HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. 1388 R Manch 2 Nevenuder 18 Bet AN NN, UN IN BARON, hi BIN a Wal7, Re Ar N ei N Mann N % RR 7 raraanı A j s } n n t N er f ! FR DH e H / N BUNT: f fi nr "CE Vrhi ERUC, Kun A 26 Haan er w u, PR HR "m AR Aue ke MOV ua SEEN Tray ER Gina RUNTER EION Ma MURROME At: iron u Ama na UN RR 8: m u { Dismann Lune ur Bio yad wonkunoan, ER ARCHIV = ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1901. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1901. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1901. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND SIEBZEHN TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1901. Inhalt. Tu. W. EnGELMmAnn, Graphische Untersuchungen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Nervenerregung. (Hierzu Taf. I.) A Hans FRIEDENTHAL, Ueber reflectorischen Herztod bei Menschen und hieren. (Hierzu Taf.’ TR u SIR) t Ostmann, Zum Bewegungsmechanismus des Trommelteile und Hainmers Avoır Biıcker, Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte A. Loewy und E. Münzer,” Beiträge zur Lehre von der experimentellen Sun vergiftung. I. Mittheilung . J. Dewirz, Orientirung nach nm elerichtuasen J. W. LangELaAn, Ueber Muskeltonus. (Hierzu Taf.‘ Vi u. T) j RuovoLr Panse, Zu Herrn Bernhard Rawitz’ Arbeit: „Das Gehörorgan der japa- nischen Tanzmäuse“ SHinkıc#HI ImamurA, Vorstudien über ie Ertogbarkeitsverhältnisee hershöninent der und motorischer Nerven gegenüber verschiedenen elektrischen Reizen Max Buch, Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus und Vagus mit be- sonderer Berücksichtigung ihrer Schmerzempfindlichkeit im Bereiche der Bauchhöhle Brghe Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Be der Ran der Nahrunaa in Belrach! kommenden Kräfte. II. Theil. Bedürfen Stoffe, um resorbirbar zu werden, der Ueberführung in wasserlösliche Form? . Teoporo MuHm, Beitrag zur Kenntniss der Wirkung des Tea a Nesdlrn: auf das Säugethierherz. (Hierzu Taf. RD). MaAnrRED Biar, Ist die Zuckerbildung in der Leber eine nekon diastatischer Enzyme oder vitaler Thätigkeit der Leberzellen? . R H. J. Bing und V. ELLermasn, Zur Mikrochemie der eeherden 5 Hermann Beyer, Athemreflexe auf Olfactoriusreiz. (Hierzu Taf. IX.) . Max Buch, Ueber die Physiologie der Mitempfindungen im Bereiche des Sym- pathicus 5 JOHANNES FRENTZEL in Max ee eabenngnene en le scher Nutzwerth der Nährstoffe. I. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleisches A. Loswy, Beiträge zum Stoff- und Energieumsatz des Menschen. Nach mit Dr. Franz MüLLer ausgeführten Versuchen . W. Casparı, Ein Beitrag zur Frage der Ernährung bei en erker Eiweikerutuhr A. SamoJtorr und A. Juvın, Zur Methodik der Gasanalyse . FELıx LEWANDowsKY, Zur Kenntniss des Phlorhizindiabetes Pnır. Borrazzı, Ueber die Wirkung des Veratrins und anderer Stoffe A ae quergestreifte, atriale und glatte Musculatur. (Beiträge zur Physiologie des Sarkoplasmas.) (Hierzu Marx XIV.) EpmunD SaALFELD, Ein Beitrag zur Lehre von der Ban al dee Innere vation der Haare. (Hierzu Taf: XV.) Franz MÜLLER, Zur Kritik des Miescher’schen Hömometers Franz Mürter, Ein Beitrag zur Methodik der Bestimmung der a mmtbleimenge 187 197 VI INHALT. Hans Ruse, Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. (Hierzu Pat. XVI u.XVll.). ee ee a We GrurLıo Fano, Bemerkung zu: „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte von Adolf Bickel“ . u ee en eure Do ApouF Bickeu, Zu meiner handle „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte.“ Eine Erwiderung an G. Fano EEE JOHANNES FRENTZEL und NAsuJıRO TORIYAMA, Verbrenner und By logischer Nutzwerth der Nährstoffe. II. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleischextractes . R. pu Bois-Reymonp und J. Klee. Beöhschin en uber die Cobrdinatien der Athembewegungen ; r SIEGFRIED ROSENBERG, Ueber die Bonichungen nalen ale und eier dauung Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1900—1901. Erklärung des Hrn. G. Muskat . Entgegnung des Hrn. H. VırcHow H. FRIEDENTHAL, Ueber die Beziehungen akut Be a le rasitron H. FRIEDENTHAL, Ueber die Giftwirkung der Seifen und der anderen kalkfällen- den Mittel . C. BEnpA, Ueber neue Denn “ Conbalkon ern And is ver wandtschaft der Basalkörper der Cilien mit Centralkörperchen . HERMANN Munk, Rede zur Feier des 25jährigen Bestehens der a ilkshen Gesellschaft zu Berlin WirLHELM Koch, Skizze über die inordunne dee menschlichen Daimer A. Lorwy, Beiträge zur Lehre von der Säurevergiftung . H. Vırcnow, Ueber das Skelet eines wohlgebildeten Fusses H. Arorant, Ueber den Verhornungsprocess R. pu Boss-Reymonp, Bemerkung über die enenache Unermegbarkeit a Nerven gegen die Stromschwankung seines eigenen Muskels B. FRIEDLÄNDER, Ueber Hrn. Alfred Goldsborough Mayer’s Entdeckung eines Atlantischen Palolo und dessen Bedeutung für die Frage nach unbekannten kosmischen Einflüssen auf biologische Vorgänge . E. GrunMAcH, Ein neues Verfahren, um die Wirkung der X-Strahlen Bei der Aktinoskopie und Aktinographie zu erhöhen Franz MÜLLER, Ueber Acetonglykosurie - H. Vırcaow, Ueber die Netzhaut von Hatteria ta A. LoEwYy, Ve zum Studium der Einwirkungen der Mugkelarbeit ud des Hochgebirges auf den menschlichen Organismus Herm. HILDEBRANDT, Ueber eine Beziehung zwischen Enöneler Consitkkion! physiologischer Wirkung, Schicksal im Thierkörper . E. Rost, Ueber den Einfluss des Natronsalpeters auf den Stofwechgel ae Hände: ÄLBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Methode der Eisenbestimmung bei Stoff- wechselversuchen : RER RE oo © R. ou Boıs-Reymonn, Die Thierbrille. (zu Lehre von der subjectiven Projection N. Zuntzz, Ein Respirationsapparat für Wasserthiere J. F£entzen, Der Nährwerth des Fleischextractes . Berichtigung . Seite . 466 495 496 499 513 528 141 142 143 145 147 158 170 174 174 183 184 353 353 354 355 364 533 534 541 543 543 551 552 MAR 27 1901 Physiologische Abtheilung. 1901. I. u. Il. Heft. SR ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, EoRnSe nur DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, . REICHERT vu. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, | UND Dr. TH. W. ENGELMANN, | PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1901. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —— | ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT SIEBZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. LEIPZIG, | VERLAG VON VEIT & COMP. | 1901. | MER RER NN ER ale Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 7. März 1901.) Inhatt. Seite Ti. ,W. ENGELMAnN, Graphische Untersuchungen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Nervenerregung. (Hierzu Taf. L) .... 1 Hans FRIEDENTHAL, Ueber refleetorischen Herztod bei Menschen und Ahreken «Eiierzu2TacIE un 11). 5% aaa! Östmasn, Zum Bewegungsmechanismus ‚des Aeomraehlls und Haıtasıs ee A AporF Bicker, Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte . . . . 7:92 A. Lorwy und E. Müxzer, Beiträge zur Lehre von der experimentellen a vergiftung. I. Mittheilu ıB.-- ee ol J. Dewirz, Orientirung nach Minoeleriöhtanden IS, ee) J. W. LaxgeLaan, Ueber Muskeltonus. (Hierzu Taf. IV. u. Yv) 1 DER NG ..106 Ruporr Panse, Zu Herrn Bernhard Rawitz’ Arbeit: „Das a der japa- nischen Tanzmäuse“ ._. we, 189 "Verhandlungen der Ohseidlogischen, Gesellschaft zu Berlin 1900 1901 SR Erklärung des Hrn. G. Muskat. — Entgegnung des Hrn. H. Virchow. — H. FRIEDENTHAL, Ueber die Beziehungen zwischen Herz und Centralnerven- system. — H. FRIEDENTHAL, Ueber die Giftwirkung der Seifen und der anderen kalkfällenden Mittel. — C. BEnDA, Ueber neue Darstellungsmethoden der Centralkörperchen und die Verwandtschaft der Basalkörper der Cilien mit Centralkörperchen. — HERMANN Munk, Rede zur Feier des, 25jährigen Bestehens der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin. — WırnHerLm Koch, Skizze über die Einordnung des menschlichen Darmes. — A. Loewy, Bei- träge zur Lehre von der Säurevergiftung. — H. VırcHow, Ueber das Skelet eines wohlgebildeten Fusses. — H. ApoLAnt, Ueber den Verhornungs- process. — R. pu Bois-Reymoxp, Bemerkung- über die vermeintliche Un- erregbarkeit des Nerven gegen die Stromschwankung seines eigenen Muskels. Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 # Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Königstrasse 22, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. MAR 27 1901 Graphische Untersuchungen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Nervenerregung. Von Th. W. Engelmann. (Hierzu Taf. I.) Einleitung. Die in diesem Archiv von R. du Bois-Reymond'! veröffentlichte, unter Anwendung der Pouillet’schen Methode ausgeführte Untersuchung „Ueber die Geschwindigkeit des Nervenprineips“ veranlasst mich, Versuche mitzutheilen, welche ich vor Jahren und neuerdings über denselben Gegen- stand mittels des graphischen Verfahrens angestellt, aber bisher nur theilweise, und auch dies mehr beiläufig, als Belege für die Brauchbarkeit des Pantokymographions zu feinsten zeitmessenden Versuchen bekannt ge- geben habe. Die graphische Methode hat, wie schon Helmholtz bei seinen ersten Untersuchungen alsbald hervorhob,? vor der elektromagnetischen Methode ‚der Zeitmessung mehrere erhebliche Vorzüge. Der weitaus wichtigste be- steht darin, dass sie in jedem einzelnen Versuch sofort, durch Betrachtung der Zuckungscurven, zu erkennen gestattet, ob der obersten Bedingung für die Brauchbarkeit des Versuches — Congruenz der zu vergleichenden Zuekungen -— genügt ist. Die Pouillet’sche Methode gewährt hierüber keinen Aufschluss. Der einzelne Versuch an und für sich hat so gut wie ! R. du Bois-Reymond, Ueber die Geschwindigkeit des Nervenprineips. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. 8. 68. ?2 H. Helmholtz, Messungen über den zeitlichen Verlauf der Zuckung anima- lischer Muskeln und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven. Müller’s Archiv. 1850. 8.358. — Derselbe, Messungen über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Reizung in den Nerven. Zweite Reihe. Kbenda. 1852. 8.199. 215. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 1 2 TH. W. ENGELMANN: keinen Werth, jedenfalls bedarf es langer, mühsamer Versuchsreihen, um über den Werth oder Unwerth der einzelnen Beobachtungen ein Urtheil zu gewinnen. Auch die scharfsinnigen Kunstgriffe und kritischen Maass- nahmen, deren sich R. du Bois-Reymond zur Beseitigung der hierin liegenden Schwierigkeit bediente, geben keinen Ersatz für die directe Auf- zeichnung der Zuckungscurven, gewähren jedenfalls keine directe Bürgschaft für die Brauchbarkeit der einzelnen Beobachtung. Jeder, der sich mit graphischen Messungen der Leitungsgeschwindigkeit in motorischen Nerven beschäftigt hat, weiss, wie wenig man, auch bei sorgfältigster Vermeidung aller bekannten Fehlerquellen, darauf rechnen kann, von mehreren verschiedenen Stellen des Nerven aus absolut gleiche, maximale Zuekungen und namentlich längere Reihen solcher zu erhalten. Schon Unterschiede der Zuckungshöhe von kaum einem oder wenigen Pro- centen können aber Unterschiede der Latenz bedingen, welche die von der Differenz der Nervenleitung herrührenden Beträge um ein Mehrfaches übertreffen.’ Helmholtz sah sich deshalb veranlasst, bei seinen nach Pouillet’s Methode ausgeführten Untersuchungen jedes Mal auch die Höhe der Zuckungen zu messen.” Er liess den Muskel auf ein mit Reibung bewegliches leichtes Hebelchen wirken. Bei der Zuckung stieg das Ende des Hebelchens und blieb in der Stellung der grössten Erhebung stehen. Die Grösse der Erhebung ward durch einen Gehülfen mittels eines Mikro- skopes bis auf 0-05 "m genau gemessen. Offenbar würde sich der Zweck bequemer und vollkommener durch gleichzeitiges Registriren der Zuckungen, also durch Combination der gra- phischen mit der elektromagnetischen Methode, erreichen lassen. Technische Schwierigkeiten wären hier nicht zu überwinden, verhältnissmässig einfache Registrirvorrichtungen würden genügen. Wenn nun aber doch das gra- phische Verfahren in Anwendung kommen soll, so fragt es sich, ob dies Verfahren allein nicht schon für die anzustellenden Zeitmessungen aus- reiche, die galvanometrischen Beobachtungen also überhaupt entbehrt werden können. Die Anforderungen, welche hierbei an die Präcision der mechanischen Vorrichtungen gestellt werden müssen, sind freilich ausserordentlich hohe und mit den gewöhnlichen Utensilien eines Laboratoriums nicht wohl zu befriedigen, weshalb denn auch R. du Bois-Reymond sich veranlasst sah, zum Pouillet’schen Verfahren zu greifen. Da es zudem für die elektromagnetische Methode anscheinend keine Grenze der Empfindlichkeit giebt, während dem graphischen Verfahren nach E. du Bois-Reymond’s ‘ Vgl. Helmholtz, a.a. 0. 1852. 8.212flge. Taf. VII, Figg. 4—7. ? A.a.0. 1850. S. 331 fig. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 3 Darlegungen! bald eine solche gesetzt scheint, könnte die Bejahung dieser Frage zweifelhaft erscheinen. Inzwischen hat schon Helmholtz’ erstes Myographion bewiesen, dass den gestellten Forderungen technischerseits zu genügen sei, und das Gleiche darf man von manchen der später, zum Theil nach anderen ‘Principien construirten Myographien behaupten. Eine Vergleichung der Leistungs- fähigkeit dieser Apparate liegt nicht in meiner Absicht, um so weniger, als E. du Bois-Reymond die principiellen Vorzüge und Nachtheile der verschiedenen Typen bei der Beschreibung seines Federmyographions bereits klar in’s Licht gestellt hat.! Ich habe versucht, in der Construction des Pantokymographions die Vortheile der verschiedenen Vorrichtungen zu ver- binden, und konnte bereits früher? eine Reihe von Belegen für die Brauch- barkeit dieses Instrumentes zu feinsten Zeitmessungen geben. Da die folgenden Untersuchungen ausschliesslich mit dem Pantokymographen an- gestellt worden sind, sei es gestattet, über Verwendung und Leistungs- fähigkeit desselben für den vorliegenden Zweck zunächst einige Bemerkungen und weitere Belege vorauszuschicken. I. Leistungsfähickeit des Pantokymographions für feinste Zeitmessungen. Wie bei allen myographischen Vorrichtungen hängt die Grenze der Leistungsfähigkeit unseres Apparates zunächst von der Geschwindigkeit ab, welche der Schreibfläche ertheilt werden kann. Diese lässt sich bei Ver- wendung des Federmechanismus zur Erzeugung einmaliger schneller Um- drehungen des Registrireylinders bis auf etwa 2” steigern und ist während der entscheidenden Zeit der Beobachtung — in unserem Falle der sehr kurze Zeitraum zwischen Moment der Reizung und Ende des Stadiums der steigenden Energie — als constant zu betrachten, falls man den Moment der Reizung nicht zu nahe an den Anfang oder das Ende der Umdrehung verlegt. Zudem ist die Geschwindigkeit der Schreibfläche durch gleich- zeitiges Registriren einer Stimmgabel von 100 oder mehr Schwingungen immer an jedem Punkte genau zu messen. Um die grösste Geschwindiekeit voll ausnützen zu können, muss die Dicke der zu zeichnenden Curven so gering wie möglich und dabei inner- halb der für die Messung in Betracht kommenden Strecke genügend con- stant sein. Bei Verwendung feinster Stahl- oder Aluminiumspitzen zum ! E. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1875. Bd.I. 8. 271 fig. ” Das Pantokymographion. Pflüger’s Archiw. 1895. Bd. LX. S.28. Taf. Il. S. a. Versl. d. K. Akad. v. wet. Afd. Natuurk. 24. Nov. 1894. S. 130. 1h* 4 TH. W. ENGELMANKN: Schreiben und äusserst glatten, ganz schwach, nur hellbraun berussten Glanzpapiers konnte ich brauchbare Curven von weniger als 0.005 mm Dicke erhalten, die dann begreiflicher Weise zur Auswerthung durchaus des Mikroskopes bedürfen. Die Genauigkeit wiederum, mit der sich der horizontale Abstand der Curven, auf den es allein bei der Zeitmessung ankommt, messen lässt, wächst wie der scheinbare, d.i. der orthogonale Abstand der einander zu- sekehrten Ränder der Curvenstriche mit der Steilheit des Anstieges der Curve.! Diese ihrerseits wächst mit der Geschwindigkeit, mit welcher sich die Schreibspitze in verticaler Richtung von der Abscisse entfernt. Diese Ge- schwindigkeit lässt sich schon durch Verwendung genügend langer Schreib- hebel und durch Annäherung des Angrifispunktes der bewegenden Kraft an die Drehungsaxe des Hebels ohne Gefahr weit über die bisher: übliche, unter Anderem bei dem Helmholtz’schen Apparat und bei E. du Bois- Reymond’s Federkymographion eingehaltene Grösse steigern. Ich benutze . Aluminiumhebel, deren schreibender Arm 15 bis 25°” lang ist, während am anderen Arm der Muskel in 0-5, 1, 1.5, 2 oder 2.5°“® Abstand von der Axe angreift. Ein mässig kräftiger, frischer Gastrocnemius zeichnet dann, bei einer Spannung von etwa 15 "m und maximaler Reizung, Curven, die bei einer Geschwindigkeit der Schreibfläche von 1-5" und horizontaler Ruhelage des Hebels im ansteigenden Theil eine mittlere Neigung gegen die Abscisse von 30° und mehr, eine maximale von über 50° besitzen können. Dies genügt für weitaus die meisten Fälle. Man kann aber durch Anwendung eines, soviel ich weiss, bisher nicht benutzten Kunstgriffes die Steilheit des Anstiegs viel weiter, bis zu 90° treiben, ohne doch den Curven eine zu grosse Höhe zu geben. Dieser Kunstgriff besteht darin, dass man die Längsaxe des Schreib- hebels in der Ruhelage nicht horizontal, sondern nach abwärts, und zwar nach derjenigen Seite hin geneigt, tangential an den Cylinder anlegt, nach welcher die Bewegung der Schreibfläche erfolgt. Die zeichnende Spitze bewegt sich dann während ihrer Erhebung, so lange sie nicht die der Abscisse parallele, horizontale Lage überschreitet, nach derselben Seite hin wie die Schreibfläche. Es ist klar, dass, falls die zur Abscisse parallele Com- ponente ihrer Geschwindigkeit in jedem Augenblicke gleich der der Schreib- fläche wäre, sie statt einer Curve eine senkrechte Ordinate zeichnen würde. Für den Fall, dass die Bewegung der Schreibspitze mit constanter (Geschwindigkeit statthat, ist es leicht, zu berechnen, welche Neigung nach abwärts dem Schreibhebel in der Anfangslage gegeben werden muss, damit er beim Aufsteigen eine zur Abscisse senkrechte Gerade verzeichne. ! E. du Bois-Reymond, Ges. Abhandlungen. 1875. Bd.I. 8. 277 fig. - FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 5 Nennen wir diese Neigung, also den Winkel, den der Hebel im Anfang der aufsteigenden Bewegung mit der Abscisse einschliesst, &, den ent- sprechenden Winkel für die Stellung am Ende des Aufstiegs @’, / die Länge des Weges, welchen die Schreibfläche während der Zeit 2 des Aufstiegs zurücklegt, Z, die Länge des von der Schreibspitze senkrecht, /, die des parallel zur Absceisse von ihr zurückgelegten Weges und Z die Länge des schreibenden Hebelarmes, so braucht dann nur /=/,=/, gemacht zu werden, um die einfache Beziehung zu erhalten != H (eos @' — sin @'). Da cos «@ — sin « = V2.sin (45 — «'), ist 1 V2:H woraus sich, da «= 9% —«, der für die Anfangsstellung zu wählende Winkel «& ergiebt. Sei beispielsweise / = 150", t= 0.05” (etwa die Dauer des Stadiums der steigenden Energie eines frischen Froschgastrocnemius bei 15 bis 20° C.), /,=50"", dann würde bei einer Geschwindigkeit der Schreibfläche von 19% 7=50"m in 0-05”) der Bedingung ,=/,=/! genügt sein, wenn «& = 58° 38° gewählt würde. Denn es ist: le 50 = 1-69897 le V2 + lg 150 = 2-32660 0.372357 — 1=1gsin (45 — «') = Igsin 13° 38°. Demnach « = 31° 22’ und & = 90 — « = 58° 38’. Wenn die aufsteigende Bewegung der Schreibspitze nicht mit con- stanter Geschwindigkeit, sondern wie bei der Muskelzuckung Anfangs schneller, später langsamer erfolgt, so wird die obenstehende Berechnung doch praktisch brauchbar bleiben, da es für die Messung des Horizontal- abstandes congruenter Curven ja nicht nöthig ist, dass die aufsteigenden Curventheile in ihrer ganzen Länge verticale Richtung haben. Es wird genügen, wenn dies wenigstens in einer nicht zu kleinen Strecke der Fall ist. Das Pantokymographion in Verbindung mit dem Polyrheotom gewährt verschiedene bequeme Mittel, um dies zu erreichen. Die Geschwindigkeit der Schreibflläche kann durch Aenderung der Anfangsspannung der treiben- den Feder innerhalb weiter Grenzen variirt werden und wächst zudem während jeder Umdrehung von Null bis zu einem maximalen Werth, von dem sie gegen das Ende der Umdrehung allmählich wieder auf Null ab- sinkt. Durch Versetzen der Contactfedern längs der Peripherie der Rheotom- scheibe, eventuell mit Hülfe seitlicher Verschiebung der Contactbank, kann = sin (45 — «)), 6 Ta. W. ENGELMANN: sehr rasch die Stelle des Cylinderumfanges ermittelt werden, für welche !=1,=/, wird, also Anfangs- und Endpunkt des ansteigenden Theiles der Zuckungscurve vertical über einander oder doch der grössere Theil des aufsteigenden Zweiges der Curve vertical zu stehen kommt. Nachstehende Figg. 1 und 2 illustriren derartige Versuche. Fig. 1. Unter Umständen, namentlich bei Messung einfacher Latenzzeiten, empfiehlt es sich, noch weiter zu gehen, indem man Z,, durch Annäherung des Angriffspunktes des Muskels an die Drehungsaxe des Hebels, eventuell durch geringere Belastung, grösser als 7 macht und auch den Winkel « steigert! Es biegt dann die Zuckungscurve entsprechend steiler von der Fig. 2. Abscisse nach aufwärts ab, wodurch eine schärfere Bestimmung dieses Wendepunktes ermöglicht wir. Wo es sich, wie bei Messungen der Leitungsgeschwindigkeit, um Unterschiede der Latenzzeiten congruenter Zuckungen handelt, braucht man nicht so weit zu gehen, da der seitliche Abstand solcher Curven sich besser als an den Punkten der Ablösung von der Abscisse, und wenn sie, wie üblich, alle von der gleichen Abseisse ausgehen, sogar ausschliesslich oberhalb der Abseisse messen lässt. Die Genauigkeit der Messungen hängt endlich sehr wesentlich von der constanten Lage der beiden Nullpunkte ab, d.h. des Punktes des Cylinder- ! Auch Erwärmung des Muskels könnte in Betracht kommen. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 7 umfanges, bei welchem die Reizung erfolgt, und des Punktes, an welchem sich im Moment der Reizung die schreibende Spitze befindet. Die Constanz der ersteren wird beim Pantokymographion in der Weise erreicht, dass der Registrircylinder und das Polyrheotom unverrückbar auf der gleichen Axe befestigt sind und Schliessung, bezw. Oefinung des erregenden Stromes mittels Kupferfedercontactes (nicht durch Quecksilber- oder Bürstencontact) bei feststehender Contactbank erzeugt wird. Durch einen zweiten gleichen Contact kann in früher beschriebener Weise!, wenn erforderlich, entweder der Schliessungs- oder der Oefinungsreiz abgeblendet werden. Man kann auch, in ähnlicher Weise wie u. A. bei Helmholtz’ Instrument und bei E. du Bois-Reymond’s Federkymographion, ein den Strom schliessendes, bezw. öffnendes metallisches Hebelchen durch einen in das Rheotom ein- gesetzten Stift wegschleudern lassen. Bei Reizung mit Inductionsströmen ist durch Einschaltung hinreichender Widerstände in den primären Strom- kreis die Entstehung von Funken an den Contacten möglichst zu be- schränken. Um der Schreibspitze in allen zu einer Reihe gehörigen Versuchen die absolut gleiche Anfangslage zu verbürgen, ist der Schreibhebel fest, auf seiner Axe unverrückbar befestigt, und die Lage dieser Axe in Bezug auf den Schreibeylinder durch Fixirung des Hebelstativs und sorgfältige, jedes Schlottern verhütende Einstellung der Axenlager gesichert. Je grösser der Abstand der beiden Axenlager, also je länger die Axe, um so besser. Mit welcher Präcision unsere Vorrichtung bei Beachtung der im Vor- stehenden aufgezählten Bedingungen arbeitet, hatte sich bereits bei der ersten experimentellen Prüfung des Pantokymographs ergeben. Noch Zeit- unterschiede von 0-01 (000001 Sec.) konnten der graphischen Messung zugänglich gemacht werden. Die Prüfung war zunächst mit einem elektromagnetischen Signal vor- genommen worden, in der Art, dass dasselbe durch kurze Schliessung, bezw. Oeffnung eines constanten Stromes in Bewegung versetzt und dieser Vorgang auf der gleichen Abscisse, bei unverändertem Stand des Contactes und der Schreibspitze wiederholt wurde. Die zum Theil sehr complieirten Curven deekten sich so vollkommen, dass auch bei sehr raschem Gang des Cylinders und beliebig häufiger Wiederholung der Superposition nur einige Verdickung, aber nicht eine Trennung der einzelnen Linien erfolgte. Beispielsweise ergaben sich in vier, mit verschieden scharfer Schreib- spitze angestellten Versuchen für den horizontalen Durchmesser der Linien, 2 bis 3=m über der Abscisse bei 60facher Vergrösserung mit dem Oecular- mikrometer gemessen, folgende Werthe in Millimetern: 1 Pflüger’s Archiv. Bd. LX. 8.28 und 1892. Bd. LIl. S. 603. 8 Ta. W. ENGELMANN: Versuch 1. I. IIl. IV. bei 1lmaliger Zeichnung 0.011 0.013 0'014 0.058 SNSDEAL.N 5 0.018 0.033 0.036 0.084 ea), hs 0:045 0.0386 0.038 0100 RABEN N 0:072 0.045 0.103 0.117 Ad, ” 0.099 0.058 — — ” sl „ ” 0126 Erz Rage: Fa Die Geschwindigkeit der Schreibfläche betrug an der Stelle der Messung in allen vier Versuchen 1600””. Hieraus ergaben sich, unter Berück- sichtigung des Neigungswinkels der Curven, für die kleinsten Zeitdifferenzen, deren Ueberschreitung sich in Trennung der Linien hätte aussprechen müssen, die folgenden Werthe in Hunderttausendsteln einer Secunde: Versuch I. II. II. IV. bei 1imaliger Wiederholung 1-1 1,98) 1-4 6-0 OLE „ 1-9 35 3-8 8-7 OR „ 4-7 3-9 3-8 10.4 20,5 » 7-5 4.9 10.7 12-1 3 407), ” 10-1 6.2 — En „ so ” ” 13-0 BE 5% 3 Dass bei dieser Präcision selbst ziemlich grobe Schreibspitzen auf stark berusstem Papier noch zum Nachweis von äusserst kleinen Zeitdifferenzen dienen können, bestätigte noch folgender, in nachstehender Fig. 3 abge- bildete Versuch, in welchem mittels eines Pfeil’schen Signals bei 1250 "= Geschwindigkeit der Schreibfläche eine kurzdauernde Stromschliessung mittels Kupferfedercontactes an derselben Stelle derselben Abscissen nach einander je 1, 5, 10, 20, 40, 80, 40, 20, 10, 5 und 1 Mal registrirt wurde. Hier .betrugen die horizontalen Durchmesser der Linien, im aufsteigenden Theile 2"m über der Abseisse bei 60maliger Vergrösserung mittels Ocular- mikrometer gemessen, für a bei 1maligem Schreiben 0.117 mm b ” 5 „ „ 0.133 „ LO, MD) 0:122 „ da 1 20 , Wlan e „40! 5 „ 0.167 „ llbbeilson?, N 0167 \, e 40, 0-150 „ BON, N 0.150 „, u. Kr 0.125 h „ B) ” „ 0.133 „ A DT x 0.1705, FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 9 Hier ist also selbst bei 80Ofacher Superposition die Liniendicke nicht grösser als gelegentlich (2) bei einfacher Zeichnung, bei 10facher Super- position (c und 2) selbst kleiner als bei Öfacher (5 und k). Auch wenn wir für die Imalige Zeichnung den niedrigsten der gefundenen Werthe (0.117 "m in a) zu Grunde legen, beträgt bei 80facher Wiederholung die OT 0.117) Pr 0.025 m, grösste Abweichung vom Mittel nicht mehr als + 5) entsprechend etwa !/,oooo Det. Selbst im ungünstigsten Falle (0. 170mm Durchmesser der ein- mal gezeichneten Linie) würden aber noch Zeitdifferenzen von weniger als Y/,,.. Decunde sich durch Auseinanderfallen der Cur- ven bemerkbar haben machen müssen. Die vorstehenden Resul- tate mussten unsere Versuchs- einrichtungen für die graphische Ermittelung der die Leitungs- vorgänge im Nerven betrefien- den Zeiten sehr geeignet er- scheinen lassen. Sie bewährten sich denn auch alsbald für diesen Zweck. Schon bei der Beschreibung des Pantokymo- graphions sind einige hierauf bezügliche Versuchsreihen ab- gebildete und kurz erläutert worden. So zeigt Fig. 7 auf Taf. II a. a. O.! zwei anschei- nend einfache, congruente Zuckungseurven des Frosch- gastrocnemius, die um etwa 2 mm”(im Original etwa 4.5 m) SR seitlich von einander btehen.. [4° Be Die eine, linke, wurde erhalten durch 10 Mal wiederholte Reizung des Ischiadicus am Knie, die andere ebenso von einer 50mm höher oben gelegenen Stelle des Nerven aus. Die Dicke der Curven, 5m über der Abscisse am Original mit dem Mikroskop ! Pflüger’s Archw. 1895. Bd. LX. 10 Ta. W. ENGELMANN: gemessen, beträgt 0.254 bezw. 0.228 "m; sie ergab sich bei einmaliger Zeichnung zu 0-176®=, Da die Geschwindigkeit der Schreibfläche an der Stelle der Messung zu 720” gefunden wurde, entsprachen die grössten Abweichungen in den beiden Versuchsreihen von je 10 Reizungen nur Zeit- differenzen von bezw. 0-048 und 0-035 o. Zu ähnlichen Ergebnissen führt die Ausmessung der a. a. O0. in Fig. 8 abgebildeten 40 Curvenpaare, die in Pausen von etwa !/, Minute hinter einander durch Reizung des Ischiadicus in 5 und in 55" Entfernung vom Gastrocnemius mittels eines Oeflnungsinductionsstromes, erhalten wurden. Es ergab sich die mittlere Dicke der einzelnen Öurven, 5== über der Abseisse im aufsteigenden Theil gemessen, zu 0.16"m (Max. 0-28, Min. 0-13), der seitliche Abstand je zweier zusammengehöriger Curven, von der Mitte der Linienbreite an gerechnet, durchschnittlich zu 1.523 mm (Max. 1-78, Min. 1-32). Die mittlere Abweichung vom Durchschnittswerth der Distanz beträgt + 0-067 ==. Nach der Methode der kleinsten Quadrate berechnet, erhält man für den wahrscheinlichen Fehler des Mittelwerthes aller 40 Versuche 0.0335", entsprechend 0.0460 oder 2.2 Procent des Mittels, für den wahrscheinlichen Fehler der einzelnen Bestimmung 0- 107", entsprechend 0-15 oder rund 7 Procent des Mittelwerthes. Da es sich hier nicht um eine Zusammenstellung ausgewählter Versuche handelt, son- dern um eine ununterbrochene, im Laufe von 40 Minuten am gleichen Präparate angestellte Reihe von 80 Einzelversuchen, darf das Ergebniss, - verglichen mit allen früher bekannt gegebenen Messungen der Nervenleitung, als ein überaus günstiges bezeichnet werden. 1. Ueber die Geschwindigkeit der Erregungsleitung in den marklosen Nervenfibrillen der Froschhornhaut. (Nach Versuchen von W. A. Boekelman.) Durch die mitgetheilten Ergebnisse der Prüfung unserer Methode er- muthigt, veranlasste ich Hrn. W. A. Boekelman in Utrecht, die Frage nach der Geschwindigkeit der Reizleitung in peripherischen marklosen Fasern mit Rücksicht auf das Problem des neurogenen oder myogenen Charakters der Peristaltik in Angriff zu nehmen. Da diese Untersuchung nur in holländischer Sprache veröffentlicht worden und darum so gut wie unbe- kannt geblieben ist, sei es gestattet, hier kurz auf ihren Inhalt einzugehen. Die neurogene Theorie der Peristaltik war genöthigt, zur Erklärung der viele hunderte, ja tausende Male hinter der der motorischen Fasern der grossen Nervenstämme zurückbleibenden Fortpflanzungsgeschwindigkeit der motorischen Erregung in ganglienfreien Muskelpartien, wie z. B. der „Herzspitze‘“, anzunehmen, dass die hier angeblich die motorische Erregung FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 11 fortpflanzenden Nerven hunderte bis tausende Male langsamer leiteten, als die gewöhnlichen motorischen Fasern. Der auffälligste morphologische Unter- schied zwischen beiden Arten nervöser Elemente liegt darin, dass jene fast ausschliesslich aus äusserst dünnen marklosen Fibrillen, diese aus relativ dicken, von mächtiger Markscheide und bindegewebigen Hüllen umgebenen Axencylindern bestehen. Es war die Möglichkeit nicht zu leugnen, dass dem morphologischen ein physiologischer Unterschied der verlangten Art entspräche. Obschon die Wahrscheinlichkeit äusserst gering war, dass der Unterschied quantitativ so enorm sein sollte, wie die Theorie vom neuro- genen Ursprung der Peristaltik ihn fordern musste, war doch eine experi. mentelle Entscheidung erwünscht. Am Herzen selbst oder anderen peri- staltisch beweglichen Organen liess sich diese Entscheidung leider nicht treffen, da von dort aus für den vorliegenden Zweck genügend präcise Reflexbewegungen nicht hervorgerufen werden konnten. Das einzige allen- falls geeignete Object schien in der Cornea gegeben. In ihren vordersten Schichten verbreiten sich — mit Ausnahme der äussersten Randzone — nur blasse, markfreie Fibrillen allerfeinster Art, deren momentane Reizung beim Frosch leicht registrirbare, rapid verlaufende Reflexbewegungen des Augapfels auslöst. Diese Bewegungen sind, sobald der Reiz eine gewisse Stärke erreicht, von gleicher maximaler Grösse, von identischer Form und dann von gleicher Latenzdauer. Bei scharf localisirter Reizung, einmal im Centrum, dann an der Peripherie der Hornhaut, mussten sich, auch wenn die Leitungsfähigkeit nur etwa um das Zehnfache geringer als bei- spielsweise im Ischiadicus war, trotz der geringen Differenzen der Weglänge (3 bis 4=m) merkliche Unterschiede der Latenzzeiten ergeben. Die in sehr grosser Zahl, mit allen Cautelen, namentlich für eng loca- lisirte Erregung, unter Benutzung elektrischer und mechanischer Momentan- reize angestellten Versuche ergaben keine merklichen Unterschiede für die Reactionszeiten in beiden Fällen. Bei mechanischer Reizung — durch den elektromagnetisch mittels des Polyrheotoms ausgelösten Stoss einer kleinen Elfenbeinspitze gegen die Hornhaut — ergab sich bei Erregung des Centrums der Cornea die Latenz im Mittel aus 362 Versuchen . . . . en Molliials Dias der Peripherie der Cornea die im Mittel aus SdtowmVersuchen. mn... nn. 2.0.0204 ” Die mittlere Curvenhöhe der nach dem Suspensionsverfahren bei etwa zehnfacher Hebelvergrösserung aufgezeichneten Reflexzuckungen maass im ersteren Falle 4-501 "=, im letzteren 4°366"®, Die kleine Differenz der Hubhöhen erklärt es, dass die Latenz bei Reizung des Hornhautumfanges 12 Ta. W. ENGELMANN: sogar ein klein wenig grösser erscheint, als bei Reizung der Hornhaut- mitte. Bei elektrischer Erregung durch einen einzelnen Inductionsschlag betrug die Latenz für Hornhauteentrum im Mittel aus 137 Versuchen = 0-04653 Sec. Hornhautrand n : >. 153 s, 0-04795 „ I Die bezüglichen mittleren Hubhöhen waren 7-81 und 7.54"m, Auch hier kommt der geringe Unterschied der Reactionszeiten wohl wesentlich auf Rechnung der Unterschiede der Hubhöhen, wie ja auch die beträcht- liche Differenz der Latenzzeiten bei mechanischer und elektrischer Erregung zu Gunsten der letzteren aus dem bedeutenden, über 40 Proc. betragenden Unterschiede der mittleren Zuckungshöhen in beiden Fällen sich erklärt. Da die Geschwindigkeit der Schreibfläche 560 bis 685 "m betrug und mit feiner Spitze registrirt wurde, waren Zeitunterschiede von weniger als 0-001 Sec. bequem messbar. Den mittleren Abstand der beiden Reizstellen zu rund 3wm angenommen, würde sich für die Hornhautmitte also eine sehr merklich längere Reactionszeit haben ergeben müssen, selbst wenn die blassen Fibrillen noch mit 3" Geschwindigkeit den Reiz geleitet hätten. Da dies nicht der Fall war, besteht vorläufig physiologischerseits kein Grund, diese Geschwindigkeit für wesentlich geringer, als die in den mark- haltigen Fasern des Ischiadieus zu halten, und ganz sicher ist sie so gross, dass sie keinenfalls für die Theorie der neurogenen Leitung der peristal- tischen Erregung des Herzens oder glatter Muskelhäute als Stütze dienen kann. Es bleibt aber immerhin möglich, wenn auch nicht sehr wahrschein- lich, dass die glatten Fibrillen in den Eingeweiden specifisch langsamer leiten. III. Versuche, die Leitungsgeschwindigkeit im Ischiadicus des Frosches mittels mechanischer Reizung zu messen. Wie bei der Hornhaut habe ich, um den bekannten, der scharfen Localisirung der elektrischen Reize entgegenstehenden Schwierigkeiten zu entgehen, auch am gewöhnlichen Nervmuskelpräparat die Leitungsgeschwin- digkeit mittels mechanischer Reizung des Nerven zu ermitteln gesucht. Ich bediente mich dabei eines kleinen elektromagnetischen Doppelhammers, dessen zwei, etwa 6" Jange und 0-5" breite, an je einer mit Anker versehenen Stahlfeder befestigte Elfenbeinschneiden in gleicher, sehr geringer Höhe über und senkrecht zur Längsaxe des, auf einer Ebonitplatte gerade ausgestreckten Hüftnerven eingestellt und jede für sich, durch kurzen Strom- schluss zu einem blitzschnellen Schlag gegen den Nerven veranlasst werden FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. konnten. Schnelligkeit und Weglänge der Hämmerchen waren innerhalb solcher Grenzen zu variiren, dass dem Nerven- reiz alle Werthe zwischen Null und dem Maximum gegeben werden konnten. Der gegenseitige Abstand der beiden Schneiden und damit der beiden Reiz- stellen betrug 37-.5""®. Zur Vermeidung des Austrocknens des Nerven war der Nerv in seiner ganzen Länge mit einer äusserst dünnen ebenen Gummimembran bedeckt. Ich prüfte zunächst, ob es mög- lich sei, mit diesem Instrument längere Reihen gleichgrosser Zuckungen von derselben Reizstelle aus zu erhalten. Dass dies in der That möglich ist, zeigt zunächst Fig. 4 für Maximal- zuckungen. Hier folgten sich, in Inter- vallen von je 4 Secunden, maximale Reize. Etwa die ersten SO Zuckungen sind von gleicher Höhe, dann erfolgt eine allmähliche gleichmässige Abnahme, die aber nicht so sehr auf einer Schä- digung des Nerven, als hauptsächlich auf einer allmählichen Abnahme der Leistungsfähigkeit des Muskels beruht. Sie wird unter übrigens gleichen Be- dingungen auch bei elektrischer Rei- zung des Nerven und des nervenhaltigen oder durch Curare dem Nerveneinfluss entzogenen, der Circulation beraubten Muskels beobachtet. Fig. 5 zeigt, dass sich auch längere Reihen inframaximaler Zuckungen von nahezu constanter Grösse erhalten lassen. Die erste, 44 Zuckungen um- fassende Reihe ist durch schwächeren, die zweite durch maximalen mechani- schen Reiz hervorgerufen. Obschon die Constanz der Zuckungshöhen und — wie Fig. 4. al (MMO 13 14 Ta. W. ENGELMANN: Versuche mit schnell rotirender Trommel lehrten — auch die des Verlaufs nicht so vollkommen waren, wie sie sich bei elektrischer Reizung erreichen lassen, war sie doch gross genug, um Bestimmungen der Leitungsgeschwin- digkeit zu ermöglichen, da auch die Zeit zwischen Schliessung des Stromes im Elektromaeneten (durch Kupferfedercontact) und Moment der localen Erregung des Nerven durch den Schlag des Hämmerchens, wie Registrir- versuche lehrten, für beide Reizstellen als merklich gleich betrachtet werden durfte. Als Beispiel diene folgender Versuch. 19. October 1894. Grosse Rana esculenta. Rückenmark zerstört. Nerv- muskelpräparat in üblicher Weise angefertigt. Der Gastroenemius schreibt, bei nahezu isotonischer Anordnung, bei einer Anfangsspannung von etwa 15%, seine Zuckungen 8 Mal vergrössert auf. Geschwindigkeit der Schreib- fläche im Moment der Reizung 750”. Abstand der Reizstellen vom Muskel 12-5 bezw. 50"%, Es werden zunächst vier Reihen von je fünf Reizungen abwechselnd an der oberen und der unteren Stelle ausgeführt. Zwischen je zwei zusammengehörigen Reizen eine Pause von 10 Secunden. Nach jeder Reizung wird der Cylinder um 0-.5°% gesenkt. Temperatur 11° C. Die Ausmessung ergab im Mittel aus 20 Versuchen für die Zuckungshöhen bei Reizung oben 15-70"® (Min. 15-0, Max. 16-9) s; 5 „.. unten 16-05 „: (,„, 19-1002 1665) Dauer der Latenz „, „zsoben 29=37 (2, 120.00 00229205) „ ” „ ” „ unten 28.03 ” ( ” 27.5, ” 29.0) Aus der mittleren Differenz der Latenzzeiten (1.07 m) berechnet sich die mittlere Leitungsgeschwindigkeit zwischen den beiden Reizstellen im Nerven zu 27-4", In einer ähnlichen, etwa !/, Stunde später am selben Präparat an- gestellten Reihe von 20 Doppelversuchen betrug die Zuckungshöhe bei Reizung oben im Mittel Be A (Min. 14-6, Max. 19:0) „ ” ” unten „ ” N ” 12. 6, ” 19.0) Latenzzeit Y „Ss Robenge, I ln ‚24.02 7,,83050) 2) „ „ unten „ ” 28-0 „ ( „ 26.0, 2) 31:0) Aus der Differenz der mittleren Latenzzeiten (1-1) berechnet sich die Leitungsgeschwindigkeit auf rund 26”. Der wahrscheinliche Fehler des Mittels ergab sich zu + 2-6", d.i. 10 Procent. In anderen Versuchen waren die Unterschiede der Zuckungshöhen und dementsprechend der mittlere Fehler noch grösser. In keinem Falle schien die mechanische Reizung zur Entscheidung subtilerer, die Nervenleitung betreffenden Fragen, hinreichend zuverlässig, es sei denn, dass man, wie bei dem Pouillet’schen Verfahren, durch Häufung der Versuchszahl die den einzelnen Versuchen anhaftenden Fehler zu eliminiren versuchen wollte. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 15 Ich wendete mich deshalb wieder der elektrischen Erregung zu, welche mit srösserer Sicherheit congruente Zuckungen in genügender Zahl vom Nerven aus zu erhalten erlaubt. Von den zahlreichen, die Nervenleitung betreffenden Fragen, welche der Beantwortung durch unsere Vorrichtungen zugänglich schienen, sollte zunächst die nach etwaigen Unterschieden des Reizleitungs- vermögens im Verlauf des Nervenstammes, bezw. nach Aenderungen der mittleren Leitungsgeschwindigkeit mit der Länge der durchlaufenen Strecke in Angriff genommen werden. Der Ischiadicus des Frosches war auch hier das angewiesene Object. IV. Graphische Messungen der Reizleitung in verschiedenen Strecken des Hüftnerven. In einer grösseren Zahl von Versuchsreihen, in denen bloss für zwei, 40 bis 50m weit aus einander liegende Reizstellen die Latenzzeiten ge- messen wurden, hatte sich herausgestellt, dass unter sehr günstigen Um- ständen die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Ischiadicus schon mittels eines einzigen Versuchs sich bis auf Bruchtheile eines Meters genau graphisch bestimmen lässt. Bei Reihen von nur 10 Beobachtungen konnte der wahrscheinliche Fehler des Mittels bis auf weniger als 0-05" herabgehen. Es betrug derselbe in 95 Versuchsreihen (zu je 10 Doppel- messungen), in welchen er nach der Methode der kleinsten Quadrate be- rechnet ward, 0-01 bis 0-1” in 17 Reihen Vale O2 lo. 0.2 ” 0.3, „ 14 ” 0.3 „ UA, „ 14 „ 0.4 „ 0-5, „ 13 ’ 0-5 „ 0-6, „ 10 „ 0.6 „ 0-7, „ 4 ” 0.7 ”„ 0.8, ” 2 „ 0.8 „ 0.9, „ 2 2) 0.9 „ 1:0, „ 2 „ 1.0 1-9, „ a „ Im Durchschnitt aus allen 95 Reihen war der wahrscheinliche Fehler 0.31% (Min. 0:01=, Max. 19%). Dies entsprach 1-4 Procent des Mittel- werthes der Leitungsgeschwindigkeit, welcher 22.5” betrug.! Hiernach ! Dieser Werth ist etwas kleiner als der gewöhnlich seit Helmholtz angegebene. Der Grund liegt, wie ich glaube, mehr in der Art und Beschaffenheit der Frösche, als in äusseren Umständen, wie etwa der Temperatur, die durchschnittlich zwischen 12 und 14° C. maass. Es kamen auffällige individuelle Unterschiede vor. Die Ver- suche sind mit zwei Ausnahmen im November und December 1894 angestellt worden. 16 To. W. ENGELMANN: durfte mit Sicherheit erwartet werden, dass auch für sehr viel kürzere Nervenstrecken sich noch Unterschiede der Latenzzeiten graphisch zu er- kennen geben würden, derart, dass es gelingen müsste, bei Reizung des Ischiadicus an beispielsweise vier bis fünf, um je 10 bis 12 == von einander entfernten Stellen die Leitungsgeschwindiekeit innerhalb dieser einzelnen kurzen Strecken zu messen. Ganz besonders strenge Anforderungen mussten hierbei an die Locali- sation der Erregung gestellt werden. Das Ideal würde erreicht sein, wenn es gelänge, die directe Erregung in jeder Strecke auf einen einzigen, un- endlich dünnen Querschnitt des Nerven zu beschränken. Dies lässt sich jedoch schon deshalb nicht verwirklichen, weil extrapolare Ausbreitung der Elektricität durch gewöhnliche und elektrotonische Stromschleifen, wie auch durch „unipolare“ Entladungen niemals absolut ausgeschlossen werden kann, um so weniger, als man immer mit übermaximalen Reizen arbeiten muss. Die seit Helmholtz für Versuche wie die unseren gebräuchlichen Elek- trodenarten — Metalldrähte, über welche der übrigens in Luft schwebende oder auf einer nichtleitenden Unterlage ruhende Nerv gebrückt wird — können zwar bei sorgfältiger Isolirung des Präparates und Vermeiden höherer Stromstärken sehr gute Resultate geben. Doch lässt sich den genannten Bedingungen, namentlich der letzteren, durchaus nicht immer genügen. Beispielsweise nicht bei Präparaten, deren Erregbarkeit bereits merklich zu sinken angefangen hat. Im Verlaufe des Absterbens nehmen, wie bekannt, sowohl die Schwellenwerthe der wirksamen Reize, wie auch die zu maximaler Erregung erforderlichen Reizstärken zu. Diese Aenderungen machen sich, der Ritter-Valli’schen Regel entsprechend, bei Reizung der weiter vom Muskel entfernten Nervenstrecken früher, bezw. stärker bemerklich, als an den mehr peripherisch gelegenen. Man ist also ge- nöthigt, um von den verschiedenen Stellen des Nerven aus gleich grosse Zuckungen zu erhalten, immer stärkere Ströme zu verwenden, und zwar um so stärkere, je weiter die Reizstelle vom Muskel entfernt liegt. Dabei wird die Gefahr extrapolarer Erregung nicht nur absolut grösser, sondern auch — während sie beim frischen Nerven cet. par. an allen Stellen etwa gleich gross ist — ungleich gross, an den mehr centralwärts gelegenen Stellen grösser als an den mehr peripherischen. Die absoluten Aenderungen können sehr leicht, wie Controlversuche lehren, so bedeutend werden, dass „unipolare“ Wirkungen auftreten, während die relativen eine Zunahme der Leitungsgeschwindigkeit im Nerven vortäuschen oder gar Ursache werden können, dass die Latenzzeit bei längerer myopolarer Strecke kleiner wird, als bei kürzerer. Um diese Gefahren besser einzuschränken, als bei der bisher gebräuch- lichen Art von Elektroden möglich ist, schien mir die Anwendung eines FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 17 Kunstgriffes rathsam, der sich schon bei früheren Gelegenheiten! als aus- gezeichnetes Mittel zur scharfen örtlichen Beschränkung der elektrischen Reizwirkung bewährt hatte und der auf der Verwerthung eines Principes beruht, welches man als das Prineip der extrapolaren Amortisation der Stromdichte bezeichnen kann. Da die Stromdiehte und nicht die Stromstärke den physiologischen Erfolg bestimmt, wird man extrapolare Erregung durch gewöhnliche Strom- schleifen wie durch unipolare Entladungen ausschliessen können, wenn man ausserhalb der intrapolaren Strecke den Querschnitt der Strombahn so gross macht, dass die Stromdichte daselbst zu unwirksamer Höhe herabsinkt. Gesteigert muss diese Schutzwirkung noch werden, wenn man der Strom- bahn in den extrapolaren Strecken in der Umgebung des Nerven einen gegen den des Nerven verschwindend kleinen speeifischen Widerstand giebt, da dann die aberrirenden Stromfäden ihren Weg nur durch die gut leitende Umgebung des Nerven nehmen werden. Diese Ueberlegungen führten zur Construction einer Reizvorrichtung, für welche der Name „Tunnelelektrode“ oder „Elektrodentunnel“ zweck- mässig erscheint. Die Tunnelelektroden. In ein rechteckiges Ebonitprisma von 70"" Länge, 15”"m bezw. 10mm Breite sind, getrennt durch je 2” grosse Zwischenräume, sechs Kupferstücke eingesetzt, deren quadratischer Querschnitt 10m Seite hat und von denen die beiden, die Enden der Reihe bildenden 5""® lang, die vier dazwischen- liegenden 10”"® Jang sind. An jedem Kupferstück sitzt eine Drahtklemme. Die ganze Vorrichtung ist der Länge nach durchbohrt von einem geraden cylindrischen Tunnel, von noch nicht 1= m Querschnitt, der die Kupferstücke genau in ihrer Mitte durchsetzt. In den Tunnel wird der am centralen Ende mit feinem festem Faden abgebundene Nerv mittels einer langen Stopf- nadel hineingezogen. Man hat also 6 Elektroden und 5 intrapolare Strecken von je 2wm Länge und 10” Distanz. Die unterste intrapolare Strecke liegt 5" vom freien Ende der Vorrichtung entfernt, welches etwas zuge- schrägt ist, um der Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel möglichst nahe gebracht werden zu können. Am oberen Ende des Ebonitprismas ist ein messingenes Ansatzstück eingeschraubt, dessen runder Kopf zur Ver- bindung mit einer Kugelklemme dient und Einstellung und Fixirung der Elektroden in jeder Lage ermöglicht. Die Kupferstücke sind aussen überall stark gefirnisst, mit Ausnahme der untersten, möglichst dicht an den Schenkel ı Versi. d. K. Akad. v. wet. 30. November 1895. — Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LXI; 1896. Bd. LXII; 1897. Bd. LXVI. 8.327 u. 575. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 2 18 Tr. W. ENGELMANN: anzulegenden Endfläche der Vorrichtung. Die blanke, metallische Innen- fläche des Tunnels wird vor dem Gebrauch jedesmal durch Hin- und Herbewegen eines durchgezogenen Fadens gesäubert. Vor dem Einführen des Nerven in den Tunnel wird das Knie bezw. der Oberschenkel unver- rückbar fixirt und der Muskel mit dem Schreibhebel verbunden. Nachdem die Nadel mit dem Faden durch den Tunnel geführt ist, wird unter beständigem Annähern der unteren Tunnelöffnung an den Muskel, der zuvor von anhängenden Gefässen u. s. w. vorsichtig befreite, nicht torquirte Nerv langsam soweit hineingezogen, als ohne nennenswerthe Dehnung zulässig ist, das obere Ende des Fadens einmal um eine kleine, an dem oberen Tunneleingang befindliche Hakenklemme geschlungen, und das untere Ende der Vorrichtung möglichst breit an den Oberschenkel dicht über dem Knie angedrückt, wobei jedoch der Nerv nicht geknickt oder gedrückt werden darf. Um bei iangdauernden Versuchen ein Austrocknen des Nerven zu verhüten, kann die obere Tunnelöffnung mit etwas Vaselin oder mit feuchter Watte geschlossen werden. Am peripherischen Ende des Nerven ist ein Austrocknen vermieden, wenn die untere Endfläche der Reizvorrichtung, wie vorgeschrieben, breit dem Schenkel anliegt, eventuell noch eine den Nerven dicht umschliessende 1 bis 2°“ dicke Schicht nasser Watte daselbst ange- bracht wird. Dies hat zugleich noch den Vortheil einer grösseren Sicherung der zwischen unterer Tunnelöffnung und Muskel gelegenen Nervenstrecke gegen Reizung durch unipolare, von oben kommende Entladungen. Die Vollkommenheit dieses Schutzes kann aus folgenden Versuchen erhellen. Bei Verbindung der beiden unteren Elektroden mit den Polen der secundären Spirale eines grossen du Bois’schen Schlittenapparates von 9845 Windungen mit eingelegten Eisenstäben und zwei grossen Accumu- latoren (4-2 Volt) im primären Kreise und Reizung des Nerven mit einem auf- oder absteigenden Schliessungs- oder Oeffnungsinductionsstrom zuckte der Muskel häufig selbst bei ganz aufgeschobenen Rollen nicht, nachdem der Nerv zwischen unterster Elektrode und Muskel an der unteren Tunnel- öffnung unterbunden oder durchschnitten war, während doch unmittelbar vor der Unterbindung bei mehr als 700, ja häufig bei mehr als 900" kollenabstand — d. i. bei mehrere tausend Mal geringerer Stromstärke — bereits von den gleichen Nervenstellen aus maximale Zuckungen erhalten worden waren. Es genügte aber, die Elektrode weniger innig an den Schenkel anzudrücken, bezw. das mit dem Muskel zusammenhängende Stück des Nerven ausserhalb des Tunnels von seiner Watteumhüllung zu befreien — d. h. den Querschnitt der extrapolaren Leitungsbahn erheblich zu ver- ringern —, um schon bei etwa 100 bis 140”"” unipolare Zuckungen auf- treten zu sehen. Noch etwas grösser durfte aus bekannten Gründen der Rollenabstand sein, wenn dabei der Muskel zur Erde abgeleitet war, wie FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 19 auch, wenn nur ein Pol des secundären Kreises mit einer der Elektroden verbunden war. Bei Reizung an den weiter oben im Tunnel gelegenen intrapolaren Strecken wird unipolare Abgleichung durch das im Tunnel abwärts von der Reizstrecke liegende Nervenstück stattfinden und hier wenigstens an den im Ebonit verlaufenden Nervenstrecken, speciell an den Grenzen zwischen Ebonit und Metall, erregend wirken können. Controlversuche lehrten in- zwischen, dass auch in diesen Fällen selbst bei mangelhafter Isolirung des Muskelpräparates Gefahr erst droht bei Stromstärken, welche die zu directer maximaler Erregung der intrapolaren Strecken erforderlichen Intensitäten um ein Vielhundertfaches übertreffen. Die Gefahr nahm mit Entfernung der Reizstelle vom Muskel, offenbar wegen wachsenden Widerstandes der myopolaren Strecke, in deutlich ersichtlicher Weise ab. So betrug beispiels- weise der unipolar eben wirksame Rollenabstand, bei Ableitung der untersten Elektrode zu dem über zwei Platinelektroden gebrückten Nerv eines frischen stromprüfenden Präparates, bei 4 grossen Accumulatorzellen (8-4 Volt) im primären Kreis des grossen Schlittenapparates und bei Reizung eines von einem Muskel abgetrennten Nerven im Tunnel mit absteigenden Oeffnungs- inductionsschlägen bei Reizung der zweiten intrapolaren Strecke von unten: 120"”, entsprechend rund 17.5 Procent der Stromstärke bei 0 Rollenabstand, bei Reizung der dritten intrapolaren Strecke von unten: 111”, entsprechend rund 26-0 Procent der Stromstärke bei 0 Rollenabstand, bei Reizung der vierten intrapolaren Strecke von unten: 85", entsprechend rund 40.0 Procent der Stromstärke bei 0 Rollenabstand, bei Reizung der fünften intrapolaren Strecke von unten: 57m, entsprechend rund 60-0 Procent der Stromstärke bei 0 Rollenabstand. Aehnlich in vielen anderen Versuchen. Man könnte die Sicherung noch viel weiter treiben, wenn man sich des alten, von Place und mir empfohlenen Kunstgriffes der Ableitung der jeweiligen unteren Reizeiektrode zur Erde bediente. Hierbei blieb im vor- stehend beschriebenem Falle selbst bei völlig aufgeschobener secundärer Spirale der stromprüfende Schenkel in Ruhe. Aber auch ohne dies Hülfs- mittel ist die Sicherung mehr wie ausreichend. Ich habe zudem in den Versuchen zur Messung der Nervenleitung immer nur eine Accumulator- zelle (2.1 Volt) und ausserdem noch einen Extrawiderstand von 10, häufig von 20 Ohm im primären Kreise gehabt. Wie gegen unipolare Entladungen ist auch der Schutz gegen gewöhn- liche Stromschleifen, den unsere Elektroden bieten, sehr vollkommen. Dies lässt sich durch folgende Versuche nachweisen. D* 20 Tr. W. ENGELMANN: Der Ischiadicus eines durch Zermalmen von Gehirn und Rückenmark soeben getödteten Frosches (R. esculenta) wird in gewöhnlicher Weise cen- tral unterbunden, durchschnitten und mittels Nadel und Faden so weit in den Tunnel hineingezogen, dass die Unterbindungsstelle in der zweiten Kupferelektrode, also oberhalb der untersten intrapolaren Strecke liegt. Man bestimmt die Reizschwelle für den absteigenden Oeflnungsinductions- strom und legt darauf einige Millimeter ausserhalb der unteren Tunnel- öffnung mit sehr feinem Zwirnsfaden eine zweite Ligatur an. Jetzt bleibt, bei strenger Beobachtung der oben beschriebenen Vorsichtsmaassregeln (An- drücken der unteren Elektrode an den Schenkel, eventuell Umhüllen des Nerven mit feuchter Watte), selbst bei ganz aufgeschobener secundärer Rolle und starkem primärem Strom (0-2 Amp. und mehr), Reizung in der Regel ohne Erfolg. Man zieht nun den Nerven allmählich, je um einen oder zwei Millimeter, weiter in den Tunnel hinein und bestimmt jedesmal wieder die Reizschwelle. So lange die zweite Unterbindungsstelle nicht innerhalb der untersten Kupferelektrode zu liegen kommt, pflegt die Reizung auch beim kleinsten Rollenabstand noch erfolglos zu bleiben. Vom Eintritt in die Elektrode an wächst dann der eben wirksame Rollenabstand, erst sehr langsam, bis die Unterbindungsstelle die Tunnelgrenze zwischen unterster Elektrode und erstem Ebonitstück, also die unterste Grenze der ersten intrapolaren Strecke erreicht oder eben überschreitet, von hier an dann sehr rasch. Häufig ist das Maximum schon ganz oder nahezu erreicht, wenn die Unterbindungsstelle die obere Grenze der ersten intrapolaren Strecke überschreitet, also in die Tunnelstrecke im Innern der zweiten Kupferelektrode einrückt. Man kann hiernach den Nerv auf’s Neue zwischen Muskel und unterster Elektrode unterbinden und mit der dritten Unterbindungsstelle in derselben Weise wie mit der zweiten verfahren, bei genügend langem Nerv auch wohl noch eine vierte und fünfte Ligatur zu Versuchen verwenden. Immer findet sich das gleiche, eben geschilderte Verhalten. Die folgenden Tabellen geben einige Zahlenbelege. Zu den bezüglichen Messungen diente der schon erwähnte grosse Schlittenapparat von 9845 Windungen, der von einer mittelgrossen Accumulatorzelle gespeist ward. In den primären Kreis war in den Versuchen der Tabellen A und B ein Extrawiderstand eingeschaltet, da ohne solchen die Rollenabstände oft unbequeme Grössen (bis über 1”) erreichten und ein nach Bowditch modificirter Apparat nicht zur Verfügung stand. Der Extrawiderstand betrug in allen unter A verzeichneten Fällen 20 Ohm, in denen unter B 10 Ohm. Der als Reiz dienende absteigende Oefinungsinductionsstrom wurde entweder mittels der Schleudervorrichtung des Pantokymographen durch das Polyrheotom oder durch Oefinen eines Quecksilberschlüssels mit FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 21 der Hand ausgelöst. Die Zuckungen wurden zehnfach vergrössert an der Spitze eines mit dem schwach belasteten Muskel verbundenen Schreibhebels von 15°® Länge beobachtet. Im ersten Stab der Tabellen sind diejenigen Abstände der dem Muskel nächsten Unterbindungsstelle von der unteren Tunnelöffnung angegeben, für welche die Reizschwelle gesucht wurde. Ausserhalb des Tunnels sind diese Abstände positiv, innerhalb negativ gerechnet. Die letzteren (—) Abstände lassen sich nur bis auf etwa 0-5 bis I"m oenau angeben, da man die Lage der Unterbindungsstelle im Tunnel nicht direct wahrnehmen kann, sondern nach der Grösse der Verschiebung des Nerven, bezw. des Fadens, an dem man diesen in den Tunnel hineinzieht, beurtheilen muss. Es empfiehlt sich zu dem Zweck, den Faden in Abständen von etwa 2m mit schwarzen Marken zu versehen. Die unter r verzeichneten Zahlen bedeuten die kleinsten Rollenabstände in Millimetern, bei welchen noch keine Zuckungen auftraten, die unter © die diesen Rollenabständen entsprechenden, durch galvanometrische Gra- duirung des Schlittenapparates bestimmten Stromstärken in runder Zahl. Die Stromstärke bei ganz aufgeschobenen Rollen ist in jedem Falle gleich 10000 angenommen. Tabelle A. I I II. | IV r D a v Rz Q Y D + 1 bis 3mm 0 | 10000 0 | 10000 0 | 10000 0 | 10000 02 0 | 10000 |" 0 | 10000 || 0 |‘ 10000 0 , 10000 ige 0 | 10000 0 | 10000 | 0 | 10000 0 , 10000 eg. Alikz 88 3750 | 102 2800 | 52 6450 79 4500 Bi, en an 160 500 | 178 300 || 165 415 A ., 178 300 || 280 24 | 355 1 || 335 TERN :O..., 285 20 — — 365 1 || 360 1 a U ee 290 17 un ige ei 430 1 Tabelle B I II II. IV r D r v r v Y v +1 bis mm 0 | 10000 0 | 10000 || 0 | 10000 0 | 10000 0% 0 | 10000 8 8800 0 | 10000 10 8780 —ı Er) 3 Er) 93 3400 — —_ — — — ai, Tee = — 115 | 2000 || 110 | 2375 80 | 4400 NH. 144 820 | 190 240 | 220 9 | 170 375 U N 300 425 1 || 450 ı || 560 1 -7,.9, | 375 1 || 445 ı | — | - — a 22 Ta. W. ENGELMANN: Tabelle C. | Be Ir, ; 5, nz | r i | r | i | r i |» i +1bis zum | 0 | 10000 | 36 | 7500 || 60 | 5900 — en ee Bee leo, — en 2100 234,% || ,:45:4|,.,.7000:..11..492 230 || 142 890 || 148 | 720 an Al, EN _ = = 290 9 || 205 | 180 A. | 208, 2,80 | Ei 310 7 den 620 1 || 790 | 1 |! 390 1 620 1 a a le ir | 1 a Die vorstehenden Versuche scheinen mir zu beweisen, dass bei Strömen von den Stärkegraden, wie sie für unsere Aufgabe in Anwendung kommen, extrapolare Reizung durch gewöhnliche Stromschleifen und unipolare Ent- ladungen nicht zu fürchten sind und insofern also der Ort der directen Er- regung sehr genau mit der Grenze zusammenfällt, in welcher sich Ebonit und metallische Kathode berühren. Denn es bedarf nach unseren Tabellen einer hunderte, ja unter Umständen (A III, IV, B II, III) tausende Mal grösseren Stromstärke, um eine eben merkliche Zuckung zu erzeugen, wenn das obere Ende der mit dem Muskel reizleitend zusammenhängenden Nervenstrecke (die peripherische Unterbindungsstelle) etwa 1" unterhalb jener Grenze liegt, als wenn es diese Grenze um ebenso wenig nach oben hin überschreitet. Ueber die Entfernungen, auf welche hin elektrotonische Strom- schleifen bei Verwendung der Tunnelelektroden etwa extrapolare Erregung zu veranlassen vermögen, können unsere Versuche nichts lehren. Von dieser Seite droht aber auch in unserem Falle keine Gefahr. Einmal sind, bei der Kürze der intrapolaren Strecke und der sehr geringen Dauer und Intensität der reizenden Ströme, merkliche elektrotonische Wirkungen in den extra- polaren Strecken überhaupt nicht zu erwarten, und dann würden sie an den verschiedenen Reizstellen in gleichem Sinne und voraussichtlich in merklich gleicher Stärke auftreten müssen. Sie könnten also höchstens die absoluten Werthe der Latenzzeiten, aber nicht die Differenzen dieser Zeiten, auf die es uns allein ankommt, merklich beeinflussen. Einen entschiedenen Vortheil vor den. gebräuchlichen Reizvorrichtungen dürften unsere Tunnelelektroden noch in dem besseren Schutz besitzen, den sie dem Nerven gegen allerhand schädigende äussere Einwirkungen (Unterschiede der Dampfspannung, der Temperatur, mechanische Einflüsse u. s. w.) gewähren. Trotz der äusserst beschränkten Ventilation des Tunnel- inneren erhalten sich Anspruchsfähigkeit, Leistungs- und Leitungsvermögen des Nerven anscheinend nicht weniger lang, als bei dem bisher üblichen Verfahren. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG, 23 Ich habe hierüber sehr viele Versuche angestellt, zum Theil in der Weise, dass ich von den beiden Hüftnerven des nämlichen Frosches den einen in einem Elektrodentunnel, den anderen in einem Rosenthal’schen Reiztrog oder einer du Bois-Reymond’schen feuchten Reizvorrichtung lagerte und bei beiden jene Functionen bis zum Erlöschen verfolgte. Oder es wurde der Nerv, nachdem er einige Stunden in einer der gebräuchlichen Reizvorrichtungen wiederholt auf sein Verhalten geprüft worden war, in einen Elektrodentunnel eingeführt und hier der weitere Verlauf der Erregbarkeits- änderungen bis zum Ende beobachtet. Im Anhange sind zwei Versuche dieser Art ausführlich mitgetheilt. Die folgende Tabelle enthält die Durchschnittswerthe der die Reiz- schwelle bezeichnenden Rollenabstände, welche in 18 Versuchsreihen an ebenso viel verschiedenen Nerven für vier im Tunnel gelegene intrapolare Strecken a, 5, c, d sich ergaben. Strecke a war um 5 bis 7, 5 um 17 bis 19, e um 29 bis 31, d um 41 bis 43" von der unteren Tunnel- öffnung, und diese etwa 8 bis 10 “m vom Eintritt des Nerven in den Muskel entfernt. Die Messungen wurden an allen Stellen für ab- (y) und auf- steigende (A) Oefinungsinductionsschläge und in symmetrischer Reihenfolge mit sehr kurzen Pausen vorgenommen. Um den allgemeinen Verlauf der Reizbarkeitsänderungen — die bathmotrope Function — zu kennzeichnen, genügt es, die Werthe für drei genügend weit auseinander liegende Zeiten anzugeben. Tabelle D. Strecke a a) e M d Reel belt Sogleich nach der Präparation . . || 515 | 490 || 520 | 470 | 500 | 440 | 430 | 365 Y, bis 1 St. nach der Präparation | 505 | 520 | 515 | 470 | 440 | 375 | 410 | 280 AUBEGEETAN DG), 3 405 | 365 |. 270 | 280 | 100 | 85 | 25 | 25 Diese Zahlen wurden erhalten bei Nerven abgeschnittener Schenkel, also bei aufgehobener Circulation. Präparirt man den Nerven so, dass die Cireulation im Muskel fortdauert, so erhält sich der Nerv im Tunnel noch weit besser. Beispielsweise erhielt ich, und zwar in der grössten Hitze des vergangenen Sommers, bei einer Zimmerwärme, die am Tage über 26° C. stieg und Nachts nicht unter 23° C. sank, von Reizstellen, die etwa 2 mm unterhalb der centralen Unterbindungsstelle und etwa 34" vom Muskel entfernt waren, noch am zweiten Tage nach Einführen des Nerven in den Tunnel bei 600 ja 700 mm Rollenabstand (1 Acc., grosser Schlittenapparat, kein Extrawiderstand im primären Kreise) Zuckung, und selbst am 5. Tage 24 TH. W. ENGELMANN: lag die Reizschwelle für die unterste, etwa 22wm yom Muskel entfernte intrapolare Strecke noch immer bei 350", d. i. bei einer Stromstärke, mehr als 1000 Mal kleiner als bei ganz aufgeschobenen Rollen. Der Nerv war während der 5 Tage nicht aus dem Tunnel herausgekommen, der Gastrocnemius immer mit dem Zeichenhebel verbunden geblieben, und es waren von ihm viele Hunderte maximaler Zuckungen aufgezeichnet worden. Durch diese Ergebnisse und im Besonderen durch die Zahlen der letzten Tabelle wird zugleich ein principielles Bedenken gehoben, das sich dem Leser von Anfang an aufgedrängt haben wird und das auch mir An- fangs die Construction der Tunnelelektroden als äusserst gewagt und ver- muthlich nutzlos erscheinen liess. Es liegt in der unvermeidlichen Un- sleichartigkeit der sehr ausgedehnten ınetallischen Oberflächen der Elek- troden, mit denen der Nerv in Berührung kommt. Hier müssen Ströme erzeugt werden, die in gar nicht zu übersehender Weise elektrotonische Erregbarkeitsänderungen positiver und negativer Art und auch unter Um- ständen directe Erregung werden hervorrufen können, und die auch indirect, durch die an der metallischen Oberfläche sich abscheidenden Producte der Elektrolyse Schaden zu stiften drohen. Namentlich bei Gebrauch reinen Kupfers schienen diese Störungen zu fürchten. Ich liess darum vergleichs- halber auch galvanisch stark vernickelte und vergoldete Exemplare an- fertigen. Sie boten aber — bei gleich sorgfältigem Reinhalten des Tunnels — keine merklichen Vortheile.. Die meisten Versuche wurden mit ver- nickelten Elektroden angestellt. In sehr vielen Fällen waren die vorhandenen Ungleichartigkeiten so geringfügig, dass (bei offenem primären Kreise) metallische Schliessung bezw. Oefinung des secundären Kreises ausserhalb des Tunnels von keiner der intrapolaren Strecken aus Zuckung gab. Wenn dies zuweilen doch der Fall war, verschwand die Wirkung häufig innerhalb weniger Minuten, namentlich wenn der secundäre Kreis dazwischen dauernd gesghlossen blieb. Auch die Schwellenwerthe der Reize schwankten bei den verschiedenen Nervenstrecken bei gleicher Richtung der prüfenden Ströme nur innerhalb der gewöhnlichen Grenzen. Die eben wirksamen Rollenabstände für die drei Stellen a, 4, c! betragen nach Tabelle D bei Reizung mit absteigenden Oeffnungsschlägen im Mittel aus 18 Versuchen 515, 520, 500 ®», die durch- schnittliche Abweichung von diesen Mittelwerthen in den ersten Minuten nach der Präparation + 40”, nach !/, bis !/, Stunde nur 30=m, Das sind Unterschiede, wie sie auch bei Verwendung anderer, gelegentlich selbst ! Die Strecke d muss ausser Betracht bleiben, da sie in vielen Fällen der cen- tralen Unterbindungsstelle zu nahe war oder diese selbst einschloss.. Hieraus erklärt sich auch die bedeutende Grösse des Schwellenwerthes der Reizstärke im Vergleich zu a, b, c schon im Anfang des Versuches, FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 25 unpolarisirbarer Elektroden beobachtet werden und wie sie mit Rücksicht auf die mannigfachen bekannten Einflüsse, welche locale Unterschiede der Erregbarkeit des freipräparirten Ischiadicus veranlassen können, selbst dann nicht Wunder nehmen dürfen, wenn man die ursprüngliche Anspruchs- fähigkeit des unversehrten Nerven an allen Punkten seines peripherischen Verlaufes als gleich annimmt. Dieser neuerdings durch I. Munk und P. Schultz! wie durch Weiss begründeten Annahme dienen ja auch unsere obigen Zahlen zur Stütze. Aber auch in den vereinzelten Fällen, wo während längerer Zeiträume von der einen oder anderen intrapolaren Strecke aus bei metallischer Schliessung des secundären Kreises Zuckungen erhalten werden konnten, also merkliche Ungleichartigkeiten der Elektroden fortbestanden, war doch für unseren Zweck daraus kein Nachtheil zu befürchten. Denn, wie die graphische Untersuchung lehrte, beeinflusste dieser Umstand Grösse und Verlauf der für die Messungen allein in Betracht kommenden maximalen Zuckungen nicht nachweisbar. Und dass das Gleiche für die Latenzzeiten behauptet werden darf, lehren die jetzt mitzutheilenden Bestimmungen der Unterschiede dieser Zeiten bei Reizung an verschiedenen Stellen im Ver- lauf des Nerven. Graphische Ergebnisse der Messungen der Erregungsleitung bei Reizung an verschiedenen Stellen des Nerven. Bei den ersten dieser Versuche beschränkte ich mich auf Reizung an bloss 3 Stellen, und zwar der unteren drei intrapolaren Strecken a, b, c. Die entsprechenden, von hier aus erhaltenen Zuckungseurven mögen mit ca, ß, y bezeichnet werden. Da die Distanz der Reizstelle 5 von a gleich der von e und 5 war und — in der Voraussetzung, dass nur die Grenze von intrapolarer Strecke und metallischer Kathode als Ort der Erregung in Betracht kommt — 12”"® betrug, mussten, falls die Leitungsgeschwindig- keit überall im Nerven dieselbe war, auch die seitlichen Abstände 5 von «, und y von ? gleich und schon bei einer Geschwindigkeit der Schreibfläche von 1” bequem messbar sein. Diese Erwartungen bestätigten sich alsbald in fast allen Fällen, in denen vollkommene Congruenz der Zuckungen — wenigstens in ihrem aufsteigenden Theil — bestand. Be- sonders anschaulich liess sich dies machen, indem man erst « und y, be- züglich y und «& zeichnen liess. Wurde jetzt 5 gereizt, so sah man nun ! Imm. Munk und Paul Schultz, Die Reizbarkeit des Nerven an verschiedenen Stellen seines Verlaufes. Dies Archiv. 1898. 8. 297. — O. Weiss, Ueber die Erreg- barkeit eines Nerven an verschiedenen Stellen seines Verlaufes.. Pflüger’s Archiw. 1898. Bd. LXX. 8.15. 26 Thu. W. ENGELMANN: 3 genau oder fast genau in der Mitte zwischen & und y erscheinen. Wurde nur & und £ oder nur $ und y gezeichnet, so betrug die seitliche Distanz der Curven nur die Hälfte von derjenigen von & und y. In weiteren Versuchen wurde an vier, je 12 "m aus einander liegenden Stellen (a, db, c, d) gereizt. Auch hier wurde die Reihenfolge vielfach varliıt, 2 B. a, 2, e,.d;.d, c, b,sa;ra, dı.b, ce; d, a,:c,. 6b. ussı waie- derum ergaben sich, falls nur die Zuckungen im aufsteigenden Theile bis zum Gipfel vollkommen gleich waren, .in fast allen Fällen genau oder doch fast gleich grosse seitliche Abstände zwischen je zwei benachbarten der vier Curven. Je nach der Reihenfolge erhob sich erst @, dann f, dann y und ö, oder erst &, dann d, fund y u.s. w. an der zu erwartenden Stelle von der Abseisse. Wurden nur a, 5 und d gereizt, so erhielt man 3 Curven, von denen ö doppelt so weit von # wie diese von « war; bei Reizung von a,c,d war die Distanz der ersten und zweiten Curve doppelt so gross wie der Abstand dieser von der dritten. Es gelang nicht selten, am nämlichen Präparat nach einander mehrere lückenlose Serien verschiedener Combinationen zu erhalten. So zeigt Taf. I, Fig. 1 eine Reihe von 7, in kurzen, gleichen Pausen auf einander folgenden Reizungen der Combination a, 5, d. Von anderen Combinationen genüge es, einzelne Beispiele abzubilden.! Die mikroskopische Ausmessung des Horizontalabstandes A der Curven «, 9, ö im Original von Fig. 1 ergab, in Einheiten des Ocularmikrometers, im Mittel aus je drei Messungen in 1 bis 3" Höhe über der Abseisse für Aaß: 5.5, 5, A-5,4:0, 5:5, 3:0, 6:0 486:10, 10-5, 10-0, 9-5, 10-5, 9.5, 8-5 Hieraus berechnet sich das durchschnittliche Verhältniss 48:46 wie 5-.1:9.8 oder 1:1-93. Dieser Werth kommt dem Verhältniss 1:2 so nahe, dass der bestehende Unterschied durchaus in die Fehlergrenzen fällt. — Der Zeitwerth der Mikrometereinheit, mittels gleichzeitig registrirter Stimmgabel- schwingungen von 0-01 Sec. Dauer bestimmt, war 0-10 0, woraus sich die Leitungsgeschwindigkeit 7 in Strecke ad und dd zu rund 23.5” berechnet. Taf. I, Fig. 2 illustrirt die Combination a, db, c. Die mikrometrische Messung, wie in Fig. 1 ausgeführt, ergab für daß: 9, 8-5, 8-5, im Mittel 8.7 Apy: I, 9, 9, ” ” 9.0 also wesentlich gleiche Werthe. Der Zeitwerth der Mikrometereinheit war in diesem Falle 0-065 o, 41.2150, = 18-52 ! Bei der Reproduction der Original-Myogramme auf Taf. I ist die Dicke der Curven im Allgemeinen zu gross ausgefallen. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 2 Taf. I, Fig. 3, ein Beispiel der Combination a, b, c, d, giebt bei der Ausmessung daß: 7-5, 7-5, 7-5, im Mittel 7-5 Apr: 7.5, 8, 7.5, „17 AO MBH Tedyjes) un zT welche Werthe ebenso wie die in Fig. 2 als identisch betrachtet werden dürfen. Die Mikrometereinheit in Fig. 3 entsprach 0°07 0, 4 = rund 23". In Taf. I, Figg. 4 und 5 I und III sind drei, verschiedenen Präparaten entstammende Beispiele der Combination a, b, c, d, in 5maliger (photogra- phischer) Vergrösserung der Originale wiedergegeben, da eine Reproduction in der ursprünglichen Grösse wegen der Zartheit der Linien nicht thunlich erschien. Hier lehrt schon der unmittelbare Augenschein, dass gleichen Längenunterschieden der zu durchlaufenden Nervenstrecke gleiche Unter- schiede der Latenzzeiten entsprechen. In Fig. 4 ist der Zeitwerth von lm Abscisse = 0-200, in Fig. 5 I = 0.230, in Fig.5 III = 0.180. Die Leitungsgeschwindigkeiten be- tragen also bezüglich 22-5, 26°1 und 23-5", Taf. I, Fig. 6 reproducirt in Originalgrösse je ein Beispiel der Combina- tionen a, 5, d (]), d, c, d(Il), a, c, d (III). Die Versuche wurden unmittelbar nach einander am selben Präparat angestellt. Die mikrometrische Messung an je drei Stellen, in 5, 10 und 15" über der Abscisse ausgeführt, ergab bei I. Combination a, b, d: Auf = 8, 7.5, 7.5, im Mittel 7.7 APo = 15, 14-5, 15, EL OXe) II. Combination 5, c, d: Aßy =8, 1 AO TS: - III. Combination a, c, d: Aey = 15, 15, 14, im Mittel 14-7 Ayo 7 6, T, 8, „ „ 7.0 Aus dem Zeitwerth der Mikrometereinheit = 0-07 berechnet sich Zab zu 22.3%, Abe zu 22-3”, 1cd zu 24-0”. Endlich geben Fig. 5 II und Fig. 7 noch zwei Beispiele für die Com- bination a, 5, c, bei 5maliger photographischer Vergrösserung. Hier genügt wiederum der blosse Augenschein, um die Gesetzmässigkeit erkennen zu lassen. Die Messung ergab für _/ in Fig.5 Il 22-0”, für Fig.7 rund 23. Gern hätte ich noch Versuche mit Reizung an fünf äquidistanten Nervenstellen hinzugefügt. Allein hierfür waren die Frösche unseres Ra- narlums zu klein. Vielleicht findet sich, nachdem die erwarteten grossen 7.5, im Mittel 7-7 7-5, „ 2) 7.3 28 Tu. W. ENGELMANN: Esculenten aus Ungarn eingetroffen sein werden, Gelegenheit, dies nachzu- holen. Inzwischen genügen, wie ich glaube, schon die bis jetzt angestellten Versuche, um die Sätze auszusprechen: 1. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenerregung ist an allen Stellen im Verlauf des N. ischiadicus des Frosches die gleiche. 2. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit maximaler Nerven- erregungen ändert sich nicht während ihres Fortschreitens. Die graphische Methode führt uns somit in unmittelbar anschaulicher Weise zu dem gleichen Ergebniss, welches R. du Bois-Reymond mittels der Pouillet’schen auf indireetem Wege gewann. Es liegt kein Grund vor, diese Sätze nicht auch auf alle anderen peripherischen Nervenstämme auszudehnen. Doch scheint mir der Zweifel erlaubt, ob nicht in allernächster Nähe des centralen Ursprunges und der peripherischen Endigung der Fasern, in Verband mit den hier bestehenden auffälligen histiologischen Differenzen, auch das Leitungsvermögen sich anders verhält. Ich sehe vorläufig keinen Weg, diese Zweifel experimentell zu lösen. Anhang. Anhangsweise sollen hier noch einige Versuchsreihen ausführlich mit- getheilt werden, welche in typischer Weise zeigen, wie sich die Erregbar- keit an verschiedenen Stellen nach dem Einführen in den Elektrodentunnel ändert. Es wurde der Nerv zunächst über 4 Paar Platindraht-Elektroden in einem feuchten Rosenthal’schen Reiztrog gebettet und für jede der vier Stellen die Reizschwelle und ihre Aenderungen, in symmetrischer Reihen- folge, während mehrerer Stunden für die auf- und absteigenden Oeffnungs- inductionsströme bestimmt. Darauf ward der Nerv in die Tunnelelektrode hineingezogen und wurden gleiche Bestimmungen an 4 bezw. 3 Stellen mehrere Stunden lang fortgesetzt. Die Länge der intrapolaren Strecke betrug bei der Rosenthal’schen Vorrichtung wie bei den Tunnelelektroden 2 "”, ihr gegenseitiger Abstand und ihr Abstand vom Muskel (M) war aber bei beiden Reizvorrichtungen nicht der gleiche, weshalb die Messungen an den mit gleichen Buchstaben (a, 5, c, d) bezeichneten Stellen nicht direct ver- gleichbar sind. Es betrug der Abstand bei Rosenthal’s Elektroden bei den Tunnelelektroden Ma op mm Mb 15., 24 „ Mc 32 , 36 „ Mai 49...,, 48 „ Die centrale Unterbindungsstelle lag etwa 50" vom Muskel entfernt. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER NERVENERREGUNG. 29 Ueber die weitere Versuchseinrichtung siehe den Text und die einzelnen Versuche. Die in den Tabellen unter a, 5 u. s. w. stehenden Zahlen be- deuten die grössten (auf 5 bezw. 10 "m abgerundeten) Rollenabstände, bei welchen noch eine eben merkliche Zuckung des Muskels erfolgte. Die Pfeile deuten die Richtung der reizenden Oeffnungsinductionsströme im Nerven an. Versuch I. 6. August 1900. Mittelgrosse R. esculenta. 11% 26° Gehirn und Rückenmark mit Nadel zermalmt. Bis 2" 22’ wird das Nervmuskel- präparat der linken Seite zu Versuchen benutzt. 2% 437 wird der rechte Hüftnerv hoch oben unterbunden, bis zum Knie frei präparirt und in einen Rosenthal’schen Reiztrog gebettet. Temperatur 20° C. Tabelle 1. DE b ec I | | Zeit || | A IR | IN | A |) Zeit Bemerkungen SD ee AZ | Ylr. | 244 ‚425 515 510 560 550355 485 335 | 250° | Keine Zuckungen bei metalli- 3 2 400515 1510| 595 555 475 505 420 | 2 54 | scher Schliessung von a, b,c,d. 3 15 |420 525 515 |590\|555 5535| 580 |480 | 3 22 3 37 | 4830 | 540530 | 600 || 570 | 555 ||585 | 490 | 3 30 3 44 |440 540 585 | 615 575 |560 605 |510|| 3 50 4 0 450 555||570| 620590565610 |505 | 3 55 4 5 |450 555 |540 |625 595 |570 1620 1515| 4 10 |Von 5423 bis 5& 25’ werden 5 5 450570 |550 630| 615 |570 595 525 | 4 55 bei 400” Rollenabstand 10 5 35. |445 | 565530 | 625 ||610 | 56011605 |530|| 5 so | Maximale Zuckungen von a, | | | b, c, d aus registrirt. 5% 437 Nerv in Tunnelelektrode (vernickeltes Kupfer) eingeführt. Tabelle T. a Ba en ee Ze RA EI A | u Alles Zeit Bemerkungen v rare ee RURR 5444| 705 665 735 7351660 640 1695 475|| 5"52° Keine Zuckungen bei metalli- 6 4 735 | 790 |730 730,650 |610|675 1465| 5 55 schem Schluss von a, b, c, d. 6 10 |730 |785| 735 725 630550 595 |430|| 6 14 6 23 |725 785735 | 720630 535) 590 |430| 6 16 6 25 | 725 | 780 |730 |715| 620 |490 530415 | 6 32 | 6 40 | 720 780740 7151620 485 525 410 | 6 34 6 42 | 715 780 740 | 715 |620 455/465 395 || 6 50 7 0 710 780 755 | 710 615 |450 |460 390|| 6 54 7 4 |705 | 775745 710! 615 | 445 |410 |360|| 7 10 | 8 38 | 665 755 725 690 575 415/215 245 | 8 30 |8% 50° werden von a, b u.c und 10 0 640 725 680 615 520 395 |125 145 10 6 bei 500” Rollenabst. maxim., | | ' fast congruente Zuckungen ge- | | | | | zeichnet. Die Höhe derZuckun- | | | | gen ist nur halb so gross wie | zu Anfang des Versuches. 30 Ta. W. ENGELMANN: FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT UT. S. w. Versuch II. 8. August 1900. Grosse R. eseulenta, 7" 15’ in der- selben Weise wie in Versuch I präparirt. 7" 34’ rechter Hüftnerv in Rosen- thal’s Reiztrog gelagert. Temperatur 20° C. Tabelle I. Zeit | | | A | ai] | A | Zeit Bemerkungen = | A [el l Y | IL a ! | \ u = = Th 38'515 | 610 | 630 640 | 810 | 610 | 7%35’ | Zuckungen bei metallischem Schluss 0 | 550 | 580 | 645 | 610 | 590 | 430 4 von a, bund.c, später allein von c. 13 | 550 570 | 620 595 | 560 | 420 46 565 | 590 |610 | 570 | 470 380 | 8 8 10 | 7#40' bis 7% 50' maximale Zuckungen 8 9 13 | 540 | 590 | 585 | 570 | 470 | 375 | 9 9 51 von a und 5 (450”® Rollenabstand) 10 congruent, von c aus sind auch bei | | | | viel geringerem Rollenabstand nur 535 | 590 | 590 565 | 460 375 9 25 | kleinere Zuekungen zu erhalten. 45 | 550 | 600 || 600 570 | 460 | 365 | | | | I 8h 52’ bis 9% 3° 10 Paar congruente 10 5545 | 610 600 | 575 | 420 | 355 |10 8 | Maximalzuckungen bei 450 mm 11 10 | 540 | 600 | 590 | 570 | 380 | 340 |11 5 Rollenabstand von a und 5b aus 11 45 | 530 | 605 | 605 580 | 360 | 340 | gezeichnet. 12 15 | 535 | 605 | 600 580 | 360 330 12 10 . Von 12" 16’ bis 12% 32’ von a und b 12 35 |535 610 | 615 590 | 360 335 12 39 aus bei 300” Rollenabstand nur 2 17 540 | 630 || 610 | 565 | 300 | 305 | 2 18 | theilweise congruente Maximal- | | zuckungen zu erhalten. 3 10 || 530 | 630 || 610 | 565 || 300 | 805 | 3 15 | oo wo oo m 00 0 ei N ot o 3" 25’ derselbe Nerv in Tunnelelektroden von Nickel gelagert. Der Nerv musste einige Millimeter tiefer auf’s Neue unterbunden werden. Tempe- ratur 20-5°C. Tabelle IT. DT R Zeit Bemerkungen 3h32' 745 | 900 600 | 430 | 100 | 135 | 3538’ 3% 40° Nerv 2” höher in den Tunnel 3.49 675 675 620 |475 220 260 3 41 hinaufgezogen. 3 54 || 650 | 750 || 605 | 475 ı 160 170 | 3 49 4 8 || 660 | 750 | 610 | 470 | 160 | 170| 4 4 4 30 | 650 | 750 | 610 450 1150 1170| 4 34 4 56 | 655 | 750 | 615 | 455 | 150 | 170 | 4 50 5 40 | 660 750,600 1455 | 140 165 | 5 45 6 5.660 745 1575 |445 | 140 | 165 | 6 0 6 32 || 660 | 735 || 550 | 415 | 130 | 150 | 6 38 7 30 640 720 520 |400 | 180 155 | 7 25 ‚Höhe der Maximalzuekungen von a 3 45 | 600 | 690 | 470 | 360 | 100 | 180 |" 50 | und’ b nur nach ’etwaNjaiider an: | | | | | fänglichen. 9" 5° Nervmuskelpräparat der anderen Seite angefertigt. Weder vom Nerven aus, noch bei direeter Reizung des Muskels waren Zuekungen zu erhalten. Der Nerv hatte bis 9% 5° unpräparirt im wunenthäuteten, mit feuchtem Schwamm bedeckten Frosch gelegen. Ueber refleetorischen Herztod bei Menschen und Thieren. Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) (Hierzu Taf. II u. III.) Die nicht gerade zahlreichen, aber sicher beglaubigten Fälle von plötz- lichem Herztod bei anscheinend gesunden Menschen in Folge psychischer Einflüsse (Angst, Schreck) und die jedem Physiologen geläufige Beobach- tung von primärem Herztod bei Thieren als Folge der mannigfachsten Ein- griffe boten der Erklärung keine Schwierigkeiten, so lange die Lehre von dem neurogenen Ursprung der Herzbewegung die Alleinherrschaft in der Physiologie behauptete. Heute, wo aus den entwickelungsgeschichtlichen Untersuehungen von His! die Unabhängigkeit des embryonalen Herz- schlages vom Centralnervensystem während der ersten Zeiten der Ent- wickelung mit Sicherheit erschlossen werden kann, wo von Engelmann’ die automatischen Pulsationen bei erwachsenen Thieren nachgewiesen wurden in Herztheilen, in denen das Fehlen von Ganglienzellen durch genaue mikroskopische Analyse constatirt werden konnte, erfordern die Fälle von plötzlichem dauernden Stillstand des Herzens eine genauere Analyse, zumal der früheren Erklärung des Herzstillstandes durch Vaguswirkung die That- ' W. His jr., Die Entwickelung des Herznervensystems bei Wirbelthieren. Ber. d. süchs. Ges. d. Wiss., naturw. Classe. Teipzig 1891. Bd. XVII. Nr. 1. ® Th. W. Engelmann, Ueber den Ursprung der Herzbewegungen und die phy- siologischen Eigenschaften der grossen Herzvenen des Frosches. Pflüger’s Archiv. Bd. LXV. S. 109. 32 Hans FRIEDENTHAL: sache entgegensteht, dass selbst die stärkste künstliche Reizung der Vagi (auch wenn sie an beiden Vagi gleichzeitig ausgeführt wird), nieht im Stande ist, das Säugethierherz in dauerndem Stillstand zu erhalten. Sollte also die natürliche reflectorische Reizung der Vagi eine so viel stärkere Wirkung auf das Herz ausüben können? Von Prof. I. Munk auf die Erfolglosigkeit anhaltender Vagusreizung für die Erzeugung dauernden Herz- stillstandes aufmerksam gemacht, hielt ich es für um so zweckmässiger, die Erscheinungen bei reflectorischem Herztod einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, als in jüngster Zeit von Cyon! Versuche über experimentell erzeugten Herzstillstand veröffentlicht wurden, welche die Unhaltbarkeit der Theorie von dem myogenen Ursprung der Herzthätigkeit darthun sollen. E. von Cyon war durch seine Versuche über die Wirkung der Herz- eifte? auf das Herz selber und auf die im Centralnervensystem gelegenen Centren für die Herzthätigkeit zu der Ueberzeugung gelangt, dass der normale Herzschlag seinen Ursprung nehme in Erregungen, welche vom Centralnervensystem dem Herzmuskel zugeleitet werden, und er bezog daher einen von ihm beobachteten Herzstillstand bei völliger Unterbrechung des Kreislaufes in der Medulla oblongata auf ein Ausbleiben der für ge- wöhnlich dem Herzen vom verlängerten Mark zugeführten Erregungen. In einem Versuch bemerkte er bei Herstellung eines künstlichen Kreislaufes durch die Medulla oblongata eines Kaninchens, dass unmittelbar nach Speisung der Nervencentra das einige Zeit stillstehende Herz seine regel- mässige Thätigkeit wieder aufnahm. Cyon beschreibt diesen Versuch in seiner Arbeit „La resurrection de certaines fonctions cerebrales a l’aide d’une circulation artificielle du sang A travers les vaisseaux intracraniens“3 mit folgenden Worten: „La circulation artificielle a pu retablir les contractions du coeur completement arrötees et cela apres que la respiration artifieielle seule s’etait montree impuissante ä le faire. Dans ce cas le me&canisme automatique du coeur fut done mis en mouvement par la seule exeitation des centres cerebraux des nerfs du coeur, fait qui est en contradiction absolu avec la theorie de l’origine myogene de l’automatisme du coeur.“ Muss es schon zunächst auffallen, dass bei diesem Versuche von Cyon die Wirkungslosigkeit der eingeleiteten künstlichen Respiration zur Wieder- erweckung des völlig stillstehenden Herzens betont wird, während doch bei Herzstillstand der Sauerstoffgehalt des Herzblutes auf diesem Wege so gut ! E. de Öyon, Compt. rend. d. Seanc. de la Soc. d. Biol. 1900. T. XXVIIL (4). ° Siehe auch: Coeur (Innervation du) in Dietionnaire de Physiologie par Ch. Richet. Paris 1899. Ara; ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND THIEREN. 33 wie gar keine Aenderung erfahren kann, so kann ferner aus dem oben mitgetheilten Versuch unmöglich der Schluss auf die Unhaltbarkeit der Theorie vom myogenen Ursprung der Herzbewegung gezogen werden, selbst wenn man mit Cyon die Annahme machen will, dass die Sauerstoffzufuhr auf die Nervencentra in der Medulla erregend gewirkt habe, denn die Möglichkeit der Zuleitung centrifugaler erregbarkeitsändernder Impulse zum Herzen durch die extracardialen Herznerven wird wohl selbst von solchen Forschern nicht bestritten, welche, wie His und Romberg, alle intra- cardialen Nervenfasern und Nervenzellen für sensibel ansehen. In mehr- fachen Untersuchungen habe ich mich davon überzeugt, dass trotz der Unterstützung, welche der Blutkreislauf im lebenden Thier durch die Athem- bewegungen erfährt, durch noch so starke künstliche Respiration keine Blutbewegung in den Coronargefässen und damit keine Sauerstoffzufuhr zur Herzmuskulatur bewirkt werden kann. Eine Nachprüfung der Versuche Cyon’s über die Wirkung der Unter- brechung des Kreislaufes in der Medulla oblongata ergab nun, dass der von Cyon beobachtete Herzstillstand nicht eine Folge des Aus- bleibens von Erregungen ist, welche die regelmässige Herz- thätigkeit unterhalten, sondern dass umgekehrt das Herz zum Stillstand gebracht wird durch hemmende Erregungen, welche ihm von der (durch Sauerstoffmangel oder vielleicht richtiger) durch Kohlensäureüberladung maximal erregten Medulla oblon- gata durch die Bahnen der Vagi und Accelerantes zugleich zu- geführt werden. Dass auch der Stillstand der Athmung und die damit verknüpfte so- fortige Minderung des Sauerstoffgehaltes des Herzblutes eine wichtige Rolle bei dem Zustandekommen des reflectorischen Herzstillstandes spielen muss, kann daraus gefolgert werden, dass bei unterhaltener künstlicher Respiration Erstickung der Medulla nur zeitweiligen, nicht aber dauernden Herzstill- stand verursacht. Nach völligem Absterben der Medullar- und Grosshirn- centren kann der Herzschlag viele Stunden lang in fast unverändertem Rhythmus weiterbestehen, solange für die künstliche Durchlüftung der Lungen gesorgt wird. Sauerstoffmangel allein wird vom Herzen längere Zeit ohne Unterbrechung seiner Thätigkeit ertragen. Das Herz von Kaninchen schlägt bei Anlegung eines doppelseitigen Pneumothorax oft 30 Minuten und länger, zumal wenn durch starke Abkühlung die Gewebe der Thiere eine kalt- blüterartige Resistenz gegen äussere Schädlichkeiten angenommen haben, und auch bei Menschen sind von E. v. Leyden! Fälle beschrieben worden, ! Kurze kritische Bemerkungen über Herznerven. Deutsche med. Wochenschr. 1898. Bd. XXIV. 8. 485—488. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 3 34 HAns FRIEDENTHAL: in denen nach centralem Athemstillstand der Herzschlag länger als eine halbe Stunde die Absperrung der Sauerstoffzufuhr überdauerte.! Dass der wenige Secunden nach Absperrung der Blutzufuhr zur Me- dulla eintretende Herztod? ein recht complieirter Vorgang ist, bei dem ein Zusammenwirken von maximaler Erregung der Vagi, der Accelerantes, von Sauerstoffmangel und von schädigendem Einfluss plötzlicher Drucksteigerung den Endeffect bedingt, kann durch allmähliche Ausschaltung der einzelnen Factoren bewiesen werden. Erzeugt man? bei einem Kaninchen plötzliche Blutleere im Gehirn und Rückenmark durch gleichzeitige Abklemmung der Carotiden und der Arteriae subclaviae, so tritt nach etwa fünfzehn Secunden unter Ansteigen des Blut- druckes und sofortigem. Schwächerwerden der Schläge der linken Herz- kammer ein Stillstand des Herzens ein, welcher, höchstens unterbrochen durch einige frustrane Contractionen der linken Kammer, in dauernden Herztod übergeht, wenn die Abklemmung nicht schnell genug entfernt wird. Je weniger das Herz durch Abkühlung bei Präparation der Gefässe geschädigt worden ist, desto früher und sicherer erfolgt der reflectorische Herztod. Dieser ist nun nicht, wie Cyon aus seinen Versuchen folgert, auf ein Ausbleiben von Erregungen zu beziehen, (wie sollte es sonst mög- lich sein, Herzen über eine Woche lang nach Herausnahme aus dem Körper im Schlagen zu erhalten), sondern neben den anderen Factoren auf eine Erregung der Herznerven, vor Allem der Vagi; denn nach Durchschneidung der Vagi bleibt der Herzstillstand aus. Der Herzstillstand bei Anstellung des Kussmaul-Tenner’schen Versuches zeigt trotzdem keine Aehnlichkeit mit dem Herzstillstand bei natürlicher oder künstlicher Vagusreizung; weder steht das Herz (Taf. II, Figg. 1 u. 2) in Diastole still, noch geht dem Stillstand eine Verlangsamung des Herzschlages voraus. Die dem Stillstand vorausgehenden Herzschläge sind im Gegentheil meist klein und ausser- ordentlich häufig. Statt des Herzstillstandes tritt nun bei durchschnittenen Vagi eine so starke Wirkung der Accelerantes in Erscheinung, wie sie durch keine künstliche Reizung zu erzielen ist. Während man bei elektrischer Acce- leransreizung Beschleunigungen von 20 bis 30 Procent beobachtet, kann der Herzschlag bei acuter Anämie der Medulla um 200 Procent und mehr beschleunigt werden, ja die maximal gereizten Accelerantes täuschen beim ! Allerdings muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass nur das unbelastete Herz seine Thätigkeit bei Sauerstoffinangel längere Zeit innehalten kann. In den oben beschriebenen Fällen ist stets der Blutdruck auf wenige Millimeter Hg gesunken, das Herz leistete also keine nennenswerthe Arbeit mehr. ® Die Versuchsprotokolle sind am Schluss der Arbeit veröffentlicht. ° Genau nach Vorschrift von Kussmaul und Tenner, ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND THIEREN. 35 Aufschreiben des Herzschlages mit dem Gad-Cowl’schen Tonographen, wie die mitgetheilten Curven beweisen (Taf. II, Fig. 4), gleichsam einen Herz- tetanus vor, da das Instrument den schnellen und kleinen Schlägen nicht mehr zu folgen im Stande ist. Die Anwendung der Suspensionsmethode verbietet sich leider in den meisten Fällen, weil die der Absperrung des Kreislaufes in der Medulla folgenden Körperkrämpfe allzu starke Herzverlagerungen zur Folge haben. Bei abgekühlten Thieren kann man allerdings schöne Curven mit der Suspensionsmethode erzielen (Taf. II, Fig. 6 und Taf. ILL, Fig. 9). Schaltet man die Wirkung der Accelerantes vermittelst Durchschnei- dung/aus bei erhaltenen Vagi, so kann zwar ebenfalls nach Aussetzen der Athmung ein dauernder Herzstillstand beobachtet werden, aber das Herz stirbt nicht unter den gleichen Erscheinungen wie bei Erhaltung der Accelerantes. Statt des plötzlichen Kleinerwerdens der Herzschläge tritt in diesem Falle eine allmähliche Abnahme der Frequenz bei Zunahme der Kraft der einzelnen Herzschläge, kurz die typische Vaguswirkung ein, nur dass durch das Sinken der Erregbarkeit des Herzmuskels für den automati- schen Reiz in Folge Sauerstoffimangels der Herzstillstand ein dauernder wird. Der Herztod folgt erst nach einer Minute der Abklemmung der Medullar- gefässe, gegenüber 15 Secunden bei Erhaltung sämmtlicher Herznerven, so dass das Herz viel eher gehemmt wird bei gleichzeitiger maximaler Reizung von Accelerantes und Vagi, als bei Vagusreizung allein. Bei unterhaltener künstlicher Athmung gelang es mir nicht (Taf. II, Fig. 8), durch gleich- zeitige Reizung beider Vagi mit tetanisirenden Strömen des Inductoriums, selbst bei vollständig über einander geschobenen Rollen, dauernden Herz- stillstand zu erzeugen, sondern, wie bekannt, überwindet bei anhaltender Vasusreizung das Herz die Hemmung, um ihr periodisch immer wieder zu erliegen. Allmählich werden die Vagusendigungen im Herzen so gelähmt, dass andauernde Reizung wirkungslos bleibt. Bei dem Verfahren der Anämisirung der Medulla durch gleichzeitige Abklemmung aller zuführenden Arterien kommt als beachtenswerther Factor für die sofort sichtbare Schädigung der Herzkraft zu dem oben beschrie- benen hemmenden Einfluss der Vagi- und Aceeleranteserregung noch die Schädigung hinzu, welche die Blutdrucksteigerung auf die Herzmuskel- zellen selber durch die plötzliche Erhöhung der Belastung ausübt. Nament- lich setzt eine gesteigerte Anforderung an die Arbeitsleistung bei gleich- zeitiger Sauerstoffentziehung die linke Herzkammer fast augenblicklich ausser Funetion. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch wird unter Herzstillstand fast stets Stillstand der linken Herzkammer verstanden, da auf eine Fortdauer der Pulsationen an den Enden der grossen Venen, also an dem Entstehungs- ort der normalen Herzreize, nicht immer genügend geachtet wurde. Diese 3% 36 Hans FRIEDENTHAL: Schädigung der Herzkraft tritt auch ein, wenn sämmtliche extracardialen Nerven durchschnitten sind, es kann daher die von Siciliano! beschriebene Steigerung des Blutdruckes und Beschleunigung des Pulses nach Abklem- mung der Carotiden beim Hunde, nicht wie dieser Forscher will, allein auf eine reflectorische Beeinflussung der Vagus- und der spinalen vaso- motorischen Centra bezogen werden. Von Engelmann ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine grosse Reihe der den Herzschlag beeinflussenden Factoren vielleicht eine directe Einwirkung auf die Muskelzellen ausübt ohne Inanspruchnahme der Nervenleitung. Plötzlich eintretende Belastungsänderungen scheinen nun eine solche primäre Schädigung der Muskelzellen selber auszuüben. In den von Cyon beschriebenen Versuchen, in welchen sich dieser Forscher eines beliebig abzustellenden künstlichen Kreislaufes ‘durch die Medulla bediente, welcher von dem allgemeinen Kreislauf unabhängig oe- macht war, konnte ein solch schädigender Einfluss von Drucksteigerung auf das Herz bei Anämisirung der Medulla freilich nicht eintreten. Da aber auch bei dem natürlich eintretenden reflectorischen Herztod in Folge von Angst oder Schreck eine plötzliche Drucksteigerung (ie Folge der Contraction aller peripheren Gefässe (Angstblässe) sein muss, scheint die Versuchsanordnung mit Abklemmung der Medullararterien den natürlichen Verhältnissen besser zu entsprechen. Cyon bediente sich obendrein zur Speisung des künstlichen Kreislaufes von Kaninchen einer Mischung von Kalbsblut und Kochsalzlösung. Bei dem nachgewiesenen schädigenden Einfluss körperfremden Blutes auf das Nervensystem der Säugethiere? ist vielleicht die von ihm beobachtete Reizung von Nervencentren bei Durch- spüälung mit sauerstoffhaltigem Blute zum Theil auf eine solche Giftwirkung zu beziehen, S. Mayer hatte allerdings als Gesetz ausgesprochen, dass anämisirte Nervencentra bei Berührung mit sauerstoffhaltigem Blute unter den Zeichen maximaler Erregung ihre Functionen wieder aufnehmen. Nach den Erfahrungen am Kaninchen erscheint es nicht zu gewagt, _ den Herztod beim Menschen in Folge psychischer Einflüsse ebenfalls auf ein Zusammenwirken von Vagusreizung, Acceleransreizung, Sauerstoffmangel (Athemstillstand) und Drucksteigerung (Angstblässe) zu beziehen. Alle diese Factoren werden gleichzeitig in Thätigkeit treten müssen, wenn die in der Medulla oblongata dicht zusammenliegenden Nervencentren gleich- zeitig erregt werden, mag nun diese Erregung von einer allzu starken Reizung ! Les effets de la compression des carotides sur la pression, sur le coeur et sur la respiration. Arch. ital. d. Biol. T. XXXII (3). p. 338. ® Siehe Friedenthal und Lewandowsky, Ueber das Verhalten des thierischen Organismus gegen fremdes Blutserum. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 531. ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND |THIEREN. 37 der Grosshirnrinde (Angst, Schreck), oder von einer Kohlensäureüberladung der Nervencentra selber herrühren. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dass nur der Mensch eine so hohe Entwiekelung des Centralnervensystems besässe, dass reflectorisch in Folge allzu starker Grosshirnreizung Herzstillstand eintreten könne, vielmehr ist bei Katzenarten (aber, soviel dem Verf. bekannt, auch nur bei diesen, und nicht etwa bei den dem Menschen an Intelligenz nächststehenden Affen) ebenfalls ein plötzlicher Herztod in Wuthanfällen beobachtet worden, ohne dass eine andere Todesursache als die psychische Erregung gefunden werden konnte. Die Empfindlichkeit des Herzens der Fleischfresser gegen Herzgifte und Nervenreize, die besonders in der geringen Widerstandskraft der Katzen gegen Narkose und in dem stets letalen Flimmern des Hunde- herzens zu Tage tritt, hat noch keine ausreichende Begründung erfahren; eine besonders spärliche Zahl der Blockfasern bei diesen Thiergattungen würde aber die beobachteten Erscheinungen ohne Weiteres verständlich erscheinen lassen. Von Prof. N. Zuntz ist beobachtet worden, dass Kaninchen, welche durch eine Trachealcanüle athmeten, bei Eintauchen des Kopfes in Wasser unter primärem Herzstillstand starben, was wohl nur durch reflectorische überstarke Reizung der Nervencentra in der Medulla oblongata von den Nervenendigungen des Trigeminus in der Nasenschleimhaut aus erklärt werden kann. Trotzdem auch hier ein reflectorischer Herztod vorliegt, ist dieser Tod bei Kaninchen doch nicht völlig in eine Reihe zu stellen mit . dem Herztod bei Menschen in Folge von Angst oder Schreck oder bei Katzen in Folge eines Wuthanfalles, da in letzteren Fällen der Tod nur in Folge psychischer Eindrücke erfolgt, während es unwahrscheinlich bleibt, dass bei niederen Thieren, wie Kaninchen, von der Grosshirnrinde aus eine so starke Erregung der Medulla oblongata erfolgen kann. Der Trigeminus- reflex des in Wasser eingetauchten Kaninchens bedarf zur Einwirkung auf die Herznervencentra nicht des Umweges über die Grosshirnrinde. Wie oben bereits erwähnt, tritt der reflectorische, fast momentane Herztod nicht ein, wenn durch künstliche Athmung für stete Stauerstofl- erneuerung im Herzen gesorgt wird, oder wenn an stark abgekühlten Thieren operirt wird, ebenso wenig, wenn Vagus und Accelerans einseitig durchtrennt worden sind. In diesem Falle erhält man durch die gleichzeitige maximale Erregung der Vagus- und Acceleranscentren Interferenzerscheinungen, welche stark abweichen von den Resultaten, welche Baxt! bei gleichzeitiger künstlicher Reizung von Vagus und Accelerans erhalten hatte. Nach Ab- klemmung der Kopfgefässe beginnt eine gewaltige, immer stärker werdende ! Ref. nach Tigerstedt, Zehrbuch der Physiologie. Leipzig 1897. Bd. I. 8. 168. 33 Hans FRIEDENTHAL: Einwirkung der Vagusreizung sich zu äussern, welche sich über lange Zeit- räume (über 80 Secunden) hin erstreckt. Aber allmählich folgen auf die Periode von immer länger währenden Herzstillständen wieder etwas häufigere, manchmal in Gruppen geordnete Herzschläge, zuerst der Vorkammern, dann der Kammern, und es erstreckt sich die Periode der steten Beschleunigung der Herzaction auf mehrere Minuten. Beim Aussetzen der künstlichen Athmung führt das Davon- galoppiren des Herzens in Folge der centralen Acceleransreizung zu baldiger Erschöpfung, die sich in Auftreten von Gruppen unter Verlangsamung der Herzschläge äussert, doch wechseln noch minutenlang Perioden von lang- samer und schneller Herzaction bis zum eintretenden Herztod (Taf. III, Fig. 9). Das völlig entnervte Herz schlägt nach Ueberwindung der plötzlichen Drucksteigerung in völlig regelmässigem, allmählich langsamer werdendem khythmus bis zu dem oft erst nach 30 Minuten durch Sauerstofimangel bedingten Absterben. Die Gesammtsumme der bis zum völligen Stillstand geleisteten Arbeit ist, wie oben erwähnt, doch recht gering. Während in den beschriebenen Versuchen nur diejenigen Thiere, bei welchen die Vagi erhalten waren, reflectorischen Herzstillstand nach wenigen Secunden aufwiesen, findet sich bei Tigerstedt! die Angabe, dass bei erstickenden Thieren das Herz länger schlägt, wenn die Vagi unversehrt sind, als wenn sie vorher durchschnitten waren, und es schliesst dieser Autor aus dieser Thatsache und aus den von Fantino und Knoll nach Durchschneidung der Vagi beobachteten Herzmuskeldegenerationen auf einen trophischen oder nutritiven Einfluss der Vaguserregung auf das Herz. Viel einfacher als durch einen hypothetischen trophischen oder nutritiven Einfluss, welcher in seiner Schwerverständlichkeit immer etwas Missliches hat, erklärt sich die von Tigerstedt beobachtete längere Lebensdauer des Herzens erstickender Thiere bei erhaltenen Vagi durch Paralysirung der Acceleranserregung, welche bei Sauerstoffmangel das Herz in kurzer Zeit erschöpft. Als Beweis für diese Auffassung kann der Umstand dienen, dass völlig entnervte Herzen ebenfalls länger schlagen als solche, bei denen die Vagi durchschnitten sind, und mindestens ebenso lange wie Herzen mit erhaltenen Vagi. Die atrophischen und degenerativen Veränderungen im Myocard nach Vagusdurchschneidung bedürfen wohl ebenfalls einer Nachuntersuchung, nachdem es Prof. Nicolaides gelungen ist, Hunde lange Zeit nach doppel- seitiger Vagusdurchschneidung am Leben zu erhalten. Mit dieser Thatsache 1 A.2.0. 8.166. ÜBER KEFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND THuıEREN. 39 sind die Angaben von Fantino!, dass verschiedene Theile der Herzkammern degeneriren sollen, je nachdem der rechte oder linke Vagus durchschnitten wird, nicht recht vereinbar.? Mit den Angaben von Tigerstedt über die längere Schlagdauer des erstickenden Herzens bei Erhaltung der Vagi, steht also, wie zu zeigen versucht wurde, die Beobachtung des acut eintretenden Herztodes nach Abklemmaung der Kopfarterien bei erhaltenen Vagi nicht in Widerspruch. Vielleicht besteht eine Analogie der beschriebenen Versuche mit den Erscheinungen, welche H. Kronecker? nach Abklemmung der Kranz- arterien an Herzen von Hunden beobachtet hatte. Auch in diesen Ver- suchen folgten die Störungen der Coordination der Herzkammern so rasch auf die Unterbindung der Kranzarterien, dass der Sauerstoffmangel nicht als einzige Quelle der Herzstörung angesehen werden kann, wohl aber wäre es möglich, das Flimmern der Hundeherzen auf ein Zusammenwirken von Reizung intracardialer Nervencentra und acuter Druckänderung im Myocard zu beziehen. In diesem Falle wie in den Versuchen mit Abklemmung der Kopfarterien wäre dann der Herztod nicht eine Folge des Ausbleibens neurogener Erregungen, sondern im Gegentheil die Folge hemmender und störender Einflüsse der durch CO, gereizten Nervenzellen auf die auto- matischen Impulse für die Herzbewegung oder auf die Reizleitung, besonders in den Blockfasern. Das aussergewöhnlich lange Schlagen der Herzen von Enthaupteten, welches oft die Verwunderung von Aerzten erregt hat, wäre darnach auf die mit Zerstörung des verlängerten Markes gleichzeitig erfolgende Durch- trennung von Vagi und Accelerantes zu beziehen, in Folge derer ein An- halten des Herzschlages durch Nervenhemmung, wie es bei den anderen Todesarten eintritt, verhindert wird. Geben die beschriebenen Versuche auch keinen Aufschluss über die Art der Einwirkung des Nervensystems auf die Herzthätigkeit, so zeigen sie doch auf’s Neue, dass die Ursache für die rhythmische Herzbewegung nur im Herzen selber gesucht werden muss und nicht etwa, wie Cyon glaubt, im Centralnervensystem. Die von Cyon beschriebenen Versuche bilden ! Ueber die Veränderungen des Myocardiums in Folge der Durchschneidung der Nervi extracardiaci. Centralbl. für die med. Wissensch. 1888. Nr. 23. 8.433 und Nr. 24. 8.449. ? Eigene Versuche, Degeneration in der Muskelsubstanz von Herzen nachzuweisen, welche jeder Verbindung mit dem Centralnervensystem durch Durchschneidung der Vagi, Accelerantes und Depressores beraubt waren, sind bisher stets gescheitert. Litteratur über Degenerationen findet sich bei Engelmann, Pflüger’s Archiv. Bd. LXV. S. 109. ® Ueber Störungen der Coordination des Herzkammerschlages. Zeitschrift für Biologie. 1897. 3. 70. 40 Hans FRIEDENTHAL: auch durchaus keinen Beweis gegen die Richtigkeit der Theorie von dem myogenen Ursprung der Herzthätigkeit, mit der vielmehr Cyon’s Ver- suche, wie auch die oben beschriebenen, im besten Einklang stehen. Das Centralnervensystem vermag wohl das spontan schlagende Herz zum Still- stand zu bringen, nicht aber das ruhende zum Schlagen zu bewegen; denn der von Cyon beschriebene Versuch erklärt sich leicht durch eine vom Nerveneinfluss herrührende Steigerung der Anspruchsfähigkeit der Herz- muskelzelle für den automatischen Reiz, da v.Cyon wohl nicht auf das Aufhören der Pulsationen in den Enden der Körpervenen geachtet hatte. Sollte es allerdings möglich sein, ein in allen Theilen stillstehendes Herz durch Nervenreizung zu Contractionen zu veranlassen, so wäre die grosse Kluft, welche die Innervationsverhältnisse des Herzens von der der Organe mit glatter Muskulatur bisher noch trennt, überbrückt, da durch Nervenreizung die glatte Muskulatur zur Contraction gebracht werden kann, während es am schlagenden Herzen noch niemals gelungen ist, durch Nervenreizung eine Extrasystole auszulösen. Eine solche Erregung der Herzpulsationen in einem völlig stillstehenden Herzen ist aber weder in den obigen Versuchen. möglich gewesen, noch aus dem von v. Cyon be- schriebenen Versuche mit Sicherheit zu erschliessen. Versuchsprotokolle. I. Versuche über Folgen des Kussmaul-Tenner’schen Versuches bei Intactheit sämmtlicher Herznerven. Von den zahlreichen Versuchen über den acuten Herzstillstand nach Abklemmung der Kopfarterien seien nur die folgenden vier als besonders charakteristisch näher beschrieben. Versuch d. 15. X. 1900. (Hierzu Taf. I, Fig. 1.) Einem männlichen Kaninchen von 1800®°” wird der Thorax nach Gad geöffnet, die Carotis und Art. subelavia beiderseits präparirt. Die linke Art. subelavia wird vor dem Abgang der Art. vertebralis abgebunden, um einer Verletzung der nahe der Abgangsstelle gelegenen Accelerantes bei der Abklemmung vorzubeugen. Die Präparation der Gefässe erfolgt so rasch, dass keine merkliche Ab- kühlung des Thieres zu Stande kommt. Das freiliegende Herz wird durch die Strahlen einer elektrischen Glühlampe warm gehalten. Auch in den weiteren Versuchen haben sich transportable elektrische Glühlampen als sehr bequem und geeignet erwiesen, um die Abkühlung aufgebundener Thiere zu verhindern. Nach gleichzeitiger Abklemmung der rechten Oarotis und der rechten Art. subelavia macht die linke Herzkammer noch einige schwache Schläge, um nach kurzer Zeit dauernd still zu stehen. Das linke Herzohr, sowie die gesammte rechte Herzhälfte schlägt noch einige Minuten mit minimaler Kraft weiter, Schwache Pulsationen der Herzohren und grossen ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND THIKREN. 41 Venenenden sind noch nach 15 Minuten zu bemerken. Die linke Kammer steht dauernd mit mittlerer Blutfüllung still. Die Aufzeichnung der Curve Fig. 1 erfolgte mit dem Gad-Cowl’schen Tonographen aus der linken Carotis. Versuch d. 11.X. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig. 2.) Einem etwa 1500°" schweren Kaninchen wird, wie im obigen Versuch, die linke Art. subelavia vor dem Abgang der Art. vertebralis unterbunden. Bei | auf der Fig. 2 werden die restirenden Kopfarterien abgeklemmt. Nach wenigen Secunden steht das Herz (vielmehr richtiger die linke Herzkammer) still. Die Ath- mung ist auch nach Stillstehen der linken Kammer noch zu bemerken, doch erfolgt wegen des acuten Lungenödems keine Sauerstoffzufuhr zum Blut. Die anderen an frischen Thieren angestellten Kussm aul-Tenner’schen Versuche ergaben das gleiche Resultat wie die oben beschriebenen. Da- gegen ist bei abgekühlten Thieren, oder bei solchen, welchen ein Nervus vagus oder accelerans durchschnitten ist, in den meisten Fällen kein dauernder Herzstillstand zu erzielen. Versuch d. 5. X. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig. 3.) Ausführung des Kussmaul-Tenner’schen Versuches an einem 1200®°"" schweren, stark abgekühlten Kaninchen. Aufzeichnung mit dem Gad-Cowl’schen Tono- graphen. Nach einigen Secunden mit kleiner und schwacher Herzaction tritt eine deutliche Vaguswirkung mit immer längeren diastolischen Still- ständen der linken Kammer in Erscheinung. Allmählich erfolgen immer schnellere Contractionen des Herzens, doch erstreckt sich die Verlangsamung gegenüber der anfänglichen Geschwindigkeit der Herzaction auf mehrere Minuten. Nachdem das Herz sich erholt hat, werden die Vagi durchschnitten, was ohne sichtbare chronotrope Wirkung geschehen kann. Bei erneuter Abklemmung schlägt das Herz in Folge der centralen Acceleransreizung, welche durch keine Vaguswirkung mehr verdeckt werden kann, mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Die positiv chronotrope Wirkung der Acceleratoren hält mehrere Minuten an. Nach Lösen der Abklemmung ist der Blutdruck des Thieres stark gesunken. Bei erneutem Abklemmen hebt sich der Blut- druck, doch ist bei diesem Thier kein reflectorisch erfolgender Herzstillstand zu erzielen. Die centrale Acceleransreizung (nicht mit auf Fig. 3 ver- zeichnet) bewirkt nicht nur positiv chronotrope, sondern auch deutlich negativ inotrope Effecte, die wahrscheinlich auf eine Schwächung der Kammer- muskulatur durch den gesteigerten Blutdruck zu beziehen sind.. Die Ab- schwächung der Kraft der linken Kammer ist bei erhaltenen und durch- schnittenen Vagi für die Abklemmung der Kopfarterien charakteristisch. Versuch d. 16. VII. 1900. Bei einem abgekühlten Kaninchen, welches künstlich beathmet wird, wurde bei erhaltenen extracardialen Nerven der Kussmaul-Tenner’sche Versuch ausgeführt. Die Aufzeichnung der Herz- action erfolgte in diesem Falle nach der Suspensionsmethode durch die Bewegungen der linken Kammer und des rechten Herzohres.. Nach Ab- klemmung der Kopfarterien treten in Folge der Krämpfe der Körpermuskulatur solche Verlagerungen des Herzens ein, dass eine Wiedergabe der Curve nicht räthlich erscheint. Ein Herzstillstand trat nicht ein, sondern nur ein acutes Sinken der Kraft der linken Kammer. Nach Lösung der Ligaturen erholt sich das Herz fast momentan und schlägt in dem früheren Rhythmus 42 HAns FRIEDENTHAL: mit der früheren Kraft längere Zeit weiter. Der Reizerfolg blieb bei diesem Thier nach mehrmaliger Abklemmung und Lösung der Ligaturen stets der gleiche. Nach Aussetzen der künstlichen Athmung schlägt das Herz noch etwa 30 Minuten mit stets abnehmender Kraft weiter. ll. Versuche über Herztod nach vorheriger Durchschneidung beider Vagi. Versuch d. 11.X.1900. (Hierzu Taf. II, Fig.4.) Einem etwa 15008" schweren Kaninchen wird nach vorheriger Durchschneidung beider Vagi und Unterbindung der linken Art. subelavia vor Abgang der Art. vertebralis der rechte Truncus anonymus abgeklemmt. Mit dem Gad-Cowl’schen Tono- graphen aus der linken Carotis geschrieben. Die gleichzeitige Drucksteigerung und centrale Acceleransreizung wirken, wie die Figur zeigt, in so hohem Grade beschleunigend auf die Herzaction, dass der Schreiber zeitweilig fast eine gerade Linie schreibt wie bei Herztetanus. Die Beschleunigung beträgt über 200 Procent der Anfangsgeschwindigkeit nach etwa einer Minute. Durch die Erschöpfung des Herzens sinkt die Kraft der Herzaction im Laufe weniger Minuten bis fast auf Null herab. Eine gleich starke und nach- haltige Acceleranswirkung ist bei künstlicher Nervenreizung nicht zu erhalten. Auch bei diesem Versuch erscheint die anfängliche Drucksteigerung bei der Abklemmung sehr wesentlich für das Zustandekommen der Herzparalyse, da künstliche Acceleransreizung sehr häufig, ja meistens positiv inotrope Wir- kungen im Gefolge hat. Künstliche Athmung war bei diesem Versuche nicht eingeleitet worden. Versuch d. 15.X. 1900. Abklemmung der Kopfarterien in der oben beschriebenen Weise. Dieser Versuch ist deshalb bemerkenswerth, weil bei ihm nach vorheriger Durchschneidung beider Vagi das Herz in verhältnissmässig kurzer Zeit zu völligem Stillstand gebracht wurde. In diesem Falle genügte also das Zusammenwirken von plötzlicher Drucksteigerung, maximaler Acceleranserregung und der Sauerstoffmangel, um die Kraft der linken Kammer innerhalb anderthalb Minuten fast auf Null herabzusetzen. Noch etwa 10 Minuten lang erfolgten vereinzelte frustrane Contraetionen der linken Kammer, dann stand dieselbe dauernd still. Da die Kleinheit der Ausschläge des Tonographen eine Verkleinerung des Tonogrammes nicht zulässt, konnte die beschriebene Curve nicht abge- bildet werden. Dieser Versuch beweist deutlich, eine wie wich- tige Rolle den drei oben genannten Factoren zukommt, und wie wenig richtig es wäre, den Herztod bei acuter Anämie des Cen- tralnervensystems allein auf Vaguswirkung zu beziehen. Aller- dings sind die Vagi beim Zustandekommen des acuten Herztodes hervorragend betheiligt, da in den meisten Fällen nach ihrer Durchschneidung der Herz- stillstand ausbleibt. Versuch d. 14. VII. 1900. Abklemmung der Kopfarterien bei einem über 20008”” schweren Kaninchen nach vorheriger Durchschneidung beider Vagi. Da die künstliche Respiration Sauerstoffmangel in Folge Aussetzens der Athmung verhinderte, konnte sich nur das Zusammenwirken von cen- traler Acceleransreizung und plötzlicher Drucksteigerung bemerkbar machen. ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BEI MENSCHEN UND THIEREN. - 43 Sofort nach der Abklemmung trat eine Schädigung der Herzkraft und Un- regelmässigkeit der Pulsation der linken Kammer ein, welche verschwand, als die Abklemmung gelöst wurde. Dauernder Herzstillstand wurde bei dieser Anordnung auch in anderen Fällen nicht erzielt. Ill. Resultate der Abklemmung der Kopfarterien bei erhaltenen Vagi nach vorgängiger Ausrottung der Nervi accelerantes. Eine wie wichtige Rolle bei dem Zustandekommen des natürlichen reflec- torischen Herztodes die maximale Erregung der Accelerantes spielt, lässt sich ausser durch die oben beschriebene Durchschneidune der Vagi vielleicht noch deutlicher durch die Ausrottung der Nervi accelerantes vor der Abklemmung der Kopfarterien demonstriren. Da die Resultate nach dieser Operation typische sind, möge die ausführlichere Beschreibung eines Versuches genügen. Versuch d. 23. X. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig. 5.) Einem Kaninchen von 22508"® Gewicht wird der Thorax nach Gad geöffnet, die Kopfarterien frei präparirt, und auf beiden Seiten die Nervi accelerantes durch Ausrottung des untersten Halsganglions entfernt. Die Art. subelavia sin. wird zur Schonung der Vagi abgebunden, der Blutdruck aus der linken Carotis mit dem Tonographen registrirt. Sofort nach der Abklemmung der restirenden Kopfarterien steigt der Blutdruck und tritt eine typische Vaguswirkung in Erscheinung, im Gegensatz zu den Versuchen mit Erhaltung aller extra- cardialen Herznerven, bei denen die Herzaction sofort nach der Abklemmung klein, rasch und unregelmässig gefunden wurde. Im obigen Versuche wurden die diastolischen Stillstände der linken Kammer in regelmässiger Folge immer länger bis zur Dauer von vielen Secunden. Eine Minute nach der Ab- klemmung steht die linke Kammer unter starkem Absinken des Blutdruckes für mehrere Minuten ununterbrochen still, doch beginnt die Action der linken Kammer sofort nach Freigabe der Abklemmung der Kopfarterien. Bei wiederholten Abklemmungen tritt wiederum das typische Bild einer Vagusreizung in Erscheinung. Wird die Abklemmung der Kopfarterien nicht gelöst, so kann das Herz in Diastole durch die vereinte Wirkung der centralen Vagusreizung und des Sauerstoffmangels stehen bleiben. Bei künst- licher Respiration des Thieres kam es dagegen nicht zu dauerndem Herz- stillstand nach Ausrottung der Nervi accelerantes, so dass die Nervi vagi anscheinend einer Unterstützung von Seiten einer anderen Herzschädigung bedürfen, um ein Herz dauernd am Schlagen zu verhindern. Die wirksamste Unterstützung finden die Vagi natürlich in dem Sinken der Erregbarkeit der Muskelzellen für den automatischen Reiz durch die auf den diastolischen Stillstand folgende Sauerstoffentziehung. Es ist kein Fall bekannt geworden, in welchem ein durch Vaguswirkung stillgestelltes Herz nicht durch alleinige Zufuhr von arteriellem Blut wieder hätte zu erneutem Schlagen gebracht werden können. Man darf daher bei der Gleichheit der Wirkung von Sauerstoffmangel und centraler Vaguswirkung vermuthen, dass auch die Vaguswirkung auf die Kammermuskulatur zum Theil besteht in einer Ver- minderung der Anspruchsfähigkeit der Herzzellen für den automatischen Reiz. Diese Frage bedarf jedoch zur Sicherstellung noch einer erneuten gründlichen Prüfung. 44 Hans FRIEDENTHAL: IV. Wirkung der Abklemmung der Kopfarterien auf völlig entnervte Herzen. Für die Wirkung der Abklemmung aller Kopfarterien auf das Herz nach Entfernung aller extracardialen Nerven kommt nur noch die Wirkung des Sauerstoffmangels durch Aussetzen der Athmung und die Wirkung der Druckänderung auf die Herzkraft in Frage. Bei unterhaltener künstlicher Respiration und allmählicher Ausschaltung der Kopfarterien ist überhaupt keine Wirkung auf das Herz zu constatiren. Versuch d. 14. VII. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig.6.) Einem etwa 20002” schweren Kaninchen wird der Thorax nach Gad geöffnet, die Kopfarterien präparirt und bis auf eine Carotis abgebunden. Beide Vagi werden durch- schnitten, das Ganglion cervicale inferius jederseits präparirt und heraus- genommen. Damit sind alle extracardialen Nerven durchtrennt. Eine Camüle wird in die Trachea eingelegt und künstliche Athmung unterhalten. Nach Abklemmung der letzten Kopfarterie ist, wie die Fig. 6 zeigt, keine Wirkung auf das Herz zu constatiren. Die Aufzeichnung der Curve erfolgte nach der Suspensionsmethode, indem die Hebel mit dem rechten Herzohr und der linken Kammer verbunden wurden. Wird die künstliche Athmung unterlassen und die Arterien zum Kopfe nicht allmählich, sondern plötzlich abgeklemmt, so zeigt sich eine Wirkung auf die Action der linken Kammer, welche aber rasch vorübergeht. Viele Minuten schlägt das Herz nach Ausgleich der durch die Drucksteigerung bewirkten Störung in regelmässigem Rhythmus bis zu dem dauernden Herz- stillstand, welcher in diesem Falle durch Sauerstoffmangel eintreten muss. Versuch d. 16.X. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig. 7.) Einem 18508m schweren Kaninchen wird der Thorax nach Gad geöffnet, die Kopfarterien präparirt, alle extracardialen Herznerven durchtrennt, wie in obigem Versuch. Die Curve ist aus der linken Carotis mit dem Tonographen geschrieben. Die restirenden Kopfarterien werden nicht allmählich, sondern auf einmal abgeklemmt. Das Thier wird nicht künstlich beathmet. Nach der kurz- dauernden Störung, welche die Figur zeigt, schlägt das Herz in regelmässigem Rhythmus trotz des Athemstillstandes weiter. Die zahlreichen Versuche über Abklemmung der Kopfarterien bei Thieren mit völlig entnervten Herzen können nicht alle ausführlich mitgetheilt werden; es sei jedoch erwähnt, dass bei öfterer Wiederholung der plötzlichen Abklemmung aller Kopfarterien die Störungen in dem Schlage der linken Kammer, die durch die Druck- steigerung bewirkt werden, schliesslich nicht mehr auftreten. V. Wirkung der anhaltenden künstlichen Reizung beider Vagi auf das Herz. Versuch d. 16. X. 1900. (Hierzu Taf. II, Fig. 8.) Einem etwa 1800®" schweren Kaninchen werden beide Vagi am Halse durchtrennt und auf eine Elektrode gelegt. Der Blutdruck mit dem Tonographen aus der linken Carotis geschrieben. Die beiden Vagi wurden mit einem Induetionsstrom von maximaler Stärke bei völlig über einander geschobenen Rollen ununter- ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD BET MENSCHEN UND THIEREN. 45 brochen gereizt. Künstliche Athmung wird nicht eingeleitet. Der elektrische Strom ist so stark, dass es zur Funkenbildung beim Anlegen an die Nerven kommt. Trotzdem ist der Effeet kein anderer, als der gewohnte temporäre Kammerstillstand bei schwächerer Reizung. Nach einer Periode von schnel- lerer Schlagfolge der Kammer tritt wieder die Vaguswirkung mit ihren langen diastolischen Pausen zu Tage, dann schlägt das Herz wiederum schneller, und schliesslich ist die dauernde Reizung ohne negativ chronotrope Wirkung. Die maximale künstliche Reizung der Vagi kann an Stärke mit der vom Centralnervensystem ausgehenden natürlichen Vagusreizung nieht entfernt coneurriren, obgleich auch diese gewöhnlich nicht genügt, ein mit arteriellem Blut gespeistes Herz dauernd zu lähmen. VI Interferenzwirkung bei gleichzeitiger centraler Reizung von Vagus und Accelerans. Versuch d. 12. X. 1900. (Hierzu Taf. UI, Fig. 9.) Einem Kaninchen wird der Thorax nach Gad geöffnet, die Kopfarterien präparirt, der linke Vagus und der linke Accelerans durchschnitten. Da Pneumothorax sich ausbildet, wird die künstliche Athmung eingeleitet, welche aber bei Ab- klemmung der Kopfarterien zugleich ausgesetzt wird. Die Aufzeichnung der Herzschläge erfolgt nach der Suspensionsmethode vom rechten Herzohr und der linken Kammer aus. Wenige Secunden nach der Abklemmung sämmt- licher Kopfgefässe steht das rechte Herzohr für fast eine Minute still, während die linke Kammer in langen Pausen allmählich stärker werdende Contractionen ausführt. Nach einiger Zeit nimmt auch das Herzohr seine Pulsationen wieder auf in immer schnellerer Schlagfolge, bis schliesslich ein völliges Davongaloppiren des Herzens zu bemerken ist. Für den Zeitraum einer Minute folgen dann bei regelmässigem Rhythmus des Herzohres in Gruppen geordnete Kammersystolen, welche auf eine Erschwerung der Leitung von den Vorhöfen zu den Herzkammern hinweisen. Schliesslich folgt erst auf jede zweite oder gar dritte Vorhofsystole eine Kammersystole. Die negativ inotrope Wirkung des Sauerstoffmangels tritt zuletzt immer mehr in den Vordergrund. Wie bereits im Haupttext hervorgehoben, erzielte Baxt bei künst- licher Reizung ganz andere Interferenzerscheinungen der gleichzeitigen Vagus und Acceleransreizung. Namentlich dominirte in Baxt’s Versuchen die Vaguswirkung nicht so lange über die Acceleransreizung, und ging nicht so allmählich, sondern recht rasch in die Acceleranswirkung über. Allerdings sind unsere Kenntnisse über die Art und den Ort der Ein- wirkung der extracardialen Nerven noch viel zu wenig präcise, als dass wir den Erfolg gleichzeitiger Einwirkungen von Nerven auf die Herzzellen mit irgend welcher Sicherheit voraussagen könnten. Die Reaction des Herzens nach dem correct ausgeführten Kussmaul-Tenner’schen Versuch dagegen muss als eine sehr constante bezeichnet werden, und es lässt sich in groben Umrissen die Art und die Zahl der beim Herzstillstand be- theiligten Faetoren übersehen. 46 Hans FRIEDENTHAL: ÜBER REFLECTORISCHEN HERZTOD U. S. w. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 5. abgeklemmt. Fig. 4. Fig. 5. geklemmt. Fig. 6. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IT u. IIL) Tafel II. Herz mit allen Nerven; bei | Kopfarterien abgeklemmt. Herz mit allen Nerven; bei | Kopfarterien abgeklemmt. Herz mit allen Nerven; stark abgekühltes Thier, bei | Kopfarterien Vagi vor dem Versuch durchschnitten; bei | Kopfarterien abgeklemmt. Accelerantes vor dem Versuch durchschnitten; bei | Kopfarterien ab- Herz völlig entnervt; Suspensionsmethode, bei | Kopfarterien abge- klemmt, bei | Abklemmung gelöst. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Herz entnervt; bei | Kopfarterien abgeklemmt. Maximale künstliche Reizung der Vagi; bei | Beginn der Reizung. Tafel III. Herz nach Durchschneidung des linken Vagus und linken Accelerans bei | Kopfarterien abgeklemmt. Zu beachten ist, dass Abschnitt A und B, die ur- sprünglich neben einander gehören, auf Taf. IV unter einander gedruckt sind, die Curve ist daher in der Reihenfolge I, Ia, dann II, IIb u. s. w. zu lesen. Zum Bewegungsmechanismus des Trommelfells und Hammers. Von Professor Ostmann in Marburg. Bei meinen experimentellen Untersuchungen zur Massage des Ohres! habe ich einige Beobachtungen gemacht, welche geeignet sind, von v. Helm- holtz geäusserte Anschauungen über den Bewegungsmechanismus des Trommelfelles und Hammers experimentell zu erhärten. Ich glaube des- halb, diese Beobachtungen in Kürze hier mittheilen zu dürfen. Zum Zwecke des Studiums der Bewegungen, welche beim Auftreffen von Luftwellen auf das Trommelfell vom Hammerkopf ausgeführt werden, wurde ein ganz frisches, normales Gehörorgan des Menschen in folgender Weise präparırt: Das Paukenhöhlendach wurde so weit entfernt, dass der Hammerkopf frei zu Tage lag. Die Kuppe desselben wurde an umschriebener Stelle mit dem galvanokaustischen Spitzbrenner getrocknet und hier ein 50.5 "m langer, sehr feiner Glasfaden mit Ruff’schem Universalkitt aufgekittet; die Spitze des in seinem oberen Drittel stumpfwinklig abgebogenen Fadens wies gegen die Tube und fiel ein klein wenig nach innen aus einer senk- rechten Ebene heraus, die man sich durch das Axenband des Hammers gelegt denkt. Während des Erstarrens des Kittes, welches einige Stunden in An- spruch nahm, wurde das Präparat unter dem Exsiccator, dessen Zellen mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllt waren, vor dem Austrocknen ge- schützt, während der Versuche selbst durch Umhüllen mit dieken Lagen Fliesspapier, welches mit der gleichen Lösung getränkt war. I Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XLV. 48 OSTMANN: Unmittelbar vor den Versuchen wurde ein Glasrohr in den knorpeligen (rehörgang eingebunden und über dieses ein starrwandiger Gummischlauch zur Ueberleitung der Luftwellen auf das Trommelfell geschoben. Die Schwingungen des Hammerkopfes wurden auf die rotirende Trommel des Ludwig’schen Kymographion aufgeschrieben, welches ebenso wie das Präparat und die die Luftwellen erzeugenden Apparate zur Ver- meidung störender Erschütterungen je auf einem besonderen steinernen oder eisernen Tisch aufgestellt war. An der Gleichmässigkeit der Curven zeigte sich, dass die Aufzeichnung nahezu ohne jede störende Nebenwirkung er- folgte; nur die Fehlerquellen liegen im Wesentlichen vor, welche durch A lateral wärts Y medianwäıts b 1 Secunde Fig. 1. 4 = Schwingungen des Hammerkopfes bei Bewegungen des Schallleitungsapparates mittels einer in den Gehörgang eingesetzten kleinen Spritze. b = Zeiteurve. den Zustand der Präparate selbst, insbesondere die Todtenstarre der Binnen- muskeln des Ohres, gegeben waren. In seiner Mechanik der Greehörknöchelchen und des Trommelfelles ! weist v. Helmholtz darauf hin, dass der Luftdruck von aussen den Hammer- sriff höchstens so weit nach innen treiben kann, bis die Radialfasern des Trommelfelles gerade gestreckt sind. „Sollte der Druck noch grösser werden, so würde er sie wieder krümmen, ihre Sehne verkürzen, und den Hammerstiel wieder auswärts ziehen, falls die Ringfasern des Trommel- felles, was mir unwahrscheinlich erscheint, wirklich so viel nachgeben könnten, ohne zu reissen.“ Die beistehende Curve 1 zeigt die Schwingungen des Hammerkopfes, wenn das Trommelfell durch sehr kleine Stempelbewegungen einer in den (rehörgang luftdicht eingesetzten Spritze in Schwingungen versetzt wurde 18.49. Zum BEWEGUNGSMECHANISMUS DES TROMMELFELLS UND HAMMERS. 49 Die Erklärung der Curve ergiebt mit voller Deutlichkeit einerseits die Richtigkeit der vorstehend angeführten Aeusserung von v. Helmholtz, an- dererseits aber auch, dass die Radialfasern eine nicht unwesentlich grössere Widerstandskraft besitzen, als Helmholtz anzunehmen geneigt war. Der Abschnitt @% der Curve (Fie. 1) fällt zeitlich mit einer ganzen Stempelbewegung zusammen; von diesem Abschnitt entfällt die Theil- strecke arn auf die Vorwärts-, sh auf die Rückwärtsbewegung des Stempels, ns auf die Pause zwischen beiden. Während der Vorwärtsbewegung des Stempels bewegt sich der Hammer- kopf zunächst nach aussen, erreicht mit Geradstreckung der Radialfasern den lateralsten Punkt seiner Stellung (r) und bewegt sich dann bei Krümmung der Fasern nach innen medianwärts. Sobald der Druck des Stempelstosses yh A Jateralwärts Y medianwärts Fig. 2. a = Schwingungen des Hammerkopfes bei Bewegungen des Schallleitungsapparates mittels elektrisch betriebenen Vibrationsmasseurs. Verschiebungen des Kolbens 2mm; Stromstärke 1-40 Amp. b = Zeitceurve. aufhört, schnellt das stark gespannte Trommelfell ein wenig zurück, der Hammerkopf bewegt sich wiederum lateralwärts, um dann bis zum Beginn der Rückwärtsbewegung des Stempels in der durch den Ueberdruck im äusseren Gehörgang bedingten Lage zu verharren. Die Curve 2 zeigt genau dieselbe Linienführung und ist unter der Massage des Schallleitungsapparates mittels elektrisch betriebenen Vibra- tionsmasseurs bei Excursionen des Kolbens von 2" vom Hammerkopf auf- gezeichnet worden. Der Unterschied zwischen beiden Curven liegt nur darin, dass bei der zweiten die Pausen zwischen der Vor- und Rückwärts- bewegung des Kolbens ungleich kürzer sind, wie dies dem exacteren Ar- beiten der Maschine gegenüber der Hand entspricht. Aus der Lage des Hammerkopfes zur Drehungsachse des Hammers einerseits und der unveränderlichen Entfernung zwischen Hammerkopf und dem Befestigungspunkt des Ambosses andererseits schloss v. Helmholtz, dass „der Hammer, indem sein Stiel sich nach innen bewegt, gleichzeitig Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 4 50 ÜSTMANN: auch eine kleine Neigung mit seinem Kopfe nach hinten gegen den Amboss hin machen muss.“ Diese Annahme fand er durch die Beobachtung der Spannung ein- zelner Bänder bestätigt, sobald er den Hammerstiel nach innen drängte. a N a A lateralwärts Nur) 2 Sg , medianwärts Fig. 3. a = Schwingungen des Hammerkopfes bei Bewegungen des Schallleitungsapparates mittels elektrisch betriebenen Vibrationsmasseurs. Verschiebungen des Kolbens mm, Stromstärke 1:5 Amp. b = Zeiteurve. Die Curven 3 und 4 geben eine weitere experimentelle Bestätigung dieser Anschauung. Wenn man den elektrischen Vihrationsmasseur so einstellt, dass der Kolben sich um 3 "m oder mehr verschiebt, so verändert sich die Schwin- lateralwärts RN \ medianwärts Fig. 4. a = Schwingungen des Hammerkopfes bei Verschiebungen des Kolbens um 6%"; Stromstärke 1-6 Amp. Zeiteurve. o Il gungsform des Hammerkopfes mehr und mehr gegenüber der bei geringeren Druckwirkungen auf das Trommelfell. Die Wölbung der Radialfasern über die Geradstreckung hinaus nach innen, wie wir sie aus Curve 1 und 2 in ihrer Wirkung auf die Schwin- sungsform des Hammerkopfes so deutlich erkennen, geht bei wachsender Druckwirkung schliesslich ganz verloren und zwar in Folge des Ausfalles der Vorbedingungen für die Einwärtswölbung der Fasern. Sie setzt voraus, dass nach Geradstreckung der Radialfasern der Hammergriff für sich einer ZUM BEWEGUNGSMECHANISMUS DES TROMMELFELLS UND HAMMERS. 5i weiteren Mitbewegung medianwärts Widerstand leistet. Dies kann nur durch den Widerstand seiner Bandbefestigungen geschehen. Wenn aber der Druck von aussen so stark wird, dass die Bänder nachgeben, so fällt, je mehr dies geschieht, auch um so mehr die Möglichkeit der Einwärts- biegung der Radialfasern und damit die Aussenbewegung des Hammer- kopfes fort. So sehen wir dieselbe in Curve 3 nur noch schwach ange- . deutet; in Curve 4 fehlt sie ganz. Bei sehr starken Luftdruckschwankungen wird also der Hammerstiel unter Dehnung der Bänder mitgerissen und die Radialfasern werden nach Geradstreckung in die Länge gezerrt, ohne sich nach innen zu krümmen. Die Curven zeigen aber ein weiteres Moment sehr deutlich; je kräftiger der Hammerstiel nach innen gedrängt wurde, um so deutlicher tritt die Annäherung des Hammerkopfes an den Amboss hervor. Fast ganz ausnahmslos ist die Auswärtsbewegung des Hammerkopfes durch Strichelung, die Einwärtsbewegung durch ununterbrochene Linien gekennzeichnet, was unter Berücksichtigung der vorerwähnten Stellung des Schreibhebels nur so gedeutet werden kann, dass sich derselbe bei der Be- wegung des Hammerkopfes nach aussen von der rotirenden Trommel des Kymographion entfernt oder, was dasselbe sagt, der Hammerkopf gegen den Amboss geneigt hat, wie Helmholtz theoretisch folgerte. 4* Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte. Von Adolf Bickel. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Einleitung. Die vorliegende Arbeit stellt gewissermaassen eine Fortsetzung meiner im Jahre 1897 publieirten Untersuchungen über das Centralnervensystem der Schildkröten dar. In jener früheren Arbeit (1) studirte ich die Functionen des Rückenmarks der Schildkröten; heute werde ich über die Physiologie des Gehirns dieser Thiere berichten. Wenn man von jenen vereinzelten Angaben, die sich in der Litteratur über die Reflexbewegungen der decapitirten Schildkröte vorfinden, absieht, so existirt bis jetzt nur eine einzige kurze Mittheilung von Fano (2) in Florenz, in der Einiges über die Functionen einzelner Abschnitte des Schild- krötengehirns gesagt ist. Es schien mir daher, zumal mit Rücksicht auf die vergleichende Gehirnphysiologie, nothwendig, über das Schildkröten- gehirn weitere physiologische Erfahrungen zu sammeln. Die kurzen Angaben, welche Fano gelegentlich einer vergleichend- physiologischen Studie über das nervöse Centralorgan in Betreff des Schild- krötengehirns macht, lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen: Nach Abtragung der Hemisphären bleiben die Schildkröten vollkommen unbeweglich, wenn man sie nicht ausdrücklich reizt und sie nicht in abnorme Lagen bringt. Nach Exstirpation der Hemisphären, des Thalamus und der Lobi optici zeigen die Schildkröten, die sehr lange Zeit diese Operation überleben können, bis zu ihrem Tode einen auffälligen Bewegungsdrang, der sich darin äussert, dass die Thiere spontan mit kürzeren oder längeren Zwischen- räumen in allen möglichen Richtungen und anscheinend zwecklos herum- ADoLF BIiCKEL: BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE D. SCHILDKRÖTE, 53 kriechen. Die einzelnen Extremitäten arbeiten in guter Coordination mit einander. Wenn man Schildkröten ausserdem noch das Kleinhirn und das vorderste Drittel der Medulla oblongata abträgt, so zeigen sie dieselben Phänomene in Bezug auf die Locomotion. Bei diesen Thieren ist ferner der Gleich- gewichtssinn noch nicht völlig erloschen. Haupttheil. Bevor ich an die Schilderung meiner eigenen Versuche über das Schildkrötengehirn herantrete, halte ich es für erforderlich, einige Mit- theilungen über die anatomischen Verhältnisse des Schildkrötengehirns mit Berücksichtigung des ÖOperationsverfahrens zu machen. Ich lehne mich, was die Anatomie des Schildkrötengehirns angeht, an die Arbeiten von Stieda (3), Gegenbaur (4), Edinger (5) an Zur Anatomie des Schildkrötengehirns. Das Gehirn der Schildkröte ist in eine derbe, fibröse Hülle, die Dura mater, eingebettet, bei deren Eröffnung am lebenden Thier sich der Liquor cerebro-spinalis unter starkem Druck in verhältnissmässig reichlicher Menge nach aussen ergiesst. Nach Abtragung dieser Membran, die sich hoch über das Gehirn wölbt, sieht man letzteres in der Tiefe liegen. Die Hemisphären nehmen bei Weitem den grössten Theil der Schädel- kapsel ein. Von oben gesehen liegen sie in der Medianlinie dicht bei- sammen; am caudalen Ende weichen sie spitzwinklig auseinander und lassen hier in der Tiefe ein kleines dreieckiges Feld (Zwischenhirn) hervor- treten, das hinten, nämlich an der Basis des Dreiecks von: den Corpora bigemina begrenzt wird. In ihrem vorderen Theile verjüngen sich die Hemisphären und setzen sich durch eine Querfurche vom Lobus olfactorius ab. Caudalwärts ver- breitern sie sich rasch, um einen mächtigen Oceipitallappen hervorgehen zu lassen, der sich weit nach hinten und seitwärts erstreckt und in die Tiefe der Schädelhöhle hinabsenkt. Er ist jedoch — das sei hier gleich gesagt — in anatomischer Beziehung nicht mit dem Oceipitallappen der Vögel und Säugethiere vergleichbar. Die Hemisphären werden in der Medianlinie durch schwach angelegte Züge des Corpus callosum und unmittelbar ventral von dem Balken durch die Züge der Commissura anterior verbunden. Die Faserung der Fornix ist in den ersten Anlagen vorhanden. Ausserdem besteht als weiteres Ver- bindungsstück der Hemisphären -bei den Schildkröten (Stieda) die Lamina terminalis, die vordere Schlussplatte des 3. Ventrikels. 54 ADOLF BiIckEL: Bemerkenswerth ist ferner, dass bei der Schildkröte die beiden Seiten- wände des 3. Ventrikels in der Mitte auf eine kurze Strecke verschmelzen. Diese Stelle entspricht der Commissura media oder mollis der Säugethiere. Wichtig für die Operationstechnik am Schildkrötengehirn ist die Kennt- niss des Opticusverlaufes. Das Dach des Mittelhirns dient im Wesentlichen dem Opticus als Ursprungsstätte; aus dem Corpus geniculatum laterale des Zwischenhirns erhält dieser Nerv nur einen verhältnissmässig geringen Zuwachs an Fasern. Fig. 1. Emys europaea. Gehirn und eranialer Theil des Rückenmarkes. In normaler Lage fixirt und dann mit dem Pia-Ueberzug photographirt. (Vergrösserung etwa 1!/, nat. Grösse.) % = Gerebellum, 2 = Corpora bigemina, m = Begrenzungsfurche des Lobus olfactorius, n = Hypophysis, o = Nn. optici (Chiasma), p = N. olfactorius. Die beiden Sehnerven ziehen vom Mittelhirndach ventral und nach vorne, umklammern das Zwischenhirn von den Seiten und bilden unter ihm das Chiasma. Die Basis des Mittelhirns ist sehr kurz und durch eine leichte (Juerfurche von der Basis des Hinterhirns und Nachhirns getrennt. An das Mittelhirn schliesst sich caudalwärts eine halbmondförmige, leicht geschwungene Platte, welche die Rautengrube etwa bis zur Ursprungs- stelle des Nervus acusticus bedeckt. Der gerade Rand der Platte ist dem Mittelhirn angefügt. Diese Platte stellt das Kleinhirn dar. Es liegt den Seitentheilen des 4. Ventrikels locker auf und lässt sich von ihnen bequem abheben. Das Hinterhirn ist vom Nachhirn an der Basis nicht scharf getrennt. Die Brücke fehlt bei der Schildkröte ganz und so würde die Eintheilung an der (Gehirmbasis in einen Hinterhirn- und Nachhirnabschnitt etwas will- BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 55 kürlich erscheinen. Diese Hinterhirn-Nachhirnbasis zeigt eine äusserst starke ventraleonvexe Krümmung, wie das auch aus den beigegebenen Figuren ersichtlich ist. Die Rautengrube besitzt stark gewulstete Ränder; sie wird von der Taenia medullaris theilweise gedeckt. Die Medulla oblongata verjüngt sich im Gebiet des Calamus scriptorius sehr rasch und lässt das im Vergleich in ihr und zum Gehirn fadenförmig erscheinende. Rückenmark hervorgehen. Die Operationen, über die im Nachstehenden berichtet werden soll, wurden ausgeführt an dem Vorderhirn, dem Zwischenhirn, Mittelhirn, Klein- hirn und Hinterhirn = Nachhirn. Wenn ıman die Hemisphären mit der Pincette in der Medianlinie oben etwas auseinander zieht und ihre medialen Verbindungen trennt, so werden in der Tiefe zwei Brücken von mässiger Breite sichtbar, durch die die Hemisphären mit dem Zwischenhirn verbunden erscheinen. Mit einem feinen Messerchen lassen sich diese Brücken dicht an der medialen Fläche der Hemisphären bequem durchtrennen (vergl. Fig. 2). Hierdurch werden die Hemisphären von dem Hirnstamm isolirt. Hat man sie sodann aus der Schädelkapsel herausgewälzt, so sieht man nunmehr, wie der Hirnstamm vorne steil in die Tiefe abfällt. Rechts und links ist ein Stückchen des Sehnerven sichtbar; das Chiasma wird von der Masse des Zwischenhirns bedeckt. Die Ebene, in der der Schnitt zur Abtragung der Hemisphären aus- geführt wird, verläuft von oben und medial nach unten und lateral; sie ist demgemäss zur Schädelbasis schräg gestellt. Führt man nach Abtragung der Hemisphären einen Schnitt senkrecht zur Basis cranii, unmittelbar an der vorderen Circumferenz der Corpora bigemina, so trennt dieser das Zwischenhirn vom Mittelhirn ab. Nur ein kleiner, dem Mittelhirn untergelagerter Rest des Zwischenhirns bleibt be- stehen. Dieses räumliche Verhältniss des Zwischenhirns zum Mittelhirn lassen die Fieg. 2 und 3 gut erkennen. Noch deutlicher ging diese Lagebeziehung aus frontalen Schnittserien hervor, in die ich das ganze Schildkrötengehirn zerlegte. Man kann also bei dieser Art und Weise der Schnittführung — wie das übrigens auch Steiner für das Eidechsengehirn angegeben hat — nicht das ganze Zwischenhirn vom übrigen Hirnstamm abtrennen. Um das zu thun, müsste man den Schnitt in einer gewundenen Linie führen. Das lehren ganz besonders die mikroskopischen Präparate der oben genannten Schnittserie. Da man aber nun andererseits makroskopisch keinen hinläng- lich sicheren Anhaltspunkt hat, um mit absoluter Genauigkeit das Zwischen- 56 ADOLF BiIckEL: hirn aus dem Mittelhirn herauszuschälen, so wird man bei dieser Operation immer mehr oder minder auf den Zufall angewiesen sein. Denn, wie gesagt, makroskopisch setzt sich das Zwischenhirn von der Mittelhirnbasis, die überdies sehr kurz ist, nicht scharf ab. Um aber bei diesen Versuchen nicht auf das gute Glück angewiesen zu sein, verzichtete ich auf diese Ausschälung des Zwischenhirns und schlug folgenden Ausweg ein. Ich nahm die Abtragung des Zwischenhirns in doppelter Weise vor, wie es auf Fig. 3 angegeben ist. Bei einer Reihe von Schildkröten führte ich an der cranialen Circum- ferenz der Corpora bigemina einen Schnitt senkrecht zur Schädelbasis. Bei einer anderen Serie operirte ich der Art, dass die Schnittebene tangential zur frontalen .Circumferenz der Zweihügel gestellt war und schräg in caudoventraler Richtung verlief. Bei diesem zweiten Operationsverfahren wurde die Mittelhirnbasis in ihrem vorderen Theile mitverletzt. Hiervon überzeugte ich mich ebenfalls durch die mikroskopische Untersuchung. Die Ergebnisse, welche die Versuche nach diesen beiden Operations- methoden hatten, waren, wie weiter. unten u werden wird, sehr ver- schiedenartige. Da aber die Tihiere, bei denen die schräge Sohniktfährune angewandt wurde, in ihrem Verhalten grosse Aehnlichkeit hatten mit denjenigen Schild- kröten, denen das ganze Mittelhirn nebst seiner Basis abgetragen war, indem diese letzteren Thiere gewissermaassen alle Symptome, die die ersteren boten, in erhöhtem Maasse zeigten, so ist der Schluss wohl gerechtfertigt, dass die Erscheinungen, welche die Schildkröten mit schräger, im Gegensatz zu denen mit senkrechter Schnittführung darbieten, auf Rechnung der Mit- verletzung der Mittelhirnbasis bezogen rain. müssen. Um die Corpora bigemina mit der Mittelhirnbasis vom Hinrha und der Medulla oblongata zu isoliren, ist es erforderlich, die Zweihügel etwas mit der Pincette nach vorne zu ziehen. Sodann führt man einen Schnitt an ihrem caudalen unteren Rande senkrecht bis auf die Schädelbasis (vgl. Fig. 3). Die Kleinhirnplatte bleibt dabei unberührt auf der Rautengrube liegen. Um das Cerebellum abzutragen, muss man dasselbe mit der Pincette leicht anheben und gleichzeitig die Zweihügel etwas nach vorne drängen. Man trennt es sodann am besten mit einer feinen gebogenen Scheere von seiner Ansatzstelle los. Wenn wir nun nach dieser Betrachtung dk zum grössten Theile schon makroskopisch sichtbaren Eigenthümlichkeiten des Schildkrötengehirns, deren Kenntniss für die Ausführung von Operationen an diesem Gehirne er- forderlich ist, ‘einen Blick werfen auf die Stellung des Schildkröten- sehirns in der Reihe der Vertebratengehirne überhaupt, so finden BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 57 wir folgende Thatsachen, die der Beachtung werth erscheinen. Vergleicht man zunächst das Schildkrötengehirn mit demjenigen des Frosches, an dem von den niederen Vertebraten weitaus die meisten gehirnphysiologischen Untersuchungen vorliegen, so fällt vor allen Dingen der Unterschied in der Ausbildung der Hemisphären des Grosshirns in die Augen, die beim. Frosch bekanntlich nur zwei kleine ovale Körperchen darstellen; sie sind hier zwischen Riechnerven und Zwischenhirn eingelagert. Bei den Schildkröten haben die Halbkugeln eine viel grössere Ausdehnung gewonnen. Sie wölben sich weit nach hinten und in die Tiefe der Schädelhöhle und verbergen das Zwischenhirn zum grössten Theile, ja umschliessen bereits das Mittelhirn etwas von den Seiten her. Doch wenn wir von diesem Unterschiede, wie von der verschiedenen Grösse des Kleinhirns absehen, so ist das Bild, welches der. Hirnstamm der Schildkröte ohne Hemisphären Jdarbietet, demjenigen des Hirnstammes beim Frosche ausserordentlich ähnlich; bei beiden Thieren fällt das mächtige Zweihügelpaar in die Augen, bei beiden zeigt das Kopfmark eine fast eben- mässig reiche Ausbildung. Wenn man aber andererseits einen Blick auf den Sagittalschnitt einer Schildkrötenhemisphäre wirft, so ist vor allen Dingen auffallend — ich konnte mich auch an meinen diesbezüglichen Serienschnitten davon über- zeugen -—-, wie sehr das Stammganglion, das an der lateralen Wand der Seitenventrikel gelegen ist und weit in diese hineinragt, den Mantel an Masse übertrifft. Bei den anderen Reptilien ist das Pallium und damit auch die Rinde weit mächtiger entwickelt, das Verhältniss zwischen Rinde und Stammganglion ist für die Rinde ein günstigeres. Die Schildkröte steht daher hinsichtlich der Ausbildung der Rinden- substanz unter den Reptilien mit am nächsten den Amphibien, die eine solche gewissermaassen ja nur angedeutet besitzen. Aber wenn man speciell das Verhältniss zwischen Pallium und Stammganglion berücksichtigt, dann erinnert gerade das Schildkrötengehirn, worauf Edinger hinweist, auch wieder ganz ausserordentlich, und mehr wie das Gehirn der anderen Rep- tilien, an dasjenige der Vögel, bei denen die Hauptmasse der Hemisphären ebenfalls aus einem mächtigen Stammlappen besteht, über den sich ein unverhältnissmässig kleiner Mantel ausbreitet. Man ersieht aus alledem, dass die Schildkröten hinsichtlich der Structur ihrer Hemisphären eine ganz besondere und eigenthümliche Mittelstellung zwischen den den Reptilien benachbarten Thierclassen, den Amphibien und Vögeln, einnehmen, eine Stellung, die den anderen Reptilien nicht in gleichem Maasse zukommt. Was die Anordnung der einzelnen Faserzüge des Schildkrötengehirns anlangt, so ist diese nicht prinzipiell verschieden von derjenigen, die bei den übrigen Reptilien herrscht. 58 ADOLF BICKEL: Ich will mich daher darauf beschränken, hier die wichtigsten That- sachen über den Faserlauf des Reptiliengehirns kurz zusammenzufassen. Sie beziehen sich auf die directen Verbindungen der einzelnen Theile des Centralnervensystems unter einander. Das Vorderhirn besitzt Bahnen zum Zwischenhirn und Mittelhirn. Bahnen, die zu Hirntheilen ziehen, die weiter caudal als das Mittelhirn liegen, existiren nicht. Das Zwischenhirn steht in Verbindung mit dem Mittelhirn, Hinter- hirn excl. Cerebellum, Nachhirn und Rückenmark. Das Mittelhirn ist mit dem Hinterhirn incl. Cerebellum, Nachhirn und Rückenmark verknüpft. Hinterhirn inel. Cerebellum und Nachhirn sind durch zahlreiche Bahnen mit dem Rückenmark verbunden. | Aber noch eine zweite Reihe von Thatsachen lehrt uns das Studium des feineren Baues des Reptiliengehirns. Das Vorderhirn steht unter den sensiblen Nerven des Körpers vor- nehmlich mit dem Olfactorius in Beziehung. Wenn überhaupt Beziehungen des Vorderhirns und speciell der Rinde zu anderen sensiblen Nerven durch Vermittelung des Zwischenhirns oder Mittelhirns existiren, so sind sie im Vergleich in den Olfactoriusbeziehungen verschwindend gering. Das Zwischenhirn steht gleichfalls in Verbindung mit dem Riech- nerven. Sie ist allerdings lange nicht so vielseitig wie diejenige des Ol- factorius mit dem Vorderhirn. Aber in das Zwischenhirn mündet ausser- dem ein geringer Theil des Opticus und ein ebensolcher der Schleife (secundäre centrale Bahn der sensiblen Nerven des Rückenmarks und Gehirns excel. des 1. und 2. Hirnnerven) ein. Das Mittelhirn absorbirt in sich weitaus den grössten Theil der centralen sensorischen Bahn. Nur seine Beziehungen zum Olfactorius sind sehr lose. Sein Antheil an der Aufnahme der centralen Fortsetzung der Bahnen von allen übrigen sensorischen Nerven des Körpers aber übertrifft den Antheil des Zwischenhirns in ganz bedeutendem Maasse. Physiologische Versuche am Schildkrötengehirn. Versuchstechnik. Die Operationen am Schildkrötengehirn werden nach geeigneter Fixation der Thiere der Art ausgeführt, dass man durch einen Schnitt in der Median- linie die Haut und die darunter liegenden Weichtheile bis auf das knöcherne Schädeldach bezw. bis auf die Dornfortsätze der obersten Halswirbel durch- trennt. Sodann unterminirt man die Haut nach beiden Seiten hin. Auf dem Schädeldach selbst hat die Haut eine sehr spröde Beschaffenheit; sie BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 59 stellt hier eine gleichmässige hörnerne Membran dar, die dem Knochen sehr fest anhaftet. Dennoch gelingt es bei einiger Uebung, diese Membran seitlich genügend weit vom Knochen abzulösen, ohne dass sie einreisst. Mit Haken zieht man die beiden Hautlappen auseinander und klappt sie nach aussen um. Bei den Operationen an den hinteren Gehirntheilen, in deren Frei- legung die Eröffnung des Halswirbelcanals in seinem obersten Theile er- forderlich ist, muss man die Musculatur, welche den Schädel mit der Wirbelsäule verbindet, zu beiden Seiten ablösen, ehe man den Canal aufbricht. Die Eröffnung der Schädelhöhle und des Wirbelcanals geschieht mit einer feinen Knochenzange. Die Blutung ist meist sehr gering und wird mit feuchten Schwämmchen rasch zum Stehen gebracht. Alsdann durch- schneidet man die Dura mater in der Mittellinie und trägt sie nach beiden Seiten hin ab. Aus dem aufgeschnittenen Duralsack quillt der Liquor cerebrospinalis in reichlicher Menge hervor. Nachdem die Blutung, die sich bei der Abtragung der hinteren Theile der Dura meistens einstellt, mit Schwämmchen gestillt und das Operations- feld klargelegt ist, kann man nun mit einem feinen, scharfen Messerchen die Gehirnabtragungen in der Art und Weise ausführen, wie sie Eingangs bereits geschildert wurde. Sodann vernäht man die Hautwunde und zwar auch die Hornplatten des Schädeldaches mit feinem Garn und überzieht die Naht nach der Steiner’schen Methode mit Gelatine, die mit Tanninlösung bestrichen wird. Durch die Einwirkung des Tannins wird die Gelatine vor ihrer Auflösung im Wasser bewahrt. Es ist jedoch erforderlich, von Zeit zu Zeit diesen Gelatine-Tanninüberzug zu erneuern. Die Thiere werden nach der Operation in ein geräumiges Aquarium gesetzt und dort beobachtet. Ich erhielt die operirten Schildkröten bis zu 6 Wochen am Leben und tödtete die meisten Thiere, so lange sie sich noch in voller Gesundheit be- fanden, um durch die Section die ausgeführten Operationen zu controliren. Versuche. A. Exstirpationsversuche. Als Versuchsthier diente mir in erster Linie Emys europaea. Ein- zelne Versuche wurden ausserdem an der griechischen Landschildkröte, Testudo graeca, wiederholt. Die Resultate waren bei beiden Arten die gleichen. 60 ADOLF BICKkEL: Il. Gruppe. Die Schildkröte mit doppelseitig exstirpirtem Vorderhirn. Wenn man die Schildkröte nach beendigter Operation in Freiheit setzt, so kriecht sie auf dem Tische fort. Ihre Bewegungen sind etwas hastig, aber alle vier Extremitäten arbeiten zusammen in vollkommener Coordination. Nachdem die Schildkröte eine Zeit lang gegangen ist, bleibt sie stehen, zieht den Kopf und die Beine unter den Panzer und kann in dieser Haltung Stunden lang verharren. Manchmal nimmt sie auch früher wieder die Locomotion auf; die Bewegungen werden, wenn einige Zeit nach Fig. 2. Emys europaea. Behandlung des Präparates wie bei Fig. 1. (Vergrösserung etwa 1'/, nat. Grösse.) Beide Hemisphären sind abgetragen. k = Cerebellum, / = Corpora bigemina, n = Hypophysis, o = Nn. optici. (Chiasma), g = Lage des Corpus habenulae (Zwischenhirn), r = Brücke zwischen Hemisphäre und Zwischenhirn (Durchschneidungsstelle). der Operation verstrichen ist, ruhiger und lassen jedenfalls am nächsten Tage keinen Unterschied mehr von den Bewegungen der normalen Schild- kröte erkennen. Das Verhalten, das die operirte Schildkröte am Tage nach der Operation zeigt, bleibt im Grossen und Ganzen das nämliche während der ganzen Dauer der Beobachtungszeit. Eine Rückbildung irgend welcher Symptome, wie man sie z. B. bei den Säugethieren nach Grosshirnoperationen beob- achtet, findet bei der Schildkröte nach derartigen Eingriffen höchstens in ganz geringfügiger Weise statt, soweit diese Symptome natürlich nicht die allerersten Reizerscheinungen unmittelbar nach der Operation betreffen. Diese verlieren sich allerdings in sehr kurzer Zeit. BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 61 Die grosshirnlose Schildkröte führt Ortsbewegungen nach allen Rich- tungen (Vorwärtsgang, Rückwärtsgang u. s. w.), wie das normale Thier aus. An der grosshirnlosen Schildkröte fällt aber vor allen Dingen auf, dass sie viel seltener spontane Bewegungen und ganz besonders spontane Ortsbewegungen ausführt, als normale Thiere.. Doch die Spontaneität der Ortsbewegung ist keineswegs völlig erloschen.! Im Gegentheil, man beob- achtet, dass die operirten Thiere im Aquarium spontan wechseln zwischen Wasser- und Landaufenthalt; wenn sie (as Land verlassen und in Wasser von genügender Tiefe kommen, fangen sie sofort an zu schwimmen, wie es die unversehrten Thiere thun. Die Schwimmbewegungen werden in normaler Weise ausgeführt. Ueberhaupt bietet das Verhalten der grosshirnlosen Schildkröte beim Schwimmen nichts Abnormes dar. Nähern sich diese Schildkröten bei dem Schwimmen dem Land, wird das Wasser seicht, so werden die Schwimmbewegungen von Kriechbewegungen abgelöst. Ist das Ufer, an dem sie landen, steil, so erklimmen die Thiere es in völlig normaler Weise. Ueberhaupt lässt sich beim Klettern kein Unterschied bei ihnen vom unversehrten Thiere darthun. Häufig flottiren die operirten Schildkröten längere Zeit auf dem Wasser mit eingezogenem Kopf und Extremitäten; manchmal sitzen sie auf dem Boden, vom Wasser völlig bedeckt. Aber dann, wenn das Wasser nicht zu tief ist, erheben sie von Zeit zu Zeit den Kopf über den Wasserspiegel, um Luft zu schöpfen. Ist das Wasser tief, so schwimmen sie an die Ober- fläche. Aber auch unversehrte Schildkröten treiben häufig auf dem Wasser oder liegen auf dem Boden des Aquariums unter dem Wasser. In seichtem Wasser sitzen die normalen Thiere häufig Stunden lang mit ausgestrecktem, nach oben gerichtetem Halse, den Kopf über dem Wasserspiegel haltend. In gleicher Stellung trifft man nicht selten die operirten Schildkröten an. Ueber die spontane Nahrungsaufnahme vermag ich keine positiven An- gaben zu machen. Im Aquarium habe ich die Thiere zwar niemals Nahrung aufnehmen sehen, aber ich konnte andererseits oft beobachten, dass die noch unver- sehrten wie die grosshirnlosen Schildkröten, wenn ich sie aus dem Aquarium genommen hatte, bedeutende Mengen von Flüssigkeit aus der Cloake ent- leerten. Bei der Menge der Flüssigkeit, die entleert wurde, darf an- genommen werden, dass die operirten Thiere Wasser per os aufgenommen haben. In die Analöffnung konnte das Wasser nicht direet eingeströmt sein, denn diese wird bei den Schildkröten stets fest verschlossen gehalten. ! Auch durch den weiter unten beschriebenen und von Goltz zuerst angegebenen „Kreuzversuch“ kann man die Spontaneität der Ortsbewegung bei der grosshirnlosen Schildkröte mit Sicherheit nachweisen. 62 ADOLF BICKEL: Ob die grosshirnlose Schildkröte ihre Nahrung von anderen Gegen- ständen zu unterscheiden vermag, liess sich nicht sicher ermitteln, ist aber unwahrscheinlich. Lebendige Kaulquappen, die die unversehrten Schildkröten sich mit srosser Vorliebe einfingen und frassen, liessen die grosshirnlosen Thiere stets unberührt. Die grosshirnlose Schildkröte reagirt wie die normale auf Lichtreize und vermag Gesichtseindrücke in gleicher, zweckentsprechender Weise zu verwerthen.! Diese Thatsachen wurden durch folgende Versuche gefunden. Wenn man einer auf dem Tische ruhig dahinkriechenden grosshirn- losen Schildkröte ein hohes Hinderniss in den Weg legt, so weicht die Schildkröte, ohne mit dem Kopfe anzustossen, nach rechts oder links dem Hinderniss aus. Es ist gleichgültig, ob das Thier mit seinem Kopfe der Lichtquelle zugewendet ist, oder ob es die Lichtquelle im Rücken hat. Ist das Hinderniss von geringerer Höhe, so weicht die Schildkröte ent- weder aus oder sie überklettert das Hinderniss so gut wie ein normales Thier. Beim Klettern behauptet die operirte Schildkröte vortrefflich die (Gleichgewichtslage des Körpers. Gegen eine Glasscheibe rennt sowohl die unversehrte, wie auch die operirte Schildkröte mit dem Kopfe an. Wenn man die grosshirnlose Schildkröte in ein Dunkelzimmer bringt, sie kurze Zeit im Dunkeln sitzen lässt und sie dann plötzlich mit einem elektrischen Licht bestrahlt, so reagirt sie durch Lidschluss oder Abwenden des Kopfes in derselben Weise und auch etwa gleich häufig bei den ver- schiedenen Wiederholungen dieses Experimentes wie ein normales Thier. Sitzt eine unversehrte Schildkröte, die ihren Kopf aus dem Panzer hervorgestreckt hat, ruhig, oder befindet sie sich mit der gleichen Kopf- haltung auf dem Marsche, und fährt man dann mit der gekrümmten Hand etwa 30 °® über ihrem Kopfe hinweg, und lässt man die Hand vor dem Thiere in etwa gleichem Abstand niedersinken, ohne jedoch den Tisch, auf dem die Schildkröte sich befindet, zu berühren, so duckt sie jedes Mal den Kopf und zieht ihn mehr oder minder stark in die Panzerhöhle zurück. Die gleiche Reaction zeigt bei diesem Experiment die grosshirnlose Schildkröte. Auf der Drehscheibe reagirt die grosshirnlose Schildkröte sehr exact. Sie beugt den Kopf nach der Seite, die der Drehrichtung entgegen- gesetzt ist. Legt man die grosshirnlose Schildkröte auf den Rücken, so kehrt sie ı Ob die grosshirnlose Schildkröte nicht mehr „Sich-Fürchten“ kann, wie es bei den grosshirnlosen Schlangen Schrader’s und den grosshirnlosen Eidechsen Steiner’s der Fall war, darüber wage ich, bei dem stumpfsinnigen Verhalten der Schildkröten überhaupt, keine Angaben zu machen. BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 63 sofort in die Bauchlage zurück. Die Bewegungen entsprechen hierbei denen des normalen Thieres. Alle Reflexe, die man durch Hautreize bei der unversehrten Schild- kröte hervorrufen kann, sind bei der grosshirnlosen in gleicher Weise vor- handen. Eine Erhöhung der Reflexerregbarkeit liess sich bei diesen Thieren nach der Grosshirnexstirpation nicht mit Sicherheit nachweisen. Ferner seien hier folgende Versuche eingefügt. Ich hatte eine Sumpfschildkröte mit peripher durchschnittenen Ol- factorii, eine solche mit exstirpirtem Vorderhirn und endlich ein normales Thier in je ein grosses Glasgefäss für sich isolirt gesetzt. Zu jeder dieser drei Schildkröten wurden zwei Kaulquappen gebracht, die in dem Wasser, das den Boden des Gefässes bedeckte, herumschwammen. Nach 24 Stunden waren die Kaulquappen, die bei der normalen Schildkröte sassen, ver- schwunden. Die Schildkröte konnte sie nur gefressen haben. Die Kaul- quappen bei den beiden operirten Schildkröten lebten noch sämmtlich nach drei Tagen und waren unversehrt. Das Experiment wurde dann abgebrochen. Man kann ja den Einwand machen, dass die operirten Thiere zufällig satt waren und darum die Kaulquappen nicht frassen, während die normale Schildkröte Hunger hatte. Aber das ist unwahrscheinlich, da die normale Schildkröte in der dem Versuch vorhergehenden Zeit regelmässig gefüttert wurde, während die operirten Thiere absichtlich in dieser Periode keine Nahrung erhalten hatten. Und wenn es ein Zufall war, dass die operirten Schildkröten nicht frassen, so musste es doch immerhin ein seltsamer Zu- fall gewesen sein, weil die beiden operirten Thiere die Nahrung verschmähten, während die normale Schildkröte, auch wenn man ihr immer wieder von Neuem Kaulquappen darreichte, diese jedes Mal nach 24 Stunden ver- zehrt: hatte. Ausserdem hatte ich mich bei einer Schildkröte erst überzeugt, dass sie Kaulquappen frass. Dann liess ich sie hungern und durchschnitt ihr beide Olfactorii peripher. Nach der Operation frass das Thier keine Kaul- quappen mehr. II. Gruppe. Die Schildkröte mit halbseitiger Durchtrennung der Verbindung zwischen Vorderhirn und Zwischenhirn. Die Schildkröten, welchen man die Verbindungsbrücke des Vorder- birns mit dem Zwischenhirn auf einer Seite durchschnitten hat, lassen eigentlich kaum irgend welche Unterschiede von normalen Thieren er- kennen. Besonders ist bemerkenswerth, dass Zwangsbewegungen bei der- artig operirten Schildkröten nicht beobachtet werden. Bei Säugethieren 64 ADOLF BicKEL: treten ja bekanntlich nach grösseren einseitigen Verletzungen am Vorder- hirn regelmässig Reitbahnbewegungen auf, und man sieht dieses Symptom auch bei Säugern, denen eine ganze Hemisphäre exstirpirt ist (Goltz). Nichts von alledem tritt bei analog operirten Schildkröten zu Tage. Im Vergleich zu den Schildkröten, denen die Verbindung zwischen Vorder- und Zwischenhirn doppelseitig durchschnitten wurde (I. Gruppe), lassen jene einseitig operirten Thiere eine weit grössere Neigung zu spon- tanen Bewegungen erkennen; sie kommen also auch in dieser Hinsicht der Norm sehr nahe. — Auf der Drehscheibe reagiren sie prompt wie die gross- hirnlose Schildkröte. III. Gruppe. Die Schildkröte mit doppelseitig exstirpirtem Vorder- und Zwischenhirn. Wie schon in der Einleitung dargethan wurde, führt man die Operation zur Exstirpation des Vorder- und Zwischenhirns der Art aus, dass man an Fig. 3. Emys europaea. Behandlung des Präparates wie bei Fig. 1. (Vergrösserung etwa 1'/, nat. Grösse.) Schematische Darstellung der Schnittführung bei den Thieren der Gruppen III A, IIIB und V. a—b Schädelbasis, e—d Schnittführung bei der Gruppe III A, e—f Schnittführung bei der Gruppe III B, g—% Sehnittführung bei der Gruppe V; k = Cerebellum, n = Hypo- physis, o = Nn. optiei, » = Brücke zur rechten Hemisphäre, s = linker Zweihügel, t = rechter Zweihügel. der cranialen Circumferenz der Zweihügelbasis einen Schnitt durch die ganze Dicke des Centralorgans bis auf den Knochen hindurch legt. Steht die Schnittebene zur Schädelbasis senkrecht, so erhält man andere Resultate, BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 65 als wenn man den Schnitt so anlegt, dass die Schnittfläche schräg nach hinten, also caudalwärts geneigt ist. In diesem letzteren Falle wird näm- lich die Mittelhirnbasis, wie wir oben ausführten, gleichzeitig mit lädirt. Allerdings ist man hier auch sicher, das ganze Zwischenhirn entfernt zu haben. Da die Resultate, welche man nach der einen oder anderen Operations- methode erhält, von einander differiren, ist es erforderlich, die nach diesen beiden Methoden operirten Thiere gesondert zu betrachten. A. Die Schildkröte, bei der’ die Schnittfläche senkrecht zur Schädelbasis angelegt ist.! Wenn man ein in dieser Weise operirtes Thier nach beendigter Operation in Freiheit setzt, so kriecht es eilig davon. Aber schon bald beruhigt es sich und zeigt bereits einige Stunden nach der Operation alle die Er- scheinungen, die es auch späterhin unverändert beibehält. In Folge der bei der Abtragung des Zwischenhirns unvermeidlichen Durchschneidung der Sehnerven ist die Schildkröte blind. Aber trotzdem ist es auffallend, wie vortrefflich diese Thiere sich noch im Raum zu orientiren vermögen. Im Aquarium wechseln sie mitunter zwischen Wasser- und Land- aufenthalt. — Die Spontaneität der Ortsbewegung ist zwar nicht ganz auf- gehoben, aber doch — was ihre Häufigkeit anlangt — sehr eingeschränkt. Man kann sich von der Richtigkeit dieser Thatsache durch folgenden Versuch überzeugen. Auf einen Holztisch malt man mit farbiger Kreide ein Kreuz; auf dieses stellt man eine geräumige Glasschaale mit Wasser, so dass sich das Kreuz, das durch den Boden der Schaale sichtbar ist, etwa in der Mitte befindet. Nun setzt man eine der operirten Schildkröten in die Glasschaale und zwar so, dass der vordere Panzerrand mit dem Querbalken des Kreuzes abschneidet, und dass die Medianlinie des Thieres mit dem Längsbalken zusammenfällt. Der ganze Versuch wird ausserdem in einem geschlossenen Raume angestellt, so dass also ungewöhnliche Reize von aussen auf das Thier nicht einwirken können. Man beobachtet nun, dass die vorder- und zwischenhirnlose Schildkröte nach kürzerer oder längerer Zeit das Kreuz verlassen hat, ohne dass das Thier ausdrücklich gereizt worden ist. Bei manchen Thieren vergehen allerdings viele Stunden, ja mehrere Tage, ehe sie eine solche spontane Locomotion zeigen; andere aber sind lebhafter, und ganz besonders im Aquarium, wo viele Thiere zusammenleben und es so an Reizen, welche das einzelne Thier in der mannigfachsten Art treffen ı Fig. 3, Linie ed. