ee HARVARD UNIVERSE LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. 3% 2: (1) n } n) augnE | J lanch a Yıhtamber 6,1402, A NITRO AUERN ER Bi‘ ix el HLNRUTEERERN Yan f th 2 c A 2 Aa BURN Be nl Sa DT RN N yo HUN KRRNE U RE Ra IE N DE {n A 6 vr ö i 0 .D Un) N PATER) RUN, N EU? 12} a we er e e m / F a 2 Z re det j VERET * WAR: Ägr Ub & }: B T Ei 2 4 {pr ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP, 1902. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFELN. - LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP, 1902. 3 - Aug h N Ro ” KEHINERSERTELR RT E\ Sr Bra tn z J Bla i x ei IT PR, Ha © F2 Me R H. Hr Nina MARS HD ES FREE NE AIR ER EDGE FIEBER di « BR 5 5 are L ei u i - MD : ; “ H N a0 OTHER sv _? nA 1. Eheik ae air ENTE © HIRTEN Bene ie ee Ra _ Druck von Metzger & Wittig in L BETT Inhalt. G. Grisss,. Bestimmungen der einfachen Reactionszeit bei Europäern und Malayen Max RoTHmann, Ueber die spinalen Athmungsbahnen Rıcu#arp Hans Kann, Zur Lehre von der Athmung der Repten M. SCHATERNIKOFF und Hans FRIEDENTHAL, Ueber den Ursprung und den Ver lauf der herzhemmenden Fasern . en: J. Dewızz, Der Apterismus bei Insekten, seine künstliche Erregung and seine physiologische Erklärung Z. ÖPPENHEIMER, Zur Physiologie des Schlafes Te. W. EnGEeLMmAnN, Die Unabhängigkeit der inotropen nen von der Leitungsfähigkeit des Herzens für motorische Reize A Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Entfernung der extracardialen nen bi Säugethieren DE ch ie Von kenn Lest ee te Alp hetrtıe se een Hans FRIEDENTHAL, Ueber Resorptionsversuche nach Ausschaltung der Leber mittels Ueberführung des Blutes der Vena portarum in die Vena cava inferior unterhalb der Nierenvenen. Theil I. (Hierzu Taf.I.) . Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Permeabilität der Darmwandung für Substanzen von hohem Moleculargewicht. Theil IH. Der Durchtritt colloider Körper durch die Darmwandung J. RosentHarL, Untersuchungen über den en aloneehen, Sonate G. GALEOTTI, Ueber die Arbeit, welche die Nieren leisten, um den osmotischen Druck des Blutes auszugleichen . A J. W. LangELaan, Weitere Untersuchungen über Muskeltonus : W. v. BECHTEREw, Ueber die corticalen secretorischen Centra der achte sten Verdauungsdrüsen : JOHANNES FRENTZEL und Max Ben oe lernen on iyehter logischer Nutzwerth der Nährstoffe. II. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleisches ß J. Dewızz, chungen Aber die Ve analıng des Tneekterlaryen Max BORCHERT, Experimentelle Untersuchungen an den Hintersträngen oe Euckenmarke (Hierzu Taf. II.) . J. Dewirz, Weitere Mittheilungen zu meinen une eahinden nr ie wi wandlung der Insektenlarven“ Te. W. EsgGELMAnv, Weitere Beiträge zur näheren Keintniss Kor Inötröpen Wirkungen der Herznerven . s N: EDmunD SAALFELD, Beiträge zur Ehe il} Eid, Fr Dover Krcikion grösserer Hautstücke z J. v. KrıEs, Ueber eine Art chen Herlaslın 146 149 167 200 243 264 282 327 389 425 443 472 477 VI INHALT. H. J. HAMBURGER und G. An. van Lier. Die Durchlässigkeit der rothen Blut- körperchen für die Anionen von Natriumsalzen 2 A. SchückIng, Ueber veränderliche osmotische Eigenschaften ner Membranen“ von Soethieren au ee N G. Grısns, Berichtigung Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1901—1902. Max Rorumann, Die Erregbarkeit der Extremitätenregion der Hirnrinde nach Ausschaltung cerebrospinaler Bahnen . CaAsPpArI, Demonstration zur Wirkung der Pecähereistrahlen ÜRZELLITZER, Die Sichtbarkeit der Röntgenstrahlen D. von HAnsEMmANnN, Untersuchungen über das Winterschlaforens Cowr, Röntgennegative der oberen Brustapertur des erwachsenen N eolhen P. Mayer, Ueber Glucuronsäureausscheidung . F. BLUMENTHAL, Ueber Indoxylurie JOACHIMSTHAL, Ueber Structur, Lage und aan oe“ ensaittdhen. ri: scheibe . M. Bıar, Ueber den tee moon ine de nenn Wirkung verdünnter Säuren ALBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Meihaue Mer son bene I Stoff. wechselversuchen ® e A. Masenus-Levy, Ueber den Araber der Nahen etan en aus Ze : H. VırcHhow, Ueber Einzelmechanismen am Handgelenk H. HILDEBRANDT, Ueber einige Oxydationsprocesse im Thierkörper . C. Neugerg, Ueber die Pentosen des Thierkörpers Hermann Munk, Zur Physiologie der Grosshirnrinde A. SCHLESINGER, Ueber Plasmazellen und Lymphoeyten . H. Levinsoun, Ueber Beziehungen zwischen Hirnrinde und ie Berichtigungen . Seite 492 533 542 Physiologische Abtheilung. 1902. L u. II. Heft. | a ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —= ERSTES UND ZWEITES HEFT. 2 Fl MIT FÜNFZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. | - LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1902. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 12. Februar 1902.) Mit einer Beilage: Annalen der Naturphilosophie. Inhaht. Seite G. Grısns. Bestimmungen der einfachen Reactionszeit bei Europäern und Malayen 1 Max ROoTHMAnN, Ueber die spinalen Athmungsbahnen . . . VEREIN. RıcHarp Hans Kann, Zur Lehre von der Athmung der Repilien REN, 29 M. ScHATERNIKOFF und Hans FRIEDENTHAL, Ueber den Ursprung und den Vier lauf. der herzhemmienden Fasern. . . 58 J. Dewıtz, Der Apterismus bei Insekten, seine kn fliche Breruene and seine physiologische Erklärung ..... U ENDE ae ol 7. OPPENHEIMER, Zur Physiologie des Schlafes DSH ERE,108 Ta. W. EnGELmAnN, Die Unabhängigkeit der inotropen Nee von der Leitungsfähigkeit des Herzens für motorische Reize . . . . 103 Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Entfernung der extracardialen een Yen Säugethieren . . . 135 Hans FRIEDENTHAL, Ueber Hesorplionereruohe ach, Ausschaltung der aber mittels Ueberführung des Blutes der Vena portarum in die Vena cava inferior unterhalb der Nierenvenen. Theil I. (Hierzu Taf.l). . . . 146 Hans FRIEDENTHAL, Ueber die Permeabilität- der Darmwandung für Sahstanzen von hohem Moleculargewicht. Theil IL. Der Durehtritt colloider Ei durch die Darmwandung . . . ! SREIERNAG Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1 1901 2190°.0 02 20 158 MıAx RoTuMmAnNn, Die Erregbarkeit der Extremitätenregion der Hirnrinde nach Ausschaltung cerebrospinaler Bahnen. — CAsPpaARı, Demonstration zur Wirkung der Becquerelstrahlen. — Dr. CRzZELLITZER, Die Sichtbarkeit der Röntgenstrahlen. — D. von HANsEMAnNN, Untersuchungen über das Winter- schlaforgan. Die Herren Mitarbeiter erhaiten wzerzig Separat - Abzüge ihrer DBei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, Königstrasse 22, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung -der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die. dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Bestimmungen der einfachen Reactionszeit bei Europäern und Malayen. Von Dr. G. Grijns. (Aus dem „Geneeskundig Laboratorium“ zu Weltevreden.) Im Anschluss an die Untersuchungen Eykman’s, ob und inwieweit der in den Tropen lebende Europäer in seinen Functionen vom Klima beeinflusst werde, habe ich eine Reihe Messungen der einfachen Reactions- zeit vorgenommen bei Europäern, welche längere Zeit in den Tropen weilten, bei solchen, welche erst seit 2 Tagen angekommen waren, und bei Malayen. Mit einfacher Reactionszeit meint man bekanntlich die Zeit, welche ınan braucht, um auf ein von vornherein verabredetes Signal mit einer ebenso bestimmten Bewegung zu reagiren. Man kann hierzu Reize der verschiedenen Sinnesorgane benutzen; wenn man darauf Acht giebt, dass die Reactionen einfache sind und man mit schwachen Reizen arbeitet, macht dies nicht so grossen Unterschied. Weil ich nicht über ein Hipp’sches Chronoskop verfügte, habe ich die Zeiten auf dem Engelmann’schen Pantokymographion aufgezeichnet und die erhaltenen Curven ausgezählt. Die Versuchsanordnung war der Hauptsache nach dieselbe, welche de Jaager in seiner Dissertation ! beschrieben. Der Strom eines Leclanche’- schen Elementenpaares wird nach einander geleitet durch einen Elektro- magneten, der mittels eines Aluminiumhebels die Schliessungen und Oeff- nungen des Stromes notirt, die primäre Spule eines du Bois’schen Schlitten- apparates und einen Quecksilberschlüssel, von wo er zur Batterie zurückgeht. Aus dem Schlüssel geht eine Stromverzweigung ab, in welcher eine federnde, bei Drücken die Verzweigung schliessende Klemme und ein Widerstand auf- ! de Jaager, De physiologische tijd bij psychologische processen. Academisch Proefschrift. Utrecht 1865. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 1 2 (G. GRIINS: genommen sind. Die Pole der secundären Rolle sind mit zwei auf ein Brett- chen geschraubten Elektroden verbunden, das auf die Haut aufgesetzt wird. Wenn der Schlüssel geschlossen ist, geht der Strom durch den Elektro- magneten und wird der Schreibhebel in seinem unteren Stand festgehalten. Wird der Strom nunmehr geöffnet, so entsteht ein Oeffnungsinductions- strom, welcher einen Hautreiz abgiebt. Die Versuchsperson soll hierauf schleunigst die Klemme zudrücken, wodurch der Strom neu geschlossen und der Schreibhebel gesenkt wird. Die Zeit, dass der Hebel gehoben war, ist die gesuchte. Wenn man den Widerstand in der Nebenschliessung nicht zu klein nimmt, lässt sich der Rollenabstand so reguliren, dass der Beobachter nur den Oeffnungsschlag beim Oeffnen des Schlüssels, nicht den der Klemme fühlt, und da die Schliessungsschläge schwächer sind als die Oeffnungs- schläge, werden auch diese nicht wahrgenommen. Die Versuchsperson erhält also bei jedem Versuch nur einen Reiz. Die Zeit zu messen diente ein Kagenaar’sches Chronoskop, wobei die 50 ganzen Schwingungen pro Secunde des von einem Elektromagneten in Bewegung erhaltenen Eisenstabes mittels Lufttransportes auf den rotirenden Cylinder aufgetragen werden. Die Schnelligkeit des berussten Papieres war 10 bis 12°” pro Secunde. Zeiträume von 0005 Secunden liessen sich also noch bequem ablesen, und es wäre leicht gewesen, bis 0-001 zu messen, wenn nicht die Grösse der persönlichen Schwankungen dies überflüssig erscheinen liesse. Für gewöhnlich wurden auf den sinkenden Oylinder etwa 35 Beob- achtungen registrirt, und wurden von jeder Versuchsperson zwei Cylinder gemacht. Da aber bei einigen die Reactionszeit eine zu lange war, und die Zeit zwischen den Beobachtungen, um Ermüdung vorzubeugen, nicht zu sehr abgekürzt werden durfte, wurde nicht von allen eine gleiche Zahl Beobachtungen erhalten. Immer wurden einige Uebungsversuche den eigentlichen Beobachtungen vorangeschickt. Auch wurde, um zu erfahren, ob während einer Reihe Ermüdung eingetreten war, geprüft, ob das Mittel der letzten Zahlen das der ersten übertraf. Es konnte nur bei langsam reagirenden Personen Ermüdung constatirt werden. Zu den Versuchen dienten zum Theil Collegen, zum grössten Theil Militärs. Von den aufgezeichneten Beobachtungen wurde nur dann eine ver- worfen, falls die Versuchsperson angab, er habe zu spät geschlossen, oder, wenn die Reaction so lange warten liess, dass ich schliessen konnte, es komme überhaupt keine mehr. Weil die Reizstärke die Reactionsdauer beeinflusst, wurde immer mit lieizen gearbeitet, die noch eben leicht wahrnehmbar waren. REACTIONSZEIT BEI EUROPÄERN UND MALAYEN. 3 Die Zahlen ein und derselben Person, in einer einzigen Reihe erhalten, gehen öfter ziemlich weit aus einander. Man muss dies der Thatsache zuschreiben, dass der Grad der Aufmerksamkeit von grosser Bedeutung für die Reactionszeit ist. Personen, die geübt sind, ihre Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand zu lenken, zeigen kleinere Schwankungen. Dieser Umstand macht, dass wir das Mittel einer Beobachtungsreihe nicht schlechtweg als die einfache Reactionsdauer bezeichnen dürfen, da ein zweiter Factor, die Aufmerksamkeitsspannung, sich bei diesem geltend macht. Man kann diesen Factor beschränken, wenn man jedes Mal vor dem Reize warnt, wie es die meisten älteren Untersucher auch gethan haben. Man kann aber ebenso gut die kleinsten Werthe aus einer grösseren Reihe auswählen. Ich habe für jede Person das Mittel der fünf kleinsten Beobachtungen berechnet, da dies mir genauer erscheint, als nur die allerkleinste zu nehmen, weil es bei ungefähr 70 Reactionen jeder Person leicht ein Mal vorkommen kann, dass diese zu früh reagirt, da sie denkt, es wird jetzt der Reiz schon wieder kommen. Da, wie aus einer Zusammenstellung der Litteratur Kraepelin’s! er- hellt, verschiedene Beobachter ziemlich ungleiche Resultate erhielten, und ich nicht wissen konnte, mit welchem meine Ergebnisse zu vergleichen seien, habe ich auch eine Reihe eben aus Europa Eingewanderter untersucht, damit Unterschiede durch die Versuchsmethode ganz ausgeschlossen werden können. In Tabelle I habe ich die Mittel für die ersten 20 Beobachtungen bei 10 Personen, also von 20 Beobachtungsreihen, sammt den wahrschein- lichen Fehlern dieser Mittel nach der Formel 7 = 0:674 897 ve | berechnet. : ' In der letzten Spalte findet man diese Fehler in Procenten. Es stellt sich beim ersten Blick heraus, dass diese Fehler nicht gross sind; aber es fällt auf, dass diese wahrscheinlichen Fehler viel kleiner sind, nicht nur als die Differenzen der Zahlen verschiedener Versuchspersonen, aber öfter auch als die der Mittel zweier Reihen einer einzigen Person. Es ist hieraus zu folgern, dass die Grösse, welche wir bestimmen, Schwankungen verschiedener Art unterliegt. Solche mit schnellem Verlauf, denen die Unterschiede der Einzelbeobachtungen in einer Reihe ihre Ent- stehung verdanken, und allmählich ablaufende, welche man nur durch sehr lange Beobachtung feststellen kann. Dass wir dergleichen langsam ablaufenden Schwankungen hier begegnen, darf uns nicht Wunder nehmen, da wir solche bei allerlei psychischen Vorgängen treffen. Man denke nur an das Beistimmesein von Sängern, das Aufgelegtsein zum Spiel, zur Arbeit u. s. w. ! Schmidt’s Jahrbücher. Bd. CXCVI. S. 205. 4 (4. GRIINS: Wenn wir bei dieser Sachlage aus den gefundenen wahrscheinlichen Fehlern den des zweiten Mittels, also aus allen Beobachtungen, nach der Formel / = = (FA +#,+usw.+ 7,) berechnen würden, dann würden wir einen wahrscheinlichen Fehler finden, welcher uns auf eine grössere Genauigkeit der Methode schliessen liesse, als ihr wirklich innewohnt. Da ja aus der Thatsache, dass die Mittel verschiedener Versuchsreihen derselben Person grössere Schwankungen zeigen, folgt, dass eine Reihe von 20 bis 35 Beobachtungen zu kurz ist, um die langsam ablaufenden Schwankungen auszugleichen. Wollten wir aber eine Beobachtungsreihe beliebig länger machen, so würde unerlässlich Ermüdung eintreten und die Auskünfte unzuverlässig machen. Wir können also nur, wenn wir inter- mittirend kürzere Reihen registriren, ein Bild von der eigenthümlichen Surve bekommen, welche die zu bestimmende Grösse in verschiedenen Augenblicken darstellt. Es würde überdies eine solche Rechenweise un- beachtet lassen, dass durch die individuellen Differenzen die Vergleichung der Versuche bei Personen verschiedener Kategorien erschwert wird und nur bei einer grösseren Zahl der Versuchspersonen möglich ist. Ich habe deswegen von weiterer Berechnung der wahrscheinlichen Fehler für die einzelnen Individuen Abstand genommen und in den anderen Tabellen bei der Bestimmung des wahrscheinlichen Fehlers des Endmittels die ersten Mittel als einfache Beobachtungen behandelt. Man findet in den Tabellen II, III und IV in den ersten Spalten die Nummer, das Alter und die Zeit des Aufenthaltes in den Tropen angegeben. Dann folgt das Mittel von einer ganzen Reihe (etwa 35), darauf das Mittel der fünf kleinsten Beobachtungen, und in der letzten Spalte die Differenz dieser beiden in Procenten der ersten. Wenn, wie meistens, von einer Person zwei Reihen genommen waren, ist die Zahl in der vorletzten Spalte mit dem Mittel der beiden verglichen. Die letzte Spalte giebt ein Maass für das Vermögen, seine Aufmerksamkeit auf den Versuch zu richten. Tabelle II enthält bloss Europäer, die länger als ein Jahr in Indien lebten, Tabelle III nur solche, welche ein bis drei Tage vorher in Batavia angekommen waren, während Tabelle IV die Daten der Eingeborenen, zum grössten Theil Schüler der medicinischen Schule, zeigt. Wir haben also folgende Endmittel mit ihren wahrscheinlichen Fehlern: Mittel aus | Wahr- | Mittel der | Wahr- Versuchspersonen allen scheinlicher | fünf kleinsten scheinlicher Beobachtungen Fehler Beobachtungen Fehler Europäer, lange in den Tropen | 321 3a 214 3-5 Europäer, neu angekommen . 296 1-5 | 187 2-5 . | Eingeboreneeue. .... ee: 253 Na AS4 174 | 3+3 REACTIONSZEIT BEI EUROPÄERN UND MALAYEN. 5 Berechnen wir jetzt, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir die Ungleich- heit der Reactionszeiten aus den erhaltenen Zahlen folgern dürfen. Wir legen dabei die Theorie der kleinsten Quadrate zu Grunde. Diese lehrt, dass, wenn N das Mittel einer grösseren Zahl Beobachtungen ist, und # der wahrscheinliche Fehler, man 50 Procent Chance hat, dass die Norm (das Mittel für eine unendliche Reihe) zwischen N + F und N — F liegt; 82-3 Procent, dass sie zwischen N+2/ und N— 27; 95-7 Procent, dass sie zwischen N +37# und N— 37; 99.3 Procent, dass sie zwischen N+4F und N—-4F; 99.9 Procent Chance, dass sie zwischen N +57 und N — 5/£ liest. Wenn die Mittel von zwei Reihen ungleich sind, so wird die Chance, dass auch die Normen ungleich sind, bestimmt durch die Frage, ob die Grenzen, zwischen welchen die Normen liegen, aus einander bleiben. Dies sieht man, wenn man den wahrscheinlichen Fehler zu der kleinsten Zahl einige Male addirt, von der grössten ebenso viele Male subtrahirt. Sind also die Mittel M, und N,, und die wahrscheinlichen Fehler 7, und Z,, dann ist die Chance 50 Procent, wenn Fi En = = 1; 83.2 Procent, vom pp = 2 us. Für Tabelle II und III ist nunmehr in Spalte 4: z 3: z = vr —s; in Spalte 5: ==. Für Tabelle II und IV in Spalte 4: = nett, in Spalte 5: = an 6. Für Tabelle III und IV in Spalte 4: = an — 38), in Spalte 5: a re om Die Wahrscheinlichkeit unserer Folgerungen aus der Ungleichheit der gefundenen Werthe ist also: Für Tabelle II und III in Spalte 4 > 99.9 Procent, in Spalte 5 > 99-3 und < 99.9 Procent. Für Tabelle II und IV in Spalte 4 > 99-9 Procent, in Spalte 5 > 99.9 Procent. Für Tabelle III und IV in Spalte 4 > 82.3 und < 95.7 Procent, in Spalte 5 > 82.3 und < 95-7 Procent. Die Genauigkeit der erhaltenen Ergebnisse ist also vollkommen aus- reichend. Wir können also als bewiesen betrachten, dass der Europäer, welcher längere Zeit in den Tropen sich aufhält, an Reactionsgeschwindigkeit 6 G. GRIINS: einbüsst, und dass der Eingeborene in dieser Hinsicht dem Europäer, selbst dem in Europa lebenden, überlegen ist. Vergleichen wir die Endziffern der drei Personengruppen unter ein- ander, so finden wir, dass das Mittel sämmtlicher Beobachtungen und das der fünf kleinsten in Tabelle II sich verhalten wie 100:69; in Tabelle III wie 100:70; in Tabelle IV wie 100:69. Diese merkwürdige Ueberein- stimmung kann nur daraus hervorgehen, dass auch die Fähigkeit der Auf- merksamkeit sich abschwächt, und zwar in demselben Maasse, als die Reactionszeit sich verlängert. Kraepelin theilt in seiner Zusammenstellung einige von europäischen Forschern angegebene Zahlen mit. Nehmen wir von diesen die für Licht- reiz, da bei diesen mit der Reizstärke die Reactionszeit nur wenig verkürzt wird und sie also am besten mit meinen mittels schwacher Reize erhaltenen Zahlen zu vergleichen sind. (Wundt.) In Tausendstel Secunden ausgedrückt findet: Hinschags222.022.1200 V.ıKries 2. 27 2293 Eiankeli er .2..22.%206 Querbach De 22 2.191 Dongerse. 2. 22....2.188 Buccola IT: 2168 Wibtiche 0 .00.2..2.:186 BucecolalE 2 77 NVaumidtsen 222 Buccola IT... 7 202 Exner. an. se ldl Mittel 184 Dies stimmt genau mit dem Mittel 187 der fünf kleinsten Beobach- tungen an neueingewanderten Europäern. Ziehen wir dabei in Betracht, dass. die älteren Untersucher ihre Versuchspersonen warnten, dass der Reiz komme, und auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf’s höchste spannten, gerade als die Reaction vorgenommen werden sollte, so geht aus dieser Ueberein- stimmung hervor, dass der neueingewanderte Europäer noch keine Aenderung seiner Reactionszeit zeigt. Bei einem längeren Aufenthalt verzögert sich die Reaction um 14-4 Procent, wenn man sie auf die der Neueingewanderten, um 16 Procent, wenn man sie auf die in Europa gefundenen Zahlen bezieht. Da die Reactionsgeschwindigkeit und die Fähigkeit der Aufmerksam- keitsspannung in dem gleichen Maasse durch den Tropenaufenthalt beein- trächtigt werden, neige ich zu der Annahme einer allgemeinen Verzögerung der psychischen Processe. Dies würde sehr gut die allgemein herrschende Meinung erklären, dass man in den Tropen einen gewissen Widerstand, grösser als in Europa, überwinden muss, um regelmässig zu arbeiten, und stände im Einklang mit der Thatsache, dass hier Neurasthenie häufiger ist als im kühleren Klima. Ich beabsichtige aber in dieser Hinsicht andere Untersuchungen vor- zunehmen, damit ich meine Meinung begründe. REACTIONSZEIT BEI EUROPÄERN UND MALAYEN. 7 Tabelle Il. (Zeit in Tausendstel Secunden.) | eds Mittlere Reactions- | Wahrscheinlicher ı F in Procenten Nanmerkib: ns zeit aus Fehler | von M | in den Tropen | 20 Beobachtungen dieser Mittel F | M FE Mm x 100 ı | 7, Jahre 336 9-4 2.8 | 338 | 18-0 5-3 2 SE 332 | 12-2 3.7 268 6° 25 3 8 ; 420 11-4 2-7 402 7-4 1-8 4 4 " [My 3: 250 7-6 3-0 | 206 7.0 3.4 5 5 | 250 5.2 2-1 | 248 3-6 1°5 6 7 172 38 2-2 170 38 2-2 {( 15 448 14-4 2-5 446 6-4 1-4 S 5", 412 7-2 1-8 415 12-4 3.0 g 2 292 10-6 3:6 256 7-4 2-9 10 11 > 478 16-0 3.4 | 326 11-0 3.4 Mittel dieser 20 Reihen . 323 Wahrscheinlicher Fehler . 0204 0-7 Tabelle I. Europäer, länger als 1 Jahr in den Tropen. (Zeit in Tausendstel Secunden.) | | Wie lange Mittel der | Differ. zwischen N nes Alter | in den | EEE fünf kleinsten | Spalte 4 und 5 | | Tropen SEN | Beobachtungen | in Proc. von 5 FR ee 4 | Sr 6 1 35 Jahre 7%, Jahre| 378 | 210 80 | 338 2 3 „ 94 9% 288 | 212 67 352 | | 3 34 8 5 446 250 78 400 4 Due 4 252 132 | 91 248 5 28 DER; 252 | 210 20 242 6 33 7 176 142 30 G. | GRIINS: Tabelle II. (Fortsetzung.) | | Wie lange | 7: Mittel der | Differ. zwischen Nummer Alter | in den er fünf kleinsten | Spalte 4 und 5 | Tropen | SEN | Beobachtungen | in Proc. von 5 | AS | 4 | 5 6 7 | 86 Jahre | 13 Jahre 472 350 35 | | 470 SI a 424 328 36 | 446 On 28. a5 296 | 208 43 276 | 10 EI Me 350 | 262 34 11 Sale All 490 248 98 | 342 12 A a 396 288 37 | 358 ee 19 1 Jahr 246 180 36 | 300 14 Dom. 6 Jahre 480 356 35 | 436 ya 9, 494 306 60 | 392 16 2 San 226 166 47 244 17 Sal 81, » 238 196 45 282 18 38%, 1100 280 222 29 286 19 29 „ ae 214 138 55 | 190 20 U | 274 170 | 61 21 3be jo: 262 192 | 37 254 | 2a W9A0 GE, 376 | 224 68 372 | 23 SaeRS Ta) 424 218 94 276 24 3TE u dar! 272 176 | 55 232 | 25 Bon aan, 248 | 172 | 52 262 | | 26 28: u TR: 200 154 | 30 196 27 301% N 528 144 53 452 28 gS0yE: 1, 268 200 37 274 29 48 117%, 234 110 80 230 30 Bar 1a, 194 150 30 | 216 Mittel . 312 214 59-5 Wahrscheinlicher Fehler) REACTIONSZEIT BEI EUROPÄERN UND MALAYEN. Tabelle III. Neu eingewanderte Europäer. (Zeit in Tausendstel Secunden.) Ne) | | . u SR Ir Beer: 2 ' Wie lange m 3 Mittel der \Differ. zwischen Nummer Alter in den ee fünf kleinsten | Spalte 4 und 5 | Tropen >” | Beobachtungen |in Proc. von 5 j 19 i 2 | 3 | 4 5 6 3ı | 20 Jahre | 2 Tage 296 250 46 | | 366 32 20 ss 218 152 44 192 33 25 ” 298 246 21 254 | 34 21 256 198 36 270 35 190,3 » 220 161 36 210 36 ii 3 272 220 | 25 274 Sa al, 19 » 226 110 105 35 22 > 246 176 | 40 244 39 AUER | » 238 248 36 | 302 AO „ 226 100 126 | 184 41 2 ,„ ss 260 186 45 | 258 2 | 25 „ » 304 198 58 314 45 Al „ 244 102 120 | 232 4 2; = 216 166 sl | 218 52, z 244 162 51 | 238 46 19, „ 5 326 232 41 | 322 art, 3 Tage 292 192 52 | 232 48 1el 5 236 174 36 226 49 24 ,„ > 374 236 58 330 50 28; > 242 188 47 276 Sl 2a e 342 226 61 364 Mittel . RE 269 187 53 Wahrscheinlicher Fehler 1-5 2-5 10 (&. GRIINS: REACTIONSZEIT BEI EUROPÄERN UND MALAYEN. Tabelle IV. Eingeborene des Malayischen Archipels. (Zeit in Tausendstel Secunden.) | Wie lange | yr: Mittel der |Differ. zwischen Nummer | Alter in den a fünf kleinsten | Spalte 4 und 5 Tropen | SEN | Beobachtungen | in Proc. von 5 | | im! 2 3 | 4 5 | 6 52 | 19 Jahre | Geboren 270 182 33 | | 260 533 220 E00 . »» | 285 145 37 | 221 54 oe | > 285 178 33 | 243 55 20a, Au 246 166 32 | | 239 56 20205, | es 320 220 26 | 270 57 92 | > 298 196 37 | | 326 53 Io,; 5 | 276 176 33 | 250 BO IE e | 244 172 29 60 | Or | 5 | 299 193 35 ee We ® | 272 um 32 234 Game Lian: | ss | 270 187 41 | | 360 a8 10 PAS. | » | 216 163 24 | 214 Ba 190 Ve, " 196 152 23 | | 200 (Da | > | 207 135 44 | | 296 66 LEN : 274 163 33 | 214 67 ao Y 204 154 23 | | 196 68 I ER, > 244 185 24 69 I B 238 177 26 | 237 70 I | > 260 198 25 | | 268 Miele. 253 174 | 31 Wahrscheinlicher Fehler . . . | 4-4 33, | 0-9 Ueber die spinalen Athmungsbahnen. Von Dr. Max Rothmann, Privatdocent in Berlin, Die Frage nach der centralen Innervation der der Athmung dienenden Musculatur hat stets in besonderer Weise das Interesse der Physiologen und Neurologen erregt. Die Vertheilung der für das Zwerchfell und die thorakalen Athemmuskeln bestimmten Ganglienzellen im Rückenmark, die Anordnung der höheren Respirationscentren in der Medulla oblongata, end- lich die Verbindung der letzteren mit den spinalen Centren, alle diese Punkte sind auf Grund zahlreicher anatomischer und physiologischer Arbeiten von den Zeiten Bell’s und Flourens’ bis zu unseren Tagen immer auf’s Neue durchforscht, immer genauer ergründet worden. Trotzdem gehen die Meinungen in manchen Fragen noch weit aus einander, und es fehlt noch viel, dass man hier von einem fest gegründeten, abgeschlossenen Aufbau unserer Kenntnisse sprechen könnte. Ist auch durch die neueren Forschungen Flourens’ Noeud vital als unpaares Centrum in dem hintersten Winkel des Calamus scriptorius endgültig beseitigt, so ist die Lage des Athmungscentrums in der Medulla oblongata doch nicht völlig genau bestimmt. Ob dasselbe in der Formatio reticularis, vor Allem lateralis grisea localisirt ist, wie Gad und Mari- nesco (7 u. 8) auf Grund physiologischer Experimente, Kohnstamm (14) auf Grund der Ergebnisse der combinirten Degenerationsmethode nach hoher Durchschneidung des Halsmarkes annehmen, oder im Gebiete der Ala cinerea, in der .der dorsale Vaguskern und der Kern des Solitarbündels liegen, und in das Schiff (4u.5) vor Allem, dann aber auch Girard (6) das Athmungscentrum verlegt, das ist noch immer Gegenstand der Dis- cussion. Allerdings lässt Schiff die Ala cinerea so weit ventralwärts reichen, dass sie in den ventralsten Theilen, deren Zerstörung nach Schiff für die dauernde Aufhebung der Athmung erforderlich ist, schon mit 14 MAx RoTHMANKN: den lateralsten Theilen der Formatio reticularis zusammenfallen dürfte. Aber auch Brown-Sequard (9) bezeichnet die Ergebnisse von Gad und Marinesco als falsch, indem er annimmt, dass durch die von letzteren angewandten thermischen Reize Hemmungswirkungen der benachbarten Theile aufgehoben werden. Wie mit dem eigentlichen Athemcentrum, so steht es nun auch mit den Bahnen, welche von letzterem aus der Medulla oblongata zu den Kernen der für die Athmung in Betracht kommenden Muskeln, vor Allem also Phrenieuskern und Kerne der Intercostalmusculatur, im Rückenmark herab- ziehen, und die uns hier besonders beschäftigen sollen. Zuerst betonte bereits Carl Bell (1), dass der Seitenstrang nur die verschiedenen respi- ratorischen Bewegungen vermittle.e Longet (2) fand, dass eine in der Höhe des Atlas vorgenommene Durchschneidung der Corpora restiformia und der Pyramiden die Athmung nicht zum Stillstand brachte, dass letztere dagegen bei Durchschneidung des ganzen verlängerten Markes in dieser Höhe sofort aufhörte, und hielt es daher für sehr wahrscheinlich, dass die Seitenstränge ausschliesslich die Respiration vermitteln. Schiff (3) konnte dann nachweisen, dass nach Durchschneidung des mittleren Markstranges einer Seite an der unteren Grenze der Medulla oblongata oder im oberen Halsmarke bei Hunden und Kaninchen die allgemeinen Bewegungen nur vorübergehend geschädigt sind, dagegen die Athmung auf dieser Seite völlig sistirtt und auch nach Wochen keine Restitution der Athembewegungen erkennen lässt, wie directe Beobachtung des Zwerchfells von der Bauch- höhle aus zeigt. Schiff (4) hat ferner die einseitige Seitenstrangdurch- schneidung ohne oder ohne erhebliche Verletzung der benachbarten Stränge vielfach zwischen dem Ursprung des 1. bis 4. Cervicalnerven ausgeführt. Alle Athembewegungen des Rumpfes hörten dann auf der verletzten Seite vollständig auf; sowohl die Bewegungen der Rippen wie die des Zwerch- fells waren gänzlich aufgehoben. Er kommt daher zu dem Schluss, dass die Seitenstränge den respiratorischen Bewegungen vorstehen und für diese die einzig vorhandenen unerlässlichen Bahnen sind. Diese von Schiff (5) auch weiterhin stets festgehaltene Annahme wurde dann auch von Mari- nesco (8) in seiner gemeinschaftlich mit Gad gemachten Arbeit über die Athmungscentren anscheinend bestätigt. Indem sie mit kleinen erhitzten Glasknöpfen verschiedene Theile der weissen Stränge zerstörten, kamen sie zu dem Schluss, dass die absteigenden Bahnen, durch welche die spinalen Athemmuskelcentren von den bulbären Athmungscentren aus in coordinirte Thätigkeit versetzt werden, den Seitensträngen angehören und im oberen Halsmark in den Proc. reticulares beiderseits liegen; sie verlaufen im Rücken- mark ungekreuzt. Noch genauer bezeichnet Marinesco an anderer Stelle (7) als den Sitz dieser Bahnen die „zone reticulaire anterieure“. Dem gegenüber ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 13 weist Schiff (5) darauf hin, dass diese Bezeichnung eine etwas unklare sei, zumal der Proc. reticularis in der Höhe der 2. und 3. Cervicalwurzel kaum ausgebildet ist; die Athembahnen scheinen ihm nicht den grauen Reticularfortsätzen, sondern der weissen Substanz anzugehören. Er hält es aber für eine dankenswerthe Vervollständieung unserer Kenntnisse, dass die Athmungsbahn in der inneren Ausbuchtung des Seitenstranges zwischen Vorder- und Hinterhorn liegt. Sehr scharf wendet sich auch gegen diesen Theil der Ergebnisse von Gad und Marinesco dann Brown-Sequard (9). Allerdings irrt er sich dabei insofern, als er annimmt, dieselben hätten die Uebertragung der Athmungsreize in die Vorderstränge des Halsmarkes ver- legt, während Marinesco von der Zone retieulaire anterieure im Seiten- strang dorsal vom Vorderhorn spricht. Aber er lehnt die alleinige Ueber- tragung sowohl durch die Seitenstränge, als auch durch die Vorderstränge ab. Er konnte die einen wie die anderen in den oberen Partien des Hals- markes zerstören, ohne dass Stillstand der Athmung eintrat. Die von ihm versprochene ausführliche Mittheilung über diese Verhältnisse ist nicht mehr erschienen. Porter (12 u. 13) kommt dann wieder auf Grund seiner vielfältigen Untersuchungen auf diesem Gebiete, vor Allem mit Rücksicht auf die Phrenicuswirkung, zu dem Schluss, dass die Athemreize in den Seiten- strängen des Halsmarkes herabsteigen, und zwar vom Calamus scriptorius bis zur Höhe der Phrenicuscentren ungekreuzt, während in der Höhe der letzteren eine partielle Kreuzung vorhanden ist, die zwar unter normalen Verhältnissen den Athemreiz nicht leitet, wohl aber nach Durchschneidung des ungekreuzten Phrenicus. Es sind vor Allem zwei Versuche, die ihm die ausschliessliche Leitung durch die Seitenstränge beweisen. Er durch- schnitt einem Hunde das Rückenmark am 6. Halswirbel und die hinteren Wurzeln der Cervicalnerven und machte dann in der Höhe des 1. Cervical- wirbels einen Schnitt durch das ganze Rückenmark mit Ausnahme eines Seitenstranges. Alsdann blieb eine schwache Athmung erhalten, deren Reize nur durch den erhaltenen Seitenstrang gehen konnten. Ebenso wurde bei einer Ratte die rechte Rückenmarkshälfte am 2. Halswirbel durchschnitten und dann in der Höhe des Calamus scriptorius die linke Medullahälfte mit Ausnahme des Seitenrandes. Es blieb auch dann noch eine schwache Athmung bestehen, die nach Durchschneidung auch des Seitenrandes sistirte. Auf die genauere Localisation der Leitung der Athmungsreize in den Seiten- strängen geht Porter nicht ein. Wir haben also neben der alten Anschauung, dass die Leitung der Athmungsreize ganz allgemein durch die Seitenstränge geht, die präcisere Angabe von Marinesco, dass dieselbe durch den vorderen Theil des Proc. reticularis, also eigentlich schon durch graue Substanz geht, und die um- fassendere von Brown-Sequard, dass alleinige Ausschaltung der Seiten- 14 Max RoTHMANKN: stränge nicht zur Aufhebung der Athmung genügt, sondern die Vorder- stränge hier gleichfalls von Bedeutung sind. Daneben gehen dann die zahlreichen Angaben in der Litteratur einher, dass die Durchschneidung einer ganzen Kückenmarkshälfte im oberen Halsmarke nicht in allen Fällen genügt, um die Athmung auf der entsprechenden Seite auszuschalten, eine Ansicht, deren Hauptvertreter Langendorff (10 u. 11) ist. Bei diesem Auseinandergehen der Anschauungen bedarf es keiner be- sonderen Rechtfertigung, dass ich bei meinen zuerst aus anderen Gründen unternommenen Durchschneidungen von Seitensträngen und Vordersträngen im obersten Halsmarke der Frage näher getreten bin, welche Bahnen hier für die Leitung der Athmungsreize in Betracht kommen. Die erste Veranlassung zu diesen Versuchen war die Beobachtung, dass die Durchschneidung der vorderen kückenmarkshälfte im oberen Theile des 3. Halssegmentes, wie sie zwecks Ausschaltung der Vorderstränge von mir bei Hunden ausgeführt wurde, von sofortigem Athemstillstand gefolgt war. Bei diesen Versuchen wurde, da eine totale Zerstörung des Vorder- stranges ohne Mitverletzung ventraler Abschnitte des Vorderseitenstranges nicht ausführbar ist, ein rechtwinkelig abgebogenes, zweischneidig ge- schliffenes, schmales Messerchen im ventralen Theile des rechten Vorder- seitenstranges eingestochen, nach links durchgestossen und nach vorn schneidend herausgezogen.! Versuch I. 25. VI. 1901. Bei einem mittelgrossen Hund wird der Schnitt in der oben angegebenen Weise, nachdem der hintere Theil des 3. Halswirbels fortgebrochen und die Dura mater eröffnet ist, im obersten Theil der Knochen- lücke ausgeführt. Sofort beim Herausziehen des Messers steht die Athmung vollständig still. Nach 2 Minuten kommt es zu vereinzelten krampfhaften Athemversuchen, bei denen Nase, Gesichts-, Hals- und Kehlkopfmusculatur angestrengt contrahirt wird, ohne dass die geringste Contraction des Zwerch- fells oder der Thoraxmusculatur zu Stande kommt. Auch künstliche Ath- mung vermag keine regelmässigen Athemzüge mit Contraction der Athem- musculatur in Gang zu bringen. Der Anfangs regelmässige Puls wird nach einigen Minuten verlangsamt und unregelmässig,. 25 Minuten nach der Durchschneidung tritt der Exitus ein. Die Untersuchung der in Formol gehärteten Schnittstelle zeigt rechts völlige Durchschneidung des Vorder- seitenstranges und Vorderstranges, während links nur der 'ventrale Theil des Vorderseitenstranges durchschnitten ist, und auch der ventrale Rand des ! Da, wie ich sehe, die Nomenclatur in Betreff der Seiten- und Vorderstrang- bahnen schwankt, so bemerke ich, dass in dieser Arbeit Hinterseitenstrang (Ge- biet von Pyramidenseitenstrang, Kleinhirnseitenstrang und Monakow’schem Bündel), Vorderseitenstrang (bis zu den lateralen vorderen Wurzelfasern) und Vorder- strang unterschieden werden. - ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 15 Vorderstranges nicht ganz durchtrennt ist. Beide Hinterseitenstränge voll- kommen intact. Die graue Substanz ist nur im Schnittniveau durchtrennt, dorsal davon intaet, auch nirgends durch Blutung zerstört. Besonders ist das Gebiet des Proc. reticularis beiderseits vom Schnitt nicht getroffen. Versuch I. 27.V1. 1901. Bei einem kleinen Spitzhund wird die vordere Rücken- markshälfte in der oben angegebenen Weise im oberen Theil des 3. Hals- segmentes von rechts nach links durchtrennt. Sofort nach dem Schnitt, noch ehe das Messer völlig herausgezogen ist, steht die Athmung völlig still. Trotz sofort eingeleiteter künstlicher Athmung kommt es nur noch zu wenigen, activen, krampfhaften Athemversuchen, bei denen auch nicht die geringste Contraetion von Zwerchfell und Thoraxmusculatur zu beobachten ist. Der Puls nimmt schnell an Zahl ab. Nach 20 Minuten tritt der Exitus ein. Die Untersuchung der in Formol gehärteten Schnittstelle zeigt beide Hinterseitenstränge und die graue Substanz dorsal von den Vorderhörnern völlig intact. Rechts ist Vorderseitenstrang und Vorderstrang völlig durch- schnitten, links nur der ventrale Theil des Vorderseitenstranges und der Vorderstrang bis auf eine schmale Partie am lateralen Rand des letzteren. Diese beiden, unter einander vollkommen übereinstimmenden Ver- suche zeigen, dass die Athmungsbahnen nicht durch den Hinterseiten- strang gehen, wenigstens nicht zu einem irgendwie nennenswerthen Theil. Denn sonst hätte nicht nach Durchschneidung der vorderen Rückenmarks- hälfte solch ein momentaner Athemstillstand eintreten können. Damit wird es aber auch sehr unwahrscheinlich, dass die spinalen Athmungsbahnen im Proc. reticularis verlaufen, da letzterer bei diesen Versuchen direct durch den Schnitt nicht getroffen wird, und bei Annahme einer Shockwirkung eine Erholung der Athmung nach längere Zeit fortgesetzter künstlicher Athmung hätte eintreten müssen. Aber auch der dorsale Theil der Vorder- seitenstränge kann danach keinen wesentlichen Theil der Athmungsbahnen beherbergen; denn da derselbe links in beiden Versuchen erhalten war, so hätten sonst auf der linken Seite einige, wenn auch schwache Athem- bewegungen zu Stande kommen müssen, was nicht der Fall war. Es bleiben also die ventralen Gebiete der Vorderseitenstränge und die Vorderstränge als Ort für die spinalen Athmungsbahnen übrig. Auch die Verletzungen der Seitenstränge allein im oberen Halsmarke führen zu ähnlichen Ergebnissen. Zunächst wurde in zwei Fällen zwecks Ausschaltung der im Seitenstrang verlaufenden cerebrospinalen motorischen Bahnen der eine Seitenstrang durchschnitten. Versuch II. 4.X. 1900. Einem mittelgrossen Hund wird in Höhe des 3. Halswirbels der linke Hinterseitenstrang. ohne nennenswerthe Blutung durchschnitten. Unmittelbar nach dem Schnitt bleibt die Athembewegung, die rechts völlig 16 MAx RoTHMANN: regelmässig weiter geht, links vollkommen fort, so dass weder eine Bewe- gung des Thorax noch des Zwerchfelles wahrnehmbar ist. Doch beginnt schon nach wenigen Minuten die linke Seite, wenn auch stark abgeschwächt, mitzuathmen. Nach einer halben Stunde ist die Athmung beiderseits voll- kommen gleich. Auch in der Folge ist in den 23 Tagen, die der Hund nach der Operation noch am Leben bleibt, keine Störung der Athmung zu beobachten. Nur nach der 9 Tage nach der ersten Operation vorgenom- menen Durchreissung der Pyramidenkreuzung, bei der der mediale Theil des linken Vorderstranges mit zerstört wird, tritt eine Verlangsamung der ganzen Athmung ein, die rasch vorübergeht. Die genaue Untersuchung des in Formol gehärteten, nach Marchi be- handelten Rückenmarks ergiebt völlige Zerstörung der dorsalen zwei Drittel des linken Seitenstranges im Gebiet des 3. Cervicalsegments; die Erweichung greift auf die graue Substanz der linken Seite über, die mit Ausnahme des Hinter- horns und der medialen und ventralen Abschnitte des Vorderhorns in eine Erweichungshöhle verwandelt ist. Ferner ist im linken Vorderstrang eine starke Degenerationszone längs des Suleus ant. und am ventralen Rande in den medialen Abschnitten zu constatiren, die lateralwärts rasch schwächer werdend, in ihren letzten Ausläufern bis zum Vorderseitenstrang reicht. Versuch IV. 6.X. 1900. Einem mittelgrossen Terrier wird der rechte Hinterseiten- strang in Höhe des 3. Halswirbels durchschnitten. Unmittelbar darnach ist die Athmung auf der rechten Seite stark abgeflacht; doch bessert sie sich bald wieder und ist nach 1 Stunde beiderseits vollkommen gleich. Die Athmung bleibt nun, auch nach der 10 Tage später vorgenommenen Durch- reissung der Pyramidenkreuzung, völlig normal, bis zu der 24 Tage nach der Operation vorgenommenen Tödtung. Die Untersuchung des Rückenmarks zeigt in diesem Falle an der Schnittstelle im 3. Cervicalsegment eine starke Narbenbildung und Erwei- chung, die den rechten Seitenstrang vom Eintritt der hinteren Wurzel bis in den dorsalen Theil des Vorderseitenstranges und von der lateralen Peri- pherie bis in die lateralen Abschnitte der grauen Substanz dorsal vom Vorder- horn einnimmt. Ausserdem ist der mediale Theil des rechten Vorderstranges stark degenerirt. In diesen beiden Fällen ist die Athmung, abgesehen von einer Störung unmittelbar nach der Operation, auch auf der Seite der Seitenstrangläsion in keiner Weise behindert. Da in beiden Fällen der Hinterseitenstrang total, zugleich der dorsale Theil des Vorderseitenstranges, in Fall III etwas ausgedehnter als in Fall IV, zerstört ist, die Erweichung ferner in beiden Fällen das ganze Gebiet des Proc. reticularis auf der einen Seite zerstört hat, so müssen wir auch hier wieder zu dem Schlusse gelangen, dass diese Theile des oberen Cervicalmarks nichts Wesentliches mit den Athmungsbahnen zu thun haben. Es bleibt dann der ventrale Theil des Vorderseitenstranges und der Vorderstrang für die Athemreize übrig; da aber in beiden Theilen die mediale Hälfte des letzteren gleichfalls zur Degeneration gebracht ist, ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 17 so kommen vom Vorderstrang nur noch die lateralen Abschnitte hier in Betracht. Dass die medialen Theile der Vorderstränge nichts mit der Athmung zu thun haben, das lehren auch zahlreiche Versuche, bei denen dieselben theils ein-, theils doppelseitig zerstört waren, als Mitverletzung bei der Zerstörung der Pyramidenkreuzung, und bei denen nie die geringste Störung der Athmung bestand. Zeigten diese Versuche bereits absolut sicher, dass die Marinesco’sche Annahme, nach der die Athmungsbahnen im vorderen Theil des Proc. reticeularis verlaufen, nicht richtig sein kann, so tritt das noch deutlicher nach doppelseitiger Durchschneidung der Hinterseitenstränge hervor. Versuch V. 3.11. 1901. Einem mittelgrossen Hunde werden unmittelbar nach einan- der beiderseits die dorsalen zwei Drittel des Seitenstranges in Höhe des 3. Cer- viealsegmentes durchschnitten. Gleich darauf sistirt die Athmung, beginnt aber nach wenigen künstlichen Athemzügen wieder in Gang zu kommen und ist nach !/, Stunde zwar stark verlangsamt, aber regelmässig. Der Hund liegt in den nächsten Tagen mit einer regelmässigen, etwas verlangsamten Ath- mung und stark verlangsamtem Puls halb bewusstlos da und geht am 4. Tage zu Grunde. Die Section zeigt eine ziemlich starke, sich bis zur Medulla oblongata erstreckende Blutung. Die Schnitte haben beiderseits die dorsalen °;, der Seitenstränge und die angrenzende graue Substanz zerstört. Versuch VI. 12.11. 1901. Kleiner Terrier. Nach Durchtrennung beider Hinter- seitenstränge im 3. Cerviealsegment hört die Athmung unmittelbar nach dem Schnitt der zweiten Seite völlig auf, kommt jedoch nach einigen künstlichen Athemzügen wieder in Gang. Nach !/, Stunde ist die Athmung etwas un- regelmässig mit verlängertem Exspirium. Der Puls ist stark verlangsamt. Auch am nächsten Tage liest der Hund regungslos mit stark verlangsamter, aber regelmässiger Athmung und Herzaction. Nach 2 Tagen tritt der Exitus ein. Die Section zeigt völlige Durchschneidung beider Hinterseitenstränge, die bis in die dorsalen Abschnitte des Vorderseitenstranges übergreift, und eine Erweichung der iateralen Theile der grauen Substanz im Gebiete des Proe. reticeularis; keine Blutung. Auch in diesen Versuchen also, in dem beiderseits der Proc. reticularis und die Hinterseitenstränge ausgeschaltet sind, kommt es zu keinem länger anhaltenden Athemstillstand; wenn die Thiere zu Grunde gehen, so liegt dies offenbar weit mehr an der Störung der Herzaction als an, der der Athmung. In diesen Fällen kann der Athmungsreiz gleichfalls nur durch die Vorderstränge und die vorderen Abschnitte der Seitenstränge gegangen sein. Dem entspricht auch das Ergebniss eines Versuches von einseitiger Durchschneidung der vorderen Rückenmarkspartien bei einem einige Tage am Leben gebliebenen Hunde. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 2 18 Max RoTHMANN: Versuch VI. 4. VII. 1901. Bei einem kleinen männlichen Spitzhund wird im oberen Theil des 3. Halssegmentes die rechte ventrale Hälfte des Halsmarks unter mässiger Blutung durchtrennt. Unmittelbar nach der Durchschneidung ist die Athmung etwas vertieft und verlangsamt (ca. 12 in der Minute), aber regelmässig. Bei Betrachtung des Thorax sieht man, dass nur die linke Hälfte desselben sich activ bewegt, die rechte nur passiv mitbewegt wird. Keine Bewegung der rechten Zwerchfellshälfte ist zu erkennen; die Rute wird bei jedem Athemzuge stark nach links gezogen. Die Herzaetion ist dabei völlig regelmässig (70 in der Minute). 5. VII. Hund noch in Narcose. Die Athmung ist verlangsamt (12 in der Minute) aber regelmässig, bei derselben wird auch heute lediglich die linke Brust- und Zwerchfellshälfte contrahirt. 6. VII. Der Hund sehr matt, liegt gewöhnlich ruhig da. Die völlig regelmässige, ruhige Athmung ist noch immer völlig einseitig, indem die rechte Thorax- und Zwerchfellshälfte sich nicht bewegt. 7.VII. Status idem. 8.VII. Hund wird Morgens todt gefunden. Lebensdauer 31/, Tag. Die Section zeigt eine Durchschneidung des rechten Vorderseitenstranges total und des rechten Vorderstranges bis auf eine kleine Partie am ventro- medialen Rande. Von der grauen Substanz ist das Vorderhorn im Wesent- lichen durchtrennt. Dagegen ist der Hinterseitenstrang und die dorsal am Vorderhorn gelegenen Abschnitte der grauen Substanz anscheinend intact. Es besteht eine ziemlich ausgedehnte Entzündung der Rückenmarkshäute in der Umgebung der Schnittstellen. In diesem Fall hat also eine einseitige Durchschneidung des Vorder- und Vorderseitenstranges zur völligen Ausschaltung der Athembewegungen auf dieser Seite geführt, die auch in den nächsten Tagen keine Restitution zeigte. Auch hier waren Hinterseitenstrang und Proc. reticularis der grauen Substanz intact, ohne dass sie im Stande waren, die Leitung der Athmungs- reize zu vermitteln. Nachdem alle diese Versuche darin übereinstimmten, dass die spinalen Athmungsbahnen nicht durch den Hinterseitenstrang und nicht durch den Proc. reticularis der grauen Substanz, sondern durch die ventral gelegenen Rückenmarksstränge — Vorderseitenstrang und Vorderstrang — ziehen, ja dass selbst der dorsale Theil des Vorderseitenstranges nichts Wesentliches ınit diesen Bahnen zu thun hat, galt es, die Frage zu entscheiden, ob für die Leitung der Athmungsreize der ventrale Theil des Vorderseitenstranges allein oder auch der Vorderstrang, und in welchem Umfange, von Bedeu- tung ist. Versuch VII. 6.VII. 1901. Mittelgrosser Spitzhund. In diesem, wie in allen folgenden Versuchen Morphium-Aether-Narkose. Es wird im oberen Theile des 3. Halssegmentes der rechte Vorderseitenstrang durchschnitten. ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 19 Der Hund athmet jetzt regelmässig mit der linken Brust- und Zwerchfells- hälfte, während nicht ganz sicher zu entscheiden ist, ob die rechte Seite lediglich passiv mitbewegt wird oder noch ganz schwache active Contractionen von Zwerchfell- und Thoraxmuseulatur zeigt. 