt u. s. w.“ Diese traurige Prophe- zeiung verkündet uns K. von Bardeleben? gerade jetzt, wo wir an der Neige des Jahrhunderts, welches uns die Zellenlehre brachte, mit Stolz auf dasselbe zurückblicken wollen! Ich muss gestehen, dass ich bei der Durchsicht von Fischer’s Werk nicht ganz so schroffe „nihilistische“ Aussprüche gefunden habe. Aber man wird finden, dass die eigenthümliche Form der Kritik, die Fischer an all und jeden Punkt der Zelllehre anlegt, selbst da, wo er in einem Nebensatz zugiebt, nicht „jede“ vitale Grundlage ableugnen zu wollen, sowie der An- schein einer exacten chemischen Beweisführung wohl im Stande sind, den ! Firirung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 1899. ? Anatomischer Anzeiger. Bd. XVI. Nr. 17 u. 18. 8. 477. 174 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Glauben an die wissenschaftliche Begründung der Zelllehre bei schwachen Gemüthern zu untergraben. Ich kann hier nur oberflächlich den Weg beleuchten, auf dem Fischer zu solehen Anschauungen gelangt. Er studirt zunächst auf das Eingehendste die Einwirkung der meisten gebräuchlichen Härtungsmittel auf Eiweisskörper, Nu- cleine, kurzum auf die wesentlichen, bei der Constitution der lebenden Zellen in Frage kommenden organischen Substanzen. Er prüft alsdann viele ge- bräuchlichen Färbungen an den durch den ersten Act hervorgerufenen Fällungen. Er glaubt sich alsdann berechtigt, nach den bei diesen beiden Vornahmen erhaltenen Resultaten eine Kritik der histologischen und speciell eytologischen Untersuchungsergebnisse der letzten drei Jahrzehnte vornehmen zu dürfen. Was den ersten Punkt betrifft, so dürfen wir zugeben, dass die auf- tretenden Niederschläge bisweilen mit den Fäden und Körnern der Histologie eine erstaunliche Aehnlichkeit haben. Dass dagegen die unregelmässigen Gerinnungsfiguren, die Fischer S. 217, 221 und 222 abbildet, und die ver- muthlich schon eine nicht ganz unbefangene Auswahl unter zahlreichen völlig misslungenen Resultaten enthalten, eine Aehnlichkeit mit den mitotischen Strahlungen vortäuschen könnten, ist eine wunderbare Zumuthung für Jeden, der jemals selbst die schlechtest conservirten Mitosen gesehen hat. Solche Bilder sind jedem Histologen bei der Fibringerinnung hinreichend geläufig, wo sie niemals mit vitalen Structuren in Zusammenhang gebracht sind. In dem Capitel über Färbungen hat Fischer eine grosse Menge von Angaben, die unsere Anschauungen über die Electionskraft der Färbungen erschüttern sollen, mit solcher Geschicklichkeit zusammengestellt und mit so kräftigen Polemiken gewürzt, dass sie einen Unkundigen leicht verwirren könnten. Ich berühre hier nur flüchtig einige in Einzelheiten nachweis- baren Unterlassungen und Fehler. Aus dem ganzen Gebiet der Lackfarben, den Hämatoxylinen und Carminen, die in der Geschichte der histologischen Technik eine so hervorragende Rolle spielen — Carminfärbungen bildeten Maschke’s und Gerlach’s erste Anfänge der mikroskopischen Färbung — werden alle jene bekannten Methoden, die ich gelegentlich als Tintenfärbungen zusammengefasst habe, mit ihren so ausgeprägten Electionen mit Still- schweigen übergangen; nur Delafield’s Hämatoxylin wird einmal flüchtig erwähnt. Von den complieirten und vieldeutigen Beizlackverfahren wird das Eisenhämatoxylin — von Fischer als Eisenalaunhämatoxylin bezeichnet — theoretisch mehrfach verwerthet, aber sachlich ganz ungenügend und fehler- haft behandelt. Fischer spricht vom Eisenalaunverfahren nach Benda- Heidenhain. Er meint das Verfahren M. Heidenhain’s, kennt aber offenbar weder mein Verfahren, noch die R. Heidenhain’s und Weigert’s, aus denen sich jene gerade entwickelt haben, und die zum theoretischen Verständniss des Eisenverfahrens unbedingt nöthig sind. Mit diesen Kennt- nissen ausgerüstet, hätte Fischer wohl selbst gesehen, dass seine an die Eisenalaunbeizung geknüpften Speculationen irrig sind. Es ist falsch, dass die Ferrisalze, wie er behauptet, nur als basische Salze als Beizen verwendet werden können: ich habe vor M. Heidenhain’s Empfehlung des Eisenalauns mit dem Liquor ferri sulfuriei oxydati, also einer stark sauren reinen Ferri- sulfatlösung, gebeizt, und dabei, abgesehen von der Centrosomenfärbung, bei PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 175 deren Entdeckung durch M. Heidenhain ganz andere Gründe (geeignetere Härtungen) vorlagen, genau die gleichen Resultate wie Heidenhain erzielt. Aber noch bedenklicher wird Fischer’s Hypothese durch die Erfahrung, dass nach Pal und F. Hermann sogar reine Chromsäure in der gleichen Weise für Hämatoxylin beizt, und schliesslich sogar nach R. Heidenhain ganz ähn- liche Färbungen unter Umständen eintreten, wenn man die Hämatoxylinsäure voranschickt und mit der Beize (Kaliumehromat) nachbehandelt. Daraus er- giebt sich, dass hier die denkbar complicirtesten Verhältnisse vorliegen. Ent- weder kommt eine basische Metallverbindung mit dem Gewebe zu Stande, an die sich die Hämatoxylinsäure anlagert, oder eine saure Hämatoxylin-Gewebs- verbindung, an die sich die Metallbase schmiegt, oder endlich eine basische Hämatoxylin-Gewebsverbindung, die noch eine Metallsäure zu binden vermag. Und schliesslich haben für die Theorie der Hämatoxylinlackfärbungen noch alle diese Verhältnisse nur beschränkte Bedeutung, da ein wesentlich den Farbeffeet bestimmendes Moment in der Differenzirungsflüssigkeit liegt. Für diese kommt nur in Betracht, ob man ein einfaches oder reducirendes Lösungsmittel des Lackes anwendet (Essigsäure, Alaunlösung), wo der Lack da übrig bleibt, wo er am dichtesten gebunden war, oder ein oxydirendes Mittel, wo wechselnde, für jede vorgegangene Härtung specifische Färbungen übrig bleiben, die aber jedenfalls nicht von der Reaction des Oxydations- mittels abhängig sind, da sie in gleicher Weise bei sauren (Chromsäure) wie bei basischen (Boraxblutlaugensalz) eintreten. Die die Anilinfärbungen betreffenden Feststellungen Fischer’s lassen sich sehr kurz zusammenfassen. Er hat einerseits zeigen können, dass ein chemisch gleichartiger Eiweissniederschlag von verschieden grobem Korn sich durch zwei verschiedene Farben tingiren lässt, und dass durch den Behand- lungsweg das Resultat der Färbung in der Weise variirt werden kann, dass sich ein Mal die groben, ein ander Mal die feinen Körner mit jeder der beiden Farben verbinden. Er hätte bei dieser Feststellung mit etwas grösserer Schärfe betonen dürfen, dass derartige Experimente ausschliesslich mit je zwei im Ehrlich’schen Sinne gleichwerthigen Farben, d.h. entweder mit zwei basischen (z. B. Safranin und Gentiana) oder mit zwei sauren (z. B. Säure- fuchsin und Pikrinsäure) gelingen. Das einzige Experiment, dem in Fischer’s Tendenz Beweiskraft zukäme, die gleichzeitige Färbung eines chemisch gleich- artigen Niederschlages mit einer sauren und einer basischen Farbe, ist ihm nicht gelungen. Die zweite Gruppe von Versuchen soll darthun, dass in vielen Fällen chemisch gleichartige Fällungen durch verschiedenwerthige Farbstoffe in be- liebiger Weise gefärbt werden können. Fischer hat aber hierbei selbst einen Farbstoff von unüberwindlicher Electionskraft, das Methylgrün, ge- funden, und andererseits zeigen die Berichte, dass jede Inversion des Färbungs- vermögens nur durch äusserst eingreifende chemische Wirkungen zu erzielen war, deren Bedeutung Fischer tendenziös abzustreiten sucht. Beide Versuchsreihen ergeben somit keine einzige mit der Ehrlich’- schen Färbtheorie im Widerspruch stehende Thatsache, sondern nur höchst willkommene Belege und Klärungen. Die erste Reihe von Versuchen löst in dankenswerther Weise einen nach der Ehrlieh’schen Theorie übrig bleibenden Widerspruch, dass zwei wesentlich gleicehwerthige Farben so ausgesprochene 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Affinitäten besitzen sollen, wie dies bei Anwendung von Orange-Säurefuchsin, Pikrinsäure-Säurefuchsin oder Safranin-Gentiana allerdings gelegentlich zu Tage tritt, und wir werden da gern Fischer’s physikalische Erklärungen annehmen. Die zweite Beobachtungsreihe erfüllt gerade ein Postulat jeder chemischen Färbetheorie, dass eingreifende chemische Veränderungen eines der beiden Factoren — der Farbe oder des Gewebes — die chemische Affinität verändern müssen. Nun endlich zu der Hauptsache, der Beziehung der Untersuchungen Fischer’s zur histologischen Forschung. Selbst wenn alle thatsächlichen Erhebungen Fischer’s unangreifbar festständen, könnte meines Ermessens nur Derjenige, der die Geschichte der Histologie völlig vernachlässigt, eine Erschütterung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen von jener Seite befürchten. Wem werden diese häufigen Ermahnungen, den Bau der lebenden Gewebe zu berücksichtigen, eigentlich ertheilt? Die Histologie hat sich durchaus an das Studium der lebenden Gewebe angeschlossen und greift fortwährend auf dasselbe zurück. Erst da, wo die Betrachtung des lebenden Objectes im Stiche liess, hat sie zu den von ihr nie in dieser Eigenschaft ver- kannten Artefakten der Härtung und Färbung gegriffen, deren Beziehung zu den vitalen Structuren nicht, wie Fischer anzunehmen scheint, voraus- gesetzt wurde, sondern in jedem Einzelfalle oft unter grossen Schwierigkeiten und Controversen durch Beobachtungen und Beweise wahrscheinlich gemacht wurde. Und kein auf dem bezeichneten Wege entdeckter Formbestandtheil ist wohl dem Schicksal entgangen, von hyperskeptischen Kritikern auf seine vitale Präexistenz angezweifelt zu werden. Ich erinnere an die Zweifler der Endothelgrenzen, des Tuberkelbacillus, die in ganz ähnlicher Weise, wie Hr. Fischer, ihre Einwände, Erstere schon vor 30 Jahren, begründeten! In den meisten Fällen hat es sich da gezeigt, dass das Auge, durch die Kenntniss der Härtungs- und Fixirungsbilder geschärft, vorher Ueber- sehenes mit Sicherheit wahrnahm. In anderen Fällen gelang die vitale Beobachtung wenigstens in einigen Phasen, und der Technik fiel die Aufgabe zu, die Lücken der Beobachtung zu ergänzen. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Histologie namentlich über Fischer’s Angriffe gegen die achro- matische Spindel und die Centralkörperchen zur einfachen Tagesordnung übergehen. Beide Gebilde treten während des Zelltheilungsvorganges, das letztgenannte während der Histiogenese der Spermie so unzweifelhaft in Erscheinung, dass die von der Cytologie festgestellte oder in Feststellung begriffene Lebensgeschichte beider Organe, auch ohne dass alle Phasen vital beobachtet werden, zur wissenschaftlichen Thatsache wird. Unter dem bezeichneten Gesichtspunkt beanspruche ich auch für die von mir in meinen letzten Arbeiten behandelten Gebilde, die vielleicht auch Fischer’s Skepsis anheimfallen dürften, die wissenschaftliche Berechtigung. Es handelt sich nicht darum, die mit irgend einer ausgefallenen Methode zufällig in Erscheinung tretenden Kunstproducte plötzlich als eine wichtige eytologische Entdeckung auszuposaunen — so ungefähr scheint sich Hr. Fischer die Entstehung der modernen cytologischen Errungenschaften vor- zustellen —; sondern es war die Aufgabe gegeben, einige bei einer grossen An- zahl von Zellen vital unzweifelhaft erkannte Structuren: ich nenne den Mittel- stückmantel der Spermie, den Querstreifen der Muskelfasern, die Wimper- wurzel des Flimmerepithels und andere, auf ihre Entstehung zu untersuchen. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü. BENDA. E77 Dabei verfolgte ich den Gedanken, dass diejenigen Darstellungsmethoden, die zunächst, gleichgültig ob chemisch oder physikalisch, jene Gebilde an den anerkannten Stellen am klarsten zur Darstellung bringen, den gleichen Erfolg auch an ihren Vorformen haben könnten. Erst als ich dies bestätigt sah und auf dem gleichen Wege zu Gebilden zurück gelangte, die ebenfalls vital bekannt sind, den Körnungen der Blastomeren, halte ich auch die nicht im Einzelnen verfolgbaren Zwischenformen für hinreichend legitimirt, um die Ansicht eines besonderen Zellorganes darauf aufzubauen. Als letzter Beweis für die vitale Existenz von Härtungs- und Färbungs- resultaten, die nicht vital zu bestätigen sind, ist noch das physiologische Postulat in Anwendung gebracht worden. Ich denke hierbei namentlich an die Methoden der Erforschung der Nervenendigungen. Aber auch hier ist immer der Nachweis nöthig gewesen, dass die Methoden wenigstens an einigen vital controlirbaren Gliedern des Systems den gleichen Darstellungs- erfolg offenbaren. Ueberdies wird Hr. Fischer nicht leugnen können, dass auch im eigenen Lager der Histologen stets Skepsis genug vorhanden war, um die Ergebnisse der Vergoldung und der Golgi’schen Methoden nicht bedingungslos anzunehmen. Welche thatsächlichen Feststellungen bleiben also als Angriffspunkte für Hrn. Fischer’s Kritik übrig? Seine Untersuchungsmethoden wenden sich zunächst an die Granulalehre. Hier muss aber Fischer selbst zugestehen, dass die vitale Existenz für die Ehrlich’schen Leukocytengranula, sowie die zymogenartigen Körnungen der Drüsenzellen feststeht. Auch die Ehrlich’- sche Farbenanalyse der Leukocytengranula wird von seiner Kritik nicht betroffen, da es ihm thatsächlich nicht gelungen ist, bei chemisch gleich- artigen Niederschlägen ohne schwere chemische Eingriffe Acido- und Baso- philie willkürlich zu erzeugen. Darnach behält auch trotz seiner Versuche die Thatsache Geltung, dass durch Ehrlich’s Farbenanalyse an den durch Trocknung ohne chemische Eingriffe fixirten Leukocytengranulationen chemi- sche Differenzen enthüllt worden sind, die bekanntlich mit den schon vor der Farbenanalyse durch Max Schultze erkannten morphologischen Diffe- renzen in vollem Einklang stehen. Es bliebe also höchstens noch die für den Aufbau der Zelle ziemlich belanglose Frage, ob die Granula vital wirk- lich Körnchen oder vielleicht zähflüssige Tröpfehen sind. Wir kommen noch schliesslich zu den Aitmann’schen Granulationen, mit deren Kritik Fischer’s Arbeiten seiner Zeit begonnen und eine gewisse Zustimmung gefunden hatten. Wir dürfen ihm das Verdienst beimessen, zuerst durch seine Untersuchungen wahrscheinlich gemacht zu haben, dass durch die Altmann’schen Methoden sehr heterogene Dinge zur Darstellung gebracht sein könnten. Nach Aussichtung der Seceretgranula und der Mito- chondria bleiben in den Altmann’schen Präparaten noch Körner, die wir vorläufig nicht weiter unterbringen können und die vielleicht als zufällige Coagulationen aufzufassen sind. Ueber dieses „vielleicht“ kommen wir aber auch mit Fischer nicht hinaus, da sehr wohl auch trotzdem ihre Wesen- heit aus weiteren Untersuchungen hervorgehen könnte. Im Uebrigen hat die Histologie auch an dieser Frage nur ein beschränktes Interesse, da die kühnen Folgerungen, die Altmann seiner Zeit an die Granuladarstellung knüpfte, auch ohnedies leicht als haltlos zu erkennen waren. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Den Einwänden Fischer’s gegen Einseitigkeiten der vorherrschenden Protoplasmatheorien ist eine Berechtigung nicht abzusprechen. Ein Ver- gleich der Citate Fischer’s ergiebt aber, dass diese Einwände keines- wegs erst aus der Methodik Fischer’s folgen, sondern dass sie von uns Artefaktuntersuchern ganz ebenso erhoben wurden. Andererseits ist die von Fischer am meisten bekämpfte Bütschli’sche Wabentheorie durch ganz ähnliche Versuche begründet worden, wie sie Fischer anwendet. Um also den Gemeinplatz zu erweisen, dass man aus lückenhaftem Beobachtungsmaterial noch keine definitiven Theorien aufbauen kann, wäre es wirklich schade um die Menge von Arbeitskraft, die in Fischer’s Buch aufgespeichert ist! Ich möchte aber meine Ausführungen auch mit einer Prophezeiung schliessen, nämlich der, dass sich die Angelegenheit in einer viel mehr zufriedenstellenden Weise ordnen wird. Die histologische Wissen- schaft wird über die ihr von Fischer entgegengeschleuderten Thatsachen nicht stolpern; sie wird dieselben, soweit sie sich als richtig erweisen, ruhig aufsammeln und zu ihrem Fortschritt verwerthen. Wenn Hr. Fischer einmal eingesehen hat, dass seine Untersuchungen kein einziges histo- logisches Ergebniss aus der Welt schaffen, und sich der umstürzlerischen Bestrebungen begiebt, wird er sicher die Anerkennung finden, dass seine Methodik sich sehr wohl auf den von Miescher, Bütschli, Kossel, Lilienfeld, Posner und Anderen angebahnten Weg als werthvoller Fort- schritt einfügt, und gerade für die chemische Begründung und Vertiefung der histologischen Technik das leisten wird, was ihr für ihre Vernichtung nicht gelingt. IV. Sitzung am 8. December 1899. 1. Hr. EnGELMmAnN bespricht und demonstrirt einige neuere Methoden zur Untersuchung der Herzthätigkeit. a) Die Suspensionsmethode zur Beobachtung und graphischen Auf- zeichnung der Bewegungen der einzelnen Herzabschnitte in und ausserhalb des Körpers. Vortr. demonstrirt mittels des Doppelcardiographen am Frosch- herzen die Pulsationen des Sinus, der Vorkammern und der Kammer, sowie die chronotropen, inotropen und dromotropen Wirkungen reflectorischer Vagus- reizung, und legt eine Reihe von Cardiogrammen vor, welche die Erschei- nungsweise der Bewegung der verschiedenen Herzabschnitte bei verschiedener Suspension zeigen. b) Das epidiaskopische Projeetionsverfahren. Mittels einer nach Zeiss angefertigten Spiegel- und Linsenvorrichtung wird auf dem weissen Schirm des verdunkelten grossen Hörsaales des physiologischen Institutes das blossgelegte, blutdurchströmte Froschherz, etwa 35 Mal vergrössert, beim auffallenden Lichte einer Bogenlampe von 20 Ampere abgebildet. Die Be- wegungen der Kammer, der Vorkammern, des Bulbus arteriosus und anderer Theile des Herzens werden einmal an dem durch Bestreuen mit Kalkpulver PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ENGELMANN. — (. Benpa. 179 weiss auf dunklem Grunde, dann am unversehrten, dureh ein untergeschobenes Cartonblatt dunkel auf weissem Grunde erscheinenden Organe demonstrirt, chronotrope, inotrope und dromotrope Reflexe und die Erfolge direeter elek- trischer Reizung des Herzens (refractäre Phase, Extrasystolen mit eompen- satorischer Pause u. s. w.) vorgeführt. c) Eine neue, sehr empfindliche Modifieation der capillar-elektro- metrischen Methode zur Beobachtung und Demonstrirung der die Herz- thätigkeit begleitenden elektrischen Vorgänge. Das Prineip dieser, vorläufig nicht zu messenden, sondern wesentlich nur zu qualitativen Versuchen verwendbaren Modification besteht darin, dass der Quecksilbermeniscus durch Druck oder mittels einer geeigneten elektro- motorischen Kraft bis möglichst weit in die Oeffnung der Capillare vor- getrieben und hier eingestellt wird. Die geringste, in der Richtung nach aussen wirkende elektromotorische Kraft verursacht dann ein Ausströmen, bezw. Abtropfen von Quecksilber, und zwar wächst die Geschwindigkeit des Abtropfens und die Menge des abfliessenden Quecksilbers unter bestimmten Bedingungen mit Dauer und Grösse der elektromotorischen Kraft. Bei Ab- leitung der rechten und linken Hand kann beispielsweise, wie Vortr. mittels des Projeetionsapparates demonstrirt, die elektrische Wirkung des mensch- lichen Herzens in Gestalt einer isochron mit dem Herzschlag springenden und wieder versiegenden Quecksilberfontäne zur Erscheinung gebracht, bei Ableitung des blossgelegten Froschherzens von Kammer und Vorkammer jedem Puls entsprechend ein doppeltes Ausspritzen beobachtet werden u. s. w. Es genügten zur Demonstration dieser Erscheinungen im Allgemeinen Ca- pillaren, welche für das gewöhnliche Beobachtungsverfahren unbrauchbar waren. Der Einfluss des Leitungswiderstandes im Elektrometerkreise auf die Bewegungen des Quecksilbermenisecus macht sich in sehr beachtens- werther Weise bemerkbar. 2. Hr. ©. BexpA demonstrirt Paula Günther’s neues Lupenstativ. Die im Gebrauch befindlichen Lupenstative kranken an zwei Mängeln. Sie sind einerseits zu leicht gebaut, um bei den verschiedenen Handhabungen die nothwendige Standhaftigkeit zu bewahren, und andererseits doch nicht hinreichend beweglich, um sich an jedes kleine wie grosse Objeet anzupassen und diesen gegenüber bequem in jede wünschenswerthe Stellung gebracht werden zu können. Besonders ist das allmähliche Nachlassen des Haltes aller Gelenkverbindungen bei manchen Modellen geradezu typisch. Diesen Missständen hilft das neue Stativ, welches sich Paula Günther als Ge- brauchsmuster 118634 (eingetragen den 5. Juli 1899) schützen liess, mit sehr einfachen Mitteln ab. Auf einer soliden, ziemlich schweren Metallplatte von etwa 20% Länge und 13°“ Breite erhebt sich eine Metallstange von 32° Länge. Auf dieser läuft eine nach oben und unten verschiebbare und drehbare Röhre, die durch Stellschraube fixirbar ist. Die Röhre ist mit einem horizontalen Arm von etwa 40 “" Länge fest verbunden, so dass der- selbe mittels jener Röhre allseitig um die verticale Stange beweglich ist. Der Arm besteht aus zwei etwa gleichlangen Gliedern, die durch ein in der Horizontalebene bewegliches Charniergelenk mit einander verbunden sind. Auch das Charnier ist durch Stellschraube fixirbar. Das distale Glied ist 127 180 BorIs BIRUKOFF: ERKLÄRUNG. hohl und nimmt den 20 °“ langen Lupenstiel auf, der also wieder ausziehbar, drehbar und durch Stellschraube fixirbar ist. Durch diese Anordnung ist die Lupe thatsächlich in jeder Stellung mit Sicherheit festzuhalten. Die dem Apparat beigegebene einfache Lupe hat einen Durchmesser von 9°" und etwa 10 “® Focus. Sie ist mit Leichtigkeit durch jede beliebige, auf gleichen Stiel montirte Lupe zu ersetzen. Der Apparat ist von der Erfinderin in erster Linie für den Zweck des Zeiehnens bestimmt. Er ist natürlich in gleicher Weise als Präparirlupe brauchbar, und auch als Beleuchtungslinse geeignet. Er wird von der Waagenfabrik von Reimann, Berlin SO., Schmidstrasse 32, im Preise von 21 Mark geliefert. Erklärung. Von Dr. Boris Birukoft. Verehrter Herr Redacteur! In diesem Archiv 1899, 8. 525 ist meine Arbeit „Ueber die Wirkung einer gleich- zeitigen Reizung beider Vagusnerven auf das Athmungscentrum‘ abgedruckt worden. Obschon diese Arbeit im physiologischen Laboratorium der St. Petersburger Universität entstanden ist, halte ich es für meine Pflicht, zu erklären, dass die Verantwortung für diese Arbeit vollständig mir zufällt, dem Autor, und nicht dem Prof. Wedensky, welcher das physiologische Laboratorium der genannten Universität verwaltet, und welcher an dieser meiner Arbeit, sowie auch an meinen anderen Arbeiten, keinen unmittelbaren Antheil genommen hat. St. Petersburg, 13. November 1899. Boris Birukoff. JUN 4 1900 Beiträge zur Kenntniss der Fermente. Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin, (Aus dem chemischen Laboratorium des pathologischen Institutes in Berlin.) Erster Theil. Die chemisehe Natur der Fermente. Die Frage nach der chemischen Natur der Fermente ist trotz ihrer principiellen Wichtigkeit erst in allerletzter Zeit ernsthafter in Anerifl ge- nommen worden. Wir dürfen erst dann hoffen, Fermente als chemische Individuen zu isoliren und ihre Constitution zu bestimmen, wenn die Zu- gehörigkeit der Fermente zu einer bestimmten Gruppe von chemischen Stoffen nachgewiesen ist. Die Möglichkeit, dass die thierischen und pflanzlichen Fermente sich auf verschiedene Ölassen von Stoffen vertheilen, muss ja zu- gegeben werden, doch weist das gleichartige Verbalten der bisher bekannt gewordenen Fermente gegen chemische und physikalische Einflüsse auf eine nähere chemische Verwandtschaft und Gleichartiekeit in der Zusammen- setzung hin. Obwohl keine zwingenden Beweise für «lie Eiweissnatur der Fermente bisher beigebracht worden sind, zweifeln heutzutage wohl nur wenige Forscher an der Thatsache, dass die Fermente zu den eiweissartigen Stoffen im weitesten Sinne gehören. L. de Jager! und Arthus? wollen die Fermente nicht als Stoffe oder chemische Individuen aufgefasst wissen, sondern als physikalische Kräfte oder Zustände, wie der Magnetismus ein Zustand des Eisens ist, allein diese Auffassung hat sich keine Anerkennung zu verschaffen gewusst, und es bliebe ja selbst bei der Annahme dieser ı Centralblatt f. medie. Wissensch. 1890. * Elemente der physiologischen Chemie. Leipzig 1895. 182 Hans FRIEDENTHAL: Hypothese noch immer Aufgabe der Wissenschaft zu untersuchen, an welchen chemischen Zustand der Materie das Auftreten dieser problematischen Kräfte gebunden sein soll. Die bisher bekannt gewordenen Analysen von möglichst rein darge- stellten Fermenten, wie sie von Hüfner, Schmitt, Barth, Lintner, Donath und Bull! ausgeführt worden sind, haben von der Eiweiss- zusammensetzung so abweichende Analysenzahlen ergeben, dass Morac- zewski? für die Diastase und wohl auch für das Invertin die Zugehörigkeit zu der Classe der Eiweisskörper als widerlegt gelten lassen will. Moraczewski stellt die Ergebnisse der Analysen von Fermenten in folgender Tabelle zusammen: (€ H N Asche ı° Ferment Autor 43*6 6-7 14-0 0-88 | Trypsin Hüfner 48-8 7-13 14:16 | Emulsin August Schmitt 43-9 8-4 6-0 0-6 , Invertin M. Barth 46°6 7-3 10°4 1-0 Diastase Litner 46-6 7-1 14-9 0-9 Pankreatin —_ 43-9 6-9 9:5 0-6 Invertin Donath 43-5 7:0 11-6 1-3 Emulsin Bull Wie man sieht, sind die Zahlen für C und N überall niedriger als für Eiweisskörper; die Analysenzahlen des Invertin zeigen kaum noch eine Aehnlichkeit mit den Zahlen der Proteinsubstanzen.® Moraczewski? hält die Enzyme für nichts anderes, als für gewisse Spaltungsproducte derjenigen Körper, auf welche sie specifisch einwirken, und vergleicht ihre Rolle mit dem von Nernst entdeckten Einfluss von Neutralsalzen auf die Löslichkeit anderer Neutralsalze. Je nachdem die Fermente auf Eiweiss oder Kohlehydrate wirksam sind, sollen sie mehr oder weniger Stickstoffgehalt zeigen. Nach dieser Hypothese müsste also Diastase ein Zucker oder ein Polysaccharid sein, da ja andere Spaltungsproducte der Stärke nicht bekannt sind. Die Unwahrscheinlich- keit einer solchen Hypothese braucht wohl nicht erst nachgewiesen zu werden, doch liefert ihre Aufstellung einen Beweis für das in neuerer Zeit wiederholt aufgetauchte Bestreben, die an Salzlösungen gewonnenen ! Ref. aus Moraczewski, Ueber die Enzyme. Pflüger’s Archiv. Bd. LXIX. 8.34. 2eAn 840. ® Prof. E. Salkowski hat mich autorisirt, an dieser Stelle mitzutheilen, dass sich nach seinen Beobachtungen die Analysenzahlen für das Barth’sche Invertin durch eine constante Beimengung von Hefegummi erklären. * A.2.0. BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. 183 Forschungsresultate der physikalischen Chemie ohne Weiteres auf die com- plicirtesten Vorgänge des planzlichen oder thierischen Organismus zu übertragen. Eine wesentliche Förderung hat die Frage nach der chemischen Natur der Fermente erst erfahren durch die Arbeiten von Pekelharing! und von Wröblewski.” Wroblewski zeigte, dass der grösste Theil des bisher als Diastase bezeichneten Körpers aus einem unwirksamen Kohlehydrat be- steht, so dass die Abweichung von der procentischen Zusammensetzung der Eiweisskörper in der Beimengung eines stickstofffreien Stoffes ihre ge- nügende Erklärung findet. Der eigentliche diastatisch wirkende Eiweiss- körper, den Wröblewski nicht völlig von dem anhängenden Kohlehydrat befreien konnte, soll ein albumosen- oder peptonähnlicher Körper sein, dessen nähere Zusammensetzung allerdings noch völlig unbekannt geblieben ist. Wröblewski spricht die Vermuthung aus, dass wir die Fermente überhaupt aufzufassen haben als Proteosen oder Peptone, welche mit den Toxalbumosen vielleicht eine natürliche Gruppe bilden. Pekelharing! dagegen fand im Magensaft einen phosphorhaltigen Eiweisskörper, der als Spaltungsproduct Xanthinbasen lieferte, und von dem er sehr wahrscheinlich machen konnte, dass wir in ihm das eigentliche Pepsin zu erblicken haben. Pekelharing’s Ergebnisse stehen im Wider- spruch mit den Analysen von Schoumow-Simanowski, der den Eiweiss- körper im Hundemagensaft untersucht und phosphorfrei gefunden hatte, doch erklärt sich der Widerspruch durch den Befund von Pekelharing, dass durch Extraction mit Alkohol das Pepsin phosphorfrei gewaschen werden könne. Obwohl Pekelharing kein Kohlehydrat als Spaltungs- product des Pepsins nachweisen konnte, nimmt er doch an, dass wir das Pepsin als Nucleoproteid aufzufassen haben, und es gelang ihm auch, nicht nur aus Magensaft, sondern auch aus sogenannten Pepsinpräparaten ein solehes Nucleoproteid darzustellen und durch Fällung mit 0.02 procent. Salzsäure und durch Dialyse zu reinigen. Der Phosphorgehalt der Prä- parate schwankte zwischen 0-33 und 1-33 Procent, was sich durch die leichte Spaltbarkeit des genuinen Pepsins erklären lässt. Die ausserordent- liche Wirksamkeit des Pekelharing’schen Präparates, von dem !/, 000" sich noch wirksam erwies, machte es unwahrscheinlich, dass das eigentliche Ferment nur als Verunreinigung diesem Nucleoproteid beigemischt sein könne. Beim Erhitzen spaltet sich Pekelharing’s Pepsin in ein Nucleo- proteid, das in Säuren unlöslich war, in eine phosphorhaltige und in kaltem Alkohol schwer, in warmem Alkohol leicht lösliche Substanz und in eine ı Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXII. S. 233. 2 Ebenda. Bd. XXIV. 8. 173. 184 Hans FRIEDENTHAL: Albumose, die keine verdauende Fähigkeit besitzt, da ja die Pepsinwirkung beim Kochen vernichtet wird. Dass die gekochte Pepsinlösung eine wirkliche Albumose enthielt, konnte Pekelharing beweisen, indem das Filtrat vom Nucleoproteid durch Zusatz von Kochsalz und Essigsäure eine Opalescenz ergab, die beim Kochen ver- schwand und in der Kälte wiederkehrte. Durch Sättigen der Lösung mit Ammonsulfat konnte die Albumose ausgefällt werden, sie erwies sich als leicht löslich in Wasser und gab starke Biuretreaction. Die von Pekelharing beschriebenen Spaltungsproducte beweisen, dass wir es im Pepsin nicht mit einem einfachen Nucleoproteid, sondern mit einem noch viel complieirter gebauten Eiweisskörper zu thun haben, dessen eines Spaltungsproduct als eigentliches Nucleoproteid anzusehen ist, welches im unveränderten Magensaft mit einer Albumose und einem phosphor- haltigen Körper verbunden ist. Fasst man die bisher bekannt gewordenen Thatsachen über die Natur der Fermente kurz zusammen, so ist von einem Ferment, dem Pepsin, die Zugehörigkeit zur Gruppe der Nucleoproteide, von einem anderen Ferment, der Diastase, die Zugehörigkeit zur Gruppe der Proteosen behauptet worden, während die systematische Stellung aller übrigen Fermente gänzlich im Dunkeln geblieben ist und nicht einmal ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Eiweisssubstanzen wahrscheinlich gemacht werden konnte. Absolute Sicherheit über die wahre Natur der Fermente werden wir erst dann erhalten können, wenn es gelungen sein wird, aus unwirksamen Bestandtheilen fermentativ wirksame Substanzen synthetisch aufzubauen. Bis dahin sind wir auf Wahrscheinlichkeitsschlüsse in Bezug auf die syste- matische Stellung der Fermente angewiesen, da wegen der Fähigkeit der Fermente, mit indifferenten Niederschlägen niedergerissen zu werden und in kleinsten Mengen bei genügender Zeitdauer jede beliebige Substanzmenge umzuwandeln, gegen jeden aus Fermentlösungen isolirten wirksamen Körper geltend gemacht werden kann, dass das eigentliche Ferment nur als’ Ver- unreinigung in ihm enthalten sein könne. Eine Messung der quantitativen Wirksamkeit verschieden concentrirter Fermentlösungen könnte uns nur dann einen Aufschluss über die Menge und die Art der wirksamen Substanz gewähren, wenn die Gesetze bekannt wären, nach denen mit zunehmender Fermentmenge die Wirksamkeit der Lösungen sich steigert. Bisher ist es aber der Forschung nicht gelungen, in einwandsfreier Weise den Grad der Wirksamkeit einer Fermentlösung aus dem Gehalt an Ferment voraus zu berechnen und die Schwierigkeiten, welche in der Umwandlung der Fermente in unwirksame Modificationen und in dem störenden Einfluss der Spaltungsproducte gelegen sind, zu überwinden. BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. 185 Trotz dieser Schwierigkeitsn soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, dass wahrscheinlich die Fermente zur Gruppe der Nucleoproteide gehören, da es gelungen ist, in verschiedenen Fermentpräparaten ein Nucleoproteid nachzuweisen, nach dessen Ausfällung die Wirksamkeit der Lösungen vernichtet war, während der Niederschlag sich noch als wirksam erwies. Der geringe Gehalt der sogenannten „reinen Fermente“ an Nucleoproteid und das übereinstimmende physikalische Verhalten von Nucleoproteiden und Fermenten machen es unwahrscheinlich, dass die wahren Fermente nur als Verunreinigung in den Nucleoproteidniederschlägen enthalten waren, wenn auch die Möglichkeit dieses Vorkommnisses sich nicht mit aller Sicherheit widerlegen lässt. Aus Lösungen von Präparaten von Diastase, Pepsin, Trypsin und Papayotin konnte mit Ammoniumsulfat eine Substanz ausge- salzen werden, welche durch ihren Phosphorgehalt und durch die Abspal- tung von Pentose und Alloxurbasen sich als echtes Nucleoproteid erweisen liess. Aus oben erörterten Gründen wurde die Wirksamkeit der ausge- waschenen Niederschläge nur qualitativ, nicht quantitativ bestimmt. Für eine quantitative Bestimmung des Phosphors mit Aussicht auf gleichmässige Ergebnisse sind die heutigen „reinen Fermentpräparate“ noch viel zu un- gleichmässig zusammengesetzt. Untersuchung des Pepsins. Von allen Fermenten bietet das Pepsin der Untersuchung am wenig- sten Schwierigkeiten dar, da es durch Pawlow’s Methode der Schein- fütterung an ösophagotomirten Hunden möglich geworden ist, wasserklaren Magensaft ohne Beimengung von Speichel oder Nahrungsbestandtheilen in genügenden Mengen zu erhalten, wobei anscheinend das Pepsin den einzigen Eiweisskörper der Flüssigkeit darstellt. Der frische Magensaft des Hundes enthält nur einen Eiweisskörper, der durch Sättigung des Magensaftes mit Kochsalz quantitativ ausgefällt wird. Das Filtrat zeigt keine Spur von Pepsinwirkung,. Nach einigem Stehen treten im Magensaft dagegen albumosen- oder peptonartige Körper auf, welche bei der Fällung mit (NH,),SO, in das Filtrat übergehen, aber ebenfalls keine verdauende Einwirkung auf Eiweisskörper ausüben. Wie Pekelharing? gezeigt hat, spalten sich diese Eiweissstoffe in erheblicher Menge schon beim Erhitzen des frischen Magensaftes aus dem Pepsin ab. ! Soleher Magensaft ist in Petersburg in Apotheken käuflich zu haben. Ein von mir untersuchtes Präparat verdanke ich der Güte des Hrn. Dr. v. Walther, dem ich an dieser Stelle dafür meinen verbindlichsten Dank ausspreche. ZA 0: 186 HAns FRIEDENTHAL: Wie später gezeigt werden soll, scheinen Proteosen als Spaltungsproducte fast aller Fermente aufzutreten, ohne dass ihnen selber fermentative Wirk- samkeit zukäme. Entgegen den Angaben von Pekelharing enthält der Hunde- magensaft keinen durch Kochen fällbaren Eiweisskörper. Wohl erhält man beim Kochen des frischen Magensaftes eine flockige Fällung, aber diese Fällung wird durch die Salzsäure des Magensaftes in der Hitze bewirkt, nicht durch die Siedehitze allein. Neutralisirt man Hundemagen- saft, so bleibt er klar und zeigt beim Kochen nicht einmal eine Trübung. Dies ist wohl ein Beweis dafür, dass nicht die hohe Temperatur, sondern die kochende Salzsäure des Magensaftes die Ausfällung des Eiweisskörpers bewirkt hat. Auch in dieser Beziehung erweist sich das Pepsin als iden- tisch mit anderen Nucleoproteiden, welche in neutraler Lösung durch Siede- hitze nicht gefällt werden. Die Nucleoproteidnatur des Pepsins konnte durch Auffindung der drei für Nucleinsubstanzen charakteristischen Spaltungsproducte: der Phosphor- säure, der Xanthinbasen und einer Kohlehydratgruppe, sicher gestellt werden. Um positive Resultate zu erhalten, ist es nöthig, in jedem Falle grössere Mengen Magensaft zu verwenden, da der Gehalt des Magensaftes an festen Stoffen im Durchschnitt nur 27 pro Mille, an Nucleoproteid noch nicht 5 pro Mille beträgt. | Der aus dem Pawlow’schen Institut stammende Hundemagensaft! war eine wasserhelle Flüssigkeit vom specifischen Gewicht 1.004 bei 16° C., im Geschmack nicht von einer gleichstarken reinen Salzsäure zu unter- scheiden. Die Titration ergab einen Säuregehalt gleich 0.577 Procent HCl. Der Gefrierpunkt des Magensaftes lag bei — 0-61°, die Gefrier- punktserniedrigung war also fast genau übereinstimmend mit der einer 0-.577procent. HCl. Aus dieser Thatsache kann mit Sicherheit gefolgert werden, dass die Salzsäure nicht in einer chemischen Verbindung mit Pepsin im Magensaft enthalten ist, ein Umstand, der für die Frage nach der chemischen Natur des Pepsins von grosser Bedeutung ist. Nach Arthus? soll der Magensaft keine freie Salzsäure, sondern nur saure. organische Verbindungen enthalten, welche Stärke nicht in Dextrine und Zucker zerlegen, wenig energisch auf Rohrzucker einwirken und bei Siedehitze und im luftleeren Raum nicht zerlegbar sein sollen. Es musste also untersucht werden, ob das „Pepsin“ als eine salzsäurehaltige, organische Verbindung aufzufassen sei. Die Salzsäure des Hundemagensaftes wandelte ! Der Magensaft war bereits etwa 14 Tage alt. Als zufälligen Befund enthielt er relativ beträchtliche Mengen Kupfer, welches wohl von der neusilbernen Magen- canüle der Hunde herzuleiten ist. 2N..2..0. BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE, 187 aber Stärke beim Kochen in Zucker und Dextrin um, wirkte auf Rohr- zucker nicht merklich anders, als gleichstarke, wässerige Salzsäure und ver- dampfte beim Eindicken des Magensaftes, so dass bei gleichzeitiger Berück- sichtigung der hohen Gefrierpunktserniedrigung es wohl als ausgeschlossen gelten kann, dass das Pepsin chemisch gebundene Salzsäure in seinem Molecül enthält. Das durch Ausfällen mit Eisessig aus dem Magensaft gewonnene Nucleoproteid ergab nach langem Auswaschen mit Eisessig und Veraschen mit Soda und Salpeter deutliche Phosphorreaction mit molybdän- saurem Ammoniak. Nach Lösen in Natronlauge und anhaltendem Kochen mit concentrirter Salzsäure gab ein Theil beim Kochen mit Phloroglucin kirschrothe Färbung, ein anderer Theil nach dem Uebersättigen mit Ammo- nıak auf dem Wasserbade durch Silbernitrat flockige Fällung der Alloxur- silberverbindungen. Da die Rothfärbung beim Kochen mit Phlorogluein und Salzsäure noch nicht strict beweisend erscheint für die Anwesenheit einer Pentose im Molecül, so wurde ein Theil des Präparates nach der von Salkowski und Blumenthal angegebenen Form der Orcinreaction auf Pentose unter- sucht. Das aus etwa 150 °“® Magensaft ausgefällte Pepsin gab nach Kochen mit Orein und Salzsäure und Ausschütteln mit Amylalkohol Grünfärbung des Amylalkohols und bei Prüfung mit dem Speetroskop die für Pentose charakteristischen Absorptionsstreifen. Da die Menge des zur Verfügung stehenden Hundemagensaftes nur für eine Oreinprobe ausreichte, so musste an käuflichen, wirksamen Pepsin- präparaten das Vorhandensein einer Pentosengruppe im Pepsinmolecül bei den negativen Befunden von Pekelharing durch mehrfache Versuche sicher gestellt werden. Ein schneeweisses, wasserlösliches Pepsin aus der chemischen Fabrik von Riedel, angeblich frei von Kohlehydraten, zeigte in Mengen von etwa 0.2 "= positiven Ausfall der Orcinreaction nach der Ausschüttelung mit Amylalkohol. Dass nicht etwa beigemengte Pentose den positiven Ausfall der Reaction bewirkte, konnte sicher gestellt werden, da auch nach der Fällung mit Ammoniumsulfat und Auswaschen mit Ammoniumsulfatlösung die Resultate sich nicht änderten. Das Präparat war nicht frei von Kohlehydraten, da es Fehling’sche Lösung äusserst stark reducirte. Unter dem Namen Finzelberg’s Pepsin kommt ein sehr wirksames, aber in Wasser unlösliches Präparat in den Handel, das allerdings zum grössten Theil aus Milchzucker besteht. Ein solches Präparat, das durch mehrfaches Auswaschen von jeder Spur von anhängendem Kohlehydrat be- freit worden war, wurde mir von Hrn. Prof. Salkowski gütigst überlassen. Das Präparat redueirte nicht Fehling’sehe Lösung, enthielt also ken Kohlehydrat, dagegen gaben etwa 0.1 =” positiven Ausfall der Oreinreaction. 188 Hans FRIEDENTHAL: Nach den oben mitgetheilten Versuchen kann es nicht zweifelhaft erscheinen, dass aus dem Nucleoproteid des Magensaftes ein Kohlehydrat (Pentose) sich abspalten lässt. Allerdings erfordert das Pepsin ein ganz besonders anhaltendes Kochen mit concentrirter Salzsäure zum Nachweis - der Pentose. Der negative Befund von Pekelharing erklärt sich wohl aus der festen Bindung der Kohlehydratgruppe im Pepsin, auch prüfte er anscheinend nach Kochen des Pepsins mit verdünnter Schwefelsäure nur auf etwaige Reduction, so dass ihm Spuren von Pentose leicht entgehen konnten. Wenn auch noch keineswegs für alle Nucleoproteide ein Gehalt an organisch gebundenem Eisen als charakteristisch nachgewiesen ist, ist es doch bemerkenswerth, dass in allen untersuchten Fermenten ein Gehalt an organisch gebundenem Eisen nachgewiesen werden konnte C. Schmidt hatte bei Veraschung des Magensaftes einen Gehalt von 0-1 pro Mille phosphorsauren Eisens festgestellt. Es leuchtet ein, dass bei Veraschung eines eisenhaltigen Nucleoproteides Eisenphosphat in der Asche sich finden muss. Der Eisengehalt des Pepsins scheint nicht hoch zu sein, doch geben 0.5 2m durch Ausfällen mit (NH,),SO, gereinigtes Pepsin eine deutliche Bildung von Berlinerblau. Die. farbigen Reactionen der Eiweisskörper geben das Pepsin aus Magensaft und das aus verschiedenen Handelspräparaten in gleicher Weise. Magensaft vom Hund giebt beim Kochen mit concentrirter Salpetersäure gelbe Flocken, die auf NH,-Zusatz orangefarben werden, also ist der Aus- fall der Xanthoproteinreaction positiv. Auch die Millon’sche und die Liebermann’sche Farbenreaction kann schon mit Magensaft erhalten werden. Gegen einige Fällungsreagentien der Eiweisskörper verhält sich das Nucleoproteiid des Magensaftes merkwürdig resistent; von Gerbsäure, von Alkohol, von Jodkaliumquecksilber und Jodkaliumwismuth mit starker Salz- säure, auch von Phosphorwolframsäure und Phosphormolybdänsäure wird es leicht gefällt, dagegen erzeugen Esbach’s Reagens, Sublimat und concen- trirte Salzsäure nur leichte Trübung, während Eisessig im Ueberschuss sofortige flockige Fällung hervorruft. Schon durch seine Löslichkeit in Salzsäure, in der das Pepsin bei 0-02 Procent ein Minimum der Löslichkeit besitzt, zeichnet es sich vor allen bekannten Nucleoproteiden aus, die sammtlich durch Salzsäure in der Kälte gefällt werden. Es ist oben bereits darauf hingewiesen, dass das Pepsin eine bedeutend complicirtere Zusammensetzung hat, als die be- kannten Nucleoproteide, und dass Pekelharing als Spaltungsproduet des Pepsins ein in Salzsäure unlösliches Nueleoproteid nachgewiesen hat. Im Einklang mit den obigen Befunden steht die Thatsache, dass alle neueren BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. 189 Untersuchungen der chemischen Zusammensetzung des 'T'hierkörpers, nicht Eiweissstoffe im chemischen Sinne, sondern viel complieirtere Verbindungen als Bausteine in den Zellen und Geweben nachgewiesen haben.! Fassen wir die Ergebnisse der Untersuchung von reinem Magensaft und von Pepsinpräparaten zusammen, so liess sich in beiden ein durch Ammoniumsulfat aussalzbarer, proteolytisch wirkender Stoff nachweisen, der nach Fällung und Farbenreaectionen sich als eiweissartiger Körper documentirte und der durch den Nach- weis von Phosphorsäure, Xanthinbasen, Kohlehydrat (Pentose) und Eisen als zur Classe der Nucleoproteide gehörig erkannt wurde Ob wir in ihm das eigentliche Ferment (Pepsin) zu erblicken haben, bedarf noch weiterer Beweise. Untersuchung der Diastase, Von allen Fermenten ist die Diastase am eingebendsten auf ihre chemische Natur hin geprüft worden. Die älteren Analysen hatten, wie oben bereits erwähnt, einen so geringen Stickstoffgehalt der wirksamen Diastasepräparate ergeben, dass die Meinung aufkommen konnte, dass die Diastase in ihrer Zusammensetzung den Kohlehydraten, gegen welche sie wirksam ist, ähneln solle. In einer eingehenden Arbeit stellte Wröblewski? fest, dass die Diastasepräparate zum allergrössten Theil aus unwirksamen Kohlehydraten bestehen, wodurch der geringe Stickstoffgehalt der Präparate erklärt erscheint; als eigentliches „diastatisches Ferment‘“ betrachtet er da- gegen einen von ihm mit Quecksilberjodidjodkalium und Salzsäure aus Diastaselösungen ausgefällten Eiweisskörper, der den Proteosen oder Peptonen nahe stehen soll. Bei der ausserordentlichen Wichtigkeit, welche eine Be- stätigung der Resultate von Wröblewski gehabt hätte, mögen hier die Ergebnisse seiner Untersuchung in Kürze wiederholt werden. Mit Brücke’s Reagens fällte er aus Diastaselösungen einen Eiweisskörper, der durch Ag,CO, von Jod und Quecksilber, durch Einleiten von H,S mögliehst von Silber befreit wurde Da das Silber nicht quantitativ entfernt werden konnte, erhielt er eine schwärzliche Lösung, welche Stärke verzuckerte, die Biuretreaction undeutlich, die Millon’sche und Xanthoproteinreaction da- gegen deutlich ergab. Des Silbergehaltes wegen wurde die ausgefällte Substanz, welche von Wröblewski für das eigentliche Ferment gehalten wurde, nicht analysirt, doch sollen folgende Eigenschaften die Diastase charakterisiren: Beim Kochen werden Lösungen von Diastase nicht coa- gulirt, durch Essigsäure in der Wärme und in der Kälte nicht gefällt, 1 J.Sosnowski, Centralblatt für Physiologie. 1899. Nr. 11. 8. 267. ?* Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXIV. 8.173. 190 Hans FRIEDENTHAL: durch schwache Salzsäure erst beim Kochen, durch starke Salzsäure schon in der Kälte gefällt. Gute Fällungsreagentien für Diastase sollen sein MsSO,, (NH,),SO,, Tannin, starker Alkohol, Brücke’s Reagens, Phosphor- wolframsäure und Phosphormolybdänsäure; durch Essigsäure und Ferro- cyankalium, durch Sublimat und durch Salpetersäure soll nur Trübung in Diastaselösungen hervorgerufen werden, Bleizucker ohne Einfluss sein. Durch Pepsin in saurer Lösung wurde Diastase zerstört, durch Trypsin in alka- lischer Lösung nicht angegriffen. In Wasser war die „Diastase‘“ nicht eigentlich löslich, sondern sie quoll nur und bildete opalisirende Lösungen. Den Hauptbestandtheil der Diastasepräparate sollte ein fermentativ unwirk- sames Araban, d.h. ein Polysaccharid der Arabinose, darstellen, welches im Filtrat nach Ausfällung der Diastase mit Brücke’s Reagens zurückbleibt, durch seine Fällbarkeit durch starken Alkohol, Magnesiumsulfat und Am- moniumsulfat ausgezeichnet ist und beim Kochen mit starken Säuren quantitativ in Arabinose zerfällt. Schon nach den Ergebnissen der Arbeit von Wröblewski erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, dass der beschriebene Eiweisskörper zur Gruppe der Albumosen zu rechnen sei, da die Diastase nicht in den geringsten Spuren dialysirt, in Wasser nicht löslich ist, und das Hauptkennzeichen der eigentlichen Albumosen, nämlich das Auftreten von Niederschlägen, die sich beim Erhitzen lösen, beim Erkalten wieder ausfallen, fehlt. Dagegen wurde in mehreren Diastasepräparaten verschiedener Herkunft vom Verfasser ein Nucleoproteid gefunden, welches in allen wesentlichen Punkten mit dem im Magensaft gefundenen Nucleoproteid übereinstimmte, sich dagegen in seinen Eigenschaften von dem von Wröblewski beschriebenen Eiweiss- körper unterschied. Da es gelang, das Nucleoproteid in wirksamer Form aus Diastaselösungen auszufällen durch Sättigung der Lösung mit Kochsalz und Ansäuern mit kochsalzgesättigter Essigsäure, ist es wahrscheinlich, dass wir dieses Nucleoproteid als eigentliches Ferment aufzufassen haben, zumal durch Aus- fällen des Nucleoproteides die Lösung ihrer diastatischen Fähigkeit beraubt ist. Schon früher ist der Gehalt der Asche der wirksamen Fermentpräpa- rate an phosphorsaurem Kalk aufgefallen, so dass die Meinung entstehen konnte, dass der phosphorsaure Kalk in irgend einer Weise bei der Ferment- wirkung betheiligt sein müsse. Es leuchtet aber ein, dass auch Nucleo- proteide bei Gegenwart von Kalk phosphorsauren Kalk in der Asche zurück- lassen müssen. Es zeigte sich auch, dass sämmtliche Diastasepräparate beim Aussalzen mit Kochsalz und Essigsäure einen Niederschlag lieferten, der nach dem Auswaschen mit 2 Litern 15 prozent. Salzsäure nach der Veraschung deutliche Phosphorreaction mit Ammoniummolybdat ergab. BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. 191 Dieser oftmals wiederholte Versuch beweist wohl die Anwesenheit von or- ganisch gebundenem Phosphor in den untersuchten Präparaten, aber noch nicht die Anwesenheit eines Nucleoproteides. Durch den Nachweis von Al- loxurbasen, von Pentose und von Eisen konnte aber sehr wahrscheinlich gemacht werden, dass wir es hier mit einem dem Pepsin sehr ähnlichen Körper zu thun haben, zumal auch das Verhalten gegen Fällungsreagentien Aehnlichkeit aufwies. Während Wröblewski Diastase durch Essigsäure weder in der Kälte noch in der Wärme fällbar sein lässt, ergaben klar filtrirte Lösungen von Diastase (Riedel), die etwa 1®'m Substanz in 50 «m 0.05 procent. Soda- lösung enthielten, bei Zusatz von Essigsäure deutliche Trübung, während sich beim Kochen mit Essigsäure ein Eiweisskörper in Flocken abschied. Beim Kochen in neutraler Lösung coguliert die Diastase so wenig wie das Pepsin. In den Fällungsreactionen unterschied sich die Diastase vom Pepsin nur durch ihre leichtere Fällbarkeit durch starke Salzsäure in der Kälte, während sie durch starken Alkohol, Tannin, Brücke’s Reagens, Phosphorwolframsäure und Phosphormolybdänsäure, durch Magnesiumsulfat und Ammoniumsulfat wie das Pepsin in Flocken ausgefällt wurde. Wie das Pepsin, zeigt auch die Diastase bei Zusatz von Esbach’s Rea- gens, von Ferrocyankalium und Essigsäure, von Salpetersäure bei genügendem Kochsalzzusatz und von Sublimat nur Trübung, nicht flockige Fällung, und wie das Pepsin, bildet die durch HCl ausgefällte Diastase beim Absaugen der Lösungen colloide gel&eartige Niederschläge auf dem Filter, welche das Filter verstopfen und ein völliges Absaugen der Flüssigkeit unmöglich machen. Wohl jedem, der sich mit der Darstellung und Reinigung von Nucleoproteiden befasst hat, wird dieser physikalische Zustand der Nucleo- proteidniederschläge als charakteristisch aufgefallen sein. Die Untersuchung der Diastase auf die Spaltungsprodukte der Nuclein- substanzen wurde nach der von A. Neumann! angegebenen Vorschrift ausgeführt. Etwa 1” Substanz wurde in Natronlauge gelöst, wobei schon in der Kälte eine lebhafte Gelbfärbung eintrat, welche beim Kochen dunkler wurde. Bei Zusatz von concentrirter Salzsäure schied sich ein Niederschlag ab, der nur durch anhaltendes Erhitzen mit reichlichen Mengen HCl gelöst werden konnte. Ein Theil der Lösung gab beim Erhitzen mit Phlorogluein lebhafte Kirschrothfärbung, ein anderer nach dem Uebersättigen mit Am- moniak nach Zusatz von Silbernitrat beim Erhitzen auf dem Wasserbade fiockige Fällung der Alloxursilberverbindungen. Beim Kochen der Diastase mit Orein und Salzsäure und Ausschütteln mit Amylalkohol ging eine Substanz in den Amylalkohol über, welche die für die Anwesenheit von ! Dies Ärchiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 374. 192 Hans FRIEDENTHAL: Pentose charakteristischen Absorptionsstreifen spectroskopisch erkennen liess. Wegen der Möglichkeit der Verunreinigung der Diastase, auch nach dem Ausfällen mit Essigsäure, mit einem Araban darf allerdings auf den Nach- weis einer Kohlehydratgruppe im Diastasemolecül nicht allzuviel Gewicht gelegt werden, da ja die Schwierigkeiten der quantitativen Glycogenbestim- mungen genügend gezeigt haben, wie schwer es ist, colloide Kohlehydrate und Eiweisskörper vollständig von einander zu trennen. Wenn aber auch die Möglichkeit des Vorkommens eines stickstofffreien Arabans in Diastase- präparaten nicht geleugnet werden soll, machte doch die weitere Unter- suchung es unwahrscheinlich, dass ein solches Araban einen wesentlichen Bestandtheil des untersuchten Diastasepräparates (von Riedel) ausmachen könne. Der Gehalt der Diastase an Nucleoproteid war sehr gering, so dass aus 100 ®" Diastase nur 0-76" durch Essigsäure und Kochsalz ausgefällt wurden, und dieser Umstand erklärt wohl auch genügend die dem Speichel gevenüber so geringe Wirksamkeit der meisten Diastasepräparate, da ja bei Verwendung von O-1®"“ des Präparates noch nicht 18" wirksamer Sub- stanz zur Anwendung gelangt. Die Lösung von 2m Diastase Riedel in 100° m Wasser drehte die Ebene des pularisirten Lichtes so stark nach rechts, wie eine 3°8 procent. Traubenzuckerlösung, während das Araban nach Wröblewski eine sehr starke Linksdrehung bewirkt. Beim Kochen der enteiweissten Diastaselösung mit Phenylhydrazin und Essigsäure schied sich während des Erhitzens ein Osazon ab, welches den Schmelzpunkt 214 bis 215° nach mehrmaligem Umkrystallisieren aufwies, also jedenfalls kein Pentosazon darstellen konnte. Eine Analyse! ergab einen Stickstofl- gehalt von 15-99 Procent, während sich für Glycosazon 1568 Procent berechnen. Die Menge des gebildeten Osazons bewies, dass der grösste Theil der Diastase (Riedel) aus Traubenzucker bestehen musste. In einem Diastasepräparat von Merck dagegen liess sich ein Pentosenreaction lie- fernder Bestandtheil in grösserer Menge nachweisen, welcher aber beim Ausfällen der Diastase durch Sättigen mit Kochsalz bei Zusatz von. Essig- säure in Lösung blieb, so dass die abfiltrirte Flüssigkeit, mit Salzsäure und Orein oder Phlorogluein gekocht, deutliche Pentosenreaction erkennen liess. Selbst wenn man wegen der Anwesenheit eines Arabans den Nachweis der Pentosengruppe im Molecül der Diastase noch für zweifelhaft hält, haben die vorliegenden Untersuchungen doch das Vorkommen eines Nucleo- proteides in Diastasepräparaten bewiesen, in denen kein anderer Eiweiss- körper nachgewiesen werden konnte, dem die Fermentwirkung hätte zuge- schrieben werden können. Es ist wenig glaublich, dass das Nucleoproteid ! Für Ausführung dieser Analyse bin ich Hrn. Neuberg, Assistent am chemischen ‚aboratorium des pathologischen Institutes, zu Dank verpflichtet. BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. 193 nur einen unwesentlichen zufälligen Befund in den Diastasepräparaten dar- stellen soll. Die Anwesenheit von Alkalialbuminat in den Diastaselösungen musste ausgeschlossen erscheinen, weil beim Neutralisiren der Diastaselösungen mit Essigsäure kein Niederschlag und keine Trübung entstand, die Anwesenheit von Globulinen, welche ebenfalls durch Essigsäure ausgefällt sein konnten, war widerlegt durch den Umstand, dass Diastaselösungen beim Dialysiren gegen destillirtes Wasser keinen Eiweisskörper ausfallen liessen. Das Filtrat der Essigsäure-Kochsalzfällung gab weder Xanthoprotein- noch Millon’sche Reaction, so dass thatsächlich das Nucleoproteid der einzige Eiweisskörper der Diastasepräparate zu sein schien, Die äusserst schwache Albumosenbiuretreaction von Diastaselösungen ist sehr wahrscheinlich bedingt durch eine Zerlegung des Diastasemolecüls durch starke Alkalien, wobei, wie bei so vielen Nucleoproteiden und bei dem Pepsin, eine Albumose abgespalten wird. Schon durch ganz geringe Spuren von freier Natronlauge wird die Diastase zerstört und unwirksam, während ganz schwach saure Lösungen einen conservirenden und befördern- den Einfluss auf die Diastase ausüben. Unter diesen Umständen kann wohl kaum die schwache Rosafärbung bei der Biuretreaction als volleültiger Beweis für die Albumosennatur des Fermentes „Diastase‘‘ angesehen werden. Kurz zusammengefasst, ergab die Untersuchung von Diastase- präparaten das Vorhandensein eines Nucleoproteides, welches durch seinen Gehalt an Phosphor, Eisen, Pentose und Alloxur- basen charakterisirt ist. Dieses Nucleoproteid konnte in wirk- samer Form aus den Diastaselösungen ausgefällt und von an- hängenden Kohlehydraten gereinigt werden durch Sättigen der neutralen Lösung mit Kochsalz und durch nachträgliches An- säuern mit kochsalzgesättigter Essigsäure. Das Kochsalz scheint dabei einen schützenden Einfluss auf die Diastase auszuüben, daohne Salzzusatz Diastase durch Essigsäure zerstört wird. Aus- ser diesem Nucleoproteid war kein anderer Eiweisskörper in wirksamen Diastaselösungen gefunden worden. Untersuchung von Papayotin (Riedel) und Pancreatinum (Riedel). Um stete Wiederholungen zu vermeiden, möge hier nur kurz berichtet werden, dass in Präparaten von Papayotin und Pancreatin ebenfalls durch Aussalzen mit Ammoniumsulfalt das Vorhandensein von eisenhaltigen Nucleo- proteiden constatirt werden konnte. Die Darstellung der Spaltungspro- ducte, Phosphorsäure, Pentose, Alloxurbasen, geschah in derselben Weise wie bei der Untersuchung des Pepsins und der Diastase. Auch für diese Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abtlilg. 13 194 Hans FRIEDENTHAL: BEITRÄGE ZUR KENNTNISS DER FERMENTE. Präparate muss der zwingende Beweis für die Fermentnatur der darge- stellten Nucleoproteide trotz ihrer constatirten Wirksamkeit erst noch er- bracht werden. Zusammenfassung der Resultate. Das Auffinden von Nucleoproteiden in Präparaten von Pepsin, Diastase, Papayotin und Pancreatin macht die Zugehörigkeit, der Fermente zur Gruppe der Nucleoproteide wahrscheinlich, doch sind anscheinend die Fer- mente noch complicirter zusammengesetzt wie die näher bekannten Nucleo- proteide Durch das physikalische Verhalten der ausgefällten Nucleoproteide scheint unter der obigen Annahme die bekannte Fähigkeit der Fermente, mit indifferenten Niederschlägen niedergerissen zu werden, hinreichend er- klärt. Albumosenähnliche Körper scheinen als Spaltungsproducte ver- schiedener Fermente aufzutreten, ohne dass bisher ein Beweis für die fermentative Wirksamkeit solcher Albumosen beigebracht worden wäre. Ueber Rindenreizung am freilaufenden Hunde nach J. R. Ewald. Von G. A. Talbert.! Die Versuche, über die im Folgenden berichtet werden soll, wurden in der Zeit vom November 1898 bis Juni 1899 im physiologischen Labora- torium des Hrn. Prof. H. Munk angestellt, dem ich an dieser Stelle für seine gütige Anregung und Unterweisung meinen besten Dank aussprechen möchte. Geschichtliches. Seit der Entdeckung der Reizbarkeit des Grosshirns werden die Reiz- versuche gewöhnlich genau nach der Methode ausgeführt, die schon Fritsch und Hitzig befolgten. Vor zwei Jahren hat aber Prof. J. R. Ewald in Strassburg ein neues Verfahren eingeschlagen, über das er eine Reihe von kurzen Mittheilungen veröffentlicht hat. Die neue Methode besteht darin, dass in den Schädel des Versuchsthieres ein Elfenbeinknopf, der die Reiz- elektroden enthält, fest eingesetzt wird. Das Thier kann dann, nachdem es sich von der Operation erholt hat, in völlig normalem Zustande zu Reiz- versuchen benutzt werden. Da über die Methode sowohl, wie über deren Ergebnisse von Seiten Hrn. Ewald’s nur kurze Angaben vorlagen, schien es der Mühe werth, sie durch eine grössere Reihe von Versuchen zu er- proben. Auf eine Anfrage hin stellte Hr. Ewald liebenswürdiger Weise dem Laboratorium ein Modell des erforderlichen Elfenbeinknopfes zur Ver- fügung. Technisches. Die Versuche wurden ausschliesslich an Hunden angestellt, und zwar eignen sich am besten kleinere, nicht zu junge Thiere. Nachdem zunächst die Schädeldscke blossgelegt ist, wird an ausgewählter Stelle mit dem Trepan ! In’s Deutsche übertragen von R. du Bois-Reymond. 196 G. A. TALBERT: eine Oeffnung gemacht und innerhalb dieser die Dura, wie bei der gewöhn- lichen Versuchsmethode, entfernt. Um bei der Auswahl der Stelle, wo die Elektroden eingesetzt werden sollen, sicherer zu gehen, kann man zweck- mässig zwei Elektrodenpaare, eines auf jeder Seite anbringen, wodurch die Aussicht, den gewünschten Punkt der Hirnrinde zu treffen, vermehrt wird. Um Versuchsthiere und Zeit zu sparen, empfiehlt es sich überhaupt, die Operation stets an zwei (oder gar mehr) Stellen gleichzeitig auszuführen. Wenn bei Eröffnung des Knochens oder der Dura Blutungen eintreten, hat dies in der Regel keine übleren Folgen, als dass die Operation aufgehalten und. der Reiz- erfolg, wie weiter unten besprochen werden soll, modifieirt wird. In die Trepanöffnung wird nun ein conischer, der Länge nach durchbohrter Elfen- beinspund, der „Conus“ Fig. 1C, eingesetzt, dessen conische Fläche mit einem feinen Gewinde (g) versehen ist, und der auf seiner oberen Fläche einen vierkantigen Ansatz (a) hat. Auf diesen Ansatz passt ein messingener Schlüssel, der ö PRaR zweckmässig nach dem Muster eines Trepan- a a ne E: bohrers gefertigt wird, so dass er mittels des (Ansicht im Durchschnitt.) Um Trepaniren gebrauchten hölzernen Quer- Stern grifles gehandhabt werden kann. Auf diese Weise SS zum Anschluss an die wird mit demselben Handgriff wie beim Tre- Leitung. paniren der Conus vermöge des Gewindes auf B. „Kern“, enthaltend die seiner Aussenfläche in die Knochenlücke fest Kupferhülsen XK für die eingeschraubt. Hierbei sind einige technische Steckstifte, unddie Knopf- Finzelheiten zu beachten. Der Conus muss dureh- a roden DR Ans Platin. us geradlinig, weder concav noch convex ge- ©. „Conus“, zum Einschrau- chweift sein und im Ganzen nicht zu steil zu- ben in die Trepanöffnung & : 3 der Schädeldedke. gehen, wenn es fest sitzen soll. Da ferner die Dicke des Knochens an verschiedenen Stellen des Schädels verschieden ist, würde sich bei gleichem Durchmesser des Trepan- loches der Conus in manchen Fällen nicht weit genug, in anderen zu weit einschrauben lassen. Es empfiehlt sich daher, mehrere Trepane von etwas verschiedenem Durchmesser bereit zu halten, um je nach der zu erwartenden Knochendicke eine Oeffnung von passender Weite machen zu können. Die Längsdurchbohrung (2) des Conus enthält, wie auf der Figur er- sichtlich, ebenfalls ein Gewinde, in das der Elektrodenträger, der „Kern“, eingeschraubt wird. Dieser besteht (Fig. 1B) aus einem Klfenbeineylinder, Fig. 1. RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE NACH J. R. EwAuLnd. 197 aus dem unten zwei Knopfelektroden (pp) aus Platin hervorragen. Im oberen Theile des „Kernes“ gehen diese Elektroden in zwei Kupferhülsen (AA) über, an die die Zuleitung mittels Steckstiften (Fig. 1A, 88) angeschlossen werden kann. Ueber die Anbringung des» „Kernes“ sagt Hr. Ewald Folgendes: ! „(Die Operation besteht darin, dass über der zu reizenden Stelle des Grosshirns ein Elfenbeineonus in die Schädeldecke eingeschraubt wird.) Am nächsten Tage werden dann die Elektroden in den hohlen Elfenbeinconus eingesetzt“ und an anderer Stelle? „— ein Elektrodenpaar durch einen kleinen Spalt der Hautwunde hindurch in besonderer Weise, die ich hier nicht weiter zu beschreiben brauche, in den Elfenbeinring völlig unbeweglich eingesetzt wird.“ Es geht daraus hervor, dass Hr. Ewald die Einsetzung der Elektroden erst am Tage nach der Eröffnung des Schädels vornimmt. Wann der dazu nötbige Hautschnitt gemacht wird, ist nicht angegeben. Es scheint zweckmässiger, sowohl das Einschrauben des Kernes, als auch den Haut- schnitt gleich an den ersten Theil der Operation anzuschliessen. Das Ver- fahren gestaltet sich dann so, dass unmittelbar nach dem Einschrauben des Conus in den Schädel, auch der Kern in den Conus eingeschraubt wird. Alsdann wird die Haut über der ganzen Wunde, über den vorstehenden Kern hinweg, zusammengezogen und vollständig vernäht, und dann endlich über dem Kern ein kleiner Einschnitt gemacht, durch den sein oberes Ende heraustritt. Schiebt man das Einsetzen des Kernes bis zum nächsten Tage auf, so muss er entweder durch einen frischen, eben erst ohne Nar- kose angelegten Hautschnitt hindurchgeschoben werden, oder der Schnitt ist schon am Tage vorher angelegt, wo dann durch die Bohrung des Conus die Hirnoberfläche mit der Hautwunde communicirt. Hier kann zwar ein provisorischer Verschluss angebracht werden, doch dürfte das beschriebene einzeitige Verfahren, das keinerlei Nachtheile zu bieten scheint, die Auf- gabe einfacher lösen. Besonders bei Versuchen, die die hinterste oder die vorderste Partie des Schädels betrafen, machte sich die Anschwellung und Verschiebung der Haut in der Umgebung des Kernes störend bemerkbar. Mehrmals musste der erste Hautschnitt nachträglich erweitert werden. Es empfiehlt sich, für diese Stellen besonders lange Kernstücke zu ver- wenden. Obschon nach Ewald’s Vorgange zu allen Versuchen die beiden be- schriebenen Elfenbeiutheile, Conus und Kern, angewendet worden sind, ist eigentlich kein Grund, weshalb man nicht lieber beide Theile zusammen 1 Neurologisches Centralblatt. 1898. 8. 619. ° Verhandl. des Congresses für innere Medicin. 1897. S. 248; 198 G. A. TALBERT: gleich aus einem Stücke fertigen lassen sollte. Die Herstellungskosten, die namentlich bei grösseren Versuchsreihen nicht ganz unbedeutend sind, würden dadurch wohl vermindert werden, und der einzige ersichtliche Nach- theil wäre der, dass man beim Einschrauben weniger leicht ermessen könnte, wie weit sich der Conus der Hirnfläche genähert hat. In einigen Fällen zeigte sich nämlich bei der Section, dass die Knöpfe bedenklich tief in die Oberfläche des Gehirns eingedrückt waren. Die Leitung wurde anfänglich nach der von Hrn. Ewald angegebenen und in Fig. 1 dargestellten Weise an die Elektroden angeschlossen. Die Leitungsdrähte gehen in zwei Steckstifte (855) über, die zusammen in einem kleinen Elfenbeindeckel (4) befestigt sind. Dieser Deckel wird auf das Ende des Kernes aufgesetzt, so dass die Steckstifte in den erwähnten Kupferhülsen (Fig. 1B XXX) der Rlek- troden den Contact herstellen. Diese Einrichtung hatte den Feh- ler, dass der Hund durch Schütteln oder Kratzen mit der Pfote sehr leicht den Deckel abstreifen und so die Leitung unterbrechen konnte. Eswurde da später eine andere Vorrichtung in Gebrauch genommen (Fig. 2D Fig. 2. u.E.) Die Leitungsschnüre (Z) laufen Veränderte Form des Leitungsanschlusses. jn eine Art Zange (D) aus, die seit- D. „Zange“. lich in zwei Vertiefungen (77) des i. „Kern“ mit seitlie ti ) 3 : 2 \ Inn ea A Seit ICh Ve ee Kenne: (E) eingreift, woselbst die in denen die Zangenspitzen zz mit den Blektroden Kp K’p in Contact treten "pitzen der Zangenarme (ZZ) auf können. (Im Durchschnitt dargestellt.) zwei Kupferstifte (KA) treffen, die mit den Platinknöpfen (pp) in Ver- bindung stehen. Durch Vorschieben des Querstückes (9) kann die Zange vor dem Abschütteln absolut gesichert werden. Bei der Operation muss recht sorgfältig auf Asepsis gesehen werden, weil bei dem dauernden Verweilen eines Fremdkörpers in der Wunde viel- fache Gelegenheit zur Infection gegeben ist. Man darf aber die Vorsichts- maassregeln des Auskochens und der Anwendung desinficirender Lösungen in Bezug auf die Elfenbeinstücke nicht übertreiben, weil diese sonst so sehr erweicht werden, dass das Gewinde des Conus, statt sich in den Knochen einzudrehen, abgequetscht wird. Innerhalb der Wunde wird das Elfenbein ebenfalls erweicht und stark angegriffen. Ein Conus, der länger als 14 Tage im Knochen gesessen hat, sieht wie zernagt aus, und ist meist durch Knochenbälkchen, die in das Elfenbein hineingewachsen sind, fest mit dem KK RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE NACH J. R. Ewarp. 199 umgebenden Knochen vereinigt. Offenbar handelt es sich um den Beginn jener Processe, die Hr. M. David in seiner Arbeit „Ueber die Vorgänge nach der Implantation von Elfenbein und todten Knochen in Schädel- defecten“! beschrieben hat. Hatten dagegen die Elfenbeinstücke nicht länger als etwa anderthalb Wochen in der Wunde verweilt, so konnten sie in der Regel noch zu weiteren Versuchen gebraucht werden, später war die Abnutzung schon zu weit vorgeschritten. Versuche. Zur Reizung diente ein Schlitteninductorium mit einem Daniell’schen Elemente im primären Kreis. Die Reizversuche begannen stets mit schwachen Strömen, bei etwa 150 "m Rollenabstand, und wurden so lange mit all- mählich vermindertem Abstand fortgesetzt, bis sich ein Erfolg zeigte. In vielen Fällen wurde alsdann die Reizstärke noch weiter erhöht, um etwaige Veränderungen des Erfolges beobachten zu können. Die Dauer des Reizes wurde durch einen Vorreiberschlüssel im secundären Kreise nach Gut- dünken geregelt, mit Ausnahme der weiter unten zu erwähnenden Ver- suche, bei denen es auf Gleichförmigkeit der Reizung ankam. Die Versuchsreihe umfasste 14 erfolgreich operirte Hunde, die vom zweiten Tage nach der Operation an fast täglich den Versuchen unterworfen wurden, so lange sie am Leben blieben, oder sich ein Reizerfolg erkennen liess. Durchschnittlich ergab sich eine Beobachtungszeit von etwa 14 Tagen. Die Beobachtung begann erst zwei Tage nach der Operation, weil die Morphiumwirkung am ersten Tage gewöhnlich noch anhielt. Da Hr. Ewald von Versuchen am Tage nach der Operation spricht, scheint es, als habe er ohne oder mit geringeren Dosen von Morphium operirt. Unsere Versuche betrafen grösstentheils die motorische Zone, zum Theil auch die Sehsphäre und das dazwischenliegende, als unerregbar be- kannte Gebiet. Von der Vorderbeinresion aus ergab sich auf Reizung, wie zu er- warten war, Bewegung des Vorderbeins der Gegenseite. Hierbei ist indessen eine auffällige Ausnahme zu verzeichnen, die nicht leicht zu erklären ist. Beim Hunde Nr. 2 trat ganz regelmässig statt der Vorderbeinbewegung Bewegung des Hinterbeines ein, und zwar wurde dies eine volle Woche lang bei täglich oft wiederholter Reizung wahrgenommen. Bei der nach- folgenden Section erwies sich die Reizstelle als unbeschädigt, nur war ein unbedeutendes Gerinnsel darauf abgelagert. Man könnte glauben, dass ! M. David, Ueber die histologischen Vorgänge nach der Implantation von Elfen- bein und todtem Knochen in Schädeldefeeten. Archiv f. klin. Chir. Bd. LVII. 200 G. A. TALBERT: hierdurch der Reizstrom vom Rindencentrum des Vorderbeines abgelenkt worden sei und daher auf die Beinregion gewirkt habe, dem steht aber ent- gegen, dass der Rollenabstand nur 100” betrug, der Reizstrom also nicht stärker war, als gewöhnlich zur Erregung unmittelbar betroffener Rinden- stellen erforderlich ist. Ein ähnlicher Fall trat beim Hund Nr. 1 ein. Während die Reizung linksseitig vor dem Sulcus cruciatus ungefähr in der Mitte der ersten Windung vorgenommen wurde (Fig. 3 A), erfoleten Bewegungen des rechten Vorderbeines. Der erforderliche Rollenabstand betrug zuerst 55 "u, 2 Tage später aber stellte sich der gleiche Erfolg schon bei 70mm Abstand ein. Diese Veränderung beruhte ohne Zweifel auf der allmählichen Resorption eines Blutgerinnsels, das durch eine Dural- blutung bei der Operation entstanden war. Der Hund wurde 11 Tage lang beobachtet, und starb dann an einer Eiterung im Gebiete der rechten Hirnhälftee Die linke Hemisphäre wurde bei der Section vollkommen normal ge- funden, von dem Bluterguss war nichts mehr wahrzunehmen. Trotzdem ist es wohl gerathen, einen Fall, der solche Complicationen gezeigt hat, bei der Beurtheilung des Gesammtergeb- nisses auszuschliessen. Doch muss zugestanden werden, dass ebenso wie in dem vorher erwähnten Falle, die Reizung bei 70 "® Rollenabstand nicht so stark gewesen ist, dass man nicht auf genau Fig. 3. localisirten Reizerfolg hätte rechnen dürfen. Schema zur Bezeichnung der Bei Reizung einer Stelle (Fig. 3 B), die Reizstellen. zwischen Vorderbein- und Nackenregion gelegen war, trat eine Bewegung des Halses ein, durch die der Kopf nach unten und nach der Gegenseite zu gedreht wurde. Bei etwas längerer Dauer des Reizes wurde dann der Kopf allmählich. vor- gestreckt, und zugleich schoben sich die Vorderbeine mitsammt der Schulter starr nach vorn, so dass der Rumpf rückwärts gedrückt wurde und der Hund, indem er die Hinterbeine einknicken liess, in geduckter Stellung auf dem Bauch zu hocken kam. Dieser eigenthümliche Vorgang lässt sich wohl einfach so erklären, dass die andauernde Reizung allmählich auf einen immer grösseren Theil der Hals- und Vorderbeinmusculatur wirkte. Offen- bar konnte unter diesen Umständen durch das Uebergewicht der Strecker das beschriebene starre Ausspreizen der Vorderbeine entstehen, durch das die angegebene Bewegung des ganzen Körpers verursacht wurde. Die Versuche im Gebiete der Sehsphäre hatten ebenfalls im Allgemeinen RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE NACH J. R. EwAunp. 201 die Ergebnisse, die nach den älteren Erfahrungen zu erwarten waren. Auf Reizung auf dem medialen Theile der zweiten Windung (Fig. 3G), wurden die Augen nach unten und nach der Gegenseite gewendet. Bei stärkeren Strömen wurde auch der Kopf nach dieser Seite gewendet, ja, der Hund drehte sich ganz herum und eing einige Schritte im Kreise. Nicht selten hatte man den Eindruck, als suche er etwas, weil er dabei die Ohren spitzte und schnüfelte. Auch hier muss aber bemerkt werden, dass von einer bedeutend weiter nach vorn gelegenen Stelle ein ganz ähnliches Ergebniss erhalten wurde (Fig.3H). Bei gar nicht starken Strömen wurden die Augen jedes Mal nach der Gegenseite zu gewendet, und zwar diesmal rein seitlich, ohne Bewegung nach unten. Dieser Befund ist deshalb auffällig, weil die Reizstelle nicht mehr auf dem Gebiete der Sehsphäre lag, sondern auf dem gewöhnlich als unerregbar betrachteten Theile der Hirnoberfläche. Da die Beobachtung aber auf diesen einzigen Fall beschränkt blieb, so darf nicht allzuviel Gewicht darauf gelegt werden. Auch in einem andern Falle rief die Reizung eine besondere, ganz eigenthümliche Bewegung hervor. Ohne auf Erklärungsversuche einzugehen, sei hier die Erscheinung kurz beschrieben: Die Reizstelle lag zwischen den beiden letzterwähnten Stellen. Bei jeder Reizung bewegte der Hund den Kopf nach rückwärts und nach der gereizten Seite hin. Die Bewegung war langsamer als ein blosses Stutzen, und zugleich trat eine eigenthüm- liche Starrheit des Blickes ein. Von dem lateralen Rande der zweiten Windung unterhalb des Sulcus cruciatus (Fig. 3 E bis F) aus, ergaben sich eine Reihe verschiedener Be- wegungen der Nase, Lippe, der Zunge und des Unterkiefer. Waren die Elektroden hinten in diesem Bereiche eingesetzt, so erfolgte anscheinend ausschliesslich Hebung des Mundwinkels, d. h diejenige Bewegung, die bissige Hunde zu machen pflegen, um mit dem entblössten Eckzahn zu drohen. Je weiter nach vorn sich die Elektroden befanden, desto grössere Gruppen vun Gesichtsmuskeln schienen sich an der Bewegung zu betheiligen, während man durch geringe Verstärkung des Stromes Kieferbewegung, d.h. Oeffnen des Mundes, erhalten konnte. In einem dieser Fälle wurden Lippen und Zunge derart zusammen in Thätigkeit gesetzt, dass es nicht möglich war, zu bestimmen, welches der zunächst gereizte Theil war. Ein- mal nämlich bewegte sich auf den schwächsten wirksamen Reiz die Zunge allein, indem sie zu einer schnellen Leckbewegung vorgestreckt wurde, ein anderes Mal wurden bei der gleichen Reizstärke die Lippen allein bewegt. Schob man die Rollen 10 näher aneinander, so öffnete der Hund das Maul, wobei die Lippen zurückgezogen wurden, die Zunge aber unbe- wegt blieb, | 202 G. A. TALBERT: Bedingungen, die den Reizerfolg beeinflussen. Obschon die wirksame Reizstärke bei den verschiedenen Versuchen einigermaassen schwankte, lässt sich doch wohl angeben, dass anfänglich, am zweiten Tage nach der Operation, Rollenabstand 100 in der Regel genügte. Dieselbe Reizstärke konnte gewöhnlich etwa 4 Tage lang bei- behalten werden, musste dann aber vermehrt werden. Die Abnahme der Reizbarkeit schritt sehr langsam fort, denn es gaben beispielsweise 2 Hunde fast 4 Wochen lang beim Rollenabstand 60 dasselbe unveränderte Ergebniss. Die Veränderung beruht offenbar nicht auf einer Abnahme der Erreg- barkeit des betreffenden Hirntheiles, ja, wenn die Function der Rinde überhaupt localisirt ist, darf man gar keine Schädigung der Hirnoberfläche durch die Reizversuche annehmen. Denn z. B. in den Fällen, wo die Elek- troden über der motorischen Zone angebracht waren, war während der ganzen Dauer der Beobachtung nie irgend ein Mangel der Function, etwa Schwäche beim Gehen, oder Sensibilitätsstöorung zu erkennen, sondern die Thiere erschienen völlig normal. Daher ist die Abnahme der Reizbarkeit zweifellos durch die Verheilung des bei der Operation erzeugten Duradefectes zu erklären. Bei allen Thieren, die über 14 Tage nach der Operation gelebt hatten, ergab die Section, dass zwischen dem Gehirn und den Elek- troden eine oft mehr als 1" dicke Schwarte gebildet worden war, die mit dem Rande der Dura und dem Schädelknochen fest, mit der Birnober- fläche nur lose zusammenhing. Diese Veränderung reichte wohl hin, die angegebene Steigerung der Reizstärke erforderlich zu machen. Es entsteht die Frage, ob nicht unter diesen Umständen, wenn zwischen die Elektroden und die Hirnoberfläche eine Zwischenschicht eingeschoben ist, und starke Ströme nöthig sind, um überhaupt eine Erregung hervor- zubringen, zugleich eine solche Ausbreitung der Stromschleifen eintreten muss, dass keine Localisation des Reizes mehr bestehen bleibt. Doch scheint dies nicht der Fall zu sein, wenigstens waren nur bei einem der Versuche in der fünften Woche Anzeichen dafür vorhanden. Der Hund hatte bis dahin regelmässig Vorderbeinbewegungen gezeigt, und die Reizstärke hatte bis zum Rollenabstand 50" gesteigert werden müssen. Nun traten auch Bewegungen des Hinterbeines auf. Gleichzeitig aber fand sich, dass durch die Resorption des Elfenbeines die Elektroden sich gelockert hatten, so dass auch aus diesem Grunde eine Aenderung des Reizerfolges möglich war. Freilich traten, wie oben erwähnt, auch sonst öfter Erscheinungen ein, die auf Ausbreitung des Reizstromes schliessen liessen, doch geschah dies ebenso häufig bald nach der Operation, wo die Oberfläche des Gehirns ohne Zweifel noch frei lag, als nach längeren Zeiträumen. Die Narben- RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE NACH J. R. EwALd. 203 bildung hat also, so weit die vorliegenden Ergebnisse schliessen lassen, keinen störenden Einfluss auf die Localisation der Reizung. Wie schon mehrfach erwähnt, wurde Ausbreitung des heizes auf ver- schiedene, nahe bei einander liegende Centra bei Anwendung stärkerer Ströme wiederholt beobachtet. Ein deutliches Beispiel davon gab einer der ersten Versuche, an einem Hunde, dem zwei Elektrodenpaare auf beiden Seiten möglichst genau auf derselben Stelle der Vorderbeinregion eingesetzt worden waren. Es zeigte sich zunächst ein Unterschied zwischen der Bewegung des rechten und linken Vorderbeines: Links trat die Bewegung der Schulter viel deutlicher hervor als rechts. Bei schwächerer Reizung war zu erkennen, dass linkerseits die Schulter allein, rechts dagegen das ganze Vorderbein gehoben wurde. Hieran schloss sich die Beobachtung, eines anderen Falles: In der Regel wurden die Hunde genöthigt, während des Versuches auf allen Vieren aufrecht zu stehen. Da aber einer der Hunde eines Tages dabei blieb, sich niederzulegen, so wurde die gewöhnliche Reizung beim Liegen ausgeführt. Statt der erwarteten Beinbewegung trat nur eine ganz leichte Hebung der Zeben ein. Um die Beinbewegung zu erhalten, die sonst auf denselben Reiz erfolgte, musste die Reizstärke jetzt beträchtlich vermehrt werden. Ob die richtige Erklärung für diesen Fall die ist, dass die Reizung unmittelbar nur die Zehen betraf, während die Beinbewegung erst durch Stromschleifen hinzu kam, ist zweifelhaft. Denn dann müsste man annehmen, dass bei der Hebung des ganzen Beines auch jedes Mal die Zehenbewegung stattfand, und zwar mit einer der stärkeren Reizung entsprechenden Heftigkeit. Hiervon liess sich durch Beobachtung nichts wahrnehmen, es wäre aber auch schwierig gewesen, zu entscheiden, ob nicht die Zehenbewegung durch die anderweitige Bewegung des Beines - ausgeglichen oder mechanisch gehindert wurde. Die Beobachtung dieses Falles führte aber auf eine viel interessantere Frage, nämlich, inwiefern die Körperhaltung im Augenblick der Reizung den Reizerfolg beeinflusse. Ueber diesen Punkt wurden an 2 Hunden Ver- suche angestellt, indem bei 4 verschiedenen Ausgangsstellungen die gleiche Reizung ausgeführt wurde. Die Stellungen waren: Stehen, Sitzen, Bauch- lage, Rückenlage.e Um Gleichartigkeit des Reizes zu verbürgen, wurden immer alle 4 Stellungen bei unverändertem Rollenabstand nach einander durchprobirt, und damit auch die Reizdauer die gleiche sei, der secundäre Kreis durch ein Metronom (je auf etwa "/, Secunde) geschlossen. Hierzu diente eine improvisirte Auslösungsvorrichtung, die dem Pendel des Metro- noms nur einmaligen Ausschlag gestattete. Die Elektroden waren über der Vorderbeinregion angebracht. Die Reizung wurde in der Regel mit dem grössten wirksamen Rollenabstand begonnen, und mit allmählicher Steigerung 204 G. A. TALBERT: bis zu der Stärke fortgesetzt, bei der allgemeine epileptoide Anfälle auf- zutreten pflegten. Doch wurden oft auch beliebig wechselnde Controlver- suche ausser der angegebenen Folge eingeschoben. Als Maassstab galt zunächst diejenige Reizstärke, die beim Stehen eben erkennbare Bewegung auslöste. Mit dieser wurden dann die anderen Stellungen geprüft, und dann zu stärkerer Reizung fortgeschritten. Meistens waren die Versuche mit schwachen Strömen abwechselungsreicher als «die mit starken, weil bei den heftigeren Bewegungen die feineren Unterschiede zurücktraten. Mit- unter allerdings war weder bei schwachen noch bei starken Strömen ein wesentlicher Unterschied im Reizerfolg bei verschiedener Ausgangsstellung wahrzunehmen, zu anderen Zeiten kamen sogar widersprechende Beobach- tungen vor. Im Grossen und Ganzen gab aber die Uebersicht über eine lange Reihe von Versuchen deutlich zu erkennen, dass die Reizgrösse, die erforder- lich ist, Bewegung auszulösen, von der Ausgangsstellung abhängt. Zum Beleg hierfür sei die nachfolgende Tabelle über die Beobachtungen an Hund Nr. 3 angeführt. Een _ Rollen- | ee nes abstand Stehen Sitzen Bauchlage Rückenlage © in mm 8. Februar 65 Schulter Schulter und Ziehen Schulter und Vorderbein Vorderbein I; 60 desgl. desgl. desgl. desgl. 10- , 75 desgl. desgl. desgl. desgl. ine 70 Schulter und desgl. desgl. desgl. || Vorderbein euch | 55 desgl. desgl. Zehen, daun Schulter | | Vorderbein (stark) 15.055; | 60 Schulter Schulter und | Zehen und | Schulter und Hüfte Schulter Hüfte 160 | 60 desgl. desgl. Zehen Schulter und Vorderbein (Se: 60 Schulter und | Schulter und , Anziehen des Schulter, | Vorderbein Vorderbein Beines Vorderbein u. | Hinterbein Ol | 50 | Sehulter, Schulter, Schulter, desgl. | | Vorderbein u. | Vorderbein u. | Vorderbein u. || Hinterbein Hinterbein Hinterbein Dans | 40 0 desgl. Vorderbein desgl., Aus diesen Angaben geht hervor, dass die stärkste Reizung bei Bauch- lage erfordert wurde. Zu zweit kommt das Stehen, dann das Sitzen. Endlich bei Rückenlage erwiesen sich weit schwächere Reize wirksam. RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE nACcH J. R. EwAaun. 205 Es mag bemerkt werden, dass bei letzterer Stellung die Beobachtung am schwierigsten ist, weil bei der Erschlaffung aller Extreimitätenmuskeln die Bewegung viel weniger Bestimmtheit hat. Ist das Ergebniss, zu dem diese Versuchsreihe führt, richtig, ist also die Wirkung gleichartiger Hirnreizung je nach der Stellung des Thieres eine verschiedene, so entsteht die Frage, wie diese Verschiedenheit zu er- klären sei. Ohne auf den Mechanismus des Thierkörpers näher einzugehen, kann man ganz allgemein sagen, dass der thätige Zustand der Körpertheile, auf die die Erregung wirkt, ein Hinderniss für die Erregung bildet. Dieser Satz lässt sich unmittelbar durch die Anschauung prüfen, wenn man einen Augenblick abpasst, wenn sich der Hund in sitzende Stellung nach der einen Seite neigt, und also das eine Bein schwerer belastet. Man kann dann versuchen, ob unter diesen Umständen der Reizerfole in demselben Maasse eintritt, wie bei normaler Haltung, oder ob er abgeschwächt erscheint. Beobachtungen dieser Art sprechen dafür, dass thatsächlich das Bein bei stärkerer Belastung schwächer reagirt. Dasselbe muss natürlich auch für andere Bewegungen gelten. Es lag daher nahe, bei den Hunden, bei denen die Elektroden in dem Rinden- gebiete der Gesichtsmuskeln eingesetzt waren, ähnliche Versuche zu machen. Zu diesem Zwecke wurde den Hunden Wasser zu trinken gegeben, und während dieser Thätigkeit der Reiz angebracht. Zunächst zeigte sich, dass die Hunde im Augenblicke der Muskelzuckung stets im Trinken innehielten. Es wurde dann genau auf dieselbe Weise wie bei den oben erwähnten Versuchen über den Einfluss der Stellung auf die Reizgrenze, der Ver- gleich angestellt zwischen der Reizstärke, die in der Ruhe, und der, die während des Trinkens erforderlich war, um Gesichtsbewegungen auszu- lösen, In einigen Fällen war regelmässige in der Ruhe ein schwächerer Reiz wirksam, als während des Trinkens. Diese Fälle entsprachen also dem, was für die Bewegung der Extremitäten gefunden worden war. Doch hatten Versuche an anderen Hunden unregelmässige und entgegengesetzte Ergebnisse. Die Bewegung der Gesichtsmusculatur beim Fressen schien auf die Reizung gar keinen Einfluss zu haben, und die Hunde liessen sich durchaus nicht dadurch stören. Dagegen wurde bei 2 Hunden, bei denen die Reizung im Gebiete der Nackenmusculatur stattfand, die Beschäftigung mit dem Futter durch die Reizung unterbrochen, und in beiden Fällen war auch hier stärkere Reizung erforderlich, um während des Fressens die Nacken- bewegung hervorzurufen. Bei den Hunden, bei denen die Reizung die Zunge betraf, war kein Unterschied zwischen Ruhezustand und Beschäftigung mit Fressen oder Saufen zu erkennen. 206 G. A. TALBERT: Schlussbetrachtung. Obschon die Untersuchung dieses Gegenstandes durch das Vorliegende noch keineswegs erschöpft ist, schien es mir doch angezeigt, über meine Versuche zu berichten, weil über die neue Methode bisher noch nichts in den Archiven veröffentlicht worden ist, und meine Erfahrungen mir hin- reichend schienen, um ein Urtheil über die Anwendbarkeit der Methode zu erlangen. Ewald sagt mit vollem Recht: „Bisher hat man die elektrische Rei- zung der Grosshirnrinde immer an Hunden ausgeführt, welche, eben aus der Narkose erwacht, mehr oder weniger gefesselt auf dem Operationstische lagen. Aber solche Thiere sind für feinere Untersuchungen völlig unge- eignet.“ Damit ist der eine grosse Vorzug der Ewald’schen Methode be- zeichnet. Die neue Methode wird die alte schwerlich verdrängen, aber sie eröffnet in manchen Beziehungen ganz neue Möglichkeiten, da man das Versuchsthier in völlig normalem Zustande beliebig oft unter genau gleichen Bedingungen reizen kann. Vollends für die Demonstration in der Vorlesung ist die Methode un- übertrefflich. Nach der gewöhnlichen Methode konnte die Hirnreizung schon wegen der umständlichen Operation kaum als Vorlesungsversuch aus. geführt werden. Durch Ewald’s Verfahren ist man in den Stand gesetzt, das Versuchsthier Tage, ja Wochen lang vorher bereit zu halten, und oben- drein den Versuch in ungleich eleganterer Form einer beliebig grossen Zahl von Zuhörern gleichzeitig vor Augen zu stellen. Was die Schlüsse betrifft, die Hr. Ewald aus seinen Beobachtungen zieht, so hebt er namentlich zweierlei hervor: „Erstens nimmt der Hund die Reizung nicht direct wahr, er reagirt auf dieselbe allein durch Muskel- zuckungen, aber sonst in keiner Weise.“ „Als zweites Ergebniss dieser Versuche möchte ich die Erfahrung an- führen, dass es keinen Punkt der Grosshirnrinde giebt, von dem aus man nicht bei dem völlig normalen und ungefesselten Hunde Muskelzuckungen erhielte.‘ 1 Der erste Satz wird durch meine Erfahrung durchaus bestätigt, was den zweiten betrifft, so wage ich weder dafür, noch dagegen zu sprechen. Denn unter den Versuchen, die sogenannte „unerregbare“ Hirnstellen be- trafen, waren einzelne, bei denen die Reizung Erfolg hatte. Nun sagt aber Hr. Ewald weiter unten: „Was schon von allen gewissenhaften Beob- ! Ferhandl. «les Congresses für innere Medicin. 1897. 8.248. RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE NAcH J. R. EwAnnd. 207 achtern, die die Grosshirnrinde elektrisch reizten, in vereinzelten Fällen gesehen worden ist, dass nämlich zuweilen auch die Muskeln der gleichen Körperseite und zuweilen Muskeln, die gar nicht zu dem gereizten Bezirk gehören, Zuckungen zeigen, dass überhaupt keine ganz scharfe Gesetzmässig- keit in Betreff des Erfolges zu bestehen scheint, Alles dies tritt bei der verbesserten Reizmethode in ausserordentlich verstärktem Maasse hervor. Mitten aus der Sehsphäre erhält man häufig Bewegungen des Vorderbeins, mitten aus der Hörsphäre Kieferbewegungen. Die gleichseitige Muskulatur wird aber stets erregt, wenn die Stromstärke auch nur minimal über den Schwellenwerth für die Muskeln der gekreuzten Seite ansteigt, ja in vielen Fällen sah ich sie sogar auf kleinere Reize reagiren.“ Aus diesen Befunden zieht Hr. Ewald dann folgende Schlüsse: „Daher erhalten wir in so vielen Fällen Uebereinstimmung der Resultate der elektrischen Reizung mit denen, welche die Entfernung des betreffenden Rindenstückes liefert, und wir können jetzt auch leicht verstehen, wie nach Verlust eines Stückes der Grosshirnrinde seine muskelerregende Function durch einen anderen Rinden- theil ersetzt werden kann.“ Diesen Ausführungen kann ich mich nicht anschliessen, da ich solche Unregelmässigkeiten, wie sie Hr. Ewald anführt, bei meinen Versuchen nicht beobachtet habe. Im Gegentheil trat der am ersten Tage beobachtete Reizerfolg Tag für Tag mit völliger Gleichmässigkeit wieder ein, mit dem einzigen Unterschiede, dass offenbar in Folge der Narbenbildung mit der Zeit der Reizstrom verstärkt werden musste. Erregung der gleichseitigen Körperhälfte war ebenso wenig zu bemerken, obschon in vielen Fällen die Reizstärke so weit erhöht wurde, dass epileptische Anfälle eintraten. Bei diesen war selbstverständlich häufig die gleiche Körperhälfte betheiligt. Es kam ferner, wie oben des Oefteren angegeben ist, in einigen Fällen vor, dass bei Anwendung starker Ströme benachbarte oder functionell mit den direct gereizten eng verbundene Hirnstellen erregt wurden, wie zum Bei- spiel in dem Falle, wo bald Zungen-, bald Lippenbewegung vorherrschte. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass ein und derselbe Rinden- punkt bald auf die Zunge und bald auf die Lippe motorisch erregend wirkte. Endlich kamen auch bei meinen Versuchen Muskelbewegungen auf Reizung der Sehsphäre zu Stande, aber nur Bewegungen der Augen- muskeln, die bekanntlich als reflectorisch erregt angesehen werden. Der Beweis dafür, dass nicht eine unmittelbare Erregung der Muskeln durch die Sehspbäre stattfindet, ist durch die Beobachtung H. Munk’s gegeben, dass nach Exstirpation der Sehsphäre die Augenbewegungen unbeeinträchtigt fortbestehen. Die Abhängigkeit der Augenmuskeln von der Sehsphäre macht also keineswegs verständlich, wie andere Muskelgruppen, zum Bei- spiel die des Vorderbeins, zur Sehsphäre in Beziehung gebracht werden 208 G. A. TALBERT: RINDENREIZUNG AM FREILAUFENDEN HUNDE U. S. w. können. Meine Versuche betrafen die Hörsphäre nicht, aber ebenso wenig, wie ich von der Sehsphäre je Beinbewegungen erhielt, darf man von der Hörsphäre Kieferbewegungen erwarten. Selbst wenn die Reizung der Seh- sphäre so übertrieben wurde, dass allgemeine Krämpfe eintraten, wurden die Beine am spätesten und am schwächsten ergriffen. In diesem Punkte besteht also zwischen Hrn. Ewald’s Erfahrungen und den meinigen ein unvereinbarer Widerspruch. So weit die Lehre von der Localisalion der Hirnfunetionen in Betracht kommt, habe ich die bestehenden Anschauungen durch meine Versuche mit der neuen Methode nur bestätigt gefunden. Ueber die Beziehungen der Grosshirnrinde zum Vorgange der Nahrungsaufnahme. Von Dr. D. Frank aus Moskau. Im Nachstehenden soll kurz über die Ergebnisse einer Anzahl von Exstirpationsversuchen berichtet werden, die ich unternommen hatte zum Zwecke der Ermittelung der Beziehungen der Grosshirnrinde zum Vorgange der Nahrungsaufnahme. Für die Localisation der betreffenden Rindenpartien liegen bis jetzt hauptsächlich die Ergebnisse von Reizversuchen vor. Ferrier! fand beim Affen am unteren Ende der vorderen Centralwindungen die Stelle, von welcher aus Bewegungen der Mundwinkel, der Zunge und der Kiefer er- halten werden. Schäfer? verlegt das Centrum für diese Bewegungen an die- selbe Stelle. Wundt? fand beim Hunde das Öentrum für die Kaumuskeln im vorderen Theile des Gyrus suprasylv.; Beevor und Horsley* beim Affen das Centrum für Kauen und Schlucken nach unten und hinten von der Prä- centralfurche. Krause? erhielt bei seinen Versuchen über das Centrum für die Bewegungen des Kehlkopfes und des Rachens auch Schluckbewegungen bei Reizung des Gyrus praefrontalis an seiner steil nach unten abfallenden Fläche. Rethi® konnte durch Reizung der nach vorne und aussen vom Rindencentrum der Extremitäten gelegenen Rindenparte Kaubewegungen auslösen, die gewöhnlich von einem Schlingaet gefolgt waren; Bechterew 1 The functions of the brain. 1876. ?” Beiträge zur Physiologie. Festschrift für Ludwig. 1887. ® Grundzüge der physiologischen Psychologie. * Vgl. Vetter, Ueber die neueren Experimente am Grosshirn mit Bezugnahme auf die Rindenlocalisation beim Menschen. Deutsches Archiv f. klin. Med. 1894. Bd. LI. ° Ueber die Beziehungen der Grosshirnrinde zu Kehlkopf und Rachen. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abthlg. 8. 203. % Das Rindenfeld, die subcortiealen Bahnen und das Coordinationscentrum des Kauens und Schluckens. Srtzungsberichte der mathem.-naturwissensch. Classe der kais. Akad. d. Wissensch. Wien 1893. Bd. CI. Archiv f. A. u. Ph. 1%%0. Physiol. Abthlg. 14 210 D. FRANK: und Ostankoff! erhielten typische Schluckbewegungen bei Reizung des in nächster Nähe vom Ferrier’schen Mundcentrum gelegenen vorderen Ab- schnittes der zweiten Hirnwindung. Was die Störungen in der Nahrungs- aufnahme anbetrifft, die nach Rindenläsion bei Thieren beobachtet wurden, so war Munk? der Erste, der eine solche Störung beschrieb. Er sah schwere Fressstörungen bei Hunden, welche nach ausgedehnten Grosshirn- Exstir- pationen an Encephalomeningitis erkrankten: „Bildet sich nämlich selbst die Entzündung zurück, so sind doch die den Stirnlappen benachbarten Kopfregionen der Fühlsphäre so lange auf’s Schwerste geschädigt, dass das Thier, trotz sichtlich grösstem Verlangen nach Nahrungsaufnahme, trotzdem es z. B. jedes Fleischstückchen aufsucht und mit der Schnauze sich viel an ihm zu schaffen macht, nicht mehr im Stande ist, die Nahrung zu sich zu nehmen, nicht mehr zu fressen und saufen vermag und in ca. 14 Tagen zu Grunde geht.“ Die Thiere wurden nicht künstlich gefüttert, da sie auch sonst für die Versuchszwecke nicht brauchbar waren. Goltz? beob- achtete schwere Fressstörungen an Hunden, denen er grosse symmetrische Theile der vorderen Hälfte des Grosshirns weggenommen hatte. Einer der Hunde könnte nicht mehr saufen, sondern nur noch lecken und nahm bis zu seinem nach 4 Monaten erfolgten Tode nicht mehr freiwillig feste Nah- rung zu sich. „Der Hund hatte nur nöthig, das Maul zu Öffnen, um es mit Fleisch gefüllt zu erhalten; aber diese Bewegung erfolgte nicht. Auch wenn die zum Belecken der Nase ausgestreckte Zunge über das Fleisch hinfegte, die Gelegenheit zum Schmecken des Bissens also gegeben war, that das Thier freiwillig nie das Maul auf, um einen Bissen zu erhaschen.“ Wurden dem Hunde Fleischstücke in das Maul gelegt, so kaute er sie ähnlich einem gesunden Thiere, wenn auch weniger geschickt, durch und schluckte den Bissen in regelmässiger Weise hinab. Krause hat bei seinen, die angegebene Rindenstelle betreffenden, Exstirpationen keine Verände- rungen am Schluckmechanismus erhalten ‚ wozu, wie er angiebt, dieselben ein viel ausgedehnteres Rindengebiet hätten umfassen müssen. Angesichts der angeführten Thatsachen erschien es von Interesse, iso- lirte Exstirpationen des für die Nahrungsaufnahme in Betracht kommenden Hirnrindengebietes vorzunehmen und die zu Tage tretenden Erscheinungen zu verfolgen. Ein solcher Versuch schien auch vom Standpunkte der experi- mentellen Pathologie aus gerechtfertigt, insofern als von Interesse war zu vergleichen, wie weit sich die Ergebnisse der Exstirpationsversuche mit den klinischen Erscheinungen decken, die beim Menschen in den durch Hirn- ‘ Ueber den Einfluss der Grosshirnrinde auf das Schlucken und Athmen. Neurolog. Wjestnik. 1894. Bd. II. (Russisch.) ” Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. Berlin 1890. ’ Ueber die Verrichtungen des Grosshirns. Pflüger’s Archiv 1884 u. 1888, BEZIEHUNGEN DER GROSSHIRNRINDE ZUR NAHRUNGSAUFNAHME. 211 rindenläsion bedingten Fällen von Pseudobulbärparalyse beobachtet werden. Die Versuche wurden von mir im physiologischen Laboratorium der Berliner Thierärztlichen Hochschule ausgeführt und Hr. Prof. Munk hatte die Güte, die Leitung derselben zu übernehmen. Die Exstirpationen machte ich an acht Thieren: drei Affen (Macacus rhesus) und fünf Hunden; von diesen wurde sie an dreien, zwei Affen und einem Hunde, nur einseitige gemacht, da die Thiere vor Vornahme der zweiten Operation nach 2 Monaten an intereurrenten Krankheiten zu Grunde gingen; an dreien, einem Affen exstirpirte ich 2 Monate nach der ersten Operation auch das anderseitige Rindencentrum; an zwei Hunden machte ich die beiderseitige Exstirpation gleichzeitig. Als Exstirpationsfeld be- trachtete ich, nach Angaben des Hrn. Prof. Munk und gemäss den durch die angeführten Reizversuche gewonnenen Thatsachen, die Rindenpartie, welche beim Affen den Fuss der Centralwindungen und das Operculum in sich begreift und nach hinten von der Fissura Sylvii begrenzt wird, nach vorne etwas über die Präcentralfurche hinausgreift, bei Hunden die ent- sprechende vordere Partie der dritten und vierten Windung, die zwischen Fossa Sylvii und Präcentralfurche liegt. Die Operation wurde in der Aether- narkose vorgenommen, bei den Hunden nach Morphiuminjection. Ich tre- panirte möglichst tief und erweiterte die Grenzen der Trepanationsöffnung mit der Knochenzange so weit, bis ich die Grenzen des Operationsfeldes nach oben und hinten gut überschauen konnte. Es gelang nie, eine so grosse Oeffnung zu erhalten, dass auch die vordere und untere Grenze gut übersehen werden konnte. Nachdem die Dura gespalten war, führte ich. einen horizontalen Schnitt bei den Affen etwa in ?/, Höhe der Rolando’sehen Spalte von oben gerechnet, bei den Hunden am oberen Rande der dritten Windung, dann einen zu diesem senkrechten möglichst nahe der Sylvi’schen Furche und trug von dem gewonnenen Winkel aus, so weil es ging, mit flachen Messer- zügen die Hirnrinde ab. Da ich nach vorne und unten auf diese Weise nicht genügend abtragen konnte, so unterschnitt ich mit dem Messer die betreffen- den zurückgebliebenen Reste und entfernte sie, mit dem Messerstiele gegen den Knochen andrückend. Es gelang auf diese Weise fast immer, die ganze vorgesehene Rindenpartie bis auf minimale Spuren zu entfernen (vgl. Figg. 1 u. 3, Macacus, Figg. 2 u. 4, Hund). Die Blutung war nur eine geringe, die Wunden heilten gut; am nächsten Tage waren die Affen, am nächstfolgenden die Hunde vollständig munter. Nur in einem Falle schloss sich bei einem Hunde eine geringgradige Entzündung an, die einen Theil des Hinterhaupt- lappens ergriff und eine Sehstörung verursachte. Die Erscheinungen, die nach den Operationen zur Beobachtung kamen, waren folgende: Die Stö- rungen, die bei allen drei Hunden nach einseitiger Exstirpation in gleicher Weise auftraten, waren nur sehr geringe; die Zunge wich beim Herausstrecken 14* 212 D. FRANK: etwas nach der rechten (die Operation wurde zuerst links vorgenommen) Seite ab, doch war keine Behinderung des Saufens zu erkennen. Feste Nahrung ergriff das Thier vorzugsweise mit der linken Mundhälfte und zerkaute sie mit der linken Seite. Wurde ihm ein Stück Fleisch von rechts her gereicht, so ergriff es dasselbe mit der rechten Seite und hielt es kräftig fest, kaute es aber merkbar ungeschickt oder schob es auf die gegenüberliegende Seite hinüber. Irgend welche Beeinträchtigung des Schlingens war weder Jetzt, noch nach der zweiten Operation zu merken. Die Erscheinungen hielten, immer schwächer werdend, 6 bis 8 Tage an und verschwanden dann voll- ständig. In der Zwischenzeit bis zur zweiten Operation verhielten sich die Thiere absolut wie gesunde Hunde. Nach der zweiten Operation wieder- holten sich die eben geschilderten Erscheinungen, nur in stärkerem Maasse, Fig. 1. Fig. 2. auf der entgegengesetzten Seite. Die Zunge weicht nach links ab, auch das Saufen scheint den Thieren in den ersten Tagen einige Mühe zu machen. Während die Hunde mit der rechten Seite gut kauen, können sie mit der linken die Fleischstücke nicht gut festhalten, zuweilen fallen Stücke aus der linken Mundhälfte heraus; hat das Thier mit derselben ein grosses Stück ge- fasst, von dem ein Theil heraushängt, so macht es ihm Mühe, dasselbe ganz zwischen die Zähne zu bekommen. Auch diese Erscheinungen wurden all- mählich immer schwächer und verschwanden nach 10 bis 12 Tagen gänzlich; es resultirte nur eine gewisse Unsicherheit im Erfassen der Speisen, die besonders zu Tage trat, wenn das Thier kleine Stückchen, die vereinzelt auf der Schüssel lagen, zusammensuchen sollte. Die Unsicherheit hatte sich auch nicht ver- loren, als die Thiere 5 Wochen nach der zweiten Operation getödtet wurden. Die Erscheinungen, die bei den Affen beobachtet wurden, waren bedeutend schwerer. Nach der ersten Operation, die gleichfalls links vor- BEZIEHUNGEN DER (ROSSHIRNRINDE ZUR NAHRUNGSAUFNAHME. 213 genommen wurde, war der Mund etwas nach links verzogen. Speisen, die den Thieren gereicht wurden, schoben sie auf die linke Seite des Mundes ‚hinüber, zerkauten sie links und brachten sie dann vorzugsweise in die rechte Backentasche, eine Folge davon, wie Hr. Prof. Munk meinte, dass die Empfindung der Füllung der rechten Tasche gelitten hatte. Diese Er- scheinungen verloren sich bei den Affen nicht, und das Thier, welches zum Fig. 3. zweiten Male zur Operation kam, zeigte sie bis zum Tage derselben. Nach der Exstirpation des zweiten rechtsseitigen Centrums waren die Erschei- nungen sehr ausgesprochene. 3 Tage nach der Operation konnte der Affe überhaupt keine Nahrung zu sich nehmen, konnte weder essen noch trinken. Fig.'4. Er war nicht im Stande, etwas Flüssigkeit in den Mund zu bekommen, trotzdem er die grössten Anstrengungen machte, er versuchte sie mit den Händen in den Mund zu schöpfen oder er steckte den Kopf tief in die Schüssel und presste den Mund gegen die Wand, um die so aufgefangenen Tropfen nicht wieder hinauslaufen zu lassen. Am vierten Tage beginnt er Flüssigkeit zu lecken, am sechsten ist er im Stande, mit Mühe zu trinken, obwohl die Milch beständig wieder zum Munde hinausläuft; einige Tage 214 D. FRANK: später trinkt er schon ganz gut. Auch feste Speisen beginnt er am sechsten Tage zu sich zu nehmen. Kleine Stückchen Birne zerbröckelt er mit den Händen und führt sie zum Munde, kann sie aber schlecht halten und die Brocken fallen immer wieder zum Munde heraus. In den nächsten Tagen kaut er schon recht gut und zwar mit der rechten Seite. Die Besserung geht schnell vorwärts und am 11. Tage trinkt er gut und nimmt feste Speisen zu sich, welche er wieder mit der linken Seite zu kauen beginnt. Die Backentaschen bleiben lange Zeit übermässig lange gefüllt. Das Links- kauen bleibt bestehen, die rechte Seite benutzt das Thier gar nicht-mehr, und diese Erscheinung deutete, nach der Meinung des Hrn. Prof. Munk, darauf hin, dass zu viel von der Rinde auf der rechten Seite stehen geblieben war. Ich entschloss mich also am 17. Tage, die Operation nochmals vorzunehmen und trug nun vom Rande der gut vernarbten Wunde nach unten und vorn so viel, als es ging, von der Hirnrinde ab. Der Erfolg bestätigte durchaus die obige Annahme. Nachdem der Affe 2 Tage keine feste Nahrung auf- genommen hatte — das "Trinken war durch die letzte Operation nicht beeinträchtigt — begann er mit der rechten Seite zu fressen. Er brachte die Speise in die rechte Mundhälfte, zerkaute sie rechts und vertheilte sie in beide Backentaschen. Nur das Erfassen der Speisen mit den Lippen ging schlecht, sie fielen beständig aus dem Munde. Nach einigen Tagen begann das Thier auch die linke Mundhälfte zum Fressen zu benutzen, doch be- nutzte es noch eine Zeit lang vorzugsweise die rechte und schob die Bissen, nachdem es ein paar Kaubewegungen gemacht, auf die rechte Seite hinüber, um sie auf dieser endgültig zu zerkauen. Nach einigen weiteren Tagen frisst es gleichmässig mit beiden Seiten. Nur das Erfassen der Speisen mit den Lippen bleibt andauernd erschwert und die Bissen, die vor die Zähne gerathen, fallen aus dem Munde, weshalb das Thier die Gewohnheit annahm, die Hand beim Essen auf den Mund gedrückt zu halten, um so das Herausfallen der Speisen zu verhüten. Diese Erscheinung blieb be- stehen, bis es nach einigen Wochen getödtet wurde. Irgend welche Beein- trächtigung des Schlingens war auch bei den Affen nicht zu bemerken. Die Hunde, an denen ich die Exstirpation gleichzeitig auf beiden Seiten ausführte, zeigten eine Zeit lang Störungen, analog den von Munk und Goltz beschriebenen. Nachdem die Thiere aus der Narkose erwacht waren, konnten sie weder fressen noch saufen und waren nur im Stande, zu lecken. Die Speisen beleckten sie, ohne Miene zu machen, sie aufzunehmen. Sie mussten daher vom fünften Tage ab künstlich gefüttert werden; die Kiefer wurden gewaltsam geöffnet und die in Flüssigkeit getauchten Fleisch- stücke tief in den Schlund gesteckt, worauf sie reflectorisch hinunterge- schlungen wurden. Der Fütterung setzten die Thiere den stärksten Wider- stand entgegen. Nach einigen Tagen genügte es, die Speisen etwa auf die BEZIEHUNGEN DER (FROSSHIRNRINDE ZUR NAHRUNGSAUFNAHME. 215 Mitte der Zunge zu legen, um reflectorisch Kaubewegungen hervorzurufen, worauf dieselben dann mit grosser Mühe verschluckt wurden. Auch den von Goltz angegebenen Kaureflex konnte ich nachweisen, indem ich mit dem Finger die Wangenschleimhaut rieb. Am 11. Tage begann der eine Hund, am 13. der andere Fleischstücke, die ihnen vor den Mund gehalten wurden, selbst aufzunehmen, nach ein paar Tagen frassen sie recht gut aus der Schüssel, nur dass. ihnen die Stücke häufig aus dem Munde fielen, und es ihnen Mühe machte, grössere Stücke, die zum Theil zwischen den Leizen heraushingen, ganz in’s Maul zu bekommen. 3 Wochen nach der Operation konnten die Thiere gut fressen, es blieb nur die Unsicherheit in der Aufnahme der Speisen bestehen, die ich schon bei meinen vorigen Hunden be- schrieben habe und die sich hier noch dadurch besonders kenntlich machte, dass die Thiere beim Erfassen der Speisen das Maul überweit öffneten und sie mit einer gewissen Gewalt in dasselbe hineinpressten. Einer der Hunde hatte ausserdem, wie schon oben erwähnt, durch eine Entzündung, die den Hinter- hauptslappen ergriffen hatte, eine Sehstörung bekommen, die es ihm noch erschwerte, Speisen, die nicht in unmittelbarer Nähe lagen, aufzufinden.! Fassen wir die gewonnenen Resultate kurz zusammen, so ergiebt sich Folgendes: Für die Localisation des für den Vorgang der Nahrungsaufnahme in Betracht kommenden Rindengebietes ist auch nach den Ergebnissen von Exstirpationsversuchen diejenige Partie anzusprechen, welche zwischen Fissura Sylvi und Präcentralfurche, nach vorne etwas über dieselbe hinaus- sreifend, liegt und den Fuss der Centralwindungen und das Operculum in sich begreift. Läsion dieser Partie bedingt Störungen des willkürlichen Actes der Nahrungsaufnahme, d.h. des Ergreifens der Nahrung und des Zerkauens und Hinüberbeförderns der Speisen in den Schlund. Bei ein- seitiger Exstirpation der entsprechenden Partie bei Hunden sind diese Er- scheinungen sehr wenig ausgesprochen, was hinlänglich durch die schon von Ferrier festgestellte Thatsache erklärt wird, dass beide Mundhälften von beiden ÜCentren aus versorgt werden. Diese wenig ausgesprochenen Störungen gehen nach kurzer Zeit, 6 bis 10 Tagen, zurück, bis auf eine ! Als die vorliegende Arbeit bereits abgeschlossen war, kam mir die Dissertation des Hrn. Dr. Trapeznikoff zu: „Ueber die centrale Innervation des Schluckens“. St. Petersburg 1897 (russisch). Der Verfasser, der unter Leitung von Bechterew arbeitete, hat auch vier Exstirpationsversuche gemacht, doch scheint er geringere Partien entfernt zu haben, als ich. Bei zwei Hunden, bei denen er einseitig exstirpirte und von denen der eine 2, der andere 8 Tage beobachtet wurden, waren keine Er- scheinungen zu constatiren. Zwei andere, denen gleichzeitig die Exstirpation auf beiden Seiten gemacht wurde, zeigten dieselben Störungen wie meine Hunde. Das eine der Thiere ging am 13, Tage zu Grunde, nachdem es eben angefangen, selbst Nahrung aufzunehmen; das andere erlangte gleichfalls am 13. Tage diese Fähigkeit wieder und zeigte dann weiter keine beachtenswerthen Erscheinungen. 216 D. FRAnK: BEZIEHUNGEN DER GROSSHIRNRINDE U. S. W. geringe Beeinträchtigung der feinsten Bewegungen; es vollzieht sich eine Wiederherstellung der Function, wie sie auch sonst bei partiellen Ab- tragungen der Hirnrinde beobachtet wird. Es ist hier nicht der Ort, auf die viel discutirte Frage einzugehen, auf welche Weise sich eine solche Restitution vollzieht, doch scheint sie in unserem Falle an Elemente ge- bunden zu sein, welche der zuerst operirten Gehirnhälfte angehören, und ist nicht in der Weise aufzufassen, als ob das zweitseitige Centrum voll- ständig und dauernd die Function des ausgefallenen übernommen hätte, wie es in den ersten Tagen nach der Operation theilweise geschieht. Da- durch erklärt es sich auch, warum die Entfernung des zweiten Centrums, welche längere Zeit nach der ersten Operation stattfand, keinen vollständigen Verlust der Fähigkeit, willkürlich Nahrung aufzunehmen, zur Folge hatte, sondern nur eine Beeinträchtigung der entsprechenden Bewegungen in der contralateralen Mundhälfte, wobei diese Störungen allerdings bedeutender waren als das erste Mal, da sich zu ihnen die nach der ersten Operation zurückgebliebenen Bewegungsstörungen hinzugesellten. Vollständiger Aus- fall der Function, d.h. vollkommener Verlust der Fähigkeit willkürlicher Nahrungsaufnahme, wurde nur durch gleichzeitige Entfernung beider Centren erreicht. Auch jetzt stellte sich in verhältnissmässig kurzer Zeit, 10 bis 14 Tage, die Function wieder her mit Zurücklassung der schon geschilderten feinsten Bewegungsstörungen. Etwas anders verhält sich die Sache bei den Affen. Hier scheint jedes Centrum für sich grössere Selbstständigkeit erlangt zu haben; die Restitution erfolgt weniger vollkommen als bei den Hunden. Zwei Monate nach der ersten Operation benutzt das Thier beim Essen noch vorzugsweise die gesund gebliebene Seite; Exstirpation des zweiten Öentrums ruft daher, trotz des Zeitraumes, welcher zwischen beiden Ope- rationen lag, und während dessen sich eine vollständige Wiederherstellung der Function hätte vollziehen können, dasselbe schwere Bild des Verlustes der Fähigkeit willkürlicher Nahrungsaufnahme hervor, wie bei den Hunden die gleichzeitige Entfernung beider Centren. Auch hier kommt es nach einiger Zeit zu einer Restitution der Function. Es bleiben allerdings gewisse Störungen im Coordinationsmechanismus für das Erfassen und Festhalten der Speisen zurück, die dauernd zu sein scheinen. Zum Schluss sei es mir gestattet, Hrn. Prof. Munk für die Liebens- würdigkeit, mit der er mich bei meiner Arbeit unterstützte, meinen auf- richtigen Dank auszusprechen. Hrn. Prof. Oppenheim danke ich für die Anregung und das Inter- esse an der vorliegenden Arbeit. Die Photographien sind von Hrn. Dr. G. Flatau gefertigt, und bitte ich ihn, dafür meinen Dank entgegenzunehmen. Ueber die bei der Resorption der Nahrung in Betracht kommenden Kräfte. Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin, (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Die Resorption der Nahrung ist bei Pflanzen und Thieren, bei dem einfachsten Lebewesen und dem höchst entwickelten Organismus ein so verwickelter Vorgang, dass wir uns nicht wundern dürfen, wenn die An- sichten über die in Betracht kommenden Kräfte im Laufe der Zeit mannig- faltige Wandlungen erfahren haben. Die erste bekannte Theorie über die Wege, welche die Nahrung nach ihrem Eintritt in den Thierkörper ein- schlägt, stammt wohl von Ersistratus, welcher zuerst die Chylusgefässe zur Zeit der Resorption mit milchweissem Chylus gefüllt sah. Er nahm an, dass die resorbirte Nahrung zur Leber geleitet werde und dort in Blut sich umwandele, um von da aus im ganzen Körper verteilt zu werden. Mit der weiteren Kenntniss des anatomischen Verlaufes der Chyluswege befestigte sich die Ansicht immer mehr, dass die im Darm aufgenommenen Nahrungsstoffe durch die mesenterialen Chyluswege in den Ductus thora- eieus und durch diesen in das Venensystem geleitet werden. Auch über die Kräfte, welche die Nahrung vom Darmlumen in das Lymphgefässsystem befördern, konnte man sich eine Vorstellung machen, als von Dutrochet die Erscheinungen der Diosmose an todten Membranen studirt waren. Man glaubte jetzt, dass die Nahrungsbestandtheile durch Osmose in den Anfang der Chyluswege gelangten und sah den Zweck der Verdauung darin, die aufgenommene Nahrung in leicht diffusible Verbindungen um- zuwandeln. Hauptsächlich durch Brücke’s Untersuchungen wurde nun in der glatten Musculatur der Darmzotten ein zweiter Mechanismus auf- gedeckt, welcher der Resorption des Darminhaltes dient. Brücke zeigte, 218 Hans FRIEDENTHAL: dass die Zotten, wenigstens beim Hund, wie ein kleines Pumpwerk fun- siren, welche bei ihrer Zusammenziehung ihren Inhalt in die Chylusgefässe befördern, bei ihrer Ausdehnung aber Darminhalt ansaugen, da der Rück- tritt des hinaus beförderten Chylus durch die Klappen in den Chylusgefässen der Darmwand verhindert wird. Damit war eine zweite von den Gesetzen der Diffusion ganz unabhängige Kraft, nämlich ein Filtrationsdruck, bekannt geworden, was hier besonders hervorgehoben werden soll, da seit Heidenhain fast alle neueren Forscher, welche über Resorption im Darm gearbeitet haben, diesen Factor bei der Discussion der in Betracht kommen- den Kräfte vollständig ignorirt haben. Allmählich wurden aber immer mehr Thatsachen bekannt, welche die Resorption des Darminhaltes in die Lymph- gefässe zweifelhaft erscheinen liessen, die Rolle der Blutgefässe bei der Auf- saugung in den Vordergrund schoben, so dass schliesslich die Ansicht die herrschende wurde — und sie ist es bis heute geblieben —, dass die Chylus- gefässe nur mit der Fettresorption etwas zu thun hätten, dass die Auf- saugung der Kohlehydrate, der Eiweisskörper, der Salze und des Wassers nur durch die Blutgefässe geschehen solle. Weil diese Substanzen bei der Resorption nicht in nachweisbar vermehrter Menge im Ductus thoraeicus gefunden werden konnten, schloss man, dass die ersten Lymphwege bei der Resorption ganz unbetheiligt seien, und so finden wir denn in den neuesten Lehrbüchern der Physiologie fast überall die Ansicht ausgesprochen, dass wir über die bei der Resorption thätigen Kräfte so gut wie gar keine Kenntniss hätten. So schreibt z. B. Neumeister (120) in seinem Lehrbuch der physiologischen Chemie: „Die Resorptionswege sämmtlicher in den Flüssigkeiten des Darmtraetes gelöster Nährstoffe sind die Blutcapillaren der Darmwand, in welche die Proteinstoffe oder deren Verdauungsproducte, die einfachen Zucker sowie die Salze durch unbekannte Vorgänge nach dem Passiren der Darmepithelien hinein gelangen, um weiterhin der Pfortader zuzuströmen.“ Dieser Satz giebt die Anschauungen wieder, wie sie in vielen Lehrbüchern der Physiologie zu finden sind, seit Heidenhain (31, 47, 53, 65) in einer Reihe von eingehenden Arbeiten den Nachweis zu führen gesucht hat, dass die Aufsaugung unabhängig von den Gesetzen der Osmose vor sich gehe, wie er meint durch unbekannte Kräfte, welche allein in den Darmepithelien ihren Sitz haben; nach Abtödtung des lebendigen Protoplasmas in der Darm- wand sollen die Gesetze der Osmose wieder rein in Erscheinung treten. Da wir uns über die von Heidenhain supponirten Lebenseigenschaften der Zellen, welche unabhängige von den Gesetzen der. Osmose sein sollen, keine Vorstellung bilden können und bei seiner Art der Darstellung der ganze in den Chylusgefässen der Zotten und deren Musculatur gegebene Apparat nutzlos erscheint, weil ja nichts oder fast nichts vom Darminhalt Ber NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 219 in die Chylusgefässe gelangen soll, so scheint sich für das Gebiet der Re- sorption der pessimistische Ausspruch Bunge’s rechtfertigen zu sollen: „Je eingehender, vielseitiger, gründlicher wir die Lebenserscheinungen zu erforschen streben, desto mehr kommen wir zu der Einsicht, dass Vorgänge, die wir bereits geglaubt hatten, physikalisch und chemisch erklären zu können, weit verwickelterer Natur sind und vorläufig jeder mechanischen Erklärung spotten.“ In Wahrheit sind wir aber nicht so weit davon entfernt, die Resorptionsvorgänge zu verstehen, wie Heidenhain meinte, und ihm gegenüber hat Hamburger! (27, 27a, 29, 31, 32, 64, 102) in einer Reihe von Resorptionsversuchen an todten Thieren schon nachgewiesen, dass die Resorption aus dem Darmcanal nicht allein durch unbekannte Lebenskräfte im Darmepithel zu erklären ist. Die Darstellung Hamburger’s, der die Resorption von Flüssigkeiten aus dem Darmrohr nach einem rein physi- kalischen Gesichtspunkt erklären will, ist kurz folgende Durch mole- culare Imbibition wird ein Theil der Flüssigkeiten in die Darmepithelien aufgenommen; dann setzt die Flüssigkeit durch capillare Imbibition ihren Weg durch die Bindegewebsspalten der Schleimhaut fort und wird zu einem kleinen Theil mit dem Lymphstrom mitgeführt. Grösstentheils aber werde sie durch moleculare Imbibition in die Kittsubstanz des Capillarendothels oder in die Endothelzellen selbst aufgenommen, um durch capillare Imbi- bition in die Haargefässe hinüberzugehen. Hierbei spielt der intestinale Druck eine sehr wesentliche Rolle, denn wenn man den intestinalen Druck auf Null sinken lässt, hört die Darmresorption auf. Als Stütze dieser Auf- fassung führt er an, dass hypertonische Kochsalzlösunger und isotonisches Serum vom todten Darm resorbirt wird. Weil aber Heidenhain nach- - weisen konnte, dass die Resorption am todten Darm langsamer vor sich geht als am lebenden, haben die Anschauungen Heidenhain’s über die Hamburger’s den Sieg davon getragen. Entgegen Heidenhain, welcher in seinen gesammten Versuchen den oben beschriebenen Filtrationsdruck, der durch Contraction der Zottenmusculatur hervorgebracht wird, überhaupt nicht in Betracht zieht, sehen wir in den Versuchen Hamburger’s wieder einen physikalischen Druck als maassgebenden Factor auftreten. Es ist nun klar, dass bei Discussion eines von mehreren Factoren beherrschten Vorganges, wie es die Aufsaugung im Darm darstellt, es zu völlig unbe- friedigenden Resultaten führen muss, wenn man nur den einen Factor be- rücksichtigt, wie Heidenhain es that, als er bei seinen sämmtlichen Ver- suchen nur die Gesetze der Osmose und die im Darmepithel thätigen Kräfte in Rechnung zog, eine etwaige mechanische Ansaugung in die Lymph- gefässe ganz ausser Betracht liess, zumal er noch die von van’t Hoff für " Siehe Tigerstedt, Zerrbuch der Physiologie. Leipzig 1897. S. 284, 220 Hans FRIEDENTHAL: die Zellen mit semipermeablen Membranen abgeleiteten und nur für diese gültigen Gesetze für die Gesetze der Osmose überhaupt hielt. Da nun im Anschluss an die Arbeiten Heidenhain’s einige Arbeiten erschienen sind, welche die so äusserst verwickelten Resorptionsverhältnisse in der Weise untersuchen, als hätten wir es im Darm mit einer langen, mit Ferrocyan- kupfermembran ausgekleideten Thonzelle zu thun, so erscheint es nöthig, an dieser Stelle zu discutiren, wie weit sich die Gesetze der Osmose mit den von van’t Hoff aus den Pfeffer’schen Versuchen abgeleiteten Ge- setzen für semipermeable Membranen decken, wie weit sie davon abweichen, und damit zu zeigen, dass eine Abweichung von den Gesetzen van’t Hoff’s uns noch nicht zwingt, bei einem im Thierkörper stattfindenden Vorgang auf das Vorhandensein anderer als osmotischer Kräfte zu schliessen. Wenn man eine Thonzelle mit Ferrocyankaliumlösung tränkt, dann abspült und mit Kupfersulfatlösung ausschwenkt, so überzieht sich die Thon- zelle innen mit einer Schicht von Ferrocyankupfer, und diese Schicht hat die Eigenschaft, nur Wasser, aber nicht andere Molecül® in sich aufzu- nehmen oder durchzulassen. Füllt man in solche Zelle Rohrzuckerlösung und taucht sie in Wasser, so entsteht in der Zelle ein bestimmter Druck, den man am Manometer ablesen kann, und von diesem Druck hat nun van’t Hoff gezeigt, dass er gerade so gross ist wie der Druck, welchen der Rohrzucker vermöge seines Moleculargewichtes ausüben würde, wenn er als Gas denselben Raum ausfüllte, der ihm in der Lösung zur Ver- fügung steht. Dabei ist wohl zu beachten, dass dieser Druck, von dem van’t Hoff meint, dass er durch den Stoss, der wie ein Gas sich in der Lösung bewegenden Zuckermolecüle herrührt, erst allmählich entsteht, wenn die Thonzelle mit semipermeabler Membran in Wasser getaucht wird. Der osmotische Druck einer Zuckerlösung ist nur in einer gegen reines Wasser tauchenden Zelle mit semipermeabler Membran eine reale Grösse, sonst eine ideelle. Pfeffer (123) nimmt an, dass der Turgordruck in Pflanzen gleich sei dem Druck, welchen die im Plasma gelösten Substanzen in einer halbdurchlässigen Zelle ausüben würden und kommt dabei zu dem Resultat, dass Pilze, die auf sehr concentrirten Nährböden zu wachsen befähigt sind, einen Innendruck bis zu 157 Atmosphären entwickeln müssen. Dies ist nun wahrscheinlich nicht richtig, denn bringt man die an so hohe Salzlösungen ge- wöhnten Zellen in reines Wasser, so platzen sie, weil jetzt erst ein Ueber- druck entsteht, und wahrscheinlich braucht der Ueberdruck noch lange nicht sein Maximum von 157 Atmosphären erreicht zu haben, um die Zell- wände zu zersprengen. Ueber die Höhe der Turgorspannung, welche ein realer Druck ist, giebt die Concentration der Aussenflüssigkeit bei diesen Pilzen überhaupt keinen Maassstab, denn da innen und aussen gleich eoncentrirte Lösungen sich gegenüberstehen, so braucht überhaupt kein Druck im Bei NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE 221 Inneren der Pilze zu herrschen, ebenso wenig wie die Seepflanzen in ihrem Inneren einen Druck zu entwickeln brauchen, um dem osmotischen Druck des Seewassers Widerstand zu leisten. Für die Penicilliumarten, welche auf der Oberfläche von äusserst concentrirten Nährböden zu wachsen ver- mögen, kommt noch hinzu, dass sie wahrscheinlich gar nicht in das con- centrirte Material eintauchen, sondern auf einer Oberflächenschicht von geringerer Concentration, die wahrscheinlich durch Condensation von Wasser- dampf sich bildet, ihr Leben fristen. So fand ich einmal die Oberfläche einer 4-5 procentigen Schwefelsäurelösung in destillirttem Wasser mit Colo- nien von dem so widerstandsfähigen Aspergillus niger besetzt, trotzdem bekannt ist, dass die Schwefelsäure schon in 2 procentiger Lösung ein aus- gezeichnetes Antisepticum ist und in 3 procentiger Lösung auch die Asper- eillusarten sicher tödtet. So fand denn auch kein weiteres Wachsthum statt, als ich die Colonien in die Lösung selbst versenkte. Unter diesen Verhältnissen hatte natürlich der riesige osmotische Druck einer concen- trirten Schwefelsäure um so weniger eine reale Bedeutung. Auch Heiden- hain (47) stellt den osmotischen Druck als reale Grösse den anderen Kräften gegenüber, wenn er schreibt: „Eine 2 procentige Kochsalzlösung hat einen Druckwerth, der 5400"m Ho eleicht. Diese Kraft ist ausser- ordentlich viel höher, als die im Capillardruck nach der Filtrations- theorie wirksame Triebkraft.