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthle. 5 66 ApoLF BickEL: können, nicht fehlt, sieht mar die vorder- und zwischenhirnlose Schildkröte nicht selten Ortsbewegungen ausführen. — Wenn auch bei den einzelnen Versuchsthieren ohne Zweifel kleine Differenzen in der Häufigkeit der Aus- führung einer spontanen Locomotion bestanden, so konnte man dennoch, wenn man die grosshirnlosen Schildkröten mit denen verglich, die ausser- dem noch das Zwischenhirn eingebüsst hatten, feststellen, dass diese letz- teren eine spontane Locomotion, wie spontane Bewegungen überhaupt, etwas seltener zeigten als jene, nämlich die grosshirnlosen Thiere. Der Gang der Schildkröten ohne Vorder- und Zwischenhirn liess an und für sich keine merklichen Abweichungen von der Norm erkennen. Nur dann, wenn diese Thiere vom Marsch in die Ruhe übergehen, lassen sie mitunter das eine oder andere Bein längere Zeit in der Lage verharren, die es am Ende der zuletzt ausgeführten Bewegung gerade inne hatte. Eine ähnliche Gleichgültigkeit gegen die Lage der Glieder im Raum beobachtet man bei diesen Thieren, wenn sie im Wasser plötzlich mit der Schwimm- bewegung innehalten. Ich habe manche Thiere beobachtet, die im Wasser flottirten und z. B. eine Vorderextremität viele Stunden lang ruhig aus- gestreckt hielten, während alle anderen Gliedmaassen unter dem Panzer an den Leib angezogen gehalten wurden. Bei normalen bezw. grosshirn- losen Schildkröten habe ich Gleiches in so ausgesprochener Weise nicht gesehen. Wenn die Thiere vom Lande mit flachem Ufer, das allmählich in’s Wasser taucht, in dieses hineingehen, so werden die Kriechbewegungen meistens sofort von Schwimmbewegungen abgelöst, sobald das Wasser eine gewisse Tiefe erreicht hat. Die Schwimmbewegungen entsprechen denen des normalen Thieres. Beim Schwimmen wird der Kopf über dem Wasser gehalten. Setzt man die Thiere in tiefes Wasser oder lässt man sie in dasselbe aus einiger Höhe fallen, so dauert es gewöhnlich etwas länger, bis sie zu schwimmen anfangen, als bei den erosshirnlosen oder normalen Schildkröten, mit denen man denselben Versuch gemacht hat. Kommen diese vorder- und zwischenhirnlosen Schildkröten beim Schwim- men wieder an’s Land, so setzen unmittelbar die Kriechbewegungen ein. Die Felsen des Aquariums erklettern diese Thiere mit grosser Ge- wandtheit. Sie stossen allerdings öfter, da sie blind sind, mit dem Kopfe an, aber abgesehen davon leistet ihnen offenbar der Tastsinn beim Klettern vortreffliche Dienste und schützt sie vor Fehltritten. Im Klettern sind sie im Uebrigen von normalen Thieren nicht zu unterscheiden. Diese ausgezeichnete Verwerthung der Tasteindrücke wird dadurch verständlich, dass auch sonst normale Thiere vielfach während ihres Lebens des Gesichtssinnes entbehren müssen. Man trifft nämlich unter den Schild- kröten überaus zahlreiche Individuen, die an einer eigenthümlichen Augen- BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 67 affection leiden. Diese Krankheit führt zur völligen Erblindung, ja zur Obliteration der Augäpfel. Wenn die Thiere in seichtem Wasser sitzen, so halten sie, wie normale Thiere, den Kopf weit aus dem Panzer herausgestreckt und über der Ober- fläche des Wassers. In dieser Haltung verharren auch normale Schild- kröten oft viele Stunden am Tage. Ueber die Nahrungsaufnahme ist dasselbe zu sagen, was bei der Beschreibung der grosshirnlosen Schildkröte hinsichtlich dieses Punktes aus- geführt wurde. Die vorder- und zwischenhirnlose Schildkröte vermag ferner rückwärts zu gehen. Auf der Drehscheibe reagirt sie in normaler Weise. Legt man sie auf den Rücken, so dreht sie sich spontan, d. h. ohne ausdrückliche Reizung des Körpers, in die Bauchlage um. Allerdings vergeht meist längere Zeit, ehe sie die Umkehrbewegung ausführt. Die grosshirnlose und die normale Schildkröte reagiren hierbei prompter. Eine Veränderung in der Reflexerregbarkeit liess sich bei den vorder- und zwischenhirnlosen Schildkröten nicht mit Sicherheit darthun. B. Die Schildkröte, bei der die Schnittfläche in caudaler Richtung zur Schädelbasis schräg angelegt ist.! Die Schildkröten, welche in dieser Weise operirt sind und die Mittel- hirnbasis zum Theil verloren haben, lassen eine weit höhere Bewegungs- lebhaftigkeit erkennen, als sie die eben geschilderten Thiere, ja als sie die Schildkröten mit doppelseitig exstirpirtem Vorderhirn zeigen. Diese Bewegungslebhaftigkeit ist ferner in den ersten Tagen nach der Operation vielleicht etwas grösser, als später. Aber auch dann noch übertreffen diese Thiere, was die Neigung zu spontanen Bewegungen und ganz besonders zu spontaner Locomotion an- seht, jene beiden anderen Gruppen der operirten Schildkröten, wie auch die normalen Thiere in ganz erheblichem Maasse. Was zunächst die Kriechbewegung anlangt, so ist hierüber zu sagen, dass bei derselben alle vier Extremitäten coordinirt zusammen arbeiten. Ferner zeigen die Thiere eine gewisse Neigung, rückwärts zu gehen. Die Art und Weise der Ausführung der einzelnen Bewegungen bei diesen Gangarten lässt aber einige Besonderheiten erkennen, die ebenfalls in den ersten Tagen nach der Operation deutlicher hervortreten, als später. Die Schildkröte holt nämlich mit den Extremitäten beim Gang — und ganz besonders ist das gut an den Vorderbeinen zu sehen — ungewöhnlich ! Fig. 3, Linie e—f. 5* 68 ADOLF BiICckEtL: weit aus, sie hebt sie beim Vorwärtsgreifen zu hoch in die Höhe und setzt sie auch meist zu weit nach der Seite oder nach innen auf den Boden auf. Ferner wird die Streckung der einzelnen Glieder beim Gang über das ge- wöhnliche Maass hinaus forcirt. Diese Anomalien in der Extremitätenbewegung üben auf die Haltung des Rumpfes beim Gang einen ganz eclatanten Erfolg aus. Der Panzer schwankt bei der Locomotion von einer Seite zur anderen. Ist der rechte untere Seitenrand des Panzers hoch erhoben, so reicht der linke fast auf den Boden; bei der nächsten Bewegung steht der Panzer in umgekehrter Weise schräg zur Erde geneigt, d. h. der linke Rand befindet sich in der Höhe und der rechte steht dicht an der Erde. In der That schlägt der Panzer bei jedem Schritt, den das Thier vorwärts thut, abwechselnd mit seiner rechten oder linken Vorderseiten- kante laut hörbar auf den Boden auf. Bei sehr grossen Schildkröten mit hohem Panzer, wie Testudo graeca, an der ebenfalls experimentirt wurde, treten die Schwankungen des Panzers weniger deutlich hervor. Aber auch bei diesen Thieren ist das Aufschlagen des Panzers auf den Boden vor- handen. Die normalen Landschildkröten, wie die, welche analog den Gruppen I und IIIA der Wasserschildkröten operirt sind, gehen absolut geräuschlos. Beim Schwimmen werden diese Anomalien in der Haltung des Panzers natürlich nicht so deutlich bemerkbar, aber man kann auch hier con- statiren, dass die Bewegungsexcursionen, die die einzelnen Extremitäten beim Schwimmen ausführen, abnorm weit sind. Zwangsbewegungen, in- sonderheit Reitbahnbewegungen, sieht man nicht, wenn die Operation auf beiden Seiten gleichmässig ausgeführt wird. Wenn man die Thiere im Aquarium beobachtet, so trifft man sie meist in Bewegung an. Sie wechseln zwischen Wasser- und Landaufenthalt. - Nähern sie sich beim Schwimmen dem Lande, so fangen sie, sobald das Wasser seicht wird, zu kriechen an. Umgekehrt setzt die Schwimm- bewegung ein, wenn sie vom Lande in das Wasser gehen und das Wasser eine gewisse Tiefe erreicht. Beim Erklettern der Felsen des Aquariums lassen sie eine gewisse Ungeschicklichkeit erkennen. Durch die schwankenden Bewegungen des Panzers verlieren sie häufig das Gleichgewicht und fallen an der Felswand herab. Sie holen beim Klettern, genau wie beim Kriechen auf ebenem Boden, mit den Extremitäten abnorm weit aus und führen, ehe sie die Füsse aufsetzen und sich mit ihren Zehennägeln in den Rissen des Gesteins festkrallen, häufig tastende Bewegungen in der Luft aus. Kommen die Thiere beim Abstürzen in irgend eine Zwangslage, z. B, zwischen zwei Felsen, so wird es ihnen sehr schwer sich daraus wieder zu befreien. BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 69 Klopft man eine normale Schildkröte oder ein Thier der Gruppen I, II und IIIA, das ruhig dasitzt, mit einem Hämmerchen in geeigneter Weise auf den Panzerrücken, so zieht es den Kopf und die Extremitäten dichter an den Rumpf heran und verkriecht sich möglichst tief in seinem Gehäuse. Wenn einige Zeit nach dem Beklopfen verstrichen ist, fängt es manchmal, aber nicht regelmässig an, sich fortzubewegen. Die Thiere der Gruppe III A, wie diejenigen der Gruppe V, ziehen sich niemals bei diesem Versuch längere Zeit unter den Panzer zurück, sondern sie entfliehen immer sofort nach dem Beklopfen. Alle diese hier beschriebenen Symptome sind in der ersten Zeit nach der Operation etwas deutlicher als später, aber sie verschwinden niemals wieder vollständig. Sie sind ferner im Allgemeinen um so intensiver, je mehr von der Mittelhirnbasis fehlt. Im Uebrigen verhalten sich die Thiere wie die der Gruppe III A. IV. Gruppe. Die Schildkröte mit halbseitiger Durchtrennung der Verbindung zwischen Zwischenhirn und Mittelhirn. Der Schnitt zur halbseitigen Durchtrennung des Gehirns an der Zwischenhirn-Mittelhirngrenze wurde so ausgeführt, dass die Schnittebene senkrecht zur Schädelbasis stand, dass demnach die Mittelhirnbasis unver- sehrt blieb. Diese Schildkröten bieten, abgesehen von den nachstehenden Symptomen, keine sicher nachweislichen Abweichungen vom Verhalten der Thiere der ll. Gruppe dar. Der Gesichtssinn ist in Folge der Opticusverletzung beeinträchtigt; Zwangsbewegungen, wie z. B. Reitbahnbewegungen werden höchstens im unmittelbaren Anschluss an die Operation beobachtet, verschwinden aber später vollständig. V. Gruppe. Die Schildkröte mit doppelseitig exstirpirtem Vorderhirn, Zwischenhirn und Mittelhirn.! "Bei dieser Operation kann man das Kleinhirn mit abtragen oder stehen lassen; am Erfolg der Operation wird hierdurch nichts Bemerkenswerthes geändert. ı Fig. 3, Linie 9—h. — Ich bemerke hier ausdrücklich, dass man bei der Ope- ration der Thiere für diese Gruppe V, wie auch für die Gruppe III B mitunter Miss- erfolge hat. Wenn man gut operirt, so zeigen die Thiere alle hier beschriebenen Erscheinungen; operirt man schlecht, so sitzen die Thiere ruhig da und zeigen über- haupt nicht viel Bemerkenswerthes. 70 ADpoLF BiIcKkEL: Die Schildkröten ohne Vorder-, Zwischen- und Mittelhirn zeigen, wenn die Operation gut geglückt ist und die Schnitte bei der Durchtrennung des Centralorgans scharf geführt wurden, ohne dass die Medulla oblongata eine Zerrung erfuhr, ähnlich wie die Thiere der Gruppe IIIB, einen auf- fälligen Bewegungsdrang. Die Thiere kriechen rastlos im Aquarium herum, wechseln zwischen Wasser- und Landaufenthalt, fangen, wenn sie vom Lande in’s Wasser gehen, spontan an zu schwimmen und umgekehrt kriechen sie sofort, wenn sie beim Schwimmen an’s Ufer kommen und festen Boden unter sich haben. Es kommt natürlich auch vor, dass die Thiere gelegentlich längere Zeit ruhig dasitzen; aber nach solchen Ruhe- pausen nehmen sie ihre Marschbewegungen immer wieder spontan auf. Ruhe und Bewegung wechseln bei diesen Thieren ohne direct nachweisbare äussere Veranlassung. : Wenn diese Schildkröten auf dem Grunde des Aquariums und ganz bedeckt vom Wasser dasitzen, erheben sie von Zeit zu Zeit den Kopf über den Wasserspiegel, um Luft einzuathmen, und man sieht dann auch, wie eine kleine Weile nach dem Luftholen Gasblasen von ihren Nasenlöchern oder ihrem Maule im Wasser nach oben aufsteigen. Aus diesen Beobachtungen geht also hervor, dass die Spontaneität der Ortsbewegungen, wie das Athmungsbedürfnis bei diesen Schild- kröten vollständig erhalten sind. Diese Thiere gehen ferner ebenso gut rückwärts wie vorwärts, ja sie zeigen bisweilen zum Rückwärtsgang eine grössere Neigung als normale Thiere. Zwangsbewegungen und insonderheit Reitbahnbewegungen beob- achtet man nur bei solchen Thieren, bei denen die Gehirnabtragung nicht in beiderseits vollkommen gleicher Weise geschah. Ein Thier besass ich, das absolut keine derartigen Zwangsbewegungen erkennen liess. Wenn auch beim Kriechen dieser Schildkröten die einzelnen Extremi- täten gewöhnlich — wenn auch nicht immer — in normaler Weise coor- dinirt zusammen arbeiten, so lässt sich doch eine Reihe von Erscheinungen feststellen, welche die Locomotion dieser operirten Schildkröten von der- jenigen der normalen Thiere unterscheidet. Die Ortsbewegung der operirten Schildkröten ist völlig planlos. Sie schlagen die Richtung ein, die ihnen der Zufall giebt. Setzt man sie an den Rand des Aquariums in’s Wasser, so dass der Kopf des Thieres nach der Mitte des Aquariums gerichtet ist, so schwimmen sie in gerader Riehtung fort, überschreiten die kleine Insel, die sich in der Mitte des Aquariums befindet, und fangen auf der anderen Seite der Insel, sobald sie wieder in’s Wasser kommen, in der alten Richtung an weiter zu schwimmen, bis sie an die Wand des Aquariums anstossen. Aber nun- mehr verändern sie nicht sofort ihre Bewegungsrichtung, sondern sie führen BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 71 ohne Unterlass ihre Schwimmbewegungen weiter aus, mit dem Kopf oder dem vorderen Panzerrande gegen die Wand anstossend, bis irgend ein Zufall die Bewegungsrichtung verändert. Ganz besonders deutlich war dies alles an dem Thiere zu erkennen, das keine Neigung zu Reitbahn- bewegungen erkennen liess. Thiere, welche eine solche Neigung besitzen, verlassen unter diesen Umständen viel eher die Wand des Aquariums, indem sie nach der Seite abbiegen, die sie auch sonst bevorzugen. Neben diesen Erscheinungen beobachtet man dann ferner in der Art und Weise der Ausführung der Bewegungen der einzelnen Gliedmaassen in ganz eclatanter Weise jene Phänomene, die bereits an den Thieren der Gruppe IIIB geschildert wurden. Die Extremitäten werden beim Gang zu hoch erhoben, zu weit ausgestreckt und bald zu weit seitlich oder zu weit medial auf den Boden aufgesetzt und der Panzer schwankt bei der Locomotion hin und her und schlägt abwechselnd mit seinen beiden Vorder- seitenkanten auf den Boden auf. Auch beim Klettern verhalten sich diese Schildkröten wie die Thiere der Gruppe IIIB, nur sind alle dort beschriebenen Symptome hier noch deutlicher ausgeprägt. Ganz besonders auffallend sind die tastenden Be- wegungen, die diese Thiere beim Klettern mit ihren Vorderextremitäten in der Luft ausführen. Beim Beklopfen des Rückens ergreifen die Schildkröten der vorliegenden Gruppe, wie auch schon oben erwähnt wurde, regelmässig die Flucht. Lest man die Thiere auf den Rücken, so drehen sie sich nach län- gerer Zeit spontan in die Bauchlage um. Auf der Drehscheibe reagiren diese Schildkröten prompt. Nahrung habe ich diese Thiere niemals aufnehmen sehen, wohl aber beobachtete ich öfters, dass sie grössere Mengen von Flüssigkeit aus ihrer Cloake entleerten. VI. Gruppe. Die Schildkröte mit halbseitiger Durchtrennung des Central- organs am caudalen Zweihügelrande. Im Folgenden werde ich das Verhalten eines Thieres schildern, dem das Centralorgan an der oben angegebenen Stelle auf der rechten Seite durchschnitten wurde. Die Spontaneität jeder Art von Bewegungen ist vollkommen erhalten und von der Norm, was die Häufigkeit angeht, fast unverändert. Bei der Locomotion werden die vier Extremitäten unter sich coordinirt gebraucht. Das Thier zeigt eine ausgesprochene Neigung, Reitbahnbewegungen nach links auszuführen. Rechts herum geht die Schildkröte niemals, auch selbst dann nicht, wenn man sie links am Kopfe reizt oder wenn man vor ihr 72 ADOLF BICcKEL: und auf ihrer linken Seite plötzlich, während sie sich auf dem Marsche befindet, Hindernisse aufbaut. Unter diesen Umständen hält sie dann ent- weder mit dem Kriechen ein und bleibt ruhig auf dem Fleck sitzen, oder sie überklettert das Hinderniss, wenn es nicht zu steil ist, immer aber dabei die Richtung nach links innehaltend. Das Thier stösst nie dabei gegen das Hinderniss mit dem Kopfe an. Die Prüfungen des Gesichtssinnes sind sämmtlich von positivem Erfolg begleitet; ein Unterschied in Bezug auf die Verwerthung von Gesichtseindrücken zwischen beiden Augen ist zweifelhaft. Bei der Locomotion der Schildkröte fällt weiterhin Folgendes auf: Die rechten Extremitäten werden ausgiebiger gebraucht als die linken. Mit den rechten holt das Thier bei den Schreitbewegungen erheblich weiter aus als mit den linken, besonders ist das am rechten Vorderbein deutlich. Die rechten Extremitäten werden beim Aufsetzen auf den Boden auch energischer ausgestreckt als die linken, die immer in leichter Adductions- stellung verharren und daher auch niemals so weit aus dem Panzer hervor- kommen, wie die rechten. Die Folge dieser ungleichen Extremitätenarbeit auf beiden Seiten ist eine Schiefstellung des Panzers bei der Locomotion. Diese Schiefstellung ist bei kleinen Thieren deutlicher als bei grossen. Der Panzer ist nach links leicht geneigt und zwar der Art, dass der rechte untere seitliche Panzerrand bei der Locomotion höher erhoben wird als der linke. Ferner zeigt der Kopf eine leichte Abweichung nach links, aber er wird horizontal gehalten. Im Wasser schwimmt das Thier immer links herum. Nähert es sich dem Lande, so ändert es spontan die Schwimmbewegung in die Kriech- bewegung um. Auch beim Schwimmen holt das Thier mit den rechten Beinen weiter aus als mit den linken. Das Klettern gelingt dieser Schildkröte weniger gut als der normalen. Auch hierbei greift sie mit den rechten Extremitäten weiter aus als mit den linken. Sie verliert aber wegen der Schiefstellung des Panzers öfters das Gleichgewicht beim Klettern und stürzt von den Felsen des Aquariums, die sie erklimmen will, ab. Legt man die Schildkröte auf den Rücken, so gelingt es ihr nur selten, die Bauchlage wieder zu gewinnen. Sie führt zwar ohne Unterlass die zur Umkehr des Körpers erforderlichen Bewegungen mit dem Kopf und den Beinen aus, aber da die rechten Extremitäten vom Körper weit abgestreckt werden und in der Luft arbeiten, ohne den Boden zu berühren — im Gegensatz zu den linken Beinen —, gelinst es dem Thier nur in vereinzelten Fällen, den Panzer umzukehren. Auf der Drehscheibe reagirt das Thier nach beiden Seiten prompt. Vielleicht macht der Kopf hierbei nach rechts etwas geringere Excursionen als nach links. BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 73 VII. Gruppe. Die Schildkröte mit exstirpirtem Kleinhirn. Schildkröten mit exstirpirter Kleinhirnplatte lassen keine Abweichungen von normalen Thieren mit Sicherheit erkennen. VIII. Gruppe. Die Schildkröte mit querdurchsehnittenem Centralorgan an der Uebergangsstelle zwischen Medulla oblongata und Rückenmark. An den Schildkröten dieser Gruppe ist im Gegensatz zu den Thieren, bei welchen mit dem Rückenmark noch die Medulla oblongata, oder diese nebst Theilen des Gehirns zusammenhängen, eine sehr bedeutende Erhöhung der Reflexerregbarkeit am Hinterkörper nachweisbar. Wenn man die Thiere am Schwanz oder am Anus reizt, so führen die Hinterextremitäten ohne Unterlass Abwischbewegungen aus, die Vorder- beine verharren meist ganz in Ruhe. Diese energischen Abwischbewegungen der Hinterbeine haben aber häufig zur Folge, dass sich das Thier im Kreise dreht und zwar der Art, dass die Medianlinie des Körpers den Radius und die Nasenspitze des Thieres den Mittelpunkt des Kreises abgiebt, während der hintere Panzerrand sich auf der Peripherie fortbewegt. Dieses Phä- nomen sieht man unter entsprechenden Verhältnissen niemals bei Thieren, die ausser dem Rückenmark noch höhere Centraltheile besitzen. Solche Thiere kriechen unter diesen Umständen mit allen vier Extremitäten geradeaus fort, wenn der Reiz nicht aufhört, nachdem sie einige vergeb- liche Abwischbewegungen ausgeführt haben. Nur dann, wenn man an die Weichtheile des Hinterkörpers unter dem Panzer die Electroden des Inductionsapparates anlegt und befestigt und nunmehr mit den stärksten Inductionsströmen die Thiere der Gruppe VIII reizt, kann man manchmal eine geradlinige Fortbewegung des Thieres er- zielen, bei der alle vier Extremitäten betheiligt sind. Die Extremitäten arbeiten dann auch ziemlich gut coordinirt untereinander, aber die Bewegung der einzelnen Gliedmaassen ist hastig, äusserst plump und ungeschickt. Eine spontane Locomotion dieser Schildkröten kommt überhaupt nicht mehr vor und ich habe die Thiere auch niemals spontan oder auf Anreiz schwimmen sehen. Sie flottiren im Wasser und führen, wenn man sie reizt, lediglich Abwehrbewegungen aus. Wenn man sie auf den Rücken legt, so machen sie spontan niemals den geringsten Versuch, die Bauchlage wiederzugewinnen. Zum Rückwärtsgang kann man diese Schildkröten durch keinerlei Reizung veranlassen. Athmung und Herzschlag bleiben, wenn die Operation gut ausgeführt wurde, bei den Thieren bestehen. 74 ADoLF Bicker: B. Reizungsversuche. I. Elektrische Reizung. Wenn man Versuche über die elektrische Erregbarkeit der peripheren Schichten der Halbkugeln bei niederen Thieren anstellt, so muss man, um bei den minimalen Dimensionen des Gehirns der Thiere, die gewöhnlich zu solchen Versuchen benutzt werden, einwandsfreie Resultate zu erzielen, folgende Bedingungen bei der Technik der Versuche erfüllen: 1. Die Elektroden dürfen, wenn man bipolar reizt, nicht zu weit von einander entfernt sein, da mit der Vergrösserung ihres Abstandes auch die Grösse der Stromschleifen anwächst. 2. Die zur Reizung verwandten Ströme müssen schwach sein, weil starke Ströme benachbarter Gehirntheile oder die Nervi optiei mitzureizen vermögen. Es können daher bei faradischer Reizung im Allgemeinen nur Ströme Verwendung finden, die auf der Zungenspitze leicht ertragen werden. 3. Die Elektroden dürfen weder die Häute des Gehirns oder die Knochen des Schädels berühren, noch auch darf bei der Stärke der angewandten Ströme und der Art und Weise ihrer Application die Möglichkeit vorhanden sein, dass Gehirnhäute oder Schädelknochen in merklicher Weise mitgereizt werden. Wenn man diese hier mitgetheilten Vorsichtsmaassregeln nicht be- achtet, so schliesst die Versuchsanordnung Fehlerquellen ein. Denn sowohl nach Reizung der Optiei, wie nach Reizung der Hirn- häute oder der Schädelknochen beobachtet man Reactionen des Thieres, die Convulsionen und epileptiforme Anfälle vortäuschen können. Und verwendet man starke Ströme, um die Erregbarkeit der Rinde darzuthun, so müssen ja nothwendiger Weise die benachbarten Hirmhäute, wie Corpus striatum, Thalamus opticus und Vierhügel in Mitleidenschaft gezogen werden und der Versuch ist dann ebenfalls nicht einwandsfrei. Diese scheinbar selbstverständlichen Versuchsbedinsungen für die Grosshirnreizung niederer Thiere wurden aber nicht von allen Autoren in genügender Weise berücksichtigt. Als ich neuerdings bei sehr grossen ungarischen Fröschen, die der bedeutenden Dimensionen ihres Gehirnes halber besonders geeignet zu solchen Experimenten erscheinen, unter den genannten Cautelen meine früher mitgetheilten Versuche über die elektrische Reizung der Hirnrinde beim Frosche wiederholte, konnte ich die Resultate . derselben bestätigen und feststellen, dass man nach elektrischer Erregung der peripheren Schichten der Halbkugeln beim Frosche keine der Be- wegungen in der Skeletmusculatur beobachtet, die denen gleichgesetzt werden dürfen, welche man nach elektrischer Reizung der senso-motorischen Zune der Säugethiere beobachtet. Auch Krampfanfälle sah ich niemals bei BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 75 Beachtung der genannten Vorsichtsmaassregeln beim Frosche nach elektrischer Rindenreizung auftreten. Die von Langendorff (7), Ferrier (8) und Lapinsky (9) mitgetheilten Beobachtungen hinsichtlich der Musculation nach elektrischer Erregung der peripheren Schichten der Hemisphären beim Frosche fand ich nur dann zutreffend, wenn ich die oben erwähnten Vor- sichtsmaassregeln in irgend einer Weise vernachlässigt hatte. Zu den Reizungsversuchen an Schildkröten benutzte ich griechische Landschildkröten (Testudo graeca), die etwa Jdie Grösse eines Kinderkopfes hatten. Die Hemisphären sind bei diesen Schildkröten schon ziemlich um- fangreich und man kann daher mit genügender Sicherheit Reizungsversuche an ihnen vornehmen. Natürlich wurden die oben genannten Vorsichts- maassregeln aufs peinlichste beobachtet, und es wurden ferner bei den Ver- suchen sämmtliche Punkte der Oberfläche und der Seitentheile der Halb- kugeln mit den knopfförmigen Elektroden abgetastet. Nur Inductionsströme kamen bei diesen Versuchen zur Anwendung. Die Versuche stellte ich derart an, dass der aus der Panzerhöhle herausgezogene Kopf des Thieres so fixirt wurde, dass das Thier ihn nicht unter den Panzer zurückbringen konnte. Der Schädel wurde geöffnet, das Gehirn von seinen Häuten befreit und es wurde erst mit der Reizung be- gonnen, nachdem die Blutung vollständig zum Stehen gebracht und einige Zeit nach der Beendigung der Operation verstrichen war. Narkose wurde nicht angewandt, um die Erregbarkeit des Gehirns möglichst unbeinflusst zu lassen. Es wurde ferner nur dann gereizt, wenn das Thier vollständig ruhig sass. Gewöhnlich waren zwei Personen an dem Versuch betheiligt; die eine reizte, während die andere die Extremitäten des Thieres beobachtete. Das Ergebniss der Versuche war folgendes. Reizung sämmtlicher Punkte der Halbkugeloberfläche, soweit sie zugänglich ist, löste in keiner der vier Extremitäten der Schildkröte irgend welche Bewegungen aus. Conyulsionen, Krämpfe u. s. w. wurden ebenfalls unter Berücksichtigung der oben genannten Versuchsbedingungen nicht beobachte. Nur wenn man sehr starke Ströme anwandte (also etwa bei einer Entfernung der Rollen des Inductionsapparates von 15°“ und darunter), traten allgemeine Abwehrbewegungen des Thieres auf, Veränderungen in der Athmung und gelegentlich auch Krämpfe von vorwiegend tonischem Charakter. Diese überdauerten dann auch gelegentlich die Reizung um kurze Zeit. Nachher erholten sich die Thiere aber immer sehr rasch. Aus dem Ergebniss dieser Versuche darf der Schluss gesogen werden, dass man nach elektrischer Erregung der oberflächlichen Schichten der Hemisphären bei der Schildkröte keine der Bewegungen der Skeletmusculatur ‚76 ADnoLF BICKEL: hervorrufen kann, die denen gleichgesetzt werden dürfen, welche man unter entsprechenden Verhältnissen nach Reizung der senso-motorischen Rinden- felder beim Säugethier erhält. Rindenepilepsie kann bei der Schildkröte durch elektrische Reizung ebenfalls nicht erzeugt werden. II. Chemische Reizung. Bei der chemischen Reizung von Gehirntheilen ist es noch schwieriger, als bei der elektrischen, den Reiz auf die Gehirntheile zu beschränken, auf die man ihn wirken lassen will. Diese Schwierigkeit wird um so grösser, je Kleiner das Gehirn der Thiere ist, an denen man experimentirt. Die Art der chemischen Reizung der Oberflächen der Halbkugeln ist eine doppelte; entweder man streut den zur Reizung verwandten Körper in Pulverform auf die Rinde oder man betupft dieselbe local mit einem Watte- bäuschchen, das mit einer Lösung des betreffenden Körpers getränkt ist. Die Hauptbedingung für alle derartige Versuche aber ist die, dass man ein Vordringen der chemischen Substanzen zu Gehirntheilen vermeidet, die man nicht reizen will. Wenn man bei der Schildkröte oder überhaupt bei derartigen niederen Thieren mit wenig prominenten Halbkugeln, d. h. mit Halbkugeln, die in dorsaler Richtung die übrigen Hirntheile beim Aufrechtstehen des Thieres nieht weit überragen, wie das bei den höheren Säugethieren der Fall ist, wenn man bei solchen niederen Thieren also Versuche über die chemische Erregbarkeit der peripheren Schichten ihrer Halbkugeln anstellt, dann ist die grösste Gefahr vorhanden, dass der Liquor cerebrospinalis diese Sub- stanzen zu Gehirntheilen fortträgt, die man nicht zu reizen beabsichtigt. Hat man bei der Schildkröte die Schädeldecke aufgebrochen und trägt man nun die Dura mater ab, so ergiesst sich der Liquor cerebrospinalis in reichlicher Menge nach aussen. Tupft man sodann die Schädelhöhle mit Watte aus, so liegen die Hemisphären in der Tiefe der Höhle und für kurze Zeit frei von der Gehirnflüssigkeit. Bald aber hat sich die Schädelhöhle von neuem damit angefüllt. Der Liquor cerebrospinalis strömt also fort- während nach. Dieses Nachströmen muss vermieden werden, will man bei der Reizung der Hemisphären nicht Gefahr laufen, dass durch die Flüssigkeit die betreffenden Substanzen zu anderen Gehirntheilen verschleppt werden. Man vermag dieses Nachströmen in der Weise etwas zu vermeiden, dass man vor die Corpora bigemina ein wenig Watte legt, die dann den nachströmenden Liquor aufsaugt. Man kann nun auf die Rinde die Substanzen, mit denen man reizen will, in Pulverform auftragen oder man verwendet, um mit grösserer Sicherheit eine streng locale Einwirkung auf die Rinde zu erzielen, eine BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 57 Lösung der Substanz, mit der man nach den Vorschriften Baglioni’s (10) die Rinde betupft. Eine mit sehr dünner Watteschicht an der Spitze um- wickelte Nadel, die man vorher mit der betreffenden Lösung befeuchtet hat, bringt man in ganz leichte Berührung mit der Grosshirnoberfläche und tupft unmittelbar nachher die Flüssigkeit wieder ab. Dieses Betupfen und Abwischen wiederholt man öfters und man kann hierdurch, wie aus den Versuchen Baglioni’s am Frosch hervorgeht, mit genügender Sicher- heit eine locale chemische Reizung der Halbkugeloberfläche erzielen. Die Substanzen, welche zur Reizung verwandt wurden, waren verdünnte Essigsäure, verdünnte Carbollösung, eoncentrirte Kreatinlösung, Kreatin in Pulverform und eingedickte Galle. Durch subdurale Injeetion dieser Lösungen in den Liquor cerebro- spinalis hatte ich mich zunächst überzeugt, dass die gewählten Körper und unter ihnen vor allem das Kreatin krampferregend auf das Centralnerven- system der Schildkröte einwirkt. Eine isolirte Reizung der Oberfläche der Halbkugeln mit diesen Sub- stanzen rief aber bei der Schildkröte keine der motorischen Störungeu in den Körpermuskeln (Krämpfe, Zwangsbewegungen u. s. w.) hervor, die der chemischen Rindenreizung bei den Säugethieren nachfolgen; wohl aber beobachtete ich bei zwei Schildkröten, deren Halbkugeln mit Essigsäure betupft waren, auf Reizung der Thiere hin eigenthümliche Stimmlaute, wie ich sie niemals sonst von Schildkröten gehört hatte. Zu den Versuchen wurden grosse Exemplare von Testudo graeca und Emys europaea benutzt. Ich möchte hier auch die Gelegenheit ergreifen, einige Bemerkungen über die Reizung der Hemisphären des;Frosches mit Kreatin einzuflechten. Ich hatte seiner Zeit die Behauptung aufgestellt (6), dass man nach Reizung der Oberfläche des Grosshirns beim Frosche mit Kreatin keine motorischen Reizerscheinungen, wie Krämpfe u. s. w. erzielen kann. Dieser Behauptung trat Lapinsky (9) entgegen und beschrieb eine durch chemische Reizung mit Kreatin erzeugte Rindenepilepsie beim Frosche. Ich nahm daher Ver- anlassung meine Versuche nach der oben geschilderten Baglioni’schen Reizmethode (10) mit gesättigten Kreatinlösungen zu wiederholen und konnte mit dieser äusserst exacten und streng localisirten chemischen Reizmethode meine früheren Beobachtungen bestätigen. Wohl sieht man nach Reizung der Halbkugeloberfläche des Frosches mit Kreatinlösung jene reflectorischen Stimmäusserungen des Thieres, die Baglioni als „Katzenstimme‘ bezeichnet, aber Krämpfe habe ich beim Frosch nach Kreatinreizung der Rinde niemals wahrgenommen. Auch die Versuche Baglioni’s (10) mit Carbol- und Essigsäurereizung stimmen damit überein und besätigen meine frühere Behauptung (6). 78 ADoLF BIcKEL: Aber andererseits beweist das Auftreten der „Katzenstimme“ beim Frosch nach Kreatinbetupfung, dass die Rinde wirklich gereizt wurde und man kann mir bei meinen im übrigen negativen Resultaten den Vorwurf nicht machen, ich hätte die Rinde überhaupt nicht erregt. Krämpfe, Zwangsbewegungen, wie das ganze von Lapinsky nach Kreatinreizung als Rindenepilepsie beschriebene Krankheitsbild beim Frosche, konnte ich nur dann beobachten, wenn die Reizung mit Kreatin nicht streng auf die Halbkugeloberfläche beschränkt blieb. Eine so sichere Localisirung des Reizes, wie sie für diese Versuche gefordert werden muss, gewährleistet die Versuchsanordnung, deren Lapinsky (9) sich bediente, nicht. Schluss. Aus den im Vorhergehenden mitgetheilten experimentellen Unter- suchungen über die Physiologie des Schildkrötengehirns ergiebt sich eine Reihe von Thatsachen, die noch einmal im Resume hier zusammengefasst werden sollen. Was die Häufigkeit der Ausführung spontaner Bewegungen und in- sonderheit spontaner Ortsbewegungen angeht, so nimmt diese bei Thieren mit Verlust des Vorderhirns, wie auch mit Verlust des Vorder- und /wischenhirns ab. Sie erfährt aber mit der Abtragung des Mittelhirns hinwiederum eine Steigerung, die sogar die Werte übertrifft, welche die Häufigkeit der spontanen Bewegungen beim normalen Thiere anzeigen. Hinsichtlich der Ausführung der Bewegungen an und für sich und der Haltung der Gliedmaassen bei denselben zeigt das vorderhirnlose Thier keine nachweislichen Abweichungen von der Norm. Die zwischenhirnlose Schildkröte lässt eine ziemlich geringe Gleich- sültigkeit gegen die Lage ihrer Glieder im Raume erkennen und fängt meist später als das grosshirnlose Thier zu schwimmen an, wenn man sie bei sonst ruhiger Haltung ihres Körpers plötzlich in tiefes Wasser setzt oder hineinfallen lässt. Die mittelhirnlose Schildkröte lässt neben der grossen Lebhaftigkeit (Bewegungsdrang), die diesem Thiere eigen ist, bestimmte Anomalien in der Ausführung der Bewegung erkennen. Diese Störungen beziehen sich auf die feineren Abstufungen in der Bewegung der einzelnen Gliedmaassen und sind offenbar auf sensible Basis zurückzuführen; die Bewegungen sind zum Theil tastend, plump, ungeschickt und gehen über das normale Maass hinaus. Man kann diese Störungen daher als „Mittelhirnataxie“ be- zeichnen. Die normale Reihenfolge im Gebrauch der einzelnen Extremi- täten beim Kriechen und Schwimmen bleibt auch bei der mittelhirnlosen Schildkröte bestehen. BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE DER SCHILDKRÖTE. 79 Die Schildkröte mit: durchschnittenem Centralorgan an der Uebergangs- stelle zwischen Medulla oblongata und Rückenmark zeigt nur noch sehr wenig spontane Bewegungen einzelner Gliedmaassen, des Kopfes oder des Schwanzes. Eine spontane Locomotion kommt überhaupt nicht mehr vor. Die Locomotion, die manchmal auf ausdrückliche, langdauernde und inten- sive elektrische Reizung des Hinterkörpers hin erfolgt, ist bei Erhaltung der normalen Reihenfolge im Gebrauch der vier Gliedmaassen im höchsten Grade atactisch. Diese Ataxie ist erheblicher als bei den Schildkröten, die noch ausser dem Rückenmark die Medulla oblongata oder einen Theil derselben besitzen. Zwangsbewegungen, wie Reitbahn-, Uhrzeiger-, Rückwärtsbewesungen u. Ss. w. treten nur nach Verletzungen des Mittelhirns, des Hinter- und Nachhirns auf. Verletzungen beliebiger Art am Vorder- oder Zwischenhirn zeitigen niemals Zwangsbewegungen. Durch elektrische oder chemische Reizung der Oberfläche des Vorder- hirns lassen sich bei der Schildkröte keine Muskelbewegungen auslösen, die denen gleichgesetzt werden dürfen, welche man nach der analogen Reizung der senso-motorischen Rindenfeider bei Säugethieren beobachtet. In gleicher Weise treten epileptische Anfälle, tonische und klonische Krämpfe, Convulsionen u. s. w. nach alleiniger Reizung der Oberfläche des Vorder- hirns bei der Schildkröte nicht auf. Ueber die physiologische Bedeutung der einzelnen Gehirntheile der Schildkröte lassen sich aus den mitgetheilten Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen: 1. Das Vorderhirn inel. Olfactorius üben in erster Linie einen be- wegungsanregenden Einfluss aus; dieser Einfluss steht zum Theil auch dem Olfactorius allein zu. Eine Bedeutung für die Regulation der Bewegungen besitzt das Vorderhirn kaum. 2. Das Zwischenhirn besitzt ebenfalls vor Allem einen bewegungs- anregenden Einfluss; ferner verschaffen sich in ihm wahrscheinlich sen- sorische Erregungen, welche das Centralorgan über die Lage der Glieder im Raum orientiren, Geltung auf die motorische Sphäre (Regulation). Das gilt aber für das Zwischenhirn in weit geringerem Maasse als für das Mittelhirn. 3. Das Mittelhirn hat, abgesehen von seinen Beziehungen zum Seh- und Höract, in besonderem Maasse eine bewegungshemmende und bewegungs- regulirende Function; dasselbe bezieht sich vornehmlich auf die Loco- motion, den Fluchtreflex u. s. w., weniger auf die Rückenmarksreflexe, in engerem Sinne. 80 ApouLFr BickEL: BEITRÄGE ZUR GEHIRNPHYSIOLOGIE T. S. W. 4. Die Medulla oblongata besitzt auf das Rückenmark einen reflex- hemmenden Einfluss. Im Vergleich zum Rückenmark wohnen ihr in er- höhtem Maasse associative Fähigkeiten inne. Die Verbindung der Medulla oblongata (wenigstens zum grössten Theile) mit dem Rückenmark ist ferner die Conditio sine qua non für das Zustandekommen der spontanen Orts- bewegung des Thieres. Die vorstehenden Untersuchungen sind in der unter Leitung von Hrn. Professor I. Munk, dem ich dankbarst verpflichtet bin, stehenden speciell physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes der Uni- versität Berlin ausgeführt worden. Litteraturverzeichniss. 1. A. Bickel, Recherches sur les fonetions de la moelle epiniere chez les tortues. Revue medicale de la Suisse romande. 1897. 2. J. Fano, Recherches experimentales sur un nouveau centre automatique dans les tractus bulbo-spinal. Archives italiennes de Biologie. 1883. T. III. p. 365. 3. Stieda, Ueber den Bau des centralen Nervensystems der Schildkröte. Zest- schrift für wissenschaftliche Zoologie. 1875 4. Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbelthiere. Leipzig 1898. Bd. 1. 5. Edinger, Vorlesungen über d. Bau d. nervösen Centralorgane. Leipzig 1896. 6. A. Bickel, Zur vergleichenden Physiologie des Grosshirns. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXI. ° 7. Langendorff, Ueber die elektrische Erregbarkeit der Grosshirnhemisphären beim Frosche. Centralblatt f. medic. Wissensch. 1876. Nr. 53. 8. Ferrier, Die Functionen des Gehirns. Braunschweig 1879. 9. Lapinsky, Ueber Epilepsie beim Frosche. Pflüger’s Archiv. 1899. Bd. LXXIV. 10. Baglioni, Chemische Reizung des Grosshirns beim Frosche. Centralblatt für Physiologie. Bd. XIV. Nr.5. 8. 97. Beiträge zur Lehre von der experimentellen Säurevergiftung. I. Mittheilung. Von A. Loewy und E. Münzer in Berlin in Prag. (Aus dem thierphysiol. Laboratorium der landwirthschaftlichen Hochschule in Berlin.) Die Angabe Walter’s!, dass Kaninchen bei Zufuhr von etwa 1 Salzsäure pro Kilo Körpergewicht zu Grunde gehen, ist allseitig bestätigt worden. Bezüglich der Todesursache so vergifteter Thiere äussert sich Walter dahin, dass „in Folge der Alcaliverminderung des Blutes zuerst eine Reizung und dann Lähmung des Respirationscentrums sich einstellt, durch welche endlich der Tod herbeigeführt wird“. Die Erkenntniss von der toxischen Bedeutung der Säuren für den Organismus hat von da an sehr bald allgemeine Bedeutung erlangt und ist besonders für die Pathologie wichtig geworden, wo eine ganze Reihe von Symptomen und meist mit dem Tode endenden Symptomencomplexen auf Säurevergiftung zurückgeführt wurden, wobei es sich allerdings um Säuren handelt, die nicht in den Körper von aussen eingeführt werden, sondern im Körper selbst entstehen als intermediäre, nicht in normaler Weise weiter verbrannte Producte des normalen, oder als Erzeugnisse eines krankhaft veränderten Stoffwechsels. Wodurch jedoch die Säuren, sowohl die zuletzt erwähnten endogen entstandenen, wie von aussen eingeführte ihre verderbliche Wirkung ent- falten, darüber herrscht noch keine Einigkeit. Es sind verschiedene von ! Walter, Untersuchungen über die Wirkung der Säuren auf den Organismus. Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. VII. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 6 82 A. LorwyY unn E. MÜNZER: der Walter’schen abweichende Anschauungen geäussert worden. So be- hauptet Bunge!, der bei der Erklärung des Coma diabeticum die experi- mentelle Säurevergiftung heranzieht, dass die Symptome säurevergifteter Kaninchen aus dem Unvermögen des Blutes die Gewebskohlensäure zu binden, zu erklären seien. „Dieselben — die Alcalien des Blutes — waren durch die Salzsäure gesättigt. Das Blut war also des Transportmittels für Kohlensäure beraubt; es kam zu einer Stauung derselben — vielleicht auch gewisser Vorstufen derselben — im Gehirn, und daraus erklären sich die Symptome“. Der gleichen, oder wenigstens einer ähnlichen Anschauung, die also insbesondere das Verhalten des Blutes bei der Säureintoxication berück- sichtigt, scheinen bisher alle weiteren Autoren auf diesem (Gebiete, soweit sie sich überhaupt über das Wesen der Säurevergiftung äussern, zu sein, und auch Münzer? spricht sich dahin aus, dass bei der Säurevergiftung „die Thiere ersticken in Folge gehinderter Gewebsathmung“. Nur H. Meyer und Williams? sprachen die Ansicht aus, dass es sich um eine durch die Säure bedingte wesentliche Alteration des Gesammtstoffwechsels handele, deren Ursache in einer Veränderung der Gewebselemente, durch deren specifische Thätigkeit die chemischen Umsetzungen im Organismus statt- finden, zu suchen sein dürfte. Sichtet man die Angaben der Litteratur bezüglich des Verhaltens des Blutes bei einer Reihe von Vergiftungen, die man als Säurevergiftung auf- zufassen pflegt, kritisch, so findet man eine Reihe von Thatsachen, die be- fremdend wirken. Zunächst eine auffallende Incongruenz zwischen den alcalimetrischen und den gasanalytischen Untersuchungsergebnissen. Dann aber sind es die eigenthümlichen Ergebnisse der gasanalytischen Bestim- mungen an und für sich, die unsere Beachtung verlangen. H. Meyer? ! Bunge, Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 3. Aufl. S. 403, ®? Münzer, Die Bedeutung der Ammoniaksalze für die Pathologie. Prager med. Wochenschrift. 1897. Nr. 15—19. — Münzer kommt zwar für die experimentelle Säurevergiftung zu diesem Schlusse, in Bezug auf die Krankheitsbilder jedoch, die in der Pathologie auf Säurevergiftung bezogen werden, stellt er sich auf den Standpunkt: eine „Säuerung bis zur toxischen Wirkung ist weder für das urämische, noch für das cholämische Coma, noch auch für die Leukämie nachgewiesen. Nur beim Diabetes mellitus findet man eine excessive Säurebildung, und muss die Möglichkeit einer Säure- vergiftung zugegeben werden.“ — Vgl. dazu auch Magnus-Levy, Die Oxybutter- säure und ihre Beziehungen zum Coma diabeticum. Archiv für experiment. Patho- logie. Bd. XLI. ° H. Meyer und Williams, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XIl. * H. Meyer, Ueber die Wirkung des Phosphors auf den thierischen Organismus. Ebenda. Bd. XIV. — H. Meyer und Feitelberg, Studien über die Alkalescenz des Blutes. Ebenda. Bd. XVII. BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER EXPERIMENTELLEN SÄUREVERGIFTUNG. 83 zeigte, dass eine Reihe ihrem Wesen nach anscheinend ganz verschiedener Gifte: Eisen, Arsen, Platin, Phosphor u. a., das gleiche Resultat haben, eine ausserordentliche Verminderung der Kohlensäure des Blutes herbei- zuführen, und man hat sich gewöhnt, diese Wirkung der bei Säurezufuhr gleichzusetzen und auch als ihre Grundlage und als das Wesen ihrer tödt- lichen Wirkung eine abnorme Säuerung des Blutes anzusehen. Eine Reihe der hier angeführten Giftstoffe, wie Phosphor, Arsen, wirken nun in der gleichen Weise toxisch auch beim Fleischfresser, obwohl derselbe gegen Säurezufuhr ziemlich resistent ist. Da müssten wir also eine weitere Hypothese machen und annehmen, dass diese Giftstoffe wohl enorme Säuerung des Körpers herbeiführen, die so hochgradig ist, dass sie für das Kaninchen tödtlich wirkt, dass aber noch ein an und für sich tödt- licher Einfluss auf die, bezw. auf gewisse Gewebszellen vorhanden sein muss, wodurch der tödtliche Effeet dieser Giftstoffe für den fleischfressenden Organismus seine Erklärung fände. Ferner haben Zuntz und mehrere seiner Schüler! schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass die Abnahme der Kohlensäure im Blute noch kein zwingender Beweis für dessen verminderte Alcalescenz sei, da rein physikalisch wirkende Vorgänge, wie Aenderung der Athemmechanik schon im Sinne einer Verminderung der Blutkohlensäure wirken können, was zuerst wohl August Ewald? experimentell festgestellt hat. Weiter könnte eine Herabsetzung der Kohlensäure doch auch durch eine verminderte Kohlensäurebildung bedingt sein, durch eine Unfähigkeit der Gewebszellen die normalen Stoffzersetzungen auszuführen. Wir erinnern nur an die Wirkung der Blausäure, von der Geppert? in seiner bekannten Arbeit gerade dies Verhalten nachgewiesen hat. Endlich ist bisher noch nie die Bindungsfähigkeit des Blutes für Kohlensäure geprüft worden, weder bei den durch Säuren selbst herbei- geführten Vergiftungen, noch auch bei denjenigen, die man als solche an- zusehen gewohnt ist. Und doch sind gerade die Resultate dieser Unter- suchungen dafür ausschlaggebend, ob in Fällen letzterer Art die Annahme einer Säurevergiftung zu Recht besteht. Diese Ueberlegungen waren es auch, die jeden von uns beschäftieten und uns zu einer gemeinschaftlichen Nachuntersuchung veranlassten. — Zunächst beschäftigte uns also die Frage, inwiefern bei experimenteller ! Cohnstein, Ueber die Aenderung der Blutalkalescenz durch Muskelarbeit. Virchow’s Archiv. Bd. CXXX. — A. Loewy, Untersuchungen zur Alkalescenz des Blutes. Pflüger’s Archiv. Bd. LVIl. 2 Aug. Ewald, Zur Kenntniss der Apno&. Fbenda. Bd. VII. 3 Geppert, Ueber das Wesen der Blausäurevergiftung Zeitschrift für klin. Medicin. Bd. XV, 6* 84 A. Loewy uno E. Münzer: Säurevergiftung Alcalimetrie des Blutes und Gasanalyse desselben einander entsprechen, dann aber — und vor allem — die Frage, ob der verminderte Gehalt des Blutes an Kohlensäure ein Zeichen der behinderten Fähigkeit des Blutes, wie in der Norm Kohlensäure zu binden, bezw. die von den Geweben gebildete Kohlensäure abzuführen sei oder ob nicht andere Be- dingungen maassgebend sind für den Tod säurevergifteter Thiere. Die zur Entscheidung der aufgeworfenen Frage nothwendigen Ver- suche waren also klar vorgeschrieben. Wir mussten erstens durch Titration den Alcaliwerth des Blutes feststellen, mussten uns ferner überzeugen, ob der Kohlensäuregehalt des Blutes nach der Vergiftung eine entsprechende Verminderung erfahren hat und schliesslich das Verhalten dieses Blutes zur Kohlensäure, d. h. das Bindungsvermögen desselben für Kohlensäure prüfen. Zur Titration des Blutes bedienten wir uns des von Loewy! angegebenen Verfahrens. Zur Bestimmung der Kohlensäurespannung des Blutes der von Zuntz mit Loewy ausgearbeiteten Methodik, deren genaue Veröffent- lichung an anderem Orte demnächst erfolgen wird. Hier sei nur soviel erwähnt, dass zur Bestimmung der Kohlensäure- menge eine gemessene Blutportion unter Luftabschluss in die Blutgaspumpe gebracht und entgast wurde, dass zur Bestimmung der Spannung der Blutkohlensäure eine andere Portion Blut defibrinirt wurde und mit Hülfe eines mechanisch betriebenen Schüttelapparates bei 38°C. in Glasballons mit Gasmischungen verschiedenen Kohlensäuregehaltes so lange geschüttelt wurde, bis der Ausgleich der Gasspannungen zwischen Blut und Gas er- folet war. Dann wurde eine Probe des geschüttelten Blutes unter Luft- abschluss entnommen und in der Pumpe entgast. Ebenso wurde eine Probe des mit dem Blut geschüttelten und so mit ihm in Spannungsaus- gleich gekommenen Gases entnommen. Sowohl diese Gasprobe wie die aus dem Blute gewonnenen Gasmengen wurden sodann in dem von Loewy° angegebenen Analysenapparat auf ihren Kohlensäuregehalt untersucht. Wir haben auf diese Weise sieben Versuche ausgeführt:? einen am unvergifteten Thier als Normalversuch, einen zweiten mit einem Eisensalz (Eisentartrat), mit dem jedoch in Folge zu niedriger Dosis keine Ver- eiftung erzielt wurde. Er kann gleichfalls als Normalversuch gelten. In fünf weiteren Versuchen wurden die Thiere vier Mal mit Salzsäure, ein Mal ı A. Loewy, 2.2.0. ” A. Loewy, Ein vereinfachtes Verfahren der Blutgasanalyse. Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. ® Hrn. Prof. Zuntz danken wir an dieser Stelle herzlich für die Freundlichkeit, mit der er uns die Hülfsmittel seines Institutes zur Verfügung stellte, und für die vielfache Unterstützung bei Ausführung der Untersuchungen. BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER EXPERIMENTELLEN SÄURKVERGIFTUNG. 85 mit Phosphor vergiftet. Bezüglich des Modus der Vergiftung hielten wir uns genau an die von Walter bezw. H. Meyer gegebene Vorschrift. Die näheren Ausweise darüber, wie auch die gewonnenen Resultate haben wir in der folgenden Tabelle zusammengestellt. = 8 3832| Bindungsfähigkeit | 2186 SSeER SEE _ des Blutes 2.8! Vergiftungs- | Blut- 12335 = 2 für Kohlensäure s|2 er Ion EB, 375 |BeiProc. : ı Bemerkungen 3123 art dichte S_%W 2 ou 3 sind 222 | “290578 |C0, im| o| © AD \ = > ui a» S hü tt 1 |\Proc.CO, > o3 | BE .819.5 8 ||PeMUttel-|;, Blute A BR aD al REED SI]: gas" 1 | 1400 — 1042-6 396-0 | 44-96 | 2-196 | 28-43 || Normalwerth 2 |1440| 20”s Eisen- |1035-9 — |42-01 | 3-29 | 34-75 | KeineVergiftung tartrat in die | | | zu Stande ge- | Vena jugularis | | | kommen 3 [1400| 0-8:m HC) |105.6 — | 58 — | — pro Körperkilo l | Thier per os | | | 4 |2050, 1-gem HCl |1048-0 246-4 | 9-46.| 3-63 | 7.372 || Thier in extrem. | Stark dyspnoi- in toto in 24 St. | IN7ao 21.881| | N os |) sche Athmung 5 |2400| 0-79 ®= HC] |1055.5| — | 16-93 | 3-55 | 19-16 | pro Kilo j | 7-58 | 22-26 6 2600 0-72 em HCI |1045-0, 284-4 | 10°13 | 5571 | 16-34 |\Dyspnoische pro Kilo | 7:752 | 19-95 || Athmung 7 |2280 0.058 = Phos--| — 320-0 | 13-45 | 6143 | 17-88 | Thier in extrem. phor subeutan | | StarkeDyspnoe. als Phosphoröl | | Wir wollen zunächst Kohlensäuregehalt und -spannung im Blute be- trachten. Die beiden ersten Versuche an nicht vergifteten Thieren zeigen die innerhalb der normalen Grenzen liegenden Kohlensäurewerthe von 44-96 bezw. 42.01 Procent Kohlensäure. Wird dieses Blut mit einem Gas ge- schüttelt, das arm an Kohlensäure ist, jedenfalls wohl ärmer daran als die Luft der Lungenalveolen, so giebt es von seiner Kohlensäure her, so dass es bei einer Spannung von 2-196 Procent — das sind 16-69 wm Hg — anstatt 44.69 Procent nur noch 28.43 Procent, bei 3.29 Procent Spannung — 25.0"m Hg — anstatt 42-01 nur 34-75 Procent enthält. Ganz anders sind die Verhältnisse nach der Vergiftung. In allen fünf diesbezüglichen Versuchen finden wir in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen aller früheren Autoren eine sehr erhebliche Herabsetzung der Kohlensäuremengen, am meisten in Versuch Nr. 3 auf ca. !/, des Nor- ! Dieser Werth ist unsicher, er fällt aus der Reihe aller übrigen heraus. 86 A. Loswy und E. Münzer: malen, weniger in den übrigen. So niedrige Werthe, wie Walther sie mittheilt (1 bis 2 Procent) konnten wir allerdings nie, trotzdem wir zwei Mal das Blut den in Extremis befindlichen Thieren entnahmen und auch in den übrigen Fällen die Thiere bald nach der Blutentnahme der Ver- siftung erlagen, constatiren. Dabei ist nun aber bemerkenswerth — und das ist das eine wesentlich neue Ergebniss, das unsere Versuche bringen —, dass dasselbe Blut, mit kohlensäurehaltiger Luft geschüttelt, sehr wohl Kohlensäure aufzunehmen vermag, und zwar nicht unerhebliche Kohlensäuremengen aufnimmt bei Kohlensäurespannungen, die im Thierkörper bei Zuständen hochgradiger Dyspno& und ganz gewöhnlich bei der Erstickung zur Beobachtung kommen, und die man durch Respiration kohlensäurehaltiger Gasmischungen hervor- rufen kann, ohne dadurch besondere Schädigungen zu erzeugen. So band das Blut in Versuch 4 bei 6-066 Procent Kohlensäurespannung 31-88 Procent Kohlensäure. Ziehen wir davon die physikalisch absorbirte Menge ab, indem wir als Absorptionscoöfficienten 0-55 annehmen, das wäre im vorliegenden Falle 3-3", so bleiben chemisch gebunden noch 28-58 m, Wir haben in: Gesammt-CO, chem. gebundene CO, Versuch 5 bei 7.58 Proc. Spannung: 22.26 Proc. 15-12 Proc. ” 6b „ 957, ” 16.34 „ 13.28 „ ” 6 „ 7.7 ” 2) 19.95 ” 15.69 „ % 70, 62142, £ 17.887, 14-50 „ Wenn aber auch das Blut der vergifteten Thiere noch einer Kohlen- säureaufnahme fähig ist, so ist diese doch für eine gleiche Spannung viel geringer als beim gesunden Blute, wie der Vergleich bei den beiden Normalwerthen ergiebt. In ihnen nämlich band das Blut chemisch bei einer CO,-Spannung von 2-196 Proc.: 27.22 Proc. CO, und ” ” ” ” ” 3 ö 29 ” : 32 k 94 ” DE Die nachstehende Tafel giebt eine Uebersicht der Werthe der bei den verschiedenen Kohlensäurespannungen chemisch im Blute gebundenen Kohlensäuremengen, wobei die stehenden Kreuze die Versuche mit Ver- siftung, die liegenden die Normalversuche bezeichnen. Unter den ersteren sind fünf sehr erheblich, zwei weniger abweichend von den Normalwerthen, aber alle lassen das gesetzmässige Verhalten erkennen, dass bei der Ver- siftung mit Salzsäure, wie auch mit Phosphor die Bindungs- fähigkeit des Blutes für Kohlensäure wirklich in hohem Maasse herabgesetzt ist. BEITRÄGE ZUR LEHRE VON DER EXPERIMENTELLEN SÄUREVERGIFTUNG. 87 Aber die vorstehenden Ergebnisse beweisen weiter, dass die tödtliche Wirkung der Säurezufuhr bezw. des Phosphors beim Kaninchen nicht einfach auf die Unfähigkeit des Blutes zur Kohlensäureauf- nahme bezogen werden kann, denn selbst da, wo die Thiere schon in Ultimis waren, als ihnen das Blut entnommen wurde, konnte es doch noch erhebliche Quantitäten Kohlensäure in sich aufnehmen, also auch von den Geweben fortschaffen bei einer Spannung, die noch keine Lebensgefahr für die Thiere bedeutete. Wie gross die Kohlensäuremengen sind, die in Wirklichkeit fortgeschaftt werden, und inwieweit sie der CO,-Production entsprechen, muss sich 8% e 3% > eDpmmps un ?og 0 Ss = & 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% (0; Co, imBlut chemisch gebunden im Blut aus Versuchen ergeben, in denen der Gaswechsel säurevergifteter Thiere bestimmt bezw. der Kohlensäuregehalt des arteriellen und venösen Blutes verglichen wird. — Ein zweiter Punkt, der Erwähnung verdient, ist das Verhalten der titrimetrisch ermittelten Alcalescenz des säurevergifteten Blutes. Auch die diesbezüglichen Werthe sind in der vorstehenden Tabelle mit enthalten. Das normale Kaninchenblut hat eine Alcalescenz von 300 bis 3508 NaHO für 100: ® Blut, nicht selten eine noch geringere. Der eine von uns in diesen Versuchen ermittelte Normalwerth beträgt 396"® NaHO, ein für das Kaninchen auffallend hoher Werth. Dem gegenüber sind die Zahlen bei den tödtlich vergifteten Thieren 246-4”, 254-4 ”8, 320 "8 NaHO. Legen wir selbst den Werth 396”s NaHO als Normalwerth zu Grunde, so ist doch die Verminderung eine auffallend geringe; die noch vorhandenen Alealimengen sind sehr erheblich, im letzten Versuche fallen sie noch in die physiologische Breite. Dass eine Incongruenz zwischen den titrimetrisch gefundenen Alcalien und dem aus dem Kohlensäuregehalt zu ermittelnden bei Säurevergiftung besteht, ist schon Walter und Hans Meyer aufgefallen. Hier haben 88 A. LoEwy und E. Münzer: BEITRÄGE ZUR LEHRE U. 8. W. wir aber den ersten zahlenmässigen Beweis dafür. Es ist dieselbe Incon- gruenz, die auch am normalen Blute besteht und von Kraus! vor einigen Jahren wieder besonders betont und durch Versuche erwiesen worden ist, nachdem u. A. Lehmann und Loewy schon darauf hingewiesen hatten. ? Welcher Art dieser Alcaliüberschuss im säurevergifteten Blute ist, welche Bedeutung ihm zukommt, ist vorläufig nicht zu sagen. Licht auf diese Verhältnisse können jedoch Versuche werfen, in denen das Verhältniss des diffusiblen zum nicht-diffusiblen Alcali des Blutes bestimmt wird, durch Diffusionsversuche derart, wie sie Zuntz und Loewy?° früher zu anderen Zwecken ausgeführt haben. Fassen wir kurz unsere bisherigen Ergebnisse zusammen, so wären es: mässige Herabsetzung der durch Titration bestimmten Alcalescenz des Blutes, erhebliche Verminderung der Kohlensäuremenge bei verminderter Fähigkeit des Blutes, Kohlensäure zu binden. Die Resultate sind gleich bei der Salzsäure- und bei der Phosphorvergiftung. Diese Veränderungen sind nicht derart, dass sie den Tod der Versuchs- thiere erklärlich machen. Für ihn muss ein deletärer Einfluss auf die Gewebs- zellen verantwortlich gemacht werden. Damit würde sich die Thatsache er- klären, dass eine Reihe von Stoffen, deren giftige Wirkung auf das Kaninchen auf Säurewirkung zurückgeführt wurde, wie Phosphor, Arsen, Eisen u. A. auch für den Hund giftige sind, obwohl dieser durch bekannte Regulations- mechanismen (Salkowski, Walter) gegen Säuren sehr widerstandsfähig ist. Wir beabsichtigen demnächst, unsere Versuche mit noch anderen Mitteln, deren Einführung in den Organismus des Herbivoren einen gleich- falls der Säurevergiftung analogen Symptomencomplex herbeizuführen im Stande ist, am Kaninchen und auch am Hunde fortzusetzen. Ferner wollen wir auch denjenigen weiteren Fragen, die uns entgegengetreten sind und zu deren Lösung die nothwendige Versuchsmethodik im Vorstehenden schon angedeutet wurde, experimentell näher treten. So zunächst der Untersuchung des Gaswechsels säurevergifteter Thiere, sodann der Bestimmung der Kohlensäure im venösen Blute neben der im arteriellen. Weiter der Untersuchung der einzelnen Blutcomponenten, des Serums und der Zellen auf Alcalescenz- und Kohlensäurebindung; endlich soll die Alcalispannung des Gesammtblutes sowohl, wie seiner Bestandtheile einer genaueren Fesstellung unterzogen werden. " F. Kraus, Ueber die Vertheilung der Kohlensäure im Blute. Festschrift. Graz 1898. °C. Lehmann und A. Loewy, Pflüger’s Archiv. Bd. LVIT. ® Zuntz und Loewy, Ueber die Bindung der Alkalien in Serum und Blut- körperchen. Kbenda. Bd. LVII. Örientirung nach Himmelsrichtungen. Von J. Dewitz. In „Ornis“ Jahrgang VIII und IX hat v. Berg die Beobachtungen zusammengestellt, welche in den verschiedenen ornithologischen Stationen in Elsass-Lothringen für den Vogelzug gemacht worden sind. Die in Jahrgang VIII niedergelegten Resultate beziehen sich auf die Jahre 1885 bis 1892, während Jahrgang IX die Resultate für 1893 bis 1897 wieder- giebt. Ich habe diese Zusammenstellungen dazu benutzen wollen, um etwaige Gesetze oder Regelmässigkeiten für die verschiedenen Himmelsrich- tungen, welche die Vögel einschlagen, aufzusuchen. Besonders war es mir in Folge von auf einem anderen Gebiete gemachten Beobachtungen darum zu thun, die Frage zu entscheiden, ob die Vögel die vier Cardinalrichtungen N, O0, S, W bevorzugten. Ich habe daher aus den erwähnten Publicationen v. Berg’s für jede Vogelart diejenigen Fälle ausgezogen, in denen die Richtung des Fluges angegeben war und habe die Zahl der Fälle fest- gestellt, welche auf die verschiedenen Himmelsrichtungen fallen. Da nun aber häufig für eine bestimmte Vogelspecies in zu wenigen Fällen die Himmelsrichtung des Fluges verzeichnet war, so habe ich nur diejenigen Arten ausgewählt, bei denen in wenigstens acht Fällen die Richtung des Fluges genannt war. Da mir ferner anfangs nur die zweite Publication im Jahrgang IX der „Ornis“ zugänglich war und ich mir erst sehr viel später den Jahrgang VIII der Zeitschrift mit der ersten Zusammenstellung ver- schaffen konnte, so habe ich die beiden Perioden, 1885 bis 1892 und 1893 bis 1897, gesondert behandelt. Wir wollen daher hier, wie ich es auch gethan habe, mit der zweiten Veröffentlichung in Jahrgang IX (1893 bis 1897) beginnen. In derselben wurden die folgenden Vogelarten berück- sichtigt: 90 J. DEwitzy 1. Alauda arvensis, Feldlerche. 16. Ardea cinerea, Grauer Reiher. 2. Sturnus vulgaris, Staar. 17. Scolopax rusticola, Waldschnepfe. 3. Vanellus cristatus, Kiebitz. 13. Ciconia alba, Weisser Storch. 4. Anser segetum, Saatgans. 20. Luscinia minor, Nachtigall. 5. Motacilla alba, Weisse Bachstelze. 21. Hirundo rustica, Rauchschwalbe. 8. Columba oenas, Holztaube. 22. H. urbica, Fensterschwalbe. 9. C. palumbus, Ringeltaube. 23. Upupa epops, Wiedehopf. 11. Turdus musicus, Singdrossel. 24. Budytes flavus, Gelbe Bachstelze. 12. T. iliacus, Weindrossel. 25. Turtur auritus, Turteltaube. 13. Grus cinerea, Grauer Kranich. 27. Cuculus canorus, Kuckuck. 14. Milvus regalis, Rother Milan. Von den 27 Arten werden aus dem soeben angegebenen Grunde nur 21 ausgewählt. Die Ergebnisse meiner Nachforschungen sind in Tabelle I und II niedergelegt und, um dieselben mitzutheilen, ist es am zweck- mässigsten, die einzelnen Rubriken dieser Tabellen durchzugehen. Tabelle I beschäftigt sich nur mit den 4 Cardinalrichtungen. Rubrik 1 enthält die Nummern der ausgewählten Vogelarten, d. h. diejenigen, für welche in den v. Berg’schen Zusammenstellungen in mehr als acht Fällen die Flugrichtung bekannt gegeben ist. Rubrik 2 enthält die Zahl sämmt- licher Fälle, diejenigen des Frühjahrszuges und des Herbstzuges zusammen, bei denen die Himmelsrichtung des Fluges beobachtet ist. Rubrik 3 giebt die Zahl derjenigen Fälle (des Herbst- und Frühjahrszuges) an, in denen der Flug nach den Cardinalpunkten (N, O, S, W) ging. Daneben stehen die zugehörigen Procentzahlen, bezogen auf alle Fälle (Rubrik 2). In 35 unter 51 Fällen (Herbst- und Frühjahrszug) war also der Flug der Species 1 (Alauda arvensis) nach Cardinalrichtungen gewandt oder in 100 Fällen 64-7 Mal. Von Rubrik 4 an (Rubrik 4 bis 13) beziehen sich die Zahlen und Berechnungen nur auf den Frühjahrszug, da die Angaben für den Herbst- zug in den genannten Publicationen nicht sehr zahlreich sind. Rubrik 4 enthält wieder die Zahl aller Fälle (des Frühjahrszuges), bei denen die Himmelsrichtung des Fluges beobachtet war; Rubrik 5 die Zahl der Fälle (des Frühjahrszuges), bei denen der Flug nach Cardinalpunkten ging. Auf dem Frühjahrszuge flog also Alauda arvensis (Species 1) unter 49 Fällen 32 Mal in Cardinalriehtungen oder unter 100 Fällen 65-3 Mal. Ich habe sodann sehen wollen, ob die Winde auf die Flugrichtung nach Cardinal- punkten (N, O, S, W) von Einfluss sind und habe daher die Fälle des Frühjahrszuges (Rubrik 4) in vier Kategorien zerlegt. Die Rubrik 6 (Kate- gorie a) enthält diejenigen Fälle der Rubrik 4, welche bei Wind im All- gemeinen statt haben; Rubrik 7 (Kategorie b) diejenigen Fälle der Rubrik 4, welche bei solchen Winden beobachtet wurden, die nach Cardinalpunkten ÜRIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. 91 (N, 0, S, W) wehten; kubrik 8 (Kategorie c) bei solchen Winden, die nach Zwischenrichtungen (NO, SO, SW, NW) wehten; Rubrik 9 (Kategorie d) die Fälle, welche ohne Wind statt hatten. In den Rubriken 10 bis 13 sind nach den gleichen vier Kategorien die Fälle von Rubrik 5 zerlegt, d. h. diejenigen Fälle, bei welchen der Flug nach Cardinalpunkten gerichtet war. Dabei sind die Procentzahlen, bezogen auf die betreffende der Rubriken 6 bis 9 (Kategorien a bis d), berechnet. Was z. B. die Species 1 (Alauda arvensis) angeht, so war die Flugriehtung 30 Mal bei Wind im Allgemeinen be- obachtet und in diesen 30 Fällen ging der Flug 20 Mal (= 66-6 Procent) nach Cardinalrichtungen. 17 Fälle waren bei nach Cardinalrichtungen wehenden Winden constatirt und in 13 von diesen Fällen (= 76-4 Procent) bewegte sich der Flug nach Cardinalpunkten. 13 Fälle waren für nach Zwischenrichtungen (NO, SO, SW, NW) wehenden Winden angegeben und in 7 Fällen (= 53-8 Procent) war dabei der Flug nach Cardinalpunkten gerichtet. Bei Windstille waren 19 Fälle mit beobachteter Zugrichtung mit- getheilt, und unter diesen 19 Fällen folgen die Alauda arvensis in 12 Fällen (= 63.1 Procent) in Cardinalrichtungen. Schliesslich ist in den verschiedenen Rubriken (3, 5, 10 bis 13) aus den erhaltenen Procentzahlen das Mittel genommen: die Summe der Pro- centzahlen ist durch 21 dividirt worden. Daneben (neben den Mitteln der Procentzalen) sind die Zahlen der Fälle selbst addirt und zu diesen Summen die Procentzahlen berechnet. Hierbei ist die Summe der Rubrik 3 auf die Summe der Rubrik 2, die Summe der Rubrik 5 auf die Summe der Rubrik 4 bezogen; die Summen der Rubriken 10 bis 13 sind auf die Summen der bezüglichen Rubriken 6 bis 9 bezogen. Die so erhaltenen Procentzahlen sind in Klammern unter den Mitteln der einzelnen Procent- zahlen beigefügt. Betrachten wir nun die in Tabelle I erhaltenen Resultate. Rubrik 3 bezieht sich auf den Frühjahrs- und Herbstzug zusammen und giebt die während dieser beiden Züge nach Cardinalpunkten gewandten Flüge an. Wir bemerken hier sofort, dass die Vögel die ausgesprochene Tendenz hatten, sich gegen die vier Haupthimmelsrichtungen zu orientiren, denn die Procentsätze sind alle höher als 50 und nähern sich oft der 100. Das Mittel der 21 Procentzahlen ist 76-5. Im Durchschnitt richtete sich der Zug der verschiedenen Vogelspecies auf dem Herbst- und Frühjahrszuge zusammen unter 100 Mal 76.5 nach Cardinalpunkten. Es muss hervor- gehoben werden, dass hier die Ziffern beide Züge, den Frühlings- wie den Herbstzug, betreffen, also sämmtliche acht Himmelsrichtungen dabei den Vögeln gleichmässig zur Auswahl zur Verfügung standen. Die Rubrik 5, welche sich auf den Frühjahrszug bezieht, sagt dasselbe aus wie Rubrik 3. Die Mittelzahl der einzelnen Procentzahlen ist hier 77-2, also ungefähr 92 J. DEwITZ: ebenso gross wie in Rubrik 3. Die beiden Procentzahlen, welche aus den Summen der Fälle gewonnen sind, sind etwas kleiner als die Mittelzahlen, nämlich 74-3 und 74.9. Bezüglich des Einflusses des Windes, der Windart und der Windstille (Rubrik 10 bis 13) würde man nach Tabelle I annehmen, dass bei Wind (Rubrik 10, Kategorie a) öfter der Flug nach Cardinalpunkten gerichtet ist als bei Windstille (Rubrik 13, Kategorie d.. Wir werden jedoch aus den Berechnungen (Tabelle III), welche uns die erste v. Berg’sche Zusammen- stellung (Jahrgang VIII) ergeben hat, ersehen, dass dort das Gegentheil der Fall ist. Wir können daher nicht behaupten, dass Wind oder Ab- wesenheit von Wind den Flug nach Cardinalpunkten beeinflusst. Bei einem Vergleich der Mittelzahlen der Rubriken 11 und 12 (Kategorie b und c) würde man constatiren, dass bei nach Cardinalpunkten wehenden Winden der Flug öfter nach Cardinalpunkten gewandt ist als bei nach den dazwischen liegenden Himmelsrichtungen (NO, SO, SW, NW) wehenden Winden. Wir werden aus Tabelle III ersehen, dass sich aus den Berech- nungen der ersten Publication (Jahrgang VIII) dasselbe Verhältniss er- geben hat. Es lässt sich diese Erscheinung wahrscheinlich aus einer gewissen rheotropischen Reaction der Vögel erklären. Es scheint nämlich, dass, wenigstens innerhalb des Sectors N— NO—0O, auf dem Frühjahrszuge die Zahl der Fälle für eine gegebene Himmelsriehtung dann am höchsten ist, wenn aus dieser Himmelsgegend der Wind weht. Vergleichen wir aber die einzelnen Procentzahlen der beiden Rubriken 11 und 12, so lässt sie ein Ueberwiegen derjenigen in der Rubrik 11 nicht immer constatiren. Wie dem auch sein mag, in den nach den vier Kate- gorien zerlegten Fällen bemerken wir, dass die Procentzahlen für den Flug nach Cardinalpunkten wieder sehr hoch sind und oft die 100 erreichen. Schliesslich müssen wir noch auf eine Erscheinung hinweisen. Obwohl die Rubriken 4 und 5 (Tabelle I) nach ganz willkürlichen Grundsätzen (Kategorien a bis d) zerlegt worden sind und obgleich man in den Rubriken 10 bis 13 schwankende Werthe für die Procentzahlen erhalten hat, sind die Mittel dieser Procentzahlen nicht sehr verschieden von denen in Rubrik 3 und 5. Die Mittel der Procentzahlen der Rubriken 10 bis 13 schwanken zwischen 77-6 und 83-1 und eines der Mittel ist 71.3, sie sind also nicht sehr verschieden von den ursprünglichen Mitteln (Rubrik 3 und 5). Man ist demnach versucht zu glauben, dass diese Werthe mit dem Wesen der Sache in Beziehung stehen. Nachdem ich die Beziehungen, welche die Richtung des Vogelfluges zu den Cardinalpunkten hat (Tabelle I), einer Prüfung unterzogen hatte, wollte ich zusehen, ob sich vielleicht für die einzelnen Himmelsrichtungen bestimmte Zahlen oder Zahlen, die in bestimmten Grenzen schwanken, ÜRIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. (699 = OFL) (T-EL = 081) |(F-28 = 218) (8-81 = z88)| | | (6-71 = 219) I(e-rL = sıd)]| | eu = IL = 1.88 = 1.08 = | Z-lı = ı 2 | | 1a Ares lee 12 | 1a nee | 7-86#1 T-1891 T-LPLI 85891 | 608 91 198 1er | G-8c91 089 || 0-LO91 | 269 || 1% 00I= +7 | ı=&8 0676er = rer ec 01 SE | L-F6S=NeT2 gone mc = je za az 0 =Lı |99=3 WERTET NEE I) 6 bRSLEZECT 61 08 ZA 0% | GG Gr —TE VB 888 = 8 1.98 = 61 v G 6 rL ge > Gl st | 08 = 9 08 | -# 9:9=% gs =6 | 00I=85 |988 = 8 & 4 G 6 888 = 01 21 | 2.08 = 2 ‚21 | 85 GO IE EG 2 Ve r.68 = LI 9-78 = 5% 81 2% 561 95 r.bLB—TE 68 | 8 = 686 0% || 86 Yuan la 0° = 1.86 = ST | 8-81 = 5% 6 vr 91 08 LOllLE—ESG 6 | FT = 08 cr Io 001= 9 | 007= & 00 ZEIT 001= 9 | 4 G I I OITZE je! 001= Il LT 2202 = 9 | ml 816 = 18-978 = BE | II 91 83 | 68€ = El a | =-H| sı 90-6 |)H#=-ı1) = 1 ,2= Bl a ala | elle =e|l # \em=ıE| Mi 00RZ=7E 00T ZT SUSE 0 082 | 8 I v G Saal 8 GI —ıL 8 91 BB T— 8 zit IAIIEZEr OLTZEL 6 r g 01 BRBL GT 67 |.97-12 =67 Ile | Pl 9299 72702 0, 09 EG ISIWZRG ET SS=ET & zw ar L I ) 0 ıese=L ei | 8 09 = & 001= I 08 =7 ERES=— IE G Teer 9 LeLh = 8 181 IL = 01 iz sı zz 00T ZIE 9:99 = 8 to el! 8 & sl Gl G.69 = 91 Be el Go. EI SL Zoch #6°6L = 11283887 = rose E88 ce 91 GI 16 cr Ze See) 69 | 6 239 7=52706-.06 207229167 E12 8162716 6 Tr sl 86 15 = 9 68 808 = 8% 123 8 0578 NN ITEFTILIZTET 17606 91 07 Ll LS L-09 = 18 8 Gy 0 G 001= 4 08 =7 | BSBN— 38 1.68 = &l G G 6 2 7.68 = LI 61 06 = ST 08 v 1.9779 GL =9 629,2 20T E19 29T 8 8 El 189 1:79 = 66 123 9:99 = #8 98 & 6-89 = 08 | C-0L = 81 | 3-09 = CI | C-9 = 1% 65 LI 8 07 1-89 = 69 er ee G Ice 7.91. = 81 | 9.992108 61 8 LI 08 &c9 = 6 67 MrIEZESs TS I &1 a1 11 01 6 8 L 9 q » 8 3 = Ö) ® ® uosunyyatı | sOonZ || u9SungyyDLL : u9L108 : ee Adugpppang| -saget | due y | OUBA |soteds > I yey] up y9eu 99uP1093 ueLLodayay] p ydeu 1PUP1093 sodnzsıqel -UnAg-p\oıp any oll®d aydıy 19p uosanyyorydneg F orp ıny sosnzsigelgnag sop oe | “soänzsigelgnig Soap ofIe,d - NAT POINT olled | Syoıguueg -JwmeS| "IN nn 5 I oTTeq®eL 94 J. DEwITZ: feststellen liessen. Hierauf bezieht sich die Tabelle II. Sie gilt nur für den Frühjahrszug und für die zweite Publication v. Berg’s (Jahrgang IX). Rubrik 1 in Tabelle II enthält die Nummern der ausgewählten Vogelspecies; Rubrik 2 die Anzahl der Fälle, bei denen auf dem Frühjahrszuge die Richtung des Fluges beobachtet war; Rubrik 3 bis 7 die Anzahl der Fälle, welche auf die verschiedenen Himmelsrichtungen fielen. Rubrik 3 ist für N, 4 für O0, 5 für NO, 6 für W, 7 für S. Die übrigen Himmels- richtungen sind mit gar zu wenigen Fällen vertreten und daher nicht in die Tabelle aufgenommen. S, welches noch berechnet wurde, enthält eben- falls eine ganz geringe Zahl von Fällen. In den Rubriken 3 bis 7 sind wieder die Procentzablen, bezogen auf Rubrik 2, mitgetheilt. Für Species 1 (Alauda arvensis) werden auf dem Frühjahrszuge 49 Fälle mit beobachteter Flugrichtung mitgetheilt. Von diesen 49 Fällen fielen 17 = 34.6 Procent auf N, 15 = 30-6 Procent auf O, 14 = 28-5 Procent auf NO, 0 auf W und ebenfalls O auf S. Wir haben oben gesagt, dass der Werth der Mittel der Procentzahlen, welche die Fälle der Flugrichtung nach den Cardinal- punkten ergaben, selbst bei ganz verschiedenartigen Rechnungsoperationen ein ziemlich fester ist. Noch mehr gilt dieses für die Procentzahlen der Fälle, welche auf die einzelnen Himmelsrichtungen fallen. Hier sind es sogar die Procentzahlen der einzelnen Fälle selbst, welche in ganz be- stimmten Grenzen schwanken. So schwanken die Procentzahlen für N zwischen 50 und 30, für O zwischen 40 und 20, für NO zwischen 30 und 10, für W zwischen 20 und 1. Unter den Procentzahlen für N (Rubrik 3) fallen in die Grenzen zwischen 50 und 30 die Zahlen: 47-3, 45:4, 40, 47.3, 50, 44, 43.5, 47.3, 47.3, 34-6, 30-4, 38.2, 34°3, 34-4, 347, 33-3, 36-3, 28-1 (nahe 30). Es bleiben übrig 66°6, 20.9 und 27-7, von denen die letztere Zahl der 30 noch nahe kommt. Die Procentzahlen für O (Rubrik 4) schwanken zwischen 40 und 30: 30-6, 31-5, 30-2, 31, 37:5, 30, 38.4, 31.5, 27.5, 26.4, 25, 21-7, 27:2, 20, 26-3, 27, 18-1 (noch nahe 20), 28.2, 27.7, 26.3. Es bleibt übrig 16-6. Die Procentzahlen für NO (Rubrik 5) liegen zwischen 30 und 10: 28-5, 24.6, 26-4, 23-2, 30.4, 27.2, 30, 12-5, 15-5, 15-7, 15-3, 16, 15-3, 12.8, 8-3 (noch nahe 10), 10°5. Es bleibt übrig 5-2. Die Procentzahlen für W (Rubrik 6) liegen zwischen 20 und 1: 10-1 18-7, 13.7, 13, 10.4, 22.2 (noch nahe 20), 15-7, 9-3, 5:2, 2, 5-1, 5:1 5°2. Es bleibt übrige 45-4. Was die Mittel der Procentzahlen der einzelnen Himmelsrichtungen angeht, so glaube ich, muss man anerkennen, dass die Werthe der Mittel für die einzelnen Himmelsrichtungen in gewisser Beziehung stehen. Um diese Zahlen zu vergleichen, nehmen wir noch die Mittelzahl 77.2 von wubrik 5 Tabelle IL hinzu: ? ? ORIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. 95 17.2, 39.6, 27.5, 15-1, 8-6, 1-4, wofür wir, ohne einen grossen Fehler zu machen, setzen können: 35% 2013, 19,,3 x 9, 32x79, 32x83: Wie man auch über die Art, diese Zahlen zu vergleichen, denken mag, so wird man doch nicht in Abrede stellen können, dass sie Beziehungen zu einander aufwiesen. Bei Tabelle I haben wir gesagt, dass die Procentzahlen der Fälle für die vier Cardinalpunkte (Rubrik 5 Tabelle I) bedeutend höher sind als 50 und dass sie sich der 100 nähern, dass ferner das Mittel dieser Procent- zahlen 77.2 ist. Dagegen kann man bemerken, dass der Frühjahrszug sich hauptsächlich innerhalb des Sectors N—NO—O bewegt, in welchem zwei Cardinalpunkte (N und O) und nur eine andere Himmelsrichtung (NO) enthalten ist. Auf diesen Einwand lässt sich erwidern, dass Rubrik 3 Tabelle I sich auf den Frühjahrs- und Herbstzug gleichmässig bezieht, hier also alle acht Himmelsrichtungen gleichmässig in Frage kommen, und dass trotzdem die Mittelzahlen der Procentzahlen in Rubrik 3 und 5 wenig von einander abweichen. Ferner ist in Rubrik 5 auch W mit einbegriffen. Die Vögel wenden sich mithin beim Frühjahrszuge auch gegen Westen und es stehen ihnen in Wahrheit die Himmelsrichtungen eines halben Kreis- abschnittes (W—NW—N—NO—0) zur Auswahl zur Verfügung. Aller- dings stehen auch hier drei Cardinalpunkte zwei Nichtcardinalpunkten gegen- über. Wenn wir uns aber nur mit dem Sector N—NO—O beschäftigen, der bei dem Frühjahrszuge hauptsächlich in Frage kommt, und die Mittel- zahlen der Procentzahlen der einzelnen Himmelsrichtungen dieses Sectors betrachten (Tabelle II), so sehen wir, dass N (39.6) und OÖ (27.5) um 24 bezw. 12 NO (15-1) übertreffen. Die Fälle der einzelnen vier Himmelsrichtungen sind in Tabelle II ebenso wie die der vier Cardinalpunkte in Tabelle I nach den vier Kate- gorien a, b, c, d zerlegt (Rubrik 12 bis 27 Tabelle II) und, um die Pro- centzahlen der so erhaltenen Zahlen zu finden, sind alle Fälle, bei denen auf dem Frühjahrszug die Richtung des Fluges beobachtet ist (Rubrik 2 Tabelle II) nach den gleichen vier Kategorien zerlegt (Rubrik 8 bis 11). In den einzelnen Rubriken sind dann die Mittelzahlen der Procentzahlen festgestellt. Die einzelnen Procentzahlen in jeder der Rubriken 12 bis 27 sind wenig gleichmässig. Aber die vier Mittelzahlen je einer Himmels- richtung unter sich betrachtet liegen zwischen denselben Grenzen wie die einzelnen Procentzahlen der verschiedenen Himmelsrichtungen; nämlich die Mittel der vier Kategorien für N zwischen 50 und 30. Für O liegen die Mittel der vier Kategorien zwischen 40 und 20; für NO zwischen 30 und 10; für W zwischen 20 und 1. Nur sind dieses Mal die Grenzen sehr viel enger und nähern sich oft den in Rubrik 5 bis 6 enthaltenen 96 J. Dewitz: Tabelle II. al | | 228 eine Fälle für N, 0, NO, W 28 @ | Fälle während des Frühjahrszuges für | zuges, geordnet, Pr: nach den | = SE | | Kategorien | s Ze N O2 ENOS EN AS alib older b e d ler 273 ar es: 6 7 |s,\9.10/11| 12 13 “| T | i A ]l BE | 1) 49 |17=34-6115=30-614=2385 — — || 80) 17) 18) 19|11=36-6| 5= 29-4/6= 46-1 6=31-5 2|69 21=30-419=27-5117=2467=101 — |40 23| 17 29 | 99-225) 4= 1735= 29-412—41.3| 3| 34 113=38-2| 9=26-4| 9=264 — — 21] 18| 8 1311-523) 8= 61-58= 375 2=158)| 419 | 9=473| 6=315 — | — |2=105| 14 9) 5 5] 6=42:8| 8=33.38- 60 | 360 5/ 43 | 9=20-9113=30.2110=23-24= 9-31= 2-3| 27 17| 10) 16| 7=25-9| 4= 23:53= 30 | 2=125 8 | 32 |11=34-3| 8=25 | 4=12-56=18-71= 3-1] 23 12 11| 9|| 9=39.1| 5= 41.64 36-3| 222.2 9 | 58 20=34-418=31 | 9=15-5/8=13-7'1= 1-7] 42] 27 13=30-9 11= 40-72= 13-3 7=483-7 11 |23 | 8=347 5=21-7| 7=30-48=13 15 12 5=333) 2= 16-63=100 | 3=37.5 12) 11 | 5=45-4 3=27.2] 3=272) 0 — 65 4=66-6 3= 60 1=100 | 1=20 13 10 | 4=40 |2=20 |3-90 | — | 208 2=285 2=666| — | 2=66-6 14, 19 | 9=47.3| 5=26-3) 3=15-71= 5.2 101 6 3=30 | 2= 33:31= 25 | 6=66-6 16| 8 |4=50 |3=375| — „E 5 4 2=40 | 1=25 1=100 | 2=66-6 ı7|| a8 |16=38-3118=27 | 8=15.315-10-41= 33 20 12=36-3110= 50 |2= 15-3) 4=26-6 ı8| 50 22=44 |15=30 | s=16 |1= 39 23 17=43-3| 9= 39.18= 50 | 5=45-4 20, 11 | 4=36.3| 2=181 — 5=454 61 | 2=33-3| 1=100 |1= 20 | 2=40 21| 39 |11=28-1115=38-4 6=15-3 2 | 30, 16 |6=20 | 3= 18-73= 21-4 5=55-5 22 | 39 |17=43.511=28.2] 5=12-82= 5-11= 25] 26 19 11=42:3| 8= 42.13= 42.8] 6-46-1 23 |12 | 8=66-6| 2=16-6|) 1= 83) — | 9 5 6=66-6 3= 60 |3= 75 | 2=66-6) 24 | 18 | 5=27.7)5=277]) — 4=2221= 55 14 9 4= 285 4=444 — |1=25 25 | 19 | 9=47.3) 5=26-3| 2=10-5|11= 5.2 | 9) | 4=33-3| 3= 50 |1= 33.3) 5=50 27) 19 | 9=47.3| 6=31,5| 1= 5.2|3= 15-7 | 15| 10 7=46-6 5= 50 |2= 40 | 2=50 21 630 | 831-6 | 578-7 | 317-4 | 181-1) 29-6 \aeılaszısal2oo | 798-7 | 903-1 | 815-4 | 889-0 ea 21 21 21 21 | | ©2170) ro u en = 39.6 = 27-5] = 15-1 = 8-6 = 1-4 | | = 38:0 | = 43:0 | = 41-6| = 42-3 ÜRIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. 97 Frühjahrszug. während des Frühjahrszuges, nach den Kategorien a, b, c, d geordnet (0) NO w a b C d a Mh Ic d ia | b c d 16 Ta 19,3 |. 220 Saar Wa | Seen 37 9=30 |8=47 |1= 7.6] 6=31.5| 7=23.8 |3=17:6| 4=30.7| T=36:8| — | Ben _ 12=30 7=30-4|5=29-4| 7=24.1 11=27.5 6=26 |5=29-4| 6=20-6|6=15 4=17.3 2=11.71= 3-4 5=23:8 2=15-3 3=37.5 4-30-7 Kos 1 1255-38 | BE a—28:5| 3333| 1=20 |2=0 | — | — = — lo | -— oe) — 7=25.9 5=29.4 2-20 |6=375 3=11-1 1= 58 2=20 |1=48.7 4=1483=-176 1-10 0° — 5=21.2) 3=25 |2=18.1 3333| 1= 43| — |1=90 |3=33:3| 6-26 8=25 13=272| — 14=33.3 6=27.2|8=53.3| 4-25 | 6=14.2|3=13-5 3=20 |3=18-7|7=16-66=22.2 1= 6.6 1= 62 4=26-6, 4=333| — 1=125| 4=266 4=338| 0 — [3=31.5|2=1332=166 — 11-125 16:6. 1220 a0 nie en er ee BD —_- 2-50 — |2=-285| — |2-=50 11=333| — | = = = B 500 2 333|1 25 229.2 3-50 |2-333| 1-25 | — |1=10 5 is | — 20250, - 11-3851 =. —- | -.- Io lo = —_ 10=30-3 5=25 |5=38-4 3=20 | 5=15.1|3=15 2=15.33=20 |3=9 — !3=23 |2=13.3 14=35-8 11-478 3=18-7 1= 9 | 4=10:2 2= 8.6 2=12:5|4=363 |1= 25 — |1=62 — _ = Nee ne 280 120 14=46.6 11=68.7|3=21.4 1=11.1 | 4=133| — |4=285| 2=222|2= 661= 62]1= 71 — =346 9=ar3l — 2=153| 1= 38| — |1=142]4=30.7)1= 38) el: 22 een N ee .e a 5=35.7] A333|1=20 | “ en Au lol 1 Ser 3=383:3 3-50 | — 2=0 | — nn 2=so la esse Des alle sonle40 [125 eslı-10 | = | —.)l2=133la=ıo |1=20 |1=25 606-7 | 686-3 | 399-4 470-5 | 250-1 | 203-7 | 267-1 | 464-8 | 222-8 | 114-9| 304-0 | 138-0 a0 1° oe mer nen ae Fran wat | Tone erueepr 21 = 23:8, =32.6. = 19:0 = 225 =11:9 =9:8 =127 = 22-1|= 10-6 =5-4|=14-4 = 6.5 | | | | | | Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. -1 98 J. Dewiırz: betreffenden Mitteln. Es ist auffällig, wie dieses schon für die Berechnung in Tabelle I (Rubrik 10 bis 13) bemerkt wurde, dass so heterogen scheinende Zahlen (Procentzahlen) schliesslich zu gewissen Werthen (Mittel- zahlen) führen. Die Zerlegung der Fälle für jede Himmelsrichtung nach den vier Kategorien hat also hier ebenso wenig etwas an dem End- resultat (Mittelzahlen der Rubriken 12 bis 27) geändert wie die Zerlegung der Fälle für die Cardinalpunkte (Tabelle I). Wir fanden in Tabelle I — und wir erklärten dieses aus einer gewissen rheotropischen Reaction der Vögel gegenüber den Winden —, dass in Kategorie b mehr Fälle für die Cardinalrichtungen vorhanden waren als in Kategorie c. Wir sehen nun in Tabelle II, dass dasselbe der Fall ist für N und O0. Damit stimmt denn auch überein, dass für NO das entgegengesetzte Verhältniss statt hat. W dagegen stimmt in diesem Punkte mit NO überein. Im Laufe aller dieser Untersuchungen über die Flugrichtung der Vögel hat es mir oft scheinen wollen, als ob W engere Beziehungen zu NO zeigte. Schliesslich ist es mir noch aufgefallen, dass verhältnissmässig viele Fälle N in die Kategorie d (Windstille) fielen, sowohl bei Benutzung der zweiten wie der ersten v. Berg’schen Zusammenstellung. Wir kommen nun zu der ersten v. Berg’schen Zusammenstellung in Jahrgang VIII der „Ornis“, welche sich auf die Beobachtungen während der Jahre 1885 bis 1892 bezieht, und von der ich die folgenden Arten berücksichtigte: 1. Milvus regalis. 21. Alauda arvensis. 7. Hirundo rustica. 22. Columba polumbus. 8. Hirundo urbica. 23. Columba oenas. 10. Cuculus canorus. 26. Vanillus cristutus. 12. Sturnus vulgaris. 27. Grus cinerea. 14. Upupa epops. 28. Ciconia alba. 15. Turdus musicus. 29. Ardea cinerea. 16. Turdus iliacus. 31. Scolopax rusticola. 18. Motacilla alba. 32. Gallinago scolopacina. 19. Budytes flavus. 33. Anser segetum. Die Berechnungen, welche aus den Zusammenstellungen der ersten Publication in Jahrgang VIII resultiren, sind in Tabelle III niedergelegt. Hierbei sind wieder nur diejenigen Species in Betracht gezogen, bei welchen mindestens acht Fälle mit beobachteter Flugrichtung verzeichnet waren. Es wurden demnach von 34 Arten 20 ausgewählt. Tabelle III bezieht sich nur auf den Frühlingzzug. Um aber auch für die Fälle des Frühjahrs- und Herbstzuges zusammen die Procentzahl der Fälle der ÜRIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. 99 Cardinalpunkte festzustellen, wurde auch der Herbstzug berücksichtigt. Für die zweite Publication Jahrgang IX geschah dieses in Rubrik 2 Tabelle I. Dieses Mal geschah es jedoch nicht für jede einzelne Species, sondern es wurden sämmtliche Fälle des Frühjahrszuges und des Herbstzuges, bei denen die Zugrichtung beobachtet war, zusammengerechnet und die Fälle für die Cardinalpunkte bestimmt. Es wurden dabei alle Vogelarten, auch die, welche weniger als acht Fälle mit beobachteter Flugrichtung aufzu- weisen hatten, in die Rechnung hineingezogen. Dieselbe ergab 637 beob- achtete Fälle mit 448 Fällen für die Cardinalpunkte, was 70-3 Procent entspricht. Wie wir sogleich in Tabelle III sehen werden, wurde für den Frühlingszug allein und für die ausgewählten Vogelspecies ebenfalls 70-3 Procent erhalten. In Tabelle I waren die beiden entsprechenden Procentzahlen (Rubrik 3 und 5 Tabelle I) ebenfalls fast gleich. In Tabelle III giebt nun Rubrik 1 die Nummer der Vogelspecies an. Rubrik 2 verzeichnet die Zahl aller Fälle des Frühjahrszuges, bei denen die Flugrichtung bekannt war; Rubrik 3 die Zahl der Fälle des Frühjahrs- zuges mit Flugrichtung nach Cardinalpunkten. In Rubrik 4 bis 7 sind die Fälle der Rubrik 2 nach den vier Kategorien a bis d zerlegt. In Rubrik 8 bis 11 ist das Gleiche der Fall mit den Fällen der Rubrik 3. Rubrik 12 bis 16 giebt die Zahl der Fälle des Frühjahrszuges für die vier Richtungen N, O, NO, W und S an. Hier wurde dieses Mal keine Zer- legung nach den vier Kategorien a bis d vorgenommen. Am Ende der Rubrik 3 und 8 bis 11 sind die einzelnen Procentzahlen zusammengezählt und mit 20 dividirt, um das Mittel zu finden. Unter der Mittelzahl steht in Klammern die Procentzahl, welche dadurch gewonnen wurde, dass alle Fälle addirt wurden und die Summe auf die Summe von Rubrik 2 bezw. Rubrik 4 bis 7 bezogen wurde. Was die in dieser Weise gewonnenen Resultate angeht, so zeigt Rubrik 3 wieder an, dass eine erheblich grössere Zahl für die Cardinal- punkte als für die Nicht-Cardinalpunkte (NO, SO, SW, NW) erhalten wurde. Die einzelnen Procentzahlen der Rubrik 3 jedoch sowie auch das Mittel dieser Procentzahlen sind in Tabelle III gegen Tabelle I etwas ge- sunken. Es ist bemerkenswerth, dass Grus cinerea für beide Beobachtungs- perioden (Tabelle I und III) sehr niedrige Procentzahlen besitzt (58-3 und 51-7). Bei der Zerlegung nach den vier Kategorien werden in jeder der betreffenden Rubriken wieder ganz heterogene Ziffern erhalten, die aber auch hier wieder zu einem bestimmten Resultate führen. Das Mittel der Rubrik 9, welche die Fälle bei Winden nach Cardinalpunkten enthält, ist auch hier etwas höher als das in Rubrik 10, welche die Fälle bei Winden nach Nicht-Cardinalpunkten aufführt. 1° 100 J. DEwIZZ: Von den einzelnen Himmelsrichtungen hat N eine bedeutendere Ein- busse an Fällen erlitten und zwar auf Kosten von S, welches dieses Mal bedeutend stärker vertreten ist als in Tabelle IL. Denn zählen wir in Tabelle III das Mittel von N (Rubrik 12) und das von S (Rubrik 16) zu- sammen, so erhalten wir 28.5 + 7.1 = 35.6. Zählen wir in Tabelle II die Mittel von N und S zusammen, so erhalten wir 39-6 +1-4 = 40-0. Die Differenz zwischen diesen beiden Summen ist nur 4-4. Wir sahen in Tabelle II, dass die Procentzahlen für N zwischen 50 und 30 lagen. In Tabelle III ist das nicht der Fall. Die Procentzahlen für N sind hier ganz heterogene Ziffern. Ihr Mittel erreicht aber fast die untere Grenze (30) jener beiden Grenzen (30 und 50) in Tabelle II. Für O waren in Tabelle II die beiden Grenzen 40 und 20 angegeben. In Tabelle III liegen in diesen zwei Grenzen die Zahlen: 25-9, 29-4, 23-0, 25-0, 37-5, 33-3, 19-2 (nahe. 20), 26-0, 27.5, 36-8, 37.5, 27.7. Es ist dieses nicht der Fall bei: 17.6, 17-8, 16-0, 15.3, 12-5, 50-0, 9-0. Von denselben entfernen sich jedoch 17-6 und 17-8 nicht zu weit von 20. Das Mittel 24-3 liegt auch in dieser Grenze und ist ungefähr so gross wie in Tabelle II (= 27.5). Die Procentzahlen für NO lagen in Tabelle II zwischen 30 und 10. In Tabelle III fallen in diese Grenzen: 11.7, 14-8, 29.4, 20-0, 25.0, 16-6, 28-5, 12.5, 20-5, 26-9, 13-6, 12.5, 13-8. Es bleiben übrig: 4-3, 44-8, 5-2, 36-0. Das Mittel 16°8 liegt in diesen Grenzen und ist fast gleich dem entsprechenden Mittel in Tabelle II (= 15-1). Für W lagen in Tabelle II die Procentzahlen zwischen 20 und 1. In Tabelle III fallen in diese Grenzen: 14-8, 11-0, 7.6, 10.7, 12-5, 18-7, 7-1, 2-5, 19-2, 13-0, 18-1, 6:8, 2-6, 13:8,.9-0, 12-0. Das@Mittel ist 8-9; in Tabelle II war es 8-6. Wie erwähnt, ist S in Tabelle III viel zahlreicher vorhanden als in Tabelle II. Während sein Mittel hier 1-4 war, ist es jetzt 7-1. In Tabelle II sahen wir, dass die Mittel für W, NO, O, N und für die Cardinalpunkte in bestimmter Beziehung zu stehen schienen. In Tabelle III scheint etwas Aehnliches der Fall zu sein. Wir erhielten hier die Mittel: 8.9, 16-8, 24-3, 28.5, 70-3. Lassen wir die Bruchtheile weg, so können wir für diese Reihe setzen: 4x2,4x4,4x6,4x7T,4x17 (=68, statt 70). Auch hier lässt sich für die Mittel die Tendenz, in ein be- stimmtes Verhältniss zu einander zu treten, wohl nicht verkennen. Wir hatten uns bisher fast ausschliesslich mit dem Frühjahrszuge be- schäftigt; werfen wir daher noch einen Blick auf die Zahlen, welche uns der Herbstzug liefert. Da für diesen die Fälle mit beobachteter Flug- richtung in geringer Anzahl vorhanden waren, so wurden die Species nicht besonders behandelt, sondern alle zusammen genommen. 101 ÜRIENTIRUNG NACH HIMMELSRICHTUNGEN. | (TLL=ErN)| (9-39=L2)|(889=Ea1)]| (99= 202) | (z0L=LFr8)) .L=| 68 = 89 = |8H73 = |o-88 = | 81, = |09= 99-19 = | = 2800), — 08 08 oe zz 03 Oz 00 Kae Na] | Ol +6Ll \T-9BE |O-LBP Pe1LG |ErLEST |8-0881 |S-EIEL | 9-CTEL |88LEZTIEST'I0E | C-90FT r6r | 08 aI=E | 218! 98=6 | 9I=F | BI=E||E-88 =S |E-EE =Z |1-99 =9 | I-ar=8 9 |9 Jer |6r | 2e=er | cz || ee 0=0 | 6 =T| 0=0| 0=0 9-79=9 |e-g8 = 0° =3 0=0 or=3 |9 # 1 |< || 9-89=L 8) 38 S-E1=4 8-8I=4 8-8I=4 |L-23=019-91=9 8-18 =6 |C-19 =8 | CL =6 89=L1 |tı jer. a1 jez || 3-2L=98 | 98 | 18 0o=0 | 0=0 |e-zı=1 |4-18=E | e3=3 | 09 = 0=0 |9-99 =+ | 9-99=+ |a 0 a 0 |-9=E 8 16 0-0 =8 9-3 =1 3-4 =2 |8-98=FIL-HH=L1) 00T=FI 6-06 =01|6-92 =01| 8-88=02 |Fr |IT ler |vz | H-68=rg | se || 8Z 0=0 18-9 =3 3-Hr=E1l0-12=8 |a-L11=4 | 09 =r [8-07 =E |ı.ı0 =8 | 8a0=llls I Jr la | 2-1e=cı | 68 || 22 G-F =1 8I=F 9.818 | 6 =8 8-98=8 | FT =0r|9-99 =3 | 09 =E | C-89= 5 6-45 Da . 4 +1:0 31-5 EEE 20 49 | i —1.0 A 12-6 De 8 0) 57 +1:0 | Hl | | 12-0 82 | 5 5 1:0 | Te 25-0 ar | 26-4 | | or 1 | +0-5 +77 | 25-2 25-2 85 au. | —78 29.8 1014.72 damach P-3.9 „a. vos 2 87 constant 1 R 45.2] Nervendurch- oe c= 1:02 e,, = — 10m (, = 0-0010 | trennung 2 908 59-2 | 10 + 86|| darnach 96 constant 67-4 Entlastung des Muskels 10 + 3 | darnach | 13 constant | 1a) (o5 P=3-9 p=21:.0 7=9-3 L=3-2 ce, = 1-06 = 510 ° 6, = 0-0010 ' 10 = Abstand, worüber das Signal sich gesenkt hat. ÜBER MUSKELTONDS. 191 Tabelle IX und X zeigen die Messungen dieses Durchtrennungsver- suches. Der zu diesem Experimente verwendete Frosch war gross, einiger- maassen torpide und zeigte keinen Sehnenreflex. Die Curve, deren Messungen Tabelle X wiedergiebt, ist 4 Procent in die Länge deformirt, so dass die entsprechenden Quotienten sofort vergleichbar sind. Die Nervendurch- trennung fand statt unter einer Totalbelastung von 30.98”. Die auf die Durchtrennung folgende Verlängerung betrug 9c, = 0-0097 °® und kam in 14 Sec. zu Stande Nach der Entlastung blieb eine Längenzunahme von 13c, = V-014°“ zurück. Hätte man länger gewartet, dann würde der Unterschied zwischen den Längenzunahmen des belasteten und unbelasteten Muskels gewiss weniger gewesen sein. Nimmt man als Mittelwerth 0-012, dann zeigte der Muskel eine Längenzunahme von 0-38 Procent. Die An- fangslänge des Muskels ist bestimmt worden, indem man den ausge- schnittenen Muskel unter Einfluss seiner Anfangsbelastung mass. Tabelle X zeigt die Messungen der sofort folgenden Dehnungscurve. Tabelle XI. 3.Xl1I. 1899. R p Ap ) a | dp 0.0, 0c | | -0504| 12 | 3.0 | —15 Se 6.05 +0:5 18 x | af) 28 | 2 33 Be: | +1-0 | 38 2 | 10 | 57 | 12:6 | 61 I une: ' +1.0 65 G | | te) +99 | 25-4 ı 102 5 3 si 10220 ar are | 105 | 38.7 |5 + 108 darnach | 3108 constant 40-6 Salut 27 6, 67-1 Tenuuns 5 + 130 darnach 135 constant 76-1 Entlastung es des Muskels 5+27 darrach 32 constant 32 0, Pneonoe9 7=93 0230 ent 25 102, 05 = 0.0011 122 J. W. LANGELAAN: Der zu diesem Versuche verwendete Frosch zeigte deutlich einen Sehnenreflex und war sehr lebendig. Die Durchtrennung fand statt bei einer Totalbelastung von 28-098”; die darauf folgende Verlängerung be- trug 27 c, = 0-029°® und entstand in etwa 27 Sec. Nach der Entlastung wurde eine bleibende Verlängerung von 32c, = 0:034® wahrgenommen. Durehschnittlich 0-031 wählend, betrug die Längenzunanme gut 1 Procent. Taf. IV, Fig. III ist die Reproduction der zugehörigen Curve. Ein dritter Versuch, den 1. XII. 1899 angestellt mit einem Frosche, welcher Sehnenreflexe hatte, ergab eine Längenzunahme von 0-5 Procent. Die Längenzunahme, welche der Nervendurchtrennung folgte, ist also für verschiedene Individuen eine wechselnde Grösse, wie auch von Anderen ge- funden ist. Ueber Dehnungscurven. Nachdem der Nerv durchschnitten und der Muskel von seinem Reflexbogen getrennt, ist von Tonus keine Rede mehr. Dementsprechend zeigt die Ausdehnungscurve eine ganz andere Form. Anfangs ist der Dehnungsquotient constant, späterhin nimmt dieser Quotient proportional der Längenzunahme ab für das Intervall, über welches der Versuch sich ausdehnt. Tabelle XII ist das Resultat der Messungen der 2. Curve, welche der Nervendurchtrennung folgte, wovon Tabelle XI die Messungen angiebt. Tabelle XIII zeigt die Messungen der 7. Curve, welche der Nervendurchschneidung folgte, wovon Tabelle IX die Wiedergabe ist. Taf. IV, Fig. IV ist die zugehörige Öurve eine halbe Stunde en Durch- trennung aufgezeichnet. Wenn man aus dem Zusammenhange zwischen der Belastungszunahme und dem Dehnungsquotienten mittels Integration die Form der Ausdehnungs- curve ableitet, so erhellt, dass der Anfangstheil, welcher dem constanten (uotienten entspricht, eine gerade Linie ist. Dieser geradlinige Theil stimmt mit einer Belastungszunahme überein, welche in verschiedenen Versuchen 5-5 bis 9 2” nicht überschreitet. Hierauf folgt eine kurze Uebergangsstrecke und oberhalb derselben besteht das Verhältniss: di dp =A+ Bp ’ welches übereinstimmt mit: I=4Ap+Bp, wenn wir, wie früher unter 7 die Längenzunahme, und unter p die ent- sprechende Belastungszunahme verstehen. Tabelle XIV, XV, XVI bezw. ÜBER MUSKELTONDS, 123 Tabelle XII. 3. XII. 1899. Tabelle XIII. 2.XII. 1899. In, al dl p Ap l Al 5 p Ap Al | Er 0.0, | 0c, 0. 0:eH 0, | 1-0 4 0-9 1 | 2-0 9 1-9 5 3-0 14 2-9 9 | 40 19 56, 5.6, 3.9 13 40, Ag 5.0 24 4:9 16.0) | 6-0 29 5-9 20 | 7-0 hy 6-9 | 24 | —1:0c,| +49 7-9 | 28 12-0 53 . 4 8.9 | 32 | leo 57 e 1:00, —52 | A 1:0 11 16-0 55 1 he3 18-0 74 3 3 | +1-0 77 . eo aa | len | ee 24-0 +73 Zn 24-0 85 2 2 +1.0 | 75 02 eo 8 2 1.0 0.86 24.0 95) 32-0 87 1 1 30-0 | ee ren 87 neo): ep Mr 31-8 | 100 P=3+.J9 p = 28-745 V=9-+.3 m 123 p = 28-62 V= 9-3 0 = 0.895 c, on 10° 0, = 0-0012 = 0.00 = — ut c; = 00012 Tabelle XIV. Tabelle XV. Tabelle XV1. p igem., / ber. p |lgem.| Über. p \dbgem.| Z ber. |Z ber. I 5-45, 0-0226| 0-0229 _6-0c,0-0312| 0-0313 7-9c,0-0301| 0-0323 | 0-0385 6-45 0-0269|(0-0269) 7-0 0-0366 0-0368 8-9 0-0344| 0-0359 | 0-0413 7-45 10-0318] 0-0306 11-0 0-0527| 0-0531 9-9 |0-0376 0-0363 | 0-0422 12-1 0.0484 0.0468 12-0 0.0570 (0-0570) 15-0 |0-0559 0-0561 | 0-0579 13-1 0-0516| 0-0500 13-0 10-0613 0-0608 16-0 |0-0591 (0-0591) | (0-0591) 14-1 0-0548| 0-0531 17-0 0-0763| 0-0735 17-0 |0-0623 0-0621 | 0-0612 25-40-0817) 0-0807 18-0 .0-0796| 0-0771 23-0 10-0764 0-0773 | 0-0746 26-4 0-0828 0-0825 19-0 |0-0827 0-0798 24-0 10-0785 0-0795 | 0-0768 27-1 0-0839|(0-0839) 23-0 0-0893) 0.0894 25-0 10-0807 0-0816 | 0.0790 0 24-0 0-0914 (0-0914) 32-1 0-0935|(0-0935) (0-0935) B = --0-00005 25.0 0.0935 0-0933 A= 0.00499 Aı = 0000178 30.0 0.105 | 0.100 B= —0:00006 Bı = 00000045 31-8 0-107 | 0-102 A= 0-00633 = —0:000097 124 J. W. LANGELAAN: Tabelle X, XII und XIII entnommen, stellen die gemessenen und die mit Hülfe dieser Gleichung berechneten Werthe der Längenzunahme dar. In Tabelle XVI sind in der 4. Reihe die berechneten Längenwerthe aufgeführt entsprechend dem Wertheim’schen Gesetze: , = A,p + Bip- Aus den Ziffern dieser 4. Reihe geht hervor, dass für grössere Belastungs- zunahme die Uebereinstimmung genügend ist, um einen Hyperbelast als Annäherung an die Ausdehnungscurve zu betrachten. Der Muskel, dessen afferente und efferente Bahnen durchtrennt sind, verhält sich genau so, wie andere elastische Körper, indem er derselben empirischen Nährungsformel folgt. Tabelle XVII. 6.X1l. 1899. Tabelle XVII. 10.XII. 1899. | | al | dl p Ap | l Al FE; pP | Ap U Al a 0-0 \ | 06, 0-0c, 06%, 1:0 | +4 1:0 — 38 2-0 12 2-0 +11 E 3.0 +19 w Tal 23:0 19-5 |. 4-0 27 | 4:0 2.28 |) | susfel 0 sa, 5°0 BB | =1.0e| —51. | 6-0 — 46 9:0 | 2 15 0 53-55 +1-0 a ae |, 12-0 82 | : 5 14-0 | 79 | 4 +10 |— 87 on eo en 0 14-0 se Man 20-0 100: 03 1-0 | cooler +1.0 103 : | 1.0 |+98 | 20, | 1120 10 | 17-0 101 | 3 25-0 115 F 2-5 +10 104 R a ee Wo, rs 29-0 125 23-0 1 2 +1:0 2 082 P=1.9 9=28005,, WE 9-3 1-0 121.0 I 27-0 122-5 8 1.5 = 00-991 (= 9-3 10 6, = 0-0011 | +10 +124 °o 30-0 127-5 P=1-9 ° p= 28-62 eh) 1 Zip =094 9=,,10 ? 5 = 0.0011 ÜBER MUSKELTONDS. 125 Um den Einfluss der Hinterwurzel auf den Tonus kennen zu lernen, injieirte ich Cocain in den Rückgratcanal, indem ich die Nadel zwischen den zweiten und dritten Wirbel einstach. Auf diese Weise wurde 0.2 em einer 1 procent. Lösung eingespritzt. Sofort darauf folgt eine sehr starke Atonie Der Frosch liegt flach darnieder, vollkommen regungslos mit erschlafften Muskeln, aufgehobenem Corneareflex und reactionslos sogar auf starke Hautreize. Die Cocaineinspritzung wurde als weniger eingreifende Operation dem Freilegen und Durchtrennen einiger Hinterwurzeln vorgezogen, da Mommsen! und Sherrington”? gefunden hatten, dass Cocain sehr rasch den Tonus aufhebt. Ob diese Cocaininjection im quantitativen Sinne der Durchtrennung der Hinterwurzel gleichsteht, weiss ich nicht. Tabelle XVII giebt die Messungen einer 8. Curve, eine halbe Stunde nach der Einspritzung geschrieben; Tabelle XVIII deren zugehörige Curve. Taf. IV Fig. V, die kurz nach der Einspritzung registrirt war, ist einem anderen Frosche entnommen. Der Anfangstheil dieser Ausdehnungscurven ist geradlinig, wie bei den Muskeln, deren Nerv durchschnitten ist, doch dieser Anfangstheil ist kürzer und überschreitet selten eine Belastungszunahme, welche 5.5 sm übersteigt. Für den ferneren Theil der Curve sind die auffolgenden Belastungs- zunahmen bestimmt, welche den mit gleichen Differenzen aussteigenden Ausdehnungsquotienten entsprechen. In diesen Versuchen sind die ersten Differenzen der Belastungszunahme: Tabelle XVII 5c,, 6c,, 10c.. Tabelle XVII /2e,, 3c,,:66,,&c.. Hieraus geht hervor, dass der Dehnungsquotient sich weniger schnell ändert als die Zunahme der Belastung, doch schneller als mit einem loga- rithmischen Verhältniss übereinstimmen würde. Die durch Cocaininjection atonisirten Muskeln schliessen sich, angesichts des geradlinigen Anfangstheils, eng denjenigen Muskeln an, deren Nerv durchtrennt ist; was jedoch den weiteren Theil dieser Curven betrifft, nehmen sie eine Mittelstellung ein. Tonusveränderung durch Antagonistencontraction. Die Analyse der coordinirten Bewegung, welche so wiederholt und theilweise mit Erfolg versucht ist, hat stets die Zusammenwirkung anto- gonistischer Muskelgruppen als Ausgangspunkt gewählt. Doch jemehr die Untersuchung fortschritt, desto schwieriger zeigte es sich, eine geeignete Definition dafür zu geben, was man unter wahren Antagonisten zu ver- UA,a.0. S.29. ® Sherrington, Proc. R. Soc. of London. 1893. Vol. LII. p. 556. 126 J. W. LANGELAAN: stehen hat, so sehr griffen ihre Wirkungen zum Hervorbringen der feinen, coordinirten Bewegung ineinander. Gleichfalls ergab sich, dass nicht aus- schliesslich der Zeit nach neben einander geordnete Contractionen verschie- dener Muskeln die coordinirte Bewegung erzeugen, sondern dass auch sicher afferente Impulse, welche aus den sich zusammenziehenden Muskeln auf benachbarte Gruppen übergehen, ihren Spannungszustand bedingten. Zur experimentellen Bestimmung dieses Einflusses untersuchte ich die Tonusveränderung des M. gastrocnemius als Folge der Contraction der prätibialen Muskeln. Zu diesem Zwecke wurde die Haut über diesen Muskeln geöffnet und vorsichtig, ohne zu drücken, zwei Elektroden auf die Mm. tibialis anticus longus und peroneus gebracht. Wie bei der allgemeinen Beschreibung der Methode erwähnt wurde, war das Bein durch Nadeln fixirt. Bei der Contraction, welche der Reizung dieser Dorsoflexoren folgte, faud eine äusserst geringe Beugung im Kniegelenk statt durch Anspannung der Fascie, welche sich über dieselbe ausbreitet. Diese geringe Flexion liess das Femur um die durchgestochene Nadel ein wenig drehen, wodurch die Ursprungsstelle des M. gastroenemius sich etwas hob. Dies ist die Ursache für die sehr kleine Erhebung, welche in den Curven sichtbar ist im Augen- blicke der Contraction der Dorsalflexoren. Die Reizgrösse des inducirten Stromes wurde so gewählt, dass sie gerade eine kräftige, continuirliche Zusammenziehung der prätibialen Muskeln erzeugte. Zwei Methoden wurden zur Bestimmung der Tonusveränderung in dem M. gastrocnemius verwendet; während eine Tonuscurve geschrieben wurde, wurden innerhalb eines bestimmten Intervalles diese Antagonisten gereizt; in den aufeinander folgenden Versuchen wurde dabei jedesmal ein anderer Theil der Tonuseurve gewählt. Die diese Versuche wiedergebenden Tabellen enthalten in der 5. Reihe die Tonusquotienten ausserhalb des Reizintervalles; die vermuthliche Grösse des Tonusquotienten in diesem Intervalle, falls nicht gereizt worden wäre, ist mittels Interpolation aus diesen Werthen berechnet und durch fette Ziffern angedeutet. In der 6. Reihe stehen die Tonusquotienten, wie sie gemessen wurden. Die das Verhältniss dieser beiden Quotienten enthaltene 7. Reihe zeigt also die Grösse der Tonus- veränderungen in Folge der Contraction der prätibialen Muskeln. Bei der anderen Methode wurden nacheinander zwei Tonuscurven re- gistrirt. Die erste, während die Antagonisten zur Contraction veranlasst wurden, die zweite, während sie sich in Ruhe befanden. Der Grössen- unterschied der Ausflussgeschwindigkeit in beiden Versuchen machte es nothwendig, die zweite Curve der Länge nach zu deformiren. Auf diese Weise wurden (@uotienten gemessen, welche in beiden Fällen jedesmal der- selben Grösse des Belastungszuwachses entsprechen und also gegenseitig ver- gleichbar sind. Die 6. Reihe enthält das Verhältniss des Tonusquotienten ÜBER MUSKELTONDS. 127 Tabelle XIX. 29.XT. 1899. p Ap I | Al | rn | Quot. 0-0 06, | VBA | ie 3-0 +11 ee +0-5 | Ron |. 25 | 2 | so 2 5 1e0 Bu. —loQ) 37 11-0 er: 4.06. | 5 es 1.0 47 > | 20 68 19-0 _72 za 3213 | 3.75. 220 a En | Pegel 209°5 i | 25-4 | 10® las ro Hoss >> | 29-3 an | | Pi. p = 29-97 v=9-3 ce, = 1-02 = 5 10, c, = 0.0011 Reizdauer 8-4 — 12-4 17:9 — 21-4 Tabelle XX. 29.XI. 1899. p N l Al er Quot. 0-0 c, 0% | | al 3-0 18 SIOBaN 6rc, #05 | 2 3 ges | 05 | 5 | 28 : 5 Res 21220 +1-0 34 | le 52 12-0 a Hn 5 4 5 1-22 0-5 +59 ar on 15.0 + 79 E55 3-75 +1-0 s3 2 A120 101 23-0 —104 > 3 +0-5 | +105 122 | 28-7 105-5 | | Peg p = 27-945 7=9-3 ce, = 1-18 0, = ss 1023 c; = 0:00091 Reizdauer 5°9 — 12-8 128 | J. W. LANGELAAN: und giebt also ein Bild der Tonusveränderung unter Einfluss der Anta- gonistencontraction. Tabelle XIX (Taf. IV, Fig. VIB) und Tabelle XX (Fig. VIC) geben die Messungen der 15. und 16. Curve. In beiden Fällen hatten die prätibialen Muskeln den Reiz mittels kräftiger Contraction beantwortet. Bei dem Ver- suche von Tabelle XXI (Taf. IV, Fig. VIA), welcher den beiden anderen un- mittelbar voranging, war die Contraction dieser Antagonisten eine schwache gewesen. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Grösse der Tonuszunahme des M. gastrocnemius bedingt wird durch die Stärke der Contraction dieser prätibialen Muskeln. Tabelle XXI. 29.X1. 1899. | | | p An 1 AZ Quot. | | | AP | S 0-0 c, | 0% | —0-5 co | 102) | 3.0 12 B:cH| +0+5 15 Due +1-0 18 & 1:0 10 | | —0+5 3 5 | | 6-2 15 5 5-5, 1-10 +05 18 6 +1-0 on —1.0 +48 —0+5 50 | 4 12-0 De 4 | +0°5 —54 4 | +10 —56 | —1:0 51 | | 0:5 053 02 72 | 15-8 —55 3.7 4 | 1.08 0:5 2 Son) 89 25-4 92 : 8 | +10 95 | 3 | 32-0 105 | | P=1-9 p = 27-81 v7 = 9-3 c, = 0-87 (, = n 10, 3 = 0-0012 ÜBER MUSKELTONDS. 129 Tabelle XXII (Taf. V, Fig. VITA, B), XXIII und XXIV zeigen die Grösse der Tonuszunahme, nach der zweiten Methode bestimmt. Beide Methoden liefern als gemeinschaftliches Resultat, dass die Tonus- vermehrung in einem Extensor in Folge der kräftigen, isometrischen Con- traction der Flexoren etwa 25 Procent beträgt. Tabelle XXII. 30.XI. 1899. aa: di op | Ap 2 Al 2 Quot.| p Ap 2 Al Fr 0:.0e, 06% 0-.0c, 06, 2.0 2:65 —0:5c, 27 —0:5c + 24 50 + 30 3616.50, 1-24 | 6-65 a7 2 Tel 5.05., od 7 +05 29-5[2°2 +1-0 37 21.0 41 no) 45 10-9 a5|* 4 3.2 50 Ss 1205 +1:0 ao Bo 55 . 20 0 19-4 as 2 ae 14-6 175 |° lass 11-97 oe +10 81 = 21:0 91 0 95 27-9 93 |? 2 21:0 —_ 98 259.5 [1-35 10 95 |2 +1-0 | -+100 > 21.0 1202299 io en 32*5 eo en 26-0 —122—12 2 Eos5@6 Tors5 03T +1-0 | —-124—12 33-3 102 27-6 —_125—12 Bea play v9.5 P 1.3 pe osas s led ss 102 = 0:0009 |, =0-86 „= om c, = 0:0013 Reizdauer 2:0 — 23-7 Deformation 33 Procent Um auszumachen, welcher Theil des gesammten Bewegungsapparates als Ursprung dieser afferenten Impulse anzusehen ist, präparirte ich die distalen und proximalen Ansatzstellen der Mm. tibialis anticus longus und peroneus und die distale Insertion des M. tibialis anticus brevis los, ohne dabei Blutgefässe oder Nerven zu durchtrennen. ı fjö Verschiebung des Signales. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. ı fJö Verschiebung des Signales. 130 J. W. LANGELAAN: Tabelle XXIII 30.XI. 1899. } dl Bil EA 1 Ariane IN N | p | AP ER p p | 5 | | 020%, 06 0.00, 0c, | 2°2 I+ 10 2:9 | —0.5c| + 23 —1'0c| 21 1 5-2 26 eG, 1-83. 7-0 | +25 | 2®| 45%, +05 |+ 29 ; | "#1:0. 105009 0 38 2:0 8-4 + 43 ; 175 1:36 | 1160.) +40 | = 3.5 41-0001 As 2 #10 0 20 270. we 22.0263 R 14-8 + 68 2, |8#5 | 1-20| 19-4 +65 | ar. +0 | 9 > +10 | 0 et 87 1.0 1 2-5 165 h 22:0 89:5 |5., 12-5 | 1.48 | 29-5 +86 | 175 +10 92 n 121-0 +88 12 20 a sa 1:0 26-0 ESCHE 35-0 05 05 uni 113—13 | ! 11:0 Iiceoe. | 27-2 +113—13 38-3 99 P=19 p»=-2.0 7=93 P-19 p=225 mes 1 In a=1l0l 9=5510? 5=00M1|c=040 5=,,10° = 0.0016 Reizdauer 2°2 — 23-8 Deformation 33 Procent Tabelle XXIV. 29.XI. 1899. Tabelle XXV. 25.XL 1899. dl dl dl =— Quot. — p — Quot. pP dp | P dp dp 4.30)6380,| 1:25 | 5.004 5% 3004| 6. es I ea er 6+2 4-5 Bo 1-11 13:9 18:5 | 125 [162 | 3 12-0 3.1 3.75 1-19 25-0 |2-78 | 1-37 [991 | 2 14-0 2°7 7 1 sol) | 24:0 1:6 Pre) Peg P=2.338 p= 24-80 p = 29-97 p = 29-43 =0.8 = 000011 6108 ec = 104931 Reizdauer 3-2 — 12-5 c; = 0.0010 6; = 0.0012 Reizdauer Deformation 1-4 — 25-4 16-5 Procent ÜBER MUSKELTONDS. 131 Tabelle XXV bis XXVIII geben kurz vier dieser Versuche wieder, welche mit zwei Frösche angestellt sind. Es ist bemerkenswerth, dass in diesen Experimenten die Tonuszunahme eine kleinere ist; hierfür sind zwei Ursachen anzuführen; erstens wird bei den lospräparirten Muskeln der die Contraction begleitende Spannungswechsel geringer sein, und zweitens werden in diesem Falle keine Fascien und Sehnen gespannt, keine Bewegungen auf das Kniegelenk übertragen, wie dies aus Taf. IV, Fig. VI deutlich erhellt, wo die kleine mit der Antagonistencontraction zusammenfallende Erhebung fehlt. Durch diese beiden Ursachen wird die Summe der Impulse, welche längs afferenten Bahnen aufsteigen, geringer sein. Tabelle XXVI. Tabelle XXVII. Tabelle XXVII. 25.X1. 1899. 26. XI. 1899. 26. XI. 1899. dl dl dl | ea t. 2 ' Sl \OH0t: p ap Quo p a Quot p ap | Quot u el 3-0c,| 6e, 3-0c,| To; | 5 rl, a 02 |2 500 1.15 er2 | 6 16-756; 1-12 m EL 12-6 4 12-6 5 | | ; ; 25-4 3 23:0 4 | 230 1-5 | | | P=2:.98 p= 28-35 P=19 pP=27.15 P=19 p=270 c =1:08 c, = 0.0010 c = 0.8834 = 0.0012 c,=1-11 «= 000097 Reizdauer 4-6 — 15:5 Reizdauer 4-6 — 10-7 Reizdauer 3-3 — 8-6 Beim selben Frosche, welcher Tabelle XXVII entnommen ist, wurde darnach die Medulla zwischen dem ersten und zweiten Wirbel durchschnitten. Tabelle XXIX (Taf. V, Fig. VIII) zeigt die 8. Curve und Tabelle XXX die 12. Curve nach der Durchschneidung. Aus diesen Tabellen geht hervor, dass die Grösse der Tonuszunahme unabhängig ist von mehr centralwärts liegenden Theilen des Nervensystems. Die Contraction des prätibialen Muskels verursacht also eine Tonus- erhöhung in dem M. gastroenemius, welcher nach der Definition von Tonus mehr ausdehnbar wird. In einigen Versuchen, wo kurz nach der Reizzeit ein Tonusquotient bestimmt wurde, ergab sich dieser etwas grösser als dies im Zusammen- hang mit den übrigen, ausserhalb der Reizung gemessenen Quotienten, übereinstimmt. Der von dem Antagonisten auf den Agonisten geübte Einfluss verschwindet also nicht sofort mit dem Aufhören der Function des Ersteren. 9 + 132 J. W. LANGELAAN: Tabelle XXIX. 26. XI. 1899. p Ap 2 Al en Quot. 0-00| 06%| | | 050, +3 | 2 | 2.8 | 10-50 5, (3-0) | +05 13 Be —0+5 + 10 | 6-2 u 5 420 Me +10 a Skala elle Si 12-6 m) = ae 1.14 oe co 0 25-4 —_ 93 3 2-75 +1-0 + 9 a 1.0 102 31-0 104.5 | 2° 2:25 lo) 106-5 | 2 322 106-5 P = 2.685 p = 25-27 708 ec, = 0.785 = ns 102: c; = 0°0014 Reizdauer 5-4 — 14:7 Tabelle XXX. 26.XT. 1899. p Ap ı Al Fri Quot. 0-0 c, 06% —1'0.c, 7 3-0 12 9% | 4.75c, +10 +16 08 205 10-5 6-5 +13 2250 3.99 a.75c. een +1.0 > 0 33 19:6 36-5 ER 3.09 | 3-5 1-13 +10 —40 “ | lo) —83 | 25-4 85 E 2.25 | +1:0 | le 291 29-0 93 E +0-5 _94 2 29-8 +94 P = 3.394 p = 22-266 V=9-3 4=0 UM 069 =- 45 107. e; = 0:0014 Reizdauer 5-8 — 15-1 ÜBER MUSKELTONDS. 133 Diese Versuche sind nicht neu, denn bereits Charles und John Bell! hatten bei constanter Belastung Verlängerung eines Extensoren ge- sehen bei Contraction der Flexoren, und dieselbe Iirscheinung ist später von Sherrington? wieder aufgefunden. Auf einem ganz anderen Wege und indem er eine ganz andere Eigen- schaft von Tonus gebrauchte, gelangte Sherrington? zu diesem Aus- spruche: ‚The experiments so far therefore seem to indicate that the direction of the change induced in the extensor muscles is in the direction of in- creased tonicity, ... *. Dies entspricht also vollständig den von mir gefundenen Thatsachen. Ueber Sehnenreflexe. Wenn man die Zeit als Factor einführt, erhebt sich die Frage nach der Tonusveränderung als Zeit- und Belastungsfunction und damit nach dem Zusammenhange zwischen Tonus und Sehnenreflexe. Diese Frage ist sehr verschieden beantwortet, je nachdem man sich die Sehnenreflexe als wahre Reflexe dachte, oder man, der kurzen Reflexzeit wegen, meinte, dass allein der Tonus auf Reflex beruhte und dass dieser Tonus eine gewisse musculäre Irritabilität unterhielt, wodurch der Muskel direct mit Contraction antwortete. So lange man jedoch den Effect des Schlages auf die Sehne als Con- traction ansieht, wird die Wahl zwischen beiden Meinungen schwer sein; aber gerade die Dauer der ganzen Erscheinung macht diese Auffassung unwahrscheinlich. Denn wenn wir den Clonus, welchen wir unter ge- wissen Umständen eintreten sehen, als eine Reihe aufeinander folgender Sehnenreflexe betrachten, und dies unterliegt kaum einem Zweifel, dann muss die Dauer des ganzen Sehnenreflexes mindestens !/,, Sec. betragen, da wir einen Clonus, welcher 10 pro Secunde überschreitet, nicht kennen. Diese maximale Geschwindigkeit von !/,, Sec. ist nicht vergleichbar mit der viel schnelleren Muskelcontraction und deshalb meine ich den Effect des Schlages auf die Sehne als Folge von Tonuswechsel und demgemäss auch als wahren Reflex betrachten zu müssen. Wenn ein Schlag die Sehne trifft, kann dies als schnelle Belastungs- variation aufgefasst werden, welche der Muskel reflectorisch mit einer Variation seines Tonus beantwortet, gemäss der Formel: 6 + ion Cp- ! Sherrington, Proc. R. Soc. of London. 1893. Vol. LII. p. 415. ° Derselbe, Journ. of Physiol. 1892. Vol. XIII. Taf. XXIIL, Fig. 8. ® Derselbe, Proc. R. Soc. of London. 1893. Vol. LII. p. 410. 134 J. W. LANGELAAN: Je schneller aber diese Belastungsvariation wird und je mehr der Muskel gespannt ist, desto mehr wird die Verschiebung des Muskels als Ganzes in den Hintergrund treten und an ihre Stelle eine Spannungswelle kommen, welche den Muskel durchläuft. Diese wellenförmig sich fort- pflanzende Spannungsvariation, als kurz dauernder Reiz der afferenten Nerven fungirend, wird beantwortet von einer kurzdauernden entsprechenden Erniedrigung des Tonusquotienten. Doch wenn unter constanter Spannung der Tonusquotient abnimmt und der Muskel eine geringere Dehnbarkeit erhält als diejenige, welche gerade mit der Belastung im Gleichgewichte war, muss er sich verkürzen. Diese Verkürzung, welche die Folge eines reflectorischen Tonuswechsels ist, kennen wir als Ausdruck des Sehnen- reflexes. Doch in dem Augenblicke, wo der sich langsam verkürzende Muskel die Extremität in Bewegung setzt, werden Antagonisten passiv gespannt. Der hierdurch den afferenten Muskelnerven mitgetheilte Reiz ruft in dem Antagonisten eine Erniedrigung des Tonusquotienten hervor, und eben der- selbe aufsteigende Impuls, übergehend auf die medullären Centra des Ago- nisten, erhöht dessen Tonusquotienten beträchtlich. Der Schlag auf die Sehne hat also zwei Gruppen von Erscheinungen zur Folge, welche nach gegenseitiger Compensation streben, und die Möglichkeit, einen Sehnen- reflex zu erzeugen, ist also an drei Factoren gebunden: erstens an die Reizbarkeit des Reflexapparates, worauf der Tonus beruht; zweitens an die Grösse der Tonuszunahme, welche reflectorisch vom Antagonisten aus- geht; drittens an die zeitliche Gruppirung dieser beiden Processe neben einander, welche durch die Leitungsgeschwindigkeit der Impulse bestimmt wird. Diese Anschauung stimmt vollständig überein mit den Thatsachen, welche von Sherrington! über den Sehnenreflex bei Macacus gefunden worden sind; denn in diesen Versuchen hob die Durchtrennung der Hinterwurzel, längs welcher die afferenten Bahnen hinziehen, sofort den Sehnenreflex auf. Durchtrennung der Hinterwurzel, längs welcher die afferenten Bahnen des Antagonisten ziehen, erhöhte den Sehnenreflex des Agonisten. Dieselbe Erscheinung tritt ein, wenn die distalen Sehnen des Antagonisten lospräparirt werden, doch sobald dieser Antagonist passiv ge- dehnt wird, erleidet der Sehnenreflex, welcher erst hoch war, eine beträcht- liche Abnahme. Um einen Sehnenreflex zu erzeugen, müssen wir also den Muskel so- viel wie möglich entspannen, da wir wissen, dass, je geringer die Anfangs- spannung ist, desto grösser die Tonusvariation für die Einheit der Spannungs- ! Sherrington, Proc. R. Soc. of London. 1893. Vol. LII. p. 551. ÜBER MUSKELTONUS. 135 zunahme Mit dieser Entspannung geht Anspannung des Antagonisten einher, und die kann nur die Bedingung für den Versuch verbessern. Doch behufs des Entstehens und der guten Leitung der Spannungswelle, welche der Schlag auf die Sehne zur Folge hat und als Reiz fungirt, werden wir gezwungen sein, dem Muskel eine gewisse Anfangsspannung zu verleihen. Indem wir beide Bedingungen erfüllen, geben wir der Extremität eine Mittelstellung. Diese Anfangsspannung dient also nicht zur Erhöhung der hypothetischen myotatischen Reizbarkeit (Gowers), sondern ausschliess- lich um die mechanische Bedingung zu schaffen, an welche das Zustande- kommen der Reizung geknüpft ist. Obgleich es also ersichtlich ist, dass hohe Reflexe meistens zu- sammenfallen werden mit einem hohen Tonus, ist dies nicht nothwendig, wenn nur die Tonuserhöhung, welche von dem Antagonisten ausgeht, die Tonusabnahme des Agonisten compensirt: auch das Umgekehrte ist möglich, und dies stimmt vollständig mit den Versuchen von Muskens! überein. Ist die Reizbarkeit des Reflexapparates hoch, oder der compensatorische Einfluss der Antagonisten gering — und von beiden Factoren erscheint mir der erste der vorherrschende — so wird die Ausdehnung, welche der Verkürzung folgt, wiederum als Reiz dienen, und an Stelle eines einzigen Tonuswechsels tritt eine wellenförmige Tonusvariation auf, deren Effect wir als Clonus sehen. Ist jedoch die Reizbarkeit des Reflexapparates weniger hoch, oder die physiologische Hemmung der Antagonisten beträchtlich, oder endlich die zeitliche Nebeneinanderreihung dieser beiden Erscheinungen in Folge Leitungsveränderung eine ungünstige, dann erhalten wir, wie bei jeder wellenförmigen Bewegung, auf welche ein Widerstand einwirkt, eine sich allmählich erschöpfende Welle und als Effect derselben die Andeutung Clonus. In Uebereinstimmung mit diesen Vorstellungen scheint mir die kli- nische Thatsache, dass ein Clonus an Exeursionsgrösse und an Geschwindig- keit zunimmt, wenn die Kraft grösser wird, womit an den Muskeln gezogen wird. Zur Erläuterung ist eine Fussclonuscurve reprodueirt (Taf. V, Fig. IX), einem Patienten entnommen, welcher in Folge Verletzung die dem rechten Beine zugehörige Hirnrinde verloren hatte. Während man die Kraft, womit der Fuss gebogen wurde, abwechselnd und allmählich vergrösserte und ver- ringerte, zeigte der Muskel eine dementsprechende wechselnde Grösse der seitlichen Exeursion und der Geschwindigkeit. Die Frequenzänderung bei zunehmender Kraft betrug 1 Tonuswechsel in der Secunde, da die Zahl der Wechsel von 5 auf 6 stieg. — ! A.2.0. p. 71. 136 J. W. LANGELAAN: Diseontinuirliche Tonusveränderung. Die Tonusveränderung wird unter wachsender Belastung eine discon- tinuirliche, wenn der unter geringer Belastung sich zusammenziehende Muskel einen Verkürzungsrest zurückbehalten hat. In diesem Falle besteht die Tonuskurve aus einer Aneinanderreihung geradliniger Stücke, deren jedes folgende in Bezug auf ein voriges eine geringere Neigung besitzt. In dem Augenblicke, wo der Muskel discontinuirlich seinen Tonus ver- ändert, wird ein Stück des Verkürzungsrestes zurückgegeben und so ent- steht der treppenförmige Verlauf dieser Curven. Die ganze Anzahl der Stufen, welche einer bestimmten Belastungszunahme entspricht, ist für ein und denselben Muskel meist constant, wechselt aber für verschiedene Individuen. Die Grösse der Belastungszunahme, auf welche der Muskel mittels einer Discontinuität in seinem Tonus antwortet, kann innerhalb weiter Grenzen verschieden sein, doch unter günstigen Versuchsumständen gelingt es oftmals, Curven zu erzielen, bei welchen diese aufeinander folgenden Be- lastungszunahmen nahezu gleich sind. Tabelle XXXL Tabelle XXXIL. Tabelle XXXII. 10. XI. 1899. 9, XI. 1899. 11. XI. 1899. 13. Curve. 11. Curve. 6. Curve. di | di | A — A =— Ap pP P dp p | p dp p | ı 0-00, | 0-0 0, 0:0 0, Ike I Ar 3-9 c, 5 6; 6-2 c, 7-4 3-9 6-2 ı 5+8 3 3-5 3-6 18-2 | 74 | 9.8 5-8 2-5 3-5 4-5 19-0 | 10-9 143 5-4 2-25 81 3 7-4 24-4 | 14:0 21-7 | 3:6 2 (8) 3-4 5-0 28-0 | 7-4 17-4 26-7 3-8 1-75 | 8-7 5+1 31-8 21-1 | 31-8 5-6 1-5 | 2-7 5-1 37-4 23.8 | 36-9 a Be 1-5 30 2 | : A P= 5.86 P=188 p= 22-95 31-0 | a p = 27-675 ec, = 0:537 ce, = 0-0019 34-0 | | co = 0.734 35.0 | P=1:33 p= 25-92 0-0014 ‚> Il >) -ı » x) “= I ÜBER MUSKELTONDS. 137 Tabelle XXXI (Taf. IV, Fig. X) und Tabelle XXXII (Taf. IV, Fig. X]) zeigen die Messungen dieser Curven. Die 1. Reihe enthält die Belastungs- grösse, wobei eine Discontinuität stattfindet; die 2. Reihe giebt die Grösse der Belastungszunahme, welche jedesmal einem Intervalle von constantem Tonus entspricht. Bei der Beurtheilung dieser Zahlen hat man darauf zu achten, dass dieselben Ursachen, welche das Anfangsstück der continuir- lichen Tonuscurven unzuverlässig machten, hier zu einem ersten Intervalle führen, das ungefähr 1°0c, zu gross ist. Die 3. Reihe zeigt die Grösse der aufeinanderfolgenden Tonusquotienten. Die Unregelmässigkeiten in der Grösse der aufeinanderfolgenden Be- lastungszunahmen sind oft scheinbare, da einem oder zwei Zuwächsen, die zu klein sind, ein solcher folgt, welcher soviel im entgegengesetzten Sinne vom Mittelwerth abweicht, dass er die beiden vorigen gerade compensirt. Tabelle XXXII giebt hiervon ein deutliches Beispiel. Die erste Belastungs- zunahme als unsicher nicht mitzählend, ist der mittlere Belastungszuwachs, worauf eine Discontinuität folgt, 3°3c,. Nach einem Intervalle, welches einer Belastungszunahme von 2-7c, und einem darauffolgenden von 3°0c, lolgt, folgt ein drittes von 4-2c,, wodurch die beiden vorigen gerade compensirt werden. Dieselbe Erscheinung zeigt Tabelle XXXIII, wo zwei Zunahmen von 3-6c, und 4°5c, eine dritte folgt von 7.4c,, wodurch der Muskel gerade zu seinem mittleren Zuwachs von 5-1c, zurückkehrt. Diese Compen- sationen sind sehr vielfach. Wird der N. tibialis durchschnitten und durch Reizung des peripheren Theiles eine Contraction erzeugt, welche einen Verkürzungsrest in dem Muskel hinterlässt, dann tritt derselbe treppenförmige Verlauf der Aus- dehnungscurve auf; auch in diesem Falle giebt der Muskel seinen Ver- kürzungsrest discontinuirlich zurück, doch die Regelmässigkeit der Er- scheinungen ist verschwunden (Taf. V, Fig. XII). Eben dieselben Stufen sind erkennbar in vielen Ausdehnungscurven ausgeschnittener Muskeln, u. A. sehr deutlich in den Ausdehnungscurven Schenck’s.! Um auszumachen, in wiefern durch den Verkürzungsrest eine zweite Erscheinung der ersten superponirt wird, bestimmte ich die Tonusquotienten von den Intervallen, welche die Belastungszunahmen 3-0c,, 6-2c,, 12-6c,, 25.4c, enthielten. Es zeigte sich, dass in allen meinen Versuchen diese Quotienten, gleichwie in den continuirlichen Tonuscurven, aufeinander- folgende Glieder einer arithmetischen Reihe bildeten und gleich gross waren. | Gegen die Auffassung einfacher Superposition spricht jedoch sehr die Thatsache, dass die aufeinanderfolgenden Theile dieser Tonuscurven gerad- ı F.Schenck, Beiträge zur Physiologie. Festschrift für A. Fick. 1899. 8.3. 138 J. W. LANGELAAN: ÜBER MUSKELTONDS. linige sind, während doch die Krümmung der continuirlichen Tonuscurven, zumal am Anfange, beträchtlich genug ist, um, falls sie hier existirte, deutlich zu Tage zu treten; überdies fehlen auch in den continuirlichen Tonuscurven, wo keine Contraction vorangegangen ist, Andeutungen dieser Discontinuitäten nicht. Welche Stelle diese Erscheinung in der grossen Frage über den Muskeltonus einnimmt, darüber werden fernere Versuche Aufschluss geben müssen. Die mitgetheilten Versuche sind einem Materiale von mehr als 600 Curven entnommen, von denen ich etwa 100 ausgemessen habe. Sie wurden im Laboratorium der neurologischen Abtheilung des „Binnen-Gasthuis“ zu Amsterdam mit den dort vorhandenen Hülfsmitteln ausgeführt. Zu Herrn Bernhard Rawitz’ Arbeit: „Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse“.' Von Dr. Rudolf Panse, Ohrenarzt in Dresden. Durch ein Referat in der Zeitschrift für Ohrenheilkunde wurde ich erst jetzt auf obige Arbeit aufmerksam gemacht. Da ich bereits im vorigen Winter Untersuchungen über diesen Gegenstand angestellt hatte, prüfte ich meine Präparate nach und fand wesentlich andere Verhältnisse, als Rawitz beschreibt. Ich habe die Präparate in folgender Weise hergestellt. Zugleich wurde eine weisse Hausmaus und eine bunte Tanzmaus mit Chloroform getödtet, schnell die Felsenbeine herausgenommen und in 1procent. Osmiumsäure gelegt, welche von Retzius als bestes Mittel zur Erhaltung der Nerven- endzellen des Gehörorganes empfohlen wird und sich auch mir als solches bei vergleichend anatomischen Arbeiten bewährt hat. Nach etwa 24 Stun- den wurden die Theile in 60 procent., dann in absoluten Alkohol gelegt, in 5procent. Salpetersäure entkalkt, gewässert, in 60 procent., 96 procent,, absolutem Alkohol entwässert, in Aether-Alkohol gebracht, dann in Celloidin folgendermassen eingebettet. Von der Haus- und Tanzmaus wurde in einem Block je das gleichseitige Gehörorgan eingelegt, so dass das eine Schläfebeinpaar horizontal, das andere frontal in lückenlose Schnittserien zerlegt wurde. Auf diese Weise war ein Vergleich der beiden Thierarten leieht möglich und zu erkennen, was durch Einwirkung der Reagentien u. s. w. entstanden war, was der einzelnen Thierart eigenthümlich ist. Da mir wesent- liche Unterschiede zwischen beiden Thierarten nicht auffielen, so habe ich meine Untersuchungen der Veröffentlichung nicht für werth gehalten. Die einzige Abweichung bei den Tanzmäusen war ein undeutlicheres Erhalten- sein des Epithels der Ampullen und der Cupulae, was aber bei der Ver- ! Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. S. 236. 140 Run. Pınse: Zu Hrn. RawıTz’ ARBEIT: Das GEHÖRORGAN U. S. W. gänglichkeit dieser Theile ebenso gut durch die Vorbereitung zur Unter- suchung, ungleichmässiges Eindringen der Härtungs-, Entkalkungs- und Ein- bettungsflüssigkeiten oder beim Schneiden entstanden sein kann. Dagegen finde ich das Epithel des Corti’schen Organes ganz vorzüglich auch beiden Tanzmäusen erhalten, und besonders dieser Gegensatz zu Rawitz’ Befunden veranlasst mich, diese Zeilen zu schreiben. Zwar konnte auch ich keine Reaction auf hohe Stimmgabeltöne c® — c® erzielen, doch möchte ich deshalb die Thiere noch nicht für taub erklären. Uebrigens haben die Tanz- mäusepräparate eine erhebliche Cerumenauflagerung auf dem Trommelfell. Ueber die Gestalt des Sacculus und Utriculus geben mir meine Schnitte keine sichere Auskunft, doch möchte ich aus der regelmässigen Gestalt der Otolithenflecke in durchscheinenden Präparaten auf normale Bildung der beiden Theile schliessen. Die Krüämmungs- und Mündungsunregelmässigkeiten der Bogengänge, die Rawitz beschreibt und abbildet, kann ich weder bei meinen Schnitten, noch bei frei herauspräparirten und nach Entwässerung in Carbolxylol auf- gehellt und in Canadabalsam durchsichtig im Ganzen eingebetteten Schläfe- beinen finden. Bei einem Tanzmauspräparat, was so zubereitet ist, finde. ich ausser den sehr wohl gebildeten Otolithenhaufen der Macula saceuli und utriculi eine eigenthümliche spiralige, bandartige Anordnung von Hör- krystallen, ungefähr der lateralen Wand des Utrieulus entsprechend. Bei dem ebenso behandelten Kopfe einer grauen Hausmaus fehlt diese Stelle völlig, bei einer weissen Hausmaus ist sie schwach entwickelt. Bei 2 weiteren durchsichtig gemachten Tanzmausschläfebeinen ist eine ringförmige Anord- nung in der Nähe des ovalen Fensters sichtbar. Bei einem Schläfebein einer nicht drehenden Kreuzung von Haus- und Tanzmaus ist ein doppelter Ring von Kalkkrystallen um die Basis stapedis und das ovale Fenster gelegt und scheint mir zu beweisen, dass auch hierin — leider — keine Ver- änderung des Gleichgewichtsorganes zu finden ist. Wahrscheinlich liegen die Ursachen des Drehens und mangelnden Schwindels tiefer, wohl im Kleinhirn, was spätere Untersuchungen klar legen mögen. Jedenfalls kann ich mich den Schlussfolgerungen Rawitz’, dass das Drehen durch mangelhafte Entwickelung der Schnecke verursacht sei und dass seine Untersuchungen „mit Evidenz gegen die Annahme eines statischen Sinnes sprächen“, auf Grund der in meiner „vergleichenden Anatomie und Physiologie des Gleichgewichts- und Gehörorganes“! zusammengestellten Arbeiten und meiner jetzigen Untersuchungen durchaus nicht anschliessen. ! Jena 1899. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1900—1901. I. Sitzung am 26. October 1900. 1. Der Schriftführer verliest folgende Erklärung des Hrn. Dr. G. Muskar, z. 2. in Wien, die sich auf einige Bemerkungen, welche Hr. H. Virchow in seinem in der Sitzung vom 18. Mai d. J. gehaltenen Vortrag? zu einer Arbeit des Hrn. Muskat? macht, bezieht: 1. Auf Fig. 6 meiner Abhandlung: „Beitrag zur Lehre vom mensch- lichen Stehen“? ist das nach Virchow als „...absichtlich oder fahr- lässig...“ weggelassene Sesambein des 1. Mittelfussknochens deutlich zu er- kennen. Es ist eigenthümlich, dass Hrn. Virchow dasselbe entgangen ist. Die Zeichnung — von Frl. Paula Günther, Berlin, angefertigt — ist nach Röntgen-Negativen, die ich der Physiologischen Gesellschaft vorlegte, gemacht. 2. Der „Lapsus calami des Autors“ in der Erklärung der Fig. 6 ist ein ganz gewöhnlicher Druckfehler. Dass ich nicht von den so seltenen Sesambeinen des 5. Mittelfussknochens sprechen wollte, geht schon aus 8. 290 meiner Arbeit hervor: „... während bei Belastung das Köpfchen des 2. und 3. Mittelfussknochens deutlich tiefer steht, als die abgrenzbaren Sesambeine des 1. Mittelfussknochens, und der 5. Mittelfussknochen weder mit dem Köpf- chen, noch mit dem Tubereulum auf dem Boden ruht“. 3. Die Stellung der Antikathode „gegenüber den Mittelfuss- knochen“ schliesst in sich, dass dieselbe der Mitte derselben gegenüber stand und also etwas höher als die zur Unterlage dienende belastete Metall- platte. | Dies zur thatsächlichen Berichtigung. Ob die Deutung meiner Befunde absolut einwandsfrei ist, lässt sich bei der Schwierigkeit der vorliegenden Verhältnisse natürlich nicht sagen, ich werde, angeregt durch die von Virchow angezweifelten Resultate, weitere Untersuchungen anstellen. 1 Ausgegeben am 24. November 1900. ® Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 303. ® Beitrag zur Lehre vom menschlichen Stehen. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 285. 142 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 2. Hr. H. VırcHow giebt die folgende Entgegnung gegen die „Erklärung“ des Hrn. Muskat ab: ‘Ich hatte in meinem Vortrage in der Gesellschaft vom 5. Juni! mehrere Punkte aus zwei Arbeiten des Hrn. Muskat beanstandet. Von diesen wählt Hr. Muskat in seiner Erklärung drei aus; ich habe mich also nur mit diesen dreien zu beschäftigen. Der eine, bei Muskat der zweite, betrifft die Figurenerklärung zu Fig. 6. Es heisst dort: „Der 1. und 2. Mittelfussknochen [soll heissen: die Köpfchen des 2. und 3. Mittelfussknochens. V.] stehen tiefer als die Sesambeine des 1. und 5. Mittelfussknochens.“ Ich habe dies als „Lapsus calami“ (S. 308) bezeichnet. Hr. Muskat nennt es einen Druckfehler. Der Gegenstand des Streites wird dadurch nicht geändert; dieser Punkt scheidet also aus. Der zweite Punkt, in der Erklärung des Hrn. Muskat der dritte, be- trifft die Stellung der Antikathode. Die frühere Angabe von Muskat, dass dieselbe „genau den Mittelfussknochen gegenüber“ stand, war unbestimmt und gestattete daher dem Leser kein Urtheil. In der Erklärung heisst es nun: „Die Stellung der Antikathode gegenüber den Mittelfussknochen schliesst in sich, dass dieselbe der Mitte derselben gegenüber stand und also etwas höher als die belastete Platte.“ Durch dieses „also“ soll angedeutet sein, dass der Leser durch die Worte „gegenüber den Mittelfussknochen“ genügend über die Höhenlage der Antikathode unterrichtet sein musste, während doch die Mittelfussknochen in Folge ihrer geneigten Stellung in ihren einzelnen Theilen verschieden hoch liegen und überdies unter sich in der Höhenlage differiren. Ich habe in meinem Vortrag auf S. 307 auseinandergesetzt, dass und warum die Antikathode in Höhe der Bodenfläche eingestellt werden muss, und hinzu- sefügt: „Hierbei werden allerdings die lateral gelegenen Köpfchen zu hoch projieirt, aber dieser Fehler lässt sich berechnen, bezw. construiren.“ Während meines Vortrages in der Gesellschaft hatte ich diese Construction durch eine Zeichnung erläutert. Bei der durch Hrn. Muskat gewählten Einstellung dagegen wird nicht die ganze Unterstützungsfläche auf eine Linie projieirt und damit eine correete Abmessung nicht ermöglicht. Die „Erklärung“ ent- hüllt mithin einen neuen Fehler, ‘welcher bei der Unbestimmtheit der früheren Angabe nicht erkennbar war; ein Fehler, über dessen Natur Hr. Muskat auch jetzt noch nicht in’s Reine gekommen ist. Der dritte Punkt, der erste in der Erklärung, ist der wesentliche; er betrifft das, bezw. die Sesambeine der grossen Zehe. Ich hatte in der Figur das Sesambein vermisst; Hr. Muskat behauptet, dass es vorhanden sei, und zwar soll es nach einer an mich gerichteten brieflichen Mittheilung „ober- halb des 2. Mittelfussköpfehens zu sehen“ sein. Diese Linie existirt, aber nach allen mir zur Verfügung stehenden X-Bildern kann sie nicht dem Sesambein entsprechen. Dieses muss vielmehr sowohl tiefer liegen, als auch, wie ebenso senkrechte Durchstrahlungen zeigen, weiter zurück reichen. Und hier muss ich darauf zurückkommen, dass Muskat nicht ein Röntgen-Bild, sondern eine Zeichnung nach einem solchen vorgelegt hatte. Dabei kann ein Irrthum passiren, der sich in folgender Weise erklärt: Das Köpfchen des 1. Metatarsale ist an der Unterseite nicht wie die übrigen einfach convex gestaltet, sondern besitzt zwei Rinnen und zwischen diesen eine Leiste. Wenn " Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 303. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCH. — H. VırcHow. — H. FRIEDENTHAL. 143 die letztere sich mit projieirt, wie es thatsächlich an manchen X-Bildern zu sehen ist, so erhält man von diesem Köpfchen eine doppelte Linie; und ich vermuthe, dass Hr. Muskat die eine dieser beiden Linien für das Sesambein hielt, was ihn dann veranlasste, in dem Sesambein selbst das 2. Köpfchen zu erblicken. Es ist auch zu bedenken, dass das 1. Köpfchen gegen das Sesambein und das Sesambein gegen das 1. Köpfchen einen Knorpelüberzug besitzt, und dass diese beiden Knorpelüberzüge im X-Bilde durch eine helle Lücke wiedergegeben sein müssen, welche nur deswegen weniger deutlich ist, weil so viele verschiedene Knochentheile in dieser Gegend zur Deckung kommen. Ich bin übrigens gern bereit, falls Hr. Muskat die seiner Zeich- nung zu Grunde liegende Röntgen-Aufnahme noch ein Mal vorlegen will, in eine erneute Discussion einzutreten, und wenn ich dann die Interpretation richtig finde, es anzuerkennen; um so mehr, da ich „trotz der vielen im Vorhergehenden geäusserten Bedenken nicht die Möglichkeit des in dem kritisirten Aufsatz behaupteten Verhaltens (Tiefstand des 2. und 3. Köpf- chens) bestreite“ (S. 309 meines früheren Vortrages). Das Thatsächliche meiner eigenen Angaben wird dadurch nicht berührt. Ich will nun noch, da ich zu diesen Aeusserungen gedrängt worden bin, sagen, was mich damals zu einer so detaillirten Kritik veranlasst hat. Als die Röntgen-Bilder aufkamen, war es für Jeden, der in den Skelet- fragen nicht deductive, sondern reale Probleme erblickte, klar, dass hier ein neues Mittel der Forschung gefunden war. Wir würden uns thatsächlich von der Mitarbeit an gewissen Problemen ausschliessen, wenn wir auf die Benutzung dieses Hülfsmittels verzichten wollten. Ich darf wohl betonen, dass ich selbst die Methode der „Gefrier-Skelet-Aufstellung“ ausgebildet habe, bevor irgend Jemand von Röntgen-Bildern etwas wusste, um ähnliche Auf- gaben durch eine rein anatomische Methode zu lösen. Die Gefrier-Skelet- Aufstellung wird durch die Röntgen-Bilder nicht überflüssig; sie macht aber auch ihrerseits diese nicht entbehrlich. Wir brauchen die Röntgen-Auf- nahmen. Weil wir sie aber brauchen, verlangen wir auch bei ihrer An- wendung die gleiche Kritik, wie bei jeder anderen wissenschaftlichen Methode. Bei der Einführung einer neuen Methode geht es ohne einige energische Mahnungen nicht ab, bis sich Alle daran gewöhnt haben, sie mit der rich- tigen Kritik und in der richtigen Combination mit anderen Methoden zu verwenden. Je früher dies geschieht, um so besser. 3. Hr. H. FRiEDENTHAL: „Ueber die Beziehungen zwischen Herz und Centralnervensystem.“ Die Bedeutung der extracardialen Herznerven liegt heute keineswegs so klar zu Tage wie in früherer Zeit, wo man in Unbekanntschaft mit der automatischen Fähigkeit von Muskelzellen die Ganglienhaufen des Herzens als Erreger der Herzpulsationen ansah und in Folge dessen als selbstver- ständlich annahm, dass die centrifugalen Herznerven mit diesen Herzganglien in Verbindung stehen müssten. Nur in der Deutung des Nervus depressor als sensiblen Nerven, welcher mit Endbäumchen (Smirnow) im Endocard beginnend zur Medulla oblongata hinführt, ist keine Aenderung eingetreten, von den centrifugalen Nerven Vagi und Accelerantes dagegen ist nur so viel mit Sicherheit bekannt, dass keiner von ihnen als motorischer Nerv für die Herzbewegung angesehen werden kann, Die Herzbewegung wird wohl 144 VERHANDLUNGEN DER BERLINER von diesen Nerven aus in den verschiedensten Richtungen beeinflusst, aber nicht durch Reizung der extracardialen Nerven hervorgerufen. In jüngster Zeit wurde allerdings von Cyon die Möglichkeit der Er- regung des Herzschlages vom Centralnervensystem aus behauptet, auf Grund von Versuchen, bei welchen die Medulla oblongata in einem besonderen Kreislauf mit Blut durchspült werden konnte; es musste aber diese An- schauung schon auf Grund des Tage langen rhythmischen Pulsirens heraus- geschnittener Herzen als eine recht unwahrscheinliche angesehen werden. Eine Nachprüfung der von Cyon beobachteten Erscheinungen ergab denn auch, dass nicht das Herz durch Reizung der centrifugalen Herznerven zum Schlagen gebracht wird, wohl aber durch eine solche Reizung eine Zeit lang oder dauernd am Schlagen verhindert werden kann. Das Aufhören einer solchen Herzhemmung bei erneuter Zufuhr von Sauerstoff zur Medulla oblongata kann leicht die Täuschung hervorrufen, als sei der Herzschlag durch Reizung centrifugaler Herznerven zu Stande gekommen. Durch Be- obachtung der Pulsationen an den Enden der grossen Herzvenen kann man sich leicht überzeugen, dass nicht alle Theile der Herzmuskulatur ihre Pul- sationen einstellen in Folge Reizung der centrifugalen Herznerven, dass der schliesslich eintretende allgemeine Herztod vielmehr als eine Folge des dauernden Sauerstoffmangels angesehen werden muss, welcher auf den Siill- stand der linken Kammer mit Nothwendigkeit folgen muss. Die Bedingungen, unter welchen ein baldiger Herzstillstand nach Reizung extracardialer Nerven eintritt, werden vom Vortragenden in einer Arbeit „Ueber reflectorischen Herztod bei Menschen und Thieren“ im Archiv für Anat. u. Physiol. ein- gehender beschrieben werden. Die Thatsache, dass wohl keiner der extracardialen Herznerven als identisch mit einem gewöhnlichen motorischen Nerven eines Skeletmuskels angesehen werden kann, wird auch durch Ausschaltungsversuche der extra- cardialen Herznerven bewiesen. Frösche blieben nach Durchschneidung der Vagi, in deren Bahnen zugleich bei diesen Thieren die Nervi accelerantes verlaufen, bis 15 Tage lang am Leben. Kaninchen können die Durch- schneidung der Depressoren, der beiderseitigen Accelerantes und des einen Vagus anscheinend ohne Störung der Herzaction ertragen. Die längste Be- obachtungszeit eines solchen Thieres, bei welchem der linke Vagus die einzige Verbindung des Herzens mit dem Centralnervensystem darstellte, betrug 6 Wochen. Die Durchschneidung beider Vagi wird von Kaninchen im Gegensatz zum Hunde auch dann nicht dauernd vertragen, wenn ein Nervus recurrens erhalten bleibt, doch überlebten Kaninchen die Durchschneidung aller extracardialen Herznerven um 60 Stunden. 2!/, Tag lang kann also ein Säugethierherz seine regelmässige Thätigkeit innehalten, ohne Impulse von Seiten des Centralnervensystems zu erhalten. Die Frage nach der dauernden Entbehrlichkeit aller extracardialen Herznerven kann am Kaninchen wegen der auf die doppelseitige Vagotomie folgenden tödtlichen Pneumonie nicht entschieden werden, doch widerlegt wohl die von Nicolaides bei Hunden beobachtete Entbehrlichkeit beider Vagi und die vom Vortragenden beobachtete Entbehrlichkeit der Nervi accelerantes bei Kaninchen mit genügender Sicherheit die Annahme einer normalen Erregung des Herzschlages von Seiten des Centralnervensystems. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. FRIEDENTHAL. 145 II. Sitzung am 9. November 1900. 1. Hr. H. FriepentHat: „Ueber die Giftwirkung der Seifen und der anderen kalkfällenden Mittel.“ Wenn uns auch schon der Schmerz der empfindlichen Schleimhäute, wie z. B. der Bindehaut des Auges, bei Berührung mit Seifenlösung darüber belehrt, dass die Seifen für unsere Gewebe mit Ausnahme der Epidermis keine indifferenten Substanzen darstellen, so ist doch erst durch die Arbeiten von I. Munk die Aufmerksamkeit auf die hohe Giftigkeit gelenkt worden, welche die Seifen bei intravenöser Einführung in den Säugethierorganismus aufweisen. Wie hätte man vermuthen können, dass eine Substanz, die in grossen Dosen verfüttert werden kann fast wie ein Nahrungsmittel, die in kleinen Mengen einen normalen Bestandtheil der Gewebe und des Blutes bildet, in die Blutbahn eingeführt schon in Dosen von 01 &” pro Kilo Thier den Tod im Augenblick der Einführung herbeiführen könne. Dass die Giftigkeit der Seifen in der Blutbahn nicht, wie Botazzi meinte, auf einer hydrolytischen Abspaltung von Natronlauge beruhen kann, ist von I. Munk bereits gezeigt worden; da Seifen aber in wässeriger Lösung that- sächlich dissociiren, kann die Giftwirkung nur auf einer Wirkung der Fettsäure beruhen. Die Gerinnungsverzögerung, welche Blut bei Seifenzusatz erfährt, weist darauf hin, dass die Seifenwirkung vielleicht beruhen könne auf der Bindung der Caleiumionen im Blute; ist es doch schon länger bekannt, dass alle Substanzen, welche unlösliche Kalksalze bilden, dazu benutzt werden können, um die Blutgerinnung zu verhindern. Blut, welches 2 pro Mille Fluor- natrium oder oxalsaures Natron enthält, gerinnt nicht spontan, von Seifen ist entsprechend dem hohen Moleculargewicht viel mehr erforderlich, und die Klebrigkeit des seifenhaltigen Blutes erschwert eine Untersuchung des nach Absitzen der corpusculären Bestandtheile erhaltenen Seifenplasmas. Weist schon die Gleichartigkeit der Einwirkung der kalkfällenden Mittel auf die Blutgerinnung darauf hin, dass die Giftwirkung der Seifen auf einer Bindung des Kalkes beruhen könne, so wurde diese Vermuthung noch in viel frappanterer Weise gestützt, als systematisch die Vergiftungs- erscheinungen bei intravenöser Injection von ölsaurem Natron, oxalsaurem Natron und Fluornatrium an Kaninchen untersucht wurden. Nicht nur, dass die obigen Mittel die gleiche Einwirkung auf Herz und Blutdruck aufwiesen, indem sämmtliche Thiere nach anfänglicher Steigerung der Herzaction unter allmählichem Sinken des Blutdruckes und der Kraft der Herzschläge zu Grunde gingen, wobei die Athembewegungen jederzeit lange den Herz- stillstand überdauerten, nein es waren bei gleichmässigem Einlaufen der Lösungen in die Jugularvene sogar chemisch äquivalente Mengen dieser ganz verschiedenen Stoffe erforderlich, um den Tod der Kaninchen herbeizuführen. Bei äusserst langsamem Einfliessen der Lösungen in die Jugularvene tödteten etwa 4° einer 1/,-normalen kalkfällenden Lösung, gleichgültig ob es sich um Fluornatrium, oxalsaures Natron oder ölsaures Natron handelte. Diese Uebereinstimmung in der Wirkung äquivalenter Mengen der kalkfällenden Mittel darf um so eher als Beweis für die Giftwirkung der Seifen durch Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 10 146 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Kalkbindung angesehen werden, als das hohe Moleculargewicht der Seifen eine ausserordentliche Verschiedenheit der in Betracht kommenden absoluten Mengen bedingt. Es entspricht eine Viertelnormallösung von Seife einer etwa Sprocentigen Seifenlösung, dagegen einer nur 1procentigen Fluor- natriumlösung, trotzdem sind von beiden Lösungen die gleiche Anzahl Cubikeentimeter gleich giftig. Allerdings tritt nur bei ganz gleichmässiger Einlaufsgeschwindigkeit diese gleiche Giftigkeit äquimolecularer Lösungen in Erscheinung, da bei ungleicher Einlaufsgeschwindigkeit die Thiere um so grössere Mengen kalkbindender Substanzen vertragen, je geringer die Einlaufsgeschwindigkeit ist. Es giebt sowohl für Fluornatrium, wie für oxalsaures Natron, wie für ölsaures Natron keine bestimmbare tödtliche Dosis. Die oben angegebene tödtliche Dosis entspricht einer Einlaufsge- schwindigkeit von 1° Lösung in 2 Minuten, bei schnellerem Einfliessen genügt oft ein Zehntel der obigen Dosis, um ein Kaninchen zu tödten, bei noch langsamerem Einfliessen sind noch weit grössere Mengen erforderlich. Eine gleiche Abhängigkeit der wirksamen Dosis von der Einlaufsgeschwin- digkeit ist bisher bei wenigen starken Giften beobachtet worden und beweist, dass wir es hier mit einer ganz eigenartigen, durch besondere Merkmale ausgezeichneten Olasse von Giften zu thun haben. Im Gegensatze zu den meisten anderen Giften, welche mit specifischen Gewebselementen sich verbinden, treten nämlich die kalkfällenden Mittel sofort bei der Be- rührung mit Blut mit den Calciumionen des Blutes in Reaction und es kommt bei genügend langsamer Injection für die Giftwirkung auf das Herz überhaupt nicht mehr die injieirte Substanz in Betracht, sondern allein die Durchspülung des Herzens mit caleiumarmem Blute. Da aber die Gewebe des Körpers immer wieder den Kalkgehalt des Blutes erneuern, so werden ausserordentlich grosse Mengen injieirt werden können, ehe das Herz eine Schädigung zu erkennen giebt. Ganz anders ist die Wirkung bei schneller Injection einer kalkbindenden Substanz. Hierbei gelangt die kalkbindende Substanz direct bis in das Herz und entzieht dem Muskel- und Nervengewebe des Herzens das zum normalen Functioniren der Gewebe nothwendige Caleiumion. Die Folge dieser Kalk- entziehung ist eine so starke Schädigung der Herzaction, dass auch die nachträgliche Durchspülung mit kalkhaltigem Blute den Herztod in vielen Fällen nicht verhindern kann. Charakteristisch für den Tod nach intravenöser Injection von ölsaurem Natron, Fluornatrium und oxalsaurem Natron ist die grosse Resistenz des Athemeentrums gegen diese Giftelasse, indem, wie oben erwähnt, nach Still- stand der Herzkammern die Athmung noch mehrere Minuten lang beobachtet werden kann. Diese Erscheinung weist darauf hin, dass die kalkbindenden Gifte das Herz nicht durch Nervenreizung zum Stillstand bringen, sondern dass eine Blockirung der Reizleitung zwischen Vorhofs- und Kammermus- kulatur die Fortleitung der automatischen Herzreize zur Kammer verhindert. Die spärliche Zahl der Blockfasern bei Säugethieren wird eine solche Blocki- rung der Reizleitung bei allen Giften auftreten lassen, welche Muskel- substanz primär zu schädigen im Stande sind. Die kalkbindenden Gifte zeigen nun in hohem Grade die Eigenschaft, die direete Erregbarkeit auch der quergestreiften Muskelfasern zu vernichten. Ein weiteres gemeinsames Charakteristieum der kalkbindenden Gifte ist PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. FRIEDENTHAL. — Ü. BenpA. 147 die Erregung fibrillärer Muskelzuckungen in der Skeletmuskulatur. Dieses Flimmern der einzelnen Muskelfasern in unregelmässiger Reihenfolge ist von J. Loeb als charakteristisch beschrieben worden für alle Lösungen, welche keine Caleiumionen enthalten; es ist daher nieht wunderbar, dass die Caleium fällenden Mittel die gleiche Erscheinung zeigen. Fluornatrium und oxal- saures Natron zeigen die Erregung des Flimmerns der Muskelfasern viel ausgesprochener als ölsaures Natron, bei welchem diese Erscheinung eben- falls beobachtet werden kann. Die Quellung, welche die Muskelfasern in Seifenlösung erfahren (mit bedingt durch die Abspaltung von NaOH) und die langsame Diffusion der Fettsäuremolecüle kann eine Erklärung für diese nur quantitative Differenz abgeben. Eine wie grosse Rolle bei der Giftwirkung der fettsauren Alkalien die Bildung unlöslicher Kalksalze spielt, geht endlich auch aus der Beobachtung von I. Munk über die relative Ungiftigkeit des buttersauren Natrons hervor. Entsprechend der grossen Löslichkeit des buttersauren Caleiums kann der Organismus die intravenöse Zufuhr grösserer Mengen dieses Salzes vertragen. Die kalkfällenden Mittel üben ihre Giftigkeit nicht nur auf Blut oder Herz, sondern, soweit untersucht, auf jedes thierische oder pflanzliche Gewebe aus, für das Protoplasma scheint daher die Anwesenheit von Caleiumionen unumgängliche Lebensbedingung zu sein. Ob die Leibessubstanz der Bak- terien ebenfalls des Caleiums benöthigt, oder ob es caleiumfreie lebendige Substanz giebt, wie das Wachsthum von Bakterien in concentrirten Lösungen von oxalsaurem Natron zu beweisen scheint, muss erst durch weitere Unter- suchungen klargestellt werden. 2. Hr. ©. Benpa: „Ueber neue Darstellungsmethoden der Cen- tralkörperchen und die Verwandtschaft der Basalkörper der Cilien mit Centralkörperchen.“ Die von Hrn. Th. W. Engelmann (1) im Jahre 1880 beschriebenen neuen Structuren der Flimmerzellen beginnen erst seit Kurzem die Histologen eingehender zu beschäftigen, seitdem die Fortschritte der Methodik ein immer feineres Eindringen in den Aufbau der gehärteten Zellen ermöglichen. Die eine der in Frage kommenden Structuren, die Wimperwurzeln, wurde in meinen früheren Mittheilungen (2) mehrfach berührt. Ich hoffe den Beweis erbracht zu haben, dass sie nicht einfach eytoplasmatische Diffe- renzirungen, nicht eine besondere Erscheinungsform der Protoplasmafibrillen oder -Fäden darstellen, sondern dass ein weiterer, wohl charakterisirter Be- standtheil des Zellleibes, die Mitochondria, in ihnen eine wesentliche Rolle spielt. Ich möchte an dieser Stelle meine früheren Beschreibungen kurz wiederholen und in einigen Punkten ergänzen. Ich bezeichne als Mitochondria die durch besondere Färbungsmethoden von mir als eigener Formbestandtheil des Zellleibes dargestellten und durch ihren Nachweis in undifferenzirten, sowie in zahlreichen differenzirten Zellen als constantes Zellorgan gekenn- zeichneten Körner, die innerhalb der Cytoplasmafäden gelegen sind und im Wesentlichen mit den sonst als Zellmikrosomen oder Plasmosomen bezeich- neten Bildungen übereinstimmen. Sie spielen eine hervorragende Rolle bei der Ausbildung vieler functioneller Zellstructuren, in denen sie bald als isolirte Körner innerhalb von Fäden erkennbar bleiben (Mitochondria), bald zu einem homogenen Gebilde (Chondriomit) verschmelzen. Als solche Chondriomiten 102 148 VERHANDLUNGEN DER BERLINER stellten sie sich in den Wimperwurzeln vieler Flimmerzellen der Mollusken dar: so besonders in den Lebergängen von Helix hortensis, dem Darmepithel von Anodonta. Aber auch in dem ersten Object fand ich stellenweise die Wimperwurzeln als Cytoplasmafäden mit diehten Mitochondrien. Bei den Vertebraten habe ich Wimperwurzeln bisher ausschliesslich in letzterer Form gesehen, z. B. in den Wimpertrichtern der Niere von Torpedo, von Bufo, im Pharynxepithel des Frosches, in der Tuba Fallopiae der Maus, den Flimmerzellen eines Nasenpolypen vom Menschen. An der Basis von In- fusorienwimpern fand ich Körnerketten bei Balantidium, besonders deutlich um die Mundöffnung, während sich sonst an der ganzen Zellperipherie ein Körnerstratum analog den Fadenkörnern färbt. Ein viel lebhafteres Interesse hat der zweite von Engelmann ge- fundene Formbestandtheil, die Basalkörperchen, erregt, welcher in den letzten Jahren der Gegenstand vieler Erörterungen gewesen ist. Die ganze Ent- wickelung dieser Frage ist meines Ermessens auf F. Hermann’s (3) wichtige Arbeit zurückzuführen, in der er den Nachweis führte, dass die Spermien- geissel nicht, wie zahlreiche Autoren seit Kölliker — ich selbst nicht minder — angenommen hatten, aus dem Kern hervorwachse, sondern dass der Axenfaden mit einem basalen Doppelkörper (Ring und Korn) aus der Zellperipherie an den Kern heranrückt und secundär mit ihm verschmilzt. Auch vermuthete er bereits Beziehungen dieses Doppelkörpers zu den Central- körpern. Nachdem seine Beobachtungen von Moore (4), aber nur in einigen Punkten auch von mir bestätigt waren, gelang es zuerst Fr. Mewes (5), den vollen Beweis für die Centralkörperchennatur des Ausgangskörpers der Geissel zu erbringen. Ihm schloss sich bald v. Lenhosseök (6), später auch ich mich (7) an. Als dann Mewes (8) auch mehrfach an den Central- körpern ruhender Zellen, wie zuerst Zimmermann (9), feine Geisselfäden beobachtet hatte, war die Frage so weit gereift, dass es nunmehr eigentlich weniger eines Schrittes der Beobachtung, als der Logik bedurfte. Dieser Schritt wurde fast gleichzeitig von v. Lenhossek (10) und Henneguy (11) gethan, die beide mit der Anschauung hervortraten, dass die Basalkörper der Geissel mit den Üentralkörpern identisch seien, bezw. von ihnen her- zuleiten seien. Die Beweise beider waren verschieden. v. Lenhossek hatte seine Beobachtungen vorwiegend am Nebenhoden von Kaninchen und Ratte semacht und hier das Nebeneinander von Flimmerzellen und flimmerlosen Zellen gefunden. Die Centralkörperchen der letzteren liegen genau an der- selben Stelle, wie die Basalkörper der ersteren, die gleiche Tinetion beider, das Fehlen der Centralkörper in den flimmernden Zellen nimmt er als Beleg dafür, dass letztere aus ersteren hervorgegangen sind. Henneguy fand an Samenzellen der Lepidopteren im ruhenden Zustande zwei gekniete Körper unter der Zellperipherie, die an jedem Ende eine Cilie trugen. Er konnte feststellen, dass die Centralkörper, selbst wenn sie als Polkörperchen an den Enden der karyokinetischen Spindel stehen, jedes demselben Doppel- faden, der aus dem Zellleib herausragt, als Anheftung dienten. Diese Beweisführungen sind so einleuchtend, dass sie wohl Vielen schon genügt haben. Sie wurden ausdrücklich bestätigt durch Peter (12), der durch Zerstückelung von Flimmerzellen darlegte, dass die Cilie noch beweg- lich bleibt, so lange sie mit der Wimperwurzel und dem Basalkörperchen in Verbindung steht, und der hierin den Beweis erblickt, dass eben das PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 149 Basalkörperchen, da nach seiner Ansicht die Wimperwurzel nicht in Frage kommt, mit Lenhossek’s motorischem Zelleentrum, als welches er das Centralkörperchen auffasst, identisch ist. Auch Fürst (13) hat sich neuer- lich auf die Seite Henneguy’s und Lenhossek’s gestellt, ohne gerade in dieser Richtung neue Beweisgründe zu erbringen, aber den werthvollen Nach- weis ähnlicher Verhältnisse bei den Haarzellen der Sinnesorgane geliefert. Aber auch die Gründe der Gegner sind nicht gering zu erachten. Zunächst sprach Zimmermann (14), obwohl er selbst, wie erwähnt, die Kenntniss der geisseltragenden Oentralkörper mit begründet hat, gegen jene Ableitung der Basalkörper seine Bedenken deshalb aus, weil er auch in cilien- . und basalkörperhaltigen Zellen daneben noch Centralkörper antraf. Aehnlich äussert sich Studnieka (15); Gurwitsch (16) glaubte zeigen zu können, dass sich die Cilien im Pharynxepithel der Amphibien unabhängig von den Centralkörpern entwickeln, und dass die Cilien des Ependyms mit ihren Basalkörpern zu verstreut über die Zellenoberfläche liegen, als dass man ihre Herkunft von einer Bildungsstätte vermuthen könnte. In der letzt- erschienenen grossen Arbeit Henry’s (17) wird schliesslich noch aus den Befunden am Nebenhoden die Henneguy-Lenhosse&k’sche Lehre eindring- lich bekämpft mit dem Hinweise, dass noch nie Uebergangsbilder zwischen Central- und Basalkörperchen beobachtet seien. Henry versichert: Les pieces basales des cellules vibratiles ne naissent pas de la division des corpus- cules centraux; mais sont des formations cellulaires nouvelles eytoplasmiques independantes. Von allen diesen Einwänden ist offenbar der des letztgenannten Autors der stichhaltigste: Es musste durch Darlegung der Uebergangsbilder der Weg gezeigt werden, auf dem die normale Geringzahl der Centralkörper zu der Vielheit der Basalkörper gelangt, ob z. B. von den cilientragenden Einzelkörpern an Ort und Stelle, d.h. an der Zelloberfläche, sich neue ab- spalten, oder wie und wo sonst diese Umwandlungen vor sich gehen. Da man gemeinhin nicht voraussetzen darf, dass im Flimmerbesatz andauernd grosse Veränderungen vor sich gehen, schien die einzige Hoffnung der Auf- klärung darin zu liegen, auf experimentellem Wege das geeignete Material zu gewinnen. Da wies mich die zufällige Beschaffenheit meines Materials auf eine Gelegenheit, Uebergangsbilder in unbegrenzter Reickhaltigkeit und mit grösster Bequemlichkeit zu erlangen, nämlich auf das menschliche Mate- rial, welches bei allen Leichen so reichlich pathologische Alterationen vieler Organe enthält, dass es eine erheblich grössere Mannigfaltigkeit von Func- tions- und Entwickelungsstadien seiner Zellen aufweist, als das correcte Thier- material, welches die Voruntersucher verarbeiteten. Die grösste Hülfe gewährte mir aber die Auffindung neuer Methoden zur Darstellung der Centralkörper. Die souveräne Methode ist zur Zeit die- jenige M. Heidenhain’s (18), die in einer Härtung mit Sublimatlösung und Färbung mit dem vom selben Autor angegebenen Eisenhämatoxylinlack beruht. Dasselbe und ähnliche Färbeverfahren wurden zur Darstellung der Centralkörper auch an nach Flemming und F. Hermann gehärtetem Material angewandt, so besonders von Mewes. Allen diesen Härtungs- verfahren haftet der. grosse Nachtheil an, nur bei äusserst kleinen Gewebs- stücken gleichmässige Resultate zu liefern, und so ist es meistens nur der der ursprünglichen Oberfläche der Stückchen entsprechende Schnittrand, der 150 VERHANDLUNGEN DER BERLINER den gewünschten Grad der Fixirung besitzt, um scharfe Bilder der Central- körperchen zu geben. Ich meine, dass auch dieser Umstand die Schuld trägt, dass noch vor Kurzem A. Fischer (19) einem Gebilde, welches in jedem Präparat doch nur in einer beschränkten Anzahl von Zellen sicht- bar ist, die Existenzberechtigung abstreiten konnte. Das erste Bild, welches mich auf eine ganze Gruppe neuer Darstellungs- methoden der Centralkörperchen führte, lag dieser Gesellschaft vor. Sie erinnern sich der stäbehenförmigen Körperchen der Hypophysiszellen (20), die ich nur zögernd für Centralkörperchen erklärte, weil ich nicht erwarten konnte, bei der zur Anwendung gelangten Härtung diese Gebilde zu sehen, für die allerdings die angewandten Färbungsmethoden, Hämatoxylinlack und - mein Eisenalizarin-Methylenblau-Verfahren geeignet schienen. Ich habe mich inzwischen durch zahlreiche Versuche überzeugt, dass man zunächst an Formalinmaterial, um welches es sich damals handelte, durch geeignete Chromirungen Centralkörperchen, Gliafasern, Secret- granula, Muskelstreifen zur Anschauung bringen kann, wie ich es vor einigen Monaten in der hiesigen Psychiatrischen Gesellschaft (21) ausführlicher mit- getheilt habe. Diese Methoden sind sämmtlich in ihren Resultaten mit der Gliamethode Weigert’s (22) verwandt, welche als die einfachste der Gruppe gelten kann. Statt der sog. Gliabeize Weigert’s kann Chromsäure, statt der sog. Reduction Weigert’s und Färbung mit Methylviolet u. s. w. mein Eisenalizarin-Methylenblau- (oder Toluidinblau-) Verfahren oder ein Hämatoxylinlackverfahren (E. Müller [23]) eintreten. Neuerdings bin ich nun aber von der Formalinvorhärtung abgegangen, weil sie durch ungleichmässiges Eindringen in fettreiche Gewebe, vielleicht auch bei etwas verlängerter Einwirkung einige Unzuverlässigkeiten bedingt, die besonders bei der Neurogliadarstellung schon vielseitig empfunden wurden. Das sicherste Vorhärtungsmittel ist der Alkohol von 90 bis 95 Procent, der noch bei über 2°® dicken Stücken selbst im Centralnervensystem gleich- mässig eindringt und die genannten Structuren so gut erhält, dass ich noch an 5 Jahre altem Alkoholmaterial Alles zur Darstellung bringen konnte, nachdem ich ein für dasselbe geeignetes Chromirungsverfahren gefunden habe. Sowohl an Gefrierschnitten, wie an Paraffin- und Celloidindurch- tränkungen gelangen dann die Färbungen. Ich gehe in folgender Weise vor: 1. Härtung in 93procent. Alkohol mindestens 2 Tage bis beliebig lange. 2. Austreibung des Alkohols durch wässerige Lösung der officinellen Salpetersäure 1 Acid. nitr. zu 10 Aqu. comm. 24 Stunden lang. Hierzu schneidet man das Material in kleinere Scheiben, z. B. Centralnervensystem nicht über 0-5” dick. 3. Etwa 24 Stunden in Sol. kali. bichrom. 2:100. 4. Etwa 48 Stunden in Sol. acid. chromie. 1:100. 5. Gründliche Wässerung, dann Gefrierschnitte oder nach der Wässerung Härtung in steigendem Alkohol, Durchtränkung mit Paraffin (welches ich für diese Verfahren dem Celloidin entschieden vorziehe, s. [21]). Die Färbung der Schnitte wird entweder nach Analogie der Weigert’- schen Gliafärbung vorgenommen: 6. Oxydiren mit 0-5procent. Lösung von Kaliumpermanganat etwa 5 Minuten. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 151 7. Redueiren mit Pal’scher Natrium nitrieum-Oxalsäurelösung, bis die Schnitte weiss sind. i 8. Ueberspülen der abgetrockneten Schnitte mit Weigert’s Methyl- violet-Oxalsäurelösung. (Statt dessen ein von mir [21] angegebenes, haltbares Gemisch von: alkoholischer Krystallvioletlösung 1 Vol. Salzsäurealkohol 1 Vol. Anilin- wasser 2 Vol. Aufgeklebte Paraffinschnitte sind einige Minuten bei leichtem Erwärmen zu färben.) 9. Abtrocknen und überspülen mit Lugol’scher Lösung. 10. Gründlich abtrocknen und differenziren mit Anilinöl und Xylol an. 11. Abtrocknen, überspülen mit Xylol, Balsam. Schöne Contrastfärbungen mit meinem Eisenalizarin-Toluidinblau-Ver- fahren: 6. Beizung 24 Stunden in 4procent. Eisenalaunlösung oder in ver- dünntem Ligu. ferr. sulfur. oxyd. 1:2 Vol. Ag. dest. 7. Abspülen in fliessendem Wasser oder in mehreren Wasserschalen. 8. Färben in dünner, bernsteingelber wässeriger Lösung von sulfalizarin- saurem Natrium 24 Stunden. 9. Eintauchen in Wasser und Abtupfen mit Fliesspapier. 10. Färben in O-1procent. wässeriger Lösung von Toluidinblau (er- wärmen im Uhrschälchen, dann etwa 15 Minuten in der erkaltenden Flüssig- keit oder 1 bis 24 Stunden in der kalten Lösung). 11. Eintauchen in 1procent. Essigsäure. 12. Abtrocknen mit Fliesspapier, Eintauchen in Alkoh. absol. 13. Differenziren mit Buchenholzkreosot, etwa 10 Minuten unter schliess- licher Controle des Mikroskops. 14. Abtrocknen mit Fliesspapier, Xylol (mehrmals überspülen), Balsam. Schliesslich gelingen auch mehrere Hämatoxylinlackverfahren, so ein von mir angegebenes Eisenhämatoxylin-Verfahren, bei dem die Differenzirung der Schnitte und gleichzeitige Nachfärbung durch van Gieson’s Pikrin- säure-Säurefuchsingemisch erfolgt. Sehr scharfe Färbungen der Central- körper sowie der anderen, öfters genannten Elemente erhält man auch an dem gechromten Alkoholmaterial, wenn man nach Eisenhämatoxylinfärbung mit Weigert’s Borax-Blutlaugensalzlösung, derselben, die zur Markscheiden- differenzirung verwandt wird, differenzirt, dagegen gelang an dem Material die Differenzirung mit Eisenalaunlösung nach Heidenhain nicht so gut, wie bekanntlich am Sublimatmaterial. Alle genannten Methoden haben das gleichmässige Resultat, in erster Linie die Centralkörperchen und die Basalkörperchen zu färben. Daneben sind in gleicher Weise wie diese die Kerne der Zellen, einige Arten Secret- granula (z. B. Hypophysis, Labdrüsen, Pankreas), sowie die eosinophilen Leukocytengranula gefärbt, endlich Gliafasern, Muskelquerstreifen, Kittlinien (Schlussleisten der Epithelien) und somit auch die Secretcapillaren vieler Drüsen (Gallencapillaren u. s. w.). Die Sauberkeit der Centralkörperchen- färbung lässt diese auch an ziemlich dieken Schnitten erkennen, sie sind von den Secretgranulationen stets durch ihre Lagerung in einem körnchen- freien Hof zu unterscheiden. Ich unterlasse übrigens nicht, zu erwähnen, dass auch Weigert (22) und Storch (24) die Färbung der Basalkörper 152 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Ependymzellen an ihren Neurogliapräparaten beobachtet haben, aber die Centralkörper, bezw. die Beziehung jener zu diesen übersahen. Die mit diesen Methoden angefertigten Präparate gewähren also vor Allem das ungewöhnliche Verhalten, fast in jeder Zelle die Centralkörperchen zu zeigen. Ich habe so am menschlichen, nicht einmal übermässig frischem Material auch einige, bisher noch nicht oder nur selten gefundene Central- körperchen gesehen, so in Gliazellen (kugelige Diplosomen), in Leberzellen (desgl.), Epidermiszellen. In den Drüsenzellen des vorderen Hypophysis- lappens habe ich das Vorherrschen der Doppelstäbchen festgestellt. Ferner habe ich sie in mehreren malignen Geschwülsten in interessanten Verhält- nissen gesehen, so besonders in einem Gliosarcom der weichen Rückenmarks- _ häute, demselben, welches ich früher mit A. Fränkel zusammen beschrieben habe. Ich komme auf diesen Befund zurück. In den flimmerlosen Epithelien habe ich sie in der von Zimmermann (9 u. 14), Lenhossäk (10), Ballo- witz (26), M. Heidenhain (27) so zutreffend beschriebenen Lagerungen, häufig mit einer Centralgeissel verbunden, gesehen. In Flimmerzellen erscheinen, wie das viele Voruntersucher fanden, auch nach meinen Methoden die Basalkörper der Cilien wie Centralkörper gefärbt. Ich konnte das an Lamellibranchiaten, Pulmonaten, bei Wirbelthieren, bei Amphibien und Säugethieren, besonders beim Menschen feststellen. Ein interessantes Verhältniss fand sich im Vas epididymidis des Menschen. Hammar (26) hatte gesehen, dass die Wimpern hier keine Basalkörper an der gewöhnlichen Stelle, der Zelloberfläche, besitzen. Ich fand, dass die Wimpern hier meist nicht von der ganzen Zelloberfläche, sondern von deren Mitte in einem zierlichen Büschel heraushängen, also nicht, wie das stellen- weise behauptet wird, nur durch Verklebung der Wimpern das Büschel zu Stande kommt. Die Härchen lassen sich eine kleine Strecke ganz scharf isolirt in der Längsaxe der Zelle verfolgen und gehen dann in einen längs- gefaserten Strang über, der bis in die Nähe des Kerns herabstreift. Hier liegt eine grössere Menge scharf begrenzter, wie Basalkörper gefärbter Körnchen, die deutlich zu zweien zusammenliegen, sonst aber ziemlich weit von einander entfernt und unregelmässig verstreut das unterste Ende jenes Axenstranges einnehmen. Ich erwähne zugleich, dass bei anderer Behand- lung Mitochondriakettehen, vom Mantel der Cylinderzelle schräg nach innen und oben aufsteigend, sich von allen Seiten dem Axenstrang, der als intra- cellulare Verlängerung der Cilien aufzufassen ist, ansetzen. Die für die Beziehung von Oentralkörper und Basalkörper beweisenden Bilder erhielt ich am Ependym des Rückenmarkes und in den Vasa efferentia des Menschen. Die Ependymzellen zeigen bei Thieren ziemlich regelmässig Flimmer- besatz mit Basalkörperchen, dabei keine Centralkörperchen. Beim Menschen habe ich solche Flimmerzellen in dem Ependym der Hirnventrikel häufig, im Rückenmark seltener gefunden. Die grosse Mehr- zahl der Zellen zeigt keine Flimmerhaare. Dass das keine postmortale Veränderung ist, ergiebt sich aus der sonstigen guten Conservirung des Materials, sowie daraus, dass diese Zellen scharf gefärbte Centralkörper enthalten, die häufig an der Zelloberfläche mit einer feinen Central- geissel versehen in derselben Lage als Diplosom gefunden werden, wie es Zimmermann (9 u. 14) z. B. an den Sammelröhren der Niere und ander- PHYSIOLOGISCHEN (FESELLSCHAFT. -— (. BENDA. 