10 Minuten später wird der linke Vorderseitenstrang durchschnitten. Die Athmung wird sofort stark verlangsamt (ca. 6 in der Minute) und angestrengt unter Zuhülfenahme der Halsmuseulatur. Doch kommt es beiderseits zu deutlichen Contractionen der Thoraxmusculatur und anscheinend auch des Zwerchfells auf beiden Seiten. Nachdem die Athmung derart 10 Minuten lang beobachtet wurde, wird der linke Vorderstrang mit einer scharfen Nadel durchrissen. Sofort steht die Athmung links vollständig still; es kommt noch zu einigen krampfhaften Athemzügen mit Contraction der rechten Thorax- und anscheinend auch Zwerchfellshälfte unter Mitbetheiligung der auxiliären Muskeln des Kopfes und Halses. Dann tritt völliger Athemstillstand ein, der auch durch künst- liche Athmung nicht überwunden werden kann. Dieser Versuch zeigt, dass die Ausschaltung beider Vorderseiten- stränge allein zwar die Athmung stark behindert, aber nicht zu völligem Athemstillstand führt. Um letztere zu erzielen, ist es nothwendig, die Vorderstränge anzugreifen; doch genügte in diesem Fall ein Vorderstrang allein nicht mehr, um die Athmung in Gang zu erhalten. Der Versuch zeigt aber ferner, dass die Beurtheilung der Zwerchfells- athmung ohne directe Inspection des Zwerchfells beinahe unmöglich, jeden- falls völlig unsicher ist. Es wird daher in den folgenden Versuchen stets das Zwerchfell durch Laparotomie der directen Beobachtung erschlossen. Versuch IX. 13. VII. 1901. Bei einem mittelgrossen Hund wird das 3. Halssegment freigelegt. Zuerst wird der rechte Vorderseitenstrang durchschnitten. Augenblicklich steht die rechtsseitige Thoraxhälfte vollständig still, während die linke regelmässig weiter athmet. Es wird jetzt durch Laparotomie das Zwerchfell von unten her freigelegt. Es lässt sich dann constatiren, dass der Hund zwar vorwiegend mit der linken Zwerchfellshälfte athmet, dass aber auch rechts schwache Contractionen des Zwerchfells zu beobachten sind. Auch schwache Contractionen der rechtsseitigen Thoraxmusculatur sind einige Minuten nach der Durchschneidung zu constatiren. Nun wird der linke Vorderseitenstrang durchschnitten. Darnach wird die Athmung stark verlangsamt und angestrengt. Doch zeigt die Prüfung des Zwerchfells, dass beide Zwerchfellshälften sich contrahiren, wenn auch viel schwächer als normal. Auch eine oberflächliche Thoraxathmung ist beiderseits deutlich zu beobachten. Die Hals- und Kehlkopfmuseulatur wird bei jedem Athemzuge stark contrahirt. Nach ca. 10 Minuten wird der linke Vorderstrang mit scharfer Nadel durchrissen. Sofort steht links die Thorax- und Zwerchfellsathmung voll- ständig still. Der Hund macht nur noch seltene, unregelmässige Athemzüge (ea. 3 in der Minute), bei‘ stärkster Anstrengung der auxiliären Kopf-, Hals- und Kehlkopfmuseulatur. Dabei sind schwache Contractionen der rechten 2* 20 Max RoTHMANN: Zwerchfellshälfte zu beobachten, verbunden mit geringer rechtsseitiger Thorax- athmung. Nach ca. sechs Athemzügen steht das Zwerchfell auch rechts still, es werden noch einige krampfhafte Athemversuche mit der Halsmuseu- latur gemacht, dann tritt völliger Athemstillstand ein, der auch durch künst- liche Athmung nicht wieder zu beseitigen ist. Die Section zeigt totale Durchschneidung beider Vorderseitenstränge; der linke Vorderstrang ist bis auf eine schmale mediale Randzone durch- schnitten. Versuch X. 18. VII. 1901. Bei einem mittelgrossen Spitzhund wird in Höhe des 3. Halssegmentes der rechte Hinterseitenstrang durchschnitten. Darnach bleibt die Athmung völlig normal. Dann wird der linke Hinterseiten- strang durchschnitten, gleichfalls ohne Störung der Athmung. Nun wird der rechte Vorderseitenstrang durchtrennt. Auch jetzt geht die Ath- mung ruhig weiter, nur dass die Thoraxathmung rechts weit schwächer als links ist. Es wird jetzt die Laparotomie gemacht. Die Prüfung des Zwerch- fells zeigt nun völligen Stillstand der rechten Hälfte, bei guter Contraetion der linken. Darauf wird der linke Vorderseitenstrang durchschnitten. Sofort athmet der Hund sehr angestrengt mit Zuhülfenahme der Halsmusceu- latur, beide Thoraxhälften zeigen dabei Oontraction, wenn auch nur sehr schwach. Auch scheinen bei äusserer Besichtigung beide Zwerchfellshälften schwach mit zu arbeiten. Ehe das Zwerchfell vom Bauche aus besichtigt wird, wird noch einmal in die linksseitige Rückenmarkswunde ein Finder eingeführt, der den lateralsten Theil des linken Vorderstranges lädirt. Sofort tritt Stillstand der Athmung ein. Trotz augenblicklich eingeleiteter künst- licher Athmung kommt es nur noch zu wenigen Athemversuchen mit Kopf- und Halsmuseculatur, ohne Thorax- oder Zwerchfellscontraction. Dann tritt der Exitus ein. In dem ersten dieser beiden Fälle hebt die vollständige Ausschaltung beider Seitenstränge die Thorax- und Zwerchfellsathmung auf beiden Seiten nicht auf, wenn dieselbe auch weit oberflächlicher und unter angestrengter Mithülfe der Kopf- und Halsmuseulatur vor sich geht, und es bedarf noch der Durchschneidung eines Vorderstranges, um sofort die entsprechende Hälfte der Athemmusculatur, wenige Minuten später auch die der anderen Seite zum völligen Stillstand zu bringen. Der zweite Fall dagegen zeigt, dass bereits nach Durchschneidung beider Seitenstränge die Athmung auf ein Minimum redueirt ist, so dass die kleinste Verletzung des lateralen Abschnittes eines Vorderstranges genügt, um die Athmung völlig sistiren zu lassen. Auch in dem letzten Versuche (X) hat die Durchschneidung beider Hinterseitenstränge in Verbindung mit den angrenzenden lateralen Partien der grauen Substanz (Proc. reticularis) keinen Einfluss auf die Athmungsbewegungen ausgeübt. Wenn diese Versuche auch zeigen, dass der Haupttheil der Athmung durch den ventralen T'heil des Vorderseiten- stranges geht, so lassen sie doch andererseits deutlich erkennen, dass die TT : 3 ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 21 lateralen Abschnitte der Vorderstränge mit der Leitung der Athmungsreize in Beziehung stehen müssen. Um diese Beziehungen näher festzustellen, wurden noch folgende Versuche angestellt. Versuch XI. 25. VII. 1901. Bei einem mittelgrossen Spitzhund werden in Höhe des 3. Halssegmentes zunächst nach einander beide Hinterseitenstränge durehschnitten; unmittelbar nach jedem Schnitt athmet die entsprechende Seite einige Minuten etwas schwächer als die andere, eine Störung, die sich rasch wieder ausgleicht. Nun wird der rechte Vorderseitenstrang durchschnitten. Die ganze Athmung ist jetzt etwas mühsam; die rechte Seite bleibt dabei deutlich zurück. Die Inspection des Zwerchfells nach der jetzt ausgeführten Laparotomie ergiebt Stillstand der rechten Zwerchfellshälfte, deutliche Contraction der linken, die schwächer als normal ist. Dagegen ist die Intereostalmusculatur beiderseits in Thätigkeit, rechts etwas weniger als links. Nachdem nun der linke Vorderseitenstrang durchschnitten wird, geht die Athmung, wenn auch mühsam, weiter, indem mit der beiderseitigen Intereostalmuseulatur Athembewegungen ausgeführt werden. Das Zwerchfell wird jetzt auf beiden Seiten lediglich passiv bewegt, trotzdem es bei äusserer Betrachtung den Anschein hat, als wenn dasselbe sich activ bewege. Darauf wird der linke Vorderstrang durchschnitten; sofort steht die linke Seite vollkommen still, während die rechte mittels der Intercostalmusculatur schwache aber deutliche Athembewegungen ausführt bei völlig passivem Ver- halten des Zwerchfells und angestrengter Mitarbeit der Hals- und Kehlkopf- museulatur. Es werden nun zunächst beide Hinterstränge und die ent- sprechende graue Substanz durchtrennt, so dass die Verbindung zwischen oberem und unterem Rückenmarkstheil jetzt nur noch durch den rechten Vorderstrang geht. Die Athmung bleibt jetzt dieselbe die sie nach Durch- schneidung des linken Vorderstranges war. Schliesslich wird durch Durch- schneidung des rechten Vorderstranges die totale Rückenmarksdurch- schneidung vollendet. Jetzt sistirt Zwerchfells- und Thoraxathmung beiderseits vollständig. Der Hund macht noch längere Zeit krampfhafte Athemversuche mit den Hülfsmuskeln des Kopfes, Halses, Kehlkopfes, bis der Exitus eintritt. In diesem Fall, in dem der Einfluss der Vorderstränge auf die Ath- mung weit deutlicher hervortrat, als in den vorhergehenden Experimenten, ist nun zugleich ein deutlicher Unterschied zwischen den Leitungen zu den verschiedenen Athemmuskeln insofern bemerkbar, als die Thätigkeit des Zwerchfells mit Ausschaltung beider Vorderseitenstränge vollständig sistirte und zwar die jeder Zwerchfellshälfte entsprechend der Durchschneidung des gleichseitigen Stranges, während die Thoraxathmung zwar durch die Durch- schneidung der Seitenstränge wesentlich geschwächt war, aber erst mit Entfernung des entsprechenden Vorderstranges unmöglich wurde Ja in diesem Fall dauerte diese Thoraxathmung auf einer Seite noch an, nachdem das ganze Rückenmark bis auf den entsprechenden Vorderstrang durch- schnitten war. D DD MAx RoTHMANN: Zeigt dieser Versuch bereits weit mehr als die früheren, dass den Vordersträngen bei der Leitung der Athemreize eine Bedeutung zukommt, die allerdings hinter der der Seitenstränge zurücksteht, so prägt sich dieses Verhältniss noch deutlicher in dem folgenden Versuch aus. Versuch Xl. 12.X. 1901. Kleiner Terrier. Die Athmung ist bereits vor der Ope- ration sehr verlangsamt und oberflächlich. Es wird im oberen Theile des 3. Halssegmentes zuerst der rechte, dann der linke Hinterseitenstrang durchschnitten, beide Male mit vorübergehender Abschwächung der Athmung auf der entsprechenden Seite. Es wird nun der rechte Vorderseiten- strang durchtrennt. Die Athmung ist jetzt im Ganzen stark verlangsamt; dabei wird die rechte Hälfte des Brustkorbes schwächer bewegt als die linke. Die Betrachtung des Zwerchfells, von der eröffneten Bauchhöhle aus, zeigt prompte Contractionen der linken Zwerchfellshälfte, die rechte Hälfte wird passiv bewegt, nur an den dorsal gelegenen Seitenpfeilern scheint eine geringe _ active Contraction zu bestehen. Auch nach Durchschneidung des linken Vorderseitenstranges geht die Athmung weiter, allerdings sehr stark ver- langsamt. Die Rippen werden bei der Inspiration deutlich gehoben, unter activer Contraction der Intercostalmusculatur, rechts etwas schwächer als links. Die direete Besichtigung des Zwerchfells zeigt beiderseits nur noch an den hinteren seitlichen Pfeilern eine schwache Contraction, links stärker als rechts, während das übrige Zwerchfell nur passiv mitbewegt wird. Es folgt die Durchschneidung des rechten Vorderstranges; die Athmung wird jetzt sehr schwach und ist stark verlangsamt. Der rechte Brustkorb und die rechte Zwerchfellshälfte sind unbeweglich. Links werden die Rippen bei jeder Inspiration unter activer Contraction der Intereostalmusculatur ge- hoben; auch die linke Zwerchfellshälfte zeigt schwache Contractionen im hinteren äusseren Abschnitt. Sowie aber nun der linke Vorderstrang durchschnitten wird, das Rückenmark an dieser Stelle also nur noch durch die Hinterstränge zusammenhängt, stockt die Thorax- und Zwerchfellsathmung vollständig. Der Hund macht jetzt krampfhafte Athemversuche unter stärkster Anstrengung der Gesichts-, Hals- und Kehlkopfmusculatur. Diese Contrac- tionen sind so stark, dass bei jedem Inspirationsversuch der ganze Körper nach vorn gezogen wird. Es fällt nun bei jedem solchen Athemversuch auf, dass kurz nach dieser Anstrengung stets eine deutliche Aufwärtsbewegung der unteren Rippen, die den Anschein activer Contraction der Intercostal- muskeln erweckt, auftritt. Um auszuschliessen, dass hier noch Reize von der Medulla oblongata zum Rückenmark gelangen, etwa durch die absteigen- den Hinterstrangbahnen, wird nun das Kleinhirn von hinten her freigelegt und nach Abhebung des Wurms die Stelle der Inspiration dicht an der Mittel- linie der Rautengrube mit mittelstarkem faradischem Strom auszulösen ver- sucht. Es kommt bei jeder Reizung zu denselben starken Muskelcontractionen im vordersten Thierkörper mit Anziehung des ganzen Körpers, wie wir sie oben beschrieben haben. Auch die schwache secundäre Hebung der unteren Rippen ist deutlich zu beobachten. Es wird nun durch einen Schnitt, der die Hinterstränge durchtrennt, die Querdurchschneidung des Rückenmarks vollendet, und dann wieder vom Boden des 4. Ventrikels ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 23 gereizt. Es kommt zu ganz denselben krampfhaften Contractionen der oberen auxiliären Athemmusculatur, aber auch zu der secundären Hebung der unteren Rippen. In diesem Fall, der im Allgemeinen dieselben Verhältnisse wie der vorangegangene (Nr. XI) aufweist, ist besonders bemerkenswerth, dass auch nach Durchschneidung der Vorderseitenstränge schwache Contractionen in einem kleinen, lateral und dorsal gelegenen Theil der Zwerchfellmusculatur erhalten blieben und ebenso wie die Contractionen der Thoraxmusculatur erst nach Durchschneidung der Vorderstränge verschwanden. Was die schwachen Contractionen in den unteren Intercostalmuskeln betrifft, die nach völliger Ausschaltung der Zwerchfells-- und Thoraxathmung den krampfhaften Athemversuchen nachfolgten und, wie die Ergebnisse der Reizung vom Boden des 4. Ventrikels aus zeigten, mit der centralen Lei- tung von der Medulla oblongata nichts zu thun hatten, so ist es immerhin möglich, dass hier nur passive Bewegungen der Rippen vorliegen. Nimmt man dagegen an, dass es active Contractionen waren, so muss es sich hier um eine selbstständige Wirkung der isolirten spinalen Centren gehandelt haben. Ueberblicken wir nun die ganze Reihe der hier zusammengefassten Versuche, so ergiebt sich, dass die im obersten Halsmark gesetzte Durch- schneidung des Hinterseitenstranges entweder allein oder in Verbindung mit dem dorsalen Theil des Vorderseitenstranges und dem Proc. reticularis des Seitengebietes der grauen Substanz zu keinen irgendwie nennenswerthen dauernden Athemstörungen führt. Dagegen hat Durchschneidung des Vorder- seitenstranges und Vorderstranges einer Seite eine andauernde Aufhebung aller Athembewegungen auf dieser Seite zur Folge. Eine doppelseitige der- artige Durchschneidung führt zum sofortigen Exitus in Folge von totaler Athemlähmung. Weiterhin lehrt die getrennte Durchschneidung der Vorder- seitenstränge und der Vorderstränge bei einer Reihe von Hunden, dass die Vorderseitenstränge im Wesentlichen die Reize für die Zwerchfellsathmung von der Medulla oblongata zu den Phrenicuscentren leiten. Während in einigen Fällen diese Leitung nach Durchschneidung der Vorderseitenstränge völlig aufgehoben ist, zeigen andere auch dann noch eine allerdings schwache Contraction des Zwerchfells, die bald nach Durchschneidung eines Vorder- seitenstranges auf beiden Seiten sistirt, bald auch eine Ausschaltung beider Vorderstränge zu ihrer völligen Beseitigung erforderlich macht. Dem gegen- über ist die Leitung der Thoraxathmung, vor Allem die der Intercostal- musculatur, allerdings nach Durchschneidung der Vorderseitenstränge ab- geschwächt, aber zum grossen Theil in den Vordersträngen localisirt und zwar in den äusseren Abschnitten derselben, so dass sie erst durch Aus- schaltung der letzteren aufgehoben wird. 24 Max ROoTHMANN: Es ist dieses Resultat im Wesentlichen übereinstimmend mit den Angaben von Brown-Sequard (9), nur dass der Verlauf der spinalen Athmungsbahnen noch genauer localisirt werden konnte. Dagegen sind unsere Ergebnisse denen von Schiff (5) und Porter (13), welche die Athmungsbahnen lediglich in den Seitenstrang verlegten, nicht völlig analog. Ganz unvereinbar mit unseren Ergebnissen ist endlich die Angabe von Marinesco (7), dass die Leitung durch den Proc. retieularis ginge. Der letztere ist in den oben geschilderten Versuchen sowohl bei längere Zeit am Leben gebliebenen, als auch bei nur unmittelbar nach den Durch- schneidungen beobachteten Thieren wiederholt durchtrennt worden, ohne dass es zu dauernden Athmungsstörungen kam, und umgekehrt erhalten geblieben, ohne die Athmungsstörungen zu verhindern. Porter kommt zu dem Schluss, dass die Athmungsbahnen ausschliesslich in den Seitensträngen verlaufen, in Folge der Beobachtung, dass alleiniges Erhaltensein des Seiten- stranges die Athmung völlig in Gang halten kann. Das lässt sich indirect ‚auch aus unseren Versuchen schliessen, da nach Ausschaltung des Seiten- stranges die Athmung stark behindert ist, ja in vielen Fällen das Zwerchfell sich an derselben gar nicht mehr betheiligt. Es darf daraus jedoch nicht geschlossen werden, wie unsere Versuche ja beweisen, dass ausschliesslich der Seitenstrang der Athmung vorsteht. Nun hat aber Schiff vor Allem die Behauptung aufgestellt, dass die Zerstörung des Seitenstranges die Athmung auf der entsprechenden Seite vollkommen ausschalte, und dass solche Thiere mit einseitiger Zerstörung des Seitenstranges auch nach Wochen mit der ent- sprechenden Seite nicht wieder zu athmen vermögen. Dem gegenüber zeigen unsere Versuche, dass auch bei längerer Lebensdauer Ausschaltung der hinteren zwei Drittel des Seitenstranges die Athmung nicht aufhebt, dass dagegen Ausschaltung von Vorderseitenstrang und grössten Theil des Vorder- stranges die Athembewegungen der entsprechenden Seite endgültig ver- nichten. Da nun aus unseren Experimenten ferner hervorgeht, dass die für die Athembewegungen in Betracht kommenden Partien des Vorder- stranges offenbar die lateralen Theile desselben sind, so ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, dass bei den Schiff’schen Thieren diese äusseren Partien der Vorderstränge mit zerstört waren. Ist es schon bei der frischen Durchschneidung schwierig, bestimmte Gebiete der weissen Rückenmarks- stränge isolirt zu durchschneiden, so kommen bei längerer Lebensdauer Ernährungsstörungen der benachbarten Gebiete durch Gefässdurchschnei- dung, kleine Blutungen, Entzündungen, Narbenzug u. s. w. fast unvermeid- lich vor, und es bedarf daher, um sichere Schlüsse zu machen, genauester mikroskopischer Untersuchung der Schnittstellen. Den Angaben Langendorff’s (10 u. 11), dass die Atmung auch nach Halbseitendurchschneidung .des Kopfmarkes in manchen Fällen auf ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 25 der Seite der Läsion nicht aufgehoben sei, geben unsere Versuche durchaus keine Stütze. Stets war nach gemeinsamer Durchschneidung von Vorder- strang und Vorderseitenstrang die Athmung auf der entsprechenden Seite gänzlich erloschen und kehrte, auch bei längerer Lebensdauer, nicht zurück.! Was die Frage betrifft, inwieweit nun eine längere Lebensdauer mit der beiderseitigen Ausschaltung der Vorderseitenstränge vereinbar ist, so glaube ich nicht, dass bei den derart operirten Hunden eine dauernde Athmung noch möglich wäre. Da das Zwerchfell entweder ganz zu arbeiten aufhört oder nur noch in wenigen dorsolateral gelegenen Muskelbündeln active Contraction zeigt, da die Thätigkeit der Intercostalmusculatur so stark herabgesetzt ist, dass in einigen Fällen bereits eine Läsion des einen Vorder- stranges zur völligen Aufhebung der Athmung genügte, so ist nicht an- zunehmen, dass dieses minimale Maass der Athembewegungen den dauernd an letztere gestellten Anforderungen des Thierkörpers entspricht, zumal wenn diese Herabsetzung der Athembewegung, wie bei unseren Experi- menten, plötzlich eintritt. Anders ist es, wenn es zu einer allmählichen- Vernichtung der im Seitenstrang verlaufenden Athmungsbahnen kommt, wie sie bei Erkrankung des oberen Halsmarkes beim Menschen eintreten kann. Dann dürften die Vorderstrangbahnen im Stande sein, mindestens auf einige Tage, die zur Erhaltung des Lebens erforderliche Innervation zu den spinalen Centren der Athemmusculatur zu leiten, indem die Vorderstrangbahnen ganz allmählich mehr und mehr zu dieser Arbeit herangezogen werden. Welche Bahnen kommen nun für die Leitung der Athem- reize von der Medulla oblongata zum Rückenmark in Betracht? Kohnstamm (14), der das Athemcentrum, ebenso wie Gad und Mari- nesco, in der Substantia reticularis grisea der Medulla oblongata localisirt, und den Nucleus reticularis in seinem ganzen Umfang als Reflex- und Coordinationscentrum auffasst, nimmt auf Grund seiner Ergebnisse mit der combinirten Degenerationsmethode nach Halsmarkdurchschneidungen an, dass „die Axone des lateralen Retieulariskernes zum grössten Theil in dem ventralen, zum kleinsten Theil in dem dorsalen Vorderseitenstrang, und zwar zum grösseren Theil ungekreuzt, zum kleineren Theil gekreuzt ver- laufen“. Auch er kommt zu dem Schluss, dass die Fasern der spinalen Athmungsbahn über den ganzen Vorderseitenstrang ausgebreitet sind, und nicht im Processus reticularis, der keine längeren absteigenden Fasern be- sitzt. Ja die vom seitlichen Reticulariskern, dem eigentlichen Respirations- centrum, absteigende Bahn verläuft vorzugsweise im ventralen Theil des ! Anmerkung bei der Correetur. Auch bei einem Affen, dem Seiten- und Vorderstrang einer Seite im 3. Halssegment von mir durchschnitten worden sind, be- steht noch 9 Tage nach der Operation völlige Aufhebung der Athmung auf dor ent- sprechenden Seite. 26 Max ROTHMANN: Vorderseitenstranges, unter welchem Begriff Kohnstamm offenbar die lateralen Theile des Vorderstranges mitversteht. Kohnstamm fährt dann fort: „Trotzdem kann natürlich die Beobachtung der Autoren, dass Zer- störung des Seitenstranges eine hinreichende respiratorische Innervation des Phrenicuskernes verhindert, sehr wohl zutreffen.“ Man sieht, dass unsere physiologischen Ergebnisse mit diesen Befunden Kohnstamm’s auf das Beste übereinstimmen. Nach unseren Experimenten kommen für die Lei- tung der Athmungsreize der ventrale Theil des Vorderseitenstranges vor Allem, daneben der laterale Theil des Vorderstranges in Betracht, also die Gebiete, die Kohnstamm als ventralen Theil des Vorderseitenstranges zusammenfasst. Nervenfasern, die aus dem Reticularisgebiet der Medulla oblongata im Vorder- und Vorderseitenstrang des Rückenmarkes herunter ziehen, sind uns wohl bekannt. Bechterew (15) wies auf entwickelungsgeschichtlichem Wege Bahnen aus der Formatio reticularis in die Vorderstrang-Grundbündel sowie die ventrale Abtheilung des Seitenstranges des Rückenmarkes nach. Ebenso konnte Held (16) aus. der Formatio reticularis gekreuzte und un- gekreuzte, früh markhaltig werdende Fasern in den Vorderseitenstrangrest verfolgen. Die hier liegenden motorischen Zellen sind als „Strangzellen“ des Vorderseitenstrangrestes aufzufassen. Aehnliche Befunde erhielt mit der Degenerationsmethode Tschermak (17 u. 18). Fusari (19) konnte sogar beim Menschen nach einseitiger Erweichung der Olivenzwischenschicht, Hauptschleife, Pyramide und Formatio reticularis vom Hypoglossus- bis Faecialisaustritt eine ungekreuzte absteigende Degeneration in die Randzone des Vorderstranges hinein verfolgen. Allerdings ist bei diesen Fällen von direeter Verletzung der Substantia reticularis zu bemerken, dass durch dieselbe das vom Deiters’schen Kern zum Vorderstrang des Rückenmarkes ziehende Bündel seinen Weg nimmt. Jedoch die Befunde Kohnstamm’s, dass die Ganglienzellen der Substantia reticularis nach Halsmarkdurch- schneidung Veränderungen erkennen lassen, führen den sicheren Nachweis, dass aus diesen Zellen Fasern zum Rückenmark herabziehen. Es ergeben sich aus dieser Arbeit folgende Schlüsse in Betreff der spinalen Athmungsbahnen: 1. Die von der Medulla oblongata zum Rückenmark ge- langenden Athmungsreize haben mit dem Hinterseitenstrang und dem Processus reticularis des Rückenmarkes nichts zu thun. 2. Die spinalen Athmungsbahnen verlaufen zum grössten Theil im vorderen Seitenstrang, und zwar vorwiegend im ven- tralen Theil desselben, zum kleinen Theil im lateralen Theil des Vorderstranges. ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. 27 3. Ausschaltung beider Seitenstränge allein hebt die Ath- mung nicht sofort auf, wohl aber Ausschaltung beider Vorder- und Vorderseitenstränge. 4. Die für die Zwerchfellinnervation bestimmten Fasern nehmen ihren Verlauf ganz oder beinahe ausschliesslich durch den Vorderseitenstrang, die für die Thoraxathmung bestimmten Fasern ziehen zum grossen Theil durch den lateralen Ab- schnitt des Vorderstranges. 5. Die im peripheren Theil des Vorderseitenstranges und des Vorderstranges verlaufenden, nach Zerstörung der Formatio reticularis der Medulla oblongata absteigend degenerirenden Fasern sind, zum grossen Theil wenigstens, für die Ueber- tragung der Athmungsreize von der Medulla oblongata zum Rückenmark bestimmt. Die Experimente zu dieser Arbeit sind im physiologischen Institut der kgl. thierärztlichen Hochschule zu Berlin ausgeführt worden. Ich spreche Hrn. -Geheimrath H. Munk auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus. 28 Max ROTHMANN: ÜBER DIE SPINALEN ATHMUNGSBAHNEN. Litteraturverzeichniss. 1. Ch. Bell, Phuvsiologische und pathologische Untersuchungen des Nerven- systems. Deutsch von M. H.Romberg. Berlin 1836. 2. Longet, Archives generales de medecine. 1847. T. XII. p. 377. 3. J.M. Schiff, Tübinger Archiv für physiol. Heilkunde. 1854. Bd. XII. 8. 37. 4. Derselbe, Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr 1858—59. 8. 307—309 u. 8. 322. 5. Derselbe, Einfluss der Nervencentren auf die Respirationsbewegungen. Ge- sammelte Beiträge zur Physiologie. Lausanne 1894. Bd.I. 8.1. 6. Girard, Recherches sur Yappareil respiratoire central. Memoires de la Societe de physiol. et d’histoire nat. de Geneve. Vol. suppl. 1890. Nr. 4. 7. J. Gad und G. Marinesco, Recherches experimentales sur le centre respi- ratoire bulbaire. Comptes rendus de l’ Acad. des sciences. 1892. T. CXV. p. 444. 8. Gad, Ueber das Athmungscentrum in der Medulla oblongata (mit Mari- nesco). Dies Archiv. 1893. Physiol. Abthlg. S. 175. 9. Brown-Sequard, Remarques sur les recherches de Mm. Gad et’ Mari- nesco sur le centre .respiratoire. Arch. de physiol. 1893. 5"° serie. T. V. p. 194. 10. O. Langendorff, Studien über die Innervation der Athembewegungen. 9. Mittheilung: Ueber die Folgen einer halbseitigen Abtragung des Kopfmarkes. Dies Archiv. 1887. Physiol. Abthlg. S. 289. 11. Derselbe, Mittheilungen zur Athmungslehre. Zbenda. 1893. Physiol. Abthlg. 12. W.T. Porter, Ueber die Kreuzung der herabsteigenden Athmungserregung im Niveau der Phrenieuseentren. Centralblatt für Physiologie. 1894. Bd. VIII. 8. 258. 13. Derselbe, The path of the respiratory impulse from the bulb to the phrenic nuclei. Journal of Physiology. 1895. Vol. XVII. p. 455. 14. Oscar Kohnstamm, Ueber die Coordinationskerne des Hirnstammes und die absteigenden Spinalbahnen. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 1900. Ba. VIII. S. 261. 15. v. Bechterew, Ueber die Längsfaserzüge der Formatio retieularis medullae oblongatae et pontis. Neurologisches Oentralblatt. 1885. Nr. 15. 16. Hans Held, Ueber eine directe akustische Rindenbahn und den Ursprung des Vorderseitenstranges beim Menschen. Dies Archiv. 1892. Anat. Abthlg. S. 257. 17. Armin Tschermak, Ueber den centralen Verlauf der aufsteigenden Hinter- strangbahnen und deren Beziehungen zu den Bahnen im Vorderseitenstrang. Dies Archiv. 1898. Anat. Abthlg. 8. 291. 18. Derselbe, Ueber die Folgen der Durchschneidung des Trapezkörpers bei der Katze. Neurologisches Centralblatt. 1899. Nr. 15 u. 16. 19. Fusari, Rivista sperimentale di fren. 1896. Vol. XXII. p. 417. Zur Lehre von der Athmung der Reptilien. Von Dr. Richard Hans Kahn, Assistenten am Institute. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) Einleitung und Methoden. Die Ansichten jener Forscher, welche mit eigenen Untersuchungen über unseren Gegenstand hervorgetreten sind, gehen in den meisten und wichtigsten Punkten auseinander. Das Einzige, was sich durch alle Arbeiten unbestritten als feststehende Thatsache herausheben lässt, ist die Angabe, dass die Reptilien eine mit seltenen Ausnahmen dreiphasige Athemform besitzen. Nachdem die Athmung in irgend einer Thoraxlage längere oder kürzere Zeit in Ruhe verharrt hat, beginnt als erster Theil eine Exspiration. An diese schliesst sich ohne Pause eine tiefe Inspiration, an deren Ende der Thorax ein grösseres Volumen einnimmt, als bei Beginn der Exspiration, und endlich erfolgt wieder ohne Pause eine Exspiration, welche aber den Gipfel der ersten Exspiration nicht erreicht. Nachdem sich diese drei Phasen rasch hinter einander abgespielt haben, verharrt die Athmung wieder in Ruhe, bis sich nach längerer oder kürzerer Zeit dasselbe Spiel wiederholt. Die Glottis, welche während der Athemruhe geschlossen war, hat sich bei Beginn der ersten Phase geöffnet, um sich am Ende der dritten Phase wieder zu schliessen. Aber bereits beim nächstwichtigen Punkte, nämlich bei der Frage, ob denn die Thoraxlage bei der Athemruhe mit der Gleichgewichtslage des Thorax übereinstimme, finden sich einander widersprechende Angaben. Die älteren Autoren (P. Bert, Heinemann u. s. w.!) haben diese Frage verneint. Sie behaupten, dass das Thier, nachdem es durch tiefe ! Genaue Litteraturangaben finden sich in der unten eitirten Arbeit E. Siefert’s. 30 RıcHarp Hans Kann: Inspiration (zweite Phase) den Thorax stark mit Luft gefüllt hat, nach kurzer Exspiration (dritte Phase) durch Verschluss der Glottis eine vollständige Entleerung der Lungen verhindere. Daraus ginge hervor, dass während der Athemruhe der Thorax inspiratorisch gebläht sei, und dass also die Pause eine inspiratorische wäre. Experimentelle Beweise für diese Ansicht finden sich nicht, mit Ausnahme einer Angabe von P. Bert über die Athmung beim Caiman des Inhaltes, dass die „inspiratorische“ Pause nach Aus- schaltung der Glottis einer „exspiratorischen“ Pause weiche. Ganz anders stellt sich zu der oben erwähnten Frage Siefert!, mit dessen umfangreicher Arbeit über die Athmung der Reptilien wir uns be- sonders zu beschäftigen haben werden. Nach ihm entspricht die T'horax- lage in der Athemruhe der Gleichgewichtslage des Thorax. Sie ist „eine wirkliche Ruhepause im strengsten Wortsinne, während deren keinerlei active Muskelkräfte in Wirksamkeit treten, und der Thorax sich in seiner elastischen Gleichgewichtslage (Cadaverstellung) befindet.“” Aus dieser Ruhelage des Thorax verkleinere sich das Thoraxvolumen durch active Ex- spiration, vergrössere sich wieder bis zur Ruhelage durch passive Inspiration und meistens weiter durch active Inspiration, um schliesslich passiv zur Ruhelage zurückzukehren. Damit diese Annahme zu Recht bestehe, müsste sie vor allem durch zwei Thatsachen gestützt werden, nämlich erstens durch stets genau gleiche Athemlage während der Athemruhe, und zweitens durch Uebereinstimmung der Athemlage in der Athemruhe mit der Cadaverstellung. Beide That- sachen werden von Siefert auf das Bestimmteste behauptet.” Das Vor- handensein einer Verschiebung der Thoraxlage während der Athempause in exspiratorischem Sinne, also jene Behauptung, mit welcher P. Bert seine Annahme stützen wollte, stellt Siefert auf Grund seiner Experimente an intubirten und tracheotomirten Thieren (vornehmlich Eidechsen) in Abrede. Auch das Fehlen dieser Erscheinung würde seine Ansicht stützen. Alle diese Ergebnisse sind nun mit derselben Methode gewonnen wor- den. Die Thiere wurden theils mit einer Kopfkappe versehen, theils intubirt oder tracheotomirt, und die Canüle mit einer Marey’schen Trommel in Verbindung gebracht. Der Hebel des Apparates schrieb also Exspiration nach oben, Inspiration nach unten, und aus den auf diese Weise gewonnenen Curven wurden Schlüsse auf die Form, den Rhythmus und die zeitlichen Verhältnisse der Athmung gezogen. Diese Methode, so einfach und sicher sie auch erscheinen mag, ist ‘ E!/Siefert, Ueber die Athmung der Reptilien und Vögel. Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXIV. — Daselbst genaue Litteraturangabe. 22.0. 187847, ® A.2.0. 8.339 u. 348. ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. al doch in hohem Grade unzweckmässig. Die Marey’sche Trommel ist ein Apparat, welcher sich vor allem für die graphische Darstellung zeitlicher Verhältnisse von Bewezungserscheinungen, und innerhalb gewisser Grenzen auch absoluter Druckwerte eignet. Reine Volumsbestimmungen oder Ver- zeichnung von Bewegungsformen — namentlich wenn letztere mit gewisser Geschwindigkeit vor sich gehen, lassen sich aber niemals mit dieser Vor- richtung graphisch festhalten. Denn der auf der Gummimembran ruhende Schreibhebel verzeichnet stets die aus dem Volumen der Form und der Geschwindigkeit der Bewegung (Druckände- rung in der Trommel) resultirende Lageveränderung der Mem- bran. Dazu kommt noch die Elastieität der letzteren, also ihr Bestreben, stets eine bestimmte, nämlich ihre Ruhelage einzunehmen. Und diesem Bestreben kann eine solche Membran um so leichter folgen, je grösser die Lufträume sind, welche ihr vorgeschaltet werden. Da nun die Athem- volumschwankungen ziemlich rasch vor sich gehen, da ferner die Ursachen derselben ebenso rasch sich vollziehende Druckschwankungen im Thorax des Thieres sind, und da das Lungenvolumen und vor allem die Leitungsröhren einen relativ grossen Luftraum repräsentiren, so gestatten Aufzeichnungen des Hebels in unserem Falle keineswegs, Schlüsse auf die Form und die zeit- lichen Verhältnisse der Athmung zu machen, da durch rasche Druckschwankungen und durch die Elastieität der Membran eine starke Verunstaltung der Curven zu erwarten ist. Von diesen Erwägungen ausgehend habe ich mir nach dem Vorgange von Panum! einen Apparat construirt, welcher allen eben ge- nannten Fehlern nicht unterliegt. Er besteht aus einem cylindrischen Mantel aus Zinkblech (Fig. 1) von 100” Höhe und 50 "= Durch- messer, welcher auf einer Grundplatte dicht angelöthet ist. Diese Platte ist im Centrum des unteren Mantelrandes durchbohrt, und in die Bohrung ist mit seinem oberen Rand unter dem oberen Mantelrande endend, unten etwa Fig. 1. 20 "m vorstehend ein 15"m weites Rohr aus Zinkblech eingefügt. Zwischen Mantel und Rohr frei beweglich ist eine 100» hohe, oben geschlossene Glocke von 44 "m Durchmesser aufgehängt. Am oberen Mantelrande bewegt sich diese Glocke zwischen drei zu ihrer ı P.L. Panum, Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen compri- wirter Luft. Pflüger’s Archiv. Bd.]I. S. 150. 32 Rıcmarp Hans Kann: Axe senkrecht gestellten Metallstiftehen zur Verminderung der geringen capillaren Kraft, welche beim Abschlusse des Raumes (7) mit Wasser sich störend bemerkbar machen könnte. Sie hängt an einem Seidenfaden, der über eine grosse, sehr leicht laufende, hölzerne Rolle von 90 mm Durch- messer läuft und an einem einarmigen Strohhebel angreift, welcher in gering vergrössertem Maassstabe die Bewegung auf die berusste Trommel überträgt. An dem Angrifispunkte des Fadens an dem Hebel hängen auch die Gewichte, welche zur Aequilibrirung der Glocke nöthig sind. Die Rei- bung derselben im Wasser, sowie die Veränderlichkeit des Auftriebes er- reichen kaum bemerkbare Werte, da als Material dünnes ungeleimtes Papier verwendet ist, das zur Verminderung der Wasseradhäsion und zur Er- zielung genügender Steifigkeit mit Paraffin eingelassen wurde, und weil die Grössenveränderungen des in das Wasser tauchenden Theiles ungemein ge- ring sind. Mit diesem Pneumatographen ist also die Möglichkeit ge- geben. die Form, das Volumen, die Frequenz, den Rhythmus und eventuell auch innerhalb bestimmter Grenzen die Athemlage graphisch zu verzeichnen. Das Thier, welches mit einer Kopfkappe oder Trachealcanüle versehen war, wurde mittels eines T-Rohres durch möglichst weite und kurze Röhren (15 bis 20 m” weit) mit dem unteren Rohransatz des Pneumatographen verbunden. Der freie Schenkel des T-kohres stand in Verbindung mit einer Marey’schen Trommel, und durch rasch wirkende Klemmvorrich- tungen konnte in der Verwendung beider Apparate abgewechselt werden. Sämmtliche Curven sind von links nach rechts, die Richtungen des Hebelausschlages des Pneumatographen in entgegengesetztem Sinne zu lesen wie bei der Marey’schen Trommel. Eigene Untersuchungen. Meine Untersuchungen beziehen sich auf je einen Vertreter der drei erossen Gruppen der Reptilien, nämlich auf Lacerta viridis, Tropido- notus natrix und Emys europaea, und zwar in den Monaten April, Mai, Juni und Juli. Bezüglich jener Details der Athembewegungen des Körpers, welche der directen äusseren Inspection des im Käfig ruhenden Thieres zugänglich sind, lässt sich Folgendes hervorheben. Bei der Eidechse erfolgt, wie Siefert ganz richtig beschreibt, „eine Einziehung, am stärksten am Brustkorb, viel schwächer und oft nur einer fibrillären Zuckung ähnlich am Boden der Mundhöhle bemerklich, der ebenso plötzlich eine kräftige Hervorwölbung folgt, die ihrerseits sofort wieder einer schwächeren Einwärtsbewegung Platz macht. Dann folgt eine Pause von mehreren Secunden — unter ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN, 33 Umständen kann die Zeit der Athemruhe sich auch erheblich reduciren, beziehungsweise beträchtlich verlängern — worauf dasselbe rhythmische Spiel von Neuem beginnt.“! Etwas anders verhält sich die Ringel- natter. Hier sind die Athembewegungen an der Diekenänderung jenes Theiles des Körpers kenntlich, welcher für die Respiration in Betracht kommt, nämlich des Abschnittes zwischen dem Herzen und dem oberen bis mittleren Drittel der Leber. Nachdem das Thier mitunter viele Minuten lang regungslos gelegen ist, beginnt eine als Exspirationsbewegung zu deutende Verminderung des Umfanges des genannten Theiles, welche so bedeutend werden kann, dass sich die Haut darüber in Längsfalten legt. Daran schliesst sich wieder eine starke Thoraxbewegung in entgegengesetztem Sinne (Inspiration), welche wiederum — aber nicht immer — mit einer kleinen Schwankung in exspiratorischem Sinne abschliesst. Bei ruhig im Käfig liegendem Thiere scheint die Dicke des Thorax nach Beendigung dieser Athemphasen ziemlich dieselbe zu sein wie vorher. Nun folgt wieder eine kürzere oder längere Pause, worauf sich die Dickenveränderungen wiederholen, u.s.f£ An der ruhig mit eingezogenen Extremitäten liegenden Schildkröte verräth sich die Athmung nur durch kleine, von aussen nicht näher zu deutende Bewegungen des Kopfes und der Beine. Nimmt man die Thiere zum Zwecke genauerer Unteruschung aus ihrem Käfig heraus, so reagirt die Athmung bei Eidechsen und Ringel- nattern reflectorisch in nicht erheblicher Weise. Die Eidechsen athmen gewöhnlich ruhig weiter, die Nattern zeigen manchmal bald vorübergehenden Athemstillstand. Die Schildkröte verschwindet vollständig in ihrem Gehäuse, so dass sich nichts Näheres über ihre Athembewegungen aussagen lässt. Stülpt man nun einer Eidechse eine Kopfkappe über, z. B. einen Gummischlauch, welcher nicht zu stark spannt, so reagirt das Thier fast aus- nahmslos mit sofortiger Einstellung sämmtlicher Athembewegungen, und liegt ziemlich ruhig minutenlang ohne zu athmen. Verbindet man nun die Kopfkappe mittels einer Schlauchleitung mit einer Marey’schen Trommel, so macht der Hebel nach längerem Stillstand allmählich immer grösser werdende Excursionen, bis nach einiger Zeit eine constant grosse und geformte Curve entsteht. Zugleich sind die Thoraxbewegungen wieder aufgetreten und zeigen dieselben Erscheinungen, wie beim frei ruhenden Thiere, gewöhnlich in etwas kräftigerer Weise. Die Ursache dieser letzteren Erscheinung dürfte der durch die Schlauchleitung vergrösserte Widerstand für die Bewegung der Athemluft bilden. Die Curven, welche ich auf diese Weise erhalten habe, stimmen mit den von den Autoren angegebenen und zuletzt von Siefert dargestellten überein. 2 A.2.0. 3. 335; Archiv f. A, u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 3 34 Rıcnarnp Hans Kann: Der Hebel erhebt sich aus einer Ruhelage in exspiratorischem Sinne (Fig. 2), geht ohne Pause in rasche inspiratorische Bewegung über, über- schreitet die Ruhelage erheblich und kehrt abermals ohne Pause zu ihr zurück. Die einzelnen Pausen liegen fast genau auf einer geraden Linie, welche mehr oder weniger weit von den Gipfeln der Inspiration ent- fernt ist (Siefert). Jedoch kann aus mir nicht bekannten Gründen die HM AA AL AH : RAU Fig. 2. vom Inspirationsgipfel bis zur Ruhelage reichende Zacke der Curve ganz oder fast ganz verschwinden (Fig. 3), so dass dadurch scheinbar ein zwei- phasiger Athemtypus vorhanden ist, wie er von Bert, Regnard und Blanchard für die Schlangen als meistens vorherrschend (von Siefert bestätigt), von Bert für den Caiman und von Langendorff für die Blindschleiche als regelmässig angegeben wurde.! Fig. 3. In diesem Falle kehrt häufig der Schreibhebel nach der Inspiration in langsamer, die ganze Pause ausfüllender Bewegung um ein Geringes in exspiratorischem Sinne zurück, wobei die Punkte des durch raschere Be- wegung markirten Exspirationsbeginnes wiederum fast genau auf einer geraden Linie liegen (Fig. 3). Betrachtet man aber den Thorax des Thieres von aussen, so sieht man doch den oben beschriebenen dreitheiligen Athem- typus. Verbindet man nun die Eidechse mittels der Kopfkappe durch kurze weite Leitungsröhren mit dem Pneumatographen, so erhält man eine ganz andere Form des Luftwechsels (Fig. 4). ! Genaue Citate bei Siefert. ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 35 Der Schreibhebel, welcher wieder entsprechend der reflectorischen Ath- mungseinstellung einige Zeit in Ruhe verharrt ist, beginnt immer grösser werdende, schliesslich eine constante Grösse erreichende Excursionen. Aber es fehlt der dritte Theil der Bewegung des Hebels der Marey’- schen Trommel, trotzdem der dritte Theil der Thoraxbewegung vorhanden ist. Dieser Unterschied der beiden Curvenformen ist constant und zeigt niemals eine Ausnahme. Die Reihenfolge der Hebelbewegungen ist also: Exspiration — Inspiration — Pause — Exspiration — Inspiration — Pause. WORTEN Fig. 4. Es ergiebt sich zunächst die Frage, worin denn dieser wichtige Unter- schied in der Aufzeichnung der beiden Apparate begründet sei. Ich habe bereits in der Einleitung erörtert, warum die Marey’sche Trommel zur reinen graphischen Darstellung der Athemform ungeeignet ist. Aber auch der Einwand, der Pneumatograph bringe durch zu grosse Trägheit, Reibung oder sonstige mechanische Fehler einen dritten exspiratorischen Theil des Luftwechsels nicht zum Ausdruck, wird durch das oben über diesen Apparat Gesagte hinfällig. Sonach muss als feststehend gelten, dass der Luft- wechsel bei der Eidechse in zwei Phasen vor sich geht, und dass zwischen je einer inspiratorischen und einer exspiratorischen Luftströmung eine Pause liegt. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Inspection des Thorax in der Regel eine dreitheilige Bewegung erkennen lässt. Wie ist nun diese Drei- phasigkeit der Thoraxbewegung mit der Zweiphasigkeit des Luftwechsels in Einklang zu bringen? Bei der Beantwortung dieser Frage gelangen wir nun auf das viel umstrittene Gebiet der Glottisbewegungen. Es ist bekannt und von allen Autoren bestätigt, dass die Glottis während des Luftwechsels offen steht und während der Pausen geschlossen ist. Bezüglich der Festigkeit dieses Verschlusses sagt Siefert: „Wie immer dieser Verschluss der Athem- spalte auch bedingt sein mag‘‘ (bezieht sich auf die Ansichten der früheren Autoren über die Mechanik des Glottisschlusses), „soviel ist sicher, dass er sehr fest und widerstandsfähig ist. Comprimirt man bei einem Thier, welches in längeren Pausen athmet, den Thorax während eines solchen Ruhestadiums möglichst kräftig, so gelingt es nur ganz ausnahmsweise, und g* 36 Rıc#arpd Hans Kann: ° vielleicht auch hier nur in Folge schon eingetretener spontaner Eröffnung des Kehlkopfeinganges, den Widerstand zu überwinden.“! Diese Thatsache kann ich nur bestätigen. Bindet man in den kopfwärts gelegenen Theil der Trachea eine Canüle ein und bläst gegen die geschlossene Glottis, so bedarf es eines ganz bedeutenden Druckes, um den Verschluss zu sprengen. Es wäre also denkbar, dass durch Schluss der Athemspalte jeder weiteren Luftbewegung im Athmungsrohre in bestimmtem Augenblicke eine Grenze gesetzt würde. Dies ist ja schon die von älteren Autoren (P. Bert, Heine- mann) vertretene, von Siefert entschieden bestrittene Ansicht von der Selbstaufblähung des Thieres mit Luft. | Dass eine solche bei den Eidechsen überhaupt vorkommt, ist wohl ganz unbestreitbar und lässt sich auch mit dem Bau der Athmungsorgane in Einklang bringen. Bekanntlich bilden die Lungen dieser Thiere weite Säcke, deren unterer Abschnitt nicht im Brust-, sondern zu beiden Seiten und hinter der Leber im oberen Bauchraume liegt und zwar um so tiefer, je mehr die Lungen mit Luft gefüllt sind. Die Wand dieser Säcke ist reichlich mit glatter Musculatur und elastischen Fasern ausgestattet. Dieser untere Abschnitt des Lungensackes dient gewiss nicht nur der Athmung, sondern auch der Aufblähung des Thieres. Ein gutes Beispiel einer solchen lässt sich folgendermassen zeigen. Bindet man einer Eidechse die Beine paar- weise an einander, so dass die Bewegungen der Extremitäten fast gänzlich behindert sind, und wirft sie in ein Gefäss mit Wasser, so schwimmt das Thier auch ohne sich im Geringsten zu bewegen, ja es liegt sogar mit dem oberen Körperabschnitt theilweise auf dem Wasser. Sieht man näher zu, so findet man, dass der untere Brust- und der obere Bauchtheil mächtig hervorgewölbt ist. Fasst man das Thier seitlich an, so fühlt man die pralle Spannung der oberen Bauchdecken, und drückt man unter starkem Zu- sammenpressen des Körpers den Kopf unter Wasser, so gelingt es manch- mal grössere (Quantitäten von Luft auszupressen. Die Lungensäcke und zwar besonders ihr unterer Abschnitt sind mit Luft gefüllt und gedehnt, und in diesem Zustande können sie nur erhalten werden, wenn die Glottis den Ausweg für die Luft fest verschliesst. Nach vollendeter Inspiration kann sich nun der Thorax in geringerem Maasse passiv oder in grösserem activ exspiratorisch bewegen. Und in der That verläuft die letzte Thorax- bewegung vor der Athmungseinstellung im Wasser gewöhnlich in exspira- torischem Sinne. Dadurch wird nun eine gewisse Luftmenge aus dem oberen Theil der Lungen in das Reservoir gedrückt, dessen Wand vermöge ihrer grossen Dehnbarkeit leicht nachgiebt. Aus dieser letzteren Erschei- nung erkläre ich mir nun die oben erwähnte Differenz zwischen den in der 1A 2.10:U8.:343: ZUR LEHRE VON DER ÄATHMUNG DER REPTILIEN. 37 Regel dreitheilig verlaufenden Thoraxbewegungen und der Zweitheiligkeit der Luftbewegung im Athemrohre Trotzdem also erstere dreitheilig ver- laufen, ist dennoch der Luftwechsel bei ruhiger Athmung ein zweitheiliger, denn der Schluss der Athemspalte verhindert den dritten Theil der Thorax- bewegungen daran, Luft durch die Trachea zu schicken. Diese Bewegung kann aber, wie oben erwähnt, verwendet werden, um die Luft in den Lungen- säcken zu vertheilen, und dies wird in verschiedener Weise vor sich gehen, je nachdem der Glottisschluss an das Ende oder vor das Ende der In- spiration fällt. Von dieser Verschiedenheit soll später noch die Rede sein. Nun wenden wir uns zu der Frage nach dem Verhältnis der Thorax- lage während der Athemruhe zur Gleichgewichtslage des Thorax. Siefert vertritt gegenüber den älteren Autoren die Ansicht, dass der Thorax sich während der Athempause in seiner elastischen Gleichgewichtslage (Cadaver- stellung) befinde. Zunächst erhebt er gegenüber der Ansicht von der in- spiratorischen Aufblähung folgenden Einwand. Durch Ausschaltung des Kehlkopfes durch Intubation desselben, oder durch Tracheotomie wird bei Verzeiehnung der Athembewegungen mittels einer Marey’schen Trommel die typische Form der Öurven nicht im Mindesten geändert. ‚‚Dies könnte offenbar nicht der Fall sein, und müssten von den normalen wesentlich verschiedene Respirationseurven entstehen, wenn die Theorie von P. Bert“ (inspiratorische Aufblähung) „richtig wäre.“! Ich habe diese Versuche sorg- fältig nachgeprüft und kann die von Siefert angegebene Thatsache bestätigen. Fig.‘5. - Fig. 5 stellt eine Curve dar, welche mittels der Marey’schen Trommel von einer tracheotomirten Eidechse gewonnen wurde. Abgesehen von der Dauer der Pause, der Grösse des Hebelausschlages und einer noch zu be- sprechenden periodisch wiederkehrenden Athembewegung unterscheidet sich der Typus der Curve in Nichts von dem in Fig. 2 dargestellten. Aber ‚diese Uebereinstimmung ist durch einen mechanischen Fehler bedingt, durch die oben erwähnte Unzulänglichkeit des. angewendeten Registrirapparates. Stellt man die Athmung der tracheotomirten Eidechse mittels des Pneumatographen dar, so ergiebt sich constant eine ausgesprochene Aenderung der Curvenform. 2’ A.2. 0. 8.847. 38 Rıcmarnp Hans Kann: Die der Athempause entsprechende horizontale Linie (Fig. 6) befindet sich nieht mehr am Ende der Inspiration, sondern ist in exspiratorischer Richtung verschoben. Es findet sich in diesen Curven über der Pausen- linie eine constante Zacke verschieden stark ausgeprägt, deren absteigender Schenkel eine exspiratorische Luftströmung anzeigt. Beim tracheotomirten Thiere bewirkt also die geringe, exspiratorisch verlaufende dritte Phase der Thoraxbewegung keine Vertheilung der Luft im Lungensack, sondern eine Fig. 6. Bewegung des Pneumatographenhebels in exspiratorischem Sinne. Die Grösse dieser Bewegung hängt sichtlich ab von der Grösse der von Aussen zu beobachtenden Thoraxbewegung, und diese wiederum scheint in dem Maasse zuzunehmen, als die angewendete Art der Luftleitung und Be- festigung das Thier zu reflectorischen Bewegungen reizt. Daher ist die über der Pausenlinie liegende Zacke besonders stark ausgeprägt bei der In- tubation der Athemspalte (Fig. 7), einer Methode, welche die Eidechsen, in noch viel höherem Maasse aber andere Rep- Fig. 7. tilienarten zu Bewegungsreflexen ver- anlasst, und welcher ich deshalb in dem Bestreben, den normalen Athemtypus möglichst zur Anschauung zu bringen, stets die Tracheotomie vorgezogen habe. Aus diesen Auseinandersetzungen ergiebt sich also mit Sicherheit, dass der Verschluss der Athemspalte auf die Luftströmung zu und von den Lungensäcken eine regulirende Wirkung ausübt. Vergleicht man nun die mit der Kopfkappe gewonnenen mit den durch Tracheotomie erzielten Curven des Luftwechsels, so zeigen die ersteren zwei, die letzteren drei Phasen. Die Ursache dieses Unterschiedes ist, wie schon erörtert, die Einwirkung des Glottisschlusses. Bezüglich der zeitlichen Ver- hältnisse des letzteren sind zwei Möglichkeiten vorhanden. Zunächst kann sich die Athemspalte in dem Augenblicke schliessen, in welchem die In- spiration (zweite Phase der Thoraxbewegung und des Luftwechsels) ihr Ende erreicht hat. Die dritte Phase der Thoraxbewegung wäre dann wahrscheinlich eine active Exspirationsbewegung und würde die Luft in den Lungensäcken derartig vertheilen, dass sie aus dem oberen Theil in den unteren hinein- gepresst würde. Der Glottisschluss könnte aber auch vor die Beendigung Zur LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 39 der Inspiration fallen. Dann würde der ihm folgende restliche Theil der Inspiration den oberen Theil der Lungen ausdehnen und Luft aus dem unteren Abschnitt ansaugen. Zuletzt würde durch passive eventuell auch active Exspiration wieder das Reservoir gefüllt. Ich kann nicht sicher ent- scheiden, welche von beiden Möglichkeiten realisirt ist. Ich will nur noch eine Beobachtung anführen, welche für das thatsächliche Vorkommen einer passiven Lungendehnung durch vergebliche Inspiration bei geschlossener Glottis spricht. Eidechsen, welche durch die Kopfkappe in den Pneumato- sraphen athmeten, sah ich oft ganze Gruppen von Respirationsbewegungen machen, ohne dass der Hebel des Apparates den geringsten Luftwechsel angezeigt hätte. Es war offenbar die Glottis geschlossen, und die Thorax- bewegungen wurden zur Verteilung der Luft in den Lungensäcken ver- wendet. Ob dieser Vorgang auch beim freilebenden Tbiere vorkommt, ist wohl schwer zu entscheiden. Wie schon erwähnt, stellt Siefert als Stütze seiner Anschauung, die Thoraxlage während der Athempause entspreche der Gleichgewichtslage des Thorax, zunächst die mit seiner Methode gewonnene Thatsache auf, dass die exspiratorische Anfangserhebung stets in derselben Höhe einsetzt, so dass die Verbindungslinie dieser Punkte in allen Fällen eine Gerade ist. ! Die Nachprüfung ergiebt, wie bereits oben auseinandergesetzt wurde, ein übereinstimmendes Resultat. Aber die Marey’sche Trommel ist auch für diese Untersuchung unzulänglich. Der Pneumatograph zeigt nicht zu selten eine — bei der Eidechse stets in inspiratorischem Sinne — verschobene Pausenlinie (Fig. 4 bei a, Fig. 11 bei a). Diese 'Thatsache macht es schon wahrscheinlich, dass die Thoraxlage während der Pause nicht der Gleich- gewichtslage des Thorax entspricht. Als besonders wichtigen Beweis für die Kichtigkeit seiner Anschauung führt nun Siefert an: „Man präparirt bei einer Eidechse, deren Luftwege durch eine Trachealcanüle oder Athemkappe mit dem Registrirapparat“ (Marey’sche Trommel) „in Verbindung steht, die Musculatur des Nackens ab und führt nach Blosslegung der Wirbelsäule unter die letztere die schmale Branche einer Scheere“ ... „Mag die Rückenmarksdurchtrennung ım Augenblicke einer ex- oder inspiratorischen Thoraxbewegung erfolgen, mag der Hebel sich in diesem Momente ober- oder unterhalb der Ruhe- linie befinden, immer steigt oder fällt er sofort zum Niveau derselben und zeichnet auch weiterhin eine Linie, die die directe Verlängerung der voraus- gegangenen respiratorischen Ruhepause darstellt.“ ? Dieser Versuch beweist vor Allem, wie sehr das Resultat der Unter- suchungen Siefert’s unter seinem unzulänglichen Registrirapparat gelitten UA, 2.0. S. 339. 2 A.2. 0. 8.348. 