“ Heidenhain stellt also den osmotischen Druck einer Kochsalzlösung einem entgegengerichteten Filtrationsdruck als gleichwerthig gegenüber, während es doch für eine Filtration ganz gleichgültig ist, wie hoch der osmotische Druck der zu filtrirenden Lösung sich berechnet. Bei ganz geringem negativen Druck in den Lymphgefässen passirt eine Zuckerlösung mit einem entgegengesetzt gerichteten osmotischen Druck von 280 Atmosphären nicht schwerer die Darmwand — abgesehen von ihrer etwas grösseren Zähigkeit — als reines Wasser. Da nirgends sich im Thierkörper reines Wasser und nirgends Zellen mit Membranen finden, welche die gleichen Eigenschaften haben, wie etwa eine Ferrocyan- kupfermembran, so ist auch nirgends im Thierkörper Gelegenheit zur Ent- stehung eines realen osmotischen Druckes gegeben, und auch die Auf- saugung im Darm geschieht nicht nach den für semipermeable Membranen gültigen Gesetzen, sondern nach den Gesetzen der Osmose für Membranen mit durchlässigen Wandungen. Bei diesen treten aber nie Drucke auf von der Grösse, wie sie für semipermeable Membranen sich berechnen lassen, sondern je nach der Durchlässigkeit der Wandung bleibt der Druck mehr oder minder weit hinter jenem zurück. Die absolute Grösse der in Betracht kommenden Kräfte ist für durchlässige Membranen leider noch jeder Vorausberechnung unzugänglich, und wir müssen uns bei der Dis- eussion der Aufsaugung im Darm mit der Vorausbestimmung der Richtung 222 Hans FRIEDENTHAL: der Strömungen begnügen. Der Beweis, dass trotz scheinbarer Ueber- einstimmung die thierischen Zellen sich nicht wie Zellen mit halb durch- lässigen Wandungen verhalten können, ist leicht zu führen. Filtrirt man Kaliumnitratlösung durch eine Thonzelle mit Ferrocyankupfermem- bran, so erfordert dies zunächst einen Filtrationsdruck, der grösser ist, als der ideale osmotische Druck — also bei einer 45 procentigen Kalium- nitratlösung einen Druck von mehr als 157 Atmosphären — was durch- filtrirt, ist aber nicht Kaliumnitratlösung, sondern reines Wasser. Benutzt man dagegen die abpräparirte Mucosa des Darmes als Filtermembran, so zeigt sich zunächst die durchfiltrirte Menge abhängig vom Filtrationsdruck und unabhängig vom osmotischen Druck der benutzten Flüssigkeiten, und ferner zeigt sich, dass die Darmwandungen alle Molecüle passiren lassen, wenn auch mit verschiedener Geschwindigkeit. Da aber die Darmwandungen aus Zellen und dazwischen liegender Kittsubstanz bestehen, so könnte noch eingewendet werden, dass die gelösten Substanzen in den durchfiltrirten Flüssiekeiten vielleicht nur die Kittsubstanz passirt hätten, dass aber die Wandung der Epithelzellen selber doch wie eine semipermeable Membran sich verhalten könnte; allein dies wird durch die mikroskopischen Bilder der benutzten Schleimhäute widerlegt, ganz abgesehen von dem naheliegenden theoretischen Beweis von der Unmöglichkeit eines solchen Verhaltens der äussersten Zellschicht, da in diesem Falle die einzelnen Zellen vom Stoff- wechsel des Körpers völlig ausgeschlossen wären. Unter Heidenhain’s Leitung selber wurden Versuche über Resorption von Methylenblaulösungen angestellt, welche das Passiren der blaugefärbten Lösungen durch Kitt- substanz und Epithelzellen bewiesen. Bei der Resorption von Lösungen von jöslicher Stärke im Froschdarm konnte ich durch die evidente Blaufärbung mit Jodjodkaliumlösung das Vorhandensein von Stärkemolecülen in den Darm- epithelien, in der Kittsubstanz und in den Lymphgefässen nachweisen; für das Fett ist das Durchwandern der Epithelien und der Kittsubstanz eine längst bekannte Thatsache. Für die Eiweissmolecüle ist die Durchgängigkeit der Darmwand durch das Auftreten von Eiweiss derselben Art im Harn nach reichlichem Genuss von rohen Eiern im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht, wenn auch in früherer Zeit die Ansicht vorherrschte, dass die Eiweissmolecüle einer Spaltung oder Peptonisirung unterzogen werden müssten, um zur Resorption geeignet zu sein. Versuche von Friedländer (69) über die Resorption von Eiweisslösungen hatten ergeben, dass nur für Casein, Salzsäuremyosin und Säurealbumin die Darmwände sich als un- passirbar erwiesen, während Serum- und Eieralbumin, Alkalialbuminat und Peptone mit in der Reihe beständig wachsender Leichtigkeit aufgenommen werden konnten. Ueber die Aufnahmefähigkeit des Darmes für so leicht diffusible Stofle, wie Zucker und die gebräuchlichen Salze, bestand wohl BeI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 223 überhaupt nie ein Zweifel, so dass für alle Stoffe, welche bei der Resorption der Nahrung in Betracht kommen, mit alleiniger Ausnahme des Caseins, des Säureeiweiss und wahrscheinlich noch des Hämatins, welches im Säugethierdarm gar nicht oder nur in minimalen Mengen resorbirt wird, die Unabhängigkeit von den van’t Hoff’schen Gesetzen der Osmose, für semipermeable Membranen nachgewiesen ist. Wie bei durchlässigen Mem- branen die Strömungsrichtung allein von der chemischen Substanz der Membran abhängig ist und der osmotische Druck überhaupt keine Rolle spielt, zeigt sich am besten bei der Trennung von Alkohol und Wasser. Trenne ich Alkohol und Wasser durch thierische Blase, so vermehrt sich der Weingeist, trenne ich sie durch Kautschukmembran, so vermehrt sich das Wasser. In jedem Falle aber findet sich beiderseits eine Mischung beider Flüssigkeiten, nur die Durchwanderungsgeschwindigkeit ist für jede Membran je nach ihrer chemischen Zusammensetzung verschieden. Da die Vorgänge bei der Aufsaugung im Darm theilweise beherrscht werden von den Gesetzen der Diffusion durch durchlässige Membranen, diese letzteren aber noch wenig bekannt sind, so möge hier in Kürze der Fall diseutirt werden, dass zwei Flüssigkeiten sich durch eine dritte hin- durch mischen. Die in Betracht kommenden Verhältnisse sind dieselben, wie wenn wir eine feste Membran als Trennungsmittel zweier flüssiger Medien nehmen, die Darstellung der Vorgänge ist aber wesentlich er- leichtert. ! Wir können dem specifischen Gewicht entsprechend Chloroform, Wasser und Aether über einander schichten; man findet dann, dass nach längerem Stehen der Aether fast vollständig durch das Wasser hindurch zum Chloro- form gegangen ist, wodurch die Wasserschicht in die Höhe gehoben wird. Diese Erscheinung erklärt sich so: Chloroform und Aether ziehen sich an, mischen sich in jedem Verhältniss; Aether und Wasser aber mischen sich wenig, Wasser kann nur kleine Mengen Aether aufnehmen. Vom Chloro- form endlich nimmt Wasser noch weniger auf. Das Wasser sättigt sich nun an der Berührungsfläche mit Aether, der sich dann durch die ganze Wasserschicht verbreitet. Sobald er aber an die andere Grenze kommt, wird er vom Chloroform dem Wasser entzogen, wofür neuer Aether nach- strömt. Es entsteht ein Aetherstrom durch das Wasser hindurch, dessen Geschwindigkeit von der Aufnahmefähigkeit des Wassers für Aether bedingt ist. Ganz ebenso geht ein entgegengesetzt gerichteter Strom von Chloro- form durch das Wasser zum Aether, aber ein sehr viel schwächerer, da das Wasser viel weniger Chloroform aufnimmt. Die Bewegung hört erst auf, wenn über und unter dem Wasser Aether und Chloroform in gleicher ! Darstellung nach Kayser, Lehrbuch der Physik. Stuttgart 1894. 5. 101. 224 HaAns FRIEDENTHAL: Mischung vorhanden sind; dieser Gleichgewichtszustand tritt aber erst ein, wenn fast aller Aether der Schwere entgegen durch das Wasser zum Chloroform getreten ist. Wie wir sehen, spielt hierbei ein osmotischer Druck überhaupt keine Rolle. Nach Analogie dieses Vorganges werden wir leicht verstehen, warum sich das Wasser vermehrt, wenn wir Wasser und Alkohol durch eine Kautschukmembran trennen. Der Kautschuk hat ein bestimmtes Lösungs- vermögen für Alkohol. Die Membran sättigt sich also mit Alkohol bis an die Berührungsschicht mit dem Wasser. Da nun Wasser ein grösseres Lösungsvermögen für Alkohol hat als Kautschuk, entzieht es der Membran fortwährend Alkohol. Das Wasser vermehrt also fortwährend sein Volumen. Kautschuk hat kein Lösungsvermögen für Wasser, man könnte daher meinen, es würde auch kein Wasser durch die Membran zum Alkohol gehen können. In Wirklichkeit geht aber doch ein wenig Wasser zum Alkohol, weil mit Alkohol gesättigter Kautschuk ein gewisses Lösungsvermögen für Wasser besitzt. Ist der Endzustand erreicht, so haben wir auf beiden Seiten wieder eine gleichprocentige Mischung von Alkohol und Wasser, getrennt durch eine Membran, welche ebenfalls Alkohol und Wasser enthält, und zwar muss die Affinität der Alkoholwassermischung sowohl zu Alkohol wie zu Wasser ebenso gross sein, wie die Affinität der Kautschuk-Alkohollösung zu Wasser, und des Kautschuks zu Alkohol, da Kautchuk und Wasser keine Affinität besitzen. Ebenso war im vorigen Beispiel für die Schnelligkeit des Ueberwanderns nicht die Lösungsfähigkeit des Aethers in Wasser maass- sebend, sondern die Lösungsfähigkeit des Aethers in Chloroform gesättigtem Wasser, welche eine höhere ist; für die Schnelligkeit der Wanderung des Chloroforms ist natürlich ebenso maassgebend die Lösungsfähigkeit von Aether gesättigtem Wasser für Chloroform. Jetzt ist auch leicht verständ- lich, warum entgegen den Verhältnissen bei der Kautschukmembran sich der Alkohol vermehrt, wenn man wässerige und alkoholische Flüssigkeiten durch thierische Blase trennt, denn das Lösungsvermögen von thierischer Blase ist viel grösser für Wasser als für Alkohol, also können an der Grenzschicht zwischen Blase und Alkohol viel mehr Wassermolecüle in der Zeiteinheit übertreten zum Alkohol, als Alkoholmoleeüle übertreten können zum Wasser. Viel einfacher als bei den oben erwähnten Bei- spielen, wo die gegenseitige Affinität dreier Grössen beständig in Betracht gezogen werden musste, liegt der Fall natürlich, wenn das Lösungsvermögen der Membran für einen der gelösten Stoffe gleich Null ist, ein Fall, der bei der Diffusion von Eiweisslösungen durch thierische Blase annähernd ver- wirklicht ist. Hier entzieht die Eiweisslösung der mit Wasser gesättigten Membran beständig Wasser, welches diese immer wieder von der wasser- bedeckten Seite her ergänzt; da nun aber selbst die verdünnteste Eiweiss- BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 225 lösung noch Wasser anzieht, so kann der Process nie zum Stillstand kommen, das endosmotische Aequivalent des Eiweisses ist unendlich. Anders liegen die Verhältnisse aber, wenn ich zu der Eiweisslösung Salze, z. B. Kochsalz, hinzufüge. Da die thierischen Membranen eine starke Affinität zu Kochsalz haben,! so entsteht (sit venia verbo) eine Blase-Kochsalz-Wasserverbindung, und in dieser ist Eiweiss etwas löslich. In Folge der Affinität des Wassers zu Kochsalz und Eiweiss entzieht die Wasserschicht auf der einen Seite der thierischen Haut der Verbindung Blase-Kochsalz-Eiweiss sowohl Koch- salz wie Eiweiss und diese rücken nun aus der salzhaltigen Eiweisslösung beständig nach, entsprechend der Schnelligkeit des Uebertrittes dieser Stoffe aus der Membran in das Wasser. Ob Eiweiss diffundirt oder nicht, hängt also nicht von seiner Moleculargrösse, wie vielfach geglaubt wird, noch von sonstiger physikalischer Beschaffenheit seines Molecüls ab, sondern bloss davon, ob es mit Stoffen in Berührung kommt, mit denen es eine lockere Verbindung eingehen kann. Es war ja schon lange bekannt, dass manche Farbstoffe gewisse Membranen nicht passiren, während dies Stoffen mit viel höherem Moleculargewicht möglich ist. Im Vorhergehenden war nothwendiger Weise von Affinitäten die Rede, welche die Folge sein müssen von Anziehungen, welche die verschiedenen Molecüle auf einander ausüben, ohne dass es zur Entstehung einer eigent- liehen chemischen Verbindung nach Aequivalenten kommt. Eine Erklärung für diese Anziehung liegt vorläufig ausser dem Bereich der Möglichkeit; wir wissen ja ebenso wenig bei den chemischen Verbindungen, warum ein Körper sich mit dem einen verbindet, mit dem anderen aber nicht. Öst- wald schlägt für diese lockere Affinität, welche mit den physikalischen Faetoren varlirt, während andererseits ihre Grösse durchaus abhängig von der chemischen Natur der in Betracht kommenden Stoffe ist, den Namen mechanische Affinität vor; deshalb soll bei Betrachtung der Diffusions- verhältnisse hier unter Affinität stets solche mechanische Affinität verstanden sein. Die Erscheinungen der mechanischen Affinität sind so verbreitet, dass es kaum einen molecularen Vorgang giebt, bei dem diese Kraft un- berücksichtigt- bleiben kann. Die Absorption von Gasen zeigt sich zwar direct abhängige vom Druck, also einem physikalischen Factor, aber anderer- seits hängt die absorbierte Menge bei verschiedenen Gasen bei gleichem Druck nur von der chemischen Natur der Flüssigkeit und des Gases ab, in voller Analogie zu den Verhältnissen bei der Osmose. Hierher gehört auch die Fähigkeit von Flüssigkeiten, sich zu mischen oder feste Substanzen aufzulösen, ferner die Adsorption von Gasen an feste Körper, die Benetzung, die Adsorption von Farbstoffen, Riechstoffen, Eiweisskörpern, Fermenten ! Siehe Hofmeister. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 15 226 Hans FRIEDENTHAL: durch Kohle, Kalk, Quarzsand, colloide Niederschläge, ebenso die Fähigkeit des quellenden Fibrins, das Pepsin in sich aufzunehmen. Liebig nennt daher mit Recht die chemische Verbindung nur einen Effect der Affinität, die anderen Effecte, zu denen auch noch die Quellungsvorgänge gehören, sind nach einer Zusammenstellung von Hofmeister (81) eben aufgezählt. Wie man sieht, lassen sich alle bei der Diffusion in Betracht kommenden Verhältnisse bei durchlässigen Membranen, bei wässerigen und allen anderen Flüssigkeiten unter einen einheitlichen Gesichtspunkt bringen bei der An- nahme mechanischer Affinitäten, ohne dass das Moleculargewicht der dios- mirenden Substanzen irgend welche Berücksichtigung zu erfahren brauchte; es mag hier aber hervorgehoben werden, dass diese Anschauungen nicht erklären, warum in einer halbdurchlässigen Zelle, die in Wasser getaucht wird, der Innendruck steigt bis zu einer bestimmten Höhe, welche sich voraus berechnen lässt, wenn man annimmt, dass der in Wasser gelöste Körper im Inneren der Zelle einen Druck ausübt von derselben Grösse, den der Körper im Gaszustand bei derselben Temperatur ausüben würde. Van’t Hoff schliesst aus der Uebereinstimmung der Constante für die osmotische Druckgleichung und für die Gasgleichungen,’ dass die Körper in Lösungen sich im Gaszustand befinden, d. h., dass ihre Molecüle in der Lösung herumfliegen und durch Anprallen an die Gefässwandungen den osmotischen Druck in der Thonzelle hervorbringen. Van’t Hoff und Ostwald haben dann versucht, im Sinne dieser Anschauung nun um- gekehrt, die Erscheinungen der Diffusion und Osmose aus diesem Gas- druck der Molecüle heraus zu erklären, und glauben auf diese Weise die Annahme einer specifischen Anziehung zwischen Lösungsmittel und gelöster Substanz überflüssig zu machen. Dagegen ist einzuwenden, dass die Druck- erhöhung in einer Zelle mit semipermeabler Membran beim Eintauchen in Wasser in gleicher Weise vor sich geht, wenn die Zelle mit einem festen Körper, wie Leim z. B. oder Stärke, erfüllt ist. Bei letzterer gehört nach Nägeli ein Druck von über 2000 Atmosphären dazu, um das Eindringen von Wasser in die Stärke zu verhindern. Nun wird wohl keiner das Ein- dringen von Wasser in die Leimgallerte oder die Stärke so erklären wollen, dass in diesen festen Körpern die Molecüle im Gaszustand sich befinden, trotzdem geht mit Erhöhung der Temperatur bei Gelatine der Uebergang in den gelösten Zustand so allmählich vor sich, dass wir bei der verflüssigten Gelatine gar keinen Grund haben anzunehmen, dass ihre Molecüle plötzlich im Gaszustand sich befinden, oder dass der Druck in der Thonzelle auf einmal durch andere Kräfte zu Stande komme als bei Anfüllung mit fester Gallerte, nämlich durch eine vorläufig unerklärliche Affinität der Leim- bezw. Stärkemolecüle zu Wasser. Wenn schon der ganz all- mähliche Uebergang der Quellungsvorgänge in die osmotischen Processe BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 227 und die Unmöglichkeit der Annahme des Gaszustandes fester Körper uns verhindern sollte, die Ostwald’sche Erklärung vom Zustandekommen des Druckes in der halbdurchlässigen Zelle anzunehmen, so ist es noch viel weniger angängig, diesen Druck der hypothetisch bewegten Molecüle als Ursache der Diffusionsvorgänge oder der diosmotischen Processe anzusehen, wie jetzt fast allgemein angenommen wird. Die folgende Darstellung ! wird am besten zeigen, wie wenig es angängig ist, die Affinität zwischen . Zuckerlösung und Wasser durch hypothetische Molecularbewegung zu er- setzen. „Wird eine halbdurchlässige Thonzelle mit Iprocentiger Zucker- lösung gefüllt und in reines Wasser getaucht, so übt offenbar jedes Zuckermoleeül durch seine molecularen Stösse wegen seiner grösseren Masse einen grösseren Druck auf die Grenzwand aus, ‚als jedes Wassermolecül jenseits der Grenzwand, aber auch als jedes Wassermolecül zwischen den Zuckermoleeülen diesseits der Wand. Ist nun die Wand halbdurchlässig, so müssen von jenseits so lange Wassermolecüle herein diffundiren, bis auf der Innenseite überall der Druck der Wassermolecüle bis zum Druck der Zuckermolecüle gestiegen ist. Ist nun mit der Zelle ein Manometer ver. bunden, welches den bis zum Druck der Zuckermolecüle gestiegenen Wasserdruck misst, so giebt dasselbe den osmotischen Druck der Zucker- lösung an.“ In dieser Darstellung wird zunächst als selbstverständlich vorausgesetzt, dass von Anfang an die Zuckermolecüle in Folge ihrer grösseren Masse auch einen heftigeren Stoss gegen die Wandungen ausführen müssen, d. h., dass ihre Geschwindigkeit dieselbe sein muss, wie die der Wassermolecüle; eine einfache Ueberlegung über den Gleichgewichtszustand eines Systems bewegter elastischer Körper von verschiedener Masse zeigt aber, dass der Gleich- gewichtszustand erreicht ist, wenn die bewegten Körper nicht die gleiche Geschwindigkeit, sondern die gleiche Bewegungsgrösse erlangt haben. Nenne ich die Molecularmassen von Wasser und Zuckermoleeülen m und m’, und ist ce die mittlere Geschwindigkeit der Wassermolecüle, so ist die Geschwindigkeit der Zuckermolecüle, wenn das System den Gleich- gewichtspunkt erreicht hat, -. d. h. eine viel geringere. So lange die Geschwindigkeit der Zuckermolecüle die gleiche ist wie die der Wasser- molecüle, beschleunigen bei jedem Zusammenstoss die Zuekermolecüle die Wassermolecüle und erleiden selber eine entsprechende Verzögerung, bis sie die Geschwindigkeit = — en erlangt haben. Stossen jetzt zwei Moleeüle zusammen, so fliegen sie nach dem Stoss mit derselben Geschwin- digkeit weiter, die sie vor dem Stoss hatten, d. h. das System hat jetzt " Nach Reis, Lehrbuch der Physik. Leipzig 1893. 15* 228 Hans FRIEDENTHAL: seine Ruhelage erreicht, da keines der Moleeüle beim Zusammenstoss eine Verzögerung oder Beschleunigung erfährt, wie man leicht sieht, wenn man MC den Werth für «= — eu in die Stossgleichungen einsetzt im Zim))e + ZmÜc' i m + m und ve (m’— m) ce + 2me 35 m + m Wir erhalten alsdann vo= —c und !’=--c', d. h. beide Molecüle fliegen mit ihrer ursprünglichen Geschwindigkeit in entgegengesetzter Rich- tung weiter. Machen schon diese Erwägungen es unmöglich, anzunehmen, dass in einer einfachen Zuckerlösung die Zuckermolecüle durch ihre Stoss- kraft einen Druck ausüben können, so ist in obiger Darstellung noch viel weniger einzusehen, wie denn die Wassermolecüle in die halbdurchlässige Zelle hineingelangen, wenn man nicht eben eine specifische Anziehung von Zuckerlösung zu Wasser annimmt. Obige Beschreibung stellt es so dar, als ob wegen des grösseren, auf die Innenseite der Zelle ausgeübten Druckes der Zuckermolecüle das Wasser in die Zelle hineinströmt (also nach dem Orte höheren Druckes hin), was einer Darstellung gleichkommt, bei welcher man das Vorhandensein von Wasser in einem hoch gelegenen Reservoir, wohin dasselbe durch eine Dampfmaschine gepumpt werden muss, eben durch diese hohe Lage erklären wollte. Auch die Darstellung, die van’t Hoff den Vorgängen in einer Zelle mit semipermeabler Membran gegeben hat, hat die Ansicht verbreiten helfer, als ob der osmotische Druck die Ursache der Wasseranziehung in eine solche Zelle sei, während er doch nur eine Folge der Wasseranziehung darstellt. Zweideutig ist auch die Darstellung, welche Ostwald in seiner Allgemeinen Theorie von den Diffusionsvorgängen giebt, wenn er schreibt: „Auf Grund der Thatsache, dass die Theilchen gelöster Stoffe gegen eine angrenzende Menge des reinen Lösungsmittels einen Druck ausüben, ist die Erscheinung der Diffusion verständlich. Vermöge des Druckes werden sie in das Lösungsmittel hineingetrieben, und da der Druck der Concentration proportional ist, so hören diese Wirkungen erst auf, nachdem überall dieselbe Concentration eingetreten ist.“ Diese Dar- stellung erklärt nicht die Thatsache, warum nicht bloss Zuckermolecüle in das reine Wasser, sondern auch Wassermolecüle in die Zuckerlösung hinein diffundiren; wir müssten also dem reinen Wasser ebenso ein gasartiges Expansionsbestreben zuschreiben wie der Zuckerlösung, da Hoppe-Seyler! \ Physiologische Chemie. 8. 147. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KrÄFTE. 229 fand, dass bei der Diffusion Zuckerlösung gegen Wasser Wassertheilchen gegen die mittlere Diffusionsgeschwindigkeit vorauseilen und in die con- centrirte Zuckerlösung eindringen. Alle Missverständnisse werden vermieden, wenn wir die Erscheinungen der Lösung, der Diffusion der Diosmose zurück. führen auf specifische Aftinitäten der verschiedenen chemischen Körper, wobei wir den Vortheil haben, uns nicht bloss auf semipermeable Membranen beschränken zu müssen; allerdings verzichten wir dabei auf eine Erklärung für die That- sache der Gleichheit des osmotischen Druckes mit dem Gasdruck. Beim Eintauchen in jedes andere Medium haben alle jene Gesetze für die Osmose absolut keine Gültigkeit; wie wir oben für die Kautschukmembran gezeigt haben, kann bei durchlässigen Membranen die Strömungsrichtung auch des Wassers die entgegengesetzte sein, wie wir sie aus der Gefrierpunkts- erniedrieung, aus dem Dampfdruck und aus dem osmotischen Druck be- rechnen müssten. Bei Eintauchen von Blutkörperchen in Lösungen, deren gelöster Stoff nicht in das Innere eindringt (wie z. B. bei Kochsalz für viele Säugethiere), messe ich das reine Wasseranziehungsvermögen zwischen Lösung und Blut- scheibchen, und dann findet man für solche Stoffe allerdings das Wasser- anziehungsvermögen proportional der Zahl der in der Volumeneinheit vor- handenen Molecüle oder Ionen. Nehme ich dagegen eine der Kochsalzlösung physikalisch völlig identische Lösung eines Kalisalzes (also z. B. eine Lösung von gleicher Gefrierpunktserniedrigung), welches in die roten Blutzellen ver- möge einer specifischen Affinität aufgenommen wird, so beginnt trotz der theo- retischen Isotonie ein Austausch von Stoffen, der nach Qualität und Quantität nur von der chemischen Natur des gelösten Körpers und der rothen Blut- scheiben abhängt, also für jede Thierspecies verschieden sein kann. Immer- hin sind von allen Zellen des Thierkörpers die rothen Blutscheiben noch diejenigen, welche wegen ihres minimalen Stoffwechsels und der daraus resultirenden Gleichförmigkeit ihrer Zusammensetzung am ehesten einer einseitigen Betrachtung nur vom Gesichtspunkt der Wasserbewegung aus zugänglich sind; kommen wir dagegen zu so complicirten Gebilden, wie es die Darmepithelzellen darstellen mit ihrem regen Stoffwechsel, mit ihrer stets wechselnden chemischen Zusammensetzung und damit stets wechseln- den Affinität zu den im Darmcanal vorhandenen Stoffen, berücksichtigen wir ferner, dass durch die anliegenden Capillaren und Lymphräume ein etwa sich ausbildender Gleichgewichtszustand, je nach dem in den ver- schiedenen Organen stattfindenden Verbrauch, immer wieder gestört wird, dass ferner durch die Niere die Zusammensetzung des Blutes und damit auch der Lymphe continuirlich geändert wird, so verliert ein Vergleich der im Darmcanal stattfindenden osmotischen Vorgänge mit dem in der 230 HANS FRIEDENTHAL: halbdurchlässigen Thonzelle stattfindenden Osmose jede Berechtigung, und nur für diese kommt die van’t Hoff’sche Theorie der Lösungen in Betracht. Wenn wir die verwickelten Gesetze der Osmose durch thierische Mem- branen, die aus lebenden Zellen gebildet sind, studiren wollen, erweist sich der Darm der höchsten Wirbelthiere als ganz untaugliches Object. In ihm combiniren sich die Erscheinungen, welche durch osmotische Processe regiert werden, mit der Aufsaugung, welche durch die Zottencontraction ganz unabhängig von Osmose durch einen Filtrationsdruck bewirkt wird, und dazu kommt die Secretion in dem Darm, welche, dem Nerveneinfluss unterworfen, die durch Osmose hervorgerufenen Aufsaugeerscheinungen in ganz uncontrollirbarer Weise fälscht. Hier muss uns die vergleichende Betrachtung aushelfen, welche uns an weniger complieirt gebaute Organismen wenden heisst, und wir werden um so unbedenklicher die an niedrigen Organismen gefundenen Verhältnisse auf die der höheren Thiere übertragen können, da wir gesehen haben, dass die osmotischen Erscheinungen direct von der chemischen Zusammen- setzung der Membran abhängig sind, jede vergleichende Betrachtung aber die fast völlige chemische Identität der lebenden organisirten Substanz und auch die Aehnlichkeit des Stoffwechsels bei allen Organismen immer von Neuem bewiesen hat. Wir werden daher auch ähnliche mechanische Affi- nitäten bei allen Organismen zu erwarten haben. Im ganzen Thierreich treffen wir keine so einfach gebauten Orga- nismen, dass wir mit Erfolg die osmotischen Erscheinungen studiren könnten. Schon die allerniedrigsten Thiere, die Amöben, beschränken sich nicht auf die Aufnahme gelöster Stoffe, sondern nehmen geformte Nahrung zu sich, deren Aufsaugung später wohl auf osmotische Erscheinungen zurückzu- führen ist, aber im Plasmainneren verborgen sich unserer Untersuchung entzieht. Bei den Bandwürmern findet allerdings die gesammte Ernährung allein durch Osmose statt, aber wir haben es bei diesen schon mit com- plieirt gebauten Thieren zu thun, und erst bei den Pflanzen finden wir Zellen, welche in ihrem osmotischen Verhalten mit den Darmepithelien bei den höchsten Wirbelthieren in praktischen Vergleich gezogen werden können, während gerade die Darmwand niederer Thiere ein viel complicirteres Ver- halten zeigt, da ihre Zellen sich ihre Eigenbeweglichkeit erhalten haben und die Art ihrer Nahrungsaufnahme mit der der Amöben verglichen werden muss. Selbst für die Darmepithelien des Frosches hat Thanhofer ein gleiches Verhalten behauptet, allein da seine Beobachtungen über das Ausstrecken von Pseudopodien an Froschdarmepithelien von keinem Nach- untersucher bestätigt werden konnten, so kann man wohl den Wirbelthier- darmepithelien die amöboide Form der Nahrungsaufnahme absprechen, BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KrÄFTE 231 wenn auch irrthümlicher Weise von Manchen eine solche für Fett selbst für den Menschendarm angenommen wurde. Ueber die Erscheinungen des Stoffaustausches an Pflanzenzellen haben die Untersuchungen der Botaniker, besonders von Pfeffer (135), de Vries u. A. so viel Licht verbreitet, dass die osmotischen Erscheinungen an nackten Zellen nur wegen der mangelnden Kenntniss der im Plasma vorhandenen Stoffe einer quantitativen Vorausberechnung noch unzugänglich sind, während das Wesen der dabei in Betracht kommenden Kräfte, dem Verständniss keine Schwierigkeiten mehr darbietet. Denken wir uns eine solche Zelle in einer Lösung eines Stoffes, welcher im Plasma nicht vorhanden ist, so wird es nur darauf ankommen, ob der in der Flüssigkeit gelöste Körper im Zellplasma löslich ist oder nicht. Ist er löslich, so nimmt die Zelle den Stoff aus der Lösung in sich auf, wobei die Affinität des Plasmas zu dem Körper immer mehr sinkt mit geschehener Aufnahme, während die Affinität des Wassers zu diesem Körper immer mehr steigt, je verdünnter die Lösung wird. Der Gleichgewichtszustand, bei welchem in der Zeit- einheit ebenso viel Molecüle hineintreten, wie durch das Wasser wieder entzogen werden, ist abhängig von der Art und der Menge der chemischen Verbindungen, auf welchen die Affinität des Plasmas zu dem gelösten Körper beruht, man könnte also nur entscheiden, wie viel aus einer Lösung von bekanntem Gehalt aufgenommen werden wird, wenn man die Menge der vorhandenen speichernden Stoffe in der Zelle kennt. So wandert aus einer Methylenblaulösung Methylenblau in die Zellen von Spirogyra und Azolla, wie wir der Einfachheit wegen annehmen wollen, nur in Folge eines Gehaltes des Plasmas der betreffenden Zellen an Gerbsäure, denn thatsächlich scheidet sich jetzt gerbsaures Methylenblau in diesen Zellen aus. Wie viel Methylenblau aufgenommen wird, hinge dann rein von dem individuell verschiedenen Gehalt der Zellen an Gerbsäure ab; denn ist alle Gerbsäure ausgefällt an Methylenblau gebunden — so wäre auch die Affinität des Plasmas für diesen Farbstoff erloschen, und jetzt könnte ich diese Zellen in die concentrirteste Farblösung bringen, ohne dass auch nur ein Molecül noch aufgenommen wird. Ob aber die anfänglich dargebotene Farblösung mit dem Zellplasma oder dem Zellsaft hyper-, iso- oder hypo- tonisch war, kommt für die Menge der Aufnahme überhaupt nicht in Be- tracht. Die Zellen speichern das Methylenblau noch aus einer Lösung, die nur 0-0005 Procent des Farbstoffes enthält, und wird eine hoch concentrirte Lösung den Zellen dargeboten, so können die Pflanzen dieser Lösung wohl schneller, aber nicht in grösserer Menge den Farbstoff entziehen. Ist der in die Zelle eindringende Körper der Zerstörung durch den Stoffwechsel unterworfen, so kann sich ein Gleichgewichtszustand zwischen Zelle und Lösung überhaupt nicht einstellen, sondern an seine Stelle tritt ein 232 HANS FRIEDENTHAL: beständiger endosmotischer Strom, dessen Schnelligkeit wieder nicht bloss von der Concentration der dargebotenen Lösung, sondern ebenso von der Schnelligkeit der Zerstörung des eingedrungenen Körpers abhängt. So er- scheint es denn nicht wunderbarer, dass eine Zelle aus einem beliebigen Gemisch sich gerade ihre Nahrungsstoffe heraussucht, als dass eine Kali- laugenlösung sich aus einem beliebigen Gasgemisch gerade die Kohlensäure heraussucht; das Geheimniss, welches noch immer die specielle Nahrungs- auswahl vieler niederer Organismen umgiebt, liegt in der noch unbekannten chemischen Zusammensetzung dieser Gehilde Wir haben gesehen, dass die Aufnahme eines Körpers sehr wahrscheinlich wird, wenn im Plasma auch nur ein Körper vorhanden ist, welcher zu dem fraglichen Stoffe eine mecha- nische Affinität (Lösungsvermögen, Speicherungsvermögen) besitzt, die viel- umstrittene Fettresorption wird uns nicht mehr wunderbar erscheinen, wenn wir an das überall im Plasma verbreitete Lecithin denken, dessen Lösungs- vermögen für Fette bekannt ist. Natürlich wird Leeithin nicht der ein- zige Stoff sein, auf welchem die Affinität des lebenden Protoplasmas zu Fett beruht; so ist ja von Pacht (124) ein Lösungsvermögen von Ei- weiss und concentrirten Zuckerlösungen für Fett behauptet worden. Dass Fette in das Protoplasma leicht eindringen, haben die Untersuchungen von R. H. Schmidt (125) gezeigt, der fand, dass flüssige Fette schnell ihren Weg in lebendige Zellen finden. Besonders gilt dies für flüssige, freie Säuren, wie Oelsäure, doch bewirkt schon ein kleiner Zusatz freier Säure, dass auch Neutralfette, welche an sich nur spärlich und langsam auf- genommen werden, zur Resorption gelangen.! Bringt man einen mit Oelmasse durchtränkten Fliesspapierstreifen in einen etwa 1 “® langen Längsspalt eines etiolirten Keimstengels von Pisum sativum, so kann man nach kurzer Zeit die Ausbreitung des mit Alkanna gefärbten Fettes in den Intercellu- laren beobachten. Nach einigen Stunden ist bereits eine Aufnahme des Fettes zu beobachten, das sich nach ein bis zwei Tagen sehr reichlich in den Zellen ansammelt. Dass das Fett wirklich im Plasma gelöst wird, zeigt sich daran, dass es Anfangs in so feiner Vertheilung auftritt, dass es erst nach Behandlung der Zellen mit Reagentien, die ein Zusammenfliessen der Tröpfchen veranlassen, bemerkt werden kann. Später treten dann Tröpfchen spontan im Protoplasma auf und endlich tritt das Fett sogar in den Zellsaft über. Dies ist nur möglich, wenn auch im Zellsaft Körper vorhanden sind, welche ein Lösungsvermögen für Fett besitzen; welcher Art dieselben sind, wissen wir nicht, vielleicht genügt aber der Gehalt des Zellsaftes an kohlensauren Alkalien, um ein Uebertreten des Fettes zu ver- anlassen. Auch bei dem Vorgange der Fettresorption spielt der gelöste ! Siehe auch (133). BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE 233 Zustand des Fettes oder die Anzahl der Fettmolecüle in der Volumeneinheit der dargebotenen Lösung oder Emulsion gar keine Rolle. Gelangt Fett auf irgend eine Weise in moleculare Nähe des Protoplasmas, so geht es bis zum Sättigungsmaximum der fettanziehenden Stoffe in dasselbe über, selbst wenn es in fester Form geboten wird. So kann man den Uebertritt von fester, gefärbter Cacaobutter in Pilzfäden beobachten. Andere Zellen vermögen nur flüssige Neutralfette aufzunehmen und auch dann nur bei einer Zugabe von freier Fettsäure. Dann ist der Vorgang ein solcher, dass im Plasma nur Körper vorhanden sind, welche Affinität zu freier Fettsäure besitzen. Ist diese gesättigt, dann besitzt das Plasma auch Affinität zu Neu- tralfett. Enthält z. B. ein solcher Protoplast kohlensaure Alkalien, so zieht er zunächst aus einer Mischung von Oelsäure und Neutralfett nur die Oel- säure an sich, da er nur zu dieser Affinität besitzt. Dadurch bildet sich aber im Protoplasten ölsaures Kali, und jetzt ist der seifenhaltige Protoplast auch im Stande, das Neutralfett in sich aufzunehmen, da er nun einen Körper enthält, welcher Neutralfette zu lösen im Stande ist. So ist also der Protoplast zur Aufnahme von Fett befähigt ohne das Dazwischen- treten von fettspaltenden Fermenten, welche allerdings die Aufnahme der Fette sowohl beschleunigen wie vermehren; doch ist obiges Factum be- merkenswerth, weil auch die höheren Thiere nachgewiesenermaassen Fette, besonders nach Zusatz von Fettsäure, resorbiren, auch wenn den Fermenten der Zugang zum Darm versperrt ist. Todte, mit reinem Wasser durch- tränkte Membranen lassen natürlich Fette nicht passiren, da sie keinen Stoff enthalten, welcher Fette zu lösen vermöchte, sie zeigen aber sofort Durchlässigkeit, wenn man sie mit Seife oder Galle imprägnirt, wie be- sonders Ochlenowitz gezeigt hat. Schlimmer als bei der Fettresorption steht es mit unserer Kenntniss von den Verbindungen im Protoplasma, welche Affinität zu Eiweissstoffen, Albumosen oder Peptonen besitzen und deren Aufnahme in das Protoplasma vermitteln. Von einer Reihe von Eiweisskörpern hat Friedländer (69) gezeigt, dass sie überhaupt nicht resorbirt werden, so dass Casein, das Salzsäure-Myosin und Säureeiweiss, dagegen werden Eiereiweiss, Alkalialbu- minat, Serumalbumin, Albumosen und Peptone leicht aufgenommen, doch wissen wir nicht, welche Stoffe des Protoplasten die Aufnahme vermitteln. Das reine Glutin besitzt gar keine Affinität zu Eiweiss, wie durch das Fehlen der Diffusion durch Glutinmembranen bewiesen wird. Meistens wird diese Thatsache so gedeutet, als ob das Eiweissmolecül zu gross wäre, um durch die Poren der Membranen hindurch zu gehen, doch bedürfte es bloss der Durchtränkung mit einem eiweisslösenden Mittel, wie wir bei der Fettpassage gesehen haben, um die Poren gross genug zu machen. Fügen wir viel Kochsalz zur Eiweisslösung, so nimmt die Gelatinemembran Kochsalz 234 . Hans FRIEDENTHAL: mit Wasser reichlich in sich auf und erhält jetzt ein geringes Lösungs- vermögen für Eiweisskörper, wie sich aus der geringen, jetzt erfolgenden Diffusion ergiebt. Voit und Bauer (58) haben auch im Dickdarm bei Ei- weissklystieren eine ergiebige Resorption nur bei reichlichem Kochsalz- zusatz econstatiren können. Für Albumosen und Peptone, die ja durch thierische Membranen leichter diffusibel sind, käme allerdings ein etwaiger Glutingehalt der resorbirenden Zellen in Betracht. Auch an das Lecithin müssen wir denken, da es bekannt ist, dass dieser Körper mit Eiweisskörpern lockere Verbindungen eingeht, so mit Vitellin im Dotter und mit Haemo- globin in den rothen Blutscheiben. Sehr wahrscheinlich ist es, dass die Eiweisskörper unter einander lockere Verbindungen eingehen, dass also Protoplasma, welches die einen Eiweisskörper gelöst enthält, Affinitäten zu anderen Eiweissverbindungen zeigt; doch muss betont werden, dass die Frage nach dem Eindringen der Eiweisskörper in den Protoplast noch der Erledigung bedarf. Ueber die Resorption von Polysacchariden durch das Zellplasma liegen noch keine ganz sicheren Beobachtungen vor. Ruhende Muskel vom Frosch in Glycogenlösung gelegt, nehmen kein Glycogen in sich auf, selbst für die Leberzellen ist noch kein Speicherungsvermögen für im Blute vorbeipassirendes Glycogen nachgewiesen, auch in den Pflanzen- zellen ist zwar die Thatsache der Wandernng und Wiederaufspeicherung der Stärke bekannt, aber nicht, ob es sich dabei nicht um eine Spaltung und Reconstruction des Stärkemolecüles handelt. Für Mono- oder Disac- charide ist allerdings für eine ganze Reihe von Zellen die Aufnahme in den Protoplasten erwiesen, wenn auch selbst diesen Stoffen gegenüber die ein- zelnen Pflanzen sich verschieden verhalten, und nicht jeder Protoplast Gly- cose und Rohrzucker passiren lässt. Für die Zuckerarten kommt im Plasma wiederum das verbindungs- reiche Leeithin in Betracht, da nachgewiesen ist, dass bei Zusammenbringen von Leeithin und Glycose eine Verbindung entsteht, welche mit dem länger bekannten Jecorin identisch zu sein scheint; doch gilt die Affinität des Leei- thins nicht bloss der Glycose, sondern auch Galactose, Laevulose und andere Saceharide bilden solche Verbindungen. Bei der eminent reactionsfähigen Aldehydpruppe oder Ketongruppe der Zuckerarten kommen übrigens eine Menge der im Plasma vorhandenen Stoffe als Zucker anziehend in Betracht; selbst so indifferente Salze wie das borsaure Natron werden ja durch biosses Hinzufügen von Zuckerlösung zerlegt, wie der Umschlag der Reaction dieses Salzes bei Gegenwart von (rlycose aus alkalischer in saure Reaction beweist. Das Eindringen der löslichen Zuckerarten in den Protoplast ist daher leicht verständlich, ebenso wie das von beliebigen Säuren, Basen und Salzen. Wir wissen, dass die Eiweisskörper chemisch sich wie Amidosäuren verhalten, das heisst je nach dem dargebotenen Körper Affinitäten zu Säuren sowohl Ber NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 235 wie zu Basen zeigen, in Folge der gleichzeitigen Anwesenheit von —NH,- und —COOH-Gruppen. Es ist klar, dass schon allein wegen der beständig wechselnden Kohlensäuremenge im lebenden Protoplasten es nie zu einem constanten Säure- oder Basenbindungsvermögen in den Organismen kommen kann, wodurch ein osmotischer Gleichgewichtszustand der Zellen in alka- lischen oder sauren Medien unmöglich gemacht ist. Für die Salze der Mineral- und Pflanzensäuren besteht wohl für alle nackten Plasmamassen eine gewisse Aufnahmefähigkeit, die allerdings sehr stark mit dem Quellungszustand des Plasmas variürt, ganz gleich, ob es sich um nöthige, unnöthige, oder sogar sehr schädliche Stoffe handelt; eine bemerkenswerthe Ausnahme machen die rothen Blutscheiben, welche bei manchen Thierspecies den Natrunsalzen und auch anderen Stoffen, wie Gly- cose, den Eintritt verwehren. Bei diesen Blutscheiben handelt es sich allerdings nicht um vollwerthige Zellen, immerhin sind wir bei ihnen über den chemischen Grund dieser Aufnahmeverweigerung nicht im Klaren, da wir keine Körper kennen, welche wohl Affinität zu Chlorkalium, aber nicht zu Chlornatrium haben. Eine merkwürdige Uebereinstimmung zeigt das Verhalten lebender Zellen bei der Aufnahme der Salze mit den Quellungserscheinungen, welche Hofmeister (81) an Leimplatten studirt hatte. Seine Resultate stimmen so genau mit den am lebenden Darm von Heidenhain gemachten Ver- suchen über die Resorption von Salzlösungen überein, dass ein genaueres Eingehen auf die Quellungserscheinungen unerlässlich erscheint, wenn man die Resorption von Salzlösungen im Säugerdarm verstehen will. Hof- meister untersuchte die Quellung gewogener Leimscheiben von bestimmter Dieke in Lösungen verschiedener Salze von wechselnder Concentration, um aus der Zunahme an Wasser und Salz auf die Beeinflussung des Quellen- vorganges durch die chemische Natur der Salze und durch die Variationen der Concentration zu schliessen. So fand er, dass es Salze giebt, welche die Quellung behinderten, wie Natriumsulfat und die pflanzensauren Natrium- salze, andere, welche die Quellung begünstigten, wie die Halogenverbin- dungen von Kalium, Natrium und Ammonium. Für Kochsalz speciell fand er, dass sich die Wasseraufnahme erhöhte mit steigender Concentration der dargebotenen Lösung bis zu einem Maximum, um dann abzusinken. Die Salzaufnahme erhöhte sich mit steigender Concentration proportional. Die Quellung des Leimes wurde gesteigert durch die Anwesenheit des Chlor- natriums von 0-2 bis 17.68 Procent. Wasserhaltiger Leim nimmt mehr Salz als Wasser im Verhältniss auf; die Concentration der eintretenden Lösung ist höher als die der dargebotenen Flüssigkeit, so dass es so aus- sieht, als ob dem Leim ein Auswahlvermögen zukäme. Bei Quellung in Tartratlösung war das Maximum der Quellung des Leimes bei 4 Procent. 236 Hans FRIEDENTHAL: Bei höheren Concentrationen wurde die Aufnahme dann wieder geringer als in Wasser. Das höhere Wasseranziehungsvermögen bedingt also bei den zwei- und mehrbasischen Salzen eine Erniedrigung des Quellungsmaximums. Dieselbe Erscheinung zeigten nicht nur Salze, auch andere Stoffe. So bewirkten Rohrzucker und Alkohol in geringen Concentrationen stärkere Quellung, als in Wasser, in grösseren Wasserentziehung. Aus Farbstoff- lösungen holte sich Leim den Farbstoff, so dass die Concentration des Farbstoffes im Leim 17 bis 30 Mal grösser wurde als in der gebotenen Lösung. Aus einer verdünnten Methylviolettlösung nimmt der Leim relativ etwas mehr Farbstoff auf, als aus einer concentrirten, absolut aber etwas weniger, so dass die Farbstoffaufnahme mit der Concentration steigt, aber nicht proportional. Heidenhain’s Sätze für die Resorption im Darm lauteten nach seinen Versuchen: „Die Aufnahme von Wasser und von Salz erfolgt unabhängig eine von der anderen. Die Wasseraufnahme aus einer Salzlösung hat bei einer bestimmten Concentration ein Maximum, die Auf- nahme von destillirtem Wasser, sowie von Wasser aus einer concentrirteren Salzlösung bleibt hinter diesem Maximum zurück. Die Menge des auf- genommenen Salzes steigt unabhängig von der Wasseraufnahme oder im Gegensatz zu ihr bei der Zunahme der Contrentration.“ Alle diese Sätze gelten wirklich für die Quellung von Leim in Salzlösungen, wir brauchen also bloss anzunehmen, dass sich die Quellungsvorgänge im Plasma ähnlich verhalten, wofür das thatsächliche Verhalten von Protoplasma in Salz- lösungen spricht, um diese Erscheinungen, welche Heidenhain zu der Aufstellung einer unbekannten Triebkraft bei der Resorption geführt haben, die nur von Lebenserscheinungen des Protoplasmas der Darmepithelzellen erklärt werden könnte, auf die mechanischen Gesetze der Quellung und Osmose zurückzuführen. So einfach die Verhältnisse nun sind, wo es sich um die Affinitäten zweier chemischer Körper handelt, so complieirt werden sie, wenn mehrere Körper mit verschiedenen und verschieden grossen Af- finitäten in Betracht kommen. Am einfachsten lagen ja stets die Verhält- nisse für die Resorption des Sauerstoffes, wo die Unabhängigkeit der Auf- nahme von physikalischen Drucken und von der Vermengung mit anderen (rasen längst bekannt ist. Hier war eine Verbindung bekannt, das Haemo- globin, welche den Sauerstoff in einer vom Druck unabhängigen Menge aufnahm, und nur solche Verbindungen, welche nach Aequivalenten er- folgen, waren bisher der Gegenstand eingehender Forschungen. Im Prineip wird an dem Wesen der Resorption nichts geändert, ob die chemische Affi- nität zu Verbindungen nach Aequivalenten führt, oder ob die entstandene lockere Verbindung mit den physikalischen Factoren, Druck, Temperatur, varlirt, und durch das Vorhandensein von anderen Körpern mit gleichen Affinitäten sofort zerlegt wird. So wird die Sauerstoffaufnahme des Haemo- BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 237 globins sofort geändert, wenn sich in einem Raum neben O- noch CO- und N,0-Molecülen befindet, ebenso die Salzaffinität des Leimes durch die Gegen- wart von Wassermolecülen. Die Verhältnisse compliciren sich nur so ausser- . ordentlich für die im Plasma vorkommenden Verbindungen durch die Zahl der Affinitäten. Während für das Haemoglobinmolecül nicht viel mehr als vier Affinitäten sicher gestellt sind, zu Leeithin, Sauerstoff, Kohlenoxyd und Stickoxydul, von denen physiologisch nur die beiden ersten in Betracht kommen, haben bei dem wasserhaltigen Leim die Untersuchungen Hof- meister’s Affinitäten zu fast allen untersuchten Stoffen ergeben, so zu allen Salzen, Zucker, Alkoholen, den verschiedensten Farbstoffen. Wenn uns bei der Beschäftigung mit diesen zahllosen Affinitäten ein Gefühl der Unbe- friedigung überkommt, dass dieses grosse (rebiet vorläufig nur empirisch durchforscht werden kann, da keine theoretische Erwägung uns ahnen lässt, zu welchen Körpern ein bestimmter Stoff Affinitäten zeigen wird, so müssen wir uns damit trösten, dass wir auch für die nach Aequivalenten erfolgenden Verbindungen nicht besser daran sind. Warum ein Haemoglobinmolecül sich mit Sauerstoff, aber nicht mit Stickstoff verbindet, wissen wir ebenso wenig, wie wir-erklären können, warum ein Stoff im Pflanzenplasma Affi- nität zu Methylenblau, aber nicht zu Indigocarmin besitzt. Um dies zu verstehen, müssten wir eine genaue Kenntniss von der räumlichen Anord- nung und von der absoluten Grösse und Gestalt der Atome besitzen, also Kenntnisse von dem, was wir die Anatomie der Molecüle nennen würden. Zu einer solchen existiren bisher aber nur Ansätze. Wenn wir daher jetzt die Aufnahme eines Stoffes in das lebende Plasma beobachten, so müssen wir es als Erklärung hinnehmen, wenn wir einen Stoff im Plasma finden, der Affinität zu dem aufgenommenen Körper besitzt. Eine quantitative Berechnung der Affinität zum Wasser ist uns für die in Wasser löslichen Körper durch die Arbeiten von van’t Hoff schon ermöglicht worden, und so dürfen wir hoffen, dass auch für die Affinitäten zwischen zwei beliebigen Körpern ein Maass sich wird finden lassen. Erst dann könnten wir bei genauer Kenntniss der chemischen Zusammensetzung versuchen, die Re- sorptionserscheinungen im Plasma nicht nur qualitativ, wie bisher, sondern auch quantitativ zu verstehen und annähernd vorauszuberechnen. Die Erscheinungen der Stoffaufnahme bei dem denkbar einfachsten Protoplasten, die wir bisher discutirt haben, werden stets complieirt durch die Erscheinung der Abgabe von Stoffen an das umgebende Medium, welche für die zu beobachtenden osmotischen Erscheinungen von der grössten Wichtiskeit sind, da die abgegebenen Stoffe eine chemische Wirkung auf den zu resorbirenden Körper ausüben können, der die Aufnahme in den Protoplast entweder erleichtert, oder auch unmöglich machen kann. Bei der Fettaufnahme in den Protoplasten ist schon darauf hingewiesen worden, 238 HANS FRIEDENTHAL: dass manches Plasma keine Affinität zu Neutralfetten besitzt. Solches könnte also auch in das Plasma nicht eindringen, wenn nicht von der Zelle Stoffe abgesondert werden, die das Neutralfett in resorptionsfähige Verbindungen spalten. Diese Abgabe von Enzymen erfolgt nun wegen einer mechanischen Affinität zwischen Enzym und zu spaltendem Körper nicht unabhängig von der Gegenwart des zu resorbirenden Stoffes. Für das quellende Fibrin ist nachgewiesen, dass es Pepsin aus der verdünntesten Lösung quantitativ bei der Quellung in sich aufspeichert, also eine grosse Affinität zu Pepsin besitzt; es ist wahrscheinlich, dass für die anderen Enzyme das Gleiche gilt, dass also quellende Stärke die Diastase, emul- girtes oder flüssiges Fett das Steapsin in sich aufnimmt. Da nun ein Körper aus dem Plasma auf osmotischem Wege nur in die umgebende Lösung übertreten kann, wenn diese einen Körper enthält, der eine Affi- nität zu dem exosmirenden besitzt, so haben wir es hier bei der Nahrungs- aufnahme der einfachsten Organismen mit einer mechanisch zu erklärenden Erscheinung von Zweckmässigkeit zu thun. Ein Protoplast, der. Pepsin, Diastase und Steapsin enthält, verliert Pepsin nur an eine umgebende eiweisshaltige Lösung durch Osmose,! Diastase nur an Stärke und Glycogenlösung, Steapsin nur an Fett, das sich in molecularer Nähe be- findet. Die Gesetze für die Exosmose sind dieselben wie für die Endosmose, deshalb gelangt eine chemische Verbindung ebenso wenig in den Protoplast hinein, wenn sie nicht in diesem einen Stoff in solcher Menge vorfindet, dass die Gesammtaffinität zum Protoplasten hin grösser ist, als die zu dem lösenden Medium, wie kein Körper dem Protoplast entzogen wird durch Osmose, wenn nicht das umgebende Medium, oder darin gelöste Körper eine höhere Gesammtaffinität besitzen, als die Körper im Plasma. Nehmen wir an, dass nur Fett eine solche Affinität zu Steapsin besitzt, und wir wissen von keiner anderen, so wird der Protoplast, wie es die höchste Zweckmässigkeit verlangt, nur dann von seinem Enzymvorrath etwas abzu- geben brauchen, wenn die Wirksamkeit des abgegebenen Stoffes ihm in der nun ermöglichten Resorption wieder zu gute kommt. Ohne Berücksichtigung der Affinität würde die so geregelte Abgabe der Enzyme den Eindruck eines bewusst zweckmässigen Vorganges machen müssen, und dass dies auch der Fall gewesen ist, können wir aus Bunge’s Einleitung in die physiologische Chemie deutlich ersehen. Die wichtigsten osmotischen Vorgänge bei allen Organismen beziehen sich auf den Wasseraustausch zwischen Protoplast und Umgebung, zugleich sind die osmotischen Vorgänge dabei die allerverwickeltsten, da das Wasser zu fast allen im Protoplasten vorkommenden Stoffe Affinitäten besitzt und ' Für Secretion aus einer Zelle gelten obige Erwägungen natürlich nicht. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 239 Stoffe, welche in Wasser unlöslich, unquellbar und unbenetzbar sind, im Protoplasma wohl vorkommen, aber nie im Stoffwechsel der Organismen als solche benutzt werden können. Es wäre völlig verfehlt, die Anziehung, welche der Protoplast auf Wasser ausübt, etwa durch die Gefrierpunktserniedrigung, oder den Dampfdruck, oder das elektrische Leitungsvermögen von Proto- plasmamassen messen zu wollen. Ganz abgesehen davon, dass es Proto- plasma ohne Zellsaft, ohne Einschlüsse, ohne fremde Bestandtheile gar nicht geben kann, dass wir es uns nicht als nur chemisches Individuum denken können, ist eine Beziehung zwischen den oben genannten Factoren und der Wasseranziehung, etwa im Sinne der Gasgesetze, für alle quellbaren Körper nicht vorhanden, weshalb auch allen bisherigen Moleculargewichtsbestim- mungen von Stärke und Eiweisslösungen, die Grössen bis zu 35000 ergeben haben, keine reale Bedeutung zukommt; man hätte leicht noch viel grössere Zahlen erhalten können, wenn man nur concentrirtere Lösungen ver- wendet hätte, da diese Körper keine Proportionalität zwischen obigen physi- kalischen Factoren und der Concentration aufweisen. Wir können nur sagen, dass das Wasseranziehungsvermögen des Protoplasmas gemessen wird durch das Gleichgewicht mit einer Lösung, deren gelöster Körper gar keine Affinität zu Protoplasma hat, und diese sind nicht eben zahlreich; aber auch dann würde jede Temperaturschwankung, im Gegensatz zu zwei isotonischen Lösungen, das Gleichgewicht verschieben, so dass es in Wirklichkeit zu einem Wassergleichgewichtszustand zwischen einem Organismus und seiner Umgebung nicht kommen kann. Es ist unmöglich, alle Vorgänge im Protoplasma zu berücksichtigen, bei welchen es zu osmotischer Wasserbe- wegung kommt, da alle physikalischen Bewegungen mit Wasserveränderung verbunden sind und auch bei fast allen chemischen Processen die Wasser- menge im Plasma wächst oder sich vermiudert, da Wassereintritt in’s Moleecül und Wasseraustritt aus demselben gerade das Wesen der chemischen Vor- gänge ausmacht, welche für die Lebewesen charakteristisch sind. Wenn wir berücksichtigen, dass jeder chemische Vorgang, bei dem irgend welche Mole- cüle neu entstehen oder gebunden werden, oder selbst Vorgänge, bei welchen die Gesammtanzahl der Molecüle unverändert bleibt, durch Aenderung der vorhandenen Affinität zu Wasser eine Ortsbewegung von Wasser im Orga- nismus zur Folge haben müssen, werden wir es begreiflich finden, dass die Bewegungserscheinungen in Lebewesen nur zur Ruhe kommen können bei Abwesenheit von nicht chemisch ganz fest gebundenem Wasser. Mit der Eintrocknung verschwinden sämmtliche Lebensäusserungen, um mit erneuter Wasserzufuhr sich wieder einzustellen, zum Zeichen dafür, dass die osmo- tische Wasserbewegung in der lebendigen Substanz im Verein mit der specifischen chemischen Zusammensetzung das Wesen aller Lebensäusserungen ausmacht. 340 Hans FRIEDENTHAL: Nicht viel verwickelter als für den einzelnen Protoplasten liegen die Verhältnisse, wenn wir die osmotischen Vorgänge an einer einzelligen Mem- bran verfolgen, die wir uns ja aus lauter selbstständigen, aber doch eng verbundenen Einzelwesen zusammengesetzt denken können. Fassen wir speciell die einzellige Epithelschicht im Darm der höheren Wirbelthiere in’s Auge, so haben wir es hier mit Elementarorganismen zu thun, die ihre amöboide Beweglichkeit sehr wahrscheinlich eingebüsst haben, wenn sich nicht die Veränderungen des Streifensaumes als letzte Reste einer solchen auffassen lassen, die aber nach keiner Richtung eine Differencirung in func- tioneller Hinsicht erfahren haben und gerade deshalb die grösste Ueber- einstimmung ihrer Lebensäusserungen mit freilebenden, undifferenzirten, nackten Einzelzellen werden erwarten lassen. Von der Umwandlung der Darmepithelzellen in Becherzellen und damit in specifisch secretorisch func- tionirende Zellen mit ausgesprochener Differenzirung soll vorläufig noch ab- gesehen werden. Wir brauchen aber bloss zu fragen, in wie weit durch die Zusammenfügung in einen Verband die an Einzelzellen gewonnenen Ergeh- nisse modificirt werden müssen. Zunächst sind die Zellen wohl durch Ausläufer mit einander organisch verbunden und bilden so eine gewisse chemische Einheit, da gerade für die Darmzellen die Continuität der Plasma- verbindungen sicher gestellt ist, andererseits aber sind sie durch eine Kitt- substanz von einander getrennt, die eine ganz andere chemische Zusammen- setzung und damit auch andere Affinitäten zu den Körpern, deren Resorption in Frage kommt, besitzt. Wenn daher ein Körper aus der Darmhöhle ver- schwindet, werden wir noch nicht sagen können, dass er vom Plasma muss aufgenommen werden, denn er kann ja seinen Weg auch durch die Kitt- substanz allein gefunden haben. Besitzen allerdings nachgewiesenermaassen weder Kittsubstanz noch Plasma Lösungsvermögen für einen Körper, der doch resorbirt wird, so ist es für diesen sicher gestellt, dass er nicht durch Ösmose aus dem Darm hätte entfernt werden können; es müssen also andere als osmotische Kräfte, etwa ein Filtrationsdruck, die Ursache seiner Resorption gewesen sein. Der fest-weiche Zustand des Protoplasmas bringt es mit sich, dass es dem mechanischen Eindringen fremder Körper fast gar keinen Widerstand entgegensetzt und auch das Durchfiltriren von Flüssig- keiten leicht gestattet.! Mit diesen durchfiltrirenden Flüssigkeiten können nun natürlich beliebige gelöste Molecüle eine Plasmaschicht passiren, auch solche, welche absolut keine Afünität zu irgend einem Plasmastoff haben und deshalb auf osmotischem Wege nie in das Plasma gelangen könnten. So wird Indigocarmin weder vom Plasma der Darmzellen, noch von der . ! Thierische künstliche Membranen verhalten sich allerdings ganz anders als Zellprotoplasma. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KrÄrtze 241 Kittsubstanz gelöst; eine osmotische Aufnahme dieses Stoffes aus dem Darm in den Körper ist also eine Unmöglichkeit. Trotzdem kann man die Auf- nahme von Indieocarminlösung im Säugerdarm und das Durchtreten der gefärbten Flüssigkeit durch die Epithelzellen selber und durch die Kitt- substanz beobachten als besten Beweis dafür, dass hier andere als osmo- tische Kräfte in Betracht kommen. Es ist aber unmöglich, wie Heiden- hain es gethan hat, diese anderen Kräfte in die Darmepithelzellen zu ver- legen und die Durchwanderung als Lebensthätigkeit eben dieser Zellen auf- zufassen, da auch die freilebenden Zellen dem Indigocarmin den Zutritt zu ihrem Plasma verwehren und ihnen bei Abwesenheit von amöboider Be- weglichkeit gar keine Möglichkeit gegeben ist, einen Stoff in sich aufzu- nehmen, zu dem ihr Plasma keine Affinität besitzt. Wenn dies der Körper der höheren Thiere doch vermag, so stehen ihm besondere Mittel zur Ver- fügung, die den einzelligen Wesen mangeln; den einzelnen Darmzellen aber können wir keine anderen Fähigkeiten zuschreiben, als sie den Elementar- organismen überhaupt zukommen und ebenso wenig der Epithelschicht als Ganzem, da durch die Vereinigung in einem grossen Verbande noch keine qualitativ neuen Kräfte hinzukommen. Quantitativ allerdings hat die Leistungsfähigkeit der Epithelzellenschicht durch die Vereinigung zu einem festen Verband eine grosse Zunahme erfahren. Schon dass nicht bloss das Zellplasma, sondern auch die Kittsubstanz für die Osmose in Frage kommt, also ein neuer chemischer Körper mit neuen Affinitäten, ist ein grosser Gewinn für die resorbirende Function der Zellschicht; für die zweite bei der Resorption im Säugerdarm wirksame Kraft, die Filtration, kommt noch die erhöhte Durchlässigkeit der Kittschicht für durchfiltrirende Flüssigkeiten hinzu. Durch die directe Communication der Wurzelausläufer der einzelnen Zellen wird die Resorptionskraft besonders günstig gelegener Darmpartieen aber noch erheblicher begünstigt. Wie wir gesehen haben, strömen. die resorbirten Stoffe immer nach den Stellen, wo noch Aufnahmefähigkeit für sie vorhanden ist. Sind die Affinitäten der einzelnen Zelle für den zu re- sorbirenden Körper gesättigt, so wird durch ein Abströmen der aufgenom- menen Stoffe durch die Plasmaverbindungen in noch ungesättigte Zellen immer wieder eine Potentialdifferenz aufrecht erhalten, welche eine weitere Resorption ermöglicht, so dass theoretisch die Epithelzellenschicht des ganzen Darmes in Betracht kommt, wenn auch nur ein kleiner Theil des Darmes mit dem zu resorbirenden Körper in Berührung ist. In der That hat sich aus Resectionsversuchen ergeben, wie sehr die einzelnen Darmstrecken sich vertreten können in ihren Funktionen, und wie wenig es merklich ist, wenn grosse Strecken Darm resecirt werden, oder durch Krankheiten der Ver- dauungstractus auf weite Strecken seines resorbirenden Epithels beraubt: ist; hier wird allerdings die Maximalleistung der Resorption mit Verminderung Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 16 242 Hans FRIEDENTHAL: der Zahl der resorbirenden Zellen sinken müssen, aber die Maximalleistung wird physiologischer Weise gerade wegen des innigen Zellverbandes nie beansprucht. Der Stofftransport von Zelle zu Zelle hat wohl bei höheren Thieren und Pflanzen eine Ablösung erfahren durch die Bewegung gemein- sam ermährender Säfte, aber ganz ist diese primitive Function auch bei den höchsten Thieren nicht erloschen und spielt vielleicht eine grössere Rolle, als wir heute noch glauben, wegen der Schwierigkeit der directen Beobachtung. Nur den Transport der Farbstoffe oder von gefärbtem Fett können wir sichtbar machen. Wenn nun auch den meisten Epithelzellen die gleiche Function zukommt, dürfen wir doch bei der eminenten Lang- samkeit des directen Austausches nicht bei allen Zellen immer die gleichen Zustände erwarten. So findet man bei der Fettresorption oft einige Zellen schon ganz angefüllt mit Fett, während benachbarte ohne ersichtlichen Grund keine Resorption erkennen lassen wollen. Da die Zusammensetzung des Zellplasmas fortwährend durch den Austausch von Stoffen mit dem Kern geändert wird, so werden wir erwarten dürfen, dass für die Resorp- tionsverhältnisse eine beginnende oder eben abgelaufene Kerntheilung von dem grössten Einfluss sein wird. Fortwährend dringen auch’ Wander- zellen in das Epithel vor, zerfallen hier und verschaffen den benachbarten Zellen eine chemische Differenz den Zellen gegenüber, welche von Wander- zellen freigeblieben sind; zerfallen sie nicht, so werden sie dort sehr wahr- scheinlich den berührenden Zellen gewisse Stoffe entziehen oder zuführen müssen. Bedenkt man, wie nach reichlicher Leukocyteneinwanderung in fast allen Organen eine rege Proliferation der sonst sesshaften gewebsbildenden Zellen eintritt, wie bei beginnenden Carcinomen ein dichter Wall von Leukocyten die Stelle anzeigt, wo in Kurzem eine rapide Zelltheilung und Vermehrung stattfinden wird, so erscheint es sehr wahrscheinlich, dass die Leukocyten an die benachbarten Zellen Stoffe abgeben, welche direct zur Kerntheilung Veranlassung geben. Vor Allem werden wir dabei an den grossen Reichthum der Leukocyten an Kernstoffen denken müssen; die Plasmamenge ist ja bei diesen Zellen oft sehr gering. Während der mito- tischen Theilung sind nun alle nach aussen gerichteten Lebensthätigkeiten der Zelle auf ein Minimum beschränkt, wenn es auch nicht in jedem Falle, wie so oft bei einzelligen Organismen, zur Ausbildung einer Membran kommt, welche jeden osmotischen Stoffaustausch verhindert. Wir werden daher annehmen müssen, dass die in reichlicher Zelltheilung begriffenen Zellen in der Tiefe der Lieberkühn’schen Drüsen bei der Resorption nicht die gleiche Rolle spielen, wie die Zellen der Zottenperipherie, bei denen Mitosen verhältnissmässig selten angetroffen werden. Wir müssen daher im Darm an eine Arbeitstheilung der Epithelien denken: die einen BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 243 haben die Function der Resorption, die anderen haben für den Ersatz der bei der Arbeit verbrauchten Zellen zu sorgen. Noch andere haben speciell secretorische Function. Daraus ergiebt sich wohl schon, dass die Grösse der Resorption an einer solchen aus verschieden sich verhaltenden Einzel- zellen zusammengesetzten Membran nicht berechnet werden kann aus der Summe der vorhandenen Zellen, etwa durch Multipliecation der osmotischen Leistung einer Zelle mit der Anzahl der Zellen. Es kommen hier noch die für die Osmose wesentlichen Zustände der einzelnen Zellen in Betracht, Wir müssen deshalb untersuchen, wie sich die osmotische resor- birende Leistungsfähigkeit der Darmepithelzelle ändert, wenn sie sich in eine Becherzelle umwandelt. Letztere kommen im Dünndarm und Dick- darm, je nach den verschiedenen Resorptionsverhältnissen, in wechselnder Menge vor; im Hungerzustand sind sie so zahlreich, dass man ihre Menge manchmal auf ein Drittel aller vorhandenen Zellen schätzen möchte, bei andauernder Resorption nimmt ihre Zahl ab. Mit der Umwandlung in eine Becherzelle nimmt die Resorptionsfähigkeit der Epithelzelle ganz be- deutend ab und erlischt während der Ausstossung des Secretes ganz, es handelt sich also um einen völligen Functionswechsel. Nimmt schon das diosmotische Vermögen einer jeden Zelle ab durch Anhäufung eines spe- cifischen Secretes, welches eine viel einfachere Zusammensetzung und damit eine viel geringere Zahl von Affinitäten zu anderen Stoffen hat als das Plasma, so erlischt jede Möglichkeit der osmotischen Stoffaufnahme während der Ausstossung des Secretpfropfes in den Darm. Die Diffusionsvorgänge, und um solche handelt es sich bei der Osmose, gehen so langsam vor sich, dass jede noch so langsame mechanische, entgegengesetzt gerichtete Strömung sie aufhebt. So braucht 1 ”® Rohrzucker nach Stephan 2 Jahre 7 Monate, um sich aus einer 10 proc. Lösung nur 1” weit in Wasser fortzubewegen, 12 mancher Eiweisssorten würde hunderte von Jahren brauchen, um den- selben Weg zurückzulegen. Nicht nur die Ausstossung eines solchen Secretpfropfes, sondern jede Secretion der resorbirenden Zellen wird daher die Aufnahme von Stoffen herabsetzen oder ganz unmöglich machen; wir werden daher die Resorptionsresultate in Magen und Darm nur verstehen können, wenn wir über die Art und Menge einer etwaigen dabei statt- findenden Secretion im Klaren sind, da ja auch, abgesehen von der Be- hinderung der osmotischen Vorgänge, während der Secretion das aus- gestossene Secret die zu resorbirende Lösung verdünnt, und so bei der Analyse des Rückstandes eine scheinbar grössere Aufnahme des gelösten Körpers als des Wassers vortäuscht. Bei den Heidenhain’schen Resorptionsversuchen und denen seiner Nachfolger ist nun auf eine etwaige Fälschung der Resultate durch Secretion bisher nicht die genügende Rücksicht genommen worden, ebenso 16* 244 Hans FRIEDENTHAL: wenig wie auf die mechanische Aufsaugung, die auf der Thätigkeit der Museulatur beruht, ohne welche wir die Vorgänge im Darm überhaupt nicht verstehen können. Unter Secretion ist hier nur die Ausstossung von Flüssigkeiten durch Nerveneinfluss und durch andere als osmotische Kräfte gemeint, welche dem diosmotischen Austausch von Stoffen und Wasser zwischen der Zelle und der umgebenden zu resorbirenden Lösung gegenübergestellt wird. Leider haben die Untersuchungen über die Ab- sonderung des Darmsaftes zu so widersprechenden Resultaten geführt, dass wir uns über die Grösse der Secretionsvorgänge im Darm noch keine sicheren Vorstellungen bilden können und wir uns hier vorläufig mit einer Aufzählung der Versuchsergebnisse über die Absonderung von Darm- saft begnügen müssen. Für die grossen in den Darm mündenden Drüsen, welche genetisch ja nur als Ausstülpungen der Darmwand zu be- trachten sind, haben die Arbeiten von Pawlow! und seiner Schüler eine so genaue Uebereinstimmung zwischen dem abgeschiedenen Secret und den Anforderungen, welche der zu resorbirende Körper stellt, bewiesen, dass wir nicht annehmen können, dass sich die einzelne Darmzelle anders ver- halten wird. Eine Erklärung für diese Thatsachen, z. B. dass bei Fett- nahrung ein Secret abgesondert wird, das besonders wirksam an fett- spaltendem Enzym ist, besitzen wir nicht. Bei der einzelnen Zelle konnten wir wohl die wunderbare Uebereinstimmung zwischen zu lösendem Körper und abgesondertem Enzym auf osmotischem Wege erklären, im Darm der Wirbelthiere handelt es sich aber um eine durch Nerveneinfluss auf reflectorischem Wege hervorgerufene Secretion ohne osmotische Kräfte und ohne direete Berührung mit dem zu resorbirenden Körper. Die Thatsache, dass der Dünndarm ein specifisches Secret abzusondern im Stande ist, ist keine unbestrittene. So erhielten Bidder und Schmidt? aus den Dünndarmschlingen, auch wenn sie bei nüchternen Thieren vom Duodenum an den ganzen Dünndarm unterbanden, nur ein paar Tropfen Flüssigkeit; selbst nach Einbringung von Pfefferkörnern und Schrot war die Absonderung nicht reichlicher. Hoppe-Seyler? zweifelt an der physio- logischen Absonderung von Darmsaft, indem er schreibt: „Ein irgendwie gesicherter Nachweis, dass eine Secretion von Darmsaft existire und dass dieselbe von den Lieberkühn’schen Drüsen ausgeführt werde, ist nicht erbracht.“ Auch Maly hält die Darmfeuchtigkeit für unbedeutend. Diese Forscher wollen die Lieberkühn’schen Drüsen nicht als wahre Drüsen aufgefasst wissen, sondern nur als Ausstülpungen der Schleimhaut, mit dem Zweck, die resorbirende Darmfläche zu vergrössern. Den Ansichten 1 J.D.Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898. ” Funke, Zehrbuch der Physiologie. Leipzig 1854. 8. 221. ® Physiologische Chemie. Berlin 1881. S. 275. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 245 dieser Forscher stehen aber so viel positive Resultate über die Gewinnung von reichlichen Secretmengen gegenüber, dass wir an einer ausgesprochen secretorischen Function einzelner Darmepithelzellen nicht zweifeln dürfen, abgesehen von den Becherzellen, deren Mucinproduction ja sichergestellt ist. Thiry! überzeugte sich davon, dass aus seinen Darmfisteln nach mechanischer, chemischer und elektrischer Reizung Secret zu erhalten war, Herrmann sprach die Masse, welche sich in isolirten Dünndarm- ringen nach einiger Zeit ansammelt, für eingedicktes Secret der Dünndarm- schleimhaut an. Leube,? Quincke,? Schiff,‘ Paschutin konnten stets Darmsecret aus Darmschlingen erhalten, welches etwa 97 Procent Wasser enthielt. Durch Vagusreizung hat man kein Darmsecret erhalten können, wohl aber fand Moreau° eine reichliche Flüssiekeitsausammlung in einem Darmstück, das mit dem Netz in Verbindung gelassen war, dessen sämt- liche zuführende Nerven durchschnitten worden waren. Selbst wenn wir diese abgesonderte Flüssigkeit wegen der Aebnlichkeit ihrer Zusammen- setzung mit dem Blutserum als Transsudat auffassen wollen, wie es Hoppe- Seyler that, haben wir es hier doch mit einer für das Studium der Re- sorptionsvorgänge äusserst wichtigen Erscheinung zu thun. Wenn nach Durchschneidung der Nerven eine solche Flüssigkeitsansammlung im Darm statt hat, so müssen wir eine solche auch bei der Resorption von Stoffen erwarten, welche lähmend auf diese Darmnerven wirken. Wir dürfen dabei nicht bloss an specifisch nervenlähmende Gifte denken, sondern jeder Körper, der lebendes Protoplasma zu schädigen im Stande ist, wozu schon concentrirtere Lösungen ganz beliebiger Salze gehören, wird bei der Re- sorption durch die Lymphgefässe mit den Darmnerven in Berührung kommen, die überall von Lymphgefässen umscheidet sind und eine solche Flüssigkeitsansammlung im Darm bewirken müssen, die von Osmose ganz unabhängig ist, da sie ja auch durch die blosse Nervendurchschneidung bewirkt werden kann. Die Wichtigkeit der Lymphgefässe für die Resorption wird an weiterer Stelle bewiesen werden können, die Moreau’schen Ver- suche werden also bei einer Discussion der Wirkung von Abführmitteln im Darm nicht ausser Acht gelassen werden können. Thiry schätzte die Darmsaftmenge, die beim Hunde während einer Verdauungsperiode abge- sondert wird, auf 364®"=, Prey1° beim Schaf auf2-835 8”. Claude Bernard ! Sitzungsber. der Wiener Akad. 1864. Bd.L. 1. 3.79, ? Centralblatt für medie. Wissensch. 1868. Nr. 19. 3 Dies Archiv. 1868. Physiol. Abthlg. S. 150. : Oentralblatt für medie. Wissensch. 1868. Nr. 23. ® Compt. rend. T. LXVI. Nr. 11. ° F. Voit, Beiträge zur Frage der Resorption und Secretion im Dünndarm. "München 1393. 246 HANS FRIEDENTHAL: hält sogar den Darmsaft für die Verdauungsflüssigkeit „par excellence‘“ und schreibt ihm dieselben Fähigkeiten zu wie einem Gemisch von Galle und Pankreassaft. Voit’s! Versuche bestätigten das Vorhandensein von Darmsaft und brachten ihn zu der Meinung, dass die Secretion wichtiger Verdauungssäfte und die Ausscheidung von Stoffen, welche im Körper schon eireulirt und demselben als Nährmaterial gedient haben, eine wesent- liche Function der Darmzellen, besonders der Lieberkühn’schen Drüsen, darstelle. So viele positive Versuche machen wohl die gegentheiligen Angaben von Huppe-Seyler und Bidder und Schmidt himfällig und werden uns veranlassen, bei dem Studium der Resorptionsverhältnisse im Darm nicht nur die osmotischen Verhältnisse zu berücksichtigen, sondern stets die Möglichkeit einer complieirenden Secretion in den Darm in’s Auge zu fassen. Beachtenswert erscheint mir die Begründung, welche Opel? seiner Ansicht von der secretorischen Function der Darmepithelien, besonders der Lieberkühn’schen Drüsen, giebt. „Wenn auch neuere Untersuchungen die amöboide Thätigkeit nicht bestätigen konnten, so bleibt doch der Grund- gedanke, der die Darmzelle als thätig betrachtet, ein durchaus richtiger. Es wird natürlich nicht jede Darmepithelzelle im Stande sein, alle jene ‘ Thätigkeiten in gleichem Maasse auszuüben, wie dies aus hochdiffereneirten Drüsenorganen stammende Verdauungssäfte vermögen. Aber so sehr auch die Thätigkeit der Darmepithelzelle durch das Vorhandensein der Ver- dauungssäfte gefördert wird, so besass doch ursprünglich diese Zelle die Fähigkeit, auch ohne solche Hülfe ihre Thätigkeit auszuüben. Und es liegt kein Grund vor, warum sie diese Fähigkeit verloren haben sollte. Jede Darmepithelzelle muss als Einzelorganismus betrachtet werden, welcher die Fähigkeit besitzt, aus einem nur einigermaassen geeigneten Nährmaterial diejenigen Stoffe aufzunehmen, welche der Organismus braucht. Weil die grossen Drüsen vom Darmepithel als ihrem Mutterboden ab- stammen, ist es nicht erforderlich, dass mit der Herausbildung dieser Drüsen das Darmepithel bei höheren Thieren seine ihm ursprünglich inne- wohnende Thätigkeitsart eingebüsst habe.“ Entscheidend für die Frage nach einer secretorischen Function der Lieberkühn’schen Drüsen scheint der Befund von Paneth? zu sein, welcher in der Tiefe der Lieberkühn’schen Drüsen das Vorkommen von Zellen nachwies in einer ganzen Reihe von Säugerdärmen, welche in ihrem Bau sich deutlich von dem Zottenepithel unterschieden. Mit einem anderen histologischen Bau ist aber eine andere Art des Funetionirens nothwendig A.2.0. Opel, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirbelthiere. Bd. II. Schlund und Darm. S. 497. Jena 1897. ® Paneth, Centralblatt für Physiologie. 1888. 8. 255. 1 2 BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE 247 verbunden. Die Paneth’schen Zellen erwiesen sich angefüllt mit körnigem Seeret nach Art der Altmann’schen Granula in den typisch für die Secretion differencirten Epithelien, mit denen sie auch die Färbereactionen theilen. Besonders am Mäusedarm konnte nun Paneth das Austreten dieses Secretes in das Drüsenlumen an Schnittbildern nachweisen; auch im Menschen- darm fand er ganz analog gebaute Zellen. Opel! wendet sich ebenfalls mit ausführlicher Begründung gegen die Ansicht, dass wir es in den Lieber- kühn’schen Drüsen nur mit Ausbuchtungen der Darmwand zum Zweck der Vergrösserung der resorbirenden Fläche zu thun haben, oder dass die Pa- neth’schen Zellen Jugendformen der Zottenepithelien darstellen und wir es in den Lieberkühn’schen Drüsen nur mit Ersatzherden für zu Grunde gehende Zottenepithelien zu thun haben. Opel’s Untersuchungen an Ornitho- rhynchus hatten ergeben, dass bei diesem Thier die Darmdrüsen weite Schläuche darstellen, welche nur durch äusserst enge Canäle mit dem Darmlumen com- munjeiren, wir also weder an ein Eindringen der Darmflüssigkeiten in die Drüsenschläuche, noch an ein Auswandern der Drüsenepithelien durch diese engen Oeffnungen zum Zweck der Epithelregeneration glauben können. Wegen der Wichtigkeit, welche die Frage nach einer etwaigen beträcht- lichen Secretion in den Dünndarm für die Auffassung der BResorptions- vorgänge in diesem Organe hat, soll hier nicht übergangen werden, dass die Lieberkühn’schen Drüsen auch eine Nervenversorgung nach Art der echten Drüsen unzweifelhaft besitzen, während ein Eindringen von Nerven zwischen die Zottenepithelien nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Berkley”° sah die Nerven für die Lieberkühn’schen Drüsen von den Seitenzweigen der Zottennerven abgehen, welche ihrerseits vom Meissner’- schen Plexus ausgehen. Er sah die feinen Zweige zwischen die Drüsenepithelien eindringen, konnte aber ihre genaue Endigungs- weise nicht feststellen. Nehmen wir hinzu, dass beim Frosch selbst die einzelligen Schleimdrüsen von Nervenfäden umsponnen sind, so werden wir an dem Vorhandensein einer vom Nervensystem abhängigen, von den osmotischen Erscheinungen unabhängigen Secretion in den Darm nicht mehr zweifeln können. Die letztgenannten Thatsachen lassen es zweifelhaft erscheinen, ob die Becherzellen des Darmes wirklich, wie augenblicklich ailgemein angenommen wird, nur metamorphosirte, im Absterben begriffene Darmepithelien dar- stellen, wofür ja die Thatsache der verschiedenen Häufigkeit dieser Zellart in den verschiedenen Stadien der Resorption und ihr völliges Verschwindeu nach Pilocarpininjection, wie es von Heidenhain? angegeben wird, zu ! Opel, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 1897. Bd. 11. ?® Berkley, Anafomischer Anzeiger. VII. Jahrgang. S. 12—19. ® Heidenhain, Handbuch der Physiologie von Hermann. 248 HANS FRIEDENTHAL: sprechen scheint. Die Vergleichung der Becherzellen mit dem Ver- halten der einzelligen Schleimdrüsen an niederen T'hieren, bei denen eine wiederholte Secretion schon durch das umspinnende Nervennetz sicher gestellt ist, lässt obige Frage duch noch unentschieden erscheinen, besonders da auch in den Diekdarmdrüsen der höheren Säuger, die meist nur Becher- zellen enthalten, durch keine Beobachtung ein massenhaftes Zugrundegehen der Drüsenzellen wahrscheinlich gemacht wird. Dass die Becherzellen im Dünndarm mit andauerndem Hungerzustand immer häufiger werden, scheint immerhin für die Annahme zu sprechen, dass die Darmepithelien, die durch die fortwährende Umspülung mit Nährflüssigkeit an eine excessive Nahrungs- zufuhr gewöhnt sind, bei Abwesenheit einer solchen der schleimigen Meta- morphose verfallen, man könnte aber auch daran denken, dass die empfind- lichen, der Resorption dienenden Epithelzellen schnell zu Grunde gehen im Hungerzustande und dass so die relative Menge der dauerhafteren Becher- zellen ständig wüchse. Für die höheren Säuger ist die Zahl der Becher- zellen im Darm stets eine so grosse, dass die Resorptionskraft der Flächeneinheit ganz bedeutend durch sie modificirt, und zwar, wie oben gezeigt, vermindert werden muss, gegenüber der ‘Resorption durch ein zusammenhängendes, flimmerndes Cylinderepithel, wie wir es bei Everte- braten und noch im Darm von Petromyzonlarven finden; durch die riesige Oberflächenvergrösserung durch Zotten und Falten ist dieser Nach- theil bei den höheren Thieren mehr als compensirt. So schätzt Heiden- hain (51) die Vergrösserung der resorbirenden Oberfläche durch die Zotten auf das Dreiundzwanzigfache, wobei die Vergrösserung durch die Kerkring’schen Falten noch gar nicht mitgerechnet ist. Rechnen wir die Länge des menschlichen Dünndarmes zu 5”, die mittlere Weite zu 2m, eine 23fache Vergrösserung der resorbirenden Fläche und. einen mittleren Durchmesser. der einzelnen Epithelzelle zu 30 u, so ergäbe sich eine Zahl von ungefähr 5100 Millionen Epithelzellen. Rechnen wir selbst die Hälfte der resorbirenden Fläche als durch Becherzellen eingenommen, so bleiben dem Menschen noch die osmotischen Kräfte von 2550 Millionen Elementar- organismen für die Resorption seiner Nahrung zur Verfügung, abgesehen von der Aufsaugung im Magen und Dickdarm, die ja auch nicht un- beträchtlich ist. Bewirkt nun die Vereinigung dieser Einzelwesen zu einer Membran, dass sie nur mit einem kleinen Theil ihrer Oberfläche resorbiren können, während die frei lebenden Zellen mit ihrer Geesammtoberfläche der osmo- tischen Wechselwirkung mit ihrer Umgebung unterliegen, so sind anderer- seits die Darmepithelien durch ihre Verbindung mit den Anfängen der Lymphgefässe und mit den Bluteapillaren so günstig gestellt für die Re- sorption, dass wir der einzelnen Darmepithelzelle mit ihrer kleinen resor- BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 249 birenden Fläche ein bedeutend höheres Aufnahmevermögen zuschreiben müssen, als einer gleich schweren freilebenden Zelle. Es ist schon berück- sichtigt worden, dass durch die directe Plasmacommunication der Wurzel- ausläufer der Darmepithelien eine Aufnahmefähigkeit der Nachbarzellen ‚einer gerade resorbirenden Darmzelle sich in der Weise geltend machen wird, dass auf rein osmotischem Wege ein beständiges Abströmen der resor- birten Stoffe nach den Stellen stattfinden muss, wo noch Aufnahmefähigkeit vorhanden ist. In genau derselben Weise müssen nun das Biutplasma und die beständig sich erneuernde Lymphe wirksam sein und beständig der resorbirenden Zelle die eben aufgenommenen Bestandtheile wieder entziehen. Dadurch muss das osmotische Energiepotential zwischen Epithelzelle und Darminhalt sich stets erneuern und ein ständiger Strom von Stoffen durch die Zelle hindurch aufrecht erhalten bleiben. Es ist leicht ersichtlich, wie sehr also die osmotische Leistung einer solchen Epithelzelle gesteigert ist einer frei lebenden Zelle gegenüber, deren Aufnahmefähigkeit mit jedem aufgenommenen Molecül sich vermindern muss, weil die Aufnahmefähigkeit des Plasmas für Nahrungsstoffe doch immer eine sehr begrenzte ist und der minimale Stoffverbrauch der Einzelzelle nicht für eine schnelle Ver- änderung der aufgenommenen Nahrung sorgen kann. Für die. Darm- epithelien kommt dagegen der Stoflverbrauch im ganzen Körper in Betracht, da die einzelnen Organe dem Blut und der Lymphe immer wieder die den Darmepithelien abgenommenen Stoffe ihrerseits entziehen, bis theoretisch die Affinitäten im ganzen Körper gesättigt sind, wenn eine concentrirte Lösung im Darm zur Verfügung steht, ein Fall, der freilich nur für Fett sich verwirklicht findet. Verfolgen wir jetzt die Aufnahme eines bestimmten Körpers, des Fettes z. B., so werden sich also die Darmepithelien vermöge ihres Gehaltes an fettlösenden Stoffen, Leeithin, Seife, Galle u. a. beständig mit Fett beladen, so lange noch ihre Affinität zu Fett grösser ist, als die der Stoffe, welehe im Darminhalt das Fett in Lösung resp. in Emulsion halten. Vermöge ihres Alkaligehaltes entzieht nun der allmählich sich mit Fett sättigenden Zelle die Lymphe, welche die Wurzelausläufer der Epithel- zelle umspült, das aufgenommene Fett, und wie in jeder alkalischen Lösung, zerstäubt das Fett in feinste Emulsion, welche dem Chylus das milchartige Aussehen verleiht. War die Lymphe, wie wir annehmen dürfen, mit der Epithelzelle vorher in Fettgleichgewicht gewesen, d. h. waren die Affinitäten des Plasmas zu dem noch vorhandenen Fett ebenso grosse, wie die der kohlensauren Alkalien in der Lymphe, so muss jede Vermehrung des Fett- gehaltes der Epithelzelle zu einem Uebertritt des Fettes aus dem Plasma in die Lymphe führen, denn die Affinität des Plasmas zu Fett ist durch die erfolgte Aufnahme kleiner geworden, die der Lymphe hat sich nicht verändert, das Fett strömt also weiter nach der Stelle grösserer Affinität, 250 Hans FRIEDENTHAL: d.h. in die Lymphe. Die Contraction der Darmzotten wird jetzt die fett- haltige Lymphe in das Chylusgefäss befördern, während neue Lymphe aus den Capillaren in die Umgebung der Darmepithelien gelangt, die jetzt wieder neue Fettmengen der Epithelzelle entziehen muss. Da das Fett nur äusserst langsam thierische Membranen passirt, die nicht mit Galle getränkt sind und dadurch ein höheres Lösungsvermögen für Fett erlangt haben, tritt das Fett nicht in die Blutgefässe über, in deren Lymphscheide der Chylus sich theilweise bewegt, sondern gelangt durch die lymph- befördernden Kräfte, welche noch ausführlicher besprochen werden sollen, in den Ductus thoracicus und von da in’s Blutgefässsystem. Eine directe Aufsaugung von Fett in die Capillaren ohne Vermittelung osmotischer Kräfte ist zwar mehrfach behauptet, aber nie bewiesen worden. Bei reich- lichem Fettgehalt der Nahrung kann nun so lange Fett aufgenommen werden, dass das Blutserum selbst milchig getränkt erscheint (Serum lacteum). Häuft sich aber das Fett im Blutserum immer mehr an, so muss schliesslich die Affinität der abgesonderten Lymphe zu Fett immer schwächer werden, bis schliesslich den Epithelzellen durch die abgesonderte Lymphe selbst dann kein Fett mehr entzogen wird, wenn diese ihr Sättigungsmaximum erreicht haben. Sorgen nun nicht die Organe für fortwährendes Abfliessen von Fett aus der Blutbahn in die Körperzellen oder für fortwährende Zerstörung von Fett, so muss ein Moment erreicht werden, wo sämmtliche Zellen des Organismus und die gesammten Er- nährungsflüssigkeiten mit Fett gesättigt sind. Dann kann von den Darm- zellen auch unmöglich auf osmotischem Wege noch Fett resorbirt werden, denn wir haben ja gesehen, dass die osmotische Aufnahme nicht von einem gasartigen Druck gelöster Fettmoleeüle im Darminnern herrührt, sondern dass die Bedingungen für die Aufnahme von Fett mit dem Vorhandensein eines noch nicht gesättigten fettlösenden Körpers im Plasma der resor- birenden Epithelien gegeben sind, ganz unabhängig von der hypothetischen Annahme eines Bewegungszustandes gelöster Molecüle, da auch festes Fett auf osmotischem Wege seinen Weg in die Darmepithelien finden würde, wenn es in moleculare Nähe der lösenden Schicht gelangte. Was Heiden- hain zu der Ansicht bewog, dass unbekannte Lebenskräfte im resorbirenden Epithel, unabhängig von den Gesetzen der Osmose, eine Aufnahme der Nahrung bewirken, und dass unbekannte Kräfte es veranlassen, dass nur das Fett in die Chylusgefässe, Kohlehydrate, Eiweisskörper und Peptone, alle Salze und Wasser, wie er meint, nur durch die Zottencapillaren auf- gesogen werden, war die Beobachtung, dass Lösungsmittel und gelöster Körper scheinbar unabhängig von einander in das Körperinnere aufgenommen werden. Nimmt man einen Gasdruck gelöster Körper als Ursache der osmotischen Erscheinungen an, so werden allerdings alle Erscheinungen der BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 251 Osmose durch permeable Membranen unverständlich, nach den früher er- örterten Annahmen über die Ursachen des osmotischen Ueberganges von Stoffen; in Folge eines Lösungsvermögens der Membran erscheint ein solches Verhalten, wie es Heidenhain im Darm beobachtete, geradezu nothwendig. In genau der gleichen Weise, wie es oben für die Aufnahme von Fett unter vorläufig einseitiger Berücksichtigung der osmotischen Erscheinungen geschildert wurde, wird durch Vermittelung des Blutplasmas die Aufnahme- fähigkeit der Darmepithelien für jeden beliebigen Körper genau nach dem Körperbedürfniss auf osmotischem Wege regulirt. Besteht in einem speciellen Organe ein starker Verbrauch einer chemischen Verbindung, so wird es dem vorbeiströmenden Blute diese Verbindung in erhöhtem Maasse entziehen und so die Affinität des Blutes zu dem entzogenen Körper steigern. War vorher das Blutplasma in Gleichgewicht gewesen mit dem Plasma der Darmepithelien, so dass-in der Zeiteinheit ebenso viel Molecüle aus dem Zellplasma in das Blut, wie aus dem Blut in das Zellplasma übertraten, so wird die Zahl der aus den Darmepithelien übertretenden Moleeüle sofort steigen, nachdem aus dem Blut eine grössere Zahl von Moleeülen in. das thätige Organ übergetreten ist. Die Darmepithelien werden also an dem benöthigten Körper ärmer werden, ebenso wie sämmt- liche Körperzellen, deren Verbrauch an der fraglichen Verbindung geringer ist, als der in dem thätig gedachten Organ. Das heisst aber, es findet im Körper eine stete Wanderung aller Verbindungen nach den Orten grössten Verbrauches auf osmotischem Wege statt, gerade wie die Einzelzelle, wie wir gesehen haben, diejenigen Körper beständig aus der umgebenden Lösung sich herausholen muss, welche durch den Stoffwechsel zerstört werden. Wir haben also bei der Einzelzelle schon die Unabhängigkeit der Aufnahme von Wasser und gelöstem Körper verstehen lernen, deren Beob- achtung im Darm Heidenhain zur Aufstellung unbekannter Lebenskräfte Veranlassung gab. Waren in unserem Beispiel die Darmepithelien vorher mit einer Iproc. Lösung des fraglichen Stoffes in Gleichgewicht gewesen, so werden sie nach der Verarmung an diesem durch das Blutplasma im Stande sein, einer viel verdünnteren Nährlösung den Körper zu entziehen. Wir werden also auch im Darm der Säugethiere eine osmotische Auf- nahme von Nahrungsstoffen nach Maassgabe des individuellen Verbrauches erwarten dürfen, wie wir sie ja auch in der That beobachten. Ein Stoff, der bei einem Individuum, so lange noch Affinitäten zu ihm in der Darmwand vorhanden sind, leicht resorbirt wird, muss bei fortgesetzter Darreichung, die den Verbrauch überwiegt, ! unresorftrt ausgestossen werden, wie wir es bei der fortgesetzten einseitigen Darreichung bei fast allen ı Z.B. Zuckerlösungen, Fette, verdünnte Salzlösungen. 252 Hans FRIEDENTHAL: Stoffen thatsächlich beobachten können. Der Unterschied zwischen leicht diffusiblen und schwer diffusiblen Stoffen ist dabei der, dass die schwer diffusiblen Körper in ungelöstem Zustande den Körper verlassen, da ihnen im Diekdarm das Wasser entzogen wird, weil, vermöge der Ausscheidung durch die Nieren, der Körper im Stande ist, seine Wasseraffinität immer zu erneuern. Die leicht diffusiblen Körper dagegen wirken sämmtlich schädlich an Orten, wo kein Bedürfniss nach ihnen vorliegt, da sie die (uellbarkeit und damit die Festigkeit des Plasmas verändern, welche für den physiologischen Zusammenhalt der Gewebe nothwendig ist. Ist dieser Zusammenhang gelockert, so kommt es zu einer Transsudation aus den Gefässen durch die Darmwandungen, welche einem Filtrationsdruck schon normaler Weise wenig Widerstand entgegensetzen, wobei auch noch Nerven- einflüsse in Frage kommen, und damit zu einer diarrhöischen Entfernung des unbrauchbaren Körpers, woraus sich ergiebt, dass jedes beliebige Salz als Abführmittel dienen kann, ebenso wie Zucker, Peptone, freie lösliche Fettsäuren, Glycerin bei fortgesetzter Darreichung nach obigen Ausführungen mit Sicherheit Diarrhöe erzeugen müssen, wie auch thatsächlich beobachtet worden ist. Bekannt ist auch die abführende Wirkung kochsalzhaltiger Wasser, die in der praktischen Mediein so vielfach Anwendung finden. Der Grad der Wirksamkeit der speciellen Abführmittel wird u. A. von der wasseranziehenden Kraft des fraglichen Salzes herrühren, doch kommen noch so viel andere Momente für die Wirksamkeit der Abführmittel in Betracht, so eine Wirkung auf die Musculatur des Darmes und auf die gefässerweiternden Nerven im Darme, dass eine Discussion nur nach der osmotischen Wirksamkeit hier als zwecklos übergangen werden soll. Bisher haben wir nur die osmotische Wirksamkeit der Darmepithelien bei der Aufsaugung der Nahrung in Betracht gezogen und gesehen, dass sich aus dieser heraus eine ganze Reihe von Erscheinungen, die bei der Aufsaugung thatsächlich beobachtet worden sind, erklären lassen, besonders die wunderbar erscheinende Auswahl von Nahrungsbestandtheilen aus einem Gemenge, 2. B. die beobachtete Resorption von Zucker aus einer Natrium- sulfatlösung. Aehnlich, wie oben beschrieben, verlaufen wohl die Resorptions- erscheinungen bei den Evertebraten, bei welchen nur eine einfache Epithel- schicht den complieirten Apparat des Darmschlauches der höheren Wirbel- thiere vertreten muss, z. B. bei den Cölenteraten. Für die osmotischen Erscheinungen ist ganz gleichgültig, ob die Darmzellen nackt und amöboider Bewegungen ihrer freien Oberfläche fähig sind, oder ob sie Cilienbesatz tragen, oder eine Geisse] und contractilen Saum, wie die Kragengeisselzellen der Cölenteraten. Bei der amöboiden Form der Nahrungsaufnahme sind nur die osmotischen Vorgänge in das Innere des Plasmas verlegt worden, ohne dass ihre Deutung deshalb eine prineipielle Aenderung erfahren müsste. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 253 In vielen Fällen wird eine Flüssiekeitsschicht um die amöboid auf- genommenen Nahrungspartikel ausgeschieden, so um Bakterien, die von Leukocyten gefressen worden sind. Im diesem Fall übernimmt dann die Vaeuolenwandung direct die osmotischen Funetionen, die bei bewegungs- losen Zellen von dem äussersten Plasmahäutchen verrichtet werden. Dass bei einer einfachen Epithellage andere als osmotische Kräfte für die Auf- nahme gelöster Körper in Frage kommen, ist ganz unwahrscheinlich, trotz der Angabe von Spina (126 u. 127), dass er im Insectendarm ein ab- ‘wechselndes Grösser- und Kleinerwerden der Darmepithelien an Larven beobachtet habe. Er stellt sich vor, dass die einzelne Zelle als Pumpwerk funetionirt, welche bei ihrer Vergrösserung Darminhalt in sich aufnähme und bei ihrer Contraction nach der anderen Seite wieder entleere. Wäre die Beobachtung richtig, so hätten wir in der einzelnen Epithelzelle ein volles Analogon zu den Darmzotten im Darm der Wirbelthiere vor uns, welchen ja thatsächlich die oben beschriebenen Functionen zukommen. Dass man aber unter dem Mikroskop an einem in Bewegung begriffenen Darme die gleichzeitige Vergrösserung einer Epithelzelle in allen Durch- messern mit Sicherheit constatiren könne, erscheint doch sehr zweifelhaft, viel näher liegt die Annahme, dass die Zellen passive, vielleicht auch active Gestaltsveränderungen erlitten haben ohne Volumveränderung. In den Zotten der höheren Wirbelthiere haben wir dagegen thatsächlich einen Apparat vor uns, der nach Art einer Pumpe wirksam ist und eine Aufsaugung vermittelt, die völlig von den osmotischen Kräften unabhängig ist. Heidenhain hat da- her ganz Recht, wenn er betont, dass die Vorgänge im Darm bei der Auf- saugung nicht allein durch Osmose erklärt werden können; der Sitz der nicht osmotischen Kräfte ist aber nicht das Darmepithel mit seinen Lebens- funetionen, wie er meint, das umgekehrt, wie wir gesehen haben, gerade die osmotische Aufsaugung vermittelt, sondern die glatte Musculatur der Zotten, und Darmwandungen, welche ein Aufsaugen und Filtriren des Darminhaltes durch die Epithelschicht hindurch veranlasst. Dass man von einer Filtration des Darminhaltes in die Chylusgefässe glaubte absehen zu müssen, trotz genauer Kenntniss der anatomischen Verhältnisse, hat seinen Grund darin, dass man die im Darm resorbirten Stoffe nicht in der Lymphe, die aus Fisteln des Ductus thoracicus floss, mit Ausnahme des Fettes wiederfinden konnte. Man nahm daher mit Heidenhain, der selber doch eine genaue Be- schreibung des Zottenmechanismus und seiner Pumpwirkung gegeben hatte, an, dass die Aufsaugung von Zucker, Peptonen, Eiweisskörpern, Wasser und Salzen nur durch die Zottencapillaren erfolge, welche wegen. ihrer peripheren Lage in der Zotte nach Heidenhain besonders dafür disponirt sein sollten. Nur bei sehr energischer Resorption fand man eine Vermehrung von Wasser, Zucker u.s. w. in dem Chylus des Ductus thoracieus, was durch 254 Hans FRIEDENTHAL: ein Unvermögen der Capillaren erklärt wurde, die allzu reichliche Re- sorption zu bewältigen. Durch unbekannte Kräfte sollte nur das Fett aus dem Darmepithel in die Chylusgefässe dirigirt werden. Bei dieser Art der Darstellung der Resorption erscheint allerdings der ganze in der Con- traetilität der Darmzotten gegebene Apparat völlig bedeutungslos, da ja alle Stoffe ausser Fett in die Capillaren der Zotten gelangen sollten. Maassgebend für diese unbefriedigende Darstellung der Aufsaugungsverhält- nisse war für Heidenhain, dessen Anschauungen später die meisten Forscher adoptirten, die Erwägung, dass ein Filtrat doch die Zusammen- setzung der Ausgangsflüssigkeit haben müsste, während sich die Zusammen- setzung des Chylus mit Ausnahme des wechselnden Fettgehaltes als recht gleichmässig und nicht verschieden von der sonstigen Körperlymphe erwies. Da man im Blut sehr bald schnelldiffundirende Stoffe nachweisen konnte, welche in den Darm gebracht waren, zu einer Zeit, wo der Chylus aus dem Ductus thoracicus noch keine Spur davon enthielt, glaubte man um so eher berechtigt zu sein, eine Filtration in die Chylusgefässe aus- schliessen zu können, womit dem so hoch entwickelten Lymphapparate nur noch eine Bedeutung für den Fetttransport verblieb. Vollständig übersehen wurde bei dieser Auffassung, die, gestützt auf die Autorität Heidenhain’s, bald die ältere Auffassung von der activen Aufsaugung des Darminhaltes in die Chylusgefässe verdrängte, dass Stoffe, welche in das Blut der Darm- capillaren gelangen, bei der Geschwindigkeit des Blutstromes in ganz kurzer Zeit in der Jugularvene zu finden sein müssen, zu einer Zeit, wo Stoffe, welche in die Anfänge der Lymphgefässe filtrirt worden sind, noch lange nicht in einer Fistel des Ductus thoracicus erscheinen können, und ferner, dass die diffusiblen Stoffe, auch wenn sie in die Anfänge des Lymph- gefässsystemes aufgenommen sind, durch Osmose in die Blutgefässe ge- langen können und so aus dem Chylussystem verschwinden. Ein solcher osmotischer Uebertritt der Stoffe in das Blut wird um so leichter stattfinden, als alle Mesenterialgefässe von mächtig ausgebildeten Lymph- scheiden umgeben sind, und ferner der langsam fliessende Chylus, welcher oft erst in 4 Stunden den Weg von der Darmwand bis zur Mündungs- stelle des Ductus thoracicus zurücklegt, wie man an Farblösungen con- statiren kann, Zeit genug zum osmotischen Uebertritt in die Blutgefässe den Stoffen gewährt. Wenn die diffusiblen Stoffe nicht in das Blut der Vena subclavia gelangen, so ist das also noch kein Beweis, dass sie nicht durch die Chylusgefässe der Zotten aufgenommen worden sind. Von der Thatsache, dass der Darminhalt thatsächlich in die Chylusgefässe gelangt und nicht den Zottencapillaren die Hauptrolle zukommt, kann man sich leicht überzeugen, wenn man die Aufsaugung gefärbter Lösungen, z. B. Indigocarminlösung, beobachtet. Man sieht dann ganz direct die gefärbte BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE 255 Lösung in die Chylusgefässe übertreten und in diesen sich weiter ver- breiten. Da Indigocarmin vom lebenden Plasma nicht aufgenommen wird (die Nierenepithelien bilden eine Ausnahme), so kann das Indigocarmin auf osmotischem Wege die Darmwand nicht passirt haben. Wir haben hier also einen directen Beweis für das Vorhandensein einer nicht osmotischen Aufnahme; denn die lebende Darmepithelzelle besitzt kein Lösungs- vermögen für Indigocarmin, da sie erst abgetödtet sich färbt. Da nun die Capillarwandungen sowohl der Zottencapillaren, wie der den grösseren Chylusgefässen benachbarten Blutgefässe, und auch die Zellen, welche die Wandungen der Chylusgefässe bilden, sich dem Indigocarmin gegenüber ebenso ablehnend verhalten, wie die Darmepithelien, so verschwindet der Farbstoff nicht aus den Chyluswegen, sondern gelangt in den Ductus thoraeieus und von da in’s Blut, wobei das Vorrücken des gefärbten Chylus einen bequemen Maassstab für die Schnelligkeit der Chylusbewegung ab- giebt. Wir haben gar keinen Grund, anzunehmen, dass eine Zuckerlösung bei der Aufsaugung im Darm einen anderen Weg einschlagen wird als die Farbstofflösung, nur werden wir nicht erwarten dürfen, den Zucker in der- selben Concentration im Chylus zu finden, in der er die Darmwand passirt hat, denn auf dem langen Wege von der Zotte bis zur Einmündungsstelle an der Vena subelavia hat der Zucker reichlich Zeit, auf osmotischem Wege aus den Chylusgefässen zu verschwinden, da ja das Blut sowohl wie jede Zelle Zucker aufnehmen wird aus einer mehr als 0.2 proc. Lösung (un- gefähr), mit der gewöhnlich Zuckergleichgewicht vorhanden ist. Selbst eine eoncentrirte Zuckerlösung, die in die Zottenchylusgefässe eingesogen worden ist, wird also mit einem Zuckergehalt von nur noch 0.2 Procent circa im Ductus thoracicus erscheinen müssen. Ebenso wie für den Zuckeraustausch reicht natürlich auch die Zeit der Fortbewegung in den Chylusgefässen für den osmotischen Austausch aller leicht diffusiblen Stoffe, so dass auch um- gekehrt reines Wasser nach einiger Zeit sich mit dem Blutserum in osmo- tisches Gleichgewicht gesetzt haben wird und nur einen Mindergehalt an Eiweiss wegen des langsameren Austausches zeigen wird, einen Minder- gehalt, den thatsächlich der Chylus dem Blutserum gegenüber aufweist. Es wäre doch zu wunderbar, wenn alle Stoffe, die wir sehen können, Fette und Farbstoffe, ihren Weg durch unbekannte Kräfte durch die Chylus- gefässe nähmen, während alle unsichtbaren Körper, wie Heidenhain meint, ebenfalls durch unbekannte Kräfte in die Blutcapillaren der Zotten dirigirt würden, während doch die Auffassung, dass eine unterschiedlose Aufsaugung der im Darm gelösten Körper durch den Pumpmechanismus der Zotten und dann erst eine Scheidung je nach der Befähigung der Körper zur Osmose durch die Wände der Chylusgefässe stattfindet, durch keine bekannte Thatsache unwahrscheinlich gemacht wird. Da die Schnelligkeit 256 Hans FRIEDENTHAL: der Aufsaugung durch die Chylusgefässe mit der Concentration der Nährlösung im Darm wächst und ein starker osmotischer Wasserstrom aus den Blutcapillaren die aufgenommene concentrirtere Nährlösung bis zum Gehalt des Blutserums zu verdünnen sucht, ausserdem eine chylusbefördernde Peristaltik der Darmmusculatur durch die aufgenommenen Nährstoffe selber angeregt wird, so kann es kommen, dass bei Anwesenheit von concentrirten Nährlösungen im Darminnern der Chylus so schnell weiter befördert wird, dass zu einem osmotischen Ausgleich innerhalb der Chyluswege die Zeit mangelt. Dann finden wir aber auch thatsächlich den Gehalt des Chylus an diesen Stoffen vermehrt, was Heidenhain durch ein Unvermögen der Zottencapillaren, Alles zu resorbiren, zu erklären suchte. So fand S. Ginsberg (92) den Zuckergehalt des Chylus auf das Doppelte des nor- malen, nämlich von 0-21 Procent bis auf 0-43 Procent steigend, wenn er Hunde mit 5- bis 10 proc. Zuckerlösung fütterte. Da diese Erhöhung des Zuckergehaltes auch eintrat, wenn er während der Resorption die Aorta abklemmte und so die Circulation in den Darmgefässen sistirte, konnte der Chylus auch nicht seinen vermehrten Zuckergehalt aus dem Blute bezogen haben. Ebenso wenig beweist der oben erwähnte Versuch Schmidt- Mülheim’s! etwas gegen die Function der Chyluswege bei der Re- sorption. Wird der Chylusstrom abgesperrt, so schalte ich damit nur einen der bei der Aufsaugung in Betracht kommenden Factoren, nämlich den Filtrationsdruck, aus, während die Aufsaugung durch Osmose durch Blut- sefässe und Körperzellen, die in ihrer Wirksamkeit ausführlich geschildert ist, überhaupt nicht berührt wird und nun allein die Resorption bewirkt. Der Schluss Schmidt-Mülheim’s, dass sein Versuch die Functionslosigkeit der Lymphgefässe bei der Aufsaugung beweise, gleicht dem eines Arztes, der aus der gut erhältenen Sehfähigkeit eines Patienten nach Enucleation des rechten Auges aus dieser auf eine physiologische Functionslosigkeit des rechten Auges beim Sehact schliessen wollte Genau denselben Anschau- ungen über die Bedeutungslosigkeit der Lymphwege für die Resorption begegnen wir bei den Forschern, welche über die Aufsaugung in der Peri- tonealhöhle gearbeitet haben, und da hierfür die gleichen Gründe geltend gemacht werden, wie für die Functionslosigkeit der Chyluswege, mögen die Versuche hier ganz kurz besprochen werden, zumal in der Peritoneal- höhle die anatomischen Verhältnisse viel einfacher liegen wie im Darm. Hier bestehen nämlich offene Communicationen zwischen der Leibeshöhle und den Anfängen der Lymphwege, wie man leicht erkennen kann, wenn man Lösungen, welche feste Partikelchen (Tusche oder Carminkörnchen) enthalten, resorbiren lässt, dann sieht man, wie sich die körnchenhaltige ! Dies Archiv. 1877. Physiol. Abthlg. 8. 549. Bei NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 257 Flüssigkeit ungehemmt in die Anfänge der Lymphwege ergiesst. Cohn- stein (98) konnte das Auftreten der Carminkörnchen im Ductus thoraeicus nachweisen nach 20 bis 240 Minuten. Die Oeffnungen der Lymphwege am Zwerchfell sind so gross, dass sogar Stärkekörner mit Leichtigkeit ihren Weg in den Ductus thoracicus finden, wo sie mit Hülfe der Jodreaetion entdeckt werden können. Nun sollte man meinen, dass mit dem ana- tomischen Nachweis offener Röhren ein Einfliessen von Flüssigkeit, zumal unter Druck, selbstverständlich erscheinen müsste, trotzdem hat sich die Mehrzahl der Autoren für die Resorption nur durch die Blutgefässe ent- schieden. So untersuchte Hamburger (102) die Resorption bei Kaninchen, deren Bauchhöhle wasserdicht mit einem Druckgefäss voll isotonischer Kochsalzlösung communicirte, wobei er ein Ansteigen der resorbirten Menge mit der Druckerhöhung fand, auch wenn er den Ductus thoracicus unter- bunden hatte. Wie Schmidt-Mülheim schloss er daraus auf die Be- deutungslosigkeit der Lymphgefässe für die Resorption in der Peritonealhöhle. Wie Heidenhain und Orlow lässt er die Aufsaugung durch die Blutgefässe und nur im Gegensatze zu diesen Forschern physikalisch vor sich gehen. Starling (97) und Tubby brachten Methyienblaulösung in die Peri- tonealhöhle und beobachteten eine Ausscheidung durch den Harn nach 5 bis 20 Minuten, während die gefärbte Lösung erst nach 70 Minuten bis 4 Stunden im Ductus thoraeicus zum Vorschein kam. Diese Beobachtung erscheint nicht wunderbar, wenn man daran denkt, dass jedes durch Osmose -in die Blutgefässe übergetretene Methylenblaumoleeül sofort zur Niere ge- langt und dort ausgeschieden werden kann, während die Lymphe mangels einer constanten treibenden Kraft überall nur langsam fliesst. Aus ihren Versuchen schliessen aber die Verfasser auf eine Resorption nur durch die Blutgefässe (100) und erklären das Erscheinen von Farbstoff in dem Duetus thoracicus durch secundären Uebertritt von Farbstoff aus dem Blut in die Chylusgefässe. Nach Ansicht der Verfasser beziehen also die offen mit der Peritonealhöhle communieirenden Lymphgefässe den Farbstoff erst aus dem überall geschlossenen Capillarsystem, allerdings äussern sie sich nicht über die Kräfte, welche ein Eindringen der Flüssigkeit in die offenen Lymphwege verhindern. Im Gegensatz zu allen diesen Autoren haben denn auch Adler und Meltzer (100) die Resorption von kleinen Elüssig- keitsmengen verlangsamt und ganz aufgehoben gefunden, wenn sie den Duetus thoracicus unterbanden und dann erst Flüssigkeit in die Bauchhöhle brachten. Daraus folgt wohl evident die Wichtigkeit der Lymphwege für die Resorption in der Peritonealhöhle, die ja schon durch die anatomischen Verhältnisse gebieterisch gefordert wird, zumal wir auch den Raum zwischen Capillarendothel und Peritonealepithel als ersten Lymphraum ansehen müssen, so klein die Spalten auch sein mögen. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 17 258 | Hans FRIEDENTHAL: Genau so wie für die Aufsaugsung in der Peritonealhöhle liegen die Verhältnisse im Dünndarm. Auch hier müssten wir nach Kräften suchen, welche eine mechanische Ansaugung durch die Zottenmusculatur in die Chylusräume hinein unmöglich machen, um den heute herrschenden An- schauungen beipflichten zu können, dass die Aufsaugung von Wasser und Salzen von Eiweisskörpern und Kohlehydraten nur durch die Zottencapillaren erfolge, wo hinein sie durch unbekannte Kräfte gelangen sollen. Diese Anschauungen, welche sich durch die Nichtberücksichtigung des osmotischen Austausches zwischen Blut und Chylusgefässinhalt und der Langsamkeit der Lymphbewegung erklären lassen, erscheinen unwahrscheinlich, wenn man die anatomische Structur der Zotten berücksichtigt. So verschieden im Speciellen der feinere Bau der Zotten bei den verschiedenen Species sich darstellt, so gleichförmig finden wir alle für die physiologische Funetion maassgebenden Factoren bei allen Thieren wieder, die ausgebildete Zotten besitzen, und auch bei den nichtzottentragenden Därmen finden wir in der hohen Differencirung und excessiven Ausbildung des Chylusgefässsystemes einen deutlichen Hinweis auf dessen wichtige physiologische Function. Ueberall finden wir in den Zotten ein oder mehrere Ohylusgefässe, umgeben von Bindegewebe und glatten Muskelzellen und umflochten von einem dichten Capillarnetz, das dem einschichtigen Oylinderepithel ziemlich dicht anliegt.. Endlich findet sich noch in den Zotten ein dichtes Netz von Nervenfasern mit eingelagerten Ganglienzellen. Besondere Verschiedenheit zeigt der Bau des centralen Chylusraumes, welcher bei manchen Thieren, so beim Hund und Kaninchen, besonders deutlich ausgebildet sich zeigt, während für den Menschen Brass das Vorhandensein eines grossen cen- tralen Chylusgefässes in den Zotten leugnet und statt dessen ein Netzwerk communicirender spaltförmiger Chylusgefässe vorfindet. Nicht bedeutungslos erscheint es ferner, wenn Heidenhain (51) auf die Verschiedenheit der Ausbildung von Zottenstroma und Zottenepithel bei Fleischfressern und Pflanzenfressern hinweist. Bei den Fleischfressern, deren Nahrung vorzugs- weise Albuminate und Fette sind, wird das Epithel von dem Zottenstroma an Mächtigkeit erreicht oder ein wenig übertroffen; bei dem Pflanzenfresser, der vorwiegend Kohlehydrate zu sich nimmt, bleibt das Stroma hinter dem Epithel weit zurück. Für die Beurtheilung der physiologischen Function kommt vor Allem der Befund an glatter Musculatur in Betracht. Schon Gruby! und Delafond? hatten sich im Jahre 1843 von der Bewegung der Zotten während des Lebens überzeugt, ebenso Lacauchie, der sofort nach dem Tode die Zotten kürzer und breiter, in der Mitte regelmässiger ! Compt. rend. 1843. T. XVII. p. 1194. * Ebenda. T. XVL BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 259 gestreift, oberflächlich querrunzlich fand.! Erst Brücke? wies aber das Vorkommen glatter Musculatur in den Darmzotten nach. Er sprach dann die Meinung aus, dass bei der Streeckung die Zotte sich erweitere, dabei besonders im Chylusgefäss derselben ein negativer Druck entstehe, demzu- folge dieses sich mit Darminhalt fülle, in dem der Rückstrom aus tiefer liegenden Chylusgefässen in’s Chylusgefäss der Zotten durch Klappen ver- hindert sei. Dem gegenüber sollte durch Contraetion der Zottenmuskeln der Inhalt des letzteren in abführende Bahnen entleert werden. Zu dem umgekehrten Ergebniss kam Graf Spee? bei seinen detaillirten Unter- suchungen über die Zottencontraction. Er fand, dass die Zotten des Hundes während der Contraction em Maximum ihres Volumens durchlaufen und dieses Maximum würde bei mittlerem Contractionszustand erreicht sein. Das Chylusgefäss der Zotte würde also bei mittlerer Contraction das grösste Volumen einnehmen, bei weiterer Contraetion und bei Extension sein Volumen vermindern. Im maximal contrahirten Zustand soll es noch immer ein grösseres Volumen einnehmen, als im maximal exten- dirten Zustand. Weiter berechnet Graf Spee, dass das Chylusgefäss während der Contraction relativ noch zum Volum der Zotte an Cubik- inhalt zunimmt. Im Gegensatz zu der Ansicht Brücke’s, die heute noch die grösste Verbreitung geniesst und der sich auch Ranvier* angeschlossen hat, müssen also die Zotten während ihrer Contraetion Flüssigkeit an- saugen, bei ihrer Extension die angesaugte Flüssigkeit in das Lymph- sefässnetz der Mucosa weiter treiben. Die Extension der Zotte ist ein complieirterer Vorgang nach Spee, der nicht von der Zottenmusculatur abhängt. Die Kräfte, welche dieselbe bewirken, sind gebunden an die Ge- fässe und das Epithel der Zotte, und in ihrer Wirkung elastischen Kräften vergleichbar. Der wichtigste Factor für die Streckung der Zotten liegt gar nicht in der Zotte selbst, sondern in der Wirkung der peristaltischen Con- traction der Darmmusculatur, denn es lässt sich beweisen, dass jede peri- staltische Contraction auf die Zotten eine energische Streckwirkung ausübt. Schon die Thatsache, dass die Zotten auf der Darmschleimhaut so eng bei- sammen stehen, dass kaum ein Zwischenraum zwischen ihnen bestehen bleibt, hätte darauf hindeuten müssen, dass, wenn das Darmrohr sich verengt, die Zotten sich gegenseitig seitlich comprimiren würden. Dies stellte Graf Spee dadurch fest, dass er das Darmrohr in verschiedenen Contractions- zuständen fixirte und dann eine regelmässige Abhängigkeit zwischen der ‘ Zusammenstellung der Litteratur nach Opel, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. Bd. 1. ® Brücke, Sitzungsber. der Wiener Akad. 1851. Bd. VI. S. 214. ® Dies Archiv. 1885. Anat. Abthlg. S. 159. * Compt. rend. Ac. d. Sc. Paris 1896. T. CXXIL. 10 260 Hans FRIEDENTHAL: Länge der Zotten und dem Contractionszustand des Darmes auffand. So funetionirt also die Darmmusculatur als Antagonist für die Zottenmuseulatur. Heidenhain (51) schloss sich der Ansicht Spee’s an, dass die Zotte ihre saugende Wirkung durch Contraction ausübe und durch Extension den Chylus weiter befördere. Er schildert den Zottenmechanismus noch etwas ausführlicher folgendermaassen. „Die der Zottenaxe parallel verlaufenden Muskelbündel setzen sich durch Bindegewebsfäden mit kegelfömig verbrei- terten Enden an der Zottenspitze an, indem diese Enden zu Bestandtheilen der subepithelialen Grenzschicht werden. Sie stehen auf diese Weise mit dem grössten Theile der Spitzenfläche der Zotte in Verbindung, so dass sie bei ihrer Verkürzung auf letztere nicht an einzelnen Punkten, sondern in weiter Ausbreitung einen Zug ausüben. Dadurch wird die Kuppe der Zotte sehr gleichmässig herabgezogen. Sobald die Verkürzung einen mässigen Grad erreicht hat, spannen sich, wie Spee schon hervorgehoben, senkrecht zur Zottenaxe Bindegewebsfäden an, die sich theils an die Wand des Chylus- gefässes, theils an die subepitheliale Grenzschicht der Zotte, theils an die Oberfläche der Muskelbündel mit dreieckigen Verbreiterungen inseriren. Der letztere Umstand scheint von Wichtigkeit, denn indem die contractilen Bündel bei ihrer fortschreitenden Verkürzung das Zottenparenchym unter immer höheren Druck setzen, würden sie selbst nach der Seite des geringsten Widerstandes, nach welcher eine Flüssigkeitsströmung stattfuden muss, d.h. nach innen verlagert werden können, wenn sie nicht durch die von allen Seiten an ihre Oberfläche herantretenden elastischen Haltebänder in ihrer Richtung festgestellt würden. Ein Theil jener Fäden tritt an den Mantel des Chylusraumes auf der Innen-, an die Grenzschicht der Zotten auf der Aussenseite. Bei ihrer elastischen Spannung suchen sie jene beiden Ansatzflächen einander zu nähern. Da aber die Epithelschicht in der Richtung des Zottenumfanges durch die Vergrösserung desselben gedehnt wird, leistet sie dem Zuge der gespannten Bindegewebsfäden grösseren Widerstand, als die nachgiebige Wand des Chylusgefässes, so dass es zu einer Erweiterung des letzteren kommen muss. Die auf diese Weise hergestellte Druckdifferenz zwischen der Flüssigkeit in den Pericellärräumen des Zottenparenchyms und in den Chylusgefässen wird den Uebertritt der ersteren begünstigen.“ Für die Wiederverlängerung der Zotte kommen nach Opel (125, S. 525) in Betracht die Wiederanfüllung des peripheren Capillar- netzes durch den Blutdruck, die Elasticität des in der Richtung des Zotten- umfanges gedehnten und in der Richtung der Längsaxe comprimirten Epithels, und schliesslich die Elasticität der senkrecht gegen die Zottenaxe gespannten und gedehnten Gerüstfäden. Zu dieser Darstellung ist hinzu- zufügen, dass sie nur den Bau der Zotten beim Hunde wiedergiebt, während beim Menschen ein so complieirter Pumpmechanismus 'histologisch nicht BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 261 nachzuweisen ist. Beim Menschen finden sich die Bindegewebszüge, glatte Muskelzellen und Anfänge der Chylusbahnen so diffus durchflochten, dass Brass nur von Chylusspalten, nicht von eimem centralen Chylusgefäss in der menschlichen Darmzotte geredet wissen will. Damit fällt aber auch für den Menschen die Anschaulichkeit einer Aufsaugung durch Contraction fort und die histologischen Bilder sprechen nicht gegen eine Fortbewegung der aufgesaugten Flüssigkeit bei Contraetion und Aufsaugung bei Extension, wie heute noch meistens angenommen wird. Es erscheint allerdings sehr zweifelhaft, ob wir bei verschiedenen Säugethieren an ein diametral ent- gegengesetztes Functioniren homologer Apparate glauben müssen. Welcher Meinung über die Pumpwirkung der Zotte wir auch beipflichten, an einer Thätiekeit der Zottenmusculatur bei der Resorption können wir nicht zweifeln, und Heidenhain hat übersehen, dass ein negativer Druck im Zotten- innern, möge er entstanden sein wie er wolle, zu einer Druckdifferenz zwischen Darminhalt und Chylus führen muss, der ein Durchfiltriren des Darminhaltes durch die leicht permeabeln Zottenepithelien veranlasst, wäh- rend Heidenhain nur von einer Ansaugung der Flüssigkeit aus den Peri- cellulärräumen des Zottenparenchyms spricht. Für eine solche Pumpwirkung kommt nämlich nieht bloss die Druckverminderung durch die ja sehr spär- liehe Musculatur, sondern noch der gesammte intestinale Druck in Betracht, dessen Wirksamkeit zuerst Hamburger (29, 102) Heidenhain gegen- über betont hat. Hamburger hatte nämlich die Resorption im Dünndarm abhängig gefunden vom intestinalen Druck gerade so wie er für die Peritoneal- höhle eine Beschleunigung der Aufsaugung hatte constatiren können, die bis zu einem Maximum schneller wuchs, als die Druckerhöhung. Hob er nun durch eine kunstvolle Technik, die im Original einzusehen ist, den in- testinalen Druck auf, so wurde die Resorption unvollständig. Auch bei Gelatineröhren beobachtete er einen Uebergang von Flüssigkeit abhängig vom Druck. Der intestinale Druck wird erzeugt durch die Spannung des Zwerchfells und der Bauchmusculatur und durch die Schwere der Bauch- eingeweide, und seine Grösse steht, wie leicht ersichtlich, in engster Ab- hängigkeit von den Athembewegungen. Seine Grösse kann daher gefunden werden, wenn man einen Ballon, der mit einem Manometer in Verbindung steht, in das Rectum oder die Vagina von Thieren einführt und den Druck beobachtet, bei welchem das Manometer die Athemschwankungen des Mano- meters, die sich sehr gut markiren, nicht mehr anzeigt. Allerdings muss man sich hüten, dass nicht Contractionen der Darm- und Vaginalmusculatur einen viel höheren Druck bewirken, als dem mittleren Druck in den Darm- schlingen entspricht. Den Druck, welcher die Athembewegungen aufhebt, fand Hamburger, wie zu erwarten, von der Körpergrösse abhängig. Er betrug beim Kaninchen etwa 16, beim Hund 21, beim Pferd 51 = Wasser, 262 Hans FRIEDENTHAL: kann also beim Menschen auf etwa 25 bis 30 °= Wasser geschätzt werden. Diesen von der quergestreiften Körpermusculatur erzeugten intestinalen Druck hält Hamburger für den Hauptfactor der Darmresorption, weil schon eine geringe Druckerhöhung im Darmrohr die Resorption er- heblich beschleunigt, ein Sinken desselben oder Negativwerden den Re- sorptionsstrom zum Stillstand bringen kann. Gegen diese Auffassung von Hamburger ist einzuwenden, dass sein intestinaler Druck, der durch die Contraction der die Bauchhöhle einschliessenden Körpermuskeln erzeugt und unterhalten wird, auf die Aussenseite der Därme ja gerade so wirksam ist, wie auf die Innenseite und in gleicher Höhe auch im Innern der Darm- wandungen selber wirksam ist und daher für sich nie die Ursache einer Flüssigkeitsbewegung aus dem Darminnern in die Darmwandungen dar- stellen kann. Die Ursache für eine Flüssigkeitsbewegung ist ja nie ein allseitiger Druck, sondern stets eine Druckdifferenz, wir müssen uns daher nach Kräften umsehen, welche eine solche Druckdifferenz erzeugen zwischen Darminnern und Darmwandung, und solche haben wir bei der anatomischen Betrachtung in der glatten Darmmusculatur kennen gelernt. Wenn Ham- burger in seinen Versuchen den Druck nur im Innern des Darmes künst- lich erhöhte und dann eine beschleunigte Resorption fand, so stellte er allerdings eine Druckdifferenz her. Dieser Vorgang ist aber nicht zu ver- gleichen mit einer physiologischen Erhöhung des intestinalen Druckes, etwa durch verstärkte Wirkung der Bauchpresse, denn eine solche stellt keine Druckdifferenz zwischen Innenflüssigkeit und Darm- wandung her. Ebenso wenig bewirkt ein Absinken des intestinalen Druckes direct eine Verminderung der Resorptionsgrösse, wie sie Hamburger durch eine Verminderung des Druckes nur im Darminnern experimentell nachweisen konnte. Der intestinale Druck kann allerdings indirect bei der Resorption wirksam werden, wenn durch die Wirkung anderer Kräfte Orte niederen Druckes in der Darmwand erzeugt und unterhalten und damit eine Druckdifferenz zwischen der Innen- und der Aussenseite der Darm- epithelschicht hergestellt wird. Dann muss es zu einer Filtration des Darminhaltes durch das durchlässige Protoplasma der Epithelzellen kommen, bezw. durch die Kittsubstanz nach dem Orte, wo durch andere Kräfte der intestinale Druck unwirksam gemacht ist, und wir haben in der Musculatur der Zotten schon solche Kräfte kennen gelernt. Der Durchtritt von Indigo- carminlösung durch die Epithelien in die Chylusgefässe der Zotten beweist ganz schlagend das Vorhandensein von Druckdifferenz zwischen Zotten- innern und Darmlumen, da die lebenden Darmepithelien kein Lösungsver- mögen für Indigocarmin besitzen und osmotische Aufnahme dieses Farb- stoffes daher unmöglich ist. Aus dem gleichen Grunde nehmen auch die Pflanzenzellen kein Indigocarmin auf, selbst nicht aus concentrirten Lösungen, Bkı NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 26: dagegen lässt sich auch durch eine Lage von Pflanzenzellen die Indigo- lösung leicht durchfiltriren unter Druck. Dies ist wohl der beste Beweis, dass eine Membran, die einem Körper den osmotischen Durchtritt ver- weigert, sich deshalb noch nicht wie eine halbdurchlässige Membran ver- hält, welche bei einer Filtration unter dem höchsten Druck nur Wasser durchtreten lässt. Wenn ein Filtrationsdruck die Flüssigkeit aus dem Darminnern in die Chylusgefässe treibt, so werden wir verlangen müssen, dass alle erystalloiden Stoffe ohne Unterschied in die Chylusgefässe aufge- nommen werden, und wenn sie im Ductus thoracicus nicht zu finden sind, so müssen sie die Chylusgefässe nachträglich verlassen haben. Nicht richtig ist dagegen die Forderung Heidenhain’s, dass ein Filtrat genau die chemische Zusammensetzung der Ausgangsflüssiekeit haben müsse. Sehen wir von einer so starken Absorption von Stoffen, wie sie Thierkohle, Quarz und besonders Erdboden bei der Filtration zeigen, auch ab, so genügt bei colloiden Stoffen schon ein blosses Filtriren durch Filtrirpapier, um be- trächtliche Differenzen zwischen der zuerst durchlaufenden Lösung und den späteren Portionen zu bewirken; durch Filtration durch eine Thonzelle kann man Eiweisslösungen fast quantitativ von Eiweiss befreien, und wir können daher nicht als einen Grund gegen angenommene Filtration geltend machen, wenn Eiweisslösungen im Darm während der Resorption eine stete Ein- diekung erfahren, wie thatsächlich beobachtet wird. Mit Unrecht hat daher Heidenhain den geringeren Eiweissgehalt der Lymphe als Grund ange- führt, dass es sich um kein Transsudat aus dem Blute handeln könne, denn warum sollen wir annehmen, dass thierische Membranen Chloride leichter durchfiltriren lassen müssen, als Filtrirpapier. Immerhin werden wir erwarten müssen, dass auch Eiweiss aus dem Darminhalt in die Chylusgefässe gelangt, wenn wir die Zotten wie eine Pumpe wirken lassen ; wenn wir trotzdem keine Vermehrung des Eiweisses im Ductus thoracicus finden, so liegt es daran, dass aus den Capillaren sämmtliche Salze und Wasser im Verhältniss der Chyluszusammensetzung durch Osmose in die Chylusgefässe übertreten müssen in der langen Zeit, welche vergeht, bis der langsam fliessende Chylus von der Zotte bis in den Ductus thoracieus gelangt ist. Beschleunigen wir den osmotischen Uebertritt von Wasser und Salz aus dem Blut in die Chylusgefässe, indem wir concentrirte Nähr- lösungen durch die Zottenpumpe aufsaugen lassen, und beschleunigen wir damit auch die Schnelligkeit des Chylusstromes so, dass zu einem völligen osmotischen Austausch keine Zeit mehr bleibt, so treffen wir thatsächlich Zucker, Eiweiss, alle Salze, welche wir in den Darm bringen, in vermehrter Menge im Chylus an, alles Stoffe, die durch Lebenskräfte der Epithelien aufgenommen und durch unbekannte Kräfte in die Blutcapillaren befördert werden sollen, Dass ein Transport der Eiweisskörper durch die Chylusgefässe bisher nur 264 Hans FRIEDENTHAL: bei excessiver Eiweissfütterung hat nachgewiesen werden können, liegt nur daran, dass bisher kein Mittel bekannt war, um das verfütterte Eiweiss und das Körpereiweiss chemisch zu unterscheiden und so die Wege, auf welchen die Aufnahme erfolgt, unzweifelhaft zu machen; dem Fett glaubte man eine Sonderstellung einräumen zu müssen und die Versuche mit Farb- stofflösungen blieben bei der Discussion der Resorptionswege entweder un- beachtet, oder erfuhren die Deutung (so durch Starling! und Tubby), dass auch diese durch die Capillaren aufgenommen und erst secundär in die Chylusgefässe wieder abgeschieden würden. Eine Betrachtung des Zotten- baues zeigt aber, dass noch nicht die Hälfte der Zottenepithelzellen mit Capillaren in directer Berührung stehen, wie selbstverständlich ist, da die Capillaren ein Netzwerk, die Epithelzellen dagegen einen zusammenhängenden Ueberzug über die Zotte darstellen. Da ausserdem noch eine zusammen- hängende Membran, die Zottenmembran, sämmtliche Epithelzellen von den übrigen Zottenbestandtheilen trennt, ist eine directe Ueberführung der aus den Epithelzellen tretenden Stoffe nur in die Blutcapillaren mit Umgehung der ersten Lymphwege oder Chylusspalten aus anatomischen Gründen eine Unmöglichkeit. In seinen früheren Arbeiten über die Fettresorption hatte sich Heidenhain? der Brücke’schen Ansicht von einer offenen Communi- cation zwischen Darmlumen und Chylusgefässen angeschlossen, indem er die Epithelzellen als von Hohlräumen durchzogen ansah. Durch lange, ebenfalls hohle Ausläufer sollten diese Zellen mit den Ausläufern der Bindegewebs- zellen in directer Verbindung stehen. Da er in die Bindegewebszellen hinein den Anfang der Chylusgefässe verlegte, so glaubte er eine offene Communication zwischen Darmlumen und Chylusgefässen nachgewiesen zu haben, wenigstens für Frosch und Kaninchen. Trotzdem glaubte er nur für Fett an einen Uebertritt in die Chylusgefässe durch diese offen communi- cirenden Röhren. Durch die Untersuchungen Rindfleisch’s? wurde die directe Verbindung von Darmzellen und Bindegewebszellen sehr unwahr- scheinlich, doch ist wohl interessant, dass die schon aus dem Alterthum stammende Ansicht, dass die Chylusgefässe offen mit dem Darmlumen communiciren, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts sich erhalten hat. Bei der Annahme einer offenen Communication sollte doch der Uebertritt sämmtlicher im Darmlumen vorhandener, gelöster Stoffe in die Chylusgefässe als selbstverständlich erscheinen, ebenso wie bei einer Filtration, die doch durch den histologischen Bau der Zotte so wahrscheinlich gemacht wird. ı A.3.0. ®? Moleschott’s Untersuchungen. 1858. Bd. IV. 8.251. . 3 Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie. Bd. XXX. 8. 603. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 265 Bei einer Pumpwirkung während der Zottencontraction wird Ham- burger’s intestinaler Druck eine grosse Rolle spielen, da die Druck- differenz, von der die Filtrirschnelligkeit abhängt, zwischen Darminhalt und Chylusgefäss um so grösser werden muss, je höher der Druck im Darm- lumen war. Wenn daher die Athemmuskeln auch keinen direeten Einfluss auf die Resorption ausüben können, ist ihnen doch der indireete Einfluss während der Thätigkeit der glatten Musculatur keineswegs abzusprechen, ja der indireete Einfluss der Athmung auf die Aufsaugung im Darm erstreckt sich sogar viel weiter, als auf die blosse Erzeugung des intestinalen Druckes. Wir müssen die Druckschwankungen in den grossen, die Leibeshöhle durch- ziehenden Venen in gleicher Weise berücksichtigen, wie die von der Zotten- musceulatur herrührende Druckverminderung in den Chylusgefässen und ebenso müssen alle bei der Weiterbeförderung des Chylus betheiligten Faetoren ihren Einfluss auf die Schnelligkeit der Aufsaugung aus dem Darm geltend machen. Da das Venensystem nie prall gefüllt ist, so saugt jede Inspiration nicht nur Luft durch die Trachea in die Lunge, sondern auch Blut aus den Leibeshöhlengefässen in die grossen Venen des Brust- korbes und erhöht damit den negativen Druck, der in diesen Gefässen herrscht, und ebenso vermindert sich der negative Druck in diesen bei jeder Exspiration. Wie bei der sich erweiternden Zotte haben wir also. den intestinalen Druck wirksam auf die Flüssigkeit im Darm, einen geringeren Druck jenseits der Epithelzellenschicht, und diese Druckdifferenz wird ein Filtriren von Darminhalt in die Gefässe unterstützen müssen, wenn nicht das aus dem Arteriensystem nachrückende Blut sofort im Stande ist, die Druckänderung in den Venen auszugleichen. An und für sich wird ein solcher Ausgleich meist momentan erfolgen können; wenn aber durch Con- traction der Darmzotten die Zottencapillaren comprimirt sind, wird das Blut direet verhindert, aus den Zottenarterien in die Zottenvenen überzugehen und der negative Druck im Venensystem wird voll als Filtrationsdruck zur Geltung kommen müssen. Der Effect muss sein, dass während der Streckung der Zotte, bei welcher sich der Druck im Chylusgefäss erhöht, Flüssigkeit aus diesem in die kleinen Venen übergeht, wobei es nicht noth- wendig ist, dass das im Chylus emulgirte Fett mit durch die Wandungen der Blutgefässe filtrirt. Letzteres ist sogar nicht wahrscheinlich, da Munk und Rosenstein (21) fast die gesammte Menge des resorbirten Fettes in dem Chylus einer Patientin wieder fanden. Ebenso wenig braucht in die Chylus- gefässe aufgesogenes Nahrungseiweiss durch Filtration in demselben Ver- hältniss in die Blutgefässe überzugehen, wie das lösende Wasser. Direct beweisen lässt sich der Uebergäng von Stoffen aus dem Darmlumen in die Blutgefässe vermittelst Filtration durch das schnelle Erscheinen der in den Darm gebrachten Stoffe im Blutgefässsystem. Jodkalium lässt sich 5 Minuten 266 Hans FRIEDENTHAL: nach Einbringung in den Darm in der Jugularvene nachweisen, es muss also in dieser Zeit die Epithelzellen, die Zottenmembran und die Wand der Blutgefässe durchwandert haben, was auf osmotischem Wege in so kurzer Zeit nicht möglich erscheint, da selbst aus concentrirter Kochsalzlösung das Kochsalz eine viel längere Zeit beansprucht, um eine dialysirende Membran zu passiren. Heidenhain berechnete allerdings für die Durchtritts- geschwindigkeit resorbirter Lösungen nur eine Flüssigkeitsbewegung von 0.0001 "= in der Secunde, allein bei der Langsamkeit der Diffusion wäre selbst diese Geschwindigkeit noch zu gross, um das schnelle Erscheinen des Jodkaliums nur durch osmotische Kräfte erklären zu wollen. Heiden- hain berechnete die Geschwindigkeit aus der Beschleunigung, welche der Chylusstrom im Ductus thoracicus während der Resorption erfährt und machte sich damit einer Inconsequenz schuldig, da er ja sonst nur durch die Capillaren die Aufnahme aller Stoffe mit Ausnahme der Fette be- wirkt werden liess; die nothwendige Aufsaugung von Flüssigkeit aus dem Chylussystem in das Blutgefässsystem durch den negativen Druck in den Bauchvenen lässt aber erkennen, dass die Schnelligkeit des Chylus im Ductus thoracieus überhaupt. keinen Maassstab für die Grösse der Resorp- tion aus dem Darm und damit für die Geschwindigkeit des Flüssigkeits- durchtrittes durch die Darmwandungen abgeben kann. Bei wirklichem Uebertritt von Chylusflüssigkeit in das Blutgefässsystem innerhalb der Darmwandungen kann es selbst während der Aufsaugung aus dem Darm sogar zu einer Verlangsamung des Chylusstromes im Ductus thoracicus kommen, besonders wenn bei Aufnahme von sehr wasserhaltigen Darm- flüssigkeiten auch der osmotische Stoffaustausch mit dem Blutserum zu einem Wasserübertritt aus den Chylusgefässen in die Blutgefässe und damit zu einer Verminderung der Chylusmenge führen muss. Dann würde sich nach der Heidenhain’schen Berechnung sogar ein negativer Werth für die Durchtrittsgeschwindigkeit der resorbirten Lösung durch die Chylusgefäss- wandung ergeben müssen. Daher fand Heidenhain! die Beschleunigung des Chylusstromes durch ergiebige Wasserresorption so gering, dass er zu der Annahme geführt wurde, dass der Chylus nur ein Secret der Zottencapillaren sei, die ganze Resorption allein durch die Blutgefässe vermittelt werden müsse, die durch ihre periphere Lage auch allein dazu geeignet sein sollten. Die Begünstigung, welche die Resorption im Darm durch die An- saugung von Chylusgefässinhalt in die Venen erfährt, ist einer quanti- tativen Berechnung leider noch unzugänglich, so dass wir uns vor- läufg mit der Erwähnung dieses Factors begnügen müssen. Dass dieser A: 0. Ber NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 267 Factor ein äusserst wichtiger ist, können wir daraus ersehen, dass die Auf- saugung im Darm zwar erschwert, aber nicht unmöglich gemacht wird nach Unterbindung des Ductus thoracieus bei Aufsaugung von Blutserum desselben Thieres, wo die osmotische Stoffaufnahme durch die Körperzellen wegen der geringen osmotischen Differenzen rechnerisch nicht in Betracht gezogen werden kann. Wenn Hamburger! dagegen selbst die Aufsaugung aus der Peritoneal- höhle unverändert fand nach Unterbindung des Ductus thoracicus, so ist dazu zu bemerken, dass die ganze rechte Seite des Zwerchfelles und die rechte Hälfte der Wandungen der Leibeshöhle ihre Lymphe gar nicht in den Ductus thoraeieus ergiesst und ferner, dass die Einmündungsstellen der vier grossen Lymphstämme nicht die einzige Communication zwischen Lymphsystem und Blutgefässsystem darstellen. Je nach den augenblicklichen Verhältnissen wird eine Drucksteigerung im Arteriensystem ein Uebertreten von Flüssig- keit aus den Capillaren in die Lymphgefässe, eine Drucksteigerung im Lymphgefässsystem einen Uebertritt von Lymphe aus den Lymphwegen in das Blutgefässsystem zur Folge haben. Wie hoch die Drucksteigerung in den Anfängen der Lymph- und Chylusgefässe sich beläuft nach Unter- bindung des Ductus thoracicus, können wir wegen der zahlreichen, zwischen- geschalteten, widerstandreichen Lymphdrüsen nicht messen. Im Ductus thoracicus kann man Drucke bis zu 28 "m Quecksilber beobachten. Gewöhn- lich staut sich nach Unterbindung desselben der Chylus in dem Maasse an, dass Extravasate entstehen und alle Lymphbahnen sich prall angefüllt zeigen. Jedenfalls können wir in diesem Falle für die Lymph- und Chylus- wege einen höheren Druck annehmen, als er in den Capillaren und kleinen Venen herrschen muss, so dass die resorbirte Flüssigkeit secundär in die Blutgefässe übertreten wird, wenn ihr der weitere Weg in den Chylusbahnen versperrt wird. Wir können aber aus der Fortdauer der Resorption nach Unterbindung des Ductus thoracieus nicht den Schluss ziehen, dass die Lymphwege bei der Resorption keine Rolle spielen, zumal die Resorption sehr beträchtlich verlangsamt wird, wenn wir nicht durch hohen Ueberdruck die Versuchslösung direct in das Blutgefässsystem hineinfiltriren. Ham- burger hatte die Bauchhöhle seiner Kaninchen wasserdicht mit dem Druckgefäss in Verbindung gebracht und bemerkte dann keine erhebliche Ab- nahme der Resorption nach Abbindung des Ductus thoracieus; Adler (100) und Meltzer dagegen hatten bei kleinen Flüssigkeitsmengen völliges Ver- schwinden der Aufsaugung nach demselben Eingriff beobachten können. Für die physiologische Aufsaugung kommen so kleine Druckunterschiede durch die Thätigkeit der Zottenmusculatur und durch die Ansaugung in N232.0,; 268 Hans FRIEDENTHAL: das Venensystem in Folge der Athembewegungen in Betracht, dass für sie die letzteren Versuche maassgebend sein müssen, d.h. die physiologische Aufsaugung auch im Darm wird durch Behinderung des Chylusabflusses behindert, durch Begünstigung der Chylusbeförderung aber verstärkt werden. Es werden also alle bei der Lymphbeförderung wirksamen Kräfte auch bei der Resorption aus dem Darm eine begünstigende Rolle spielen. Diese den Chylus befördernden Kräfte bilden ein neues Moment für die steten Schwankungen der Aufsaugung im Darm und erhöhen die Zahl der Fac- toren, welche bei dieser berücksichtigt werden müssen. In der Contraction der Zottenmusculatur haben wir den ersten Factor für die Fortbewegung des Chylus kennen gelernt, wenn wir auch beim Menschen keine Entschei- dung dafür haben, ob die Extension oder die Contraction der Zotte die Austrei- bung des Chylus aus derselben bewirken. Vor Allem maassgebend für das Fortrücken des Chylus wird sein steter Ersatz durch Transsudation aus den Blutgefässen sein, wobei der wechselnde Blutdruck in den Capillaren und die wechselnde Durchlässigkeit der Capillarwandungen in Folge Nerven- reizung und in Folge directer chemischer Reizung sich vor Allem bemerkbar machen wird. Je intensiver die Transsudation aus den Capillaren in die Chylusgefässe vor sich geht, desto schneller muss die eingesogene Darm- flüssigkeit auch ohne osmotischen Austausch die mittlere chemische Zu- sammensetzung des Chylus annehmen und so die Thatsache der Aufsaugung durch Filtration nicht mehr erkennen lassen. Dass die Epithelzellenschicht der Zotten leicht einem geringen Filtrations- druck nachgiebt, dafür liegt der deutliche Beweis in der Wirkung mancher Abführmittel, bei denen die Transsudation in den Darm noch lange an- dauert, wenn nach Entfernung der reizenden Lösung durch die ebenfalls angeregte Peristaltik von einer osmotischen Wasseranziehung in den Darm nicht mehr die Rede sein kann. So erregt bekanntlich eine ganz schwache, also stark hypotonische Sublimatlösung eine solche Flüssigkeitsergiessung in den Darm, dass eine vollständige Wasserverarmung des ganzen Körpers die Folge sein kann, und ähnlich ist die Wirkung von Bitterwässern bei em- pfindlichen Personen. Auch hier kann ein einziges Glas die Entleerung von 4 bis 6 copiösen, wasserreichen Stühlen zur Folge haben, besonders wenn die Vasodilatatoren der Zottencapillaren in einem Zustand patho- logischer Reizbarkeit sich befinden. An eine rein osmotische Wirksamkeit eines abführenden Mittels werden wir um so weniger denken dürfen, da hypotonische Kochsalzlösungen, wie auch ganz verdünnte Lösungen anderer Abführmittel wirksam sind, wenn sie nur in genügen der Menge einverleibt werden. Wenn die Darmepithelschicht in der Richtung nach dem Darmlumen hin so leicht von Flüssigkeiten durchdrungen wird, werden wir für einen BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 269 Filtrationsdruck in entgegengesetzter Richtung kein anderes Verhalten erwarten dürfen, obwohl nicht jede Membran in zwei entgegengesetzten Richtungen denselben Widerstand gegen Filtration besitzt. Für die Epithel- schicht im Darm werden wir eher auf eine leichtere Durchgängiekeit in der Richtung nach den Chylusgefässen aus ihrer physiologischen Function schliessen müssen. Das Eindringen von Flüssigkeit aus dem Darmlumen und aus den Capillaren genügt noch nicht, um das stetige Vorrücken des Chylus zu bewirken. Der Klappenapparat an den Chylusgefässen bewirkt, dass jede Verschiebung der Theile, in welchen die Chylusgefässe eingelagert sind, jeder wechselnde Druck in den Bauchorganen, durch deren active und passive Bewegungen erzeugt, stets ein Fortschreiten des Chylus zur Folge haben muss, da der Rückfluss verhindert ist; auch die glatte Musculatur in den Chylusgefässen, für die wir doch eine Function uns denken müssen, wird wohl mit in diesem Sinne thätig sein. Ebenso müssen die Dilata- tionen der Gefässe, deren Wandungen von Lymphsäcken umscheidet sind, zur Verengerung des dem Chylus zur Verfügung stehenden Raumes und damit zur Weiterbeförderung desselben Veranlassung geben, so dass wir auch den Blutdruck und die glatte Musculatur der Gefässwandungen zu den Factoren rechnen müssen, deren Variation Veränderungen in der Chylusbewegung zur Folge hat Die Athembewegungen, besonders die Zwerchfellcontractionen, sind durch die ständige Verschiebung der Bauch- eingeweide in hohem Maasse am Chylustransport betheiligt; am schönsten lässt sich dieser Einfluss aber für die Darmperistaltik nachweisen, welcher auch der grösste Einfluss unter den genannten Factoren auf die Aufsaugung aus dem Darme zukommt. An dem Darm einer Katze, die in Fettresorption begriffen war, be- obachteten C. Voit (58) und Bauer das stossweise Einströmen von milch- weissem Chylus in die vorher unsichtbaren Chylusgefässe, als sie beim Anfassen der Därme durch die mechanische Reizung starke Peristaltik bewirkten. Das gleiche Phänomen kann man auch beobachten, wenn man Farblösungen in abgebundene Darmschlingen injieirt und dann durch Anregen von Peristaltik die Aufsaugung beschleunigt. Bei diesem Versach ist allerdings die Peristaltik nicht nur durch Auspressen der Chylusgefässe in den Darmwandungen thätig, wie oben beschrieben, sondern da der Darminhalt nicht ausweichen kann, erzeugt die Peristaltik noch einen beträchtlichen, auf die Darmiflüssigkeit ausgeübten Filtrations- druck. Einen solchen will Bauer awtch physiologischer Weise thätig sein lassen bei der normalen Peristaltik, indem er sich denkt, dass das zu resorbirende Eiweiss durch den Druck der sich zusammenziehenden Därme in die Epithelschicht förmlich eingepresst wird. Dies ist im normalen Darm wohl schon deshalb nicht möglich, weil für gewöhnlich so schwache 270 Hans FRIEDENTHAL: peristaltische Wellen den Darm durchlaufen, dass manche Autoren die Darmperistaltik stets als eine Folge von Darmreizung aufgefasst wissen wollten. Ein Typus der Peristaltik, der die Verhältnisse der doppelseitig abgebundenen Darmschlinge wiedergiebt, indem zwei Stellen sich contrahiren bis zum Verschluss des Darmrohres, so dass der Inhalt, am Ausweichen verhindert, nur bei der Contraction des Mittelstückes einen beträchtlichen Druck erleidet, ist bisher von Niemand beobachtet worden, so dass auch das mechanische Einpressen von Eiweiss in die Darmwandung, wie es Bauer! beschreibt, nicht sehr wahrscheinlich ist. Der hohe Druck auf den Inhalt einer Lösung in einer abgebundenen Darmschlinge durch Peristaltik kann bei Resorptionserscheinungen leicht zu Täuschungen Anlass geben, da er die Resorption von Lösungen durch Filtration in die Chylusgefässe und Capillaren bewirken wird, wo unter physiologischen Verhältnissen es zu einer schnellen Weiterbeförderung durch den Darm in Folge der erregten Peri- staltik und zu Flüssiekeitsausscheidung in das Darmlumen kommen müsste. Die leisen peristaltischen und antiperistaltischen Wellen unter physiologischen Verhältnissen kommen wohl für die Auspressung des Chylus aus der Darm- wand und damit auch für die Ansaugung aus dem Darm in Betracht; für die Erzeugung eines Filtrationsdruckes auf den Darminhalt sind sie aber wohl nicht kräftig genug. Desto grösser ist derjenige Einfluss der Darm- peristaltik auf die Resorption der Nahrung zu veranschlagen, den sie durch die ständige Durchmischung und vor allem durch die Regelung der Aufenthalts- dauer der Nahrung im Darm ausübt. Bei der Langsamkeit der osmotischen Vorgänge wäre eine genügende Nahrungsaufnahme selbst bei dem geringen Nahrungsbedürfniss der Cölenteraten sehr erschwert, wenn nicht durch den Schlag der Geisseln für eine immer erneute Zufuhr von Nährflüssigkeit gesorgt würde. Bei den höheren Wirbelthieren dürfen wir dem Stäbchen- saum der Epithelzellen eine solche Function nicht zuschreiben, da diese Stäbchen in einer gallertartigen Substanz eingebettet sind, die durch ihre Reduction von Silbernitrat ihre Zugehörigkeit zu den Glycoproteiden sehr wahrscheinlich macht. Hier sorgt eben die Darmperistaltik für eine fortwährende Durchmischung und für einen beständigen Wechsel der resorbirenden Oberfläche. Damit nicht genug, sorgt die Antiperistaltik dafür, dass nicht ausnutzbare Nahrung zu früh den vor Allem resorptions- fähigen Dünndarm verlässt und dem Körper verloren gehe. Seit dureh Grützner für Kochsalz die regelmässige Erzeugung antiperistaltischer Wellen nachgewiesen wurde, ist die resorptionsbefördernde Wirkung von Kochsalzgaben verständlicher geworden. Unresorbirbare Nahrungsbestand- theile erzeugen keine Antiperistaltik und werden deshalb auch nicht unnütz 1A.2: 0. = ® BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KrÄFTE 271 lange im Darme festgehalten, sondern bald in den Dickdarm befördert. Ein eigenartiger Mechanismus sorgt also dafür, dass die verschiedenen Nahrungsstoffe die zur Aufsaugung nöthige Zeit im Darme verweilen. So lange noch Nahrungsstoff in der Lösung vorhanden, wird dieser bei der Resorption in der Darmwandung antiperistaltische Wellen erzeugen und so ein schnelles Vorrücken des Darminhaltes verhindern, findet sich dagegen ein schädlicher Stoll im Darmcanal, so sucht dieser durch schnelle Weiterbeförderung die Resorption möglichst zu beschränken. Abgesehen von speciellen Giften, wirkt jeder Stoff schädlich, dessen Wasseranziehung der des Plasmas gegenüber erosse Differenz aufweist, wir werden daher vermuthen können, dass alle löslichen Nahrungsstoffe in zu hoher Concen- tration wegen der zu starken Wasseranziehung schädlich und daher auch Peristaltik erregend wirken müssen. Wir werden vermuthen können, dass diese Peristaltik der Darmmuseulatur auf refleetorischem Wege durch den Berkley’schen Nervenplexus der Zotten schon dann erregt wird, wenn die zu eoncentrirende Nähr- oder Giftlösung in die Zottenchylusgefässe eingesogen wird, denn auf dem Wege zu diesen muss sie unbedingt mit Nervenfasern oder sogar mit Ganglienzellen in Berührung kommen. Durch die Trans- sudation aus den Zottencapillaren und die ebenfalls reflectorisch beschleu- nigte Peristaltik wird der schädliche Körper zugleich verdünnt und schnell aus dem Darm herausbefördert. So erscheint die Verdünnung zu con- centrirter Lösungen im Darm nicht nur als Folge eines osmotischen Zu- strömens von Wasser zum Darmlumen in Folge der Wasseranziehung des gelösten Körpers, sondern complieirt mit einer Transsudation in den Darm, die auf refleetorischem Wege von den Zottennerven aus unterhalten wird, so lange die Vasodilatatoren der Zottengefässe gereizt, bezw. die Vasocon- strietoren gelähmt. sind. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht der Umstand, dass eine Reihe von Stoffen, wie Crotonöl, Senföl, stärkste Trans- sudation in den Darm erzeugen, ohne dass osmotische Wasseranziehung in Betracht kommen könnte. Wir werden solche reflectorische Transsudation von allen Stoffen erwarten müssen, die Nervenfasern oder Nervenzellen zu reizen im Stande sind. Dazu gehören in erster Linie alle eiweissfällenden Mittel, aber auch bei den Salzen, besonders den Sulfaten, kommt ihre Fähigkeit, in concentrirten Lösungen Eiweisskörper auszufällen, in Betracht. Manche Salze, die eine besonders ätzende Wirkung ausüben, wie Calcium und Barytsalze, erregen die Musculatur nicht in der oben geschilderten Weise, sondern sie erzeugen einen tonischen Krampf von solcher Heftigkeit, dass das Darmlumen völlig verschwindet und ein Eindringen der Lösung ver- hindert wird. Hier hilft sich also der Körper in der gleichen Weise, wie er sich beim Einathmen irrespirabler Gase durch Glottiskrampf gegen Eindringen der Schädlichkeiten zu schützen sucht. 272 Hans FRIEDENTHAL: Die verschiedene Art und Grösse der von einer in den Darm gebrachten Substanz erregten Peristaltik ist ein maassgebender Factor bei Beurtheilung der Frage, ob ein Körper sich begünstigend oder hemmend für die Resorption der Nahrung erweisen wird, denn alle Körper verhindern in Mengen, welche starke Peristaltik erregen, die Aufsaugung des Darminhaltes durch zu schnelle Herausbeförderung und begünstigen in solchen Mengen, welche nur schwache, peristaltische und antiperistaltische Wellen erzeugen, erheblich die Auf- saugung, durch Anregung der Zottenpumpwirkung, durch Austreiben des Chylus aus der Darmwandung und durch Ansaugung von neuem Darm- inhalt in die Chylusgefässe, wenn bei der Dilatation des Darmes die leer- gewordenen Chylusgefässe der Museularis durch ihre passive Erweiterung zum Nachströmen von neuem Chylus aus den Zotten Veranlassung geben. Man könnte ja die Frage aufwerfen, ob nicht gerade umgekehrt die Chylus- gefässe bei der Contraction des Darmes sich erweitern und bei der Dila- tation sich verengern müssen, wie es von den Capillaren in den quer- gestreiften Muskeln bekannt ist; allein die Beobachtung von Voit! und Bauer über das Hervorschiessen von Chylus bei der Darmeontraction zeigt, dass dies nicht der Fall sein kann. Ist die Peristaltik völlig ausgeschaltet, etwa durch Lähmung der Musculatur oder der Nerven, werden wir bei der mannigfaltigen Art der Einwirkung der Peristaltik auf die Aufsaugung im Darm eine erhebliche Beeinträchtigung der letzteren erwarten, und bei Versuchen über Resorption stets die Art und Grösse der erregten Peri- staltik mit in Rechnung ziehen müssen. Die Grösse der letzteren hängt nicht bloss von der Concentration und Art der zu resorbirenden Lösung, sondern in gleicher Weise von der Reizbarkeit der Nervenfasern und Muskel- zellen und damit vor Allem von der Beschaffenheit der Blutflüssigkeit im Körper ab. Viel weniger als alle bisher erwähnten Factoren, die bei der Aufsaugung der Nahrung aus dem Darm thätig sind, kommt die amöboide Form der Aufnahme kleinster Partikel für die physiologischen Verhältnisse in Betracht, wenn auch einzelne Zellen des Wirbelthierkörpers sich diese Function der niedersten thierischen Organismen noch bewahrt haben. Von dem Stäbchensaum der Epithelzellen haben wir gesehen, dass er wegen der gallertartigen Zwischensubstanz zwischen den cilienähnlichen feinen Stäbchen ° nicht für die amöboide Aufnahme in Betracht kommen kann, dagegen werden die Leukocyten mit ihrer amöboiden Beweglichkeit an den Stellen zur Aufnahme fester Partikel befähigt sein, wo sie direct mit dem Darm- inhalt in Berührung treten. Dies ist z. B. beim Kaninchen der Fall an der Kuppe der Peyer’schen Noduli, welche bei diesem Thier nicht in der Submucosa gelegen sind, sondern zur Hälfte in das Darmlumen hineinragen. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE 273 Die Kuppe ist wohl mit Epithel überzogen, aber es findet oft eine so starke Durehwanderung von Leukocyten aus diesen Noduli in den Darm statt, dass man von einer zusammenhängenden Epithelschicht nicht mehr reden kann, sondern die Leukocyten (relegenheit haben, kleine Partikel des Darm- lumens durch amöboide Bewegungen in sich aufzunehmen. Bei der Taube fand ich in den zwei blindsackförmigen Rectalausstülpungen Lymphknötchen mit Keimcentren, welche ganz ohne stützende Epithelschicht mit dem Lumen der Blindsäcke communicirten und daher wahrscheinlich auch zur Auswanderung von Leukocyten in den Darm Veranlassung gaben. Beim Kaninchen fand Birozzew! die grösseren Leukocyten in den Nodulis an- gefüllt mit Bakterien, manchmal in so grosser Zahl, dass, nach Gram gefärbt, die ganzen Zellen grossen Bakterienklumpen glichen. Derselbe Befund wurde unabhängige von ihm fast zur gleichen Zeit von Ribbert? gemacht, und ebenso konnte Marie Wassilieff-Kleiman? den directen Nachweis der Bakterienaufnahme in die Darmleukocyten führen. Beim Kaninchen fand letzterer Autor auch die Aufnahme von Tuschekörnchen und Carmin in die Leukocyten sowohl wie die Epithelzellen. Letzterer Befund muss sehr überraschen, da nach den sorgfältigsten Untersuchungen zahlreicher Forscher die Aufnahme ungelöster Stoffe im Darm, abgesehen von Fett, nicht nachzuweisen ist. Die Aufnahme von Carmin ist nicht beweisend, da alkalische Lösungen Carmin aufnehmen und daher gelöstes Carmin aufgenommen und erst in der Zelle in einer unlöslichen Verbin- dung wieder abgeschieden sein könnte, wie das gerbsaure Methylenblau in der Spirogyrazelle. Für Tuschekörnchen ist aber eine Aufnahme auf osmo- tischem Wege nicht denkbar, da keine Körper vorhanden, die ein Lösungs- vermögen für Kohle besitzen. Indigo und Zinnoberkörnchen wurden in keinem Falle m den Zellen wiedergefunden. Eine ganze Reihe von Autoren hat sich ebenfalls für die Möglichkeit der Aufnahme fester Körper ausgesprochen, sv Herbst, Marfels und Moleschott, Levin, Holländer, Auspits und Weintraud.* Ihnen stehen aber die Angaben so gewissenhafter Forscher, wie Heidenhain, Arnold, Donders, Tiedemann und Gmelin gegenüber, die niemals einen fein pulverisirten Körper in den Darmepithelien oder im Chylus wiederfinden konnten. Früher, als man die Zotten noch durch weite Stomata mit dem Darmlumen in- offener Communication stehen liess, hielt man allerdings die Resorption nur sus. pendirter Körper für selbstverständlich. Die Frage nach der Resorption 1 Medicinisches Centralblatt. 1885. S. 801. ® Archiv für pathologische Anatomie. 1893. Bd. CXXXIL S. 66. ? Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XXVIl. 8.191. * Litteratur siehe bei Opel, Lehrbuch. 8.511. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 18 DT74 HANS FRIEDENTHAL: ungelöster Körper hat so viele Forscher beschäftigt, trotz ihrer Unerheb- lichkeit für die physiologische Aufsaugung im Darm, weil man mit ihr auch die Frage nach der Fettresorption zu lösen hoffte. Allgemein wurde ange- nommen, dass das Fett im Darmecanal nicht in Lösung übergeführt würde und auch in ungelöstem Zustand die Darmwand passiren müsste. Wenn man aber den Darm eines in starker Fettverdauung befindlichen Hundes öffnet, so findet man der Epithelschicht anhängend nicht festes Fett, son- dern eine gelbe Lösung. In Galle kann man auch im Reagensglas fein vertheiltes Fett in Lösung bringen bei Anwesenheit von Pankreassecret, auch ist schon früher auf die osmotische Aufnahme von Fett in Pflanzen- zellen hingewiesen, bedingt durch die Anwesenheit fettlösender Stoffe im Plasma. Wir können also nicht mehr die Aufnahme ungelöster Partikelchen in Parallele setzen mit der Aufsaugung der Fette im Darm durch osmo- tische Kräfte oder durch Filtration. Die amöboide Aufnahme ungelösten Fettes durch die Leukocyten kann unmöglich bei der Fettresorption eine beträchtliche Rolle spielen wegen der geringen Anzahl der im Darmlumen befindlichen weissen Blutkörperchen, wenn auch Zawarykin und Schäfer die originelle Theorie aufgestellt haben, dass die Leukocyten die Darmwand durchwandern, sich im Darmlumen mit Fett beladen und so den alleinigen Fetttransport vermitteln sollen. Dagegen ist zu bemerken, dass keine Beob- achtung dafür spricht, dass Leukocyten, die einmal in den Darm gelangt sind, denselben Weg wieder zurückgelegt hätten. Schon wegen des Nachweises des Fettes in den Epithelzellen, den Kittsubstanzen und den Chylusspalten ist an eine alleinige Fettresorption durch Leukocyten nicht zu denken, es ist aber nicht einmal wahrscheinlich, dass die amöboide Aufnahme von Fett im Darmlumen überhaupt in Frage kommt, wenn man die der Darmwand benachbarten Fettschichten in Hüssigem Zustand gefunden hat. Nachdem die Leukocyten lange im Körper gar keine Function auszuüben schienen, bat man sie auf einmal mit einer Fülle von Functionen ausgestattet ge- dacht, die sie schon ihrer geringen Menge wegen gar nicht übernehmen können. Bei der Fettresorption findet man allerdings oft auch die zahl- reichen Leukocyten der Darmwandungen angefüllt mit Körnchen, die sich mit Osmium schwarz färben, und die deshalb für resorbirtes Fett gehalten wurden, bis Heidenhain zeigte, dass diese Körnchen nicht in Aether und Benzol löslich, und deshalb auch kein reines Fett sein können. Wenn fast alles Fett in feinst emulgirtem Zustande im Chylus wieder gefunden werden kann, ist eine beträchtliche Aufnahme durch die Leukocyten recht unwahrscheinlich, da wir doch nicht werden an- nehmen wollen, dass alle Darmleukocyten während der Resorptions- periode molecular zerfallen und so das aufgenommene Fett wieder ab- geben werden. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 275 Hofmeister! glaubte den Leukocyten eine andere Rolle zuschreiben zu müssen als Zawarykin, welcher sie mit der alleinigen Fettaufnahme be- traute. Die weissen Blutkörperchen sollten nämlich alles resorbirte Nahrungs- eiweiss in Form von Pepton in ihr Inneres aufnehmen, dort in Eiweiss zurück verwandeln und später an den ganzen Körper vertheilen bei ihrer Rückkehr in das Blut. Die resorbirten Peptone sollten zunächst von den Leukocyten der Darmwand, was diesen entgeht, von den Leukocyten der Lymphdrüsen, die in die Chylusbahn eingeschaltet sind, abgefangen werden. Da das Gewicht der Leukocyten in der Darmwand bei Weitem nicht aus- reicht, um eine Aufnahme des gesammten Nahrungseiweisses möglich er- scheinen zu lassen, so nahm Hofmeister an, dass durch die Aufnahme der Peptone eine fortgesetzte Theilung der weissen Blutkörperchen angeregt werde und wir so die in der Zeiteinheit gefundene Leukoeytenmenge während einer Respirationsperiode uns vervielfältigt denken müssen. Er verglich die dann erfolgende Vertheilung des rückverwandelten Eiweisses durch die in den Blutstrom zurückkehrenden Leukocyten mit der Vertheilung des Sauer- stoffes im Körper durch die rothen Blutscheiben. Mit Unrecht hat wohl Opel? dagegen geltend gemacht, dass bei der Hofmeister’schen Annahme es von Mitosen in der Darmwand wimmeln müsse. Nicht mitotische, sondern amitotische Theilung werden wir von Zellen erwarten müssen, welche durch die überreichliche Peptonaufnahme so geschädigt worden sind, dass ihr Zerfall in der Blutbahn nicht mehr lange auf sich warten lässt. Die directe Widerlegung findet die Hofmeister’sche Theorie viel- mehr in der Thatsache, dass Pepton, in die Chyluswege eingebracht, nicht verschwindet beim Passiren der eingeschalteten Lymphdrüsen, also von den Leukocyten gar nicht im nennenswerther Menge aufgenommen wird. Zawilsky (129) schätzte ferner die aus dem Ductus thoracicus fliessende Lymphmenge innerhalb 24 Stunden auf etwa 1200 2’ Flüssigkeit bei einem mittelgrossen Hunde. Da der Chylus einen mittleren Eiweissgehalt von 2-1 bis 2.3 Procent hat, müsste eine zehn Mal so grosse Flüssigkeitsmenge den Duetus thoracieus passiren, um die beobachtete Aufnahme von 274 8m trockenen Eiweisses zu erklären. Gegen diesen von Opel? ausgesprochenen Einwand könnte man einwenden, dass die reichliche Aufsaugung von Chy- lus in das Blutgefässsystem innerhalb der Bauchhöhle, wie sie durch die Hamburger’schen Resorptionsversuche unzweifelhaft gemacht ist, keine Berücksichtigung erfahren hat, obwohl durch diese Aufsaugung die aus dem Ductus thoracicus ausströmende Chylusmenge kein Maass mehr ! Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. V u. Archiv für ewperim. Pathologie und Pharmakologie. 1885. Bd. XIX. ?A.2.0. 18% 276 Hans FRIEDENTHAL: abgiebt für die Chylusmenge, die in die ersten Chyluswege aufgenommen worden ist; auch haben wir keinen Grund, anzunehmen, dass alle Leuko- cyten in die Lymphbahnen und nicht direct in die Blutgefässe zurück- kehren. Auch der zweite Einwand Opel’s gegen die Hofmeister’sche Theorie, dass der Flüssigkeitsstrom gelöster Körper gar nicht in die Chylus- gefässe, sondern direct in die Blutcapillaren führt, die gelösten Peptone daher gar nicht in das Zottenstroma hineingelangen können, wegen der peripheren Lage der Capillaren, ist nicht wahrscheinlich, da thatsächlich, wie wir gesehen haben, eine directe Aufsaugung gelöster Stoffe in die Chylusgefässe besteht. Abgesehen von dem misslungenen Nachweis der Aufnahme von Pepton in die Leukocyten, erscheint die Hofmeister’sche Theorie unwahrscheinlich bei einer vergleichenden Betrachtung der Re- sorptionsvorgänge im ganzen Thierreich. Dieselben Kräfte, welche bei den Evertebraten, die keine solche Anhäufung von Wanderzellen im Darm- schlauch zeigen, für die Aufnahme gelöster Eiweisskörper maassgebend sind und die auch bei den einzelligen Wesen die Nahrungsaufnahme ver- mitteln, nämlich die osmotisch wirksamen Affinitäten, müssen auch in den Darmepithelzellen der Wirbelthiere als thätig angesehen werden, und letztere allein kommen auch mit den Darmflüssigkeiten in directe Berührung. Die Zahl der Leukocyten, welche in das Darmepithel eindringen, wächst nicht bei reichlicher Resorption, sondern nimmt ab, und die stärkste Durch- wanderung von Leukocyten finden wir bei Hungerthieren. Während des Winterschlafes und während der Ruheperiode der Fische, welche, im Schlamme eingetrocknet, ein fast latentes Leben führen, kommt es während der langen Inanition zu einer fast völligen Auflösung und Zerstörung des Darmepithels durch die zahlreich durchwandernden Leukocyten. Dieser Vorgang erklärt auch die physiologische Anwesenheit so grosser Wander- zellenmengen im Darm aller Wirbelthiere,. Die Leukocyten sammeln sich im Körper überall, wo Zellen zu Grunde gehen, angelockt durch die An- wesenheit von Stoffen, welche, in lebenden Zellen zurückgehalten, nach dem Tode derselben in die Umgebung diffundiren. Vor Allem ist es von den Kernstoffen, Nucleinen sowohl wie Nucleinsäuren, bekannt, dass. sie ein vor- zügliches leukoeytenlockendes Mittel abgeben. Diese Diffusion von Stoffen, welche für gewöhnlich im Plasma zurückgehalten werden, wird aber nicht erst nach dem völligen Absterben der Zellen einsetzen, sondern jede Schädigung der osmotischen Gleichgewichtsverhältnisse zwischen Kern und Plasma, wie sie schon durch Ueberschwemmung des Plasmas mit Nähr- stoffen gegeben ist, wird zur Aenderung der Qualität und Quantität der durch Osmose dem Blutplasma entzogenen Stoffe führen müssen. Bei den mannigfachen Schädigungen durch ungeeignete Concentrationen, und durch Anwesenheit schädlicher Stoffe in der zu resorbirenden Lösung Ber NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KrÄFTE. 277 werden fortwährend grosse Mengen der exponirten Darmepithelzellen zu Grunde gehen und so zur Einwanderung von Leukocyten aus den Blut- capillaren in das Epithel beitragen. Das Darmepithel befindet sich also gewissermaassen beständig in den Anfangsstadien der Entzündung, die ja gerade durch das Einwandern von Leukocyten, veranlasst durch absterbende fixe Zellen, charakterisirt wird. Im Hungerzustand werden von allen Körper- zellen diejenigen am raschesten zu Grunde gehen, die an die reichlichste Nahrungszufuhr angepasst sind, das sind wieder die Darmepithelien, und darum erfolet beim Hungern eine so reichliche Einwanderung von Leuko- cyten in das geschädigte Darmepithel, welche bei den oben erwähnten Fischen zuletzt zu einer völligen Zersprengung, und Einschmelzung des histologischen Gefüges der Darmwand führt. Wir müssen das Zuwandern der Leukocyten zu in ihrer Lebensthätigkeit geschädigten Zellen der Darm- wandung als wichtiges Schutzmittel des Körpers auffassen, um besonders im Darmcanal, wo so oft die Schädigung des Darmepithels durch Bakterien verursacht ist, ein Eindringen der letzteren in den Körper an den ge- schädigten Stellen zu verhindern und zugleich die abgestorbenen und nun an ihrer Stelle überflüssigen Epithelzellen durch Aufnahme in die Phago- cyten zu beseitigen. Für die Aufsaugung aus dem Darm kommen nach dieser Auffassung entgegen Hofmeister und seinen zahlreichen Schülern, welche die gesammte Eiweissaufnahme, und Zawarykin und Schäfer gegenüber, welche die gesammte Fettaufnahme als Function der Leuko- cyten betrachtet wissen wollen, letztere nicht wesentlich in Betracht, wenn auch eine ganz geringfügige Betheiligung im Sinne der oben er- wähnten Autoren nicht unmöglich scheint. Als Kräfte, welche im Wesentlichen die Aufsaugung aus dem Darm vermitteln, haben wir bisher die Osmose, die Thätiekeit der Zottenmuseu- latur, die chylusbefördernden Kräfte, darunter besonders die Peristaltik, kennen gelernt und auch den Einfluss des negativen Druckes in den Bauch- venen hervorgehoben, hervorgerufen durch Athem- und Herzbewegungen und den dadurch herbeigeführten Uebertritt von Chylus aus den ersten Chyluswegen in das Blutgefässnetz. Von dieser Auffassung scheint gänz- lich die Darstellung abzuweichen, welche Hamburger (29) auf Grund eigener Versuche von den Kräften liefert, welche die Aufsaugung vermitteln sollen. Nach Hamburger wird durch moleculäre Imbibition der grösste Theil der Flüssigkeit aufgenommen, dann setzt durch capilläre Imbibition die aufgenommene Flüssigkeit ihren Weg in die Lymphspalten fort und wird zum Theil durch die Lymphe weggeführt. Grösstentheils wird sie durch moleculäre Imbibition in die Kittsubstanz der Blutgefässendothelien aufgenommen, um durch capilläre Imbibition in die Blutgefässe über- zutreten. Von hier wird sie durch den Blutstrom weggeführt. Bei dem 278 Hans FRIEDENTHAL: Uebergang in die CGapillaren lässt Hamburger noch zwei Factoren thätig sein: 1. eine Kraft, welche Flüssigkeit aus den Gewebsspalten mit dem capillären Blutstrom mitschleppt und welche mit der Stromschnelligkeit wächst, und 2. den intestinalen Druck. Von diesen Factoren soll dem intestinalen Druck die bei Weitem überwiegende Bedeutung zukommen. Bei dieser Darstellung versteht Hamburger augenscheinlich unter mole- culärer Imbibition das, was hier unter der osmotischen Aufnahme ge- löster Stoffe behandelt worden ist. Nicht so klar liegt, was Hamburger unter der capillären Imbibition in die Lymphspalten und die Haargefässe verstanden wissen will. Capillarattraction von Flüssigkait in Haarröhrchen kann doch nur bei ungefüllten Capillaren in Betracht kommen; denn die Capillarattraction ist ebenso wie der intestinale Druck keine Kraft, welche für sich allein eine dauernde Flüssigkeitsbewegung zur Folge haben kann. Vielleicht meint aber Hamburger damit die aufsaugende Kraft durch die Contraction der Musculatur ausgepresster und bei der Dilatation Flüssigkeit aufsaugender Capillaren und Lymphgefässe, was früher als die resorptions- befördernde Wirkung der chylusbewegenden Kräfte geschildert worden ist, wobei der indirecte Einfluss des intestinalen Druckes berücksichtigt worden . ist. Was Hamburger unter der Kraft verstanden wissen will, „welche Flüssigkeit aus den Gewebsspalten mit dem capillären Blutstrom mitschleppt und welche mit der Stromschnelligkeit wächst‘, geht aus seinen Aus- führungen nicht deutlich hervor. Es steht zu vermuthen, dass er an ein Mitreissen von Lymphe durch den Capillarstrom denkt in der Weise, wie Luft in einer Wasserstrahlpumpe mitgerissen wird, wo allerdings die mit- gerissene Menge mit der Stromschnelligkeit wachsen muss. Die Verhält- nisse in den Üapillaren mit ihrer ganz geringen Stromgeschwindigkeit liegen aber doch wesentlich anders. Beständen bier offene Communicationen mit den Lymphspalten, so würde nicht die Lymphe mit dem Blutstrom mitgerissen, sondern die Blutflüssigkeit würde in die Lymphspalten über- treten. Bei allseitig geschlossenen Röhren ist aber die benetzende Flüssig- keitsschicht als ruhend zu betrachten, so dass ein Mitreissen ausserhalb gelegener Flüssigkeit ganz ausgeschlossen scheint. Wohl aber kann, wie früher geschildert, bei positivem Druck in den Chylusgefässen und nega- tivem in den kleinsten Venen eine Filtration von Chylus in die Blut- gefässe stattfinden, deren Grösse nicht mit der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in den Capillaren, sondern mit der Druckdifferenz zwischen Aussen- und Innenflüssigkeit und mit dem Widerstand der Capillarmembran gegen Filtration variiren muss. Weil nun bei erhöhtem negativen Druck in den grossen Venen nicht nur die für die Filtration in Betracht kommende Druckdifferenz, sondern auch die Strömungsgeschwindigkeit in den Capil- laren wachsen muss, ist vielleicht durch dies Zusammentreflen Hamburger Beı NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE NRRÄFTE. 279 veranlasst worden, an ein Mitreissen des Chylus mit der Blutströmung zu glauben. Ebenso kann vielleicht eine active Erweiterung der Capillaren unter besonderen Umständen ein Zuströmen von Flüssigkeit aus den Ge- websspalten in das Lumen zur Folge haben; auch hier wird dann durch den verminderten Widerstand die Strömungsgeschwindigkeit wachsen, ohne dass diese ein ursächliches Moment für den Uebertritt von Chylus- oder Lymphe in das Blutgefässsystem darstellte. Dass Flüssigkeit, welche in die Bauchhöhle gelangt, nicht, wie Ham- burger und Starling und Tubby (97) meinen, nur durch die Blut- gefässe aufgesogen, sondern in die Lymphgefässe aufgenommen wird und erst von da secundär theils durch Diffusion, theils durch Filtration in die Blutgefässe gelangt, lässt sich experimentell beweisen. Spritzt man eine Aufschwemmune von Berliner Blau in die Hodensubstanz eines Hundes, so kann man, wenn man den Hund zu richtigen Zeit tödtet, eine blaue Injection der Lymphbahnen bis zum Ductus thoraeicus erhalten zum Be- weis dafür, dass die injieirte Flüssigkeit ihren Weg durch das Lymph- gefässsystem nimmt. Ebenso erhält man eine Injection der Lymphbahnen, wenn man Stärke- oder Carminkörnchen direct in die Peritonealhöhle bringt. Mischt man nun diesen Aufschvemmungen einen leicht diffusiblen und durch charakteristische Reactionen leicht erkennbaren Körper (ich benutzte dazu Ferrocyankalium) bei, so wird dieser durch Diffusion aus den Lymph- wegen verschwinden und in’s Blut gelangen, während die eingespritzte Flüssigkeit ihren Weg durch die Lymphbahnen fortsetzt. So ergab sich, dass die noch deutlich blaue Flüssigkeit aus den Anfängen des Ductus thora- cicus keine Eisenreaction mehr gab nach drei Stunden, als einem Kaninchen eine Mischung von Ferrocyankalium und Indigolösung in die Hodensubstanz injieirt wurde. Das leicht diffusible Ferrocyankalium hatte also die Lymph- wege bereits verlassen zu einer Zeit, wo das schwerer diffusible Indigo noch seinen Weg in den Lymphbahnen fortsetzte. In gleicher Weise kann man an Natrium jodoalbuminatum, einem Eiweisspräparat der chemischen Fabrik von Dieterich in Helfenberg mit intramolecular! gebundenem Jod, zeigen, dass auch dieser schwer diffusible Körper sich länger in den Lymphwegen nachweisen lässt, als gleichzeitig injieirte Ferrocyankaliumlösung oder die Lösung von Jodkalium oder Magnesiumsulfat. Durch das fest im Eiweiss- molecül gebundene Jod ist das Natrium jodoalbuminatum besonders ge- eignet, uns den Weg zu zeigen, welchen resorbirte Eiweisskörper zurück- legen, da durch das leicht nachweisbare Jodatom das Eiweissmolecül gewissermaassen mit einer Erkennungsmarke bezeichnet ist und überall leicht nachgewiesen werden kann. Das Präparat enthält kein freies Jod, wie ! Nur ein Theil des Jods ist intramolecular gebunden. 280 Hans FRIEDENTHAL: man leicht nachweisen kann, wenn man die neutral reagirende Lösung mit Chloroform schüttelt. Durch salpetrige Säure lässt sich dagegen Jod aus dem Molecül abspalten und durch Ausschütteln mit Schwefelkohlenstoff oder Chloroform nachweisen. Dass das Präparat aber nicht etwa eine blosse Mischung eines Jodsalzes mit einem Eiweisskörper darstellt, zeigt sich, wenn man die Lösung mit einem eiweissfällenden Mittel, z. B. Phos- phorwolframsäure und starker Salzsäure, behandelt. Dann wird das Jod- eiweiss als solches ausgefällt, wie man durch Veraschung des sorgfältig ausgewaschenen Niederschlages nachweisen kann. Durch dieses Jodeiweiss- präparat lässt sich auch der Nachweis führen, dass Stoffe, welche aus dem Darm resorbirt werden, nicht bloss „durch unbekannte Kräfte“ in die Capillaren geleitet werden. Als einem Kaninchen 20 °" einer I proc. Lösung in eine abgebundene Darmschlinge injieirt wurden, konnte nach dem Ver- lauf von 2 Stunden der Nachweis des Jodeiweisses in der Flüssigkeit ge- liefert werden, welche einem Lymphgefäss mit einer feinen Spritze ent- nommen wurde. Das Blut einer Mesenterialvene enthielt zu derselben Zeit nicht so viel Natrium jodvalbuminatum, dass der Nachweis von Jod im veraschten Blut gelang. Wenn also bei der Resorption der Eiweisskörper der Eiweissgehalt des Chylus nicht gesteigert ist gegen die Norm, so ist damit noch nicht der Beweis geliefert, dass kein resorbirtes Eiweiss mit dem Chylusstrom mit fortgeführt wird, nur wird der Wasser- und Salz- gehalt sich mit dem Blute in Diffusionsgleichgewicht setzen müssen. Man hatte bisher nur kein Erkennungsmittel, um das resorbirte Eiweiss von dem durch die Capillaren transsudirten Eiweiss unterscheiden zu können. Der Jodgehalt des Natrium jodoalbuminatum ermöglicht aber eine solche Unter- scheidung und zeigt, dass nicht alle resorbirten Eiweisskörper von den Zottencapillaren aufgenommen werden, sondern dass die Chyluswege eben- falls als Abzugswege von Wasser und allen gelösten Stoffen, die im Darm resorbirt werden, anzusehen sind. Dass der Traubenzucker während der Resorption von reichlichen Zuckermengen im Darm doch nicht vermehrt im Ductus thoracieus erscheint, wird keine anderen Gründe haben, als das schnellere Verschwinden von leicht diffusiblem Ferrocyankalium aus den Lymphwegen der Bauchhöhle den schwer diffusiblen Farbstoffen und Ei- weisskörpern gegenüber. Wenn durch die Filtrationskräfte eine concen- trirtere Zuckerlösung in die Anfänge der Chyluswege gelangt, wird sie doch durch Diffusion so weit verdünnt werden, dass der Chylus mit einem Zuckergehalt von 0-2 Procent in die Vena subelavia sich ergiessen wird. Ein schwer diffusibler Körper, einmal in die Chyluswege aufgenommen, wird dagegen seinen Weg in den Chylusbahnen viel länger fortsetzen und bei beschleunigtem Lymphstrom in einer Fistel des Ductus thoracicus sich nachweisen lassen müssen. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 281 Fassen wir zum Schluss die bisherigen Betrachtungen zu- sammen, so finden wir, dass durch Combination von osmotischer Aufsaugung und Filtration, wie sie oben besprochen wurde, alle bisher bekannten Erscheinungen bei der Aufsaugung im Darm sich qualitativ erklären lassen, dass aber eine quantitative Vorausberechnung der Grösse der Aufsaugung in keinem Falle sich wird geben lassen, da wir weder die mit den Körper- zuständen stets wechselnde Menge der Affinitäten in den Darm- epithelien kennen, noch die Grösse der Druckkräfte, welche für den Filtrationsdruck in Betracht kommen, noch endlich die stets wechselnde Grösse der Secretion in den Darm, welche die Resorptionsresultate fälscht. Dagegen liegt keine Nothwendig- keit vor, mit Heidenhain das Epithel als den Sitz von Lebens- kräften anzusehen, welche, von der Osmose unabhängig, die Aufsaugung aus dem Darm bewirken und die gelösten Stoffe und das Wasser in die Blutcapillaren, das Fett aber in die Ohylus- bahnen dirigiren. Im Obigen wurde versucht, zu zeigen, dass im Gegentheil die Lebenseigenschaften des Epithels gerade die osmotische Aufsaugung beeinflussen, während die von der Osmose unabhängige Aufsaugung dureh Filtration durch Kräfte bewirkt wird, welche in der glatten Musculatur des Darmes und in der quergestreiften des Herzens und der Körpermuskeln ihren Sitz haben. Die von Heidenhain beobachteten Abweichungen von den Gesetzen der Osmose sind nur Abweichungen von den Ge- setzen der Osmose durch semipermeable Membranen, welche in den Darmwandungen nirgends verwirklicht sind. DD HAns FRIEDENTHAL: Litteraturverzeichniss. v. Mering, Dies Archiv. 1877. Physiol. Abthlg. S. 379. Magendie, Compt. rend. T. 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Arnschink, Zbenda. 1890. Bd. XVI. 8. 434. . Brandl, Zbenda. 1892. Bd. XXIX. 8. 277. 32. L. Asher, Zbenda. 1892. Bd. XXIX. 8. 247. 53. F. Voit, Ebenda. 1892. Bd. XIX. 8. 325. . H. J. Hamburger, Ebenda. 1894. Bd. XXX. 8.143. . Heidenhain, Pflüger’s Archiv. Bd. IL. S. 209. 3. Cohnstein, Hbenda. Bd. LIX. S. 350. . Derselbe, Zbenda. Bd. LIX. 8. 508. . Derselbe, Ebenda. Bd. LXlI. S. 58. G. Friedländer, Zeitschrift für Biologie. 1896. Bd. XXXIII. 8. 264. F.v. Scanzoni, Zbenda. 1896. Bd. XXXIll. S. 462. E. Farnsteiner, Ebenda. 1896. Bd. XXXII. 8. 475. L. Brieger, Archiv für experimentelle Pathologie. 1878. Bd. Vlll. S. 355. Hofmeister, Zbenda. Bd. XIX. 8.1. J. Brandl und H. Tappeiner, Zbenda. Bd. XXVL 8.177. F. Hofmeister, Zbenda. 1890. Bd. XXVI. 8.355. Derselbe, Ebenda. 1888. Bd. XXV. 8.1 u. 240. J. Pohl, Zbenda. 1888. Bd. XXV. 8.31. A. Ewald, Klinik der Verdauungskrankheiten. Marie Wassilieff-Kleimann, Archiv für experimentelle Pathologve. Bd. XXVI. S. 191. 80. 81. 82. 83. 84. 85. Hofmeister, Hbenda. 1890. Bd. XXVI. 8.395. Derselbe, Zbenda. 1891. Bd. XXVIIL 8. 210. C. Jacoby, Ebenda. 1892. Bd. XXIX. S. 171. W.Pascheles, Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVIIL S. 219. A. Gruenhagen, Centralblatt für Physiologie. 1887. Bd.I. 3. 477. Derselbe, Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXIX. S. 139, 284 Hans FRIEDENTHAL: BEI NAHRUNGSRESORPTION U. S.W. 86. Röhmann, Jahrb. der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur Bd. XLV. 8.73. 87. T. Uhlgarik und L. Toth, Centralblatt für Physiologie. Bd. Il. 8. 253. 88. Czaplinski und Rosner, Kbenda. Bd.Il. 8. 254. 89. G. Klemperer und Scheurlen, Zeitschrift f. klin. Med. Bd. XV. Nr. 4. 90. E. Gehrwald, Correspond. des Allgem. ärztlichen Vereins in T’hüringen. 1888. Nr. 6. 91. Rumpf, Deutsche medicinische Wochenschrift. 1889. 8. 877. 92. S. Ginsberg, Cen/ralblatt für Physiologie. 1889. Bd. III. 8.81. 93. C. v. Voit, Sitzungsber. der Gesellschaft für Morphologie in München. 1890. Bd. V. 3. 94. 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In diesem classischen, noch heute als Beweismittel häufig benutzten Werke finden sich auch wichtige Angaben über die uns hier interessirenden Fragen, bei welchen nicht der Fuss in allen Plıasen der Bewegung Gegenstand der Untersuchung sein soll, sondern der ruhende Fuss, der beim Stehen die Last des menschlichen Körpers zu tragen hat. Die Zehen, so führen Gebrüder Weber aus, sind mit dem Skelet zu locker verbunden, als dass sie als wesentliche Stützpunkte in Betracht zu ziehen wären, vielmehr dienen sie als equilibrirendes Moment, da sie uns jeden Augenblick die Möglichkeit gewähren, durch die Anspannung der an ihnen ansetzenden Muskeln ein Ueberfallen des Körpers sowohl in der Frontal-, wie in der Sagittalebene zu verhindern.” Und in der That zeigt die Betrachtung eines theilweise skeletirten Fusses (Haut und Muskeln sind entfernt) die Richtigkeit dieser Angaben. Besonders dorsalwärts ist eine extreme Beweglichkeit vorhanden, die daraus erklärbar ist, dass die Gelenkfläche zwischen Mittelfussknochen und Zehenknochen nach dorsal- ! Nach einem Vortrag, gehalten am 28. October 1899 in der Berliner physio- logischen Gesellschaft. ® Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Eine anatomisch - physiologische Untersuchung. Göttingen 1836. ®? Ohne die Zehen würden wir stets wie auf Stelzen stehen und gehen, wie man es bei dem verkrüppelten Fusse der Chinesinnen sehen kann (vgl. Anm. $. 286). 286 GUSTAV MUSKAT: wärts eine weit grössere Bewegungsexcursion zulässt, als nach plantarwärts.! Was uns als plantarwärts gerichtete Bewegung der Grundphalanx erscheint, ist in Wirklichkeit die Krümmung der Endphalangen der Zehen. Eine weitere für uns verwerthbare, von Weber gemachte Beobachtung besagt, dass der 4. und 5. Mittelfussknochen lockerer mit dem Fussskelet verbunden sind, als die übrigen. Einen Schluss daraus zu ziehen, war einer späteren Zeit vorbehalten. Etwas, das wir aber in diesem Werke ganz vermissen, ist die Fixirung der Frage, welche Mittelfussknochen als Stützpunkte beim Stehen des Menschen in Betracht kommen. Der eigentliche Begründer der modernen Anatomie — Henle — giebt als Stützpunkte des ruhenden Fusses ausser der Ferse (bezw. Calcaneus), deren Bedeutung zu allen Zeiten unbestritten war und bleiben wird, das Köpfchen des 1. und 5. Mittelfussknochens an, ersteres vermittelst der Sesam- beine. Eine grosse Anzahl namhafter Autoren schlossen sich seiner Meinung an, und nur vereinzelt tauchten widersprechende Beobachtungen und Mit- theilungen auf. Und in der That, diese Annahme hat etwas so Bestechen- des, so augenscheinlich Unwiderlegliches, dass es vielleicht müssig erscheinen mag, darüber zu discutiren. An dem Fussskelet — das nach der Natur aufgenommen ist — sieht man deutlich, dass die bewussten drei Punkte — Calcaneus, Capitulum metatarsi primi, Capitulum metatarsi V — der Unter- lage fest aufliegen.”e Der Fuss bildet also hier einen von innen nach aussen gewölbten, nach plantarwärts concaven Bogen, dessen Stützen die erwähnten beiden Mittelfussknochen bilden (Taf. II, Fig. 1). : Das Bild ändert sich aber sofort, wenn wir einen Factor einschalten, der im Leben stets vorhanden ist, beim skeletirten Fusse fehlt und doch als wesentliches Moment in Betracht kommt — es ist die Schwere des Körpers, die beim Stehen einen Druck auf den Fuss in senkrechter Richtung ausübt. Wenn man den Druck des Körpers am Fussskelet durch den Druck der Hand ersetzt und denselben in senkrechter Richtung ein- wirken lässt, so erkennen wir deutlich, dass der vorher fest aufruhende 1. und 5. Mittelfussknochen in dorsaler Richtung verschoben werden, während ! Der sogenannte Zehentanz der Balleteusen wird nicht auf den Zehen, sondern auf den Köpfehen der Mittelfussknochen ausgeführt; ‘nur besonders veranlagte Tänze- rinnen haben durch jahrelange Uebung die Fähigkeit erworben, auf den Spitzen der Zehen selbst sich zu bewegen. Weitere Mittheilungen über diese interessante That- sache sollen in einer späteren Arbeit folgen. ” Der Streit, ob das Köpfehen oder das 'Tubereulum metatarsi V in Betracht zu ziehen ist, ist hier völlig belanglos, da, wie wir sehen werden, beide Annahmen nicht aufrecht zu erhalten sind, BEITRAG ZUR LEHRE VOM MENSCHLICHEN STEHEN. 287 die vorher den höchsten Punkt des von innen nach aussen plantarwärts concav gewölbten Fusses bildenden 2. und 3. Mittelfussknochen nach unten treten und dem Boden fest angepresst werden. Taf. II, Fig. 2 erläutert diesen Versuch. Die - ++... under 0 - gezeichneten Linien zeigen die weiten Ex- eursionen, die in den verschiedenen Ebenen bei einer Belastung des Fusses, wie dieselbe beim Stehen des Menschen vorhanden ist, im Gelenk zwischen 1. Keilbein und 1. Mittelfussknochen, ausgeführt werden können, so dass derselbe frei über dem Boden schwebt; ehenso weite Bewegungen sind zwischen Würfelbein und 4. und 5. Mittelfussknochen ausführbar, während die Verbindungen der Fusswurzel mit dem 2. und 3. Mittelfussknochen unbeweglich sind, da diese fest mit ihren Köpfchen dem Boden angepresst sind.’ Der 2. und 3. Mittelfussknochen bilden demnach die vorderen Stütz- punkte des Menschen beim Stehen, während die übrigen als seitliche „Streben“ ein Umkippen der nur schmalen Grundfläche verhindern. Dieser Versuch findet eine Stütze an den Arbeiten Hermann v.Meyer’s, der in seinem 1886 erschienenen Werke? auch noch den 2. Mittelfuss- knochen eliminirt wissen will, so dass der Fuss einen Bogen bilden soll, der vom Fersenbein, 3. Keilbein, 3. Mittelfussknochen geformt ist. In der gesammten Literatur und nach meinen eigenen Experimenten finden sich keine gelungenen Wiederholungen seiner Versuche, überall bedurfte es des 2. und 3. Mittelfussknochens zum vorderen Stützpunkte, so dass seine so weitgehende Annahme nicht aufrecht zu erhalten ist. Die vielleicht schon durch diesen einen Versuch bewiesene Annahme, dass der 2. und 3. Mittelfussknochen als vordere Stützpunkte beim mensch- lichen Stehen anzusehen wären, erklärte mir eine bis jetzt völlig dunkle klinische Beobachtung, welche in neuerer Zeit Gegenstand zahlreicher Unter- suchungen geworden ist. Es handelt sich um eine fast ausschliesslich beim Militär wahr- genommene Erkrankung, die sogenannte „Fussgeschwulst“. Ihr Wesen zu ergründen, war den Röntgenstrahlen vorbehalten, durch welche festgestellt wurde, dass es sich um Brüche der Mittelfussknochen handelte. Einmal war hierbei eigenthümlich, dass die Brüche nicht durch directe Gewalteinwirkung (Ueberfahren u. s. w.) entstanden waren, sondern auf dem Marsche u. s. w., also ohne eigentliche nachweisbare Ursache. Dann aber fiel mir, wie schon früheren Autoren, auf, dass in der weitaus grössten Anzahl von Fällen der 2. oder 3. Mittelfussknochen betheiligt ! Dieser Versuch wie die folgenden und die Abbildungen wurden in der Sitzung . der Berliner physiolog. Gesellschaft vom 28. October 1899 demonstrirt und nachgeprüft. ? Statik und Mechanik des menschlichen Fusses. Jena 1886. 288 GUSTAV MUSKAT: war.” Hatte ich so aus der unverhältnissmässig hohen Betheiligung des 2. und 3. Mittelfussknochens an diesen Brüchen die Bedeutung dieses Knochens für das menschliche Stehen erkannt, so glaubte ich aus der weitaus stärkeren Betheiligung des 2. bezw. 3. Mittelfussknochens im Ver- hältniss zur Betheiligung beider zusammen den Schluss ziehen zu dürfen, dass jedem von beiden eine selbstständige Function zukommt, und nicht wie Beely (1882) annahm, beide als ein Ganzes aufzufassen seien. Eine Erklärung dieser Erscheinung schien mir durch die stärkere Be- lastung, der diese Knochen im Gegensatz zu den übrigen ausgesetzt sind, gegeben zu sein.? Eine weitere Versuchsreihe, welche dasselbe Resultat brachte, beruhte auf folgenden Erwägungen: Wenn man einen normal gebauten, gut gewölbten Fuss, der einen Russabdruck giebt, wie Taf. II, Fig. 3 zeigt, in’ eine weiche Masse eintreten lässt, so muss naturgemäss die Partie die tiefste Einsenkung zeigen, auf welcher der am meisten belastete Theil geruht hat. Nach der Ansicht Henle’s und der anderen Autoren müssten wir demnach einen Eindruck haben, der seine tiefsten Stellen an den Seiten hat, während die Mitte hoch hervorragt: also einen nach oben convexen Bogen. Lässt man nun aber zum Versuche einen Fuss in einen Gypsbrei treten, den man in ein Tuch eingeschlagen hat, so dass man wie auf einem Wasserkissen steht, und lässt den Fuss stehen, bis der Gyps erhärtet ist, so erhält man einen Eindruck, der einen nach oben concaven Bogen zeigt, d. h. nicht die Seiten sind am tiefsten eingedrückt gewesen — nicht der 1. und 5. Mittelfuss- knochen waren am meisten belastet, standen am tiefsten, sondern der 2. und 3., sie hatten die Last des Körpers als vordere Stützpunkte zu tragen.’ Taf. II, Fig. 4, zeigt, dass die tiefsten Eindrücke der Ferse und der Gegend des 2. und 3. Mittelfussknochens entsprechen. Um diese Thatsache noch deutlicher zu machen, wurden die Negative mit Gyps ausgegossen, und diese zeigten nun eine so merkwürdige Fuss- form, dass man leicht auf den Gedanken kommen könnte, es handele sich ! Näheres darüber, auch über die Litteratur, findet sich in Sammlung klinischer Vorträge. Begründet von Richard v. Volkmann. Nr. 258: Die Brüche der Mittel- fussknochen in ihrer Bedeutung für die Lehre von der Statik des Fusses. Von Gustav Muskat. ® An einer grösseren Anzahl Röntgogramme, welche mir durch das Entgegen- kommen der Medicinalabtheilung des Kriegsministeriums zur Verfügung standen, wurde der Gesellschaft diese Erscheinung demonstrirt. ® Diese Versuche machte ich gemeinsam mit Hrn. Dr. Beely, der mich mit seinen in seiner Arbeit: Zur Mechanik des Stehens (Archiv für klin. Chirurgie. 1882) niedergelegten Erfahrungen freundlichst unterstützte, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank ausspreche. BEITRAG ZUR LEHRE VOM MENSCHLICHEN STEHEN. 289 um krankhaft veränderte, verkrüppelte Füsse, und doch stammt der Ab- guss (Taf. II, Fig. 5) von demselben Fuss, dessen Russabdruck ganz normale Verhältnisse aufwies. Die hintere Partie der Fusssohle — die Fersen- gegend — ist plantarwärts convex geformt und, was für uns noch bedeut- samer erscheint, der vordere Theil des Fusses ist eonvex plantarwärts von rechts nach links gewölbt. Stellt man diesen Gypsabdruck genau horizontal auf eine geschwärzte Unterlage, so färben sich nur diese beiden Stellen als die am meisten hervortretenden schwarz (auf Taf. II, Fie. 5 am hellsten gezeichnet). Dies entspricht auch völlig normalen Verhältnissen, wie man sich leicht selbst überzeugen kann. Stellt man einen gebrauchten Stiefel auf eine horizontale Unterlage, so ruht er hinten mit dem Absatz auf, vorn aber nicht mit den Seitenrändern der Sohle, sondern mit einem kleinen umschriebenen Fleck, der etwa der Gegend des 2. und 3. Mittelfussknochens entspricht; an dieser Stelle reissen auch die meisten Stiefelsohlen zuerst entzwei. Und dies weiss auch der Schuhmacher, und darum baut er den Leisten nicht glatt, sondern er wölbt ihn in dieser Gegend plantarwärts aus, um den sonst entstehenden Druck zu vermeiden. Ja, wenn wir uns auf unser Gefühl verlassen, so müssen wir zugeben, dass wir nicht auf den Köpfehen des 1. und 5., sondern eher auf denen des 2. und 3. Mittelfuss- knochens zu stehen glauben, wie mir Geheimrath Engelmann und Prof. Zuntz in privater Unterredung zugestanden. Um nun noch eine andere Beobachtungsreihe zum Beweise heranziehen zu können, machte ich im Laboratorium des städtischen Krankenhauses am Urban Röntgenaufnahmen von unbelasteten und belasteten Füssen. Die Anordnung war folgende: Ich wählte mir jugendliche Personen von 16 bis 17 Jahren mit normal gewölbten Füssen, ohne jegliche Schwielen- bildung und mit nur geringem Fettpolster, das der Palpation nach unter der grossen Zehe nicht stärker war, als unter den übrigen. Ich liess die- selben ein Mal mit dem Fusse den Boden nur leicht berühren und ein anderes Mal fest mit einem Fusse bei senkrecht darüber stehendem Unter- schenkel auf eine horizontale Fläche (Fussbank) treten und den anderen Fuss nur leicht als Stütze benutzen, gab ihnen dafür lieber einen langen Stock, Stuhllehne u. s. w. als Stütze, genau wie es der Criminalist Ber- tillon in seinen genialen Angaben zur Feststellung einer Fussform verlangt. Die Durchleuchtung dauerte 30 Secunden. Die Röntgenröhre stand 50°“ ab und genau mit ihrer Antikathode den Mittelfussknochen gegenüber. Die Platte stand senkrecht, so dass der Fussrand etwa an die Mitte der Platte angepresst war. Als Unterlage für den Fuss wählte ich eine Metallplatte bezw. eine Glasplatte. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 19 290 GUSTAV Muskat: Die Bilder ergaben, dass bei nicht belastetem Fuss der erste Mittel- fussknochen alle übrigen verdeckt, da bekanntlich der am schwersten zu durchdringende Theil die stärksten Schatten giebt, während bei Belastung in oben beschriebener Weise das Köpfchen des 2. und 3. Mittelfussknochens deutlich tiefer steht, als die abgrenzbaren Sesambeine des 1. Mittelfuss- knochens, und der 5. Mittelfussknochen weder mit dem Köpfchen, noch mit dem Tuberculum auf dem Boden ruht. Taf. II, Fig. 6, zeigt deutlich das Tieferstehen des 2. und 3. Mittel- fussknochens. Eine Zusammenfassung der in vorliegender Arbeit niedergelegten und durch die verschiedenen Abbildungen erläuterten Untersuchungen zwingt uns, die aufgestellte Behauptung anzuerkennen, dass nämlich der Mensch beim Stehen sich auf drei Punkte seines Fusses stützt, und zwar auf: 1. Calcaneus, 2. Capitulum metatarsi II, 3. Capitulum metatarsi II. In wie weit diese Verhältnisse sich bei pathologischen Zuständen ändern, bedarf weiterer Untersuchungen. BEITRAG ZUR LEHRE VOM MENSCHLICHEN STEHEN. 291 Erklärung der Abbildungen. (Taf. II.) Fig. 1. Skeletirter Fuss, von der Seite aufgenommen. Auf dem Boden ruhen: 1. Caleaneus, 2. Capitulum metatarsi I mittels der Sesambeine, 3. Capitulum metatarsi V, Fig. 2. An einem der Haut und Muskeln entkleideten Fusse wird die natürliche Einwirkung der Körperlast durch die Hand ersetzt. Hierbei lässt sich der 1. Mittel- fussknochen sowohl von oben nach unten, wie von rechts nach links bewegen; derselbe liest also nicht fest auf (ebenso wenig wie der 4. und 5., an denen dasselbe Experi- ment ausführbar ist). Fig. 3. Russabdruck eines kräftigen Soldatenfusses mit deutlich ausgeprägter Wölbung (vgl. Figg. 4 u. 5). Fig. 4. Gypseindruck eines normalen Männerfusses (vgl. Fig. 3). Die tiefsten Stellen befinden sich in der Gegend des Calcaneus und des 2. und 3. Mittelfussknochens (nicht am Köpfchen des 1. und 5. Mittelfussköpfchens). Fig. 5. Gypsabguss eines belasteten normalen Männerfusses (vgl. Figg. 4 u. 5). Die am meisten prominenten Stellen entsprechen der Gegend des Calcaneus und der Gegend des 2. und 3. Mittelfussknochens. Fig. 6. Zeichnung einer Röntgenaufnahme eines nach dem „Bertillon’schen Verfahren“ senkrecht belasteten Fusses. Der 1. und 2. Mittelfussknochen stehen tiefer als die Sesambeine des 1. und 5. Mittelfussknochens. 192 Die Vorstufen der Zuckerbildung in der Leber. Der Process der Zuckerbildung in der Leber ist unzweifelhaft ver- schieden, je nachdem derselbe aus Glykogen, aus Eiweisskörpern oder aus Fett gebildet wird. Bei der Bildung des Zuckers aus Glykogen soll ein diastatisches Ferment interveniren und einen Hydra‘ :tionsprocess veran- lassen; bei der Bildung aus Fett muss eine Sauerstoffaufnahme die Haupt- rolle spielen. Sehr complieirt gestaltet sich wahrscheinlich der Vorgang bei der Zuckerbildung aus Albuminaten. Der Schleier dieser Vorgänge ist, welches auch das Bildungsmaterial sei, nicht gelüftet. Ich war im Laufe der mir gegönnten letzten Arbeitsperiode in der Lage gewesen, einen kleinen Zipfel dieses Schleiers empor zu heben, und möchte, was ich erfahren habe, hier mittheilen. Der Ausgangspunkt meiner Arbeit waren neuerliche Versuche, die ich anstellte, um die Einwürfe einiger Gegner meiner Lehre über das Material, aus welchem der Zucker gebildet wird, auf ihre Berechtigung zu prüfen. Früher galt es bekanntlich als Dogma, dass der Leberzucker nur aus Glykogen entstehe; gegen dieses Dogma hatte ich mich auf Grundlage von Versuchen gewendet und war zu dem Resultate gekommen, dass Eiweiss- körper und Fette das Material für die Entstehung des Leberzuckers bilden. Ich habe nun zwar die Genugthuung erfahren, dass die Bildung von Zucker aus Eiweisskörpern heute von keiner Seite mehr geleugnet wird und dass die Fähigkeit der Leber, aus Fett Zueker zu bilden, durch andere Forscher! bestätigt wurde, und selbst Gegner meiner Lehre, ich nenne nur Butte, geben zu, dass Zucker aus Albuminaten und Fetten ıJ. Weiss, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXIV. J. SEEGEN: DIE VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 293 gebildet werden könne, aber sie fahren fort, Beweise herbei zu bringen, dass das Bildungsmaterial einzig und allein das Glykogen sei. Dieser Beweis gipfelt immer darin, dass in ihren Versuchen im Gegensatze zu meinen Beobachtungen eine der Quantität des neu gebildeten Zuckers genau entsprechende Glykogenmenge verschwunden sei. Es wird dabei immer vergessen, dass ich noch andere Beweise dafür erbracht habe, dass der Zucker aus anderer Quelle stammen müsse. Der wichtigste Beweis wird durch meine Ernährungsversuche geliefert. Die Zuckerbildung zeigte sich von der Art der Ernährung ganz unabhängig und war ebenso reichlich bei Thieren, welche ausschliesslich mit Fett ernährt waren, wie bei solchen, die durch viele Tage gehungert hatten; bei den einen wie den anderen ist die Leber entweder ganz glykogenfrei oder enthält nur Spuren davon. Andere Forscher, wie v. Mering, haben darauf hingewiesen, dass in der dem Thiere exeidirten Leber der Zucker in gleicher Weise anwachse, ob die Leber reich an Glykogen sei oder dasselbe nur in Spuren enthalte. Eine interessante, hierher gehörige Beobachtung hat Hedon! gemacht. Bei einem durch Pankreasexstirpation diabetisch gemachten Hunde war die Zuckerzunahme in der Leber nach dem Tode ebenso gross wie bei einem gesunden Thiere, und doch sid nach den Erfahrungen von Minkowski und Hedon die Lebern solcher Thiere vollständig glykogenfrei. Diese Beweise für die Zuckerbildung aus anderem Material als aus Glykogen werden nicht berücksichtigt und immer nur das Verschwinden des Glykogens bei gleichzeitigem Anwachsen des Zuckers als Gegenbeweis in’s Feld geführt. Ich habe keinen dieser Versuche unberücksichtigt ge-: lassen und konnte die meisten, wie jene von Girard, der an kranken Thieren seine Versuche anstellte, oder von Delprat, der mit den Methoden nicht sehr vertraut war, zurückweisen und manche Arbeiten hervorragender Forscher, wie die von Chittenden und Lambert u. A. m., eingehend widerlegen. In den letzten Jahren haben sich an diese Gegner manche andere angeschlossen, deren Arbeiten volle Berücksichtigung verdienen. Butte? hat an zwei Kaninchen und an vier Hunden Versuche gemacht; er hat die exeidirte Leber 4 Minuten, 6 Stunden und 24 Stunden nach dem Tode untersucht und fand, dass genau ebensoviel Glykogen ver- schwindet, als Zucker neu gebildet ist. Wenn er den Leberzucker wie das als Zucker in Rechnung gekomiene Glykogen auf Glykogen zurückführt, erhält er in allen Leberstücken genau dieselbe Glykogenmenge So, um nur einen Versuch an einem Hunde anzuführen, erhielt er: ! Hedon, Sur la pathologie du diabete consecutive a P’exstirpation du pancreas. Archive de Physiologie. 1893 ® Butte, Oompt. rend. de Biologie. T. XLVI. 294 J. SEEGEN: 4 Minuten 6 Stunden 34 Stunden Glykogen aus dem Blutzucker 0-87 IT 2.93 Zurückgebliebenes Glykogen 31T naar 2826 1.80 4-04 4.08 4.03 In diesen Resultaten frappirt als geradezu wunderbar, dass in allen vier Leberstücken die Summe von Zucker und Glykogen bis auf die zweite Decimale stimmt. Wer mit solchen Arbeiten nur einigermaassen vertraut ist, wird es erfahren haben, dass es zu den grössten Ausnahmen gehört, wenn zwei Zuckeranalysen vollständig stimmen, und dass Schwankungen im Verbrauche der zuckerhaltigen Flüssigkeit innerhalb 0.2 bis 0.3 cm noch als vollkommen gute und normale Analysen anzusehen sind. Butte hat zwar seine Analysen nicht nach der gewöhnlichen Fehling’schen Methode ausgeführt, sondern nach jener von Deharbe, die aber nach meinen Erfahrungen eine absolut unfehlbare Grenze für das Ende der Titrirung noch schwerer ermöglicht und im Gegentheile zu weiten Fehler- grenzen Veranlassung giebt. Ueber die Art seiner Glykogenbestimmung theilt Butte gar nichts mit; er sagt nur, dass er von der alten klassischen Methode abgewichen sei. Die Bestimmung nach Brücke-Külz kann er nicht in Anwendung gebracht haben, da er in allen seinen Versuchen nur ein Leberstück verwendet hat, Zucker und Glykogen aber bei Behandlung der Leber mit Aetzkali in einem und demselben Leberstück nicht bestimmt werden können. Montuori! will in anderer Weise nachweisen, dass der Zucker nur aus Glykogen sich bilde. Seine Betrachtung ist folgende: Würde der Zucker aus anderem Material entstehen, dann müsste mit dem Ansteigen des Zuckers auch die Gesammtsumme der Kohlehydrate vermehrt sein, und zwar um das Plus des neu gebildeten Zuckers; der Gehalt an Gesammt- zucker bezw. an Gesammtkohlehydraten müsste dagegen unverändert bleiben, wenn der Zuckerzunahme eine Glykogenabnahme entsprechen würde. Mon- tuori hat zur Entscheidung dieser Frage folgenden Versuch angestellt. Er exeidirte dem eben getödteten Thiere ein Leberstück, welches, nachdem es gewogen war, in siedendes Wasser geworfen wurde; ein zweites gewogenes Stück derselben Leber wurde durch 24 Stunden sich selbst überlassen und dann erst in siedendes Wasser geworfen; die beiden Stücke wurden dann gleichzeitig der Behandlung unterzogen. Das Resultat der Versuche war, dass in beiden Leberstücken die Summe der (sesammtkohlehydrate dieselbe war. Die Methode, die Montuori als eine neue, für die Lösung der Frage über Zuckerbildung aus Glykogen geeignete ersonnen hat, habe ich, wenn ! Montuori, Sur l’origine du sucre hepatique. Archives italiennes de Biologie. 189. T. XXV. DIE VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 295 auch zu einem anderen Zwecke, vor nahezu 20 Jahren geübt.! Ich kam zu entgegengesetztem Resultate. Ich will diesen Versuch hier anführen. (Leberstück « ist das unmittelbar nach dem Tode, Leberstück 5 das 24 Stunden nach dem Tode untersuchte.) Leberstück Leberzucker Gesammtzucker in Proc. in Proc. 0-4 11-7 2-5 14:0 Nebenbei möchte ich bemerken, dass Montuori’s Untersuchungs- methode nichts weniger als eine Verbesserung jener Methode ist, welche ich geübt habe und immer übe. Ich bestimme in einem Theile des Leber- extractes den Zucker und in einem anderen Theile, welchen ich mit ver- dünnter Salzsäure in einer zugeschmolzenen Röhre im Papin’schen Topfe erhitzte, die Gesammtkohlehydrate. Montuori bestimmt letztere in der in einen Brei umgewandelten, mit Wasser diluirten Leber, die er nach An- säuerung in einem offenen Ballon durch 24 Stunden der Siedehitze aus- setzt; natürlich hindert das Eiweiss der Lebersubstanz die Zuckerbestimmung. Er musste enteiweissen, und zwar durch schwefelsaures Natron, und dieses Verfahren ist eine Quelle grosser Zuckerverluste, wie ich das an anderer Stelle ausführte. Die letzte Arbeit, die ich hier berücksichtigen möchte, ist die von E. Cavazzani.” In ähnlicher Weise wie Montuori hat Cavazzani aus dem Gleichbleiben der Gesammtkohlehydrate in den zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode untersuchten Leberstücken erschlossen, dass nur das Glykogen das Material für die Zuckerbildung sein könne. Cavazzani hat gleichzeitig mit den (esammtkohlehydraten auch Zucker und Glykogen ge- trennt bestimmt. In sechs Versuchen, an sechs Hunden, wurde je ein Leberstück unmittelbar, 1 Stunde und 3 Stunden, nach dem Tode unter- sucht. In all’ diesen Versuchen waren die Gesammtkohlehydrate der ver- schiedenen Leberstücke eines Thieres nahezu gleich und nur innerhalb der Fehlergrenzen schwankend, und war die Menge der Gesammtkohlehydrate eines jeden Stückes = der Summe des gefundenen Leberzuckers + des dem Leberglykogen entsprechenden Zuckers. Leider stimmen auch hier meine Erfahrungen nicht mit jenen von Cavazzani überein; ich werde Gelegenheit haben, im Laufe dieser Arbeit eine Reihe von Versuchen mit- zutheilen, bei welchen ausnahmslos der Zucker der Gesammtkohlehydrate ! Pflüger’s Archiv. 1881. Bd. XXIV. S. 471. ” Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. 8.539. 296 J. SEEGEN: weit grösser ist, als der Leberzucker + Glykogenzucker. Die Methode für die Ermittelung dieser drei Factoren ist eine so einfache, dass jeder einigermaassen geübte Chemiker die Technik dieser Untersuchung be- herrschen kann. In einer zweiten Reihe von Versuchen, die auf demselben Principe fussen, nämlich auf dem Gleichbleiben der Gesammtkohlehydrate in den verschiedenen Leberstücken, sucht Cavazzani nachzuweisen, dass weder Pepton noch Fett die Zuckerbildung vermehren könne. Meine abweichenden Versuchsresultate werden dadurch erklärt, dass, da ich die Leber nicht (nach Külz) mit Kali zerkocht habe, ein Theil des Glykogens in der Leber zurückgeblieben war, dass dieser Theil nur beim Digeriren der Leber mit Blut frei wurde und eine Vermehrung der Kohlehydrate auf Kosten des Peptons vortäuschte. Abgesehen davon, dass für diese originelle Hypo- these auch nicht der leiseste Beweis erbracht ist, wird vergessen, dass in einer Reihe von Versuchen mit und ohne Pepton, bei welchen kein Blut zugefügt wurde, ein beträchtliches Plus von Zucker und Gesammtkohle- hydrat in dem Pepton-Lebergemische nachgewiesen wurde. ! Ich habe übrigens? ausdrücklich hervorgehoben, ‚die Frage, an welchem Orte die nächste Umwandlung des im Magen gebildeten Peptons vor sich geht, ist noch nicht spruchreif, aber über das letzte Schicksal des Peptons, zum mindesten des grössten Theiles desselben, kann kein Zweifel bestehen, es wird, ob es nun direct oder in Eiweiss umgewandelt in die Leber gelangt, dort in Zucker umgewandelt.“ Meine Ernährungs- versuche ergaben diese Thatsache mit zwingender Nothwendiekeit, und heute ist die Zuckerbildung aus Albuminaten nahezu unbezweifelt und „die Mög- lichkeit einer Bildung von Kohlehydraten aus Eiweiss“ ist auch nach Cavazzani nicht zu leugnen. N. Zuntz, der die Versuche von Cavazzani mittheilt, bemerkt ein- leitend, dass nur, wenn die Zuckerbildung aus Eiweisskörpern und aus Fett zu Recht besteht, die gewaltige Zuckerbildung, die ich auch bei Fleisch- fressern und bei Hungerthieren gefunden habe, möglich ist, dass aber das Glykogen auch bei diesen Thieren ausreiche für die geringe Zuckermenge, welche unter physiologischen Verhältnissen gebildet werde. Wie gering dieselbe sei, ergebe sich aus Mosse’s mit seiner Beihilfe angestellten Ver- suchen, und die grossen Zuckermengen, die ich gefunden habe, seien nur auf operative Eingriffe zurückzuführen. Ich habe seiner Zeit nachgewiesen, dass Mosse’s Versuche nichts anderes sind, als eine Copie jener von I Seegen Zuckerbildung in der Leber. 3.140. 2? A.2.0. 8.150. 3 Centralblatt für Physiologie. 1896. Heft 17. DıEe VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 297 Abeles, und dass die geringe Zuckerbildung nur auf die Narkose zu be- ziehen ist; ich habe ferner Zuntz’s Ansicht, dass die grosse Zuckerbildung nur durch das Sträuben des Thieres oder durch Eröffnung der Bauchhöhle zu Stande komme, durch eine Reihe ad hoc angestellter Versuche! wider- lest. Ich zweifle, dass widerlegte Hypothesen durch Wiederholung an Beweiskraft gewinnen; auch dann nicht, wenn die Wiederholung von einem Forscher ausgeht, der auf anderen Forschungsgebieten von maassgebender Autorität ist. Die Gegner meiner Lehre stützen sich auf Versuche, nach welchen die Zuckerzunahme einer gleich grossen Glykogenabnahme entspricht. Die Stütze für meine Anschauung waren Versuche,? welche einerseits lehrten, dass der Zucker anwachse, ohne dass der Glykogenbestand Einbusse erleide und dass ferner die Menge der Gesammtkohlehydrate in dem Maasse grösser wird, als der Zuckergehalt zunimmt. Wenn selbst alle hier mit- getheilten Versuche meiner Gegner einwandsfrei wären, würden sie eben nur besagen, dass der Zucker anwachse und dass das Glykogen in gleichem Grade abnehme; ein bestimmter Zusammenhang zwischen dieser Zunahme und Abnahme ergiebt sich nicht mit zwingender Nothwendiekeit. Anders dagegen ist es, wenn auch nur einige Male nachgewiesen ist, dass der Leber- zucker ansteigt, ohne dass das Glykogen abninımt. Aus diesem Befunde ergiebt sich in unabweisbarer Form der Schluss, dass die Zuckerzunahme mit Hülfe eines anderen Bildungsmateriales erfolgt sei. Aber meine Schluss- folgerungen leiden an einem anderen Gebrechen, dass sie sich auf Ver- suche stützen, bei welchen nicht der volle Glykogenbestand der Leberstücke ermittelt war. Zur Zeit nämlich, als ich meine Versuche anstellte, war es nicht bekannt, dass die Leber nur dann ihren ganzen Gehalt an Glykogen hergebe, wenn ihre Zellen durch Erwärmen mit Aetzkali aufgeschlossen waren. Ich glaubte, man könne dieses Ziel durch wässerige Extractionen erreichen. Ich ging in dieser mühevollen Arbeit so weit, bis in der ausgepressten Flüssigkeit durch die subtilsten Reagertien weder Glykogen noch Zucker auch nur in Spuren nachzuweisen war. Erst viel später machte ich die Erfahrung, dass in dem anscheinend vollständig extrahirten Leberreste nach Kochen desselben mit Aetzkali noch Glykogen nachzuweisen war. Es waren in meinen Versuchen nicht, wie in jenen von Panormow, nahezu 50 Proc. Glykogen zurückgeblieben, oder auch nur 25 Proc., wie von anderer Seite angegeben wird; ich konnte als Maximum durch 6stündiges Erwärmen des zurückgebliebenen Leberfladens mit 2 Proc. Aetzkali noch 10 bis 12 Proc. Glykogen erhalten. Offenbar bin ich durch meine Methode ı Centralblatt für Physiologie. 1897. Heft 26. ® Pflüger’s Archiv. Bd. XXI u. XXIV, 298 J. SEEGEN: bis an die äusserste Grenze der Extractionsmöglichkeit gegangen. Immerhin musste ich mir sagen, dass meine Versuchsresultate nicht dem vollen That- bestande entsprechen. Zwar konnte der Glykogenabgang den aus meinen Versuchsresultaten gezogenen Schlüssen nicht abträglich sein, doch wollte ich mit Factoren rechnen, die der Wirklichkeit entsprachen und darum ging ich daran, eine neue heihe von Versuchen auszuführen, in welchen der volle Glykogengehalt nach der Methode Külz-Brücke ermittelt wurde. Ich lasse diese Versuche nachstehend folgen. Versuchs : | | Gesamnt- Zeit ı Zucker Glykogen : nummer und R ä ’ 3 = kohlehydrate | Fütterungsart Thier nach Tödtung| in Proc. in Proe. in Prost Il. Hund 5 Minuten 0-555 72 12:3 Brod und Fett 24 Stunden 23-470 6-4 14-7 48 FF 3700 6-4 14-9 12 & 3:T00 4»5 16-3 1I. Hund 5 Minuten 0-53 6-2 131 Brod und Fett 24 Stunden 2.77 2-0 13-4 48 ER 4-62 0:7 15-5 III. Hund 15 Minuten 0-73 2-3 7-0 Hundefutter 34 Stunden 1-95 0-8 os} 48 » 2:40 0-4 5-7 12 3 2-00 0-3 61 IV. Hund 5 Minuten 0-273 8:30 13-9 Brod 1'/, Stdn. 1-930 8-30 15-0 24 > 2510 5:90 12-7 48 Er} 3:630 3:50 13-8 V. Hund 5 Minuten 0-66 12-2 15-9 Brod 2 Stunden 2.38 11-2 16°6 2 > 3 00 10:7 17:0 48 » 4-62 7-0 Ion alaoz! 12 co 5-43 5-6 15-2 VI. Hund 5 Minuten 0-83 2.34 4-38 Fett 45 Stunden 2:03 0-06 3.60 2» 2-70 Spuren 3-70 VII. Hund 10 Minuten 0-74 4*3 — 1 Stunde 1-56 4-3 — 24 Stunden 2-40 4-1 — 12 2 3:52 4-0 —— Alle diese Versuche haben dasselbe Resultat wie die früheren ergeben, dass der Zucker anwächst, ohne dass das Glykogen entsprechend abnimmt. In einem einzigen Versuche (VII) ist der Glykogenbestand während der Die VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 299 ganzen Versuchsdauer nahezu unverändert geblieben, während der Zucker von 0°7 auf 3-5 anstieg. In den anderen Versuchen habe ich keine Un- veränderlichkeit des Glykogens beobachtet, aber ausnahmslos war zwischen der ersten und zweiten Untersuchung die Glykogenabnahme nur minimal oder meist geringer, als der Zuckerzunahme entsprach. Umgekehrt war bei vielen später (nach 48 oder 72 Stunden) untersuchten Stücken die Glykogenabnahme weit grösser, als die Zuckerzunahme. Alle diese Ver- suchsresultate beweisen, dass die Zuckervermehrung von der Glykogen- abnahme unabhängig ist und sie bestätigen, dass die Zuckerbildung in der Leber nicht auf Kosten des Glykogens stattfindet, oder zum mindesten nicht auf Kosten des Glykogens stattfinden muss. 1. Die voranstehenden Versuche habe ich zu meiner eigenen Genug- thuung ausgeführt, weil ich darüber in’s Klare kommen wollte, ob die neue Art der Glykogenbestimmung meine Erfahrungen über die Unabhängigkeit der Zuekerbildung vom Glykogenbestande modifieiren könne. Bei dieser Gelegenheit gelangte ich zur Kenntniss mancher neuer Thatsachen, die ich hier mittheilen will. Die wichtigste derselben ist, dass die Summe der Gesammtkohlehydrate der Leber grösser ist als die Summe des Leberzuckers plus Glykogens, das heisst, dass in der Leber noch ein anderer dureh Säure umwandelbarer Körper vor- handen ist. In meiner ersten Arbeit über die Beziehungen des Leber- zuckers zu Glykogen ! hatte ich zwar auch die Gesammtkohlehydrate in jedem Leberstücke bestimmt, aber in der Ueberzeugung, dass das Glykogen neben Zucker das einzige Kohlehydrat der Leber sei, galt mir nach Abzug des gefundenen Leberzuckers der Rest der Gesammtkohlehydrate als Gly- kogen. In der zweiten Arbeit über denselben Gegenstand ? hatte ich zwar das Glykogen direct bestimmt; aber ich liess das kleine Plus der Gesammt- kohlehydrate unberücksichtigt und nur bei Mittheilung eines Versuches an einer Katze sprach ich es schon aus: „Es ist also zweifellos, dass nebst dem nach Brücke’s Methode darstellbaren Glykogen noch ein Körper in der Leber vorhanden ist, der durch Säuren in Zucker umgewandelt wird.“ Die zuletzt ausgeführten, oben mitgetheilten Versuche bestätigten diese ver- einzelte Thatsache auf’s Unzweifelhafteste. Ich habe noch eine weitere Reihe von Versuchen einzig und allein zur Bestätigung der eben erwähnten Thatsache ausgeführt und lasse die Resultate hier folgen. 1 Pflüger’s Archiv. Bd. XXI. ?2 Ebenda. Bd. XXIV. 300 J. SEEGEN: Die ersten drei Versuche wurden an Hunden gemacht, und zwar kam das Leberstück 5 bis 10 Minuten nach dem Tode zur Untersuchung. Die Kalbslebern, die zur Untersuchung dienten, erhielt ich erst 18 bis 20 Stunden nach Tödtung des Thieres. BIETE Zucker aus Zucker aus den en dem Glykogen | Gesammtkohle- | Zuckerplus E in Proc. hydraten in Proc. 3-0 | 3-9 10-0 3-1 2.70 | 7-3 16-5 6-5 3-53 | 6-9 15-0 4-56 6-15 | 8-0 20-2 6-0 4+2 2.9 17-2 10.0 5 6-7 18-1 | 6°9 0-5 6-7 2-1 17 4:02 16-7 8-5 6-0 14-2 30-9 10-7 Es war nun zunächst festzustellen, ob das Reductionsvermögen des mit Saure in der Hitze behandelten Leberdecoctes ausschliesslich auf Zucker zu beziehen sei. Zu diesem Zwecke wurde von dem umgewandelten Leber- decoct, nachdem es neutralisirt, gemessen und sein Zuckergehalt mittels Fehling’scher Lösung bestimmt war (meist geschah dies in der aufs 5 bis 10fache verdünnten Flüssigkeit), ein Theil genommen und mit Hefe und einigen Tropfen Weinsäure versetzt, durch 24 Stunden bei einer Temperatur von 25 bis 30° stehen gelassen; es wurde dann abermals eine Reductionsprobe angestellt und dieselbe war ausnahmslos ganz minimal und offenbarte sich nur in Entfärbung der Fehling’schen Lösung. Es ist also evident, dass die ursprüngliche Reduction ausschliesslich durch Zucker ver- anlasst wurde; und auch die selbst nach der Vergährung beobachteten minimalen Reductionen waren unzweifelhaft durch Spuren unvergohrenen Zuckers hervorgebracht, da innerhalb 24 Stunden und bei mässiger Tempe- ratur die Zuckervergährung nicht vollständig war. Ich konnte zunächst daran denken, dass das Zuckerplus, welches nebst dem Leberzucker und dem in Zucker umgewandelten Glykogen in der der Röhre entnommenen Flüssigkeit vorhanden war, durch Einwirkung von Säure und Hitze auf die mit dem wässerigen Extracte übergegangenen Leberpartikelchen entstanden sei. Um diese Möglichkeit auf ihre Berech- tigung zu prüfen, habe ich in einigen Versuchen einen kleinen Theil der erschöpften Leber mit heissem Wasser verrieben, die so erhaltene trübe Flüssigkeit in eine Röhre gefüllt und, dem Volumen der Flüssigkeit ent- sprechend, 1Oprocent. Salzsäure hinzugefügt und durch 8 Stunden der Hitze Die VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 301 des Papin’schen Topfes ausgesetzt. Die aus der Röhre entnommene neu- tralisirte Flüssigkeit bringt in der Kupferlösung eine starke Biuretreaction hervor; nach langem Stehen findet sich auf dem Boden des Kölbehens eine minimale Spur von ausgeschiedenem Kupferoxydulhydrat, die offenbar auf ein Minimum des in der Lebersubstanz noch zurückgebliebenen Zuckers oder Glykogens zu beziehen ist. Ich habe ferner eine Reihe anderer Organe: Milz, Niere, Hirn, Thymus in gleicher Weise wie die Leber extrahirt und das gewonnene Extract wie den Leberauszug behandelt. Nur das Nieren- decoct gab eine minimale Reduction, alle anderen Decocte waren auf die Fehling’sche Lösung vollkommen wirkungslos. Es war also kein Zweifel mehr gestattet, dass jener aus der Umwandlung des Leberdecoctes hervor- gegangene Zucker, ebenso wie der Leberzucker und wie das Glykogen auf eine specifische Leberwirkung zu beziehen sei. Dieser Zucker ist kein minimaler Bestandtheil. In den Versuchen an Hunden, bei welchen die Leber sehr bald nach dem Tode untersucht wurde, war derselbe stets in grösserer Menge vorhanden als der wirkliche Leberzucker. In den zwei ersten Versuchen ist die Menge sogar 3 bis 5mal grösser als die des Leberzuckers. Bei Kälbern, die viele Stunden nach dem Tode untersucht wurden, also nachdem eine grosse Menge Leberzucker gebildet war, ist der neue Zucker meist in grösserer Menge vorhanden, bei einzelnen Thieren doppelt bis dreifach so gross. Auch im Verhältnisse zum Glykogen ist die Menge des nachgewiesenen neuen Zuckers sehr beträchtlich, sie ist nicht selten so gross wie die des Glykogenzuckers; zuweilen beträgt sie sogar das Mehrfache dieses Zuckers. Ich dachte, dass dieser Zucker aus einem dritten bisher unbekannten, in der Leber gebildeten Kohlehydrat entstanden sei, und ich suchte zu- nächst dieses Kohlehydrats habhaft zu werden. Es lag nahe, anzunehmen, dass dieses gesuchte Kohlehydrat zugleich mit dem Glykogen gefunden werden könnte in dem Niederschlag, welcher sich bildet, wenn zum Zwecke der Zuckerbestimmung dem Leberextract Alkohol zugesetzt wird. Dieser meist etwas schmutziggelbe Niederschlag wurde auf dem Filter mit Alkohol gewaschen, bis er fast weiss war, dann in 20 ° m Wasser vertheilt (er löste sich nur sehr unvollständig) und mit 10Oprocent. Salzsäure in der zu- geschmolzenen Röhre durch 8 Stunden erhitzt. Der gewonnene Zucker überstieg sehr häufig, nicht immer, die Menge desjenigen, welcher dem Glykogenzucker entsprach; aber das Zuckerplus war doch nur ein mässiger Bruchtheil desjenigen, welches erhalten werden musste, wenn das gesammte neue Kohlehydrat in dem Niederschlage vorhanden gewesen wäre. Es war also nur ein Theil desselben durch den Zusatz von Alkohol ausgeschieden, während wahrscheinlich ein anderer Theil im Alkohol gelöst geblieben war. Diese Annahme schien berechtigt, da es bekannt ist, dass manche Dextrin- 302 J. SEEGEN: arten erst aus sehr hochgradigem Alkohol gefällt werden. In jüngster Zeit hat M. Ch. Tebb! festgestellt, bei welchem Alkoholgehalt die Ausfällung der verschiedenen Kohlehydrate (Stärke, Glykogen, Dextrine) beginnt und bei welchem sie beendet ist. Für Glykogen wurde festgestellt, dass die Ausfällung bei einem Alkoholgehalt von 35-5 Procent beginne und bei einem Alkoholgehalt. von 55 Procent zu Ende sei. Die Ausfällung von Achroo-Dextrin beginnt mit 65 Procent und endet mit 90 Procent. Auf Grundlage dieser Erwägung wurde einem Theile des gemessenen Leberextractes so viel Alkohol zugesetzt, dass der Alkoholgehalt etwa 60 Proc. betrug. Der gebildete Niederschlag wurde gut gewaschen und in der zu- seschmolzenen Röhre mit Säure erhitzt. Dem Filtrate wurde noch so viel absoluter Alkohol zugefügt, bis in der Flüssigkeit 90 Procent Alkohol ent- halten waren. Es bildete sich abermals ein reicher Niederschlag, der, mit Säure in der zugeschmolzenen Röhre erhitzt, in Zucker umgewandelt wurde. Es schien also die Annahme berechtigt, dass die Quelle dieses Zuckers ein durch hochgradigen Alkohol fällbares Kohlehydrat sei. Aber bei fortgesetzter Arbeit, die zur Aufgabe hatte, dieses vermeintliche Kohlehydrat rein dar- zustellen, gelangte ich zu Resultaten, die von den vermutheten ganz ver- schieden waren und die ich hier ausführlich mittheilen will. Der Gang der Untersuchung war folgender. Eine gewogene Leber- menge (meist 80 bis 100 s”®) wurde bis zur vollständigen Erschöpfung extrahirt, das Extract auf etwa 80 bis 100 “= gebracht, zu demselben so viel absoluter Alkohol hinzugefügt, dass nach genauer Berechnung der Alkohol 56 bis 57 Procent betrug. Es bildete sich eine überaus reichliche Ausscheidung. Nach 24 Stunden wurde abfiltrirt und zu dem Filtrate noch so viel absoluter Alkohol hinzugesetzt, dass jetzt in der Flüssigkeit 90 Procent Alkohol vorhanden waren. Es entstand eine neue reichliche Ausscheidung, die etwas gelb gefärbt war und fest am Glase anhaftete. Nach weiteren 24 Stunden wurde filtrirt, der Niederschlag zuerst auf dem Filter mit absolutem Alkohol ausgewaschen, dann zweimal abgespritzt und im Becherglas gewaschen; endlich, nach vollständigem Ablaufen des Alkohols, wurde der Niederschlag in einer mässigen Menge Wasser gelöst (er löste sich vollständig) und so viel absoluter Alkohol hinzugegeben, dass der Alkoholgehalt 90 Procent betrug. Nachdem durch Absaugen der Nieder- schlag ganz alkoholfrei gemacht war, wurde er über Schwefelsäure ge- trocknet. Die getrocknete Substanz war weiss, mit einem leichten Stich in’s Bräunliche. Sie war sehr locker, leicht zerreiblich und hatte, wenn sie sehr wenig gefärbt war, das Aussehen von Stärke. Nur wenn grosse Mengen Leber (mehrere 100 =’) extrahirt waren und beim Einengen des ı Journ. of Physiol. 1898. Vol. XXI. DıiE VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 303 Extractes eine tiefbraune Flüssigkeit gewonnen war, war auch die erhaltene Substanz ziemlich braun gefärbt; und in noch höherem Grade war dies der Fall, wenn sie in freier Luft getrocknet wurde. Die Substanz ist in Wasser vollständig löslich, in Alkohol und Aether unlöslich, im Gegensatze zu Jecorin; die wässerige Lösung ist leicht gelb gefärbt, reagirt neutral oder schwach sauer und ist optisch activ. Prof. Mauthner konnte wiederholt eine deutliche Rechtsdrehung nach- weisen, er fand einmal (@)» = + 14-3° und in einer zweiten Probe (&)» = + 22-7°. Die Elementaranalysen, die mit dieser Substanz probeweise angestellt wurden, zeigten durch den grossen Aschegehalt, dass dieselbe noch weit ent- fernt davon war, chemisch rein zu sein; aber es stellte sich bei diesen, durch die collegiale Gefälliekeit des Prof. J. Mauthner angestellten Probeanalysen heraus, dass die Substanz sehr reich an Stickstoff ist. Der Stickstoffgehalt ist so gross — es wurden in zwei Analysen 9-27 und 12.71 Procent Stick- stoff (für aschefreie Substanz berechnet) gefunden — dass derselbe un- möglich auf etwaige Verunreinigung durch Eiweisskörper bezogen werden kann. Die Substanz bietet noch eine zweite, höchst bemerkenswerthe Eigen- thümlichkeit: sie redueirt Kupferoxyd in alkalischer Lösung zu Kupfer- oxydul, nicht selten mit schwacher aber deutlicher Biuretfärbung. Als ich diese Beobachtung zuerst machte, glaubte ich natürlich, dass die Reduction dadurch veranlasst sei, dass die Substanz noch durch Spuren von Leber- zucker verunreinigt sei. Diese Annahme wurde immer unwahrscheinlicher, nachdem bei weiteren Darstellungen die aus den sehr grossen Mengen Alkohol, also aus sehr verdünnter Leberzuckerlösung ausgefällte Substanz mit sehr grossen Mengen Alkohol gewaschen, gelöst und wieder von neuem aus beträchtlichen Alkoholmengen gefällt war. Noch weniger haltbar wurde die Annahme, dass die Reduction auf als Verunreinigung beigemengten Leberzucker zu beziehen sei, nachdem quantitative Proben angestellt waren. Es wurde eine gewogene Menge der bei 100° getrockneten Substanz in einer bestimmten Menge Wasser gelöst und mit derselben eine gemessene Menge Fehling’scher Lösung titrirt. Die Reduction war so bedeutend, dass sie, auf Traubenzucker berechnet, fast immer einem Vierttheil des Ge- wichtes der gelösten Substanz gleichkam; unmöglich kann also diese he- duetion durch eingeschlossenen Leberzucker veranlasst sein. Wenn ich einen Theil der fast neutralen oder sehr schwach sauren Lösung mit Hefe versetzte und nach 2 bis 3 Tagen die filtrirte Flüssigkeit wieder mit Fehling’scher Lösung prüfte, zeigte sich die Reduction unverändert. Die Phenylhydrazinprobe fiel negativ aus. Es kann also vorläufig nur constatirt werden, dass die Substanz ein Reductionsvermögen besitzt, ohne an dasselbe weitere Folgerungen zu knüpfen. 304 J . SEEGEN: Wenn die gelöste Substanz mit Salzsäure in einer Glasröhre ein- geschlossen und durch 8 Stunden im Papin’schen Topf erhitzt wird, dann bildet sich Zucker, welcher vollständig vergährt und mit Phenylhydrazin schöne Osazonkrystalle giebt. In einzelnen Proben wurden 90 bis 95 Procent der gelösten Substanz als Zucker wiedergefunden. Bei den meisten Proben dagegen wurden nur ca. 70 bis 80 Procent des Gewichtes der gelösten Substanz als Zucker nachgewiesen, was zweifellos mit dem Grade der Rein- heit zusammenhängt. Zusammenfassend können wir also sagen: Die durch 90 proc. Alkohol aus dem Leberextract gewonnene Substanz ist dadurch charakterisirt, dass sie stickstoffhaltig ist, dass sie Kupferoxyd in alkalischer Lösung redueirt und dass sie mit Säure in der Hitze in Zucker umgewandelt wird. Ich habe eine Reingewinnung der Substanz durch Herstellung eines Barytsalzes versucht; der Versuch misslang, die Substanz blieb im ge- sättigten Aetzbarytwasser gelöst und wurde durch Alkohol aus demselben gefällt. Weitere Versuche für die Reindarstellung müssen später ausgeführt werden. Die nächste Aufgabe war, zu ermitteln, wie viel von dieser Substanz aus dem Extraet einer gewogenen Menge Leber und annähernd wie viel Zucker aus dieser Substanz erhalten werden kann. Zu diesem Zwecke war es nöthig, kleine Mengen Leber zu extrahiren, da nur dann eine voll- ständige Extraction möglich ist. Ich habe zu diesem Zwecke immer nur 50 bis 80 sm Leber extrahirt; die erste Fällung aus dem 57 proc. Alkohol war noch thonfarbig und das Filtrat braun gefärbt; bei weiterem Zusatz von Alkohol bis 90 Procent fel der Niederschlag in lichten weissen Flocken heraus und bildete auf dem Filter eine lichte gallertige Masse; diese wurde wiederholt gewaschen, nochmals in wenig Wasser gelöst und durch Zusatz von absolutem Alkohol bis *0 Procent gefällt. Dieser über Schwefelsäure getrocknete Niederschlag wurde in wenig Wasser gelöst, mit Salzsäure in der Röhre eingeschlossen und durch 8 Stunden erhitzt. Der gewonnene Zucker betrug in den verschiedenen Proben 0-3 bis 0-4 Procent. Diese sehr mässige Zuckermenge war für mich überraschend, sie be- lehrte mich, dass die Anschauung, es sei das in dem Gesammtzucker ent- haltene Zuckerplus aus dieser Substanz hervorgegangen, eine irrige war. Während nämlich das nebst Leberzucker und dem aus Glykogen ent- standenen Zucker gefundene Zuckerplus mindestens 4 Procent betrug, oft auch weit darüber, konnte kaum der zehnte Theil dieses Zuckers aus jener Substanz entstanden sein. Man konnte denken, es sei schon in dem ersten Niederschlage aus proc. Alkohol zugleich mit dem Glykogen noch ein zweiter Körper 97 (9) DiE VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 305 niedergefallen, der durch Säure in Zucker umgewandelt wurde. Ich habe, um darüber in’s Klare zu kommen, in wiederholten Versuchen diesen ersten, un- gemein copiösen Niederschlag in Wasser diluirt (er löste sich nicht vollständig, bildete eine etwas gelb gefärbte, milchige Flüssigkeit) in eine grosse Röhre eingeschlossen, nachdem die der gemessenen Flüssigkeitsmenge entsprechende Quantität 10 proc. Salzsäure zugefügt war, und die Röhre durch 8 Stunden erhitzt. Die erhaltene Zuekermenge entsprach annähernd jener Zuckermenge, welche aus dem Glykogen, welches in diesem Niederschlage vollständig vorhanden ist, gewonnen wurde. Nicht selten war ein kleines Zuckerplus nachzuweisen, welches vielleicht noch aus beigemengtem Leberzucker stammte. Es war ferner denkbar, dass noch im Alkohol eine beträchtliche Menge jener Substanz zurückgeblieben war, welche den Zucker liefern könnte. Ich habe darum in einer Reihe von Versuchen das gesammte alkoholische Filtrat abdestillirt oder abgedampft und in dem kleinen gemessenen wässe- rigen Rückstand den Zucker bestimmt, er betrug 0-2 bis 0-3, in einem Falle 0-6 Procent mehr, als dem in dem Alkohol vorhandenen Leberzucker entsprach, und dieses Mehr ist wahrscheinlich auf Rechnung des beim Auswaschen des ersten Niederschlages mechanisch mit fortgerissenen Gly- kogens zu beziehen, denn das Filtrat vom ersten Niederschlag wird bei längerem Auswaschen desselben immer trübe. Ich lasse hier eine vollständige Analyse folgen, um diese Verhältnisse ziffermässig klar zu machen. Versuchsthier Kalb. a) 305m Leber extrahirt, das Extract auf 100° eingedampft, 50 m mit 150m 95 proc. Alkohol versetzt und in dem eingeengten Filtrate der Zucker & bestimmt; 50°" des Extractes werden mit 10° = 10 proc. Salz- säure in der Röhre eingeschlossen und durch 8 Stunden im Papin’schen Topf erhitzt und in der alkalisch gemachten, gemessenen und auf’s Zehn- fache verdünnten Flüssigkeit der Zuckergehalt # bestimmt. I. Zucker 2.4 Procent. II, Gesammtzucker 12:0 „ b) 308m Leber werden nach Külz und Brücke behandelt, das ge- wonnene Glykogen in 20 m Wasser gelöst und mit 4°” 10 proe. Salzsäure in der Röhre eingeschlossen und durch 8 Stunden erhitzt und in der alka- lisch gemachten, gemessenen Flüssigkeit, gleichfalls auf’s Zehnfache ver- dünnt, der Zucker bestimmt. Zucker aus Glykogen betrug 3-3 Procent. c) 8Osm Leber vollständig extrahirt, Extract auf 100 = eingedampft, 140m absoluter Alkohol zugesetzt; der sehr reiche, gewaschene Nieder- schlag getrocknet, in Wasser aufgenommen und mit 10 procent. Salzsäure in der Röhre erhitzt, die Flüssigkeit alkalisch gemacht, zehnfach verdünnt und Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 20 306 J. SEEGEN: der Zucker (z) bestimmt, zum alkoholischen Filtrate wurden noch 960 «em absoluter Alkohol zugesetzt und der Niederschlag $ mit Salzsäure in der Röhre erhitzt und in der sehr dunklen Flüssigkeit der Zucker bestimmt. Schliesslich wurde das ganze alkoholische Filtrat abgedampft, der flüssige Rückstand y in eine Röhre mit Salzsäure gegeben und dann der Zucker bestimmt. Gefundener Zucker & 5.0 Procent. „ „ ge: „ ” ” 7% 3.3 ”„ In & war 1-7 Procent Zucker mehr, als dem Glykogen entspricht; es ist unter allen meinen Versuchen das einzige Mal, dass ein solches Zuckerplus in diesem Niederschlage nachzuweisen ist, zumeist ist der Zucker- gehalt mit dem aus Glykogen entstandenen gleich oder übersteigt ihn nur um einige Zehntel. Der Zucker aus dem Alkohol 7 ist um 0-9 grösser, als dem Leberzucker entspricht, aber auch dieser ist gewiss zum Theile ‚oder ganz auf Rechnung des beim Auswaschen mitgerissenen Glykogens zu setzen. Aber wenn wir von allen diesen Vorbehalten absehen, beträgt das Zucker- plus in & 1-7 Procent, in y 0-9 Procent und aus dem Niederschlage £ werden 0-4 Procent erhalten, in Summa 3 Procent, während das Zucker- plus im Gesammtzucker 6.3 Procent beträgt, also 3.3 Procent unbe- deckt sind. Das in der Gesammtzuckermenge zur Erscheinung kommende Zucker- plus muss, insoweit es unbedeckt ist, in dem Leberextract durch Einwirkung von Salzsäure oder Hitze entstanden sein. Dass es sich dabei nicht um Abspaltung von Kohlehydraten aus den im Leberextract vorhandenen Ei- weisskörpern handeln kann, wurde, wie früher dargelegt, dadurch bewiesen, dass die Zuckerbildung in dieser Art nur im Leberextract zu Stande kommt, während in Extracten anderer eiweissreicher Organe eine Zuckerbildung allenfalls nur dann stattfindet, wenn dieselben, wie Pavy angiebt, mit Aetz- kali gekocht werden. Wir können uns also nur denken, dass auch dieser durch verdünnte Säuren zu Stande kommenden Zuckerbildung eine vor- bereitende, specifische Leberthätigkeit vorangegangen sein muss. Die aus meinen Versuchen sich ergebenden Thatsachen lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen: 1. Das mit Säure in der Hitze behandelte Leberextract enthält weit mehr Zucker, als der Summe des Leberzuckers und des aus dem Glykogen entstandenen Zuckers entspricht. 2. Durch Behandlung des Leberextractes mit 90 procent. Alkohol wird ein Körper gefällt, welcher in Wasser vollkommen löslich ist, welcher bedeutende Mengen Stickstoff enthält, welcher Kupferoxyd reducirt, ohne DIE VORSTUFEN DER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 307 eine andere Zuckerreaction zu geben, und welcher durch Erhitzen mit ver- dünnter Säure in Zucker umgewandelt wird. 3. In dem Leberextracte ist noch ein weiterer Körper vorhanden, der durch Einwirkung von verdünnter Säure in der Hitze in Zucker umgewandelt wird. Ueber die Natur dieses Körpers vermag ich vorläufig nichts weiter anzugeben. So weit reicht das Thatsächliche. Es mag mir gestattet sein, an diese Thatsachen eine Hypothese zu knüpfen. Dass die Leber aus Eiweiss Zucker zu bilden vermag, wird nicht mehr bezweifelt und ist schon dadurch fest- gestellt, dass in schweren Diabetesfällen auch bei ausschliesslicher Fleisch- kost reichlich Zucker ausgeschieden wird. Diese Zuckerbildung aus Eiweiss ist wahrscheinlich ein complicirter, stufenweise vor sich gehender Process und die von mir gefundenen Thatsachen geben vielleicht Einsicht in den stufenförmigen Vorgang, welchen die Leberzellen bei der Zuckerbildung aus Eiweiss beobachten. Durch ihre specifische Fähigkeit wird zuerst im Eiweissmolecül das Kohlehydrat so gelockert, dass es durch Einwirkung von Salzsäure in der Hitze in Zucker umgewandelt werden kann. Durch fort- gesetzte Leberthätigkeit wird dann in der Leber selbst schon jenes Kohle- hydrat allmählich aus seinem Verbande losgelöst und es entsteht jene oben beschriebene, noch stickstoffhaltige Substanz. Die Richtigkeit dieser Hypothese muss erst durch weitere Thatsachen voll bestätigt werden; jeden- falls gestattet sie uns Einsicht in den Werdegang der Zuckerbildung in der Leber. 20* Die Berechnung der Gerüstsubstanz rother Blut- körperchen nach H. J. Hamburger. Von Hans Koeppe in Giessen. In der Nachschrift seiner Abhandlung „Ueber den Einfluss von Salz- lösungen auf das Volum thierischer Zellen“! sucht H. J. Hamburger die Einwände zu entkräften, welche ich gegen seine Berechnung der „Gerüst- substanz“ der rothen Blutkörperchen? an gleichem Orte 1899 S. 504 u. f. erörterte. Ich bezeichnete meine Einwände als prineipielle, nämlich, wenn die Lehre vom osmotischen Druck die Grundlage der theoretischen Ueber- legungen bildet, welche zu der erwähnten Berechnung des Protoplasma- gerüstes führten, so darf bei dieser Berechnung die Dissociation der Salze in der benutzten Lösung und die Durchgängigkeit der rothen Blutscheiben für Cl-Ionen nicht unberücksichtigt gelassen werden, wie Hamburger es thut. Beide Momente aber beeinflussen ausserdem noch das Resultat der Rechnung in nachweisbarem Grade. Die beiden Einwände werden zwar auch von Hamburger im Prineip als berechtigt und richtig anerkannt, doch praktisch seien sie ohne Belang, da „die auf Dissociation und Permeabilität bezüglichen theoretischen Be- denken keinen nennenswerthen Einfluss auf den Betrag des mittels NaCl- Lösungen bestimmten procentischen Gerüstvolums repräsentiren können; um so weniger, weil Dissociation und Permeabilität mit entgegengesetztem Zeichen wirksam sind“. Dies erscheint vollkommen einwandfrei; denn gewiss ist darum eine Methode nicht weniger brauchbar, wenn ihr ein Fehler anhaftet, den ' Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 465 u. f. ? Ebenda. 1898. Physiol. Abthlg. S. 317 u. £. Hans KoEPpPpE: ÜBER DIE BERECHNUNG U. S. W. 300 man kennt und der constant ist; auch zwei Fehler könnten schliesslich eine Methode noch nicht unbrauchbar machen, wenn beide constant sind, sowohl was ihren Werth anbelangt und die Richtung, in welcher sie auf das Resultat einwirken. In dem Bestreben, zunächst. die Fehler zur Kenntniss zu bringen, habe ich auf dieselben hingewiesen und dann auch an einem frappanten Beispiele (Lösungen von K,SO,) den durch den Einfluss der Dissociation bewirkten Fehler rechnerisch angegeben. Wenn nun, nachdem ich die Fehler gezeigt, Hamburger (S. 472) schreibt: „Mit K,SO, ist ein grösserer Fehler zu erwarten, da dessen Dissociationscoefficient viel grösser ist als von NaCl. Darum u. A. habe ich K,SO, auch nicht gebraucht,“ so konnte ich das vorher nicht wissen, zumal Hamburger in der mir damals vorliegenden Abhandlung S. 321 schreibt: „Obgleich wir ja, wie sich aus der Einleitung entnehmen lässt, anfänglich beabsichtigten, den Einfluss verschiedener Salze auf das Volum von Zellen zu studiren, haben wir uns bis jetzt nur beschäftigt mit NaÜl-Lösungen und mit Gemischen von Serum und Wasser, als vor- läufig genügend für die Beantwortung der Frage, welche uns inter- essirte“ u. Ss. w. So gut nun wie bei den K,SO,-Lösungen besteht der Fehler auch bei NaCl-Lösungen, er ist zwar nicht so gross als bei den K,SO,-Lösungen, aber sicher grösser, als es beim Vergleich mit Zuckerlösungen scheinen möchte, denn es ist bei den NaCl-Lösungen eben, wie Hamburger ganz richtig hervorhebt, der durch Dissociation bewirkte Fehler durch den anderen aus der Permeabilität entspringenden compensirt, jedoch, wie ich gleich hinzusetzen will, in einem unbekannten Grade Wie gross der eine der beiden Fehler ist, lässt sich nicht direct zeigen, da nur durch Elimination des einen Fehlers der andere in ganzer Grösse hervortreten kann. Aus den mit NaCl-Lösungen gewonnenen Zahlen ist das nicht möglich, da diese ja unter dem Einfluss beider Fehler entstanden, deshalb trifft Hamburger’s Berechnung des procentualen Fehlers, bedingt durch die Dissoeiation, S. 471 nicht das Richtige, weil er die Zahlen benutzt, auf welche beide Fehler wirkten. Nehmen wir statt der NaCl-Lösung die Lösung eines anderen Salzes, welches in gleichem Grade dissociirt, wie NaCl, aber für welches die rothen Blutscheiben undurchgängig sind, so haben wir einen Fehler eliminirt, und die wahre Grösse des anderen muss zu Tage treten. Ungefähr den gleichen Dissociationscoöfficienten wie NaCl hat KNO,, für welches, wie auch für seine Ionen, die rothen Blutscheiben impermeabel sind. Nehmen wir dagegen statt der NaCl-Lösung eine KCI-Lösung, für welche, wie bei der NaCl-Lösung, beide Fehler, Dissociations- wie Permea- 310 Hans KokrpPpE: bilitätseinfluss, zur Geltung kommen, so wird hier das Zahlenergebniss mit dem bei Zuckerlösungen erhaltenen leidlich übereinstimmen, während bei der KNO,-Lösung sich ein grösserer Unterschied findet. Versuch mit KNO,-Lösungen. Zucker- KNO;- Volumen Volumen des Protoplasmagerüstes lösung Lösung Her But ‚ grm-Mol. grm-Mol. körperchen | berechnet |der Zucker- | der KNO,- pro mille pro mille aus lösung Lösung a 0-2 0106 62-6 a und b 28:0 28-5 b 0-225 0-12 98:6 Be 22-0 29-3 6 0-25 0-14 545 | 20:0 33.9 d 0275 0157 51.0 Des ic 16-0 30:0 ber, ad 16-0 26-0 Coed 16.0 228 Mittel 19-3 28-6 Versuch mit KCl-Lösungen. Zucker- KCI- Volumen Volumen des Protoplasmagerüstes lösung Lösung der Bint- j grm-Mol. grm-Mol. körperchen ' berechnet |der Zucker-| der KCI- pro mille (88Dr0 mille aus lösung Lösung a 0-2 0-115 57.2 a und b 24:0 30-0 b 0-215 0.125 55.2 en le 22-0 26-6 c 0:225 0-13 540 ad 240 26°6 d 0+25 0145 51.0 bc 20-0 20-0 ba cd 24-3 25.0 6. 5 =d 26.0 26°6 | | Mittel 23-4 25.8 Die Versuche entsprechen unserer Vorhersage. Stellen wir diese Zahlen mit den schon früher für NaCl- und K,SO,- Lösungen gefundenen zusammen, so lassen sich die Beziehungen klar über- sehen. > Das Volumen des Protoplasmagerüstes wurde berechnet zu 1. 27.9 in Zuckerlösung, 31-1 in NaCl-Lösung, 2.23.45, e 25:8 „.KOzz, 3. 19.305 5; 28-6 „ KNO, „ 4. 19-6 „ „ 35-8 ,.,80,.,5 Das Volumen des Protoplasmagerüstes berechnet aus Versuchen mit NaCl- und KCl-Lösungen, stimmt mit dem Volumen, berechnet aus den- selben Versuchen mit Zuckerlösungen, leidlich überein, da bei KC]- wie bei ÜBeEr DIE BERECHNUNG ROTHER BLUTKÖRPERCHEN U. 8S.w. 811 den NaCl-Lösungen die gleichen Verhältnisse obwalten, der Fehler, welcher durch die Dissociation bedingt ist, annähernd durch den aus der Permea- bilität resultirenden aufgehoben wird. Fällt der durch die Permeabilität bedingte Fehler fort, so tritt der durch die Dissociation bedingte unbeein- flusst zu Tage, der Unterschied des Volumens 19.3 in Zuckerlösung gegen 28.6 in KNO,-Lösung ist ein wesentlich grösserer, noch bedeutender wird er, wie schon erwähnt, bei den K,SO,-Lösungen. Der durch die Dissociation bedingte Fehler wird für dasselbe Salz annähernd derselbe bleiben, dagegen kann das von dem durch die Permea- bilität hervorgerufenen nicht ohne Weiteres angenommen werden. Wenn Cl-Ionen der Lösung sich gegen CO,-Ionen der Blutkörperchen austauschen und der Gehalt der Blutkörperchen an Kohlensäure ein wechselnder sein kann, werden dementsprechend bei verschiederem Blute auch verschiedene Verhältnisse bestehen, ja auch dasselbe Blut hat verschiedenen CO,-Gehalt, je nachdem es längere oder kürzere Zeit in verschlossenem oder offenem Gefässe u. s. w. gestanden hat. Nach diesen Ueberlegungen bin ich überzeugt, .dass die Fehler, welche durch Dissociation und Permeabilität bedingt sind, unter Umständen einen erheblich grösseren Werth annehmen können, als durch die Berechnung Hamburger’s S. 471/72 scheinen möchte, welche, .wie schon erwähnt, mit Zahlenwerthen ausgeführt wurde, die unter Nichtbeachtung der beiden Fehlerquellen erhalten wurden. Berücksichtigt man ausser diesen beiden Fehlerquellen, deren Bestehen Hamburger selbst zugiebt, noch den Umstand, dass die Grundlage der Hamburger’schen Rechnung: der osmotische Druck O sei gleich dem Product aus Concentration (c) und Volumen (v), O=c.v, wie ich S. 510 bis 517 zeigte, nicht in aller Strenge Geltung hat, da die Elastieität der Blutkörperchen mit in’s Spiel kommt, so wird man begreifen, wenn ich auf die nicht übereinstimmenden Werthe mehr Gewicht lege, als auf die über- einstimmenden. Darin liegt eben der principielle Unterschied zwischen Hamburger’s und meinen Ueberlegungen. Hamburger weiss so gut wie ich, wie complieirt die Verhältnisse liegen und sagt deshalb: „Schliesslich war es nur die Uebereinstimmung der Zahlen, welche für mich das befriedigende Wort reden konnte.“ Mich hat das Studium dieser Verhältnisse aber gerade dahin geführt, ganz besonders darauf zu achten, wenn theoretische Erwägungen mit den Versuchsergebnissen nicht oder nicht immer über- einstimmten. Hierdurch gewinnt man immer wieder neue Unterlagen, wo der Hebel anzusetzen ist für neue Untersuchungen. Schliesslich noch einige Bemerkungen zu Hamburger’s Kritik meiner Versuche, 312 Hans Koeppe: 1. Dass meine eigenen Versuche so gut wie die von Hamburger auch für dessen Ansicht herangezogen werden können, das ist ohne be- sonderen Hinweis zu sehen, freilich nur dann, wenn man meine Einwände vernachlässigt. Im der scheinbaren Uebereinstimmung der Zahlenwerthe liegt gerade das Bestechende der Hamburger’schen Argumentation, dessen schwache Punkte ich nur deshalb rasch auffinden konnte, da ich mit der- selben Methode viele Hunderte von Versuchen in den verschiedensten Variationen ausgeführt habe und ohne Weiteres meine Versuche zur Klar- legung der Verhältnisse benutzen konnte. 2. Trotzdem nun unsere Versuche das gleiche Resultat ergeben, glaubt Hamburger doch an der Genauigkeit meines Versuchsverfahrens zweifeln zu dürfen. Ich habe die einschlägigen Verhältnisse eingehend schon be- sprochen! und darf wohl auf diese Publication verweisen. 3. Hamburger schreibt: „Den ersten Theil der Tabelle II (S. 508) kann ich nicht besprechen. Da müssen Fehler vorhanden sein. So ist in Tabelle II (Fortsetzung) das ne m in Zuckerlösung von . . . . 8.55 Proc, 52-5, in Tabelle II das Bintkörperchönvelnm in Zucker lösung von u 0 N BD De Ele Das stimmt; aber in Tabelle II (Fortsetzung) das Blutkörperchenvolum in Zuckerlösung von . . 6-84 Proc, 58-6, und in Tabelle II (Anfang) das Bluörpercheolun in .Zuckerlösung.. wa... 00 OL a 2 Das stimmt nicht; die zweite Zahl für das Sediment sollte kleiner sein als 58.6, statt grösser. Das ist in casu ein sehr bedeutender Fehler.“ Das ist kein Versuchsfehler, sondern hat seine ganz bestimmten Gründe in der Versuchsanordnung und in den Blutscheiben selbst. Es ist zu den Versuchen, die zeitlich oft sehr weit aus einander liegen, wie ganz natürlich, verschiedenes Blut verwendet worden. Bei diesen ver- schiedenen Versuchen war der osmotische Druck der Blutscheiben ein ver- schiedener und auch die Elasticität der Körperchen eine verschiedene. Hamburger’s Schluss: haben die Blutscheiben in einer bestimmten Con- centration (8:55°/,) ein bestimmtes gleiches Volumen, so müssen sie auch ! Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg.; nicht, wie Hamburger S. 474 anführt, Münchener medic. Wochenschrift. 1893, wo sich nur eine kurze Beschreibung des Apparates findet. ÜBER DıE BERECHNUNG ROTHER BLUTKÖRPERCHEN U. Ss. w. 8313 in einer anderen Concentration ein gleiches Volumen annehmen, trifft nur zu, wenn dieselben Blutscheiben oder solche von absolut gleicher Beschaffenheit verwendet werden, nicht aber für Blutkörperchen verschie- dener Herkunft. Blut zu beschaffen, welches für längere Zeit zu Versuchen verwendet werden kann, und von dem man sagen könnte, es ist immer dasselbe Blut, bei welchem also die absoluten Zahlenwerthe der einzelnen, nicht gleichzeitig ausgeführten Versuche direct mit einander verglichen werden könnten, halte ich für unmöglich; denn wenn es auch z. B. durch Jodoformzusatz zum Blute gelingt, das Faulen zu verhindern, so sind doch schon nach wenigen Stunden die Blutscheiben dunkelroth ge- worden, haben Kohlensäure producirt, und wenn sie auch durch Schütteln mit Luft wieder hellroth werden, die Kohlensäure ausgetrieben ist, so ist doch jetzt durch den Stoffwechsel der Körperchen, die Kohlensäureproduction, die moleculare Zusammensetzung des Blutscheibeninhaltes sicher eine andere geworden, und noch grösser sind die Unterschiede zwischen frischen und etwa 1 bis 2 Tage alten Körperchen. Gar wenn die Blutkörperchen in Koch- salzlösungen längere Zeit aufbewahrt wurden, in denen sich die Blut- scheiben anscheinend gut erhalten, womit eigentlich nur gesagt ist, dass dieselben als solche zu erkennen sind, so würde man doch irren, wollte man behaupten, Blutkörperchen, aus diesem Reservoir zu verschiedenen Zeiten entnommen, wären dieselben, besässen dieselben Eigenschaften. Wie die Kochsalzlösung, in der sie aufbewahrt werden, sich ändert, nämlich alkalisch wird, so hat sich auch der Blutkörpercheninhalt geändert. Bei meinen Versuchen wurde stets frisches Blut, unmittelbar vor dem Versuch dem Körper entnommen, verwendet. Es werden deshalb auch stets die absoluten Zahlen immer nur des einen Versuches mit einander verglichen, osmotischer Druck — Dissociationscoöfficient also immer nur aus einem Versuche berechnet, und dadurch Vergleichszahlen gewonnen. Der vermeintliche Fehler findet sich deshalb naturgemäss durchgehends. Aus meinen Versuchen konnte ich noch drei andere finden, wo zufällig in der 8-55 procent. Zuckerlösung die Blutprobe auch 52-5 Vol.-Procent Körperchen enthielt: Bei fünf Versuchen demnach hatte in der 8-55 procent. Zuckerlösung das Blut 52-5 Vol.-Procent rothe Blutscheiben. Dieselben sind Zuckerlösung °, 6-84 7-69 8-55 9-4 Versuch « BYEZ:) 55-6 52-5 49.5 Vol.-Proc. Körperchen 5 58-6 55.5 52-5 50-5 Y 60.0 56-1 52-6 49.0 ö 60-6 57.7 52-5 —_ E — 55-0 52.5 48-0 314 Hans KoEPPE: ÜBER DIE BERECHNUNG U. Ss. w. Trotz der Uebereinstimmung des Volumens in der 8.55 procent. Lösung wesentliche Verschiedenheit in den anderen Lösungen. Wie ist das möglich? Zur Klarlegung der Verhältnisse seien drei Versuche angeführt, bei denen der osmotische Druck sowohl, als auch durch Verwendung von Oel- pipetten das Volumen der Körperchen im Plasma bestimmt wurde. Osm. Druck in Zuckerlösung °/, 684 7:69 8-55 9-4 Oelpipetten grm-Mol. pro Mille | eo ars 0-235 b 54.0: 52.0 51.0 47.0 49.7 0.257 2600 ee 50-6. In Versuch a, 5 und c sind jedesmal 1. verschiedene Mengen von Blutscheiben verwendet worden. 2. Die 51 Volumentheile in Versuch a sind durch Schrumpfung der 52.3 Volumentheile Körperchen der Blutprobe entstanden, in Versuch 5 sind 49.7 Volumentheile Körperchen durch Quellung zu 51 Volumentheile gewachsen, ebenso in c. Der Widerstand, den die Blutscheiben in Folge ihrer Elastieität dem quellenden Einfluss entgegensetzen, ist im Allgemeinen ein geringerer als der die Schrumpfung bewirkende. Die Volumensunterschiede für gleiche Concentrationsunterschiede sind demnach auch verschiedene bei gleicher Elastieität. 3. Ist nun aber die Elastieität der Blutscheiben zweier Versuche ver- schieden, so muss auch trotz gleicher Concentrationsunterschiede bei gleichen Mengen von Körperchen sowohl Quellen wie Schrumpfen mit ungleichem Volumensunterschiede verlaufen. Diese drei Punkte erklären, dass in verschiedenen Versuchen trotz Gleichheit der Volumina in einer bestimmten Concentration, in anderen Concentrationen keine Volumensgleichheit mehr bestehen kann. Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Von Th. W. Engelmann. (Hierzu Taf. IIT— VI.) I. Einleitung. Aus den Untersuchungen der letzten Zeit hat sich ergeben, dass die Wirkungen der vom Gehirn und Rückenmark zum Herzen tretenden Nerven sehr viel mannigfaltiger sind, als man früher meinte. Dies kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass die Methode, welche, neben der einfachen Inspection, bei Studien über die Wirkung der Herznerven früher fast ausschliesslich verwendet wurde, in der Beobachtung und Registrirung der pulsatorischen Schwankungen des Blutdruckes in den grossen Arterien besteht. Das Herz selbst ist hierbei gar nicht direetes Object der Wahr- nehmung. Es werden nur Folgen der Herzthätigkeit in den Gefässen, also abgeleitete, nieht primäre Erscheinungen beobachtet und aus diesen auf die Vorgänge im Herzen geschlossen. Ganz abgesehen von den Störungen, die bei solchem Verfahren unter Umständen aus der selbstständigen Thätigkeit der Arterienwände drohen, ist dasselbe offenbar zunächst nur im Stande, über Aenderungen Aufschluss zu geben, welche die Kammerthätigkeit unter Einfluss der Herznerven erleidet. Die Methode lehrt aber direct nichts über den Einfluss der Nerven auf die übrigen Abtheilungen des Herzens, auf die Vorkammern und die grossen Venenmündungen, also auf die Theile, von denen die Herzpulsationen ausgehen und von denen sie mittels complicirter Leitungs- vorgänge erst zur Kammer fortgepflanzt werden, Theile, welche auch anatomisch die nächsten und hauptsächlichsten Angriffspunkte für die Herz- nerven bilden. 316 Thu. W. ENGELMANN: Selbst über die Aenderungen, welche die Kammer erfährt, vermag jenes Verfahren nur zum Theil direct zu unterrichten, nämlich wesentlich nur über die Aenderungen, welche die gröberen zeitlichen Verhältnisse und die Kraft und Grösse der Kammerpulse betreffen. Die ungemeine Wichtig- keit der, namentlich durch die Ludwig’sche und v. Bezold’sche Schule auf diesem Wege erhaltenen Aufschlüsse soll hiermit nicht im Geringsten verkleinert werden.” Man wird aber zugeben müssen, dass eine vollstän- dige, ein tieferes Verständniss des Nerveneinflusses auf das Herz ermög- lichende Zergliederung der Erscheinungen nur zu erwarten ist von einer Methode, welche am Herzen selbst arbeitet, und welche im Besonderen ge- stattet, die verschiedenartigen Wirkungen der Herznerven auf die einzelnen Abtheilungen des Herzens, für sich sowohl wie in ihrem Zusammenhange, messend zu untersuchen. Als die einzige Methode, welche diesen Anforderungen in weitem Umfange genügt, hat sich das zuerst von W.H. Gaskell (14) am ausge- schnittenen Herzen angewandte Suspensionsverfahren erwiesen. Hierbei werden bekanntlich nicht Druck- oder Volumschwankungen, sondern die Bewegungen der Muskelwände des Herzens, also die primären mechanischen Vorgänge direet nach den Grundsätzen der myographischen Technik unter- sucht. Aın selben Herzen können, wie ich früher ausführlich zeigte (6, 7, 8, 10), die verschiedensten Theile fast beliebig oft und lange, gleich- zeitig oder nach einander und in den verschiedensten Combinationen suspendirt werden, ohne dass die Circulation im Herzen und Körper eine irgend wesentliche Störung zu erleiden oder die untersuchten Abschnitte des Herzens in ihren Functionen geschädigt zu werden brauchten. Ver- wendet man zum Fassen der Herzwand sehr kleine Serrefines? und leichte, mit sehr geringer Reibung schreibende Hebel von Aluminium oder Schilt, so gelingt es bei nur mässiger Geschicklichkeit selbst bei kleinen Fröschen, ausser den Bewegungen der Kammern und Vorkammern auch die Con- tractionen der Hohlvenen und des Sinus für sich zu verzeichnen, und zwar ! Wie tiefe Einblicke man unter Umständen durch die blosse Untersuchung der arteriellen Pulscurven, namentlich wenn sie mit genauen Zeitbestimmungen verbunden ist, erhalten kann, hat unlängst K. F. Wenckebach in einer Reihe scharfsinniger Analysen der verschiedenen Arten des unregelmässigen Pulses beim Menschen gezeigt (43, 44, 45). Diese Analysen und damit die theoretisch wie prak- tisch gleich wichtigen Schlüsse, welche Wenckebach zieht, sind aber nur ermöglicht durch die Kenntniss von Thatsachen, welche durch blosse Untersuchung des Pulses niemals, wohl dagegen durch directe Untersuchung des Herzens selbst gefunden werden konnten. ® Die von mir benutzten sind 7 bis 12 ”® lang, haben 4 "m grösster Breite; die fassenden Zangenenden sind nur 0-5 bis 1”” breit und mit je drei stumpfen, in ein- ander greifenden Zähnen versehen, oder auch ganz ohne Zähne. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 317 in solcher Grösse und mit solcher Regelmässigkeit, dass meist allen wesent- lichen Bedingungen für die weitere Analyse genügt ist und namentlich auch die so ausserordentlich wichtigen, zeitmessenden Versuche mit grösster Genauigkeit ausgeführt werden können. Nachdem durch eine lange Reihe experimenteller Untersuchungen die fundamentalen physiologischen Eigenschaften der Herzmuseulatur und die charakteristischen Unterschiede derselben in den einzelnen Herzabtheilungen festgestellt und im Besonderen die wichtigen periodischen Einflüsse genügend ermittelt worden sind, welche der Wechsel von Thätigkeit und Ruhe des Herzens auf die Leistungen und functionellen Eigenschaften seiner einzelnen Abschnitte direct — ohne Vermittelung des cerebrospinalen Nervensystemes — ausüben, sind auch die Vorbedingungen erfüllt, von welchen aus eine experimentelle Neubearbeitung der Innervationsvorgänge des Herzens mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden kann. Doppelter Anlass zu solcher erneuten Prüfung besteht für die Ver- treter der myogenen Theorie der Herzbewegungen. Lehrt doch diese Theorie, dass sowohl die Erzeugung der automatischen Herzreize, wie deren rhyth- misch-peristaltische Foıtleitung durch die einzelnen Abtheilungen des Herzens in der Norm und dauernd ausschliesslich durch die Muskelsubstanz, ohne Mitwirkung der intracardialen Ganglien und Nerven besorgt wird. Die Rolle und der Mechanismus des Eingreifens der von den grossen Centren zum Herzen tretenden Nerven müssen hiernach wesentlich andere sein, als nach der älteren, neurogenen Theorie, die ja alle jene Functionen der Automatie und Coordination dem eigenen Ganglien- und Nervensystem des Herzens zuschreibt. Von verschiedenen Seiten sind denn auch bereits sehr werthvolle Bei- träge in der angedeuteten Richtung geliefert worden. Ich erinnere nur au die Arbeiten von W. H. Gaskell (14, 15, 16, 17), J. A. Mac William (46, 47, 48), Bayliss und Starling (2), F.B. Hofmann (21, 22), L. J. J. Muskens (35 bis 40), Ph. Knoll (27, 28), Reid Hunt (23, 24, 25). Bei der ungeheueren Ausdehnung, Verwickelung und Schwierigkeit und der hervorragenden theoretischen, wie praktischen Wichtigkeit des Gegenstandes kann aber die Untersuchung nicht vielseitig und sorgfältig genug sein, und so mögen denn auch die folgenden Mittheilungen, denen weitere folgen sollen, als Bausteine aufgenommen werden. Ich habe mich bei meinen Versuchen zunächst auf den Frosch be- schränkt. Einmal, weil dies Thier seit langer Zeit das klassische Object für die anatomische und physiologische Untersuchung der Herzinnervation ist und durch seine allbekannten Eigenschaften auch zu sein verdient. 