153 wärts abbildet. Sehr häufig enthalten aber die eilienlosen Ependymzellen die Centralkörper im Zellinnern, distal vom Kern. In dieser Lage weisen sie meist ein Paar ziemlich langer, im Winkel oder gekreuzt gestellter Stäbchen auf. Sehr häufig findet man beim Menschen eine sog. centrale Gliose mit theilweiser Obliteration des Centralcanals durch Einwucherung der Glia- fasern und -Zellen. Hierbei kommt es oft zu Verdoppelungen oder noch grösseren Vermehrungen der Centralcanallumina, die mit Ependymzellen ausgekleidet sind. In diesen Epithelien abnormer Centralcanäle findet sich nun namentlich eine enorme Mannigfaltigkeit in Lagerung und Form der Centralkörperchen. Wir sehen hier in häufigster Wiederkehr das Bild, dass die stäbehenförmigen Centralkörper Einschnürungen tragen, sich in mehrere längliche Segmente zerlegen, die aus einander rücken. Vielfach findet sich zwischen dem Kern und der Zelloberfläche ein dichter Ballen von kleinsten, durch Färbung und häufige Doppelstellung als Centralkörper gekennzeichneten Körnehen. Uebergänge zwischen solchen Centralkörperballen und der Basal- körperphalanx habe ich an diesem Objecte nicht sicher aufgefunden, doch genügt zunächst die hier festgestellte Thatsache, dass die Vermehrung der Elemente nicht in Form und Anordnung der Basalkörper, sondern in der Lagerung und Gestalt der Centralkörper erfolgt. Einen interessanten Beleg habe ich noch an einem anderen Object für die Thatsache gefunden, dass den Ependymzellen als eigentlichem Flimmer- epithel die Vermehrung der ÜCentralkörper inhärirt. Bei jenem von A. Fränkel und mir (25) beschriebenen Gliosarcom der Rückenmarkshäute war schon damals von mir die Bildung von Centralcanälen in der Geschwulst und damit die Abstammung der Geschwulst vom Ependym festgestellt worden. Durch meine Centralkörperfärbungen fand ich jetzt, dass die Geschwulst- zellen sehr häufig neben dem Kern einen Centralkörperballen aufweisen; derselbe besteht aus 10 bis 20 Körnchen, die sich nur in seltenen Fällen ungeordnet, vielmehr meist in einer sehr zierlichen Radiärstellung (ähnlich der Gänseblümehenordnung der Malariasporen) darstellen. Das Centrum bildet entweder ein Körnchen oder eine engere oder weitere Vakuole. Ich füge gleich hinzu, dass ich Aehnliches bei anderen malignen Geschwülsten, die ich darauf untersuchte, nicht gefunden habe. Die Uebergangsformen zwischen Centralkörperballen und Basalkörper- phalanx habe ich in den Vasa efferentia der menschlichen Epididymis studiren können. An diesem Object ist derselbe Wechsel zwischen cilientragenden und eilienlosen Zellen, wie ihn Lenhoss6ök (10) und Henry (17) bei Thieren beschrieben, zu bemerken. Auch J. Schaffer (29) hat ihn beim Menschen schon früher beschrieben. Ich muss aber gegenüber diesem Autor durchaus bestreiten, dass die Epithelgruben, die er als Drüsen auffassen will, gerade vor- wiegend der Sitz der eilienlosen Zellen sind. Auch in der Tiefe der Gruben findet man stets auch Wimperzellen, ebenso wie auf den Epithelerhebungen stets auch eilienlose Zellen vorkommen. Ich muss nach meinen Befunden die Bezeichnung der Gruben als Drüsen anfechten, sie kommen offenbar nur dadurch zu Stande, dass in ihrer Umgebung eine unregelmässige, herdweise Ansammlung von Ersatzzellen auftritt, durch die sich die Grubenränder erheben. ‘Während nun in diesem Epithel zunächst die beiden Endglieder der Reihe, 154 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die v. Lenhossek (10) beschrieb, auffallen, findet man beim Menschen bei genauerem Zusehen bisweilen zahlreiche Zwischenglieder. Zunächst kommen zahlreiche Zellen mit Oentralkörperballen vor, die so gross und dicht sind, dass man sie auf den ersten Blick für geschrumpfte Kerne halten muss, die aber dadurch auffallen, dass sie zwischen einem wohlausgebildeten Kern und der Zelloberfläche in der Mitte liegen; die Cilien fehlen an diesen Zellen. Als weitere Uebergangsbilder findet man Zellen, in denen der Ballen eine lockere Form zeigt, näher der Zelloberfläche gerückt ist und von einzelnen Basalkörpern mit Cilien überlagert ist. Hin und wieder hat man hierdurch den Eindruck, als ob man alle Stadien des Herausrückens der Centralkörper aus dem Ballen bis zur Lagerung als Basalkörper neben einander sieht. Etwas abweichend ist ein Bild, welches ich aber nur vereinzelt gefunden habe. Hier liegen die Centralkörper in einem Ballen in der Tiefe der Zelle oberhalb des Kerns in einer deutlichen Radiärstellung gegen einen in ihrer Mitte gelegenen Hohlraum. Man erhält den Eindruck, dass die zu einem Büschel dieht zusammengedrängten Cilien, die an der Zelloberfläche hervor- ragen, gerades Wegs von dieser Höhle des Zellinneren hervorgehen. Ich erkläre zu diesen Bildern, dass die mir oft auftauchende Befürchtung, es könnten dieselben durch Flach- oder Schrägschnitte der Wimperzellen vorgetäuscht sein, sich leicht widerlegen liess. Ich fand stets, dass die typische Basalkörperphalanx sich auch auf Flach- und Schrägschnitten als äusserst regelmässiges Mosaik darstellt, und nie einen derartigen Ballen ergeben könnte. Eines lässt sich natürlich an den gehärteten Präparaten nicht beweisen: ob die beschriebenen Bilder Uebergänge der Basalkörperchen zu Central- körpern, also eine Art Rückbildung der differenzirten Flimmerzelle, oder umgekehrt die Ausbildung der Flimmerzelle aus einem undifferenzirten Jugendzustand, aus einem Ruhestadium bezw. einem einer anderen Function, der Secretion, gewidmeten Stadium darstellen. Es wäre bei Abwechslung der Stadien zu erwarten, dass beide Reihen vorkommen, und es wird zunächst dem Belieben jedes Beobachters überlassen sein, wie er die Reihen construiren will. Ich vermuthe zunächst, dass diejenige Form als progressive Cilienbildung zu betrachten sei, wo aus dem Centralkörperballen das gesammte Cilien- büschel hervorschiesst. Mein Grund für diese Deutung liegt in Folgendem: Ich meine, dass die jugendliche Flimmerzelle wohl meist mit ihrem vollen Wimperspiel ziemlich plötzlich in Action treten muss, weil man sonst in jedem Flimmerepithel die Uebergänge finden würde. Das kann aber nur so vor sich gehen, dass sich das ganze Basalkörperpacket mit den schon fertigen Cilien an die Oberfläche hebt. In diesem Falle würden die anderen Ueber- gangsbilder die allmähliche Involution des Flimmerbesatzes darstellen. Es könnte aber auch umgekehrt sein. Das ist aber für die uns zunächst beschäftigende Frage ganz gleichgültig, bei jeder Deutung beweisen meine Bilder die Identität von Basal- und Centralkörpern lückenlos, derart, dass am Ependym die Entstehung eines Centralkörper- ballens aus typischen Centralkörpern, am Vas efferens die Zwischenstadien vom ÜCentralkörperballen zur Basalkörperphalanx gefunden wurden. Einige Verhältnisse bedürfen noch einer weiteren Klärung, um die oben erwähnten Bedenken der Autoren zu heben. Es fragt sich, wie sich die PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 155 eigentliche Function der Centralkörperchen, die sie bei der Zelltheilung ausüben, mit ihrer Umgestaltung zu Basalkörpern verträgt. Hier wären drei Möglichkeiten zu erwägen: Erstens könnte das umgewandelte Central- körperchen seine Theilungsfunction verlieren und damit die Flimmerzelle theilungsunfähig werden; zweitens könnten Centralkörperchen übrig bleiben, die nicht in Beziehung zu Wimpern stehen, und bei neuen Theilungen in Thätigkeit treten; drittens könnte durch Involution und Vereinigung der Basalkörper das zur Theilung nöthige Centralkörperpaar wieder aufgebaut werden. Mir scheint, dass sowohl die scheinbar widersprechenden Litteratur- angaben, wie meine Beobachtungen zu der Feststellung drängen, dass alle drei Möglichkeiten vorkommen. Erstens halte ich es für zweifellos, dass ein Theil der Wimperzellen seine Theilungsfähigkeit einbüsst. Ich habe nie am Tracheal- und Bronchialepithel der Säuger und des Menschen eine Mitose der Wimperzellen gesehen, die Flimmerzellen werden bei manchen pathologischen Processen (Asthma bronchiale) in ganzen Schüben abge- stossen, und der Ersatz erfolgt bei diesen vielzeiligen Epithelien noth- wendig aus sich differenzirenden Zellen der tiefen Lagen. Damit stimmt auch, dass bösartige Geschwülste des Bronchialepithels nie Flimmereysten enthalten, und scheinbar ganz abweichend von dem Bilde des Mutterbodens aus sehr kleinen Cylinderzellen bestehen, die ausschliesslich den Typus jener Ersatzzellen tragen. Für das Uebrigbleiben der Theilungscentralkörper würden Studnicka’s (15) und Zimmermann’s (14) Beobachtungen zu verwerthen sein. Doch muss ich bekennen, dass ich ohne irgend welche Voreingenommenheit bei den voll ausgebildeten Wimperzellen des Vas efferens nie restirende Cen- tralkörper fand; es ist doch möglich, dass Zimmermann von diesem Object vielmehr ähnliche Uebergangsbilder, wie ich, gelegentlich zu Gesicht bekam. Dagegen sehe ich am Mitteldarm von Anodonta ausser den voll entwickelten Basalkörpern ganz regelmässig nahe dem Kern in den fein- körnigen Raum, der neben den bogenförmig zusammenlaufenden Wimper- wurzeln frei bleibt, ein einfaches oder doppeltes Korn von Färbung und Gestalt des Centralkörperchens. Dass schliesslich bei manchen Flimmerzellen die Verwendung der Central- körper bei der Theilung durch ihre Verbindung mit Cilien nicht beein- trächtigt wird, ergeben die Beobachtungen Henneguy’s (11). Die von mir an Ependym und an Vas efferens erhobenen Befunde beweisen die grosse Veränderlichkeit der Gebilde, durch die ein Functionswechsel sehr einfach in Scene gesetzt werden könnte. Uebrigens habe ich nur im Flimmerepithel des Vas epididymidis bei Ratte und Kaninchen (letzteres mir v. Hrn. Collegen A. Löwy übergebenes Material) zweifellose Mitosen wimpertragender Zellen gesehen. Schliesslich muss ich noch auf den Einwand von Gurwitsch (16) eingehen. Derselbe erledigt sich durch Feststellung einer kleinen morpho- logischen Thatsache. Schon in früherer Zeit hatte man die Einpflanzung der Cilien in einer Art Deckelmembran der Zelle angenommen. Diese Ansicht war vonEngelmann(1)umgestossen worden, der die auf eine Deckelmembran bezogene doppelte Grenzlinie an der Cilienbasis als optischen Ausdruck der regelmässigen Abgrenzung der Basalkörperphalanx aufgefasst hatte. Ich 156 VERHANDLUNGEN DER BERLINER habe mich schon früher (2) mit grösster Sicherheit an verschiedenen Objecten: dem Mitteldarm von Anodonta, Lebergängen von Schnecken, Pharynx von Amphibien, Trachea von Säugethieren und Menschen überzeugt, dass hier bei schärfster Färbung der Basalkörper dennoch die doppelte Grenzlinie bestehen bleibt, und dass somit neben den Cilien noch eine Deckelmembran, oder wie es mir noch eher erscheint, zwischen den Cilien noch ein Borsten- saum besteht, der allerdings bei anderen Objecten: Vas efferens, Vas epi- didymidis, Ependym, ganz sicher fehlt. Diese Beobachtung ist z. Th. von M. Heidenhain (32) bestätigt worden. Ich habe auch vielfach gesehen, dass der Borstensaum bei Unregelmässigkeiten des Cilienbesatzes unver- ändert bestehen bleibt, also dauerhafter als die Cilien ist. Diese Beobach- tungen stimmen mit der Darstellung von Mewes (30), dass die Central- geissel der Nierenepithelien den Borstensaum durchsetzt. Die Beobachtungen Gurwitsch’s lehren also nicht, wie er meint, dass die Cilien durch Zer- klüftung der Deekelmembran entstehen, sondern nur, dass sich der Deckel vor der Ausbildung der Cilien entwickelt, und im Gegensatz zu A. Pre- nant’s (31) Ansicht, beides ganz unabhängige Bildungen sind. Ich hoffe erwiesen zu haben, dass gegen die Identifieirung von Central- körpern und Basalkörpern kein ernstlicher Einwand übrig bleibt. Ich sehe in dieser Beobachtung ein neues Beispiel (neben dem früheren der Mito- chondria), dass ein Elementarorgan der Zelle unter grösster Veränderlichkeit an Form und Masse, aber bei völliger Erhaltung seiner Qualität zum Aufbau von Differenzirungsmerkmalen der Gewebszellen verwendet wird.. Von Hypo- thesen über die functionelle Bedeutung des Organs sehe ich ab. Der Annahme, dass im Centralkörperchen ein motorisches Centralorgan vor- liegt, wie sie v. Lenhoss&k ausgesprochen hat, kann ich, wie schon früher (7 b), keinen Einspruch entgegensetzen, sofern man sich nur darüber klar bleibt, dass das Central- oder Basalkörperchen der Cilie etwa ein Erregungs- centrum, nicht aber der Motor selbst sein kann. Hierzu erscheint es nach Lagerung und Form gleich ungeeignet. Da nach Peter’s Untersuchungen die Bewegung dem Wimperapparat selbst zugehört, bleiben noch die Cilie selbst und die Wimperwurzel für diese Function übrig, Nach meinen Eindrücken an der lebenden Zelle sind die Cilien nicht formveränderlich, sie sind bewegbar, aber nicht beweglich. Für die motorische Function der Wimperwurzeln spricht, dass sie ein ebenso constanter Theil des Wimper- apparates sind, wie die beiden anderen Glieder, dass sie durch ihre Form und Lagerung befähigt sind, mit geringstem Kraftaufwand die grösste Leistung zu erzielen, und endlich, dass sie aus Fadenkörnern aufgebaut sind, die auch anderwärts mit der Bildung motorischer Organe in Beziehung stehen. Litteraturverzeichniss. 1. Th. W. Engelmann, Zur Anatomie und Physiologie der Flimmerzellen. Pflüger’s Archiv. 1880. Bd. XXIII. 2. C. Benda, Weitere Mittheilungen über die Mitochondria. Dies Archiv. 1399. Physiol. Abthlg. 8. 376. 3. Fr. Hermann, Beiträge zur Histologie des Hodens. Archiv für mikroskop. Anatomie. 1889. Bd. XXXIV. AT BIS: Moore, On the structural changes in the reproductive cells etc. Quart. Journ. of microsc. sc. 1895. Vol. XXXVII. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — (. BENDA. 157 5. Fr. Mewes, Ueber Structur und Histogenese der Samenfäden von Sala- mandra maculosa. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1897. Bd.L. as Er M. v. Lenhossek, Untersuchungen über Spermatogenese. Zbenda. 1898. 7. a) Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft zu Kiel. 1898. Discussion zu Mewes. — b) C. Benda, Ueber die Spermatogenese der Vertebraten u.s.w. Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 385 u. 393. 8. Fr. Mewes, a) Zur Entstehung der Axenfäden menschlicher Spermatozoön. Anatomischer Anzeiger. 1897. Bd. XIV. — b) Ueber Centralkörper in männlichen Geschlechtszellen von Schmetterlingen. Zbenda. 9. K. W. Zimmermann, Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft zu Strassburg. 1894. 10. M. v. Lenhossek, Ueber Flimmerzellen. Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft zu Kiel. 1898. ‘11. Henneguy, Sur les rapports des cils vibratiles avec les centrosomes. Arch. d’anat. microscop. 1898. T. 1. 12. Carl Peter, Das Centrum für die Flimmer- und Geisselbewegung. Anatom. Anzeiger. 1898. Bd. XV. 13. Carl M. Fürst, Haarzellen und Flimmerzellen. Zbenda. 1900. Bd. XVIII. 14. K. W. Zimmermann, Beiträge zur Kenntniss einiger Drüsen und Epithelien. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1898. Bd. LI. 15. Studnicka, Ueber Flimmer- und Cuticulazellen. Sitzungsberichte der kgl. böhmischen Gesellschaft. 1899. 16. Alexander Gurwitsch, Zur Entwickelung der Flimmerzellen. Anatom. Anzeiger. 1900. Bd. XV. 17. A. Henry, Fonction seeretoire de l’epididyme etc. Arch. d’anat. mieroscop. 1900. T. III. 18. M. Heidenhain, Kern und Protoplasma. Festschrift für Kölliker. Leipzig 1892. 19. Alfred Fischer, Fixirung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 1899. 20. C. Benda, Ueber den normalen Bau u. s. w. der menschlichen Hypophysis. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 373. 21. Derselbe, Erfahrungen über Neurogliafärbungen. Neurologisches Central- blatt. 1900. Nr. 17. 22. C. Weigert, Beiträge zur Kenntniss der normalen menschlichen Neuroglia. Festschrift. Frankfurt a. M. 1895. 23. E. Müller, Studien über Neuroglia. Archiv für mikroskpische Anatomie. 1899. Bd. LV. 24. E. Storch, Ueber die pathologisch-anatomischen Vorgänge am Stützgerüst des Centralnervensystems. Virchow’s Archiv. 1899. Bd. CLVI. 25. a) A. Fränkel, Ueber Geschwülste der Rückenmarkshäute. Deutsche med. Wochenschrift. 1898. — b) C. Benda, Anatomische Bemerkungen zu vorstehendem Fall. Zbenda. 26. E. Ballowitz, Centralkörper in den fixen Hornhautzellen u. s. w. Verhand- lungen der anatomischen Gesellschaft zu Kiel. 1898. 27. M. Heidenhain und Th. Cohn, Ueber die Mikrocentren in den Geweben des Vogelembryos. Morphologische Arbeiten. 1897. Bd. VI. 28. A. Hammar, Ueber Secretionserscheinungen im Nebenhoden des Hundes. Dies Archiv. 1897. Anat. Abthlg. Suppl. 2 29. J. Schaffer, Drüsen im Epithel der Vasa efferentia. Anafom. Anzeiger. 1892. Bd. VII. 30. Fr. Mewes, Ueber den Einfluss der Zelltheilung auf den Secretionsvor- gang u.s.w. Festschrift für Carl v. Kupffer. 1899. IR 31. A. Prenant, Cellules vibratiles et cellules a plateau. Bihliogr. anatom. 1899 2UE VIE 32. M. Heidenhain, Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der faser- förmigen Differenzirungen. Anatom. Anzeiger. 1900. Bd. XVI. 158 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Festsitzung am 24. November 1900. Am 26. November 1900 waren 25 Jahre seit der Gründung der Physio- logischen Gesellschaft verflossen. Zur Feier dieses Jubiläums fand am 24. November Abends 6 Uhr im grossen Hörsaale des physiologischen Insti- tutes eine Festsitzung statt, an der auch das Ehrenmitglied Hr. Rudolf Virchow und eine Anzahl geladener Gäste (Herren der Unterrichtsver- waltung, der medieinischen Facultät, frühere Mitglieder der Gesellschaft, Vertreter anderer Berliner medieinischer und naturwissenschaftlicher Vereine) theilnahmen. Nach einigen begrüssenden Worten des 1. Vorsitzenden, Hrn. Th. W. Engelmann, hielt Hr. Hermann Munk die Festrede (8. 158). In den Räumen des Institutes hatten Mitglieder und andere. Herren Demonstrationen vorbereitet und Apparate, Instrumente, mikroskopische Präparate ausgestellt, deren Besichtigung im Anschluss an die Festsitzung erfolgte. Das auswärtige Mitglied, Hr. Wilhelm Koch in Dorpat, übersandte als Festgruss eine Abhandlung (8. 170). Rede zur Feier des 25jährigen Bestehens der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin gehalten am 24. November 1900 von Hermann Munk. Hochgeehrte Herren! Für eine wissenschaftliche Institution sind fünfundzwanzig Jahre eine kurze Spanne Zeit, und wer ihre Geschichte zu erzählen hat, darf gemein- hin zufrieden sein, wenn er eine bescheidene Zahl bedeutsamer Momente findet. Eine Rückschau auf Werden und Wirken unserer Gesellschaft lässt in seltener Weise grosse Männer und grosse Zeiten, mächtige Fortschritte der Wissenschaft und erhebliche Wandlungen ihres Betriebes am Auge vor- überziehen; und da Miterlebtes und Mitempfundenes vorzuführen, sieht sich Ihr Redner zur Feier des Tages berufen. Berlin war um die Mitte des Jahrhunderts von ungewöhnlicher Be- deutung für die Biologie geworden. Wo durch Jahrzehnte die falsche Natur- philosophie ihr Wesen trieb, hatte Johannes Müller mit Wort und That die naturwissenschaftliche Methode wieder in ihre Rechte eingesetzt und mit seinem Riesengeiste Anatomie, Physiologie, Pathologie, Zoologie durch- musternd, ausbauend und zusammenfassend, einen Kanon der Physiologie geschaffen, der Albrecht v. Haller’s Wunderwerk aus dem vorigen Jahr- ‘ Ausgegeben am 23. Januar 1901. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MUNnKk. 159 hundert ebenbürtig für das neue Jahrhundert an die Seite trat. Ein Bild vom Leben war gezeichnet, überraschend durch Umfang und Reichhaltig- keit, ergreifend durch das Streben nach Treue in jedem Striche, anziehend und fesselnd überall, wo es ausgeführt war, zur Vervollkommnung anregend, ja anreizend, wo es Lücken wies. Und die Mängel zu bessern, lud auch der unermüdliche Meister in Person ein, der ehrfurchtgebietende Mann mit dem mächtigen Haupte, den sprühenden Augen und den strengen und doch wohlwollenden Zügen, der seine Schüler, waren sie begeistert wie er selber, mit besonderer Liebe umfing, ihre Selbständigkeit nicht bloss schätzte, son- dern verlangte und neidlos sich ihrer Erfolge freute, auch wenn sie wider- legten, was er hatte glauben müssen. So waren ihm denn bald Mitarbeiter geworden die Schwann und Henle, Reichert und Remak, Brücke und du Bois-Reymond, Virchow und Helmholtz; und in wenig mehr als einem Jahrzehnt war mit der Zellenlehre und der Lehre von der Er- haltung der Energie das Verständniss der Thiere auf neue und sichere Grundlagen gestellt, waren in der Lehre von den Geweben, von der Ent- wickelung, von Muskel und Nerv ganze Wissenszweige der Anatomie und Physiologie durch eine Fülle neuer Erkenntnisse umgewandelt, war auch die Pathologie, so lange das Tummelfeld der Mystik und der Speculation, in die Reihe der Naturwissenschaften übergeführt. So viel Licht war binnen kurzem von Berlin ausgestrahlt, und es war nur natürlich, dass bald auch die wunderbare Gelehrten-Generation, die ihres Gleichen nicht in der Ge- schichte der Naturwissenschaften hat, und von der ein ehrwürdiges Haupt, unser einziges Ehrenmitglied, heute unter uns zu sehen, uns zu besonderem Danke gegen das gütige Geschick verpflichtet, über die verschiedenen Uni- versitäten zerstreut war. Dem Meister war über alledem das Reich, das ihm einst mit Anatomie, Physiologie und Pathologie zugefallen war, zu gross geworden, zumal seine Neigung immer mehr die Richtung zur Zoologie nahm, und er trug Sorge, dass Berlin die Stellung nicht verlor, die es gewonnen hatte. Er liess du Bois-Reymond ein physiologisches Laboratorium einrichten und nahm ihn an seine Seite in der Akademie. Unvergessen sei das Wort, das er dort Ehrenberg zurief, der, ein Gegner der neuen experimentalen Richtung in der Physiologie, wider du Bois’ Wahl die Mitgliedschaft bereits zweier Physiologen geltend machte: „Ich bin nicht Physiologe, Sie sind Physiologe“. Er veranlasste Virchow’s Rückberufung von Würzburg. Und noch weiter zu gehen hatte er in seiner selbstlosen Grösse vor, wie verlautete, als ein früher Tod ihn 1858 abrief. Jedenfalls war es nach Müller’s Sinne, dass auch Anatomie und Physiologie nunmehr auf gesonderten Lehrstühlen Vertretung fanden. Es kam darin zum Ausdruck, dass, was mit Joh. Müller Magendie und Flourens, Wöhler und Liebig, Tiedemann und die Brüder Weber, Purkinje und Volkmann lange vorbereitet hatten, durch die jüngsten grossen Errungenschaften zum Durchbruch gekommen war, die Physiologie die volle Würdigung fand, die ihr als selbständiger Naturwissenschaft, ebenso wie als grundlegender Wissenschaft für die Mediein zukam. Die anorganische Physik und Chemie konnten auf ihre organische Schwester nicht mehr herabsehen, sondern mussten anerkennen, wie viel auf dem weit schwierigeren, weil verwickelteren Gebiete der Erkenntniss des thierischen 160 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Organismus geleistet war. Die Mediein war zur Einsicht gezwungen, dass mit öden Schematismen, groben Krankheitsbeschreibungen und roher Empirie nichts gethan war, dass sie für Beobachten, Verstehen, Handeln sich an die Physiologie anzulehnen und die naturwissenschaftliche Methode auch in der Klinik anzuwenden hatte. „Wissenschaftliche Mediein“ war überall die Losung geworden und vor allem in Berlin, wo Romberg, L. Traube, A.v. Gräfe, Billroth und bald auch Frerichs neben Virchow wirkten. Der Zugang frischer strebsamer Kräfte zur Biologie hatte inzwischen auch im letzten Jahrzehnt der Müller’schen Aera sich fortgesetzt. Vor- nehmlich widmeten sie sich, wohin jetzt die Neigung des Meisters zog, der Zootomie und vergleichenden Anatomie, weniger dem Versuch. Ihre Zahl war immerhin nur klein, entsprechend dem damaligen engen Betriebe der Wissenschaft, von dem man sich heutzutage nur schwer eine Vorstellung machen kann. Der naturwissenschaftliche Verein der Studirenden kam in der Zeit höchster Blüthe, als er wohl alle angehenden Naturforscher um- fasste, über ein Dutzend thätiger Mitglieder nicht hinaus. In einem kleinen Ruderboote waren allwöchentlich fast alle Jünger der beobachtenden Biologie versammelt, die benachbarten Seen nach niederen Organismen abzusuchen. Um einen kleinen Tisch im Kaffeehause fanden sich des Nachmittags fast alle jüngeren Experimentatoren zusammen, die neuen eigenen und fremden Ermittelungen auszutauschen. Dem Vereinsleben der älteren Biologen war durch die Gesellschaft naturforschender Freunde genügt und durch die seit 1845 bestehende Physikalische Gesellschaft, von deren sechs Stiftern zwei Physiologen gewesen waren. Unter den kleinen Verhältnissen war aber auch der Zusammenschluss der Gleichstrebenden um so inniger, die gegen- seitige Anregung und Einflussnahme um so grösser, der Schutz vor Ein- seitigkeit und beschränktem Gesichtskreise um so mächtiger. Die Verhältnisse nahmen nach Müller’s Tode eine eigenartige Wen- dung. Die jüngeren Biologen zwar, jetzt wieder mehr der Experimental- physiologie zugethan als der Mikroskopie, nahmen an Zahl nicht zu, obwohl die der Berufung von du Bois-Reymond in Berlin rasch folgenden Be- rufungen von Pflüger nach Bonn, von Heidenhain nach Breslau, des Studiosus v. Bezold, der vor kurzem erst du Bois’ Assistent geworden war, nach Jena den Aufschwung der Physiologie, ja, so zu sagen, den Be- darf an Physiologen weithin kenntlich machten. Der medieinischen Welt, aus welcher die Biologen sich rekrutirten, winkten näher liegende kostbare Früchte in der Pathologie, für welche Virchow jetzt das Princip der Cellular-Pathologie in breiterer Ausführung dargelegt hatte, und in der neu aufstrebenden praktischen Mediein. Aber indem das pathologische In- stitut und die Klinik mächtig die Jugend anzogen, wirkten sie zugleich mittelbar für die Biologie, und zusehends mehrten sich die jungen Medi- ciner, welche von besonderem Interesse für die Biologie erfüllt und oft sogar geradezu zu biologischen Untersuchungen geführt waren. Es gab daher bald eine stattliche Zahl von Jüngeren in Berlin, die, um die Fahne der Biologie geschaart, mit einem geregelten Vereinsleben sich in ihren Bestrebungen fördern konnten. In dieser Richtung eine Entwickelung herbeizuführen, musste aber in den Wünschen der jungen Physiologen um so mehr liegen, als ihr bisheriger Zusammenhang einerseits durch die Lücken, welche die neuerlichen Be- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Munk. 161 rufungen gerissen hatten, gelockert, andererseits dadurch bedroht war, dass sie dem naturwissenschaftlichen Vereine der Studirenden entwachsen waren. Vorverhandlungen, die Rosenthal und ich führten, hatten guten Erfolg, und so kam es am 8. Juni 1859 zur Stiftung des Physiologischen Vereines. Das Protokoll der constituirenden Sitzung verzeichnet als Theilnehmer: Aeby, A. Eulenburg, B. Fränkel, Gusserow, L. Hermann, M. Herr- mann, C. Martin, Matzdorf, H. Munk, Rindfleisch, J. Rosenthal, W. Sander. Rosenthal, Assistent von du Bois-Reymond, wurde erster, v. Recklinghausen, Assistent von Virchow, zweiter Vorsitzender. „Biologie“ war damals ein wenig beliebtes Wort, und deshalb wurde der Name „Physiologischer Verein“ gewählt; aber die physiologischen Wissen- schaften im weitesten Sinne sollten gepflegt werden durch vierzehntägliche Sitzungen mit Vorträgen über neue eigene und fremde Arbeiten und durch Cireulation der Fachzeitschriften unter den Mitgliedern. Wie sehr der Verein dem Bedürfniss entsprach, lässt schon sein regel- mässiges Wachsthum trotz den kriegerischen Zeiten erkennen. Die Mit- gliederzahl nahm in den nächsten zehn Jahren von 20 auf 50 zu. Unter denen, die derzeit hinzutraten und durch Jahre dem Vereine angehörten, waren: Ph. Munk, Lücke, Lucae, Bernstein, Sklarek, Kühne, Klebs, Leyden, Westphal, Cohnheim, Hüter, Liebreich, Senator, Leber, Hirschberg, Nothnagel, Boll, Ponfick. Andere, wie Axel Key, OÖ. Nasse, Joh. Ranke, Gianuzzi, Preyer, Holmgren, Hayem, « Kronecker, Leube, schlossen sich dem Vereine für kürzere Zeit an, für die Dauer der Studien, die sie in Berlin betrieben. Bei allen den Genannten war es die Zeit der rüstigsten jugendlichen Schaffenskraft, oft mit echtem Idealismus verbunden, die dem Vereine zu gute kam; und man wird des- halb auch den Nutzen nicht gering veranschlagen dürfen, der hinwiederum dem Fortschritte der Wissenschaften aus dem Verkehre so vieler junger Talente erwuchs, wennschon der Verein als solcher nicht weiter nach aussen sich bemerklich machte, — man wusste nur, dass die Mitglieder für das medicinische Centralblatt, das L. Hermann seit 1863 herausgab, als Be- richterstatter thätig waren. Aber das Jugendliche der Gesellschaft brachte freilich auch den Nachtheil mit sich, dass, weil durch die Berufungen nach ausserhalb von Zeit zu Zeit gerade führende Elemente entzogen wurden, eine rechte Stetigkeit im Vereinsleben sich nicht herstelltee Und was noch schlimmer war, persönliche Differenzen und Eifersüchteleien, selbst solche unter den Alten ausserhalb des Vereines, schränkten, je länger, je mehr die Theilnahme am Vereine ein und schliesslich in dem Maasse, dass die Mitgliederzahl in den Jahren 1870 bis 1875 sogar auf 40 bis 35 zurückging. Ein zweiter Verein war indessen auf Anregung der Assistenten von Frerichs entstanden, mit anderem Namen, doch mit gleichem Zweck, höchstens dass das Medieinische etwas mehr in den Vordergrund gerückt war, der Verein für klinische Wissenschaften. An der nonden Sitzung vom 2. December 1867 nahmen Theil: Dönitz, Fritsch, Naunyn, H. Quincke, Rabl-Rückhard, L. Riess, W. Aug. Roth, J. Sander, Sehönborn, Schultzen, Trendelenburg. Naunyn, Assistent von Frerichs, wurde erster, Sander zweiter Vorsitzender. Später traten u. A. hinzu: Goltdammer, Filehne, Obermeier, Hitzig, Jaquet, F. A. Hoff- mann, H. Munk, v. Nencki, C. A. Ewald, Eichhorst, Gad, W.Koch, Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 11 162 VERHANDLUNGEN DER BERLINER v. Mering, Schede. Im Uebrigen mit dem Physiologischen Vereine in Kräften und Leistungen wetteifernd, hielt dieser Verein doch streng auf den engeren Zusammenhang aller seiner Mitglieder und ergänzte deshalb in der Regel nur die Verluste, die er durch die öfteren Berufungen nach ausserhalb in seinem Bestande erlitt; er ging über 20 bis 25 Mitglieder nicht hinaus. So lagen die Dinge 1875, als du Bois-Reymond, der auf Betreiben von Liebreich, dem bisherigen Vorsitzenden, jüngst in den Physiologischen Verein eingetreten und dessen Vorsitzender geworden war, und ich, zur Zeit Vorsitzender des Vereines für klinische Wissenschaften, in dem Plane zusammentrafen, eine Zusammenfassung der unnatürlich und zweckwidrig in den beiden Vereinen zersplitterten Kräfte herbeizuführen; es würde dann auch nicht daran fehlen, meinten wir, dass die noch abseits stehenden und insbesondere die älteren Gleichstrebenden sich anschlössen und damit Alle, die hier an den physiologischen Wissenschaften oder der Biologie ein be- sonderes Interesse hätten, in der wissenschaftlichen Gesellschaft zusammen- wirkten. Der Plan fand die Zustimmung der Vereine, so schwer es auch dem Klinischen Vereine wurde, die Vortheile seines kleineren Kreises auf- zugeben. Und so ging aus der Verschmelzung der beiden Vereine am 26. November 1875 unsere Physiologische Gesellschaft hervor. Die Statuten wurden mit einigen Abänderungen vom Physiologischen Vereine übernommen; du Bois-Reymond wurde erster, ich zweiter Vorsitzender. Der Lesezirkel wurde vervollkommnet. Der Druck der Verhandlungen wurde in Aussicht genommen und bald auch zur Ausführung gebracht. Ein reges wissenschaftliches Leben entfaltete sich in der jungen Ge- sellschaft, und wenn auch zu allererst die früheren Gegensätze nochmals aufeinanderstiessen, so blieb doch für die Folge vergessen, was vorher die Zusammengehörigen gespalten hatte. Die Zahl der Mitglieder nahm rasch zu, so dass sie sich im dritten Jahre auf über 100 verdoppelt hatte, und stieg bis 1886 auf über 130 an. Auch die Aelteren, wie H. Jacobson, Pringsheim, A. Krönig, Leyden, Schweigger, Helmholtz, Walden- burg, Gusserow, R. Koch, Waldeyer, Preyer waren hinzugetreten, und so umfasste die Gesellschaft in diesen Jahren nahezu Alle, die sie ver- einigen konnte, und fast das ganze productive Schaffen Berlins in der Bio- logie kam in den Vorträgen zur Kenntniss der Gesellschaft. Fernerhin ver- srösserte sich die Gesellschaft nicht weiter, obschon der wissenschaftliche Betrieb in Berlin noch mehr und mehr an Umfang gewann; die Mitglieder- zahl erhielt sich nur bis 1898 ungefähr auf ihrer Höhe und nahm in den letzten Jahren auf 118 ab. Naturgemäss erlitt die Gesellschaft durch Todes- fälle, Berufungen, Ortswechsel u. a. m. viele Verluste. Im ganzen gehörten ihr in den 25 Jahren um 270 Mitglieder an, und mehr als die Hälfte von diesen war für die Zwecke der Gesellschaft thätig. Ueber 1100 wissen- schaftliche Mittheilungen wurden der Gesellschaft gemacht, darunter eine Anzahl, die von Auswärtigen eingesandt oder zur Zeit ihrer Anwesenheit in Berlin vorgetragen wurde. Durch einundzwanzig Jahre bis an sein Lebensende blieb du Bois- Reymond auf grund immer wieder erneuter Wahl an der Spitze der Ge- sellschaft. Er war der natürliche Präsident durch Persönlichkeit und Ver- dienst. Die Zeit seines grössten wissenschaftlichen Wirkens, die Zeit, da er PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Munk. 163 die begabten Jünger der Physiologie, Einen nach dem Anderen, in sein Laboratorium anzog und durch sein Beispiel, durch seine Exactität, sein Geschick und seine Ausdauer in der experimentalen Bewältigung der Pro- bleme, zur Nacheiferung trieb, lag bei der Begründung der Gesellschaft schon hinter ihm. Aber von denen, die in der Gesellschaft versammelt waren, hatten die Allermeisten zu seinen Füssen dem beredten Munde ge- lauscht, der sie in das Verständniss des Lebens einführte, hatten Viele an seiner Methode des Forschens sich weiter herangebildet und waren Alle sich des Grossen bewusst, das er nicht bloss auf seinem engeren Arbeits- gebiete geschaffen, sondern auch, gewissermaassen Richtung gebend, für die gesammte Physiologie geleistet hatte. Seine erstaunliche Vielseitigkeit, sein die Naturwissenschaften umspannendes und noch weit darüber hinaus gehen- des Interesse, von dem seine reizvollen Reden alljährlich neues Zeugniss gaben, ermöglichte sein Verständniss und seine Theilnahme in den ver- schiedenen Wissensgebieten, auf welche die Thätigkeit der Gesellschaft sich erstreckte, bei den so mannigfaltigen, von der Bodencultur bis zur Immu- nität, von der Pflanzenreizbarkeit bis zur Geistesthätigkeit wechselnden Fragen, die in der Gesellschaft zur Besprechung kamen. Und andererseits wiederum sicherte seine strenge und scharfe Kritik, in der Regel schon bloss dadurch, dass er sie üben konnte, dass die Gesellschaft nicht unter krankhaften Auswüchsen litt, dass die Verhandlungen in den Grenzen echter Wissenschaft sich bewegten. Treue brachte aber auch du Bois-Reymond der Gesellschaft entgegen. Denn trotz seiner Ueberhäufung mit amtlichen Geschäften war er in den Sitzungen fast immer auf seinem Platze, und fast ängstlich war er bemüht, wenn er einmal fern bleiben musste, rechtzeitig für seine Vertretung zu sorgen. Seitdem sein neues grosses Institut her- gerichtet war, gewährte er überdies der Gesellschaft die wesentliche Unter- stützung, dass er für die Sitzungen und Demonstrationen die Räume und Mittel seines Institutes zur Verfügung stellte. Dankbar wird sich die Ge- sellschaft ihm immer verpflichtet fühlen, und mit Wehmuth erfüllt es uns, dass er heute nicht mehr unter uns weilt. Doch ich würde der Wahrheit in der Geschichte unserer Gesellschaft nicht gerecht werden, wenn ich nicht auch der Schattenseite dieses Präsi- diums gedächte Für du Bois-Reymond war mit den wissenschaftlichen Vorträgen und dem Lesezirkel allen Bedürfnissen der Gesellschaft genügt. Es war schon von vornherein schwer gewesen, ihm den Druck der Ver- handlungen abzuringen: die Drucklegung in Pünktlichkeit und äusserer Art, in Vollständigkeit und Selbständigkeit so auszugestalten, wie es den Inter- essen und dem Ansehen der Gesellschaft entsprach, dem widerstrebte er mit solcher Energie, dass man davon Abstand nehmen musste. Die Ver- bindung der Verhandlungen mit seinem Archive für Physiologie, wie sie einmal eingeführt war, mochte er nicht aufgehoben sehen, und die Gründung eines neuen Journales, wie er es nannte, war ihm ein schreck- licher Gedanke. Damit entfiel ein werthvolles Band, das ein bedeutsames Zusammenwirken nach aussen um eine grosse Gesellschaft schlingt. Aber auch zum Ersatze den inneren Zusammenhang der Gesellschaft zu fördern, war nicht du Bois-Reymond’s Sache. Wenn er, der den Werth der zwanglosen sogenannten Nachsitzungen nicht verkannte und vormals die Nachsitzungen der Physikalischen Gesellschaft bei Lutter und Wegener lat“ 164 VERHANDLUNGEN DER BERLINER oder im heutigen Rothen Hause mit seinen geistvollen Bemerkungen und seinen feinsinnigen Anregungen belebt hatte, jetzt von allen Nachsitzungen sich zurückhielt, so war dies aus seinem Alter und seiner Arbeitslast zu verstehen. Indess auch für die Feier des Stiftungsfestes, auf deren regel- mässige Wiederholung er bei der Physikalischen Gesellschaft hielt, war er bei unserer Gesellschaft nicht zu gewinnen, obwohl die einmalige derartige Feier im Jahre 1878 sich von Nutzen für die Gesellschaft erwiesen hatte. Selbst schon die Erledigung der geschäftlichen Erfordernisse des Vereins- lebens war ihm in den Sitzungen im grunde zuwider, und er liess sie dem Vorstande übertragen oder kürzte sie aufs äusserste ab. Einzig und allein auf seine Anwesenheit in den Sitzungen und auf die an die Vorträge ge- knüpften Diseussionen, die in den späteren Jahren noch recht eingeengt wurden, blieb seine Verbindung mit den Mitgliedern der Gesellschaft be- schränkt. Das Vorbild war maassgebend, ein angeregter und anregender geistiger Verkehr in der Gesellschaft blieb nicht für die Dauer bestehen, und daher musste es so kommen, dass die Gesellschaft nicht der Abbröcke- lung zu widerstehen vermochte, als der Fortschritt der in ihr vertretenen Diseiplinen zur Bildung neuer Vereine mit enger begrenzten Aufgaben Anlass gab. Die Verhandlungen unserer Gesellschaft in den fünfundzwanzig Jahren, so reichliche und werthvolle Beiträge sie auch zum Ausbau der physiolo- gischen Wissenschaften geliefert haben, gehen doch für die Geschichte dieser Wissenschaften im letzten Viertel des Jahrhunderts natürlich nicht über ein Bruchstück hinaus oder einen localen Ausschnitt, aus dem das Ganze nicht zu entnehmen ist. Man braucht nur kleinere Forschungsge- biete prüfend ins Auge zu fassen, um das eine und das andere in unseren Verhandlungen vernachlässigt zu finden oder sogar geradezu zu vermissen. Aber dank der ansehnlichen Gemeinde von Forschern, die mit den verschie- densten Neigungen und Bestrebungen sich hier in Berlin zusammenfanden, liefern die Verhandlungen trotzdem ein im grossen und ganzen zutreffendes Bild, wie in der Periode unsere Wissenschaften sich entwickelten, geben sie annähernd getreu die Richtungen und Maasse wieder, in welchen der Fort- schritt sich vollzog. Man sieht die physikalische Physiologie die beherrschende Stellung, die sie in der vorhergehenden Periode eingenommen hatte, verlieren und mehr in den Hintergrund treten. Die sie mit Meisterschaft zur Blüthe brachten, du Bois-Reymond, Helmholtz, Ludwig, hatten die schönsten Früchte gepflückt, Altersgenossen und Jüngere hatten mit Lese gehalten, und in der Lehre von den Sinnen, von Muskel und Nerv, von der Blut- und Lymph- bewegung, von der Seeretion und von der Wärme waren reiche Ernten ein- gebracht. Jetzt war die Zeit vorüber, da man, wie es Helmholtz einmal die Jüngeren tröstend sagte, bloss die Hand auszustrecken brauchte, um an jedem Finger ein wichtiges Problem mit der Aussicht auf Lösung zu haben, und auch die härteste Arbeit vermochte nur minderwerthigen Ertrag dem Boden abzuringen. Selbst auf dem Gebiete der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie, wo die lange erstrebten Schätze noch zu heben geblieben waren, musste vorerst der Muth sinken; denn das eifrige Mühen einer ganzen Generation hatte nicht nur nicht die Hoffnungen erfüllt, die sich an die bahnbrechenden Funde der thierischen Elektrieität geknüpft hatten, es hatte PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Mounk. 165 nicht einmal die Gewissheit gebracht, dass man sich wesentlich dem Ziele genähert hatte. Wie um einen Ausgleich zu schaffen, rückte dafür die chemische Phy- siologie vor. Ihre bisherigen, zwar langsameren, aber stetigen Fortschritte stellten weitere gute Erfolge in Aussicht und führten ihr eine Reihe talent- voller Kräfte zu. Nunmehr eiferte der organischen Chemie auf ihrer stolzen Höhe auch die mit ihr so eng verbundene physiologische Chemie nach, so dass in rascher Folge immer mehr und mehr Stoffe des Organismus in ihrer Natur und ihren Beziehungen die erwünschte Aufklärung fanden. Auf grund der neuen hier gemachten Funde wurden dann wiederum die Schicksale der Stoffe im Organismus selbst, ihr Aufbau und ihr Abbau verfolgt und die dabei so oft betheiligten Fermente eingehender studirt. Aber auch auf dem ganzen übrigen Gebiete des Stoffwechsels ging man mit immer besseren und strengeren Methoden prüfend und messend vor, und die überkommene Ein- sicht erfuhr, besonders bezüglich der Verdauung und der Ernährung, eine sehr beträchtliche Erweiterung und Vertiefung. Einen kräftigen Aufschwung nahm ferner die specielle Nervenphysiologie. Der operative Versuch oder die Vivisection, dieses auf einer gewissen Stufe der Forschung so oft unumgängliche und unter Umständen souveräne Hülfs- mittel, war in der Vorperiode gerade bei uns, in dem Lande, das die Führung in der Biologie hatte, verhältnissmässig vernachlässigt worden, nur wenig an niederen und fast gar nicht an höheren Säugethieren zur An- wendung gekommen. Die Schuld trug nicht oder jedenfalls nur zum Theil der Mangel an geeigneten Arbeitsstätten. Allerdings waren z. B. hier in Berlin um 1870 — man thut gut, die heutige verwöhnte Jugend daran zu erinnern — in dem damaligen einzigen physiologischen Laboratorium Ver- suche am Hunde verpönt, weil das Bellen im Universitätsgebäude Anstoss erregt hatte; doch liessen sich solche Versuche anderweitig und zur Noth sogar ausserhalb von Instituten anstellen, wie ja die berühmten Fritsch- Hitzig’schen Versuche in Hitzig’s Wohnräumen ausgeführt wurden. Viel- mehr war der hauptsächliche Grund, dass derzeit die allgemeine Muskel- und Nervenphysik und die Sinnesphysiologie, die ohne Vivisection auskommen konnten, maassgebend in der Forschung waren und deren exacten Versuchen gegenüber der operative Versuch eine niederere Schätzung erfuhr. Erst um den Beginn unserer Periode kam der operative Versuch wieder zur rechten Geltung, und die eifrige Pflege, welche er nunmehr fand, lohnten schönste Erfolge, zumal als das antiseptische, später aseptische Verfahren den Bereich, in welchem er Nutzen brachte, noch vergrösserte. Der chemi- schen Physiologie kam zu gute, dass für manche Wandlungen der Stoffe der Ort, an welchem sie sich im Thiere vollziehen, erkannt und von drüsigen Organen neue chemische Leistungen und engere Beziehungen zu einander aufgefunden wurden. Vornehmlich und ganz ausserordentlich bereichert aber wurde die Kenntniss von den Leistungen des Nervensystems und ins- besondere wiederum der Centralorgane von der Grosshirnrinde bis zur Cauda equina, da in dem anscheinend unergründlichen Gewirr von Fasern und Zellen die wichtigsten Bahnen und Stationen für Bewegen und Empfinden festgestellt und auch für niedere Vorgänge des Bewusstseins die Rinden- partieen, in denen sie zustandekommen, ermittelt wurden. Endlich die mikroskopische Biologie setzte ihren seit Schwann nicht 166 VERHANDLUNGEN DER BERLINER unterbrochenen Siegeszug fort, mit beschleunigten Schritten und trotz ihrer schon kaum zu übersehenden Breite noch immer weiter sich ausbreitend. Sollen wir einzelne der neuen Errungenschaften herausgreifen, so sei der uns am nächsten liegenden gedacht: der Zusammensetzung des Nervensystems aus Neuronen, die über den Verlauf der Erregung in den centralen Organen bedeutsame Aufschlüsse verspricht, und der mikroskopischen Verschiedenheit der Zellen in Abhängigkeit von Ruhe, Thätigkeit, Ermüdung, Ernährung u. s. w, worin das Mühen und Trachten der Neuzeit, die Vorgänge im Innern der Zelle aufzuhellen, eine glücklich erklommene Stufe erkennen darf. Mit denselben Hülfsmitteln, den vervollkommneten Mikroskopen und der Zufuhr von Farbstoffen, wurde aber auch noch die Welt der pathogenen Mikroben erschlossen, deren weitere Verfolgung dann den heutigen Wissens- schatz der Bakteriologie erwerben liess. Unsere Verhandlungen lehren, wie rasch die Dinge sich entwickelten. 1878 unterrichtete Fritsch die Gesellschaft vom Nutzen des Abb&’schen Beleuchtungsapparates und be- sprach im Anschluss daran, autorisirt und mit Präparaten versehen von R. Koch, dessen Fortschritte bezüglich des Nachweises der pathogenen Bakterien in den Geweben. 1882 hielt R. Koch seinen denkwürdigen Vor- trag über die Tuberkelbacillen. Ueber die Typhusbacillen und die Pneu- moniekokken machte um die Zeit C. Friedländer Mittheilungen. 1893 behandelte Behring die Immunisirung und Heilung bei Tetanus und Diph- therie. 1898 legte Ehrlich seine, wenn man will, kühnen, doch heuristisch fruchtbaren Hypothesen über die Constitution des Diphtherie- und Tetanus- giftes dar. Schwerlich lässt sich nach alledem anderes sagen, als dass die Periode, mit der unsere Gesellschaft verknüpft ist, der Vorperiode rühmlich nach- gestrebt hat. Hinterlässt sie in der Geschichte der. Biologie nicht eine so tiefe Spur, weist sie nicht so weithin glänzende Namen, nicht Einzel- leistungen von so grosser wissenschaftlicher Tragweite auf, so hat sich nur wieder bewährt, dass grundsätzlich der Fortschritt einen immer kleineren Theil des Ganzen als Arbeitsfeld dem Einzelnen zuweist und die Genialität, die soleher Einschränkung nicht unterliegt, weder gleichmässig über die Generationen vertheilt ist, noch gleichermaassen in jeder Generation die günstigen Bedingungen, sich zu bethätigen, findet. In der Vermehrung des Wissens hat die Periode jedenfalls das Ihrige gethan; und wenn sie weniger das Verständniss des Lebens vertiefte, so hat sie um so mehr die Kenntniss des Lebens verbreitert. Gerade also soweit die Physiologie die grundlegende Wissenschaft für die Mediein abgiebt, ist sie mit den Erfolgen nicht zurück- geblieben: und doch haben, wie man es nicht hätte erwarten mögen, die Verhältnisse eine Wendung genommen, entgegengesetzt derjenigen, welche vormals zum Entstehen unserer Gesellschaft führte. Zu den Fortschritten der Periode, die wir vorhin betrachteten, hat wesentlich mit beigetragen die Mediein, nicht bloss durch die zahlreichen Arbeitskräfte, die sie für die biologischen Untersuchungen stellte, sondern auch indem sie mit ihren reichen Erfahrungen an den Kranken viele von der Natur dargebotene Versuche, nicht selten Versuche von unnachahmbarer Feinheit, zur wissenschaftlichen Verwerthung brachte. Doch noch mehr empfing sie von der Biologie, als sie ihr gab; und da sie zugleich mit dm geklärten frischen Blicke und dem durch den Erfolg gehobenen Muthe PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN NMunk. 167 allerorten noch vieles andere erwarb, das ihren besonderen Interessen entsprach, an Beobachtungen wie an technischen Methoden und Mitteln, wuchs ihr Besitzstand gewaltig an. Aus ihren anfänglichen wenigen Zweigen ging eine ganze Reihe von Disciplinen hervor, eine jede bis zu dem Grade erstarkt, dass sich zu ihrer besonderen Pflege eine wissenschaft- liche Vereinigung bilden konnte. So traten hier bei uns zu der medi- einischen, der Hufeland’schen und der gynäkologischen Gesellschaft noch die Gesellschaften für innere Mediein, für Chirurgie, für Neurologie und Psychiatrie, für Laryngologie, für Ophthalmologie u. s. w. hinzu. In dem Maasse aber, wie diese Specialisirung vor sich ging, veränderte sich auch die Stellung der Mediein zu unserer Gesellschaft. Mit der Stiftung des Physiologischen Vereines hatten Physiologie und Mediein die engste Ver- bindung gesucht, mit der Stiftung der Physiologischen Gesellschaft hatten sie die Verbindung festzuhalten gestrebt, und nun hat sich seit etwa einem Jahrzehnt die Mediein von der Thätigkeit in der Gesellschaft zurückgezogen, allmählich mehr und mehr, so dass sie jetzt so gut wie verschwunden aus der Gesellschaft ist. Wollte man dafür lediglich die neuen Gesellschaften verantwortlich machen, man würde sich ebenso einer Täuschung hingeben, wie wenn man es bloss einem gelegentlich überschäumenden Selbstbewusst- sein zuschreiben wollte, dass von angesehenen ärztlichen Seiten Aeusserungen fielen, wie dass die Mediein sich jetzt ihre Physiologie selber mache oder dass die physiologische Periode der Medicin vorüber sei. Vielmehr ist nur dort auf die eine, hier auf die andere Weise zum Ausdruck gekommen, was gar nicht zu verkennen ist, dass die frühere Verbindung der Mediein mit der Physiologie sich neuerdings gelockert hat. Natürlich kann ich damit nicht die innere, im Wesen der Dinge be- gründete Verbindung meinen. Da die Krankheit nichts ist als eine Ab- weichung von den normalen Vorgängen, so kann von einer physiologischen Periode der Mediein, die jetzt überwunden sei, nicht ernstlich die Rede sein, so muss wohl die Physiologie immer die wissenschaftliche Grundlage für die Medicin bleiben. Es ist ja auch der Physiologe, wenn er, um in die normalen Vorgänge Einsicht zu erlangen, Abnormitäten herbeiführt und da- nach die Restitution erstrebt, zugleich Pathologe und Therapeut; und der Mediciner, der eine Krankheit aufhellen und heilen lernen will, kann wissen- schaftlich nur ebenso vorgehen, kann nur dasselbe von einem anderen Stand- punkte aus thun. Höchstens lässt sich daher in Rücksicht auf die Mediein die Physiologie im weitesten Sinne in Diseiplinen gliedern wie reine und angewandte oder wie normale, pathologische und therapeutische Physiologie. Sondern die Verbindung der Mediein mit der Physiologie hat sich äusser- lich gelockert, und zwar dadurch, dass die Physiologie, wie sie langsam Stein auf Stein fügend baut und den Bau nicht weiter ausdehnt, als sie festen Grund gewinnt, die Anforderungen der Mediein nicht mehr, wie früher, erfüllt. Die Mediein hat in der Zeit, seit sie sich den Natur- wissenschaften anschloss, die bis dahin lange aufgesammelten und auch die inzwischen ferner erworbenen Schätze der Physiologie ihren Zwecken dienstbar gemacht und sieht sich am Krankenbett doch noch vor Auf- gaben gestellt, die sie auf grund der zeitigen physiologischen Einsicht nicht lösen kann, und die sie doch lösen soll und will. Für diesen Mehr- bedarf ist sie daran gegangen, „selber sich ihre Physiologie zu machen“, 168 VERHANDLUNGEN DER BERLINER das will sagen: durch eigenes physiologisches Thun sich fortzuhelfen. So hat die Mediein das Gefühl der Selbständigkeit gegenüber der Physiologie gewonnen und das Bedürfniss verloren, mit dieser in der alten Ver- bindung zu bleiben. Wer hierin nur nothwendige Folgen des Fortschrittes der Mediein sieht und Vortheile für diese wie für die Physiologie erkennt, muss der Thätigkeit und dem Wirken unserer Gesellschaft fortan engere Grenzen als ehedem stecken. Man könnte aber noch weiter gehen. Wie der Besitz- stand der Physiologie fortgesetzt in allen Arbeitsrichtungen sich vergrössert, mag man voraussehen wollen, dass bald auch für die physikalische Physio- logie, die chemische Physiologie, die mikroskopische Physiologie das Be- dürfniss nach einer Pflege in besonderen Vereinen sich herausstellen wird. Dann, könnte man meinen, würde unsere Gesellschaft, nachdem sie mit ihren Vorläufern durch ein halbes Jahrhundert ihren Zweck erfüllt, über- haupt allen den medieinischen und physiologischen Sondergesellschaften den Platz zu räumen haben. Ich glaube an eine solche Zukunft unserer Gesell- schaft nicht und halte schon das gegenwärtige Abseitsstehen der Mediein nur für eine unnatürliche und vorübergehende Erscheinung. Ich sehe im Gegentheil, je mehr die zusammengehörigen Theile auseinanderstreben, desto mehr unsere Gesellschaft an Bedeutung wachsen. Wie nicht genug betont werden kann, weil es so oft vergessen wird, sind die physikalische Physiologie, die mikroskopische Physiologie u. s. w. nicht wirkliche Theile der Physiologie, sondern verfolgen nur die physiolo- gischen Vorgänge von verschiedenen Gesichtspunkten aus und mit verschie- denen Hülfsmitteln; und erst aus dem, was sie alle zusammen ergeben, resultiren die vollständige Kenntniss und das Verständniss der Vorgänge. Es lässt sich daher nur du Bois-Reymond beipflichten, der sich bei der Eröffnung seines neuen Institutes gegen die Spaltung der Physiologie im grundlegenden Lehrvortrage ausgesprochen und es für nothwendig erklärt hat, dass eine die Gesammtheit der Physiologie umfassende Darstellung dem Anfänger ein zusammenhängendes Bild der thierischen Maschine, des Inein- andergreifens und der vergleichsweisen Würde ihrer mannigfachen Ver- richtungen aufrolle.e Anders würde ein solches Bild, auf dessen Erwerb es immer vor allem ankommt, schwerlich überhaupt erfasst werden können. Aber ist es schon erfasst, so droht wiederum, wenn in der Folge, wohin die Zeit drängt, das Beherrschen eines Zweiges der Physiologie oder der Medicin den Mann, der erfolgreich schaffen will, ganz in Anspruch nimmt, die Ge- fahr, dass das Bild allmählich verblasst und unzutreffend oder sogar un- richtig wird infolge der Fortschritte, welche nebenher die anderen Zweige machten. Durch Erfolge, die für das Sonderfach allein von Bedeutung sind, würde alsdann die Verkümmerung, welche die Einseitigkeit mit sich brachte, wohl verdeckt bleiben können, im übrigen aber würde sie hervortreten in in der unzutreffenden Beurtheilung des Gefundenen, wie besonders in der Inangriffnahme unrichtiger oder unnützer Probleme; und unter der schlechten Ausnutzung und der Vergeudung der Arbeitskräfte müsste der Fortschritt der Wissenschaft bedauerlich leiden. Da liefert das wirksame Gegenmittel unsere Gesellschaft. Indem in ihr Thätigkeit und Erwerb der verschiedenen Arbeitsrichtungen, wie die Erfahrung gelehrt hat, in fast regelmässigem Wechsel zur Darlegung kommen, wird immer von neuem der Blick vom PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN Munk. 169 Sonderfache ab auf das Ganze gelenkt, bleibt die Uebersicht über das Ganze für die Dauer erhalten, wird die richtige Schätzung der eigenen Leistung in ihrer Beziehung zum Ganzen gesichert und durch den andersartigen Erwerb das eigene Thun gefördert und befruchtet. Welchen Nutzen bringt z. B. schon das allein, dass die Erfahrungen des Laboratoriums am Kranken- bett erhärtet und verwerthet werden und die Erfahrungen am Krankenbett als Anregungen zu den Versuchen des Laboratoriums dienen! Ein anderes kommt aber noch hinzu. Weil die wissenschaftliche Be- trachtung sich an das Allgemeine hält, während die praktische Anwendung immer auf das Besondere geht, kann die Mediein oft schon dort, wo es im übrigen an Erfahrungen für die Beurtheilung des vorliegenden Falles nicht fehlt, der Hypothese in Bezug auf die Individualität des Falles nicht ent- behren. Immer und in erhöhtem Maasse bedarf sie der Hypothesen, wo die Erfahrungen nicht ausreichend sind, und sie kann sogar unter Umständen so gut wie ganz auf Hypothesen angewiesen sein. Sie muss die Hypothesen machen, so wenig sie sich auch begründen lassen mögen, weil sie handeln muss, und sie vermag in vielen Fällen sich gar nicht dessen zu vergewissern, ob die Hypothesen richtig waren oder nicht. So zu speculiren gewohnt, verfällt die Mediein nicht selten in den Fehler, die Speeulation auch dort hineinzutragen, wo sie wissenschaftlich untersuchen will, indem sie die Probleme oberflächlich behandelt, mit einer unzureichenden thatsächlichen Bewährung der Annahmen sich zufrieden giebt, über widersprechende Er- fahrungen sich hinwegsetzt und leichtfertig die Schlüsse zieht, alles um so mehr, je besser das Ergebniss dem Glauben, der gerade zur Zeit in ihr herrschend ist, entspricht. Und unter diesem Einflusse der Mediein hat die Speculation auch noch weiter in die Physiologie Eingang gefunden, auf den Arbeitsgebieten, in welchen durch die Natur der Forschungsobjecte die Exactität der Untersuchung besonders erschwert ist. Was der Speculation hemmend entgegentrat, hat aber zugleich an Kraft verloren: die scharfe, ja hasserfüllte Kritik, mit der man früher die Speculation verfolgte, hat nachgelassen; die strenge Schulung durch die physiologische Chemie und vollends die physiologische Physik ist verhältnissmässig seltener geworden; von dem Studium der älteren klassischen Untersuchungen, um von den Meistern die Methode zu lernen, ist unter der Hast des Schaffens und der Ueberfülle der neuen, ich möchte sagen, der Tageslitteratur wenig die Rede mehr. Da ist gegen das Wuchern der Speculation zu hülfreicher Mitarbeit berufen unsere Gesellschaft. Wenn die Vertreter aller Richtungen der Physiologie und der Mediein in gemeinschaftlicher Tagung über ihre Arbeiten berichten, verfehlt die strenge Methodik nicht, eindringlich als Vorbild zu wirken, und unterdrückt damit die Speculation, die ihre Schwäche erkennt; und wo doch die Speculation in Unbefangenheit hervortritt, wird sie durch die belehrende Kritik der Discussion unschädlich ge- macht. Nur muss dafür der Discussion sowohl der nöthige Spielraum ge- währt werden, wie die reine Wissenschaftlichkeit erhalten bleiben; und für letzteres haben unsere Satzungen weise vorgesorgt, da sie den Druck der Discussion untersagen und den Ertrag der Discussion zum Eigenthum des Vortragenden machen. Unter der Entwickelung, welche Physiologie und Mediein genommen haben, sind also die Aufgaben unserer Gesellschaft nur noch grösser und 170 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wichtiger geworden: sie hat nicht bloss den wissenschaftlichen Verkehr der Mitglieder zu fördern, sondern den Zusammenhang der verschiedenen Arbeits- richtungen der Physiologie und wiederum der Physiologie und der Mediein wahren und die echte wissenschaftliche Methode hüten zu helfen. Es ist deshalb nicht zu viel gesagt, wenn man unsere Gesellschaft als ein noth- wendiges Glied im wissenschaftlichen Betriebe Berlins hinstellt. Wie sie durch ein Vierteljahrhundert nützlich gewirkt hat, so wird sie auch in der Folge ihre Aufgaben erfüllen. Geben wir ihr dazu heute unsere Wünsche mit auf den Weg: vivat, crescat, floreat. Skizze über die Einordnung des menschlichen Darmes. Der Berliner physiologischen Gesellschaft zu ihrem 25jährigen Stiftungsfest überreicht von Wilhelm Koch. Wofern man grössere Reihen untersucht haben wird, werden sich folgende Aufstellungen des Darmes neugeborener und erwachsener ergeben:! 1. Unter dem etwa lothrechten Magen kehrt sich, mit der hinteren Leibeswand noch nicht verwachsen, der Zwölffingerdarm rechts. Dann folst, sehr selten gewunden, eher in Schlingen noch nicht Henke’scher Ordnung, der Dünndarm; hinter diesem der erst zweischenklige, bez. einschenklig ge- knickte Diekdarm. Dessen Knickungsstelle, die Urflexur, hält mit dem grösseren Theile des Descendens links von der Aortenlinie, in Folge dessen die Haftlinie des Dünndarmgekröses zwischen Duodenum und Urflexur (primäre Radix, Klaatsch) quer oder mindestens schräg nach links unten sich richtet. Die Haftlinie des Mesodescendens entspricht trotzdem grössten- theils der Aortenlinie ebenso, wie jene des Magens bis zum Jejunum hinunter. 2. Der Magen steht schräg oder quer, und der Dünndarm bildet zahl- reiche Schlingen unbekannter Einordnung; der Dickdarm aber hat sich über die dem Uhrzeiger entgegen gedrehte Radix und zwar so hinübergeschlagen, dass die Urflexur der linken Gekrösplatte des Duodenum aufsitzt (Lig. colico- duodenale). Von der Verwachsungsstelle, der rechten Flexur, zieht, ein- gefügt in den rechten Rand des freien Dünndarmgekröses, also selbst frei, das Caecumascendens nach rechts unten, erreicht aber die Niere nicht, sondern gewöhnlich nur die Bauchwand zu Seiten des Nabels. Links vom Duodenum entwickelt sich im flachen Bogen nach unten das noch einheitliche Colo- rectum (Klaatsch) freien Gekröses. 3. Magen und Dünndarm, weniger das noch grosse Duodenum, haben ihre Durchschnittsgestalt und -stellung erreicht; ausser mit dem Meso- duodenum ist die rechte Flexur, von welcher eine unten convexe Schlinge ausgeht, mit dem pylorischen Abschnitt des grossen Netzes, vor allem aber das Colorectum, in Folge Emporsteigens zur Milz, mit der linken Seite der grossen Magencurve bandartig verwachsen. So sonderte sich hier, ent- ' Arbeiten der chirurgischen Univ.- Klinik Dorpat. Heft 2, 3, 4 ff. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — WILHELM Koch. 171 sprechend der linken, lienalen, Flexur und entsprechend dem Lig. pleuro- eolicum und colico-lienale, Abkömmlingen des Lig. recto-lienale, das Colo- rectum in das Transversum und Descendens. 4. Anscheinend besteht Situs 3 zu Recht; doch erreichte das Caecum- ascendens den Anschluss ausser an’s Duodenum, auch an das Lig. cavo- duodenale, an letzteres weit unterhalb des For. Winslovii. Dem zu Folge zieht es vom Duodenum längs der hinteren Leibeswand bis etwa auf den unteren Theil der rechten Niere hinüber, so dass vom freien, Dünn- und auf- steigendem Dickdarm gemeinsamen Gekröse weiter keine Rede sein kann. Die lienale Flexur hingegen näherte sich der Milz noch weiter; die Niere der Milz. 5. Die rechte Flexur geht im Niveau des For. Winslovii und der Gallen- blase zur unteren Leberfläche, selbst an die äussere Leberkante, wobei sie also mit der Wurzel des Lig. hepato-gastro-duodenale verwachsen musste. Das Ascendens hingegen steht, unbeschadet Schlingen oder Biegungen, loth- recht; das Caecum durchschnittlich auf der Darmschaufel oder noch tiefer. Beide sind an die hintere Bauchwand, oder, was dasselbe ist, an das bis in die Vaginalfortsätze sich hineinerstreckende Lig. cavo-duodenale meistens kurzflächenhaft gebunden. Descendens und linke Flexur, welch’ letztere hart an die Milz herangerückt ist, halten aussen von der linken Niere; ein freies Meso descendens existirt durchschnittlich ebenso wenig, wie ein sewundenes oder schlingenbesetztes Descendens. Für meinen Gedankengang wichtig ist dann die Kenntniss der ver- schiedenen Phasen, welche der menschliche Darm zur Zeit der Entwickelung durchläuft. Klaatsch knüpft, die erste Periode dieser Entwickelung abzu- schliessen, an die Phase der Nabelschleife (1a) zwei weitere, auf etwa 3 und 5% lange Embryonen sich beziehende Phasen: die Phase 2a, gelegentlich deren die Kniekungsstelle des Diekdarmes mit dem Duodenum oder auch noch mit dem Pylorusnetz sich bindet, die schräg nach links oben gerichtete Radix überlagert und vor, bezw. über dem Dünndarm, im frei beweglichen rechten Rande des Gekröses nach rechts unten das Caecumascendens, im Bogen nach links unten aber das Coloreetum freien Gekröses entwickelt, dann die Phase 3a; ausgezeichnet dadurch, dass bei etwa gleichen Verhältnissen der rechten Flexur, das Colorectum, entsprechend der linken Flexur und unter Bildung des Lig. pleurocolicum und colicolienale, mit dem Netz der linken Kante der grossen Magencurve zusammenfliesst. Der Dünndarm rückt in die Henke’schen Stellungen. Diese erste Periode dauert etwa drei Monate. Es schliesst an sie: die zweite 4a, in deren Verlauf das Caecumascendens nicht nur weiter nach rechts sich vorschiebt, also das sich inzwischen verkleinernde Duode- num ganz bedeckt, sondern auch aus diesem Bereich in jenen des Lig. cavo- duodenale und zwar unterhalb des For. Winslovii hinübergreift. Ebenso heben sich lienale Flexur und Descendens weiter nach oben-aussen. Während der letzten Entwicklungsperiode 5a aber gewinnen rechte Flexur, auf- und absteigender Diekdarm die Beziehungen des Situs 5. Wie bisher muss ich Klaatsch darin folgen, dass, in Bestätigung des biogenetischen Gesetzes, die einzelnen, vorübergehenden Entwickelungsphasen 02 VERHANDLUNGEN DER BERLINER des menschlichen Darmes mit dauernden Aufstellungen des thierischen Darmes sich vergleichen lassen. Nur die Hauptpunkte berücksichtigt, ähnelt der Darm der Nabelschleife 1a ganz ungefähr jenem unterster Säuger, z. B. der Echidnagruppe der Monotremen, mehr vielleicht jenem ausgestor- bener Ursäuger (1A), der Darm der Phase 2a jenem der Carnivorem, Beutler und Nager; wenn Verbindungen auch zum Pylorus hinübergehen, jenem der Prosimier (2 A), der Darm der Phase 3a jenem gewisser Primaten, vor allem der Platyrrhinengruppe, wie sie z. B. in Cebus repräsentirt wird (3A), der Darm der Phase 4a jenem einer Catarrhinenart, dem anthropo- morphen Hylobates (4 A), der Darm der Phase 5a dem der übrigen Anthropomorphen. Der Darm der Gruppen 1bis 5, also eben geborener oder er- wachsener, stimmt in vielem mit den entwickelungsgesechicht- lichen Phasen 1a bis 5a unverkennbar überein; letztere lassen sich mit dem Darm bestimmter Mammalien (1A bis 5A) ver- gleichen; also ist unabweislich, auch den Darm eben geborener oder erwachsener auf jenen der Mammalien zu beziehen. Was bisher zum grösseren Theil (1 bis 4) als pathologisch, Teratom, Darmanomalie, Vitium primae Formationis oder Hemmung ging, fällt unter den Begriff der Thierähnlichkeit.! 1 bs 5=1a bis 5a= 1A bis 5A; also 1 bs 5=1A bis 5A. Doch scheinen mir hier einige Ergänzungen am Platze zu sein. Stellt man den Darm der ausgetragenen Frucht einem embryonalen gegenüber, so decken sich beide oft genug ausser in Haupt- auch in Nebensachen, derartig z. B., dass ein neugeborener, welcher trotz guter Ausbildung den Darm nur eben des Nabelschleifenstadiums entwickelt hat, diesem Stadium entsprechende Querschnitte des Darmes, also einen verhältnissmässig engen Dickdarm zeigt. Andere Male ist trotz sonst gleicher Verhältnisse der Diekdarm sackartig weit, oder sogar mit Haustren und Tänien wie zur Zeit der letzten E-Periode besetzt. Und findet sich bei erwachsenen einmal der Situs des Cebus, so pflegt auch der aufsteigende Dickdarm nach rechts unten sich zu richten. Ausnahmsweise ereignet sich das Gegentheil; trotz des Cebus- typus geht das Ascendens nach links hinüber; oder es schlängelt sich, besetzt sich mit theilweise spiralen Divertikeln und wandert selbst in Bruchsäcke ein. Man meint offenbar ziemlich das gleiche, wenn man hier statt vom Durch- einander der einzelnen Entwickelungsstadien von reicheren thierischen Wieder- holungen spricht, z. B. von Anlehnung auch an Arctopitheten und Catarrhinen statt allein an Prosimier im Falle umfänglicheren Diekdarmes; dass solche Beziehungen aber unter Umständen von weit hergeholt werden, lehrt z. B. das doppelte repetilienähnliche Caecum inmitten des Situs der Carnivoren u. s. w., das strichweise doppelte Diekdarmrohr inmitten des Situs der Anthro- pomorphen, die ebenso vertebratenähnliche strichweise Enge des Darmes gelegentlich des Prosimierbildes u. v.a.m. Ich kann, Raummangels wegen, bezüglich des Dünndarmes, des Duodenum, der Milz, Niere, Leber und vor ! Ich sage absichtlich nur Thierähnlichkeit und nicht Vererbung thierischer Ein- richtungen, also nicht Atavismus u.a. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — WILHELM Koch. 173 allem des Gekröses ähnliches hier nicht ausführen, bemerke aber noch, dass, wenn die Darstellung der Embryologen diese grössere Mannigfaltigkeit des teratologischen Materiales vermissen lässt, es nur auf die kleineren Zahlen zu beziehen ist, mit welchen die Embryologen bisher arbeiteten. Diese stützten sich doch immer nur auf winzige Reihen, während das teratologische Material als Rückstand der gesammten Secirpraxis zu betrachten ist, noch reichlicher uns zufliessen würde, wäre es nicht auch der Verborgenheit der Sammlungen anheim gegeben. Wissenschaft und Schule erklären als normalen, allein beachtenswerthen Situs, welchem durchschnittlich gleichgültige Anomalien gegenüberzustellen sind, einen einzigen, den Situs 5. Ich gebe dieses allenfalls bezüglich seiner Häufigkeit zu, bemerke aber auf Grund eigener Umschau, dass auch Situs 4 so gar selten nicht ist, vielmehr zusammen mit Situs 1, 2, 3 wie folgt in Zahlen sich darstellt; in Zahlen, welche das Verhältniss allerdings nur un- gefähr, noch nicht absolut richtig ausdrücken. Von 25000 Seecirten tragen den Situs 4 etwa 8000, den Situs 5 etwa 16700; 300 Fälle müssen, bis auf den später zu deutenden Rest von 25 oder 30, auf Situs 1 bis 3 bezogen werden. Wenn ich die absolute Grösse und Functionelles ausser Acht lasse, schliesst also die Entwickelung des Darmes nicht jedes Mal mit dem 9. Monat oder gar später, postembryonal ab; sie vollendet sich oft im 5. und 6. Monat, allerdings unendlich seltener schon im 3., selbst 2. Monat. Jedoch ist das Wort normal zu beanstanden, wenn es, wie thatsächlich verlangt wird, ausdrücken soll, dass Situs 5 der zufälligen individuellen Schwankungen entbehrt, am besten functionirt und widersteht, namentlich ätiologisch ganz besonderes vorstellt, in die Erscheinung nur tritt, wenn die entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge am Darm ungestört und harmonisch ablaufen. Mit dem Zufall weiss ich nichts anzufangen; individuelle Schwan- kungen, Einzelheiten, welche in den Situs nicht hineingehören, finden sich bei der 5 Gruppe ebenso wie bei den ersten 4 Gruppen, und functionirt 5 gut, so soll das Gegentheil über 1 bis 4 erst noch bewiesen werden. Pure Annahme aber ist die Behauptung von der häufigeren Erkrankung des Darmes 1 bis 4, vor allem von der wieder eigenartigen Entstehung des Darmes 1 bis 4; — so sicher wie den Situs 5 leisten auch den Situs 1 bis 4 ganz die gleichen entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge, Vorgänge, welchen z. B. besonderes mechanisches oder patholologisches ebenso wenig gelegent- lich des Situs 1 bis 4, wie gelegentlich des Situs 5 sich beimengt, welch’ letzteres, zum Schaden der Sache, Kliniker und Anatomen in gleicher Weise annehmen. Jede der 5 Gruppen ist zunächst und an sich normal und vernünftig, wenn auch verschieden häufig. Wie wir uns also drehen und wenden, es giebt mehr als einen Situs. Der menschliche Darm entwickelt sich, gleich dem thierischen, zu Gruppen, Kategorien. Scheint mir diese Ueberlegung Kraft des Gesetzes zu haben, so dürfte sie, wie auf die thierischen Systeme, so auf die übrige Körperwelt sich anwenden lassen. Das nun letzte erweitert vorstehendes, wirft es nicht um. Der Denker J. F. Meckel hat gelegentlich besonders gestalteter und gelagerter mensch- licher Därme an Tracheaten, selbst Polypen und Würmer erinnert. Es soll 174 VERHANDLUNGEN DER BERLINER also der Vergleich auf die Mammalien nicht sich beschränken, da der mensch- liche Darm in der That auch im Bilde der Prämammalien erscheint — Magen, Dünndarm, Diekdarm unter einander am Aortengekröse, auffällig häufig im Verein mit dauernder Cloake, Blasenspalte u.s. w. Ist aber schon dieses selten, so ist noch seltener das Bild etwa des Situs inversus, oder gar des segmentirten bez. nur aus einem Flechtwerk bestehenden Darmes.. Und lohnt es, bei dem augenblicklichen Stand der Frage überhaupt an Zahlen zu denken, so würde ich sagen, unser Rest von 25 oder 30 beziehe sich zum allergrössten Theil auf den Vertebratendarm. Noch niedrigere Zustände sind also rarissimae aves. IV. Sitzung am 7. December 1900. 1. Hr. A. Loewy (zugleich für Hrn. Doe. Dr. MünzEr-Prag): „Bei- träge zur Lehre von der Säurevergiftung.“ Bekanntlich tritt bei Planzenfressern nach Zufuhr grösserer Säuremengen der Tod ein. Er wird im Allgemeinen auf Veränderungen des Blutes be- zogen, die in einer Unfähigkeit desselben, Kohlensäure aufzunehmen, gipfeln sollen, wofür als Beweis der geringe Kohlensäuregehalt des Blutes, säurever- gifteter Thiere betrachtet wird. Die Versuche von Loewy und Münzer zeigen nun, dass zwar die Bindungsfähigkeit des Blutes säurevergifteter Thiere für Kohlensäure herabgesetzt ist, was bisher nicht streng bewiesen war, dass jedoch selbst bei Thieren, die sich schon in extremis befanden, das Blut noch sehr wohl im Stande war, erhebliche Quantitäten Kohlen- säure zu binden, also noch dazu dienen konnte, sie aus den Geweben fortzuschaffen, und dies bei Kohlensäurespannungen, die im Organismus vor- kommen können, ohne schädigend auf ihn zu wirken. Der Tod dieser Thiere kann aus den Veränderungen des Blutes allein nicht erklärt werden, muss vielmehr auf eine durch die eingeführte Säure herbeigeführte Schädigung der Gewebselemente bezogen werden. Ebenso wie die zu den Versuchen benutzte Mineralsäure (Salzsäure), verhielt sich der Phosphor. — Die ausführ- liche Publication ist in diesem Archiv, 1901, Physiol. Abthlg, S. 81 erfolgt. 2. Hr. H. Vırcnow: „Ueber das Skelet eines wohlgebildeten Fusses.“ Das Thema meines Vortrages lautet nicht: über das Skelet des Fusses, auch nicht: über das Skelet des wohlgebildeten Fusses, sondern: über das Skelet eines wohlgebildeten Fusses, oder genauer ausgedrückt: über das mit Hülfe des Gefrier-Skelet- Verfahrens zusammengesetzte Skelet eines wohlgebildeten Fusses. Der Gypsabguss des noch mit Haut bekleideten Fusses steht zum Vergleiche daneben. Es ist der Fuss einer 40 jährigen Frau. Diese Form der Ankündigung soll nicht etwa darauf vorbereiten, dass ich das Verfahren der casuistischen Beiträge, an welche wir durch die Kkli- nischen Zeitschriften gewöhnt sind, auch auf die Anatomie übertragen will; wohl aber will ich betonen, dass wir bei manchen Skeletfragen zur casu- istischen Untersuchung, d. h. zur genauen Analyse des Einzelfalles gezwungen sind, wozu aber als selbstverständlich gehört, dass wir über Methoden ver- fügen, die eine solche Analyse ermöglichen, wie hier die Gefrier-Skelet- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. LokwY. — H. VırcHow. 175 Methode. Natürlich müssen wir dann auch die Fehler und Zufälligkeiten des Einzelfalles mit in Kauf nehmen; und in dieser Hinsicht muss ich aus- drücklich hervorheben, dass dieser Fuss, obwohl er jetzt vor dem Beschauer dasteht, doch kein „stehender“ Fuss ist, auch nicht ein unbelastet stehender. Vielmehr enthält er, da er von der liegenden Leiche genommen wurde, Momente des freigehaltenen oder erhobenen Fusses. Demgemäss bietet er nicht viele Anhaltspunkte, um über die Statik des Fusses zu sprechen, aber das Wenige, was ich sagen will, und zwar über Lage und Gestalt des II., Ill. und IV. Metatarsale, hat doch immerhin Bedeutung auch für die sta- tischen Theorien. Zuvor sei jedoch angegeben, was mich zur Aufstellung dieses Fuss- skelettes bestimmt hat, und was mich zu dieser Mittheilung veranlasst. Fig. 1. Das Skelet des Fusses von der lateralen Seite. Unter Tuber calcanei und Capitulum metatarsalis V sind Wachskügelchen untergelegt, um die Knochen besser sichtbar werden zu lassen. Die Sesambeine der Artie. meta- tarso-phalangea I sind nach einem durch Formalin fixirten Präparat angefügt; der Abstand der Sesambeine vom Köpfchen des I. Metatarsale ist zu 1-5 m= angenommen, da an dem genannten Präparat der Knorpelüberzug des medialen Sesambeines und des Köpfchens je 0-75 "= maass. An der vorderen unteren Ecke des Calcaneus ist beim Schaben ein Stück abgebröckelt. Dem Fuss und seiner Statik gegenüber befinden wir uns in einer miss- lichen Lage wegen zweier Mängel, von denen der eine in der Mehrzahl der Fälle, der andere sehr häufig beobachtet wird. Der erste besteht in der durch Schuhdruck herbeigeführten Verbildung am ganzen vorderen Theil des Fusses, welche auch in den Bevölkerungskreisen, aus denen das anatomische Material stammt, allgemein verbreitet ist. Ja man findet wohl unter den besser Situirten ab und zu noch Jemanden, der Geld und Vernunft genug besitzt, um rationelle Stiefel zu tragen, aber kaum jemals unter der erst bezeichneten Klasse. Der zweite Mangel besteht in der Flachheit des Fusses, welche ausserordentlich häufig angetroffen wird. Hieraus ergiebt sich folgende Situation: wir zerlegen den Fuss ana- tomisch, um seine Statik kennen zu lernen, und aus der statischen Theorie dedueiren wir dann, wie derselbe anatomisch gebaut sein müsste. Dies ist ein vollkommener Circeulus; eine Situation, erfreulich für den Theoretiker von echtem Gepräge, weil es ihm Gelegenheit giebt, die Beobachtung zu 176 VERHANDLUNGEN DER BERLINER meistern, aber peinlich für den, der vollen Sinn und Respect für Realität besitzt, weil er sich von der Schraube Logik erfasst sieht, welche der Theo- retiker unbarmherzig anzieht, ohne den festen Boden der Thatsachen zu finden, von dem aus er dieser Schraube widerstehen kann. Und dieses Verfahren liefert nicht einmal ein befriedigendes Anschauungsmaterial, denn wenn wir die Knochen eines Fusses, welcher thatsächlich verbildet und fehlerhaft war, in eine „normale“ Stellung bringen wollen, d.h. in eine Stellung, welche uns die Theorie lehrt, für normal zu halten, so kann dies zu keinem guten Ende führen, weil die Knochen dieses Fusses den abge- änderten Bedingungen entsprechend umgeformt waren und in einer ihnen nicht natürlichen Anordnung unwahr wirken. Aus diesen Gründen ergriff ich mit Freuden die Gelegenheit, als ich auf einen Fuss stiess, welcher zu gleicher Zeit in seinem vorderen Theile nicht verbildet und hoch gebaut war, das Skelet desselben mit Hülfe des Gefrier-Verfahrens zusammen zu bauen. Uebrigens hätte sich das, was ich sogleich mittheilen will, an jedem anderen Fusse auch beobachten lassen. Aber es geht dem Beschauer oft, wie es mir ging: erst dann, wenn man ein Material vor sich hat, welches man für autentisch halten kann, wird man sehend. Ich gehe nun zu meiner Mittheilung über. 1) Stellung des Metatarsale II, III, IV in Beziehung auf die Längsrichtung des Fusses. — Man begegnet oft der Vorstellung, dass die Metatarsalien wie unterstützende Pfeiler oder Streben radiär („strahlig“) auf den zu stützenden Theil, etwa den Mittelpunkt des Talus gerichtet seien. Diese Annahme wird befördert durch den Anblick der Zehen, welche thatsächlich diese radiäre Stellung haben. Indessen sie ist falsch; die hinteren (proximalen) Enden der Metatarsalien stehen mehr seitlich, so dass die genannten Knochen mit ihrer Längsachse schief orientirt sind. Dies finde ich durch X-Bilder bestätigt; aber es giebt in dieser Hinsicht eine weitgehende Variabilität: bei flachen Füssen, insbesondere auch Plattfüssen, ist diese Schiefstellung der Metatarsalien weit weniger ausgebildet, während sie bei hochgebauten Füssen stark hervortritt. 2) Stellung der Basen des I., II. und IV. Metatarsale mit Beziehung auf die senkrechte (dorso-plantare) Richtung. — Da der Theil des Fusses, in welchem die Basen des III. und IV. Metatarsale liegen, gegen den seitlichen Fussrand abgedacht ist, so ist die dorsale Seite dieser Basen ebenso sehr seitwärts wie aufwärts gewendet, und die plantaren Schmalseiten sind nieht genau plantarwärts, sondern zu gleicher Zeit median- wärts gerichtet. 3) Längsdrehung innerhalb des II, III. und IV. Metatarsale. — Da die Köpfchen der Metatarsalien, welche zur Stützung benutzt werden, senkrecht auf den Boden orientirt sind, die Basen des 3. und 4. Knochens aber, wie eben gesagt, eine schiefe Lage haben, so müssen Köpfchen und Basen so gegen einander verstellt sein, dass daraus eine Längsdrehung innerhalb der Knochen resultirt. Diese Thatsache, welche selbst in den Lehrbüchern von Henle und Poirier nicht erwähnt ist, findet sich durch einen Blick auf die isolirten Knochen sofort bestätigt. Um dieselbe an- schaulich zu machen und zu gleicher Zeit genauer zu bestimmen, wählte PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRcHoWw. 77 ich die drei mittleren Metatarsalien eines kräftigen Fusses. Ich zog senk- rechte Halbirungslinien über die Gelenkflächen der Köpfehen und ent- sprechende Halbirungslinien über die basalen Endflächen. Dann wurden die Knochen in der Nähe ihrer proximalen sowie ihrer distalen Enden recht- winklig zu den genannten Linien gebohrt und Stifte durch die Bohrungen gesteckt. Ein Stativ, an welchem die drei Knochen in horizontaler Lage über einander durch Vermittelung der distalen Stifte befestigt sind, liefert ein geeignetes Demonstrationsmittel. Die Winkel, welche in dem betreffen- den Einzelfalle die beiden Stiftpaare mit einander bildeten, oder „Drehungs- winkel der Metatarsalien“, waren für das II. 32-5 für das IV. 19%. An dem zugehörigen II. Metatarsale war die dorsale Seite der Basis sogar etwas medianwärts gedreht, der Winkel also sozusagen negativ. Er betrug 7°. Die Differenz der Winkel vom I. zum III. und vom III. zum IV. ist also keines- wegs gleich. Sie betrug in unserem Falle vom II. zum III. 39.5° vom II. zum IV. 13.5°. Die angegebenen Winkel haben natürlich keinen all- gemein gültigen Werth; es ist vielmehr zu vermuthen, dass dieselben sehr stark varliren. Es würde aber meiner Meinung nach gar keine Bedeutung haben, diese Winkel zu bestimmen, wenn nicht zuvor, ehe der Fuss in seine Theile zerlegt wurde, die genaue gegenseitige Lage der Knochen fest- gestellt wäre, wie es an dem vor- gestellten Fussskelet mit Hülfe des Gefrier-Verfahrens geschehen ist. Erst dann wird sich bestimmen lassen, ob den Varianten in der Fussform be- re ne ne Di. Das IL, III. und IV. Metatarsale eines 5 ar kräftigen männlichen Fusses in hori- geschilderte Drehung habe ich schon zontaler Lage über einander aufgestellt, früher bei der Betrachtung isolirter das II. unten, das IV. oben. Die Stifte, Mittelfussknochen mehr gefühlt als er- Welche durch die Köpfehen gehen, recht- kannt, und sie hat mich immer ver- wine AU OT Halbi ungschene "de: , En Ale \ Köpfchen, sind horizontal an der tragen- drossen, weil sie in das Bild dieser den Säule festgeschraubt. Knochen einen unverständlichen Zug hineinbrachte. Jetzt dagegen macht sie mir Vergnügen, weil sie sich aus der Gesammtgestalt des Fusses begreifen lässt. 4) Gestalt der Endflächen des IL, IH. und IV. Metatarsale. — Die geschilderten Verhältnisse veranlassten mich, den basalen Endflächen der drei genannten Mittelfussknochen erneute Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es fand sich an den zur Winkelmessung benutzten Knochen, dass die End- Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN DER BERLINER fläche des IV. viereckig war, die Basen des III. und II. dagegen Keilform besassen, und dass die beiden letzteren wieder darin differirten, dass die Convergenz der Seitenränder an dem II. stärker, an dem III. geringer war, so dass sich an dem II. die Keilgestalt weit stärker aussprach. Schon von Henle! sowie von Poirier? ist die Keilgestalt des II. und II. sowie die vierseitige Endfläche des IV. hervorgehoben, jedoch zwischen dem II. und III. kein Unterschied gemacht; und ich muss auch betonen, dass die Ver- schiedenheit der beiden letztgenannten nicht constant vorkommt. -- 5) Seitliche Berührungen der drei mittleren Mittelfuss- knochen. — Im Zusammenhange dieser Betrachtungen schienen mir nun auch die Verbindungen der genannten Knochen unter einander beachtens- werth. Es ist bekannt, dass das II. und III. Metatarsale durch eine dor- sale und plantare Gelenkfacette in Berührung stehen. Sie liegen also mit ihren ganzen Seitenrändern, allerdings mit Einschaltung eines Zwischen- bandes an einander an. Es kommen allerdings Fälle vor, wo die plantare Gelenkfacette fehlt. Das IH. und IV. haben mit einander nur eine dorsale Gelenkfacette gemeinsam, klaffen also plantar aus einander. 6) Zwei Typen des Gewölbebaues. — Der zuletzt erwähnte Unter- schied in der Verbindung der Basen des II. und III. Metatarsale einerseits, des III. und IV. andererseits führt auf einen Unterschied in der Gewölbe- construction, und ich will die beiden Typen des Gewölbes in schematischer Weise neben einander stellen und durch Modelle erläutern, wobei die unter- scheidenden Merkmale, wie es im Wesen eines Schemas liegt, in abstracter Fig. 3. Schema des starren Gewölbes, bei welchem die Stücke mit den ganzen Seitenflächen an einander liegen. Eine basale Zugstange dient dazu, das Auseinanderweichen durch Seitendruck aufzuheben, da seitliche Widerlager fehlen. Weise zur Geltung gebracht und auf die Spitze getrieben sind, in reinerer Form wie in dem realen Objeet. Bei dem ersten Typus, den ich als „festes Gewölbe“ bezeichnen möchte, liegen die Seitenflächen der keilförmigen Stücke oder Gewölbesteine in voller Ausdehnung an einander an. An diese Form des Gewölbes hat man wohl meistens und namentlich in früheren Zeiten gedacht, wenn man von dem Gewölbebau des Fusses sprach. Von Gewölben, wie sie in der Baukunst vorkommen, unterscheidet sich das Fussgewölbe ! Henle, Handbuch. Bd.I. 8.307 u. 308. ? Poirier, Traite, T.I. p. 270. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VircHow. 179 natürlich in dem einen wesentlichen Punkte, dass bei gewölbten Decken der Seitendruck durch die Wände des Gebäudes und bei Brückenbogen durch die Pfeiler aufgenommen wird, wogegen bei dem freistehenden Gewölbe des Fusses die aus einander treibende Kraft des Seitendruckes durch eine Zug- stange, d.h. plantare Bänder und Aponeurosis plantaris, bekämpft werden muss. An meinem Modell ist diese Zugstange durch eine an der Basis des ganzen Systems gelegene Schnur wiedergegeben. Der zweite Typus, den ich als „Strickgewölbe“ bezeichnen möchte, ist dadurch charakterisirt, dass die Gewölbsteine nur mit ihren oberen Kanten in Berührung sind, und dass ihre aus einander klaffenden Seitenflächen durch Taue oder kurze Zugstangen verbunden sind. Wie mir gesagt wird, ist auch in der Technik eine An- näherung an diesen Typus, bezw. eine Vermischung desselben mit dem ersten gelegentlich dadurch erreicht, dass in die untere Seite des Gewölbes selbst eiserne Stangen eingelegt sind, welche durch ihre Zugfestigkeit das Fig. 4. Schema des Strickgewölbes, bei welchem sich die Stücke nur mit den oberen Kanten berühren und zwischen den aus einander klaffenden Seitenflächen Taue oder kurze Zugstangen ausgespannt sind. Gewölbe verstärken. Wie bemerkt, ist am Fuss keiner der beiden Typen in schematischer Reinheit verwerthet; vielmehr, um bei den geschilderten drei Metatarsalien zu bleiben, einerseits ein Zwischenband an der Verbindung des II. und III. vorgesehen und andererseits eine ziemlich ausgedehnte An- einanderlagerung zwischen dem III. und IV. vorhanden. Ich glaube aber doch, dass die Klarheit der Auffassung des Fussskelettes gewinnt, wenn man beachtet, dass eine Hinneigung bald mehr zu dem einen, bald mehr zu dem anderen Typus besteht, wobei auch der mechanische Unterschied beider Typen zu beachten ist. Der erste Typus liefert eine starre Ver- bindung, wie sie thatsächsich zwischen dem II. und III. Metatarsale an- nähernd erreicht ist; er würde jedoch, wenn er in grösserer Ausdehnung durchgeführt wäre, eine grosse Gefahr in sich schliessen, indem bei starken momentanen Belastungen die unteren Theile der Gewölbsteine zwischen ihren Nachbaren eingequetscht werden würden und einer Zertrümmerung ausgesetzt wären. Bei dem zweiten Typus dagegen wird die tragende Auf- gabe zum grossen Theil den Knochen abgenommen und auf die Bänder übertragen. Das zweite Modell zeigt auch zugleich in sehr anschaulicher Weise die Formänderung beim Erheben des Fusses, indem es beim Auf- heben zusammenklappt. 122 150 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 7) Kritik der Meyer’schen Theorie über die stützenden Theile des Fusses. — Ein sachgemäss aufgesteiltes Fussskelet, wie es das vor- liegende ist, liefert nun bestimmtere Anhaltspunkte, um zu den verschie- denen statischen Theorien Stellung zu nehmen; und unter ihnen will ich eine hervorheben, welche durch die Autorität ihres Verfassers und ihre Einfachheit eine gewisse Geltung erlangt hat, die Theorie H. v. Meyer’s: über die stützenden Theile des Fusses beim gewöhnlichen Stehen. Die Ein- fachheit besteht in diesem Falle darin, dass die Zahl der zur Verwendung kommenden Knochen auf vier reducirt ist: Fersenbein, Würfelbein, drittes Keilbein und drittes Metatarsale.! Der Gedankengang, durch welchen Meyer zu dieser Abstraction kommt, ist folgender: die Zehen mit ihrer leichten Beweglichkeit sind als stützende Theile nicht zu betrachten, können also entfernt werden. Setzt man ein derartig zubereitetes Fussskelet auf eine feste Unterlage und ersetzt die Belastung durch einen von oben auf den Talus ausgeübten Druck, so lässt sich das I. und V. Metatarsale noch segen den Boden erheben; nachdem diese demgemäss abgetragen sind, lässt sich auch das II. und IV. noch etwas lüften. Auch sie können also ent- fernt werden. Mit dem I. kommt das 1. Keilbein, mit dem II. kommt das 2. Keilbein in Wegfall. Das Sprungbein gehört nicht zu den tragenden Theilen des Fusses, sondern ist nur ein Zwischenstück, welches die Ver- mittelung zwischen dem Unterschenkel und den stützenden Theilen besorgt; also weg mit ihm! Es bleibt nur noch zu entscheiden, ob das Naviculare oder Cuboides leichter entbehrt werden kann; Meyer entscheidet sich dafür, das Naviculare zu opfern, weil es in weniger fester Verbindung mit dem Calcaneus steht. Wenn man über diese Lehre urtheilen will, so sind an ihr zwei Seiten zu unterscheiden, welche man unabhängig von einander würdigen muss. Das erste ist die Angabe, dass von den Metatarsalien nur das III. fest auf- ruhe, das zweite die Angabe, dass die eigentlich tragenden Theile durch die vier genannten Knochen dargestellt werden; das erste ist die Behauptung einer Thatsache, welche sich am Präparat empirisch nachprüfen lässt; das zweite ist eine Theorie. Ich beschäftige mich zuerst mit Letzterer. Gehen wir die Kette der vier genannten Knochen oder den „Meyer’schen Bogen“, wie ich es nennen will, von hinten nach vorn durch, so findet sich an der Verbindung des Fersenbeines mit dem Würfelbein eine Anordnung, welche mit dieser Theorie in guter Uebereinstimmung ist: eine senkrechte quer- gestellte Spalte und das starke Ligamentum calcaneo-cuboideum plantare an der Unterseite der Knochen; und wenn auch die Gestalt des trennenden Spaltes mit seinen eigenthümlichen Sattelflächen nicht aus der Gewölbe- structur des Fusses abzuleiten, sondern mit der Fähigkeit desselben zur Adduetionsbewegung in Verbindung zu bringen ist, wie Henke in so meisterhafter und auch von den französischen Anatomen acceptirter Form dargestellt hat, so ist doch immerhin der geforderte senkrechte Spalt vor- handen. Ganz anders aber liegt die Sache an der Verbindung des 3. Keil- beines mit dem Würfelbein; das Keilbein liegt erstens nicht vor dem Würfelbein, sondern zur Seite desselben, und zweitens ist der trennende Spalt, wie das richtig aufgestellte Skelet zeigt, nicht senkrecht, sondern U H.v.Meyer, Statik und Mechanik des menschlichen Fusses. Jena 1886. 8. 54. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHoWw. 181 schief gerichtet, ebenso sehr, ja manchmal sogar mehr horizontal wie senk- recht, so dass das Keilbein auf dem Würfelbein aufruht mit einer Tendenz, nach der medialen Seite hinabzugleiten. An der Berührung des 3. Keil- beines mit dem III. Metatarsale steht dann der trennende Spalt wieder senkrecht, wie die Gewölbeconstruction verlangt, aber das III. Metatarsale selbst ist, wie im Vorausgehenden ausgeführt, in doppeltem Sinne schief gestellt, so dass seine Längsrichtung nicht der Längsriehtung des Fusses entspricht, und seine Basis nach der Seite umliegt. Daher macht die Linie, welche vom Calecaneus durch das Cuboides und 3. Keilbein in den 3. Mittel- fussknochen führt, einen Knick; und ein solcher „Bogen um die Ecke“ kann mir nicht gefallen. Meyer macht hier meines Erachtens den logischen bezw. mechanischen Irrthum, dass er in seinem „Bogen“ drei heterogene Stücke zusammenfasst: ein hinteres Längsbogenstück, ein vorderes Längs- bogenstück und ein Querbogenstück, wobei noch das vordere Längsbogen- stück wegen der erwähnten Schieflage des Mittelfussknochens nicht die Eigenschaften einer selbstständigen Stütze besitzt. Auch die zweite Seite der Meyer’schen Theorie, dass von den fünf Mittelfussknochen allein der mittlere bei Belastung des Fusses fest aufruhe, und die vier übrigen nur eine secundäre Bedeutung haben, muss als eine zu weit gehende Zuspitzung bezeichnet werden. Vier Jahre vor Meyer sprach sich Beely!, gestützt auf Untersuchungen am Lebenden, dahin aus, dass beim beidbeinigen Stehen der vordere Stützpunkt in dem Köpfchen des 2. und 3. Mittelfussknochens gelegen sei, und fasste die beiden genannten Knochen zu einer mechanischen Einheit zusammen, was auch angesichts der weiter oben geschilderten innigen Verbindung beider und der den Chirurgen so wohlbekannten Einfugung des II. Metatarsale zwischen die Keilbeine naturgemäss ist. 20 Jahre vor Beely äusserte sich Henke? in seiner Gelenklehre, welche auch jetzt noch beanspruchen darf, nicht der Vergessen- heit überliefert zu werden, genau in gleichem Sinne. Er vergleicht aus- drücklich das I. und III. Metatarsale in Bezug auf ihre Unbeweglichkeit mit dem H. und III. Metacarpale und stellt sie dem I., IV. und V. gegen- über. Von ersteren sagt er, sie „haben so gut wie keine Beweglichkeit gegen die entsprechenden Keilbeine,“ wie auch diese unter sich und bilden also mit ihnen, sowie in der Regel auch mit dem Schiffbein und Würfel- beine den in sich unbeweglichen Hauptkörper des Fusses. Dies ist anato- misch das gleiche, was Beely für den Lebenden hervorhebt, wenigstens die anatomische Grundlage dafür. 8) Längsbogen und Querbogen. — Ohne Zweifel giebt es im Fuss- skelet Momente des Gewölbebaues, und zwar sowohl in Längsrichtung wie in Querrichtung.” Dies ist zunächst sicher in formaler oder anatomischer Hinsicht, und es muss ausdrücklich betont werden, dass die Keilgestalt, welche an vier Knochen des Fusses hervortritt, dem 2. und 3. Keilbein sowie den Basen des 2. und 3. Mittelfussknochens, gerade in der Richtung ı F. Beely, Zur Mechanik des Stehens. Arch. f. klin. Chir. 1882. Bd. XXVI. S. 457— 411. 2? W. Henke, Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. 1863. S. 279 u. 280. N > Vgl.z.B. A. Thomson, Handbook of anatomy for art students. Oxford 1896. p- 310. 182 VERHANDLUNGEN DER BERLINER der Querbogen und nicht der Längsbogen ausgeprägt ist. Demgemäss liegt es nahe, auch bei der functionellen oder statischen Betrachtung nicht nur an die Längsbogen, sondern auch an die Querbogen zu denken; und es würde sich im Interesse grösserer Klarheit empfehlen, diejenigen statischen Theorien, in welchen nur von Längsbogen gesprochen wird, als „Bogen- Theorien“ von den „Gewölbe-Theorien“, in welchen auch den Quer- bogen ein Platz eingeräumt ist, zu trennen. Erst indem sich mit den Längsbogen Querbogen vereinigen, entsteht ein Gewölbe Wenn man aber die Querbogen als etwas Wesentliches anerkennt, so muss ihnen auch in der Theorie des Fusses eine bestimmt formulirte Rolle zuerkannt werden. An sich, d. h. mechanisch, wäre es nun wohl möglich, dass die Querbogen mit ihren Endpunkten nicht aufruhen, sondern dass sie an dem höchsten oder Hauptlängsbogen aufgehängt sind und ihrerseits die Randbogen tragen. Aber diese Betrachtung wäre zu künstlich; es ist natürlicher, nach einer Anordnung zu suchen, bei welcher die Querbogen an ihren Endpunkten ge- stützt sind. Aus dieser Erwägung ist eine der statischen Theorien des Fusses hervorgegangen, nämlich die von dem Nischengewölbe, in welcher behauptet wird, dass das ganze V. Metatarsale, insbesondere auch die Basis desselben, auf dem Boden ruhe. Man ist indessen längst dahinter gekommen, dass dies nicht der Fall ist, dass vielmehr an dem wohlgebildeten Fuss das V. Metatarsale eine schiefe Lage hat und seine Basis nicht aufgestützt ist; der vorliegende Fuss demonstrirt dieses Verhalten und X-Aufnahmen be- stätigen es. Die nächste Annahme ist nun die, dass der laterale Rand- bogen, gebildet durch Calcaneus, Cuboides und Metatarsale V mit seinem vorderen und hinteren Endpunkt aufruht, und die Querbogen ihrerseits auf denselben gestützt sind. Die geforderte Stabilität schwindet jedoch, sie ist wenigstens keine absolute, wenn, wie von Henke, Beely u. A. behauptet wird, das Köpfchen des 5. und 4. Mittelfussknochens beim Stehen nicht fest liegt, sondern weicht. An dieser Stelle sind in die Theorie des lebenden Fusses die Muskeln einzuführen, insbesondere der Peroneus longus, welcher, indem er unter dem Würfelbein hinweggespannt ist, dieses trägt und damit dem lateralen Randbogen die Unterstützung leiht, deren er bedarf. Zum Peroneus longus gesellen sich für den lateralen Randbogen der Peroneus brevis und III.; und ebenso stehen dem medialen Randbogen der Tibialis postieus und antieus zur Verfügung. Die letzten Betrachtungen sind nicht neu; ich möchte nur wieder daran erinnern, dass das Problem der Statik des lebenden Fusses nieht durch eine isolirte Skeletbetrachtung lösbar ist. Es liegt mir überhaupt fern, mich für eine bestimmt gefasste statische Theorie des Fusses entscheiden zu wollen. Es giebt wohl mehr wie zehn derartiger Theorien. Jede derselben ist be- friedigend, soweit Befriedigung durch logische Form geboten werden kann; jede ist auch „richtig“, wofern man die Prämissen des Autors zugiebt. Aber keine ist ganz „wahr“ in dem Sinne von „real“ genommen, denn der mensch- liche Fuss, als reales Gebilde betrachtet, ist nicht ein Stativ für eine ein für alle Mal fest aufgestellte Last, sondern hat verschiedenen Functionen zu dienen und wechselnden Beanspruchungen zu genügen. Wir lassen uns mit Befriedigung erzählen, dass in den grossen eisernen Brücken-Öonstructionen der Gegenwart und anderen Bogenspannungen darauf Rücksicht genommen wird, dass durch äussere Einflüsse (wechselnde Belastung und Erwärmung PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VırcHow. — H. AroLant. 183 Dehnung stattfindet, und in der modernen Theorie ist demgemäss das Ge- wölbe nicht als starr, sondern als gleitend angesehen. Beim Fuss des lebenden Menschen, an welchem die Formänderung so leicht erkennbar hervortritt, sollten wir uns davor hüten, formaler Exactheit zu Liebe ein vereinfachtes statisches Schema anzunehmen, welches der Wirklichkeit nicht entspricht. V. Sitzung am 11. Januar 1901. 1. Hr. H. Arorant: „Ueber den Verhornungsprocess.“ Die histologische Untersuchung des Verhornungsprocesses ergiebt bei verschiedenen Horngebilden differente Resultate. Während man an der Ober- haut stets eine mehr oder weniger erhebliche Bildung von Keratohyalin nachweisen kann, fehlt dieselbe beim Nagel vollständig. Da jedoch an- zunehmen ist, dass die mikroskopische Erscheinungsform des für die eigent- liche Verhornung wesentlichen Vorganges in beiden Fällen die gleiche ist, so wurden zahlreiche Stadien der embryonalen Schweinsklaue auf diese Verhältnisse hin genauer untersucht. Der Nagelverhornung entspricht an diesem Object die Bildung des Wandhorns, während die Vorgänge, die sich an der Sohle und dem das Wandhorn bedeckenden Epitrichium abspielen, auf eine Stufe mit den Verhältnissen an der Oberhaut zu stellen sind. Demgemäss sieht man schon frühzeitig in den mittleren Schichten der Sohle Keratohyalinkörner auftreten, die mit der weiteren Entwickelung an Menge und Grösse ausserordentlich zunehmen und nach der Oberfläche zu allmählich ein mächtiges Lager unregelmässig geformter Schollen bilden. Am intensivsten vollzieht sich dieser Prozess in der den Uebergang von der Sohle zur Wand darstellenden Randleiste.e Auch an den mittleren Schichten der Wandparthie sind schon in frühen embryonalen Stadien die ersten Ke- ratohyalinzellen nachweisbar, die jedoch bei ihrer weiteren Ausbildung nie- mals die Massen Keratohyalin enthalten wie die entsprechenden Sohlen- schichten. Im weiteren Verlauf der embryonalen Entwickelung findet ein allmählicher Schwund der Keratohyalinmassen statt, indem dieselben zunächst zerfliessen und aus den Zellen austreten. Die restirenden Zellbestandtheile schrumpfen zu platten Gebilden zusammen, die schliesslich weniger den Ein- druck eines Zell- als vielmehr den eines Fasergewebes machen. Die Unter- suchung dieser Zellreste auf Keratin mittels der Verdauungsmethode ergiebt, dass an den Stellen stärkster Keratohyalinbildung mit folgender maximaler Zellschrumpfung eine Verhornung nicht nachweisbar ist, während dieselbe da, wo. die Körnerbildung keinen so excessiven Grad angenommen hat, nämlich am Eponychium des Wandhorns, wenn auch schwach zu erkennen ist. Es besteht also ein reciprokes Verhältniss zwischen der Stärke der Keratohyalinbildung und der der Verhornung. Im Gegensatz zur Sohle, wo das rete, wie an der Oberhaut, in die Keratohyalinschieht übergeht, schiebt sich an der Wand eine Schicht total verhornender Zellen ein, die die Anlage des Wandhorns darstellen. Bei diesem der Nagelverhornung analogen Process findet niemals eine Kerato- hyalinbildung statt. Dagegen zeigen diese total verhornenden Zellen einen 184 VERHANDLUNGEN DER BERLINER ausserordentlichen Reichthum an Fibrillen, der sehr stark gegen die Fibrillen- armuth der zu Keratohyalinzellen sich umwandelnden Sohlenzellen contrastirt. Die in einem späteren Stadium auftretende Kronenmatrix, die die eigent- liche Bildungsstätte des Klauenhorns im postembryonalen Leben darstellt, zeigt die Fibrillarsubstanz der Zellen besonders deutlich. Bei der Färbung nach van Gieson kann man sich ohne Weiteres davon überzeugen, dass das Onychin der Autoren nichts Anderes ist als der optische Ausdruck quer durchschnittener Fibrillen. Indem die Fibrillen immer dichter treten und specifische Hornreaetionen annehmen, gehen sie schliesslich in homogene Massen über, die ein ungemein festes Horn bilden. Irgend welche Körnchen- bildungen treten hierbei nicht auf. Es ergiebt sich also die Thatsache, dass bei der vollkommenen Zell- verhornung Keratohyalin überhaupt nicht betheiligt ist. Es sprieht vielmehr Alles dafür, dass nur die Fibrillarsubstanz der Zelle verhornt, da dieselbe um so stärker ausgebildet ist, je intensiver der Verhornungsprocess vor sich geht, während das Keratohyalin ganz unabhängig davon als Product der Interfibrillarsubstanz sich zu Eleidin umwandelt und aus den Zellen aus- tritt. Innerhalb der Fasern erweist sich die Verhornung als diffuser Pro- cess, bei dem keinerlei Körnchenbildung auftritt. Der Vortrag wird ausführlich im Archiv für mikroskopische Anatomie erscheinen. 2. Hr. R. pu Boıs-Reymonnp: „Bemerkung über die vermeintliche Unerregbarkeit des Nerven gegen die Stromschwankung seines eigenen Muskels.* In einem Nachrufe auf W. Kühne ist vor nicht langer Zeit als eine von ihm entdeckte Thatsache angegeben worden, dass der Nerv durch die Stromschwankung seines eigenen Muskels unerregbar sei. In dieser allgemeinen Form ist aber die Angabe unverständlich, da der Muskelstrom eines bestimmten Muskels Strömen aus anderen Quellen gegenüber nichts Unterscheidendes an sich hat. In den „Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Uni- versität Heidelberg“ bespricht Kühne! die Bedingungen der secundären Erregung und wirft die Frage auf (8. 70), warum die Nerven im lebenden Körper nicht, oder nur in Ausnahmefällen, secundär erregt würden. Diese Frage zerfällt in mehrere Einzelfragen: 1. warum an beliebigen Muskeln anliegende Nerven durch die Muskelströme nicht erregt werden. 2. Warum die Nerven nicht dureh die Ströme ihrer eigenen Muskeln erregt werden. 3. Ob der Vorgang der Erregung, ebenso wie er durch Vermittelung der Endplatten vom Nerven auf den Muskel übergehen kann, umgekehrt auch vom Muskel auf den Nerven übergehen kann. Die zweite und dritte Frage werden, wenigstens für meine Auffassung, von Kühne nicht deutlich genug getrennt. Die erste Frage erledigt Kühne (S. 70) durch die Betrachtung, dass der Erregungsvorgang im Muskel unter den normalen Bedingungen des Lebens von dem bei künstlicher Reizung ganz verschieden sein dürfte (8. 64), ! Kühne, Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg. Heidelberg 1880. Bd. III. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — R. pu Boıs-REeyMmonp. 18; es) [we | und dass ausserdem anzunehmen sei, dass die Nerven von Natur in zweck- mässiger, also für secundäre Erregung möglichst ungünstiger Weise gelagert seien (8. 80). Dass dies wirklich der Grund ist, weshalb unter gewöhnlichen Umständen keine secundären Erregungen auftreten, lässt sich durch folgenden Versuch erweisen: Beugt man den Plexus ischiadieus auf einen der Ober- schenkelmuskeln zurück, und reizt diesen, nach geeigneter Isolirung, von dem peripherischen Stumpfe des zugehörigen Nervenastes aus, so erhält man secundäre Zuckung der übrigen vom Ischiadieus innervirten Muskeln. Der durch die Gesammtheit des Gliedquerschnittes gebildete Kurzschluss für die entstehenden Muskelströme spielt übrigens wohl eine grössere Rolle bei der Verhinderung der secundären Erregungen, als ihm Kühne zuschreibt. Auf die zweite Frage bezieht sich zunächst ein Versuch, bei dem ört- liche Reizung des Sartorius die durch den zuckenden Theil des Muskels ziehenden intramuskulären Fasern unerregt lässt (8. 75). Kühne führt zur Erklärung an, dass die intramuskulären Nerven für unerregbarer gelten können als andere. Ferner gelten dieselben Betrachtungen wie oben, dass die Lage der Nerven quer zur Faser für die secundäre Erregbarkeit ungünstig ist, und dass die Erregung die einzelnen Nervenästchen in ganz unregelmässiger Folge betreffen müsste. Endlich ist es offenbar, dass es sich nur um schwache Reizungen handeln kann, da der Begriff der örtlichen Reizung voraus- setzt, dass keine weitergehende Erregung stattfindet. So kommt denn auch Kühne zu dem Schluss, „dass der Schutz natürlich verlaufender Nerven- fasern vor dem Muskelschlage von der Natur in vielfacher Weise erreicht werde“. Eigentlich aber zählt dieser Versuch (hiermit geht Kühne zur dritten Frage über, ohne die zweite zu verlassen), gar nicht zu denen, die die secun- däre Erregung oder Nichterregung bestimmter Nervenfasern durch die von ihnen innervirten Muskelfasern beweisen. Denn die beiden Sartoriushälften können auch „als zwei getrennte Muskeln gelten“ (S. 75). Sondern um einen bindenden Beweis zu führen, bleibt nichts übrig, „als die auf gewöhnliche Weise erhaltenen Zuckungen mit denen zu vergleichen, welche nach mög- lichst ausgedehnter Anlage des zum Muskel herabgebogenen Nerven ent- stehen.“ Bei diesem Versuche in verschiedenen Modificationen fand Kühne zwischen beiden Arten der Zuckung keinen Unterschied, und dies könnte als ein Beweis specifischer Unerregbarkeit betrachtet werden. Kühne selbst aber deutet darauf hin (S. 77), dass dieser Erfolg durch die Zeitverhältnisse des primären und secundären Reizes bedingt sein könne. Es schien mir der Mühe werth, hierauf folgendermaassen die Probe zu machen: Ein Nervenmuskelpräparat A wird im Federmyographion in ge- wöhnlicher Weise eingespannt, und daneben ein zweiter Muskel B befestigt. Die beiden Unterbrecher des Myographions sind in die primären Kreise zweier Inductorien eingeschaltet, deren secundäre Kreise vermittelst Nadel- elektroden durch die beiden Muskeln A und B geschlossen werden. Lässt man nun zunächst nur den primären Strom des einen mit dem Muskel A verbundenen Inductoriums durch das Myographion unterbrechen, so erhält man die Curve der directen Reizung von A. Legt man nun den Nerven des Muskels A an den Muskel A an, während dieser zuckt, so wiederholt man damit den Versuch Kühne’s, und erhält, wie Kühne gefunden hat, genau dieselbe Curve wie vorher. Der Nerv scheint also unerregbar gegen 186 VERHANDL. D. BERLINER PHYSIOLOG. GES. — R. pu Boıs-REYmonD. die Stromschwankung seines eigenen Muskels. Nun lege man aber den Nerv des Präparates A nicht an den Muskel A, sondern an den Muskel 3 an, und stelle die Unterbrecher so, dass beide Muskeln genau zu gleicher Zeit erregt werden. Dann ist offenbar an den Bedingungen, unter denen sich das Nervmuskelpräparat A befindet, nichts geändert, ausser dass der Nerv statt der Stromschwankung des Muskels A, die von B erhält. Wirk- lich ist auch der Erfolg unverändert, denn man erhält genau dieselbe Curve wie vorhin, wenn man nun das Präparat A zugleich direet und secundär durch den gleichzeitig gereizten Muskel B erregt. Es scheint also hier der Nerv unerregbar gegen die Stromschwankung des Muskels B. Er ist es aber nicht, denn er reagirt, wenn man die secundäre Reizung durch den Muskel B für sich allein ausführt. Uebrigens erhält man auch ein deut- liches Zeichen der secundären Erregung in Gestalt einer Superpositions- curve, sobald man die Muskeln nicht gleichzeitig, sondern in einem geringen Zeitabstande reizt. Wenn man hiernach nicht von einer specifischen Unerregbarkeit des Nerven gegen die Schwankung des Muskels B sprechen kann, so braucht man auch in dem ersten Falle keine specifische Unerregbarkeit gegen die Schwankung des Muskels A anzunehmen. Denn es ist viel einfacher, anzu- nehmen, dass das Ausbleiben der Superposition beim Anlegen des Nerven an den eigenen Muskel nur darauf beruht, dass der Nerv überhaupt auf zwei Reize, die innerhalb eines gewissen Zeitraumes aufeinander folgen, wie auf einen Reiz reagirt. Wenn dies richtig ist, so muss der Nerv auch einfach reagiren, wenn an Stelle der seeundären Erregung durch seinen eigenen oder einen anderen Muskel eine beliebige andere Erregung gesetzt wird. Wirklich kann man auch einen Muskel zunächst direet untermaximal erregen, dann eine indirecte Reizung von solcher Stärke ausprobiren, dass sie ungefähr dieselbe Zuckung auslöst, und endlich beide Reize zugleich einwirken lassen, und man wird keine Summation, sondern einfach eine mit den beiden ersten identische Zucekungscurve erhalten." Man kann ferner zwei indirecte Reizungen von zwei verschiedenen Stellen des Nerven aus, die jede für sich die gleiche untermaximale Zuckung hervorrufen, zeitlich so abstimmen, dass die Zuck- ungen auf denselben Augenblick fallen, und wird dann bei zweifacher in- direeter Reizung ebenfalls nur eine der Einzelreizzuckung gleiche Curve erhalten. Kühne hat bei der Erwägung dieser Umstände nur die Leitungszeit des Nerven (8. 77) in Betracht gezogen. Doch ist zu bedenken, dass die directte sowohl wie die indireete Reizung nach dem Principe der doppel- sinnigen Leitung zugleich nach oben und nach unten im Nerven fort- schreitet. Die nach oben fortgepflanzte Erregungswelle muss der zugleich von einer höher gelegenen Stelle ausgehenden Erregung stets an irgend einem Punkte begegnen, sodass Gelegenheit zu Interferenz gegeben wäre. ı Vgl. A. E. Boycott, Note on the muscular response to two stimuli of the seiatic nerve (Froy). Journ. of Physiol. 1899. Vol. XXIV. 2. p. 144. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie‘ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .# 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .%. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches (entralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 # direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infeetionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0.ö. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten‘‘ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Miller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, i erscheint jährlich in 12 Heften (bez. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W.His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 &#, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alie Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen, Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Physiologische Abtheilung. 1901. II. u. IV. Heft. ar ARCHIW: FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLVGIE. FORTSETZUNG Dzs von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, | REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. | "HERAUSGEGEBEN | VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1901. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT ZWEI ABBILDUNGEN IM TEXT UND VIER TAFELN. * | LEIPZIG, | VERLAG VON VEIT & COMP. 1901. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 13. Juni 1901.) Inhalt. Seite SHINEICHI IMAMURA, Vorstudien über die Erregbarkeitsverhältnisse herzhemmen- der und motorischer Nerven gegenüber verschiedenen elektrischen Reizen 187 Max Buc#, Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus und Vagus mit be- sonderer Berücksichtigung ihrer ee im Bereiche der Bauchhöhle: . . =. 197 Hans FRIEDENTHAL, Ueber die bei det Resorption. der Nahrung in Bekracht kommenden Kräfte. II. Theil. Bedürfen Stoffe, um resorbirbar zu werden, der Ueberführung in wasserlösliche Form? . . . s 222 TEoDoroO Munm, Beitrag zur Kenntniss der Wirkung des eh ud Aereleranı auf das Säugethierherz. (Hierzu Taf. VI-VIII) : . .-.. 235 MANFRED Biar, Ist die Zuckerbildung in der Leber eine Function diaslaltscher Enzyme oder vitaler Thätigkeit der Leberzellen?.. . . ee rn 2A H. J..Bıng und V. ELLERMANn, Zur Mikrochemie der Markecheiden ER 236 HERMANN BEyER, Athemreflexe auf Olfactoriusreiz. (Hierzu Taf. IX.). . . .. 261 Max Buch, Ueber die . siologie der Mitempfindungen im Bereiche des Sym- - pathieus"...... 26 JOHANNES FRENTZEL u Max Son eng warte und no logischer Nutzwerth der Nährstoffe. I. Abhandlung: Der Nutzwerth des Hleisches® 2 ER DB A. Lorwy, Beiträge zum Stoff- ind Encseleuimäatz des. Menschen Nach mit Dr. Franz MÜLLER ausgeführten Versuchen . . . . ER) W. Casparı, Ein Beitrag zur Frage der Ernährung bei een Eiweiss-- - ZULUNEN 1.3.2, Eaton SEE A. SAMOJLOFF und A. nn! Var Methodik dr Gasanaly Sehe RESTE Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1900— 1901 ER 808 B. FRIEDLÄNDER, Ueber Hrn. ALFRED GOLDSBOROUGH MaAyvErR’s Entdeckung eines Atlantischen Palolo und dessen Bedeutung für die Frage nach un- bekannten kosmischen Einflüssen auf biologische Vorgänge. — E. GRUNMACH, Ein neues Verfahren, um die Wirkung der X-Strahlen bei der Aktinoskopie und Aktinographie zu erhöhen. — Franz MüLrEer, Ueber Acetonglykosurie. — H. VırcHow, Ueber die Netzhaut von Hatteria punctata. — A. Lorwy, Vorversuche zum Studium der Einwirkungen der Muskelarbeit und des Hochgebirges auf den menschlichen Organismus. Die Herren Mitarbeiter erhaiten vierzig Separat- Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 // Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an ’ Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Königstrasse 22, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. 2 du ı l m x 1 Im. nel SW Vorstudien über die Erregbarkeitsverhältnisse herzhemmender und motorischer Nerven gegenüber verschiedenen elektrischen Reizen. Vor Dr. Shinkichi Imamura, Assistenten am physiologischen Institut zu Tokio. (Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. B.) Den meisten Physiologen dürfte die Thatsache bekannt sein, dass man bei Froschpräparaten sehr viel stärkere Inductionsströme anwenden muss, um durch Vagusreizung diastolischen Herzstillstand zu erhalten, als um die Skeletmusculatur (etwa vom Ischiadicus aus) in maximalen Tetanus zu ver- setzen. Es erschien wohl denkbar, und gewisse, in der Litteratur existirende Angaben! sprechen sogar direct dafür, dass es sich hierbei nicht sowohl um eine geringere Erregbarkeit jener Vagusfasern handeln werde, die gegenüber allen Reizen in gleichmässiger Weise sich bemerklich macht, sondern um eine relative Benachtheiligung gerade der in den Inductions- schlägen gegebenen Reizart, der sehr kurz dauernden elektrischen Ströme. Die Richtigkeit dieser Anschauung vorausgesetzt, erschien es nicht ohne Interesse, für die Unterschiede der Erregbarkeitsverhältnisse, wie sie zwischen jenen herzhemmenden Fasern des Vagus und den motorischen Nerven der Skeletmuseulatur bestehen, nach einer genaueren, womöglich numerischen Fixirung zu suchen. Bei der Mannigfaltigkeit elektrischer Reizmethoden, die gegenwärtig zur Verfügung stehen, bieten sich hierfür eine Anzahl von verschiedenen Wegen; die Aufgabe wurde sogleich dahin gestellt, mehrere derselben einzuschlagen und so in Erfahrung zu bringen, welche Arten der ! So namentlich die allerdings etwas schwer verständlichen Angaben von Cy- bulski und Zanietowski, Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. S. 138. 188 SHINKICHI IMAMURA: elektrischen Reizung überhaupt am besten geeignet erscheinen, um einen Unterschied zweier Nervenarten, wie der hier in Rede stehenden, nach- zuweisen und zu bestimmen. Die im Folgenden mitgetheilten, diesem Gegenstand gewidmeten Ver- suche habe ich auf Anregung von Hrn. Prof. v. Kries angestellt; ihm und Hrn. Prof. Nagel bin ich für vielfache Berathung und Mitwirkung zu Dank verpflichtet. T: Das erste Verfahren, das ich benutzte, bestand in einer vergleichenden Anwendung der Inductionsströme des Schlittenapparates und der periodischen linearen Stromschwankungen, wie sie das rotirende Rheonom liefert. Das letztere Instrument wurde hierzu in der Anordnung verwendet, dass es lineare Stromschwankungen von der Form AAA, also von alternirender Richtung und dem Mittelwerth Null lieferte. Die Abstufung der Reize geschah dabei in der Weise, dass die abgeleiteten Ströme zu einem Wider- standskasten mit 10 000 Ohm geleitet wurden, von dem durch 2 beliebig einzusetzende Stöpsel die Reizungsströme abgeleitet werden konnten. Für die Induectionsströme des Schlittenapparates konnte das gleiche Verfahren benutzt werden und von einer Abstufung durch die Verschiebung der secun- dären gegen die primäre Rolle Abstand genommen werden. In einigen Fällen habe ich jedoch auch die Rollenverschiebung benutzt und dabei behufs Auswerthung der Stromstärken mich einer Graduirung bedient, welche an dem mir zur Verfügung stehenden Schlittenapparate angebracht war und die Grösse der Inductionsconstante für die verschiedenen Rollen- abstände gab. Leider waren die Stromstärken bei den Rheonomreizen nicht so hoch zu treiben, als es für den hier verfolgten Zweck erwünscht gewesen wäre; ! öfters konnte ich wirksame Vagusreizungen bei Anwendung der einen sehr erheblichen Widerstand einführenden unpolarisirbaren Elektroden (es konnten nur Faden- oder Pinselelektroden in Frage kommen) gar nicht erzielen. Ich musste mich daher entschliessen, die unpolarisirbaren Elektroden auf- zugeben; natürlich musste dies, um übereinstimmende Bedingungen zu haben, dann auch für den Ischiadicus gleichfalls geschehen. Und so ist denn durchweg mit Platinelektroden gereizt worden. Die Versuche dieser Art lehrten nun mit überraschender Deutlichkeit, dass die geringe Erregbarkeit der Vagusfasern im Vergleich mit den mo- torischen des Hüftnerven bei Prüfung mit Rheonomströmen zwar auch con- ! Es sind hier gewisse Grenzen gesetzt, weil bei Anwendung zu starker Ströme das Instrument durch die starken elektrolytischen Vorgänge Schaden leidet. ERREGBARKEITSVERHÄLTNISSE HERZHEMMENDER U. MOTOR. NERVEN. 189 statirt wird, aber doch nur in sehr viel geringerem Maasse als bei der Anwendung von Inductionsströmen. Bezeichnet man mit 8 und AR die zur Hervorbringung etwa gleicher Wirkungen erforderlichen Stärken der Schlitten- bezw. Rheonomströme (genauer gesagt, die die Reizströme er- zeugenden elektromotorischen Kräfte), durch die Indices v und z die für die Vagus- bezw. für die Ischiadicusfasern geltenden Werthe, so zeigt sich, v . Es . R, R vielmals grösser ist als 5 Behufs einer einwurfsfreien Vergleichung sind jedoch hier einige Punkte noch zu beachten. Erstlich findet in dem vom Vagus beherrschten Hem- mungsapparate eine merkliche Summirung des Effectes bei schnell auf einander folgenden Reizen statt. Um in dieser Beziehung. für die Rheonom- und für die Schlittenreize gleiche Verhältnisse zu schaffen, war es geboten, die Frequenz der Reize für beide Fälle übereinstimmend zu gestalten. Wir verfuhren so, dass das Rheonom, durch einen Elektromotor mit Centrifugal- regulirung getrieben, 10 bis 11 Stromoseillationen per Secunde lieferte. Der primäre Strom des Inductoriums wurde mittels eines vom Mechaniker brändli (in Basel) gefertigten schwingenden Unterbrechers geöffnet und geschlossen, der mittels einer einfachen Verstellung eine ziemlich ausgiebige Variirung der Unterbrechungszahl gestattet und ebenfalls auf 10-5 per Secunde gerichtet wurde. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es nicht ohne Weiteres zulässig ist, die für eine merkliche Erregung einerseits der Vagus-, andererseits der Ischiadieusfasern erforderlichen Ströme numerisch zu vergleichen. Da beide durch verschiedene Elektroden zugeleitet werden, da auch für den einzelnen Nerv der Schwellenwerth von der Länge der zwischen die Blektroden gebrachten Strecke u. dergl. abhängt, so ist wenigstens einer so gefundenen Zahl keine einfach angebbare und feste Bedeutung zuzuschreiben. Ein dass der Bruch Quotient S ist also nicht direct in einem bestimmten Sinne zu verwerthen. Da andererseits die Rheonom- und die Schlittenreize unter einander auch nicht direct vergleichbar und in einer gemeinsamen Einheit messbar sind, S h so ist auch ein Quotient Fe nicht direct verwerthbar. Ein Werth von 0] bestimmter und fester Bedeutung wird daher nur erhalten, wenn in dem- selben Versuche, d.h. also an dem gleichen Präparat und ohne Aenderung der Elektroden hinter einander alle vier in Betracht kommenden Werthe ermittelt 8, 2 8; 8, x R; ’ werden und man alsdann den Quotienten RB oder SR bildet. ; v OL v R =: 190 SHINKICHI IMAMURA: Die Bedeutung eines solchen Quotienten lässt sich sogar zweckmässig noch etwas weiter verfolgen. Die gefundenen Werthe bedeuten (wie schon bemerkt) zunächst elekromotorische Kräfte. Da nun aber durchweg die Widerstände ganz überwiegend in den Nerven selbst gelegen sind, so ist zu übersehen, dass der gleiche Verhältnisswerth auch für die bei der Reizung stattindenden Stromstärken als gültig betrachtet werden darf. Und da endlich auch die Vertheilung der Ströme auf Nervenfasern und Zwischen- gewebe, die Zahl der vorhandenen Fasern u. s. w. in jedem Nerven für beide Stromarten übereinstimmt, so darf angenommen werden, dass auch die auf die einzelnen Nervenfasern entfallenden Stromstärken in den gleichen, durch die Grösse des gefundenen Quotienten gegebenen Beziehungen stehen werden. Hiernach dürfte diesen also in der That eine von jenen Zufällig- keiten der Versuchsweise nicht beeinflusste Bedeutung zuzuschreiben sein. Gewöhnlich wurde so zu Werke gegangen, dass die Wirkung einer Art von Reizen auf beide Nerven unmittelbar nach einander geprüft, sodann derselbe Vergleich für die anderen Reize angestellt, endlich die erste Ver- suchsgruppe wiederholt wurde. Eine gewisse Schwierigkeit erwächst den Versuchen aus dem folgenden Umstand. Streng, genommen sollten für jede Art der Nervenfasern die- jenigen Stärken der Rheonom- wie der Schlittenreize in Vergleich gebracht werden, die an ihm gleiche Effecte hervorbringen. Man könnte hierzu die- jenigen wählen, welche eben eine bemerkbare Wirkung ergeben (Schwellen- werthe), oder auch diejenigen, die ausreichen, um eine maximale Wirkung hervorzubringen. Den Versuch in dieser Weise mit Genauigkeit zu gestalten, stösst aber wegen der meist vorhandenen kleinen Unregelmässigkeiten in der Wirkung auf einige Schwierigkeit; jedenfalls würde ein so ausgedehntes Probiren erforderlich, dass dadurch, wegen der allmählichen Veränderung des Prä- parates die Durchführung einer vollständigen Reihe mit in sich unvergleich- baren Werthen überhaupt in Frage gestellt wurde. Glücklicherweise indessen sind die Unterschiede, um deren Constatirung es sich handelt, so beträcht- lich, dass auch eine gröbere Durchführung der Versuche zur Gewinnung approximativ gültiger Zahlenwerthe genügt, eine Durchführung, bei der man sich mit der Ermittelung einiger Reizstärken begnügt, die noch keine, die schwache oder starke Wirkungen ergeben. Im Allgemeinen fand sich, dass den Inductionsströmen zur Erzielung von Wirkungen am Vagus etwa die 100 fache Stärke von denjenigen gegeben werden muss, die am Ischiadicus wirksam ist, während die Rheonomreize im gleichen Sinne nur eine mässige Verstärkung (höchstens auf das 7 fache, zuweilen gar keiner) bedürfen. Ohne also für den vorhin erwähnten Quotienten überhaupt oder auch nur am einzelnen Versuch eine sehr ERREGBARKEITSVERHÄLTNISSE HERZHEMMENDER U. MOTOR. NERVEN. 191 genaue Angabe machen zu wollen, darf ich sagen, dass er stets durch eine Zahl von beträchtlicher Höhe, etwa zwischen 20 und 100, dargestellt wird. Als Beleg hierfür und zur Information über den Gang der Versuche mögen die folgenden Zusammenstellungen dienen. Vergleich zwischen der Schlitten- und Rheonomreizung bei Ischiadieus und Vagus. | Oscilla- Unter- tionszahl | brechungs- | ; Versuchs- des zahl dorimah, Rollen-| Vagus Ehadh | Vagus me Quotient datum | Rheonom- Rolle bei der/ghstand|Ischiad. " Tschiad. Aue stromes | Schlittenreiz. beiden ER in der Sec.| in der Sec. 2 | | 3500 10000 | 92 X | 25 Q FRE as Ihr . 23.XI. 99) 10-32 unbestimmt | 115 500 7.0 710 143 20°4 2 | | 5000 _ 3000 i | | 2500 1500 3 & 4, a 10:32 10:3 | 100 | 3500 0:7 20.7 75 107.0 MT. Der Unterschied der herzhemmenden Vagus- und der motorischen Ischiadicusfasern wird durch die mitgetheilten Versuche bewiesen und sehr augenfällig illustrirt. Da indessen die zeitlichen Verhältnisse der Inductions- ströme nur sehr ungenau bekannt und jedenfalls mit denen der galvanischen Ströme nicht vergleichbar sind, so kann den gewonnenen Zahlenergebnissen keine ganz einfache und allgemein vergleichbare Bedeutung zugeschrieben werden. In dem Wunsche, eine solche zu finden, habe ich mich zunächst einer Vergleichung der Zeitreize (linearer Stromanstiege) mit den Momentan- schliessungen galvanischer Ströme zugewandt. Die so erhaltene Versuchs- combination ist die nämliche, die v. Kries schon bei seinen ersten Unter- suchungen über die Wirkung linearer Stromanstiege benutzt hat. Wenn bei Momentanschliessung eines galvanischen Stromes die Intensität i„ er- forderlich ist, um einen gewissen Reizeflect zu erhalten, bei linearem An- schwellen dagegen zur Erzielung der gleichen Wirkung die Stromstärke >, Ä i erreicht werden muss, so ist es der Werth ne von v. Kries als Reizungs- Mm divisor für die betreffende Anstiegsdauer bezeichnet, den wir hier in’s Auge fassen können und der zur Charakterisirung des Nervenzustandes wie der Nervenart geeignet erscheint.! 1! Vgl. v. Kries, Ueber die Abhängigkeit der Erregung vom zeitlichen Verlauf der zur Reizung dienenden Elektricitätsbewegungen. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abthlg. 8. 337 £. 192 SHINKICHI IMAMURA: Behufs der Versuche dieser Art war zunächst die Anordnung am Rheonom so abzuändern, dass dasselbe einsinnige Schwankungen von der Form NY N/N_ lieferte. Ferner wurde der oben erwähnte Brändli’sche Unterbrecher mit einem leicht federnden Vorsprung ver- sehen, der beim Schwingen des Instrumentes mittels eines kleinen ver- goldeten Knöpfehens auf eine darunter befestigte Platinplatte aufschlug. Der Apparat besorgte so die momentane Schliessung und Oeffnung eines Stromes, wiederum 10-5 Mal per Secunde. Wurde das Rheonom so gestellt, dass den Nerven maximaler Strom zufloss, und alsdann jene Unterbrechungsstelle eingeschaltet, so erhielt man das momentane Entstehen und Verschwinden eben jener Stromstärke, die beim Gang des Rheonoms in allmählichem An- und Abstieg sich entwickelte und schwand.! Es ist mir ohne besondere Schwierigkeit gelungen, auf diese Weise Zahlen zu finden, denen die Bedeutung der Kries’schen Reizungsdivisoren zukommt und zwar sowohl für die Vagus- wie für die motorischen Ischiadicusfasern. Eine Zusammenstellung meiner Ergebnisse dieser Kategorie enthält die folgende Tabelle. Reizungsdivisoren. Oseillationszahl | Oseillationszahl des des Rheonomstromes | Momentanstromes in der Sec. in der Sec. Versuchsdatum Reizungsdivisor 1. Für Isehiadieus-Gastrocnemiuspräparat. 11. XII. 1899 10-4 | 10-45 10-2 — 10-8 12. XII. 1899 10-4 | 10-45 ' etwa 10-9 5. I. 1900 10-66 | 10-56 8:8 — 8-9 7. I. 1900 10-66 | 10-56 etwa 6 2. Für die herzhemmenden Vagusfasern. | 10-4 10-45 1-3 — 1+4 12. XI. 1899 a e. us 5. I. 1900 10-66 10-56 1-33— 1-5 5. I. 1900 | 10-66 10-56 etwa 1-47 | 10-66 10-56 1-23 En: 1000 | 10-66 10-56 1-43 17. 1. 1900 | 10-66 10-56 etwa 1-33 Wie zu erwarten, zeigt sich auch bei dieser Art der Vergleichung der Unterschied der beiden geprüften Faserarten deutlich. Während nämlich ! Die relative Dauer der Stromöffnung und -Schliessung wurde hierbei durch Ein- schaltung eines Pfeil’schen Signals wenigstens annähernd bestimmt; der Strom war etwa während eines Viertels bis Drittels der ganzen Periode geschlossen. ERREGBARKEITSVERHÄLTNISSE HERZHEMMENDER U, MOTOR. NERVEN. 193 bei Anstiegsdauer von 0-05 Secunden die Reizungsdivisoren für die mo- torischen Fasern des Hüftnerven sich in den Grenzen von etwa 6 bis 10 bewegten!, lagen die Reizungsdivisoren für die herzhemmenden Vagusfasern stets der Einheit nahe und ich erhielt Werthe von 1-3 bis 1-5; mit anderen Worten: es stellte sich überhaupt nur ein geringfügiger Unterschied zwischen den Reizwirkungen der Momentanschliessung und des zeitlich protrahirten An- und Abstieges heraus. Man konnte hiernach bereits vermuthen, dass eine Variirung der Anstiegs- dauer, wie sie durch wechselnden Gang des Rheonoms bewirkt werden konnte, keine sehr deutlichen Ergebnisse liefern würde. Und dies hat sich bei einigen direet darauf gerichteten Versuchen denn auch bestätigt. Die Bestimmung eines Schwellenwerthes ist ja bei den herzhemmenden Fasern überhaupt mit keiner sehr grossen (Genauigkeit möglich; immerhin konnte ich doch zwischen den Ergebnissen bei schnellerer und bei langsamerer Drehung des Rheonoms, wobei die einer ganzen Öscillationsperiode zwischen 0.053 und 0.293 Secunden wechselten, die Unterschiede noch mit genügender Sicher- heit verfolgen. Und so ist mir auch in einigen Fällen eine Feststellung gelungen, die eine etwas schärfer fixirte Bedeutung hat, nämlich derjenigen Periode der Stromoscillationen, die das Reizungsoptimum darstellt. Für sinusförmige Schwingungen und für die motorischen Nerven hat bekannt- lich v. Kries schon vor vielen Jahren dies Optimum nachgewiesen und auf etwa 100 Oseillationen per Secunde festgestellt.” Es liess sich erwarten, dass es für die herzhemmenden Vagusfasern bei einer viel niedrigeren Frequenz liegen würde Und das hat sich auch bestätigt. In verschie- denen Fällen liess sich sicher constatiren, dass der für eine bestimmte Rotationsgeschwindigkeit des Apparates gefundene Reizerfolg sowohl bei Vermehrung als bei Verminderung dieser Geschwindigkeit abnahm bezw. nur durch Vermehrung der Stromstärken wieder hergestellt werden kunnte. Die nachfolgenden Zusammenstellungen, in denen einerseits die Oscillations- perioden, andererseits die für etwa gleiche Wirkung erforderlichen Strom- stärken angegeben sind, mögen dies veranschaulichen. Periodendauer in Y/,ooo Sec. 53 74 134 196 293 Eben wirksame Stromstärken — 1200 1000 1700 == Periodendauer in !/,oo0 Dec. 43 76 118 173 2000 1700 1500 1700 1500 _ 1200 1500 ı Dass diese Werthe durchschnittlich höher sind, als die von v. Kries für ähn- liche Anstiegsdauern gefundenen, hat seinen Grund vielleicht darin, dass er unpolarisir- bare, ich dagegen polarisirbare Elektroden benutzte. ? v. Kries, Ueber die Erregung des motorischen Nerven durch Wechselströme. Bericht über die Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg vi. B. 1884. Bd. VII. 8. 192. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 13 Eben wirksame Stromstärken | 194 SHINKICHI IMAMURA: Es erhellt, dass das Reizungsoptimum hier ungefähr bei einer Oseil- lationsperiode von !/, Secunde gefunden wird. d 11: Ich habe endlich noch ein weiteres, neuerdings vielfach empfohlenes Reizungsverfahren probirt, dasjenige nämlich, bei dem man mit Benutzung von Condensatoren bekannter Capaecität und beliebig zu wählender Ladung die. Nerven von bestimmten Elektricitätsmengen in der Form des Ent- ladungsschlages durchströmen lässt. Mir stand zu diesem Zwecke ein kleiner Satz von Elliott’schen Glimmerecondensatoren zur Verfügung, in dem durch Stöpselung die Capacitäten von 0-05 bis 1-0 Mikro-Farad hergestellt werden konnten. Ausserdem stellte ich mir selbst 2 Condensatoren noch kleinerer Capa- cität nach einem schon von Helmholtz benutzten Verfahren her, mittels Reagirgläschen, die mit Quecksilber gefüllt und aussen mit Staniol bezogen wurden. Die Capacität derselben habe ich durch Vergleichung mit einem der Elliott’schen Condensatoren bestimmt und zwar so, dass mittels eines vibrirenden Unterbrechers 10 Entladungen per Secunde entweder des einen oder des anderen, auf die gleiche Potentialdifferenz geladenen Condensators, durch die Rolle einer Wiedemann’schen Bussole geschickt und die Ab- lenkungen beobachtet wurden. Es ergab sich so die Capacität des einen Probirglascondensators = 0.0006, die des anderen = 0-0009 M.-F. Ganz im Allgemeinen zeigt sich nun die Wirkung einerseits von der Capacität und andererseits von der Potentialdifferenz der Ladung abhängig. Eine Curve, die darstellte, wie bei wechselnder Potentialdifferenz die Ca- pacität vermindert werden muss, um immer gleiche (etwa an der Schwelle stehende) Effecte zu erhalten, würde die Beschaffenheit der betreffenden Nerven in dieser Hinsicht erläutern. Die genaue Ermittelung einer solchen Curve stösst indessen, wenigstens für die herzhemmenden Fasern, auf grosse Schwierigkeiten. Thatsächlich lehrten die Versuche aber, dass auch auf ein- fachere Weise hier recht gut zum Ziele zu gelangen sei. Für die motorischen Nerven lässt sich ja aus bekannten Thatsachen entnehmen, dass bei Steige- rung der Capaeität irgendwo ein Maximum erreicht wird, jenseits dessen eine weitere Vermehrung ebenso ohne Wirkung ist, wie bei galvanischer Reizung die Verlängerung des Stromschlusses über ein gewisses Maass hinaus. Dies bestätigten die Versuche ohne Schwierigkeit; auch fand sich, dass etwas ganz Aehnliches für die herzhemmenden Fasern gleichfalls gilt; es zeigte sich aber, dass der Capacitätsbereich, innerhalb dessen die Varirung von deutlichem Einfluss auf den Effect ist, und die Punkte, über welche hinaus weitere Steigerung sich belanglos erweist, für die einen und die ERREGBARKEITSVERHÄLTNISSE HERZHEMMENDER U. MOTOR. NERVEN. 195 anderen Nerven vollkommen auseinanderfallen. Zur Reizung der Ischiadicus- fasern erwiesen sich die kleinen Reagirglascondensatoren durchaus geeignet. Auch war mit Sicherheit zu sehen, dass die Capacitäten 0-0006 und 0.0009 M.-F. innerhalb desjenigen Bereiches liegen, in dem die Verminderung der Capacität durch Steigerung des Potentialunterschiedes compensirt werden muss, d. h. also unterhalb jenes vorhin erwähnten Maximumpunktes. Andererseits war bei Anwendung der Condensatoren des Elliott’schen Satzes zwar, wie sich von selbst versteht, der Ischiadicus vollkommen reiz- bar, aber man sah sogleich, dass die Capacitäten über jenem Maximum- punkte liegen; ob 0-05 oder 0-5 M.-F. angewandt wurden, war für den Erfolg ganz gleichgiltig. Im Gegensatze hierzu fand sich, dass beim Vagus eine wirksame Reizung mit den mir zur Verfügung stehenden Potential- differenzen bei Anwendung der kleinen Probirglascondensatoren überhaupt nicht zu erhalten war. Mit den grösseren Condensatoren gelang sie sehr gut und hier zeigte sich die Abhängigkeit des erforderlichen Potential- unterschiedes von der Capacität sehr deutlich. Ich habe in einer grösseren Zahl von Versuchen zwischen 0°05 und 0-2 M.-F. gewechselt. Dabei erhielt ich Verhältnisse der erforderlichen Potentialdifferenzen von 1-5 bis 2; in einer Anzahl von Fällen konnte ich nur feststellen, dass die Ver- hältnisszahlen noch höhere Werthe als 2 bis 3 zeigen, indem zwar bei der grösseren Capacität Wirkungen zu erzielen waren, bei den kleineren die höchsten verfügbaren Potentialdifferenzen dazu noch nicht ausreichten. Bei der Deutung derartiger Versuche ist nun freilich noch ein Punkt zu berücksichtigen. Bei Benutzung der Condensatoren wird die durch den ganzen Stromkreis gehende Elektrieitätsmenge fixirt. Da aber für den Reizerfolg jedenfalls die auf die einzelnen Nervenfasern treffende Elektrieitäts- menge maassgebend sein wird, so lässt sich im Voraus erwarten, dass z. B. ein Nerv von der 1Ofachen Faserzahl ceteris paribus einen Oondensator von der 10 fachen Capaeität erfordern wird. Auch das Vorhandensein der Neben- schliessungen im Zwischengewebe und der umgebenden physiologischen Kochsalzlösung muss berücksichtigt werden. In diesen Beziehungen liegen die Dinge viel verwickelter, als bei den anderen Reizungsmethoden. Den Versuch, die auf die einzelnen Nervenfasern entfallenden Strommengen in den obigen Condensatorversuchen zu ermitteln, eine jedenfalls ziemlich schwierige Aufgabe, habe ich nicht in Angriff genommen. Es darf wohl vermuthet werden, dass diese Strommengen pro Nervenfaser für Vagus und Ischiadicus sich noch stärker als die gesammten unterscheiden würden. Eine numerische Verwendung der gefundenen Differenzen erscheint aber nicht ohne Weiteres möglich. Durch die mitgetheilten Beobachtungen kann wohl als sicher erwiesen gelten, dass zwischen den hier verglichenen Faserarten (herzhemmenden des 13 196 SHINKICHI IMAMURA: ERREGBARKEITSVERHÄLTNISSE UT. 8. W. Vagus und motorischen des Hüftnerven) in der That ein specifischer Unter- schied der zu Anfang erwähnten Art besteht. Neben der Steilheit der Stromschwankung kommen die absoluten Elektricitätsmengen, die die Nerven- fasern durchströmen, für die Vagusfasern in weit höherem Maasse in Betracht, als für die Muskelnerven. Will man also, wie es neuerdings versucht worden ist, die Abhängigkeit der Reizwirkung von der Elektrieitätsbewegung durch eine allgemein gültige Formel ausdrücken, so wird in dieser ein Parameter für die eine und die andere Faserart mit sehr verschiedenem Werth einzusetzen sein. — Methodisch erscheint, wie man eigentlich sagen muss, keine der benutzten Versuchseinrichtungen als ganz befriedigend. Der Vergleich der Induetions- und galvanischen Reize ist wegen des verwickelten und unbestimmbaren zeitlichen Verlaufs der ersteren unter allen Umständen ein mangelhaftes Verfahren. Die Vergleichung momentaner und protrahirter Stromanstiege, wie das Rheonom sie gestaltet, ist für die motorischen Nerven sehr befriedigend, für die Vagusfasern aber relativ wenig geeignet, weil der Unterschied in der Wirkung der Momentan- und der Zeitreize durchweg gering und somit die Verfolgung feinerer Verhältnisse sehr erschwert: ist. Die Condensatorenmethode endlich, die auf den ersten Blick als die eleganteste erscheint, wird durch die zuletzt erwähnten Schwierigkeiten der Deutung ohne Zweifel in ihrem Werthe sehr beeinträchtigt. Man wird es unter diesen Umständen nur wieder bedauern können, dass die Schliessung galvanischer Ströme für genau bestimmte, sehr kleine Zeitwerthe, die genügend exacte Herstellung sogenannter Stromstösse (namentlich schnell wiederholter) auf so grosse technische Schwierigkeiten stösst. Die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicus und Vagus mit besonderer Berücksichtigung ihrer Schmerz- empfindlichkeit im Bereiche der Bauchhöhle. Von Dr. Max Buch, Chefarzt des finnischen Dragonerregimentes in Willmanstrand, Finnland. Kein einziges der modernen Lehrbücher der Physiologie giebt uns irgend eine Aufklärung über die Sensibilitätsverhältnisse der beiden Nerven der Bauchhöhle, des Sympathieus und Vagus. Zwar ist es jetzt keinem Zweifel mehr unterworfen, dass beide Nerven Reflexe zu vermitteln im Stande und somit centripetaler Leitung fähig sind, aber damit ist noch nicht erwiesen, ob überhaupt und unter welchen Umständen sie Schmerzen zu empfinden vermögen. Ich unternahm es daher, diese in vielen Beziehungen wichtige Frage einer Prüfung zu unterziehen. Für den Sympathicus fand ich in der Litteratur namentlich der ersten Hälfte des eben verflossenen Jahrhunderts so genügende Aufklärung, dass ich glaubte, von eigenen Experimenten Abstand nehmen zu können; in Bezug auf den Vagus dagegen, über den die Litteraturausweise sehr spär- lich sind, habe ich versucht, durch eigene Experimente zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. 1. Die Sensibilität des Sympathicus. Vor Haller wurden alle weissen oder grauen Gewebe des Körpers als Nervenausbreitungen angesehen und galten alle Nerven als sensibel. Demgemäss wurden auch die Schleimhäute als Tunicae nerveae bezeichnet und die Cardia, eine feste Anhäufung grauen Gewebes, wurde von Van Helmont als Cor, Herz, bezeichnet und als Sitz der Seele angesehen. Es 198 MAx Buch: dürfte das auf der Thatsache beruhen, dass man bei schwereren Gemüths- bewegungen, besonders Kummer, Schreck, Mitleiden, ein eigenthümliches, dumpf wehes Gefühl in der Herzgrube und am Sternum entlang empfindet, das gewiss den Grund abgegeben, dass das Herz als Sitz des Gefühls und vieler seelischen Funetionen in Poesie und Sprachgebrauch noch heutigen Tages besteht. Die Herzgrube selbst verdankt diesem Umstande ihren Namen. Von den alten Römern, z. B. Cicero, wird das griechische Wort für Cardia, Stomachus, direct als synonym mit Gemüthsbewegung, be- sonders Aerger, Zorn, gebraucht und das Wort Cardia ist die griechische Bezeichnung für Herz, z&odie, und wird von den Tragikern und im Neuen Testamente ganz wie in den modernen Sprachen in übertragenem Sinne auch für Seele gebraucht. In einer Leipziger Dissertation von 1716 von Joh. Carl Möller! lese ich Folgendes (p. 2): „Veteribus os ventriculi sinistrum stomachus seu Cardia ob exquisitissimum sensum dicebatur.“ (Galen lib. 4. De usu pert. Cicero, De natura Deorum) und daselbst p. 5: „Sensu etiam exqui- sitissimo orificium hoc pollere veterum monumenta testantur, quod Cardiam seu cor dixerint et Helmontius ob acutissimum sensum sedem animae ibi finxerit (Sedes Animae).“ Vgl. auch Helmonts Morbor. sedes in sensit. p-. 450. Dieselbe Anschauung wurde übrigens noch von Woodward (Cases of physik) in der Mitte des 18. Jahrhunderts vertreten, und Haller? stand ihr (1774) sehr nahe, wenn er gleich den Sitz der Seele in’s Gehirn ver- leste.e Willis? (1682) war der erste, der diese Gefühle mit dem Sym- pathieus in Zusammenhang brachte. Er lehrte, der N. intercostalis — die damalige Bezeichnung für den Sympathicus — vermittele die Affeete des Gehirns und bilde ausserdem eine Verbindung zwischen der Thätigkeit und den Leiden fast aller Theile des Körpers, die dem Willen nicht unterworfen sind. Vieussen stimmt Willis bei und betrachtet diesen Nerven als Vermittler der starken „Sympathien“, die zwischen dem Gehirn und den Organen des Unterleibes bestehen. So würden einerseits jene Eingeweide durch Gehirnaffeetionen verschiedener Art und andererseits das Gehirn und selbst der Geist durch Leiden jener beeinflusst. Winslow* (1732) ersetzt denn auch den bis dahin gebräuchlichen, in der That widersinnigen Namen N. intercostalis durch „le grand sympathique“, welchen der Nerv seitdem behalten. ‘ Joh. Carl Möller, Specimen sistens tussim stomachalem. Diss. Leipzig 1716. ” Albrecht v. Haller, Anfangsgründe der Physiologie. Aus dem Lateinischen von Halle. Berlin und Leipzig 1774. Bd. VI. ® Thomas Willis, Op. omn. Amsterdam 1682. Cerebri et nervorum anatome. * Jaques Ben. Winslow, Zxposition anatomique de la strueture du corps humain. Paris 1732. T. IIl. p. 314—316. DIE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND VAcus. 199 Der Ausdruck „sympathieus“ ist echtes Küchenlatein französischer Küche, latinisirt aus dem französischen Worte „sympathique“. Die Worte sympathia oder sympathicus wird man vergebens in einem lateinischen oder griechischen Lexikon suchen. Richtiger, wenngleich im Altgriechischen ungebräuchlich, wäre sympathetieus (von ov» und swösyrtızos), doch hat sich das kürzere „sympathicus“ so eingebürgert, dass es nicht gelingen dürfte, es zu ver- drängen. Die Engländer haben noch die richtigere Bezeichnung „sympathetie nerve“. Die griechische Bezeichnung für Mitleid und bemitleiden ist ouune"js und oyunadeir. Bei den Lateinern war weder das eine noch andere ge- bräuchlich, da sie ein gutes lateinisches Wort hatten, eondoleo, und dessen Ableitungen. Auch nachdem Haller und seine Schüler gezeigt, dass unter allen weissen faserigen Geweben nur die Nerven Vermittler der Empfindungen sind, galten doch wie vorher alle Nerven, natürlich auch der Sympathiecus, der ja seit Willis insbesondere eine grosse Rolle spielte, als Empfindungs- nerven, wenngleich schon Haller! gefunden, dass bei Reizung der Nerven- seflechte, welche die Art. cveliaca, die Vena portae begleiten, entweder gar keine oder nur undeutliche Schmerzäusserungen erzeugt werden konnten. Erst Magendie? machte die Entdeckung, dass nur ein Theil der Nerven sensibel sind, und dass es Nerven giebt, „welche an Unempfindlichkeit den Sehnen, Aponeurosen, Knorpeln gleichen“. Gewöhnlich wird fälschliceh Bell diese Entdeckung zugeschrieben. Vul- pian hat jedoch nachgewiesen, dass Charles Bell 1811 in einer selten gewordenen Arbeit (Idea of a new anatomy of the brain) die hintere Wurzel als vegetativ, die vordere als motorisch und sensibel ansah. Der sog. Bell’- sche Lehrsatz, wonach die vorderen Wurzeln motorisch, die hinteren sensibel sind, ist erst viel später auf Grundlage der Magendie’schen Entdeckung von Bell formulirt worden. Den Vagus bezeichnet Magendie als sensiblen Nerven des Magens, dem Sympathicus gegenüber aber verhält er sich äusserst übelwollend, Ja er wirft sogar, allerdings halb im Scherz, die Frage auf, ob der Sym- pathicus überhaupt ein Nerv sei, denn man könne ein Ganglion stechen, schneiden, selbst wegreissen, das Thier scheine weder ein Bewusstsein davon zu haben, noch zeige sich eine Contraction in den Muskeln. Wenn man alle Halsganglien und selbst die ersten Brustganglien ausschneide, so be- merke man keine wahrnehmbare und unmittelbare Störung in den Organen u.s. w. Ebenso hält Carus’ das Gangliensystem für entbehrlich, ! Albr. v. Haller, Sur la nature sensible et irritable des parties du corps humain. Lausanne 1766. T.I. p. 218. ? Magendie, Handbuch der Physiologie. Uebersetzt aus dem Französischen von Heusinger. Eisenach und Wien 1834. Bd.I. S. 144. 3 Carus, Versuch einer Darstellung des Nervensystems und bes. des Gehirns. Leipzig 1814. S. 38. 200 Mıx Buch: ein Beweis, wie hoch sich Gelehrtenunverstand überheben kann. Er sieht es immerhin für das Organ des Gemeingefühls an. ; Magendie’s Angabe der vollständigen Unempfindlichkeit der Ganglien gegen mechanische Reize wurde dann noch von zahlreichen Untersuchern bestätigt. Bichat! hatte schon früher ähnliche Erfahrungen gemacht; er reizte das Gangl. coeliacum beim Hunde mit dem Messer und mit Säuren, ohne Schmerz zu erzeugen; der hervorgezogene Darm des Thieres wurde ohne Schmerz zu erregen, gereizt. Haller? hatte schon viel früher nach- gewiesen, dass das normale Peritoneum keine Schmerzen empfinde, und war deshalb der Ansicht, dass es überhaupt keine Nerven enthalte Dupuy° schnitt das Gangl. cerv. inf. aus, ohne Schmerzen zu erregen. Wutzer, Reil®, Lobstein reizten die Lendenknoten bezw. das Ganglion coeliacum durch Stechen mit dem Messer, ohne die geringste Schmerzäusserung. Gleichwohl erhob sich gegen diese Angaben lebhafter Widerspruch. Lobstein ® selbst führt von ihm beobachtete Krankheitsfälle an, die mit den heftigsten Schmerzen im Epigastrium einhergingen und nach dem Tode ausser einer lebhaften Entzündung des Pl. solaris keinerlei Abweichungen von der Norm darstellten, und Bichat und Reil’” verneinen keineswegs die Thatsache, dass die nur vom Sympathicus versehenen Organe unter pathologischen Verhältnissen lebhafter Schmerzen fähig sind, weshalb Reil seine Isolatorentheorie aufstellte, auf die wir später zurückkommen. E.H. Weber ° sagt: „Ich meines Theils halte die alltäglichen Beobachtungen über die Schmerzen in diesen Theilen, die unempfindlich sein sollen, für beachtenswerther als jene Experimente.“ Auch Ilmoni’, der die Richtig- keit der experimentellen Befunde anerkennt, statuirt Schmerzhaftigkeit der vom Sympathicus versehenen Organe unter krankhaften Umständen. Ein Theil jener Experimentatoren selbst gewann positive Resultate bei anderer ! Bichat, Allgemeine Anatomie. Aus dem Französischen übersetzt von Pfaff. Leipzig 1802. Bd.I. Abth.1. 8.305 u. 322. ® Haller, Sur la nature sensible ete. T.1l. Ferner Haller, Anfangsgründe der Physiologie. Uebersetzt von Halle. Berlin und Leipzig 1774. Bd. VI. S. 494. ® Dupuy, Bull. de la soc. d’eEmulation. Paris 1816. Nr. 12. Cit. von Magendie. * Reil, Ueber die Eigenschaften des Gangliensystems und sein Verhalten zum Cerebralsystem. Archiv f. d. Physiologie. 1807. Bd. VII. S. 189 ff. > Joh. Fr. Lobstein, De nervi sympathetici fabrica usu et morbis. Paris 1823. p. 94. ® Lobstein, a.a. O. p. 147—150. 7 Reil, a.a. O. S. 230. ® Fried. Hildebrand’s Handbuch der Anatomie. Bearbeitet von E. H. Weber. Braunschweig 1831. 4. Aufl. Bd. III. 8. 355. ° Immanuel Ilmoni, De pathologica systematis nervorum gangliosi dignitate. Diss. academ. Helsingfors 1833. DıE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vaaus. 201 Anordnung der Versuche. Wutzer! (1817) konnte zwar bei Hunden die Lendenknoten durch mannigfache mechanische Reizmittel reizen, ohne Schmerz zu erregen, als er dagegen demselben Thiere ein Lumbalganglion freipräparirte, auf eine Glasplatte legte und elektrisch reizte, äusserte es den heftigsten Schmerz. Auch C. Mayer? sah bei Reizung des Plexus solaris sowie beim Durchschneiden des Gangl. cervie. supr. die Thiere deutliche Schmerzensäusserungen von sich geben. Joh. Müller? tritt ebenfalls für die Schmerzempfindlichkeit des Sympathicus ein. „Ich sah nicht allein mehrmals bei mechanischer und chemischer Reizung des Gangl. coeliacum bei Kaninchen deutliche Zeichen des Schmerzes, sondern habe auch bei den mit Dr. Peiper’s angestellten Versuchen beim Unterbinden der Nieren- nerven immer ganz deutliche Zeichen eines lebhaften Schmerzes beobachtet. Deutlicher noch als Versuche beweisen die krankhaften schmerzhaften Empfindungen in den allein vom Gangliennerven versehenen Theilen die Empfindlichkeit dieses Nerven.“ Gianuzzi* fand weiter den Plexus hypo- gastricus und die Verbindungsfäden zwischen diesem und den Ganglia mesenterica äusserst schmerzempfindlich. Budge bestätigte diesen Befund und wies ausserdem nach, dass der Lendengrenzstrang des Sympathicus in seiner ganzen Länge bei Hunden empfindlich sei’, ebenso das Ganglion coeliacum.® Peiper” erwähnt in Versuchen aus neuester Zeit (1890), dass Kaninchen während der Exstirpation des Pl. coeliacus trotz tiefer Aether- narcose stets die deutlichsten Zeichen von Schmerz kundgaben. Die Ver- suche von Lewin und Boer® beweisen dasselbe. Vom Splanchnicus major endlich bezeugen alle Untersucher übereinstimmend, dass er constant schmerzhaft erregbar sei (Budge, Ludwig, Haffter!‘, Nasse!!, Braam- ! Wutzer, De corp. hum. fabr. atque usu. Berol. 1817. p. 126—127. (?) ? C. Mayer, Ueber das Gehirn, das Rückenmark und die Nerven. Verh. d. K. Leopold.-Carol. Akad. der Naturf. (Nova Acta.) 1833. Bd. XVI. 2. Abth. S. 753. ® Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. Coblenz 1844. * Gianuzzi, Note sur les nerfs moteurs de la vessie. Comptes rendus de l’acad. des sciences. Paris 1863 T.LVII. p. 53. 5 Jul. Budge, Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Bewegungen der Blase. Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift f. ration. Med. 1864. Bd. XXI. 3. 174 ff.; Bd. XXIII 8.78 ft. ° Derselbe, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1862. 8. Aull. ” Erich Peiper, Experimentelle Studien über die Folgen der Ausrottung des Pl. coeliacus. Zeitschrift für klinische Medicin. 1890. Bd. XVII. ® Lewin und Boer, Quetschung und Ausrottung des Gangl. coeliacum. Deutsche _ med. Wochenschrift. 1894. Nr. 10. 8. 217. ® Ludwig, Lehrbuch der Physiologie. Zürich 1852. Bd. I. 8.175 ft. 10 Wilh. Haffter, Neue Versuche über den N. splanchnicus maj. et min. JZnaug.- Diss. Zürich 1853. (Unter Ludwig’s Leitung.) ıı Q. Nasse, Beitr. zur Physiologie der Darmbewegungen. Leipzig 1866. 202 Max Buc#: Houckgeest!, Dobbert?). Nasse fand noch, dass zwar die motorischen Fasern des Splanchnieus sich nur auf den Dünndarm beschränken, die sensiblen aber auch auf das Colon ascendens und transversum übergreifen, das Colon descendens und Rectum dagegen sensible Fasern von dem die Art. mesenterica inf. umspinnenden Netz erhalten. Ludwig bezeichnet auch das Peritoneum, den Pl. eoeliacus, Leber und Nieren als schmerzempfind- lich. Johannes Müller? fand die feste Umschnürung der Nierenarterie, Valentin* die der Nierenarterie und der Pfortader sehr empfindlich, beide beziehen den Schmerz auf die das Gefäss eng umspinnenden Sympathicus- fäden. Auch Colin? fand die Umschnürung der Eingeweidearterien an den verschiedensten Thieren constant äusserst empfindlich, so dass sie deut- lich ihren Schmerz äusserten und zum Theil vor Schmerz laut schrieen. Die Milzarterie fand er besonders empfindlich, aber auch die Magen- und Leberarterien, die Arteriae mesentericae und epiploicae. Auch er bezieht, gleich Joh. Müller, diese Schmerzempfindlichkeit auf die sympathischen (reflechte, welche diese Arterien begleiten und umgeben. An anderen Körperstellen, Kopf, Hals, Brust, Abdominalwand, Extremitäten, konnte er durch Reizung der Arterien keine Schmerzäusserungen hervorrufen. Haller‘ allerdings sagt im Gegensatz hierzu: „Je ne me suis jamais apercu en liant des arteres ou des veines que l’animal ait montre de la douleur.“ Es ist kaum glaublich, dass dieser so ungemein fleissige Forscher nie Gefässe der Bauchhöhle unterbunden haben sollte. Ferner stellte Moltschanoff” der neuropathologischen und psychia- trischen Gesellschaft zu Moskau (Sitzung vom 14. Februar 1897) einen pathologischen Fall vor, in dem die erweiterten Venen des Vorderarmes auf Druck schmerzempfindlich waren, obleich keine Periphlebitis bestand und zieht hieraus den Schluss, dass die Gefässe, speciell die Venen, sensible, speciell schmerzempfindliche Nerven besitzen. Von Laennec ist übrigens schon im Anfange des Jahrhunderts eine Neuralgie der Gefässe beschrieben worden, die von Ilmoni (1833)° dem Gangliensystem zugeschrieben wird. ! Braam-Houckgeest, Untersuchungen über Peristaltik des Magens und Darm- canals.. Pflüger’s Archiv. 1872. Bd. VI. 8. 266—302. ® Dobbert, Zur Innervation des Pylorus., /naug.-Diss. Dorpat 1886. ® Joh. Müller, Zehrbuch. * Valentin, Lehrbuch der Physiologie. Braunschweig 1847. 2. Aufl. Bd. II. 2. Abth. ° Colin, Sur la sensibilitE des arteres viscerales. Comptes rendus de l’acad. des sciences. 1862. T.LV. 6 Albr. v. Haller, Nature sensible et irritable des parties du corps. 1166. p. 217. ” M. J. Moltschanow, Sabolewanie sosudow (wen) w sawissimosti ot pora- shenija perifer. nerwow. Wratsch. 1897. Bd.1. S. 357. ° Imm. Ilmoni, De pathologiea systematis nervorum gangliosi dignitate. Diss. academ. Helsingfors 1833. DIE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vaaus. 203 Neuerdings erwähnt Vaquez! Gefässschmerzen bei Hysterischen und Neur- asthenischen. Wir können also zusammenfassend sagen: In allen Theilen des Sympathicus ist von zahlreichen hervorragenden Beobachtern völliger Mangel von Empfindung, von anderen ebenso zahl- reichen und ebenso hervorragenden in denselben Theilen mehr oder weniger beträchtliche Schmerzempfindlichkeit beobachtet worden. Diese scheinbar unauflöslichen Widersprüche haben jedoch schon lange ihre vollständige Aufklärung gefunden durch die Untersuchungen von Wutzer?, Flourens, Brachet, Valentin und Longet, deren Bedeutung in dieser Beziehung bisher ganz unbeachtet geblieben ist. Schon Sömme- ring? erwähnt, dass „die Zweige und Fäden des sympathischen Nerven nur alsdann Empfindung und Schmerzen erregen, wenn sie zu sehr ge- dehnt und zu sehr gepresst werden“. Flourens‘ machte seine Unter- suchungen an Kaninchen und kam zum Resultat, dass bei stärkeren Strömen das Ganglion semilunare „constamment et tres energiquement exeitable“ sei, dass aber auch die übrigen Ganglien erregbar werden, jedoch nur all- mählich bei längerer Dauer des Reizes und stets in schwächerem Grade. Brachet° constatirt, dass die Ganglien wie Fäden sowohl des Bauch-, als .des Brusttheiles, wenn man sie gleich nach der Eröffnung des Bauches oder der Brust stach, meist gar keine Empfindung oder nur ausnahmsweise geringe Empfindlichkeit zeigten. In einigen, 2 bis 4, Minuten rötheten sie sich in einigen Versuchen und nahmen die Eigenthümlichkeiten der Entzündung an, in mehreren Versuchen ist aber keine Röthung oder Ent- zündung erwähnt. In allen Fällen jedoch zeigten alle Ganglien und sym- pathischen Nervenfäden, einige Minuten, nachdem sie in einen Reizzustand versetzt worden, eine grosse Empfindlichkeit gegen mechanische Reize, während andere vorher nicht gereizte Knoten ihre Unempfindlichkeit bei- behielten. Durchschneidung der oberen oder unteren Rückenmarkswurzel eines Lenden- oder Brustknotens störte nicht die durch den Reizzustand erworbene Empfindlichkeit, wohl aber hörte sie vollständig auf nach Zer- ! Vaquez, Phenomenes vasculaires d’ordre nerveux. Soc. med. des höpitaux, Sitzung vom 18. Juni 1897. Semaine med. 1897. p. 239. 2 Wutzer, 2.2.0, >8. Th. Sömmering, Lehre vom Hirne und von den Nerven. Frankfurt a. M. 1800. 2. Aufl. Bd. V. 1. Abth. $ 290. * Flourens, Les proprietes et les fonctions du systeme nerveux. Paris 1824. p. 207—208. 5 Brachet, Praktische Untersuchungen über die Verrichtungen des Ganglien- nervensystems. Aus dem Französischen von Flies. 1836. $. 224 ff. 204 Max Bucn: schneidung der oberen und unteren Rückenmarkswurzel eines Knotens. Valentin’s! Versuche ergaben, dass man oft den Halsstamm des Sym- pathicus drücken oder durchschneiden und dessen oberen Knoten bei Kaninchen durchreissen kann, ohne dass die Thiere das geringste Schmerzens- zeichen von sich geben. Es ereigne sich aber auch, dass erwachsene Thiere die Trennung der Halswurzeln des Knotens mit Gegenbewegungen beant- worten. Oeffne man den Unterleib oder die eine Seite der Brusthöhle so schnell als möglich und drücke das Sonnengeflecht, einen der splanchnischen Nerven oder einen anderen Zweig des Sympathicus zusammen, so erhalte man bisweilen keine Schmerzensregungen. Sind die Theile eine Zeit lang der Luft ausgesetzt, so verrathen sie in der Regel einen merklichen Grad der Empfindlichkeit. Diese Erscheinung wiederhole sich nicht selten in den Knoten und fadigen Zwischentheilen des Grenzstranges. Es könne hierbei vorkommen, dass die Art des Reizes über den Erfolg entscheide. Bleibt das Einstechen in ein Ganglion oder die rasche Durchschneidung wirkungslos, so träten nicht selten die Schmerzensäusserungen hervor, sowie man die Nervenmasse drücke, sie mit Salpeter oder Kalilösung betupfe. — Die Verbindungsfäden, die zwischen dem Grenzstrange und den Rückenmarks- nerven verlaufen, zeichnen sich durch einen hohen Grad von Empfind- lichkeit aus. Im Allgemeinen beantworten die Ganglien des Sympathicus schwache oder mässige Reize im Anfange gar nicht, nur stärkere Reize rufen schon jetzt stärkere Wirkungen hervor. Haben sie eine Zeit lang dem Einflusse der Luft unterlegen, oder hat sich ihre „Stimmung“ aus anderen Ursachen verändert, so können sie die heftigsten Leiden unter den verschiedensten Bedingungen erregen. Longet? endlich untersuchte bei Hunden die galvanische Empfind- lichkeit der Nierennerven, der Lumbar- und Semilunarganglien. Es zeigte sich dabei, dass ziemlich starke Ströme angewandt werden müssen, und dass auch diese eine beträchtliche Zeit die erwähnten Nervenfäden oder Ganglien durchströmen müssen, ehe Anfangs unbedeutende, immer mehr zunehmende Schmerzäusserungen von dem Thiere gemacht werden. Die vollständig mit einander übereinstimmenden Resultate dieser fünf ausgezeichneten Forscher werden auf’s Schönste bestätiet durch übrigens zu ganz anderem Zweck unternommene Versuche der neuesten Zeit. Guinard und Tixier? wollten die Bedingungen, unter welchen der Shock ı Valentin, a.a.0. S. 420—422. ® Longet, Traite de Physiol. Paris 1850. T. U. ®L. Guinard et Tixier, Troubles fonctionnels reflexes d’origine peritoneale. Sitzung der Acad. des sciences vom 2. Angust 1897. Semaine medicale. 18971. p. 307, DIE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vaaus. 205 bei Operationen in der Bauchhöhle zu Stande kommt, studiren und unter- suchten daher bei tief narcotisirten Hunden die centripetalen Wirkungen von Reizungen der Baucheingeweide durch ihren Einfluss auf die Reflexe vermittelst graphischer Darstellung ihrer Wirkungen auf den Blutdruck, den Puls, das Herz, die Athmung. Sie fanden, dass die Reizung des Peri- toneum constant ein Sinken des Blutdruckes, Verlangsamung der Herz- thätiekeit, Beschleunigung der Respiration hervorruft. Je länger die Evisceration dauert, desto empfindlicher wird das Peritoneum, desto inten- siver werden die Reflexe, so dass die Evisceration nicht über 15 Minuten ohne Gefahr des Shock forteesetzt werden darf. Bei Thieren mit krankem Peritoneum (Peritonisme, Peritonitis, Darmocelusion) ist die Reflexthätigkeit ausserordentlich verstärkt. So erklärt sich die Empfindungslosigkeit des normalen Peritoneum gegen Kneten, Zerren und Faradisiren, von der auch ich mich an Thieren vielfach habe überzeugen können, und die tausend Nadeln andererseits, welche bei Peritonitis die Bauchhöhle zu erfüllen scheinen. Das beigebrachte Material dürfte genügen, um festzustellen, dass, mit Ausnahme des Splanchnicus, welcher constant schmerzempfindlich ist, unter normalen Verhältnissen Reizung des Sympathicus und der von ihm innervirten Organe keinen Schmerz erzeugt, obgleich alle Physiologen wissen und hundertfache Erfahrungen beweisen, dass von sämmtlichen Theilen des Sympathicus aus durch centripetale Reizung regel- mässie und gesetzmässig Reflexe ausgelöst werden. Man vergleiche z. B. nur die zahlreichen experimentellen Untersuchungen von Francois-Franck und Hallion! über die vasomotorische Innervation der verschiedenen Organe der Bauch- und Brusthöhle und die eingehenden Nachweise von Pawlow?, welche darlegen, dass während der Verdauung eine Masse von Reflexen der complicirtesten Art durch den Sympathieus vermittelt werden, welche uns aber, wie die tägliche Erfahrung zeigt, überhaupt nicht zum Bewusstsein kommen, obgleich sie beweisen, dass der Sympathicus ein centripetal wirkender, d. h. sensibler Nerv ist, wie ja auch zweifelsohne von allen übrigen sensiblen Nerven des Körpers den Üentralorganen be- ständig eine Fülle sensibler Erresungen zuströmt, welche unter der Be- wusstseinsschwelle verbleiben. Wenn aber das Thier lange gequält oder der zu untersuchende Theil des Sympathicus auf eine oder die andere Weise sich in einem Reizzustande befindet oder sehr ! Hallion et Frangois-Franck, Zahlreiche Aufsätze im Arch. de Physiol. 