40 RıcuArp Hans Kann: hat. Im Augenblick der Rückenmarksdurchschneidung nahm die Membran der Marey’schen Trommel offenbar die ihrem elastischen Gleichgewichts- zustand entsprechende Lage an, indem sie ihre frühere aus einer Com- bination von Druck- und Volumschwankung bedingte Lage zu behaupten, in Folge Aufhörens der Wirkung dieser Factoren nicht mehr gezwungen war. Denn wenn ich den angegebenen Versuch an einem durch die Kopfkappe mit dem Pneumatographen verbun- denen Thiere anstellte, dann sank der Hebel im Momente der Durchschnei- dung (Fig. 8 *a) entweder gar nicht, Fig. 8. oder nur in sehr geringem Maasse, um nach einiger Zeit (Fig. 8 5, c) aber- mals zu sinken und derartig stufenweise ein Niveau einzunehmen, welches meist, noch unter den Gipfeln der Exspiration gelegen war. Daraus geht hervor, dass die, wie man sich auch durch Inspection überzeugen kann, während der Rückenmarksection geschlossene Athemspalte nur bei ihrer rhythmischen Oeffnung der Luft den Ausweg gestattet (Fig. 85, c), und dass die Cadaverstellung des Thorax mindestens mit der Thorax- lage bei tiefster Exspiration übereinstimmt. Fig. 9. In seltenen Fällen öffnete sich die Athemspalte bei der Rückenmarksection und blieb offen stehen. Ein derartig gewonnenes Curvenbeispiel zeigt Fig. 9. Fig. 10. Stellte ich denselben Versuch am tracheotomirten Thier an, dann sank der Hebel der offenen Communication entsprechend sogleich in exspiratori- schem Sinne (Fig. 10 *a). (Von den Zacken bei 5 in Fig. 10 soll weiter unten die Rede sein.) Durch all’ diese angeführten Thatsachen scheint mir nun Folgendes er- wiesen zu sein: ‘Der respiratorische Luftwechsel der Eidechsen ZuR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 41 erfolgt in zwei Phasen, von denen die erste für gewöhnlich activ inspiratorisch, die zweite passiv exspiratorisch erfolgt. Diese beiden Phasen sind von einander durch eine inspiratorische Pause getrennt, während deren Dauer der Thorax durch den Verschluss der Athemspalte inspiratorisch gebläht erhalten wird. Die Cadaverstellung des Thorax liegt an oder noch etwas unter den Gipfeln der Exspiration. nA ANTENNEN UDO ON od eX m Fig. 11. Fig. 12. Das Volumen der Respirationsluft betrug im Mittel 2 bis 3 «m. Be- züglich der Frequenz Genaueres anzugeben, ist, wie Siefert richtig bemerkt, kaum möglich. Fig. 13. Schliesslich sei noch angeführt, dass die Eidechsen häufig bei ruhiger, noch häufiger, ja fast constant bei erregter Athmung zu periodischer Wieder- kehr bestimmter Thoraxbewegungen durch längere Zeit geneigt sind. Solche Erscheinungen zeigen Fig. 11 bei a (Kopfkappe, Pneumatograph), Fig. 12 bei a (Kopfkappe, Marey’sche Trommel), Fig. 13 bei a (Kopfkappe, Intubation, Pneumatograph), und Fig. 5 bei a (Trachealcanüle, Marey’sche Trommel). Yan UV VINV MV \ ext . Fig. 14. Fig. 15. Sehr selten ist ein Athemtypus, wie ihn Fig. 14 (Kopfkappe, Intubation, Pneumatograph) zeigt. Fig. 15 ist ein Beispiel für das Ausbleiben der durch die dritte Phase der Thoraxbewegung verursachten Zacken über der Pausen- linie (Fig. 6) beim tracheotomirten Thier. In solchen Fällen verschwindet auch die dritte Phase der Thoraxbewegung. 42 Rıcnarp Hans Kann: Wir wenden uns nun zu einem Vertreter der Ophidiergruppe der Reptilien zu der Ringelnatter. Wie bereits oben erwähnt wurde, reagirt die Athmung dieses Thieres beim sanften Herausnehmen desselben aus seinem Käfig nicht in erheblicher Weise. Sofortiger reflectorischer Athem- stillstand wird aber durch Anlegen der Kopfkappe hervorgerufen. Nach- dem die Athmung längere oder kürzere Zeit, mindestens aber einige Minuten in Ruhe verharrt hat, zeigt sich hier niemals jene Erscheinung, welche die reflectorische Athmungseinstellung der Kopfkappe tragenden Eidechse be- endet. Die wiederkehrenden Athemzüge werden hier nicht allmählich grösser, sondern setzen plötzlich ungemein kräftig ein. Schon bei blosser äusserer Besichtigung bemerkt man enorme Schwankungen in der Dicke des Mittel- thieres, welche die bei ruhiger Respiration stattfindenden Volumsänderungen bedeutend übertreffen. Schliesslich werden die Thoraxbewegungen ruhiger, die Dickenschwankungen gleichmässiger und die mit der Kopfkappe ver- bundene Marey’sche Trommel schreibt eine Curve (Fig. 16 unten), welche denselben Typus zeigt wie die in Fig. 2 mitgetheilte Curve der ruhigen Eidechsenathmuug. Diese Uebereinstimmung wurde schon von früheren Autoren. gefunden und von Siefert bestätigt. Jedoch ist bei Schlangen, wie besonders Bert und Siefert erwähnen, die Grösse des zwischen der Pausenlinie und den Gipfeln der Inspiration liegenden Theiles der Curve äusserst variabel und kann sehr häufig ganz fehlen (Fig. 16 bei a, Fig. 17). Fig. 16. Nicht in allen Fällen liegen die Pausenlinien beziehungsweise die Punkte, von denen die erste Exspirationsbewegung ausgeht, genau in einer Geraden. Fig. 18 zeigt z. B. eine mit Marey’scher Trommel aufgenom- mene Curve bei welcher die Pause bei a wesentlich in exspiratorischem Sinne verschoben erscheint. Setzt man aber die Kopfkappe mit dem Pneumato- graphen in Verbindung, so ist wiederum das Curvenbild ein ganz anderes. ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 43 Niemals findet sich in inspiratorischer Richtung über den Pausenlinien eine Zacke (Fig. 16 oben). Es wurde erwähnt, dass durch Klemmvorrichtungen ein rascher Wechsel zwischen den beiden Registrir- apparaten möglich war. Auch in den Fällen, in welchen die Marey’sche Trommel eine dreitheilige Curve verzeichnete (Fig. 16 unten), erschien immer die eben geschriebene Curve (Fig. 16 oben) nach der Einschaltung des Pneumatographen, und man darf wohl kaum annehmen, dass sich in den wenigen Secunden, welche der Apparatwechsel dauerte, eine so eingreifende Aenderung der Athemform constant vollzogen hätte. Fig. 18. Wir haben also eine vollständige Uebereinstimmung dieser Form des Luftwechsels mit dem der Eidechse (Fig. 3), nur ist die Tiefe der inspira- torischen Pause äusserst variabel. Ist das Thier unruhig oder wird es von der Kopfkappe oder gar durch Intubation der Athemspalte zu sehr belästigt, dann kommen jene enormen Schwankungen im Rhythmus und in der Respirationstiefe zu Stande, wie sie schon oben als Vorläufer der ruhigen Athmung nach dem reflectorischen Athemstillstand erwähnt wurden, und durch diese wechselt die Thoraxlage der Athempausen innerhalb weiter, bis zu 15 «= und mehr aus einander 44 Rıcnarno Hans Kann: liegender Grenzen (Figg. 19 u. 20). (Die unregelmässigen Wellenlinien in Fig. 20 bei a sind mechanische Fehler, hervorgerufen durch Erzittern des Arbeitstisches.) Diese Schwankungen in der Höhe der Pausenlinie sprechen wohl auch bei diesem Thiere sehr gegen die Annahme einer während der Pause be- stehenden Ruhelage des Thorax. Fig. 20. 4 Auch der anatomische Bau der Schlangenlunge ist in noch viel höherem Maasse als der der Eidechse zur Selbstaufblähung des Thieres geeignet. Der untere, weit in den Bauchraum reichende Theil des Lungensackes weist einen von dem oberen Theile durchaus verschiedenen Bau auf. Während bei letzterem die Wand für den möglichst innigen Contact des Blutes mit der Athemluft auf grosser Oberfläche durch Stränge von Bindegewebe, glatter Musculatur und nicht zu reichlichen elastischen Fasern in zahl- reiche Kammern getheilt ist, zeigt der untere bei starker Aufblasung grössere Abschnitt den Bau eines Luftreservoirs. Das Kammersystem ver- schwindet immer mehr, die Gefässversorgung und die Menge der glatten Muskelfasern wird geringer, und die Zahl der elastischen Fasern nimmt zu. Schliesslich ist die Wand des untersten Theiles nichts Anderes als eine recht spärlich vascularisirte, beiderseits mit Epithel bedeckte, reich mit elastischen Fasernetzen durchzogene Bindegewebsmembran. Die Ausschaltung der Athemspalte durch Intubation führt zu so grosser Unruhe des Thieres und zu so unregelmässiger Athmung, dass sie als Methode wohl ganz zu verwerfen ist. Etwas besser anwendbar ist die Tracheotomie, obgleich sich stets die Erregung auch hier mindestens durch verstärkte Tiefe der Respirationsbewegungen geltend macht. Bei Verbin- dung der Trachealcanüle mit der Marey’schen Trommel zeigt sich etwa derselbe Typus wie bei ruhiger Athmung durch die Kopfkappe (Fig. 16 ZUR LEHRE VON DER ÄTHMUNG DER REPTILIEN. 45 unten), nur entspricht dem Erregungszustande grosse Tiefe und Schnelligkeit der Respirationsbewegungen. Die Combination ersterer mit den durch letztere erzeugten raschen Druckschwankungen lässt dann Curven entstehen, für welche Fig. 21 ein Beispiel ist. (Die horizontalen Linien an der Inspirations- seite sind durch mechanische Fehler, und zwar Anschlagen des Hebels an den Trommelrand hervorgerufen. Die Hebelspitze wäre unbehindert gewiss noch um 3 © gesunken.) Der Pneumatograph registrirt constant eine dreitheilige ungemein starke Respiration (Fig. 22). Da jedoch, wie schon erwähnt, die Unruhe der tracheotomirten Schlange gross ist, und sich in heftigen Körperbewegungen Fig. 21. Fig. 22. und sehr tiefer unruhiger Athmung äussert, ist wohl auch anzunehmen, dass die Athemform eine abnorme ist, und ich glaube, dass aus so ge- wonnenen Curven Schlüsse auf die normale Athmung nicht gezogen werden können. Ich habe dieses Curvenbeispiel (Fig. 22) nur deshalb angeführt, um zu zeigen, dass zwischen ihm und dem in Fig. 16 oben Mitgetheilten ein principieller Unterschied besteht. Endlich sprieht auch der Erfolg der Rückenmarksdurchschneidung bei diesem Thiere gegen die oben erwähnte Annahme Siefert’s. Ebenso wie bei der Eidechse (vgl. Fig. 8) sinkt der Schreibhebel absatzweise bei jeder Glottisöffnung herab, bis er unter dem Niveau der Exspirationsgipfel zu Ruhe kommt. (Fig. 23 bei a Rückenmarksdurch- schneidung, bei 5 und c Glottisöffnung; im weiteren Verlaufe sank der Hebel stufenweise weiter, bis er nach einer Trommelumdrehung in der Höhe der Linie d zur Ruhe kam.) 46 Rıcnarp Hans Kann: Bei der Ringelnatter gilt also bezüglich der Form des Luftwechsels dasselbe, was oben für die Eidechse auseinandergesetzt wurde. Das Volumen der Respirationsluft betrug bei ruhiger Athmung im Mittel 2 bis 4 “m, stieg aber bei Unruhe des Thieres bis zu 15 m und darüber. Bezüglich der Frequenz lassen sich kaum mittlere Werthe angeben. Fig. 23. Schliesslich habe ich noch über Beobachtungen an einem Vertreter der Chelonier, nämlich an Emys europaea, zu berichten. Versieht man die Schildkröte mit einer Kopfkappe, so tritt sofort reflectorischer Athem- stillstand ein. Dieser ist gewöhnlich von ungemein langer Dauer, und es vergehen manchmal 15 bis 20 Minuten, oft auch noch längere Zeit, bis die Athmung wieder einsetzt. Während in diesem Stadium bei Eidechsen die Athmung allmählich an Tiefe zunimmt, bei Schlangen besondere Unregel- mässigkeiten in der Respirationstiefe eintreten, stellt sich das Wiedererwachen der Athmung bei der Schildkröte, wie schon von Siefert bemerkt, unter dem Bilde der neben der Tiefe enorm gesteigerten Frequenz dar. Die Pausen- linien verschwinden vollständig, und der Hebel „sinkt gar nicht mehr in die Ruhelage zurück“. (Siefert, Marey’sche Trommel.) Erst nach langer Zeit und nicht bei allen Thieren stellt sich eine ruhigere, mit der normalen vergleichbare Athmung her, welche etwa folgende Curvenbeispiele erläutern sollen. Fig. 24 zeigt einen mittels Kopfkappe und Marey’scher Trommel dargestellten Typus des Luftwechsels, welcher dieselben Phasen unter- scheiden lässt, wie der von der Eidechse (Fig. 2) und von der Ringelnatter (Fig. 16 unten) gewonnene Dagegen ergiebt der Pneumatograph als Registrirapparat eine zweitheilige Curve mit auf der Inspirationsseite liegenden Pausen, über denen in der Regel keine Zacke sichtbar ist (Fig. 25). Dieser Typus ist wiederum derselbe, wie bei anderen Repitlienarten (Figg. 4 u. 16 oben). Bei sehr unruhiger Athmung findet sich, wie schon erwähnt, ein pausenloses Auf- und Niederwandern des Hebels. Hierzu ist aber zu ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 47T bemerken, dass die Pausenlinie vor Beginn und nach Beendigung dieser Athemform in der Höhe der inspiratorischen Gipfel liegt. Bei grosser Un- ruhe des Thieres zeigt sich in sehr seltenen Fällen ein Athemtypus, welcher durch grosse Tiefe, nicht so bedeutende Frequenz wie beim vorigen, und durch eine kleine exspiratorische Senkung des Hebels am Anfang der Pause charakterisirt ist. Stets finden sich bei dieser seltenen Erscheinung ausser- ordentliche Höhenunterschiede in der Pausenlinie. Fig. 24. Wir finden also auch bei der Schildkröte einen zweiphasigen Luft- wechsel mit an der Inspirationsseite liegenden Pausen, wobei die Tiefe der Athemlage in der Ruhe bedeutenden Schwankungen unterliegen kann. Fig. 25. Die Ausschaltung der Athemspalte durch Tracheotomie ergiebt bei Anwendung des Pneumatographen eine, den Erscheinungen bei Eidechsen und Schlangen ganz ähnliche Form des Luftwechsels (Fig. 26). Ueber der Pausenlinie entsteht ein neuer Curventheil, gebildet durch eine exspiratorische Hebelbewegung. Die Frequenz und Tiefe der Respira- tionen nimmt reflectorisch bedeutend zu, so dass es zu einer ausgesprochenen Pause gar nicht kommt. Bei Anwendung der Marey’schen Trommel wird aus oben (Ringelnatter) angegebenen Gründen das Curvenbild verzerrt. 48 RıcHarpd Hans KAHnr: Wird der durch die Kopfkappe in den Pneumatographen athmenden Schildkröte das Rückenmark hoch durchschnitten, so ergeben sich dieselben Erscheinungen wie bei Eidechsen und Schlangen. Der Hebel, welcher längere oder kürzere Zeit nach der Durchschneidung (Fig. 27a) in Ruhe verharrt ist, sinkt stufenweise (b u. s. w.), bis er in vielen Fällen noch unter den Exspirationsgipfeln zu Ruhe kommt. et | | | | i | | | Also ‚auch bei der Schildkröte ändert Glottisausschaltung wesentlich die Form des Luftwechsels, und die Ruhelage der Respirationsorgane liegt auch bei diesem Thiere exspiratorisch von der Lage der Athempause. Bezüglich der Frequenz und Tiefe der Athemzüge lassen sich keine genaueren Werthe angeben. Schliesslich sei erwähnt, dass bei ruhig athmen- den Thieren häufig periodische Wiederkehr gewisser Formen des Luftwechsels vorkommt (Fig. 25 bei a). Fig. 26. Wenn wir also aus vorliegender Untersuchung das den drei untersuchten Thieren Gemeinsame herausheben, so gelangen wir zu folgendem Resultate: 1. Der respiratorische Luftwechsel bei Lacerta viridis, Tro- pidonotus natrix, und Emys europaea erfolgt bei ruhiger Athmung in der Regel in zwei Phasen, nämlich einer inspiratorischen (ersten) und einer exspiratorischen (zweiten). Beide Phasen sind von einander durch eine kürzere oder längere Zeit dauernde Pause getrennt. /uR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REePTiLIEn. 49 2. Während der Athempause befinden sich die Respirations- apparate nicht in ihrer Gleichgewichtslage, sondern sie sind in Folge des Verschlusses der Athemwege durch die Athem- spalte am Ende oder kurz vor dem Ende der Inspiration in in- spiratorischer Lage fixirt. 3. Ausschaltung der Athemspalte bedingt wesentliche Aende- rung in der Form des Luftwechsels Hohe Rückenmarksdurch- sehneidung während der Pause bedingt Rückkehr des Respi- rationsapparates in seine Gleichgewichtslage, und zwar in exspiratorischem Sinne, in dem Maasse als es die Athemspalte gestattet. Die Anwendung der Marey’schen Trommel als Registrirapparat für unsere Untersuchung ist aus technischen Gründen unzulänglich. Zu entscheiden, innerhalb welcher Grenzen das Resultat dieser Unter- suchung auf die von den untersuchten Thieren vertretenen Thiergattungen ausgedehnt werden darf, halte ich mich nicht für berechtigt. Anhang. Langendorff! hat vor längerer Zeit die Beobachtung mitgetheilt, dass der Thorax einer Eidechse nach hoher Rückenmarksdurchschneidung nicht zu Ruhe komme, sondern in veränderter Form und Frequenz Stunden lang rhythmische Athembewegungen zeige. „Auch ohne graphische Hülfsmittel lassen sich diese Bewegungen durch Beobachtung des Brustkorbes leicht erkennen.“ Diese Beobachtung stellt Siefert auf Grund seiner zahlreichen Ver- suche in Abrede. Ich konnte mich ebenfalls niemals von der Fortdauer activer Thoraxbewegungen nach hoher Rückenmarksdurchschneidung über- zeugen. Siefert erklärt die sicher vorhandenen Thoraxexcursionen ganz richtig als passive, hervorgerufen durch die bei eröffnetem Thorax sichtbare rhythmische Aufblähung der Lungen durch die Schluckathmung, und durch ihren Collaps.. Von der Richtigkeit dieser Deutung habe ich mich vielfach überzeugen können, aber mit Siefert’s Begründung seiner Ansicht kann ich mich nicht ganz einverstanden erklären. „Es genügt ein einfacher Schnitt in die Trachea, um die Erscheinung“ (das rhythmische An- und Abschwellen der Lungen) „dauernd zu beseitigen. Ein Röhrchen, das beide Schnittenden verbindet, genügt, um es wieder her- "0. Langendorff, Kleine Mittheilungen zur Athmungslehre. Dies Archiv. 1891. Physiol. Abthlg. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg, 4 56 Rıcmarp Hans Kann: zustellen“ (Siefert!). Gleich darauf aber bedauert Siefert ausser Stande zu sein, die Differenz seiner Anschauung mit der von Langendorff erklären zu können, da letzterer ausdrücklich betont, dass seine Curven von der Trachealcanüle aus aufgezeichnet wurden. In Fig. 10 der vorstehenden Untersuchung ist der Moment graphisch verzeichnet, in welchem das Rückenmark einer tracheotomirten Eidechse hoch durchschnitten wurde. Da sieht man, dass der Hebel, nachdem er in exspiratorischem Sinne gesunken war, durchaus nicht zu Ruhe kam, sondern rhythmische Bewegungen weiter verzeichnete (Fig. 10 bei 5). Diese Bewegungen, welche nicht selten zur Beobachtung gelangen, habe ich durch lange Zeit verfolgt, und habe sie als Bestätigung dessen aufgefasst, was Langendorff angegeben und Siefert bestritten hat. Ich habe mich aber überzeugt, dass dem nicht so ist. Oeffnet man vorsichtig den Thorax des Thieres, so dauern diese rhythmischen Volumschwankungen der Lungen dennoch fort, und der Thorax bleibt in Ruhe. Es sind aber auch nicht passive Aufblähungen und Collapse der Lungen durch Schluckathmung im Sinne Siefert’s, denn das Thier ist tracheotomirt. Vielmehr scheinen es active rhythmische Zusammenziehungen der Lungen und dar- auf folgende passive Ausdehnung derselben durch die gespannten Aufhänge- bänder, deren stärkstes an der unteren Lungenspitze sich ansetzt, zu sein. Die Lungen der Eidechsen enthalten bekanntlich glatte Musculatur in grosser Menge, und dieses Muskelgewebe wird vom Vagus innervirt. Reizt man den peripheren Halsvagusstumpf mit Inductionsströmen, so contrahiren sich die Lungen maximal. Durchschneidet man beide Nervi vagi, so bleibt das eben erwähnte rhythmische Spiel der Lungen aus. Auch die zeitlichen Verhältnisse dieser Contractionen sind recht inter- essant. Fig. 28 stammt von einer Eidechse mit hoch durchschnittenem Rückenmark. Die obere Linie rührt von dem Hebel des Pneumatographen her und zeichnet die geringen eben besprochenen Volumschwankungen der Lungen durch eine Trachealcanüle. Die untere Linie zeichnete der Hebel einer Marey’schen Trommel, welche mit einer zweiten kopfwärts gerichteten Trachealcanüle in Verbindung stand. Es entspricht also jede Erhebung der unteren Linie einer Luftbewegung durch Schlucken und jede Senkung der oberen einer Luftbewegung durch Lungencontraetion. Berücksichtigt man den die Länge der Geraden a—D betragenden Stellungsunterschied beider Hebelspitzen auf der Trommel, so ersieht man, dass immer in dem Augenblick des Beginnes der Luftbewegung durch Schlucken eine Lungencontraction beginnt. Dieses rbythmische Zusammenspiel dauert Stunden lang, kann aber durch doppelseitige Vagusdurchschneidung I7A 22.10:8.:403, ZUR LEHRE VON DER ATHMUNG DER REPTILIEN. 51 sofort sicher gehemmt werden. Dann geht das Luftschlucken weiter, aber die Lungen stehen still. Diese Eigenbewegungen der Lungen als Veranlassung passiver Thorax- bewegungen stellen wahrscheinlich das von Langendorff beschriebene Phänomen dar, und damit dürfte auch die Lücke in den Erwägungen Siefert’s ausgefüllt sein. Noch auf eines möchte ich schliesslich hinweisen. Verbindet man bei der durch eine Trachealcanüle in den Pneumatographen athmenden Eidechse das kopfwärts gewendete Stück der Trachea durch eine zweite Canüle mit einer Marey’schen Trommel, so erhält man mitunter Bilder, für die Fig. 29 ein Beispiel ist. Fig. 29. Berücksichtigt man wieder den a—D betragenden Stellungsunterschied der Hebelspitzen, so findet man, dass der Beginn des Luftstromes vom Kehlkopf her zusammenfällt mit einem Theile der nur beim tracheotomirten Thier als Luftbewegung in Erscheinung tretenden dritten Phase der Thorax- 4* 52 RıcHmarp Hans Kann: ZUR LEHRE VON D. ATHMUNG D. REPTILIEN. bewegung. Diese Phase kommt, wie am Anfang der vorstehenden Unter- suchung gezeigt wurde, beim normal athmenden Thiere in Folge des Glottis- schlusses nicht als Luftbewegung im Athemrohr zum Ausdruck. Wenn es nun erlaubt wäre — aber ich habe keinen Beweis dafür — anzunehmen, dass die eben erwähnten rhythmischen Contractionen der Lungen auch ohne hohe Rückenmarksdurchneidung vor sich gehen können, dann ständen wir vor der merkwürdigen Thatsache, dass die Lungen unter gewissen Verhältnissen nach jedem Glottisschluss, ohne dass die Mög- lichkeit einer Exspiration gegeben ist, ihr Volumen zu ver- kleinern trachten. Den Zweck einer solchen Verkleinerung anzugeben, wäre ich gänzlich ausser Stande. Bei Schildkröten scheitern derartige Untersuchungen an dem Umstande, dass die sehr kräftigen Schluckbewegungen durch die mit ihnen verbundene Bewegung des Kopfes stets mechanisch das Lüngenvolumen verändern. Die Lungen dieser Thiere antworten auf periphere Vagusreizung mit kräftiger Contraction. Die Lungen der Schlangen contrahiren sich ebenfalls nach peripherer Vagusreizung, jedoch kommt hier weder echte Schluckathmung (Siefert), noch rhythmische Lungencontraction vor. Ueber den Ursprung und den Verlauf der herzhemmenden Fasern. Von Dr. M. Schaternikoff und Dr. Hans Friedenthal in Moskau in Berlin, (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Obwohl über 55 Jahre verflossen sind seit der Entdeckung der Ge- brüder Weber, dass das Herz der Säugethiere durch Reizung im Hals- vagus verlaufender Nervenfasern zum zeitweiligen Stillstand gebracht wer- den kann, und obwohl eine umfangreiche Litteratur von den zahlreichen Untersuchungen Zeugniss ablegt, welche angestellt worden sind, um diese geheimnissvolle Hemmungswirkung dem Verständniss näher zu führen, kann bis heute weder der Ursprung, noch der Verlauf, noch die Endigung dieser herzhemmenden Fasern als sicher festgestellt angesehen werden, ebenso wenig wie der räthselhafte Mechanismus ihrer Function. Während über den Ursprung der herzhemmenden Fasern keine experimentellen Unier- suchungen bisher vorliegen, haben zahlreiche Forscher mit verschiedenen Methoden den Verlauf dieser Nervenfasern in dem Wurzelgebiet des 9. bis 11. Hirnnerven zu bestimmen versucht, sind aber dabei zu so widersprechen- den Resultaten gelangt, dass es nötig erschien, mit einer einwandsfreien Methode eine Nachprüfung der vorliegenden Angaben vorzunehmen. Heidenhain! widersprach zuerst der herrschenden Ansicht, dass die herzhemmenden Fasern dem Vagus zuzurechnen seien und glaubte nach- weisen zu können, dass diese Fasern aus dem Wurzelgebiet des Accessorius stammen, um sich distal vom Foramen jugulare den Vagusfasern anzu- ! Heidenhain, Studien aus dem physiologischen Institute zu Breslau. Citirt nach van Gehuchten, Bull. de l’acad. royal belgique de med. 1901. IV. Serie. Tax. Nr. 2:79:20: 54 M. SCHATERNIKOFF UND HANS FRIEDENTHAL: schliessen. Er giebt an, dass nach Ausreissung des Accessorius im Foramen jugulare die herzhemmenden Fasern mit durchrissen würden und dass nach Degeneration der von ihrem trophischen Centrum getrennten Fasern Reizung des Vagus keine hemmende Wirkung auf das Herz mehr ausüben solle. Zu entgegengesetzten Resultaten wie Heidenhain kam Grossmann!, welcher durch elektrische Reizung der Wurzelfasern bei ihrem Austritt aus dem verlängerten Marke feststellte, dass die unteren Wurzelfasern des mittleren Bündels ebenso wie die obersten Fasern des untersten Bündels herzhemmende Fasern enthielten, dass also Vagus und Accessorius gemein- sam als Ursprung der herzhemmenden Fasern anzusehen seien. In jüngster Zeit berichtete nun wieder Cadman ?, dass bei Hunden, Katzen und Affen nur im untersten Wurzelbündel, also nur im Wurzelgebiet des Accessorius, herzhemmende Fasern aus dem verlängerten Marke austreten. Cadman gegenüber fand aber van Gehuchten’, dass vom Accessorius nur sehr wenige centrifugale Fasern sich dem Vagus beigesellen und diese wenigen Fasern sollten sämmtlich im Nervus laryngeus inferior zum Kehlhopf ver- laufen. Nach dem Befund von van Gehuchten, der sich der Degenerations- methode zum Nachweis des Verlaufes der centrifugalen Nerven bediente, könnte also der Accessorius überhaupt keine herzhemmenden Fasern ent- halten. hechnet man zu den oben erwähnten Versuchsresultaten noch den Be- und von herzhemmenden Fasern im Hypoglossus* und die Angabe von E. H. Hering, dass auch im Nervus depressor herzhemmende Fasern ver- laufen können, so leuchtet ein, dass die bisherigen so widersprechenden Versuchsresultate kein klares Bild von dem Verlaufe der herzhemmenden Fasern haben liefern können. Variationen im Verlaufe peripherer Nervenfasern sind ein so gewöhn- licher Befund bei allen Arten von Nervenfasern, dass es nahe läge, ein gleiches Verhalten bei den herzhemmenden Fasern zur Erklärung der Differenz der Versuchsresultate bei den verschiedenen Forschern heranzu- ziehen, wenn nicht eigene Versuche über den Ursprung dieser Fasern es ausgeschlossen erscheinen liessen, dass der Accessoriuskern als Ausgangs- punkt der herzhemmenden Fasern angesehen wird. ! Michael Grossmann, Ueber den Ursprung der Hemmungsnerven des Herzens. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LIX. S. 1. ®” Cadman, The position of the respiratory and cardio inhibitory fibres in the routlets of the IX—XI cranial nerves. Journal of Physiology. 1900. Vol. XXVI. p. 42. SYA,8.0: * Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1900. ° E. H. Hering, Anormales Vorkommen von Herzhemmungsfaserın im rechten Depressor. Pflüger’s Archiv. Bd. LVI. 8. 77—79. ÜBER ÜRSPRUNG UND VERLAUF i HERZHEMMENDEN FASERN. 5 ÜBER ÜRSPRUNG UND VERLAUF DER HERZHEMMENDEN FASERN. 55 Reizt man die Accessoriuskerne im Seitenhorne des Rückenmarkes, so erhält man selbst dann keine Herzhemmung, wenn bei nicht curarisirten Thieren die reflectorische Reizung des Herzhemmungscentrums möglich ist. Die elektrische Reizung wurde in der Regel so vorgenommen, dass von der Inductionsrolle aus eine mit physiologischer Kochsalzlösung getränkte Schwammelektrode in das Rectum des Thieres geschoben wurde, wo sie durch den reflectorischen Sphinctertonus in ihrer Lage festgehalten wurde, während als Reizelektrode eine lackirte, nur an der Spitze blankgefeilte Nadel diente. Bei nicht übermässiger Stromstärke ist man bei dieser An- ordnung sicher eine punktförmige Reizung zu erzielen und die Function der durchstochenen Hirntheile unverletzt zu erhalten, wie der andauernde Effect häufig wiederholter Reizungen beweist. In einigen Fällen wurde mit demselben Resultat mit einer Platinelektrode gereizt, deren dünne Drähte mit zwei feinen Knöpfchen endigten. Trotz der Möglichkeit der Bildang von Stromschleifen wurde auch bei dieser letzteren Anordnung vom Rückenmark aus keine Herzhemmung beobachtet. Die Hemmungs- wirkung auf das Herz wurde an der Senkung der Blutdruckcurve beob- achtet, die ein mit der Carotis der Thiere verbundener Gad-Cowl’scher Tonograph aufzeichnete. Um die Lage des herzhemmenden Centrums in der Medulla oblongata genau festzustellen ist es natürlich nöthig, jeden Reflex auf dieses Centrum von einer anderen Stelle des Centralnervensystems aus vorher auszuschalten, da bei kräftiger Reizung fast jedes beliebigen sensiblen Nerven und vor allem bei Reizung der Hinterstränge des Rückenmarkes Herzhemmung erzielt werden kann. Um diese Reflexe auszuschalten, ist es nur nöthig, die Thiere genügend stark zu curarisiren. Da bei curarisirten Thieren selbst maximale heizung des Ischiadicus keine herzhemmende Wirkung mehr erkennen lässt, muss wohl das Curare nicht nur die motorischen Endbäumchen in der quergestreiften Skeletmusculatur lähmen, sondern auch die Endbäumchen der Collateralen der sensiblen Nerven, welche die Ganglienzellen umspinnen, von denen die herzhemmenden Fasern ihren Ursprung nehmen. Das Curare lähmt dagegen nicht die Endigungen der herzhemmenden Fasern in den Herzganglien oder der Herzmusculatur selber, da die elektrische Reizung der Medulla in der Gegend der Vaguskerne bei curarisirten Thieren Herz- hemmung hervorruft.’ In der Gegend der Vaguskerne und des Hypo- glossuskernes scheint das Centrum für die herzhemmenden Fasern zu liegen, die von hier aus, wie die folgenden Versuche zeigen, auf den verschiedensten Dieses differente Verhalten des Curare gegen die verschiedenen Arten von Nervenendigungen und namentlich das Verhalten dieses Giftes gegen das sympathische Nervensystem verdiente wohl eine eingehendere Prüfung und Anwendung, als ihm bisher zu Theil geworden ist. 56 M. SCHATERNIKOFF UND HANS FRIEDENTHAL: Wegen sich zum Herzen hinbegeben können, denn die Reizung der anderen Stellen des Öentralnervensystems bleibt bei curarisirten Thieren wirkungslos. Es ist hervorzuheben, dass wir bei Reizung des Bodens der Rauten- grube, der auch centrifugal wirkende Ganglienzellen enthalten soll, selbst bei nicht curarisirten Thieren niemals Herzhemmung erzielen konnten. Bei diesen muss man nur sorgfältig darauf achten, die Fortsetzung der Hinterstränge zu vermeiden, welche die Rautengrube einfassen, da sonst schon bei schwachen Strömen Herzhemmung beobachtet wird. Berührte man mit der Nadel nur den Boden der Rautengrube, so blieb jede negativ- chronotrope Wirkung aus. Die von Frangois-Frank beschriebenen Reflexe von der Grosshirn- rinde auf das Herz sind nur bei nicht curarisirten Thieren zu erhalten und auch dann nur bei Anwendung so starker Ströme, dass Krämpfe gleich- zeitig auftreten. Die Existenz eines übergeordneten Hemmungscentrums für das Herz in der Grosshirnrinde liess sich trotz zahlreicher darauf ge- richteter Experimente nicht nachweisen, da bei Reizung der Grosshirnrinde mit schwachen Strömen von keiner Stelle aus Herzhemmung sich erzielen liess, ebenso blieb die Reizung der verschiedenen Theile des Kleinhirns stets wirkungslos. In Uebereinstimmung mit der Ansicht, dass in der Gegend der Vagus- kerne das Centrum für die herzhemmenden Fasern gelegen sei, standen auch die Ergebnisse der Versuche, welche über den Verlauf dieser Fasern Aufklärung geben sollten. Eine Nachprüfung der von Heidenhain! an- gegebenen Versuche, bei welchen einige Wochen nach Ausreissung des Nervus accessorius im Foramen jugulare die herzhemmenden Fasern degenerirt gefunden werden sollten, führte bei Kaninchen, Hund und Affe (Cynoce- phalus hamadıyas) zu völlig entgegengesetzten Resultaten. 14 bis 20 Tage nach Ausreissung des Nervus accessorius im Foramen jugulare konnte durch Reizung des gleichseitigen Halsvagus mit Inductionsströmen das Herz zu längerem Stillstand gebracht werden, auch nach Durchschneidung des Vagus auf der anderen Seite, wodurch eine Täuschung durch reflectorische Reizung des Vagus der anderen Seite ausgeschlossen werden sollte. Ebenso wenige konnte bei directer stärkster elektrischer Reizung der Accessorius- fasern jemals bei den oben genannten Thieren eine Hemmungswirkung auf das Herz erzielt werden. Die Curven zeigten in einigen Fällen eine Be- schleunigung der Herzaction unter Ansteigen des Blutdruckes. Die Reizung der Accessoriusfasern wurde in der Weise vorgenommen, dass die Membrana occipitalis der Thiere sorgfältig freigelegt, unter Ver- meidung von Blutungen durch einen Kreuzschnitt mit einem kleinen sichel- GER (OR ÜBER ÜRSPRUNG UND VERLAUF DER HERZHEMMENDEN FASERN. 57 förmieen Messer gespalten wurde und dann die Seitenränder der Medulla oblongata durch Abziehen der Zipfel freigelegt wurden. War kein Tröpfchen Blut bei der Operation in den Subduralraum geflossen, so war es nunmehr ein Leichtes, mit einem stumpfen Häkchen den Accessorius zu fassen und herauszuziehen, wobei er in der Länge von einigen Centimetern sich vom Rückenmarke ablöste. Auf die Reizelektroden aufgelegt und mit Inductions- strömen selbst bei über einander geschobenen Rollen’ des Inductoriums gereizt, liessen die Accessoriusfasern in Uebereinstimmung mit dem negativen Effect der direeten Reizung der Accessoriuskerne keine Herzhemmung erkennen. Zu dem gleichen Resultate führten Versuche, bei welchen das ver- längerte Mark nach Ausreissung der beiderseitigen Accessori an der Me- dulla oblongata in der eben beschriebenen Weise mit der Nadelelektrode gereizt wurde. Stets trat eine so enereische Herzhemmung in Erscheinung, dass die ausgerissenen Accessorii keinen wesentlichen Teil der herzhemmen- den Fasern enthalten haben konnten, wenn natürlich auch mit der am meisten kopfwärts gelegenen Accessoriuswurzel vereinzelte hemmende Fasern ausgetreten sein konnten, deren Ausfall keinerlei Bedeutung besass, und welche ihrem Ursprunge nach mit dem Accessorius nichts zu thun hatten. Der überwiegende Anteil der herzhemmenden Fasern beim Kaninchen tritt mit den eigentlichen Vaguswurzelfasern, dem mittleren Bündel Gross- mann’s, aus dem verlängerten Marke aus. Wurde bei Kaninchen nach Durchtrennung des linken Halsvagus das Wurzelgebiet des 9. bis 11. Hirn- nerven in der oben beschriebenen Weise freigelegt und das oberste Wurzel- bündel, sowie die Accessoriuswurzeln, das unterste Wurzelbündel, durch- rissen, so trat bei Reizung in der Gegend der Vaguskerne stets eine Hemmungswirkung auf das Herz ein, welche sich in ihrer Stärke nicht wesentlich von der Wirkung vor Durchreissung des obersten und untersten Bündels unterschied. Die Vaguswurzeln mussten also den bei weitem grössten Teil der herzhemmenden Fasern enthalten haben. Niemals beobachteten wir ein Ausbleiben der Wirkung bei der stets einseitigen Vagusreizung, wohl aber war in manchen Fällen nach Durch- reissung von Wurzelfasern die Hemmungswirkung so schwach geworden durch die oft unvermeidliche Zerrung der stehen gebliebenen Bündel, dass es eines Kunstgriffes bedurfte, um die Hemmungswirkung auf das Herz deutlich hervortreten zu lassen. Während nämlich bei unverletzten Thieren, die durch die Medullareizung stets mit erregten Acceleratoren nicht im Stande sind, die Wirkung der herzhemmenden Fasern zu compensiren, tritt bei Schädigung der letzteren oft nur die acceleratorische Wirkung zu Tage, ein erneuter Beweis für das antagonistische Verhalten der accelerierenden und der hemmenden Herznerven. Um die Anwesenheit von ganz ver- einzelten herzhemmenden Fasern noch nachweisen zu können, mussten die 58 M. SCHATERNIKOFF UND Hans FRIEDENTHAL: Accelerantes cordis entfernt werden, was durch Ausreissen der untersten Hals- und obersten Brustganglien auf beiden Seiten unschwer ausgeführt werden konnte. ! Nach dieser Hülfsoperation trat in allen Fällen, wo das Vaguswurzelbündel erhalten war, bei Reizung der Medulla starke Hemmungs- wirkung auf das Herz ein, selbst dann, wenn vor der Ausrottung der Accelerantes nur Andeutungen von dieser Wirkung auf den Curven sichtbar waren. Entgegen den ‘Beobachtungen von Heidenhain und Cadman wurden also in allen Fällen herznemmende Fasern im Vaguswurzelbündel gefunden, während die obersten Accessoriuswurzeln nur ganz vereinzelt einige wenige Fasern enthalten haben konnten, welche nicht aus den Accessorluskernen stammen. Ebenso wenig wie in den Accessoriuswurzeln konnte in den obersten Wurzelbündeln ınit Sicherheit die Anwesenheit hemmender Fasern con- statirtt werden. Wurde das Vaguswurzelbündel durchrissen nach Aus- rottung der Accessorii, so war zwar in einigen Fällen durch starke Reizung . der Medulla oblongata noch eine schwach hemmende Wirkung auf das Herz zu erzielen, aber diese hielt in unverminderter Stärke an, wenn auch diese obersten Wurzelbündel noch durchtrennt wurden. Die Versuche sprachen also für eine Abwesenheit von hemmenden Fasern in den obersten Wurzelbündeln, in welchen auch keiner der früheren Untersucher herz- hemmende Fasern bisher gefunden hatte. Da in diesen obersten Wurzel- bündeln die Nervenfasern für den Oesophagus und die wichtigen, für das Kaninchen sogar unentbehrlichen, Hering-Breuer’schen Lungenfasern verlaufen, so bot der Nachweis der Abwesenheit von herzhemmenden Fasern die Möglichkeit, die herzhemmenden Fasern zu durchreissen unter Erhaltung der Lungen-, Magen- und Oesophagusnerven. ? Die Möglichkeit, dass ganz vereinzelt einige herzhemmende Fasern auch die oberen Wurzelbündel als Austrittsweg benutzen, ebenso wie die obersten Accessoriuswurzeln, soll um so weniger geleugnet werden, trotzdem die Anwesenheit solcher Fasern sich nicht nachweisen liess, als unsere Ver- suche gezeigt haben, dass einige dieser Fasern ganz ausserhalb des Wurzel- gebietes des 9. bis 11. Hirnnerven sich zum Herzen begeben, da nach Durchtrennung beider Glossopharyngei, Vagi und Accessorii noch Hemmungs- wirkung auf das Herz bei Medullareizung erzielt werden konnte. Es ist ! Alle Versuche, bei welchen Besonderes nicht vermerkt ist, wurden an Kaninchen ausgeführt, die sich wegen der Zugänglichkeit ihrer Medulla oblongata und wegen des gesonderten Verlaufes von Vagus und Sympathicus besonders für solche Versuche eignen. Bei Hunden und Katzen ist die Entfernung aller Accelerantes eine recht schwierige Operation. * Dieser Befund wurde von einem von uns (Friedenthal) verwerthet bei der Entfernung aller extracardialen Herznerven. ÜBER ÜRSPRUNG UND VERLAUF DER HERZHEMMENDEN FASERN. 59 oben bereits darauf hingewiesen, dass man im Hypoglossus und Depressor cordis berzhemmende Fasern gefunden hat, in unseren Versuchen mussten solche mit den Nervi accelerantes zusammen ausgetreten und zum Herzen gelangt sein, da Durchtrennung der Verbindung von Hypoglossus und Vagus, sowie Durchtrennung des Nervus depressor die Wirkung nicht aufhob. Der Antagonismus zwischen Accelerantes und herzhemmenden Fasern, sowie die besondere Variabilität des Verlaufes dieser beiden Arten von Nervenfasern, sowie die nachgewiesene Entbehrlichkeit der herzhemmenden Fasern, deren Durchschneidung keine Degeneration des Herzmuskels zur Folge hat, weisen darauf hin, dass wir die herzhemmenden Fasern als sympathische Fasern anzusehen haben, welche sich in der gleichen Weise dem Vagus grösstentheils angeschlossen haben, wie die sympathischen, pupillenverengernden Fasern dem Oculomotoriuss Nach der Analogie der übrigen sympathischen Fasern dürfen wir erwarten, dass auch diese Nervenfasern sich nicht direct zum Herzmuskel hinbegeben, sondern wie alle centrifugalen markhaltigen sympathischen Nervenfasern inter- centrale Bahnen darstellen, welche an einer sympathischen Ganglien- zelle endigen. Das Ausbleiben der Herzmuskeldegeneration nach Durch- trennung der herzhemmenden Fasern weist darauf hin, dass diese nicht in dem Sinne als trophische Fasern aufzufassen sind, wie die Nerven der quergestreiften Skeletmuseulatur. Keine bisher bekannte Thatsache spricht dafür, dass die herzhemmenden Fasern sich in einer wesentlichen Beziehung von den übrigen Vasodilatatoren unterscheiden, wie denn das gesammte Herz physiologisch wie anatomisch nur als eine besonders differenzirte Strecke von Blutgefässwandung anzusehen ist. Wie das Herz zeigen auch Venen und Arterien rhythmische Schwankungen ihrer Weite, und wie das Herz bei Vagusreizung stehen die Blutgefässe bei Reizung der Dilatatoren in Diastole still. Zusammenfassung. 1. Die herzhemmenden Fasern entspringen in der Medulla oblongata in der Gegend der Vaguskerne und des Hypoglossuskernes. 2. Die Accessoriuskerne entsenden keine herzhemmenden Fasern. 3. Die Hauptmenge der herzhemmenden Fasern verläuft in den Vagus- wurzelbündeln, der Accessorius führt in der Regel keine herzhemmenden Fasern, ein Theil dieser Fasern kann mit den Nervi accelerantes gemein- sam verlaufen ausserhalb des Wurzelgebietes des 9. bis 11. Hirnnerven. 4. Das oberste Bündel Grossmann’s enthält in der Regel keine herz- hemmenden Fasern. d. Die herzhemmenden Fasern sind als den Vasodilatatoren in vieler Hinsicht analoge, zum Sympathicus gehörige Nervenfasern anzusehen. 60 SCHATERNIKOFF U. FRIEDENTHAL: ÜRSPRUNG UND VERLAUF U. S.W. Nachschrift. Nach Fertigstellung dieser Arbeit erhielten wir Kenntniss von der interessanten Arbeit von Kohnstamm!, in welcher ebenfalls der Ursprung der Herzfasern im Vagusgebiet, und zwar im dorsalen Vaguskern, gefunden wurde. Unsere Versuche sprachen allerdings insofern gegen eine Lage der Ganglienzellen unmittelbar am Boden der Rautengrube, als wir bei Reizung an der Innenfläche des vierten Ventrikels niemals Herzstillstand beobachteten, sondern stets nur bei Einstechen der Nadel in tiefere Schichten, doch geht auch aus der Arbeit von Kohnstamm die Nichtbetheiligung des Acces- sorius an der Entsendung von herzhemmenden Fasern klar hervor. ! Kohnstamm, Zur Anatomie und Physiologie der Vaguskerne. Neurologisches Centralblatt. 1901. Nr. 16. 8. 767. Der Apterismus bei Insekten, seine künstliche Erzeugung und seine physiologische Erklärung. Von J. Dewitz. (Aus d. Laboratoire d’entomologie d. 1. station viticole et d. pathologie vegetale a Villefranche, Rhöne.) Eine Anzahl von Insekten ist normaler Weise gänzlich flügellos oder besitzt mehr oder minder atrophirte oder verkürzte Flügel. Bei anderen Arten trifft man nur ausnahmsweise aptere Individuen, so besonders in der Gruppe der Cicaden! und Wanzen?. Normaler Apterismus zeigt sich hauptsächlich bei hochalpinen Käfern, den inselbewohnenden Insekten, den Insekten der Wüste?, bei den cavicolen und parasitären Insekten und den Weibchen mancher Arten, welche dann bisweilen den Charakter der Larven bewahren. Selten sind es die Männchen, welche der Flügel entbehren, falls eines der Geschlechter flügellos ist. Am bekanntesten sind hier die flügellosen Männchen der Feigeninsekten* (Hymenopteren). 1G@. B. Buckton, Monograph of the british Cicadae or Tettigidae. London. — James Edwards, The Hemiptera Homoptera of the British Islands. London 1894— 1896. ® F.M. Webster, The Chinch Bug [Blissus leucopterus]. U. 8. Depart. Agr. Div. entom. Bull. 1898. Nr. 15. N.S. — Für Pyrrhochoris apterus vgl. M. Girard, Traite elementaire d’entomologie. Paris 1885. T. III. p. 809; M. Royer, Bull. Soc. entom. Franee. 1901. Nr. 7, 13. ® J. Dewitz, Das Wadi Natroun in der libyschen Wüste und seine niederen Thiere. Zoologischer Anzeiger. 1899. Bd. XXIL 8. 53—61. * P. Mayer, Zur Naturgeschichte der Feigeninsekten. Mittheil. der zoologischen Station Neapel. 18832. Heft 4. S. 551—590. — G. Mayr, Feigeninsekten. Verhandl. der zoolog.-botan. Gesellsch. zu Wien. 1885. S. 3—106. 62 J. DEwITZ: Da der Apterismus bei so verschiedenen Insektenordnungen und unter so manniefachen äusseren Verhältnissen angetroffen wird, so lässt sich von vornherein vermuten, dass in allen angeführten Fällen bestimmte Vorgänge im Organismus der Insekten durch die äusseren Verhältnisse beeinflusst werden. Diese Erscheinungen beschäftigen mich schon mehrere Jahre, und ich bin durch Abwägung der verschiedenen Umstände zu der Ansicht gelangt, dass eine Einschränkung der Oxydationsvorgänge im Organismus den Apterismus zur Folge haben kann. Bekanntlich reihen auch die Morphologen die Flügel der Insekten nicht selten den Athmungsorganen an. Sie werden auch als homolog mit den Tracheenkiemen der wasser- bewohnenden Insektenlarven angesehen. Im Stadium der Puppe und beim frisch ausgekommenen Insekt ist der Flügel von Blutläufen und Tracheen durchzogen. Meine Versuche, die Oxydationsvorgänge im Insektenorganismus herab- zusetzen und so den Apterismus künstlich herbeizuführen, sind bisher noch nicht in rationeller Weise durchgeführt, und ich beschränke mich darauf, zu erwähnen, dass, wenn ich Fliegenpuppen einige Zeit unter Luftabschluss hielt, solche Puppen Fliegen ergeben, welche bisweilen defecte oder öfter gar nicht aufgeblasene Flügel besassen oder welche zwar normale Flügel hatten, aber nicht im Stande waren zu fliegen. So weit meine Be- obachtungen reichten, schien es mir, dass diese Flugunfähigkeit sich mit der Zeit auch verlieren konnte. Es handelt sich in diesen Experimenten wahrscheinlich nicht allein um Sauerstoffmangel, sondern auch um eine Selbstvergiftung und andererseits ist zu beobachten, dass die frühere Larven-, spätere Puppenhaut aus dem faulenden Fleisch Fäulnissstoffe mitbringt, was schon der Geruch beim Oeffnen der verschlossenen Behälter anzeigt. Ich möchte hier jedoch einige Versuche mittheilen, bei denen es mir ge- lang, auf einem anderen Wege Apterismus experimentell zu erzeugen. Ein glücklicher Zufall liess mich im vorigen Jahre die Bekanntschaft eines Bienenzüchters des Departement de l’Ain, des Herrn Marboud zu Montceaux, machen. Ich richtete an denselben die Frage, ob man bei Bienen bisweilen flügellose Exemplare fände. Die Antwort fiel bejahend aus. Bienen mit atrophirten Flügeln, sagte mir Herr Marboud, trifft man häufig vor dem Stocke, da die Bienen diese verkrüppelten Exemplare hinaus- werfen. Nach der Ansicht meines Gewährsmannes ist vorübergehende Abkühlung der mit Brut besetzten Waben die Ursache der in Frage stehenden Erscheinung. Daher treffe man auch bei nicht 'volkreichen Stöcken solche abnorm gebildete Exemplare. Später brachte mir Herr Marboud ein Fläschchen voll Bienen mit atrophirten Flügeln, welche aus seinen Stöcken stammten. In Folge dieser Mittheilungen suchte ich nun in diesem Jahre bei DER APTERISMUS BEI INSEKTEN. 63 Insekten den Apterismus durch zeitweise starke Abkühlung von Larven herbeizuführen. Ich muss zunächst bemerken, dass Fliegenmaden (Musca vomitoria) in der kalten Jahreszeit (November, December) hier im Freien, also bei sehr niedriger Temperatur aufgezogen, nur normale Fliegen liefern. Die Larven entwickeln sich äusserst langsam, erreichen aber die vollständige Reife und verpuppen sich. Ebenfalls normale Fliegen erhielt ich, wenn ich im Juli Larven zweimal 24 Stunden auf Eis hielt. In gleicher Weise wurden Larven von Tortrix Pilleriana und sehr kleine Raupen von Vanessa Jo be- handelt. Aber auch aus ihnen gingen geflügelte Insekten hervor. Ich machte daher den Versuch mit einem wie die Biene zu den Hymenopteren gehörenden Insekt, nämlich mit Polistes gallica. Wie bekannt heftet diese Wespenart ihre offenen Nester an Hecken, Zäune und Häuser. Da die Thiere sehr friedlich sind, so eignen sie sich auf das Beste zum Ex- perimentiren. Im Anfange des Sommers fand ich zunächst ein Nest von Polistes gallica mit sechs gedeckelten Zellen. Ich legte das Nest zweimal 24 Stunden auf Eis. Die beiden ersten aus den sechs Zellen auskommenden Wespen waren normal, und auf das offene Fenster gesetzt, flogen sie davon. Darauf kamen zwei Wespen aus, welche ebenfalls normale Flügel hatten und die ich wie die beiden ersten Exemplare auf das offene Fenster setzte. Ebenso wie die oben erwähnten Fliegen vermochte ich sie trotz aller Bemühungen nicht zum Fliegen zu veranlassen. Später erschien dann eine und schliesslich die letzte Wespe, beide normal, aber ohne Flugvermögen. Ich muss er- wähnen, dass die ausgekommenen Thiere einen Tag gefangen gehalten wurden, damit während dieser Zeit die Flügel sich streckten und trocknen konnten. Die Kälte hatte also auf die zuerst ausgekommenen Exemplare gar keinen Einfluss ausgeübt, da die Thiere in ihrer Entwickelung wohl schon zu weit vorgeschritten waren. Bei den nachfolgenden Exemplaren vermochte die Behandlung nur das Flugvermögen aufzuheben. Ich möchte daran er- innern, dass es auch normaler Weise Insekten giebt, welche sich zur Fort- bewegung nur ungern ihrer Flügel bedienen.! Ich hielt es nach diesen Resultaten für nötig, mit Larven versehene Nester der Kälte auszusetzen und dann die Brut aufzuziehen. Zu diesem Zwecke fing ich jedes Mal den zum Neste gehörigen Wespenschwarm ein und hielt denselben in flachen Holzkasten, auf deren Boden ich trockenes Moos legte und die ich mit einer Glasscheibe zudeckte. Ich fütterte die Wespen mit Honig und saftigen Früchten. Wenn das Nest auf Eis ge- 'H. J. Kolbe, Einführung in die Kenntniss der Insekten. Berlin 1893, S. 268—269. 64 J. Dewızz: legen hatte, wurde es den Wespen zurückgegeben. Zwei Nester wurden fünfmal 24 Stunden auf Eis gehalten, und die meisten Larven hatten diese Operation überstanden. Die Brut wurde aber später von den eigenen Wespen zerstört, da die Kasten längere Zeit in der Sonne standen und die Wespen in Folge dessen gleichsam toll wurden. Sie rissen die Nymphen und Larven heraus und schleppten sie überall hin. Bei einem zweiten Versuche legte ich auf die Glasplatte ein Stück Pappe da, wo sich das Nest befand und beschattete dasselbe in dieser Weise. Dieses Mal nahm das Experiment einen befriedigenden Verlauf. Ein mit Nymphen und Larven besetztes Nest wurde dabei zweimal 24 Stunden auf Eis ge- halten und dann dem zugehörigen Wespenvolk zurückgegeben. Es kamen nun beständig normale Insekten aus. Vier Wochen nach der Abkühlung erschien aber die erste Wespe, welche an Stelle der Flügel Flügelstümpfe besass. Ihr folgten dann bis zum Ende der Saison andere ebenso gestaltete Thiere. Dieselben waren vollkommen lebensfähig, denn ich hielt sie, ehe ich sie in Alkohol warf, mehrere Tage mit ihren geflügelten Geschwistern. Diese Wespen glichen etwa den flügellosen Weibchen von Mutilla (Hymen- opteren), welche sich auf und unter der Erde aufhalten, während man die geflügelten Männchen auf Blumen findet. Bekanntlich ist der Apterismus nicht auf die Insekten beschränkt. Man findet ihn auch bei den Vögeln und, was uns besonders interessirt, oft unter gleichen äusseren Verhältnissen wie bei den Insekten. Die grossen, jetzt ausgestorbenen Bewohner der Inseln waren apter, so die bekannte Dronte (Didus ineptus).. Auch findet man öfter erwähnt, dass die Insel- vögel nicht ziehen. Dieses gilt auch für die alpinen Vögel. Je mehr man sich den hochalpinen Regionen nähert, desto mehr nimmt die Zahl der Zugvögel ab und die der Standvögel zu.! Die wenig fliegenden Hühner- vögel sind in den alpinen Regionen durch mehrere Arten repräsentirt. Gleichfalls flügellos sind gewisse arktische und antarktische, auf Riffen und an der Küste lebende Wasservögel. Ohne Flügel ist auch der Strauss, ein Wüstenvogel. Der in Erdlöchern lebende Eisvogel (Alcedo hispida) oder die in Baumhöhlen lebenden Spechte haben auffällig kurze Flügel. Ich ı F. von Tschudi, Das Thierleben der Alpenwelt. 