318 Ta. W. EnGELMANN: Dann aber noch aus besonderen Gründen. Die Innervationsvorgänge sind bereits beim Froschherz so mannigfaltige und verwickelte, dass es nicht rathsam schien, sich sogleich höheren Thierformen zuzuwenden, bei denen naturgemäss eine noch höhere Complication zu erwarten und auch that- sächlich schon erwiesen ist. Dann aber handelt es sich bei unserer Auf- gabe um das Studium von Vorgängen principieller Art, von denen es nicht anzunehmen erlaubt ist, dass sie und ihre causalen Beziehungen bei den Herzen verschiedener Thiere wesentlich verschiedener Natur sein werden. Um so weniger ist dies erlaubt, als ja bekanntlich alle charakteristischen Merkmale und Leistungen der Herzmusculatur bei allen darauf untersuchten Wirbelthieren wesentlich übereinstimmen (4, 18, 19, 20, 29, 30, 31, 32). Die Unterschiede sind im Ganzen mehr quantitativer, secundärer Art. Noch eine weitere Beschränkung habe ich mir auferlegt: anstatt durch directe Reizung der Herznerven oder ihrer centralen Ursprungsstätten beeinflusste ich die Innervation meist auf reflectorischem Wege. Schon durch ältere, nicht veröffentlichte Versuche war ich darauf aufmerksam ge- worden — und die Muskens’schen Versuche über Reflexe vom Herzen aus hatten dies bestätigt (35) —, dass sich auf diesem Wege auch beim Frosche eine Menge der verschiedenartigsten nervösen Aenderungen der Herzthätigkeit herbeiführen lassen. Von verschiedenen Körperstellen aus, wie auch von denselben Stellen aus, durch verschiedene Art, Intensität und Dauer der Reize können vielerlei Arten von Reflexwirkungen im Herzen hervorgerufen werden: in den einen Fällen (beispielsweise von der äusseren Haut aus) Beschleunigungen des Tempo, mit oder ohne Steigerung der Kraft der Systolen, in den anderen (z. B. bei Reizung der Eingeweide) Hemmungen, wie Abnahme der Frequenz, der Grösse der Systolen, des Leitungsvermögens, vereinzelt oder mannigfach combinirt (auch mit Wir- kungen entgegengesetzten Vorzeichens), und in verschiedener Weise inner- halb des Herzens localisirt. Es musste zweifelhaft erscheinen, ob beim Frosch auf anderem Wege, durch directe Reizung der Vagi oder ihrer centralen Ursprünge, sich ein so grosser Reichthum von fein abstufbaren Wirkungen erzielen lassen würde. Auch bewegt man sich bei ausschliess- licher Verwendung von Reflexreizen mehr innerhalb physiologischer Be- dingungen und läuft weniger Gefahr, die Herznerven zu schädigen. Ausser- dem ist die Technik bequemer und sicherer; Störungen durch Stromschleifen auf das Herz selbst oder die in der Nähe gelegenen willkürlichen Muskeln, mechanische Behinderungen der Circulation, wie sie beim Präpariren der Vagi und Anlegen der Reizelektroden an diese Nerven selbst nicht immer zu vermeiden sind, fallen ganz weg. Da es für viele Fragen durchaus nöthig ist, dass Reflexbewegungen der Körpermuseulatur während der Versuche ganz ausgeschlossen bleiben, ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 319 so muss man die Frösche in der Regel curarisiren. Dies darf aber, wie besonders Muskens (35) mit Recht stark betont hat, nur in minimalster, zur Lähmung knapp genügender Dosis geschehen, da sonst die reflectorische Beeinflussung des Herzens sehr geschädigt, leicht sogar ganz aufgehoben wird. Die willkürlichen und Reflexbewegungen des Thieres dürfen im All- gemeinen erst etwa eine halbe Stunde nach der Injection der wässerigen Giftlösung in den Rückenlymphsack am Erlöschen sein. Es empfiehlt sich, vor dem Blosslegen des Herzens durch den Goltz’schen Versuch zu prüfen, ob der Vagus noch gut wirkt. Steht das Herz bei mässigem Klopfen auf den Bauch nicht während wenigstens 5 Secunden still, so thut man besser, das Thier nicht oder doch erst nach längerer Zeit zu verwenden, wo dann das Gift zum Theil bereits wieder ausgeschieden und die Reflexreizbarkeit des Vagus voll zurückgekehrt ist. Auch soll man die Reflexversuche am Herzen sich nicht rasch folgen lassen. Die Reflexerregbarkeit ermüdet sehr leicht und stellt sich nur langsam völlig wieder her. Bei gewöhnlicher Temperatur (15°) und gut erhaltener Circulation bedurfte es doch meist Pausen von wenigstens 1Y/, bis 2 Minuten zwischen zwei Reizungen von noch nicht 5 Secunden Dauer und mässiger, gleicher Stärke, wenn die zweite Reflexwirkung nicht schwächer als die erste sein sollte. Von künstlicher Erhöhung der Reflexreizbarkeit durch Strychnin, über- haupt von der Anwendung von Giften habe ich vorläufig im Allgemeinen abgesehen. Der Einfluss der Herzgifte bedarf ebenso wie der der Herznerven einer erneuten systematischen Bearbeitung auf Grund der jetzt gewonnenen Erfahrungen und Anschauungen über das Zustandekommen der normalen Herzbewegungen. Auch hier müssen, wenn es zu einer tieferen physio- logischen Einsicht kommen soll, die verschiedenartigen functionellen Stö- rungen in allen Theilen des Organes, speciell auch an den Ausgangspunkten der Erregung, und nicht bloss, wie bisher meist geschah, vereinzelte Effecte in Kammer und Vorkammer, messend untersucht werden. Dazu wird es wiederum der ausgiebigsten Verwendung der Suspensionsmethode bedürfen. Es ist schon jetzt sicher nachzuweisen, dass in vielen Fällen die bisher üblichen Vorstellungen über die Wirkungsweise von Herzgiften irrthümlich oder doch mangelhaft sind. Eine ungeheure Menge von alten und neuen Thatsachen ist hier zu bewältigen. Die experimentelle, wie litterarische Arbeit, deren es zu dieser Bewältigung bedarf, möchte die Kräfte Vieler auf Jahre hinaus in Anspruch nehmen. Wie ich glaube, wird es dieser Arbeit nur zu Gute kommen können, wenn zunächst versucht wird, die Einsicht in die Wirkungsweise der Nerven beim unvergifteten Herzen weiter zu fördern. 320 Ta. W. ENGELMARNN: Die functionellen Aenderungen, welche im Froschherzen durch Ver- mittelung der von aussen in dasselbe eintretenden Nerven nachweislich hervorgerufen werden können, betreffen sämmliche physiologische Grund- vermögen, auf deren Bethätigung der Herzschlag beruht: automatische Reizerzeugung, Reizbarkeit, Reizleitungsvermögen, Contracti- lität. Die Beeinflussung dieser Vermögen seitens der Nerven (wie übrigens auch seitens anderer Agentien) ist entweder eine directe, primäre, oder eine indireete, secundäre und kann sowohl in positivem, wie in nega- tivem Sinne.erfolgen. Es ist im Interesse einer kürzeren Darstellung und zur Vermeidung von Missverständnissen wünschenswerth, diese verschiedenen Arten functioneller Einflüsse mit eigenen Namen zu bezeichnen, und zwar mit solchen, die eine Anwendung auch auf andere reizbare organische Ge- bilde zulassen. Denn es handelt sich bei jenen vier physiologischen Ver- mögen um Erscheinungen, die — mutatis mutandis und vereinzelt oder im Vereine — allen erregbaren Gebilden aller Organismen zukommen. Einflüsse, welche sich beiın Herzen in Aenderungen des Tempos der automatischen Pulsationen, also der Dauer der Perioden, in Aenderungen der Pulsfrequenz äussern, sollen, in Uebereinstimmung mit einem früheren (6), bereits vielfach acceptirten Vorschlag, elıronotrope genannt werden. Sie heissen positiv-chronotrope, wenn sie in einer Beschleunigung, negativ- chronotrope, wenn sie in einer Abnahme der Frequenz sich äussern. Als primär-chronotrope Wirkungen bezeichne ich solche, welche auf einer directen, primären Beeinflussung der spontanen Reizerzeugung beruhen. Sie sind durchaus zu trennen von den secundär-chronotropen Wirkungen, welche ganz verschiedene Ursachen haben können. Eine primär-chronotrope Wirkung ist beispielsweise die Verlangsamung der Pulsationen des Sinus oder der grossen Hohlvenen, wenn sie auf gehemmter Erzeugung der spon- tanen Reize in ihrer Wand beruht; oder wenn der sonst nur indirect, von den Vorkammern aus, durch Leitung erregte Ventrikel direct zu spontanen Pulsationen — Extrasystolen — angeregt wird. Dagegen ist es eine secundär-chronotrope Wirkung, wenn der Ventrikel, wie häufig beim Goltz’schen Versuch, still steht in Folge Unterbrechung der motorischen Leitung vom Sinus oder den Vorkammern nach der Kammer; oder wenn in Folge sehr beschleunigter automatischer Thätigkeit des Sinus das Tempo der Vorkammer oder auch der Kammer sich verlangsamt, also eine primäre positiv-chronotrope Wirkung einen secundären negativ-chronotropen Effect zur Folge hat; oder wenn bei fortdauerndem Klopfen des Sinus und der Kammer die Vorkammern in Folge Aufhebung ihrer Contractilität still stehen. Wirkungen, welche sich in Aenderungen der Reizbarkeit, d. i. der Empfänglichkeit für von aussen kommende Reize äussern, schlage ich vor, ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 321 bathmotrope (von Aaduos, Schwelle) zu nennen. Unter „Reizbarkeit“ verstehe ich hierbei ausschliesslich — der schon vor vielen Jahren von Ad. Fiek mit Recht streng betonten Unterscheidung und zugleich dem gewöhnlichen Sprachgebrauch folgend —- die Anspruchsfähigkeit für Reize, also diejenige Grösse, welche durch den niedrigsten oder Schwellen- werth des wirksamen Reizes gemessen wird, zu dessen Grösse sie in um- gekehrtem Verhältniss steht. Sie ist durchaus zu unterscheiden von der, auch wohl. als Reizbarkeit, häufiger als „Erregbarkeit“ bezeichneten Leistungsfähigkeit der reizbaren Elemente, welche durch den maxi- malen Werth der durch die Reizung auszulösenden Energie gemessen wird und keineswegs — worauf schon die alte Unterscheidung der „reizbaren Schwäche“ deutet — zur Anspruchsfähigkeit in einem festen oder auch nur einsinnigem Verhältniss steht. Die bathmotropen Wirkungen der Nerven auf das Herz können, wie die chronotropen, primäre und secundäre sein. Namentlich die secundären sind ausserordentlich mannigfaltig. Sie sind meist die Folge primär- oder secundär-chronotroper Einflüsse Ihre Untersuchung ist sehr erschwert durch die myogenen, d. h. von der Systole herrührenden bathmotropen Wirkungen, von denen die auffälligste sich in der bekannten Thatsache des „refractären Stadiums“ offenbart. Eine höchst interessante, theoretisch wie praktisch wichtige Gruppe von Wirkungen erstreckt sich auf das Reizleitungsvermögen. Ich habe sie bereits früher als dromotrope bezeichnet. Sie äussern sich ent- weder in völliger Aufhebung, bezw. in Wiederherstellung der unterbrochenen Leitung, oder in einer Beschleunigung, bezw. Verlangsamung der motorischen Reizleitung. In den letzteren Fällen sind sie meist nur durch sehr genaue zeitmessende Versuche festzustellen und zu verfolgen. Sie sind gleichfalls entweder primäre oder secundäre und kennzeichnen sich im ersteren Falle dadurch als solche, dass sie rein für sich, ohne gleichzeitige oder vorher- gehende chronotrope, inotrope oder bathmotrope Effecte auftreten, oder auch gleichzeitig vorhandene entgegengesetzt gerichtete, in Folge anderer, nament- lieh chronotroper Wirkungen auftretende, secundär-dromotrope Effecte über- compensiren. Ihrerseits sind sie häufig die Ursache von secundär-chrono- tropen, bathmotropen und anderen Wirkungen, so beispielsweise, wenn in Folge Hemmung der Leitung von den Vorkammern zum Ventrikel die Kammersystolen seltener und grösser werden. Es bedarf fast immer ge- nauer zeitmessender Versuche, um zu entscheiden, ob es sich um primär- oder secundär-dromotrope Wirkungen handelt. Eine vierte Gruppe von Wirkungen der Herznerven bilden diejenigen, welche ich als inotrope zu bezeichnen vorgeschlagen habe. Sie betreffen die Contractilität, also die mechanische Leistungsfähigkeit der Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 21 322 Ta. W. ENGELMARNN: Herzmusculatur. Ihre Untersuchung bietet insofern weniger Schwierigkeit, als die Herzmuskelfasern aller Abtheilungen des Herzens sich bekanntlich im Allgemeinen immer maximal contrahiren, d. h. sich so weit zusammen- ziehen, als sie dies im gegebenen Augenblick überhaupt zu thun vermögen. Es bedarf also nicht eines Aufsuchens der maximalen Leistung mittels Ab- stufen der Reizstärke oder Reizdauer, sondern jede Contraction giebt ohne Weiteres durch ihre Grösse und Kraft ein Maass für die im betreffenden Augenblick vorhandene mechanische Leistungsfähigkeit ab. Dies gilt, streng senommen, jedoch nur bei erhaltenem Leitungsvermögen, wie später noch näher darzulegen sein wird. Am auffälligsten pflegen die negativ-inotropen Wirkungen, besonders die in den Vorhöfen localisirten, zu sein. Es kommen aber auch in allen Theilen des Herzens positiv-inotrope Effecte vor. Die primär-inotropen sind daran kenntlich, dass sie auch für sich, ohne gleichzeitige oder voraus- gehende chronotrope Aenderungen auftreten, oder dadurch, dass sie entgegen- gesetzt gerichtete, secundär-inotrope übercompensiren. Die letzteren beruhen meist auf primär- oder secundär-chronotropen Wirkungen. Hierzu gehört beispielsweise in vielen Fällen die Erscheinung der „Treppe“, oder die Ab- nahme der Contractionsgrösse bei Steigerung, ihre Zunahme bei Vermin- derung der Pulsfrequenz. Inotrope Effecte können auch vorgetäuscht werden, und zwar durch dromotrope Wirkungen. Wenn beispielsweise in Folge theilweiser Auf- hebung der Leitung nur ein Theil der Muskelfasern der suspendirten Herzabtheilung sich zusammenzieht, wird eine Abnahme der Verkürzungs- grösse, also ein scheinbar negativ-inotroper Effect resultiren müssen. Auch der entgegengesetzte Fall einer scheinbar positiv-inotropen Wirkung, durch Wiederherstellung des zuvor partiell aufgehobenen Leitungsvermögens ist denkbar. Leider ist es ja nicht möglich, die Zusammenziehung einzelner kleinster Muskelelemente zu registiren. Wir sind beschränkt auf die Be- obachtung von grösseren, unzählige solcher Elemente umfassenden Muskel- bündeln. Solche scheinbar inotropen Wirkungen mögen als pseudo- inotrope bezeichnet werden. An die Untersuchung der im Vorstehenden besprochenen vier Kategorien von physiologischen Grundfunctionen würde sich die der elektrischen, ther- mischen und chemischen Nervenwirkungen im Herzen anzuschliessen haben. Bis jetzt ist hiermit nur für die elektrischen Vorgänge ein entschiedener Anfang gemacht, der aber dringend zur Nachprüfung und weiteren Ver- folgung auffordert: ich meine die bekannten, sehr merkwürdigen Angaben von W. H. Gaskell (16, 17) über positive Schwankungen der Demarcations- ströme des Herzens bei Vagusreizung. — Endlich müsste auch geprüft ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 323 werden, ob sich nicht unter dem Einfluss der Nerven functionelle Structur- änderungen in den Elementen der Herzwand mittels des Mikroskopes nachweisen lassen. Der durch negativ-inotrope Vaguswirkung erzeugte Still- stand der Vorkammern dürfte hier vielleicht den geeignetsten Ausgangs- punkt bieten. Es genüge aber, diese Fragen angereet zu haben, zu deren Lösung beizutragen mir einstweilen leider versagt bleiben muss. 1I. Uebersicht der im Froschherzen durch Reflexe zu erregenden funetionellen Aenderungen. Der Reichthum von Erscheinungen, welche auf refleetorischem Wege im Herzen hervorgerufen werden können, erhellt zur Genüge daraus, dass alle Arten functioneller Effeete, ehronotrope wie inotrope, dromotrope wie bathmotrope, und zwar positive wie negative, theils primär theils secundär, einzeln und in den verschiedensten Combinationen, in allen Abtheilungen des Herzens hervorgebracht werden können. Dazu kommt, dass nicht selten auf ein und dieselbe Reizung einer Körperstelle nach einander eine ganze Reihe verschiedenartiger, zum Theil entgegengesetzter Reflexwirkungen folgen. Manche dieser Erscheinungen sind schon durch Muskens’ (35) Unter- suchungen über die vom Herzen selbst aus auf das Herz durch Vermittelung der grossen Centralorgane auszulösenden Reflexe bekannt geworden. Auch die zahlreichen Versuche mit directer Reizung der Herznerven, welche mittels direeten Registrirens der Vorkammern und Kammer durch auf- gelegte Hebel von Nuel (41), Heidenhain u. A., mittels des Suspensions- verfahrens von Gaskell (14, 15), MacWilliam (46, 47, 48), Wesley Mills (34), Bayliss u. Starling (2), Muskens (35—40), Knoll (27, 28), F. B. Hofmann (21, 22), Reid Hunt (23—26) angestellt worden sind, haben gezeigt, wie verschiedenartig die functionelle Beeinflussung der ver- schiedenen Abtheilungen des Herzens seitens der Nerven ist. Es ist geradezu unmöglich, die verschiedenen wirklich vorkommenden Fälle sämmtlich zu beschreiben. Nach einer nunmehr über fast zehn Jahre aus- gedehnten Reihe von Erfahrungen und im Besitze von vielen Tausenden genau geprüfter graphischer Versuche, kommen mir gelegentlich bei neuen Experimenten doch noch neue Combinationen von Reflexwirkungen vor Augen. Ich muss mich deshalb auf eine Uebersicht des Wichtigsten und Häufigsten beschränken. Die auffälligsten, schon durch den Goltz’schen Versuch allgemein bekannt gewordenen Reflexwirkungen sind die ehronotropen. Die primären haben ihren Sitz beim Frosch fast ausschliesslich im Sinusgebiet, mit welchem 21e 324 Ta. W. ENGELMANN: Namen ich hier das die grossen Herzvenen und den Sinus venosus um- fassende Gebiet umfassen will, welches normaler Weise beim Frosch die einzige Stätte der spontanen Erzeugung von Erregungen ist. Sie treten nie rein auf, sondern immer in Begleitung oder doch mit Gefolge von — meist secundären, chronotropen, dromotropen, inotropen und bathmotropen Effecten in den anderen Herzabtheilungen. Man kann sie von allen Körperstellen aus hervorrufen, von der Haut der Extremitäten, des Rumpfes, des Kopfes, von der Cornea, von der Nasen- und Mundschleimhaut aus, von den Lungen, dem Herzen selbst, namentlich leicht auch vom Magen und Darm aus. Primäre, positiv-chronotrope Wirkungen auf das Sinusgebiet, die namentlich durch mechanische oder elektrische Reizung der Haut der Extre- mitäten und des Rumpfes leicht zu erzielen sind, treten gelegentlich als einziger primärer Effect auf (Taf. III, Fig. 1), öfters combinirt mit positiv inotropen (Taf. V, Fig. 17; Taf. VI, Fig. 20), seltener mit negativ inotropen Effecten auf die grossen Venen und den Sinus. Die Leitung innerhalb des Sinusgebietes war gleichzeitig etwas beschleunigt, verzögert (Taf. V, Figg. 14, 15; Taf. VI, Figg. 19, 20) bis zur völligen Aufhebung, oder nicht merklich verändert. Häufig war eine deutliche, gelegentlich selbst eine sehr starke inotrope Wirkung auf die Vorkammern (Taf. III, Figg. 6, 7, 8; Taf. IV, Figg. 9, 13; Taf. V, Fig. 14; Taf. VI, Figg. 19, 20), auch wohl auf die Kammer (Taf. IV, Fig. 13; Taf. VI, Figg. 19, 20) damit vergesell- schaftet, und zwar je nach Ort und Art der Reizung und sonstigen Um- ständen entweder eine positive (Taf. III, Fig. 6; Taf. IV, Fig. 13) oder eine negative (Taf. III, Figg. 7, 8; Taf. IV, Fig. 9; Taf. V, Fig. 14; Taf. VI, Figg. 19, 20). Die Leitung der Contractionswelle vom Sinusgebiet zu den Vorkammern, wie auch die zur Kammer konnte gleichzeitig unverändert oder verschlechtert (Taf. VI, Figg. 19, 20) sein. Unzweifelhafte Fälle von Verbesserung wurden noch nicht beobachtet. Primäre, negativ-chronotrope Wirkungen auf das Sinusgebiet, die besonders leicht von den Eingeweiden her auszulösen sind, waren in manchen Fällen begleitet von positiv-inotropen (Taf. V, Figg. 16, 17; Taf VI, Fig. 23), gelegentlich auch von negativ-inotropen (Taf. IV, Fig. 10; Taf. VI, Fig. 21) Wirkungen auf Venen und Sinus; andere Male fehlte gleichzeitig jeder nennenswerthe Einfluss auf die Contractionsgrösse dieser Theile (Taf. IV, Figg. 11, 12). Dagegen combinirten sich sehr häufig damit Hemmungen der Leitung innerhalb des Sinusgebietes (Taf. IV, Fig. 12; Taf. V, Figg. 16, 17, 18; Taf. VI, Figg. 21, 23), wie auch der Leitung vom Sinus zu den Vorkammern (Taf. V, Fig. 18; Taf. VI, Figg. 19, 21) und von diesen zur Kammer (Taf. V, Fig. 16; Taf. VI, Figg. 21, 22). Ungemein häufig be- stand gleichzeitig eine Schwächung der Vorkammersystolen (Taf IV, Figg. 10, 11, 12; Taf. V, Figg. 16, 17, 18; Taf. VI, Figg. 21, 22, 23), nuz ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF Das HERZ. 325 secundär kamen positiv-motrope Wirkungen auf die Atrien zur Beobachtung, während die Kammer entweder ungeschwächt oder (seltener) mit vermin- .derter (Taf. VI, Figg. 21, 22) Kraft weiterschlug. Bathmotrope Reflexe im Sinusgebiet wie auch in den anderen Gegenden des Herzens konnten _ fehlen, aber auch sehr merklich, und zwar in positivem wie in negativem Sinne, vorhanden sein. Nächst den chronotropen sind die inotropen Reflexe die auffälligsten. Primär-inotrope sind weitaus am deutlichsten bei den Vorkammern, was ja auch bei direeter Vagusreizung bei allen darauf untersuchten Thierarten gilt. Sie erstrecken sich, wie es scheint, immer gleichzeitig und in gleichem Grade auf beide Vorkammern, wie isolirte Registrirung beider lehrte (Taf. III, Fig. 4). Knoll (27) fand jedoch bei directer (einseitiger?) Vagusreizung beim Kaninchen und Hunde gelegentlich ungleich starke inotrope Beein- flussung beider Atrien. Auch im Sinusgebiete kommen positiv wie negativ inotrope Reflexe vor, ebenso in der Kammer. Am häufigsten und intensivsten sind die negativ-inotropen Reflexe auf die Vorkammern. Bei Reizung der Eingeweide (Magen, Darm u. s. w.) fehlen sie fast nie. Sie treten, in Uebereinstimmung mit Nuel’s (32) Be- funden bei directer Vagusreizung, nicht selten, namentlich bei schwächeren Reizen, ganz oder fast ganz rein, d. h. ohne merkliche andere begleitende Wirkung auf (Taf. III, Fig. 4). Sehr häufig aber sind sie mit primären negativ-chronotropen (Taf. IV, Figg. 10, 11, 12; Taf. V, Figg. 16, 17, 18; Taf. VI, Figg. 21, 22, 23), seltener mit positiv-chronotropen Baal], kie2.97, 85% Tarı]V,-Big:957 Taf, VE Pieg: 14,015, Par, Figg. 19, 20) Wirkungen auf das Sinusgebiet vergesellschaftet. Die Grösse der Venen- und Sinuscontractionen bleibt auch bei sehr starken negativ- inotropen Reflexen auf die Atrien sehr häufig völlig ungeändert (Taf. II, Figg. 4, 7; Taf. IV, Fig. 9), kann aber auch in jedem, oder auch nur in einzelnen dieser Theile geschwächt (Taf. IV, Fig. 10; Taf. VI, Figg. 19, 20, 21) oder gesteigert (Taf. III, Fig. 8; Taf. V, Figg. 15, 16, 17; Taf. VI, Figg. 19, 20) sein. Negativ-inotrope Reflexe auf die Kammer kommen bei normaler oder wenig behinderter Blutzufuhr zum Ventrikel in der Regel garnicht oder nur in geringem Grade vor; im entgegengesetzten FaHe können sie sehr stark werden (Taf. VI, Figg. 19, 20, 21, 22), wie ja auch be- kanntlich bei directer Vagusreizung am ausgeschnittenen Herzen sehr be- trächtliche Schwächung der Ventrikelsystolen beobachtet wird. Dromotrope Reflexe können selbst während sehr erheblicher Grössen- abnahme der Vorkammersystolen gänzlich fehlen. Doch ist in diesem Falle die Leitung im Sinusgebiet, wie auch vom Sinus zu den Vorkammern und .der Kammer sehr häufig erschwert (Taf. IV, Fieg. 11, 12; Taf. V, 326 Tu. W. ENGELMANN: Figg. 14, 16, 17, 18; Taf. VI, Figg. 19, 20, 21, 22, 23), sehr selten in positivem Sinne modifieirt. Auch bathmotrope Wirkungen in den Vorkammern oder anderen Herz- . abtheilungen können die negativ-inotropen Reflexe in den Atrien begleiten, und zwar positive sowohl wie negative. Sie können aber auch fehlen. Positiv-inotrope Reflexe werden besonders von der Haut aus leicht erhalten, beschränken sich zuweilen auf das Sinusgebiet (Taf. III, Fig. 2) oder auf die Vorkammern (Taf. III, Fig. 3), ergreifen häufig aber mehrere Herzabtheilungen zugleich, besonders Atrien und Ventrikel (Taf. IV, Fig. 15). Es kommt aber auch vor, dass Verstärkung der Sinussystolen mit Schwä- chung der Vorkammercontractionen (Taf. V, Figg. 15, 16, 17; Taf. VI, Fig. 23) sich combinirt. Die positiv-inotropen Reflexe können ohne deut- liche primäre chronotrope Effecte auftreten (Taf. III, Figg. 2, 3), sind aber öfter mit positiv-chronotropen Wirkungen auf das Sinusgebiet (Taf. IV, Fig. 13; Taf. V, Fig. 15; Taf. VI, Figg. 19, 20), secundär auch auf Vor- kammern und Kammern, gelegentlich jedoch auch mit primären negativ- chronotropen Wirkungen auf das Sinusgebiet vergesellschaftet (Taf. V, Fig. 16; Taf. VI, Figg. 19, 23). Primär-dromotrope Reflexe kommen sehr häufig vor. Sie betreffen namentlich auffällig die Ueberleitung der Erregung von den Venen zum Sinus (Taf. IV, Fig. 12; Taf. V, Figg. 14, 15, 16, 17, 18; Taf. VI, Figg, 19, 20, 23), vom Sinus zu den Atrien (Taf. V, Figg. 16, 18; Taf. VI, Fig. 19) und von diesen zur Kammer (Taf. V, Fig. 16; Taf. VI, Figg. 20, 21, 22, 23), also die sogenannten Blockstellen, niemals, so weit ich bis jetzt sah, die Leitung von einer Vorkammer zur anderen. An jeder der ge- nannten Stellen kann die Leitung für sich modificirt werden. Die dromo- tropen Reflexe sind immer mit chronotropen, inotropen und bathmotropen Effecten, theils primärer, theils secundärer Art, in der gleichen oder in anderen Abschnitten des Herzens verbunden. Am leichtesten zu erkennen, und sehr häufig, sind die primären negativ-dromotropen Reflexe, wenn sie sich in völliger Unterbrechung der ‘Leitung äussern (Taf. III, Fig. 5; Taf. V, Fige. 14, 15; Taf. VI, Fig. 20). Sie sind, wie bekanntlich schon Gaskell für directe Vagus- reizung fand, eine sehr gewöhnliche Ursache des Ventrikelstillstandes und können auch ein Aussetzen der Vorkammerpulse veranlassen (Taf. V, Fig. 14). Es ist sehr wichtig, dass sie unter gewissen Umständen, die jedoch im Leben kaum je realisirt sein werden (z. B. Compression des Suleus atrio- ventricularis), ohne irgend merkliche primär-chronotrope oder -inotrope Nebenwirkungen auftreten können. Bei völliger Aufhebung der Leitung von den Atrien zur Kammer, durch Reflex vom Darm aus, können so beispiels- weise die Vorkammersystolen normale Frequenz und Grösse haben (Taf. III, Tr r ‘ ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS HERZ. 327 Fig. 5). In der Regel aber sind sie mit primären negativ-inotropen Kflecten in den Atrien, auch wohl in der Kammer, sehr häufig auch mit primär- chronotropen Reflexen im Sinusgebiet, immer mit secundär-chronotropen und anderen Wirkungen gepaart. Primäre positiv-dromotrope Reflexe kommen gleichfalls und an denselben Stellen vor, sind jedoch meist viel weniger auffällig, fast immer nur mittels feinerer Zeitmessungen zu constatiren. Sie können gleichfalls mit verschiedenen, meist positiven chronotropen und inotropen Wirkungen assocürt sein. Primäre bathmotrope Reflexe ohne gleichzeitige Anwesenheit anderer Wirkungen im gleichen Theil des Herzens wurden bisher nicht beobachtet, sind auch kaum zu erwarten. Wir werden sie später noch.specieller zu untersuchen haben. Secundäre bathmotrope Effecte fehlen vielleicht nie. Ill. Beschreibung von Versuchsbeispielen zur Erläuterung der verschiedenen Arten von Herzreflexen. Zum Belege und zur näheren Erläuterung der im Vorstehenden ent- haltenen Angaben über reflectorische Beeinflussung des Herzens mögen eine Reihe von Einzelversuchen beschrieben und abgebildet werden, welche wenigstens die wichtigsten und häufigsten der vorkommenden Fälle und Combinationen von Nervenwirkungen veranschaulichen und damit zugleich ein Urtheil über die experimentelle Begründung unserer obigen Angaben ermöglichen sollen. Es erscheint dies um so nöthiger, als die Interpretation der mittels des Suspensionsverfahrens erhaltenen Myogramme des Herzens in vielen Fällen eine Aufgabe ist, die mit sehr grosser Vorsicht gelöst sein will. Ganz besonders gilt das für das blutdurchströmte Herz — und unsere Versuche beziehen sich ja fast ausschliesslich auf dieses —, da hier durch die wechselnde Blutfüllung der einzelnen Herzabtheilungen passive Ver- schiebungen der suspendirten Punkte der Herzwand und damit der registri- renden Schreibhebel erzeugt werden können, welche zu Täuschungen über Anfang, Verlauf und Grösse der Contraction des suspendirten Herzabschnittes zu verleiten vermögen. Daneben können sich unter Umständen leicht Con- tractionen der nicht direct suspendirten Theile merklich einmischen. So kann beispielsweise die Curve, welche die Hohlvenen und der Sinus zeichnen, von den Bewegungen der Vorkammern oder der Kammer direct beeinflusst werden, und umgekehrt. Es ist in jedem Falle dafür zu sorgen, dass die Abschnitte des Herzens, deren Bewegungen man registriren will, ihre Wir- kungen möglichst rein und dabei so stark wie möglich äussern. Durch geeignete Wahl der Suspensionsstelle, sorgfältige Abstufung der Belastung 328 Ta. W. ENGELMANN: und des Angrifipunktes der Muskelkraft am Schreibhebel, eventuell auch durch geringe Verlagerung des Herzens kann man meist das Ziel erreichen, namentlich bei grossen Fröschen. Ich habe die hier in Betracht kommenden Verhältnisse in meinem ersten Artikel „Beobachtungen und Versuche am suspendirten Herzen“ (6, 8. 370—390) gelegentlich der Beschreibung und Kritik der Suspensionsmethode am nicht ausgeschnittenen, blutdurchströmten Herzen und bei der Deutung des Suspensionscardiogrammes eingehend be- sprochen und darf deshalb auf diese Darstellung verweisen.! Es giebt aber immerhin Fälle, in denen die Entzifferung der Herzschrift, namentlich der kleinen, schwächeren Theile, wie der Hohlvenen und des Sinus, am unver- sehrten Herzen auf grosse, gelegentlich sogar auf unüberwindliche Schwierig- keiten stösst. Genaue Beobachtung der zeitlichen Verhältnisse, wie sie durch gleichzeitige Stimmgabelregistrirung ermöglicht wird, und sorgfältige Ver- gleichung einer Reihe von auf einander folgenden Perioden kann hier häufig noch sicheren Aufschluss geben. Es wird bei den einzelnen Versuchen hierauf noch, wo nöthig, zurück zu kommen sein. Im Folgenden sind, im Anschluss an die früher von mir vorgeschlagene Terminologie, folgende Abkürzungen und Symbole gebraucht: V = Ventrikel, Kammer. A = Atrium, Vorkammer (A4e = rechtes, Ai = linkes A). Si = Sinus venosus. Ve = Hohlvene. Vesi = Sinus einschliesslich der grossen Venen, soweit diese quer- gestreifte Muskelfasern und automatische Reizbarkeit besitzen. s = Systole. d = Diastole. p = Pause. 7). = Dauer einer Periode (=s-+ d+p); z.B. TV = Dauer einer Ventrikelperiode, ZA = einer A-Periode u. s. w. A —= Leitungsvermögen, bezw. Leitungsgeschwindigkeit für die moto- rischen Reize (z. B. 48:/4 = Geschwindigkeit der Leitung von Si nach A). chr = chronotrope Wirkung. dr = dromotrope Wirkung. in = inotrope Wirkung. ba = bathmotrope Wirkung. T — Dauer der Zeiteinheit des Chronoskops (Stimmgabelschwingung) in Secunden. Alle Werthe von 7 sind in Einheiten von Zt angegeben. ! Wegen der Versuchstechnik vgl. noch Pflüger’s Archiv. Bd. LII und besonders Bd. LXV. 8. 113. Der für gleichzeitiges Registriren mehrerer Herzabtheilungen in den früheren wie in den hier mitzutheilenden Untersuchungen benutzte Doppelschreibhebel. kann von den Mechanikern der physiologischen Institute in Utrecht (D. B. Kagenaar) und Berlin (W. Oehmke) bezogen werden. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAs HERZ. 329 A. Einfachste Reflexwirkungen. Fig. 1 (Taf. IN). + chr Vesi (secundär A und P)). Nr. XXIlI. Bog. 2. Umgang 9. — 9. Juli 1896. R. esculenta. Seit 24" schwach eurarisirt. 7 an Spitze suspendirt. Frenulum durchsehnitten. Reizung der Zehen des rechten Hinterfusses während 3” mit schwachen Inductionsschlägen. — 2= 0-5". Die Curve zeigt in Folge der getroffenen Anordnung gleichzeitig A. und V, in Superposition. Die Bewegungen von Ve si sind bei der angewandten geringen Hebelvergrösserung und ziemlich grossen Belastung nicht sichtbar. Doch entsprach, wie die Inspeetion zeigte, jeder A, eine Ve Si,. Der Erfolg der Reizung besteht in einer Verkürzung der Periodendauer, ohne Aenderung der Hubhöhe von A und V. T vor Anfang der Reizung 5'6. T nach Anfang der Reizung 5-2, 3-6, 3°1, 3-1, 3-3, 3-7, 4-8, 5-6, 6°0. Die Beschleunigung der Pulsationen hat secundär eine geringe Abnahme von -44/V zur Folge. Vor der Reizung, bei längerer Dauer der Pausen, ist der Uebergang von A, nach V, nur durch eine schwache Einsenkung im aufsteigenden Curventheil angedeutet; nach der Reizung erscheint jedes Mal eine deutliche Einkniekung. Diese erklärt sich aus meinen früheren Ermittelungen über den Einfluss der Pausendauer auf die Dauer des Inter- valles A,— PF,: wegen der geringeren Dauer der Pause ist 4A/V beim Eintritt der neuen Systole weniger vollkommen wiederhergestellt. Es handelt sich hierbei also um einen secundären, rein myogenen Effeet der -+ chrono- tropen Nervenwirkung. Fig. 2 (Taf. I). + in VeSi. Nr. LVIN. DBog. 4. Umg. 2. —- 22. Januar 1899. R. esculenta. A; und 7 suspendirt. Frenulum nicht durchschnitten. — Zehen des rechten Hinterfusses 1°3” lang schwach tetanisirt. — £= 0-2". Die obere Curve zeigt die Contraction der Kammer und eine sehr schwache Andeutung der A,; die untere eine erste, flachere, von Ve 8; her- rührende, und eine zweite, steilere, höhere, etwas längere, von A verursachte Erhebung. Die einzige deutlichere Wirkung der Reizung ist eine starke + inotrope auf Ve Si: die erste und zweite Ve Si, nach der Reizung erreichen etwa die doppelte Höhe wie zuvor und nachher und steigen viel steiler an. Weder 4 noch V zeigen eine Verstärkung. Die zweite bis vierte A, nach Aufhören der Reizung sind selbst ein klein wenig niedriger und kürzer als normal. Die Ausmessung von 7’ ergiebt für Ve &i vor Anfang der Reizung 10-0, 9-7, nach Anfang der Reizung 9-3, 10-3, 10-0, 10-2. Es scheint also die erste nach Beginn der Reizung eintretende, ver- stärkte Ve Si, ein wenig verfrüht einzufallen, die nächste ein wenig später 330 Tu. W. EnGELMANnN: als normal. Doch sind diese chronotropen Effeete verschwindend gegenüber dem inotropen auf Ve si, auch in V nicht mehr zu bemerken (myogene Regulirung). Fig. 3 (Taf. IN). + ın A. Nr. LVI. Bog. 1. Umg. 1. — 14. December 1898. R. esculenta. Ai und V suspendirt. Frenulum nicht durchschnitten. — Zehen der rechten Hinter- extremität 2-2” lang tetanisirt. — t = 0-2". Der einzige auffallende Effect der Reizung besteht in einer bedeutenden Vergrösserung der Hubhöhe von A. Er hebt an mit der zweiten A, nach Beginn der Reizung, erreicht sein Maximum in der fünften, um von da an langsam abzunehmen. Es scheint, als ob auch die Leitung von $ nach A etwas beschleunigt würde, da sich A, von Ve Si, wenigstens in der dritten und fünften Periode weniger scharf absetzt; indessen fehlte dieser Unter- schied in einer Reihe gleicher Versuche am nämlichen Präparat, wie er denn auch schon von der fünften Periode an nicht mehr vorhanden ist. Fig. 4 (Taf. IIJ). — ın A. Nr. LVIII. Bog. 15. Umg. 7. — 23. Januar 1899. R. esculenta. Beide Arterien für sich registrirt. Reizung der Baucheingeweide mit schwachen, abwechselnd gerichteten Induetionsschlägen während 2”. — t= 0-2”. Die Reizung hat einen starken negativ-inotropen Effect, der sich über etwa 5 Perioden erstreckt und beide Vorkammern in merklich gleicher Weise betrifft. Die Ve st, sind jedenfalls nicht geschwächt; sie treten nach der Reizung — wie die untere Curve zeigt — selbst deutlicher als zuvor heraus. — Genaue Ausmessung ergiebt für TA vor Anfang der Reizung 11-2, 11-4, 11°2. 7A nach Anfang der Reizung 11°3, 12-1, 11-7, 117, 11-7, 11-7. Ein sehr geringer chronotroper Einfluss scheint also auch zu bestehen. Doch nimmt derselbe langsamer ab, als der inotrope und ist jedenfalls im Vergleich zu diesem nicht nennenswerth. Fig. 5 (Taf. III). — dr A|V. Nr. LXVIII. Bog. 3. Umg. 7 und 8. — 3. Mai 1899. R. esculenta. Doppelsuspension: Aö und V. Frenulum durchschnitten. 4/YV-Grenze mittels einer 1"M schmalen Ebonitsschraubenklemme so weit comprimirt, dass die Leitung von A nach 7 2-6”, d.i. die Dauer einer ganzen Periode, beanspruchte, die Blutzufuhr von A nach Y aber nicht völlig abgeschnitten war. In Folge der durch die Klemmung verzögerten A A/V fällt V, erst jedes Mal etwa in dem Moment ein, wo schon die nächste A, anhebt, was bei Betrachtung der Curven zu beachten ist. Bei o wird eine Darmschlinge während 1-4 Secunden schwach tetanisirt. — t = 0-2”. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. sol Die Reizung hat weder einen Einfluss auf das Tempo der A-Pulse, noch einen auf die Höhe der A, und F,. Dagegen wird die Leitung von 4A nach Y bereits bei der ersten auf die Reizung des Darmes folgenden Periode unterbrochen und Y steht dann still, während A weiter klopft. Allmählich setzen dann, mit noch einzelnen Unterbrechungen, die V, wieder ein, bis wieder jeder A, eine P, folgt. Hier ist dann Anfangs das Inter- vall 4, — V,, jedenfalls in Folge der längeren, vorhergehenden Pausen, zunächst sehr erheblich kürzer, als vor der Reizung, nimmt aber allmählich die alte Dauer wieder an. B. Combinationen verschiedener Reflexwirkungen. Fig. 6 (Taf. II). + ın Vest und A. Nr. LVIH. Bog. 2. Umg. 5. — 22. Januar 1899. R. esculenta. Curare. Doppelsuspension von Adi und Y, wie in Taf. III, Fig. 2. Die obere Curve zeigt Y, und 4,, die untere Ve si, und A,. Reizung der Zehen der linken Hinterextremität während 3-5”. Die zweite Ve Si, nach Beginn der Reizung ist sehr verstärkt, die zu- gehörige 4, noch unverändert. Dagegen ist die nächste A,, die auf eine bereits wieder normale Ve Si, folgt, erheblich steiler und grösser, als vor- und nachher. Chronotrope und dromotrope Wirkungen sind nirgends zu bemerken. Fig. 7 (Taf. II). + chr Ve Si — m A. Nr. XXV. Bog. 5. Umg. 4. — 1. October 1896. R. temporaria. Curare. Ai suspendirt. Auf der Curve auch Ve Si, sichtbar. Bei oe Magen an der kleinen Curvatur während 0-8” schwach tetanisirt. — t = 0-2”. Die Reflexwirkung besteht in einer vorübergehenden geringen Beschleu- nigung der Perioden, zu der sich eine starke Schwächung der A, gesellt. T Ve Si vor Anfang der Reizung = TA = 15-5, 15.5. T Ve Si nach Anfang der Reizung = 14-8, 14-8, 15-2, 15°0, 15-6, 15-6. Die 4, sind bereits in der zweiten Periode nach der Reizung bis auf weniger als !/, der anfänglichen Höhe redueirt und erreichen letztere erst in der achten Periode wieder. Die vierte A, erscheint zweigipfelig, eine an anderer Stelle zu besprechende Erscheinung. Ein inotroper Einfluss auf Ve 8i ist nicht merkbar, die Leitung von Ve nach A nicht merklich verzögert. Fig. 8 (Taf. III). + .chr Ve Si + in Ve Si — ın 4, später + in A. Nr. XXVI. Bog. 25. Umg. 4 bis 5. — 5. October 1896. R. esculenta. Curare. 4i suspendirt. Die Ve Si, als sehr kleine Erhebungen unmittelbar 332 Tu. W. ENGELMANN: vor den A, bemerklich. Reizung der V-Spitze mit abwechselnd gerichteten Induetionsschlägen, die nicht stark genug waren, um eine Extrasystole aus- zulösen. Der Erfolg ist eine auffällige Abnahme der 4A,, welche von der dritten Periode nach Beginn der Reizung einem sehr starken Wachsen der A, Platz macht. Sehr langsam kehrt die alte Hubhöhe zurück. Auch eine Ver- stärkung der Ve si, ist in der zweiten bis vierten auf Anfang der Reizung folgenden Periode nicht zu verkennen. Sehr genaue mikroskopische Aus- messung ergiebt auch eine geringe Beschleunigung der Ve si, und, secundär, der 4, während der Höhe der + inotropen Wirkung auf A. Fig. 9 (Taf. IV). + chr VeSi, später — chr Ve si — mn A. Nr. XXV. Bog. 11. Umg. 7. — 1. October 1896. R. temporaria. Wie in Taf. III, Fig. 7. Linker Daumen 1” lang tetanisirt. Die Reizung bewirkt eine rasch vorübergehende Beschleunigung, darauf eine sehr geringe Verzögerung der Pulse, denn es beträgt T VeSi vor der Reizung 15°9, 15-8, 15-7, 15-7, T Ve Si nach der Reizung 15.8, 14-8, 16-0, 160, 16-0. Weit stärker ist der negativ-inotrope Reflex auf 4. Schon die erste, auf die Reizung folgende A, erscheint merklich, die zweite bereits auf etwa ein Drittel der normalen Hubhöhe geschwächt. Dromotrope Eiffecte sind nicht eben deutlich. Doch scheint wenigstens die zweite und namentlich die dritte A, nach der Reizung etwas (etwa 0°5 bis 1 Schwingung) später einzusetzen, als vor- und nachher. Genaue Messung ist nicht möglich, da A, und Ve si, nicht scharf von einander abgesetzt sind. Fig. 10 (Taf. IV). — chr Ve Si (secundär A und V) — in VesSi und A. Nr. LXIII. -Bog. 2. Umg. 6. — 2. Februar 1899. R. esculenta. Seit zwei Tagen curarisirt und bereits zu mehreren Versuchsreihen benutzt. Doppelsuspension: 8; bei Ve cava sup. sin. (untere Curve); V bei Spitze, nach Durchschneidung des Frenulum (obere Curve). Ein Paar Reizelektroden an einer Dünndarmschlinge, ein zweites Paar (mit 1” Abstand) an der Ve cava sup. sin. Bei o Dünndarm 13” lang tetanisirt, bei 0° Ve cava sup. sin. 0-6” lang mit schwachen Inductionsströmen erregt. — t= 0-2". Der Reflex äussert sich in einer starken negativ-chronotropen Wirkung auf Ve Si (secundär auf A und Y). und in einer sehr bedeutenden negativ- inotropen Wirkung auf A, einer schwächeren desgleichen auf Ve st. Schon die erste auf o folgende, noch zur gewöhnlichen Zeit einfallende Ve s%,, ebenso die dieser zugehörige A, (obere Curve) ist merklich geschwächt, V, wie auch weiterhin von normaler Höhe. Es folgt nun ein sehr langer Stillstand der spontanen Bewegung, der bei g’ durch die künstliche Reizung der linken oberen Hohlvene einmal unterbrochen wird. Diese Reizung löst ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 333 eine /e Si, aus, welche (trotz der vorausgegangenen längeren Pause) sehr erheblich geschwächt ist; ihr folgt, in jedenfalls nicht merklich längerem Intervall als normal, eine ausserordentlich reduceirte A, und dieser wieder in vielleicht etwas kürzerer Zeit als normal, eine Y/, von normaler Grösse. Nach Ablauf dieser Extrasystole folgt wieder Stillstand des gesammten Herzens, der erst nach etwa 20 Secunden mit einer spontanen, in normaler Weise — Anfangs etwas beschleunigt — von Ve si über A nach Y ab- laufenden Herzrevolution endigt. Ye si, und A, erscheinen zunächst noch geschwächt, nach vier weiteren spontanen Pulsationen ist aber Alles zur Norm zurückgekehrt. Die zu bemerkenden, anscheinend positiv-dromotropen Aenderungen sind offenbar rein myogenen Ursprunges, aus den chronotropen abzuleiten. Fig. 11 (Taf. IV). — chr Ve®8i (secundär A und Y) — ın A — dr VeSi|V. Nr. LXII. Bog. 28. — 2. Februar 1899. R. esceulenta. Doppelsuspen- sion wie in Taf. IV, Fig. 10. Reizung einer Dünndarmschlinge während etwa 0.2”. — i = 0-2”. Refleetorische Aenderung der Periodendauer, der Hubhöhe und des Leitungsvermögens. Ausmessung der Periodendauer ergiebt: vor. der Reizung für T Ve&; = TA='TV 13-0, 13:0, nach der Reizung für 7 Ve Si 13°5, 20-0, 16-0, 15-0, 14-0, 13-5, PA 13-5, 20.5, 16-0, 14-5, 14-0, 13-5, TV 14.0, 21-0, 15-5, 14-0, 13-5, 13-5. Die Verzögerung der Leitung von Ve 8: nach YV ist unverkennbar. 8 8 A Ve Si/V misst vor der Reizung rund 6-5, A Ve Si/V misst nach der Reizung 7-0, 8-0, 8°0, 7.0, 6-5. 6°5. Also trotz längerer Pausen Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit. Die inotrope Wirkung äussert sich wie immer vor Allem in Schwächung der A, Diese werden rasch kleiner, wachsen dann allmählich wieder, haben aber erst in der achten Periode nach der Reizung die anfängliche Höhe wieder erreicht. Auch die erste und namentlich die zweite Ve Si, nach der Reizung scheinen etwas geschwächt zu sein, in geringerem Grade auch die Y/,, namentlich die vierte. Fig. 12a und b (Taf. IV). — chr Ve si (secundär A und V) — ın A — dr PVesı. Nr. LXVII. Bog.5. Umg. 4 und 5. — 23. Februar 1899. R. eseu- lenta. Curare. Ai nahe bei Y (obere Curve) und Ve cava sup. sin. (untere Curve) suspendirt. Die obere Curve zeigt die A, als steile, grosse, die V, als flache, kleine Erhebungen. An der unteren Curve betheiligen sich ausser der Vene auch der 8. — 2-4” dauernde Reizung einer Dünndarmschlinge. 334 Thu. W. ENGELMANN: Während der Reizung geringe Hebung der Abeisse in beiden Curvenpaaren, infolge Senkung des gesammten Herzens durch Contraction von Bauch- muskeln. (Stromschleifen.) — = 0-2”. Die Reizung führt durch Reflex zu einem etwa 5” währenden Stillstand des Ve Si und damit secundär von A und YV. Die erste nach dem Still- stand folgende Pulsation von Ve 8: ist in eine erste, kleinere, kürzere Ve, und eine zweite, höhere, längere Si, gespalten, welche in Taf. IV, Fig. 12a 0-9”, in Fig. 12b erst 1°1” nach Anfang der vorausgehenden Ve, an- hebt. Auch die hierauf folgende Ve Si, ist in Taf. IV, Fig. 12a noch in gleicher Weise sichtlich in eine Ve, und eine Si, gespalten, während die dritte, in Taf. IV, Fig. 12b schon die zweite, bereits wieder Ve, und $:, zu einer einzigen längeren Erhebung verschmolzen zeigt. Es handelt sich also um einen starken, hemmenden Reflex auf A Ve/Si. Keine merkliche Aende- rung weist A Si/4 und A A/V auf. — Der negativ-inotrope Effect auf A ist wie gewöhnlich sehr stark. Y, erscheint nicht deutlich beeinflusst. Fig. 13 (Taf. IV). + chr Ve si (secundär A und YV) + in A und V. Nr. II.. Bog. 3> Umg. 2. — 17. December 1891.. R. temporaria. Curare. V-Spitze suspendirt nach Durchschneidung des Frenulum. — Bei o chemische Reizung der Bauchhaut durch Auflegen eines mit Schwefel- säure von 40 Procent getränkten Löschpapierstückes von 1% Grösse. — t= 0-1". Im Cardiogramm erscheinen die A, als kleinere, kürzere, die 7, als grössere und längere Erhebungen. Vor und nach dem Reizversuch sind einige Pulse bei etwa 16 Mal grösserer Geschwindigkeit der Registrirtrommel aufgezeichnet. Die Dauer der Perioden nimmt in Folge der Reizung von etwa 17.7 auf 157 ab; die Höhe der A, steigt auf mehr als das Doppelte, die der Y, auf ungefähr das Zweifache der anfänglichen Grösse. Nach Ab- spülen der Haut mit reinem Wasser kehrte allmählich die frühere Frequenz und Grösse der Pulsationen zurück. Bei neuer chemischer Reizung anderer Hautstellen (Ober- und Unterschenkel, Kopf) wurden beiläufig gleiche, durch Abspülen zu beseitigende + chronotrope und -+- inotrope Reflexe auf A und 7 erhalten. Fig. 14a, b, c (Taf. V). + chr VeSi — chr A und V — in VesSi und A — dr Ve]Si. Nr. LXXXI. Bog. 13. Umg. 1 bis 3. — 20. October 1899. R. escu- lenta. Vor 2 Tagen curarisirt. Aö suspendirt, 2" von ‚S-Grenze, nahe an Ve cava sup. sin. Frenulum nicht durchschnitten. Der Frosch hat bereits am 18. October zu vielen Reflexversuchen gedient. Reizstelle: Dünn- darm. — t= 0.2". Das Cardiogramm zeigt vor und während der Reizung in jeder Periode die Ve Si, als kleine, etwa 1-5"" hohe Erhebung, die in etwa 0-4” ihren ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS HERZ. 335 Gipfel erreicht und hier sofort abgelöst wird durch die viel steilere und grössere Erhebung von 4,, die in etwa 0°5” zu ihrem Maximum ansteigt. Am Ende der Diastole von A noch eine, durch verzögertes Absinken der Curve zur Abseisse sich verrathende Andeutung der F. — T= 14.0. Nach Anfang der Reizung kommen in a noch eine, in 5 und e noch zwei 4, von ganz ungeschwächter Stärke und normaler Dauer. Dann bleiben die 4A, plötzlich aus (wie auch die hier nicht registrirten //). Die auto- matischen Pulsationen an der Herzwurzel dauern aber fort, und zwar mit etwa um das Dreifache beschleunigter Frequenz! Die Pulsationen verur- sachen nur etwa 0-5" hohe Erhebungen, die sich in ziemlich regelmässigen Intervallen von etwa 0-9” folgen. Sie rühren höchst wahrscheinlich von nur partieller Contraction des /e Si-Gebietes her, und zwar von Ve. In Taf. V, Fig. 14a zählt man 18 solcher Pulse. Dann kommt bei « eine etwas stärkere Erhebung, die auf Zusammenwirken des ganzen Ve Si zu beruhen scheint und an der sich vielleicht auch schon A wieder etwas betheiligt. is folgen darauf vier kleinere, partielle Ye $:,, dann eine allgemeine Ve St, mit deutlicher, wenn schon noch sehr geschwächter A. Auch weiterhin machen sich zwischen der nun in langsam wachsender Frequenz und mit rasch steigender Grösse zurückkehrenden A, und den darauf folgenden grösseren /e Si, kleine Pulsationen von etwa 0-9” Dauer Anfangs noch bemerklich. Erst mit der letzten in a abgebildeten Periode ist der anfäng- liche Zustand wieder hergestellt. Curve 5 zeigt den Erfolg eines 3 Minuten nach a, bei etwas geringerer Reizstärke angestellten Versuches, Curve ce den einer ebenso viel späteren, wiederum etwas stärkeren Reizung. Beide ergeben im Wesentlichen das- selbe wie Curve a. Auf die Deutung der hier beschriebenen verwickelten Versuchsresultate wird noch näher einzugehen sein. Offenbar handelt es sich um eine Com- plieation verschiedenartiger hemmender, mit begünstigenden Wirkungen theils primärer, theils secundärer, theils neurogener, theils myogener Natur, nament- lich im Gebiete von Ve Si. Verwandte Erscheinungen bieten die nächsten Versuche. Fig. 15 (Taf. V). + .chr VeS8i. — chr A und V. + in VeS8i. — in A und V. — dr Ve/Si/V. Nr. LVII. Bogen 8. Umg. 4. — 23. Januar 1899. R. esculenta. Seit 1 Tag curarisirt und zu Reflexversuchen benutzt (vgl. Taf. III, Figg. 2, 4, 6). Doppelsuspension: Ai bei Ve c. s. s, V nahe der Mitte. Elektrische Reizung des®Magens während 1-4”. — t= 0.2". Auch in diesem Versuche combiniren sich sehr verschiedene positive und negative, primäre und secundäre Nervenwirkungen. Während A und V nach dem Anfange der Reizung nur noch einmal schlagen, dann mehrere Seeunden lang stillstehen, pulsirt die Herzwurzel weiter, und zwar mit Anfangs 336 Tu. W. ENGELMANKN: rasch wachsender, schon von der 2. Periode an aber allmählich wieder ab- nehmender Frequenz. Es misst nämlich TVesSi vor Anfang der Reizung = TA = TV 13-2, 13-2. TVesi nach Anfang der Reizung 12-0, 5-3, 6-3, 7-8, 9.2, 12-1. Dabei sind diese beschleunigten Pulsationen erheblich kürzer, als die normalen Vesi, rühren also wahrscheinlich von nur partieller Contraction des Ve Si-Gebietes her, und zwar, wie die Betrachtung der 5. und 6. auf die Reizung folgende Periode, und die Vergleichung mit Taf. V, Fig. 16, Taf. VI, Fig. 19 lehrt, von weiter von A als Si entfernten Theilen, also vermuthlich von Ve, her. Sie sind dabei steiler, die 4. und 5. auch merk- lich höher, als die normalen VeS8i,. Dies weist auf eine directe + inotrope Nervenwirkung, da die Beschleunigung der Pulsationen an sich eher eine Abnahme der Contractionsgrösse zur Folge haben müsste. Nach der vierten dieser Pulsationen folgt, ohne dass eine sichtbare A, vorausgegangen wäre, eine etwas geschwächte Y,, auf die fünfte eine flache, längere, einer ge- wöhnlichen Ve Si, gleichende Erhebung, dieser die erste merkliche, noch sehr schwache A, und dieser eine fast normale V,. Die der sechsten, noch geschwächten A, vorangehende Vesi, erscheint gegen die Norm erheblich verstärkt. In der 7. Periode ist das normale Bild zurückgekehrt. — Es handelt sich offenbar wesentlich neben -+ chronotroper Wirkung auf das Herzwurzelgebiet und — inotroper auf A, um Unterbrechungen, bezw. Er- schwerung der Leitung in Ve Si und zwischen VeS& und V. Auch AA/V ist nach Rückkehr der A, noch etwas erschwert. In dieser Beziehung ist auch der in Taf. V, Fig. 16 abgebildete, am nämlichen Herzen später an- gestellte Versuch lehrreich. Fig. 16 (Taf. V). + chr VeSi, — chr A und V. — dr Ve/Si, S&/A, A/V. + in Ve, — in Si, — in A. Nr. LVIII. Bog. 9. Umg. 3. — 23. Januar 1899. Alles wie Taf. V, Fig. 15. Der Erfolg ist im Allgemeinen wesentlich gleich, doch etwas schwächer als im vorigen. Die Beschleunigung der Ve 8i-Pulse, bei gleichzeitigem Ver- schwinden der A, und bedeutender Verlangsamung der V, ist sofort auf- fällig. Wiederum erscheint die Form der ersten beschleunigten Veit, (1, 2) steiler, ihre Dauer wesentlich kürzer, als die der normalen Vesi,. Es dürfte sich also wiederum, wie in Taf. V, Fig. 15, um partielle und etwas ver- stärkte Contraetionen im VeS8i-Gebiet handeln, und zwar wahrscheinlich um Ve,. In der mit 3 bezeichneten Periode schliesst sich an die kleine steile Welle eine flachere, dem zeitlichen Verhalten nach vermuthlich von $:, her- rührende, und an diese eine noch sehr schwache A, an. In der 4. Periode ist dann die Vest, aus einer ersten schwächeren und kürzeren und einer zweiten etwas grösseren und längeren Erhebung zusammengesetzt, an welche eine bereits wieder ziemlich kräftige A, sich anschliesst. In der 5. Periode ist von einer Spaltung von Ve si, kaum noch etwas, in der 6. und 7. keine Spur mehr zu bemerken. — Die Dauer der Leitung von Ve Si nach V, die ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS HERZ. 337 vor der Reizung 7-5 bis 82 (= 1'5 bis 1°6”) beanspruchte, bedarf nach der Reizung beispielsweise in der 3. Periode 11, in der vierten 10-5, in der fünften etwa 9, in der siebenten noch S°5 7. Auch die Leitung zwischen Si und 4, wie zwischen 4 und /” ist vorübergehend nachweislich verzögert. Inwiefern alle diese negativ dromotropen Wirkungen primäre oder secundäre und neurogenen oder myogenen Ursprunges sind, soll hier nicht untersucht werden. Fig. 17 (Taf. V). + chr VeSi, — chr A und F. + im Ve, — in dA; — nV. — dr Ve/Si und 8t/d. Nr. LVOI. Bog. 8. Umg. 5.. Alles wie in Taf. V, Fig. 15. Magen etwas schwächer gereizt. Auf die Reizung folgt Beschleunigung der Pulse an der Herzwurzel, Schwächung bis zu völligem Verschwinden von A, und bedeutende Verlang- samung und geringe Schwächung der F-Pulse. Sehr auffällig ist dabei wiederum neben der Verstärkung der Systolen der Herzwurzel die Spaltung der /es8i,. Schon in der 1. Periode nach der Reizung, wo sich der + ino- trope Einfluss noch nicht bemerklich macht, ist diese Spaltung sichtbar, ebenso in der zweiten. In der dritten giebt es nur eine kurze, wahrschein- lich von Ye herrührende verstärkte Welle, in der vierten eine ebensolche, an die sich eine flachere, wohl von 8; herrührende Erhebung anschliesst; in der 5. Periode ist der + inotrope Einfluss auf Ye si nicht mehr merk- lich, die VeSi abgeflacht und gedehnt, ihr folgt die erste merkliche As; in der 6. und 7. Periode ist anscheinend Alles wieder normal. Die Messung ergiebt: vor der Reizung für TVe& = TA = TV 12-5, 12-5 nach der Reizung „ TVesi 10, 8-5, 9-5, 11, ?, ? 12 TA 55, 12-5, 12-5, 7V714.5, 17.5, 12, 12,13, 12°5; vor der Reizung für AVe/V 9-9, nach der Reizung „ AVe// 10, —, 9, 11-5, 9-9. Fig. 18 (Taf. V). — chr Vesi (secundär A und /). + in Ve. — im A. — dr Ve]Si. Nr. LIX. Bog. 4. Umg. 3. — 25. Januar 1899. R. esculenta. Curare. Doppelsuspension: Ar (untere) und Y (obere Curve) Frenulum nicht durch- schnitten. Dünndarmschlinge 0-9” lang gereizt. — t = 0-2”. Die Reflexwirkung äussert sich in diesem Falle einmal in einer geringen Pulsverlangsamung und der üblichen Schwächung der A,, gleichzeitig aber in einer beträchtlichen Vergrösserung und einer vorübergehenden Spaltung der VeSi,. Die zweite /e Si, nach der Reizung ist bedeutend verstärkt, die daran anschliessende A, sehr geschwächt, Y, unverändert. Die dritte Vest, Archiv f. A. u. Ph. 1900, Physiol. Abthlg. 3 338 Ta. W. ENGELMANN: ist deutlich gespalten, eine schwache, von Ye, herrührende Erhebung geht einer etwas steileren, jedenfalls wohl auf 8, zu beziehenden um etwa 0-3” voraus, ebenso, nur noch deutlicher und etwa 1-1” früher, in der vierten Periode. Die Leitung &/A und A/Y ist nicht nachweislich beeinflusst. Fig. 19 (Taf. VI). — chr VeSi. — dr Ve/Si und Si/A. — ın A. Nr. XLII. Bog. 8. Umg. 6. — 24. October 1896. R. esculenta. Curare. S:A-Grenze links suspendirt. In der Curve die VeSi, als flache, die A, als steilere Erhebungen. Mesenterium 6” lang gereizt. — t= 0.2". Eine Combination von lauter Hemmungswirkungen. Die Messung er- giebt: vor Anfang der Reizung für TVe& = TA 14-5, 14-5, nach (Anfang) der Reizung „ TVesi 14-5, 15-5, 16-5, 16-0, 16-0, 16:0, 15.5; vor (Anfang) der Reizung „ AVesSi]A 5-0, 5-0, nach (Anfang) der Reizung „ AVesijA 5-0, 6.0, 70.5, 2 82H nr 7.:5,..0.20,2,6.00: Fig. 20 (Taf. V]). + chr VeSsi, — chr A und V. + in Ve8i, dann — in VeSi. — in A und V. — dr VelSi]V. Nr. LVIIIL DBog. 8. Umg. 1. — 23. Januar 1899. Dasselbe Herz und dieselben Versuchseinrichtungen wie Taf. V, Fig. 15. Starke Beschleunigung der Pulsationen an der Herzwurzel, bei langem Stillstande von A und Y. Die mit 2 und 3 bezeichneten Ve si-Pulse sind etwas steiler und höher und, wie auch 4 und 5, kürzer als vor der Reizung, beruhen also wohl auf nur partieller Betheiligung von VeSi. Nach 6, die mehr gedehnt ist, werden die Ye8i, sehr schwach, nur noch durch einige leichte Schlängelungen der Curve angedeutet. — Die A, sind schon von der ersten auf die Reizung folgenden Periode an unmerklich; erst in der achten Periode beginnt wieder eine Andeutung. Die /,, von denen die zur ersten VeSi, nach der Reizung gehörige merklich geschwächt ist, fallen in der 2. bis 7. Periode ganz aus. Nach der achten kaum merklichen Vest, der eine ebenfalls kaum merkliche A, folgt, tritt eine noch deutlich kleinere 7% ein. Danach wachsen A, und 7, allmählich wieder. Die Messung ergiebt: vor der Reizung für 7TVe&i = TA = TV’ 12.5, nach der Reizung, 7Ves: 9, 5, 6,7, 8, D 2l2eih, vor der Reizung „ AVes&i/V/ 9, nach der Reizung „ AVe&/V 10, —, 9-9. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 339 Fig. 21 (Taf. I). — chr Vesi (secundär A und 7). — m Vesi, A und /. — dr Ves&i|V. Nr. LXIH. Bog. 37. Umg. 1. — 3. Februar 1899. Dasselbe Herz und dieselbe Versuchsanordnung wie bei Taf. IV, Fig. 10. Reizung des Dünndarmes (g) ruft lang anhaltenden Stillstand des ge- sammten Herzens hervor. In der auf o folgenden letzten spontanen Periode ist 4, sehr stark, /e8i, eben merklich geschwächt. Während des Stillstandes wird die /e cava sup. sin. in etwa 2" Eintfernung vom Si während etwa 0.2” mit eben wirksamen Induetionsschlägen gereizt (bei 0‘). Jede Reizung ruft eine Extrasystole (“) von /e hervor, die in normaler Richtung, aber mit sehr erheblich verminderter Geschwindigkeit über & und A nach Y läuft. Es beträgt nämlich: vor der Reizung 4AVesi/V 5.5, nach der Reizung AVesi/V (in 21a) 6-0, 5°8, 6-5, 6'0, 5.0, e: AVesSi/V (in 21b) 9-5,* 8.0,* 6-0,* 5.5. „ „ Das sehr verflachte Ansteigen und der gedehnte Verlauf der Ve Si, nach 0 weist auf eine Verzögerung der Leitung innerhalb des Ve Si-Gebietes, die wahrscheinlich hauptsächlich an der Grenze von Ye und 8 ihren Sitz hatte (siehe später Cap. IV). Ausser der stark negativ-dromotropen Wirkung zeigt sich auch eine sehr beträchtliche, in Fig. 21a schon in der der Reizung unmittelbar folgenden Periode bemerkliche Schwächung der Ve 8i,, daneben die übliche noch stärkere und länger anhaltende negativ-inotrope Wirkung auf A und eine ebensolche, jedoch sehr viel schwächere Wirkung auf V. Fig. 22 (Taf. V). — chr Vesi (secundär A und 7). — in A und V. — dr A|V. Nr. LXVI. Bog. 10. Umg. 1. — 18. Februar 1899. R. esculenta, seit 24% eurarisirt. ÄAe und 7 suspendirt. Frenulum nieht durchschnitten. Obere Curve von 7, untere von de und Y gezeichnet. Bei oe Dünndarm 1-4” lang, bei o V-Spitze 0-3” lang gereizt. — t= 0.2". Neben dem starken negativ-chronotropen Effect ist namentlich die starke reflectorische Schwächung der Y, auffällig. Sie ist schon in der ersten auf o folgenden Periode (in der oberen Curve) stark ausgesprochen, noch mehr in der Extrasystole nach 0, und hält etwa ebenso lange an, wie die starke negativ-inotrope Wirkung auf A. Die Leitung von A nach V, obschon im vorliegenden Falle nicht genau zu messen, ist nach dem Stillstande Anfangs entschieden (etwa um 0.2”) verzögert, was nur auf direeter negativ-dromo- troper Nervenwirkung beruhen kann. 22” 340 Ta. W. ENGELMANN: Fig. 23 (Taf. VN). — chr Vesi (secundär A und V). — in A. + ın Ve8i. — dr Vesi|V. Nr. LIX. Bog. 5. Umg. 7. — 25. Januar 1899. R. esculenta. Curare. Ai bei 8; (untere Curve) und / nahe der Spitze (obere Curve) suspendirt. Darm 1-2” lang gereizt. — t= 0.2". Neben einer Pulsverlangsamung in allen Theilen des Herzens und der üblichen Schwächung der A, macht sich ein steileres Ansteigen der Ve 8, (namentlich in der 3. und 4. Periode nach der Reizung) und eine Verzögerung der Leitung von Ve Si nach 7 bemerklich. Letztere betrifft anscheinend hauptsächlich die Leitung von Ve $i bis A. Die Messung ergiebt: vor.der Reizung für” 7Ye ss = 74A— 777 16.5,.1655: nach der Reizung für TVe si 18, 22, 25, 20-5, 21, 20, nach der Reizung für TV 20, 25, 21,19, 2020720; vor der Reizung für AVe&i/V 10, 10, nach der Reizung für AVe&/V/ 11°5, 15-0, 11, 11, 10-5, 10-0. Ein inotroper Einfluss auf 7, ist nicht deutlich. Das schnellere An- steigen der /, zum Gipfel erklärt sich aus der infolge der A-Lähmung geringeren Füllung der Kammer mit Blut. Ueberblickt man die grosse Mannigfaltigkeit der im Vorstehenden nach- sewiesenen Nervenwirkungen, so möchte man zweifeln, ob die Zahl und Verschiedenheit der im Herzen bisher anatomisch demonstrirten nervösen Einrichtungen wohl ausreicht, sie begreiflich zu machen. Um so mehr ist diese Frage erlaubt, als ja ein beträchtlicher Theil aller im Herzen ver- laufenden Nerven unzweifelhaft sensible oder doch centripetale Functionen hat. Man erwäge, dass anscheinend jede kleinste, der graphischen Unter- suchung zugängliche Partie der Herzmuskelwand, vielleicht jede einzelne Muskelzelle, wenigstens sechs verschiedenen Arten von Nervenwirkungen aus- gesetzt ist: Reizbarkeit, Leitungsvermögen, Contractilität der Muskelfasern können, wie es scheint, allerwärts in positivem und negativem Sinne durch die Herznerven modificirt werden, im Sinusgebiet ausserdem noch die auto- matische Reizerzeugung. Dass jede dieser Functionen an eigene Nerven- fasern gebunden sei, ist Angesichts der anatomischen Thatsachen vorläufig unannehmbar. Es bleibt nur der Ausweg, dass entweder noch Nervenfasern vorhanden sind, welche sich den jetzigen mikroskopischen Untersuchungs- methoden entziehen, oder dass dieselben Nervenfibrillen ganz verschieden- artige Processe auszulösen vermögen, je nach der Weise, in welcher, und den Bedingungen, unter denen sie erregt werden, oder endlich, dass die verschiedenen Arten der von uns unterschiedenen Reflexwirkungen nicht ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 341 ebenso viele verschiedenartige Processe, sondern nur verschiedene Aeusse- rungen oder Theilerscheinungen einer geringeren Zahl von Vorgängen sind. Die erste Annahme ist vorläufig, weil Hypothese ad hoc, nicht zu- lässig, jedenfalls nicht, so lange es noch eine bessere giebt. Für die zweite wäre Mancherlei zu sagen, obschon die Bedenken dagegen mir zunächst noch zu überwiegen scheinen. Die dritte scheint am ehesten discutabel und der Prüfung zugänglich. In der That hat sie auch bereits einen Vertreter gefunden. L. J. J. Muskens (37—40) hat die Vermuthung ausgesprochen und durch Thatsachen zu begründen versucht, dass alle durch Nerven- reizung im Herzen hervorzurufenden functionellen Aenderungen auf einer einzigen Art von Wirkungen, nämlich auf Aenderungen des Reizleitungs- vermögensl, beruhen, also rein dromotroper Natur seien. Damit wäre allerdings eine höchst erwünschte Vereinfachung der die Herzinnervation betreffenden Probleme gegeben. Wir wollen zunächst prüfen, ob sich für die chronotropen Wirkungen der Herzuerven eine solche Vereinfachung erreichen lässt. IV. Ueber primär und secundär chronotrope Aenderungen der Herzthätigkeit. Bis in die neuere Zeit pflegten die Tempoänderungen, welche der Herzschlag durch Vermittelung der Nerven oder auf andere Einwirkungen hin erleiden kann, ganz allgemein einer directen Beeinflussung der auto- matischen Centra im Herzen zugeschrieben zu werden. Ob diese Centren nervöser oder musculärer Natur sind, kann dabei zunächst gleichgültig bleiben. Die Erzeugung der automatischen Reize sollte direct beschleunigt oder verzögert werden. In allen Fällen handelte es sich demnach angeb- lich um primär chronotrope Einwirkungen in dem oben von uns definirten Sinn. Diese Annahme hat sich indess in einer immer grösseren Zahl von Fällen als entweder irrthümlich oder doch als nicht nothwendig heraus- gestellt. So viel ist zunächst durch unmittelbare Beobachtung hundert- fältig erwiesen: weder die Schlagfrequenz der Kammer, noch die der Vor- kammer gestattet ohne Weiteres einen Schluss auf das Tempo, mit dem die automatischen Herde an der Herzwurzel, von denen der Anstoss zu jeder Herzbewegung ausgeht, arbeiten. Was in erster Linie die Kammer betrifft, so zieht sie sich normaler Weise nur dann zusammen, wenn ein von den Vorkammern kommender Reiz sie erregt. Damit aber dieser von aussen kommende Reiz sie zur Con- traction veranlasse, ist es nöthig, dass ihre Muskelwand reizbar, leitungs- fähig und contractil, und dass die Leitung von der Vorkammer zur Kammer 342 Ta. W. ENGELMANN: nicht gehemmt sei. Reizbarkeit, Leitungsvermögen und Contractilität sind jedoch bei der Kammermusculatur, wie bei der Herzmusculatur überhaupt, sehr veränderliche, schnell wechselnde Eigenschaften. Einmal werden sie schon durch die Contraction, auf myogenem Wege, periodisch in höchst ausgiebiger Weise verändert. Während des Latenzstadiums und der Dauer der Kammersystole sind Reizbarkeit und Leitungsvermögen bis zur Unmerklichkeit herabgesetzt, sie wachsen erst während der Diastole und Pause wieder an, um durch die nächste Systole auf’s Neue vorübergehend geschwächt zu werden. Findet die Widerherstellung der Reizbarkeit und des Leitungsvermögens nach Ablauf einer Systole nicht rasch genug statt, so wird die Kammer nicht im selben Tempo wie die Vorkammern, sondern langsamer schlagen, und zwar wird die Dauer ihrer Perioden dann die- jenige der Vorkammerperioden um ein ganzes Vielfaches übertreffen müssen; ! dies lehrt bekanntlich die Erfahrung beim Absterben, bei ungenügender Cireulation, bei künstlich gesteigerter Frequenz der Vorkammerpulse u. s. w. Reizbarkeit, Leitungsvermögen und Üontractilität der Kammer können weiter auch durch Nerveneinfluss modifieirt werden. Auch auf diesem, dem neurogenen Wege, werden Tempoänderungen der Kammerpulse ohne gleichzeitige Aenderungen der Frequenz der Vorkammersystolen eintreten können, aber wiederum in negativ chronotropem Sinne nur solche, bei denen die Dauer der Kammerperioden die der gleichzeitigen Atriumpulse genau oder fast genau um das Zwei-, Drei- oder Mehrfache übertrifft. Eine Beschleunigung des Kammertempos über das der Atrien hinaus wird unter allen Umständen nur dann möglich sein, wenn die Kammerwand selbst automatisch thätig gemacht wird, also ganz allgemein nur durch solche, die Kammer direct treffende Einwirkungen chemischer, physi- kalischer oder physiologischer Art, die im Stande sind, Extrasystolen der Kammer zu erzeugen. Hier muss sich dann stets die Dauer der einzelnen Kammerperioden von den Gesetzen der compensatorischen Pause und der Erhaltung der physiologischen Reizperiode abhängig erweisen. Die Erfahrung bestätigt bekanntlich diese Erwartungen in ganzem Umfang. Was in zweiter Linie das Tempo der Vorkammerpulse anlangt, so hängt dies normaler Weise ebenso von dem der Sinuspulse ab, wie das der Kammersystolen von dem der Vorkammern. Denn auch die Vorkammer- systolen werden im Allgemeinen nicht durch innerhalb der Vorkammern primär entstehende, sondern durch von oberhalb, vom Sinusgebiet herab- ! Weshalb die Differenz nicht völlig genau diesem Werth entspricht, sondern unter Umständen ein wenig mehr, bezw. etwas weniger betragen muss, findet sich nachgewiesen in 8, 9, 10,12. Vgl. auch Cushny und Matthews (4) und Wencke- bach (43 u. 44). ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Harz. 343 geleitete Erregungen ausgelöst. Sowohl die Leitung vom Sinus nach der Vorkammer, wie Reizbarkeit, Leitungsvermögen und Contractilität der Atrien sind aber ebenso, ja zum Theil in noch höherem Grade myogenen und neurogenen Einflüssen unterworfen, wie die entsprechenden Functionen beim Ventrikel, und so gelten denn auch hier dieselben Gesetze rücksichtlich der Abhängigkeit der Frequenz: die Dauer der Vorkammerperioden wird ent- weder, wie in der Norm, gleich oder grösser als die der Sinusperioden sein müssen, und zwar genau oder nahezu im Verhältnisse ganzer Zahlen, kleiner aber nur in dem Falle, dass in der Vorkammer selbst, durch sie direct treffende Einwirkungen Extrasystolen erzeugt werden, wo dann wiederum im Allgemeinen die Gesetze der compensatorischen Pause und der Erhaltung der physiologischen Reizperiode in Kraft treten müssen. Auch diese Folge- rungen sind mit den Thatsachen durchweg in Uebereinstimmung. Im Gegensatz zu Kammer und Vorkammer hängt das Tempo der Pulsationen des Sinusgebietes unter normalen Verhältnissen nicht vom Tempo ausserhalb gelegener Theile ab, denn im Sinusgebiete selbst, und zwar im eigentlichen Sinus sowohl wie in den grossen Herzvenen, entwickeln sich, wie ich mittels der Methode der Extrasystolen zeigen konnte (7), con- tinuirlich die spontanen Herzreize: das Sinusgebiet bildet die normale Aus- gangsstation für die Herzbewegungen. Das Tempo des Sinusgebietes wird also im Allgemeinen nur von seinem eigenen Zustand abhängen, und zwar von der Schnelligkeit, mit der die automatischen Reize erzeugt werden und von der Geschwindigkeit mit der Reizbarkeit und Leitungsvermögen inner- halb desselben nach jeder Systole zurückkehren. Auch hier, wie bei Kammer und Vorkammer, werden Reizbarkeit und Leitungsvermögen durch die Con- traction selbst vorübergehend aufgehoben (7). Dementsprechend wird, im Gegensatz zu Ventrikel und Atrien, das Tempo des Sinusgebietes im All- gerneinen durch alle, dasselbe direct treffenden, nervösen, thermischen, chemischen und anderen Einwirkungen geändert werden müssen, und zwar nicht bloss wie bei Vorkammer und Kammer in negativem Sinne und in positivem nur durch Vermittelung künstlich erzeugter Extrasystolen, sondern ebenso leicht und allgemein im einen wie im anderen Sinne, von stärkster Beschleunigung bis zu längstem Stillstand, und nicht wie bei jenen sprung- weise, im Verhältniss ganzer Zahlen, sondern mit ganz continuirlichen Uebergängen und ohne dass sich, bei eingeschalteten Extrasystolen, eine compensatorische Pause oder eine dem Gesetz der Erhaltung der physio- logischen Reizperiode entsprechende zeitliche Beziehung ergeben könnte. Auch hiermit ist keine bekannte Thatsache im Widerspruch. Erklären sich doch selbst, wie Wenckehach (43—45) unlängst gezeigt hat, aus den im Vorstehenden dargelesten, durch Versuche am Froschherzen ermittelten, gesetzlichen Beziehungen die mannigfachsten, bisher ganz unverstandenen 344 Ta. W. ENGELMANN: Erscheinungen des „unregelmässigen Pulses“ beim Menschen in über- raschendster Weise. Es erhebt sich nun die Frage: Handelt es sich bei den Tempoände- rungen und speciell bei denen, welche durch Nerven veranlasst werden, um primär-chronotrope Wirkungen, d. h. um directe Hemmung oder Beschleunigung der automatischen Reizerzeugung, oder, wie Muskens will, um primär-dromotrope Effecte, d. h. um Aenderungen des Lei- tungsvermögens, oder um beides, bezw. um eine Combination mehrerer verschiedenartiger Wirkungen. Die Annahme von rein primär-chronotropen Aenderungen als Ur- sachen der zu beobachtenden Unterschiede des Tempos liegt offenbar am nächsten, würde, so viel sich übersehen lässt, für alle Fälle genügen, dabei durch gute Analogien zu stützen sein und sich durch ihre Einfachheit empfehlen. Andererseits ist die Hypothese von Muskens, so paradox sie zunächst erscheint, keineswegs ohne Weiteres zu verwerfen. Muskens wurde auf sie geführt bei Gelegenheit der Analyse der Vaguswirkung. Wie durch Vagusreizung die Leitung von A nach / und von 8; nach A verzögert, bezw. unterbrochen und dadurch eine Pulsverlangsamung der Kammer bezüglich der Vorkammern hervorgerufen werden kann, so kann auch, wie Versuche am Schildkrötenherzen (Pseudemys elegans und rugusa) ihm zeigten, durch den Vagus die Leitung innerhalb des Sinusgebietes unterbrochen, dieses selbst in zwei bis drei nach einander klopfende Theile gleichsam dissociirt werden. Beim Aalherzen hatte MacWilliam (46) schon früher Aehnliches beobachtet und ich selbst (10) hatte an absterbenden Froschherzen solche Dissociation innerhalb des Sinusgebietes und ihre Abhängigkeit von myogenen Aenderungen des Leitungsvermögens ausführlich untersucht. Schon die blosse Inspection absterbender Herzen hatte gelehrt, dass in vielen Fällen VeSi nicht mehr als ein Ganzes gleichzeitig sich bewegte, sondern ab- schnittweise. Die Bewegung begann in solchen Fällen meist an einer Hohl- vene und breitete sich von hier auf den Sinus und von diesem auf die anderen Hohlvenen aus. Dabei war eine kleine Verzögerung der Leitung an der Grenze von Sinus und Venen nicht selten sehr deutlich zu sehen. Graphische Versuche bestätigten dies und lehrten weiter, dass allmählich beim Absterben, wie auch nach mechanischen Beleidigungen und, was be- sonders wichtig, vorübergehend durch den Einfluss der Contractionswelle sich zwischen Ve und Si eine merkliche Hemmung (Block) ausbildet, von anscheinend derselben Art, wie sie zwischen Sinus und Vorkammer und Vorkammer und Kammer schon in der Norm in merklichem Grade besteht. „Dieser Block äussert sich bei schwächeren Graden nur in Verlängerung, bei etwas höheren in deutlichem Dicrotismus der Curven, endlich in völliger ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Hear. 345 Trennung der Anfangs einfachen Erhebung in zwei selbstständige Systolen, von denen die erste von der Vene, die.zweite vom Sinus herrührt. Folgen sich die Contractionen der Vene zu rasch, so bleibt dann jede zweite Sinus- contraction ganz aus“ (10, 8. 130). Muskens meint nun, dass kein Grund zur Annahme sei, dass diese Dissociation des /eSi-Gebietes sich nicht auch noch weiter hinab, auf noch kleinere Partien erstrecken könne. Wenn in diesen kleinsten Partien con- tinuirlich automatische Bewegungsreize erzeugt werden, so wird es immer doch vom Zustande des Leitungsvermögens abhängen, ob und wie schnell eine Contraction sich von ihnen aus durch das übrige Sinusgebiet und dann weiter nach Vorkammer und Kammer fortpflanzen wird. Denkbar wäre es also, dass jede beliebige Verzögerung wie auch jede beliebige Beschleu- nigung der Venensinuspulse und secundär des übrigen Herzens durch rein dromotrope Aenderungen veranlasst würde. Wie logisch richtig diese ganze Betrachtung nun auch erscheint, sie zeigt doch nur, dass die Dinge unter Umständen vielleicht so sein können, aber nicht, dass sie auch wirklich und ausnahmslos so sind oder so sein müssen. Man muss zunächst von einem allgemein-physiologischen Standpunkte aus das Bedenken erheben, dass es ja erfahrungsgemäss keine einzige Function in den lebendigen Organismen giebt, welche nicht schon in der Norm erhebliche Intensitätsschwankungen aufwiese. Im Besonderen zeigen alle von den Nerven direct beeinflussten Functionen (Muskelcontraction, Secretion, automatische und reflectorische Thätigkeit nervöser Centren) solche Schwankungen in handgreiflicher Weise. Die automatische Erzeugung von Bewegungsreizen im Herzen wird von dieser allgemeinen Regel keine Aus- nahme machen. Die Bedürfnisse des Thierkörpers erfordern die Möglichkeit einer innerhalb weiter Grenzen variirenden Frequenz des Herzschlages. Durch mehr oder minder schnelle Erzeugung der motorischen Reizursachen wird diesem Bedürfniss offenbar sehr einfach genügt werden können. Sollte ‘die Natur dies nächstliegende Mittel verschmäht haben? Kann ferner eine so tief eingreifende Aenderung, wie die Aufhebung des Leitungsvermögens, wohl ohne jegliche gleichzeitige Aenderung der übrigen, den Erregungsvorgang betreffenden Functionen, also auch der automatischen Reizerzeugung, stattfinden? Bei dem Ineinandergreifen aller Vorgänge innerhalb der lebendigen Gewebselemente, „Wo ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schiessen, Die Fäden ungesehen fliessen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt,“ muss die Annahme solcher Unabhängigkeit sehr unwahrscheinlich und deshalb ohne genügende thatsächliche Gründe nicht zulässig heissen. 346 TH. W. ENGELMANN: Inzwischen erweisen sich allgemeine Betrachtungen, auch wenn sie in abstracto durchaus richtig sind, in der Anwendung auf concrete Fälle oft trügerisch. Im Besonderen wird man mit ihrer Anwendung vorsichtig sein müssen, wenn es sich um so dunkele Beziehungen wie die des Leitungs- vermögens zur Erzeugung automatischer Reize handelt. Und dies um so mehr, als man sich auf offenbar verwandte Fälle berufen kann, in denen bei geschwächtem, oder selbst aufgehobenem Reizleitungsvermögen doch locale Reizbarkeit und Contractilität, ja sogar lebhafte Automatie bestehen kann. Ich erinnere an die Dissoeciation der Flimmerzellen in absterbenden Epithelhäuten, wo trotz aufgehobener Leitung der Erregung von Zelle zu Zelle doch jede einzelne Zelle in lebhafter Thätigkeit sein kann, und — ein vielleicht noch treffenderes Beispiel, weil es sich hier um normale Vor- gänge und vermuthlich um nervöse Einflüsse auf Muskeln handelt — an die bekannte Thbatsache, dass beim Darm der Vertebraten die peristaltische Erregungsleitung häufig völlige aufgehoben ist, bei gleichzeitig anscheinend ganz ungeschwächt fortbestehender Contractilität und automatischer Reiz- barkeit aller einzelnen kleinsten Partien der Darmwand. Eine weitgehende Unabhängigkeit der verschiedenen Functionen von einander offenbart sich ja auch im Herzen selber durch die Thatsache, dass die Vorkammern durch gewisse Einflüsse (Vagusreizung, Wasser) ihrer Contraetilität völlig beraubt werden können, ohne dass die Fortpflanzung der motorischen Reize nach der Kammer dabei merklich zu leiden braucht. Aendern sich ja doch überhaupt bei Muskeln und Nervenfasern Reizbarkeit und Reizleitungsvermögen, wie auch andere functionelle Eigenschaften keines- wegs immer gleichzeitig in gleichem Grade oder auch nur in gleichem Sinne. Man wird also am Herzen selbst, und zwar an den Orten der auto- matischen Thätigkeit nach entscheidenden Thatsachen suchen müssen. Als eine solche wird man die nun schon mehrmals bestätigte That- sache nicht ansehen dürfen, dass das gesammte automatische Gebiet, Si und alle grossen Venen bei Vagusreizung in einen vollständigen lang anhal- tenden Stillstand gerathen können, einen Stillstand, in welchem auch die sorgfältigste Inspeetion oder graphische Untersuchung nirgends auch nur die Spur einer Pulsation zu entdecken vermag. Es leuchtet ja ein, dass das Bild eines solchen Stillstandes auch resultiren müsste, wenn alle die zahllosen mikroskopisch kleinen Elemente, welche das automatische Gebiet der Y/eSi-Wand zusammensetzen, fortdauernd jedes für sich automatisch thätig wären, aber ihre Erregung sich nicht gegenseitig mittheilen könnten. Ein isochrones Zusammenwirken der Elemente in gleichem Sinne, wie es zur Erzeugung makroskopischer Bewegungen erforderlich sein würde, ist dann offenbar ausgeschlossen. Denn Verkürzung der einen und Verlängerung der anderen Elemente würden sich nach aussen aufheben. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Hkrz. 347 Dagegen müsste allerdings für solchen Fall eine tonusartige, gleich- mässig anhaltende Verkürzung der Wände sich ergeben. Sie würde jedoch nur geringe sein können, da immer nur ein Theil der Zellen gleichzeitig contrahirt sein und sehr wahrscheinlich für jede einzelne Zelle die Pausen länger als die Contractionen währen würden. Die Beobachtung wird zudem erschwert und complieirt durch die passive Dehnung der /esi-Wände, welche beim Stillstande des Herzens durch das von der Peripherie her ein- strömende Blut hervorgebracht wird. Diese auf Blutstauung beruhende Anschwellung und Ausdehnung des /eSi — wie auch der Vorkammern und Kammer — ist sehr auffällig. Indessen auch nach Verblutung konnte ich während completten Vagusstillstandes des automatischen Gebietes nie eine Andeutung der zu erwartenden tonischen Zusammenziehung bemerken. Die Durchmesser der Hohlvenen schienen, auch bei Beobachtung mit der Lupe, während des Vagusstillstandes überall dieselben zu sein, wie in der Pause zwischen zwei gewöhnlichen Contractionen. Mit diesen Beobachtungen sind die Ergebnisse der graphischen Unter- suchung in Uebereinstimmung. Bei Suspension irgend eines Theiles des VeSi-Gebietes sinkt während des Vagusstillstandes die Spitze des Schreib- hebels entweder so weit als sonst während der Pause (s. Taf. IV, Figg. 10, 12, Taf. VI, Fig. 21a), oder etwas weiter hinab (Taf. VI, Fig. 22), oder sie bleibt auch während des ganzen oder eines Theiles des Stillstandes etwas höher stehen (Taf. VI, Fig. 21b), etwa so, wie es einer mässigen tonischen Contraction entsprechen würde, oder endlich sie hebt sich mehr, bis fast zu systolischer Höhe (Taf. VI, Fig. 20) mit oder ohne Andeutung von Pul- sationen. Alle diese Unterschiede sind aber in jedem einzelnen Falle voll- kommen aus den herrschenden mechanischen Bedingungen der Registration, besonders aus der mehr oder weniger erheblichen Einmischung des Zuges oder Druckes der durch das sich stauende Blut anschwellenden verschie- denen Herzabschnitte zu erklären. Wenn man durch geeignete Lagerung der Kammer und der Vorkammern dafür sorgt, dass die Bewegungen der suspendirten Partien von Yes? möglichst wenig diesen Einflüssen unter- worfen sind, so verschwinden auch diese Unterschiede und es kehrt die Schreibspitze genau oder so gut wie genau zu der in der Pause ge- wöhnlieh eingenommenen Ruhelage zurück. Zu einer völlig sicheren Ent- scheidung dürfte indessen dieser Weg, wegen der Complication und Sub- tilität der mechanischen Bedingungen, kaum führen können, wenigstens nicht bei so kleinen Gebilden wie dem Sinus und den Hohlvenen des Froschherzens. Es bedarf aber auch gar nicht dieses Weges, um Sicherheit zu er- langen, da ein anderer bequem zum Ziele führt. Diesen Weg weist die folgende naheliegende Ueberlegung. 348 TH. W. ENGELMARNN: Wenn in allen Fällen, wie Muskens will, der Herzstillstand nur auf Leitungshemmung beruht, so darf es nie gelingen, während einer durch Vagusreizung erzeugten längeren Ruhe des Y/eS durch örtlich beschränkte künstliche Reizung innerhalb des automatischen Ve si-Gebietes eine allge- meine Contraction dieses Gebietes, geschweige denn der Vorkammern und der Kammer auszulösen. Denn es werden offenbar künstlich erzeugte Erregungen sich ebenso wenig wie die spontanen auszubreiten ver- mögen, zumal sie ja auch nicht stärker als die immer maximalen, spon- tanen sein können. Ich habe zahlreiche solcher Versuche am Herzen grosser, schwach curarisirter Frösche angestellt. Der Sinus, bezw. eine der Hohlvenen und ausserdem eine Vorkammer oder die Kammer wurden in der üblichen Weise mit Schreibhebeln verbunden, so dass die Bewegungen der einzelnen Abtheilungen möglichst rein und gross sich aufzeichneten. Der Stillstand von VeSi ward reflectorisch durch locale, sehr kurzdauernde elektrische Reizung einer in situ befindlichen oder aus einer Bauchwunde hervorgezogenen Darmschlinge hervorgerufen (ein Accumulator; kleiner Schlittenapparat, Nadelelektroden von 1 bis 2" Abstand, Rollenabstand meist zwischen 6 und 10°”). Ein zweites, bis dicht an die Spitzen mit isolirendem Schelllack überzogenes Nadelektrodenpaar, mit etwa 0.5 "m Spitzenabstand, war an irgend eine Stelle des YeSi-Gebietes, bald an den Sinus, bald an eine der Venen, angelegt. Nachdem der reflectorische Stillstand eingetreten, wurde zu bestimmter, mannigfach variirter Zeit Ve bezw. Si gereizt, entweder nit einem einzelnen Schliessungs- oder Oeffnungsinductionsstrom oder mittels einer ganz kurzen Reihe abwechselnd gerichteter Inductionsschläge. Die Lage der Reizstellen an Si oder Ve und die Stromstärke wurden selbstverständlich so gewählt, dass keine wirksamen Stromschleifen auf andere Abschnitte des Herzens einwirken konnten. Die Reizungen wie die Registrirung aller Vor- gänge besorgte das mit dem Polyrheotorm verbundene Pantokymographion. Die Geschwindigkeit der Schreibfläche des Cylinders betrug meist zwischen 15 und 30” in der Secunde, liess also genügend feine Zeitmessungen zu. Bei diesen Reizversuchen ergab sich Folgendes. Die Reizung des Vesi während eines längeren Stillstandes mit solchen Stromstärken, welche vorher während der Vesi-Pause Extrasystolen von V/eSi ausgelöst hatten, hatte häufig keinen Erfolg, namentlich nicht kurz nach Beginn des Stillstandes. Verstärkte man die Reize etwas (durch Annähern der secundären Spirale von beispielsweise 15 auf 13m Rollenabstand) oder liess man sie später nach Anfang des Stillstandes einfallen, so folgte nach normaler Latenz (0-1 bis 0.2”) eine locale Contraction des gereizten VesSi-Abschnittes, die sich dann über das ganze VeSi-Gebiet und weiter nach A und Y fortpflanzte. Dabei war die Extrasystole, wenn die Reizung in die ersten 5 bis 10 Secunden nach Eintritt des Stillstandes fiel, fast immer merklich geschwächt, noch ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Hraz. 349 mehr die zugehörige 4,, meist gar nicht die /,. Die Leitung der Erregung von der gereizten Stelle des /esi-Gebietes bis zum A war in sehr vielen Fällen, und zwar oft schon ziemlich im Anfange eines lange währenden Stillstandes der spontanen Bewegungen, nieht nur nicht merklich verzögert, sondern entschieden beschleunigt. Die Ausmessung des Intervalls zwischen Anfang der /eS:, und Beginn der sich anschliessenden 4, konnte in vielen dieser Fälle mit solcher Schärfe erfolgen, dass Differenzen des Intervalls Ve,/ 4, von 0:05” noch mit ziemlicher Sicherheit nachzuweisen waren. In anderen, namentlich bei sehr geschwächten 4,, liess sich die Messung nur bis etwa auf 0-1” genau ausführen, bei extrem reduceirter 4, gar nicht. Doch war in diesen, wie in allen anderen Fällen, wenigstens die Dauer des Intervalls zwischen Anfang der Extrasystole (bezw. der spontanen Systole) von /eSi und dem Anfange von /, sehr scharf, oft bis auf etwa 0-02” zu messen. Und dieses Intervall war dann auch nicht verlängert, sondern häufig entschieden etwas (15 bis 20 Proc.) gegen die Norm verkürzt. Ebenso war 4 Ve/4 bezüglich 4 Ve/V/ am Ende des Stillstandes, beim Wiedereinsetzen der spontanen Contractionen dann kürzer als vor Anfang des Stillstandes. Beispielsweise ergaben sich bei einer Versuchsreihe (LXI), in der abwechselnd an drei verschiedenen Stellen des Ve Si-Gebietes (Si, Ve c. inf. und /e c. sup.) gereizt wurde, die folgenden Werthe (in Stimm- gabelschwingungen von 0-2”) für / VeSi/A bei spontaner Erregung vor dem Vagusstillstand, Mittel aus 23 Versuchen: 4:0 (Min. 3-5, Max. 4-5); während des Stillstandes, Mittel aus 23 Versuchen: 3-4 (Min. 3-0, Max. 3-5, mittlere Abweichung der Einzelwerthe 0-19); bei der ersten spontanen Erregung nach dem Stillstand, Mittel aus 23 Versuchen: 3°5 (Min. 3-0, Max. 4-0, mittlere Abweichung der Einzelwerthe 0:12). Die Extraerregung fiel hier in sehr verschiedene Phasen des Stillstandes, nämlich in folgende Zeitpunkte nach Anfang der letzten spontanen VeSi;: 22, 27, 30, 31, 32 (2 Mal), 34 (3 Mal\, 35 (3 Mal), 36 (3 Mal), 37, 38, 39, 39.5, 40, 43, 57, IH. Innerhalb dieser Grenzen zeigte sich kein Einfluss der Phase auf AVeSijA. Ebenso wenig erwies sich /VeSi/A bei der ersten nach dem Stillstande einsetzenden Systole von der Dauer der auf die Extrasystole folgenden Pause abhängig. Diese Dauer betrug bezw. 34, 38, 40 (2 Mal). 41, 44 (2 Mal), 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 35, 56, 57 (3 Mal), 58-5, 67, 70, 77 Schwingungen. Erst während der nun folgenden Rückkehr der Periodendauer zur Norm (12-5 bis 14) wuchs auch AVeSi/ A wieder auf den anfänglichen Werth von 4. 350 Ta. W. ENGELMANN: Die offenbare Erhöhung der Leitungsgeschwindigkeit von Ve nach A, welche in der vorstehenden Versuchsreihe durch den Vagusreflex hervor- gebracht wird, darf nun aber keineswegs auf eine directe + dromotrope Nervenwirkung geschoben werden, sondern erklärt sich zur Genüge aus dem die Leitung befördernden Einfluss der der Systole vorausgegangenen Pause. Wie ich früher (7, 9, 10) ausführlich nachwies, wächst die Geschwindigkeit der Leitung überall im Herzen, speciell an den Blockstellen, innerhalb weiter Grenzen mit der Dauer der vorhergehenden Pause. Da die Steigerung der Leitungsgeschwindigkeit durch die Ruhe nur bis zu einem bestimmten Maximum gehen kann und dieses Maximum nach meinen früheren Ver- suchen am blutdurchströmten Herzen schon innerhalb einiger Secunden erreicht wird, hat es nichts Befremdendes, dass sich in unserer Versuchs- reihe kein Einfluss der Pause zeigt, ausser bei der Wiederkehr der normalen Frequenz nach dem Stillstande, wo die Pausen sehr kurz werden. Es sei auch noch auf die schon oben beschriebenen Figg. 10 und 21 verwiesen. Der Versuch Fig. 10 wurde, um die Reproduction desselben in ganzer Ausdehnung, in Originalgrösse zu ermöglichen, bei ausnahmsweise geringer Geschwindigkeit der Schreibfläche registrirt. Hierdurch werden feinere Zeitbestimmungen allerdings beeinträchtiet.! Immerhin lässt die Figur doch bei genauer Ausmessung erkennen, dass das Intervall Ves:,/A; bei der im Anfange des Vagusstillstandes (bei 0‘) durch Vesi-Reizung aus- gelösten Herzrevolution jedenfalls nicht nennenswerth vergrössert, nach Wiederbeginn der spontanen Bewegungen Anfangs sogar etwas verkürzt ist und dann mit wachsender Frequenz allmählich wieder wächst. Auch die letzte, der reflectorischen Vagusreizung (o) unmittelbar folgende spontane Herzperiode zeigt zwar die Grösse von /esSi, und namentlich von 4A, bereits erheblich geschwächt, die Leitungsgeschwindigkeit aber nicht merklich ver- mindert. Die auf Taf. VI, Fig. 21 abgebildeten Versuche sind bei etwa dreifach grösserer Geschwindigkeit der Schreibfläche gezeichnet. Hier sind allerdings die A, nach o’ bis zur Unmerklichkeit geschwächt und kehren erst mit den spontanen Bewegungen am Ende der Figur etwas zurück; AVeSi/A kann deshalb nicht bestimmt werden, sehr genau dagegen die Dauer der Leitung ! Die von Muskens seinen Abhandlungen (36 u. flg.) beigegebenen Curvenbilder kann ich für die Entscheidung der die Leitungsgeschwindigkeit betreffenden Fragen im Allgemeinen nicht als beweiskräftig ansehen, selbst wenn man berücksichtigt, dass sie in etwas verkleinertem Maassstabe (*/,) und vielleicht nicht ganz dem Original entsprechend wiedergegeben sind. Die Erhebungen der Vesi, sind fast überall zu klein, durch passive Bewegungen (Blutstauung, Muskelzuckungen u. dergl.) öfter gestört, der Anfang der A, und P,,, ebenfalls wegen der Superposition, schwer zu bestimmen, auch die Geschwindigkeit der Schreibfläche meist zu klein. r ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Hrxz. 351 von /esSi nach 7. Letztere ist unter dem Einflusse der reflectorischen Vagusreizung entschieden verzögert (verel. die Zahlen 8. 339). Das sehr verflachte Ansteigen und der lang gedehnte Verlauf der während des Still- standes durch Reizung der linken oberen Hohlvene erzeugten VeSi, weisen, wie schon oben bemerkt, auf eine Leitungsverzögerung innerhalb des Ve si- Gebietes, deren Sitz vermuthlich hauptsächlich am Uebergang von Ve in Si gelegen war. Hier bildet sich ja nach meinen früheren Erfahrungen leicht ein völliger Block aus. Die auf Taf. V, Fig. 14 und Taf. VI, Fig. 19 abgebildeten und S. 334 u. 338 beschriebenen Spaltungen der spontanen Y/eSi, durch Vagusreflexe sind auch nur als solche Leitungshemmungen verständlich. Wenn es hiernach also nicht bezweifelt werden darf, dass das Leitungs- vermögen innerhalb des /e Si-Gebietes und an der Grenze von Si und A durch Vagusreizung beeinträchtigt werden kann, eventuell bis zu völliger Aufhebung, so lehren doch die eben beschriebenen und die in Taf. IV, Fig. 10 und Taf. VI, Fig. 21 abgebildeten positiven Ergebnisse der während des reflectorischen Stillstandes von /e si innerhalb des Sinusgebietes aus- geführten localen Reizungen, dass in allen diesen Fällen der Stillstand nicht auf solcher Leitungshemmung, sondern nur darauf beruht haben kann, dass die automatischen Reize nicht, oder doch nicht in genügender Stärke oder Geschwindigkeit erzeugt wurden. Hiermit ist also der experimen- telle Beweis für das Vorkommen echter primär-chronotroper Wirkungen der Nerven auf die automatischen Apparate des Herzens geliefert. Einen Versuch zur Unterstützung der Muskens’schen Hypothese könnte man ja noch zu machen geneigt sein, indem man folgende Hilfs- annahmen herbeizöge: erstens, dass die normalen automatischen Reize nur von einer oder von wenigen ganz beschränkten Stellen im /e Si- Gebiet ausgehen, zweitens, dass unsere künstlichen Reize zufällig niemals diese Stellen getroffen hätten, und drittens, dass die Vagusreizung in unseren Versuchen zwar die Leitung von jenen Stellen nach dem übrigen Ve si- Gebiet, aber nicht die Leitung innerhalb des letzteren aufgehoben habe. Die erste Annahme ist unerlaubt, weil nachweislich alle, oder doch fast alle Stellen des Ye (vielleicht nur mit Ausnahme der zunächst an die Vorkammer grenzenden sSi-Abschnitte) schon in der Norm automatische Erregbarkeit besitzen und Ausgangspunkte für allgemeine Herzcontractionen werden können. Diejenigen, welche am schnellsten arbeiten, bestimmen auch das Tempo der übrigen. Es brauchen aber gar nicht immer dieselben zu sein und sind es factisch auch nicht immer. Hierin musste ja, wie ich früher betont habe, eine ganz besonders zweckmässige Einrichtung erblickt werden, da nun die Erhaltung der automatischen Reizbarkeit und der leitenden Verbindung an einer einzigen mikroskopisch kleinen Stelle des 352 Ta. W. ENGELMANN: Ve si genügte, um die Fortdauer normaler Herzpulsationen zu gewährleisten, während sonst die Erhaltung des Herzschlages und damit des Lebens schon in völlig normalem Zustande immer gleichsam an einem Haar hängen würde. Die zweite Annahme, ohne welche auch die erste nichts helfen würde, ist offenbar zu unwahrscheinlich, als dass sie ernstlich in Betracht kommen könnte. Und gegen die dritte, welche durch die Widerlegung der ersten schon gegenstandslos wird, liefern die in dieser Abhandlung mitgetheilten Thatsachen, die ja zum Theil auch von Muskens schon be- obachtet sind, noch so gewichtige besondere Bedenken, dass auch sie nicht zulässig erscheint. Hiermit soll nun aber keineswegs behauptet werden, dass vollständige, auch auf das Sinusgebiet sich erstreckende Herzstillstände niemals auf blossen Leitungshemmungen beruhen könnten und die Erklärungsweise Muskens’ deshalb unter keinen Umständen annehmbar sei. Leitungs- hemmungen spielen offenbar, wie unsere Versuche auf’s Neue in ausgedehn- tester Weise bestätigt haben, bei Herzstillständen, und speciell auch bei Pulsverlangsamungen im Herzwurzelgebiet, häufig eine sehr wichtige Rolle. Sie können sich ja sogar mit positiv-chronotropen Wirkungen auf die automatischen Herde combiniren (s. Taf. V, Figg. 14 bis 17). Ich betrachte es als ein entschiedenes Verdienst von Muskens, dass er auf diese Bedeutung des Leitungsvermögens für das Tempo des Herzschlages auf’s Neue und mit besonderem Nachdruck hingewiesen hat. Aber es ist noch in keinem Falle demonstrirt oder auch nur wahrscheinlich gemacht, dass eine Leitungs- hemmung innerhalb des Sinusgebietes an und für sich, ohne gleichzeitige Betheiligung einer negativ-chronotropen Wirkung, zu einer erheblichen Pulsverlangsamung im automatischen Gebiete und damit secundär des sesammten Herzens geführt hätte. Ebenso wenig erscheint es zulässig, die durch Einfluss von Nerven oder anderen Agentien zu erzeugenden Beschleunigungen der Puls- frequenz über die Norm hinaus, wie consequenter Weise geschehen müsste, durchweg aus Verbesserungen der Leitung, aus Beschleunigung der Reiz- leitung zu erklären. Wollte man dies, so müsste man annehmen, dass die Erregungen schon in der Norm an ihren Ausgangspunkten im Sinusgebiet immer in viel kürzeren als den thatsächlich zu beobachtenden Perioden erzeugt würden, dass aber nicht jeder dieser Erregungen eine peristaltisch durchlaufende Reizwelle folgte, sondern nur je nach einer bestimmten Zahl von örtlichen Erregungen eine. Auch diese Vorstellung ist keineswegs von vornherein als unmöglich oder ungereimt zu verwerfen, sie entspricht aber nur in einer beschränkten Zahl von Fällen, unter Bedingungen, wie sie im normalen Leben, wenn überhaupt, wohl selten vorkommen, dem wirklichen Sachverhalt. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 233 Tempobeschleunigungen, die ausschliesslich oder doch wesentlich auf Verbesserungen der Keizleitung beruhen, kommen da vor, wo die Puls- frequenz einer Herzabtheilung die der nächstfolgenden, z. B. die Frequenz der Vorkammern die der Kammer um ein ganzes Vielfaches übertrifft. Dromotroper Ursprung ist allgemein daran kenntlich, dass die Frequenz plötzlich auf genau oder fast genau (s. oben 5. 342 Anm.) das Doppelte, eventuell das Drei- oder Mehrfache springt. Die Leitungsverbesserung be- wirkt in diesen Fällen, dass nicht, wie zuvor, erst jeder zweite, dritte u. s. w., sondern immer schon ein früherer Reiz von der schneller auf die langsamer klopfende Abtheilung übergeht. Die Ursache der Leitungsverbesserung und danıit der Pulsbeschleunigung kann dabei eine ganz verschiedene sein. Beispielsweise handelt es sich in dem oben Taf. III, Fig. 5 aufgeführten Falle ausschliesslich um das Abklingen einer primären negativ-dromotropen Nervenwirkung; um directe positiv-dromotrope Wirkung der Acceleratoren in den von Bayliss und Starling beschriebenen Reizversuchen am Hunde- herzen (2, Taf. XI), in anderen, früher (10, Figg. 25 u. 26) beschriebenen Versuchen um positiv-dromotrope Folgen primär-chronotroper, thermischer Einwirkungen auf die Muskelwand des Sinusgebietes. Hier veranlasste Ab- kühlung der in Folge vorhergehender Erwärmung mit übernormaler Frequenz klopfenden oberen Hohlvene Abnahme der Pulsfrequenz in Sinus- und Vorkammern und damit secundär plötzliche Verdoppelung der Kammerpulse. Wiederum in anderen (42, S. 33, Figg. 55 bis 61, 10, S. 149) Fällen war eine der „Treppe“ von Bowditch vergleichbare primäre positiv-dromotrope Wirkung von Extrasystolen die Ursache der gleichen Beschleunigung. Bei absterbenden, blutleeren oder asphyktischen Herzen kann Zufuhr arteriellen Blutes die geschwächte Leitung an den Blockstellen wieder so weit heben, dass jeder einzelnen Sinus-, bezw. Vorkammersystole wieder eine Kammer- systole folgt. Unzweifelhaft auch beruhen, wie Wenckebach nachweist (44, 45), viele unter pathologischen Umständen (z.B. Bradycardie, Stokes-Adams’sche Krankheit) beim Menschen zu beobachtende plötz- liche Pulsbeschleunigungen auf Verbesserungen des Leitungsvermögens. In fast allen den genannten Fällen handelt es sich aber wesentlich nur um Beschleunigung der Pulse von stromabwärts von den normalen Quellen der automatischen Erregung, dem Sinusgebiet, gelegenen Herz- abtheilungen, und nicht oder doch nicht nothwendig und nachweislich um Beschleunigung der Pulse des Sinusgebietes selbst. Für die Erklärung der im Sinusgebiete selbst vorkommenden Beschleunigungen über die normale Frequenz hinaus kommt man mit der Annahme blosser Leitungsverbesserung nicht aus. Genügte sie, so dürfte bei einem normal klopfenden Herzen eine unmittelbar nach Ablauf einer Ve Si, künstlich erregte Extrasystole von Ve si sich nie durch das Sinusgebiet und weiterhin nach dem übrigen Herzen Archiv f, A. u. Ph. 1900. Physiol. Abtblg. 23 354 Ta. W. ENGELMANN: fortpflanzen. Dies ist aber, wie meine früheren Versuche (10) gelehrt haben, sehr wohl möglich, und zwar trotzdem solche Extrasystolen im Allgemeinen, wegen der lähmenden Wirkung der vorausgehenden Systole, schwächer als die spontanen sind. „Bei ganz frischen, leitungsfähigen Präparaten mit sehr grosser Pulsfreguenz entwickeln sich die spontanen Reize an den venösen Ostien nach jeder Systole so rasch zu wirksamer Höhe, dass es nur mit relativ sehr starken Inductionsströmen gelingt, eine Extrasystole einzuschalten. Späterhin, und auch sonst in gewissen Fällen, wenn die spontanen Systolen durch lange Pausen getrennt sind, erweisen sich oft äusserst schwache Reize im späteren Verlauf der Pause wirksam“ (10, S. 143). Wenn also spontane, örtlich wirksame Erregungen irgendwo im Sinusgebiete vor dem Ende der normalen Perivde da wären, würden sie sich auch vor Ablauf dieser Periode fortpflanzen müssen, d. h. die Pulsfreguenz müsste grösser sein, als sie that- sächlich gefunden wird, und zwar immer so gross, wie sie im günstigsten Falle bei Anwendung frequenter, künstlicher Reize auf das Sinusgebiet überhaupt werden könnte. Dies nun ist, wie gesagt, in der Norm nie der Fall. — Wohl nur bei excessiv gesteigerten Pulsfrequenzen, wie sie durch Accelerator- reizungen und hohe Temperaturen hervorgebracht werden können, hört die Möglichkeit der Einschaltung von Extrasystolen auf. Es darf also ganz allgemein „wegen der rascheren Wiederkehr von Contractilität und Leitungs- vermögen nach der Systole die Dauer der (Ves&-) Perioden als reciprokes Maass für die Geschwindigkeit der Entwickelung der automatischen Herzreize betrachtet werden“ (10, S. 144). Die Rückkehr des Leitungsvermögens vor Eintritt neuer spontaner Erregung ist offenbar im Interesse der Bluteirculation durchaus geboten. Nur so ist Bürgschaft dafür gegeben, dass, sobald an den venösen Ostien Erregung stattfindet, sie sich auch über das ganze Herz weiter verbreiten könne. Wenn es in der Norm an den automatischen Herden zu spontaner Erregung käme, ehe die Leitung wieder hergestellt wäre, so würde wenig- stens die Hälfte, vielleicht zwei Drittel, drei Viertel oder noch mehr von allen Erregungen local beschränkt bleiben und für die Zwecke der Circulation verloren gehen; weitaus der grösste Theil der bei der Erregung frei werden- den mechanischen Energie würde nutzlos verschwendet, in Wärme statt in Massenbewegung des Blutes verwandelt werden. Solche Vergeudung wider- spricht den sonst überall geltenden Grundsätzen organischer Oekonomie. Schon aus diesen Gründen ist es nicht nothwendig, weiter auf eine Discussion jener Annahme einzugehen. Und es liest um so weniger Grund dazu vor, als die Annahme primärer positiv-chronotroper Einflüsse als Ursache erhöhter Schlagfreguenz der Herzwurzel in jeder Beziehung den im vorliegenden Falle an eine gute Hypothese zu stellenden Anforderungen genügt. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 355 Bezüglich der pulsbeschleunigenden und der pulsverlangsamenden Wirkungen der Herznerven bleibt also die bisher herrschende Auffassung zu Recht bestehen; Vagi und Acceleratoren sind in demselben Sinne, wie das bis jetzt angenommen wurde, Hemmungs- und Beschleunigungsnerven des Herzens: sie beeinflussen direct, primär, die Erzeugung der motorischen Reize in den automatischen Herden. Ebenso können sie aber auch daneben indirect, secundär, durch Aenderung des Leitungsvermögens, namentlich an den Blockstellen, das Tempo des Herzschlages modifieiren. Es ist wohl kein Zweifel, dass die unter physiologischen Bedingungen vorkommenden, so zahlreichen wie ausgiebigen Temposchwankungen des Herzschlages, so weit sie durch jene Nerven veranlasst werden, im Wesentlichen auf primär- chronotropen Nervenwirkungen beruhen. Es spricht dafür schon die Erfahrung, dass unter physiologischen Bedingungen jene Tempoänderungen, auch wenn sie sehr hohe Grade erreichen, ganz continuirlich stattfinden, nicht sprungweise, im Verhältniss ganzer Zahlen. Dies letztere ist, wie wir sahen, für die Tempoänderungen charakteristisch, welche auf primär-dro- motropen Nervenwirkungen beruhen, und diese Wirkungen scheinen nach den bisher vorliegenden Erfahrungen, zu denen auch unsere Versuche neue Beiträge geliefert haben, wesentlich nur unter abnormen Bedingungen zu merklicher Geltung zu kommen. Wie mannigfach sich beide mit einander combiniren können, ist im 2. und 3. Abschnitt dieser Arbeit zur Genüge gezeigt. Beide Arten von Nervenwirkungen veranlassen immer auf myo- genem Wege secundär-chronotrope Aenderungen, namentlich der Kammer und der Vorkammern, welche Aenderungen die primären sehr merklich modifieciren können und im Allgemeinen einen compensatorischen Charakter tragen. In Bezug auf diese letzteren und das dabei zur Geltung kommende Prineip der myogenen Selbstregulirung des Herzschlages darf ich auf meine früheren Arbeiten (10, 12) und die Ausführungen von K. F. Wenckebach (43, 44, 45) verweisen. Da unter normalen Bedingungen nur das Sinusgebiet als Quelle auto- matischer Erregungen in Betracht kommt, müssen auch die Angriffspunkte für die primär-chronotropen Wirkungen sowohl der Vagus- wie der Acceleratorfasern in der Norm im Sinusgebiet liegen. Dies hat neuerdings F. B. Hofmann durch systematische Durchschneidungs- und Reizversuche für den Frosch direct nachgewiesen (21, 22). In seinen zahlreichen, höchst sorgfältigen Versuchen ergab sich, dass nur die in den Sinus eintretenden und daselbst endigenden Nervenfasern die Frequenz des Herzschlages zu be- einflussen im Stande waren. Weder Durchschneidung noch Reizung der vom Sinus zu den Vorkammern und der Kammer führenden Nerven vermochten das Tempo der noch durch Muskelbrücken mit dem spontan klopfenden Sinus zusammenhängenden Vorkammern und Kammern zu modifieiren, 295 356 Ta. W. ENGELMANN: während Reizung der Scheidewandnerven, auch nach vorheriger Abtrennung vom Sinus, ausgiebigste Inotrope und dromotrope Effecte auf Atrien und Ventrikel ergab. Alle an den Herzen anderer Thiere bisher angestell- ten Versuche sind hiermit in Uebereinstimmung. Inzwischen muss doch die Möglichkeit direct chronotroper Nerven- wirkungen auf andere Herzabschnitte als das Sinusgebiet im Auge behalten werden. Das Vermögen, automatisch Reize zu erzeugen, kommt ja ursprüng- lich allen Theilen der Herzmuskelwand und auch beim erwachsenen Herzen nicht ausschliesslich dem Sinusgebiet, sondern, wenn auch in wesentlich geringerem Grade, noch anderen Stellen zu. Namentlich die Gegend der Atrio-Ventriculargrenze mit der Basis des Ventrikels scheint allgemein und dauernd in dieser Beziehung ausgezeichnet, beim Frosch auch der Bulbus arteriosus, bei Säugern die Herzohren, aber auch jede der übrigen Partieen des Herzens, sogar die Kammerspitze ist unter gewissen Bedingungen be- kanntlich zu automatischer Thätigkeit befähigt. Es ist nun sehr wohl denkbar, wenn auch wohl nicht gerade sehr wahrscheinlich, dass, ebenso wie andere Agentien, auch Nervenfasern allerwärts im Herzen auf diese Fähig- keit directen Einfluss haben. So könnte dann beispielsweise, ähnlich wie durch gewisse chemische Einflüsse oder den constanten elektrischen Strom, durch directes Eingreifen der Nerven die automatische Erzeugung der Reize an solchen Stellen dermaassen gesteigert werden, dass es daselbst zu eigenen spontanen Contractionen käme, die dann, als Extrasystolen, mit den vom Sinus hergeleiteten Erregungen interferiren müssten. Hierdurch würde zu den mannigfaltigsten und complieirtesten chronotropen Mischeffecten Anlass gegeben werden können. Ein Mittel, die auf diesem Wege erzeugten Er- scheinungen zu entwirren und ihren doppelten Ursprung zu erkennen, würde, wie aus schon früher Gesagtem folgt, darin gelegen sein, dass man durch genaue Zeitmessungen prüft, ob sich dabei die allgemein für Extra- systolen der Kammer, bezw. der Vorkammern als gültig nachgewiesenen Gesetze der compensatorischen Pause und der Erhaltung der physiologischen lieizperiode bemerklich machen. Beim Menschen konnte Wenckebach auf diesem letzteren Wege das Auftreten von spontanen Extrasystolen in der Kammer (bezw. der Vorkammer) als allgemeine Ursache gewisser, als Pulsus intermittens bekannten chronotropen Störungen des Herzschlages nachweisen (43). Es ist wohl möglich, dass diese Extrasystolen directen, positiv-chronotropen Einflüssen von Kammernerven ihre Entstehung ver- danken. Spricht doch Vieles für ihren nervösen Ursprung. Aber diese Frage kann nur durch weitere Untersuchungen entschieden werden, bei welchen es namentlich auf sehr genaue Zeitmessungen ankommen wird. Auf dem jetzt erlangten Standpunkte werden neben vielen anderen bisher unerklärten Thatsachen auch die verschiedenen Resultate erklärlich, a or r r UBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS Herz. 357 welche gleichzeitige Erregung von Vagus und Acceleratoren ver- schiedenen Beobachtern gegeben haben. Wie bekannt, waren Ludwig und Baxt in einer Aufsehen erregenden Experimentalarbeit (1) zu dem, übrigens schon von Schmiedeberg (42) und von Bowditch (3) gelegent- lich erhaltenen Ergebniss gekommen, dass bei gleichzeitiger Reizung jener Nerven beim Hunde der Erfolg der Vaguserregung im Wesentlichen gerade so war, wie wenn die Acceleratoren überhaupt nicht mit gereizt worden wären. Erst nach Aufhören der (speeifisch schneller verlaufenden) Vagushemmung trat die Acceleratorwirkung ihrerseits hervor, und zwar gleichfalls etwa so, als ob der andere Nerv zuvor nicht mit gereizt worden wäre. Es fand also keine algebraische Summirung der beiden entgegen- gesetzten Wirkungen statt, wie bei einem echten Antagonismus, sondern der Vagus schien gleichsam die durch den Accelerator beschleunigten Herz- reize von der Kammer einfach abzublenden. Auf Grund unserer Vorstel- lungen würde man anzunehmen haben, dass es sich hier im Wesentlichen um die Combination einer primären, positiv-chronotropen Wirkung der Acceleratoren auf das Sinusgebiet mit einer primär negativ-dromotropen des Vagus auf weiter abwärts gelegene Theile, wahrscheinlich die Block- fasern zwischen Atrien und Ventrikel, handeltee Wenn durch Vagus- reizung die Leitung von Vorkammer zur Kammer dermaassen erschwert wurde, dass nur in einem viel längeren als dem normalen Intervalle je eine Erregungswelle zur Kammer durchgehen konnte, so musste es, so lange dieser Zustand anhielt, im Wesentlichen gleichgültig sein, ob die automati- schen Herde des Sinusgebietes mit normaler oder mit übernormaler Frequenz arbeiteten. Es konnte eben in einem bestimmten Zeitintervall nicht mehr wie eine Reizwelle hindurch. Hätte es sich ganz ausschliesslich und rein um eine solche Combina- tion von positiv-chronotroper Accelerator- und negativ-dromotroper Vagus- wirkung gehandelt, so würde der Erfolg noch strenger, als thatsächlich der Fall war, der oben geschilderte gewesen sein müssen. Aber es zeigte sich, dass doch gewisse Abweichungen bestanden, die auf eine verwickelte Wir- kungsweise hindeuteten. Schon Schmiedeberg hatte aus ähnlichen Ver- suchen ableiten zu dürfen gemeint, dass es sich wesentlich doch um echten Antagonismus handele. Bowditch hatte sogar Fälle beobachtet, in denen die Accessoriuswirkung durch gleichzeitige Vagusreizung gar nicht beein- trächtigt wurde. S. J. Meltzer (33) wies dann aus Baxt’s Zahlenmaterial nach, dass unzweifelhaft auch in dessen Versuchen eine antagonistische Be- einflussung sich bemerkbar machte. Später haben Reid Hunt (23, 26) und Andere (5, 13) auf Grund neuer Versuche behaupten zu dürfen geglaubt, dass die -Wirkungen beider Nerven sich immer nur einfach algebraisch summiren. Es soll nur vom Verhältniss der Reizstärken und etwa der 358 Ta. W. ENGELMANN: Zahl der gereizten Fasern abhängen, ob eine von beiden Wirkungen, und welche die Oberhand behalte. Inzwischen geben Ludwig und Baxt ausdrücklich an, dass in allen ihren — sehr zahlreichen und mit grösster Sorgfalt ange- stellten — Versuchen die Acceleratoren „möglichst stark“, der Vagus „recht schwach“ gereizt wurde, eben mit Rücksicht auf den- vermutheten Anta- sonismus. Es überwog aber immer weitaus der Vaguseffeet, unter Um-- ständen bis zu völliger Annullirung der doch meist nachweislich sehr starken Accelerenswirkung. Die Differenz wird beseitigt, wenn man annimmt, dass in den an- scheinend widerstreitenden Versuchen der verschiedenen Autoren die negativ-chronotropen und die negativ-dromotropen Vagusfasern (bezw. auch die positiv-chronotropen und positiv-dromotropen Acceleratorfasern) in ungleichem Verhältniss erregt wurden. Da, wo beispielsweise auf Seite des Vagus nur, oder vorherrschend, die negativ-dromotropen Fasern wirkten, musste es — wie bei Baxt — zu einer Abblendung der Beschleunigungs- wirkungen, da, wo wesentlich nur die negativ-chronotropen Vagusfasern wirkten, zu einer algebraischen Summirung mit der positiv-chronotropen Acceleratorwirkung kommen. Wie unsere Versuche ‘gezeigt haben, hängt es von den gerade herrschenden Bedingungen ab, ob die eine oder die andere, ob mehr die dromotrope oder die chronotrope Wirkung hervortritt. Die Bedingungen nun, unter denen die verschiedenen Beobachter ihre Ver- suche anstellten, waren in vieler Hinsicht verschieden. So arbeiteten Ludwig und Baxt an schwach curarisirten, künstlich respirirten Hunden, Hunt an mit Aether oder Morphium betäubten, natürlich athmenden Katzen, Kaninchen, Hunden u. s. w., unter wieder anderen Bedingungen die anderen Experimentatoren. Wo es sich, wie bei gleichzeitiger Reizung von Vagus und Acceleratoren, um Auslösung von wenigstens vier, innerhalb weiter Grenzen unabhängig von einander variabler Wirkungen handelt, die paarweise in antagonistischem Verhältnisse stehen, kann es nicht Wunder nehmen, dass die bisherigen Versuche die zahlreichsten Mischeffeete zwischen nahezu reiner negativ-chronotroper Vaguswirkung, bezw. reiner Abblendung einerseits und reiner positiv-chronotroper Acceleratorwirkung, bezw. einfacher Summation andererseits ergeben haben. Es wird die Aufgabe künftiger Untersuchungen sein, die Bedingungen näher festzustellen, von denen das Zustandekommen einer jeden der genannten vier elementaren Nerven- wirkungen im Einzelnen abhängt. tr ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS HeEnz. 359 Litteraturverzeichniss. 1. N. Baxt, Ueber die Stellung des Nervus vagus zum Nervus accelerans cordis. Arbeiten des physiolog. Institutes zu Leipzig. 1875. (Aus den Ber. der kal. sächs. Gesellsch. der Wissensch. Math.-phys. Classe. 1875.) 2. W.M. Bayliss and E. Starling, On some points in the innervation of the mammalian heart. Journ. of Physiol. 1892. Vol. XII. p. 407. 3. H. P. Bowditch, Ueber die Interferenz der retardirenden und beschleu- nigenden Nerven. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1873. 4. A.R. Cushny and 8. A. Matthews, On the effects of electrical stimulation of the mammalian heart. Journ. of Physiol. 1897. Vol. XXI. p. 213. 5. E. v. Cyon, Beiträge zur Physiologie der Schilddrüse und des Herzens. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXX. 8. 126—280. 6. Th.W. Engelmann, Beobachtungen und Versuche am suspendirten Herzen. 1. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LII. 8. 537. — 8. a. Onderzoek. etc. physiol. lab. Utrecht. 1892. 4.R. D.II. p. 75. — Arch. neerland. 1893. T. XXVL p. 259. 7. Derselbe, id. II. Ueber die Leitung der Bewegungsreize im Herzen. Hbenda. 1894. Bd. LIV. 8. 149. — S.a. Onderzoek. etc. 1895. 4. R. D. III. p. 101. — Arch. neerland. 1894. T. XXVIII. p. 245. 8. Derselbe, id. III. Refractäre Phase und compensatorische Ruhe in ihrer Bedeutung für den Herzrhythmus. Zbenda. 1894. Bd. LIX. 8.309. — S.a. Onder- zoek. etc. 1895. 4.R. D. III. p. 368. — Arch. neerland. 1895. T.XXIX. p. 29. 9. Derselbe, Ueber den Einfluss der Systole auf die motorische Leitung in der Herzkammer, mit Bemerkungen zur Theorie allorhythmischer Herzstörungen. Fbenda. 1896. Bd. LXII. S. 543. — S. a. Onderzoek. etc. 1896. 4.R. D. IV. p. 74. — Arch. neerland. 189. T. XXX. p. 185. 10. Derselbe, Ueber den Ursprung der Herzbewegungen und die Niyahtonietien Eigenschaften der grossen Herzvenen des Frosches. Ebenda. 1896. Bd. LXV. 3.109. — S.a. Onderzoek. ete. 1896. 4.R. D. IX. p. 189. — Arch. neerland. 1897. 2. Ser. BP. 1. 11. Derselbe, Ueber den myogenen Ursprung der Herzthätigkeit und über auto- matische Erregbarkeit als normale Eigenschaft von peripherischen Nervenfasern. KZbenda. 1897. Bd. LXV. S. 535. — S.a. Onderzoek. ete. 1897. 4.R. D V. p. 41. 12. Derselbe, Ueber myogene Selbstregulirung der Herzthätigkeit. Versi. der k. Akad. van Wetensch. te Amsterdam. Afd. Natuurkunde. Zitting v. 31. October 1896. 12 pag. 4 Fig. — S.a. Arch. neerland. 1897. 2.Ser. T.I. p.10. 13. Frank, Verlangsamung und Beschleunigung des Herzschlages. Sitzungsber. der Ges. für Morph. u. Physiol. München 1897. 360 Ta. W. ENGELMANN: 14. W.H. Gaskell. On the rhythm of the heart of the frog and on the nature of the action of the vagus nerve. Philos. Transact. London. 1882. Vol. Ill. p. 993. 15. Derselbe, On the innervation of the heart, with espec. reference to the heart of the tortoise. Journ. of Physiol. 1883. Vol. IV. p. 44. 16. Derselbe, The electrical changes in the quiescent cardiac muscle which accompany stimulation of the vagus nerve. ZEbenda. 1886. Vol. VII. p. 451. — S.a. Beiträge zur Physiologie (Festschrift für C. Ludwig). Leipzig 1887. S. 114. 17. Derselbe, On the action of muscarin on the heart, and on the electrical changes in the non-beating cardiac muscle brought about by stimulation of the inhibi- tory and augmentor nerves. Zbenda. 1887. Vol. VIII. p. 404. 18. E. Gley, Recherches sur la loi de P’inexitabilitE du coeur ete. Arch. de physiol. 1889. 5.'Ser. 2.1. 9.499. 19. Derselbe, Nouvelles experiences relatives a l’inexitabilite periodique du coeur des mammiferes. Ebenda. 1890. 5. Ser. T.II. p. 435. 20. E. Hedon et J. Arrous, Nouv. methodes pour Visolement du coeur des mammiferes et exper. div. sur le coeur isole. Arch. internat. de pharmakodynamie et de therapie. 1899. T. VI. p. 121. 21. F. B. Hofmann, Ueber die Function der Scheidewandnerven des Frosch- herzens. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LX. S. 139. 22. Derselbe, Beiträge zur Lehre von der Herzinnervation. ZEbenda. 1898. Bd. LXXI. S. 409. 23. R. Hunt, Experiments on the relation of the inhibitory to the accelerator nerves of the heart. (Physiol. Labor. J. Hopkins Univ.) Journ. of exper. medic. New- York. 1897. Vol. Il. p. 151--179. 24. R. Hunt and D. W. Harrington, Notes on the physiology of the cardiae nerves of the opossum (Didelphys virginiana). Zbenda. 1897. Vol. II. p. 711-721. 25. Dieselben, Note on the physiology of the cardiac nerves of the calf. Kbenda. Vol. I. pi 7123-127. 26. R. Hunt, Direet and reflex acceleration of the mammalian heart, with some observations on the relations of the inhibitory and accelerator nerves. Amer. Journ. of Physiol. 1899. Jul.1. Vol.II. Nr. V. p. 396—470. 27. Ph. Knoll, Ueber die Wirkung des Herzvagus bei Warmblütern. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVIL S. 587. 28. Derselbe, Ueber den Einfluss des Herzvagus auf die Zusammenziehungen der Vena cava superior beim Säugethier. Zbenda. 1897. Bd. LXVII. 8.339. 29. O.Langendorff, Untersuchungen am überlebenden Säugethierherzen. Zbenda. 1895. °. Bd... LXT. 8.1291. 30. Derselbe, id. II. Ueber den Einfluss von Wärme und Kälte auf das Herz der warmblütigen Thiere. ZEhenda. 1897. Bd. LAVI. 8.355. 31. Newell Martin, A new method of studying the mammalian heart. Studies ‚from the biolog. laborat. of the John Hopkins Univ. 1881. Vol.II. p. 119. 32. Derselbe, Physiological Papers. Baltimore 1895. 33. 8. J. Meltzer, Die athemhemmenden und -anregenden Nervenfasern inner- halb des Vagus in ihren Beziehungen zu einander und zum Athemmechanismus. Dies Archiv. 1892. Physiol. Abthlg. S. 340—408. Taf. VII—XI. 34. T. Wesley Mills, On the physiology of the heart of the snake. Journ. of Anat. and Physiol. 1887. Vol. XXIL. p. 1. ÜBER DIE WIRKUNGEN DER NERVEN AUF DAS HERrz. 361 5. L. I. J. Muskens, Ueber Reflexe von der Herzkammer auf das Herz des Frosches. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVI. 8.3235. — S.a. Onderzoek. etc. Utrecht 1896. 4.R. D.IV. p. 111. 36. Derselbe, La theorie moderne sur lV’action du cocur et la fonetion des nerfs du coeur. Arch. de physiol. 1898. 5. Ser. T.X. p. 193. 37. Derselbe, Investigations into the action of the vagus nerve and its signi- fieance for our understanding of the normal heart-beat. Journ. of the Boston Soc. of med. Science. 1898. Febr. 38. Derselbe, The analysis of the action of the vagus nerve upon the heart. Proe. of the Amer. Acad. of Arts and Sciences. 1898. Febr. Vol. XXXIH. Nr. 11. p- 185. 39. Derselbe, An analysis of the action of the vagus nerve on the heart. Amer. Journ. of Physiol. 1898. Jul.1. Vol.I. p. 488. 40. Derselbe, De invloed van de zwervende zennuw op het hart. Nederl. Tydschr. v. Geneesk. 1898. T.1I. Nr. 15. p. 568. 41. Nuel, Over den invloed van vagusprikkeling op de hartscontracties by den kikvorsch. Onderzoek. ete. Utrecht 1873. 8. R. D.II. p. 91. — Deutsch in Pflüger’s Archiv. 1873. Bd. IX. 8.83. 42. Schmiedeberg, Ueber die Innervationsverhältnisse des Hundeherzens. Arb. aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1871. 43. R. Tigerstedt und C. A. Strömberg, Der Venensinus des Froschherzens physiologisch untersucht. Bihang till K. Svenska Vet. Akad. Handl. Stockholm 1888. Bd. XIII. Afd. IV. Nr. Ss. 44. K.F. Wenckebach, Zur Analyse des unregelmässigen Pulses. Zeitschrift für klinische Mediein. 1898. Bd. XXXVI. Heft 3—4. — 8.a. Nederl. Tydschr. v. Geneesk. 1898. T.U. Nr. 9. 45. Derselbe, id. Il. Weber den regelmässig intermittirenden Puls. Kbenda. 1599. Bd. XXXVIL Heft 5-6. — S.a. Nederl. Tydschr. v. Geneesk. 1899. T.1. Nr. 16. p. 655. 46. Derselbe, De analyse van den onregelmatigen pols III. Over eenige vormen van allorhythmie en bradycardie. Nederl. T’ydschr. v. Geneesk. 1899. T.1I. Nr. 24. p- 1132. 47. J.A.MeWilliam, On the strueture and rhythm of the heart in fishes, with especial reference to the heart of the eel. Journ. of Physiol. 1885. Vol. VI. p. 192. 48. Derselbe, Cardiae inhibition in the newt. Proc. physiol. Soc. Kbenda. 1885. Vol. VI. p. 16. 49. Derselbe, On the phenomena of inhibition in the mammalian heart. Kbenda. 1888. Vol. IX. p. 345. — 8.a. Proc. Roy. Soc. London. 1888. Vol. XLIV. p. 287. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft | zu Berlin. Jahrgang 1899—1900. V. Sitzung am 12. Januar 1900. 1. Hr. N. Zuntz spricht im Auftrage von Hrn. Lupwig STERNBERG: Ueber den Einfluss des Labfermentes auf die Verdauung des Milcheiweisses. Nachdem Hammarsten im Jahre 1872 das Lab im Magen von Thieren nachgewiesen hatte, machte Schumburg 1884 Untersuchungen über das Vorkommen des Labfermentes in der Magenschleimhaut des Menschen. Es gelang ihm, das Lab in ihr nachzuweisen, und er kam schliesslich zu dem Ergebniss, dass die Magenschleimhaut des Erwachsenen relativ viel mehr Lab als die des Säuglings enthält. Ueber die Verhältnisse beim Lebenden stellte er keine Versuche an. Erst Boas wies im Jahre 1887 beim Erwachsenen nach, dass das Lab auch in den Magensaft übergeht; mit Untersuchungen über den Labgehalt des Magensaftes von Säuglingen beschäftigten sich u. A. Leo, Szydlowki, de Saar. Die beiden erstgenannten Autoren unterliessen es aber, bei ihren Unter- suchungen die Säure des ausgeheberten Mageninhaltes zu neutralisiren, so dass auf ihre Resultate kein Werth zu legen ist; de Saar fand, dass der Magensaft des Säuglings kein Lab enthält. Sternberg versuchte es, den Labgehalt des Magensaftes von Säuglingen mit dem von Erwachsenen zu vergleichen. Zu diesem Zwecke heberte er den Mageninhalt von Erwachsenen und Säuglingen mit normalen Magenfunctionen 11!/, Stunden nach der Mahl- zeit aus und fand, dass der Magensaft des Erwachsenen viel mehr Lab als der des Säuglings enthält, der aber im Gegensatz zu de Saar’s Befunden immer eine mässige Labwirkung zeigte. Da nun der Säugling ausschliesslich Milch zu sich nimmt, da er sie ausgezeichnet ausnützt, und da er viel weniger Lab als der Erwachsene secernirt, so ist zu vermuthen, dass das Lab nicht den Zweck hat, die Aus- nützung des Caseins der Milch zu fördern. Um die Richtigkeit dieser Ver- muthung zu prüfen, machte Sternberg künstliche Verdauungsversuche der Milch in durch Lab geronnenem und nicht geronnenem Zustande, und zwar mit Pepsinsalzsäure und auch mit Pepsinsalzsäure und nachfolgendem Trypsin- alkali. Diese Versuche ergaben, dass Labzusatz zur Milch die Verdauung des Caseins verzögert. Ein Beispiel mag hier angeführt sein. ! Ausgegeben am 18. Februar 1900. VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GES. — N. Zuntz. — E. Rost. 363 100°" Magermilch, die 0-560 °'"% N enthalten, wurden mit 0.32 8m Pepsin, worin 0-O12'" N, versetzt und gut durchgeschüttelt. Die eine Hälfte der Milch wurde mit 0-.028'® Lab, worin 0-002®8% N, versetzt und nach Eintritt der Gerinnung wurden beide Hälften je mit 100 “"® Salzsäure (0°3 Procent) versetzt und durch Verreiben für gleichmässige Vertheilung der Salzsäure auch in der coagulirten Milch gesorgt. Dann wurden beide - Portionen 15 Minuten in’s Wasserbad bei 38° gestellt. Darauf wurden sie mit gleichen Mengen Soda neutralisirt und je mit 0.262" Trypsin, worin 0.0222 N, versetzt und blieben 2!/, Stunden im Brütofen bei 38° stehen. Nun wurde filtrirt. Von 0.307=% N in der Milch ohne Labzusatz (I) und 0.3092" N in der ceoagulirten Milch (II) blieben auf dem Filter 1. 0.012sm N und I. 0-031 8m N. Die Filtrate wurden auf 30 “® eingedampft und mit dem 8fachen Vo- lumen Alkohol (93 Procent) versetzt. In dem Niederschlag waren (D 0-.0868® N und (II) 0.0808" N. In Alkohol gelöst blieben (D 0.2038 N und (II) 0-196 8" N. Da der Erwachsene viel mehr Lab secernirt als der Säugling, so ist auf Grund der Versuche von Sternberg verständlich, dass die Ausnützung des Caseins beim Erwachsenen weniger gut als beim Säugling ist, wie dies die Stoffwechselversuche von Rubner, Camerer, Praussnitz, Lange u. A. bei ausschliesslicher Ernährung mit Milch an Erwachsenen und Säuglingen ergeben haben. Nach diesen Autoren wird der N der Milch vom Erwachsenen zu ca. 91 Procent, vom Säugling zu ca. 96 Procent ausgenützt. Auf die Ausnahmen wird in der ausführlichen Publication von Sternberg einge- gangen werden. Da demnach das Lab die Ausnützung des Milcheiweisses hindert, so entsteht die Frage, ob es vielleicht für die Verdauung anderer Nährstoffe nothwendig, oder ob es ein Stoffwechselproduct des Organismus ist, das nur im Magen sich am auffälligsten bemerkbar macht. Für letztere Annahme spricht der Umstand, dass das Lab auch im Hoden in reicher Menge vor- kommt; denn es ist ein alter Brauch bei den italienischen Bauern, in Er- mangelung von Kälbermagen Hodenextracte zur Käsebereitung zu verwenden. Ferner kommt Lab auch im Magen von Vögeln, Fischen, Fröschen vor, Thieren, die doch niemals Milch zu sich nehmen, ferner bei Pflanzen und Bakterien. Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage über die Bedeutung des Labs muss späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. 2. Hr. E. Rost hält den angekündigten Vortrag: Demonstration eines heizbaren Operationstisches für Thiere. Der vorliegende, von Hrn. Professor Hans Meyer in Marburg an- gegebene und im dortigen pharmakologischen Institut in Benutzung stehende Operationstisch ist für specielle Zwecke des Vortragenden im pharmakologi- schen Laboratorium des Kaiserlichen Gesundheitsamtes mit Einrichtungen zum Heizen und zur Bewegung der Tischplatte für Operationen am hängen- den oder erhöhten Kopf versehen worden. 364 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Das bei den Thierbrettern leicht zu improvisirende Hoch- und Niedrig- stellen des ganzen Brettes oder eines Endes desselben und der Horizontal- drehung wird bei dem Tisch durch einen leicht gehenden Kurbeltrieb (a), durch ein Gelenk (5) und durch Drehen der auf die Tragsäule aufgesetzten Platte erreicht (e). Die übliche, aber nicht ausreichende Fixirungsweise an den Rän- dern des Thierbrettes ist verlassen worden. Die Befestigung ist auf die Tischplatte verlegt und kann hier an jedem beliebigen Punkt an flachen f j IM x Öesen, die über Rinnen gespannt sind, vorgenommen werden. Hat man das Glied des Thieres mit der Schnur umschlungen, so führt man sie durch die nächstliegende Oese und erreicht so, dass die Befestigungsstelle am Gliede mit dem Fixirungspunkt auf der Tischplatte zusammenfällt, wodurch jede Bewegung ausgeschlossen ist. Von der Oese aus wird die Schnur nach dem Seitenrande der Tischplatte geführt, wo sie in einer seitlich offenen Schrauben- klemme sicher und leicht befestigt wird. Die auf der Platte laufenden Rinnen haben einen tiefsten Punkt (f), aus dem in ein untergehängtes Gefäss Flüssigkeit abfliessen kann (Fig. 1). Am Rande der Tischplatte können überall bewegliche Stativ- stangen eingeschraubt werden zum Anbringen von Hülfsapparaten (Lampe, Büretten u. s. w.). NE a PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. Rost. — M. Rortumann. 