1896 und 1897. ® J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Aus dem Russischen von Walter. Wiesbaden 1898, 206 Max Buch: starken und andauernden Reizen unterworfen wird, können vom Sympathicus aus die lebhaftesten Schmerzen ausgelöst werden. Dies kann man leicht auch am Menschen beobachten. Der Grenz- strang und die die vordere Fläche der Wirbelkörper und die innere Seite des Beckens bekleidenden Geflechte des Sympathicus sind der Betastung leicht zugänglich und im gesunden Zustande ganz unempfindlich gegen Druck; sehr druckempfindlich dagegen und häufig auch Sitz der heftigsten spontanen Schmerzen werden sie in den verschiedensten pathologischen Zuständen. Um solche Thatsachen zu erklären, stellte Reil! die Theorie auf, die Ganglien stellten hier das vor, was in der Elektrieitätslehre die Isolirkörper. Unter normalen Verhältnissen erhalte zwar das Gangliensystem Eindrücke und reagire gegen dieselben, ohne dass sie jedoch zum Gehirn fortgeleitet würden. In krankhaften dagegen, wo die „Lebenskraft“ in diesen Nerven vermehrt werde, verschwinde die Unempfindlichkeit, die Ganglien ver- wandelten sich aus Isolatoren in Leiter. BReil’s Theorie befriedigte seine Zeitgenossen, wie Lobstein?, Ilmoni? u. A., bis Volkmann“ eine unserem modernen Verständniss mehr zugängliche Erklärung versuchte. Er constatirte noch durch eine neue Thatsache die Unempfindlichkeit des gesunden Sym- pathicus. Wenn man nämlich, was am Froschschenkel leicht auszuführen, die cerebrospinalen Fasern eines Hautnerven mit Schonung der sympathischen Fasern durchschneide, so gehe die Sensibilität verloren, zum Beweis, dass die sympathischen Fasern nicht empfinden; besitzen die sympathischen Fasern demnach ja das Vermögen zu empfinden, so müsse es sehr stumpf sein. Es frage sich nun, wie die ausgebreiteten heftigen Schmerzen erklärt werden sollen, welche im Bezirke des Sympathicus in Krankheiten vor- kommen; die wenigen cerebrospinalen Fasern, welche den Zweigen dieses Nerven beigemischt sind, hält er mit vollem Recht nicht zur Erklärung für ausreichend, vermuthet vielmehr, dass die sympathischen Nerven unter Umständen selbst sensibel werden und zwar dadurch, dass sich zwischen ihnen und dem Sensorium eine Leitung herstelle, welche im gesunden Leben nicht vorhanden sei, und sieht die oben erwähnten Beobachtungen Brachet’s als Bestätigung seiner Ansicht an. Die Hypothese habe, meint er, nichts Gewagtes, weil Veränderungen der Leitungsverhältnisse und namentlich Ueberspringen des Reizes auf andere Leiter, als ihm normal ! Reil, Archiv f. d. Physiologie. 1807. Bd. VII. 8. 189 ff. ?2 Lobstein, a.a. 0. ® Ilmoni, 2.2.0. *A.W. Volkmann, Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. Il. Art. Nervenphysiologie. Die SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 207 zukommen, sehr häufig bemerkt werde. — Während die sensiblen Cerebro- spinalfasern, welche dem Sympathicus beigemischt, wahrscheinlich nicht ausreichend seien, die pathologischen Schmerzen zu erklären, müssten sie ausreichen, die den Tasteindrücken analogen Empfindungen zu vermitteln. Dieser Theorie schloss sich u. A. auch Ludwig an. Während der Herrschaft von Gerlach’s Anschauung, dass die Nerven- leitung ununterbrochen, continuirlich sei, galt Volkmann’s Theorie von der Querleitung als abgethan. Seit aber Waldeyer’s Neuronentheorie heute so gut wie allgemein anerkannt ist, herrscht die Anschauung, dass jedes Neuron seine Erregung der Nervenzelle des folgenden vermittelst des Endkörbehens durch Contaet, also Querleitung übergiebt. Wundt! führt aus, dass die sympathische Nervenzelle nicht nur den von Gehirn und Rückenmark ausgehenden, sondern auch in centripetaler Richtung auf sie fortgepflanzten Erregungen Widerstände entgegensetzt: so beobachten wir, sagt er, dass schwächere Reize, die z. B. auf den Darm oder auf andere vom Sympathicus versorgte Theile wirken, gar keine Em- pfindung verursachen, erst wenn der Reiz eine grosse Intensität erreicht, scheine die Erregung die Hemmungsstation der Ganglienzellen passiren zu können, um nun mehr oder weniger heftige Schmerzempfindungen zu be- wirken. Die Bedeutung des sympathischen Nervengeflechtes dürfte sonach, meint er, wesentlich darin bestehen, dass seine einzelnen Theile als die Adnexe solcher Organe erscheinen, für welche besondere Vorrichtungen ent- weder zur Vertheilung der Erregungen über eine grössere Zeit oder zur Trennung gewisser Vorgänge erforderlich seien. Diese besonderen Functionen seien auch keine specifischen Attribute der sympathischen Ganglien, sondern der grauen Substanz überhaupt. Den einzigen Unterschied zwischen den centripetalen Erregungen des Sympathicus und der sensiblen cerebrospinalen Nerven bildet in der That nur der Umstand, dass beim Sympathieus physio- logische, d. h. schwache und mässige centripetale Erregungen nicht zum Bewusstsein gelangen und sich nur durch Reflexe äussern, während sie bei den cerebrospinalen sensiblen Nerven in Form von Druck-, Tast-, Wärmegefühl zum Bewusstsein gelangen können, doch ist auch hier, wie Goldscheider sehr richtig bemerkt, die Summe der zum Gehirn ge- langenden sensiblen Erregungen, die uns nicht zum Bewusstsein kommt, bedeutend grösser als derjenigen, die wir bewusst empfinden. Sehr starke Erregungen kommen in beiden Systemen als Schmerz zum Bewusstsein. Hierbei ist es gleichgültig, welcher der beiden Theorieen der Schmerzleitung ı Wilh. Wundt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Suttgart 1878. 4. Aufl. S. 800. ®2 Goldscheider, Zur allgemeinen Pathologie des Nervensystems. Berliner klin. Wochenschrift. 1894. Nr. 18 u. 19. 208 MıAx Buch: man huldigt, ob man mit Richet!, mir?, Frey’, Rollet* die Existenz besonderer Schmerznerven annimmt, die nur durch starke Reize errest werden können, oder mit Goldscheider, Grützner? und den meisten Physiologen der Ansicht ist, dass jeder sensible Nerv sehr starke Erregungen in Form von Schmerz zum Bewusstseinsvorgang leitet. Für beide Theorieen bestehen die gleichen Bedingungen im cerebrospinalen, wie im sympathi- schen System, und diejenige, welcher die Zukunft zum Siege verhilft, wird für beide Systeme gelten. Doch scheint mir, dass die Sensibilitätsverhält- nisse der Bauchhöhle und im Sympathicus überhaupt besonders lebhaft für die Existenz besonderer Schmerznerven sprechen. Bemerkenswerth ist, wie ähnlich die moderne Anschauung der Ver- theidiger der Einheitstheorie sich der Reil’schen Isolatorentheorie gestaltet. Man vergleiche nur Grützner’s® Ausführungen: „Die Mehrzahl der Physio- logen fasst wohl die Entstehung des Schmerzes so auf, dass eine in einem beliebigen sensiblen Nerven vorhandene Erregung nicht in diesem bleibt (also die Isolirung Reil’s sprengt. Verf.), sondern gleich einem Fluss, der bei einer Ueberschwemmung aus seinem Bette austritt, so bei dem Durch- gang durch die graue Substanz in dieser sich ausbreitet und die daselbst befindlichen Ganglienzellen erregt (die Isolatoren Reil’s also werden Leiter. Verf.). Diese kleinen Apparate mit Energievorräthen, etwa kleinen Pulver- fässchen, breiten nun auf eigene Faust, wenn man so sagen darf, die Er- regung weiter aus, so dass, wenn überhaupt einmal ein Heraussprengen aus der Leitung erfolgt ist, dann eine Beschränkung und begrenzte Localisation erschwert wird.“ Eine Begründung der specifischen Schmerznerven und Widerlegung der anderen Anschauung würde hier zu weit führen, nur einen Haupteinwand will ich beseitigen. Goldscheider bemerkt gegen die Vertheidiger der specifischen Schmerznerven, dass es Organe, z. B. das Peritoneum, giebt, die für gewöhnlich niemals schmerzen, sondern erst im Zustande der Ent- zündung heftige Schmerzen auslösen, die Hypothese von den Schmerznerven würde also behaupten, dass es nervöse Apparate giebt, deren Function ledig- lich für krankhafte Zustände angepasst sei. — Dieser Einwurf muss uns in Erstaunen setzen. Sind nicht die Nerven, welche Schmerzen leiten, jeden- falls solche Organe, gleichgültig, ob sie daneben noch andere Functionen haben oder nicht, sind nicht Grützner’s Pulverfässchen ebenfalls solche Organe, und desgleichen der Theil des Bewusstseinsorganes, welcher die Schmerzeindrücke empfängt? Der Schmerz, und somit auch der Nerv, der ihn leitet, ist ein im Kampf um’s Dasein durch natürliche Zuchtwahl er- worbenes nothwendiges Attribut des höher organisirten Thierkörpers, denn ! Richet, Recherches sur la sensibilite. Paris 1877. (?) ” Max Buch, Ueber qualitative Analyse der Hautsensibilität. Erlenmeyer’s Centralblatt für Nervenheilkunde, Psychiatrie u. s. w. 1880. 8. 76. ’ M.v.Frey, Die Gefühle und ihr Verhältniss zu den Empfindungen. Leipzig 1894. * A. Rollet, Beiträge zur Physiologie des Geruchs, Geschmacks, der Hautsinne und der Sinne im Allgemeinen. Pflüger’s Archiw. 1899. Bd. LXXIV. 8.383. ° Grützner, Deutsche med. Wochenschrift. 1895. Nr. 5. 8.70. Die SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 209 es ist das stärkste Schutzmittel gegen die Zerstörung des Individuums. Gäbe es keine Schmerzen, so gäbe es auch keine höheren Thiere als die Monade, die im Tropfen schwärmt. Der Kampf ist physiologisch für das Thier, folg- lich ist auch der Schmerz es. Es fragt sich jetzt nur noch, welche Elemente des Sympathicus es sind, welche die Schmerzempfindungen zum Gehirn ver- mitteln. Durch die Rami communicantes gelangen ausser motorischen auch sensible markhaltige Fasern aus dem Rückenmark in den Sympathieus, allerdings in sehr geringer Menge. Sind nun diese wenigen Fasern ge- nügend, um die Sensibilitätsverhältnisse des Sympathicusgebietes zu erklären ? Kölliker! ist dieser Ansicht: „Alle sensiblen Functionen in diesem Ge- biete werden einzig und allein durch cerebrospinale Fasern vermittelt“, „dieselben vermitteln die spärlichen sensiblen Wahrnehmungen, die uns die betreffenden Organe geben und verhalten sich wie gewisse sensible Fasern der somatischen Sphäre, wie am besten die Nerven der Pacini’schen Körperchen lehren, die im Mesenterium genau dasselbe Verhalten zeigen wie an der Handfläche und Fusssohle.“ Nun, ich kann nur wünschen, dass Herr von Kölliker nie durch eine Peritonitis oder eine Nierensteinkolik an sich selbst erfahre, welchen enormen Reichthums an Empfindungen diese Organe fähig sind! ja die Schmerzen im Bereiche des Sympathicus gehören zu den grimmigsten, die überhaupt existiren, darum ist es auch undenkbar, dass die spärlichen cerebrospinalen sensiblen Fasern allein Träger derselben sein können. Soviel wird man allerdings Kölliker zugeben können: die den Tasteindrücken entsprechenden spärlichen Gefühle zu vermitteln, dazu werden sie ausreichen, aber die pathologischen Schmerzen zu erklären, ge- nügen sie nicht. Die Schmerzleiter müssen daher in den eigentlichen Elementen des Sympathicus selbst gesucht werden. Kölliker? selbst spricht sich noch 1895 in der 66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte für die Wahrscheinlichkeit aus, „dass unter den sympathischen Fasern auch sensible sich befinden, welche bei Reflexen im Gebiet des Sympathieus selbst eine Rolle spielen“, und dass sympathische Ganglien- fasern auf Ganglienzellen entfernter Ganglien oder auf solche desselben Ganglion einwirken. Ein Befund von Dogiel giebt denn auch eine ana- tomische Stütze hierfür. Er bildet nämlich intereelluläre Fasern ab, sym- pathische Fasern zweiter Ordnung (Postganglionic fibres. Langley), die ein Endnetz um Ganglienzellen bilden, woraus sich ergeben würde, dass die sympathischen Zellen nicht nur von cerebrospinalen Fasern (Praegan- ı A. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. leipzig 1896. Bd. II. 3. 358. ? Derselbe, Jahresber. d. ges. Mediein. 1595. Bd.1. 8.64. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol, Abthlg. 14 210 Max Buc#: slionie fibres, Langley) erregt werden, sondern auch selbst auf einander zu wirken im Stande sind.! Im folgenden Jahre dagegen nimmt Kölliker in seinem Lehrbuche S. 858 auf Grund der physiologischen Untersuchungen von Langley und Anderson diese Anschauung zurück. Langley ? spricht sich allerdings gegen die Annahme aus, dass Zellen eines Ganglion auf andere Zellen desselben einwirken. Langley und Anderson? haben jedoch andererseits Reflexerscheinungen im Gebiete des Ganglion mesentericum inferius beob- achtet, von denen Kölliker nichts wissen will, weil diese Forscher der Ansicht sind, dass präcellulare motorische Fasern auch centripetal leiten können und durch Collateralen eine Reihe sympathischer Ganglien und postcelluläre Ganglien erregen. Die Annahme einer solchen centripetalen Leitung motorischer Fasern stehe vorläufig mit allem, was wir über die Leistungen der Nervenelemente wissen, in so geringem Einklange, dass er nicht weiter darauf eingehen mag (Kölliker S. 856); ein Vorgehen, das kaum gebilligt werden kann. Die Thatsache der Reflexe im Gebiete des Sympathiecus und somit der centripetalen oder richtiger peripherifugalen Leitung innerhalb der Elemente des Sympathicus selbst ist doch hier die Hauptsache, und die Frage, ob diese Leitung auf specifisch sensiblen Fasern vor sich gehe oder auf solchen, die nach beiden Richtungen leiten, ist nebensächlich, weil sie nur auf Deutung, Hypothese und nicht auf directer Beobachtung beruht. An der Thatsache, dass es Reflexe giebt, die sich im Gebiete des Sympathicus allein abspielen, kann heute wohl nicht mehr gezweifelt werden. Die Hypothese Langley’s, dass die Elemente des Sympathicus oder ein Theil derselben nach beiden Seiten leiten können, erscheint bei der weitgehenden Arbeitstheilung der Organe des mensch- lichen Körpers zwar auf den ersten Anblick recht auffallend, ist aber immerhin nicht ohne Weiteres, nicht ohne eingehendes Studium der Frage von der Hand zu weisen, ja manche pathologische Zustände machen diese Annahme sogar recht plausibel. Hier liegen jedenfalls Verhältnisse vor, welche von denen der besser studirten cerebrospinalen sensiblen Nerven abweichen. Dass man ein ganz gesundes Ganglion auf jede Weise reizen kann, ohne Schmerz zu erzeugen, ein pathologisch verändertes dagegen ausserordentlich lebhaft auf schmerzerregende Reize reagirt, ist solch’ eine Thatsache, die wenigstens zu Volkmann’s Anschauung drängt, dass unter pathologischen Verhältnissen Leitungswege eingeschlagen werden, die unter physiologischen gewöhnlich nicht benutzt sind. Langley’s Hypothese ! Vgl. Kölliker, Handbuch. Bd. Il. S. 869. ” Langley, Vortr. auf dem physiol. Congress zu Bern. 1895. ° Langley and Anderson, On reflexaetion from sympathetic ganglia. Journal of Physiol. 1894. Vol. XVI. p. 410. DIE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 211 würde uns verständlich machen, dass der physiologisch empfindungsärmste Nerv pathologisch zum empfindungsreichsten wird. Auch Benedikt! (Wien) fordert auf Grund ganz anderer Erwägungen ausser den rein moto- rischen und rein sensiblen Nerven auch solche, die nach beiden Richtungen leiten. Viele physiologische und pathologische Vorgänge nicht nur in der Peripherie sondern auch in den Centralorganen sind seiner Meinung nach allein durch solch’ eine Annahme verständlich. In gutem Einklang mit der Annahme der doppelsinnigen Leitung sym- pathischer Fasern steht die jetzt völlig festgestellte Thatsache, dass die früher für rein sensibel gehaltenen dorsalen Stränge des Rückenmarkes zahlreiche motorische Elemente besitzen, die mit dem Sympathicus in Zusammenhang stehen. Stricker? fand schon -1876, dass der Ischiadicus des Hundes seine gefässerweiternden Nerven aus den Hintersträngen des Rückenmarkes durch die hinteren Wurzeln erhält, und zwar entweder direct oder auf dem Um- wege durch den Grenzstrang. Dieser Befund ist zwar angezweifelt, aber von Stricker’s Schülern Gaertner?, Hasterlik und Biedl als richtig erwiesen worden. In neuester Zeit ist die Frage von Morat‘ mit neuen Methoden genauer studirt und völlig ausser Zweifel gesetzt worden. Morat° hat ausserdem theils allein, theils zusammen mit Bonne® durch Degene- rationsversuche festgestellt, dass in den hinteren Wurzeln centrifugale Nerven- fasern verlaufen, die aus dem Rückenmark stammen und zu motorischen Ganglien des Sympathicus gehen und somit weder eigentlich motorisch noch sensibel seien (oder beides?). Wallenberg’ hat auch am Menschen nach- gewiesen, dass alle hinteren Wurzeln absteigende Fasern besitzen. Hatschek° fand ferner auf morphologischem Wege, dass beim Amphioxus die hintere Wurzel, welche keine Verbindung mit der vorderen eingeht, den Nervus visceralis aussendet, welcher die splanchnischen Muskeln innervirt und vor- wiegend motorischer Natur ist. Dies veranlasste Steinach”, die Sache an ! Benedikt, Internationaler Congress zu Moskau 1897. Semaine med. 1897. p- 355. ® 8. Stricker, Untersuchungen über die Gefässnervenwurzeln des Ischiadieus. Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wissensch. 1876. Bd. LXXIV. 3. Abth. 8. 173. 3 Gaertner, Wiener klin. Wochenschr. 1889. Cit. von Steinach und Wiener. * J. P. Morat, Les origines des nerfs vaso-dilatateurs, leurs centres trophiques. Comptes rendus de l’acad. de Paris. 1897. T. CXXIV. 2. p. 969. 5 Derselbe, Sur la constitution du grand sympathique. Zbenda. p. 1389. 6 Morat et Bonne, Les elements centrifuges des racines posterieures medullaires. abend NBIT. TI OXXV.12 p: 126. ” Ad. Wallenberg, Beiträge zur Topographie der Hinterstränge des Menschen. Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1898. Bd. XIll. H. 5 u. 6. — Jahresber. d. ges. Med. Bd. 1. 8.115. ® B. Hatschek, Die Metamerie des Amphioxus und des Ammocoetes. Verhandl. der analtom. Ges. auf der VI. Versammlung in Wien. 1892. S. 136. ° E.Steinach und Wiener, Motorische Functionen hinterer Spinalnervenwurzeln. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LX. S. 593—622. 14* 219 Max Bouc#: Amphibien physiologisch zu untersuchen, und er fand, dass der ganze Ver- dauungstraetus des Frosches seine motorischen Impulse von den Hinterwurzeln allein empfängt. Diese Befunde hat Steinach! neuerdings gegen die An- griffe von Horton und Smith, welchen er Fehler in der Versuchsanordnung nachwies, in Schutz genommen. Diese Entdeckungen stehen im Einklange mit denen von Kutschin, Freud und Klausner, dass bei Amphibien eine gewisse Anzahl von Fasern der hinteren Wurzeln von Zellen des Markes entspringt, sowie der Erfahrung von Lenhoss6k?, dass beim Hühnchen einzelne Fasern der sensiblen Wur- zeln mit Zellen der ventralen Hörner zusammenhängen, sowie mit Beob- achtungen Ramon y Cajal’s, dass beim Hühnchen gewisse dorsale Wurzel- fasern in die graue Substanz eintreten und gegen die Vorderhörner verlaufen. Kölliker hatte diese Fasern (Handbuch S. 80) schon vor Bekanntwerden der Steinach-Wiener’schen Untersuchungen als sympathische angesprochen und hält sie (8. 864) für identisch mit den von diesen beiden Forschern auf physiologischem Wege entdeckten. Gegen die ausschliesslich motorischen und secretorischen Eigenschaften der Elemente des Sympathicus spricht noch der Umstand, dass ausser den vorherrschenden multipolaren Zellen mit Dendriten, die als motorisch auf- gefasst werden, in verschiedenen Gebieten des Sympathieus auch unipolare und bipolare Zellen aufgefunden worden sind (Beale, Arnold, Ehrlich, Retzius, Smirnow, Aronson, Ramon y Cajal, Dogiel, Kölliker).’ Dass sich ferner sensible Elemente den motorischen ähnlich verhalten können, beweisen noch die Funde von Ehrlich und 8. Ramon y Cajal, welche beim Frosche und bei der neugeborenen Maus in den Spinalganglien freie Faserverästelungen beschreiben, welche die Zellen korbartig umfassen; solche Endkörbe sind bisher nur an motorischen Fasern erster Ordnung beobachtet worden (Kölliker).* Retzius° beschreibt ferner in den Spinal- ganglien frei endigende Dendriten, wonach die Anwesenheit von sympathi- schen Zellen in den Spinalganglien wohl nachgewiesen sein dürfte. Dogiel® schliesslich findet neuerdings auch beim Menschen sympathische Ganglien- zellen in den Spinalganglien. Dass die rein, motorisch sein sollenden Elemente des Sympathicus sehr nahe Beziehungen zu den sensiblen Elementen haben, beweisen auch die embryologischen Ermittelungen von Remak’, Schenk’, Kölliker®, ! E. Steinach, Ueber die viscero-motorischen Functionen der Hinterwurzeln und über die tonische Hemmungswirkung der Medulla oblongata. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXL ? Lenhossek, Anatomischer Anzeiger. 1890. Citirt von Kölliker. ® Vgl. Kölliker, S. 863 u. 866. * Vgl. Kölliker, 8. 864. 5 Retzius, Jahresher. der ges Med. 1895. Bd.I. S. 82. °A.S. Dogiel, Zur Frage über den Bau der Spinalganglien beim Menschen und bei den Säugethieren. Internationale Monatschrift für Anatomie. 1898. Bd. IV. H. 12. 8.345. Jahresber. der ges. Med. 1898. Bd.]. 8.61. ” Remak, Schenk. Citirt bei Kölliker, Gewebelehre. 1896. Bd.1I. 8. 871. ° Kölliker, Gewebelehre. 1896. Bd. Il. 3. 871. DıE SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 213 Onodi!, welche nachweisen, dass die Hinterstränge des Rückenmarks und die Ganglien des Sympathicus aus Wucherungen von Zellen der Spinalganglien hervorgehen. Wenn auch dem Schlusse Romberg’s und His’, dass alle sympathische Anlage nur aus sensiblen Elementen bestehe, von Kölliker? und Strasser! widersprochen worden ist, so steht der sensible Stammbaum des Sympathicus, seine und der Hinterstränge des hückenmarks gemeinsame Entstehung aus den Spinalganglien, duch über jedem Zweifel. Fassen wir zum Schluss die Resultate dieser Studie über die Sensi- bilität des Sympathicus kurz zusammen. Nur der N. splanchnicus major ist constant schmerzempfind- lich, was darauf beruht, dass der grösste Theil der cerebro- spinalen sensiblen Fasern in ihm verläuft. Alle Geflechte und Ganglien des Sympatbicus sind unter physiologischen Verhältnissen gegen mässige Reize gar nicht schmerzempfindlich. Werden dieselben Flemente, die vorher unempfindlich waren, durch starke oder anhaltende Reize in einen entzünd- lichen oder sonst einen pathologischen Reizzustand versetzt, so können sie der Sitz ausserordentlich lebhafter Schmerzen werden, und zwar nicht nur die Ganglien, sondern auch die ganglienfreien fadenartigen Elemente des Sympathicus. Zur Vermittelung der spärlichen Empfindungen, die im physiologischen Zustande vom Sympathicus aus zum Bewusst- sein gelangen, genügen die spärlichen, in der Bauchhöhle sich findenden markhaltigen cerebrospinalen sensiblen Nerven mit Pacini’schen Körperchen; die ausserordentlich lebhaften und ausgebreiteten Schmerzen zu erklären, die in den Geflechten des Sympathicus und den von ihnen innervirten Organen be- obachtet werden, genügen sie dagegen nicht und sind für diese die Elemente des Sympathicus selbst als Träger anzusehen. ! Onodi, Strasser. Citirt bei Kölliker, Gewebelehre. 1896. Bd. II. 8. 871. ®2 Romberg und W. His jun., Entwickelung des Herznervensystems. 9. Congress für innere Medicin zu Wien 1890. Berliner klin. Wochenschrift. 1890. S. 440. 3 Kölliker, Gewebelehre. 1896. Bd. Il. 8. 871. 214 MaAax Bucn: 2. Die Schmerzempfindlichkeit des Vagus. In den neueren Lehrbüchern der Physiologie von Landois!, Bern- stein?, Mayer? inHermann’s grossem Sammelbuch, -Wundt#, Tiger- stedt?, Munk® ist von der Schmerzempfindlichkeit des Bauchvagus über- haupt nicht die Rede, wir müssen also wie beim Sympathicus zu älteren (Quellen zurückgehen. Vor Magendie war es selbstverständlich, dass sowohl der Vagus als der Sympathicus als sensible Nerven angesehen wurden, da ja alle Nerven als schmerzempfindlich galten. Magendie’, der Entdecker der insensiblen Nerven, konnte durch heizung des Vagus keine Magenbewegungen zu Stande bringen; da ausser- dem dieser Nerv gleich den übrigen sensiblen Nerven ein Wurzelganglion besitzt und Magendie den Sympathicus weder als sensibel noch motorisch ansah, so betrachtete er den Vagus als sensiblen Nerven für den Magen; über seine Schmerzempfindlichkeit findet sich bei Magendie aber über- haupt keine Andeutung, weder für noch wider; er hat offenbar keine Unter- suchungen über die Sensibilität des Vagus angestellt. Auch Joh. Müller ® und Budge” konnten keine Magenbewegungen durch Vagusreizung zu Stande bringen, weshalb sie zu der irrigen Ansicht gelangten, der Vagus sei kein Bewegungsnerv für den Magen, obgleich Haller und Bichat schon Magenbewegungen auf Vagusreizung gesehen, bis dann Budge selber fand, dass bei vielen T'hieren die Vagusreizung nur ausserhalb der Verdauungs- zeit keine Magenbewegung bewirkt. Was aber die Schmerzempfindlichkeit des Vagus anlangt, so sagt Budge, er sei total empfindungslos, was dem Splanchnieus und Ganglion coeliacum gegenüber sehr auffallend sei, welche er nie gereizt habe, ohne sehr deutliche Schmerzensäusserungen hervorzurufen. Claude-Bernard !’ berichtet, er habe den Vagus am Halse häufig gereizt und derselbe sei bei gesunden Thieren und zwar Kaninchen, Hunden ! L.Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Wien u. Leipzig 1896. ® Jul. Bernstein, Zehrbuch der Physiologie. Stuttgart 1394. 3 Sigm. Mayer, Specielle Nervenphysiologie in Hermann’s Handbuch der Physiologie, Leipzig 1879. Bd.11. * Wilh. Wundt, Zehrbuch der Physiologie. Stuttgart 1878. ’° Rob. Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1898. ° 1. Munk, Physiologie des Menschen und der Säugethiere. Berlin 1899. 5. Aufl. ” Magendie, Handhuch der Physiologie. Nach der 3. französischen Auflage übersetzt von Heusinger. Eisenach und Wien 1834—1836. ® Joh. Müller, Handbuch der Physiologie. Coblenz 1844. ° Jul. Budge, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1862. 8. Aufl. '" Claude Bernard, Lecons sur la physiol. et la pathol. du systeme nerveuz. Paris 1858. T.1I. Legon XI. Die SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND VAacus. 215 und Katzen „complötement insensible“. Während der Verdauung scheine es, als ob er etwas sensibel wäre, doch habe er sich nicht mit Bestimmt- heit davon überzeugen können. Claude Bernard erklärt die Schmerz- losigkeit des Vagus damit, dass er wohl specielle Sensationen vermittele, aber keinen Schmerz, gleichwie Reizung des Opticus nur Lichteffecte und keinen Schmerz verursache. Mehrere Experimentatore am Vagus heben speciell als auffallend hervor, dass die Durchschneidung des Vagus beim Hunde stets vollständig reactions- los, scheinbar ohne dass das Thier etwas davon bemerke, vor sich gehe, so z. B. Ssanozki!, Pawlow und Simanowskaja? u. A. Im Laboratorium von Prof. Pawlow im Institut für Experimentalpathologie in St. Peters- burg wird diese Operation seit Jahren sehr oft ausgeführt und zwar derart, dass der Vagus unter Chloroform frei präparirt und auf aseptischem Seiden- faden in der Wunde verborgen wird. Wenn das Thier sich vollständig erholt hat, wird nach einigen Tagen während der Fütterung der Nerv mittels des Seidenfadens hervorgeholt und durchschnitten, ohne dass der Hund je etwas davon merkt, wie mir von Seiten der Assistenten und Laboranten und Prof. Pawlow selbst mündlich im Herbst 1896 berichtet wurde. Auch indirecte Beweise für die Unempfindlichkeit des Vagus liegen vor. Sokownin? und später Nussbaum‘, Navrocki und Skabi- tschewski° wiesen nach, dass durch Reizung sämmtlicher sensibler Nerven mit Ausnahme des Vagus Blasencontractionen reflectorisch zu Stande kommen und zwar ist es der Schmerz, der die Contractionen verursacht, denn nach Abtragung des Gehirnes oder Durchschneidung des Halsmarkes hört der Reflex auf. Dass durch Reizung des Vagus keine reflectorische Blasencontraction erzielt werden kann, hatte früher schon Kehrer‘ nach- gewiesen. !A.S. Ssanotski, Wosbuditeli otdelenija sheludotschnawo soka. (Die Erreger der Magensaftabsonderung.) Imaug.-Diss. St. Petersburg 1892. ® J. P. Pawlow und E.O.Schumowa-Ssimanowskaja, Innerwazija shelu- dotschnych sheles u sobaki. (Innervation der Magendrüsen beim Hunde.) Wratsch. 1890. 8. 153 ft. ®N. Sokownin, Bericht über die physiologischen und histologischen Mit- theilungen auf dem 4. Congress russischer Naturforscher zu Kasan von Kowalewski und Arnstein. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. VIII. S. 600. * Nussbaum, Ueber die Innervation des M. detrusor. Arbeiten des Laborato- riums der medieinischen Facultät in Warschau. 1879. 8.120. (Russisch.) Ref. von Navrocki und Skabitschewski. > F. Navrocki und B. Skabitschewski, Ueber die sensiblen Nerven, deren Reizung Contraction der Blase hervorruft. Pflüger’s Archiv. 1891. Bd. IL. S. 141— 158. ° Kehrer, Ueber angebliche reflectorische Beziehungen des N. vagus zur Harn- blase. Zeitschrift für rat. Med. 1867. 3. R. Bd. XXIX. 216 Max Buch: Auch aus den Untersuchungen von Francois-Franck und Hallion! geht ein eigenthümlicher Gegensatz zwischen dem Vagus nnd anderen sensiblen Nerven hervor. Während nämlich durch Reizung aller sensiblen Nerven mit Einschluss des Sympathicus reflectorisch (Gefässverengerung in den Organen der Bauchhöhle erzielt wird, erfolgt auf centripetale Reizung des einen Vagus fast constant Gefässerweiterung und nur ganz ausnahms- weise Gefässverengerung. Diese Thatsache mit der anderen zusammen- oehalten, dass der Vagus fast nur gefässerweiternde und nur sehr wenig verengernde Fasern führt, legt uns nahe, einen Zusammenhang beider zu vermuthen und dabei an Langley’s? Lehre von der doppelsinnigen Leitung der Sympathicus- und sympathicusartigen Fasern zu denken. Die gefäss- erweiternden Nerven gehören zur letzteren Kategorie, da sie zum Theil den Symyathieus passiren (Langley)® und zum Theil aus den Central- organen durch die hinteren Wurzeln oder die ihnen entsprechenden Gehirn- nerven direct zur Peripherie gelangen (Morat)*. Auch Courtade und Guyon?’ kamen in allerneuester Zeit bei metho- ddischer vergleichender Untersuchung der Erregbarkeit des Vagus und Sympathieus beim Hunde zu dem ktesultate, dass dieselbe beim Vagus be- deutend geringer ist als beim Sympathicus. Lussana und Inzani® dagegen behaupten, den Vagus sensibel ge- funden zu haben, doch geht aus dem mir zugänglich gewesenen Referat nicht hervor, welche Theile gereizt wurden und ob nur centripetale Erreg- barkeit oder auch Schmerzhaftigkeit constatirt wurde. Dass der Vagus, auch der Bauchvagus, centripetal leitende Fasern enthält, geht mit Sicher- heit aus den Untersuchungen von Fr. Franck und Hallion hervor; auch Valentin’ bemerkt: drücke man den Halsstamm der herumschweifenden Nerven da, wo er an der Halsschlagader herabgeht, zusammen, so ver- ! Francois-Franck et Hallion, L’innervation vasomotrice du foie. Arch. de physiol. 1897. 5.Ser. T.IX. p. 434—458. — Dieselben, Circulation et innervation vasomotrice du pancreas. Zhenda. p. 661—676. ”J. N. Langley and Anderson, On reflexaction from sympathetie ganglia. Journal of Physiol. 1894. Vol. XVI. p. 410. ®J. N. Langley, Note on the connection with nerve-cells of the vasomotor nerves for the feet. ZEbenda. 1891. Vol. XU. p. 375. * J. P. Morat, Les origines des nerfs vaso-dilatateurs. Comptes rendus. 1897. T. CXXIV. 2. p. 1389. — Morat et Bonne, Les elements centrifuges des racines posterieures medullaires. Zbendu. 1897. T. CXXV. 1. p. 126. ° Courtade et Guyon, Exeitabilite eoumparee du pneumogastrique et du sym- pathique thoraeique. Sitzung der Soc. de Biol. vom 2. Juni 1900. Sem. med. 1900. Nr. 24. p. 198. ° Lussana et Inzani. Ref. Gazette hebdomadaire. 1863. T.X. Nr. 13. ‘ Valentin, Lehrbuch der Physiologie. Braunschweig 1847. 2. Aufl. Bd. II. 2. Abth. Dıe SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 217 rathen einzelne Thiere lebhafte Schmerzensäusserungen, während sich andere ruhig verhalten. Diese Verschiedenheit könne in Kaninchen, Hunden, Katzen und Pferden wiederkehren. Auch Netschajew! fand den Halsvagus empfindlich. Diese Wider- sprüche erklären sich zum Theil dadurch, dass Pawlow den Hals- sympathieus stets möglichst tief unten am Halse unterhalb des Abganges des Recurrens durchschnitt, welcher nach den Nachweisen von Burckart?, Krause? und Lüscher* sicher schmerzempfindliche Fasern enthält. Zum Theil aber giebt wohl Longet? den Schlüssel zu diesen Widersprüchen. Er bemerkt nämlich, der Vagus sei in der Regel unempfindlich, könne aber schmerzhaft werden und zwar unter denselben Umständen wie der Sym- pathieus, d. h. also, wenn der Nerv längere Zeit hindurch gereizt oder das Thier lange gequält worden ist. Hält man diese Angabe mit der That- sache zusammen, dass der Vagus durch die Rami communicantes eine nicht unbeträchtliche Anzahl sympathischer Fasern beigenischt erhält, so wird man den Wahrscheinlichkeitsschluss machen dürfen, dass der Hals- ‚agus, zum Theil wenigstens, diesen sympathischen Fasern seine Schmerz- empfänglichkeit verdankt. Nur über die Wurzelfäden des Vagus liegen unbestrittene Angaben von Ludwig‘® vor, der bemerkt, dass Berührung derselben lebhafte Schmerzen errege, er setzt aber vorsichtig hinzu: „es fehlen aber noch An- gaben über die Endflächen, in welchen sich diese sensiblen Fasern ver- breiten.“ Eine dieser Endflächen bildet nun die Haut der Ohrmuschel, in welcher sich der Ramus auricularis vagi verbreitet, welcher noch vor dem Austritt aus dem Schädel sich vom Hauptstamme des Vagus abzweigt. Ausserdem ist auch die Reizung der Nervi laryngei superiores schmerzhaft.” Auch die Schleimhaut der Trachea scheint schmerzempfängliche Nerven ın geringer Menge zu enthalten, denn Haller® giebt an, er habe durch mechanische und chemische Reizung derselben bisweilen wohl Schmerz- äusserungen, nie aber Husten erregen können. Nach Krause und ı A. Netschajew, Ob ugnetajustschem wlijanii na otdelenije sheludotschnawo suka atropina etc. JZnaug.- Diss. St. Petersburg 1882. ? R. Burckart, Ueber den Einfluss des N. vagus auf die Athempewegung. Pflüger’s Archiv. 1868. S. 107. 3 H. Krause, Die centripetale Leitung des N. laryng. inf. u.s. w. Derliner klin. Wochenschrift. 1892. S. 478. * F.TLüscher, Ueber die Innervation des Schluckactes. Zeitschrift für Biologie. 28972 Bd XV. 8.192: > F. A. Longet, Traite de physiol. Paris 1850. T. I. 6 C. Ludwig, Lehrhuch der Physiologie Zürich 1852. Bd. I. 8. 161, " Vgl. Landois, Physiologie. 1896. 9. Aufl. 8. 765. ° Haller, Sur la nature sensible etc. T. Ill. p. 394—396,. 218 Max Buch: Lüscher! endlich ist der Recurrens ein sensibler Nerv. Ueber den Hals- theil des Vagus sind die Angaben widersprechend und über den Bauch- theil liegen nur diejenigen von Budge und Claude-Bernard vor, welche beide diesen Theil des Vagus als durchaus unempfindlich bezeichnen. Da mir nun diese Frage für unseren Gegenstand sehr wichtig erschien, unter- nahm ich es, selber der Sache experimentell näher zu treten. Zu den Versuchen wurden Kaninchen benutzt, die auf ein Özerny’- sches Brett aufgebunden und nicht narkotisirt waren. Die Untersuchungen wurden im Institut für Experimentalmediein im physiologischen Laboratorium des Hrn. Professors Iwan Petrowitsch Pawlow angestellt, dem ich für sein liebenswürdiges Entgegenkommen zu aufrichtigem Danke verpflichtet bin. Der Halstheil des Vagus wurde freigelegt und bis zum Plexus ganglio- formis hinauf sorgfältig freipräparirt und von sämmtlichen hier verlaufenden Nerven vorsichtig gesondert, namentlich auch vom Sympathieus. Die Rei- zungsversuche wurden unterhalb des Abganges des Laryngeus superior vor- senommen. Zum Vergleiche für die Schmerzempfindlichkeit wurde auch der N. cruralis freipräparirt. Hier zeigte sich schon gleich ein grosser Unter- schied. Während beim Cruralis bereits Berührung mit der Pincette genügte, um Schmerzensäusserungen hervorzurufen, und beim Versuche, einen Faden unter dem Nerven durchzuziehen, das Thier jämmerlich zu schreien begann, konnte man den Vagus mechanisch behandeln, wie man wollte, zerren, drücken, mit einer rauhen Schnur reiben, ohne dass das Thier irgend eine Spur von Empfindung merken liess. Hob man den Nerven auf einen Faden auf und reizte faradisch, so erfolgte bisweilen ein reflectorisches Erschaudern der Thiere. Bei dieser Versuchsanordnung mussten aber Stromschleifen in die Nachbarschaft zu Stande kommen, und in der That wurde die Berührung der Wundkante mit der Elektrode genau von demselben Zusammenschaudern beantwortet. Ich unterband dann den Nerven und schnitt ihn unterhalb des Fadens durch; all dieses rief nicht die geringste Spur von Schmerz- äusserung hervor. Bei der faradischen Reizung des centralen Endes zeigte sich das erwähnte Erschauern nicht mehr. Wenn demnach ja eine Empfind- lichkeit des Vagus gegen faradischen Reiz bestehen sollte, so ist er jeden- falls äusserst unbedeutend. Dieselben Erfahrungen machte ich constant an mehreren Thieren; auch mag ich erwähnen, dass bei allen untersuchten Thieren der Magen mit Körnern gefüllt war. Der Bauchtheil des Vagus. Der Bauchschnitt wurde vom Schwert- fortsatz abwärts in der Mittellinie gemacht. Die Leber, welche die Cardia und einen "Theil des Magens bedeckt, wurde vorsichtig stumpf losgelöst, zur Seite geschoben, und der Magen, welcher bei allen untersuchten Kaninchen ziemlich stark gefüllt war, durch die Bauchwunde hervorgezogen. Jetzt konnte man die Cardia hinauf bis zum Zwerchfell übersehen, und die Vagi, besonders der linke, zeigten sich als weisse Stränge, die an der Cardia hinabliefen und sich am Magen als resp. Plexus gastrieus anterior und posterior verzweigen. Die sich zum Plexus gastricus verzweigenden Magen- äste des einen Nerven, gewöhnlich des vorderen, linken, wurden dann von + F. Lüscher, a.a2. 0, Dıe SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacus. 219 der Oberfläche des Magens abgelöst, mit einem Faden zusammengeschnürt und unterhalb desselben abgeschnitten. Das Resultat der Reizung des Stumpfes bis zum Zwerchfell hinauf, mechanischer sowohl als faradischer, war immer ganz das gleiche, es gelang auf keine Weise, bei den Versuchs- thieren irgend eine Aeusserung einer Enıpfindung hervorzurufen. An einem Thiere wurden die Versuche erst 30 Minuten nach Eröffnung der Bauch- höhle und Freipräparirung des Vagus begonnen, doch war das Resultat kein anderes. Stets war auch hier der Controle wegen der Cruralis freigelegt und zeigte sich äusserst empfindlich. Schliesslich demonstrirte ich, da kein Zweifel mehr bestehen konnte, ein Thier dem Professor Pawlow, dem aus- gezeichneten Kenner und Förderer der Magenphysiologie, präparirte es in seiner Gegenwart, und er nahm selbst die Reizungen vor. Auch er konnte, wie zu erwarten stand, keine Spur von Schmerzäusserung erzwingen. Er legte selbst noch, erstaunt über diese absolute Reactionslosigkeit, den Ischia- dieus frei, dieser war äusserst empfindlich und rief schon bei leichter Be- rührung jämmerliches Geschrei hervor. Das Resultat dieser Untersuchung über die Schmerzempfindlichkeit des Vagus ist also kurz folgendes: Der Bauchtheil des Vagus beim Kaninchen ist gegen mechanische und faradische Reize vollständig unempfindlich. Der Halstheil unterhalb des Laryngeus superior ist gegen mechanische Reize ganz unempfindlich; auch die faradische Schmerzerregbarkeit ist, wenn überhaupt vorhanden, äusserst sering und könnte auf Reizung der sensiblen Lungen- und Herzfäden (Budge, Goltz) und des Recurrens (Krause, Lüscher) bezogen werden. Nach Reinschrift dieser Arbeit kamen mir die Untersuchungen Schiff’s! über den Bauchvagus zu Gesicht. Er stellt zunächst ebenfalls fest, dass bei Kaninchen der Bauchvagus gegen alle Arten von Reizen völlig unempfindlich ist. Beim Hunde dagegen rief Zerrung des Magens in der Längsrichtung, das Hervorziehen desselben, Schmerz hervor, der nach Durchschneidung der Halsvagi schwand. Die empfind- lichsten Partien waren die Portio pylorica und der Beginn des Duodenum in der Höhe der Mündung des Gallenganges, die Gegend der Cardia war weniger empfindlich. Chemische Reize sowie Schneiden und Stechen hatten keinen Erfolg. Drücken und Zerren der Gewebe waren somit die einzigen Reize, welche Schmerz erzeugten, doch stumpften auch diese sich nach einiger Dauer vollständig ab. Die Untersuchung des Pylorus z. B. ist stets sehr empfindlich im Moment, wo man das Eingeweide erhebt und den Faden zuzieht, aber bald hören die Schmerzen auf und das Thier kann nach Versenkung des Organes mit der Ligatur in die Bauchhöhle und Schliessung der Bauchwunde mehrere Stunden herumlaufen „sans UM. Schiff, Zegons sur la physiol. de la digestion. Paris 1867. T. II. Legon 32, 220 Max Buch: paraitre le moins du monde incommode“. Nach Durchschneidung der Vagi am Halse hörte die Schmerzempfindlichkeit des Magens auf. Aus diesen Versuchen zieht nun Schiff in seiner raschen Art „sans contestations possibles“ den Schluss, dass die Nerven, welche deutliche sensible Ein- drücke vom Magen und oberen Theile des Duodenum leiten, alle im Hals- vagus enthalten sind, und dass es keine anderen Fasern giebt, welche die bewusste Empfindung jener Theile übermitteln. Versuche am Bauchstamm der Vagi wurden nicht gemacht. Hierauf ist nun zunächst zu bemerken, dass Versuche am Hunde gar nicht zur Entscheidung der Frage anwendbar sind, ob Vagus oder Sympathicus die Empfindung leitet, da bekanntlich beim Hunde Vagus und Grenzstrang am Halse zu einem Nerven ver- flochten sind und somit beide durchschnitten werden. Die Art der Schmerzerzeugung, wie Schiff sie schildert, ist auch sehr abweichend von derjenigen bei den cerebrospinalen sensiblen Nerven, denn nur Quetschen und Zerrung des Organes ruft Schmerz hervor, wogegen Stechen, Schneiden, chemische Aetzung, auch der Schleimhäute, keinen Effect haben, wohl aber stimmt der Modus der Schmerzerzeugung völlig überein mit der beim Sympathicus, von dem schon im Jahre 1800 Sömmering! sagt: „Die Zweige und Fäden des sympathischen Nervens erregen nur alsdann Empfin- dung und Schmerzen, wenn sie zu sehr gedehnt oder zu sehr gepresst werden.“ Am Dünn- und oberen Dickdarm, welche doch sicher nur vom Sympathicus versorgt werden, ist die Art der Schmerzerzeugung genau dieselbe. Auch hier ist Aetzung, Stechen, Schneiden nach dem Zeugniss zahlreicher Forscher nicht im Stande, Schmerzen hervorzurufen, wohl aber Zerrung und Druck z. B. durch Aufblähen des Darmes mit einem Gummi- ballon (Lüderitz)?. Weitere Beispiele liefern die Versuche von Joh. Müller’, Valentin*, Colin? an den Eingeweidegefässen, an welchen der Moment der Unter- bindung sich sehr schmerzhaft zeigte durch den Druck auf die sie dicht umgebenden sympathischen Geflechte. Auch dass Fortsetzung des Druckes sehr bald nicht mehr empfunden wird, ist eine Eigenthümlichkeit, welche dem Sympathicus zukommt im Gegensatz zu den cerebrospinalen Nerven. Man versuche doch einen solchen sensiblen Nerven zu unterbinden; das 'S. Th. Sömmering, Lehre vom Hirn und von den Nerven. Frankfurt a. M. 1800. 2. Aufl. Bd.V. Abth.1. S 2%. ® Carl Lüderitz, Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung der Darm- peristaltik. Virchow’s Archiv. 1889. Bd. CXVII. ° Joh. Müller, Zehrbuch der Physiologie. * Valentin, Lehrbuch der Physiologie. Braunschweig 1847. 2. Aufl. Bd. II. 2. Abth. ° Colin, Sur la sensibilit des arteres viscerales. Comptes rendus de "academie des sciences. 1862. T.LV. Die SENSIBILITÄTSVERHÄLTNISSE DES SYMPATHICUS UND Vacvs. 221 Thier wird jämmerlich schreien bis die Ligatur gelöst oder der Nerv durch- schnitten ist. Bei Thieren, die während der Eröffnung der Bauchhöhle und Aufsuchung der Vagi ätherisirt waren und bei denen die Empfindlichkeits- prüfung vorgenommen wurde, nachdem sie sich von der Narkose erholt, drückte sich der Schmerz nur in Bewegungen des Kopfes und einem eigen- thümlichen Winseln (g&missement) aus, durch Schreien dagegen nur, wenn sie vor dem Versuche durch die Operation ohne Narkose gequält waren und so in einen Zustand von „surexeitation“ gerathen. Auch dies stimmt also mit den Eigenthümlichkeiten des Sympathicus überein (Flourens, Longet); man kann somit wohl mit Sicherheit den Schluss ziehen, dass der Bauchvagus des Hundes seine Empfindlichkeit nur der Beimischung von Sympathicusfasern verdankt, welche auf dem Wege des Vagus zum Halssympathicus verlaufen. Immerhin wären weitere Versuche an T'hieren mit getrenntem Vagus und Sympathicus erwünscht. An dem einen der- artigen Thiere, dem Kaninchen, an dem Schiff und ich experimentirt, ist der Bauchvagus jedenfalls total unempfindlich. Nachdem wir somit den Nachweis geführt haben, 1. dass der Sympathicus nicht nur in allen seinen Theilen sensibel ist, insofern als er centripetale Erregungen vermittelt, sondern auch überall, speciell in der Bauch- und Beckenhöhle sowohl experimentell als auch pathologisch Vermittler heftiger Schmerzen sein kann, und 2. dass der Vagus höchst wahr- scheinlich nur insofern Schmerzerregungen leitet, als er sym- pathische Fasern enthält, so ergiebt sich die logische Folgerung, dass die Schmerzen in der Bauch- und Beckenhöhle ihren Ur- sprung im Sympathicus haben. Nachtrag. Einen anatomischen Beweis dafür, dass die Sensibilität des Vagus dem Sympathieus entlehnt ist und auf Beimischung sympathischer Fasern zum Vagus beruht, geben die sorgfältigen Untersuchungen von Bidder und Volkmann.! Diese beiden Forscher deuteten aus sehr ge- wichtigen Gründen die in den cerebrospinalen Nerven enthaltenen feinen Fasern als sympathische, eine Deutung, welcher jetzt auch Kölliker bei- getreten. Sie fanden nun bei verschiedenen Thierclassen die Vaguszweige sehr reich an feinen Fasern, die Wurzel sehr arm an solchen, auch con- statirten sie, dass die Zweige des Vagus seiner Wurzel gegenüber unver- hältnissmässig dick sind, und schlossen daraus, dass zahlreiche sympathische Fasern im Wurzelganglion des Vagus entspringen. ! Bidder und Volkmann, Die Selbsiständigkeit des sympathischen Nerven- systems. leipzig 1842. Ueber die bei der Resorption der Naltrung in Betracht kommenden Kräfte. I." Theil. Bedürfen Stoffe, um resorbirbar zu werden, der Ueberführung in wasserlösliche Form ? Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Das Problem der Wahlanziehung, d. h. die Frage nach den Kräften, mittels derer die lebendige Substanz im Stande ist, ihrer Umgebung gerade diejenigen Stoffe zu entnehmen, welche für Aufbau und Wachsthum noth- wendig sind, hat für die wissenschaftliche Forschung um so weniger an Interesse verloren, als es der Physiologie bisher nicht gelungen ist, trotz der Fortschritte in den exacten Wissenschaften, alle maassgebenden Factoren für die Aufnahme von Nährmaterial auch nur qualitativ zu ermitteln und einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der Auffassung zur Zeit des Beginnes physiologischer Forschung zu erzielen. Gerade darin liegt der Reiz für die Inangriffnahme des Problems, dass man nicht hoffen darf, durch bedingungslose Annahme der von den exacten Wissenschaften ge- gebenen Anschauungen und Begriffe auch nur einen Schritt weiter zu kommen, sondern dass man genöthigt ist, die Grundvorstellungen über den Bau des Protoplasmas und die aus diesem sich ergebenden Wechsel- wirkungen mit der Umgebung bis in ihre letzten anscheinend ganz exacten Fundamente einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. ' Theil I erschien in diesem Archiv. 1900. Physiol. Abthig. 8. 217. Hans FRIEDENTHAL: BEI NAHRUNGSRESORPTION UT. S. W. 223 Während in dem ersten Theile der Arbeit zu zeigen versucht wurde, dass die Aehnlichkeit der Vorgänge bei dem Stofftransport durch semi- permeable Membranen mit den Vorgängen bei der Resorption im Darme so gering ist, dass das Studium der Gesetze der semipermeablen Membranen keinen nennenswerthen Fortschritt für die Behandlung des Problems der Nahrungsaufnahme verspricht, liessen sich einige Aehnlichkeiten nachweisen in den Affinitäten, welche Darmwand und Gelatinemembranen gegen im Wasser gelöste Substanzen, wie Salze, Farbstoffe und Eiweisskörper, zeigen. Dieser Modellähnlichkeit stand aber die Verschiedenheit gegenüber, welche Darmwand und Gelatinemembranen gegen die Fette und ihre Spaltungsproducte aufweisen, und es verdient daher die Frage nach der Möglichkeit der Resorption wasserunlöslicher Substanzen eine eingehendere Untersuchung. Alle leeithinlösenden Substanzen dringen in rothe Blut- scheiben ein. Einen Fingerzeig dafür, dass das Protoplasma sich nicht wie eine wässerige Lösung colloider Stoffe verhalten kann, trotz seines hohen Gehaltes an chemisch nicht gebundenem Wasser, besitzen wir bereits in der That- sache, dass alle Substanzen, welche Fette zu lösen im Stande sind, wie Aether, Chloroform, Petroleum, Benzol, Terpentin, Fettsäuren, Xylol, Toluol und viele andere gleichartige, Blut in kurzer Zeit lackfarbig machen, ja man kann es als Gesetz aussprechen, dass jede Substanz, welche Lecithin löst oder zerstört, auch den Zusammenhang der Erythrocyten vernichtet. Da nun jede wässerige Lösung Blut lackfarbig machen muss, wenn der gelöste Antheil in die Erythrocyten aufgenommen wird !, so können wir es als sehr wahrscheinlich ansehen, dass die oben genannten mit Wasser nicht mischbaren Flüssigkeiten leicht in die Substanz der rothen Blut- scheiben eindringen. Wenn aus dieser Thatsache auch noch nicht mit Nothwendigkeit gefolgert werden muss, dass, wie Hoppe-Seyler meinte, das Hämoglobin in den Blutscheiben an Lecithin chemisch gebunden vor- kommt, so spricht die Lösung der Blutscheiben doch für die wichtige Rolle, welche dem in jedem Protoplasma gefundenen Leeithin bei der Aufnahme von wasserunlöslichen mit Fetten mischbaren Flüssigkeiten zu- kommt. Von der Zerstörung der rothen Blutscheiben durch Oelsäure überzeugt man sich leicht, wenn man etwa 10°” mit 1 procent. Kochsalzlösung auf ! Die Lösung wirkt alsdann wie destillirtes Wasser, 224 Hans FRIEDENTHAL;: das Fünffache verdünnten Blutes mit 1° reiner Oelsäure etwa 3 Minuten lang kräftig schüttelt. Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man nach der angegebenen Zeit so gut wie gar keine rothen Blutscheiben mehr. Schüttelt man dagegen in der gleichen Weise mit Quecksilber, so bleiben die Erythrocvten wohl erhalten, es ist daher unmöglich, die Lösung der Blutscheiben auf eine mechanische Zertrümmerung zu beziehen. Gegen mechanische Eingriffe sind übrigens die rothen Blutscheiben so resistent, dass es durch noch so starkes Schütteln mit der Hand kaum jemals gelingt, die körperlichen Elemente durch Quecksilber zu zerstören. Ebenso sicher kann der Einwand widerleet werden, es könne die Lösung der Erythrocyten durch Säurewirkung zu Stande kommen. Benutzt man nämlich statt der reinen Oelsäure eine neutrale Seifenlösung, welche man sich durch Zusammenbringen äquivalenter Mengen von Oelsäure und wässeriger Natronlauge herstellt, und schüttelt gleiche Volumina von Blut, welchem man 4 Volumina 1 procent. Kochsalzlösung zugesetzt hat, mit einer 2 procent. Seifenlösung, die zugleich einen Kochsalzgehalt von 0:7 Procent besitzt, so tritt die Lösung der Blutscheiben in der gleichen Weise ein, wie beim Schütteln des Blutes mit reiner Oelsäure. In diesem Falle wird der Gehalt des Blutes an Wasserstoffionen durch die neutrale Seifenlösung nicht im Geringsten vermehrt, trotzdem löst sich die Gerüstsubstanz der Erythrocyten und das Hämoglobin geht in Lösung. Keinerlei Stoffe des Serums kommen in den obigen Versuchen in Betracht, welche die Oelsäure in wasserlösliche Form überführen müssen, damit sie in die Blutscheiben aufgenommen werden kann. Wäscht mau Blutkörperchenbrei wiederholt mit 1 procent. Kochsalzlösung sorgfältig aus, so werden die rothen Blutscheiben nur um so schneller von reiner Oel- säure und von Seifen gelöst. Die Versuche mit Oelsäure zeigen in der gleichen Weise wie die Versuche mit Terpentin, Xylol, Toluol und anderen Fettlösungsmitteln, dass für die schnelle Aufnahme von Stollen in die rothen Blutscheiben nicht die Wasserlöslichkeit maassgebend ist, sondern Affinitäten zu Lecithin und anderen fettverwandten Substanzen. Betrachtet man die chemische Zusammensetzung beliebiger lebendiger Substanz, so ergiebt sich zunächst aus dem Verhältniss von wasserlöslichen Stoffen zu dem Gehalt an Lecithin und Fettsubstanzen nach dem Abzug der als Reservestofle abgelagerten Fette keinerlei Deutung für die soeben gefundene Thatsache, dass die organisirte Substanz vor Allem Affinitäten zu fettverwandten Stoffen zeigen sollte, man müsste im Gegentheil nach dem Ueberwiegen von Wasser und Eiweisskörpern eine leichte und rasche Aufnahme von allen Stoffen vermuthen, welche im Wasser oder in wässerigen Lösungen der Colloide sich leicht lösen lassen. Ber NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 225 Sehr leicht wasserlösliche Substanzen, wie die Zuckerarten, werden von den rothen Blutscheiben nicht aufgenommen. Die rothen Blutscheiben zeigen nicht nur eine grosse Aufnahmefähig- keit für fettverwandte Stoffe, sondern sie verweigern sogar Stoffen den Ein- tritt, welche in Wasser äusserst löslich sind und durch Diffusion in die concentrirtesten colloiden Eiweisslösungen eindringen. Wie bekannt, ver- hindert weder feste Gelatine noch erstarrter Agar das Eindringen wasser- löslicher Substanzen. Die Diffusionsgeschwindigkeit gelöster Stoffe ist in diesen festen Gallerten kaum geringer als in reinem Wasser. In Blutkörperchen und die meisten Zellen dagegen dringen sowohl die in Wasser so überaus löslichen Zuckerarten wie die verschiedensten leicht wasserlöslichen Salze! so langsam ein, dass fälschlicher Weise die Annahme Platz greifen konnte, die thierischen und pflanzlichen Zellen besässen eine Oberflächenschicht mit den Eigenschaften semipermeabler Membranen. Unter den Zuckerarten werden vor Allem die Doppelzucker so langsam und in so geringer Menge von den Erythrocyten aufgenommen, dass trotz der enormen Oberfläche der fein vertheilten Blutscheiben innerhalb 24 Stunden keine messbaren Zuckermengen aus der umspülenden Flüssig- keit verschwinden. | Versuch. 10°® einer 10 procent. Milchzuckerlösung in destillirtem Wasser wurden versetzt mit 10°” Kaninchenserum, nach gründlicher Durch- mischung die Lösung enteiweisst mit Essigsäure und Kochsalz. Der Gefrier- punkt der 10procent. Milchzuckerlösung mit — 0-56° entsprach genau dem Gefrierpunkt des Kaninchenserums. Die enteiweisste Lösung ergab im Polari- sationsapparate, nachdem auf 500°” aufgefüllt worden war, eine Rechts- drehung von 0-60°. In der gleichen Weise wurden 10 °® der isotonischen Milehzuckerlösung versetzt mit 10 °® Blutkörperchenbrei aus centrifugirtem, defibrinirten Kaninchenblute und 24 Stunden unter häufigem Umschütteln ge- mischt gehalten. Am anderen Tage wurden 10 °® der centrifugirten Mischung durch Kochen mit einer Spur Essigsäure nach reichlichem Kochsalzzusatze enteiweisst und auf 500°" aufgefüllt. Es ergab sich eine Rechtsdrehung der Lösung von 1-25, also fast genau das Doppelte der Drehung wie in dem Versuch mit der Vermischung von Milchzuckerlösung und Serum. Selbst in 24 Stunden war also der überaus wasserlösliche Milchzucker trotz der grossen Oberfläche der Erythrocyten nicht in nachweisbarer Menge aufgenommen worden. Versuche mit anderen Doppelzuckern ergeben genau das nämliche Resultat. Die Wasserlöslichkeit einer Substanz ist also kein genügender Grund für rasche Aufnahme in thierische oder pflanzliche Zellen. ! Von den Salzen der Schwermetalle, welche mit Eiweiss schwerlösliche Ver- bindungen eingehen, soll bei dieser Betrachtung ganz abgesehen werden. Archiv f. A.u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 15 226 HANS FRIEDENTHAL: Pflanzliche und thierische Zellen verhalten sich gegen Oelsäure und Milchzucker wie die rothen Blutscheiben. Da die oben beschriebenen Versuche über die Aufnahme von Oelsäure und Milchzucker an Blutscheiben angestellt worden waren, welche nur noch Zellrudimente darstellen, so bleibt noch der Nachweis zu führen, dass auch vollwerthige Körperzellen der Thiere einerseits wasserunlösliche Substanzen, wie die Oelsäure, aufzunehmen im Stande sind, andererseits leicht wasser- löslichen Körpern wie den Doppelzuckern die Aufnahme versagen. Für die Pflanzenzellen ist ja bereits durch die classischen Untersuchungen von Pfeffer bekannt, dass Zuckerarten nicht, oder äusserst langsam auf- senommen werden und die in letzter Zeit viel eitirten Versuche von R.H. Schmidt über die Resorption von Fettsäuren bei Pflanzen haben auch für diese die gleiche Permeabilität des Pflanzenplasmas erwiesen, wie sie den rothen Blutscheiben der Säugethiere zukommt. Auf den ersten Blick könnte es bei der leichten Resorbirbarkeit der Kohlenhydrate im Darm aussichtslos erscheinen, für alle thierischen Zellen den Nachweis des gleichen Verhaltens gegen wasserlösliche, aber sehr schwer oder gar nicht resorbirbare Substanzen, wie sie die Zuckerarten darstellen, und gegen wasserunlösliche !, aber doch leicht resorbirbare Sub- stanzen, wie die Oelsäure, zu führen und doch erscheint die Einheitlichkeit aller lebendigen Substanz in Bezug auf die Resorption als . unerlässliche Forderung, wenn die bei der Resorption in Betracht kommenden Kräfte aus dem Bau des Protoplasmas heraus ihre Erklärung finden sollen. In der That zeigen die folgenden Versuche, dass Körperzellen und Darmzellen bei der Resorption von Oelsäure und Milchzucker sich nicht anders verhalten wie Blutscheiben und Pflanzenzellen. Da von Pflüger ? neuerdings auf die Beobachtung von Moore und Rockwood aufmerksam gemacht wurde, dass die Galle im Stande ist, Fett- säuren in wasserlösliche und damit nach seiner Anschauung erst resorbirbare Form überzuführen, konnte die Aufnahme von Fettsäuren im Darm nicht ohne weitere Vorsichtsmaassregeln als Beweis für die Protoplasmalöslichkeit der Oelsäure herangezogen werden, wohl aber gelingt es durch Einspritzen von Oelsäure in Körperhöhlen die directe Aufnahme dieser Substanz durch ihre Giftwirkung zu demonstriren, bei Abwesenheit jedes ausserhalb der Zelle gelegenen Lösungsmittels. ! Ein geringer Grad von Wasserlöslichkeit kommt thatsächlich der Oelsäure zu, wie allen Substanzen, welche eine OA3a.0, ®? Pflüger’s Archiv. Bd. LXXXIL S. 538. ® Centralblatt für Physiologie. Bd. XIV. 8. 313. Be1ı NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 229 welche mit Alkanna gefärbten Fetten gefüttert werden, mit; himmelblauem Chylus erfüllt, während der Inhalt der Darmschlingen stets eine dunkel- rothe Färbung seines Inhaltes aufweist, ganz gleichgültig, ob man dem Thier mit Alkanna roth gefärbte fettsäurehaltige Neutralfette oder mit der blauen Alkaliverbindung gefärbte seifenhaltige Fette verfüttert. Diese an Katzen angestellten Versuche beweisen also, dass stets im Darm zur Zeit der Fettresorption in Folge der Wirkung des fettspaltenden Fermentes ein Ueber- schuss an freier Fettsäure vorhanden ist und dass erst in der Darmwandung die Ueberführung der aufgenommenen Fettsäuren in Neutralfette und Seifen stattfindet. Gleichzeitig beweist der himmelblaue Chylus aber auch von Neuem die Blaufärbung seifenhaltiger Neutralfette mit Alkanna. Um den Nachweis der Aufnahme von Oelsäure in die Darmepithelien des Frosches mit Hülfe von Alkannaroth zu führen, ohne dass zur Unter- stützung der Aufnahme Galle, Seifen oder Glycerin im Darme anwesend waren, spülte ich den unterhalb der Einmündung des Gallenganges ab- gebundenen, an beiden Enden mit Glascanülen versehenen Froschdarm sorgfältig mit grossen Mengen Ringer’scher Flüssigkeit aus, welche die Galle bedeutend besser entfernt, als die neutrale physiologische Kochsalz- lösung. Nach dem Ausspülen controlirte ich an einem 4°“ langen Stück des Darmes, ob wirklich alle Galle entfernt werden konnte. Das Control- stück wurde mit Sand in heissem Alkohol zerrieben, der Alkohol abgedampft, der Rückstand mit Y95procentigem Alkohol aufgenommen und filtrirt. Das abgedampfte Filtrat mit Rohrzucker. und Schwefelsäure versetzt, gab nega- tiven Ausfall der Pettenkofer’schen Reaction, während ebenso behandelter sallehaltiger Darm schöne Rothfärbung erkennen liess. Der ausgespülte Darm konnte also als gallefrei angesehen werden. In die ausgespülte Darm- schlinge wurde alsdann reine, mit Alkanna tiefroth gefärbte Oelsäure in- jieirt und 24 Stunden in Contact mit der Darmschleimhaut belassen. Nach 24 Stunden wurde der Froschdarm auf mehrere Stunden in 10 procent. Formalinlösung gelegt und schliesslich die Oelsäure aus dem Darm mit Chloroform, welches Oelsäure und Alkanna mit gleicher Leichtigkeit löst, bis zum Verschwinden jeder Spur von Rosafärbung der auslaufenden Flüssigkeit ausgespült. Die Schleimhaut des Froschdarmes zeigt sich beim Oeffnen des Darmes in jedem Falle rubinroth gefärbt und man kann mit dem Mikroskop die Rothfärbnng des Protoplasmas der Darmepithelien nach- weisen. Auf Zusatz von alkalisch reagirender Seifenlösung färbt sich das Fett in den Zellen langsam blau, nach Zusatz von Osmiumsäure färben sich die Epithelien in toto schwarz.! ! Um dem Einwand zu begegnen, dass nicht die Oelsäure, sondern nur der Al- kannafarbstoff in die Zellen eingedrungen sein könne, injieirte ich Fröschen Gemenge 230 Hans FRIEDENTHAL: Diese Versuche zeigen also, dass Oelsäure und Alkanna das Proto- plasma thierischer Zellen durchdringen, ohne der Ueberführung in Seifen und wasserlösliche Substanzen zu bedürfen. Die Darmepithelien verhalten sich gegen mit Lecithin mischbare Substanzen genau wie die rothen Blut- scheiben und die Pflanzenzellen, was auf einen gemeinsamen Bau jedes lebenden Protoplasmas hinweist. Es sei hier auch darauf hingewiesen, dass es gelingt, durch die Dämpfe von Aether, Chloroform, Benzin und Petrol- äther Thiere von der Darmhöhle aus zu narcotisiren, alle diese fettlösenden, mit Wasser schwer oder gar nicht mischbaren Substanzen vermögen daher die wassergetränkte Darmschleimhaut leicht zu durchdringen. Milchzucker dringt schwer oder gar nicht in die Darmepithelzellen ein. Viel erstaunlicher als die Aufnahme fettverwandter Substanzen muss aber die Thatsache erscheinen, dass es leicht wasserlösliche Substanzen wie den Milchzucker giebt, welche im Darm nur in minimalen Mengen unter bestimmten Bedingungen aufgenommen werden, trotzdem der Milchzucker leicht in die concentrirtesten Gallerten durch Diffusion eindringen kann. Diese Thatsache macht, wie zugegeben werden muss, bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck eines Wahlvermögens der lebendigen Substanz, da ein Grund für die Nichtresorbirbarkeit des Milchzuckers bei der starken Resorption anderer Kohlenhydrate im -Darm nicht leicht anzugeben ist. Die von Weinland! zuerst näher untersuchte Resistenz des Milch- zuckers gegen Resorption im Darm von erwachsenen Kaninchen, welchen ein milchzuckerspaltendes Ferment, wie ebenfalls Weinland fand, fehlt, liess sich sowohl am unversehrten Darm nachweisen, wie auch an Därmen, deren Epithel durch Fluornatrium gelähmt oder getödtet war. Die That- sache, dass auch der todte Darm die Diffusion des Milchzuckers ver- hindert, zeigt wohl am deutlichsten, dass das Nichteindringen des Milch- zuckers nicht auf einem Wahlvermögen der lebendigen Zellen beruhen kann, sondern in dem Bau des lebenden und todten Protoplasmas begründet sein muss. Zunächst seien hier die ausgeführten Versuche über die Auf- nahme des Milchzuckers im Darm mitgetheilt. Versuch. Einem 2200®8'% schweren Kaninchen wurden 50 °® einer 10 procent. (also mit dem Blutserum isotonischen) Milchzuckerlösung in eine an beiden Enden abgebundene Darmschlinge von etwa 2" Länge in- von Paraffinum liquidum und Alkanna in den Darm unter Beobachtung aller oben angegebenen Cautelen. Die Aufnahme der Alkanna aus dem Paraffin war stets so viel schwächer, obwohl nachweisbar, dass der Uebertritt von Oelsäure bewiesen erscheint. i Weinland, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXVII. 8.16; Bd. XL. S. 386. BEI NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 231 jieirt. Vor der Injection war die Schlinge zur Entfernung der Galle mit körperwarmer Ringer’scher Lösung ausgespült worden. Nach 6 stündiger Verweildauer im Darm wird die Lösung aus der Schlinge abgelassen und die Schlinge zwei Mal mit 1 procent. körperwarmer Kochsalzlösung nach- gespült. Der Darminhalt wird nach Kochsalzzusatz und Ansäuern mit Essig- säure durch Kochen enteiweisst und auf 220°" aufgefüllt. Die Polarisation der klaren Lösung ergab eine Rechtsdrehung von 2-1°, während die gleiche Menge von Ausgangslösung auf 220°” aufgefüllt eine Drehung von 2-3 nach rechts ergeben hatte. Innerhalb 6 Stunden war also nur äusserst wenig Milchzucker im Darm des erwachsenen Kaninchens resorbirt worden. Dieses Resultat, welches mit den von Weinland erhaltenen übereinstimmt, änderte sich nicht als durch Fluornatriumzusatz die Lebensthätigkeit der Darmepithelien ausgeschaltet wurde. Versuch. Ein 1850 8"% schweres Kaninchen erhielt in der oben be- schriebenen Weise 50°" einer 10 procent. Milchzuckerlösung in eine 2" lange Dünndarmschlinge injieirt mit einem Zusatz von 07 ®”" Fluornatrium. Nach 24stündiger Verweildauer ergab die Polarisation der enteiweissten Lösung, verglichen mit dem gleichen Volum der Ausgangslösung, einen Ver- lust von nur 10 Procent des Milchzuckers. Also auch im todten Darm verschwindet nur ein geringer Bruchtheil des eingeführten Milchzuckers. Versuche über die Resorption von Milch- zucker im Darm erwachsener Katzen in der oben beschriebenen Weise an- gestellt, ergaben sogar in einem Falle, dass überhaupt nichts aus der ein- geführten Milchzuckerlösung resorbirt worden war. Ganz andere Resultate als im todten oder lebenden Darm erhält man, wenn man Milchzuckerlösungen gegen Gelatine diffundiren lässt. Wegen der enormen inneren Oberfläche des Thierdarmes wurde die Diffusionszeit der Milchzuckerlösungen auf 48 Stunden verlängert, da trotz dieser Ver- längerung die Verhältnisse im Darm für Diffusion günstiger liegen als im Dialysator. Versuch. Zu einer 0-92 procent. Kochsalzlösung wurden 30 Procent Gelatine und 1-4 Procent NaFl gefügt und die Lösung im Wasserbade bis zur Homogenität erwärmt. In diese 30 procent. Gelatine tauchte ein mit Pergamentpapier überzogener Dialysator, in welchem sich 58% Milchzucker und 0-5°% Fluornatrium (zur Verhinderung der Fäulniss) und 60 m Wasser befanden. Nach 48stündiger Diffusion im Wärmeschrank bei 38° wurden durch Polarisation der im Dialysator noch vorhandenen Milch- zuckerlösung nur 1-488”% von den ursprünglich vorhandenen 5 3% wieder- gefunden. Der grösste Theil des Milchzuckers war also durch Diffusion in die 30 procent. Gelatine eingedrungen. Dieser Versuch beweist deutlich, dass wir weder die lebende noch die todte Darmwand in Bezug auf Diffusionsverhältnisse mit einer Membran vergleichen dürfen, welche aus wasserlöslichen Colloiden und salzhaltigem Wasser zusammengesetzt ist; jedes untersuchte thierische und pflanzliche Protoplasma zeigte vielmehr in den obigen erwähnten Versuchen Affinität 232 Hans FRIEDENTHAL: zu fettlösenden Stoffen und eine grosse, wenn auch nicht ganz absolute, Impermeabilität für eine so leicht wasserlösliche Substanz, wie der Milch- zucker sie darstellt. Dass auch die anderen Zuckerarten im Protoplasma äusserst langsam eindringen, dafür sprechen die Versuche über die Permea- bilität der rothen Blutscheiben und der Pflanzenzellen gegen Rohrzucker und Traubenzucker. Auch diese Zuckerarten werden vom Protoplasma, wenn überhaupt, nur äusserst langsam aufgenommen. Der Bau des Protoplasmas. Die Erscheinungen bei der Aufnahme und bei der Aufnahmeverweigerung in molecularer Nähe von Protoplasma befindlicher Stoffe verlieren viel von ihrem befremdlichen Charakter, wenn man die Vorstellungen acceptirt, wie sie Bütschli auf Grund mikroskopischer Analyse und experimenteller Unter- suchungen von dem Bau des Protoplasmas entwickelt hat. Denken wir uns das Protoplasma als ein schaumartiges Wabenwerk lecithinartiger Sub- stanz, deren Hohlräume von einer colloidhaltigen wässerigen Lösung erfüllt sind, so wird ein solches Gebilde bei ganz geringer Masse der Waben- wände, wie sie in mikroskopischen Schnitten zur Anschauung gebracht werden kann, das gleiche Verhalten gegen fettverwandte Substanzen (wie Aether, Chloroform, Oelsäure u. s. w.) zeigen müssen, wie die lebendige Substanz, d.h. es wird trotz seines procentisch geringen Fettgehaltes und andererseits trotz des Ueberwiegens von Wasser und Eiweiss, wasserlöslichen Substanzen nur äusserst langsam den Eintritt gestatten. In Bezug auf den Austritt und Eintritt von Wasser in Lösungen von verschiedenem osmo- tischen Druck wird ein solcher Schaum sogar genau die Verhältnisse zeigen müssen, wie sie an Pflanzenzellen und Blutscheiben beobachtet worden sind. Bütschli hat bereits zeigen können, dass Schäume, wie sie entstehen, wenn man Öel mit Soda verrieben in Wasser quellen lässt, eine Structur an- nehmen und Tage lang andauernde Strömungen im Innern zeigen, welche bei tausendfacher Vergrösserung von Protoplasmastructur und Protoplasma- strömung selbst für den Kenner schwer zu unterscheiden sind und, es ge- lingt durch von ihm angegebene geeignete Fixations- und Färbemethoden, die Wände der supponirten Hohlräume in jedem Protoplasma sichtbar zu machen. Wenn nun auch eine am fixirten Object gefundene Structur niemals einen sicheren Beweis abgeben kann für den Bau der lebendigen Substanz wegen der Möglichkeit der Entstehung von Gerinnungsstructuren, so sprechen die Versuche über die Permeabilität der lebenden Zellen um so mehr für die Richtigkeit der von Bütschli aufgestellten Hypothese von dem Bau des Protoplasmas. Brei NAHRUNGSRESORPTION IN BETRACHT KOMMENDE KRÄFTE. 233 Es leuchtet ohne Weiteres ein, eine wie hohe Selbstständigkeit und Un- abhängigkeit von der Umgebung in Bezug auf Zusammensetzung ein feiner Schaum durch die Abwechselung von fettartigen und wässerigen Schichten erhalten muss: erst in ausserordentlich langen Zeiträumen wird eine im umgebenden Wasser gelöste Substanz ihren Einfluss geltend machen können. Viel schneller, als durch in Wasser gelöste Substanzen, müsste das Gefüge eines solchen Schaumes durch fettlösende Substanzen angegriffen werden, wie sie allerdings in der Natur in der Umgebung von Thieren und Pflanzen nicht vorkommen, und wir finden in der That, dass die Fettlösungsmittel ganz allgemeine Protoplasmagifte vorstellen, welche Protoplasma jeder Her- kunft mit derselben Sicherheit .abtödten, wie jedes eiweissfällende Mittel in genügender Concentration das Leben jeder organisirten Substanz ver- nichten muss. Die Aehnlichkeit der organisirten Materie mit fettverwandten Substanzen in physikalischer und chemischer Hinsicht ist schon mehrfach bemerkt worden, so wies z. B. Hans Meyer! darauf hin, dass alle fettlösenden Stoffe wegen ihres Eindringens in die Grosshirnzellen narkotisch wirken müssen und Jensen? machte darauf aufmerksam, dass dem Plasma eine Öberflächenspannung wie einer fettartigen Substanz zukommen müsse. Für die Resorptionsvorgänge im Darm müssen wir aus dieser An- schauung über den Bau des Protoplasmas heraus schliessen, dass Wasser- löslichkeit und Protoplasmalöslichkeit nicht identische Begriffe sind, wie ja auch aus dem Verhalten der Darmzellen gegen Oelsäure und Milchzucker hervorgeht, und wir dürfen wohl aus den Versuchen folgern, dass ein Stoff, um gut resorbirbar zu werden, nicht der Ueberführung in wasserlösliche sondern in protoplasmalösliche Form bedarf. Es soll nicht geleugnet werden, dass auch alle wasserlöslichen Substanzen von kleinem Moleculargewicht, wenn auch äusserst langsam, resorbirt werden. Ganz räthselhaft erscheint dagegen die leichte Resorbirbarkeit mancher Kohlehydrate im Darm, welche anscheinend überhaupt keiner Erklärung bedurfte, so lange man jede wasserlösliche Substanz als leicht resorbirbar ansah. Warum wird Milchzucker bei Abwesenheit von spaltendem Ferment nicht resorbirt, sondern wirkt wie ein Abführmittel? Welche Affinitäten im Protoplasma der Darmzellen vermitteln die Aufnahme von Trauben- zucker, der in Blutscheiben und Pflanzenzellen so äusserst langsam ein- dringt, oder gelangt der Traubenzucker gar nicht in die Darmzellen hinein, und wird er zwischen den Zellen in die Körpersäfte aufgenommen? Ist 1 Zeitschrift f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. Bd. XL. S. 109. ? Ueber den Aggregatzustand der lebendigen Substanz. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXX. S. 196. 234 Hans FRIEDENTHAL: BEI NAHRUNGSRESORPTION U. S. W. Traubenzucker vielleicht nur in der Form von Jecorin, wie er im Blute vorkommt, also in fettlöslicher Form resorbirbar? Diese und noch viele andere Fragen in Betreff der Darmresorption harren noch ihrer Erledigung, nachdem einmal erkannt ist, dass die Wasserlöslichkeit einer Substanz für ihre Aufnahme in Protoplasma nicht entscheidend ist. Die Thatsache, dass fast alle wasserlöslichen Substanzen bei ausschiiesslicher Darreichung als Abführmittel wirken, wie Peptonlösungen, Zuckerlösungen, Salzlösungen, ist ein ernster Hinweis darauf, dass die Resorption der Spaltungsendproducte der Nahrungsmittel ein viel complicirterer Vorgang ist, als man bisher angenommen hatte Für eine dauernde Erhaltung ergiebiger Resorption scheint die gleichzeitige Anwesenheit mindestens zweier verschiedener Stoff- gruppen im Darmlumen unumgängliche Voraussetzung zu sein. Zusammenfassung der Resultate. 1. Oelsäure, obwohl so gut wie gar nicht wasserlöslich, ist doch proto- plasmalöslich, da Blutscheiben, Grosshirnrindenzellen und Darmepithelien Oelsäure resorbiren bei Abwesenheit jedes extracellulären Lösungsmittels. 2. Milchzucker, obwohl sehr wasserlöslich, ist so gut wie gar nicht protoplasmalöslich, da er nur in sehr geringer Menge von Blutscheiben, Pflanzenzellen und Darmepithelien aufgenommen wird. 3. Einige der bei der Resorption der Nahrung in Betracht kommenden Kräfte werden verständlich durch die Auffassung des Protoplasmas als eines schaumartigen Gebildes, dessen dünne Wabenwände aus lecithinartiger Masse bestehen, während der Inhalt von colloiden wässerigen Lösungen ge- bildet wird. 4. Der Modus der Resorption der Kohlenhydrate im Darm bedarf noch weiterer Aufklärung wegen der nachgewiesenen Impermeabilität der Plasma- grenzschichten für die meisten Zuckerarten. Beitrag zur Kenntniss der Wirkung des Vagus und Accelerans auf das Säugethierherz. Von Dr. med. Teodoro Muhm aus Chile, (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) (Hierzu Taf. VI—VIIi.) Seit Baxt (8) seine Untersuchungen über die Stellung des Nervus vagus zum Accelerans cordis veröffentlichte, sind seine Angaben fast all- gemein als massgebend für das Verständniss der Wirkung dieser Nerven auf das Herz betrachtet worden. Wie bekannt, behauptete Baxt, dass bei gleichzeitiger Erregung beider Nerven zuerst der Vagus immer seine Wir- kung voll zur Geltung bringt, und erst, nachdem diese vorüber, auch die Acceleranswirkung ebenso in die Erscheinung tritt, als ob ihr keine Vagus- wirkung vorangegangen wäre. Eür Baxt bestand kein Antagonismus zwischen diesen beiden Nerven. Seit der Zeit haben viele Forscher die Stellung dieser Nerven zu ein- ander festzustellen gesucht, und es erschienen Arbeiten, in welchen die Fol- gerungen Baxt’s auf Grund anderer Versuche als nicht zutreffend bezeichnet wurden. Unter Anderem stellte Reid Hunt (1, 2) zahlreiche Versuche an, um diese Frage einer Lösung entgegenzuführen. Er erhielt eine bedeutendere Verlangsamung des Herzrhythmus, wenn er den Vagus nach Durchschneidung der Acceleratoren reizte, als vor dieser Durchschneidung bei gleich starkem Reize. Und umgekehrt brachte die Erregung der Acceratoren nach Section der Vagi eine grössere Beschleunigung der Herzschläge zu Stande als vor derselben. 236 TEODORO MuHm: . Schon nach einfacher Durchschneidung der Acceleratoren hat Hunt eine Verlangsamung des Herzrhythmus feststellen können, und eine Verlängerung der Systolen und Diastolen, hauptsächlich der ersteren. Nach einer oftmals wiederholten Reizung der Acceleratoren beobachtete derselbe Autor eine Verlangsamung der Herzschläge und schreibt dies einer Ermüdung und dadurch verursachten Verminderung der Reizbarkeit des Herzmuskels zu. Bei gleichzeitiger Reizung können die Wirkungen beider Nerven sich vollständig neutralisiren, falls man nur geeignete Reizstärken wählt. Aus allen diesen Thatsachen glaubte Hunt den Schluss ziehen zu müssen, dass Accelerans‘cordis und Vagus strikte Antagonisten sind. Der Accelerans befindet sich, wie der Vagus, gewöhnlich in einem Zustande tonischer Erregung, welche derjenigen des Vagus entgegenwirkt. Der Vagus übt eine schützende Wirkung auf das Herz aus, indem er die durch den Acceleranstonus bewirkte Beschleunigung in Grenzen hält und so das Herz vor Ermüdung bewahrt. Beide Nerven haben also einen hervorragenden Einfluss auf die Schlagfrequenz und veranlassen das Herz, zu seinem nor- malen Tempo zurückzukehren, wenn es durch reflectorische oder andere Ursachen aus demselben gebracht ist. In Versuchen, welche Otto Frank (11) am Hunde vorgenommen hat, konnte entgegen den Baxt’schen Angaben festgestellt werden, dass bei Reizung des Accelerans, während der durch Vaguswirkung verursachten Pulsverlangsamung, der Accelerans seine Wirkung doch geltend macht, indem die Pulszahl in ähnlicher Weise wie durch alleinige Acceleransreizung ver- mehrt wird. Frank ist aber nicht der Ansicht, dass es sich um eine ein- fache Summation beider Wirkungen handelt; er glaubt vielmehr, dass die gegenseitige Beeinflussung beider Nerven nach verwickelteren Regeln erfolgt. Auf Anregung des Hrn. Prof. I. Munk unternahm ich nun eine Reihe von Versuchen, um zur Lösung der Frage über die Stellung der beiden in Betracht kommenden Nerven beizutragen. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle Hrn. Prof. Munk meinen wärmsten Dank auszusprechen für seine stets bereite Unterstützung bei diesen Untersuchungen. Auch Hrn. Privat- docenten Dr. P.Sch ultz sei hier gedankt für die Bereitwilligkeit, mit welcher er mir bei der Aufstellung und Anordnung der Apparate behülflich war. Für die Untersuchungen wurden ausschliesslich Kaninchen von mitt- lerer Grösse verwendet und als Versuchsmethodik das von Engelmann (3) für das Froschherz ausgebildete Suspensionsverfahren benutzt. Zu diesem Zwecke wurde dem in Chloralnarkose befindlichen Kaninchen das Herz nach Gad (10) ohne Eröffnung der Pleurahöhlen freigelegt, und dabei folgendermaassen verfahren: WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 237 Nach Freilegen des Sternums und der Rippenansätze, unter vorsichtiger Vermeidung jeder grösseren Blutung, wurde das Sternum quer durch- schnitten und die fünf ersten Rippen hart an ihrem Ansatze vom Sternum getrennt. Dabei ist eine Eröffnung der Pleurahöhlen zu vermeiden, was bei genügender Uebung meistens gelingt, wenn man die betreffenden Sternumhälften mittels eines Hakens emporhebt und die Rippenansätze durch Messerschnitt trennt. Das Sternum wird entfernt und die beiden Thoraxhälften durch entsprechende Vorrichtungen (Spanner, in Gestalt einer V-förmigen Stahlfeder, Seitwärtsziehen der Rippenenden durch Fäden) so weit auseinander gehalten, dass das Herz in seiner grössten Ausdehnung vor Augen liegt. Die Lappen der Thymusdrüse werden vorsichtig getrennt, und man schreitet zur Oefinung des Pericardialsackes; man näht sodann das Pericard an die Brustwand, wobei wiederum die grösste Sorgfalt anzuwenden ist, um die Pleuralhöhlen nicht zu eröffnen. Für die Suspension des Herzens wurde dieselbe Hebelvorrichtung ver- wendet, welche Engelmann für das Froschherz angegeben hat. Vorhof und Kammer werden vorsichtig mit Serres-fines gefasst (der Vorhof an der Aurikel und die Kammer möglichst nahe der Spitze) und an die ent- sprechenden Hebel befestigt. Durch passende Auswahl der Hebellänge und . der Belastung hat man es in der Gewalt, die sehr grossen Ausschläge des Kaninchenherzens für die Registrirung auf geeignete Weise zu verringern und Schleuderbewegungen des Hebels nach Möglichkeit zu vermeiden. Als genügend erwies sich in meinen Versuchen eine Hebelvergrösserung von 1:9 (bei einer Länge des schreibenden Hebelarms von 15°®) und eine Be- lastung von 28-5: für den Vorhof und 45 =” für die Kammer. Die Suspension wurde in allen Versuchen am rechten Herzen vor- genommen, da dieses leichter zugänglich ist; um die linke Herzhälfte zu fassen, ist immer eine beträchtliche Lageveränderung des Herzens un- vermeidlich, was die normalen Verhältnisse der Herzfunction bei der Re- gistrierung wesentlich beeinträchtigt haben würde. Um einer Abkühlung des Thieres vorzubeugen, welche bei dem grossen operativen Eingriffe zu erwarten war, erwies es sich als sehr zweckmässig, in einer Entfernung von etwa 10°® von der Thoraxöffnung eine kleine elektrische Lampe von 16 Kerzenstärke aufzustellen. Auf diese Weise wurde erreicht, dass das Herz viele Stunden lang in unverändertem Rhythmus und gleicher Stärke weiterschlug. Die Herzbewegungen wurden auf dem berussten Papier eines Ludwig- Baltzar’schen Kymographions verzeichnet. Durch das so ausgeführte Suspensionsverfahren erhält man Curven, die denen des Froschherzens sehr ähnlich sind. Ich gehe an dieser Stelle nicht in die nähere Besprechung der Curven der normalen Herzbewegungen 238 TEoDoRoO MuHm: ein und will nur hervorheben, dass einmal in den vom Kammerhebel ge- zeichneten Curven sich fast immer auch die Vorkammerpulse und in den Vorkammercurven die Ventrikelcontractionen bemerklich machen, wie auch dass kurz vor oder am Anfang der systolischen Erhebung der Atriumcurve in vielen Versuchen die Contraction des Sinusgebietes sich deutlich abhebt. Ge- naue Beachtung und Ausmessung der zeitlichen Verhältnisse ist für die Deutung der Curven unerlässlich. Hierbei ist der etwaige Unterschied in der Lage der Nullpunkte der beiden schreibenden Spitzen sowie der Um- stand im Auge zu behalten, dass die Spitzen sich nicht geradlinig auf- und abwärts, sondern in Kreisbogen von 15°” Halbmessern bewegten. Meine Untersuchungen erstreckten sich auf die isolirte Wirkung des Vagus und des Accelerans auf das Herz und auf den Erfolg gleichzeitiger Reizung dieser beiden Nerven; ich werde auch in dieser Reihenfolge über die bei meinen Versuchen erlangten Resultate berichten. Wirkung des Vagus auf die Herzbewegungen. Bisher haben alle von den verschiedenen Forschern angestellten Versuche ergeben, dass der Vagus, bei schwachem Reize, eine constante Wirkung auf die Bewegungen des Vorhofes ausübt, welche sich in einer Aenderung des Rhythmus oder der Stärke der Contractionen, oder in diesen beiden Störungen zugleich kund giebt; es herrschte früher jedoch keine Uebereinstimmung darüber, ob dieser Nerv auch seine Wirkung auf die Kammer erstreckt. Es erschienen dann Arbeiten, in welchen festgestellt wurde, dass bei schwacher Vagusreizung neben einer Abschwächung der Atriumsystolen auch gelegentlich eine solche an den Kammern beobachtet wird. Knoll (4) sah gewöhnlich neben dem Effect auf den Vorhof eine gleichartige wenn auch schwächere Wirkung auf die Kammer. Meine Versuche ergaben, dass bei Reizung des Vagus mit schwachen Strömen fast in allen Fällen, ausser an der Vorkammer, auch eine Wirkung an der Kammer auftritt. Diese Wirkung ist gewöhnlich eine negativ inotrope und dabei in den meisten Fällen am Vorhofe deutlicher aus- geprägt. Es wurde aber auch oft dieser negativ inotrope Effect an der Kammer beobachtet, während er gleichzeitig an dem Vorhofe nur an- gedeutet erschien, jedenfalls hier nicht gleiche Stärke erreichte oder gar diesen Herztheil überhaupt nicht beeinflusste Taf. VI, Fig. 1 liefert ein Beispiel solcher Fälle. Man sieht in ihr wie am Ende der Reizung die Ventrikelcontractionen plötzlich ganz beträchtlich an Stärke abnehmen, während am Vorhofe diese Wirkung nicht zum Vorschein kommt, Es bestätigen also unsere Versuche, dass der Vagus seine Wirkung ebenso auf den Vorhof wie auf die Kammer erstreckt und zwar, dass er beide Herzabtheilungen direct und gesondert beeinflussen kann. Wie WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 239 P. B. Hoffmann (5) für das Froschherz zeigte, verlaufen in der Scheide- wand der Vorkammern inotrop wirkende Vagusfasern nach Atrium und Ventrikel, wo sie ihre Angriffspunkte haben. Der negativ chronotrope Effect, welcher an Vorhof und Kammer gewöhnlich neben der Abschwächung der Contractionen einhergeht, ist wohl immer secundärer Natur und einer primären Einwirkung auf das Sinusgebiet zuzuschreiben. Ein negativ chronotroper Effect auf das Sinus- gebiet lässt sich häufig ohne Schwierigkeit durch die längere Pause er- kennen, welche die Sinuscontraetionen von einander trennt. Aber auch negativ dromotrope Effecte innerhalb des Sinusgebietes oder auf die Leitung von Sinus zu Atrium können eine verminderte Schlagfrequenz der weiter abwärts gelegenen Herztheile bewirken. Die Sinuscontractionen er- scheinen dann sehr gedehnt, getheilt, was wohl auf eine Herabsetzung der Leitung innerhalb des Sinusgebietes zurückzuführen ist (Taf. VIII, Fig. 10). Ist die Leitung von Sinus zu Atrium unterbrochen oder herabgesetzt, so sieht man die Sinuscontractionen sich schärfer von den Atriumsystolen ab- heben, unter Umständen die Sinussystole von der Atriumsystole durch ein Thal getrennt (Taf. VIII, Fig. 10). Beim Froschherzen ist dieselbe, in Verlängerung, bezüglich Spaltung der Sinuscontraction sich äussernde negativ dromotrope Wirkung starker (reflectorischer) Vagusreizung durch Engelmann (13, S. 333-338, Figg. 11, 12, 14—20) beobachtet und abgebildet. Eine primär chronotrope Wirkung auf Vorhof und Kammer allein habe ich nie beobachten können, es war immer dieselbe Wirkung am Sinus zu erkennen, eine Thatsache, die schon früher von verschiedenen Forschern hervorgehoben worden ist. F. B. Hoffmann (5) lieferte für das Frosch- herz directe experimentelle Beweise dafür, dass die primär chronotrop wirkenden Fasern des Vagus nur im Sinusgebiete endigen. Nur in einem Falle (Taf. VI, Fig. 2) wurde eine positiv inotrope Wirkung auf Atrium und Ventrikel beobachtet, welche mit einer gleichen auf das Sinusgebiet einherging. Wie aus der Curve (Taf. VI, Fig. 2) er- sichtlich, erstreckte sich dieser verstärkende Effect hauptsächlich auf den Vorhof, während er am Ventrikel nur sehr gering war. Gleichzeitig tritt eine geringe Verlangsamung des Tempos aller Herzabtheilungen und eine deutliche Verzögerung der Leitung vom Sinus zur Vorkammer auf. Vor Anfang der Reizung macht sich jede Sinussystole ($,) nur durch ein weniger steiles Ansteigen im Anfang des aufsteigenden Schenkels der Vor- kammercurve bemerklich. Schon die erste Sinussystole nach Beginn der Reizung hebt sich aber etwas deutlicher von der anschliessenden Vorkammer- erhebung (4,) ab, in der zweiten Periode erscheint die &, schon als selbst- ständiger Gipfel, von der zugehörigen 4° durch ein kleines Thal getrennt 240 TEoDorRO MuHm: und dieser negativ dromotrope Effect wächst bis gegen das Ende der Reizung, um nach deren Aufhören sich ganz allmählich zurückzubilden, in der Art, dass in der 14. Periode nach Beendigung der Reizung der anfänglich normale Zustand wieder erreicht ist, in welchem &, und 4, kaum merk- lich von einander abgesetzt sind. ' Eine sehr häufige Erscheinung bei Vagusreizung mit schwachen Strömen ist die Unterbrechung der Leitung von Atrium zu Ventrikel. Wie die oberen Curvenpaare in Taf. VIII, Figg. 10 und 11 zeigen, fallen in Folge des negativ dromotropen Effectes Kammercontractionen aus, während die Vorkammer in unverändertem Tempo weiter schlägt. Wenn man den Vagus mit stärkeren Strömen reizt, beobachtet man die verschiedensten Combinationen der vorher besprochenen Wirkungen. Bei sehr starkem Reize tritt gewöhnlich eine beträchtliche Nachwirkung ein, das Herz erholt sich nur schwer von den erlittenen Störungen; es ist nicht selten zu beobachten, wie es unter solchen Bedingungen wiederholt in dieselben Störungen verfällt, ohne dass eine neue Reizung diese ver- ursacht hätte (Taf. VI, Fig. 3). Nach mündlicher Mittheilung von Prof. Engelmann kommt die letztere Erscheinung auch beim Frosch nach starker, kurzdauernder reflectorischer Vagusreizung (vom Darm aus) vor. Bei der häufigsten Combination von negativ chronotropem und negativ dromotropem Effect auf das Sinusgebiet und negativ inotropem und secundär negativ chronotropem Effect auf Vorkammer und Kammer kommen diese verschiedenen Wirkungen in sehr gesteigertem Maasse zum Vorschein. Wie aus der in Taf. VI, Fig. 4 wiedergegebenen Curve ersichtlich, treten wegen der Verlangsamung der Reizerzeugung im Sinusgebiet nun durch lange Zwischenpausen getrennte Herzschläge auf. Die Unterbrechung der Leitung von Atrium zu Ventrikel kann bei Anwendung von starken Strömen oft eine vollständige und langdauernde sein. Unter ihrem Einflusse geräth die Kammer in Stillstand, während der Vorhof noch weiter pulsirt. In Taf. VI, Fig. 5 sieht man, wie der Kammerstillstand gleich nach Anfang der Reizung auftritt und fast bis zum Ende derselben anhält, während der Vorhof in wenig verlangsamtem Tempo und nur etwas geschwächt weiter schlägt. Bemerkenswerth ist die Extrasystole der Kammer, welche man hier auftreten sieht, nachdem die erste Reizwelle von Vorhof zu Kammer wieder durchzudringen vermag. Es hat sich anscheinend während des langen Stillstandes die Erregbar- keit des Ventrikels in so hohem Maasse gesteigert, dass sie zu Extra- systolen führt. In anderen Fällen (Taf. VII, Fig. 6) kommt die negativ inotrope Wirkung auf den Vorhof als vorherrschende Erscheinung zur Beobachtung. Auf der Curve entsprechen den etwas geschwächten und im Allgemeinen WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 241 durch lange Pausen getrennten Kammersystolen nur ganz geringe, kaum angedeutete Vorhofscontractionen. Während der chronotrope Effect bald nach der Reizung verschwindet und der Ventrikel in annähernd normalem Tempo und Stärke weiter zu schlagen beginnt, ist an der Vorkammer noch eine lange negativ inotrope Nachwirkung zu beobachten. Zu einem vollkommenen Stillstande des Vorhofes in Folge ansteigenden negativ inotropen Effectes sah ich es in meinen Untersuchungen nicht kommen. Roy und Adami (6), Knoll (4) u. A. dagegen geben an, dass es durch zunehmende Abschwächung der Contractionen zu einem wirklichen Vorhofsstillstande kommen kann. In den Figg. 7 und 7a, Taf. VII, scheint der Vorhofsstillstand vielmehr einer Leitungshemmung von Sinus zu Atrium zuzuschreiben zu sein, da derselbe ganz plötzlich, ohne vorhergehende Schwächung der Systolen einsetzt. Wirkung des Accelerans cordis. — Um die Reizung dieses Nerven ‘ zu bewirken, wurde er immer auf der linken Seite aufgesucht, da beim Kaninchen die anatomischen Verhältnisse hier günstiger sind als rechts. Das Ganglion cervicale inferius wurde mit aller Vorsicht freigelest und der Nerv gleich bei seinem Abgange vom Ganglion unterbunden und gereizt. Zur Reizung wurden gewöhnlich starke Ströme verwendet, da bei schwachen Reizen meistens keine Wirkung zu beobachten war. Als erster Befund fällt ausnahmslos die Thatsache auf, dass sich nicht sofort auf die elektrische Reizung des Accelerans die Herzthätigkeit ändert. Die Latenzzeit war häufig sehr beträchtlich; in vielen Fällen konnte ich erst bis sieben Seeunden nach Anfang der Reizung eine Wirkung bemerken. Die Wirkung der Acceleransreizung erstreckt sich auf die Stärke und die Frequenz der Herzschläge. In der grössten Zahl der Fälle treten beide Effecte zusammen in die Erscheinung, doch war die Beschleunigung ge- legentlich sehr gering im Vergleich zu der Verstärkung der Contractionen, welch letzteres an den aufgenommenen Curven ohne Weiteres zu ersehen war. Das würde mit den Angaben Hunt’s (1, 2) übereinstimmen, welcher in seinen Versuchen am Hunde die Beobachtung gemacht hat, dass durch Reizung der beschleunigenden Nerven der rechten Seite immer eine viel grössere Schlagfrequenz erzielt wird als durch Reizung der linken Accele- ratoren, die nur eine geringe Steigerung des Blutdruckes zur Folge hatten. Aehnliche Resultate erhielt er bei der Durchschneidung dieser Nerven. Die Section der vom rechten Ganglion stellatum ausgehenden Aeste verursachte immer eine beträchtliche Verlangsamung des Herzschlages, während bei Durchschneidung links vielmehr der Blutdruck anstieg, aber der Rhythmus sich nur wenig beeinflusst zeigte. Er glaubt daher, dass die rechterseits Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 16 242 TEOoDoRO MuHm: nach dem Herzen gehenden Nervenäste mehr Beschleunigungsfasern ent- halten als die vom linken Ganglion ausgehenden. Da ich mich in meinen Versuchen nur auf die Reizung der vom linken Ganglion cervicale inferius abgehenden Aeste beschränkt habe, fehlt es mir an eigener Erfahrung über die Wirkung der rechtsseitigen Beschleunigungs- nerven. Doch so viel mag festgestellt sein, dass in den Untersuchungen, worüber ich hier berichte, hauptsächlich eine positiv inotrope Wirkung des linken Accelerans cordis zu verzeichnen war. Es konnte wohl in der Hälfte der Fälle durch Messung auch eine Beschleunigung des Herzschlages festgestellt werden, doch war diese meist nur gering, während die positiv inotrope Wirkung die Contractionen, hauptsächlich der Kammer, ausser- ordentlich verstärken konnte. Taf. VII, Fig. 8 stellt einen Fall dar, in welchem die positiv inotrope Wirkung auf die Kammer deutlich sichtbar erscheint, während sie am Vorhofe nur wenig ausgeprägt ist. In folgender Tabelle gebe ich das Resultat der genaueren Messung dieser Curve wieder: Vor der Reizung . ie 0a x 2.96 Sec. nach Anfang der Reizung bi Re R 5:25 „ „ ) ” Me a a: a 7 a ee 18.3 I, ala, 6. 6. a nn Die Zahlen rechts geben die Höhe der Ventrikel- (V) und Atriumaus- schläge (A) an. Bei der Messung in Betracht gezogen sind nur die klei- neren, nicht mit den Inspirationsphasen zusammenfallenden Ventrikel- und die ihnen entsprechenden Atriumcontractionen. Während vor der Reizung 10 Contraetionen auf 2-6 Secunden fallen, kommen während der maximalen Wirkung auf dieselbe Zeit 11'2 Herzschläge. In Taf. VII, Fig. 9 und Taf. VIII, Fig. 9a ist der Fall abgebildet, in welchem die grösste Beschleunigung beobachtet wurde; sie erlangte ein Maximum von 35 Procent. Gewöhnlich handelte es sich nur um eine Vermehrung der Schlagfrequenz von 5 bis 10 Procent. Ueber die Wirkungsweise dieser Nerven war früher nur so viel bekannt, dass sie Rhythmus und Stärke der Vorkammern zu ändern vermögen, und WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 243 dass durch diese Aenderungen secundär die Kammerschläge beeinflusst werden; eine directe Wirkung auch auf diese wurde als nicht erwiesen betrachtet. Frangois Franck (12) stellte dann fest, dass verstärkende und beschleunigende Wirkung unabhängig von einander sind, und dass der verstärkende Effect auf die Kammerschläge nicht immer secundärer Natur, als vom Vorhofe hergeleitet, aufzufassen ist; er beobachtete Fälle, in welehen der positiv inotrope Effect nur am Ventrikel auftrat, ohne den Vorhof zu beeinflussen. Dann kamen die Versuche von Roy und Adami (6), aus welchen auch diese Autoren den Schluss zogen, dass der Accelerans cordis eine directe Wirkung auf die Ventrikel ausüben könne, indem er die Contractionen dieser Herztheile verstärke; Bayliss und Starling (7) konnten später diese Angaben durch eigene Versuche bestätigen. In den von mir ausgeführten Versuchen tritt, wie schon oben gesagt, der positiv inotrope Effect auf die Herzcontractionen als Hauptwirkung hervor. Unter den an 24 Versuchsthieren angestellten Untersuchungen ist in 13 Fällen eine rein inotrope Wirkung zu beobachten gewesen; in den 11 übrigen war sie mit einer Beschleunigung der Herzschläge vereint. Die Verstärkung der Contractionen erstreckt sich entweder auf die- jenigen von Vorhof und Kammer zusammen, oder sie wird nur an einem dieser Herztheile beobachtet. Auf folgender Tabelle sind die verschiedenen Combinationen der ver- zeichneten Wirkungen wiedergegeben und die Häufigkeit, mit welcher sie beobachtet wurden. Die Zahl der vorgenommenen Versuche betrug 24; es war die Wirkung der Reizung des linken N. accelerans: -+- inotro auf A und V\. & + ronakroh 6510 LE A iD 2alen, + inotrop Bde Di .. 0 Ar ” ” 1% ” B) ” EN. An „1eRall + chronotreop „ Aund V ,„ 2 Fällen Ar ” p2] A ” 1A 7 + inotrop V an ar PR ” v "7 ” () ” A,“ 2 an + chronotrop „ A und F + inotrop EI 7 | ler Er ” (?) „ I. 1 Die Schwächung der Vorkammercontraction war in diesen beiden Fällen äusserst gering, beruhte, wie mir Hr. Professor Engelmann bemerkte, vielleicht nur auf geringerer Füllung des Atriums in Folge der verstärkten Kammerthätigkeit oder auch auf Stromschleifen, die zum Atrium gehende Hemmungsfasern trafen. 16* 244 TEOopoRo MuHnm: Wie aus dieser Tabelle ersichtlich ist, kann der Accelerans cordis seine contractionsverstärkende Wirkung auf das Atrium allein oder auf den Ven- trikel allein ausüben; die Fälle, in welchen letzteres in meiner Versuchs- reihe zu beobachten war, betrugen sogar fast die Hälfte. Eine positiv inotrope Wirkung nur auf den Vorhof tritt äusserst selten in die Erscheinung (in meinen Versuchen nur ein Fall), in der Regel geht sie mit derselben Wirkung auf die Kammer einher. Gleichviel ob in diesen Fällen .die Veränderungen an der Kanımer auf einem directen Ein- flusse des Nerven auf die Herzabtheilung beruhen oder, was nicht sehr wahrscheinlich, secundärer Natur sind, jedenfalls beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen der positiv inotrope Effect allein an der Kammer beob- achtet wurde, zur Genüge, dass der Accelerans seine Wirkung auch direct, primär, auf die Ventrikel ausüben kann. Gleichzeitige Reizung von Vagus und Accelerans. — In dieser Versuchsreihe wurde so vorgegangen, dass der Vagus an seinem unteren Hals-- theile mit dem schwächsten, eben eine deutliche Wirkung hervorrufenden Strome tetanisirt wurde, während für die Acceleransreizung genügend starke Ströme verwendet wurden, um eine ausgesprochene Wirkung zu erhalten. Reizt man beide Nerven zur selben Zeit und mit Strömen von gleich langer Dauer, so beobachtet man, dass Vagus sowohl wie Accelerans ihre Wirkung zur Geltung bringen. Das ist auch nieht anders zu erwarten, wenn man sich das Verhalten dieser Nerven dem Reize gegenüber ver- gegenwärtigt. Während der Vagus in der Regel sofort seine Wirkung übt, vergeht gewöhnlich eine längere Zeit, bis der Accelerans seinen Einfluss merklich geltend macht. Die Vagus- wie die Acceleranswirkung treten genau so auf, als ob jeder Nerv für sich gereizt worden wäre; diese That- sache ist ersichtlich aus der in Taf. VIII, Fig. 10 als Beispiel wieder- gegebenen Curve Die oberen Curvenpaare zeigen die einzeln für sich ausgeführten Vagus- und Acceleransreizungen. Die Wirkung des Vagus erlischt, bei 2-2 Secunden Reizdauer, 3-6 Secunden nach Anfang der Reizung; die Wirkung des Accelerans ist aus folgender Tabelle ersichtlich: 3:1 nach Anfang der Reizung We . ö in en, Kan a (ee WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 245 Bei gleichzeitiger Vagus- und Acceleransreizung und 2-4 Secunden Reizdauer ist Folgendes an dem unteren Curvenpaare zu beobachten: 4.0 Sec. nach Anfang der Reizung Ende der Vaguswirkung VY= 9.3 um 4.0 „ „ „ „ ” A — 110 „ AR: R = Mi $ Eintritt der Acceleranswirkung V= 12.6 ım 4.5 ’ ’ „ ” ” Be 3 „ RL | V= 13 0 „ HE2EsN „ : \A=12.5 „ | V=.17.97, 5.4 „ „ „ ” ” wa r Anders verhält es sich, wenn man die Reizung des Vagus erst dann vornimmt, wenn der Accelerans schon seine volle Wirkung entfaltet hat. Dann sieht man einen deutlichen Antagonismus zwischen diesen beiden Nerven zum Ausdruck kommen. In Taf. VIII, Fig. 11 ist ein Beispiel dieser Versuchsanordnung gegeben. Auf dem obersten Curvenpaare sieht man die Wirkungen der Vagusreizung, auf dem zweiten Curvenpaare die der Acceleransreizung, jede einzeln für sich ausgeführt. Das dritte Curven- paar verzeichnet den Effect, welcher erzielt wird, wenn der Vagus erst nach voll ausgebildeter Acceleranswirkung gereizt wird. Das vierte Curven- paar dient zur Controle dafür, dass die Vaguswirkung auch jetzt noch un- verändert fortbesteht. Man sieht in dem dritten Curvenpaare, wie der Vagus durch die bestehende Erregung des Accelerans behindert wird, seinen vollen Einfluss auf die Herzschläge geltend zu machen. Es zeigt sich nur, dass während der Vagusreizung die Vorhofs- und Kammer- contractionen ein wenig an Stärke einbüssen, um, nachdem die Vagus- reizung erloschen, ihre vorherige Kraft wieder zu erlangen. Näher zeigt sich Folgendes: Vagusreizung (Taf. VII, Fig. 11, erstes Curvenpaar). Die erste Reizung hat wegen zu geringer Stärke keinen deutlichen Erfolg. Die zweite (bei 130” Rollenabstand) giebt deutliche negativ inotrope Effecte auf A und V, neben starkem negativ dromotropen auf die Leitung von A nach V, zufolge welcher secundär negativ chronotrope Wirkungen in YV auftreten: auf die 3. A, nach Beginn der Reizung folgt keine V,, eben so wenig auf die 4. und 6. A,, die zur 5. A, gehörige P, kommt aber offenbar erheblich verspätet. Ganz ähnlich sind die Er- scheinungen nach der 3. Vagusreizung (bei 135" Rollenabstand). Acceleransreizung (zweites Üurvenpaar). Höhe der Ausschläge vor der Reizung | 4.7 Sec. nach Anfang der Reizung . | 246 TEODorRoO MuHm: ve mm 7.0 Sec. nach Anfang der Reizung | Pr 2 : (Y=10-2 , 10:0 5; ; , h „ \A= 8.0 „ vr =ar0n 14-0 „ „ , un 10, 18 5) 2 „ „ , r2) oe ee n = Vagusreizung nach vorheriger Acceleransreizung (drittes Curvenpaar). Höhe der Ausschläge vor der Acceleransreizung a 0 en R während voller Acceleranswirkung . a an x h bei der eintretenden Vaguswirkung (8 . s tale 5 nach erloschener Vaguswirkung . { Mr a 2 Besondere Bemerkung verdient, dass die bei reiner Vagusreizung (erstes Curvenpaar) so auffällige Unterbrechung und Verzögerung der Leitung von A nach Y und die dadurch bedingte secundäre negativ chronotrope Wirkung auf die Kammer jetzt unter der Nachwirkung der Acceleransreizung nicht zu Stande kommt. Im nächsten Versuch (unterstes Curvenpaar), ohne vor- herige Acceleransreizung, ist der negativ dromotrope Effect des Vagus wiederum sehr deutlich: die 4. nach Anfang der Reizung folgende V, setzt merklich zu spät nach der zur gewöhnlichen Zeit aufgetretenen A, ein; die 5. V, bleibt ganz weg, die 6. und 7. und wohl auch noch einige folgende erscheinen etwas zu spät nach der zugehörigen 4,. Unsere Versuche führen zu den folgenden Schlüssen: Beim Kaninchen können der Vagus wie der Accelerans chronotrope, inotrope und dromotrope Wirkungen auf alle Abtheilungen des Herzens ausüben, der Vagus stets in negativem, hemmendem, der Accelerans stets in positivem, anregendem Sinne. Jede dieser Wirkungen kann gleichzeitig in mehreren, bezüglich allen Abtheilungen, oder nur in einer einzelnen Abtheilung des Herzens auftreten. In Bezug auf ihre primär chronotropen wie auf ihre primär inotropen und dromotropen Wirkungen können Vagus und Accelerans sich als echte Antagonisten verhalten. WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS AUF DAS SÄUGETHIERHERZ. 247 Litteraturverzeichniss. Reid Hunt, Journ. of exp. med. 1897. Vol.II. p. 151. Derselbe, Americ. Journ. of Physiol. 1899. Bd. II. 8. 395. . Th. W. Engelmann, Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LII. S. 357. Ph. Knoll, Ebenda. 1897. Bd. LXVII S. 587. F. B. Hoffmann, Zbenda. 1898 Bd. LXXI. S. 409. Roy and Adami, Philos. Transact. 1892. Vol. CLXXXIL. p. 199. Bayliss and Starling, Journ. of Physiol. 1892. Vol. XIII. p. 407. Baxt, Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1875. 8. 179. Nuäl, Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. IX. 8.83. Gad, Dies Archiv. 1878. Physiol. Abthlg. 11. O0, Frank, Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphol. und Physiol. in München. 1897. 8.51. 12. Francois Franck, Arch. de Physiol. et Pathol. 1890. p. 810. 13. Th. W. Engelmann, Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 333. ee P F erarn - SZ 348 TEOoDORO MUHM: WIRKUNG DES VAGUS UND ACCELERANS UT. S. W. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VI—VIIL) In allen nachstehenden Curven entspricht die obere der Kammer, die untere dem Vorhofe. Die Curven sind alle von links nach rechts zu lesen. Tafel VI. Fig. 1. Versuch vom 8.X. 1900. Kaninchen, 2090 ®=, Vagusreizung bei Rollen- abstand des Schlitteninductoriums von 310 "m, i Fig. 2. Versuch’ vom 17. VII. 1900. Kaninchen, 2000 ==, Vagusreizung bei Rollenabstand von 135 "m, Fig. 3. Versuch vom 24. VII. 1900. Kaninchen, 2050 &”, Vagusreizung bei Rollenabstand von 60”®, Die während der Reizung an der Kammercurve sichtbaren kleinen Erhebungen sind nicht als Kammercontractionen aufzufassen, sondern als dem Kammerhebel von den Vorhofscontractionen mitgetheilte Bewegungen. Dasselbe gilt für die später auftretende Nachwirkung. Es handelt sich in diesem Falle also um eine starke negativ inotrope Wirkung auf A, und eine starke negativ dromotrope Wirkung auf die Leitung von A zu V, nebst schwacher, aber deutlicher negativ inotropen Wirkung auf V. Fig. 4. Versuch vom 13. VII. 1900. Kaninchen, 2140 ©”, Vagusreizung bei Rollenabstand von 110", Fig. 5. Versuch vom 10. VII. 1900. Kaninchen, 2100 ®=. Vagusreizung bei Rollenabstand von 120 =", Tafel VII. Fig. 6. Versuch vom 13. VII. 1900. Kaninchen, 2140 &=. Vagusreizung bei Rollenabstand von 50 ==, Fig. 7. Versuch vom 8.X. 1900. Kaninchen, 2090 &=, Vagusreizung bei Rollen- abstand von 260 ==, Fig. 7a. Versuch vom 8.X. 1900. Kaninchen, 2090 ==. Vagusreizung bei Rollenabstand von 225 wm, Fig. 8. Versuch vom 29.1X. 1900. Kaninchen, 1900 e'®. Acceleranszeizung bei Rollenabstand von 100°, Fig. 9. Versuch vom 2.X. 1900. Kaninchen, 2000 ®=. Acceleranszeizung bei Rollenabstand von 120 =, Tafel VIII. Fig. 9a. Wie Fig. 9. Fig. 10. Versuch vom 1. XI. 1900. Kaninchen, 19002”, Gleichzeitige Vagus- und Acceleransreizung. Rollenabstand für Vagus 125”®, für Accelerans 80 m, Fig. 11. Versuch vom 9. XI. 1900. Kaninchen, 2400 8®, Accelerans- und Vagus- reizung. Rollenabstand für Accelerans 40=”, für Vagus 130 und 135 wm, Ist die Zuckerbildung in der Leber eine Function diastatischer Enzyme oder vitaler Thätigkeit der Leberzellen? Von Dr. Manfred Bial (Kissingen-Berlin). Im Jahre 1857 entdeckte Claude Bernard (und unabhängig von ihm in Deutschland V. Hensen) das Glykogen in der Leber und erklärte mit der Umwandlung dieses Stoffes die Zuckerbildung in diesem Organ. Die bedeutsame Entdeckung war von so nachhaltigem Eindrucke, dass lange Zeit hindurch auch die näheren Details seiner Anschauung, nämlich die Umwandlung des Glykogens durch ein diastatisches Ferment in Zucker, unangefochten blieben. Lag doch auch in dieser Auffassung das Be- stechende, dass die Zuckerbildung in der Leber danach in Analogie zu setzen war mit anderen zuckerbildenden Processen des Thierkörpers, z. B. mit den diastatischen Umwandlungen, welche im Darmtractus durch Speichel- und Pankreasferment vor sich gehen. Aber die Schwierigkeit, aus der Leber nach den üblichen Extractions- methoden ein Ferment darzustellen, welches auf den ersten Blick mit den bekannten Diastasen gleichzusetzen war an Wirkungsfähigkeit, liess zuerst Zweifel entstehen; was man aus der Leber isoliren konnte, waren immer nur ganz schwach zuckerbildende Lösungen, die mit dem energischen Pan- kreasextract keinen Vergleich aushalten konnten (Seegen!). Dazu kam noch, dass man so schwach zuckerbildende Kräfte dem Eiweiss als solchen, jeder Eiweisslösung als eigenthümlich zuschrieb; bei dem nicht antisep- tischen Arbeiten jener Zeit war nämlich in solchen Lösungen ein frucht- barer Boden für Bakterien gegeben, welche in ihrem Stoffwechsel neben- bei schwache Zuckerbildung entfalteten. Ohne diesen erst durch spätere I Seegen, Die Zuckerbildung im Thierkörper. Berlin 1890; 2. Aufl. 1900. 250 MANFRED BiAL: ° Untersuchungen aufgeklärten Zusammenhang zu durchschauen, nahm man also allem Eiweiss als inhärent solche schwache Zuckerbildung an und sah nichts Specifisches darin, dass auch Leberextracte in dieser Hinsicht minime Wirkungen zeigten. Damit war der Erklärung der Zuckerbildung in der Leber ein wichtiges Moment genommen. Schliesslich schien den wohlgefügten Vorstellungen Claude Bernard’s aller Boden entzogen, indem die Gegner der Fermentationshypothese den gewichtigen Einwand erhoben, dass die bekannten Körper-Enzyme aus Glykogen nur Dextrine und Maltose bildeten, während in der Leber, wie auch sonst im Körper, wenn man von der Darmhöhle absieht, nur Trauben- zucker auffindbar sei. So griff denn eine andere Partei, die hauptsächlich durch Dastre! repräsentirt wurde, zu dem Auskunftsmittel, die fermentative Umwandlung des Glykogens zu leugnen, und, da dasselbe doch nachgewiesenermaassen verschwindet und Zucker dafür auftritt, den Leberzellen diese umwandelnde Thätigkeit zuzuweisen. Dastre bemühte sich, dafür Beweismaterial zu schaffen, indem er Mittel suchte, welche die Lebensthätigkeit der Zellen aufheben, dagegen Enzymwirkungen intact lassen sollten. Bei Anwendung derselben musste sich nun entscheiden, welches Princip für die Zucker- bildung der Leber in Betracht käme. Nun vindicirte Dastre solche Eigen- schaften der Kälte und dem Erwärmen auf 50° zu. Deshalb, weil so be- handelte Leberextracte keine Zuckerbildung erkennen lassen, müsse man eine enzymatische Thätigkeit leugnen, da Enzyme unter diesen Umständen noch gut wirken sollen; aber es ist sehr leicht, Dastre’s Annahmen zu widerlegen. Ueberdies gelang es wiederum Forschern, Salkowski?, Arthus und Huber?, auf dem von Dastre betretenen Wege die Entscheidung im Sinne der Enzymhypothese zu treffen. Diese Autoren fanden nämlich im Chloroform bezw. Fluornatrium Stoffe, die sicher alle Zellthätigkeit ver- nichten, dagegen Enzyme ohne wesentliche Beeinträchtigung lassen. Sie überzeugten sich aber, dass bei Zusatz dieser Mittel die Zuckerbildung in der Leber ungehindert von statten geht. Woher stammt nun aber dieses so vielfach umstrittene Enzym? Claude Bernard hatte sich in diesem Punkte nicht besonders scharf ausge- drückt. Er hatte wohl an das von Magendie zuerst im Blute gefundene diastatische Ferment gedacht, war aber davon zurückgekommen, weil auch völlig entblutete Lebern noch reichliche Zuckerbildung zeigten. Alle " Dastre, Recherches sur les ferments hepatiques. Archives de physiologie. 1888. ® Salkowski, Kleinere Mittheilungen physiol.-chemischen Inhalts. Pflüger’s Archiv. Bd. LVl. ° Arthus et Huber, Ferments solubles et ferments figure. Archives de phy- siologie. 1892. Qt N ÜBER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. PR diese Umstände brachten es mit sich, dass in dem Capitel der Zucker- bildung in der Leber eine gewisse Unklarheit der Anschauungen herrschte; entweder man stützte sich auf die Autorität Claude Bernard’s und hielt sich an den Nachweis sicherer fermentativer Wirkung, indem man sich die gewichtigen Ausstellungen, die auf gegnerischer Seite zu machen waren, verschwieg, oder man ging über den detaillirten Modus des Processes mit Stillschweigen hinweg. Dennoch erscheint es mir möglich, hier zu sicheren Anschauungen zu kommen und zwar gerade von dem Gesichtspunkt aus, welcher den Anlass zu den bedeutungsvollen Einwänden gegeben hat. Das unzweifelhafte Bestehen eines enzymatischen Processes hatten die Unter- suchungen von Salkowski u. s. w. im Sinne der alten Bernard’schen An- schauung bewiesen; wer sich dabei aber beruhigte, sah bewusst hinweg über den Widerspruch, dass man nicht die bekannten Producte von diastatischen Enzymen, sondern andere fand. Meine eigenen Untersuchungen nun über das diastatische Ferment des Blutes und der Lymphe zeigten mir den Weg, hier eine Brücke zu schlagen. Ich! hatte nachgewiesen, dass dieses Enzym wirklich im Stande ist, Stärke und Glykogen vollständig in Traubenzucker überzuführen, wäh- rend die anderen diastatischen Fermente des Körpers wie auch der Pflanzen entweder gar nicht oder nur zu geringfügiger Traubenzuckerbildung führen, im Wesentlichen eben Dextrine und Maltose produciren.” Diese Thatsache, dass das diastatische Blut- und mit ihm identische Lymphenzym diese besonderen Eigenschaften hat, weist direct darauf hin, dass es bei der Zuckerbildung in der Leber causal wirkt; nimmt man einen fermentativen Ablauf der Zuckerbildung an — und dazu ist man genöthigt durch die oben erwähnten Nachweise Salkowski’s u. A. —, so muss man ein Enzym fordern, das ganz besondere Eigenschaften hat. Nun sind solche durch meine Untersuchungen nachgewiesen an dem diastatischen Blut- und Lymph- enzym; es wäre also schon damit gerechtfertigt, nur dieses Enzym für die Zuckerproduction der Leber verantwortlich zu machen. Weitere Studien über die Eigenschaften desselben gaben mir noch mehr Beweise für diese Anschauung. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die Zuckerbildung in der ! M.Bial, Ueber das diastatische Ferment des Blut- und Lymphserums. Pflü- ger’s Archiv. 1892. Bd. LI. ? Die Erklärung für dieses Verhalten konnte ich damit liefern, dass es mir gelang, durch Alkoholeinwirkung dem Blutferment diese dextrosebildende Eigenschaft zu rauben. Es blieb dann nur noch ein gewöhnliches diastatisches Ferment, welches Dextrine und Maltose producirte, übrig. So ist es also im höchsten Maasse wahrscheinlich, dass es sich um das Vorhandensein zweier Enzyme handelt, eines gewöhnlichen diastatischen und eines Maltosefermentes, welches die von ersterem producirte Maltose und Dextrine in Traubenzucker umbildet. (M. Bial, Weiterer Beitrag zum Chemismus des diastat. Blutfermentes. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LIV.) 252 MANFRED BIAL: Leber in ihrer Stärke correspondiert mit der Kraft des jeweilig wirkenden Lymphenzyms. Ich! hatte gefunden, dass das Blut des neugeborenen Menschen frei von Enzym ist, dass das Blut des Erwachsenen schwach enzymatisch wirkt; dasjenige des Kaninchens wirkt schon stärker, Hunde- blut am stärksten. Liess ich nun Kaninchenlebern in verschieden stark wirksamem Blut überleben, so lief die Zuckerbildung des Organes parallel der Fermentationsstärke des zugesetzten Blutes.” Mit Hundeblut digerirte Leber wies die stärkste Zuckerbildung auf, während im Blut des Neugeborenen überlebende Leber nicht stärkere Zuckerbildung lieferte als in physiologischer Kochsalzlösung. Diese Versuche zeigen, wie man die Wirksamkeit des zuckerbildenden Blut- und Lymphenzyms für die Zuckerbildung in der Leber sogar zahlenmässig verfolgen kann. Vindieirt man aber diesem Enzym die ur- sächliche Rolle, dann kommt man noch über eine andere Schwierigkeit hinweg, welche den Gegnern der Fermentationshypothese ebenfalls starken Anlass zu Zweifeln gegeben hatte. Es ist nicht zu leugnen, dass die üblichen Extractionsmethoden aus der Leber nur schwach diastatisch. wirk- same Lösungen liefern, und dies musste natürlich denen, welche Lösungen von der Stärke der Pankreasextracte erwarteten, sehr auffällig sein. Aber hier treten erklärend meine Befunde ein, nach denen das Lymphenzym, welches die glykogenführenden Leberzellen ja erreicht, an und für sich schon schwach wirkt im Vergleich zu anderen Enzymen. Ferner konnte ich zeigen, dass die Extractionsmethoden dieses schwache Enzym erheblich schädigen. Dass man also schliesslich nur schwach wirksame Lösungen in Händen behielt, ist danach leicht erklärlich. Uebrigens ist es vom teleologischen Standpunkte aus sehr verständlich, dass in der Leber nur ein schwaches, diastatisches Enzym wirkt, weil sonst die für die thierische Oeco- nomie bedeutsame Anhäufung des Reserve-Glykogens nicht möglich wäre. Auch der Punkt, der schon Schwierigkeiten gemacht hatte, nämlich die Thatsache, dass auch völlig entblutete Lebern Zuckerbildung zeigen, erklärt sich jetzt unschwer; denn auch in diesen bleibt natürlich Gewebs- Iymphe zurück, welche das dem Blutferment identische Enzym führt. So glaube ich denn, dass meine Befunde geeignet sind, eine Reihe von wich- tigen, bis dahin noch fehlenden Beweisstücken für die Claude Bernard’- sche Anschauung beizubringen und die an sich begründeten Widersprüche und Ausstellungen an derselben aus dem Wege zu räumen. Dennoch haben sich später noch Stimmen erhoben, welche an der ! M, Bial, Weitere Beobachtungen über das zuckerbildende Blutferment. Pflüger’s Archi. 1892. Bd. LIII. ® Derselbe, Ueber die Beziehungen des diastatischen Fermentes des Blutes und der Lymphe zur Zuckerbildung in der Leber. Ebenda. 1893. Bd. LV. ÜBER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 253 Deutung der Zuckerbildung durch einen Lebensprocess der Zellen festhalten. So versuchte Noöl Paton! dieser Anschauung durch ausgedehnte Ver- suchsreihen zur Geltung zu verhelfen, indem er als wichtigstes Beweis- moment Folgendes hinstellte: „Beim Abtödten der Zellen durch Zerreiben der Lebersubstanz mit Sand hätte der Enzymvorgang ruhig weiter bestehen und deshalb Zuckerbildung eintreten können; wäre der Vorgang an die Lebensthätigkeit der Zellen geknüpft, dann müsste solche ausbleiben.“ Paton entschied in seinen Versuchen, dass das Letztere der Fall sei, musste aber Pavy gegenüber kurze Zeit später zugeben, dass er sich geirrt hätte. Es tritt in beiden Leberstücken, in dem zerriebenen wie dem un- versehrten gleichmässig Zuckerbildung ein.? Ein zweiter Autor, der mit dem grössten Nachdruck auch jetzt noch für den vitalen Mechanismus eintritt, ist Cavazzani. Es erscheint mir nicht überflüssig, auf die Auseinandersetzungen und Experimente Cavazzani’s näher einzugehen, da wenigstens in Deutschland dieselben noch keine kri- tische Würdigung erfahren haben. Cavazzani verfolgt zuerst die alte Methodik, nach Stoffen zu suchen, welche die Enzymprocesse möglichst unbeschädigt lassen, dagegen Zell- thätigkeit hemmen. Er? glaubt, solches in dem Methylviolett gefunden zu haben, da bei Injection dieses Stoffes in die Blutbahn der Farbstoff haupt- sächlich von den Leberzellen zurückgehalten wird, dortselbst also stärkere Affinitäten für diesen Körper zu vermuthen sind. Gleichzeitig zeigt er, dass die diastatische Kraft des Blutes durch Methylviolettzusatz nicht vermin- dert wird. Nun findet Cavazzani, dass die postmortale Zuckerbildung eines Leberstückes bei einem mit Methylviolett injieirten Hunde sehr viel kleiner ist als die eines normalen Thieres von gleicher Grösse; aber hieraus zu schliessen, dass die Injection die Leberzellen in ihrer zuckerbildenden Thätigkeit geschädigt habe, das wäre doch kühn; zum Mindesten müsste eine grosse Anzahl Controlexperimente gegeben werden, in denen sich zeigt, dass bei normalen Hunden unter gleichen Umständen eine postmortale Zuckerbildung von stets gleicher Grösse statthat. Das Gefühl nicht genü- gender Beweiskraft hat denn auch Cavazzani noch zu anderen Experi- menten mit dem Methylviolett veranlasst. Er exstirpirt einem Thier erst einen Leberlappen; in diesem findet er präformirt 0.1 sm Zucker und post- mortal nach einer gewissen Zeit die Zuckermenge auf 0-88m ansteigen. Nach der Exstirpation des ersten Leberstückes injieirt er Methylviolett und " No&l Paton, On hepatic glycogenesis. Zep. of the Laboratory of the R. 8. of Physic. Edinburgh 1893. ı Pavy, Journal of Physiol. Vol. XXI. ” Cavazzani, Sur le mecanisme de la transformation du glycogene en glycose. Archives ital. de biolog. T. XXVII. 254 MANFRED BIAL: exstirpirt danach einen anderen Leberlappen; in letzterem findet er 0.18 sm Zucker und sah in der entsprechenden Zeit die Zuckermenge postmortal nur auf 0-3 &”® ansteigen. Aber auch dieser Versuch erscheint nicht ein- wandfrei. Abgesehen davon, dass keine Controle vorliegt, inwieweit an ausgeschnittenen Leberstücken gleichmässig Zuckerbildung erfolgt, wird doch die Exstirpation eines grossen Leberstückes nicht ganz gleichgültig auf Bluteirculation, Glykogenumsatz u. s. w. sein. Man kann sich unschwer denken, dass durch die Operation ein stärkerer Blutandrang zum restirenden Leberstück, damit eine stärkere Umsetzung des dort befindlichen Glykogens zu Zucker, verursacht wird, so dass für die postmortale Zuckerbildung weniger Material als in dem ersten Leberstück zurückbleibt. Aehnliche Versuchsbedingungen zeigen Cavazzani’s! Experimente über den Einfluss von Chinininjection, so dass sich gegen dieselben ent- sprechende Einwände richten müssen. Eine dritte Versuchsreihe Cavazzani’s? verliess diese alte Methodik des Zusatzes von Protoplasmagiften und versuchte, den Einfluss des Lebens- prineipes zer 2$oyn7v, der Nerven auf die Zuckerbildung festzustellen. Cavazzani nimmt als Maass dieses Processes den Zuckergehalt des aus der Leber ausfliessenden Blutes; nach der Reizung des Plexus coeliacus findet er denselben stark vermehrt, während die diastatische Kraft des Blutes dieselbe bleibt. Es wären also nach Cavazzani’s Ansicht die Fermentationsbedingungen dieselben wie vorher, so dass man für die ge- steigerte Zuckerbildung eine unter dem Nervenreiz erfolgte Verstärkung der Lebensthätigkeit der Leberzellen verantwortlich machen muss. Aber die Methodik des Versuches wie seine Deutung fordern schwer- wiegende Einwände heraus. Die Blutentnahme aus der Vena hepatica bei laparotomirten Thieren, wie sie Cavazzani unter directer Manipulation an der Vene ausführte, giebt schon zu grossen Bedenken Anlass; denn alle Manipulationen in der Bauchhöhle vermehren, wie sattsam bekannt, den Zuckergehalt des Leberblutes stark, so dass es ganz unstatthaft ist, die beobachtete Zuckerzunahme einseitig auf die ebenfalls erfolgte Reizung des Plexus coeliacus zu beziehen. Aber selbst, wenn der Versuch unter allen Cautelen einer sachgemässen Blutentnahme durchzuführen wäre und dann dasselbe Resultat ergäbe, würde seine Deutung als gegen die Fermentations- hypothese beweiskräftig dennoch zu verwerfen sein. Wir wollen gern glauben, dass unter Einfluss des Nervenreizes die Glykogenumwandlung in Zucker und damit die Zuckerausfuhr aus der Leber ! Cavazzani, Influencee de la quinine sur la glycogenese. Archives ital. de biolog. T. XXX. ” Derselbe, Sur le mecanisme de la transformation du glycogene en glycose dans l’organisme. Zbenda. T. XXI. ÜBER ZUCKERBILDUNG IN DER LEBER. 255 in die Höhe geht; aber wir finden es gar nicht verwunderlich, dass dabei die diastatische Kraft des Blutes unverändert bleibt; denn nicht das Blut, sondern die das identische Ferment tragende Lymphe bespült die glykogen- tragende Zelle. Worauf es also ankommt, ist, nicht die zuckerbildende Kraft des Blutes, sondern die der Lymphe zu untersuchen. Nur für diese ist zu prüfen, ob sie gleichzeitig mit der beobachteten Vermehrung der Zucker- bildung in der Leber auch in die Höhe geht. Diese Fragestellung aber leitet direct über zu der Anschauung, welche durch die Befunde von Röhmann und Bial! über die wechselnde Stärke des Lymphenzyms plausibel wird. Wir fanden nämlich, dass unter An- wendung der Heidenhain’schen Lymphagoga erster Ordnung: Pepton- injection, Stauung der Vena cava u. A. die Stärke des diastatischen Blut- enzyms zwar dieselbe bleibt, dagegen die des zuckerbildenden Lymph- fermentes stark in die Höhe geht. Die in ihrer Wirksamkeit verstärkte, die glykogenhaltige Zelle direct bespülende Lymphe wird mehr Glykogen enzymatisch in Zucker umsetzen; und so passt es ganz in den Rahmen dieser Anschauung, dass auch andere Maassnahmen wie die Reizung des Plexus coeliacus nach Cavazzani, vielleicht auch die Pigüre Claude Bernard’s zur Verstärkung der Lymphfermentation und damit zu erhöhter Umwandlung des Glykogens in Zucker führen. Welche Befunde man auch betrachten möge, welche Versuche und Erfahrungen man auch heranziehe, die einfachste und ungezwungenste Hr- klärung, auch für die Mechanik der Zuckerbildung in der Leber des lebenden Thieres, bildet ebenfalls die Annahme einer enzymatischen Umwandlung des Glykogens durch das diastatische (Blut- und) Lymphferment; eine Auf- fassung, welche für die überlebende Leber als nach allen Richtungen be- wiesen erscheint. ! Röhmann und Bial, Ueber den Einfluss der Lymphagoga auf die diastatische Wirkung der Lymphe. Pflüger’s Archiv. 1893. Bd.LV. Zur Mikrochemie der Markscheiden. Von H. J. Bing und V. Ellermann. (Aus dem physiologischen Laboratorium der kgl. Hochschule für Veterinärwesen und Landwirthschaft zu Kopenhagen.) Die histologischen Färbungen beruhen zum Theil auf der Affinität der chemischen Bestandtheile zu den Farbstoffen. In den meisten Fällen kennt man die Verhältnisse nicht genau. Man hat jedoch mehrere Be- obachtungen gemacht, die wichtige Beiträge zum Verständnisse der Gewebs- functionen gegeben haben. Bedingung solcher Untersuchungen ist natürlich Kenntniss der chemischen Constitution der Gewebe. Diese Forderung kann nun in vielen — wahrscheinlich in den meisten — Fällen nicht erfüllt werden; denn die Verhältnisse sind sehr verwickelt, und gar zu leicht bekommt man bei der chemischen Analyse Kunstproducte. Im Nervenmarke, mit dem wir uns hier beschäftigen werden, kennt man einen Theil und zwar den quantitativ grössten Theil der constituirenden Bestandtheile.e Die wichtigsten Stoffe sind: Albuminstoff, Cholestearin, Protagon, Lecithin (Fett). Die Mikrochemie der Markscheiden ist besonders von Gad, Heymann! und Wlassak? behandelt worden. Wlassak kommt zu folgendem Resultat: Die Weigert’sche Färbung weist nach Protagon, die Ueberosmiumsäure 5 „ Leeithin + Fett, die Marchi’sche Methode 5 „. Fett. Eine specifische Leeithinfärbung fehlt bis jetzt. — Von Leeithinverbindungen®? giebt es ausserordentlich zahlreiche. Im Organismus kommt das Lecithin vor in Verbindung theils mit Zucker ! Gad und Heymann, Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. ” Wlassak, Archiv für Entwickelungsmechanik der Organismen. ® Bing, Skandin. Archiv für Physiologie. 1899—1900. H. J. Bng v. V. ELLERMANN: ZUR MIKROCHEMIE D. MARKSCHEIDEN. 257 (Jecorin), theils mit anderen, mehr oder weniger zufälligen Bestandtheilen. Protagon besteht aus Lecithin, zu Cerebrin gebunden. Endlich kennt man Verbindungen mit Albuminstofi, die sogenannten Leeithalbumine. Im Nerven- mark ist das Lecithin vermeintlich in ähnlicher Weise gebunden. Das Leeithin bildet mit Methylenblau eine Verbindung, was in folgender Weise bewiesen wird: Methylenblau ist in Alkohol leicht löslich, in Aether dagegen unlöslich. Beim Zusatz von Aether zu einer alkoholischen Lösung bekommt man eine Ausfällung des Farbstoffes. Giesst man aber ein wenig Leeithin (in Aether gelöst) dazu, bekommt man wieder eine klare Lösung von Methylenblau. Es wäre also denkbar, man könnte mittels Methylenblau eine Leeithin- färbung erzielen. Unsere Hoffnung, einen Beweis für die Specifität der Färbung zu geben, ist leider nicht ganz erfüllt worden. Auf der anderen Seite haben wir gemeint, die Versuche könnten doch vielleicht genug Interesse darbieten, um kurz mitgetheilt zu werden. In den frischen Nervenfasern färbt Methylenblau die Markscheiden . nicht, nur die Axencylinder (Ehrlich). Nach Behandlung mit fixirenden Flüssigkeiten färben sich aber auch die Markscheiden. Die Untersuchungs- objecte waren Rückenmarksstücke von Kalb oder Schwein. Nach Müller- fixirung (8 Tage im Thermostat) werden die Markscheiden mit Methylenblau intensiv gefärbt und die Farbe geht bei der Entwässerung mit Alkohol nicht aus. Hauptsächlich wurde jedoch Fixirung mit Aceton oder Alkohol angewandt. Aceton wurde deswegen gebraucht, weil Leeithin in Aceton unlöslich ist. Werden Alkohol- oder Acetonschnitte mit Alkohol, Xylol und Balsam in üblicher Weise nachbehandelt, so verschwindet gewöhnlich die Färbung vollständig im Alkohol; nur die Nisslkörperchen, Kerne und Axen- cylinder bleiben blau. Wenn man aber dafür sorgt, dass die Färbung so kräftig und die Entwässerung so schnell ist, dass möglichst viel Farbstoff zurück bleibt, sieht. man beim Uebergang zu Xylol (oder Bergamottöl) einen Farbenwechsel: die Markscheiden werden roth, während Kerne und Axencylinder blau bleiben. Dieser Farbenwechsel hat seine Ursache wahr- scheinlich in einer Ausfällung des Methylenblau an den Stellen, wo es in lockerer Bindung vorhanden ist. Die Präparate sind nicht haltbar. Zuerst verschwindet die blaue Farbe, später auch die rothe. Die Frage nach der Natur der sich mit Methylenblau färbenden Substanz suchte man durch Extractionsversuche zu lösen. Schnitte von Aceton- oder Alkoholstücken zeigten ganz ähnliche Verhältnisse. In eis- kaltem Aceton liessen sie sich beliebig lange aufheben, ohne dass die Färbung dadurch beeinflusst wurde. (Ebenso konnten sie einige Tage ohne Nachtheil Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 17 258 H. J. Bng un V. ELLERMANN: in Wasser liegen) Dagegen konnte man die Markscheiden nach Behandlung der Schnitte mit Alkohol oder warmem Aceton absolut nicht färben. Die Extraction mit Alkohol (15°) dauerte nur !/, bis 3/, Stunde, in warmem Aceton (40°) mussten die Schnitte aber ein paar Tage liegen. Behandlung mit kaltem oder warmem Aether hatte nur die Wirkung, dass die Schnitte sich nachher ein wenig stärker färbten. Von den Bestandtheilen der Markscheiden wird der Albuminstoff sich dem Alkohol gegenüber wohl ziemlich indifferent verhalten. Da die Schnitte sich ferner gut in kaltem Aceton oder Aether aufheben lassen, besteht die färbbare Substanz nicht aus Cholestearin, denn Cholestearin löst sich leicht in diesen Flüssigkeiten. Zurück bleiben dann Protagon und Leeithin. Diese Stoffe sind beide in Alkohol löslich und in kaltem Aceton unlöslich, aber das Lecithin ist in Alkohol viel leichtlöslicher als Protagon. Von diesen zwei Stoffen könnte das eine für sich oder beide zusammen gefärbt werden. Es zeigt sich nun, dass Schnitte, die ihre Färbbarkeit mit Methylenblau durch Alkoholbehandlung ganz verloren haben, noch die Weigert’sche Färbung geben können. Die Färbung ist zwar bedeutend schwächer als in den nicht extrahirten Schnitten, und durch längeres Erschöpfen mit warmem Alkohol erzielt man, dass die Markscheiden bei - der Weigert’schen Färbung fast farblos werden. Man könnte diese Resul- tate vielleicht in der Weise erklären, dass sowohl Leeithin als .Protagon nach Weigert gefärbt wurden, das Leeithin für sich von Methylenblau. Gegen diese Annahme spricht der Umstand, dass weder die ungefärbten noch die gefärbten Schnitte von Aether beeinflusst werden, obschon sowohl das Leeithin als die Lecithin-Methylenblauverbindung in Aether leicht löslich sind. Es ist auch schwierig zu ‚erklären, weshalb das Protagon sich nicht mit Methylenblau sollte färben lassen; denn Protagon giebt mit Xylol und Methylenblau eine klare Lösung ganz wie Lecithin und bildet also im Probirgläschen eine Verbindung. Fixirt man in einem Gemisch von Aceton und Formol (9:1) oder thut man die Schnitte von einem Acetonstück in diese Mischung für einige Tage, so wird dadurch die Affinität der Markscheiden zu Methylenblau bedeutend verstärkt. Wird nun ein solcher Schnitt mit Methylenblau gefärbt und mit einer Jod-Jodkalilösung nachbehandelt, bekommt man statt der blauen Färbung eine braune oder (bei starker Concentration der Jodlösung) schwarze Farbe. Differenzirt man jetzt in Alkohol, behalten nur die Markscheiden die Färbung, während alles andere entfärbt wird. Das Präparat ist nicht haltbar. Bald zeigen sich krystallinische Nieder- schläge.. Wendet man dagegen statt Jod-Jodkali eine gesättigte wässerige Pikrinsäurelösung an, so bekommt man haltbare Präparate. Die Markscheiden sind dunkel-rothbraun, alles andere gelb. Es gilt die Differenzirung nicht ZUR MIKROCHEMIE DER MARKSCHEIDEN. 259 allzulange fortzusetzen, was unschwer gelingt, da die Differenzirung ge- wöhnlich 4 bis 5 Minuten in Anspruch nimmt. Lässt man die Schnitte noch länger in Alkohol liegen, entfärben sich schliesslich auch die Mark- scheiden ganz. Bergamottöl und Xylol ziehen die Farbe nicht aus. Man kann also durch Zusatz von Bergamottöl die Entfärbung im beliebigen Moment unterbrechen. — Nach der Formol-Acetonfixirung kann man auch mittels Saffranin — Jod-Jodkali, Toluidinblau— Jod-Jodkali oder Toluidin- blau—Pikrinsäure eine isolirte Markscheidenfärbung erreichen. Nur die Toluidinblau-Jodfärbung ist in Xylol haltbar, und auch diese Färbung ver- schwindet nach einigen Tagen. Thionin erwies sich als nicht verwendbar. Auch nach Müllerfixirung kommt die Methylenblau-Pikrinsäurefärbung zu Stande. Lässt man aber die Schnitte in Müller’scher Flüssigkeit liegen, so verlieren sie nach kurzer Zeit ihre Färbbarkeit. Es stellt sich jetzt die Frage: ist der färbbare Stoff derselbe nach Formol-Acetonfixirung wie nach der einfachen Aceton- oder Alkoholfixirung? Es besteht nämlich ein gewisser Unterschied in diesen zwei Fällen 1. Während die Acetonschnitte schon durch ein kurzes Verweilen in Alkohol ihre Färbbarkeit verlieren, so ist das mit den Formol-Acetonschnitten nicht der Fall. Sie vertragen selbst einen mehrtägigen Aufenthalt in Alkohol sehr gut. 2. Die Färbung der Formol-Acetonschnitte ist viel kräftiger als diejenige der Acetonschnitte. 3. Die Methylenblau-Pikrinfärbung lässt sich an den einfachen Acetonschnitten nicht verwenden. — Man könnte sich die Sache in zweierlei Weise vorstellen: Der färbbare Stoff (x) wird ent- weder von Formol dermaassen verändert, dass seine Affinität zum Methylen- blau verstärkt wird, oder ein zweiter Stoff (y) wird in solcher Weise modifieirt, dass er jetzt mit Methylenblau in Verbindung tritt. Um diese Frage zu entscheiden, wurde folgender Versuch gemacht: Ein Acetonschnitt, der ?/, Stunde in Alkohol gelegen hatte und sich mit Methylenblau nicht mehr färben liess, wurde mit Formol-Aceton einen Tag behandelt. Diese Behandlung konnte aber dem Schnitt seine Färbbarkeit nicht wiedergeben. Man muss also annehmen, dass der färbbare Stoff doch in den beiden Fällen derselbe ist. Wir können nicht bestimmt sagen, ob die Methylen- blau-Pikrinsäurefärbung wirklich eine Lecithinreaktion ist. Die Extractions- versuche sprechen theilweise dafür; der färbbare Stoff kann jedenfalls nicht Lecithin als solches sein, aber möglicherweise eine in Aether unlösliche Lecithinverbindung. Ferner kann man — wie gesagt — nicht ohne Weiteres von den einfachen Acetonschnitten auf die Formol-Acetonschnitte schliessen. Endlich kann man gegen die Extractionsversuche Folgendes einwenden: Bei der Alkoholbehandlung wird zwar Lecithin ausgezogen, und _ gleichzeitig lässt sich der Schnitt nicht länger färben. Es scheint also 177 260 H.J. Bine v. V. ELLERMANN: ZUR MIKROCHEMIE D. MARKSCHEIDEN. natürlich zu schliessen, das färbbare x sei Lecithin; denkbar ist es aber, dass sowohl das Lecithin wie z im Alkohol verschwinden. Was die Technik betrifft, so wurde gefärbt 5 bis 10 Minuten in einer gesättigten wässerigen Lösung von Methylenblau. Wenn man Dauer- präparate herzustellen wünschte, wurde die Färbung durch molybdänsaures Ammon fixirt. Die Acetonstücke wurden unter Aceton geschnitten, die Alkoholstücke unter Alkohol; aber die Schnitte von den letztgenannten sofort in destillirtes Wasser gethan. Wenn man die Weigert’sche Färbung nach Alkohol- oder Acetonfixirung machen wollte, wurden die Schnitte zuerst drei Tage im Thermostat (37°) mit Müller’scher Flüssigkeit gebeizt. Es wurde theils nach der ursprünglichen Weigert’schen Vorschrift gefärbt, theils nach der Kulschitzscky-Wolter’schen Modification. Die isolirte Markscheidenfärbung bekommt man auf folgende Weise: Fixirung 4 bis 6 Tage in Formol-Aceton (1:9); Färbung 5 bis 10 Minuten in einer gesättigten wässerigen Methylenblaulösung; Ausspülen im Wasser; gesättigte wässerige Pikrinsäure 1 bis 2 Minuten; Differenzirung in Alkohol 3 bis 4 Minuten (bis die graue Substanz sich deutlich abhebt); Bergamottöl; Balsam. Für seine freundliche Unterstützung sei es uns gestattet, dem Hrn. Dr. med. V. Henrigues unseren besten Dank zu bringen. Athemreflexe auf Olfactoriusreiz. Von Dr. Hermann Beyer, Assistenten arı physiologischen Institute der Universität Berlin. (Hierzu Taf, IX.) „Wir leben ebenso gut in einer Welt von Gerüchen, wie in einer Welt von Licht und Schall,“ sagt Zwaardemaker! am Schlusse der Ein- leitung seiner Physiologie des Geruches. So wahr dieser Satz ist, so wenig Beachtung pflegen wir dem Geruchsinne zu schenken, und erst, wenn wir die Aufmerksamkeit auf das richten, was wir wahrzunehmen beabsichtigen, kommt es uns zur Gewissheit, dass die Existenz eines absolut nicht duften- den organischen Körpers zweifelhaft ist?, dass im Thier- und Pflanzenreiche nicht nur die verschiedenen Gattungen und Species sich durch einen charak- teristischen Geruch von einander unterscheiden, sondern in ihnen dem Einzelindividuum noch ein specifischer Sondergeruch zuerkannt werden muss. Wenn es uns auch nicht annähernd möglich ist, für unser verkümmertes Geruchsorgan eine solche Ausbildung zu erlangen, wie sie bei den Thieren bekanntlich vorhanden ist, in deren Leben ja der Geruchsinn eine ganz bedeutende Rolle spielt, so erstaunt man doch, wenn man aus Reiseberichten erfährt, dass Vertreter wilder Stämme die Fährte eines ihnen nicht an- gehörigen Individuums allein am Geruch zu erkennen vermögen.’ Analog dieser Beobachtung zeigt dann Bethe‘, bis zu welcher Ver- feinerung des Geruchsinnes auch wir Culturmenschen durch Uebung kommen ı! Zwaardemaker, Physiologie des Geruches. 189. 2 M. Fee, D’odorat et les odeurs. 3 Derselbe, a.a. ©. S.6. * Bethe, Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? Pflüger’s Archiv. Bd. LXX. S. 29. 262 HERMANN BEYER: können, indem er erwähnt, Personen zu kennen, denen es möglich ist, jeden ihrer Bekannten, selbst aus einem grösseren Kreise von Menschen, nur an seinem charakteristischen Geruch mit Sicherheit zu erkennen. Allerdings ist die Zahl derjenigen sehr beschränkt, welche zu dieser Höhe der Aus- bildung ihres Geruchsorganes kommen, während die überwiegende Mehrzahl es mehr oder weniger vernachlässigt und erst dann zur Erkenntniss der ihre Olfactoriusenden umspülenden Geruchswellen kommt, wenn durch stärkere Intensität der letzteren die psychischen Begleiterscheinungen sich in den Vordergrund drängen. Man vergegenwärtige sich nur, welche Fülle der verschiedensten Geruchsqualitäten, besonders in der Grossstadt, inner- halb kürzester Zeit ihren specifischen Einfluss auf unser Perceptionsorgan ausübt, von der zu tiefen Inspirationen mit begleitendem Wohlgefühl führen- den, balsamischen Luft eines Blumenladens, bis zu dem, eine längere Athem- pause mit Ekelgefühl bedingenden, prägnanten Aasgeruch der Wildpret- handlung, wobei allerdings der Individualität eine grosse Rolle zuerkannt werden muss. Das Bemerkenswerthe hierbei ist dann, dass wir die den psychischen Erscheinungen zu Grunde liegenden physischen, in Athmung und Gefässsystem, weniger beachten, was zu dem Versuche von -psycho- logischer Seite geführt hat, die Gerüche nach ihren charakteristischen Relationen zum Menschen in diesem Sinne zu classificiren.! In allen den Zusammenstellungen und Classificationen der Gerüche, von der Linne’schen an, werden meistens nur die durch sie bedingten angenehmen und unangenehmen Empfindungen behandelt. Nur Fröhlich? hat in seiner Anordnung auch auf die von der Nasenschleimhaut ausgelösten Reflexe Gewicht gelegt und als zweite "seiner beiden Hauptgruppen die scharfen Riechstoffe angeführt, welche neben ihrem Einfluss auf den Olfac- torius besonders noch eine Irritation der Schleimhaut, also eine Tastempfin- dung durch Reizung des Trigeminus hervorrufen. Erst Zwaardemaker?® theilt in seiner Gruppirung der rein olfactiven Riechstoffe der Unter- abtheilung der Zersetzungsgerüche auch solche zu, die mit Reflexen ver- bunden sind, und meint, dass diese Anordnung auch für die scharfen und schmeckbaren Riechstofle Geltung finde. Die geringe Beachtung, welche diesem täglich und stündlich an uns zu beobachtenden Reflexvorgange geschenkt wurde, drückt sich auch in der Anzahl der Forscher aus, die sich mit diesem Gegenstande beschäftigt haben. Am ae und sorgfältigsten, und meines Wissens zuerst, hat es ! Giessler, Wegweiser zu einer Psychologie des Geruches. Hamburg und Leipzig 1894. ? Sitzungsber. der math.-naturw. Classe der kaiserl. Akademie der Wissensch. zu Wien. 1851. Bd. VI. S. 323. 8 A.a.0. S. 235. ATHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. 263 Kratschmer! gethan, dem es gelang, auf Einblasen von Tabakrauch, Ammoniak, Essigsäure bei Kaninchen mit intacten Trigemini, mit oder ohne durchschnittenen Olfactorii exspiratorischen Athemstillstand herbeizuführen, ohne nach Durchschneidung dieser Nerven den gleichen Erfolg zu erzielen. Er gelangte somit zu dem Ergebnisse, dass die sensiblen Bahnen dieser Reflexerscheinung im Trigeminus zu suchen wären. Zu diesem Schlusse musste er kommen, da bei seinen Experimenten nur solche Stoffe in An- wendung kamen, die zu den scharfen Riechstoffen im Fröhlich-Zwaarde- maker’schen Sinne zu rechnen sind. Dass der gleiche reflectorische Vorgang auch vom Ölfactorius auslösbar sei, glaubte Gourewitsch ? durch seine unter Luchsinger’s Leitung an- gestellten Untersuchungen erwiesen zu haben, der auch auf Einleitung von Schwefelkohlenstoff in die Nasencanäle von Kaninchen mit durchtrennten Trigemini exspiratorischen Athmungsstillstand beobachtete. Einen kurzen Beitrag liefern die Versuche Aronsohn’s® an Fröschen, bei denen der Zusatz von olfactiven Stoffen, wie Kölnisches Wasser, Ter- pentin u.s. w. zur Athmungsluft Verlangsamung in der Athemfrequenz bewirkte. Zu einem ähnlichen Resultate wie Kratschmer gelangte Francois Franck‘ durch Reizung der Nasenschleimhaut mit Ammoniak, Chloroform und schwefliger Säure, wodurch spastische Contractionen der Bronchial- musculatur und Störungen im Rhythmus der Athembewegungen bis zum Athemstillstand erfolgten. Endlich fanden Henry und Verdin°’, dass verschiedene Düfte wie Ylang, Rosmarin und Wintergrün je nachdem eine specifisch steigernde oder hemmende Wirkung auf die Athembewegungen und die Muskelkraft auszuüben vermögen. Erwähnen will ich noch, wenn sie auch im eigentlichen Sinne nicht hierher zu rechnen sind, die Arbeiten von Sandmann®, Bloch’ und Lazarus°, welche hauptsächlich diejenigen Athemreflexe behandeln, die auf mechanische und elektrische Reizung der Nasenschleimhaut zur Be- obachtung gelangen. ! Kratschmer, Ueber Reflexe der Nasenschleimhaut auf Athmung und Kreislauf. Sitzungsber. der kais. Akademie der Wissensch. zu Wien. 1870. Bd. LXII. II. Abth. 2 Gourewitsch, Wirkung des Olfactorius auf Athmung. /naug.- Diss. Bern 1883. ® Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. * Archiv de physiologie. (5) T.1. 3. p. 538. 5 Influence de l’odeur sur les mouvements respiratoires et sur l’effort museculaire. Societe de Biologie. 1891. 6. Juni. 6 Dies Archiv. 1887. Physiol. Abthlg. ° Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XVII. ® Dies Archiv. 1891. Physiol. Abthlg. 264 HERMANN BEYER: Da, wie aus dem Angeführten ersichtlich, den hauptsächlich auf den Trigeminus wirkenden scharfen Riechstoffen, deren Anwendung uns im praktischen Leben vielfach begegnet, begreiflicher Weise grössere Beachtung geschenkt worden war, schien es wünschenswerth, auch der von Luchsinger angeregten Frage über den gleichen Einfluss des Olfactorius näher zu treten, die durch die Beobachtung von Gourewitsch allein noch nicht als ab- geschlossen und gelöst zu betrachten war. Da zahlreiche dieserhalb angestellte Vorversuche im positiven Sinne beantwortet werden konnten, wurden zunächst in etwas modificirter Weise die von Kratschmer angegebenen Versuche auch auf die rein olfactiven Riechstoffe, deren Auswahl gemäss der Zwaardemaker’schen Classi- fieation getroffen wurde, ausgedehnt. Den zu verwendenden Kaninchen wurden die mit den Stoffen befeuchteten Schwämme oder Wattetampons vorgehalten und der verschiedene Athemrhythmus beobachtet. Zuerst wurden dann die Athemcurven mit der Dreiwegcanüle und dem Gad’schen Aöro- plethysmographen aufgenommen, wobei die Thiere tracheotomirt werden mussten und daher höchstens 2 Tage sich für die Untersuchung eigneten. Später kam anstatt dessen eine auf dem Bauche umgeschnallte grosse Luftkapsel verbunden mit Luftübertragung und Marey’scher Schreibkapsel in Anwendung, wodurch es ermöglicht war, dasselbe Thier an mehreren hinter einander folgenden Tagen zu benutzen. Dies war von Wichtigkeit, denn, um die Ermüdung des Sinnesorganes, sowie die mannigfachen Com- pensationen der Riechstoffe zu vermeiden, konnte nur eine sehr beschränkte Zahl von Stoffen bei jedem Thiere auf ihre Wirkung untersucht werden. Das Reizmittel wurde zur Regio olfactoria durch zwei Canülen geleitet, die, durch ein längeres T-Rohr wieder vereinigt, in einer Wolff’schen Flasche mündeten, durch welche mittels eines Gebläses durch ein auf der anderen Seite in die duftende Flüssigkeit eintauchendes Rohr die mit den Riech- partikelchen geschwängerte Luft geblasen werden konnte. Wenn es auch nach Zwaardemaker für die Geruchsempfindung gleichgültig ist, ob die riechenden Molecüle durch Einblasen oder durch Diffusion zur Riechspalte gelangen!, so musste bei dieser Art der Anordnung noch immer der sen- sible Reiz durch die dabei entstehende heftige Luftströmung in Betracht gezogen werden. Vermieden wurde dieses durch die Luftkapsel in Ver- bindung mit der Marey’schen Uebertragung, da hierbei durch blosses Vor- halten der mit den Riechstoffen befeuchteten Schwämme hinreichend deut- liche Reactionen erzielt und eine dem natürlichen Vorgange des Riechens völlig analoge Versuchsanordnung getroffen wurde. Um eine Reizung der Kehlkopfschleimhaut auszuschalten, wurden IA 036 ÄATHEMREFLEXE AUF ÖLFACTORIUSREIZ. 265 meistens die Laryngei sup. et infer. durchschnitten, da aber, ebenso wie Kratschmer beschrieben, eine Aenderung im Respirationstypus bei den auf die Stoffe eintretenden Reactionen nicht zu bemerken war, weil sie eben nur von der Nasenschleimhaut her einzuwirken vermögen, auch von dieser Operation abgesehen. Ausser der Athmung wurde vielfach der Blutdruck, als ein feines Reagens auf sensible Reize, mit dem Gad-Cowl’schen Blut- wellenzeichner registrirt. Die Entscheidung der Frage, ob dem Olfactorius.der gleiche Einfluss auf Athmung und Gefässsystem zukomme, wie dem Trigeminus, dass also diese beiden Nerven sich in die Function, als Wächter der Athmungsluft zu dienen, theilen, konnte nur durch die intercranielle Durchschneidung gebracht werden. Während die beiderseitige Olfactoriusdurchschneidung keine nennens- werthen Schwierigkeiten bot, war dieses bei einer exacten Ausführung der doppelseitigen Trigeminusdurchtrennung der Fall. Der Versuch, analog der am Menschen ausgeführten Operation, der Entfernung des Ganglion Gasseri . mit Sichtbarmachung des zu durchtrennenden Nerven in der Schädelhöhle, scheiterte an der dabei unvermeidlichen starken Quetschung des in grosser Ausdehnung freigelesten Schläfenlappens, in Folge deren die Thiere in ver- hältnissmässig kurzer Zeit an zunehmendem Hirndruck eingingen. Auch die von Gourewitsch vorgeschlagene Methode, den Nerv an seiner Aus- trittsstelle, wo er von der Dura nicht umgeben, nach Durchstechung des Floceulus zu durchschneiden, ergab nicht viel bessere Resultate, da fast regelmässig bedeutendere Blutungen den sonstigen Vortheil der Operations- art stark beeinträchtigten. Leichter zum Ziele führte die Bernard’sche Technik, die nur in- sofern eine unwesentliche Abänderung erfuhr, als nicht blind hineingegangen wurde, sondern unter sorgfältigster Präparation das Planum temporale nach Durchschneidung der Mm. tempor. und zygomat. freigelegt, an der be- kannten Stelle trepanirt, die Dura durchstochen und nach Einführung des Messers bis zur Marke der Nerv mit ein oder mehreren Zügen durchschnitten wurde. Wie die jederzeit mit Sorgfalt ausgeführten Sectionen, sowie die Be- obachtungen nach der Operation belehrten, wäre es ein entschiedener Vor- theil, sich bei dieser Art der Ausführung eines Messers mit vorn ab- gerundetem Ende zu bedienen, da man häufig beim Senken des Messers den Nerv nicht in seiner ganzen Breite erfasst und durchtrennt, wodurch der obere Theil stehen bleibt. Dadurch könnte auch ein Durchstechen der Brücke und Anreissen der Carotis leichter vermieden werden. In der grossen Reihe der ausgeführten Operationen kann ich mit Bestimmtheit be- haupten nur in einigen wenigen Fällen den Trigeminus mit einem Schnitt völlig durchtrennt zu haben, vielfach jedoch, wobei ich sofort und sogar 266 HERMANN BEYER: noch bis zu einer halben Stunde nach der Operation die charakteristischen Merkmale beobachten konnte, handelte. es sich um theilweise Durchtrennung oder Quetschung, welcher Fehler in einer, nach einigen Stunden zu wieder- holenden Nachoperation beseitigt werden musste. Nicht zu selten liessen sich, wenn dieser Fehler begangen, selbst eine Stunde danach die Reflexe an Cornea und Nasenschleimhaut nicht erzielen, um dann nach längerer Frist wieder prompt aufzutreten. Auf den von Neuschüler! beschriebenen, leichten Reflex des inneren Drittels des Oberlides der operirten Seite bei gelungener Operation, wurde vielfach geachtet, doch konnte er deutlich nur ein Mal constatirt werden und zwar zeigte sich in diesem Falle bei der Durchtrennung ein Zucken des oberen Lides an der angegebenen Stelle, das auch auf Berührung des durchtrennten Nerven mit der Sonde hervorzurufen war. ’ Um ganz einwandsfreie Resultate zu erzielen, sah ich mich genöthigt, selbst von einer leichten Narkose abzusehen, da sonst der Schluss aus den Ausfallserscheinungen auf die gelungene Durchschneidung fast unmöglich wurde. Abgesehen von der erforderlichen Erholung nach dem schweren Eingriff, hielt ich die Forderung Kratschmer’s, das Thier nach der Ope- ration einige Tage der Ruhe zu überlassen, auch aus dem Grunde für nothwendig, um auch an den bekannten Erscheinungen den sicheren Beweis zu haben, dass der Nerv völlig durchtrennt war. Ich halte die vorgeschlagene Art zu operiren mit Freilegung des Operationsfeldes insofern für günstiger, als erstens die Blutung sich auf ein Minimum beschränken lässt, und zweitens jederzeit eine Nachoperation mit grosser Leichtigkeit ausführbar ist, ohne dass man gezwungen wäre, nach dem ersten Einstich zu suchen oder eine neue Dura- und Schläfenlappenverletzung herbeizuführen, da man sofort den einmal eingeschlagenen Weg wiederzufinden vermag. Der Gang der Versuche war demnach folgender: Es wurden zunächst die Veränderungen im Athemtypus jedes Thieres auf Einwirkung der mit den Riechstoffen befeuchteten und vorgehaltenen Schwämme beobachtet und gewöhnlich sofort mit Luftkapsel und Marey’scher Schreibkapsel graphisch verzeichnet. Dann wurden dem Thiere die Trigemini mit grösserer Pause zwischen den einzelnen Operationen durchschnitten, ihm ein bis zwei Tage Ruhe gegönnt und dann dieselben Versuche ausgeführt. Nie war es möglich bei solehen Thieren die Reactionen, wenn sie auch deutlich auf- traten, in Dauer und Exactheit so wiederzusehen, wie beim intacten Kaninchen, wofür der Grund in der, nach doppelseitiger Trigeminusdurch- schneidung leider stets auftretenden Rhinitis mit starker Schleimabsonderung ! Su di un riflesso persistente dopo la sezione completa del Trigemino. Annal. di Ottalmo. Vol. XXVII. ATHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. 267 und dadurch bedingter Störung in der Mechanik des Riechens wohl zu suchen ist. Nach Ölfaetoriusdurchschneidung wurden dann die Versuche wiederholt, zur Controle jedoch die Operationen auch in umgekehrter Reihe ausgeführt. Alle Thiere, die beider Trigemini beraubt waren, zeigten einige Tage nach der Operation eine ganz besonders starke Empfindlichkeit und Schreck- haftiekeit, die sich bei ihnen durch heftiges Reaeiren gegen Berührung und selbst Erschütterungen des Tisches äusserte. Drei Phasen in der Aenderung des Respirationstypus waren es, die wohl dem Charakter der Geruchsempfindung entsprechend, sich einstellten, vom Schnüffeln mit beschleunigten Inspirationsbewegungen, Ver- langsamung der Athemfrequenz bis zum exspiratorischen Still- stand. Es wurden also hier dieselben Erscheinungen, welche Gourewitsch auf elektrische Reizung des Olfactorius oder der freigelegten Riechschleim- haut mit schwachen, mittelstarken und starken Strömen auftreten sah, durch Reizung desselben Sinnesnerven mit dem adäquaten Reiz wieder- gegeben. Dass die verschiedenartigen Empfindungen die Aenderung. im Respirationsmodus veranlassen, ist wohl a priori anzunehmen, erhält aber durch das Auitreten von Kaubewegungen, die doch als Ausdruck eines Lustgefühles beim Thiere aufzufassen sind, unter dem Einfluss von Lavendelöl und Bergamottöl, die zugleich auch beschleunigte Inspirationsbewegungen hervorrufen, einige Bestätigung. Aus den beigefügten Curven soll nun der Einfluss der Riechstoffe auf Athmung und Kreislauf erläutert werden. Wenden wir uns zunächst der ersten Classe der Zwaardemaker’schen Classification, den ätherischen Gerüchen zu,.so zeigte sich hier bei den angewandten Reizmitteln, Propylacetat, Amylacetat und Aldehyd, mit Ausnahme des Bienenwachses, ein ganz charakteristisches Verhalten. Der Moment des Einblasens markirte sich meistens sofort durch Sistirung der Athmung in exspiratorischem Stillstand (Taf. IX, Fig. 1), der je nach der Intensität des Reizes, dessen Dosirung durch diese Methode allerdings sehr un- sicher war, sich über sehr verschiedene Zeitdauer erstreckte, da Athempausen von 4 bis 96 Secunden auf Einwirkung von Amylacetat zur Beobachtung gelangten, wobei allerdings die sehr verschiedene Empfindlichkeit der Thiere für Riechstoffe mit berücksichtigt werden musste. Es folgten dann einige flache Athemzüge und nach Verlauf einiger Secunden war der Athemtypus wieder zur Norm zurückgekehrt. Gleich deutlich waren die Erscheinungen von Seiten des Blutdruckes, der ausnahmslos im Moment des Reizes sank, um sich dann gleich wieder auf die ursprüngliche Höhe zu erheben bezw. noch anzusteigen und unter allmählichem Sinken zum Anfangsdruck zu gelangen. Entsprechend änderte sich auch die Schlagfolge des Herzens mit 268 HERMANN BEYER: starker Verlangsamung, die gewöhnlich die Aenderung im Athemtypus beträchtlich überdauerte. In die Augen springend war hiernach die völlige Reactionslosigkeit selbst solcher Thiere, die sich als sehr empfindlich erwiesen hatten, sobald dieselben, ihrer Olfactorii beraubt, denselben Reizen ausgesetzt wurden, da weder an Athmung noch Blutdruck und Herzschlag eine Aenderung zu bemerken war. Anders, wenn bei erhaltenen Olfactorii die Trigemini durch- schnitten waren. Es erfolgte dann eine aus den früher erwähnten Gründen allerdings bedeutend verkürzte Athempause, jedenfalls wenigstens eine Ver- langsamung der Athemfrequenz (Taf. IX, Fig. 2) ohne besondere Erscheinungen von Seiten des Blutdruckes und des Herzschlages. Nach Durchschneidung beider Nerven blieb alles bei dem einmal angenommenen Typus. \ Die Einwirkung des Aldehyds ergab ganz andere Resultate. Es trat hierbei auf die Reizwirkung nicht der charakteristische expiratorische Stillstand ein, sondern sogleich im Momente des Reizes wurde die Athmung sistirt, und selbst eine schon begonnene Inspiration sofort unterbrochen, ganz gleich ob Trigeminus, Olfactorius oder beide Nerven durchschnitten waren. Im letzteren Falle traten auf jeden Reiz sofort heftige Abwehrbewegungen auf. Die Erscheinungen stehen wohl mit der anästhesirenden Wirkung des Stoffes in Zusammenhang, welche diejenige des Chloroforms und Aethers weit übertreffen soll und leicht zu Suffocationszuständen führt’, vielleicht aber auch unter Mitbetheiligung der zugleich damit verbundenen Geschmacks- componente, einer sehr intensiven, lange haftenden, bitteren Geschmacks- empändung. Aus der grossen Zahl der zu der umfangreichsten Classe der aroma- tischen Gerüche zu zählenden Stoffe wurde durchschnittlich nur je ein Vertreter aus jeler der Unterabtheilungen auf seine Wirkung untersucht. Der erste derselben, der Kamphergeruch, bewirkte bei fast allen Thieren eine mehr oder minder deutliche Abnahme in der Athemfrequenz auf Ein- athmung einer fast concentrirten spirituösen Kampherlösung (Taf. IX, Fie. 3). Gewöhnlich markirte sich die Verlangsamung nur solange der Reiz andauerte, um nach Aufhören desselben nach einigen unregelmässigen Athemzügen wieder den normalen Charakter anzunehmen. Beim Zimmtaldehyd, La- vendelöl, Tinct. Valeriana und Bergamottöl, die nach einander den folgenden Unterabtheilungen zuzurechnen sind, waren die Wirkungen ziemlich gleich- artig, nämlich zunächst Schnüffeln d. h. einige beschleunigte Inspirationen, die theilweise erst über den Charakter des einzuathmenden Stoffes Auf- klärung verschaffen sollten, dann entsprechend der Dauer des Reizes ver- tiefte Athmung, die sofort nach Entfernung des riechenden Agens zum ! Husemann, Toxikologie. 8. 681. Ne) ATHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. 26 früheren ruhigen Typus zurückkehrte, ohne Aenderung in Blutdruck und Herzschlag. Eine Ausnahmestellung, und hierin übereinstimmend in ihrer Be- einflussung der Athmung, nehmen das Pfeffermünzöl (Taf. IX, Fig. 4) und Salicylaldehyd (Taf. IX, Fig. 5) ein, jenes der dritten, dieses der fünften Unterabtheilung zugehörig. Beide bewirkten bei einzelnen Thieren Verlang- samung der Athmung verschiedensten Grades, bei anderen dann wieder sofort exspiratorischen Stillstand von theilweise beträchtlicher Dauer mit besonders beim Pfeffermünzöl auffallender gleichzeitig eintretender Verlang- samung des Herzschlages und Sinken des Blutdruckes, der dann wieder von bedeutender Steigerung gefolgt war, und noch einige Zeit anhielt, ehe er wieder die anfängliche Höhe erreichte, wenn die Athmung bereits lange den früheren Rhythmus angenommen hatte. Beim Salicylaldehyd hielt die Verlangsamung des Herzschlages nur während der Dauer des exspiratorischen 'Stillstandes an. Dass es auch hier wieder der ÖOlfactorius ist, welcher die Athmung in der beschriebenen Weise beeinflusst, beweist die wenn auch in geringerem Grade fortbestehende Verlangsamung der Athmung auf Einwirkung derselben Stoffe bei intacten Olfactorii und durchschnittenen Trigemini (Taf. IX, Figeg. 6 u. 7) und das Ausbleiben im umgekehrten Falle. Da die dritte Classe die balsamischen Gerüche als Hauptrepräsen- tanten die Düfte zer 2£0y77v in sich schliesst, mit deren Einathmung sich zugleich ein Gefühl des Wohlbehagens beim Menschen verbindet, die idealisirenden Gerüche Giessler’s!, auf deren Einwirkung ein „Wohlgefühl den Organismus durchzieht und das Lebensgefühl erhöht“, so war .es nicht überraschend, dass sie in ihrer Wirkung auf den thierischen Organismus sich auch etwas anders verhielten, wie die ersten Classen, denen allerdings unserem Empfinden nach noch ein angenehmer Charakter innewohnt. Die Thiere beantworteten die Eirfwirkung der Reizmittel, wie Ylang (Taf. IX, Fig. 8), frischer Veilchenduft (Taf. IX, Fig. 9), Vanillin und Heliotropin fast ausnahmslos im Sinne der angenehmen Empfindung mit mehreren beschleunigten Inspirationsbewegungen und vertieften Athemzügen, denen sich dann der normale Typus gleich wieder anschloss. Da die Reactionen an und für sich nur in geringem Grade auftraten, war es nicht wunderbar, dass sie nach Durchschneidung der Nervenpaare nicht mehr zu erzielen waren. Trotzdem erscheint die Annahme berechtigt, dass die vermehrten Inspirationen auf ÖOlfactoriuswirkung beruhen, da bei diesen reinsten olfactiven Stoffen eine Reizung des Trigeminus wohl auszuschliessen ist. 270 HERMANN BEYER: Wenn man aus der Aenderung des Athemtypus auf die Empfindung des Angenehmen oder Unangenehmen der einwirkenden Riechstoffe schliessen darf, dann kann der verschiedenartige Einfluss der Moschustinetur, die für die folgende Classe der Amber-Moschusgerüche Verwendung fand, nur auf Rechnung der Individualität zu schreiben sein, da bei den verschiedenen Thieren nur bei intacten Olfactorii sämmtliche Phasen von der beschleunigten Inspiration bis zu 9 und 10 Secunden andauerndem exspiratorischen Stillstand auftraten (Taf. IX, Fig. 10). Aus der Erfahrung ist es bekannt, wie verschieden die Stimmung der einzelnen Menschen durch einen von diesem Stoffe herrührenden Olfactoriusreiz beeinflusst werden kann, und so ist es gewiss von Interesse, den gleichen Erfolg auch beim Thiere zu beobachten. Waren allein die Trigemini durchschnitten, so war die entsprechende Reaction schwächer vorhanden (Taf. IX, Fig. 11), um nach Durchschneidung der Olfactorii völlig zu verschwinden. > Mit den Vertretern der letzterwähnten Classen verlassen wir die Reihe der durchschnittlich noch zu den angenehmen Geruchsempfindungen führenden Stoffe, um in einem Klimax bis zur Gruppe der widerlichen und ekelhaften Gerüche zu gelangen. Wenn nun Zwaardemaker diese fünf Classen unter der Rubrik der Zersetzungsgerüche vereinigt mit der Annahme, dass dabei wohl die beiden ersten derselben die nicht Reflexe auslösenden seien, vielmehr hauptsächlich diese Eigenschaft den Stoffen der drei letzten zukomme, so dürfte dieses wohl für unser Empfinden berechtigt sein, findet aber im Thierexperiment keine Bestätigung, vielmehr wäre das Gegentheil in der Anordnung anzunehmen. Es machte sich nämlich ein gewisses Ansteigen in der Wirkung der Stoffe der Allyl-Cacodyl- sowie brenzlichen Gerüche geltend. Die Athemfrequenz verminderte sich in geringem Grade auf Anwendung der aus der ersten der beiden Classen gewählten Mittel, wie Ichthyol und Asa foetida, bedeutend mehr schon auf Chinonwirkung (Taf. IX, Fig. 12), um dann beim Phenyl- und Allylsenföl und sämmtlichen Stoffen der folgenden Classe, Guajacol (Taf. IX, Fig. 16), Xylol und Naphthalin in exspiratorischen Stillstand von kürzerer oder längerer Dauer überzugehen. Vornehmlich riefen das Phenylsenföl (Taf. IX, Fig. 13) und Xylol (Taf. IX, Fig. 17) heftige Reactionen fast bei allen Thieren hervor und eine Sistirung der Athmung in noch höherem Grade, wie sie beim Amylacetat gesehen war, da in einem Falle auf Beimischung von Xylol zur Athmungsluft eine Athempause von über 100 Secunden Dauer eintrat und schliesslich das Thier unter energischen Abwehrbewegungen mehrfach Schreie ausstiess, wie man sie sonst von dem so ruhigen Kanin- chen nur bei der Trigeminusdurchschneidung zu hören Gelegenheit hat. Dasselbe geschah auch bei einem völlig intacten, aber wohl besonders ATHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. 271 empfindlichen, ruhig dasitzenden Thier auf einmalige Einathmung aus der vorgehaltenen Aldehydflasche, kam aber sonst nie mehr zur Wahrnehmung. Vielleicht, dass in diesem Falle die überaus starke Geruchs- und Geschmacks- empfindung sich zu einem so starken Sinnesreiz summirten, dass er dem Thiere diesen Gefühlsausdruck entlockte. Bemerkenswerth ist jedenfalls die starke Reaction gegen den, unserem Empfinden nach, nicht direct unangenehmen Xylolgeruch. Entsprechend dem plötzlich unterbrochenen Athemtypus war auch die Aenderung in der Schlagfolge des Herzens und im Blutdruck bedeutend. Deutlich blieb die Respirationsänderung, wenn dieselben Reize Thiere mit durchschnittenen Trigemini und erhaltenen Olfactorii trafen, besonders beim Xylol (Taf. IX, Fig. 18), das in solehem Falle noch einen exspira- torischen Stillstand von 11 Secunden zu bewirken vermochte, während Thiere mit durchschnittenen Olfactorii sich reactionslos verhielten. Das Unangenehme, sich bis zum Ekel steigernde Gefühl, das wir durch- weg beim Einathmen der’ Stoffe der letzten Classen empfinden, wie Capıyl- säure, Katzenharn, Wanzengeruch und den Gestänken, vornehmlich Scatol, dem vorherrschenden des Fäkalgestankes, und uns zwingt, den Athem ein- zuhalten und den Stoff zu fliehen, da mit dem Gefühl des Widerwärtigen sich uns zugleich auch das des uns Schädlichen verbindet — war in den Versuchen beim Thiere nicht ausgedrückt. Man kann wohl annehmen, dass sich bei ihm mit diesem Geruchsreiz ganz andere Gefühlsarten verbinden, wofür vielleicht in den Gewohnheiten des Thieres der Grund liegt. Sieht man doch den wohlgenährten Hund den Koth anderer verschlingen oder sich mit dem Ausdrucke grössten Lustgefühls auf dem die Luft mit Gestank verpestenden Aas immer wieder und wieder wälzen. Daher vermögen wohl diese Stoffe, die ihm ganz gewöhnlich und herkömmlich sind, den Athem- typus nicht zu beeinflussen. Nur einige wenige Thiere zeigten auf Caprylsäure eine geringe Ver- langsamung der Athemfrequenz. Der Ansicht Zwaardemaker’s!, dass durch die Ergebnisse der Unter- suchungen von Gourewitsch das Einhalten des Athems und das reflec- torische Abwenden auf Einwirkung besonders der „odeurs repoussantes“ Cloquet’s durch das Thierexperiment veranschaulicht worden sei, kann ich nicht beipflichten, da Gourewitsch allein mit Schwefelkohlenstoff experimentirte, welcher nach Zwaardemaker den Allylgerüchen zuge- zählt wird und wie die weiteren Auseinandersetzungen zeigen, eine ganz gesonderte Stellung, ähnlich dem Aldehyd, einnimmt. Da mir leider kein passender Vertreter dieser Classe der widerlichen Gerüche zur Verfügung U ’A.a. 0. S. 232. 