5. Aufl. Leipzig 1860. S. 245, 438. — Auf 8.435 dieses Werkes, Cap. 6 Schneeregion, findet sich folgende interessante Notiz: „Geflügelte Insekten, die oft in grosser Menge vom Winde bis auf die oberen Firne heraufgeweht werden, sinken dann in diese bis zwei Fuss tief ein. Man hat bemerkt, wie diese Thierchen sich freiwillig mit ausgebreiteten Flügeln und Gliedern auf den Firn niederlassen und so behaglich und unbeweglich liegen bleiben, indem ihnen wahrscheinlich die Absorption des Firnsauerstoffes zusagt. Will man sie auf Holz oder Stein retten, so flattern sie sogleich wieder weg nach dem Firn, wo sie sich wie berauscht ausbreiten und allmählich mit vollem Behagen einsinken.“ DER APTERISMUS BEI INSEKTEN. 65 habe Eingangs bemerkt, dass die Flügel der Insekten in den Kreis der Respirationsthätigkeit gehören. In ähnlicher Weise gilt dieses von den Flügeln der Vögel, denn die Luftsäcke erstrecken sich bis in die Arm- und Handknochen. Eine etwas naive Auffassung der biologischen Erscheinungen erklärt den Apterismus durch den Hinweis, dass er den betreffenden Insekten von Nutzen sei, weil diese sonst vom Gebirge herabgeweht oder in das Meer hineingetrieben werden würden. Ebenso zu verwerfen ist die Meinung — eine Meinung, welche die herrschende ist —, dass die Insekten der Höhlen die Flügel verlieren, weil sie doch nicht fliegen können, und dass sie der Augen verlustig gehen, weil sie im Dunkeln doch nicht sehen können. ! Das Medium, welches das Innere der Höhlen bildet, wirkt wahrscheinlich in bestimmtem Sinne auf gewisse Processe im Organismus oder, um mich deutlicher auszudrücken, ich glaube, dass die innere Secretion des Organis- mus durch das Medium beeinflusst wird und dass diese Veränderung der Secretion auf die Ausbildung der Organe, in diesem Falle auf die Aus- bildung der Flügel und Augen zurückwirkt. ? In ähnlicher Lage wie die Höhlenthiere befinden sich die parasitischen Insekten, welche grösstenteils ohne Flügel sind. Nach meinem Dafürhalten stehen die Insekten dieser Gruppe theils unter dem vergiftenden Einfluss der von der Haut ausgeathmeten Gase? oder des Schweisses, theils unter dem Einfluss der reducirenden Bestandtheile des Blutes oder der Gewebssäfte, welche beide von den Thieren eingesogen werden. Bei den Binnenparasiten, z. B. den Helminthen, bei welchen derartige Factoren von noch viel stärkerer Wirkung sind, ist die Reduction verschiedener Körpertheile und Organe eine noch viel weiter gehende, so dass die dem Thierorganismus eigenen Charaktere fast ausgelöscht werden. Besonders sind es das Centralnerven- ! Auch in anderen Fällen kann Fehlen der Flügel und Fehlen der Augen gleich- zeitig vorkommen. Und wie das Fehlen der Flügel oft nur beim weiblichen Geschlecht statthat, so gilt dieses bisweilen auch für das Fehlen der Augen (Bythinus-Arten: L. Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa. Bd.1I. 8.814 fl.; P. de Peyerim- hoff, Bull. Soc. entom. France. 1901. S. 203—205). Die innere Respiration ist beim weiblichen Organismus geringer als beim männlichen. Bei den Feigeninsekten, bei denen ausnahmsweise die Männchen ungeflügelt sind, sind diese auch theil- weise blind. ° Bekanntlich sind die Höhlenthiere, Arthropoden und andere, auch blass gefärbt. Ich habe aber feststellen können, dass die Verfärbung frischer, weisser Fliegenpuppen durch eine Oxydase bewirkt wird und dass die Verfärbung verhindert wird durch die Wirkung der Enzyme aufhebende Mittel. ® Vgl. Brown-Sequard et d’Arsonval, Nouvelles recherches demontrant que la toxieite de l’air expire ne depend pas de l’acide carbonique.. Compt. rend. Acad. Paris. 1889. T. CVIII. p. 267. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 5 66 J. Dewitz: system mit den verschiedenen Sinnesorganen, die Locomotionsorgane und die Modellirung des Körpers in verschiedene Regionen, welche am meisten in Mitleidenschaft gezogen werden, während die Reproductionsorgane intact bleiben und einen verhältnissmässig grossen Raum einnehmen. Eine fernere Gruppe von apteren Insekten bilden, wie erwähnt, die Weibchen vieler Arten. Aus allen biologischen Thatsachen, welche den weib- lichen Organismus betreffen, geht aber unzweifelhaft hervor, dass bei diesem die respiratorischen Vorgänge in den Geweben im Vergleich zum männlichen Organismus vermindert sind. Es ist auch bezeichnend, dass es viele Fälle giebt, in denen die Weibchen allein ein parasitäres Leben führen, während die . zugehörigen Männchen frei leben. Die Feigeninsekten schliesslich bilden eine seltene Ausnahme von der Regel. Was sonst von den Weibchen gilt, gilt hier von den Männchen. Diese sind nicht allein oft flügellos, sondern bieten auch das typische Bild schmarotzender Arthropoden. Es wird sich vielleicht herausstellen, dass die Gewebssäfte (Milchsaft) der Feige giftig auf den Organismus des sich entwickelnden Insektes wirken. In ähnlicher Weise würden auch bei den Hymenopteren die vom Organis- mus des Thieres gebildeten Secrete, vielleicht Enzyme (Oxydasen), durch vorübergehende stärkere Abkühlung in ihrer Thätigkeit oder in ihrer Be- schaffenheit oder in ihrer Menge beeinflusst werden. Die verschiedenartigen Evolutionen, welche sich bei Erzeugung eines neuen Individuums von der Befruchtung bis zum ausgebildeten Thiere abspielen, besitzen unter einander in ihrem Wesen viel Analoges. Die Parthenogenesis, die Entwickelung des Eies, die Metamorphose der Larve, das Ausschlüpfen des vollkommenen Thieres und die Ausbildung des einen oder des anderen Geschlechtes ! sind vielfach von der physikalisch-chemischen Gesammtheit, welche man Jahreszeit nennt, oder von sonstigen klimatischen Verhältnissen abhängig. Diese biologischen Processe können durch das Nahen des Winters unmöglich ge- macht, sistirt oder modifieirt werden. Die Eier des Seidenspinners z. B. sind in den gemässigten Klimaten unfähig vor dem Winter junge Raupen zu liefern, auch wenn man sie in der Wärme hält. E. Duclaux? hat bereits vor längerer Zeit gezeigt, dass diese Ruhepause durch zeitweise künstliche Erniederigung der Temperatur abgekürzt werden kann. Auch in der Praxis wird diese Methode geübt. Man vermuthet, dass die Kälte die Eisubstanz in der Weise verändert, dass diese eine grössere Fähigkeit sich zu ! Die Ausbildung der secundären Geschlechtscharaktere steht mit der Gegenwart der Geschlechtsdrüsen in Zusammenhang. Auch die Flügel sind bei gewissen Insekten ein secundäres, den Männchen eigenthümliches Geschlechtszeichen. ® E. Duclaux, Compt. rend. Acad. Sc. Paris. 1869. T. LXIX. p. 1021—1022; 1871. T. LXXII.- p:..917, 1876. DT. LXXXIT. 198104921051, DER APTERISMUS BEI INSEKTEN. 67 oxydiren erhält." Ich werde nun aber in Kurzem für einen der angeführten biologischen Vorgänge, für die Verwandlung der Larven, welche bei zahlreichen Insekten ebenfalls im Herbst sistirt wird, zu zeigen versucht, dass bei ihr ein Enzym (Oxydase) eine hervorragende Rolle spielt. Bei all diesen Vorgängen, mag es sich um die verschiedenen Entwickelungsphasen des Individuums oder um die Ausbildung und Rückbildung eines Organes handeln, wird man über kurz oder lang als wirkliches Agens vom Organismus ge- bildete Secrete erkennen. Und bei all diesen Vorgängen scheint auch in gleichem Sinne wie stärkere Abkühlung, Austrocknen, Salzlösungen und Aetherisiren ? zu wirken. Der formgebende Einfluss der Enzyme oder anderer vom Organismus gebildeter Secrete lässt sich auch aus verschiedenen bereits bekannten Thatsachen erkennen. Am bekanntesten ist der Einfluss, welchen die Gegenwart oder das Fehlen der Geschlechtsdrüsen auf die Ausbildung der secundären (Greschlechtsorgane ausübt. Es ist ferner festgestellt, dass die Gallen an Pflanzenorganen nicht durch den Stich des Insektes, sondern durch ein von der sich entwickelnden Larve ausgeschiedenes Secret hervor- gerufen werden. Unter dem Einfluss des Secretes bildet die Pflanze die Galle, und die Form derselben ist insofern von der Natur des Secretes ab- hängig, als auf derselben Pflanzenspecies verschiedene Arten von Larven | verschiedene, jeder Larve eigenthümliche Gallen erzeugen. Eine den Meisten gewiss unbekannte, von Ratzeburg? berichtete Erscheinung möchte ich in gleichem Sinne deuten. Vor langer Zeit schon wies Ratzeburg darauf hin, dass die vollkommenen Insekten der Ichneumonen (Hymenopteren), deren Larven in demselben Wirthinsekt schmarotzen, einander oft ähnlich sind. Es klingt fremdartig, meint er, wenn man annimmt, dass gleiche Säfte sich auch in der Gleichheit gewisser Formen und Farben bei zwei Ichneumonen spiegeln können, welche zu zwei verschiedenen Species oder gar zu verschiedenen Gattungen gehören. ! E. Maillot, Zegons sur le ver ü soie du mürier. Montpellier et Paris 1885. ® W. Johannsen, Das Aetherverfahren beim Frühtreiben mit besonderer Be- rücksichtigung der Fliedertreiberei. Jena 1900. — R. Dubois, Ann. Soc. Linn. Lyon. 1899 7 NS. TEXEVE p. 116. : J.T.C. Ratzeburg, Die Ichneumonen der Forstinsekten. Berlin 1848. Bd. II. S.21; 1852. Bd. III. S.7, 10—12. Zur Physiologie des Schlafes. Von Dr. 2. Oppenheimer, Hofrath und a. o. Professor in Heidelberg. Jeder weiss aus eigener Erfahrung, welchen Werth für die Erhaltung der Gesundheit der Schlaf besitzt und jeder Arzt kennt die unheilvollen Störungen die der Mangel an Schlaf in dem Befinden des Kranken hervor- bringt. Man war deshalb von den frühesten Zeiten medieinischer For- schungen an bemüht, Mittel aufzufinden, welche den bedenklichen Zustand der Schlaflosigkeit oder auch nur des schlechten, unterbrochenen Schlafes auf- zubeben geeignet wären. Besonders in den letzten fünfzig Jahren ist durch die Fortschritte der organischen Chemie und durch die physiologischen Untersuchungen, die sich an die Einführung des Aethers und Chloroforms in die Therapie anschlossen, die Zahl der Schlafmittel beträchtlich vermehrt worden. Allein alle bisherigen Bestrebungen haben uns noch nicht be- fähigt, allgemein gültige Regeln für die Anwendung des einen oder des andern aufzustellen. Noch immer geschieht die Auswahl bei einem vor- liegenden Erkrankungsfall ohne sichere physiologische Begründung und noch immer ist es Sache des praktischen Tacts oder eines Analogieschlusses, wenn man dem einen oder anderen den Vorzug giebt. Diese Unsicherheit in der praktischen Verwerthung der Mittel mag zum Theil auf der mangelhaften Kenntniss ihrer chemischen und physi- kalischen Eigenschaften beruhen und es mag sein, dass eine fortschrei- tende Forschung uns Aufschluss geben kann über die besonderen Eigen- schaften, die ein Mittel besitzen muss, um in dem einen oder anderen Erkrankungsfalle hülfreich zu sein. Natürlich lässt sich über diese Möglich- keit, die zu verwirklichen die medieinische Forschung bestrebt sein muss, jetzt kein Urtheil fällen; Eins kann man aber jetzt schon sagen, man wird nie zum Ziele gelangen, wenn man nicht auch die Eigenschaften des 2. ÖPPENHEIMER: ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 69 Organismus kennt und insbesondere die Eigenschaften derjenigen Theile des Organismus, die bei dem Zustandekommen des Schlafes wesentlich oder allein betheiligt sind. Der allgemeine Satz, dass jede Wirkung das Resultat der Eigenschaften von zwei auf einander wirkenden chemischen oder physi- kalischen Körpern ist, hat auch seine volle Geltung beim Schlaf, welcher doch nur die äussere Erscheinung eines inneren Vorganges sein kann. Das haben die alten Aerzte schon gewusst oder wenigstens schon ver- muthet und von Hippokrates an bis auf die neueste Zeit hat es nicht an Hypothesen gefehlt, welche das Wesen des Schlafes zu erklären versuchten. Unterstützt wurden diese Bemühungen von Seiten der Philosophen, welche gelegentlich der für sie wichtigsten Frage nach dem Wesen des Bewusst- seins den Schlaf, wo das Bewusstsein ganz oder theilweise aufgehoben ist, in den Kreis ihrer Untersuchung ziehen mussten. Einen Erfolg konnte aber weder die Physiologie noch die Philosophie erreichen. Die letztere nicht, weil sie nicht von Erfahrungsthatsachen aus- ging und sich auf Speculationen beschränkte. Die erstere, welche zwar be- strebt war empirische Kenntnisse zu sammeln, beging den Fehler, die Resultate, die sich aus dem Studium von Detailfragen ergaben, voreilig zu verallgemeinern und Theorien daraus abzuleiten, die mit dem wirklichen Vorgang des Schlafes nicht in Uebereinstimmung gebracht werden konnten. So hat man lange Zeit darüber gestritten, ob eine Hyperämie oder eine Anämie des Gehirns dem Schlafe zu Grunde liege. Der Streit war aber ganz überflüssig, weil der eine oder der andere Zustand der Hirngefässe den Eintritt des Schlafes nicht zu erklären vermag und höchstens als eine Bedingung für das leichtere oder schwierigere Einschlafen gelten kann. Von Hippokrates an, der den Satz aufstellt: Somnus labor vesceribus, motus in somno introvergunt, bis auf die neue Zeit, wo man lange Zeit annahm, dass im wachen Zustande das sensible und motorische System hauptsäch- lich angestrengt und der Schlaf die Zeit für die Thätigkeit des nutritiven Systems sei, begegnet man überall dem Fehler, aus einzelnen Erfahrungen, die gewiss ihren Werth für den Zustand des Schlafes haben, das Wesen des Schlafes abzuleiten und selbst in der neuesten Zeit, wo man das Gesetz der Causalität auch bei physiologischen Untersuchungen anerkennt, hat man sich von voreiligen Schlüssen nicht frei zu halten verstanden. Da die neuesten Theorien über den Schlaf noch viele Anhänger haben, so muss wohl mit einigen Worten der Fehler dieser Theorien aufgedeckt werden. ‘ Hierher gehört die Annahme, dass der Schlaf auf einer Sistirung der intramoleculären Kohlensäurebildung in der sehr labilen grauen Sub- stanz des Gehirns beruhe. Sie stützt sich auf die Beobachtung, dass während des Schlafes die Ausscheidung der Kohlensäure eine Verminderung erfährt. Irgend ein Grund, dass diese Verminderung durch den Ausfall von cere- 70 Z. OÖPPENHEIMER: braler Kohlensäurebildung zu Stande gekommen sei, ist nicht abzusehen und wird auch nicht besonders hervorgehoben, während bei der vollständigen Ruhe, in der sich der Körper und hauptsächlich die Muskeln während des Schlafes befinden, die herabgesetzte Ausscheidung dieses Productes des Stoffwechsels verständlich ist. Es ist auch durch Nichts bewiesen, warum die Bildung von Kohlensäure gehindert wird. Es könnte doch diese Störung nur eintreten, wenn entweder die Zufuhr von Sauerstoff aufgehoben wäre oder der Vorrath von oxydirbaren Stoffen in der grauen Substanz derartig abgenommen hätte, dass nichts mehr zu oxydiren wäre. Aber beide Vor- aussetzungen werden durch die Erfahrung widerlegt, dass während des Schlafes nicht nur Sauerstof! aufgenommen wird, sondern auch die Körper- zellen die Fähigkeit behalten, Eiweissstoffe und andere Nahrungsbestand- theile sich zu assimiliren und eine Wiedererneuerung der während des Wachens untergegangenen chemischen Energie herbeizuführen. Der alte Satz somnus vis medicatrix naturae, der sich stets bewährt hat, könnte unmöglich richtig sein, wenn eine Sistirung der Kohlensäurebildung in den Hirnzellen oder, was das Gleiche bedeutet, eine Unterbrechung des Stoff- wechsels bestände. Eine zweite Hypothese, die noch viele Anhänger besitzt und selbst zu therapeutischen Versuchen Veranlassung gegeben hat, will den Schlaf aus einer Anhäufung von während des Wachens entstandenen Ermüdungsstoffen hervorgehen lassen. Befremdliches hat diese Hypothese nicht, denn es steht fest, dass im Körper Substanzen gebildet werden können, welche den Ver- lust der Leistungsfähigkeit einzelner Organe oder auch des ganzen Körpers herbeiführen. In neuester Zeit hat man ja einen besonderen Werth auf die Autointoxikationen gelegt und bei der künstlichen Zufuhr von Giften und Arzneien ist man zur Annahme gezwungen, dass diese Substanzen sich in das moleculare Gefüge der Zellen einschieben und eine Verminde- rung der Erregbarkeit oder auch eine Steigerung erzeugen. Auch im gesunden Körper findet die Bildung von Milchsäure in Folge von Muskel- thätigkeit statt und es ist durch Versuche erwiesen, dass diese Säure, in den Muskel eingespritzt, eine wirkliche Uebermüdung hervorrufen kann, und dass der übermüdete Muskel seine Thätigkeit wieder aufnimmt, wenn die Ermüdungsstoffe wieder ausgewaschen worden. Es ist aber sehr fraglich, ob die Resultate, die man auf dem Experi- mentirtische am Froschmuskel gemacht hat, so ohne Weiteres auf das lebende Thier zu übertragen sind, auf ein Thier, das vermöge des ununter- brochenen Säftestromes die Auswaschung fortwährend besorgt, fortwährend Milchsäure in das Blut aufnimmt, auch wohl mit anderen Organen in Be- rührung bringt, ohne dass sich dabei Vergiftungserscheinungen einstellen. Nach einer übermässigen Anstrengung der Muskeln, nach einem über- ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 71 mässig langen und beschwerlichen Marsche hat man allerdings Erscheinungen beobachtet, die auf eine allgemeine Intoxikation hindeuten. Der Zusammen- hang dieser Erscheinungen mit der Muskelthätigkeit ist nicht in Abrede zu stellen. Aber auffallender Weise stellt sich in diesen Fällen anstatt des zu erwartenden Schlafes das gerade Gegentheil davon ein, eine Art von Fieber (Turnfieber), Aufregung, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit und Muskelschmerzen geben sich erst am folgenden Tage kund. Die Vertheidiger der Vereiftungstheorie könnten sich allerdings noch damit rechtfertigen, dass sie erklärten, sie hätten gar nicht die Producte der Muskelthätigkeit als Ursache des Schlafes angesehen, sondern die Stoff- wechselproducte des Gehirns, das direct durch diese Producte gelähmt wurde. Wie diese beschaffen sind, ob es Milchsäure oder eine andere viel- leicht noch stärker wirkende Säure ist, eine Säure, die bei der Thätigkeit des Gehirns entsteht und diesem eine saure Reaction ertheilt, wissen wir nicht. Wir wissen aber auch nicht, ob eine Anhäufung dieser vermeintlich giftigen Substanz vorkommt oder nur möglich ist. Jedenfalls ist der Gefäss- reichthum im Gehirn ein sehr grosser und die Umscheidung dieser Gefässe mit einer Lymphe führenden Hülle eine für die Abfuhr so geeignete Ein- richtung, dass eine Anhäufung von Stoffwechselprodueten nur möglich wäre, wenn dem Rückfluss des Blutes in den Venen oder der Lymphe in den Lymphgefässen ein Hinderniss sich entgegenstellen würde. Kranke, welche in Folge von Herz- und Lungenaffectionen die deutlichen Zeichen der venösen Stauung haben, müssten demnach die nicht zu übersehenden Folgen dieses behinderten Rückflusses zeigen. In Wirklichkeit aber beob- achtet man an ihnen wiederum das Gegentheil von Schlaf. Sie leiden bei- nahe regelmässig an Mangel an Schlaf oder wenigstens an schlechtem, unerquicklichem, ungenügendem Schlaf. Die dritte der erwähnten Theorien, welche den Schlaf als die Folge einer Ermüdung des ganzen Körpers oder einzelner Organe betrachtet, zeichnet sich vor den anderen dadurch aus, dass sie auf gut beobachteten Thatsachen gegründet zu sein scheint. Einmal kann man sich auf die Beobachtung berufen, dass der Schlaf eine periodisch auftretende Erschei- nung ist, die sich während der 24 Stunden des Tages gewöhnlich, wenn nicht besondere Bedingungen vorhanden sind, bei gesunden Individuen ein Mal für die Dauer von 7 bis 8 Stunden einstellt. Es ist klar, dass dieser Wechsel zwischen Wachen und Schlafen einen Grund haben muss, der in den Vorgängen des Leibes liegt,’und da der Eintritt des nächtlichen Schlafes um so leichter erfolgt, je mehr Arbeit während des Tages geleistet wurde — nach vollbrachter Arbeit ist gut ruhen —, so kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Ermüdung Ursache des Schlafes ist. Alle Veranlassungen, welche den Schlafeintritt unter gewissen Verhältnissen 12 Z. OÖPPENHEIMER: ; unterdrücken können, sind bei Ueberermüdung machtlos und selbst die sichere Ueberzeugung, dass während des Schlafes das Leben Schaden er- leiden wird, kann das dringende Schlafbedürfniss nicht aufheben. Unterstützt wird dann diese Hypothese durch die Beobachtungen, die man an ruhenden und thätigen Zellen der Drüsen, der Muskeln und an Nervenzellen angestellt hat. Man hat an ermüdeten Ganglienzellen, die begreiflich für eine Theorie des Schlafes besonders in Betracht kommen, die Form und Lage des Kernes und die Configuration des Protoplasmas verändert gefunden und mit Recht daraus geschlossen, dass während der Thätigkeit eine Umänderung der chemischen Constitution und eine Ab- nahme von Vorrathsstoffen, die sonst zur Arbeit verwendet werden können, stattfindet. Es wird aber auch ohne Weiteres begreiflich, dass in einem Ermüdungszustand die Bedingungen für eine chemische Umsetzung un- günstiger werden und dass die Kraft, welche diese Umsetzungen hervor- zubringen im Stande ist, um so grösser werden muss, je mehr die Menge von chemischen Affinitäten, die an einer Zelle vorhanden sind, zurück- gegangen war. In Uebereinstimmung mit diesem Gedankengange hat man Apparate construirt, welche die Tiefe des Schlafes messen sollen. In Wirklichkeit sind sie aber nur im Stande, die Erregbarkeit gewisser centraler Sinneszellen während des Schlafes und deren Einfluss auf den schlafenden Körper oder, was ebenfalls möglich wäre, auf den besonderen Körpertheil, der den Schlaf vermittelt, zu bestimmen. Ob der ganze Körper oder nur ein Organ desselben dabei in Betracht kommt, wird später noch besprochen werden. Hier sei nur soviel erwähnt, dass man aus der Intensität eines Geräusches nur dann einen Schluss auf die Schiaftiefe ableiten kann, wenn man die Erregbarkeit der in Frage kommenden Zellenecomplexe kennt. Es ist diese Erregbarkeit der Zellen keine unter allen Verhältnissen gleich bleibende Grösse. Sie zeigt die grössten individuellen Verschieden- heiten, und wenn man auch über deren Ursache keine sichere Auskunft geben kann, so hat doch die Erfahrung aller Zeiten dazu gedrängt, sie zu- zugeben. Die Lehre der Constitutionen ist schon so alt wie die Medicin und konnte trotz ihrer mangelhaften Begründung niemals aufgegeben werden, weil der Praktiker ohne sie nicht auskommen kann. Bei allen Versuchen, die man zum Zwecke der Erklärung gemacht hat, ist man immer wieder darauf zurückgekommen, ihr Wesen in dem Verhalten des Körpers, der Organe oder der Zellen gegenüber äusseren Reizen zu suchen. Das heisst nach unserer heutigen Denkweise, die Wirkung der Reize bestimmt sich nach dem Ernährungszustand der Zelle, nach dem Verhältniss der Assimi- lation und Dissimilation, das, individuell verschieden, eine angeborene oder während des Lebens erworbene Eigenschaft des Organismus ist. Es giebt Individuen und es giebt einzelne Organe in demselben Individuum, die ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 73 dazu befähigt sind, mit Leichtigkeit Ernährungsmaterial in sich aufzu- nehmen und mit grosser Zähigkeit festzuhalten, es giebt andere, die wohl leicht aufnehmen, aber rasch umsetzen und leicht ermüden, und endlich solche, deren Assimilation normal zu sein scheint, deren Dissimi- lation eine gestörte ist, die die Vorrathsstoffe nicht zur Arbeit, sondern zur Fettbildung verwenden und so leicht in den Zustand der Ermüdung ge- langen. Die ersten sind die starken Constitutionen, die kräftig arbeiten und, was hier besonders zn erwähnen ist, geringes Schlafbedürfniss haben. Während der kurzen Dauer ihres Schlafes sind sie, wie es scheint, befähigt, neues Material zur Ausgleichung der Verluste aufzunehmen und Zersetzungs- stoffe auszuscheiden. Die zweiten, die Erethiker und Sanguiniker, bei denen man aus ihrer Handlungsweise, aus der raschen, gleichsam explosiv er- folgenden Muskelthätiekeit und ihrer lebhaften sensorischen und psychischen Thätigkeit einen raschen Zerfall der angehäuften Vorrathsstoffe erschliessen darf, ermüden leicht und haben grosses Schlafbedürfniss, das sich auch während des Tages häufig einstellt. Endlich haben die schlaffen Constitu- tionen mit ihrem erschwerten Stoffwechsel grosse Neigung viel zu schlafen und müssen dieser Neigung nachgeben, trotz ihrer Ueberzeugung, dass ein mehr thätiges Leben ihren Zustand verbessern könnte. Die Beobachtungen, dass das Schlafbedürfniss je nach der constitutio- nellen Beschaffenheit der Körperzellen ein verschiedenes ist, dass je nach der Intensität die Thätigkeit in den Körperorganen der Schlaf sich leichter oder schwerer einstellt und dass endlich die in Folge der Thätigkeit ein- getretene Veränderung in der Form und in dem Inhalt der Zellen unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden kann, diese Beobachtungen machen es in hohem Grade wahrscheinlich, dass eine causale Beziehung zwischen Ermüdung und Schlaf bestehe. Sie berechtigen aber nicht zu dem Schlusse, dass diese Causalität eine unmittelbare se. Nur wenn durch Erfahrung festgestellt wäre, dass unter allen Umständen dem Schlaf ein Ermüdungs- vorgang vorausginge oder wenn durch physiologische Erfahrung die zwischen Schlaf und Ermüdung bestehenden Beziehungen bekannt wären, dürfte man jenen Schluss machen. Beide Voraussetzungen treffen aber nicht zu. Einmal ist es bekannt, dass Individuen, die gar nichts thun, ebenfalls in Schlaf verfallen und der Zustand der Langweile, wo weder eine körper- liche noch eine geistige Arbeit geleistet wird, führt mit Leichtigkeit in den Schlaf über. Dass dann ferner die Ermüdung nicht genügt, um Schlaf zu erzeugen, kann man daran erkennen, dass das Einschlafen nicht erleichtert wird, wenn die Thätigkeit und in Folge davon die Ermüdung fortgesetzt, sondern in den meisten Fällen erst möglich wird, wenn Sinnesreize, Muskel- bewegungen und Denkoperationen von uns abgehalten werden können. Wir schlafen am besten in der ruhigen horizontalen Lage, bei der Ruhe der 14 Z. ÖPPENHEIMER: Nacht und wenn es uns gelingt, die Hirnthätigkeit einzustellen. Es muss an einer anderen Stellen diese Wirkung der Ruhe näher besprochen werden. Es müsste ferner, wenn die Hypothese, dass der Substanzverlust der Zellen die einzige Ursache des Schlafes wäre, richtig sein soll, das Er- wachen vom Schlaf in dem Momente eintreten, wo die Zellen wieder den Bestand an den ihnen zukommenden Vorrathsstoffen erreicht hätten. Bei einzelnen Individuen scheint dies wirklich der Fall zu sein, sie erheben sich sofort von ihrem Lager und sind bereit und fähig, den ihnen obliegenden körperlichen und geistigen Arbeiten nachzugehen. Sie gehen aus dem Zu- stande des Schlafes direct in den des Wachens über. Trotzdem kann man an der Möglichkeit dieses plötzlichen Ueberganges zweifeln, weil bei den meisten Menschen das Gegentheil stattfindet. Ich gebe zu, dass es nicht möglich ist, ein für alle Fälle zutreffendes Urtheil über den Vorgang des Erwachens sich zu bilden. Wenn man jedoch sich selbst beobachtet und aus den Erzählungen Anderer sich eine Vorstellung darüber macht, so scheint das Erwachen sich so zu vollziehen, dass zuerst die Verbindung von Associationen, das Aneinanderknüpfen der mannigfachen Erinnerungs- bilder, die fortwährend in uns auftauchen, leichter und vielleicht auch plan- mässiger geschieht als im Traume, der den wirklichen Schlaf begleitet. Aber es fehlt diesem Vorgange die bestimmte zielbewusste, durch den Willen gelenkte Aufmerksamkeit, die im wachen Zustande zur Ausarbeitung von klaren Gedanken führt. Die Urtheilskraft und die Entwickelung der Begriffe ist unsicher und hat sich noch nicht zu jener Höhe entwickelt, die ein waches Individuum gewöhnlich erreicht. Auch die Fähigkeit der Sinnesorgane, Empfindungen hervorzurufen und sie zu Wahrnehmungen zu gestalten, steht noch unter dem normalen Mittel. Nicht unpassend hat die Sprache diesen Zustand als ein Dämmern bezeichnet. Wir befinden uns wirk- lich in einem Zustand zwischen Helligkeit und Dunkelheit, der sich von dem beim Einschlafen bestehenden Zustand dadurch unterscheidet, dass hier der Uebergang vom Hellen zum Dunkeln ein fortschreitender und wegen der Ermüdung ein unangenehmer ist, während dort das Gefühl der Ermüdung verschwunden und das Spiel der Geisteskräfte ungezwungen, wenn auch in falschen, nicht beabsichtigten Bahnen vor sich geht. Es liegt in diesem psychischen Vorgang, der sich mit den vorhandenen Erinnerungen und ihren mannigfachen Combinationen beschäftigt, ein gewisser Reiz, dem wir uns gerne hingeben. Wir fühlen uns behaglich, wenn wir den kaleido- skopischen Bildern folgen, von denen alle einen gleichwerthigen Eindruck . auf das noch unklare Ichgefühl ausüben und in keiner Weise das Selbst- gefühl stören. Wir würden dieses Vergnügen, das die Meisten von uns an Sonntagen und in den Ferien so gerne geniessen, wohl täglich aufsuchen, wenn nicht Hunger oder Pflicht oder ein starker Sinneseindruck, wie helles ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 75 Sonnenlicht, Geräusch des Hauses oder der Strasse, Druck auf die Haut vom Liegen uns aus dem Halbschlaf vollständig erwecken würden. Wo diese Anregungen fehlen, wo eine geistige Indolenz besteht, wo das Gegen- theil von dem vorhanden ist, was Shakespeare über Cassius sagt: er denkt zu viel, er liest, ist ein grosser Prüfer und durchschaut das Thun des Menschen, da wird der Schlaf länger und in Folge des geringen Ver- brauches von Zellbestandtheilen kommt es zum Ansatz von Fett. Deshalb liebte Cäsar wohlbeleibte Männer mit glatten Köpfen, die Nachts gut schlafen. — Aus diesen Erfahrungen darf man den Schluss ziehen, dass das Erwachen von dem richtigen Wiederersatz der verbrauchten Substanzen und von der Einwirkung eines bestimmten Reizes auf den Schlafenden, sowie das Einschlafen von dem Verbrauch der Vorrathsstoffe und dem Mangel an Reizen abhängt. Allein auch mit diesen Einschränkungen wird der oben erwähnte zweite Einwand gegen die Annahme, dass der Schlaf eine einfache Ermüdungs- erscheinung sei, nicht gehoben. Niemand kann Aufschluss darüber geben, wie eine übermässige Muskelbewegung, die eine einfache Muskelermüdung verursacht, so wirken kann, dass eine Abschwächung oder Aufhebung des Willens und Bewusstseins, des Denkens und Urtheilens, wie sie für den Schlaf charakteristisch sind, zu Stande kommen kann. Diejenigen, welche diese Annahme dennoch gemacht hatten, waren genöthigt, dem Körper den Besitz einer überall verbreiteten nervösen Kraft zuzuschreiben, die von allen Organen benutzt werden könne und davon Erschöpfung den Schlaf, deren Wiedererneuerung das Erwachen bedinge. Sie sind aber den Beweis für diese wunderliche, an keine Materie gebundene Kraft, die viel zweck- mässiger Seeje genannt würde, schuldig geblieben. Die grosse Mehrzahl der Physiologen hat sich jedoch mit der Frage, wie der Schlaf nach körperlicher Ermüdung entstehe, nicht beschäftigt. Sie hielten sich nur an die Erscheinungen, die im Schlaf beobachtet werden können und meinten, dass das Gehirn in seiner Gesammtheit von der Er- müdung betroffen und dadurch functionsunfähig würde und in Schlaf ver- falle. Man kann nicht in Abrede stellen, dass durch Thätigkeit der Hirn- zellen, deren Protoplasma verändert wird, schliesslich ein Zustand eintreten kann, wo jede Association und alles Denken unmöglich wird. Allein in der Regel erreicht die Ermüdung keinen so hohen Grad. Man kann wohl schlafen, das fühlt man deutlich, aber man kann durch den Willen den Eintritt desselben aufhalten. Man kann ferner gehend oder im Wagen fahrend oder zu Pferde sitzend schlafen, was ebenfalls beweist, dass die Hirnthätigkeit im Schlaf nicht vollständig aufgehoben ist. Der Einwand hiergegen, dass diese Bewegungen Reflexacte seien, die von früher eingelernt, mit der Zeit ohne klares Bewusstsein ausgeführt werden, ist ohne Bedeutung, 76 2. ÖPPENHEIMER: weil sie, um zweckmässig und regelmässig zu sein, der fortwährenden Con- trole bedürfen und unter der Hemmung des Willens oder einer anderen geistigen Kraft stehen. Etwas von diesen Fähigkeiten muss auch im Schlaf übrig bleiben, wie die Fähiekeit zu empfinden, zu zählen und zu ver- gleichen, wenn man den Vorsatz, zu einer bestimmten Zeit zu erwachen, in Wirklichkeit ausführt. Was aber ein unwiderlegbarer Beweis für die Annahme ist, dass nicht alle Hirntheile zu gleicher Zeit schlafen, sind die Träume. Sie zeigen aufs Deutlichste, dass während des Schlafes die Vor- gänge der Association bestehen bleiben, dass aber das klare Bewusstwerden derselben erschwert oder aufgehoben ist. Es besteht zwischen den Forschern, die sich mit der Theorie des Traumes beschäftigt haben, volle Uebereinstim- mung, dass im Traume das Associationsgebiet, in welchem die Erregungen der äussern Sinnesorgane niedergelegt sind, thätig bleibt. An die Erregung einer centralen Sinneszelle, mag dieselbe durch äussere Einflüsse oder durch innere Veranlassung hervorgebracht sein, schliessen sich Erregungen von anderen an, die mit jener einmal verbunden waren und dieser Vorgang vollzieht sich um so leichter, je häufiger die gegenseitigen Verbindungen eingeübt wurden. Je reicher der Inhalt der erworbenen Erfahrung bei dem Einzelnen, je entwickelter die Uebung ist, mit der Vergleichungen, Synthesen und Analysen der Associationsvorstellungen angestellt wurden, desto mannigfaltigere Gestalt und Form nehmen die Träume an. Bei geistig eingeschulten Individuen, bei denen gewisse Gedankencomplexe eine solche feste Form angenommen haben, dass die Erregung eines Theiles dieser Complexe den ganzen Gedanken hervortreten lässt, kann die Stärke der Traumvorstellungen so bedeutend werden, dass nach Meinung vieler Psychologen scheinbar willkürliche Bewegungen ausgeführt werden. Nach Angabe Anderer sollen selbst Erfolge der geistigen Arbeit von hohem Werth im Traume zu Stande kommen können. Es soll hier nicht untersucht werden, ob diese Mittheilungen und die so oft gehörte Redensart: der Herrgott giebt’s ihm im Schlafe, ihre Berechtigung haben. Es wäre mög- lich, dass als seltene Ausnahme die Combinationen der unwillkürlich er- folgenden Associationen so günstig sind, dass dem Träumer die Lösung eines Problems in den Schooss fällt und dass zu gleicher Zeit die Inten- sität und Extensität dieses Vorstellungsverlaufes so stark ist, dass dadurch wie durch einen starken Sonnenreiz das Erwachen herbeigeführt wird. Ge- wöhnlich fehlt den Traumbildern dieser intensive Werth, sie ziehen wie Schatten an uns vorüber, ohne einen tiefen Eindruck in den Zellen des Gehirns, in denen sie entstanden sind, zu hinterlassen und ohne diese in den Grad von Erregbarkeit zu versetzen, welcher das Erinnern möglich macht. So schwach aber auch diese Vorgänge sein mögen, so gross auch der Unterschied zwischen diesen verblassenden Träumen und jenen ein- ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. DT drucksvollen sind, eine qualitative Verschiedenheit unter ihnen und zwischen ihnen und dem wachen Zustand besteht nicht. Immer sind es die Organe der Empfindungen und Vorstellungen, deren Thätigkeit natürlich stets qualitativ die gleiche bleiben muss, aber in dem wachen Zustand mit voller Klarheit, beim intensiven Traume deutlich, aber etwas verwaschen und im gewöhnlichen Traume immer noch etwas, aber sehr unbedeutend gefühlt wird. An diese letzte Form, von der man nur sagen kann, dass, aber nicht über was man geträumt habe, schliesst sich der Zustand an, wo das Bewusstsein oder das Bewusstwerden, das Fühlen vollständig fehlt, wo das Ich aus seiner Verbindung mit der Aussenwelt abgelöst und alle seine geistigen Functionen eingestellt zu haben scheint. Für die meisten Psychologen hat es aber nicht den Anschein, als ruhe im traumlosen Schlafe jede geistige Thätigkeit, sie halten es vielmehr für sicher, dass sie in Wirklichkeit zum Stillstand gekommen sei. Sie ver- fahren bei der Aufstellung dieses Satzes ganz consequent, weil sie der Meinung sind, dass die Rinde wenigstens bei den höhern Vertebraten, wo sie gut entwickelt ist, der Träger aller höheren Geistesthätigkeiten sei, wozu begreiflicher Weise auch das Bewusstsein gehöre. Man wird Angesichts der Erfahrungen, die man über die Function der Rinde gesammelt hat, gerne zugeben, dass sie derjenige Hirntheil sei, in welchem Empfindungen und Associationen, Vorstellungen und Begriffe gebildet werden, dass von ihr die willkürlichen Bewegungen ausgehen und auch Urtheile vollzogen werden. Allein aus diesen Thatsachen kann nicht gefolgert werden, dass sie auch zugleich dasjenige Organ sei, in dem das Bewusstsein dieser Vorgänge entsteht. Es ist meines Wissens keine Thatsache bekannt, welche für die Verlegung des Bewusstseinsorgans in die Rinde spricht und damit ausschliesst, dass bei seinem Zustandekommen nicht auch andere unter der Rinde gelegene Theile betheiligt seien. Eine derartige Möglichkeit muss man nicht allein bei der Frage nach dem Sitze des Bewusstseins im Auge behalten, sondern auch dann, wenn es sich darum handelt, bewusste Willenshandlungen und Vorgänge der Aufmerksamkeit zu erklären. Diese Möglichkeit wird zu einer berechtigten Vermuthung, wenn man die Erscheinungen des Traumschlafes mit denen des wachen Zustandes vergleicht. Wenn, wie schon angeführt wurde, während des Traumschlafes die Hirntheile, denen die Association zufällt, in gleicher Weise thätig ist, wie im wachen Zustande und ein Unterschied zwischen ihnen nur insofern besteht, dass in dem einen Falle die Aufmerksamkeit in geringerem Grade erregt wird als in dem anderen, die Vergleichung mit anderen Traum- bildern erschwert, die Willensfähigkeit, die zu jedem geordneten Denken nöthig ist, abgeschwächt oder aufgehoben wird und nur ein schwaches Be- wusstsein von dem, was im Traume vorgeht, besteht, so muss man daran 78 Z. OÖPPENHEIMER: denken, dass im Gehirn zwei Organe vorkommen, von denen das eine die Associationen vermittelt und das andere die Function besitzt, während des wachen Zustandes das Bewusstwerden der Associationsvorgänge, die Auf- merksamkeit und eine geregelte Willensthätigkeit zu ermöglichen. Dieses zweite Organ, müsste man weiter annehmen, verfalle im Schlafe in einen Zustand, wo seine Function nur in beschränktem Maasse ausgeübt werden kann, wie im Traume, oder ganz aufgehoben ist, wie im tiefen Schlafe. Dass wir in diesem Zustande des completen Schlafes nicht entscheiden können, ob die Associationsorgane noch thätig sind, ist leicht begreiflich. Wir können eben nur durch das Bewusstwerden der Associationen etwas von ihnen erfahren. Wo sie uns nicht bewusst werden, kann man jedoch nicht sagen, dass sie vollständig fehlen. Wenn man beobachtet, dass ein fest schlafender Mensch ohne jedes Bewusstsein sich in zweckmässiger Weise umwendet, an dem passenden Orte reibt oder die Glieder aus einer un- bequemen Lage in eine geeignete Stellung bringt, so kann man nicht zweifeln, dass auch im completen Schlafe die geistige Thätigkeit nicht ganz aufgehoben ist. Der Centralapparat für die Empfindungen, die Rinde, muss auch dann noch die Fähigkeit bewahrt haben, Sinneseindrücke auf- zunehmen und entsprechende Bewegungen auszuführen. Die Vermuthung, dass bei geistigen Vorgängen im wachen Zustande zwei Factoren wirksam sind, von denen der eine im Schlafe in Unthätig- keit verfällt, kann nicht den Vorzug in Anspruch nehmen, etwas Neues zu sein. Wenn die naive Volksmeinung Vorstellungen vor’s oder in’s Be- wusstsein treten lässt, wenn dicke Abhandlungen über bewusste und un- bewusste Vorstellungen geschrieben wurden, so scheint hier überall der Gedanke vorgeschwebt zu haben, dass der an sich einheitlich aufgefasste Geist oder die Seele aus zwei Componenten zusammengesetzt sei. Eine bestimmte auf die Eigenschaften dieser Componenten gerichtete Fassung konnte jedoch die Frage nach ihrem Sitze nicht annehmen, weil man über die Voraussetzung einer einheitlichen Seelensubstanz oder Seelenkraft nicht hinauskam und sich damit jeden Weg zur Ermittelung der Componenten versperrte. Lässt man aber alle Speculationen über Geist und Seele bei Seite und hat den Vortheil, sich wie hier, in einer Abhandlung über den Schlaf, nicht darum kümmern zu müssen, so steht man vor der Frage, welche zwei Hirntheile in Betracht kommen können? Der eine, darüber besteht wohl kein Zweifel, ist die Rinde. Welches ist aber der andere, der beim Schlaf seine Thätigkeit eingestellt hat und der, falls er vorhanden ist, auch im wachen Zustande von der grössten Bedeutung für die geistige Arbeit sein muss? Für die Beantwortung dieser Frage steht zunächst eine Thatsache zu Gebote, welche an und für sich nicht bewiesen ist, aber doch einen Anhalts- ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 79 punkt dafür bietet, wo im Gehim der postulirte Hirntheil zu suchen sei. Da nämlich, wie man annehmen darf, alle Wirbelthiere die Fähigkeit zu schlafen besitzen, so kann nur der Theil des Gehirns in Betracht kommen, der in der ganzen Reihe der Wirbelthiere ohne Ausnahme vorhanden und dessen Entwickelung und Ausbildung nicht so vielen und beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist, wie die Hemisphären des Gehirns. Diese sind bekanntlich secundäre Gebilde, die aus der vorderen Hirnblase heraus- wachsen, bei Selachiern, Teleostiern und in manchen Reptilien theils fehlen, theils schlecht entwickelt sind und erst bei den höher stehenden Vertebraten den Grad von verwickeltem Bau erreichen, wie er uns in höchster Ent- wickelung beim Menschen bekannt ist. Die primären Gebilde der vorderen Hirnblase, der Thalamus oder Sehhügel hingegen findet sich bei allen Wirbelthieren und die Frage, ob in ihm die Bedingungen enthalten sind, die zum Einschlafen und zum Schlaf nothwendig sind, ist deshalb gewiss gerechtfertigt und der Versuch ihrer Beantwortung geboten. Bei diesem Versuch stösst man von voraherein auf eine Schwierigkeit, die trotz der sorgfältigen Bemühungen der besten Hystologen bis jetzt nicht beseitigt werden konnte. Sie liegt in dem Mangel einer genauen Kenntniss über die anatomischen Beziehungen, die zwischen dem Thalamus und anderen Hirntheilen bestehen. Ein Resultat der bisherigen Untersuchungen ver- dient jedoch der besonderen Erwähnung, die Thatsache nämlich, dass gegen- über der grossen Zahl von zuleitenden Bahnen, die im Thalamus enden, relativ nur eine geringe Zahl ableitender Bahnen sich nachweisen lässt (v. Kölliker), oder wie Edinger sagt, dass der Thalamus im Verhältniss zu seiner ungeheueren Masse von Zellen nur sehr wenig Fasern nach ab- wärts sendet. Er drückt diese Beobachtung mit klaren Worten aus, dass er die Eigenschaften eines Centralapparates besitzt. Physiologische Untersuchungen und pathologische Erfahrungen ersetzen theilweise den Mangel anatomischer Kenntnisse. Sie lassen sich in zwei Gruppen sondern, die, so verschieden sie auch in die Erscheinung treten, ihre Zusammengehörigkeit, wie später gezeigt werden soll, zu erkennen geben. Die eine Gruppe von Erscheinungen wurde hauptsächlich von Bechterew untersucht. Er hat festgestellt, dass nach Verletzung der Sehhügel bei Thieren ein Ausfallen der meisten sogenannten Ausdrucksbewegungen beob- achtet wird. Die Thiere können weder spontan noch bei Einwirkung schwacher Reize in der ihnen sonst geläufigen Art durch mimische oder pantomimische Bewegungen sich äussern. Reizung des Sehhügels hingegen bewirken Bewegungserscheinungen an verschiedenen Körpertheilen, besonders an den Gliedern und Muskelgruppen, die den Thieren im normalen Zu- stand zu Ausdruckszwecken, zur Bewegung des Gesichts und der Ohren, 80 2. OPPENHEIMER: zu mannigfachen Aeusserungen der Stimme dienen. Es ist ferner noch interessant, dass Thiere, denen man die Sehhügel zerstört, die Hemisphären aber unversehrt gelassen hat, ihrer willkürlichen Bewegungen vollkommen mächtig blieben, aber unfähig wurden, ihre Gefühle und Affecte durch Ausdrucksbewegungen zu äussern, wenn nicht sehr starke Reize, wie heftiger Schmerz, einwirkten. In letzterem Fall zeigten sich noch einförmige Stimm- äusserung und Erscheinungen allgemeiner Unruhe, Erscheinungen, über deren Entstehung man nicht klar ist. Im Allgemeinen darf man jedoch schliessen, dass die Sehhügel Centren für die angeborenen Ausdrucks- bewegungen sind. Nicht weniger beweisend, als diese physiologischen, experimentellen Untersuchungen sind die Erfahrungen am Krankenbett. Es liest eine Reihe von Beobachtungen vor, wo bei fehlenden Grosshirnhemisphären oder bei Lähmung der willkürlichen Motilität, die selbst die Gesichtsmuskeln ergriffen hatte, das mimische Muskelspiel nicht verändert war. Es sind ferner Fälle bekannt, wo bei Affection des Sehhügels die willkürliche In- nervation der Muskeln vollkommen erhalten war, während die Fähigkeit, Empfindungen vermittelst mimischer Bewegungen zum Ausdruck zu bringen, eine Störung erlitten hatte. In allen bis jetzt bekannten Fällen, wo die Affection lediglich die Masse des Sehhügels betraf, ist nirgends von einer Schläfrigkeit, von Schlaf oder von Bewusstlosigkeit die Rede. Es wird vielmehr gewöhnlich angegeben, dass Schmerzgefühl, Tastempfindung der Haut, Muskelgefühl, Gehör, Geruch und Geschmack vollständig erhalten waren, und nur das Sehvermögen wird manchmal als verändert bezeichnet, was wegen des Zusammenhanges des Opticus mit dem Sehhügel leicht ver- ständlich ist. In Uebereinstimmung mit diesen Erfahrungen bei tieferen Störungen im 'Thalamus stehen die, welche man als Folge eines Reizungsvorganges in der Substanz des Sehhügels anzunehmen berechtigt ist. Bekanntlich werden bei der als Chorea minor bezeichneten Krankheit convulsivische Bewegungen im Gesicht in Form der verschiedensten Grimassen und auch an den Extremitäten beobachtet, die nicht von einer Affection der willkür- lichen Centren abhängen. In vielen dieser Fälle hat man auch im Gross- hirn nichts gefunden, was zur Erklärung dieser Bewegungen hätte benützt werden können, im Thalamus aber waren in manchen Fällen eircumscripte Veränderungen, wie capillare Embolien, alte Narben von Blutergüssen, Herde oder selbst kleine Tumoren nachweisbar, die wohl als Reizquelle dienen konnten. In anderen Fällen, wo der Thalamus frei von jeder Affection war, hat man Grund zur Annahme, dass die Chorea durch eine Reizung derjenigen Fasern verursacht wurde, die mit dem Thalamus in enger Beziehung stehen und ihre Reizung auf ihn übertragen können. ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. si Mag die Ursache dieser mimischen Bewegungen noch so verschieden sein, was sie besonders auszeichnet, ist die Beobachtung, dass der Schlaf dabei nicht gestört wird, dass sie sogar während des Schlafes aufhören. Diese Beobachtung hat deshalb eine besondere Wichtigkeit, weil sie zeigt, dass die verhältnissmässig kleinen Veränderungen, die man als Ursache der Chorea gefunden hatte, ungenügend zur Erzeugung der unwillkürlichen Be- wegungen sind, und dass dazu noch eine Erregung gehört, die nur im wachen Zustand vorhanden ist und während des Schlafes wegfällt. Wie diese Erregung beschaffen ist, wird sich aus den folgenden Auseinander- setzungen ergeben. Zuvor muss jedoch die zweite Gruppe von Erscheinungen besprochen werden, die bei Veränderungen am Thalamus beobachtet worden sind. Experimentell konnte bis jetzt hierüber nichts ermittelt werden, weil sie von der Art sind, dass das Thier keinen Aufschluss darüber geben kann, und weil sie sich nicht als Bewegungen äussern, die wir messen und be- schreiben können. Auch dürfte es schwer, selbst unmöglich sein, ein Ex- periment so einzurichten, dass der in Frage stehende Hirntheil allein gereizt oder gelähmt würde, ohne andere Zellencomplexe im Gehirn zu verletzen und Erscheinungen zu veranlassen, die mit ihm in keiner directen Beziehung stehen. Wir sind deshalb bei dem Studium der Erscheinungen der zweiten Gruppe auf die Erfahrungen angewiesen, die uns die Natur in Form von pathologischen Vorgängen an die Hand giebt. Derartige Krankheitsfälle sind in den letzten 25 Jahren, allerdings in geringer Anzahl nur, bekannt geworden. Der meines Wissens erste Fall wurde von Gayet beschrieben. Der Kranke, bei dem bei der Autopsie ein Entzündungsprocess nachgewiesen wurde, der die ganze Masse des Sehhügels beiderseits ergriffen hatte und auf die Seitenwände des dritten Ventrikels sich erstreckte, zeigte während des Lebens eine unbesiegbare Neigung zum Schlaf, so dass er beinahe ununterbrochen schlief. Ausser allgemeiner Schwäche und Apathie fiel an dem Kranken noch besonders auf, dass seine Plıysiognomie unbeweglich war, obgleich er willkürlich seine Gesichtsmuskeln bewegen konnte, wie beim Sprechen die zur Articulation erforderlichen Muskeln richtig bewegte. Allgemeine Sensibilität, Tastempfindung, Gehör, Gesicht, Geruch und Geschmack sollen nicht beeinträchtigt gewesen sein. Wenn es in diesem Fall, wo noch geringe Lähmung der Augenlider, Schwäche der Körpermusculatur, temporäre rechtsseitige Hemiplegie bestand, was auf eine Ausdehnung des pathologischen Vorganges auf die Hirn- schenkel und des vorderen Kleinhirnstiels hindeutet, nicht deutlich wird, ob der ganze Thalamus oder nur dessen mediale Wand an dem dritten Ventrikel, das centrale Höhlengrau, für die Schlafsucht verantwortlich ge- macht werden konnte, so wird jeder Zweifel aufgehoben durch eine Beob- Archiv f. A. u. Ph. 1%2. Physiol. Abthlg. 6 32 Z. OÖPPENHEIMER: achtung Wernicke’s!, der eine Erkrankung der centralen grauen Substanz des dritten Ventrikels in Form geringer capillärer Blutmengen mit deutlich ausgeprägter Somnolenz als Polioencephalitis superior beschreibt. Das ganze Gehirn, mit Ausnahme des angegebenen Theiles im Thalamus, war vollständig normal gefunden worden und andere Symptome neben der Schlafsucht, mit Ausnahme von Störungen der Musculatur des Auges und unsicheren schwankenden Gang, die auf eine Reizung der nächstliegenden Thalamus- masse hinweisen, wurden nicht beobachtet. Aus dieser Beobachtung und einigen anderen später veröffentlichten, sowie aus den schon mitgetheilten Erfahrungen über die Function der Thalamusmasse, bei deren Erkrankung Schlafsucht nicht beobachtet wurde, muss man schliessen, dass nur die mediale Wand des Thalamus, das centrale Höhlengrau, wenn es in einem entzündlichen Zustand sich befindet, für den Schlaf verantwortlich gemacht werden kann, und dass dessen Zellen in Folge des entzündlichen Vorganges ihre Functionsfähigkeit verloren haben. Wenn dieser Schluss richtig ist, dann müssen auch die Einflüsse anderer Art, wenn sie nur fähig sind, die Eigenschaften dieser Zellen zu ver- ändern, denselben Erfolg haben. Leider sind wir nicht im Stande, über die Eigenschaften dieser Zellen und deren Veränderungen eine Aussage zu machen. Aber wie auch diese beschaffen sein mögen, so viel kann man nach Grundsätzen der allgemeinen Physiologie behaupten, dass durch Er- höhung des Druckes in der Umgebung der Nervenzellen deren physika- lische und chemische Eigenschaften verändert, dass durch verminderte Zu- fuhr von Ernährungsmaterial die Assimilation verschlechtert und gleichzeitig der Abfluss der Zerfallsproducte verlangsamt wird und dass durch den Verbrauch des Zellenmaterials, ohne dass zu gleicher Zeit, entsprechend dem Verbrauch, die Zufuhr sich steigert, ihre Functionsfähigkeit vermindert werden muss. Wir können so verstehen, dass bei plötzlicher Steigerung des Hirndruckes, gleichgültig aus welcher Ursache sie zu Stande kommt, bei rasch eintretender Anämie des Gehirns und in Folge einer Ueber- müdung eben so sicher Schlaf und Sopor sich einstellt, wie bei der Ent- zündung. In den Fällen, die durch Anämie oder Uebermüdung verursacht sind, kann man allerdings nicht unterscheiden, ob das centrale Höhlengrau allein oder die gesammte Hirnsubstanz ergriffen ist. Wenn aber der Schlaf das einzige erkennbare Symptom ist und andere cerebrale Erscheinungen fehlen, dann ist die Annahme, dass die Wand des dritten Ventrikels der leidende Theil ist, nicht zurückzuweisen, weil die Affectionen anderer Hirn- theile von Erscheinungen anderer Art begleitet sind. Bei den Fällen von _ gesteigertem Hirndruck wird man keinen Anstand nehmen, die Wirkung ! Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. 1885. ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. Ss3 auf die Zellen des Höhlengraus zuzugeben. Bei dem Zusammenhang zwischen dem dritten Ventrikel mit dem Subarachnoidalraume ist es be- greiflich, dass jede Erhöhung des allgemeinen Hirndrucks gerade im Mittel- punkt in dem dritten Ventrikel und an den ihn umgebenden Zellen am meisten sich bemerklich machen muss. Die Beobachtung von Kohts, der die bei einer tubereulösen Meningitis bestehende Somnolenz und den coma- tösen Zustand nach Anwendung einer Lumbalpunction vorübergehend schwinden sah, hat für diese Auffassung den Werth eines Experiments. Auf Grund dieser Erfahrungen am Krankenbett hat schon Mauthner die Vermuthung ausgesprochen, dass in dem centralen Höhlengrau ein Schlafeentrum liege, und dass jeder Schlafzustand, auch der physiologische, auf einer totalen Erschöpfung und Funktionsunfähigkeit dieser Hirngegend beruhe. Man setzt sich aber mit diesen Annahmen in Widerspruch mit der täglichen Beobachtung. Wohl kann es vorkommen, dass nach sehr starken Ermüdungen, mögen diese in Folge von körperlicher oder geistiger Arbeit eintreten, ein unwiderstehliches Schlafbedürfniss uns befällt. Aber der Schluss, dass hier das centrale Höhlengrau das ermüdete Organ sei, wäre etwas verfrüht, weil möglicher Weise in den überarbeiteten Organen die Bedingungen zum Eintritt des Schlafes gesucht werden müssen. Zudem sind wir fähig, in vielen Fällen, man kann wohl sagen in der überwiegenden Mehrzahl derselben, den Eintritt des Schlafes mittels des Willens zu unter- drücken. Wir werden am Schlafe gehindert, wenn starke, besonders un- regelmässig sich wiederhölende Sinneseindrücke auf uns einwirken oder wenn wir unter dem Einfluss von beunruhigenden, zu keinem befriedigenden Ab- schluss gelangenden Gedankenoperationen und Associationen stehen. Endlich giebt es Menschen von so abgerundeter, ausgearbeiteter Denkart, dass sie auch ohne jede wirkliche Ermüdung nach Willkür den Schlaf befehlen können. Joh. Müller gehörte nach seiner Versicherung zu diesen Schlaf- künstlern. Angesichts dieser Beobachtungen dürfte es schwer fallen, jeden Schlaf als eine Folge der Ermüdung in den Zellen des centralen Höhlengraus zu erklären. Man hätte wahrscheinlich auf die Ermüdung keinen so grossen Werth gelegt, wenn nicht mit dem Begriff des Schlafes die Vorstellung verbunden wäre, dass er ein täglich sich wiederholender Vorgang sei, be- stimmt, die Ermüdung zu beseitigen und eine Ansammlung von disponibler Kraft zu bewirken. Das geschieht während des Schlafes wirklich, und die Sprache hat deshalb mit richtigem Verständniss einen besonderen Ausdruck dafür geschaffen. Wissenschaftlich betrachtet ist aber der Schlaf eine Aus- fallserscheinung, ein Vorgang, durch welchen die Fähigkeit, Sinneseindrücke aufzunehmen, erschwert und das Bewusstwerden der körperlichen und gei- stigen Thätigkeit beschränkt oder selbst aufgehoben ist. Die pathologische St Z2. ÖPPENHEIMER: Anatomie giebt uns deshalb nur Auskunft darüber, dass diese Ausfalls- erscheinungen jedes Mal auftreten, wenn die Zellen des centralen Höhlen- graus eine Störung erlitten haben, und unterrichtet uns indirect, dass die Fähigkeit, Sinneseindrücke, Associationen und Denkacte wahrzunehmen, an die normale Beschaffenheit dieses Hirntheiles gebunden ist. Die patho- logische Anatomie kann aber keinen Aufschluss darüber geben, wie der physiologische Vorgang beschaffen ist, der den Gebrauch dieser Fähigkeit ermöglicht, ob dazu die Einwirkung besonderer Reize nöthig ist und ob der Mangel an solchen Reizen die gleiche Functionsunfähigkeit hervorbringt wie die pathologische Veränderung des Höhlengraus selbst. Zum Verständniss des Schlafes ist daher die Kenntniss des centralen Ortes allein nicht genügend, man muss auch die physiologische Function dieses Ortes nach jeder Richtung hin aufsuchen, und um dieses Ziel zu erreichen, kann man einzig und allein die Methode gebrauchen, welche für die Erforschung der Physiologie der Sinnesorgane so fruchtbar war. So hat man z. B. für den Gesichtssinn ebenfalls erst durch die Pathologie erfahren, dass zu seiner normalen Function gewisse Theile in dem Hinter- hauptslappen nothwendig sind. Eine Degeneration oder eine experimentelle Zerstörung desselben hebt die Fähigkeit des Sehens auf und erzeugt eine Blindheit, die man zum Unterschied von Erblindungen anderer Art als Seelenblindheit bezeichnet hat. Ob eine directe Reizung dieser optischen Centren im Hinterhauptslappen Lichtempfindung verursacht, wissen wir nicht. Wir sind aber trotzdem berechtigt, dies anzunehmen, weil eine Reizung der Retina, die mit jenen Centren anatomisch verbunden ist, einen optischen Eindruck hervorbringt. So werden wir uns auch eine Vor- stellung über die Function des Höhlengraus bilden dürfen, wenn wir den Zusammenhang desselben mit den zuleitenden Nervenfasern kennen und die Art von Erregungen erforscht haben, welche in den Leitungsfasern dem Centrum zugeführt werden. Erst wenn man hierüber im Klaren ist, kann man hoffen entscheiden zu können, ob Schlaf und Wachen das Product einer automatischen, unter normalen Verhältnissen einem periodischen Wechsel unterworfenen Thätigkeit gewisser Thalamuszellen sind, die beim Eintritt des Schlafes in Folge einer Ermüdung dieser Zellen aufhören müsste, oder ob der wache Zustand eintritt, wenn gewisse Erregungen ihnen zugeführt werden, und Schlaf zu Stande kommt, wenn diese Erregungen fehlen. Die Aufgabe, die aus dieser Forderung hervorgeht, ist schwierig und bei dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse kaum in befriedigender Weise zu lösen. Man kennt zwar eine Reihe von Faserzügen, die im Thala- mus endigen, und daraus lässt sich, wie schon erwähnt, schliessen, dass er ein wichtiges Uentralorgan ist. Aber es lässt sich nicht angeben, an welchen ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. on ou Zellen die einströmenden Fasern sich aufsplittern und noch weniger hat man den Ursprung dieser Fasern bis jetzt genau erforscht. Eine Vermuthung zu äussern über die Art von Erregungen, die dem Thalamus in diesen Zügen zugeführt werden, ist deshalb immer etwas misslich und gewagt. Allein einmal muss der Anfang gemacht werden, und unter Berücksichtigung der bis jetzt bekannten Thatsachen scheint der Versuch nicht aussichtslos zu sein. Mit Vermeidung der von den Anatomen eingeführten und für die specielle Beschreibung gewiss vortheilhaften Benennung dieser Züge kann man im Allgemeinen drei Gruppen unterscheiden, von denen die eine die Fasern aus der Hirnrinde und den Stammganglien enthält, die andere die Fasern aus dem Riechhirn und die dritte die Zuzüge, die aus der Oblon- gata und dem Rückenmark kommen. Am wenigsten wissen wir von der Bedeutung der Rindenthalamus- fasern. Sie sind jedenfalls von Wichtigkeit für die Vorgänge im Thalamus. Ob sie aber- eine erregende Wirkung auf seine Zellen ausüben, oder ob sie im Gegentheil hemmend auf sie einwirken und deren Thätigkeit beschränken, können wir vorerst nicht entscheiden. Nur das kann man sagen, dass für die unzweifelhaft vorhandene Fähigkeit der Selbstbeherrschung, für die willkürliche Unterdrückung von Ausdrucksbewegungen, die in individuell wechselndem Grad eingeübt werden kann, eine Bahn vorhanden sein muss, die von dem Sitze der höchsten geistigen Functionen in der Hirnrinde zu dem Centrum der Ausdrucksbewegungen zieht. Etwas mehr kann man über die Bedeutung der zweiten Gruppe ver- muthen, weil ihr Ursprung und die Qualität der Erregungen bekannt ist. Es handelt sich hier hauptsächlich um Fasern, die in einem Theil des Riechhirns, dem Ammonshorn entspringen und im Fornix und Taenia thalami zum centralen Höhlengrau und dem Ganglion habenulae gelangen. Es ist das dieselbe Gegend, bei deren Entzündung man Schlafsucht be- obachtet hat, und es ist gewiss von Interesse, dass die Praktiker zur raschen Beseitigung von Schlaf und Ohnmacht kein besseres Mittel kennen, als Reizungen der Riechschleimhaut. Man darf aber auch die Beobachtung nicht verschweigen, dass eine lang dauernde Einwirkung von riechenden Sub- stanzen bei manchen, besonders bei schlafenden Menschen den Schlaf tiefer macht und häufig Betäubung und ohnmachtähnliche Zustände hervor- bringt. Diese Gegensätze in der Wirkung riechender Substanzen können wir vorerst nicht beseitigen, weil es unmöglich ist, experimentell festzustellen, ob die genannten Erscheinungen die Folge einer Intoxication aller Hirn- zellen sind, oder ob durch die lang dauernde Erregung eine Ermüdung der centralen Riechzellen zu Stande kommt und dadurch die Erregung der Fornixfasern und der Zellen, an welchen sie im centralen Höhlengrau endigen, wegfällt. Im letzteren Falle wäre leicht zu verstehen, warum 86 Z. OÖPPENHEIMER: gerade während des Schlafes, wo, wie noch gezeigt werden soll, die Erregung des centralen Höhlengraus eine herabgesetzte ist, die unangenehmen Sym- ptome sich deutlicher aussprechen, als während des Wachens. Eine Stütze für diese Vermuthung ist vielleicht in der Beobachtung gegeben, dass Thiere mit gut entwickeltem Riechhirn, von dessen sensorischen Fähigkeiten wir Menschen mit theilweis atrophischem Riechhirn uns keine Vorstellung machen können, wenn sie sich zum Schlaf niederlegen, sich einrollen, die Schnauze oder Schnabel unter die vordere Extremität verbergen und sich so vor allzu starken Erregungen des Riechorgans zu schützen scheinen. Das sind jedoch Vermuthungen, auf die kein grosser Werth zu legen ist, weil wir in Betreff der Anatomie des Riechhirns noch im Anfang der Untersuchungen uns befinden, und weil bei aller Anerkennung der grossen Verdienste, welche wir den ausgezeichneten Histologen für die Untersuchung des feineren Baues des Riechhirns zollen müssen, die Physiologie noch keinen Vortheil davon hat. Ich hätte auch nicht gewagt, die- angeführten Thatsachen und die darauf gegründete Vermuthung zu erwähnen, wenn nicht die nähere Betrachtung der dritten Gruppe von im Thalamus endigenden Fasern, wie mir scheint, Aufschluss über die physiologische Function ge- gewisser Thalamuszellen gäbe. Wenn man dann sieht, dass bei Reizung dieser Fasern gleiche oder ähnliche Erscheinungen auftreten, wie bei Er- regung des Riechhirns und des Fornix, dann wird man beurtheilen können, ob die Vermuthungen berechtigt waren oder nicht. In diese dritte Gruppe gehören Fasern, die das Mittelhirn durchziehen und im Thalamus endigen oder aus ihm entspringen. Eine scharfe Sonderung in centrifugale und centripetale Faserzüge ist bis jetzt auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestossen und deshalb sind wir nicht fähig, über die Bedeutung der dieses Gebiet durchziehenden Nerven eine vollständige Aufklärung zu geben. Wir dürfen und müssen aber an dem Vorhandensein von Bahnen vom Thala- mus zur Oblongata und Rückenmark festhalten und haben zuzusehen, ob damit physiologische Postulate befriedigt werden können. Physiologisch nothwendig ist nun eine im Thalamus beginnende cen- trifugal wirkende Bahn, welche die Vermittlerin der unwillkürlichen Aus- drucksbewegungen ist. Sie muss mit den corticalen Pyramidenfasern sich verbinden, und man hat Grund zur Annahme, dass diese Verbindung sich schon im Mittelhirn vollzieht. Man kann aber auch daran denken, dass durch das dorsale Längsbündel, das im Thalamus entspringt und an den motorischen Zellen des Vorderhirns endigt, ein Einfluss auf die Pyramiden- fasern ausgeübt wird. Allein das entscheidende Moment ist unsicher, weil man nicht weiss, ob die Fasern des dorsalen Längsbündels an musculo- motorischen oder vasomotorischen Zellen des Rückenmarkes sich aus- breiten. 27 ZuR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 57 Physiologisch nothwendig ist dann das Vorhandensein von zwei centri- petal wirkenden Faserarten. Die eine davon ist wohl allgemein zugestanden und stellt die Bahn dar, welche aus Kernen der Hinterstränge sich ent- wickelt und die Eindrücke der peripheren Sinnesorgane, die in der Haut und Museulatur liegen, zum Grosshirn leitet, Man ist jetzt der Ansicht, dass diese Leitungsfasern im Thalamus eine Unterbrechung erleiden, zu- nächst an Zellen desselben endigen, bevor sie ihren Lauf zum Grosshirn fortsetzen. Es giebt aber auch Autoren, welche Gegner dieser Ansicht sind und den Uebertritt dieser Fasern in’s Gehirn ohne Unterbrechung annehmen. Wie dem auch sei, die physiologische Erfahrung hat festgestellt, dass von dem Ursprung dieser Fasern in den speeifischen Endorganen eine isolirte Leitung bis zur Hirnrinde besteht, und daraus folgt, dass wenn auch im Verlauf durch den Thalamus eine Zelle eingeschaltet ist, aus dieser Zelle nur eine Faser, die zur Rinde zieht, abgegeben werden und eine Beziehung zu Thalamuszellen, besonders zu denen des centralen Höhlengraus, nicht bestehen kann. Neben dieser als Schleife bezeichneten Bahn giebt es noch eine zweite, die aus Fasern und Zellen zusammengesetzt ist und wegen des hierdurch entstehenden netzförmigen Baues den Namen Formatio reticularis erhalten hat. Die Axeneylinder der hier vorkommenden Zellen verlaufen zuerst horizontal und biegen dann um, werden Längsfasern, die in die Höhe steigen, um in der Gegend der vorderen Vierhügel unter dem Thalamus zu verschwinden. Während dieses Verlaufes nimmt, wie v. Kölliker mit- theilt, die Zahl der Längsbündel immer mehr ab, je mehr man den cere- bralen Theilen der Brücke und den Hirnstielen sich nähert. Die Formatio reticularis verhält sich in dieser und auch in anderer Beziehung genau wie die Seitenstrangreste des Rückenmarkes, aus denen sie sich entwickelt; der Querschnitt der Seitenstrangreste nimmt ebenfalls von unten nach oben ab und unterscheidet sich hierdurch von den Hintersträngen, die entsprechend der Zahl von unten nach oben zufliessender sensorischer Bahnen immer anwachsen. “u Welche Bedeutung die Formatio reticularis hat und was insbesondere die allmähliche Abnahme der Faserzahl hervorbringt, darüber kann be- greiflicher Weise die Anatomie keinen Aufschluss geben. Sie kann uns nur lehren, welche Methode der Untersuchung eingehalten werden muss, um die physiologische Function dieses Faserzuges zu ermitteln, und sie thut dies, indem sie die Abstammung der Formation aus den Seitenstrangresten des Markes herleitet. Sie zeigt, dass in der Formation nur Erregungen aufsteigen können, die zuerst die Seitenstrangreste durchlaufen haben, und stellt die Frage, wie diese spinalen Bahnen in Erregung versetzt werden können. 38 2. ÖPPENHEIMER: Die Antwort auf diese Frage habe ich schon vor zwei Jahren in der Abhandlung „Ueber die Physiologie des Gefühles“, wie mir scheint in aus- führlicher Weise gegeben. Eine Wiederholung könnte deshalb hier unter- bleiben. Für diejenigen aber, welche in ihrer Kritik den Kern der Frage übersehen oder geringschätzend behandelt haben, für die, welche alle Vor- gänge in den Nerven nach dem Schema der sensorischen und motorischen Nerven betrachten und blind sind für alle Fortschritte, welche die anato- mische und physiologische Forschung seit Bell gemacht hat, welche den Satz, dass alle Nerven entweder centripetales oder centrifugales Leitungs- vermögen besitzen, wie eine Glaubenssache nehmen, an der nicht gerüttelt werden dürfe, und vornehm die Beobachtung ignoriren, dass jeder Nerv doppelsinnig leitungsfähig ist, sei hier in wenig Worten der Inhalt jener Abhandlung recapitulirt. Es ergab sich: 1. Dass die Fasern der Seitenstrangreste aus gewissen Zellen des Hinterhorns (aus Strangzellen v. Kölliker) entspringen. 2. Dass ein Zusammenhang zwischen diesen Zellen und den Hinter- strängen nicht möglich ist, dass vielmehr diese Zellen mit Fasern in Ver- bindung stehen, die wohl die Spinalganglien und die hinteren Wurzeln durchziehen, aber von den Ganglien des Grenzstranges abstammen. 3. Dass von den Ganglien des Grenzstranges Fasern in die Peripherie abgegeben werden, die in dem Stamme der Spinalnerven zur Peripherie gelangen, aber nicht wie die sensorischen Nerven in einem specifisch ge- bauten Endapparat endigen, sondern in dem die Gefässe tragenden Binde- gewebe einen peripheren Nervenplexus bilden, in welchen Nervenzellen ein- gestreut sind. 4. Dass aus diesem Plexus marklose Fasern austreten, die einestheils in der Muskelhaut der arteriellen Gefässe, anderntheils an den Gewebs- elementen, welche dem Bindegewebe aufsitzen, sich vertheilen. Wir haben hier einen systematisch gegliederten Faserzug vor uns, der sich von den sensorischen Nerven, abgesehen von ihrer Endigungsweise an den Geweben, wesentlich dadurch unterscheidet, dass in ihm eine Nerven- strecke eingeschaltet ist, die je nach dem Ursprung der Erregung in trans- fugaler wie in centripetaler Richtung durchflossen werden kann. Transfugal wird die Erregung geleitet, wenn sie von dem Centrum, von den vaso- motorischen Zellen des Vorderhirns ausgeht und auf dem Wege durch die vorderen Wurzeln zu den Ganglien des Grenzstranges gelangt. Wie ein centripetaler Nerv wird aber die Strecke benutzt, wenn dem Abfluss des constanten vasomotorischen Stromes in der Peripherie sich ein Hinderniss entgegenstellt und eine von unten nach oben zunehmende Stauung jenes constanten vasomotorischen Stromes bewirkt. ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. s9 Bewiesen wird diese Annahme durch die Beobachtung, dass einerseits jede Reizung der an den Geweben sich ausbreitenden Nervenendigungen den Einfluss des vasomotorischen Stromes auf die Gefässmuskeln herabsetzt und eine Erweiterung des Gefässlumens bewirkt, für deren Zustandekommen andere Nerven nicht vorhanden sind und deren Ausbreitung genau der gereizten Region entspricht, und dass andererseits der gehemmte Strom sich bis zu den Grenzganglien staut und von da auf dem Wege der in die Hinterwurzel eintretenden Fasern zum Hinterhorn, schliesslich zu den vaso- motorischen Zellen des Vorderhorns und den Seitenstrangresten gelangt. Diese Erregung ruft eine leicht nachweisbare Steigerung des Blutdruckes und je nach seiner Intensität ein mehr oder weniger deutliches Gefühl hervor. Diese anatomisch und physiologisch zusammengehörenden Faserzüge stellen aber nur den spinalen Abschnitt eines Systems dar, das seine Voll- endung erst in seinem eerebralen Abschnitt erhält. Es wurde schon erwähnt, dass die Seitenstrangreste sich in die Formation fortsetzen und dass dieser Hirntheil einen dem vorigen ähnlichen, vielleicht mit ihm identischen Auf- bau zeigt. Es fragt sich deshalb, ob auch hier ein- und austretende Fasern vorkommen, die analog den spinalen Strängen in den vasomotorischen Nerven Erresungen dem Gehirn zuleiten und in dem Gehirn entstandene Erregungen zur Formation zurückleiten können. ‘ Anatomisch kann man diese Frage vorerst nicht entscheiden, nicht weil es an Fasern fehlt, welche die Rolle der bald transfugal, bald centri- petal leitenden Fasern übernehmen könnten, sondern weil in dem Mittel- hirn eine solche Menge von durchziehenden und sich kreuzenden Fasern und eine so grosse Anzahl von Zellen vorkommen, dass es noch nicht möglich war, in dieses Gewirr Klarheit zu bringen und den Ursprung oder Endigung aller Elemente genau zu bestimmen. Selbst der Verlauf der sensorischen Nerven, deren Anfang in den Sinnesorganen und deren Endigung in der Hirnrinde ziemlich genau bekannt ist, zeigt in dem Mittel- hirn eine Lücke auf, die wir auf Grund physiologischer Postulate aus- zufüllen suchen. So dürfen wir auch den Mangel unserer anatomischen Kenntnisse über den feineren Bau der Formation einigermaassen ausgleichen durch den Nachweis, dass einzelne Glieder des Systems bekannt sind und müssen erwarten, dass die fehlenden noch gefunden werden. Drei Erfahrungen verdienen hier besonders erwähnt zu werden. Die eine wurde bei dem Studium der cerebralen Circulation gemacht. Man hat dabei gefunden, dass die Circulation im Gehirn an allen Aenderungen Theil nimmt, welche durch Erregung oder Lähmung der vasomotorischen Nerven des Rumpfes entstehen. Besonders deutlich treten die Folgen einer Erweiterung oder Verengerung der Unterleibsgefässe in Form von Blut- leere oder Blutüberfüllung der Schädelhöhle hervor. Alle Beobachtungen 90 Z. ÖPPENHEIMER: sprechen dafür, dass im Grossen und Ganzen die Blutvertheilung im Gehirn von denselben vasomotorischen Centren im Mark und in der Oblongata abhängig ist, wie die des ganzen Körpers, und dass insbesondere die Hirn- circulation geregelt wird durch Nerven, die von diesen Centren abstammen, zum obersten Halsganglion des Grenzstranges gelangen und von da mit der Carotis in’s Gehirn geleitet werden. Es giebt aber auch Schwankungen im Blutgehalt des Gehirns, die nicht in Zusammenhang mit der allgemeinen Körpereirculation gebracht werden können, die nicht von Erweiterung oder Verengerung der Körperarterien abhängig sind, Erfahrungen, die dazu ge- nöthigt haben, für die Hirngefässe ausser dem allgemeinen vasomotorischen Centrum noch ein zweites, unabhängig von diesem die Hirncirculation beherr- schendes Centrum anzunehmen. So ganz befremdlich kann die Annahme von zwei Centren für die vasomotorische Thätigkeit im Gehirn nicht sein, weil auch in anderen Organen, wie Leber, Darm, Lunge und manchen Drüsen, ein Centrum für die der Ernährung bestimmten Gefässe und ein zweites, für die Möglichkeit der speeifischen Function vorhandenes, angenommen werden muss. Die Lage dieses Centrums konnte man allerdings bis jetzt nicht an- geben; wenn aber sein Vorhandensein ein physiologisches Postulat ist, so kann es nur in der Strecke zwischen dem Hauptcentrum in der Oblongata und dem Thalamus, also in der Formation gesucht werden. Ist dies wirklich der Fall, dass von hier aus vasomotorische Nerven in das Gehirn abgegeben werden, dann könnte man auch begreifen, woher die grosse Zahl von Nerven stammt, die an den kleinsten Hirngefässen gefunden werden und deren Zahl so gross ist, dass ihr Zusammenhang mit dem verhältnissmässig dünnen N. caroticus des Grenzstranges sehr unwahrscheinlich wird. Zweitens hat man beobachtet, dass bei der Thätigkeit der Hirnzellen eine Erweiterung der zunächst gelegenen Arterien eintritt, in gleicher Weise, wie in der Haut oder in einem Muskel dies geschieht. Es muss also auch in den Organen der Schädelhöhle eine Hemmung des vasomotorischen Stromes entstehen können, und es muss eine Einrichtung bestehen, welche dies ermöglicht. Von einer Vertheilung von marklosen Nervenfasern, die an allen Körpergeweben gefunden werden, ist aber nichts bekannt. Hin- gegen kennt man ein Netz von Fasern, das, gleichsam ein Aequivalent der freien Nervenendigungen bildend, die Nervenzellen des Gehirns reichlich umgeben, manchmal sie einhüllen und zwischen den Blutgefässen und den Zellen und Nerven ausgespannt ist. Man hat diesen Fasern mit den ein- gestreuten Zellen den Namen Glia gegeben, weil man zuerst vermuthete, dass sie den Zweck haben, die Elemente des Gehirns zusammenzuhalten und zu stützen. Jetzt neigt man sich der Ansicht zu, dass sie eine raum- erfüllende indifferente Masse sei. Man kann nicht bestreiten, dass sie, wie jede Substanz, auch wenn sie so fein ist wie die Glia, diese Function im ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 91 Raume hat. Aber die sichere Kenntniss, dass sie von demselben Keimblatt abstammt wie die Nerven, dass ein gleiches oder ähnliches Gebilde im übrigen Körper nicht zum Zwecke der Raumausfüllung benutzt wird, zwingt dazu, an ihrer nervösen Natur festzuhalten und ihre nervöse Function nicht für unmöglich zu halten. Ihre Ausbreitung zwischen Hirnzellen und Blut- gefässen macht es ferner wahrscheinlich, dass durch sie besondere Be- ziehungen zwischen diesen Theilen hergestellt werden, dass sie im Zustande der Erregung, die von den Hirnzellen ausgehen müsste, einen hemmenden Einfluss auf den vasomotorischen Strom in den (Gefässnerven ausüben. Wenn dies der Fall ist, wenn die Hemmung des Stromes stattfindet und eine Rückstauung zu Stande kommt in der Weise, wie dies früher für die Gefässnerven nachgewiesen wurde, so muss sich dies auch in irgend einer Erscheinung bemerklich machen, die auf die Formation bezogen werden kann. Das ist in der That der Fall und wird durch die Beobachtung er- wiesen, dass Erregungen, die vom Gehirn ausgehen, sich mit Erregungen vermischen, die in anderen Körperregionen ihren Ursprung haben. Es ist klar, dass diese Vereinigung mit spinalen Erregungen nur in einer Bahn erfolgen. kann, die vom Rückenmark zum Thalamus aufsteigt, und dass bei der schon früher erwähnten Verkleinerung dieser Babn, deren Querschnitt auch in der Formation noch abnimmt, eine Verdichtung, eine Summirung der Erregungen stattfindet, und dass die so geschaffene Summe die Reiz- grösse darstellt, die, in den Thalamus eintretend, wirksam werden kann. In der Abhandlung über die Physiologie des Gefühls habe ich schon aus- führlich darüber berichtet, wie von dieser Vereinigung der aus den ver- schiedensten Körperregionen und der aus dem Gehirn stammenden Er- regungen der Zustand zu Stande kommt, den man als Stimmung bezeichnet hat. Von ihr, von der Höhe der Stimmung hängt der Ton ab, den irgend ein schwacher oder starker Anschlag hervorbringen kann, und wenn wir beobachten, dass ein verhältnissmässig schwacher Reiz, wie z. B. die Fliege an der Wand, schon einen beträchtlich starken Erfolg haben kann, so muss man annehmen, dass schon vorher ein Reizzustand in der Bahn vorhanden war, in welche der schwache Reiz einen Zuwachs hineintrug. Eine wieder- holte Beschreibung aller Möglichkeiten, die eine Stimmung veranlassen können, ist hier, wo die Frage nach dem Wesen des Schlafes besprochen werden soll, nicht am Platze. Der Vorgang der Stimmung war zu er- wähnen nöthig, weil er beweist, dass auch vom Gehirn zum Thalamus eine Bahn vorhanden sein muss, die in ähnlicher Weise wie die spinalen Fasern des gleichen nervösen Systems wirksam wird und den Schluss rechtfertigt, dass von allen Geweben des Körpers — und zu ihnen muss man auch die Hirnzellen rechnen — ein Nervenzug bis zu dem Thalamus zieht, ein System von Fasern und Nervenzellen, die einen einheitlichen Aufbau haben und 92 7. ÖPPENHEIMER: sich in jeder Beziehung von den Anordnungen der sensorischen Nerven unterscheiden. Man würde jedoch die Bedeutung und den Werth dieser nervösen Einrichtung nicht richtig beurtheilen, wenn man nicht im Stande ist, die Qualität von Erregungen zu bestimmen, die in ihr zum Thalamus verlaufen. Auch hierüber habe ich schon in der Physiologie des Gefühls und in der Abhandlung über Schmerz- und Temperaturempfindung mich ausgesprochen und muss auf diese Angaben verweisen. Hier sei nur erwähnt, dass die einzige Ursache, welche die Gewebsnerven (freie Nervenendigungen und Gliafasern) in Erregung versetzen kann, in den Gewebszellen selbst gesucht werden muss, und da eine Nervenerregung nur dann entstehen kann, wenn der Nerv eine plötzliche Aenderung seines Zustandes erfährt, so kann die Ursache nur in einer Zustandsänderung der Gewebszelle liegen. Eine ruhende, wenn auch lebende, aber unthätige Zelle ist deshalb kein Reiz- mittel, eine thätige hingegen, deren chemische Beschaffenheit durch den Vorgang der Thätigkeit geändert wird, die ein saures Product ausscheidet im Gegensatz zur ruhenden Zelle, die alkalisch reagirt, kann und muss die anliegenden Nervenendigungen reizen und eine Erregung hervorbringen, die in der angegebenen Bahn bis zum Thalamus in die Höhe steigt. Die Kenntniss dieser Bahn befähigt uns nun, die oben aufgeworfene Frage, ob Schlaf und Wachen das Product einer automatischen Thätigkeit des Thalamus sind oder ob der wache Zustand eintritt, wenn gewisse Er- regungen ihn treffen, und der Schlaf, wenn diese Erregungen fehlen, auf Grund von wirklichen Beobachtungen und ohne speculative Constructionen zu beantworten. A priori kann man schliessen, dass der Schlaf eintreten muss, wenn die Summe der Erregungen, die aus der Formation in den Thalamus eintreten, unter der Reizschwelle bleibt oder wenn die Erregbar- keit des Thalamus bis zur Unfähigkeit herabgesetzt ist. Diese Vermuthung wird durch die Thatsachen bestätigt. Am auf fallendsten zeigt sich die unter der Schwelle bleibende Wirkung, wenn die Thätigkeit der Rindenzellen herabgesetzt ist. Von diesen Zellen wird wohl der grösste Beitrag zu der Reizgrösse in der Formation geliefert. Die Hirn- rinde ist bei allen Individuen beinahe in fortwährender Thätiekeit, sie empfängt fortwährend, selbst während des Schlafes, Erregungen durch die Sinnesnerven und ist fortwährend dem Wirken der Associationen und der Bildung von Vorstellungen und Begriffen unterworfen. Es ist ausserdem der Weg, den die Erregungen von den Rindenzellen zum Thalamus zu durchlaufen haben, sehr klein im Verhältniss zu dem, welchen die Er- regungen aus der Haut oder den Muskeln bis zum Zwischenhirn zurück- legen müssen. Auf jenem Weg finden sich nicht so viel Nervenzellen eingeschaltet, welche die Kraft des Nervenstromes theilweise absorbiren, ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 93 _ wie in der spinalen Bahn, wo die Zellen der grauen Substanz die Ursache einer Verlangsamung des Stromes sind. In diesem Verhalten des Faserzuges ist wohl der Grund dafür zu suchen, dass der Ausfall der Rindenthätigkeit sicherer Schlaf erzeugt als der Mangel an Muskelreizungen und Hautthätigkeit. Wer die Gabe hat, seine Hirnthätigkeit nach Belieben zum Stillstand zu bringen, schläft wie man sagen kann, auf Commando ein, und wer arm an Associationen und Vorstellungen ist, mag dies die Folge eines Mangels an Bildung oder einer Ermüdung der Hirnrinde sein, verfällt unwillkürlich in Schlaf. Wie sehr es beim Einschlafen auf die Verkleinerung der Reizgrösse ankommt, welche auf den Thalamus ihre Wirkung ausübt, lässt sich am schönsten an den instinetiv ausgeführten Vorbereitungen erkennen, welche das Einschlafen er- leichtern sollen. Wenn Mensch und Thier sich vor Abkühlung der Haut durch Decken und Lagerung, durch Aufsuchen eines vor Wind geschützten Ortes zu schützen suchen, wenn die Ruhe der Nacht, die Fernhaltung von Geräuschen und Tönen den Schlaf begünstigt, wenn durch Schluss der Augenlider, durch Verdunkelung des Schlafzimmers das Zustandekommen von Gefühlseindrücken verhindert wird, so haben wir dadurch die Summe von Erregungen vermindert, die zum Thalamus gelangen. Welche schlafmachende Wirkung die Entfernung von Sinnesein- drücken besitzt, zeigt die oft erwähnte Mittheilung von Strümpell. Er beobachtete einen Kranken, der bei vollständiger Aufhebung der Haut- empfindungen an einem Ohr taub und an einem Auge blind war. Sobald man das sehende Auge zuschloss und das functionsfähige Ohr verstopfte, schlief der Kranke ein. In diesem Fall Strümpell’s scheinen aber, obgleich nichts darüber berichtet wird, noch zwei andere Arten von Erregungen ausgefallen zu sein. Einmal fehlen bei dem bettlägerigen Kranken die Folgen einer chemischen Umsetzung in den Muskeln, die wie alle Gewebe von Nerven umgeben sind und dadurch mit dem Thalamus in Verbindung stehen, und es fehlen alle Erregungen der in den Muskeln und Sehnen enthaltenen Sinnes- apparate, welche die Centren für Muskel- und Kraftsinn in Erregung ver- setzen. Man kann dann zweitens voraussetzen, dass der Kranke einen so geringen Bestand von Erinnerungsbildern besass, dass ein Denken, welches ein gebildeter Mensch ohne neue Eindrücke, die seine Aufmerksamkeit er- regen, mit Hülfe von Associationen leicht hätte ausführen können, unmög- lich oder erschwert war. In ähnlicher Weise verhalten wir uns, wenn wir durch Uebermüdung eines gewissen Complexes von Rindenzellen der Schläfrigkeit verfallen. Jeder hat schon an sich die Erfahrung gemacht, dass er mit dem Aus- denken eines Problems, das ihn gerade beschäftigt, nicht fertig wird, dass 94 Z. ÖPPENHEIMER: er die nämlichen Vorstellungen wiederholt und in verschiedener Anordnung im Kopfe herumwälzt, ohne dass es gelingt, das verbindende Glied zwischen diesen Vorstellungen zu finden. Dauert dieser Vorgang einige Zeit an, werden die nämlichen Vorstellungen immer wieder gebildet, so kann eine Ermüdung der betheiligten Zellen, ein Verbrauch der in ihnen vorhandenen chemischen Energie nicht ausbleiben und die daraus entstehende Funetions- unfähigkeit und Wegfall der Reizung von Gliafasern hebt die Erregung des Thalamus auf. Man schläft während der geistigen Arbeit, über dem Buche ein. Wer aber die schwierige Arbeit unterbricht, um sie später, am nächsten Tage wieder aufzunehmen, wer den ermüdeten Rindenzellen Zeit zur Erholung vergönnt und sich mittlerweile mit anderen entfernter liegenden Gedanken beschäftigt, kann häufig die Beobachtung machen, dass seine Aufmerksamkeit und die Fähigkeit der Wahrnehmung im Allgemeinen nicht verringert ist und die neue Gedankenoperation ganz gut gelingt. Es liegt hierin, wie mir scheint, ein Beweis dafür, dass nicht der Thalamus ermüdet war, sondern nur ein Theil der Rinde, und dass wegen des herabgesetzten Stoffwechsels der betheiligten Rindenzellen die Erregung des Thalamus zu klein wurde, um ihn zu erregen. Was den anderen Factor betrifft, der bei der Entstehung des Schlafes von Wichtigkeit ist, die Herabsetzung der Erregbarkeit des centralen Höhlen- graus, so lassen sich positive, auf chemischen oder mikroskopischen Unter- suchungen beruhende Angaben nicht machen. Allein ganz ohne Kennt- niss hierüber sind wir nicht. Es sei hier an die Schlafsucht erinnert, die bei Entzündung des centralen Höhlengraus beobachtet wurde. Dass in Folge des entzündlichen Vorganges die chemische Constitution der Zellen ver- ändert wird, kann ohne Weiteres angenommen werden. Es ist aber nicht bewiesen, dass hierbei alle Zellen dieses Gewebes zugleich befallen werden, und es ist wahrscheinlich, dass es noch inselförmig gelegene Zellpartien giebt, die ihre Erregbarkeit ganz oder theilweise bewahrt haben. Wo alle Zellen gleichmässig geschädigt werden, beobachtet man den höchsten Schlaf- zustand, die Bewusstlosigkeit. Das ist der Fall, wenn ein gesteigerter Druck in der Ventrikelflüssigkeit vorhanden ist und die osmotischen Vor- gänge in den Zellen eine Störung erleiden. Die Möglichkeit, dass bei einem erhöhten Hirndruck auch die Zellen der Hirnrinde betroffen werden, ist allerdings nicht auszuschliessen. Aber da das Gehirn sehr wenig compressibel ist, so wird die Ventrikelwand am hervorragendsten durch den Druck be- troffen werden, und die anliegenden Zellen leiden am meisten darunter. Wenn es somit in hohem Grade wahrscheinlich ist, dass die Zellen des Thalamus durch mechanische, physikalische und chemische Einwirkungen verändert werden können, so kann man auch nicht daran zweifeln, dass unter normalen Verhältnissen jedes Mal eine Aenderung ihrer Constitution ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 95 eintritt, wenn die Aufnahme von Ernährungsmaterial nicht gleichen Schritt hält mit dem Verbrauch. Sie ermüden wie jedes andere Gewebe, und die Schnelligkeit, mit der die Ermüdung sich zeigt, wird wie an allen Organen des Körpers von der den Zellen innewohnenden, aber individuell ver- schiedenen Fähigkeit der Assimilation und Dissimilation abhängen. So erklärt sich das so mannigfach wechselnde Schlafbedürfniss bei verschiedenen Individuen. Ein anderes Beispiel von Ermüdung beobachtet man oft bei aufmerk- samem Lesen einer uns interessirenden Schrift. Man merkt nach einiger Zeit, dass man wohl deutliche und klare Gesichtseindrücke erhält, dass man aber jeden Satz, um ihn zu verstehen, zwei oder mehrere Male lesen muss. Die Organe für Empfindungen und Vorstellungen sind gut erhalten, aber die Wahrnehmung stösst auf Schwierigkeiten. In gleicher Weise sieht man eine Wiederholung dieses Vorganges im Traum. Die Rinde bleibt in Thätigkeit, Associationen folgen sich in bunter Reihe, aber eine deutliche und klare Wahrnehmung dieser Associationen kommt nicht zu Stande, Noch mehr beweisend für die Unthätigkeit des Thalamus bei gleich- zeitig bestehender Thätigkeit der Rindenzellen ist die Beobachtung von Epileptikern. Fälle mit ausgesprochener Erregung der motorischen Rinden- zellen bei vollkommener Bewusstlosigkeit sind allgemein bekannt, und Kranke, welche mit scheinbar klarem Verstand, scheinbar mit Vorbedacht Gewalt- thaten ausübten und dennoch derer nicht bewusst waren, oder Kranke, welche Wochen lang herum irrten und nicht die Spur von Erinnerung oder Bewusstsein dafür bewahrt hatten, sind schon oft der Gegenstand medicini- scher und gerichtlicher Untersuchung gewesen. Auch der Somnambulismus dürfte hierher zu rechnen sein. Natürlich muss für diese pathologischen Vorgänge eine Ursache vor- handen sein, welche einerseits den Thalamus gelähmt und die Rinde er- regt hat. Wir haben aber vorerst keine Kenntniss darüber. Es giebt aber eine physiologische Erscheinung, die mit diesen pathologischen Fällen eine Aehnlichkeit besitzt, sich ebenfalls als Aufhebung des Bewusstseins charakterisirt, den traumlosen Schlaf. Schon oft war dieser von Seiten der Psychologen untersucht worden. Man hat sich auch darüber gestritten, ob er überhaupt vorkomme und in Hinsicht auf die allgemein zugegebene Unmöglichkeit, die Rinde von allen Sinneseindrücken und den daran sich anschliessenden Associationen frei zu halten, hat man sein Vorkommen in Abrede gestellt. Man hat sich auch darauf berufen, dass wir gar nicht beurtheilen können, ob wir in tiefem Schlaf eine gewisse Zeit der Nacht zugebracht haben und dass deshalb kein Recht bestehe, den traumlosen Schlaf als eine physiologische Erscheinung zu betrachten. Allein der vollständige Ausfall des Bewusstseins ist gerade Jo) © Z. OÖPPENHEIMER: das wesentliche Symptom des traumlosen Schlafes, und Jeder wird zugeben, dass er sich schon in diesem Zustande befunden hat. Von allen Versuchen, ihn zu erklären, hat wohl die Annahme den meisten Beifall gefunden, welche den Hirnzellen zwei Fähigkeiten zuschreibt, eine zu empfinden und vorzustellen, die andere Empfindungen und Vor- stellungen wahrzunehmen. Beide Fähigkeiten, nahm man weiter an, sollen bis zu einem gewissen Grade unabhängig von einander sich äussern können, so dass bei beginnender Ermüdung die Wahrnehmung früher abgeschwächt oder aufgehoben würde, als die Fähigkeit zu empfinden und Vorstellungen zu bilden. Dadurch käme der Traum zu Stande, und wenn beide Fähig- keiten unmöglich würden, der traumlose Schlaf. Man kann diese Construction, die lediglich auf der Beobachtung be- ruht, dass in den Rindenzelien Empfindungen und Vorstellungen entstehen, nicht geradezu als falsch bezeichnen, weil wir nicht wissen, was eine Rinden- zelle Alles zu leisten fähig ist. Vorerst aber wird man gut thun, von diesen Zellen nicht mehr zu behaupten als die physiologische Erfahrung erlaubt, und sie gestattet nicht weiter zu gehen als zur wohlbegründeten Annahme, dass eine centrale Nervenzelle, wenn sie gereizt wird wie jede andere Gewebszelle, nur einer einzigen Leistung fähig ist, nämlich der Um- setzung ihrer chemischen Energie, und dass sie hierdurch befähigt wird, eine Kraft zu erzeugen, die auf andere Zellen übertragen werden kann. Wenn man nun die anatomischen Eigenschaften dieser Zellen berücksichtigt, so kommt man zu dem Schluss, dass eine Uebertragung der Kraft, die aus der Umsetzung entsteht, nach zwei Richtungen hin möglich ist. Erstens wird der aus der Zelle entspringende Axencylinder erregt und daran sich anschliessend, alle Zellen, an weichen dieser schliesslich endigt. An eine einfache Empfindung, die ein Sinneseindruck erzeugt, reihen sich, wie man annehmen muss, eine grosse Menge von Erregungen und Um- setzungen in anderen Rindenzellen an, und bei dem Zusammenhang, den die Rindenzellen unter sich haben, können die verschiedensten Combinationen und die grösste Mannigfaltigkeit von in Thätigkeit gesetzten Zellen daraus hervorgehen. Es ist richtig, dass wir über diese Vorgänge in der Hirnrinde positive Angaben nicht machen können. Wir können die chemischen Umsetzungen nicht sehen und vorerst nicht in anderer Weise prüfen. Wir könnten selbst nicht behaupten, dass sie vorhanden sind, wenn wir sie nicht aus allgemein physiologischen Gesetzen erschlössen und wenn wir sie nicht fühlten, oder was das Nämliche bedeutet, wenn sie nicht in Form von Empfindungen, Associationen und Vorstellungen uns bekannt würden. Die Fähigkeit der Wahrnehmung kann man aber nicht den Rinden- zellen zuschreiben, man müsste dann noch eine Kraft über den Zellen ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 97 schwebend annehmen, welehe das Zustandekommen der Empfindung und der Wahrnehmung beobachtet, eine Kraft, welche bis jetzt zur Erklärung der Vorgänge benutzt wurde, für deren Existenz wir aber keine anatomische oder physiologische Unterlage namhaft machen können. Es scheint zudem, dass die Annahme einer solchen unsichtbaren Kraft vorerst wenigstens überflüssig ist, weil die Anatomie noch ein zweites nervöses System nach- gewiesen hat, welches an der Aussenseite der Zellen entspringt, durch deren Thätiekeit in Erregung versetzt wird und im Thalamus endigt. Es ist dies die oben schon beschriebene wunderbare Einrichtung des Organismus, der mit Hülfe seiner Abfallsproducte die höchsten Zwecke erreicht. Im Thalamus können selbstverständlich wieder nur chemische Um- setzungen zu Stande kommen. Aber hier auf diesem Gebiete, wo die Erregungen aus allen thätigen Organen des Körpers und aus allen Hirn- zellen zusammenfliessen, haben die chemischen Vorgänge einen anderen Werth wie die Vorgänge, welche die Erregung der Axencylinder auf Zellen gleicher Art in der Rinde überträgt. Während hier Verbindungen vor- kommen, die sich aus den verschiedensten von aussen kommenden Sinnes- eindrücken ableiten und Veranlassung zu Associationen, Vorstellungen und Begriffen geben, werden dem Thalamus Erregungen aus gleicher Quelle, und aus der Thätigkeit des Leibes stammmende, zugeführt, und die Gesammtheit dieser Einflüsse auf den Thalamus giebt uns Rechenschaft, dass der Leib thätig ist, dass er lebt, und stellt das uns vor, was man als Lebensgefühl, als Ichgefühl bezeichnet. Ausführliches darüber habe ich in der Physiologie des Gefühls berichtet. Die Abhängiskeit dieses Gefühls von den Lebensvorgängen zeigt sich nirgends deutlicher, als in der Art und Weise, wie es in uns entsteht. Wir werden nicht mit ihm geboren, es ist keine Kraft, welche dem Organis- mus von der Geburt her eingepflanzt ist, sondern entwickelt sich in uns mit der allmählich zunehmenden Ausbildung unserer Organe und besonders des Gehirns. Was schon Kant in seiner Anthropologie mitgetheilt hat, ist heute noch richtig, „dass das Kind, nämlich, was schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät (vielleicht ein Jahr später) anfängt durch Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Person spricht, und dass ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu sein scheint, wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen, von welchem Tag es niemals mehr in jene Sprechart zurückkehrt“. Diese richtige Beobachtung Kant’s bedarf noch einiger Zusätze, die Jedem bekannt sind: das Kind lernt nicht nur, bevor es von seiner Existenz überzeugt ist, das Sprechen, sondern hat schon viel früher das richtige Bewusstsein von Sinnesempfindungen. Es erkennt jede Nahrungs- änderung als unangenehm, und jede Mutter weiss, wie schwer es häufig Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 7 98 Z. ÖPPENHEIMER: ist, dem.Kinde eine andere Nahrung beizubringen. Manche Kinder scheinen mittels des Geruches Mutter und Amme zu unterscheiden und machen oft Schwierigkeiten, die Ammenbrust zu nehmen, bis sie der Hunger dazu nöthigt. Noch sicherer ist das Auftreten von Bewusstsein bei Gefühls- und Gehörsempfindungen zu beobachten. In frühester Kindheit bleiben schwache Hör- und Sehreize unbeachtet, nur starke werden wahrgenommen und wie es scheint, schmerzhaft gefühlt und mit Schreien beantwortet. Allmählich kommen auch schwache Sinnesreize zum Bewusstsein, und da diese niemals auf eine centrale Sinneszelle beschränkt bleiben, vielmehr immer eine grosse Menge von Zellen erregen, die mit der Zeit und wegen ihrer allmäh- lich erworbenen Verbindung mit Zellen anderer Qualität, Empfindungen und Associationen veranlassen, so lernt das Kind durch Uebung diese complexen Vorgänge von anderen zu unterscheiden. Erst wenn so von allen Seiten die Erregungen dem centralsten Theile des Gehirns zufliessen, wenn das Kind durch Uebung gelernt hat, seine Organe zu gebrauchen, wenn es unter der Macht der auch ohne unseren Willen einwirkenden Einflüsse, der äusseren physikalischen Agentien steht, wird ihm die Wahr- nehmung seiner leiblichen Existenz möglich und befestigt sich in ihm das Gefühl der eigenen Persönlichkeit mit solcher Schärfe, dass nichts ihm klarer und sicherer ist, als sein Ich und es niemals wieder in der dritten Person von sich spricht. Diese gleichmässige Erregung des centralen Höhlengraus verlässt uns während des Lebens niemals. Irgend etwas geschieht ja immer im Körper oder Gehirn, und da alle Reize, die aus der Thätigkeit des Leibes hervor- gehen, in der Formation zusammenfliessen, so liegt die Ursache des Ichgefühls klar vor Augen. Allein dieser Strom von Erregungen erfolgt nicht in einer einzigen Faser zum Thalamus. Wie viele in der Formation verlaufen, ist nicht untersucht, jedenfalls eine grössere Anzahl, die unter sich, wie man anzunehmen berechtigt ist, verbunden sind. Dadurch wird es möglich, dass die ankommenden Reize theils direct, theils indirect zum Thalamus gelangen. Die indirecten müssten wegen ihrer Vermischung mit Erregungen anderer Provenienz zur Erhaltung des allgemeinen Ichgefühls beitragen, die directen könnten aber möglicher Weise Thalamuszellen von be- stimmter Art erregen, und da jede Faser der Formation ihren Ursprung in einem anatomisch bestimmbaren Gewebsgebiete haben muss, so ist die Vermuthung nicht von der Hand zu weisen, dass zwischen gewissen, aller- dings jetzt nicht zu bestimmenden Thalamuszellen und einzelnen Gebieten des Körpers, insbesondere der Hirnrinde, eine innere Beziehung vorhanden ist. Man darf sich vorstellen, dass in dem unbestimmten und unbestimm- baren Gemisch von Erregungen, welche in den Thalamus gelangen und uns als Ichgefühl erscheinen, auch Erregungen von grösserer Intensität ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. 99 vorhanden sind, die eine Reizung einzelner Thalamuszellen erzeugen, eine Reizung, die sich jedes Mal wiederholt, wenn die dazu gehörigen Rinden- zellen thätig sind, und dass wir in dieser Weise nach längerer Uebung er- fahren, dass ein bestimmter Sinneseindruck, eine bestimmte Association oder Vorstellung als Ursache der Reizung gerade dieser Thalamuszelle ein- gewirkt hat. Jede einzelne Zelle des centralen Höhlengraus würde dieser Annahme nach in einer constanten Beziehung zu einem bestimmten Zellen- complex in der Hirnrinde stehen, und dadurch wäre es möglich, die Vor- gänge in der Rinde zu localisiren und das Bewusstwerden der einzelnen geistigen Vorgänge zu begreifen. Diese Auffassung des psychischen Vorganges wird bei Manchen Be- denken erregen, weil man mir mit Recht vorwerfen kann, dass ich über das feinere anatomische und physiologische Verhalten der Thalamuszellen ebenso wenig weiss, wie Andere. Ich würde auch die ausgesprochene Hypothese für unerlaubt halten, wenn man nicht in der zweiten oben schon erwähnten Function des Thalamus den Beweis für das Vorhandensein eines derartig eingerichteten Mechanismus vor Augen hätte. Man erinnert sich, dass der Thalamus neben seiner Function der Wahrnehmung auch noch die besitzt, das Centralorgan für die unwillkürlichen Ausdrucksbewegungen zu sein. Man weiss ferner aus Erfahrung, dass jede irgendwie intensive Gehirnthätigkeit sich in dem Gesicht, in der Haltung und Contraction der Muskeln abspiegelt und dass je nach der Verschiedenheit der Denkvor- gänge die mimischen pantomimischen Erscheinungen eine verschiedene Form annehmen und dass bei besonderer Aufmerksamkeit auf die Erregung einzelner Sinnesorgane, beim Nachdenken über ein Problem, bei den mannig- faltigen uns erregenden Affecten, bald diese, bald jene Muskelgruppe be- theiligt ist. Wenn man auch, wie Goethe bemerkt, mehr durch Ahnung als durch klaren Begriff sich und Anderen davon Rechenschaft geben kann, so kann man doch nicht in Abrede stellen, dass eine gewisse Gesetz- mässigkeit zwischen dem mimischen Ausdruck und gewissen Geistesvorgängen besteht und dass hierfür ein echter Naturgrund (Goethe), d.h. eine ana- tomische Einrichtung vorhanden sein müsse. Eine solche Einrichtung kann aber nur darin bestehen, dass anatomisch bestimmte motorische Zellen in dem Thalamus zu gewissen Zellcomplexen in der Hirnrinde eine besondere Beziehung besitzen. Die Uebereinstimmung dieser für Andere sichtbaren Abspiegelungen der Rindenvorgänge auf dem Gesicht und dem von uns selbst bemerkbaren Fühlen und Wahrnehmen dieser Vorgänge zeigt sich auch noch in einer anderen Weise. Wie das Ichgefühl das Resultat aller leiblichen Vorgänge und je nach deren Intensität bald ein schwaches, bald ein gehobenes ist, so ist die Physiognomie der fertig geprägte Ausdruck für die Denkweise. Ir 100 2. ÖPPENHEIMER: Nicht die einzelnen Rindenvorgänge, welche im Moment ihres Entstehens die mimischen Bewegungen hervorrufen, sondern der gesammte Inhalt des geistigen Vorrathes und die Schwierigkeit oder Leichtigkeit, mit der Empfindungen und Erinnerungsbilder verarbeitet werden, bestimmen die Physiognomie, die bald nichtssagend, hohl, bald vielsagend, voll Geist uns erscheint und alle Zwischenstufen zwischen diesen zwei Extremen annehmen kann. Im pathologischen Fällen zeigt sich dieser Gegensatz, wenn man die Facies hippocratica des Sterbenden mit dem von Hochmuth strotzenden Gesichtsausdruck des Maniakalischen mit einander vergleicht. Das parallele Verhalten von Bewusstheit und physiognomischem Aus- druck beobachtet man ferner im Schlafe, wo mit dem Aufhören des Be- wusstseins die Physiognomie so verändert wird, dass man ihn als den Bruder des Todes bezeichnet hat. Und bekannt ist, dass die unwillkürlichen Bewegungen des Veitstanzes während des Schlafes still stehen. Berücksichtigt man diese während des Wachens und während des Schlafes auftretenden Erscheinungen und hält dabei die physiologischen und pathologischen Erfahrungen über den Thalamus im Auge, so wird man keine Einwendung gegen die Annahme machen können, dass das Wachen von seiner normalen Functionsfähigkeit einzig und allein abhängt und dass Schlaf eintritt, wenn entweder die Reize fehlen, welche die Thalamuszellen zur Thätigkeit anregen, oder wenn die Zellen in einem solchen Zustande sich befinden, dass sie für eine gewisse Zeit zu einer Leistung nicht mehr fähig sind. Der erste Fall kommt wohl selten vor und ist nur bei voll- ständiger Erschöpfung der. Hirnrinde, wie sie in pathologischen Zuständen auftreten mag, möglich. Unter physiologischen Verhältnissen, wo es an- gesichts der sehr grossen Anzahl von Rindenzellen wenig wahrscheinlich ist, dass alle zu gleicher Zeit ermüden und wo die nie unterbrochene Thätigkeit einzelner Sinnesorgane einen Einfluss auf nicht ermüdete Zellen ausüben kann, werden immer Associationen gebildet werden, deren Aufnahme in’s Bewusstsein von dem jeweiligen Zustande des Thalamus abhängig ist. Ist seine Erregbarkeit wenig herabgesetzt, ist seine Ermüdung gering, so haben wir den Zustand vor uns, wo die Associationen noch undeutlich ge- fühlt werden, wo die Aufmerksamkeit für sie fehlt, und wo man seine Gedanken in allen Richtungen schweifen fühlt. Ist der Thalamus stärker ermüdet, ist aber ein Theil seiner Functionsfähigkeit erhalten, so erscheinen die Associationen als Traum. Tritt jedoch der zweite Fall ein, wo durch Ermüdung die Fähigkeit der 'Thalamuszellen vollständig aufgehoben ist, so wird man von den vorhandenen Associationen kein Gefühl mehr haben, wir befinden uns im traumlosen Schlafe. Die nämlichen Erscheinungen, die hier als charakteristisch für die Ermüdung des Thalamus angenommen wurden, beobachtet man auch nach ZUR PHYSIOLCGIE DES SCHLAFES. 