365 Die Heizung wird durch eontinuirliches Durchströmen von Bleiröhren, die in den Tisch eingelegt und mit Messingplatten bedeckt sind, mit heissem Wasser (aus einem Warmwasserapparat) bewirkt. Eine kleinere, innen liegende Heizschlange (4) kann für sich allein (für Kaninchen) oder mit der grösseren, aussen liegenden (e) gemeinschaftlich (für Hunde) benutzt werden. Das Thier muss auf einem dünnen Kissen liegen, das so von unten her dauernd erwärmt wird (Fig. 2). Fig. 2. Im Uebrigen ist der Tisch schwer und fest gearbeitet; die Tischplatte (52:170®) gross genug, um Hunde bis zu 30% bequem aufzubinden, doch können wegen der grossen Zahl der in geringen Abständen angebrachten Fixirungspunkte (Oesen) auch ganz kleine Thiere, wie Ratten, ebenso sicher befestigt werden. Die Fixirung des Kopfes geschieht durch den Marburger Kopfhalter. Der Operationstisch wird in vorzüglicher Ausführung von Wilh. Holz- hauer, Fabrik medieinischer Bedarfsartikel, Marburg (Hessen) zum Preise von 400 Mark geliefert. VI Sitzung am 26. Januar 1900. 1. Hr. M. Rorumann hält den angekündigten Vortrag: Ueber den Stenson’schen Versuch. ° Es war ein genialer Gedanke, der dem bahnbrechenden Versuch von Ehrlich und Brieger! zu Grunde lag, mit Hülfe des Stenson’schen Versuches, der temporären Aortenabklemmung unterhalb der Nierenarterien, die graue Substanz des Lumbosacralmarkes beim Kaninchen durch Nekrose gleichsam „herauszuschälen“. Brachten bereits die ersten von ihnen selbst 1884 und 3 Jahre später von Singer,? im Wesentlichen mit der Weigert’- schen Markscheidenfärbung erhobenen Rückenmarksbefunde vieles Neue so- wohl in Betreff der Veränderungen der grauen Substanz selbst, als auch in Bezug auf die secundären Degenerationen, so wurde dieses Verfahren in \ Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. VlI. Suppl. ” Sitzungsber. der kais. Akad. der Wissensch. Wien 1887. November. Bd. XCVI, Ill. Abthlg. 366 VERHANDLUNGEN DER BERLINER den letzten Jahren ganz besonders fruchtbar, als uns durch die neuesten Methoden von Nissl und Marchi Mittel in die Hand gegeben wurden, um die Veränderungen der Ganglienzellen vom Beginn bis zum völligen Unter- gang zu studiren und die Degenerationen der weissen Rückenmarksstränge bereits 2 Wochen nach der Operation mit grösster Genauigkeit festzustellen. In der That, eine Methode, welche gestattet, das Rückenmark derart schwer und dabei scharf localisirt zu schädigen, ohne dasselbe durch Mani- pulationen an ihm selbst störenden Nebenwirkungen auszusetzen, eine solche Methode muss als eine ideale bezeichnet werden. Es hat sich aber bereits bei diesen Versuchen am Kaninchen gezeigt, dass die Circulationsverhält- nisse nicht bei allen Thieren die für den Versuch erforderliche Anordnung zeigen. In die Arterien des Rückenmarkes gelangt das Blut auf zwei Wegen, 1. von oben aus der A. vertebralis herab durch die ventral und dorsal an der Rückenmarksperipherie entlang ziehenden Spinalarterien, 2. aus den Intereostal- und Lumbalarterien. Beim Kaninchen ist in der Regel nur der letztere Weg von Bedeutung, wie der Erfolg der Abklemmung und Injeetions- versuche von Schiffer! und Singer beweisen. Doch kommt es häufig nach der Abklemmung nur zu partiellen Ausfallserscheinungen, denen dann auch eine nur partielle Nekrose der grauen Substanz entspricht. Hier bildet sich also mit Hülfe des von oben kommenden Blutstromes ein die völlige Nekrose verhindernder Collateralkreislauf. Es lag nahe, den Stenson’schen Versuch auch bei höheren Thieren zur Erforschung der primären Veränderungen der grauen Substanz und der seceundären Degenerationen der weissen zu benutzen. Die ersten Versuche von Singer, Münzer und Wiener? und dem Vortragenden waren völlig ergebnisslos und zeigten in Uebereinstimmung mit den Injectionsversuchen von Hoche,? dass bei Hund und Katze der Collateralkreislauf zur Erhaltung der grauen Substanz des Lumbosacralmarkes ausreichte. Die weiteren Unter- suchungen des Vortragenden wurden im physiologischen Institut der thier- ärztlichen Hochschule in Berlin ausgeführt; Vortragender ist Hrn. Professor H. Munk für die andauernde Unterstützung zu grösstem Dank verpflichtet. Es wurde zunächst in einer bereits veröffentlichten Versuchsreihe? die Ab- klemmung oberhalb der Nierenarterien ausgeführt, und dadurch eine Schädigung der Function der hinteren Extremitäten ohne völlige Lähmung erzielt mit entsprechenden Veränderungen der grauen Substanz des Lumbo- sacralmarkes. Völlige Lähmung trat nach einstündiger Abklemmung über der A. mesenterica sup. ein; doch kam es nach 6 bis 11 Stunden zum Exitus in Folge von hämorrhagischer Enteritis. Nicht also das aus der A. verte- bralis kommende Blut, sondern die Blutströme der dicht über der Abklem- mungsstelle entspringenden Lumbalarterien verhindern die Nekrose der grauen Substanz; doch nimmt auch ihre Bedeutung, wie die völlige Lähmung nach Abklemmung über der A. mesenterica sup. beweist, in aufsteigender Richtung ab. Zur Herabminderung dieses von der A. mesenterica sup. bis zu den Nieren- arterien herab aus der Aorta entspringenden Collateralkreislaufes wurde nun vor der Abklemmung durch Aderlass die Gesammtblutmenge des Thieres ver- ! Centralblatt für die medic. Wissensch. 1869. 8. 579. ” Archiv für experimentelle Pathologie. 1895. Bd. XAXXV. ° Archiv für Psychiatrie. Bd. XXX1ll. 8. 237. * M. Rothmann, Neurologisches Centralblatt. 1899. Nr. 1 u. 2. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — M. ROTHMANN. 367 mindert. Nach Entfernung der Hälfte des Gesammtblutes (auf !/,, des Körper- gewichtes berechnet) aus der rechten A. carotis wurde die Abklemmung über der Nierenarterie ausgeführt. Ein Theil der Thiere ging dann an den Folgen des Morphiums, ein anderer an Herzschwäche zu Grunde; aber auch bei den übrigen gelang es nicht, völlige Nekrose der grauen Substanz herbei- zuführen. Die Schädigungen waren intensiver, als nach der einfachen Ab- klemmung; die Patellarreflexe und die active Beweglichkeit der Hinterbeine stellten sich erst nach 2 bis 4 Stunden wieder ein; eine Unsicherheit der Beine blieb einige Tage noch bestehen. Doch zeigte die nach 3 bis 4 Wochen ausgeführte Untersuchung des Rückenmarkes keine gröberen Ver- änderungen. Nur in einem Falle, auf den anderweitig näher eingegangen worden ist, entwickelte sich eine partielle Nekrose der grauen Substanz des Saecralmarkes! mit entsprechenden secundären Degenerationen. Selbst eine kleinere Zahl positiver Ergebnisse liess sich aber auf diesem Wege nur bei grosser Häufung der Versuche erwarten. Da die Abklemmung über der Nierenarterie die graue Rückenmarks- substanz an die Grenze der Lebensfähigkeit brachte, diejenige über der A. mesenterica sup. dieselbe zerstörte, aber keine längere Lebensdauer der Hunde zuliess, so wurde nun die „stufenweise“ Abklemmung versucht, indem der Abklemmung über den Nierenarterien eine solche über der A. _ mesenterica sup. von wenigen Minuten Dauer angeschlossen wurde. Bei dem ersten derartigen Versuch (Abklemmung 50 Minuten über der Renalis dextra, 10 Minuten über der Mesenterica sup.) blieben die hinteren Extremitäten in Streckstellung völlig gelähmt, so dass sich der Hund auf den Vorderbeinen allein mit Nachschleppen des Hinterkörpers fortbewegte. Die Schmerz- empfindung war dabei nur herabgesetzt. 2 Tage nach der Operation ging der Hund an hämorrhagischer Enteritis zu Grunde. Die Untersuchung des Lumbosacralmarkes ergab reichliche Gefässneubildung, fast völligen Unter- gang der Ganglienzellen vom untersten Sacralmark bis herauf zum unteren Lendenmark, weiter herauf nur schwächere Veränderungen. Konnte also mit dieser Versuchsanordnung die graue Substanz zerstört werden, so war doch die Schädigung des Darmtraetus noch zu schwer. Bei Herabsetzung der Abklemmungszeit über der Mesenterica sup. auf 8 Minuten trat in einem Falle Lähmung der Hinterbeine, aber auch Exitus bereits nach 20 Stunden ein; in einem anderen Falle kehrte die active Beweglichkeit wieder, wenn auch die ersten 14 Tage eine Schwäche der Hinterbeine, ver- bunden mit einem Streckreflex bei Anklopfen an die Zehen (wie bei Rücken- marksdurchschneidung), bestand. Die Rückenmarksuntersuchung nach vier Wochen ergab eine perinucleäre Chromatophilie der Ganglienzellen, sonst normale Verhältnisse. Eine Combination von Blutentziehung und stufenweiser Abklemmung, bei welcher die letztere noch mehrfach variirt wurde, führte gleichfalls bei längerer Erhaltung des Lebens nicht zur Zerstörung der grauen Substanz. Auch hier konnte nur grosse Häufung der Versuche einen Erfolg erwarten lassen. Es liess sich nun weiterhin nachweisen, dass isolirte Aufhebung des Collateralkreislaufes, wie sie bei der Rückenmarksdurchscheidung im untersten Brustmark ja stattfindet, die Ganglienzellen des unteren Rücken- U M.Rothmann, Neurologisches Centralblatt. 1900. Nr.1 u. 2. 3635 VERHANDLUNGEN DER BERLINER marksausschnittes, mit Ausnahme der Clarke’schen Säulen und weniger Vorderhornzellen, intaet lässt, worauf bereits die starke Ausbildung der Reflexe intra vitam hinweist. Welchen Einfluss hat unter diesen Umständen die temporäre Abklemmung der Aorta abdominalis? Die einstündige Abklemmung über der Nierenarterie, 14 Tage nach Rückenmarksdurchschneidung am vorletzten Brustwirbel, führte in einem Falle nach 20 Stunden zum Exitus; doch ergab die Untersuchung des Lum- bosacralmarkes starke Füllung der Gefässe mit kleinen perivasculären Blutungen und stärkste Veränderungen der Ganglienzellen im ganzen Ge- biete der grauen Substanz vom untersten Sacralmark bis zum unteren Lenden- mark. Ein zweiter Hund, bei dem die Abklemmung 8 Tage nach der Rückenmarksdurchschneidung im unteren Brustmark ausgeführt wurde, zeigte sofort darnach schlaffe Lähmung der Hinterbeine mit Verlust sämmtlicher Reflexe und ging in dieser Verfassung nach 4 Tagen zu Grunde. Die graue Substanz des unteren Rückenmarksabschnittes zeigte makroskopisch rauch- graue Verfärbung und sank stark unter das Schnittniveau ein. Mikroskopisch zeigte sich starke Gefässneubildung mit Blutungen und kleinzelliger Wucherung in der grauen Substanz des Sacral- und unteren Lendenmarkes bei fast völliger Vernichtung der Ganglienzellen. Im unteren Sacralmark bestand in der ven- tralen endogenen Zone der Hinterstränge eine primäre Sklerose, wie sie ähnlich bereits von Ehrlich und Brieger beim Kaninchen beschrieben worden war. Auf diesem Wege war also die Ausschaltung der grauen Substanz des Lumbosacralmarkes erreichbar, aber mit einer für das Studium der secundären Degenerationen nicht völlig genügenden Lebensdauer. Es wurde daher der Versuch gemacht, nur den ventralen Rückenmarksabschnitt mit der A. spinalis ant. zu durchschneiden, indem in das mit einem gekrümmten Haken aus dem Wirbelcanal emporgehobene Rückenmark möglichst Hach ein Messerchen eingestochen und nach vorn herausgezogen wurde. In zwei derart operirten Fällen, bei denen zwar Lähmung der Hinterbeine eintrat, aber die Schmerzempfindung erhalten blieb, trat der Exitus einmal 14 Stunden, das andere Mal 2!/, Tage nach der 14 Tage später erfolgenden Abklemmung ein. Im letzteren Falle war die graue Substanz des Lumbosacralmarkes stark verändert. Am bemerkenswerthesten aber war ein Fall, in dem der Hund nach der ventralen Rückenmarksdurchschneidung im untersten Brustmark noch ganz gut laufen konnte bei erhaltener Schmerzempfindung. Die 10 Tage später vorgenommene einstündige Abklemmung über den Nierenarterien lähmte die Hinterbeine völlig bei erhaltenem Patellarreflex und deutlicher Schmerz- empfindung. Der 25 Tage nach der zweiten Operation getödtete Hund zeigte ausgedehnte Nekrose und Schrumpfung der grauen Substanz im Sacral- und unteren Lendenmark. Die noch nicht abgeschlossene mikroskopische Unter- suchung ergab eine totale Nekrose der grauen Substanz, die im unteren Sacral- mark nur die Spitzen der Hinterhörner, weiter herauf auch kleine Abschnitte der Vorderhörner und des Gebietes um den Centralcanal freiliess, und im Lendenmark im Wesentlichen nur die Vorderhörner ergriffen hatte. Die secundäre Degeneration endogener Faserbahnen in Hintersträngen und Hinter- seitensträngen wird nach Abschluss der Untersuchung an anderer Stelle be- sprochen werden. Das Problem der Verwerthung des Stenson’schen Versuches beim Hunde ist durch diese Combination ventraler Rücken- PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — (ASPARL — P. JAacoB U. A. Bicken. 369 marksdurehschneidung mit Aortenabklemmung über den Nieren- arterien im Wesentlichen gelöst. Dass die Nekrose erst ein beträcht- liches Stück unterhalb des der Abklemmungsstelle entsprechenden Rücken- markssegmentes beginnt, dürfte so zu erklären sein, dass die Zuflüsse aus den obersten Lumbalarterien in den oberen Segmenten auch jetzt noch die Nekrose verhindern können. Wiederholt wurden bei den letzten Versuchen gleich nach Anlegung der Klammer klonische Zuckungen an den Hinter- beinen sowie am Introitus vaginae und am Anus beobachtet, Reizerschei- nungen von Seiten der zu Grunde gehenden Ganglienzellen. Ferner zeigte sich eine anfängliche Erhöhung der Patellarreflexe mit Auslösen an beiden Hinterbeinen von einer Quadricepssehne aus. Ging nun, wie es die Regel ist, der direete Patellarreflex der einen Seite früher verloren, als der der anderen, so blieb doch der gekreuzte Patellarreflex von der ersteren Seite aus noch immer auslösbar und verschwand erst mit dem zweiten 'direeten Patellarreflex, ein Beweis dafür, dass der motorische Theil des Reflexbogens in der grauen Substanz rascher zu Grunde geht, als der sensible. Dieses Ergebniss stimmt völlig mit den 1890 von Frederieq und Colson! nach Verschluss der Brustaorta erhobenen Befunden überein. 2. Hr. Casparı hält den angekündigten Vortrag: Ueber Eiweiss- Umsatz und -Ansatz bei der Muskelarbeit. Der Vortragende theilt einen Versuch mit, bei welchem es ihm gelang, in einer länger dauernden Arbeitsperiode nicht nur vermehrten Eiweisszer- fall zu vermeiden, sondern sogar einen nicht unerheblichen Eiweissansatz herbeizuführen. Es wurde dies dadurch erreicht, dass die gemästete Hündin, welche zu dem Versuche verwandt wurde, den aus stickstofffreiem Material bestehenden Antheil der täglichen Futterration unmittelbar vor der Arbeit erhielt, während der eiweissreiche Antheil erst nach der Arbeit gereicht wurde. Die Eiweisszufuhr war in Vor- und Arbeitsperiode unverändert. Der Versuch wird in extenso in Pflüger’s Archiv veröffentlicht werden. VII. Sitzung am 9. Februar 1900. 1. Hr. P. Jacog und Hr. A. Bicker: Zur sensorischen Ataxie. (Mit Demonstration.) Einer Aufforderung des Vorsitzenden der physiologischen Gesellschaft, Hrn. Geh.-Rath Engelmann, Folge leistend, demonstriren Hr. P. Jacob und Hr. A. Biekel Hunde, denen sie die sensiblen Nerven für die Hinterbeine intradural durchschnitten haben. Sie stellten diese Versuche in der speciell physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts der Universität Berlin an und hatten sich dabei der dankenswerthen Unterstützung des Hrn. Prof. Dr. I. Munk zu erfreuen. Gelegentlich dieser Demonstration macht Hr. A. Bicekel folgende Aus- führungen: Die Operation der Nervendurchschneidung wird so vorgenommen, dass man den Thieren nach Eröffnung des Wirbelcanales und Freilegung des Rücken- markes die Dura von der Lendenanschwellung abwärts bis zur Cauda spaltet. ! Archives de Biologie. 1890. T.X. Archiv f, A, u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 24 . 370 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Unter gleichzeitiger Berieselung des Markes mit auf Körpertemperatur erwärmter physiologischer Kochsalzlösung geht man mit einer leicht ge- krümmten, etwa 10°” langen Nadel, die ein stumpfes Ende hat, unter die hinteren Wurzeln, hebt sie leicht an und durchtrennt sie dieht an ihrer Austrittsstelle aus dem Rückenmark. Die Operation der intraduralen Durch- schneidung der hinteren Wurzeln hat den Vorzug vor der extraduralen Durch- trennung in der Nähe der Spinalganglien, dass sie eine kleinere Wunde bedingt und mit grösserer Sicherheit eine gleichzeitige Schädigung der motorischen Nerven ausschliesst. Aber bei dieser Operationsmethode hat man doch eine ziemlich hohe Verlustziffer der operirten Thiere zu verzeichnen, indem nämlich etwa 40 bis 50 Procent der operirten Hunde in der Zeit von 12 bis 48 Stunden nach der Operation plötzlich starben; als Ursache des Todes dürfen wohl die Folgen der mit der Operation verbundenen Drainage der Cerebro-Spinalflüssigkeit angesehen werden. Die nach geglückter Operation auftretenden Störungen in der Bewegungs- art der insensibel gemachten Extremitäten sind thatsächlich nur auf den Ausfall der Function der hinteren Wurzeln zurückzuführen und dürfen nicht auf Zufälligkeiten bei der Operation, durch welche etwa motorische Nerven gleichzeitig mit lädirt oder geschädigt werden könnten, bezogen werden; dies geht erstens daraus hervor, dass in diesen Störungen ein gewisses gleich- mässiges System liegt, insofern, als alle derartig operirten Thiere dieselben Erscheinungen nach der Operation bieten; zweitens aber wird das auch durch Versuche bewiesen, die der Vortragende in der Weise angestellt hat, dass er mit einigen Hunden alle die Manipulationen vornahm, als wollte er die hinteren Wurzeln durchschneiden, ohne die Durchschneidung jedoch that- sächlich auszuführen. Auch bei einer solchen Operation hätten die motori- schen Wurzeln in gleicher Weise, wie in den Fällen, wo die sensiblen Nerven in Wahrheit durchschnitten wurden, geschädigt werden müssen. Aber Er- scheinungen, die nur entfernt an die erinnern könnten, welche nach der Durchschneidung der hinteren Wurzeln mit grosser Regelmässigkeit auf- treten, wurden bei diesen Hunden niemals beobachtet. Endlich spricht auch ein Versuch Sherrington’s, auf den Hr. Engelmann in der nachfolgen- den Discussion über den Vortrag hinwies und den er selbst von Sherrington hat ausführen sehen, zu Gunsten der Annahme, dass die Störungen nach der Operation der Nervendurchschneidung nicht auf eine Schädigung der mo- torischen Apparate zurückgeführt werden dürfen: Sherrington nämlich zeigte, dass man nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln durch elek- trische Reizung von der Hirnrinde aus alle Bewegungen der insensibel 'ge- machten und in Folge dessen nur anscheinend gelähmten Extremität er- halten kann. Beim höheren Thiere (Hund) bilden sich, wie der Vortragende schon früher gezeigt hat,! die in der ersten Zeit nach der Operation vorhandenen Störungen in hohem Maasse zurück. Wenn man dann einem solchen Hunde, der sich im Stadium der höchsten Compensation befindet, beide Labyrinthe exstirpirt, so bricht ein Theil der verschwundenen, ausgeglichenen Symptome wieder von Neuem hervor und wird in der Folgezeit nicht mehr compensirtt. "A. Bickel, Ueber den Einfluss der sensiblen Nerven und der Labyrinthe auf die Bewegungen der Thiere. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVII. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — P. JacoB unD A. Bicker. 371 Hr. P. Jacob hat nun zur Zeit in Gemeinschaft mit dem Vortragenden diese Untersuchungen wieder aufgenommen, um festzustellen, inwieweit andere Sinnesorgane, wie z. B. das Auge und gewisse Theile des Nervensystems (Hirnrinde, Thalamus, Vierhügel, Cerebellum u. s. w.), gleichfalls bei der Compensation der nach der Durchschneidung der sensiblen Nerven auf- tretenden Bewegungsstörungen beteiligt sind. Hr. Jacob und der Vor- tragende hoffen, dass dieser neue Weg der combinirten Operationen: Durch- schneidung der hinteren Wurzeln und Abtragung von Gehirntheilen oder Exstirpation anderer Sinnesorgane nach vorhergehendem Ausgleich der sen- sorischen Bewegungsstörungen zu einer genaueren Kenntniss über das Zu- standekommen der Compensation, wie überhaupt über den ganzen nervösen Bewegungsmechanismus führen wird. Sodann berichtet der Vortragende über Beobachtungen an einem Affen, dem er in Gemeinschaft mit Hrn. Jacob die sensiblen Nerven für beide Hinterextremitäten intradural durchschnitten hatte. Am vierten Tage nach dieser Operation zeigte der Affe beim Klettern folgende eigenthümliche Erscheinungen, die in dieser Weise bisher noch nicht beschrieben worden sind: „Der Affe fasste mit den Händen die Gitterstäbe seines Käfigs und zog sich an dieselben heran. Sobald er sich in der Schwebe befand, vollführten die Beine ebenfalls Kletterbewegungen. Dabei berührten die Füsse entweder die Stäbe, oder sie kamen in die Zwischenräume des Gitters; aber niemals umklammerten die Füsse thatsächlich die Gitterstäbe. In dem Augenblicke aber, als die Beine angezogen waren und die Füsse die Greifbewegung nach den Stäben in plumper Weise fingirt hatten, liess der Affe seine Hände, die bis jetzt das Gitter energisch umfasst hielten, etwas lockerer, erst die eine, dann die andere, um höher hinauf zu greifen. Die Folge davon war, dass der Affe, da er an den in der Luft schwebenden, addueirten und flectirten Beinen keinen Halt hatte, um einige Centimeter am Gitter hinabrutschte und mit den Händen rasch und hastig wieder fest zugreifen musste, um nicht ganz am Gitter herunter zu fallen. Es gelang ihm aber doch mit der alleinigen Hülfe seiner Arme, an den Gitterstäben etwa 1!/,” in die Höhe zu klimmen; er zog sich dabei ruckweise empor, indem er mit den Vorderextremitäten alternirend nach oben griff. Dabei führten jedoch die Beine immer die Kletterbewegung mit in der Luft aus. Auf diese Weise machte das Klettern des Affen nicht den Eindruck, den man vom Klettern des unversehrten Thieres hat, nämlich denjenigen des > an den Stäben Hinaufgehens > oder des < continuirlich nach oben gerichteten Gleitens >, sondern es war etwa so, wie man es bei Turnern sieht, die an Holzstäben mit frei schwebendem Körper und Beinen sich mit den Armen durch Klimm- züge emporarbeiten, nur mit dem Unterschiede, dass der Affe mit seinen Hinterextremitäten die Kletterbewegung in der Luft mitmachte, während der Turner seine Beine bei dieser Uebung ruhig hält. Nachdem der Affe auf diese Weise sich etwa 1!/,”" in die Höhe ge- zogen hatte, liess er sich wieder am Gitter langsam herabgleiten; selbst- redend benutzte er die Arme allein dabei. Während der nächsten Viertelstunde nach dieser Beobachtung ver- suchten wir noch mehrmals, aber vergeblich, den Affen zum Klettern zu bewegen, obgleich er, nach seinem übrigen Verhalten zu urtheilen, nicht 24* 302 VERHANDLUNGEN DER BERLINER einmal übermässig ermüdet zu sein schien; man hatte daher fast den Ein- druck, als ob das schlaue Thier in der Erinnerung an die soeben ausge- führte, so sehr von der Norm abweichende, ungewohnte und mühevolle Kletterarbeit dieselbe nicht noch ein zweites Mal verrichten wollte. Diese im Vorstehenden mitgetheilte Beobachtung ist darum interessant, weil sie in schlagender Weise zeigt, wie ununterrichtet das Thier über den Erfolg der von ihm mit den gefühllosen Extremitäten intendirten Bewegungen war. Mit dem Gesichtssinne konnte der Affe beim Klettern die Bewegungen seiner insensiblen Beine nicht controliren. Die sensiblen Nerven, die ihn früher über den Erfolg der Bewegungen seiner Beine und Füsse orientirt hatten, fehlten ihm. So kam es, dass er, nachdem die Beine und Füsse die Bewegung des Anziehens an die Stäbe und des Umfassens derselben in der Luft fingirt hatten, offenbar der Meinung war, dass er sich mit den Füssen am Gitter festhalte. Erst der Umstand, dass er beim Lockerlassen der Hände herunter zu fallen drohte, belehrte ihn über die Unzulänglichkeit der Hülfe, die ihm die insensiblen Beine beim Klettern gewährten.“ Von den beiden Hunden, welche demonstrirt werden, sind dem einen die sensiblen Nerven für beide Hinterextremitäten am 12. Januar 1900, dem anderen diejenigen für das linke Hinterbein, wie für den rechten Fuss und Unterschenkel (exel. Kniegelenk) am 2. Februar 1900 durchschnitten worden. Nach derartigen Operationen am Hunde kann man in der Kranken- geschichte drei Perioden unterscheiden, deren erste etwa dem sogenannten paraplektischen Stadium der Tabiker (also dem Endstadium der Tabes) ent- sprechen würde. Diese Periode führt aber ziemlich schnell in die zweite, nämlich in diejenige der ausgesprochenen Ataxie über, die beim Hunde natürlich ein etwas anderes Bild als beim Affen und Menschen bietet. In der Folgezeit schreitet nun der Ausgleich der Störungen immer weiter voran, und 2 bis 4 Monate nach der Operation befinden sich dann die Thiere gewöhn- lich in dem dritten Stadium, nämlich in dem der Compensation der Störungen. Der am 12. Januar 1900 operirte Hund befindet sich jetzt in der zweiten Periode und zeigt die hierfür charakteristischen Symptome beim Stehen, Gehen und Laufen. In einer späteren Mittheilung sollen dieselben eingehender geschildert werden. Instructiv sind Momentphotographien des Thieres, die die Haltung der Hinterextremitäten in den verschiedenen Stadien des Ganges und des Galopps zur Anschauung bringen. (Es werden solche Photographien demonstrirt.) Bei dem am 2. Februar 1900 operirten Hunde ist vor Allem auffallend, wie weit schwerere Störungen das total anästhetische linke Hinterbein im Vergleich zu dem rechten, dessen Unterschenkel allein gefühllos ist, auf- weist. Diese Beobachtung illustrirt bis in einem gewissen Grade auf's Neue auch die Richtigkeit der Anschauung, welche ausser v. Leyden ganz be- sonders Goldscheider vertritt, dass nämlich nicht so sehr eine mangel- hafte Tastempfindung, als vielmehr eine Schädigung der Gelenksensibilität die Ursache der Ataxie abgiebt. Trotzdem die Fusssohle, wie überhaupt alle die Theile, die bei der Gehbewegung einer Extremität mit dem Erd- boden in Berührung kommen, bei diesem Hunde rechts unempfindlich sind, zeigt er an dieser Extremität doch unverhältnissmässig viel geringere Störungen beim Gehen, als an der anderen, deren Oberschenkel nebst dem Hüft- und Kniegelenk ausserdem insensibel gemacht worden war. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — P. JAcoB v. A. BickEnL. — Ü. BEnDA. 373 2. Hr. ©. BenpA hält den angekündigten Vortrag: Ueber den nor- malen Bau und einige pathologische Veränderungen der mensch- lichen Hypophysis cerebri. Die Hypophysis hat seit längerer Zeit im hohen Grade das Interesse der Embryologen erregt, und ihre entwickelungsgeschichtliche Stellung ist durch v. Kupfer’s Arbeiten klargelegt worden. Die Pathologen haben ihr namentlich seit Pierre Marie’s Beobachtungen über ihre Beziehungen zur Akromegalie ihre Aufmerksamkeit zugewandt. Nur die Histologen behandeln sie noch recht stiefmütterlich. Obgleich eine Anzahl trefflicher Arbeiten existiren, ist sie in einem der gebräuchlichsten Lehrbücher gar nicht, in anderen kaum erwähnt, nur in wenigen, wie in Stöhr’s Lehrbuch, in meinem und P. Günther’s Handatlas mit einer Abbildung bedacht. Ich wurde durch die gelegentliche Beobachtung, dass die von mir hier vor Kurzem mitgetheilten Methoden zur Darstellung der Seeretgranula auch für den Hirnanhang bemerkenswerthe Ergebnisse bieten, auf ihre Unter- suchung hingelenkt. Ich erinnere daran, dass ich Gewebsstücke, die in 10 procentiger For- malinlösung (d. h. 4 Procent Formaldehydlösung) gehärtet waren, mit Chrom- säurelösung in steigender Concentration (bis zu 0-5 Procent) ohne vorher- gehende Waschung in Wasser oder Alkohol nachbehandelte, dann nach mässiger Wässerung in Alkohol entwässerte und mit Paraffin durchtränkte. Das so gewonnene Material gestattete mit mehreren Methoden eine Dar- stellung der Secretgranula. Ich hatte zunächst gewissermaassen als Test- objeet für die Farbanalyse die Leukocyten benutzt, deren morphologisch durch Max Schultze und farbenanalytisch durch Ehrlich wohl gekenn- zeichnete Körnungen an dem Formalin-Chromsäure-Material mittels der Michaelis’schen Methode (Eosin-Methylenblau-Aceton-Alkohol) in ähnlicher Weise wie an den Bluttrockenpräparaten zur Darstellung gelangten. Inzwischen ist es mir meist auch gelungen, durch kleine Modificationen die Triacidfärbung Ehrlich’s für den gleichen Zweck zu verwenden. Dem Biondi-Heiden- hain’schen Gemisch werden einige Tropfen concentrirter Säurefuchsinlösung zugesetzt. Nach einer etwa 2 Stunden langen Färbung der Schnitte werden diese in destillirtem Wasser abgespült, einige Minuten in einer Anilinwasser- lösung von Methylgrün nachgefärbt, in Brunnenwasser gespült, getrocknet, und unter Controle des Mikroskopes mit Alkohol oder Creosot so lange entfärbt, bis makroskopisch ein röthlicher Schimmer der Präparate auftritt, und mikro- skopisch bei schwacher Vergrösserung nur noch die Kerne grün erscheinen. Dann wird das Creosot durch Fliesspapier abgetrocknet, Xylol übergespült und in Balsam eingeschlossen. Bei dieser Färbung, die allerdings noch nicht ganz sicher geräth, zeigen sich die Kerne dunkelgrün, die eosinophilen Granula leuchtend roth, die neutrophilen dunkelviolet, die Mastzellen blass- grün, die Erythrocyten orange. Sehr demonstrable Bilder ergiebt ferner bei Formalin-Chromsäurehärtung meine Färbung mit Eisenalizarin-Methylenblau, die aber durch die Com- plexität der Farbwirkung nur im Vergleich mit jenen Ehrlich’schen Methoden eine gewisse, aber nicht unbedingt zuverlässige farbenanalytische Deutung zulässt. Im Allgemeinen färbt das Eisenalizarin die basophilen Bestandtheile (braunroth), das Methylenblau unter „Umkehr“ der Reaction die acidophilen Elemente (schwarzblau). Doch nehmen einzelne Elemente, 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wie namentlich die Chromosomen, bald eine rothe, bald eine blaue ‘Farbe an. Während ich bei anderen Vorbehandlungen gelegentlich meiner Mitochon- dria-Untersuchungen mit ähnlichen Färbemethoden eine regelmässige Färbung der Centralkörperchen erzielte, trat dieser Erfolg bei der Formalin-Chrom- säurehärtung sicherlich bei vielen Zellen nicht ein. Es färbten sich dagegen gewöhnlich die Basalkörperchen der Flimmerzellen, die ja vielleicht centro- somal sind; ich weiss aber nicht, ob ich zwei in den Hypophysiszellen auf- tretende stäbchenförmige Körperchen auf Grund dieser Färbung als Central- körperchen deuten darf; ich komme später auf diese Gebilde zurück. Neben diesen Methoden wurde noch Eisenhämatoxylin in verschiedenen Verfahren mit Eosin, mit Säurefuchsin oder mit Pikrinsäure-Säurefuchsin (nach van Gieson) combinirt angewandt. Ausserdem wurden Gefrierschnitte von Alkoholmaterial, an denen sich auch alle Secretgranula sehr schnell und schön darstellen lassen, mit ver- schiedenen Färbungen: Alaun-Hämatoxylin-Eosin, Eisenhämatoxylin -Eosin, Triaeid, Methylenblau-Eosin studirt. Ich gebe nunmehr einen vorläufigen Bericht über die mit Hülfe dieser Methoden in der Hypophysis gesehenen Bilder. „Vorläufig‘“‘ deswegen, weil die Zahl der Objeete noch eine beschränkte war. Sie entstammten Individuen aus verschiedenem Lebensalter, die jüngste 2, die älteste 73 Jahre, ohne besonders erkennbare Erkrankungen, und einigen pathologischen Drüsen. Meine Ergebnisse beziehen sich im Wesentlichen auf die Structur der Drüsenzellen, deren Litteratur ich kurz, soweit sie auf meine Untersuchungen Bezug hat, recapitulire. Durch eine kurze Notiz Flesch’s! wurde 1884 zuerst die Aufmerksamkeit auf zwei färberisch unterscheidbare Zellarten des eigentlichen drüsigen Abschnittes gelenkt: grosse grobkörnige Zellen, welche sich mit Osmiumsäure bräunen, sich nach Härtung durch Müller’sche Flüssigkeit oder Alkohol mit Eosin, Indigocarmin, Weigert’s Kupferhäma- toxilin intensiv färben und von Flesch als chromophile Zellen bezeichnet werden, und kleine undeutlich begrenzte, die jene Reactionen nicht zeigen und von Flesch als chromophobe Zellen bezeichnet werden. Diese Be- obachtungen werden von Dostoiewsky,? der die Untersuchungen bereits unabhängig von Fleseh begonnen hatte, und Lothringer,? der unter Flesch’s Leitung arbeitete, bestätigt und erweitert. Alle drei Autoren stimmen darin überein, beide Formen als gesonderte Zellarten anzusehen, die Flesch mit den beiden Zellarten der Labdrüsen vergleicht. Auf Grund dieses Vergleiches werden die chromophoben Zellen von den Nachunter- suchern vielfach als Hauptzellen bezeichnet. Neben diesen Zellen er- wähnt nur Lothringer noch das gelegentliche Vorkommen von Zellen, die an Becherzellen erinnern. Später findet Rogowitsch,* der sonst hinsicht- lich der Zellmorphologie im Wesentlichen auf den Untersuchungen der ge- nannten Autoren fusst, noch Gruppen von Zellen ohne scharfe Begrenzungen, ! Max Flesch, Tageblatt der 57. Naturforscher- Versammlung zu Magdeburg. 1884. S. 195 u. 196. R ® Dostoiewsky, Ueber den Bau des Vorderlappens des Hirnanhangs. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1886. Bd. XXVI. 38. Lothringer, Untersuchungen an der Hypophyse einiger Säugethiere und des Menschen. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1886. Bd. XXVIIl. * N. Rogowitsch, Die Veränderungen der Hypophyse nach Entfernung der Schilddrüse. Ziegler’s Beiträge. 1889. Bd. IV. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (). BENDA. 375 die er mit den von Lewascheff im Pankreas bei Hyperseeretion vorkommen- den Läppehen vergleicht. Er bezeichnet dieselben als Kernhaufen und betrachtet sie als ein unfertiges, embryonales Gewebe. Von Rogowitsch rührt auch die erste Beobachtung über Vacuolisirung der Drüsenzellen. Stieda! erkennt die Zellgrenzen in den Kernhaufen Rogowitsch’s, er betrachtet dieselben als Gruppen von Hauptzellen (chromophoben Zellen), an denen experimentell Vacuolisirung und Vergrösserung zu erzeugen ist. Er erwähnt ferner, dass er an den Drüsen neugeborener Kaninchen mitotische Theilungen der Hauptzellen und der chromophilen Zellen beobachtet hat. Eine zweifellos für die Existenz einer dritten Zellart sprechende Beobachtung finde ich bei Schönemann,” der ein grosses Material menschlicher Hypo- physen untersuchte und, abgesehen von dieser zutreffenden Beobachtung, allerdings zu manchen, von denen der übrigen Autoren und meinen stark abweichenden Anschauungen über das „normale“ Verhalten der Drüse ge- langt. Ich eitire aber eben die wichtige Beobachtung, dass die grossen gekörnten Zellen nicht sämmtlich eosinophil sind, sondern sich zum Theil mehr mit Hämatoxylin färben. Alle diese Beobachter stehen auf dem Stand- punkt, die gesehenen Formen als besondere Zellarten anzusprechen. Nur St. Remy? hat mit der Altmann’schen Methode das Auftreten der acido- philen Körner in allen Zellformen erkannt. Nach Fortfall dieses wesent- lichsten Unterscheidungsmerkmales sieht er sie als Functionszustände einer Zellart an, wobei er die körnerreichen Zellen als Grundform auffasst und die sogenannten Hauptzellen durch die Ausstossung der Körner aus jenen her- vorgehen lässt. Aehnliche Resultate haben Claus und van der Stricht.! In allen jenen Arbeiten nimmt schon die Berücksichtigung der Colloidsecretion als einer wesentlichen Funetion der Drüse einen breiten Raum ein. Be- sonders will Rogowitsch bereits eine Colloidseeretion in die Blutgefässe erkannt haben, wogegen Stieda mit Recht Einspruch erhebt. Diese An- schauung gewinnt aber in den anderen Arbeiten immer mehr Boden, so bei Pisenti und Viola. Das augenfälligste Element in Schnitten des Vorderlappens sind in meinen Präparaten die chromophilen Zellen Flesch’s, die sich in den Alizarinpräparaten durch intensiv blaue Färbung, in den Michaelis-Prä- paraten und Hämatoxylin-Eosinpräparaten durch hellrothe, in den Triacid- präparaten durch leuchtend rothe Färbung auszeichnen. Bei starken Ver- grösserungen erkennt man einen fast kugelrunden, chromatinreichen Kern. In dieser wie in den anderen Zellarten kommen übrigens häufig zweikernige, seltener auch mehrkernige Zellen vor. Der Zellleib ist meist völlig gleich- mässig von gleichgrossen Körnchen ausgefüllt, die an Grösse und Reaction ! H.Stieda, Ueber das Verhalten der Hypophyse des Kaninchens nach Entfernung der Schilddrüse. Ziegler’s Beiträge. 1890. Bd. VI. ® A. Schönemann, Hypophysis und Thyreoidea. Virchow’s Archiv. 1892. Bd. CXXIX. ® G. St. Remy, Contribution a P’histologie de P’hypophyse. Arch. de bivlug. 1892. T. XII. * Claus et van der Stricht, Contribution & l’&tude anatomique et clinique de Pacromegalie. Ann. et Bullet. de la soc. de med. de Gand. 1898. 5 Pisenti und Viola, Beitrag zur normalen und pathologischen Histologie der Sananlyeis u.s,w. Centralblatt für die medicin. Wissensch. 1890. Bd. XXVIIL . 450 u. 481. 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER völlig den eosinophilen Körnchen der Leukocyten gleichen. Häufig ist neben den Körnchen keine andere Grundsubstanz erkennbar. Die Hauptmasse der übrigen Zellen des Vorderlappens sind kleine, un- regelmässig eylindrische Zellen, die zwar ebenso wenig wie die chromophilen Zellen eine membranöse Begrenzung zeigen und häufig in feine Fortsätze wie zerschlissen auslaufen, oder doch stets um den grossen, mehr ellipsoiden, häufig etwas gelappten, reichliche Chromatinbrocken enthaltenden Kern einen wohlumschriebenen Zellleib besitzen. Letzterer färbt sich nur leicht, vor- wiegend mit der basischen Farbe. Bei anderen Präparationen (Alkohol- härtung, Färbung mit Methylenblau-Eosin) trifft man einzelne basophile Brocken, die den sogenannten Nissl-Körperchen der Ganglienzellen, den basophilen Flecken der Lymphocyten (Plasmazellen) gleichen, und auch an anderen Zellen mit den entsprechenden Methoden schon früher von mir ge- sehen wurden. Diese Form entspricht offenbar Flesch’s chromophoben Zellen. Eine dritte wohl charakterisirte Hauptform sind Elemente, die meist noch etwas grösser als die chromophilen Zellen sind. Die im Ganzen blasse Färbbarkeit des Zellleibes bedingt es, dass, wenn mehrere dieser Zellen neben einander liegen und sich dicht an einander schmiegen, ihre Grenzen un- deutlich erscheinen, so dass wir in ihnen wohl die Kernhaufen undifferen- zirter Zellen Rogowitsch’ wiederfinden dürfen. Wo diese Zellen einzeln zwischen den anderen Zellen liegen, erkennt man indess ohne Weiteres ihre Begrenzung, die bei guter Färbung und scharfen Systemen auch innerhalb der Häufchen bis auf noch zu erwähnende Ausnahmen unzweifelhaft vor- liegt. Diese Zellen zeigen einen bläschenförmigen Kern mit meist.einem grossen Nucleolus. Der Zellleib besitzt eine gleichmässige, äusserst feine, staubartige Körnung, die morphologisch etwa der neutrophilen der Leuko- cyten entspricht, aber keine so ausgesprochene Farbelektion besitzt. Die Zellleiber färben sich nämlich überhaupt sehr blass, bisweilen mehr mit der basischen, bisweilen mehr mit der sauren Farbe; so sind sie in den Alizarin- präparaten immer röthlich, in Triacidpräparaten bald röthlich, bald grünlich, welch letztere Reaction offenbar der von Schönemann beobachteten Färbung durch Hämatoxylin entspricht. Auffällig sind zwei stäbchenartige Körnchen, die in der Nähe des Kernes häufig innerhalb dieser Zellen meist in V-förmiger Winkelstellung, bisweilen auch schiefwinkelig gekreuzt (wie die Meissner Porzellanmarke), ziemlich regelmässig auffindbar sind, wenn die Färbung mit Eisenalizarin-Methylenblau vorgenommen wurde. Sie machen den Eindruck von Centralkörperchen, ohne dass sich sonst etwas als Beweis für diese Auf- fassung vorbringen liesse, da ihr Verhalten bei Mitosen nicht studirt werden konnte, und sie in den anderen Zellen, vielleicht vorwiegend wegen der stärkeren Färbbarkeit der Umgebung, nicht aufgefunden werden konnten. In der Hypophysis einer alten 70jähr. Frau enthalten diese grossen Zellen gerade häufig Vacuolen, die etwas seltener in den acidophilen Zellen auftreten. Der Punkt, in dem meine Beobachtungen hauptsächlich von denen der meisten Voruntersucher abweichen, betrifft die Beziehungen der verschiedenen Zellformen zu einander, die bisher meist als verschiedene Zellarten beschrieben wurden. Ich muss dieselben nach den erkennbaren Uebergangs- formen durchaus für verschiedene Formen oder Funcetionsstadien ein und derselben Zellart ansehen. In den kleinen chromophoben Zellen treten die acidophilen Granula zuerst vereinzelt auf. Durch ihre An- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, — (, BENDA. DL. sammlung bilden sich diese Elemente in die chromophilen Zellen um, indem zunächst kleinere Zellen, die zwischen den Körnern noch basophile Substanz- portionen erkennen lassen, die Uebergangsform bilden. Ebenso erkennt man aber, dass die acidophilen Zellen alle Uebergänge zu den grossen feinge- körnten Zellen zeigen. Zuerst treten hellere Inseln auf, die bei meinen Färbungen keineswegs Vacuolen, sondern Haufen der feinen amphophilen Körnung darstellen. Später werden die acidophilen Körner immer spärlicher und sind nur vereinzelt innerhalb des feingekörnten Zellleibes verstreut. Vaeuolisation {ritt, wie schon erwähnt, unabhängig von diesen Vorgängen, bisweilen in den Zellen auf. Diese „Uebergänge“ sind natürlich bei meiner Untersuchungsmethode nur im morphologischen Sinne zu verstehen; ob es sich thatsächlich um verschiedene Entwickelungsstadien handelt, und ob die bei meiner Darstellung gewählte Reihenfolge auch der Chronologie des Secretionsvorganges entspricht, ist aus der histologischen Untersuchung nicht ohne Weiteres zu folgern, sondern nur aus einigen folgenden Betrachtungen wenigstens wahrscheinlich zu machen. Zunächst muss ich bemerken, dass ich auf ein sehr wichtiges Kriterium zur Zeit noch verzichten muss. Ich habe bisher in keinem meiner Unter- suchungsobjeete Mitosen gefunden, und kann also nichts darüber aussagen, ob nur in einer oder in mehreren der beschriebenen Formen Zellvermehrungen. stattfinden. Diese Frage ist bei der Entwickelung der Drüse weiter zu ver- folgen, wofür Stieda’s Angabe einen werthvollen Anhalt giebt. Ein Wahrscheinlichkeitsschluss ist nur aus der Beobachtung zu ziehen, dass die kleinen chromophoben Zellen die Hauptmasse in derjenigen Region der Drüse bilden, die den Ausgangspunkt der Entwickelung darstellt, der mittleren, Peremeschko’s Marksubstanz. Die bezeichnete Region, in der ich in Uebereinstimmung mit den Voruntersuchern hohle Drüsenschläuche finde, enthält offenbar die Reste der primären Hypophysenhöhle, von deren Epithel die embryonale Auswucherung der Drüsenschläuche des Vorderlappens hervorgegangen ist. Bei älteren Individuen finden sich hier rundliche oder unregelmässige, mit einfacher Epithelschicht ausgekleidete, häufig mit Colloid gefüllte Alveolen, deren Aehnlichkeit mit den Schilddrüsenalveolen stets betont worden ist. Sie unterscheiden sich übrigens nach meinen Präparaten von den Schilddrüsenalveolen dadurch, dass immer, wenn auch vereinzelt, in dem Epithel die charakteristischen Elemente der Hypophysis, die acidophilen Zellen, vorkommen. Die Mehrzahl der Zellen ähnelt allerdings den Haupt- oder chromophoben Zellen, die hier eine echte epithelartige Anordnung, meist einzeilig aufweisen. In der jugendlichen Hypophysis, der eines zwei- jährigen Kindes, findet man die Markschläuche noch verästelt, mit mehr- schichtigem Epithel und häufig in unmittelbarer Verbindung mit den soliden Drüsenschläuchen des Vorderlappens.. Das ganz überwältigende Vorwiegen der kleinen chromophoben Zellen in diesen Abschnitten ist in die Augen fallend, und dürfte für die Deutung der chromophoben Zellen als Grund- form sprechen. Dazu kommt noch das Verhalten ihrer chromatinreichen Kerne, welches in dem gleichen Sinne spricht. Dass andererseits die grossen amphophilen durch Verlust der acido- philen Körner aus den chromophilen Zellen hervorgehen, wird besonders durch ihr Vorherrschen in der Greisenhypophysis belegt. Hierzu kommen die sonstigen Degenerationsphänomen, die vorwiegend an dieser Zellform 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER vorkommen. Es ist das in erster Linie die schon mehrfach erwähnte Va- euolisation, die besonders an der Greisenhypophysis, stellenweise auch an anderen in Erscheinung tritt. Ferner erhalten diese Zellen oft sehr un- regelmässige Formen, sie erscheinen zwischen den Nachbarzellen völlig zu- sammengedrückt, in die Länge gezogen oder abgeplattet. Ferner gewahrt man auch vereinzelt in der Greisenhypophysis Nester, in denen innerhalb eines Protoplasmaklumpens, der mit keinen Mitteln Zellgrenzen wahrnehmen lässt und sich sonst wie die grossen amphophilen Zellen verhält, zahlreiche Kerne liegen, so dass wir hier Rogowitsch’ „Kernhaufen“ bestätigt finden. Man bekommt den Eindruck, dass sie durch Zusammenfliessen der grossen Zellen entstanden sind. Endlich finde ich bisweilen auch Zellen von Form und Grösse der amphophilen, in denen eine homogene, glasige Beschaffenheit des Zellleibes hervortritt. Während also St. Remy, der sich auf die einseitige Untersuchung der acidophilen Körnchen stützt, alle an acidophilen Körnern armen Zellen aus den chromophilen Zellen hervorgehen lässt, halte ich es durch meine Beobachtungen für wahrscheinlicher, dass zwar mit St. Remy die Einheitlichkeit der glandulären Hypophysiszellen aufrecht zu halten ist, dass sich aber die eine körnchenarme Zellform, die kleinen chromophoben oder Hauptzellen, als Vorform der chromophilen, und nur die grosse, an acidophilen Körnchen arme, amphophil gekörnte Form das Endziel der Ent- wiekelungsweise darstellt. Ein hervorragendes Gewicht ist von einigen neueren Autoren, besonders Rogowitsch und Pisenti und Viola, wie bereits erwähnt, dem Colloid der Hypophysis beigelegt worden, weil dasselbe von jeher ein Vergleichs- moment mit dem hinsichtlich seiner Verwendung für den Körperhaushalt mindestens ebenso dunklen Thyreoideacolloid zu bieten schien. Ich muss vorerst, in Uebereinstimmung mit Stieda, die Behauptung, dass sich Colloid in interglandulären Räumen oder gar in den Blutgefässen der Hypophysis vorfindet, zurückweisen. Die einzige Thatsache, die zu dieser Deutung An- lass gegeben haben könnte, ist der zeitweilige Befund von Zellen, die mit Hyalinkugeln von der Art der „Russel’schen Körperchen“ beladen sind, im Bindegewebe der Markschicht- und der angrenzenden Abschnitte des Hinter- lappens. Ich finde aber keinen Anhalt dafür, dass diese Gebilde mit der Seeretion der Hypophysis in näherem Zusammenhang stehen, als mit derjenigen in anderen Organen, in denen man sie gelegentlich findet. Sonst liegt das Colloid, wie gesagt, ausschliesslich im Lumen einiger hohlen Drüsenschläuche der Markschicht und ganz spärlich im Centrum einzelner Drüsenzellstränge des Vorderlappens. Nur selten findet man auch in den Drüsensträngen so reichliche Mengen, wie in der von mir untersuchten Drüse einer 70jährigen arteriosklerotischen Frau. Ich kann nicht leugnen, dass der ganze Eindruck, den die spärlichen Colloidklümpehen in halbwegs normalen Drüsen, die massenhafte Zunahme in offenbar senilen Drüsen machen, zunächst dahin geht, dass das Colloid kein normales Secret der Hypophysis, sondern eine Degenerationserscheinung ist, die zuerst an den ältesten Theilen der Drüse, der Marksubstanz auftritt, und erst in der Greisendrüse oder bei anderen pathologischen Zuständen auf die übrigen Drüsenschläuche übergreift. Dafür würde auch sprechen, dass die oben erwähnten hyalinen amphophilen Zellen, offenbare Degerationsproducte der Drüsenzellen, in ihrem Aussehen mit dem Colloid übereinstimmen, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — Ü,. BENDA. 379 Entschieden ist aber in Abrede zu stellen, dass das Colloid mit den Körnungen der chromophilen Zellen identisch ist und aus ihnen hervorgeht. Wenn auch bei manchen Färbungen eine ähnliche Reaction beider Gebilde beobachtet wird, fehlt dieselbe bei anderen, feineren Farbenanalysen. Bei Methylenblau-Eosin ist das Colloid blau, bei Triacid grünlich oder blass röthlich, nie so intensiv wie die Granula gefärbt. Wenn wirklich entgegen meiner ersten Vermuthung, das Colloid der Hypophysis nicht auf einen De- gerationsvorgang, sondern auf eine Secretion zurückgeführt werden müsste — wie ja allerdings eine Anzahl nicht widerlegter experimenteller Ergebnisse beweisen würde —, dann fände ich in meinen Präparaten noch eine näher- liegende Quelle dieses Productes. Es ist mir aufgefallen, dass die mehr- erwähnten Zellvacuolen, die gemeinhin ganz leer, wie ausgestanzt erscheinen, stellenweise eine hyaline, an Lichtbrechung und Färbung dem Colloid ähn- liche Masse enthalten. Man könnte da noch vermuthen, dass die Vacuolen sonst eine flüssige oder wenigstens eine postmortal leicht lösliche Vorform des Colloides enthalten, und dass hier eine von den chromophilen Granu- lationen ganz gesonderte Ausscheidung Platz greift. Ich spreche dies Alles in der vorsichtigen conditionellen Form aus, weil eine Entscheidung nur durch die Nachprüfung der experimentellen Daten mit Hülfe der hier an- gegebenen feineren Färbemethoden zu erbringen ist. Bis zu diesem Zeitpunkte wird das histologische Bild der normalen Drüse das Hauptaugenmerk des Beobachters auf die dem Colloid jedenfalls fernstehende Function der chromophilen Zellen lenken. Für diese dürfte die einzig denkbare Secretionsbahn in die Blutgefässe führen, zu denen sie in innigster Beziehung stehen, wie alle Voruntersucher hervorgehoben haben, und ich vollauf bestätigen kann. Trotzdem muss ich aber zugestehen, dass ich auch bei sorgfältigstem Nachsuchen bisher keine morphologische Unter- lage für eine derartige Seeretion, etwa den Durchtritt von Körnchen in die Gefässe, oder Durchwanderung von Leukocyten in die Drüsenschläuche, auf- gefunden habe. Von pathologischen Objeeten habe ich vier Fälle durch Präparate vor- geführt. In zwei Fällen ist die Hypophysis nur passiv betheiligt. Der erste ist ein Sarcom des Periosts oder der Dura der Sella tunieca mit Compression der Hypophysis, welches im Leben nur wenig Symptome hervorgerufen hatte, und durch plötzliches Hirnödem zum Tode führte. Der zweite Fall ist ein aus cholesteatomähnlichen Cysten und Knochengewebe bestehendes Teratom des Infundibulum, welches sich ein wenig in das Tuber einereum fortsetzt, und die Hypophysis comprimirt. Beide Fälle waren nicht mit Akromegalie verknüpft, der zweite Fall bedarf interessanter Weise den bereits mehrmals hier von mir (hinsichtlich seiner infantilen Hoden) erwähnten 38jähr. Zwerg. Von vier, mit Akromegalie verbundenenHypophysisgeschwülsten konnte ich nach den neuen Methoden zwei untersuchen, doch gelang die Behandlung der Präparate”, nur unvollkommen, da dieselben zu lange in Formalin gelegen hatten, als die Chromsäurefärbung- einsetzte. Der Typus der akromegalen Tumoren” ist”schwer festzustellen, sie werden als Sarcome, Adenome, Lymph- adenome bezeichnet, da die Zellen nur wenig ausgesprochene Merkmale be- sitzen. Meine beiden Fälle. bestehen aus“ Nestern kleiner unregelmässig eubischer und ceylindrischer Zellen, die durch spärliche g gefässführende Binde- gewebsbalken gestützt werden. Die Zellen haben zwar Aehnlichkeit mit den 380 VERHANDLUNGEN DER BERLINER chromophoben Zellen der normalen Drüsen, doch lässt sich ihre Identität mit den Drüsenzellen der Hypophysis in gewöhnlich gehärteten und ge- färbten Präparaten nicht erweisen. In meinen Präparaten dagegen konnte ich wenigstens stellenweise in beiden Fällen innerhalb der Geschwulstnester die typischen ehromophilen Zellen der Hypophysis nachweisen und damit den sicheren Beweis für den adenomatösen Charakter der Neubildung erbringen. Ich schliesse mit der Hoffnung, dass meine Methoden einigen Nutzen für die Klärung der dunklen Physiologie und Pathologie der Hypophysis ergeben mögen. Nachtrag (Sitzung am 23. Februar). Weitere Untersuchungen über die „stäbehenförmigen Körper“ der amphophilen Zellen haben ergeben, dass sich gleich gefärbte und gelagerte Doppelkörper, aber nicht in Stäbchen-, sondern in Körnchenform auch in den anderen Hypophysiszellen vorfinden. Sie sind bisweilen selbst in den acidophilen Zellen innerhalb eines körnchen- freien Hofes zu erkennen. Nach diesen Befunden ist ihre Identität mit den von K. W. Zimmermann! beschriebenen Diplosomen, die er als Central- körperchen auffasst, nicht zu bezweifeln, obgleich diesem Autor die Stäbchen- form, die er an anderen ÜOentralkörperchen, so z. B. in der Thränendrüse, hervorhebt, in der Hypophysis nicht aufgefallen ist. Ich theile ferner mit, dass mir bei der Fortsetzung meiner Untersuchung pathologischer Hypophysen noch bei den zwei anderen Fällen von akromegalen Hypophysistumoren, von denen mir nur Alkoholmaterial zur Verfügung stand, der Nachweis acidophiler Zellen im Geschwulstgewebe geglückt ist. Hiermit darf ich auch diese beiden Fälle, von denen der eine früher ganz als Sarcom imponirt hatte, als Adenome erklären. 3. Hr. Zuntz berichtet über in seinem Laboratorium von Hrn. Ussow ausgeführte Versuche: a) Ueber die Einwirkung der Galle auf die Verdauungs- vorgänge. 1. Eiweissverdauung. Sowohl Galle im Ganzen als auch, nur wenig schwächer, die reinen gallensauren Salze (Platner’s krystallisirte Galle) beschleunigen die lösende Wirkung des Pankreasenzyms (Trypsins) auf Eiweiss. Um die Wirkung deutlich zu demonstriren, muss die Verdauung eine gewisse auszuprobirende Zeit dauern; bei zu langer Versuchsdauer wirkt das Pankreas allein schon maximal; bei zu kurzer Zeit ist auch die Wirkung der Galle nicht deutlich ausgesprochen. Unter günstigen Umständen betrug die pro Gramm Pankreasbrei ver- daute Eiweissmenge beim Hepatopankreas vom Karpfen in 6 Stunden ohne Galle. . . 46:78 mia, Role Bei Ochsenpankreas und Galle vom selben Thier war der unverdaute Rest von 52% frischen Fibrins nach 1!/, Stunden ohne Galle .. . 1.2493: m Pe mit n cc: 00m ! Archiv für mikroskopische Anatomie. 1898. Bd. LII, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ZUNTZ. 381 Von trockenem Fibrin und Ochsenpankreas wurden verdaut in 4 Stunden Ohne-Galle 2 m ae 19025186080 96808 mit FE Ochsengalle . Be 925 23a; mit 0-3 bis 0.55 m krystallisirter Galle . 164-5 210-6 116-0 „ 2. Fettspaltung. Die spaltende Wirkung des Hepatopankreas wird durch Gallezusatz er- heblich verstärkt, in Bestätigung der Erfahrungen von Knauthe an Fischen und mehreren früheren Autoren an Säugethieren. Die Versuche wurden in der Art angestellt, dass abgewogene Gemische von Oel mit frisch zerriebenem Hepatopankreas von Fischen 6 bis S Stunden bei Zimmertemperatur digerirt wurden. Dann wurden die Gemische auf See- sand bei 70° C. getrocknet, mit Aether im Soxhlet-Apparat extrahirt, die Lösung mit neutralem Alkohol und Phenolphtalein versetzt und mit alkoho- lischer Kalilauge titrirt. Um die Resultate überzeugender zu gestalten, wurde zu der mit Galle versetzten Probe etwa !/, weniger Hepatopankreas auf die gleiche Oelmenge benutzt. Trotzdem wurden bei Gegenwart von Galle viel erheblichere Mengen von Säure abgespalten, z. B. statt 562 %8 187 ms 1 248, 429 „ Die Wirkung der Galle allein ist viel schwächer; von zwei Gläsern mit derselben Galle-Oel-Mischung wurde das eine sofort, das andere nach 21- bis 24stündiger Digestion titrirt, nachdem die nöthige, stets gleiche Menge Alkohol-Aether zugesetzt war. Die gefundene Säure betrug, auf Oelsäure berechnet, vor der Digetion 78 110 168 63"s nach;.,; “ Su. 11a. 105% 97, Ein Theil der Wirkung wäre wohl auch ohne die Galle eingetreten, da ja Oele stets an der Luft Säuren abspalten. Nur einmal war die Wirkung der Galle allein eine starke: Wachsen der freien Fettsäuren von 88 auf 425", doch konnte dies Firgebniss nicht wieder gefunden werden, beruhte also wahrscheinlich auf einem Versuchsfehler. 3. Verzuckerung von Stärke. Es wurden nur Versuche mit Pankreas und Galle vom Rinde gemacht. Die Proben wurden 4 bis 6 Stunden bei Zimmertemperatur digerirt. Dann wurde in einem Theil der Lösung der Zuckergehalt mit Fehling’scher Lösung titrirt. Ein anderer Theil wurde mit verdünnter Salzsäure (10 HCl von 25 Procent auf 250°” Flüssigkeit) 3 bis 4 Stunden lang invertirt. Die Reduction der Fehling’schen Lösung war in den Proben mit und ohne Galle gleich stark. Durch die Inversion wurde sie erhöht, entsprechend der bekannten Thatsache, dass die Pankreasverdauung wesentlich Maltose liefert, welche bei der Inversion in stärker redueirenden Traubenzucker übergeht. Die Zunahme der Reduction war aber in den mit Galle digerirten 382 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Proben viel bedeutender als in den Fällen, in welchen Pankreas allein gewirkt hatte, z. B. vor nach der Inversion 5erm Stärke, 20°" Pankreasextract, 0°" Galle giebt 2-842% 3.66°"% Zucker 5) „ „ 20 ” „ 5 „ ” „ 2.95 „ 5.30 ” ” 6 ,„ „ 20 „ „ 0, 2) „ 2.91 ” 5-55 „ „ 6 „ „ 20 ” „ 5) „ ” „ 2.91 „ 6-13 ” „ 6, „ 0, ” 5 „ ” 0 ” 0 ” „ Die Galle allein erzeugt also aus Stärke keine löslichen Bestandtheile, welche nach der Inversion reducirend wirken. Die Beeinflussung der dia- statischen Pankreasverdauung durch Galle soll weiter verfolgt werden. b) Ueber die Herkunft der flüchtigen Fettsäuren in der Butter. In neuerer Zeit ist das lange Zeit anerkannte Dogma, dass die Fette der Milch in der Milchdrüse erst gebildet werden, und zwar, wie man glaubte, aus Eiweiss, als unhaltbar erwiesen worden. Der schon mehrfach geführte Nachweis, dass die Qualität der Nahrungsfette die des Butterfettes beeinflusse, gewann eine besonders überzeugende Form, als Winternitz zeigen konnte, dass nach Verfütterung von mit Jod substituirten Fetten dieselben in der Milch wieder erscheinen. Caspari hat dann in meinem Laboratorium diese Sache weiter verfolgt. Aus seinen Versuchen an einer Hündin ergab sich, dass nicht nur das direct verfütterte Jodfett in die Milch übergeht, sondern dass dies auch mit dem als Mastfett am Körper angesetzten Jodfett geschehen kann, wenn die Ernährungsbedingungen so gestaltet werden, dass das Nah- rungsfett das Bedürfniss der Milchdrüse nicht mehr deckt. Ich glaubte nun, es würde möglich sein, noch auf einem anderen Wege die Bedeutung der jeweilig im Blute eireulirenden Fette für die Milchsecretion darzuthun. Man konnte daran denken, dass die charakteristischen Unter- schiede im Fette der Kuhmilch und der Menschenmilch ebenfalls von der Art der mit der Nahrung zugeführten Fette bedingt sein möchten. Die Butter der Kuh hat regelmässig 8 bis 10 Procent Glyceride der flüchtigen Fettsäuren; in der menschlichen Butter finden sich dieselben nur in sehr geringer Menge, ebenso in der des Hundes." Es lag nun nahe, diesen Unter- schied aus der Thatsache abzuleiten, dass im Verdauungsapparat der Wieder- käuer durch die Gährungen, welchen die Kohlehydrate unterliegen, fort- dauernd grosse Mengen flüchtiger Fettsäuren entstehen, welche nach ihrem Uebergange in’s Blut zwar fast vollständig oxydirt werden, aber doch wohl nicht so schnell, dass nicht ein Theil von ihnen von der Milchdrüse ab- gefangen werden konnte. — Wenn diese Erklärung für den Reichthum der Kuhbutter an niederen Fettsäuren die richtige wäre, müsste man beim Hunde eine ähnliche Butter erzeugen können, sobald man ihn mit grösseren Mengen von niederen Fettsäuren oder deren Glyceriden füttert. Hr. Ussow hat es übernommen, diesen Gedanken zu prüfen. Er be- nutzte dazu eine grosse, fast 30*® wiegende Hündin, welcher einige Tage nach dem Wurfe die Jungen bis auf zwei genommen wurden. Die Hündin ! Vgl. die Arbeiten von Ruppel, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXI. 8.1, und von Lawes, Zeötschrift für physiol. Chemie. Bd. XIX. 8. 369. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ZUNTZ. 383 wurde von nun ab mehrmals täglich gemolken, und erst wenn auf diesem Wege die Milch so vollständig als möglich gesammelt war, die Jungen an- gelegt, welche nun immer noch ein ihren Bedarf deckendes Quantum ab- saugten. Dann wurden die Jungen bis nach dem nächsten Melken von der Mutter entfernt. Die Milch mehrerer Melkungen wurde vereinigt und nach Zusatz von ganz wenig Aetzkali mit Aether erschöpft. Der Versuch, durch Buttern das Fett aus der Hundemilch abzuscheiden, erwies sich als unausführbar. Zur Ermittelung der flüchtigen Fettsäuren wurde eine abgewogene Menge der Butter mit Kalilauge und Alkohol verseift und nach Verjagung des Alkohols die Seife mit einem kleinen Ueberschuss von 10procent. Schwefelsäure zer- setzt, ”/, der Flüssigkeit abdestillirt, das Destillat filtrirt, mit titrirter Kali- lauge und Phenolphtalein als Indicator neutralisirt, dann getrocknet und das Gewicht der Seifen bestimmt. Da der Alkohol immer Spuren flüchtiger Säuren enthält, wird das Resultat etwas zu hoch ausfallen, andererseits ist die Dauer der Destillation, wie bekannt, von grossem Einfluss auf die Aus- beute an flüchtigen Säuren. Es wurde deshalb vom dritten Versuche ab mög- lichst streng nach der bei der Butteruntersuchung gebräuchlichen Reichert- Meissl’schen Vorschrift verfahren.! Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Die in Stab 6 angegebene Reichert-Meissl’sche Zahl drückt die Anzahl Cubikeentimeter einer t/ „normalen Alkalilauge aus, welche zur Neutralisation der flüchtigen Fettsäuren aus 5°" Butter erforderlich ist. Diese Zahl beträgt bei normaler Kuhbutter etwa 28. Futter Butteruntersuchung © E37) = a8 5 8 = as | 5 Nerven. sägten Stück eines trockenen Hollunderzweiges 2 hergestellt hatte. Der Holzeylinder war zu nel diesem Zweck durch einen queren Schnitt in zwei gleiche Hälften getheilt worden, von denen die eine ausgehöhlt und durch zwei in den Seitenwänden angebrachte Spalten zur Durchführung des Nerven geeignet gemacht worden war, während die andere Hälfte ihr Mark behalten hatte, um, mit Aether getränkt, als Deckel für die untere Hälfte zu dienen. So war ein kleines, hohles Kästchen gewonnen, das mit Leichtigkeit über den Nerven gestülpt und stets mit Aetherdampf gefüllt erhalten werden konnte. Statt des Deckel- stückes habe ich auch öfter ein mit Aether getränktes Wattestück als Deckel benutzt, doch hat dieses den Nachtheil, dass es sehr leicht an das hohle Kästchen anfriert. Durch Abnehmen des Deckels konnte dann die Narkose jeden Augenblick ziemlich schnell unterbrochen werden, so dass der Muskel jeder Zeit als Indicator für den Zustand des Centrums benutzt werden konnte Um ferner die Leitungsfähigkeit des Nerven und den Zustand des Muskels, wenn nöthig, controliren zu können, wurde von vorn- 390 MAx VERWORN: herein centralwärts vom Narkosekästchen ein Platinelektrodenpaar an den Nerven angelegt, das mit der secundären Spirale eines Schlitteninductoriums in Verbindung stand. Dann wurden gleich Anfangs mit schwachen Oeffnungs- schlägen (Metronomunterbrechung) Zuckungen erzeugt und ihre Höhen gra- phisch verzeichnet. Nach diesen Vorbereitungen folgte zunächst die Narkose des Nerven und, wenn diese sich bei Prüfung mit den Oeffnungsschlägen als vollkommen ergab, die Vergiftung des Thieres mit Strychnin. Dass das ganze Präparat für die graphische Verzeichnung der Muskelzuckungen genügend vorsichtig fixirt war, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Versuche an Rana temporaria Wenn man die Thiere mit grösseren Dosen Strychnin, d. h. mit 0.01 ®"” oder mehr subcutan vergiftet, so treten gewöhnlich 2 bis 3 Minuten nach der Injection starke tetanische Anfälle auf, die meistens nach wenigen Minuten schon in einfache Krampf- zuckungen übergehen. Ein völliges Ausbleiben der tetanischen Krämpfe findet nach subcutaner Application des Giftes selbst von colossalen Dosen nicht statt. Hebt man die Narkose des präparirten Nerven für eine Minute auf, zu der Zeit, wo im ganzen Körper nur noch kurze Einzelzuckungen nicht tetanischer Natur zu bemerken sind, so erhält man im Gastrocnemius anfalls- weise noch mehr oder weniger vollkommenen Tetanus.. Um den Muskel zu schonen, ist natürlich stets wieder sofortige Erneuerung der Narkose nöthig. Die schwachen und kurzen Einzelzuckungen im übrigen Körper bleiben ziemlich lange bestehen. Unterbricht man während dieses Stadiums von Zeit zu Zeit die Narkose des Nerven, so sieht man bald, dass auch im Gastroenemius des präparirten Beines keine tetanischen Krämpfe, sondern nur noch Einzelzuckungen, allerdings von beträchtlicher Höhe, auftreten. Da der Muskel bei ganz schwacher Belastung selbst nicht ermüdet sein kann, so ist hierin das erste Zeichen beginnender Lähmung des Rückenmarkes zu erblicken. Gleichzeitig werden die Anfälle von kurzen Zuckungen im ganzen Körper allmählich seltener und treten bald nur noch auf Reizung hin auf. Leise Erschütterungen oder Berührungen irgend einer Stelle der Haut und auch Bewegungen vor den Augen des Thieres lösen ein kurzes Zusammenzucken des ganzen Körpers aus, das besonders an den Enden der Extremitäten deutlich bemerkbar ist. Bei Aufhebung der Narkose des Nerven zeigt sich, dass auch der präparirte Gastrocnemius nur noch reflectorisch zur Zuckung veranlasst werden kann. Die Narkose des Nerven braucht daher nunmehr nicht weiter fortgesetzt zu werden. Dieser Zustand kann je nach der Grösse der verabfolgten Giftdosis mehr oder weniger lange Zeit bestehen. Um die Veränderungen bequemer verfolgen zu können, empfiehlt es sich daher, nicht allzu grosse Dosen zu geben. Allmählich indessen ändert sich der Zustand mehr und mehr. Das kommt alsbald darin zum Ausdruck, dass die Reflexerregbarkeit für die gleiche ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 391 [=] Il Fig. 2. Reflexzuckungen bei Berührung der Haut. Rhythmische Berührungen bis zur Ermüdung. (Sechs deutliche Zuckungen, zwei schwache.) Rhythmische Berührungen des rechten Beines bis zur Ermüdung, dann, ohne Pause folgend, ebensolche Berührungen des rechten Armes. Rhythmische, ohne Pause auf einander folgende Berührungen des rechten Beines, des rechten Arınes, des linken Armes. (Etwas späteres Stadium wie 5.) Dasselbe wie c, aber noch späteres Stadium. 392 MAx VERWORN: Hautstelle bei mehreren hinter einander auf die Haut ein- wirkenden Berührungsreizen anfängt zu ermüden. Anfangs ist bei rhythmisch auf einander folgenden Berührungen der gleichen Hautstelle noch eine grosse Zahl wirksam; jede einzelne liefert eine Reflexzuckung im Gastrocnemius, die aber bei jedem folgenden Berührungsreiz an Höhe ab- nimmt, bis die Wirkung ganz ausbleibt. Dann genügt eine kurze Erholung von 5 bis 10 bis 15 Secunden, um die Reflexerregbarkeit für die gleiche Hautstelle wieder herzustellen. Allmählich aber wird die Zahl der wirk- samen Berührungsreize immer kleiner, während zur Erholung immer längere Pausen nöthig werden. Bald wirken nur noch sehr wenige Berührungsreize von der gleichen Hautstelle aus hinter einander. Dagegen können, wenn die Reflexerregbarkeit von einer Stelle aus für den Augenblick erschöpft ist, von jeder anderen Stelle her noch Reflexe ausgelöst werden, bis auch die Reflexerregsbarkeit der neuen Stelle erschöpft ist u.s. f. Die vorstehen- den Curven (Fig. 2) zeigen dieses Verhalten; es wurden hinter einander in rhythmischen Intervallen erst eine Zehe des rechten Beines, dann des rechten Armes, darauf des linken Armes durch Berührung gereizt. Noch etwas später wirkt von jeder Hautstelle her immer nur je ein Reiz, indessen können immerhin am Gastrocnemius mehrere Reflexzuckungen hinter einander erhalten werden, wenn nur jedesmal eine andere Hautstelle berührt wird. Aus dieser Thatsache geht schon hervor, dass es sich hier nicht etwa um eine Ermüdung des Muskels handeln kann. Eine directe Reizung des Nerven mit Inductionsöffnungsschlägen der gleichen Reizstärke wie vor Beginn der Vergiftung bestätigt das. Bei diesen Reizungen erhält man sehr charakteristische Curvenbilder. Es ist nämlich die erste Zuckung sehr hoch, weil hierbei in Folge der Erregung sensibler Fasern im Ischia- dieus eine Reflexzuckung die einfache Reizzuckung des Muskels verdeckt, während die folgenden Zuckungen dieselbe Höhe haben, wie vor der Ver- giftung, da die Reflexerregbarkeit nach der ersten Reflexzuckung er- loschen ist (Fig. 3). Wiederum etwas später ist immer nur eine einzige schwache Reflexzuckung des Gastrocnemius vom ganzen Körper her zu erhalten, ganz gleich, welche Stelle gereizt wird. Ist die Zueckung von einer beliebigen Hautstelle her ausgelöst worden, so sind alle Berührungen anderer Hautstellen unwirksam, bis sich nach etwa 45 bis 60 Secunden oder länger wieder von irgend einer Stelle her eine einzelne Zuckung auslösen lässt. Allein die Höhe der Zuckungen nimmt selbst nach längerer Erholung immer mehr ab, obwohl die Erregbarkeit des Muskels für Reizung vom Nerven aus nicht gelitten hat. Alsbald verschwindet die Reflexerregbarkeit von den hinteren Extremitäten aus ganz. Es ist auch nach längeren Pausen nicht mehr möglich, von der Haut des Beines aus eine Reflexzuckung am Gastrocnemius zu erzielen. Dagegen ist die Reflexerregbarkeit zur gleichen ZuR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 393 Zeit für Reizung der Rumpf-, Arm- und Kopfhaut noch erhalten. Aller- dings werden auch hier immer längere Erholungspausen nöthig. Diese Erscheinung ist sehr charakteristisch. Ich habe sie ausnahmslos beobachtet, wenn ich ihr meine Aufmerksamkeit zugewendet habe. Stets erlischt die Reflexerregbarkeit von den hinteren Extremitäten früher als von den vorderen, wenn auch häufig, namentlich bei sehr grossen Fig. 3. Ermüdung der Reflexe bei Metronomreizung des Ischiadicus. a = Reizung des Ischiadieus mit schwachen Oeffnungsschlägen vor der Vergiftung. on | = Reizung des Ischiadicus mit gleichstarken Strömen nach Strychninvergiftung vor Eintritt der totalen Rückenmarkslähmung. Nur die erste Zuckung ist erhöht und ein wenig die zweite. Die folgenden haben die gleiche Höhe wie vor der Vergiftung. Giftdosen, nur eine oder wenige Minuten dazwischen liegen. Schliesslich sind auch von den vorderen Extremitäten durch Berührung der Haut keine Reflexe mehr im Gastrocnemius zu erhalten. Der Frosch reagirt auf keine Hautreizung mehr. Dagegen sind die Zuckungshöhen des Muskels bei Reizung des Nerven mit Inductionsöffnungsschlägen von der gleichen Stärke wie Anfangs noch genau die gleichen, wie im Beginn des Versuches. 394 MAx VERWORN: Im Hinblick auf die Eingangs geschilderte Thatsache, dass das Strychnin die motorischen Nervenendapparate in den Muskeln lähmt, lag hier die Möglichkeit nahe, dass die allmählich sich entwickelnde Ermüdbarkeit der Reflexe für Hautreize auf einer entsprechenden Lähmung der sensiblen Nervenenden der Haut beruhen könnte. Um diese Frage zu entscheiden, habe ich eine Reihe von Versuchen angestellt, die darüber unzweideutige Auskunft geben mussten. Es wurde ein Frosch in derselben Weise vor- bereitet, wie sie oben geschildert ist, aber ausserdem wurde ihm auch am rechten Oberschenkel die Arterie unterbunden und Alles bis auf den Nerven durchschnitten. Alsdann wurde er dem gleichen Versuche unterworfen wie oben. Auch hier zeigte sich, obwohl der rechte Schenkel von der Gift- wirkung vollkommen ausgeschlossen war, dass dieselbe Reflexermüdbarkeit für Berührungsreize seiner Haut sich entwickelte, wie sonst, und auch hier. verschwand die Reflexerregbarkeit für Berührungen der Haut im giftfreien Bein früher, als in den der Vergiftung ausgesetzten Armen. Da die Ver- suche alle übereinstimmend das gleiche Resultat ergaben, ist es also zweifellos, dass die im Laufe der Giftwirkung sich entwickeln- den Reflexermüdungs- und Reflexlähmungserscheinungen nicht auf eine Unerregbarkeit der sensiblen Nervenenden, sondern auf eine Lähmung des Rückenmarkes zurückzuführen sind. Nachdem schwache Berührungsreize der Haut für die Erzielung von Reflexzuckungen unwirksam geworden sind, wird man erwarten dürfen, dass durch stärkere Reize noch Reflexe hervorgerufen werden können. In- dessen zeigt sich, dass nach dem völligen Erlöschen der Erregbarkeit durch schwache Berührungen auch die gröbsten Insulte der Haut, wie Kneifen, Quetschen, Zerschneiden u. s. w. keine Spur einer Reflexzuckung mehr auszu- lösen im Stande sind. Das Gleiche gilt von faradischen Strömen. Das Faradisiren der Haut mit schwachen und mittelstarken Strömen hat nicht den geringsten Erfolge. Man kann die Ströme sogar so stark anwenden, dass sie durch die Haut hindurch die Muskeln direct erregen, ohne dass dadurch der geringste Reflex ausgelöst würde, obwohl ja hierbei die Nerven- stämme selbst vom Strome erregt werden müssen. Geht man aber mit der secundären Rolle des Schlittenapparates noch näher an die primäre Rolle heran, so erhält man durch Faradisiren der Haut an verschiedenen Punkten der Körperoberfläche, am besten direct über der Wirbelsäule, heftige Zuckungen des Gastrocnemius. Bei meiner Versuchsanordnung war der dazu nöthige Rollenabstand fast regelmässig ungefähr 60", Selbst- verständlich liegt hier von vornherein der starke Verdacht vor, dass es sich bei diesen Zuckungen um die Wirkung von Stromschleifen handelt. Das musste sicher ermittelt werden. In der That zeigte sich auch, wenn ich die rechte Hinterextremität nach Durchschneidung des ganzen Oberschenkels ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 8395 bis auf den Nerven auf eine isolirte Glasplatte legte und die Zehen der- selben mit der gleichen Stromstärke reizte, dass die Zuckungen des Gastro- cnemius ausblieben, dass sie aber sogleich wieder eintraten, wenn ich das Bein wieder auf die Korkplatte zurück legte und die Schnittflächen des Oberschenkels wieder mit einander in Berührung brachte. Ferner erzielte ich starke Zuckungen, wenn ich mit dem Pinsel einen mehrere Centimeter langen Strich von physiologischer Kochsalzlösung, vom Körper ausgehend, auf der Korkplatte zog und die Elektroden mehrere Centimeter vom Körper entfernt auf diesen Flüssiekeitsstrich aufsetzte. Darauf wurde der Frosch in der gewöhnlichen Weise decapitirt, ohne dass die leiseste Zuckung am Gastrocnemius zu merken gewesen wäre. Auch die vollständige Ausbohrung des Rückenmarkes blieb ohne jeden Erfolg, wenn nicht die motorischen Wurzeln der hinteren Extremität selbst dabei gequetscht wurden. Wurden nunmehr die Elektroden auf den noch durch eine dünne Hautbrücke mit dem übrigen Körper zusammenhängenden Kopf aufgesetzt, so lieferte die gleiche Stromstärke ebenfalls noch schwache Erfolge; wurde aber direct die Haut über der Wirbelsäule von den Elektroden berührt, so waren die Zuckungen des Gastrocnemius so heftig wie vor der Ausbohrung des Rücken- markes. Im Uebrigen blieb die eben wirksame Stromstärke dauernd die gleiche. Ein Näherrücken der secundären Spirale war nicht nöthig. Aus alledem und vielen anderen Momenten, die sämmtlich zu verzeichnen zu weit führen würde, geht mit unzweideutiger Sicherheit hervor, dass die Wirkungen starker, faradischer Ströme lediglich Folgen von Stromschleifen sind, und dass nach dem Erlöschen der Reflexerregbarkeit für leise Hautberührungen überhaupt jede Reflexerregbarkeit ebenso wie jede directe Erregbarkeit des ganzen Centralnervensystemes vollständig verschwunden ist. Diese Thatsache ist von Bedeutung, und deshalb habe ich sie so um- ständlich und peinlich sichern zu müssen geglaubt. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie ein anscheinend ganz paradoxes Verhalten des Rückenmarkes zum Ausdruck bringt. Auf der einen Seite haben wir hier eine mehr und mehr fortschreitende Lähmung des Rückenmarkes zu verzeichnen, die sich in der immer mehr zunehmenden Ermüdung der centralen Reflexerregbar- keit bemerklich macht, auf der anderen Seite bis zum letzten Moment vor der völligen Lähmung eine auf’s Höchste gesteigerte Erregung der Reflex- thätigkeit, die sich darin ausdrückt, dass bis zuletzt die leiseste Berührung irgend einer ganz entfernten Hautstelle ausreicht, um im Gastrocnemius eine Reflexzuckung zu erzeugen. Bei keinem normalen Frosch ist die Reflexerregbarkeit auch nur annähernd so gross, wie sie sich bei dem mit Strychnin vergifteten Frosch noch unmittelbar vor ihrem völligen Erlöschen zeigt. Ja, die Reflexerregbarkeit des mit Strychnin vergifteten Frosches 396 MAx VERWORN: nimmt vom Beginn des Krampfstadiums an bis zum Moment des voll- kommenen Aufhörens der centralen Erregbarkeit überhaupt gar nicht bemerkenswerth ab. Zuletzt wie im Beginn genügt eine blosse Berührung der Haut, um einen Reflex auszulösen. Und doch ist das Centralnerven- system schliesslich vollständig gelähmt. Eben war die Reflexerregbarkeit noch ausserordentlich gegen die Norm gesteigert, im nächsten Moment ist die centrale Erregbarkeit überhaupt erloschen. Ein allmähliches gleich- mässiges Abnehmen der centralen Erregbarkeit, wie man es nach der Ent- wickelung von Lähmungserscheinungen an anderen Objecten erwarten sollte, findet gar nicht statt. Und doch lässt sich nicht bestreiten, dass sich trotz der auch zuletzt noch bemerkbaren hohen Reflexerregbarkeit die Lähmung allmählich entwickelt. Wir haben hier augenscheinlich zwei verschiedene Processe, die mit einander interferiren und einerseits in einer Erregung, andererseits in einer Lähmung des Centrums zum Ausdruck kommen. Ich werde weiter unten zeigen, wie sich dieses scheinbare Paradoxon in ein- facher Weise auflöst. Die Zeit, welche vergeht von der Injection des Giftes bis zum Er- löschen der Reflexerregbarkeit, ist individuell und namentlich je nach der Grösse der Giftdosis sehr grossen Schwankungen unterworfen. In einem Fall laufen die ganzen Erscheinungen innerhalb einer Stunde ab, im anderen kann sich ihre Entwickelung über drei bis vier Stunden und länger erstrecken. Versuche an Rana esculenta. In derselben Weise, wie oben von Rana temporaria geschildert, wurden auch an Esculenten Versuche aus- geführt, die bis auf unwesentliche für Rana esculenta charakteristische Ab- weichungen zu den gleichen Ergebnissen führten. Da bei Esculenten die Lähmung der motorischen Nervenendapparate schneller erfolgt, als bei Temporarien und da sie ferner sehr bald vollkommen ist, so entstehen zu einer Zeit, wo im Bereiche der Giftwirkung am ganzen Körper die Reflexe vollständig erloschen sind, nach Aufhebung der Narkose des Nerven noch heftige tetanische Krämpfe im Gastrocnemius des präparirten Beines. All- mählich entwickelt sich aber auch bei dieser Froschart die Lähmung des Centralnervensystemes unter denselben Symptomen wie bei Temporarien. Trotz der dauernd sehr hohen Reflexerregbarkeit ermüdet doch das Centrum immer schneller und es lassen sich hier dieselben Stadien erkennen, die oben ausführlich geschildert worden sind. Auch bei Esculenta erlischt stets die Erregbarkeit zuerst für Reizung der hinteren Extremitäten. Erst etwas später auch für Reizung der vorderen. Bei nicht allzustarker Vergiftung kann man zwischen beiden Momenten einen 10 bis 15 Minuten langen Zeitraum beobachten. Schliesslich ist aber auch hier mit der Erregbarkeit für die leiseste Berührung gleichzeitig alle Erregbarkeit des Centrums er- loschen. Auch hier findet nicht ein allmähliches Sinken der Reflexerreg- Zur KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 397 barkeit, nicht ein allmähliches Aufhören für schwächere und Bestehen- bleiben für stärkere Reize statt. Solange überhaupt noch Erregbarkeit des Centrums besteht, kann auch durch leise Berührung ein Reflex auf den er- regbarkeitprüfenden Gastrocnemius hervorgerufen werden. Allerdings werden dabei hier wie bei Temporaria trotz der unverminderten Erregbarkeit des Muskels für Reizung vom Nerven her die Höhen der Reflexzuckungen immer niedriger. Bei dieser Uebereinstimmung der Erscheinungen zwischen beiden Froscharten kann von einer eingehenderen Schilderung der Versuche an Esceulenten hier abgesehen werden. 2. Die Frage nach der Localisation der Strychninwirkung im Rückenmark. Die Lösung der Frage, in welchen histologischen Elementen des Rücken- markes der Angrifispunkt der specifischen Strychninwirkung zu suchen sei, stösst auf grosse Schwierigkeiten. Ich habe viel Zeit und Mühe auf die Entscheidung dieser Frage verwendet und muss doch von vornherein ge- stehen, dass ich eine wirklich einwandsfreie Antwort vorläufig noch nicht zu geben vermag. Was ich erreicht habe, ist lediglich eine gewisse Wahr- scheinlichkeit. Als mächstliegender Weg zur Entscheidung dieser Frage erscheint offenbar der Weg der operativen Elimination bestimmter Elemente des Rückenmarkes. Schon vor mehr als 50 Jahren hat Hermann Meyer! diesen Weg beschritten. Er stellte fest, dass bei Fröschen, denen er sämmtliche dorsalen Rückenmarkswurzeln durchschnitten: hatte, nach der Vergiftung mit Strychnin sich kein Tetanus mehr einstellte, ausser wenn der ganze Körper des Thieres heftig erschüttert, oder wenn die hinteren Stränge des Rückenmarkes mit der Nadel berührt wurden. Ich habe diesen Versuch Meyer’s wiederholt und kann ihn vollkommen bestätigen. Freilich muss ich auf eine Fehlerquelle dabei aufmerksam machen, die aber leicht vermieden werden kann. Wenn man einem Frosch alle hinteren Rücken- markswurzeln durchschnitten hat und lässt ihm einen oder mehrere Tage Zeit zur Erholung, so findet man, dass schon ohne vorhergehende Vergiftung mit Strychnin bei kurzem Betupfen der dorsalen Seite des Rückenmarkes sehr häufig tetanische Anfälle entstehen, die von einem kurz dauernden Strychninkrampf nicht zu unterscheiden sind. Ich habe solche enorm ge- steigerte Reflexerregbarkeit bei Fröschen (Esculenten) selbst noch 3 bis 4 Wochen nach der Durchschneidung der hinteren Wurzeln auftreten sehen, wenn sie nach Decapitation unterhalb der Medulla oblongata mit einem ! Hermann Meyer, Ueber die Natur des durch Strychnin erzeugten Tetanus. Zeitschrift für rationelle Medicin. 1846. Bd. V. 398 MAX VERWORN: spitzen Wattebausch oder einer Nadel auf dem blossliegenden Rückenmark kurz betupft wurden, also noch zu einer Zeit, wo die Degeneration der centralen Dorsalwurzelstumpfe längst abgelaufen war. Prüft man dagegen die Erregbarkeit des Rückenmarkes in derselben Weise unmittelbar nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln und Decapitation, so erhält man nur starke Einzelzuckungen, nicht aber tetanische Anfälle. Es ist daher nöthig, die Vergiftungsversuche stets unmittelbar nach der Operation vor- zunehmen und sich vor der Vergiftung zu überzeugen, ob die Reizung des Rückenmarkes an sich nicht schon tetanische Anfälle hervorruft. Unter Berücksichtigung dieser Vorsichtsmaassregel bekommt man in der That nach Strychninvergiftung tetanische Krämpfe beim Betupfen des Rückenmarkes, während vorher die gleiche Reizung nur Einzelzuckungen erzeugte. Ebenso wie das Betupfen der Hinterstränge erzeugt auch das Drücken oder Quetschen eines centralen Dorsalwurzelstumpfes beim vergifteten Frosch einen teta- nischen Anfall, wenn die Wurzel ohne Zerrung durchschnitten war und nicht zu lange nach der Durchschneidung gereizt wird. Es geht aus diesen Versuchen mit Sicherheit hervor, dass das Strychnin auf Elemente des Rückenmarksstammes selbst eine erregbarkeitsteigernde Wirkung ausübt, wenn auch damit nicht ausgeschlossen ist, dass möglichenfalls eine gleiche Veränderung auch in den Zellen der Spinalganglien stattfindet. Den Umstand, dass ich die Tetani nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln meistens viel schwächer fand, als am normalen Frosch, möchte ich für die letztere Möglichkeit freilich nicht in’s Feld führen aus mehreren Gründen. Einerseits ist die Durchschneidung der hinteren Wurzeln eine ziemlich eingreifende Operation, die zweifellos das Rückenmark stark mit- nimmt. Andererseits werden durch die Eröffnung des Wirbelcanals selbst bei grösster Vorsicht die Circulationsverhältnisse im Rückenmark wesentlich verändert. Das letztere kommt nicht bloss für den Erregbarkeitszustand des Rückenmarkes, sondern auch für die Giftzuführung in Betracht. Giebt man das Gift subeutan, so wird es häufig dem Rückenmark in Folge der mangel- haften Circulation nicht mehr genügend zugeführt. Pinselt man es direct auf das Rückenmark auf, so dringt es nur sehr langsam zu den einzelnen Theilen im Innern und bei weitem nicht so gleichmässig, wie bei Zu- führung durch das Blut, wenn auch, wie ich mich überzeugt habe, zweifellos nach längerer Zeit auf diesem Applicationswege Krämpfe zu erzielen sind. Ich habe daher in vielen Versuchen erst den Frosch schwach vergiftet und dann beim Ausbruch der Krämpfe den Wirbelcanal geöffnet und die hinteren Wurzeln durchschnitten. Aber in diesem Falle vergeht wieder einige Zeit bis zur Vollendung der Operation, und so können sich inzwischen schon wieder Ermüdungserscheinungen entwickeln, so dass nunmehr die tetanischen /ur KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 399 Anfälle aus diesem Grunde nicht mehr so stark sind, wie vor der Durchschnei- dung der hinteren Wurzeln. Kurz der Umstand, dass nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln die tetanischen Krämpfe gewöhnlich nicht so stark sind, wie beim normalen Frosch, gestattet keine weitergehenden Folgerungen. Es entsteht aber nunmehr die Frage, welche Elemente des Rückenmark- stammes durch das Strychnin eine Erregbarkeitssteigerung erfahren. Auch für die Beantwortung dieser Frage scheinen bereits einige Versuche Meyer’s von Bedeutung zu sein. Meyer trennte mit einer Scheere einem Frosche die hinteren Stränge des hückenmarkes der ganzen Länge nach ab und fand, dass der Frosch nach Vergiftung mit Strychnin keinen Tetanus mehr in den Extremitäten zeigte. Dann trennte er einem Frosche die hinteren Stränge von demjenigen Theil des Rückenmarkes ab, von dem die Nerven für die hintere Extremität entspringen. Der Frosch bekam nur Tetanus im vorderen Theil des Körpers. Umgekehrt schliesslich trennte er einem Frosche die hinteren Stränge von demjenigen Theil des Rückenmarkes ab, der die Nerven für die vorderen Extremitäten abgiebt und sah die Krämpfe beschränkt auf die hinteren Extremitäten und den Kopf. Ich habe auch diese Versuche Meyer’s mit demselben Erfolge wiederholt und erweitert. Die Erregbarkeit wurde dabei wieder durch Betupfen mit einem spitz zu- gedrehten Wattebausch oder einer Nadel geprüft, nachdem vom ganzen Rückenmark die dorsale Hälfte abgetrennt war. Die Erfolge bei Reizung der Innenseite waren stets nur blitzartige Zuckungen. Nach Vergiftung mit Strychnin blieb der Zustand genau derselbe, Tetani traten nicht auf. Um ganz sicher zu sein, dass das Strychnin auch in’s Rückenmark ein- drang, vergiftete ich die Frösche zum Theil vorher und öffnete erst nach dem Ausbruch der Krämpfe den Wirbelcanal. Dabei ist eine Vorsicht zu gebrauchen. Die Wirbel dürfen nicht zu weit lateralwärts durchschnitten werden, da sonst die Spinalganglien geschädigt oder zerstört werden, so dass die Reflexerregbarkeit und damit die Krämpfe verschwinden. Die Reflexerregbarkeit von der Haut her ist aber wichtig als Kriterium für den Erregbarkeitszustand des Rückenmarkes. Nunmehr schnitt ich dem decapi- tirten Frosche die dorsale Hälfte des Rückenmarkes im vorderen Theile des- selben ab, liess aber den Theil, von welchem die 5 letzten Dorsalwurzeln entspringen, vollständig intact. Um directe Reizung der vorderen Wurzeln auszuschliessen wurde endlich der vordere, seiner dorsalen Hälfte beraubte Theil des Rückenmarkes von der Querschnittsstelle an nach hinten um- geklappt und seine ventralen Wurzeln durchschnitten. An diesem Präparat rief jede leise Berührung einer der hinteren Extremitäten starke tetanische Reflexkrämpfe in beiden Beinen hervor. Ebenso erzeugte jedes kurze Be- tupfen der dorsalen Partie des hinteren intacten Rückenmarksabschnittes, auch wenn es nur einseitig geschah, tetanische Anfälle in beiden Beinen. 400 MAX VERWORN: Dagegen blieb jedes Betupfen, Stechen, Drücken des vorderen, seiner dor- salen Seite beraubten Rückenmarksabschnittes völlig erfolglos, mochte es die graue Substanz, oder mochte es die Vorder- und den Rest der noch stehen gebliebenen Seitenstränge betreffen. Diese Versuche scheinen in einwandsfreier Weise zu zeigen, dass der Sitz der Erregbarkeit steigernden Strychninwirkung nicht in den motorischen Zellen der Vorderhörner zu suchen ist, sondern vielmehr in anderen Ele- menten des Rückenmarkes. Allein so bestechend einfach und klar diese Schlussfolgerung sich zu ergeben scheint, möchte ich sie doch nicht als bindend betrachten. Die Frage nach der directen Erregbarkeit des Rückenmarkes, die so lange Jahre hindurch einen lebhaften Meinungsaustausch in der Physiologie unterhalten hat, wird zwar heute wohl allgemein mit Recht in positivem Sinne beantwortet, denn die hauptsächlich von Schiff erhobenen Einwände sind allmählich durch eine ganze Reihe von sicheren Beobachtungen aus- geschlossen worden. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass die directe mechanische oder elektrische Reizung des Rückenmarkes, wenn dabei Rei- zungen der ungeheuer empfindlichen ventralen oder dorsalen Wurzeln sicher ausgeschlossen sind, meistens nur sehr schwache, häufig gar keine motorischen Erfolge hat. Die Ursachen dieser auffallenden Erscheinung sind zur Zeit noch dunkel. Man hat bekanntlich daran gedacht, dass bei der Reizung Hemmungsnerven getroffen werden könnten, doch erscheint diese Erklärung bei dem jetzigen Stande der Frage nach der Verbreitung von Hemmungsfasern im Centralnervensystem wenig befriedigend. Ich habe im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Versuchen ebenfalls die directe Erregbarkeit des Rückenmarkes für mechanische Reize beim Frosche (Temporaria) eingehend geprüft. Obwohl ich mich dabei am horizontal gespaltenen Rückenmark von der Existenz einer directen Erregbarkeit durch punktförmige Reizung der grauen Substanz der Vorderhörner, wie der weissen der Vorder- und Seitenstränge zwischen den Austrittsstellen der motorischen Wurzelfasern selbst überzeugt habe, konnte ich immer nur motorische Wirkungen feststellen, die dem Niveau der gereizten Stelle entsprachen. Es ist mir beispielsweise im Gegensatz zu einzelnen früheren Beobachtern, die mit elektrischer Reizung arbeiteten, niemals gelungen, am Rückenmark nach Abtragung der dorsalen Hälfte durch mechanische Reizung des vorderen Theiles motorische Wirkungen in den hinteren Extremitäten zu erhalten, wie sie Engelken! und Fick? und später ! H.Engelken, Ueber die Empfindlichkeit des Rückenmarkes gegen elektrische Reizung. Dies Archiv. 1867. Physiol. Abthlg. 8. 198. ® A. Fick, Ueber die Reizbarkeit der vorderen Rückenmarksstränge. Pflüger’s Archiv. 1869. Bd. II. S. 414. ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS,. 401 Biedermann! durch elektrische Reizung erzielt haben. Ich erhielt bei localer Reizung der ventralen Hälfte immer nur Niveauerfolge, die sich in schwachen, blitzartig auftretenden Zuckungen ganz localer Natur äusserten, auch wenn, wie es in anderen Versuchen der Fall war, der hintere Ab- schnitt des Rückenmarkes intact gelassen und nur der vordere seiner dor- salen Hälfte beraubt wurde. Leider ist die anatomische Localisation der Leitungsbahnen gerade beim Frosche noch nicht so vollständig aufgeklärt, dass für dieses Verhalten etwa eine histologische Erklärung gegeben werden könnte. So viel aber scheint mir dieser Thatsache entnommen werden zu müssen, dass unter ihrer Berücksichtigung einige der eben beschriebenen Versuche etwas von ihrer Beweiskraft einbüssen. Wenn beim unvergifteten Frosch, dessen vorderer Rückenmarksabschnitt seiner dorsalen Hälfte beraubt ist, weder durch Reizung der grauen Substanz, noch durch Reizung der Vorder- und Seitenstränge des halbierten Abschnittes motorische Erfolge auf dem Wege über den hinteren intacten Abschnitt erzielt werden können, so kann das möglicherweise durch das Fehlen entsprechender Leitungsbahnen in den betreffenden Theilen des Rückenmarkes bedingt sein, und es beweist dann das gleiche Verhalten eines ebenso operirten, aber mit Strychnin vergifteten Frosches jedenfalls nicht, dass keine Erregbarkeitssteigerung der ventral gelegenen Elemente des Rückenmarkes eingetreten ist. Freilich bleibt noch die Thatsache bestehen, dass auch die Niveauwirkungen mechanischer Reizung beim Strychninfrosch keine Steigerung gegenüber dem unvergifteten Frosch zeigen. Indessen auch diesem Umstande möchte ich keine ent- scheidende Bedeutung beilegen im Hinblick auf folgende Beobachtungen. Sehr häufig habe ich gefunden, dass die gleiche Stelle grauer Substanz bei leiser Berührung mit der Nadel, wobei durch eine als Polster unter das Rückenmark geführte Luftblase eine Quetschung oder Zerrung der vorderen Wurzeln ausgeschlossen wurde, nur immer eine Blitzzuckung der entsprechenden Muskeln vermittelte, während alle folgenden Berührungen un- wirksam blieben. Ferner habe ich bei Strychninfröschen, die nach Oeffnung des Rückenmarkscanales auf Berührung irgend einer Stelle des Rückenmarkes mit heftigstem Tetanus reagirten, unmittelbar darauf nach horizontaler Einschneidung des vorderen Rückenmarksabschnittes von keinem Punkte des letzteren mehr, d. h. weder von der dorsalen noch von der ventralen Hälfte aus einen motorischen Effect in den Hinterextremitäten erhalten können, obwohl das Rückenmark vorn lediglich eingeschnitten war, ohne Abtrennung einer Schnitthälfte. Auch nach anderen eingreifenderen Ver- letzungen im vorderen Theil des Rückenmarkes hört bei Strychninfröschen ı W. Biedermann, Ueber die Erregbarkeit des Rückenmarkes. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien. 1883. Bd. LXXXVIl. 3. Abthlg. Maihetft. Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 26 402 MAx VERWORN: die Möglichkeit, von hier aus tetanische Anfälle auszulösen, sofort oder sehr schnell auf. Alle diese Beobachtungen und manche andere Erscheinung deuten darauf hin, dass auch die Rückenmarkssubstanz des Kaltblüters stärkeren Eingriffen gegenüber ausserordentlich hinfällig ist, und die Hal- bierung des Rückenmarkes, wenn sie auch noch so glatt und schonend aus- geführt wird, ist immerhin ein verhältnissmässig roher, brutaler Eingriff. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die wesentliche Ursache, weshalb die directe Reizung des Rückenmarkes meist so un- gemein schwache oder überhaupt keine motorischen Erfolge liefert, in der Schädigung seiner Erregbarkeit durch die Opera- tion zu suchen ist. Dieser Umstand nimmt aber ebenfalls wieder den oben mitgetheilten Versuchen über die Localisation der Strychninwirkung im Rückenmark einen Theil ihrer Beweiskraft, denn wer es will, kann das Ausbleiben einer Erregbarkeitssteigerung der ventralen Elemente des halbirten Rückenmarkes nach Vergiftung mit Strychnin auch auf eine Schädigung derselben durch die Operation zurückführen. Das sind die Schwieriekeiten, welche sich der Entscheidung der Frage nach der Localisation der Strychninwirkung im Rückenmark entgegenstellen, wenn man zu ihrer Beantwortung den Weg der operativen Elimination einzelner Bestandtheile einschlägt. Es erscheint daher vorläufig zweifelhaft, ob sich die Frage überhaupt auf diesem Wege wird entscheiden lassen. Man könnte inzwischen versuchen, auf einem anderen Wege der speciellen Frage beizukommen, ob die motorischen Zellen der Vorderhörner durch die Strychninvergiftung eine Erregbarkeitssteigerung erfahren. Man könnte nämlich daran denken, dass sich eine starke Erregbarkeitssteigerung des Ganglienzellkörpers möglicher Weise auch auf den Axencylinderfortsatz des Neurons erstrecken könnte, denn’ eine Steigerung der Erregbarkeit kann man sich schlechterdings nur in Form eines bestimmten Erregungszuwachses selbst vorstellen. Es müsste dann unter dieser Annahme sich eine Erreg- barkeitssteigerung auch im motorischen Nerven feststellen lassen. Ich habe daher bei Fröschen, denen zur Ausschaltung von Reflexen die hinteren Rückenmarkswurzeln durchschnitten waren, den Gastroenemius mit einer graphischen Vorrichtung verbunden, den Ischiadieus blossgelest und am Schlitteninductorium den Rollenabstand festgestellt, der nöthig war, um den Nerven durch einzelne Oeffnungsschläge zu erregen. Während ich dann in rhythmischen Zwischenräumen Zuckungscurven des Gastroenemius verzeichnete, habe ich den Frosch stark mit Strychnin vergiftet. Es zeigte sich hierbei, dass die Erregbarkeit des Nerven durchaus keine Steigerung erfuhr, und dass auch die Zuckunescurven an Höhe nicht zunahmen, Allein hier kann man wieder gegen die Richtigkeit der Voraussetzung Bedenken hegen, wenn man die naheliegende Annahme macht, dass eine Zur KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 403 Erregungssteigerung des Ganglienzellkörpers sich nur dann auf den Nerven fortpflanzt, wenn die Intensitätssteigerung mit einer gewissen Geschwindig- keit in der Zeiteinheit erfolgt, nicht dagegen, wenn sie sich allmählich entwickelt. Die Erregbarkeitssteigerung bei der Strychninwirkung aber dürfte sich viel zu langsam entwickeln. Doch lässt sich das Ergebniss des eben beschriebenen Versuches zu einer anderen Erwägung verwerthen, und zwar gerade unter der Voraussetzung, dass sich eine eventuelle Erregbar- keitssteigerung des motorischen Ganglienzellkörpers als solche nicht auf den zugehörigen Nerven erstreckt. Die Fähigkeit des in seiner Continuität gereizten Nerven, die Er- regung nach beiden Richtungen seines Verlaufes zu übermitteln, darf wohl heute als ausser Zweifel stehend betrachtet werden. Die Annahme der „doppelsinnigen Nervenleitung“ ist durch eine genügende Anzahl ein- wandsfreier Thatsachen gestützt. Ferner ist die entwiekelungsgeschichtliche, histologische und physiologische Einheitlichkeit des Neurons ebenfalls heute als gesichert zu betrachten. Die gegentheiligen Behauptungen von Apathy und Anderen haben nicht vermocht, die so ausserordentlich fruchtbare und durch zahllose Thatsachen begründete Vorstellung wankend zu machen, dass der Axencylinder des Nerven ein directer Ausläufer des Ganglienzellkörpers ist. Setzt man diese beiden Momente als gegeben voraus, so kann man über den Ablauf einer Erregung im Neuron bei Reizung des Nervenfortsatzes in seinem Verlauf folgende Erwägung anstellen. Ist die Erregbarkeit des Neurons in allen seinen Theilen die gleiche, so wird eine im Verlauf des Nervenfortsatzes entstehende Erregung sich nach beiden Seiten bis an die Grenzen des Neurons fortpflanzen und auch von der Ausgangsstelle her nach beiden Seiten hin wieder zu erlöschen beginnen, bis sie zuletzt auch an den Grenzen des Neurons erloschen ist. Stellt man sich aber vor, dass die Erregbarkeit des Neurons an einem Punkte, und zwar im Ganglienzellkörper, den anderen Theilen gegenüber enorm gesteigert ist, so wird eine schwache, von irgend einem Punkte im Verlauf des Nervenfortsatzes ausgehende Er- regung im Ganglienzellkörper plötzlich eine sehr starke Erregung erzeugen, die sich nun ihrerseits wieder rückwärts über das ganze Neuron bis zur Nervenendausbreitung hin fortpflanzen müsste. Dieser Fall würde in dem oben beschriebenen Versuche eintreten, wenn die bekanntlich ganz enorme. Erregbarkeitssteigerung nach Strychninvergiftung in den motorischen Vorder- hornzellen localisirt wäre. Die Zuckungscurven des Muskels müssten dem- entsprechend bei Reizung des Nerven mit schwachen Inductionsöffnungs- schlägen nach Strychninvergiftung bedeutend höher werden, bezw. tetanischen Charakter annehmen, so wie sie im Lauf der Vergiftung höher werden und die Form der Tetanuscurven zeigen bei Fröschen, denen die hinteren Rücken- markswurzeln nicht durchschnitten sind. Da eine solche Veränderung der 26* 404 MAx VERWORN: Zuckungscurven bei Fröschen nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln als Folge von Strychninvergiftung nicht eintritt, obwohl directe Reizung des Rückenmarkes typische Strychninkrämpfe erzeugt, so müsste man annehmen, dass das Strychnin die Erregbarkeit der motorischen Vorderhornzellen nicht steigert, sondern dass es seine specifische Wirkung in anderen Elementen des Rückenmarkes entfaltet. Ich sehe vorläufig keinen triftigen Einwand gegen diese Deduction. Dennoch möchte ich in ihr allein auch noch keinen stichhaltigen Beweis dafür erblicken, dass die Strychninwirkung ihren Sitz in anderen Elementen des Rückenmarkes haben muss, als in den motorischen Zellen der Vorder- hörner. Bei unserer geringen Kenntniss von dem physiologischen Geschehen im Neuron können auch hier noch Verhältnisse im Spiele sein, die vorläufig noch gänzlich unabsehbar sind. Deshalb wiederhole ich nochmals mein im Eingang dieses Abschnittes bereits abgelegtes Geständniss, dass ich eine wirklich einwandsfreie Antwort auf die Frage nach der histologischen Locali- sation der Strychninwirkung im Rückenmark auch nach meinen Versuchen noch nicht zu geben vermag. Vielleicht führt ein dritter Weg, den ich noch nicht beschritten habe, nämlich die Vergleichung der histologischen Elemente des Rückenmarkes bei normalen und vergifteten Fröschen, deren hintere Wurzeln durch- schnitten sind, nach einer der charakteristischen Färbemethoden zu besseren Aufschlüssen über die interessante Frage. III. Die Ursachen der Rückenmarkslähmuns. 1. Die Wirkung des Strycehnins auf die Herzthätigkeit. So oft und eingehend die centralen Wirkungen des Strychnins unter- sucht worden sind, so wenig scheint man seiner Wirkung auf die Herz- thätigkeit Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Mir sind nur gelegentliche Bemerkungen in der Litteratur darüber bekannt geworden, dass bei Fröschen, die mit Stryehnin vergiftet und Wochen lang am Leben erhalten wurden, das Herz zwar schwach aber regelmässig schlug. Ich selbst wurde auf die Wirkung des Strychnins auf die Herzthätigkeit auch erst aufmerksam da- durch, dass ich im Anschluss an die im Abschnitt II beschriebenen Ver- suche nach Beendigung jedes einzelnen Experimentes stets die Section des vergifteten Thieres zu machen pflegte. Dabei fiel mir auf, dass bei Thieren, die mit grösseren Dosen vergiftet worden waren, einige Zeit nach dem voll- ständigen Erlöschen der Reflexerregbarkeit das Herz stets in Diastole still stand. Ich verfolgte daher speciell die Entwiekelung dieses diastolischen Stillstandes nach stärkerer Vergiftung und fand Folgendes. Zur KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN \VIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 405 Wenn man einen in RKückenlage befestigten Frosch nach Blosslegung des Herzens mit einer grösseren Strychningabe vergiftet, so bleibt der Herz- schlag vor dem Ausbruch der Krämpfe noch unverändert. Das Herz schlägt je nach der Umgebungstemperatur etwa 1 bis 2 Mal in der Secunde. Mit dem Eintritt der Krämpfe hört zunächst auch die Athmung auf. Es er- tolgen zwar in den Pausen” zwischen den Krämpfen Anfangs noch die rhythmischen Kehlbewegungen, aber es wird keine eigentliche Athem- bewegung, d. h. kein Einpressen von Luft in die Lungen mehr aus- geführt. Das Herz zeigt während eines Krampfanfalles Anfangs nur hin und wieder eine schwache und schnell vorübergehende Unregelmässigkeit seines Schlagrhythmus. Bald aber bemerkt man, dass der Rhythmus ziemlich gleichmässig fortschreitend und unabhängig von den Krampf- anfällen eine Verlangsamung erfährt. Das ist schon häufig 5 bis 10 Minuten nach Ausbruch der ersten Krämpfe zu beobachten. Dabei bleibt die Form der Bewegung zunächst noch im Wesentlichen normal. Allmählich indessen macht sich auch in dieser Beziehung eine Veränderung bemerkbar. Die systolische Contraction der Ventrikelmuseulatur wird immer weniger voll- ständig, so dass die Triebkraft des Herzens immer mehr abnimmt. Gleich- zeitig wird die Systole zeitlich mehr in die Länge gezogen. Diese Ver- änderungen nehmen immer mehr zu, und zwar verschieden schnell, je nach der individuellen Beschaffenheit des Thieres und der Grösse der Giftgabe. Es entstehen bald grosse diastolische Pausen zwischen den einzelnen Herz- schlägen, in denen das Herz vollkommen ruhig, sehr gross und mit dunklem Blut gefüllt erscheint. Diese diastolischen Pausen werden immer länger, die einzelne Bewegung des Herzens an sich wird immer träger und die einzelne Systole immer flacher und weniger ergiebig. Nach einiger Zeit zeigt das Herz nur alle 10 bis 20 Secunden einmal eine schwach zur Ent- wickelung kommende Systole, und schliesslich bleibt es dauernd in diasto- lischem Stillstand. Während der fortschreitenden Lähmung des Herzens macht sich bisweilen am einen oder anderen Thier zwischendurch wieder eine mehr oder weniger schnell vorübergehende Beschleunigung des Herz- schlages geltend. Indessen kann man im Wesentlichen einen gleichmässig fortschreitenden Verlauf der Herzlähmung verzeichnen. Macht es diese langsam sich entwickelnde Herzlähmung, die schliesslich zu dauerndem Stillstande führt, an sich schon unwahrscheinlich, dass sie auf eine Erregung des Vaguscentrums zurückzuführen sei, so habe ich doch, um völlige Sicherheit zu gewinnen, diese Möglichkeit gänzlich aus- schalten zu müssen geglaubt, denn es wäre ja immerhin denkbar gewesen, dass das Vaguscentrum durch das Strychnin andauernd ebenso erregt werden könnte, wie die Centra des Rückenmarkes. Allein die Herzlähmung ent- wickelt sich, wie ich fand, bei Fröschen, die nach Durchschneidung beider 406 Max VERWORN: Vagi mit grösseren Strychningaben vergiftet wurden, noch genau ebenso wie bei normalen Thieren. Es ergiebt sich daraus also unzweifel- haft, dass durch grössere Strychnindosen das Herz selbst ge- lähmt wird. Dass übrigens die Lähmung des Herzens auch nicht etwa secundär durch die übermässige Anstrengung der Körpermusculatur verursacht sein kann, geht ohne Weiteres aus der Thatsache hervor, dass Frösche, die mit schwachen Strychnindosen vergiftet sind, trotz der viel stärkeren und an- dauernden Krämpfe niemals eine vollständige Herzlähmung zeigen. Es kann demnach wohl nicht zweifelhaft sein, dass die Herzlähmung eine specifische Strychninwirkung ist. 2. Asphyxie als Ursache der centralen Lähmung. Nach der Feststellung der lähmenden Wirkung auf’s Herz musste der Verdacht auftauchen, dass die centralen Lähmungserscheinungen, welche nach grösseren Strychningaben früher oder später auftreten, mit der Herz- lähmung in ursächlichem Zusammenhang stehen. Es musste jedenfalls die naheliegende Möglichkeit geprüft werden, dass die centrale Lähmung keine directe und speeifische Strychninwirkung ist, sondern lediglich durch die in Folge der Herzlähmung entstehende Asphyxie hervorgerufen wird. Ich habe zu diesem Zwecke die oben im Abschnitt II geschilderten Versuche in der Weise wiederholt, dass ich die Frösche auf der Rücken- seite fixirte und das Herz ohne Blutverlust freilegte, um gleichzeitig das Verhalten des Rückenmarkes und des Herzens beobachten zu können. Bei dieser Anordnung der Versuche stellte sich in der That ein weitgehender Parallelismus zwischen Herzlähmung und Rückenmarkslähmung heraus. Es zeigte sich, dass die Rückenmarksläihmung um so später eintrat, je langsamer die Herzlähmung sich entwickelte, und umgekehrt um so früher, je schneller das Herz völlig stillstand. Dabei machten sich die Lähmungs- erscheinungen im Rückenmark immer erst bedeutend später bemerkbar, als Lähmungserscheinungen am Herzen. Gelangte das Herz sehr schnell, d. h. etwa 15 bis 20 Minuten nach der Vergiftung zum völligen Stillstand, so waren etwa eine Stunde nach der Vergiftung gewöhnlich auch die Reflexe vollständig erloschen. Zog sich die allmähliche Lähmung des Herzens über mehrere Stunden hin, so entwickelte sich auch die Lähmung des Rückenmarkes nur ganz allmählich im Laufe von mehreren Stunden. Im letzteren Falle, wenn das Stadium der schwach ergiebigen Herzthätigkeit sich über lange Zeit ausdehnt, kann es vorkommen, dass die Reflexerregbarkeit des Rücken- markes, nachdem sich die charakteristischen Lähmungssymptome ebenfalls sehr langsam entwickelt haben, früher erlischt, als das Herz zum völligen Stillstand gelangt ist. Man könnte daran denken, diese Thatsache spräche ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 407 dafür, dass die Lähmung des Centralorganes sich als specifische Giftwirkung auch unabhängig von der Herzlähmung entwickelt. Indessen erklärt sich die Erscheinung sehr einfach daraus, dass in diesen Fällen das Herz lange Zeit so ungenügend und unergiebie schlägt, dass das Rückenmark seine Erregbarkeit auf die Dauer dabei nicht bewahren kann. In der That zeigt sich in diesen Fällen immer ein andauernd sehr langsamer Herz- schlag, dessen systolische Contractionen von langen diastolischen Pausen abgelöst werden und so langsam und oberflächlich verlaufen, dass jede Systole den Geweben nur einen höchst dürftigen Blutstrom zuführen kann, der dann während der langen diastolischen Pause wieder völlig stagnirt. Zum Vergleich für diese Versuche habe ich Fröschen gleicher Grösse bei gleicher Temperatur das Herz unterbunden und dabei gefunden, dass bei ihnen stets innerhalb einer Zeit von 45 bis 60 Minuten nach der Unter- bindung die Retlexerregbarkeit erlischt. Diese Zeit entspricht fast genau der Zeit, welche die Entwickelung der Rückenmarkslähmung bei solchen Stryehninfröschen braucht, bei denen das Herz sehr bald nach der Ver- giftung zum Stillstand gelangt. Es mag vielleicht bei Strychninfröschen das Erlöschen der Reflexerregbarkeit durchschnittlich etwas früher eintreten, allein das würde aus der gewaltigen Ermüdung durch den voraufgehenden Krampf durchaus verständlich sein. Um indessen völlig sicher den causalen Zusammenhang zwischen Herz- lähmung und Rückenmarkslähmung erweisen zu können, habe ich noch ein anderes Moment benutzt. Wenn man bei Strychninfröschen, deren Herz bereits so stark gelähmt ist, dass nur etwa alle 10 bis 15 Secunden eine schwache Systole erfolgt, eine Canüle in den Kehlkopf einführt und mittels eines kleinen Gummi- blasebalges künstliche Athmung macht, so sieht man, falls die Strychnin- gabe nieht zu gross war und ihre herzlähmende Wirkung zu schnell und intensiv entfaltet hat, sehr häufig, dass das Herz wieder anfängt, schneller und ergiebiger zu schlagen. Ich habe sehr oft die Schlagfolge des Herzens von 6 bis 4 Schlägen auf 20 bis 25 Schläge in der Minute steigen sehen. Wie diese anregende Wirkung der künstlichen Athmung auf die Herz- thätigkeit zu Stande kommt, habe ich vorläufig nicht näher untersucht, Aus der Thatsache, dass bisweilen die Beschleunigung der Herzbewegung schon unmittelbar nach der ersten künstlichen Inspiration auftritt, scheint mir aber hervorzugehen, dass es sich hier nicht um die Wirkung einer grösseren Zufuhr von Sauerstoff zum Blut handeln kann, sondern wahr- scheinlich um die Wirkung einer mechanischen Reizung, die dem Herzen direet oder auf nervösem Wege Erregungsimpulse zuführt. Mag dem aber sein wie ihm wolle, es kommt hier nur die Thatsache in Betracht, dass auf diese Weise die schon stark ermattete Herzthätigkeit wieder ausserordentlich 408 MAx VERWORN: gehoben werden kann und auch ziemlich lange Zeit gesteigert bleibt. Schliesslich kann freilich auch die künstliche Athmung die völlige Lähmung des Herzens nicht mehr verhindern. Wenn es daher richtig ist, dass die Lähmung der nervösen Centra, die nach stärkerer Strychninvergiftung ein- tritt, eine Folge der ungenügenden Herzthätigkeit ist, dann müssen die Lähmungserscheinungen durch Anregung der Herzbewegung in entsprechen- dem Maasse wieder rückgängig gemacht werden können. Das ist in der That in weitgehendem Umfange der Fall. Ich habe eine Versuchsreihe ausgeführt, bei der wiederum als dauernder Indieator für den Zustand des Centralorganes, der Gastrocnemius durch Narkose des Ischiadieus vom Krampf und durch Unterbindung der Schenkel- arterie von der Vergiftung ausgespart und mit einer graphischen Vorrichtung verbunden wurde. Das Herz war vorher an dem auf dem Rücken be- festigten Frosch blossgelegt worden, so dass seine Thätigkeit dauernd einen Vergleich mit dem Zustande des ÖCentrums gestattete. Dann wurde das Thier mit einer grösseren Dosis Strychnin vergiftet. Ich gebe im Folgen- den aus meinen Notizen die ausführlichen Protocolle zweier Versuche. Versuch A. 24 56° Narkose des linken Ischiadieus. Herz schlägt genau jede Secunde. 93h 58° Stryehnin-Injeetion 0.015 8m, an Krämpfe. Athmung hört auf. Kehlbewegungen in den Pausen zwischen den Krampfanfällen. Lungen sind collabirt. 3b 4’ Keine Kehlbewegungen mehr. Herz beginnt etwas langsamer zu schlagen. Krampfanfälle allmählich schwächer. 3b 10’ Herz schlägt nur noch alle 4 Secunden einmal. 3" 12° Am Körper nur noch kurze, schwache Einzelzuckungen der Museu- latur. Narkose des Ischiadieus unterbrochen. Tetanische Krämpfe im Gastrocnemius. Narkose wieder erneuert. 3b 20° Herz schlägt nur noch alle 6 Secunden; Systole unvollkommen und wenig ergiebig. 3b 25° Herz schlägt alle 7 Secunden. Reflexzuckungen im Körper bei Berührung der Haut schnell ermüdend. 3b 40° Herz schlägt alle 7 Secunden sehr schwach. Narkose unterbrochen. Keine spontanen Zuckungen mehr im Gastrocnemius. Reflexerreg- barkeit dagegen noch erhalten, aber von der gleichen Hautstelle her schnell ermüdend. Herz schlägt alle 7 Seeunden, sehr schwache Systole. 4h Herz schlägt wieder alle 6 Secunden, aber sehr schwach. 4" 25’ Zustand noch ebenso. 4" 40’ Herz schlägt alle 8 Seeunden schwach. Von den hinteren Extremi- täten sind keine Reflexe mehr zu erzielen. Vom übrigen Körper immer nur je eine Zuckung von jeder Stelle her. 4b 48° Herz schlägt alle 11 Secunden. Von den Armen immer noch je ein Reflex auf Gastrocnemius. Zur KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 409 AUSFEER 5b 15° 5h 30° bien’ Herz schlägt alle 12 bis 14 Secunden. Reflexerregbarkeit vollständig erloschen. Künstliche Athmung. Herz beginnt wieder etwas schneller und kräftiger zu schlagen. Herz schlägt wieder alle 4 Secunden. Reflexerregbarkeit für Berührung der Arme kehrt zurück; aber stets nur ein Reflex, dann längere Pause, während der auch von anderen Haut- stellen her kein Reflex zu erzielen ist. Herz schlägt alle 3 Seeunden. Reflexermüdbarkeit bei Be- rührung der Arme nimmt ab. Pausen zwischen den ein- zelnen Reflexzuckungen werden kürzer. Bei Berührung jeder Hautstelle der Arme und Brust je eine Reflexzuckung, aber immer nur je eine. Herz schlägt alle 3 Secunden. Reflexerregbarkeit für Be- rührung der hinteren Extremitäten kehrt wieder zurück. Herz schlägt alle 3 Secunden. Reflexe prompt von allen Extremitäten her, aber nur stets je eine Zuckung von jeder Hautstelle aus. Zur Wiederherstellung der Erregbarkeit von der- selben Hautstelle her sind nur 5 bis 6 Secunden erforderlich. Herz schlägt noch alle 3 Secunden. Künstliche Athmung wieder unterbrochen. Herz schlägt alle 5 Secunden. Reflexerregbarkeit nimmt wieder ab. Stets nur ein einziger Reflex, dann längere Pause, während der von keiner Hautpartie Reflexe zu erzielen sind. Herz schlägt alle 9 bis 12 Secunden. Reflexerregbarkeit wieder vollständig erloschen. Dieser Versuch zeigt, dass selbst 20 Minuten nach völligem Erlöschen der Reflexerregbarkeit durch Anregung der Herzthätigkeit die Reflexe all- mählich mehr und mehr wieder hergestellt werden können, um nach er- neuter Verlangsamung der Herzthätigkeit wieder zu verschwinden. Ebenso können auch im Beginn der Lähmung des Rückenmarkes die ersten Lähmungssymptome wieder beseitigt werden durch Anregung der Herzthätigkeit. Das zeigt 108 44’ 102 45° 106 48’ 102°50° 10% 55° rn Versuch B. Narkose des linken Ischiadieus. Herz schlägt öfter als jede Seeunde. Stryehnin-Injeetion 0-015 8m, Krämpfe. Athembewegungen hören auf. Nur in den Pausen noch Kehlbewegungen, die auch bald erlöschen. Im Körper nur noch kurze Einzelzuckungen der gesammten Museu- latur. Herz schlägt jede Secunde. Narkose des Ischiadieus unterbrochen. Starke tetanische Krämpfe im Gastroenemius. Narkose wieder erneuert. Herz schlägt etwas langsamer als jede Secunde. Systole nicht mehr vollständig. Im Körper nur noch je eine kurze, schwache Reflex- zuckung bei Berührung verschiedener Hautstellen (Lähmung der motorischen Nervenendorgane). 410 Max VERWORN: 11° 3° Reflexe im Körper (soweit er der Giftwirkung ausgesetzt ist) er- loschen. Narkose unterbrochen. Spontane tetanische Krämpfe und Einzelzuekungen im Gastroenemius. Narkose wieder erneuert. 11" 9° Herz schlägt nur noch alle 8 bis 9 Secunden, schwache und lang- same Systole. 11" 11° Herz zeigt nur nach 1 bis 1-5 Minuten langen diastolisechen Pausen eine schwache Systole. 11" 14° Narkose aufgehoben. Im Gastroenemius noch spontane tetanische Krampfanfälle. Narkose wieder erneuert. 11" 22° Herzstillstand. Narkose aufgehoben. Im Gastroenemius nur noch durch Berührung der Haut reflectorische Einzel- zuckungen zu erzielen, keine tetanischen Krämpfe mehr. Künstliche Athmung. 11" 26° Herz beginnt plötzlich wieder alle 3 Seeunden zu schlagen. Systole ziemlich schnell und ergiebig. 11" 29° Herz schlägt trotz künstlicher Athmung nur alle 5 Seeunden. 11% 35° Herz schlägt alle 3 bis 4 Secunden, systolische Phase wieder etwas schneller. Die Reflexe im Gastrocnemius werden heftiger, es folgen sich bei jeder Berührung der Haui 3 bis 4 Zuckungen schnell hinter einander. 11" 43° Herz schlägt alle 4 bis 5 Seeunden. Im Gastroenemius treten wieder Krämpfe von tetanischer Natur auf bei jeder Be- rührung der Haut. Künstliche Athmung wieder unterbrochen. 11" 45° Herz schlägt alle 5 bis 6 Seeunden. Systole wird wieder schwächer. Im Gastroenemius sind durch Hautreize nur noch Einzelzuckungen zu erzielen. Der weitere Verlauf des Versuches braucht im Hinblick auf Versuch A nicht mehr verzeichnet zu werden. Der bisherige Verlauf zeigt also, dass zu einer Zeit, wo in dem unermüdeten Gastrocnemius durch Berührungen des Thieres nur noch Einzelzuckungen reflectorisch ausgelöst werden können, nach Anregung der verlangsamten Herzbewegung wieder von Neuem teta- nische Reflexkrämpfe hervorzurufer sind. Es ist nicht nöthig, noch weitere Einzelfälle zu schildern. Aus den angeführten Thatsachen geht schon mit genügender Sicherheit hervor, dass die nach stärkerer Strychninvergiftung auftretende Läh- mung der nervösen Öentralorgane eine Folge der durch die Herzlähmung verursachten Asphyxie ist und daher durch künst- liche Anregung der Herzthätigkeit wieder in entsprechendem Maasse rückgängig gemacht werden kann. Man könnte freilich die Wirkung der neubelebten Herzthätigkeit auch aus einem anderen Gesichtspunkte zu erklären versuchen. Man könnte sagen, dass der Blutstrom, der dabei von Neuem das Rückenmark durch- fliesst, das Strychnin aus dem Rückenmark herausspült. Dann würde die frühere Vorstellung, dass das Strychnin selbst direct die Rückenmarks- ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 411 elemente lähmt, durch die oben mitgetheilten Versuche nicht völlig beseitigt sein. Allein dieser Einwand wird hinfällig durch die Ueberlegung, dass ja der Blutstrom gerade der Träger des Strychnins ist und dem Rückenmark in keinem Falle dieses Gift entziehen könnte. Bei der grossen Dosis von Stryehnin, welche dem Thiere in Lösung einverleibt ist, muss das Blut von dem Gifte ganz beträchtliche Mengen enthalten, kann also höchstens dem Rückenmark noch mehr davon zuführen, zum Mindesten jedenfalls nichts aus dem Rückenmark herausspülen. Es kann also kein Zweifel bestehen, dass die Lähmung des Central- nervensystemes, die nach Einverleibung von grösseren Strychnindosen bei Fröschen ausnahmslos auftritt, lediglich eine asphyktische ist, was ja auch mit dem zeitlichen Auftreten der Lähmung vollkommen übereinstimmt. Ob das Strychnin überhaupt im Stande ist, bei Einführung sehr grosser Dosen an sich direct eine specifische lähmende Wirkung im Rücken- mark zu entfalten, muss demnach mindestens höchst zweifelhaft erscheinen. Diese Frage liesse sich überhaupt nur schwer experimentell sicher beant- worten, denn es müsste dazu im Frosche auf lange Zeit eine künstliche Cireulation unterhalten werden, die völlig den Verhältnissen der normalen Cireulation gerecht wird. Indessen ist es im Hinblick auf die Thatsache, dass Frösche bei einer Dosirung, die das Herz und die peripheren Nerven- endorgane nicht vollständig lähmt, Wochen lang unter schweren Ver- giftungssymptomen am Leben bleiben und bis zur völligen Wiederher- stellung eine gesteigerte Reflexerreebarkeit zeigen, höchst unwahrscheinlich, dass das Strychnin überhaupt eine directe Lähmung des Rückenmarkes herbeizuführen vermag. 3. Zur Theorie der Vorgänge im Rückenmark. Das Ergebniss der hier geschilderten Untersuchung über die Ursache der Rückenmarkslähmung bei starker Strychninvergiftung liefert den Schlüssel zum Verständniss der scheinbar so paradoxen Thatsache, dass die Reflex- erregbarkeit bis zu ihrem völligen Erlöschen dauernd enorm gesteigert ist und vom Beginn der Vergiftung an bis zur letzten Reflexzuckung keine bemerkens- werthe Abnahme zeigt. Ich habe bereits oben (S. 395 u. 396) bei Feststellung dieser Thatsache darauf hingewiesen, dass aus dem ganzen Symptomenbilde bei Entwickelung der Rückenmarkslähmung hervorgeht, dass hier zwei Processe im Rückenmark mit einander interferiren, einerseits eine Erregung, andererseits eine Lähmung. Es ist jetzt klar, wie beide entstehen. Beide haben verschiedene Ursachen. Die enorme Steigerung der Erregbarkeit ist die specifische Wirkung des Strychnins; die Lähmung hat ihre Ursache in der durch Herzlähmung entstehenden Asphyxie. Aus der Interferenz dieser 412 MAX VERWORN: beiden Momente entsteht der eigenartige Symptomencomplex, der oben ge- schildert wurde. Gerade hierin liegt das physiologische Interesse dieser Er- scheinungen, denn es ist meines Wissens bisher kein Fall bekannt geworden, der in so prägnanter Weise die Interferenz von zwei so specifischen und in gewissem Sinne geradezu antagonistischen Vorgängen im Oentralnervensystem zum Ausdruck bringt, wie dieser. Die bisher noch wenig methodisch be- arbeitete Frage nach der Interferenz von verschiedenen Reizwirkungen im Centralnervensystem erhält dadurch einen Beitrag, der auch für die Theorie der Vorgänge in den Neuronen nicht ohne Interesse ist, denn die specifischen Wirkungen beider Ursachen sind bekannt und lassen sich in ihren Wechsel- beziehungen aus den Symptomen mit grosser Schärfe verfolgen. Es ist die specifische Wirkung des Strychnins, die Erregbarkeit ge- wisser Rückenmarkselemente ausserordentlich zu steigern, d. h. die Zersetz- lichkeit ihrer lebendigen Substanz zu erhöhen. Stellt man sich auf den Standpunkt der besonders von Hermann und Pflüger entwickelten Vor- stellung, dass im Mittelpunkt des physiologischen Geschehens in der lebendigen Zelle der Zerfall und die Bildung sehr labiler chemischer Ver- bindungen steht, so steigert das Strychnin die Labilität der Biogenmolecüle und erhöht die Neigung zur Umlagerung ihrer Atome, Auf der anderen Seite wissen wir auf Grund bekannter Thatsachen, dass die Erregbarkeit, d. h. die Zersetzlichkeit der lebendigen Substanz, abhängig ist von der Ein- führung des Sauerstoffes, dass sie nur ermöglicht wird durch die Aufnahme von Sauerstoff, und herabsinkt bei Ausschluss desselben. Im Anschluss an die Pflüger’sche Vorstellung hat man die Ursache für die Labilität der Biogenmolecüle in der chemischen Einfügung der Sauerstoffatome in das Molecül selbst zu suchen. Die Biogenmolecüle gewinnen erst ihre labile Constitution durch die Einfügung von Sauerstoffatomen und die Möglichkeit der Kohlensäurebildung. Wird also, wie das bei der Strychninlähmung der Fall ist, die Sauerstoffzufuhr zu den Elementen des Rückenmarkes allmäh- lich mehr und mehr beschränkt, so wird die Bildung labiler Molecüle immer geringeren Umfang annehmen und immer langsamer erfolgen, bis schliesslich aller noch am Orte vorhandener Sauerstoff verbraucht ist. Die- jenigen Biogenmolecüle, welche mit Hülfe des Sauerstoffes, dessen sie noch habhaft werden können, ihre labile Constitution gewinnen, werden aber unter der Wirkung des Strychnins stets auch einen ganz besonders hohen Grad der Labilität annehmen müssen. So ist es verständlich, dass, so lange überhaupt noch ein Biogenmolecül genügend Sauerstoff findet, um sich zu . oxydiren, dieses Molecül auch eine hochgradige Zersetzlichkeit besitzen muss, d. h. dass, so lange überhaupt noch Reflexerregbarkeit in den Neuronen des Rückenmarkes besteht, diese Erregbarkeit auch so gesteigert sein muss, wie sie eben unter dem Einfluss des Strychnins gesteigert wird. Auch die ZUR KENNTNISS DER PHYSIOLOGISCHEN WIRKUNGEN DES STRYCHNINS. 413 immer länger werdenden Pausen der Unerregbarkeit zwischen den einzelnen Reflexzuckungen während der Entwickelung der centralen Lähmung erklären sich ohne Weiteres auf Grund dieser Anschauungen, denn bei dem mehr und mehr zunehmenden Mangel an Sauerstoff im Rückenmark wird es immer länger dauern, bis die bei einer Reflexzuckung zerfallenen Biogenmolecüle wieder genügend Sauerstoffatome aufgenommen haben, um von Neuem ihre Labilität zu erlangen. Schliesslich ist auch die Thatsache verständlich, dass gegen den Eintritt der völligen Lähmung hin die Reflexzuckungen trotz des Ausschlusses der Ermüdung des Muskels immer niedriger werden, da ja je mehr der Sauerstoffmangel im Rückenmark zunimmt, um so weniger Molecüle in bestimmter Zeit ihre labile Constitution gewinnen können, was selbstverständlich die Wirksamkeit der motorischen Impulse von Seiten der erregten Zelle herabsetzen muss. Ist schliesslich der letzte Sauerstoff ver- braucht, so kann kein einziges Biogenmolecül mehr eine labile Constitution gewinnen und die Erregbarkeit ist trotz der Anwesenheit des Strychnins erloschen. Dass sie aber wieder hergestellt werden kann, wenn ihre Be- dingung, d. h. die Zufuhr von Sauerstoff wieder hergestellt wird, und dass sie sofort auch wieder die abnorme Höhe annimmt, die eben das Strychnin erzeugt, das zeigen die oben mitgetheilten Versuche, in denen die Circulation künstlich von Neuem angeregt wurde. Ich glaube behaupten zu dürfen, dass die hier entwickelte Theorie sich nicht nur als nothwendige Consequenz aus unseren allgemein physiologischen Vorstellungen und Erfahrungen vom Geschehen in der lebendigen Substanz ergiebt, sondern auch von diesem Boden aus ein Verständniss der eigenthüm- lichen Erscheinungen liefert, die sonst schwer zu erklären sein dürften. IV. Zusammenfassung. 1. Das Stryehnin lähmt in grösseren Dosen die motorischen Nervenendapparate im Muskel. 2. Das Strychnin lähmt selbst in den grössten Dosen nicht de die Muskelsubstanz selbst. 