212 HERMANN BEYER: stand, konnte ich durch meine Experimente einen Beitrag nicht liefern, glaube aber aus dem Gesagten schliessen zu dürfen, dass das was auch hierbei in negativem Sinne ausgefallen wäre. Alle Thiere, auf die ich OS,-Dämpfe einwirken liess, reagirten, ganz gleich ob die Trigemini (Taf. IX, Fig. 20) oder Olfactorii (Taf. IX, Fig. 21) durchschnitten waren, stets in derselben Weise, wie die völlig intacten (Taf. IX, Fig. 19). Entweder erfolgte sofort auf Einathmung des Stoffes andauernder Athemstillstand oder erst mehrere Exspirationsstösse, um den schädlichen Dampf aus den Respirationsorganen zu entfernen, dann unregelmässige foreirte Athmung und schliesslich erst exspiratorischer Still- stand, der dann allmählich in einen ganz besonders andauernden verlang- samten Athemrhythmus überging. Herzschlag und Blutdruck gingen mit den heftigen Erscheinungen von Seiten der Athmung parallel, ersterer mit kolossaler Verlangsamung, letzterer mit anfänglichem tiefen Sinken und darauffolgendem lange andauernden Steigen. Waren die Thiere beider Wächter der Athmungsluft beraubt und schutzlos den schädlichen Einflüssen ausgesetzt, dann war die Folge, dass einige Inspirationen den Eintritt des CS,-Dampfes noch begünstigten und nun die stürmischsten Erscheinungen eintraten. Verbunden mit energischen Abwehrbewegungen zeigten sich heftige Exspirationsstösse, dann erst allmählich Sistirung der Athmung, die dann von der üblichen verlangsamten Athmung gefolgt war und bis zur Dauer einer Viertelstunde anhielt.e. Ehe das Thier sich ganz erholt hatte und alles zur Norm zurückgekehrt war, verlief dann noch längere Zeit. Da die Wirkungen des Schwefelkohlenstoffes in jeder Hinsicht den- jenigen des Chloroforms analog aufzufassen sind! durch Zuleitung des Giftes mittelst des Blutes zn den nervösen Centralorganen, erklären sich die beobachteten Vorgänge in ungezwungener Weise. Wenn ich diese Erfahrungen über die Wirkung dieses Stoffes übersehe, erscheint es auffällig, wie es Gourewitsch möglich war, die von ihm beschriebenen Erscheinungen, wie früher erwähnt, Athemverlangsamung und Stillstand allein bei Thieren mit intacten Olfactorii und durchtrennten Trigemini zu erhalten. Vielleicht konnte es dadurch bedingt gewesen sein, dass er nur in Narkose operirte, wobei ein sicheres Erkennen der gelungenen Trigeminusdurchschneidung sehr erschwert ist, ferner die an sich ein- . greifenden Operationen, wie daraus hervorgeht, dass mir mehrere Thiere durch zu kurz nach einander ausgeführte doppelseitige Trigeminusdurchschneidung an Shock zu Grunde gingen, so schnell nach einander machte und schliess- ' Hermann, Experimentelle Toxikologie. S. 258. ATHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. 273 lich nur den Athemrhythmus zählte, wobei man doch Täuschungen nament- lich für Verlangsamung sehr ausgesetzt ist. Bei der Wiederholung der Kratschmer’schen Versuche konnte ich seine Resultate in jeder Weise bestätigen, besonders was die Erregung des Athmungs- und Gefässsystems durch Tabaksdampf betrifft. Sehr starke Einwirkung beim intacten Kaninchen (Taf. IX, Fig. 22), etwas geringer bei solchen mit durchschnittenen Olfactorü, gänzlicher Ausfall nach Trige- minusdurchschneidung. Ich untersuchte dann noch die übrigen scharfen Riechstoffe, mit denen er experimentirte, und fand bei Essigsäure ein Ueberwiegen des Trigeminus- reizes, also der Tastempfindung, da der Einfluss auf den Respirationstypus stärker nach Olfactoriusdurchschneidung bestehen blieb, wie im anderen Falle. Chloroform, Aether und Ammoniak bewirkten ziemlich gleiche Er- scheinungen, die beiden ersten doch wohl durch Resorption von den Lungen- capillaren, das letztere etwas energischer durch Anätzung der Schleimhaut der tieferen Luftwege. Analoges für die hier im Thierexperiment gefundenen Beobachtungen aus der praktischen Erfahrung findet man in der Litteratur nur sehr spärlich, am meisten, wie erwähnt, für diejenigen Stoffe, welche in der Technik vielfach in Anwendung kommen und deren schädigenden Einfluss die arbeitenden Individuen längere Zeit ausgesetzt sind. Man sieht nun aus den ganzen Ergebnissen dieser Untersuchung am Thiere, dass durch den starken Einfluss auf Respirationstractus, Herz und Gefässsystem eine hochgradige Beeinträchtigung auch des Allgemeinbefindens an Wahrscheinlichkeit gewinnt, da ja schon auf einmalige Reizwirkung olfactiver Stoffe exspiratorischer Athemstillstand von theilweise bedeutender Dauer konstatirt werden konnte und hierbei dem Olfactorius die Haupt- wirkung zuerkannt werden musste. Somit dürfte der von Kratschmer am Schlusse seiner Abhandlung angegebene Satz, dass die sensiblen Bahnen der im Organismus der Thiere bestehenden Reflexverbindung zwischen Nasenschleimhaut einerseits, Athmung und Kreislauf andererseits, im Trigeminus verlaufen, mit vollem Recht eine Erweiterung insofern erfahren, als ähnliche Reflexe auch durch Olfactorius- reizung ausgelöst werden können. Zum Schlusse füge ich noch eine Zusammenstellung der von mir untersuchten Riechstoffe in ihren verschiedenen Einwirkungen auf den Rhythmus der Athmung hinzu. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 18 II: 111. HERMANN BEYER: VI. Veränderung des Athemtypus durch Riechstoffe. Art der Gerüche Aectherische Gerüche Aromatische Gerüche Balsamische Gerüche Amber-Moschus-Gerüche Allyl-Cacodyl-Gerüche Brenzliche Gerüche Capryl-Gerüche Widerliche Gerüche Ekelhafte Gerüche Schwefelkohlenstoff Beschleunigung Verlangsamung c) Lavendelöl d) Bergamottöl a) Ylang-Ylang b) Veilchen c) Vanillin, Heliotropin Moschustinctur Vacat Scatol — keine Reaction a) Campherlösung Terpentin b) Zimmtaldehyd ce) Pfeffermünzöl Lavendelöl Tinet. Valerian. e) Salicylaldehyd Moschustinetur a) Asa foetida Ichthyol c) Chinon Capronsäure Athemstillstand a) Amylacetat exspiratorischer Propylacetat Stillstand c) Aldehyd | momentaner Aether f Stillstand a) Campherlösung Er: exspiratorischer c) Pfeffermünzöl Stillstand e) Salicylaldehyd Moschustinetur; exspirat. Stillstand a) Phenylsenföl; exspirat. Stillstand a) Tabakrauch Guajacol exspiratorischer b) Xylol Stillstand Naphthalin Exspiratorischer Stillstand Fig. 1. Fig. Fig. Fig. Fig. ÄTHEMREFLEXE AUF ÜLFACTORIUSREIZ. [80) I [do Erklärung der Abbildungen. (Taf. IX.) Athemveränderungen auf Einwirkung von: 3. 4. >. 5. Fig. 9. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. 12. 13. 16. 17. 19. 22. 2. 6. Te 11. Fig. 14. Fig. 15. Fig. 18. Fig. 20. Fig. 21. Amylacetat Campherlösung Pfeffermünzöl Salicylaldehyd Ylang-Ylang bei intacten Kaninchen. Frische Veilchen Moschustinctur Chinon Phenylsenföl Guajacol Xylol Schwefelkohlenstoff Tabakrauch Amylacetat Pfeffermünzöl Salicylaldehyd Moschustinetur Phenylsenföl Chinon Xylol Schwefelkohlenstoff nach Trigeminusdurchschneidung. Schwefelkohlenstoff nach Olfactoriusdurchschneidung. 18* Ueber die Physiologie der Mitempfindungen im Bereiche des Sympathicus. Von Dr. Max Buch, Chefarzt des finnischen Dragonerregimentes in Willmanstrand, Finnland. Es giebt Gebiete der Physiologie, in welchen das Thierexperiment versagt, und wo die klinische Beobachtung an seine Stelle treten muss, denn alle Krankheitsphänomene sind ja nur modifieirte physiologische Er- scheinungen, und die Natur hat in den Krankheitszuständen häufig solche Veränderungen geschaffen, welche uns bedeutsame Einblicke in die physio- logische Function der Organe verschaffen. Solche Erscheinungen, welche ihrer Natur nach nicht durch das Thier- experiment sondern nur durch klinische Beobachtung aufgeklärt werden können, sind die Mitempfindungen. Mitempfindungen im Bereich des Sympathicus sind zwar fast immer pathologische Erscheinungen, es fragt sich jedoch, welchem physiologischen Mechanismus sie ihre Entstehung verdanken. Der Sympathicus ist häufig Sitz von Hyperästhesien und Neuralgien. Der Grenzstrang in seiner ganzen Länge sowie‘ die Geflechte, welche, namentlich am Lendensympathicus, die Grenzstränge mit einander verbinden und die vordere Fläche der Lendenwirbelsäule umspinnen, sind besonders häufig Sitz der Hyperästhesie, die hier bequem studiert werden kann. Diese Hyperästhesie zeichnet sich durch die Eigenthümlichkeit aus, dass bei Reizung eines hyperästhetischen Geflechts, z. B. durch Fingerdruck, meist nicht nur ein localer Schmerz an der Druckstelle empfunden wird, sondern in der Regel auch mehr oder weniger zahlreiche Mitempfindungen an entfernten Punkten sowohl im Bereich des Sympathicus als häufig genug auch an cerebrospinalen sensiblen Nerven durch jenen Reiz ausgelöst werden. Es kommt z. B. vor, dass durch Druck auf den hyperästhetischen Plexus hypogastricus superior oder den Plexus aorticus ausser dem localen DD —1 —1 MıAıx Buch: PHYsioLoOGIE DER MITEMPFINDUNGEN U. S.W. Schmerz gleichzeitig auch Mitempfindungen im Plexus coeliacus, im Kopf und im Kreuz u. s. w. erregt werden. Die Einzelheiten dieser Mit- empfindungen, welche ich über ein Jahrzehnt in Hunderten von Fällen studirt habe, interessiren uns hier weniger, weshalb ich auf die St. Peters- burger medieinische Wochenschrift und Finska Läkaresällskapets handlingar verweise, wo eine detaillirte Beschreibung derselben demnächst erscheint. Dagegen ist der Mechanismus dieser Irradiationen von grossem physiolo- gischen Interesse, um so mehr als diese Frage von Seiten der Physiologen nur wenig berührt worden ist; ja selbst die Thatsache, dass die Schmerzen im Bereich des Sympathicus eine grosse Neigung haben, sich in Irra- diationen auszubreiten, ist den Physiologen meist unbekannt, offenbar weil die Irradiationen nur am Menschen und nur in krankhaften Zuständen studirt werden können. Nur in einem von den zahlreichen Lehrbüchern der Physiologie, die ich durchsucht, findet sich eine Andeutung darüber, und zwar erwähnt Bernstein! sie mit den Worten: „Die Leitung ist eine wenig isolirte, das Irradiationsgebiet ein sehr weites.“ Man stellt sich ja den Mechanismus der Mitempfindung gewöhnlich folgendermaassen vor: Ein sensibler Reiz erregt ausser der Ursprungszelle des sensiblen Neurons zweiter Ordnung, das die directe Fortsetzung der Neuronenkette der primär erregten Faser bildet, noch ein oder mehrere Ursprungszellen von sensiblen Neuronen zweiter Ordnung, sei es durch Ver- mittelung von Collateralen, sei es durch diffuse Leitung der grauen Substanz, und es entstehen Mitempfindungen; wird die sensible Erregung dagegen durch Collateralen auf motorische Zellen der Vorderhörner übertragen, so entsteht ein motorischer Reflex. Es wird also in beiden Fällen unter Ver- mittelung eines Centralorgans, das als Reflexbogen dient, die sensible Er- regung von einer Neuronenkette auf eine andere übertragen, in einem Fall centripetal (Mitempfindung), im anderen centrifugal (motorischer, secre- torischer Reflex). Die jetzt, namentlich von Pathologen, vielfach gebrauchte Bezeichnung sensibler Reflex statt des von Joh. Müller eingeführten Aus- ‚druckes „Mitempfindung“, der wieder die ältere Bezeichnung „Sympathie“ ersetzte, ist somit vollständig berechtigt. Es fragt sich nun, bedürfen die vom Sympathicus ausgehenden Mit- empfindungen durchaus der Centralorgane, Gehirn oder Rückenmark als Reflexbogen, oder können Ganglien des Sympathicus diese Rolle über- nehmen? Zunächst muss die Frage entschieden werden, ob der Sympathicus für motorische und secretorische Reflexe als Reflexbogen dienen kann. Ich führe hierüber nur einige der wichtigsten Thatsachen in aller Kürze an. ! Jul. Bernstein, Lehrbuch der Physiologie. Stuttgart 1894. S. 554. IS) Ex [0 o) Mıx Buch#: Johannes Müller!, der Begründer der Reflexlehre, war der Ansicht, dass sowohl Mitempfindungen als Reflexe nur in Rückenmark oder Gehirn zu Stande kommen können. Dieser Standpunkt blieb lange maassgebend für die Physiologen namentlich in Deutschland und wurde besonders von Sigismund Mayer? energisch verfochten. Gleichwohl brachten schon Müller’s Zeitgenossen, Henle? und Volkmann“ Thatsachen bei, welche kaum mit dieser Anschauung vereinbar waren. Wenn ein ausgeschnittenes Darmstück aufgeschnitten und die Schleimhaut vorsichtig mit Säuren befeuchtet wurde, so entstanden peristaltische und antiperistaltische Be- wegungen, die nicht auf primärer Erregung der Muskelfasern (Budge°, Engelmann‘) beruhen können, da diese gar nicht gereizt wurden, sondern als echte Reflexe anzusehen sind und von Henle und Volkmann angesehen wurden. Claude Bernard’ fand, dass nach Durchschneidung des N. lingualis auf Reizung der Mundschleimhaut noch Absonderung von Seiten der Zungen- Speicheldrüse eintritt, und erklärt dies durch Reflex im Submaxillarganglion. Bidder® stützte diese. Angabe durch anatomische Thatsachen, während von Eckhard, Schiff, Heidenhain ihre Unhaltbarkeit behauptet wurde, Die Frage ist neuerdings von Wertheimer°, auf Grund aseptischer Unter- suchungen, im Sinne Bernard’s entschieden worden. Sokownin!‘, Nussbaum!!, Nawrocki und Skabitschewskil? hatten gefunden, dass das Gangl. mesentericum inf. als Reflexbogen für Blase ! Joh. Müller, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 4. Aufl. Coblenz 1844. ° Sigismund Mayer, Art. Specielle Nervenphysiologie in Hermann’s Hand- buch der Physiologie. Leipzig 1879. Bd. II. ® Henle, Pathologische Untersuchungen. Berlin 1840. * Volkmann, Nervenphysiologie in Wagner’s Handwörterbuch der Physio- logie. Bd. Il. 5 Jul. Budge, Lehrbuch der Physiologie. 8. Aufl. 1862. ° Th. W. Engelmann, Ueber die peristaltischen Bewegungen, besonders des Darmes. Pflüger’s Archiv. 1871. Bd.IV. 8.33. ” Claude Bernard, Journal de physiol. 1862. (Cit.) ° F. Bidder, Experimentelle und anatomische Untersuchungen über die Nerven der Glandula submaxillaris. Dies Archiv. 1866. Physiol. Abthlg. S. 321; 1867. 8.1. ® E. Wertheimer, Recherches sur les proprietes reilexes du ganglions sous- maxillaire. Arch. de Physiol. 1890. 5. Ser. T. II. p. 519—582. 0 N.Sokownin, Bericht über die physiologischen u. histologischen Mittheilungen auf dem 4. Congress russischer Naturforscher und Aerzte zu Kasan. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. VIII S. 600. 1 Nussbaum, Ueber die Musculatur des M. detrusor. Arbeiten des Laborator. der medic. Facultät in Warschau. Citirt von Nawrocki und Skabitschew ski. 12 Nawrocki und Skabitschewski, Ueber die sensorischen Nerven, deren Rei- zung Contraction der Blase hervorruft. Pflüger’s Archiv. 1891. Bd. IL. 8. 141—159. PHYsioLoGIE D. MITEMPFINDUNGEN IM BEREICHE D. SYMPATHICUS. 279 und Mastdarm dienen könne. Auch diese Angabe wurde lebhaft bestritten; jetzt ist auch sie von Stewart!, Guyon und Courtade?, Langley und Anderson? im Sinne Sokownin’s entschieden worden. Die Letzteren fanden ausserdem, dass Reflexe auch in den Ganglien des Grenzstranges nicht fehlen. Solche liessen sich, an der Thätigkeit der Pilomotoren erkennbar, durch Reizung des Lendensympathicus erzielen. Weitere Thatsachen, welche beweisen, dass die Ganglien als motorische Reflexbogen dienen können, sind noch beigebracht worden von Roschansky* für die Vasomotorencentren des Brustgrenzstranges; von Brachet? und Rein® für die Ganglien des Uterus; von Zeissl’ für die wandständigen Ganglien der Blase; von Francois-Franck® für das Ganglion ciliare und stellatum. Ganz besonders bedeutungsvoll aber sind die bemerkens- werthen Untersuchungen von Goltz und Ewald’, denen es gelang, Jahre lang Hunde am Leben zu erhalten, denen das Rückenmark total entfernt war mit Ausnahme eines Theils des Halsmarks. Die Verdauungsvorgänge sind beim rückenmarkslosen Hunde vollständig regelmässig. Die Wiederherstellung der Anfangs geschädigten Function des Sphincter ani externus macht sich in besonders auffallender Weise bemerklich. Die anfängliche Blasenlähmung bessert sich und schliesslich entleert sich die Blase vollständig und regelmässig. Eine trächtige Hündin warf nach der Exstirpation fünf lebende Junge, deren eines am Leben gelassen wurde und vortrefflich gedieh. Es bediente sich auch der hintersten Brustdrüsen des Mutterthieres, welche normal functionirten. Der Blutgefässtonus stellte sich wieder her; die Temperatur der Hinter- pfoten, die dem Einfluss des Rückenmarks entzogen sind, ist der noch unter 1 C.C. Stewart, On the impulses to and from the cats bladder. Amer. Journ. of Physiol. 1899. Vol. II. Jahresber. der ges. Med. 1899. Bd.I. S. 218. ” Guyon et Courtade, Fonction reflexe du ganglion mesenterique inf. Semaine med. 1897. 8. 282. ° Langley and Anderson, On reflexaction from sympathetic ganglia. Journal of Physiology. 1894. Vol. XVI. p. 410. * W. Roschansky, Ueber das Vorhandensein reflectorischer Vasomotorencentren in den Ganglien des Sympathicus. Centralblatt für Medicin. 1889. Nr. 10. S. 162. ° Brachet, Praktische Untersuchungen über die Verrichtungen des Ganglien- nervensystems. Aus dem Französischen. 1836. 6 Rein, Ob innervazii matki. Wratsch. 1880. 8.537. (Russisch.) ” Max v. Zeissl, Ueber die entnervte Blase. Wiener medicin. Wochenschrift. 1896. 8. 396. ®° Ch. A. Frangois-Franck, Fonctions reflexes des ganglions du grand sym- pathique. Archives de Physiologie. 1894. 5. Ser. T. VI. p. 716-723. ® Fr. Goltz u. J. R. Ewald, Der Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXII. S. 362. 280 Max Buch: dessen Einfluss stehenden Vorderpfoten gleich. Mechanische Reizung einer Hautstelle macht Erröthen, Tetanisirung Erblassen. Kälte und Wärme wirken wie an normaler Haut. Diese Wiederherstellung der normalen Functionen kann, wenigstens der Hauptsache nach, nur dem Einfluss des Sympathicus zugeschrieben werden, welcher somit eine sehr weitgehende Selbständigkeit zeigt. Ganz unanfechtbare Beweise für die secretorische Selbststeuerung des Sympathicus haben zahlreiche Arbeiten aus dem Laboratorium von Professor Pawlow! gegeben. Popelski? wies nach, dass beim Hunde die reflectorische Pankreassecretion, die durch Eingiessen von verdünnten Säuren in das Duodenum und den Dünndarm ausgelöst wird, auch nach Durch- schneidung der Vago-Sympathiei am Halse und der Splanchnici und Zer- störung des verlängerten Markes vollständig ungestört vor sich geht, woraus hervorgeht, dass das Pankreas ihr Reflexcentrum in der Bauchhöhle selbst besitzt. Dasselbe erwies sich in der That in der Wand des Pylorus auf der Höhe des oberen Randes des Lig. hepatico-gastro-duodenale. Zum selben Resultat wie Popelski kamen auch Wertheimer und Lepage.” Popelski* hat durch eine neue Arbeit die Richtigkeit seiner früheren Resultate erhärtet. Dass die Ganglien des Sympathicus als Reflexbogen für motorische und und secretorische Reflexe dienen können, muss nach den angeführten zahl- reichen und erdrückenden Beweisen als Thatsache dastehen. Dieser Umstand allein macht es sehr wahrscheinlich, dass auch für die sensiblen Reflexe oder Mitempfindungen Ganglien des Sympathicus als Reflexbogen dienen können. Es giebt aber ausserdem pathologische Thatsachen, welche diesen Schluss mehr als wahrscheinlich gestalten. Irradiationen und Mitempfindungen im Bereich des Sympathicus sind ungemein häufig, ebenso häufig, als sie im Bereich der cerebrospinalen sensiblen Nerven selten sind. Diese Thatsache wäre gar nicht verständlich, wenn in beiden Fällen der Reflexbogen im Rückenmark gelegen wäre, und deutet durchaus darauf hin, dass der Sympathicus seine eigenen Reflexcentra auch für sensible Erregungen besitzt. Bei Druck auf eine hyperästhetische Stelle des Lendensympathicus hört man von den Patienten nicht selten die Angabe, dass der Druckschmerz ıJ. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898. ? L. B. Popelski, O sekretorno-sadershiwajustschich nervach podsheludotschnoi shelesy. /naug.- Diss. St. Petersburg 1896. (Russisch.) 3 Wertheimer et Lepage, Sur l’innervation seeretoire du pancreas. Sitzung der Acad. des sciences zu Paris am 6. November 1399. Semaine med. 1899. p. 388. * Popelski, Reflektornyje centry podsheludotschnoi shelesy. Bolnitschnaja Gazeta Botkina. 1900. 8.1273. (Russisch.) | PHYSIOLOGIE D. MITEMPFINDUNGEN IM BEREICHE D. SYMPATHICUS. 281 sonnenförmig nach allen Seiten ausstrahle; ‚‚wie eine Sonne, deren Strahlen aus lauter Nadeln beständen“, beschrieb ein Patient seine Empfindung, und ein anderer sagte, es scheine ihm „als ob der ganze Bauch plötzlich voller Nadeln stäke“. Diese Form der Irradiation kommt an cerebrospinalen Nerven nie vor; es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass diese Mit- empfindungen durch Vermittelung der grossen Centralorgane und Projection in die Bauchhöhle zu Stande kommen, und im Gegentheil höchst wahr- scheinlich, dass diese sonnenartig strahlende Ausbreitung des Schmerzes durch unmittelbare Miterregung benachbarter Gebiete des Sympathicus selbst erfolgt, und dass von all diesen miterregten Theilen des Sympathicus direete Mittheilung zum Gehirn stattfindet. In anderen Fällen finden die Irradiationen in wenigen oder einer Richtung statt, doch zeichnen sich diese sensiblen Reflexe im Bereich des Sympathicus durch die bemerkenswerthe Eigenschaft aus, dass meist nicht, wie bei den cerebrospinalen Nerven, eine distinete Mitempfindung an einer entfernten Körperstelle gefühlt wird, sondern viele Patienten geben bestimmt an, dass sie den ganzen Weg vom gereizten hyperästhetischen zum aus- gestrahlten Schmerzpunkt mit empfinden. Es wird z. B. gefühlt, dass bei Druck auf den Pl. hypogastricus sup. (auf dem Körper des letzten Lenden- wirbels) eine schmerzhafte Empfindung längs der Mittellinie des Körpers durch Bauch und Brust bis zum Halse oder Kopfe hinauf schiesst. Es’ wird der ganze Weg deutlich empfunden und an einigen Stellen, namentlich in der Gegend der Magengrube und des Herzens, besonders stark. Diese Thatsache kann kaum anders gedeutet werden, als dass der Grenzstrang als Leitung dient, und dass im Verlauf der Leitung zahlreiche Stellen, wahr- scheinlich eingeschaltete Ganglien, mit erregt werden und diese Erregung dem Bewusstseinsorgan mittheilen. Die stechende Form des Schmerzes im Sympathicus erhält dadurch einen durchschiessenden Charakter; doch haben auch die beiden anderen im Sympathicus vorkommenden Formen pathologischer Empfindungen, die brennende und die drückende, häufig genug denselben Charakter der Fort- bewegung, wodurch für die brennende Form das Gefühl eines ffammenden Schmerzes entsteht, wie er nicht selten bei gastralgischen Anfällen beobachtet wird, und für die drückende Form das Gefühl einer in der Mittellinie sich aufwärts bewegenden Kugel (Globusgefühl. Auch hierfür ist die Mit- erregung des Sympathicus von Querschnitt zu Querschnitt die einzige -annehmbare Erklärung.! Was die so ungemein häufigen Mitemfindungen in cerebrospinalen ! Eine eingehende Schilderung der pathologischen Empfindungen im Sympathicus erscheint im 2., 3. und 4. Heft von Nordiskt med. Arkiv. 1901. 282 Max Buc#: Nerven bei Reizung des Sympathieus angeht, so wird auch hier höchst wahrscheinlich die Mitempfindung im Sympathicus selbst übertragen auf Elemente des Sympathiecus, die den cerebrospinalen Elementen bei- gemischt sind. Schon der ältere Retzius! und später Volkmann und Bidder? haben den Uebergang von Sympathicusfasern auf cerebro-spinale Nerven beschrieben. Neuerdings haben Langley und Anderson? den Nachweis gegeben, dass die Erectores pilorum der Katze von Nerven innervirt werden, die in den sympathischen Grenzstrangganglien entspringen. Langley* wies ferner nach, dass die Innervation der Gefässmuskeln, der Schweissdrüsen und der Musc. erectores pilorum im ganzen Körper von sympathischen Fasern gebildet wird, die sich dem Verlauf der Spinalnerven anschliessen, indem sie sich mit einer Myelinscheide bekleiden. Da nun überall Grefässe und an der Oberfläche Haare und Schweissdrüsen vorkommen, so enthalten auch alle peripherischen Nerven, namentlich aber die sensiblen, sympathische Fasern in beträchtlicher Menge, die Nerven der behaarten Kopfhaut sogar in überwiegender Anzahl. Es sind die feinen Fasern der cerebrospinalen Nerven, die zum grössten Theil oder ganz als sympathische anzusehen sind. Diese Ansicht wurde zuerst von Bidder und Volkmann? in einer ausgezeichneten Arbeit vorgebracht und begründet und wird jetzt auch von Kölliker? getheilt, der ihr früher® lebhaft widersprach. Bidder und Volkmann kamen auf Grund fleissiger und umfassender Zählungen zum Resultat, dass die Muskelnerven etwa 10 Procent feine Fasern enthalten, die sensiblen aber ungefähr 50 Procent. Sie constatirten auch, dass die Zahl dieser in den Cerebrospinalnerven vorkommenden sympathischen Fasern in sehr genauer Proportion zu den nachweislich vom Sympathicus ein- getretenen Primitivfäden stehen. Schliesslich finden sich an den Kopfnerven noch Ganglien, deren rein sympathischer Charakter jetzt sowohl auf mikro- skopischem als auf physiologischem Wege unzweifelhaft dargethan ist; diese !-Retzius, Iris. ' 1827. 8. 997. (0) ®° Bidder und Volkmann, Die Selbstständigkeit des sympathischen Nerven- systems. Leipzig 1842. ®° Langley and Anderson, On reflexaction from sympathetic ganglia. Journ. of Physiol. 1894. Vol. XVI p. 410. * J. N. Langley, On the course and connection of the secretory fibres supplying the sweat glands of the feet ofthe cat. Journ. of Physiol. 1891. Vol. Xll. p. 374. — Derselbe, Note on the connection with nerve cells for the feet. Ebenda. p. 375. — Derselbe, Further observations on the secretory and vaso-motor fibres of the foot of the cat. Zbenda. 1894—1895. Vol. XVII. p. 296. ° A. v. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1896. 6. Aufl. Bd. 1. S. 854. 6 Derselbe, Ebenda. Leipzig 1853. 2. Aufl. 8. 347. PHYSIOLOGIE D. MITEMPFINDUNGEN IM BEREICHE D. SYMPATHICUS. 283 sind das Ganglion ciliare, sphenopalatinum, oticum, sabmaxillare und viele kleinere Ganglien. Wir haben sonach eine breite anatomische Grundlage für die Annahme, dass auch die vom Sympathicus zu cerebrospinalen Nerven gehenden Irra- diationen wenigstens zum Theil innerhalb des Sympathicus sich abspielen. Der Umstand, dass diese Irradiationen ungemein häufig sind, besonders diejenigen vom Halssympathicus zum Kopf, und dass auch hier der oben geschilderte durchschiessende Charakter häufig deutlich hervortritt, macht diese Annahme sogar sehr wahrscheinlich. Wir formuliren folgende Schlusssätze: Sowohl für motorische und secretorische Reflexe als für Irradiationen im Bereich des Sympathicus können sympathische Ganglien als Reflexbogen dienen. Da die cerebrospinalen Nerven zahlreiche sympathische Elemente enthalten, können auch solche Irradiationen, welche vom Sympathicus scheinbar zu cerebrospinalen Nerven gehen, innerhalb des Sympathicus sich abspielen. Verbrennungswärme und physiologischer Nutzwerth der Nährstoffe. I. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleisches. Von Johannes Frentzel und Max Schreuer. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Der physiologische Nutzwerth des Fleisches ist bisher nur von Rubner! in einem Versuche bestimmt worden. Rubner hat damals zunächst einen reinen Eiweissversuch in der Weise herzustellen unternommen, dass er Fleisch in geeigneter Weise mehrmals mit Wasser extrahirte und auf diese Art schliesslich ein von Extraktivstoffen freies Material erhielt, das er an Hunde verfütterte Die Bestimmung der Verbrennungswärme des Harnes hat er bei diesem Versuche an einem kleineren, die des Kothes an einem anderen, grösseren Hunde ausgeführt. Zu der Ermittelung des physio- logischen Nutzwerthes des Fleisches hat Rubner möglichst fettarmes Fleisch noch von Sehnen und Bindegewebe befreit und dann an einen Hund während eines fünftägigen Versuches verfüttert. Bei dieser Gelegenheit ist natürlich auch die Verbrennungswärme des übrigens noch mit Aether extrahirten Fleisches, damals nach der alten Methode der Verbrennung mit chlorsaurem Kali, ermittelt worden. Diese Methode ergiebt aber, wie Stohmann’? nach- gewiesen hat, stets etwas zu niedrige Werthe gegenüber der jetzt üblichen Methode der Verbrennung mit der Berthelot’schen Bonibe. Ausser Rubner haben noch Stohmann?, ferner Berthelot* und in 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. S. 250 fl. * Ebenda. Bd. XXXI. S. 369, 373 u. 382. ® Journal für praktische Chemie. Bd. XLIV. S. 364. * Ann. chim. Vol. XXIL p.1 u. 25. J. FRENTZEL UND M. SCHREUER: VERBRENNUNGSWÄRME U.S.w. 285 neuester Zeit Köhler! Bestimmungen der Verbrennungswärme des Fleisches ausgeführt. Analysen der elementaren Zusammensetzung des Fleisches sind bisher von Voit?, Rubner?, Stohmann und Langbein*, Argutinsky’, Berthelot® und Köhler! ausgeführt worden, ohne dass es gelang, stets eine befriedigende Uebereinstimmung in den Resultaten zu erzielen. Unter diesen Umständen schien es angezeigt, den hier beregten Fragen von Neuem näher zu treten, und wir haben auf den Vorschlag unseres sehr verehrten Lehrers, des Hrn. Professor Zuntz, die in Folgendem zu besprechende Untersuchung unternommen. Das Neue bei der von uns gewählten Anordnung ist, dass hier zum ersten Male Verbrennungswärme, physiologischer Nutzeffect und Elementar- analyse der Nahrung mit demselben Material ausgeführt werden. Wir berichten in dieser Abhandlung zunächst nur über den physio- logischen Nutzwerth und die Verbrennungswärme des Fleisches. Anordnung des Versuches. Wenn man einen Fütterungsversuch anstellen will, in welchem der gesammte Stoffbedarf durch Eiweiss gedeckt werden soll, so muss man dem Versuchsthiere so viel von diesem Stoffe zuführen, dass der Körper nicht genöthigt ist, Fett und Kohlehydrate aus der gereichten Nahrung bezw. an seinem Körperbestande zu entnehmen. Nach Pflüger’s’” Kritik des oben erwähnten Rubner’schen Versuches ist dem Rubner’schen Versuchshund damals bei Weitem nicht die genügende Menge an Fleisch zugeführt worden; wenn es auch nach Pflüger „kaum zu bezweifeln ist, dass es keinen reinen Eiweissstoffwechsel im strengsten Sinne des Wortes giebt, weil auch bei reichlichster Zufuhr von Fleisch eine kleine Menge der stickstofffreien Bestandtheile der Nahrung an der Lebensarbeit der Zellen mitbetheiligt ist“, so hat doch Pflüger auf Grund eigener Versuche am Hunde ausgerechnet, dass ein Hund bei einem Körpergewicht von 28.48: und Eiweissstoffwechsel 2.0738” N im Winter, bezw. 2.056: N im Sommer pro Kilo und Tag braucht. ! Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXXI. S. 479. ” K. Voit, Physiologisch-chemische Untersuchungen. Augsburg 1857. 8.17. AERO) * Journal für praktische Chemie. Bd. XLIV. S. 364. 5 Pflüger’s Archiv. Bd. LV. S. 345. 6 Berthelot, COhaleur animale. Paris, Masson & Cie. ” Pflüger’s Archw. Bd. LXXIX. S. 537. 286 JOHANNES FRENTZEL UND Max SCHREUER: Um zu sehen, ob die von uns täglich verfütterte N-Menge dieser Forderung Pflüger’s nachkommt, haben wir unter Berücksichtigung des „werthlosen Stickstoffes des Fleisches“ zu 15-56 Procent! und unter der Annahme des gleichen Verbrauches für dieselbe Körperoberfläche den Bedarf unseres Hundes von 16.368 ausgerechnet. Wir hätten danach statt einer täglichen N-Gabe von 33-183” eine solche von 34.44 8" reichen sollen; trotzdem war die verfütterte Menge überschüssig, da der Stoffverbrauch des Versuchsthieres, einer castrirten Hündin, von Prof. Loewy? in zahlreichen Respirationsversuchen um etwa 10 Procent erniedrigt gefunden war. Der hier eben schon erwähnte „werthlose Stickstoff des Fleisches“ rührt aus demjenigen Antheil der N-Substanz her, welchen wir als „Extractiv- stoffe bezeichnen. Bekanntlich hat Rubner? behauptet und durch das Thier- experiment zu erhärten versucht, dass der Extractivstickstoff des Fleisches so gut wie gar keine Rolle bei der Ernährung spielt; er schliesst diese Ab- handlung mit den Worten: „Die Bestandtheile des Fleischextractes ver- lassen im Grossen und Ganzen unverändert, d. h. ohne Spannkraftverlust den Körper; das Fleischextract hat demnach bei Berechnung der Ver- brennungswärme des Fleisches unberücksichtigt zu bleiben.“ Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf die Kritik, welche Pflüger‘ an dieser Behauptung Rubner’s geübt hat, einzugehen. Der Eine von uns ist im Augenblicke mit Hrn. Dr. Toriyama beschäftigt, neues Material zur Klärung der Frage von der Bedeutung der Extractiv- stoffe des Fleisches für die Ernährung beizubringen. Um aber unseren Versuch nach dieser Richtung -hin nicht unnöthig zu complieiren, haben wir unserem Hunde so viel Fleischmehl, also extract- freies Fleisch gegeben, als er nach einem Vorversuche bequem aufnahm, und nur den kleineren Theil der Stickstoffisubstanz in Form von frischem Rindfleisch. Unser Versuch gestaltete sich nun wie folgt: Der Versuch dauerte 5 Tage; er wurde an einer, im Durchschnitt der 5 Versuchstage 16-36 %3 wiegenden Hündin ausgeführt. Er begann damit, dass wir die Blase durch Katheterisiren entleerten und um ganz sicher allen Urin zu entfernen, mehrmals mit einer etwa 3 procentigen Borsäurelösung die Blase ausspülten, bis das Spülwasser farblos war. Der Koth war am Abend vor Beginn des Versuches durch eine genügende Menge pulveriger Kieselsäure im Futter abgegrenzt worden, ein Verfahren. welches auch nach Schluss des Versuches zur Anwendung kam. ! Pflüger, a.a. 0. S. 546. ” Loewy und Richter, Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthig. Suppl. 8. 174. ® Zeitschrift für Biologie. Bd. XX. S. 265. * Pflüger’s Archw. Bd. LXXIX. 8. 556. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 287 Die tägliche Nahrung bestand aus 470 5" frischem Rindhackefleisch und 130 2% mit Aether von der Hauptmenge des Fettes befreitem Fleischmehl. 3 Kilo bestes Hackefleisch vom Rinde wurden auf einer Tischplatte aus- gebreitet, von Sehnen und Fettpartikeln nach Möglichkeit befreit, gut durch- gemischt und dann die einzelnen Tagesportionen in Gläser gebracht, wo sie mit je 1308” Fleischmehl und 3008" Wasser vermischt wurden. Nachdem die Gläser mit Pergamentpapier zugebunden waren, wurden sie an drei auf einander folgenden Tagen je eine Stunde in einem Wasser- bade bei 70° erhitzt und danach jedes Mal schnell abgekühlt. Auf diese Weise haben wir es erreicht, dass die Nahrung während der ganzen Ver- suchsdauer tadellos blieb und vom Hunde stets mit Begierde gefressen wurde. Das Thier erhielt die Nahrung in zwei annähernd gleichen Portionen, also zwei Mal am Tage, so dass niemals ein Zustand des Eiweisshungers eintreten konnte; Wasser wurde mehrfach angeboten, aber selten in grösserer Menge genommen. Mehrere Tage vor Beginn des Versuches war der Hund schon mit der analogen Nahrung gefüttert worden, so dass also gleich der Harn des ersten Versuchstages als reiner Fleischharn zu betrachten ist. Die Nahrung. a) Das Fleisch. Das zur Analyse verwendete Fleisch war gleichzeitig mit dem Abwägen der täglichen Portionen in ein Wägeglas gebracht und sofort in Bearbeitung genommen worden. Eine grössere Portion des Fleisches wurde ausserdem auf einer Glasplatte in möglichst dünner Schicht aufgestrichen und für die Bestimmung der Verbrennungswärme u. s. w. in unserem Vacuumapparat bei höchstens 50° getrocknet; dieser Process war in 2 Stunden beendet, nach welcher Zeit der noch röthliche Fleischkuchen im Mörser pul- verisirt wurde. Die chemische Zusammensetzung ist mindestens durch zwei überein- stimmende Analysen sicher gestellt worden. Es enthielt das frische Fleisch: 73.89 Procent Feuchtigkeit, 32Dl0) 0, Stickstoff, KO02ne;, Asche, DRS, Rohfett ‚! ah unwägbare Spuren Glykogen. ‘ Für die Fettbestimmung haben wir uns bemüht, durch Analysen nach mehreren Methoden den Werth zu finden, der der Wahrheit am nächsten kommt. Ausser der Soxhlet’schen Extractionsmethode mit nachträglicher Extraction der durch salzsauren Alkohol frei gemachten Fettsäuren, haben wir noch die Dormeyer’sche directe Ver- 288 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Die Verbrennungswärme des Fleisches bestimmten wir mit Hülfe der Berthelot-Mahler’schen Bombe, indem wir die im Vacuum getrocknete Substanz dazu benutzten. Bekanntlich haben Stohmann und Langbein auf die Nothwendigkeit hingewiesen, die Substanz vor der Verbrennung in Pastillenform zu überführen. Bei der Herstellung dieser Pastillen ist für die Substanz die Möglichkeit gegeben, ihren Wassergehalt zu ändern. Wir haben deshalb alle Pastillen in einem gut schliessenden Wägeglas verwahrt und in einer solchen Pastille den Wassergehalt bestimmt. Die auf absolute Trockensubstanz umgerechneten Resultate der einzelnen Bestimmungen er- gaben für 1 Em Trockensubstanz: I. 5852-0 cal. 11 5815.00), IL 8807:0 BE ee Mittel: 5816-94 cal.; unser Fleisch enthielt nach der vorstehenden Analyse 26.11 Procent Trockensubstanz, 2-18 Fett, 1.0410 Asche; u = 0.1065 m Fett enthalten. 12 thierisches Fett liefert bei seiner Verbrennung nach der jetzt giltigen Ansicht 9500-0 cal.! (Es wäre ja richtiger gewesen, das Aetherextract zu isoliren und dessen Verbrennungswärme direct durch eine calorimetrische Bestimmung festzustellen; bei der geringen hier in Betracht kommenden Menge dürften aber die etwa sich ergebenden Differenzen in der Ver- in 127m Trockenfleisch waren also dauungsmethode und die vor ein paar Jahren von Liebermann (Pflüger’s Archiv. Bd. LXXU. 8.360) vorgeschlagene Verseifungsmethode angewandt. Wir haben z. B. beim Fleisch nach der seit Jahren im Zuntz’schen Institute üblichen modifieirten Soxhlet’schen Methode erhalten: 2-34 Procent directes Extract, 10:42 ,„ Fettsäure, = 2:782 Procent Rohfett; bei der direeten Verdauung mit Dormeyer’schem Verdauungsgemisch 2-78 Procent Rohfett. Aehnlich sind die Resultate auch bei Koth und Fleischmehl ausgefallen. Die Liebermann’sche Methode muss etwas höhere Werthe geben, weil die analytisch ermittelten Fettsäuren als Fett berechnet werden; wir fanden z. B. beim Fleischmehl 3-70 Procent Rohfett und nach Liebermann 4-19 Procent. Auf alle Fälle bietet das Liebermann’sche Verfahren, welches eine Maximalzahl liefert, eine werthvolle Controle der anderen Methoden. ! Stohmann und Langbein, Journal für prakt. Chemie. Bd. XLUl. S. 361. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 289 brennungswärme kaum eine wesentliche Rolle spielen, so dass wohl der von uns eingeschlagene Weg berechtigt erscheint.) 0.1065 x 9500 cal. ergeben 1011-45 cal. 5816-94 1.0000 — 1011.45 — 0.1065 4805-49 cal. entsprechen 0.8835 m fettfreien Fleisches. rm fettfreies Trockenfleisch entspricht also 5378-38 cal.; analog be- rechnet liefert 1% asche- und fettfreies Trockenfleisch 5629.25 cal. Wenn wir die Zahl mit den bisher gefundenen zusammenstellen, so ist ein eigentlicher Vergleich nur möglich mit der Köhler’schen Zahl, welche zu 5677°6 cal. gefunden wurde. Rubner fand 5656-9 cal. Stohmann „ 5640-9 „; aber diese Forscher haben nur mit grob durch Aether entfettetem, also noch etwas fetthaltigem Material gearbeitet. Wegen der hohen Verbrennungs- wärme des Fettes wäre aber bei ganz fettfreiem Fleisch sowohl die Stoh- mann’sche wie die Rubner’sche Zahl niedriger gewesen, also der unserigen noch näher gekommen. Aber auch die Differenz von 48-35 cal. zwischen der Köhler’schen und unserer Zahl ist nicht von Belang. Es hat Köhler selbst für die Verbrennungswärme des Rindfleisches verschiedener Herkunft weit grössere Differenzen gefunden. Er fand z. B.: bei Halsmuskel (Ochse) 5661-2 cal. „ Hinterschenkel (desselben) 5734.8 „, ER 5 (Kuh A) 5639I:807,, N (Kuh B) 5674-4 „; zwischen je 2 dieser 4 Zahlen betragen die Differenzen z. B. 60.4; 73°6; 95.0 cal. Da unser Fleisch in gehacktem Zustande vom Fleischer bezogen war, so dürfen wir nach dem Gesagten wohl eine genügende Uebereinstimmung der von uns gewonnenen Daten mit den bisher ermittelten feststellen. Im Ansehluss an die von uns gefundene Verbrennungswärme des Fleisches haben wir dann berechnet, wie viel Calorien 18% N im asche- und fettfreien Rindfleisch liefert. 100 8° feuchtes Fleisch enthalten 73.89em Feuchtigkeit 2.78 „ Fett 1:04 „ Asche und 3.5le= N Tel len Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 19 290 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: in 22.29 sm asche- und fettfreier Trockensubstanz sind also 3-5lsm N enthalten. sm N entspricht somit 6-.35043 =”% asche- und fettfreier Trocken- substanz und liefert 6-35043 x 5-62925 = 35:75 (Cal. Dieselbe Relation zwischen Stickstoff und Calorien ergiebt sich natür- lich auch, wenn wir in beiden Berechnungen den Abzug für die Asche fortlassen; wir erhalten dabei für fettfreie aschehaltige Trockensubstanz auf 15m N 6-.64657 x 5.378388 1= 35:75 Cal. Pflüger? hat auf Grund der Zahlen von Stohmann und Langbein und von Rubner berechnet: gm N im entfetteten Fleisch = 34-59 Cal. b) Das Fleischmehl. Das zur Verfütterung verwendete Fleischmehl war, wie schon hervor- gehoben, mit Aether von der Hauptmenge des Fettes befreit worden, es enthielt aber trotzdem noch etwas Aetherlösliches. Die Analyse ergab: 5-13 Procent Feuchtigkeit, 14.831 „ Stickstoff, Bol Asche, all, Rohfett (nach Liebermann 4-19 Procent, was an- zeigt, dass das Fett zum Theil ranzig geworden war und freie Fettsäuren abgespalten hatte), kein Glykogen. Die calorimetrischen Bestimmungen ergaben für 1 sm Trockensubstanz: 5461-40 cal. 5488.28 „, 5521-25 „ 5544-70 „, 5554-10 „, im Mittel 5513-95 cal. Nach der beim Abschnitt Fleisch ausführlich dargelegten Art der Berechnung fanden wir: 1% asche- und fettfreies trockenes Fleischmehl liefert 5590-75 cal., 1m N in dieser Substanz = 32.95 Cal. ! Siehe S. 289. ? Pflüger’s Archiv. Bd. LII. S. 32 u. 33. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 291 Die geringere Zahl der Wärmeeinheiten für 1% N im Fleischmehl gegenüber dem Fleische war zu erwarten, da die dem Fleischmehl fehlenden Extractivstoffe pro Gramm organische Substanz weniger Stickstoff enthalten, daher pro Gramm N höhere Verbrennungswärme liefern. Die Ausscheidungen. a) Der Harn. Die Hündin war so dressirt, dass sie ihren Harn stets 24 Stunden bei sich behielt; es wurde daher nur ein Mal am Tage (um 11 Uhr 30 Minuten Vormittags) die Blase mittels Katheterisiren entleert und dieser „Original- harn“ auf 1 Liter aufgefüllt und für sich analysirt. Nach der Entnahme des Originalharns wurde die Blase mit körperwarmer 3 procentiger Borsäure- lösung so lange gespült, bis das Spülwasser klar ablief; die Spülwässer sämmtlicher Versuchstage wurden gesammelt, auf 2 Liter aufgefüllt und in je 20°" der Stickstoff bestimmt. Nach Kellner’s! Vorschlag ver- brannten wir den Urin auf den von der Firma Schleicher & Schüll gelieferten Cellulosepflöckchen. Wir haben bei der Eintroeknung des Urins auf die Cellulosepflöckehen das folgende Verfahren angewendet, welches nach unserer Ansicht wohl ziemlich einwandsfrei ist. Eine Anzahl vorher gewogener Pflöckchen wurden täglich mit je 1m des gut durchmischten Originalharnes getränkt und dann in einem Vacuumexsiccator bei Zimmertemperatur getrocknet. Die beim Trocknen verwendete Schwefelsäure wurde auf einen etwa vorhandenen Ammoniakgehalt untersucht; die hierbei gefundenen Mengen waren aber so gering, dass dieselben vernachlässigt werden konnten.. Die in dem Spülwasser vorhandene brennbare Substanz wurde unter der Annahme be- rechnet, dass Wärmewerth und Stickstoffgehalt proportional verlaufen, was darum sicher zulässig ist, weil es sich nur um verschiedene Portionen desselben Urins handelt. Die Analysen ergaben in je 5°® des gemischten Originalharns: Verbrauch von 51.69 51.52 51.70 51.54 51.70 im Mittel 51.63 em unserer Titrirlauge I. (1 «= = 2.957 we N), ! Landwirthschaftl. Versuchsstationen. 18396. S. 297. 19* 292 JOHANNES FRENTZEL UND MAXx SCHREUER: entsprechend 3:.0534 2m N in 100m Harn, also 152.670 em N in 5 Litern Originalharn; in je 20°" des Spülwassers: Verbrauch von 25-96 25:85 25-86 im Mittel 25.89 cm ünserer Titrirlauge II. (1° = 38" N), entsprechend 7.767em N in 2 Litern Spülwasser. Die Verbrennungswärme für je 5°” Originalharn (je 1° = von jedem Tage) ergab nach Abzug der von uns mehrfach ermittelten Verbrennungs- wärme unserer Pflöckchen: 1090-53 cal. 1100.95 „ 1114-27 „ 1156.50 „ im Mittel 1115-56 cal. oder in 5 Litern 1115-56 Cal. Aus den gefundenen 1115-56 Cal. und der Proportion des N-Gehaltes des Originalharns zum Gesammt-N berechneten wir 1172.3 Cal. für Originalharn + Spülwasser und daraus 1172-3 160-437 (Wie man sieht, sind nur 1172.83 — 1115-56 = 56-74 Cal. durch Be- rechnung ermittelt worden.) Rubner! fand bei dem Harn in seinem Versuche, der, wie schon erwähnt, nach Pflüger nicht als Fleischharn anerkannt werden kann, auf 1sm N 7.45 Cal.; die geringe Differenz zwischen Rubner’s und unserem Resultate liesse sich aber auch ganz leicht aus dem verschiedenen Gehalt an Extractivstoffen in dem verfütterten Material erklären. 12m N im Fleischharn = = 71.31 Cal. b) Der Koth. Es wurden gewonnen: 233.2®m feuchter Koth = 73.63 sm ]Jufttrockener Koth (im Vacuum bei 50° getrocknet). Die Analyse des lufttrockenen Kothes ergab: ! Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. 8.316. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 295 1.22 Procent Feuchtigkeit, WS 5, Stickstoff, 2R)SU) Asche, 5.86 . „ Rohfett. Die Verbrennungswärme für 1 :"” Trockensubstanz fanden wir zu 4598-55 cal. 4618-00 4633-00 „, 4644.40 „, 4652-00 „ 4696-80 „, 470920 „ 4713-00 „ im Mittel 4658-12 cal. Da nun beim Koth das mit Aether Extrahirte jedenfalls Bestandtheile der Verdauungssäfte enthält, welche kein Fett darstellen, so war es frag- lich, ob wir beim Koth nicht einen zu grossen Fehler machen, wenn wir, wie das beim Fleisch nach unserer Ansicht zulässig war, aus dem ge- fundenen Rohfett durch Multiplication mit 9500 die entsprechenden Wärme- einheiten berechneten. Wir haben deshalb die Verbrennungswärme des Aetherlöslichen im Fleischkoth direct ermittelt; hierbei fanden wir für 1m Trockensubstanz 9793.75 cal. In 18m Trockenkoth mit der Calorienzahl 4658-12 sind 0-0577713 8m Rohfett enthalten; diese liefern also in Wirklichkeit 565.80 cal. (gegen 548.3 cal. mit dem Factor 9500 berechnet). Wir erhalten also: mit der gefundenen Verbrennungswärme mit der Verbrennungswärme d. Fettes 9793-75 berechnet: 9500-0 berechnet: 1 — 0-.0577713 8m — 0.942238 geben 4658-12 4658.12 — 565-8 — . 548-8 vom Aetherlösl. freie Substz. 4092.32 cal. bezw. 4109-32 cal.; auf 1 sm fettfreien Fleischkothes 4342-9 cal. bezw. 4361-2 cal.; für 15m N im fettfreien Fleischkoth erhalten wir 48.24 Cal. bezw. 48-45 Cal. Diese Differenzen sind aber so unbedeutende, dass wir keinen wesent- lichen Fehler machen, wenn wir auch das Aetherlösliche des Kothes mit der Zahl 9500-0, also der Verbrennungswärme für 1®’® thierisches Fett berechnen. 294 JOHANNES FRENTZEL UND Max SCHREUER: Zu der Zahl 12% N im fettfreien Fleischkoth = 48.24 bezw. 48.45 Cal. finden wir in der schon mehrfach erwähnten Abhandlung Pflüger’s! eine Vergleichszahl: „lem Stickstoff des fettfreien -Fleischkothes = 28.2 Wärmeeinheiten“. Diese Zahl ist von Pflüger unter Benutzung Rubner’scher Zahlen, aber unter Zugrundelegung mehrerer Annahmen berechnet worden; das Zu- treffen dieser Annahmen für den vorliegenden Fall kann zum mindesten nicht bewiesen werden, weil die entscheidenden Daten von Rubner nicht ‚ermittelt sind. Es musste uns daran liegen, bei der grossen Differenz zwischen Pflüger’s und unserer Zahl für die Richtigkeit unseres Befundes noch weitere Unterlagen zu gewinnen. Pflüger! berechnet selbst aus den wirk- lich von Rubner ermittelten Zahlen: 1=”” Stickstoff des Fleischkothes = 70-3 Wärmeeinheiten. In diesem Fleischkoth Rubner’s ist das Fett nicht bestimmt worden ?; bei der hohen Verbrennungswärme des Fettes würde auf fettfreien Fleischkoth bezogen die Zahl 70.3 Wärmeeinheiten eine niedrigere werden; ob sich dieselbe mehr der Pflüger’schen oder unserer Zahl nähern würde, lässt sich wegen des Fehlens des Fettgehaltes des Rubner’schen Fleischkothes nur wieder mit Hülfe von Annahmen berechnen, die den Thatsachen gegenüber keine Beweiskraft haben. Wir haben daher versucht, unsere Zahl noch weiter zu controliren. Der Eine von uns besass von einem mehrtägigen Stoffwechselversuche, in welchem die Ausnutzung des Tropons geprüft wurde, noch den damals gewonnenen Koth; wenn auch die Versuchsperson neben Tropon noch Reis und Butter genossen hatte, so war doch die tägliche Gabe von 150:”% Tropon immer- hin so hoch, dass dieser Koth in etwas dem Fleischkoth an die Seite gestellt werden konnte. Nach Ermittelung der Verbrennungswärme und nach den obigen, ana- logen, Berechnungen resultirte hier: 15m N im fettfreien Koth = 49-26 Cal. Ferner hatten einige Herren im Zuntz’schen Laboratorium Stoffwechsel- versuche an sich selbst, allerdings mit ziemlich gemischter Kost angestellt; neben Rindfleisch und Schinken wurden Reis, Cakes, Weissbrod und Butter in reichlichen Mengen verzehrt. Auch der Koth dieser Versuchsreihen wurde von uns in der angegebenen Weise untersucht. Wir erhielten ı Pflüger’s Archiv. Bd. LII. S.30. ?2 Wenn wir mit unserem fetthaltigen Koth rechnen, erhalten wir für 1em N = 59-20 Cal. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 295 sm N im fettfreien Koth bei Dr. Caspari — 48.38 Cal. do. es, A (andere Kost) = 48.64 „, do. „ Prof. Loewy — ANA, Hrn. Prof. Zuntz verdanken wir die folgenden Zahlen aus Selbst- versuchen. I, Reihe: 12m N im fetthaltigen Koth = 69.96 Cal. auf 18m N entfallen 2.2566 8% Fett = 21-44 „ 12m N im fettfreien Koth = 48-52 Cal. U. Reihe: lem N im fetthaltigen Koth = 57-014 Cal. auf 12m N entfallen 1-0417 sm Fet= 9.896 0 1sm N im fettfreien Koth = 47-118 Cal. Aus diesen Befunden dürfte wohl die von uns ermittelte Zahl für lem N im fettfreien Fleischkoth = 48°45 Cal.! mehr als wahrscheinlich gemacht werden; ja es macht den Eindruck, als wenn bei einer irgend- welchen Nahrung, wenn dieselbe nur ziemlich frei von Cellulose war, die Relation zwischen Stickstoff und der. Verbrennungswärme des fettfreien Kothes nur in engen Grenzen Schwankungen zeige. Der Nutzwerth des Fleisches. Es wurde in der täglichen Nahrung gereicht: 4708 m Fleisch mit 16.497 2m N 130% Fleischmehl mit 19.253 8m N 35-750 8m N Während des 5tägigen Versuches erhielt unsere Hündin: 23508 Fleisch mit 82.4858 N x 35:75 = 2948.71 Cal. aus fettfr. Fleisch 650er" Fleischmehl mit 96.265." N x 32.95 = 3171-7 Cal. aus fettfr. Fleischmehl 178.5 sm N = 61%-41 Cal. lem N der Nahrung = 34.24 Cal. Es wurde ausgeschieden im Harn: 160.437 sm N „ Koth: 5.7958 N 166-2328" N. ‘ Wir müssen hier die Zahl nehmen, welche mit dem Factor 9500 berechnet ist, weil bei allen diesen Kothen diese Art der Berechnung angewandt wurde. 296 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Die Verbrennungswärme der umgesetzten Nahrung beträgt also: 166-232 x 34-24 — 5621.80 Cal. Abfall im Harn: 1172-3. 638 2 „ Koth: '5.795.x 48224. 279.53 Cal. = 145133201] 1451-83 4239.97 Cal. sind dem Körper nutzbar geworden. 4239-97 A 5691.30 — 4-49 Procent des gegebenen Kraftvorrathes wären also in unserem Versuche verwerthet worden. An dieser Zahl lässt sich noch eine Correctur anbringen; offenbar sind die Secretionen des Darmes und ebenso etwa unverdaute Reste proportional der verdauten Nahrung; es entfallen demnach auf die umgesetzten 5691.80 Cal., da 6120.41 Cal. eingeführt wurden, von den 279.53 Cal., welche im Kothe enthalten waren, nur 2739-53 x 5691.80 6120-41 Es erscheint deshalb richtiger, nur diese 259.95 Cal. für den Abfall im Koth in Rechnung zu setzen; wir erhalten dann = 259.95 Cal. Abfall im Harn: 1172.3 Cal. 5691:80 umgesetzte Cal. nen kKoth,. 959295 1432.95 1432-25 4259.55 Cal. 4259-55 5691.80 — (4-84 Procent des gegebenen Kraftvorrathes sind in unserem Versuche verwerthet worden. Da 166-232 == N umgesetzt und 4259.55 Cal. dem Körper nutzbar geworden sind, haben wir als Nutzwerth für 18” N unserer Fleischnahrung 4259-55 166.999 — 25.62 Cal. erhalten. Rubner! giebt auf Grund seiner Versuchszahlen für Fleischnahrung 25-98 Cal. an; Pflüger? hat diese Rubner’sche Zahl mit Zuhülfenahme Stohmann’scher Daten auf 26.76 Cal. erhöhen zu müssen geglaubt. Diese Zahlen lassen sich aber mit der unserigen nicht ohne Weiteres vergleichen. Rubner hat damals zwei Versuche angestellt; bei dem ersten waren dem verfütterten Fleisch durch geeignetes Auslaugen mit Wasser die Ex- tractivstoffe vollständig entzogen worden; hierbei fand Rubner als Nutz- 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. S. 321. ?2 Pflüger’s Archiv. Bd. LII. S. 34. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 297 werth für 12” N der Nahrung 26-66 Cal., in dem Harn entsprach bei diesem Versuche lem N 6.69 Cal.! Bei dem zweiten‘ Versuche hat Rubner „nicht ausgelaugtes Fleisch“ verfüttert; hierbei resultirte, wie eben schon erwähnt, als Nutzwerth für 1sm N der Nahrung 25-98 Cal, 185% N des Harnes entsprach 7-45 Cal.? Die Nahrung in unserem Versuche bestand zum Theil aus „nicht aus- gelaugtem Fleische“, zum Theil aus Fleischmehl, welches wohl als ziemlich identisch mit ausgelaugtem Fleisch zu betrachten ist. Lem N unseres Versuchsharnes entsprach 7.31 Cal., diese Zahl liest, wie man sieht, zwischen der Rubner’schen 6-69 und 7-45, was zu er- warten war. Wir können unser Resultat mit denen Rubner’s in Vergleich bringen, wenn wir berechnen, wie viel in unserem Versuche von den 166-232 sm N der umgesetzten Nahrung aus Fleisch und wie viel aus Fleischmehl stammen; bei Annahme proportionalen Zerfalls würden 76.7088 ® N auf Fleisch, 89.524 su N auf Fleischmehl entfallen; diese Zahlen mit den entsprechenden Factoren Rubner’s multi- plieirt, ergeben 76-708 x 25-98 = 1992-86 Cal. 89-524 x 2666 = 2386.72 „ Wir hätten also nach R. als dem Körper nutzbar 4379-58 Cal. finden sollen; wir haben 4259.55 Cal. gefunden, die Differenz beträgt 120.03 Cal. Bemerkungen. 120-083 SER) » rg 2 e roe. niedriger als dieselbe unter Zugrundelesung der Rubner’schen Werthe berechnet war. Diese Differenz beruht fast ausschliesslich darauf, dass in unserem Versuche erheblich mehr Energie im Kothe abüel. Die Stickstoffmenge des Kothes beträgt bei Rubner 1:6 Procent, bei uns 3.6 Procent der Stickstoffmenge des Harnes. Das könnte auf eine schlech- tere Verdaulichkeit des Fleischmehles zurückgeführt werden. Wir wissen aus einer Reihe von Erfahrungen, die erst neuerlich durch systematische Versuche von Pickardt° bestätigt worden sind, dass stark erhitzte Nah- rungsmittel schlechter ausgenutzt werden als solche, bei denen eine starke Wir fanden soeben die Ausnutzung der Energie um 1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. S. 303 u. 309. ® Ebenda. S. 321 u. 316. ® Deutsche med. Wochenschrift. 1900. 8. 323. 298 J. FRENTZEL Und M. SCHREUER: VERBRENNUNGSWÄRME UT. S.W. Erhitzung nicht stattgefunden hat; da uns über die Temperaturen, welchen das von uns verfütterte Fleischmehl bei seiner Herstellung ausgesetzt war, nichts bekannt ist, so lässt sich die eben berührte Differenz zwischen Rubner’s und unseren Befunden vielleicht daraus erklären, dass Rubner „mit Wasser extrahirtes Fleisch“, wir Fleischmehl verfütterten. Ferner ist schon (S. 291) darauf hingewiesen, dass die Verbrennungs- wärme für 1=”= N bei fettfreiem Fleische eine grössere Zahl ergiebt als bei fettfreiem Fleischmehl. Auf diesen Punkt werden wir zurückkommen, wenn die Resultate der oben erwähnten Versuche von Frentzel und Toriyama über die Bedeutung der Extractivstoffe des Fleisches für die Ernährung vorliegen. Zusammenstellung unserer Ergebnisse. 15” fett- und aschefreies Rindfleisch = 5677-6 cal. (Köhler), ” ” „ „ „ —= 5629-25 „ (Frentzel und Schreuer), “| (Rubner), ( 12” N im Fleischharn . » 9 „ .Eiweissharn.,. » » „» Fleisch -Fleischmehl- Harn ı aan Bon co DO Frentzel und Schreuer), » "» .„. fettfreien Fleischkoth - -. = "28:2 ,„ (von Pilügerzaus Grund eigener und Rubner’s Zahlen berechnet), „3 „» fettfreien Fleischkoth . 48.24 Cal. (Frentzel und Schreuer), 25:98 „ (Rubner), 26-76 , (Berechnet von Pflüger), Nutzwerth für 12m N bei Fleischkost ” ” ” ” ” ” „ „ „ 23 Fleisch- Fleischmehl-Kost = 25.62 „ (Frentzel und Schreuer), Physiol. Nutzwerth des Fleischs . . = 75-72 Proc. (Rubner)!, os N „ Eiweiss... = : 77-755, (Rubnen), 5 „ derFleisch-Fleisch- mehl-Kost — 74.84 ,„ (Frentzel und Schreuer), » 5; des Fleischs. . = T7T.34 ,„ (vonPflüger aus Rubner’s corrigirten Zahlen berechnet). ' Bei Gabe von 534-5 Cal. fand Rubner einen Verbleib im Körper von 404-73 Cal. 2 2 Ei} 575. -4 Ei >” Er 2} Ei Er) EL} 447 2 4 Er (Zeitschr ft für Biologie. Bd. XXI. S. 319 ar 307.) Beiträge zum Stofi- und Energieumsatz des Menschen. Nach mit Dr. Franz Müller ausgeführten Versuchen mitgetheilt von Prof. Dr. A. Loewy in Berlin, (Aus dem thierphysiol. Laboratorium der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Die nachstehend mitgetheilten Versuche sollen als Vorversuche dienen für umfassendere Untersuchungen, die Prof. Zuntz unter Mitwirkung des Ver- fassers und vier anderer Herren durchzuführen plant, und die den Einfluss des Höhenklimas auf den menschlichen Organismus nach einigen Richtungen hin zum Gegenstande haben, die bisher etwas in den Hintergrund getreten sind. Es soll insbesondere die Wirkung der Gewöhnung an die Höhe und die des Trainings auf den Stoff- und Energieumsatz bei der Muskelarbeit im Hochgebirge genauer festgestellt werden. Wenn die Ergebnisse dieser Vorversuche schon jetzt mitgetheilt werden, so geschieht dies, weil wir auf einige Thatsachen gestossen sind, die, wie wir glauben, ein allgemeineres physiologisches Interesse haben, und weil sie mittels einer Methodik gewonnen sind, die in diesem Umfange bis jetzt nicht — wenigstens bei uns nicht, wenn auch von Seiten einiger amerika- nischer Autoren! — zur Lösung der einschlägigen Fragen in Anwendung gezogen worden ist. Der Plan, den wir für unsere späteren Versuche entworfen haben, geht dahin, nicht nur den Gesammtstoffwechsel, wie er sich aus der Messung des Sauerstoffverbrauches und der Kohlensäurebildung ergiebt, zu ermitteln, was bisher fast ausschliesslich geschehen ist, sondern zugleich den Antheil, den das stickstoffhaltige Material am Umsatz hat, festzustellen. ! Atwater and Benedict, Experiments on the metabolism of matter and energy in the human body. Washington 1899. 300 A. Loewy: Aber wir wollen uns nicht allein auf die Bestimmung des Stoff- wechsels beschränken, sondern zugleich den Energieumsatz durch calori- metrische Bestimmungen der Einnahmen und der im Harn und Koth er- scheinenden Ausgaben direct ermitteln. Die neuere Richtung der Betrachtung der Lebensprocesse geht dahin, an Stelle des Stoffumsatzes den Energieumsatz zu ermitteln, und wenn auch noch in den letzten Jahren eine Anzahl umfassenderer Stoffwechsel- untersuchungen ausgeführt wurden, so geschah dies doch im Wesentlichen deshalb, um aus den gewonnenen Daten sich ein Bild vom Energie- wechsel machen zu können. Die Untersuchung des Stoffwechsels war nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck; man wollte aus dem Umsatz des Materiales die Energiemenge, ausgedrückt in Calorieen, berechnen, die für den Körper verfügbar war, und die er für seine Thätigkeit nöthig hatte. Aber diese Rechnung leidet doch an gewissen Mängeln und Un- sicherheiten. Schon die Berechnung des Brennwerthes der Nahrung aus ihrer Menge und Zusammensetzung ist keine vollkommen zuverlässige. Anı wenigsten Bedenken ergeben sich noch aus dieser indirecten Bestimmung des calo- rischen Werthes bei den animalischen Nahrungsmitteln, am unsichersten ist das Ergebniss bei den vegetabilischen, und bei der gemischten Kost wird es um so ungenauer, je mehr der vegetabilische Antheil vorwiegt. Es bezieht sich dies sowohl auf die stickstoffhaltige Substanz, wie auch auf die fettartigen Bestandtheile, besonders aber auf die Kohlehydrate. Man weiss aus neueren Untersuchungen, dass in den Vegetabilien ein sehr erheblicher Antheil stickstoffhaltigen Materiales, der 50 Procent des Gesammtstickstoffes überschreiten kann, nicht aus Eiweiss besteht. Es handelt sich um niedriger als Eiweiss constituirte Verbindungen, speciell um Amidosäuren. Wir haben uns aber gewöhnt, in den Stickstoff enthaltenden Substanzen meist nur den Gesammtstickstoff zu bestimmen und unter Zugrundelegung eines bestimmten Factors den Stickstoff auf Eiweiss umzurechnen. Legt man nun, wie es weiter geschieht, zur Feststellung des Brennwerthes dieser Substanzen den calorischen Coöfficienten des Eiweisses zu Grunde, so erhält man weit höhere Werthe, als in Wirklichkeit vorhanden sind. Auch zur Berechnung der aus den Fetten sich ergebenden Energie- menge nimmt man einen bestimmten calorischen Coöfficienten an, und doch enthalten gleiche Mengen Butterfett weniger Energie als andere animalische Fette und beide wieder weniger als manche pflanzlichen Fette, so dass auch hier Irrthümer entstehen können. Der schwache Punkt, den die Kohlehydrate bei diesen Berechnungen bieten, liegt darin, dass ihre quantitative Bestimmung, mag man sie nun BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 301 als Rest nach Abzug von N x 6-25 + Fett + Asche + Wasser in Rech- nung stellen oder nach Ueberführung in Zucker durch Reduction bestimmen, stets mit sehr grossen Fehlern behaftet ist. Zucker von gleichem Brenn- werthe haben sehr verschiedenes Reductionsvermögen. In verstärktem Maasse machen die eben angeführten Bedenken sich für den Koth geltend, wobei hinsichtlich des Kothfettes noch besonders daran zu erinnern wäre, dass dieses, soweit es aus vegetabilischer Nahrung stammt, nicht mit dem zugeführten Nahrungsfette in seinem calorischen ‘Werthe übereinstimmt. Es findet im Darm eine Art Auslese statt in der Weise, dass die Fette mit niedrigerem Brennwerthe in grösserer Menge resorbirt werden, so dass die in den Koth übertretenden einen höheren Brennwerth haben, als der Durchschnitt der verfütterten ausmacht. Die grössten Schwierigkeiten bietet jedoch der Harn. Man wollte seinen calorischen Werth aus seinem Gehalt an Stickstoff ermitteln und nahm als Grundlage den sog. calorischen (@uotienten des Harns, d. h. das Verhältniss zwischen seinem Calorieengehalt und seinem Stickstoffgehalt, wie es Rubner zuerst ermittelt hatte. Aus neueren Untersuchungen scheint sich nun aber zu ergeben, dass der Rubner’sche Werth an sich nicht ganz zutreffend ist. Aber wäre er es auch, so hat sich doch weiter gezeigt, dass eine constante, für alle Verhältnisse gültige Beziehung nicht besteht, vielmehr der calorische Quotient! von der Art der Ernährung abhängig ist. Er ist am niedrigsten bei Fleischnahrung, höher bei Fett-, am höchsten bei vorwiegender Kohlehydratnahrung, wo er doppelt so hoch sein kann, wie die Rubner’sche Zahl. Bei den Wiederkäuern kann er ihn nach Kellner? bis um das Fünffache übertreffen. Der Rubner’sche calorische Quotient be- = — —_ Tangl fand beim haupt- sächlich mit Fett genährten Menschen: 8—10:1, beim vorwiegend Kohle- hydrate geniessenden 11—13:1. Kellner beim Rinde 31—33:1. — Nach diesen Ergebnissen muss der Wunsch, den Energiegehalt der Ein- nahmen und der mit Harn und Koth erfolgenden Ausgaben direct bestimmen zu können, berechtigt erscheinen, und darum wollten auch wir uns der Me- thode bedienen, die dies ermöglicht. Wir sind ja seit einigen Jahren, Dank den Fortschritten, die die calorimetrische Methodik durch Berthelot und Stohmann gemacht hat, in der Lage, in bequemer und exacter Weise Brennwerth der Nahrung sowohl wie auch des Harnes und Kothes zu er- mitteln, und durch Gegenüberstellung der gefundenen Werthe finden wir sofort das dem Körper zur Verfügung gewesene Energiequantum. trägt für den fleischgefütterten Hund: ! Vgl. Tangl, Beitrag zur Kenntniss des Energiegehaltes des menschlichen Harnes. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. ? Kellner, Die landwirthschaftlichen Versuchsstationen. 18396. 302 A. LoEwYy: Indem ich die Methodik der Verbrennung und der Brennwerth- . bestimmung in der Berthelot’schen Bombe in einer Sauerstoffatmosphäre von 20 bis 25 Atmosphären Druck als bekannt voraussetze, möchte ich nur bezüglich der Vorbereitung der zu verbrennenden Stoffe Folgendes bemerken. Einen Theil der vegetabilischen Nahrung und zwar den wasserärmeren wie Reis, Cacao, Chocolade konnten wir direct, nach Herstellung von Pastillen in der Presse, verbrennen. Ebenso das Nahrungsfett ohne weitere Vor- bereitung, jedoch unter Beigabe eines gewogenen Kryställchens Naphthalin. Die wasserreicheren Vegetabilien, wie Backwaare, ebenso die stickstoffhaltige animalische Nahrung — Fleisch u. s. w. — wurden getrocknet, die Trocken- substanz verbrannt und auf das ursprüngliche Gewicht umgerechnet. Bei auch nur mässig fetthaltigem Fleisch empfiehlt es sich, nach der Trock- nung das Fett mit Aether zu extrahiren und für sich zu behandeln. In alkoholhaltigem Material, wie Bier, haben wir den Alkohol durch Destillation quantitativ bestimmt und seinen Brennnwerth dem des ver- brannten Rückstandes hinzugerechnet. Von den Ausscheidungen kann der Koth in lufttrockenem Zustande zu Pastillen geformt verbrannt werden. — Am meisten Schwierigkeiten bietet die Behandlung des Harns. Zunächst schon seine Aufbewahrung ohne Zersetzung bis zum Moment der Verbrennung. Conservirt man ihn durch Erhitzung, so liegt die Gefahr von Verlusten durch Harnstofizersetzung vor, die ja leicht in der Hitze eintritt, benutzt man die bisher meist be- nutzten Antiseptica, wie Thymol oder Chloroform, so wäre es immerhin nicht ausgeschlossen — Tangl’s praktische Erfahrungen sprechen allerdings gegen diese Annahme —, dass Spuren dieser Mittel, die doch selbst einen Brennwerth besitzen, noch in dem verbrennenden Harn vorhanden sind und sein Wärmewerth dadurch höher erscheint, als er in Wirklichkeit ist. Wir sind noch mit besonderen Controlversuchen darüber beschäftigt, welche Methode die praktischste und beste ist. Die bisher verbrannten Harne waren mit Thymol conservirt. Sie wurden dann auf kleine ge- wogene Celluloseblöckchen gebracht und diese nach Trocknung im Vacuum bei niedriger Temperatur verbrannt. — Die Trocknung im Vacuum geschah über Schwefelsäure, welche mehrfach erneuert wurde. Ein aliquoter Theil der Schwefelsäure wurde alkalisirt und das etwa in ihm absorbirte Am- moniak abdestillirt und quantitativ bestimmt. Die Menge betrug etwa 1 Procent des Stickstoffes im Harn. Eine zweite Controle wurde dadurch geübt, dass einige Celluloseblöck- chen, welche genau wie die zur Verbrennung bestimmten mit Harn be- handelt waren, zur N-Bestimmung nach Kjeldahl dienten und so den beim Trocknen erfolgten Stickstoffverlust erkennen liessen. BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 303 Wir haben nun im Laufe des Decembers an vier von den Herren, die im Sommer mit thätig sein wollen, an Prof. Zuntz, Dr. Caspari, Dr. Müller und mir selbst, eine zehntägige Versuchsreihe ausgeführt, die mit Ausnahme der Gaswechseluntersuchungen, die diesmal fortfielen, in ihrer Anordnung ganz dem Plane entsprach, den wir uns für den Sommer entworfen hatten. Es lag uns daran, neben einigen Vorfragen, die wir schon jetzt ent- scheiden wollten, festzustellen, wie beschaffen die Nahrung sein musste, mit der wir längere Zeit auskommen konnten, ohne durch Widerwillen zu einer vorzeitigen Abbrechung des Versuches gezwungen zu sein. Wir wollten ferner die möglichst zweckmässige Art der Sammlung, Conservirung und Verarbeitung von Harn und Koth besonders zum Zwecke der folgenden ca- lorimetrischen Untersuchung kennen lernen und uns endlich mit der calo- rimetrischen Untersuchungsmethode selbst vertraut machen. — Auch die Sammlung und Untersuchung des Schweisses nahmen wir an einem Tage vor. Vier von den zehn Tagen, die, wie erwähnt, der Versuch dauerte, waren für uns alle sog. Ruhetage, das heisst wir verrichteten nur unsere ge- wöhnlichen Arbeiten — im Wesentlichen Laboratoriumsarbeiten — ohne eine bestimmte, länger dauernde, anstrengendere Muskelthätigkeit zu entfalten. An den sechs anderen Tagen theilten wir uns in zwei Gruppen: Dr. Müller und ich leisteten grössere Marscharbeit, indem wir täglich 20 bis 22 kn in der Umgegend Berlins zurücklegten. Professor Zuntz und Dr. Caspari blieben dagegen bei ihrer gewohnten Thätigkeit, änderten aber ihre Kost zur Entscheidung einiger weiterer Fragen. Unsere Nahrung war so gewählt, dass sie unseren Bedürfnissen in den Ruhetagen eben entsprach. Für die Marschtage wurde eine Zulage gemacht, die annähernd dem durch die Marschleistung verursachten Mehrverbrauch an Üalorieen entsprechen sollte. Diesen Mehrverbrauch konnten wir schätzen auf Grund von Untersuchungen, die Zuntz mit Schumburg an mar- schirenden Soldaten vor einigen Jahren angestellt hatten, und die in diesen Tagen ausführlich erschienen sind.! Für meine Person liegen für die erforder- liche Berechnung directe Daten vor in Respirationsversuchen auf der Tretbahn, die ich als Vorversuche für meine erste Monterosa-Reise aus- geführt hatte.? Ich will gleich hervorheben, dass absichtlich unsere Nahrung relativ eiweissarm gewählt war, und dass speciell die Zulage an den Marschtagen fast nur aus stickstofffreiem Materiale bestand. ‘ Zuntz-Sehumburg, Physiologie des Marsches. Berlin 1901. ® A.Loewy mit J. Loewy und Leo Zuntz, Ueber den Einfluss der verdünnten Luft und des Höhenklimas auf den Menschen. Pflüger’s Archiv. Bd. LXVI 304 A. LoEwx: Ueber alles Nähere bezüglich der Ernährung geben die folgenden Ta- bellen Auskunft. — Ich will mich in dieser Mittheilung darauf beschränken, ausführlicher nur die Resultate zu besprechen, die sich aus den Untersuchungen an Dr. Müller und mir ergaben. Aus den an Zuntz und Caspari werde ich nur einzelne Resultate zum Vergleich heranziehen. Ihre ausführliche Mit- theilung soll später erfolgen. Es handelt sich bei den Versuchen an Loewy und Müller im Wesentlichen um den Einfluss, den die Muskelarbeit an den Marschtagen auf Stoff- und Energie- wechsel — im Vergleich zu dem an den kuhetagen — geübt hat. Dies allgemeinere Thema zerfällt in die specielleren, betreffend die Wirkung der Muskelarbeit auf die Nahrungsresorption, ferner -die auf den Umsatz der Nahrung und im Anschlusse daran auf die Bilanz der stickstoffhaltigen und stickstofffreien Materialien. Ich gebe zunächst die an meiner Person gewonnenen Daten, die in den Tabellen I bis III zu- sammengestellt sind. Tabelle 1. Stickstoff- und Calorieeneinnahme und -Ausgabe bei Loewy. Periode I. — Ruheperiode von 4 Tagen. Einnahmen pro die. N-Gehalt Calorieengehalt in grm direet ermittelt 1. Hackfleisch) ya asen 3800 174.91 2. Wiachsschinkene 227.277 21007, 39-890 155.43 3:...Cakesı.7,. Sale 1-.240 437.64 4.»Butter..r „ea 150r,, 0.295 1183-95 Reis. 60 „ 0.793 232.35 6. Weissbrod Sehringen) 180, 1.438 511-64 le:bRafleer .2. . 200, 0.100 — 8. Bier ar 6 Diez 0.273 220.32 Summa: 12.937 sm N 2916.24 Cal. Ausgaben pro die. den Pan. Ko hr 2 Körpergew. Ningrm Calorieen Menge, lufttr. N Calorieen in kg 1. Tag 13-770 59.965 221252 NN, 27 RR grm "AO om > irn. 12092808 300,.01402034 85:962 97-86: 2.545: 195.55 59.615 4 „.341.0430% 59.780 BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 305 Bilanz für Periode I, Tag 4. 1% N- Bilanz: Aufgenommen pro die 12.937 =" N; resorbirt 10-394" = 80.5 Procent Ausgeschieden mit dem Ham. . . . ...10-307 „, + 0.0878 m N pro die. 2. Calorische Bilanz: Aufgenommen pro die 2916-24 Cal.; resorbirt 2720.71 Cal. = 9319 Proc. abgegeben mit dem Harn... . 2... .85°9627, ZEUNSNVERIOUNG: a, ae ek san lin . 2634-750 Cal. Tabelle II. Stickstoff- und Calorieeneinnahme und -Ausgabe bei Loewy. Periode II. — Arbeitsperiode von 6 Tagen. Einnahmen pro die. ad 1 bis 7 dieselben bezüglich N- und Calorieengehalt wie in Periode I. N-Gehalt Calorieengehalt in grm direet ermittelt SBiere. ea... 2. 10808 0.842 660.96 Sms@hocoladen. 2... 65 „ 0.592 348.39 Summa 1 bis 9: 14-098: N 3703-27 Cal. Ausgaben pro die. Harn Koth ne a EEE ee an ee a le SRBRRNERONRIOTDENSEW- Ningrm Calorieen Menge, lutttr. N Calorieen in kg 1. Tag 10.524 59.785 2 a 59-445 a I AT2 . N I al 59.710 Be 211.095 90.59 21.91: 1.3798 120.51 59-850 Da 11289 60-010 Om 10.998 59-995 Bilanz für Periode II. 1. N-Bilanz: Aufgenommen pro die 14.098e" N; resorbirt 12.710 8% = 90.2 Procent. Ausgeschieden mit dem Harn. . . . . .11-115 „, + 1.5958 m N pro die. 2. Calorische Bilanz: Aufgenommen pro die 3703-27 Cal.; resorbirt 358276 Cal. = 96-70 Proc. Ancesebenemit.dem Harnıy . . . .;.. 90.597, ZUSVERISUNDGG. anne ee a 3492. Cal: Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 30 306 A. LoEwY: Tabelle II. Uebersichtstabelle für die Versuche an Loewy. a ER a un | © Körper- | Zufuhr mit der Nahrung pro die | Resorbirte Mengen gewicht, G | B 5 | es.- | EIWANGe® | | in kg Calorien N-h.: N-fr. | Hi . 3 I N Eiweiss | Eiweiss | Proc. d. 'in grm in grm N in grm |in grm | Zufuhr i Ruheperiode . | 59-80 |12-987 | 80-84 12916: 24 1:7-47 |10-394 | 64-96 | S0-3 Arbeitsperiode | 59-89 | 14-098 | 88-125 | 3703-27 | 1:8-94 |12-719| 79-40 | 90-2 I} een | 15. 16 Ausscheid. mit, ı d. Harn pro die N | Ver- N- |Fleisch- : | ansatz werthete| Bilanz 6 Tag. Cal. | Calorien pro die | in grm Resorbirte Mengen || | Ges.- | Proc.d. | F | | N-h.: N-fr. \ingrm | Calorien | Cal.-Zuf. T Ruheperiode . 2720-71) 93-19 | 1:8-50 | 10-30785-892 [I | | 2634-75 40-087 — Arbeitsperiode |3582-76| 96-70 | 1:9-68 |11-115.90-59 \3492-17 | +1-595 236-9 | | | | bezw. | | | | j |+1*316, Zunächst die Resorption der Nahrung in der Ruheperiode. Vom Stickstoff der Nahrung gingen unresorbirt fort: 19.7 Procent, resorbirt wurden 80-3 Procent, als Eiweiss berechnet gingen in die Körper- säfte über von 80.83 sm nur 64.96". Angesichts des relativ erheblichen Antheiles der Vegetabilien an der Nahrung kann diese etwas mangelhafte Ausnutzung nicht befremden. — Von der Gesammtwärmemenge der Nahrung kam dagegen dem Körper weit mehr zu Gute, nämlich 2720.71 Cal. von den eingeführten 2916-24 Cal., das sind 93.19 Procent. Abweichend von dem Verhalten der Resorption bei mir gestaltet sich die bei den drei übrigen Untersuchten, trotzdem wir alle annähernd die gleiche Nahrungsmenge und jedenfalls die gleichen Nahrungsmittel zu uns nahmen. Es dürfte interessant sein, die betreffenden Werthe kurz zusammen- zustellen, da sie einen Beitrag zu den individuellen Differenzen in der Aus- nutzung fast identischer Nahrung geben und so Material zur Kritik der üblichen Ausnutzungsversuche liefern (Tabelle IV). — Bei der Aufnahme der vorstehend verzeichneten Mengen an stickstoff- haltiger Substanz und an Calorieen gab ich zunächst Stickstoff vom Körper her, verlor auch an Körpergewicht, war jedoch am vierten Tage im Stick- stoffgleichgewicht, auch das Körpergewicht sank nicht weiter. Die resorbirte Nahrung ist nun aber nicht vollkommen vom Körper verwerthet worden, denn _ der entleerte Harn hatte auch noch einen nicht unerheblichen Brennwerth, BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 307 der pro die 85-96 direct ermittelter Cal. ausmachte, so dass vom Körper 2720-71 — 85-96 = 2634-75 Cal. verwerthet werden konnten. Diese Zahl giebt uns den Werth für das umgesetzte oder angesetzte Material an. Für den vierten Tag der Ruheperiode, den wir als Ausgang für die weiteren Betrachtungen nehmen wollen, da wir uns an ihm im Körper- und Stickstoffgleichgewicht hielten, drückt sie direct den Umsatz aus. Tabelle IV. Eingeführt mit | | ‚Resorbirt | Ausnutzung der Nahrung m kan in Procenten | Se ellmeren | N | — | Bemerkungen der Nahrung bei | | Cal. ||. | Ca. | N | Cal || in grm \ingrm | l l 1 1 Loewy, Periode I || 12-94 | 2916 | 2-54 |195-5 || 80-20 | 93-19 | Müller, ,„ I | 13-16 | 2725 | 1-80 149-5 || 86-30 | 94-50: Vgl. Tabelle V Zuntz, „ I | 18-32 | 2596 | 1-48 | 103-8 || 88-90 | 96-00 | @asparı, „ 1 18-28 3195 1-17 | 80-09 91-08 | 97-50 | 5 „ I | 10-114 | 3268 | 1-19 | 1024-10 88-23 | 96-82 Zuntz, Te) 01323272162596 | 2.42 | 13810) 81:70 | 94-69 ) Somatoseperiode Schon in der Nahrung war das sog. Nährstoffverhältniss, also das Ver- hältniss, in dem der Brennwerth des stickstoffhaltigen Materials zu dem des stickstofffreien steht, ein ziemlich weites, der Antheil des ersteren an der Gesammtnahrung demnach ein geringer. N-h.:N-fr. ist nämlich 1:7-47; in dem resorbirten Nahrungsmaterial tritt der Stickstoff noch mehr zurück, N-h.:N-fr. ist hier nur wie 1:8-5. Das stıickstoffhaltige Material liefert nur 10-5 Procent der gesammten Energie. — Während der Marschperiode war die Calorieenmenge um 789.03 Cal. gesteigert, d.h. + 27 Procent, die des Stickstoffes nur um 1’161 sm, d. h. + 9 Procent. Das Nährstoffverhältniss ist hier also noch weiter als in der Ruhe, nämlich N-h.: N.-fr. = 1:8.94. Dabei ist dieZunahme des Eiweisses noch geringer, als es die Betrachtung des Stickstoffes ergiebt, da der Stickstoff im Bier grösstentheils als Amid und der der Chocolade zum Theil als Alkaloid (Theobromin) vorhanden ist. | Die Resorption ist nun aber eine viel bessere, zumal für das stick- stoffhaltige Material, als während der Ruheperiode. Es gingen mit dem Koth fort nur 9-8 Procent des zugeführten N, es gingen in die Säfte über 90.2 Procent (gegen zuvor S0-2 Procent), bezw. auf Eiweiss berechnet: von den zugeführten 88.125 3% Eiweiss wurden in den Körper übergeführt: 79.40 sm Eiweiss. — Auch von der Gesammtecalorieenmenge erhielt der Körper procentisch mehr, nämlich 96.70 Procent (gegen 93-19 Procent), so dass ihm 3982.76 Oal. zur Verfügung waren. Da der tägliche Brennwerth des Harns 90.59 Cal. betrug, verblieben dem Körper für seine Zwecke 3492.17 Cal. 20* 308 A. Lorwy: Das Nährstoffverhältniss endlich für das während der Marschperiode resorbirte Material stellt sich zu 1 N-h.:9.2. N-fr., der Antheil der N- haltigen Stoffe an der gesammten Energie beträgt nur 9-7 Procent, ist also noch geringer als während der Ruhe! Die Nahrungsausnutzung ist also in jeder Beziehung eine bessere gewesen. — Ueber die Frage des Einflusses der Muskelthätigkeit auf die Resorptionsvorgänge im Darm liegen eine ganze Reihe von Untersuchungen an arbeitenden Pferden, am Hunde, auch am Menschen vor. Letztere sind in dem schon erwähnten Zuntz-Schumberg’schen Buche!, betreffend den Stoffumsatz der marschirenden Soldaten, enthalten, wo auch die betreffende Litteratur zusammengestellt ist. Aus letzterer ergiebt sich, dass jedenfalls bei übermässiger ermüdender Muskelarbeit die Resorption der Nahrung sich verschlechtert, bei nicht übermässiger war ein deutlicher Einfluss, speciell auch an den marschirenden Soldaten, nicht zu ersehen. Jedoch wäre zu bedenken, dass letztere mit 30%® Belastung und in der warmen Jahreszeit, zum Theil im Hochsommer marschirten, ich selbst im December und un- belastet, und es ist möglich (und soll Sache weiterer Versuche werden), dass die Differenz in den äusseren Bedingungen die Differenz in den zwischen den Soldaten und mir vorhandenen Ergebnissen erklären kann. Jedenfalls ist die Verbesserung der Resorption während der Marsch- tage wohl keine zufällige, denn sie findet sich ebenso, wenn auch weniger eclatant, bei Dr. Müller. Tabelle V. Stickstoff- und Calorieeneinnahme und -Ausgabe bei Müller. Periode I. — Ruheperiode von 4 Tagen. Einnahmen pro die. N-Gehalt Calorieengehalt in grm direet ermittelt 1. Hackfleisch 2 os 3.712 174.91 2. ‚Lachsschinken 2. .2.22100),, 93-835 155.43 3:2. Cakes. .\.. 0 ea ige. 0.496 175.06 4. Butter; 2.0,.0000.002150),, 0293 1183.95 5. Reis. 1.2.2 22 RN 1.272 387.25 6. ‚Zucker. „u... var. — 60.00 1. Weisshrod. 2 29 3'471 528.72 8.. Kaflee!.. . nun] Dar 0.072 — 9. Weisswen 2.20. 72.21:00% — _ 10. Himbeersaft no 2023277 _— 38:45 11. Theo, ;... u eu 0.022 _ Summa: 15.173em N 2797.75 Cal. ı A.2.0. 8.193 ff. BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 309 Ausgaben pro die. Harn Koth N in grm Menge, lufttr. N Calorieen 1. Tag 13:77 EEE] pm 1.707 140258 Da 11-7 | NER 10-73 Bilanz für Periode I. 1. N-Bilanz: Aufgenommen pro die 13.1738" N; resorbirt 11.376 2m = 86.3 Procent. Ausseschieden mit dem Ham... .........11.69 ., — 0-.31438® N pro die. 2. Calorische Bilanz: Aufgenommen pro die 2797.0 Cal.; resorbirt 2647.47 Cal. = 94-5 Procent. Tabelle VI. Stickstoff- und Calorieeneinnahme und -Ausgabe bei Müller. Periode II. — Arbeitsperiode von 6 Tagen. Einnahmen pro die. N-Gehalt Calorieengehalt in grm direct ermittelt Imaakesı. namen... no, 0930 928.23 Dsschinkeni . zen. Tan... 2.876 116.57 3. Chocolade . . A, 0.583 343.04 Das Uebrige wie in Periode I. Ausgaben pro die. Harn Koth N in grm Menge, lufttr. N Calorieen 1. Tag 10.80 Diier; 11-14 3 ” 10:86 rm grm Di Ara ge Da 10-37 BB; 10.92 Bilanz für Periode II. 1. N-Bilanz: Aufgenommen pro die 13.1165 sm N; resorbirt 11-618 2m = 83.58 Procent. lusseschieden mit/dem-Harnına .2...2.....21058167, + 0.8025 N 2. Calorische Bilanz: Aufgenommen pro die 3201-12 Cal.; resorbirt 3092.17 Cal. = 965 Procent. 310 A. LoEwy: Tabelle VII. Uebersichtstabelle für die Versuche an Müller. 20, 22.8] 5] ee , Körper- Zufuhr mit der Nahrung pro die | Resorbirte Mengen gewicht | En. | | % ko |. N |[Eiweiss| Ges.- Nh N-fr.\. N Eiweiss Proc. d. | 3 in grm in grm Calorien “in grm in grm | Zufuhr Ruheperiode . | 73-63 13-157 83-229 |atgr-s|l — | 11-36 | 70-938 | 86-34 Arbeitsperiode | 73-66 |13-116 182-969 [3201-1 — | 11-62 | 72-50 | 88-58 A 9 Ve rei :: 16 | : - || | Ausscheid. mit Ver d.Harn pro die : werthete| Bilanz N- |Fleisch- ansatz Resorbirte Mengen | _Ges.- | Proe. d. REN | . | bezw. ‚Calorien ‚Cal.-Zuf. A in grm | Cal. | Calorien | pro die |Apgabe Ruheperiode . |2647-47| 94-50 I — |11-e9 Be — Arbeitsperiode \3092-17 50 | — 110816 — nen | | | | | | bezw. | | | | +0+390 Aus den in vorstehenden Tabellen enthaltenen Daten ergiebt sich, dass von dem zugeführten Stickstoff in der Ruheperiode 86-34 Procent, in der Arbeitsperiode dagegen 88-50 Procent resorbirt wurden, von der eingeführten Gesammtwärmemenge in ersterer 94.5 Procent gegen 96.52 Procent in letzterer. Die an uns beiden gewonnenen Ergebnisse verlaufen also in demselben Sinne und sind geeignet, einander zu stützen. — Wichtiger als das Verhalten der Resorption ist aber die Art der Verwerthung des resorbirten Nahrungsantheiles in den beiden Perioden. Ir der Ruheperiode finden wir bei mir (Tabelle I) einen am ersten Tage erheblichen, bis zum dritten Tage sich vermindernden Stickstoff- verlust vom Körper. Resorbirt wurden pro Tag 10-3948”, in drei Tagen 31.182 srm N, abgegeben mit dem Harn 36-.324=m N, d. h. der Körper büsste 5-142sm N — 154 sm Fleisch in dieser Zeit ein. Da das Körper- gewicht um 350°” abnahm, muss auch noch ein Verlust an stickstoff- freiem Material zu Stande gekommen sein. Am vierten Tage befand sich der Körper annähernd im Stickstoff- gleichgewicht; es wurden im Harn 0°087em N weniger ausgeschieden als resorbirt waren. Auch das Sinken des Körpergewichtes setzte sich nicht fort. BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSÄTZ DES MENSCHEN. 311 Dem gegenüber sehen wir nun während der ganzen Arbeitsperiode eine positive Stickstoffbilanz, es wird an jedem Tage Stickstoff im Körper zurückgehalten. Betrachten wir den Verlauf der Stickstoffaus- scheidung, so zeigt sich bis zum dritten Tage ein leichtes Ansteigen, wobei jedoch nie die Menge des ausgeschiedenen N an die des resorbirten heran- reicht, dann wieder ein Absinken. Dieser Gang der N-Ausscheidung ist fast stets an arbeitenden Individuen, so, um mich auf die neuesten dies- bezüglichen Publicationen zu beziehen, von Caspari! am Hunde, von Bornstein? am Menschen gefunden worden. Von den pro die resorbirten 12-712” N wurden im Durchschnitt nur 11-115 mit dem Harne ausgeschieden, so dass pro Tag 1-595 sm N — 47.8:m Fleisch im Körper verblieben. — Diese Zahl ist allerdings nicht der ganz correcte Ausdruck für den Eiweissansatz, sie ist zu hoch, denn während des Marsches schwitzten wir und gaben somit auch durch den Schweiss noch N ab. Um diese Menge zu ermitteln, fingen wir an dem einen Marschtage den secernirten Schweiss in wollenem Unterzeug auf und bestimmten die darin enthaltene N-Menge. Wir gingen zu diesem Zwecke so vor, dass wir ein wollenes Hemd, Beinkleid und Strümpfe mehrere Tage lang in mehrfach gewechseltem, essigsaurem Wasser auswuschen und den N-Gehalt der Waschwässer feststellten. Im vorletzten Waschwasser fanden sich 15-10”: N, im letzten 13-8"e N. Die wieder getrockneten Sachen wurden dann während des einen Marsches getragen und dann von Neuem ihr N-Gehalt bestimmt. Es fanden sich nun 301-858 N in ihnen. Bringen wir davon die zuvor gefundenen 13.S®28 N in Abzug, so bleiben als vom Körper abgegeben 288": N. — Wenn wir diese für die Bilanz mit in Anrechnung bringen, so ermässigt sich der Stickstoffansatz auf + 1-307 ==, d. h. 39-2 sm Fleisch pro Tag, was in sechs Tagen 255 ®” Fleisch ergeben würde. Was die Deutung dieses Fleischansatzes betrifft, so wäre zunächst die Vermuthung zu berücksichtigen, dass die Nahrungszulage an den Marsch- tagen eine zu reichliche gewesen sei und dadurch schon eine Eiweiss- ersparniss hätte zu Stande kommen können. Die Berechnung ergiebt nun Folgendes: Wie erwähnt, wurden an den Marschtagen 3582.76 Cal. resorbirt; der Brennwerth des Harnes betrug 90-59 Cal., so dass der Körper 3492-17 Cal. zur Verfügung hatte, das sind gegenüber der in Periode I resorbirten Calorieenmenge + 859 Cal., oder rund + 860 Cal. ' Caspari, Ueber Eiweissumsatz und -Ansatz bei der Muskelarbeit. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXXII. S. 509. ?2 Bornstein, Eiweissmast und Muskelarbeit. Zbenda. 8.540. 312 A. Loewr: Nun brauche ich aber! für 1” Horizontalgang und Körperkilo 0.141 °® O0. Um meinen Körper, der marschfertig bekleidet, im Mittel 66.473 wog um 1” fortzubewegen, waren demnach 9.372 em O erforder- lich. Für 1m 9.372 Liter, für 20%w 187.44 Liter O. Nach den Daten für den Eiweissumsatz können wir annehmen, dass diese Menge nur zur Verhrennung von Fett und Kohlehydrat verwendet wurde; dann würde der Liter Sauerstoff etwa 4-8 Cal. geliefert haben und 187.44 Liter = 899-65, also rund 900 Cal. Diese Zahl erhöht sich jedoch nach den Erfahrungen von Zuntz-Schumburg” dann, wenn eine mittlere Geschwindigkeit von etwa 62” in der Minute überschritten wird, und steigt danach für mich, der ich 80% in der Minute zurücklegte, auf etwa 950 Cal. Diese Menge hätte also zugeführt werden müssen, um den durch den Marsch gesteigerten Energiebedarf zu decken. In Wahrheit wurden jedoch, wie vorstehend berechnet, S60 Cal. zugeführt, also 90 Cal. weniger als zur Deckung des Bedarfes erforderlich erschien. Nun ist aber zu bedenken, dass auch in der Ruheperiode, während der vier Stunden, die wir in der Marschperiode Arbeit durch Marschiren leisteten, ein gewisses Arbeitsquantum im Laboratorium geleistet wurde, das an den Marschtagen fortfiel. Um dieses Arbeitsquantum vermindert sich also der Energieverbrauch an den Marschtagen. Wie aus einer auf 8. 316 folgenden Berechnung hervorgeht, brauche ich für meine gewöhnliche Tagesarbeit 1295 Cal. über den absoluten Ruhe- werth. Diese Arbeit vertheilt sich auf 17 Stunden, so dass auf die Stunde 73 Cal. kommen, also für vier Stunden, die der tägliche Marsch dauerte, 292 Cal. Diese Zahl muss von dem oben für den Marsch berechneten Energiequantum von 950 Cal. abgezogen werden. Dann bleiben 658 Cal. als Mehrverbrauch während des Marsches, während 850 Cal. mehr zu- geführt wurden. Bei dieser Betrachtung übertraf also die Energiezufuhr das Bedürfniss um 192 Cal. Sonach wäre also die Möglichkeit gegeben, dass an dem an den Marsch- tagen erfolgten Eiweissansatz die etwas im Ueberschuss gereichte Nahrung Antheil hätte. Dass sie jedoch allein den Eiweissansatz bewirkt, kann man nicht annehmen. Abgesehen von dem relativ geringen Ueberschuss an Nahrung spricht hiergegen der Gang der täglichen Stickstoffausscheidung in der Marschperiode (vgl. Tabelle II). Anstatt, dass der Körper sich unter den neuen Ernährungsbedingungen in’s Stickstoffgleichgewicht zu setzen sucht, sehen wir vielmehr nach dem ! Vgl. Pflüger’s Archiv. Bd. LXVI. S. 498. ° Zuntz-Schumburg, Physiologie des Marsches. Berlin 1901. BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 313 anfänglichen geringen Anstieg ein vom dritten bis zum sechsten Tage sich steigerndes Bestreben Stickstoff zurückzuhalten, ein Verhalten, das dem allein durch die Aenderung der Ernährung bedingten Gange der Stickstoff- ausscheidung entgegengesetzt ist. Zweitens aber ist die Grösse des Eiweissansatzes auffallend verglichen mit dem Verhalten des stickstofffreien Körpermateriales. Wir fanden einen Nahrungsüberschuss von 192 Cal. pro die. An- gesetzt wurden 1.38" N entsprechend 45 Cal. Es bleiben danach 147 Cal. unverbrannt, die für einen Ansatz von stickstofffreiem Körpermaterial, also Fett, verfügbar waren. Sie entsprechen etwa 15 ®”® Fett. In sechs Tagen wären darnach 90 sm Fett angesetzt worden oder, wenn wir den Ansatz auf wasserhaltiges Fettgewebe berechnen: 100 em. Dem gegenüber haben wir einen Ansatz von 235 sw Fleisch, so dass in der Arbeitsperiode der Fleischansatz den Fettansatz erheb- lich übersteigt. Dies Ergebniss der Berechnung deckt sich nun genügend mit dem Resultate, das die Wägung des Körpers ergab. Auf Grundlage der Be- rechnung musste mein Körper zunehmen um 235 8% (Fleisch) + 100 =” (Fettgewebe) = 939 8”. Er nahm zu nach Aussage der Körperwägung um 210 e®. — Diese Differenz, die an sich schon innerhalb der Fehlergrenze liegt, verringert sich noch, wenn wir die Erfahrungen von Zuntz-Schum- burg! berücksichtigen, nach denen es durch Märsche zu einer Wasser- verarmung des Körpers kommt. — Die wesentliche Schlussfolgerung, die ich aus dem an mir angestellten Stoffwechselversuche ziehe, wäre die, dass der Eiweissumsatz durch die Muskelarbeit — abgesehen von der zweitägigen Uebergangsperiode — nicht gesteigert, vielmehr das Bestreben des Körpers, Eiweiss anzusetzen, an- geregt wurde. Im gleichen Sinne wie bei mir bewegen sich auch die Resultate der Versuchsreihe von Dr. Müller. Sie erfordern eine gesonderte Besprechung, da bei ihm nicht nur die Eiweisszufuhr noch niedriger war als bei mir, sondern an den Marschtagen in Folge falschen Voranschlages des Mehr- bedarfes für den Marsch, das gesammte Nahrungsquantum erheblich hinter dem Bedarf zurückblieb. Es empfiehlt sich zur Erleichterung des Vergleiches die einschlägigen Werthe pro Körperkilo zu berechnen, wie das in der folgenden Tabelle geschehen ist. ! Zuntz-Schumburg, a.a. 0. 8. 177 u. 178. 314 A. LoEewy: Tabelle VII. Uebersicht über die auf 1 Körperkilo reducirten Werthe. = Ile Zufuhr mit der ; Ausscheid. | ® ® NSES R 3 .ı-% © | 5 B Nahrung vesorbirte Mengen mitd.Harm| 23 | &= | | | } | n = | = A 2 Ei- ı Ei- | IMORS FED ie N ? N N I Ba Die ai weiss | Cal. |. weiss al. ||. len | ade | in grm in grm We Cal. in grm Sl so ER fe) | | > = I} | | Loewy: | Rubeperiode . | 59-80 | 0-232 |1-450 148.76 ‚0.159 1-366 45-5041 0-183 11-438 | 44-066 — Arbeitsperiode | 59-89 |0-251 |1-565 61-87) 0-228 1.424 59-86 |0-186.1-512 | 58-35 |+7-63 Müller: | | | | | | | Ruheperiode . 73.63 0.1787 11-1304, 37.99 |0-.1543|0-9635 35-9 0.1585 — | — (ln: Arbeitsperiode ı 73.66 | 0-1781 1-1268|43-46 0.1578 0-9855 41-9 0.1585 — ı — —_ ingrm | ingrm| — . | Es zeigt sich so, dass der Eiweissgehalt der Nahrung um 25 Procent pro Körperkilo niedriger liegt als bei mir und bei Ruhe und Arbeit so gut wie gleich bleibt. — Es ergiebt sich weiter, dass die Gesammtealorieen- zufuhr in der Ruheperiode weit hinter der bei mir zurückbleibt und selbst in der Arbeitsperiode nicht meinen Ruhewerth erreicht. Bei dieser Nahrung gab nun Müller in Periode I zunächst erheblich Eiweiss ab, war aber am vierten Tage in’s Stickstoffgleichgewicht gekommen. Das Körpergewicht war constant geblieben. Die abgegebene N-Menge beträgt 10-97 sm, entsprechend 329 sm Körperfleisch. Es wird, da das Körpergewicht constant blieb, etwas Fett noch angesetzt worden sein. Mit Beginn der Arbeitsperiode kehrt das Verhältniss sich um. Es tritt, wenn wir einfach die resorbirte Stickstoffmenge der im Harn aus- geschiedenen gegenüber stellen, nun ein geringer N-Ansatz von + 0.802 sm pro die, in sechs Tagen von + 4-812e” N ein. | Berücksichtigen wir allerdings auch hier die durch den Schweiss abgegebene N-Menge, so wird der N-Ansatz so gering, dass wir von dem Bestehen eines Stickstoffgleichgewichtes sprechen müssen. Der Wollanzug Müller’s (Hemd, Hose, Strümpfe, Sweater) gab bei der letzten Wäsche vor dem Marsch noch 11.72”ws N ab. Am Marsch- tage das Unterzeug 361-638, der Sweater allein noch 62.29ms, d. h. in Summa 423.92"»s. Davon ab die obigen 11-72 "s, bleiben als vom Körper abgegeben 412.2 "2 N im Schweisse. — Die positive N-Bilanz würde sich danach nur zu 802 — 412.2” — + 0.3898 "8 pro die stellen. Nun ergab aber eine der für mich oben ausgeführten analoge Rechnung, dass die Calorieenzufuhr an den Marschtagen, die dem Calorieenbedarf während des Marsches dienen sollte, hinter diesem um etwa 300 Cal. zurückblieb. Diese musste der Körpe: hergeben, und er musste somit, die abgegebene BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 315 Calorieenmenge auf Fett verrechnet, pro Tag 32-6 ®"” Fett, in sechs Tagen 195.68 m also rund 200 8m Fett abgeben. — Dieses Ergebniss der Be- rechnung kommt übrigens bei Müller in dem Resultate der Wägung nicht zum Ausdruck. Die Körpergewichtswerthe unterliegen — wohl in Folge unregelmässiger Stuhlentleerung — sehr starken Schwankungen. Trotz der gewiss sehr ungünstigen Ernährungsverhältnisse sehen wir auch bei Müller das Bestreben, Eiweiss während der Arbeitsperiode zurück zu halten, Fett dafür in vermehrtem Maasse abzugeben. — Der Reiz, den die Muskelarbeit ausübt, steigert im Muskel die Assimila- tionsprocesse, im stickstofffreien Körpermateriale die Dissi- milationsvorgänge — Ueber den Einfluss der Muskelarbeit auf den Eiweisszusatz liegt wenig exactes Material vor. In letzter Zeit haben Atwater und Benedict, Zuntz- Schumburg und dann Bornstein die Frage am Menschen, Caspari am Hunde studiert. Sie kamen zu dem gleichen Resultate wie ich selbst: längere Muskelarbeit begünstigt den Eiweissansatz. Das Resultat ist eigent- lich kein auffallendes, es ist ja nur der wissenschaftliche Ausdruck der alltäglichen Erfahrung, dass Individuen, die anstrengende Muskelarbeit leisten, allmählich Fleisch ansetzen, muskulös werden. Was viel eher auffallen könnte, ist, dass das Festhalten des Eiweisses noch erkennbar ist bei einer so geringen Eiweisszufuhr, die weit unter den Voit’schen Normen bleibt, selbst wenn in Rechnung gestellt wird, dass Voit seine Werthe für einen 70*® schweren Mann angiebt, während ich nur 60 = wiege, Müller wog dagegen sogar 73®. Die Versuchsreihen von Caspari und Bornstein erstrecken sich über längere Zeit als die vorstehend mitgetheilten. In ihnen ist der während der Arbeitsperiode erfolgte Stickstoffansatz ausgeprägter als bei mir. Aber in ihren Versuchen verhält sich der Umsatz der stickstofffreien Bestand- theile anders als in der mit mir angestellten Versuchsreihe. Berücksichtigt man in den Versuchen von Caspari und Bornstein den Gang des Körpergewichtes, das dem Eiweissansatz nicht parallel ging, sondern hinter ihm zurückblieb, so muss man schliessen, dass neben dem Biweissansatz eine Abgabe von Fett zu Stande kam. Das Resultat ist praktisch bedeutsamer, als meines, bei dem zur Erklärung der Ueberschuss an zugeführter Nahrung und die kürzere Dauer der Versuchsreihe heran- zuziehen ist. Fasst man die Calorieenmenge, die ich pro Körperkilo in Periode I erhielt, und bei der ich zunächst noch Körpermaterial hergab, um mich erst am vierten Tage in’s Gleichgewicht mit ihr zu setzen, näher in’s Auge, so könnte sie auffallend hoch erscheinen. Man nimmt im Allgemeinen 316 A. LoEwY: einen Bedarf von 35 bis 40 Cal. als genügend an, während bei mir 48-76 Cal. zunächst nicht genügten. Daraus muss man schliessen, dass ich jedenfalls für meine gewöhnliche Beschäftigung ein sehr erhebliches Energiequantum verbrauche — Mit Zuhülfenahme der Resultate früherer Versuchsreihen bin ich nun in der Lage, zahlenmässig anzugeben, wie gross der Energieverbrauch für meine gewöhnliche Thätigkeit, über den Verbrauch bei absoluter Körperruhe hinaus, ist. Ueber diese nicht allein theoretisch interessante, sondern auch vom Standpunkte der praktischen Ernährungslehre wichtige Thatsache liegen in der Litteratur nur sehr wenige exacte Angaben vor. Zunächst eine von Johannson!, der an sich selbst ein Plus von etwa 30 Procent an Energie- verbrauch bei seiner gewohnten Beschäftigung gegenüber Körperruhe fand. Dann zwei Werthe, die Zuntz-Schumburg an zwei ihrer marschirenden Soldaten erheben konnten. Der eine entsprach annähernd dem Johannson’- schen, er war 46 Procent Steigerung des Umsatzes, bei dem zweiten betrug diese jedoch + 73 Procent. Dazu käme endlich ein von Atwater und Benedict ermittelter Werth von + 80 Procent. Jedoch bezieht sich dieser nicht auf einen sich frei bewegenden Menschen, sondern auf den Aufenthalt in der calorimetrischen Kammer. Mein Werth liegt nun höher als alle genannten. Im Mittel aus acht Versuchsreihen, in denen mein Ruhegaswechsel bestimmt wurde, ergiebt sich ein Sauerstoffverbrauch von 198-7 «m pro Minute bei einer Kohlensäurebildung von 140.93 «w, Daraus berechnet sich unter Zuhülfenahme der Zuntz’schen Ableitungen über den Zusammen- hang zwischen dem Sauerstoffverbrauch und der Wärmebildung bei be- stimmten respiratorischen Quotienten (der sich in meinen Versuchen aus der gleichzeitig bestimmten Kohlensäurebildung ermitteln lässt)? ein Calorieen- umsatz von etwa 1541 Cal. für absolute Ruhe. Wenn ich also jetzt bei Ausübung meiner gewohnten Thätigkeit mit den laut Tabelle I verfügbaren 2654 Cal. mich in Gleichgewicht setzte, so habe ich für diese Thätigkeit 2634 — 1341 = 1293 Cal. gebraucht. Das sind etwa 48 Procent des Gesammtverbrauches, oder anders ausgedrückt, ich brauchte 96 Procent mehr als bei Körperruhe. Diese Zahl liegt demnach ziemlich erheblich oberhalb der höchsten der bisher gefundenen und zeigt, dass die Beschäftigung auch eines nicht professionellen Arbeiters, eines Menschen, der einem Stande angehört, den ! Johannson, Nord. med. Arkiv. Festband. (N.F. VIII). ® Zuntz, Ueber den Stoffverbrauch des Hundes bei Muskelarbeit. Pflüger’s Archiv. Bd. LXVIL. BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 317 man zu den mit „sitzender Lebensweise“ rechnet, einen beträchtlichen Kraft- verbrauch veranlassen kann. Für meine Person erklärt sich dieser hohe Verbrauch wohl daraus, dass ich lebhaften Temperamentes, etwas beweglich und unruhig bin und demnach mehr Energie aufwende, als es die betreffende Thätigkeit an sich erfordern würde. Temperament und Veranlagung müssen ja in diesem Punkte eine erhebliche Rolle spielen. Jedenfalls geht aus der Zusammenstellung der obigen Werthe hervor, dass man nicht ohne Weiteres aus dem absoluten Ruheverbrauch Schlüsse auf den Umsatz bei der gewohnten Thätigkeit ziehen, also auch die Nahrungs- zufuhr nicht danach bemessen kann. In der Einleitung wurde auf den sog. calorischen Quotienten des Harns Bezug genommen, d. h. auf das Verhältniss von Stickstoff- gehalt und Brennwerth des Harnes. Diesem Quotienten kommt darum eine gewisse Wichtigkeit zu, weil er unter normalen Verhältnissen Rückschlüsse auf die Art des im Körper verbrennenden Materiales zulässt, und weil es vielleicht möglich sein wird, durch ihn Einblicke in pathologische Aenderungen des Stofizerfalles zu erhalten. Ausser den Tangl’schen Werthen liegen für den Menschen, so weit mir bekannt, weitere nicht vor, und ich möchte deshalb die in unseren Versuchen gefundenen hier zusammenstellen. Sie könnten als Material für weitere Ableitungen dienen, das sich darum besonders brauchbar erweisen dürfte, weil der calorische Quotient einem in Bezug auf seine stickstoff- haltigen und stickstofffreien Bestandtheile bekannten Nährstoffsemenge, das vom Darme resorbirt wurde, gegenüber gestellt werden kann. Tabelle IX. Calorische Quotienten des Harnes. In dem Von den auf- IR resorbirten || genomm,. Cal. u Nahrungs- entfallen auf : | antheil | Fett a = Nh Ni Bine. || Dan. I Bemerkungen Ruhe i 8-50. 60-5 | 39-5 || 8-34 Arbeit : 9-68 | 57-5 | 42-5 | 8-15 7-1 | 1 Loewy ui 5 Periode I | 1: 9.05 | 52-9 | 47-1 | 9-76 | N-reichere vgl. 1 1 Caspari | EC 10:00 — || 7-77 | N-ärmere Tab.IV Zuntz 20T 1018:0265180 | 50-0 | 50-0 ı 8-81 ” 318 A. Lorwy: Aus den fünf Werthen ergiebt sich, dass der calorische Quotient bei unserer gemischten Nahrung im Mittel 8-56 betrug. Diesem Mittel- werthe liegen die von Prof. Zuntz und mir gefundenen Einzelwerthe sehr nahe, die Caspari’schen weichen etwas weiter ab, der eine nach oben, der andere nach unten. Eine nähere Erläuterung der Werthe möchte ich vorläufig nicht geben, da für bestimmte Schlüsse das Material noch nicht ausreicht. — Da jedoch der Antheil, den Fett und Kohlehydrate an der Nahrung haben, sich von Einfluss auf den calorischen Quotienten erweisen dürfte, habe ich eine dahingehende Rechnung für unsere Nahrung ausgeführt und deren Ergeb- nisse mit in die vorstehende Tabelle aufgenommen. Im Fleisch, Schinken, in der Butter und Chocolade war der Fettgehalt direct bestimmt, für Reis, Weissbrod, Cakes wurden Mittelwerthe angenommen. Bei der geringen Fettmenge, die letztere Substanzen enthalten, kann die dadurch entstehende Unsicherheit nicht in’s Gewicht fallen. Der calorische Werth des Alkohols im Biere wurde dem Fett, des Bierextractes den Kohlehydraten zugerechnet. Bevor ich die Betrachtung unseres Kraft- und Stoffumsatzes verlasse, möchte ich noch kurz einen Befund erwähnen, der an Hrn. Prof. Zuntz erheben worden ist und sich auf die Ausnutzung der Nahrung bei Somatoseaufnahme bezieht. Prof. Zuntz nahm während der ersten sieben Tage, die er im Stoff- wechselversuch war, eine der unserigen ganz analoge Nahrung, die 13-32 s= N enthielt und deren Brennwerth 2596 Cal. betrug. Am achten bis zehnten Tage wurden 3-85 8” N (die in 100: Schinken enthalten waren) ersetzt durch die entsprechende Menge Somatose, so dass etwas weniger als ein Drittel des gesammten Stickstoffes in der Somatose geliefert wurde. Während dieser Periode war nun die Nahrungsausnutzung eine schlechtere, als in der vorhergehenden ohne Somatosebeigabe, ein Ver- halten, das ja gerade bei der Somatose häufig constatirt worden ist und zu erwarten war. Sie hatte übrigens nicht, wie nicht selten zu beobachten, zu Diarrhöen, sondern nur zur Entleerung weichen Stuhles geführt. Tabelle X. | N-Gehalt des | Fettgehalt des | \ | Kothes pro die | Kothes pro die | ae | in grm in ermi. | Fleischperiode . a 125 2:20. | Moe Somatoseperiode . . .. | 2.42 2.52 | 138-1 BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 319 Wie die Zusammenstellung in Tabelle X ergiebt, stieg als Ausdruck der verschlechterten Gesammtausnutzung der Brennwerth des Kothes von 103-8 auf 158-1 Cal., also um 34-3 Cal. Die Fettausnutzung hat dabei so gut wie gar nicht gelitten, wohl aber war die Verwerthung der stickstoffhaltigen Substanz eine wesentlich schlechtere: anstatt 1-48 wurden 2.42 sm pro die mit dem Koth entleert. Dabei gab der Koth eine sehr intensive Albumosereaction, die nicht nur während der Darreichung der Somatose selbst zu erzeugen war, sondern nach erfolgter Abgrenzung noch zwei Tage, allmählich an Stärke abklingend, beobachtet wurde, um dann ganz zu verschwinden. Die vermehrte Stickstoffausscheidung hängt also jedenfalls mit nicht resorbirter Somatose zusammen. Dabei ist es nun auffallend, dass der Stickstoffgehalt des Kothes um etwa 1’”m zunahm und der calorische Werth um so viel, wie dem Brennwerth dieses Grammes N, wenn man es auf Eiweiss bezieht, entsprechen würde, nämlich um etwa 35 Cal. Es liegt demnach nahe zu schliessen, dass die verschlechterte N-Aus- nutzung allein auf die nicht resorbirte Somatose zu beziehen ist, während die Ausnutzung des übrigen N-haltigen Materiales, ebenso wie die des Fettes, nicht vermindert war. — Jedenfalls konnte die Beeinträchtigung des nicht als Somatose eingeführten Nahrungsstickstoffes nur eine gering- fügige sein. Das eigenthümliche Verhalten der Somatose, die Tage lang im Darme blieb, ohne resorbirt zu werden, wird Gegenstand weiterer Untersuchungen werden. Ich will zum Schlusse noch einige Daten aus den an Müller und mir angestellten Versuchen geben, die die sog. Perspiratio insensibilis betreffen. Wir haben während der Marschtage uns täglich sowohl unmittelbar vor wie nach dem Marsche auf einer noch Gramme sicher anzeigenden Waage gewogen, und zwar sowohl nackt wie marschfertig bekleidet. Wenn wir die auf dem Marsche aufgenommene, ihrem Gewicht nach bekannte Nahrung in Rechnung zogen, so konnten wir aus den gewonnenen Gewichts- zahlen einmal den Gewichtsverlust, den der Körper durch Haut und Lunge erlitten, feststellen, sodann aber auch berechnen, wieviel von dieser als Wasser anzusehenden Abgabe, soweit sie die Haut betrifft, denn wirklich verdunstet ist, also der Wärmeregulation zu Gute kam, wie viel dagegen von der Bekleidung aufgenommen und von ihr zurückgehalten wurde. — Dabei ergab sich nun, dass unsere Kleidung von Tag zu Tag in ziemlich weiten Grenzen schwankende, aber in jedem Falle eine erhebliche Wassermenge zurückhielt. Wir trugen unter unserer Öberkleidung einen dünnen Tricotanzug, der nur in der Achsel nass war, sonst sich dagegen 320 A. LoEwy: kaum feucht anfühlte. Eine lebhaftere Schweissentwickelung hatte nicht stattgefunden; die Haut fühlte sich am Ende des Marsches feucht an, ohne jedoch mit Schweisstropfen bedeckt zu sein. Die genaueren Daten giebt für meine Person die Tabelle XI. Tabelle XI. Verhalten der Perspiratio insensibilis während des Marsches bei Loewy. | Gesammt- Wasserabgabe | In der Kleidung blieben | wasserverlust von der Haut, Proe. dr | Proc. der Datum ‚beim Marsche beim Marsche | erm |, Gesammt: | Wasserabgabe I Senn. 1 un | abgabe | von der Haut 18.X0. | 652 sau „197 19-5... 2 043 19. | 750 625 I | 20. | 613 498 I 393 64-1 I. 7 8lu6 21. | 547 422 812, || 10 93-1 22. | 688 513 iss | sa ee 23. | 655 530 a 67-0 Aus ihr ergiebt sich, dass die grösste Wassermenge am 19. XII. mit 750 «m vom Körper abgegeben wurde, die geringste am 21. XII. mit 547 cm. In den Kleidern verblieb am meisten Wasser am 20. XII. mit 393 c, am wenigsten am 18.XII. mit 127 cm, Procentisch blieb am wenigsten zurück, die Verdunstung war also am ausgiebigsten am 18.XII., wo 19-5 Procent der gesammten Wasser- abgabe der Verdunstung entgingen, am ungünstigsten war sie am 21.XIl. wo 71.8 Procent in der Bekleidung blieben. Bringen wir die während des Marsches erfolgte Wasserabgabe von den Lungen in Abzug, berechnen also die allein von der Haut abgegebene Wassermenge, so ist das Verhältniss natürlich noch weit ungünstiger. Es handelt sich hier natürlich nur um Näherungswerthe, die jedoch bei der Grösse der Differenzen ein genügendes Bild geben. Zur Berechnung brauchen wir die Athemgrösse pro Minute während des Marsches, die ich nach zahlreichen Erfahrungen zu 15 Liter pro Minute annehmen kann. Die Temperatur der Einathmungsluft lag um 5° C., ihre relative Sättigung war gegen 75 Procent. Die Ausathmungsluft nehmen wir zu 37° C. mit voller Wasserdampfsättigung an. Dann wurden in 4 Stunden etwa 1258" Wasser durch die Lungen abgegeben. — Ziehen wir diese von der Gesammtmenge ab, so bleiben für die Haut am 18. XIl.: 527 =, am 21.XIl.: 422 cm, ID — BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ DES MENSCHEN. 3 Davon verblieben in der Bekleidung am 18. XIIl.: 24.3 Procent am 21.XII: 93.1 Procent. Aehnlich liegen die Verhältnisse für Dr. Müller; die für ihn gültigen Werthe sind in Tabelle XII vereinigt. Tabelle XII. Verhalten der Perspiratio insensibilis während des Marsches bei Müller. b | Gesammt- |Wasserabgabe In der Kleidung blieben Dann wasserverlust von der Haut| | Proc. der | Proe. der beim Marsche | beim Marsche orm Gesammt- | Wasserabgabe ın grm ın grım abgabe ı von der Haut 1] 1 LBCXIE | 967 | 842 Is 141 14-6 16-7 a 696 | 571 I) er ee 48-3 200 Ss0r | 855 | 368 37-0 42-4 Allan | 1073 | 948 | 474 442 49.9 || 822 | 697 Im eile) 23... des ss. 380 43-3 51-7 Im günstigsten Falle blieb bei ihm von der Gesammtmenge des abgegebenen Wassers in der Kleidung: 14-6 Procent, im ungünstigsten: 44.2 Procent. Von dem von der Haut verdampften Wasser blieb in der Bekleidung 16-7 bis 51-7 Procent. — Des Vergleiches wegen gebe ich die analogen Werthe, die Zuntz- Schumburg an ihren marschirenden Soldaten gefunden haben. Die Märsche fanden in der warmen Jahreszeit statt, und die absoluten Wassermengen, die abgegeben wurden, übertrafen die unserigen um ein Vielfaches. Es verblieb von dem von der Haut abgegebenen Wasser in der Kleidung bei: . Person 1 30.8 Procent, ee) u N As 5 Sowohl der niedrigste wie der höchste Werth liegen den von uns gefundenen nahe. Das Wasser, das sich in den Kleidern niederschlägt, geht nicht nur selbst für die Zwecke der Wärmeregulation verloren, sondern es beschränkt noch die weitere Wasserverdunstung von der Haut in doppelter Weise, Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 21 322 A. LoeEwy: BEITRÄGE ZUM STOFF- UND ENERGIEUMSATZ U. S. w. nämlich dadurch, dass es die Wasserdampfspannung der Luftschichten zwischen Haut und Kleidern steigert, und dadurch, dass es den Luftwechsel durch die Kleider hindurch beeinträchtigt. — Die wenigen Daten, die uns bis jetzt die Untersuchung der insensiblen Perspiration geliefert hat, sind, glaube ich, theoretisch und praktisch — für die Hygiene der Kleidung — wichtig genug, um weiter verfolgt zu werden, und speciell dürfte ihre Feststellung im Hochgebirge: zu interessanten Differenzen, die das Höhenklima gegenüber dem Niederungsklima in dieser Hinsicht aufweist, führen. Ein Beitrag zur Frage der Ernährung bei verringerter Eiweisszufuhr. Von Dr. W. Caspari, Assistent. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Professor Zuntz, Professor Loewy, Dr. Müller und ich haben Selbstversuche unternommen, um als Vorbereitung für ausgedehntere Unter- suchungen unseren Stoff- und Kraftwechsel bei verschiedenen Lebens- bedingungen kennen zu lernen. Hr. Professor Loewy hat bereits über den Theil der Selbstversuche berichtet, welche er in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Franz Müller über die Einwirkung der Muskelarbeit auf den Kraft- wechsel unternommen hat. Da nun Hr. Professor Zuntz und ich genöthigt waren, während des Marsches der Hrn. Loewy und Müller die nothwendige Laboratoriumsarbeit zu verrichten, so wählten wir andere Themata, um sie zum Gegenstande unseres Selbstversuches zu machen. Denn da wir gerade während des Marsches jener Herren intensiv thätig waren, konnten unsere Versuche nicht als Controlversuche gegenüber den Arbeitsversuchen von Loewy und Müller dienen. — Nach den interessanten Resultaten von Siven, auf welche später genauer eingegangen werden wird, lag es nahe, die Frage nach der Ernährung bei verringerter Eiweisszufuhr bezw. dem Eiweissminimum in der Nahrung einer erneuten Untersuchung zu unterziehen, besonders auch deswegen, weil ich als Erster in der Lage war, nicht nur den Stoffwechsel, sondern auch den gerade für diese Frage so äusserst wichtigen Kraftwechsel durch calorimetrische Untersuchungen festzustellen. Bekanntlich hat Voit „nach vielen Versuchen und Erhebungen“ ein durchschnittliches Kostmaass für verschiedene Volksclassen aufgestellt, bei 216; 324 W. CASPART: welchem die Grösse der Arbeitsleistung als Eintheilungsprincip dient. So hält er für den erwachsenen Mann von rund 70*® Gewicht bei mittlerer Arbeit 118 sm Eiweiss, 56 == Fett und 500 sm Kohlehydrate für er- forderlich. Durch J. Ranke, Beneke, Pflüger und Bohland, Bohland und Bleibtreu, Nakahama, Hirschfeld, Voit selbt, Kumagawa, Klemperer, Peschel wurde jedoch der sichere Nachweis erbracht, dass ein gesunder, kräftiger Mann bei mittlerer Kost auch mit weniger Eiweiss in der Nahrung auszukommen vermag. Von diesen Arbeiten bringen diejenigen von Pflüger und Bohland', Bohland und Bleibtreu? Nakahama? im Wesentlichen statistisches Material, indem diese Forscher den Eiweissumsatz einer grösseren Anzahl von Menschen bei freigewählter Kost feststellten. Sie fanden, dass der mittlere Eiweissumsatz niedriger lag, als Voit es angenommen hatte. — Den gleichen Weg schlug Hamilton ©. Bowie* auf Veranlassung von Voit ein. Er stellte fest, dass der Eiweissumsatz seiner Versuchspersonen das Voit’sche Kostmaass theils überschritt, theils hinter demselben zurückblieb, so dass als mittlerer Werth die Voit’sche Zahl als zu Recht bestehend angesehen werden könne. Der Kategorie dieser Arbeiten schliesst sich wohl auch ein Vortrag von Bälz-Tokio in der Berliner medicinischen Gesellschaft an, der leider bisher nur auszugsweise in einem Berichte der „Deutschen Medicinal-Zeitung“ vor- liegt. In diesem Vortrag führte der Redner aus, dass die vegetarische Kost, bei welcher sich die unbemittelte Binnenbevölkerung Japans kräftig und leistungsfähig erhält, 20 bis 30 Procent weniger Eiweiss enthält, als die von Voit postulirte Menge beträgt. Hier kommt allerdings die Kleinheit und das geringe Gewicht der Japaner in Betracht. Die übrigen Arbeiten sind Stoffwechselversuche, welche weniger die Frage nach dem mittleren Eiweissbedürfnisse des Menschen als vielmehr diejenige nach dem Mindestmaass des Eiweisses in der Kost zum Gegen- stande haben. — Es erübrigt sich für mich, auf diese Litteratur im Einzelnen näher einzugehen, da Siv@n° in seiner bereits erwähnten Arbeit einen ausführlichen kritischen Ueberblick über dieselbe gegeben hat und ich genöthigt wäre, Vieles von dem Gesagten zu wiederholen. Nur einzelne Punkte möchte ich erwähnen: Den niedrigsten Werth für das Eiweiss- ! Pflüger’s Archiv. Bd. XXXVI. S. 165. ? Ebenda. Bd. XXXVIl. S.1. ° Archiv für Hygiene. Bd. VII. S. 98. * Zeitschrift für Biologie. Bd. XV. 8. 459. > Skandinavisches Archiv für Physiologie. Bd.X. 8.91. ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. 325 minimum scheint Klemperer! erreicht zu haben, dessen beide Versuchs- personen mit nur 528°" N am dritten bezw. sechsten Tage in’s Stickstoff- gleichgewicht kamen. Ja, die eine derselben, ein 25 jähriger Laboratoriums- diener, hielt im Laufe des Versuches steigende Mengen Stickstoff im Körper zurück. In diesem Versuche war aber die Gesammtnahrungszufuhr eine ganz kolossale. Sie betrug 332% Eiweiss, 264m Fett, 470.4 sm Kohle- hydrate und 172m Alkohol. Die Elemente dieser Nahrung bestanden aus Brod, Butter, Traubenzucker, Bier, Cognac, etwas Kaffee und Bouillon, welche 2-5®m Fleischextraet und 108m Kochsalz enthielt. Ich berechne die Gesammtzufuhr auf etwa 5406 Cal., d. h. bei einem Körpergewicht von 64 bezw. 65°, 84 bezw. 83 Cal. pro Kilo Körpergewicht. (Siven hat die Energiezufuhr wesentlich niedriger berechnet.) Es scheint dies darauf hin- zuweisen, dass gerade bei einer sehr erheblichen Nahrungszufuhr der niedrigste Werth für das Eiweissminimum erreicht werden kann. Die gleiche Anschauung mussten auch die Versuche von Kumagawa? erwecken. Vergleicht man dort Versuch III und V, so findet man, dass bei fast gleicher Eiweisszufuhr das Resultat ein ganz verschiedenes war, je nachdem 39 oder 52 Cal. pro Kilo Körpergewicht eingeführt wurden. Im ersteren Falle wurden täglich 7.88®8”% Eiweiss vom Körper abgegeben, im zweiten pro Tag 4®m Eiweiss angesetzt. Eine ganz ähnliche Beobachtung machte I. Munk? am Hunde, und man konnte daher diesem Autor nur beipflichten, wenn er den Schluss zog, „dass bei eiweissarmer Kost zur Erhaltung des Körperbestandes der Ge- sammtinhalt an potentieller Energie in der Nahrung grösser sein muss als bei eiweissreicher Kost“, Die Ueberlegung, dass in den früheren Versuchen die niedrigsten Werthe für das Eiweissminimum nur bei allgemeiner Ueberernährung erreicht wurden, war es nun gerade, welche Siven zu dem Versuche ver- anlasste, bei möglichst gleichmässiger Calorienzufuhr das Eiweiss in der Kost allmählich zu vermindern. Die sehr sorgfältigen Untersuchungen Siven’s wurden im Laboratorium von Tigerstedt ausgeführt. Als Versuchsperson diente der Verfasser selbst. Der Versuch umfasst sechs Serien, in denen dem Plane ent- sprechend annähernd die gleiche Anzahl Calorien zugeführt wurde. Der Wärmewerth der Nahrung ist nach den Rubner’schen Standardzahlen be- rechnet. Der Gang der Untersuchung wird wohl am besten aus der folgenden Tabelle klar, in welcher die Kost für alle Serien zusammengestellt ist: 1 Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. XVI. 8. 550. ®? Virchow’s Archiv. Bd. CXVI. S. 370. 3 Ebenda. Bd. CXXXI. S.91. 326 W. CAsPART: | = | Kohle- | Serie | ei Ä N | Aa | hydrate | Alla] ı Calorien er Tage | | | = 2 | ame |). | N || | I 7 \ 12-69 113-4 | 243-6 14-3 || 2479-4 lIa 3 10-44 111-3° | 265-9 14-3 2492-8 Ilb 6 10-35 117-1 256-3 14-3 2504-9 II 6 8.71 115-8 267-8 143 2486-0 IV 6 6%6 | 118-1 284-1 14+3 2477-0 V 4 4-52... 116-0 290-3 14-3 24442 VI | 7 2-43 | 51-2 398-8 39-6 24408 Was die Stickstoff’bilanz betrifft. so wurde in Periode I bis III augen- scheinlich Eiweiss im Körper zurückbehalten. In Serie VI dagegen wurde Tag für Tag mehr Stickstoff ausgeschieden, als in der Nahrung verabreicht wurde. Siven sieht den Grund hierfür in einer ungleichmässigen Ver- theilung der Calorienzufuhr während des Tages, in der grossen Menge Alkohol und der schlechteren Ausnutzung der Nahrung. Er hält nicht für ausgeschlossen, dass er sich bei längerer Dauer des Versuches doch schliesslich in Stickstoffgleichgewicht gesetzt haben würde, und verweist darauf, dass die Bilanz sich in den letzten drei Tagen dem Nullpunkte nähert. — Wenn der Autor aber auch zugiebt, dass er sich in der Serie VI nicht mehr hat in Stickstoffgleichgewicht setzen können, so nimmt er andererseits für erwiesen an, dass er in der V. Serie bei einer Stickstoff- zufuhr von 4-52 sm pro Tag diesen Normalzustand des Organismus erreicht hat. Ich kann jedoch diese Annahme als berechtigt nicht anerkennen. Die Bilanz dieser leider nur vier Tage umfassenden Reihe stellt sich nämlich tolgendermaassen: Tao 20-7) 2m N De , 3. ” == 9.0 a) AS an :0A ,, 0, Man sieht, dass die Einfuhr erst am letzten Tage den Umsatz deckte. Aber abgesehen davon, dass eine so geringe Zahl doch sicher innerhalb der Fehlergrenzen der Methode liegt, muss man nicht vergessen, dass bei Stoff- wechselversuchen am Menschen die Höhe der Bilanz stets durch den Stick- stoffverlust im Schweiss, Epidermisschuppen u. s. w., Factoren, welche unserer Untersuchung gemeinhin entgehen, mehr oder weniger herabgedrückt wird. So hat Kramer! die aus dem Schweiss in die Kleidung übergehende Stickstoffmenge selbst bei Ruhe in kühler Temperatur auf etwa 13” pro ! Archiv für Hygiene. Bd.X. 8. 231. ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. 327 Tag angegeben. Bei Arbeit wird dieselbe aber sehr beträchtlich vermehrt, wie die Untersuchungen von Argutinsky! und die Versuche von Zuntz und Schumburg? an marschirenden Soldaten, sowie auch die neuesten Erfahrungen von Loewy und Müller beweisen. Die Möglichkeit, dass in der That am vierten Tage dieser Reihe Stickstoffgleichgewicht bestand, will ich nicht leugnen, der Beweis wäre aber nur durch eine weitere Aus- dehnung dieser Serie zu erbringen gewesen. Sicher im Stickstoffgleichgewicht hat sich Siven nur noch in der IV. Serie bei einer Zufuhr von 6-.268"m Stickstoff befunden. Er wog während diese Versuchsreihe 59.7*:. Die Nahrung enthielt also pro Kilo Körpergewicht 0-1s”® N und bei einer Gesammtzufuhr von 2477 Cal. etwa 41 Cal. pro Kilo Körpersubstanz. Dieses Eiweissminimum würde also etwas höher liegen, als dasjenige der Versuchspersonen von Klemperer, welche mit 0-08: Stickstoff pro Kilo, allerdings bei einer Gesammtzufuhr von 83 Cal. pro Kilo Körpergewicht in’s Stickstoffgleichgewicht kamen. Erwähnen möchte ich schliesslich noch, dass Siven im Verlaufe seines Versuches an Körpergewicht verlor, und zwar in 39 Tagen 2-8 Kilo. Da ein Verlust von Eiweisssubstanz nicht statt hatte, so muss dieser Gewichts- verlust auf Fett oder Wasser bezogen werden. Das Beachtenswerthe an der Arbeit Siven’s ist also, wie ich meine, nicht, dass das Eiweissminimum absolut besonders niedrig liegt, sondern vielmehr, dass es gelang, mit einer sehr geringen Menge Eiweiss in der Nahrung das Stickstoffgleichgewicht zu erreichen, während die Energiezufuhr in der Gesammtkost nur knapp den Bedarf deckte. Hierbei musste es natürlich von grosser Wichtigkeit sein, auch den Energieumsatz durch exacte calorimetrische Messungen festzustellen, da die Rubner’schen Zahlen doch immer nur angenäherte Durchschnitsswerthe repräsentieren. Da ich in der glücklichen Lage war, eine derartige Untersuchung ausführen zu können, so durfte ich hoffen, durch einen solchen Versuch ein Weiteres zur Klärung der Frage nach dem Stoff- und Kraftumsatz bei verminderter Eiweisszufuhr beizutragen. Als Versuchsperson diente ich selbst. Ich bin 29 Jahre alt, 1.73" gross, mein Nacktgewicht betrug am Beginne des Versuches 66-25‘. Mein Knochenbau ist gracil, weder Musculatur noch Fettpolster sind stark entwickelt. . Der gesammte Versuch dauerte 10 Tage und zerfiel in zwei Stägige Perioden. Ich genoss in der ersten Periode annähernd die gleiche Nahrung, wie Loewy, also: ı Pflüger’s Archiv. Bd. XLVI. 8.594. ” Physiologie des Marsches. Bibliotheks von Coler. Bd. VI. 8.198 ft. 328 W. Caspart: 3 Weissbrode („Schrippen“), deren Gewicht für jeden Tag festgestellt wurde, 125 =” Butter, 100m Schinken, 100 em Cakes, 60 8m Reis, 125 sm Hackfleisch, 3 Flaschen Bier („Hochschulbräu“ der Versuchs- und Lehrbrauerei), 2 Tassen Kaffeeinfus mit gewogenen Mengen Zucker. Von den einzelnen Bestandtheilen der Nahrung wurden exacte Durch- schnittsproben genommen und in ihnen der Stickstoff nach Kjeldahl, sowie der Wärmewerth mittels der Berthelot’schen Bombe bestimmt. Ebenso wurde im Harn und Koth Stickstoff- und Caloriengehalt festgestellt. Zu Beginn des Versuches grenzte ich den Koth mittels Kohle ab, doch entsprach dieses Verfahren nicht völlig den Anforderungen; ich ver- suchte daher den Koth der ersten Periode gegen die zweite mittels Kiesel- säure abzugrenzen. Diese Methode versagte leider völlig. Nur dem Um- stande, dass am 2. Tage der II. Reihe kein Stuhlgang erfolete, ist es zu danken, dass ich den Koth der beiden Perioden mit einiger Sicherheit trennen konnte, indem ich den am 1. Tage der II. Reihe entleerten noch der I. Periode, den vom 3. Tage der II. Periode zugerechnet habe. Die Sehlussabgrenzung wurde mittels Preisselbeeren ausgeführt, obgleich auch diese Art der Abgrenzung nicht ganz exact ist, da sich im Darmcanal die Cellulosehüllen der Beeren stets etwas vorzuschieben pflegen. Die calori- metrischen Bestimmungen sind jedoch stets in absolut sicherem Kothe, welcher keine Beimengsungen von Abgrenzungssubstanz enthielt, ausgeführt worden. Die Fäces wurden unter Zusatz von etwas Salzsäure, um einen Stickstoffverlust zu vermeiden, im Vacuum bei 50 bis 60° C. in kurzer Zeit getrocknet. Im Durchschnitt wurden während der I. Periode pro Tag verabfolgt: 13.26 2m N = 82.87 sm Eiweiss (N x 6-25) und 3186-9 Cal. Dabei schwankte in Folge des verschiedenen Gewichtes der Schrippen, sowie der verschiedenen Mengen Bier und Zucker Stickstoffgehalt wie Calorien- zufuhr in engen Grenzen. Die niedrigste N-Zufuhr betrug 13-01, die höchste 13.41 =”, Der niedrigste Wärmewerth der Nahrung dieser Tage war 3096 Cal., der höchste 3269 Cal. Die 13-26 2m Stickstoff entsprechen etwa 464 Cal. Der Antheil des ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. 329 stickstoffhaltigen Materiales an der Gesammtenergiemenge der Nahrung verhält sich also zu dem des stickstofffreien wie 464:2723 oder 1:5.9.! Die Stickstoffausscheidung im Urin gestaltete sich wie folgt: Me... B.36emun TO, Sn Na AT RI. SDR 109 SON 11.00, 008 Also pro Tag im Durchschnitt 11.856 =” N. Der Wärmewerth des Harnes wurde pro Tag zu 115.8 Cal. ermittelt. Der Koth dieser Tage wog trocken 83-49” und enthielt 5.78" N, also pro Tag im Mittel 1-16&® N. Der Wärmewerth des Gesammtkothes dieser Periode wurde zu 413-8 Cal. festgestellt, also pro Tag im Mittel 82.8 Cal. Von den 413.8 Cal. entsprechen dem Fettgehalte des Kothes etwa 225 Cal., also etwa 54 Procent. Die Ausnutzung des Stickstoffes war im Mittel pro Tag der I. Periode folgende: Gegeben in der Nahrung im Mittel pro die 13-.26®m N davon im Koth, also nicht resorbirtt . . 1-16 „„ Also resorbirt 12-102 N = 91-25 Procent. Die in der Nahrung enthaltene Energiemenge wurde im Organismus in folgender Weise verwerthet: Gegeben in der Nahrung im Mittel pro Tag 3186-9 Cal. davon im Koth, also nicht resorbirtt . . . SO Resorbirt 3104-13 Cal. = 97-4 Proc. In diesen 3104-13 Calorien verhält sich also der Antheil des stick- stoffhaltigen Materiales zu dem des stickstofffreien wie 424:2680 oder wie 1:6°3. Es wurde sowohl das Eiweiss der Nahrung wie die gesammte Energie- zufuhr ganz vorzüglich ausgenutzt. Da, wie gewöhnlich, die Fette und Kohlehydrate besser resorbirt wurden als das Eiweiss, so wird das Nähr- stoffverhältniss im resorbirten Material ein weiteres als in der ursprüng- lichen Kost. ! Das Verhältniss N-h.: N-fr. ist in diesem Falle nicht identisch mit dem Werthe, den man gewöhnlich als ‚„Nährstoffverhältniss“ bezeichnet. Bei der Bestimmung des letzteren wird nur der Energiewerth der stickstoffhaltigen Stoffe in Rechnung gestellt, der dem Organismus wirklich zur Verfügung steht, nach Abzug des in Harn und Koth dem Körper entzogenen Antheiles. In obiger Rechnung dagegen wurde der gesammte calorische Werth des Nahrungseiweisses in Betracht gezogen. 330 W. CASPART: Als Stickstoffbilanz ergiebt sich während der Gesammtperiode für den Tag im Durchschnitt: Resorbirio ne ss me: 12.105 m N Imlnm ER 2 en. la + 0.24s5m N Da 0.24 em N sehr gut dem täglichen insensiblen Verluste ent- sprechen können, habe ich mich während der I. Periode scheinbar im Stick- stoffgleichgewicht befunden. Stellen wir aber die Bilanz der einzelnen Tage in der üblichen Art zusammen, dass der Koth gleichmässig auf alle Tage vertheilt wird, so zeigt sich, dass am 1. Tage ein nicht unerheblicher Ver- lust an stickstoffhaltiger Substanz statthatte. Derselbe war dadurch ver- ursacht, dass meine Diät vorher eiweissreicher war. Schon am 2. Tage jedoch trat Stickstoffgleichgewicht ein, und am 4. und 5. Tage zeigte sich sogar eine deutliche Tendenz zum Eiweissansatz. Stickstoffbilanz der einzelnen Tage der I. Periode. 4 December. a... een] 9: Ms Se N ee 16. " Be oe E00 25)... 1a & A. 2 De 18. ee N loiern ... Die tägliche Bilanz des Kraftwechsels während der I. Periode gestaltet sich im Durchschnitt folgendermaassen: Gegeben“. ee. EEE SCI ER GA Im» Koth 2: Zr ze SAL T Resorbirt- s..): rin. 2.20 Ims klaren ® 3 ne TE Dem Körper zur sung 2 79988:55 Cal, Das Körpergewicht hielt sich im Grossen und Ganzen auf der- selben Höhe: 14. December) ua mr Dar ıl% K. Ba 2 are 201 03:11. 16. 3 1. nern 10 De ılrls r ER, N 0 002 De 18. ll. 19. Sn 66.0908 Das mittlere eh eh Ale 66.06", ! Der 19. December ist der 1. Tag der II. Periode. Da zur Zeit der Wägung eine wesentliche Aenderung in der Diät gegenüber der I. Periode noch nicht statt- hatte, so hielt ich es für richtig, diese Wägung der I. Periode zuzurechnen. ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. 331 Da die 0.24% N dem insensiblen Verluste entsprechen, auch sonst, wie das Körpergewicht zeigt, kein wesentlicher Verlust statthatte, so war ich also im Grossen und Ganzen während der I. Periode vollkommen im Gleichgewichte der Ernährung. Es ist vielleicht von Interesse, einige der oben gegebenen Werthe auf das Kilo Körpergewicht zu berechnen, da diese Zahlen eine besonders gute Uebersicht und Vergleichung mit anderen Versuchen ermöglichen, obgleich man nicht ausser Acht lassen darf, dass der Energieverbrauch nicht direct abhängig ist vom Körpergewicht, sondern vielmehr von der Körperoberfläche. Es wurden pro Kilo Körpergewicht: Geseben . » ». 2... 02.2...0.2 zum N und im Ganzen 48.24 Cal. Resorts ne ” 46-99 . Im Körper zersetzt bezw. verwendet 0-18 „ „ „ 9»: 5 45.24 „ Am 19. December begann die II. Periode des Versuches. In dieser wurde der Schinken fortgelassen und auf diese Weise die Eiweissration nicht unerheblich herabgemindert. Anstatt der 100% Schinken wurden 458m Oakes verabfolgt in der Annahme, dass auf diese Weise der Wärme- werth der Nahrung in beiden Versuchsabschnitten sich nicht wesentlich ändere. Es ergab sich aber später bei der exacten calorimetrischen Unter- suchung, dass der Brennwerth von 453” Cakes ein höherer war als der von 1008® Schinken. Es sind auf diese Weise in der zweiten Periode dem Organismus etwas mehr Calorien zugeführt worden als in der ersten. Es wurden während der II. Periode im Durchschnitt in der Nahrung pro Tag gereicht 10-114 sm N = 63.218 Eiweiss, und 3263-5 Cal. Der Stickstoffgehalt in der Diät der einzelnen Tage schwankt zwischen 10-08 und 10.132 N, die Energiezufuhr zwischen 3243.22 und 3290-83 Cal. Der Antheil des stickstoffhaltigen Materiales an der Gesammtenergie der Kost verhält sich zu dem des stickstofffreien wie 1:8-2. Die Stickstoffausscheidung im Harn gestaltet sich an den einzelnen Tagen der II. Periode folgendermaassen: Kl ecembersp neuen 20. F Sana 0.32.9022, 2 D 9203, 2 I DATE TE SP BE FERIEN 23. 5 ER RLIEUN). 5 Also pro Tag im Durchschnitt 9.746 2 N. Der Wärmewerth des Harnes wurde pro Tag zu 75-55 Cal. ermittelt. Der trockene Koth der II. Periode wog 94-35 =” und enthielt 5.95 == N, also pro Tag im Mittel 1-19 m N. Der Wärmewerth des Gesammtkothes 332 W. CAsPpARI: betrug 520-5 Cal., also pro Tag 104-1 Cal. Von diesen 520.5 Cal. ent- sprachen etwa 235 dem Fettgehalt. Das sind etwa 45 Procent des Gesammtenergiewerthes des Kothes. Es wurde also das Fett in beiden Perioden ungefähr in gleicher Weise ausgenutzt. Dagegen war die Ausnutzung des stickstoffhaltigen Materiales in der zweiten Periode etwas schlechter als in der ersten. Gegeben . . . er 10REN Davon im Koth, In la resorbirtt 1-19, „ Also verdaut 8.92em N = 88.23 Procent. Die gesammte in der Nahrung enthaltene Energiemenge wurde eben- falls etwas schlechter ausgenützt als in der I. Periode: Gegeben in der Nahrung pro Tag im Mittel 3263-5 Cal. Davon im Koth, also nicht resorbirtt . . . 104-1 „ Also verdaut 3159-4 Cal. = 96-8 Proc. Der Antheil der stickstoffhaltigen Substanzen an der resorbirten Energie- menge verhielt sich zu dem der stickstofffreien wie 1:9-1. Die tägliche Stickstoffbilanz stellte sich im Durchschnitt der II. Periode folgendermaassen: Resorbirt. © 2.000 me.... ..22.8.09242nN Im. Harn: 9. 20 9. en... 22 2 Detdomeen Bilanz — 0.8222m N Der Körper ist also während der II. Periode bei einer täglichen Zufuhr von 63.218” Eiweiss nicht in’s Stickstofigleichgewicht gekommen, sundlanı in 5 Tagen sind etwa 122s’m Muskelfleisch verloren worden. Der Eiweissverlust ist aber durchaus nicht etwa ein allmählich im Laufe der Versuchsreihe abnehmender, wie es zu sein pflegt, wenn der Organismus sich nach und nach in Stickstoffgleichgewicht setzt, vielmehr steigt der Eiweissumsatz an den beiden letzten Tagen von Neuem an, so dass man nicht annehmen kann, dass bei längerer Dauer des Versuches in absehbarer Zeit Stickstoffgleichgewicht eingetreten wäre. Tägliche Stickstoffbilanz. 19. December) re Denn 20. .; Be a ORTS 100 ©c; 2 “ a Sale >) 2 4 ee ee. 4 DDR 29. r ERS ee sr ea AR ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. 339 Die tägliche Bilanz des Kraftwechsels stellt sich in der II. Periode im Mittel folgendermaassen: Gesebenn 2... lin... 8269-5, Cal. Im Resorbirigr nes. u... 28159-.AnGal: InSHamea tan. 15.55 „ 3083.85 Cal. Die Curve des Körpergewichtes zeigte eine absteigende Tendenz an- nähernd dem Verluste des Körpers an Muskelfleisch entsprechend: Sa Wecemberers u an an. 68:40. 2 3 El. 00 22% s en es. 682000350 24. R 64-970 „, Im Mittel 65.19 *e, Pro Kilo Körpergewicht wurden also in dieser Versuchsperiode gegeben: 0-155 sm N und im Ganzen 50-06 Cal. Resorbir» 0-19. 5°» » 5 48-47 Es wurden umgesetzt bezw. standen zur Verfügung 0-15="% N und 47.31 Cal. Ich stelle nunmehr in. Tabelle 1 und II beide Versuchsreihen noch einmal in tabellarischer Form zusammen (s. S. 334). Aus dieser tabellarischen Uebersicht ist ohne Weiteres klar, dass, während ich mich noch mit 13.268” Stickstoff pro Tag völlig im Stick- stoffgleichgewicht befand, ich mich mit 10.11” Stickstoff pro Tag nicht mehr in’s Gleichgewicht setzen konnte. Dieses Resultat steht in deutlichem Gegensatze zu demjenigen Siven’s, welcher sich mit 6.26: Stickstoff zweifellos im Gleichgewicht befand. Dabei ist die Gesammtnahrungseinfuhr in der II. Periode meines Versuches eine an sich nicht zu niedrige. Ich habe ja auch gegen meine Absicht dem Organismus in der II. Periode eine etwas grössere Energiemenge in der Nahrung geboten, als in der ersten Reihe. Doch ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass derartige Differenzen auch bei den Diätänderungen Siven’s vorliegen, da dieselben nicht gross genug sind, um bei der rein rechnerischen Feststellung des Calorienwerthes zu Tage zu treten. Jedenfalls beeinträchtigt die höhere Calorienzufuhr während der zweiten Periode das Resultat des Versuches in keiner Weise, sondern lässt im Gegentheil dasselbe a fortiori gelten. Ein deutlicher Gegensatz zwischen Siv&n’s Resultaten und den meinigen findet sich auch in dem rein subjectiven Befinden ausgedrückt. Siven Tabelle 1! = Al B Börso Alwase: © 123 I Para E ER In a 3 = | ?, | 5% : E : as r Ausscheidung | Zur Ver- Datum : Bun Zufuhr in der Nahrung re Hesonplionggihere im Harn | fügung E | N |Eiweiss| Ges.- N Eiweiss) Proc. | Proc. |, .N S m m Cal N-h.: N-fr. gem | rm dZut, Cal. = ddl N-h.:N-fr. gm | Cal. | Cal. 1 — r m mn = — == =— - | — == = = ge —— — = _— eu = 14.—18.Dee.|| 1. 66-06 || 13-26 | 82-87 |3186-9 | 1:5-9 18 -10 | 75-7 [91-25 | 3104-1 Sur 97° 4 1:6-3 11-86 |115-78 2988-35 19.—24. ,„ II. 65-19. 10-11 | 63-21 |3263-5 | 1:8-2 8-92 | 55-78 188.23 31594 | 96-8 | ge 9.75 | 75-55 | 3083-9 N-Bilanz: I. Periode: 14. December — 1512" N II. Periode: 19. December — 1-92 m N 15. 55 +014 , „ 20. „ — 0:33 r = 16.005; 10220 2 —:0-13.,, . a 17. En +1:25 „ 22. „ — 0:58 ,„ „ 2 18. .. Ar 1:18 Ex EL) 23. 7) >= I: 14 ER] Ex — Mittel: +0-24.m N Mittel: — 0-82s5:m N > > Tabelle II. Pvo=KR 1.10 Kor premoze w.icchhet Datum Periode Zufuhr in der SRDIUSET Resorbirt Umgesetzt nn | ee Se en a | El re N | Eiweiss N liiweiss N Eiweisse | \ grin | grm Cal. grm Same ai sel m grm 3 en 14.—18. December I. v2 | 1 | 48:24 0-18 1-18 | 46:99 0-18 Ss 1-13 || 45-24 19.4. 5 I. 0.155 | 0.97 | 50-06 0.137 | 0-86 | 4807 | 0-15 | 0:9 47-31 = ‘In Folge einer nachträglichen Correetur weichen einige der Zahlen von denen, welehe Loewy 8. 307 verwandt hat, in unwesentlicher Weise ab. wo (SC) Q ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. giebt an, dass er sich selbst in den späteren Versuchsserien im Allgemeinen kräftig und leistungsfähig gefühlt habe; obgleich ihm die Art der Ernährung einige Schwierigkeit bereitet habe. Mir hat während der ganzen Versuchs- dauer die Nahrung jederzeit gemundet, und ich habe niemals etwa unter der Einförmigkeit derselben gelitten. Dagegen war zweifellos im Verlaufe der zweiten Versuchsreihe meine körperliche Leistungsfähigkeit erheblich herabgesetzt. Ich fühlte mich schwach und bald ermüdet, und kann nicht leugnen, dass ich einen starken Hunger nach Fleisch empfand. Auf der anderen Seite ist neuerdings ein Stoffwechselversuch von Albu! publieirt worden, welcher im gewissen Sinne sich mit demjenigen Siven’s vergleichen lässt. Es handelte sich um eine ältere Dame, die seit sechs Jahren streng vegetarisch lebte und welche sich bei einer Zufuhr von 0.98rm Eiweiss pro Kilo in der Kost trotz 33 Procent Stickstoffverlust im Koth in Stickstoffgleichgewicht setzte. Dabei führte sie nur etwa 37 Cal. pro Kilo Körpergewicht ein, also noch weniger als Siven. Jedoch muss man bedenken, dass diese Versuchsperson nur 375 wog. Die Versuchs- person war also in ihrem Körperbestande ausserordentlich reducirt, wahr- scheinlich wohl dadurch, dass sie längere Zeit hindurch bereits ungenügende Kost zu sich genommen hatte. Derartige Personen können aber mit wenig Eiweiss den geringen Bestand ihres Organismus erhalten. Man beobachtet dieses nach langwierigem Hungern, bei Reconvalescenten nach schwächenden Krankheiten; auch bei ganzen Bevölkerungsschichten kann man wahr- nehmen, dass dauernde allzu ärmliche Ernährung das Eiweissbedürfniss herabsetzt. So nahmen nach von Rechenberg? die Zittauer Handweber im Durchschnitt pro Tag 65®°”% Eiweiss auf bei einer Gesammtzufuhr von 2703 Cal. Das Körpergewicht dieser Leute belief sich aber nur auf 56 ®s im Durchschnitt. Jedenfalls kann aber ein durch Reduction des Eiweiss- gehaltes des Körpers erkaufter niedriger Eiweissbedarf als normal nicht anerkannt werden. Es steht also doch wohl das Resultat des Siven’schen Versuches ver- einzelt da, während das Resultat des meinen weit eher im Einklang ist mit den Erfahrungen der älteren Autoren. Die Herabsetzung der Eiweiss- substanz in meiner Diät war durchaus nicht so bedeutend, wie diejenige, bei der zahlreiche andere Versuchspersonen sich in Stickstoffeleichgewicht gesetzt haben, wenn die Gesammtcalorienzufuhr in der Nahrung erhöht wurde. Es ist daher wohl kaum zu bezweifeln, dass auch ich mich mit der gleichen Menge Eiweiss in’s Stickstoffeleichgewicht hätte setzen können, wenn ich die Gesammtzufuhr in der Nahrung gesteigert hätte. 1 Citirt nach Deutsche Medicinal-Zeitung. 1901. Jahrg. XXII. Nr. 17. ° Citirt nach Rubner in Leyden, Handb.d. Ernährungstherapie. Cap. II. 8. 152. 336 W. CaAsPpARt: Wenn man aber die Resultate aller diesbezüglichen Versuche überblickt, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die Fragestellung an sich nicht die richtige ist. Ursprünglich handelte es sich in den älteren Versuchen darum, ein Durchschnittsmaass für den Eiweissbedarf ver- schiedener Menschenklassen festzustellen. Sicherlich ein Unternehmen von der allergrössten wissenschaftlichen und socialen Bedeutung. Als dann der Nach- weis erbracht wurde, dass das Voit’sche Kostmaass etwas zu hoch gegriffen war, bemühten sich die Forscher nicht mehr ein Durchschnittsmaass, sondern ein Mindestmaass des Eiweissbedarfes für den Menschen festzustellen. Ich glaube, dass man sich einer Selbsttäuschung hingeben würde, wollte man nicht zugeben, dass diese Versuche als missglückt anzusehen sind, denn das Eine kann man wohl mit Sicherheit aus den Versuchen schliessen: Das Eiweissminimum schwankt bei verschiedenen Menschen innerhalb sehr weiter Grenzen. Dafür bietet der krasse Gegensatz zwischen den Resultaten Siven’s und den meinigen in der That den denkbar besten Beweis, denn es ist doch anzunehmen, dass unsere Thätigkeit und tägliche Arbeitsleistung während unserer Versuche eine so ähnliche war, wie dies selten bei zwei Menschen selbst der gleichen Arbeitskategorie der Fall sein wird. Aber auch bei demselben Menschen ist das Eiweissminimum keine constante Grösse, vielmehr abhängig von einer Anzahl von Factoren, von denen wir bisher nur einige recht zu übersehen im Stande sind. Wie sehr das Eiweissminimum bei einer und derselben Person schwanken kann, geht mit besonderer Klarheit auch aus einem Versuche hervor, welchen Neumann in Rostock an sich selbst angestellt hat. Dieser Ver- such ist vor allen anderen dadurch bemerkenswerth, dass er in mehr oder minder exacter Form länger als ein Jahr ausgeführt wurde. Leider ist er bis jetzt in extenso noch nicht publicirt, so dass mir ein genaueres Ein- gehen auf denselben zur Zeit nicht möglich ist. Diese Unsicherheit der Werthe für die geringste Menge Eiweiss, mit welcher der Organismus auszukommen vermag, muss betont werden, um davor zu warnen, die Resultate derartiger Versuche bei der Normirung des Kostmaasses für Massenernährung verwenden zu wollen, wie dies z. B. Hirschfeld seiner Zeit gethan. Man muss darin um so vorsichtiger sein, als es sich in praxi nicht allein darum handelt, Ernährungsbedingungen zu finden, welche das Individuum auf seinem Eiweissbestande zu erhalten ver- mögen, als vielmehr in erster Linie darum, dem Menschen die beste Mög- lichkeit zur Verwerthung seiner Arbeitskraft zu verschaffen. Die Fähigkeit, Arbeiten zu verrichten, wird aber in den meisten Fällen bei geringer Eiweisszufuhr herabgesetzt sein. Dass meine Leistungsfähigkeit während der zweiten Versuchsreihe vermindert war, glaube ich mit Bestimmtheit behaupten zu können; bei dem dauernden Eiweissverluste ist das ja auch ERNÄHRUNG BEI VERRINGERTER EIWEISSZUFUHR. Ian nicht zu verwundern. Kommt in derartigen Fällen der Körper nach längerem Eiweissverluste mit der geringen Eiweisszufuhr in’s Gleichgewicht, so kann dies nur auf Grund der Verminderung seines Gesammtbestandes an Eiweiss erfolgt sein, d. h. unter Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit. Aber auch dann, wenn der Körper mit geringer Eiweisszufuhr durch eine gesteigerte Zufuhr von Fetten und Kohlehydraten im Gleichgewicht gehalten wird, wird durch die Verarbeitung einer so reichlichen Kost Zeit und Arbeitskraft absorbirt, und eventuell Anstoss zu unerwünschter Fettleibigkeit gegeben werden. Auf Grund der Versuche also, welche das Eiweissminimum festzustellen suchen, wird es schwerlich gelingen, das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich eine Durchschnittskost zu finden, welche Menschen von etwa gleicher Berufsthätigkeit auf ihrem Eiweissbestande und bei voller Leistungsfähigkeit erhält. Aber auch die Ermittelung des durchschnittlichen Eiweissverbrauches selbst einer grösseren Anzahl von Menschen, wie dies Pflüger und Bohland, Bohland und Bleibtreu, Nakahama u. A. m. versucht haben, kann eine rationelle Grundlage für die Kostberechnung nicht abgeben, denn der Verbrauch sagt nichts über den Bedarf. Dies geht schon daraus hervcr, dass die wohlhabenderen Stände in ihrer Kost im Allgemeinen mehr Eiweis zuführen, als die minder begüterten Classen, nicht weil sie mehr davon bedürfen, sondern weil die eiweissreicheren Speisen besonders wohlschmeckend, aber auch theuer sind. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei gleich begüterten Volksschichten. So wird der Fleischer mehr Eiweiss geniessen als der Kuchenbäcker, nicht, weil der Bedarf ein verschiedener ist, sondern weil ein jeder das isst, was ihm nahe liegt, und überschüssiges Eiweiss in der Nahrung ja meist nicht schadet. Nur ein Weg scheint also zum Ziele zu führen. Man muss bei gesunden, kräftigen Menschen bei bestimmter Arbeit den Energie- verbrauch ermitteln. Diesen Energieverbrauch muss man mit der gewöhn- lichen nicht eiweissarmen Kost gerade decken und dann mit dem Eiweiss- gehalt der Nahrung bei gleichbleibender Calorienzufuhr allmählich herab- gehen, ähnlich, wie dies Siven gethan hat. Auf diese Weise könnte man Material sammeln für die Bestimmung des praktisch wirklich zulässigen Mindestmaasses der Eiweisszufuhr. Es wäre das dann die geringste Eiweiss- menge, mit der sich der Organismus ohne vorherigen grösseren, d. h. länger als 3 bis 4 Tage dauernden Eiweissverlust in wirkliches Gleichgewicht setzte unter Berücksichtigung der Abgänge in Schweiss, Hautschuppen und Haaren. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 22 Zur Methodik der Gasanalyse. Von Dr. A. Samojloff und Dr. A. Judin. (Aus dem physiologischen Institute der K. Universität zu Moskau.) Wir geben in den folgenden Zeilen die Beschreibung einer gasometrischen Methode, die wir speciell zur Bestimmung der Kohlensäure und des Sauer- stoffes in der ausgeathmeten Luft angewandt haben. Die Methode beruht nicht auf irgend einem neuen Principe, sondern stellt bloss eine Modification des bekannten analytischen Verfahrens von Bunsen dar. Was bei uns neu ist, das ist eine Summe von verschiedenen kleinen Neuerungen, ja man könnte sagen Kleinigkeiten, die aber in der Gesammtheit diejenige Sicher- heit, sowie Exactheit und Schnelligkeit der Arbeit gewähren, die wir uns von vornherein als Ziel stellten. Wir werden zuerst den von uns gebrauchten Apparat selbst und dann die verschiedenen Acte der Analyse beschreiben. Die äussere Form des Apparates ist dieselbe, welche Prof. Setschenoff bei seinen absorptiometrischen Versuchen gebraucht hat. Ein schmaler 1= langer parallelepipedischer mit Wasser gefüllter Zinkkasten, dessen vordere und hintere Wand aus planparallelem, dickem Spiegelglas besteht, steht vertical auf einem festen Dreifuss aus Gusseisen (Fig. 1). In dem Boden des Kastens sind zwei Glasröhren A und 2, von 1-2 ® im Durchmesser eingesetzt; die Röhren sind fortlaufend durch Striche in Halbmillimeter ein- getheilt. Als Fortsetzungen der Röhren A und 2 ausserhalb des Kastens erscheinen zwei Stahlröhren, die sich bald zu einer Röhre vereinigen; im Punkte der Vereinigung befindet sich ein stählerner Dreiweghahn D. Vom Hahn D geht eine Röhre nach unten und endet mit einer Ausflussöffnung. Kurz vor ihrem Ende wird die Röhre durch einen stählernen Dreiweghahn F unterbrochen; der eine Ast desselben geht auf der rechten Seite in einen A. SAMOJLOFF UND A. JUDIN: ZUR METHODIK DER GASANALYSE, 339 dickwandigen Gummischlauch mit dem Druckgefäss @ über. Das ganze System der Röhren A, B, der Stahlröhren, der Hähne D und £, sowie des Kautschukschlauches ist mit Quecksilber gefüllt. Vermittelst der beiden Hähne D und 7 lassen sich folgende Combinationen zwi- schen den erwähnten Theilen erreichen: Man kann 1. die Röhren 4 und BD mit ein- ander verbinden und gleich- zeitig vom übrigen System absperren, 2. die mit einan- der communicirenden Röhren mit der die Ausflussöffnung tragenden Röhre verbinden, 3. die communicirenden Röh- ren J und 3 mit dem Druck- gefäss verbinden und folglich durch Heben und Senken der Füllkugel @ das Quecksilber in beiden Schenkeln gleichzeitig heben und senken; 4. die- selben Verbindungen, welche man mit beiden mit einander communicirenden Röhren vor- ‚nimmt, lassen sich auch mit jeder Röhre einzeln ausführen: es ist also möglich, das Queck- silber bloss aus der Röhre 4 bezw. aus der Röhre 2 aus- fliessen, oder in jeder einzeln das Quecksilber heben und senken zu lassen. So weit die Theile des Apparates, die wir fertig von Prof. Setschenoff erhielten. Speciell für unsere Zwecke wurden die anderen sofort zu beschreibenden Theile hinzugefügt. Fig. 1. Die Röhre B geht oben in einen geschliffenen Hals über, der sich zu einem Trichter erweitert; in den Hais passt ein geschliffener Glasstöpsel M. Die Röhre 4 trägt oben eine Er- weiterung C, welche zwei Oefinungen besitzt. Die eine Oeffnung führt, » 22 340 A. SAMOJLOFF UND A. JUDIm: wie rechterseits, ebenfalls in einen engen oeschliffenen Hals, der weiter in einen Glastrichter übergeht. In den Hals passt ein sorgfältig geschliffener Stöpsel 7; zur grösseren Sicherung des Verschlusses wird in die Schale etwas Quecksilber hineingegossen. Die andere Oeffnung führt ebenfalls in einen etwas seitlich angebrachten geschlifftenen Hals, in welchen eine dick- wandige capillare (1 ®® im Durchmesser) Röhre passt, die dann weiter unter rechtem Winkel in einen Dreiweghahn / übergeht. Der letzterwähnte Schliff hat keine principielle Bedeutung und dient nur dazu, die Röhre A und den Hahn / auseinandernehmbar zu machen, denn sonst könnte man ja nicht den Apparat zusammenstellen: der Seitenmantel des Zinkkastens wird von oben her über die schon im Boden des Kastens befestigten Röhren A und B übergeschoben. Sind einmal die Theile im Schliffe X zusammen- gebracht, so wird im weiteren Verlaufe kein Gebrauch mehr vom Schliff X gemacht, weshalb man auch zur Sicherung des Verschlusses die Ränder des Halses mit irgend einer Klebemischung, z. B. einem Gemisch von Wachs mit Colophonium, bestreichen kann. Der Dreiweghahn 7 befindet sich in einer kleinen Holzkiste, die oben offen steht und deren beide Seitenwände durch die beiden Röhren des Hahnes durchbohrt sind. Der dritte Ast des - Hahnes ist kurz abgeschnitten und endet mit freier Oeffnung. Ausserhalb des kleinen Holzkastens wird auf das Glasrohr ein kurzes diekwandiges Gummirohr übergeschoben, welches dann zum Verbinden des Apparates mit anderen Theilen dient. Die Kiste Z ist so weit mit Quecksilber gefüllt, dass nur der Hahngriff frei bleibt, wodurch freilich der Verschluss des Hahnes vollständig gesichert wird. Die Wege des Hahnes lassen sich mit Quecksilber von der Kiste Z her und zwar durch den im Quecksilber frei _ endenden Ast füllen. Durch Drehungen des Hahnes / ist es möglich den rechten und linken Theil der Capillare sowohl gleichzeitig, sowie einen nach dem anderen mit dem Innenraum der Kiste communieiren zu lassen. Das Vertreiben der Luft aus den Theilen A, C, X, I und N geschieht folgendermaassen: Es wird die Füllkugel @ mit A verbunden und der Hahn / nach dem Schema _L gestellt. Durch Heben der Kugel @ füllt man soweit es geht, sämmtliche Theile mit Quecksilber bis schliesslich letzteres durch die Oeffnung des Gummischlauches N nach aussen aus- fliesst. Man dreht nun den Hahn / nach dem Schema -| und vertreibt somit die kleine Luftblase aus dem kurzen Weg des Hahnes nach aussen. Während nun das Quecksilber aus der Holzkiste nach aussen fliesst, wird in die Röhre N ein Glasstopfen eingeführt und darauf die Gummiröhre vermittelst einer Schraubenklemme zusammengedrückt. Man stellt jetzt den Hahn /nach dem Schema X. Die zwei Aeste, die von der Erweiterung C nach oben abgeben, sind so gestellt, dass beim Einfüllen der Theile mit (Quecksilber von unten her, unter dem Glasstopfen 4 eine kleine Luftblase ZUR METHODIK DER GASANALYSE. 341 stecken bleibt; um letztere zu vertreiben, lüftet man ein wenig den Stopfen im Schliffe, ohne ihn aus den Quecksilber in dem Trichter herauszuziehen. Man senkt nun die Füllkugel @ und bildet ein Vacuum in C und in seinen Zweigen. Das Quecksilber stürzt sofort aus der Capillare. Um etwaige minimale Luftreste aus dem Hahne zu vertreiben, lässt man durch Drehen des Hahnes etwas Quecksilber aus der Kiste Z durch die Capillare in C hineinfliessen. Diese Procedur wird mehrere Male wiederholt; zuletzt öffnet man sehr vorsichtig den Hahn, lässt das Hg sehr langsam aus dem Hahne in die Capillare treten und schliesst den Hahn so ab, dass der Quecksilbermeniscus irgend wo im horizontalen Theile der Capillare zu stehen kommt. Man hebt jetzt die Füllkugel. Sind Luftreste vorhanden, so haben wir jetzt eine Luftblase unter dem Stopfen und die andere an der Meniscusgrenze im horizontalen Theile der Capillare Der Stopfen wird gelüftet, die Luftblase nach oben ausgetrieben, die Füllkugel nach unten gesenkt und darauf wiederum gehoben: die Luftblase am Meniscus ist jetzt bedeutend kleiner. Es ist klar, dass wir hier in den Theilen G, #, D, A, C, H, K einen Apparat haben, welcher nach dem Principe der gewöhn- lichen Quecksilberpumpe zu arbeiten im Stande ist. Durch Wiederholung der beschriebenen Manipulationen gelingt es sehr leicht, das Evacuiren so weit zu bringen, dass man bald an der Stelle, wo der Meniscus sich befand keine Luftblase mehr bemerkt; dass aber dennoch irgend ein freilich in Betracht nicht kommendes minimes Bläschen dort vorhanden sein muss, - kann man daraus schliessen, dass beim Senken der Kugel @ das Hg in der Capillare gerade an demjenigen Punkte reisst, wo man von Anfang an den Meniscus still stehen liess. Stellt man das Vacuum her und verschiebt ein wenig durch eine leichte Drehung des Hahnes den Meniscus, so reisst jetzt, wenn man auf’s Neue das Vacuum herstellt, das Hg an der neuen Stelle. Auf diese Weise ist man im Stande, den Quecksilberfaden im beliebigen Punkte der Capillare reissen zu lassen. Das ist sehr bequem für das Calibriren des Eudiometers. An der Capillare, im horizontalen Theile der- selben befindet sich ein Strich. Das Volum der Capillare, von diesem Strich bis zum Ende. der Capillare, d. h. bis zur Oeffnung im Schliff X, wird vorher, bevor noch der ganze Apparat zusammengestellt ist, durch Quecksilberwägung bestimmt. Später, wenn man die Röhre A calibriren will, so stellt man vorher den Meniscus gerade an denjenigen Punkt, wo sich der Strich befindet. Darauf werden sämmtliche Theile des Rudiometers in der vorhin erwähnten Weise ausgefüllt. Um nun das Eudiometer zu calibriren, braucht man nur durch entsprechende Drehungen der Hähne D und # das Quecksilber aus dem Eudiometer in ein untergestelltes Gefäss ausfliessen zu lassen; man calibrirt zunächst bis dicht unter der Erweiterung 342 A. SAMOJLOFF UND A. JuDIn: und dann weiter in üblicher Weise. Man erhält somit Calibrirungszablen, die das Volum der Eudiometertheile vom Strich im horizontalen Theil der Capillare angeben. Es ist aber bedeutend bequemer, wenn man bei der Analyse die Volumina von der unteren Mündung der Capillare rechnet. Das hat folgenden Sinn. In allen Fällen, wo im Eudiometer sich das zu analysirende Gas befindet, ist es sehr leicht, den Quecksilberfaden gerade an der unteren Mündung der Capillare reissen zu lassen: dazu braucht man nur den Hahn / so zu drehen, dass Quecksilber aus der Schaale Z in C fliessen kann; dreht man im beliebigen Moment den Hahn zu, so reisst der Queck- silberfaden an der nötkigen Stelle, und man braucht nicht mehr irgend welche Einstellungen des Meniscus vorzunehmen. Um den erwähnten Punkt der Capillare als obere Grenze für die Calibrirungswerthe benutzen zu können, muss man von den früher erhaltenen Werthen das Volumen der Capillare vom Strich bis zur unteren Mündung, das vorher bestimmt wird, abziehen. Für die Genauigkeit der Volumbestimmung ist es wichtig, dass der Meniscus in der Capillare seine Stelle nicht wechselt. Es ist klar, dass _ der Meniscus des Quecksilberfadens nur dann bei allen Manipulationen, die eine Dehnung oder Compression des eingeschlossenen Gases bewirken, auf derselben Stelle der Capillare unverrückt bleiben muss, wenn in dem (as einschliessenden System keine elastischen Körper sich befinden. Deshalb bemühten wir uns, erstens jede Gasspuren im Quecksilber der Capillare zu vertreiben und zweitens von der Anwendung von Kautschuk- .röhren vollständig Abstand zu nehmen. Das ist auch der Grund, weshalb wir zwischen der Glascapillare und dem Gummischlauch N den Glashahn 7 einführten. Der Barometerstand lässt sich in sehr bequemer Weise am Apparate selbst ablesen. Die Art und Weise, wie man das Vacuum im Eudiometer herstellt, ist vorhin beschrieben. Um einen Tropfen Wasser in das Budio- meter einzuführen, stellt man den Quecksilberspiegel im Druckgefäss @ auf gleicher Höhe mit dem in der Schale ?, verbindet durch die Hähne D und F das Druckgefäss mit dem Eudiometer, zieht den Stopfen 4 heraus, benetzt ihn mit destillirtem Wasser und setzt ihn wiederum in den Schliff ein. Man kann auch anders verfahren. Man giesst in die Schale / auf das Quecksilber etwas Wasser hinein; dann braucht man, um den Stopfen nass zu machen, ihn bloss oberhalb des Quecksilberspiegels zu heben. Will man sich später überzeugen, dass im Eudiometer in der That Wasser vor- handen ist, so stellt man das Vacuum her und lüftet ein wenig den Stopfen H; es fliesst dann etwas Quecksilber aus der Schale ? in’s Eudio- meter und reisst das Wasser von der unteren Fläche des Stopfens mit sich, was man am Thau an der Quecksilberoberfläche des Eudiometers erkennt. Man zieht nun den Stopfen M heraus, verbindet den Druckschlauch mit ZUR METHODIK DER GASANALYSE. 343 den Röhren A und 2, senkt die Kugel @ so weit, bis im Eudiometer das Quecksilber unter der Erweiterung C zu stehen kommt, dreht den Hahn 7 zu und liest die Höhendifferenz in 4 und B ab; die erhaltene Zahl + Dampftension bei gegebener 7° ergiebt den Barometerstand. Es lässt sich auch vermittelst des beschriebenen Apparates das Baro- meter nach dem Geppert’schen Prineipe ausschliessen. Man verbindet zu diesem Zwecke das Druckgefäss mit der Röhre 3 und stellt durch mehr- maliges Senken und Heben der Füllkugel und Lüften des Stöpsels M in der Röhre B das Vacuum her; darauf führt man ver- mittelst des Stopfens M einen Wasser- tropfen in das Vacuum hinein. Befindet sich im Eudiometer irgend ein Gas, und sind die Röhren 4 und B mit einander verbunden, so ist die Höhendifferenz der Quecksilbersäule in 3 und A der Druck, unter dem das Gas in A steht. Es sei hier erwähnt, dass wir der Sicherheit wegen immer in den Fällen, wo wir vom Geppert’schen Prineip Gebrauch mach- ten, den Versuch damit begannen, dass wir zunächst das Vacuum in den beiden Schenkeln 4A und B herstellten, dieselben mit einander in Communication brachten und den Quecksilberstand in beiden no- tirten; das Vacuum wurde als genügend angesehen, falls die Quecksilbersäulen in verschiedenen Höhepunkten der Röhren auf gleichem Niveau sich hielten. Diese Probe diente uns als Beweis dafür, dass wir im Eudiometer keine in Betracht kommenden Luftspuren hatten, dass beide Röhren mit Dampf gesättigt waren, und dass man also das Einführen des zu analysirenden Gases beginnen durfte. Zum Aufbewahren der zu analysirenden Gase, sowie zur Absorption u. dgl. benutzten wir Gaspipetten von einem und demselben Typus (Fig. 2). Unsere Gaspipette bestand aus einer Glasröhre (A) von ungefähr 100 = Inhalt, die nach oben sich in ein dieckwandiges Capillarrohr. fortsetzt. Die Capillare, unterbrochen durch den Hahn /, biegt unter rechtem Winkel nach rechts und ist an ihrem Ende etwas verjüngt; das Ende der Capillare dient zur Verbindung vermittelst des Kautschukschlauches N (Fig. 1) mit 344 A. SAMOJLOFF UND A. JUDIN: dem vorhin beschriebenen Apparate Der Hahn / ist ein Dreiweghahn nach Winkler, er besitzt eine einfache Längsbohrung und eine einfache Querbohrung. Das Hahnkücken mit der Längsbohrung ist mit einem Gummischlauch und Druckgefäss W verbunden. Vermittelst des Hahnes 7 lässt sich das Druckgefäss absperren und der obere Theil der Capillare mit dem unteren verbinden, oder aber das Druckgefäss mit dem oberen bezw. unteren Theil der Capillare in Communication bringen. Die Röhre 2 ist unten verjüngt, giebt einen Zweig S, der durch ein Stück Gummischlauch mit Glasstopfen verschlossen ist, zur Seite ab und geht weiter in einen dick- wandigen Gummischlauch mit der Füllkugel 7 über. Von Anfang an sind sämmtliche Theile der Pipette mit Quecksilber gefüllt. Wünscht man irgend ein Gas in die Pipette hinein zu führen, z. B. Atmosphärenluft, so wird durch Drehung des Hahnes 7 die Kugel W abgeschlossen und die beiden Capillarentheile mit einander verbunden. Man senkt nun die Kugel 7 und saugt das zu analysirende Gas. Hat man eine genügende Menge eingeführt, so dreht man den Hahn /, so dass das Druckgefäss W mit dem oberen Theil der Capillare in Verbindung steht, füllt die Capillare mit Quecksilber und dreht den Hahn zu. Es sei hier bemerkt, dass der Querweg des Hahnes dabei nicht Quecksilber, sondern Gas enthält, das schadet aber weiter nicht; wir kommen noch weiter darauf zu sprechen. Will man nun einen Theil des in der Pipette eingeschlossenen Gases in das Endiometer zur Analyse überführen, so verfährt man folgender- maassen: Der Apparat, Fig. 1, ist vollständig mit Quecksilber gefüllt, an den unteren Flächen der Glasstopfen 7 und MW befindet sich je ein Tropfen Wasser. Man entfernt den Stöpsel und die Schraubenklemme von N, dreht den Hahn / nach dem Schema —| und lässt somit das Quecksilber aus dem Kästchen Z durch N in ein untergestelltes Gefäss fliessen. Während das Quecksilber noch fliesst, führt man das Ende der Pipettencapillare in den Schlauch N hinein und stellt den Hahn / nach dem Schema _L, d.h. man verbindet den Inhalt der Capillaren der Pipette und des Eudiometers mit einander. Nun stellt man den Quecksilberspiegel in 7 und n & (Fig. 2) auf gleiches Niveau und den Quecksilberspiegel G (Fig. 1) etwas unterhalb des horizontalen Theils der Capillare des Eudiometers. So wie man nun den Hahn 7 so stellt, dass die beiden Capillartheile der Pipette mit einander verbunden sind, so ist sofort eine freie Communication sämmt- licher Theile des Apparates von der Kugel 7’ durch die Pipette und Eudio- meter bis zur Kugel @ hergestellt. Das Quecksilberniveau sinkt in 7 und steigt in @, das Gas wird übergeführt in das Eudiometer; die Ueberführung der Gase kann auf diese Weise bei einem Druck, der nur sehr wenig höher als der Luftdruck ist, geschehen. Hat man die gewünschte Menge ein- ZUR METHODIK DER GASANALYSE. 345 geführt, so dreht man den Hahn / so, dass das Druckgefäss W mit dem oberen Theil der Capillare communicirt und füllt die Capillare der Pipette, den Schlauch N und die Capillare des Eudiometers mit Quecksilber. Während das Quecksilber aus der Mündung der Capillare in die Erweiterung C hineinfliesst, dreht man den Hahn / zu und stellt /nach dem Schema -. Jetzt wird die Pipette entfernt, und während das Quecksilber aus dem Kästchen Z aus der Mündung von N fliesst, legt man an den Kautschuk- schlauch N eine Schraubenklemme und führt einen Glasstöpsel ein. Durch Senkung der Kugel @ wird jetzt in C’ ein negativer Druck erzeugt und der Hahn / mehrere Male nach einander von der Stellung — in die Stellung _L übergeführt. Durch diese Manipulation gelingt es, irgend welche Gas- bläschen, die im linken Theile der Capillare und im Hahn 7 möglicher Weise geblieben sind, in das Eudiometer zu vertreiben. Man dreht zuletzt den Hahn nach dem Schema +, lässt also Quecksilber aus Z durch die rechte Hälfte der Capillare hindurchfliessen und schliesst den Hahn zu. Hierdurch ist die Ueberführung des zu analysirenden Gases in das Eudio- meter beendet. Man lässt nun die Theile 4, B und @ communiciren und senkt die Kugel @ bis das Quecksilber im Eudiometer unterhalb der Er- weiterung C zu stehen kommt, bringt den Hahn D in Stellung _L, notirt die 7° des Wassers im Zinkkasten und liest im Fernrohr den Quecksilber- stand n A und in ZB. Wie früher auseinandergesetzt wurde, befindet sich das Quecksilber in 3 entweder unter Luftdruck und steht dann tiefer als in A (der Stöpsel M wird in diesem Falle entfernt), oder es wird der Einfluss des Luftdruckes vollständig beseitigt, und man hat dann oberhalb des Quecksilbers in 3 das Vacuum. Hat man eine Ablesung gemacht und will man eine zweite bei geändertem Volum und Druck anstellen, so ver- bindet man den Druckschlauch mit dem communicirenden A und 2, ändert den Quecksilberstand in beiden Röhren und hebt. die Verbindung mit dem Druckschlauch auf. Wie genau die bei verschiedenen Ablesungen “erhaltenen auf 0° und 1” Druck reducirten Volumina mit einander über- einstimmen, sieht man beispielsweise aus folgenden Zahlen: V bei 0° und 1” Druck I. 53.529 m 53.565 „, 53-573 „ 12 ol etuc 12.624 „ 12-622 „, 8.1402 cm 8.1396 ‚, IN% Sol 3alnda, „, 346 A. SAMOJLOFF UND A. JuUDm: Das Gas wird, wie ersichtlich, bei relativ geringem Druck gemessen. Die Erweiterung C ist angebracht, um grössere Gasmengen 50 bis 100 «em analysiren zu können. Nimmt man sehr kleine Gasmengen, z. B. 3.0 m und noch weniger zur Analyse, dann wird die Erweiterung störend, denn man muss dann das Gas zu stark dehnen; hierbei reisst der Quecksilber- faden im horizontalen Theil der Capillare, und man muss den Meniscus bis zum früher erwähnten Strich verschieben und das Gasvolum vom Strich rechnen. Zur Bestimmung der Kohlensäure wird das Gas in eine Pipette von der geschilderten Form übergeführt und die CO, hier absorbirt. Die Pipette wird folgendermaassen vorbereitet. Durch entsprechende Drehung des Hahnes Y/ wird W abgesperrt und die beiden Capillartheile mit einander verbunden. Man senkt die Kugel 7 so weit, bis das Quecksilber in der Pipette dicht unterhalb des Zweigabganges $ sich befindet. Dann führt man durch $ hindurch etwa 5.0°°® einer starken Kali- oder Natronlauge ein und schliesst den ummischlauch zu. Man hebt jetzt die Kugel 7’ in die Höhe und sucht möglichst vorsichtig arbeitend die Lauge gerade bis zum Anfang des Hahnweges steigen zu lassen. Ist das geschehen, so füllt man durch entsprechende Drehung des Hahnes 7 den oberen Theil der Capillare bis zur Mündung mit Quecksilber. So vorbereitet ist auch die Capillare in Fig. 2 abgebildet. Nun verbindet man die Pipette mit dem Eudiometer und führt das Gas aus dem Eudiometer in die Pipette über. Es ist nicht möglich, ohne Weiteres die ganze Gasmenge aus dem Rudio- meter auszutreiben, weil, wie oben erwähnt wurde, unter dem Stöpsel eine Gasblase stecken bleibt. Allerdings könnte man die Gasblase in die Pipette überführen und dabei in ähnlicher Weise verfahren, wie beim Entfernen der Luftblase in der Capillare zwischen Hahn und Schliff X im Beginn jedes Versuches.: Es ist aber überflüssig. Wir verfuhren folgendermaassen: Nachdem das Gas in die Pipette fast ganz übergeführt ist und das Queck- silber schon in der Eudiometercapillare erscheint, lassen wir das Gas aus der Pipette wiederum in’s Eudiometer treten; hierbei wird die Gasblase unter dem Stöpsel mit dem Gase, welches aus der Pipette kommt, ver- mischt, man führt jetzt das Gas aus dem Eudiometer in die Pipette zurück, wiederholt dasselbe 2 bis 4 Mal, je nachdem wie gross die zu analysirende Gasmenge ist. Es ist klar, dass man auf diese Weise die sämmtliche Kohlensäure der Gasblase unter dem Stöpsel in die Pipette überführen kann. Nach der Absorption kommt das Gas in: das Eudiometer. Die Vorsichtsmaassregeln bei der Ueberführung sind bereits beschrieben worden. Es sei hier bemerkt, dass im Querweg des Hahnes Y eine geringe Gas- menge nachbleibt, das bringt aber keine Fehler mit sich, denn auch vor der Absorption befand sich im Quergang dieselbe CO,-freie Gasmenge. ZUR METHODIK DER (GASANALYSE. Andererseits bietet aber die im Quergang befindliche, in allen Versuchen genau gleich grosse Gasmenge, einen ungemein grossen Vortheil, denn man ist dann bei diesem Umstande vollständig sicher, dass eine Verunreinigung des Quecksilbers durch Lauge nicht auftreten kann. Wir führen jetzt einige CO,-Bestimmungen in der ausgeathmeten Luft an. Versuch I. Beobachtetes Volum in ccm 1. Gasportion: 98.4741 Zur Analyse genommen | 95-1162 ; 92.1265 Nach der Absorption . 