101 Anwendung von Mitteln, welche von der Erfahrung als Hypnotica und Anästhetica erkannt wurden. Die Symptome treten allerdings nach Ein- verleibung dieser Mittel nicht in der Reinheit auf wie bei Ermüdung, und das wird Niemand in Erstaunen versetzen, der weiss, dass ihre chemische Beschaffenheit grosse Unterschiede zeigt, dass je nach der chemischen Constitution und je nach der Concentration der angewandten Lösungen ihr Einfluss nicht auf den 'Thalamus beschränkt bleibt, sondern sich auf sehr heterogene Gewebe und Organe erstrecken kann. Vom Chloroform ist die Reizung der Schleimhaut der Nase und der oberen Luftwege im Beginn der Inhalation und deren Lähmung bei Fortdauer derselben , sowie seine bedenkliche Wirkung auf das Herz und die vasomotorischen Nerven bekannt Es kommen dadurch Veränderungen in den Athmungs- und Circulations- organen zu Stande, die selbstverständlich bei pathologischen Zuständen dieser Organe in gefahrbringender Weise sich äussern können. Am wenigsten Nebenerscheinungen sind beim Gebrauch von Morphium beobachtet worden, doch ist auch dies nicht frei davon, weil es lähmend auf die Respirations- nerven einwirken kann. Sieht man von diesen Complicationen ab, so bleibt als eigentliche Wirkung der Hypnotica die Herabsetzung der Zellen des centralen Höhlengraus übrig. Kleine Dosen rufen ein angenehmes Gefühl von Wohlbehagen und Beruhigung hervor, Schmerzen und unangenehme körperliche Gefühle schwinden. Dabei ist die geistige Thätigkeit keineswegs beeinträchtigt, vielmehr zeigt sich eine rasche Entwickelung der Ideen, ein gewisser Drang zum Reden, eine Verminderung der psychischen Befangen- heit, zuweilen eine dem Rausch ähnliche Aufregung. Diesem Exaltations- stadium folgt bei fortgesetztem Gebrauch des Mittels ein Gefühl der Schläf- rigkeit, das in einen längeren Schlaf übergeht. Bei etwas grösseren Dosen tritt auch sofort ohne Exaltation Schlaf auf, der in wirkliches Coma über- gehen kann. Die Übereinstimmung dieser Erscheinungen mit dem Traum und dem traumlosen Schlaf ist offenbar. Sowohl bei Anwendung von Opiumpräpa- raten, wie beim Gebrauch von Chloroform und Aether zum Zweck der Narkose hat man gefunden, dass die Fähigkeit der Hirnrinde, Sinnesreize aufzunehmen und zu verarbeiten, zu einer Zeit noch fortbesteht, wo die Empfindlichkeit für Schmerz erregende Eindrücke schon theilweise erloschen ist. Das ist ein Beweis dafür, dass die Rinde, d. h. das Centrum für sensorische und motorische Vorgänge, nicht das zuerst ergriffene Organ sein kann. Die von jeher überraschende Erscheinung, dass Chloroformirte die Berührung mit dem Messer empfinden, nicht aber den dadurch verursachten Schmerz, erinnert an den Traum, bei dem eine unvollständige Aufhebung der Wahrnehmung angenommen werden muss. Wenn bei fortschreitender Narkose auch Tast-, Gesichts- und Gehörseindrücke nicht mehr gefühlt 102 7. OÖPPENHEIMER: ZUR PHYSIOLOGIE DES SCHLAFES. werden, so kann dies wohl als eine Lähmung der Rindenzellen gedeutet werden, es kann aber auch die vollständige Aufhebung des Wahrnehmungs- vermögens im Thalamus sein und dem traumlosen Schlaf entsprechen. Das Resultat dieser Untersuchung wird theilweise wenigstens bestätigt durch die Erfahrungen, welche die Praktiker bei Behandlung der Schlaf- losigkeit gewonnen haben. Es ist längst bekannt, dass dieses lästige Symptom nicht durch die Anwendung eines und desselben Mittels beseitigt werden kann, dass man vielmehr erst dann zum Ziele gelangt, wenn man seine Ursache entfernen kann. Wenn man durch Beseitigung eines schmerz- haften oder schmerzlosen örtlichen Leidens Schlaf herbeiführt, wenn man nach dem Gebrauch von Karlsbad, Marienbad oder eines anderen auf den Verdauungsapparat wirkenden Mittels langdauernde Schlaflosigkeit weichen sieht, wenn das überarbeitete und gereizte Gehirn durch Entfernung von den alltäglichen Geschäften und Sorgen beruhigt und wenn gleichzeitig durch den Einfluss von Gebirgsluft oder Seebädern die Ernährung im Allge- meinen und die Ernährung der Rindenzellen insbesondere gehoben wird, so hat man überall die Summe von Erregungen vermindert, welche die Thalamuszellen reizen, und Bedingungen hergestellt, welche für das Ein- treten des Schlafes nöthig sind. Die Praktiker haben aber auch Fälle kennen gelernt, wo die Ursache der Schlaflosigkeit weder im peripheren Gebiet noch in der Hirnrinde . nachgewiesen werden konnte, oder wo nach Entfernung der Ursachen die Schlaflosigkeit in ihrer ganzen Intensität fortgedauert hat. Hier konnte sie nicht als Symptom eines anderen Vorganges betrachtet werden, man musste an ein genuines, an die Veränderung irgend eines Hirntheiles ge- bundenes Leiden denken, ohne dass man sich über die Lage oder Function dieses Theiles Rechensehaft geben konnte. Alle Theorien, die man zur Er- klärung dieser Art von Schlaflosigkeit aufgestellt, haben sich nicht bewährt, und man ist bei der Behandlung dieser Fälle noch immer auf die Er- fahrungen der Praxis angewiesen, die man im Laufe der Zeit bei Anwendung einzelner Mittel gemacht hat. Jeder Arzt weiss aber, wie schwer die Aus- wahl unter diesen Mitteln ist und wie gefährlich der fortgesetzte Gebrauch derselben für den Patienten werden kann. Jeder hat eine berechtigte Scheu vor diesen Mitteln, und dies wird so lange andauern, bis die Ursache der Schlaflosigkeit, d. h. die Zustände in dem centralen Höhlengrau, welche eine erhöhte Erregbarkeit dieses Hirntheiles veranlassen, nicht besser be- kannt sind als bisher. Auf die Ermittelung dieser pathologischen Vor- gänge muss sich deshalb die ärztliche Aufmerksamkeit richten, wenn man mit Aussicht auf Erfolg die Behandlung dieser idiopathischen Schlaflosig- keit unternehmen will. Die Unabhängigkeit der inotropen Nervenwirkungen von der Leitungsfähigskeit des Herzens für motorische Reize. Von Th. W. Engelmann. Am Schlusse meiner vorigen Abhandlung über die Wirkungen der Nerven auf das Herz (1) habe ich die Frage erörtert, ob es nöthig sei, für die mannigfaltigen, in positiven und negativen, chronotropen, inotropen, dromotropen, bathmotropen Erfolgen sich äussernden Wirkungen der Herz- nerven eben so viele qualitativ verschiedene Vorgänge anzunehmen, oder ob es nicht anginge, diese Wirkungen auf eine geringere Zahl von Processen zurück zu führen. L. J. J. Muskens (2) hatte die Vermutbung ausgesprochen und durch Beobachtungen zu begründen versucht, es möchten speciell alle Arten der vom Vagus aus zu erzielenden Hemmungswirkungen sich aus Aenderungen des Reizleitungsvermögens erklären lassen. Es musste zugegeben werden, dass diese Vermuthung, wie paradox sie auch erscheinen mochte, doch nicht ohne Weiteres zu verwerfen war. Denn in der That wäre es, wie nähere Ueberlegung zeigt, denkbar, dass durch Herabsetzung einzig der Leitungs- fähigkeit für die motorische Erregung sowohl die Frequenz, wie die Grösse und Kraft der Systolen, wie auch — scheinbar wenigstens — die An- spruchsfähigkeit der Herzmusculatur für künstliche Reize herabgesetzt wer- den könnten. Für die Erklärung der negativ-chronotropen Wirkungen erwies sich jedoch bei näherer experimenteller Prüfung jene Annahme als nicht genügend. Zwar können, wie längst bekannte Thatsachen lehren, Frequenzabnahmen der Kammerpulse und gelegentlich auch solche der Vorkammer und des Sinusgebietes unzweifelhaft durch blosse Leitungs- hemmungen — namentlich im Gebiete der Blockfasern — verursacht sein. Aber andererseits gelang es nachzuweisen (1), dass trotz erhaltenen, ja sogar 104 Ta. W. ENGELMANN: gesteigerten Leitungsvermögens und erhaltener Reizbarkeit und Contractilität sämmtlicher Herzabtheilungen, speciell auch des Sinusgebietes, leicht ein allgemeiner Herzstillstand durch Vagusreizung hervorgerufen werden kann, ein Stillstand somit, der nur auf einer Hemmung der Erzeugung der spontanen, „automatischen“ Reize an der Herzwurzel, also auf einer primär- chronotropen Wirkung der Vagusfasern beruhen konnte. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass auch die inotropen Wir- kungen der Herznerven in weitaus den meisten Fällen sicher nicht schein- bare, durch Leitungsänderungen vorgetäuschte Aenderungen des mechani- schen Leistungsvermögens der Muskelfasern sind, sondern auf specifischen, die Contraetilität der einzelnen Muskelelemente primär modifici- renden Processen beruhen. Dieser Beweis, über den ich bereits anderwärts (3) kurz berichtet habe, soll hier zunächst für die negativ-inotropen Wirkungen des Herzvagus geführt werden. I. Ueber die Leitung der negativ-inotropen Wirkungen des Vagus in der Herzwand. Wäre eine Leitungshemmung an der herzschwächenden Wirkung des Vagus Schuld, so würden folgende Möglichkeiten zu erwägen sein. Es könnte zuerst die Ursache darin liegen, dass in Folge der Reizung eine geringere Zahl contractiler Elemente der betreffenden Herzabtheilung bei der Systole in Action träte, und dies wiederum könnte entweder so ge- schehen, dass die Länge der Strecke, über welche die Contraction sich fortpflanzte, redueirt würde, die Contractionswelle also mehr oder weniger weit von ihrem Ausgangspunkte in der Muskelwand erlöschte, — oder es könnte die Querleitung durch die contractilen Fasern herabgesetzt werden, indem beispielsweise in jeder Muskelzelle nur ein Theil der Fibrillen, oder in einem dickeren Muskelbalken nur eine oder wenige Zellreihen an der Verkürzung activ theilnähmen. Zweitens wäre auch denkbar, dass die Geschwindigkeit der Leitung so gering würde, dass in jedem Moment ‚während einer Systole immer nur ein Theil der Muskelelemente gleichzeitig in Verkürzung sich befände, mit anderen Worten, dass zwar alle Elemente nach ein- ander in Thätigkeit geriethen, aber die Länge jeder Contractionswelle in der Muskelwand geringer als die Länge der motorischen Leitungsbahn würde. Diese letztere Möglichkeit kann sofort auf Grund der bereits vorliegen- den Beobachtungen ausgeschlossen werden. Am blutdurchströmten Herzen UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 105 und lange Zeit auch am blutleeren ist die Geschwindigkeit der motorischen Leitung so gross, dass für die unmittelbare Betrachtung jede Herzabtheilung auf allen Punkten absolut gleichzeitig sich zu contrahiren und zu erschlaffen scheint. Dasselbe zeigt sich auch, wenn die Systolen durch Vagusreizung geschwächt sind. Selbst bei bis fast zur Unsichtbarkeit gehender Abnahme der Zuckungsgrösse — beispielsweise an den für das Studium der inotropen Wirkungen so besonders geeigneten Vorkammern des Froschherzens — ist von eimer Verlangsamung der Leitung nichts zu sehen.! Auch die Dauer der Zusammenziehung ist augenscheinlich nicht länger, mitunter vielmehr unverkennbar kürzer als in der Norm. Ein Blick auf die zahl- reichen in älteren und neueren Arbeiten abgebildeten Cardiogramme des Vorhofes zeigt, dass die Dauer sowohl der Systole wie die der Diastole des Vorhofes während der negativ-inotropen Wirkung im Allgemeinen sehr merklich verkürzt ist, um so mehr, je niedriger die Erhebungen. Dabei ist die Form häufig eher spitzer als breiter geworden. Niemals zeigt sich, auch nicht andeutungsweise, ein Plateau auf dem Gipfel der Curve, was doch schon bei sehr mässigem Grade der Schwächung der Fall sein müsste, wenn Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit zu Grunde läge. Es genüge auf die Abbildungen von Nu&l (5) zu verweisen, der ja zuerst diese herz- schwächende Wirkung des Vagus gründlich untersucht hat. Dasselbe lehren frühere, von mir abgebildete Suspensionscardiogramme ?, wie auch die dieser Abhandlung beigegebenen Figuren 1 bis 4. Unlängst haben noch 0. Frank (6, S. 24 u. file.) und F. B. Hofmann (7) in eingehendster, kritischer Weise den zeitlichen Verlauf der Systole in dem durch Vagus- reizung herbeigeführten „hypodynamen“ Zustande des Froschventrikels mit dem gleichen Resultate graphisch untersucht und analysirt. Ich habe weiter schon vor Jahren und neuerdings wiederholt, in besonderen Versuchsreihen (s. Abschnitt V dieser Abhandlung) die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung innerhalb der Vorhofs- bezüglich der Kammerwand, wie auch die Zeit der Leitung von Atrien zum Ventrikel, im hypodynamen Zustande gemessen und sie im Allgemeinen, sogar bei sehr starker Schwächung der ! Nachträgliche Anmerkung. In einem mir soeben zugehenden Aufsatz von H. E. Hering (4, 8.565) finden sich folgende Beobachtungen. Hering sah bei Kaninchenherzen, „dass, wenn es bei peripherer Vagusreizung zur Verkleinerung der Aurikeleontractionen kam, die Zuckungen deutlich weniger rasch abliefen als vor oder nach der Vagusreizung“. Zweitens „dass die Ränder der Aurikeln während eines Vagusstillstandes ganz langsam sich zusammenzogen; an diese Randcon- traction schliesst sich früher oder später, also in einem Absatz, die Contraction des ganzen Herzohres an“. Diese Erscheinungen könnten durch negativ-dromotropen Ein- fluss erzeugt sein. ® Vgl. besonders (1) Taf. III, Figg. 4, 7; Taf. IV, Fig. 9; Taf. V, Fig. 17; Taf. VI, Fig. 19. 106 Tu. W. ENGELMANN: Systolen nicht verringert gefunden. Auch Hofmann (7, 8. 135 Anmerk.) ist am Ventrikel vorläufig zu gleichen Ergebnissen gelangt. Endlich erinnere ich an die bei Kalt- und Warmblüterherzen beob- achtete Thatsache, dass selbst bei fast maximaler, bis zum Unsichtbarwerden der Systolen der Vorhöfe gesteigerter negativ-inotroper Wirkung die Leitung der vom Sinusgebiet ausgehenden natürlichen oder künstlichen motorischen Reize durch die Vorhofswand zur Kammer möglich bleibt, ohne eine merkliche Verzögerung des Eintritts der Kammersystole. Hiernach kann also von einer Erklärung der negativ-inotropen Wir- kungen der Vagusreizung aus Verzögerung der Leitungsgeschwindigkeit innerhalb der Muskelwand endgiltig abgesehen werden. Nicht ganz so einfach lässt sich die erste Möglichkeit abweisen, dass die Schwächung auf einer Verminderung der Zahl der bei der Systole activ betheiligten contractilen Elemente beruhe. Wir prüfen zunächst die Annahme, dass die Länge der Strecke, über welche sich die Contraction fortpflanzt, reducirt werde, also die Contractions- welle auf ihrem Laufe längs der Muskelfasern erlösche, ehe sie an’s Ende der Bahn gekommen ist. 1. Beruht die negativ-inotrope Vaguswirkung auf Herabsetzung der motorischen Längsleitung in den Muskelfasern des Herzens? Gegen diese Annahme kann zunächst wieder der Augenschein in An- spruch genommen werden, welcher weder beim Warmblüterherzen (Hund, Kaninchen) noch beim Frosch — ausser allenfalls bei weit gefördertem Absterben — etwas von einem Erlöschen der Contractionswelle auf ihrem Wege zeigt. Vorkammern wie Kammern scheinen sich, wie schon erwähnt, auf allen Punkten ihrer Oberfläche gleichzeitig zusammenzuziehen und gleichzeitig zu erschlaffen. Da die normalen Ausgangspunkte der Zusammen- ziehung in jeder Herzabtheilung am venösen Ostium gelegen sind, müsste bei genügend starkem negativ-inotropen Effect die active Zusammenziehung sich auf die nächste Nachbarschaft dieses Ostiums beschränken; die weiter weg gelegenen Partien der Muskelwand würden nur passiv bewegt werden. Ich bin jedoch nie im Stande gewesen, etwas Derartiges mit Sicherheit zu sehen. Bei blutgefüllter Vorkammer bezüglich Kammer würde in solchem Falle nicht ein Zusammensinken, sondern weit eher eine Vorwölbung oder Auftreibung der Wand an der nicht activen Stelle während der Systole der an’s Ostium grenzenden Partie zu erwarten sein. Auch hiervon ist nichts zu bemerken. Doch könnte dies immerhin auf unvollkommenem UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 107 Schluss des Ostiums bei der nur partiellen Systole beruhen, da dann das Blut Gelegenheit hätte, nach dem zunächst stromaufwärts gelegenen Ab- schnitt der Blutbahn auszuweichen. Auch bei künstlicher (elektrischer oder mechanischer) Reizung der Atrien oder Kammern an beliebiger eng begrenzter Stelle wird während negativ-inotroper Vaguswirkung, wenn überhaupt, stets eine scheinbar gleichzeitig an allen Stellen der Muskelwand beginnende und endigende Contraction gesehen. Nicht in Betracht kommen die Fälle, wo in Folge fortgeschrittenen Absterbens der Musculatur das Leitungsvermögen so weit (auf einige Millimeter) herabgesetzt ist, dass man der Contractionswelle bequem mit dem Auge folgen kann. Doch ist auch hier ein Erlöschen der Welle nahe dem Ausgangspunkt nicht leicht zu beobachten. Da es immerhin unter Umständen sehr schwierig sein kann, bloss passive Bewegungen eines Theiles der Muskelwand ganz sicher als solche zu erkennen, habe ich versucht, auf graphischem Wege, unter Anwendung der Suspensionsmethode, die Frage zu prüfen. Die Versuchseinrichtung ergiebt sich von selbst. Man hat einen vom Ausgangspunkt der Contraction entfernteren (distalen) Theil der Muskelwand der betreffenden Herzabthei- lung von dem dem Ausgangspunkt zunächst liegenden (proximalen) so abzuklemmen, dass zwar die motorische Erregung sich noch durch die ge- klemmte Stelle hindurch fortpflanzen, eine directe mechanische Einwirkung (durch Zug oder Druck) aber nicht von dem einen auf den anderen Theil stattfinden kann. Die Bewegungen beider Abschnitte werden für sich registrirt. Es ist dann, falls die Schwächung auf Hemmung der Längs- leitung beruht, zu erwarten, dass bei Vagusreizung mit deutlichem negativ- inotropen Erfolg das distale Stück sich entweder gar nicht zusammenzieht oder doch jedenfalls eine stärkere Abnahme der systolischen Erhebungen zeigt, als das proximale. Der Erfolg bestätigt aber nicht nur nicht diese Erwartung, sondern bei einem gewissen Grade der Abklemmung tritt geradezu das Gegentheil ein: das proximale Stück zeigt dieSchwächung; das distale nicht! Es führt, in gleichem Tempo wie das proximale, ungeschwächte Contrac- tionen aus. Die hierauf bezüglichen Versuche habe ich an Vorkammern und Kammern von Rana esculenta angestellt. Auf Versuche am Warmblüterherzen dürfte zunächst verzichtet werden, da es sich bei der negativ-inotropen Vagus- wirkung um einen Vorgang handelt, der unzweifelhaft überall auf dem- selben Prineip beruht. Bei den meisten meiner Versuche war die Circu- lation vollkommen erhalten, das Herz der sehr schwach curarisirten Frösche in üblicher Weise ohne Blutung blossgelegt und doppelt suspendirt. Zur 108 Tr. W. ENGELMANN: Abklemmung diente eine stark federnde vernickelte Stahlklemme, die in zwei freie Arme, prismatische Elfenbeinstäbchen von 20 wm Länge und ] mm Querschnitt auslief. Der Druck, den diese Arme auf das von ihnen eingeklemmte Stück der Muskelwand ausübten, konnte durch Verstellen einer feinen Schraube sehr genau regulirt werden. Die Klemme selbst war auf einem am Froschbrett festgeschraubten Säulchen unbeweglich fixirt. Die Arme der Klemme wurden, nachdem sie die richtige Stelle der Muskelwand zwischen sich fassten, zunächst nur so weit geschlossen, dass das eingeklemmte Stück so weit fixirt war, dass eine directe Zug- oder Druck- wirkung von einem auf’s andere Stück ausgeschlossen war, die motorische Erregung aber ungehindert passiren konnte. Die Bewegungen des proxi- malen und des distalen Stückes wurden in gewohnter Weise auf der rotiren- den Trommel des Pantokymographions unmittelbar über einander in hin- reichender — meist zehn- bis zwanzigmaliger — Vergrösserung aufgeschrieben und darunter auf elektromagnetischem Wege die Reizung und die Zeit re- gistrirt. Zunächst wurde eine längere Reihe von Herzperioden ohne Vagus- reizung aufgezeichnet, dann der Vagus reflectorisch von der Bauchhöhle aus, seltener der Vagusstamm oder seine intracardialen Zweige, durch sehr kurzes Tetanisiren mit abwechselnd gerichteten Inductionsströmen gereizt. Diese Versuche wurden bei stufenweis wachsendem Druck der Klemmen wiederholt, bis schliesslich die motorische Leitung durch die eingeklemmte Partie unterbrochen war. Darnach wurde die Klemme gelockert und die Wiederherstellung der Leitung graphisch verfolgt. In vielen Fällen wurde, bei grösserer Umdrehungsgeschwindigkeit der Schreibtrommel auch die Lei- tungsgeschwindigkeit, d. h. das Zeitintervall zwischen dem Anfang der Systolen der beiden Stücke mit und ohne Vagusreizung gemessen. Ueber diese Zeitmessungen wird im V. Abschnitt näher berichtet. A. Versuche an den Vorkammern des Froschherzens. Die Klemme wurde stets etwa 3 bis 5 "m unterhalb der Sinusgrenze angelegt und zwar so, dass entweder ein Theil der rechten, oder — häufiger — einer der linken Vorhofswand das distale Stück bildete. Der Verlauf der Dinge war in beiden Fällen principiell gleich. Die Figuren 1a bis Ih können als typische Beispiele gelten. Sie sind am selben Herzen (Vers. V vom 15. März 1900) gewonnen. In allen Figuren ist die oberste Curve vom proximalen (A), die nächst untere vom distalen Stück (4) der Vor- kammern gezeichnet. Das Chronoskop (Stimmgabel) markirte Fünftel- secunden. Alle Curven sind von links nach rechts zu lesen. Die Tempe- ratur maass 15 bis 16° C. UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 109 UNE A AA AA NA LARANAN AN SUEN. A UVA RI RONTENE N MM N REN UM Fig. 1a. Fig. 1a. 15.111. 1900 10% Vorm. Sehr mässiger Druck der Klemme. Die Systolen (s) von A und A’ haben nahezu gleiche, constante Grösse, die Dauer ihrer Perioden ist gleich und constant, A, kommt jedes Mal ein klein wenig später als A, Keine Vagusreizung. Fig. ıb. Fig. 1b. Drei Minuten später, bei gleichem Stande der Klemme. Reflec- torische Vagusreizung vom Dünndarm aus: starker negativ-inotroper Effect, gleich stark, von gleicher Dauer und gleichem Verlauf in A wie in A. Schwache negativ-chronotrope Wirkung. Intervall 4,— 4A, nicht merklich anders als in Fig. 1a und auch nach der Vagusreizung nicht merklich anders als vorher. Ar . ie AAAANAAAAAAAAAAMNANNAAANAAAN HRUAANANKAKRNANARANANKAAAANIAAENANAAKNAAAAAAAAAAAN. Mn AAAUARUNAANARIINNANAANK Fig. 1e. Fig. 1ec. Eine halbe Stunde später. Kurz zuvor war der Druck der Klemme etwas gesteigert worden. Die Klemme hatte sich dabei ein wenig distalwärts verschoben. In Folge dessen sind die Hubhöhen von A etwas grösser, die von A’ etwas kleiner als in Fig. 1a und b. In Curve A — nicht in A’ — ist vor jeder A, die Si, deutlich sichtbar. Dauer der Herz- perioden kaum länger als in Fig. 1a und b. Dagegen, wegen der stärkeren Quetschung, das Intervall A,— 4, merklich, obschon nur wenig, länger. Starke Reizung der Baucheingeweide ergiebt sehr starke negativ-ino- 110 Thu. W. ENGELMANN: trope Wirkung auf A, eine viel schwächere, obschon noch sehr deut- liche, auf A. Zugleich starker negativ- -chronotroper Effect, in A und 4 gleich. Intervalle A A, durch die Reizung nicht deutlich beeinflusst, vielleicht nach der langen Pause zunächst kürzer. AMAAMAAAANAAMAAAANMMMAA MAMA nA RR MM Ama mamma MG Fig. 1d. Fig 1d. Eine Stunde nach Fig. 1e gezeichnet. Druck der Klemme noch stärker. Mässig starke reflectorische Vagusreizung: nur in A starker negativ-inotroper Effect. Die Hubhöhen von A, nehmen kaum ab, ihre Dauer eher etwas zu. Chronotrope Wirkung sehr unbedeutend. Inter- vall A4,— 4A, während der inotropen Vaguswirkung nicht merklich anders als vorher. WARNUNG UNNA RAAB Fig. le. Fig. 1e. Drei Minuten später. Druck der Klemme unverändert. Stärkere Darmreizung: sehr starke und lang anhaltende negativ-inotrope Wirkung auf A, in A’ viel geringere Abnahme der Hubhöhe, bei nicht verringerter Dauer der Systolen. Zugleich starker, für A und A’ gleicher negativ-chronotroper Effeet. Intervall A,— 4A, nicht deutlich beeinflusst. EL // In ie) ee) ee NA a URAN ANARANANAAAAA AAN AAAAAAAMMAARAAMAAAAAAMA MAMA ANA ANAAMANAAAAMAAAAMAAAN Fig. 1£. Fig. 1f. Eine Stunde später, bei gleichem Druck der Klemme. Schwächere Vagusreizung: sehr deutlicher negativ-inotroper Effect auf A, so UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 111 gut wie keimer auf 4. Sehr geringe Verlängerung der Perioden. Kein ’ merklicher Einfluss auf A,— A; SULNENIN DR TARA A VO NEN NASEN NEN ui _ -— — — — -— — - an RAN VANTAGE ü \ Fig. 1g. Fig. 1g. Dasselbe Herz vier Tage später! (19. März). Es waren in- zwischen viele, den vorigen gleiche Versuche daran angestellt, die Klemme am Tage häufig Stunden lang und während der Nächte dauernd wieder weit geöffnet worden, so dass auch A’ reichlich vom Blute durchströmt ward. Etwa zwei Minuten vor Beginn des abgebildeten Curvenstückes war die Klemme bei mässigem Drucke geschlossen worden. Die Hubhöhen beider Abtheilungen sind jetzt erheblich kleiner als am ersten Tage. Mässig starke Darmreizung giebt starken negativ-inotropen Effect auf A, gar - R . .,. . . .. ’ keinen auf 4, gleichzeitig geringe Periodenverlängerung. Intervall A,—A, nicht merklich beeinflusst. RR Fig. 1h. Fig. Ih. Zwei Minuten später gezeichnet. Starke Reizung des Darms: sehr starke, lang anhaltende negativ-inotrope Wirkung auf A, gar keine auf A’. Auf die zweite, dritte und vierte A, folgt keine A,. Die motorische Leitung von A nach A’ war also in Folge der Vagusreizung vorübergehend unterbrochen worden. Es lehren also diese graphischen Versuche einmal, dass die schwächende Wirkung des Vagus auf die Vorkammern nicht auf einer Abnahme der Längsleitung in den Muskelfasern beruht, und zweitens, dass die Leitung der negativ-inotropen Reize an andere Bedingungen als die Leitung der motorischen Erregung gebunden ist, da ja erstere schon durch geringere Compression der Muskelwand aufgehoben wird als letztere. Die wahr- scheinlichste Erklärung für diese wichtige neue Thatsache ist offenbar die, dass beide Leitungsvorgänge an verschiedene anatomische Substrate ge- bunden sind, und zwar die negativ-inotrope Leitung an Nervenfasern, die motorische an die Muskelzellen. 112 Thu. W. ENGELMANN: Beides ist ja bereits auf anderem Wege so gut wie sichergestellt. Die Versuche von Heidenhain (8), wie namentlich die von Hofmann (9) lassen kauın einen Zweifel darüber, dass es nur die Vagusfasern sind, welche den verschiedenen Stellen der Vorhofswand die schwächende Er- regung übermitteln. Und dass die Leitung der motorischen Erregung im Herzen ausschliesslich durch Vermittelung der Muskelzellen zu Stande kommt, dürfte heut zu Tage um so weniger noch eines Beweises bedürfen, nachdem auch anatomischerseits der continuirliche Zusammenhang der con- tractilen Substanz selbst für die einzelnen quergestreiften Fibrillen benach- barter Zellen nachgewiesen ist (10). Für Diejenigen, welche noch immer auch die motorische Leitung im Herzen durch Nervenfasern zu Stande kommen lassen wollen, würde jetzt zu den vielen anderen für sie bereits nöthig gewordenen Hypothesen ad hoc, die neue, weder anatomisch noch physiologisch anderweit zu begründende Hülfsannahme erforderlich, dass die Nervenfasern negativ-inotroper Function durch erheblich geringeren Druck geschädigt werden, als die angeblich die motorischen Reize leitenden. Von unserem Standpunkt ist ein Unterschied im Verhalten gegen Druck selbstverständlich, weil man es ja mit zwei anatomisch und physio- logisch ganz verschiedenen Arten von Gewebselementen — Muskeln und Nerven — zu thun hat. Dass es gerade die Nervenfasern sind, deren Leitungsvermögen durch den schwächeren Druck schon aufgehoben wird, ist mit der Thatsache in Uebereinstimmung, dass Nervenfasern überhaupt leichter als Muskelfasern durch Compression ihr Leitungsvermögen ein- büssen, wie sie ja ganz im Allgemeinen — Zeuge schon die grössere speci- fische Reizbarkeit — einen labileren Bau als die letzteren besitzen. Auch zur wirksamen Erregung der Vagusfasern in der Vorkammerwand sind beiläufig oft geringere Reizstärken (Inductionsströme) erforderlich, als zur Erzeugung von Extrasystolen selbst im Zustande sehr hoher Erregbarkeit der Muskelsubstanz, z. B. nach etwas verlängerter Pause. Ich habe hierfür viele Zahlenbelege und graphische Beweise gesammelt. Uebrigens soll die Möglichkeit doch nicht unerwähnt bleiben, dass es zur Fortleitung der motorischen Erregung durch die gequetschte Stelle der Herzwand genügen würde, wenn nur längs einer einzigen Muskelfibrille noch das Leitungsvermögen erhalten wäre. Auch dann würde im distalen Stück eine maximale Systole erfolgen müssen. Da die Zahl der Muskel- fibrillen auf jedem Querschnitt der Wand unzweifelhaft grösser — wahr- scheinlich sehr viel grösser — ist als die der Nervenfibrillen, würde die Wahrscheinlichkeit für die Erhaltung einer motorischen Bahn auch bei gleicher Resistenz beider Elemente gegen Druck grösser sein, als die Er- haltung einer Leitungsbahn für die negativ-inotropen Reize. Immerhin müssten es aber verschiedene Bahnen sein. UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 113 Vom teleologischen Standpunkte aus erscheint das von mir gefundene Verhalten gleichfalls einleuchtend, da die Erhaltung der motorischen Lei- tung im Herzen für die Erhaltung des Kreislaufes und damit des Indivi- duums offenbar von unmittelbarerer, und insofern also von grösserer Be- deutung ist als die Erhaltung der Leitung von Hemmungswirkungen. B. Versuche am Ventrikel des Froschherzens. An der Herzkammer des Frosches habe ich die gleichen Abklemmungs- versuche wie an den Atrien angestellt, und mit gleichem Erfolge. Die dort gezogenen Schlussfolgerungen gelten also auch für die Kammer, und es wird genügen, nur einige graphische Belege zu geben. In allen Versuchen wurde der Ventrikel durch die quer angelegte Klemme in ein distales, die „Spitze‘“ enthaltendes, und ein proximales, basales Stück abgetheilt. Mi ll] INN / BON ll | | Kl N N N\ Fig. 2 (Vers. XIII. 9. April 1900) zeigt zunächst, dass bei mässigem Druck der Klemme die negativ-inotrope Wirkung sich sowohl im proxi- malen (7 — die untere Curve) wie im distalen Stück der Kammer (7’ — die obere Curve) äussert, und zwar in beiden in gleicher, Stärke. Denn der relative Betrag der Schwächung, wie auch die Dauer der Wirkung ist für beide gleich. Die Hubhöhe nimmt in V von 5.5 "m in maximo auf 2.3 mm (2. Systole nach Anfang der Reizung), in V’ von 15-3 wm auf 6.3 ®m ab, entsprechend rund 42 Procent bezüglich 41 Procent des Anfangswerthes. Der Vagus war reflectorisch vom Darm aus erregt. VAT TERN SUSIMARURLIIKAIUNMAAALMLLANIANNANNLNGUKALMAALIALMANLLLALLU Fig. 3a. Fig. 3a (Vers. XII. 4. April 1900) zeigt die Hemmung der negativ- inotropen bei fortbestehender motorischer Leitung bei starkem Druck der Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. 5 114 Ta. W. ENGELMANN: Klemme. In Y (untere Curve) nimmt in Folge der reflectorischen Vagus- reizung die Hubhöhe von 11”® auf 7"” ab (5. und 6. Periode nach An- fang der Reizung) und wächst dann allmählich, bis in der 12. Systole die anfängliche Höhe nahezu erreicht ist. Die Hubhöhe von V’ (obere Curve) bleibt nach wie vor 10%®, Zugleich besteht eine mässige Verlängerung der Periodendauer. Das Intervall V,— V,; bleibt anscheinend unverändert. Inırınnannnnnnne Fig. 3b (dasselbe Präparat einige Stunden später) zeigt bei verringertem Klemmendruck starke Schwächung im proximalen wie im distalen Stück, ausserdem erhebliche Verlängerung der Perioden. In der unteren Curve (V) sind die A, sehr deutlich, in der ersten V, nach der langen Pause vor A, auch die Ve Si,, welehe beide natürlich in der oberen, vom distalen Stück 7’ gezeichneten Curve fehlen. Fig. 3c. Fig. 3c (dasselbe Präparat zwei Minuten später) zeigt bei wieder ver- stärktem Druck der Klemme starken negativ-inotropen Effeet im basalen, nur sehr schwachen im distalen Stück. Negativ-chronotrope Wirkung ziem- lich schwach, dromotrope Wirkung jedenfalls nicht messbar. a er 2 A AR u AAN AAN Fig. 3d. Fig. 3d (dasselbe Präparat einen Tag später). Sehr kurze Darmreizung ergiebt sowohl auf Y als auf YF’ deutlichen negativ-inotropen Reflex. Die, UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 115 ohnehin schon im Vergleiche zu den vorigen Versuchen bedeutend ver- langsamte, motorische Leitung von Y nach Y7’ wird unter dem Einfluss der Vagusreizung in der eingeklemmten Strecke längere Zeit ganz unter- brochen: auf die 4. bis 12. Systole von Y nach der Reizung fallen die entsprechenden 7, aus, der nämliche Erfolg, der in Fig. 1h vom Vorhof abgebildet ist. Bei YV ist ein negativ-chronotroper Effect kaum bemerkbar. C. Versuche über die negativ-inotrope Leitung von den Vorkammern nach der Kammer des Froschherzens. (ranz ebenso wie innerhalb der Wand der Atrien und des Ventrikels wird auch die motorische und inotrope Leitung von A nach 7 durch Quet- schung verschieden stark beeinflusst und wiederum versagt wie dort bei wachsendem Druck der Klemme zuerst die Leitung der inotropen Effecte, Zum Belege diene der folgende, in Fig. 4a und 4b abgebildete typische Versuch (Nr. LXVILI, 4. Mai 1899), der an einer seit 24 Stunden schwach curarisirten Rana esculenta angestellt wurde. Die Klemme lag in der Atrioventricularfurche, A (untere Curve) und / (obere Curve) waren sus- pendirt. Der Vagus wurde von den Därmen aus reflectorisch erregt. Die Zeit ist in Zehntelsecunden aufgeschrieben. Die Curven’ sind auf ?/, der Originalgrösse verkleinert. Zeigt bei mässigem Drucke der Klemme starke Schwächung sowohl der A, wie der Y,, daneben ziemlich starke negativ-chronotrope Wirkung. Fig. 4b. Dasselbe Präparat, zwei Minuten später, stärker geklemmt, zeigt nur in’A starken negativ-inotropen Reflex. Die Höhe der V, ändert sich nicht merklich. Nur die Dauer der Contractionen wird vorübergehend geringer. Dies rührt aber von der geringeren Füllung des Ventrikels mit Blut aus den geschwächten Vorhöfen her. Gleichzeitig besteht wiederum eine starke negativ-chronotrope Wirkung. g*r 116 Ta. W. ENGELMANN: Die unter A, B, C mitgetheilten Thatsachen lehren, dass die negativ- inotrope Wirkung des Vagus nirgends im Herzen auf einer Hemmung der Längsleitung der motorischen Erregung beruht und dass ihre Fort- pflanzung innerhalb des Herzens überall an andere Bedingungen gebun- den ist als die Leitung der motorischen Reize. Sowohl die inotrope Leitung innerhalb der Muskelwand der Vorhöfe und der Kammer, wie die von den Vorkammern zum Ventrikel wird durch Bahnen vermittelt, welche durch Druck leichter geschädigt werden, als die, welche die motorische Erregung fortpflanzen. In Uebereinstimmung mit den bereits auf anderen Wegen festgestellten Ergebnissen muss angenommen werden, dass dieschwächen- den Reize überall im Herzen nur durch Nervenfasern, die moto- rischen überall nur durch Muskelfasern fortgeleitet werden. 2. Beruht die negativ-inotrope Wirkung des Herzvagus auf Herabsetzung der Querleitung in den Muskelfasern? In jeder normalen Muskelzelle bildet die contractile Substanz ein die Erregung leitendes Continuum. Der motorische Impuls pflanzt sich vom Orte der primären Erregung gleichmässig stark und anscheinend gleich schnell in jeder Richtung durch die contractile Substanz fort. Für die quergestreiften Muskelfasern darf dies als ziemlich sicher betrachtet wer- den. Sehr anschauliche Beweise liefern namentlich die sogenannten seit- lichen Contractionswellen der Käfermuskeln, die mitten von der Berührungs- fläche zwischen Nervenhügel und Oberfläche der quergestreiften Substanz ausgehen. Sie sind wiederholt abgebildet und beschrieben worden (11, 12). Hier befinden sich in der Regel, wie ich an anderer Stelle durch Photo- graphien näher belegen werde, alle von der Mitte der Unterfläche des Nervenhügels gleichweit entfernten, in beliebiger Richtung gelegenen Stellen der quergestreiften Substanz in merklich gleicher Contractionsphase Es fehlt jeder Grund, um gleiches Leitungsvermögen in Quer- wie in Längs- richtung der Fasern nicht auch für die. Herzmuskelzellen anzunehmen. Inzwischen ebenso sicher ist es, dass unter Umständen die Muskel- fibrillen auf einer Seite der Faser abgestorben sein können, ohne dass die übrigen Fibrillen ihr Zuckungsvermögen eingebüsst haben. Lässt man zu frischen unter dem Deckglas ausgebreiteten Muskelfasern vom Frosch oder von Käfern schädigende Flüssigkeiten, z. B. hypotonische Kochsalz- lösung, sehr vorsichtig in querer Richtung zuströmen, so kann man dies bekanntlich leicht beobachten. Auch die Versuche Jon Velichi’s (13) über das elektromotorische Verhalten von Muskeln, an denen künstliche (ther- mische, bezw. chemische) Längsschnitte angelegt wurden, sind in dieser UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 117 Hinsicht beweisend. Undenkbar wäre es also keineswegs, dass auch von den Nerven aus, die ja nur auf den natürlichen Längsschnitt der Fasern direct einwirken, eine mehr oder weniger weit über den Querschnitt der einzelnen Muskelfaser sich erstreckende Lähmung ausgehen könnte. Es würde sich also jede dem Hemmungsreiz ausgesetzte Zelle nur mit einem Theil ihrer Fibrillen contrahiren. Beim Herzen, wo wie bei den glatten Muskelhäuten die einzelnen Zellen durch innigsten Contact sowohl in der Längs- wie in der Quer- richtung motorisch leitend mit einander verbunden sind, wäre es noch ausserdem denkbar, dass auch die Querleitung von Zelle zu Zelle ge- hemmt würde, ohne dass die Längsleitung von Zelle zu Zelle aufgehoben zu sein brauchte. Die anatomischen Bedingungen für die Uebertragung der motorischen Reize sind ja, wenigstens beim Herzen, sicher an den seit- lichen Oberflächen der Zellen im Allgemeinen andere und anscheinend weniger günstige als an den Enden, wo der Zusammenhang ganz beson- ders innig zu sein scheint. Hier würde also, wenigstens bei dickeren, aus mehreren Längsreihen von Zellen zusammengefügten Muskelbälkchen eine Reduction der activen Querschnitte durch Hemmung der seitlichen Ueber- tragung von Zelle auf Zelle in’s Spiel kommen können. Doch ist dies wegen der zahlreichen Queranastomosen der Zellen sehr unwahrscheinlich. Ueberhaupt ist es von vornherein wenig wahrscheinlich, dass mit Er- haltung, sogar Verbesserung (s. unten) der Längsleitung eine völlige Auf- hebung des Reizleitungsvermögens in querer Richtung gleichzeitig sollte einhergehen können. Es giebt aber directe thatsächliche Gründe, welche eine solche Annahme zur Erklärung der negativ-inotropen Vaguswirkung unzulässig machen. Da dieser Annahme zufolge bei der Vaguswirkung der wirksame Querschnitt der Muskelsubstanz redueirt würde, so müsste die Kraft der Verkürzung, nicht aber — denn die Längsleitung der übrigen Fibrillen besteht fort — die Grösse der Verkürzung im unbelasteten Zustande abnehmen. Die negativ-inotrope Wirkung würde also bei isometrischer Anordnung maximal, bei unbelasteten Fasern gar nicht oder doch kaum merkbar sein müssen. Davon zeigt sich aber nichts. Schon der directe Augenschein lehrt, dass bei völlig schlaffen, blutleeren Vorkammern die schwächende Vaguswirkung so gut wie bei stark gespannten, blutgefüllten Herzen zu Stande kommt. Bei genügender Reizstärke nehmen die Systolen bis zu völligem Verschwinden ab. Hiermit sind auch die Versuche von 0.Frank (6) über den Einfluss der Vagusreizung auf isometrisch und isotonisch arbeitende Herzen in Uebereinstimmung, ebenso zahlreiche nicht veröffent- lichte ältere und neuere Versuche, die mittels der Suspensionsmethode an verschieden stark belasteten Herzen von mir angestellt wurden. 118 Ta. W. ENGELMANN: Ein weiterer thatsächlicher Einwand ist folgender. Da die Längs- leitung nach unseren Versuchen selbst während sehr starker Schwächung der Systolen im Allgemeinen unverändert fortbesteht, ist zu erwarten, dass künstliche, genügend starke directe Reizung der Vorkammern während der Vaguswirkung viel grössere Extrasystolen hervorrufen wird, als die gleich- zeitig zu beobachtenden spontanen sind. Dies ist aber wiederum nicht der Fall. Bekanntlich lassen sich während starker Vagusreizung auch durch äusserst starke elektrische Reize merkliche Extrasystolen zeitweilig über- haupt nicht auslösen, und die sich etwa auslösen lassen, sind jedenfalls nicht grösser und nicht kräftiger als die zur selben Zeit auftretenden spontanen. Allerdings können, wenn das Leitungsvermögen in Folge fort- geschrittenen Absterbens sehr tief herabgesunken ist, starke directe Reize mitunter noch Zusammenziehungen von grösserer Kraft und Hubhöhe als die spontanen auslösen. Es ist aber klar, dass dies so sein muss, weil ja unter diesen Umständen die Muskelwand an sehr vielen Stellen gleich- zeitig direct erregt wird und nicht wie bei schwachen künstlichen Reizen oder beim normalen Erregungsvorgang nur an vereinzelten Stellen primär, an allen übrigen secundär durch Leitung. Ein weiteres gewichtiges Bedenken liefern die positiv-inotropen Nerven- wirkungen auf’s Herz. Dies Bedenken richtet sich überhaupt gegen jede Erklärung der negativ-inotropen Effecte aus Hemmung der motorischen Leitung, also auch der Längsleitung. Wie bekannt, sind in der Norm die Herzschläge nicht so stark und umfangreich, als sie unter Einfluss der Nerven werden können. Zwar ist jede Systole die im gegebenen Augen- blicke grösstmögliche; aber der Werth dieses Maximums kann durch Reizung der in den Acceleratorbahnen laufenden, positiv-inotrop wirkenden Nervenfasern sehr bedeutend. über die Norm gesteigert werden. Wollte man die hemmenden Effecte also auf Leitungsänderungen zurückführen, so müsste man consequenter Weise annehmen, dass in der Norm nur ein Theil der Muskelfasern sicham Herzschlag betheilige, die normalen Systolen nur partielle Contractionen der Herzwand seien. Diese Annahme aber erscheint einmal von vornherein höchst unnatürlich und ist weiter mit Allem, was wir bisher über die motorische Leitung im Herzen wissen, in Wider- spruch. Wie u. A. die Zickzackschnittversuche und die Versuche über die Leitung der Negativitätswelle gelehrt haben, breitet sich die motorische Erregung im frischen Herzen von jeder beliebigen Stelle der Muskelwand nach jeder beliebigen anderen längs jeder beliebigen anderen aus und, soweit die Messungen zu beurtheilen gestatten, nach allen Richtungen mit gleicher Geschwindigkeit. Weshalb sie irgendwo Halt machen sollte, ehe sie die Bahn überall hin bis zum Ende durchlaufen hat, ist nicht einzusehen. UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 119 Es lässt sich nun auch direct beweisen, dass die positiv-inotropen Nerven- wirkungen nicht auf Verbesserungen des Leitungsvermögens, speciell der Längsleitung beruhen. 11. Ueber die Leitung der positiv-inotropen Nervenwirkungen im Herzen. Der Beweis wurde in der nämlichen Weise wie für die herzschwächenden Wirkungen durch Abklemmungsversuche geführt: auch die positiv-inotropen Nervenwirkungen mussten, wenn Leitungsänderung ihre Ursache war, sich im distalen Stück der durch die Klemme abgetheilten Herzwand stärker als im proximalen, eventuell ausschliesslich im distalen zeigen. Ich kann mich auf die Mittheilung eines einzigen entscheidenden Ver- suches (Nr. XIII vom 9. April 1901, Fig. 5a u. b) beschränken. Die positiv-inotrope Wirkung wurde hier erzeugt durch Reizung der Herzwurzel zwischen den oberen Hohlvenen an der Stelle des Vaguseintritts. Der Frosch (R. esculenta) war nicht curarisirt worden, das Herz im Ganzen heraus- geschnitten, der Ventrikel durch die Klemme in ein kleineres basales (untere Curve) und ein grösseres distales Stück (obere Curve) abgetheilt. Die Zeit ist in halben Secunden notirt. Fig. 5a. Fig. 5a, bei mässigem Druck der Klemme geschrieben, zeigt neben einer starken negativ-chronotropen eine sehr bedeutende positiv-inotrope Wir- kung, die sich im proximalen wie im distalen Stück in einer an- sehnlichen Steigerung der Hubhöhen und einer ebenso ansehnlichen Verlänge- rung der Contraetionsdauer zu erkennen giebt. Fig.5b ist vom selben Präparat eine Viertelstunde später bei stärkerem Druck der Klemme gezeichnet. Auf die Reizung folgt jetzt nur im basalen 120 Ta. W. ENGELMANN: Stück eine bedeutende — in maximo mehr als 30 Procent betragende — Steigerung der Hubhöhe und Dauer hervor. Das distale Stück zeigt nur eine kaum merkliche Vergrösserung der systolischen Erhebungen und eine geringe Verlängerung der Contraetionsdauer, die wohl auf der längeren Dauer der Pausen beruhen könnten. Offenbar war hier die Leitung der positiv-inotropen Reize durch die gequetschte Stelle so gut wie völlig auf- gehoben, während die motorischen Erregungen sich noch ungehindert hin- durch fortpflanzten. Auch hier wird die Erklärung dieses verschiedenen Verhaltens beider Arten von Leitung darin zu suchen sein, dass die positiv-inotrope Leitung durch Vermittelung von Nervenfasern, die motorische durch Muskelzellen zu Stande kommt. Die Bahnen für erstere verhalten sich gegenüber den motorischen bei Druck in derselben Weise wie die Bahnen für die negativ-inotropen Reize. Es ist kein Zweifel, dass es sich hier wiederum um eine für alle Herz- abtheilungen gültige, principielle Erscheinung handelt. Ich habe deshalb geglaubt, von Versuchen an anderen Theilen des Herzens (Vorkammerwand, Atrioventriculargrenze) einstweilen absehen zu können. III. Ueber die Deutung des Phänomens der ‚„Treppe“. Wie die inotrope Vaguswirkung, so soll auch die nach längeren Ruhe- pausen des Herzens zu beobachtende Abnahme der Zuckungsgrösse und deren allmähliches Wachsen nach Wiederaufnahme der Pulsationen — die „Lreppe“ von Bowditch — nach Muskens’ Vermuthung ihren Grund in Aenderungen des Leitungsvermögens der Muskelwand haben, und nach des Autors Mittheilungen scheint der Entdecker der Treppe selbst diese Vermuthung nicht abzuweisen oder sie doch für wohl discutirbar zu halten. Ich habe deshalb auch für diesen Fall die directe experimentelle Entschei- dung zu liefern gesucht, welche offenbar auf demselben Wege wie für die inotropen Nervenwirkungen zu erreichen sein musste. Ohne nun bestreiten UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN, 121 zu wollen, dass Aenderungen des Leitungsvermögens unter Umständen am Entstehen einer Treppe betheiligt sein können, führen doch meine Versuche zu dem Ergebniss, dass es sich auch hier im All- gemeinen nicht um pseudo-inotrope, sondern um echte primär-inotrope Wirkungen handelt. Klemmt man beim Froschherzen in der oben beschriebenen Weise einen Theil der „Spitze‘ von der Basis des Ventrikels ab und erzeugt man nun eine sehr lange Pause, so zeigt bei Wieder- beginn der Ventrikelsystolen das distale ebenso gut wie das proximale Stück die Treppe, und zwar im Allgemeinen in gleicher Stärke und gleichem zeitlichen Verlaufe wie dieses. Dieser Erfolg tritt unter gleichen Umständen auch ein, wenn der Druck der Klemme so weit gesteigert wird, dass eine Fortleitung der nega- tiv-inotropen Vaguswirkungen vom proximalen auf’s distale Stück gehemmt war, womit zugleich der Beweis geliefert ist, dass durch den Vagus zugeleitete Nervenwirkungen hierbei nicht im Spiele waren. Als Beleg diene aus vielen anderen der in Fig. 6 abgebildete Versuch. Versuch Nr. XXXII. 18. VI. 1900. Bog. 2. Umg. 6. Rana esculenta, nicht curarisirt. Herz ausgeschnitten, klopft regelmässig. Ventrikel in der Mitte eingeklemmt. Obere Curve vom proxi- malen (7), untere vom distalen (Y”) gezeichnet. Von Zeit zu Zeit wird durch fünfmalige, in Pausen von einigen Secunden wiederholte, momentane Reizung der Herzwurzel am Vaguseintritt mit kräftigen Induetionsströmen ein lang anhaltender Stillstand erzeugt. Auf die Reizung folgt zunächst eine sehr deutliche, obschon nicht starke negativ-inotrope Wirkung auf V, welche sich aber nach V’ nur kaum merklich fortpflanzt. Nach der 5. Reizung tritt ein Stillstand von 90 Secunden Dauer ein. Die erste spontane Systole nach Ablauf desselben ist sowohl in Y wie in V’ sehr bedeutend kleiner, als vor der langen Pause. Die nächsten Systolen nehmen dann allmählich an Höhe zu, bis etwa bei der 7. Contraction die anfängliche Höhe wieder erreicht ist. Die Wirkung ist im basalen Stück Fig. 6. 