3. Bei stärkerer Vergiftung mit Strychnin entwickelt sich eine Lähmung des Centralnervensystemes, wobei die Reflex- erregbarkeit des Rückenmarkes bis zum Moment des völligen Erlöschens aller Reflexe dauernd enorm gesteigert bleibt, ob- wohl sich zwischen den einzelnen Reflexzuckungen immer länger werdende Pausen völliger Unerregbarkeit einstellen. Die Re- flexerregbarkeit erlischt zuerst für Reizung der hinteren Ex- tremitäten, später erst für Reizung der vorderen, 414 MAx VERWORN: ZUR KENNTNISS U. S. w. 4. Ueber die specielle Localisation der erregbarkeitssteigern- den Strychninwirkung in den Elementen des Rückenmarkes ist zur Zeit nichts Sicheres zu sagen. Es ist möglich, dass diese speeifische Stryehninwirkung sich nicht auf die motorischen Neurone der Vorderhörner erstreckt. 5. Das Strychnin lähmt in grösseren Dosen die Herzthätig- keit bis zum völligen diastolischen Stillstand des Herzens. Diese Wirkung beruht auf einer Lähmung des Herzens selbst. 6. Die Lähmung des Centralnervensystemes ist keine directe Wirkung des Strychnins, sondern eine Folge der durch die Herzlähmung entstehenden Asphyxie. 7. Der eigenthümliche Symptomencomplex bei der Ent- wickelung der Rückenmarkslähmung erklärt sich aus der Inter- ferenz zweier verschiedener Vorgänge in den Neuronen, aus der durch das Strychnin hervorgerufenen Erregbarkeitssteigerung und der dureh die Asphyxie erzeugten Lähmung. Die Riechkraft von Lösungen diflerenter Concentration. Von H. Zwaardemaker in Utrecht. Die Intensität des Geruches, welcher von einer riechenden Lösung her- vorgerufen wird, ist, ausser von der specifischen Riechkraft des Riechstoffes, sowohl von der Eigenart des Lösungsmittels, als von der Concentration der Lösung abhängig. Die beiden letztgenannten Momente bestimmen die Dichte der riechenden Partikelchen in der Athmungsluft. Es hat sich herausgestellt, dass die Intensität nicht ohne Weiteres dieser Dichte pro- portional ist, ja dass sogar öfters eine grössere Dichte weniger intensiven Geruch schafft, als eine geringere. Weil am Olfactometer diese Bedingungen vollkommen beherrscht werden können, so lohnt es sich, die Riechkraft einiger Lösungen desselben Körpers in verschiedenen Concentrationen zu messen und unter sich zu vergleichen. Das Princip dieser Methodik ist ungemein einfach. Eine kleine Serie poröser Cylinder, am bequemsten Magazineylinder,! werden mit Lösungen steigender Concentration imbibirt und für jeden der- selben die normale Reizschwelle bestimmt. Als solche betrachte ich, ein normales Geruchsorgan vorausgesetzt, den häufigst vorkommenden Werth, welcher noch gerade eine minimale, jedoch qualitativ deutbare Empfindung hervorruft. Ein gewöhnliches unbenütztes Kautschukrohr von 8" Jichter Weite beansprucht zur Schwelle eine Länge von 7 mm (der Verf. 1888, Griesbach 1898),” und man hat in einem solchen einfachen Riechmesser einen Anhaltspunkt, um zu jeder Zeit die Sinnesschärfe des Beobachters zu beurtheilen. Ausserdem ergeben die zwischen den Versuchen von Zeit zu Zeit aufgenommenen Athemflecken eine vollkommene Controle über die ! Physiologie des Geruches. Leipzig 1895. Bd. II. S. 302. Die Magazincylinder werden auf einem Stativ mit Schirm montirt. z ® Die mittlere Schwelle ist sowohl bei mir wie bei Griesbach 10””, der häufigst vertretene Werth jedoch 7 ==, 416 H. ZWAARDEMAKER: Beschaffenheit der Nasenhöhle Wenn man in der Weise vorgeht, ist man ziemlich sicher, unter sich vergleichbare Grössen zu bekommen, und wird es erlaubt sein, die gefundenen Schwellenwerthe einander gleich zu setzen. Wir haben diesen Versuch für Lösungen von Vanillin in Glycerin aus- geführt und fanden, zwar minimale, jedoch deutbare Empfindung des balsa- mischen Geruches des Vanillins für die Lösung 1:1000 bei 3 mu Oylinderlänge, ”» 9» „ 1: 750 „ l, „ i „9 „ 1221005 4, ED) ”» 9» ” 1a, 2 100 „ während die Lösung 1:50 fast gar keinen Geruch zeigte. Dieses Resultat überraschte mich sehr, denn es erscheint gar nicht fraglich, dass vom Cylinder mit concentrirter Lösung mehr riechende Molecüle abgegeben werden, als vom Cylinder mit verdünnter Lösung. Das geht aus dem Adhäsionsgeruch, welcher nach Beendigung des Versuches am Innenröhrchen haften bleibt, hervor. Dieser ist, beim Cylinder mit 1 procent. Lösung imbibirt, weit kräftiger als beim Cylinder mit 1 pro mill. Lösung. Auch ist es nicht möglich, irgend welche magische Eigenschaft der porösen Thonerde verantwortlich zu stellen, denn man bekommt das gleiche Ergebniss an Riechmessern aus Löschpapier. Ueberhaupt macht die Art und Structur des porösen Behälters nicht viel aus, wie sich zeigen lässt, wenn man die Resultate an Cylindern aus sehr verschiedenem Porzellan und von differenter Herkunft unter sich vergleicht. Für Vanillin 1 pro mille in wässeriger Lösung fanden C. Reuter und ich im Jahre 1894 die normale Schwelle bei 4" und an einem anderen Cylinder für glyce- rinöse Lösung bei 3"", Letztgenannten Werth erhalte ich auch jetzt an einem Magazincylinder aus dem Jahre 1896, dessen Material weit poröser ist als jenes der Röhre aus den Jahren 1892 bis 1894. Der Grund dieses übereinstimmenden Verhaltens liegt meines Erachtens in der Thatsache, dass nicht nur die Poren von der Flüssigkeit angefüllt, sondern auch die Brücken zwischen den Poren von einer capillaren Schicht überzogen werden. Die Innenfläche erscheint in Folge dessen, wenn man hindurchsieht, gleich- mässig feucht. Nur dann wären Unterschiede in der Verdampfung zu erwarten, wenn bei weniger porösen Röhren der Riechstoff in der capillaren Schicht nicht schnell genug wieder angefüllt würde. Jedoch etwas Der- artiges wird nur bei ganz ungeeigneter Handhabung des Instrumentes ein- treffen können. Man wird sich über die hier vorliegenden Bedingungen orientiren können durch den nachfolgenden Versuch, in welchem die Reiz- schwellenbestimmung am ÖOlfactometer nicht mittels des Geruchssinnes, sondern des Gesichtssinnes stattfand. Die RiECHKRAFT VON LÖSUNGEN DIFFERENTER ÜONCENTRATION. 417 Wir eonstruirten uns einen Riechmesser, imbibirt mit einer 1 procent. Ammoniaklösung, und ahmten die natürlichen Aspirationen, wie sie beim Schnüffeln stattfinden, mit Hülfe einer Wasserstrahlpumpe nach. Ein T-Rohr diente sowohl zur Ablesung der Druckschwankung am Wasser- manometer, als zur Aufzeichnung derselben in üblicher Weise auf einem berussten Cylinder. Ich überzeugte mich, dass die Luftbewegung nahezu identisch war mit jener beim gewöhnlichen Riechen. So vorbereitet liessen wir jetzt die Luft statt durch die Nase durch einen kleinen Apparat ziehen, in welchem sie an einem Salzsäuretröpfchen vorbeistrich. Man spürt dann, sobald der poröse Cylinder etwas vorgeschoben ist, eine kleine Salmiakwolke, die vom Luftsfrom mitgeführt wird. Die olfactometrische Schwelle ist sicht- bar geworden! Hiermit soll natürlich nicht gesagt sein, dass die sichtbare Schwelle, nach Öylinderlängen gerechnet, gerade an derselben Stelle liegen würde, wie die Schwelle des Geruches,! jedoch besteht offenbar zwischen beiden eine gewisse Beziehung, welche unter den Bedingungen des Ver- suches als constant angenommen werden darf. Unsere sichtbare Schwelle wurde für die 1 procent. wässerige Ammoniaklösung bei 5 "m gefunden, und obgleich das Ammoniak eine ungemein flüchtige Substanz ist, behielt sie den gleichen Werth in 20 einander unmittelbar folgenden Versuchen Wenn man sich vergegenwärtigt, dass immer zwischen zwei Versuchen der Cylinder eingeschoben und das Innenrohr durch einen Luftstrom vom Salmiakdampf gereinigt wurde, so ist es klar, dass hier die gleichen Factoren anwesend waren, wie bei der gewöhnlichen Riechmessung. Weil die capillare Schicht an der Innenfläche des porösen Öylinders, wie die Gesichtsprobe zeigt, nach mehreren Aspirationen - factisch nicht nachweisbar an Riech- stoff einbüsst, darf man das Gleiche auch im Riechmesser für wahr- scheinlich halten.? ! Die Schwelle des Geruches befindet sich für eine 1procent. Ammoniaklösung zufällig an der gleichen Stelle, wie die sichtbare Schwelle. (Vgl. Physiologie des Ge- ruches. Leipzig 1895. 8. 107.) Sie entspricht einer Verdünnung von 0-24” Ammonia liquida pro Liter. Ein anderer Beobachter fand 0-32 ”® pro Liter. ° Für eine O-5procent. Ammoniaklösung lag ‚die sichtbare Schwelle bei 10m, In diesem Falle jedoch musste nach wiederholten Aspirationen die Cylinderlänge etwas vergrössert, zuletzt sogar auf das Doppelte gebracht werden. Es scheint also eine untere Grenze zu geben, unter welche man besser thut, mit der Concentration olfacto- metrischer Lösungen nicht herunter zu gehen, wenn man vermeiden will, die Hand- habung des Instrumentes zu umständlich zu machen. Offenbar hängt die Lage der Grenze von der Flüchtigkeit des gelösten Körpers ab. Sehr flüchtige Riechstoffe nehme man daher nicht in zu sehr verdünnter Lösung. Merkwürdiger Weise sind die eigent- lichen Parfüms im Allgemeinen nicht besonders flüchtig, und gilt dasselbe von den meisten Riechstoffen in der Natur. (Vgl. Physiologie des Geruches. Leipzig 1895. 3243 u. L.) Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 27 418 H. ZWAARDEMAKER: Die Ursache der Riechkraftabnahme mit steigender Concentration kann also nicht im Apparat als solchem gelegen sein; dafür soll die Dichte des Riechstoffes in der Aspirationsluft selber verantwortlich gemacht werden. Neben dem Vanillin möchte ich noch das Anethol als Beispiel an- führen, weil es ebenfalls eine nahezu rein olfactive Empfindung hervorruft. Die paraffinöse Lösung von Anethol in einer ÖOoncentration von 1 pro mille ergiebt als eizschwelle eine Cylinderlänge von 2-.5””, wie aus unzähl- baren Versuchen hervorgeht. Die Lösung 1:400 (mehr als I Proc. löst sich nicht) hingegen lässt bei 1" eine unbestimmte, etwas ätherische Empfin- dung spüren, bei 1-5" eine äusserst schwache, mehr oder weniger anisartige Empfindung, bei höheren Oylinderlängen wiederum undeutliche, qualitativ unbestimmte Empfindung. Anosmische geben dasselbe an, nur liegt dann die Stelle, wo man noch einen geringen Anisgeruch beobachtete, etwas höher. So fand z. B. eine in Riechmessungen sehr geübte Person, welche damals einen Olfactus = !/, zeigte, eine minimale, schnell vorübergehende, jedoch deutliche Empfindung bei 3""%, bei niedrigeren oder höheren Werthen fast; nichts. Von dem vollständig vorgeschobenen Cylinder erhält man einen schwachen, nicht definirbaren Geruch. Wenn man nach Aehnlichkeiten suchen wollte, würde man an irgend ein unbekanntes Aroma oder an ver- dünnten Spiritus denken, jedoch stimmt der wahrgenommene Geruch mit keinem von beiden überein und ist dazu unvergleichbar weniger intensiv. Offenbar hat man hier mit der von Passy! entdeckten Thatsache der verschiedenen Qualität des Geruches bei differenter Concentration zu thun. Der flüchtige Anisgeruch bei 1-5 "m lässt sich schwer erklären. Er kommt nur zu Stande, wenn man das Riechröhrchen ungefähr in die Mitte des Nasenloches hält, also nicht ganz in die vordere Hälfte, wie gewöhnlich. Man könnte sich die Sache so zurecht legen, dass eine gewisse Distanz zwischen Riechbahn und Riechschleimhaut in diesem Falle für das Riechen günstig wäre. Die Diffusion in die Riechspalte hinein würde dann die nicht gerade vortheilhafte Dichte der riechenden Partikelchen etwas mindern. Unmittelbar nachher jedoch ruft die grössere Anhäufung wieder ein Ueber- maass hervor und die vorübergehende Empfindung verschwindet ebenso schnell. In unserem letzteren Versuche kam das Anethol in fast gesättigter Lösung zur Verwendung. Man darf hieraus jedoch keineswegs folgern, dass gesättigte Lösungen immer an Riechkraft zurückstehen werden gegen etwas verdünnte. Alles hängt hier von der Eigenart des Riechstofies ab. So fand ich für Scatol in paraffinöser Lösung die Reizschwelle ıJ. Passy, Soc. de biologie. 5. November 1892. Dıe RIECHKRAFT VON LÖSUNGEN DIFFERENTER ÜONCENTRATION. 419 1:100000 auf mehrere Centimeter ” „ MM) 1: 10000 ” 3 mm „ ” „ 1:2000 „2-5 5; 1:1000 a AIR für eine Lösung ” ” „ während 1:500 ungefähr die grösste Concentration ist, in welcher der Körper sich in Paraffin löst. Meine Beobachtungen sind nicht zahlreich genug, um das bis jetzt Gefundene verallgemeinern zu wollen, um so weniger, weil auch das Lösungsmittel Einfluss übt. Vermuthungsweise könnte man sich vielleicht äussern, die Sache verhalte sich in der Weise, dass für jede Riechstofflösung ein Optimum der Concentration existirt, von dem an sich die Riechkraft sowohl nach oben als nach unten verringert. Mit Rücksicht auf diese Fragen sind genaue Schwellenbestimmungen erwünscht. Ich gab ihnen in den letzten Monaten grössere Präcision durch kleinere Verbesserungen am ÖOlfactometer, welche ich hier kurz beschreiben möchte. Dass bei den Messungen auch die gewöhnlichen, seit 1888 immer bewährt gefundenen Regeln (1. sorgfältiges Hineinpassen des Innenröhrchens in den olfactometrischen Oylinder,! 2. peinliche Reinigung mittels Luftstromes, bezw. Sandstromes,? 3. Einführung des zur Aspiration dienenden Innenröhr- chens in die vordere Hälfte des Nasenloches, 4. Protocollirung der Zimmer- temperatur) berücksichtigt wurden, ist selbstverständlich. Eine graphische Aufzeichnung der Aspiration ist nur in sehr vollständigen Versuchen erforder- lich, in welchem Falle man auch eine Controle wünscht über die zwischen dem Ausschieben und der Beobachtung vergehende Zeit. Um über diesen Punkt in’s Klare zu kommen, habe ich am Doppelolfactometer unseres Institutes, der ganz aus Metall gebaut ist, jederseits einen Stift anbringen lassen, welche man durcheine mit Ebonit isolirte Führungsstange der Scala entlang verschieben kann. Sobald der Magazincylinder anstösst, wird ein elektrischer Strom geschlossen, welchen man im Momente, wo die Versuchsperson eine Geruchs- empfindung bekommt, mittels Schlüssels oder Druckknopfes wieder öffnet. In den Ketten befindet sich ein (Pfeil’s) Signal, das unmittelbar über der Aspirationstrace auf der berussten Fläche des Registrircylinders schreibt. Durch diese Vorrichtungen erhält man unter Berücksichtigung einer chrono- skopischen Linie eine vollständige Graphik der physikalischen Bedingungen der Messung. Bei orientirenden Bestimmungen bedarf man dieses ziemlich umständlichen Armamentariums gewiss nicht. Fast dasselbe erreicht man, ı Wenn das Innenröhrchen nicht genau hineinpasst, kann man sich helfen, indem man an der Schirmseite des Magazincylinders eine sämischleJerne Verschlussplatte anbringt, die von einem einfachen Metallstreifen und zwei Schiebern kräftig angedrückt wird. Man fertigt sich die Verschlussplatte selbst an. Dazu wird in einem Sämischleder ein glattrandiges Loch von etwa 6 bis 7 == mit Hülfe eines Korkbohres ausgeschnitten. ? Onderzoekingen Physiol. Lab. Utrecht. 5.R. D1.1. Bl. 172. 21 420 H. ZWAARDEMAKER: wenn man sich zur Regel stellt, unmittelbar nach dem Ausschieben kurz zu aspiriren. Auch hierfür ist inzwischen der Stift der Führungsstange recht bequem, da man denselben erst an einem im Voraus gewählten Punkt ein- stellen kann und dann bei der Beobachtung selber ohne genaueres Zusehen aus freier Hand den Cylinder vorschiebt. Erscheint die Anwendung graphischer Methodik entbehrlich, unum- gänglich nothwendig, namentlich bei kräftig riechenden Lösungen, sind jedoch zwei andere leicht zu nehmende Maassnahmen, welche ich hier kurz erwähnen will. In erster Linie fanden regelmässig die Verlängerungsrohre Verwendung, die ursprünglich zu anderen Zwecken hergestellt wurden. Ein solches Ver- längerungsrohr besteht aus einem Kupferstück von $”"" lichter Weite, das mittels eines kleinen Bügels und eines Schiebers an der Vorderplatte des Magazincylinders befestigt wird. Ein Verlängerungsstück von 1°“ Länge eignet sich am besten.” Dadurch wird die von der Luft vor dem Eintritt in die Nasenhöhle durchzogene Strecke nur unbedeutend verlängert und der aus der Adhäsion des Riechstoffes an der vorderen Fläche des olfacto- metrischen Cylinders hervorgehenden Fehlerquelle vorgebeugt.? An zweiter Stelle kommen noch Correctionsröhrchen in Betracht. Die Masazincylinder, so bequem sie sind, haben den Nachtheil, vorn mit einem Korkrand und dazu noch mit einem Metallrand abzuschliessen. Das poröse Material reicht also nicht ganz bis zum vorderen Ende. In dieser Hinsicht sind die Messungen weniger genau als jene mit einfach eingetauchten, vorn glasirten Cylindern. Für gewöhnlich hat sowohl der Kork wie das Metall imm Dicke, wie man an der Scala des Olfactometers durch verschiedene Einstellung leicht ablesen kann. Dennoch kann man diese 2 m nicht ohne Weiteres vom Schwellenwerth abziehen, denn namentlich am Kork haftet mehr oder weniger vom Riechstoff (fast immer zu viel, um vernachlässigt zu werden). Weil die Abschätzung nicht leicht ist, ziehen wir es vor, den Kork zu verdecken. Wir bedienen uns zu diesem Zweck eines einschraub- baren kupfernen Verlängerungsrohres. Der massive, Theil desselben schliesst fest an die Vorderplatte an; nun wird ein Kupferrohr von 8" Jichter Weite so weit eingeschraubt, dass sowohl Metallrand wie Kork von dem ganz dünnen Metall überdeckt ist. Diese Vorrichtung arbeitet so genau, dass man auch ganz kurze Cylinderlängen, wie z. B. 1”, vollkommen richtig benützen kann. Grössere Strecken des porösen Materiales zu messen, ! Die Kupferstücke grösserer Länge dienen in Compensationsversuchen zur Aus- gleichung der verschiedenen Wegstrecken, welche die Aspirationsluft in den gegen einander aufgezogenen Riechmessern zu durchziehen hat. ?® Freie, vorn glasirte Porzellanröhren, wie in meiner Physiologie des Geruches, 8. 105, beschrieben wurde, bedürfen dieser Vorrichtung nicht. Die RıiecHKRAFT VON LÖSUNGEN DIFFERENTER CONCENTRATION. 421 bietet gar keine Schwierigkeiten und vielleicht wäre es auch erlaubt, noch unter 1" hinunter zu gehen. Hieran habe ich mich jedoch bis jetzt nicht gewagt, weil ich dann auch genöthigt worden wäre, die gläsernen Innen- röhrehen des Olfactometers mit ganz dünnen Metallröhrchen zu vertauschen und auch das ÜCorreetionsröhrchen entsprechend dünner hätte sein müssen. Die nachfoleenden Schwellenbestimmungen fanden unter den beschrie- benen Cautelen statt. Zwar möchte ich die Tabelle nur als eine vor- läufige betrachtet wissen, denn erstens ist die Zahl der Beobachtungen, auf welcher jede Ziffer beruht, zu klein gewesen und zweitens konnten aus äusseren Umständen die Messungen nicht immer bei 15° Ö. stattfinden, was nothwendig ist, weil bei höherer oder niederer Temperatur vielleicht die Beziehung zwischen Kautschuk und dem betreffenden Riechstoff sich geändert hat und in letzter Instanz sich das Resultat doch auf odori- metrische Vergleichung stützt. Dass ich mich nichtdestoweniger ent- schliesse, die Liste zu veröflentlichen,! geschieht aus praktischen Rücksichten, in der Ueberlegung, dass ein annähernder Werth doch immer besser ist als gar keiner. Auch erscheint es mir als ein Vortheil, dass die Auf- stellung einer Tabelle bereits an und für sich Veranlassung giebt zur schärferen Unterscheidung zwischen dem momentanen individuellen Werth und dem Normalwerth. Ersterer wechselt, letzterer soll eine Standard- zahl sein. | Werth der Normalolfactie Classe ‚ (für Kautschuk = 7") a Eucalyptol 1: 1000 | 3 mm Eugenol 1: 1000 (boss Anethol 1: 1000 | 25, II Vanillin 1: 1000 | 3 5 Cumarin 1: 1.000 000 | 3:5, (Jahre alter und dadurch etwas | abgeschwächter Cylinder) IV Vacat? V Aethylbisulfid 1: 100 000 A. (Jahre alter und dadurch vielleicht etwas abgeschwächter Cylinder) | VI Vacat | vu Capronsäure 1: 100 I VIII Vacat IX Scatol 1:10 000 BE ! In Physiologie des Geruches, 3. 301, befindet sich eine Tabelle für wässerige Lösungen. ? Trinitrobutyltoluol ist unlöslich sowohl in Glycerin wie in Paraffin, und kann also nur in wässeriger Lösung benutzt werden. Die Magazincylinder bieten jedoch 422 NH. ZWAARDEMAKER: DIE RIECHKRAFT VON LÖSUNGEN U. S. W. Ausser bei Vanillin, das in Glycerin gelöst wurde, diente flüssiges Paraffin in allen diesen Lösungen als ein geruchloses, vollkommen in- differentes Vehikel.! für wässerige Lösungen keinen Vortheil über die aus freier Hand geschobenen, vorn glasirten Porzellancylinder, die in der Physiologie des Geruches, S. 105, beschrieben worden sind. ! Wenn das flüssige Paraffin nicht völlig geruchlos ist, wird die einer Olfactie entsprechende Cylinderlänge etwas grösser ausfallen. Desgleichen, wenn Tabaksrauch an Schnurrbart oder Kleidern haftet. Bereits ohne dies zeigen Raucher, wie erwähnt, eine Herabsetzung bis zu ?/, der normalen Geruchsschärfe (abgeleitet aus den Beob- achtungen Griesbach’s an Blinden und Sehenden). Die Compensation von Geruchsempfindungen. Von H. Zwaardemaker in Utrecht, Die wichtige Controverse der Mischung und Verdrängung von Em- pfindungen ist vor Kurzem durch eine Arbeit des Psychologen G. Heymans! in ein neues Stadium eingetreten. Dieser Autor betont, wie ein Bewusst- seinsinhalt durch das gleichzeitige Gegebensein eines anderen Bewusstseins- inhaltes einen Intensitätsverlust erleidet und in Folge dessen auch die Reizschwelle durch Einführung einer störenden Nebenempfindung einer Erhöhung unterworfen ist. Namentlich Reize, die das nämliche Sinnesorgan in Anspruch nehmen, beeinflussen den Schwellenwerth in hohem Grade. Die Schwelle der Farbenempfindung wird erhöht durch gleichzeitige Reizung mit anderen Farben, die Schwelle der Geschmacksempfindung durch gleich- zeitiges Vorhandensein anderer Geschmacksstoffe und die Schwelle der Ton- empfindung durch gleichzeitig gehörte Geräusche. Die Thatsache an und für sich ist unbestreitbar, die quantitativen Verhältnisse jedoch sind weniger klar. Die in Anwendung gekommenen Farben waren keine Spectralfarben, die schmeckenden Substanzen grösstentheils Salzlösungen, welche Disso- ciationen unterworfen sind, und die Klänge und Geräusche verwickelter Natur. Ich halte es daher für angezeigt, die weit einfacheren Verhältnisse der Olfactometrie auszunutzen, um den ungemein fruchtbaren, von G. Hey- mans angeregten Gedanken einer Prüfung zu unterbreiten. Es ist ohne Weiteres klar, dass die Erhöhung der Reizschwelle durch sogenannte psychische Hemmung sich den bekannten, als Wettstreit und Compensation beschriebenen Erscheinungen anschliesst. Auf dem Gebiete des Gesichtssinnes spricht man von Wettstreit des Sehfeldes, von Helmholtz? „ein psychischer Act“, von Chauveau? eine gegenseitige Hemmung ge- ! G.Heymans, Untersuchungen über psych. Hemmung. Zeitschrift für Psych. und Physiol. der Sinnesorgane. Bd. XXI. 8. 321. ® Helmholtz, Physiol. Optik. 2. Aufl. 8. 921. ® Chauveau, Compt. rend. T. CXIII. p. 358 u. 439. 424 H. ZWAARDEMAKER: nannt, auf dem des Geruchssinnes haben Valentin,’ Aronsohn? Wett- kampf und ich? sowohl Wettstreite, als gegenseitige Schwächung und sogar völlige Compensation beschrieben. Ebenfalls hat W. A. Nagel? Combina- tionen gefunden, die sich nahezu compensirten, d. h. eine fast geruchlose Mischung ergaben. Beim Geschmacke haben P. Luchtmans,? Oehrwall® und Kiesow’ ähnliche Thatsachen zu Tage gefördert, und endlich fanden Czermak°® und Klug” Wettstreit und ich selber Compensation auch für Kälte- und Wärmeempfindungen. In allen diesen Fällen treten zwei Empfindungen entweder mit einander in Wettstreit, so dass bald die eine, bald die andere Sensation in den Vordergrund kommt, oder, wie es nament- lich bei nicht zu starken Reizen der Fall ist, beide Empfindungen heben sich gegenseitig auf. Diese Thatsache war bereits für Schopenhauer!® der Ausgangspunkt weitgehender Speculationen, und auch wir werden bei jedem tieferen Studium der Sinnesempfindung an sie anzuknüpfen haben. Die gegenseitige Verdrängung zweier Sinnesempfindungen wird nun in der Heymans’schen Abhandlung von einem neuen überraschenden Ge- sichtspunkt aus betrachtet, indem dieser Forscher sei es dem ersten, sei es dem zweiten Reiz ein geringes Uebergewicht giebt, so dass derselbe prä- ponderant wird und eine schwache Empfindung hervorruft, welche sich von einer Schwellenempfindung nicht unterscheidet. Wenn man versucht, die neue Heymans’sche Fragestellung auch in die Olfactometrie einzuführen, so werden manche technische Schwierigkeiten fühlbar, weil die Anforderungen strenger sind als bei einfachen Schwellen- bestimmungen. Als für gewöhnlich in Betracht kommende Regeln nannten wir in der kleinen Mittheilung über die Riechkraft von Lösungen differenter Concentration: 1. Sorgfältige Construction des Olfactometers in der Weise, dass der vollständig schliessende Magazincylinder!! genau um das Innenröhrchen herumpasst oder, wenn ungenügend, mit einer Verschlussplatte aus Sämisch- leder armirt ist. ı Valentin, Physiologie. 2. Aufl. Bd. II. 2. S. 292. 2 Aronsohn, Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. S. 321. ® Physiologie des Geruches. Leipzig 1895. S. 165. * W. A. Nagel, Zeitschr. f. Psych. u. Physiol. der Sinnesorgane. Bd. XV. 8. 101. 5 P.Luchtmans, Inaug.-Dissert. Leiden 1758. p. 51: „Hac enim via sapores mutantur, componuntur, exaltantur, debilitantur, ime saepe in totum destruuntur“. 6 Oehrwall, Skandinavisches Archiv für Physiologie. 1891. Bd. Il. 8.3. ” Kiesow, Wundt’s Philosophische Studien. Bd. XII. 8. 265. ® Czermak, Sitzungsber. der Wiener Akad. März 1855. S. 500. ® Klug, Arbeiten der physiol. Anstalt zu Leipzig. 1876. Bd. XI. 8. 175. 10 P, Schultz, Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 532. ıı Physiologie des Geruches. Leipzig 1895. Anhang I. S. 302. Die ÜOMPENSATION VON GERUCHSEMPFINDUNGEN. 425 2. Peinliche Reinigung des Innenröhrchens mittels Luftstromes, bezw. Sandstromes. ! 3. Einführung des zur Aspiration dienenden Ansatzstückes? in die vordere, nicht die hintere Hälfte des Nasenloches. 4. Graphische Aufzeichnung” des Aspirationsmodus! bei sehr präcisen Versuchen. 5. Protocollirung der Zimmertemperatur. (Der Feuchtigkeitszustand der Luft wurde bis jetzt vernachlässigt.) Ausserdem sind jetzt noch wenigstens vier andere Bedingungen zu erfüllen. A. Nennen wir zuerst, dass der von der aspirirten Luft zurückgelegte \Veg nothwendig in den beiden neben einander gestellten Riechmessern (lie gleiche Länge haben muss, sonst vertheilt sich die Luft in ungleicher (uantität über die beiden Messinstrumente, und die -riechenden Flächen werden in verschiedenem Maasse dem Luftstrom ausgesetzt. Man genügt dieser Forderung leicht, wenn man an das offene Ende des Magazineylinders ein fest anschliessendes Kupferstück von 8" Jichter Weite anbringt, dessen Länge so bemessen ist, dass dadurch die Differenz der Röhren nach dem Ausschieben der beiden Olfactometer ausgeglichen wird. Die Verlängerungs- stücke sollen daher schnell gewechselt werden können, was wir durch einfache Beseitigung mittels eines kleinen Bügels und Schiebers an der Vorderplatte des Magazincylinders erreichen. Wir halten deren von 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8°® vorräthig. Diese Einrichtung hat zugleich den Vortheil, dass einer öfters vorkommenden Fehlerquelle, der Adhäsion des Riechstoffes an der vorderen Fläche des olfactometrischen Cylinders, vorgebeugt wird. Zur Olfactienberechnung finden in vielen Fällen auch noch die früher beschriebenen Correctionsröhrehen Verwendung. Gerade die Magazincylinder bedürfen diese, weil sie, wie damals ausgeführt, mit einem Korkrand und einem Metallrand abschliessen und das poröse Material also nicht ganz bis vorn reicht. Das Correctionsröhrchen wird so weit eingeschraubt, dass so- wohl Metallrand wie Kork von ihm überdeckt sind. Dann kann man auch kurze Längen wie von z. B. 1””® richtig beurtheilen und wird eine Multi- plieation des gefundenen Olfactienwerthes ohne Weiteres erlaubt sein. So fanden wir z. B. für eine Scatollösung 1:1000 Paraffinum liquidum die Schwelle eines normalen Geruchsorganes bei 1", Der ganze Cylinder hatte ! Onderzoekingen physiol. Lab. Utrecht. 5. Reihe. Bd.1l. 8. 172. ® Dr. A. C. H. Moll in Arnheim liess zur klinischen Verwendung des Olfacto- meters auf Fuss kleine gläserne Ansatzstücke anfertigen, die dem zur Aspiration be- stimmten Ende des Innenrohres aufgesteckt werden. Es sind ganz kurze, unten etwas erweiterte Glasröhrchen, die man bequem auskochen kann. ® Physiologie des Geruches. Leipzig 1895. S. 199. * D’annee psychologique. 1898. p. 216. 426 - H. ZWAARDEMAKER: also in diesem Falle eine Intensität von 100 Normalolfactien.! Bei Cylinder- längen von mehreren Millimetern wird das Correctionsröhrchen natürlich fortgelassen, weil dann der genannte Fehler gar nicht in’s Gewicht fällt. B. Bei Compensationsversuchen und Schwellenbestimmungen nach G. Heymans wird ferner auch die zwischen Ausschieben und Beobachtung verlaufende Zeit nicht ganz ohne Einfluss sein. Bereits in der vorigen Abhandlung habe ich hierzu ein Öontrolmittel angegeben, das auf dem Schliessen eines elektrischen Contacts im Momente des Vorschiebens des olfactometrischen Cylinders beruht. In die Ketten ist ein Pfeil’sches Signal aufgenommen, das unmittelbar über der Aspirationscurve auf der .‚berussten Fläche des Registrircylinders schreibt. Am einfachsten ist es sowohl für den rechten wie für den linken Olfactometer, eine besondere Kette einzu- richten, wozu man freilich 2 Pfeil’scher Signale bedarf, wie zur Graphik des Aspirationsmodus 2 Marey’scher Kapseln. Man kann jedoch für die beiden Magazincylinder mit einem Signal auskommen, wenn man den Stift, an welchen der Cylinder beim Ausschieben anstösst, etwas anders construirt, so dass beim weiteren Vorschieben der Contact wieder abgebrochen wird. Die Zeitmessung kann auch bei letzterer Vorrichtung mit grosser Genauig- keit stattfinden, während ein und dasselbe Signal hinter einander das Vor- schieben des ersten Cylinders, jenes des zweiten Cylinders und den Zeit- punkt des Empfindens schreibt. Die chronoskopische Linie gab in unseren Versuchen entweder Zehntel oder Fünfundzwanzigstel einer Secunde an, was den Vortheil lieferte, auch die Reactionszeit unmittelbar ablesen zu können. C. Die Reactionszeit ist in den Compensationsversuchen ein ungemein wichtiger Factor, denn nicht so selten stellt sich heraus, dass der Wett- kampf abwechselt mit einer eigenthümlichen Art des Mischgeruches, in welchem erst die eine und dann die andere Qualität sich geltend macht. In diesem Falle wird die Reactionszeit das Ausschlag gebende Moment sein, wovon es abhängt, welche der beiden Empfindungen sich zuerst bemerkbar macht. Wenn ich z. B. im Doppelolfactometer auf der einen Seite Aethyl- bisulid und auf der anderen Seite Cumarin, beide in sehr verdünnten ! Es sei erlaubt, hier noch einmal hervor zu heben, dass ich unter Normalolfactie den für ein normales Riechorgan typischen Schwellenwerth verstehe, d. h. den statistisch häufigsten. Praktisch ist es nicht durehführbar, für eine grosse Anzahl Riechstoffe Mittelwerthe zu berechnen, während sich der häufisste Werth sehr leicht bestimmen lässt. Letzteren fand ich 1888 für Kautschuk bei 7 "=" Cylinderlänge, und zum gleichen Resultat kam in Pflüger’s Archiv. 1899. Bd. LXXV. 8.524 auch H. Griesbach. Die mittlere Schwelle ist in beiden Untersuchungsreihen 10”®. Raucher besitzen nur ?/, der typischen Geruchsschärfe. ° Wird auch abwechselnd mit Compensationen angetroffen, namentlich in Fällen, wo einem der Gerüche eine Tasteomponente anhaftet (z. B. Combinationen von Anethol mit Eugenol; letzterer Stoff reizt die Tast- und Temperaturendigungen recht deutlich). Die COMPENSATION VON GERUCHSEMPFINDUNGEN. 427 Lösungen und mit einem Reizwerthe von 5 Olfactien dem Einathmungs- strom aussetze, werde ich meistens einen Wettstreit wahrnehmen, und zwar der Art, dass ich bald den Allylgeruch des Aethylbisulfids, bald den Wald- meistergeruch des Cumarins verspüre. Gelegentlich rieche ich jedoch auch wohl erst Allyl und nachher Waldmeister, und man darf sich darüber nicht wundern. Ich finde nämlich in meinem Journal verzeichnet, dass in einem solchen Versuch die Reactionszeit, wenn im Wettstreit momentan Allyl die Oberhand hatte, 0.94 Secunden, und falls Waldmeister momentan überwog, 0.99 Secunden betrug." Unter solchen Umständen ist es vollkommen klar, dass der Allylgeruch zuerst und der Waldmeistergeruch erst später zur Wahr- nehmung kommen muss, wenn überhaupt beide Gerüche empfunden werden. D. Neben der Reactionszeit möchte ich endlich noch die Ermüdung als eine nicht zu unterschätzende Versuchsbedingung hinstellen. Gesetzt, man sucht Cumarin mit Scatol zu compensiren, so wird sich z. B. heraus- stellen, dass 20 Olfactien des einen mit 20 Olfactien des anderen Geruches, mittels T-Rohres am Doppelolfactometer gemischt, einen Wett- kampf hervorrufen. Vereinzelt jedoch spürt man auch beide Gerüche neben einander, und zwar Scatol zuerst. Woher rührt das? Nicht von dem Verhältniss der Reactionszeiten, denn der Unterschied ist zu un- bedeutend, sondern von der ungemein viel schnelleren Ermüdung des Sinnes für Cumaringeruch. Sie ist bereits bei der zweiten Aspiration be- merkbar, insofern, als die Reactionszeit um '/,, Seeunde länger erscheint, als bei der ersten Aspiration. Die Reactionszeit des Scatols hingegen bleibt während mehrerer Aspirationen constant. Es kann daher gar nicht be- fremden, dass, wenn wir etwas ermüdet beide Componenten neben einander wahrnehmen, der Seatolgeruch zuerst kommt und nachher der Waldmeister- geruch. Um dieser Complication sicher vorzubeugen und wirklichen Wett- streit zu erhalten, soll man immer mit völlig ausgeruhten Sinnesorganen arbeiten und sich beim Verzeichnen des Endergebnisses nur auf die ersten Aspirationen nach den Ruhepausen verlassen. Die längeren Zwischenzeiten zwischen den einzelnen Versuchen können ausgezeichnet benutzt werden, um die Innenröhrchen des Apparates mittels Luftstromes von möglicher Weise adhäririrenden Riechstoffpartikelchen zu befreien, wobei man natürlich der grossen Ungleichheit Rechnung zu tragen hat, welche in dieser Hinsicht unter den verschiedenen chemischen Körpern existirt. Man orien- tirt sich am leichtesten über diesen Punkt, wenn man sich die Oylinder- länge merkt, die nach einmaligem Aufschnüffeln noch einen gerade wahrnehmbaren Adhäsionsgeruch hinterlässt. Diese gefundene Cylinderlänge lässt sich ohne Weiteres mit der einer Olfactie vergleichen. Meistens über- In beiden Fällen im Mittel aus 7 Beobachtungen, die Zeit gerechnet vom Anfang der Aspiration bis zum Moment des Empfindens. 438 H. ZWAARDEMAKER!: trifft sie dieselbe um ein Mehrfaches und kann man die Adhäsion also dieser Fraction des Olfactienwerthes gleich setzen. Nur ganz vereinzelt ist sie so hochgradig, dass sie sich einer vollen Olfactie nähert. Ich kenne nur einen Riechstoff, das Vanillin, welcher sowohl an Metall- als Glaswänden so ungemein fest anhängt, dass sogar eine Cylinderlänge, die wenig länger ist, als jene einer Olfactie, bereits so viel Adhäsionsgeruch hergiebt, dass der nächst- folgenden Aspiration durch den eingeschobenen Olfactometer ein gewisser bal- samischer Duft nicht ganz abgesprochen werden kann. Man wird es also nicht unterlassen, besonders bei diesem und ähnlichen Riechstoffen die Reinigung des Olfactometers mittels Lufistromes mit peinlicher Sorgfalt vorzunehmen. Jeder Versuch soll hiermit anfangen, und es ist unumgänglich noth- wendig, sich vor der eigentlichen Beobachtung zu überzeugen, dass die völlige Geruchlosigkeit der Innenröhrchen auch wirklich erreicht ist. Bei weniger stark haftenden Gerüchen kann man sich mehr Freiheit erlauben, obgleich auch dann einem ausschlaggebenden Versuch eine Luftausspülung vorangegangen sein soll. Wenn man durch eine Reihe sorgfältiger Versuche ein bestimmtes Verhältniss ermittelt hat, wobei sich Compensation oder Wettstreit zeigt, so wird es möglich sein, einen der Reize ein wenig zu vergrössern oder zu verkleinern, ohne dass der Wettstreit ganz aufhört. Es wird eine gewisse Breite geben, innerhalb welcher noch Wettstreit möglich ist, wenn auch mit abnehmender Häufigkeit. Endlich wird man einen Punkt erreichen, wo immer der eine der Gerüche überwiegt. Dieser Punkt wird die von G. Heymans gesuchte erhöhte Schwelle sein. A priori ist es wahrschein- lich, dass die soeben genannte Breite, über die noch ein Wettstreit statt- finden kann, eine Function der Unterschiedsschwelle sein muss. Letztere ist nach Gamble! 25 bis 33 Procent des ursprünglichen Reizes, und ich habe mir die Frage vorgelegt, ob die bis jetzt gesammelten Beobachtungen irgend eine Beziehung zu den Gamble’schen Werthen aufweisen. Nun differirt jedoch die Breite der Wettstreite ungemein, je nachdem man mit schwachen oder mit starken Reizen arbeitet. Hat man mit schwachen Reizen zu thun, so ist schon eine geringe Verschiebung eines der beiden Riechmesser genügend, um die unbestimmte, undefinirbare Empfindung der völligen Compensation in eine der Componenten überzuführen. Dagegen muss bei dem Wettstreit intensiver Reize die Verschiebung, um dasselbe Resultat zu bekommen, ziemlich gross ausfallen, und manchmal erreicht sie dann die Unterschiedsschwelle. Vielleicht kommt im letzteren Falle das typische Verhalten zum Ausdruck und schafft im ersteren nur die an- gestrengte Aufmerksamkeit die grössere Empfindlichkeit. Es wäre doch !E. A. MeCulloch Gamble, The applicability of Weber’s law to smell. Amer. Journal of Psychol. 1898. Oct. Vol.X. Nr.1. DIE COMPENSATION VON (GERUCHSEMPFINDUNGEN. 429 denkbar, dass bereits das Lenken der Aufmerksamkeit nach einer Seite ausreiche, um aus der schwachen, undefinirbaren Empfindung eine der Componenten hervortreten zu lassen, während mit intensiven Reizen arbeitend sich eine ganze Menge Complicationen einschleichen, namentlich gegen den keinen Augenblick ganz geruchlosen Hintergrund fortwährend Abstumpfungen und Contraste sich geltend machen. Aus Zusammenstellungen, welche ich mit Vanillin 1: 1000 und Cumarin 1:1000000, beide in Paraffinum liquidum, vornahm, kann man schliessen, dass für CGompensationen, welche unter Reizen von 1 bis 7 Olfactien gegenseitig stattfinden,! die zulässige Breite ganz klein ist, für Wettstreite, welche bei 10 Olfactien jederseits anfangen und auch noch bei 20 Ölfactien angetroffen werden, die zulässige Breite auf circa 11 Procent berechnet werden kann. Mit höheren Werthen experimentirend, wird sie wahrscheinlich noch ansehnlicher werden und 25 Procent nahe kommen. Es ist selbsverständlich, wie die Wettstreitbreite zur Folge hat, dass nicht immer die gleiche Anzahl Olfactien gegen einander aufgewogen zu werden braucht. Man kann sich in dieser Hinsicht eine gewisse Freiheit erlauben, eine beschränkte, wenn man mit schwachen, eine grössere, wenn man mit intensiveren Reizen arbeitet. Dadurch entsteht eine scheinbare Regellosigkeit, die noch auffallender wird, wenn man keine Magazineylinder mit chemisch reinen Lösungen, sondern feste Riecheylinder aus Naturstoffen benutzt. Letztere bergen wahrscheinlich Compensationen in sich und es entstehen Zahlenverhältnisse, die wir nicht zu erklären im Stande sind. Obgleich man also theoretisch erwarten darf, dass, wenn p-Olfactien eines Stoffes durch q-Olfactien eines anderen compensirt werden, dies auch mit 2p und 2q, mit 3p und 3q der Fall sein wird, so trifft es in der Realität nicht immer zu, weil man, abgesehen von technischen Unvollkommenheiten, wie un- genaue Bestimmung von p und q, ungleiche Längen der Riechmesser u. s. w., statt mit einfachen mit zusammengesetzten Empfindungen arbeitet. Wie dem auch sei, jedenfalls haben sich mit Rücksicht auf gegenseitige Verdrängung Differenzen ergeben zwischen schwachen und intensiven Riech- reizen und es sei erlaubt, deswegen noch einige Daten mitzutheilen. Die Beispiele sind absichtlich unter Versuchen gewählt, welche sich auf Stoffe beziehen, für welche die gegen einander aufgewogenen Olfactienwerthe nicht allzu sehr aus einander liefen. Innerhalb der Wettstreitbreite bleibend, konnte daher meistens p= q genommen werden, was der Uebersichtlichkeit sehr förderlich ist. Wenn man die Gerüche von Aethylbisulid 1:100000 und von Cumarin 1:1000000, beide in paraffinärer Lösung zusammenfügt, so ergiebt sich Folgendes: ! Vielleicht unter Zurücklassung eines kleinen Restes eines unbestimmten bal- samischen Duftes. 430 H. ZWAARDEMAKER: a) Combinirung von !/, bis 1 Olfactie jederseits ruft am T-Rohr des Doppelolfactometers gar keine Empfindung hervor, was auch selbstverständ- lich ist, weil der Luftstrom sich über die beiden Apparate vertheilt und jedem also nur die Hälfte der Aspiration zukommt. b) Combinirung von 1!/, Olfactie Aethylbisulid mit 1!/, Olfactie Cumarin macht eine äusserst schwache, unbestimmte Empfindung, welche weder als Allyl, noch als Waldmeister gedeutet werden kann. c) Combinirung von 2, 2!/,, 5, 10, 20 Olfactien von jedem der beiden Gerüche schafft Wettstreit. Aehnliche Ergebnisse bekommt man bei der Zusammenfügung der Gerüche von Scatoi 1:10000 und Cumarin 1:1000000, beide ebenfalls in paraffinöser Lösung. Im diesem Falle ergeben 3, 4, 5, 10, 15, 18 Olfactien der beiden Gerüche, unter einander im T-Rohr gemischt, eine nicht weiter definirbare, ungemein schwache Empfindung, während die beiden Reize ge- sondert vollkommen deutlich, qualitativ definirbar empfunden werden. Die Combination von 20 Olfactien jedes Geruches ruft Wettstreit hervor. Das Gleiche fand ich bei Zusammenfügung der Gerüche von Capronsäure (Normal-) 1: 100 und Aethylbisulfid 1:100000, beide in paraffinöser Lösung. Zwei oder drei Olfactien gegenseitig aufgewogen, machen unbestimmten, maschinenartigen Geruch, während 10 Olfactien Wettstreit schaffen. Dasselbe endlich wurde bei einer Mischung von den Gerüchen. von Eucalyptol 1:1000 und Aethylbisulfid 1:100000, wieder in paraffinöser Lösung, beobachtet. 2 bis 5 Olfactien dieser Gerüche ergaben schwache, nicht weiter deutbare Empfindung, während mehr als 5 Olfactien Wettstreit zur Folge hatten. Also völlige Compensation bei Combinirung schwacher, Wettstreit bei Combinirung intensiver Reize. So habe ich es öfters angetroffen und möchte glauben, dass es Regel ist. Der Uebergang liegt jedoch verschieden hoch und manchmal wird er nicht einmal erreicht. So liefern die Gerüche von Anethol und Eucalyptol in Mengen von 3, 5, 10, 20 Olfactien immer Com- pensationen, und waren wir, wenn die Versuche aus technischen Gründen abgebrochen wurden, noch keinem wirklichen Wettstreit begegnet. Dennoch habe ich, obgleich a priori nicht unmöglich, keine Veranlassung, zu glauben, dass bis zur Reizhöhe nur Compensationen vorkommen. Umgekehrt haben Euealyptol und Vanillin fast nichts als Wettstreit oder die oben beschriebene Pseudomischung aufzuweisen, sogar bei Combinationen von nur 2 oder 3 Olfactien. Das Gesetzmässige in diesen Dingen, das unzweifelhaft existirt, blieb bis jetzt Angesichts der viel zu spärlichen Erfahrungen verborgen und ich muss mich daher leider beschränken, bloss auf eine Perspective hinzu- deuten. Sehr wahrscheinlich stösst man hier auf die Frage der specifischen Energien des Geruches, deren jeder Riechstoff vermuthlich mehrere gleich- DIE COMPENSATION VON GERUCHSEMPFINDUNGEN. 431 zeitig reizt. Vielleicht, dass man am Ende doch nicht wird vermeiden können, mehr als zwei Riechstoffe zu vermengen und mit derartigen Zu- sammenstellungen Reizschwellungsmessungen im Sinne G. Heymans’ aus- zuführen. Ich bin bestrebt, die Versuche in dieser Richtung auszudehnen. Was jedoch bereits jetzt zur Evidenz aus allen Versuchen hervorgeht, ist das merkwürdige, schon oft erörterte Ergebniss, dass rein olfactive Reize einander gegenseitig abschwächen können. Zur besseren Beleuchtung des- selben glaube ich indessen auch an dieser Stelle noch einmal die Thatsache betonen zu müssen, dass ebenfalls beim Wettstreit jeder der verwendeten Reize, wenn man ihn unmittelbar nach Beendigung des Versuches gesondert einwirken lässt, eine unendlich viel intensivere Empfindung hervorruft, als während des Wettstreites selbst. Man hat sich also vorzustellen, dass die gesondert stark empfundenen Reize bei gleichzeitiger Einwirkung sich gegen- seitig fast vollständig aufheben und nur der zufällige kleine, uncumpensirt bleibende Rest zur Wahrnehmung gelangt. Diese Betrachtungsweise steht in vollständigem Einklang mit der Heymans’schen Anschauung, und was wir als die aus dem Wettkampf hervorgehende Empfindung zu bezeichnen gewohnt sind, ist genau genommen die erhöhte Schwelle des oben genannten Autors. Von der Resultante mehrerer Factoren, die sich unter den Ver- suchsbedingungen geltend machen, hängt es ab, nach welcher Richtung diese Schwellenempfindung zum Bewusstsein kommt. Bald wird die eine, bald die andere Qualität die am meisten begünstigte sein. Die bisher beschriebenen Versuche fanden immer mit schwachen Lösungen, deren Intensität selten über 20, nie über 100 Olfactien hinaus- ging, statt, denn die Chancen, mit möglichst einfachen Sensationen zu arbeiten, schienen uns dabei die grössten zu sein. Ungemein complieirt werden die Verhältnisse, wenn man auch concentrirte Riechstofflösungen in den Kreis der Versuche zieht. Davon möchte ich also vorläufig absehen, ebenso wie von den wirklichen Mischgerüchen, welche entstehen können, wenn man verwandte Gerüche zusammenfügt. Aus den Combinationen, welche wir anführten, resultirten zwar zusammengesetzte Empfindungen, aber keine Mischungen. Die mehr oder weniger bestimmte, mehr oder weniger inten- sive Empfindung liess sich stets in ihre Componenten lösen, und ebenso wenig wie man die Empfindung eines kalten Gegenstandes, worin man sowohl Druck wie Kälte erkannt hat, eine gemischte nennt, ebenso wenig darf man es mit Gerüchen thun, deren Zusammensetzung sich bei genauer Analyse feststellen lässt. Sogar wenn ein Riechstoff unseren Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn zu gleicher Zeit zu reizen im Stande ist, gelingt es dem aufmerksamen Beobachter, die drei Empfindungen zu sondern.! I Ned. Tüjdschr. v. Geneesk. 1899. Bd.I. 8.113. 432 H. ZWAARDEMAKER: DIE ÜOMPENSATION V. GERUCHSEMPFINDUNGEN. In vollkommen übereinstimmender ‚Weise soll man bei rein olfactiven Reizen vorgehen. Ohne Vorbereitung darf man dazu nicht schreiten, denn man wird kaum erwarten dürfen, bei einer solchen Analyse irgend eine Sensation herausgreifen zu können, welche man nicht zuvor gesondert empfunden hat. Besonders schwierig wird das Problem, wenn es schwache zeize gilt, und hieraus erkläre ich es mir, dass Wettstreit von Gerüchen von geringen Olfactienwerthen Manchem im Anfange wie ein Mischgeruch imponirt, während in Wahrheit eine Pseudomischunge, d. h. ein schneller Wechsel der Empfindungen vorliegt. Letzteres war wenigstens unter den von mir gewählten Versuchsbedingungen der Fall. Es muss selbstverständ- lich dahin gestellt bleiben, ob unter anderen Umständen nicht wahre Misch- gerüche entstehen können, z. B. wenn die Mischung vollständiger stattfände, als in dem die beiden Olfactometer verbindenden T-Rohr und in der Nasen- höhle des Beobachters möglich ist. Jedoch wird man dann wieder chemische Bindung und in Folge dessen die Entstehung neuer chemischer Körper nicht ausschliessen können. Angesichts der neuen Unsicherheit, welche damit entsteht, habe ich bis jetzt von anderen Methoden, als die oben beschriebenen, also auch von der Nagel’schen Methodik, Abstand ge- nommen. Es schien mir wichtiger, den alten Weg noch eine Weile mit einiger Consequenz zu verfolgen, um so mehr, als das ungemein Zeitraubende der Versuche schon an und für sich eine gewisse Selbstbeschränkung noth- wendig macht. Die Abhandlung von G. Heymans ist für unsere ganze Auffassung der Compensation auf diesem Sinnesgebiet von ungemein grosser Bedeutung gewesen. Wenn man früher an diese Fragen herantrat, musste man sich wundern über die grosse Zahl der gegenseitigen Verdrängungen, welche möglich sind; dies gab Wundt! Veranlassung zu seiner Hypothese der mehrdimensionalen Mannigfaltigkeit. Jetzt kann man überall Compen- sationen erwarten, wo nur theilweise Unterschiede in Qualität vorhanden sind. Vielleicht ist es daher erlaubt, einen Schritt weiter zu gehen. Wenn man annimmt, dass viele Geruchsempfindungen, sobald sie in einigermaassen grösserer Intensität auf uns-einwirken, so zu sagen ungesättigte Gerüche bilden, vergleichbar mit Farben, die viel Weiss enthalten, so ist das Sonder- bare der Vielseitigkeit der Compensation verschwunden. Durch Hinzufügung neuer, ebenfalls zusammengesetzter Gerüche muss im Allgemeinen die Sättigung abnehmen. Und dass eine derartige Supposition nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigen die Erfahrungen, die in der Abhandlung über Riechkraft von concentrirten Lösungen mitgetheilt worden sind. "W.Wundt, Grundriss der Psychologie. 1896. S. 62. Versuche über die Resorption von Fett und Seife im Dickdarm. . Von H. J. Hamburger in Utrecht, Einleitung. Gelegentlich meiner Untersuchungen über die Vertheilung von Fett über Blutkörperchen und Plasma habe ich einige Experimente angestellt, aus welchen mit Wahrscheinlichkeit hervorging, dass auch der Dickdarm Fett zu resorbiren im Stande ist.! Diese Untersuchungen, welche bloss einen vorläufigen Charakter trugen, habe ich in der letzten Zeit fortgesetzt, weil ja die Kenntniss der Fettresorption im Dickdarm von Interesse ist, sowohl aus einem theoretischen wie aus einem praktischen Gesichtspunkt. Aus theoretischem, weil dadurch vielleicht Licht geworfen werden kann auf unsere noch in mancherlei Hinsicht mangelhafte Kenntniss betreffs der Resorption im Dünndarm, dessen Schleimhaut einen complieirteren Bau besitzt. Aus einem praktischen Gesichtspunkt, weil das Problem der rectalen Fetternährung noch immer eine befriedigende Lösung nicht gefunden hat. Viel ist auf dem betreffenden Gebiet nicht untersucht. 1874 stellten Czerny und Latschenberger? zwei Experimente an bei einem Manne mit Anus praeternaturalis. Sie brachten in die Bauchöffnung bekannte Mengen einer Fettemulsion und konnten dann später, nach Ausspülung des Darm- stückes, feststellen, wie viel Fett aufgenommen war. Die Menge war gering. Im Jahre 1891 haben Munk und Rosenstein,? gelegentlich ihrer ! Hamburger, Over den invloed der ademhaling op de verplaatsing van suiker, vet en eiwit. Verhandl. koninkl. Akad. v. Wetensch. 1894. D1. III. Nr. 10. 8.31. ? Czerny und Latschenberger, Physiologische Untersuchungen über die Ver- dauung und Resorption im Diekdarm. Virchow’s Archiv. 1874. Bd. LIX. 8.179. ° Munk und Rosenstein, Zur Lehre von der Resorption im Darm nach Untersuchungen an einer Chylusfistel beim Menschen. Zbenda. 1891. Bd. CXXII. S. 230 u. 284. Archiv-f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 28 434 H. J. HAMBURGER: schönen Untersuchungen an einer Chylusfistel beim Menschen, auch einige rectale Einspritzungen von Oelemulsionen ausgeführt und durch Fett- bestimmungen im abtröpfelnden Chylus ermittelt, wie viel Fett im Darm aufgenommen war. Auch hier erschien die resorbirte Menge gering. Ein Sceptiker könnte aber noch die Bemerkung machen, dass auch diese geringe Menge vielleicht nicht vom Dickdarm aufgenommen war, sondern vom Dünndarm, weil es nicht bewiesen ist, dass ein Theil des Klysma die Valvula Bauhini nicht passirt hat. Dieselbe Bemerkung wäre auch denkbar für die sorgfältig ausgeführten Experimente von Deucher! und Plantenga? beim normalen Menschen. Und es möge ferner interessant erscheinen, dass nach de Filippi° ein Hund, welchem so viel Dünndarm (1-9) resecirt worden war, dass derselbe nur 25“ übrig behielt, die Fette bis auf 19 Procent ausnutzte, streng bewiesen ist damit nicht, dass auch der Diekdarm an der Resorption betheiligt gewesen war. Bedenkt man nun, dass auch bei Deucher und Plantenga die resorbirte Fettmenge relativ gering war, und bei Robert,‘ der an einer Dickdarmfistel beim Menschen experimentirte, noch viel unbedeutender, und bedenkt man weiter, dass Angesichts der Weise, auf welche aus dem Dick- darm Fett resorbirt wird, noch gar keine Hypothese aufgestellt worden ist, so wird es wohl nicht befremdend erscheinen, dass die erste Frage, welche ich mir selbst vorzulegen wünschte, war: Besitzt der Diekdarm in der That das Vermögen, Fett zu resorbiren? I. Besitzt der Diekdarm in der That das Vermögen, Fett zu resorbiren? Bei einem mittels Morphin narkotisirten grossen Hunde, dem 24 Stunden Nahrung entzogen worden war, wird mittels eines Schnittes in der Flanke die Bauchhöhle geöffnet? und mittels Hineinführung einer dünnen Oesophagus- ! Deucher, Ueber die Resorption des Fettes aus Klystieren. Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1896. Bd. LVIII. S. 210. ? Plantenga, Der Werth der Nährklystiere. /naug.-Diss. Freiburg i. B. 1898. ® de Filippi, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Hundes nach Magen- exstirpation und nach Reseetion eines grossen Theiles des Dünndarmes. Deuzsche medicinische Wochenschrift. 1894. Nr. 40. * Robert und Koch, Einiges über die Function des menschlichen Dickdarmes. Ebenda. Nr. 47. 5 Von der Linea alba aus ist der rectale Theil des Diekdarmes sehr schwer zu erreichen, und es ist dann bei der auffallenden Kürze des Diekdarmes kaum möglich, ein Stück von genügender Länge zu bekommen. Wir haben es daher trotz des längeren, dureh Blutungen erforderten Zeitaufwandes vorgezogen, uns den Zutritt zu ermöglichen mittels eines Schnittes in die Flanke. Das Thier lag hierbei auf der linken Seite. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE Im Dickdarm. 435 sonde in das Rectum der Dickdarm zum Vorschein gebracht. Dann wird nicht weit vom Coecum ein schiefer Schnitt in den Dickdarm gegeben und durch Ausspritzen mit lauwarmer 0-9procent. Kochsalzlösung das ganze zu verwendende Stück vom Rectum aus gereinigt. Mittels Bändchen wird der Darm in drei möglichst gleich grosse Theile abgetheilt. Das mittlere Stück 5 erhält eine Emulsion von Lipanin! in Na,C0, }/, Procent; die beiden Endstücke a und c bleiben leer, sie dienen zur Controle. Nachdem die Bauchhöhle wieder geschlossen ist, wird das Thier, welches sich immer in ruhiger Narkose befindet, sich selbst überlassen. Nach 4 Stunden öffnet man die Bauchhöhle und das in drei Abschnitte ver- theilte Darmstück wird entfernt. Um nun festzustellen, ob, und wenn ja, wie viel Fett im Darmstück 5 resorbirt war, hätten wir nach der üblichen Methode das Stück 5 ausspülen können und in der Spülflüssigkeit die zurückgebliebene, also nicht resorbirte Fettmenge dosiren können. Genauer schien es uns jedoch, mit der Fettmenge des zurückgebliebenen Inhaltes auch den Fettgehalt der entsprechenden Mucosa zu bestimmen. Da aber die normale Mucosa selbst immer ein wenig Fett enthält, haben wir zu gleicher Zeit von zwei Controlstückchen a und c den Fettgehalt ermittelt. Von zwei, weil es möglich wäre, dass der ursprüngliche Fettgehalt von Stück 5 mit dem von ce oder a allein nicht übereinstimmte. Wohl wird are, u Dass wir bloss die Mucosa und nicht die Darmwand im Ganzen ge- nommen haben, hat seinen Grund darin, dass die Serosa gewöhnlich viel Fettgewebe enthält. Die Mucosa wurde auspräparirt nach dem Vorgang von Ewald,? indem man nach einem Circularschnitt um den Darm bis auf die Mucosa, Serosa mit Muscularis von der Schleimhaut abzog. Nachdem dann die Mucosae der drei Abtheilungen auspräparirt waren, wurden dieselben in drei Schälchen mittels einer Scheere zerkleinert. Bei a und ce werden dieselben (uantitäten der Emulsion hinzugefügt, welche früher in 5 eingespritzt war, und dann werden alle drei gleichzeitig ver- arbeitet zur quantitativen Bestimmung des Fettgehaltes. Auf diese Weise ist der Einfluss von Fehlern in der Methode quantitativer Analyse eliminirt. Es ward nun weiter so verfahren, dass der Inhalt jedes Schälchens mit 15 2m mittels HCl, Auswaschung und Ausglühung gereinigtem Sand versetzt aber genügende Uebereinstimmung bestehen von 5 mi ! Lipanin ist ein von J. v. Mering angefertigtes Gemisch von Olivenöl mit 6-4 Procent Oelsäure. Vgl. J. v. Mering, Ein Ersatzmittel für Leberthran. T’hera- re Monatshefte. 1888. ?C,A. Ewald, Ueber Fettbildung durch die überlebende Darmschleimhaut. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 302, 28% 436 H. J. HAMBURGER: und nach guter Vermischung mit einem darin verweilenden Glasstäbchen bei 80° getrocknet wurde. Nach Pulverisirung konnten dann die drei ge- troekneten Massen in Soxhletapparaten mit wasserfreiem Aether! extrahirt werden. Es wurde wenigstens 36 Stunden extrahirt. Waren die Flüssig- keiten in den Kölbchen vollkommen klar, so konnte der Aether sofort ab- destillirt, die Kölbehen i0 Minuten im Trockenkasten bei 80° erhitzt und nach Verweilen im Exsiccator gewogen werden. War der Inhalt eines der Kölbchen trübe, so wurden alle drei Flüssigkeiten zu einem bestimmten Volum mit wasserfreiem Aether verdünnt, filtrirt, von dem Filtrat gleiche Theile abgemessen und darin der Rückstand ermittelt nach Entfernung des Aethers. Versuch I. Länge der Dickdarmabtheilung a, d und c 9°“. In 5 werden 12.5 m einer 5procent. Lipaninemulsion in Na,CO, von 1/, Proc. gespritzt. 4 Stunden nachher Entfernung des Darmes, Isolirung der Mucosae, Zerkleinerung mittels Scheere. Zu der Masse von a und c werden 12-5 °"® der Emulsion hinzu- gefügt. Nach Trocknung giebt die Extraetion folgendes Resultat: Aetherrückstand von Darmstück « (Mucosa und Emulsion) 0.635 8” 0-654 „ Mittel 0.644 Aetherrückstand von Darmstück 5 (Mucosa und nicht resorb. Fett) 0-499 „ „ „ c „ „ ” Hieraus geht hervor, dass 0.145 sm Fett in den 4 Stunden aus dem Darm verschwunden sind. Versuch I. Länge der Darmabtheilung a, 5 und e 8°“. In 5 werden 12.5 m einer Emulsion von 8 Procent Lipanin in Na,CO,-Lösung von !/, Procent ein- geführt. 4 Stunden nachher Entfernung des Darmes, Isolirung der Mucosae, Zerkleinerung mittels Scheere. Zu der Masse von a und e werden 12.5 der Emulsion hinzugefügt. Nach Trocknung giebt die Extraction folgende Resultate: Aetherrückstand von Darmstück « (Mucosa und Emulsion) 0.969 &” NIEREN 0.958 „ Mittel 0.963 5” Aetherrückstand von Darmstück 5 (Mucosa und nicht resorb. Fett) 0.781 „ ” ” ” Aus diesem Versuch ergiebt sich, dass in 4 Stunden 0-182 sm Fett resorbirt worden sind. Diese beiden Versuche und die vielen anderen, welche später in diesem Aufsatz Erwähnung finden werden, erheben es über allen Zweifel, dass im Dickdarm Fett resorbirt werden kann. ! Wir entwässerten unseren Aether immer selbst mittels Na-Stückchen. -- ÜBER DIE RESORPTION: VON FETT UND SEIFE IM DiIicKDAarMm. 437 Bei der Eröffnung des mittleren Stückes 5, welches, wie gesagt, die Emulsion entbielt, war uns etwas Besonderes aufgefallen. Das Stück war nahezu leer; nur sah man grosse Fetttropfen auf der Mucosa liegen. Wahr- scheinlich war die Na,0O,-Lösung schnell resorbirt und damit nach relativ kurzer Zeit die Emulsion aufgehoben; das Fett war dadurch in einen schwer resorbirbaren Zustand gerathen. Damit stimmt überein, was Munk und Rosenstein! fanden. Von einer Emulsion von 15% Lipanin in eine O-4procent. NaCl-Lösung sah man in 7!/, bis 9 Stunden 0-55 8" Fett aus der Chylusfistel abfliessen, War aber statt NaCl, Na,00, zur Emulgirung angewandt, so betrug die betreffende Quantität 1-12”, also das Doppelte. Nun ist es bekannt, dass mit Na,CO,-Lösungen viel länger haltbare Fettsuspensionen erzielt werden können, als mit NaCl-Lösungen. Von welchem Gewicht es für die Resorption ist, dass im Darm das Fett in Emulsion verkehrt, lehren die Experimente von Robert,” aus welchen hervorgeht, dass beim Menschen das Fett sehr langsam aus dem Dickdarm verschwindet, wenn es in emuleirtem Zustand verkehrt, aber noch viel lang- samer, wenn es in nicht emulgirtem Zustand einverleibt wird. Nach diesen Ueberlegungen schien es uns empfehlenswerth, die Na,CO,- Lösung zu ersetzen durch eine andere Flüssigkeit, in welcher die Emulsion sich beim Aufenthalt im Darm länger halten würde. Es sollte also eine Flüssigkeit sein, welche kräftig emulgirt und zugleich nur langsam in die Darmwand aufgenommen wird. Seit Jahren gebraucht man für Klysmata zu praktischen Zwecken Eidotter, Rahm und Milch. Für theoretische Untersuchungen scheinen mir diese Stoffe ungeeignet, weil dieselben eine zu compliceirte Zusammensetzung haben; insbesondere sind es die die Fettkörnchen umgebenden Eiweissstoffe, welche neue Factoren in das Problem der Fettresorption hineinführen. Ausserdem hat sich aus den Untersuchungen von Deucher und Plan- tenga herausgestellt, dass auch aus diesen Flüssigkeiten nur etwa 108 Fett pro 24 Stunden vom menschlichen Diekdarm resorbirt werden können. Ich kam nun auf den Gedanken, eine Flüssigkeit zu prüfen, welche auch unter physiologischen Bedingungen Emulgirung im Darm erzeugt, nämlich Seifenlösung. Nachdem ein vorläufiger Versuch gelehrt hatte, dass eine Lipanin- Seifenemulsion sich lange Zeit ausserhalb und innerhalb des Darmes hält und auch relativ viel Fett resorbiren lässt, wünschten wir erst das Ver- halten des Dickdarmes gegenüber Seifenlösungen zu studiren. Auch an sich selbst schien mir eine derartige Untersuchung nicht ohne Interesse, 14.2.0. 8.493. 2 AO: 438 H. J. HAMBURGER: weil in normalem Zustande’ beträchtliche Mengen Seife im Dickdarm vor- kommen und man mit dem Schicksal der Substanz in diesem Theil des Tractus intestinalis noch unbekannt ist. II. Resorption von Seife im Dickdarm. Mittels drei verschiedener Methoden haben wir untersucht, ob der Dickdarm Seife zu resorbiren im Stande ist. 1. In eine an zwei Seiten abgebundene Darmschlinge wird eine Seifen- lösung gebracht; einige Zeit nachher wird ermittelt, wie viel Seife noch vorhanden ist. 2. Eine Diekdarmschlinge wird hervorgeholt, an einer Seite abgebunden und an der anderen Seite in Verbindung gebracht mit einem auf ver- schiedene Höhen verstellbaren Trichter, in welchen die Seifenlösung ge- gossen wird. Von Zeit zu Zeit wird neue Flüssigkeit hinzugefügt, um das Niveau bis zu einer am Halse angebrachten Marke constant zu halten. Am Ende des Versuches wird die noch im Trichter, Verbindungsrohr und Darm vorhandene Seifenmenge abgezogen von der im Ganzen gebrauchten Quantität. Daraus resultirt die resorbirte Menge. 3. Es wird an Dickdarmfistel angelegt. Bekannte Mengen einer Seifen- lösung werden eingeführt und nach bestimmter Zeit wird der Rest entfernt. Die Differenz giebt die resorbirte Menge. Erste Methode. Doppelseitig abgebundene Schlinge. Es wird hier auf dieselbe Weise operirt, wie auf S. 434 bei der Fett- resorption beschrieben wurde. Auch hier wird der Dickdarm eines grossen Hundes in drei Abtheilungen, «a, 5 und c, vertheilt und in 5 eine 3- bis 5procent. Lösung von Sapo medicatus gebracht, welche mit !/, Procent (lycerin versetzt war. 4!/, Stunden nachher wird die noch in 5 vorhandene Flüssigkeit ent- fernt und dann die Mucosa gründlich mit lauwarmer 0-9 proc. NaCl-Lösung ausgewaschen. Seifenlösung und Waschflüssigkeit werden vereinigt. Darmstück @ wird mit derselben Menge der Seifenlösung versehen und 5 Minuten nachher wieder entleert und mit NaCl-Lösung gründlich ausgespült ebenso wie b. Darmstück e wird nun ebenso wie a und 5 zu einem anderen Zweck gebraucht (siehe S. 446). Die aus 5 und a erhaltenen Flüssigkeiten werden jetzt mit 108" Sand und 20 = HCl 1:10 versetzt; die Seife wird dann in Fettsäure verwandelt. Nach Eintrocknen werden die beiden Rückstände in verschliessbare Cylinder- ÜBER DIE RESORPTION von FETT UND SEIFE Im Dickvarm. 439 gläser übergebracht, mit 50°" wasserfreiem Aether übergossen und unter zeitweiligem Umschütteln + 16 Stunden damit in Berührung gelassen. Von den klaren ätherischen Flüssigkeiten hebt man 25°" ab und bestimmt darin den Fettsäuregehalt durch Abdestilliren und Wägen. Versuch IIL Länge der Darmschlinge 12-5°%. In 5 werden eingespritzt 25 em Seifenlösung (5 Procent Sapo medicatus mit !/, Procent Glycerin); Aufent- halt in 5 41/, Stunden. 25 m der Controlflüssigkeit («) enthalten 0.507 8" Fettsäure 25 „ „ anderen ätherischen Flüssigkeit (b) h; 0.379 „ h; Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welehe übereinstimmt mit 2 x (0-507 — 0.379) = 0-256 8" Fettsäure, welche in casu 0-315 2" Sapo medicatus entsprechen. Versuch IV. Derselbe wird auf dieselbe Weise ausgeführt wie der vorige. Länge der Darmschlingen 9°”. In 5 werden eingespritzt 20 °® Seifenlösung (5 Procent Sapo medieatus und !/, Procent Glycerin); Aufenthalt in 5 4!/, Stunden. 25 «m der Controlflüssigkeit («) enthalten 0°405 8" Fettsäure 25 „ „ anderen ätherischen Flüssigkeit (5) Y 0.263 ,, " Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welche übereinstimmt mit 2x (0.405 — 0-263) = 0'284 8" Fettsäure, welche 0.3512” Sapo medi- eatus entsprechen. Versuch V. Derselbe wird wieder auf dieselbe Weise ausgeführt wie der vorige. Länge der Darmschlingen 12°“. In 5 werden eingespritzt 25 °% der Seifen- lösung (5 Procent Sapo medicatus und !/, Procent Glycerin); Aufenthalt in 5 4!/, Stunden. 25 m der Controlflüssigkeit (a) enthalten 0.510 8°% Fettsäure 15 „ „ anderen ätherischen Flüssigkeit (5b) % 0°344 „, n Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welche übereinstimmt mit 2x (0.510 — 0-344) = 0-332 2% Fettsäure, welche 0-410 8°" Sapo medi- catus entsprechen. Aus diesen Versuchen geht deutlich hervor, dass Seife resor- birt worden ist. Zweite Methode. Einseitig offene Schlinge. Wie gesagt, wurde die Darmschlinge hervorgeholt, an einer Seite ge- schlossen und an der anderen Seite in Verbindung gebracht mit einem auf verschiedene Höhen verstellbaren Trichter, in welchen die Seifenlösung 440 H. J. HAMBURGER: gegossen wurde. Von Zeit zu Zeit wird neue Flüssigkeit hinzugefügt, um das Niveau bis zu einer am Halse angebrachten Marke constant zu halten. Am Ende des Versuches wurde die totale, noch im Trichter, Verbindungs- rohr und Darm vorhandene Seifenmenge abgezogen von der im Ganzen ge- brauchten Quantität. Daraus resultirte die resorbirte Menge. Das Thier verkehrte natürlich in tiefer Narkose (Morphium), und vor dem Versuch wurde der Darm selbstverständlich gründlich gereinigt mittels Jauwarmer 0-9 proc. NaCl-Lösung. Versuch VI Länge der gebrauchten Darmschlinge + 10°”. Das Zeichen am Trichter- halse befindet sich 15°% oberhalb der unteren Darmoberfläche. Im Ganzen sind durch den Trichter hinzugefügt 80°" einer 3procent. Lösung von Sapo medicatus mit !/, Procent Glycerin. 5 Stunden nach dem Anfang der Füllung wird die Bauchhöhle geöffnet; die Darmschlinge ist prall gefüllt. Zu der Ausspülung der Seife aus Trichter, Verbindungsrohr und Darmschlinge werden 350 «= NaCl-Lösung 0-9 Procent gebraucht. Alles wird eingeengt, mit 1528” Sand und 50 “= HCl 1:10 versetzt und so lange bei 80° erhitzt, bis alle HCl und Wasser vollkommen ver- schwunden ist. Die Masse wird in einen verschliessbaren Messcylinder über- gebracht und übergossen mit 50 °°® wasserfreiem Aether. Unter zeitweiligem Schütteln wird die Masse etwa 18 Stunden sich selbst überlassen. Gleichzeitig wird zur Controle derselbe Versuch ausgeführt mit 80 «m der Seifenlösung. Auch hier werden in den Messcylinder, in welchem sich die Fettsäure befindet, 50 °” wasserfreien Aethers pipettirt. Von den beiden also erhaltenen Fettsäurelösungen werden 25 m gen omnlEn und von den- selben der Rückstand bestimmt. 25 °m der ätherischen Controlflüssigkeit enthalten 0.744 2"m Fettsäure 25 „ ,„ äther. Versuchsflüssigkeit (Schlinge 5) ,, 0.592 „, ” Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welche übereinstimmt mit 2 x (0°744 — 0.592) = 0:304 2" Fettsäure, welche 0.490 sS% Sapo medi- catus entsprechen. Versuch VI. Derselbe wird auf dieselbe Weise ausgeführt wie Versuch VI. Länge der Schlinge + 10“. Höhe des Flüssigkeitsniveaus 15%. Im Ganzen verwendet 72°” Sapo medicatus 3 Procent. Versuchsdauer 5 Stunden. 25 °% der ätherischen Controlflüssigkeit enthalten 0.884 8m Fettsäure DD BE: " Versuchsflüssigkeit 5 0-.623 „ ” Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welche übereinstimmt mit 2 x (0.884 — 0'623) = 0-522 8” Fettsäure, welche wieder 0.637 ES” Sapo medicatus entsprechen. Auch aus der zweiten Methode geht also deutlich hervor, dass der Diekdarm Seife zu resorbiren im Stande ist. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM Dickdarm. 441 Dritte Methode Dickdarmfistel. Das Versuchsverfahren an Darmfisteln, welche Hr. Chirurg Dr. Folmer für mich anzulegen die Liebenswürdigkeit hatte, ergab Folgendes: Bei einem mittels Morphin und Chloroform tief narkotisirten Hund, dem ungefähr 24 Stunden zuvor Nahrung entzogen war, wird in der rechten Flankengegend, nicht weit von der Linea alba, die Bauchhöhle geöffnet, der Dickdarm mittels eines in das Rectum eingebrachten Führers (dünne Oesophagussonde) aufgesucht und bis in die Nähe des Coecums ver- folgt; dann wird eine dieser Stelle entsprechende Schlinge nach aussen gebracht und mittels eines durch das Mesenterium gesteckten Gaze- stückchens in dieser Lage gehalten. Mit grosser Sorgfalt wird nun die Serosa der Schlinge an das Bauchwandperitoneum festgenäht, das Thier verbunden und 24 bis 48 Stunden sich selbst überlassen. Während dieser Zeit bekommt es flüssige Nahrung. Dann wird die Schlinge mittels Paquelin’s Thermocauter durchtrennt. Um Sicherheit zu haben, dass mit Hinsicht auf eventuelle unzweckmässige Bewegungen bei den Versuchen eine genügende Consolidirung stattgefunden hatte, warteten wir etwa drei Wochen mit dem Gebrauch des Thieres. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es sich empfiehlt, nach der Durchtrennung der Schlinge keinen Verband anzulegen. Nur wird zu den offenen Hauttaschen etwas Jodoformgaze gelest und jeden Tag gewechselt. Der Wundverlauf war immer prachtvoll; keine Spur von Temperatur- steigerung. Merkwürdig ist es aber, dass die Thiere allmählich herunter kommen. Von den drei sehr grossen Hunden, welche die Operation erfahren hatten, war der erste alt. Nach der Kunstbewirkung verweigerte er jede Nahrung, auch Milch und selbst Bouillon mit fein gemahlenem Fleisch; er ver- endete nach etwa 14 Tagen. Die Section ergab nichts Besonderes; bloss Abmagerung. Der zweite Hund fing erst 4 bis 5 Tage nach der Operation gehörig zu essen an; der Appetit blieb aber nicht lange bestehen und nahm allmählich ab. Schliesslich verweigerte auch dieses Thier jede Nahrung und starb. Dieser Hund mag 6 bis 8 Jahre gewesen sein. Der dritte Hund war jung, etwa 3 Jahre. Unmittelbar nach dem Er- wachen aus der Narkose zeigte das Thier einen trefflichen Appetit. Später aber nahm derselbe allmählich ab, es trat Abmagerung ein und das Thier verendete 31/, Monate nach der Operation. Auch hier zeigte sich ebenso wie beim ersten und zweiten Cadaver Alles normal; der ganze Darmcanal war innen wie aussen absolut frei von jeder Entzündung. Auffallend war es, dass trotz der äusserlich sichtbaren Ahmagerung noch ziemlich viel Fett am Mesenterium und Ömentum vorhanden war. Welche die Todesursache 442 H. J. HAMBURGER: ist, weiss ich nicht. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Verkleinerung der Resorptionsoberfläche die Verantwortlichkeit trägt; denn erstens ist die Länge des Dickdarmes beim Hunde relativ klein — beim allergrössten (dritten) Hunde war das abgeschaltete Stück nur !/, Meter — und zweitens darf man erwarten, dass bei ungenügender Resorptionsfähigkeit des noch zur Verfügung stehenden Darmcanales das Thier je nach Bedarf wohl mehr Nahrung als in normalem Zustande zu sich nehmen würde; und einer vermehrten Abscheidung von Verdauungssäften steht auch nichts in dem Wege. Wie am ersten von L. Hermann beim Dünndarm beobachtet wurde, scheidet sich auch im abgetrennten Dickdarm eine feste, sich verhärtende braune Masse ab, offenbar eingetrockneter Darmsaft, vermischt mit Epithel- zellen. Mit Rücksicht auf diese Abscheidung wurde das Darmstück vor dem Versuche immer mit lauwarmer Kochsalzlösung tüchtig ausgespült und dann wurde noch 1 bis 2 Stunden gewartet, um die an der Mucosa haftende NaCl-Lösung resorbieren zu lassen. Bei dem eigentlichen Versuch war es natürlich nothwendig, die in- jJieirte Flüssigkeit nach Belieben im Darm zurückhalten zu können. Dazu war es unumgänglich, die Fistelöffnung genau zu verschliessen; denn wenn man den Hund so legt, dass die Oeffnung die höchste Stelle einnimmt, so wird die Flüssigkeit bei einer plötzlichen Veränderung der Athembewegung theilweise ausgeworfen. Eine genaue und zugleich unschädliche Ver- schliessung der Fistelöffnung zu erreichen, hat mir viel Mühe gekostet. Schliesslich kam ich auf den Gedanken, einen Nasentampon zu gebrauchen, bekanntlich ein kleiner, birnenförmiger Gummiballon, welcher in ein Gummi- rohr endigt. Der Ballon wird aufgeblasen und in diesem Zustand gehalten durch Einschiebung und Befestigung eines kleinen Glasstabes in das Ende des Gummirohres. In aufgeblasenem Zustande wird die mit Wasser be- feuchtete elastische Birne, welche am blinden Ende spitz zuläuft, in den Darm geschoben, was leicht gelingt." Durch die Spannung der Bauchwand kann der Ballon ohne kräftiges Ziehen nicht zurück. Das Pressen des Thieres ist auch nicht im Stande, denselben zu entfernen. Es sei erwähnt, dass bereits bei mässiger Aufblasung die Abschliessung vollkommen ist. Das nach aussen abhängende Gummirohr wird aufgenommen, um Bauch und Rücken gelegt und mittels Binde befestigt. Die Thiere haben die Neigung, den Ballon mit dem Munde zu ent- fernen. Um dem vorzubeugen, haben wir Vieles versucht, und endlich ! Durch einen Mandrin wird es erleichtert; die Anwendung eines solchen ist aber nicht nothwendig. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM DIcKvarm. 448 als einfachstes und zweckmässigstes Mittel um den Mund ein Bändchen geleet, das hinter dem Kopfe befestigt wurde. (Gewöhnlich wird es wohl überflüssig sein, die Distanz zwischen den Hinterbeinen zu beschränken, um dem Thiere auch das Abrücken des Maulbändchens unmöglich zu machen. | Die Einspritzung der zu untersuchenden Flüssigkeit geschah per Rectum, und zwar bei aufrechtem Zustand des Thieres. Es sei bei dieser Gelegen- heit bemerkt, dass während der ganzen Versuchsdauer das Thier voll- kommen frei war; es konnte sich niederlegen oder sich bewegen nach Belieben. Die Injection, welche gemacht wurde mit einer Spritze mit bieg- samer Canüle (Endstück eines N&laton’schen Catheters), wird, um Reizung und Auswerfung vorzubeugen, langsam ausgeführt. Darauf hat man auch zu achten bei der Wahl von Concentration und Volumen der einzuver- leibenden Flüssigkeit. Seifenlösungen von 5 Procent wurden gut ertragen, solche von 10 Procent aber ausgeworfen. 50°" einer 5proc. Seifenlösung auf einmal, obgleich langsam eingespritzt, wurden ein paar Minuten nachher unter Krampf per Rectum entfernt; 25°" dagegen wurden gut ertragen. Daher nahmen wir, wenn mehr als 25° einverleibt werden sollten, die Injection in Intervallen vor. Wünscht man den Versuch zu beendigen, so wird bei aufrechtem Stande des Thieres eine grosse Schale zwischen die Beine gesetzt und der Tampon entfernt. Dann wird vom Rectum aus mit lauwarmer 0.9 proc. Kochsalzlösung ausgespült, bis die Flüssigkeit keine Seifenlösung mehr ent- hält, was mit BaC], leicht constatirt wird. Im Spülwasser befinden sich immer gelatinöse Stückchen; das ist Caleiumseife. Um eine vollständige Ausspülung zu erzielen, braucht man oft viel Flüssigkeit. Jetzt muss ermittelt werden, wie viel Seife resorbirt worden ist. Zu diesem Zwecke wird die Flüssigkeit mit Salzsäure vermischt, wodurch die Seife (auch die Caleiumseife) in Fettsäure umgewandelt wird; dann wird mit Sand versetzt, zum Trocknen eingeengt und in der Sand-Fettsäuremasse die Fettsäure bestimmt. Ich erwähne jetzt einige der auf die beschriebene Weise angestellten Versuche. Versuch VII. Es werden 3 Pravazspritzen von je 8-5 °" Inhalt hinter einander in das Reetum injieirt. Die Seifenlösung enthält 5 Procent Sapo medicatus und !/, Procent Glycerin. 4 Minuten nachher wird das Darmstück mit 3 Dieulafoy’schen Spritzen von je 100°" ausgespült. Im Ganzen können 302° Flüssigkeit wieder aufgefangen werden. Da die 3 Spritzen 295 fassen, sind deshalb (3X 8-5 + 295) — 302 = 18-5 °” Flüssigkeit im Darm zurückgeblieben. Um festzustellen, in wie weit die aufgefangene Flüssigkeit (a) der Quantität der injieirten Seife entspricht, wird dieselbe mit Salzsäure und 444 H. J. HAMBURGER: Sand versetzt; dasselbe wird gethan mit den 3 Spritzen von 8.5 °" Seifen- lösung (5) und in beiden Flüssigkeiten das Gewicht an Fettsäure ermittelt. Zu diesem Zwecke werden die Sand-Fettsäuregemische, in welchen eine gleiche Quantität Sand vorhanden ist, in verschliessbare Messeylinder über- gebracht und mit 50°” wasserfreiem Aether übergossen. Unter zeitweiligem Schütteln werden die Messcylinder 18 Stunden sich selbst überlassen. 25°" der klaren ätherischen Flüssigkeit « enthalten 0.410 ®"% Fettsäure 25 ” ” „ ” ” b „ 0.403 ” ” Also sind beim Fistelversuch nur 2 x (0-410 — 0.403) = 0.014 8" Fettsäure verloren gegangen. Fortsetzung des Versuches. Nachdem das Darmstück im vorigen Versuchstheile ausgespült war, wurden auf’s Neue 3 Spritzen von je 8°5 “" einverleibt und 4 Stunden darin belassen. Nach diesem Zeitverlauf wird wieder mit 3 Dieulafoy’schen Spritzen ausgespült und die Flüssigkeit genau auf dieselbe Weise und zu gleicher Zeit wie die vorigen auf Fettsäure verarbeitet. 25°” der klaren ätherischen Lösung enthalten nur 0°003 2% Fettsäure; im Ganzen sind also übrig 0°006 8” Fettsäure. Man darf also schliessen, dass innerhalb 4 Stunden die 3 Spritzen 3x 8-5 = 25-5°W 5procent. Seifen- lösung fast ganz resorbirt worden sind. Versuch RX. Das Thier bekommt: 11 Uhr 30 Min. 3 Spritzen von je 85°" 1 ” 2 2) Eh) 8-5 ,„ 3 ” 3 „ „ „ 8.5 ” also im Ganzen 68°" Seifenlösung. Um 7 Uhr wird das Darmstück ausgespült mit 3 Dieulafoy’schen Spritzen. Der Fettsäuregehalt der Flüssigkeit beträgt 0-174 8", Bedenkt man nun, dass 68°“ der Seifenlösung: - x0-.410 x2= 2.18erm Fettsäure entsprechen, so geht aus diesem Versuch hervor, dass in 7'/, Stunden eine Quantität Seife resorbirt worden ist, welche überein- stimmt mit 2.187 — 0.174 = 2-.013 ©" Fettsäure. Versuch X. Das Thier bekommt: 11 Uhr 30 Min. 3 Spritzen von je 8-5" Seifenlösung 1 „ 30 ” 2 „ „ „ 8-5 ” ” 3 „ 30 „ 3 „ ” „ 8-5 „ „ 5 Ausspülung um 5 Uhr mit 3 Dieulafoy’schen Spritzen 0-9 procent. Na0l-Lösung. Das aus dem Darm Entfernte entspricht 0'696 8" Fettsäure. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE ım Dickvarm. 445 Bedenkt man nun, dass 65“ der Seifenlösung 2-187 sm Fettsäure entsprechen, so folgt, dass in 51/, Stunden 2.187 — 0:696 = 0-491°"" Fettsäure resorbirt worden sind. Dieser Betrag stimmt mit dem im vorigen Versuch gefundenen sehr gut überein. Denn eine Resorption von 2-013 8" BR RRIER 5°, : ne in 7Y/, Stunden entspricht einer Resorption von Fe x 2013 = 1°476 © 2 [8 Fettsäure in 5%/, Stunden, was dem gefundenen Betrag 1.491 in unerwartet guter Weise entspricht. Versuch XI. Am folgenden Tage war die Resorption aber verhältnissmässig geringer. Das Thier erhielt: 10 Uhr 3 Spritzen. von je 8.5 m 12 „ 3 „ N) 8.5 „ 2 5 3 „ „nm 85 ,„ 2 ” 3 „ soon 8:5 ” Um 7!/, Uhr wurde entleert und ausgespült mit 360 “m NaCl 09 proe. Im Ganzen waren also einverleibt 12 Spritzen, welche = x0.410x2=3.285m Fettsäure entsprachen. Von der ätherischen, aus der Spülflüssigkeit stammenden Lösung ent- hielten 25 ° m 0.901 8m Fettsäure, also 50 m 1.802 85m, In 9'/, Stunden sind also resorbirt 3-28 — 1.802 = 1-478 3" Fettsäure. Die nach drei Methoden angestellten Versuche haben so- mit einstimmig nachgewiesen, dass der Dickdarm des Hundes Seife zu resorbiren im Stande ist. III. Was geschieht mit der resorbirten Seife? Durch die Untersuchungen von I. Munk! und von I. Munk und A. Rosenstein? ist festgestellt worden, dass die per os aufgenommenen Fettsäuren im Körper als Fett zum Absatz kommen und grossentheils als solches schon in der Chylusbahn erscheinen. Und das ist bereits insofern zweckmässig, dass, wie sich herausgestellt hat, grössere Quantitäten Seife in der Blutbahn lebensgefährlich sind. Nach Munk führt die intravenöse Injection von 0-12 =” Seife bei 1% Kaninchen den Tod herbei. Es war durch diese Versuche in hohem Maasse wahrscheinlich geworden, dass ! I. Munk, Zur Kenntniss der Bedeutung des Fettes und seiner Componenten für den Stoffwechsel. Virchow’s Archiv. 1880. Bd. LXXX. 8.10. 2. A.:850: 446 H. J. HAMBURGER: bereits in der Mucosa des Dünndarmes die Fettsäuren in Fett um- gewandelt wurden. Und die vorläufigen Versuche Ewald’s! mit fein- gehackter Dünndarmmucosa haben diese Vorstellung bestätigt. Da nun kein Grund vorhanden ist, anzunehmen, dass die in die Diekdarm mucosa aufgenommene Seife ohne Schaden oder Gefahr in der Blutbahn verweilen würde, schien uns die Hypothese, dass die Fettsäure auch in der Mucosa des Diekdarms in Fett umgewandelt wird, nicht zu gewagt. Um die Hypothese zu prüfen, habe ich nach drei Methoden Untersuchungen an- gestellt. Erste Methode. Umwandlung von Seife in Fett innerhalb des Körpers. Nach der ersten Methode wurde untersucht, ob in einer Darmschlinge, welche einige Zeit mit Seifenlösung gefüllt gewesen ist, die Mucosa eine Vermehrung des Fettgehaltes zeigt. Um möglichst wenig Thiermaterial zu gebrauchen, habe ich die Frage zu gleicher Zeit zu beantworten gesucht, mit einer anderen, ob namentlich in einer beiderseits abgebundenen Darmschlinge Seife resorbirt wird. Versuch XI (vgl. Versuch III, S. 439). Nachdem dann die Seifenlösung aus 5 entfernt war, wurde die Mucosa zerkleinert, mit Sand vermischt und nach Hinzufügung von etwas Thymol (um etwaiger Gährung im Anfang vorzubeugen) bei 80° getrocknet. Das- selbe wurde gethan mit der Mucosae a und c. Dann wurden die Rück- stände in drei Soxhlet-Apparaten mit Aether extrahirt. Da bekanntlich, wie Kühne gezeigt hat, Seife nicht vollkommen unlöslich ist in Aether, wurde, um die Bedingungen bei der Extraction so viel wie möglich gleich zu machen, zu den Mucosae a und c noch eine Messerspitze Sapo medicatus hinzugefügt. In 5 konnte ja auch noch etwas Seife in der Mucosa vor- handen sein und dadurch eine Vermehrung des Aetherrückstandes vor- täuschen. Das Resultat war folgendes: Rückstand des Aetherextractes von 5 0.1148: „ „ „ »„ @ 0.0706 „ „ Fr) „ „ € 0.0700 „ Nach Lösung der Rückstände in Aether werden dieselben titrirt mit !/,-norm. alkoholischer Kalilauge und Phenolphtalein, um den Fettsäure- gehalt zu bestimmen. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE Im Dickdarm. 447 Die ätherische Lösung von b erfordert 0-16 °® 1/,-norm. KOH = 0.022 8% Fettsäure Q „ 0.16 „ „ „ =0.022 „ „ e „ 0-16 „ „ „ =0.022 „ „ Der Rückstand des Aetberextractes von 5b enthält also 0-1148 — 0:022 = 0.0928 2 Fett Bl „0.0706 — 0-022= 0'0486 „ , eeln „.: 0.0700 — 0:022 = 0.0480 , - Das Mittel von @ und e ist 0-0483. Es ist also in 5 gebildet: 0-0928 — 0.0483 = 0.0445 sm Fett. Diese Quantität ist zwar nicht gross; man vergesse aber nicht, dass wir hier nur das Fett ermitteln, welches noch in der Mucosa vorhanden ist. Versuch XIII Der Rückstand des Aetherextractes aus 5 beträgt 0.1356 &" „ ” ” ” „ q ” 0.0682 ” „ ” ” ” „€ ” 0.0612 „ Nach Auflösung dieser Rückstände in Aether werden dieselben titrirt mit '/,-norm. alkoholischer Kalilauge und Phenolphtalein. Die ätherische Lösung von 5b erfordert 0.2 °® 1/,.norm. KOH = 0.028 ®"" Fettsäure 2 „ 0.2 „ ” „ = 0.028 „ „ „€ „ 0.22, ” „ =0.031 , „ Der Rückstand des Aetherextractes aus 5 enthält also 0-1356 — 0:028 = 0:1076 3% Fett U „0.0682 — 0:028 = 0.0402 „ „ ce s „ 0.0612 — 0:-031 = 0°0302 „ ,„ Das Mittel von az und e ist 0:-0351 3m, Es hat sich also in 2 wenigstens 0-1076 — 0.0351 = 0-0725 sm Fett gebildet. ” Versuch XIV. Auch Versuch VI (S. 440) habe ich benutzt, um die Bildung von Fett aus Seife zu untersuchen. Er betraf eine an einer Seite abgebundene Darmschlinge, welche an der anderen Seite mit einem Seifenlösung ent- haltenden Trichter in Verbindung stand. Wir nennen dieses Darmstück wieder d, und die beiden äusseren Controlstücke a und c. Die ätherische Lösung des Aetherextractes aus 5 beträgt 0'518" PAD 0720; e 50.0.1292 , 2 „ ” ” „ ” „ „ ” „ „ „ 448 H. J. HAMBURGER: Die ätherische Lösung aus b erfordert 1-16" T/,-.norm, KOH = 0:16” Fettsäure 2 „ 0-31 ,„ „ „ = 0.043, „ 70 ” 0.34 „ ” „ = 0.048, „ Der Rückstand des Aetherextractes aus 5 enthält also 0518 — 0:16 = 0-358 8m Fett Ra „ 0.120 — 0.043 = 0.077 , ,„ ROT » 0.122 — 0-048 = 0.074 „_ „ Es ist also in Darmschlinge 5 wenigstens 0-358 — 0-076 = 0.282 sm Fett gebildet. Zu urtheilen nach der totalen, in der Mucosa umgesetzten Seifenmenge, fand sich dieselbe grösstentheils da noch als Fett vor; denn die resorbirte Seifenmenge entsprach + 0-35 8% Fett. Es scheint, dass unter der vor- liegenden Versuchsbedingung (bleibende pralle Füllung des Darmes) das gebildete Fett sich nicht schnell aus der Mucosa entfernt hat. Nach diesen Versuchen — und die folgenden werden es bestätigen — erleidet es keinen Zweifel, dass Seife in der Mucosa in Fett sich umwandelt. Es schien mir nun interessant, zu untersuchen, ob ein Darmstück, das während des Lebens des Thieres Seife zu resorbiren die Gelegenheit gehabt hat, auch ausserhalb des Körpers im Stande ist, diese Seife in Fett umzusetzen. Zweite Methode. Umwandlung von Seife in Fett im ausgeschnittenen körperwarmen Darm ausserhalb des Körpers. Wir haben zu diesem Zweck vom Darmstück 5 (Versuch III, S. 439), in welchem während 4!/, Stunden eine Seifenlösung verweilt hatte, die Mucosa präparirt und dann durch einen Längsschnitt in zwei gleiche Theile getrennt. Ein Theil 5, wurde unmittelbar in eine gut schliessende kleine Glasdose von 38° gebracht und während 2 Stunden in einem Brutofen von derselben Temperatur belassen. Die andere Hälfte 5, wurde baldmöglichst zerkleinert, mit 78% Sand vermischt und in einem Ofen von 80° ein- getrocknet. Letzteres wurde auch gethan mit ,, nachdem die 2 Stunden beendigt waren. Hatte sich in diesen 2 Stunden aus etwa in der Mucosa noch vorhandener Seife Feit gebildet, so sollte in 5, der Fettgehalt grösser ausfallen als in ö,, und in 6, wieder grösser als in den halben Control- stückchen a und c. Versuch XV. Rückstand des ätherischen Extractes aus 5, (2 Stunden bei 38°) 0.1558 8m „ b, (umittelbar bei 90°) 0.0674 „ „/sa (Controle, unmittelbar bei 90°) 0-0364 „ „ Use 'n ” „ „ 0.0359 ” ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE Im DickDArMm. 449 Die ätherische Lösung von Ö5, erfordert 0-64 °® 1/,-norm. KOH = 0.088 sm Fettsäure 205 os Maler, n „= 0.0238 , ei 26 sr 05497 5, s = 0.0264 „ 5; LlSc R 0515, 5 2 0020, R Der Rückstand des Aetherextractes aus Ö, enthält also 0.1558 — 0:088 = 0.0678: Fett h b, 5 „ 0.0674 — 0-0238 = 0-0436 „ $; elsd BR „ 0.0364 — 0.0264 = 0.010 „. ,„ Da, „0.0359 — 0-0210 = 0-0149 ” „ Das Mittel aus !/,a und !/,e ist 0-0124. Folglich hat sich im Darm des lebenden Thieres wenigstens 2(0:0486 — 0:0124) = 0:0624 8m Fett gebildet. Im Brutofen hat sich noch 2(0-0678 — 0-0436) = 0.0484 sm Fett gebildet, alles berechnet auf die ganzen Darmstücke. Ich habe noch einen Versuch angestellt, auf dieselbe Weise, wie den vorigen. Versuch XVI. Rückstand des ätherischen Extractes aus 5, (2 Stunden bei 38°) 0.1698 sm ‚ d, (unmittelbar bei 80°) 0.0594 „ „/s@ (Controle, unmittelbar bei 90°) 0-0414 „ ” 4 2€ ” „ 200 0.0406 „ Die ätherische Lösung von 5, erfordert 0.58 cm !/,„.norm. KOH = 0.0812 ®'% Fettsäure 1 b, 0-13 „ „ „ = 0.0182 ” „ „ Ua 0.13 ” „ „ = 0.0182 ” „ a 0-13, „ 392, V = 0.0182 „ ” Der Rückstand den Aetherextractes aus 5, enthält also 0.1698 — 0:-0812 = 0.0886 8% Fett EN „ 0-0594 — 0.0182 = 00-0412 „ „ VE „ 0.0414 — 0.0182 = 0.0232 , „ Ua >, „0.0406 — 0-0182 = 0:0224 „ ”„ Das Mittel aus !/,a und !j,e ist 0:0228 8m Fett. Folglich hat sich im Darme des lebenden Thieres wenigstens 2(0-.0412 — 0.0228) = 0.0568 2m Fett gebildet. Im Brutofen hat sich noch 2(0-.0886 — 09-0412) = 0.0948 sım Fett gebildet, alles berechnet auf das ganze Darmstück. Die obigen Versuche haben somit erwiesen, dass die in die Mucosa resorbirte Seife wenigstens theilweise daselbst in Fett um- gewandelt wird und dass diese Umwandlung sich noch fortsetzt, wenn man den Darm mitten im Resorptionsact aus dem Körper entfernt und in einem Brutofen von 38° verweilen lässt. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 29 450 H. J. HAMBURGER: Dritte Methode. Umwandlung von Seife in Fett mittels fein- zerschnittener Mucosa. War es mittels der ersten und zweiten Methode gelungen, die Um- setzung der beim lebenden Individuum resorbirten Seife sowohl in situ wie auch ausserhalb des Körpers nachzuweisen, so beabsichtigte ich bei der dritten Methode zu untersuchen, ob die Umsetzung auch zu constatiren sein würde, wenn man nach Ewald’s Vorgang erst die auspräparirte Mucosa fein hackte und dann mit Seifenlösung versetzte. Es schien mir bei der Ausführung dieses Planes zweckmässig, das Ewald’sche Verfahren, welches ja auch einen vorläufigen Charakter trug, zu modificiren. Wir haben zu unseren Versuchen den Dickdarm des Pferdes gewählt: 1. weil der des Hundes zu klein ist und ein Drittel davon einen für unseren Zweck nicht genügende Menge Mucosa liefern konnte; 2. weil die Mucosa des Pferdecolons kein Fettgewebe enthält, was z. B. bei Rind und Schwein in bedeutendem Maasse der Fall ist. Im Allgemeinen wurden die Versuche in folgender Weise angestellt. Vom frisch getödteten Pferde wird ein Stück Colon (Colon flottant) ent- fernt. Nach Entlastung des Inhaltes wird es durch einen Längsschnitt gespalten und mittels lauwarmer NaCl-Lösung abgespült. Das Darmstück wird auf eine grosse Korkplatte aufgespannt und die Mucosa mittels Scheere und Pincette möglichst schnell abpräparirt. Dann zerkleinert man die Mucosa in einer Fleischmühle, vermischt die Masse tüchtig, um dieselbe homogen zu machen, und wägt in Porzellanschälchen je 15 bis 208m ab, versetzt mit etwas Thymolpulver, 208% Sand und 20° m Seifenlösung: (105m Sapo medicatus und 1®" Glycerin gelöst zu 100°"). Alle Stoffe sind auf Körpertemperatur gebracht. Die Schälchen werden mit einem Glasstäbchen versehen, in eine Glasdose mit aufgeschliffenem Deckel gesetzt und eine verschiedene Anzahl von Stunden im Brutofen belassen, damit die Seife Gelegenheit habe, unter dem Einflusse der Mucosa sich in Fett um- zusetzen. Von der Vorstellung ausgehend, dass, wenn eine derartige Um- setzung stattfinden möchte, hier an eine Lebenseigenschaft von Zellen oder an ein Ferment gedacht werden musste, setzten wir auch ein Schälchen mit Mucosa, Sand und Thymol, jedoch ohne Seife, in einen Ofen von 80°, um Zellen und Ferment zu tödten, und versetzten dann 2 Stunden nachher mit der Seifenlösung. Der im letzteren Versuche gefundene Fettgehalt diente dann als Grundlage, mittels welcher ausgemacht wurde, ob in den anderen Versuchen Fett gebildet war. Diesen Gedankengang findet man in allen jetzt folgenden Experimenten. Wo zu bestimmten Zwecken Modificationen angebracht worden sind, wird auf dieselben hingewiesen. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM Dickdarm. 4Adl In allen Versuchen wurde behufs der Fettbestimmung das Mucosa- Seife-Thymol-Sandgemisch bei 80° eingetrocknet, pulverisirt und mit wasser- freiem Aether extrahirt. Wir haben uns davon überzeugt, dass Hinzufügung von Alkohol mit nochmaligem Eintrocknen vor der Extraction zwar, wie auch Cohnstein und Michaelis! angeben, Vermehrung des Aetherrück- standes herbeiführt, dass aber die Richtung der Resultate dadurch keine Aenderung erfährt. Nach der Extraction in den Soxhletapparaten, welche für dieselbe Versuchsreihe immer gleichzeitig und gleich lange geschah (in demselben Wasserbade standen sogar sechs Soxhletapparate), wurden die ätherischen Lösungen auf dasselbe Volumen gebracht und wenn nöthig filtrirtt. Ein Theil des Filtrats wurde zur Fettsäurebestimmung gebraucht (mittels alkoholischer Kalilauge und Phenolphtalein), ein anderer Theil zur Gewichtsbestimmung des Rückstandes. Der Unterschied zwischen dem Gewicht des Aetherrückstandes und dem der Fettsäure, alles natürlich auf dasselbe Aethervolumen zurückgebracht, wurde als Fett betrachtet. Versuch XVl. 158% Mucosa Colon Pferd und 20°” 10procent. Lösung von Sapo medicatus. Aetherrückstand? Fettsäure ? Fett 1 3 Stunden bei 38° . . . 0561 0.276 0285 2. 17 Stunden bei 38° . . . | 1:393 | 0-724 0:669 Be Nurebers0. 0 u. 0:648 0:42 0228 Aus diesem Versuche geht hervor, dass nach 3 Stunden als gebildet erschien: 0:.285 — 0-228 = 0.05% stm Fett. 1 e 0.669 — 0-228—=0-Ml , „ ! Cohnstein und Michaelis, Ueber die Veränderungen der Chylusfette im Blute. Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXV. 8. 473. ® Wie gesagt, ist, wie in den übrigen Versuchen, der Aetherrückstand bestimmt in einem Theil (!/; bis °/;) der ätherischen Lösung. In den Tabellen ist derselbe berechnet für das Ganze. Das gilt auch für die Fettsäure, und also auch für das „Fett“. ® Wie gesagt, ist die Fettsäure bestimmt durch Titration, und aus dem Titer das Gewicht berechnet. Sicherheitshalber haben wir aus unserem Sapo medicatus die Fettsäure bereitet (mittels HCl, und Reinigung mittels wiederholter Aetherextraction). Diese Fettsäure ist gegenüber unserer alkoholischen Kalilauge titrirt. Es ergab sich, dass 1°= unserer, als !/,;-norm. bezeichneten Kalilaugelösung, 0-14 "= der Fettsäure entsprach. 29* 452 H. J. HAMBURGER: Versuch XVII. 202” Mucosa Colon Pferd und 20°” 10procent. Seifenlösung. Aetherrückstand Fettsäure Fett 1. 14 Stunden bei 388° . . . | 0.726 0-513 0-213 2. 22° Stunden. bei 3830 , Zah 0855 0.616 | 0-239 3. Erst 2 Stunden bei 80°, dann 222 Stunden beiwsstr nn 0:605 0:397 0-°208 4% Nursbeies 00a 0:563 0:359 0:204 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass nach 14 Stunden als gebildet erschien: 0.213 — 0-204 = 0.009 8"% Fett, 2 7 h x 0.239 — 0:-204 = 0.035 „ und dass nach Erhitzung bei 80° Erwärmung auf Körper- temperatur keinen Einfluss auf die Fettbildung mehr ausübt: denn 0.208 ist ungefähr gleich 0-204. Im Ganzen sind die Unterschiede klein. Es ist aber die Frage, in wie weit das eventuell gebildete Fett wieder in Fettsäure umgewandelt ist. Versuch XIX. 208% Mucosa Colon Pferd und 20 °® 10procent. Seifenlösung. Aetherrückstand Fettsäure Fett 1. 4'/, Stunden bei 38° . 0-825 0-315 0-510 2. 17 Stunden bei 38° 0:843 0-777 0:066 3 Nurhei BO er en | 0-645 0-462 0-183 Diese Tabelle lehrt: 1. Dass nach 4!/, Stunden bei 38° als gebildet erscheinen: 0-510 — 0-183 —= 0.327 sm Fett. 2. Dass nach 17 Stunden das gebildete Fett wieder verschwunden ist und selbst mit einem grossen Theil des ursprünglich in der Mucosa vor- handenen Fettes in Fettsäure umgesetzt ist (0.066 < 0.183). Versuch XX. 202% Mucosa Colon Pferd und 20 °® 10procent. Seifenlösung. Aetherrückstand Fettsäure Fett 17249 Stundenabeimsssr 0-792 | 0604 0188 28, Stunden ben 3a 0662 0-648 0:014 3SSSNUTDe128 00 | 0.444 0:336 0:108 ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM DIcKDArMm. 453 Aus der Tabelle erhellt: 1. Dass nach 4 Stunden bei 38° gebildet erscheinen: 0.188 — 0.108 = 0.0808" Fett. 2. Dass nach 8 Stunden das Fett, welches in der Mucosa gebildet war, und sogar auch ein grosser Theil desjenigen, welches ursprünglich in der Mucosa vorhanden war, in Fettsäure umgewandelt ist (0.014 < 0108). Fasst man die Versuchsresultate zusammen, so ergiebt sich, dass fein- gehackte frische Mucosa des Pferdecolons im Stande ist, Seife in Fett zu verwandeln. Wahrscheinlich wären die Quantitäten des gebildeten Fettes grösser ausgefallen, wenn das Fett während des Versuches nicht in so be- deutendem Maasse in Fettsäure umgesetzt würde, wobei auch das ursprünglich in der Mucosa vorhandene Fett nicht geschont wird. Hinzu- fügung von Thymol konnte jenen Einfluss nicht unwirksam machen. Wiederholung der dritten Methode, jedoch ohne Zerkleinerung der Mucosa. Wir haben noch auf eine andere Weise untersucht, ob ausserhalb des Körpers die Mucosa im Stande ist, aus Seife Fett zu bilden. In ein ausgeschnittenes Stück a des Colons, welches an einer Seite zugeschnürt ist, werden 50° m einer 5proc. Seifenlösung gegossen, dann wird das andere offene Ende geschlossen und die Schlinge in einer grossen, weithalsigen Flasche, welche vorher bei 38° erwärmt war, in den Brutofen gesetzt. Darin verbleibt das Object 7 Stunden. Dann wird es entfernt, die Flüssigkeit ausgegossen und vom Darm ein viereckiges Stück Mucosa abpräparirt. Ein vollkommen gleiches Stück 5 wird abpräparirt von einem Theil des Colons, welches das erste Stück begrenzte und zu diesem Zweck aufbewahrt war. Beide Stücke Mucosa werden nun mit der Scheere zer- kleinert, mit 15®”% Sand vermischt und bei 80° eingetrocknet. Auf die gewöhnliche Weise bestimmt man den Aetherrückstand und den Fettsäure- gehalt, und durch Substraction das Fett. Es sei noch bemerkt, dass zu der Controlmasse 5 vor der Extraction noch eine Messerspitze Seife hinzugefügt war, um den Fehler zu eliminiren, dass Aether ein wenig Seife auflöst. Versuch XXI | Aetherrückstand | Fettsäure | Fett 1. 7 Stunden bei 38°... 085 | 0-54 0.2385 2. Nur bei 80°. . ... . 0-3075 0-18 0.12% Es hat sich also in der Darmmucosa gebildet: 02385 — 0.1275 = (-11lsm Fett. 454 H. J. HAMBURGER: Versuch XXlII. Dieser Versuch ist eine Wiederholung des vorigen bei einem anderen Thier. | Aetherrückstand | Fettsäure | Fett 1%. .988Stunden bei,380 ra 0:7696 0:384 | 0:3856 2. Nur bei 80°. 05412 | 0:196 0:3452 Hier scheint nur 0-3856 — 0:3452 = 0.0404 8” Fett gebildet zu sein. Es ist aber auch hier die Frage. in wie weit das einmal gebildete Fett wieder in Fettsäure umgesetzt ist. Zusammenfassung der auf die Resorption und Umsetzung von Seife bezüglichen Resultate. 1. Der Diekdarm des Hundes ist im Stande, Seife zu resorbiren; es lässt sich dies mittels drei Methoden nachweisen: a) dadurch, dass man die Seifenlösung verweilen lässt in einer an zwei Stellen abgebundenen Darmschlinge; b) dadurch, dass man eine Schlinge gebraucht, welche nur an einem Ende geschlossen ist und am anderen Ende in Verbindung steht mit einem auf verschiedene Höhen verstellbaren Trichter, in welchen die Seifenlösung gegossen wird; c) dadurch, dass man die Seifenlösung per Rectum in ein Dickdarm- stück injieirt, welches mit einer Fistelöffnung in der Bauchwand endigt. 2. Die resorbirte Seife setzt sich bereits in der Mucosa wenigstens theilweise in Fett um. Auch das lässt sich nach verschiedenen Methoden nachweisen: a) durch quantitative Fettbestimmungen in der Mucosa, welche auf die unter 1a und 1b beschriebene Weise einige Zeit mit Seifenlösung in Berührung gewesen ist; b) dadurch, dass man eine derartige Mucosa unmittelbar nach Ent- ernung aus dem Körper ein paar Stunden in einem Öfen von 38°C. verweilen lässt. Der Fettgehalt nimmt dann zu; c\) dadurch, dass man die Mucosa des Pferdecolons nach Zerkleinerung mit Seifenlösung in Berührung bringt und einige Zeit im Brutofen ver- weilen lässt; der Fettgehalt nimmt dann zu. Dasselbe geschieht auch, wenn man ausserhalb des Körpers die Seifen- lösung mit der Mucosa in Berührung bringt, ohne dass dieselbe zer- kleinert ist. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM DickDarMm. 455 IV. Resorption von Fett aus Lipanin-Seifenemulsion. a) Vergleichung der Fettresorption aus Lipanin-Seifenemulsion mit der aus Lipanin-Na,0O,-Emulsion in abgebundenen Darm- schlingen. Kehren wir jetzt zu unserem Ausgangspunkt zurück, so stehen wir, entsprechend der auf S. 437 entwickelten Anschauung, vor der Frage, ob mehr Fett resorbirt wird aus Emulsionen von Oel in Seifenlösung, als aus Emulsionen von Oel in Na,00,-Lösung. Um dieser Frage näher zu treten, wurde auf die früher angegebene Weise (S. 434) der Diekdarm hervorgeholt. Derselbe wurde in drei Ab- theilungen, a, 5 und c, abgetheilt. In a wurde eine Lipanin-Seifenemulsion injieirt, in die mittlere 5 dieselbe Menge einer Lipanin-Na,CO,-Emulsion, welche genau dieselbe Quantität Lipanin enthielt, wie die Lipanin-Seifen- emulsion, während c als Controlabtheilung nichts enthielt. 5 Stunden nach- her wurde der Dickdarm entfernt und von den drei Stücken Inhalt und Mueosa quantitativ untersucht, nachdem, um Versuchsfehler so viel wie möglich zu eliminiren, der Mucosa vom Controlstück c dieselbe Quan- tität Lipanin-Seifenemulsion hinzugefügt war, wie wir in a eingespritzt hatten. Bei der Entleerung der drei Abtheilungen fiel es auf, dass von der Lipanin-Seifenemulsion noch eine gewisse Quantität vorhanden war, in welcher aber von sichtbaren Fetttröpfechen nicht die Rede war. In Ab- theilung 5 aber, wo Lipanin-Na,00,-Emulsion gebraucht wurde, war die Flüssigkeit verschwunden, während grosse Fetttropfen auf der Mucosa sicht- bar waren. Die Bestimmungen von Fett und Fettsäuren geschahen auf die be- kannte Weise. Versuch XXIII. Länge der Darmschlingen a, 5 und e 75%. a erhält 20m einer Lipanin-Seifenemulsion von der Zusammensetzung: 20 °"” Lipanin und so viel einer 5procent. Lösung von Sapo medicatus, in welcher !/, Procent Glycerin, dass das Gesammtvolum 100 °"® betrug. b erhält 20°” einer Lipanin-Na,CO,-Emulsion von der Zusammensetzung: 20 “= Lipanin und so viel einer 0-5 procent. Na,CO,-Lösung, dass das Ge- sammtvolum 100 “” betrug. Dauer des Thierversuches 5 Stunden. Nachdem die Mucosa von e entfernt ist, wird diese mit 20” der Lipanin-Seifenemulsion versetzt. a, b und ce werden zu gleicher Zeit weiter verarbeitet. 456 H. J. HAMBURGER: Aether- | ickstand Fettsäure | Fett a) Lipanin-Seifenemulsion . . ». ». 2... 3-261 0-609 2-652 d) Lipanin-Na,CO,-Emulsion . . . . 2... 3-082 0028 3-054 c) Mucosa leer, später vermischt mit Lipanin- Seifenemulsion . . . „on 2 2 2..2..| 3.819221 705609 3-210 Aus dieser Tabelle geht hervor: 1. Dass in der Schlinge a aus Lipanin-Seifenemulsion resorbirt worden ist: 3-210 — 2.652 = 0-558 rn Fett. 2. Dass in der gleichgrossen Schlinge 5 aus Lipanin-Na,CO,-Emul- sion resorbirt worden ist: 3-210 — 3-054 = 0:156 sm Fett. Eigentlich hat das Individuum aus der Lipanin-Seifenemulsion noch mehr Fett empfangen als 0-558, denn es ist auch Seife resorbirt und, wie wir gefunden haben, wird die Seife im Dickdarm in Fett verwandelt. Dass wirklich Seife resorbirt ist, haben wir constatiren können durch Be- handlung des Hülseninhaltes nach der Aetherextraction mit verdünnter Salz- säure; dann wurde die Masse wieder eingetrocknet und mit Aether extrahirt. Aus a erhielten wir 0-155 sm Fettsäure, aus ce 0.334 8m, Es ist also resorbirt eine Seifenmenge, welche mit 0-.334 — 0-15 = 0.179 8m Fettsäure übereinstimmt. Berechnet man daraus das damit über- einstimmende Fett und nimmt zu diesem Zweck an, dass das Fett war (0, ;H;,000),C,H,, so ergiebt sich, dass 0-212 sm Fett aus der Seife ent- standen ist (hierbei ist angenommen, dass nach der Resorption alle Seife in Fett übergeht). Das Individuum hat dann aus der Lipanin-Seifenemul- sion erhalten 0.558 + 0.212 = 0.770 sm Fett. Eigentlich ist das ein wenig minder, da, wie wir gesehen haben, immer noch eine gewisse Quan- tität des aus Seife entstandenen Fettes unter den vorliegenden Umständen in der Mucosa zurückbleibt. Jedenfalls ist aber die aus der Lipanin-Seifenemulsion erhaltene Fett- menge viel grösser als die Quantität, welche das Thier aus der Lipanin- Na,CO,-Emulsion aufnimmt. Es ist auffällig, dass die aus a und c erhaltenen Fettsäuremengen so viel betragen (0.6098). Von dieser Quantität könnte etwa 0-26 sm auf Rechnung des Lipanins gestellt werden, denn bekanntlich enthält dieselbe + 6-5 Procent Fettsäure. Da 100° der Emulsion 20" Lipanin ent- halten, befinden sich darin 1-3 Procent Fettsäure. Nun sind in die Schlinge 20°“ Emulsion gebracht und deshalb 13 _ 0.26 sm Fettsäure. Höchst- wahrscheinlich ist von diesen 0-26 sm Fettsäure ein Theil resorbirt worden. Wo stammt dann diese grosse Quantität (0.609 =”) übrigens her? ÜBER DIE REsoRPTION VON FETT UND SEIFE ım Dickvarm. 457 Entweder war schon eine grosse Fettsäuremenge in der Mucosa der Darmstücke a und ce vor dem Versuch vorhanden und wurde nicht in der Mucasa von 5 gefunden, weil da Neutralisation durch Na,00, stattfand, oder die Fettsäure hat sich gebildet während des Eintrocknens des Mucosa- Seifengemisches. Ersteres ist nicht wahrscheinlich, weil die Fettsäuremenge so gross ist, als wir bis jetzt niemals fanden. Die zweite Erklärung ist also höchst wahrscheinlich die richtige, um so mehr, weil die Quantitäten ina und ce vollkommen dieselben sind, wodurch eine Bildung in der lebenden Schlinge selbst ausgeschlossen ist; in c war ja doch während des Thierversuches nichts vorhanden, woraus sich die grosse Quantität Fettsäure bilden könnte. Wir lassen jetzt noch ein paar gleichartige Versuche folgen. Versueh XXW. Alles gleich wie im vorigen Versuch. Die Schlingen sind aber ein wenig länger, nämlich 8°5 m. Aether- n | üekstand Fettsäure | Fett a) Lipanin-Seifenemulsin - 2 2 2 .2.2..2..2..83+228 0:560 | 2-668 b) Lipanin-Na,C0,-Emulsion . . . Bee 3-045 0:014 3+0831 ec) Schlinge leer, Mucosa später nısnle mit | Lipanin-Seifenemulsion . . . 2 2.2... 3:764 | 0-560 | 8.204 Aus dieser Tabelle erhellt: 1. Dass in der Schlinge a aus Lipanin-Seifenemulsion resorbirt worden ist: 3-204 — 2.663 = 0-.54lsrm Fett. 2. Dass in der gleichgrossen Schlinge 5 aus Lipanin-Na,CO,-Emul- sion resorbirt worden ist: 3-204 — 3-031 = 0-175 5% Fett. In @ war noch eine Quantität Seife vorhanden, welche mit 0.161 3” Fettsäure übereinstimmte, und in c eine Quantität Seife, welche 0343 &” Fettsäure entsprach. Es war also resorbirt eine Seifenmenge, welche mit 0.343 — 0-161 = 0.182 8m Fettsäure übereinstimmte. Versuch XXV. Länge der Darmstücke 9°®. Uebrigens Alles wie in den beiden vorigen Experimenten. | - | an FR Fettsäure Fett a) Lipanin-Seifenemulsion. . . 2-2... | 3161 | 0.682 | 2.529 b) Lipanin-Na,CO,-Emulsion | 3-076519,030422707 12.732034 ce) Schlinge leer, Mucosa später he mit | | Lipanin-Seifenemulsion | 83-881 | 0-646 | 38-285 458 H. J. HAMBURGER: Aus dieser Tabelle ersieht man: 1. Dass in der Schlinge « aus Lipanin -Seifenemulsion reborbirt worden ist: 8.235 — 2.529 = 0.706 2” Fett. 2. Dass in der gleichgrossen Schlinge 2 aus Lipanin-Na,CO,-Emul- sion resorbirt worden ist: 83-235 — 3.034 = 0.2012" Fett. Es erleidet also keinen Zweifel, dass in abgebundenen Diekdarmschlingen viel mehr Fett resorbirt wird aus Lipanin- Seifenemulsion, als aus der entsprechenden Lipanin-Na,C0, - Emulsion. Da der Dünndarm als Hauptorgan für die Fettresorption betrachtet werden darf, schien es uns interessant, die Resorptionsfähigkeit des Dick- darmes mit der des Dünndarmes zu vergleichen. Diese vergleichenden Versuche wurden ausgeführt, indem wir in den Versuchen XXI, XXIV und XXV zu gleicher Zeit auch Dünndarm- schlingen mit Lipanin-Seifenemulsion anfüllten. b) Vergleichung der Fettresorption im Diek- und Dünndarm. Eine nicht geringe Schwierigkeit bei dieser Vergleichung ist, dass man das Resorptionsvermögen der beiden Darmregionen auf dieselbe Mucosa- oberfläche beziehen muss. Die Länge der Darmstücke in situ kann hier nicht als Maass gebraucht werden, denn der Durchschnitt des Dickdarmes ist bedeutend grösser als der des Dünndarmes. Ausserdem sind die Falten nicht gleich stark entwickelt. Die Vergleichung wird aber leicht ausführ- bar, wenn man die Mucosa auf die auf S. 435 erwähnte Weise auspräparirt und dann nach einem Längsschnitt flach legt Es ist auffallend, dass nach Auspräparirung der Querdurchschnitt des Mucosarohres bei Dick- und Dünn- darm des Hundes sich gleich zeigt. Dementsprechend ist die Mucosa des Dickdarmes relativ auch viel mehr in der Länge ausgedehnt worden als die des Dickdarmes. Versuch XXVI (vgl. Versuch XXIII, S. 455). In diesem Versuch und auch in den beiden folgenden ist, weil es praktisch ohne Bedeutung war, kein Versuch mit Lipanin-Na,CO,-Emulsion angestellt, bloss mit Lipanin-Seifenemulsion. So konnten denn die zwei äusseren Schlingen a und e zur Controle dienen, und wurde nur in Schlinge 5 die Emulsion gespritzt. Irrthümlich sind statt 20 °® in diesem Versuch 25“ der Emulsion eingespritzt Da aber bei der Oeffnung der Schlinge am Ende der fünften ÜBER DIE RESORPTION von FETT UND Srire ım Dickvarm. 459 Stunde noch Emulsion übrig war (Fetttröpfehen waren darin nicht sichtbar), so kann dieser Irrthum keinen bedeutenden Einfluss auf das Resultat ausüben. other Fettsäure | Fett a) Darm leer, später werden zu der Mucosa 25 cm Lipanin-Seifenemulsion hinzugefügt . . . . 7.088 1:134 5.954 b) Lipanin-Seifenemulsion, 5 Stunden in der SCHUNG. A ee en a ar 5955 1113 4.842 c) Darm leer, später werden zu der Mucosa 25 em Lipanin-Seifenemulsion hinzugefügt . . . . 7066 1.134 5-932 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass aus Dünndarmschlinge 5 resorbirt worden ist: SS EI DE 4.842 = 1-101 8m Fett. u Wie beim Dickdarm (Versuch XXI), wurde auch hier, nachdem Fett und Fettsäure extrahirt waren, die Seife dosirt, und zwar dadurch, dass der Inhalt der Hülsen mit verdünnter Salzsäure behandelt wurde, die Masse eingetrocknet und aufs Neue mit Aether extrahirt. Die Extraction gab für a 0'251, für 5 0094 und für ce 0249 sm Fettsäure. Es ist also eine Quantität Seife resorbirt, welche übereinstimmt 0-251 + 0-249 mit ———— — 0094 = 0206 8” Fettsäure. Weiter ist es auffällig, dass die Quantität Fettsäure hier relativ noch grösser ist als beim Dickdarm. Beim Eintrocknen wird also sehr viel Fett- säure gebildet. Glücklich hat diese Umsetzung auf die Versuchsresultate übrigens keinen Einfluss; denn in # ist die Quantität nahezu dieselbe wie inaund c. Bedenken wir nun, dass nach dem Auspräpariren die Mucosa der Dünndarmschlingen eine Länge besass von etwa 3" und vom Dickdarme 1-4@m, dass die Breiten gleich waren und dass während 5 Stunden aus der Dünndarmschlinge 1-1012 Fett resorbirt wurde und aus der Diekdarm- schlinge 0.558 =”, so ergiebt sich das Fettresorptionsvermögen des Diekdarmes wenigstens von derselben Grösse, als das des Dünndarmes. Was die Resorption von Seife (Fettsäure) betrifft, so betrug dieselbe im Dickdarm 0.1798”, im Dünndarm 0.1572", war also im Dick- darm auch relativ am stärksten. 460 H. J. HAMBURGER: Versuch XXVI (vgl. Versuch XXIV, 8. 457). In diesem Versuch wurden ebenso wie in Versuch XXIV 20° Lipanin- lösung gebraucht. Uebrigens ist Alles wie beim vorigen Experiment. rn _ Fettsänre | Fett a) Darm leer, später werden zu der Mucosa 20 °m Lipanin-Seifenemulsion hinzugefügt . . . . 4.120 0.840 3.280 b) Lipanin -Seifenemulsion, 5 Stunden in der | Schlinge en U N ae 3299 0-826 2.473 c) Darm leer, später werden zu der Mucosa 20 °m Lipanin-Seifenemulsion hinzugefügt . . . . 4-131 0.840 3.291 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass aus Dünndarmschlinge 5 resorbirt worden ist: 3291 + 3280 3 — 2.473 = 0.8125" Fett. Wie beim Dickdarm, wurde auch hier, nachdem Fett und Fettsäure extrahirt worden waren, die Seife dosirt, und zwar dadurch, dass der Inhalt der Hülsen mit verdünnter Salzsäure behandelt, die Masse einge- trocknet und mit Aether extrahirt wurde. Die Extraction ergab für a 0.164, für 5 0.042 und für ce 0-1608m Fettsäure. Es ist also eine 0.164 50216078 0-042 Quantität Seife resorbirt, welche übereinstimmt. mit 5 = 0:.120 sm Fettsäure. Unzweifelhaft ist ein Theil der Seife auch in Fettsäure umgesetzt. Das hat aber auf die eben genannte Differenz kaum einigen Einfluss, da die Fettsäuremenge in a, 5 und c nur einen geringen Unterschied zeigt. Die Länge der auspräparirten Dünndarmschlingen betrug 25 ®, die der Dickdarmschlingen 16°”; die Breiten waren gleich. Berechnet man nun unter der Annahme, dass das Resorptionsvermögen auf der Flächeneinheit Mucosa in beiden dasselbe sei, wie gross die Fettresorption in einer Dick- darmschlinge von 16°” sein muss, wenn die Resorption in einer Schlinge von 25m 0.8128 beträgt, so findet man Er x 0.812 = 0.519 sm, was von der beobachteten Menge 0541 &% (Versuch XXIV) nur wenig ab- weicht. Was die relative Seifenresorption betrifft, so bewegt sich dieselbe in derselben Richtung. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM DicKkDArm. 461 Versuch XXVII (vgl. Versuch XXV, S. 457). Dieser Versuch wurde auf genau dieselbe Weise ausgeführt wie der vorige. Es wird dasselbe Thier gebraucht wie für Versuch XXV. | Aether- A ” rücksta sn nd. en Fett 3 Dünndarmschlinge leer, ee werden zu \ der Mucosa 20 °® Lipanin-Seifenemulsion hinzu- | OO ne ee ee ee ar hin ne a te 4200 0905 3297 5) Lipanin-Seifenemulsion, 5 Stunden in der Behinpes vw ne 2.957 0.903 2.054 e) Dünndarmschlinge leer, später werden zu der | | Mueosa 20°® Lipanin-Seifenemulsion hinzu- SO Ob En ee ee a ra ee 4-198 0-917 3281 Aus dieser Tabelle geht hervor, dass aus der Dünndarmschlinge 5 resorbirt worden ist: — 2.054 = 1.235 8% Fett. 7 + 3-28 2 Die Länge der auspräparirten Diekdarmschlinge betrug 17-5”, und die der Dünndarmschlinge 31°”; zwischen den Breiten kein Unterschied. Berechnet man nun wieder unter der Annahme, dass das Resorptions- vermögen auf der Flächeneinheit Mucosa in beiden dasselbe sei, wie gross die Fettresorption in einer Dickdarmschlinge von 17.5” hätte sein müssen, wenn die Resorption in einer Schlinge von 31m 1.235 sm beträgt, so er- = 0.697 2m, während thatsächlich gefunden wurde eine Resorption von 0-706 (Versuch XXV, S. 458). Auch hier ergiebt sich also, dass das Resorptionsvermögen des Diekdarmes für Fett dem des Dünndarmes unter den gegebenen Umständen nicht nachsteht. Ich sage: „das Resorptionsvermögen“ und meine damit natürlich nicht, dass auch im normalen Leben der Diekdarm pro Schleimhautober- fächeneinheit gleichviel resorbirt wie der Dünndarm. Das ist auch nicht der Fall. Wird ja dem Dünndarm das Fett in einer breiartigen, zuweilen fast flüssigen Masse dargeboten, während der Dickdarm das Fett aus einem meist festen Inhalt aufnehmen muss, was natürlich weniger leicht statt- findet. Ausserdem haben die Contenta, wenn dieselben den Dickdarm erreicht haben, bereits den grössten Theil des Fettes abgegeben und wird auch dadurch seitens des Dickdarmes die Fettaufnahme im normalen Leben weniger betragen als seitens des Dünndarmes. 462 H. J. HAMBURGER: Was sich wohl aus unseren Versuchen herausstellt, ist, dass, wenn dieselbe Lipanin-Seifenemulsion dem Dickdarm und dem Dünndarm dar- geboten wird, durch die Einheit von Schleimhautoberfläche ungefähr die gleiche Quantität Fett resorbirt wird. Somit ist das Resorptionsvermögen der Dickdarmschleim- haut für Fett bedeutend grösser, als man bis jetzt geglaubt hat. c\) Fettresorption aus einer Dickdarmfistel. Ueber das Versuchsverfahren haben wir nicht zu sprechen, da dasselbe kein anderes war, als bei den Versuchen über die Resorption von Seife (5. 441 u.s. w.). Nur haben wir zu erwähnen, dass die Fettbestimmung in dem nach Beendigung des Thierversuches zurückgebliebenen und nachher ausgespülten Darminhalt in der Weise geschah, dass wir BaCl, hinzufügten (wodurch jede Emulsion aufgehoben wurde), einengten mit Sand und im wasserfreien Rückstand mittels Aether das Fett (+ Fettsäure) extrahirten. Wir gebrauchten den dritten Hund (vgl. S. 441), dessen Diekdarmstück, bei der Section sich von !/," Länge erwies. Die Lipanin-Seifenemulsion enthielt auf 15° m Lipanin 85m einer 5procent. Lösung von Sapo medicatus, in welcher !/, Procent Glycerin war. Versuch XXR. Das Thier bekommt: 11 Uhr 2 Spritzen von je 8-5 °m Lipanin-Seifenemulsion 1 „ 2 ” ” ” 8-5 „ „ „ 3 ”„ 2 ” ” „ 8-5 „ 2) „ 5) ” 2 ” ” ” 3-5 ” „ „ 7 „ 2 ” „ ” 8-5 „ „ ” Um 8 Uhr Entleerung und Ausspülung mittels lauwarmer 0.-9procent. NaCl-Lösung. Im Ganzen waren also einverleibt 10 Spritzen, d. i. 85 °“ der Emulsion, welche 11.475” Fett enthielten. Der aus dem Darm entfernte und aus- gespülte Rückstand enthielt 2.563 ®"® Fett. Folglich sind in 9 Stunden resorbirt 11475 — 2.563 = 8.912 sm Fett. Versuch XXX. Das Thier bekommt: 9 Uhr 2 Spritzen von je 8-5 “® Lipanin-Seifenemulsion 11 „ 2 ” ” ” 8.5 ” ” „ 1 ” 2 ” ” ” 8-5 ” „ „ 3 „ 2 ” ” „ 8-5 ’ ” ”„ B ” 2 ) „ ” 8-5 „ ” ” 7 2 8:5 „ ” ” ” ” ” ” Um 9 Uhr Entleerung und Ausspülung mittels NaCl-Lösung. ÜBER DIE RESORPTION VON FETT UND SEIFE IM DickDArm. 463 Im Ganzen waren also einverleibt 12 Spritzen, d. i. 102m der Emul- sion, welche 13.850 &"” Fett enthielten. Der aus dem Darm entfernte und ausgespülte Rückstand enthielt 3.748 sm Fett. Folglich sind in 12 Stunden resorbirt 13-850 — 3.748 = 10.102 sm Fett. Versuch XXXlI. Das Thier bekommt: 11 Uhr 2 Spritzen von je 8-5” Lipanin-Seifenemulsion | 2 „ „9 945, „ „ 3 2 on 8-5 „ „ „ B) 2 ” ”„ 6) £ 6) ” ” ” T 2 8=Dn, . ; Um 8 Uhr Entleerung und Aüsspülung mittels NaCl-Lösung. Im Ganzen waren also einverleibt 10 Spritzen, d.i. 85" der Emul- sion, welche 11.4758 Fett enthielten. Der aus dem Darm entfernte und ausgespülte Rückstand enthielt 3.464 sm Fett. Folglich sind in 9 Stunden resorbirt 11-475 — 3.464 = 8.011 s’® Fett. Durch äussere Umstände sind wir genöthigt gewesen, unsere Unter- suchungen hier abzubrechen. Sonst hätten wir u. A. zum Ueberfluss noch einige vergleichende Experimente mit der entsprechenden Lipanin-Na,00,- Emulsion angestellt. Nach dem aber, was andere Autoren von dieser Emulsion gesehen haben beim Menschen und wir bei directen vergleichen- den Untersuchungen mit Lipanin-Seifenemulsion und Lipanin-Na,00,- Emulsion bei abgebundenen Diekdarmschlingen bei Hunden (S. 455 u.s. w.), unterliegt es keinem Zweifel, dass auch bei der Diekdarmfistel die Resorption von Fett aus der Lipanin-Na,CO,-Emulsion sich viel geringer gezeigt hätte. Die oben erwähnten Versuche haben ergeben,. dass in 12 Stunden etwa 10°% Fett aus dem Dickdarm des Hundes verschwinden können. Bedenkt man nun, dass diese Quantität ungefähr dieselbe ist, wie Deucher und Plantenga in 24 Stunden in maximo zur Resorption bringen konnten in dem so viel grössere Schleimhautoberfläche besitzenden Dickdarm des Menschen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass man beim Menschen eine viel stärkere Fettresorption als bis jetzt erzielen wird, wenn man als Clysma Seifenemulsion verwendet. Dazu kommt dann noch, dass auch die resorbirte Seife in Fett umgesetzt wird und also auch als solche zur Vermehrung der Fettaufnahme beiträgt. Man wird auf systematische Weise untersuchen müssen, welches das günstigste Verhältniss von Lipanin und Seifenlösung sein wird, und auch, 464 H. J. HAMBURGER: ÜBER DIE RESORPTION U. Ss. w. welche Concentration man der Seifenlösung zu geben hat, um die Resorp- tion so gross wie möglich zu machen; nachher wird man systematisch aus- machen müssen, wie die Resorptionsgrösse zusammenhängt mit dem Volumen der injieirten Emulsion und also auch mit der zeitlichen Reihenfolge der Injectionen. Man kann das bei Huuden thun. Für praktische Zwecke (rectale Ernährung) wird man schliesslich beim Menschen experimentiren müssen. Zusammenfassung. 1. Es kann jetzt als festgestellt betrachtet werden, dass der Dickdarm des Hundes Fett zu resorbiren das Vermögen besitzt (S. 436 und 455). 2. Dieses Vermögen ist im Gegensatz zu dem, was man bis jetzt meinte, bedeutend und steht sogar dem des Dünndarmes nicht nach (S. 458 u. f.). 3. Zur Erzielung einer so bedeutenden Resorption ist es nothwendig, eine Emulsion zu nehmen, welche lange Zeit im Darm sich hält. Das gebräuchliche Na,CO, ist zu diesem Zweck nicht geeignet, noch weniger das NaCl, weil beide rasch resorbirt werden und die Emulsion damit auch rasch aufgehoben wird. Eine Lösung von Sapo medicatus aber senüst der Anforderung vollkommen (S. 455). 4. Was die Seife selbst betrifft, so hat sich durch directe Versuche herausgestellt, dass dieselbe resorbirt (S. 438 und 454) und während der Resorption wenigstens theilweise bereits in der Mucosa in Fett umgewandelt wird (S. 448 und 454). Diese Umwandlung setzt sich noch fort, nachdem der Darm ausgeschnitten ist; ja sie kommt selbst noch zu Stande, wenn man die Mucosa feingehackt hat. Erhitzung bei S0° jedoch hebt die Eigenschaft der Mucosa auf. Ueber die Einwirkung des constanten galvanischen Stromes auf niedere Organismen. Zweite Mittheilune: Versuche an verschiedenen Entwickelungsstadien einiger Evertebraten. Von Dr. Oskar Carlgren, Docent an der Hochschule zu Stockholm, Während die Einwirkung des constanten galvanischen Stromes auf Embryonen der Wirbelthiere ziemlich gut bekannt ist, ist bisher keine (ralvanotaxis bei den Evertebratenlarven beobachtet worden. Um zu er- forschen, ob die Embryonen der niederen Thiere für den constanten gal- vanischen Strom reagiren oder nicht, habe ich in Messina und Neapel mehrere Embryonen verschiedener wirbelloser Thiere von dem constanten Strome durchströmen lassen und dabei eine kathodische Galvanotaxis bei mehreren Larvenformen gefunden. Seitdem dies constatirt war, lag es mir am Herzen, andere wichtige Fragen zu beantworten, die Frage nämlich erstens, zu welchem Zeitpunkt während der Entwickelung eines Thieres die galvanotaktischen Erscheinungen aufzutreten beginnen, und zweitens, wovon das Auftreten der Galvanotaxis bedingt ist. Habe ich für einige Embryonen den Zeitpunkt des Auftretens der Galvanotaxis angeben können, so bleibt doch die Beantwortung der zweiten Frage für kommende Arbeiten, die ich später auszuführen hoffe, ührig. Unten stehende Untersuchungen begann ich im März 1899 in dem zoologischen Institut zu Messina. Als Kraftquelle brauchte ich theils eine Chromsäure-Tauch-Batterie von 24 kleinen Kohle- und Zinkelementen, theils eine Leitung von dem physikalischen Institut, oder beide in Verbindung. In den Stromkreis waren ein Galvanometer, dessen Genauigkeit der Messung jedoch sebr approximativ ist, und eine Wippe eingeschaltet. Als Elektroden Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. Bm 466 ÜSKAR ÜARLGREN: habe ich immer unpolarisirbare Pinselelektroden angewendet. Am meisten wurden die Embryonen in dem von Verworn gebrauchten Kästchen, bis- weilen auch in Uhrgläschen durchströmt. In der zoologischen Station zu Neapel habe ich die Untersuchungen während Juni und Anfangs Juli fortgesetzt und beendigt. Im Anfang brauchte ich bei meinen Versuchen die oben genannte Chromsäure-Tauch- Batterie und 7 grössere Kohle- und Zinkelemente, aber da der Strom mit allen diesen Elementen in Verbindung nicht wesentlich stärker wurde als mit nur der Chromsäure-Tauch-Batterie, wandte ich später nur diese letztere an. Die Embryonen wurden zuerst in dem Kästchen oder mehr selten in Uhrgläschen durchströmt. Weil ich indessen bessere Resultate bei der Anwendung kleiner Glasröhrchen, die etwa 6°” lang und 0.4 im Durchmesser und in beiden Enden mit Thonpropfen zugeschlossen waren, bekam, wurde die Durchströmung der Embryonen später immer in solchen Glasröhrehen ausgeführt. Ausser den unpolarisirbaren Pinselelektroden brauchte ich als Elektroden auch Kupferdrähte, die ein Stückchen in die Thonpfropfen eingesteckt wurden, wodurch ich bedeutend stärkere Ströme als bei der Anwendung der Pinselelektroden bekam. In dem Stromkreise waren eine Wippe und ein Strombrecher wie auch ein grob eingetheiltes Galvanometer, dessen Bewerthung mir unbekannt ist, eingeschaltet. Ich gehe jetzt zu der Beschreibung der Versuche über und beginne mit der Durchströmung der niedrigsten Organismen. Spongienlarven. In dem pelagischen Auftrieb aus dem Hafen in Messina bekam ich zwei Mal verschiedene Embryonen einer Kieselspongie. Die Larven waren gelbroth, fast undurchsichtig, zum grössten Theil bewimpert, nur in dem hinteren Ende, wo die Spicula lagen, kamen keine Wimpern vor. Die Bewegungsbahn fiel mit der Längsaxe des Körpers zusammen und die Be- wegung der Larven war gut. Oft liefen sie ruckweise vorwärts. Nach der Schliessung des Stromes (etwa 12 bis 15 M.-A.) war keine Spur der Galvanotaxis bei den Spongienlarven zu sehen; die Larven schwammen wie vor der Schliessung in allen möglichen Richtungen umher. Bei längerer Einwirkung des Stromes bewegten sie sich nicht mehr von der Stelle, während dagegen Larven der Pteropoden, die in dem Kästchen zusammen mit den Spongienembryonen sich befanden, regelmässig die Kathode auf- suchten (siehe unten). Mehrere Versuche, während verschiedener Zeiten, wurden mit demselben negativen Resultate angestellt. Auch für schwächere Ströme (etwa 5 M.-A.) zeigten die Larven, ungeachtet sie in dem Kästchen sich sehr gut bewegten, keine Reaction. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 467 Coelenteratenlarven. Alle die von dem eonstanten Strome durchströmten Coelenteratenlarven gehören der Gruppe der Anthozoön zu. Larven von Bunodes gemmacea. Die Embryonen, die von den aus Faro bei Messina stammenden Mutter- thieren ausgeworfen wurden, befanden sich in verschiedenen Stadien der Entwickelung, die jüngeren hatten nur einige Mesenterien angelegt, die älteren eine grössere Zahl. Die Bewegung war nicht bestimmt und keine bestimmte Bewegungsaxe ausgeprägt. Die Larven wurden in das Kästchen gebracht und mehrmals durchströmt (etwa 15 bis 25 M.