94-8087 16-2 16-2 16.4 16-4 Druck bei 0° in mm 624.12 646 -25 633.33 615.77 100 Gasvolume enthalten 5-11 Vol. CO,. 2. Gasportion: a Ani sun | Nach der Absorption \ ns | 16-5 16°5 16.7 16-7 624.26 639-03 600.75 619.99 100 Gasvolume enthalten 5-13 Vol. C0,. Versuch Il. 1. Gasportion: 95.3868 Zur Analyse genommen 92.0896 5 ; 93.0129 Nach der Absorption 1 90-4291 15-1 15°1 15-3 15-3 653.12 675.97 64140 659.55 100 Gasvolume enthalten 4-31 Vol. C0,. 2. Gasportion: Zur Analyse genommen | ed Nach der Absorption . oe 15-4 15-4 15-6 15-6 637.49 660.74 620.88 635.74 100 Gasvolume enthalten 4-32 Vol. C0O,. Volum bei 0° u. 1000 m Druck in cem 58° 58: 55- 55. 55- 55° -408 52. 52 59. 58- 96- 56- 59° 59- 56° 56- 020 029 043 075 250 216 391 037 991 495 480 227 225 661 671 348 A. SAMOJLOFF UND A. JUDIm: Versuch III. Beobachtetes Druck Volum bei 0° Volum 18 bei 0° u. 1000” Druck in cem in mm in cem 1. Gasportion: 95-1531 16-5 658.64 59.104 93.7755 16-5 668.01 59.076 h Ba 93.2097 16-6 644.29 56-615 Nach der "Absorption { 90-9872 16-7 659-35 56-557 100 Gasvolume enthalten 4-24 Vol. C0,. Zur Analyse genommen | 2. Gasportion: 90-5152 15-9 243.00 20.786 93.1480 15.9 236.42 20-811 ie 95:6697 16-2 :220-60 19.994 Nach der Absorption A 99-4832 16:2 228-1l 19-916 100 Gasvolume enthalten 4-22 Vol. Cv,;. Zur Analyse genommen | 3. Gasportion: Zur Analyse genommen 90-2323 16-9 190.49 16-187 Nach der Absorption . 90.3553 17.0 182.22 15.500 100 Gasvolume enthalten 4-24 Vol. C0,. Versuch IV. 1. Gasportion: Zur Analyse genommen 92.1654 15°0 185.09 16-171 Nach der Absorption . 92.4832 15-1 176.00 15.425 100 Gasvolume enthalten 4-61 Vol. CO,. 2. Gasportion: Zur Analyse genommen 92.1880 15-2 192.18 16-783 Nach der Absorption . 91°6960 15-2 184.32 16-011 100 Gasvolume enthalten 4-60 Vol. C0,. Versuch V. 1. Gasportion: Zur Analyse genommen 90.6628 15-3 154.01 13222 Nach der Absorption . 89-6665 15-3 148.62 12.620 100 Gasvolume enthalten 4-55 Vol. CO,. 2. Gasportion: Zur Analyse genommen 90.1585 15-4 170.99 14-594 Nach der Absorption . 89.2257 15-4 16490 13.928 100 Gasvolume enthalten 456 Vol. CO,. ZUR METHODIK DER (GASANALYSE. 349 Versuch VI]. Beobachtetes Druck Volum bei 0° Volum md bei 0° u.1000”"m Druck in cem in mm in cem 1. Gasportion: a Bio 15-2 78.69 6-3155 Je 8 es 15.2) 80.34 6-3299 . "br 2530000. 015.4. 74.10 5°9765 Nach der Absorption . | 83-4919 15-4 75.69 5.9828 100 Gasvolume enthalten 5-43 Vol. C0,. 2. Gasportion: Zur Analyse genommen 86-0363 16-3 70673 5.7382 Nach der Absorption . 85.5919 16-4 67.205 5.4266 100 Gasvolume enthalten 5-43 Vol. CO,. Das im Eudiometer befindliche CO,-freie Gas wird dann sofort nach der CO,-Bestimmung ohne jegliche Ueberführung des Gases, in demselben Eudiometer, auf seinen Sauerstoffgehalt durch Verpuffen mit Wasserstoff analysirt. Das Wasserstoffgas wurde durch Einwirken von Zink auf Schwefel- säure in der Weise, wie es von Schaternikoff und Setschenoff!. beschrieben ist, entwickelt. Wir führten Wasserstoff in das Eudiometer vermittelst der beschriebenen Pipette und entnahmen dem Generator in jedem Versuche nur die zum Verpuffen des zu analysirenden Gases nöthige Wasserstoffmenge. Unser Apparat gestattet uns eine grosse Vereinfachung in der Beziehung, dass wir in das Eudiometer keine Platindrähte ein- zuschmelzen brauchen. Das zu analysirende Gas + Wasserstoff befindet sich zwischen zwei (@uecksilbermassen; man braucht nur dieselben durch Drähte mit den Polen des Inductoriums zu verbinden. Der eine Pol wurde zum (uecksilber in dem Kästchen 7 abgeleitet, der andere mit irgend einem Punkte des metallenen Zinkkastens verbunden. Lässt man nun durch Drehung des Hahnes / Quecksilber aus Z in das Eudiometer fliessen und gleichzeitig für einen Moment den Hammer des Inductoriums spielen, so springen zwischen den Tropfen des Quecksilberstrahles Funken über. Merkwürdiger Weise erhält man Funken auch dann, wenn man Quecksilber bloss-tropfenweise fallen lässt. Während des Verpuffens muss A entweder mit 3 oder mit G@ communiciren. Wir führen hier einige Sauerstoffbestimmungen der atmosphärischen Luft an. 1 Schaternikoff und Setschenoff, Zeitschrift für physik. Chemie. 1895. Bd. XVII. S. 563. 350 A. SAMOJLOFF UND A. JuUDm: Versuch I. Beobachtetes Druck Volum 7° bei 00 in ccm in mm Zur Analyse genommen . 86-6284 16-4 90-98 Nach dem Einführen vonH, 87-4710 16-5 165.14 Nach der Explosion. . . 86-5423 16-55 2109-61 100 Gasvolume enthalten 20:97 Vol. 0,. Versuch II. Zur Analyse genommen . 86-7637 16:0 151.06 Nach dem Einführen vonH, 86-3086 16-55 26126 Nach der Explosion. . . 86.6407 16-6 165.08 100 Gasvolume enthalten 20.97 Vol. O,. Versuch III. Zur Analyse genommen . 86-4868 16-15 158.18 Nach dem Einführen vonH, 86-6161 16-3 30085 Nach der Explosion. . . -86-7022 16-3 201.30 100 Gasvolume enthalten 20-96 Vol. O,. Versuch IV. Zur Analyse genommen .° 86-5915 15.8 145-135 Nach dem Einführen von H, 86.5300 15-8 294.43 Nach der Explosion. . . 86-3332 15°8 203.37 100 Gasvolume enthalten 21-60 Vol. 0,. Versuch \. Zur Analyse genommen . 86-6714 15°9 143.10 Nach dem Einführen von H, 86-4008 15-95 295-75 Nach der Explosion. . . 86-3332 15-95 202.34 100 Gasvolume enthalten 20.99 Vol. 0,. Versuch VI Zur Analyse genommen . 86-3824 15-2 151°80 Nach dem Einführen von H, 86-2840 15-3 301.93 Nach der Explosion. . . 86-3578 15-5 20603 100 Gasvolume enthalten 20-99 Vol. O,. Versuch VII. Zur Analyse genommen . 86-3701 16-65 152.08 Nach dem Einführen vonH, 86-4951 16-65 352.00 Nach der Explosion. . . 86-3332 16-7 256.74 100 Gasvolume enthalten 21-01 Vol. 0,. Volum bei 0° u. 1000” Druck in cem 7:-4342 13°6220 8:9437 12.360 21-261 13.484 12.917 24.592 16.468 11-880 24084 16.598 12.130 24.144 16-505 12.422 24.670 16.849 12-581 28698 20.889 ZUR METHODIK DER (FASANALYSE. 351 Versuch VIII. Beobachtetes Druck Volum bei 0° Volum 70 bei 0° u. 1000" m Druck in cem in mm in ccm Zur Analyse genommen . 86.4070 15.4 134-16 10.974 Nach dem Einführen von H, 86-4070 15-4 277.54 22.702 Nach der Explosion. . . 86-3024 15.4 193-530 15.792 100 Gasvolume enthalten 20-99 Vol. 0,. Versuch IX. Zur Analyse genommen . 86-2840 15°7 139.81 11-408 Nach dem Einführen von H, 86.3824 15-7 389.69 31'828 Nach der Explosion. . . 86-3578 15-8 301:99 24654 100 Gasvolume enthalten 20:96 Vol. 0;,. Versuch X. Zur Analyse genommen . 86-4623 16°3 138-66 11-314 Nach dem Einführen von H, 86.4070 16-35 372-71 30386 Nach der Explosion. . - 86-2717 16-35 286-06 23-286 100 Gasvolume enthalten 20.92 Vol. O,. Versuch XI. Zur Analyse genommen . 86-3086 16-5 141-46 11-514 Nach dem Einführen von H, 86-2963 16-5 383-835 31-198 Nach der Explosion. . . 86-2225 16-5 294.62 23-956 100 Gasvolume enthalten 20.97 Vol. O,.. Versuch XII. Zur Analyse genommen . 86°3701 16-4 147.83 12.045 Nach dem Einführen von H, 86-3393 16-45 372.89 30-367 Nach der Explosion. . . 86-3086 16-45 279.91 22.787 100 Gasvolume enthalten 20-98 Vol. 0O,. Der beschriebene Apparat gestattet, wie es ohne Weiteres klar ist, die Sauerstoffbestimmung in sehr bequemer Weise auch durch Absorption mit Pirogallussäure auszuführen. Ein bestimmtes Gasvolumen wird nach. der Messung im Eudiometer in die oben beschriebene Pipette mit Pirogallus- säure übergeführt. Die Pipette wird dann vom Apparat durch Abziehen von Schlauch N abgenommen und energisch geschüttelt. Im Uebrigen werden hier dieselben Manipulationen wiederholt, die wir bezüglich der CO,-Absorption oben besprochen haben. Wir führen hier zwei derartige Analysen (die einzigen die gemacht wurden) an: 352 A. SAMOJLOFF UND A. JUDIN: ZUR METHODIK DER GASANALYSE. Versuch I. Beobachtetes Druck Volum 2 bei 0° in ccm in mm Zur Analyse genommen. 117-7359 18-4 328.47 Nach der Absorption . 111-2261 18-6 275.12 100 Gasvolume enthalten 20-91 Vol. 0,. Versuch I. 122-5821 18-65 361.72 122.4222 18.65 368.02 115-4235 18-75 308.50 115-2267 18-75 5309-10 100 Gasvolume enthalten 21.00 Vol. O,. Zur Analyse genommen . H | Nach der Absorption . \ Volum bei 0° u. 10002 Druck in cem 31°230 28-651 42.187 42.166 33-314 33-324 Wir lassen hier noch eine vollständige Analyse der ausgeathmeten Luft folgen. Die ganze Analyse mit zweifacher Ablesung bei geändertem Volum und Druck dauert weniger als eine halbe Stunde, gewöhnlich etwa 20 bis 25 Minuten. 1. Gasportion: Zur Analyse genommen . | a I Nach d. Absorpt. von CO, | a a n I r Nach d. Einführen von H, [ a en a Nach der Explosion. | asinosm 18.0 172.88 11.377 11-377 11-118 11-108 22.216 22.272 15-905 15-892 100 Gasvolume enthalten 2-32 Vol. CO, und 18-61 Vol. O,. 2. Gasportion: 94-1445 18-1 137.23 Zur Analyse genommen . | 93.8687 18-1 137-583 775 8. i Nach d. Absorpt. von CO, | Si Rn [f 106-2661 18-3 235.44 Nach d. Einführen von H, | 99.1506 18-3 235.94 Nach der Explosion . De ir ne 12-117 12-108, 11-823 11-835 23-448 23-440 16-668 16-665 100 Gasvolume enthalten 2:34 Vol. CO, und 18.65 Vol. 0,. Wir bitten zum Schluss Hrn. Prof. J. Setschenoff, für seine freund- liche Berathung bei Ausführung der vorliegenden Untersuchung unseren besten Dank entgegennehmen zu wollen. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1900—1901. VII. Sitzung am 8. Februar 1901.' Hr. B. FriepLÄnner: „Ueber Hrn. Alfred Goldsboroush Mayer’s Entdeckung eines Atlantischen Palolo und dessen Bedeutung für die Frage nach unbekannten kosmischen Einflüssen auf bio- logische Vorgänge.“ Meine Mittheilung bezieht sich auf die Veröffentlichung im „Bulletin of Comparative Zoology at Harvard College“. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Hr. A. G. Mayer bei einer der Inseln südwestlich der Süd- spitze von Florida einen Wurm entdeckt hat, der sich im Wesentlichen eben so benimmt wie der Pacifische Palolo®. Nur hat, wie es mir fast sicher der Fall zu sein scheint, Hr. Mayer die Hinterenden des von ihm ent- deckten Wurmes irrthümlicher Weise für die Vorderenden gehalten; ferner aber verdunkelt er die allgemein interessante Frage, in welcher Weise der (als Thatsache unbestreitbare) Einfluss der Mondphasen erklärt werden könne, durch das Hineintragen einer darwinistischen Betrachtungsweise.. — Eine ausführlichere Mittheilung von mir erscheint demnächst im „Biologischen Centralblatte“. Wie mir später bekannt geworden ist, hat auch Hr. E. Ehlers einen Tag nach meiner Mittheilung bei der Physiologischen Gesellschaft, nämlich am 9. Februar, der k. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen von der Mayer’schen Verwechselung von Vorder- und Hinterenden Bericht erstattet; wonach nunmehr kein Zweifel darüber bestehen dürfte. VIII Sitzung am 22. Februar 1901. 1. Hr. E. GrunmAcH berichtet über sein neues Verfahren, die Wirkung der X-Strahlen bei der Aktinoskopie und Aktinographie zu erhöhen, unter Bezugnahme auf die Beequerel’sche Entdeckung der 1 Ausgegeben am 26. März 1901. ? Bulletin of comparative zoology at Harvard College. Vol. XXXVI. Nr. 1. p. 1. ® Vgl. Biologisches Centralblatt. Bd. XVII u. XIX. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 23 spa: VERHANDLUNGEN DER BERLINER Uranstrahlen und auf die wichtige Curie’sche Untersuchung der böhmischen Pechblende, eines Uranerzes, das sich in seiner Strahlenwirkung dem Uran allein noch überlegen zeigte. Aus der Analyse dieses Erzes ergab sich nämlich ein besonders wirk- samer, mit Barium verbundener und ein weniger leistungsfähiger, Wismuth enthaltender Bestandtheil. An diese beiden Producte, die Giesel in con- centrirter Form herstellte, wurden für die Mediein grosse Hoffnungen ge- knüpft, die sich jedoch bisher nicht erfüllten. — Seit längerer Zeit ex- perimentirte Grunmach mit Uranverbindungen nicht in der Absicht, um dieselben statt des Vacuumapparates zu verwerthen, sondern um deren Wirkungen mit der des letzteren zu verbinden und dadurch die Durch- dringungskraft der X-Strahlen noch zu steigern. Zu diesem Zwecke wurden zunächst verschiedene Uranverbindungen auf die Antikathodenplatte der Vacuumröhre angeschmolzen, allein dieselben blieben wegen der. hohen Temperatur durch die Kathodenstrahlung während des Stromdurchganges nicht haften, und die Versuche an der Vacuumröhre misslangen. Deshalb wählte Grunmach einen anderen Weg, indem er mit gelösten Uranver- bindungen einen feinen Leinwandschirm imprägnirte und diesen nach der folgenden Versuchsanordnung in den vom Focus der Vacuumröhre aus- gehenden Strahlengang brachte. — Befindet sich nämlich hinter der Ver- suchsperson eine grosse, dicke Bleiplatte mit einem centralen Ausschnitt von 20:24°%, hinter dieser der von Grunmach präparirte Schirm und zwischen diesem und der von Grunmach construirten Vacuumröhre ein grosser Bleibogen, so leuchten bei Einwirkung des Stromes aus der centralen Lichtleitung in Verbindung mit einem elektrolytischen Unterbrecher und grossen Inductor auf dem vor der Versuchsperson gehaltenen Bariumplatin- eyanürschirm die durchstrahlten Körpertheile in so hellen, scharfen und contrastreichen Bildern auf, wie sie bisher unter anderen Versuchsbedingungen noch nicht beobachtet wurden. Diesem eclatanten Ergebniss der Aktinoskopie entsprachen auch die auf Schleussnerplatten in einem Moment gewonnenen scharfen Aktinogramme von den Brustorganen des Erwachsenen. Besonders werthvoll erwies sich das neue Untersuchungsverfahren zur Durchstrahlung und Aktinographie von starken, fettleibigen Personen. 2. Hr. Franz Mürter: „Ueber Acetonglykosurie.“ (Aus dem thier- physiologischen Institut der Landwirthschaftlichen Hochschule.) Im Anschluss an die Arbeit von W. Ruschhaupt über „Aceton- glykosurie“! sollten die Gründe erforscht werden, welche die Glykosurie nach Acetonnarkose bewirken (Kaninchen). Unerwarteter Weise stellte sich aber nur vereinzelt die Ausscheidung reducirender Substanzen im Harn ein (in 13 Versuchen, in denen die Thiere länger als 1 Tag nach mindestens 2stündiger tiefster Narkose lebten, nur 5 Mal); die weitere Untersuchung ergab, dass die Reductionsprobe (Trommer) nur dann positiv ausfiel, wenn die Temperatur der Thiere erheblich gesunken war, oder wenn heftigere Dyspno& erzeugt wurde (Einathmung sauerstoffarmer oder kohlensäurereicher Gasgemische). Die Acetonglykosurie reiht sich demnach in die von Araki? ı W. Ruschhaupt, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XLIV. S. 127. ” Araki, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XVI u. XIX. PpHyYsıoL. Ges. — E. GRUnMmAcCH. — Fr. MÜLLER. — H. VırcHow. 355 genau untersuchten Fälle von Glykosurie ein, bei denen Sauerstoffmangel und Abkühlung das wirksame Moment sind. Die ausführliche Veröffentlichung erscheint im Archiv für experimen- telle Pathologie. Bd. XLVI. Heft 1/2. IX. Sitzung am 8. März 1901. Hr. H. Vırcnow: „Ueber die Netzhaut von Hatteria punctata.“ Meinen Mittheilungen über die Netzhaut von Hatteria, welche in einem eben erschienenen Vortrage! enthalten sind, möchte ich einige Bemerkungen hinzufügen. Dieselben betreffen: 1) die Zapfenlinsen; 2) die Membrana limitans externa; 3) die Faserkörbe; 4) die Erscheinungsweise der Doppelzapfen; 5) Arten bezw. Modifieationen der Einzelzapfen. Die genannten Fragen sind wohl an sich von einander unabhängig und lassen sich, nachdem man zur Klarheit über sie gekommen ist, getrennt be- handeln; vor dem Object jedoch stellt sich heraus, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. In Folge dessen ist auch die Reihenfolge, in der man die einzelnen Punkte erörtert, nicht willkürlich. Die technische Seite der Untersuchung kann ich auch hier nicht ganz mit Stillsehweigen übergehen. Ich habe sowohl osmirtes wie nitrirtes Material verarbeitet?, und die mikroskopischen Bilder sind in beiden Fällen so gut, dass, wenn nur eine Methode der Conservirung angewendet worden wäre, kaum der Verdacht einer Veränderung entstehen würde; und doch differiren die Bilder nicht unerheblich. Dies bestätigt die hundertfältige Erfahrung, dass selbst die gut fixirenden Reagentien die Objecte in einseitiger Weise beeinflussen und erschwert das Urtheil darüber, wie das Object in Wahrheit aussieht. In früheren Untersuchungen, vor 30 Jahren, findet man oft die Forderung, das Urtheil in erster Linie auf die frische Untersuchung zu basiren, aber in dem Maasse, wie die Methodik verbessert worden ist, hat man es für zweckmässig gefunden, die frische Untersuchung in letzter Reihe vorzunehmen, nicht in dem Sinne, als sei sie die am wenigsten wichtige, sondern im zeitlichen Sinne. Denn die frische Untersuchung ist bei einem so zarten und hinfälligen Object ganz besonders schwierig und kann erst dann mit Nutzen stattfinden, wenn für sie ganz bestimmte Fragestellungen aus dem fixirten Material gewonnen sind. Bei den Methoden der Fixirung aber und der daran sich anschliessenden Beizung, Färbung u. s. w., haben wir nicht nur zu fragen: bei welcher Methode bleibt das Object dem natür- lichen Zustande am ähnlichsten? sondern auch: welche Einzelheiten lehrt uns eine Methode kennen, selbst wenn dieselbe unzweifelhafte Abänderungen ! H. Virchow, Ueber die Netzhaut von Hatteria. Setzungsber. der Ges. naturf. Freunde. Jahrg. 1901. 8. 42—62. 2 A.a.0. S. 42. 23* 356 VERHANDLUNGEN DER BERLINER des natürlichen Zustandes mit sich bringt? In meinem Falle möchte ich glauben, dass die Salpetersäurebehandlung die Form der Sehzellen weitaus besser fixirt hat, während an den Schnitten der osmirten Netzhaut durch- weg eine leichte Schrumpfung bemerkbar ist. Andererseits zeigen die letz- teren manches mit grösserer Klarheit, insbesondere das Verhalten der Zapfen- fasern, aber auch eine schon erwähnte Differenz in dem Aussehen der Zapfenkörner. ! Ich gehe nun zur Besprechung der Eingangs bezeichneten Fragen über: 1) Zapfenlinsen. — Ich habe in meinem früheren Vortrag die beiden Einschlüsse, welche sich im Zapfeninnenglied ausser der Oelkugel finden, als „Linsen“ (Aussenlinse und Innenlinse) bezeichnet.” Der äussere dieser beiden Körper ist das „Ellipsoid“ von W. Krause, der „linsenförmige Körper“ von M. Schultze, der „Schaltkörper“ (Corps intercalaire) von Ranvier’; der innere ist das „Paraboloid“ von W. Krause, das „Oval“ von Merkel, der „Nebenkörper“ (Corps accessoire) von Ranvier. C. K. Hoffmann hat leider die Bezeichnung Ellipsoid, oder — wie er sagt — „Ellipsoide“ auf die Innenlinse, also das Paraboloid Krause’s, angewendet und hat die Unklarheit noch weiter dadurch vermehrt, dass er bei Coluber einen Körper, der der Lage nach beiden Linsen, der inneren und der äusseren zusammen, entspricht, als Ellipsoid bezeichnet. Ich sage ausdrücklich: „der Lage nach“. Denn der innere dieser beiden Körper verhält sich sowohl der Gestalt wie den tinctoriellen Eigenschaften nach ganz anders wie die Innen- linse von Hatteria: die Innenlinse von Hatteria ist ein ellipsoidischer Körper, welcher der Aussenlinse eine Convexität zuwendet, der innere Inhaltskörper von Coluber dagegen wendet nach aussen eine tiefe Aushöhlung, in welcher der äussere steckt; die Innenlinse von Hatteria ist chromophob, der innere Inhaltskörper von Coluber chromophil. Aus der Beschreibung der Form, welche ich früher gegeben habe, geht hervor, dass keine Aehnlichkeit mit dem Pflanzensamen, von welchem der Name genommen ist, oder mit der Krystalllinse des Auges besteht; aber wir sprechen ja auch in der Optik nieht nur von biconvexen, sondern auch von planconvexen, concav- convexen u.s. w. Linsen. Der Name „Zapfenlinse“ hat also hier nicht einen formalen, sondern einen functionellen Sinn, wobei ich jedoch bereitwillig zugebe, dass ein Beweis dafür nicht erbracht ist, dass die genannten Ein- schlüsse auf den Gang der Strahlen Einfluss haben. Jedenfalls scheint mir diese Ausdrucksweise bequem und verständlich. a) Aussenlinse. — Es ist mir jetzt noch wahrscheinlicher wie früher, dass die Oelkugel nicht nur der Aussenlinse angedrückt, sondern in dieselbe eingebettet ist. Ich führte schon an, dass an Eisen-Hämatoxylin-Präpa- raten eine feine Linie von demselben schwarzen oder schwarzblauen Farben- ton wie die Aussenlinse an der Oberfläche der Oelkugel emporgeht und diese einschliesst. Man findet also an solchen Schnitten eine feine schwarze Linie zwischen Oelkugel und Aussenglied, während sowohl die Oelkugel wie das Aussenglied ganz farblos sind. Sieht man genauer zu, so findet man, dass diese feine Linie am Rande, d. h. dort, wo sie an die Seitenfläche des 1 A.2.0. 8.49. 2? A.a. O. 8.53. ? Traite technique. p. 963. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHoWw. 357 Zapfens anstösst, sich zu einem kleinen Dreieck verbreitert; und wenn man Immersionsobjeetive anwendet, so tritt je nach der Einstellung entweder eine gleichmässig dieke Linie oder eine sehr feine Linie mit zwei Rand- verbreiterungen hervor. Man hat es also mit einer dünnen Scheibe mit ringförmiger Randverdiekung zu thun. Dies spricht dafür, dass die Aussenlinse bis an das Aussenglied heranreicht und die Oelkugel in sich enthält. b) Innenlinse. — An Präparaten aus Flemming'scher Flüssigkeit, welche ich besitze, sind die Zapfen im Bereich der Innenlinsen stark ver- schmälert (geschrumpft), woraus sich auf Flachschnitten ganz wunderliche Bilder ergeben. Dieser Theil des Zapfens macht, um es stark auszudrücken, an solchen Präparaten den Eindruck eines zusammengefallenen Schlauches. Da an den gleichen Präparaten die Zapfen im Bereich der Aussenlinsen nicht collabirt sind, so entsteht die Vorstellung, dass die letzteren eine andere Consistenz, eine mehr körperliche Beschaffenheit haben, dass dagegen der Inhalt der Innenlinsen von mehr flüssiger Beschaffenheit ist. Ich habe schon hervorgehoben, dass sich an den Innenlinsen eine durch dunkleren Färbungston erkennbare Rinde oder Kapsel findet!, und dass die kleineren Gebilde dieser Art an den beiden Polen knöpfchenartige Verdiekungen besitzen. Ich habe jetzt hinzuzufügen, dass auch die mittelgrossen Formen der Innenlinsen an dem basalen Pol ihrer Kapsel flache Verdickungen tragen können, wodurch eine Ueberleitung zu der vorerwähnten Formation hergestellt wird. Ferner habe ich beizufügen, dass an den kleineren Formen diese Kapselverdickung des basalen Poles zuweilen spitz ausgezogen ist, wodurch vielleicht eine Aufklärung über die in der Litteratur vorkommenden Achsenfasern der Innenglieder angebahnt werden kann. Auch über die räthselhaften, mehr solide erscheinenden Ein- schlüsse, welche in vielen schmalen Zapfen an Stelle der Innenlinsen ge- troffen werden, kann ich mich etwas eingehender und bestimmter aussprechen. Ich habe dieselben als Stiftehen bezeichnet, jedoch beigefügt, dass sie keines- wegs regelmässig geformt seien. Die fehlende Regelmässigkeit, die höckerige Oberfläche, die oft wahrnehmbare Zusammensetzung aus mehreren Brocken will ich noch einmal ausdrücklich betonen, da die Bezeichnung „Stiftehen‘ dazu verleiten könnte, an eine typische Gestalt derselben zu denken. Der Verdacht läge nahe, dass eine Veränderung durch das fixirende Reagens (Salpetersäure) stattgefunden habe, aber ich halte denselben für gänzlich unberechtigt, da die genannten Einschlüsse nieht in Abschnitten der Netz- haut localisirt, sondern die mit ihnen versehenen Zapfen unter andere, mit wohlgestalteten Innenlinsen ausgerüstete Zapfen gemischt sind. Die Zahl der Zapfen, welche diese räthselsaften Gebilde in sich bergen, ist sehr gross, und wie ich schon sagte, findet man dieselben noch sehr dicht an der Fovea, wo grössere Formen von Innenlinsen nicht mehr angetroffen werden. Für die morphologische Zugehörigkeit der fraglichen Gebilde zu den Innenlinsen spricht ihre Lage. Ein Bedenken erwächst nur daraus, dass sie durch das Eisenhämatoxylinverfahren sowie durch Säurefuchsin gleichzeitig mit den Aussenlinsen und gleich stark wie diese gefärbt werden können, während die ganze übrige Netzhaut farblos ist; wogegen sich die Innenlinsen selber durch Chromophobie vor allen anderen Bestandtheilen auszeichnen. Ich 1 A.a.0. 8.56. 358 VERHANDLUNGEN DER BERLINER glaube aber auch in dieser Hinsicht jetzt nach genauerer Untersuchung mittels Immersion das Thatsächliche besser erkannt zu haben, wenn ich auch keine Erklärung dafür zu geben vermag. Ich habe schon angeführt, dass bei den kleinen Formen der Innenlinsen gelegentlich chromophile Körnchen am basalen Pole getroffen werden, und diese Erscheinung findet sich bei genauerer Untersuchung häufig. Fasst man nun die gefärbten Stiftehen genauer in's Auge, so kann man oft zwischen den Brocken und Höckern hindurch im Inneren noch einen ungefärbten oder schwach gefärbten Bestandtheil erkennen, und es entsteht die Vorstellung, dass es sich um sehr kleine, insbesondere schmale Innenlinsen handelt, welche von der chromo- philen Substanz umgeben sind. Ob aber die letztere in die Rinde der Linsen eingelagert oder auf dieselbe abgesetzt ist, möchte ich einstweilen unentschieden lassen. 2) Membrana limitans externa. — Das Bild der Limitans auf senkrechten Schnitten ist wohlbekannt. Sie erscheint dort als eine scharfe Linie und mittels der Eisenhämatoxylinfärbung gelingt es, sie als schwarzen Strich hervorzuheben und vielfach auch die Weite der Löcher in ihr genau zu erkennen, in welchen die Zapfen stecken. Und dies ist der Punkt, von dem ich sprechen möchte. Meine Schnitte haben eine Dicke von 5 u und theilweise von 3 «, und es wäre für die Darstellung dieser Lücken besser, noch dünnere Schnitte zu haben, aber sie sind doch an vielen Stellen mit vollkommener Deutlichkeit erkennbar. Aus den Lehrbüchern ist nicht zu ersehen, wie gross die Oeffnungen und wie gross dem entsprechend die Abstände von je zwei Oeffnungen sind. Diese Frage steht in inniger Be- ziehung zu der anderen Frage, ja sie ist mit ihr völlig identisch, ob die Zapfen beim Uebergange der Innenglieder in die Zellkörper eingeschnürt sind bezw. in welchem Maasse sie es sind. Der neueste Bearbeiter der Netz- haut, Greeff!, welchem ausgiebiges und anscheinend gut conservirtes eigenes Material zur Verfügung stand, ist in seinen diesbezüglichen Abbildungen nicht einheitlich. Er bildet eine Einziehung an der erwähnten Stelle der Zapfenzelle ab beim Sperling (S. 118) und Frosch (S. 96 und 102). Dagegen fehlt eine solche an den Figuren von Barsch (S. 109), Eidechse (8. 117), Schwein (8. 108) und Mensch (8. 99 und 114), während wieder im Schema der menschlichen Netzhaut (S. 87) eine solche zu sehen ist. Auf den Figuren des genannten Autors, wo die Einschnürung fehlt, geht überdies das Zapfen- innenglied nicht in gleicher Breite in den Zellkörper über, sondern zeigt an der Verbindungsstelle einen treppenförmigen Absatz. Vergegenwärtigt man sich nun eine Netzhaut, wie die von Hatteria, in welcher wahrscheinlich nur Zapfen vorkommen, und vergegenwärtigt man sich, dass diese Zapfen sich gegenseitig berühren, so müsste, wenn die basale Einschnürung fehlt, die Limitans an den Berührungsstellen der Zapfen nur die Breite eines feinen Striches besitzen und sich jedes Mal in dem Zwischenraum zwischen je drei zusammen stehenden Zapfen zu einem kleinen dreieckigen Felde ver- breitern. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr erkennt man auf Flach- schnitten, dass die trennenden Balken oder Membranabschnitte zwischen je ! Greeff, Die mikroskopische Anatomie des Sehnerven und der Netzhaut. Graefe- Saemisch, Handbuch der gesammten Augenheilkunde. 1900. 2. Aufl. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOWw. 359 zwei Zapfenlöchern eine bemerkenswerthe Breite, etwa !/, des Zapfen- loches selbst, besitzen, und bei der Benutzung der Mikrometerschraube kann man das Schmälerwerden der Zapfeninnenglieder gegen die Basis hin deut- lich wahrnehmen. Auch auf den senkrechten Schnitten ist zu erkennen, dass das Zapfeninnenglied an der Basis schmäler wird, und dass die Zapfen- zelle unterhalb der Limitans sich wieder verbreitert. Die hiermit gewonnene bestimmtere Vorstellung ist sowohl für die Limitans als für die Fixirung der Zapfen von Bedeutung. Die Limitans gewinnt eine grössere Festig- keit, indem sie eine durchlöcherte Platte und nicht ein Gitterwerk dünner Fäden ist; und die Zapfen sind in ihrer Lage besser fixirt, indem sie in den Zapfenlöchern eingeklemmt sind. Eine gewisse Beziehung zu der eben erörterten Frage haben solche Zapfenkörner, welche ihre Lage ganz oder theilweise an der Aussenseite der Limitans gefunden haben. Solche Körner, welche ausserhalb der Limitans liegen, oder nach der Ausdrucks- weise von Greeff! „vorgelagerte Körner“, habe ich bei Hatteria nicht ge- troffen, wohl aber in nicht geringer Zahl solche, welche mit einem kleineren Theil ihres Körpers über die Limitans prominiren. Soweit es sich dabei um Körner von Doppelzapfen handelt, habe ich bisher nur die der Neben- zapfen und niemals die der Hauptzapfen vorragend gefunden. Diese über die Grenzhaut vorspringenden Körner demonstriren gleichfalls die Enge der Zapfenlöcher, indem das vorragende Stück an der Stelle, wo es mit der Limitans in Berührung steht, eingeschnürt ist. 3) Faserkörbe. — Den eben geschilderten Verhältnissen muss man einen gewissen Einfluss auf die Vorstellung von den sogen. „Faserkörben“ einräumen. Seit M. Schultze werden die Fasern, welche die Faserkörbe zusammensetzen, abgebildet als ein Besatz ziemlich gleichmässig gestellter Haare, welche von der Limitans senkrecht emporstehen; z. B. bei Schwalbe S. 94 und Greeff 8. 169. Die oben gegebene Schilderung aber von der Limitans der Hatteria fordert zu einer genaueren Präeisirung in doppeltem Sinne auf: Erstens ist ja wie gesagt das zwischen zwei Zapfenlöchern ge- legene Limitansstück von einer gewissen Breite und daher eine Angabe nöthig, ob dieses ganze Feld von Fasern bestanden oder nur der Rand des Zapfenloches von solchen eingefasst ist; zweitens aber gleicht der Raum zwischen je zwei Zapfeninnengliedern nicht einem senkrechten von oben bis unten gleich weiten Spalt, sondern hat auf senkrechten Schnitten eine conische Gestalt, indem er an den Basen der Zapfen eine gewisse Weite besitzt und nach oben, gegen den bauchigen Theil der Innenglieder, sich zuspitzt. Daher kann auch nicht erwartet werden, dass die Fasern, welche die Faserkörbe zusammensetzen, genau die senkrechte Stellung haben, welche man auf den schematisirenden Abbildungen der Lehrbücher erblickt, sondern sie müssen etwas gekrümmt sein, und ihre äusseren Enden müssen mit denen benachbarter Faserkörbe convergiren. Auf die hier angeregten Fragen vermag ich bisher eine völlig sichere Auskunft nicht zu ertheilen, obwohl ich, abgesehen von Hunderten von senkrechten Schnitten, eine ziem- liche Zahl von Flachschnittserien angefertigt habe. Die Bilder variiren erheblich, je nachdem sie vom osmirten oder nitrirten Material genommen ENaSOSAl32. ?2 G. Schwalbe, Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane. 1887. 360 VERHANDLUNGEN DER BERLINER sind. Es scheint mir jedoch, dass die Fasern sich auf die Umrandung der Zapfenlöcher beschränken. 4) Erscheinungsweise der Doppelzapfen. — Es handelt sich bei den nun folgenden Bemerkungen nicht so sehr um neue Thatsachen als um eine mehr methodische Betrachtung der Doppelzapfen von allen Seiten und eine dadurch zu erreichende grössere Präcision der Vorstellung. So wie wir von einem Menschen ein vollkommeneres Bild gewinnen, wenn wir ihn nicht nur von der Seite, sondern auch von vorn betrachten, und von einem Schädel, wenn wir ihn nach einander von der Seite, von vorn, von oben bezw. auch von hinten und von unten ansehen, so müssen wir auch die Seitenansicht der Doppelzapfen durch die Vorderansicht und durch Flach- schnitte ergänzen. Die Seitenansicht habe ich schon geschildert! und ich will hier nur bemerken, dass meine frühere Darstellung in einem Punkte durch die genauere Untersuchung von Flachschnitten eine grössere Be- stimmtheit gewonnen hat. Es zeigt sich nämlich, dass an der Basis, hart auf der Limitans, die Querschnittsfigur von Haupt- und Nebenzapfen sich ebenso wie die Querschnittsfigur des oberen Endes als eine kreisförmige Scheibe darstellt, welche durch eine gerade Linie halbirt ist. Nach dieser Bemerkung und nach den früher gemachten Angaben erscheint der Doppelzapfen als eine durchaus streng gebaute Combination, ein bilateral- symmetrisches Gebilde, dessen Symmetrieebene auf der geraden Thei- lungslinie des oberen sowie des unteren Endes rechtwinklig steht. Die Vorder- bezw. Rückansicht des Doppelzapfens kann man sich nach dem Mitgetheilten construiren. Sie lehrt über den Doppelzapfen selbst nichts Neues, ja ist sogar an sich unverständlich, weil die beiden Zapfen bei ihr in gegenseitiger Deckung sind; die Beachtung dieses Bildes hat jedoch gerade um des letztgenannten Umstandes willen eine grosse kri- tische Bedeutung, indem derartige Doppelzapfen eben wegen der Deckung für einfache Zapfen gehalten werden können. Aussenglied fällt hier auf Aussenglied, Zapfenkorn auf Zapfenkorn, während dieser trügerische Einzel- zapfen von dem Nebenzapfen die grosse Innenlinse und von dem Haupt- zapfen die Aussenlinse und die Oelkugel aufweist. Es ist kaum zu zweifeln, dass von den Untersuchern mehr als ein Mal dieser Irrthum begangen worden ist. Was aber diese Doppelzapfen in Vorderansicht oder Pseudoeinzelzapfen kenntlich macht und sie von wirklichen Einzelzapfen unterscheidet, das ist erstens der Umstand, dass bei ihnen die Innenlinse nicht an die Aussen- linse anstösst, sondern von ihr durch einen Abstand getrennt ist, und zweitens der conische Körnerhaufen des Nebenzapfens, von dem ich früher gesprochen habe.” Das basale Stück dieses Körnerhaufens ist in dem Zwischenraum zwischen Innenlinse (des Nebenzapfens) und Aussenlinse (des Hauptzapfens) sichtbar, während die Spitze desselben durch die Aussenlinse verdeckt wird. Ich will nieht unterlassen, zu erwähnen, dass Ranvier? den Haupt- zapfen der deutschen Autoren als Nebenzapfen und den Nebenzapfen als Hauptzapfen aufführt. I7A.2.058259: ZERO S760! 37A.a. 089578 PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOWw. 361 Dem Doppelzapfen entspricht, soviel ich erkennen kann, in der Limi- tans eine gemeinsame Oeffnung. Hauptzapfen und Nebenzapfen sind nach den Angaben der Litteratur mit ihren Innengliedern verwachsen. Diese Auffassung wird man als richtig bestätigen müssen, obwohl über die Art der „Verwachsung“ genauere Aufschlüsse zu fordern sind. Flachschnitte zeigen überall eine scharfe Trennungslinie zwischen den beiden Com- ponenten, und nur zuweilen habe ich in der Mitte der geraden Linie, welche die basalen Abschnitte trennt, eine Unterbrechung gesehen. Abgesehen von dieser Stelle, an welcher möglicher Weise, aber auch nur in Einzelfällen, eine Continuität der Innenglieder in minimaler Ausdehnung vorkommt, kann ich einen Zusammenhang der Substanz nicht finden, will aber ausdrücklich hervorheben, dass ich über den eigentlichen, den Zellkern umgebenden Zellkörper so wenig anzugeben weiss — wie dies ja gewöhnlich auf Retinaschnitten der Fall ist —, dass ich die Möglichkeit einer Continuität dieser einräumen muss. Niemals aber habe ich Anzeichen dafür gefunden, dass einem der beiden Componenten des Doppelzapfens ein Stück gefehlt oder dass auf grössere Ausdehnung eine Continuität bestanden hätte, und ich habe schon von fern angedeutet !, dass alle Angaben in der Litteratur, in welchen von unvollkommenen Doppelzapfen bei Amphibien, Reptilien und Vögeln die Rede ist, mir der Revision bedürftig erscheinen. Hoffmann’ findet bei Emys ausser Nebenzapfen ohne Oelkugel auch solche mit Oelkugel, d. h. also Doppelzapfen, in welchen sowohl Hauptzapfen wie Nebenzapfen mit Oelkugel ausgestattet sind, und zwar bald mit gleich gefärbter, bald mit verschieden gefärbter (8. 25); er hält diese Angabe aus- drücklich gegen die abweichende Behauptung von M. Schultze aufrecht (5. 28). Auch sagt er: „Die Nebenzapfen stimmen im Bau vollkommen mit den einfachen Zapfen überein“ (8. 25). Das würde also heissen, dass der Nebenzapfen ausser der eben erwähnten Oelkugel und der Innenlinse auch eine typische Aussenlinse enthält. Eine so weitgehende Abweichung von dem Bau des Nebenzapfens bei Emys gegenüber anderen Reptilien muss allerdings sehr auffallen. 5) Arten bezw. Modificationen der Einzelzapfen. — Wenn man die Frage nach dem Vorkommen verschiedener Formen von Zapfen erörtern will, so sind im Voraus drei Stellen der Netzhaut auszuschalten: die Fovea centralis, die Stelle unmittelbar an der Sehnervenpapille und die Randzone. a) Fovea. — Ich habe über die Fovea schon gesprochen ? und bemerke hier nur, dass die Fovea schmale Einzelzapfen mit Oelkugeln und Aussen- linsen, jedoch ohne Innenlinsen enthält. b) Papille. — Osawa* leitet seine Besprechung dieser Stelle mit den Worten ein: „Ausser der Nervenfaserschicht werden alle Schichten redueirt.“ Was der genannte Autor in der Begründung dieses Satzes ausspricht, stimmt theilweise mit meinen Befunden überein; ich kann aber trotzdem den an- geführten Satz selbst nicht als eine zutreffende Formulirung des Thatbestandes 1 A.a.0. S.58. ®C.R. Hoffmann, Niederländisches Archiv für Zoologie. Bd. 111. ® A.a. 0. S. 60. * G.Osawa, Beiträge zur Lehre von den Sinnesorganen der Hatteria punctata. ‚Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. LIl. S. 283. 362 VERHANDLUNGEN DER BERLINER anerkennen. Ich muss vielmehr aus meinen Befunden den Satz ableiten, dass bis an die Papille heran, d. h. anstossend an die durch die Netzhaut hindurchtretenden Sehnervenfasern alle Schiehten vorhanden sind, auch die Zwischenkörnerschicht und alle geweblichen Bestandtheile, auch die Zapfenkegel, Aussenlinsen, Innenlinsen und Oeltropfen. Nur die Aussen- glieder habe ich an den am meisten proximal gelegenen Zapfen bisher nicht nachweisen können. Die Nervenzellenschicht (Ganglienzellenschicht) beginnt neben der Papille unregelmässig; aber ich finde dies in den Worten . von Osawa: „Die Ganglienzellen werden spärlich“, nicht ganz zutreffend ausgedrückt, denn während die Schicht derselben zum Theil unterbrochen ist, haben die Zellen andererseits eine mehrschichtige, nesterartige Anordnung. Einzelne Kerne dieser Schicht zeichnen sich durch bedeutende Grösse aus. ec) Randzone. — Ich vermeide den oft in unpräeisem Sinne gebrauchten Ausdruck ,„Ora serrata“. Derselbe, der nur die Randlinie selbst bezeichnet und zwar diejenige Form derselben, bei welcher die Linie nicht glatt verläuft, sondern Zacken nach vorn schickt, hat neuerdings durch die Bearbeitung von OÖ. Schultze! eine besonders helle Beleuchtung erfahren. Der genannte Autor hebt hervor, dass diese eigenartige Randbildung der Netzhaut nur beim Menschen, wo sie sich aus der Entwickelung erkläre, vorhanden sei; hält es aber für möglich, dass sie auch bei Affen vorkomme. Ich möchte hierzu bemerken, dass ich ein Stück vom Auge des Schimpanse besitze, welches ich als besonders schönes Demonstrationsobjeet für die Ora serrata aufbewahre. Die Randzone der Reptiliennetzhaut ist durch das Vorkommen. rudi- mentärer, d. h. unvollkommen entwickelter Zapfen ausgezeichnet, welche schon durch Beschreibung und Abbildungen W. Krause’s bekannt geworden sind.” Bei Hatteria finde ich diese Randzone sehr breit. Ich habe allerdings nur eine Stelle untersucht und muss es unentschieden lassen, ob die Verhältnisse im ganzen Umkreise gleichartige sind. Man kann das in Rede stehende Gebiet von der Stelle an rechnen, wo die Zapfen auf- hören sich gegenseitig zu berühren, oder mit anderen Worten, wo zwischen den einzelnen Zapfen Lücken auftreten, und man kann die ganze Randzone in drei Abschnitte, einen proximalen, einen mittleren und einen distalen zerlegen. Der proximale Abschnitt enthält noch wohlausgebildete Zapfen. Der Umstand, dass dieselben sich nicht mehr berühren, ist darauf zurück- zuführen, dass die Breite der einreihig angeordneten Körner unver- mindert geblieben ist, während die Zapfen schmäler geworden sind. Dieser Abschnitt umfasst 25 Zellenbreiten. Im mittleren Abschnitt vergrössern sich die Lücken zwischen den Zapfen, da die Grösse der Körner constant bleibt, die der Zapfen dagegen in zunehmendem Maasse zurückgeht. So kommen ganz eigenthümliche Bilder zu Stande, indem den grossen kugeligen Kernen zierliche, oft winzige Zapfen aufsitzen. Die Abänderung der Zapfengestalt, das Zurücksinken in einen rudimentären Zustand ist aber noch durch zwei Züge näher zu cha- rakterisiren, erstens dadurch, dass die Abstufung der Formen nicht gleich- 0. Schultze, Ueber die Entwickelung und Bedeutung der Ora serrata des menschlichen Auges. Verhandl. der physik.-medie. Gesellschaft zu Würzburg. N.F. Bd. XXXIV. S. 131 —143. ” W. Krause, Die Retina. Internat. Monatsschrift für Anatomie u. Physiologie. Bd. X (Amphibien, Reptilien). PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT, H. VIRCHow. 363 mässig fortschreitend ist, sondern, dass zwischen besser erhaltenen Zapfen sehr kleine, oder auch bereits zwischen zapfentragenden Körnern zapfen- lose auftreten; zweitens dadurch, dass der Weg, auf dem die Zapfen rudimentär werden, nicht immer der gleiche ist, vielmehr zwei solche Wege existiren. Es giebt nämlich neben vermittelnden Formen zwei Extreme: sehr schmale, aber lange und sehr kurze, aber dieke Zapfen. Dabei sind häufig noch an ganz kleinen Zapfen Oeltropfen und Aussenlinsen be- merkbar. Die Endstufe dieser ganzen Reihe besteht in einem kurzen Kegel, der in einen Faden, das rudimentäre Aussenglied, ausläuft. Ohne Zweifel kann man von einem Stehenbleiben auf embryonaler Stufe sprechen; es ist aber doch zweifelhaft, ob dies die Sache ganz genau erschöpft. Der mittlere Abschnitt umfasst 35 Zellenbreiten. Im distalen Abschnitt giebt es gar keine Zapfen mehr, sondern nur noch Körner, und zwar Körner, die vielleicht etwas anders als die der ausgebildeten Zapfen, aber doch noch von charakteristischem Aussehen sind. Sie stehen nicht mehr ganz continuirlich. Der distale Abschnitt misst 20 Zellenbreiten. Die Randzone im Ganzen hat also die Breite von 80 Zellen. In der Randzone ragen die Körner häufig mit einem Theil ihres Körpers über die Limitans hervor. Fragen wir uns nun, nachdem die besprochenen drei Stellen aus- geschieden sind, ob an den Einzelzapfen typische Unterschiede be- merkbar sind, so wird die Antwort auf diese Frage wesentlich davon ab- hängig sein, welchen differential-diagnostischen Werth man den einzelnen Merkmalen zuschreibt. Es macht sich hier als eine empfindliche Lücke der Umstand geltend, dass an dem conservirten Material über die Farben der Oelkugeln, die sicher vorhanden waren, nichts auszusagen ist. Sehr klar treten die Unterschiede in der Gestalt und Grösse der Innenlinsen hervor; und indem wir unter diesen grosse, mittlere und kleine und neben ihnen die geschilderten stiftehenartigen Gebilde, sowie endlich Zapfen ohne Innenlinsen unterscheiden können, würden wir nach diesem Merkmal etwa fünf Formen zu trennen haben. Auch die Dicke der Zapfeninnen- glieder ist verschieden und könnte zur Unterscheidung verschiedener Formen verwerthet werden. Da aber die Zapfen mit grossen Innenlinsen stets dicke Innenglieder haben und haben müssen, und da andererseits die Zapfen mit kleinen Innenlinsen und stiftehenartigen Körpern schmale Innenglieder be- sitzen, so ist es wahrscheinlich, dass die Dicke der Zapfen zur Grösse der Innenlinsen in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältniss steht, dass also die Eintheilung nach den Innenlinsen und die nach der Dicke zu dem gleichen Ziel führt. Jedenfalls aber würde es bedenklich sein, auf Grund der Diekendifferenzen allein verschiedene Zapfenarten im morphologischen Sinne zu unterscheiden; darauf weist schon der Umstand hin, dass die Zapfendicke gegen die Foveamitte hin allmählich Schritt für Schritt abnimmt. Auch der Umstand verdient gewiss Berücksichtigung, dass in den centralen Stellen der Netzhaut die Zapfen mehr gedrängt stehen, worauf die Anordnung der Körner in zwei Reihen hinweist. Ein sicheres Urtheil über diese Fragen kann nur auf Grund einer streng topographischen Durch- arbeitung gewonnen werden, welche ich noch auszuführen hoffe. 364 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOLOG. GESELLSCH. — A. LoEwY. X. Sitzung am 22. März 1901. Hr. A. Loswyr: „Vorversuche zum Studium der Einwirkungen der Muskelarbeit und des Hochgebirges auf den menschlichen Organismus. Vortragender giebt die Resultate einer an vier Personen (Prof. Zuntz, Dr. Caspari, Dr. Müller und ihm selbst) ausgeführten Versuchsreihe, in der sowohl der Stoff- wie auch der Kraftwechsel, letzterer durch ealori- metrische Bestimmung der Einnahmen und der mit Harn und Koth erfolgenden Ausgaben bestimmt wurde. — Bei zwei Personen wurde die Wirkung der Muskelarbeit untersucht, und es ergab sich, dass dabei — es handelte sich um eine tägliche Marschleistung von 20 bis 22“ auf horizontalem Boden — Eiweiss zurückgehalten, Fett bei der einen Person in geringem Maasse angesetzt, bei der zweiten abgegeben wurde. Bei diesem Individuum war die Eiweisszufuhr eine sehr geringe und die Gesammtealorienmenge un- zureichend. — Bei Dr. Caspari sollte die Wirkung eiweissarmer Nahrung untersucht werden. Anstatt etwa 158"" N erhielt Caspari in einer zweiten Periode nur 10-5 2% N unter Steigerung der Gesammtealorienmenge. Entgegen anderen neueren Untersuchungsergebnissen konnte sich Caspari in 5 Tagen nicht in N-Gleichgewicht setzen, gab vielmehr dauernd N vom Körper her, so dass er in 5 Tagen etwa 1252” Fleisch verlor. — Ein Beweis, dass N-arme Nahrung nicht jedem Individuum bekömmlich, und nicht ohne Weiteres empfohlen werden kann. — An Prof. Zuntz wurde die Wirkung der Somatose auf die Nahrungsresorption studirt. Hierüber wird Prof. Zuntz selbst berichten. — Vortragender giebt dann noch Beob- achtungen über die Perspiratio insensibilis während des Marsches und macht Angaben über die Wassermenge, die von der Haut abgegeben, aber nicht verdunstet, sondern in den Kleidern verblieb. Sie machte einen zum Theil sehr erheblichen Antheil des abgeschiedenen Hautwassers aus und konnte bis zu 81 Procent desselben betragen. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & U0MP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 .#. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .# 80 #2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. . INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Gentralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 %# direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, I Director des Instituts 0.ö. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts” der zu Berlin, Universität Breslau. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois Rermond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bez. in Doppelheften) mit AU LUST im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den inabonkishhen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. : Der Preis des Jahrganges beträgt 54 NM. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W. His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 %, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 c#. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Drück von , Met zger & Wittig in Leipzig Physiologische Abtheilung. 1901. V. u. VI. Heft. | | 882: ARCHIN FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES voN REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN | voN De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, ‘PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1901. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —= FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT VIER ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN. "LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1901. Zu beziehen durch alle Ficihendumen des In- und Auslandes. an am 29. Oktober 1901.) Inhalt Seite FELIX LEWANDOWwsKYy, Zur Kenntniss des Phlorhizindiabetes .. . . . 365 Prır. BorTtTaAzz1, Ueber die Wirkung des Veratrins und anderer Stoffe auf ie quergestreifte, atriale und glatte Musculatur. (Beiträge zur Physiologie - des Sarkoplasmas.) (Hierzu Taf. X-XIV.). . .. | EDMUND SAALFELD, Ein Beitrag zur Lehre von der Bewesnhe und der Inc vatıon der Haare. (Hierzu Taf. XV.). .. . REEL EA BE FRANZ MÜLLER, Zur Kritik des Miescher’schen Häfnömelirs Ne: 443 FRANZ MÜLLER, Ein Beitrag zur Methodik der Bestimmung der mm 459 Hans Rvsz, Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. (Hierzu Pag-Xy EURE) RE IN ner en er AB GIuLIo Fano, Bemerkung zu: „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte von Adolf Bickelr........ ERST An Se a NAID ApoLr Bick£eL, Zu meiner Abhardine, „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte.‘ Eine Erwiderung an G.Fano . .. .....496 JOHANNES FRENTZEL und NAsuJIRO ToRIıyAmA, Verbrönin ee weine und ohren. logischer Nutzwerth der Nährstoffe. II. Abhandlung: Der Nzyaı des Pleisehextractes .. .., - 499 R. pu Bois-REeyMmonD und J. en Eosbachtunken uber. ie Coordinande ; der Athembewegungen . . . 513 SIEGFRIED ROSENBERG, Ueber die Benehun dh schen er und iwäesver dauung} 2 2... EN RNDDS Verhandlungen der hloeiceleen Gesellschaft. zu Bern 1800-1901 NDS Herm. HILDEBRANDT, Ueber eine Beziehung zwischen chemischer Con- stitution, physiologischer Wirkung, Schicksal im Thierkörper. — E. Rost, Ueber den Einfluss des Natronsalpeters auf den Stoffwechsel des Hundes. — ALBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Methode der Eisenbestimmung bei Stoffwechselversuchen. — R. pu Boıs-Reymonp, Die Thierbrille. Zur Lehre von der subjeetiven Projecetion. — N. Zuntz, Ein Respirationsapparat für Wasserthiere. — J. FRENTzEL, Der Nährwerth des Fleischextractes. Berichtigung: 1... 2 scale 0 na ee at ne een A ma 002 Die Herren Mitarbeiter erhalten werzig Separat- Abzüge ihrer DBei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Königstrasse 22, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, Dazu lbeen. Zur Kenntniss des Phlorhizindiabetes. Von Felix Lewandowsky aus Hamburg. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Die Eigenschaft des Phlorhizins, eines Glykosids, bei Thieren und Menschen nach Darreichung per os oder nach subcutaner Injection Glykosurie zu erzeugen, wurde zuerst im Jahre 1885 von J. v.Mering entdeckt. Man glaubte damals, nunmehr ein Mittel gefunden zu haben, um einen dem menschlichen Diabetes mellitus ähnlichen Zustand künstlich zu erzeugen. Aber bald machte v. Mering! selbst eine Beobachtung, nach welcher zwischen der nach Phlorhizin auftretenden Glykosurie und dem klinischen Diabetes ein nicht unbedeutender Unterschied bestand. Er fand nämlich nach Phlorhizin den Zuckergehalt des Blutes in vielen Fällen unter die Norm gesunken, niemals aber erhöht, während bei allen anderen bekannten Arten des Diabetes die Glykosurie mit einer beträchtlichen „Hyperglykämie“, d. h. Steigerung im Zuckergehalte des Blutes Hand in Hand geht. Dieses abweichende Verhalten war nur dadurch zu erklären, dass man die Ursache der Zuckerausscheidung in die Nieren selbst verlegte. Denn, wenn es sich um vermehrte Zuckerproduction oder um verminderten Zucker- verbrauch im Organismus handeite — wie dies letztere z. B. von dem nach Pankreasausrottung auftretenden Diabetes nachgewiesen ist —, So musste nothwendiger Weise der Zuckergehalt des Blutes erhöht sein. v. Mering nahm also an, dass das Phlorhizin die secernirenden Nierenepithelien in der Weise schädigte, dass diese ihre normale Undurchlässigkeit für den im Blute kreisenden Zucker verlören. Es sollte unter der Wirkung des Phlor- hizins der Zucker aus dem Blute durch die Nieren eliminiert werden: Eliminations-Theorie. 1 Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. XIV. 8.405; Bd. XVI. 8.431. 366 FELIx LEWANDOWSKY: Minkowski!, der die Angaben v. Mering’s bestätigt fand, dachte dagegen an die Möglichkeit, dass das Phlorhizin durch die lebenden func- tionirenden Nierenepithelien in seine beiden Spaltungsproducte: Phloretin und Phlorose zerlegt würde. Die Phlorose, eine der Dextrose nahe ver- wandte Zuckerart, sollte im Harn zur Ausscheidung gelangen, während sich das Phloretin im Organismus immer von Neuem mit Zucker paarte, der wieder in der Niere abgespalten und sofort ausgeschieden werden sollte. Für diese als Vehikel-Theorie bezeichnete Hypothese sprach die von v. Mering gemachte und von Moritz und Prausnitz? bestätigte Be- obachtung, dass das Phloretin in derselben Weise wie das Phlorhizin Diabetes zu erzeugen vermochte, während die weiteren Spaltungsproducte des Phlore- tins, die Phloretinsäure und das Phloroglucin, hierzu nicht mehr im Stande waren. Das Gemeinsame. an diesen beiden Theorien war, dass sie den Zucker- verlust in den Nieren für die primäre Folge der Phlorizinwirkung erklärten, durch die alle anderen Erscheinungen erst secundär bedingt würden. Man stand also hier vor der Thatsache einer von den Nieren abhängigen Zucker- ausscheidung, eines sog. Nierendiabetes. Das musste um so grösseres Aufsehen erregen, als den Klinikern bisher kein einziger sicherer Fall eines renalen Diabetes bekannt war. Kein Wunder, dass sich gegen die Angaben v. Mering’s und Minkowski’s und gegen die daraus gezogenen Folge- rungen sehr bald Widerspruch erhob. Der Erste, der in einer grösseren Arbeit die Theorien v. Mering’s und Minkowski’s zu widerlegen suchte, war P. S. Levene.? Die Ver- suche, die er an Hunden mit Phlorhizin-Injection und Unterbindung der Nierengefässe unternahm, gaben zweifelhafte Resultate wegen der ungünstigen Öperationsbedingungen. Eingriffe, wie Eröfinen der Bauchhöhle, Aufsuchen und Unterbindung der Nierengefässe, endlich die Unterhaltung tiefer Nar- kose mussten das endgültige Resultat doch sehr störend beeinflussen, was Levene selbst auch zugab. In einer zweiten Reihe von Versuchen be- stimmte er den Zuckergehalt im Blute der Arteria und Vena renalis und fand denselben nach Phlorhizin in den meisten Fällen in der Vene höher als in der Arterie, allerdings nur um einen sehr geringen Werth. Dann bestimmte er den Zuckergehalt der ganzen Niere nach Phlorhizin-Injeetion und fand ihn beträchtlich gegen die Norm erhöht. Schliesslich nahm er eingehende Blutanalysen vor bei Hunden, die mit Phlorhizin vergiftet waren, und wollte dabei eine Abnahme des Eiweissgehaltes, eine Vermehrung des 1 Archiv für exper. Pathol. Bd. XXXI. 8.137. * Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVU. S8. 81. ® Journ. of Physiol. Vol. XVII. p. 259. ZUR KENNTNISS DES PHLORHIZINDIABETES. 367 Gehaltes an Fett, Cholesterin und Lecithin constatirt haben. Indem er sich auf diese Ergebnisse und die Angaben Cornevins’! stützte, nach denen der Zuckergehalt im Secret der Milchdrüsen nach Phlorhizin erhöht sein sollte, kam Levene zu dem Schluss, dass es sich beim Phlorhizin-Diabetes unmöglich um eine blosse Ausscheidung des Blutzuckers durch die Nieren handeln könnte Er nahm dagegen eine erhöhte Zuckerproduction, vor allem in den Nieren selbst, dann aber auch im übrigen Organismus an, beruhend auf gesteigertem Zerfall des Körpereiweisses. Bald nach der Veröffentlichung von Levene’s Versuchen erschien eine Arbeit von Zuntz?, der eire neue Stütze für die Eliminationstheorie bei- zubringen suchte, und zwar durch das folgende Experiment. Bei einem Hunde wurde der von beiden Nieren secernirte Harn getrennt durch Ureter- canülen aufgefangen. Dann wurde in die Arteria renalis der einen Seite Phlorhizin injieirt. 1 bis 2 Minuten danach nahm der Harnausfluss aus der injieirten Niere um das Zwei- bis Fünffache zu, auch nahm der Harn hellere Färbung an und gab starke Zuckerreaction. Der gleichzeitig ge- lieferte Urin der anderen Seite war zuckerfrei, seine Menge und Farbe war wie vor der Injection. Nach einigen Minuten aber stellte sich auch auf dieser Seite eine reichlichere Absonderung und hellere Färbung des Urines ein. Die Untersuchung ergab jetzt auch in diesem Urin Zucker, wenn auch nicht so viel wie auf der anderen Seite. Erst nach einer halben Stunde secer- nirten beide Nieren gleichmässige. — Der Versuch durch Hemmung des Blutabflusses in der Nierenvene, die injieirte Substanz in der einen Niere länger festzuhalten, gelang nicht, da bei Compression der Vene die Harn- secretion für längere Zeit gänzlich aufhörte. Im Zusammenhang mit diesem Versuche gab Zuntz eine eingehende Kritik der Levene’schen Experimente Er meinte, dass Levene bei der Bestimmung des Zuckergehaltes im Blut der Nierenarterie und -vene wohl kaum eine zeitweise Compression der Vene zwecks Einführung einer Canüle vermieden haben dürfte. Da aber die Folge davon Aufhören der Harn- secretion ist, so haben die höheren Zahlen, die Levene für den Zucker im Venenblut fand, keine Bedeutung. Den von Levene festgestellten höheren Zuckergehalt der gesammten Niere nach Phlorhizin erklärt Zuntz dadurch, dass im Canalsystem der Niere immer noch eine nicht unbeträchtliche Menge des zuckerhaltigen Urines zurückgehalten wird. Der Zucker braucht also nicht im Nierenparenchym gebildet zu sein. Als nun vollends Cremer? die Unrichtigkeit von Cornevins’ Angaben 1 Compt. rend. 1893. T. CXVI. ® Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. S. 570. ® Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXVII. 8.59. 368 FELIX LEWANDOWSKY: nachwies und feststellte, dass das Phlorhizin auf die Milchsecretion keinen Einfluss ausübt, war Levene’s Auffassung des Phlorhizin - Diabetes stark erschüttert. Freilich erhob auch Cremer einen nicht ganz unberechtigten Einwand gegen den Zuntz’schen Versuch. Die mit der Injection in die Nierenarterie verbundene Manipulation, sowie die Injection der Flüssigkeits- menge an sich konnten schon bewirken, dass der Zuckeraustritt sich zuerst an dieser Niere bemerkbar macht. Immerhin erschienen doch die Theorien, die eine primäre Zuckerausscheidung in den Nieren annahmen, besser be- gründet als die Hypothese einer erhöhten Zuckerproduction im Organismus. Mit Recht konnte Cremer von den Anhängern dieser letzteren Ansicht sagen, dass sie zwei Räthsel statt eines aufgeben. Woher kommt die er- höhte Production? und weshalb wird der Zucker ausgeschieden? Neuerdings wurde die Frage nach der Natur des Phlorhizin - Diabetes von Neuem angeregt durch Biedl und Kolisch!, die mit Versuchen her- vortraten, welche gerade das entgegengesetzte Resultat ergaben wie die ersten Experimente v. Mering’s und Minkowski’s. Biedl und Kolisch be- stimmten bei Kaninchen den Zuckergehalt des Blutes nach Phlorhizininjeetion und fanden überall eine bedeutende Zunahme desselben. Die abweichenden Ergebnisse der früheren Versuche erklärten sie dadurch, dass Minkowski erst viele Stunden. nach der Injection untersucht hätte, während sie beim ersten Auftreten der Glykosurie ihre Bestimmung machten. Zu dem gleichen Resultat wie Biedl und Kolisch war schon 1894 Coolen? gekommen, der nach Phlorhizininjection bei Kaninchen immer eine Vermehrung des Blutzuckers beobachtet hatte, die bei nephrektomirten Thieren noch stärker war als bei normalen. Im Uebrigen wiederholten Biedl und Kolisch die Versuche Levene’s mit Bestimmungen des Zuckers in der Nierenarterie und -vene und kamen zu demselben Ergebniss. Schliesslich verglichen sie den Zuckergehalt des Arterien- und des Lebervenenblutes nach Phlorhizin und fanden eine be- deutende Differenz zu Gunsten der Lebervene. Die Schlussfolgerung aus diesen Versuchen war natürlich im Sinne derer, die eine erhöhte Zucker- production im Organismus annahmen. So war der Stand der Frage im Jahre 1900 wieder derselbe, wie fünf Jahre vorher. Um so wünschenswerther war es, bei. der grossen theo- retischen Wichtigkeit des Phlorhizin-Diabetes für die Kenntniss des Diabetes überhaupt und speeiell für die Frage nach der Möglichkeit eines Nieren- diabetes hier Klarheit zu schaffen. ı Verhandlungen des Congresses für innere Mediein. 18. Congress. Wies- baden 1900. ? Arch. de pharmakodynamie. Vol.I. fasc. 4. p. 267. ZUR KENNTNISS DES PHLORH.ZINDIABETES. 369 Deshalb ging ich gern auf den Vorschlag ein, den ersten Theil der Arbeit von Biedl und Kolisch nachzuprüfen; denn hier war ein directer Widerspruch gegen die Angaben v. Mering’s und Minkowski’s. Zu Gunsten des Einen oder des Andern musste die thatsächliche Entscheidung fallen.. Ueber den Werth der anderen Versuche von Biedl und Kolisch lässt sich einstweilen noch schwer urtheilen, da bei der für die Congress- verhandlungen gebotenen Kürze der Mittheilung jede genauere Angabe über die Versuchsbedingungen fehlt. Auch sind sie für die Entscheidung der Frage nicht von so fundamentaler Wichtigkeit, wie die Thatsache der Er- höhung oder Verminderung des Zuckergehaltes im Blute. Der einzig correcte Weg, um die Abhängigkeit des Phlorhizin-Diabetes von der Nierenfunetion nachzuweisen, scheint nun der folgende zu sein. Einem Thiere werden beide Nieren exstirpirt. Dann wird der Zuckergehalt des Blutes bestimmt und darauf Phlorhizin injieirt. Nach einem Zeitraum, in welchem beim normalen Thiere die Glykosurie bereits sicher aufgetreten ist, wird abermals eine Blutzuckerbestimmung gemacht. Zeigt sich jetzt eine Vermehrung des Zuckers gegen früher, so muss das Phlorhizin auch ohne die Betheiligung der Nieren seine Wirkung ausüben können, die dann in der Erzeugung einer erhöhten Zuckerproduction im Organismus besteht. Tritt keine Aenderung im Zuckergehalt ein, so ist das Phlorhizin wirkungslos geblieben, und die renale Natur des Phlorhizin-Diabetes ist bewiesen. Dieser Ueberlegung folgend, stellte ich meine ersten Versuche an. Zum Versuchsthier wählte ich das Kaninchen, da bei diesem die Ex- stirpation beider Nieren ein sehr leicht auszuführender und zunächst wenig Störungen bewirkender Eingriff ist, den die meisten Thiere mehrere Tage überleben. Die Operation geschah ohne Narkose. Das Blut entnahm ich in Mengen von je 20 bis 30 «m aus der Arteria carotis, einige Male aus der Femoralis. Die Enteiweissung geschah nach der Seegen’schen Methode!, die etwas modificirt wurde. Das Blut wurde in einem Messcylinder aufgefangen, in dem sich zur Verhinderung der Gerinnung 2°" Ammoniumoxalatlösung befanden. Dann wurde das flüssige Blut portionsweise in die 8- bis 10fache Menge siedenden Wassers hineingegossen, dem vorher etwas Kochsalz bei- gefügt war. Unter stetigem Umrühren der im Sieden erhaltenen Mischung wird aus einer Pipette so viel von einer verdünnten Essigsäure hinzugesetzt, bis die Reaction eben schwach sauer ist. Dann lässt man das Ganze noch einige Augenblicke sieden und filtrirt. Beachtet man alle Cautelen, nämlich dass keine Gerinnung des Blutes bei der Entnahme eintritt, dass das Wasser bereits siedet, wenn man das Blut hinzugiesst, dass man gerade so viel Säure hinzu- setzt, bis blaues Lackmuspapier eben schwach geröthet wird, so erhält man 1 J.Seegen, Centralblatt für Physiologie. 1892. Bd. VI. S. 604. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 24 370 FELIX LEWANDOWSKY: einen feinkörnigen, chocoladebraunen Niederschlag, von dem sich die leicht gelblich gefärbte, klare Flüssigkeit schnell und mühelos abfiltriren lässt. Das Filter wird dann drei Mal mit heissem Wasser, dem wieder etwas NaCl und ein bis wenige Tropfen Essigsäure hinzugefügt sind, ausgewaschen und schliesslich ausgepresst. Die ausgepresste Flüssigkeit wird zusammen mit dem Filtrat und dem Waschwasser in einer grossen Schale auf dem Wasser- bade bis zur Trockne eingedampft. Wenn man vorher durch Zusatz von mehr Essigsäure die einzudampfende Flüssigkeit stark sauer gemacht hat, so wird auch nicht einmal eine Spur Zucker beim Eindampfen zerstört. Der Trockenrückstand wird mit wenig heissem Wasser unter Zusatz von etwas NaCl aufgenommen und filtrirt, das Filter mehrmals ausgewaschen. Das Filtrat ist hellgelb gefärbt, völlig klar und beträgt mit der Waschflüssigkeit etwa 40 bis 50°”. In dieser Flüssigkeit wird nun der Zucker gewichts- analytisch nach Allihn-Meiss] bestimmt.! Zu diesem Zwecke nimmt man 30 °® einer Kupferlösung (34-63 &"% krystallisirter Kupfervitriol in Wasser gelöst und auf 500°" aufgefüllt), 30°" alkalische Salzlösung (173 8 Seignettesalz und 125 8% Kalihydrat in Wasser gelöst und auf 500°" auf- gefüllt) und so viel Wasser, dass, wenn die zu untersuchende Flüssigkeit hinzukommt, das Gesammtvolumen 150 °”® beträgt. Die Mischung der Kupfer- und alkalischen Salzlösung erhitzt man bis zum Sieden, giesst dann die zuckerhaltige Flüssigkeit hinzu und lässt das Ganze noch etwa 2 Minuten sieden. Der Niederschlag von rothem Kupferoxydul wird durch ein Asbest- filterrohr filtrirt, das vorher auf seine Undurchlässigkeit geprüft und gewogen ist, mit heissem Wasser nachgespült und drei Mal mit Alkohol und ebenso viele Male mit Aether ausgewaschen. Dann wird das Kupferoxydul durch Erhitzen im Wasserstoffstrome zu metallischem Kupfer redueirt und als solches mit dem Filterrohr gewogen. Aus der Menge des Kupfers lässt sich leicht die Menge des Traubenzuckers berechnen. — Die ganze Methode ist einfach und bei einiger Uebung bequem und sicher zu handhaben. Insbe- sondere fällt der Niederschlag von rothem Kupferoxydul fast immer so tadellos aus, dass kein Grund vorhanden ist, eines der neuerdings empfohlenen Mittel zur Eiweissfällung (Metaphosphorsäure, Trichloressigsäure) der eben beschriebenen Methode vorzuziehen, zumal sie auch absolut keine Schwierig- keiten in der Ausführung bietet. Bei den Versuchen selbst verfuhr ich so, dass ich erst beide Nieren durch den Lumbalschnitt fast ohne Blutverlust exstirpirte. Eine Stunde darauf wurde der erste Aderlass gemacht, dann sofort 0-1 bis 0.2 sm Phlorhizin, in 6 bis 10°” warmen, durch Sodazusatz alkalisch gemachten Wassers und etwas Alkohol gelöst, subeutan injieirt und eine Stunde später der zweite Aderlass ausgeführt. Denn wie ich aus mehreren Vorversuchen ersah, tritt beim normalen Thiere nach diesem Zeitraum schon eine be- trächtliche Glykosurie auf. — Die Resultate dieser ersten Versuchsgruppe möge folgende Tabelle veranschaulichen. " Vgl. J. König, Untersuchung landwirthschaftlich und gewerblich wichtiger Stoffe. Berlin 1898. 2. Aufl. S. 213. ZUR KENNTNISss DES PHLORHIZINDIABETES. byal MaibehleT: = | f | z 1 | . Q | < Mansnehstlien | jr sealae Phlorhizin 2. Aderlass .. Gewicht | Blutmenge Zuckergehalt in grm | Blutmenge Zuckergehalt Nummer ingrm | in com in Proc. | g | in cem | in Proc. 1 2600 28 verungl. Best. 0-2 30 | . '0-201 2 2600 29 0-173 1 081:5 30 0-310 3 2200 | sl 0-132 172.015 30 0:364 4 | ..2600 28 0.103 | 0.15 28 0-130 (hat 2 Tage | l | gehungert) | | | Im Anschluss an diese Tabelle will ich noch ein Experiment an einer Katze nach meinem Versuchsprotokoll anführen. Schwarze Katze. Gewicht 2500 8'”%. Tracheotomie und Trachealcanüle. Chloroform-Aether-Narkose. Bauchhöhle eröffnet und beiderseits die Nieren- gefässe ligirt; dabei während einiger Minuten künstliche Athmung. 26 Blut aus der Arteria carotis, darauf 0-22" Phlorhizin subeutan. Nach 50. Minuten, während deren Dauer die Narkose erhalten und zeitweise künstliche Athmung ausgeführt wird, abermals 26°” Blut. Nach weiteren 40 Minuten unter denselben Bedingungen 18 °® Blut. Die Zuckerbestimmung in dem Blute der drei Aderlässe ergiebt: 1. Aderlass: 0.244 Procent Du Dee 3. 5 0.521 5 Diese Resultate stehen also durchaus im Einklang mit den Angaben sowohl von Coolen als von Biedl und Kolisch. Und doch wäre es falsch, sich bei diesen Versuchen beruhigen zu wollen. Die physiologischen Aufgaben lassen sich eben nicht wie Rechenexempel nach einem Schema, sei es auch noch so logisch erdacht, lösen. Ueberall ist eine Fülle von Nebenumständen zu berücksichtigen, deren Vernachlässigung zu den ärgsten Täuschungen führen kann. Den Katzenversuch will ich von vornherein ausschalten, obwohl er zeigt, dass nach Phlorhizin eine stetige Steigerung im Zuckergehalt des Blutes stattfand. Denn gegenüber dem Einwurf, es möchte dies wohl keine directe Wirkung des Phlorhizin sein, muss man allerdings zugeben, dass schon die Versuchsbedingungen, Fesselung, Narkose und künstliche Athmung, durchaus geeignet waren, auch ohne Phlorhizin eine solche Hyperglykämie zu verursachen. Anders liegt die Sache bei den Kaninchenversuchen, die ohne Narkose und sonstige Eingriffe ausgeführt wurden. Es war zwar schon Claude Bernard bekannt, dass Aderlässe vorübergehend beim Kaninchen den Blut- zuckergehalt ansteigen lassen, und Schenck! hatte dies neuerdings zahlen- ı Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVII. S. 553. 24* 372 FELIX LEWANDOWSKY: mässig nachgewiesen. Aber gerade die von Schenck gefundenen Differenzen im Zuckergehalt waren nicht so gross, um allein die Unterschiede in meinen Zahlen zu erklären. Schenck fand als Mittel aus seinen Versuchen bei normal ernährten Thieren eine Steigerung von 0-125 auf 0.195, also eine Vermehrung um 56 Procent des ursprünglichen Gehaltes, während in meinen eben angeführten Versuchen der Blutzucker sich um das Doppelte des früheren Werthes und noch darüber vermehrt fand. Es hätte demnach diese Erhöhung wohl durch Phlorhizinwirkung erklärt werden können. Um ganz sicher zu gehen, beschloss ich, mich selber von der Wirkung der Aderlässe beim Kaninchen zu überzeugen. Die einzelnen Aderlässe wurden in Zwischenräumen von 1 bis 1!/, Stunden vorgenommen, und zwar machte ich Versuche sowohl an normalen als auch an nephrektomierten Thieren. Tabelle II. —— ——— — Versuchsthier | 1. Aderlass | 2. Aderlass 3. Aderlass 7 SITES: I H 4 Zucker- |Zucker-| Zu- Zucker-| Zu- Nummer Be Menge gehalt unse gehalt | nahme | Nie gehalt | nahme "8 in Proc. | |in Proe. in Proe. | in Proe. | in Proc. a) Normale Thiere. 5 1600 | 20 |o-1ı14 | 25 | 0-260 | 128 a = Zi 6 1900 27 0-079 21 0-315 | 315 — _ —_ 7 2200 20 0:093 20 0-222 Ih 141 20 0:242 | 160 8 1600 20 0-045 20 0-072 | 60 20 0-113 | 151 (hat 6 Tage | | gehungert) | b) Nephrektomirte Thiere. 9 2500 | 21 |0-058 || 21 | 0.242 | 317 24 | 0.470 | 710 10 2600 | 21. | 0.187 | 20 | 0-403 | 117 e 2 sn Aus dieser Tabelle geht hervor, dass Aderlässe, die im Vergleich zur gesammten Blutmenge nicht gleichgültig sind, je !/, bis !/, des Gesammt- blutes betragen, beim Kaninchen den Zuckergehalt des Blutes um das Doppelte bis Dreifache erhöhen können, und zwar in gleicher Weise bei normalen wie bei nephrektomirten Thieren. Die Unterschiede gegenüber den Zahlenwerthen Schenck’s erklären sich genügend daraus, dass Schenck den zweiten Aderlass schon eine Viertelstunde nach dem ersten vornahm, während ich zwischen beiden mindestens eine Stunde vergehen liess. Ueber- einstimmend mit Schenck fand ich, dass beim hungernden Thiere die Zu- nahme des Blutzuckers in Folge von Aderlässen nicht so stark ist als beim normal ernährten, und dass trotz der Hyperglykämie keine Glykosurie eintrat, ZUR KENNTNISS DES PHLORHIZINDIABETES. 373 Vergleicht man nun die Zahlen meiner ersten und meiner zweiten Tabelle, so zeigt es sich, dass es durchaus nicht mehr zulässig ist, die Zu- nahme des Zuckers in der ersten durch Phlorhizinwirkung zu erklären, da doch ohne Phlorhizin durch den Aderlass allein eine ganz ähnliche Zunahme eintrat. Für die früheren Arbeiten ist diese Thatsache nicht ohne Wichtig- keit. Coolen machte zwar nur einen Aderlass, aber von solcher Grösse — 50° m bei Kaninchen von 26002”, also etwa !/, des Gesammtblutes betragend —, dass man, wie dies auch Zuntz schon hervorgehoben hat, wohl annehmen darf, dass ein so beträchtlicher Blutverlust an sich schon im Stande ist, den Zuckergehalt des Blutes zu steigern. Biedl und Kolisch verwahren sich zwar gegen den Einwand der Ader- lasswirkung mit der Begründung: „eine vorangehende Zuckerbestimmung am unveregifteten Thier wurde nur in einer Reihe von Fällen aus- geführt“. So lange aber keine genauen Angaben darüber vorliegen, in welcher „Reihe von Fällen“ ein Aderlass vorgenommen wurde, und in welcher nicht, wird es den genannten Autoren wohl schwer werden, den Einwand, die Aderlasswirkung nicht berücksichtigt zu haben, zu entkräften. Wenn sie z. B. einen Versuch anführen, bei dem der Zuckergehalt vor der Vergiftung 0-06 Procent, nach subcutaner Injection von 1 3m Phlorhizin 0.45 Procent betrug, so weiss ich nicht, ob hier eine Aderlasswirkung aus- geschlossen ist. Aus den bisher mitgetheilten Versuchen ergiebt sich also, dass die zuerst angewandte Methode für die endgültige Lösung der Aufgabe nicht zu brauchen ist. Ich musste mich also entschliessen, künftig die Zucker- bestimmung ohne vorhergehenden Aderlass am unvergifteten Thier vorzu- nehmen. Ich durfte dies um so eher, als ich aus einer ganzen Anzahl von Versuchen die Erfahrung gewonnen hatte, dass im Blute normaler gut ge- nährter Kaninchen jeder Zuckerwerth unter 0.2 Procent vorkommt. — Die Versuche wurden jetzt derart vorgenommen, dass erst die beiderseitige Nephrektomie ausgeführt, nach einiger Zeit Phlorhizin injieirt und eine Stunde nach der Injection der Aderlass gemacht wurde. Tabelle III. Versuchsthier Phlorhizin Aderlass Name Gewicht ingrm | Menge | Zuckergehalt in grm incem | in Proe. 11 1250 0-15 | 30 0:061 12 2200 0:25 24 0:154 13 1600 0-2 | 19 0-113 14 1100 0-2 320 0-045 374 FELIX LEWANDOWSKY: Es kann in diesen Fällen also von einer Zunahme des Zuckers im Blute nicht die Rede sein; wir müssen danach annehmen, dass das Phlor- hizin bei diesen nephrektomirten Thieren auf den Zuckerhaushalt keinerlei Einfluss gehabt hat. Jedenfalls hat sich im Blute nicht die Spur einer erhöhten Zuckerproduction gezeigt. Von Interesse war es ferner, das Verhalten des Blutzuckers bei nor- malen Thieren nach Phlorhizininjection zu untersuchen, denn gerade an solchen Thieren wollten ja Biedl und Kolisch eine Steigerung des Zucker- gehaltes gefunden haben. Auch hier ging ich so vor, dass ich ohne voran- gehenden Aderlass das Phlorhizin injieirte und die Zuckerbestimmung aus- führte, wenn der spontan gelassene oder ausgedrückte Harn Zucker enthielt, was nach einer Stunde immer der Fall war. Dann wartete ich einen Tag oder länger, bis der Harn des Thieres keine Zuckerreaction mehr ergab, und bestimmte dann nochmals den Zuckergehalt des Blutes. Dabei erhielt ich folgende Resultate: Tabelle IV. Versuchs- ER Menge des | ; thier | Phlor. | 1: Aderlass | bis zum 2. Aderlass Harn zur hie 1. Aderlass | t Zeit des —anenaman).hizin A im H SITFESFIES LEEanırzEe See KERE Zucker-| Im Harn ||, . Zucker-|| 2. Ader- Nr. u ‚in grm Menge gehalt | ausgeschied. Zen Neues) Bela lasses il 77 SM | in Proc. | Zuck.in grm | “- Ersten [IN SC] | in Proc. j 15 | 1800 | 0-15 | 26 | 0-04 | 0.172 | 24Std. | 26 | 0-134 | zuckerfrei 16 2500 0-25 23 0.106 OSEIEL97 221102455 25 , 0.195 > 17 | 1900 | 0-3 | 26 | 0.057 | 0-286 | 7Tage| 19 | 0-178 2 | | | Das erste Ergebniss aus diesen Versuchen ist, dass das Phlorhizin in keinem Falle den Zuckergehalt des Blutes über die Norm erhöht hat; zweitens aber zeigen sie, dass zu einer Zeit, wo das Thier unter dem Ein- fluss des Phlorhizin Zucker im Harn ausschied, das Blut weniger Zucker enthielt als zu einer späteren Zeit, wo der Harn völlig zuckerfrei war. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, dass das Phlorhizin, weit ent- fernt eine Hyperglykämie zu erzeugen, den Zuckergehalt des Blutes sogar herabsetzt. In diesem Sinne sprechen auch mehrere Versuche, die aus der Zeit stammen, wo ich noch mit mehreren, nach einander vorgenommenen Aderlässen operirte. Es zeigte sich hier mehrfach, dass unter der Wirkung des Phlorhizins die nach Aderlässen normaler Weise eintretende Hyperglykämie nicht den gewöhnlichen Grad erreichte oder gar ganz ausblieb. In einem Falle, in dem leider die Bestimmung am normalen Thier verunglückte, betrug eine Stunde nach Injection von 0-15" Phlorhizin der Zucker- gehalt des Blutes nur 0-095 Procent, obwohl 70 Minuten vorher ein Ader- ZUR KENNTNISSs DES PHLORHIZINDIABETES. 375 lass von 25 “w gemacht worden war. Ein anderes Mal sank sogar, ob- gleich unter denselben Bedingungen verfahren wurde, nach 0-25 ©" Phlor- hizin der Zuckergehalt von 0.099 Procent auf 0-085 Procent, um dann freilich bei einem dritten Aderlass, der abermals nach einer Stunde vor- genommen wurde, 0-122 Procent zu erreichen. Dabei wurde bereits 1 Stunde nach der Phlorhizininjection die ungewöhnlich grosse Menge von 0.96 sm Zucker im Harn ausgeschieden. Bei einem jungen Hunde, der dem gleichen Verfahren unterworfen wurde, stieg die Menge des Blutzuckers nur von 0-071 Procent auf 0-082 Procent, um am nächsten Tage wieder 0-066 Procent zu betragen. Schliesslich sei noch eines Versuches an einem sehr grossen Hunde gedacht, der mehrere Tage gehungert hatte. Der Versuch wurde in leichter Chloroformnarkose ausgeführt. Dem Hunde wurden zuerst aus der Arteria femoralis eine Doppelprobe von je 30 “" Blut entnommen, dann 1 sm Phlorhizin injieirt, eine Stunde später abermals ein Aderlass von 60 com gemacht, und nach einer weiteren Stunde ein dritter Aderlass von gleicher Grösse ausgeführt. Die Werte in den auf einander folgenden Bestimmungen waren: 0035 Procent, 0-060 Procent, 0-036 Procent. Im Harn wurden in diesen 3 Stunden 15-75 ®"% Zucker ausgeschieden. Im Vergleich dazu ist die in der zweiten Bestimmung sich ergebende Zunahme eine ganz minimale. Freilich darf ich hier nicht verschweigen, dass in drei Fällen die Aderlasswirkung überwog und sich in der zweiten Zuckerbestimmung eine mässige Steigerung bemerkbar machte. Aber die Thatsache bleibt bestehen, dass bei Thieren mit normalen Nieren unter dem Einfluss des Phlorhizins in vielen Fällen keine oder nur eine geringe Aderlasswirkung zu Stande kam, während diese bei nephrektomirten Thieren immer .ein- trat, mit und ohne Phlorhizin. Dies scheint doch dafür zu sprechen, dass das Phlorhizin im Stande ist, den Blutzuckergehalt bei normalen Thieren herabzusetzen, und zwar durch die Zucker-ausscheidende Thätig- keit der Nieren. So bin ich denn durch meine Untersuchungen zu wesentlich anderen Resultaten gekommen als Biedl und Kolisch. Ich fasse die Ergebnisse meiner Versuche zusammen: 1. Alle Methoden, die zwecks vergleichender Blutzucker- bestimmungen beim Kaninchen mit grösseren, bald nach ein- ander vorgenommenen Aderlässen arbeiten, sind unbrauchbar. Denn solche Aderlässe können an sich schon den Blutzucker- gehalt vorübergehend auf das Doppelte und Dreifache des nor- malen Werthes erhöhen. Durch Vernachlässigung dieser That- sache sind frühere Beobachter bei ihren Untersuchungen über 376 FELIX LEWANDOWSKY: ZUR KENNTNISS DES PHLORHIZINDIABETES. Phlorhizin-Diabetes theilweise zu falschen Resultaten ge- kommen. 2. Bei nephrektomirten Thieren ruft das Phlorhizin keinerlei Veränderung im Zuckergehalt des Blutes hervor. 3. Bei Thieren mit normalen Nieren tritt auf Phlorhizin keine Vermehrung des Blutzuckers ein. Vielmehr ist es sehr wahrscheinlich, dass das Phlorhizin den normalen Blutzucker- gehalt herabsetzt. 4. Die Theorien von v. Mering und Minkowski, die das Wesen des Phlorhizin-Diabetes in einer primären Zuckerausscheidung durch die Nieren sehen, scheinen durch die Thatsachen besser begründet als die Annahmen von Levene, Coolen, Biedl und Kolisch, nach welchen eine erhöhte Zuckerproduction im Or- ganismus stattfindet. Zum Schlusse erfülle ich die angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. I. Munk meinen herzlichsten Dank auszusprechen für das rege Interesse an meiner Arbeit und für die überaus liebenswürdige Unterstützung und Controle meiner Versuche. Ueber die Wirkung des Veratrins und anderer Stoffe auf die quergestreifte, atriale und glatte Musculatur. (Beiträge zur Physiologie des Sarkoplasmas.) Von Dr. Phil. Bottazzi, Privatdocent der Physiologie in Florenz. (Aus dem physiologischen Laboratorium in Florenz.) (Hierzu Taf. X— XIV.) I. Einleitung und Methode. Eine genügende Erklärung der Veratrincontractur ist noch von Niemand geliefert worden. Man kann nicht behaupten, dass sie von der Zusammen- ziehung der in jedem gemischten Muskel enthaltenen rothen Fasern her- rühre, seit Carvallo und Weiss! nachgewiesen haben, dass man die Veratrincontractur ebenso leicht von einem weissen, als von einem ge- mischten Muskel erhalten kann. Nach der von uns? nach Untersuchungen aufgestellten Hypothese, die wir am embryonalen Herzen des Huhnes, am Atrium des Herzens von Emys europaea und an den glatten Muskeln des Oesophagus mehrerer niederer Thiere angestellt hatten®, könnte die Veratrincontractur eine ver- längerte Zusammenziehung des Sarkoplasmas jeder Muskelfaser sein. Wenn es so wäre, müsste jede Contracturerscheinung, mit Inbegriff der auf die Wirkung des Veratrins folgenden, desto leichter und deutlicher in solchen ı Journal de Physiol. et de Pathol. gener. 1899. Nr. 1. ® Journ. of Physiol. 1897. Vol. XXI. ® Die vollständige Bibliographie unserer Untersuchungen findet sich in einer unserer letzten Veröffentlichungen: „Wirkung des Vagus und Sympathieus auf die Atria des Herzens der Emys europaea“. Rivista di scienze biolog. 1900. Vol. II. 378 PHıL. Borrazzi: gestreiften Muskeln auftreten, die am reichsten an Sarkoplasma sind, und nach allgemeiner Angabe der Histologen sind dies die rothen oder vor- wiegend rothen Muskeln. Darum haben wir unsere Untersuchungen fast ausschliesslich an den Muskeln von Bufo vulgaris und viridis angestellt, die äusserst roth sind. Wenn nun das Sarkoplasma die durch Veratrin oder sonstwie ver- anlasste Contractur unter besonderen Zuständen ausführte, so mussten diese Zustände ausnahmsweiser Erregtheit oder Erhöhung seiner normaler Weise schwachen und dunklen Reizbarkeit sein. Dann wird man wahrscheinlich nicht nur das Veratrin, sondern auch andere Substanzen und andere Zustände finden können, die eine ähnliche Erhöhung der Reizbarkeit des Sarkoplasmas bewirken können. Daher haben wir die Wirkung einer Anzahl von chemischen Substanzen auf die Muskeln der Kröte untersucht und berichten auf den folgenden Seiten über die Resultate dieser Studien. Aber alle Histologen nehmen an, dass die Herzatrien, besonders die von Emys europaea und vorzüglich die glatten Muskeln, die an Sarko- plasma reichsten Muskelgebilde sind, vielleicht nächst den embryonalen Muskeln im Allgemeinen, an denen es jedoch nicht leicht ist, zu experi- mentiren. Auf diese Gewebe mussten also nach unserer Hypothese das Veratrin und die verwandten Gifte die deutlichste Contracturwirkung aus- üben. Und da wir von der doppelten motorischen Function des Atriums die von Professor Fano! entdeckten „Tonusschwankungen“ dem Sarko- plasma zugeschrieben haben, und die rhythmischen Systolen dem doppelt- brechenden, fibrillären contractilen Material jeder Myokardzelle, so musste der Contractur erzeugende Einfluss der Gifte vorzugsweise auf die ersteren wirken. Daher haben wir in den Fällen, in denen wir es für nöthig hielten, ‚unsere Untersuchungen auf die Atrien von Emys und auf die glatten Muskeln ausgedehnt und uns im Uebrigen der früheren Untersuchungen von Fano und Sciolla? und der unsrigen? bedient. Von diesem vergleichenden Studium der rothen Muskeln, der Herzatrien und der glatten Muskeln, das wir jetzt in Bezug auf die Wirkung einer gewissen Zahl von Giften und physikalischen Zuständen angestellt haben und von anderen Gesichtspunkten aus fortzusetzen beabsichtigen, hoffen wir die Förderung der Frage, ob das Sarkoplasma ein contractiles Material ist oder nicht, und in wie weit es zur totalen motorischen Function der Muskeln, und speciell zur Erzeugung des Tetanus beiträgt. Der von uns vorzugsweise benutzte quergestreifte Muskel war der (Gastroenemius. Wir haben ihn vorgezogen wegen der Leichtigkeit, ihn zu ! Beiträge zur Physiologie. C. Ludwig gewidmet. Leipzig 1887. S. 287. ? Arch. ital. di biol. 1888. Vol. IX. p. 4. 2 A.:8.:0, ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 379 entblössen und vom Körper zu trennen, ohne ihn im Geringsten zu verletzen. Ueber seine Präparirung, allein oder zugleich mit dem Ischiadieus, braucht nichts gesagt zu werden. An dem Herzen der Emys haben wir immer den rechten Vorhof benutzt, weil er grösser ist und sich kräftiger beweet. Das Herz wurde durch einen scharfen Schnitt von den grossen Gefässen, an denen es auf- gehängt ist, getrennt und sogleich auf eine mit einer Kochsalzlösung von 0.8 Procent benetzte Korkplatte mit starken Stahlnadeln befestigt. Alle seine Theile waren so unbeweglich gemacht, mit Ausnahme des rechten Vorhofes, der durch einen feinen Seidenfaden an dem Schreibhebel befestigt war. In Bezug auf die Präparation der Längsmuskeln des Oesophagus von Bufo vulgaris haben wir dem anderwärts Gresagten! nichts hinzuzufügen. Alle angewendeten Gifte wurden von dem Hause Merck geliefert. Von ihnen wurden Lösungen zu 1 Procent in physiologischer Kochsalzlösuug gemacht, die ihrerseits nicht mit destillirtem, sondern mit reinem Quell- wasser gemacht wurde, damit die Flüssigkeit die kleine Menge von Kalk enthielte, die bekanntlich die Kochsalzlösung weniger schädlich für das Muskelgewebe macht. Von jeder der 1 procentigen Probelösungen machte man dann nach Bedürfniss die Verdünnung, die man in jedem Falle für passend hielt. Auf zwei Arten haben wir die Giftlösung auf das Muskelpräparat einwirken lassen. 1. Dieses wurde, sobald es dem Körper entnommen war, in dem Schreibapparate aufgehängt, und nachdem man seine normalen Zusammen- ziehungen verzeichnet hatte, wurde mit einer auf !/,, °® graduirten Pipette tropfenweis eine bekannte Menge der Lösung aufgegossen. Auf diese Weise ist das Gift nur kurze Zeit mit dem Muskel in Berührung; seine Wirkung kann nur vorübergehend (ausser in einigen Fällen) und mehr oder weniger intensiv sein je nach der Menge, die man einwirken lässt, und der Schnellig- keit, mit der man die Lösung auf den Muskel giesst. 2. Oder das Muskelpräparat wurde, nachdem man einige normale Contraetionen verzeichnet hatte, in ein immer gleiches Volumen (50 °") verdünnter Giftlösung getaucht, und in bestimmten Zwischenräumen prüfte man dann die Reizbarkeit und Contractilität des Muskels. Die Waschungen wurden immer mit der physiologischen Kochsalzlösung gemacht, indem man diese auf den hängenden Muskel aufgoss oder diesen unter leichter Bewegung in die Flüssigkeit eintauchte. ıA.20. 380 PHıw. BorTTazzı: Ob auf die eine oder die andere Weise verfahren wurde, wird bei der Beschreibung jeder Zeichnung angegeben. Der Schreibhebel hatte folgende Grösse, wonach man die Vergrösserung der Muskelbewegungen leicht berechnen kann: Länge vom Drehpunkte bis zur schreibenden Spitze: 30a mu „ „ » „ zum Gewicht am kurzen Arm: 27 m Das auf dem langen Arm ruhende Gewicht war immer dasselbe und sehr leicht (2=”®). Das Gewicht des Hebels ohne die Last betrug 28”, Die Wahl so leichter Gewichte wurde durch die Natur unserer Unter- suchungen bestimmt, die speciell auf das Studium der Erscheinungen der Contractur gerichtet waren. Aus demselben Grunde wurde das Gewicht je nach dem Volumen des Muskels in grösserer (36"") oder geringerer (15m) Entfernung von dem Drehpunkte angebracht. Für die Reizungen bedienten wir uns der Accumulatoren Tudor des Labo- ratoriums oder einiger Tauchelemente. Aber die Reizungen erfolgten immer mit inducirtem Strom (Oeffnung und Schluss) und maximal oder ultramaximal. Die Elektroden bestanden bald aus Metall (Platin oder Kupfer), bald aus Baumwollfäden, die in 0-8 procent. NaCl-Lösung getränkt waren. Andere specielle Angaben finden sich hier und da im Texte. Noch haben wir einige Worte über die angenommenen Benennungen bei- zufügen. Wir nennen „primäre Contractur“ die durch den chemischen Reiz der Giftlösung hervorgebrachte Verkürzung; „secundäre Contractur“ heisst die auf die schnelle primäre Contraction folgende, wenn man durch einen elektrischen Schlag einen vorher mit einem Gift (z. B. Veratrin) behandelten Muskel reizt. Bisweilen handelt es sich weniger um eine „schnelle Zu- sammenziehung“ und eine „secundäre Contractur‘, als vielmehr um zwei Zu- sammenziehungen, eine „‚primäre“, schnellere, und eine „secundäre“, weniger schnelle. Von der echten ‚„‚Contraetur‘“ unterscheiden wir, wenn auch oft mit geringer Sicherheit, die „residuale Verkürzung“, wenn nicht eine Contractur- curve vorhanden ist, ähnlich der, die man an dem veratrinisirten Muskel beobachtet, sondern nur eine sehr langsame Ausdehnung des Muskels, während deren seine Verkürzung sich nach und nach löst. Wir bemerken, dass bei unserer Unwissenheit über die Beziehungen zwischen der „resi- dualen Verkürzung“ und der echten „Contractur“ und über die Bedeutung der ersteren die von uns gemachte Unterscheidung zuletzt nur verbal ist, und dass wir sie nur zur Bequemlichkeit des Ausdruckes und zur Kürze der Darstellung der erhaltenen Resultate gemacht haben. Es ist möglich, dass die ‚„residuale Verkürzung“, wenigstens in frischen Muskeln, nur eine unvollständige, unvollkommene Form der Contractur ist, und einem Grade ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 381 von Erregbarkeit des Sarkoplasmas entspricht, der geringer ist, als der zur Hervorbringung der vollen Contractur nöthige. So beobachtet man bei dem allmählichen Zurückgehen von dieser, ehe sie verschwunden ist, immer weniger deutliche „residuale Verkürzungen“, bis jede Verlängerung der expansorischen Phase der Contraction verschwindet. Aber so kommen wir zu der Annahme, dass die residuale Verkürzung, wie die Contractur, der Ausdruck der con- tractilen Thätigkeit des Sarkoplasmas ist, was zu beweisen war. Dann liegt noch eine ernste Schwierigkeit vor. In den ermüdeten Muskeln erscheint wieder die „residuale Verkürzung“, nicht die echte „Con- traetur“, soviel man bis jetzt weiss, und doch befinden sich diese Muskeln in ganz anderem physiologischen Zustande, als frische Muskeln. Wenn die „physiologische Contractur‘ von Tiegel nur in ganz frischen Muskeln auf- tritt, und es auch, um Contracturen durch Veratrin, oder ein anderes Gift, oder durch Kälte hervorzubringen, nöthig ist, dass die Muskeln nicht ermüdet seien — denn die Ermüdung hindert die Contractur, und die Ruhe lässt sie wieder erscheinen, so lange die Muskeln frisch sind —, wie kann man da behaupten, dass die Oontraeturen, oder wenigstens die residualen Verkürzungen der stark ermüdeten und dem Tode nahen Muskeln, nennen wir auch das Phänomen von Schiff (die „idiomusculären Contractionen“), die Contracturen von degenerirten Muskeln u. s. w., denselben Determinismus haben, unter der Hypothese der motorischen Function des Sarkoplasmas zu Stande kommen, ähnlich wie die zuerst genannten Phänomene? Erkennen wir dies als den Haupteinwurf gegen unsere Hypothese an, welche jede Erscheinung der Contraetur (man könnte auch sagen, des Tonus) durch die Function des Sarkoplasmas erklären möchte. Aber am Ende dieser Arbeit werden wir versuchen, auf die überzeugendste Weise darauf zu antworten. II. Wirkung des Chlornatriums. Abnorme Formen von Myogrammen. Da wir die Absicht haben, alle Versuche an den Muskeln von Bufo vulgaris, die vorwiegend roth sind, anzustellen, und da wir auf dieselben chemische Substanzen einwirken lassen müssen, die in 0-8 procent. Lösung von NaCl aufgelöst sind, hielten wir es für nöthig, eine gewisse Zahl von normalen, durch mehr oder weniger starke elektrische Schläge hervor- gerufenen Muskelcontractionen aufzuzeichnen und diese Contractionen mit denen derselben Muskeln zu vergleichen, die mehr oder weniger lange in der Kochsalzlösung zu 0-8 Procent verweilt hatten. ‚Die letztere Untersuchung war um so nothwendiger, weil verschiedene Autoren schon früher von einer specifischen Wirkung der Natronsalze auf 382 PHır. BoTTAzz1: die Muskeln gesprochen hatten, und diese Wirkung schliesslich in einer Erhöhung der tonischen Erscheinungen bestehen sollte. Eben diese be- absichtigte ich, zu studiren. So hatte Locke! beobachtet, dass einmalige Reize durch Oeffnungs- inductionsstrom in Muskeln, die lange in NaCl-Lösung zu 0-6 Procent eingetaucht gewesen waren, sehr starke tetaniforme Contractionen von der Dauer mehrerer Secunden hervorbrachten, worauf die Muskeln sich wieder ausdehnten, aber doch einige Zeit in residualer Verkürzung verharrten. Nach Ringer ? wurde diese specifische Wirkung der Natronsalze durch sehr kleine Mengen von Kalksalzen neutralisirt. Wir übergehen die Wirkungen von mehr oder weniger concentrirten Salzlösungen, als 0°5 Procent, der sogenannten physiologischen Lösung. Aber wir wollen erwähnen, was hierüber Biedermann? sagt: „Man kann also behaupten, dass innerhalb gewisser Uoncentrationsgrenzen (0-5 bis 2°0 Procent!) die Chlornatrium- lösungen die Reizbarkeit der quergestreifien Muskeln erhöhen und sie direct stimuliren (chemisch), während sie in ihnen eine bedeutende Neigung zur Contractur hervorrufen.“ Wie man sieht, kümmert sich Biedermann nicht um die Concentration jener Lösungen und schreibt ihre Wirkungen ohne ernsten Grund der Wirkung des Natrons zu. Nun hat E. Cooke* nachgewiesen, dass es in der That nur eine einzige Kochsalzlösung giebt, in welcher die gestreiften Froschmuskeln weder durch Aufnahme von Wasser anschwellen, noch sich durch dessen Abgabe verkleinern, nämlich die Lösung von 0-8 Procent im Mittel. So bleibt der Zweifel bestehen, ob die von Locke und Ringer beobachteten Wirkungen von Hypotonicität oder Hypertonicität der angewendeten Salzlösung herrühren können. Noch weniger wahrscheinlich ist es, dass die von Biedermann’ den Lösungen von Na,CO, und von Na,HPO, zugeschriebenen Wirkungen vom Natron abzuleiten seien, während es uns scheint, dass sie von der Alkalinität der Lösung herrühren. Die Muskeln (Gastrocnemi) von Bufo vulgaris zeigen schon im Normalzustande, wie wir sogleich sehen werden, auffallende Neigung zur Contractur, wenn sie durch maximale elektrische Schläge gereizt werden. Aber ein längerer Aufenthalt in O-Sprocent. NaCl-Lösung erhöht diese Neigung nicht merklich, schwächt sie aber allerdings auch nicht, wie Taf. X, Figg. 1 und 2 zeigen. Wenn der Muskel normaler Weise in seinen ı Pflüger’s Archiv. 1893. Bd. LIV. S. 501. ? Philos. Transact. 1884. p. 226. Journ. of Physiol. 1882. Vol. III. p. 380; 1883. Vol. IV. p. 29; 1885. Vol. VI. p. 361. ’ Elektrophysiologie. Jena 1895. 8. 90. * Journ. of Physiol. 1899. Vol. XXI. p. 137. ee 590 EI ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 383 Myogrammen keine Contracturen oder residuale Verkürzungen zeigt, lässt sie langer Aufenthalt in der Lösung niemals erscheinen. Wir haben gesagt, dass die Muskeln von Bufo auffallende Neigung zu Contracturen zeigen. So ist es nicht schwer, selbst im Junimonat echte „physiologische Contracturen“ nach Tiegel! zu erhalten, wenn nur die Muskeln ganz frisch sind und die Thiere sich in vollkommenem Ernährungs- zustande befinden, sei es durch directen maximalen Reiz oder durch Reizung des Nerven. Taf. X, Fig. 3 giebt Beispiele solcher Contracturen. Diese sind deutlicher, wenn sie auf directe Reizung des Muskels folgen, als wenn man den Nerven reizt. Aber in allen geht die Curve der Contractur über die Spitze der schnellen Zusammenziehung hinaus, und immer ist die „Nase‘‘ deutlich erkennbar. Wenn man sich sehr starker Reize bedient, kann übrigens die Er- scheinung der „physiologischen Contractur“ in jedem Muskel von Bufo vulgaris hervorgerufen werden, so oft man will. Aber immer, wie Taf. X, Fig. 4 zeigt, hat die Zeit, welche nach der Wegnahme des Muskels vom Körper des Thieres verläuft, bedeutenden Einfluss auf die Grösse der hervorgerufenen Erscheinung. Wer einen Begriff von dem Unterschiede der Wirkungen haben will, die durch einmalige Reizung mittels ultramaximaler Oeffnung auf einen Gastroenemius von Bufo vulgaris und auf einen solchen von Rana esculenta hervorgebracht werden, der betrachte Taf. X, Fig. 5. Wenn der Reiz stark ist, zeigt sich die Contractur immer kräftiger im Muskel der Kröte, als in dem des Frosches. Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn der Reiz nicht übermässig stark ist, denn in diesem Falle liefert der Froschmuskel die gewöhnliche einfache Zusammenziehung, während der Krötenmuskel nach der Zusammenziehung immer eine mehr oder weniger deutliche Con- - tractur ausführt. Diese sehr oft wiederholten vorläufigen Beobachtungen haben uns die Pflicht auferlegt, für jeden Muskel und vor jeder anderen Untersuchung die Myogramme aufzuzeichnen, damit wir immer im Stande sind, zu unter- scheiden, welcher Antheil an den beobachteten tonischen Erscheinungen dem experimentellen Zustande, in den wir den Muskel versetzt hatten, und welcher der eigenen Natur desselben zukäme. Eine andere bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit der Muskeln von Bufo vulgaris und viridis (und vielleicht aller rothen Muskeln) besteht darin, dass ihre normalen Myogramme, wenn sie durch ziemlich starke Schläge des Inductionsstromes erhalten werden, fast niemals „einfach“, sondern meistens zweispitzig und selbst dreispitzig sind. Bei dieser Eigenthümlichkeit, ı Pflüger’s Archw. 1876. Bd. XII. 8. 71, 384 Prim. Borttazzi: die an den Muskeln von Bufo unter gewissen experimentellen Umständen verstärkt (s. unten), und auch in den Froschmuskeln auftreten kann, werden wir nicht lange verweilen, da sie schon von Yeo und Cash! gut untersucht und besprochen worden ist. Wir begnügen uns damit, die Meinung dieser Beobachter anzunehmen, dass nämlich die gewöhnliche, einfache Zusammenziehung des gestreiften Muskels, die bei ziemlich starken Reizungen eintritt, nicht der Ausdruck der vollen Erregung des ganzen contractilen Materiales von Fasern ist, die es bilden. Aber wir werden am Ende unserer Arbeit Gelegenheit haben, diese Eigenthümlichkeit zur Stütze unserer These über die Contractilität des Sarkoplasmas zu benutzen. Da sich in den späteren Abbildungen oft solche mehrspitzige Zusammenziehungen der Muskeln von Bufo vulgaris finden werden, stellen wir hier nur einige Muskelcontractionen von Bufo viridis dar, bei denen mässige Kältewirkung die fragliche Erscheinung erhöht hatte (Taf. X, Fig. 6). Man beachte, dass bei diesen und ähnlichen Curven keine Spur von eigentlich sogenannter Contractur vorhanden ist. Es kann eine mehr oder weniger deutliche residuale Verkürzung stattfinden, die übrigens bei irgend einem rothen Muskel selten fehlt, aber dies darf man nicht mit echter Contractur verwechseln, die eine viel auffallendere Er- scheinung darstellt. \ I1l. Wirkung der Kalisalze. Ihr Antagonismus gegen Veratrin. Ehe wir beim Studium der Contractur weitergehen, wollen wir von einem Agens sprechen, das immer jede, Contracturerscheinung vernichtet, wie sie auch hervorgerufen worden sei, und auch die „physiologische Con- tractur“ von Tiegel. Dieses Agens ist das Kalium in jedem seiner Salze. Schon Buchanan’? beobachtete, dass die Kalisalze Antagonisten des Vera- trins sind, insofern sie die Veratrincontractur vernichten. Man betrachte die Zeichnung der Taf. X, Fig. 3. Auf denselben Muskel, der typische „physiologische Contracturen“ zeigte, wurde eine Lösung von KC] ausgegossen. Plötzlich erschien eine kräftige (primäre) Contractur, als Wirkung des durch das Salz bewirkten Reizes (Taf. X, Fig. 7). Man wartete, bis die lange Con- tractur sich von selbst löste und prüfte dann den Muskel mit direct oder indirect beigebrachten Schliessungs- und Oeffnungsschlägen. Die Myogramme zeigen, dass in Folge der Wirkung des KCl von den physiologischen Contrac- turen kaum eine Spur übrig war, die aber mit der Zeit ganz verschwand. Dieselbe Wirkung erhält man, wenn die Contractur durch sehr starke elektrische Schläge oder durch Veratrin hervorgerufen wurde. In Frosch- ! Journ. of Physiol. 1885. Vol. IV. p. 198, 2 Ebenda. 1899. Vol. XXV. p.136, ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 385 muskeln bewirkt man das völlige Verschwinden der Contractur durch Vera- trin leichter mit schwächerer Dosis von KCl (Taf. X, Fig. 8). Wie aus den Zeichnungen ersichtlich ist, ist diese Wirkung viel früher sichtbar, als der Muskel durch das Kalisalz ganz unerregbar geworden ist. Man weiss, dass die Contractur, wie sie auch hervorgebracht worden sei, durch Wiederholung der Reize allmählich an Kraft abnimmt und in ermüdeten Muskeln überhaupt nicht mehr auftritt, während sie nach ge- eigneter Ruhezeit wieder erscheint. Nun könnte man glauben, die durch das Kalisalz hervorgerufene Contractur habe den Muskel ermüdet, und darum äussere der elektrische Schlag nicht mehr dieselbe Wirkung, wie vorher. Aber wir werden sehen, dass auch das Veratrin durch seinen chemischen Reiz eine solche (primäre) Contraetur hervorruft, und doch verfehlen nach ihrer Lösung die elektrischen Schläge niemals, nach den „schnellen Zu- sammenziehungen“ die bekannten Veratrincontracturen herbeizuführen. Die Kalisalze vernichten also die Contractur durch ihre specifische Wirkung auf das contractile Material, das die Contractur hervorbringt, und viel früher, als sie jede Erscheinung der schnellen Zusammenziehung zerstören. Sie spalten die beiden Phänomene — schnelle Zusammenziehung und Contractur —, indem sie zuerst diese und erst lange nachher die andere vernichten. Wenn die Einwirkung des KÜl nicht sehr stark gewesen ist und lange gedauert hat, und man lässt eine Veratrinlösung auf den Muskel einwirken, nachdem man ihn mit einer 0-8 procentigen Kochsalzlösung gewaschen hat, kann man, wenn auch nicht so hochgradige, doch ähnliche Contracturen erhalten, wie die, welche der Muskel ausgeführt hätte, wenn er der Wirkung des Kalisalzes nicht ausgesetzt worden wäre. In Taf. X, Fig. 9 sieht man deutlich, dass das KCl im Gastrocnemius des Frosches jede Spur von resi- dualer Verkürzung zum Verschwinden bringt, und dass in der Folge das Veratrin in demselben Muskel die gewöhnliche Erscheinung der Contractur hervorruft. Durch auf einander folgende abwechselnde Behandlungen mit KCl und Veratrin kann man mehrmals diese Contractur erscheinen und verschwinden lassen, wenn man nur immer eine zu starke Vergiftung der Muskelsubstanz vermeidet. IV. Wirkung des Veratrins auf die quergestreiften Muskeln. Wir halten es für unnütz, alle die zahlreichen Untersuchungen über die Wirkung des Veratrins zu erwähnen. Die fast vollständige Bibliographie über diesen Gegenstand findet sich in den werthvollen Arbeiten von Overend!, Buchanan? und Carvallo und Weiss.’ ! Archiv für experim. Pathol. u. Pharmakol. 1890. Bd. XXVI. Nr. 1. A220: IE), Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 25 386 Petr. Borttazzt: Schon früher von Anderen beobachtete, aber dann wieder angezweifelte oder nicht hinreichend gewürdigte und wieder von uns vollkommen bestätigte Thatsachen sind die folgenden: 1. Dass die Veratrincontractur erscheinen kann, nicht nur, wenn man den Muskel direct reizt, sondern auch, wenn man ihn vermittelst seines Nerven erregt; sie ist jedoch in diesem Falle weniger kräftig. 2. Dass die Curarisirung des Thieres die gewohnte Wirkung des Veratrins nicht am Auftreten hindert, wie aus den Zeichnungen auf Taf. X, Fig. 10 folgt. (In Bezug auf diese Zeichnungen beachte der Leser die fibrillären Bewegungen, die die Muskeln curarisirter Thiere zeigen, und die schon von Kühne! beschrieben worden sind.) Man begreift daher nicht, dass Richet? noch behauptet, „die für den veratrinisirten Muskel charakte- ristischen Curven beobachte man nur, wenn dieser mit den Nervencentren in Verbindung steht.“ Das Veratrin bewirkt die Contractur der Muskeln nicht nur, wenn es in die Gefässe und unter die Haut des Thieres injieirt wird, sondern auch, wenn es in vitro auf die vom Organismus getrennten Muskeln wirkt (Buchanan, ich selbst), auch wenn diese vorher eurarisirt worden sind. Daraus folgt auf unwiderlegliche Weise, dass die Wirkung des Veratrins auf die Muskelsubstanz ausgeübt wird. Aber bei den bis jetzt angestellten Untersuchungen hatte man den schon veratrinisirten Muskel an den Schreibapparat befestigt, entweder vor oder nach seiner Abtrennung vom Körper. Niemand hatte das Gift auf den normalen Muskel wirken lassen, als er schon bereit war, seine Be- wegungen aufzuzeichnen. Nun ist dies das einzige Mittel, um festzustellen, welchen Einfluss das Veratrin auf den normalen Muskel ausübt, oder, wie wir vielleicht sagen können, seine chemische Wirkung zu bestimmen. Wenn man eine gewisse Zahl von normalen Zusammenziehungen des Gastrocnemius einer Kröte aufzeichnet und ihn dann mit einer Lösung (z. B. 1: 10000 oder noch verdünnter) von salpetersaurem Veratrin begiesst, indem man sie tropfenweis auslliessen lässt, um jede mechanische Wirkung zu verhindern, beobachtet man, dass der Muskel sogleich anfängt sich zu verkürzen, indem er eine mehr oder weniger steile Contracturceurve beschreibt, je nach der angewendeten Menge des Veratrins. Die Fieg. 11 und 12, Taf. X, zeigen diese contractorische Wirkung an einem Gastrocnemius von Bufo vulgaris und an einem anderen von Bufo viridis. Die Wirkung auf den Gastrocnemius von Rana esculenta ist nicht anders, aber immer weniger deutlich, die durch das Veratrin hervorgerufene Contractur ist weniger kräftig. Von welcher Natur ist die Verkürzung? Man kann nicht zweifeln, dass sie die Folge der chemischen Wirkung der Substanz ist, denn ! Dies Archiv. 1859. Physiol. Abthlg. S. 244; 1860. $. 482. ® Dietionn. de Physiol. 1899. T. IV. p. 391 squ. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. SW. 387 kein anderer Reiz hat eingewirkt. Die Curve steigt mehr oder weniger schnell auf, je nach der Concentration der Veratrinlösung (die in Taf. X, Fig. 12 ist steiler, weil die bei diesem Experiment gebrauchte Lösung viel concentrirter war), aber sie verläuft. ziemlich langsam, nach Art der Zu- sammenziehungseurve eines glatten Muskels. Nachdem der Muskel mehr oder weniger lange im Zustande mehr oder weniger bedeutender tonischer Verkürzung geblieben ist, je nach der Stärke des chemischen Reizes, also der Concentration der Lösung, und dem Grade seiner Contractilität, dehnt er sich langsam wieder aus, um den Anfangszustand (die Abscisse) ziemlich spät, in vielen Fällen niemals wieder zu erreichen. Längs der Curve, so hoch oder niedrig sie auch sein möge, sieht man niemals Zeichen von schnelleren elementaren Zusammenziehungen, Absätze oder andere Zufälle, so dass man vermuthen könnte, der Muskel beschreibe eine tetanische Curve, weder eine vollständige noch eine unvollständige. Man sieht hier und da leichte Schwankungen, aber sie sind unregelmässig und ganz denen ähnlich, die man an der Öontractionscurve eines glatten Muskels zu sehen pflegt. Jetzt wird die Curve der Veratrincontractur, die auf einen elektrischen Reiz folgt (s. Taf. X, Fig. 13), gegen die Ansicht von Bezold und Hirt nicht als eine Tetanuscurve betrachtet, sondern als eine sehr langsame ein- fache Zusammenziehungscurve (Fick und Böhm, Mendelsohn und Andere), die wegen ihrer vollkommenen Aehnlichkeit mit der Curve der „physiologischen Contractur“ von Tiegel auch Curve der (Veratrin-) Contractur genannt zu werden verdient. Der einzige Unterschied, den wir sehen, besteht darin, dass in diesem Falle durch den elektrischen Reiz der Contractur eine schnelle Zusammenziehung vorausgeht, auf deren absteigenden Theil jene sich einpflanzt, während in dem anderen Falle die Contraetur allein vorhanden ist, indem keinerlei Reizung des Muskels stattgefunden hat, mit Ausnahme der chemischen, durch das Gift selbst hervorgebrachten. Und doch gleicht in gewissen Fällen, wenn die „Nase“ fehlt, die Curve, die man von einem veratrinisirten Muskel als Antwort auf einen elektrischen Reiz erhält, wenn sie auch im Ganzen schneller ist, sehr stark derjenigen, die die Wirkung des Giftes allein hervorruft. Wer einen Blick auf die von OÖverend!, Lauder Brunton und Cash’ aufgezeichneten Curven wirft, kann sehen, wie verschieden die Formen der -Veratrincontracturen sind. Diese Ver- schiedenheit der Form hängt vorzüglich von dem Aussehen ab, das die „Nase“ des ganzen Myogramms zeigt, oder von dem mehr oder weniger späten An- fangen der Contractur nach der Spitze der schnellen Zusammenziehung, von 71.2.0. ” Journ. of Physiol. 1885. Vol. IV. p.1flg. 25* 388 Prim. Borttazzt: der Höhe oder der längeren oder kürzeren Dauer der Contractur u. s. w. Es giebt Fälle, in denen die „Nase“ ganz verschwindet und der Muskel eine Curve ähnlich der eines glatten Muskels beschreibt, sei es wegen ihrer Dauer, sei es, weil an Stelle der Spitze eine mehr oder weniger rundliche Curve erscheint. Auf Taf. X, Fig. 14 sieht man fünf solche Curven, die von einem veratrinisirten Gastrocnemius von Bufo vulgaris erhalten wurden. Nur die erste zeigt eine Spur von „Nase“, den anderen fehlt sie ganz. Man be- merkt, dass beim Verschwinden der „Nase“ die von jeder Curve eingeschlossene Fläche abnimmt. Diese Verschmelzung der Contracturcurve mit der Curve der (schnellen) Zusammenziehung stellt ein Extrem in der Reihe der Formen von Myogrammen dar, die man von veratrinisirten Muskeln erhalten kann. Das entgegengesetzte Extrem wird durch die schon von Lauder Brunton und Cash aufgezeichneten Myogramme dargestellt, in denen die Contraetur sogar erst einige Zeit nach der Vervollständigung auch des absteigenden Theiles der Curve der schnellen Zusammenziehung beginnt. Diese extreme Form haben wir durch die Wirkung des oxalsauren Natriums erhalten. (S. die Aufzeichnungen auf Taf. XIV, Fig. 47.) Aber eine andere sehr wichtige Wirkung bringt das Veratrin auf die quergestreiften Muskeln hervor, die, wie es uns scheint, bis jetzt nicht hin- reichend gewürdigt worden ist. Wenn man auf den schon im Apparat befestigten Muskel wenige Tropfen der Veratrinlösung ausgegossen hat und der Muskel die beschriebene Contractur ausführt, und man ihm einen elektrischen Schlag beibringt, erhält man eine gewöhnliche, einfache Zu- sammenziehung, die sich von der Hochebene der Contractur erhebt und mit ihrer Spitze fast die doppelte Höhe derjenigen der normalen Zusammen- ziehung erreicht, die vor der Veratrinisirung aufgezeichnet und durch einen Schlag von derselben Stärke hervorgerufen wurde. (8. Taf. X, Fig. 11.) Aber man kann auch den so veratrinisirten Muskel abwaschen und warten, bis die Contractur fast ganz verschwunden ist, worauf man Oeffnungsschläge anbringt. Auf jeden Fall beobachtet man, dass die nach der Einwirkung des Veratrins erhaltenen Zusammenziehungen unvergleichlich höher sind, als die vorher erhaltenen, auch wenn sie keine Spur von Veratrincontractur aufweisen, sondern nur eine langsamere Ausdehung, als die normale. Die Aufzeichnungen der Taf. X, Fig. 15 zeigen deutlich diese verstärkende ‘ Wirkung des Veratrins auf die Muskelzusammenziehung. Ueber die sehr lange Dauer der Zusammenziehung eines veratrinisirten Muskels stimmen Alle überein;! aber nicht in Bezug auf die Höhe. Aller- ! Es sind auch Untersuchungen gemacht worden über die Zeitdauer des latenten Reizes, über die Reizbarkeit, über die Veränderungen des auf- und absteigenden Zweiges des Myogramms, über die absolute Kraft des veratrinisirten Muskels u. s. w., aber wir können die von den verschiedenen Beobachtern erhaltenen Resultate nicht anführen. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. W. 389 dings, sagt Rossbach!, „mit der charakteristischen Form der Curve erschien eine bedeutende Zunahme der Höhe der Zusammenziehung“ um ungefähr das Doppelte, „sowohl bei der directen, als bei der indirecten Reizung“. Aber aus den Zeichnungen sieht man deutlich, dass er von der Höhe des ganzen Myogramms in Fällen von Vorhandensein der Veratrincontractur sprechen will. In der That geschieht es häufig, dass deren Curve weit über die Spitze der Curve der schnellen Zusammenziehung hinausgeht, besonders wenn die elektrischen Reize nicht stark sind. In unserem Falle haben da- gegen die Zusammenziehungen 12 und 13 (Taf. X, Fig. 15) ganz das Aus- sehen von einfachen Zusammenziehungen, ganz ohne Contraetur. Auf der anderen Seite saet Overend? ausdrücklich, wo er von der primären Zu- sammenziehung spricht, wenn wir seine Worte richtig verstehen, „wenn man minimale und maximale Reize anwendet, wird die Höhe der Curven be- deutend vermindert, während sie bei ultramaximalem Reiz ihren normalen Werth behält“. Kunkel? beobachtete auch, dass veratrinisirte Muskeln reizbarer sind, und dass in ihnen die functionelle Potentialität zugenommen hat. Unwahrscheinlich finden wir das von Rossbach und Anrep* erhaltene Resultat. Sie beobachteten, dass das Veratrin zuerst Verlängerung und dann Verkürzung des Muskels hervorbringe unter gleichzeitiger Abnahme seiner Elasticität. Unwahrscheinlich finden wir vorzüglich die Verlängerung, welche das Veratrin hervorrufen soll. In Bezug auf die Veränderung der Elastieität widersprechen die Resultate von Ch. Richet? denen der deutschen Autoren, denn Richet behauptet mit Bestimmtheit, das Veratrin „vermin- dere sehr bedeutend die Ausdehnbarkeit des Muskels“. Wir können die Verschiedenheit der Resultate Overend’s und der unsrigen nur durch die Annahme erklären, er habe zu starke Dosen von Veratrin benutzt, welche die Muskeln übermässig vergiftet und ermüdet hätten. Schon Kobert® beobachtete, „dass starke Dosen von Veratrin die Reizbarkeit der Muskeln schnell zerstören, nachdem sie Krämpfe hervor- gerufen haben“; und neuerlich hat Buchanan’ die Nothwendigkeit betont, sehr kleine Dosen des Giftes anzuwenden, wenn man seine charakteristischen Wirkungen beobachten will. Bei unseren Versuchen über die verstärkende Wirkung des Veratrins ! Pflüger’s Archiv. 1876. Bd. XIIL S. 607. ZuN 22.08 3 Pflüger’s Archiv. 1885. Bd. XXXV]I. S. 353. * Ebenda. 1880. Bd. XXI. 8.240. 2A. 1a. 0% 8.199. ® Archiv für ewperim. Pathol. u. Pharmakol. 1882. Bd. XV. 8.23, A230. 390 PHır. BoTTazzı: ist das Fehlen der typischen Contraetur bei doppelt so hohen Zusammen- ziehungen, als die normalen, der beste Beweis, dass die im Muskel zurück- gebliebene Veratrinmenge sehr gering war, geringer, als die zur Erzeugung der charakteristischen Contracturcurve nöthige. So haben wir mehrmals festgestellt, dass dieselben Muskeln, die 1 bis 2 Stunden lang in einer Lösung von 1: 100000 von salpetersaurem Veratrin (nach Buchanan) getaucht worden waren, dann immer die ÖContracturen zeigten. _ Wir glauben, dass die Natur des (rothen) Muskels auch die von uns beobachtete Wirkung beeinflusst. Wie es auch sei, man muss annehmen, dass kleinste Dosen, die noch nicht genügen, um die Contractur hervor- zurufen, doch eine sehr bedeutende Zunahme der Höhe der einfachen oder primären Zusammenziehungen veranlassen können. Wenn also die sich von der Hochebene der Contractur erhebende Zu- sammenziehung so viel höher ist, als die normale Zusammenziehung desselben noch nicht veratrinisirten Muskels, so können wir versichern, dass unter diesen Umständen die einfachen Zusammenziehungen die Höhe der Tetanus- curve erreichen, oder ihr sehr nahe kommen. In der That ist es schwer, sich einen Tetanus vorzustellen, bei dem der Muskel eine stärkere Ver- kürzung erreicht, als die von der einfachen Zusammenziehung erreichte, die sich von der Hochebene der Contractur aus erhebt (Taf. X, Fig. 11). Wenn wir uns nun vorstellen, dass zwischen der normalen Zusammenziehung und der zweiten dieser Zeichnung, längs der aufsteigenden Curve der durch Veratrin hervorgerufenen Contractur, in regelmässigen Zwischenräumen ver- schiedene einfache, sämmtlich durch gleich starke elektrische Schläge ver- ursachte Zusammenziehungen eingezeichnet seien, so befinden wir uns vor einer Zeichnung, die einerseits an die von v. Frey! bei seinen Ex- perimenten über den gestützten Muskel erhaltenen, andererseits an eine normale Schwankung des Tonus im Vorhof des Herzens von Emys europaea erinnert. Die Wirkung ist in Betreff der einfachen hervor- gerufenen Zusammenziehungen der beiden gestreiften Muskeln und der automatischen Schläge des Vorhofs in den drei Fällen identisch, nämlich die Zusammenziehungen erreichen eine ungewöhnliche Höhe, die ganz oder fast ganz der der Tetanuscurve des entsprechenden Muskels gleich ist (aus- genommen der Vorhof, der keinen echten Tetanus hat). Die Ursache ist aber verschieden. Bei dem Experiment v. Frey’s ist es die „äussere Stütze“, die dem Muskel erlaubt, das Gewicht, mit dem er belastet ist, in immer späterer Zeit nach dem Anfang jeden Reizes zu verschieben. Bei unserem Experiment ! Versuche zur Auflösung der tetanischen Muskeleurve. Beiträge zur Physiologie. C. Ludwig gewidmet. Leipzig 1887. S.35flg. Ferner Dies Archiv. 1887. Physiol. Abthlg. 8.195 fig. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. W. 391 mit Veratrin wäre es die Contractur, die indireet als „innere Stütze“ wirkte und die Last auf eine gewisse immer grössere Höhe brächte, wo die schnelle Zusammenziehung sie plötzlich aufnähme. In dem Falle des Vorhofs würden die Dinge sich auf dieselbe Weise entwickeln, mit dem einzigen Unter- schiede, dass die Contractur nicht durch chemischen Reiz hervorgerufen, sondern automatisch wäre, wie die einfachen Zusammenziehungen, nämlich die Schläge des Vorhofs. Wir wagen nicht zu behaupten, dass das Experiment v. Frey’s, wenn es am veratrinisirten Muskel ohne „äussere Stütze‘ wiederholt wird, dasselbe Resultat geben müsse. Bei den beiden Experimenten würde der Unter- schied sehr gross und der Art sein, dass wir ihn gegenwärtig nicht ab- schätzen könnten. Aber wir können ihn uns vorstellen, wenn wir an den Unterschied denken, der zwischen einem rein äusserlichen und einem rein innerlichen Stützprocess vorhanden sein muss. Es ist unmöglich, dass in diesem zweiten Falle die Function der (schnellen) Contraction und die der Stütze sich nicht gegenseitig beeinflussen; dazu kommt noch der Einfluss des Giftes auf die eine und die andere. Auf ähnliche Weise kann man glauben, dass die vollkommenen inneren Mechanismen, die im Vorhofe der Emys die doppelte Function mit wunderbarer Regelmässigkeit und Zu- sammengehörigkeit hervorbringen, sich nicht künstlich wieder erzeugen lasse. Aber alles dies hindert nicht, dass die von uns gedachte Analogie besteht. Das Experiment am veratrinisirten Muskel ist jedoch unmöglich aus- zuführen, eben wegen der Wirkung des Veratrins auf den Muskel, denn es wäre nöthig, dass die Phase jeder Ausdehnung, die längs der Contractur- curve hervorgerufen würde, in verhältnissmässig kurzer Zeit zu Stande käme, und dass der Muskel zu dem: Gleichgewicht seiner normalen Länge zurück- kehrte. Aber dies geschieht niemals. Die Veratrincontractur und die längste residuale Verkürzung jeder hervorgerufenen Zusammenziehung sind unver- meidlich und verhindern das Experiment. Indessen haben wir in einigen Fällen Resultate erhalten, die uns die oben angeführte Analogie suggerirt haben. Man betrachte z. B. drei Zusammenziehungen, deren jeder die typische Contractur folgt, auf der Curve D, rechts oben in der Zeichnung der Taf. XI, Fig. 28. Es handelte sich um den Gastrocnemius einer Kröte, die mit Digitalin vergiftet war. Während der Muskel die von diesem Glykosid verursachte kräftige Contractur ausführte, trafen ihn nach ein- ander in langen Zwischenräumen drei elektrische Schläge von gleicher Stärke. Nun wohl, wenn man die drei secundären Contracturen unbeachtet lässt, befinden sich die Spitzen der drei einfachen Zusammenziehungen auf einer aufsteigenden Curve, und die letzte auf einer viel bedeutenderen Höhe, als die einer gewöhnlichen Zusammenziehung des normalen Muskels, in einer Höhe, die nur der Tetanus hätte erreichen können. 392 PHıtw. BoTTAzzi: V. Wirkung des Veratrins auf die Atria cardiaca von Emys europaea und auf die glatten Muskeln. Aehnliche Wirkungen bringt das Veratrin auf das Atrium des Herzens von Emys europaea, sowie auf die glatte Längsmusculatur des Oeso- phagus von Bufo vulgaris und viridis hervor, und diese Aehnlichkeit rechtfertigt unsere Annahme, dass in den drei Muskelgeweben, dem quer- gestreiften, dem des Herzens und des Oesophagus, die Wirkung des Giftes wenigstens vorzugsweise auf die Muskelsubstanz ausgeübt wird, trotz der Gegenwart nervöser Elemente in den beiden letzten. Aber wie wir es bei den gestreiften Muskeln gemacht haben, halten wir es für zweckmässig, hier auch die Wirkungen der Kalisalze zugleich mit denen des Veratrins anzuführen. Was zuerst das Atrium des Herzens betrifft, so haben wir! schon im Jahre 1897 beobachtet, dass, wenn man vorsichtig auf das Präparat des Herzohrs einige Tropfen einer isosmotischen Lösung (ungefähr 0-9 Procent) eines Kalisalzes (Chlorür) fallen lässt, die Grundeontractionen allmählich kleiner werden, bis sie fast ganz verschwinden, während die Schwankungen des Tonus noch längere Zeit fortdauern. Indessen nimmt der allgemeine Tonus des Muskelpräparates ab, so weit es seine Ausdehnbarkeit erlaubt. Prof. Fano? hat gefunden, als er eine physiologische Kochsalzlösung benutzte, in der er eine gewisse Menge von Chlorkalium gelöst hatte, dass dieses Salz die Schwankungen des Tonus in Atrien hervorruft, in denen die Wärme sie vernichtet hatte, und die Grundfunction schwächt. Dann füst er hinzu: „Wenn man diese Salze in ziemlich bedeutender Menge anwendet, kann man sehen, dass ein echter Tetanus des Tonus auftritt, also eine Contractur des Sarkoplasmas, während die Grundfunetion ganz verschwunden ist.“ Wir konnten neuerlich die von Fano beobachtete Thatsache bestätigen, dass das KCl die Schwankungen in Atrien, in denen sie vorher schwach waren, kräftig anregte, und dass es eine bedeutende allgemeine Erhöhung des Tonus in Präparaten hervorrufen kann, die schon typische Schwankungen zeigten, auch wenn die Dose nicht stark war. Es gelang jedoch nicht, die schon früher von uns selbst gefundene Depression des Tonus zu beobachten, vielleicht weil wir uns bei diesen letzten Untersuchungen vorgenommen hatten, immer die kleinsten Dosen von jeder Substanz anzuwenden. Ich inuss auch bemerken, dass in einem Falle, in dem das Atrium niemals Schwankungen des Tonus zeigte, weder kleine, noch mittlere, das KCl (und ebenso wenig das Veratrin) nicht vermochte, sie hervorzurufen. In diesem ı Journ. of Physiol. 1897. Vol. XXI. p.T. ° Ricerche di fisiologia ete. Dedicate al Prof. L. Luciani nel 25° anno del suo insegnamento, Milano 1900. p. 114. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRISS U. S. w. 395 Falle schwächte das KCl, wiederholt in 0.9 procent. Lösung angewendet, und verlöschte zuletzt die Schläge des Atriums, ohne die geringste Aenderung des Tonus hervorzubringen. Schliesslich erregt KCl in kleiner und mässiger Dose den Tonus und kann eine Contractur hervorrufen, ähnlich der, die wir schon an den quer- sestreiften Muskeln beobachtet haben, und vielleicht schwächt und ver- nichtet es den Tonus nur, wenn es in starker Dosis wirkt. Hierbei muss man beachten, dass das Atrium der Emys im Allgemeinen viel weniger empfind- lich gegen Gifte ist, als die gestreiften Muskeln (Fano); und was besonders die Kalisalze betrifft, so haben wir schon beobachtet, dass bedeutende Dosen von ihnen nöthig sind, um den Stillstand, geschweige den Tod des mit Blut gefüllten und in situ fungirenden Frosch- und Krötenherzens zu bewirken. In Bezug auf die Wirkung des Veratrins hatte Prof. Fano schon beobachtet, „dass die Spitze des Herzohrs, wenn sie in eine physiologische Kochsalzlösung eingetaucht wird, die 5 Procent Veratrin enthält, ihre Schwankungen des Tonus verliert und ihre Grundfunction übertreibt. Noch stärkere Dosen schwächen jedoch auch die Grundfunction, wie man am Ventrikel des Frosches bemerkt.“ Ich halte es für zweifellos, dass die beobachtete Wirkung von der übermässigen Stärke der Veratrinlösung herrührte. In der That sagt derselbe Autor weiter unten „... die Linie der Tonicität . .. . sieht man zu Anfang mehr oder weniger hoch, je nach der Stärke der angewendeten Dosis“. Die von Fano beobachtete Er- scheinung ist also die paralysirende Wirkung, die von starken Dosen von Veratrin auch auf die gestreiften Muskeln ausgeübt wird. Viel schwächere Dosen bewirken dagegen ohne Ausnahme eine kräftige Contractur des Atriums.. Wenn diese nicht übermässig hoch ist, bleiben die Schwankungen des Tonus sichtbar. Wenn man dagegen eine maximale Contracetur hervorruft, verschwinden auch die Schwankungen, weil das Präparat den höchsten Grad der Verkürzung erreicht hat. Der Grad der Contractur hängt natürlich von der Dose des Giftes ab, die man einwirken lässt, wie man in den Zeichnungen der Taf. XI, Figg. 17 u. 15 sehen kann. Das Veratrin übt also auf das Atrium eine Contracturwirkung aus, wie auf den gestreiften Muskel. Kann man annehmen, sie rühre von Reizung der Nervenfasern her? Nein, denn auf ein stark mit Atropin ver- giftetes Atrium bringt das Veratrin dieselbe Wirkung hervor, nämlich sehr hohe Contractur und Auftreten deutlicher Schwankungen des Tonus auf der Hochebene der Contractur, die das in starker Dose angewendete Atropin vernichtet hatte (Taf. XI, Fig. 19). Dasselbe beobachtet man, wenn man das Atrium nicht mit Atropin, sondern mit Nicotin vergiftet (wir behalten 1 Arch. de Physiologie. 1896. p. 882. 394 PHıL. BoTTazzt: uns vor, später eine Zeichnung vorzuführen, um dies zu beweisen). A fortiori verhindert das KCl, wenn es nicht in einer für das Atrium tödtlıchen Dose angewendet wird, die charakteristische Wirkung des Veratrins nicht. Man wird sich jetzt nicht wundern, wenn man hört, dass das Veratrin ein mächtiges Contracturgift der glatten Muskeln ist, wie wir schon be- obachtet und jetzt von Neuem bestätigt haben. Die Zeichnung der Taf. XI, Fig. 20 ist so demonstrativ, dass wir uns die Beschreibung ersparen. Aber dieses Mal haben wir auch die Wirkung elektrischer Schläge des indueirten Stromes versuchen wollen, die so schnell auf einander folgen, dass sie als „tetanisirender“ Reiz auf den glatten Oesophagusmuskel vor und nach der Veratrinisirung wirken. Wenn man die Zeichnung auf Taf. XI, Fig. 21 betrachtet, sieht man leicht, dass sieben elektrische Schläge, die dem normalen Präparate beigebracht wurden, während es schon die bekannten automatischen, rhythmischen Bewegungen ausführte, eine verhältnissmässig (für die Natur des Muskels) schnelle Zusammenziehung hervorgerufen haben; wenn sie aber beigebracht werden kurz nach der Einwirkung kleiner Dosen von salpetersaurem Veratrin, verursachen sie eine fast ebenso hohe Zusammen- ziehung, deren expansive Phase aber in der Figur als sehr langsam erscheint. Noch dauerhafter waren zwei auf einander folgende Contracturen, die durch je zwölf elektrische Schläge auf einmal hervorgerufen wurden. Also ver- längert das Veratrin in den glatten ebenso, wie in den gestreiften Muskeln die Verkürzung auf sehr bemerkenswerthe Weise, wir meinen den durch elektrische Schläge hervorgerufenen Zusammenziehungszustand. In unserem Falle rührt die beobachtete Verlängerung, als man dem Präparate zwölf Schläge beibrachte statt sieben, nicht nur von der grösseren Zahl der elektrischen Reize ab, sondern sicher auch davon, dass man das den Schreib- hebel belastende Gewicht verminderte. Wir! hatten schon früher Untersuchungen über die Wirkung des Veratrins auf den Oesophagusmuskel der Kröte angestellt. Damals benutzten wir eine gesättigte Lösung des reinen Alkaloids, das bekanntlich in dieser Form sehr wenig löslich ist. Wir fanden, „dass es zuerst eine starke und dauernde Erhöhung des Tonus hervorbringt, nach welcher der Muskel sich langsam und dermaassen ausdehnt, dass er sich über den ursprünglichen Zustand der mittleren Tonicität hinaus verlängert. Während der Tonus sinkt, treten kräftige rhythmische Zusammenziehungen auf, die in der Folge immer stärker werden. Es zeigen sich auch weite, aber unregelmässige Schwankungen des Tonus. Wenn man jetzt die Feder, um sie horizontal zu stellen, um so viel hebt, als der Muskel sich verlängert hat, sieht man " Contributo alla fisiol. del tessuto di cell. muscolari. Firenze 1897. Parte 1, II e II. Siehe auch Arch. ital. di biol. 1899. Vol. XXXI. p. 97. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 395 weite, aber ziemlich regelmässige Schwankungen des Tonus und energische, rhythmische elementare Zusammenziehungen, welche beide auf einer immer wachsenden Linie der immer zunehmenden Tonieität eingeschrieben werden. In anderen Fällen nehmen diese secundären Alterationen des Tonus von selbst die Form einer stufenweisen Erhöhung an. Die Contracturwirkung des Veratrins wurde also schon bei unseren ersten Untersuchungen be- obachtet. Aber bei der sehr schwachen Dosis des angewendeten Giftes folgte auf die Contractur beträchtliche Erschlaffung. Dagegen zeigt die Zeichnung auf Taf. XI, Fig. 20 eine dauernde Contractur, verursacht durch die stärkere Dosis von Veratrin, die im entsprechenden Falle in der Form des löslichen Salzes (Nitrat) im Verhältniss von 1 : 10000 angewendet wurde. Die eben erwähnte secundäre Erhöhung des Tonus war wahrschein- lich der mechanischen Reizung des Präparates zuzuschreiben, die durch die Verrückung der Feder verursacht wurde. Aber wir haben ausserdem bei unseren neueren Forschungen auch das Auftreten von weiten Schwankungen des Tonus in Folge der Wirkung des Veratrins bestätigen können (Taf. XI, Fig. 22). Ferner haben wir feststellen können, dass verhältnissmässig starke Veratrindosen (2° von einer Lösung zu 1 Procent) auf die Länge den glatten Muskel ermüden, die oben erwähnten weiten Schwankungen zur Erscheinung bringen und von der primären, energischen, motorischen Function des Präparats nur seltene, wenn auch hohe Zusammenziehungen übrig lassen, die auf einer constanten, der Axe der Abscisse parallelen Linie eingetragen sind. Es scheint uns, dass die zahlreichen bis jetzt angestellten Unter- suchungen (mit Einschluss der unsrigen) über die Wirkung des Veratrins hinreichend sind, so dass wir wagen können, eine genügende logische Er- klärung des ganzen Myogramms zu geben, das durch einen elektrischen Schlag in einem veratrinisirten Muskel hervorgerufen wird. Unter den gewöhnlichen Umständen sind die Exeitabilität und Con- tractilität des doppelt brechenden, fibrillären Materials jeder Muskelfaser viel grösser, als die Excitabilität und Contractilität des Sarkoplasmas, so dass eine einzige, nicht übermässig starke Reizung nur Zusammenziehung des ersteren verursacht, und die Function des Sarkoplasmas ganz verborgen bleibt. Aber in dem Muskel, der sich in dem besonderen Zustande befindet, dass er die physiologische Contractur von Tiegel hervorrufen kann, und noch mehr in dem veratrinisirten Muskel, sind die Excitabilität und Con- tractilität des Sarkoplasmas so bedeutend erhöht, dass auch ein einzelner elektrischer Schlag seine Zusammenziehung zu veranlassen vermag. Die Zusammenziehung des Sarkoplasmas ist die „secundäre Contractur“, welche mehr oder weniger schnell nach der Reizung beginnt, je nachdem die 396 ‚Pam. BoTTAzz1: Erhöhung der Exeitabilität des Sarkoplasmas mehr oder weniger bedeutend ist. Dies ist die Ursache der verschiedenartigen Formen der Myogramme, die von verschiedenen Beobachtern aufgezeichnet worden sind. Der vera- trinisirte Muskel beantwortet jeden einzelnen Reiz zuerst mit seinem doppelt brechenden Material, und dann mit seinem Sarkoplasma, und die Antwort des letzteren ist um so kräftiger, je höher der Grad der Reizung und je frischer das Sarkoplasma ist. Das, was das Veratrin bewirkt, vermag übrigens auch die in passen- den Zwischenräumen eintretende Erregung durch mehrere elektrische oder andersartige Reize herbeizuführen, die hinreichend sind, um Tetanus hervor- zurufen. Durch „latente Addition“ erregen die ersten Reize das Sarko- plasma, so dass beim Tetanus die beiden contractilen Stoffe des Muskels zugleich wirken, wodurch sich die bedeutendere Höhe der Tetanuscurve erklärt. An dieser Curve verdienen auch der Anfangs- und der Endtheil Beachtung, die beide in verschiedenem Sinne gegen die Abscisse bedeutend geneigt sind. Diese mehr oder weniger starke Neigung, besonders die des Endes, ist den langsamen Erschlaffungen des Sarkoplasmas eigen. Wenn beim Tetanus nur das sich schnell zusammenziehende Material in Thätig- keit käme, so dürfte die Tetanuscurve in ihrem Anfangs- und Endtheile nicht eine andere Neigung haben, als die des aufsteigenden und bezw. des absteigenden Zuges einer gewöhnlichen, einfachen Muskelzusammen- ziehungscurve. Man muss annehmen, dass, da die einfachen Zusammenziehungen von verschiedenen Muskeln desselben Thieres und von Muskeln verschiedener Thiere nach Form, Dauer, Höhe u. s. w. verschieden sind, wegen der besonderen, dem schnell contractilen, fibrillären Material der verschiedenen Muskeln eigenthümlichen Unterschiede, so auch in Bezug auf Exeitabilität und Contractilität zwischen dem Sarkoplasma eines Muskels und dem eines anderen bedeutende Unterschiede vorhanden sein müssen, und noch mehr zwischen den Sarkoplasmen verschiedener Thiere. So wird z. B. das Sarko- plasma der rothen Muskeln der Kröte andere Exeitabilität und Contrac- tilität besitzen, als die weissen Muskeln des Frosches oder Kaninchens, ob- gleich die grössere Masse desselben bei ersteren seine motorische Function besser zur Erscheinung bringt. Es kann auch sein, dass es sich in den Fasern einiger Muskeln in grosser Menge vorfindet und sehr excitabel und contractil ist, wie es wahrscheinlich bei den Muskeln gewisser Insecten der Fall ist, und im Allgemeinen der niederen Thiere. Soviel ist gewiss, dass die scheinbare Gleichförmigkeit seines mikroskopischen Aussehens uns nicht verhindert, anzunehmen, dass seine physiologischen Eigenschaften sehr ver- schieden sein können. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. Ww. 397 Wenn die Wirkung des Veratrins in der Erzeugung einer bedeutenden Erhöhung der Exeitabilität und Contractilität des Sarkoplasmas und ausser- dem des fibrillären, doppelt brechenden Materiales besteht, kann man a priori annehmen, dass es noch andere Stoffe giebt, die ähnliche Wirkungen wie das Veratrin hervorbringen können. Die Schwierigkeit wird wahr- scheinlich in der Auffindung der Dosen bestehen, die solche Wirkungen, nämlich die Erhöhung der Exeitabilität und Contractilität, hervorzubringen vermögen. Wir haben verschiedene Substanzen versucht, und dabei Resultate gewonnen, die wir für nicht ganz uninteressant halten und darum hier kurz anführen wollen. VI. Wirkung des Helleboreins auf die gestreifte, atriale und glatte Musculatur. Das Helleborein wirkt auf zwei zum Theil verschiedene Arten, je nachdem man eine verdünnte oder eine verhältnissmässig stärkere Lösung benutzt. Eine Lösung von 1°" des Glykosids in 1000 °® der 0-8 procent. NaUl- Lösung bewirkt, wenn sie in kleiner Menge auf einen Gastrocnemius ge- gossen wird, nachdem man einige normale Zusammenziehungen desselben aufgezeichnet hat, keinerlei Contractur. Aber die darauf folgenden Zusammen- ziehungen, wenn sie durch Oefinungsschläge des indueirten Stromes von immer gleicher Stärke hervorgerufen werden, sind ungefähr doppelt so hoch als die normalen. Auch diese stärkeren Zusammenziehungen zeigen keine Spur von Contractur in ihrer expansorischen Phase. Vielmehr müsste man, nach den Aufzeichnungen der Taf. XI, Fig. 24 zu urtheilen, sagen, dass die in den normalen Myogrammen sichtbare residuale Verkürzung in den nach der Einwirkung des Helleboreins erhaltenen verschwindet. Man kann jedoch eine ebenso oder noch mehr verdünnte Lösung längere Zeit auf den Muskel wirken lassen, indem man ihn einige Stunden lang in dieselbe eingetaucht lässt, nachdem man normale Zusammen- ziehungen des ganz frischen Muskels aufgezeichnet hat, statt die Lösung auf den schon in dem Schreibapparat befestigten Muskel auszugiessen. Man begreift leicht, dass in letzterem Falle die Wirkung des Giftes nur vorübergehend sein kann. Wenn man also auf diese Weise vorgeht, beobachtet man, dass die Zusammenziehungen des 1 bis 3 Stunden lang in der verdünnten Flüssigkeit gebliebenen Muskels nicht nur höher sind als die normalen, sondern auch eine Contractur zeigen, ähnlich der physio- logischen von Tiegel und der bei Veratrinbehandlung; sie ist um so deutlicher und- typischer, je länger das Helleborein eingewirkt hat. Bei 398 Prrm. Borrtazzt: dem Experimente, dessen Zeichnungen wir in Taf. XI, Fig. 23 geben, war die Kröte vorher curarisirt worden, und dies beweist, dass der Einfluss des Glykosids nicht auf die Nervenendigungen wirkt, sondern auf die eigene Substanz des Muskels. Wenn man dagegen auf den schon in dem Schreibapparat befestigten Muskel eine kleine Menge (!/,°®) einer verhältnissmässig concentrirten Lösung (0-5 Procent) von Helleborein giesst, sieht man sogleich eine kräftige Contractur eintreten, als Wirkung des durch das Glykosid bewirkten chemischen Reizes. Wir wollten ihre Wirkung gleichzeitig an einem Gastro- cnemius der Kröte und an einem des Frosches versuchen. Aus den Zeichnungen der Taf. XI, Fig. 25 folgt deutlich, dass dieselbe Menge der Lösung eine kräftigere Contractur in dem Muskel der Kröte, als in dem des Frosches hervorbringt. Und auch die darauf folgenden Zusammen- ziehungen, hervorgebracht durch Oeffnungsschläge des elektrischen Stromes, beweisen, sowohl an der Höhe der schnellen Zusammenziehung, als an der Höhe und Weite der folgenden Contractur, einen Unterschied in derselben Richtung, d. h. eine kräftigere Reaction des Muskels von Bufo. Das Helleborein wirkt also auf die gestreiften Muskeln analog wie das Veratrin. Ganz ähnlich ist die Wirkung des Helleboreins auf den Herzvorhof der Emys europaea. In 0.5 procent. Lösung entwickelt es zuerst die Schwankungen des Tonus, und bringt dann eine deutliche Contractur des Atriumpräparates hervor, während deren die Schwankungen fortdauern, abgeschwächt, wie die Schläge des Atriums, wegen der übermässigen Ver- kürzung. Nachher löst die Waschung mit 0-8 procent. NaCl-Lösung die Contractur, aber nicht vollständig, während die Schwankungen des Tonus ihre normale Weite wieder gewinnen. Wenn man jetzt auf das Atrium (Taf. XII, Fig. 26) eine stärkere (1 Procent) Lösung von Helleborein giesst, erreicht der Spasmus des Vorhofsmuskels das Maximum, die Schwankungen des Tonus verschwinden, und auch die Schläge des Atriums werden sehr schwach und ein wenig unregelmässig. Aber das Präparat kann vor dem ihm drohenden Tode durch reichliche Waschungen mit 0-8 procent. NaCl- Lösung bewahrt werden. Denselven Finfluss übt das Helleborein auf den sino-venösen Stumpf des Herzens der Emys aus, der aus der „basalen Wand“ (Gaskell) besteht, wie Taf. XII, Fig. 27 zeigt. In stärkeren Lösungen werden die deprimirenden Wirkungen des Helleboreins am augenfälligsten. Dies folgt nicht aus unseren eigenen Ver- suchen, sondern wir schliessen es aus den Untersuchungen des Prof. Fano.! 1! A.2.0. p. 67—68. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 399 „Das Helleborein von Merck,“ sagt er, „in Natronlösung (Chlornatrium) zu 5 Procent angewendet, wirkt leicht deprimirend auf die Schwankungen des Tonus und macht sie länger und weniger hoch.“ Ausserdem soll dieses Glykosid die rhythmische Form der Schläge des Atriums in die periodische Form verwandeln. Dann fügt der Autor hinzu, dass „die Linie der Tonicität sich ein wenig (leggermente) durch die Wirkung des Helleboreins hebt.“ Aber dies bildet keinen Widerspruch gegen unsere experimentellen Resultate. Der Autor hat eine geringe Erhöhung des Tonus gefunden, weil die deprimirende Wirkung der angewendeten Giftdosis die erregenden und Contracturwirkungen überwogen. Noch heftiger ist der Krampf, den das Helleborein auch in sehr kleiner Dosis in den glatten Muskeln hervorruft. Unsere früheren Untersuchungen über die Wirkung der Glykoside auf die Oesophagusmuskeln der Kröte haben so scharfe und übereinstimmende Resultate gegeben, dass wir es für unnütz hielten, sie zu wiederholen. VII. Wirkung des Digitalins. Die durch dieses Glykosid sowohl auf die gestreiften Muskeln deı Kröte und des Frosches, als auf das Atrium des Herzens von Emys und auf den Oesophagus der Kröte ausgeübten Wirkungen sind den beim Helleborein beschriebenen vollkommen ähnlich, aber sie sind alle stärker. Die Contraeturen sind noch. heftiger und treten bei viel kleineren Dosen des Giftes auf. Ferner erreicht man viel schneller jenen Grad von Ver- giftung, in dem die deprimirenden Wirkungen an Stelle der erregenden treten. Der Gastrocnemius einer Kröte, der unter normalen Umständen kräftige Zusammenziehungen zeigte, verlor, nachdem er ungefähr 2 Stunden in einer verdünnten Digitalinlösung gelegen hatte (1° der 0-5 procentigen Lösung des Glykosids in 50m 0.8 procentiger Lösung von NaCl), einen grossen Theil seiner Contractilität, und nach weiteren 2 Stunden hatte er seine Reizbarkeit ganz verloren. Aber wenn man das Gift in sehr schwacher Dosis und auf vorüber- gehende Weise wirken lässt (indem man wenige Tropfen der Lösung auf den schon zur Aufzeichnung seiner Zusammenziehungen bereiten Muskel ausgiesst), beobachtet man die bekannten Contracturwirkungen, die wir schon bei dem Helleborein beschrieben haben, aber in höherem Grade. Aber der Unterschied in dem Verhalten des Kröten- und Froschmuskels zeigt sich auch hier deutlich, wie man aus Taf. XII, Fig. 28 sieht. Der Muskel B (von der Kröte) zeigt ausser einer kräftigeren Contractur in Folge des chemischen Reizes auch typische „Veratrin“-Contraeturen als Antwort auf 400 Priv. Bortrtazzt: elektrische Reize, während im Muskel #% (von Rana esculenta) dieselben Erscheinungen auftreten, aber sehr abgeschwächt. Wir ersparen uns die Vorlegung von Zeichnungen über die Wirkung des Digitalins auf das Atrium von Emys und auf den Oesophagus der Kröte, weil nichts Anderes vorzubringen wäre, als was wir beim Helleborein gesehen haben. Man kann glauben, dass auch die anderen Glykoside auf dieselbe Weise wirken. Zuletzt wollen wir erwähnen, dass Kobert! das Helleborein und das Digitalin (und andere Glykoside) zu den Giften stellte, die in gewisser Dosis die Muskelfunction vernichten und sie in geringerer Dosis nur schwächen, ohne eine Zunahme der Contractilität anzudeuten, ähnlich der, die wir festgestellt haben. Kobert wendete jedoch eine von der unsrigen verschiedene Methode an. Er studirte den Einfluss dieser (und anderer) Gifte, die er dem Frosch eingespritzt hatte, an der Curve der Muskelermüdung. Indessen, da eine Phase der erhöhten Erregbarkeit im Verlauf der Wirkung dieser Gifte ohne Zweifel vorhanden ist, hätte er sie auch an der Ermüdungscurve beobachten sollen. Davon spricht er aber überhaupt nicht und lässt annehmen, entweder dass die Dosis des injieirten Giftes unter den Umständen seines Experimentes zu stark war, oder dass die Phase der Zunahme der Muskelerresung schon vorüber war, als er anfing, die Ermüdungscurve aufzuzeichnen. Kunkel? dagegen fand die Erregbarkeit in einem ersten Stadium erhöht und die Curve der Zusammenziehung höher in Folge der Wirkung des Digitalins.. Er fand auch die expansorische Phase des Myogramms „ein wenig verzögert“ da, wo man in unseren Zeichnungen Contracturen sieht, die man mit den durch ‚Veratrin erzeugten verwechseln Könnte. Ein ganz unwahrscheinliches Resultat ist das von Rossbach und Anrep® angegebene, dass nämlich das Digitalin Verlängerung des Muskels hervorruft, während es wohl möglich ist, dass es, wie dieselben Autoren versichern, seine Elastieität vermehrt. Zum Schluss verursachen die beiden von uns studirten Glykoside, wenn man sie in sehr schwacher Dosis einwirken lässt, in den Muskeln in einer gewissen Phase ihrer Wirkung ähnliche Zustände wie das Veratrin. Die Wirkung des letzteren ist also nicht absolut specifischh Man muss vielmehr sagen, dass im Muskelplasma Zustände hervorgerufen werden ! Archiv für experim. Pathol. u. Pharmakol. 1882. Bd. XV. 8.23. ® Pflüger’s Archiv. 1885. Bd. XXXVI S. 353. 0) u. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS UT. S. w. 401 können, dass motorische Wirkungen entstehen, wie die beim Veratrin be- kannten; aber diese Zustände können durch eine Menge verschiedener chemischer und physischer Agentien verursacht werden, unter denen wir auch die Kälte anführen können. VIII. Wirkung des Muscarins und Atropins. Ein sehr interessantes Studium bietet die Vergleichung des Atropins und Muscarins auf das contractile Plasma dar. Man musste .es so weit wie möglich erweitern, um zu sehen, ob der wohlbekannte Antagonismus der beiden Gifte bei ihrer Wirkung auf das Herz sich auch bei anderen, mehr oder weniger differenzirten contractilen Plasmen wiederholt, die reich an Zellen. und Nervenfasern sind, wie das Herz, oder ohne die ersteren, wie die Muskeln des Skelets, oder ganz ohne Nervenfasern, wie die niedrigsten organisirtten Wesen. Nur die vergleichende Physiologie kann gewisse Probleme lösen, wie dieses: ob der antagonistische Einfluss des Muscarins und Atropins nur auf die Muskelsubstanz einwirkt, oder nur auf die nervösen -Elemente, auf die Ganglienzellen, oder auf die Fasern, oder auf die End- platten der Nerven, oder auch zum Theil auf die Substanz der Muskeln, und auf die der Nervenelemente. Das Wenige, das wir bei unseren ‚Untersuchungen erreicht haben, ist weit von der Lösung des Problems entfernt, aber wir hoffen, wenigstens zu seiner theilweisen Aufklärung beizutragen. Wir beginnen mit dem Studium der Wirkung des Atropins, getrennt von der des Muscarins, um dann beide mit einander zu vergleichen. Atropin. Wenn man ein wenig von einer 1 procent. Lösung von schwefelsaurem Atropin auf einen Gastrocnemius des Frosches giesst, der schon in dem Schreibapparat befestigt ist, so folgt gewöhnlich keinerlei contractorische Wirkung, während dieselbe Menge der Lösung, wenn sie auf den Gastrocnemius einer Kröte wirkt, eine mässige Contractur hervor- ruft, die aber bald wieder verschwindet. Diese 1 procent. Lösung ist also schon sehr stark, weil sie für sich allein die Muskelsubstanz chemisch reizt. | Noch verdünntere Lösungen reizen die gestreiften Muskeln nicht, rufen aber in ihnen bedeutende Veränderungen der Excitabilität und Contractilität und des Tonus hervor. Das Erste, was uns an einem Muskel auffällt, der einige Stunden in einer stark verdünnten Lösung von schwefelsaurem Atropin gelegen hat, ist seine Schlaffheit, sein Zustand von äusserster Dehnung, der ihn sehr Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 26 402 Puıw. BotTtTazzi: von den mit den anderen Giften behandelten Muskeln unterscheidet, mit denen wir uns in dieser Arbeit beschäftigen. Er erscheint auch über den Normalzustand hinaus verlängert. Wir haben darüber keine Messungen angestellt, aber es wäre zweckmässig, solche zu machen, wie es auch sehr interessant wäre, die etwaigen Veränderungen der Elastieität eines atropini- sirten Muskels zu studiren. Gewiss entspricht diese ausserordentliche Expansion der gestreiften Muskeln vollkommen der Verlängerung, die das Atropin im Myocard und in den glatten Muskeln nach einer kurzen contractorischen Phase hervor- ruft. (S. weiter unten.) Aber die Analogie zwischen atropinisirten quergestreiften Muskeln, Myo- card und glatten Muskeln scheint uns viel inniger und in einer ähnlichen Veränderung der respectiven functionellen Eigenschaften zu bestehen. Wie die Schläge des Herzens und die rhythmischen Bewegungen des Oesophagus- muskels der Kröte viel kräftiger und weiter werden, so gehen die Zusammen- ziehungen der gestreiften Muskeln in Folge der Atropinwirkung weit über die Höhe der normalen Zusammenziehungen hinaus. Hier ist (Taf. XII, Fig. 30) ein curarisirter Gastrocnemius von Bufo vulgaris. Man zeichnet zwei Zusammenziehungen — eine beim Schluss, die andere bei der Oefinung — des soeben vom Körper getrennten Muskels auf und taucht ihn dann in eine verdünnte Lösung von schwefelsaurem Atropin ein. Dann zeichnet man in langen Zwischenräumen nach einander paarweis Zusammenziehungen auf, die durch elektrische Schläge von gleicher Stärke hervorgerufen sind. Wenn man die Zeichnungen I und Il unserer Figur vergleicht, kann .man leicht die bedeutende plötzliche Verlängerung - des Muskels durch die Wirkung des Atropins wahrnehmen. Aber was uns am meisten auffällt, ist die enorme Zunahme der Höhe der Zusammen- ziehungen und der durch jedes Myogramm eingeschlossenen Fläche nach der Atropinisirung. Die in den letzten Myogrammen deutlich sichtbare „Nase“ ist in den ersten kaum erkennbar, obgleich schon in diesen die feine Spitze durch eine mehr oder weniger zugeschärfte Kuppel ersetzt zu werden anfängt. Die Curve der secundären Contractur wird auch mit der Zeit deutlicher, aber obgleich sie sich der Höhe nach bedeutend entwickelt zeigt, ist ihre Dauer geringer als bei der durch Veratrin oder anderswie hervorgerufenen Contractur. Den Unterschied kann man nach dem Augen- schein abschätzen, wenn man bemerkt, dass die Weite der Atropincontractur, die bei grosser Geschwindigkeit des Oylinders (g. v.) aufgenommen wurde, nahezu der der Curve der Veratrincontractur gleich ist, die bei mittlerer (reschwindigkeit des Cylinders registrirt wurde. Wenn man die beiden Öurven, Fig. 29 auf Taf. XII, betrachtet, die von einem anderen Gastrocnemius einer Kröte aufgezeichnet sind, während die ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 403 Wirkung des Atropins auf ihn auf seinem Maximum war, sieht man, dass diese Curven in der That zweispitzig sind, und dass die zweite Spitze sich in jedem Myogramme von der ersten nicht nur dadurch unterscheidet, dass sie bei den Zusammenziehungen der Schliessung weniger hoch und bei denen der Oefinung höher ist, sondern besonders durch ihre Weite und Dauer, die bedeutend grösser sind. Auf die beiden Spitzen, die in vielen Curven in eine einzige verschmelzen, natürlich mit Verschwinden der „Nase“, und auf ein gewisses Moment der allgemeinen expansorischen Phase folgt eine dauernde (residuale) Verkürzung, bezeichnet durch eine mehr oder weniger auf die Abscisse geneigte Linie. Der Grundunterschied zwischen den Myogrammen und den atropini- sirten und veratrinisirten oder mit Helleborein oder anderen, besonders „contracturerregenden“ Giften behandelten Muskeln, besteht darin, dass man bei ersteren niemals eine Spur von jener weiten, secundären Con- tractureurve sieht, von der Gestalt einer breiten Kuppel, die für die zweiten charakteristisch ist, während beiden ein mehr oder weniger auffallender Grad von residualer Verkürzung gemeinschaftlich zukommt. Eine Besprechung der Bildung der Zusammenziehungscurve erscheint hier als unerlässlich, damit wir aus den gemachten Beobachtungen Nutzen ziehen können. Alle diese Atropincurven sind offenbar zweispitzig. Auch wenn bei Aufzeichnung mit geringer Geschwindigkeit des Öylinders die Duplieität maskirt ist, braucht man nur die Aufzeichnungen etwas schneller zu machen, um die scheinbar einfache Spitze sich in zwei mehr oder weniger deutliche theilen zu sehen. Das Atropin, das die Dauer der Zusammenziehung bedeutend zu verkürzen scheint, ist vielleicht das dazu passendste Mittel und bringt eine solche Spaltung der Curve der Muskel- zusammenziehung hervor, die gewöhnlich einfach erscheint. Denn wenn der Verlauf der primären Zusammenziehung weniger schnell oder der der secundären schneller wäre, würde die Verschmelzung beider Spitzen unver- meidlich sein. Es hängt von dem Verhältniss der Schnelligkeit beider Zusammenziehungen, wenn beide vorhanden sind, ab, ob sie getrennt er- scheinen oder nicht. Darin liegt der Gedanke, dass die zweite auch fehlen kann, wie es wahrscheinlich in den Fällen von schnellerer Erregbarkeit des Materials der Fall ist, das sie ausführt, oder von sehr geringer Stärke des Reizes, oder von äusserster Spärlichkeit des Materials selbst, z. B. in Muskeln, die (fast) ausschliesslich aus weissen Fasern bestehen. Es ist also klar, dass zur Entstehung der grossen Varietät von Muskel- curven von verschiedenen Muskeln oder von demselben Muskel in ver- schiedenen Zuständen beim Experiment, viel mehr die secundäre Curve bei- trägt als die primäre. Diese ist constanter, erscheint mit gleichmässigerem Aussehen. Die andere ist sehr veränderlich. Bisweilen kaum angedeutet, 26” 404 Pr. Bortazzi: erscheint sie in veratrinisirten Muskeln weit und lang, mehr oder weniger hoch als die primäre, mehr oder weniger spät auftretend als diese, oder kann mit ihr fast verschmolzen sein, oder in gewissen Fällen sich von der Abseisse erst erheben, wenn die primäre Curve schon vollständig ist, z. B. in gewissen Veratrincurven oder in Folge der Einwirkung des oxalsauren Natriums, wie wir später sehen werden. Unter allen Agentien, die die elementaren Curven jedes Myogramms entwickeln, giebt es vielleicht nicht zwei andere, die sie auf so entgegen- gesetzte Weise hervorbringen wie Veratrin und Atropin, obgleich beide bedeutende Vermehrung der Höhe der primären Curve bewirken. So ver- längert das Veratrin sehr stark die secundäre Curve, während das Atropin sie weniger verlängert als jedes andere Agens, obgleich es bedeutende residuale Verkürzung hervorruft. Dies lässt vermuthen, dass die Erregung des Sarkoplasmas sich nicht immer auf dieselbe Weise äussert, die wir an den veratrinisirtten Muskeln zu sehen pflegen, d. h. in Gestalt einer kräf- tigen, lange dauernden Contractur, sondern im Gegentheil, wie in atropini- sirten Muskeln (allerdings mit deutlicher residualer Verkürzung) in Gestalt einer secundären, verhältnissmässig schnellen und sehr hohen Zusammen- ziehung, die oft höher ist als die primäre. Natürlich sind zur Hervorbringung dieser zweispitzigen Myogramme normaler Muskeln maximale oder ultramaximale Reizungen nöthig, und vielleicht genügt dies nicht immer, um sie zu erzeugen. In Muskeln dagegen, in denen dieses oder jenes physische oder chemische Agens Er- höhung der Reizbarkeit des Sarkoplasmas hervorgebracht hat, sind so starke Erregungen nicht durchaus unentbehrlich, obgleich es zweckmässig ist, sie anzuwenden, damit die Erscheinung in aller ihrer Deutlichkeit auftrete. Prof. Fano! fand, dass das Atropin „in der Gestalt des Alkaloids oder des schwefelsauren Atropins, das viel löslicher ist, angewendet, die Schwankungen des Tonus vollkommen lähmt und die Grundfunction er- regt.“ Man muss sich erinnern, dass Fano bei seinen Experimenten ver- hältnissmässig starke Giftlösungen anwendete, und dass dieselbe Methode, die er befolste, eine lange dauernde Wirkung des Giftes auf das Präparat des Atriums erlaubte Wir haben dagegen zur Vervollständigung des Studiums der Wirkung dieser in der experimentellen Physiologie so viel gebrauchten Substanzen immer verhältnissmässig schwache Lösungen benutzt und in einigen Fällen äusserst schwache im Vergleich mit denen Fano’s. Dies erklärt den Unterschied einiger unserer Resultate von den von ihm erhaltenen. 2. (0 ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 405 Wenn man von der Idee ausgeht, dass jedes Gift erregend oder de- primirend wirken kann, je nach der Dose, in der es wirkt, muss man in entgegengesetzten Wirkungen nicht Widersprüche sehen, sondern Ver- schiedenheiten der Resultate, die dem Grade der Vergiftung entsprechen. Man muss ferner bedenken, dass eine gegebene Menge eines Alkaloids auf eine Art von contractilem Plasma erregend wirken und für eine andere indifferent oder deprimirend sein kann, weil die Empfänglichkeit der ver- schiedenen Plasmen nicht gleich ist. Die Complicirtheit der Resultate er- reicht zuletzt den Gipfel, wenn man nicht nur die Wirkung der Gifte auf die contractile Substanz, sondern auch die auf nervöse und Ganglienelemente, auf Nervenfasern und Endplatten berücksichtigen muss. Dies vorausgeschickt, sagen wir sogleich, dass die von uns beobachteten Wirkungen des Atropins, immer in relativ schwacher Dosis angewendet !, uns zu Anfang nicht wenig überrascht hat. Wir stellen auf Taf. XII, Fig. 31 eine Zeichnung dar, wobei die Lösung des reinen Alkaloids (dieses wurde in mässiger Menge in eine 0-8 procent. Lösung von Na0l gebracht, mehrere Tage lang darin gelassen und mehrmals umgeschüttelt, dann filtrirt) ausser einer kräftigen Contractur eine seltsame Verlangsamung der Schläge des Atriums hervorbrachte, so dass man die Zeichnung mit der verwechseln könnte, die man durch Reizung der Vagusfasern des Herzens der Emys erhalten kann. Uebrigens ruft auch die Lösung von schwefelsaurem "Atropin (in zu- nehmender Stärke von 0-1 bis 1 Procent) Contractur des Atriums hervor, die in der Zeichnung auf Taf. XII, Fig. 32 desto deutlicher erscheint, je stärker — in den angegebenen Grenzen — die Lösung war. In Zeich- nung IV, am rechten Ende, beobachtet man auch Verlangsamung der Schläge. Mit den von uns angewendeten Dosen haben wir also niemals Para- lyse des Tonus erhalten, woraus man streng genommen schliessen müsste, die von uns beobachteten Wirkungen rührten entweder von dem directen Einfluss des Atropins auf die Muskelsubstanz, unabhängig von den Fasern und Endigungen des Vagus im Atrium, oder von sanfter Reizung ? dieser Fasern und Endigungen her, denn die Paralyse der Fasern und Endigungen des Vagus, denen man gewöhnlich die Wirkung des Atropins zuschreibt, ! Möge sich der Leser erinnern, dass die von uns angewendete Dosis in der That immer schwach war, trotz der Concentration der Lösung, weil das tropfenweise Aus- giessen auf das Präparat bewirkt, dass das Gift immer nur eine flüchtige Wirkung auf dasselbe ausübt. Auf diese Weise wird der Muskel niemals, auch nicht für kurze Zeit, in die Lösung eingetaucht. ” 8. Bottazzi, Ancora sull’ azione del vago e del simpatico sopra Y’atrio del cuore dell’ Emys europaea. iv. di sc. biolog. 1900. Vol. II. p. 904. 406 Pr. Bortrtazzi: ohne directen Einfluss derselben auf die Muskelsubstanz, würde entgegen- gesetzte Resultate hervorgebracht haben. Aber Prof. Fano hat beobachtet, wie wir oben sagten, dass die Wirkung des Atropins auf das Atrium von Emys sich nicht wesentlich von der unterscheidet, die es auf das Herz des Frosches ausübt, nämlich: allgemeine Erniedrigung des Tonus (das Verschwinden der atrialen Schwankungen ist eine ähnliche Wirkung) und Verstärkung mit zunehmender Häufigkeit der /Zusammenziehungen. Wenn die Verschiedenheit der Resultate nur der verschiedenen Stärke der benutzten Lösungen zuzuschreiben ist, so muss man sagen, dass man im Herzen der Emys nur mit starken Dosen die voll- kommene Ausschliessung der vagalen Function erreicht, während schwache Dosen vorwiegend auf die Muskelsubstanz wirken, obgleich die Verlang- samung der Schläge auf der Hochebene der Contractur eine gewisse gleich- zeitige Reizung der Fasern oder Endigungen der Nervenfasern vermuthen lässt, welche vielleicht auch zum Theil die auffallende Contractur erklären würde. Die Wirkung des Atropins auf die glatten Muskeln des Oesophagus der Kröte geht so deutlich aus unseren früheren Untersuchungen ! hervor, dass wir es für unnöthig halten, Weiteres hinzuzufügen. Es verursacht eine sehr auffallende Expansion (nach einer sehr kurzen und schwachen anfänglichen Contractur) und dann kräftige und häufige rhythmische Be- wegungen, die lange dauern. Auch P. Schultz? hat beobachtet, dass die 5procent. Lösung von schwefelsaurem Atropin? den Tonus des Ringes des Magens aufhören macht, an dem er experimentirte. Aber er behauptet, dass diese Lösung auch die freiwilligen Zusammenziehungen dieses glatten Muskelpräparates zum Aufhören bringt, was unseren am Üesophagus er- haltenen Resultaten widerspricht. Aber wir haben feststellen können‘, dass ‘das Atropin auf ähnliche Weise auf den Oesophagus und auf die Ingluvies der Aplysien einwirkt. Und da diese unsere Resultate mit den am Herzen beobachteten übereinstimmen, halten wir sie für wahrscheinlicher als die von Schultz. Die Wirkung des Atropins auf die quergestreiften Muskeln, auf den Herzventrikel des Frosches und anderer Thiere, auf das Herzatrium der Emys europaea (Experimente von Prof. Fano) und auf die glatten Muskeln ist also immer dieselbe und besteht in einer allgemeinen expan- sorischen Wirkung oder Depression des Tonus, begleitet von Zunahme der AS2HI0: ® Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. 8. 313. ® Die Lösung ist offenbar zu concentrirt. * Bottazzi, Ricerche fisiolog. sul sistema nervoso viscerale delle Aplisie ete. Kiv. di sc. biolog. 1899. Vol.I. p. 22 dell’ estratto. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 407 (Erregbarkeit und) Contractilität, daher die automatisch oder künstlich hervorgerufenen Zusammenziehungen der verschiedenen Muskelpräparate oft bei weitem höher sind als die normalen. Kann man nach alledem ruhig fortfahren, zu glauben, dass die Wir- kungen des Atropins auf das Herz ausschliesslich von seinem specifischen Einfluss auf die Ganglienzellen oder auf die nervösen Faserendigungen oder Endplatten herrühren? Jemand könnte noch einwerfen, dass auch zu den gestreiften Muskeln inhibitorische Fasern treten können und dass auch in diesen Muskeln Endplatten vorhanden sind. Aber der Muskel einer curari- sirten Kröte reagirt auf dieselbe Weise wie ein normaler Music) nachdem er den Einfluss des Atropins erfahren hat! Folglich wird es durch unsere Untersuchungen über die gestreiften Muskeln immer mehr wahrscheinlich, dass der Einfluss des Atropins vor- wiegend auf die Muskelsubstanz ausgeübt wird, womit nicht geleugnet werden soll, dass er auch auf die nervösen Elemente wirkt. Soviel ist gewiss, dass die zuerst dem Einfluss des Alkaloids auf diese Elemente zu- geschriebenen Wirkungen auf analoge Weise in Muskelpräparaten (Skelet- muskeln) hervorgerufen werden können, die ohne Ganglienzellen sind und in denen durch Curare der Einfluss der motorischen Nervenendplatten auf- gehoben ist. Muscarin. Das Muscarin wirkt dagegen auf die gestreiften Muskeln mehr ähnlich dem Veratrin. Es entwickelt zuerst bedeutend (Taf. XII, Fig. 33) die schnelle Zusammenziehung des Muskels, aber diese Wirkung ist vorübergehend. Man beobachtet niemals in dem muscarinisirten Muskel eine Fortdauer der Zunahme der Functionalität wie im atropinisirten. Verhältnissmässig starke Dosen von Muscarin vermindern vielmehr in kurzer Zeit die Contractilität der Muskeln, was man niemals, auch nicht bei starken Dosen, nach der Einwirkung des Atropins beobachtet. Hierin liegt also ein erster Unterschied zwischen den beiden Giften. Das Muscarin, auch wenn es in 0-1 procent. Lösung auf den schon im Schreibapparat befestigten Muskel ausgegossen wird, ruft eine bedeutende Contractur (Taf. XII, Fig. 34) hervor, die im Gastrocnemius von Bufo vulgaris viel auffallender ist als in dem von Rana esculenta. Wir haben schon oben gesagt, dass man eine 1 procent. Lösung von schwefel- saurem Atropin anwenden muss, um eine mässige Contractur dieser Art zu erhalten, und nur im Muskel der Kröte, während der des Frosches nicht reagirt. Hier ist ein zweiter Unterschied zwischen Muscarin und Atropin. In Uebereinstimmung mit dieser auffallenden contracturerzeugenden Wirkung ist die Thatsache, dass, wenn man den muscarinisirten Muskel mit einzelnen elektrischen Schlägen trifft, man typische secundäre Contracturen 408 Priv. BoTTAzzi: hervorruft, ähnlich denen, die die veratrinisirten Muskeln ausführen. Wie gewöhnlich, sind die Contracturen der Muskeln des Frosches weniger kräftig als der der Krötee Auch wenn durch längere Einwirkung des Muscarins die Höhe der schnellen Zusammenziehungen schon angefangen hat abzunehmen, erscheinen die secundären Contracturen immer noch deutlich und hören vielleicht erst mit dem Tode des Muskels auf. (S. die ver- schiedenen Curven auf Taf. XII, Fig. 32.) Ueber die Wirkung des Muscarins auf das Herzatrium von Emys hat zuerst Prof. Fano und haben wir neuerlich übereinstimmende Resultate erhalten, bestehend in fortschreitender Zunahme des Tonus mit Verstärkung der Schwankungen und in Stillstehen der Schläge des Vorhofes, wie man deutlich in der Zeichnung auf Taf. XIII, Fig. 35 sieht. Dies stimmt mit dem überein, was wir an den gestreiften und an den glatten Muskeln gesehen haben. Gewöhnlich sagt man, dass das Atropin die Ganglienzellen, oder die Fasern oder Endigungen des Vagus lähmt, das Muscarin aber sie anregt, und dass darauf die Ursache des Antagonismus der Wirkung dieser beiden Gifte auf das Herz beruht. Aber wie in den gestreiften Muskeln das Atropin die schnellen Zusammenziehungen entwickelt, nachdem es in ihnen starke Ausdehnung hervorgebracht hat, so entwickelt das Muscarin die tonische Function (Muscarincontractur), ohne im Prinzip die schnellen Zusammen- ziehungen abzuändern, und indem es sie dann in kurzer Zeit sehr bedeutend abschwächt. Und doch finden sich in den Muskeln des Krötenbeines keine Ganglienzellen, und die Wirkung des Muscarins ist dieselbe, auch wenn man das Thier curarisirt. Man muss also auch hier annehmen, dass die bisher zu sehr vernachlässiete Wirkung dieser und anderer Gifte auf die Muskelsubstanz vorhanden und von hoher Wichtigkeit ist. Aber die Aehnlichkeit zwischen der Wirkung auf die gestreiften Muskeln und auf das Herz ist noch grösser. Die Zeichnungen auf Taf. XIIL, Fig. 36 beweisen, dass die sehr hohen Zusammenziehungen eines atropinisirten Gastrocnemius durch die allmäh- liche Einwirkung des Muscarins in kurzer Zeit deprimirt und zuletzt kleiner werden als die normalen. Dagegen ist es uns nicht gelungen, die durch Muscarin deprimirten Zusammenziehungen durch Atropin wieder zu ver- ‚stärken. Auch in gemischter Lösung von Atropin und Muscarin wiegt der Einfluss der letzteren vor. Bei diesen Untersuchungen über antagonistische Gifte muss man sich immer gegen einen gewichtigen Einwurf verwahren. Oft geschieht es, dass die Lösung eines Giftes die Wirkung eines anderen zerstört, nicht weil oder nicht nur weil zwischen den beiden Giften functioneller Antagonismus besteht, sondern weil die Lösung des zweiten Giftes als auswaschende ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. W. 409 Flüssigkeit wirkt. So z. B. erhielten wir das Wiedererscheinen rhythmischer Schläge im muscarinisirten Atrium von Taf. XIII, Fig. 35, indem wir es einfach mit O-Sprocent. NaCl-Lösung abwuschen. Wenn wir das Atrium vor der Waschung mit schwefelsaurem Atropin behandelt hätten, würden wir mit Unrecht geschlossen haben, das Atropin habe die Wirkung des Muscarins zum Verschwinden gebracht. Aber abgesehen vom Herzen, haben wir uns überzeugt, dass ein richtig atropinisirter Muskel, wenn man ihn auch nachher abwäscht, immer sehr hohe Zusammenziehungen zeigt, so lange er nicht erschöpft ist. So rührte seine Depression in dem oben angeführten Experimente in der That von der Wirkung des Muscarins her. Es bleibt aber festgestellt, dass es sich, wenigstens für die gestreiften Muskeln, weniger um einen echten Antagonis- mus zwischen Atropin und Muscarin, in der That um ein auffallendes Vor- wiegen der Wirkung des Muscarins handelt, dessen Toxicität bedeutend stärker ist. IX. Wirkung des Strychnins. Man glaubt allgemein, dass das Strychnin, wenn es in das Blut eines Thieres injicirt wird, seine bekannten Wirkungen ausschliesslich auf die spinalen Centra ausübt, und dieser Glaube stützt sich auf zahlreiche Ex- perimente. Aber die Behauptung von Foderä! scheint uns nicht gerecht- fertigt, das Strychnin übe einen lähmenden Einfluss auf die gestreiften Muskeln aus. Die Zeichnungen auf Taf. XIII, Fig. 37 beweisen deutlich, dass die Zusammenziehungen des in vitro strychninisirten Gastrocnemius der Kröte, besonders die Oeffnungszusammenziehungen, eine von der nor- malen verschiedene Curve zeigen, die an die der atropinisirten Muskeln erinnert. In verhältnissmässig schwacher Dosis macht das Strychnin das Myogramm zweispitzig, wie es Fig. 38 auf Taf. XilI besser zeigt, entwickelt bedeutend die secundäre Zusammenziehung und bringt starke residuale Ver- kürzung (nicht eine echte secundäre Contractur) hervor, die sehr viel zur Entstehung des Strychnintetanus beitragen muss. In l1proc. Lösung auf den Gastrocnemius des Frosches und noch mehr der Kröte aufgegossen, ruft es deutliche (primäre) Contractur hervor, nach welcher wahrscheinlich die Er- regbarkeit des Muskels geschwächt erscheint. Aehnlich, also contracturirend, ist die Wirkung des Strychnins auf das Atrium der Emys europaea, wenn es in relativ starker Dosis (0:5 Procent des Sulfats) angewendet wird, 1 Arch. ital. di biologie. 