-A.), aber keine Spur einer Einwirkung des galvanischen Stromes konnte beobachtet werden, obgleich die Larven sehr lebenskräftig waren. Larven von Actinia Cari. In der zoologischen Station zu Neapel bekam ich einmal im Juni reife Eier und Spermatozoen von dieser Actinia. Die durch künstliche Befruch- tung erhaltenen Larven waren leider nicht zahlreich, weshalb ich nur eine geringe Zahl der Embryonen durchströmen konnte. Für die Versuche wurden 13 Tage alte Embryonen in das Kästchen gebracht. Die Embryonen, die ein bestimmtes Vorderende, das mit einem Büschel von längeren Wimpern als in den übrigen Körpertheilen versehen war, und eine regelmässige Be- wegung hatten, schwammen in dem Kästchen lebhaft umher, zeigten aber bei der Schliessung des Stromes keine Galvanotaxis. Larven von Gorgonia Cavolini. Diese schöne Hornkoralle, die man massenhaft in der zoologischen Station zu Neapel bekommen kann, warf im Juni eine Menge von jungen Embryonen aus. Die Larven, die sich im Planulastadium befanden, waren 1 bis 2m Jang und von derselben Farbe wie die Hornkoralle.. Die Form der Larven war cylindrisch, mit dem Vorderende etwas dicker, was be- sonders bei contrahirten Larven hervortrat. Die Bewegung war bestimmt und die Bewegungshbahn fiel mit der Längsaxe zusammen. Die Larven der Gorgonia sind ganz wie die unten beschriebenen der Astroides ausgeprägt negativ geotropischh Wenn die Larven sich nicht bewegen, sondern am Boden des Glasbechers liegen, stehen sie senkrecht mit dem hinteren Ende nach unten, mit dem vorderen nach oben gerichtet. Genau dieselbe Stellung nehmen sie in der Wassersäule ein, bis sie zu der Oberfläche kommen; dann gehen sie in horizontaler Richtung zu dem Rande und klammern sich mit dem Vorderende oder mit der einen Seite an die Glaswand an. Führt man eine Anzahl der Larven in einen Glasbecher über, sieht man, wie alle augenblicklich nach oben senkrecht gehen, oder, 30* 468 ÜSKAR ÜARLGREN: wenn die Flimmerbewegung schwach ist, zum Boden mit dem Vorderende nach oben gerichtet sinken. Wenn sie die Oberfläche des Wassers erreicht haben, gehen sie in horizontaler Richtung zu dem Rande und heften sich dort fest. Forschen wir nach der Ursache dieser negativen Geotaxis, so ist diese leicht zu finden. Es hängt nur davon ab, dass das hintere, zu- gespitzte Ende schwerer als das diekere Vorderende ist, was man deutlich bei gut conservirten Embryonen sehen kann. Diese sinken nämlich immer in senkrechter Stellung, mit dem vorderen Ende nach oben gerichtet, zum Boden, wo sie die senkrechte Stellung beibehalten. Wenn man die Larven näher mikroskopisch untersucht, sieht man übrigens, dass das mehr durch- schimmernde vordere Ende im Entoderm eine Menge von Fett- oder Oel- kügelchen enthält, während in dem hinteren Körperende solehe Kügelchen mehr spärlich vorkommen oder fast fehlen. Die Ursache der negativen Geotaxis ist also hier nicht, wie z. B. bei Paramaecium, in den an verschiedenen Körpertheilen wirkenden Druckdiffe- renzen, die als Reiz wirken, zu suchen, sondern hängt mit der Verlegung des Körperschwerpunktes nach dem hinteren Pole der Organismen zusammen. Da nämlich das leichtere Vorderende nach oben gekehrt ist, müssen die Larven nach oben gehen, wenn sie sich überhaupt bewegen wollen. Es fragt sich, ob es nicht passend wäre, die bei Gorgonia- und Astroidenlarven, Pluteen und wahrscheinlich vielen anderen Larven auftretende negative Geotaxis, deren Auftreten auf der Schwerpunktsverlegung nach dem hinteren Körperende zu berubt, von der eigentlichen, in Folge der Druckdifferenzen an den Punkten verschiedener Höhe auftretenden Geotaxis zu unterscheiden und ihr eine eigene Benennung, negative Pseudogeotaxis, zu geben. Die Embryonen wurden zuerst in dem Kästchen durchströmt. In keinem Falle war eine Galvanotaxis zu sehen, ob 8, 16 oder 24 kleine Kohle-Zinkelemente oder die ganze Batterie von 24 Kohle-Zinkelementen und 6 grössere Elemente gebraucht wurden. Die Bewegung der Larven war ziemlich gut, am meisten gingen sie jedoch zu dem Rande des Kästchens und klammerten sich dort fest. Wurden sie indessen zu der Mitte des Kästchens geführt, gingen sie in allen möglichen Richtungen wieder zu dem Rande. Ebenso vergeblich war es, eine Galvanotaxis nachzuweisen, wenn die Durchströmung in dem mit Thonpfropfen geschlossenen Glas- röhrchen stattfand, gleichviel ob Pinsel oder in Thon eingesteckte Kupfer- drähte als Elektroden angewandt wurden. Larven von Astroides calieularis. Von dieser Koralle bekam ich in der Station von Neapel Larven gleich- zeitig mit den von Gorgonia. Die gelben, langgestreckt birnförmigen Larven gingen gleich wie die Gorgonia-Embryonen mit dem diekeren Ende voraus EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 469 und älmelten übrigens in Bewegung und in dem Umstand, dass sie negativ pseudogeotropisch waren, so sehr den Larven dieser Hornkoralle, dass es unnöthig ist, hier dies besonders zu erörtern. Die mit $ vollständigen Mesenterien versehenen Astroideslarven waren jedoch bedeutend grösser, ebenso zeigten sie nicht eine solche Vertheilung der Oeltröpfchen im Ento- derm wie die Gorgonialarven. Die ÖOeltröpfehen waren nämlich hier mehr regelmässig zerstreut, obgleich doch ihre Hauptmasse sich in dem vorderen Ende befand. Die Larven wurden zusammen mit den Gorgonialarven durchströmt, aber keine Galvanotaxis konnte beobachtet werden. Annelidenlarven. Larven von Dasychone lucullana. In Neapel bekam ich mehrmals Eierhülsen dieses Röhrenwurmes, die ich in einen Glasbecher legte. Dann und wann verliessen junge Larven die Hülsen und schwammen lebhaft umher. Die Larven waren mit zwei Pigmentflecken und einem Cilienkranz in dem vorderen Ende versehen und zeigten eine beginnende Metamerie; einige Bürstenbündel waren auch vor- handen. Die Larven waren ausgeprägt kathodisch galvanotaktisch. Schon bei der Anwendung von nur 8 kleinen Kohle-Zinkelementen konnte man eine Wanderung der Larven nach der Kathode zu deutlich sehen, aber die Larven machten bald kleine Excursionen und gingen von der Kathode weg. Auf die Einwirkung der 16 kleinen Kohle-Zinkelemente reagirten sie noch besser und bei dem Gebrauch der 24 kleinen Kohle- Zinkelemente war die kathodische Galvanotaxis vollkommen typisch. Die Wanderung nach der Kathode hin trat unmittelbar nach der Schliessung des Stromes ein; legte man die Wippe um, suchten sie die neue Kathode rasch auf. Ich habe die Wippe zehn Mal umgelegt und immer eine deutliche Wanderung wahrgenommen, obgleich bei längerer Einwirkung des Stromes die Galvanotaxis gestört wurde, dadurch, dass mehrere Larven tigmotaktisch wurden. Auch die in Glasröhrchen eingeschlossenen Larven reagirten gut; bei Anwendung von Kupferdrähten als Elektroden zeigten sie indessen starke Neigung tigmotaktisch zu werden, indem sie sich nicht mehr be- wegen wollten. Mollusken-(Pteropoden-)Larven. Larven von Cliopsis Krohnii und Pneumodermon. Die mit mehreren Wimperkränzen versehenen, schönen Larven von Cliopsis Krohnii und von Pneumodermon habe ich in dem Plankton des Hafens von Messina mehrmals gefunden. Besonders die Larven der letzteren A700 : ÜSKAR ÜARLGREN: Gattung traten bisweilen in grossen Massen auf. Auch diese Larven waren deutlich kathodisch-galvanotaktisch. Unmittelbar nach der Schliessung des Stromes (12 bis 20 M.-A.) gingen die in dem Kästchen eingeschlüpften Larven zu der Kathode. Legste man die Wippe um, gingen sie zu der neuen Kathode u. s. w. Besonders wenn man die stärksten Ströme brauchte, begann die eine Larve nach der anderen tigmotaktisch zu werden und sich zu krümmen, zu derselben Zeit, als sie massenhaft Schleim absonderten. Bei längerer Einwirkung des Stromes trat die Reaction dadurch nicht deutlich hervor oder blieb ganz und gar weg. Frische und lebenskräftige Larven, die gut herumschwammen, waren doch immer typisch kathodisch galvanotaktisch. Echinodermenlarven. Um Echinodermenlarven von bestimmtem Alter zu bekommen, wurden die Eier zweier verschiedener Seeigelarten, eines See- und eines Schlangen- sternes künstlich befruchtet. Die verschiedenen Entwickelungsstadien wurden darnach von dem constanten galvanischen Strom durchströmt. Larven von Strongylocentronotus lividus. Bei der Durchströmung der Embryonen dieses in Messina sehr ge- meinen Seeigels habe ich immer das Kästchen gebraucht. Sechs Mal während verschiedener Zeiten wurden die Eier künstlich befruchtet. Von der ersten Cultur habe ich nur zwei Entwickelungsstadien durch- strömen lassen. Junge Pluteen, 54 bis 55 Stunden alt, zeigten bei der Schliessung des Stromes eine deutliche Einstellung der paarigen Arme gegen die Kathode, darnach wanderten die lebhaftesten Larven zu der Kathode und sammelten sich dort. Bei dem Umlegen der Wippe bewegten die Larven sich nieht mehr von der Stelle. Mehrere Versuche (15 bis 25 M.-A.), immer mit frischem Material, wurden angestellt; aber das Resultat war dasselbe. Von den 79 Stunden alten Pluteuslarven, welche bei dem Beginn der Durchströmung (15 bis 25 M.-A.) ziemlich lebhaft waren, wanderte fast augenblicklich nach der Stromschliessung ein Theil zu der Kathode hin, ein anderer Theil, dessen Bewegung langsamer war, stellte sich deutlich gegen die Kathode ein. Nach einigen Secunden war eine Ansammlung an der Kathode vorhanden. Nach dem Umlegen der Wippe entstand all- mählich eine Ansammlung an der neuen Kathode. Die Ansammlung war indessen nicht typisch, weil verschiedene Larven sich nicht mehr von der Stelle bewegten. 22 Stunden alte Embryonen, die wenig lebhaft waren und von einer zweiten Cultur stammten, zeigten bei der Durchströmung (15 M.-A.) keine Spur von Galvanotaxis. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 471 Von einer dritten Cultur wurden kleine, lebhaft umherschwimmende, 17.5 bis 18-5 Stunden alte Embryonen, die sich im Gastrulastadium be- fanden, für die Einwirkung des constanten Stromes (15 bis 20 M.-A.) aus- gesetzt. Weder bei der Schliessung des Stromes, noch 2 bis 3 Minuten nach der Schliessung, noch nach dem Umlegen der Wippe war eine Spur von Galvanotaxis zu entdecken, die Embryonen schwammen gut in allen möglichen Richtungen umher. Fünf Versuche, immer mit frischem Material, wurden angestellt, aber niemals konnte ich eine Einwirkung des elektrischen Stromes sehen. — Embryonen von derselben Oultur, die 25 Stunden alt und nicht so lebhaft waren, sammelten sich sehr langsam (nach einigen Minuten) an der Kathodenseite des Kästchens, aber eine bestimmte Ein- stellung mit dem Vorderende nach der Kathode zu konnte ich nicht beoh- achten. Bei dem Umlegen der Wippe gingen die Embryonen sehr langsam von der Kathode weg. Lebhafte, auch nach der Stromschliessung gut umherschwimmende, 17 bis 15°5 Stunden alte Embryonen einer vierten Cultur zeigten bei der Durehströmung (15 bis 17.5 M.-A.) keine Galvanotaxis — 10 Versuche, immer mit frischem Material, wurden angestellt —, während dagegen die Pteropoden, die zusammen mit den Seeigellarven in dem Kästchen waren, nach der Kathode hin gingen. Auch bei dem Gebrauch von schwächeren Strömen (5 M.-A., nur die Chromsäure-Tauch-Batterie von 24 Kohle- Zinkelementen wurde angewendet) war keine Galvanotaxis zu sehen. — Kleine, 41 bis 42-5 Stunden alte, ziemlich lebhafte Pluteen, mit ziemlich langen Armen von derselben Cultur, gingen dagegen bei der Strom- schliessung nach der Kathode hin. In Folge der eigenthümlichen Be- wegung der Pluteen, dass sie, nach einem Vorwärtsschwimmen mit den paarigen Armen nach vorn gerichtet, ein kürzeres Stückchen mit dem ent- gegengesetzten Pole voraus in der umgekehrten Richtung sich bewegen, welches Hinterschwimmen besonders deutlich ist, wenn die Larven ein Hinderniss, z. B. andere Larven, in ihrem Wege finden, waren die An- sammlungen langsam. Bei dem Umlegen der Wippe verliessen die Larven die alte Kathode und sammelten sich nach und nach an der neuen Kathode. Ich habe mehrmals 4 bis 5 Mal die Wippe umgelest und in allen Fällen eine ziemlich gute Reaction bekommen. Die meisten Larven gingen mit den paarigen Armen voraus zu der Kathode; bei dem Umlegen der Wippe kehrten sich die Larven ganz um. Eine kleinere Zahl der Larven, die sich mehr langsam und unregelmässig bewegten, zeigten doch keine gute Ein- stellung bei der Stromschliessung. — 48 Stunden alte Pluteen wurden von einem ziemlich schwachen Strom (5 M.-A.) durchströmt. Bei der Schliessung war eine ziemlich gute aber doch bedeutend schwächere Reaction als bei dem Gebrauche von stärkeren Strömen zu sehen. — 95 Stunden alte 472 ÜSKAR ÜARLGREN: Pluteen, die sich wenig bewegen wollten, zeigten bei der Durchströmung (5 M.-A.) eine sehr undeutliche Galvanotaxis, dagegen sammelten sich 145 Stunden alte, lebhaft sich bewegende Pluteen nach der Stromschliessung (20 M.-A.) an der Kathode. Die Pluteen, die am lebhaftesten waren, singen am schnellsten, während die trägen sich nur langsam bewegten. /wei Versuche wurden mit diesen Larven angestellt, bei dem ersten Ver- suche wurde die Wippe drei Mal, bei dem zweiten zwei Mal mit gutem Erfolg umgelegt. Darnach wollten die Pluteen sich nicht mehr von der Stelle bewegen. — Pluteen im Alter von 187 Stunden gingen bei der Schliessung des Stromes (20 M.-A.) nach der Kathode zu; nach einer Minute war schon eine gute Ansammlung an der Kathode, nach zwei Minuten befanden sich alle an der Kathode. Bei dem Umlegen der Wippe stellten sich die Larven deutlich mit den Armen gegen die neue Kathode ein, allmählich bildete sich eine Ansammlung an der neuen Kathode. Von den Larven einer fünften Cultur wurde nur ein 29.5 bis 30-5 Stunden altes Entwickelungsstadium durchströmt. Bei der Schliessung (15 bis 20 M.-A.) entstand fast augenblicklich, besonders wenn die Thiere sehr lebhaft waren, eine Wanderung nach der Kathode hin. Die am lebhaftesten sich bewegenden Embryonen sammelten sich am schnellsten an der Kathode, andere gingen mehr langsam, während ein Theil sich nicht mehr von der Stelle bewegte. Nach einigen Secunden war eine deutliche Ansammlung an der Kathode, welche Ansammlung mit jeder Secunde grösser wurde. Bei dem Umlegen der Wippe konnte ich gewöhnlicher Weise keine deut- liche Galvanotaxis sehen, denn die Larven beweeten sich nicht mehr von der Stelle oder gingen sehr langsam in keiner bestimmten Richtung. Aus- nahmsweise zeigten die Larven nach dem Umlegen der Wippe eine deutliche Reaction, dagegen konnte ich immer eine Wanderung ‚nach der Kathode zu beobachten, wenn frisches Material durchströmt wurde (10 Versuche wurden angestellt). 19 bis 20 Stunden alte, sehr lebhaft umherschwimmende Gastrulen einer sechsten Oultur zeigten bei der Schliessung des Stromes (etwa 7-5 bis 20 M.-A.) keine Spur von Galvanotaxis, sondern schwammen, wie vor der Schliessung, in allen möglichen Richtungen umher, dagegen gingen die meisten der jungen, 26 Stunden alten Embryonen im beginnenden Pluteusstadium nach der Kathode hin. Die Embryonen waren in etwas verschiedenem Entwickelungsstadium; die am besten entwickelten reagirten am deutlichsten und zeigten eine deutliche Einstellung des Körpers. Bei dem Umlegen der Wippe bewegten sich die Embryonen nicht mehr von der Stelle — 55 bis 56 Stunden alte Pluteen ven derselben Cultur waren kathodisch-galvanotaktisch (20 M.-A.). EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. Al Larven von Sphaerechinus geranularis. Eine Menge dieser Art zugehörender Bier wurden vier Mal während verschiedener Zeiten meines Aufenthaltes in Neapel künstlich befruchtet. Lebhaft umherschwimmende, junge Embryonen im Gastrula- oder im beginnenden Gastrulastadium (Alter: 15-5 Stunden Cultur 1; 16 Stunden Cultur 2; 20-5 Stunden Cultur 3), die in Glasröhrehen durchströmt wurden, zeigten gar keine bestimmte Wanderung bei der Schliessung des Stromes, sondern schwammen wie vor der Schliessung in allen möglichen Richtungen umher. Das Resultat war dasselbe, ob der Strom stärker oder schwächer war, ob unpolarisirbare Pinselelektroden oder in Thon eingesteckte Kupfer- drähte gebraucht wurden. Dagegen zeigten 30 Stunden alte, in Glas- röhrehen durchströmte Embryonen bei der Schliessung des Stromes und beim Gebrauch von Kupferdrähten als Elektroden eine schwache Andeutung einer Wanderung nach der Kathode zu. Auch wenn bei den 30 Stunden alten Embryonen eine Andeutung einer schwachen kathodischen Galvanotaxis zu sehen war, trat indessen die Wanderung zu der Kathode zuerst bei älteren Larven mehr deutlich hervor. — 40-5 (Cultur 3) und 42 (Cultur 2) Stunden alte Larven in beginnendem Pluteusstadium, die in dem Glas- röhrchen eingeschlossen waren, sammelten sich schon bei der Einwirkung schwächerer Ströme (nur die Chromsäurebatterie wurde angewendet) langsam zu der Kathode. — 40.5 bis 41-5 Stunden alte, auch in begeinnendem Pluteusstadium sich befindende Embryonen (Cultur 3) gingen bei der Schliessung des Stromes (Elektroden: Kupferdrähte) nach dem kathodischen Theile des Rohres hin und sammelten sich dort. Zwar war die Ansamm- lung in Folge der ziemlich trägen Bewegung der Larven langsam, aber doch sehr deutlich und charakteristisch auftretend, indem die jungen Pluteen fast augenblicklich bei dem Umlegen der Wippe nach der neuen Kathode hin gingen. Bei einem Versuche habe ich die Wippe sechs Mal umgelegt und bei jedem Umlegen eine deutliche Einwirkung des Stromes beobachtet. Eine deutliche Einstellung der Larven konnte ich dagegen nicht sehen, was wohl damit in Zusammenhang steht, dass die Bewegung der jungen Pluteen, weil die Pole noch nicht gut ausgebildet sind, wenig bestimmt war. 67 Stunden alte Pluteen (Cultur 2), die in dem Glasröhrchen lebhaft umherschwammen, stellten sich bei der Schliessung eines ziemlich schwachen Stromes augenblicklich mit den paarigen Armen gegen die Kathode ein. Legte man die Wippe um, stellten sich die Larven augenblicklich von Neuem gegen die neue Kathode ein und sammelten sich nach und nach dort. Noch ältere Pluteen (121 bis 122 Stunden alte von der Oultur 3) reagirten für schwache Ströme auf ganz ähnliche Weise. Bei der Ein- stellung sowohl der älteren (121 bis 122 Stunden alten) als jüngeren (nur 474 ÜSKAR ÜARLGREN: 67 Stunden alten) Pluteen war zu bemerken, dass die Längsaxe der Larven oft nicht in der Richtung Anode-Kathode sich befindet, sondern schräg steht. Schwammen die Larven in der Mitte oder in den oberen Theilen des Rohres umher, so war diese Erscheinung gut zu beobachten. Die schräge Einstellung hängt davon ab, dass die Geotaxis (oder besser Pseudogeotaxis) mit der Galvanotaxis coneurrirt. Wer die Pluteen der Echinodermen in. einer Wassersäule umherschwimmen sah, hat gewiss die Einstellung der Larven mit den paarigen Armen nach oben und mit dem unpaarigen Aus wuchs nach unten bemerkt. Diese Stellung behalten die Larven beim Schwimmen sowohl nach oben wie nach unten. Weil die Larven die Stellung beim Herabsinken nicht verändern, ist es wahrscheinlich, dass dies mit der Schwerpunktslage der Larven in Zusammenhang steht. Nach der Schliessung des Stromes wird, wie vorher gesagt, die Körperstellung der Larven verändert. Die Längsaxe der Larven, die unter normalen Ver- hältnissen in der Wassersäule senkrecht steht, kommt nach der Schliessung des Stromes im Winkel von etwa 45° zu der Kathode zu stehen. Bei dem Umlegen der Wippe nimmt die Längsaxe augenblicklich Stellung im Winkel von etwa 45° gegen die neue Kathode ein. Oft habe ich bemerkt, dass die Larven unmittelbar nach dem Umlegen der Wippe auf einen Ruck in derselben Stellung wie vor dem Umlegen in der Richtung ihrer Längsaxe nach unten sehen, um sich darnach gegen die neue Kathode einzustellen. Diese Erscheinung kam aber nicht immer vor. Noch schöner trat die kathodische Galvanotaxis hervor, wenn ich etwas stärkere Ströme gebrauchte, indem die Kupferdrähte direct in den Thon ein- , gesteckt wurden. Die Ansammlungen zu der Kathode erfolgten bedeutend rascher, wie bei der Anwendung schwächerer Ströme, ebenso war die Ein- stellung der Längsaxe der Larven gegen die Kathode deutlicher, indem die Längsaxe mit der Richtung Anode-Kathode immer mehr zusammenfiel, je stärkere Ströme angewandt wurden. Schliesslich trat die Einstellung nach dem Umlegen der Wippe noch schärfer als früher hervor. Ich habe sehr schöne Reactionen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, bei der Durchströmung der 121 bis 122 und 141 Stunden alten Pluteen von der Cultur 3 bekommen. Immer traten bei der Schliessung und bei dem Umlegen der Wippe die oben geschilderten Reactionen charakte- ristisch auf. Larven von Ophiotrix fragilis. Ende Juni bekam ich in Neapel mehrmals geschlechtsreife Individuen dieser Schlangensterne, aber die Pluteenculturen, die ich nach künstlicher Befruchtung bekam, waren nicht so lebhaft wie die der Seeigel; auch starben die Larven einige Tage nach der Befruchtung. Dass unter günstigen EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 475 Verhältnissen bessere Resultate erzielt werden können, halte ich für sehr wahrscheinlich; die hier unten angeführten Experimente mit den Larven der einen Cultur zeigen indessen deutlich, dass auch die Pluteen von Opbhiotrix kathodisch galvanotaktisch sind. Die Experimente mit den Larven der einen Cultur gaben keine Resultate; mit den Larven einer zweiten Cultur gingen die Versuche besser. 15 bis 19 Stunden alte Larven von dieser späteren Cultur, die sich im Gastrulastadium befanden und ziemlich lebhaft in dem Glasröhrchen umherschwammen, zeigten bei der Stromschliessung gar keine Reaction, seien Pinsel, seien in Thon eingesteckte Kupferdrähte als Elektroden ge- braucht worden. — In beeinnendem Pluteenstadium sich befindende, drei- eckige Larven, 22 Stunden alt, waren im Allgemeinen nicht kathodisch galvanotaktisch, doch in einem Röhrchen konnte ich eine Andeutung einer kathodischen Galvanotaxis sehen. — 45 bis 46 Stunden alte, ziemlich träge Pluteen, die entweder in dem Röhrchen umherschwammen oder am Boden sich befanden, stellten sich bei der Schliessung eines stärkeren Stromes (in Thon eingesteckte Kupferdrähte wurden als Elektroden gebraucht) deut- lich mit den paarigen Auswüchsen gegen die Kathode ein. Eine schwache, langsame Wanderung der Pluteen nach der Kathode hin konnte ich auch beobachten. Bei jedem Umlegen der Wippe stellten -sich die Larven gegen die neue Kathode ein und wanderten langsam in dieser Richtung. — 56 und 72 Stunden alte Pluteen zeigten dieselbe Reaction, die am besten bei der Einwirkung stärkerer Ströme hervortrat. Keine Einstellung der Larven konnte ich sehen, wenn die Pluteen todt waren. Eine Menge der 45-5 bis 46 Stunden alten Pluteen, die ich Nach- mittags spät in einem Röhrchen durchströmte, waren am anderen Tag früh in dem Röhrchen gestorben. Bei der Stromschliessung war keine Spur einer Einstellung der gestorbenen, aber noch nicht zerfallenen Pluteen zu finden, ob die Larven am Boden. lagen oder ob sie durch Schütteln in dem Röhrchen umherschwammen; ebenso wenig konnte ich eine Wanderung der Larven entdecken. Larven von Asteracanthion glacialis. Mitte April bekam ich in Messina gelegentlich reife Eier und Sper- matozoön dieser Seesterne, so dass ich eine Cultur anlegen konnte. Weitere Versuche, Eier und Spermatozoön zu bekommen, waren vergebens, weshalb ich hier keine genauen Angaben über das Auftreten der Galvanotaxis geben kann, um so mehr, als ich die erste Zeit nach der Befruchtung nur schwache Ströme zu meiner Verfügung hatte. Eine erneute Untersuchung mit stär- keren Strömen über die Einwirkung des constanten Stromes auf die frühesten +76 ÜSKAR ÜARLGREN: Entwickelungsstadien ist daher nothwendie. Ich will indessen hier auch die Einwirkung der schwachen Ströme erwähnen. Junge, 24 Stunden alte Gastrulen wie auch 7 Tage alte Pluteen, die in dem Kästchen durchströmt wurden, zeigten keine Einwirkung des con- stanten Stromes (die kleine Chromsäurebatterie von 24 Kohle-Zinkelementen und Pinselelektroden wurden gebraucht), obgleich die Embryonen ziemlich lebhaft waren. Als ich stärkere Ströme zur Verfügung hatte, bekam ich bessere Resultate. 10 Tage alte Bipennarien, die ziemlich lebhaft in dem Kästchen umherschwammen, gingen alle ohne Ausnahme bei der Schliessung des Stromes (15 bis 25 M.-A.) nach der Kathode hin, um sich dort anzu- sammeln. Nach dem Umlegen der Wippe verliessen alle die alte Kathode und suchten die neue auf. Wenn der Strom- lange Zeit geschlossen war, ohne dass man die Wippe umlegte, begannen die Larven, besonders in den Partien, die am weitesten von den Pinseln lagen, kleine Excursionen von der Kathode nach der Anode zu zu machen, kehrten aber bald zu der Kathode zurück; einzelne Larven erreichten während dieser Excursienen die Anode, blieben aber nicht dort, sondern kehrten zu der Kathode zurück. Die Hauptmasse der Larven bleibt doch in der Nähe der Kathode. Bei dem Umlegen der Wippe trat gleich, auch bei längerer Schliessung des Stromes, eine gute Galvanotaxis auf. Bei der Oefinung des Stromes gingen die Larven in die Richtung der früheren Anode, vertheilten sich aber bald in verschiedene Richtungen. Bei längerer Einwirkung des Stromes war die kathodische Galvanotaxis nicht so typisch, obgleich man auch dann die Neigung der Larven, nach der Kathode zu zu gehen, deutlich beobachten konnte. — 11 Tage alte Larven verhielten sich ganz wie die Larven von 10 Tagen. 13 und 14 Tage alte, ziemlich lebhafte Bipennarien, von denen doch ein Theil eine beginnende Zusammenschrumpfung des Körpers, die bei den Larven im Allgemeinen gewöhnlich unter ungünstigen Nahrungs- verhältnissen auftritt, zeigte, reagirten auch gut bei der Schliessung des Stromes (15 bis 25 M.-A.), aber die Wanderung war nicht so schön wie früher. Bei dem Umlegen der Wippe trat auch eine, obgleich nicht typische, Reaction ein. Bei längerer Einwirkung des Stromes wurde die Galvanotaxis noch undeutlicher. — 18 Tage alte Bipennarien, die noch mehr zusammen- geschrumpft waren, reagirten nicht mehr auf die Einwirkung des constanten Stromes (15 bis 25 M.-A.). Während also die Gastrulen oben stehender Echinodermen gar nicht auf den constanten galvanischen Strom reagiren, zeigen die jüngsten Pluteen (und Bipennarien?) eine schwache, und die älteren Pluteen und Bipennarien eine deutliche kathodische Galvanotaxis. Ich muss doch bemerken, dass EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 477 die Galvanotaxis unter ungünstigen Verhältnissen auch bei den Pluteen und Bipennarien nicht deutlich hervortritt, was man auch von den erwähnten Versuchen finden kann. Wenn man gute Reactionen bekommen will, müssen die Pluteen und Bipennarien lebhaft umherschwimmen; im anderen Fall ist die Reaction bei der Stromschliessung undeutlich. In Betreff der Pluteen habe ich die besten Resultate bekommen, wenn ich bei der Durchströmung die oben angegebenen kleinen Glasröhrchen, die an beiden Enden mit Thonpfropfen verschlossen waren, anwandte. Bei der Ueberführung der Pluteen aus den Culturen in die Glasröhrchen werden die Pluteen gewöhn- lieh so gereizt, dass sie zu Boden sinken und dort unbeweglich liegen. Nach Verlauf kürzerer oder längerer Zeit beginnen die Pluteen indessen sich zu bewegen und in die Höhe zu gehen. Erst wenn die Bewegung gut ist, ist es vortheilhaft, die Durchströmung vorzunehmen. Aehnliche Verhältnisse findet man z. B. bei Paramaecien, die am besten auf den elektrischen Strom reagiren, wenn sie am lebhaftesten sind, während sie, wenn sie sich träge bewegen, gar keine Gralvanotaxis zeigen, oder erst beim Gebrauch viel stärkerer Ströme als gewöhnlich zu der Kathode gehen. Um gute Reactionen zu bekommen, dürfen auch die Ströme nicht zu schwach sein. Am besten trat die Galvanotaxis bei der Anwendung der stärksten von mir gebrauchten Ströme hervor. Besonders gilt dies in Betreff der Pluteen, denn die Pseudogeotaxis, die die Pluteen zeigen, con- eurrirt stark mit der Galvanotaxis. Man könnte einwenden, dass die Wanderung der Larven eine rein passive Wanderung wäre. Ausser dass die ganze Bewegung der Larven bei der Schliessung des Stromes und bei dem Umlegen der Wippe dafür spricht, dass die Wanderung innig mit dem Leben zusammenhängt, giebt es auch andere Verhältnisse, die gegen die Annahme einer passiven Wanderung der Larven streiten. Zuerst habe ich niemals eine Einstellung und Wanderung gestor- bener Larven beobachtet (vergl. Ophiotrix). Weiter deuten die kleinen Exeursionen, die die Asteracanthionlarven gleich wie die Volvoxcolonien bei längerer Durchströmung von der Kathode nach der Anode zu und zurück zu der Kathode machen, auf eine active Wanderung hin. Und schliesslich wäre das Verhältniss, dass die Larven von derselben Cultur, also von dem- selben Alter, unter ganz ähnlichen äusseren Umständen (derselben Wasser- concentration, derselben Stromstärke) sich so verschieden bei der Durch- strömung verhalten, mit der Annahme einer nur passiven Wanderung unbegreiflich. Denn bei der Ueberführung der Pluteen von den Culturen in die Glasröhrchen habe ich oft Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie ver- schieden die Pluteen aus derselben Cultur sich verhalten können, indem 478 ÜSKAR ÜARLGREN: die, welche bei der Ueberführung gereizt wurden und deshalb sich nicht bewegten, weder eine Einstellung des Körpers zeigten, noch eine kathodische Wanderung ausführten, gleichviel ob sie am Boden lagen oder durch schwache Schüttelung des Glasröhrchens in der Flüssigkeit passiv schwammen, während andere je nach der mehr oder minder lebhaften Bewegung eine deutlichere oder undeutlichere Einstellung und Wanderung nach der Kathode zu zeigten. Diese Verhältnisse weisen deutlich darauf hin, dass wir es mit einer activen Einstellung und Wanderung zu thun haben. Ascidienlarven. Larven von Ciona intestinalis. Von dieser Ascidie habe ich in Neapel kleine geschwänzte Larven durch künstliche Befruchtung der Eier bekommen. Bei der Schliessung des Stromes war weder eine Einstellung des Körpers, noch eine Wanderung nach dem einen oder anderen Pole zu sehen. Bisweilen wurden die Larven stillstehend bei der Schliessung, bisweilen drehten sie sich rings um. Ob- gleich es so aussieht, als ob der constante Strom eine Einwirkung auf die Larven hat, habe ich indessen keine charakteristische Reaction finden können. Die Versuche wurde sowohl im Röhrchen, als in den Kästchen und in einem Uhrglas angestellt. Als Elektroden dienten die gewöhnlichen Pinsel oder in Thon eingesteckte Kupferdrähte. Zusammenfassung der wichtigsten Resultate. 1. Die Larven aller untersuchten Coelenteraten, nämlich die stark negativ pseudogeotropischen Larven von Gorgonia Cavolini und Astroides calicularis, wie auch die Larven von Bunodes gemmacea und Actinia Cari zeigten keine Spur der Galvanotaxis. Ebenso verhielten sich die Larven einer Kiesel- spongie und einer Ascidie, Ciona intestinalis. 2. Die Larven einer Annelide, Dasychone lucullana, wie auch die zweier Pteropoden, Cliopsis Krohnii und Pneumo- dermon, waren schon für ziemlich schwache Ströme kathodisch salvanotaktisch. 3 Junge, lebhaft umherschwimmende, im Gastrulastadium sich befindende Embryonen von vier Echinodermen (von zwei Seeigeln, Strongylocentronotus lividus und Sphaerechinus gra- nularis, einem Schlangensterne, Ophiotrix fragilis, und einem Seesterne, Asteracanthion glacialis) zeigten ganz wie die Coelen- teraten und Spongien keine Spur eines Einflusses des constanten Stromes. EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. 479 4. Aeltere Larven, Pluteen und Bipennarien, oben genannter Echinodermen stellten sich dagegen bei der Einwirkung stärkerer Ströme gegen die Kathode ein und wanderten nach der Kathode hin. Am deutlichsten war die kathodische Galvanotaxis bei den Bipennarien von Asteracanthion, am undeutlichsten bei den Pluteen von Ophiotrix. 5. Die kathodische Galvanotaxis bei oben genannten Echino- dermen tritt allmählich auf. Bei den Seeigeln und den Schlangen- sternen fällt das Auftreten der Galvanotaxis mit dem Anlegen des Pluteusstadiums zusammen. 6. Dienur mit den Schwerpunktsverhältnissen in Zusammen- hang stehende scheinbare Geotaxis bei Gorgonia, Astroides und den Pluteenlarven muss von der eigentlichen, von den Druck- differenzen abhängenden Geotaxis, z. B. bei Paramaecium, scharf unterschieden werden. Am zweckmässigsten scheint es mir, eine eigene Benennung, Pseudogeotaxis (Pseudogeotropismus) für diese scheinbare Geotaxis (Geotropismus) einzuführen. Weil ich hoffe, diese Untersuchungen binnen Kurzem an anderen Larvenformen weiter verfolgen zu können, will ich hier keine allgemeinen Schlussfolgerungen aus oben stehenden Resultaten meiner Untersuchungen ziehen. Sehr bemerkenswerth scheint mir jedoch das Verhältniss zu sein, dass die verschiedenen Entwickelungsstadien der Echinodermen sich so ver- schieden gegen die Einwirkung des constanten Stromes verhalten. Stellen wir die Beobachtungen von Nagel,! dass die ausgebildeten Echinodermen (Asteracanthion glacialis, Echinaster roseus, Ophioderma longicauda und Antedon rosaceus sind in dieser Hinsicht von Nagel untersucht) keine Galvanotaxis zeigen, mit meinen Untersuchungen zusammen, so kommen wir zu dem interessanten Resultate, dass die jüngsten und die ältesten Stadien der Echinodermen, die frei beweglichen Gastrulen und die kriechenden aus- gebildeten Thiere, nicht galvanotaktisch sind, während die zwischen liegenden Stadien, das freischwimmende Pluteus- und Bipennariastadium, eine deut- liche kathodische Galvanotaxis aufzuzeigen haben.” Was die Ursache des Auf- tretens einer Galvanotaxis bei den Pluteen ist, ob dies mit dem Auftreten eines Kalkskelettes, oder ob es mehr mit der Ausbildung eines specialisirten Nervensystemes in Zusammenhang steht, wage ich nicht mit Sicherheit zu ı W.Nagel, Fortgesetzte Beobachtungen über polare galvanische Reizung bei Wasserthieren. Pflüger’s Archiv. 1893. Bd. LI. ® In diesem periodischen Auftreten zeigt die Galvanotaxis Aehnlichkeit mit der Phototaxis. 480 ÖSKAR ÜCARLGREN: EINWIRKUNG DES CONSTANTEN STROMES. sagen, ebenso wenig wie ich die Ursache des Verschwindens der Galvanotaxis bei den ausgebildeten Thieren angeben kann. Schliesslich will ich die Aufmerksamkeit auf die Uebereinstimmung, die die Gastrulen der Echino- dermen bei der Einwirkung des constanten elektrischen Stromes mit den Larven der Coelenteraten und Spongien zeigen, d. h. dass beide nicht galvanotaktisch sind, richten. Ehe ich diese Mittheilung schliesse, sei es mir gestattet, die Gelegenheit zu benutzen, meine tiefe Dankbarkeit den Hrrn. Professoren E. Ficalbi und E. Salvioni, Direetoren des zoologischen bezw. physikalischen Institutes zu Messina, wie auch dem Hrn. Geheimrath Professor A. Dohrn in Neapel für das ausserordentliche Entgegenkommen, mit welchem sie Arbeitsplätze, Arbeitsmaterial und Hülfsmittel ihrer Institute zu meiner Verfügung ge- stellt haben, hier öffentlich auszusprechen. Beiträge zur Rückenmarksphysiologie der Fische. Von Adolf Bickel. Nachdem ich beim Aale den Einfluss studirt hatte, den die Querseetion verschieden hoher Abschnitte des Rückenmarkes auf die Ortsbewegung, wie auf die Lage dieses Thieres im Raume ausübt, war es von Interesse, diese Versuche bei Fischen zu wiederholen, bei denen wegen der Eigenthümlich- keit ihres Körperbaues vorausgesetzt werden durfte, dass die Folgen dieser Operationen ganz besonders hinsichtlich der Wahrung der normalen Lage noch eclatanter hervortreten würden, als das bei dem walzenförmig gebauten Aale der Fall war. Ich benutzte daher zu meinen Experimenten Fische, bei denen der dorso-ventrale Durchmesser der Thiere den Querdurchmesser so viel als möglich an Länge übertraf. Eine ganze Reihe verschiedener Fische unserer (ewässer, wie Schleien, Weissfische u. s. w., dienten mir als Versuchsobjecte. Da die Durchschneidung des Rückenmarkes bei diesen Thieren immer eine sehr tiefe Rückenwunde unvermeidlich machte und da diese letztere im Gegensatz zu den entsprechenden Eingriffen beim Aal niemals ausheilte, war es mir unmöglich, die Thiere längere Zeit am Leben zu erhalten. Die längste Lebensdauer, die einige meiner operirten Thiere nach. dem Eingriff zeigten, betrug zwanzig Tage. Zur Orientirung über die Bedeutung, welche die verschiedenen Flossen für die Locomotion des Thieres überhaupt, wie ganz besonders auch für die Erhaltung der normalen Lage des Fischkörpers im Raume haben, wurden einige Vorversuche angestellt, die folgende Ergebnisse hatten. Vorversuche. 1. Ein Fisch, dem man sämmtliche Flossen und den Schwanz ab- geschnitten hat, kann noch Ortsbewegungen ausführen. Wenn er in Ruhe verharrt, so liegt er gewöhnlich auf der Seite. Durch Schlängelbewegungen, Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. a1 482 ADoLF BIckKEL: die sich über den ganzen Körper erstrecken, kann er nun entweder in der Seitenlage schwimmen, oder aber er gewinnt mehr oder minder rasch seine natürliche Gleichgewichtslage, die er während des Schwimmens dann fernerhin behauptet, wenn schon sich nicht selten Schwankungen geltend machen, die ihn aus der errungenen Lage zu verdrängen drohen. 2. Ein Fisch, der nur die Schwanz-, After- und Rückentlosse verloren hat, zeigt geringere Störungen hinsichtlich der Erhaltung des Gleich- gewichtes, als ein Fisch, der beide Brustflossenpaare eingebüsst hat. Diese Erfahrung macht man besonders dann, wenn man die Fische beim „Stehen“ im. Wasser beobachtet. Ueberhaupt scheinen es hier vorzüglich die Brust- flossen, und zwar das erste Paar derselben zu sein, welches bei der Wahrung des Gleiehgewichtes unter diesen Umständen betheiligt ist. 3. Die Lage, welche die verschiedenen Fischarten in der Ruhe ein- nehmen, nachdem ihnen alle Flossen abgeschnitten sind, ist ein wenig wechselnd. 4. Die Lage, welche unversehrte Fische in tiefer Chloroformnarkose einnehmen, varirt gleichfalls bei den verschiedenen Arten. Hauptversuche. Bei den Hauptversuchen besass ich vier Gruppen von Thieren, bei denen ich das Rückenmark an bestimmten Stellen quer durchschnitten hatte. Ich nahm die Gesammtlänge des nervösen Centralorganes der Thiere und theilte diese in fünf ungefähr gleiche Abschnitte. An dem caudalen Ende eines jeden dieser Abschnitte mit Ausnahme des letzten wurden die Quersectionen vorgenommen. Die Operation führte ich unter Wasser aus und schloss die Wunde, sowohl durch tiefe, als auch durch Hautnähte. Erste Gruppe. Operation: Quersection am caudalen Ende des ersten (cranialen) Fünftels. Diese Fische können das erste Brustflossenpaar noch vom Gehirn aus innerviren. Die Thiere vermögen unter keinen Umständen mehr ihre normale Lage auch nur annähernd zu behaupten. Sie haben jedoch die Fähigkeit, durch Schlängelbewegungen, die das Kopfthier einleitet und die sich mechanisch über den ganzen Körper fortpflanzen, fortzubewegen. Das erste Brustflossenpaar arbeitet dabei mit. Bei der Locomotion sowohl, als auch in der Ruhe liegen diese Thhiere fast ausnahmslos auf der Seite, auf die sie der Zufall geworfen hat, und sind unfähig, diese Lage wesentlich zu verändern. BEITRÄGE ZUR RÜCKENMARKSPHYSIOLOGIE DER FISCHE. 483 Hautreize werden von dem Rückenmarksthiere auf das Lebhafteste durch entsprechende Bewegungen beantwortet. Kneift man das Thier in den Schwanz, so schlägt es mit dem Körper hin und her, als ob es sich aus der fesselnden Hand befreien wollte. Dasselbe findet statt, wenn man das Thier am Rumpfe erfasst und aus dem Wasser nimmt. Legt man es auf die trockene Erde, so ist es in manchen Fällen schwer, den operirten Fisch seinem Benehmen nach von einem normalen unter gleichen Verhältnissen zu unterscheiden. Flammenreize rufen heftige Bewegungen hervor; natürlich ist es er- forderlich, das auf der Erde liegende Thier erst zu beruhigen, ehe man den Versuch vornimmt. Häufig — nicht regelmässig —— wendet sich der Fisch im ersten Augenblick von der Flamme ab; dann aber schlägt er kräftig mit dem Körper hin und her. Starke elektrische Reize — auch wenn sie im Wasser applieirt werden — haben denselben Erfole. Es gelingt nicht, die Thiere im Wasser zu veranlassen, rückwärts zu schwimmen. Zweite Gruppe. Operation: Quersection am caudalen Ende des zweiten Fünftels. Diese Fische vermögen die beiden Brustflossenpaare vom Gehirn aus zu innerviren. Die Locomotion wird durch Schlängelbewegungen des Vorderthieres, die sich auf das Hinterthier mechanisch fortsetzen, bewerkstelligt; die beiden Brustflossenpaare arbeiten mit. Beim Schwimmen behaupten die Thiere annähernd ihre normale Gleich- gewichtslage. Setzen sie aber die Bewegung aus, so verharren sie zwar noch einige Augenblicke in ihrer regelrechten Stellung, sinken aber dann auf die eine oder andere Seite um, wie es gerade der Zufall will. Beginnen diese Thiere der zweiten Gruppe die Locomotion, so führt das Vorderthier, während der Gesammtkörper auf der Seite liegt, zunächst ‚einige Schlängelbewegungen aus, die sich allmählich auch auf das Rücken- marksthier fortpflanzen. Diese Bewegungen, die Anfangs schwach sind, werden nach und nach stärker, führen zur Ortsbewegung des Thieres und verbinden sich mit Bewegungen des Vorderthieres, die den Zweck haben, den ganzen Körper seine normale Lage wieder gewinnen zu lassen. So muss sich der Fisch beim Uebergang aus der Ruhe zur Locomotion jedes Mal von Neuem seine physiologische Stellung gewissermaassen erst er- kämpfen. Hat er sie aber gewonnen und den Widerstand überwunden, den der räumlich desorientirte Hinterkörper verursacht, indem er wie eine fremde Masse dem Vorderthier anhaftet, so gelingt es dem Fische bei der Locomotion, unterstützt durch die Schlängelbewegungen, die sich über das 31* 484 ADoLF BickEL: ganze Thier erstrecken und die dazu beitragen, den Hinterkörper in der gewünschten Lage zu erhalten, eine annähernd normale Stellung dauernd zu bewahren. In Bezug auf die Reflexthätigkeit des Rückenmärksthieres gilt dasselbe, was von der ersten Gruppe gesagt ist. Dritte Gruppe. Operation: Quersection am caudalen Ende des dritten Fünftels. Diese Fische behaupten sowohl während der Ruhe beim „Stehen“ im Wasser, als auch bei der Ortsbewegung ihre Gleichgewichtslage. Vierte Gruppe. Operation: Quersection am caudalen Ende des vierten Fünftels. Die Thiere dieser Gruppe verhalten sich ganz analog denjenigen der dritten Gruppe. Durchschneidet man den ganzen Fischkörper an dieser Stelle total und näht dann das Schwanzstück wieder an den Vorderkörper an, so setzen sich die Schlängelbewegungen gleichfalls über den ganzen Thierkörper fort. Spontane Locomotionsbewegungen der Rückenmarksthiere habe ich im Gegensatz zum Aale bei den vorstehenden Versuchen nicht beobachtet. Der Grund muss in der zu kurzen Beobachtungsdauer gesucht werden. Litteraturverzeichniss. A. Bickel, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie des Aales. Pflüger’s Archiv. Bd. LXVI. Steiner, Die Functionen des Centralnervensystems und ihre Phylogenese. Braun- schweig 1888. Bd. II. A. Bethe, Die Locomotion des Haifisches und ihre Beziehungen zu den einzelnen Gehirntheilen und zum Labyrinth. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXVL Beiträge zur Rückenmarksphysiologie des Frosches. Von Adolf Bickel. So viel Beobachtungsmaterial auch über die Retlexthätigkeit des Frosch- rückenmarkes vorliegt, so- fehlt es uns dennoch an genaueren systematischen Untersuchungen, die uns Aufschluss geben, welche Leistungen die einzelnen Abschnitte des Rückenmarkes bei diesem Thiere zu vollbringen im Stande sind. Die berühmten Arbeiten von Pflüger und Goltz über die Physiologie des Froschrückenmarkes lehrten uns die erstaunliche Selbstständigkeit kennen, die das vom Gehirn losgetrennte Mark in functioneller Hinsicht noch besitzt und sie zeigten uns, wie ein grosser Theil derjenigen nervösen Thätigkeiten, die die alten Physiologen so gerne als die ureigenste Domäne des Gehirnes angesehen haben, noch vom isolirten Rückenmark ausgeführt werden können. Schon lange vor dem Erscheinen dieser Untersuchungen wusste man zwar um die Reflexthätigkeit des Rückenmarkes überhaupt, wie speciell um diejenige des Rückenmarkes beim Frosche; aber es gebührt Pflüger und Goltz das Verdienst, uns in fundamentaler Weise gezeigt zu haben, in wie hohem Maasse das Rückenmark allein noch complicirte Handlungen zu verrichten vermag, für die, wie gesagt, man früher die Mitwirkung des (rehirnes für unerlässlich hielt. Allerdings behandelten alle diese Untersuchungen über die Functionen des Froschrückenmarkes, von denen wir im Vorhergehenden gesprochen haben, und die zu wohl bekannt sind, als dass es nöthig wäre, hier genauer noch einmal darauf einzugehen, gewöhnlich das Rückenmark in seiner Ge- sammtheit und bestanden in Beobachtungen, die zum grössten Theile an enthaupteten Thieren angestellt worden waren. Aus diesem Grunde glaubte ich berechtigt zu sein, diese Untersuchungen nach einer anderen Methode noch einmal aufnehmen zu dürfen, und auch gleichzeitig nach dieser Methode zu prüfen, welche Verrichtungen die einzelnen Abschnitte des Froschrücken- markes noch zu vollführen im Stande sind. Denn die Unzulänglichkeit der Untersuchungsmethode, bei der man die Thiere enthauptet, liegt auf der Hand, wenn man die Grenze der Leistungsfähigkeit dieses Organes oder 456 ADOLF BICKEL: einzelner Abschnitte desselben aufsuchen will. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, dass man die Thiere nach der Operation möglichst lange am Leben erhält, dass man dem Marke Zeit giebt, sich von dem Eingriff zu erholen, Zeit giebt, die vielleicht ursprünglich nur schlummernd in ihm ver- borgen liesenden Fähigkeiten aufwachen und sich ausbilden zu lassen. Dank dieser Methode, ‘welehe zuerst mit so überraschendem Erfolge von Goltz beim Hunde angewandt worden ist, gelang es mir, beim Aale zu zeigen, dass die Spontaneität der Ortsbewegung nicht, wie man früher annahm, die Intactheit gewisser höherer Centraltheile zur Bedingung habe, sondern dass jeder beliebige Abschnitt des Kückenmarkes für die spontane Locomotion, wie für spontane Bewegungen der zugehörigen Körpersegmente überhaupt ausreichend sei. Diese enorme Selbstständigkeit des hückenmarkes in Bezug auf die spontane Locomotion geht jedoch bei höheren Thieren anscheinend mehr oder minder verloren. Ich habe z. B. bei Schildkröten, denen ich das Rückenmark etwas unterhalb der Medulla oblongata durchschnitten hatte und bei denen die Bewegungsfähigkeit der Vorderextremitäten an und für sich nicht im Geringsten herabgemindert war, während der viele Wochen dauernden Beobachtung niemals spontane Ortsbewegungen auf dem Lande oder im Wasser gesehen. Nur wenn ich diese Thiere mit sehr starken Inductionsströmen längere Zeit reizte, so konnte ich ein paar Mal eine Loco- motion auf dem Lande erhalten, bei der alle vier Extremitäten betheiligt waren, allerdings ohne die Eleganz und Regelmässigkeit, mit der diese Glied- maassen bei der Ortsbewegung unversehrter Schildkröten zusammen arbeiten. Diese Beobachtung beweist, dass — wenn vielleicht auch in wenig eleganter Ausführung — doch immerhin ein Mechanismus im Rückenmark der Sehildkröte vorhanden ist, der eine Locomotion dieser Thiere durch /usammenarbeiten der vier Extremitäten unter gewissen Umständen mög- lich macht. Dieser Beweis wird aber nicht erbracht, wenn man Schild- kröten sieht, die etwa unmittelbar nach der Decapitation eine derartige Locomotion ausführen, weil bei dieser Versuchsanordnung immer der Einwand bestehen bleibt, dass durch den operativen Eingriff Bahnen erregt werden könnten, die für gewöhnlich von höheren Centraltheilen ihre Impulse, die, im Rückenmark angelangt, zur Locomotion führen, er- halten, und die in dem vorliegenden Falle durch den Schnitt gereizt worden sind, und dass so der künstliche Reiz den physiologischen bei der decapitirten Schildkröte ersetzt. Das gilt überhaupt für alle derartigen Versuche an decapitirten Thieren. Konnte ich auch keine spontane Locomotion bei diesen Schildkröten mit hoher Rückenmarksquersection beobachten, so hatte ich doch öfters Gelegenheit, spontane Bewegungen einzelner Extremitäten oder des BEITRÄGE ZUR RÜCKENMARKSPUYSIOTLOGIE DES FROSCIES. 487 Schwanzes (dieser Thiere zu sehen, und zwar auch dann noch, wenn ich diese Thiere unter eine Glasglocke setzte, um sie so möglichst allen Reizen der Aussenwelt zu entziehen. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, dass diese Abnahme der Selbst- ständigkeit des Rückenmarkes in Bezug auf die Auslösung einer spontanen Ortsbewegung überhaupt für die Reptilien charakteristisch sei, sondern ich wollte nur die Differenz beleuchten, die sich mir bei der Untersuchung der Funetionen des Rückenmarkes jener beiden Thiere, des Aales und der Schildkröte, unter entsprechenden Bedingungen dargethan hat. Mit von diesem hier entwickelten Gesichtspunkte aus habe ich die Untersuchungen in Angriff genommen, über die die vorliegende Abhandlung berichten soll. Ich wollte nachsehen, wie weit das Rückenmark des Frosches, der als Amphibium zwischen Aal und Schildkröte in der Thierreihe steht, spontane Bewegungen überhaupt, wie spontane Ortsbewegungen veranlassen kann. Allerdings musste ich mir sagen, dass zu diesen Untersuchungen das Frosehrückenmark wegen seines gedrängten Baues eigentlich nicht das günstigste Object sei, da gerade (uersectionen, welche die nervösen Rücken- markscentren der vier Extremitäten von den höheren Nervencentren trennen, fast nur so angelegt werden können, dass mit dem Rückenmark gleich- zeitig noch ein Stück Medulla oblongata zusammenhängt, vorausgesetzt, dass die Bewegungsfähigkeit der Vorderextremitäten an und für sich voll und ganz bewahrt bleiben soll. Aber andererseits vollführt ja der Frosch seine Locomotion hauptsäch- lich mittels der Hinterbeine, so dass ich also doch die Möglichkeit hatte, festzustellen, ob einmal derartige, zur Locomotion mittels dieser Extremitäten, sei es durch Sprung oder durch Schwimmen, nothwendige centrale Nerven- apparate in dem diesen Gliedmaassen correspondirenden Abschnitte des Rückenmarkes vorhanden seien und ob dann auch gelegentlich eine spontane Loeomotion mit diesen Extremitäten, die vom isolirten Rückenmark ausgelöst wird, beobachtet werden könnte. \an mache mir nicht den Einwand, dass hinsichtlich des ersten Pro- blems der Beweis für die Gegenwart der hier geforderten Nervenverbin- dungen im Froschrückenmark dadurch erbracht sei, dass man decapitirte Thiere aus der Hand des Experimentators hat fortspringen sehen. Es handelt sich vielmehr darum, zu zeigen, ob die in dem isolirten hückenmark vorhandenen Verknüpfungen der ihm zugehörigen sensibeln und motorischen Nervenbahnen genügen, Locomo- tionsbewegungen des Thieres unter Umständen hervorzubringen. Und das kann nur dann gezeigt werden, wenn man Reize, die vun dem künstlichen Markquerschnitt ausgehen, vermeidet. Denn wenn man dieses Moment vernachlässigt, so weiss man niemals — ich habe das schon oben 488 ADOLF BICKEL: aus einander gesetzt —, wie weit der künstliche Reiz Impulse ersetzt, die beim intacten Thier von der Medulla oblongata oder von dem Gehirn dem Rückenmark zuströmen und hier die Locomotion auslösen durch Erregung der motorischen Ganglienzellen des Markes. Wie sehr dieser Einwand berechtigt ist, wird auch durch folgende Er- fahrungen bewiesen. Ein abgeschnittener Eidechsenschwanz bewegt sich be- kanntlich in der lebhaftesten Weise. Stellt er schliesslich seine Bewegungen ein, so kann man sie auf’s Neue hervorrufen, indem man einen neuen Quer- sehnitt anlegt. — Ferner zeigt ein Frosch, dem man das Rückenmark im Halstheil durchschneidet, einige Stunden nach der Operation nicht die Leb- haftigkeit der Bewegungen, welche den eben decapitirten Frosch auszeichnet. Meine Untersuchungen erstreckten sich auf eine sehr grosse Anzahl von Fröschen. Ich durchschnitt das Rückenmark in wechselnden Höhen und erhielt so verschiedene Gruppen operirter Thiere, deren Eigenthümlich- keiten ich im Folgenden genauer beschreiben werde. Die Thiere wurden bis zu drei Monaten nach der Operation am Leben erhalten und beobachtet. Experimente. Erste Gruppe. Der Frosch mit querdurchschnittenem Ruckenmark zwischen dem fünften und sechsten Wirbel. Diese Thiere sind unfähig, ihre Hinterbeine an den Körper anzuziehen. bei der Locomotion mit den Armen werden die Hinterbeine schlaff nach- geschleift. Reflexbewegungen dieser Extremitäten können überhaupt auf die Dauer kaum ausgelöst werden." Der Abwischreflex bei Betupfen des‘ Afters mit verdünnter Essigsäure, wie Bewegungen der Hinterextremitäten, nachdem das Thier auf den Rücken gelegt ist, fehlen vollständig. Durch Bewegungen des Vorderkörpers gelingt es dem Thiere mitunter, sich in die Bauchlage zurückzubringen. u Zweite Gruppe. Der Frosch mit querdurchschnittenem Rückenmark zwischen dem vierten und fünften, wie zwischen dem dritten und vierten Wirbel. Diese Thiere zeigen im Grossen und Ganzen das gleiche Verhalten und sollen aus diesem Grunde hier zusammen abgehandelt werden. Der Frosch hält die Hinterbeine gewöhnlich dicht an den Körper an- gezogen. Diese Anziehung ist stärker, als bei dem unversehrten Thier. ! Ueber die genaue Grenze, bis zu der man mit Quersectionen des Froschrücken- markes gehen darf, ohne die Reflexthätigkeit des caudalen Markendes zu vernichten, vergleiche die unten eitirte Arbeit von Gad. BEITRÄGE ZUR RÜCKENMARKSPHYSIOLOGIE DES FROSCHES. 489 Ferner bestehen bei dem operirten Frosche hinsichtlich der Haltung der Gliedmaassen auch noch insofern Abweichungen von der Norm, als die Unterschenkel fast senkrecht zur Erde stehen und sich über dem Rücken des Thieres beinahe gegenseitig berühren. Uebt man einen einmaligen, kurzdauernden Druck z. B. auf den linken Fuss eines dieser Thiere aus, so erfolet eine Streckung des linken Beines nach hinten und rechts, und zwar so, dass das linke Bein während der Streckung über das sich gleichzeitig etwas mitstreckende rechte Bein für einen Augenblick zu liegen kommt. Nach dieser Kreuzung werden die Extremitäten wieder beide an den Körper angezogen und verharren in der oben beschriebenen Ruhestellung.! Reizt man einen Frosch der vorliegenden Gruppe mechanisch oder chemisch am After, so erfolet bei schwacher Reizung der Abwischreflex mit beiden Beinen, bei stärkerer mechanischer oder langandauernder heftiger chemischer Reizung an derselben Stelle jedoch ein fortgesetztes Strecken und Biegen der beiden Hinterextremitäten, und zwar so, dass jedes Mal bei der Streekung die Beine gekreuzt werden. Ein richtiger Sprung dieser Thiere nach Reizung des Hinterkörpers wird nur dann beobachtet, wenn sehr lange Zeit nach der Operation verstrichen ist; und zwar ist er leichter auszulösen bei den Fröschen, denen das Rücken- mark zwischen dem dritten und vierten Wirbel durchschnitten ist, als bei denen mit der tieferen Quersection des Rückenmarkes in der zweiten Gruppe. Führt man einem dieser operirten Frösche ein mit Essigsäure getränktes Schwämmcehen in den After ein, so finden sowohl auf dem Lande, als auch beim Schwimmen mit den Armen im Wasser die rasch auf einander folgenden kreuzweisen Streekungen mit den sich ihnen anschliessenden Beugungen der Hinterbeine statt. Wegen der Kreuzung der Extremitäten sind diese Bewegungen im Wasser jedoch von den richtigen Schwimmstössen der un- versehrten Thiere wohl unterschieden. Wenn das Thier auf dem Lande mit seinen normal beweglichen Armen vorwärts kriecht, so bleiben die Hinterbeine angezogen und die Plantar- flächen der Zehen gleiten über den Boden hin. Allmählich — bei rauher Unterlage früher, als bei glatter — fangen auch die Hinterbeine an, unter sich wohl coordinirte Kriechbewegungen auszuführen. Ein gesetzmässiges Verhalten der Bewegungen der Arme zu denjenigen der Beine findet aber dabei nicht statt.” — Die Kriechbewegungen der Hinterbeine haben wegen ! Bei direeter elektrischer Reizung eines Oberschenkels findet eine Streckung des ganzen Beines wie bei normalen Thieren statt, also nicht in der ausgesprochenen Richtung nach hinten und medianwärts. ” Schiff (a. a. ©. S. 205) hat dasselbe für Tritonen mit durchschnittenem Brust- mark beschrieben. 490 ÄDOLF DICKEL: der besonderen Haltung dieser Extremitäten beim Frosch mit durchschnit- tenem Rückenmark an der angegebenen Stelle etwas Eigenthümliches und erinnern in einzelnen Punkten entfernt an die Kriechbewegungen der Thiere mit durchschnittenen sensiblen Nerven der Hinterbeine. Legt man den Frosch auf den Rücken und reizt z. B. einen I so wird eine grosse Summe von Streckungen und Beugungen in der oben be- schriebenen Weise ausgelöst. Das Thier kommt niemals — auch wenn der Vorderkörper mit seinen Armen mithilft — in seine normale Bauch- lage zurück. Setzt man das Thier in Wasser, das allmählich erwärmt wird, so treten die kreuzweisen Streckungen auf, die immer heftiger werden, je wärmer das Wasser wird. Setzt man die Thiere von vornherein in heisses Wasser, so stellen sich diese Bewegungen unmittelbar ein. Aehnliches beobachtet man, wenn man die Thiere in eine nicht zu verdünnte Kochsalzlösung bringt. Unter diesen Umständen macht sich zu- nächst ein schwaches, ungeordnetes Zucken der Beine geltend, dem kleine Stösse derselben folgen und das schliesslich zu den Beuge- und Streck- bewegungen führt, wie sie beim Frosch im erwärmten Wasser be- schrieben sind. Wenn man. die ruhig dasitzenden Thiere beobachtet, so sieht man öfters, wie sie mit ihren Hinterextremitäten spontane Bewegungen ausführen, die so aussehen, als wollten sich die Thiere bequemer setzen. Diese Be- obachtung hat Volkmann! auch bei decapitirten Fröschen gemacht, nach- dem das erste Exeitationsstadium bei den Thieren vorüber war. Ferner sieht man mitunter, wie die Frösche mit durchschnittenem Bückenmark an der angegebenen Stelle sich allmählich aufrichten, so dass sie auf dem After und den oberen Theilen der angezogenen Oberschenkel sitzen, ohne dass man für diese Bewegung immer eine Ursache anführen könnte. Sie haben dann in Bezug auf ihre Stellung viel Aehnlichkeit mit einer Ratte oder einem Hunde, der „Männchen“ macht. Beim Ausführen dieser Bewegung sind die Hinterextremitäten activ mit betheiligt. Bei langer Beobachtungsdauer sieht man, wie die Steigerung der Reflexerregbarkeit der Rückenmarksthiere eine ganz enorme Höhe erreicht, so dass schliesslich die unbedeutendsten Reize einen wahren Sturm der manniefaltigsten Bewegungen zu entfesseln vermögen. Was schliesslich den Reflex der kreuzweisen Streckung anlangt, so will ich darüber noch sagen, dass ich denselben bei der grossen Mehrzahl meiner operirten Thiere angetroffen habe; nur bei wenigen war er — wenn ich so sagen soll — andeutungsweise vorhanden. Dass die Thiere nicht ı Volkmann, 2.2.0. BEITRÄGE ZUR RÜCKENMARKSPILYSIOLOGIE DES F'ROSCHES. 491 nothwendiger Weise bei jeder Streckbewegung „kreuzen“ müssen, geht daraus hervor, dass ja auch noch geordnete Sprungbewegungen mit den Hinterbeinen vorkommen. NRegelrechte Schwimmstösse nach Einführung des Essigsäureschvammes in den After habe ich bei den Fröschen der zweiten Gruppe im Gegensatz zu denjenigen der jetzt zu beschreibenden dritten Gruppe allerdings fast niemals beobachtet. Unter diesen Verhält- nissen kreuzten sich die Extremitäten der Frösche der zweiten Gruppe wohl regelmässig bei der Streekung, oder näherten sich doch wenigstens in anor- maler Weise der nach hinten verlängerten Medianlinie der Thiere. Dritte Gruppe. Der Frosch mit querdurchschnittenem Rückenmark zwischen dem zweiten und dritten Wirbel. Diese Thiere verhalten sich im Wesentlichen wie diejenigen der vorher- gehenden Gruppe. Nur folgende Unterschiede und Besonderheiten sind zu constatiren. Die Arme sind ein klein wenig in ihrer normalen Bewegungsfähigkeit gestört. Bei der Streekung der Beine kommt es nicht mehr zur Kreuzung derselben, durch welche Reizart man die Streckung auch auslösen mag. Durch einmaligen Druck auf den Hinterkörper des Thieres kann man einen oder mehrere auf einander folgende Sprünge des Thieres auslösen. Auch wenn man das Thier in die Hand nimmt, um es zu fixiren, sieht man oft, wie es sich 'befreit und davon springt. Als ich ein Thier aus einer Höhe von 50°“ in ein mit etwas Wasser gefülltes Glasgefäss fallen liess, machte es einen Sprung von etwa 20 m steil in die Höhe. — Ferner zeigen die Thiere der vorliesenden Gruppe im Wasser nach Einführung des Essigsäureschwammes in den After regelrechte Schwimmstösse mit den Hinterbeinen. Legt man die Thiere auf den Rücken, so sieht man, wie die Hinter- beine von Zeit zu Zeit schwache Bewegungen ausführen. heizt man aber das in Rückenlage befindliche Thier an der Rückenhaut oder an der Haut der Hinterextremitäten ausdrücklich, so führen diese zahlreiche und lang dauernde Bewegungen aus, die in einzelnen Fällen schliesslich dazu führen, dass das Thier die Bauchlage von selbst wieder gewinnt. Ohne eine aus- drückliche Reizung kommen jedoch niemals-so energische Bewegungen der Beine zu Stande, die das Thier in seine Bauchlage zurück zu bringen ver- möchten. Zu dem Wiedergewinnen der normalen Lage aus der Rückenlage tragen auch Bewegungen der Arme und des Kopfes, die sich in Folge der Bewegungen des Hinterkörpers einstellen, bei; aber niemals vermögen die +92 ADOLF BiIcKEL: Bewegungen des Vorderthieres dazu zuführen, dass sich das auf dem Rücken liegende Thier in die Bauchlage umwendet. Im Uebrigen verhalten sich die Frösche dieser Gruppe, wie gesagt, ganz Ähnlich denjenigen der zweiten Gruppe. Spontane Bewegungen des Rückenmarkthieres werden häufig beobachtet und die Reflexerregbarkeit des Markes wird mit der Zeit eine ungeheuer hohe. In der Kochsalzlösung und im erwärmten Wasser führen die Frösche regelrechte Schwimmstösse mit den Beinen aus, aber eine Correlation zwischen den Bewegungen der Beine und denjenigen der Arme besteht natürlich nicht mehr, weder beim Schwimmen, noch auch beim Kriechen auf dem Lande. Spontane Sprung- oder Schwimmbewegungen dieser Thiere habe ich jedoch niemals beobachten können. Ich glaube auch nicht, dass sie mög- lich sind. Vierte Gruppe. Der Frosch mit querdurchschnittenem Rückenmark dicht an der Spitze des Calamus scriptorius. Die Frösche mit Quersection des Rückenmarkes an der Spitze des Calamus seriptorius zeigen neben einer erheblicheren Motilitätsstörung der Arme alle die Symptome am Hinterkörper, welche die Thiere der dritten (Gruppe auszeichnen. Schlussbemerkungen. Wenn man (Quersectionen durch das Üentralorgan an noch mehr cranial befindlichen Orten anlegt, als es die Stelle ist, an der das Mark der Thiere der vierten Gruppe durchschnitten wurde, dann sieht man, so lange die Schnitte sich innerhalb der Medulla oblongata befinden, dass die Atmung in erheblicher Weise gestört, ja überhaupt ganz aufgehoben wird und dass, je weiter eranial die Schnitte liegen, um so weniger die Motilität der Arme mit leidet. Legt man den (Querschnitt schliesslich dicht caudal von der Cerebellumleiste an, so zeigen die Arme der Thiere wieder ihre volle Beweglichkeit und die Athmung ist ganz uneingeschränkt. Diese Thiere besitzen eine grosse Bewegungslebhaftigkeit und kriechen rastlos in ihrem Bassin herum.! Die Spontaneität der Ortsbewegung ist also bei ihnen an und für sich vollkommen erhalten. Legt man die Thiere auf den Rücken, so drehen sie sich ebenfalls spontan in die Bauchlage um. ! Vel. Schrader, a.a. 0. BEITRÄGE ZUR RÜCKENMARKSPHYSIOLOGIE DES FROSCHES. 493 Litteraturverzeichniss. Hermann, Handbuch der Physiologie. 1879. Bd. U. Schiff, Lehrbuch der Muskel- und Nervenphysiologie. 1858—59. Volkmann, Ueber Reflexbewegungen. Dies Archiv. 1838. Physiol. Abthlg. Goltz, Beiträge zur Lehre von den Functionen der Nervencentren des Frosches. Berlin 1869. Pflüger, Die sensoriellen Funetionen des Rückenmarkes. Berlin 1853. Steiner, Untersuchungen über die Physiologie des Froschgehirnes. Braun- schweig 1885. Schräder, Zur Physiologie des Froschgehirnes. Pflüger’s Archiv. 1887. Bickel, Recherches sur les fonetions de la moelle @piniere chez les tortues. Revue medicale de la Suisse Rom. 1897. Derselbe, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie des Aales. Pflüger’s Arch. 1897. Derselbe, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie der Amphibien und Reptilien. Ebenda. 1398. Gad, Ueber Centren und Leitungsbahnen im Rückenmark. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abthlg., Ueber einen experimentellen Nachweis von Blutsverwandtschaft.' Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Noch ist kein halbes Jahrhundert verflossen, seitdem die Arbeiten von Darwin die Aehnlichkeit der Organismen als Blutsverwandtschaft verstehen lehrten, und doch ist schon die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Descendenzlehre weit über die Kreise der Naturwissenschaften hinaus in das Bewusstsein des grössten Theiles aller Gebildeten gedrungen. Die Er- kenntniss von der Tragweite des Aufschwunges, den die Naturwissenschaften seit Bekanntwerden von Darwin’s Theorie genommen haben, hat dazu geführt, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ungeachtet der vielen wichtigen Fortschritte auf anderen Gebieten kurz als das „Zeitalter Darwin’s“ zu bezeichnen. Trotz dieses unaufhaltsamen Fortschreitens des Gedankens von der gemeinsamen Abstammung der Organismen mehren sich in den letzten Jahren die Stimmen aus den verschiedensten Gebieten der Natur- wissenschaften, welche das Lebenswerk Darwin’s als völlig gescheitert an- gesehen wissen wollen. „Der Darwinismus gehört der Geschichte an wie das andere Curiosum unseres Jahrhunderts, die Hegel’sche Philosophie; beide sind Variationen über das Thema: ‚Wie man eine ganze Generation an der Nase führt‘ und nicht gerade geeignet, unser scheidendes Säculum in den Augen späterer Geschlechter besonders zu heben,“ so urtheilt der Zoologe Driesch,? und andere Zoologen, unter ihnen Fleischmann, haben ! Der Inhalt der Abhandlung wurde vorgetragen in der Sitzung der physiologischen Gesellschaft zu Berlin vom 12. Januar 1900. ® Biologisches Centralblatt. 1896. 8. 355 Anm. HANS FRIEDENTHAL: EXPERIMENTELLER NACHWEIS UV. S.w. 495 sich ihm angeschlossen. Vor allem sind es aber die Kreise der Botaniker und der Anthropologen, welche die Descendenztheorie für eine theils un- bewiesene, theils falsche Hypothese ansehen und behaupten, dass noch kein einziger einwandsfreier Beweis für die Richtigkeit derselben geliefert worden sei.! Der innere Grund für den Widerstand gegen eine so überzeugende Thevrie, wie sie die Descendenzlehre darstellt, die im Gebiete der heutigen Biologie fast die Rolle eines Axioms spielt, ist wahrscheinlich zu suchen in ihrer unabweisbaren Verknüpfung mit der Lehre von der Abstammung des Menschen und der aus dieser folgenden Lehre von der Stellung des Menschen im natürlichen System der Zoologie; denn diese wichtigste Folgerung der Descendenztheorie übertrifft an psychologischer Bedeutung und an Interesse weit die anderen Probleme der Entwickelungslehre. Was die Behauptung anlangt, dass kein einwandsfreier exacter Beweis für die Theorie von der Abstammung des Menschen von niedriger organisirten Wesen bisher erbracht worden sei, so kann man ihr zustimmen, insofern, als für eine Theorie — man denke an die Atomtheorie, Theorie der Aether- wellen u. s. w. — exacte Beweise, d. h. Zurückführung auf Sinneseindrücke, bisher noch nie geliefert worden sind, da ja eine Theorie in der einheitlichen Zusammenfassung von exact bewiesenen Thatsachen besteht, also wohl als im Widerspruche mit Thatsachen stehend widerlegt, aber nicht wie eine Thatsache selber exact bewiesen werden kann. Weist man aber alle Indiecienbeweise und Wahrscheinlichkeitsgründe, welche für die Descendenztheorie sprechen, als nicht exact genug ab, so muss man consequenter Weise auch die eigene Abstammung von einem Menschenpaar als nicht bewiesen hinstellen. Antwortet doch in diesem Sinne schon im Homer? Telemach auf die Frage Mentor’s, ob er der Sohn des Odysseus’ sei: „Meine Mutter, die sagt’s, er sei mein Vater, doch selber weiss ich’s nicht: denn von selbst weiss Niemand, wer ihn gezeuget.“ Seit den Zeiten Homer’s ist also der Mensch in Bezug auf seine eigene Abstammung auf Indicienbeweise angewiesen. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der indirecten Beweise, welche für eine Abstammung des Menschen von hylobatesähnlichen Vorfahren sprechen, bedeutend vermehrt. Nicht nur wurde von Eugen Dubois? das vielgesuchte Missing Link zwischen dem Menschen und den jetzt leben- den anthropomorphen Affen in den Ueberresten des Pithecanthropus erectus gefunden, sondern durch die bedeutsamen entwickelungsgeschichtlichen 1 Reinke, Deutsche Rundschau. 1900. 8. 249. ? Odyssee. Uebersetzung von Voss. Gesang I. V. 216. ° Pithecanthropus erectus eine Stammform des Menschen. Anuatom. Anzeiger Bd. XII. 8.1. 496 HANS FRIEDENTHAL: Untersuchungen von Selenka wurde auch festgestellt, dass innerhalb der Gruppe der katarrhinen Affen, die jetzt lebenden anthropoiden Affen durch Bildung einer Placenta discoidalis capsularis zusammen mit dem Menschen allen übrigen Ostaffen gegenübergestellt werden müssen, die sich durch Bildung einer Placenta bidiscoidalis auszeichnen. Durch den Schöpfer der ausführlichsten wissenschaftlichen Anthropogenie, Ernst Haeckel,! wurden in letzter Zeit alle bisher bekannt gewordenen Thatsachen zusammengestellt, welche dafür sprechen, dass der Mensch von einer Reihe ausgestorbener Ost- affen abstammt, deren Jüngere Ahnen zur Gruppe der schwanzlosen Menschen- affen (Anthropoiden), deren ältere Ahnen zur Gruppe der Cynopitheken ge- hörten. Die Beweisführung stützt sich auf die drei wichtigsten Documente, welche der Zoologie zur Verfügung stehen, auf die vergleichende Paläontologie, auf die vergleichende Entwickelungsgeschichte und auf die vergleichende Anatomie, und es zeigte sich, dass die Ergebnisse dieser drei Zweige der Biologie in voller Uebereinstimmung zu (demselben Resultate führten. Zu diesen drei Classen von Beweisen für die Stammesverwandtschaft verschiedener Thierarten gesellt sich nun noch die Beweisführung, welche sich stützt auf die Aehnlichkeit in der chemischen Zusammensetzung des Blutes nahe verwandter Thiere. Wohl kann man erwarten, dass die che- mische Aehnlichkeit nahe verwandter Arten sich nicht auf die Aehnlichkeit in der Blutzusammensetzung beschränken wird, doch sind bisher nur für das Blut vergleichende chemische Untersuchungen angestellt worden. Eine specialisirte Untersuchung fast aller Blut- und Serumbestandtheile bei einer ganzen Reihe von Hausthieren hatte Abderhalden? zu dem Resultate geführt, dass das Blut der Carnivoren sich deutlich in seiner chemischen Zusammensetzung von dem Blute der Herbivoren unterschied, und dass unter den letzteren wiederum das Blut nahe stehender Arten, wie Schaf und Rind, eine gleichmässigere Zusammensetzung aufwies, wie das des Pferdes und des Schweines. Die dort benutzte Methode der chemischen Untersuchung fast aller Blutbestandtheile eignet sich jedoch ihrer Schwierig- keit wegen nicht zu umfassenden vergleichenden Blutbestimmungen, zumal seringe Schwankungen im Eiweissgehalt des Serums, wie sie durch die verschiedenen Ernährungsverhältnisse der Thiere gegeben sind, den Procent- gehalt an allen anderen Stoffen ebenfalls verändern müssen. Dagegen wurden von Landois? im Anschlusse an die Versuche, Krankheiten der Menschen durch Thierbluttransfusionen zu heilen, wie sie noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts üblich waren, eine grosse Reihe von vergleichenden Blutuntersuchungen angestellt, welche zu wichtigen Resultaten führten. ! Ueber unsere gegenwärtige Kenntniss vom Ursprung des Menschen. Bonn 1899. ? Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXIII. 8.521 u. Bd. XXV. S. 65. ® Zur Lehre von der Bluttransfusion. Leipzig 1875. EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 497 Landois gelang es, die Misserfolge der Thierbluttransfusionen für die Heilung von Krankheiten des Menschen zurückzuführen auf eine Auflösung der rothen Blutscheiben des transfundirten Blutes in den Adern des Empfängers. An Thieren ausgeführte Transfusionsversuche mit dem Blute fremder Thierarten führten zu demselben Resultate wie die Versuche am Menschen. Die Thiere erkrankten nach der Einführung fremden Blutes unter Fiebererscheinungen oder gingen in zahlreichen Fällen sofort nach aus- geführter Transfusion zu Grunde. Der Blutfarbstoff der fremden Erythroeyten erschien unmittelbar nach der Transfusion im Harne, ja es wurde öfter mehr Hämoglobin ausgeschieden, als in dem fremden Blute eingeführt worden war. Die Auflösung der rothen Blutscheiben durch die Sera fremder Thiere war zuerst von Creite! unter dem Mikroskope beobachtet worden, doch war die Thatsache allmählich in Vergessenheit gerathen. Nicht in allen Fällen konnte jedoch Landois die Auflösung des ein- gespritzten Blutes in den Adern des Empfängers constatiren. Nach Trans- fusionen zwischen Pferd und Esel, zwischen Wolf und Hund und zwischen Hase und Kaninchen wurde kein Blutfarbstoff im Urin ausgeschieden, die Thiere erkrankten nicht, selbst nicht nach Ueberführung grosser Blutmengen, sondern verhielten sich in jeder Beziehung wie nach einer Transfusion zwischen Exemplaren der eigenen Species. Landois konnte seine Resultate in dem Satz zusammenfassen, dass ein ergiebiger Austausch des Blutes nur möglich sei zwischen Vertretern ganz nahe ver- wandter Species. Nach diesen Resultaten blieb nun noch übrig, festzustellen, wie nahe verwandt die Thiere sein müssen, deren Blut als „physiologisch identisch“ anzusehen ist, um die Resultate der Blutuntersuchung für die Zwecke der zoologischen Systematik verwenden zu können. Die Methode der directen Bluttransfusion von Thier zu Thier ist zu umfassenderen. vergleichenden Untersuchungen nicht geeignet und musste durch eine bequemere ersetzt werden. Die Ergebnisse der directen Ueberführung von Blut einer fremden Thierart in das Gefässsystem können in ebenso üherzeugender und in viel bequemerer Weise zur Anschauung gebracht werden durch Prüfung der globuliciden Action von körperfremdem Blutserum im Reagensglase. Werden 10 °® Serum eines Säugethieres mit 3 Tropfen defibrinirten Blutes einer fremden Thierart 15 Minuten lang einer Temperatur von 38° ausgesetzt, so wird das durch die hinzugefügten Erythrocyten undurchsichtig gewordene Serum wieder vollkommen klar und es entsteht eine rubinrothe Flüssigkeit, ! Versuche über die Wirkung des Serumeiweisses nach Injection in das Blut. Zeitschrift für ration. Medicin. Bd. XXXVI. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 32 498 Hans FRIEDENTHAL: da aller Blutfarbstoff aus den rothen Blutscheiben ausgetreten und in Lösung gegangen ist. Diese Eigenschaft des Blutserums, die rothen Blut- scheiben fremder Thierarten aufzulösen, kann durch Erhitzen des Serums auf 55° völlig vernichtet werden, wie Buchner! fand, der zuerst die globulieide Action des Blutserums einer genauen Analyse unterzogen und gefunden hatte, dass auch die weissen Blutzellen durch fremdes Serum vollkommen aufgelöst werden können. Dieses „Inactiviren“ genannte Erhitzen des Blutserums beweist, dass es chemische und nicht physikalische Factoren sind, welche die Auflösung der verschiedenen Blutarten bewirken, da man dem Serum seine blutlösende Eigenschaft nehmen kann, ohne seine osınotische Spannung irgend wie zu ändern. Das Blut der Kaltblüter erlaubt seiner resistenten kernhaltigen Blut- körperchen wegen keine so rasche Analyse im Reagensglase wie das der Säugethiere. Hier ist es nöthig, von Zeit zu Zeit entnommene Proben auf die Auflösung der Erythrocyten hin unter dem Mikroskope zu untersuchen. Verwendet man nicht defibrinirtes Säugethierblut zur Anstellung der Blut- proben, so lässt ebenfalls die Auflösung der Blutscheiben längere Zeit auf sich warten; durch gleichzeitige Verwendung von inactivirtem Serum lässt sich aber feststellen, dass die langsamer erfolgende Lösung fremder Blut- körperchen nicht etwa auf bakterieller Zersetzung des benutzten Serums beruht. Die globulicide Action des Serums wird vielmehr durch Bakterien- wachsthum in kurzer Zeit selber vernichtet. Auf welche chemische Körper im Serum man die Auflösung fremder Erythrocyten zurückführen muss, ist vorläufig noch nicht aufgeklärt; nur weist die Thatsache, dass Verdauungsfermente ebenfalls Lösung des Blut- farbstoffes bewirken, und dass das nucleinreiche Sperma die einzige Körper- flüssigkeit ist, der neben dem Blutserum nach längerem Stehen eine globu- licide Action zukommt,” auf die Vermuthung hin, dass es nucleoproteid- artige Zerfallsproducte aus den Kernen der Leukocyten sind, die bei dem Processe der Blutauflösung ebenso wie bei dem Gerinnungsprocesse eine maassgebende Rolle spielen. Die Resultate der Reagensglasversuche über die Auflösung körperfremden Blutes durch Blutserum decken sich durchaus mit den Resultaten, welche mit Bluttransfusion erzielt worden sind; es ist deshalb möglich, bei Ver- gleichung des Verwandtschaftsgrades verschiedener Thiere sich auf die be- quemere Methode der Serumuntersuchung zu beschränken. In der vor- ! Zur Physiologie des Blutserums und der Blutzellen. Centralblatt für Physiologie. Bd. VI S. 97. ? Pankreasseeret und Galle lösen ebenfalls Erythrocyten, doch auch die der eigenen Species, wegen ihres Gehaltes an Verdauungsferment, bezw. an gallensauren Salzen. EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 499 liegenden Untersuchung wurden jedoch in vielen Fällen die Ergebnisse der Serumuntersuchung durch Transfusionsversuche bekräftigt. Nur im Blute der Wirbelthiere konnte die Fähigkeit, rothe Blutscheiben aufzulösen, bisher nachgewiesen werden. Weder das Blut der Crustaceen (Cancer pagurus), noch der Oligochaeten (Arenicola piscatorum), noch die Leibesflüssigkeit der Seeigel zeigte irgend welches Lösungsvermögen für die Erythrocyten der Silbermöve (Larus argentatus) oder der Ratte. Unter den Wirbelthieren ist bisher das Blut der Acranier und Cyelo- stomen noch gar nicht untersucht worden, dagegen zeigten die Vertreter aus der Classe der Fische, der Amphibien, der Reptilien, der Vögel und der Säuge- thiere sämmtlich das Phänomen der Auflösung fremder Blutarten. Die Blut- untersuchungen wurden in der Weise angestellt, dass das Serum der einen Thierart als Basis genommen wurde und Blutscheiben von Vertretern der anderen lassen, Ordnungen, Familien und Genera hinzugefügt wurden. Die Beobachtung der Schädigung der fremden Erythrocyten erfolgte bei den Kaltblütern unter dem Mikroskope. Nur das Aalserum unter den untersuchten Fischsera zeigte entsprechend seiner ausserordentlichen Giftig- keit eine so starke blutkörperchenlösende Wirkung, dass man die Auflösung fremder ‚Erythrocyten makroskopisch wie bei Verwendung von Säugethier- serum verfolgen konnte. Dieses Parallelgehen der Giftigkeit mit der blut- körperchenlösenden Kraft der Sera lässt sich nicht bloss am Aalblut, sondern auch an anderen Blutarten, besonders dem Hühnerserum und Katzenserum, beobachten und lässt vermuthen, dass beide Functionen von der gleichen Classe chemischer Körper ausgeübt werden. Das Aalserum löst nicht nur das Blut von Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien, sondern auch das anderer Fische. Das Blut von Acanthias vulgaris wird von Aalserum in kurzer Zeit gelöst, von Teleostierblut das von Labrus maculatus. Der Untersuchung bedürftig ist noch die Frage, ob auch das Blut anderer Muraeniden, wie das von Muraena helena oder Conger vulgaris von Aal- serum gelöst werden würde. Wenn auch nicht in gleich hohem Maasse wie das Aalserum, wirken auch die Sera anderer Fische blutkörperchenlösend. So löst das Serum von Acanthias vulgaris die Erythrocyten von Larus argentatus, von Mus decumanus, aber auch das der Teleostier, wie Labrus maculatus und Anouilla vulgaris, sogar gegen das Blut anderer Elasmobranchier, wie von Raja batis, ist Haifischserum nicht ganz indifferent. Bei den Amphibien sind Anuren und Urodelen an der Verschiedenheit ihres Blutes leicht zu unterscheiden, die Blutkörperchen der Amphibien, besonders des Frosches, werden von Fisch- (Anguilla), Vogel- (Larus argen- tatus) und Säugerblutserum (Felis catus) leicht gelöst. Durch längeres Hungern nimmt die oknehin nicht sehr beträchtliche globulicide Action des 39% 500 Hans FRIEDENTHAL: Amphibienblutes noch weiter ab, so dass das Blutserum frisch gefangener Thiere das Blutserum von Exemplaren, die lange in Gefangenschaft gehalten wurden, an blutkörperchenlösender Kraft bedeutend übertrifft. Mit Reptilienblut wurden nur wenige Versuche angestellt, aber diese bewiesen, dass das Blut von Kreuzotter und Ringelnatter eine nicht un- beträchtliche blutkörperchenlösende Kraft besitzt, welche die des Amphibien- blutes weit übertrifft. Noch stärker ist die globulieide Kraft des Vogel- blutes, dass ausserdem durch seine besondere Giftiekeit für die anderen Wirbelthierclassen ausgezeichnet ist. In letzterer Beziehung wird das Vogel- blut allerdings von dem Reptilienblute beinahe erreicht, denn 0.5 «= Blut der Kreuzotter genügen bei subcutaner Injection in den Rückenlymphsack, um einen Frosch zu tödten, während die Injection von 2°m desselben Blutes den Tod eines mittelschweren Kaninchens. bei intravenöser Injection zur Folge hat. Diese den Reptilien und Vögeln gemeinsame grosse Giftig- keit des Blutserums steht in Uebereinstimmung mit der Aehnlichkeit im anatomischen Bau, welche zur Vereinigung der beiden Classen zur Gruppe der Sauropsiden geführt hat. Das Blutserum des Haushuhnes löst nicht nur die Erythrocyten von Thieren aus den anderen Classen der Wirbelthiere, sondern auch die Blut- körperchen anderer Vogelarten, so das Blut von Faleo tinnunculus (Accipitres) und von Nyctocorax (Ciconiaeformes).. Umgekehrt werden auch die Blut- scheiben des Huhnes von dem Blutserum des Nachtreihers eelöst. Da durch diese Versuche die Verschiedenheit des Blutes von Vögeln bewiesen ist, welche verschiedenen Ordnungen angehören, wäre es von hohem Interesse, die Stammeseinheit oder Stammesverschiedenheit der Ratiten (Cursores) durch vergleichende Blutuntersuchungen festzustellen, zumal es nach den anatomischen Verschiedenheiten dieser Gruppe sehr wahrscheinlich ist, dass die verschiedenen Gattungen der Laufvögel sich unabhängie von einander aus guten Fliegern entwickelt haben. Die Schwierigkeiten der Beschaffung des kostbaren und seltenen Materiales sind allerdings bei den Ratiten so beträchtliche, dass bisher keine vergleichenden Blutuntersuchungen angestellt werden konnten. Bei Weitem die grösste Zahl von Blutuntersuchungen wurde in der Classe der Säugethiere ausgeführt, für welche auch die zahlreichen von Landois! und anderen Forschern angestellten Transfusionsversuche benutzt werden konnten. Trotzdem sind auch für diese Classe der Wirbelthiere die aus Mangel an Material gelassenen Lücken jnoch empfindlich genug, da für die Monotremen, Marsupialier, Edentaten, Cetaceen, Pinnipedier, Proboseidier und Chiropteren überhaupt noch keine vergleichenden Blut- EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 501 untersuchungen in Bezug auf globulieide Fähigkeit des Serums vorliegen; dagegen konnten Vertreter aus den Ordnungen der Perissodactylen, Ar- tiodactylen, Rodentien, Insectivoren, Uarnivoren, Prosimier und Primaten in den Kreis der Untersuchung gezogen werden. In der Classe der Säugethiere deckten sich die mit Blutserum an- gestellten Versuche wiederum völlige mit den von Landois beschriebenen Transfusionsversuchen, weichen aber in ihren Resultaten ab von den Ver- suchen, welche Ehrlich und Morgenroth,! Bordet und Gürber? be- schrieben haben. Der Grund für die Abweichung der Versuchsresultate ist in der Verschiedenheit der benutzten Technik zu suchen, indem die genannten Forscher den „störenden“ Einfluss des fremden Blutserums da- durch zu vermeiden suchten, dass sie die Erythrocyten der einen Thierart, durch sorgfältiges Auswaschen mit isotonischen Kochsalzlösungen von jeder Spur anhängenden Serums befreit, dem Serum einer anderen Thierspecies hinzufügten. Bei dieser Versuchsanordnung vermisst man sehr oft eine Auflösung der Erythrocyten durch fremdes Serum, welche sofort erfolgt, wenn in der oben beschriebenen Weise nicht ausgewaschene Erythrocyten, sondern defibrinirtes Blut dem Serum in geringer Menge zugefügt wird. So erklären sich die Angaben von Gürber, dass Kaninchenserum und eine Reihe anderer Sera überhaupt keine Erythrocyten zur Auflösung bringe, und die Angabe von Ehrlich und Morgenroth und Bordet, dass die rothen Blutscheiben des Kaninchens von Meerschweinchenserum nicht auf- gelöst würden. Auch die Angabe von Gley und Camus,? dass parallel mit der Giftfestigkeit des Igels gegen Aalserum die Erythroeyten des Igels von Aalserum nicht gelöst werden, ist nur auf die von diesen Forschern angewandte Verdünnung des Aalserums zurückzuführen. Unverdünntes Aal- serum löst in kurzer Zeit erhebliche Mengen von Igelblut, das selbst den weniger stark wirksamen Säugethiersera gegenüber keine specifische Resistenz erkennen lässt. Da in der vorliegenden Arbeit es gerade darauf ankam, die gegenseitige Beeinflussung zweier Blutarten festzustellen und die Ver- hältnisse bei der intravenösen Bluttransfusion möglichst nachzuahmen, so konnte der Einfluss des im defibrinirten Blute enthaltenen fremden Serums unmöglich als „störend“ durch Auswaschen mit Kochsalzlösung beseitigt werden, wie es in den Versuchen von Gürber, sowie von Ehrlich und Morgenroth geschehen ist. Um die geringsten Spuren einer globuliciden Action in einem Serum nachzuweisen, ist es vielmehr nöthig, nur ganz geringe Blutmengen zu dem Serum hinzuzufügen, da, wie Buchner fand, ! Ueber Hämolysine. Berliner klinische Wochenschrift. 1899. ? Würzburger Festschrift. 1899. ® De Paection destructive d’un serum sanguin sur les globules rouges d’un autre espece animale. Compt. rend. T. CXXVI (5). p. 428. 502 Hans FRIEDENTHAL: die globulieiden Stoffe verschiedener Sera sich gegenseitig neutralisiren und aufheben. Die Ergebnisse einer Bluttransfusion werden im Gegensatze zu der Serumprobe um so sicherere, je grösser die Menge des eingespritzten Blutes gewählt werden kann. Um auch bei der Transfusion des Blutes die denkbar schärfsten Resultate zu erzielen, wurde ein Blutaustausch zwischen nahe ver- wandten Thieren (Felis domestica und Felis ozelot)in der Weise vorgenommen, dass das Blut aus der Carotis des einen Thieres direct übergeleitet wurde in das periphere Ende der Carotis des anderen, während durch die gleiche directe Verbindung der anderen Carotidenenden der Blutspender die gleiche Blutmenge zurück erhielt, wenn gleich schwere Thiere bei dem Versuche verwendet wurden. Bei der enormen Strömungsgeschwindiekeit in der Carotis ist man bei dieser Versuchsanordnung sicher, dass nach wenigen Minuten eine völlige Vermischung beider Blutarten eingetreten ist, d. h. in dem obigen Versuche, dass beide Thiere halb Katzen-, halb Ozelotblut in ihren Adern fortbewegten. Wenn bei dieser denkbar gründlichsten Blut- vermischung kein Blutfarbstoff im Harn ausgeschieden wird, ist man wohl sicher, dass die untersuchten Blutarten als physiologisch identisch anzusehen sind. Besonders vortheilhaft bei diesem Verfahren ist die Vermeidung des Defibrinirens des Blutes, bei welchem stets ein Theil des Blutfarbstoffes in das Serum übertritt. Grelöster Blutfarbstoff wird aber durch den Harn ausgeschieden, selbst wenn er den Blutkörperchen des eigenen Thieres ent- stammt. Eine Gerinnung des Blutes in den Canülen und Gummiverbindungs- stücken ist wegen der grossen Strömungsgeschwindigkeit des Carotidenblutes nicht zu befürchten, wenigstens ist im mehreren Versuchen nie eine solche beobachtet worden, wohl aber tritt Gerinnung ein, wenn man die Enden der Venen zweier Thiere mit einander verbindet. Verbindet man in der oben beschriebenen Weise die Gefässsysteme zweier Thiere, welche zoologisch weit entfernt stehenden Arten angehören, wie Katze und Kaninchen, so tritt die blutkörperchenlösende Kraft des Blutplasmas gar nicht in die Erscheinung, da die Thiere in wenigen Minuten wegen der Giftigkeit der fremden Blutart für das Centralnerven- system unter Krämpfen und Athemlähmung zu Grunde gehen.! Dagegen ist ein solcher Blutaustausch zwischen zwei Kaninchen ohne jede Folge für das Leben oder die Gesundheit der Thiere. BP Die vergleichenden Blutuntersuchungen in der Classe der Säugethiere führten zu dem Resultate, dass innerhalb derselben Familie das Blut keine ! Siehe auch Friedenthal und Lewandowsky, Ueber das Verhalten des thierischen Organismus gegen fremdes Blutserum. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 531. EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 503 merkbaren Unterschiede aufweist, dass dagegen die einzelnen Unterordnungen eine ergiebige Blutvermischung nicht mehr gestatten, die zwischen Gliedern verschiedener Ordnungen natürlich noch viel weniger möglich ist. In der Ordnung der Rodentien zeigen die Muriden, Mus musculus und Mus decumanus keine Blutdifterenzen. Weder löst Mäuseserum Rattenblut- körperchen, noch Rattenblutserum Mäuseblutkörperchen auf. Unter den Duplicidentaten gestatten Hase und Kaninchen, wie Landois fand, eine ergiebige Blutvermischung. Dagegen löst Kaninchenserum die Blutkörperchen des Meerschweinchens und Meerschweinchenserum die Blutkörperchen des Kaninchens entsprechend der Thatsache, dass Lepus cuniculus zur Familie der Duplieidentaten, Cavia cobaya dagegen zur Familie der Subungulaten gehört. Also getrennte Familien, gesondertes Blut. Das Kaninchen- serum, welches Gürber! zu den inactiven Sera rechnete, die gar keine roten Blutscheiben sollten lösen können, gehört nach den angestellten Versuchen zu den am kräftigst wirkenden Säugethiersera. In kurzer Zeit lösen 10 «m Kaninchenserum mehrere Cubikcentimeter vom Blute des Meerschweinchens, des Pferdes, des Schweines, des Kalbes, des Igels, des Affen und des Menschen. Von den untersuchten Thierarten ist also nur das Blut des Hasen mit dem des Kaninchens als identisch zu betrachten. Unter den Perissodactylen konnte nur das Blut von Equiden unter- sucht werden. Auch im dieser Ordnung zeigte sich in Uebereinstimmung mit den Transfusionsversuchen von Landois, dass weder Pferdeserum im Reagensglase Eselblutkörperchen, noch Eselserum Pferdeblutkörperchen löst.? Dagegen löst das Pferdeserum die Blutkörperchen des Kaninchens, des Meerschweinchens, des Kalbes, des Lammes und des Menschen. Von be- sonderem Interesse wäre ein Vergleich mit dem Blute der anderen Familien der Perissodactylen, der Tapiriden und Rhinoceriden gewesen, doch ergiebt sich aus den beschriebenen Versuchen wiederum die Identität des Blutes von Angehörigen derselben Familie. Unter den Artiodaetylen löst das Schweineserum Rinderblutkörperchen und Rinderserum Schweineblutkörperchen auf, beide Sera lösen die Erythro- cyten von Hund, Katze, Pferd, Kaninchen und Mensch. Von den Insectivoren löst das Igelserum die Blutscheiben von Katze und Kaninchen, während die Erythrocyten des Igels ihrerseits von Aalserum Kaninchenserum und Menschenserum gelöst werden. Von den Carnivoren war bekannt durch Transfusionsversuche, dass Hund, Fuchs und Wolf ergiebigsten Blutaustausch gestatten, während die ı A.2.0, 2 Für die Ausführung dieser Versuche bin ich meinem Bruder, Dr. med. Paul Friedenthal, zu Dank verpflichtet. 504 Hans FRIEDENTHAL: Blutkörperchen des Hundes durch Katzenserum, die der Katze durch Hunde- serum aufgelöst werden. Also auch hier bildet die Familie zugleich die Grenze der identischen Blutarten. Das Serum der Katze löst die Blut- körperchen aller anderen untersuchten Säugethierarten, nur nicht das Blut von Felis jaguarundi und von Felis ozelot. Ebenso wenig löst das Serum von Felis jaguarundi oder von Felis ozelot die Blutkörperchen der Hauskatze. Da Felis ozelot bereits einen Uebergang bildet zu den riesigen Katzenarten, deren Blut nicht zur Verfügung stand, wurde durch Kreuzung der Carotiden in der oben beschriebenen Weise zwischen einem jungen weiblichen Ozelot! und einer gleichschweren Angorakatze eine völlige Blutvermischung beider Thierarten erzielt. Der junge Ozelot starb kurze Zeit nach der Ausführung der Operation, wahrscheinlich an den Folgen der ziemlich langen Narkose, gegen welche junge Katzen sich, wie bekannt, so wenig resistent erweisen. Der vor dem Tode des Thieres spontan entleerte Harn war völlig frei von Eiweiss und Blutfarbstoff, so dass keine Auflösung des Katzenblutes statt- gefunden hatte. Den besten Beweis für letztere Thatsache lieferte die Angorakatze, für welche der Blutaustausch ohne jede schädliche Folge ge- blieben war. Der Urin war stets frei von Eiweiss, Blutfarbstoff oder rothen Blutkörperchen. Die Halswunde war in wenigen Tagen geheilt, die Munter- keit des Thieres dauernd unvermindert. Damit war der Beweis geliefert, dass der Satz „gleiche Familie, gleiches Blut“ wie für die Caniden, so weit untersucht, auch für die Feliden Gültigkeit besitze. Innerhalb der Ordnung der Primaten waren vergleichende Blutunter- suchungen bisher noch nicht angestellt worden. Die zahlreichen Trans- fusionsversuche mit Thierblut beim Menschen hatten das Resultat ergeben, dass das Blut keiner der untersuchten Thierarten (Lamm, Hammel, Schwein, Pferd, Rind) das Menschenblut vertreten könne. Der angebliche Erfolg der Lammbluttransfusionen? bei verschiedenen Krankheiten des Menschen wurde durch die Arbeiten von Landois genügend beleuchtet, welcher fest- stellte, dass die Lammblutkörperchen, die man unter dem Mikroskope ja leicht von Menschenblutkörperchen unterscheiden kann, in kurzer Zeit aus dem Blute des Menschen verschwänden, ja, dass nach Injection grösserer Mengen Hämoglobinurie und Hämaturie und schwere Störungen des Be- findens eintreten können. Die mit Menschenblutserum angestellten, besonders zahlreichen Blut- versuche ergaben denn auch stets dasselbe anlhie soweit es sich um die Auflösung von Blutscheiben von Thieren handelte, die nicht zur ! Das Alter des Thieres betrug nur etwa 4 Monate. ® Die Wahl des Lammblutes zur Transfusion begründet der englische Theologe, welcher an sich die erste Lammbluttransfusion vollziehen liess, mit dem Satz: Habet sanguis agni symbolicam quondam facultatem similitudine sanguinis Christi. EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 505 Ordnung der Primaten gehörten. Menschliches Blutserum löste die Erythro- cyten des Aales, des Frosches, der Ringelnatter, der Kreuzotter, der Taube, des Haushuhnes, des Nachtreihers, des Pferdes, des Schweines, des Rindes, des Kaninchens, des Meerschweinchens, des Hundes, der Katze, des Igels. Aus der Ordnung der Prosimier wurde das Blut von Lemur varius gelöst. Das Blut der dem Menschen ferner stehenden Affen wird von Menschenblutserum ebenfalls gelöst. So lösten sich die Erythrocyten von Pitheseiurus sciureus und von Ateles ater unter den Platyrhinen-Affen in Menschenserum, von Katarhinen oder Ostaflen die Blutscheiben der Cyno- morphen, Cynocephalus babuin, Macacus sinicus und Macacus cynomolgus und von Rhesus nemestrinus. Die Blutscheiben des Menschen werden ihrerseits meist von dem Blutserum der Makaken gelöst, doch zeigte es sich, dass in einigen Fällen das Serum von Macacus nicht die Blutscheiben aller Personen zu lösen im Stande war, sondern dass eine gewisse Auswahl getroffen wurde, indem die Erythrocyten mancher Menschen sich als be- sonders leicht auflöslich erwiesen. _ Erst unter den anthropomorphen Affen finden wir so nahe Verwandte des Menschen, dass die Blutarten als identisch angesehen werden können. Dass die Blutarten der Menschen unter einander gleichwertig sind, wird schon durch die unbeschränkte Fruchtbarkeit der Mischlinge verschiedener Rassen überzeugend dargethan, noch mehr aber durch die vielen, mit Glück ausgeführten Bluttransfusionen zwischen so entfernt stehenden Rassen wie dem Neger und den Weissen. Aber auch die Blutscheiben des Orang-Utang und des Gibbon verhalten sich nicht anders, als die menschlichen Erythro- cyten im menschlichen Blutserum. Der Orang-Utang sowohl wie der unter- suchte Gibbon waren beides junge Exemplare ihrer Gattungen aus dem Berliner zoologischen Garten. Nach Entnahme eines Bluttropfens aus der Fingerspitze der Thiere wurde das vorher klare menschliche Blutserum (5 *®) centrifugirt, wobei sich nach 12 Stunden die Erythrocyten wohlerhalten am Boden des Reagensglases absetzten, ohne dass’ das darüber stehende klare Serum von ausgetretenem Blutfarbstoff gefärbt gewesen wäre. Da eine grössere Zahl von Versuchen aus begreiflichen Gründen nicht angestellt werden konnte, musste durch einen Transfusionsversuch die völlige Identität des Menschenblutes und des Blutes der anthropoiden Affen festgestellt werden. Drei Transfusionsversuche mit Menschenblut bei Macacus sinicus und Macacus cynomolgus hatten ergeben, dass nach Transfusion von 10 bis 20 «m frisch aus der Ader entleerten defibrinirten Menschenblutes in die grosse ! Für die Ermöglichung der Vergleichung des Menschenblutes mit dem Blute der verschiedensten Affen bin ich dem Director des Berliner zoologischen Gartens, Dr. Heck, zu grossem Danke verpflichtet. 506 HANns FRIEDENTHAL: Armvene der Affen nur ein geringer Bruchtheil des eingeführten Hämo- globins im Harn erscheint.! Die Thiere überstehen den Eingriff anscheinend mit grosser Leichtigkeit und lassen nach Verschwinden der Hämoglobinurie keine Differenz gegenüber gesunden Thieren erkennen. Nur in einem Falle, bei welchem Menschenblut zur Verwendung gelangte, das 48 Stunden lang nach der Entnahme auf Eis aufbewahrt worden war, fanden sich bei Trans- fusion von 20 “® defibrinirten Blutes in einen nur etwa 2000 En schweren Macacus sinicus vereinzelte rothe Blutkörperchen im Harne, die auf eine Läsion der Nieren hinwiesen. Auch dieses Thier. erholte sich aber völlig von dem Eingriffe und ging erst viele Wochen später an Diarrhöe zu Grunde. Noch überraschender war aber das Ergebniss der Transfusion von Menschenblut in einen Schimpansen. Dieser, ein etwa 10jähriges, be- sonders kräftiges und munteres männliches Exemplar, zeigte nach der Transfusion? von nicht ganz 25°“ defibrinirten menschlichen Blutes, das kurz vor der Operation der Ader eines gesunden jungen Mannes entnommen worden war, überhaupt keine Erscheinungen, welche darauf schliessen liessen, dass ein Theil des eingeführten Blutes in seinen Adern aufgelöst worden wäre. Der erste, eine Stunde nach der Transfusion spontan entleerte Urin war bereits wasserhell, schwach sauer und völlig frei von Eiweiss und Blut- farbstof. Die nächsten 2 Tage lang wurde jeder Urin auf Eiweiss und Blutfarbstoff geprüft, aber immer mit negativem Erfolge, so dass weder die menschlichen Erythrocyten von dem Blutplasma des Schimpansen auf- gelöst, noch der kleinste Theil der mit dem Blute eingeführten Eiweiss- stoffe von den Nieren als körperfremde Substanzen eliminirt sein konnten. Nach wenigen Stunden hatte sich der Schimpanse von den Folgen der lan®®n Narkose ziemlich erholt und zeichnete sich noch viele Wochen nach der Operation durch seine Lebhaftiekeit und Gesundheit vortheilhaft vor anderen gefangenen Exemplaren seiner Gattung aus. e Wenn auch die Zahl der Versuche, welche an anthropomorphen Affen an- gestellt werden konnten, zu wünschen übrig lässt, geht doch wohl aus ihnen mit Sicherheit hervor, dass keine der untersuchten Blutarten der Thiere in physiologischer Beziehung dem Menschenblute so nahe steht, wie das Blut der anthropomorphen Affen. Wollte man allein auf Grund der Blutuntersuchungen eine Einordnung des Menschen in das zoologische System vornehmen, so müssten nach den Ergebnissen der Blutuntersuchungen bei den anderen Ordnungen der Säugethiere die Menschen und anthropomorphen Affen in ! Der grösste Theil des ausgeschiedenen Hämoglobins ist wohl schon beim De- fibriniren in das Serum übergetreten. ® Das Blut wurde durch eine eingebundene Canüle in eine tiefe Armvene injieirt. EXPERIMENTELLER NACHWEIS VON BLUTSVERWANDTSCHAFT. 507 einer Familie vereinigt werden, eine Thatsache, mit der die Ergebnisse der entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen von Selenka in vollem Ein- klange ständen. Nach letzteren ist es auch ohne Berücksichtigung der Blutsverwandtschaft nicht mehr angängie, wie es noch in neueren Lehr- büchern der Zoologie geschieht, den Menschen als besondere Unterordnung der Primaten, den Unterordnungen der plathyrinen und katarhinen Affen gleichzustellen und die anthropoiden Affen dabei den katarhinen Affen ein- zureihen, vielmehr müssen die anthropoiden Affen mit dem Menschen zu- sammen, sei es nun in einer gemeinsamen Unterordnung oder Familie allen übrigen katarhinen Affen gegenübergestellt werden. Die Thatsache, welche die vorliegenden Untersuchungen gezeigt haben, dass die chemische Aehnlichkeit des Blutes parallel läuft mit der Aehnlich- keit in der morphologischen Gestaltung, kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass die chemische Zusammensetzung der Eizelle und des Spermatozoon maassgebend ist für die ganze spätere Gestaltung und Ent- wickelung. Was vererbt wird, sind ja nicht „innere Impulse“, „Iden“ oder „Entwickelungsmöglichkeiten“, sondern chemische Molecüle von ganz be- stimmter Zusammensetzung, deren chemischer Bau in gleicher Weise für den Stoffwechselvorgang, welchen wir Leben nennen, maassgebend ist, wie die Zusammensetzung eines Reactionsgemisches für den Ablauf der Reaction. Während die Aehnlichkeit in der chemischen Zusammensetzung des Blutes nur einen Factor in der chemischen Aehnlichkeit nahe verwandter Orga- nismen darstellt, müssen wir in der Aehnlichkeit der chemischen Zusammen- setzung der Fortpflanzungszellen eine compendiöse Zusammenfassung aller morphologischen und chemischen Aehnlichkeit erblicken. So haben denn auch die Arbeiten von Kossel und seinen Schülern charakteristische Unter- schiede in dem inneren Bau der Protaminmolecüle nachgewiesen, weiche dem Sperma verschiedener Fischarten entstammen. Einen experimentellen Einfluss auf die Vererbung, d.h. auf die Gestaltung der Nachkommen eines Organismus auszuüben, dürfen wir nur erst dann erwarten, wenn es uns gelingt, den Chemismus der Fortpflanzungszellen umzuändern und zu be- einflussen, was bei höheren Thieren um so schwerer fallen dürfte, da die Fortpflanzungszellen schon in frühen Lebensstadien gesondert und dem Ein- flusse der individuellen Erlebnisse fast gänzlich entzogen werden. Es ist wohl kein Zufall, dass von den meisten der 'Thiere, welche identische Blutarten aufwiesen, bekannt ist, dass sie fruchtbare Kreuzung der Arten gestatten. Pferd und Esel, Hase und Kaninchen, Hund und Wolf bringen lebende Blendlinge zur Welt. Wenn eine solche Kreuzung der Arten zwischen Ratte und Maus, Hauskatze und Özelot wegen der verschiedenen Grösse der Thiere bisher unmöglich war, wäre es doch eine lohnende Aufgabe, mit Hülfe der künstlichen Befruchtung festzustellen, 508 Hans FRIEDENTHAL: EXPERIMENTELLER NACHWEIS T. S. w. ob nicht die Möglichkeit der Erzeugung lebender Mischlinge mit dem Er- gebnisse der Blutreactionen in der Weise zusammenfällt, dass nur solche Thiere sich fruchtbar kreuzen könren, deren Blutarten sich nicht gegen- seitig auflösen. Ein im Berliner zoologischen Garten lebender Mischling von Puma und schwarzem Panther spricht bereits dafür, dass innerhalb derselben Familie das gleiche Blut auch die fruchtbare Kreuzung erlaube. Zugleich wäre damit ein helleres Licht geworfen auf die Möglichkeit der, nach dem Ergebnisse der Blutuntersuchung wahrscheinlichen, fruchtbaren Kreuzung innerhalb der Unterordnung oder Familie der Anthropomorphen. Für die Anstellung von Bluttransfusionen beim Menschen würde aus den vorliegenden Versuchen gefolgert werden müssen, dass das Blut der Affen, als der dem Menschen nahestehendsten Thiere, am ehesten geeignet sein dürfte, fehlendes oder krankhaft verändertes Menschenblut zu ersetzen. Da Makaken die Zuführung von etwa !/, ihrer Blutmenge an Menschen- blut ohne weitere Schädigung als eine recht unbeträchtliche und ganz kurz dauernde Hämogelubinurie vertragen, ist es wahrscheinlich, dass auch der Mensch einen theilweisen Ersatz seines Blutes durch Affenblut zulässt. Das Blut der anthropomorphen Affen, welches vor Allem geeignet wäre, als Ersatz für Menschenblut zu dienen, kommt ja wegen der Unmöglichkeit der Beschaffung praktisch nicht in Frage. Zum Schlusse möchte ich mir gestatten, Hrn. Prof. I. Munk für die freundlich4Unterstützung bei Anstellung der Transfusionsversuche meinen ver@sdliöhsten Dank auszusprechen. er Der respiratorische (raswechsel bei Ruhe und Arbeit auf Bergen. | Von Emil Bürgi, Arzt in Bern. (Aus dem physiologischen Institute der Universität Bern.) Seit Gruber! im physiologischen Institute der Universität Bern nach- gewiesen hat, dass der Gaswechsel durch die Athmung nicht einzige und allein von dem Maasse der geleisteten Arbeit abhängig ist, sondern durch Trainirung vermindert werden kann, sind zahlreiche Untersuchungen über diesen Gegenstand angestellt worden. Zunächst hat N. Zuntz? 1!/, Jahre nach Gruber, ohne dessen vor- läufige Mittheilung im Correspondenzblatte für Schweizer Aerzte zu kennen, ähnliche Beobachtungen veröffentlicht. Schnyder,? der an Arbeitern und Reconvalescenten experimentirte, kam zu folgenden Schlüssen: Ä „l. Der durch CO,-Ausscheidung, gemessene Stoffumsatz wird während der Arbeit vermehrt, aber dieser Zuwachs wird durch Uebung vermindert. 2. Im gleichen Sinne wie die Uebung wirkt die allgemeine Stärkung. Hierdurch ist bewiesen, dass nicht allein deshalb sparsamer gearbeitet wird, weil der Geübte Mitbewegungen ausschliesst, sondern dass die Grösse der Anstrengung, nicht aber die Grösse der Leistung den Stoff- umsatz bedingt.“ ! Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1888. 15. October. — Siehe auch Zeitschrift für Biologie. 1892. S. 466—491. ? Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. 3 Zeitschrift für Biologie. 1896. Bd. XXXIU. N.F. Bd. XV. 3.32. 510 EMmIL Bürgı: Katzenstein! fand, dass die am Gärtner’schen Ergostaten durch Raddrehen geleistete Arbeit grösseren Gaswechsel erfordert als die durch Gehen und Steigen geleistete. N. Zuntz und Lehmann? beobachteten bezüglich der Gewöhnung an das Tornistertragen, „dass leichtes Gepäck (bis zu 22%) schon nach wenig Märschen bei allmählicher Steigerung der Anforderungen nicht mehr nach- theilig wirkt, bei schwerem aber, selbst nach längerer Uebungszeit, nur eine sehr geringe Abnahme der Schädigung nachweisbar ist“. Chauveau und Kaufmann’ constatirten bei ihren Beobachtungen an der Oberlippe des Pferdes, dass Kreislauf und Athmung des nach durch- schnittener Sehne in Bewegung BeTEEINEN Hebemuskels grösser seien als diejenigen des ruhenden. N. Zuntz und Hagemann wiesen an dem Steigarbeit leistenden Pferde nach, „dass der respiratorische Gasverbrauch steigt, wenn die Steil- heit des Weges eine gewisse Grenze überschreitet‘. Neulich hat noch der jüngere Zuntz’ den respiratorischen Gaswechsel bei Radfahrern untersucht und gefunden, dass derselbe pro Meter Weglänge beim Radfahren kleiner ist als beim Gehen, pro Stunde Radfahren dagegen viel grösser als pro Stunde Gehen. Schliesslich verweise ich auf die umfassenden und grundlegenden Arbeiten von N. Zuntz und O. Hagemann.‘ Alle diese Versuche hatten die alte Anschauung, dass der Sauerstoff- verbrauch und die Kohlensäureproduction der arbeitenden Muskeln nur eine Function ihrer Leistungen seien, widerlegt. Im Sommer 1896 fasste ich, einer Anregung von Hrn. Professor H. Kronecker folgend, den Entschluss, durch genaue Experimente zu be- stimmen, inwiefern der respiratorische Gaswechsel des Menschen bei Ruhe und Arbeit auf höheren Bergen sich anders verhält als in der Ebene, und so eine schon von mehreren Forschern aufgeworfene Frage (Anoxhämie Paul Bert’s oder Akapnie Mosso’s) ihrer Lösung näher zu bringen. ı Pflüger’s Archiv. 1891. Bd IL. S. 330. ? Deutsche militärische Wochenschrift. 1895. 8.7. ®? Chauveau, Ze travail muscul. Paris 1894. p. 340 ff. — Comptes rendus de P’Academie frangaise. 1887. 16. Mai und 20. Juni. p. 276 u. 293. ®* N. Zuntz, Lehmann und Hagemann, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Pferdes bei Ruhe und Arbeit. Berlin 1889. 5 Leo Zuntz, Ueber den Gasverbrauch und Energieumsatz des Radfahrers. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXX. S. 346. ° N. Zuntz und O. Hagemann, Untersuchungen über den Stoffwechsel des Pferdes bei Ruhe und Arbeit. Berlin 1898. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 511 Die ersten genaueren Untersuchungen über den Einfluss verschiedenen Luftdruckes auf den Gaswechsel wurden in der pneumatischen Kammer vorgenommen; allein die dabei vorliegenden Bedingungen entsprechen , wie schon durch zahlreiche Forscher nachgewiesen worden ist, den Verhältnissen auf Bergeshöhen nicht vollkommen. So hat A. Loewy'! im Jahre 1895 durch zahlreiche Versuche im pneumatischen Cabinet nachgewiesen, dass Sauerstoflverbrauch und Kohlen- säureausscheidung durch die Athmung in verdünnter Luft bis zu 440” Hg für die Arbeitseinheit gleich sind wie unter normalem Luftdruck. Bei noch grösseren Verdünnungen fand er, dass der Sauerstoffverbrauch abnimmt, dagegen die CO,-Ausscheidung wesentlich wächst, und damit auch der bis dahin unveränderte respiratorische Quotient. N. Zuntz und Schumburg? fanden dagegen bei ihrer kurz darauf (August 1595) unternommenen Monte hosa-Expedition schon in Höhen, die viel grösserem Luftdruck entsprachen, als in dem pneumatischen Cabinet angewandt wurde, die Athemgrösse, den Sauerstofiverbrauch und die Kohlensäureausscheidung in der Ruhe und während der Arbeit vermehrt. Die im darauffolgenden Jahre ebenfalls am Monte Rosa mit den gleichen Methoden arbeitenden Forscher A. und J. Loewy und Leo Zuntz? kamen zu ähnlichen Resultaten. Doch fanden sie in jener Höhe den O-Verbrauch durch die Athmung in der Ruhe nicht immer und während der Arbeit in wechselnder Stärke vermehrt. Die Werthe waren auch individuell ver- schieden. Sie schlossen, ihre Resultate mit den von A. Loewy in der pneu- matischen Kammer erhaltenen vergleichend, „dass Wirkung der Höhenluft und Wirkung der Luftverdünnung auf den menschlichen Organismus nicht gleichzusetzen sind“. Ob der bestehende Unterschied durch Trainirung in der Höhe verkleinert oder sogar aufgehoben wird, ist von den genannten Forschern nicht genauer untersucht worden. Sowohl N. Zuntz und Schum- burg als A. und J. Loewy und Leo Zuntz mussten unter recht schwie- rigen und schwer vergleichbaren Verhältnissen arbeiten. Ihre sehr schätzens- werthen Resultate verloren dadurch an zwingender Beweiskraft. Jedenfalls aber sind diese Forscher die Ersten, welche die Frage über den respirato- rischen Gasverbrauch im Gebirge ernstlich in Angriff genommen und der Lösung nahe gebracht haben. Wohl die eingehendsten und zusammenfassendsten neueren Unter- suchungen (nach Jourdanet und Paul Bert) über das Wesen der Berg- ı Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVIII. S. 409 ff. ? Ebenda. 1896. Bd. LXIII. S. 461 ff. 3 Ebenda. 1897. Bd. LXVI. 8.477. 512 Emm Bürı: krankheit stammen von Angelo Mosso. Sie sind ausführlich beschrieben in der im Jahre 1898 in’s Deutsche übersetzten zweiten Auflage seines Buches „Der Mensch auf den Hochalpen“.! Er erklärt darin die Berg- krankheit als Folge der CO,-Verarmung (Akapnie) des menschlichen Körpers, welche die Innervation des Herzens und der Athmung, sowie der vom Vaeus versorgten Theile der Nahrungswege schädige. Ugolino Mosso? hat auf dem Monte Rosa gefunden, „dass die CO,- Ausscheidung durch die Athmunge in der Ruhe durch die Luftverdünnung eher vermindert als vermehrt wird“. Versuche über die CO,-Ausscheidung bei Muskelthätigkeit wurden von ihm nicht ausgeführt. Man sieht, dass die von verschiedenen Forschern gefundenen Resultate sich zum Theil direet widersprechen. Aeussere Schwierigkeiten haben die Ausführung meiner Experimente zwei Jahre lang verzögert. Ich wollte durch genaue Vergleichsversuche die Kohlensäuremengen bestimmen, die von ruhenden und arbeitenden Menschen in verschieden hohen Regionen durch die Athmung — und zwar vor und nach der Trainirung in der Höhenluft — ausgeschieden werden. Da durch vielfach varlirte Versuche, zumal der Zuntz’schen Schule, nachgewiesen ist, dass der respiratorische Quotient sich bei der Arbeit nicht oder nur unwesentlich ändert, sah ich von einer Bestimmung des verbrauchten Sauerstoffes ab — hierin dem Beispiele Gruber’s und Schnyder’s folgend. N. Zuntz und Schumburg? haben in ihren Versuchen am Monte Rosa die Kohlensäure in Kalilauge aufgefangen und bestimmt. Sie ent- nahmen aus der Athmungsluft in der von Geppert und Zuntz beschriebenen Weise Durchschnittsproben und berechneten aus den gefunden Werthen die Gesammtmenge des ausgeschiedenen Gases. Bei den in Berlin vorgenommenen Versuchen nahmen Zuntz und Schumburg* nach ihrer eigenen Darstellung diese Durchschnittsproben genauer, indem sie proportional der Umdrehung der zum Messen des Athmungsvolumens dienenden Gasuhr von jedem Athemzug einen Bruch- theil auffingen. Dies konnten sie in,den Bergen nicht, „und wir durften“, heisst es in dieser Arbeit, „hier deshalb darauf verzichten, weil sich in den Vorversuchen herausgestellt hatte, dass wir bei der Arbeit ganz gleich- mässig athmeten, und dass auch in der Ruhe wenigstens Schumburg ganz gleichmässige Athmung hatte. Um das ausgeathmete Gas erst dann 1 A.Mosso, Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig 1898. 2 Ebenda. 8. 247—276. ®A.2.0. 8. 461f. * A.2.0. 8. 466—467. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. AkBEIT AUF BERGEN. 513 zu messen und die Probe erst dann aufzufangen, wenn die Respiration gleichmässig geworden war, wurde bei den Ruheversuchen bis zu 10 Minuten, bei den Marschversuchen im Marschiren meist 1'/, Minuten durch das Athemventil vorgeathmet; unterdessen ging die Luft noch nicht durch den Grasmesser.“ A. Mosso! kam zu ganz anderen Ergebnissen. Die Leute, welche er untersuchte, athmeten durchaus ungleichmässig. Ugolino Mosso? leitete bei seinen Ruheversuchen einen Theil der Exspirationsluft zur Bestimmung der Kohlensäure in Barytwasser und be- rechnete aus diesen Einzelergebnissen, da das Volumen der Athmungsluft bekannt war, die Gesammtmenge. In Uebereinstimmung mit den Beobachtungen von Angelo Mosso fand ich, dass die Tiefe der Athmungen sich in unregelmässiger Weise ändert. Daher wagte ich nicht, die endgültigen Werthe aus Durchschnitts- proben zu berechnen, sondern ich bestimmte die gesammte ausgeschiedene Kohlensäuremenge. Gruber hatte zu diesem Zwecke den von Mulder? als treffliches Absorptionsmittel für Kohlensäure empfohlenen Natronkalk verwendet, da er besser als Kalilauge Erschütterungen verträgt. Auch Gruber hatte die Gesammtmenge der ausgeathmeten Kohlensäure gemessen. Die Exspirations- luft wurde vor dem Eintritt in den Natronkalk mittels Chlorcaleium und Phosphorsäureanhydrid getrocknet. Da ich im Prineipe an dieser Methode festhielt, lasse ich hier noch einige Angaben über die Anordnung des von Gruber verwendeten Apparates folgen: Gruber athmete durch die Nase ein und durch den Mund aus. Während der Ausathmung hielt er die Nasenlöcher mit der linken Hand zu. Seine Exspirationsluft gelangte zuerst durch einen Gummischlauch in ein Luftkissen, das 5 Liter fasste, und das er während der Gehversuche unter dem Arme trug und selbst auspresste. Während dieser Luftraum ausgedrückt wurde, schloss Gruber den Athmungsschlauch mit seinen Schneidezähnen, damit die Exspirationsluft nicht durch denselben zurück- strömen könne. Das war unbequem, und Cushny, der Gruber’s Arbeit fortsetzte und an Leuten aus dem Volke experimentirte, sah sich genöthigt, zwischen Mund und Reserveluftraum ein Klappenventil einzuschalten, welches die ausgeathmete Luft nicht in den Mund zurückströmen liess. Das Luft- ı A.a.0. S.304ff. sowie Tabellen S. 467—474. 2 A.2.0. 8. 267—276. ® Mulder, Zeitschrift für analytische Chemie. Bd.1. Nr. 2. Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 33 514 Emiıu Bürßı: kissen wurde zwischen. zwei durch Charnire verbundenen Brettern von einem Gehülfen ausgedrückt. Cushny verwendete ebenfalls Natronkaik, den: er aber nicht wie Gruber in Röhren, sondern in die Kronecker’- schen Absorptionsflaschen füllte. Dieselben sind in Pu Arbeit genauer beschrieben! (s. Fig. 1). Auch ich bediente mich dieser Gefässe und zwar benutzte ich bei jedem Versuche deren vier, von denen je zwei parallel geschaltet waren, so dass die Exspirationsluft erst die vorderen sodann die hinteren Flaschen passiren musste. Dabei wurde die Hauptmenge der Kohlensäure im ersten Paare absorbirt, im zweiten fanden sich regelmässig nur Spuren. - ir! 2 2) Hi 3 vw) JUSIUBUSERUNDEINSRAIDRANIEGMENIMBULEUUREN| 7 Bew E19.1. Kronecker’s Absorptionsgefässe, links im Durchschnitt abgebildet. Die Pfeile geben die Richtung an, in der die Luft durchströmen kann. Gruber und Schnyder hatten oftmals die Exspirationsluft, welche aus der letzten Natronkalkflasche ausgetreten war, in kleinen Ballons auf- gefangen, um etwa der Absorption entgangene Kohlensäurereste zu be- stimmen. Da sie höchstens Spuren vorgefunden hatten, verzichtete ich auf diese Nachprüfung. Zum Troeknen der Luft vor ihrem Eintritt in die Absorptionsgefässe Ver- wendete ich, dem Beispiel Cushny’s folgend, Schwefelsäure und Phosphor- säureanhydrid. Für meine Zwecke war der von Cushny und Schnyder eandlet: Apparat der Verbesserung bedürftig. Zunächst. sollte derselbe während ! Zeitschrift für Biologie. 1896. Bd. XXX11l. 8.12 u. 13. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 515 meiner Steigexperimente mühelos ‚mitgenommen und gebraucht werden können; der Cushny-Schuyder’sche war aber unbequem zu transportiren. Ferner schien es mir wichtig, die Ausathmung. in den Apparat zu er- leichtern.. Gruber hat während seiner Versuche häufig an hochgradiger Athemnoth gelitten; Th. Beer, damals Assistent am physiologischen Institut in Bern, musste, wie ich aus mündlichen Mittheilungen weiss, aus dem- selben Grunde seine am Faulhorn begonnenen Steigversuche aufgeben. Der von Cushny seitdem umgeänderte Apparat genügte für die Schnyder’- schen Experimente, für die meinigen dagegen nicht. Zwischen die Versuchsperson und den Absorptionsapparat war früher als Luftvorrathsraum ein Gummiballon oder Luftkissen eingeschaltet, da mit srobkörnigem Natronkalk gefüllte Flaschen nur mühsam durchathmet werden können. Aber auch das Kissen konnte erst nach seiner Entleerung die ausgeathmete Luft aufnehmen; während es ausgedrückt wurde, blieb das zwischen demselben und dem Munde des Athmenden befindliche Ventil geschlossen. Das Luftkissen durfte daher nur während der Inspiration der Versuchsperson entleert werden. Dies lässt sich bei Athmung in der Ruhe und während einer localen Arbeitsleistung leicht bewerkstelligen. Bei Gehversuchen und namentlich bei Steigversuchen wird hierdurch die Athmung sehr behindert. Da drückt sehr häufig der Gehülfe den Ballon gerade zu der Zeit, während welcher der Experimentator auszuathmen wünscht, und wenn man bei einem durch schwere körperliche Anstrengung hervorgerufenen heftigen Athembedürfnisse im Ausathmen gehemmt wird, so ist das Experiment gefährdet. Die am Austritt durch den Mund gehinderte Luft strömt unversehens entweder durch die Nase aus, oder man muss, von höchster Athemnoth gequält, den Versuch gänzlich unterbrechen. Nach einigen unbrauchbaren Um- änderungen des Apparates gelang es mir, ihn so herstellen zu lassen, dass man jeder Zeit ungehindert hineinathmen kann. An Stelle eines ein- fachen verwendete ich zwei Luftsäcke, die abwechselnd ausgedrückt wurden, so .dass der eine immer offen blieb. Nachstehende Skizze (Fig. 2) möge diese Verbesserung veranschaulichen. Die Pfeile geben die Richtung des Luftstromes an, in der die Ventile aa bb sich öffnen. / und 2 bedeuten die Luftreserveräume. Die Anord- nung der Ventile ist derart, dass, solange ein Ballon zusammengedrückt wird, sein Inhalt nur zu den Absorptionsgefässen entweichen kann, während der nicht comprimirte Ballon der Luft vom Mundstücke her zugänglich bleibt. Ein erster Versuch, einen solchen Apparat in Form einer Doppel- Ziehharmonika zu construiren, misslang, weil der Stuff, aus dem die Bälge hergestellt werden, nicht völlig zu dichten war. Daher wählte ich statt der zwei Harmonikabälge zwei Gummiballons, deren jeder 3 Liter fasste. 516 Emın Bürcı: Diese Behälter liegen über einander, durch ein verschiebbares Brett getrennt, welches nach oben gedrückt den oberen — nach unten den unteren Ballon auspresst. Diese Vorrichtung befindet sich in einem Holz- kasten Ä, der mittels Schulter- und Brustriemen dem Gehülfen aufge- schnallt wurde. Nachfolgender Durchschnitt (Fig. 3) zeigt das Innere dieses Apparates. Zwischen den Gummiballons 7 und 2 liegt das Brett C, das vermittelst der Hülsen AA an vier Messingsäulen mm geführt werden kann, welche mit den Holzbrettern D und Z einen festen Rahmen bilden. Schlitze in den Seitenwänden des Apparates ermöglichen mittels der Handhaben 374 das Druckbrett © nach oben und unten zu verschieben. Die Spiralfedern ss, »»>— Zu den Ab: SOTpHons= ‚gefässen Fig. 2. Schema des Weges der Exspirationsluft durch die abwechselnd geöffneten Kautschuk- säcke. a, a’, b, b’: Scheibenventile, welche den Luftstrom nur in der Richtung der Pfeile gestatten. die beim Hinunterschieben des Brettes © zusammengedrückt werden, dienen dazu, dem mühsameren Heben nachzuhelfen. Die zu- und abführenden Schläuche sind durch seitliche Oeffnungen der Holzverkleidung geleitet. Die vier Athmungsventile sind paarweise in zwei an der Aussenseite des Kastens befestigten eisernen Behältern A und B verborgen. M bezeichnet das Mundstück, durch welches ausgeathmet wird, $ das Schlauchstück, welches die Luft aus den Reservoirs zu den Absorptions- flaschen leitet. Das Spiel der Ventile zeigt schematisch Fig. 2. Während der eine Ballon ausgedrückt wird, bleibt der andere für die Exspiration offen, so dass ununterbrochen in den Apparat geathmet werden kann. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RuHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 517 Für die vier Natronkalkflaschen diente ein an Riemen tragbares Flaschen- gestell aus Eisenblech, ein ebensolches für die Schwefelsäure- und die Phos- phorsäureanhydridflasche. Bei den Gehversuchen (s. Fig. 4) trug der Gehülfe den Kasten mit den Gummiballons und das Gefäss mit den zum Trocknen der Athmungsluft dienenden Flaschen, die Versuchsperson die Kohlensäure-Absorptionsgefässe. | KR, A) A //# Ye) / Y % / // / ZEIA v4 Kr / // // 7 1 Ja / VE / / // W Z 7 / N / If / /4 EIER u) | VL: 37 | / | ALL 5 Nam ung N l Hi = Sm Q m li N SH 7 J U NY Bin SEH AN N USTRSE YÄl N Nural JUN N DENT. HAN SET UN Ben. N Fig. 3. Vorrichtung mit zwei Luftsäcken zur jederzeitigeu Aufnahme der ausgeathmeten Luft. Die Verbindung vom Munde des in den Apparat Athmenden zu den Natron- kalkflaschen war alsdann folgende: Die Exspirationsluft geht von der Versuchsperson 7 (Fig. 4) aus zuerst in das ihr unter der Brust hängende Speichelfläschehen, von da durch einen weiten Gummischlauch in die Luftsäcke «a, a; von hier ausgedrückt nimmt sie den Weg über die linke Schulter des Gehülfen 2 in die auf seinem Rücken befindlichen Wasserabsorptionsflaschen 5, und von da aus gelangt sie endlich durch den langen hinteren Verbindungsschlauch in die vier mit erbsengrossen, gesiebten Natronkalkstückchen gefüllten Absorptions- gefässe c, c. 518 . en - Emm Bürer: Nachdem wir das Knicken der verbindenden Schläuche durch genaue Fixation derselben vermeiden gelernt hatten, ging die Ausathmung in den Apparat fast widerstandlos vor sich, und der Gehülfe konnte, ohne auf die Athmung der Versuchsperson zu: achten, die Reserveballons ausdrücken. Das Tragen der etwa 10% schweren Natronkalkflaschen Amand natürlich bei der Arbeitsberechnung in Betracht gezogen. \ ä ) Versuchsperson (1) Gehülfe (2) c, ce Absorptionsgefässe a, a Kasten mit Luftsäcken eb Wasserabsor ptionsflaschen. Hrn. Dr. med. Schenk, Bandagist, und Hrn. Bisehhausen, Mecha- niker, danke ich hiermit Da für die Bereitwilligkeit, mit ds sie mir bei der Construction meines Apparates behülflich waren. Jetzt galt es, eine Bergbahn zu finden, die es ermöglichte, Steigversuche in ‚recht verschiedenen: Höhen, bald nach einander, bei ungeschwächten Kräften anzustellen. Denn wenn man zuerst eine ‚Reihe von Ruhe- und Arbeitsversuchen in der Ebene vornimmt, dann, nach einer mehrtägigen Reise, einen hohen Berg erklimmt und, hier angelangt, gleich wieder dieselben Experimente ausführt, ist ein Vergleich der Resultate theils wegen der RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 519 allmählich zunehmenden Trainirung, theils wegen der vorangegangenen Ermüdung, theils wegen der im Zeitlaufe von Wochen sich ändernden individuellen Disposition: nicht beweiskrättig. Alle Versuche, die von meinen Vorgängern zu gleichen Zwecken wie die meinigen angestellt waren, litten an diesen Unvollkommenheiten. Für meine Ruheversuche schien die Wahl einer geeigneten Gebirgsbahn leicht. Am besten passte diejenige, welche die grössten Höhenunterschiede aufweist, also die Gornergratbahn. Anders verhielt es sich mit den Steigversuchen. Zur Ausführung der- selben waren zwei genügend lange Strecken mit gleichen Steigungsverhält- nissen bei: möglichster Höhendifferenz nothwendig. Denn die zu erwartenden Unterschiede der Kohlensäureproduction sollten einzig und allein auf die Verschiedenheit der Höhen zurückgeführt werden können und alles sonst Ungleiche daher soviel als irgend möglich vermieden werden. Es erwies sich als äusserst schwierig, an einer Gebirgsbahn die geeigneten Verhältnisse zu finden. Schon vorhandene, an solchen Bahnen liegende‘ Fusswege konnten, ihrer allzu inconstanten Steigungsverhältnisse wegen, nicht benutzt werden, und der Gedanke, Treppen oder Wege, wenn auch auf primitive Weise, eigens zu dem Zwecke herzustellen, erwies sich-wegen der grossen Schwierig- keit solcher Arbeiten im Gebirge als unthunlich. Ich entschloss mich daher, die Trace einer Bergbahn als Versuchsweg zu benutzen. Da im Allgemeinen Gebirgsbahnen eine regelmässigere Anlage haben als Fusswege, liess sich eher hoffen, hier zwei passende Vergleichs- strecken zu finden. Den Direetionen der Berner Oberland- und der Wengsräghalin sind wir für die liberale Unterstützung, welche sie dieser wissenschaftlichen Untersuchung gewährten, besonders zu Dank verpflichtet. An diesen Bahnen, die zur Entscheidung mancher anderen Frage über die Wirkung der Höhen- luft sehr geeignet wären, fand ich leider die für mich erforderliche Constanz der Steigungsverhältnisse nicht. Nach langem, vergeblichem Suchen erwies sich endlich die Brienzer Rothhornbahn als für meine Versuche am -geeignetsten. Diese Zahnradbahn führt vom Dorfe Brienz, das am oberen Ende des gleichnamigen Sees 570” über dem Meeresspiegel liegt, zu der 2252" hoch gelegenen Station Rothhornkulm in etwa einer Stunde. Für meine Zwecke unterscheidet sich die Bahnlinie vortheilhaft von denjenigen aller anderen schweizerischen Bergbahnen durch. ihre sehr gleichmässigen Steigungen. Es finden sich hier ganz oben einerseits und nicht weit über dem Dorfe Brienz andererseits zwei genügend lange Strecken, welche die gleiche Steigung von 25 Procent haben und daher meinen Forderungen entsprachen. 