1892. Vol. XVII. p. 317. Von einer Vermehrung der Erregbarkeit der Muskelsubstanz spricht auch Verworn nicht (Dies Archiv. 1900, Physiol. Abthlg. $. 385), der sich wieder mit der Frage beschäftigt hat. 410 Pin. Bortazzı: wie Fig. 39 auf Taf. XIII zeigt, in welcher man auch (rechts) eine Ab- nahme der Häufigkeit der Schläge des Atriums sieht, die lange fortdauert. Obgleich also die Entstehung des Strychnintetanus, wie es geschehen ist, zweifellos durch centrale Veränderungen zu erklären ist, muss man doch annehmen, dass auch die Muskeln, wenn auch zum kleinsten Theile, dazu beitragen, in denen das Strychnin entweder eine wirkliche Vermehrung des Tonus oder eine deutliche Neigung zu tonischen Contracturen bewirkt, was das Auftreten des Tetanus bedeutend erleichtert. X. Wirkung des Coffeins. Das Coffein, welches in ziemlich starker Lösung (citronensaures Coffein zu 1 Procent) angewendet, im Gastrocnemius von Bufo eine kräftige Con- tractur hervorruft (Taf. XIII, Fig. 41), entwickelt zwar in viel verdünnterer Lösung die Zusammenziehung, die es ungefähr um das Doppelte höher macht als die normale, wobei das Myogramm manchmal dreispitzig wird, bringt aber keine echte Contraetur hervor, sondern nur eine schwache und kurze residuale Verkürzung (Taf. XIII, Fig. 40). Alle Autoren stimmen darin überein, dass das Coffein die Erregbarkeit und functionelle Kraft der gestreiften Muskeln erhöht, und unsere Beob- achtungen über die rothen Muskeln der Kröte bestätigen ihre Resultate vollständig. Kleine Dosen von citronensaurem Coffein (0-1 bis 0-4 Procent) ent- wickeln die rhythmischen Schläge und die Schwankungen des Tonus im Atrium von Emys, welches unter diesem Einfluss deutliche Neigung zu fortschreitender Expansion zeigt (Taf. XIII, Fig. 42). Wenn die Stärke der Lösung bis auf 1 Procent erhöht wird, wird die Depression des Tonus immer auffallender, und zuletzt fangen die Schwankungen an, weniger weit zu werden. Wenn man-in diesem Augenblick auf das Atrium eine 0-5 procent. Lösung von Digitalin aufeiesst, hebt sich der Tonus wieder und die Schwankungen erscheinen von Neuem. Schon vor uns beobachtete Prof. Fano!, dass das Coffein, in ge- sättigter Lösung des reinen Alkaloids angewendet, „die Schwankungen des Tonus, die Grundfunction (d. h. die Schläge des Atriums) und die Linie der Tonieität deprimirt.“ Unsere Resultate stimmen also mit denen Fano’s im Wesentlichen überein in Betreff der Wirkung stärkerer Dosen des Giftes. Die Depression der Systolen des Atriums und die Wirkung der lange dauernden, starken Wirkung desselben sind eine extremere para- Iytische Wirkung. ISA. Ö, ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S$. Ww. 411 Wie also in den gestreiften Muskeln keine secundäre Contractur auf- tritt, sondern nur Zunahme, Verstärkung der schnellen Zusammenziehung, so bringt auch das Coffein Keine Spur von Erhöhung des Tonus hervor, eher das Gegentheil. Nur starke Dosen (1 Procent) erzeugen primäre Contractur in den gestreiften Muskeln, auf welche gewöhnlich ihr Tod folgt. Wir wissen nicht, ob diese starken Dosen auch Contractur des Atriums hervorbringen. Die glatten Muskeln reagiren zuerst durch eine starke Contractur gegen den chemischen Reiz des Coffeins, aber auf diese Contractur folgt eine übermässige und sehr lange Phase der Expansion !, während welcher die automatischen rhythmischen Bewegungen schwächer sind als die normalen. Vielleicht bringen auch in den glatten Muskeln sehr schwache Dosen von Coffein zuerst Expansion hervor, ohne anfängliche Contractur. Das Coffein gehört also zu jener Classe von Giften, die in schwacher Dosis Expansion mit Erhöhung der Erregbarkeit und der Contractilität der Muskeln, und in starker durch directen chemischen Reiz primäre Contraetur verursachen, auf welche jedoch Verminderung der Erregbarkeit und Con- tractilität und zuletzt der Tod des Muskelpräparates folgt. In Bezug auf die primäre Wirkung ist die Analogie zwischen Coffein und Atropin offen- bar. Aber das Coffein ist viel toxischer als das Atropin, denn es ver- mindert schneller und zerstört dann die Erregbarkeit der Muskeln. XI. Wirkung des Nicotins. Dies war das einzige der von uns studirten Gifte, bei dem es uns nicht möglich war, auch nur eine Spur einer erregenden Wirkung auf die gestreiften Muskeln deutlich zu machen, obgleich wir es in verdünnter Lösung angewendet hatten. In zu geringer Menge wirkt es entweder über- haupt nicht, oder sobald es anfängt zu wirken, beginnt es zu gleicher Zeit die Erregbarkeit und Contractilität der Muskeln zu vermindern, bis es sie in kurzer Zeit ganz vernichtet. Von den vielen Zeichnungen, die wir davon besitzen, halten wir es für unnütz, einige vorzulegen, denn man könnte nichts Neues daraus lernen. Wenn: man es in 0.5 procent. Lösung auf das Atrium der Emys, die so viel weniger empfindlich ist als die gestreiften Muskeln, einwirken lässt, so erfolgt sogleich bedeutende Depression des Tonus mit Verschwinden der Schwankungen. Es ist jedoch interessant, in der Zeichnung auf Taf. XII, Fig. 43, wie es übrigens aus der Zeichnung des Prof. Fano folgt, die viel älter ist als die meinige, dass während der Depression des Tonus die ZBottazzi,rarar 0: 412 Poıtw. BoTtazzı: Schläge des Atriums nicht an Kraft abnehmen, sondern vielmehr an Höhe und Häufigkeit zunehmen. In der That wirkt also das Nicotin wie das Atropin (in starker Dosis) auf das Herz der verschiedenen Thiere. Aber wir sahen, dass das Atropin in kleiner Dosis den Tonus des Atriums hebt und auch die Schwankungen des Tonus entwickelt und bisweilen sogar Verlangsamung der Schläge erzeugt. Von diesen Wirkungen erscheint keine einzige in Folge der Anwendung des Nicotins. Dies liesse sich durch die Annahme erklären, dass der deprimirenden Wirkung des Atropins auf den Tonus eine erregende vorhergeht, während das Nicotin primär De- pression hervorbringt. Dass diese Depression des Tonus des Atriums nicht ein Zeichen von Lähmung ist, wird dadurch bewiesen, dass das salpetersaure Veratrin in starker Lösung (1 Procent) im nicotinisirten Atrium heftigen contracturalen Krampf hervorbringen kann, während deren sich auch wieder Andeutungen der Schwankungen des Tonus zu zeigen anfangen (rechtsseitige Hälfte der Curve auf Taf. XIII, Fig. 43). In den glatten Muskeln haben wir! schon eine starke Depression des Tonus angegeben, die auf eine primäre Contractur folgt. Während der Depression dauern die rhythmischen Bewegungen abgeschwächt fort. Bei jeder neuen Application des Giftes erhielt man eine neue kurze Contractur, worauf weitere Abnahme der Linie der Tonieität folgte. Uebrigens beobachtet man die primären Contracturen als Wirkung des chemischen Reizes durch das furchtbare Gift, auch an den gestreiften Muskeln, selbst wenn man mässig verdünnte Nicotinlösungen anwendet. Aber in keinem Muskel war es jemals möglich, auch wenn es sogleich nach seiner Eintauchung in die Nicotinlösung versucht wurde, eine, wenn auch nur kurze Phase von Zunahme der Functionalität zu erhalten. XII. Wirkung des Ricins und Abrins. Da mir Prof. Lustig (Florenz) gütigst eine kleine Menge von Abrin und Ricin geliefert hatte, wollte ich ihre Wirkung auf die gestreiften Muskeln versuchen. Das Abrin übt keine bemerkenswerthe Wirkung weder auf die ge- streiften Muskeln, noch auf das Atrium von Emys aus. Das Ricin (Taf. XIV, Figg. 44 und 45) ruft im Gastrocnemius von Bufo viridis und Rana esculenta deutliche Neigung zur Contractur hervor, die jedoch nur wirklich zur Erscheinung kommt nach einer Waschung mit 0-8 procent. Kochsalzlösung, nachdem der Muskel schon mit 0-5 procent. ıA.20. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS DT. SS. w. 413 Lösung von Riein behandelt worden war. (Schwächere Lösungen üben keinen merklichen Einfluss.) Bei der Gegenwart einer enormen Menge von mineralischen Substanzen (ungefähr 25 Procent des trockenen Ma- terials) in dem Riein, das wir zur Verfügung hatten, und der Concentration der angewendeten Lösung erhob sich von selbst der Verdacht, dass die beobachtete Wirkung den in ihm enthaltenen Salzen, vielleicht den Oxalaten zuzuschreiben se. Man weiss ja, dass die mächtige Giftwirkung dieser Substanz von ausserordentlich kleinen Mengen derselben ausgeübt wird, während wir 0-5 procent. Lösungen anwenden mussten, um einige Wirkung auf die gestreiften Muskeln hervorzubringen. XIII. Wirkung des oxalsauren Natriums. Viele Untersuchungen ! sind über die Wirkung der Oxalsäure und der Oxalate angestellt worden, aber wir haben nur Interesse, über die von Locke? über die gestreiften Muskeln zu berichten. Dieser beobachtete, dass der Sartorius des Frosches, wenn er in eine 0.75 procent. Lösung von oxalsaurem Natrium eingetaucht wird, nach wenigen Secunden in heftige Thätigkeit geräth und ausserordentliche Bewegungen ausführt wie ein ähn- licher Muskel, nach der Beobachtung von Biedermann, der in 0-6 procent. Na0l-Lösung eingetaucht war. „Binnen einer Stunde ungefähr wird der Muskel bewegungslos und unerregbar, aber nicht starr.“ Mit 0-6 procent. Na0l-Lösung gewaschen, wird er wieder reizbar. Locke sagt, wenn man eine kleine Menge von oxalsaurem Na zu einer 0-6 procent. Lösung von NaCl füge, erhalte man als Wirkung „das zu verstärken, was man kurz eine Veratrinwirkung derselben nennen könnte“. Der Aufsatz von Locke enthält keine Zeichnungen, aber er verspricht eine vollständige Arbeit, die unseres Wissens noch nicht erschienen ist. Die mächtig erregende Wirkung des oxalsauren Na auf die Musculi gastroenemii von Rana esculenta zeigt sich nicht nur durch eine kräf- tige primäre Contractur, die bisweilen durch eine reine, bisweilen durch eine gezähnte Curve dargestellt wird, aber man bemerkt auch auf der Curve der Contractur rhythmische Bewegungen, die in einigen Fällen einen überraschend regelmässigen Gang zeigen (Taf. XlV, Fig. 461). In den Muskeln der Kröte ist die primäre Contractur sehr heftig, aber in Wahr- ! Die Bibliographie der vor den letzten 20 Jahren erschienenen Arbeiten findet sich bei Kobert und Küssner (Virchow’s Archiv. 1879. Bd. LXXVII. S. 209), für die späteren sehe man Howell and Eaton (Journ. of Physiol. 1893. Vol. XIV. p- 219), Howell (Abenda. 1894. Vol. XVI. p. 476), Ringer (Zbenda. 1884. Vol. V. p- 352), Locke (Zbenda. 1894—95. Vol. XVII. p. 293), Cavazzani u.s. w. ” Journ. of Physiol. 1894. Vol.XV. p. 119. 414 Psm. Borttazzı: heit werden wir von ihnen niemals die regelmässigen rhythmischen Zu- sammenziehungen erhalten, die wir öfters an den Froschmuskeln beob- achtet haben. Wenn man einen Muskel nach Begiessung mit einer Lösung von oxalsaurem Natrium durch einen einzigen elektrischen Schlag reizt, erhält man Myogramme, die immer aus einer primären, schnellen Zusammen- ziehung und einer Art von secundärer Contractur zusammengesetzt sind, welche entweder während der expansorischen Phase der ersten in ver- änderlichen Momenten beginnt, oder (Taf. XIV, Fig. 47) nachdem diese ganz vollständig geworden ist. Es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, dass oft auf der Hochebene der secundären Contractur schnelle und kurze unregel- mässige rhythmische Zusammenziehungen auftreten, welche viel merklicher sind als die in den Zwischenzeiten zwischen zwei Erregungen erscheinenden. Man beachte also die Aufeinanderfolge der motorischen Wirkungen einer einzigen Erregung. An erster Stelle bemerkt man eine schnelle Zusammen- ziehung, die sich in allen ihren Theilen entwickelt, dann einen Zwischen- raum, der in der Zeichnung auf Taf. XIV, Fig. 47 nicht zu übersehen ist, dann eine Contractur, deren Hochebene unregelmässig ist, unterbrochen durch mehr oder weniger weit reichende schnelle Zusammenziehungen. Hier entsteht von selbst der Gedanke, der Muskel bestehe aus zwei con- tractilen Stoffen, einem ersten, schneller, und einem zweiten, weniger schnell reizbaren, wovon der erste mit schneller, der zweite mit träger und langsamer Contractilität begabt ist; der erste giebt die schnelle, primäre /Zusammenziehung, der zweite die secundäre Contractur. Aber nun wissen wir nicht, ob die kurzen Zähnelungen, die man auf der Hochebene der Contractur sieht, der Ausdruck einer neuen Erregung, im ersten Materiale von der sich im zweiten entwickelnden Erregung verursacht, ist. Hier betreten wir das Gebiet der Speculation, wo der Boden unsicher ist. In Bezug auf den Vorhof des Herzens von Emys europaea haben wir gefunden, dass das oxalsaure Natrium in 1-25 procent. Lösung der Weite nach die schon vorhandenen Schwankungen des Tonus entwickelt, indem es wie ein sanfter Reiz wirkt. Mit der Methode der Begiessung gelingt es schwer, mit dem Oxalate ein kräftiges Atrium zu tödten. Wenr dagegen das Atrium keine spontanen Schwankungen des Tonus_ zeigt, deprimirt das Oxalat in kurzer Zeit (!/, bis 1 Stunde) die Höhe der Systole und lässt sie zuletzt ganz aufhören, nachdem es sie noch verlangsamt hat. Ein anderes Mal haben wir ein ähnliches Resultat erhalten, als wir die Wirkung des Chlorkaliums studirten. Das Atrium, welches fähig war, spontane Schwankungen des Tonus auszuführen, widerstand dem Kalisalze sehr lange, während ein Atrium, das ohne solche Schwankungen war, bald aufhörte auch die normalen Systolen zu machen. In den beiden Fällen ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. 8. w. 415 muss also in den feineren functionellen Zuständen des Atriums ein gründ- licher Unterschied vorhanden sein. Es scheint uns auch zweckmässig, an das zu erinnern, was wir selbst ! am Froschherzen beobachtet haben. Eine Lösung von Kalisalzen in mässiger Dosis auf das freigelegte Herz ausgegossen, hält dessen Schläge nicht an, so lange es mit Blut gefüllt ist und dieses wie unter normalen Umständen den Organismus durchkreist. Aber man braucht nur das Thier verbluten zu lassen, so werden die Kalisalze in kurzer Zeit die Systole der Ventrikel anhalten, nachdem sie sie nach und nach geschwächt und bis- weilen auch verlangsamt haben. Dasselbe beobachtet man, wenn man das Froschherz in situ mit Na-Oxalat behandelt. Man kommt dadurch zu der Vermuthung, dass die trophischen Zustände des Myokards einen wich- tigen Factor bei der Bestimmung der Wirkung bilden, welche die Kalisalze in ihm hervorbringen. Dass das Sarkoplasma eine Sammelstelle der Energie sei, haben alle Autoren angenommen, mit Einschluss von Biedermann. Unter abnormen Umständen wird dieser Vorrath erschöpft, und dann zeigt das Atrium nicht mehr die spontanen Schwankungen des Tonus, noch ist es möglich, sie durch die gewöhnlich wirksamen Mittel hervorzurufen. (Reizung des Vagus, Wirkung des Veratrins u. s. w.) Aber man muss glauben, das Sarkoplasma sei die Sammelstelle der Energie nicht nur für seine eigenen functionellen Verrichtungen, sondern auch für das contractile Material, das zu gestreiften Fasern differenzirt ist. Die Autoren haben es immer als das zur Ernährung der Muskelfibrillen nöthige Material betrachtet und damit zugleich an- genommen, dass es ein fortwährendes Assimilationsvermögen besitzt. Im Zustande der Erschöpfung des Vorrathes im Sarkoplasma muss auch die schnelle motorische Function des Muskels weniger lange lebendig bleiben und besonders stark den Einfluss der Gifte fühlen, der sie in kurzer Zeit anzuhalten vermag. So erklären wir die verschiedenen Wirkungen der Einflüsse der Kalisalze, des oxalsauren Natriums und anderer ähnlicher kräftiger Muskelgifte, wenn sie auf das Atrium einwirken, dessen kräftige Schwankungen des Tonus beweisen, dass es reich an dem mit Reserve- stoffen versehenen Sarkoplasma ist, und wenn sie auf ein anderes Atrium wirken, dessen Sarkoplasmareserve erschöpft ist, wie die Abwesenheit von „Schwankungen des Tonus“ und die Unmöglichkeit, sie hervorzurufen, beweisen. Aehnlich ist es mit dem Herzen des Frosches.. Wenn es entblutet und also gezwungen ist, auf Kosten seiner eigenen, spärlichen Hülfsmittel zu leben, tödten es die Gifte schnell öder verursachen wenigstens einen 1 Arch. de Physiol. 1896. Octobre. p. 882 seqgq. 416 Prır. Borttazz1: Stillstand seiner Function, der dem Tode vorausgeht, wenn das Organ nicht rechtzeitig Hülfe findet. Mit oxygenirtem Blute gefüllt und sich fort- während erneuernd kann es der Wirkung der Gifte viel länger widerstehen und in einigen Fällen sogar die Zeichen ihrer bloss erregenden Wirkung sehr lange Zeit aufweisen. XIV. Einfluss der Curarisirung auf die Contraeturen. Zeuneck! hat neuerlich im Laboratorium und unter Aufsicht von P. Grützner einen so merkwürdigen Unterschied zwischen der Art beob- achtet, wie ein curarisirter Muskel im Vergleich mit dem symmetrischen, nicht curarisirten, auf chemische Reize reagirt, dass wir es für nützlich hielten, seine Untersuchungen zu controliren, um zu sehen, wie viel von ihnen richtig sei. Nach diesem Beobachter reagirt der curarisirte Muskel im Allgemeinen kräftiger als der normale. So bringt z. B. eine Lösung !/o N von NaJ in dem ersteren eine starke, von leichten rhythmischen Schwankungen unterbrochene Contractur hervor, während sie im normalen Muskel zuerst Ausdehnung und dann eine weniger starke Contractur be- wirkt als die andere. So soll auch der curarisirte Muskel durch Ammoniak, Chloroform und Aether stärker erregt werden als der normale. Diese und ähnliche Wirkungen sollen nach dem Verfasser 'herrühren ‚von der mehr oder weniger vollständigen Ausschliessung der Nerven“, die das Curare bewirkt. Er sei dazu gebracht, in diesen Resultaten den Beweis dafür zu sehen, dass das Curare die Function specieller Hemmungsfasern ver- hindert, die in den zu den Muskeln tretenden Nerven enthalten sind. Bei Ausschluss der Erregung dieser Fasern übe der chemische Reiz seine volle Wirkung aus und zeige sich durch kräftigere Reaction des curari- sirten Muskels. Wir wollen diese Schlüsse bei Seite lassen und zunächst nachsehen, ob der von Zeuneck angegebene Unterschied wirklich vorhanden ist und ob er verdient, in Betracht gezogen zu werden. Unter den anorganischen, von dem Verfasser angewendeten Substanzen haben wir die gewählt, welche die schärfsten Resultate gab, das Jodnatrium, das wir in Lösung von 1-5 und 3 Procent benutzten. Wir wählten zwei männliche Kröten von derselben Grösse, die an demselben Tage in’s Labo- ratorium gebracht und hier vollkommen gleich behandelt worden waren; wir eurarisirten die eine ziemlich reichlich, um der vollkommenen Lähmung der Muskeln sicher zu sein, dann tödteten wir beide durch Zerstörung der ı Pflüger’s Archiw. 1899. Bd. LXXVI. 8. 21. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 417 Cerebrospinalaxe. Nachdem wir sie enthäutet und die beiden Gastroenemü beider Kröten abgelöst hatten, tauchten wir sie in zwei Gefässe, die eine 0-Sprocent. NaÜQl-Lösung enthielten. Nachdem wir die vier Muskeln nach einander in den Schreibapparat be- festigt hatten, zeichneten wir die Reaction des Jodnatriums auf. Die Auf- zeichnungen auf Taf. XIV, Figg. 49 u. 51 zeigen die erhaltenen Resultate. Die Reaction der nicht eurarisirten Muskeln (Fig. 49, I—II) war viel kräftiger als die der curarisirten. Auf der Hochebene der Contractur erschienen in allen vier Fällen die spontanen rhythmischen Bewegungen, die jedoch bei den normalen Muskeln ziemlich regelmässig, bei den anderen sehr un- regelmässig waren. Um sicher zu sein, dass das Curare die Muskeln nicht alterirt hatte und dies nicht die Ursache der geringeren Höhe der von den curarisirten Muskeln gezeigten Contractur war, gossen wir auf sie einige Tropfen einer 1 procent. Lösung von Helleborein, einem Gift, dessen heftige contractorische Wirkung wir aus vielen Experimenten kannten. Die Wirkung war (Fig. 51) bei beiden curarisirten Muskeln dieselbe und wie wir sie an zwei normalen, ebenso behandelten Muskeln gefunden hätten. Diese und ähnliche Resultate bestätigen also nicht nur die von Zeuneck nicht, sondern widersprechen ihnen, denn bei unseren Versuchen zeigten die normalen Muskeln sehr oft kräftigere Contracturen als die curarisirten, bisweilen waren die Contracturen beider gleich, aber niemals waren die der curarisirten höher als die der normalen. Wir haben jedoch geglaubt, dass organische Gifte die Frage besser beantworten müssen. Unter den kräftig contractorischen organischen Giften haben wir das Helleborein, das Veratrin, das Muscarin und das Nicotin gewählt. Bei diesen Experimenten haben wir die Methode von Zeuneck genauer befolgt. Wir haben nämlich durch Unterbindung des Schenkels den Kreislauf in einem Hinterbeine unterbrochen und dann das Thier curarisirt. Darauf haben wir die beiden Gastrocnemii derselben Kröte ver- glichen, den einen curarisirt, den anderen nicht, und niemals versäumt, uns vor der Isolirung. der Muskeln zu versichern, dass der erstere nicht auf die elektrische Reizung des Ischiadicus reagirte, wohl aber der zweite. Unter den vielen Zeichnungen, die wir besitzen, legen wir nur zwei vor, die sich auf die Wirkung des Veratrins beziehen, und eine nach Ein- wirkung des Muscarins erhaltene (Taf. XIV, Fieg. 50 und 52). In keinem Falle wurden bemerkenswerthe Unterschiede zwischen den Contracturen der ‘von einem curarisirten Muskel und der von einem nicht curarisirten aus- geführten, beobachtet. Im Gegentheil musste man im Falle des Muscarins (Fig. 52), bei dem die beiden Curven genau von derselben Abscisse aus- gehen, auf den curarisirten Muskel 10 Tropfen von der Lösung mehr aus- giessen, weil die Contractur wenig aufstieg. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthle. 27 415 Phrıw. BoTTAzz1: Aus welchem Grunde sich unsere Resultate von denen Zeuneck’s unterscheiden, können wir nicht sagen. So viel ist gewiss, dass wir bei unseren Experimenten immer übereinstimmende Resultate erhielten, die uns überzeugten, dass kein bemerkenswerther Unterschied, was die Stärke der _ Reaction gegen identische, echt chemische Reize betrifft, zwischen curari- sirten und nicht curarisirten Muskeln bei Bufo vulgaris besteht. Wir haben die Worte „echt chemische“ hervorgehoben, um anzudeuten, dass die von Zeuneck benutzten Salzlösungen meistens ausser der che- mischen auch eine physische Reizung haben bewirken müssen, denn sie waren entweder hypotonisch oder hypertonisch, weil der Autor sich niemals um ihre Concentration gekümmert hatte, als eine an sich selbst reizende Ursache. Bei unseren am meisten beweisenden Experimenten war dagegen das Alkaloid oder Glykosid, das in jener Menge an sich selbst den totalen osmotischen Druck der Lösung wenig beeinflusst, immer in 0.8 procent. Chlornatriumlösung aufgelöst. XV, Folgerungen. Gestützt auf diese und alle unsere früheren, seit 1596 in wissenschaft- lichen Zeitschriften veröffentlichten B uchunenu glauben wir folgende Sätze aufstellen zu dürfen: 1. Es ist wahrscheinlich, dass die einfache Muskelzusammenziehung mit einem einzigen Gipfel, wie sie gewöhnlich vun den Autoren dargestellt wird, nicht die ausschliessliche Form ist, unter der sich die Thätigkeit der gestreiften Muskeln als Antwort auf eine einzige Reizung zu erkennen giebt. 2. Unter gewissen Verhältnissen des Reizes und der Erregbarkeit der Muskelelemente und sehr oft als Folge der Einwirkung verschiedenartiger chemischer Substanzen erscheint die Muskelzusammenziehung zweispitzig. 3. Das Aussehen des zweigipfligen Myogramms ist veränderlich, und alle Verschiedenheiten der Form hängen von dem gegenseitigen Verhält- niss ab, in denen sich die beiden Theile befinden, die jedes Myogramm zusammensetzen. Aber es ist klar, dass die Verschiedenheiten viel häufiger durch die secundäre Curve bestimmt werden, während die primäre ein constanteres Aussehen bewahrt. 4. Wir glauben annehmen zu können, dass die beiden Zusammen- ziehungen, die jede sogenannte einfache Zusammenziehung bilden, durch die beiden Grundstoffe ausgeführt werden, aus denen jede Muskelfaser oder Zelle besteht, das doppelt brechende fibrilläre Material und das Sarko- plasma. ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. w. 419 5. Diesen beiden Materialien schreiben wir die allgemeinen Eigen- schaften der Erregbarkeit und Contractilität zu, indem wir annehmen, dass die anisotrope Substanz die schnellen Bewegungen ausführt und reizbarer ist, und das Sarkoplasma die langsamen oder die einfache und dunkle Function des Tonus, und weniger reizbar ist. 6. Aber wir nehmen nicht nur diese beiden wesentlichen Unterschiede der Erregbarkeit und Contractilität zwischen gestreiften Fibrillen und Sarko- plasma an, welche ihre verschiedene Function in jedem Muskelelement er- klären, sondern wir müssen auch tiefe Unterschiede in der Natur und Functionalität des Sarkoplasmas von verschiedenen Muskeln und denen ver- schiedener Thiere annehmen, wie man jetzt allgemein auffallende functionelle Unterschiede zwischen rothen und hellen Muskeln desselben Thieres oder verschiedener Thiere annimmt. Anders liesse sich der Unterschied der rhythmischen Bewegungen des Oesophagus einer Kröte und eines Vogels nicht erklären. Nicht anders lässt sich die von uns weiter oben be- schriebene Erscheinung erklären, dass die durch irgend ein Agens in einem gestreiften Froschmuskel hervorgerufene Contractur immer weniger kräftig ist als die unter gleichen Umständen in einem Krötenmuskel erzeugte. 7. Angenommen die Contractilität der beiden Muskelplasmas, des doppelt- und des einfachbrechenden, darf man auch glauben, dass in dem zweispitzigen, irgendwie hervorgerufenen Myogramm die primäre Zusammen- ziehung durch die anisotropen Fibrillen ausgeführt wird und die secundäre durch das Sarkoplasma. 8. Gewöhnlich undeutlich, entwickelt sich die secundäre Zusammen- ziehung unter den oben beschriebenen Verhältnissen und nimmt oft den Gang einer echten Contractur an. Die „physiologische Contraetur“ von Tiegel, die durch Veratrin bewirkte und andere ähnliche, sind nur der motorische Ausdruck der erhöhten Functionalität des Sarkoplasmas. 9. Aber ihre nützlichste Wirkung erreicht diese Function des Sarko- plasmas im Tetanus, bei jeder dauernden Muskelanstrengung, bei jeder tonischen Erscheinung. Wir glauben, dass die von dem Sarkoplasma in jedem Falle von tetanisirender Reizung ausgeführte Contractur die schnellen, successiven Zusammenziehungen unterstützt und ihre grössere Höhe bedingt, wie in den oben beschriebenen Fällen. Das Sarkoplasma ist die innere, natürliche Stütze des anderen contractilen, differenzirten Materials. Aber auf dieser speciellen Frage des Determinismus des motorischen Phänomens des Tetanus bestehen wir hier nicht weiter, weil wir hoffen, bald unsere Behauptungen nicht auf Resultate von Untersuchungen an so- genannten einfachen Muskelzusammenziehungen gründen zu können, sondern auf andere, directere, die das Phänomen des Tetanus selbst in verschiedenen Arten von Muskeln und bei verschiedenen Thieren betreffen. z 27* 420 Peıw. BoTTazzı: 10. Die von uns angestellten vergleichenden Untersuchungen über die rothen Muskeln der Kröte, über die des Frosches, über den Herzvorhof der Emys europaea und über den Oesophagus der Kröte haben Resultate geliefert, welche die von uns ausgesprochenen Annahmen unterstützen und als richtig erweisen. In der That zeigen alle an Sarkoplasma reicheren Structuren mit orösserer Leichtigkeit die tonischen und Contracturerscheinungen; ja diese erscheinen immer desto kräftiger, je reicher an Sarkoplasma ein Muskel- gewebe ist, wenn man von den Muskeln des Frosches zu denen der Kröte, dann zum Atrium und dann zu den glatten Muskeln weiter geht, durch welches Agens sie auch hervorgerufen werden. Jede der von uns studirten chemischen Substanzen erregt in. diesen Muskelpräparaten analoge Wirkungen, und deren Stärke hängt nicht nur von der Natur des Präparates, sondern vorzüglich von dem Gehalt seiner Elemente an Sarkoplasma ab. 11. So haben wir auch gesehen, dass die von Veratrin hervorgebrachten Erscheinungen auch von anderen Substanzen verursacht werden. Es kommt nur darauf an, die nöthige und genügende Dosis zu finden, um sie zu erzeugen. Dies beweist, dass die betreffenden Erscheinungen von einem Be- standtheile des Muskels abhängen und nicht von der specifischen Wirkung dieses oder jenes Gifte. Das Gift — das Veratrin wie die anderen — ruft in jenem Materiale nur Veränderungen der Erregbarkeit und Con- tractilität hervor, wodurch die Contracturerscheinungen auftreten. Solche Veränderungen können übrigens auch durch physische Einflüsse verursacht werden, wie Kälte, die schnelle Aufeinanderfolge mehrerer, z. B. elektrischer Reize, und wahrscheinlich trägt dazu ein besonderer Zustand von Labilität der lebenden, sarkoplastischen Materie bei, wenn sie sich im Zustande vollkommenen Trophismus und natürlich erhöhter Erregbarkeit befindet („physiologische Contractur“ von Tiegel). ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. W. 421 Erklärung der Abbildungen. | (Taf. X—XIV.) Tafel X. Fig. 1. 21. Juni 1900. Temperatur 23° C. Normale Mm. gastroenemii von kleinen Bufo vulgaris. I und II normale Zusammenziehungen. Ia und Ila Zusammen- ziehungen derselben Muskeln nach 2stündigem Verweilen in 0-Sprocent. NaCl-Lösung. ce = Schlusszusammenziehung, a = Oefinungszusammenziehung. 3 = Entfernung der Rollen in Centimetern. (Zwei Tudor’sche Accumulatoren, metallische Elektroden; direete Reizung des Muskels M). Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 2. 17. Juni 1900. Temperatur 22°C. Zusammenziehung des M. gastro- cnemius von Bufo vulgaris nach Sstündigem Verweilen in O-Sprocent. NaCl-Lösung. (S. die anderen Erklärungen bei Fig. 1.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 3. 8. Juni 1900. Temperatur 20°C. Ganz frischer Gastroenemius von Bufo vulgaris, soeben vom Lande im Laboratorium angekommen. Zusammenziehungen mit der „physiologischen Contractur“ von Tiegel, hervorgebracht durch einmalige Schluss- (e) und Oeffnungs- (a) Schläge des indueirten Stromes. (Zwei Elemente Leclanch&, Rollen 4°® von einander, metallische Elektroden, entweder direct auf den Muskel [M ] oder auf den N. ischiadieus [NV] angewendet.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 4 3. April 1900. Temperatur 15°C. M. gastrocnemius von Bufo vul- garis. Zwei Contracturen (Veratrincontracturen vortäuschend) des normalen Muskels, hervorgebracht durch zwei maximale Oeffnungsreize. (Zwei Accumulatoren Tudor, Entfernung der Rollen 3®.) Die zweite ist etwas weniger auffallend als die erste, weil sie etwas später gemacht wurde. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 5. 5. April 1900. Temperatur 12°C. B = M. gastroenemius von Bufo vulgaris. % = Derselbe von Rana esculenta. Drei Paar Zusammenziehungen mit Contraeturen, hervorgerufen durch einmalige Oeffnungsschläge. (Drei Accumulatoren Tudor, Rollen aufgelegt, metallische Elektroden.) Die Muskeln waren sehr frisch und hatten keine specielle Behandlung erfahren. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 6. 2. Mai 1900. Temperatur 16°C. Oeffnungszusammenziehung (a) eines ‚Gastrocnemius von Bufo viridis, nach 3stündiger Erkältung in Eis, dann Tödtung durch Zerstörung der Cerebrospinalaxe und nochmaliger Eisbehandlung. Directe Reizung des Muskels mit Fadenelektroden. (Zwei Elemente Leclanche, Rollen des Schlittens übergelegt.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 7. Derselbe Muskel wie Fig. 3. Zu KCl giesst man die Lösung von KCl (2 Theile der 0-Sprocent. NaCl-Lösung + 1 Theil 0-9 procent. KCl-Lösung). Auf die durch das Salz hervorgerufenen Contracturen folgen die Schluss- (c) und Oeffnungs- (a) Zusammenziehungen, verursacht durch auf den Nerven (N) und auf den Muskel (MV) geführte elektrische Schläge. Die Curven sind auf '/, verkleinert. 422 Part. BoTTazzı: Fig. 8. 3.April 1900. Temperatur 15:5°C. I. Zusammenziehung eines veratri- nisirten Gastrocnemius von Bufo viridis. II. Derselbe nach ungefähr 15 Minuten. Nun lässt man auf den Muskel die 0-9 procent. KCl-Lösung wirken (10 bis 15 Tropfen). Nach 1 bis 2 Minuten zeichnet man die Zusammenziehungen III, in denen jede Spur von Veratrincontractur verschwunden ist. Einmalige Oeffnungsreize von derselben Stärke. (Zwei Aceumulatoren Tudor, Rollen übergelegt, metallische Elektroden.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 9. 13. April 1900. Temperatur 15:5°C. I. Die beiden ersten Zusammen- ziehungen eines Gastrocnemius von Rana esculenta. Man sieht die sogenannte „resi- duale Verkürzung“. II. Man lässt auf den Muskel 10 Tropfen einer 0O-8procent. KCI- Lösung fallen. In der Zeichnung sieht man die darauf folgende schwache Contractur; dann drei Zusammenziehungen, die das allmähliche Verschwinden der ‚residualen Verkürzung“ zeigen. Dann lässt man auf den Muskel die 0-0001 procent. Lösung von Veratrinnitrat wirken, nachdem man ihn mit 0-Sprocent. NaCl-Lösung abgewaschen hat. Dann zeichnet man die Curven III und IV. auf, III sogleich nach der Wirkung des Veratrins, IV eine Stunde später. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 10. M. gastroenemius von Rana esculenta, lebendig curarisirt, dann abge- nommen und veratrinisirt. I. Man sieht in der Zeichnung leichte spontane Bewegungen, dann zwei Contracturen nach zwei Reizen, die erste beim Schluss (mc), die zweite bei der Oeffnung, (ma). II. Eine Veratrincontractur, hervorgerufen durch einen Oeff- nungsreiz von gleicher Stärke. (Reize: Drei Accumulatoren Tudor, Rollen übergelegt, metallische Elektroden.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 11. 15. Februar 1900. Temperatur 16° C. M. gastrocenemius von Bufo vulgaris. 1 = Maximale Zusammenziehung des normalen Muskels. (Directer Oeffnungs- reiz mit metallischen Elektroden. Zwei Accumulatoren Tudor, Rollen übergelegt.) Bei F lässt man tropfenweise auf den Muskel 1 °® der 0-0001procent. Lösung von Veratrinnitrat fallen; es folgt eine starke und lange Contractur. Bei 2 maximale Zusammenziehung, hervorgerufen durch einen gleichen Reiz, wie der vorige. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 12. 19. Mai 1900. Temperatur 17-5°C. M. gastrocnemius von Bufo viridis. I. Links zwei Zusammenziehungen des ganz frischen Muskels, hervorgerufen durch ein- malige Oeffnungsreize (a) von gleicher Stärke. (Zwei Elemente Leclanche, Rollen übergelegt, Fadenelektroden) Dann giesst man nach und nach auf den Muskel 10 Tropfen einer 1procent. Lösung von Veratrinnitrat; es folgt eine enorme Con- traetur. Bei 2 wäscht man den Muskel mit 0-Sprocent. Kochsalzlösung. II. Eine Zusammenziehung durch einen gleichen Schlag, wie der vorige. Die Curven sind auf ı/, verkleinert. Fig. 13. Typische Curve einer Veratrincontractur eines Gastrocnemius von Bufo vulgaris. Der Muskel ist ausserhalb des Organismus veratrinisirt worden durch tropfen- weises Aufgiessen der Lösung. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 14. 2. April 1900. Temperatur 15° C. M. gastrocnemius von Bufo vul- garis, isolirt und veratrinisirt. Fünf Veratrincontracturen nach einander von eigen- thümlicher Form (ohne Nase“), verursacht durch einen einzigen Oeffnungsreiz. (Zwei Accumulatoren Tudor, Rollen übergelegt, metallische Elektroden.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 15. 7. August 1900. Temperatur 15-5°C. M. gastrocnemius eines kleinen - Bufo vulgaris. I, 2 = normale Oeffnungszusammenziehungen. Dann veratrinisirt ınan ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS UT. S. w. 423 den Muskel leicht. 3, 4 = Oeffnungszusammenziehungen während der Veratrincontractur. Dann wäscht man den Muskel mit O0-Sprocent. NaCl-Lösung und wartet, bis die Con- tractur sich grösstentheils gelöst hat. 12, 13 = darauf folgende Oeffnungszusammen- ziehungen. (Zwei Accumulatoren Tudor, Rollen übergelegt, Elektroden von Baumwoll- faden mit 0-Sprocent. NaCl-Lösung getränkt.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 16. 12. Juni 1900. Temperatur 19° C. Rechtes Atrium von Emys euro- paea.. Wirkung des Chlorkaliums.. Das Atrium zeigte von Anfang an spontane „Schwankungen des Tonus“, wenn auch etwas schwache (la). In KCl beginnt die 0-9procent. Lösung des Salzes zu wirken. Andere Theile der Lösung werden auf das Atrium bei x, x, x aufgegossen. a normale Zeichnung, D, c, d, e, f successive Theile der Aufzeichnung desselben Atriums nach der Einwirkung des KCl. Curven in natür- licher Grösse. Tafel XI. Fig. 17. 30. April 1900. Temperatur 17°C. Rechtes Atrium von Emys europaea, aufgehängt. Die Concentration der Lösungen von Veratrinnitrat, die man bei Y und bei v»,v... einwirken lässt, liest man in derselben Figur. Natürliche Grösse. Fig. 18. 30. April 1900. Temperatur 17°C. Rechtes Atrium von Emys europaea, aufgehängt. Wirkung der 1procent. Lösung von Veratrinnitrat auf das Atrium, das schon spontane Schwankungen des Tonus zeigte. Natürliche Grösse. Fig. 19. 13. Mai 1900. Temperatur 17:5°C. Rechtes Atrium von Emys euro- paea, aufgehängt. Die untere Zeichnung stellt zuerst zwei spontane, successive Con- tracturen dar, die erste ist deutlicher als die zweite. Dann nimmt der Tonus des Atriums einen mittleren Werth an, den es in der Folge behält. Bei Afr beginnt man, auf das Präparat eine gesättigte Atropinlösung (reines Alkaloid) wirken zu lassen. Nach ungefähr 30 Minuten ist die Function des Atriums redueirt, wie man in der oberen Zeichnung sieht. Dann lässt man an der bezeichneten Stelle Veratrinnitrat in 1procent. Lösung (1°) einwirken. Natürliche Grösse. Fig. 20. 8. Februar 1900. Temperatur 19° C. Längsmuskel des Oesophagus von Bufo vulgaris. Bei M lässt man tropfenweise auf das Präparat 1 “= einer 0-0001procent. Lösung von Veratrin fallen, bei m» nochmals 1°“ derselben Lösung. Die Curve ist auf '/, verkleinert. Fig. 21. 18. Juni 1900. Temperatur 21° C. Oesophagus von Bufo vulgaris. Einfluss des Veratrins (1: 3000) auf die Dauer der Contraetur, hervorgebracht durch successive Schluss- und Oeffnungsschläge des direct auf den Muskel angewendeten inducirten Stromes. gr. 6 und gr.3 = Gewicht, das der Hebel trägt. 7,7, 12,12 = Zahl der elektrischen Schläge. (Zwei Elemente Leclanche, metallische Elektroden; der Cylinder macht eine Umdrehung in 6 Stunden.) Die Curve ist auf '/, verkleinert. Fig. 22. 19. Juni 1900. Temperatur 22° C. Oesophagus von Bufo vulgaris. (Von den beiden, zum Theil über einander liegenden Zeichnungen wurde die erste |a, a, «|, die weite Schwankungen des Tonus darstellt, zuerst aufgezeichnet, die andere [b, 5, 5], parallel der Axe der Abscisse und spärliche Zusammenziehungen zeigend, als zweite.) Das Stück N der Zeichnung a stellt die normale Function dar. Bei 10 ist das Präparat mit 10 Schluss- und Oeffnungsschlägen gereizt worden, wobei man den pri- mären Strom mit mittlerer Häufigkeit schloss und öffnete. Bei Ver, dem unten ein Pfeil entspricht, beginnt die Veratrinlösung cinzuwirken (2 °® IL procent. Veratrinnitrat- lösung in 50°°= 0-8 procent. NaCl-Lösung). Kurz darauf erscheint eine weite Schwankung 424 PHuıtL. BoTTAzz1: des Tonus. Bei 10 eine zweite elektrische Reizung, der ersten gleich. Bei v, v, » giesst man nach und nach tropfenweise 2 °m= der Veratrinlösung jedes Mal, bis sie verbraucht ist. Unter den drei letzten grossen Schwankungen des Tonus liest man sp, was be- deutet, dass die Schwankungen spontan sind. Von diesen sieht man in der unteren Zeichnung keine Spur. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 23. 22. Juni 1900. Temperatur 23°C. M. gastroenemius von Bufo vul- garis, curarisirt. I. Normale Zusammenziehungen. Der Muskel wird um 10# 50’ in Helleboreinlösung gelegt (1°® 1procent. Helleboreins in 50 = 0-Sprocent. NaCl- Lösung.) II. Aufzeichnung gemacht um 11? 45’ a.m. III. Aufzeichnung gemacht um 2° p.m. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 24. 7. April 1900. Temperatur 15°C. M. gastroenemius von Bufo vulgaris. Wirkung des Helleboreins in verdünnter Lösung (1: 1000). (Reize: Vier Accumulatoren Tudor, Rollen in der Entfernung von 2°=; Fadenelektroden.) Die Curven sind auf !/, verkleinert. Fig. 25. 15. April 1900. Temperatur des Zimmers 12° C., der Flüssigkeiten 11-7°C. B = Curve eines Gastroenemius von Bufo vulgaris. $& = Curve eines Gastroenemius von Rana esculenta. Wirkung des Helleborins in O-5procent. Lösung (0-5 °®), entsprechend den Zeichen A auf den Abseissen, von denen die obere der Curve B, die untere der Curve $ entspricht. Nach einiger Zeit erhalten die Muskeln zwei sehr starke Oeffnungsschläge. (Drei Accumulatoren, metallische Elektroden u. s. w.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Tafel XII. Fig. 26. 2. Mai 1900. Temperatur 16°C. Rechtes Atrium von Emys europaea. 4 Stunden lang bei 5° C. kalt gestellt. Wirkung des Helleboreins in O-5procent. Lösung in Z, dann Waschen, dann Wirkung des Helleboreins in 1 procent: Lösung in #£ (rechts). Natürliche Grösse. Fig. 27. 9. Mai 1900. Temperatur 17°C. Rechter sinus-venöser Stumpf (Basal- wand) des Herzens von Emys europaea. Wirkung des Helleboreins. Natürliche Grösse. Fig. 28. 5. April 1900. Temperatur 12°C. B = Curve eines M. gastrocnemius von Bufo vulgaris. #% = Dasselbe von Rana esculenta. Wirkung des Digitalins in 0-5procent. Lösung (4 Tropfen) auf die Muskeln gebracht bei den Zeichen A der Abseissen, wovon die obere der Curve Z%, die untere der Curve B entspricht. Auf den Curven 5 und R sieht man nach der durch das Gift hervorgerufenen Contractur ähn- liche wie die Veratrincontracturen in Folge der Oeffnungsschläge. (Drei Accumulatoren, metallische Elektroden.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 29. 18. Juni 1900. Temperatur 22-5°C. M. gastrocnemius von Bufo vul- saris. Successive Schluss- und Oeffnungszusammenziehungen des atropinisirten Muskels (2° ® einer 1procent. Lösung von Atropinsulfat in einer O-Sprocent. Lösung von NaCl). Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 30. 22. Juni 1900. Temperatur 23°C. Curarisirter M. gastrocnemius von Bufo vulgaris. I. Normale Zusammenziehungen. Der Muskel wird um 10% 50° in eine Lösung von Atropinsulfat getaucht (1° einer 1procent. Lösung von Atropin- sulfat in 50 em 0-Sprocent. NaCl-Lösung). II. Zeichnung aufgenommen um 11# 55’ a.m. (m. v. der Cylinder dreht sich mit mittlerer, a. v. mit grosser Schnelligkeit). III. Zeich- nung um 3® p. m, aufgenommen (mittlere Schnelligkeit). Man fügt wieder 1°® der ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRISS U. $. w. 425 ursprünglichen Atropinlösung der gesammten Flüssigkeit hinzu. IV. Zeichnung auf- genommen um 4® 40° p. m. (m. v. mittlere Schnelligkeit, g.v. grosse Schnelligkeit des Cylinders). V. Zeichnung aufgenommen um 5t 50’ p.m. (grosse Schnelligkeit). Die Curven sind auf !/, verkleinert. Fig. 31. 15. Mai 1900. Temperatur 17:5°C. Rechtes Atrium von Emys europaea, zeigt (sp) seltene und nicht sehr deutliche „Schwankungen des Tonus“, Gesättigte Lösung von Atropin in O-Sprocent. NaCl-Lösung ruft (a,a, a) eine starke Verkürzung und deutliche „Schwankungen des Tonus‘ mit Verlangsamung der Schläge des Atriums hervor. Natürliche Grösse. Fig. 52. 9. Mai 1900. Temperatur 17-5°C. Rechtes Atrium von Emys europaea. Wirkung des Atropinsulfats in zunehmender Dosis. I, II, III drei auf einander folgende Theile der langen vollständigen Zeichnung der Function des Atriums. Natürl. Grösse. Fig. 33. 19. Juni 1900. M. gastroenemius von Bufo vulgaris. I. Normale maximale Schluss- (c) und Oeffnungs- (a) Zusammenziehungen. Der Muskel wird ein- getaucht in Lösung von Muscarinnitrat (2° ” von 0-5 procent. Lösung von Muscarin in 50° ® Q-Sprocent. Lösung von NaCl) um 9° 30’ a.m. Um 11* 25’ nimmt man die Zeiehnung II auf. Dann fügt man der gesammten Flüssigkeit noch 1 °® der obigen Muscarinlösung zu und taucht den Muskel wieder hinein. Um 2" 5’ entnimmt man die Zeichnung III und taucht den Muskel wieder in die Flüssigkeit. Endlich um 23h 20° p.m. entnimmt man die Zeichnung IV. Erklärungen: M = directer Reiz des Muskels, e = Schluss, a = Oeffnung, 3 = Entfernung der Rollen in Centimetern. (Zwei Elemente Leclanche.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 34. 5. April 1900. Zimmertemperatur 12°C. DB = M. gastrocnemius von Bufo vulgaris. AR = Dasselbe von Rana esculenta. Wirkung des Muscarinnitrats in 1procent. Lösung, aufgebracht auf die Muskeln bei den Zeichen A auf den Abseissen, wovon die obere der Curve A, die untere der Curve B entspricht. Bei I sieht man die auf die Wirkung des Muscarins folgenden Contracturen. Bei II zwei Paare von Zusammenziehungen mit secundären Contracturen, die auf die einmaligen Oeffnungs- schläge folgen. (Drei Accumulatoren Tudor, Rollen übergelegt, metallische Elektroden.) Die Curven sind auf '/, verkleinert. Tafel XIIL Fig. 35. 19. Mai 1900. Temperatur 175° C. Rechtes Atrium von Emys europaea. Wirkung des Muscarinnitrats (bei m, m... .). Fig. 36. 12. Juni 1900. Temperatur 22°C. M. gastroenemius von Bufo vulgaris. I. Normale Zusammenziehungen. Um 9% 30’ a. m. Eintauchen des Muskels in Lösung von Atropinsulfat (2 °® der I procent. Lösung von Atropinsulfat in 50 °®® O0-8 procent. NaCl-Lösung). Um 11 30’ a. m. wird die Curve II aufgezeichnet. Darauf Ein- tauchen in eine Lösung von Musearinnitrat (3° der 0-5 procent. Lösung in 50 = von O-Sprocent. NaCl-Lösung). Um 2* 5’ Aufzeichnung der Curve III. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 37. 17. Juni 1900. Temperatur 22°C. M. gastroenemius von Bufo vul- garis. I. Normale Zusammenziehungen des Muskels. Il. Zusammenziehungen des Muskels nach 2stündigem Aufenthalt in O0-Sprocent. NaCl-Lösung. Dann wird der Muskel in Strychninsulfat gelegt (2°°® der 1procent. Lösung in 50°" Q-8procent. NaCl-Lösung). III. Zusammenziehungen des strychninisirten Muskels nach 2'/, Stunden. Die Curven sind auf '/, verkleinert, 2 426 Pr. Borttazzt: Fig. 35. 17. Juni 1900. Temperatur 22°C. I. Oeffnungszusammenziehung eines in vitro strychninisirten Gastrocnemius von Bufo vulgaris. — 18. Juni 1900. Temperatur 22°C. II. Dasselbe von einem anderen Gastroenemius. Lösung von Strychninsulfat (2 °°® einer 1procent. Lösung von Strychninsulfat in 50 °® 0-Sprocent. NaCl-Lösung). Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 39. 7. Mai 1900. Temperatur 17°C. Rechtes Atrium von Emys europaea. Wirkung des Strychninsulfats in 0-5procent. Lösung (in S.). Fig. 40. 26. Juni 1900. Temperatur 23° C. M. gastroenemius von Bufo vul- garis. I. Normale Zusammenziehungen. Um 9" 45’ a.m. Einlegen des Muskels in Coffeineitratlösung (2°® der 1 procent. Citratlösung in 50 °® Q-Sprocent. NaCl-Lösung). II. Um 10% 45° entnommene Zeichnung. III. Um 11* 30° a. m. entnommene Zeich- nung. IV. Um 2" p. m. entnommene Zeichnung. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 41. 5. April 1900. Temperatur 12°C. M. gastroenemius von Bufo vulgaris. - Wirkung des Coffeineitrats in lprocent. Lösung, aufgetragen bei dem Zeichen A der Abseisse. Als nach langer Zeit die Contractur aufgehört hatte, zeigte der Muskel bedeutende Abnahme seiner Erregbarkeit. Die Curve ist auf '/, verkleinert. Fig. 42. 3. Mai 1900. Temperatur 16°C. Rechtes Atrium von Emys europaea. Bei Ia Coffeineitrat in immer zunehmender Stärke, dann (bei IIa) Digitalin. Natür- liche Grösse. Fig. 43. 9. Mai 1900. Zimmertemperatur 17:5°C. Rechtes Atrium des Herzens von Emys .europaea, aufgehängt. Links sieht man ein Stück der Zeichnung der Func- tion des normalen Atriums. Dann vernichtet das Nicotin in 0-O5procent. Lösung die Schwankungen des Tonus und erniedrigt den Tonus des Atriumpräparates, den das Veratrinsulfat in 1procent. Lösung wieder hebt. Natürliche Grösse. Tafel XIV. Fig. 44. 20. Mai 1900. Temperatur 18° C. M. gastroenemius von Bufo viridis. Wirkung des Ricins (25 Proc. Asche enthaltend) in 0-5 procent. und 1procent. T,ösung. I. und Il. Vier Zusammenziehungen mit secundären Contraeturen des normalen Muskels, verursacht durch Oeffnungsreize. (Zwei Elemente Leclanche, Rollen in 2% Ent- fernung, Fadenelektroden.) III. Zwei Z/usammenziehungen desselben Muskels nach Behandlung mit 0-5 und 1 Procent Riein. Verschwinden der Contracturen. Gleiche Reize. IV. Zwei Paar Zusammenziehungen mit Contracturen desselben Muskels nach wiederholter Waschung mit 0-Sprocent. NaCl-Lösung. Die Curven sind auf '/, ver- kleinert. Fig. 45. 20. Mai 1900. Temperatur 18°C. M. gastroenemius von Rana escu- lenta. Wirkung der 0-5 bis 1procent. Ricinlösung (25 Procent Asche enthaltend). I. Bei 7 zwei normale Zusammenziehungen des ganz frischen Muskels. 2,3, 4,5 Zu- sammenziehungen, gefolgt von immer deutlicheren Contracturen, zwischen einer Zu- sammenziehung und der anderen mit Rieinlösung. II. Zusammenziehungen, begleitet von CÖontracturen des wiederholt mit 0-8procent. NaCl-Lösung gewaschenen Muskels. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 46. 10. April 1900. Temperatur 14°C. M. gastroenemius von Rana escu- lenta. Wirkung des Natriumoxalats in 2procent. Lösung. I. ‘Contractur, auf die Wirkung des Oxalats folgend, und regelmässige, spontane, rhythmische Bewegungen. II. Zusammenziehungen und secundäre Contracturen, folgend auf abwechselnde Schluss- ÜBER DIE WIRKUNG DES VERATRINS U. S. W. 427 und Oeffnungsreize. (Geringe Schnelle p. v. des Cylinders.) III. Dasselbe (grosse Schnelligkeit g. o. des Cylinders). (Reize: Zwei trockene Elemente, Rollen übergelegt, Fadenelektroden.) Natürliche Grösse. Fig. 47. 10. April 1900. Temperatur 14°C. M. gastrocenemius von Rana escu- lenta. Wirkung des Natriumoxalats (siehe oben). a Oeffnungsreiz; ce Schlussreiz; 9. v. grosse Schnelligkeit des Cylinders. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 48. 18. Mai 1900. Temperatur 17-5° C. M. sartorius einer grossen Bufo vulgaris. Wirkung des Natriumoxalats in 1-25procent. Lösung. Ia. Oeffnungszusam- menziehung des normalen Muskels. IIa. Oeffnungszusammenziehung des Muskels nach Wirkung des Oxalats in Ox 1-25 Proc. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Fig. 49. 16. Juni 1900. Temperatur, bei der die Thiere gehalten werden, 15°C. Temperatur des Arbeitszimmers 22°C. Zwei Gastrocnemii derselben Bufo vulgaris (nicht eurarisirt), getödtet durch Zerstörung der Cerebrospinalaxe. Wirkung (in A) des NaJ 1-5procent. (in O-Sprocent. NaCl-Lösung) und 3procent. (idem). Der Muskel ı wurde ungefähr '/, Stunde vor Muskel 2 benutzt, unter denselben Umständen. Auf jeden von beiden wurde dieselbe Zahl von Tropfen der Lösung aufgegossen. Z = Waschung. Natürliche Grösse. Fig. 50. 14. Juni 1899. Temperatur 22° C. Gastrocnemii von Bufo vulgaris, ceurarisirt und nicht curarisirt (Unterbindung des Schenkels). Wirkung des Veratrins (Nitrat) 1 Procent. ce = eurarisirt, 1 = zuerst angewendeter Muskel, 2 = ungefähr !/, Stunde nachher angewendeter, g = Tropfen der Lösung. Die Curven sind auf !, verkleinert. Fig. 51. 15. Juni 1900. Temperatur 22°C. Zwei Gastrocnemii von Bufo vul- garis, reichlich ceurarisirt. Die Lösung von NaJ zu 1-5 Procent wirkt nicht mehr, während Helleborein (#) die gewöhnliche enorme Contractur hervorbringt. ZL = Waschung. Natürliche Grösse. Fig. 52. 14. Juni 1900. Temperatur des Arbeitszimmers 22°C. Wirkung des Muscarins (Nitrat) in O-5procent. Lösung. Zwei Gastrocnemii von Bufo vulgaris, der eine (e) curarisirt, der andere nicht (Ligatur des Gliedes unter der Haut). 1 = Prä- parat, °/, Stunden vor 2c benutzt, welches der curarisirte Muskel ist. In der Zeichnung ist die Zahl der Tropfen (g) der Lösung angegeben, die auf den Muskel ausgegossen wurde. Die Curven sind auf '/, verkleinert. Ein Beitrag zur Lehre von der Bewegung und der Innervation der Haare. Von Edmund Saalfeld in Berlin, (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) (Hierzu Taf. XV.) Von denjenigen Hautgebilden, deren Function einem Nerveneinfluss- unterliegt, sind es besonders die Schweissdrüsen, welche das Interesse physio- logischer Forschung von je her in Anspruch genommen haben. In der letzten Zeit hat sich aber die Aufmerksamkeit auch der Abhängigkeit der Bewegung der Haare von Nerveneinflüssen zugewandt. So hat Langley in Gemeinschaft mit Sherrington Versuche über die Bewegung der mit glatter Haarbalgmusculatur versehenen Haare durch Nervenerregung an- gestellt. Stets war es der Sympathicus, der sich als der motorische Nerv für die Haare bei diesen Versuchen ergab. Da aber in der Haut vieler Säugethiere Haare mit quergestreiften Arrectores existiren, so war es von vornherein unwahrscheinlich, dass deren Bewegung durch den Sympathicus hervorgerufen wird. Ist es ja eine be- kannte Thatsache, dass vom Sympathieus nur die mit glatter Musculatur versehenen Gebilde abhängig sind. Die Haare mit quergestreiften Arrec- tores werden durch die sog. Tasthaare im Gesicht der Thiere repräsentirt. Dass diese Haare vom Facialis innervirt werden, wurde bereits früher von Schiff angegeben, ohne dass dieser Autor einen directen experimentellen Beweis hierfür erbracht hätte. Die Wichtigkeit der ganzen Frage der Abhängigkeit der Bewegung . der Haare von Nerveneinflüssen liess es begründet erscheinen, die Langley’- schen Experimente einer Nachuntersuchung zu unterziehen, zumal bisher BEWEGUNG UND INNERYATION DER HAARR. 429 eine solche von anderer Seite nicht vorlag. Ausserdem aber war es, um das Problem seiner Lösung näher zu bringen, nothwendig, die Abhängigkeit der Bewegung der Tasthaare vom Facialis auf experimentellem Wege zu erweisen. Nach diesen beiden Richtungen bewegten sich meine experimentellen Untersuchungen. Hrn. Geheimrath Engelmann bin ich für sein Interesse an der Arbeit sowie für seine werthvollen Rathschläge bei Ausführung der- selben zu Danke verpflichtet; ebenso den Hrrn. Prof. Dr. I. Munk und Privatdocent Dr. P. Schultz, die mich in liebenswürdiger Weise bei den Untersuchungen unterstützten. Bevor ich auf meine eigenen Versuche eingehe, möchte ich zur Er- läuterung die Resultate, welche Langley! erhielt, hier mittheilen: „Die Haare des Affen, der Katze und wahrscheinlich aller Thiere, bei welchen unter dem Einfluss einer starken Erregung, wie Furcht oder Zorn, sich die Haare sträuben, können aufgerichtet werden durch Reizung von Nervenfasern, die vom Rückenmark ausgehen und den Sympathicus passiren; diese Haare werden nicht direct vom Rückenmark aus versorgt. Die Nerven- fasern, welche eine Bewegung der Haare durch Einwirkung auf die Erections- muskeln veranlassen, werden pilomotorische Nervenfasern genannt. ... ... Bei der Katze verlassen pilomotorische Fasern das Rückenmark, um zu jedem Ast des Sympathicus vom 4. Brust- bis zum 3. Lendenwirbel zu sehen. Die Wurzeln keines andern Spinalnerven vom 4. Lumbalnerven abwärts enthalten pilomotorische Fasern. Fasern vom 3. oder 4. Brust- bis zum 7. Brustnerven incl. steigen in den Halssympathicus hinauf, gehen eine Verbindung mit Nervenzellen im oberen Cervicalganglion ein und versorgen die Haare einer Region zwischen Ohr und Auge? und eines kleineren Hautstreifens, der am Hinterkopf beginnt und sich herabstreckt bis zum hinteren Theil des Nackens. Diese Fasern sind entweder nicht bei allen Katzen vorhanden oder funetioniren nicht bei ihnen.... Jeder Spinalnerv, dessen Wurzel pilomotorische Fasern enthält, steht in Verbindung mit 4 oder 5 Sympathicusganglien und ihren grauen Aesten. Die Reizung eines Spinalnerven oder des Sympathicus auf einer Seite verursacht gewöhnlich einseitigen Effect auf dem Rücken — nur die Haare ungefähr in der Ausdehnung von 1°” auf der anderen Seite werden mit beeinflusst — am Schwanz dagegen ist die Wirkung gewöhnlich bilateral.“ Meine Versuche stellte ich zuerst an Katzen an. Bei 13 Katzen wurde ! Langley and Sherrington, On pilo-motor nervs. Journal of Physiology. 1891. Vol. XII. p. 278 ff. ® „Face area“, a. a. O. 430 EDMUND SAALFELD: der Sympathieus am Halse freigelegt. Die faradische Reizung des Sym- pathicus selbst sowie seines Cervicalganglion ergab regelmässig Pupillen- erweiterung der entsprechenden Seite. Des Weiteren zeigte sich aber auch, das eine Mal mehr, das andere Mal weniger deutlich ausgeprägte Bewegung der in der Face area befindlichen Haare. Weniger deutlich war die Be- wegung der Haare in dem kleinen Hautstreifen, der am Hinterkopf beginnt und bis zum Nacken geht. Nach Reseetion des Cervicalganglion sowie eines 1 bis 1!/, ® langen Stückes des Sympathicus traten sofort die bekannten typischen Erschei- nungen auf: Verengerung der Pupille sowie Vorfallen der Membrana nietitans über den Augapfel in Folge Lähmung des M. retractor. Diese letzteren Veränderungen hielten mehr oder weniger ausgeprägt bis zum Tode der Thiere an; trotzdem die Thiere die Operation manchmal recht lange überlebten (bis zu ?/, Jahr), waren an den Haaren keine makroskopisch wahrnehmbaren Veränderungen nachweisbar, vor allen Dingen war kein Ausfall derselben zu constatiren. Bei einem Pudel trat auf faradische Reizung des am Halse freigelegten rechten Sympathicus eine caudal gehende Bewegung eines in der rechten Face area gelegenen Haarbüschels auf. Ein Unterschied bezüglich der Straffheit der Haare auf beiden Seiten war nicht deutlich nachzuweisen. Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass die Haare, ausser bei dem Pudel, an dieser Stelle meist nicht sehr dicht stehen, ausserdem aber kurz sind und so dem tastenden Finger nur geringen Widerstand darbieten. Um diesem Mangel zu begegnen und weitere Klarheit über die Ab- hängigkeit der Haar- bezw. homologen Gebilde vom Sympathicus zu er- langen, wurden die Versuche auf Igel ausgedehnt. Es wurde die ent- sprechende Operation bei 11 Thieren ausgeführt. Ich erhielt conform den Angaben Langley’s! Erection der Stacheln des Gesichtes sowie auch meist der am oberen Theil der Schulter, sowie der auf der oberen Brust- partie befindlichen Stacheln. Es ist mir gelungen, dieses langsame Aufrichten der Stacheln graphisch darzustellen. Das Ende eines Stachels wurde vermittelst Wachs mit einem Faden verbunden, der an einem Fühlhebel zieht. Die Excursionen des freien Endes dieses Fühlhebels wurden auf einer rotirenden Kymographion- trommel aufgezeichnet. Die so erhaltene Curve (Fig. 1) zeigt deutlich die erst einige Zeit nach der faradischen Reizung beginnende (Latenzzeit) Auf- richtung der Stacheln, die allmählich fortschreitet, um dann ebenso langsam wieder abzufallen, ein typisches Bild für die durch den Sympathicus be- wirkte Bewegung glatter Muskelfasern. ! Journal of Physiology. 1893. Vol. XIV, Y 94 BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 431 Stets war nach Resection eines Theiles des Halssympathicus sowie seines Cervicalganglion eine geringere Rigidität der entsprechenden Stacheln auf der operirten Seite gegenüber denen der nicht operirten Seite nach- weisbar, und dieses Phänomen hielt bis zum Tode der Thiere — in einem Falle S Wochen nach der Operation — an. Bei einem Igel wurde ausser- dem ein freigelegter Spinalnerv im Brusttheil faradisch gereizt, und es ergab sich Erection der dieser Zone entsprechenden Stacheln, ein Factum, das für die Richtigkeit der von Langley nachgewiesenen Existenz der vom Rückenmark ausgehenden pilomotorischen Fasern spricht. Reizung des Halssympathicus bei 7 Kaninchen ergab keine isolirte Bewegung der Haare in der Face area; es schien sich nur zwei Mal eine TON HEHE Big. mehr oder weniger ausgeprägte Contraction dieser Gegend zu zeigen; der Ursache dieser Erscheinung bin ich bisher nicht weiter nachgegangen. Dass keine isolirte Bewegung der Haare in der Face area zu constatiren war, kann entweder daran liegen, dass beim Kaninchen die pilomotorischen Fasern fehlen; sagt doch Langley selbst bei den an Katzen angestellten Versuchen, dass die pilomotorischen Fasern nicht bei allen Katzen vorhanden sind oder bei ihnen nicht functioniren. Zweitens aber muss berücksichtigt werden, dass bei Kaninchen, im Gegensatz zu Katzen, die Haare in der Face area sehr dicht an einander stehen, so dass die Beobachtung einer isolirten Be- wegung derselben erschwert ist. Analog dürfte wohl das negative Resultat der Reizung des Hals- sympathicus bei einer weissen Ratte und einer weissen Maus zu er- klären sein. 432 EDMUND SAALFELD: Ein Einfluss der Sympathieusreizung auf die in der Gegend der Schnauze befindlichen Schnurrhaare war nicht vorhanden. Dieses Factum ist erklärlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sehr ihr Bau von dem der gewöhnlichen Haare abweicht. Die Schnauzhaare stellen nämlich sog. Sinushaare dar, deren Arrectores quergestreift sind, eine Thatsache, die ebenso wie die nähere Kenntniss der Sinushaare erst relativ neueren Datums ist. So sagt Gegenbaur! (1851): „Die Tasthaare treten mit ihren starken Bälgen durch das Unterhautbindegewebe und senken letztere in einen Haut- muskel ein, so dass die Haare nach Willkür des Thieres bald gestreckt, bald der Schnauze angelegt werden können und recht eigentlich als ‚Tast- organe‘ zu functioniren im Stande sind.“ Gegenbaur führt also die Bewegung der Tasthaare auf den Hautmuskel zurück, quergestreifte Arrec- tores pili scheinen ihm noch nicht bekannt gewesen zu sein. Aehnlich sind die Angaben von Leydig?, der auch nicht die quer- gestreiften Arrectores pili erwähnt. „Das Sträuben der Haare mag sonst abhängen von den starken quergestreiften Muskeln, welche zunächst unter der Haut liegen und deren Sarkolemma unmittelbar mit der Bindesubstanz der Lederhaut zusammenfliesst, sich auch wohl direct an die Bälge der diekeren Haare (z. B. Tasthaare) ansetzt. Am behaarten Theil der Schnauze vom Schwein und Hund sehe ich die quergestreiften Primitivbündel des Hautmuskels sich baumartig verästeln und mit ihren Endausläufern bis nahe an die Grenzschicht der Lederhaut reichen. Auch Huxley bildet verzweigte Muskelbündel aus der Lippe der Ratte ab.“ Auf das Factum der Existenz von quergestreiften Arrectores pili scheint zuerst Dietl? (1871) hingewiesen zu haben. Bevor ich jedoch auf die Musculatur der Sinushaare eingehe, möchte ich den Bau der Bälge der letzteren selbst hier angeben, wie er von Bonnet* beschrieben ist. „Die Bälge der Sinushaare sind gross, bis in die Subcutis hinein- reichend, von der Form eines Ameiseneies. Ihre Grösse unterliest nach Alter und Classe des Thieres manchen Schwankungen, steht aber stets in geradem Verhältniss zur Stärke des Haares. Die relativ grösste Entwiekelung der Bälge findet sich bei Raubthieren und Nagern, während sie bei den Hufthieren verhältnissmässig gering ist. Zwischen der äusseren und mitt- leren Balelage findet sich ein mehr oder weniger entwickelter Blutsinus, ! GC. Gegenbaur, Untersuchungen über die Tasthaare einiger Säugethiere. Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. Ill. 8. 13. ? Leydig, Lehrbuch der Histologie. Fraukfurt a. M. 1857. 8.83. ® Dietl, Untersuchungen über Tasthaare. Sitzungsber. der Wiener Akademie der Wissenschaften. Bd. LXIV. 8.1. * Ellenberger, Handhuch der vergleichenden Histologie und Physiologie der Haussäugethiere. Bd.]. 2. Theil. S. 420 ff. BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 433 dem die Haare ihren Namen verdanken, eingeschoben. Man kann den- selben als aus riesig erweiterten Blutcapillaren hervorgegangen auffassen. a) Die äussere Balglage besitzt einen derben, fibrösen, dem Seleral- gewebe ähnlichen Aufbau aus vielfach verfilzten Bindegewebsfasern mit eingestreuten Bindegewebszellen. Am Halse der Haartasche verdickt sich die äussere Balglage und schlägt sich, das Dach für den Blutsinus bildend, zur mittleren Balglage herunter, während sie am proximalen Pole des Balges einerseits den Stiel der Papille, andererseits aber mit bedeutenderen Massen den bindegewebigen Ueberzug der Glashaut des Balges oder b) die mittlere Balglage bildet. Diese besitzt in ihrem proximalen Abschnitt den fibrösen Bau der äusseren Lage. In distaler Richtung wird ihr Gewebe saftiger und kernreicher. Beiden Lagen fehlen contractile Faser- zellen bis auf den distalen Abschnitt der mittleren Balglage. Beide Lagen sind durch zahlreiche bindegewebige Balken mit einander verbunden. Der Blutsinus des Balges bekommt hierdurch bei den Hufthieren cavernösen Bau, während bei den Nagern, Raubthieren und Insectivoren durch Fehlen der Balken im distalen Abschnitt ein glattwandiger, ringförmig das Haar und seine Hüllen umgebender Sinus, der c) Ringsinus entsteht, der durch ein transversales Septum unvollständig vom cavernösen Körper getrennt ist. In denselben hängt eine nach der Thierart in Form und Aufbau wechselnde wulstartige Verdickung der mitt- leren Balglage, der d) Ringwulst oder das Sinuskissen (Martin) herein. In seiner Be- deutung und Function völlig unklar, sitzt dasselbe stets an der nasalen Fläche der mittleren Balglage. Die übrigen Theile des Balges gehen in ihrer Ausbildung parallel der Entwickelung des in ihnen steckenden Haares. .. .“ Zur Illustration dieser Schilderung verweise ich auf die Abbildungen meiner Präparate (Taf. XV, Figg. 1—5), welche Sinushaare vom Löwen, Katze, Eichkatze, Kaninchen und Maus darstellen. Eine genauere Beschreibung der Musculatur der Spürhaare verdanken wir nächst Dietl auch Bonnet!, der 1878 folgende Angaben machte: „Die Musculatur der Spürhaarbälge ist eine sehr bedeutende. Sie besteht aus quergestreiften Muskelbündeln, die sich auf folgende Weise mit den Bälgen in Verbindung setzen. Sie kommen als flache, die ganze Länge des Haarbalges umfassende Bänder von je zwei einander entgegengesetzten Seiten her, beugen sich nach aufwärts und umhüllen die Aussenfläche des Balges. Sie können also die Follikel um ihre Längsaxe drehen und nach der der Kreuzungsstelle entgegengesetzten Seite erheben. Oder sie setzen ! Bonnet, Studien über die Innervation der Haarbälge der Hausthiere. Morpho- logisches Jahrbuch. Bd. IV. 8. 357. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 28 434 EDMUND SAALFELD: die Follikel dadurch mit einander in Verbindung, dass sie von dem cen- tralen Pol des einen zum peripheren des nächsten verlaufen. Sie heben bei ihrer Contraction sämmtliche Follikel. Ferner findet man auch horizontal die Follikel umspannende Muskelzüge. Es ist schwer, sich in diesem am besten an vergoldeten Schnitten hervortretenden Muskelfilz zu orientiren, der bei Ratte, Schaf, Katze und Hund sehr mächtig entwickelt ist.“ Nach dieser Schilderung ist es erklärlich, dass bei Sympathicusreizung am Halse eine Bewegung der an der Schnauze und in der Augenbrauen- gegend befindlichen Sinushaare nicht eintrat. Bei der Frage, welcher motorische Nerv diese Spürhaare versorgt, konnte eigentlich nur der N. fa- cialis in Frage kommen. Diese Annahme wurde, wie bereits oben erwähnt, durch eine Angabe Schiff’s! gestützt. „Die Frage, ob der Facialis die Tasthaare der Lippen- und der Augen- gegend bei Thieren selbstständig bewege (was von Bell und Shaw be- zweifelt wurde), muss jetzt als entschieden betrachtet werden, seitdem ich nachgewiesen, dass bei Paralyse des Facialis die anhaltenden Lähmungs- oscillationen in diesen Tasthaaren sogar besonders scharf hervortreten.“ Zur Feststellung der thatsächlichen Verhältnisse wurde nun bei 11 Katzen der Facialis nach seinem Austritt aus der Parotis freigelegt und mit schwachem faradischen Strom gereizt. Es ergab sich eine isolirte Bewegung der Tasthaare in der Umgebung der Schnauze sowie der Augen, und zwar konnte ich folgende topographische Verhältnisse constatiren. Der oberste Ast des Facialis theilt sich in zwei Zweige: a) Bei Reizung des oberen Zweiges findet eine Bewegung der über dem Auge gelegenen grossen Schnurrhaare statt; die Bewegung geht oral- wärts. b) Bei Reizung des unteren Zweiges zeigt sich isolirte Bewegung einiger anderer kleiner Schnurrhaare in derselben Gegend; die Bewegung geht caudalwärts. i Der untere Ast theilt sich ebenfalls in zwei Zweige: a) Bei Reizung des oberen Zweiges gehen die oberen Schnauzhaare oralwärts. b) Bei Reizung des unteren Zweiges gehen die unteren Schnauzhaare caudalwärts. Die Bewegung der Spürhaare auf Facialisreizung hörte, nachdem sie zuerst deutlich gewesen war, bei einer Katze auf, als das Thier curarisirt wurde, während bei demselben Thier nach der Curarisirung die Haare in der Face area eine deutliche Bewegung auf Sympathieusreizung zeigten. ! Lehrbuch der Physiologie des Menschen von J. M. Schiff aus Frankfurt a. M., Professor in Bern. I. Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr 1858—59. 8. 391. BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 435 Wurde nun der Facialis resecirt, so trat sofort ein Unterschied in der Rigidität der Haare der operirten Seite gegenüber denen der nicht operirten Seite deutlich zu Tage. Auf der ersteren waren die Haare bei Berührung deutlich schlaffer als auf der normalen Seite, und dieses Verhalten hielt bis zum Tode der Thiere (z. Th. bis nach mehr als 4 Monaten nach der Operation) an. Eine weitere Eigenthümlichkeit war in den Wachsthumsverhältnissen der Sinushaare auf der normalen Gesichtsseite gegenüber der operirten Seite zu constatiren; auf letzterer zeigten nämlich ungefähr 3 Wochen nach der Operation die Haare der Schnauz- wie der Augengegend eine Vergrösserung sowohl im Längen- als auch im Dickendurchmesser, die progressiv blieb. Auf die Deutung dieses eigenthümlichen Factums werde ich weiter unten zurückkommen. Einige Male war auch ca. 8 bis 14 Tage nach der Operation ein isolirtes Zittern der Schnurrhaare auf der operirten Seite sichtbar, das nach 1 bis 2 Wochen nachliess. Auf Zitterbewegung der Spürhbaare nach Faeialis- durchschneidung hat — nachdem Schiff! dieses Phänomen bei Facialis- paralyse festgestellt hatte — auch Sigmund Mayer? bei Kaninchen auf- merksam gemacht. Diese Erscheinung konnte ich bei den drei Kaninchen, an welchen ich die Facialisresection vornahm, nicht beobachten, da diese Versuchsthiere die Operation nur wenige Tage überlebten. Dagegen konnte auch bei den Kaninchen die Abhängigkeit der Be- wegung der Spürhaare vom Facialis nachgewiesen werden. Nach Freilegung desselben, nach Austritt aus der Parotis, ergab sich bei Reizung des oberen Astes Bewegung der im oberen Theil des „Schnurrhaarfeldes“ gelegenen Haare oralwärts. Der untere Ast des Facialis versorgt die untere Partie des Schnurrhaarfeldes. Dieser Ast zerfällt in drei Zweige: a) Der oberste versorgt einige hinten unten gelegene Schnurrhaare. b) Der mittlere Zweig geht zu einem ungefähr in der Mitte des „Schnurr- haarfeldes‘“ gelegenen grossen Tasthaare, das bei Reizung mit schwachem faradischen Strom eine deutliche isolirte Bewegung zeigt, wobei einige (3) kleinere, nach unten von diesem grossen Haar gelegene Tasthaare ebenfalls eine isolirte Bewegung zeigten. c) Der untere Zweig, der auch zur Musculatur der Unterlippe geht, versorgt die im vorderen unteren Abschnitt des „Schnurrhaarfeldes“ ge- legenen Spürhaare. ıA.a.0. ® Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. II. 1. Tbeil. S. 253. 28* 436 EDMUND SAALFELD: Sämmtliche Spürhaare ‚zeigen bei faradischer Reizung eine oralwärts gehende Bewegung. Den Ast, welcher die über dem Auge gelegenen Sinushaare versorgt, konnte ich bisher — bei 3 Versuchsthieren — noch nicht feststellen. Auch bei einer weissen Ratte ergab das Experiment die Abhängigkeit der Bewegung der Spürhaare vom Facialis. Bei Tetanisirung des frei- gelegten rechten Facialis mit schwachen Strömen zeigte sich nicht nur Bewegung der Öberlippen-, Wangen- und Nasenmuskeln der rechten Seite, sondern auch bei ganz schwachem Strom isolirtes tetanisches Zittern der rechtsseitigen Schnurrhaare. Für die weitere Prüfung dieser Versuche erschien mir besonders die Eichkatze geeignet, die sehr stark entwickelte Schnurrhaare besitzt. Und hier war bei 6 Versuchsthieren das Resultat der Faradisirung des frei- gelegten Facialis ausserordentlich deutlich; es war eine isolirte Bewegung der Schnurrhaare sehr leicht zu constatiren. Bei diesen Versuchen ergab sich, dass der Facialis nach dem Austritt aus der Parotis einen Ast zur Stirn sendet, auf dessen Reizung die über dem oberen Augenlid gelegenen Spürhaare reagiren. Ein zweiter Ast theilt sich gleich in drei Zweige, auf dessen Reizung die im Gesicht befindlichen Spürhaare sich bewegen. Bei einem Pintscher zeigte sich, nachdem der Facialis freigelegt war, bei Tetanisirung des Ramus zygomaticus mit schwachen Strömen isolirte Bewegung der Tasthaare über dem oberen Augenlid und bei Reizung des Ramus bucealis isolirte Bewegung der Schnauzhaare. Nach Resection des N. facialis ergab sich, wie bereits oben bei den Versuchen an den Katzen erwähnt wurde, bei sänmtlichen Thieren unmittel- bar nach der Operation sowie im weiteren Verlaufe, dass die Spürhaare auf der operirten Seite bei Berührung wesentlich schlaffer waren als die ent- sprechenden Haare der nicht operirten Seite Bei den Eichkatzen konnte ich dieses Verhalten nur unmittelbar nach der Operation prüfen, da die Thiere ohne Narkose zu unruhig waren, als dass bei der Palpation ein eindeutiges Resultat hätte erzielt werden können. Die Schlaffheit zeigte sich sonst nicht nur bei den an der Schnauze befindlichen Haaren, sondern auch bei den über dem Auge gelegenen Tasthaaren. Die Differenz im Tonus trat am deutlichsten bei dem Pintscher hervor, wo die Schnauzhaare auf der (rechten) operirten Seite schlaff herabhingen. Bei diesem Thiere war auch das stärkere Wachsthum der Schnurrhaare auf der resecirten Seite gegenüber denen der normalen ausserordentlich markant. Wie es gelungen war, die Bewegung der Igelstacheln auf Sym- pathicusreizung graphisch zu fixiren, so war es auch möglich, die Be- wegung der Spürhaare auf Facialisreizung in einer Curve aufzunehmen (Fig. 2). Ein Schnauzhaar einer Katze wurde vermittelst eines durch Wachs BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 437 befestigten Fadens mit einem Fühlhebel verbunden. Die Exeursionen des freien Endes dieses Fühlhebels wurden auf einer rotirenden Kymographion- trommel aufgezeichnet. Bei Reizung mit schwachem faradischen Strome ergiebt die Aufzeich- nung eine Zitterbewegung des Haares, wie Fig. 2 zeigt; bei Verstärkung Fig. 2. des Stromes geräth das Haar in eine fast tetanische Contraction, auf der Höhe der Contraetion verschmelzen die einzelnen Zitterbewegungen zu einer fast gleichförmigen Dauercontraction. Es war nun noch die Frage zu beantworten, ob die quergestreiften Arrectores pili sich bezüglich des Latenzstadiums auf einen einzelnen Induc- Fig. 3. tionsschlag von anderen, speciell Skeletmuskeln, abweichend verhielten. Es ergab sich nun (Fig. 3), dass der mittlere Werth der Latenzzeit, aus drei Versuchen berechnet, 0.012 Secunden betrug, also nicht wesentlich von dem sonst als Durchschnitt angenommenen Werthe von 0-01 Secunden 438 EDMUND SAALFELD: abwich. Es zeigte sich ferner, wie ebenfalls Fig. 3 ergiebt, dass die Dauer der Zuckung der quergestreiften Arrectores pili auf einen Oeffnungsinductions- schlag, ohne das Stadium der latenten Reizung berechnet, einen mittleren Werth von 0-2 Secunde besitzt. Es lag nun nahe, die erhaltenen physiologischen Resultate durch anatomische Untersuchungen zu ergänzen, d. h. die Musculatur der Haar- bälge vor und einige Wochen nach der Facialis- bezw. Sympathicusresection einer mikroskopischen Untersuchung zu unterziehen, in der Erwartung, dass einige Zeit nach der Nervenresection sich an den Arrectores pili Degenerationsvorgänge zeigen würden. Die mikroskopischen Untersuchungen führte ich im anatomischen Institute der Universität aus. Hrn. Geheimrath Waldeyer erlaube ich mir, für sein den Untersuchungen entgegengebrachtes Interesse sowie für seine werthvollen Rathschläge meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. In der That ist es mir gelungen, an den quergestreiften Arrectores der Sinushaare Veränderungen nachzuweisen, die als atrophische bezw. degenerative Vorgänge aufgefasst werden müssen. Während man früher annahm, dass, nachdem die Leitung eines Nerven zu dem von ihm ver- sorgten quergestreiften Muskel unterbrochen, eine mehr oder weniger aus- geprägte Degeneration des Muskels eintreten müsste, ist durch die sorg- fältigen Untersuchungen Löwenthal’s! bewiesen worden, dass diese Anschauung nicht mehr in ihrer Allgemeinheit als richtig gelten darf. Dieser Autor konnte nachweisen, dass trotz der Leitungsunterbrechung die quergestreiften Muskeln ihre normale, durch eine deutliche Querstreifung gekennzeichnete Structur beibehalten und trotzdem atrophisch sein können. Diese „einfache“ Atrophie giebt sich nur in einer Verschmälerung der Fasern kund. Da wir aber über die Breite normaler quergestreifter Muskel- faseın durchaus noch keine sicheren Maasse besitzen — schwanken doch nach Löwenthal? die Angaben bei den verschiedenen Autoren zwischen 4 bis 100u —, ist die Schwierigkeit, ja meist sogar die Unmöglichkeit erklärlich, mikroskopisch eine normale quergestreifte Muskelfaser von einer „einfach atrophischen“ Muskelfaser, welche die deutlichste Querstreifung zeigt, zu unterscheiden. So sagt doch Löwenthal? selbst: „In Muskeln, welche durch Unterbrechung der motorischen Leitung gelähmt sind und Entartungsreaction zeigen, können mikroskopisch nachweisbare degenerative Vorgänge vollkommen fehlen.“ Diesem von Löwenthal aufgestellten Satze ! W.Löwenthal, Untersuchungen über das Verhalten der quergestreiften Museu- latur bei atrophischen Zuständen. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1898. Bd. XIII. S. 106 ff. 274 2.0282107. 2 A: 2.08.1146. BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 439 entsprechen z. Th. auch die Ergebnisse meiner mikroskopischen Untersuchung. Ich habe thatsächlich 6 bis 10 Wochen nach der Facialisreseetion bei Katzen in einem Theil der mikroskopischen Präparate die Querstreifung der Arrectores der Sinushaare intact gefunden. An einzelnen Haaren hatte ich bei den vergleichenden Messungen den Eindruck, als ob an der ope- rirten Seite die quergestreiften Muskelfasern auch schmäler waren als an den Controlpräparaten der gesunden Seite, dass es sich hier also um eine „ein- fache Atrophie“ der quergestreiften Arrectores handelt. Doch möchte ich aus den oben angeführten Gründen hierauf nicht so viel Gewicht legen, als vielmehr auf die Thatsache, dass ich bei einer Reihe quergestreifter Arrectores deutliche fettige Degeneration nachweisen konnte. Veränderungen an den glatten Arrectores pili, die nach Sympathicus- resection zu erwarten waren, konnte ich mit Sicherheit nicht nachweisen; trotzdem mir das geeignetste Untersuchungsobject, nämlich die mit sehr stark ausgeprägter glatter Musculatur versehenen Arrectores der Igelstacheln, zur Verfügung stand. In mehreren Präparaten waren Unterschiede im Aussehen der normalen glatten Arrectores vorhanden gegenüber denjenigen, bei welchen der Sympathicus resecirt war. Doch sind die Unterschiede nicht so typisch und deutlich, dass ich daraufhin von einer Degeneration glatter Muskelfasern sprechen könnte. Eine solche ist, so viel ich aus der Litteratur ersehen konnte, bisher noch niemals sicher festgestellt worden. Es ist aber auch möglich, dass analog der „einfachen Atrophie‘ der quer- gestreiften Muskeln eine solche mikroskopisch nicht nachweisbare Verände- rung auch bei den glatten Muskeln eintritt, dass dagegen Vorgänge, die als fettige Degeneration angesprochen werden dürfen, überhaupt nicht auftreten. Vielleicht ist es einer späteren Zeit, in der die Färbetechnik weiter ver- vollkommnet ist, vorbehalten, in diese interessante Frage Licht zu bringen. Gelegentlich meiner Versuche sah ich mich auch zur Wiederholung eines zuerst von Sigmund Mayer! ausgeführten Experimentes veranlasst: „An einem erwachsenen Kaninchen wurden gleichzeitig beide Ohren mit Oaleiumsulfhydrat vollständig enthaart und sodann auf der einen Seite Stücke aus dem Halssympathieus und dem N. auricularis magnus exeidirt. Nach Verlauf von 1!/, bis 2 Monaten waren die Haare auf der entnervten Seite, über das ganze Ohr verbreitet, in der Grösse von etwa 2"m wieder gewachsen, während auf der gesunden Seite sich nur dem Verlaufe der mittleren Arterie entlang ein deutlicher Haarstreif entwickelt hatte.“ Nachdem einem Kaninchen die Dorsalseite beider Ohren mit Calcium- sulfhydrat epilirt war, resecirte ich dem Thiere vom linken Halssympathicus 1!/,°® und vom linken Aurieularis magnus 2 ®, Nach der Operation steilte ‘ Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. II. 1. Theil. S. 205. 440 EDMUND SAALFELD: sich Erweiterung der Venen des linken ÖOhres, das sich wärmer als das rechte anfühlte, ein. Die linke Pupille ist ein wenig verengt und die Mem- _ brana nietitans tritt etwas hervor. 5 Monate nach der Operation war die linke Pupille noch etwas verengt. Die Haare des linken Ohres sind reich- lich, stark gewachsen, während an dem rechten Ohre nur ein geringes Wachsthum zu constatiren ist. Dieser Zustand hielt bis zum Tode des Thieres, der 6 Monate nach der Operation erfolgte, an. Bei der Section zeigte sich, dass die beiden Enden des resecirten Sympathicus nicht zu- sammengewachsen waren. Analog lagen die Verhältnisse bei einem zweiten Kaninchen, dem ein 1 m langes Stück des rechten Auricularis magnus resecirt wurde, nachdem die Dorsalseite beider Ohren mit Caleciumsulfhydrat epilirt war. Nach der Operation waren die Gefässe des rechten Ohres hyperämisch. 3 Wochen nach Beginn des Versuches fingen die Haare im untersten Theile des Ohres und in der Umgebung der Wunde zu wachsen an, während das linke Ohr noch kahl blieb. Nach weiteren 3 Wochen waren auf der rechten Seite die Haare am Stamme des Ohres weiter stark gewachsen, während auch am übrigen Theile des Ohres Lanugohaare sich zeigen. Das linke Ohr ist noch völlig kahl. Nach ferneren 3 Wochen ist das Haarwachsthum auf dem rechten Ohre weiter fortgeschritten. Am Stamme des Ohres ist es sehr stark, fast schon wieder normal. Ein stärkeres Haarwachsthum als an den übrigen anderen Stellen zeigt sich längs der Mittelvene. Auf dem linken Ohre ist noch kein deutlicher Haarwuchs zu constatiren. 5 Wochen später ist auf der linken, nicht operirten Seite auch geringer Haarwuchs vorhanden. Rechts ist das Ohr überall stark mit Haaren bewachsen. Der Unterschied zwischen beiden Seiten fällt besonders im Verlaufe des Längs- gefässes auf; auf der rechten Seite entspricht diesem genau ein Haarbüschel von etwa 4mm Breite. Nach der Ohrwurzel zu wird das Büschel sehr viel breiter und umfasst daselbst beinahe die ganze Dorsalfläche des Ohres; ausserdem sind die Haare auffallend lang. Die Verhältnisse des Haarwachsthums blieben bis zum Tode des Ver- suchsthieres, der ?/, Jahre nach der Operation eintrat, auf beiden Seiten entsprechend gleich. Das Resultat dieser beiden Versuche von der Existenz trophischer Nerven abhängig zu machen, erscheint nicht nothwendig, vielmehr ist es wohl erlaubt, das stärkere Wachsthum der Haare auf der operirten Seite auf eine Ueberernährung in Folge grösserer Blutzufuhr, wie sie nach der Sympathieusdurchschneidung bezw. -resection eintritt, zurückzuführen. Diese Erklärung trifft auch für den zweiten Versuch zu, insofern als im Auri- cularis magnus sympathische Fasern verlaufen; hierfür spricht ausser der anatomischen Thatsache auch der Umstand, dass nach Durchschneidung BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. 441 des Auricularis magnus, wie der Versuch ergeben, active Hyperämie des betreffenden Ohres eintritt. Analog dürften die Verhältnisse bezüglich des stärkeren Wachsthums der Schnurrhaare nach Facialisresection liegen. Auch hier ist die vermehrte Blutzufuhr, die als Ursache für das stärkere Wachsthum der Schnurrhaare anzusehen ist, durch Lähmung der Vasomotoren zu erklären. Der Facialis steht bekanntlich mehrfach mit dem Sympathicus in Verbindung. Erstens besteht durch den N. petrosus superficialis major eine Communication zwischen dem Ganglion geniculi des Facialis und dem Ganglion spheno- palatinum des II. Astes des Trigeminus, in welch’ letzterem Ganglion vaso- motorische Fasern vom Carotisgeflecht (N. petrosus profundus major) ver- laufen. | Dann besteht durch die Chorda tympani eine Verbindung zwischen dem Facialis und dem Ganglion oticum vom III. Ast des Trigeminus, welches vasomotorische Fasern vom Sympathicusgeflecht der Art. meningea media erhält. Schliesslich ist noch zu berücksichtigen, dass die Endfasern des Facialis mit denen des Trigeminus, welcher ja mehrfach mit dem Sympathicus zusammenhängt, sich vereinigen, und auf diese Weise können auch noch vasomotorische Fasern in den Faeialis gelangen. Vielleicht ist aber ausser dieser Erklärung noch folgende Deutung statthaft: Die Muskeln der operirten Seite sind gelähmt, contrahiren sich also nicht; in Folge dessen ist eine Contraction der Blutgefässe, wie sie durch die Muskeln, von denen sie umgeben werden, bedingt wird, aus- geschlossen. Es kann daher permanent eine grössere Blutmenge zu der gelähmten Gesichtshälfte zufliessen und auf diese Weise eine stärkere Er- nährung der Haare stattfinden als auf der gesunden Seite, woraus ein bedeutenderes Wachsthum resultiren dürfte. Möglicher Weise ist aber dieser zweite Factor, den ich selbstverständ- lich mit aller Reserve nur als ganz hypothetisch hinstellen will, in Ver- bindung mit der ersten Annahme geeignet, das stärkere Wachsthum der Spürhaare nach Facialisresection zu erklären. Es ist mir eine angenehme Pflicht, dem Curatorium der Gräfin Bose- Stiftung für das mir zu den ausgeführten Untersuchungen bewilligte Stipen- dium meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 442 EDMUND SAALFELD: BEWEGUNG UND INNERVATION DER HAARE. Erklärung der Abbildungen. (Taf. XV.) ‘Sinushaare von: Fig. 1 weisse Maus, 2 Eichhorn, 3 Kaninchen, Fig. 4 Katze, 5 Löwe. Vergrösserung 15:1. = Epidermis. h = Haar. m = Quergestreifter Musculus arrector pili. s = Blutsinus. m, (Fig. 4) = Quergestreifter Musculus arrector pili bei starker Vergrösserung “(Leitz Oecul. I. Obj. VI). ® ) Zur Kritik des Miescher’schen Hämometers. Von Dr. rer. nat. et med. Franz Müller. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Das durch Miescher verbesserte Fleischl’sche Hämometer ist von Veillon! unter der Leitung Miescher’s einer sehr eingehenden Prüfung unterzogen worden, aus der mit Sicherheit die grossen Vorzüge des neuen vor dem alten Instrument hervorgehen. Man könnte demnach meinen, dass eine erneute Prüfung der mit diesem Instrument erhaltenen Resultate überflüssig ist. Nun stimmen aber die Ansichten über den Werth des Apparates trotz dieser Empfehlung durch Veillon durchaus nicht alle überein. Abgesehen davon, dass das Instrument, obwohl gerade für die klinische Blutuntersuchung bestimmt, verhältnissmässig wenig in der Klinik Anwendung findet, hat A. Loewy? vor einigen Jahren einige Zweifel an seiner Exactheit geäussert, während Wolff®, der unter Hans Meyer’s Leitung arbeitete, und Magnus‘ sehr befriedigende Resultate mit ihm erzielten. Da alle neu angefertigten Keile nach dem einen von Miescher geaichten Keil hergestellt werden, ohne dass von Zeit zu Zeit eine neue Aichung etwa mittels Spectrophotometers vorgenommen wird, so war der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass bisweilen ein In- strument weniger genau hergestellt wird. Nun war aber eine exacte Be- stimmungsmethode des Hämoglobins die nothwendige Grundlage für Ver- suche, welche sich mit der Frage nach der Wirkung des Eisens bei ex- perimentell erzeugter Anämie beschäftigten’, und ich sah mich daher ! Miescher’s Ges. Abhandl. Leipzig 1897. S. 423. ? Centralblatt für die med. Wissensch. 1898. Nr. 29. 8. 497. 3% Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXVI. * Ueber Diurese. II. Habslitationsschrift. Heidelberg 1900. 8. 39. 5 Virchow’s Archiv. 1901. Bd. CLXIV. S. 436. 444 FRANZ MÜLLER: senöthigt, eine erneute genaue Prüfung des Miescher’schen Hämometers vorzunehmen, deren Ergebniss, wie ich glaube, auch für weitere Kreise nicht ohne Interesse sein dürfte. Um eine ganz kurze Beschreibung des Instrumentes vorauszuschicken, so stellt dasselbe, wie gesagt, ein verbessertes Fleischl’sches Hämometer dar, das mit einer Zählpipette combinirt ist. Diese enthält grosse Ring- marken, welche einer Blutverdünnung von 1:200, 1:300 und 1:400 entsprechen, sowie kleinere Hülfsstriche neben den grösseren Theilstrichen, die eine genauere Ablesung und bequemere Abmessung gestatten, als bei der Thoma-Zeiss’chen Zählpipette der Fall ist. Die Gesichtsfelder des Apparates sind kleiner als die des Fleischl’schen Instrumentes, und die Graduirung des Keils ist nicht wie bei diesem eine willkürliche, wobei ein beliebiges, als normal angesehenes Blut = 100 gesetzt wird, sondern durch Vergleich mit einer Hämoglobinlösung bekannten Gehaltes bewerk- stelligt. Bei der Handhabung des Instrumentes sind nun zunächst die von Veillon angegebenen Vorschriften genau zu beachten. Was die Licht- quelle betrifft, so schreibt er eine Petroleumlampe oder einen Argand- brenner vor und empfiehlt, des Nachts oder in einer Dunkelkammer zu arbeiten, wobei die Augen durch einen Pappschirm vor den Lichtstrahlen zu schützen sind. In der Tabelle I habe ich die bei verschiedener Licht- qualität und -Intensität erhaltenen Werthe mehrerer Untersuchungen zu- sammengestellt. Die Untersuchungen wurden mit dem auch von Loewy benutzten Instrument vorgenommen, welches auch diesmal Hr. Geheimrath Hermann Munk auf’s Bereitwilligste zur Verfügung stellte, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank aussprechen möchte. Aus der Tabelle geht hervor, dass ich bei der Benutzung eines Argand- brenners oder auch einer elektrischen Mattbirne in etwa !/,® Entfernung von dem Reflector brauchbare Resultate erhielt. Bei zu heller, zu schwacher oder ungleichmässiger Beleuchtung differirten die Ablesungen stärker, wohl in Folge leichterer Ermüdung des Auges. (Ein Schwalbenschwanzbrenner, wie Loewy ihn benutzte, ist wegen des Gehaltes an blauen Strahlen und wegen des unregelmässigen Lichtes unzweckmässig.) Sehr wesentlich ist es für mich, dass das Auge durch den Pappschirm gegen Seitenlicht geschützt wird, und dass das Zimmer vollkommen verdunkelt ist. Was mich wenigstens betrifft, so erhöhte jeder Lichtschein die Ablesungsfehler. Es ist rathsam, um vergleichbare Werthe zu erhalten, immer die gleiche Lichtquelle in möglichst gleicher Stärke zu benutzen. Was zweitens den Einfluss verschiedener Schichtdicke oder verschiedener Verdünnung bei wiederholter Untersuchung derselben Blutlösung betrifft, so constatirte Loewy, dass die gefundenen Werthe um ZUR KRITIK DES MIESCHER’SCHEN HÄMOMETERS. 445 U) so niedriger werden, je weniger Hämoglobin sich in der Kammer des Apparates befindet, also wenn z. B. die niedrigere der beiden zum Apparat gehörigen Kammern (12 Höhe) zur Untersuchung benutzt wurde. Ablesung in der Kammer Der letzte Werth Blutart von Höhe ‚ multiplieirt 15 mm 12 mm | mit >/, Pferdeblut 53-6 41-6 52-0 31-8 26-8 33*+5 Katzenblut 56-5 43.2 54-0 52-2 42-9 51-1 57-75 39-75 49-7 56-0 | 39:65 ....49.6 a | 85-8 29.2 36-5 32-9 27-1 33-9 34:65 23-6 29-5 37:35 23-8 29-75 Kaninchenblut 64-3 48-6 60-75 60-5 49-4 61:75 60-65 46-7 55.4 Pferdeblut | 75-7 48-2 60-25 | 73-9 51-7 64-6 Pferdehämoglobin | 34-15 25-4 31°75 731 55-05 66-3 Die angeführten Zahlen, deren jede das Mittel aus 10 Ablesungen darstellt, zeigen, entsprechend dem Resultat von Loewy, dass unter 17 Bestimmungen der Werth der ‚niedrigen Kammer nur 4 Mal höher, 13 Mal dagegen niedriger war als der der höheren, und diese Beobachtung konnte bei meinen zahlreichen Bestimmungen oft bestätigt werden. Was nun weiter die auf wechselnder Leistungsfähigkeit des Auges beruhenden Fehler dieser Methode betrifft, die ja in erster Linie von der Güte des untersuchenden Auges beeinflusst wird, so wurden zum Vergleich drei verschiedene Keile benutzt und immer bei der gleichen Lichtintensität im Dunkelzimmer gearbeitet. Eine Zusammenstellung der mittleren Fehler aller auf diese Art von mir erhaltenen Ablesungen (Tabelle Il) ergab (für das Mittel von je 10 Ablesungen) bei dem in Heidelberg benutzten Keil, der zu dem im Pharmakologischen Institut daselbst befindlichen Instrument gehört, für 25 x 10 Ablesungen einen procentischen mittleren Fehler von 0.35 .Procent, bei dem Keil des Instrumentes von Hrn. Geheimrath Munk für 29 x 10 Ablesungen 0.49 Procent und bei einem neuen Keil, den mir 446 FRANZ MÜLLER: die Firma C, Reichert in Wien auf das Bereitwilligste zur Verfügung stellte, für 52 x 10 Ablesungen 0-455 Procent. Dieses Resultat stimmt ziemlich genau mit der Fehlerbestimmung von Veillon überein. Ich will nicht vergessen, dazu zu bemerken, dass das zur Untersuchung gelangte Blut bezw. krystallisirte Hämoglobin stets frei von Methämoglobin war, wie die mittels des Hüfner’schen Spectrophotometers vorgenommene Bestim- mung der Extinctionscoöficienten ergab, die in Tabelle III angeführt ist. Das von Hüfner definirte Absorptionsverhältniss &,:e sank nie erheblich unter den von ihm für das betreffende Blut. verlangten Werth. Um die Güte des Keils in verschiedenen Regionen, sowie die Richtig- keit seiner Graduirung zu prüfen, war es nothwendig, verschiedene Ver- dünnungen derselben Blutart herzustellen und aus den bei der Bestimmung erhaltenen Hämoglobinwerthen die ursprüngliche Concentration zu berechnen. in Tabelle IV sind die aus der Verdünnung berechneten und die mittels des Hämometers gefundenen Concentrationswerthe verglichen und aus dem Quadrat der Abweichung vom Mittel die mittleren und wahrscheinlichen Fehler des Resultates berechnet. Um für die verschiedenen Blutarten und Verdünnungen vergleichbare Werthe zu erhalten, wurden diese Fehler dann noch alle auf eine Lösung mittlerer Concentration bezogen, die in 1 Liter Flüssigkeit 1000 € — 1 s’® Hämoglobin enthält. Es zeigt sich, wenn man das Mittel aus den auf diese Weise gefundenen Werthen der Colonne 10 der Tabelle IV berechnet, ein mittlerer Fehler von 3-5 Procent und ein wahrscheinlicher Fehler von 2-4 Procent im Maximum, während Veillon 2.34 und 1.57 Procent fand. Man kann wohl in Uebereinstimmung mit ihm diesen Fehler als sehr geringfügig bezeichnen, „wenn man bedenkt, dass er sowohl auf die Beobachtung selbst als auch auf etwaige ungleich- mässige, nicht homogene Färbung des Glaskeils zu beziehen ist“. Nachdem somit die bei relativen Hämoglobinbestimmungen sich er- gebenden Fehler bestimmt waren, blieb es noch übrig, eine Calibrirung des Instrumentes vorzunehmen. Dieselbe kann entweder indirect bewerkstelligt werden, indem man die Werthe des Hämometers mit den durch spectro- photometrische Bestimmung erhaltenen vergleicht, oder direct, indem man in einer zu bestimmenden Lösung aus reinem, krystallisirttem Hämoglobin den Trockensubstanzgehalt feststellt. Im Grunde kommen beide Bestim- mungen auf das Gleiche heraus, da die Aichung des Spectrophotometers von Hüfner in der Weise vorgenommen wird, dass er in einer Stamm- lösung ebenfalls den Gehalt an Hämoglobin durch Trockensubstanzbestim- mung feststellt und darnach die Werthe für sein Instrument ermittelt. Bei näherer Betrachtung der Methoden, die von verschiedenen Autoren zur Feststellung der Concentration einer Hämoglobinlösung angewendet worden sind, ergaben sich nun leider sehr grosse Differenzen. Während ZUR KRITIK DES MIESCHER’SCHEN HÄMOMETERS. 447 Hoppe-Seyler! eine Temperatur von 110° anwandte und 3 bis 4 Procent als Krystallwasserverlust für mit der Luftpumpe getrocknetes Hundehämo- globin angiebt, berechnet v. Noorden? unter Hüfner’s Leitung die Concentration vermittelst einer ziemlich complicirten Formel, zu deren Lösung er das Hämoglobin zunächst ohne Pumpe in der Kälte über Schwefelsäure, sodann bei 100° trocknete. In Bunge’s Laboratorium wird, wie es scheint, das Hämoglobin bei 120° bis zur Gewichtsconstanz ge- trocknet, während Veillon® die Hämoglobinlösung zunächst 5 Tage bei 60° stehen liess und dann 5 Tage im Luftbad bis zur Gewichtsconstanz (bei welcher Temperatur ist nicht angegeben) trocknete. Es geht daraus hervor, dass der dem Spectrophotometer zu Grunde liegende Werth nicht so ohne Weiteres auf die Werthe der Hämometerscala übertragen werden darf. Ich selbst habe zwei Mal versucht, unter Zugrundelesung des Werthes von Hüfner mit meinen Extinctionscoöfficienten die Concen- tration der mit dem Hämometer untersuchten Lösung zu berechnen, habe aber, wie aus Colonne 8 der Tabelle III hervorgeht, in den beiden Fällen viel zu niedrige Werthe erhalten. Das ist, abgesehen von dem erwähnten Grunde, auch deshalb nicht wunderbar, weil Hüfner selbst an- giebt, dass das Absorptionsverhältniss für verschiedene Spectrophotometer nicht genau gleich ist. Durch äussere Umstände war ich leider bisher verhindert, für unser Instrument den Werth A, zu bestimmen, will es aber im nächsten Winter nachholen. Nun bietet allerdings ein von Hans Meyer angestellter Vergleich seines Hämometers mit dem Krüss’schen Spectralapparat einen gewissen Anhaltspunkt für die Fehler der Calibrirung. Wenn ich aus seinen zehn Bestimmungen, welche Magnus abdruckt*, das Mittel nehme, und den mittleren und wahrscheinlichen Fehler berechne, so ergiebt sich ein mitt- lerer Fehler von 2-9 Procent und ein wahrscheinlicher Fehler von 2.0 Pro- cent. Also auch diese Abweichung der absoluten Hämoglobinwerthe ist keine sehr erhebliche. Ich selbst versuchte noch auf directem Wege durch Bestimmung der Trockensubstanz eine Aichung meiner Instrumente zu er- zielen. Wie die in Colonne 7 der Tabelle III enthaltenen Werthe zeigen, war die Concentration, wenn die Trocknung bei gewöhnlicher Temperatur im Vacuum vorgenommen war, immer bedeutend höher, als sich durch das Hämometer ergab. Bei Trocknung bei 50 bis 55° nähern sich die Werthe, aber erst bei Erhitzung auf 100° stimmen sie in dem einen untersuchten Falle bei zwei Doppelbestimmungen fast genau überein. So- 1 Med.-chem. Untersuchungen. 1868. 3. Heft. 8. 370. ? Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd.1. S. 389; Bd. III. S.3; Bd. IV. ® A.a.0. 8. 450. a0 78.39: 448 FRANZ MÜLLER: lange wir aber, wie gesagt, noch im Unklaren sind, ob das Hämoglobin Krystallwasser enthält bezw. ob die verschiedenen Hämoglobine einen ver- schiedenen Krystallwassergehalt haben, kann von einer exacten Aichung eines Hämoglobinbestimmungsapparates nicht gesprochen werden. Nur bei genauer Befolgung der Hüfner’schen Vorschriften bei der Trockensubstanz- bestimmung wird man diese Exactheit bis zu einem bestimmten Punkte er- reichen können. Es wird meine Aufgabe sein, diese Frage weiter zu verfolgen. Fasse ich das Ergebniss meiner Kritik des Miescher’schen Instru- mentes zusammen, so kann ich in fast allen Punkten mit dem günstigen Ur- theil übereinstimmen, das von Veillon über dasselbe gefällt worden ist. Bei Beobachtung der von ihm angegebenen Maassnahmen (Dunkelzimmer, bestimmte Beleuchtungsquelle, gleiche Lichtintensität) ist sowohl der per- ‚sönliche als auch der durch ungleichmässige Herstellung des Keils bedingte Fehler der Ablesung recht gering. Das Instrument ist also für relative Hämoglobinbestimmungen, wie sie in der Klinik ja ausschliesslich vor- ‚genommen werden, sehr gut verwendbar und dem v. Fleischl’schen In- strument unbedingt vorzuziehen. Auch für absolute Hämoglobinbestim- mungen ist es gut brauchbar, doch muss eine genaue Aichung vorbehalten bleiben, auf Grund deren eine etwa vorzunehmende Correctur der dem In- strument beigegebenen Tabelle bewerkstellist werden kann. 449 De CHER’SCHEN HÄMOMETER S ZUR KRITIK DES Mike: “Hua M UOUONEID TOuLWey uApaIu Top uw Sunmmmsog op sme orp uomopoq uoIgezZ USNIOWMELNOFU OL ‘JyarT SoneIq [DIA AeyJu9 ‘Puopnwiae YIO9e]A z "Puopnuno “ToBMyds nz Sunggonofpag | 6-19% GL-4G8G L-69 08 Il & 001 :%8 Sunsofurgofs “s Gal-ECd | CBT-ECZ <6-28 08 11 TOuuHIgpuwSLy 00T :T | -omeyapiagd | "I IA 9-607 0-12 9.78 08 = OMTggge OoIH & | z 9-L1r »7-815 8-98 08 Bi AHUUHLIPUTSIY 08T :T ‘g (9-967) (9-79) 6.894 6-81 08 ZeRE Sue HIOIH 2 1ugoy Au ‘< (G18-297) e (83-09) uoqaepoe[ GL. 18g L+GL 08 01 AAUU9MTAPURSLY 001: 1 ‘ynpq9paoJa N 88:716 29:68 sr FE , TJUU9IAGZUBMUISUIYTEAUIS GC ‘5 86-886 g31-19 sr 7 Sue NOTH & uoqepyoe] Kö 7.096 64:69 8 ja: A9UUHLIPURSAY 003 :T ‘ynıquoyourueyy | IT "AI 6-ELL GG-88 GG II = en 7 0-9GL 8-58 GG GG z ” 13 | G-69L 7.88 108 G-G = 5 “s 9-188 G1-.98 09 II 19UUHTgpUBS.Ly 008 : I "13sop ‘I II L-T18 81.36 cz 11 x 3 .7 38-038 31-88 ° gg 2 5 g: F-F6L g9-1G 06 e® e 3 JITULIIOP X GL-828 93-09 08 11 Wouuergpuräuy 00:7, “yuıquozyey | TI L-OPL 6-99% g9.88 08 11 % s:1 zomoy gu 23 0-318 0-90# 8.36 08 II £ 1:1 uoqiejypr] "3 gG-1r8 G-178 F-18 08 11 19uusrgpuwaıy 0 “nıqopıoJd HIST 1105 0007 o1d er == Bee Sue. 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FRANZ MÜLLER 45 95.0 660 06-0 91-0 11-0 + qq -[UTIyOSIgB M 76-0 1-0 I5°0 66°0 85:0 | 91.0 F aogad AOXOTIATTL [PN 2600 151-0 851-0 860-0 161-0 911-0 101-0 F aoyog [ULDyISIge M &5r1°0 881-0 081-0 1881-0 c8l.0 sLl-0 6F1-0 F og 19191491 84-46 6.66 Sunsafqy S[IOy sop uouordoy olp .ıny sSOqgIoM[agJI SOp 'DoAd UL (eyorıysptoq,n OT Pl) so] sap wouoLZoy ALp any TOMTOM 780.0 Gsl-0 L-#l 8-#% 811-0 89T-O H-07 9.05 860-0 LEL-O 0-L1 0-12 881-0 861-0 9-48 7:08 LP1-0 915.0 9:09 6:08 | 611-0 991-0 6-98 9:78 | GIl-O OL1-0 1:93 1°28 | Saetı) 033-0 9.g# 6-38 601-0 391-0 1-82 P-BE 160-0 G81-0 r-91 6-FE 881-0 L61°0 1-18 L-88 g0L-0 991-0 6-18 7-65 160-0 191-0 s’Ll L-I9 760-0 0r1+0 gI-LT 8-87 861.0 865.0 r-LL I-#r 951-0 LS1-O 9.18 8:C# 980-0 LSL-0 gepL &:76 101-0 081-0 8:08 9.06 311-0 191-0 0:2 0:09 881-0 503-0 GE 0-19 crl-O 112-0 6-68 1:29 160.0 GEl-0 7-91 1.89 811-0 FL1-0 Lo 1-82 11-0 OL1-O 0-98 0:9 = 101-0 6r1-0 1:08 3-66 | BSreqlopof £ 10y9A UOSUungdTa Mm | uosunse] Toyo] FE | -qyzp | -qyor ef | SON Sap SE ACACJRUNG YBIpend) AOp SmU Sunuwt9z9 SZUISUOSZUEN Bar Smmng | UMOMTOIHT DS "sıI 9TL2qaeıL 451 ZUR KRITIK DES MIESCHER’SCHEN HÄMOMETERS. 308*0 ggH-0 : [o99IINL 09-0 gL-0 81-0 61-0 9:75 | TE-0 F61-0 6°88 9-63 | ( 001-0 6F1-0 0-08 g-18 | grl-0 218-0 2003 9-8 | 280-0 331-0 #81 6-18 38-0 mo 91-0 LH*£E t2120 v38-0 0.88 8-28 | c80-0 921-0 FH 1-88 | I 910-0 330-0 237 6-FE | | 021-0 397-0 T-LE 8-08 | 920-0 EIT-O 9-11 g8-98 | | 660-0 LF1-O #61 1-3# | 001-0 091-0 1-23 &-0F | \ 681-0 361-0 1-88 G-0h | | 891-0 - 083-0 1-99 3-8# ! 960-0 OFL-O L+L1 9-.E# | \ 081-0 F61-0 9-88 g-Er G3-0 ge | 11-0 91-0 99-4 I #810 &13-0 6-99 6-#r ' 181-0 081-0 1-68 6-FF | 010.0 STO-O L-F 8-9F 001-0 1ST-0 039-083 G8-9F | g51-0 981-0 6-18 6-1 | 030-0 080-0 1-8 e-1# 1ET-0 691-0 25 3-87 6971-0 093-0 G7-9g 3-58 | 130-0 180-0 6-8 9.29 | 801-0 0971-0 1-88 lag | #1-0 73-0 80-0 81-0 #90-94 180-0 #10 96-51 7.88 on 810-0 L30-0 9-9 1-98 MEN-U0B 880-0 081-0 GSl-CL GG-8G uoA 660-0 8F1-0 9-61 8-64 [oy TOV ‚a S9IT248ı 2 8.86 G.69 0-06 Zunsajqy r88-0 G6r-0 8LT-0 795-0 183-0 str-0 81-0 013-0 & Ei : = S 978-0 14-0 195-0 068-0 z - — Fr 'n GgT-0 83-0 0F1-0 808-0 +. 10994 T 07494 F aoog | F omg "MOTSIUEM | AAO | TUIOgoSsIyeM | AOLOTYJL SIIIy sOp uU9UoLSoy Ip my (aydrıgspoq,L OT AM) SONJTOM[ONIM SPp "Doag uf ||s[rOy} sap uouoLSay PIp any yLOMToygLm = EEE ers (Im) = IPy] 1onoN LLT-O 8.10 6.98 860-0 Gr1-0 0-61 LGT-O 8860 6-87 80.0 61-0 r-&l 880.0 181-0 r-Gl 210-0 SI1-0 6-11 910-0 711-0 9-71 131-0 681.0 G1-88 681-0 G86-0 6-67 0PL-0 1060 9-88 960.0 srL-O 1-SI 860.0 G11-0 6-11 sTL-0 940-1 6-86 r71-0 F8T-0 G-08 051-0 811.0 7.86 121-0 845-0 88-14 a 2620) 8s0T-L G-601 851.0 881-0 45-08 891-0 136 °0 7-97 851.0 881-0 0-08 GrL-0 915-0 l-cr gL1-0 1480 9.68 841-0 G89-0 G9-6# 780-0 Gsl-0O I-HI uasunydram + To]gad -qy 19p -UrOYDSIyE 1919991 U ve -qv OL ol YMOMTOYM sployy SOp Sunuydrezag OTTO SOET, 459 /uR KRITIK DES MIESCHER’SCHEN HÄMOMETERS. GEE-O 365-0 | SRH LLH+0 60L-0 981-0 | | 28-0 887-0 081-0 66H 0 609.0 | 66L-O 606°0 811-0 rL6-0 4-85 | 77-98 | sLl-O 191-0 981-0 8IT-0 711-0 GlT-0O 180-0 II1-O ee a) 181-0 981-0 sIl-O 660-0 881-0 191-0 3L1-0 8CL-0 960-0 SFL-O 07-0 g01T-0 003-0 8OL-O 831-0 OTL-O OTL-O 081-0 169-0 91-0 686.0 108-0 SLT-O 691-0 OL1-0 180-0 F91-0 183-0 982-0 303-0 L9T-0 LET-O 708-0 872-0 945-0 sIo-L srL-0 915-0 677-0 811-0 966-0 091-0 161.0 791-0 891-0 195-0 G50- 1 8:86 L-8& G-08 8-08 8-78 1-98 6.98 8:98 8:98 9-18 1-88 9.88 7.68 1-68 8:68 6-07 1-19 1-87 6-77 0-69 G-67 0-L7 0-67 6-64 1-67 0-08 0-08 6-08 FRANZ MÜLLER 454 "LLTT TOUJAH uoA yIoM ww *JU9LOR09 SSUONDUNXT 9 sne "Suyoe1og (00 ‘IX '08) 699-1 (00 "IX '68) 3 Ill 8 3 91I=-, g Ile ner 3 SLI=T, uPFUunyLowag sl-Frrvl 68°99ET 03-61P 1 89-4881 G.co8l G3-99P1 00-8Fr6l 08-1651 93-IrPl 09-F8Hl 8-GSL1 G-8781 L-3881 GL-GELl 9T-9LL1 GG-Pr8l G: 1961 r7-5L91 61-8691 8-F081 G-LLLL G-5861 7.6861 05-1961 69:6108 G-O181 79608 66-1261 0.8681 ygaam "MM _ Sunset -[sunadsın | Puyd919q 78-6887 8E-9p8 28-108 GZ1-E8L 9-67 C6-338 37-087 C3- SL S1-CHE 8-099 99-139 GI-LrE vo-Frr G8-F19 &-Z18 1-8Ir #0-99° 8-008 g.9C8 G1-803 88- LIE 72-368 8.069 70-398 GLr-C19 uapunJ9d wo 0007 Od Zw ur qH 6-98 8-09 18-09 G8-66 8F-ZE 66-17 09.39 96-96 31-17 | GL-W 6I-0C | 9.04 39-2. | 1-8 ro | 0-0 18-84 | 29€ 18-18 | 1-82 31-68 | 08-0 31-98 | 01-28 98-FL | 0L-2L G-8E | 68-68 GLB-8F | GL-EH 0-88 Fe6 18-3b | G8-68 99-67 | 06-76 18-16 | 06-28 9-97 | 2-8# 18-98 | CC-68 ge« 14 9-06 ww Gl wu aa, uodunse] -4V 08 :#peoS | oe... .. .. 0000 00 00 80 00 «. .. nel eur 0er ee sulkinelllee «di oma oo vr a ad Tan Hm aan A [os .. .. .. .. .o A „er [dr dry dd red rer re red a rm md rn Mm een ee ee ja x Sunuunp -IO A | | | | | | joy aonau 1oy Ioyje 00 IX 08 06 „Yarqrapuny] 14 A0S19q[PPpI9H [oO] A109 0067 "IX ss Aqopury joy ıonau ey] aoyıe 0061 "IX '33 MIqLpury joy] onou [O7] 109% 0067 "IX ET Paquoyouruey Toy aoyye 0061 IX Fa uIquoyanyest yıeInıq II PT1I9d4eL 455 ZUR KRITIK DES MIESCHER’SCHEN HÄMOMETERS. "uadunsofqy OF Sne [EI ı .. 89-06#L »8-96F \ 61-19 | 01-89 SuoaunzH 7 sn® "Zugpeiag 00-4F21 0.698 \ 00-28 | 08-88 | 8-6808 8.878 02-05 | 9-CH | 01:3 | | uns| 0-FL18 8-FEH | 21:96 | 6-99 | 21:E€ [oy 1onau | | 3:691% 8.296 | o2-1L | #69 6:8 0-ES72 00° RA | 96861 6-088 IE. 1-ar | 01:2 1194 10918 @1-9817 sn 9.0808 1-C0F | Lg | 9-24 | Bl:E 10 'IL'8Z 00 109an puronep "duo, Tuyomes tag 88908 G-LIG “9 | 8-19 | 6:8 oypegsÄay-gH-MIgPPp-A2JA 2-71 (A 8- 88H 1 9.619 | 09-289 | 07-293 | 9:37 '9-9FFT (® 91T 109 un) GL-96F1 L-868 | e31-6L. | ec. | €:z | 1oy onou 0-038r (a | G-C6#I CL-LEL I: a2-86 | 8-06 | T:1 136-1 yoTeal Se ra | g-FLEl 1-8CF | 418-68 | ce-6C #7 = 1061 'T'6T Hayoq ee sc @ Del Ga. 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Geh.-Rath H. Munk == Bel = 21-4 Neuer Keil um 16-65 a3 1hlorp Ein Beitrag zur Methodik der Bestimmung der Gesammtblutmenge. Von Dr. rer. nat. et med. Franz Müller. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Bei der Bestimmung des Gesammthämoglobins von anämisch gemachten Hunden, an denen die Wirkung der Eisenmedication studirt wurde!, fiel es mir auf, dass trotz extremer Durchspülung der Versuchsthiere (zuerst vom Venensystem, dann vom Arteriensystem aus) weder die Unterleibs- organe und -Muskeln, noch das Knochenmark vollkommen blutfrei gemacht werden konnten, sondern dass stets ein mehr oder weniger grosser Antheil des Gesammthämoglobins im Körper zurückblieb. Mit Rücksicht darauf, dass wir über die Vertheilung des Hämoglobins in den verschiedenen Organ- systemen noch nichts wissen, und dass bei den in neuerer Zeit vorgenom- menen Bestimmungen der Gesammtblutmenge auf den im Knochenmark zurückbleibenden Antheil überhaupt nicht Rücksicht genommen wurde, während andererseits bei den älteren Bestimmungen zwar das ganze Thier zerhackt und extrahirt, aber die Bestimmung des Hämoglobins in der Extractflüssigkeit nicht mit der Genauigkeit durchgeführt wurde, die wir heute mit neueren Methoden erreichen, erscheint es wohl verständlich, dass im Folgenden der Versuch gemacht werden soll, die in der genannten Arbeit enthaltenen, für das Gesammthämoglobin gefundenen Zahlen für eine Bestimmung der Gesammtblutmenge der Thiere zu verwerthen. Um zuvor mit einigen Worten auf die alte Welcker’sche Methode ein- zugehen, so gestaltet sie sich in ihrer mehrfach verbesserten Form schliess- ! Virchow’s Archiv. 1901. Bd. CLXIV. S. 134; vgl. dort die genaue Be- schreibung der Durchspülung. 460 FRANZ MÜLLER: i lich so, dass das Thier, nachdem ihm eine Blutprobe entzogen ist, verblutet und mit physiologischer Kochsalzlösung durchspült wird, worauf man den Körper, mit Ausnahme der Gallenblase, zerhackt und mit Wasser extrahirt. Das Hämoglobin wurde dann von den jüngeren Autoren nach der spectro- colorimetrischen Methode von Preyer bestimmt. Nachdem neuere Ver- suche gezeigt hatten, dass man bei der unvermeidlich ziemlich lange dauernden Extraetion immer Gefahr läuft, dass sich das Hämoglobin zer- setzt, ging man dazu über, die Organe des Thieres zu zerhacken und aus- zupressen. Dabei entstand nun die Frage, ob nicht etwa fremde, färbende Substanzen aus den Organen mit in den Extract hineinkommen und die Hämoglobinbestimmung beeinträchtigen. Während man ja bezüglich der Eigenfarbstoffe der Iieber oder der Niere nicht im Zweifel sein kann, dass sie bei der Auspressung nicht in den Extract gelangen dürfen, hat man schon vor langer Zeit die Frage discutirt, ob wohl der Farbstoff der Mus- keln dem Blutfarbstoff zugerechnet werden dürfe. Kühne! kam bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen zu dem Resultate, dass man im rothen Muskel nach vollkommener Entfernung des Blutfarbstoffes den Hämoglobin- streifen immer noch deutlich nachweisen kann, und dass der Muskelfarb- stoff alle Reactionen des Blutiarbstoffes giebt. So weit mir bekannt, ist diese Anschauung von keiner Seite auf Grund neuerer Untersuchungen widerlegt worden. Es lässt sich nun darüber streiten, ob man den aus den Muskeln ausgepressten, den O,Hb-Streifen gebenden Farbstoff für die Bestimmung der Gesammtblutmenge mit als Hämoglobin in Rechnung setzen darf, oder ob man mit Suter und Jacquet? Gewicht darauf legt, dass möglichst wenig Farbstoff aus den rothen Muskeln in den zur Be- stimmung des Gesammthämoglobins hergestellten Presssaft übergehe. Wie mir scheint, wird man ihn bei der Bestimmung des Gesammthämoglobins jedenfalls nicht vernachlässigen können; bei Berechnung der Gesammtblut- menge kann man, wie gesagt, anderer Ansicht sein. Ich selbst habe vorerst einmal alles das, was im Extract oder Presssaft den O,Hb-Streifen giebt, als Bluthämoglobin angesehen und dementsprechend in Rechnung gestellt, da ich einstweilen keine Technik kenne, die im Stande ist, die geringen im Muskel selbst enthaltenen Hämoglobinmengen auszuschalten, ohne gleichzeitig viel grössere Mengen von dem Blute selbst angehörenden Blutfarbstoff der Bestimmung zu entziehen. Um nun die in der grösseren Arbeit erhaltenen Werthe? kurz zu- ' Teber den Farbstoff der Muskeln. Archiv für Anat. u. Physiologie. 1865. Bd. XXXIII. S. 79. ” Miescher’s Ges. Abhandlungen. 8.533. A220. BEITRAG ZUR METHODIK D. BESTIMMUNG D. GESAMMTBLUTMENGE. 461 sammenzufassen, so schwankte die Menge des in den Organen und Muskeln nach der Durchspülung zurückbleibenden Hämoglobins zwischen 8 bis 16 Procent der Gesammthämoglobinmenge. Der grosse Unterschied ist wohl hauptsächlich bedingt durch die mehr oder minder gut durchgeführte Durchspülung. Aus dem Knochenmark konnten nach der Durchspülung noch zwischen 8 und 13 Procent des Gesammthämoglobins gewonnen werden. Diese Menge ist aber, im Gegensatz zu dem in den Organen bleibenden Rest nicht in erster Linie von der Güte der Durchspülung ab- hängig, da gerade bei geringem Hämoglobingehalt des Extractes der anderen Organe hohe Hämoglobinwerthe im Mark gefunden wurden, sondern haupt- sächlich bedingt durch die morphologische Structur und den Blutreichthum des betreffenden Knochenmarks. Von wie grosser Bedeutung in gewissen Fällen eine Berücksichtigung des im Knochenmark enthaltenen Hämoglobins sein kann, geht noch schlagender als aus den genannten Versuchen aus der folgenden Tabelle hervor, in der über einen an Staupe erkrankten Hund berichtet werden soll, bei dem die Durchspülung in der a. a. 0. aus- führlich angeführten Art vorgenommen wurde. Tabelle 1. . Ge- Zahl der Bezeichnung ; Hb- | zothen N andes Datum wicht Futter Bemerkungen Gehalt| Blut- RS grm körper Graugelb |15.VIIIl.99 — — Tag der Geburt — Versuch Nr. 4 | 26. IX. „ 1600 | Milch, 250: = ls | RO > 300 ,, 10:94 14104000 SEX 2370 5 : | 10 EN) En 15:63 DO 9AO » 500 „ | Matt, säuft schlecht | 13-40 DS 195 5 Schlundsonden- 14-88 fütterung andauernd RI = 40° m Blut entnommen) — One — I 8:44 TER u _ 1, alle _ Staupe, Rhinitis 5.0 Carotis Das Thier war vom 10. XI. ab krank, musste seine Milch ständig ver- mittelst Schlundsonde erhalten, nahm dementsprechend nieht an Gewicht zu. Von Anfang December ab entwickelten sich die deutlichen Symptome der Staupe: nasse Augen, kalte und nasse Nase. Später kam schleimige Secretion aus der Nase und eitrige Conjunctivitis, sowie Unsicherheit beim Stehen hinzu. 462 FRANZ MÜLLER: Ergebniss der Durchspülung. 1. Durchspülungsflüssigkeit: 3696 3”, Unverdünnt: Hb-Bestimmung: Theilstrich 64-4 = 536“® Hb im Liter. 2. Organextract: 3902 2", Davon a) 10°" auf 20° verdünnt, a IE N, 5) Hb-Bestimmung: a) Theilstrich 19.0 = 153-0"& Hb, b) » 30-2 = 251.6, „ Also in 1000 m der ursprünglichen Lösung: 309” Hb. 3. Knochenextract: 4348 8m, Davon 10 °® auf 12°” verdünnt. Hb-Bestimmung: Theilstrich 46-22 = 384-872 Hb im Liter. - Also in der ursprünglichen Lösung in 833.3 m = 384.87 "8 Hb. Zusammenstellung: Es fanden sich im Blut 1.9828m Hb, in Organen 1-206 „ „ in Knochen 2.008 „ „ Summa 5.1962 m Hb. Ges-Hb pro 1000°= | Vom Ges.-Hb fanden sich Proc. in Körpergewicht in grm | Blut | Organen Knochen | | 4-95 382 | 232 38-6 Aus diesen Zahlen geht hervor, dass von dem an sich sehr spärlichen Blutfarbstoff des hochgradig kachektischen Thieres ein sehr erheblicher Theil im Knochenmark steckte. Wenn auch die im Vergleich zu den anderen Versuchen weniger gut gelungene Durchspülung, die sich in dem relativ hohen Hämoglobingehalt des Organextractes ausdrückt, zur Erklärung des abnorm hohen Knochenmarkwerthes mit herangezogen werden muss, So genügt dies doch nicht zur vollkommenen Erklärung. Es scheint vielmehr sehr verständlich, dass das Knochenmark bei dem kranken Thiere selbst viel blutreicher war als in der Norm, denn wir wissen, dass bei Ka- chexieen der verschiedensten Art an Stelle von Fettmark, sogenanntes lymphoides, also bluthaltiges Mark in den langen Röhrenknochen gefunden wird. Die Vertheilung des Hämoglobins ändert sich demnach in diesen Fällen wohl in der Art, dass grosse Mengen von Blutfarbstoff im Knochen- mark angesammelt werden, und es wäre von grossem Interesse, die Hämo- globinvertheilung in Krankheiten zu untersuchen, im denen das Knochen- mark schon mikroskopisch einen erhöhten Blutreichthum aufweist, wie vor Allem bei der perniciösen Anämie. Es muss einer späteren Arbeit vor- behalten bleiben, diese Frage unter Berücksichtigung verschiedener Thier- BEITRAG ZUR METHODIK D. BESTIMMUNG D. GESAMMTBLUTMENGE. 463 krankheiten und event. bei nach dem Vorgange von Schauman und Tallqvist! zu erzeugender perniciöser Anämie weiter zu verfolgen. Auch für die Frage nach der Einwirkung des Hochgebirges auf die Blutbildung ist die Berücksichtigung der Hämoglobinvertheilung im Vergleich zur Norm nicht ohne Bedeutung. Gehen wir nunmehr zur eigentlichen Bestimmung der Gesammtblut- menge bei unseren Thieren über: Vor Beginn der Durchspülung wurde eine kleine Blutprobe aus der Carotis entnommen, in ihr der Hämoglobin- gehalt in Gramm pro 100 °® Blut vermittelst des Miescher’schen Hämo- meters bestimmt, und dann die Gesammthämoglobinbestimmung vor- genommen. Die in der folgenden Tabelle ausgeführte Berechnung zeigt die auf diese Weise für die Gesammtblutmenge der Thiere gewonnenen Werthe: Tabelle II 232% 00 ;\ Blutmenge | Gewicht 38>5 =Ie = = berechnet 2 22 Eos 4 gr des Nahrung Alter | 223% | 83, = Blut. aue10 " (Blusmenge Hundes | 535235 orper- Körpergew. i Bezsa O5 menge gewicht ern oO in cem |. 1. a b In ccm/ingrm | | | 2450 nur Milch | 5 Monate | 6-87 13-958 203-174 8-3 | 8-48 1:11-8 2346 Milch + Fe 5 | 8-96 115-918 | 177.65 | 7-6 | 777 | 1:12-9 3850 | gem. Futter » | 8-6 |31-186|362-68 | 9-4 |9-61 | 1:10-4 1313 Milch,krankes 4 Monate 5-0 5.196 1038-92 | 7.9 — — Thier | | | 5447 Milch etwa5Mon. 7-14 |27-86 | 390-335 | 7-2 | 7-36 | 1:18-6 6182-5 | Milch + Fe 5% 10-12 41-52 |410-292 | 6-6 6-74 | 1:14+8 Noch auf eine zweite Art wurde die Bestimmung der Gesammtblut- menge versucht: In einer vor Beginn der Durchspülung aus der Carotis entnommenen Blutprobe wurde von zwei Untersuchern gleichzeitig eine Hämoglobinbestimmung a und Zählung der rothen Blutkörper 5 vor- genommen. Darauf wurde eine genau abgemessene Menge physiologischer Kochsalzlösung in die V. jugularis einfliessen gelassen und sofort nach Beendigung des Einströmens eine zweite Probe des Carotisblutes zur Hämo- globinbestimmung «a, und Erythrocytenzählung 5, entnommen. Wäre die Voraussetzung richtig, dass die eingeflossene Lösung im Verlauf der wenigen Minuten unvermindert in der Blutbahn verbleibt, so könnte aus den ge- nannten Werthen die Blutmenge auf folgende Art berechnet werden: 1 Deutsche med. Wochenschrift. 1398. Nr. 20. 464 FRANZ MÜLLER: a) Nr. des Versuchs: 4 (siehe Tabelle V der grösseren Arbeit). Gewicht des Hundes 544789. Blutprobe aus Carotis für a und 5 um 10# 15”, 100 °® 0.9procent. Kochsalzlösung sind eingelaufen von 10% 41’ 30” bis 10% 47°. Um 10% 47’ Entnahme der zweiten Blutprobe a, und 5.. a = 7.14 Procent Hb, db = 5100000, a, = 5:22 ; " b, = 3 796.000. Aus a und a;: (1422, 9.2202 1100): A522 =u.1592;) 2) 202. Aus 5b und d.: 5100 x = 3796 (x + 100). 379600 m a1s0ay Baar z im Mittel: 281.5 m = 5.2m berechnet auf 100 2% Gewicht. b) Nr. des Versuchs: 4 (siehe Tabelle VI der grösseren Arbeit). Gewicht des Hundes 6182 8m, Dem Thier wird etwa eine Stunde zuvor eine kleine Menge Blut (32.575 am = 7.5 Procent der geschätzten Blutmenge) aus der Carotis ent- zogen, defibrinirt und die Gefrierpunktserniedrigung bestimmt, gleichzeitig Bestimmung a und 5 gemacht. Dann werden 98.6" Kochsalzlösung vom gleichen osmotischen Druck, wie das Blut, von 11% 0° 55” bis 11h 4° 52” einlaufen gelassen. Um 11" 5’ 52” Entnahme von Probe a, und b.. a = 10-12 Procent Hb, b := 17636 000, an Be b, = 6.640.000. Aus a und a;: = 868-8 pers EI NONNA 2.66.4000 7 T oem). a = 661°, Im Mittel: 637 a = 10.3 m berechnet auf 100 @% Gewicht. Während die in Tabelle II (s. vorige Seite) angeführten Werthe ziemlich senau mit den von anderen Autoren für die Gesammtblutmenge gefundenen Zahlen übereinstimmen, beweisen die nach der zweiten Methode gewonnenen Werthe durch ihre erhebliche Differenz diesen Zahlen gegenüber, und zwar nach verschiedener Richtung, dass die für die Versuchsanstellung gegebene Voraussetzung nicht stichhaltig sein kann. Es ist das auch nicht ver- BEITRAG ZUR METHODIK D. BESTIMMUNG D. GESAMMTBLUTMENGE. 465 wunderlich, da Magnus! bei seinen Diureseversuchen das Einsetzen der Diurese schon 4 Minuten nach Beginn des Einlaufs der physiologischen Kochsaizlösung constatirte und in den obigen beiden Versuchen der Ein- lauf 7 bezw. 4 Minuten dauerte, so dass also ein erheblicher Theil der Kochsalzlösung die Blutbahn schon verlassen hatte, als die zweite Blut- probe entnommen wurde. Wenn die Bestimmung der Gesammtblutmenge nach dieser Methode überhaupt gelingen kann, so wird man richtiger eine geringere Menge isotonischer Kochsalzlösung, die etwa nur !/,, der ge- schätzten Blutmenge entspricht, schnell einlaufen lassen und die Hämo- globinbestimmung sofort anzuschliessen haben. Bei der Bedeutung, welche die Auffindung einer derartigen auch beim Menschen anwendbaren Methode für die Erledigung verschiedener Fragen aus dem Gebiet der Pathologie haben würde, soll es die Aufgabe weiterer Arbeiten sein, ein für diese Zwecke brauchbares Verfahren ausfindig zu machen. Es erscheint, so weit ich es bis jetzt übersehen kann, wenig wahrscheinlich, durch intravenöse Injection von Körpern zum Ziel zu gelangen, die eine Zeit lang unver- mindert in der Circulation verbleiben, ohne selbst in Spuren in die Lymphe überzugehen. Wenn Ehrlich? es z. B. für möglich hielt, mit Hülfe von injieirtem Antitoxin die Gesammtblutmenge zu bestimmen, so haben Decroly und Ronsse kürzlich gezeigt, dass intravenös injieirtes Anti- toxin sehr schnell aus der Blutbahn verschwindet, und Ransom * konnte feststellen, in wie ausserordentlich kurzer Zeit nach der Injection das Tetanotoxin sich schon in der Lymphe vorfindet. Kürzlich hat Haldane’ mit Hülfe sehr einfacher Methoden zur Bestimmung der Sauerstoffmenge und des Kohlenoxydgehaltes im Blut in Weiterverfolgung eines von Gre- hant und Quinquaud an Hunden angewandten Verfahrens Bestimmungen der Gesammtblutmenge gesunder und kranker Menschen vorgenommen, und nach vieler Hinsicht so bemerkenswerthe und mit den bisher an- genommenen Werthen so wenig übereinstimmende Resultate erzielt, dass sie eingehende Beachtung verdienen. Ich bin zur Zeit mit der Nach- prüfung seiner Methoden beschäftigt und hoffe, auf diesem Wege die Gesammtblutmenge des Menschen exacter, als es bisher möglich war, bestimmen zu können. ! Ueber Diurese. II. Habslitationsschrift. Heidelberg 1900. ? Die Anämie. 1. Theil. 8.3. 3 Archives internat. de pharmakodynamie. 1899. p. 211. * Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. XXIX. 8. 349. > Journ. of Physiology. Vol.XXV. p. 331. — Lorrain Smith, The volume and oxygen capacity of the blood in Anämia. Transactions of the Path. Soc. of London. 1900. Vol. LI. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. ; 30 Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. Von Dr. Hans Ruge, Arzt im Bade Cudowa. (Aus dem physiologischen Institute der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. XVI u. XVII.) Die Massage, welche zusammen mit den verschiedenen Arten der Heil- gymnastik und der Uebungstherapien die „Mechanotherapie“ im weiteren Sinne bildet, ist ein wichtiger Factor unter den ärztlichen‘ Heilmethoden geworden. Ein Rückblick auf die Geschichte der Massage zeigt, wie alt die manuelle Behandlung mittelst Drückens, Streichens, Knetens u. s. w. von kranken und gesunden Gliedern ist. Landerer! giebt in seinem Hand- buch einen kurzen geschichtlichen Abriss derselben. Dort heisst es: „Die Chinesen besitzen schon seit undenklichen Zeiten ein wohl ausgebildetes mechanisches Heilsystem. Es ist im Cong-Fou (ca. 3000 v. Chr.) genau beschrieben. Noch heute blüht das mechanische Heilverfahren in China in eigenen Schulen. „Auch die Indier zeigen sich — nach den Berichten des Ayur Veda, ebenso wie nach den Mittheilungen Strabo’s u. A. — in Massage und ähnlichen Fertigkeiten schon seit langen Zeiten erfahren. „Dass den Aegyptern derartige Behandlungsmethoden bekannt waren, geht aus Stellen im Herodot hervor. „Von den Aegyptern mögen die Griechen, sowie der Orient diese Gebräuche übernommen haben. Bekanntlich wird noch heute in den Bädern des Orients die Massage regelmässig geübt. Eine grosse Bedeutung er- langten Gymnastik und Massage bei den Griechen.“ am Hans RuGE: DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE U. SS. w. 467 Hippokrates und Asklepiades empfehlen Massage-Proceduren. Dasselbe gilt bei den Römern. Im dunklen Mittelalter scheint auch hiervon viel verloren gegangen und höchstens von Laien einiges Derartige betrieben worden zu sein. Wie in der Neuzeit die mechanische Behandlung besonders von Schweden aus durch Ling und Andere und später durch Thure Brandt empfohlen und ausgebildet worden ist, darüber giebt uns Landerer ebenfalls Auskunft. In unserer Zeit verschmähen es die Aerzte nicht, sich mit den ver- schiedenen Methoden der Massage vertraut zu machen. Dadurch hat diese Art der Therapie grosse Fortschritte gemacht; sie soll nicht mehr gedanken- los und mechanisch bei den verschiedensten Krankheiten nach demselben Schema von Heilgehülfen ausgeführt werden. Eine Reihe von Aerzten haben sich mit Erfolg bemüht, bei den verschiedenen Krankheiten und krankhaften Veränderungen die für jeden Fall geeigneten Methoden heraus- zufinden, weiter auch bei dem einzelnen Patienten nach dem Kräftezustand und anderen Factoren die Massage zu dosiren. Durch die eigenartigen, oft überraschenden Wirkungen der Massage in der Praxis aufmerksam geworden, haben andere versucht, die physiologische Wirkung dieser Therapie zu erklären und durch wissenschaftliche Unter- suchungen zu begründen. | Da das Muskelsystem das eigentliche Angriffsgebiet der Massage bildet, haben verschiedene Forscher sich bemüht, die speciellen Wirkungen der: Massage auf die Muskeln zu studiren. Unter diesen sind besonders Zabludowski, Mosso und Maggiora zu nennen. Zabludowski(2) hat an drei Versuchspersonen die Wirkungen der Allgemeinmassage auf das Körpergewicht, die Muskelkraft, die Körper- temperatur, auf Puls- und Athemfrequenz, Harnmenge, Stickstoffaus- scheidung u. s. w. untersucht. Verfasser meint, dass durch die Massage bei allen 3 Personen die Muskelkraft zunahm. ‚Neben der verbesserten Seelenstimmung macht sich eine leichtere Beweglichkeit des Körpers bemerklich.“ Des weiteren hat er unter Kronecker Untersuchungen darüber an- gestellt, „wie Muskeln nach ermüdender Arbeit durch die Massage beeinflusst werden“. „Es hat sich ergeben,“ sagt er, „dass Muskeln des unversehrten Frosches, welche durch eine Reihe von rhythmisch wirkenden maximalen Inductionsströmen erschöpft sind, unter der Massage sich wieder so erholen können, dass ihre neuen Leistungen den anfänglichen nur wenig nachstehen, während kurze blosse Ruhe ohne Massage wenig hilft.“ Er reizte mit 2 maximalen Inductionsschlägen pro Secunde den durchbluteten Gastro- cnemius des Frosches und fand, „dass ein so gereizter frischer Gastro- cnemius nur 300 Zuckungen bis zu nahezu vollkommener Erschöpfung 30* 468 Hans Rue: zu machen vermochte, nach 10 Minuten Ruhe waren dem Muskel nur 200 kleinere Zuckungen möglich, nach 10 Minuten Massage aber konnte er in diesem Falle zu mehr als zu 1000 Zuckungen veranlasst werden.“ Das letztere ist offenbar das Resultat eines einzigen Versuches; eine Verallgemeinerung lässt derselbe meines Erachtens nicht ohne Weiteres zu, Nach meinen zahlreichen Versuchen am durchbluteten Froschmuskel fallen die Zahlen der noch zu leistenden Contractionen nach Pausen wie nach Massagen sehr verschieden aus. Dass ein frischer Muskel gleich Anfangs 500 Zuckungen hinter einander leistet, mit nur wenig verschiedenen Hub- höhen, ist keine Seltenheit. Andererseits kann man bei einem Muskel, der schon 1000 Contractionen gemacht hat, nur durch 2 eingeschobene Pausen von 12 bis 15 Minuten unter Umständen noch 900 Zuckungen mit an- sehnlichen Hubhöhen erhalten u.s. f£ Um ein richtiges Bild von der Wirkung der Massage auf den Muskel zu erhalten, sind erstens grössere Reihen von Versuchen nothwendig, zweitens muss ausser den Hubhöhen und ihrer Zahl besonders auch der Verlauf der Einzelzuckung eingehend unter- sucht werden. Dies wird im Weiteren noch ausführlich erörtert werden. Ferner hat Zabludowsky Versuche mit 6 Reizen pro Secunde am Frosch angestellt. Kronecker und Stirling (4) hatten festgestellt, dass man bei ermüdeten Muskeln durch eine geringere Reizfrequenz Tetanus erhält, als bei frischen Muskeln. Zabludowsky führt nun einen Versuch an, bei welchem der blutdurchströmte Gastrocneumius des Frosches bei 6 Reizen pro Secunde zunächst etwa 100 separate Zuckungen ausführte und von da an in Tetanus gerieth, „welcher erst noch die Andeutungen der Einzelzuckungen enthielt, dann stetig wurde. Als darnach die Reizung für 2 Minuten unterbrochen war, gerieth er bei neuer Erregung nach nur 2 bis 3 Einzelzuckungen in stetigen Tetanus, und auch 10 Minuten lange Ruhepausen gaben dem Muskel seine Beweglichkeit nicht wieder.“ „10 Mi- nuten lang dauernde Massage stellte die Beweglichkeit wieder so weit her, dass der Muskel wiederum mehr als 100 der frequenten Einzelzuckungen auszuführen im Stande war, ohne in Krampf zu gerathen.“ Es ist mir nicht ganz klar, was der Verfasser hier unter Einzelzuckungen versteht; ich vermuthe, dass es sich im Allgemeinen nur um stärkere Vibrationen des tetanisch contrahirten Muskels handelt. Bei meinen wiederholten Versuchen mit 6 Reizen pro Secunde wurde, wenn der Muskel nach Aufhören des Tetanus zur Ruhe gekommen war, nach energischen Massagen zwar eine kleinere Anzahl von Einzel- zuckungen durch dieselbe Reizfrequenz erzielt, niemals aber hundert und darüber, ehe er wieder in Tetanus überging. Einen ähnlichen Versuch an den Wadenmuskeln des Kaninchens mit 9 Reizen pro Sec. hat Zabludowsky in einer anderen Arbeit (3) beschrieben. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 469 Maggiora (5) untersuchte mit dem Mosso’schen Ergographen den Ein- fluss der Massage beim Menschen. Er schrieb mit diesem Apparate eine Bewegungscurve seines belasteten, bis zur Erschöpfung bewegten Mittel- fingers auf. Das war also eine Curve der Hubhöhen und zwar eine Er- müdunescurve. „Die Beuger des linken Mittelfingers, welche unter normalen Verhält- nissen mit dem Gewicht von 3% und dem Rhythmus von 2 Secunden _ eine mechanische Arbeit von ungefähr 2.685 "em Jieferten, haben, als sie zum dritten Male nach einer 15 Minuten dauernden Ruhepause ihre Er- müdungscurve schrieben, nur eine Arbeit von 0.720*em, und das fünfte Mal nur 0.456 Sm geliefert. „Als man im Gegentheil am zweiten Tage des Experiments die 15 Minuten dauernde Ruheperiode durch ebenso lange dauernde Massage er- setzte, erhielten sich die Ermüdungscurven der Beuger des Mittelfingers 8 Mal fast normal, sowohl was die Höhe der ersten Contraction, als auch die Form der Curve und die Quantität der mechanischen Arbeit betrifft.“ „Nach der achten Ermüdungscurve.... sehen wir, dass trotz der Fort- setzung der Massage mit 15 Minuten dauernden Perioden sich in den Muskeln schon Ermädung anhäuft; dieselben sind noch im Stande, bei den Aufzeichnungen eine normale oder fast: normale Contraction zu geben, aber die Contractionen werden immer niedriger und hören schliesslich vollständig auf, und die mechanische Arbeit reducirt sich erst auf die Hälfte, dann auf ein Drittel des Normalen.“ In einer zweiten eingehenden Arbeit (7) untersucht Maggiora die Wirkung der Massage unter verschiedenen Verhältnissen und kommt zu folgenden interessanten Schlüssen: Die Massage erhöht die Arbeitsfähigkeit des gut ausgeruhten Muskels. Ohne Massage wurde 4.272 kem mechanische Arbeit geleistet, dagegen nach Massage 8.019 kem! Die Steigerung der Arbeit besteht nicht in einer Zunahme der Höhe der ersten Contractionen, sondern in einer grösseren Zahl derselben und darin, dass sie langsamer abnehmen. Der ermüdete Muskel erholt sich, wenn man ihn massirt, weit früher, als wenn man ihn sich selbst überlässt. Die besten Resultate konnten durch gemischte Massage (Kneten, Klopfen, Reiben u. s. w. abwechselnd) erzielt werden. In einer 5 Minuten lang dauernden Massage (derselben Muskeln) liegt durchschnittlich der grösste Nutzeffekt, den man durch Massage er- halten kann. Bei Ermüdung des ganzen Körpers (durch einen Spaziergang von 17“, durch eine Nachtwache, durch geistige Anstrengung, durch Fasten und 470 Hans Ruce: durch Fieber) trat die stärkende Wirkung der Massage auch an den erst mittelbar ermüdeten Muskeln deutlich zu Tage. — Es wäre noch zu erwähnen, dass Maggiora die Contractionen seiner Muskeln theils willkürlich auslöste, theils durch elektrische Reizung vom Muskel oder vom Nerven aus. So ansprechend seine Arbeiten auch sind» so muss doch hervorgehoben werden, dass den Experimentator solche Ver- suche an sich selbst leicht zu einer subjeetiven Förderung der gewünschten Resultate verleiten können. Auch wäre es zweckmässig gewesen, ausser der Hubhöhe auch die Dauer der einzelnen Contractionen zu berücksichtigen. Es finden sich noch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten in der Litteratur, in denen jedoch die eigentlich physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel wenig erörtert wird. Es handelt sich da viel- mehr um den Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel (Bendix [10], Gopadse [11], Keller [12], Dunlop [13] u. s. w.); auf die Harnsecretion (Bum [14 und 15]); auf den respiratorischen Gaswechsel (Leber und Stüve [16]; den Blutdruck (Edgecombe [17], Bain, Colombo [18]); die Körpertemperatur (Eceles [19]) und endlich um die Wirkung der Massage bei zahlreichen chirurgischen Erkrankungen (Zabludowsky |. c., Lucas Championnere [20|, Castex [21], Landerer l.c, Kruken- berg [22] u. sw. — — Durch Herrn Prof. Engelmann bin ich zu den folgenden Studien am entbluteten und durchbluteten Froschmuskel angeregt worden. Auch möchte ich an dieser Stelle Herrn Privatdocenten Dr. Schultz für seine liebenswürdige Unterstützung bei der Einarbeitung in dies mir bis dahin wenig geläufige physiologische Gebiet bestens danken. I. Anordnung der Versuche. Die Versuche wurden im Wesentlichen nach drei Richtungen ausgeführt und zwar wurden untersucht: 1. die Hubhöhen mit und ohne eingeschaltete Massagen; 2. der Zuckungsverlauf ebenso; 3. die Wirkung von eingeschalteten Pausen und Massagen beim durch Tetanus ermüdeten Muskel. Die grössere Anzahl der Versuche wurde am blutdurchströmten Muskel angestellt. Nur eine kleinere Zahl von ausgeschnittenen Nerv-Muskel- und Muskelpräparaten (letztere von curarisirten Fröschen) kam zur Untersuchung, wobei die Muskeln mit Haut bedeckt blieben, um die Austrocknung zu verbindern. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 471 Um bei den Arbeiten am blutdurchströmten Muskel durch die Eigen- bewegungen des betreffenden Frosches nicht gestört zu werden, habe ich dis ersten Male das Rückenmark ausgebohrt, wobei die Thiere kein oder nur sehr wenig Blut zu verlieren pflegen. Diese Methode habe ich aber verlassen, denn die Muskeln hatten dann nicht dieselbe Ausdauer, wie die des unversehrten Frosches. Der Hauptgrund hierfür liegt wohl in der all- gemeinen Erschlaffung der Arterien und der damit verbundenen Herabsetzung des Blutdrucks nnd Verlangsamung des Blutstromes. Auch darf man an- nehmen, dass die äusserst starke tetanische Contraction der Muskeln beim Ausbohren denselben einen Theil ihrer Kräfte kostet. Die Muskeln bleiben ja nicht selten eine Minute lang contrahirt, wobei oft fibrilläre Zuckungen zu sehen sind. Da es zweckmässig schien, die Versuche hauptsächlich durch Reizung vom Nerven aus anzustellen, um den natürlichen Verhältnissen näher zu kommen, konnte nur in einigen Fällen Curare angewendet werden. Die Mehrzahl der Frösche wurde möglichst tief durch Chloroform-Alkohol be- täubt, was in der Weise geschah, dass das Thier unter eine Glasglocke ge- setzt wurde, unter welcher ein kleiner mit obiger Mischung getränkter Wattebausch lag. Getödtet wurde auf diese Weise kein einziger Frosch. Stets war selbst nach 5 bis 8 Minuten langer Narkotisirung die Herz- pulsation deutlich wahrzunehmen. Die Frösche erwachten, wenn alles gut ging, erst nach mehreren Stunden und lagen bei dem Versuche ganz ruhig. Es wurde nun vorsichtig ohne viel Blutverlust die Achillessehne frei präparirt, Gefässe und Haut wurden durch einen sehr festen Zwirnsfaden, der auch Knochen und Weichtheile mit umschloss, unterbunden, der Fuss wurde im Gelenk abgetrennt. Dann wurde ebenfalls unter sorgfältiger Vermeidung von Blutungen an der Rückseite des Oberschenkels der Ischiadieus freigelegt und oben durchschnitten, wobei häufig ein kleines Quergefäss unterbunden werden musste. Der ganze Frosch wurde mit Cambrikbinden, die mit physiologischer Kochsalzlösung angefeuchtet waren, auf einem Holzbrett befestigt, welches wagerecht an das Stativ angeschraubt werden konnte. Gelegentlich wurden die drei freien Extremitäten noch mit Reissnägeln auf dem Holzbrettchen festgesteckt. Von dem zu untersuchenden Bein wurde das Knie in eine Metallklemme eingeschraubt, die oben durch einen Arm mit dem Stativ verbunden war. Unten wurde die Achillessehne durch ein Doppelhäkchen mit dem Schreibhebel verbunden, dessen Dreh- punkt ziemlich nahe an dem Stativ lag, an welchem er befestigt war. Durch eine Schraube unten am Stativ konnte dasselbe so hin und her gedreht werden, dass der Schreibhebel leicht von der berussten Fläche ab- gehoben und wieder angelegt werden konnte; das erwies sich als zweck- 472 Hans Rue: mässig, da öfters ganze Reihen von Zuckungen nicht aufgeschrieben wurden, während welcher die Trommel weiter ging. Zu den Versuchen wurde das Ludwig-Baltzar’sche Kymographion benutzt, oft in Verbindung mit einem Reizkranz, durch welchen es ermög- licht wurde, dass die Oefinungsinductionsschläge stets an dieselbe Stelle der Trommel und dementsprechend die Anfänge der Curven in dieselbe Vertikale fielen. Auch wurde der Reizkranz vielfach dazu benutzt, Tetanus von be- stimmter Dauer (z. B. genau 4 Secunden) zu erzielen. Die Reizung des Nerven erfolgte durch Oeffnungsinductionsschläge. Den primären Strom lieferten gewöhnlich 2 Accumulatorzellen. In den secundären Kreis des du Bois’schen Schlittens wurde ausser dem zu reizen- den Nerven bezw. Muskel noch ein du Bois’scher Schlüssel eingefügt, um jeder Zeit das Präparat schonen zu können. Zur Untersuchung der Hubhöhen wurden gewöhnlich mit Engel- mann’s Polyrheotom (23 u. 27) die Schliessungsschläge abgeblendet und nur Oeffnungsinductionsschläge in Pausen von je 1 Secunde ertheilt. Seltener wurde der Nerv oder Muskel mittelst der Baltzar’schen Uhr durch In- ductionsschläge gereizt. Das Polyrheotom verdiente den Vorzug, weil die Oeffnung des primären Stromes stets gleich schnell und in derselben Weise erfolete, besonders wenn mittelst des Motors die Umdrehungen des Poly- rheotoms so schnell erfolgten, dass nur ein Paar Kupferblechspitzen zur Schliessung und Oeffnung in Zwischenräumen von 1 Secunde nöthig waren. Um den Verlauf der Einzelzuckung gut zur Anschauung zu bringen, wurde der Reizkranz zur erwähnte Oeffnung des Primär- kreises benutzt; in einer Umdrehungszeit der berussten Trommel von 4.2 Secunden wurden dem Nerven 2 Oefinungsinductionsschläge ertheilt; bei fortlaufenden Untersuchungsreihen erfolgte also etwa alle 2 Secunden eine Zuckung. Durch diese ganze Anordnung wurden sämmtliche Zuckungs- curven sehr übersichtlich in 2 Verticalen über einander geschrieben (Im- brication verticale). Bei diesen Versuchen legte ich die Methoden von Funke (25) und von Rollet (24) zu Grunde. Häufig wurden 10 Zuckungen aufgeschrieben, dann 90 ausgelassen u.s. w. Mit einer Stimmgabel wurden dabei Hundertstel Secunden verzeichnet. Zur Erregung von Tetanus wurde der Halske’sche Unterbrecher benutzt, mit verschiedener Zahl der Oeffnungsschläge in der Secunde. Es wurde durchweg mit maximalen Reizen gearbeitet. Der Rollen- abstand betrug bei Reizung vom Nerven aus 350 bis 400 "", bei curari- sirten Fröschen vom Muskel aus 80 bis 120 wm. Die Länge des Schreib- hebels betrug 168”", ein Gewicht von 70 2” hing 3" vom Drehpunkt entfernt am Hebel; der Angriffspunkt des Muskels am Hebel war 33 "= vom Dreh- DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 473 punkt entfernt. Demnach hob der Muskel bei jeder Contraction 6-36 sw, — Durch den Schreibhebel wurden die Hubhöhen etwa fünf Mal ver- grössert aufgezeichnet. Im Laufe der Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Muskeln chloroformirter Frösche, wo die Reizung vom Nerven aus stattfand, sich in jeder Hinsicht ebenso verhielten, wie die direct gereizten Muskeln curari- sirter Frösche. Beide können also hier gemeinsam besprochen werden. Auch Versuche mit künstlich ödematös gemachten Muskeln (durch Ab- schnürung oben am Oberschenkel) zeigten ein analoges Verhalten. Da- gegen erfordern entblutete Muskeln eine gesonderte Besprechung, weil sie in mehreren Punkten vom durchbluteten Muskel des lebenden Frosches abwichen. Die eingeschobenen Ruhepausen für den Muskel waren meist kurz, gewöhnlich 2, 5, 10 und 15 Minuten lang; ebenso lang die Massagen. Doch wurden Massagen von 5 Minuten langer Dauer bevorzugt, da diese nach Maggiora für den Muskel einen besonders guten Nutzeffekt haben. Ich benutzte bei dem kleinen Froschmuskel mit Vorliebe die gemischte Massage (bestehend in Knetungen, Klopfungen, Rollungen und Streichungen), die ja besonders zweckmässig gefunden worden ist. II. Hubhöhen der Einzelzuckungen. Rollet (24) erwähnt in seiner mehrfach besprochenen Arbeit, dass man bei jeder vielgliederigen Zuckungsreihe „eine Treppe“ (Bowditsch [29]) und nacher den „Abfall von der Treppe“ unterscheidet. Auch bei meinen Curven liess sich dies Phänomen überall feststellen. Lässt man die Uhr am Myographion so langsam gehen, dass die Trommel zu einer Umdrehung etwa 2!/, Minuten braucht und schreibt nun fortgesetzt in Pausen von 1 Secunde die Hubhöhen, so entsteht eine solche Curve, in welcher die „Treppe“ und der „Abfall von der Treppe“ zu erkennen sind. Die Zahl der Zuckungen bis zu dem Höhepunkt der Treppe und dem Beginne des Abfalls ist eine sehr verschiedene, je nach der Leistungsfähigkeit und Aus- dauer des betreffenden (durchbluteten) Muskels. Oefters erreichte die Treppe ihren Gipfel schon bei der 200. bis 250. Zuckung, in anderen Fällen erst bei der 600. Zuckung. Es wurden nun zu verschiedenen Zeiten die Zuckungsreihen bald durch Ruhepausen, bald durch Massagen unterbrochen, und da zeigte es sich, dass Pausen wie Massagen einen wesentlich anderen Einfluss im Stadium „der Treppe“ hatten, als im Stadium des „Abfalls von der Treppe“. AT4 Hans RuGe: Tabelle 1. 1 | 2 3 | 4 5 | 6 nesenbeus N Zuckungshöhe in mm am | Zuckungshöhe in mm am ausen | er ı | oder Massagen | Zuckung Mr unker Muskel 4 Muskel 2 | Muskel C 1 2-7 3.7.1. 02:30 oe 36 10. 3-2 4-0 | 3-8 4:0 Pause von 5 Min. | il... 0 006. ) 8:8 | Seo re 20. | Bea, | A200 | Scan ao Massage von 5 Min. | | | | 21. 26 | 34. |. Ss 30 2-8 | 3-7 2» 3-8 100. 3:3 = — — 120. 3:3 4:2 2-7 4-4 Pause von 5 Min. | 121. | 2-3 35 2.2 | 3-5 220. 2-4 ee > En) Massage von 5 Min. | 221. 2.4 1:6 2.4 2-9 | oe WR 2.6 3.0 | Ba _ = 470. | 2.2 | ae le. Im Stadium der „Treppe“ hatten Ruhepausen den Erfolg, dass die ersten Hubhöhen nach der Pause niedriger wurden, als die letzte Zuckung vor derselben. Genau wie dies Rollet beschreibt, der noch hinzufüst: „Der Muskel hat sich also zu einer niedrigeren Zuckung erholt.“ Ganz ebenso wie Ruhepausen verhielten sich in diesem Stadium ein- seschobene Massagen. Allmählich stiegen dann nach Ruhe wie nach Massage die Zuckungen wieder treppenförmig an, und zwar erreichten diese Treppen oft höhere Gipfel, als die frühere Treppe, besonders nach Massagen. Vgl. Tabelle I, Rubrik 3 und Taf. XVI, Fig. 1. Der Versuch in Tabelle I fällt wenigstens bis zur 240. Zuckung in den aufsteigenden Theil der Treppe. Der entblutete frische Muskel zeigte ein ganz analoges Verhalten; man sieht in Tabelle I, Rubrik 4, 5 und 6 den jedesmaligen treppen- förmigen Wiederanstieg nach den ersten Pausen wie Massagen. Nur er- müdet der entblutete Muskel rascher, und die Erscheinungen der Ermüdung werden durch das Absterben compliciert. Im Stadium des „Abfalls von der Treppe“ traten nun geradezu umgekehrte Verhältnisse ein. Hier waren die ersten Zuckungen ‚nach Pausen und Massagen höher, bis doppelt so hoch, als die letzten vorher. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN Mvsker. 475 Ein Blick auf folgende Tabelle II lässt erkennen, dass die erste Massage von 3 Minuten Dauer die Hubhöhen von 2.0 mm auf 3.4 mm steigert, also fast um das Doppelte. Die zweite Massage von 2 Minuten steigert die Hubhöhen um mehr als das Doppelte, nämlich von 1.3 mm auf 2.7 mm, Dies war besonders in den späteren Stadien der Ermüdung am durchbluteten Muskel deutlich. Auch blieben die Hubhöhen längere Zeit hindurch — gelegentlich bis zu 200, 300, ja 400 Zuckungen — höher als die letzten vor der Pause oder Massage gewesen waren. Massagen haben hier aber entschieden eine noch günstigere Wirkung auf die Höhe der Zuckungen, als ebenso lange oder sogar als längere Ruhepausen. Tape lie IT. Hubhöhen eines durchbluteten .Muskels mit eingeschobenen Ruhepausen und Massagen. i 2 3 1 Be 3 Eingeschobene Nummer | Zuckungs- | Eingeschobene Nummer | Zuckungs- Pausen der höhe Pausen der höhe oder Massagen Zuckung | in mm oder Massagen Zuckung | in mm 1. 3-1 1000. 2) 10. 35 1050. 19 20. 3-7 Massage von 2 Min. 30. 3-8 1051. 2-6 50. 4-0 1055. 2.4 100. 4:2 1060. 2-0 200. 4-1 1100. 2-3 300. 2-7 1220 ort 400. 2-0 Pause von 5 Min. Massage von 3 Min. 1221. 2-2 401. 3.4 1230. 1-6 406. 3-7 1300. 1-9 411. 3-83 1400. 2-0 580. 3.0 Massage von 5 Min. Pause von 15 Min. 1401. 2-6 531. 8308) 1410. 2.4 535. 3-6 1500. 2-6 540. 3-2 1600. 2-1 600. 3-5 1720. 1-6 700. 3-5 Pause von 5 Min. ; 800. 3.0 1721. 2-3 880. 1-3 1730. 1-8 Massage von 2 Min. 1800. 2-3 831. 2-7 1920. 2-1 885. 2-6 Pause von 10 Min. 890. 2-4 1921. 2-7 900. 2-4 476 Hans Rue: Notirt man aus Tabelle II die Erfolge der Ruhepausen einerseits, der Massagen andererseits, so ergiebt sich: Die erste Pause von 15 Minuten steigert die betr. Hubhöhe um 0.3 mm ” zweite ” „ 5 ” „ ” „ ” „ 0-5 „ ” dritte ” ” 5 ” ” ” ” ae ” 0.7 „ ” vierte FB) ” 10 ” ” ” ” ” ” 0-6 2 Die erste Massage von 3 Minuten steigert die Hubhöhen um 1.4 m ” zweite ” r2] 2 2) ” ” ” ” 1.4 ” „ dritte „ „ 2 „ „ „ „ »„ 8, „ vierte „ ” 6) „ „ ” ” ” 0.6 ” Mag auch diese Zusammenstellung etwas willkürlich sein, so ist doch das Resultat ein so eclatantes, dass man an der günstigen Wirkung der Massage nicht zweifeln kann. Sowohl die absoluten wie die procentischen Werthe der Steigerung der Hubhöhen sind durchschnittlich nach kurzer Massage höher als nach Pausen gleicher oder längerer Dauer zu etwa der- selben Zeit. Man ersieht aus Tabelle II noch, dass die 200., 300. und 400. Zuckung schon im absteigenden Theile der Treppe liegen. Trotzdem erholt sich der Muskel durch die erste Massage von 3 Minuten so weit, dass er von neuem eine kleine Treppe bildet von 3.4 mm (Curve Nr. 401) bis auf 3.7 mm (Curve Nr. 406). Dasselbe geschieht nach der ersten Kuhepause von 15 Minuten, wo auch eine kleine Treppe von 3.3 == (Nr. 531) bis zu 3.6 == (Nr. 535) entstanden ist. Viel merkwürdiger ist aber eine andere Erscheinung, die in der Phase des Abfalls von der Treppe nach Pausen wie nach Massagen auftritt. Ist ein Muskel ermüdet und leistet nur noch viel niedrigere Hubhöhen als zu Anfang, so werden durch Pausen und Massagen die ersten Hubhöhen wieder besonders hoch, dann sinken sie aber — bis zur 10. oder 20. Curve etwa — beträchtlich ab, um von da ab wieder langsam anzusteigen (Taf. XV], Figg. 2 u. 3). Diese neue Treppe dehnt sich bald nur über eine kleinere Zahl von Zuckungen aus (z. B. bis zur 50. Hubhöhe), gelegentlich aber viel weiter, sogar bis zur 180. Zuckung darnach. Gute Beispiele hierfür bilden in Tabelle II die Curvenreihen 535 bis 700, ferner 1051 bis 1100, ausserdem 1221 bis 1400 (!) und 1401 bis 1500. Diese Erscheinung wurde nicht regelmässig, aber so häufig beobachtet, dass sie nichts Zufälliges sein kann. Mit der Wirkung der Massage auf die Bluteireulation lässt sie sich nicht erklären, da sie ebenso auch nach Pausen auftritt. Sie muss meines Erachtens mit der (molecularen) Eigenart der DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 477 Muskelsubstanz zusammenhängen, da sie sich auch beim entbluteten Muskel- präparat findet, dort ebenso nach Ruhepausen wie nach Massagen. — Steigerung der Hubhöhe nach Massage wurde übrigens noch nach der 2000. Zuckung öfters beobachtet. Der Gipfel der Treppe, auf welchen dann bei andauernder gleicher Reizfrequenz von 1 bis 2 Secunden der „Abfall von der Treppe“ folgt, wird nicht von einer einzigen oder einigen wenigen Hubhöhen gebildet, sondern stellt ein mehr oder weniger breites Plateau dar. Wenn man in dieser Phase dem Muskel durch Ruhepausen und Massagen Erholung gönnt, wird dadurch zugleich der Abfall von der Treppe aufgehalten und das Plateau noch mehr verbreitert. Man muss also, wenn man nicht paradoxe Bilder erhalten will, eine so grosse Anzahl von Zuckungen auf- zeichnen, dass man bis zum sicheren Abfall von‘ der Treppe gekommen ist. Eine wie grosse Zahl von Hubhöhen dazu geprüft werden muss, lässt sich nieht allgemein sagen. Gönnt man dem (durchbluteten) Muskel zwischen- durch auch nur kleine Ruhepausen, so können 2000 Zuckungen und mehr dazu erforderlich sein. In besagtem Plateau steigen gelegentlich nach Pausen die Hubhöhen wieder treppenförmig an. Bei Pausen von mehreren Stunden erholt sich der (durchblutete) Muskel natürlich so weit, dass man von einem Plateau nicht mehr reden kann. Der Muskel beginnt dann bei regelmässig er- folgenden Inductionsschlägen seine Treppe genau so, wie ein ganz frischer Muskel. Dazu sind nach Rollet freilich allermindestens 3 Stunden Er- holungspause nöthig. Diese Zeit reicht aber gewöhnlich nicht im geringsten zu einer „anpassenden“ Erholung (Rollet) aus, einer Erholung, nach welcher der Muskel wieder so arbeitet, wie ein ganz frischer. Dazu braucht mancher Muskel Ruhepausen von 20 Stunden und mehr. — Aus den bisherigen Versuchen geht hervor, dass die Betrachtung der Hubhöhen allein keine rechte Klarheit giebt, in welcher Weise die Massage günstig auf den Muskel wirkt, und ob Massage zu jeder Zeit (auch im Stadium der Treppe) für die Kräftigung des Muskels von Werth ist. Rollet hat nachgewiesen, dass der Werth von Ruhepausen für die Erholung des Muskels in jedem Stadium der Ermüdung leicht zu erkennen ist, wenn man den Verlauf der Einzelzuckung in jedem Falle berücksichtigt. Ferner theilt er mit, dass einzelne frühere Forscher den Hubhöhen fälschlich eine viel zu grosse Bedeutung für die Beurtheilung der Ermüdung und Erholung des Muskels beigemessen haben. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass über den Werth der Massage und die Art ihrer Wirksamkeit auch erst das Studium des Verlaufes der Einzelzuckungen Klarheit giebt. 478 Hans Ruse: Ill. Verlauf der Einzelzuckungen. A. Beim durchbluteten Muskel. Helmholtz (26), Funke (25) und Andere haben darauf hingewiesen, dass der Verlauf der Zuckungscarre mit zunehmender Ermüdung immer “ gedehnter wird. Rollet hat dann nach Funke’s Vorgang Dekaden von Myogrammen angeschrieben, „während dazwischen der angelegte Hebel leer ging“ und mit dieser Methode die zunehmende Dehnurg der Curven sehr schön zur Anschauung gebracht. Er hat ferner durch eingeschaltete Ruhepausen Er- holung des Muskels erzielt, so dass nach jeder Pause die ersten Curven viel schneller abliefen, weniger gedehnt waren, als die letzten vorher. Die dann folgenden Curven nahmen aber in schnellem Tempo wieder an Dehnung zu, wenn die Erholungspausen klein waren. Diese Untersuchungen Rollet’s wurden durch meine Versuche durch- aus bestätigt. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich deshalb auf die Arbeit (24) dieses Autors. Bei meinen weiteren Untersuchungen stellte sich nun aber heraus, dass man durch Massagen, die während solcher kleiner Pausen auf den Muskel einwirken, eine viel bedeutendere Verkürzung der Contractions- dauer des Muskels erzielen kann, als durch einfache Ruhe. Es wurde in dieser Richtung eine ganze Reihe von Versuchen ange- stellt, die am durchbluteten Muskel stets dieselben Resultate ergaben, und zwar ebenso bei directer, wie bei indirecter Reizung. Da die Versuche immer in analoger Weise vorgenommen wurden, soll hier ganz allgemein der eingeschlagene Weg derselben beschrieben werden. Schon oben war.erwähnt worden, dass bei jeder Trommelumdrehung der Muskel mit Hülfe eines Reizkranzes 2 Oeffnungs-Inductionsschläge er- hielt. Da sich nun die Trommel mit einer Geschwindigkeit von bald 4-2, bald 4-5 Secunden ein Mal um sich selbst drehte, so wurde dem Muskel bezw. Nerven alle 2-1 oder 2-25 Secunden ein maximaler Reiz ertheilt. Nach jeder Umdrehung wurde die Trommel, während sie weiter umlief, mittels der Kurbel etwas gesenkt, so dass die Curven des Zuckungsver- laufes über einander geschrieben wurden, wie die Figuren 4 bis 8 auf Taf. XVI zeigen. Da nun bei jeder Umdrehung der Trommel 2 Reize den Muskel trafen, wurden auch 2 Zuckungscurven aufgeschrieben; es entstanden demnach 2 Columnen von Zuckungseurven. In der ersten Columne waren die Zuckungen mit ungeraden Zahlen enthalten, also die Curven Nr. 1, 3, 5, 7, 9; in der zweiten die geraden: 2, 4, 6, 8, 10. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MusKkEL. 479 Die Figg. 4 bis 8 (Taf. XVI) zeigen nur jedesmal eine dieser beiden Columnen; die andere wurde weggelassen, da sie jener sehr ähnlich ist. Nach Funke und Rollet wurden nur eine kleine Anzahl von Curven hinter einander aufgeschrieben, gewöhnlich 10; dann wurde meist eine grössere Anzahl, gewöhnlich 90 hinter einander, ausgelassen, der Schreib- hebel wurde dazu vorsichtig von der berussten Papierfläche abgehoben, während die Trommel sich weiter drehte. Fig. 4 I enthält demnach die Curven der 1. 3, 5, 7. und 9. Zuckung; Fig. 4 II enthält die 101., 103., 105., 107. und 109. Zuckungscurve u. =. f. Die Zeit wurde mit einer Stimmgabel aufgeschrieben, die 100 Schwin- gungen in der Secunde machte (siehe Taf. XVI). Eine ganze Reihe von Versuchen wurde so angestellt, wie der in Figg.4 und 5 dargestellte. Fig. 4 I besteht, wie erwähnt, aus 5 Zuckungs- curven vom ersten Hundert, 4 II vom zweiten Hundert u.s. w. Dem- nach 4 IVa aus fünf Curven vom vierten Hundert, nämlich Nr. 301, 305, 307 u.s. w.; 4 IV 5 besteht aus den Curven Nr. 401, 403, 405, 407 und 409. Hier wurde eine Ruhepause. für den Muskel eingeschoben, nach welcher die schon sehr lang gestreckten und niedrigen Zuckungscurven wesentlich kürzer und höher wurden, wie Fig. 4 Va zeigt (mit den Curven 411, 415, 415 u.s. w.). Der Muskel hatte sich also erholt. Es wurden wieder 90 Zuckungen ausgelassen und die Curven Nr. 511 bis 520 auf- geschrieben, die wieder stark gedehnt waren (Fig. 4 Vd). Dann wurde eine Massage von 4 Minuten (M 4’) eingeschoben, durch die sich der Muskel so erheblich erholte, dass er die folgenden viel kürzeren und höheren Curven schrieb (Fig. 4 VIa), nämlich Curve 521 bis 530. Selbst das nächste Hundert Curven, welches mit 621 bis 630 (VI2) schloss, stand noch unter dem Einfluss der Massage, war kürzer und höher. Vergleicht man nun die 110 Curven — Va und 5 — nach der ersten Pause (?5) mit den 110 Curven — Vlaundd — nach der ersten Massage (M 4"), so ist der viel grössere Erfolg der Massage gegenüber der Ruhepause sofort einleuchtend! Noch eclatanter ist der Unterschied zwischen den Curvenreihen X und XI in Fig. 5, der Fortsetzung von Fig. 4. Wir sehen dort, dass die Curven- reihe Nr. 951 bis 960 (X) nach einer Ruhepause von 5 Minuten zwar deutlich kürzer und höher geworden ist, aber dann doch mit jedem einzelnen Gliede der Reihe eine starke Längenzunahme zeigt. Wie ganz anders nach einer Massage von 3 Minuten (WM 3°)! Da sind die Curven 961 bis 970 (XI) ganz kurz und hoch geworden und nehmen nur langsam an Ausdehnung zu. Die kurze Massage von 3 Minuten hat also dem Muskel eine viel gründlichere Erholung gebracht, als die längere Ruhe- pause von 5 Minuten! 480 Hans Ruce: Der belastete Muskel wird durch nur kurze Massage in den Stand gesetzt, sich in viel kürzerer Zeit zu contrahiren und wieder auszudehnen, als vorher. Er arbeitet dann also viel flinker. Der Muskel wurde nun gleichmässig weiter alle 2.2 Secunden maximal gereizt, im Ganzen 1420 Mal, stets bei demselben Rollenabstand. Es wurden fortgesetzt bald Ruhepausen (P), bald Massagen (M) eingeschoben. Man ersieht aus der Figur 5, dass selbst die späteren (XIV, Nr. 1181 bis 1190) und zuletzt verzeichneten Curven (XVII, Nr. 1401 bis 1420) in Folge der Massage einen wesentlich kürzeren Ablauf zeigen, als die Zuckungen nach Ruhepausen (XIII und XVI). — Rollet sagt, wir sehen die Leistungsfähigkeit des Muskels in der Zeit- einheit „vom Anfang bis zum Ende einer Zuckungsreihe fortwährend sinken.“ Ich habe in Tabelle III S. 481 die Hubhöhen in Millimetern und die Dauer der Einzelzuckungen in Secunden notirt, habe den aufsteigenden Schenkel der Einzelzuckung nach Rollet ‚Crescente“, den absteigenden „Deerescente“ genannt und habe den zeitlichen Ablauf auch dieser beiden Schenkel einzeln berechnet. Man sieht, dass bei Ermüdung die Decrescenten viel stärker an Länge zunehmen als die Crescenten (Rollet). Es wurde dann aus der Dauer des Hubes (Crescente) und der Hub- höhe, sowie dem jedesmal gehobenen Gewicht von 6-36 == (-— das Gewicht des Muskels wurde vernachlässigt —) jede Einzelleistung in Gramm- Millimetern berechnet und in Spalte 7 der Tabelle III eingetragen. Auch dadurch kann man nachweisen, dass bei gleichmässigen Reizen mit zunehmender Ermüdung die Leistung in der Zeiteinheit constant ab- nimmt. Man vergleiche die Zahlen in Tabelle III, Spalte . Da nimmt die Einzelleistung in der Secunde ab — trotzdem die Hubhöhen bis zur 103. Curve ansteigen — von 229 sm (Curve 1) auf 180 emm (C. 2), weiter auf 166 mm (C. 3), 141mm (C. 101) u.s. f., bis die Leistung bei Curve 401 auf 22.4 smm anlangt! Durch eine Pause von 5 Minuten (P 5’) wird die Einzelleistung in der Secunde auf 104 emm (Curve 411) gesteigert und hält sich nach 110 Con- tractionen noch auf 40 emm (C. 520); durch Massage aber auf 275 mm (©. 521) und hält sich nach 110 Contractionen noch auf 85 sum (C. 630). Und so fort sehen wir, dass Massagen für die Leistungsfähigkeit des Muskels in der Zeiteinheit viel wirksamer sind, als gleich lange oder längere Ruhepausen. Dies Verhältniss besteht bis zu den höchsten Graden der Ermüdung des Muskels. Bei Curve 960 leistet der Muskel nur 95 em, trotz der kürzlich vorangegangenen Pause; durch eine Massage von nur 3 Minuten wird seine Leistung auf 365 sw erhöht, welche somit die An- fangsleistung des Muskels übertrifft. Die Verkürzung des Zuckungsablaufes ergiebt sich ebenso aus Figg. 4 u. 5, wenn man daselbst die Curvenreihe XI DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUsKkeEr. 481 mit I vergleicht. Doch ist der Muskel nicht ganz so vollständig erholt, wie er zu Anfang war. Das sieht man an dem schnellen Abfalle der Leistungen von der 961. bis zur 970. Zuckung in der Tabelle IIT und weiter aus der 1061. bis 1070. Zuckung in Fig.5 XlIla. Tabelle I. (Hierzu Tat. XVI, Figg. 4 u. 5.) Vom durchbluteten Muskel. 1 ENDEN: 7 Eingeschobene Nummer | rubhöhe LS risbente | Deeres- | Leistung Pausen der i k I | cente pro Sec. der Massagen | Curve nun | Er Lnusee, in Sec. | in gmm 0 assage , In Sec. 8 1. 1-8 | 0-09 0-05 0-04 229 2 ler | 0301 0-06 0-05 180 Ba ler 0 20stla | 0-065. |. 0:05, |..166 1012 1.2.2 or 0.09 0-12 141 108. | 2.2 | 0-21 0-09 O2 201. 1-4 0-32 0-10 0-22 | 89 301. 0-7 0-50 0-10 0-40 | 44-5 401. 03 | 0-3 0-085 | 0-165 22-4 410. 03 0-3 0.085 | 0-165 22-4 Pause von 5 Min. | Se | 411. 9 0-10 | 0.055 | 0.045 | 104 420. 1-0 0-20, 0-08 0-12 | 8 520. 0-5 0-30 | 0.08 0.22 | 0 U 105 0:085 | 0:085 | 0-05 | 278 580. a, 0.15 | 0.05 0-10 17 630. 0:87 020-287 |2.0-.06 0-15 > Pause von 5 Min. | 631. 0-9 0-16 0-05 0-09 115 640. | 0225. 0:08 0-17 80 740. 1-1 | 0-33 | 0-09 0-24 78 Massage von 4 Min. | | jan 0 2 use von IE MINE I, 1.7 0-12 |: 0:06 | 0-06 | 180 750. 1-7 0-20 | 0.085 | 0-115 | 127 850. 1-7 0-35 , 0-105 | 0-245 | 103 941. 1-1 0-40 | 0-09 0-31 | 950. dla 7 20-50 | 0-09 OA 1 3,73 ee | 0.00: 0:08 | 0-12l, jur 960. 1-5 0-40 | 0-10 0-30 | 9 Devon > Min. | © og 2.0 0-07 |. 0.085 | 0-035 | 363 970. 2-1 0-15 0-06 0-09 223 u. Ss. Ww. | u.s.w. | Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 3 482 Hans Rue: Bei diesen Berechnungen konnte die Aenderung der Decrescente nicht in Betracht gezogen werden. Zu einer vollständigen Einzelleistung eines Muskels gehört natürlich seine Zusammenziehung und seine Wiederaus- dehnung zu neuer Arbeit. Man kann leicht eine Berechnung unter Mit- berücksichtigung der Decrescenten aufstellen, wodurch obige Resultate be- stätigt und noch erweitert würden. Ich habe solche Berechnungen gemacht; da sie aber nichts principiell Neues bringen, dieselben hier fortgelassen. Dass sie die Verhältnisszahlen noch mehr zu Gunsten der Massage gestalten würden, ist aus den Zahlen der Decrescenten Tabelle III, Spalte 6 leicht zu ersehen. Zeigte der obige, ausführlich besprochene Versuch die unterschiedlichen Wirkungen von Ruhepausen und Massagen auf ein und denselben Muskel in grösseren Zuckungsreihen, so giebt der folgende in Tabelle IV darge- stellte die Uurven zweier verschiedener Muskeln, der beiden Gastrocnemü eines Frosches, zum Vergleich. Hier wurden beim rechten Gastrocnemius 4 nach je 100 Zuckungen Ruhepausen von 5, 10 und 15 Minuten eingeschaltet, beim linken Waden- muskel 3 ebenso Massagen von 5, 10 und 15 Minuten. Der linke Gastrocnemius zeigt auch bei seinen ersten Leistungen (vor jeglicher Massage) günstigere Werthe als der rechte. Das ist wohl so zu erklären, dass bei diesem Winterfrosche die Circulation im ganzen Körper durch den ersten Versuch am rechten Bein angeregt wurde, so dass das linke Bein gleich Anfangs in Folge regerer Blutbewegung besser arbeitete. (Dasselbe sieht man in Tabelle V.) Zu Tabelle IV, Spalte 7 sind die Leistungen der beiden Muskeln auf eine Secunde berechnet, angegeben. Rechts steigt nach der ersten Pause von 5 Minuten die Leistung von 141 smm auf 170 emm (Curven Nr. 100 und 101), links dagegen nach der ersten, ebenfalls 5 Minuten dauernden Massage die Leistung von 196 sm» auf 373 sum! Also die Pause ver- bessert links die Leistung um ein Fünftel des Werthes, die Massage rechts um fast das Doppelte. Rechts ersieht man aus der Tabelle ein — allerdings durch die Pausen zeitweilig unterbrochenes — allmähliches Sinken der Leistungen, so dass die 400. Zuckung nur eine Leistung von 36 smm aufweist, die 414. Zuckung nach 15 Minuten Erholung noch 89 emum, Links zeigt die 400. Zuckung in Folge vorhergehender Massage noch den Werth von 85 Emm, die 414. Zuckung nach einer Massage von 15 Minuten noch die erhebliche Leistung von 178 emm, Beide Zuckungen (Nr. 400 u. 414) weisen den doppelten Werth derselben Curven am rechten Wadenmuskel auf: 85 und 178 mm oegenüber 36 und 89 sum, DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 483 Mabelle IV. Von zwei durchbluteten Muskeln desselben Frosches. (Rechts durch Pausen, links durch Massagen erholt.) TUR VB 7 » { | Dauer der | ‘ ; Eingeschobene Nummer | Hubhöhe | Einzel. | Crescente Deeres- | Leistung Pausen der 2 i cente | pro Sec. in mm |zuckung | in Sec. |. 5 oder Massagen Curve in See. | in Sec. ‚ in gmm A. Rechter Gastroenemius. 1 2-8 0-16 | 0-08 0-08 223 Bu 3.0 0-22 0-10 | 0-12 181 100. 3-7 0-56 0-16 0:40 141 Pause von 5 Min. 101. 2.4 0:21 0:09 0-12 170 105. | °6 0-42 0-13 0-29 127 | 200. 1-2 02832 70.0515 0:70 5l Pause von 10 Min. | 201. 1-8 02474, 0-11 0:13 104 205. 1:6 0:40 0-11 "0:29 93 | 300. 0:9 0.6471, 0-13 0-51 44 Pause von 10 Min. | | 301. 1 10-2902 0=11 0-18 64 305. 1:0 | -45 0-11 0-34 58 | 400. 08 | 0.77 0-14 0-63 36 Pause von 15 Min. 401. 1-2 | 0-19 | 0:08 0-11 95°4 405. 105 20.05387.012.0-10 0-28 | 90-4 414. 1-8 | 0-50 0-13 0-37. 20 89 B. Linker Gastroenemius. 1: 3-3 0-12 | 0.07 0.05 | 284 5. 3-6 0.18 0-10 0-08 | 219 100. 4:0 !' 0-28 0:13 0-15 196 Massage von 5 Min. 101. 4°1 0:17 0:07 0:10 373 105: 4-3 0-22 0-08 0-14 341 5200: 4:0 0-53 0-15 0-33 | 170 Massage von 10 Min. | 201. 2°4 0:19 0:08 0-11 181 205. 2-7 0:35 0-12 0-23 143 } 300. 1:2 0:70 0-15 0-5 | 51 Massage von 10 Min. 301. 3:2 0-21 0:08 0-13 242 305. 3°4 0-52 0:15 0:37 138 400. 2-0 1:00 0°15 0-85 85 Massage von 15 Min. | 401. 4-0 0:22 0:09 0-13 283 405. 4*1 0:52 0-13 0-39 201 414. 3-3 0:66 0-13 0-53 178 \ | 31* 484 Hans Ruck: Am massirten Bein leistet die 401. Zuckung dasselbe wie die 1. Zuckung (284 und 285 em"); am rechten nicht massirten Bein ist die Leistung der 401. Zuckung mit 95.4 um pro Secunde noch nicht halb so gross, wie die 1. Zuckung (223 sum), Der massirte Muskel ist also viel ausdauernder und leistungsfähiger, vor allem aber flinker bei der Arbeit als der nicht massirte. Im II. Theile dieser Arbeit, bei der Untersuchung der Hubhöhen, war gezeigt worden, dass bei einem frischen Muskel, der erst wenige Con- tractionen ausgeführt hat, nach Pausen und Massagen die ersten Hub- höhen kleiner werden, als die letzten vorher, dass sich der Muskel zu einer niedrigeren Zuckung erholt, wie Rollet sagt (vgl. Taf. XVI, Fig. 1). Dies konnte zu der Auffassung führen, dass Massagen, bevor der Muskel durch längere Zuckungsreihen ermüdet ist, eher nachtheilig als vortheilhaft für seine Thätigkeit wären. Es wurde deshalb der folgende Versuch angestellt, der in Fig. 6 A und B aufgezeichnet ist, und von welchem die Maasse der Curven in Tabelle V berechnet sind. Tabelle V. (Hierzu Taf. XVI, Fig. 6.) Von zwei durchbluteten Muskeln desselben Frosches. (Der rechte durch Pausen, der linke durch Massagen erholt.) 1 nur: 4 5 z : | Dauer der, | En En Eingeschobene | Nummer | uphöhe Einzel. Öresbente) Decres- | Leistung Pausen der i zuekung | in $ | cente pro Sec. oder Massagen | Curve en | nn Sec er | insecks Engerm Rechter Gastroenemius (Fig. 6A). le alon 0-095° | 0-055 | 0.04 127 Pause von 5 Min. | | as a | 10-085, 010.05 0-035 140 Pause von 5 Min. | | 21. 1-2 0:10 0-055 0-045 139 22150: 1-0 | 0-19 0-09 0-10 “1 Pause von 10 Min. | | | | 1 150. 0 les 0-12 0-07 0:05 Linker Gastroenemius (Fig. 6 B). 15 1-4 | 0-09 0-05 0.0472 NS Massage von 5 Min. | 1lıl, 1:0 00977120505 0-QAZ Massage von 5 Min. | | 21. 1-1 | 0.075 0-035 0-045 200 150. 1.5 0-11 | 0:07 0-04 136 Massage von 10 Min. | | | a | 1-1 0.055 0-04 0-045 175 DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. ÄS5 Es wurden wieder der rechte und linke durchblutete Gastrocnemius ein und desselben Frosches vergleichend mit Pausen und Massagen unter- sucht, und zwar wurden schon nach den ersten und zweiten 10 Zuckungen rechts Ruhepausen, links ebenso lange Massagen eingeschaltet. In Spalte 7 sind wiederum die Einzelleistungen pro Secunde für den aufsteigenden Theil der Öurven, d. h. die Crescenten berechnet. Wieder sehen wir, dass auch zu Anfang Massagen mehr leisten als Ruhepausen. Beim rechten, nieht massirten Muskel bessert sich die Einzelleistung durch 2 Pausen von der 1. Zuckung mit 127 smm, bis zur 21. Zuckung auf 139 mm; beim linken massirten Muskel steigen diese Werthe von 178 auf 200 e®®. Der massirte Muskel ist zugleich viel ausdauernder geworden; er weist bei der 150. Zuckung (Fig. 6 ZA IV) noch einen Werth von 136 sum pro Secunde auf, im Vergleich zu 71 s”® rechts (bei der 150. Curve; Fig.6 AIV). Dieser und eine ganze Reihe ebenso angestellter Versuche erweisen den Nutzen der Massage auch beim nicht ermüdeten Muskel. — Der künstlich ödematös gemachte Muskel — durch Umschnürung des Öberschenkels mit einem nicht zu fest angezogenen Faden — lässt den- selben günstigen Einfluss der Massage gegenüber einfachen Ruhepausen erkennen. Das Oedem wird (nach Lösung der Ligatur) offenbar durch die Massage besonders vortheilhaft beeinflusst. Freilich darf dieser Befund nicht ohne Weiteres auf krankhaft entstandenes Oedem übertragen werden, zumal wenn letzteres durch Herzschwäche entstanden ist. Denn in unseren Ver- suchen hat die normale Herzthätigkeit und Bluteirculation offenbar einen hervorragenden Antheil an dem guten Erfolge solcher Massagen. B. Verlauf der Einzelzuekungen beim entbluteten Muskel. Auf Taf. XVI, Figge. 7 und 8 sind die Curven zweier entbluteter Muskeln dargestellt, von denen der rechte Gastrocnemius (Fig. 7) durch Massagen erfrischt wurde, der linke nur durch Ruhepausen. In Tabelle VI sind die Messungen dieser Curven angegeben. Massagen nach den ersten 10 und 20 Zuckungen verbessern hier auch die Leistungen des Mukels viel erheblicher als Pausen. Die Anfangsleistung wird durch die Massage von 488 mm auf 652 und 534 sum gesteigert; am linken Waden- muskel durch gleich lange Pausen von 421s"” nur auf 433 und 424 sum, Aber bei den späteren Zuckungen tritt ein umgekehrtes Ver- halten auf. Die 150. Zuckung nach Massagen weist nur noch eine Leistung von 254 emm pro Secunde auf, nach Pausen 335 "m; die 300. Zuckung nach Massagen gar nur 65 mm, nach Ruhepausen immerhin noch 233 sum, 486 Hans Rue: Tabelle VI. (Hierzu Taf. XVI, Figg.7 u. 8.) Von zwei entbluteten Muskeln desselben Frosches. al | a A 6 2 i | Dauer der i i Eingeschobene | anne Hubhöhe Binzel. Crescente Deeres nn Pausen I.der \ nel cente pro See. oder Massagen | Cuve non | Sec | 50 | In sec ine Rechter Gastroenemius (Fig. 7). 1. As6 0-14 0-06 0-08 488 10. 4-9 0.20 0-08 6-12 390 Massage von 5 Min. | 10% 41° | 0:08 0-04 0-04 652 20. 4-4 0-13 0-05 0-08 560 Massage von 5 Min. 21.2, 22, | 0:10 0-05 0-05 534 30. 4-5 0-14 0-06 0-08 477 781150° 4:8 0.52 0.12 0-40 254 Massage von 10 Min. ol. 20 08u8 0-17 0-07 0-10 331 | 160. 4.2 0-42 0-11 0-31 243 | 300. 1-4 0-96 0-14 0-82 64 Linker Gastroenemius (Fig. 8). l. 3:8 ..1..0-11 0°055 0055 421 10. 40 | 0.135 0-06 0:075 424 Pause von 5 Min. | | 11. 3:9 | 0-12 | 0-055 | 0-065 | 433 20. 42 | 0:155 0075 0-08 356 Pause von 5 Min. | 21: 4:0 0-13 0-06 0-07 424 830. 0422 0.145 | 0.075 | 0-07 373 1 22190. 5.0 0-25 0-095 0-155 339 Pause von 10 Min. | lol ji nAs6 0-20 0-09 0-11 325 u L60FER| 550 \ 0.28 0-10 0-18 318 | 300. 04 |. .0-50 |. 0.12 | 0.00 235 Vergleicht man Fig. 7 IV 5 (Curven Nr. 291, 293 u.s. w.) mit Fig. 8 IVd (Curven 291, 293 u. s. w.), so wird dies Verhältniss auf den ersten Blick klar: die Abnahme der Leistungsfähigkeit des emtbluteten Muskels nach Massagen gegenüber einfachen Ruhepausen. Vielleicht ist dies so zu erklären, dass der Muskel durch die Massage schneller abstirbt. Möglich ist auch, dass durch dieselbe mit den schlechten unbrauchbaren Substanzen auch die guten Nahrungssäfte aus dem Muskel hinausgepresst werden, ohne dass andere Nahrung durch die (fehlende) Bluteireulation zugeführt werden kann. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 487 Die Versuche bilden einen neuen Beweis dafür, dass für einen dauern- den Erfolg der Massage die Erhaltung der Bluteirculation unbedingte Voraussetzung ist. Aus all den Versuchen über den Zuckungsverlauf geht hervor, dass beim durchbluteten und beim nicht durchbluteten, frischen! Muskel Massage den Zuckungsverlauf, d. h. die Dauer einer einzelnen Zusammenziehung und Wiederausdehnung des Muskels wesentlich verkürzt. So lange der Muskel noch nicht sehr angestrengt und ermüdet ist, sind sowohl nach Pausen wie nach Massagen: (beim durchbluteten und beim entbluteten Muskel) die ersten Hubhöhen kleiner als die letzten vor Massage oder Pause. Erst allmählich wachsen die Hubhöhen bei weiterer Thätigkeit. Beim nicht ermüdeten Muskel werden also die Hubhöhen durch die eigene Thätigkeit des Muskels günstiger gestaltet, als durch Pausen und Massagen, was wohl mit inneren Vorgängen in der Muskelsubstanz (den Muskelfibrillen) zusammenhängt. "Bei mit Veratrin vergifteten Fröschen hat nach Ermüdung die Massage einen erheblich grösseren Erfolg als die Pause für durchblutete Muskeln. Die Hubhöhen werden wieder höher, die Crescenten viel kürzer. Bei veratrinisirtten Muskeln treten aber durch Contracturen u. s. w. complicirtere Verhältnisse ein, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. IV. Einfluss der Massage auf den Tetanus. Kronecker und Stirling (4) haben nachgewiesen, dass für die ver- schiedenen Arten von Muskeln eine verschiedene Reizfrequenz nöthig ist, um Tetanus zu erzeugen. Besonders deutlich ist nach ihren Untersuchungen der Unterschied zwischen rothen und weissen Kaninchenmuskeln. Es heisst dort auf 8. 13: „Der rothe Kaninchenmuskel wird durch 4 Reize in der Secunde in unvollkommenen, durch 10 Reize in ziemlich stetigen Tetanus versetzt. Der weisse Kaninchen- muskel bedarf 20 bis 30 Reize, um vollständig tetanisirt zu werden; 6 Inductionsschläge in der Secunde verhindern ihn schon, sich während der Reizperiode vollständig auszudehnen.“ Bei ermüdeten Muskeln fanden diese Autoren, dass eine noch geringere Reizfrequenz zur Erzielung des Tetanus genügte. ! Scilicet überlebenden und durch Arbeit noch nicht ermüdeten. 488 Hans RuGe: Bei meinen Versuchen am durchbluteten Froschmuskel sind eine ganze Anzahl verschiedener Reizfreguenzen zur Anwendung gekommen, und zwar wurden die einzelnen Muskeln theils mit 4!/, Oeffnungs-Inductionsschlägen pro Secunde gereizt, theils mit 6, 6!/,, 12, 16!/, und 17!/,. Die Zahl der Einzelreize, welche ein Muskel während einer Versuchsreihe erhielt, schwankte zwischen 1000 und 2880. In einer ganzen Reihe von Fällen wurde der Muskel je 4 Stunden lang gereizt und dann jedesmal eine 8 Secunden lange Ruhepause eingeschoben. Bei allen diesen Versuchen mit kleinerer und grösserer Reizfrequenz zeigten sich analoge Resultate, wenn Minuten lange Pausen und Massagen eingeschoben wurden. Es genügt daher, durch einen Versuch die stets ebenso auftretenden Erscheinungen zu erläutern. Die Einwirkung kürzerer und längerer Ruhepausen und die Verhältnisse bei nicht anpassender Er- holung hat Rollet eingehend gewürdigt. Hier handelt es sich darum, die Wirkung der Massage in den ersten und weiteren Stadien der Ermüdung am frischen durchbluteten Muskel zu erörtern. Der folgende Versuch wurde bei einer Reizfrequenz von 6 pro Secunde vorgenommen; der Muskel erhielt jedes Mal während einer Dauer von etwa 20 Secunden derartige maximale Oeffinunes-Inductionsschläge Es wurden 2 Accumulatorzellen in den primären Kreis nebst einem Wider- stande von 1 Ohm eingeschaltet, der Rollenabstand betrug 360". Die Rotationsgeschwindigkeit der Trommel ist aus den verzeichneten Halb- secundenschwingungen einer Stimmgabel zu ersehen; eine Umdrehung er- folgte in 24 Secunden. Der Versuch selbst ist in Taf. XVII niedergelegt; Tabelle VII giebt ‚die weitere Erläuterung. Taf. XVII, Fig. 1 zeigt die erste Zuckungsreihe, deren Hubhöhen in Ta- belle VII, Spalte 1 theilweise berechnet sind. Man sieht, dass die ersten Einzelzuckungen noch vollständig ablaufen, jedoch wird nach jeder einzelnen Gontraction die Wiederausdehnung eine immer langsamere (d. h. die De- crescente dehnt sich fortgesetzt mehr), während Anfangs die einzelnen Hub- höhen wachsen. Allmählich verfällt der Muskel in einen unvollkommenen srosszackigen Tetanus. Die nach einer Pause von 5 Minuten (? 5’) aufgenommene Curve 2 (Taf. XVII) zeigt im Anfange wieder Einzelzuckungen, die aber schon nach der 15. sehr unvollkommenen Zuckung in PouBenı ziemlich feinzackigen Tetanus übergehen. Die folgende Curve 3, nach 5 Minuten Massage (M 5’) gezeichnet, hat die Behendigkeit des Muskels wieder erheblich gesteigert. Die Curve ist ähnlich der 1. Curve, endigt erst nach einer grösseren Reihe von Einzel- zuckungen in unvollkommenem clonischen Tetanus. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MUSKEL. 489 Tabelle VII. (Hierzu Taf. XVII) Curve Nr. II a 2 Bu 9 1002 1 12 Pause | Massage | Massage | Pause | Massage Pause Vorher eingeschoben: von von | von von von | von | 15Min.| 5 Min. 10 Min. 12Min. 5 Min. 5 Min. 1. Hubhöhe in mm | 3-2 | 3-5 3-5 10-2 | 8-7 3.8 | 8-7 2 TE 5, Bo 35 [02 | 1-7 22 6 ae 2029 1:00 9-5 1.0-1 | 0-35. 01 1-1 1-4 | 0-4 ash a Eore 022er 0:05: | 0:075 | 0-6%1 0:9 Mor DOREEN, u 2330. 1-4 | 0.05 | 0-05 | 0-5 | 0-8 Slayanı)) ‚ 2-0 | 01 | 1-3 |0-05 | 0-075 = | — an ST ht, eo | = 0:05 1,.0:075 0 — 50.0.5, ME 1-6 0-1 2210 2100-05, |,02075 0:30.72 0.1 60. Ben 20:05. 0:09, |, Nom 0% DD 1150021 0-7 0:05 1.0.0795 , —. | 0.2 | 0-1 SO 0.211.029 1.0.1 = 0-05 | 0.05 — | 0.7 10-41 Om, 5 We Wo 0-55 0-05 | 0-05 | — 0-7 | 0-1 T00SE, 28 0=681.051 0-05 | 0.05 | 0.2 | 0-7 0-1 ALOE N, Re | 0-6 | 0-1 |) 0-3 |0-05 | 0-09 | 0-2 | 0-7 0-1 Von den nächsten 5 Curven ist nur die letzte, Curve 8, geschrieben worden. In Folge der Ermüdung hat die Reizfrequenz 6 pro Secunde aus- gereicht, fast glatten Tetanus zu bewirken. Eine Massage von 10 Minuten erfrischt den Muskel wieder so weit, dass er 7 bis 8 Einzelzuekungen machen kann (Curve 9), ehe er in ziem- lich fein vibrirenden Tetanus verfällt. Die lange Pause von 12 Minuten bessert seine Leistungsfähickeit weiter (Curve 10), noch viel mehr aber die folgende kurze Massage von 5 Minuten, in Folge welcher der Muskel nach einer ganzen Reihe von Einzelzuckungen in nur unvollkommenen celonischen Tetanus mit ziemlich tiefen Einschnitten verfällt (Curve 11). Die Pause von 5 Minuten leistet wieder nur wenig (Curve 12). Unterbricht man die Reizung des Muskels, so ist der Abfall der Curven nach Massagen steiler, als nach einfachen, gleich langen Pausen. Dies beruht auf der Verkürzung der Decrescenten durch die Massage, aus welchen dieser Abfall resultirt. — Aehnliche Resultate erhält man, wenn man dieselbe Reizfrequenz nur kurze Zeiten, etwa je 4 Secunden, einwirken lässt; auch hier unvolikommenere, stärker eingeschnittene Tetani nach Massagen, als nach Pausen. 490 Hans Ruge: Wenn der Muskel durch dauernde Arbeit ermüdet ist und fast glatte Tetani bei derselben Reizfrequenz aufgetreten sind, so bewirken Pausen wie Massagen, dass dieselbe Reizfrequenz zuerst wieder nur Einzelzuckungen auslöst. Diese Einzelzuckungen sind nach Massagen zahlreicher als nach Pausen, bevor der Muskel in mehr oder minder grosszackigen Tetanus übergeht. Selbst bei stark ermüdeten Muskeln bewirken Pausen und Massagen, dass die folgenden Tetani mit grossen Zacken anfangen, die tiefere Ein- schnitte zwischen sich zeigen und zahlreicher sind nach Massagen, als nach ebenso langen Pausen. — Diese Untersuchungen ergeben demnach, dass durch die Massage aus _ einem ermüdeten trägeren Muskel ein flinkerer wird und demgemäss nach Kronecker und Stirling zur Erzielung des Tetanus nach Massagen eine grössere heizfrequenz nothwendig ist als vorher, oder als nach gleich langen Pausen. Beim entbluteten Muskel bewirkt Massage im Stadium der Ermüdung ebenfalls, dass darnach der Tetanus zunächst einzelne grössere Zacken zeigt. Durch Ruhepausen erreicht man Aehnliches, aber in viel schwächerer Ausprägung. Dies wurde bei einer ganzen Reihe von Versuchen mit Reizfrequenzen von 3, 4!/,, 9, 12 und 15 pro Secunde stets beobachtet. V. Latenzzeit. Verschiedene Versuche bezweckten, festzustellen, ob die Latenzzeit des Muskels bei Ermüdung durch Massage verkürzt wird. Bei schnellstem Gange der Trommel des Myographions nahm ich nach 200 bis 300 Zuckungen eine Curve auf, liess die Trommel dann bei ab- gehobenem Schreibhebel weiter rotiren, massirte den Muskel einige Minuten hindurch und schrieb dann wieder auf dieselbe Abseisse eine Curve. Der Reiz erfolgte ja durch den Reizkranz stets in derselben Ordinate. Es zeigte sich, dass der Fusspunkt der ersten 2 bis 3 Curven nach Massagen deutlich früher fiel, als vorher. Obgleich aber bei etwa 10 Ver- suchen annähernd gleiche Resultate (etwa 0-005 Secunden Differenz) er- halten wurden, bin ich doch nicht überzeust, dass es gelungen ist, alle Fehlerquellen der Untersuchung sicher auszuschliessen; zumal da Tiger- stedt (30) die ganze mechanische Latenzdauer nur auf 0-004 bis 0-006 Secunden angiebt. Die Möglichkeit einer Verkürzung der Latenzzeit durch Massage liegt vor. Erwiesen ist sie durch meine Versuche nicht. \ DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN Musker. 491 VI. Reizbarkeit des Muskels. Oefters traten nach Massagen auch bei den Schliessungs-Inductions- schlägen kleine Zuckungen auf, während vorher dieselben Schläge zu schwach Sewesen waren, um Contractionen auszulösen. Diese Erscheinung wurde wiederholt beobachtet, gelegentlich auch nach Ruhepausen. In einigen Fällen musste deshalb nach Massagen die Secundärspirale von der primären entfernt werden, in einem Falle von 250"m auf 270mm, Das wurde so gedeutet, dass durch Massage die Reizbarkeit des Muskels gesteigert wurde, da nach dieser schon schwächere elektrische Schläge genüsten, um eine Zuckung auszulösen. Diese Auffassung möchte ich aufrecht erhalten, trotz- dem sie im Widerspruche mit einer Notiz von Zabludowsky! steht. Zum Schlusse soll noch erwähnt werden, dass es nach obigen Unter- suchungen nicht wahrscheinlich ist, dass sich der Werth der Massage für den Muskel mit der Beförderung von unbrauchbar gewordenen Substanzen [Dissimilationsproducten nach Hering (32)] in die Blutbahn erschöpft. Die Versuche am entbluteten Muskel zeigen vielmehr, dass eine directe Ein- wirkung auf die contractile Substanz noch ausserdem stattfinden muss, eine Einwirkung auf die inneren Vorgänge im Muskel (Assimilirung und Dissi- milirung). : Maggiora (5) sagt: „Es muss nicht angenommen werden, dass die Massage deshalb günstig wirkt, weil sie aus dem Muskel die durch die Contraction entstandenen schadhaften Producte entfernt, denn wir sehen, dass sich die Energie des Muskels auch dann steigert, wenn derselbe früher nicht ermüdet wurde.“ Dass die Massage auch auf den nicht ermüdeten Muskel günstig wirkt, zeigt eine ganze Reihe obiger Versuche. ı Litt. 2.; daselbst S. 7. 492 Hans Rver: Litteraturverzeichniss. 1. Landerer, Mechanotherapie (Handbuch). Leipzig 1894. 2. Zabludowsky, Die Bedeutung der Massage für die Chirurgie und deren physiologische Grundlagen. Langenbeck’s Archiv. 1883. Bd. XXIX. — Dasselbe: Centralblatt für die medicin. Wissensch. 1883. Nr. 14. 3. Derselbe, Physiologische Wirkungen der Massage u.s. w. Langenbeck’s Archiv. 1885. Bd. XXXI. 4. Kronecker und Stirling, Die Genesis des Tetanus. Dies Archiv. 1878. Physiol. Abthlg. 5. Maggiora, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Zbenda. 1890. Physiol. Abthlg. 6. Derselbe, Contributo allo studio dell’ azione fisiologica del massagio. Giornale della R. Soc. Ital. d’Igiene. Milano 1890. Vol. XII. Nr. 11/12. (Vorläufige Mittheilung zu 7.) 7. Derselbe, Untersuchungen über die Wirkung der Massage auf die Muskeln des Menschen. Archiv für Hygiene. 1892. Bd. XV. S. 141. 8. Derselbe, Dasselbe. Arch. per le scienze medichi. Vol. XV. Nr. 4. 9. Derselbe, Dasselbe. Arch. italiennes de biologie. Vol. XVI. Nr.2 u. 3. 10. Bendix, Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen. Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. XXV. S. 308. il. Gopadse, Einfluss der Massage auf den Stickstoffwechsel und die Assimi- lation des Stickstoffs der Nahrung. Dissert. St. Petersburg 1886. 12. Keller, Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen. Corresp. Schweizer Aerzte. 1889. Bd. XIX. 8. 393. 13. Dunlop, Tuton, Stockmann and Maceadam, Journal of Physiology. Vol. XXI. p. 67. 14. Bum, Einfluss der Massage auf die Nierensecretion. Anzeiger der Gesell- schaft der Aerzte in Wien. 1887. 8.57. 15. Derselbe, Ueber den Einfluss der Massage auf die Harnseeretion. Zeitschrift für klinische Medicin. 1889. Bd. XV. S. 248. 16. Leber und Stüve, Ueber den Einfluss der Muskel- und Bauchmassage auf den respiratorischen Gaswechsel. Berliner klin. Wochenschrift. Bd. XXXIIL. Nr. 16. 17. Edgecombe and W. Bain, Journal of Physiology. Vol. XXIV. p. 48. 18. Colombo, Physiologische Wirkung der Massage. Olinica moderna. Ref. in Münchener med. Wochenschrift. 1900. 8. 909. 19. Eceles, Die Wirkung der Massage auf die Körpertemperatur. Referirt in Allgem. med. Centralzeitung. 1888. 8.1450. Vgl. The Practitioner. 1887. p. 401. 20. Lucas-Championnere, Le massage etc. Paris 1389. 21. Castex, Etude clinique et exp6rimentale sur le massage. Archives generales de medecine. 1891. p. 278. DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE AUF DEN MusKEL. : 493 22. Krukenberg, Lehrbuch der mechanischen Heilmethoden. Stuttgart 1896. 23. Engelmann, Das rhythmische Polyrheotom. Pflüger’s Archiv. 1892. Bd. LII. S. 603. 24. Rollet, Ueber die Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln bei fortgesetzter periodischer Erregung und bei der Erholung nach derselben. Ebenda. 1896. Bd. LXIV. 8.507. 25. Funke, Ueber den Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf der Muskelthätigkeit. Zbenda. 1874. Bd. VII. 26. Helmholtz, Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrg. 1850 u. 1852. 27. Engelmann, Das Princip der gemeinschaftlichen Strecke. Pflüger’s Archiv. Bd. LII. S. 592. 28. Volkmann, Die Ermüdungsverhältnisse der Muskeln. Zbenda. Bd. III. S. 374. 29. Bowditch, Ueber die Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des Herzens zeigen. Berichte d. sächs. Akad. 1871. Math.-phys. Classe. 30. Tigerstedt, Dies Archiv. 1885. Physiol. Abthlg. Suppl. 31. Biedermann, Elektrophysiologie. Jena 1895. Bd. 1. 32. E. Hering, Zotos. 1889. N.F. Bd. IX. S. 36. Erklärung der Abbildungen. (Taf. XVI u. XVII) Tafel XVI. Fig. 1. Entbluteter Muskel. Vom Nerven aus maximal gereizt, alle Secunden. Nach den ersten 10 Zuckungen eine Ruhepause von 5 Min. (P 5’); nach den Zuckungen 11 bis 20 Massage des Muskels, Dauer 5 Min. (M 5’); dann 100 Zuckungen hinter einander (davon 50 Curven ausgelassen). Treppe beachten und Verkleinerung der Hubhöhen nach Pausen und Massage! Fig. 2. Durchblutet. Vom Nerven aus alle 2 Seeunden maximal gereizt. Curven Nr. 650 bis 750 geschrieben. Dazwischen 4 Minuten Massage eingeschoben. Die ersten Hubhöhen darnach sind hoch, die nächsten kleiner, die folgenden wieder höher. Fig. 3. Anderer Versuch, ähnlich wie in Fig. 2. Curven Nr. 340 bis 403. Figg. 4 u. 5. Durchblutet. Verlauf der Zuekungen. Die einzelnen „Bänder“ der Zuckungen enthalten meist je 5 Zuckungscurven, und zwar: Bandes Siezenthältedier 1),.3.,.5.,.7..u. 9. Zuckung, 5 II 5 „ 101., 103., 105., 107. u. 109. Zuckung, = 1008 En 7.2012 bis, 210. Zuckung; 3 IVa er 5. ul 5 en IVb En BRAIN 02410: r m Va er Ale 20 420: > 7 Vb = Dill 2520: 2 y VIa 35 BeH2laı 3 530: ” 55 VIb 55 ol nel 5 494 ' Hans Rüge: DIE PHYSIOLOGISCHE WIRKUNG DER MASSAGE T. S. w. Band VlIla enthält die 631. bis 640. Zuckung, SS VIERD RS Ela. 25,140. bs NAD 2 TA 25, :750, I: An IXa= 0:3 ES A. N 1850, ” ER ULRUDI re No e. = 2'950, NEE: ” X Rn gl... 960,0 EXT „ IL... 90. A DE OL RIED. re Beet, 1170. Be KERN Der 117 5,1180. Dune SEXIV sn... 1190,00 00 NR Va eos: 129058: a XV tal... ;: 139080 0008 ER NVI 39... 1400: a LVA at AOL. 1420: P = Pause. M = Massage. 5° = 5 Minuten. E£} Fig. 6. Vergleichende Curven zweier durchbluteter Muskeln, von denen der eine in 64 nur durch Ruhepausen (P) sich erholt hat, der andere in 6 durch ebenso lange dauernde Massagen (M). Bei beiden bedeutet: Band I= Cuve 1 bis 10 ae 11. 4.90 EN 21.1,52.30 anvee 141. 150 N 51 52160! Figg. 7 u. 8. Vergleichende Curven zweier entbluteter Muskeln. Der Muskel in Fig. 7 hat sich durch Ruhepausen erholt, der in Fig. 8 durch ebenso lange Massagen. In beiden Figuren entspricht: Band I den Curven 1 bis 10 N BIT ee er a) REG 5 DE 830 lang ” 1417 ,,- 150 Vieles: A 151. 2,2160 „» IWb „ » 291 „ 300 (bezw. 295). Tafel XVII. Zuckungsreihen am durchbluteten Muskel. 6 Reize pro Secunde. Dauer etwa 20 Secunden. Pausen und Massagen eingeschoben (vgl. P und M). Bemerkung zu: „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte von Adolf Bickel.“ Von Prof. Dr. Giulio Fano, Director des physiologischen Instituts in Florenz. In diesem Archiv ! hat Hr. Adolf Bickel eine Arbeit zur Physiologie des Schildkrötenhirns veröffentlicht, welche er im physiologischen Laboratorium in Berlin unter der Leitung von Prof. I. Munk ausgeführt hat. Von meinen auf dieses Thema sich beziehenden Arbeiten führt Hr. Bickel nur eine kurze Note an, welche 1883 in den Archives italiennes de Biologie mitgetheilt wurde. Meine anderen Arbeiten hierüber sind offenbar dem Verfasser nicht bekannt, denn sonst hätte er die von mir erzielten Resultate wohl etwas mehr berück- sichtigt, namentlich da, wo er dieselben zu bestätigen im Stande gewesen wäre. Meine Untersuchungen über die Folgen der Exstirpation einzelner Gehirntheile sind übrigens viel weitgehender als diejenigen des Hrn. Bickel. Meine Arbeiten über die Physiologie des Schildkrötenhirns sind die folgenden: 1. Saggio sperimentale sui movimenti volontari della Testuggine palustre (Emys europaea).? 2. Di un nodo trofico bulbare nella Testuggine palustre.? 3. Contributo sperimentale alla psico-fisiologia dei lobi ottici nella Testug- gine palustre.? 4. Di aleuni fondamenti fisiologiei del pensiero.° Mit diesen Arbeiten glaube ich mannigfache Beiträge zur Kenntniss der Funetionen des Gehirns von Emys europaea geliefert zu haben, und der Leser dieser Abhandlungen wird leicht die Ueberzeugung gewinnen, dass die wichtigsten von Hrn. Bickel beobachteten Thatsachen in meinen Veröffentlichungen bereits enthalten sind. ! Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 52. ? Pubblicazioni del R. Istituto di studi pratici e di perfezionamento. Firenze 1884. ® La Salute. Genova 1885, * Rivista sperimentale di freniatria e di medicina legale. Reggio-Emilia 1886. ° Rivista di Filosofia scientifica. Milano 1890. — Hiervon hat A. Herzen ein Referat in der Mevue scientifigue (Paris 1890. T. XLVI. p. 239) erscheinen lassen, unter dem Titel; Le röle psyco-physiologique de Yinhibition d’apres M. Jules Fano. Zu meiner Abhandlung: „Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte.“ Eine Erwiderung an 6. Fano. Von Adolf Bickel. In einer Bemerkung! zu meinem Aufsatze über die Gehirnphysiologie der Schildkröte weist G. Fano darauf hin, ich hätte seine Untersuchungen über diesen Gegenstand nicht genügend berücksichtigt. Dieser Vorwurf Fano’s ist der Sache nach vollkommen berechtigt, und ich würde auch seiner Zeit nicht gezögert haben, die Arbeiten Fano’s in meinem Aufsatze eingehender zu würdigen, als ich es thatsächlich gethan habe, wenn es mir möglich gewesen wäre, von dem Inhalt der Arbeiten Fano’s Kenntniss zu nehmen. Soweit die Arbeiten Fano’s an einem allgemein zugänglichen Orte? publieirt waren, habe ich sie in allerweitestem Umfange berück- sichtigt. Leider jedoch sind die übrigen diesbezüglichen Untersuchungen Fano’s in italienischer Sprache in Zeitschriften veröffentlicht, deren Inhalt nicht regelmässig Gegenstand des Referates in unseren deutschen Jahres- berichten ist. Obendrein aber hat Fano seine Untersuchungen über das Schild- krötengehirn auch noch zum Theil unter Titeln publieirt, die, wie mir Jeder zugeben wird, nicht vermuthen lassen, dass in einer solchen Arbeit von der Gehirnphysiologie der Schildkröte gehandelt wird. „Di alcuni fondamenti fisiologiei del pensiero“? lautet der Titel einer solchen Arbeit, ! Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 5. 495. ” Archives italiennes de Biologie. ® Rivista di Filosofia seientifica. Milano 1890. ADOoLF BICKEL: ZU MEINER ABHANDLUNG: „BEITRÄGE U. 8. w.“ 497 und das heisst auf deutsch: Ueber einige physiologische Grundlagen des Gedankens. „Schildkrötengehirn“ und „physiologische Grundlagen des (edankens“ sind zwei Begriffe, die doch zu weit aus einander liegen, als dass durch das Bewusstwerden des einen dasjenige des anderen nothwendig geweckt werden müsste. Bei einer anderen Arbeit Fano’s war nicht so sehr der Titel als der Ort ihrer Publication der Grund, warum ich sie vernachlässigen musste. Sie ist in der „Rivista sperimentale di freniatria e di medieina legale“ 1886 erschienen. Wer ahnt, dass in einer „Experimentellen Rundschau über Psychiatrie und gerichtliche Medicin“, die dazu noch in Reggio-Emilia erscheint, eine gehirnphysiologische Arbeit über die Schildkröte steht? Ein ähnlicher Grund für das Nichtbeachten von meiner Seite liegt für die Arbeit Fano’s „Contributo sperimentale alla psico-fisiologia dei lobi ottiei nella Testuggine palustre“! vor. Abgesehen von der von mir seiner Zeit eingehend referirten Arbeit Fano’s, die in den Archives italiennes de Biologie, also an einem allge- mein zugänglichen Orte veröffentlicht war, hatte ich eine Arbeit Fano’s bei der Durchsicht der Litteratur dem Titel nach kennen gelernt. In Bezug auf den Inhalt dieses „Saggio sperimentale sul meccanismo dei movimenti volontari nella Testuggine palustre“? wurde jedoch auf die Arbeit in den Archives italiennes de Biologie verwiesen, so dass ich annehmen musste, es sei im Wesentlichen dieselbe Arbeit in zwei Sprachen publicirt worden. Fano giebt übrigens selbst zu, dass der Inhalt dieser italienischen Schrift in dem Aufsatze der Archives italiennes zu finden sei, wenn er in jener erstgenannten Arbeit schreibt: „Un sunto di questo lavoro fu pubblicato l’anno scorso nelle Archives italiennes de Biologie. Tomo III. Fasc. III.“ Ich zögere nicht, die Verdienste, die sich Fano um die Gehirnphysiologie und, wie mir scheint, auch um die Seelenlehre der Schildkröte erworben hat, anzuerkennen. Nur vermag ich nicht zuzugeben, dass bei dieser lückenhaften Würdigung, die ich Fano nothgedrungen habe zu Theil werden lassen, mich eine wesentliche Schuld trifft. Ich will auch den Heraus- gebern der Jahresberichte u. s. w. keinen Vorwurf machen, sondern mich nur mit der Bitte an den Autor selbst wenden, dergleichen Dinge, wie physiologische Untersuchungen am Schildkrötengehirn durchweg an all- gemein zugänglicheren und auch zuständigeren Orten zu publieiren, wofern er darauf reflectirt, von Ausländern eitirt und berücksichtigt zu werden. Im anderen Falle kann von einer Verpflichtung hierzu nicht die Rede sein. ! La Salute. 1885. ? Pubblicazioni del R. Istituto di studi superiori. 1894. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 32 498 Apour BicKEL: ZU MEINER ABHANDLUNG: „BEITRÄGE U. S. w.“ Diese Forderung ist um so mehr berechtigt, als gerade die physio- logische Litteratur an einer enormen Zersplitterung leidet, der vorzubeugen jeder Autor die Pflicht hat. Ich bin nicht in der Lage, genau abzugrenzen, wie weit meine Unter- suchungen über das Schildkrötengehirn sich mit denen Fano’s decken, da ich von den italienischen Arbeiten dieses Autors nur in die Untersuchung: „Saggio sperimentale sul movimenti etc.“ habe jetzt nachträglich Einblick erhalten können. Wenn aber Fano versichert, dass seine Versuchsergeb- nisse mit meinen gut übereinstimmen, so kann mich das nur freuen, da es der Sache jedenfalls förderlich ist, wenn zwei Autoren, wie in dem vor- liegenden Falle, zum Theil ganz unabhängig von einander zu denselben Resultaten gelangen. Die bekannt gegebenen Erfahrungen werden dadurch ° in hohem Grade gesichert. Verbrennungswärme und physiologischer Nutzwerth der Nährstoffe. IT. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleischextractes. Von Johannes Frentzel und Nasujiro Toriyama. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) In der ersten Abhandlung von Frentzel und Schreuer über den Nutzwerth des Fleisches! wurde bereits auf die jetzt zu besprechende Unter- suchung hingewiesen, welche den Zweck hat, neues Material zur Klärung der Frage von der Bedeutung der Extractivstoffe des Fleisches für die Ernährung beizubringen. Wie damals kurz erwähnt, liegt bisher nur eine derartige Untersuchung von Rubner? vor, in welcher dem Fleischextract jeder Werth für die Ernährung abgesprochen wird. Der Rubner’sche Versuch wurde an einem 24*%® schweren Hunde ausgeführt, welcher sich mit 2 Pfund Fleisch eben erhielt. Diesen 2 Pfund Fleisch entsprechen nach Rubner ca. 37-2 :”% trockenes Fleischextract. Nach mässiger Fleischzufuhr hungerte der Hund zwei Tage lang; an den zwei darauf folgenden Tagen erhielt der Hund je 37-2 sm Fleisch- extraet in 500 = Wasser gelöst, worauf ihm an dem nun folgenden Tage wieder die Kost entzogen wurde An allen Tagen wurden Respirations- bestimmungen ausgeführt; auch wurde der Stickstoffgehalt des Harnes nach Schneider-Seegen, ferner Phosphor- und Schwefelgehalt nach gebräuch- lichen Methoden ermittelt. Die Zusammensetzung des Kothes blieb un- berücksichtigt, da sich der Koth im vorliegenden Falle nicht genau ab- grenzen liess. | \ Dies Arch. 1901. Physiol. Abthlg. S. 284. ?” Zeitschrift für Biologie. Bd. XX. 8.265 u. Bd. XIX. 8.318 ff. 32 500 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO TORIYAMA: kubner findet keine irgendwie in Betracht kommende Aenderung des respiratorischen Gaswechsels durch die Zufuhr des Fleischextractes im Vergleich zu den Hungertagen und schliesst daraus, dass „das Extraet bej der Berechnung der Verbrennungswärme des Fleisches unberücksichtigt zu bleiben hat“, Was die Zusammensetzung des Harnes anlangt, so findet Rubner an den Hungertagen eine Ausscheidung von 4-41®" N pro Tag, » „. Fleischextraettagen 3: 6ER also ein Plus von 2-41®m N pro Tag, während nach seiner Analyse pro Tag 3-61:”% N im Fleischextract zu- geführt wurde. Es erscheinen also 3-61 — 2-41 = 1-20=" N nicht im Harne. Trotzdem Rubner annimmt, dass ein Theil von diesen 1.208m N pro Tag mit dem Kothe wieder ausgetreten sei, so giebt er zu, dass der grössere Theil jedenfalls im Körper des Hundes selbst zurückgehalten worden ist. Hierfür giebt Rubner die folgende Erklärung: ! „Dieses Zurückbleiben von Bestandtheilen des Fleischextractes im Organismus wurde durch be- sondere Verhältnisse bei dem untersuchten Thiere veranlasst. Es war nämlich am 21.—23. November 1883? mit Fleisch gefüttert worden, das seiner Extractivstoffe beraubt und in der hydraulischen Presse ausgepresst worden war. Das Thier erhielt dabei auch kein Wasser vorgesetzt. Bei Fütterung mit diesem Stoffe hatte der Körper Wasser abgegeben, denn die Eiweisskörper sind wasserentziehende Mittel; obschon nun am 24. das Thier hungerte und am 25. 200 m Wasser gereicht wurden, konnte sein Wasserbestand nicht wieder ausgeglichen werden, und setzte das Thier bis zum 29. November Wasser an, ...... Trotz dem Hungerzustande nahm der Hund bis zum 29. fortwährend an Gewicht zu.“ Rubner bespricht dann noch die Relationen der einzelnen anorgani- schen Bestandtheile des Harnes und kommt aus seinen Betrachtungen zu dem Schlusse, dass es aus den mitgetheilten Versuchen auf das Bestimm- teste hervorgehe, dass das Fleischextract keinen Einfluss auf die Wärme- bildung hat. E. Pflüger? unterzieht in der Abhandlung ‚Unsere Kenntnisse über den Kraftwerth des Fleisches und der Eiweissstoffe“ den Rubner’schen Fleischextractversuch einer eingehenden Kritik. Zunächst wird an Versuche 7. 8..02 87270: ® Die Versuchstage waren der 25. November (Hunger), 26. und 27. November (Fleischextraetfütterung), 28. November (Hunger); am 24. November war der erste Hungertag, den Rubner nicht für seine Resultate verwerthet hat. » Pflüger’s Archiv. Bd. LXXIX. S. 537. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH. DER NÄHRSTOFFE. 501 erinnert, welche Voit und auch Rubner an Hunden bei Hunger und Fettzufuhr angestellt haben, und in welchen durch die Fettzufuhr keine Aenderung der Gesammtzersetzung hervorgerufen wurde. Ein ähnliches Resultat fand Pflüger bei seinem Versuche an der hungernden Katze, welche auch keine Steigerung des Sauerstoffverbrauchs zeigte, als sie mit Fleischextract, Reisbrei und Fett gefüttert wurde. Unter der Voraussetzung, dass die Extractivstoffe des Fleisches sich nicht am Stoffwechsel betheiligen, hatte Rubner zum Beweise der Richtig- keit dieser Voraussetzung eine Berechnung der Zusammensetzung des Fleisch- harnes ausgeführt, welche mit der analytisch ermittelten Zusammensetzung nach Rubner übereinstimmen. Pflüger prüft diese Rechnung nach und findet: „Unter Zugrundelegung der von Rubner selbst gelieferten Zahlen gelangen wir zu dem Schluss, dass die den Extract des Fleisches zusammen- setzenden Stoffe in weitem Umfange am Stoffwechsel theilnehmen und den Harnstoff vermehren.“ Die Zahlen Rubner’s, aus denen die vorstehend besprochenen Schlüsse gezogen wurden, sind aber nach Pflüger’s Ansicht nicht richtig. Aus der Betrachtung dieses kurzen Ueberblickes über das „Für“ und „Wider“ der Rubner’schen Ansicht über den Werth des Fleischextractes erscheint es wohl berechtigt, neue experimentelle Thatsachen zu dieser Frage zu sammeln. Bei diesem Vorgehen waren wir insofern gegen frühere Beobachter im Vortheil, als man bei den Fortschritten in den Methoden jetzt in so leichter und einwandfreier Weise die Wärmeproduction der ein- zelnen in Betracht kommenden Faectoren bestimmen kann. Versuchsplan. Wir haben nicht, wie Rubner, einen Vergleich zwischen den Vor- gängen im Hunger und bei Fleischextractzufuhr angestellt, sondern es für zweckmässiger erachtet, unser Versuchsthier mit allerdings beinahe eiweiss- freier Kost zu ermähren, wobei wir dann dieser unverändert bleibenden Grundkost während einer Reihe von Tagen sogar noch mehr Fleischextract zufügen konnten, wie Rubner bei seinem Hunde. Respirationsversuche erschienen uns überflüssig, da dieselben allenfalls zur Beantwortung der Frage herangezogen werden könnten, ob das Fleisch- extract durch seine anregende Wirkung den Stoffverbrauch steigere, wie das Kemmerich behauptet hat, oder ob dies nicht der Fall sei, wie Bunge angiebt. Die uns gestellte Aufgabe kann nur so gelöst werden, dass man bestimmt, ob ein Theil und ein wie grosser des mit dem Fleisch- extract zugeführten brennbaren Materiales den Körper unverbrannt verlässt. 502 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO TORIYAMA: In unserem Versuche wurde demgemäss Harn und Koth gesammelt, und ausser den für die Berechnung des Versuches wichtigen analytisch ermittelten Daten die Verbrennungswärme der Bestandtheile der Nahrung, sowie der Ausscheidungen festgestellt. Bezüglich der Vorbereitungen des zu analysirenden und zu verbrennen- den Materiales sind wir ebenso vorgegangen, wie das in der ersten Abhand- lung von Frentzel und Schreuer! ausführlich besprochen ist; etwa vor- kommende Abweichungen werden ausdrücklich hervorgehoben werden. Unser Versuchsthier war eine Hündin von ca. 16:3 Körpergewicht, welche bis zum Beginn des Versuches mit Schmalz, Reis und Pferdefleisch auf ihrem Bestande erhalten wurde. Vorversuch. Die Fütterung ohne Fleischextract erstreckte sich auf 4 Tage: vom 23. bis 27. Januar. Dem im Durchschnitt 16° 19%s wiegenden Hunde wurde pro Tag 1008” Kartoffelstärke, 502°" Schmalz und 38 Fleischasche gereicht. Die Abgrenzung des Kothes geschah stets durch Kieselsäure. Die Nahrung. a) Kartoffelstärke. Die Analyse ergab: 17.99 Procent Feuchtigkeit, 0-049 ;, Stickstoff. Die calorimetrische Bestimmung ergab: 1m verfüttertes Mehl “ entsprechend 1®”% Trockensubstanz — 3441-0 cal. —= 4197-0 cal. 3398-08 „ 4143-45 „ 3347.08 „ 4081-03 „ 3415.70 „ 4165-8 „ Mittel 3400 .465 cal. Mittel 4146-89 cal. Die tägliche Ration 1003” Jiefern also 340.05 Cal. b) Schmalz. Das Schmalz wurde durch Ausschmelzen von Spuren von Feuchtigkeit befreit und seine Verbrennungswärme nach Stohmann und Lanebein? zu 9-5 Cal. pro 1m in Rechnung gestellt. 14.2.0. ? Journal für praktische Chemie. Bd. XLII. S. 361. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 503 HOsEajeterngalson. 4 8. 2.2... 175 Gall Pro Tag erhielt der Hund demnach 815-05 Cal. odersineigelasen 2... ... ...., 2260.20. , Die Ausscheidungen. a) Der Harn. Der Harn wurde durch Katheterisiren ein Mal am Tage gesammelt und die Blase mit 3procent. Borsäurelösung bis zum Farbloswerden des Spülwassers gewaschen. Der Harn vom 23.—24. I, sowie der vom 25.—26. I. wurde, mit dem zugehörigen Spülwasser vereinigt, für sich analysirt. Der direct mit dem Katheter entnommene Originalharn der Tage 24.—25. 1. und '26.—27. 1. wurde je auf 1 Liter aufgefüllt und darin die N-Bestimmung ausgeführt; die Spülwasser dieser beiden Tage wurden vereinigt und auch hierin der N-Gehalt bestimmt. Die Originalharne 24.—25. I. und 26.—27. I. dienten auch zur calorimetrischen Bestimmung. Wir haben also die folgenden Ergebnisse: 1. Harn 23.—24. I. mit Spülwasser auf 2300 °= gebracht; in je 20 «m N-Bestimmung. Es wurde von unserer Titrirsäure I (1° = 2.957 s N) verbraucht: Se lag ccm 8-10 „ 8-40 „ Mittel 8.22 «m — 24.307 ws N; im Ganzen 2.7953 2" N. 2. Harn 24.—25. I. Originalharn auf 1 Liter gebracht; in je 20 m N-Bestimmung. Verbrauch von unserer Säure I: 16.00 ccm 15-50 „ 15-75 „ Mittel 15.75 cm = 46-572 "ms N; im Ganzen 2-3286 s" N. 3. Harn 25.—26. I. mit Spülwasser auf 2 Liter aufgefüllt; in je 20 em N-Bestimmung. | Verbrauch von unserer Säure I: 6:10 cem 6-30 „ 6-23 „ Mittel 6.21 m = 18.36"8 N; im Ganzen 1.8360 8 N, 504 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO ToRIYAMA: 4. Harn 26.—27.1. Wie Nr. 2. Verbrauch von unserer Säure I: 13-70 3ccm 13.0290, Mittel 13.713 cm = 40.55 ms N; im Ganzen 2.0275 sm N. 5. Spülwasser der Tage 24.—25. I. und 26.—27. I. auf 2 Liter aufgefüllt. Verbrauch von unserer Säure I: 1.25 em 1.20 „ 1088 Mittel 1.183 em = 83-498 "we N; im Ganzen 0-3498 su N. Es wurden also in diesen 4 Tagen ausgeschieden: | 1. 2.7953 2% N 20083080, _ 3128360, u 50 3Ag8 9.337 sm N, oder wenn man, um einen besseren Ueberblick über die tägliche N-Aus- scheidung zu gewinnen, das Spülwasser auf die zugehörenden beiden Tage gleichmässig vertheilt: 1.Tag: 2.8082 N 22.50 1, Sen lu 84,,.0, 4. „: 2-20, „ 9.34 sm N, von denen der 2.329 + 2-027 = 4.356 2“ N entsprechende Harn zur calorimetrischen Bestimmung diente. Calorimetrische Bestimmung: Da wir zur Bestimmung des Wärmewerthes einen zweitägigen Harn verwenden wollten, der in 2 Litern nur 4-356 8 N enthielt, mussten wir verhältnissmässig mehr auf den Cellulosepflöckchen eintrocknen, als dies bei dem mehrfach erwähnten Versuche von Frentzel und Schreuer mit dem Fleischharn von 5 Tagen der Fall war. Leider verdunstete das Wasser der angewandten Menge Harn in dem Vacuumexsiccator nicht innerhalb 24 Stunden auf den Pflöckchen; der Harn ging vielmehr in Fäulniss über, so dass wir den damals, als den besten, eingeschlagenen Weg verlassen VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 505 mussten; wir haben deshalb je 50°“: des Mischharnes der beiden Tage im Wasserbad schnell bis zur Syrupconsistenz verdampft und dann von den vorher gewogenen Cellulosepflöckchen aufsaugen lassen; dasselbe Verfahren wurde auch bei dem Fleischextraetharn angewandt und jedes Mal in einem oder mehreren solcher Pflöckchen der N-Gehalt ermittelt, um den beim Eindampfen verloren gegangenen Stickstoff festzustellen und daraus den Verlust nach Calorien zu schätzen. Die calorimetrische Bestimmung ergab für je 50 «m Mischharn der beiden Tage: 030.90 cal. 8858-93 „ 926-80 „ im Mittel 915.54 cal. Ein solches 50°“ Harn haltendes Pflöckchen verbrauchte 34.63 com 34-45 „ Mittel 34.54 cm unserer Säure I = 102-134“ N; nach unserer directen Analyse enthalten 50 em Mischharn 108-9025 "8 N. Diesen Verlust von Stickstoff können wir in zweierlei Weise für die Calorienbestimmung berechnen. 1. Wenn wir annehmen, dass sich die in Verlust gegangenen Calorien proportional dem N-Verlust verhalten, haben wir den Ansatz: 915-54:2 = 102134: 108-9025; hierbei erhalten wir als Gesammtcalorien für 50 s"® Mischharn 976.225 cal. oder in 2 Litern Mischharn 39.049 Cal. | 2. Bei der Annahme, dass die beim Eindampfen verloren gegangenen Calorien durch Zersetzung von Harnstoff bedingt sind, würden, da 1=” N im Harnstoff = 5446-5 cal. entspricht}, für (108-9025 — 102.134) = 6769 »s N nur 36°867 cal. zu addiren sein; es würden bei dieser Annahme also "im Ganzen 91554 + 36-87 = 952.410 cal. aus 50 “® Harn, oder aus 2 Litern 38°096 Cal. gebildet werden. Nach Pflüger’s? Kritik eines Rubner’schen Versuches, bei welchem Harn auf Bimmssteinpulver eingedampft wurde, ist diese zweite, damals ! 1 sm Harnstoff = 2541-9 cal. (Stohmann und Langbein, Journal für prak- tische Chemie. Bd. XLIV. 8. 387). 1 s"= Harnstoff enthält m = 0-46667 au N. 1: m N im Harnstoff also = 5446-5 cal. ®2 Pflüger’s Archiv. Bd. LXXIX. S. 568. 506 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO TOoRIYAMA: von kubner gemachte Annahme, dass der Gewichtsverlust nur durch eine Zersetzung von Harnstoff bedingt sei, kaum zulässig. Wir haben bei unseren Versuchen die erste Art der Berechnung ein- geschlagen; der mögliche Fehler dürfte darum nicht sehr in’s Gewicht fallen, weil auch beim Harn der Fleischextractreihe die Zersetzungen beim Eindampfen etwa die gleiche Grösse hatten, wie hier im Vorversuche, und wir ja die so gefundenen Daten mit einander vergleichen. Es entsprechen nun den 39.049 Cal. 4-3561 8" N im Harn; während des ganzen viertägigen Versuches wurden aber 9.342m N ausgeschieden; wir erhalten also als Gesammtcalorien des ausgeschiedenen Harnes 39-049 x 9-34 Ber 83-7 Cal. ls’ N in diesem Harn entspricht 8-96 Cal. b) Der Koth. Es wurde gesammelt: 101.92 =” feuchter Koth = 25-57 em Juft- trockener Koth = 23.59 8m Trockenkoth. Analyse des lufttrockenen Kothes: 7.74 Procent Feuchtigkeit, 4.61 „ Stickstoff, 11-356 „ Rohfett, 21-18 Asche. Es wurde mit dem Kothe also 4-61 x 0.2557 = 1-17888m N und 11-356 x 0-2557 = 2.9037 „ Rohfett ausgeschieden. Bestimmungen des Wärmewerthes: 1: m Trockenkoth = 4564-9 cal. 4514-4 „ 4528:1 „ im Mittel 4535-8 cal., in 23-59 := Trockenkoth waren also 107-0 Cal. enthalten. Wir sahen in der Einleitung, dass Rubner das Zurückbleiben von Fleischextract-Bestandtheilen im Körper seines Hundes durch die Besonder- heit der voraufgegangenen Fütterung zu erklären sucht. Um nun bei unserem Versuche ähnliche „abnorme“ Verhältnisse zu vermeiden, haben wir nicht alsbald den Fleischextractversuch an den eben besprochenen VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 507 Vorversuch angeschlossen, sondern das Thier erst einige Tage lang in ge- wohnter Weise mit Reis, Schmalz und Fleisch gefüttert, und dann erst, als sich der Körper des Thieres unter denselben Bedingungen befand, wie beim Beginn des Vorversuches, den Fleischextractversuch in Gang gebracht. Versuch mit Fleischextraet. Das Futter in diesem dreitägigen Versuche vom 5. bis 8. Februar war das gleiche, wie im Vorversuche, nur erhielt der Hund täglich noch in zwei Portionen 500° Fleischextractlösung per Schlundsonde in den Magen eingegossen, so dass er pro Tag 40 "m Fleischextractzulage zu dem Futter des Vorversuches bekam. Das Fleischextract. Die Analyse ergab: 17:52 Procent Feuchtigkeit, 9-41! 5; Stickstoff; 1-155 ,„ Stickstoff entsprachen reinem Eiweiss; diese Bestimmung wurde nach Stutzer’s Vorschrift mit aufgeschlämmtem Kupferoxydhydrat ausgeführt. . Der Wärmewerth des Fleischextractes ist unseres Wissens nach bisher in der Bombe nie bestimmt worden. Bei dem hohen Gehalt an Feuchtigkeit war die Möglichkeit vorhanden, dass das Extract sich nicht direct entzündete; wir haben es für zweckmässig gehalten, auf alle Fälle eine dünne Scheibe der zur Harnverbrennung dienenden Cellulosepflöckehen auf das Extract aufzulegen, und haben auf diese Weise in allen Fällen eine glatte Verbrennung zu Stande gebracht. Für 15m des von uns verfütterten Extractes fanden wir: 2681.44 cal. 2586-35 „ 2569-53 „ 2644-00 im Mittel 2620-33 cal., bezw. 15m Trockenextract = 3177°0 cal. Der Hund erhielt also im täglichen Futter 815-05 Cal. aus dem Futter des Vorversuches + 40 x 2-62033 = 104-81 Cal. aus Fleischextract, im Ganzen 919-86 Cal.; oder in den 3 Tagen dieser Periode 2759.58 Cal. 508 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO TORIYAMA: Die Ausscheidungen. a) Der Harn. Der Harn der drei Versuchstage wurde nach dem Katheterisiren jedes Mal auf 1 Liter aufgefüllt, in jedem einzelnen die N-Bestimmung und in dem Mischharn der drei Tage die Bestimmung des Wärmewerthes aus- geführt. Das Spülwasser der drei Tage wurde gemeinschaftlich gesammelt, auf 2 Liter gebracht und analysirt. Die Analysen wurden jedes Mal mit 20 «m angestellt. Verbrauchte Säure I (1m = 2.957 8 N): Harn 5.—6. I. 38-95 m 38-875 „ Mittel 38-9125 m = 115-048"s N; im Liter 5.752 sm N, Harn 6.—7. I. 33.650 33-58 „ 33-70 „ Mittel 33.643 m = 99-483"8 N; im Liter 4-974 sm N. Harn 7.—8. II. 31.40 31-15 „ 31.2750 = 92.485": N; im Liter 4-.624sm N. Zur calorimetrischen Bestimmung wurde also ein Harn be- nutzt, der in 3 Litern . 15-350 8% N enthielt. Spülwasser. 1. 89,220 1-65 „ 1.205, Mittel 1-76 m — 5.2043"e N; in 2 Litern 0-520:m N. Gesammt-N-Ausscheidung im Harn: 15:87 sm N. Wärmewerth des Harnes: Je 20" Öriginalharn, im Ganzen also 60 m Mischharn, wie im Vor- versuch, auf Pflöckchen eingedampft, ergaben: 2983-13 cal. 3056-10 „, 3015.02 „ im Mittel -3018- .08 cal. in solehes Pflöckchen verbrauchte bei der Kjeldahl- analyse 97.60 «m Säure ; 288.68 N; nach den früheren Analysen enthalten "60 ccm Mischharn 307.013 "8 N. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 509 Analog der Berechnung im Vorversuch finden wir: 3018-083: = 288-6:307.013, d.h. 3210-54 cal. waren in 60 °® Originalharn enthalten; in 3 Litern also 160.270 Cal. Aus dem Spülwasser kommt dann noch hinzu ein Plus entsprechend 0.528 m N; oder wenn wir gleich die Gesammtcalorien berechnen, so er- giebt sich: a — 16597 Cal, sind in dem Harn des Fleischextraetversuches enthalten. 16597 > = 10-45 Cal. grm N= b) Der Koth. Es wurden zwischen den beiden Abgrenzungen mit Kieselsäure 112.948 feuchter Koth gesammelt, welche 29.57 sm Jufttrockenen Koth ergaben. Dieser Koth zeigte besonders nach dem Trocknen an der einen Abgrenzung eine deutlich hellere Partie; ausserdem enthielt er mehrere Büschel Haare, welche das Thier im Käfig sich abgerieben und verschluckt hatte. Deshalb bildeten wir aus dem Koth drei Portionen, nämlich: Koth 4A, die Hauptmenge von 20-51:'®, welche analysirt wurde und zu den calorimetrischen Bestimmungen diente. Koth BD, eine Portion von 1.70 =% Gewicht, welche nach dem Entfernen der Haare 15704 8m wog. Koth C, eine Portion von 7.368" Gewicht, welche nach dem Entfernen der Haare und der sicher anorganischen Theile noch 2-734 2m Gewicht hatte. In ZB und © wurde der N-Gehalt ermittelt und eine dem N-Gehalt proportionale Menge Rohfett berechnet, weil die Portionen 3 und C zu gering waren, um in denselben noch Rohfettbestimmungen ausführen zu ‘ können. Die Resultate der Analysen waren die folgenden: Koth 4. Derselbe enthält: 5.298 Procent Feuchtigkeit, 6-19 25 Stickstoff, 4.78 5 Rohfett, 23T > Asche. 20.51 &% lufttrockener Koth = 19.424” Troekenkoth. Als Wärmewerth wurde für 18% Trockenkoth gefunden: 3573-34 cal. 3581-31 „ im Mittel 3577.33 cal. 510 JOHANNES FRENTZEL UND NASUJIRO ToRIYAmMA: Koth 3 enthält 3-5213 Procent Stickstoff; im Ganzen also 0-0553 2" N. Koth © enthält 4-6184 Procent Stickstoff; im Ganzen also 0-1263 2" N. Es sind also in dem Gesammtkothe dieser Periode enthalten: 1: aus 4 0.2051.xx 16-199 =.1’271422N, 2.2 aus 22. Dean... 2. 0-.00D88, 3. aus.G en 2..:2:.0.DPbane 1-4530 8m N; und wenn wir das Rohfett berechnen wollen, so erhalten wir: (0-2051 x 4-78) x 14530 ” = 1-120 8m Rohfett 1.2714 im ganzen Koth. Wir haben in 1er Trockensubstanz (A) . . . . 3577.33 cal., in 19.424 sm Trockensubstanz (Koth A). . . . . . 69.4834 Cal., N 69-4834 x 1-4530 _ und im Ganzen Tora = 79.385 Cal. in dem Kothe des Fleischextractversuches gefunden. Der Nutzwerth des Fleischextractes. In der Fleischextractreihe ist pro Tag dasselbe Futter, wie in dem Vor- versuche gereicht und ausserdem 40®”% Fleischextract. Die Zugabe von Fleischextract bedingte eine Mehrausscheidung von Stickstoff im Harn und Koth der zweiten Periode, sowie eine Erhöhung der Wärmewerthe der Aus- scheidungen. In dem Falle, wo die Steigerung der Wärmewerthe der Zufuhr der der Ausfuhr nahezu gleich ist, wäre man zu dem Schlusse berechtigt, dass das Fleischextract, bezw. die Nicht-Eiweissstoffe in demselben keinen irgend- wie in Betracht kommenden Einfluss auf die Ernährung haben. Wir wollen jetzt unsere Befunde unter dem eben klar gelegten Ge- sichtspunkte betrachten. Zunächst haben wir in der Vorperiode bei Gabe von 0-049 3m N pro Tag eine Ausscheidung von 2:334s” N im Harn; in der Fleischextraetperiode bei Gabe von 3-813== N pro Tag eine Ausscheidung von 5.2903" N im Harn; d.h. bei Mehrgabe von 3.764 2m pro Tag eine Mehrausscheidung von 2-956®"m N im Harn, Rubner fand bei Mehrgabe von 3-61 pro Tag eine Mehrausscheidung von 2-41®m N im Harn. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 511 [Diese Zahlen stimmen sehr annähernd überein, besonders wenn man bedenkt, dass es sich um Versuche am lebenden Thiere handelt, wobei man nicht leicht Uebereinstimmungen im Sinne einer chemischen Analyse erhält; dass durch die verschiedene Methode der N-Bestimmung (bei Rubner nach Schneider-Seegen, bei uns nach Kjeldahl) Differenzen bedingt werden, halten wir für ausgeschlossen, da es sich ja doch um Vergleichswerthe in jedem Falle handelt. Es sei auch noch betont, dass Zuntz vor Jahren eine Reihe von Vergleichsbestimmungen mit extractreichem Harn nach beiden Methoden gemacht und keine Differenzen gefunden hat. Analog der eben angestellten Rechnung finden wir pro Tag im Kothe der Vorperiode . . . . 0.2947 sm N, im Kothe der Fleischextractperiode 0.4843 „ „; also auf 3.764 sm N-Mehr in der Nahrung 0-1896 =" N-Mehr im Kothe. Im Harn haben wir in der Vorperiode auf Im N. . . . .= 8.964 Cal. und in der Fleischextractperiode auf 12% N = 10.45 ,„ gefunden. Es wurden also im Harn pro Tag ausgeschieden: in der Vorperiode . . - . 2:334x 8-964 = 20.922 Oal., in der Fleischextractperiode . 5.290 x 10:45 = 55.281 „ d.h. im Harn der Fleischextractperiode = 34-359 Cal. mehr. In der zweiten Reihe wurden täglich noch 40: Fleischextract mit 1-155 Procent Eiweiss-N gereicht, d. h. also: 0.4620 2 Eiweiss-N pro Tag; diesen entsprechend erscheinen 0.462 x 7-31!= 3-38 Cal. im Harn; es wurden also, wenn man diese aus Eiweiss stammenden Üalorien abzieht, im Harn der Fleischextractreihe täglich 34:36 — 3-38 = 30-98 Cal. mehr ausgeschieden, als am Tage der Vorperiode. In den 408’ Fleischextract waren 104.81 Cal. enthalten. Von diesen müssen noch in Abzug gebracht werden: 1. die im Kothe der Fleischextractreihe pro Tag mehr, als in dem täg- lichen Kothe der Vorperiode, ausgeschiedenen Calorien, 2. die dem, im Extract enthaltenen, Rein-Eiweiss entsprechenden Calorien. In der Vorperiode sind 107-005 Cal. mit dem Kothe ausgeschieden worden; dieser Koth enthält 2-9037 == Rohfett; es müssen also 2.9037 x 9.5 cal. für Fett = 27.585 Cal. in Abzug gebracht werden; wir erhalten im fettfreien Kothe der 4 Tage 79.420 Cal. oder pro Tag 19.855 Cal. 1 Frentzel und Schreuer, a.a. 0. S. 292. 1®m N im Fleischharn = 7-31 Cal. 512 J. FRENTZEL und N. ToRIYAMA: VERBRENNUNGSWÄRME DT. S. w. Die analoge Betrachtung für den Koth der Fleischextraetreihe ergiebt: 79.385 Cal. sind mit dem Kothe ausgeschieden worden; darin waren ent- halten 1.120” Rohfett mit 10-64 Cal., es bleiben für fettfreien Koth in 3 Tagen 68-745 Cal. oder pre Tag 22-915 Cal. In der Fleischextractreihe sind also 22-915 — 19-855 = 3-06 Cal. mehr unverbrannt durch den Koth ausgeschieden worden. Das Fleischextract enthielt 1.155 Procent N aus Rein-Eiweiss; 40 em mithin 0.462 = N, entsprechend 0°462 x 5-7 x 6-25 = 16-46 Cal. (18m N = 6.258m Eiweiss, 12m Eiweiss = 5-7 Cal.). Wir haben also von den 104.81 Cal. aus 40°” Fleischextract abzuziehen 306 Cal., welche im Kothe der zweiten Periode pro Tag mehr ausge- schieden sind, und 1646 Cal., welche dem in 40 sm Extract enthaltenen Eiweiss entstammen, im Ganzen 19-52. Cal.; wir erhalten also. . >... ... 22.221042 1aal: — 19.52 „ 85.29 Oal., welche in eiweissfreiem Fleischextracte dem Körper täglich zugeführt wurden. Dem gegenüber wurden . . . . a lloüye) (Dil, täglich in der zweiten Periode im Urin he ausgeschieden 2 0 ER als in. der Vorperiode, so dass. . ... vu: var sr ale pro Tag im Körper verblieben. Das heisst aber: on 63-6 Procent der dem eiweissfreien Fleischextraet zukommenden Verbrennungswärme werden im Körper verwerthet. Bei der von uns gewählten Anordnung des Versuches ist die Annahme; dass Extraetivstoffe im Körper zurückbehalten worden seien, ausgeschlossen. Wir gelangen also in Uebereinstimmung mit Pflüger und im Gegen- satz zu Rubner zu dem Schlusse, dass die eiweissfreien Extractiv- stoffe des Fleisches zu einem recht erheblichen Theile — etwa zu ?/, ihrer Menge — am Stoffwechsel theilnehmen, d. h. dem Körper Energie liefern. Beobachtungen über die Coordination der Athembewegungen. Von Dr. R.du Bois-Reymond und Dr. J. Katzenstein Privatdocent in Berlin, 1. Coordinirte Athembewegung des apnoischen Versuchsthieres auf Reizung des verlängerten Markes. Dıe Localisation eines einheitlichen Athemcentrums in der Rautengrube war durch Langendorff! in Frage gestellt. Er gab zu, dass die Medulla oblongata bei manchen Thierclassen die Ursprungsstelle sämmt- licher Athmungsnerven sei, dass sie bei höheren Thieren das Centrum für die Athmungsnerven des Kopfes und vielleicht des Kehlkopfes abgebe. Man könne also sagen, dass für die letzteren das verlängerte Mark einen Theil des Athmungscentrums enthalte. Demnach trat Langendorff für das Vorhandensein spinaler Athemcentren ein, eine Ansicht, die er besonders dadurch stützte, dass er bei jungen decapitirten Thieren, die strychnini- sirt waren, noch Athembewegungen auftreten sah. Die Untersuchungen Langendorff’s sind durch Wertheimer, Gad, Markward, Porter, Arnheim widerlegt worden; daher soll auf sie an dieser Stelle nicht ein- gegangen werden, desgleichen nicht auf die Ursachen, die die spinale Athmung hervorrufen können. Langendorif hat aber trotz der an- geführten Widerlegungen ausdrücklich gefordert, dass noch weitere Beweis- stücke gegen ihn und für die Existenz des Athemcentrums in der Rauten- grube vorgebracht werden sollen. Es scheint uns, dass ein solcher Beweis nicht bündiger geführt werden kann, als indem man von einem Punkte des verlängerten Markes aus den ! Langendorff und Nitschmann, Studien über die Innervation der Athmung. 1. Mittheilung. Dies Archiv. 1880. Physiol. Abthlg. 8. 544. Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 38 514 R. pu Boıs-Reymonpd und J. KATZENSTEN: vorher in vollständiger Ruhe verharrenden gesammten Athmungsapparat in coordinirte Thätigkeit versetzt. Dies erreichten wir durch folgendes Ver- fahren:? Wir brachten einen Hund, bei dem zunächst die Rautengrube freigelegt war, auf die gewöhnliche Weise durch Lufteinblasungen in Apno£. Bei jedem Luftstosse bemerkt man nach Aufhören des Lufteintreibens ein Zusammensinken des Thorax, also eine Exspirationsbewegung der Lungen und zugleich, was bisher nicht beobachtet wurde, Adduction der Stimm- lippen; dabei wurde die Exspirationsluft aus der seitlichen Oeffnung der Canüle herausgetrieben. Lüftet man die Lungen des Thieres nun schneller, als sein Athemtypus ist, so sieht man bei jedem Exspirium eine gleich- zeitige stärkere Adduetion der Stimmlippen auftreten. Schliesslich gehen die Stimmlippen beim Exspirium bis in die Mittellinie. Unterbricht man nun die künstliche Athmung, so bleiben vorläufig die Stimmlippen voll- ständig geschlossen, während das Thier sich in Apno& befindet. Bringt man jetzt die Elektroden auf eine Stelle der Rautengrube, die zwischen dem hinteren Rande des Calamus scriptorius und einem Gebiete, welches nach vorn und aussen in der Ala cinerea liegt, so entspricht der Reizungs- effect bei dem apnoischen Thiere einer normalen Athembewegung, denn der Thorax tritt in Inspirationsstellung, das Zwerchfell contrahirt sich, die Glottis erweitert sich. Brachte man in diesem Augenblicke ein Licht an die Oeffnung des Gummischlauches, oder steckte man ein Glasrohr, das zum Theil mit Wasser gefüllt war, hinein, so wandte sich das Licht nach der Oefinung hin, die Wassersäule stieg erheblich in die Höhe. 2. Passive Bewegung des Brustkorbes löst gleichsinnige respiratorische Bewegung des Kehlkopfes aus. In der grossen Zahl der Untersuchungen über die Innervation der Athmung wird die Ursache und die Regulirung dieser Innervation be- sprochen, indem dabei die Athembewegung selbst im Allgemeinen als ein einheitliches Ganzes betrachtet wird. Da aber der Athmungsapparat eine grosse Zahl ganz verschiedener Muskelgruppen umfasst, entsteht die Frage, auf welche Weise die den einzelnen Muskelgruppen zufliessende Erregung der Stärke und der Zeitfolge nach so abgestuft wird, dass die einheitliche Athembewegung zu Stande kommt. Dies wird auf zwei verschiedene Weisen erklärt. Erstens kann man annehmen, dass die Erregbarkeit aller einzelnen motorischen Zellgruppen?, die die verschiedenen Athemmuskelgruppen " Die Versuche sind in dem physiologischen Laboratorium der Berliner thier- ärztlichen Hochschule ausgeführt worden. ” Statt des vielfach in verschiedenem Sinne gebrauchten Wortes „Centrum“ sei diese unbestimmte Bezeichnung gebraucht. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 515 innerviren, von vornherein derart abgestuft sei, dass bei eintretendem Reiz die Stärke und Zeitfolge der Erregungen gerade dem Erforderniss für eine normale Athembewegung entspricht. Zweitens kann man annehmen, dass die betreffenden einzelnen Zellgruppen erst von einem einzigen über- geordneten Centrum aus erregt würden, das, sobald es selbst durch be- liebige Reize erregt wäre, den untergeordneten Zelleruppen die Erregung in nach Stärke und Zeitfolge richtig abgestufter Form mittheile. Diese Annahme drückt, um nur ein Beispiel zu citiren, Miescher-Rüsch in seinen „Bemerkungen zur Lehre von den Athembewegungen“! in folgenden Worten unzweideutig aus: „Seit Legallois erkennen wir an, dass eng- begrenzte Stellen der nervösen Centralorgane es übernehmen, den Re- spirationsmuskeln ihre Erregungen in einer zweckmässigen Coordination, in einer dem Athembedürfniss angepassten Stärke und Zeitfolge zufliessen zu lassen.“ Sowohl diese Annahme eines automatisch die Erregungen richtig ver- theilenden Athemcentrums, als die ersterwähnte Annahme einer vorher- bestimmten Abstufung in der Erregbarkeit der einzelnen Gruppen moto- rischer Zellen genügen allerdings zur Erklärung der Coordination in allen normalen Fällen. Sie genügen aber nicht, um folgende Beobachtung und die sich daran anschliessenden Versuchsergebnisse zu erklären: Bei Versuchen über die centrale Innervation des Kehlkopfes beobach- teten wir an Hunden, deren Athmung theils durch starke Narkose, theils durch Verletzung des verlängerten Markes stillstand, dass, sobald künst- liche Athmung eingeleitet wurde, rhythmische Bewegungen des Kehlkopfes auftraten, wie bei normaler Athmung. Diese einfache Beobachtung deutete an, dass die künstliche Athmung nicht allein eine passive Durchlüftung der Lungen, sondern zu- gleich eine Reizung motorischer Zellgruppen bedinge. Es könnte allerdings die rhythmische Durchlüftung der Lungen einen rhythmischen Blut- reiz? hervorbringen, der, obschon das Athemcentrum ausser Thätigkeit war, noch auf die motorische Gruppe der Kehlkopfmuseulatur wirkte. Um über diese Möglichkeit zu entscheiden, brachten wir die Thiere in den Zustand der Apnoe, in dem also die Veränderungen des Blutes 1 Dies Archiv. 1885. Physiol. Abthlg. S. 355. ® Dem Gedankengange Miescher-Rüsch’s a. a. ©. folgend, wonach die Apno& zu theilen ist in Apnoea vera und Apnoea vagi, theilen wir die Athemreize in zwei Gruppen: Blutreize, unter denen Sauerstoffmangel, Kohlensäureüberschuss, Wärme und die Wirkung der hypothetischen Stoffe zu verstehen sind, die bei beginnender Muskelthätigkeit das Athemeentrum anregen, und Vagusreize, d.h. die von Hering und Breuer entdeckten Steuerungsreize in ihren verschiedenen Modificationen. >38 516 R. pu Boıs-REyYMonD unD J. KATZENSTER: jenseits der Reizschwelle liegen mussten, und wiederholten den Versuch mit dem gleichen Erfolge. Hier könnte man zunächst daran denken, dass die mit der künstlichen Athmung, die durch Compression des Brustkorbes ausgeübt wurde, ver- bundenen Erschütterungen die Bewegung des Kehlkopfes vortäuschten. Allein am todten Thiere war von einem derartigen Vorgange nichts wahrzunehmen. Offenbar also handelte es sich um eine Reaction des lebenden motorischen Apparates. Diese hätte durch den Reiz verursacht sein können, den die durch die Trachea streichende Luft am Kehl- kopf selbst hervorrief. Aber diese Annahnıe liess sich auf zwiefachem Wege durch Versuche widerlegen: Erstens reagirte der Kehlkopf nicht, wenn durch eine nach aufwärts gekehrte Trachealcanüle Luft durch die Stimm- ritze geblasen wurde, zweitens trat die Kehlkopfbewegung als Begleit- erscheinung der künstlichen Athmung. ein, auch wenn durch eine in gewöhnlicher Weise eingesetzte Canüle .der Luftstrom vom Kehlkopf fern- gehalten wurde. Es müssen also andere sensible Erregungen der motorischen Gruppe für die Kehlkopfbewegung zugeleitet worden sein. Obschon die Blutreize durch die Apno& ausgeschlossen waren, bestanden offenbar noch die Vagusreize. Unterscheidet doch Miescher-Rüsch in der genannten Arbeit Apnoea vera und Apnoea vagi, so könnten wir es hier mit einer Apno& hinsichtlich der Blutreize, aber Eupno& hinsichtlich des Vagus zu thun haben. Denn offenbar können die sensibeln Endigungen des Vagus durch die passive Bewegung der Lungen erregt werden und Reize an die motorischen Zellgruppen vermitteln. Um auch diese Reizung auszuschliessen, wurde nun an den Versuchs- thieren während der Dauer der Apnoö beiderseits vollkommener Pneumothorax hergestellt. Die Lungen verharrten nun im collabirten Zustand, es konnten die Vagusendigungen nicht mehr erregt werden. Der Kehlkopf, wie die übrige Athemmuseulatur befand sich, wegen der Apno£, in Ruhe. Sobald aber mit den rhythmischen Compressionen des Thorax begonnen wurde, war wieder Kehlkopfbewegung vorhanden. Es konnte nun zunächst wieder das Bedenken eintreten, dass die sen- sible Reizung, die mit der passiven Athembewegung verbunden war, an sich Reflexe auslöst, bei denen der Kehlkopf mitbewegt wurde, wie ja jede sensible Einwirkung mehr oder weniger stark die Respiration zu beein- flussen pflegt. Aber es zeigte sich, dass Compression des Bauches, durch die der Athemapparat nicht bewegt wurde, keine wmerkliche reaction erzeugte. Bei schmerzhaften Reizen, Kneifen der Beine, fanden schnelle rhythmische Kehlkopfbewegungen, entsprechend beschleunigter Athmung statt. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE COORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 517 Dagegen hatte rhythmische Compression des Thorax, obschon die Lungen in collabirtem Zustande blieben und im Uebrigen Apno& bestand, typische synchrone Athembewegung des Kehlkopfes zur Folge. Die Inner- vation des Kehlkopfes erschien also unabhängig vom Vagusreiz und von den Blutreizen, obschon sie sich genau den Athembewegungen des Thorax anpasst. Denn bei Compressionsbewegungen mit nach beliebiger Pause wieder eintretender Dilatation liess sich zeigen, dass der Compression des Brustkorbes eine Schliessbewegung, der Dilatation eine Oeffnungsbewegung des Kehlkopfes entsprach. Es scheint uns nun, dass dieser Versuch keine andere Deutung zu- lässt, als dass zwischen den einzelnen Theilen des Athmungsapparates eine solche Verbindung besteht, dass die Bewegung des einen als Reiz wirkt für die motorischen Zellgruppen des anderen. Die Bewegung des Kehl- kopfes erfolgt als Reflex auf die Stellungsänderung des Thorax. Als sensible Reize bei dieser Reflexbewegung kommen in Betracht erstens das Muskelgefühl, zweitens die Gelenkempfindungen und Haut- empfindungen, im Allgemeinen also der Lagesinn. Was das Muskel- gefühl betrifft, so stellt sich der näheren Deutung die Schwierigkeit in den Weg, dass die passive Bewegung und die active Bewegung nicht ohne Weiteres als in gleichem Sinne‘ wirksam angesehen werden können. In- dessen geht aus der Darstellung von Gad! hervor, dass die Beanspruchung 1 J. Gad, Ueber Apnoe und über die in der Lehre von der Regulirung der Athemthätigkeit angewandte Terminologie. Würzburg 1880. 8.25. „Wir haben: den Athemapparat wesentlich als einen Bewegungsappärat bezeichnet, weil sich seine Thätigkeit hauptsächlich in Bewegungen zu erkennen giebt. Die Bewegungen, denen eine Thätigkeit des Athemapparates zu Grunde liegt, äussern sich in den activen inspiratorischen und exspiratorischen Formänderungen der Thoraxwandungen (das Zwerchfell eingeschlossen). Den Thoraxwandungen kommt eine bestimmte Gleich- gewichtslage zu, in welche dieselben übergehen, wenn keine Muskelkräfte auf ihre Form einwirken. Die Entfernung des Thorax aus seiner Gleichgewichtslage in der einen Richtung ist die Folge des inspiratorischen, in der anderen Richtung die des exspiratorischen Muskelsystems. Nur den Aenderungen dieser Entfernung entsprechen Bewegungen, die letzteren sind also nur der Ausdruck für die Aenderungen der Thätigkeit des einen oder anderen Muskelsystems in dem einen oder anderen Sinne. Constante Entfernung aus der Gleichgewichtslage erscheint nicht als Bewegung, ist aber nichtsdestoweniger an eine entsprechende Thätigkeit des einen oder anderen Systems geknüpft. Eine der Grösse nach constante Entfernung des Thorax aus der Gleichgewichtslage entspricht einem Tetanus des betreffenden Muskelsystems von gleich- bleibender Intensität, die Athembewegungen entsprechen tetanischen Contractionen des einen Systems oder beider Systeme von schwankender Intensität. Constante Ent- fernungen des Thorax aus der Gleichgewichtslage spielen in der Athmung eine wich- tigere Rolle, als man ihnen bisher im Allgemeinen zuerkannt hat, denn das Meiste, was uns zunächst als Athempause auffällt, erweist sich bei näherer Untersuchung nicht als ein Verharren des Thorax in der Gleichgewichtslage, sondern als eine constant 518 R. pu Boıs-ReYMmonD und J. KATZENSTEIN: der Musculatur eine so mannigfache ist, dass auch gleichsinnige Reize denkbar sind. Was den Lagesinn im Uebrigen betrifft, so kann er ohne jede Ein- schränkung als sensibeles Endorgan für die reflectorische Thätigkeit der Stimmritze betrachtet werden. Die sensible Bahn für diese Reizung verläuft offenbar in spinalen Nerven, und wird also dem Öentrum auf spinaler Bahn zugeführt. Durch- schneidung dieser Bahn, d. h. Abtrennung des obersten Halsmarkes während des Versuches, hebt die Kehlkopfbewegung auf, obschon der Kehl- kopf von der Medulla oblongata aus noch elektrisch erregt werden kann. Die motorische Kehlkopfgruppe ist also weder zerstört, noch die motorische Bahn verletzt, aber die sensible Bahn ist unterbrochen. Die Coordination der Athembewegungen des Kehlkopfes und des Thorax hängt also ab von der Uebermittelung sensibler Reize, die man ihrer Natur nach in Kürze als „Lagereize‘“ bezeichnen kann, vom Thorax aus auf die motorische Zellgruppe des Kehlkopfes. Es lag nun nahe, an- zunehmen, dass dieser Reflexvorgang typisch sei für die Art der nervösen Verbindung zwischen sämmtlichen die Athembewegungen innervirenden Zellgruppen. Ehe man dieser Vermuthung nachgeht, ist indessen zunächst zu prüfen, ob das Ergebniss sich auch an anderen Versuchsthieren bestätigt. Wir machten die Probe zunächst beim Kaninchen, indem wir eine Trachealcanüle unten in die querdurchschnittene Trachea einbanden und durch das obere Ende die Bewegung des Kehlkopfes von unten her über- wachten. Bei künstlicher Respiration mittels des Blasebalges traten syn- chrone Athmungen auf. Ebenso wirkte passive Athmung durch Thorax- compression, dabei war die Erweiterung der Stimmritze beim Nachlassen des Druckes deutlich zu unterscheiden. Auch bei der Katze konnten wir synchrone Bewegungen des Kehlkopfes bei rhythmischer Compression des Thorax erkennen, besonders wenn die Compressionen in sehr schneller Folge ausgeführt wurden. 3. Peripherische Reizung des Phrenicus bewirkt mittelbar Bewegung der Stimmlippen. Wir suchten nun ferner festzustellen, ob die Bewegungen des Zwerch- fells, die man durch Reizung des Phrenicus erhält, etwa ähnliche Wirkungen auf die Innervation des Kehlkopfes ausübten. bleibende Entfernung seiner aus derselben, und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Höhe der Exspiration bei normaler Athımung der Regel nach nicht der Gleichgewichts- lage des Thorax, sondern einer inspiratorischen Entfernung aus derselben entspricht, so dass bei normaler Athmung einer tetanischen Contraction der Inspiratoren von constanter Intensität eine andere von schwankender Intensität sich superponirt.“ BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 519 In dieser Beziehung ergab sich zunächst, dass bei tetanischer Reizung eines oder beider Phrenici auch die Stimmlippen bewegt, und zwar ad- dueirt werden. Die Bewegung des Zwerchfells ging der des Kehlkopfes um einen merklichen Zeitraum voraus. Bei länger dauerndem Reiz trat dauernde Schliessung der Stimmritze ein. Man kann dies mit der Wirkung vergleichen, die wir bei wiederholter rhythmischer Compression des Thorax erhielten, bei der, wie oben angegeben, auch Schluss der Stimmritze eintritt. Um die Bewegung der bei der normalen Athmung ähnlicher zu machen, wählten wir nun folgende Anordnung: Die Phrenici beider Seiten wurden auf Elektrodenpaare gelagert, die beide mittels langer Drähte an die Klemmen der secundären Rolle eines Schlitteninduetoriums mit langer Bahn angeschlossen waren. Der Abstand der secundären Rolle wurde zuerst so gross genommen (60 bis 70), dass keine Reizung stattfand. Schob man nun bei spielendem Unterbrecher die Rollen allmählich näher zusammen, so trat eine gleichmässig zunehmende Contraction des Zwerch- fells ein, die bei dem Rollenabstand 30 °® ihr Maximum erreichte. Durch Anhalten der Rolle in einer mittleren Stellung erhielten wir Stillstehen des Zwerchfells in einer mittleren Contractionsstellung. Diese Art der Reizung erwies sich für solche Versuche, bei denen die Phrenici beiderseits durch- schnitten worden waren, als ein recht bequemes Verfahren, um ausreichende und selbst überreichliche Respiration des Versuchsthieres zu unterhalten, und liesse sich gewiss in manchen Fällen mit Vortheil an Stelle ander- weitiger künstlicher Respiration anwenden. Unter diesen Umständen liess sich nun beobachten, dass das Absteigen des Zwerchfells dem Glottisschluss voranging, so dass man inspiratorisches Pfeifen der Luft in der Stimmritze, dann Adduction und exspiratorisches Pfeifen wahrnehmen konnte. Wurden die Rollen nach der beschriebenen Annäherung nicht gleich wieder von einander entfernt, so entstand natürlich wie bei gewöhnlicher tetanischer Reizung alsbald Glottisschluss. Nachdem auf diese Weise ein Zusammenhang zwischen den Bewegungen des Zwerchfells und denen des Kehlkopfes nachgewiesen war, galt es zu erfahren, welches die sensiblen Bahnen seien, die diesen Zusammenhang vermitteln. Die Beobachtung, dass jedes Mal, wenn der Phrenicus ! durchschnitten oder abgebunden wurde, eine Zuckung der Stimmlippen zu bemerken war, deutete darauf hin, dass möglicher Weise diese Bahn durch den Phrenicus ! Genau genommen wurde bei unseren Versuchen meist nicht der ganze Phre- nieus, sondern nur der Theil des Stammes durchschnitten, der den beiden oberen Wurzeln entspricht. Die unterste Wurzel blieb gewöhnlich stehen. Der Erfolg ist in beiden Fällen derselbe, wo es sich nicht um absolute Ausschaltung der Zwerchfell- thätigkeit handelt. 520 R. pu Boıs-ReymonD und J. KATZENSTEIN: selbst ginge. Diese Vermuthung fand darin noch eine Stütze, dass nach Durchschneidung des Phrenicus auf einer Seite die respiratorischen Kehl- kopfbewegungen auf dieser Seite weniger ausgiebig waren. Indessen zeigen weitere Versuche, dass diese Beobachtungen anders zu erklären sind. Erstens nämlich erwiesen sich weitere Durchschneidungen oberhalb der ersten stets unwirksam. Zweitens hatten Reizungen des Phrenieus mit Inductionsschlägen nur bei sehr starken Strömen Bewegungen der Stimm- lippen zur Folge, und zwar war dann in der Regel die Reizung so stark, dass auch Zuckungen anderer Muskeln in der Nähe der Reizstelle auf- traten. Allerdings ergaben Reizversuche, bei denen die Elektroden absicht- lich so angelegt wurden, dass sich die Schläge der Umgebung mittheilen mussten, statt hauptsächlich im Phrenicus zu verlaufen, eine andere Form der Bewegung, die aus ruckweise wiederholter Adduction bestand. Doch zeigte schon die Unwirksamkeit etwas schwächerer Reize zur Genüge, dass offenbar der Phrenicus selbst nicht die gesuchte centripetale Bahn bildet. Endlich geht dies daraus am sichersten hervor, dass wir bei Reizung des centralen Stumpfes mit Inductionsschlägen und mit tetanischem Reize nie eine Reaction des Kehlkopfes wahrnahmen. Nachdem so die Möglichkeit ausgeschlossen war, dass der „Stellungs- reiz“ des Zwerchfells durch Vermittelung des Phrenicus die motorische Innervation des Kehlkopfes verursache, kamen, gerade wie bei den Ver- suchen über die Einwirkung passiver Athembewegungen, verschiedene andere Möglichkeiten für das Zustandekommen sensibler Erregungen in Betracht. Dass es sich um die Wirkung von „Blutreizen“ handle, war hier wegen der verhältnissmässig schwachen respiratorischen Wirkung des Phrenicusreizes nicht anzunehmen. Dagegen lag die Vermuthung nahe, dass die bei der Zwerchfellcontraction erzeugte Spannung der Lungen durch Vermittelung des Vagus eine sensible Erregung hervorbringe. Ganz wie bei der vorerwähnten Versuchsreihe lässt sich auch hier diese Möglich- keit. dadurch ausschalten, dass man beiderseits vollkommenen Pneumothorax herstellt. Es bleibt dann sogleich die sonst auf tetanische Reizung des Phrenicus (mittels der oben beschriebenen Schlittenbewegung) regelmässig vorhandene Reaction des Kehlkopfes aus. Ebenso bleibt die Reaction aus, wenn nur der Vagus durchschnitten wird. Hierbei tritt die technische Schwierigkeit auf, dass man die Durchschneidung nicht wie gewöhnlich am Halse vornehmen kann, weil ja dann auch der Recurrens mit aus- geschaltet werden würde. Man muss also den Vagus unterhalb der Ab- sangsstelle des Recurrens durchschneiden. Dies ist nicht allzu schwer, wenn man den Vagusstamm dreist anzieht, und zugleich von dem frei- gelegten peripherischen Theil des Recurrens aus durch sanftes Anziehen den Ursprung des Recurrens aus dem Vagusstamme kenntlich macht. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ÄATHEMBEWEGUNGEN. 521 Wenn man nach der so ausgeführten Operation die betreffende Hälfte des Kehlkopfes auf beiderseitige tetanische Reizung des Phrenicus schwächer reagiren sieht, so liegt zunächst der Einwand nahe, es sei der Recurrens selbst geschädigt worden. Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich zeigen, indem man von irgend einer anderen Stelle aus Kehlkopfbewegungen an- regt. Die Stimmlippe der operirten Seite muss dann eine völlig unbeein- trächtigte Bewegung zeigen. Wir bedienten uns hierzu des exspiratorischen Trigeminusreflexes, der durch Reizung der Nasenschleimhaut erzeugt wird. Es genügte sogar die leichteste Berührung der Nasenöffnung mit den Finger- ballen, oder die Entfernung des vorher leicht aufgesetzten Fingers, um eine deutliche Bewegung der Stimmlippen auszulösen. Ebenso wirkte An- blasen. Mitunter war der Reflex ein rein einseitiger. Durch diesen Reflex kann man sich also überzeugen, dass der Recurrens unbeschädigt ist, und das Ausbleiben oder die Herabsetzung der Stimmlippenbewegungen ist dann allein der Durchschneidung des Vagus, also der Ausschaltung der sensiblen Erregung von der Lunge her, zuzuschreiben. Ist die Durchschneidung des Vagus unterhalb des Recurrens nur auf einer Seite ausgeführt, so beob- achtet man nur eine Verminderung der Stimmlippenbewegung bei Phrenieus- teiz. Hat man den Vagus auf einer Seite oberhalb, auf der anderen unter- halb des Recurrensabganges durchschnitten, so sind beide Stimmlippen bei Phrenieusreizung gleich bewegungslos. Wir schliessen aus diesen Versuchen, dass die Bewegungen des Kehl- kopfes bei Reizung des Phrenicus als Reflexe zu betrachten sind, die durch die Einwirkung der Zwerchfellbewegung auf die sensibelen Endausbreitungen des Vagus in der Lunge hervorgerufen werden, und deren sensibele Bahn im Vagus verläuft. Es würde sich also um einen Reflex handeln, der den von Hering und Breuer entdeckten Selbststeuerungsreflexen analog: ist. Bei der Prüfung dieser Versuchsergebnisse an der Katze beobachteten wir mehrfach bei tetanischer Reizung des Phrenicusstammes oder seines peripherischen Stumpfes, statt der bei Hunden beobachteten Adduction Ab- duction der Stimmlippen. Dieser Widerspruch findet seine Lösung in einer Reihe von Beobachtungen, auf die Katzenstein schon früher ! auf- merksam gemacht hat. Semon hat nämlich ebenfalls bei der Katze ein Rindenfeld für die Abduction gefunden.” Dies lässt sich darauf beziehen, dass, wie schon von Alters her bekannt, bei der Katze wie bei verschie- denen anderen Thieren, der Inspirationsstrom bei der Lautbildung ver- wendet wird. Auch im Recurrens der Katze überwiegen, wie Katzen- ‘ J. Katzenstein, Untersuchungen über den N. recurrens und sein Rinden- centrum. Archiw für Laryngologie. Bd.X. ” Handbuch der Laryngologie. Bd.L S. 399. 522 R. pu Boıs-ReyMmondD und J. KATZENSTEIN: stein gezeigt hat, die Abductionsbahnen. Ebenso, wie aus diesem Grunde centrale Reizung eines Recurrens Abductionsbewegung der Gegenseite hervor- ruft, musste also auch der Reiz vom Phrenicus her Abductionsstellung hervorrufen. 4. Wirkung localisirter Reizung der Rautengrube auf den Kehlkopf. Die mitgetheilten Versuche, bei denen bald Schluss, bald Oeffnung der Glottis durch verschiedene Reize hervorgerufen wird, legen die Frage nahe, ob man diese Bewegungen beide von bestimmten verschiedenen Stellen der Rautengrube aus durch elektrische Reizung würde auslösen können. Untersuchungen in dieser Richtung hatte bereits Semon! ausgeführt. Er erhielt bei Reizungen der Medulla oblongata von Hunden gleichmässige Resultate, die er in folgender Weise beschreibt: „Auf Reizung des oberen Randes des Calamus scriptorius und des Randes der hinteren Pyramide erfolgt stets prompter Glottisschluss, d. h. bei- derseitige vollständige Einwärtsbewegung der Stimmlippen. Unmittelbar nach vorn vor der Cadaverstellung ne 5 N OPPecs. Auktion doppels. | | _Adduktron N i ? Abduktion "=. _ derselb. Seite genannten Region giebt es im Corpus I restiforme ein kleines Gebiet, welches doppels. a sich entlang dem äusseren Abschnitt Fig. 1. des Bodens des 4. Ventrikels bis zum Centrum dieser Höhle erstreckt und auf dessen elektrische Reizung eine Einwärtsbewegung derselben Seite erfolgt.“ Ob diese einseitige Einwärtsbewegung als Resultat der Reizung eines für einseitige Adduction besonders bestimmten Kernes oder nicht vielmehr als Ergebniss directer Reizung der Wurzeln der motorischen Kehlkopf- nerven, welche hier bereits durch die Medulla laufen, aufzufassen sind, lässt Semon unentschieden. „Unmittelbar oberhalb der Region, in welcher die doppelseitige An- näherung der Stimmlippen repräsentirt ist, beginnt in der Ala cinerea ein Gebiet für doppelseitige Glottisöffnung. Dasselbe reicht nach oben bis zu einer imaginären Linie, welche man sich quer durch den 4. Ventrikel parallel zum oberen Rande des Gebietes für doppelseitige Adduction denken muss.“ ! Semon, Die Nervenkrankheiten des Kehlkopfes und der Luftröhre. IHeymann’s Handbuch der Laryngologie. Bd.I. 8. 603. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 529 „Ein zweites Gebiet für doppelseitige Glottisöffnung, entsprechend etwa dem Ursprung des N. acusticus, erstreckt sich nach Semon bis dicht zur Oefinung des Aquaeductus Sylvii, und der Focus seiner Intensität befindet sich 2mm nach aussen von der Mittellinie.“ Einseitige Auswärtsbewegung hat Semon von der Medulla oblongata aus nie erzielt; dagegen fand er, dass bei der Katze Reizung des oberen Abschnittes des 4. Ventrikels dauernde Glottisöffnung bewirkt, während der Thorax fortfährt, sich rhyth- misch zu erweitern und zu contrahiren. — Zwischen den beiden oben beschriebenen Abductionsgebieten am Boden des 4. Ventrikels fand Semon eine Stelle, deren Reizung Cadaverstellung der Glottis erzeugt. Ob die Cadaverstellung durch die antagonistischen Öffnenden und schliessenden Impulse, die auf die Kehlkopfmuskeln einwirken, hervorgerufen wird, oder ob sie als eine unvollkommene Verengerungsbewegung aufzufassen ist, konnte Semon nicht entscheiden. Die Ergebnisse, die wir bei Reizung der Medulla oblongata erhielten, stimmen in den Hauptpunkten mit denen Semon’s überein, weisen aber in einer Reihe anderer Punkte eine grosse Unsicherheit auf. Eine strenge Localisation der Reizungsstellen war überhaupt nicht zu erzielen, und wir sprechen wie Langendorff unser Bedenken aus „gegen die stecknadel- kopfgrosse Begrenzung von Centren“ auf so schwer zu reizenden Gebieten. Die constanten Reizungsergebnisse, die mit denen Semon’s überein- stimmen, sind nunmehr 1. Glottisschluss auf Reizung des hinteren Randes des Calamus scriptorius. 2. Glottisöffnung auf Reizung eines Gebietes in der Ala cinerea, welches nach vorn und aussen von dem unter 1. genannten liegt. Dagegen wurden unter den Reizungsergebnissen, die wir als nicht gleichmässig erhielten, vermerkt: 3. Adduction beider Stimmlippen von einer Stelle in der Mitte der Rautengrube, die etwas nach vorn von der unter 1. liegt. 4. Abduction beider Stimmlippen von einer Stelle in der Mitte der Rautengrube, die etwas nach vorn von der unter 3. liegt. 5. Einseitige Adduction der gleichseitigen Stimmlippe von dem Gebiete der Rautengrube, von dem man beiderseitigen Schluss erhält. 6. Einseitige Auswärtsbewegung der gleichseitigen Stimmlippe bei Reizung eines Gebietes unter 2., welches doppelseitige Auswärtsbewegung der Stimmlippen ergab. 7. Drehung des Kehlkopfes nach der Gegenseite von demselben Gebiete wie unter 3 und zwar so, dass sich die vordere Commissur des Kehlkopfes nach der entgegengesetzten Seite richtete, sowie Abduction der aleichen Stimmlippe. 524 R. pu Boıs-ReymonDd und. J. KATZENSTEIN: 8. Adduction beider Stimmlippen und Drehung des Kehlkopfes nach der entgegengesetzten Seite von demselben Gebiete wie unter 3. 9. Abduetion der Stimmlippe der Gegenseite mit Drehung des Kehl- kopfes und zwar der vorderen Commissur nach derselben Seite von einem Gebiete wie unter 2. Entwerfen wir von diesem Durcheinander von Reizungsergebnissen ein Schema, so würde dasselbe folgendermaassen aussehen: Drehung u. Abd.d. el ‚Gegenseite --einmal:einsel = Stimmlippe Schluss bds< _ Schluss ‚gleichs. ZN Fig. 2. 5. Anwendung der Versuchsergebrisse auf die Frage nach der Funetion der Kehlkopfmuskeln. Die constanten Reizungsergebnisse unter 1. und’ 2., d. h. der beider- seitige Schluss und die beiderseitige Oeffnung der Stimmlippen, sind nun geeignet, die gleichmässige Innervation der Schliesser und Oeffner des Kehl- kopfes bei der Athmung als völlig erwiesen hinzustellen. Wenn wir einen kurzen historischen Rückblick über die Frage der Betheiligung der einzelnen Muskelgruppen des Kehlkopfes bei der Athmung geben, so hatte schon Rosenbach! in einer Arbeit aus dem Jahre 1880 das Zusammenwirken von Beugern und Streckern am Arm bei der Beugung im Handgelenk mit dem Vorgang der Inspiration verglichen; er hielt es für wahrscheinlich, dass bei der normalen Stellung der Stimmlippen Ver- engerer und Erweiterer stets. zugleich innervirt würden und dass nur die Erweiterer als die stärkeren Muskeln das Uebergewicht hätten, wie ja auch‘ ! Rosenbach, Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1880. Nr.2 u. 3. — Monats- schrift für Ohrenheilkunde. 1882. Nr. 3. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 525 in anderen Muskelgebieten, selbst in der Ruhe die Thätigkeit der Strecker überwiege. Abgesehen davon, dass sich keine thatsächliche Begründung für die Aufstellung dieser Analogie der Schliessung mit Beugung und der Oefinung mit Streckung erbringen lässt, finden wir hier zum ersten Male als wahrscheinlich die gleichmässige Innervation der Schliesser und Oeffner des Kehlkopfes bei der Athmung angegeben. - Im Gegensatz zu dieser Auffassung Rosenbach’s kommt Krause! zu folgendem Schluss: Da die Stimmlippen bei ruhigem Athmen und zwar bei der In- und Exspiration in einer Stellung verharren, welche ungefähr die Mitte hielte zwischen tiefster Inspirationsstellung einerseits und Cadaver- stellung andererseits, da diejenige Stellung, in welcher die Stimmlippen absolut gar keiner Muskelwirkung unterliegen, die Cadaverstellung sei, so sei es offenbar, dass eine Stellung, in welcher sie jenseits der Leichenstellung nach aussen verbleiben, nur durch Muskelwirkung hervorgerufen werden könne. Diese Wirkung könne nur von dem Erweiterer der Stimmritze, dem M. cerico-arytaenoideus posticus ausgehen, und zwar müsse diese Action des Muskels in einer dauernden, wenn auch mässigen Contraction desselben bestehen. Diese Contraction wiederum könne nur durch eine permanente Innervation hervorgerufen werden. Es sei klar, dass man nicht von einem Ueberwiegen des Muskels in der Ruhe sprechen könne, denn weder befinde sich der Muskel in der Ruhe, noch überwiege er gegenüber der bedeutend stärkeren Muskelmasse seiner Antagonisten, der Adductoren, an Kraft. Selbst in der Exspiration würde diese Muskelaction nicht ganz unterbrochen, denn trotzdem die Stimmlippen „augenscheinlich“ passiv während dieses Stadiums ein wenig gegen die Mittellinie vorrückten, so erreichten sie doch die Cadaverstellung: nicht. | Semon? hatte seine Ansicht, die mit der Krause’s übereinstimmt, dadurch gestützt, dass er unter 50 Personen, die ruhig athmeten, nur bei 8, d. h. 16 Procent Schwankungen der Stimmlippen wahrnahm, die über 2m hinausgingen, bei den übrigen 42 Personen standen die Stimmlippen entweder still oder der Ausschlag betrug nicht 2"”. Diese Verhältnisse am Menschen treffen nach Semon auf den Hund nicht zu; bei diesem ständen die Stimmlippen auch bei ruhiger Athmung nicht still. Die per- manenten Ad- und Abductionsbewegungen, wie sie der ruhig athmende Hund zeigt, die 16 Procent der Fälle beim Menschen, in denen die Aus- schläge mehr als 2“ betrugen, und die anderen, die weniger zeigten, ! Krause, Experimentelle Untersuchungen und Studien über Contracturen der Stimmbandmuskeln. Virchow’s Archiv. 1884. Bd. XCVII. ” F. Semon, Compte rendu du congres period. internat. Copenhague 1884. — On the position of the vocal cords in quiet respiration in man ete. Proceed. of the Royal Soc. 1890. Vol. XLVIN. 526 R. pu Boıs-ReymondD unD J. KATZENSTEIN: sprachen gegen die Annahme einer alleinigen tonischen Innervation der Abducetoren. Wenn nun aber die Abductoren des Kehlkopfes, wie Krause und Semon es angeben, bei der Athmung allein innervirt wären, so müssten nach Ausschaltung der Mm. crieo-arytaenoidei postieci die Stimmlippen in vollkommener Gleichgewichtslage verharren, da die Adduetoren ja unthätig sein sollen. Dies ist aber, wie Kuttner und der Eine von uns (Katzen- stein !), früher auseinandergesetzt haben, nicht der Fall. Vielmehr finden nach der Ausschaltung der Abductoren genau so wie vorher, auch bei rubiger Athmung rhythmische Ad- und Abductionen der Stimmlippen statt, nur mit dem Unterschied, dass der Bewegungsausschlag geringer geworden ist. | Dieser Umstand würde, wenn die Mm. crico-arytaenoidei postici die einzigen Erweiterer des Kehlkopfes wären, mit Nothwendigkeit zu dem Schlusse führen, dass neben den Erweiterern auch die Verengerer während der. Athmung innervirt sind. Nun können aber nach Ausschaltung der Mm. postici der M. transversus und der M. crico-arytaenoideus lateralis in abductorischem Sinne wirken. Dem zu Folge könnte man einwenden, dass diese Muskeln mit der Uebernahme der Function der Erweiterer auch in deren Innervationsbedingungen eintreten und dass es sich nunmehr um eine tonische oder eine periodische Innervation der restirenden Erweiterer allein handeln müsse. Gegen die alleinige tonische Innervation der restirenden Abductoren spricht die Fortsetzung der rhythmischen respiratorischen Ad- und Ab- ductionsbewegungen. Gegen die Annahme eines periodischen Anschwellens der Innervation der Abductoren spricht, dass man bei Freilegung des Kehlkopfes bei jeder Exspiration vor und nach Postieusausschaltung eine deutliche active Con- traction des M. thyreo-cricoideus wahrnimmt. Die rhythmische, mit der Ad- duction der Stimmlippen synehrone Contraction dieses Muskels beweist, dass die exspiratorische Adduction durch die active Thätigkeit des betreffenden Muskels bedingt ist. Zu diesem Beweise für die active Thätigkeit der Adductoren des Kehl- kopfes können wir nun noch zwei Punkte hinzufügen. Erstens lässt sich aus der weiter oben erörterten Abhängiskeit der exspiratorischen Kehlkopf- bewegungen von den exspiratorischen Thoraxbewegungen ein neuer Beweis- grund herleiten. Zweitens finden wir, dass die Adductoren nicht nur ! Kuttner und Katzenstein, Experimentelle Beiträge zur Physiologie des Kehlkopfes. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. — Zur Frage der Postieuslähmung. (II. Theil.) und: Ueber die Innervation des Kehlkopfes während der Athmung. Archiv für Laryngologie. Bd. IX. BEOBACHTUNGEN ÜBER DIE ÜOORDINATION DER ATHEMBEWEGUNGEN. 527 während des Exspiriums, sondern auch während des Inspiriums unter Um- ständen activ thätig sein können. Denn dafür sprechen die folgenden zwei Versuche: 1. Bei Erzeugung der Apno® durch wiederholtes Einblasen von Luft in die Trachea treten, je länger die Einblasungen dauern, die Stimmlippen bei jeder Exspiration der Mittellinie näher, bis zum völligen Schluss der Stimmritze, die sich allerdings nachher wieder erweitern kann. 2. Bei Erzeugung eines doppelseitigen Pneumothorax macht bei zunächst herbeigeführtem, z. B. linksseitigem Pneumothorax, von dem Augenblicke, in dem er angelegt wird, die linke Stimmlippe extreme Abductions- bewegungen, während die Stimmlippe der anderen Seite weniger weit ab- dueirt wird. Sobald der Pneumothorax auf der anderen Seite angelegt wird, werden die Auswärtsbewegungen auf dieser Seite auch so stark wie möglich und lassen dann auf beiden Seiten allmählich nach. Macht man nun schleunigst (denn sonst stirbt das Thier) von der Trachea aus künst- liche Athmung, so erhält man keine Kehlkopfbewegungen, bis die Lungen den Brustraum erfüllen und der Thorax sich mitbewegt: von diesem Zeit- punkte gehen die Stimmlippen bei jeder Exspiration etwas mehr an die, Mittellinie, ohne bei der Inspiration wieder völlig zurückzugehen, bis bei eintretender Apnoö die Stimmlippen in der Mittellinie ohne Bewegung stehen bleiben. Im Gegensatz zu den von Krause und Semon gemachten Aus- führungen von der alleinigen Innervation der Abductoren des Kehlkopfes bei der Athmung glauben wir demnach annehmen zu dürfen, dass die Ad- ductoren bei der normalen Athmung beim Exspirium activ thätig sind, dass sie ferner unter gewissen Umständen wie bei der Erzeugung der Apno& ein solches Uebergewicht über die Abductoren haben, dass sie auch während des Inspiriums wirken. Ueber die Beziehungen zwischen Galle und Eiweissverdauung. Von Dr. Siegfried Rosenberg in Berlin. (Aus dem thierphysiologischen Institut der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Zwischen der Galle und der Eiweissverdauung ergeben sich nach zweierlei Richtungen hin Beziehungen. Zunächst werden bei dem Zu- sammentreffen von Galle mit dem Chymus aus diesem durch die Taurochol- säure die nicht peptonisirten Albuminate, und mit diesen das Pepsin aus- gefällt, so dass auf diese Art die Pepsinverdauung ihr Ende erreicht. Da nun — wie Kühne gezeigt hat — das Pepsin die Fähigkeit hat, das tryptische Ferment des Bauchspeichels gewissermaassen zu verdauen und also unwirksam zu machen, so kann die für den Eiweissabbau so wichtige tryptische Verdauung erst nach dem Aufhören der Pepsinwirkung in vollem Maasse einsetzen und in normaler Weise ablaufen; sie erscheint also indirect bis zu einem gewissen Grade vom Vorhandensein der Galle abhängig. Weiterhin haben aber die Forschungen von Rachford und South- gate, sowie die Untersuchungen von Ussow noch eine ganz directe Ein- wirkung der Galle auf die Eiweissverdauung erkennen lassen. Die genannten Autoren fanden nämlich, dass, wenn man Bauchspeichel auf Eiweiss ein- wirken lässt, bei Anwesenheit von Galle mehr von letzterem gelöst wird, als ohne dieselbe, oder mit anderen Worten: dass die Galle die eiweiss- lösende Potenz des Bauchspeichels vermehrt. Unter diesen Umständen drängt sich ohne Weiteres die Meinung auf, dass Gallenmangel auch eine Beeinträchtigung der Eiweissverdauung nach sich ziehen müsste — und doch haben die verschiedenen Experimentatoren bei den Untersuchungen an Gallenfistelthieren das gerade Gegentheil ge- funden. Schon Bidder und Schmidt schlossen aus ihren Beobachtungen, SIEGFRIED ROSENBERG: ÜBER DIE BEZIEHUNGEN T. S.W. 529 dass die Eiweissverdauung vom Gallenmangel gar nicht berührt werde; und die Richtigkeit ihrer Meinung wurde später von Röhmann und von Carl Voit durch exacte Versuche erwiesen. Auch eigene Ausnutzungsversuche, die ich gelegentlich anderer Untersuchungen anstellte, stimmten vollkommen mit den Resultaten der übrigen Autoren überein, so dass als ganz sicheres Ergebniss aller dieser Feststellungen die Thatsache resultirt, dass die durch den Fortfall der Galle nach den obigen Darlegungen zu erwartenden Schädigungen der Eiweissverdauung durch eine in ihrem Wesen nicht näher bekannte Compensation wieder ausgeglichen werden müssen. Es schien mir nun aber doch noch wünschenswerth, die Frage zu untersuchen, ob diese Compensation auch für alle Fälle ausreicht, d. h. auch bei den höchsten Eiweissmengen, die man einem Thiere beibringen kann, nicht versagt. In dieser Beziehung erwies sich das vorliegende Beobachtungsmaterial als unzulänglich. So hatte Röhmann als Maximalgabe seinem Hunde I in der Zeit vom 28. December 1881 bis 4. Januar 1882 täglich je 1000 s" Pferdefleisch gereicht. Am 5. Januar wog das Thier 15-8". Bei Zugrunde- legung dieses Gewichtes hatte es also pro Körperkilo 63-38” Fleisch erhalten. Bei Voit ist die verfütterte Menge schon erheblich grösser. Ein Hund von ca. 20 % Gewicht erhielt bis zu 2000 s= Fleisch pro die — wobei dann allerdings schon Verdauungsstörungen auftraten —; das macht 100 sm pro Körperkilo.. — Zweifellos ist das schon eine recht beträchtliche Menge. . Allein in den im Folgenden zu schildernden Versuchen gelang es mir, auch über dieses Quantum noch erheblich hinauszugehen und — wie sich aus dem Resultat der Untersuchung ergiebt — den Beweis zu führen, dass selbst bei Zufuhr exorbitant grosser Eiweissmengen die Gallenlosigkeit des Darmes eine Beeinträchtigung der Eiweissresorption nicht zur Folge hat. Zu meinen Versuchen diente mir eine kleine schwarze, sehr fettleibige Hündin von 7:5 "s Gewicht, welche sich durch eine ungewöhnliche Gefrässig- keit für meine Untersuchungen ganz besonders eignet. 1*8 Pferde- fleisch verzehrte das Thier innerhalb weniger Minuten, überlud sich dabei aber den Magen, so dass Erbrechen eintrat. Wurde das Kilo Fleisch aber auf drei Rationen vertheilt, so wurde es anstandslos vertragen. An diesem Hunde begann ich zur Feststellung des normalen N-Aus- nutzungswerthes den Versuch I am 22. III. 01 mit Knochenfütterung. Am 23., 24. und 25. III. erhielt er je 1000 5% ganz mageres Pferdefilet, welches in der Hackmaschine ge- hackt worden war, in je 3 Rationen. Pro Körperkilo ist das 133-3 8, also schon !/, mehr als die Maximalgabe bei Voit betrug, Am 1. und 2. Tage verzehrte der Hund das Futter ohne Mühe, am 3. Versuchstage jedoch schon etwas zögernd. Archiv f, A. u. Ph. 1901. Physiol, Abthlg, 34 530 SIEGFRIED ROSENBERG: Am 26. erhielt er wieder Knochen zur Abgrenzung. Das Fleisch enthielt 3-3904 Procent N; es waren also im Ganzen 101.712 2% eingeführt worden. Der Koth war pechschwarz; anfangs sehr fest, am dritten Versuchstage diarrhöisch. Trocken wog er 33-35 8% und enthielt 3:0097 8" N. Eingeführt waren . 101-7120 3%, ausgeschieden . 3.003708, resorbirt er .....:98:7029 82 d. i.: 97.04 Procent. Nachdem der Hund in den nächsten, dem Versuch folgenden Tagen mit Reis und gekochtem Fleisch gefüttert war, begann Versuch 1 am 31. III. mit Knochenfütterung; am 1., 2. und 3. IV. erhielt er wieder je 1000 8% rohes, gehacktes Pferdefilet in je 3 Rationen. Seine Fresslust während dieses Versuches war stets rege. Am 4.1IV. wurden Knochen zur Abgrenzung verfüttert. Das Fleisch enthielt 3.3626 Procent N; es waren also im Ganzen 100-878 8% N eingeführt worden. Der Koth war Anfangs wieder fest, dann dünnbreiig. Er wog nach dem Trocknen 40-88"" und enthielt 3.7735 8" N. Es waren eingeführt 100-8780 8m, ausgeschieden 3:7785 „ resorbirt 97.1045 Sm, d.i.: 96°26 Procent. Am 12.IV. führte ich an dem Hunde die Operation der Gallenblasen- fistel derart aus, dass ich zunächst den Duet. choledochus doppelt unterband und das zwischen den Unterbindungsfäden gelegene Stück resecirte. Hierauf wurde die sehr kurze Gallenblase von der Leber abgelöst, mit Peritoneum parietale umsäumt, an der Spitze eröffnet und die Schleimhaut mit der äusseren Haut lippenförmig vereinigt. Die Heilung erfolgt p. p. Schon am 22. begann ein neuer Versuch, der jedoch durch Erbrechen gestört wurde. Nachdem der Hund, der nach der Operation etwas an Gewicht ver- loren hatte, bei einer aus magerem Fleisch und viel Reis bestehenden Kost sein altes Gewicht von 7-5 ® wieder erlangt hatte, begann nunmehr Versuch III am 29. IV. mit Knochenfütterung. Am 30.IV. 1. und 2. V. erhielt der Hund je 1000 #”" gehacktes Pferdefilet in je 3 Rationen; am 3. V. Knochen. Während der Versuchsdauer trug er einen vorn gedeckten Maulkorb, der ihn am Auflecken der Galle hinderte, und der nur während der Fütterung für wenige Minuten entfernt wurde. ÜBER DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN GALLE U. EiweEissvervauung. 531 Das Fleisch enthielt 53-2597 &% N; es waren also im Ganzen 97.791 8m eingeführt worden. Der Koth war geformt, aber von salbenweicher Consistenz. Seine Farbe war schwarz mit einem Stich ins Graue. Nach dem Trocknen wog er 45-6 8", In Folge seines Fettgehaltes fühlte er sich auch jetzt noch schmierig an, liess sich aber in der Reibschale ohne Weiteres pulvern. Er enthielt 3-1185 Wu N. Eingeführt waren 97-7910 3%, ausgeschieden . 3.1185 „ resorbirt. . . . 94.672583, d.ı.: 96-81 Procent. In den bisherigen Versuchen hatte der Hund, welcher sein Körper- gewicht innegehalten hatte, 133-3 &”= Fleisch pro Körperkilo erhalten, es sollte nunmehr versucht werden, ob diese Menge sich auf 200 sm pro Körperkilo steigern liess. Nachdem der Hund wieder mehrere Tage mit Reis und gekochtem Fleisch gefüttert war, begann Versuch IV am 8. V. mit Knochenfütterung. Am 9. 10. und 11. sollten je 1500 8" mageres, gehacktes Pferdefilet in je 4 Rationen gereicht werden. Am 9. wurde das Futter auch anstandslos verzehrt; am 10. zeigte der Hund keine rechte Fresslust; als jedoch das Fleisch gedämpft worden war, wurde die ganze Ration verzehrt. Am 11. gelang es trotz Dämpfens und Zusatz von 152% Schmalz nur 1050 8”% dem Hunde beizubringen. Am 12. wurden wieder Knochen verfüttert. Das Fleisch enthielt 3-3085 Procent N; es waren im Ganzen also 133-9943 m N eingeführt worden. Der Koth war grauschwarz, stets geformt und wog nach dem Trocknen 70-65 3'M, Trotzdem er sich auch jetzt noch schmierig anfühlte, liess er sich dennoch ohne Weiteres in der Reibschale pulvern. Er enthielt 4.2186 S’"® N. Es waren eingeführt 133-9943 sm, ausgeschieden 4-2186 „ resorbirt 129: 7757 8, d.i.: 96-85 Procent. In den letzten drei Versuchstagen hatte sich das Gewicht des Hundes um 600 8”% vermehrt. Betrachtet man das Resultat dieser Versuche, so ergiebt sich auch hier wieder, dass trotz des Gallenmangels selbst exorbitant hohe Wihais mengen in Absomnt normaler Weise resorbirt werden. Demgemäss muss die Compensation der aprioristisch zu erwartenden Schädigung der Eiweissverdauung selbst bei den höchsten Anforderungen als eine durchaus vollkommene angesehen werden. 34* 532 SIEGFRIED ROSENBERG: ÜBER DIE BEZIEHUNGEN U. S. w. Litteraturverzeichniss. 1. Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel. Mitau und Leipzig 1852. - 2. Kühne, Ueber das Verhalten verschiedener organisirter und sog. ungeformter Fermente. Verhandl. d. naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg. 1877. Bd.]. 8.190. 3. Rachford and Southgate, Influence of bile on the proteolytic action of panereatic juice. Medical Record. 1895, 21. Dec. Referirt in Oenfralblatt für Phy- siologie. 1896. Nr. 9. 8. 271. 4. Röhmann, Beobachtungen an Hunden mit Gallenfistel. Pflüger’s Archiv. 1882. Bd. XXIX. 8.509. 5. Rosenberg, Zur Physiologie der Fettverdauung. Pflüger’s Archiv. 1901. Bd. LXXXV. 8. 152. 6. Voit, Ueber die Bedeutung der Galle für die Aufnahme der Nahrungsstoffe im Darmcanal. Stuttgart 1882. 7. Ussow, Ueber die Einwirkung der Galle auf die Verdauungsvorgänge. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 380. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1900—1901. XI. Sitzung am 26. April 1901.' 1. Hr. Dr. Hrrm. HILDEBRANDT (a. G.): „Ueber eine Beziehung zwischen chemischer Constitution, physiologischer Wirkung, Schicksal im Thierkörper.“? Durch Condensation von Thymol, Piperidin, Formaldehyd ent- steht eine Base, nach deren Verfütterung an Kaninchen ein krystallinisches Glykuronsäurederivat entsteht. In dieser Form erscheint etwa die Hälfte des eingegebenen Materiales. Der andere Theil konnte einer Oxydation im Organismus unterlegen haben. Es war von Interesse, ob die Giftwirkung der Base vermindert wird, wenn man ein Thier nach der Vergiftung in eine Sauerstoffatmosphäre setzt, ähnlich wie die Giftigkeit des Strychnins in einer O-Atmosphäre abnimmt. Das Ergebniss der Versuche (Kaninchen, Maus) war, dass die Giftwirkung der Base in der O-Atmosphäre nicht abnimmt. Piperidin hingegen, welches eine wesentlich geringere Giftwirkung zeigt, wirkte in einer O-Atmosphäre noch schwächer. Man kann es nach : der Eingabe im Harn nachweisen, wiewohl der grösste Theil im Organismus oxydirt worden zu sein scheint. Es ergeben sich folgende Beziehungen: Piperidin: Condensationsproduct: 1. Chemisch. Reactionsfähige Imidgruppe. Ersatz des H der Imidgruppe durch den Thymolmethylenrest. 2. Pharmakologisch. Geringe Giftigkeit. Fast drei Mal so grosse Giftigkeit des in ihm enthaltenen Piperidins. 3. Schicksal im Thierkörper. Leichte Oxydation, günstiger Einfluss Schwere Oxydirbarkeit, O-Zufuhr ohne der O-Zufuhr. Erfolg. Theilweise im Harn. Entgiftung lediglich durch Paarung mit Glykuronsäure. 1 Ausgegeben am 3. Juni 1901. ” Eine ausführliche Abhandlung erscheint im Arch. int. de Pharmacodynamie et de Therapie. 534 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Diese Ergebnisse lassen freilich nicht den allgemeinen Schluss zu, dass stets mit der geringeren Giftigkeit eine geringere Widerstandsfähigkeit des Molecüls gegenüber den oxydativen Processen im Organismus einhergeht; es ist ja bekannt, dass manche indifferenten Körper unverändert in den Harn übergehen. Immerhin habe ich auf anderen Gebieten, mit denen ich gerade. beschäftigt war, vom genannten Gesichtspunkte aus die Frage verfolgt. Das der Camphergruppe angehörige Citral, welches kettenförmige Struetur zeigt, besitzt gegenüber seinem cyklischen Isomeren, dem Cyclocitral, erheb- lich stärkere Giftigkeit. Während ersteres eine beachtenswerthe Paarung mit Glykuronsäure im Organismus eingeht und zum anderen Theile zu einer Säure C,,H,,O, oxydirt wird, ist die Paarungsfähigkeit des Cyeloeitrals ganz unerheblich. Es scheint auch im Organismus schnell oxydirt zu werden. Schon an der Luft geht bei der $-Modifieation die COH-Gruppe in die COOH-Gruppe über; diese Säure ist gänzlich indifferent. Nach der Eingabe an Kaninchen konnte ich sie im Harn nicht mehr auffinden, in kleinen Mengen die «-Modification. Dem Pyrrolidin (Tetrahydropyrrol) kommt eine dem Piperidin ähn- liche Giftwirkung zu. Vom structurchemischen Standpunkte aus kann man diese ringförmigen Körper vergleichen mit gewissen secundären Aminen der Fettreihe, dem Diäthylamin und dem Aethylpropylamin. Diäthylamin zeist nur am Kaltblüter dem Pyrrolidin ähnliche Wirkungen. Am Kaninchen . waren selbst 48”% ohne acute Wirkung. Die Giftwirkung wird also weniger durch die Imidgruppe als durch die ringförmige Structur bedingt. Mithin ein ganz anderes Verhalten als bei den erwähnten Körpern aus der Citral- reihe. Gleichwohl besteht auch hier die Relation zwischen geringerer Giftig- keit und geringerer Widerstandsfähigkeit im Organismus. Auch nach Ver- abreichung jener grossen Dosis Diäthylamin konnte im Harn nichts auf- gefunden werden. Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dass es weniger die chemische Constitution als solche ist, welche die verschiedenartige physiologische Wir- kung bedingt, als vielmehr die — allerdings durch den chemischen Bau verursachte — grössere oder geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber den oxydativen Processen im Thierkörper. 2. Hr. E. Rost: „Ueber den Einfluss des Natronsalpeters auf den Stoffwechsel des Hundes.“ ! Verfüttert man resorbirbare Neutralsalze, wie Kochsalz oder Sal- peter, in grösseren Mengen, so tritt eine vermehrte Harnausschei- dung auf, die in dem Falle, dass der Organismus hierzu von seinem eigenen Körperwasser hergeben muss, schliesslich eine Wasserentziehung oder Austrocknung des Körpers nach sich zieht. In dem anderen Falle, dass der Nahrung zugleich mit dem wasserentziehenden Salz genügend Wasser zugelegt wird, um einen Verlust an Körperwasser gar nicht auf- kommen zu lassen, tritt die Bewegung grösserer Mengen Wasser durch den im Uebrigen unverändert ernährten Körper, d.h. ihre Aufsaugung, ihr Transport und ihre Wiederausscheidung, als neues Moment ! Der Vortrag erscheint ausführlich in den Arbeiten aus dem Kais. Gesundheits- amt. Bd. XVIII. Heft 1. 8.78. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — HErrM. HILDEBRANDT. — E. Rost. 535 hinzu. Reicht man dagegen einem bereits durch diuretische Salze ent- wässerten Körper Wasser in erhöhter Menge, so wird sich der Einfluss des Wassers auf einen vorher concentrirter gemachten Orga- nismus geltend machen.! Es hat also die Zergliederung der Wirkung der Salze auf den Stoff- umsatz in erster Linie den Einfluss des Wassers auf denselben festzustellen. Erst nach Ausschaltung dieser Wasserwirkung kann die Beurtheilung der Beeinflussung des Stoffwechsels durch Salze erfolgen. Die Frage nach der Wirkung des Wassers auf den Eiweissumsatz ist aber nicht gelöst, wenn man — wie dies geschehen ist — den Einfluss desselben auf einen im Stiekstoffgleiehgewieht befindlichen Hund gleich setzt der Wirkung des Wassers, welche in Versuchen an Hungerthieren gefunden worden ist, oder wenn man allein das Anwachsen der Diurese bei der Deutung der Stoffwechseländerung berücksichtigt, oder wenn man die in Versuchen am Menschen gewonnenen Ergebnisse ohne Weiteres auf das Thier überträgt. Aus den Versuchen A. Fraenkel’s (1877), Dubelir’s (1891), Lan- dauer’s (1895) und Straub’s (1899) ergiebt sich einwandsfrei, dass unter den üblichen Ernährungsverhältnissen Schwankungen in der Flüssigkeits- zufuhr nach oben und nach unten in den weiten Grenzen des Nor- malen und ein davon abhängiges Auf- und Abgehen der Harnmenge ohne Einfluss auf den Stoffwechsel sind. Als „normal“ ist hierbei eine Wasser- menge dann zu bezeichnen, wenn sie bei gegebenen Nahrungs- und äusseren Verhältnissen reichlich sämmtliche Wasserverluste des Körpers deckt, als „unzureichend“ und „Entwässerung“ nach sich ziehend sicher dann, wenn allein schon die Harnmenge die Menge des Nahrungswassers über- steigt, so dass auch die übrigen Wasserausgaben des Körpers durch Haut, Lunge und Darm aus Organismusflüssigkeit bestritten werden müssen.” Die untere Grenze des unbedingt nöthigen Wassers für den Hund ist durch Landauer’s Untersuchungen festgelegt; sie darf bei Fleischfütterung nicht unter */, des im Fleisch enthaltenen Wassers betragen; die obere Grenze, die ohne Schaden nicht überschritten werden darf, ist nicht bestimmt; sie dürfte jedenfalls sehr hoch liegen. Während also eine gesteigerte Wasserzufuhr unter gewöhnlichen Fütte- rungsverhältnissen den Stoffwechsel unberührt lässt, hat nach den exacten ! Anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn Salze oder Mengen ‚von Salzen gegeben werden, welche Diarrhöe bewirken. ® Wann die Wasserentziehung beginnt, lässt sich ohne besondere Versuche über die Wasserbilanz nicht feststellen. Bei den drei untersuchten Hunden verliessen 8S.-S Procent des Nahrungswassers den Körper mit dem Harn: "ag. Hay | Bingetthrte | ‚Harnmenge Zahladerii or Durchschnitt Mae Nahrungs- in ccm y wassers Hund A 8 Vortage 378 400 94-5 191-88 | 24 Versuchstage 357 400 89-25 | Proc. 88-8 » B | 12 Vortage 703 820 85-7 | Proc. 0 12 n 632 710 89-0 536 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Versuchen Landauer’s und Straub’s die Wasserentziehung eine ge- ringe Steigerung des Eiweissumsatzes zur Folge. Gesteigerte Wasser- zufuhr während der späteren Stadien der Wasserverarmung, d.h. wenn man einen eingetrockneten Organismus mit Wasser überfluthet, zieht nach Landauer und Straub eine schon wesentlich grössere Stiekstoffmehr- ausscheidung nach sich. (Ganz besonders hoch kann diese bei grosser Wasser- zufuhr im Hungerzustand sein, C. Voit [1860] und Forster [1875].) Nimmt man nicht die aufgenommene Wassermenge, sondern die Aende- rungen des Harnquantums als Maassstab, so ergiebt sich, dass aus der Höhe der Diurese kein Schluss auf die Grösse des Eiweissumsatzes zu ziehen ist; denn eine Vermehrung der Harnmenge lässt nur dann auf einen ge- steigerten Eiweissumsatz schliessen, wenn sie entweder theilweise aus Orga- nismuswasser besteht (Wasserentziehung), oder wenn sie — bei einem vorher entwässerten Körper — durch Wassermehrzufuhr bedingt ist. Eine Ver- minderung der Harnmenge weist nur dann auf eine geringe Steigerung des Eiweisszerfalles hin, wenn der Körper entwässert wird und ein gewisses Maass von Flüssigkeit hat bereits hergeben müssen. Die Versuche am Menschen haben nun bezüglich der gesteigerten und herabgesetzten Wasserzufuhr zu wesentlich anderen Resultaten geführt, die meines Wissens nur mit denen J. Mayer’s (1881) am Hund überein- stimmen. R.O. Neumann (1899) fand, dass er auf grosse Wassermengen stets in den ersten Tagen mit einer auf vermehrte Ausspülung retenirten Stickstoffs zurückzuführenden gesteigerten Stickstoffausscheidung reagirte, die aber vorüberging, und bei verminderter Wasserzufuhr in’s Gegentheil, in eine Stickstoffsparung, durch Stickstoffzurückhaltung umschlug. Von den Autoren, welche die Stoffwechselwirkung des Salpeters studirt haben, scheiden hier diejenigen aus, welche mit unzureichenden Methoden gearbeitet haben (Beigel [1855], Schirks [1856], Rabuteau). Allein die Versuche Salkowski’s (1877) können in Frage kommen. Leider sind diese Versuche nicht an Hunden im Stickstoffgleichgewicht, sondern nur in einem Zustande annähernd gleicher Stickstoffausfuhr bei partiellem Hunger angestellt; sie haben ergeben, dass nach einmaliger Dosis von 10 8m Natronsalpeter zugleich mit einer Steigerung des Harns von 190 auf 695 °, der Stickstoff von 2-37 auf 2-798m, also um 18 Procent stieg. In dem anderen Versuche, wo er in zwei auf einander folgenden Tagen 0.35 3" und 0-58" NaNO, pro Körperkilo verfütterte, trat keine nennenswerthe Diurese und Wasserentziehung ein und fehlte auch die N-Steigerung im Harn Rs Vom Nahrungswasser Erhöhung auf d. übrigen der Harn- im Haın Wegen aus- stoffmenge hied geschieden u. Autor Au elanın ee 16 2 im Körper Zu- pie in Proc. rückbehalten ? |, - in: Proc. Hund 27 36 64 GC. Voit = 86 66 34 Forster „ 0 16 84 A. Fraenkel PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. Rost. 537 In vorliegenden Versuchen sollte 1. die Wirkung kleiner Gaben (Versuch A) .und 2. die Wirkung mittlerer und grosser Gaben ein Mal bei unveränderter Wasserzufuhr, das andere Mal bei gleich- zeitiger Deckung des durch Diurese mehr ausgeschiedenen Wassers (Versuch B und Ö) festgestellt werden. Die Versuchstechnik war die allgemein übliche. Bei Versuch B und © musste für den Harn wegen seines hohen Gehaltes an Salpeter von der Methode der N-Bestimmung nach Kjeldahl abgesehen und auf die Liebig- Pflüger’sche Titrirung mit Quecksilbernitrat zurückgegriffen werden; in der Vor- und Nachperiode dieser Versuche wurden beide Methoden neben einander geübt. Die Analysen wurden im pharmakologischen Laboratorium des Kais. Gesundheitsamtes von Hrn. Weitzel und Hın. Dr. Sonntag ausgeführt. Versuch A. Hund, 10®:. Nahrung: Fleisch mit 13:68" N und 100 “= Wasser (Gesammtwasser 400 °%). Täglich 15% Salpeter (0-1&°% NaNO, auf 1% Körpergewicht). | Harnmenge N-Bilanz | n | in ccm in Proc.! ar et Vorversuch (8 Tage) 378 100-5 Durchschnittswerth Versuch (24 Tage) 357 99-6 = Der Einfluss grosser Dosen Salpeter auf den Stoffwechsel wurde an zwei Hunden mit den gleichen, auf Körperkilo berechneten Mengen Salpeter (0.7, 1-0 und 1-48”%) ausgeführt. Der Versuchsplan war dabei folgender: Die Wassermenge, die ihnen gereicht wurde, betrug bei Hund B täglich 28° m Wasser pro Kilo, bei Hund C 60°". Stellte sich eine Aenderung des Stoffwechsels bei Hund B ein, so musste diese, wenn sie Salzwirkung (Wasserentziehung) ist, durch nachträglich erhöhte Wasserdarreichung auf die Norm herabgedrückt werden können, auch wenn die grossen Dosen Salpeter weitergegeben werden. Hund © dagegen, der von vornherein das Doppelte an Wasser wie Hund B erhielt, durfte bei den entsprechenden Dosen von 0-7, 1-0 und 1:48”% Salpeter jedenfalls erst bei einer höheren Dosis entwässert werden und Durst zeigen als Hund B. Wurde aber beim Eintritt des Durstes Wasser in ausreichender Menge vorgesetzt, um einer Wasserentziehung vor- zubeugen, so musste eine eventuelle directe Stoffwechselwirkung des Salpeters sich rein zu erkennen geben. - Stickstoffgleichgewicht mit 100 Procent (des Nahrungsstickstoffs im Harn und Koth) bezeichnet, 538 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Vers uichB. Hund, 2988. Nahrung: Fleisch mit 30-68 N, 50 s’" Fett und 150 °® Wasser (Ge- sammtwasser 820 °®). Täglich 20, 30 und 402” Salpeter (0-7, 1-0 und 1-48 NaNO, auf 18 Körpergewicht). Harnmenge | N-Bilanz in cem in Proc. I. Unveränderte Wasserzufuhr. Vorperiode (12 Tage) . . .. . 703 100-8 Tägl. Durchschnitt Versuch: a) 7 Tage täglich 20 ®°® Salpeter 820 101-2 b) 7 Tage täglich 30 8°" Salpeter 928 103-5 . 8 Tage tägl. 40 8°® Salpeter 1083 109-3 ; 2 ee re y Versuchsperiode II. Erhöhte Wasserzufuhr. : B. 8 Tage tägl. 40 =” Salpeter _ 109-3 Nachversuch (5 Tage). . . . . — 111-6 Versuch C. Hund, 1288, Nahrung: Fleisch mit 18-7 8m N und 300 = Wasser (Gesammtwasser 710 °®@). Täglich 8-5, 12 und 178 Salpeter (0-7, 1-0 und 1.48 NaNO, auf 18 Körpergewicht). ı Harnmenge N-Bilanz in ccm |" Sina Proe: I. Unveränderte Wasserzufuhr. Vorversuch (12 Tage) . ........ 632 101-9 Mittelwerthe Versuch: a) 4 Tage täglich 8-5 &"” Salpeter 609 100-7 b) 4 Tage täglich 12 ©” Salpeter 680 96-2 | N II. Erhöhte Wasserzufuhr. ee c) 5 Tage täglich 17 = Salpeter _ 98-3 Nachversuch (6 Tage). . . . . — 101-8 Die Ergebnisse der vorliegenden drei Versuche am Hund sind diese: 1. Weder kleine noch grosse Mengen Natronsalpeter haben einen Einfluss auf die Fresslust, das Wohlbefinden, Kothent- leerungen und Körpergewicht erkennen lassen. 2. Kleine Gaben, welche keine Diurese erzeugen, beein- flussen den Stoffwechsel nicht. 3. Bei grösseren Gaben Salpeter, die eine lebhafte Diurese hervorrufen, lässt sich bei geeigneter Versuchsanordnung (Dar- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — E. Rost. 539 reichung von Wasser) eine directe Wirkung auf den. Stoff- wechsel, bestehend in einer Stiekstoff-Sparung, nachweisen. Wird dem Thier dagegen mit der Nahrung nicht genügend Wasser zur Ausscheidung des Salpeters gegeben, so wird die Salpeter- wirkung durch die Salzwirkung (Wasserentziehung) verdeckt, die in einer Steigerung des Eiweisszerfalles besteht. Diese ist in Wirklichkeit grösser, als der Versuch ergeben hat; sie wird durch die eigentliche Salpeterwirkung herabgedrückt. 4. Die Eingangs aufgestellten Sätze, dass eine Diurese in Folge von vermehrter Zufuhr von Wasser bei sonst gleich- bleibenden Bedingungen den Eiweissumsatz nicht ändert, wohl aber, wenn der Körper vorher entwässert worden war, gelten auch, wenn gleichzeitig Salpeter gegeben oder die Wasserent- ziehung durch Salpeter erzielt war. 5. In dem Versuch 1 Salkowski’s, wo die Harnmenge des Hundes die Nahrungsmenge um 295°" überstieg, also die Wasser- bilanz zu Ungunsten des Organismus arbeitete, ist die beob- achtete N-Steigerung Folge der Salzwirkung, nicht aber der Salpeterwirkung (s. 8. 536). Diese Ergebnisse aus den Stoffwechselversuchen an Hunden mit Ver- - fütterung von Salpeter scheinen mir neben ihrem speciellen Interesse noch eine gewisse allgemeine Bedeutung zu besitzen; sie sind geeignet, ein Licht auf die analogen Wirkungen des Kochsalzes und einiger anderer Salze (schwefelsaures, essigsaures, kohlensaures und phosphor- saures Natrium) zu werfen. Die Stoffwechselwirkung des Kochsalzes ist trotz der mannigfaltigen und exacten Versuche von C. Voit, Forster, Dubelir, Pugliese und Straub keineswegs aufgeklärt. Straub (1899) hat nun behauptet, dass dem Kochsalz neben seiner wasserentziehenden Wirkung in grossen Dosen noch eine N-sparende zukommt. Seine Versuche sind aber nicht in völligem N-Gleichgewicht angestellt, und der Ausschlag, den Straub in einem Versuche erhielt, betrug während drei Tagen nur 2 Procent, ein Werth, dem ohne bestätigenden Versuch keine absolute Bedeutung bei- gemessen werden darf. Diese Bestätigung dürfte aber meiner. Ansicht nach in dem Ausfall der vorliegenden Salpeterwirkung liegen: Kochsalz und Salpeter, die beiden nahverwandten Salze, scheinen also die nämliche directe Stoffwechselwirkung neben der wasser- entziehenden oder Salzwirkung zu besitzen. Aber auch anderen Salzen, dem essigsauren, schwefelsauren, phosphorsauren und kohlensauren Natrium dürften nach den Litteraturangaben in grossen Gaben die beiden gleichen Wir- kungen auf den Stoffumsatz zukommen: die N-sparende, eigent- liche Wirkung und eine auf Wasserentziehung beruhende, wenn einer Wasserverarmung durch Diurese nicht durch Erhöhung des Nahrungswassers vorgebeugt wird, wie aus den tabellarisch zusammengestellten Versuchen J.Mayer’s und Salkowski’s und I. Munk’s hervorgeht. Nach kohlen- saurem Natrium und nach essigsaurem Natrium steigt der Stoffumsatz, wenn gleichzeitig Entwässerung eintritt; kommt aber eine solche Wasser- 540 VERHANDLUNGEN DER BERLINER entziehung nicht zu Stande, so wirkt auch das essigsaure Natrium N-sparend. Ebenso wirkten unter gleichen Verhältnissen schwefelsaures und phos- . O . . . . P phorsaures Natrium. Also auch die eigentliche directe Stoffwechselwirkung genannter sechs Salze dürfte eine physikalische sein. Ak Dosis | Harn pro Kilo RB: im Verhältniss AR Körper- N-Bilanz Harnmenge | on | Autoren gewicht Nahrungswasser | I. Gleichbleibende Wasserzufuhr in der Nahrung (525 °®); Hund 22000 bis 22 800 8% schwer. Hssigsaures 0-33 8m |Verminderung |gesteigert von Harn < Natrium wasserfrei | um 5—8 Proe.|340 auf 470 = Nahrungswasser Kohlensaures | 0-33 8m | Steigerung gesteigert von Harn > Nah- Natrium wasserfrei | um 5—6 Proc.|385 auf 573° ®| rungswasser ss 0-17 2m | Steigerung gesteigert von Harn annähernd wasserfrei um 2—3 Proc.|420 auf 500°®| = Nahrungs- wasser Schwefelsaures | 0-23== [Verminderung gesteigert von Harn < J. Mayer Natrium wasserfrei | um 3—7 Proc.|380 auf 388°®| Nahrungswasser » 0-12 sm |Verminderung gesteigert von Harn < wasserfrei um 1—5 Proc.|386 auf 395 °°=| Nahrungswasser Phosphorsaures) 0-33 &”= Verminderung |gesteigert von Harn < Natrium wasserfrei um 4—6 Proc. |356 auf 436 °®| Nahrungswasser 65 0.17 8% Verminderung gesteigert von Harn < wasserfrei | um 1—3 Proc.|365 auf 422° Nahrungswasser II. Nicht gleichbleibende Wasserzufuhr in der Nahrung; Hund 20 500 &= schwer. Essigsaures 0.58% [|Steigerung| gesteigert, Harn > Salkowski Natrium um 5 Proc. |aberauch Nab- Nahrungswasser und rungswasser | an einem Tag I. Munk gesteigert | So grosse Salzmengen können nicht im Körper kreisen, ohne im Blut und in den Zellen, die sie bespülen, feinere Aenderungen der Zusammen- setzung und des osmotischen Druckes hervorzubringen. Stellt man sich auf Grund der mannigfachen Thatsachen, welche für die Aehnlichkeit des Proto- plasmas und der Enzyme sprechen, die Spaltungsvorgänge im Organismus als den Ausdruck einer Art Fermentwirkung vor, so findet diese Herab- setzung des Eiweissumsatzes eine gewisse Analogie in der beobachteten Hemmung der Wirkung einiger Enzyme durch concentrirtere Lösungen von neutralen Alkalisalzen.! Anhang. Während der Correetur erschien eine Arbeit von Spiegler? über den Stoffwechsel bei Wasserentziehung. Verf. kommt in seinen am Hund und am Menschen angestellten Versuchen im Wesentlichen zu folgenden Schlüssen: Die Verminderung des ! Vgl. auch Th. Bokorny, Protoplasma und Enzym. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiol. 1901. Bd. LXXXV. 8. 257. *” Zeitschrift für Biologie. 1901. Bd. XLI. 8. 239. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — E. Rost. — ALBERT NEUMANN. 541 Nahrungswassers zieht zunächst eine Verminderung der N-Ausscheidung im Harn nach sich, die im weiteren Verlaufe in eine N-Mehrausschei- dung übergeht. In der Nachperiode dauert die N-Mehrausfuhr an und erreicht ihre höchsten Werthe. Er erklärt diese einzelnen Stadien durch eine verminderte Resorption der Nahrung im Darm, der dann ein gesteigerter Eiweisszerfall folgt, und endlich durch eine im Nachversuch folgende ge- steigerte Aufsaugung der vorher im Darm theilweise zurückgehaltenen Nahrung bei anhaltendem erhöhten Eiweissumsatz. Leider ist die Versuchstechnik grossentheils eine so ungenaue (Fehlen von N-Analysen im Fleisch und Koth; eintägige Versuche, die schon des- wegen nichts beweisen können, weil der Werth des ersten Tages bei ver- änderter Ernährung bekanntlich mehr dem des voraufgehenden Regimes gleicht; Benutzung von Hunden, die etwa 85 Procent des Nahrungs-N im Harn und Koth ausschieden und sich allmählich in’s Gleichgewicht einstellten), dass diese Ergebnisse nur bedingten Werth haben können. Spiegler hat wohl die Richtung festgestellt, in der die Wasserentziehung auf den Orga- nismus wirkt; über die quantitativen Verhältnisse sagen seine Versuche jedoch nichts aus. Als feststehend darf aus seinen Versuchen hervorgehoben werden die in Folge Entwässerung auftretende Steigerung der N-Aus- scheidung im Harn, die auf einem gesteigerten Eiweisszerfall beruht, und die in der Nachperiode andauernde vermehrte N-Ausfuhr; letztere ist nach meinen Versuchen am Hund aber als Folge der Wirkung grösserer Wassermengen auf einen vorher entwässerten Körper aufzufassen, weil am ersten Nachversuchstag meines Versuches B, als die der Vorperiode ent- sprechende Wassermenge gereicht wurde, normale Werthe (N-Gleichgewicht) sich fanden und erst an den folgenden Tagen bei Erhöhung der Nahrungs- wassermenge Steigerung der N-Ausscheidung um 20 Procent eintrat. XI. Sitzung am 10. Mai 1901. 1. Hr. AL8erT NEUMANN: „Ueber eine einfache Methode der Eisenbestimmung bei Stoffwechselversuchen.“ Das Princip der Methode beruht darauf, dass Eisen, wenn es als Oxyd vorliegt (selbst bei Gegenwart von Phosphorsäure), durch Zinkoxyd! sofort und völlig gefällt wird, und dass man noch mit einer ca. ?/,,, Thiosulfat- lösung sehr genaue Titrationen ausführen kann; die Unterschiede zwischen mehreren Bestimmungen liegen innerhalb weniger Hundertel Milligramme Fe. Die Ausführung bei Stoffwechselversuchen geschieht in folgender Weise. Die Substanz wird nach der von mir früher? angegebenen Veraschungs- methode durch Hinzutropfen eines Gemisches von Schwefelsäure und Sal- petersäure im Rundkölbchen zerstört. Dabei empfiehlt es sich, Flüssigkeiten, wie Blut u. s. w., vorher zur Trockne zu dampfen. Um grössere Mengen Harn zu veraschen, verfährt man folgendermaassen. Die abgemessene Menge ı J. Volhard, Zur Scheidung und Bestimmung des Mangans. Liebig’s Annalen der Chemie. 1879. Bd. CXCVII. 8. 344. ® A. Neumann, Ueber eine einfache Methode zur Bestimmung der Phosphor- säure bei Stoffwechselversuchen. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 159. 542 VERHANDLUNGEN DER BERLINER (300 bis 500 “®) wird mit 3 Procent Kaliumnitrit versetzt und durch den Tropftriehter, welcher bei der Veraschung das Säuregemisch aufzunehmen hat, tropfenweise in das Rundkölbehen hineingegeben, in dem sich auf je 100° Harn 10°” cone. Salpetersäure (spec. Gew. 1°4) befinden. Man erhält nun die Flüssigkeit beständig in raschem Sieden, was am besten mittels eines Babobleches geschieht. Auf diese Weise wird erreicht, dass der Harn fast ebenso schnell verdampft, wie er in den Kolben tropft, und dass der Harnstoff durch die salpetrige Säure grösstentheils zerstört wird. Hat man die ganze abgemessene Harnmenge durch den Tropftrichter fliessen lassen — wobei es sich empfiehlt, bei zunehmender Concentration der Flüssig- keit die Flamme etwas zu verkleinern —, so giebt man nunmehr das Säure- gemisch in den Trichter und verascht in der früher beschriebenen Weise. Die Substanzmengen müssen zweckmässig so gewählt werden, dass sie 3 bis 5”%8 Fe enthalten (zur Bestimmung im Blute genügen 10 °"®); man erhält aber auch bei geringeren Eisenmengen noch gute Resultate. Ist die Substanzzerstörung beendigt, so wird das weisse oder schwach gelb gefärbte Veraschungsproduet mittels conc. Ammoniaks gerade ammo- niakalisch gemacht und dann mit Schwefelsäure schwach angesäuert. Nun- mehr wird in die erkaltete Flüssigkeit soviel Zinkoxyd hineingegeben, dass bei völlig neutraler Reaction ein Ueberschuss desselben vorhanden ist, und dann das Ganze gut durchgeschüttelt. Man lässt absitzen, decantirt durch ein kleines Faltenfilter von aschefreiem Filtrirpapier und wäscht mehr- mals durch Decantiren aus, bis die ablaufende Flüssigkeit keine Reaction auf salpetrige Säure mehr giebt. Zu diesem Zwecke versetzt man eine Probe mit einigen Krystallen Jodkalium, einigen Tropfen Jodzinkstärkelösung und säuert mit Salzsäure an. Erfolgt keine oder nur sehr geringe Violet- färbung, so ist der Niederschlag ausgewaschen, und man giebt das Filter wieder in den Rundkolben zurück, um nunmehr die Titration zu beginnen. — Ueber das Filtrat vom Zinkniederschlag ist noch zu bemerken, dass dasselbe sich besonders beim Auswaschen leicht trübt. Man überzeugt sich jedes Mal davon, dass es kein Eisen enthält, indem man ansäuert und Rhodankalium hinzufügt. Eine äusserst schwache Rothfärbung hat bei der ausserordent- lichen Schärfe der Reaction keinen Einfluss auf das Resultat. Der ausgewaschene Zinkniederschlag (inel. Filter), welcher alles Eisen enthält, wird nunmehr mit etwa 30°“ Wasser angesetzt, erwärmt und durch tropfenweises Zugeben von Salzsäure gelöst. Da ein Säureüberschuss vermieden werden muss, so fügt man nun wieder Ammoniak bis zur be- sinnenden Ausscheidung von Zinkhydroxyd und sodann Salzsäure bis zur deutlichen Lösung desselben hinzu. Darauf werden 1 bis 28”% Jodkalium und etwas Jodzinkstärkelösung hinzugegeben, worauf man die Flüssigkeit auf 60 bis 70° (also etwa so, dass man den Kolben noch gerade in der Hand halten kann) erwärmt. Nunmehr wird warm mit einer ca. ”/,oo Thio- sulfatlösung titrirt, wobei die ursprüngliche graublaue Färbung über blau in violet übergeht. Ist dieser Punkt erreicht, so wird noch ein Mal auf 60 bis 70° erwärmt und weiter titrirt, bis die Flüssigkeit gerade farblos wird. Zur Herstellung der Thiosulfatlösung geht man von einer Eisenchlorid- lösung. von bekanntem Gehalt aus. Die von Fresenius! angegebene Eisen- ! Fresenius, Quantitative Analyse. Bd.1. S. 288. PHYSIOL. GESELLSCHAFT. — R. pu Bors-Reymonp. — N. Zuntz. 543 chloridlösung, welche in 1%® 0-01®% Fe enthält, kann von Kahlbaum bezogen werden. Von dieser Lösung werden z. B. 30 °”® genau zum Liter aufgefüllt! und dagegen eine Thiosulfatlösung eingestellt, welche etwa 15 2” im Liter enthält. Die Titerstellung wird ebenso ausgeführt wie oben die Titration. Es ist nöthig, den Titer der Thiosulfatlösung öfter zu controliren, da dieselbe nicht unbegrenzt haltbar ist. Zum Schlusse möchte ich noch bemerken, dass alle Reagentien, welche bei dieser Methode benutzt werden, absolut eisenfrei sein müssen. Eine ausführlichere Mittheilung dieser Eisenbestimmung mit Angabe der Analysen soll in Kurzem in der Zeitschrift für physiologische Chemie erfolgen. Hrn. Cand. chem. Erich Baum spreche ich für die fleissige und sach- gemässe Unterstützung bei diesen Untersuchungen meinen besten Dank aus. 2. Hr. R. pu Boıs-Reymonp: „Die Thierbrille Zur Lehre von der subjeetiven Projection.* Werden mittels einer Brille, die statt der Gläser zwei unter 45° zur Blickaxe stehende Spiegel enthält, die Blickriehtungen der beiden Augen nach beiden Seiten abgelenkt, so werden die wahrgenommenen Bilder nach vorn projieirt, und es entsteht beim Vorwärtsgehen der Eindruck, dass die beiden Gesichtsfelder einander gegenseitig durchdringen. Schliesst man nun ein Auge, so hat man nicht denselben Eindruck, wie beim Vorwärtsgehen mit seitwärts gewendetem Blick, sondern die perspectivischen Verschiebungen, die sonst wegen der Gewöhnung übersehen werden, treten auffällig hervor. Ebenso erscheinen beim Vorwärtsneigen des Kopfes, wobei die Augen um die abgelenkte Blickrichtung gedreht werden, die wahrgenommenen Bilder geneigt, während unter natürlichen Verhältnissen bei Drehung um die natür- liche Bliekriehtung durch seitliches Neigen des Kopfes diese Täuschung nicht eintritt. XIII. Sitzung am 24. Mai 1901. 1. Hr. N. Zunzz: „Ein Respirationsapparat für Wasserthiere.“ Als ich vor etwa drei Jahren in dieser Gesellschaft über die Versuche des Hrn. Knauthe, den Stoffwechsel der Fische betreffend, berichtete, war die damals von uns in Angriff genommene Untersuchung der Ausnutzung der Nahrung und der Stickstoffausscheidung durch Harn und Koth ein voll- kommen unbebautes Gebiet. Nachdem dann die Grundlagen der Erkenntniss der Verdauung der Fische, ihre Abhängigkeit von der äusseren Temperatur und der Zusammensetzung der Nahrung erkannt war, konnten uns die in der Litteratur vorliegenden Angaben über den respiratorischen Gaswechsel der Fische nicht mehr genügen. Es entstand deshalb das Bedürfniss, einen möglichst vollkommenen und zuverlässigen Aufschluss über alle Faktoren ‚des Gaswechsels gebenden Respirationsapparat zu construiren, der zugleich gestattete, die in das Wasser übergehenden festen Stoffe, namentlich die stickstoffhaltigen Verbindungen zu untersuchen. Von den bisher zur Unter- 1 Diese verdünnte Eisenlösung muss für jede Titerstellung frisch bereitet werden. 544 VERHANDLUNGEN DER BERLINER suchung des Gaswechsels der Fische benutzten Einrichtungen kommt eigent- lich nur die von Regnard für uns ernstlich in Betracht, da sie in gleicher Weise Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung zu bestimmen ge- stattet. Als Mangel des Regnard’schen Apparates, welcher zu beseitigen war, erschien mir zunächst die Absperrung der über dem Wasser befind- lichen Luftmenge durch eine Kautschukbirne, welche bei jedem Stoss der ventilirenden Pumpe abwechselnd mit Luft gefüllt und entleert wurde. Der- artige Kautschukballons bedingen fast unvermeidlich Gasverluste. Es er- schien ferner wichtig, nicht nur wegen der Abhängigkeit des Stoffwechsels der Fische von der Temperatur, sondern auch wegen der grossen Fehler, welche jede Unsicherheit der Temperaturbestimmung in der Abmessung der Gasvolumina bedingt, Einrichtungen zur Regulirung und Constanterhaltung der Temperatur zu treffen. Endlich war es nöthig, in jedem Moment Proben des Wassers und der Luft zur Analyse entnehmen zu können, ohne den Gang des Versuches zu unterbrechen. Die Haupttheile des auf Grund dieser Bedingungen zusammengestellten und inzwischen in mehreren hundert Re- spirationsversuchen bewährten Apparates (s. Fig.) sind folgende: 1. Ein etwa 52 Liter fassender Glasballon (D), dessen weite, obere Oeffnung durch einen mit den nöthigen Tubulaturen versehenen, vernickelten Metalldeckel verschlossen wird. 2. Eine doppelt wirkende Luftpumpe (P), welche in der Art die Ven- tilation des Ballons bewirkt, dass bei jeder Bewegung des Kolbens auf der einen Seite desselben ebenso viel Luft in den Ballon eingepresst wird wie auf der anderen Seite aus demselben ausgesaugt wird. Die ausgesaugte sowohl wie die zurückgepresste Luft geht durch spritzflaschenartig angeord- nete Kaliventile (Müller’sche Ventile) zur Absorption der Kohlensäure. Es müssen also vier derartige Ventile vorhanden sein, je zwei für den ober- halb und unterhalb des Kolbens befindlichen Raum des Pumpencylinders. 3. Zwei Manometer; eins (M) dient zur genauen Messung der Span- nung der im Ballon befindlichen Luft. Da diese Spannung ausser von dem Verbrauch der Fische, bezw. dem Zuströmen frischen Sauerstoffes auch von der Temperatur und dem äusseren Luftdruck abhängig ist, muss, um diese letzteren Wirkungen in Rechnung stellen zu können, ein zweites Manometer, das Thermobarometer (75) vorhanden sein, welches mit einem abgesperrten Luftraum, der unter denselben Bedingungen von Temperatur und Aussen- druck wie die Luft im Ballon sich befindet, communiceirt. Die am Thermo- barometer gemessenen Druckänderungen während eines Versuches liefern uns den Correctionsfactor zur Reduetion der Ablesungen von M auf Druck und Temperatur beim Beginn des Versuches. 4. Die sämmtlichen, bisher beschriebenen Einrichtungen befinden sich in einem grossen, mit Wasser gefüllten Aquarium, in welches durch eine Wasser- strahlpumpe beständig Luft eingeblasen wird, um den Inhalt zu durchmischen und dadurch alle Theile auf gleicher Temperatur zu erhalten. 5. Ein Thermoregulator, bestehend aus einer grossen, längs dreier Seiten des Aquariums in mittlerer Höhe herumlaufenden Kupferröhre (F'), welche mit absolutem Alkohol gefüllt ist und sich in ein Bleirohr fortsetzt. Dieses Bleirohr ist, ausserhalb der Wanne, an ein kurzes U-förmiges Glas- rohr angeschlossen, in welchem an den Alkohol unter Vermeidung von Luftblasen Quecksilber angrenzt. Dieses Quecksilber sperrt, wenn es bis PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZz. 545 zu einer gewissen Höhe durch den bei der Erwärmung ausgedehnten Alkohol emporgetrieben ist, den Gasstrom zu‘ dem grossen, unter der seitlich (rechts) in der Zeichnung sichtbaren Heizschlange angebrachten Brenner, während eine Zündflamme dauernd brennen bleibt. Man lässt beständig durch die Heizvorrichtung einen reichlichen Wasserstrom in das grosse Archiv f. A. u. Ph. 1901. Physiol. Abthlg. 35 546 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Aquarium fliessen, aus welchem der Ueberschuss durch einen Ueberlauf ab- fliesst. Bei brennender Flamme hat das einfliessende Wasser, je nach der Stärke des Stromes, eine Temperatur von 30 bis 40°C. und sichert so die constante Temperatur der Wanne, so lange diese höher ist als die Zimmer- luft. Ist dies nicht der Fall, so lässt man das Wasser durch eine in Eis liegende Spirale in den Heizapparat eintreten, dessen Flamme sich natürlich erst dann entzündet, wenn das Wasser der Wanne durch das aus dem Regulator einströmende kalte Wasser unter die gewollte Temperatur ab- gekühlt ist. 6. Zum Ersatz des verbrauchten Sauerstoffes strömt aus dem graduirten Gasometer (Sp) durch das am Boden des Aquariums befindliche Quecksilber- ventil Sauerstoff nach, sobald der Druck der Luft im Ballon unter eine beliebig einstellbare Grenze gesunken ist. Der Druck des im Gasometer befindlichen Sauerstoffes wird durch die in der Zeichnung erkennbare Pflüger’sche Re- gulationseinrichtung bei jeder Stellung der Glocke gleich erhalten. 7. Zur beliebigen Füllung und Entleerung. der Kaliventile dienen die Flaschen &£ und W, von denen die eine mit ca. 12 Procent kohlensäure- freier Kalilauge, die andere mit ausgekochtem, destillirtem Wasser gefüllt ist. Die Bewegung der Pumpe wird durch einen kleinen Elektromotor von Ile HP bewirkt. Die von der Pumpe in den Ballon eingepresste Luft strömt am Boden desselben aus einer Anzahl am dreizackigen Rohr DP# angebrachter Oeff- nungen durch das Wasser aus. Zu Beginn eines jeden Versuches wird der Ballon, dessen Capaeität genau bekannt ist, zum Ueberlaufen mit Wasser gefüllt, dann die gewogenen Fische eingesetzt. Der Deckel wird dann sofort aufgeschraubt und etwa 5 Liter Wasser abgesaugt, an deren Stelle reine, atmosphärische Luft von aussen durch das Rohr % eintritt. Ein Antheil des abgesaugten Wassers dient zur Sauerstoff- und Stick- stoffbestimmung durch Auskochen in dem früher der Gesellschaft demon- strirten, von Dr. Müller (Brandenburg) construirten Tenax-Apparat; einige weitere Proben zur Bestimmung der Kohlensäure, welche in der Art ge- schieht, dass eine Portion des Wassers mit überschüssigem titrirten Baryt- wasser und Chlorbarium versetzt und nach Absetzen des Niederschlages zurücktitrirt wird, während in einer zweiten Portion die Alkalescenz des Wassers durch Titriren mit Säure unter Kochen bestimmt wird. Eine dritte Portion von 1 bis 2 Liter wird eingedampft, mit Schwefelsäure nach Kjel- dahl behandelt und dient zur Bestimmung des in chemischer Bindung vor- handenen Stickstoffes.. Am Schlusse des Versuches werden alle diese Be- stimmungen wiederholt und ausserdem mehrere Proben der im Apparat ent- haltenen Luft gasanalytisch auf Sauerstoff, Kohlensäure und Stickstoff unter- sucht. — Damit man auch während des Versuches Luft- oder Wasserproben entnehmen könne, ohne dass Luft oder Wasser in den Apparat von aussen eintreten, bezw. die Gasspannung im Innern sich ändert, befindet sich im Innern des Respirationsbehälters an einer besonderen, den Deckel durch- setzenden Tubulatur der dünnwandige leere Gummiball 4. In diesen lässt man bei den Probenahmen während und am Schlusse des Versuches so viel Wasser einfliessen, dass der vom Manometer M angezeigte Druck unver- ändert bleibt. - PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUNTZ. 547 Das Verständniss der Versuchsanordnung dürfte erleichtert werden, wenn ich die Berechnung eines Versuches darlege. Versuch vom 19. VIII. 1899. Gewicht der Fische (Karpfen) 2410". Der Ballon fasst 52 000 2” Wasser. Nach Abzug des Gewichtes der Fische 49 590 8”. Es werden ausgelassen zur Kohlensäurebestimmung mittels Barytwasser 814°” zur Alkalescenzbestimmung ... . ........2400 „ zuzseNuskochuns#im&Tenax 7... 2.2 „un. 200.5, zus Stickstobestimmungik... 2.0.00... 2.02.282000:, so dass bei Beginn des Versuches noch 461768" Wasser und 3414 Luft vorhanden sind. Die Auskochung im Tenax-Apparat ergab im Mittel zweier Bestimmungen redueirt auf 0° und 760"” 1.429 em N und 0-42 m O auf 100 °m Wasser. Die Titrirung nach Absetzen des Barytwasserniederschlags ergab als Alkalesceenzabnahme 1-680 °® unserer Säurelösung, entsprechend 3°963 Kohlensäure auf 100°" Wasser. Die Alkalescenzbestimmung ergab einen Verbrauch von 1-.26°” Säure für 100°" Wasser. Die Wiederholung derselben am Schluss des Versuches einen Werth von 1-21°", so dass 0-05” unserer Titrirsäure von dem Endergebniss der Kohlensäurebestim- mung mittels Barytwasser, 1.6392" Säurelösung, abzuziehen sind. Es bleiben also 1.5892 °°® Säurelösung als Aequivalent der Kohlensäure, ent- sprechend 1.5892 X 2-358 = 3.747”. dieses Gases. Aus diesen Daten berechnet sich für die 46 176®'% Wasser zum Anfang eine Sauerstoffmenge von 1941, eine Stickstoffmenge von 660.0”, eine Kohlensäuremenge von 1830.0°, Die gleiche Bestimmung am Schlusse des Versuches ergab für dieselbe Wassermenge eine Sauerstoffmenge von 152°" eine Stickstoffmenge von 664-6 eine Kohlensäuremenge von 1730.2 m, Demgemäss hatte sich der Sauerstoffgehalt des Wassers um 42.0 vermindert, der Stickstoffgehalt um 4-6 “" erhöht, der Kohlensäuregehalt um 99.8 °® vermindert. Zu der im Ballon enthaltenen Luftmenge von 3414 “" kommt noch der durch besondere Ausmessung festgestellte Inhalt der Leitung, der Pumpe und der Ventile mit 1540°®, wovon das Volum der in die Ventile ein- gelassenen Lauge mit 327°" abzuziehen ist. Wir haben daher im Ganzen im Apparat am Anfang des Versuchs 4627 °” atmosphärische Luft von 21-60° C. bei 757.0 "m PBarometerstand.. Das Manometer ergab einen Drucküberschuss entsprechend 1-42" Hg, so dass das Gasvolum zum Be- ginn des Versuches unter einem Druck von 7585-42 "W® stand. Die Reduction auf 0°, 760" und Trockenheit ergiebt ein Gasvolum von 4154-3 °®. Am Schluss des Versuches war der Stand des Manometers = + 0-40" Hg. Das Thermobarometer, welches beim Beginn auf + (0 gestanden hatte, zeigte 35* 548 VERHANDLUNGEN DER BERLINER jetzt — 0-70", das bedeutet, dass das unveränderte Gasvolum im Thermo- barometer durch die Aussenluft um 0.7" stärker comprimirt wurde als anfangs. Diese Zahl muss zum Anfangsdruck addirt werden, um die Span- nung zu finden, unter welcher das Gas im Ballon jetzt steht. Diese Span- nung ist also 757.00 + 0-70 — 0-40 = 757-30”"M, Hieraus berechnet sich das reducirte Endvolum des Gases zu 41479 m, Die Zusammensetzung der Anfangsluft rechnen wir: 20.92 Procent O, 0.04 5 Co, 79.04 5 N». Die Endluft ergab im Mittel von sechs Analysen: 18.82 Procent O, 0.12 35 C05 81-06 MOHN. Hieraus berechnet sich die Gesammtmenge der drei Gase in der Anfangsluft 869.1 O, 3284 m N, 12,6. 22005 in’’derEndluft. 2780-7 „.. 0, 3362 „ N, 32.0, 03 —...88.40m 0, > 78m N, 1 354..20200 Aus dem Gasometer waren während des Versuches 14156 Sauer- stoffgas (0° und 760") in den Apparat eingeströmt. Dieser, einer El- kan’schen Bombe entnommene Sauerstoff enthält im Mittel zahlreicher Ana- lysen 93-83 Procent O,, 6-17 Procent N,, in den 1415.6°w also: 87.3° m N, und 1328-.3°® O,. Die vorhandene Spur von Kohlensäure war dadurch entfernt, dass sich im Gasometer über dem absperrenden Queck- silber eine Schicht dünner Kalilauge befand. — Die zur Absorption der Kohlensäure benutzte Kalilauge wurde am Schluss des Versuches auf 1000 “" aufgefüllt. Davon brauchen 10 °® beim Neutralisiren unter Kochen 23-8” Titrirsäure. Nach Ausfällen der Kohlen- säure durch Zusatz eines gleichen Volums Chlorbariumlösung brauchen 20 «m der Mischung: 17.63 °® Titrirsäure, es sind also 6-17 Titrirsäure der Kohlensäure in 10° der Lauge äquivalent; da 1°” der Titrirsäure 2.358 m CO, von 0° und 760" entsprechen, sind in der gesammten Lauge 6-17.100.2-358 = 1455.” CO, enthalten. Hierzu kommen + 3-4" CO, als Zuwachs in der Luft des Ballons und —99.8°m CO,-Abnahme im Wasser des Ballons.. Es sind also von den Fischen 1358-6" CO, geliefert worden. Der Sauerstoffverbrauch setzt sich zusammen aus den im Gasometer gemessenen . . . . . . 1328.3:m Abnahme des Sauerstoffvorraths in der Luft 88-4 „ Abnahme des Sauerstoffvorraths im Wasser 42.0 „ im Ganzen 1458.71 1358-6 1458-7 — 0-932. Hieraus ergiebt sich der respiratorische Quotient PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. ZUuNTZz. 549 An Stickstoff war mit dem Sauerstoff aus dem Gasometer eingetreten. . . MAUER STE Die Luft halte einen Zeh sen vonre re MÜRKERSINTEN-O.S Dasw\Vasser «vonsrten Mukah eu ve Ren ae 2456 Gesammtzuwachs 82.6 Scheinbarer Verbrauch der Fische (Versuchsfehle) . . . . 4-7, Aehnlich befriedigende Werthe beim Vergleich des berechneten und wirklich gefundenen Stickstoffgehaltes haben sich durchgehends bei den zahl- reichen, von Hrn. Knauthe ausgeführten Versuchen ergeben, so dass wir wohl den Satz aufstellen können, dass bei der Athmung der Fische ebenso wenig wie bei der der Säugethiere der elementare Stick- stoff sieh activ betheiligt. Als Beleg hierfür und zugleich für die Genauig- keit der Ergebnisse, welche der Apparat trotz der zahlreichen Einzelbestim- mungen, aus welchen das Resultat zu berechnen ist, liefert, gebe ich die Zahlen des Sauerstoffverbrauchs, der Kohlensäureausscheidung und des Stick- stofffehlers für eine Anzahl hinter einander ausgeführter Versuche. Die Zahl, das Gewicht und der Ernährungszustand der Fische waren in den ein- zelnen Versuchen verschieden. rk Dauer | ang Sauerstoff- | Kohlensäure- Stickstoff- N ee N les Aufnahme Ausscheidung Abnahme Zunahme in Stunden graden ınccem | ım cem in ccm in cem 2. VII 5 22-0 1172-3 884-9 jo) 14.85; 6 21-0 1888-3 1697-2 79 1 B) 24-0 1232-3 1075-0 11-3 en 6 23-0 7221-2 1159-2 13.4 19% 735 5 22-0 1458-7 1358-6 4-7 33:1: 6 20-5 1533-6 1757-0 8-4 Her 5 22-0 1728-7 1836-4 10-3 DB. 3, 51, 21-7 1608-1 1576-8 5-7 DIR, 5 20-5 1201-9 1169-4 0-6 bir 4 815-2 829-6 38 Zur weiteren Controle der Genauigkeit des Apparates wurde eine An- zahl Versuche in der Art ausgeführt, dass der Apparat, abgesehen von der Beschiekung mit Fischen, zum Respirationsversuche vorbereitet wurde, dass dann aus dem Gasometer eine gemessene Menge gasförmiger Kohlensäure in denselben eingeleitet und in der Kalilauge der Ventile zur Absorption gebracht wurde und nach Ablauf einer der durchschnittlichen Dauer der Respirationsversuche (ca. 5 Stunden) gleichen Zeit, der Versuch abgebrochen und alle Bestimmungen wie sonst ausgeführt wurden. Vier derartige Ver- suche ergaben folgende Werthe: 1. Luftvolum des Apparates 4426 °®, eingeführte CO, 1262.8 m wiedergefundene co, 1272-7 „ Fehler + VE, Stickstoffdifferenz + 5-8", 550 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 2. Luftvolum 3295 °”, eingeführte CO, 1243 .2 wiedergefundene CO, 1228.9 „ Fehler — 14.3 m C0,. N nicht analysirt. 3. Luftvolum 5005 °®, eingeführte CO, 1595. 0°” gefundene CO, 1606-4 „ Fehler _ + 11-4m 00,. Stickstoffdifferenz + 4-6, 4. Luftvolum 4647 °®, eingeführte CO, 1906.2 «m gefundene CO, 1902-4 „ Behler — 5.3.0700, Stickstoffdifferenz — 72m, In der ersten Zeit wurden Respirationsversuche von 12- und. 24 stün- diger Dauer gemacht. Dabei ergab sich regelmässig, dass der O,-Verbrauch etwa von der 8. Stunde an anstieg und immer grösser wurde. Zugleich er- gaben sich auffällig grosse respiratorische Quotienten. Die nähere Unter- suchung ergab, dass diese Zunahme des O,-Verbrauches auf das Einsetzen von rasch an Lebhaftigkeit zunehmenden Fäulnissprocessen im Wasser zu beziehen war. Dieselben liessen sich leicht in der Art quantitativ verfolgen, dass man bald nach Beginn des Versuches und etwa 12 Stunden später je zwei Kölbchen des Tenax-Apparates mit Wasser aus dem Ballon füllte und davon das eine sofort, das andere nach einigen Stunden auskochte Die einige Stunden aufbewahrte Probe des in der 12. Versuchsstunde entnom- menen Wassers zeigte erhebliche O-Zehrung, während eine solche in dem Wasser, welches während der ersten Stunden des Respirationsversuches ent- nommen wurde, nicht nachweisbar war. In einigen Fällen wurde die Be- deutung dieser Fäulnissprocesse auch in der Art studirt, dass man etwa nach 12 Stunden den Apparat öffnete, die Fische herausnahm und nun mit dem Wasser allein einen neuen Respirationsversuch begann. Dieser ergab sehr erhebliche Sauerstoffzehrung und noch viel grössere Kohlensäurebildung, der Art, dass respiratorische Quotienten von etwa 1-5 zu Stande kamen. Auf Grund dieser Erfahrung mussten wir eine ganze Anzahl im ersten Versuchsjahre ausgeführter Respirationsversuche verwerfen und mussten ebenso alle von Regnard ausgeführten länger dauernden Respirationsver- suche, als mit einem Fehler von unbekannter Grösse behaftet, bezeichnen.! Wir haben versucht, den Fehler, welchen die Zersetzungsprocesse im Wasser bedingen, durch Sterilisation desselben während des Versuches aus- zuschalten. Dieselbe wurde in der Art ausgeführt, dass das Wasser durch einen 2” langen Kühler in einen ganz mit Wasser gefüllten Kolben über- geführt wurde, in welchem es zum Sieden erhitzt wurde. Das gekochte Wasser floss dann dureh die Aussenröhre des Kühlers in den Respirations- apparat zurück. Auf diese Weise konnte im Laufe einiger Stunden das ! In allerjüngster Zeit hat König (Münster) Untersuchungen über die Athmung der Fische veröffentlicht, in welehen neben einigen anderen Befunden, deren kritische 3esprechung später erfolgen soll, auch die Angabe sich findet, dass ein respiratorischer Quotient erheblich über 1-00 für die Athmung der Fische charakteristisch sei. Das ist ein Irrthum, der aus der Nichtbeachtung der Fäulnissprocesse im Wasser resultirt. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — N. Zuntz. — J. FRENTzeL. 551 ganze Wasser des Respirationsballons ein Mal auf Sterilisationstemperatur erwärmt und dadurch erheblicherer Bakterienentwiekelung vorgebeugt werden. In der praktischen Ausführung erwies sich aber diese Anordnung als so schwierig, und die Gefahr der Fehler durch Gasverluste aus dem Wasser als so gross, dass wir uns entschlossen, nur noch Versuche von so kurzer Dauer auszuführen, dass die Fäulniss des Wassers praktisch nicht in Betracht kam. Die Ergebnisse der Versuche sollen in einiger Zeit in den landwirth- schaftlichen Jahrbüchern veröffentlicht werden. Hier seien nur folgende wich- tigsten Resultate kurz erwähnt. 1. Der respiratorische Gaswechsel der Fische steigt und fällt ebenso wie ihr Eiweissumsatz mit der Aussentemperatur. 2. Die Grösse des auf die Gewichtseinheit bezogenen Verbrauches ist bei kleinen Fischen erheblich grösser und geht annähernd proportional der Körperoberfläche; ein weiterer Beweis dafür, dass diese Beziehung nicht durch das Bedürfniss der Erhaltung der Eigenwärme zu erklären ist. 3. Jede Nahrungsaufnahme steigert den Gaswechsel so lange, wie die Verdauung dauert. Diese Steigerung ist bei eiweissreicher Kost und be- sonders bei Ernährung mit der natürlichen Nahrung der Karpfen (kleine Crustaceen und Inseetenlarven) am grössten. 2. Hr. J. FrentzeL: „Der Nährwerth des Fleischextractes“ (nach Versuchen mit Dr. N. Toriyama). Der Vortr. hat in Gemeinschaft mit Hrn. Toriyama die Behauptung Rubner’s, dass „die Bestandtheile des Fleischextraetes im Grossen und Ganzen unverändert, d. h. ohne Spannkraftverlust den Körper verlassen‘, experimentell geprüft. Es wurde eine Hündin mit Fett und Kohlehydraten ernährt, und in einer zweiten Reihe diesem Futter noch Fleischextraet (pro Tag 40 ®") hinzugefügt. In beiden Perioden wurde Harn und Koth sorgfältig gesammelt, die Bestandtheile der Nahrung, sowie die Ausscheidungen wurden analysirt und die von ihnen producirte Wärmemenge mit Hülfe der Berthelot’schen Bombe ermittelt. In der Fleischextractreihe nahm, wie natürlich, die Stiekstoffausschei- dung im Harn und Koth zu; auch zeigten die Ausscheidungen dieser Reihe eine höhere Verbrennungswärme. Auf den Tag berechnet enthielt die Nahrung durch die Gabe von 40 3% Fleischextract 104 Wärmeeinheiten mehr als in der Vorperiode; davon gehen ab für die höhere Verbrennungswärme des Kothes dieser Reihe und für die Verbrennungswärme des im Fleischextraete enthaltenen Eiweisses 19 Cal.; es bleiben also 85 Cal. In der Fleischextraetreihe wurden pro Tag mit dem Harn (nach Abzug des auf das Eiweiss im Fleischextract ent- fallenden Antheiles) 31 Cal. mehr ausgeschieden als in der Vorperiode; es sind also 85 — 31 = 54 der eingeführten Wärmeeinheiten nicht zur Aus- 6 ® 54 scheidung gelangt, oder mit anderen Worten: Bo 63.5 Proc., d. h. etwa ?/, des Kraftvorrathes im von Eiweiss freien Fleischextraete sind dem Körper nutzbar geworden. Die ausführliche Mittheilung über die hier kurz besprochenen Versuche ist in diesem Archiv, Physiol. Abthlg. S. 499 ff. abgedruckt. Berichtigung. In die auf Seite 106 ff. dieses Archivs abgedruckte Abhandlung von J. W. Lange- laan „Ueber Muskeltonus“ haben sich, ohne Verschulden des Autors, die hierunter verzeichneten, z. Th. sinnentstellenden Druckfehler eingeschlichen. S. 107 Zeile 9 v. u. lies: blasse statt: blosse. Kalle) Er een Boa ang, Jo „12 „ 1ivu ,„ auch die Querdurchschnitte statt: auch auf die Querdurch- schnitte. 11302 10V. I ZEDETSADEERB PD EUCHEER. 2 statt: !=L+Ap+Bp+ Cp+.... „113 „13v.o „ die statt: diese. „13 „13wo „ 2=Ap+Bp’+Cp°’+.... statt: > =Ap+ Bp + Cps+. alla, levaus nn ZA EB statt: Hl —ApEreDip OA Ey 00 a Apr Bin statten, — Alp Ben „ 11427,,.19 v0. 0, Ap-E Bp> +. Op? statt 2 —Ap BD CH „15 „ 6v.u. und 8.116 Zeile 1 v.o. lies: Differenzwerth statt: Differentialwerth. SE NERV ls von veisstäati:une: „ 120 Tabelle IX 3. Reihe lies: — 1-0 statt: — 2°0. “20 RL Dec statt: Beh. „ 122 Zeile 18 v. o. lies: Belastungszunahme statt: Längenzunahme. 02 elle Veostatt:a Datzoılve Sl22. 00 HivEusels a A+2Bp statt: Fr =AH+Bp. u „ V=AptBp: statt: = Apr bp: Fr On IS PAnPELNBN p2 statten, ANDELBB DIE: „125 , 10 v.o. streiche die Worte: im quantitativen Sinne. {) u _ ID DD = < x ‚0. lies: ansteigenden statt: aussteigenden. „125 „ 4v.u. „ antagonistischer statt: antogonistischer. „ 129 Tabelle XXUI „ 124—12 statt: — 124—12 125—12 — 125—12. 130 BE RRV ER Te 0200 0 statt: ec; — 10-0001 1S18Zeilenunyo2e a BataVaaRle>Vve statt, “Tata veRigHave „131 „ 9v.u. ,„ der prätibialen Muskeln statt: des prätibialen Muskels. „132 Tabelle XXX füge der 5. Reihe eine 2 zu. ‚133 Zeile 1 v. u. lies: C, Er = 1gn C,p statt: 6, Fr + len C,p. „135 „13v.u. „ Andeutung von Clonus statt: Andeutung Clonus. LS BE TEVOR Er ErTatave statten. av“ Veit &Comp 15.1907. Phys. Abtlılg EEE a ae LLUIELELLAN] RRRHRREL |. CUKUNRNNENHNNERHNEREHNHERNUNENERKERTTERTEERREREREREN NENSUESEUFRUSERUTETEURUEE ANAANNANNANANNNANANNN Dan N N | N N ur | ; 1 A) ! il, RM Mal] Ne [h ) ya) | U N M N vi Kl 71: j | | \ | \ | | \ nf nV N Ben \/ | \| | YW n al V-\ f Iw N I \ al u a! f NV \n) J & ji Veit &Comp v ” Archiv FAnatu.Ph1ys.1907. Phys. Abthlg I ir or Pe \ : " „m hun IM INIINUN INN IEIAIRMNONI UM: eu i a" HEEHNERRNNNNEHNUNEUNRRNENNENERENERNERNEEEETEO Ä IN BIER ALARM nl Be NUN AIMAANMAAN LANA Anm uni Annfin An MAMA ne \ die a 3 ‚ 5 H 4 hi An; : En % jr lelnal.u.Phnys.1907 1 Fig I. Tab. III ERROR RZNUNGERBSERNTRSNERBENLORRENRSZREIKEINNNRENN, AV | \1 \\ ion sten ua i 02077277277275777777 Wan N N INN un N NRIENNNANUNON ses fnlgnenpu MINEN) N | Tt--+ Pen eaT H | OT IC ki ze = 5 1 5 EI NN Phys. 1901. Phys. Abtılg (Tab. XXI]). Fig. VII. ER FR Br wi TEEN re an RE ST RER MN BR YsONER (Tab. XXI). tet I T et rt BZ are ehe yo = nt FT may er: ernennen er 1. [en f ) N Fig. Iv. ir a (Tab. XI). | De a 11 4- ZuRzER Sven IBnayı mu Fig. VII. (Tab. XXIX). nun I) IrfeRM A AR mu auch 1 ul EREERGE. Tre ee ER NARNRARNERN Veit &Conp 12 nn MW "MMmmmMmMm I} N N et NN NY N NN f ur, Lurr Anal I IN ul un ku! IN un A av VAR VA LA una uam dl la U U Unna Rig. 1. Ne 2, Sa Er Fig. 3. E HINUNPSOOSSSERSENGENDNN Ma Berl INN AAN M ll UL u / AN - Jh Am AAN NAnN AnaeN ! | Ada l, h M r AM il | Au er " AHRLLHUKELLU ‚ EErFSEHFE EHER Sa ee era ee 3» m Yun nA A MM a N UIID MN Da N ni KUN Wi Mn Ih) alu Muh nal N mM ei U WY Bu vr _ —— NAANAMN AM ANIAAMAANMM U AANANAAAN —- 20 4 Im ee Sa aA IN m ZU) DIN. a. ANNNNSIEDDIEN KANAAANAN ANA AA ANANAS Be r ‚Se er Ey SBE NANAMAANANAANMALNMANAAEN Na wi UM N ' A nl mr Mn m /) um NM INN N ) N / ms N N N N N N N N N \ I / \ N N I\ı\ N \ [ | A \ NN N N \ /\ \ N NN N | \ N | | | Mi \j N IN N N N N Im7 KIN N Ni I AR N I j\ N / u \ Y\ \} \ NV UN) \j N) \N \ \ (N \ (Ah | \ /\ Fir \\ NV | j) \ N IN u IN N | /y / N M \\ \ \ } \/ / \ | / \/ \/ \/ \ \ \/ I, 1-/ Ber EDER, er 7 A ee Re EEE LAW: er u re ee er UV Ta VI fi / A | IA /ıy,ı/I l fi) N N I//! AN VyWY A Muay) N ‚\/\ In DL N A Ay il WIN Fag 9 a nnd Ann, 11 ana] \/ AN IN u AU An MN \ \ NN) N NV) N I UNI N UN il AN KNhAhAIhAA AAARANAANAMIA UANNAATALANANANARAAAAARALAAANMAMANDAAN. ie FÄNAREREANINDEÄ NER UUUEURT Fi UDHN] WnI DRAG - ER A Tr YA mm BIN ID BEEDIDNENINDNAER NAH DON WIEDLE N/) A] Ni mn INN Na nl N an l an N Yy I N N f yl YM) N u Ju IM IM nm nf fan / NE) Fe n [ N n Fr N ] If fl / NEAR, man) N, In NN ILA- un WIR nn Hr, RM Ber \) “ld AARAU VUN. a rnnnnrnnnannen THIEL TITTEN, VEIT SEEN VURAAANAAA \f MAMA Hnun NW AN AUN AA N AAN Nu unyV UA ANNAUN ua in NANNTEN A nn Au AA NANAMANMAAAAAAAAAAMMANAN as AAN EDEL ZZ —— Er sl r N) WM Nam N N MM ya Man A N mm N 4 uu NM AAN Nenn IUUAAAnAAUN u U A Ay un u ul AN Mi AA N u Als MIN INA AhAAN a \ la IL a E> AH Pr far rn Akum Ya Nat ;% Kl wu Hochladen |.) A ua a a ne ERSEHHEE - u Y = Gi = ” f 2 < v. > y 5 j h v > E 2 5 3 ns 3 | . 2 . = 2 nn oe Burn DEINER is EEELEROREN et eich 3 TTVTNANIVNNN Ben er 7 N zung pe ag N KASNINSANN ANA N NN. x f VavVe Sy Ss: AN IAIV N Ne VANYYNAANDAN N "N N NBBANN NMNAN Nah, AN! N Nr N MAN N N Be DAR AM _ MV NM Da Nav TnrNN BEN, naar NaTANEN Veit &Comp Fig.6. }ı ll) ' mm: um u ll Ally" All Ill n M | | N ai I \N I Il IN Inn | ul Ji 3 Re IHNEN] Pig.17. pH KLARE I A MN til! u! ya v | n Ars Y | \ AA N Hm |ı || Ih hl h [ m j N \u A ' | ‚Ir.3 | | EEE 7 unllll..ı „znmlÄhi) Aa) 1 u il 7 7} ll Mi, } m IM Wasch I DE) in ARE EHER ONE a Veit &Comp N a z ? Sr 2 er 5 r - 4 „6 ’ . n B D ö ' u & = L v r = “ - 4 = Y . 5 ß j v | % - R x R v £ \ - ur x / =} a Er 4 - ! ni U E * B 2% k f \ 14 ® R } } ; 3 N | SR N N ; R ’ > ü ER - . | 5 « x ‘ N = - F 2 e ’ r r * Li r D 35 = N \ » # N F - BL . - \ Y * & . “ Taf Kl N ! | U) | | MM {u zu Il y z £ 5 W 1 a mE fi ee | ' \ ill .l r N | vi iv \ IM h u" " N | u Ten IH, Le TR 1 N 1" 1% Li 1 m YVWV | ‚ll! nl |) Veit &Comp D . b hr * ’ ” 2 5 & S ” r 4 " i ” n Fe x Er 2 I x * : , sn \ B g ; 1,4% = “2 i - . \ ... 7 G r 3 “ ” ‘ - Er ’ f An KR: ee en een Archw Flnal.uPhys.1901. Phys Iblhly Fig. 16. Na (N Am um len. Fig.46; | ı "r L MM ae ah Mat, u M M I L N MR immun BNRER KA, —ı NaJıs% Veit Comp Tal! WV. Archiv f_Anat.u.PRyys 1901.Phys.Abthlg. NU---", > Sn m II N S N Veit &Comp. TE a N - ie 5 5, ä b i m ‘ ’ j € ö = % = { f Bi ö ; £ v f Br \ ; f i De k h R . > . f & e D ; & $ r e r " D e 1 7 x { n A e 5 x N 2 : = “ ww Ba ” Ri ji r , N B Ci m ER wii x \ v [2 ' ” 2 v ’ - : 5 r . [LUILLULAIN 1 7 | | UN >® BELLE» DELL LEE ELLE UN HUN UUUUUIUUUUUUUUUUGUUUUL AN Archiv £Anat.u.Ph1ys.1901. Phys. Abthıly Teut! XVU u". NM RW MM DV AV DTOMUMAM M A A N RER \ \\ YyvvY YV I" | | “X VVVVV VVVVYVVVVVVV VIYVTNANNN NN NWNVBBENNV NN NTVNVNVDVNINV DIN VVNWNWMWVN IV DV DV NVNNDNDDNDNDNT REN NEN EVEN NN I N aa IL VVV D12 I 2 Ser == z u Fe , h | nnnan == = - nr Mi V Ki YYV YYyyvmyyV yyy\ nme MN ART 2 er nz 5 ZEN EN s ERNDBE BRTA ERSTEN 2 LEME ALU NN ag N TEEN RENNEN IEIREHNENEIN EINEN ENT ERS MEN REEN ; Veit &Comp Seen en PEFFRe EEE Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & GOMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische STR ST SR i 7a zn AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .%; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .% 80 2. , Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sieh zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. x Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der-vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .#. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei. Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 % direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift ‘ für Hygiene und Infeetionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0. ö. Professor und Director für Infeetionskrankheiten des hygienischen Instituts der Bu zu. Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Beymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- ‘gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 MW. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W. His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen. Abtheilung 40 0%, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 c#. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die : einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandiung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. UINUKAHNN 427