520 Emın Bürct: Die dadurch erreichbare grosse Genauiekeit schien mir den Mangel einer Versuchsstation über der Schneegrenze vorläufig aufzuwiegen. Herr Ingenieur Lindner, der Erbauer und Besitzer dieser Bahn, ertheilte mir bereitwilligst die Erlaubniss, in der Trace meine Versuche ausführen zu dürfen und stellte mir seinen Arbeitsraum an der Station Brienz zur Verfügung. Ich ergreife die Gelegenheit, ihm für seine Zuvorkommenheit in jeder Be- ziehung meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Am Abend des 31. August 1898 langte ich, nachdem in Bern Alles fertiggestellt war, begleitet von Hrn. Bartel, dem langjährigen, erfahrenen Abwart des physiologischen Institutes der Universität Bern, in Brienz an und begann meine Versuche, die ich, um ganz sicher zu gehen, alle an mir selbst anstellte, Tags darauf. Ausser dem oben beschriebenen Apparate hatten wir die üblichen meteorologischen Instrumente mitgenommen. Barometer und Thermometer konnten wir, wie sich bald zeigte, entbehren, da sowohl in Brienz als auf dem Rothhorn täglich diesbezügliche genaue Messungen vorgenommen wurden. Eine arretirbare Secundenuhr diente zur exacten Zeitbestimmung unserer Versuche und zur Ausführung des Secundenschrittes, den ich während des Steigens einzuhalten gedachte. Unsere Waage erlaubte Wägung bis auf 1%, Wir wohnten, die drei letzten Nächte ausgenommen, die ich im Roth- hornhotel zubrachte, in Brienz unweit der Station. Mein Ernährungszustand war normal. Meine Grösse betrug in Berg- schuhen 182 ®, mein Brustumfang, unter den Kleidern gemessen, 108 m bei Mittelstellung des Thorax, meine Vitalcapacität 3750 bis 4000 «m, Mein Körpergewicht sammt Kleidern schwankte während der Versuchszeit zwischen 97.5 und 98*s; ich bestimmte es jeden Morgen um dieselbe Zeit. Mein Allgemeinbefinden blieb während der ganzen Zeit gut, nur der Schlaf war während der ersten zwei Nächte auf dem Rothhorn etwas gestört. Am 4. September kehrte ich nach Bern zurück, theils weil mein Vor- rath an Natronkalk erschöpft war, theils weil ich die Wirkung eines zwei- tägigen Aussetzens der Versuche beobachten wollte. Am 6. September Nachts war ich wieder in Brienz; vom 10. September Mittags bis zum 13. September Mittags wohnte ich auf dem Brienzer Rothhorn, um mich durch tägliche Steigübungen an die Höhenluft zu gewöhnen. Der 1. September war neblig und feucht, am 12. September Abends und am 13. September entluden sich heftige Gewitter, sonst war das Wetter andauernd trocken und windstill. Zur Ausführung der Ruheversuche wählte ich als unteren Standort den mir von Hrn. Ingenieur Lindner zur Verfügung gestellten Arbeitsraum RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 521 in der Nähe des Bahnhofes, als oberen die Gesindestube des Rothhornhotels (15® über der Station). Der Höhenunterschied betrug daher, da Brienz 570”, das Rothhorn- hotel 2267 ® hoch liegt, 1697". Während der Ruheversuche, die gewöhnlich 10 Minuten lang dauerten, sass ich möglichst bequem auf einem Stuhle. Der Apparat stand vor mir auf dem Tische. Puls und Athmung wurden jeweilen vor, die letztere auch während des Versuches gezählt. Vor und nach jedem Experimente wurden die Natronkalkflaschen ge- wogen. Zu diesem Zwecke wurden die sämmtlichen Verbindungen gelöst, die Flaschen einzeln aus dem Blechbehälter genommen und mit Watte verstopft. Die Ruheversuche foleten immer baldmöglichst — d.h. im Zeitraum von 1!/, bis 2 Stunden — auf einander. Zwischen je einem Experimente unten und oben wurde jedes Mal der Zug benutzt. Für die Ausführung der Steigversuche hatte ich, wie oben angegeben, zwei Strecken ausgesucht, die beide genau gleiche Neigung von 25 Procent aufwiesen; die eine begann in einer Höhe von 734”, die andere in einer Höhe von 2184". Die Höhendifferenz betrug also 1450”. Oben und unten hatte ich 300 eiserne Schwellen, die Schwellenweite zu 90“, in 600 Secundenschritten zu überschreiten; der Versuchsweg war also 270” lang, und die Arbeitsdauer musste, wenn keine Pausen gemacht wurden, genau 10 Minuten betragen. Während dieser Zeit hob ich mein Gewicht um 65-5”, langte also unten in einer Höhe von 800”, oben in einer Höhe von 2250” an. Somit leistete ich, da mein Gewicht 98% betrug und die von mir getragenen Natronkalkflaschen 10% wogen, 7074 Ks" Arbeit in 10 Minuten. Da die Schrittweite einer halben Schwellenweite gleich war, fiel der eine Schritt immer auf eine eiserne Schwelle, der andere in den den Zwischen- raum zweier Schwellen ausfüllenden Schotter. Oben und unten wurde das Experiment in ganz übereinstimmender Weise vorgenommen. Carotispuls und Athmungsfrequenz bestimmte ich in Sonderversuchen, während deren ich 1 Minute lang unbepackt den Berg hinaufstieg. Die Athmungsfrequenz liess sich mit Leichtigkeit auch während der Hauptversuche bestimmen; es fiel mit ziemlicher Regelmässigkeit oben und unten auf je zwei Schritte ein Athemzug. Sobald ich in den Apparat zu athmen begann, löste ich die Arretirung der Secundenuhr, die ich in der rechten Hand trug, und controlirte selber den Secundenrhythmus meines Ganges. Bei den ersten Versuchen war es mir unmöglich, dieses Tempo genau einzuhalten, selbst wenn ich eine dritte 522 Emin Bürcı: Person mitnahm, welche mit lauter Stimme die Secunden zählte. Als aber alle Schläuche gut fixirt und ich und mein Gehülfe das gemeinsame Marschiren in den Schienen genügend gewohnt waren — also von Ver- such 14 an — konnte ich die Uhr leicht beobachten und den Secunden- schritt auf das Exacteste ausführen. Während des Steigens befand sich mein rechter Fuss immer ausser- halb, mein linker innerhalb der rechten Bahnschiene; in gleicher Weise ging mein Gehülfe (s. Fig. 4) auf der anderen Seite. Da die Schwellen weit aus den Schienen herausragen, konnte ich sie nicht verfehlen. Ursprünglich beabsichtigte ich, während der 10 Minuten ununter- brochen zu gehen und, am Ziele angelangt, eine halbe Minute nachzuathmen. Es zeigte sich sogleich, dass dies nicht möglich war. Das Ausathmen in den Apparat war nicht mühelos und der Secundenschritt bei einer Steigung von 25 Procent nicht langsam genug, um ohne Pausen diese Arbeit leisten zu können. Von Versuch 13 an machte ich immer nach gleichen Zeit- räumen gleich langen Halt, so dass die Zeitverhältnisse der Ruhe- und Arbeitsathmung bei den Steigexperimenten folgende waren: Steigen 6 Minuten, Ruhe 1 Minute, ” Zus ”„ ” = ” 1) 1 j ER ] RN 23 P ” also im Ganzen: Steigen 10 Minuten, Ruhe 2 Minuten. Während dieser 12 Minuten wurde ununterbrochen in den Apparat seathmet. Ich brachte es übrigens mit der Zeit so weit, dass ich auch ohne diese Pausen hätte auskommen können, behielt sie aber bei, da ich sonst meine hesultate weniger leicht hätte mit einander vergleichen können. (ruber hat bei seinen Versuchen durchschnittlich 8 Minuten nach- seathmet; Schnyder liess seine Versuchspersonen 3 Minuten lang nach- athmen. Da die Vermehrung des Gaswechsels in den ersten Minuten nach der Arbeit rasch abnimmt, und es mir ja einzig und allein auf Vergleiche ankam, athmete ich nur eine halbe Minute nach, um möglichst deutliche Unterschiede zu erhalten. Wenn ein Versuch zu Ende war, stellte ich für den nächsten Versuch das hintere Paar der Natronkalkgefässe, das fast nichts absorbirt hatte, in die erste Linie. Jede Flasche, die zwei Mal — ein Mal als vordere, ein Mal als hintere — gedient hatte, wurde geleert und mit frischem Material gefüllt. — Zwischen den beiden Versuchsstationen benutzte ich den Zug, um jegliche störende Ermüdung ausserhalb der zwei direct zu vergleichenden Experimente zu vermeiden. RESPIRATORISCHER (HASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 593 Während ich am Brienzer Rothhorn experimentirte, war es mir wegen der zu jedem Versuche nöthigen, zeitraubenden Vorbereitungen und wegen der seltenen Zugverbindungen nicht möglich, mehr als zwei Steigversuche täglich auszuführen. Die Resultate waren die gleichen, ob ich unten oder oben den ersten Versuch machte. Wenn man nun meine Versuchsanordnungen mit denjenigen der Berliner Forscher vergleicht, so wird man ohne Weiteres einsehen, dass ich unter ungleich günstigeren Bedingungen arbeiten konnte. Die Loewy’schen Ver- suche in der pneumatischen Kammer können nicht wohl zum Vergleich herbeigezogen werden, da sie, wie in der Einleitung ausgeführt wurde, ganz andere Werthe ergaben, als die mit den gleichen Methoden, theilweise sogar von demselben Autor in den Bergen vorgenommenen Experimente. (A. Mosso untersuchte den Gaswechsel während der Arbeit in der Höhe nicht.) | N. Zuntz und Schumburg! haben in der erwähnten Arbeit als die Ersten die Frage an Ort und Stelle zu lösen gesucht. Die Schwierigkeit der Verhältnisse, in denen sie sich befanden, lässt ihre Versuche nur um so verdienstvoller erscheinen. Es war jedoch diesen Forschern unmöglich, übereinstimmende Versuchs- strecken zu finden. In Berlin benutzten sie zur Untersuchung der Steig- arbeit theils eine ausgemessene Wendeltreppe, theils eine Tretbahn von durchschnittlich 17° Neigung, auf der Betempshütte einen ziemlich gleich- mässig steilen Fussweg, dessen Steigung nivellirt wurde, auf der Sattelsohle des Monte Rosa „eine nur mässig geneigte, mit wenig fest gefrorenem Schnee bedeckte Gletscherfläche“; A. und J. Loewy und L. Zuntz? hatten noch ungünstigere Versuchsstrecken. — Schrittweite und Schrittdauer, welche beide die Grösse der Arbeitsleistung stark beeinflussen (Marey),’ wurden von keinem der genannten Forscher berücksichtigt. Da sowohl Arbeits- dauer als Arbeitsgrösse jedes einzelnen ihrer Versuche wechselnde waren, mussten die für den Gasverbrauch gefundenen Werthe erst auf 1 "=" Steig- arbeit umgerechnet werden; diese Arbeit wurde aber gemäss den ganz verschieden steilen Versuchsstrecken in recht verschiedener Zeit geleistet. Die Versuche in Berlin wurden von N. Zuntz und Schumburg im Februar und März des Jahres 1396, die Monte Rosa-Experimente im August 1895 ausgeführt, lagen also zeitlich sehr weit aus einander, und endlich erreichten diese Forscher, sowie ihre Nachfolger, die Höhenstationen erst nach körperlicher Anstrengung und Ermüdung. 2 4.2.0. 2-N:2-0:. ® E.Marey, Le mouvement. 1394. p. 124—163. — Siehe auch Compfes rendus de U’ Academie. 1881—1889. 524 Emm Büret: Alle diese aus der Schwierigkeit der Verhältnisse erwachsenen Nach- theile mussten die Beweiskraft der Resultate trüben. Da ich in Bern wohne, war es mir natürlich leichter als den genannten bewährten Forschern absolut genaue Vergleichsversuche im Gebirge anzu- stellen und damit die Vorbedingungen für eine einwandsfreie Arbeit zu erfüllen. Protokolle der Versuche am Brienzer Rothhorn im Jahre 1898. Versuch 1. 1.IX. 1898. Station Brienz (620%). Athmung in Ruhe. Wetter neblig, feucht. Temp. 19° C. Bar. 717-9. Hygrom, 85 (sehr feucht). | Allgemeinbefinden gut. Puls 68. Resp. 16. Beginn des Versuches 10® 5”. Dauer 8”. Gewicht der Natronkalkflaschen: Flasche I II III IV nach Versuch 2138:20 2487-85 2316-9 22SAY Or vor „ 2134-20 2483-4 2317-45 2235-06 „ Zunahme 4.00 4-45 — 0.55 — 0.59 gr Total der ausgeathmeten CO, 7-.31:, Bemerkungen: Ich hatte nur 8 Minuten Zeit für das Experiment. Des- halb liess ich die zu vergleichende Ruheathmung auch oben nicht länger dauern. Dass die Flaschen III und IV nach dem Experiment um ein Weniges leichter waren als vorher, erklärt sich aus dem Wechsel der Wattebäusche, welche zum Verstopfen der Flaschenöffnungen dienten und welche natürlich nicht alle gleich schwer waren. Es wurden allerdings wieder die gleichen Bäusche benutzt, und Gesammtfehler so vermieden, sie geriethen aber bald in die, bald in jene Flasche. Versuch 2. 1.IX. 1898. Rothhornhotel. Athmung in Ruhe. Wetter neblig, feucht. Temp. 15° C. Barom. 585. Hygrom. 75. Beklemmungsgefühl. Puls bei Ankunft oben (12" 40’) 72, etwas unregelm. Resp. 22 vertieft. Nach 30° Puls gleich. Resp. 16. Beginn des Versuches 1® 10”. Ende " ;, 4 1% 18°. Dauer somit 8”. Flaschengewicht: 1 II III IV nach Versuch 2142°3 2491-31: 231695 7223479272 vor 5; 2138-20 2487.85 2316-9 2234-47 „ Zunahme 4.10 546 0.05 0.32 80 Total der ausgeathmeten CO, 7.938, RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 525 Versuch 3. 1.1IX. 1898. Gehversuch. Obere Versuchsstation. Witterungsverhältnisse u. s. w. wie bei Versuch 2. Beginn des Versuches 3% 20”. Ende „ ? SAD 35 Dauer „ ns 15’ 35”, davon ca. 4’ Pause. Flaschengewicht: I II II IV vor Versuch 2151-7 2501-15 2318-25 2234.9 em nach „ _ 2142- 2487.85 2316.9 2234-47 „ Zunahme 9.4 13-30 1-35 0.43 87m Total der ausgeathmeten CO, 24.48 2", Bemerkungen: Die Ergebnisse dieses ersten Steigversuches sind durch- aus unzuverlässig, Die schlecht fixirten Gummischläuche kniekten fort- während, schufen somit unüberwindliche Widerstände für die Ausathmung in den Apparat und zwangen mich, durch die Nase auszuathmen. Durch diese Störungen wurden auch die Pausen unregelmässig, und der Secunden- schritt konnte nicht eingehalten werden. os Versuch 4. 1.IX. 1898. Gehversuch. Untere Versuchsstation. Wetter klar. (Hygrom. 80. Barom. 718-1. Temp. 18° C.) Allgemeinbefinden gut. Puls in Ruhe 64, nach 1’ Steigen 120. Resp. in Ruhe 20, im Steigen 30. Beginn des Versuches 6" 5”. Ende ,„ H a Dauer also 14° 55”. Unregelmässige Pausen von ca. 4° Dauer insgesammt. Flaschengewicht: I II II IV 2332-74 2511-61 2157-9 2238.65 2318-25 2501-15 2151-7 2234-9 „ Zunahme 14.49 10.46 6-2 3.75m Total der ausgeathmeten CO, 34-85 8, Bemerkungen: Versuch besser als der dritte Die Gummischläuche waren besser verbunden und fixirt, kniekten nicht mehr so häufig. Immerhin noch die gleichen Schwierigkeiten in geringerem Grade. Versuch 5. 2.IX. 1898. Ruheversuch in Brienz. Wetter klar. (Temp. 18° C. Barom. 720-4. Hygrom. 82.) Puls 80. Resp. 16. Versuchsbeginn um 8". Ende 8% 10. Dauer also 10”. Flaschengewicht: I II III IV nach Versuch 2516-25 2336-38 2158-41 2339.26 8m en 2511-61 2332-74 2157-9 2938-6 „ 4.64 3.64 0-51 0.66 8m Total der ausgeathmeten CO, 9-45 8”, 526 Emm Bürcı: Versuch 6. 2.IX. 1898. Gehversuch. Untere Versuchsstation. Witterung u. s. w. wie bei Versuch 5. Puls geht während 1’ Steigens auf 132, Resp. auf 30 pro Minute. Beginn des Versuches 9% 10”. Ende ? = 95 25.. . Dauer 15. 1. Ruhepause nach 6° Gehen 1’ lang. 2. „; „ weiteren 3° Gehen 35” lang. [2] 3. oben angelangt 1’ 46”. Ich athmete während der ganzen 15° in den Apparat, davon 11° 39” während der Arbeit und 3’ 21” in Ruhe. Flaschengewichte: I II III IV 2351-20 2250.92 2162.60 2516.25 5m 2336-38 2239-26 2158-71 2516-25 „ 14.82 11.66 3.89 0.0 gm Total der ausgeathmeten 00, 30.37 :", Bemerkungen: Dieselben Beschwerden wie in Versuch 3 und 4, nur in geringerem Grade. Versuch 7. 2.IX. 1898. Ruheversuch. Rothhornhotel. Barom. 588. Therm. 19° C. Hygrom. 75 (feucht). Puls 80. Resp. 20. Versuchsbeginn 11" 30°. Dauer 10. Total der ausgeathmeten CO, 9.868, Bemerkungen: Versuch 7 ist ein Parallelversuch zu Versuch 5. Ein Vergleich ist hier möglich, da die beiden Versuche vollkommen gelangen. Mehrausgabe oben 0-41", Versuch 8. 2.IX. 1898. Gehversuch. Obere Versuchsstation. Alle Verhältnisse wie bei Versuch 7. Genaue Angaben unnöthig, da dieser Versuch misslang; vorgenommen wurde er wie die anderen Gehversuche. Resultat: ca. 8 2” CO, gefunden. Bemerkungen: Eine der Natronkalkflaschen war nicht luftdicht ver- bunden. Eventuell hatten wir auch den Natronkalk zu lange benutzt; nach Gruber’s Bestimmungen hätte er allerdings noch genügend absorbiren sollen. Versuch 9. 3.IX. 1898. Ruheversuch. Brienz. Wetter klar. Temp. 21° C. Barom. 720-4. Hygrom. 55. Beginn 9%® 10°. Dauer 10". Gewichtszunahme der Flaschen: ]: II III IN 5:26 4.54 — 0.12 0.05 Total der ausgeathmeten CO, 9.68 sm. Versuch 10. 3.IX. 1898. Ruheversuch. Rothhornhotel. Temp. 19.5° C. Barom. 590. Hygrom. 60. Puls 72. Resp. 20. Beginn 12%. Dauer 15”. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 527 Gewichtszunahme der Flaschen: I II III IV 6.69 6.95 0:53 1.29 gım Total der ausgeathmeten CO, 15.42 Sm, Bemerkungen: Durch ein Versehen wurde in diesem Versuche 15’ lang geathmet. Sonst gelang er vollkommen. Versueh 11. 3.IX. 1898. Ruheversuch. Rothhornhotel. Witterung u. s. w. wie bei Versuch 10. Beginn 12% 35”. Dauer 10”. Gewichtszunahme der Natronkalkflaschen: I II I IV 4=55 3:71 1:08 0-46 5m Total der ausgeathmeten CO, 9.80 5", Versuch 12. 3.IX. 1898. Steigversuch. Obere Versuchsstation. Barom. 590. Alle anderen Bedingungen wie bei Versuch 11 und 10. Puls vor Beginn des Versuches 76, nach 1’ Steigen 140. Resp. 16, während des Steigens ca. 36. Beginn 4®%. Dauer 13° 15”, davon ca. 3° Pause. Gewichtszunahme der Natronkalkflaschen: I II Bun N 12-35 15-95 4.43 3.96 8m Total der ausgeathmeten CO, 36-69 8m, Bemerkungen: Manche unnütze Pause. Versuch 13. 3.1IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Temp. 20° ©. DBarom. 722-7. Hygrom. 40. Beginn 6® 10. Ende 6" 22. Dauer also 12‘, davon 2’ Pause. Von diesem Versuche an wurden Arbeit und Pausen immer gleich ein- gehalten, nämlich: 1. Arbeit 6° 2,- Pause. 1° 3. ” 21), 4. „ ii Dar. 11/5 N Arbeit 10’. Pausen 2”. Resultat: ca. 102” ausgeathmete CO, gefunden. Bemerkungen: Versuch gänzlich misslungen; Gründe wie in Versuch 8. Von diesem Versuche an wurden die Flaschen täglich mit ganz frischem Natronkalk gefüllt. Versuch 14. 4.IX. 1898. Steigversuch. Obere Versuchsstation. Wetter schön. Therm. 21° ©. Barom. 590. Hygrom. 35 (trocken). Puls 74, nach 1’ Steigen 132. Resp. 16, im Steigen 30. Beginn des Versuches 4# 10”. End $„ E 44,99% Ueber Dauer von Arbeit und Pausen wie bei Versuch 13. 528 Emın Bürcı: Gewichtszunahme der Natronkalkflaschen: I II II IV 17.52 19-95 4.09 1.37 grm Total der ausgeathmeten CO, 42.93 m, Versuch 15. 4.IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Therm. 21° C. Barom. 720. Hygrom. 30. Beginn 6" 5”. Ende 68 17”. Menge der ausgeathmeten CO, 39.12 5m, Bemerkungen: Versuche 14 und 15 sind die ersten vergleichbaren Steigversuche. Versuch 16. 7.IX. 1898. Steigversuch. Obere Versuchsstation. Wetter heiss, trocken. Temp. 25° C. Barom. 588. Hygrom. 40. Allgemeinbefinden gut. Geringes Müdigkeitsgefühl. Puls 76, nach 1’ Steigen 128. Resp. 16, nach 1’ Steigen 32. Vom 4. IX. Abends bis zum 6. IX. Abends war ich in Bern. Besinn#312,557 undes4b7: Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 46.25 Em, Versuch 17. 7.IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Temp. 26° C. Barom. 716-1. Hygrom. 45. Puls 76, nach 1’ Steigen 124. Resp..16 bis 20, während des Steigens 32. Versuchsbeginn 5® 55”. Menge der während 12° ausgeathmeten 00, 39.37 sm, Versuche 16 und 17 ergaben die grössten Differenzen zwischen oben und unten; ich war aber auch wegen meines 2tägigen Aufenthaltes in Bern weniger trainirt, als bei irgend einem der anderen brauchbaren Versuchs- paare. Versuch 18. 8.1IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Wetter schön. Temp. 19° C. Barom. 717.7. Hygrom. 35. Puls 72, nach 1’ Steigen 132. Resp. 16, nach 1’ Steigen 30. Versuchsbeginn 9% 5’ Morgens. Menge der während 12° ausgeathmeten CO, 39.24 sm, Versuch 19. 8.1IX. 1898. Steigversuch. Obere Versuchsstation. Temp. 18° C. Barom. 588. Hygrom. 40. Puls 76, nach 1’ Steigen 140. Resp. 18, nach 1’ Steigen 34. Beginn 12" 10. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 42.54 Sm, Bemerkungen: Bei den Vergleichsversuchen 18 und 19 wurde der Controle wegen einmal mit dem unteren Versuch begonnen. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 529 Versuch 20. 9.IX. 1598. Steigversuch. Obere Versuchsstation. Wetter schwül. Temp. 21° ©. Barom. 557.5. Hygrom. 30. Puls 76, nach 1 Steigen 136. Resp. 20, nach 1’ Steigen 36. Beginn 4N. Menge der während 12° ausgeathmeten CO, 40.51 3, Versuch 21. 9.1IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Temp. 20° C. Barom. 715-1. Hygrom. 30. Puls 76, nach 1° Steigen 132. Resp. 20, nach 1° Steigen 32. Beginn 5 55”. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 35-31 2, Versuch 22. 10.IX. 1898. Ruheversuch. Brienz. Wetter schön. Temp. 20° ©. Barom. 717-1. Hygrom. 50. Allgemeinbefinden gut. Puls. 70. Resp. 16. Beginn 9%, Dauer 10”. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 8.07 sm, Versuch 23. 10.1IX. 1898. Ruheversuch. Rothhornhotel. Temp. 24° C. Barom. 588. Hygrom. 50. Puls 76.. Resp. 18. Beginn 12%. Dauer 10". Menge der während 12° ausgeathmeten CO, 8.43 8m, Versuch 24. 13. IX. 1898. Temp. 18°C. Barom. 584. Hygrom. 80. Wetter gewitterhaft schwül, kein Regen. Vom 10. IX. Abends bis zum 13. IX. Morgens wohnte ich auf dem Brienzer Rothhorn. Schlaf daselbst oft durch quälende Athemnoth gestört; häufiges Bedürfniss, tief Athem zu holen. In der dritten Nacht liessen diese Erscheinungen nach. Tagüber nahm ich regelmässig Steigübungen vor, namentlich dem Grate nach, um nicht zu tief herunter zu gelangen. In der Nacht vom 12. zum 13. IX. schlief ich gut; Allgemeinbefinden am 13.IX. Morgens gut. Puls 76, nach 1’ Steigen 136. Resp. 20, nach 1° Steigen 32. Menge der während 12° ausgeathmeten CO, 34:03 Em, Bemerkungen: Der Einfluss der Trainirung war auch subjectiv fühlbar. Versuch 25. 13.IX. 1898. Steigversuch. Untere Versuchsstation. Temp. 20° C. Barom. 715-9. Hygrom. 85. Wetter: Kurz vor dem Versuche ein Gewitter, während des Versuches Himmel bedeckt, doch kein Regen. Puls 76, nach 1’ Steigen 128. Resp. 16, nach 1’ Steigen 32. Versuchsbeginn 5® 10°. Dauer 12”. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 33.95 Em, Archiv f. A. u. Ph. 1%0. Physiol. Abthlg. 34 530 Emın Bürcı: Die Ergebnisse der eben angeführten Experimente am Brienzer Roth- horn wurden zuerst in den Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin! publieirt. Schon damals wies ich auf die Nothwendigkeit hin, meine Untersuchungen in grösseren Höhen fortzusetzen und im August des Jahres 1899 führte ich diesen Plan aus. Als Versuchsort wählte ich diesmal die Gornergratbahn,- da dieselbe in grössere Höhen hinaufführt als irgend eine andere Gebirgsbahn. Im Uebrigen sollten die Versuche in genau gleicher Weise vorgenommen werden wie die Brienzer Rothhorn-Experimente; doch geboten die äusseren Verhält- nisse einige Abweichungen. Die letzte Bahnstrecke vor der Station Gornergrat (3038 ") hat eine Steigung von 193 Procent. Da Zermatt schon 1620” hoch liegt, musste ich meine untere Versuchsstrecke weiter unten suchen, fand aber auf der Bahnlinie Visp-Zermatt Keine mit passender Steigung. Ich entschloss mich daher, meine unteren Steigversuche wieder an der Brienzer Rothhornbahn auszuführen, da ich daselbst geeignetere Verhältnisse vorfand und der Ort für mich leicht erreichbar war. Die Schwellenweite beträgt an der Gornergratbahn wie an der Brienzer Rothhornbahn 90 ®, Es war mir somit wie im früheren Jahr leicht mög- lich, oben und unten die genau gleiche Schrittweite einzuhalten. Als untere Versuchsstrecken wählte ich an der Brienzer Rothhornbahn 1. eine Strecke von 17.29 Procent Steigung, beginnend in einer Höhe von 620”, und 2. eine Strecke von 19 Procent Steigung, beginnend in einer Höhe von 690", Wiederum gedachte ich oben und unten eine Weglänge von 270” (300 Schwellen) in 600 Secundenschritten zurückzulegen. Die Strecke mit 19 Procent Steigung am Brienzer Rothhorn war aber zu kurz. Ich legte daher in derselben, um die gleiche Arbeit wie sonst zu leisten, zwei Mal denselben Weg von 135” Länge zurück. Nachdem ich das erste Mal 135% weit hinaufgestiegen war, athmete ich 1 Minute nach, hielt dann den Athmungsschlauch zu und stieg langsam den eben gemachten Weg wieder hinunter, um dann — nach etwa 5 Minuten — nochmals die gleiche Arbeit zu leisten und am Ende wieder 1 Minute nachzuathmen. Wie bei den anderen Versuchen dauerte dann die Athmung während der Arbeit 10 Minuten, ” ” „ ” Ruhe 2 ” die Arbeitsleistung war die gleiche, doch fänd zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsabschnitte während des etwa 5 Minuten dauernden Hinunter- ! Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 534. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 531 steigens eine ziemlich vollständige Erholung statt. Aus diesem Grunde konnte ich die hierbei gefundenen Zahlen nicht ohne Weiteres mit den- jenigen der auf die gewohnte Weise vorgenommenen Versuche vergleichen, sondern ich musste auch auf dem Gornergrat einen Theil der Experimente in dieser Art vornehmen. Es dienten mir dabei auf dem Gornergrat als obere Versuchsstrecken 1. eine Strecke von 19.3 Procent Steigung, 270” lang, beginnend in einer Höhe von 2987" (ein Mal durchlaufen), 2. eine Strecke von 19.3 Procent Steigung, 135” lang, beginnend in einer Höhe von 3012” (zwei Mal durchlaufen). In beiden Fällen erreichte ich oben die gleiche Höhe von 3038". Meine Ruheversuche nahm ich theils in Bern, theils im Stationsgebäude des Gornergrats (3038) vor. Der Höhenunterschied betrug daher für die Ruheversuche etwa 2500 ® und für die Steigversuche etwa 2400". Die specielleren Bedingungen, unter denen ich diese Versuche vornahm, waren folgende Am 19. August 1899 Morgens führte ich die ersten Ruhe- versuche in Bern aus; am 21. August begab ich mich nach Brienz und nahm, untrainirt, die Steigversuche an den unteren Strecken vor. Am 22. August verreiste ich nach Visp, übernachtete daselbst und vollendete am nächsten Tage auf dem Gornergrat, untrainirt, eine Serie von Ruhe- und Steigversuchen an der oberen Versuchsstation. Hierauf trainirte ich mich in der Höhe, schlief die erste Nacht — vom 23. auf den 24. August — im Gornergrathotel (3136 hoch), stieg Tags darauf nochmals vom Hotel zur Station (3035) hinunter und wieder herauf, und begab mich Abends in die untere Theodulhütte (3020”, Weg von 2!/, Stunden). Ich über- nachtete daselbst, bestieg am 25. August das Walliser Breithorn (4171), kehrte Abends wieder zum Gornergrathotel zurück (Tagesmarsch. von etwa 9 Stunden) und schlief daselbst. Am 26. August nahm ich, so trainirt, Ruhe- und Steigversuche an der oberen Versuchsstation vor und begab mich Abends nach Zermatt. Am 27. August langte ich in Bern an. Am 28. August führte ich daselbst, trainirt, Ruheversuche aus, und am 29. und 30. Steigversuche am Brienzer Rothhorn unten und oben. Das Uebrige ergiebt sich aus den Tabellen. Barometer-, Thermometer- und Hygrometerablesungen nahm ich diesmal nicht vor. Das Wetter war während der ganzen Zeit bis auf die letzten zwei Tage, an denen die Berg- spitzen von Nebel bedeckt waren, gleichmässig klar und trocken. Ich ergreife hier die Gelegenheit, Hrn. Bartel (Abwart am Berner physiologischen Institute), der auch dieses Jahr mein ebenso geschickter als gewissenhafter Gehülfe war, für seine viele Mühe verbindlichst zu danken, 34* 532 - Emit Bürct: Man sieht, dass diese Versuche nicht unter so ideal günstigen Be- dingungen ausgeführt werden konnten, wie diejenigen des vorigen Jahres. Die procentualischen Steigungen der Vergleichsstrecken differirten — wenn auch um ein Geringes; die Arbeitsorte oben und unten konnten nicht täglich gewechselt werden, und zwischen den Versuebsserian unten und oben lagen 3 bis 4 Tage. Diese kleinen Mängel, aus Ungunst der Verhältnisse, können indessen die Vergleichbarkeit der diesjährigen Höhen- ‚und Tiefenversuche nur in geringfügigem Grade beeinflusst haben. Da ich zu alledem diesmal den Vorzug eines grösseren Höhenunterschiedes der einzelnen Standorte und namentlich auch denjenigen einer oberen Versuchsstation weit über der Schneegrenze hatte, bilden diese Experimente eine wichtige Ergänzung meiner im Jahre vorher am Brienzer Rothhorn vorgenommenen Versuche. Jedenfalls waren auch die,Bedingungen zu diesen Experimenten un- gleich günstigere als diejenigen aller bis dahin über das ‚gleiche Thema geleisteten Arbeiten. Versuche vom Jahre 1899. Versuch 1. 19. VII. 1899. Bern. Ruheversuch. Puls 76. Resp. 16. Gewicht der Natronkalkflaschen: Flasche I 1 II IV nach dem Versuch 2045-35 2146-64 1997.24 1942 -.55m vor. , »„_ .,2045-.35,. 2146-64 1993.56 . 1937-0, Zunahme: 0-0 0.0 3.68 5.5 grm Total der in 10° ausgeathmeten CO, 9-18 3, Da die gefundene Zahl ungefähr mit den Zahlen des letzten Jahres übereinstimmte, wurde von weiteren Ruheversuchen in dieser Höhe abgesehen. Versuch 2. 21. VIII. 1899. Brienz. Höhe 690 ®. Steigversuch. 19 Procent Steigung. Strecke 135 ® lang. Zwei Mal durchlaufen. Beginn 11! 50’, Athmung 16. Puls 76, nach 1’ Steigen Puls 120, Athmung gegen 30. (Diese Angaben gelten auch für die nächsten an einer der unteren Versuchs- stationen untrainirt vorgenommenen Steigexperimente.) Gewicht der Natronkalkflaschen: I II II IV nach Versuch 194455 1997.40 2164-45 2057. Jh gm vor 5; 1943-2 1997-8 2147.45 2045-75 „ Zunahme: 1-35 — 0.4 17:00 11.80 8m Total der ausgeathmeten 00, 29.75 8m, Dauer des Versuches wie bei allen Steigversuchen 12’.(s. 8. 527). Da dieser Versuch fehlerfrei war, und ich die Vergleichsversuche am Gorner- srat möglichst rasch folgen lassen wollte, nahm ich an dieser Strecke keinen Controlversuch vor. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 535 Versuch 3. 21.VII. 1899. Brienz. Höhe 620 ”. Steigversuch. Strecke von 17-2 Procent. 270 ” lang. Einmal durchlaufen. Beginn 2% 10’. Dauer 12. Gewichtszunahme der Natronkalkflaschen: it II III IV 17.68 11:80 1:63 0.0 5m Total der ausgeathmeten CO, 31-11 3", Versuch 4 21.VIII. 1899. Alles wie bei Versuch 3. Beginn 3# 40°. Dauer 12”. Menge der ausgeathmeten CO, 30:84 5", Die gefundene Zahl variirt nur um 0-27 ®""% von der früheren. Versuch 5. 23. VIII. 1899. Station Gornergrat (3038 ”). Ruhe- versuch. Resp. 16 bis 24, unregelmässig. Puls zuerst, gleich bei Ankunft oben (11" 30’) 60, nach einer Viertel- stunde Aufenthalt 96, bei Beginn des Versuches (12° 5”) 84. Aehnliches Verhalten bei meinem Gehülfen. Während 10° ausgeathmete CO,-Menge 8.99 sm, Versuch 6. 23. VIll. 1899. Gornergrat-Station. Ruheversuch. Beginn 12# 50". Puls 850. Resp. 20. CO,-Ausscheidung in 10° 9-41 8. Ich schied also in diesem Versuche, der gleich auf Versuch 5 folgte, in 10° bei Ruheathmung 0-42" CO, mehr aus, als im vorher gegangenen. Versuch 7. 23. VIII. 1899. Gornergrat, 3012” hoch. Steigversuch. Strecke von 135", 2 Mal durchlaufen. Puls und Resp. sehr unregelmässig. CO,-Ausscheidung 32.52 8m, Beginn 1'/,". Dauer 12”. Die Athmung war zeitweise sehr mühsam und unregelmässig, bald tief, bald oberflächlich, im Ganzen ziemlich frequent (gegen 35 Athemzüge pro Minute), doch auch in der Frequenz schwankend. Die Pulsfrequenz stieg bis auf 144 Schläge pro Minute. Versuch 8. 23.VIII. 1899. Gornergrat. Steigversuch. Strecke von 270” Länge, 2987” hoch. Einmal durchlaufen. Puls und Resp. wie bei Versuch 7. Dasselbe gilt auch für Versuch 9. Beginn des Versuches Nachmittags 3". Menge der in 12” ausgeschiedenen CO, 33.92 sm, Die Zahl ist im Vergleich zu Versuch 3 und 4 auffallend niedrig. Der Versuch gelang im Ganzen gut, doch hatte ich hochgradige Dyspno® und musste einige Male — obwohl, wie ich ausdrücklich bemerke, selten — durch die Nase ausathmen. 534 Emın Bürcı: Versuch 9. 23.VIlI. 1899. Alles wie in Versuch 8. Beginn Nachmittags 4" 10. Dauer wie bei allen Steigversuchen 12”. Menge der in 12’ ausgeschiedenen CO, 38:20 sm, Dieser Versuch gelang besser als Versuch 8. Es wurde fast niemals daneben geathmet. Versuch 10. 26. VIII. 1899. Gornergrat-Station. Ruheversuch. Morgens 10" 10°. Puls 76. Resp. 16. Menge der in 10’ ausgeschiedenen CO, 9-21 m, Erster Versuch nach Trainirung. (Wohnen auf dem Gornergrat. Be- steigung des Breithorns u. s. w. siehe die vorausgeschickten Bemerkungen.) Versuch 11. 26. VIII. 1899. Gornergrat-Station. Ruheversuch. Morgens 11" 15”. Menge der in 10’ ausgeschiedenen CO, 9:27 em, Versuch 12. 26. VII. 1899. Gornergrat. Steigversuch. 3012” hoch. Strecke von 135”, 2 Mal durchlaufen. Beginn 12h 8’. Puls nach 1’ Steigen 136. Resp. 30 bis 34, etwas unregelmässig. Menge der während 12’ ausgeschiedenen CO, 28.20 8, Versuch 13. 26. VIII. 1899. Alles wie in Versuch 12. Beginn 1% 12”. Menge der während 12” ausgeschiedenen CO, 28*15 am. Athmung während beider Versuche immer noch etwas mühsam. Versuch 14. 26. VII. 1899. Gornergrat. 2987 ” hoch. Strecke von 270 ® Länge. Einmal durchlaufen. Beginn 2% 51”. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 30.28 sm, Versuch 15. 26. VII. 1899. Alles wie in Versuch 14. Beginn 4" 10”. Menge der während 12’ ausgeathmeten CO, 30-05 8m, Versuch 16. 28. VIII. 1899. Ruheversuch. Morgens 9% 15”. ; Menge der in 10° ausgeathmeten CO, 9.07 sm, Versuch 17. 28. VIH. 1899. Ruheversuch. Morgens 108. Menge der in 10° ausgeathmeten CO, 9.12 8m, Versuch 18. 29. VIII. 1899. Brienz. 690” Höhe. Steigversuch. 19 Procent Steigung. Strecke von 135 %. 2 Mal durchlaufen. Ueber Puls und Respiration sind weitere Bemerkungen nicht mehr nöthig. (Siehe die Versuche des letzten Jahres.) Beginn 10" 30”. Menge der in 12’ ausgeathmeten CO, 27.41 8%, RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RuHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 535 Versuch 19. 29. VIII. 1899. Brienzer Rothhorn. 2184" hoch. Steig- versuch. 25 Procent Steigung. (Siehe die Versuche des letzten Jahres.) Strecke von 270” Länge. Einmal durchlaufen. Puls und Respiration wie unten. Beginn 21 20”. Menge der in 12” ausgeathmeten 00, 38.65 m, 5 Versuch 20. 29. VII. 1899. Alles wie in Versuch 19. Beginn 4" 10‘. Menge der in 12’ ausgeathmeten CO, 38.93 Sm, Versuch gelungen. Versuch 21. 29. VIII. 1899. 25 Procent Steigung. Höhe 734”. Steig- versuch (siehe Versuche des letzten Jahres). Beginn 6" 5”. Menge der in 12” ausgeathmeten CO, 38.24 Em, Versuch 22. 30.VIlI. 1899. Alles wie in Versuch 21. Beginn Morgens 7" 2”. Menge der in 12° ausgeathmeten CO, 38-46 8, Versuch 23. 30. VIII. 1899. 19 Procent Steigung. Höhe 690”. Steig- versuch. Strecke von 135" Länge. 2 Mal durchlaufen. Beginn 8" 50". Menge der in 12° ausgeathmeten CO, 27.15 sm, Versuch 24. 30.VII. 1899. 17.29 Procent Steigung. Höhe 620”. Steigversuch. Strecke von 270” Länge. Einmal durchlaufen. Beginn 9" 10”. Menge der in 12’ ausgeathmeten CO, 26-45 8, Versuch 25. 30.VIU. 1899. Alles wie in Versuch 24. Beginn 10" 15”. Menge der in 12° ausgeathmeten CO, 27.04 2m, Die eben beschriebenen Versuche, sowohl diejenigen aus dem Jahre 1898 als auch diejenigen aus dem Jahre 1899, lassen sich in Ruhe- und Arbeits- oder Steigversuche scheiden. Einer jeden dieser Gruppen, die wir gesondert betrachten wollen, schicke ich eine Tabelle voraus, welche die wichtigsten Ergebnisse übersichtlich ent- hält, und beginne mit der Betrachtung der Ruheversuche, Tabelle der Ruheversuche. Athmungs- CO,-Aus- Mehr- Nummer Tag Zeit Ort Barom. Therm. °C. | Hygrom. dauer scheidung | ausscheidung in Minuten in grm oben in grm 1. Versuche des Jahres 1898 (Brienz [570] — Rothhorn [2252 ”]). 1 ER 1oray: Brienz 719-9 19-0 85 8 log 2 1. = 21210, Rothhorn 585-0 15-0 75 8 7:93 | 0-62 3 2.IX. gh Brinz |. 0A | 180 | 82 | 10 9.45 | 4 2 11h 30’ Rothhorn 588.0 | 190 75 10 9.86 | : 0-41 = 5 8.IX. 9» 10’ Brienz 720-4 21:0 | 55 10 9.68 | (a 6 3 12h Rothhorn 590-0 19-5 60 10 9-80 0-12 a2) | | | = 7 3.1X. 12h 35’ Rothhorn | 590-0 | 195 60 15 15-42 3 | & BE 10. IX. gu 0 Brienz || ut 50 10 8-07 | 9 1055; 124 ' Rothhorn 588-0 240 | 50 10 8-13 | 0-06 2. Versuche des Jahres 1899 (Bern [460 ®] — Gornergrat [3038 ")). I | | 1 19. VII. 10% 10° Bem | | | 10 9-18 | | 2 23. „ 11% 30° | Gornergrat | | 10 = | 3 23. » 12» 50° » | Da das Wetter ganz beständig war, 10 9-41 0-02 4 26. VIII lo era a a RE nn DES 10 9.21 5 20 11815’ 5 Barom., Therm. und Hygrom. unnöthig 10 9-97 [6 28. , 922153 Bern | 10 En o et EB 10% x | 10 912) | 0.185 Ye) | | RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 537 Bei den Versuchen am Brienzer Rothhorn constatirte ich durchweg eine, wenn auch geringe, Steigerung der CO,-Ausscheidung in der Höhe; bei den diesjährigen Versuchen am Gornergrat fand ich diese Differenz noch geringer, ja in einem Versuche war sogar eine Minderausscheidung oben vorhanden. Bevor wir die Ursache dieses verschiedenen Verhaltens zu ergründen suchen, wollen wir uns fragen, ob der von mir gefundenen gering- fügigen Zunahme der CO,-Ausscheidung in der Höhe überhaupt Werth beizulegen sei. Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede der Luft können für diese Differenz nicht verantwortlich gemacht werden, da die unregelmässigen atmosphärischen Schwankungen keine Beziehungen zum Stoffwechsel ver- rathen. Die beinahe constante, aber minimale Mehrausscheidung der CO, in der Höhe kann also nur durch den Unterschied der Luftdichte ver- anlasst sein, wenn man sie nicht uncontrolirbaren Versuchsbedingungen zuschreiben will. Mosso! fand die CO,-Ausscheidung in der Höhe vermindert, Zuntz und Schumburg” und ihre Nachfolger fanden sie, wenn auch in ver- schiedenem Maasse, vermehrt. Meine Ruheversuche hatten — dies gilt namentlich für die Versuche am Brienzer Rothhorn — vor denjenigen meiner Vorgänger den Vorzug eines raschen und mühelosen Wechsels der beiden Versuchsstationen. Sowohl die Turiner als die Berliner Forscher erreichten ihre oberen Versuchsorte erst nach mehrtägiger Reise und längerem ermüdenden Anstieg. Freilich erreichten sie beträchtlichere Höhen; doch war meine Versuchsstation auf dem Gornergrat hoch genug, um die Höhendifferenz für den Organismus merklich werden zu lassen. Freilich lagen gerade bei diesen Experimenten die zu vergleichenden Versuche zeitlich weiter aus einander (4 Tage) und dieser Umstand sowohl wie die Unregelmässigkeit der Athmung in der Höhe von 3000” mag das weniger constante Verhalten meiner diesjährigen Resultate erklären. Meine Versuche zeigen aber doch mit Bestimmtheit, dass eine Verminderung der CO,-Ausscheidung bei Ruheathmung in der Höhe, wie sie Mosso an- nimmt, nicht statthat, dass dagegen eine Vermehrung derselben möglich, jedenfalls aber sehr geringfügig ist. Wegen der gefundenen Kohlensäurewerthe ist noch zu bemerken, dass sie ebenso wie diejenigen @ruber’s und Schnyder’s viel höher sind als die von unseren Vorgängern angegebenen und allgemein angenommenen. IAT2TO) ZEN 2.0: 938 Emın Bürcı: . 1. Steigversuche im Jahre 1398 am Brienzer Rothhorn. Strecke von 270". 1 Mal durchlaufen. Bei allen Versuchen Arbeitsdauer 10 Min., Arbeitspausen (Dies gilt auch für die anderen Tabellen.) 2 Min., Athmungszeit 12 Min. | Höhe des Therm CO,- ‚Mehraus- Tag Zeit | Versuchs- | Barom.| "9 eo Hygrom. Aussch.| scheid. Bemerkungen ortes in m ; in grm |ob.ingrm 4.IX. 4b 10° 2184 590.0 21 35 42-93 Ars 647,57 1734 720-0 21 30 39-12 | 3+81 1.1X. an553 2184 588.0 25 40 4625 Nach Stäg.Auf- Too HRi5sE 734 716-1 26 45 39.37 6-88 enth. in Bern 8.IX yasnn) 734 RU lETaeHT 19 35 39:24 SB 12%:107 2184 588.0 18 40 42-54 3:30 9.1X. 4h 2184 587+5 21 30 40-51 I» 5b 55 134 715-1 20 30 35-31 5:20 13.1X. 32.50; 2184 5840 18 70 34:03 N. 3täg. Trai- (3.0, 5450° 1734 115.9 20 85 33°95 0:08 nir.in d. Höhe 2. Am Brienzer Rothhorn im Jahre 1899, nach Trainirung auf dem Gornergrat. | Höhe des CO,-Aus- | Mehraus- Tag Zeit Versuchs- | scheidung | scheidung Bemerkungen | ortes inm| in grm oben ingrm 29. VII. | 2% 20’ 2184 33-65 | Man sieht, dass die Zahlen in 29. 4b 10° 2184 38-93 diesem Jahre höher sind als | die im letzten Jahre nach 29. VII. 685 134 38-24 u 0. „ 79 134 28:46 0.42 Trainirung erhaltenen 3. Untere Strecke 19, obere 19-3 Proc. Steigung, je 135”, 2 Mal durchstiegen. 21. Vlll. Does, (26. VIIL. \26. Ei 29. VII. 30. „ 1421505 2% 30' 122785 1m312% 10% 30° 85 50 690 3012 3012 3012 690 690 | 29-75 32.52 28-20 28-15 27-41 27-15 2-77 0:895 Versuche in untrainirtem Zustand Nach Trainirung 4. Untere Strecke 17.29 Proc., obere 19-3 Proc., je 270”, 1 Mal durchstiegen. vll. Ei 23. VIIL | ER} j26. VII. (30. VIIL. Er) ZuR03 3b 40' gh 442107 251% 1710, 94 50, 10: 15% 620 620 2987 2987 2987 2987 620 620 31-11 30-84 33.921 38-20 30-28 30-05 26-45 | 27:04 | 9085 Vor Trainirung | Nach Trainirung ! Athemnoth zwang zu einigen Athmungen im Freien. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 539 Pro 1 Min. schied ich demnach im Mittel CO, aus: ruhend 0-945 sm, 1898 1899 ‚(um nn, Jemen Venen In Höhen von etwa: 2000 Tu0 3000 600 3000 700" g E Ch Weg) (Jh Weg) eivend’! untrainirt 3-58 3-19 3.0 2-6 2.71 2.458'm | trainit -2.881°2.88 2-5 De, Da mein Körpergewicht sammt Bepackung 108 '# betrug, leistete ich auf den verschiedenen Strecken durch Höhenüberwindung folgende Arbeit: BE l re Neigung der | Ueberwundene | Geleistete Arbeit Strecke in Proe. | Höhe in m in kgm 17:39 | .46+00 | 4968-0 19-0 50-40 5443-2 19+3 51.16 5525-28 25.0 65*5 70740 Hiernach würde ich pro 1000 Yzm (1 ekm) Arbeitsleistung an Kohlen- säure ausgeschieden haben: Höhe des Neigung CO;-Ausscheidung Jahr Ausgangsortes der Strecke | P!® kgkm Arbeit in grın Bemerkungen ar Fe a b u untrainirt | trainirt Dia E 159 | 60 | 1729 | 6-08 5-30 1899 | 2987 19+3 | .6+66 5-45 1899 630 | 4190, |. 5-14 5-01 | ZweiMal durchlaufene 1399 3012 193) 5.78 5-09 Halbstrecken 1898 Aa) 0 | 54 4-79 1898 2184 | 25-0 .6*05 4-81 1899 134 25.0 Ne 5-42 1899 2184 25.0 a 5-48 Wenn ich dagegen die durch Horizontalbewegung des Körpers geleistete Arbeit dazurechnen würde, so änderten sich diese Zahlen wesentlich. Nach Marey’s Berechnungsweise würde ich in der Horizontalbewegung pro Schritt 12-96 == Arbeit leisten. In 600 Schritten leistete ich also 7776 kem Arbeit. Das ist allerdings kein absolut sicherer Werth, da ich genauere Bestim- mungen über die Art meines Ganges auf ebenem und steilem Terrain nicht vorgenommen habe. Immerhin mögen die folgenden Zahlen zeigen, wie ein solcher Zuschlag die resultirende Arbeitsleistung etwa vergrössern würde. Den immer gleich bleibenden Werth von 7776 kem addire ich zu den anderen Arbeitswerthen und erhalte dann fulgende Tabelle: 540 e EmınL Bürcı: Neigung Arbeit durch | Arbeit durch | Totale der Strecke ‚ Höhenüber- | Horizontal- | Arbeitsleistung in Proc. windung in kgm | bewegung in kgm in kgm 17.29 4968 | T776 12744 19-0 5443 TT76 13219 19.3 5525 T776 13301 25-0 7074 | 7776 14850 Berechne ich die pro 1000 sm Arbeitsleistung ausgeschiedene Kohlen- säuremenge nach diesen Zahlen, so erhalte ich folgende Tabelle: Höhe des Neigung CO,-Ausscheidung Jahr Ausgangsortes der Strecke Pro kgkm Arbeit in grm Bemerkungen ä u In an in Proe. untrainirt | trainirt 1899 | 620 17:29 2.430 2-103 1899 | 2987 19-3 23-711 2.268 1899 690 19-0 23-251 23-063 7weiMal durchlaufene 1899 : | 3012: 19-3 2.445 2-117 Halbstrecken 1898 | 134 25-0 | 2576 2.286 1898 2184 25.0 | 2.899 2:305 1899 | 134 25-0 | Bu 2.381 1899 | 2184 25-0 | = 2.383 Alle diese Zahlen zeigen in übereinstimmender Weise, dass man bei genau gleicher und unter denselben Bedingungen ausgeführter Steigarbeit auf Bergen. mehr CO, ausscheidet als in der Ebene, und zwar ist dieser Unterschied schon in einer Höhe von 2252” (Barometerdruck 585 bis 590) merklich, wo ausgesprochene Bergkrankheit noch nicht vorzukommen pflegt. Nach A. Loewy’s Untersuchungen im pneumatischen Cabinet sollte ein vermehrter Gaswechsel, gieichzeitig mit Zunahme des respiratorischen Quotienten, erst bei etwa 4000” Höhe (entsprechend einem Barometerdruck von 440 "m Hg) beginnen. Schon die Arbeiten von N. Zuntz und Schum- burg, dann aber auch diejenigen von A. Loewy und seinen Mitarbeitern zeigten, dass die Verhältnisse auf den Bergen mit denjenigen im pneu- matischen Cabinet nicht vergleichbar sind, insofern als schon auf Bergen mässiger Höhe (also bei höherem Luftdrucke als im Cabinet) deutliche Zunahme des Gaswechsels zu constafiren sei. Die Kohlensäureausscheidung durch die Athmung scheint nach meinen Beobachtungen, die hierin von denjenigen der genannten Forscher abweichen, schon in relativ geringer Höhe einen Maximalwerth zu erreichen. Sie war in einer Höhe von 3037” nicht grösser als in einer Höhe von 2252", RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 541 Ferner fand ich auf dem Gornergrat, wie die Tabelle zeiet, die Werthe der ausgeathmeten Kohlensäuremengen mehr schwankend, als auf dem niedrigeren Brienzer Rothhorn. Diese interessante Inconstanz verdient ge- nauere Untersuchung. Meine Versuchsanordnung ermöglichte zum ersten Male, den Einfluss der Bergtrainirung auf den respiratorischen Gaswechsel in verschiedenen Höhen sicher zu stellen. Gewöhnung an die Höhe wurde schon oft genug beobachtet, soweit sie die in der Höhenluft auftretenden Störungen des Wohlbefindens betrifft. A. und J. Loewy und Zuntz! berichten auch, „dass Zuntz nach mehr- tägiger Höhentrainirung auf der Gnifettihütte (3620 ”) bei Körperruhe und pro 1m Arbeit weniger O verbrauchte, als früher auf dem Col d’Olen (2840 ®)“, Aber erstlich sind die gefundenen Zahlen durchaus nicht be- weisend, da die Schwankungen des O-Verbrauches pro 13” Arbeit bei den zu verschiedener Zeit am gleichen Orte (Col d’Olen) vorgenommenen Ver- suchen grösser sind, als die Differenz zwischen den am Col d’Olen und an der Gnifettihütte erhaltenen Durchschnittswerthen. Zweitens beweist eine solche allmähliche Verminderung des O-Verbrauches in der Höhe, so lange nicht nachher noch einmal an der tiefer gelegenen Versuchsstation Ver- gleichsversuche angestellt worden sind, nur die alte, von Gruber wie auch von Zuntz gefundene Thatsache, dass mit der Trainirung der respiratorische Gaswechsel abnimmt. Ich habe sowohl meine Versuche am Brienzer Rothhorn, als auch die- jenigen am Gornergrat nach dreitägiger Trainirung in der Höhe wiederholt, und wenn auch die so erzielte Gewöhnung nicht weit genug fortgeschritten war, um den zwischen oben und unten bestehenden Unterschied ganz auf- zuheben, so verminderte sie ihn doch in erheblichem Grade. Ich mache im Weiteren speciell noch auf diejenigen Versuche auf- merksam, in denen ich, statt eine 270” lange Strecke ein Mal zurück- zulegen, zwei Mal eine halbe Weglänge: von 135” überwand, und in denen daher zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsabschnitte während des lang- samen Hinuntersteisens zum Ausgangsorte eine etwa 5 Minuten dauernde Erholung stattfand. In solchen Versuchen schied ich regelmässig weniger CO, durch die Athmung aus, als in den anderen Experimenten, obwohl die Arbeitsleistung die gleiche war. Die von N. Zuntz und Hagemann am steigenden Pferde constatirte Thatsache, dass der Gasverbrauch pro 1'em Arbeit mit der Steilheit des Weges zunimmt, konnte ich für den Menschen bestätigen. In den Ver- suchen auf den Strecken von 25 procent. Steigung wurde pro Arbeitseinheit 542 Emitu Bürcı: mehr CO, ausgeschieden, als in den Versuchen auf den Strecken von 19- und 17 procent. Steigung. Während meiner Experimente am Brienzer Rothhorn, in grösserem Maasse noch am Gornergrat, konnte ich die bekannten Allgemeinerschei- nungen der Bergkrankheit beobachten. Puls- und Athmungsfrequenz wurden täglich genau bestimmt. Sie nahmen im Allgemeinen in der Höhe zu, doch zeigten sich auch hierin auf dem Gornergrat starke Schwankungen. Gleich bei unserer Ankunft in der Höhe von 3038" waren Puls und Athmung bei mir und bei meinem Gehülfen sogar bedeutend verlangsamt, um nach einer Viertelstunde Auf- enthalt daselbst, ohne dass wir uns irgendwie angestrengt hätten, abnorm frequent zu werden. Währerd meines dreitägigen Aufenthaltes in dieser Höhe verloren sich diese Schwankungen allmählich, ebenso das anfänglich starke Beklemmungs- gefühl, das wohl die Hauptursache meiner Schlaflosigkeit war. Auffallend war die Mühe, die alle ungeübten Reisenden der Gorner- gratbahn hatten, die kurze Strecke von der Station zu dem 100” höher gelegenen Hotel zurückzulegen. Das Gleiche — nur in geringerem Grade — sah ich am Brienzer Rothhorn bei den Leuten, die vom Hotel zum Signal hinaufstiegen. Diese auffällige Zunahme der Athmungsbeschwerden bei körperlicher Arbeit in der Höhe konnte ich schliesslich am besten an mir selbst bei meiner Besteigung des Walliser Breithorns constatiren. Nachdem ich bis in eine Höhe von 3750” ohne sonderliche Beschwerden gelangt war, befiel mich hier nach wenig Schritten Anstieg jedes Mal so heftig Herzklopfen und Athemnoth, dass ich eine Weile ausruhen musste. In allen Fällen genügte eine ganz kurze Pause, um mich vollkommen zu erholen. Dies geschah zufälliger Weise unfern dem Plateau, auf dem Kronecker! und Sahli im Jahre 1894 ihre bekannten Beobachtungen über die Bergkrankheit angestellt hatten. Die hauptsächlichen Ergebnisse meiner Arbeit lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1. Der respiratorische Gaswechsel des ruhenden Menschen nimmt in der Höhe nur unerheblich zu. 2. Die gleiche Arbeit steigert in der Höhe den respiratorischen Gas- wechsel mehr als am Fusse des Berges. ı H. Kronecker, Ueber die Bergkrankheit mit Bezug auf die Jungfraubahn. Gutachten zum Concessionssesuch. Zürich 1894. RESPIRATORISCHER GASWECHSEL BEI RUHE U. ARBEIT AUF BERGEN. 543 3. Durch Trainirung in der Höhe wird der respiratorische Gasaufwand des Bergsteigers derart gemindert, dass gleiche Steigarbeit am Gipfel wie am Fusse des Berges dieselbe Kohlensäure-Ausscheidung veranlasst. Meine Versuche bilden somit eine neue Bestätigung der Beobachtungen Cushny’s und Schnyder’s, welche zuerst nachgewiesen haben, dass Arbeit unter ungewohnten Bedingungen, die eine grössere Anstrengung erfordert, den durch CO,-Ausscheidung gemessenen Stoffumsatz vermehrt, dass dieser Zuwachs aber durch Uebung vermindert wird. Ebenso wie in den Ver- suchen meiner Vorarbeiter durch lange Ruhe oder schwächende Krankheit der Aufwand für eine bestimmte Arbeit vermehrt wurde, fand ich Aehn- liches bei Arbeit auf beträchtlichen Höhen, an die man sich noch nicht durch längeren Aufenthalt daselbst gewöhnt hatte. Es ist nicht möglich, die dort vermehrte CO,-Ausathmung aus einer durch den verminderten Luftdruck vermittelten vollkommeneren Entgasung des Lungenblutes zu erklären, da eine solche Mehrausgabe nur ganz vorübergehend sein könnte. Meine Resultate sind nicht anders zu erklären, als durch die Annahme, dass bei ungeübten Bergsteigern die CO,-Bildung, nicht nur die CO,- Ausscheidung in der Höhe zunimmt. Dies Resultat ist vielleicht geeignet, uns über das Wesen der Berg- krankheit einigen Aufschluss zu geben. Jedenfalls spricht es nicht für Mosso’s Theorie, die eine Kohlensäureverarmung (Akapnie) des mensch- lichen Organismus in der Höhe annimmt. Hrn. Prof. Dr. Kronecker, auf dessen Anregung und unter dessen Leitung ich diese Versuche ausgeführt habe, spreche ich für sein unermüd- liches Interesse und thatkräftiges Mitwirken, die mir die vielen Schwierig- keiten meiner Arbeit überwinden halfen, meinen wärmsten Dank aus. Lipoiytisches Ferment in Asecitesflüssigkeit eines Menschen. Bemerkungen über die Fettresorption und über die angebliche lipolytische Funetion des Blutes. Von H. J. Hamburger in Utrecht. In einer 1880 erschienenen Arbeit hat Cash! die Meinung bestritten, dass die Emulgirung von Fett bereits im Darmlumen stattfindet. Denn niemals gelang es ihm, mittels Centrifugirung des Darminhaltes eine Emulsion zur Abscheidung zu bringen. Und eigentlich wundert ihn dieses Ergebniss nicht, denn der Dünndarm resorbirt sauer, und bei saurer Reaction kann eine Fettemulsion nicht zu Stande kommen. Diese Ansicht von Cash scheint mir nicht ganz richtig. Wenn man Thieren eine fettreiche Mahlzeit giebt, so kann man, wie Heidenhain? angeführt hat und ich selbst auch mehrmals gesehen habe, von der Dünn- darmmucosa einen rahmartigen Ueberzug abstreichen, welcher mikroskopisch feine Fettkügelchen enthält. Doch reagirt dieser Ueberzug sauer, und dass bei saurer Reaction ausgezeichnete Emulsionen bestehen können, geht auch wohl genügend aus der von I. Munk gefundenen Thatsache hervor, dass man dieselben erzielen kann durch Vermischung von reiner Fettsäure mit ein wenig Na,CO,-Lösung. Eine andere Frage ist es aber, ob bereits im Darmlumen die Emulsion so fein ist, wie man dieselbe später in den Chylusgefässen beobachtet. Das nun ist gewiss nicht der Fall. Ja selbst in den Epithelzellen und im adenoiden Gewebe der Zotten trifft man noch relativ grosse Fetttröpfchen an, und erst im Chylus kommt das Fett aus- schliesslich in der eigenthümlichen Staubform vor. ! Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. S. 323. ® Pflüger’s Archiv. 1888. Suppl. 8. 93. H. J. HAMBURGER: LIPOLYTISCHES FERMENT T. S. w. 545 Es darf kaum bezweifelt werden, dass in der Zottenlymphe eine Sub- stanz, im Allgemeinen ein Moment vorhanden ist, welches den Uebergang des Fettes in die Staubform herbeizuführen im Stande ist. Um diese Vorstellung zu prüfen, würde es nöthig sein, Chylus auf- zufangen, mittels einer Chamberland-Kerze von Fettpartikelehen zu be- freien und dann die klare Flüssigkeit mit Fett zu schütteln. Es ist aber kaum möglich, die hierzu erforderlichen Chylusmengen zu bekommen. Zufälliger Weise vernahm ich, dass in der hiesigen Universitätsklinik ein Patient verpflegt wurde, der eine wie Chylus aussehende Aseitesflüssig- keit in grosser Menge im Abdomen hatte. Hr. Professor Talma hatte die Liebenswürdigkeit, mir dieselbe zur Verfügung zu stellen. Bei genauer mikroskopischer Untersuchung zeigte aber die Flüssigkeit kein einziges Fettpartikelchen, und bald stellte sich heraus, dass die be- obachtete Opalescirung von einer mucoiden Substanz herrührte, welche zuerst von Hammarsten! beschrieben und deren Vorkommen dann später von verschiedenen Klinikern bestätigt wurde?” Was übrigens die Zusammen- setzung betrifft, so enthielt die Flüssigkeit 1.939 Procent feste Bestand- theile, also weniger als normale Lymphe, in welcher bekanntlich etwa 4 Procent feste Bestandtheile vorhanden sind. Der Eiweissgehalt betrug 1.715, der Fettgehalt 0-0808 und der Seifengehalt 0.0564 Procent. Abgesehen noch von dem Mangel an Fettpartikelchen, bewies auch der ausserordentlich geringe Fettgehalt, dass es sich hier nicht um eine chylöse Aseites handelte, wie man beim ersten Anblick geglaubt hatte. Bei Laparotomie stellte sich heraus, dass der Patient an Cirrhosis hepatis leidend war. Obgleich die Flüssigkeit nicht chylös war, haben wir dieselbe doch in der geplanten Richtung untersucht, um so mehr, weil auch Lymphe aus anderen Körperregionen die Eigenschaft zu besitzen scheint, Fett in feinste Körnchen zu vertheilen. Man denke an die Versuche von Gimbert,? der beim Menschen nicht nur ohne Schaden, sondern auch mit günstiger Wirkung auf die Ernährung wiederholte Einspritzungen von je 25 bis 50 Olivenöl mit 1:15 Kreosot 10. Hammarsten, Ueber das Vorkommen von Mucoidsubstanzen in Asecites- flüssigkeiten. Autoreferat in Maly’s Jahresbericht für T’hierchemie. 1890. 8.417. ? Siehe u. A.: L. Paykull, Beiträge zur Kenntniss von der Chemie der serösen Exsudate. (Schwedisch.) Ref. Maly’s Jahresbericht für T’hierchemie. 1892. 8.558. — G. Lion, Communication d’un cas d’ascite laiteuse, non chyleuse. Arch. de med. experiment. 1894. p. 826. — Ceconi, Ueber einen Fall milchig getrübten, nicht fetthaltigen Ascites. (Italienisch) Riforma mediche. 1897. Nr.51. Ref. Maly’s Jahresbericht für T'hierchemie. 1897. 8. 790. 3 Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1889. T. XL. p. 733. Archiv f, A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 35 546 H. J. HAMBURGER: ausführte. Dann denke man an die Untersuchungen Leube’s,! der, weiter angeregt durch die beim Menschen gemachte Erfahrung, dass namentlich Kampheröl nach Injection unter die Haut sogar in grossen Quantitäten ohne Schaden ertragen wird, bei Hunden subeutane Fetteinspritzungen ver- suchte und dadurch einen bedeutenden Fettabsatz an verschiedenen Körper- partien erzielen konnte. Endlich nenne ich die Versuche von J.L. Prevost,? nach welchem das in den Lymphsack von Fröschen injieirte Oel als feine Tröpfehen in der Cireulation erscheint. Man muss wohl annehmen, dass in den Gewebsspalten das Fett eine feine Vertheilung erfahren kann, denn sonst wären bei den Versuchen wohl tödtliche Embolien, z. B. in den Lungencapillaren aufgetreten. In dieser Hinsicht ist denn auch andererseits interessant, dass Daremberg? bei Kaninchen und Meerschweinchen durch subeutane Oelinjectionen den Tod herbeiführte. Es wurden also 50 “m der Aseitesflüssigkeit mit 5°” Lipanin ge- schüttelt. Dadurch entstand eine Emulsion, welche sich bei ruhigem Stehen und auch bei Öentrifugirung in zwei Schichten trennte. Die obere zeigte bei mikroskopischer Untersuchung grössere Fetttröpfehen, die untere sehr feine staubartige Partikelchen, so wie man dieselben im Chylus und auch in der durch Centrifugirung entrahmten Milch findet. Dann wurde die untere Schicht entfernt und auf’s Neue centrifugirt; dieselbe blieb aber gleichmässig trübe. Warum hatte sich die Emulsion in zwei Schichten getrennt? Weil im Oel zwei verschiedene Fettarten vorhanden waren, deren eine eine staub- artige Emulsion giebt, die andere nicht? Oder waren die Bedingungen für eine vollständige staubartige Emulsion der ganzen Fettmenge hier nicht günstig? Um darüber zu entscheiden, wurde die obere Schicht (grössere Fett- tröpfehen) abgehoben und mit frischer Ascitesflüssigkeit geschüttelt. Nachher wurde centrifugirt, und wieder war eine Trennung in zwei Schichten zu erkennen. Beide Schichten waren fetthaltig; jetzt enthält die untere Schicht sogar mehr Fett als im Anfang des Versuches; das Mikroskop zeigte bloss die Staubform. Hieraus ging hervor, dass ein Theil des Fettes, welches beim ersten Versuch in körnigem Zustand als obere Schicht sich abee- schieden hatte, durch nachheriges Schütteln mit frischer Aseitesflüssiekeit in staubartiges Fett umgewandelt war. Was nicht staubartig geworden \ Sitzungsber. der physik.-med. Gesellsch. zu Würzburg. 1895. Nr.1. 8.5. ” Travaux du laboratoire de therap. experim. de Punivers. de Geneve. 1396. 21]. p%45: ® Compt. rend. de la Soc. de Biol. 1859. T. XL. p. 702. LIPOLYTISCHES FERMENT IN ASCITESFLÜSSIGKEIT EINES MENSCHEN. 547 war, wurde wieder mit frischer Aseitesflüssiekeit geschüttelt, und nun war endlich alles Fett m die Staubform umgesetzt. Dass wir beim ersten Schüttelversuch nur einen Theil des Fettes in die Staubform übergeführt haben, rührt also nicht her von einer etwaigen Verschiedenheit im Verhalten der im Oel vorhandenen Fette, sondern lässt sich erklären durch die Versuchsbedinguneen. In der That hat sich heraus- gestellt, dass man auch auf ein Mal eine vollkommen staubartige Emulsion bekommen kann, wenn man nur lange Zeit und ausserdem mit einer relativ grossen Menge Aseitestlüssigkeit schüttelt. Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob es sich hier um eine besondere Eigenschaft der angewandten Ascitesflüssigkeit handelte. Darum wurde der Versuch mit einer anderen eiweisshaltigen Flüssigkeit, nämlich mit Blut- serum, wiederholt. 30 «m Pferdeserum wurden versetzt mit 5°» Lipanin und das Gemisch während einer Stunde kräftig geschüttelt. Dann wurde die Emulsion centri- fugirt, wodurch dieselbe sich in zwei Schichten trennte, eine untere mit staubartigem Fett, eine obere mit feinen Fettkörnchen. Letztere Schicht wurde entfernt, mit 30 °® des frischen Serums kräftig geschüttelt und dann wurde centrifugirt; wieder bekam man zwei Schichten, die untere enthielt jetzt aber viel mehr Fett als bei dem ersten Schütteln. Nach dem dritten Schütteln mit 30°” Serum war alles Fett in die Staub- form gebracht. Schütteln von 150 °® Serum mit 5° Lipanin während 4 Stunden ergab die vollständige staubartige Emulsion auf ein Mal. Diese Emulsion liess sich durch Centrifugirung nicht mehr in zwei Schichten trennen. Es handelte sich also bei unserer Ascitesflüssigkeit in Bezug auf die Verstäubung des Fettes nicht um eine specifische Eigenschaft, denn Blut- serum zeigt das nämliche Verhalten. Wenn man diese Ergebnisse auf das normale Leben überträgt — was hier nicht allzu gewagt scheint —, so kann man sich vorstellen, dass die Zottenlymphe bei ihrer Bewegung die bereits in feiner Vertheilung ver- kehrenden Fettkörnchen in die Staubform umwandelt. Freilich, dieser Lymphstrom ist langsam, man vergesse aber nicht, dass die zur Verfügung stehende Zeit nicht kurz ist; 30 Stunden nach Aufnahme einer fettreichen Mahlzeit führt der Chylus noch Fett ab. Bekanntlich haben Cohnstein und Michaelis in zwei interessanten Aufsätzen! nachgewiesen, dass, wenn man Blut mit Chylusfett versetzt und dann durch das Gemisch Luft hindurchleitet, das Fett verschwindet und eine wasserlösliche Verbindung an die Stelle tritt. ı Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXV. 8.76; 1897. Bd. LXIX. 8.473. 35* 548 H. J. HAMBURGER: Es interessirte uns nun, zu wissen, ob, wenn man Blut mit unserem künstlichen Chylus (staubförmige Emulsion von Lipanin in Ascitesflüssig- keit) versetzt und durch das Gemisch Luft hindurchleitet, ebenfalls ein Verschwinden von Fett zu constatiren sein würde. Zu diesem Zweck werden 240 “= der Ascitesflüssiekeit während 1?/, Stunde mit 15°” Lipanin geschüttelt. Nach Centrifugirung wird die untere der beiden Schichten, welche das Fett ausschliesslich in der Staub- form enthält, entfernt. Von dem auf diese Weise erhaltenen künstlichen Chylus werden 1. 75m versetzt mit 25°” erythrocytenreichem Pferdeblut.! Während 23 Stunden wird bei Zimmertemperatur (+ 16°C.) ein Luftstrom hin- durchgeleitet. 2. 75m des künstlichen Chylus werden mit 25 °”® desselben Blutes versetzt. Es wird kein Luftstrom hindurchgeführt. Die Vermischung der beiden Flüssigkeiten findet erst unmittelbar vor dem Eintrocknen statt. Zu gleicher Zeit werden genau dieselben Versuche mit staubartiger Lipanin-Serumemulsion angestellt; also 3. 75° m einer staubartigen Lipanin-Serumemulsion werden mit 25“ des Pferdeblutes versetzt und durch das Gemisch während 23 Stunden Luft hindurchgeleitet (derselbe Luftstrom wie durch 1.). 4. 75°w der staubartigen Lipanin-Serumemulsion werden mit 25 m des Pferdeblutes versetzt. Keine Luftdurchleitung. Die Vermischung der beiden Flüssigkeiten findet erst unmittelbar vor dem Eintrocknen statt. 1.. 2, 3. und 4. werden in Schälchen übergebracht, mit je 208" reinem Sand vermischt und unter Umrühren bei 80° getrocknet. Nach Pulverisirung und Extraetion mit wasserfreiem Aether in Soxhletapparaten während 48 Stunden erhält man aus 1. 0244 2’M Aetherrückstand, „2 0-475 „ „ Hieraus geht hervor, dass bei Hindurchleitung von Luft durch das (remisch von Blut und Lipanin-Aseitesemulsion eine bedeutende Umwand- lung von Fett stattfindet. Aus 3. erhält man 0-.371°"% Aetherrückstand, „ 4. „ „ 0.283 „ „ Aus diesen beiden Zahlen erhellt, dass bei Lufthindurchleitung durch ein Gemisch von Blut und staubartiger Lipanin-Serumemulsion keine ! Solches Blut bekommt man, wenn defibrinirtes Pferdeblut sich selbst überlassen und nach Senkung der rothen Blutkörperchen das Serum grösstentheils abgehoben wird. LIPOLYTISCHES FERMENT IN ÄSCITESFLÜSSIGKEIT EINES MENSCHEN. 549 Umsetzung von Fett stattfindet. Die Zahlen bewegen sich selbst ein wenig in entgegengesetzter Richtung. Nach dieser Versuchsreihe muss man wohl annehmen, dass das lipolytische Ferment nicht im Blut oder im Serum, sondern in der Ascitesflüssigkeit vorhanden war. Man könnte sich nun weiter die Frage vorlegen, ob überhaupt die Gegenwart von Blut für die Umsetzung des Fettes wohl erforderlich sei und blosse Hindurchleitung von Luft durch die Lipanin-Ascitesemulsion nicht genüge. Um diesen Fragepunkt zu beantworten, wurden 80° einer Lipanin- Ascitesemulsion (75° Aseitesflüssigkeit + 5° Lipanin 3 Stunden ge- schüttelt) während 20 Stunden einem Luftstrom unterworfen. Dann wurde der Fettgehalt ermittelt, was zu gleicher Zeit mit derselben Emulsion ge- schah, welche aber nicht mit einem Luftstrom behandelt war. Es enthalten 1. 80 °® Lipanin-Ascitesemulsion, mit Luft behandelt . . 4-3008" Fett. 2. 80 nicht mit Luft behandelt 4-252 „ „ ” ” ” Die Hindurchleitung von Luft allein hat also zu keiner Zersetzung von Fett Veranlassung gegeben. Dieses Resultat stimmt mit dem von Cohnstein und Michaelis überein. Auch diese Forscher fanden bei ihren Versuchen mit echtem Chylus, dass ohne die Gegenwart von rothen Blutkörperchen Lufhindurch- leitung keine Fettumsetzung herbeizuführen im Stande war. Wiederholung des Versuches. Dieser Versuch wurde auf dieselbe Weise angestellt wie der vorige; nur wurde statt 23 Stunden bloss 12'/, Stunden bei Zimmertemperatur Luft hindurchgeleitet, und statt Pferdeblut wurde Rinderblut gebraucht. 1. 75°“ einer staubartigen Lipanin- Ascitesemulsion + 25 Rindsblut. Hindurchleitung von Luft während 12?/, Stunden; nachher wird die Flüssigkeit mit Sand vermischt, getrocknet und mit Aether extrahirt. Aetherextrat . . 2. .....0.064 5m 2. 75° der staubartigen Lipanin-Aseitesemulsion wurden mit 25m Rindsblut versetzt, jedoch erst, nachdem durch das nämliche Gemisch von 1. während 12!/, Stunden ein Luft- strom hindurchgeleitet worden ist. Nach Vermischung wird die Flüssigkeit zu gleieher Zeit und auf dieselbe Weise wie in 1. behandelt. Nur ist hier, wie erwähnt, keine Luft hin- durehgeführt.= »Aetherextrach. ». . ...,. zursszaiesiige 250-186. „ 550 H. J. HAMBURGER: os 75°" der staubartigen Lipanin-Ascitesemulsion geben an Aetherextraet . nn. . Vu. eier. Vals > 4. 75° mM einer staubartigen Lipanin-Serumemulsion werden mit 25° Rindsblut versetzt. Hindurchleitung von Luft während 12!/, Stunden. Mit Sand getrocknet, mit Aether extrahirt,, Aetherextrao 0.0.0 0 ng .) 5. Wie Versuch 4.; aber ohne Lufthindurchführung. Aether- extrach N. 0 eu ee ee ee )E-2:\ Taayre 6. 75° der staubartigen Lipanin-Serumemulsion. Aether- EXtracte ee ee ee (23 0 Jen Aus 1. und 2. geht hervor, dass unter Hindurchleitung von Luft durch das Gemisch von Blut und staubartiger Lipanin-Ascitesemulsion (künstlichem Chylus) Fett verschwindet. Bei Vergleichung von 2. und 3. stellt sich heraus, dass auch bei Nicht- hindurchleitung von Luft ein wenig Fett zersetzt wird. Wie die Experi- mente von Cohnstein und Michaelis dargethan haben und wir bestätigen konnten, findet die Umsetzung statt beim Eintrocknen der ‚Emulsion in Gegenwart von Blut. Aus 4. und 5. erhellt, dass Hindurchleitung von Luft durch das Ge- misch von staubartiger Lipanin-Serumemulsion und Blut keine Umsetzung von Fett herbeiführt, was durch das Resultat von 6. bestätigt wird. Zwei Wiederholungen der Versuche. Jetzt wurde wieder Rindsblut gebraucht; Dauer der Luftstromdurch- leitung 25 und 18 Stunden bei Zimmertemperatur. 1. 75° staubartige Lipanin-Chylusemulsion + 25 Rindsblut. Durch das Gemisch während 18 Stunden ein Luftstrom. Nachher mit Sand getrocknet und mit Aether extrahirt. Aetherextraect in den zwei Versuchen . . 0... 0 0 000 2 2a zen ne nr 02 HIELETOLFIETI TEL [SS 75 “= der staubartigen Lipanin-Ascitesemulsion werden mit 25°® Rindsblut versetzt, nachdem durch das vorige Gemisch 18 Stunden Luft hindurch- geleitet worden ist. Nach Vermischung wird die Masse unmittelbar, also zu gleicher Zeit mit 1. auf Fett verarbeitet. Dieser Versuch ist also gleich 1.; hier wird aber keine Luft hindurchgeleitet. Aether- extract Hl u NETTE BEER N RITA I SEE ERS Sr o 5 «= der staubartigen Lipanin-Aseitesemulsion fi geben an Aetherextratt . . x: . . .251.20391.100..562,,222083loR, LIPOLYTISCHES FERMENT IN ASCITESFLÜSSIGKEIT EINES MENSCHEN. 551 4. 75 °® der staubartigen Lipanin-Serumemulsion werden mit 25°“ Rindsblut versetzt. Hindurch- leitung von Luft während 18 Stunden. Trocknung mit Sand. Extraetion mittels wasserfreien Aethers. Kötherestrachn. ea 9 200 N rn 5. Wie Versuch 4, aber ohne Luftdurebleitung. NEINEnexXtrach ee ee 720 ee, 6. Luftdurehleitung durch 75 “"“ der staubartigen Lipanin-Ascitesemulsion. Aetherextract . . .. . 0.567 „ Bei Vergleichung von 1. und 2. geht wieder hervor, dass bei Hindurch- leitung von Luft durch das Gemisch von Blut und staubartiger Lipanin- Ascitesemulsion ein Verschwinden von Fett stattfindet. Bei der Vergleichung von 2. und 93. stellt sich heraus, dass auch bei Nichtdurchleitung von Luft etwas Fett zersetzt wird. Diese Umsetzung findet beim Eintrocknen statt, so lange die Temperatur noch unter der Zersetzungstemperatur des Fermentes liegt. 4. und 5. lehren, dass Hindurchleitung von Luft durch das Gemisch von Blut und staubartiger Lipanin-Serumemulsion keine Umsetzung von Fett herbeiführt, was durch das Resultat von 6. bestätigt wird. . Endlich beweist die Vergleichung von 6. mit 3., dass ohne Vermittelung von Blut Luftdurchleitung nicht im Stande ist, Fett zum Verschwinden zu bringen. Erwägt man die Resultate der verschiedenen Versuche, so erübrigt kein Zweifel, dass in der untersuchten Ascitesflüssigkeit eine fettzer- setzende Substanz vorkommt, welche durch Vermittelung von Blutkörperchen und urter Sauerstoffzufuhr ihre Wirkung ent- faltet. CGohnstein und Michaelis verlegen diese Substanz, mittels welcher sie eine derartige Fettumwandlung im Chylus erzielten, in das von ihnen angewandte ‚Blut. Bei genauer Betrachtung ihrer Versuche fällt es aber auf, dass sie zu dieser exelusiven Schlussfolgerung nicht berechtigt sind. Denn wenn sie beobachten, dass nach Vermischung von Blut mit Chylus aus letzterer Flüssigkeit Fett verschwindet, so ist es doch sehr möglich, dass das Ferment nicht im Blute, sondern im Chylus vorhanden war. Um so mehr muss es fremd erscheinen, dass die Verfasser an diese Möglichkeit nicht gedacht haben, weil aus den (Gemischen von Milch und Blut und von Leber- thranemulsion mit Blut kein Fett verschwand. Die Verfasser haben 552 H. J. HAMBURGER: letztere Thatsache zu erklären gesucht durch die Annahme, dass im Chylus das Fett in einem feiner vertheilten Zustand vorhanden sein würde In- dessen scheint diese Erklärung die Autoren selbst nicht zu befriedigen, und sie kann auch die richtige nicht sein; denn wie oben hervorgehoben wurde, kommen auch in der Milch Fettstäubchen vor. Das Fett der sogenannten Untermilch (die untere der beiden Schichten, in welche beim Centrifugiren die Milch sich trennt) besteht ausschliesslich aus Stäubchen. Auch aus Emulsionen von Leberthran mit Na,CO, lässt sich durch Centrifugiren immer ein Theil als staubartige Emulsion zur Abscheidung bringen. Vielmehr liegt es also — auch im Zusammenhang mit den bei unserer Ascitesflüssigkeit gefundenen Thatsachen — auf der Hand, die Erklärung für ihr negatives Resultat bei Milch und Leberthran darin zu suchen, dass weder in Milch und Leberthran, noch in Blut ein lipolytisches Ferment vorhanden war. Wohl aber befand es sich im Chylus; daher die Umsetzung von Fett im Blut-Chylusgemisch. Leider bin ich genöthigt gewesen, die Untersuchungen über vorliegendes Thema hier abzubrechen. Obgleich ich mir bewusst bin, dass dieselben in mancher Hinsicht sehr unvollständig sind, schien es mir doch nützlich, die Resultate bereits jetzt zu veröffentlichen, weil ich in nächster Zeit den Gegenstand zu verfolgen nicht in der Lage sein werde, und ich andere Forscher anzuregen wünschte, die Asecitesflüssigkeit für das Studium des lipolytischen Fermentes anzuwenden. Hat man doch in der mucoiden Aseitesflüssigkeit ein Material, welches in so grossen Quantitäten zu haben ist (bei unserem Patienten wurden mehrmals 8 Liter Flüssigkeit zugleich aus der Bauchhöhle entfernt), dass man die Natur und Wirkung des lipolytischen Fermentes besser und ausführlicher als die meisten anderen thierischen Fermente zu studiren im Stande sein wird. Bis jetzt haben die oben erwähnten Untersuchungen Folgendes gelehrt: 1. Es ist möglich, Lipanin (saures Olivenöl) vollständig in eine staub- artige Emulsion überzuführen. Das ist nicht nur gelungen mit der unter- suchten mucoiden Ascitesflüssigkeit, sondern auch mit gewöhnlichem Pferde- blutserum. 2. Diese Thatsache scheint darauf hinzuweisen, dass während des Lebens der Uebergang der im adenoiden Gewebe der Zotten vorhandenen feinen Fettkörnchen in die Staubform dadurch zu Stande kommt, dass die Zotten- Iymphe unaufhörlich im Vorüberströmen begriffen ist. LIPOLYTISCHES FERMENT IN ÄSCITESFLÜSSIGKEIT EINES MENSCHEN. 553 3. Die von uns untersuchte opalescirende, nicht fetthaltige, mucoide Aseitesflüssigkeit enthält ein lipolytisches Ferment, welches das Vermögen besitzt, staubartiges Fett umzusetzen. Für diese Umsetzung ist die An- wesenheit von Blut(körperchen) und auch Luftzufuhr nothwendig. 4. Die Vorstellung von Cohnstein und Michaelis, dass das von ihnen entdeckte lipolytische Ferment aus dem Blute stammt, ist nicht be- wiesen, Vielmehr deuten ihre und auch meine Versuche darauf hin, dass das Ferment einen Bestandtheil des Chylus ausmacht. Sind es ausschliesslich die Chylusgefässe, welche die Fettresorption besorgen? Von H. J. Hamburger in Utrecht. Die Frage ist nicht neu; bereits Claude Bernard und später auch andere Forscher haben sich damit beschäftigt, ohne jedoch zur Ueberein- stimmung zu gelangen. Claude Bernard fand bei Säugethieren während der Verdauung das Serum der V. porta weiss wie Milch; nach ihm waren also die Blutgefässe in directer Weise an der Fettresorption betheiligt. Dagegen ergaben ver- gleichende Bestimmungen des Fettgehaltes von Porta- und Carotisblut, auf Heidenhain’s Veranlassung von Bornstein! unternommen, dass das Portablut einen geringeren Fettgehalt besass als das Blut der A. carotis. Auch der Befund Zawilski’s? schien gegen einen directen Uebergang von Fett im’s Blut zu sprechen: 18?/, Stunden nach Einnahme einer fettreichen Mahlzeit wurde der Ductus thoracicus geöffnet und also der Chylusstrom nach aussen abgeleitet. Obgleich die Fettresorption noch deutlich im Gange war, betrug der Fettgehalt des Blutes nicht mehr als 0-05 Procent. Zu einer entgegengesetzten Ansicht als die Versuche von Zawilski und Bornstein führten die Experimente von v. Walther? und OÖ. Frank." Eirsterer constatirte, dass von 40 bis 508m des resorbirten Fettes nur ein kleiner Theil den Ductus thoracicus verlassen hatte, während Frank be- obachtete, dass trotz Ausschaltung des Ductus dennoch eine nicht unbeträcht- liche Resorption von Fettsäure stattfand. Indessen galt dieser Befund für ! Pflüger’s Archiv. 1888. Suppl. ” Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1876. Bd. XI. 3 Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthle. $. 328. * Fbenda. 1892. 8.497; 1894. 8. 297. H. J. HAMBURGER: BESORGEN DIE ÜHYLUSGEFÄSSE U. $. W. 555 Fettsäure und nicht für Fett, und nach v. Walther’s Versuchen muss man die Resorptionsverhältnisse von Fettsäure und von Neutralfett sorgfältig aus einander halten. Ausserdem versetzt — wie Frank selbst bemerkt — die Unterbindung des Ductus thoracicus das Thier in einen pathologischen Zustand, welcher als solcher die Resorption der Fettsäure in nicht geringem Maasse beeinflusst. „Diese Beobachtungen“ — sagt denn auch Hammarsten, wenn er in seinem Lehrbuch der physiologischen Chemie die Beobachtungen Frank’s bespricht — „scheinen indessen kaum auf die Resorption der Neutral- fette oder auf die Resorption bei Menschen unter normalen Verhältnissen übertragbar zu sein. Munk und Rosenstein konnten, namentlich bei ihren Untersuchungen an dem Mädchen mit Lymphfistel, reichlich 60 Proc. von dem eingeführten Fett in dem Chylus wiederfinden, und von der ganzen Fettmenge im Chylus waren hierbei nur 4 bis 5 Procent als Seifen vor- handen.“ Ich glaube, dass es mir gelungen ist, nachzuweisen, dass bei Hunden die Blutgefässe sich in hohem Maasse an der Resorption von Neutralfett betheiligen können. Das Versuchsverfahren war folgendes: Bei einem tief narkotisirten grossen Hunde wird durch eine Oefinung in der Linea alba eine Dünndarmschlinge hervorgeholt. Durch eine fett- reiche Mahlzeit (ein wenig Brod mit vielem Schweinefett), welche das Thier am vorigen Abend spät erhalten hat, sind die Chylusgefässe schön injieirt. In Distanzen von 17°” werden Bändchen durch das Mesenterium in der unmittelbaren Nähe der Darmwand gestochen. Diese Bändchen werden sofort drei Schlingen a, d und c abgrenzen. Vom mittleren Theil d werden die Chylusgefässe sorgfältig unterbunden. (Sicherheitshalber nicht nur die kleineren Gefässe, sondern noch zum Ueberfluss die grösseren Stämme, zu welchen die ersteren sich vereinigen.) Dann wird das 3 x 17°” lange Darm- stück gründlich mittels lauwarmer O.9procent. Kochsalzlösung ausgespült, und zwar dadurch, dass ausserhalb der beiden äussersten Bändchen ein schiefer Scheerenschnitt gemacht wurde, um den Austritt von Darminhalt und Spülflüssigkeit zu erleichtern. Dann wurden die Bändchen festgeschnürt und 25°“ einer Lipanin-Seifenemulsion! in jede der drei Abtheilungen a, b und e injieirt. Die Emulsion war zusammengesetzt aus 50 °® Lipanin und 200 einer 5procent. Lösung von Sapo medicatus, welche !/, Procent Glycerin enthielt. ! Vergl. meinen vorigen Aufsatz über die Resorption von Seife und Fett im Dick- darm. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 433. 556 H. J. HAMBURGER: Nachdem noch zur Seite von a und von e zwei Darmstücke a’ und c’ von 17% Länge gereinigt und abgeschnürt waren, wurde Alles in die Bauchhöhle zurückgebracht und dieselbe geschlossen. Nach 5 Stunden wird der Darm aus dem stets noch in Narkose sich befindenden Thiere entfernt und der Hund getödtet. Wir haben also fünf Darmstücke: erstens das mittlere d, dessen Chylus- gefässe unterbunden sind; dann zwei daran grenzende Stücke « und c, wo die Blut- und Chylusgefässe an der Resorption theilnehmen konnten, und endlich zwei leere Stücke «’ und c’‘, welche zur Controle dienten. Nach Entfernung der fünf Stücke galt es, deren Gehalt an Fett und Fettsäure zu bestimmen. Erst wurde, wo nöthig, der Inhalt entleert; dann wurde das Darmstück von einem Assistenten gestreckt und mit einem Circularschnitt versehen, welcher bis auf die Mucosa hindurchdrang; auf diese Weise konnte nach dem Vorgang von C. A. Ewald Serosa mit Muscularis von der Mucosa abgezogen werden. Die also auspräparirte Mucosa wird in das Schälchen gelegt, in welchem sich der entsprechende Darminhalt schon befindet, und dann mittels Scheere zerkleinert. Nach Vermischung mit 20 ®”” chemisch reinem Sand wird die Masse bei 80° unter zeitweiligem Umrühren eingetrocknet, dann pulverisirt und mit wasserfreiem Aether während 36 Stunden im Soxhlet extrahirt. Die Aetherextracte aus den fünf zu gleicher Zeit behandelten Massen werden mittels wasserfreien Aethers auf dasselbe Volum gebracht und durch gleich grosse Filter filtrirt. Ein Theil des Filtrates dient zur Bestimmung des festen Rückstandes (Fett + Fettsäure); ein anderer Theil des Filtrates wird zur Ermittelung der Fettsäure mit alkoholischer Kalilauge und Phenol- phtalein titrirt. Noch eine einfache Berechnung, und man kennt den Fett- gehalt der fünf Darmabtheilungen. Wir haben auch noch den Seifengehalt bestimmt, und zwar dadurch, dass wir den mit Aether ausgezogenen Hülseninhalt in Schälchen brachten, Wasser hinzufügten, um die Seife zu lösen, und dann mit Salzsäure ver- setzten, um aus der Seife die Fettsäure zur Abscheidung zu bringen. Nach Eintrocknung wird mit Aether extrahirt, und im Extract sowohl durch Titration mit alkoholischer Kalilauge und Phenolphtalein, wie durch Ge- wichtsbestimmung der Fettsäuregehalt, bezw. der Seifengehalt ermittelt. Versuch 1. Bestimmung von Fett + Fettsäure. Der ätherische Extract aus dem Inhalt der fünf Schälchen ist auf 60°" gebracht. Hiervon werden 25°" gebraucht für die Bestimmung von Fett + Fettsäure und 25°" für die Bestimmung von Fettsäure allein. BESORGEN DIE ÜHYLUSGEFÄSSE AUSSCHLIESSLICH FETTRESORPTION? 557 25° von Schälehen 5 (Chylusgefässe unterbunden) enthalten 2:2748!® Rückst. 29,5 5; a (Chylusgef. nicht unterbund.) , 2110 5 a 125 ” 27 ” c ” „ ” „ 2186 „ „ 2a, 5 « (leeres Darmstück) 5 0.828, 125 HR „ c „ ” ” 0.340 ” Im Ganzen also (auf 60°" berechnet) enthielt Darmstück 5 (Chylusgefässe unterbunden) 5.457 29 Fett + Fettsäure [Darmstück @ (Chylusgefässe nicht unterbunden) 5-064 „ „ 1 \ „ e „ „ „ 5) 5 246 ”„ ”„ ” [Darmstück aslleee) 2. 2 2 u nn ORT8T e let; ER BE a ans se 0 TO; Das Mittel von a und e ist 5-155, so dass durch die Unterbindung der Chylusgefässe 5°457 — 5'155 = 0-302 ®'% Fett + Fettsäure mehr in 5 vor- handen sind als in @ und ce. Bestimmung der Fettsäure. 25°” der ätherischen Lösung aus d entsprechen 2.92 °m 1/,-norm. KÖH [23 ’ „ „ ” „ @ „ 2:63 „ „ „ 125 „9 ” ” nie ” 3.12 ” „ ” [25 „ ” ) ” ” 2 ” 0.66 „ ” ” 125 , 9 „ „ „ „€ ” 0.64 ” ” ” Im Ganzen also (berechnet auf 60 “®) enthält Darmstück 5 (Chylusgefässe unterbunden) 0.981 5% Fettsäure [Darmstück a (Chylusgefässe nieht unterbunden) 0'883 „, R 1 \ ” e ” ” ” 1.048 ” ” (Darmstüucke ar (leen)se au era 2er ae 05221, n \ 5; ee ee Be 2 we 02 5 Wir stellen der Uebersichtlichkeit wegen die bis jetzt gefundenen Zahlen in einer Tabelle zusammen: | En Fett, ber. I? . It Fettsäure |aus den vor. | Spalten Darmstück 5 (Chylusgefässe unterbunden) ü | .457 gım | 0:981 En 4-476 gem. Darmstück a (Chylusgefässe nicht unterbunden) | 5 | 5-064 „ 0-883 „ 41'812 5 ”s c ER) > »s || »246 Pr) 1:048 „ 4:198 “> Darmstück a.deer) on. 022. 20000 | 0-787 , |- 0-221 ,- |/.0-566 „ ee Ca 2 20 228116.088168%, |1%0-2155,..0|1°0-601 ,, ! Wie im vorigen Aufsatz (Versuche über die Resorption von Fett und Seife im Dickdarm. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. 8.433) schon mitgetheilt wurde, haben wir ans der angewandten Sapo medicatus Fettsäure bereitet und dieselbe mit !/,.norm. alkoholischer KOH und Phenolphtalein titrirt. 1°® der KÖH-Lösung ent- sprach 0-14 ®"® der Fettsäure. 558 H. J. HAMBURGER: Aus dieser Tabelle geht hervor, dass der mittlere Fettgehalt der leeren i an = ()-583 beträgt. Zieht man diese Zahl von 4476 ab, so erhält man den Fettgehalt des Inhaltes von Schlinge 2, also 3.893 8", Da nun die 25 m der injieirten Lipanin-Seifenemulsion 4.312 sm Fett enthielten, wie aus mehreren Bestimmungen hervorgegangen war, waren also aus Schlinge 5 (bei unterbundenen Chylusgefässen) innerhalb 5 Stunden resorbirt 4-312 -- 3-893 = 0.419 2m Fett, Auf dieselbe Weise lässt sich berechnen, dass resorbirt worden sind aus a (Uhylusgefässe nicht unterbunden) 4-312 — (4.181 — 0.583) = 0.714 sm Fett, und aus c (Chylusgefässe nicht unterbunden) 4.312 — (4-198 — 0.583) = 0.697 em Fett. Man sieht, trotz Unterbindung der Chylusgefässe ist doch Fett resorbirt worden, jedoch nicht so viel wie bei freien Chylus- gefässen. Darmstücke a’ und e Bestimmung der resorbirten Seife. Nachdem aus dem Inhalt der Schälchen Fett + Fettsäure extrahirt worden sind, unterwirft man zur Bestimmung der Seife den restirenden Hülseninhalt der Einwirkung verdünnter Salzsäure und zieht die also ge- bildete Fettsäure aus. Es zeigt sich dann, dass aus Darmstück 5 resorbirt war eine Seifen- menge, welche übereinstimmte mit 0.309" Fettsäure; aus Darmstück a eine Seifenmenge, welche 0-317®%, und aus Darmstück ce eine Seifenmenge, welche 0.325 sm Fettsäure entsprach. Die in die Darmstücke mit der limulsion eingeführte Seifenmenge entsprach 0.8128” Fettsäure. Nach der ausführlichen Beschreibung der Ergebnisse des ersten Ver- suches genügt für die Mittheilung der bei zwei anderen Hunden auf voll- kommen gleiche Weise angestellten Experimente die blosse Erwähnung der Endresultate. Der Uebersichtlichkeit halber bringe ich dieselben unmittelbar mit denen des ersten Versuches in einer Tabelle zusammen. a Fettmenge resorbirt | Seifenmenge resorbirt Versuch bei unterbund.| bei nieht unterbund. |bei unterbund.| bei nicht unterbund. | Suylusses ® | COyErgeen (a u. | unser ®) Chylusgefässen (ai u. ) I | 0.419 8m | 0-714 und 0:697 em | 0+.8380 8m 0-390 und 0-400® sum Il |- 0-397 .. 120.8 21185,905832 7,1 0-412 „, 0:431 ,„ 0.439 „ Ill 023212 7.0.6915, 1086847, 17 2023665,% 0:.3807,2.0-37.E3 BESORGEN DIE ÜHYLUSGEFÄSSE AUSSCHLIESSLICH FETTRESORPTION? 559 Diese Versuche lassen keinen Zweifel übrig, dass ausser den Chylusgefässen im Dünndarme noch eine andere Vorrichtung vorhanden ist, welche in bedeutendem Maasse Fett abzuführen im Stande ist. Per excelusionem muss diese Vorrichtune in den Bluteapillaren gelegen sein. Dieses Resultat stimmt überein mit den Versuchsergebnissen von Munk und Rosenstein! beim Menschen, nach welchen nur ungefähr 60 Procent des resorbirten Fettes aus der Chylusfistel abflossen. Was nun die Experimente anderer Forscher betrifft, welche eine directe Betheiligung der Blutgefässe an der Resorption verneinen, kommt es mir vor, dass nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntniss die Versuche Zawilski’s zu einem entscheidenden Urtheil nieht mehr berechtigen. Hat sich doch in den letzten Jahren herausgestellt, dass im Blute Fermente wirksam sind (lipolytisches Ferment von CGohnstein und Michaelis,? Lipase von Hariot?), welche das Vermögen besitzen, Fett zu zerlegen. Wenn also Zawilski beobachtet, dass bei Abfuhr des Chylus nach aussen das Blut doch nicht mehr Fett enthält, als etwa im Hungerzustand darin vorhanden ist, so schliesst das eine Aufnahme von Fett seitens der Blut- capillaren nicht aus; denn bei der langsamen Resorption, welche das Fett stets erfährt, könnte derjenige Theil, welcher in die Blutbahn getreten wäre, sofort nach der Aufnahme zersetzt sein. Aus dem nämlichen Grunde können auch vergleichende Fettbestim- mungen in verschiedenen Blutsorten, wie dieselben von Bornstein aus- geführt worden sind, kein entscheidendes Wort in der Beantwortung der Frage reden; und wird es endlich wohl demselben Umstand zuzuschreiben sein, dass O. Frank (a. a. 0. 1894) nach Verfütterung von Fett und Fett- säure nicht im Stande war, eine Vermehrung der betreffenden Substanzen im Blute nachzuweisen. Auch beim Eintrocknen des Gemisches von Blut und Chylusfett (behufs der Fettbestimmung) findet unter dem Einfluss von Ferment und Luft Zersetzung von Fett statt.‘ Künftige Untersuchungen, welche auf directe Weise einen Uebergang von Fett in die Blutcapillaren nachzuweisen wünschen, werden sich nicht mit der quantitativen Bestimmung des Fettes selbst zu beschäftigen haben, sondern mit der der Producte, welche nach der Einwirkung von lipo- Iytischem Ferment und Lipase daraus entstehen. ! Virchow’s Archiv. 1891. Bd. CXXIX. 8. 230. ? Sitzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissensch. 1896. 8.171. — Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXV. 8.473; 1897. Bd. LXIX. 8.76. ® Compt. rend. 1897. T. CXXII. p. 753 u. 831; 1897. T.CXXIV. p. 235 u. 370, * Cohnstein und Michaelis, Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXIX. S. 79. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1899 —1900. VIII. Sitzung am 23. Februar 1900.' 1. Hr. Dr. W. STERNBERG (a. G.) demonstrirt einen Fall von an- geborener Brustbeinspalte. Der Mann mit diesem interessanten Defect, der kerngesunde und kräftige, 40 Jahre alte Valentin Wunder aus Erlangen, ist bereits mehrfach in seinem Leben zum Gegenstande von Untersuchungen”? und Demonstrationen gemacht, von Kussmaul als Kind, später von Ziemssen auf der Natur- forscher-Versammlung in Wiesbaden 1873 vorgestellt worden. Er stammt aus gesunder Familie, hat selbst eine grosse, gesunde Familie, deren Mit- glieder sämmtlich frei von jeder Missbildung sind, bis auf eine Schwester, welche eine Hasenscharte davongetragen hat. Er selbst bietet ein sehr eigenthümliches Bild; an Stelle des Brustbeines befindet sich eine grosse Spalte, so dass ihm das ganze Brustbein fehlt bis auf eine kleine Brücke in Höhe des IV. Rippenknorpels, welche als ein Rest des Proc. xiphoid. anzusehen ist. In Folge dessen tritt das Herz mit seinen Pulsationen zum Theil frei zu Tage. Man sieht zwei pulsirende Körper, von denen nach der blossen Inspeetion und Palpation der obere dem rechten Vorhof, der untere der rechten Kammer anzugehören scheint. Doch ergeben die sphygmographischen Curven, welche 1879 Pentzoldt? aufgenommen hat, dass die obere Pul- sation der Aorta angehört. Die Röntgen-Aufnahme, die Hr. Grunmach angefertigt hat, ergiebt ebendies. Zudem fühlt man längs des rechten Randes der Spalte ein pulsirendes Gefäss nach oben ziehen, welches wohl die A. anonyma darstellt. Eigenthümlich erscheint die Spalte, wenn er sie will- kürlich durch Zusammenpressen beider Handflächen oder durch Zurückziehen der Schultern aus einander spreizt, noch eigenthümlicher jedoch wird das Bild, wenn nach tiefem Inspiriren bei geschlossener Glottis die Lungenränder in die Spalte zum Vorfall kommen. Wenn er sich vollends in die verticale Stellung bringt, indem er unschwer „Kopf steht“, tritt der Spitzenstoss, der sonst nicht sichtbar ist, mächtig hervor, das bewegliche Herz sinkt herunter und fällt aus dem Brustkorb fast heraus, wie bei Prolapsus uteri der Uterus aus dem Becken. ‘ Ausgegeben am 3. April 1900. Jahn, Deutsches Archiv für klinische Mediein. 1875. Bd. XVI. S. 200. Sitzungsber. der physikal.-medic. Societüt zu Erlangen und Deutsches Archiv für klinische Mediein. Bd. XXIV. 8. 513. 2 3 VERH. D. BERL. PHYSIOL. GES. — W, STERNBERG. — G. ABELSDORFF. 561 2. Hr. Dr. G. Apetsporrr hält den angekündigten Vortrag: Zur Er- forschung des Helligkeits- und Farbensinnes bei Menschen und Thieren. Auf Grund einer zuerst von M. Sachs! angegebenen Methode lässt sich zeigen, dass von verschiedenen farbigen Lichtern dasjenige, welches den Ein- druck der grössten Helligkeit macht, auch die stärkste Pupillenverengung hervorruft. Da der Werth der scheinbaren Helligkeit einer Farbe mit den Beobachtungsbedingungen variabel ist, lässt sich demnach für eine bestimmte Farbe nicht ein bestimmtes Maass der pupillomotorischen Wirkung angeben. So nimmt z. B. bei herabgesetzter Beleuchtung und Dunkeladaptation des Auges nicht nur die Empfindlichkeit für blaue Lichter zu, sondern es erfährt auch ihre pupillenverengende Wirkung eine Steigerung. Ebenso kann man in denjenigen Fällen angeborener Farbenblindheit, bei welchen die Anomalie des Farbensinnes mit einer Aenderung der Helligkeitswerthe der Farben einhergeht, durch passende farbige Belichtung nachweisen, dass das Pupillen- spiel hierbei ein vom farbentüchtigen Auge abweichendes, den Aenderungen der Helligkeitswerthe entsprechendes Verhalten zeigt. Diese Thatsachen? veranlassten Abelsdorff zu dem Versuche, die er- wähnte Methode zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinnes der Thiere nutzbar zu machen. Die bisher vorliegenden Experimente, in welchen den Versuchsthieren die Wahl zwischen verschiedenfarbig belichteten Räumen gelassen wurde, geben mehr über den die Farbenempfindung begleitenden Gefühlston, als über die Empfindung selbst Aufschluss. Belichtet man jedoch die Augen mit verschiedenen Farben, so kann man aus dem Pupillenspiel schliessen, welche Farbe dem Versuchsthiere als die hellste erscheint. Eine Uebereinstimmung mit dem normalen menschlichen Auge beweist dann zwar noch keine Uebereinstimmung des Farbensystems, dagegen ist eine Ab- weichung schwerlich mit einem Farbenempfinden vereinbar, das mit dem des menschlichen farbentüchtigen Auges identisch ist. Obwohl wegen der Mannigfaltigkeit der Reize, die verändernd auf die Pupillengrösse einwirken, bei einem grossen Theile der Versuchsthiere ein- wandsfreie Resultate nicht erhalten wurden, war es doch möglich, bei einigen Thieren sichere, durch häufige Wiederholung bestätigte Ergebnisse zu erzielen. Bei Kaninchen und Meerschweinchen waren die Versuche sehr gut aus- führbar; um aber eine sichtbare Wirkung auf die Pupillengrösse auszuüben, mussten die Differenzen in der Helligkeit der zur Belichtung benutzten farbigen Gläser so gross gemacht werden, dass weniger die Einwirkung verschiedener Farben, als die von Hell und Dunkel in Betracht kam. Es wird hierdurch nur die bekannte Thatsache bestätigt, dass die Pupille dieser Thiere träge reagirt; unter Zugrundelegung des vorgetragenen Ge- sichtspunktes wird man aber aus dieser Thatsache folgern dürfen, dass diese Thiere eine Empfindlichkeit für Helligkeitsunterschiede besitzen, welche derjenigen des Menschen bei Weitem nachsteht. ı Pflüger’s Archiv. Bd. LII und v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie. Bd. XXXIX. 3. ? Kine ausführlichere Behandlung derselben findet man in der Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. XXII und Archiv für Augenheil- kunde. Bd. XLI. : Archiv f. A. u. Ph. 1900. Physiol. Abthlg. 36 562 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Recht brauchbar zu den Versuchen waren ferner Tauben und Eulen. Mit dem farbentüchtigen menschlichen Auge verglichen, zeigte sich bei deı Haustaube stets eine Abweichung in dem Sinne, dass grünen und blauen Liehtern eine geringere pupillomotorische Wirkung zukam, daher trat z. B. bei successiver Belichtung mit gleich hellem Roth und Blau Pupillenverengung bei Roth ein. Die nämlichen Farben übten auf das Eulenauge (Athene nocetua und Otus vulgaris) eine gerade entgegengesetzte Wirkung aus, so dass bei demselben Roth die Pupille sich sichtlich erweiterte und bei darauf folgender Belichtung mit gleich hellem Blau energisch contrahirte. Die Zahl der untersuchten Species ist zu gering, um hiernach ganz allgemein von Unterschieden in der Farbenempfindung bei Tag- und Nacht- vögeln zu sprechen. Die relativ geringe Empfindlichkeit des Taubenauges für Grün und Blau findet wohl ihre nächstliegende Erklärung in der Ab- sorption dieser Farben durch die in den Innengliedern der Zapfen gelegenen farbigen Oelkugeln. Für das Verhalten des Eulenauges bietet das menschliche unter ge- wissen Bedingungen eine interessante Analogie: das Sehorgan des farben- tüchtigen Auges besitzt bei geringer Lichtintensität und Dunkeladaptation, ebenso wie das des total Farbenblinden, dieselbe, auch in der regulirenden Innervation der Pupille zum Ausdruck kommende, hohe Empfindlichkeit für kurzwellige Strahlungen; ein experimenteller Vergleich zwischen dem Auge des total Farbenblinden und dem des Steinkauzes lehrte, dass in der Pupillar- reaction des Eulenauges sich eine noch weit höhere Reizbarkeit für blaue Lichter kund thut. 3. Hr. R. pu Boıs-Reymoxnp hält den angekündigten Vortrag: Die Grenzen der Unterstützungsfläche beim Stehen. Die Festigkeit, mit der ein Körper steht, ist abhängig von der Lage seines Schwerpunktes zur Unterstützungsfläche In der Lehre vom Stehen des menschlichen Körpers muss also ebenso, wie die Lage des Schwerpunktes, Form und Grösse der Unterstützungsfläche beachtet werden. Wie gross deren Bedeutung für die Festigkeit des Stehens ist, geht aus der Beobachtung Leitensdorfer’s! hervor, dass seine den Schwankungsfiguren von Vierordt? analogen „Helmspitzenzeiehnungen“ ihre grösste Ausdehnung stets in der Richtung der geringsten Breite der Unterstützungsfläche hatten. Die Unterstützungsfläche des stehenden menschlichen Körpers wird von Braune und Fischer? in ihrer grundlegenden Arbeit wie folgt beschrieben: Es ist „die Unterstützungsfläche eines aufrecht stehenden menschlichen Kör- pers gegeben durch den Flächenraum, welcher durch die äusseren Contouren der Füsse und die äusseren Doppeltangenten begrenzt wird, die durch die Fussspitzen und hinteren Fussränder bedingt sind“. Es ist aber klar, dass nicht die ganze hierdurch bestimmte Fläche zur wirksamen Unterstützung dienen kann, und es entsteht die Frage, wie nahe an den Rand der vorstehend definirten idealen Unterstützungsfläche die Pro- Jeetion des Schwerpunktes verlegt werden kann, ohne dass der Körper in’s ! Leitensdorfer, Das militärische Training. Stuttgart 1897 ® Vierordt, Grundriss der. Physiologie des Menschen. Tübingen 1862. S. 365. ® W. Braune und ©. Fischer, Ueber den Schwerpunkt u. s. w. Abhandl. der sächs. Gesellsch. der Wissensch. 1889. Math.-phys. Classe. Bd. XV, 7. 8. 633. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-ReyMonD. 563 Kippen kommt. Dies lässt sich mit einer von mir zu anderen Zwecken hergestellten Vorriehtung sehr einfach ermitteln. Hayceraft! hat schon einen Apparat eonstruirt, um die Lage des Schwerpunktes beim Stehen aus- findig zu machen. Dieser Apparat beruht auf dem bekannten, von Borelli angegebenen Prineip, und besteht aus einem Standbrett, das von einer sagittal laufenden eisernen Leiste getragen wird, etwa wie ein Schlittschuh von seiner Klinge. Diese eiserne Leiste ruht vorn und hinten auf Quer- leisten. Unter ihr befindet sich eine zweite ähnliche Leiste. Mittels eines gekrümmten kurzen Hebels, den man zwischen diese zweite, feststehende Leiste und die erste einführt, kann man, während eine Versuchsperson auf dem Trittbrette steht, leicht die obere Leiste ein wenig anheben. Geschieht dies vor der Stelle, auf die die Projection des Schwerpunktes der Versuchs- person fällt, so bleibt das hintere Ende der Leiste auf der unterstützenden Querleiste liegen, und das vordere hebt sich. Wird der Hebel hinter der Schwerpunktsprojeetion angesetzt, so hebt sich umgekehrt das hintere Ende der Leiste, und das vordere bleibt in Ruhe. Vorn und hinten sind nun am Trittbrett empfindliche Tasthebel angebracht, die die leiseste Hebung sogleich sichtbar machen. Indem man mit dem Hebel längs der Leiste einige Proben macht, kann man also die Lage der Schwerpunktsprojection leicht aus- probiren. Aber diese Vorrichtung hat den Fehler, dass sie voraussetzt, dass das Versuchsindividuum während der Untersuchung seine Haltung nicht ändert. Uebrigens erscheint sie unnütz complieirt, denn man erreicht den- selben Zweck viel einfacher durch folgende Einrichtung: Ein Brett ist an seinem einen Ende durch zwei Spitzen, am anderen Ende durch eine ge- wöhnliche stehende Federwaage (Zeigerwaage, Wirthschaftswaage) unterstützt. Die Versuchsperson steht nahe am ersten Ende und belastet daher die Waage je nach dem Verhältniss der Entfernung der Schwerpunktsprojeetion zur Länge des Brettes. Kennt man das Gewicht P der Versuchsperson, und zeigt bei einer gegebenen Stellung die Waage eine Belastung p an, so ist die Entfernung e der Schwerpunktsprojeetion von der Verbindungslinie der zwei Spitzen leicht zu berechnen nach der Gleichung e = ZB wo E die Länge des Brettes oder genauer die Entfernung der Verbindungslinie der Spitzen von der Waage ist.. Das Gewicht des Brettes ist leicht durch Rechnung, durch Aequilibriren, oder durch geeignete Justirung der Waage zu eliminiren. Bei dem vorliegenden Modell beträgt die Strecke E 100°”, die Breite des Brettes 40 ““, die Waage giebt Belastungen bis zu 10% an. Schon geringe Verschiebungen des Schwerpunktes in der Längsrichtung des Brettes sind an der Waage deutlich abzulesen. Will man es ganz bequem haben, so kann man für eine Versuchsperson von bekanntem Gewicht eine besondere Skala an der Waage anbringen, die unmittelbar die den Ausschlägen ent- sprechende Bewegung des Schwerpunktes anzeigt. Mittels dieser Vorrichtung lässt sich nun zeigen, dass man in Stiefeln noch sicher stehen kann, wenn die Schwerpunktsprojeetion bis auf 1-5” an den hintersten Rand des Absatzes verlegt ist. In blossen Füssen droht aber schon die Gefahr des Umkippens nach hinten, wenn die Projeetion des ! Hayeraft, Capitel „Animal mechanics“ in Schaefer’s englischem Handbuch. Vol. IL.- p: 259: 36* 564 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Schwerpunktes noch 3°” vom hintersten Rande der Fusssohle entfernt ist. Ebenso weit muss die Projeetion bei seitlicher Verschiebung des Schwer- punktes vom seitlichen Fussrande entfernt bleiben, damit man sicher im Gleichgewichte ist. Besonderes Interesse hat mit Rücksicht auf den Vorgang der Erhebung auf die Zehen die Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn. Die Grenze, bei der Umfallen nach vorn droht, wird erst erreicht, wenn die Projeetion des Schwerpunktes 3-5 ““ hinter den äussersten Zehen- spitzen, also beträchtlich vor dem Fussballen liegt. Nach diesen Beobachtungen sind die Grenzen der wirksamen Unter- stützungsfläche des Körpers beim Stehen gegen die oben mitgetheilte De- finition auf allen Seiten um etwa 3°% einzuschränken, vorn sogar um etwas mehr. X. Sitzung am 23. März 1900. Hr. Cowr hält den angekündigten Vortrag: Ueber das normale Röntgenbild des ruhenden Thoraxinhaltes. Betrachtet man das Röntgenbild des menschlichen Brustkastens am Leuchtschirm, so ist man durch Dreierlei daran verhindert, die Schatten des Thoraxinhaltes ganz deutlich und richtig zu sehen. Erstens und vielleicht hauptsächlich ist es das schwache Fluorescenzlicht, das eine scharfe Erkennung fast unmöglich macht. Wie bekannt, werden Gegenstände in schwachem Licht vorwiegend durch die Sehstäbchen der Netzhautperipherie wahrgenommen, die im Vergleich mit den Sehzapfen der Fovea centralis und Umgebung ein nur undeutliches (indireetes) Sehen ermöglichen. In Folge dieser kleineren Sehschärfe der ganzen Peripherie der Netzhaut werden Formen mehr oder weniger schleierhaft, je nach der Geringfügigkeit der Betheiligung der Zapfen. Dagegen ist nach Exner und von Fleischl die Netzhautperipherie vorzugsweise im Stande, die Erkennung von Be- wegungen an Objecten zu vermitteln. Dass das Licht des Leuchtschirmes thatsächlich schwach ist, ergiebt sich einmal daraus, dass letzterer nur bei sonstigem Lichtabschluss wohl zu gebrauchen ist, wobei die Netzhaut ver- mittelst der Adaptirung, hauptsächlich der Peripherie, ihre Liehtempfindlich- keit enorm steigert, sodann, wie ich feststellen konnte, dass die gelbgrünliche Farbe des leuchtenden Platinbaryumeyanürs beim Abrücken des Schirmes von der Röntgenröhre bald seine Farbe verliert, wie auch, dass die noch schwächere, bläuliche Fluorescenz des wolframsauren Calciums schon in ganz geringer Entfernung von der Röhre trotz starker Röntgenbestrahlung einem neutralen, grauweissen Licht Platz macht, und ferner, dass die Herzbewegungen oft besser bei indireetem als bei direetem Sehen wahrzunehmen sind, wie unschwer zu constatiren ist. Zweitens wird das Leuchtbild durch abirrende Röntgenstrahlen verschleiert, die nicht wie der Haupttheil der Energie den geraden Weg von der Röhre aus durch den durchstrahlten Körper fortsetzen, sondern in störendem Maasse in allen Winkeln refleetirt werden, nur nach anderem Gesetz, als die Kathodenstrahlen an der Platin-Antikathode der Röntgenröhre. Drittens wird die Richtigkeit der Wiedergabe der Formenumrisse durch die übliche, für eine wahrheitsgetreue Flächenprojeetion ungenügende Ent- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜOWL. 565 fernung des Leuchtschirmes von der Strahlenquelle nicht unerheblich be- einträchtigt. Endlich hat wohl auch das leuchtende Korn des nicht ganz mikroskopisch-krystallinischen Salzes am Schirme an der Undeutlichkeit der Bilder Schuld. Mit einem Schlage ändert sich das Alles, sobald man sich zur Photo- graphie wendet, da erstens das Auge, obwohl weit empfindlicher für Moment- eindrücke, als das Bromsilber der Trockenplatte, solche doch nicht wie die photographische Schicht summiren kann. Zweitens geben die mikroskopisch feinen Körnchen des redueirten Silbers im Negativ ein vollauf genügendes Wiederbild auch der kleinsten Schatten. Drittens wird durch das richtig gehandhabte photographische Hervorrufungs- verfahren das Verschleiern der Platte, aus den verschiedensten Gründen entstehend, hintangehalten. Viertens kann man das Bild bei Entfernungen aufnehmen, welche eine genügende Annäherung an die Parallelprojeetion bedingen, und durch örtliche Festsetzung der senkrecht treffenden Strahlen am Bilde mit Kenntniss der Entfernung der Antikathode zahlenmässige An- gaben über alle in Betracht kommenden Maassverhältnisse leicht rechnerisch erlangen. Doch mit der üblichen Art der Photographie durch continuirliche Ex- position verliert man bei Niehtbenutzung des Leuchtschirmes die Fähigkeit, Messungen, bezw. annähernde Schätzungen betreffs Umfang, Tempo und Gestalt der verschiedenen in Betracht kommenden Bewegungen anzustellen. Um diesem Uebelstand bezüglich der Athembewegungen abzuhelfen, haben Stechow, Guilleminot und Levy-Dorn verschiedene Methoden angegeben. Vor einem Jahre habe ich auch eine eigene Methode hier demonstrirt, die sich weiter bewährte. Es bestand aber dennoch die Aufgabe, auch das Herz in Ruhe wie in verschiedenen Phasen seiner Thätigkeit abzubilden. Vor der Hand hatte sich die Bedeutung dieser Aufgabe dadurch verringert, dass schon auf den Aufnahmen bei Athemstillstand die Eigenbewegungen des Herzens sich als gering, namentlich viel geringer als die Dislocationen des Organes in Folge der Athmung herausgestellt hatten. Statt einer breiten, verwaschenen Unschärfe seiner Umrisse, wie auf den in üblicher Weise ge- wonnenen Röntgenbildern, zeigte sich das Herz auf riehtig exponirten Platten mit frappant scharfen Grenzen. Diese Thatsache darf man als einen unzwei- deutigen Beweis der Kleinheit der Eigenbewegungen des Herzens betrachten und steht dieselbe in vollem Einklang mit dem Ergebniss von Thierversuchen Seitens Tigerstedt, Grehant und Zuutz, dass ein viel kleineres „Schlag- volumen“ des menschlichen Herzens, als früher geschätzt, anzunehmen ist. Die auf einmal ausgeworfene Blutmenge beziffert sich nach diesen Verfassern für jeden Ventrikel auf 50 bis 100, bezw. 60°". Nimmt man nun diese letzte Zahl an, die für die vollständige Ruhe, welche bei Röntgenaufnahmen des Thorax herrscht, wohl gelten mag, und ferner, dass die Ventrikel bei der Systole die Kugelform annehmen, die noch mehr für ihren Inhalt gilt, wenn man die Masse der Papillarmuskel gleich der Höhlung der beiden Herzspitzen setzt, so ergiebt sich eine pulsatorische Schwankung der Herz- breite von 8" bei einem Herzdurchmesser von 9, d.h. auf einer Seite beträgt das Hin- und Herrücken der Herzgrenze nur 4", Trotz der Kleinheit dieser Zahl schien es doch erstrebenswerth, die Methodik der Herzaufnahmen weiter auszubilden, namentlich da Seitens 566 VERHANDLUNGEN DER BERLINER König und Guilleminot Resultate in dieser Richtung erzielt worden sind. Letzterer Verfasser berichtet,! dass es ihm gelungen sei, vermittelst eines im Uebrigen ziemlich umfangreichen Apparates zwei verschiedene Phasen- aufnahmen des Herzens zu erzielen, die einen messbaren Unterschied in der Lage der rechten Herzgrenze aufwiesen. Ausser dem Marey’schen Sphygmo- graphen bestand das en nenn aus einer Dynamomaschine, welche Unterbrechungen des Hauptstromes des Inductors in ungefährer Pulsfrequenz des radiographirten Individuums bewirkte, und einem verzögernden, bezw. be- schleunigenden, durch den Sphygmographen bethätigten Mechanismus. Ausser- dem aber war eine Correctur der Ausschläge dieses Instrumentes je nach den Schwankungen seiner Hebelspitze nöthig, die Seitens des Operateurs durch Biegungen im Handgelenk des Individuums vorgenommen wurde. In den eigenen Bemühungen ging mein Bestreben hauptsächlich dahin, ein leicht ausführbares automatisches Verfahren für Phasenbilder des Herzens herzustellen, worüber beim Abschluss der betreffenden Versuche berichtet werden soll. Im Voraus sei erwähnt, dass das Ziel einfach durch den Gebrauch einer Pendeluhr mit verstellbarem Gewicht und Schleifeontaet besonderer Construction vollauf erreicht zu werden verspricht. Heute wollte ich vermittelst einer neuen Demonstrationsmethode für Originalnegative die mit zwei verschiedenen, einfachen manuellen Ver- fahren erreichten Resultate vorführen. Beide Verfahren gehen von der durch Martius festgestellten Thatsache aus, dass man mit einer Markir- vorrichtung nicht hinter einem als Schlagzeichen dienenden Herzton nach- BR sondern in vollständigen Tact damit kommt, falls der Ton ein zeitlich regelmässiger ist. In dem einen Verfahren handelte es sich im Wesentlichen darum, kurze Stromschlüsse an einem Telegraphenschlüssel in derselben regelmässigen Reihenfolge vorzunehmen, wie des mit der anderen Hand gefühlten Puls- schlages, um ein Bild des Herzens in einer Phase seiner Thätigkeit zu erhalten. Bei zwei Aufnahmen eines 25jährigen, 172°” srossen Hausdieners, die in dieser Weise gewonnen wurden, kam ein Morse’scher Telegraphen- schlüssel in denselben Hülfskreis mit dem früher demonstrirten Athmunsgs- rheotom, einem Accumulator und dem HRlektromagnet eines dadurch auto- matisch wirkenden Hauptkreisschlüssels, der den Weg für den Primärstrom zum Inductor und rotirenden Quecksilberunterbrecher zu- und aufsperrte. Um die durch die Athmung bedingte Höhenlage des Herzens möglichst zu präcisiren, wurde am Athmungsrheotom das Contactende des doppel- armigen Hebels federnd gemacht und ferner ein verstellbares Hypomochlion in der Weise an das Gestell nahe an der Contactfläche angebracht, dass nach der Herstellung des Contactes durch eine Athembewegung bei weiterer Hebung, bezw. Senkung der Pelotte am Epigastrium eine Biegung zwischen Hebelaxe und Hypomochlion stattfand, welche den Contact wieder aufhob. Vor der Aufnahme wurde das Athmungsrheotom für eine dem Versuchs- individuum bequeme Einathmungsstellung eineestelle um sodann nach Ein- schaltung des Primärstromes zum Inductor mit der rechten Hand den Puls zu nehmen, mit der linken den Telegraphenschlüssel im Tact hiermit auf etwa 1/, Seeunde regelmässig zu schliessen. Sobald der laut hörbare Schlag ! Comptes rendus. 1899. 8. Aug. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (own. 567 des Ankers am Elektromagnet des oben erwähnten Hauptkreisschlüssels er- tönte, hielt das Versuchsindividuum während dessen mit der Athmung jedes Mal kurze Zeit an. Bei dem jedesmaligen Athemstillstand leuchtete in Folge dessen die Röntgenröhre am Anfang der Herzsystole regelmässig auf etwa !/, Seeunde auf. Exponirt wurde brutto 10 Minuten, netto 2 Minuten, und wie die Negative zeigen, in reichlichem Maasse. Dieselben werden demonstrirt. Sie weisen eine ungemeine Schärfe der Umrisse des Herzens, der Rippen und des Zwerchfells auf. Das eingeschlagene Verfahren ist also ein in der Haupt- sache ausreichendes, in der Ausführung allerdings etwas mühsames; allein es empfiehlt sich‘ dort, wo aus irgend welchem Grunde mit möglichst wenig Apparat ein möglichst gutes Thoraxbild erstrebt wird, und lässt sich im Uebrigen mit Röntgeneinrichtungen beliebiger Leistungsfähigkeit verwenden. Nicht unerwähnt lassen hierbei will ich zwei neuerdings von Rieder und Dr. phil. Rosenthal veröffentlichte Thoraxbilder, die bei „einer Exposition von einem Bruchtheil einer Secunde“ erzielt wurden. Zur Verwendung kamen ein Inductor von 60°“ Funkenlänge, gespeist mit starkem Strom, eine elektro- Iytische Wehnelt-Zelle, ein photographisches Film und zwei jedenfalls aus- gezeichnete Verstärkungsschirme. Die in „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen“ bestens reproducirten Aufnahmen zeigen in drei-, bezw. vierfacher, die Bilder insoweit verschönernder Verkleinerung, ziemlich alles Wünschenswerthe an Thoraxbildern bei unbestimmten Puls- und Athem- phasen gewonnen. Das zweite Verfahren bestand in dem Gebrauch eines Sphygmographen an Stelle des Pulsfühlens und statt des Telegraphenschlüssels eines besonders eingerichteten, einfachen Rheotoms, welches dem Schlüssel gegenüber den Vor- theil bot, eine beliebige Phase des Pulses als Contact-, bezw. Bestrahlungs- zeit genau im Voraus bestimmen zu können. Das Instrument war folgender- maassen zusammengesetzt: Auf einem Holzklotz von 20 “® Länge und 5 ® Breite waren neben einander in 4+"® Abstand zwei Leisten angebracht, deren 1% hohe Innenflächen — in Abständen von 5 "" durch gegenüber stehende Einkerbungen unterbrochen — eine Schlittenbahn bildeten, der durch leicht verlegbare Grenzkeile eine beliebige Länge und Lage auf dem Holzklotz gegeben werden konnte. Etwa in der Mitte der Bahn war eine 5"" lange Platinplatte eingelassen, die als Contactfläche diente. Ein Schlitten aus Hartgummi trug oben einen Korkgriff und unten ein an einem Ende be- festigtes, leicht gebogenes Stück Uhrfeder, an dessen Mitte ein stumpf- winkliges Stück Platinblech als zweite Contactfläche angelöthet war. Zwei dünne Verbindungsdrähte schalteten das Rheotom in den oben beschriebenen Hülfskreis des Athmungsrheotoms und des elektromagnetischen Hauptkreis- schlüssels ein. Vermittelst eines besonderen Armgestelles mit mannigfachen Verstellungen für die Pelotte des Sphygmographen — das bei anderer Gelegenheit näher demonstrirt werden soll — erhielt das durch grosse Ausschläge sich auszeichnende Dudgeon’sche Instrument eine am Pulse unverrückbare, dem Zwecke entsprechende Befestigung, während dessen Schreibhebel in einer geraden Ordinate auf unbewegter weisser Papierunter- lage spielte. Auf dem Rheotom wurde die synchron mit dem Pulse durch- zumachende Bahn in bequemer Länge abgegrenzt und auf derselben, als Ordinate gedacht, die Contactfläche verhältnissmässig in die gleiche Höhe 568 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — ÜOowL. verlegt, wie die durch merkbare Verzögerung der Schreibhebelbewegung auf der oben erwähnten sphygmographischen Ordinate sich kundgebende dikro- tische Welle des Pulses. in dieser Weise gelang es, den Thorax jedes Mal während der Herzpause zu durchstrahlen, in Summa zu photographiren. Der kürzeren Contactdauer von !/, See., bezw. Beleuchtungsdauer von etwa 1/, „Sec. entsprechend, wie ferner als Stichprobe des Verfahrens überhaupt, dehnte ich die Expositionszeit auf brutto 15, netto 1-8 Minuten aus. Zur Vermeidung eines Contactes während der schnellen Hinbewegung des Sehlittens, die im Tact mit dem jähen Anstieg des Pulsschlages erfolgte, genügte eine geringe, fast unwillkürliche Neigung des Schlittens, welche in diesem Moment nur eine Berührung des Hartgummis mit der Platincontactplatte zuliess. Für die Aufnahme vermittelst des beschriebenen Pulsrheotoms stellte sich in liebenswürdiger Weise ein als normaler Erwachsener zu betrachtender College zur Verfügung. Das hierbei erzielte Negativbild wird durch einen im Wesentlichen von Geh.-Rath Meydenbauer, obgleich für andere Zwecke, angegebenen Spiegelkasten mittels elektrischen Bogenlichtes beleuchtet, und zeigt, der starken Musculatur entsprechend, die äusseren Grenzlinien der Rippen, wie auch die einzelnen Brustwirbel zwar nur undeutlich, doch ist es am Herzen zu sehen, dass die Aufnahme sonst eine völlig ausexponirte war, da die linke Zwerchfellkuppe, sowie auch die Rippen sich markant durch das Herzfleisch abheben. Die Grenzen des Herzens, der Aorta und der Vena cava sup., sowie der einzelnen Bronchien sind von ausserordentlicher Schärfe, obwohl in Folge des Reichthums an Einzelheiten das ganze Bild keine solche in die Augen fallende Contraste aufweist, wie Aufnahmen, die entweder kurz exponirt oder von muskelschwachen Individuen gewonnen worden sind. Es können auf dem Bilde z. B. die Zweige des Hauptbronchus des rechten unteren Lungenlappens in den Schatten der Leber, hinter der sie lagen, hinein verfolgt werden. Auf der Zwischengrenze des 10. und 11. Brustwirbels zeigt sich der Schatten eines runden Messingstückes von 2°® Durchmesser, welches auf dem Schwertfortsatz lag. In einer Entfernung von 55 ® oberhalb des Brustbeinendes, bezw. genau °/,” über der photo- graphischen Platte, wurde vor der Aufnahme mittels eines visirten Lothes die Antikathode der Röntgenröhre gestellt. Da nun anzunehmen ist, dass der grösste Querdurchmesser des Herzens etwa 13°” vor der photographischen Platte lag, so wurde derselbe um 13:75, d.h. um etwa !/, vergrössert projieirt. Betreffs der Demonstration der gewonnenen, sowie von Röntgenbildern überhaupt, möchte ich den grossen Vorzug der ÖOriginalnegative zu diesem Zwecke besonders hervorheben, denn sie geben unter richtiger Beleuchtung ein Bild der Dieke und der Dichte der durchstrahlten, photographirten Partien, wie es ein Copirverfahren naturgemäss nur in den seltensten Fällen wiederzugeben vermag; und sie lassen andererseits viel sicherer als eine Copie eine Entscheidung zu, ob Flecke auf dem Bilde sogenannte Platten-, bezw. Entwickelungsfehler oder wirkliche Schatten sind. Ohne Bedenken kann man also an der allein zulässigen Regel festhalten, von aller Retouche grundsätzlich abzustehen. Schliesslich sind die Bilder nieht, wie Copien, seitenverkehrt. Taf. 1 Archiv f. Anat. u. Phys. 1900. Phys. Abthlg. Fig. 3a. Verlag von Veır & Coup. in Leipzig. - Er Archiv FAnatuPhyys. 1900 Phys. Abthlg. 7 2yS ys.Abthlg Taf! 1. il LU HLLZ) Verlag Veit Komp ee er [7 ur y Bi f Ku add nn vi u I v De EN INEN 2 Day ” De RAR, alyY url NER Iı275.1900. Pliys. Ablhıly, PUVVVVVVVVUVVNANNNVVVVVVVVVVNANANNANANANANNANANNANNN U WVMNNNANNAN KANN, \ VVVVVVVVVVVVVVVVVVV VVVV VEN AUVVVVVVVVVWVVVVVVUVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVUVVVVUUAVVUG u ANAANAMNnAAAnAAnAnAnAANARRAAAnanAAN U RRLERREERLERRRRRRRGRRRERAORRAAGRRERE AMAMAAAMAVVWWVV HEDE TITTEN IT TEN m TER DIT TH TONER TOR MAMAMUNAAAANANANANNNNANANNNNNNNANU VUVWANANAANANNANNNANANNN/U VUNNANANNNANANNNNVVVUVVVUNANN ANY VmmMAAAAUMAAMANARAAAAMAAR Veit &Comp Wi IROTU, - DER RE WANT E s N vv mm ww uam MG Rn nVVwwmmAAmAmAVMMAMARNMMMMAARNAUVAVEAARAAEMÄNAMAM NVA VVIUVVVVVVUVVVWWUWVY VAVAYAYAN A VAYAYAAVATAVAVAFAVAVATATaVAVAVATATZVAVaVAVAVAVAYAYAVAYAVATAYATATAVAVATAVAVATAVATATATAVATAVAAYAYAV, VA ATATAVATATAVAVATATAVATAYAATAYAAVATAVATAYAYATATZVAVATATATATATAVAAYATAYAVAVATATATATAATATATATATATATATATATATATATATZYATAVATATATATAVATATTATATAVATATAVATATAVATATATATATATATAUAUATAUATT a UA UNAVVVVVVVVVVYVVVVVVVVVVVVVV\ Tun. 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A ee, ng = su 2 3 4 WW YNVÜRRR AAN DVD VVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVYVVVYVVVVVYVVVVUYWUM BE: ..\ FRE > Eee: 125‘ EA ee Ar g* Far - / v \ ET TEEETTNT e ; bie vvunninnaviimiinmmmwwvswvvvvvnAgvv UA UVVVVVVVVVVVVVVVVVVYVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVVYWIUWVUVWIIN 1 N An 6 UV WVVVVUVVVVNVVVVVUNNAANADANANNANNNNA/V UNANWVWVUVNNMNMANANWVNANANNANANANAAAAANAANAAANANANANANANAAANARAANAAANAN AARAU a E ee = = Pose 2 I > = er ee £ IN 2 = = vVwwwVVv TTRRRRIIRPRRIIPIITIRIITTIAITINVVVVVADDUVUVUVVVVWVVVVVYWVVVMAMAAAAAAANAAARAAAARANANDUVDUV VAN VUVVIVVVVAWVVVVVVVVVVUVVV UV VVVVVVvvvV VVVVVWVVVVVVVVVvvvvvvvVvnnmnmaAmAAANAAAANARRRN vumn nal DR WR | 5 Be Kr MAY 7 1900 Physiologische Abtheilung. 1900. I. u. II. Heft. a | ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1900. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG, —= ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT FÜNFZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. Za beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. _ (Ausgegeben am 31. Januar 1900.) Inhalt. Par Scaurzz, Ueber die Anordnung der Musculatur im Magen der Batrachier H. J. HAMBURGER, Ueber das Verhalten des Blasenepithels gegenüber Harnstoff W. v. BECHTEREW, Ueber die sensiblen Functionen der Pannen motorischen Binden des Menschen W. v. BECHTEREW, Ueber pupillenverengernde Ende Hupillenerweitirnde Genie . in den hinteren Theilen der Hemisphärenrinde bei den Affen $ J. VericHt, Untersuchungen über das elektrische Verhalten des a hal Längsschnittes quergestreifter Muskeln. . , 6. Hürner, Ueber die gleichzeitige quantitative Bestimmung ı zweier rbetoiz im Blute mit Hülfe des Spectrophotometers. OSKAR ÜARLGREN, Ueber die Einwirkung des constanten Kalyanisehlen Stlomes auf niedere Organismen. (Hierzu Taf. I.) ; ei Te A G. Grisss, Kritik von Dr. Gerstmann’s Erklärung der Teradiation L. J. Lans, Ueber Pupillenweite R. F. Fucas, Zur Physiologie und Wächsthum Mechanik ds Blntgefiesyee Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1899—1900. PETER BERGELL und FERDINAND BLUMENTHAL, Ueber die Isolirung der Pentose und der Methylpentose. — A. Loewy, Ueber die Bindungsverhält- nisse des Sauerstoffes im menschlichen. Blut. — ALBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung der Phosphorsäure bei Stoffwechsel- versuchen (zweite Mittheilung). — D. EHIANSEMANN, Ueber die Alveolen-Poren der Lunge und Hrn. v. Ehner’s Zweifel an ihrer Existenz. — E. WÖRNER, Zur Bestimmung der Harnsäure. — C. BenpA, Weitere Beobachtungen über die Mitachondria und ihr Verhältniss zu Secretgranulationen nebst kritischen Bemerkungen. — ENGELMAnN, Neuere Methoden zur Untersuchung der Herz- thätigkeit. — C. BenpA, Paula Günther’s neues Lupenstativ. Borıs BIRUKOFF, Erklärung 102 155 180 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N,W,, Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom .Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. erausgegeben von Dr. Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie am Carolino-medico-chirurg, Institut in Stockholm, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie‘ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 Hl» Centralblatt für praktische AU GENHE ILKUNDE. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis de Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12% 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und -Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- . tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT, INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches (entralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendei in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 % direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Anslande. Zeitschrift für Hy giene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0. ö. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, j . erscheint jährlich in 12 Heften (bez. in Doppelheften) mit: Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 MN. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W.His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 &%, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 4%. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig, JUN 4 1900 Physiologische Abtheilung. 1900. III. u. IV. Heft. 368% RN S | | ARCHIV | ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN voN Re Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1900. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —= DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT NEUN ABBILDUNGEN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. LEIPZIG, | | VERLAG VON VEIT & COMP. | 1900. | Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 24. April 1900.) Inhalt, Hans FRIEDENTHAL, Beiträge zur Kenntniss der Fermente i (+. A. TALBERT, Ueber Rindenreizung am freilaufenden Hunde nach J. R. Ewald D. FRANK, Ueber die oe der Grosshirnrinde zum der Nah- rungsaufnahme . Hans FRIEDENTHAL, Ueber die: Be der Resorption den Nahrung in Betracht kommenden Kräfte . Gustav Muskat, Beitrag zur Tiehro vom menschlichen Stehen (Hierzu Taf, jun) J. SEEGEN, Die Vorstufen der Zuckerbildung in der Leber . N Hans Korppe, Die Berechnung der Gerüstsubstanz rother Bhutkösperehen va H. J. Hamburger Ta. W. EnGELMAnNn, Ueber die Wirkungen der Nerven ai das He Iren Taf. III—V1.) Verhandlungen der phy olosedhen Gesellschaft. zu Ben 1899 1900. N. Zuntz, Ueber den Einfluss des Labfermentes auf die Verdauung des Milcheiweisses. — E. Rost, Demonstration eines heizbaren Operationstisches für Thiere. — M. Rortuman, Ueber den Stenson’schen Versuch. — CaAsPaRı, Ueber Eiweiss-Umsatz und -Ansatz bei der Muskelarbeit. — P. Jacog und A. BickEL, Zur sensorischen Ataxie. — C. BEnpA, Ueber den normalen Bau und einige pathologische Veränderungen der menschlichen Hypophysis cerebri. — Zunzz, a) Ueber die Einwirkung der Galle auf die Verdauungs-, vorgänge. b) Ueber die Herkunft der flüchtigen Fettsäuren in der Butter. Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat- Abzüge ihrer träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Seite 181 195 209 217 285 292 308 315 362 Bei- während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & 00MP. in Leipzig. ‚Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie am Carolino-medico-chirurg. Institut in Stockholm. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .# 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .%#. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Gentralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0.6. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. -Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käufiich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, ‘erscheint jährlich in 12 Heften (bez. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 MW. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W.His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von-Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung AO c%#, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig, Physiologische Abtheilung. 1900. V.u.Vl. Heft. FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, | REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1900. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. ——= | FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT ZWÖLF ABBILDUNGEN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 51900. | | | HERAUSGEGEBEN voN De. WILHELM HIS, | Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 13. Juli 1900.) Enhsa.lt. Max VERWOoRn, Zur Kenntniss der physiologischen Wirkungen des Strychnins . H. ZWAARDEMAKER, Die Riechkraft von Lösungen differenter Concentration . H. ZWAARDEMAKER, Die Compensation von Geruchsempfindungen H. J. HAMBURGER, Versuche über die Resorption von Fett und Seife im Diekdarn ÜSKAR CARLGREN, Ueber die Einwirkung des constanten galvanischen Stromes auf niedere Organismen. . Zweite Mittheilung: Versuche an verschiedenen Entwickelungsstadien einiger Evertebraten > ADoLF Bickeı, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie der Fläche. AvoLF Bicke, Beiträge zur Rückenmarksphysiologie des Frosches . Hans FRIEDENTHAL, Ueber einen experimentellen Nachweis von Blutsver Sm schaft > Euın Bürgı, Der respiratorische en He Ruhe and Aubeit . Ben 3 H. J. Hamgurser, Lipolytisches Ferment in Ascitesflüssigkeit eines Menschen. Bemerkungen über die Fettresorption und über die angebliche lipolytische Function des Blutes H. J. HAMBURGER, Sind es ausschliösstich Re Cs use ae 2 Fett- resorption besorgen? Verhandlungen der phy siologıschen Gesellechätt. zu Baln 18991900. | W. STERNBERG, Ein Fall von angeborener Brustbeinspalte. — G. ABELS- DORFF, Zur Brfoschune‘ des Helligkeits- und Farbensinnes bei Menschen und Thieren. — R. pu Boıs-ReymoxD, Die Grenzen der Unterstützungsfläche beim Stehen. — Cowr, Ueber das normale Röntgenbild des ruhenden Thoraxinhaltes. Die Herren Mitarbeiter erhaiten vierzig Separat - Abzüge ihrer träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, 554 560 Bei- während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abselınitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & G0MP. in Leipzig. ON ° % LU .. ° ® 7 2) I} . Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie am Carolino-medico-chirurg. Institut in Stockholm, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 %; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12% 80 2. | Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit.der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT, INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Gentralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von DER. Koch; und‘ Dr. GC. Flüzgge, Director des Instituts 0.ö. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bez. in Doppelheften) mit Abbildingen San : Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W. His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 6%, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 4. Bestellungen auf das vollständige- Archiv, wie. auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 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