122 Ta. W. ENGELMANKN: absolut wie relativ etwas stärker als im distalen, also entgegengesetzt von dem, was nach der Muskens’schen Hypothese eintreten sollte. Dass es sich hier um eine echte Treppe und nicht um eine ‚ab- klingende negativ-inotrope Vaguswirkung handelt, beweist, ausser dem schon oben in dieser Beziehung bemerkten, der zeitliche Verlauf der Wirkung. Ein so schwacher negativ-inotroper Nerveneffect, wie er in der gering- fügigen Abnahme der Zuckungshöhen von 7 zu Tage. tritt, musste schon bald nach dem Anfang der langen Pause erloschen sein. Ich brauche in dieser Hinsicht nur auf die alten Curvenbilder und Beschreibungen von Nuöl (4) und Heidenhain (7) zu verweisen. Wegen genauerer Angaben über den zeitlichen Verlauf der negativ-inotropen Vaguswirkung verweise ich auf meine unlängst in der Akad. v. wetenschappen zu Amsterdam ge- thane kurze Mittheilung (12) und die demnächst in diesem Archiv folgende ausführlichere Publication. Genauere Zeitmessungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der motorischen Reize im Herzen während der Treppe ergaben, wie früher schon (12) von mir hervorgehoben wurde, dass diese Geschwindigkeit im Anfang nach der langen Ruhepause im Allgemeinen nicht nur nicht ge- ringer, sondern vielmehr merklich grösser gefunden wird als vorher und gegen das Ende der Treppe hin. Aus diesem Grunde darf also auch nicht eine Verlangsamung der Contractionswelle innerhalb der Wand der Vorkammern oder der Kammer zur Erklärung der Schwächung der Systolen der Treppe herbeigezogen werden. Ausserdem ist diese Erklärung, wie die der Schwächung durch Vagusreizung, schon dadurch ausgeschlossen, dass Form und Dauer der Contractionen sich im Allgemeinen nicht in dem zu erwartenden Sinne einer Verlängerung, bezw. Verbreiterung mit Plateau- bildung ändere, sondern häufig (s. a. Fig. 6) eher im entgegengesetzten Sinne von der Norm abweichen. Es gelten hier dieselben Betrachtungen, die oben bei Besprechung der negativ-inotropen Nervenwirkungen angestellt worden sind, IV. Messungen der Leitungsgeschwindigkeit der motorischen Erregung in der Herzwand während negativ-inotroper Einflüsse. Im Folgenden sollen die im Abschnitt I erwähnten genauen Zeit- messungen mitgetheilt werden, welche streng beweisen, dass die Contraetilität der Herzmuskelzellen durch Nerveneinfluss stark geschwächt sein kann, ohne gleichzeitige Abnahme, ja trotz gleichzeitiger Zunahme der Leitungs- geschwindigkeit für die motorischen Reize. Eine vollständige Untersuchung der Frage nach dem Einfluss der Nerven auf die Leitungsvorgänge im UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 123 Herzen ist hier nicht beabsichtigt. Es soll nur der eine fundamentale Punkt der weitgehenden Unabhängigkeit inotroper von dromotropen Wir- kungen zahlenmässig sichergestellt werden. Die bei den Messungen befolgte Methode war in allem Wesentlichen dieselbe, wie in meinen früheren Untersuchungen über die Leitung im Herzen (13, 8. 149 Taf. IX u. X). Es wurde jedoch immer am ab- geklemmten Präparat gearbeitet und das Zeitintervall s— s’ bestimmt zwischen dem Anfang der Systole des proximalen (s) und der des distalen Stückes (s‘) der zwischeu der Klemme befindlichen Herzwand. Hierbei war zunächst mit der durch die Abklemmung gesetzten Störungen der Leitung als einer möglichen Fehlerquelle zu rechnen. Durch die Quetschung, wenn sie einen gewissen Grad übersteigt, wird die motorische Leitung bekanntlich im geklemmten Stück merklich ver* langsamt, schliesslich ganz aufgehoben. Andererseits kann bei Nachlassen des Klemmendrucks die Leitung sich wiederherstellen, wobei ihre Geschwindig- keit Anfangs zunimmt. Eine während inotroper Vaguswirkung etwa sich zeigende Verlängerung des Intervalls s—s’ würde also möglicher Weise auch durch den Einfluss der Klemme erzeugt sein können, wie andererseits eine unter gleichen Umständen beobachtete Verkürzung des Intervalls dadurch, dass kurz zuvor der Druck der Klemme verringert ward. Inwischen in der Praxis erwies sich diese Fehlerquelle bei nur mässiger Aufmerksam- keit als wenig gefährlich. Es bleibt nämlich s—s’ bei gleichbleibendem Stand der Klemme innerhalb sehr weiter Grenzen des Druckes sehr lange Zeit, am blutdurchströmten Herzen viele Stunden lang, völlig constant. Es ist sogar, wenigstens an der Vorkammerwand, nicht sehr leicht, eine deut- liche Steigerung oder Abnahme des genannten Intervalls durch Steigerung bezüglich Abnahme des Klemmendruckes zu erzeugen und zu verfolgen. Bei wachsendem Druck hört oft die Leitung plötzlich ganz auf, ohne dass ein messbares Stadium abnehmender Leitungsgeschwindigkeit zur Beob- achtung gekommen wäre, und auch die Wiederkehr nach vorheriger Auf- hebung durch Abklemmen geschieht meist plötzlich: es wächst die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit äusserst rasch von Null zur definitiven Höhe wieder an. Jedenfalls bedarf es bei den Vorkammern ausserordentlich feiner Abstufung des Klemmendruckes, um eine länger anhaltende, merk- liehe Steigerung oder Abnahme des Intervalls s—s’ zur Anschauung zu bringen. Beim Ventrikel gelingt es leichter, die allmählichen Aenderungen des Intervalls bei Aenderung des Klemmendruckes zu verfolgen, und ganz be- quem ist der Nachweis für die Leitung von A nach /. Hier handelt es sich um Schwankungen, die leicht eine ganze Secunde und mehr betragen können. 124 Ta. W. ENGELMANR: Bei Einrichtung der Versuche und Deutung der Befunde hat man den wichtigen, früher ausführlich (13, S. 164 bis 186) von mir unter- “suchten Umständen Rechnung zu tragen, welche die Leitung beeinflussen können, besonders der Dauer der vorhergegangenen Pausen. Für unseren Zweck indessen — Entscheidung der Frage, ob inotrope ohne entsprechende dromotrope Wirkungen möglich sind — konnte von einer Deutung in der Regel ganz Abstand genommen werden. Denn es kam ja nur darauf an festzustellen, ob überhaupt Leitungsänderungen und wenn ja, in welchem Sinne solche vorhanden waren. Welches ihre nähere Ursache war, konnte im Allgemeinen gleichgültig bleiben. In den folgenden Tabellen sind, im Anschluss an die früher von mir vorgeschlagene Bezeichnungsweise, folgende Abkürzungen und Zeichen ge- braucht: T bedeutet die Dauer einer Periode, vom Anfang einer Systole bis zum Anfang der nächsten gerechnet, und zwar TV die Dauer einer Ventrikelperiode in Secunden, TA die Dauer einer Vorkammerperiode in Secunden, 4— 4 das Zeitintervall in Secunden zwischen Beginn der Systole des proximalen und des distalen Stückes der abgeklemmten Vor- kammer, V—V’ dasselbe für den Ventrikel, A—-V’ dasselbe für A und /, wenn die Klemme in der Furche zwischen A und V angebracht war, h ist die Höhe der systolischen Erhebung in der vom proximalen, h‘ ist die Höhe der systolischen Erhebung in der vom distalen Stück gezeichneten Curve, in Millimetern. Alle Werthe wurden zunächst für die der Reizung zunächst vorher- gehenden Perioden, dann für eine grössere Zahl dem Beginn der Reizung folgenden gemessen. A. Messungen an den Vorkammern des Froschherzens. Tab. I bis V. Hierzu Fig. 7a und 7b. Sie stammen von demselben Präparat (Vers. V, 15. III. 1900), das auch die Fig. 1a bis 1h geliefert hat (s. dort). Die Geschwindigkeit der Schreibfläche war, mit Ausnahme von Tab. Il und Fig. Ta, 17 bis 18 "=. Die Stimmgabel registrirte Fünftel- secunden. Der wahrscheinliche Fehler der Einzelmessungen beträgt durch- schnittlich für Tab. I bis II kaum 0-02”, für III bis V kaum 0-01”, was für das Intervall 4— 4’ in beiden Fällen etwa 10 Procent der zu messen- den Grösse entspricht. Wegen des langsamen Anstieges der Curven konnten grössere Geschwindigkeiten der Schreibfläche nicht wohl mit Nutzen in An- wendung kommen. Doch ist die erreichte Genauigkeit für unsere Zwecke durchaus genügend, UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 125 1. Versuche bei schwachem Druck der Klemme, mit starkem negativ-inotropen Effect in A und A. Tabelle I. Bogen 22. Umg. 1. 16.111. 1900. 8"10’. Temperatur 16° C. Nr. TA 1 2.84” 2 2-84 3 2-80 4 2.84 1 5.40 2 360 3 3.44 4 410897 5 3-26 6 3-26 A—4 0.18” 0-18 0:20 0:20 Reizung 0.20 0.20 0-18 0-17 0.19 0-19 Tabelle II. 9] +6 2: ‚A D 5 mm r oOSISıI9-[K h avDorrmo A' Bogen 22. Umg. 2. 16. II. 1900. 815’. — Hierzu Fig. 7a (in halber Grösse des Originals). Nr. TA 1 3-0 2 3-0 3 3-0 4 | 1 2 po -INn nr -1OD np on 7 A— 4 0%.237 0-20 0-20 0.22 Reizung 0.22 0.22 0-20 0-22 0.20 0°18 0-18 hA 5.0 mm 5° 5°» 4» POOkeHoor HOconu a In beiden Versuchen ist trotz der höchst bedeutenden Schwächung sowohl der A, wie der A, keine Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit zu erkennen. Die niedrigsten Werthe für A— A’ werden in beiden Fällen einige Zeit nach der Reizung erreicht. Doeh soll hierauf wegen der geringen Geschwindigkeit der Registrirtrommel kein Gewicht gelegt werden, die eine Genauigkeit von mehr als 0-02 Sec. nicht wohl zuliess, AARAU NAAR AAN RAM VUANARAAA ANA AA EL LUG AAN TAAANAG, 3 S 3 = Ss S 3 = SZ S = S S S S s S Fig. 7a. x 126 Ta. W. ENGELMANKN: 2. Versuche bei stärkerem Druck der Klemme, mit starkem negativ-inotropen Erfolg in 4, äusserst schwachem in A’. Tabelle II. Bogen 11. Umg. 9. 15.1. 1900. 1" 2’. Temperatur 17°C. Bogen 17. Umg. 2. 15.111. 1900. 2"31’. Temperatur 17. C. Hierzu Fig. 7b (halbe Originalgrösse). Nr. TA AN: hA hA ° 1 13992 0-11” 6.gmm 5,6mm 2 1.92 0-10 6-9 5-8 R 3 1-90 0-11 6-8 5-3 ? 4 1-88 0-10 6-8 5°6 Reizung 1 1-90 0-10 6-5 5-6 e 2 2-18 0.09 332 5-4 ? 3 2.04 0-10 1-2 5-2 S 4 2.04 0-09 1-6 5°2 S 5 2.04 0.10 3-0 5-2 ? 6 1.96 0.10 5.0 5-1 g 7 1-98 0-10 6-6 5.2 ° Tabelle IV. ° Nr. TA A— 4 hA hA = 1 2.05” 0.09" 6.5ea) Maromm 5 2 2.04 0.09 6-5 4-8 ” Reizung R il 2.08 0.08 6-5 4.6 o 2 2.32 0.08 2-6 4-5 3 2-18 0-07 1.0 4-6 A 2.24 0-07 1-0 4-7 5 2.20 0-07 2-1 4-7 6 2.14 0.08 4:0 4.9 Tabelle V. Bogen 17. Umg. 5. 15. III. 1900. 2" 40”. Nr. TA A—A hA hA 1 1-98” 0- 09” 6.2 m 5,.gmm 2 1.95 0-08 60 5-1 3 1-96 0.09 6-1 5.0 Reizung 1 1-98 0-08 6-1 5.0 2 2.20 0-09 3-0 4.9 3 2.20 0-07 1-4 4-7 4. 2.14 0-07 2.0 4.6 un) 2-10 0.08 3-5 4-7 6 2-10 0.08 9-0 5.0 7 2-06 0.09 6.0 5.0 UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 127 Die Zahlen von Tab. III bis V zeigen ebenso wenig wie die von Tab. I und U eine Zunahme der Werthe A— 4’ nach der Reizung. In allen ist im Gegentheil eine Abnahme unverkennbar, die wahrscheinlich von der Verlängerung der Pausen herrührt. Es wird vielleicht auffallen, dass die absoluten Werthe für das Intervall 4— 4 im den Versuchen Tab. III bis V erheblich, fast um die Hälfte, kleiner sind, als in den Versuchen von Tab. I und II, obschon bei den letzteren der Klemmendruck kleiner war. Dies liegt daran, dass die Ver- suche Tab. I und II einen Tag später als die von Tab. III bis V an- gestellt sind und dass ausserdem dazwischen zahlreiche andere gleichartige Abklemmungsversuche an 4 am nämlichen Präparate liegen. Beide Um- stände mussten zu einer Abnahme des Leitungsvermögens in der geklemmten Stelle Anlass geben; der erstere auch zu einer Abnahme der Hubhöhen, die denn auch in den Zahlen der Tabelle stark zu Tage tritt. B. Messungen an der Kammer des Froschherzens. Die Versuche sind in derselben Weise wie an 4 angestellt, jedoch mit querer Abklemmung der Kammer zwischen Basis und Spitze. 1. Versuche bei schwachem Druck der Klemme, mit starkem negativ-inotropen Effect in Y und /”, Versuch VIH. 29. III. 1900 u. flg. Tab. VI bis IX. Schwach ceurarisirte Rana esculenta. — Refleetorische Vagusreizung vom Darm aus durch kurzes Tetanisiren. Geschwindigkeit der Schreibfläche 17 bis 20 "m, Tabelle VI. Bogen 7. Umg. 5. 29. III. 1900. 2% 5”. —: Temperatur 16° C. Nr. AZ v—V hV BU 1 1-80” 0.15” 3 mn 11.922 2 1-80 0-15 3-5 11.5 Reizung 1 6-75 0-13 3.0 11-5 2 2-35 0-15 1-5 7.0 3 2.40 0.15 2.0 7.5 4 2.30 0-15 25 8-0 5 2-20 0-15 2-5 9.0 6 2-05 0.15 3.0 9.5 128 Ta. W. ENGELMANN: Tabelle VI. Bogen 8. Umg. 1. 30. IH. 1900. 237‘. Hebelvergrösserung verdreifacht. Nr. TV v—V hV hV' 1 2215. 0.13” 10,02 21-022 2 2-10 0-13 10-0 21-0 Reizung 1 2-25 0-13 10-0 21°0 2 16-75 0.10 6°5 18.5 3 5-25 0-10 4-0 14-5 4 3-80 0-08 5-0 16-0 5 as 0.10 65 1736 Tabelle VI. Bogen 17. Umg. 1. 31. III. 1900. 4%20°. Kammer näher an Basis abgeklemmt. Nr. TV V—-V hV hV' 1 2-20” 0152 300 14.5 2 2.20 0-15 3:0 14-5 Reizung 1 2.25 0-15 3-0 14-5 2 3-20 0-15 1-5 11-0 3 2-95 0-15 0°5 5.0 4 2.60 0-15 0-3 3-0 5 2.40 03 0-2 3-0 6 2-35 0-12 0-3 3-5 7 2.35 0-13 0-5 40 8 2°25 0.13 1°0 4-5 Tabelle IX. Bogen 18. Umg. 4. 31. III. 1900. 6% 2’. Nr. TV. v’—V hV Ray 1 2.10” 0-15” 6.0 16-025 2 2-10 0-15 6-0 16-0 Reizung 1 2:055° 0.15 6-0 16-0 2 12-00 0-15 50 13-5 3 3-10 0-13 2-5 6-5 4 2-60 0.10 3-5 8-0 5 2.45 0.13 4.0 9.5 6 2-30 0-15 50 11-0 In keinem einzigen der vorstehenden Versuche ist eine Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit nach der Vagusreizung bemerklich, in den Ver- suchen Tab. VII und IX sogar eine entschiedene Zunahme. UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 129 2. Versuche bei stärkerem Druck der Klemme, mit starkem negativ-inotropen Effect in /, kaum merklichem in /”. Tabelle X. Versuch VII. Bogen 10. Umg. 5. 30. II. 1900. 3" 30". Dasselbe Präparat wie in den Versuchen Tab. VI bis IX. Nr. TE v—V hV hV' 1 1-85” 0-04” 12202 200 2 1-90 0.04 12-0 20-5 3 12,90 0.04 12-0 20-5 Reizung 1 9-50 0.04 1175 20-5 2 3-15 0:04 9.0 19.5 3 2-90 0:03 10-0 20.0 4 2.65 0.04 11-0 20-5 5 2.40 0.04 11-0 20-5 6 2.20 0.04 11°D 20.5 Von einer Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit unter Einfluss der Vagusreizung ist nichts zu bemerken. Das Gleiche zeigt der in Fig. 8 theilweise und auf die Hälfte verkleinert abgebildete Versuch (Nr. V, Bogen 16, 31. III. 1900 3% 42’). Hier ist sogar eine Beschleunigung der Leitung während der negativ-inotropen Wirkung unver- kennbar Die genaue Messung ergiebt für das Intervall ’—YV' vor der Reizung 0-18”, für die erste Systole nach der stark verlängerten Pause 0-11, für die zweite 0-13”. C. Messungen der Leitungsgeschwindigkeit von 4 nach V/ während negativ-inotroper Vaguswirkung. ) IS \ I 5 \ | | Ä | ( \ ( | In diesen Versuchen wurde die Klemme stets möglichst genau in der Atrioventricularfurche angelegt, A (meist der linke) und / für sich suspendirt und registrirt. Wegen der schon im normalen Zustande sehr bedeutenden Grösse des Intervalls 4,—/,, wie auch wegen der grösseren zur Re- gistrirung verfügbaren Muskelmassen, die höhere und steiler ansteigende Curven ermöglichen, kann die Genauigkeit der Messungen in diesen Fällen weiter getrieben werden, als in den Versuchen mit Abklemmung innerhalb der Vorkammer oder der Kammer. Der leitungsbegünstigende Einfluss der Pausen- verlängerung, den ich schon in früheren Mittheilungen hervor- hob (u. A. 3, S. 170 flg.), macht sich zugleich sehr bemerkbar. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 9 IN Fig. 8. 130 Ta. W. ENGELMANN: 1. Versuche bei schwachem Druck der Klemme, mit starker negativ-inotroper Wirkung sowohlin Aalsin Alle diese Versuche sind am bluthaltigen, in situ belassenen Herzen angestellt. Der Vagus ward wiederum reflectorisch, von den Bauch- eingeweiden aus erregt. Tabelle XI. Versuch LXVIII. Bogen 9. Umg. 3. 4. V. 1899. 9%33. Der wichtigste Theil dieses Versuches ist oben in Fig. 4a abgebildet worden. Nr. TV A—V,. hA4 hV 1 1:88” 0-52” U 13.922 2 1:89 0:52 0:4. 13-6 3 1-88 0-53 7.0 13-5 Reizung 1 3.73 0-52 6-0 13-6 2 218 ? 0-1 7-9 3 2.70 ? 0.1 8-7 4 2.58 0:40 0-4 10-6 5 2:30 0-39 3:5 12-2 6 2.02 0.33 6-0 12°6 7 2.33 0-36 7-2 12-9 8 2-15 0.34 7-5 12-8 In der zweiten und dritten Periode nach Beginn der Reizung ist das Intervall A—YV wegen zu geringer Erhebung von A, nicht messbar. So- bald dies aber wieder der Fall ist (von Periode 4 an), wird A—YV bedeutend verkürzt gefunden. Es sinkt in den folgenden Perioden noch weiter und er- reicht in der 6. mit 0:33” das Minimum. Tabelle XI. Versuch VI. Bogen 1. Umg. 2. 27. III. 1900. s». Nr. TV A—V h4 hV 1 DIA 0:28" 3:6 mm 17.5 mm 2 3-5 0-29 3-6 17:4 3 3.4 0-30 3:6 175 4 3:45 0.29 3-5 17:6 Reizung 1 3.8 0.29 3:6 17-2 2 18-5 0.30 1.0 15-3 3 4.8 0-26 0-2 9.0 4 4.1 0.23 0-6 10-5 5 3-75 0.26 1-4 12-0 6 3:65 0.27 23 13-2 UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 131 Tabelle XII. Versuch VI. Bogen 2. Umg. 1. 27. III. 1900. 8%26°. Dasselbe Präparat. Die Klemme war inzwischen wiederholt geöffnet worden. Nr. TV A—V hA hV 1 2.80” 0-24” 4.50m 18:10 2 2.90 0.23 4-3 18-2 3 295 0-23 4.5 18-1 Reizung 1 12»5 0.24 4-3 17-6 2 4-8 0.18 1-5 140 3. 4-5 0.19 2.0 15.0 4 4-2 0-18 22 15-8 5) Sal 0-18 2-5 16-2 6 3+3 0-18 2-7 16-8 7 3.0 0.20 2-7 17-3 Beide Versuche zeigen übereinstimmend nach der ersten, in Folge der Reizung stark verlängerten Pause eine bedeutende Herabsetzung des Inter- valles A— 7, die auch in den nächstfolgenden Perioden noch fortbesteht, wie auch die negativ-chronotrope Wirkung. 2. Versuche bei stärkerem Druck der Klemme, mit starkem negativ-inotropen Effect ausschliesslich in A. Tabelle XIV. . Versuch LXVIH. Bogen‘9. Umg. 4. 4.V.1899. 9% 36’. Der in Fig. 4b abgebildete Versuch. Dasselbe Präparat wie in Tab. XI, drei Minuten später. Die Klemme war inzwischen einmal gelüftet und wieder stärker zugeschraubt worden. In Folge dessen hat jetzt die Leitung der inotropen Reize von 4 nach V aufgehört. Die Leitungsgeschwindigkeit für die motorischen Reize hat nicht gelitten, ist sogar noch immer etwas grösser als im Anfang des Versuches Tab. XI. Nı TV A—V hA hV 1 1-.61' 0-44” 6.n2ın 16.5"m 2 1-61 0.44 6-5 17-0 B) 1.64 0.44 6-5 17.2 Reizung 1 1'65 0.45 6.3 17-4 2 2-77 0.42 4-0 17-5 3 2-32 0.43 1.0 17:9 4 2:13 0-40 16 18-1 5 1-94 0.43 2-3 17-8 6 1-94 0.41 4-0 17-6 7 1.83 0-41 4-8 17-8 8 1-78 0.40 5-3 IR 192 Ta. W. ENGELMANN: Tabelle XV. Versuch vom 27. X. 1901. Bogen 2. Umg. 1. Temperatur 15.5° C. Nr. Pay A—V hä hV 1 1.927 0:93” 10-2 144 2 1292 0-93 10-3 14-3 3 1-90 1-00 10.3 14.0 4 1-96 0.97 10°3 13.9 5 1-93 0:98 10-3 13-9 Reizung 1 1-88 0:94 10°2 13.8 2 1290 0.97 7.0 13-8 3 1-93 0-99 4.6 13-8 4 1-93 0.96 3-0 13-7 5 1-94 0.97 1-8 13-8 6 1-99 0.99 1-4 138 7 1°95 0-95 1-7 13-8 Tabelle XVI. Dasselben Präparat zwei Minuten später. Kurz vorher nochmals gereizt. Nr. TV A—V hA hV 1 3.85” 1-00” 10-70 14.5 mm 2 2°03 0°93 10-6 15-0 3 1-90 0-80 10-6 15-0 Reizung 1 1294 0.98 9.8 14-5 2 1-94 0-88 6-0 14.5 3 1-93 1-01 5-0 14-6 4 1-98 0:98 3-6 14-6 5 12:98 0-96 2-0 14-7 6 1-94 0-98 2-1 14-6 7 2-03 0-97 2-3 14-5 5 2-03 0.98 2.9 14-5 1) 2-05 0.96 3-7 14-6 In den beiden letzten Versuchen (Tab. XV und XVI) fehlt die Be- schleunigung der Leitung 4—/ nach der Vagusreizung, sehr wahrschein- lich nur wegen mangelnder oder ungenügender Verlängerung der Pausen. Der begünstigende Einfluss längerer Pausen tritt auch hervor in den vor die Reizung fallenden Perioden 1, 2, 3 von Tab. XV. Der Periode 1 war hier eine /-Pause von etwa der doppelten Dauer vorausgegangen. Derselbe Einfluss zeigt sich nach der ersten Periode des Versuchs von Tab. XVI sehr deutlich. UNABHÄNGIGKEIT DER INOTROPEN NERVENWIRKUNGEN. 133 Schlussbemerkungen. Angesichts der vorstehenden, ziemlich zahlreichen Versuche könnte jetzt möglicher Weise ein Zweifel auftauchen, ob Vagusreizung wohl über- haupt eine Abnahme des Leitungsvermögens ım Herzen hervorzurufen im Stande sei, ja ob nicht vielleicht — im geraden Gegensatz zu Muskens’ Vermuthung — primär-dromotrope Nervenwirkungen im Herzen überhaupt fehlen? Es müsste sich dann bei den thatsächlich unter Nerveneinfluss vorkommenden Leitungsunterbrechungen und -wiederher- stellungen um pseudo-dromotrope Effecte handeln, wie sie ja durch Aende- rung der Reizbarkeit, also auf bathmotropem Wege sehr wohl zu Stande kommen könnten. Ich halte indessen die Unterscheidung echter, primär- dromotroper Nervenwirkungen durch frühere Beobachtungen und Messungen bereits für hinreichend motivirt und verweise in dieser Beziehung nament- lich auf die in meinem vorigen Aufsatz (1) beschriebenen und abgebildeten Versuche, u.a. Taf. IV, Figg. 11 und 12, 8. 333, Taf. V Fig. 18, S. 337, Taf. VI, Fig. 19, S. 338, Figg. 21 und 22, S. 339, Fig. 23, S. 340. Eine ausführliche Behandlung der dromotropen wie auch der bathmotropen Nervenwirkungen bleibe für eine spätere Gelegenheit vorbehalten.! Der wesentliche Zweck der ‘vorliegenden Arbeit war nun der, zu entscheiden, ob es echte, primär-inotrope Nervenwirkungen giebt, oder ob die that- sächlich nach Nervenreizung zu beobachtenden Aenderungen der mechani- schen Leistungsfähigkeit der Herzmuskeln auf Aenderungen des Leitungs- vermögens der Muskelwände für die motorischen Erregungen beruhen. Nachdem es sich herausgestellt hat, dass letzteres, wenigstens in der Norm, sicher nicht der Fall ist, wird die Analyse der inotropen Nervenwirkungen weiter fortzusetzen sein. ! Vgl. übrigens die kurzen Mittheilungen in (14). 134 Tu. W. ENGELMANN: UNABHÄNGIGKEIT D. INOTROPEN NERVENWIRK. Litteraturverzeichniss. 1. Th. W. Engelmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 315—361. 2. L. J. J. Muskens, Investigations into the action m the vagus nerve and its signification for our understanding of the normal heart-bent. Journ. of the Boston Soc. of med. Science. 1898.: Febr. — 8. a. Proc. of the Americ. Acad. of Arts and Seiences. 1898. Febr. Vol. XXXIII. Nr. 11. p. 185, Ameriec. journ. of physiol. 1898. July 1. Vol.I. p. 488 und Arch. de physiologie. 1898. 5"® Serie. T.X. p. 193. 3. H. E. Hering, Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Contraetilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern und ihre Bedeutung für die Theorie der Herzthätigkeit und ihrer Störungen. Pflüger’s Archiv für die ges. Physiol. 1901. Bd. LXXXVI 8. 533—585. 4. J. P. Nuöl, Over den invloed van vagusprikheling op de hartscontracties by den Kikrorsch. Onderzoek. ged. in het physiol. labor. der Utrechtsche Hoogesch. 1873. 3° R. D. DH. p. 291—325. — Dasselbe deutsch in Pflüger’s Archiv. 1873. Bd. IX. 8. 83—108. 5. Otto Frank, Die Wirkung von Digitalis (Helleborein) auf das Herz. Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u. Physiol. in München. 1897. Heft II. S.-A. 6. F. B. Hofmann, Ueber die Aenderungen des Contractionsablaufs am Ven- trikel und Vorhofe des Froschherzens bei Frequenzänderung und im hypodynamen Zustande. Pflüger’s Archiv. 1901. Bd. LXXXIV. S. 130—172. 7. R. Heidenhain, Untersuchungen über den Einfluss des N. vagus auf die Herzthätigkeit. Zbenda. 1882. Bd. XXVII. S. 383—412. 8. F. B. Hofmann, Ueber die Function der Scheidewandnerven des Frosch- herzens. Zbenda. 1895. Bd. LX. S. 139—172. 9. M. Heidenhain, Ueber die Structur des menschlichen Herzmuskels. Anatom. Anzeiger. 1901. Bd. XX. Nr. 2—3. 8. 33—78. — Hier ist auch weitere Litteratur (Godlewski, Hoyer u. A.). 10. Al. Foettinger, Sur les terminaisons des nerfs dans les museles des insectes. Onderzoek. physiol. lab. Utrecht. Derde R. V. p. 293—8322. — Hier auch ältere Litte- ratur (Arndt, Frederieg). 11. Al. Rollett, Untersuchungen über Contraction und Doppelbrechung der quer- gestreiften Muskelfasern. Denkschr. der math.-naturwissensch. Olasse der kais. Akad. der Wissensch. Wien 1891. Bd. LVIH. 12. Th. W. Engelmann, Bydrage tot de kennis van den negatief-inotropen invloed van den nerv. vagus op het hart. Versi. d. k. Akad. v. wetensch. te Amsterdam. Afd. Natuurk. Vergad. v. 28. Sept. 1901. 13. Derselbe, Beobachtungen und Versuche am suspendirten Herzen. Zweite Abhandlung. Ueber die Leitung der Bewegungsreize im Herzen. Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVI. S. 149 —202. 14. Derselbe, Quelques remarques et nouveaux faits concernant la relation entre l’exeitabilite, la conductibilit& et la contraetilite des muscles. Arch. Neerl. 1901. Ser. II. T.V. p. 689 — 695. Ueber die Entfernung der extracardialen Herznerven bei Säugethieren. Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin, (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Schon die Thatsache, dass mit alleiniger Ausnahme der quergestreiften Skeletmusculatur alle Organe des thierischen und menschlichen Organismus vom sympathischen Nervensystem innervirt werden und auch abgesehen von der directen Innervation vom Sympathicus aus durch die von sympathi- schen Nerven regulirte Blutzufuhr in Bezug auf ihre Function in einer zweiten innigen Beziehung diesem noch so räthselhaften Nervensystem unterstellt sind, weist auf die Wichtigkeit der Erforschung der Beziehungen zwischen den vom Sympathicus innervirten Organen und dem cerebro- spinalen Nervensystem hin. An einer Reihe von Organen, wie dem Uterus, der Harnblase, dem Magen konnte bereits gezeigt werden, dass völlige Trennung vom cerebrospinalen Nervensystem anscheinend ohne Schädigung der Function ertragen werden kann, und namentlich die berühmten Ver- suche von Goltz an Hunden, denen er nur Theile des Gehirns und das verlängerte Mark unzerstört gelassen hatte, während Rückenmark und Grosshirn völlig ausgeschaltet waren, hatten die Unabhängigkeit der vom Sympathicus innervirten Organe für die vegetativen Functionen dargethan. Nur die völlige Trennung des Herzens vom Üentralnervensystem war bisher aus später zu besprechenden Gründen noch nicht gelungen, trotzdem das Herz durch seine Querstreifung in seinem histologischen Bau der Skeletmusculatur am nächsten steht und es gerade beim Herzen am zweifelhaftesten bleiben musste, ob wie beim Skeletmuskel in den meisten Fällen Degeneration die Folge der Durchtrennung der zuführenden Nerven 136 Hans FRIEDENTHAL: sein würde, wie bereits behauptet worden war, oder ob das Herz, wie die glatt- muskeligen Organe genügende Regulirungsmechanismen in sich selber trüge, um auch nach völliger Isolirung seine Function in einer für den Gesammt- organismus ausreichenden Weise würde ausüben können. Wohl weiss man, dass das herausgeschnittene Herz noch lange seine rhythmische Thätigkeit fortsetzen kann, besonders bei Speisung mit geeigneten Flüssigkeiten, und bei dem trägen Herz der Kaltblüter hat man sogar noch eine Woche nach der Herausnahme Pulsationen beobachtet, allein diese Beobachtungen reichten doch nicht aus, um die Möglichkeit einer völligen, dauernden Isolirung des Herzens im lebenden Säugethierorganismus vorhersehen zu können. Da das Herz seine Ganglien zum Theil in seinem Innern eingeschlossen, vor jedem chirurgischen Eingriff vorläufig geschützt, trägt, so ist ein Versuch, der der Durchtrennung eines peripheren Nerven analog wäre, am Herzen wie auch an vielen anderen vom Sympathicus innervirten Organen, welche eben- falls wie Magen, Darm und Uterus Ganglienzellen und Musculatur in mechanisch untrennbarer Verbindung enthalten, nicht ausführbar. Bei den vom Sympathicus innervirten Drüsen ist eine völlige Trennung des Organes von seiner Innervation aber möglich und vielfach ausgeführt und hatte in den untersuchten Fällen zu einer paralytischen Secretion und darauffolgen- den Verödung der Drüse geführt. Es muss also betont werden, dass die Tren- nung des Herzens vom Centralnervensystem uns keinen Aufschluss gewähren kann über die Frage, ob die Herzmusculatur nach Trennung vom sym- pathischen Nervensystem noch im Stande wäre, eine für den Organismus ausreichende dauernde Arbeit zu leisten, ein solches Resultat muss sogar nach Analogie der allein möglichen völligen Entnervung von Drüsen als recht unwahrscheinlich bezeichnet werden. Ist die Entfernung der letzten zur Herzmuseculatur direct führenden Nerven ganz unmöglich, so bereitet der Organismus schon der Durch- trennung aller zum Herzen hinführenden extracardialen Nerven grosse Schwierigkeiten, die nur allmählich überwunden werden konnten. Bei den so regenerationsfähigen Kaltblütern, wie den Fröschen, bei welchen die herz- hemmenden und herzbeschleunigenden Fasern viel weniger getrennt ver- laufen, wie bei den höheren Thieren, ist es mir gelungen, Thiere nach Durchschneidung und Ausrottung aller extracardialen Herznerven über einen Monat am Leben zu erhalten, ebenso gelang dies beim Kaninchen und beim Hunde. Die Entfernung einzelner Gruppen der extracardialen Herznerven war bisher schon von verschiedenen Untersuchern mit Erfolg ausgeführt worden. So hatte Smirnow die Depressoren durchschnitten und eine Degeneration der sensiblen Endbäumchen im Endocard und Pericard als Folge dieser Operation beobachtet, was dafür spricht, dass diese Fasern ohne Zellunter- ENTFERNUNG EXTRACARDIALER HERZNERVEN. 137 brechung von der Herzoberfläche zum Centralnervensystem, bezw. zum oberen sympathischen Halsganglion, zu dem ein Theil der Fasern sich ab- zweigt, verlaufen. Der Ausfall der Function dieser Herznerven für die Regulirung und Steuerung der Herzthätigkeit war unmerklich. Der grösste Theil der Nervi accelerantes wurde von H.E. Hering beim Kaninchen entfernt, indem dieser Forscher die Hals- und Brustganglien des Sympathicus ausriss, wobei nur wenige accelerirende Fasern, die in der Bahn der Vagi mit den herzhemmenden Fasern zusammen verlaufen, übrig bleiben. Durch die von ihm angegebene teleacustische Methode stellte Hering fest, dass auch den herzbeschleunigenden Fasern beim Kaninchen ein Tonus zukommt, und dass auch diese Operation, bei der, wie in Gemeinschaft mit Dr. Schaternikoff von mir unternommene Versuche feststellten, stets ein Theil der herzhemmenden Fasern mit entfernt wird, anscheinend ohne Schädigung der Thiere Wochen lang ertragen wurde. Die Thiere waren dauernd munter und nahmen an Gewicht zu. Eine von mir unternommene Nachprüfung, bei welcher der eine Vagus noch mit entfernt worden war, so dass den Thieren ein noch viel kleinerer Theil ihrer extracardialen Herznerven übrig blieb, führte zu demselben Resultate. Von den herzhemmenden Fasern hatte Nicolaides angegeben, dass eine doppelseitige Vagotomie von Hunden ohne Schädigung vertragen werde, wenn eine genügend lange Zeit (4 bis 6 Wochen). die zweite Durchschnei- dung von der ersten trennt, und schon früher war von Meissner und Boruttau angegeben worden, dass bei Schonung eines Nervus recurrens die doppelseitige Vagotomie von Hunden überstanden werde. Eine Nach- prüfung dieser Befunde an einem grossen Hundematerial ergab jedoch, dass in den meisten Fällen die Hunde bei sechswöchentlichem Aufschub der zweiten Vagotomie ebenso schnell zu Grunde gingen, wie nach gleichzeitiger doppelseitiger Vagotomie, und dass ganz vereinzelt einige Thiere ein paar Wochen erhalten bleiben können, aber doch schliesslich meistens an Abmagerung und Inanition zu Grunde gehen, indem die Thiere den Aus- fall der Oesophagus- und Magenfasern nicht ertragen. Da alle gereichte Nahrung unter Hervorwürgen eines schaumigen Schleimes alsbald erbrochen wurde, blieben die Thiere nur so lange am Leben, bis das in ihrem Körper angesammelte Reservematerial an Fett und Eiweiss verbraucht war. Pawlow dagegen gelang es, Hunde auch nach doppelter Vagotomie, also nach Entfernung des grössten Theiles der herzhemmenden Fasern, welche allerdings nicht ausschliesslich im Vagus verlaufen, dauernd am Leben zu erhalten nach Anlegung einer Oesophagusfistel, welche Schleim und Speichel nach aussen zu entleeren gestattete, und gleichzeitiger Anlegung einer Magenfistel, welche es ihm ermöglichte, die mangelnde Regulirung der Salzsäuresecretion nach Durchschneidung der Magenfasern durch Darreichung 138 Hans FRIEDENTHAL: von Salzsäure oder Soda nach jeder Mahlzeit zu corrigiren. Die Pawlow’- schen Versuche bewiesen also, dass trotz beiderseitiger Durchschneidung der Hering-Breuer’schen Lungenfasern' und trotz Fortfalls des grössten Theiles der herzhemmenden Nerven und der zum Magen führenden Fasern bei sorgsamster Pflege der Organismus in einem labilen Gleichgewicht erhalten werden kann. Allerdings war es dabei nöthig, durch beständige Titration des Mageninhaltes den Ausfall der Fasern zum Magen zu ersetzen, und selbst dann führte, wie Pawlow beschreibt, die geringste Erkrankung des Verdauungstractus den Tod der Thiere herbei. Wie schon oben erwähnt, hatten in Gemeinschaft mit Dr. Schaterni- koff unternommene Versuche gezeigt, dass herzhemmende und herzbe- schleunigende Fasern nicht so getrennt verlaufen, dass eine isolirte Durch- trennung der einen oder der anderen möglich ist. Um wirklich alle hemmenden oder alle beschleunigenden Fasern zu durchtrennen, ist es nöthig, alle extracardialen Herznerven überhaupt zu entfernen. Schon früher waren hemmende Fasern im Nervus depressor aufgefunden, sowie im Nervus hypoglossus und Nervus laryngeus inferior nachgewiesen worden, doch hatte man solche Befunde für sehr vereinzelte Vorkommnisse gehalten und die Zugehörigkeit der herzhemmenden Fasern zum sympathischen Nervensystem wegen ihres hauptsächlichen Verlaufes im Vagus übersehen. Um alle extracardialen Herznerven beim Kaninchen zu entfernen, ohne das Leben der Thiere zu gefährden, ist es nöthig, mindestens auf einer Seite die Hering-Breuer’schen Lungenfasern, sowie die zum Magen und Oesophagus führenden Fasern und auch einen Nervus recurrens zu erhalten. Die Durchschneidung beider Recurrentes wird von Kaninchen im Gegensatz zu Hunden nicht ertragen, ebenso wenig die Durch- schneidung beider Lungennerven, selbst dann nicht, wenn ein Nervus re- currens dabei erhalten bleibt. Glücklicher Weise verlaufen bei allen unter- suchten Säugethierarten, Kaninchen, Hund, Katze und Affe die Magen- und Lungenfasern des Vagus getrennt von den herzhemmenden Fasern in den obersten Wurzelbündeln zur Medulla oblongata, so dass es möglich ist, im Wurzelgebiet des neunten bis elften Hirnnerven die herzhemmenden Fasern zu durchreissen, ohne die Lungen- und Oesophagusfasern zu schädigen. Es genügt durchaus nicht, die Accessorüi, wie Heidenhain angab, auszu- reissen, um alle herzhemmenden Fasern zu zerstören, welche letztere haupt- sächlich im mittleren Bündel, der eigentlichen Vaguswurzel, zur Medulla gelangen, mit der Zerstörung der herzhemmenden Fasern ist daher stets eine Durchreissung der Recurrenswurzelfasern verbunden. Hat man daher bei Kaninchen auf der linken Seite die mittleren und unteren Wurzelbündel des zehnten bis elften Hirnnerven zur Entfernung der herzhemmenden Fasern durchrissen, so muss man auf der rechten Seite den Vagus unter- ENTFERNUNG EXTRACARDIALER HERZNERVEN. 139 halb des Abganges des Nervus recurrens innerhalb des Brustkorbes durch- schneiden, um auf der einen Seite die für das Kaninchen lebenswichtigen Kehlkopfmuskelnerven, auf der anderen Seite die Lungen- und Oesophagus- nerven zu erhalten. Exstirpirt man einem so operirten Kaninchen nach Durchschneidung der beiderseitigen Nervi depressores noch das Hals- und Brustganglion des Sympathicus auf jeder Seite, was bei Kaninchen und allen Thieren, die getrennten Vagus- und Sympathicusverlauf am Halse haben, ohne Schwieriekeiten sich ausführen lässt, so hat man dem Thier bei Erhaltung der lebenswichtigen Vagusfasern alle extracardialen Herz- nerven durchtrennt. Beim Affen (Cynocephalus hamadryas) liegen die Verhältnisse ganz ähnlich wie beim Kaninchen, wie denn überhaupt die Affen einschliesslich ihrer Unterabtheilung „homo sapiens“ in so vielen anatomischen Merkmalen primitive Verhältnisse bewahrt haben. Bisher ist es mir noch nicht ge- lungen, die Durchtrennung aller extracardialen Herznerven mit dauerndem Erfolge an Affen auszuführen. Sehr viel schwieriger als beim Kaninchen ist die Durchtrennung aller extracardialen Herznerven bei den Fleischfressern, namentlich beim Hunde auszuführen, weil bei diesen Thieren Vagus und Sympathicus in eine starke gemeinsame, bindegewebige Scheide eingeschlossen sind, welche einer Tren- nung der beiden Nerven sich widersetzt. Ausserdem liegen aber bei diesen Thieren die untersten Halsganglien und namentlich die obersten Brust- ganglien so tief in der Brusthöhle verborgen und so nahe der Pleura ge- lagert, dass eine Verletzung der Lungenpleura bei der Herausnahme dieser Ganglien nicht zu umgehen ist. Auch beim Hunde werden zur Entfernung aller extracardialen Herznerven auf der linken Seite das mittlere und untere Wurzelbündel des Vagus-Accessorius an der Medulla oblongata durchrissen nach Eröffung des Subduralraumes an der Membrana oceipitalis und auf der rechten Seite der Vagus unterhalb des Abganges des Recurrens durch- trennt. Beim Hunde führt übrigens selbst eine beiderseitige Recurrens- lähmung nicht immer zum Tode, wenn die Lungennerven einseitig erhalten sind. ' Um die Accelerantes beim Hunde entfernen zu können, ohne die Thiere durch doppelseitigen Pneumothorax zu tödten, führte ich eine Canüle in die Trachea und ventilirte durch künstliche Athmung so stark, dass die Thiere in Apnoe geriethen. Dain Folge der künstlichen Athmung die Lungen auch bei doppelseitiger Verletzung der Pleura nicht dauernd collabiren können, ist es auf diese Weise möglich, den Brustkorb so weit wie nöthig zu spalten und das Ganglion supremum des Brustsympathicus aufzusuchen und seine nach dem Herzen führenden Verbindungszweige zu durchtrennen. Die Ganglien selber habe ich nach Durchtrennung der 140 HANns FRIEDENTHAL: Herznerven in der Brusthöhle gelassen. Ebenso bequem ist es jetzt, bei weit eröffnetem Brustkorb die Verbindungen der unteren Halsganglien des Sympathicus mit dem Herzen zu durchschneiden, etwas schwieriger auf der linken Seite den Vagus vom unteren Halsganglion zu isoliren und letzteres zu exstirpiren. Das rechte untere Halsganglion ist durch die Durch- schneidung des Vagosympathicus unterhalb des Abganges des Recurrens von jeder Verbindung mit dem Herzen befreit. Nur mit Hülfe der künstlichen Athmung ist man im Stande, den Verlauf der extracardialen Herznerven sich zugänglich zu machen und die Sicherheit zu gewinnen, dass wirklich Alles durchtrennt ist. Wird jetzt der Brustkorb wieder geschlossen und sorgfältig luftdieht auch am Halse vernäht, so kann man nach einiger Zeit die künstliche Athmung abstellen und das Thier seiner eigenen Athmung überlassen. Ist die Athmung regelmässig geworden, so wird die Canüle aus der Trachea entfernt und die Trachealwunde eben- falls durch Naht sorgfältig verschlossen. Bei dieser Operationsweise schaden die unvermeidlichen Pleuraverletzungen, welche bei Abwesenheit der künst- lichen Athmung durch doppelseitigen Pneumothorax den Tod des Thieres in wenigen Minuten herbeiführen würden, nichts, da die Lunge künstlich gebläht erhalten wird, also nicht collabiren kann und nach Verschluss der Brusthöhle die Luft keinen Zutritt zu den Lungen auch bei offener Pleura mehr besitzt. Bei verschiedenen Operationen im Mediastinum, so bei der Unterbindung der Vena cava superior dicht über dem Herzen, hat mir diese Operationsweise gute Dienste geleistet, wenn es darauf ankam, Thiere mit doppelseitiger Pleuraverletzung am Leben zu erhalten. Es steht zu hoffen, dass die Methode auch in der Lungenchirurgie beim Menschen sich nützlich erweisen wird, es ist ja durchaus nicht unbeudingtes Erforderniss, für die Einleitung der künstlichen Athmung eine Canüle in die Trachea einzubinden. Auf die oben beschriebene Weise gelingt es, alle extracardialen Herz- nerven zu durchtrennen, und so operirte Kaninchen unterscheiden sich 3 Wochen nach Entfernung aller extracardialen Herznerven anscheinend in nichts Wesentlichem von einem normalen Kaninchen. Ein Hund, welcher bereits 11 Monate die Durchschneidung der herzhemmenden Fasern und über 8 Monate die Entfernung der Accelerantes überlebt hat, zeigt ebenfalls bei flüchtiger Untersuchung kaum eine Abweichung vom Verhalten eines nor- normalen Hundes, während eine Reihe von operirten Thieren nachträglich dadurch zu Grunde ging, dass durch Narbenschrumpfung die stehen ge- bliebenen Vagusfasern ebenfalls zur Degeneration gebracht wurden. Um ganz sicher zu sein, dass nicht noch herzhemmende Fasern nach Durch- trennung des mittleren und unteren Bündels der Wurzelfasern zum Herzen verlaufen, wurden 14 Tage nach der Operation, also nach einer Zeit, ENTFERNUNG EXTRACARDIALER HERZNERVEN. 141 welche genügt, die Nervenfasern degeneriren zu lassen, der stehen gebliebene Halsvagus mit elektrischer Reizung auf das Vorhandensein herzhemmender Fasern geprüft, und bei negativem Reizerfolg selbst bei sehr starken Strömen die Operation für gelungen angesehen." Sehr leicht wird aber bei einer solchen Reizung in der Tiefe der Halswunde die Wunde infieirt und der Erfolg der verschiedenen Operationen in Frage gestellt. Namentlich Kaninchen gingen mir in grosser Zahl unter Degeneration des zweiten Recurrens an Schluekpneumonien zu Grunde. Eine fernere Erschwerung der Operation, welche nicht in einer Sitzung ausgeführt werden konnte, ist die Widerstandslosigkeit der theilweise ope- rirten Thiere gegen Narcotica, namentlich gegen Chloral. Dosen von 0.3 8m pro Kilo genügten zur Tödtung von Kaninchen nach Entfernung eines Theiles der extracardialen Herznerven, während bei normalen Thieren selbst die dreifache Dosis gut vertragen wird. Wie leicht erklärlich, bieten die Thiere bei einseitiger Erhaltung der Oesophagusfasern nicht die gleiche Empfindlichkeit, welche Pawlow für die Thiere beschreibt, denen er beide Vagi am Halse durchnitten hat; so fehlt namentlich bei ihnen das häufige Vorkommen von Verdauungstörungen, wohl aber möchte ich noch aufmerksam machen auf die Schwierigkeit der Temperaturregulirung, welche die Folge der Zerstörung so zahlreicher ge- fässerweiternder und -verengernder Nerven bei Herausnahme der sympa- thischen Ganglien ist. Im Winter gelang es mir im Wärmekasten nicht, die Thiere (Hunde) auf normaler Temperatur zu halten, da sie sich ent- weder zu stark abkühlten oder ebenso schnell stark überhitzten. Im Sommer zeigten sich weniger Schwierigkeiten für die Erhaltung der richtigen Körpertemperatur. Bei der Abhängiskeit der Frequenz der Herzschläge von der Körpertemperatur kann daher die Zahl der Herzschläge nach der Entfernung aller extracardialen Herznerven nur mit Berücksichtigung der Körpertemperatur als durch die Operation bedingt angesehen werden. Es wäre irrig, zu glauben, dass nach Entfernung aller extracardialen Herznerven keinerlei Connex zwischen Erregungen des cerebrospinalen Nervensystems und Veränderung des Herzschlages mehr bestehen könne, wissen wir doch, dass die Zahl der Herzschläge durch den Blutdruck ohne Uebermittelung nervöser Erregungen direct stark beeinflusst werden kann. Selbst das aller zuführenden Nerven beraubte Herz besitzt also noch eine Regulirungsmöglichkeit, um Zahl und Kraft seiner Herzschläge den augen- blicklichen Erfordernissen anzupassen, und Erregung der Medulla oblongata wird durch Erregung der gefässerweiternden oder gefässverengernden Nerven ! Die Verbindung des linken Vagus mit Hypoglossus und Glossopharyngeus wurde dabei durchtrennt. 142 Hans FRIEDENTHAL: und den damit verknüpften Aenderungen des Blutdruckes auch unter diesen Umständen auf das Herz sich geltend machen, freilich in sehr viel ge- ringerem Grade als bei Anwesenheit der extracardialen Herznerven. Quantitative Untersuchungen, wie weit das völlig isolirte Säugerherz von dieser Regulirungmöglichkeit Gebrauch macht und ob diese Regulirung nach Entfernung der Herznerven allmählich zur Compensation an Bedeutung ge- winnt, konnten bisher noch nicht angestellt werden, immerhin wird man aber an diese Regulirungsmöglichkeit denken müssen, wenn man Anpassungs- erscheinungen bei dem isolirten Herzen an die augenblicklichen Erforder- nisse beobachtet. Die Ausfallserscheinungen nach Entfernung aller extracardialen Herz- nerven sind so geringfügig und so viel weniger in die Augen fallend, als die nach Entfernung der hemmenden oder beschleunigenden Fasern allein, dass die Frage von Interesse schien, ob die Leistungsfähigkeit der Thiere durch die Entfernung der extracardialen Herznerven eine bedeutende Ein- busse erlitten hätte oder ob ein so verstümmelter Organismus noch beträcht- licher Arbeitsleistungen fähig wäre. Bei Kaninchen liess sich keine Methode auffinden, um diese Thiere zu beträchtlicher Arbeitsleistung zu zwingen, für Versuche am Hund wurde mir dagegen von Professor Zuntz eine mit Elektrieität und eine mit Dampf betriebene Tretbahn für Thiere in der landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin gütigst zur Verfügung gestellt. Es zeigte sich, dass schon nach Entfernung der herzhemmenden Fasern ein Theil der Leistungsfähigkeit des untersuchten Thieres verloren gegangen war, wenn auch der besonders muntere und kräftige Terrier 3 Monate nach der in der oben beschriebenen Weise ausgeführten Durchschneidung der Vagi noch einige Kilometer im Laufe zurücklegen konnte; nach Ent- fernung aller extracardialen Herznerven dagegen war das Thier nicht mehr im Stande, auch nur einen Kilometer anhaltend im Laufe zurückzulegen, trotzdem er 2 Monate nach der Operation sein Anfangsgewicht wieder erreicht hatte und an keinerlei schädlichen Folgen der Operation mehr zu leiden schien. Es wurde besonders darauf geachtet, ob sich bei nicht übermässiger Arbeitsleistung Muskelproducte im Blute anhäufen, welche im Stande sind, auch das isolirte Herz zu schnellerer Thätigkeit an- zuregen, stets wurde aber im Gegentheil eine geringe Verlangsamung der Zahl der Herzschläge beobachtet, die einer solchen Annahme direct widersprach. Bei Entfernung der herzhemmenden Fasern war die Ver- langsamung deutlich ausgesprochen, während bei völlig isolirtem Herzen nur sehr geringe Einwirkung der allerdings auch nur in geringem Umfang zu erzielenden Arbeitsleistung beobachtet wurde. Versagte dem Hunde die Kraft zum Weiterlaufen, so liess er sich entweder von der Tret- bahn hinabschleudern oder er hing sich, falls er am Halsbande daran ENTFERNUNG EXTRACARDIALER HERZNERVEN. 143 verhindert wurde, an diesem freiwillig auf, so dass die Bahn zu sofortigem Stillstand gebracht werden musste. Dieses Verhalten bot wohl einen sicheren Beweis dafür, dass es sich nicht um freiwilligen Verzicht auf weitere Arbeits- leistung, sondern um wirkliches Versagen seiner Kräfte gehandelt hat. Diese Versuche erscheinen mir von Bedeutung für die Wichtigkeit, welche einer geregelten Herzthätigkeit bei jeder grösseren Arbeitsleistung zukommt, und sie weisen darauf hin, welche Function wir den extracardialen Herznerven im normalen Organismus zuzuschreiben haben. Die extra- cardialen Herznerven haben nicht die Bedeutung trophischer Nerven. Die histologische Structur und die Querstreifung der Herzmuskelzellen geht weder bei Durchschneidung der Vagi noch bei Entfernung der Accelerantes zu Grunde, noch dann, wenn alle extracardialen Herznerven entfernt werden. Die Zahl der Herzschläge ist nach der völligen Isolirung nicht merklich geändert, weit weniger, als wenn nur die hemmenden Fasern entfernt wurden, in einzelnen Fällen war eine geringe Verlangsamung von etwa 10 Procent zu constatiren. Diese geringe Ausfallserscheinung bei ruhendem Thier nach Entfernung der Nerven darf uns nicht zu dem Glauben ver- leiten, dass die extracardialen Nerven eine unwesentliche Rolle spielen, so lange sie unverletzt geblieben sind. Wohl haben die Versuche über die Ausschaltung der Nerven das unzweideutige Resultat geliefert, dass ein Leben des erwachsenen thierischen Organismus auch nach völliger Isolirung des Herzens noch möglich ist, aber ein Leben anscheinend ohne nach- haltige Energie, ohne die Möglichkeit beträchtlicher Arbeitsleistungen. Noch deutlicher trat der Einfluss der extracardialen Herznerven zu Tage in früher beschriebenen Versuchen, bei welchen die Medulla oblongata durch Zuklemmung der den Kopf versorgenden Arterien maximal gereizt worden war. In wenigen Secunden stand das Herz, das doch den Antrieb zu seiner rhythmischen Thätigkeit in sich selber trägt, so gut wie still, an- gehalten durch die Erregung der extracardialen Herznerven. Sind diese durchschnitten, so kann der Tod des Centralnervensystems das Herz nur noch durch Aufhören der Athmung und Sinken des Blutdruckes indirect schädigen und das Herz schlägt weiter, bis es, in Thierversuchen erst nach etwa einer halben Stunde, in einem Falle nach 2-5 Stunden, durch Sauer- stoffmangel am Schlagen verhindert wird. Der umgekehrte Versuch, das ruhende Herz durch Erregung der extra- cardialen Nerven zum Schlagen zu bringen, ist dem Verf. bisher noch nicht gelungen und nicht einmal eine Extrasystole konnte durch Erregung der extracardiälen Herznerven hervorgerufen werden. Der Grund für diese seltsame Erscheinung, welche in Widerspruch steht mit den Innervations- verhältnissen der anderen, vom Sympathicus versorgten, musculösen Organe, welche, wie der Magen oder die Blase durch Reizung der zuführenden 144 Hans FRIEDENTHAL: Nerven zur Contraction und Peristaltik gebracht werden können, liegt meiner Meinung nach in dem Umstand, dass das Herz, so lange der Zustand seiner Musculatur eine Thätigkeit zulässt, niemals in dauernder Ruhe sich befindet, weil der Antrieb zu seiner Thätigkeit in ihm selber gelegen ist. Wir dürfen auch nicht erwarten, bei einem in lebhafter Peristaltik begriffenen Magen durch Vaeusreizung eine Extracontraction hervorrufen zu können. Auch in dieser Hinsicht steht der Auffassung, dass wir in den extracardialen Herznerven sympathische präcelluläre Fasern zu sehen haben, nichts im Wege, wenn auch betont werden muss, dass sichere Beweise für die Endigung der extracardialen Herznerven an den Herz- ganglien bisher nicht beigebracht werden konnten, ebenso wenig wie sichere Thatsachen über ihren Ursprung im Centralnervensystem. Mit dem Befund, dass durch Erregung der extracardialen Herznerven das schlagende Herz zum dauernden Stillstand gebracht werden kann, stehen die Befunde von Kronecker, dass durch Reizung nervöser, im Herzen selber gelegener Bahnen das Herz ebenfalls angehalten werden kann, in vollem Einklang, und beide Befunde geben einen Fingerzeig zur Beurtheilung der Wichtigkeit der Herznerven. Bei dem plötzlichen Ver- sagen eines kräftig schlagenden Herzens wird stets in Erwägung gezogen werden müssen, ob nicht nach Analogie der eben beschriebenen Thierversuche das Herz durch Reizung der extracardialen Herznerven vom Centralnerven- system aus zum Stillstand gebracht worden ist. Bringen übermässige Erregungen der extracardialen Herznerven im Verein mit O-Mangel selbst das ganz gesunde Thierherz zu völligem dauernden Stillstand, so werden etwas schwächere Reize in mannigfaltigster Weise den regelmässigen Herzschlag zu beeinflussen und zu stören ver- mögen, und statt der Erhöhung der Leistungsfähigkeit, welche das Herz bei normal zufliessenden Erregungen von der Medulla aus empfängt, werden unzweckmässig häufige und starke Erregungen wohl einen er- schöpften Zustand des Nervensystems des Herzens hervorrufen. Der Zu- stand der Thiere wird dem ähneln, in welchem sie sich nach Durch- schneidung der extracardialen Herznerven befinden. Hans FRIEDENTHAL: ENTFERNUNG EXTRACARDIALER HERZNERVEN. 145 Litteraturverzeichniss. A. W. Cadman, The position of the respiratory and cardioinhibitory fibres in the rootlets of the IX, X'k and XI ceranial nerves. Journal of Physiology. 1900. Vol. XXVI. p. 42. Michael Grossmann, Ueber den Ursprung der Hemmungsnerven des Herzens. Pflüger’s Archiv. 1895. Bd. LIX. 8.1. E. A. Hering, Ueber die Beziehungen der extracardialen Herznerven zur Steigerung der Herzschlagzahl bei Muskelthätigkeit. Zbenda. Bd. LX. 8. 429. Derselbe, Anormales Vorkommen von Herzhemmungsfasern im rechten De- pressor. Ebenda. Bd. LVII. van Gehuchten et Bochenek, Le nerf. accessoire de Willis dans ses con, nexions avec le nerf. pneumogastrique. Bull. de l’ Acad. Roy. Belg. de Med. 1901. Ser. IV. T.XV (2). p. 20. R. Nicolaides, Ueber den Erfolg der ungleichzeitigen Durchschneidung der Vagi bei Hunden. Centralblatt für Physiologie. 1900. Bd. XIV. 8. 197. P. Katschkowsky, Das Ueberleben der Hunde nach einer gleichzeitigen doppelten Vagotomie am Halse. Pflüger’s Archw. Bd. LXXXIV. 8.6. Hans Friedenthal, Ueber reflectorischen Herztod bei Menschen und Thieren. Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 8. 31. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 10 Ueber Resorptionsversuche nach Ausschaltung der Leber mittels Ueberführung des Blutes der Vena portarum in die Vena cava inferior unterhalb der Nierenvenen. Theil 1. Von Dr. Hans Friedenthal in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) (Hierzu Taf. L.) Für die Frage nach den bei der Resorption von Stoffen aus dem Darm- canal wirksamen Kräften ist es in vielen Fällen von höchster Bedeutung, zu wissen, welche Stoffe aus dem Darmlumen in die Blutgefässe übergehen und in welcher Form dieselben in das Blut hineingelangen und die Capillar- wände passiren, und doch legt der thierische Organismus der Beantwortung gerade dieser Fragen die grössten Hindernisse in den Weg, da die aus dem Darmcanal resorbirten Substanzen sogleich nack ihrem Uebertritt in die Blutgefässe zur Leber gelangen, wo sie zum grössten Theil zurückgehalten und verändert werden, so dass das Gesammtblut selbst bei lebhafter Resorp- tion keine merkliche Veränderung seiner Zusammensetzung aufweist. Für den Organismus ist diese Zurückhaltung der resorbirten Substanzen in der Leber von der höchsten Wichtigkeit, da gewisse Spaltungsproducte der Eiweissstofe und der Fette giftige Substanzen darstellen, welche die Zusammensetzung des Blutes, vor Allem durch Kalkbindung, in der gefähr- lichsten Weise verändern würden, wenn sie in irgend erheblicher Menge in den allgemeinen Kreislauf gelangen könnten. Es hat aber diese Zurückhaltung der resorbirten Substanzen durch die Leber eine Entscheidung der Frage, ob die Spaltungsproducte der Nahrungs- HANS FRIEDENTHAL: ÜEBER RESORPTIONSVERSUCHE U.S.w. 147 stoffe die Capillarwandungen in den Zottengefässen passiren, oder ob stets eine vollständige Rückverwandlung in den Darmepithelien stattfindet, bisher verhindert. Die Geschwindigkeit des Blutwechsels im Blutgefässsystem ist eine so grosse, dass die in der Zeiteinheit resorbirte Substanzmenge meistens für einen sicheren chemischen Nachweis im Pfortaderblute nicht ausreicht. Leitet man dagegen das Blut der Vena portarum durch zwei entsprechend gebogene Glascanülen in die Vena cava unterhalb des Abganges der Nieren- venen und unterbindet die Arteria hepatica, so ist die Leber aus dem Kreis- lauf ausgeschlossen und die aus dem Darmcanal resorbirten Substanzen müssen sich im Blute anhäufen oder, wenn es harnfähige Substanzen sind, in den Urin, welcher von den Nieren ungehindert abgesondert werden kann, übergehen. Die Abbildung auf Taf. I zeigt die Grösse, Form und Lagerung der beiden etwa halbkreisförmig gebogenen, durch ein kurzes Gummirohr ver- bundenen Glascanülen in situ in der Bauchhöhle einer Katze. V.p. be- deutet das orale Ende der Vena portarum, /.c. die Vena cava inferior, @ die an einander gefügten Glascanülen, welche verbunden völlig einem aufgebogenen Schlüsselringe gleichend das Blut der Vena portarum ohne jede plötzliche Richtungsänderung in die Vena cava unterhalb der Nieren- venen überführen. Auf eine recht gleichmässige Krümmung der Glascanülen ist schon deshalb zu achten, weil eine unregelmässige Blutzufuhr Störungen in der Herzaction hervorrufen würde, zumal die wichtige Function der Leber, wie ein Flüssigkeitsreservoir für gleiehmässige Strömungsgeschwindig- keit zu sorgen, hier in Wegfall kommt. Die Anlegung einer Eck’schen Fistel, durch welche der gleiche Effect erzielt werden könnte, an einer so tief gelegenen Stelle der Vena cava inferior ist technisch recht schwer ausführbar, während die Glascanülen vor der Lampe leicht jede gewünschte Biegung erhalten können und in wenigen Minuten in die weiten Gefässe eingeführt werden können. Einige Schwierigkeiten macht bei dem letzteren Verfahren allerdings die Verhinderung der Blutgerinnung, namentlich bei Kaninchen. Es ge- nügt bei den durch viele Stunden sich erstreckenden Resorptionsversuchen nicht, die Glascanülen mit Olivenöl anzufüllen und auszublasen, trotzdem das Blut nirgends mit Gummi in Berührung kommt, da an der Ver- einigungsstelle der Glascanülen Glas gegen Glas gedichtet wird. Bei Hunden und Katzen gelingt es aber, durch intravenöse Albumoseninjectionen (Witte’s Pepton) das Blut für genügend lange Zeiträume schwer gerinnbar zu er- halten. Bei Kaninchen dagegen in jedem Falle und bei Hunden und Katzen, bei welchen der Uebertritt von Albumosen in’s Blut untersucht „werden soll, muss man Blutegelextract intravenös injieiren, um vor Ge- 10* 148 Hans FRIEDENTHAL: ÜEBER RESORPTIONSVERSUCHE UT. S.W. rinnungen gesichert zn sein. Die Dosirung des Extractes der Mundtheile des officinellen Blutegels hat allerdings mit Vorsicht zu geschehen, da bei Anstellung der Versuche Katzen sowohl wie Kaninchen durch allzu grosse Dosen (Extract von 5 Blutegeln) an Herzlähmung zu Grunde gingen. Um nicht nur eine vom Centralnervensystem ausgehende Herzlähmung, sondern auch die mannisfachen störenden Reflexe vom Üentralnervensystem, die dem Herzen auf den Bahnen der extracardialen Herznerven zugeleitet werden, auszuschliessen !, wurde in allen Fällen das Herz durch beider- seitige Vagusdurchschneidung und Ausrottung der untersten Hals- und obersten Brustganglien des Sympathicus vom Cerebrospinalsystem völlig isolirt, während die künstliche Athmung für eine genügende Sauerstofizufuhr zu den Lungen sorgte. Nach Einlegen einer Trachealcanüle und bei künst- licher Athmung ist die Durchschneidung aller zum Herzen führenden Nerven, wenn nur nicht die dauernde Erhaltung der Thiere in Frage kommt, eine leicht und schnell auszuführende Operation. Bei Hunden und Katzen, welche in der oben beschriebenen Weise operirt waren, konnte das Herz über 6 Stunden lang als Pumpe zur Speisung der Darmblutgefässe verwendet werden nach Ausschaltung der Leber, obwohl keinerlei Maassregeln gegen die Abkühlung der mit eröff- neter Bauchhöhle aufgebunden liegenden Thiere getroffen waren, so dass die Körpertemperatur der Thiere am Schluss der Versuche nur einige 20 Grad betrug. Durch Anwendung von Thermophor- oder elektrisch heiz- baren Compressen könnte einer Abkühlung in bequemer Weise vorgebeugt und die Versuchsdauer, wenn nöthig, verlängert werden. Es steht zu erwarten, dass die hier beschriebene Art der Ausschaltung der Leber aus dem Kreislauf nicht nur für Resorptionsversuche am über- lebenden Darme, sondern auch für Versuche über die Rolle der Leber im Stoffwechsel der Säugethiere wird Verwendung finden können, da innerhalb 6 Stunden der Ausfall der Leberfunction in der Veränderung der Blut- zusammensetzung deutlich zu Tage tritt, wie die Versuche von Pawlow?° an entleberten Thieren mit Eck’scher Fistel bewiesen haben; auch bietet das Verfahren mannigfache Vorzüge vor einer künstlichen Speisung der Darmblutgefässe nach Ludwig und Salvioli mit defibrinirtem Blute, sowie vor einer Aufbewahrung des überlebenden Darmes in mit Sauerstoff gesättigtem Blute, wie sie jüngst von Cohnheim’ vorgeschlagen wurde. ! In einer Arbeit: „Ueber refleetorischen Herztod bei Menschen und Thieren“ (Dies Archiv. 1901. Physiolog. Abthlg. S. 31) hat Verf. bereits die Störungen der Coordination des Herzschlages, welche durch Medullarerregung reflectorisch erzeugt werden können, ausführlicher besprochen. ” Zeitschrift für physiolog. Chemie. 1900. ® Zeitschrift für Biologie. 1900. Ueber die Permeabilität der Darmwandung für Substanzen von hohem Moleculargewicht. Theil I. Der Durchtritt colloider Körper durch die Darmwandung. Von Dr. Hans”Friedenthal in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes in Berlin.) Es ist bisher keine Ausnahme bekannt geworden von der Regel, dass alle Substanzen, welche in den Darmsäften gelöst werden, auch die Darm- wandungen durchdringen und in den Organismus aufgenommen werden. Selbst solche chemische Körper, welche mit Eiweissarten so gut wie unlös- liche Niederschläge bilden, wie die Quecksilber- und Silbersalze und auch die kalkfällenden Mittel dringen, wenn auch langsam, in die Darmwandungen ein und verrathen durch die leicht zu beobachtenden Vergiftungserscheinungen die stattgehabte Resorption. Auch ganz unlösliche Substanzen und kleinste corpusculäre Theilchen, wie Bakterien und feinste Pulver sollen von den Leukocyten noch aufgenommen werden können und dann in die Darm- follikel verschleppt werden !, wenn auch dieser amöboiden Form der Nahrungsaufnahme nicht die geringste Rolle im Haushalt der höher organi- sirten Thiere mehr zuzusprechen ist. Von prineipieller Wichtigkeit erscheint unter diesen Umständen die Frage, ob colloide Substanzen ohne vorgängige Zerlegung in kleinere Mole- cüle ebenfalls resorbirt werden können, eine Frage, die allerdings auf Grund nicht einwandsfreier Erfahrungen von verschiedenen Forschern in bejahendem ! Aus der reichen Litteratur über die Aufnahme fester Substanzen aus der Darm- höhle sei hier nur angeführt: Wassilieff-Kleimann, Ueber Resorption körniger Substanzen von Seiten der Darmfollikel. Archiv f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1890. Bd. XXVII. 3. 19£. 150 Hans FRIEDENTHAL: Sinne entschieden zu sein scheint. Colloide Substanzen können weder durch amöboide Umfliessung in Leukocyten aufgenommen werden, noch durch Diffusion in berücksichtigenswerthen Mengen durch die Darmwandungen treten, die reichliche Aufnahme solcher Lösungen würde daher auf noch nicht genügend bekannte (vitale!) Kräfte des Darmepithels schliessen lassen. Zu den Stützen für die Ansicht von der Aufnahme colloider Substanzen gehört vor Allem die Beobachtung von Brücke, dass bei der Todtenstarre säugender Thiere ausgefälltes Casein in den Chyluswegen sich nachweisen lasse, ferner die Beobachtungen über die Resorption von Eiweisslösungen aus gewaschenen Darmschlingen, also bei Abwesenheit von Pankreassecret, und schliesslich die nach reichlichem Genusse von rohen Hühnereiern beim Menschen öfters beobachtete Albuminurie. Auch die Ausscheidung von Fermenten im Harn wurde vielfach auf eine Resorption derselben aus dem Magendarmcanal bezogen. Eine nähere Betrachtung zeigt nun, dass die oben erwähnten Befunde keinen sicheren Beweis für die Aufnahme colloider Substanzen abgeben können, da es sich bei allen um Substanzen handelte, welche von jeder Körperzelle zerlegt und wieder synthetisirt werden können, nämlich nur um Eiweisskörper. In früheren Zeiten wusste man noch nichts von dem ubiquitären Vorkommen verschiedener Fermente in jeder ein- zelnen Zelle. Allerdings würde der Nachweis von dem Erscheinen verfütterter Fermente, die zu den nicht diffusiblen Körpern gehören, im Harn den sichersten Beweis für die Aufnahme colloider Substanzen als solcher abgeben; allein von den bisher nachgewiesenen‘ Harnfermenten ist es durch nichts wahrscheinlich gemacht, dass sie aus dem Magendarmcanal stammen und nicht bei Zerfall von Körperzellen in die Säfte gelangt sind. Dazu bedürfte es des Nachweises eines im Thierkörper nicht vorkommenden Fermentes im Harn nach Einbringen desselben in den Magendarmeanal, ein Nachweis, der bisher noch nicht erbracht ist. Bei einer Nachprüfung der Beob- achtungen von Brücke konnte niemals Casein im Blut oder Chylus sicher nachgewiesen werden, auch nicht nach Darreichung grosser Mengen von Caseinlösung, dagegen bestätigten Versuche am Kaninchen das Auftreten von Albuminurie bei Darreichung excessiver Mengen von rohem Hühner- eiweiss bei Ausschluss aller sonstigen Nahrung. Der lange Darm der Pflanzenfresser und ihre mangelnde Gewöhnung an reichen Eiweissgehalt in der Nahrung liessen Kaninchen als das ge- eignetste Versuchsthier erscheinen. Nach einem 48 stündigen vorbereitenden Hungern erhielt ein Kaninchen von 17508% Gewicht 4 Tage hindurch täglich 100 °® unverdünnten Hühnereiweisses, das durch Schlagen von Mem- branen befreit worden war, mit der Schlundsonde in den Magen. Nach 48 Stunden gab der vorher eiweissfreie Harn eine schwache Opalescenz bei PERMEABILITÄT DER DARMWANDUNG. 151 der Kochprobe mit Essigsäure nach Kochsalzzusatz, mit concentrirter Salpeter- säure nach Kochsalzzusatz keine Trübung, wohl aber ganz schwache Fällung mit Brücke’s Reagens und mit Sublimat in saurer Lösung. Esbach’s Reagens verursachte ebenfalls nur schwache Trübung des vorher klaren sauren Urins. Dieser Befund blieb während der ganzen Versuchsdauer der gleiche. Trotzdem das Thier täglich 100% Hühnereiweiss erhielt, konnten im Harn keine quantitativ bestimmbaren Mengen von Eiweiss nachgewiesen werden. Bei der Schärfe der angewandten Eiweissreagentien kann noch nicht Y/;oo00 der verfütterten Eiweissmengen durch die Nieren ausgeschieden worden sein. Ein Nachweis, dass die ausgeschiedene Substanz Hühnereiweiss und nicht Serumalbumin war, konnte nicht erbracht werden, da der einzige bekannte, diagnostisch verwerthbar erscheinende Unterschied zwischen Eieralbumin und Serumalbumin, dass ersteres durch Aether fäll- bar sei, letzteres nicht, bei grossen Verdünnungen im Stich lässt." Sehr auffällig war bei dem oben beschriebenen Versuch das Versagen der sonst so scharfen Probe mit concentrirter Salpetersäure nach Kochsalzzusatz, so dass die Natur der im Harn bei Hühnereiweissfütterung auftretenden Sub- stanz noch der Aufklärung bedarf. Als Resultat ergab der Versuch, dass beim hungernden Pflanzenfresser selbst nach Eingabe excessiver Mengen colloidaler Eiweisslösung nur Spuren im Harn nachweisbar wurden. Einen sicheren Beweis für den Durchtritt colloiden Eiweisses durch die Darmwandung können diese Spuren deshalb nicht bilden, weil die Möglichkeit der Rückbildung von Eiweissspaltungs- producten zu Hühnereiweiss innerhalb der Darmepithelien nicht bestritten werden kann. Es liegt die Möglichkeit vor, dass bedeutend grössere Mengen von Eieralbumin in die Säfte übergingen, als durch die Nieren ausgeschieden wurden, da Versuche von I. Munk und Lewandowsky ° bewiesen haben, dass nur ein kleiner Theil von intravenös eingeführtem Hühnereiweiss im Harn erscheint. Ein sicherer Beweis für den Durchtritt colloider Substanz als solcher durch die Darmwandung kann nur bei solchen Körpern erbracht werden, für deren Spaltung dem Organismus keine Fermente zu Gebote stehen und wir besitzen sowohl in den Lösungen colloider Kieselsäure, wie in den Lösungen ceolloider Metalle (wie Platin, Silber und anderen) wässerige Lösungen, welche der obigen Bedingung entsprechen. Ob die Darmschleimhaut ein Ferment enthält, welches colloide Kiesel- ! Es erscheint noch zweifelhaft, ob dem gereinigten Eieralbumin ein anderes Verhalten gegen Aether zukommt als dem Serumalbumin und ob nicht physikalische Momente die beobachtete Differenz erklären. ? Ueber die Schicksale der Eiweissstoffe nach Einführung in die Blutbahn. Dies Archiv. 1899. Physiol. Abthlg. Suppl. 8.73. 152 Hans FRIEDENTHAL: säure zu spalten vermag, oder nicht, davon kann man sich mit Hülfe der Methode der Messung der Gefrierpunktserniedrigung überzeugen. Da eine Lösung von Kieselsäure, mit zerriebener Darmschleimhaut versetzt, keine Veränderung ihres Gefrierpunktes erleidet, so besitzt der Darm auch kein Ferment, welches Kieselsäure in kleinere Molecüle zu spalten vermag. Der Harn der Pflanzenfresser enthält ebenso wie die Bindegewebs- substanzen der Wirbelthiere stets Kieselsäure, deren molecularer Zustand nicht bekannt ist und wegen der geringen Quantitäten von Kieselsäure auch nicht bestimmt werden kann, ebenso wenig wissen wir etwas über die molecularen Verhältnisse der Kieselsäure in den Pflanzen, aus deren Kiesel- säurevorräthen die höheren Thiere ihre Kieselsäure entnehmen, noch etwas über die Aufnahme der Kieselsäure in die pflanzlichen Organismen. Da aber der Harn der Pflanzenfresser bei Milchnahrung und der Harn der Fleisch- fresser stets frei von nachweisbaren Mengen von Kieselsäure gefunden wird, so beweist ein Auftreten der Kieselsäure im Harn nach Fütterung der Thiere mit colloider Kieselsäure den Durchtritt colloider Substanz als solcher durch die Darmwandung. Der Harn eines 1490 sm schweren weissen Kaninchens gab nach 48stün- digem Hungern des Thieres negativen Ausfall der Probe auf Kieselsäure mit Fluorcaleium und concentrirter Schwefelsäure. Als jedoch das Thier täglich mit Milch gefüttert wurde, der 5°” Liquor natrü siliciei und so viel Citronen- säure zugesetzt worden war, dass die Mischung sauer reagirte, konnte schon am zweiten Tage das Auftreten der Kieselsäurereaction im Harn nach Veraschen desselben im Platintiegel nachgewiesen werden. Mit der Waage bestimm- bare Quantitäten von SiO, konnten aber selbst dann nicht erzielt werden, als das Thier 10mm des concentrirten Liquor natrü siliciei als Bei- mengung zur Milch erhalten hatte. Ebenso deutlich war das Auftreten der Kieselsäurereaction im Harn von zwei jungen Hunden, welche ausschliesslich mit saurer Milch, die grosse Mengen (10 8” pro die) colloider Kieselsäure enthielt, gefüttert wurden. Die Geschmacksnerven solcher junger Hunde müssen wohl in den ersten Monaten noch wenig entwickelt sein, da sie mit Begierde grosse Quantitäten der widerlich schmeckenden, kieselsäurereichen sauren Milch zu sich nahmen. Bei den Hunden konnte ebenso wenig wie bei den Kaninchen die Menge der Kieselsäure im Harn durch Steigerung der Menge der verfütterten Kieselsäure vermehrt werden. Bei diesen Versuchen steht ebenso wie bei den Versuchen über die Resorption von Hühnereiweisslösungen zu vermuthen, dass nicht die ganze resorbirte Kieselsäuremenge im Harn erscheint, sondern dass ein Theil im Körper zurückgehalten wird, da auch bei intravenöser und subcutaner PERMEABILITÄT DER DARMWANDUNG. 153 Injection von Wasserglas nur ein kleiner Theil der injieirten Kieselsäure durch den Harn ausgeschieden wird.! Eine besondere Sorgfalt wurde auf den Nachweis verwendet, dass tbat- sächlich die den Thieren verfütterte Kieselsäure diesen nur in colloider Form dargeboten wurde, wozu allerdings bemerkt werden muss, dass Kiesel- säure in nicht colloider Form (also der Formel H,SiV, entsprechend) gar nicht bekannt zu sein scheint. Diffusionsversuche ergaben, dass Natrium silieieum selber mit Wasser nur colloide Lösungen bildet, die in fast allen physikalischen Punkten mit Lösungen von Alkalialbuminat völlig überein- stimmen, namentlich darin, dass bei starkem Salzzusatz (Ammoniumsulfat) die Kieselsäure aus der alkalischen Lösung ausgesalzen wird, so dass bewiesen ist, dass nicht erst nach Säurezusatz die Kieselsäure aus ihren Salzen in colloider Form sich abscheidet, sondern dass sie in colloider Form bereits in diesen Salzen enthalten ist. Lösungen von Wasserglas in saurer Milch lassen keine Kieselsäure im Dialysator durch sorgfältig gedichtetes Pergament- papier hindurchtreten. Durch die oben beschriebenen Versuche? ist bewiesen, dass Spuren colloider Substanzen selbst dann die Darmwandung durchdringen, wenn dem Organismus kein Ferment zur Spaltung der dargebotenen Substanz zur Verfügung steht. Die Geringfügkeit der hindurchtretenden Mengen ent- spricht dem geringen Diffusionsvermögen der colloiden Substanzeu und weist auf das Fehlen vitaler Kräfte im Darmepithel für die Aufnahme colloider Lösungen hin. 1 Intravenös eingeführt tödtet die Kieselsäure, welche mit Kalksalzen unlösliche Niederschläge von kieselsaurem Kalk bildet, schon in kleinen Mengen unter den gleichen Erscheinungen, welche in einer früheren Arbeit als fur die kalkfällenden Mittel charak- teristisch beschrieben worden sind, namentlich fallen die fibrillären Zuckungen der gesammten Körpermuseulatur in die Augen. ® Die Versuche über Resorption colloider Metalle haben bisher zu keinem posi- tiven Resultate geführt. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1901—1902. II. Sitzung am 8. November 1901. 1. Hr. Max Rotamann: „DieErregbarkeit der Extremitätenregion der Hirnrinde nach Ausschaltung cerebrospinaler Bahnen.“ Vortr. sucht durch Versuche an Hunden und Affen die Frage zu ent- scheiden, wie sich die Erregbarkeit der Extremitätenregion, die in ihrer Ausdehnung dem Ursprunge der Pyramidenbahn entspricht, bei Ausschaltung der letzteren verhält, und, welche Bahnen ausgeschaltet werden müssen, damit die Leitung dieser Hirnrindenreizung völlig erlischt. Was zunächst die Versuche an Hunden betrifft, so werden in 17 Einzel- experimenten totale und partielle Zerstörungen beider Pyramidenbahnen, Ausschaltung eines Monakow’schen Bündels und desselben mit der Pyramiden- seitenstrangbahn zusammen in Medulla oblongata, Hals- und unterem Brust- mark, endlich ein Fall von Halbseitenläsion des Rückenmarkes vorgeführt. Die Hunde lebten nach den Eingriffen 14 bis 28 Tage und wurden dann einer Hirnrindenreizung unterzogen. Die Verletzungsstellen und das übrige Centralnervensystem wurden nach Marchi untersucht. Diese Reizversuche an Hunden führten zu folgenden Ergebnissen: 1) Die Leitung von der Hirnrinde zu den gekreuzten Extremitäten be- nutzt sowohl die Pyramidenbahn als auch das Monakow’sche Bündel. 2) Nach Ausschaltung der Pyramidenbahn sind etwas stärkere Ströme zur Erzeugung der Bewegungen der gekreuzten Extremitäten erforderlich, als unter normalen Verhältnissen. 3) Ausschaltung des Monakow’schen Bündels beeinträchtigt die Rinden- erregbarkeit in keiner Weise. 4) Einseitige Ausschaltung der Pyramidenbahn und des Monakow’- schen Bündels zusammen ergiebt völligen Ausfall der gekreuzten Leitung bei deutlichem Auftreten von Bewegungen der gleichseitigen Extremitäten. 5) Die Vorderstrangbahnen haben nichts mit der Leitung der elektri- schen Reizung von der Hirnrinde zu thun. Weiterhin wurden bei Affen in fünf gelungenen Versuchen mit Lebens- dauer von 18 bis 30 Tagen nach der Operation zwei Mal doppelseitige VERH. D. BERL. pays. Ges. — Max RoOTHMANN. — ÜASPARI. 155 totale Pyramidenzerstörung, ein Mal einseitige nicht vollständige Pyramiden- zerstörung, ein Mal Zerstörung des Monakow’schen Bündels und ein Mal combinirte Zerstörung beider Pyramidenbahnen und eines Monakow'’schen Bündels ausgeführt. Aus den vor der Tödtung ausgeführten Reizversuchen der Extremitätenregionen ergeben sich folgende Sätze: 1) Die einige Wochen nach doppelseitiger Zerstörung der Pyramiden- bahn noch erhaltene Rindenerregbarkeit betrifft nur zwei kleine Stellen jeder Extremitätenregion, die eine im Gebiet der Fingerbewegungen, die andere in dem der Zehenbewegungen bei völliger Unerregbarkeit aller übrigen Theile der Extremitätenregionen. 2) Die von jeder Extremitätenregion kommenden Pyramidenfasern sind im ganzen Pyramidenquerschnitte vertheilt, so dass eine Durchschneidung der unteren Hälfte der Pyramidenkreuzung allein keinen schädigenden Ein- fluss auf die Erregbarkeit der Extremitätenregion ausübt. 3) Durchtrennung des Monakow’schen Bündels führt zu keiner Störung der Hirnrindenreizung. 4) Dagegen bewirkt die beinahe totale gemeinschaftliche Aufhebung von Pyramidenbahn und Monakow’schem Bündel einer Seite Aufhebung des grössten Theiles der Rindenerregbarkeit, vor Allem auch der isolirten Finger- und Zehenbewegungen, wenn auch völlige Vernichtung der Rinden- erregbarkeit nicht beobachtet werden konnte. 5) Im Vergleiche zum Hunde ist beim Affen die Rindenerregbarkeit weit mehr von der Pyramidenleitung als von der durch das Monakow’sche Bündel abhängig. 6) Die unmittelbar nach der Pyramidenzerstörung aufgehobene Leitung der Rindenreizung zu den gekreuzten Extremitäten bildet sich in den nächsten Tagen wieder in der oben geschilderten Weise aus, während die Anfangs vorhandene lebhafte Reizung der gleichseitigen Extremitäten wieder bis auf Spuren verloren geht. 7) In derselben Weise verschwindet das Anfangs bei stärkerer Reizung vorhandene Auftreten klonischer Krämpfe in den gleichseitigen Extremi- täten, während die zuerst nicht auszulösenden Krämpfen der gekreuzten Extremitäten sich wieder einstellen, also ohne Vermittelung der Pyramiden- bahnen zu Stande kommen können. Vortr. giebt dann eine vergleichende Uebersicht der bei den verschie- denen Thierspecies von den Vögeln bis zu den Affen zur Leitung der Rindenreizung erforderlichen Bahnen, aus der hervorgeht, dass die Leitung der Rindenerregbarkeit bereits vor dem Auftreten der Pyramidenbahn vor- handen ist und erst allmählich nach der Entwickelung der letzteren vor- wiegend auf diese übergeht. (Der Vortrag erscheint in ausführlicher Form in der Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. XLIV.) 2. Hr. Casparı macht eine Demonstration zur Wirkung der Beequerelstrahlen. Gelegentlich ihrer früheren Untersuchungen! hatten Aschkinass und der Vortr. die Mittheilungen der Herren Walkoff, Giesel, Becquerel und Curie über die Einwirkung der Becquerelstrahlen auf die menschliche ! Pflüger’s Archw. 1901. Bd. LXXXVL S. 605. 156 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Haut bestätigen können. Um Material zu weiterer Untersuchung zu ge- winnen, wurde ein Versuch an einem Kaninchen vorgenommen. Zu diesem Zwecke wurde der Bauch desselben rasirt, und das radio-active Präparat, eingeschlossen in eine kleine, mit Aluminiumdeckel versehene Messingkapsel, auf die Bauchhaut des Thieres gelegt. Benutzt wurde dasselbe Präparat, welches bereits zu den früheren Versuchen gedient hatte. Die Bestrahlung wurde am 1. Juli 2 Stunden lang vorgenommen. Nach einigen Tagen bildete sich an der den Strahlen unmittelbar ausgesetzten Hautpartie eine kleine verfärbte Stelle, dann wurde die Haut dort faltig, nahm einen stumpfen Glanz an und stiess sich schliesslich in kleinen Schüpp- chen ab. Nach etwa 14 Tagen war die Bauchhaut wieder mit Haaren bedeckt. In den ersten Tagen des August wurde daher die Bauchhaut auf’s Neue rasirt, um eine Besichtigung der exponirten Stelle zu ermöglichen. Es waren aber damals keine weiteren Veränderungen zu beobachten. Das Thier blieb sich nun selbst überlassen und konnte erst Einde der Sommerferien, am 20. October, wieder besichtigt werden. Ueberraschender Weise zeigte sich, dass im Gebiete der zweiten Rasur völliger Haarschwund bestand. Bis zum 5. November war der Eintritt etwaigen Wachsthums der Haare nicht zu bemerken. An diesem Tage starb das Thier leider an einer zufälligen Verletzung. Das verspätete Eintreten der Reaction auf den Haarwuchs des Thieres stellt der Vortr. in Parallele zu dem eigenthümlichen Verhalten der durch Becquerelstrahlen bewirkten entzündlichen Veränderungen der Haut. Alle Autoren berichten nämlich übereinstimmend, dass die lebhaften Entzündungs- erscheinungen nicht unmittelbar nach der Bestrahlung, sondern erst mehrere Wochen später ganz plötzlich einsetzten. So trat, als Hr. Curie! seine Haut 10 Stunden der Bestrahlung durch ein Präparat von geringer Activität aussetzte, erst nach 20 Tagen Krustenbildung ein, es entwickelte sich eine offene, eiternde Wunde, und am 52. Tage nach der Bestrahlung wurde eine gangränöse Hautpartie abgestossen. Zu bemerken ist übrigens, dass auf dem Arme des Hrn. Aschkinass im Gebiete der der Bestrahlung ausgesetzten Hautpartie ebenfalls Depilation nachweisbar ist. III. Sitzung am 22. November 1901. Hr. Dr. CRZELLITZER (a. G.): „Die Sichtbarkeit der Röntgen- strahlen.“ Die Röntgenstrahlen stellten das erste Beispiel von Strahlen dar, die auf die photographische Platte, nicht ‘aber auf die menschliche Netzhaut wirkten. Gerade in diesem Contraste, der bis dahin wenigstens für die Laienwelt neu und unerklärlich war, lag der Grund für den misstrauischen Skeptieismus, der anfänglich hier und da den neuen Strahlen begegnete. Man vermuthete zunächst auf Grund von Versuchen, in denen aus- geschnittene Thieraugen sowie deren Theile radiographirt wurden (Dariex ! Comptes rendus de l’Academie des sciences. 1901. 3. Juni. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜRZELLITZER. 157 und de Rochas!, Salvioni?, Harnisch?’), dass die Absorption der Röntgenstrahlen in den brechenden Medien, insbesondere in der Linse, so stark wäre, dass in Folge dieses mechanischen Hindernisses keine Strahlen zur Netzhaut gelangen könnten. Wenn auch spätere Arbeiten (Brandes und Dorn‘, Chalupecky°) die Durchlässigkeit der Linse und somit die Unrichtigkeit jener Annahme erwiesen, so waren doch die dadurch angeregten Versuche mit Aphaken der Ausgangspunkt für weiteren Fortschritt. Während ich (im Winter 1896) an 16 staroperirten Personen mit sonst normalen Augen keinerlei Empfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen feststellen konnte, fand Brandes in Halle, der ebenfalls Aphaken untersuchte, dass nicht bloss bei diesen, sondern bei Jedermann durch genügend starke Röntgenröhren eine flackernde Helligkeit erzeugbar wäre. Die hellste Stelle wäre ein peripherer Ring. An dieser Stelle erhob vor Ihnen, m. H., Dr. Cowl°® sehr gewichtige Einwände dagegen. Wenn auch die theoretischen (mangelnde Rücksicht- nahme auf subjeetive Lichterscheinungen und etwaige elektrische Wirkungen) später von Dorn erledigt wurden, so blieb doch die Thatsache bestehen, dass es weder Cowl noch einer Reihe anderer Berliner Forscher gelungen war, die Brandes-Dorn’schen, an einer grösseren Zahl von Hallenser Beob- achtern erhärteten Versuche zu bestätigen. Im Gegensatz zu den Hallensern nahm, obgleich die von Cowl verwandten Röhren viel höhere Schlagweiten hatten als die anfänglich in Halle benutzten, die Mehrzahl der Berliner über- haupt nichts wahr; nur in wenigen Einzelversuchen kam es zu blitzartigem Aufleuchten; von einem „ringförmigen Phänomen“ war nirgends die Rede. Nicht lange darauf ergriff Röntgen’ selbst zur Frage der Sichtbar- keit das Wort; auch er betonte, dass mit den modernen, sogen. harten, d. h. hochevacuirten Röhren ohne Weiteres und bei Jedermann Helligkeit zu erzielen sei. Entscheidend war folgende Versuchsanordnung: führte Röntgen zwischen Auge und Röhre einen vertical stehenden Metallspalt von rechts nach links vorüber, so sah er eine leuchtende Linie, die nach einander zuerst gekrümmte, dann gerade, schliesslich entgegengesetzt ge- krümmte Form hatte. Dieses Experimentum crucis vermochten Cowl, Levy-Dorn und andere Berliner ebenfalls nicht nachzumachen. So war also der Widerspruch zwischen den Berliner Herren einerseits, den Hallensern sowie Röntgen selbst andererseits, so klaffend, dass mir die Vornahme neuer Versuche schon lange dringend nothwendig erschien.® Compt. rend. T.CXXD. p. 458. Nature. T. LI. p. 424. Annales of ophthalmology and otology. 1896. April. Wiedemann’s Annalen der Physik. Bd. LX. 8. 478. Centralblatt für Augenheilkunde. 1897. August und September.‘ Dies Archiv. 1897. Physiol. Abthlg. 8.55 und 548. Sitzungsber. der kgl. preuss. Akad. der Wissensch. zu Berlin. 1897. 8. 576. Erst vor Kurzem haben F. Himstedt und W. A. Nagel im Verlauf einer grösseren Arbeit über die Wirkung unsichtbarer Strahlen auch den Röntgenstrahlen eine Reihe von Versuchen gewidmet. Ich habe diese hochinteressante Arbeit (in Wiedemann’s Annalen. 1901. Bd.1V) leider erst nach Abschluss meiner Versuche zu Gesicht bekommen und möchte mich heute darauf beschränken, als wesentlichstes Resultat zu erwähnen die Hervorrufung der Holmgren’schen Actionsströme in der Frosch-Netzhaut durch Röntgenstrahlen, sowie die recht überzeugend verfochtene An- sicht, dass die Röntgenstrahlen nur den Stäbchenapparat der Netzhaut reizen. ou mu x» o@ 158 VERHANDLUNGEN DER BERLINER In der Röntgen-Abtheilung des hiesigen Instituts für medicinische Diagnostik, die Hr. Dr. Cowl leitet, fand ich letzten Juni und Juli die lange ge- wünschte Gelegenheit. Mittels einer Reihe von Vorversuchen stellte ich zunächst fest, dass jedes meiner Augen erregbar ist für Röntgenstrahlen, die einer hochevacuirten, harten Röhre entspringen. Röhren verschiedener Construction bezw. ver- schiedener Fabriken geben das gleiche Resultat, falls nur jene Bedingung er- füllt ist. Als Unterbrecher diente ein Quecksilbermotorunterbrecher. Mein Kopf befand sich in einer grossen, absolut lichtsicheren Papp- schachtel, die am unteren Rande mittels eines schwarzen Sammettuches um den Hals herum schloss. Um die Respiration ungestört zu halten, was für die Gleichmässigkeit des Lichtchaos wichtig ist, wurde durch Gummiballon und Schlauch, der mit Olive in einem Nasenloch endete, dauernd Luft von aussen zugepumpt. Adaptionszeit zuerst 20 bis 30 Minuten, später regelmässig 5 Minuten. Zwischen Kopf und Röhre hing ein Vorhang aus lichtundurchlässigem Satinettestoff, der gegen Büschelentladungen und elek- trische Funken wirksamen Schutz bot. Suggestion durch verschiedenartige Gehörseindrücke wurde sorgfältig vermieden, indem auf dreierlei Weise vorgegangen wurde: 1. während dauernd Strom durch die Röhre lief, drehte mein Partner, ohne dass ich es wusste, den Strom um (nur so lange die Kathode negativer Pol ist, sendet sie natürlich Röntgenstrahlen aus); 2. mein Partner drehte die Röhre um, so.» dass die Antikathode mir ihre Kehrseite zuwandte, also keine Röntgenstrahlen nach mir hersandte; 3. eine frei pendelnd an der Decke befestigte dicke Bleiplatte wurde lautlos bald zwischen-, bald ausgeschaltet. In allen Fällen wurde der Eintritt einer unbestimmten Lichterscheinung mit hellerer‘ Peripherie richtig den betreffenden äusseren Manipulationen entsprechend angegeben. Bei 50% Abstand zwischen Auge und Röhre war schon Helligkeit wahrnehmbar, bei 35 °%, der später stets gewählten Entfernung, das ganze Phänomen viel deutlicher. Zu weiteren Versuchen, die den Zweck hatten, genauere Differenzirung der Wirkung auf bestimmte Theile des Auges zu ermöglichen, wurde das Auge von der Schläfenseite her bestrahlt. Beide Augen waren gegen Licht absolut geschützt — controlirtt im direeten Sonnenlicht — durch eine Celluloiddoppelkapsel, wie sie neuerdings als Ersatz für Augenverbände verwandt werden, ausserdem befand sich vor dem nicht zum Versuch benutzten noch eine aus Bleistreifen gebildete Hohl- muschel, die dieses vor den Röntgenstrahlen schützte. Auf der Schläfe wurde vorher mit Farbstift eine Anzahl verticaler Linien markirt, die die Projection bestimmter Augenpartien darstellen. Ausgegangen wurde vom äusseren Augenwinkel, der dem Aequator bulbi entspricht. 13 "% dahinter, auf der Haut gemessen, entsprach eine Verticale ungefähr dem hinteren Augenpol; 12%= davor der Linsenmitte und 8" vor dieser Verticale eine vorderste dem Hornhautscheitel.! Diese 4 Lothe, Hornhautloth, Linsenloth, Aequatorialloth und Netzhautmittenloth werde ich von vorn nach hinten mit den Zahlen „I“ bis „IV“ bezeichnen. War nun der Kopf in einer einfachen Vorrichtung durch Stützen gegen Kinn und Hinterkopf fixirt und zwischen Kopf und Röhre an einem be- ! Vortr. zeichnet einen Horizontalschnitt durch Auge und Schläfe an die Tafel. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — ÜRZELLITZER. 159 sonderen Stativ eine sagittal stehende Bleiplatte in Führungsschienen hori- zontal dieht an der Schläfe verschieblich, so konnte Dr. Cowl, während ich beobachtete, den Vorderrand bezw. Hinterrand der Bleiplatte mit den vorher markirten 4 Verticalen zur Deckung bringen und zwar ohne dass ich wusste, ob die Platte da war bezw. wo sie stand. Das Resultat war zunächst: Dunkelheit bei Hinterrand in „IV“ und Vorderrand in „I“, also wohl ein Beweis, dass dann das Auge wirklich be- schattet war. — Da niemals ein Unterschied zwischen rechts und links angegeben wurde, obgleich die temporale Netzhauthälfte kräftiger bestrahlt wurde als die nasale, wo die Strahlen schon durch Glaskörper und Netz- haut selbst durchgedrungen waren, kann die Absorption in Glaskörper und Netzhaut nur ganz unwesentlich sein. Der hellste Eindruck wurde nicht bei freier Bestrahlung notirt, sondern wenn die Platte mit Vorder- oder mit Hinterrand auf „II“ stand. Schon daraus geht eine besondere Empfindlichkeit der Aequatorialgegend hervor. Noch deutlicher liess sich das erweisen, wenn eine mit 0-6” breitem Spalt versehene Bleiplatte in. die Schiebervorrichtung gebracht wurde, so dass dieser verticale Spalt nach einander die Stellungen der 4 Lothe ein- nahm. Hier herrschte bei „I“ und „II“ Dunkelheit, also findet in Horn- haut und Linse keine Fluorescenz statt. Bei „III“ wurde das Maxi- mum notirt („schöner heller Kreis“). Beim Verschieben nach „IV“ hin wurde dieser nicht, wie man erwarten sollte, kleiner, sondern lichtschwächer. Bei * , d. h. Mitte zwischen „III“ und „IV“ unregelmässige Flecken im Centrum des Gesichtsfeldeentrum, bei „IV“ Dunkelheit. Daraus folgt, dass die Maculargegend unmöglich besondere Empfind- lichkeit für Röntgenstrahlen besitzen kann; wohl aber ist dies für die Aequatorialpartie der Netzhaut der Fall. Diese verläuft nicht allmählich nach dem hinteren Pol zu, denn steht z. B. eine Bleiplatte mit Hinterrand in „III“, so sah ich einen leuchtend hellen Ring mit wesentlich dunklerem Binnenfelde, also keine allmähliche Zunahme der Helligkeit nach dem Rande hin. Diese scharfe Abgegrenztheit des hellen Ringes brachte mich auf den Gedanken, ob er eventuell bedingt sei durch die Beschattung der Netzhaut durch den Knochen, während doch der vorderste Netzhaut- saum, zwischen Ora serrata und Aequator nicht durch Knochen geschützt ist. Dagegen spricht aber, dass auch bei Bestrahlung von vorn der helle periphere Ring sichtbar wird. — Wurde der Bleispalt horizontal gestellt von oben nach unten am Auge vorbeigeführt (der Röntgen’sche „Spaltversuch“, den ich vorhin er- wähnte), so sah ich, wie er es für Horizontalverschiebung beschreibt, zuerst gerade unten einen schlecht abgrenzbaren hellen Fleck, dann einen nach oben convexen Streifen, der allmählich aufsteigend, sich abflacht, als Hori- zontale erscheint, dann nach unten convex wird und schliesslich nach oben verschwindet. Besonders interessant war mir noch die scheinbare Grösse, die ich deshalb stets taxirte und protokollirtee Da die Grösse der gereizten Netz- hautstellen bekannt ist, [sie muss mindestens gleich sein dem Querschnitt des ohne Rücksicht auf etwaige Accommodation ungebrochen einfallenden Bündels Röntgenstrahlen] da mithin aus dieser Grösse und Knotenpunkt der Gesichtswinkel gegeben ist, lässt die scheinbare Grösse uns einen Schluss 160 VERHANDLUNGEN DER BERLINER ziehen auf die Lage der Projeetionsebene. Z. B. wurden für den hellen Kreis, der bei Bestrahlung der Aequatorialgegend gesehen wird, als schein- bare Grösse des Durchmessers notirt Angaben, die zwischen 3 und 7 schwanken (wohl durch Accommodation bedingte Differenz). Da die zugehörigen Gesichtswinkel den sehr hohen Werth von 60 bis 90° haben, so muss die Projeetionsebene hier, wie übrigens in allen diesen Versuchen, sehr nahe am Auge liegen, nämlich 6°% vor dem Knotenpunkt, also etwa 5°” vor dem Auge. Ich erwähne hierbei noch folgenden Versuch, ohne vorläufig eine Er- klärung geben zu können. Bringt man vor ein Auge, während das andere durch Bleiplatte geschützt ist, ein Mal eine Bleiplatte mit centraler Oeffnung, ein ander Mal ein Cartonblatt mit central aufgeklebtem, ebenso grossem Bleiplättchen (z. B. 9%" gross), so wäre zu erwarten, dass ein heller Fleck auf dunklem Grunde, bezw. ein ebenso grosser dunkler Fleck auf hellem Grunde gesehen würde. Unbedeutende Verschiedenheit wäre ja durch Irra- diation erklärbar. In der That sieht man aber im ersteren Falle einen hellen Fleck von der scheinbaren Grösse von 1°®%, im anderen Falle einen dunklen Fleck von etwa 3 bis 4°” Durchmesser, umgeben von einem schmalen hellen Ringe (letzterer wohl nur Contrastphänomen). Obgleich also die ge- reizte, bezw. beschattete centrale Netzhautstelle in beiden Fällen völlig gleich, ein derartiger Unterschied! Ich glaube mithin, dass diese Methode sehr wohl im Stande ist, der physiologischen Optik neue Aufgaben und neue Wege zu weisen betreffend den Zusammenhang zwischen gereizter Netzhautstelle und nach aussen pro- Jieirter Wahrnehmung. Inwieweit auch die praktische Augenheilkunde Nutzen zieht für Netzhautuntersuchung in denjenigen Fällen, wo Trübungen der Medien den Augenspiegel versagen lassen, soll die Zukunft lehren. IV. Sitzung am 6. December 1901. Hr. Prof. Dr. D. von HansemAnn: „Untersuchungen über das Winterschlaforgan.“ Die sogenannte Winterschlafdrüse ist eine der merkwürdigsten An- passungserscheinungen der Säugethiere, um so merkwürdiger, als sie bei den verschiedensten, scheinbar gar nicht mit einander verwandten Thier- arten zur Ausbildung gekommen ist und dieselben dadurch befähigt, die kalte Jahreszeit hindurch in einem mehr oder weniger festen Schlaf eine vita minima zu führen. So findet sie sich bei dem Murmelthier, dem Siebenschläfer, der Haselmaus, dem Hamster, dem Igel, der Spitzmaus, den Fledermäusen und vielen anderen (über Bären habe ich keine Erfahrung). Aber sie ist auch entwickelt bei Thieren, die von ihrem Besitz keinen Ge- brauch machen, z. B. bei den Ratten und Mäusen, auch bei deren weissen Varietäten, die niemals einen Winterschlaf eingehen, sich aber vielleicht daran gewöhnen liessen. Man würde auf diese Weise obligate und facul- tative Winterschläfer haben, von denen die ersteren regelmässig, wenn sie am Winterschlaf künstlich gehindert werden, zu Grunde gehen. Ohne dieses Organ scheint ein Winterschlaf nicht möglich zu sein. Dem Organe kommt also eine ganz besonders wichtige Bedeutung für den Stoffwechsel dieser Thiere zu. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — VON HANSEMANN. 161 Das ist schon seit langer Zeit bekannt, denn die ersten Beschreibungen reichen, soweit ich sehe, über 230 Jahre zurück. Trotzdem existirt keine sehr ausgiebige Litteratur darüber und besonders sind mit modernen Me- thoden nur wenige Untersuchungen darüber angestellt worden, und wenn der letzte Bearbeiter der Frage, Hammar (1), auch viele noch offene Fragen beantwortet hat, so bestehen doch noch eine ganze Reihe von Controversen. Ich darf vielleicht voraussetzen, m. H., dass es Ihnen so geht, wie es mir ging, bevor ich mich mit diesem Gegenstande näher beschäftigte, dass Ihnen nämlich nur das über das Organ bekannt ist, was in den Lehrbüchern steht, und das ist nicht gerade sehr viel. In manchen ist der Winterschlaf nur nebenbei erwähnt, in anderen wird kurz referirt, was bisher bekannt war. In der neuesten Auflage der bekannten vergleichenden Anatomie von Wiedersheim von 1898 steht sogar weniger darüber, als in den älteren Auflagen, und er handelt die Winterschlafdrüse irrthümlich unter den Iym- phatischen Apparaten ab. Mir scheint nun dieses Organ doch von so grossem Interesse, dass ich es für der Mühe werth halte, seine Morphologie und seine Function auf’s Neue zur Discussion zu stellen, und ich bitte Sie, mir zunächst zu gestatten, einen kurzen historischen Ueberblick zu geben, um so mehr, als Sie dadurch sogleich sehen werden, um welche Fragen es sich handelt. Die älteren Autoren bringen das Organ durchweg mit Iymphatischen Einrichtungen, vielfach direet mit der Thymus in Zusammenhang. Dahin gehören Velsch (1670 [2]), Harder (1686 [3]), Sulzer (1774 [4]), Scheuchzer (5), Pallas (1784 [6]), Meckel (1806 u. 1815 [7]), Prunelle (1811 [8])), Mangili (1811 [9])), Tiedemann (1815 [10]). Aber auch später, obwohl offenbar durch den Einfluss des Mikroskopes schon andere Anschauungen geäussert waren, trat diese Vorstellung noch mehrfach hervor, so bei Burdach (1830 [11]), Simon (1845 [12]), Valentin (1857 [13)), Leydig (1857 [14]) und sogar noch 1898 bei Wiedersheim. Schon 1817 hatte Jakobson (15) die Anschauung vertreten (nachdem schon lange festgestellt war, dass das Organ nicht eine eigentlich secernirende Drüse sei und keinen Ausführungsgang besitzt), dass es sich um eine Art von Fettgewebe handelt, und diese Meinung finden wir auch vertreten durch Haugstedt (1831 [16]) und Marshall Hall (1832 [17]), und später durch Ehrmann (1883 [18]), Poljakoff (1888 [19]) und Hammar (1895 [1)). Carlier (1893 [20]) hält dieses Organ zwar nicht für wirkliches Fettgewebe, aber doch für ein Fettdepositum. In die lange Periode von 1832 bis 1889 schiebt sich eine Zeit, in der man das Organ für eine Blutgefässdrüse hielt. Dahin äusserten sich schon Ecker (1831 [21]) und dann Barkow (1846 [22]), Friedleben (1858 [23]) und Affanasiew (1877 [24]). Als be: sonderen Angabe erwähne ich noch, dass Stannius (1853 [25]) in der Drüse eine Regeneration des Sympathieus vermuthete, während Hirzel und H. Frey (1863 [26]), sowie Fleischl (1869 [27]) die zellige Structur überhaupt leugneten und das Organ als eine Art Stützsubstanz auffassten. Auch Carlier (20) behauptete noch 1893, dass die Drüse im Januar ihre Zellstruetur gänzlich verlöre. Was nun die gröbere Anatomie des Organs betrifft, so war es schon den älteren Untersuchern bekannt, dass dasselbe vorzugsweise dem Schulter- ring angehört. Man kann das Winterschlaforgan immer an seiner charak- teristischen braunen Farbe erkennen, die von einem diffusen, selten ge- Archiv f. A, u. Ph, 1902. Physiol. Abthlg, 1b 162 VERHANDLUNGEN DER BERLINER körnten Pigment herrührt. Dieses Pigment beschreibt Affanasiew (24) als hämoglobinhaltig, was jedoch von Ehrmann (18), wie ich glaube, mit Recht geleugnet wird. Die mächtigste Entwiekelung erreicht dasselbe am Rücken zwischen den Schulterblättern. Es liegt hier unter dem oberfläch- lichen weissen Fettlappen, der allen Thieren und auch dem Menschen eigen- thümlich ist, als eine etwa viereckige, paarige Masse, an der man auch nach der Tiefe zu noch mehrere Lappen unterscheiden kann. Getrennt davon erstreckt sich dann jederseits ein länglicher Lappen unter das Schulterblatt und hängt mit einem weiteren, sehr grossen Lappen in der Achselhöhle zusammen. Der so gebildete Ring wird vorne durch einen Lappen über und um die Thymus geschlossen, und von hier geht jederseits ein schmaler Streifen längs der Brustaorta herunter durch das Zwerchfell bis in die Nierengegend, wo sich das Organ noch ein Mal flügelförmig verbreitert. Es ist irrthümlich, wie Hammar (1) angiebt, dass auch in der Inguinal- gegend bei Ratten, ganz getrennt, Lappen vorkämen. Das Fettgewebe nimmt hier zuweilen eine bräunliche Farbe an, unterscheidet sich aber histologisch, physiologisch und auch entwickelungsgeschichtlich von dem eigentlichen Winterschlaforgan, worauf ich später noch zurückkomme. Gegen das weisse Fettgewebe: setzt sich das braune Gewebe des Organs überall scharf ab. Es gelingt aber doch nicht, es mit der Scheere oder dem Messer sauber davon zu trennen, und das beruht darauf, dass das weisse Fettgewebe sich überall in die braune Substanz fortsetzt. Davon kann man sich mikroskopisch sehr leicht überzeugen, besonders durch Präparate, an denen das Fett erhalten und mit Sudan gefärbt ist. Der letzte Bearbeiter des Gegenstandes, Hammar (1), kommt nun zu Resultaten, die eine Umgestaltung unserer Anschauung über Fettgewebe bedeuten würden. Diese Resultate erscheinen mir so wichtig, dass ich sie in extenso anführen möchte. 1) Alle Fettzellen scheinen aus fixen Bindegewebszellen hervorzu- gehen. (Ich würde hier vorschlagen, nicht „Bindegewebszellen“, sondern „Bindesubstanzzellen“ zu sagen. Nicht das Bindegewebe geht in Fettgewebe durch Aufnahme von Fett über, sondern eine bestimmte Art der Binde- substanzen. Es ist das ein sehr verbreiteter Fehler, dass Bindegewebe mit Bindesubstanz verwechselt wird. Bindegewebe ist ebenso eine Art Binde- substanz, wie Knochen, Knorpel, Iymphatisches Gewebe, Fettgewebe u. s. w.) 2) Diese können dabei schon lange vor der Fettimpletion eine An- ordnung in Lobuli mit eigenem Gefässsystem annehmen. Die so gebildeten cireumscripten Gewebspartien werden Primitivorgane genannt — der Process primäre Fettgewebsbildung 3) oder auch kann eine ähnliche specielle Anordnung der künftigen Fettzellen um die Zeit des beginnenden Impletionsprocesses fehlen — secun- däre Fettgewebsimpletion. 4) Bei der primären Fettgewebsbildung beim Kalb, Menschen u. s. w. können die Zellen bis zur Zeit der Fettimpletion ästige Formen beibehalten — primäre Fettgewebsbildung ohne (bedeutendere) Protoplasma- vermehrung 5) oder auch können, wie bei Ratte, Kaninchen, Meerschweinchen u. A. die auch hier Anfangs ästigen Zellen so bedeutend an Volumen zunehmen, dass sie sich. dieht an einander legen und polygonale Form annehmen, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — VON HANSEMANN. 163 Erst in diesen polygonalen Zellen tritt dann das Fett auf — primäre Fettgewebsbildung mit Protoplasmavermehrung. 6) Wo die Zellen protoplasmareicher sind, fliessen die Fetttropfen spät zusammen; die Zellen behalten lange eine maulbeerähnliche Form bei. 7) Bei grossen Thieren, z. B. der Ratte, bleiben die Zellen des primär gebildeten Fettgewebes regelmässig während des ganzen Lebens auf diesem Stadium stehen. Das Gewebe hat hier gewisse, vom gewöhnlichen (weissen) Fettgewebe abweichende makro- und mikroskopische Eigenthümlichkeiten: „Winterschlaf- oder Fettdrüse“* = braunes Fett. Man sieht leicht ein, dass die Angaben Hammar’s auf eine neue Definition des Fettgewebes hinauslaufen, die über die Toldt’schen Angaben über Fettgewebe, denen sich auch Ehrmann anschliesst, weit hinausgehen, Bevor wir auf die mikroskopischen und entwickelungsgeschichtlichen Verhältnisse eingehen, muss ich noch eine topographische Beziehung des Winterschlaforgans zur Wirbelsäule erwähnen. An der Stelle nämlich, wo der Rückenkörper sich befindet, bildet die Wirbelsäule eine starke Lordose, also zwischen den Schulterblättern im oberen Rückentheile. In dieser Lordose liegt der braune Rückenkörper dieser Thiere. Aeusserlich ist diese Bucht durch das Winterschlaforgan und durch den Fettlappen vollständig ausgefüllt, so dass sie erst hervortritt, wenn man einen Längsschnitt durch das Thier anfertigt, oder dasselbe skeletirt. Nun haben auch viele andere Thiere, z. B. Meerschweinchen und Kaninchen, eine solche Lordose, wenn auch geringer als die winterschlafenden Thiere, und auch hier liegt der grosse Fettkörper des Rückens. Aber diese Lordose entsteht in ganz an- derer Weise, nämlich erst nach der Geburt und zwar durch zwei Einflüsse. Einmal wirkt darauf die Mechanik des Laufens und zweitens die Impletion des Fettgewebes mit Fett. Bei Meerschweinchen, wo der Fettlappen schon intrauterin kurz vor der Geburt entsteht, ist auch die Lordose bei der Geburt schon angedeutet, verstärkt sich aber vom ersten Tage der Geburt an. Bei den winterschlafenden Thieren dagegen entsteht diese Lordose schon während der Entwickelung und zwar, wie man sich leicht überzeugen kann, durch das Auftreten des Winterschlaforgans, das zwischen Wirbel- säule und subeutanem Schleimgewebe sich entwickelt. Wenn man einen Rattenfötus vor dieser Zeit betrachtet, so ist von dieser Lordose noch nichts zu sehen. Sowie aber die Entwiekelung eingetreten ist, finden wir auch die Lordose. Sie beginnt bei Ratten von 16”" Länge. Dasselbe kann man bei Mäusen und bei Igeln sehen. Andere Winterschläfer habe ich in dieser frühen Periode nicht untersucht, doch ist anzunehmen, dass bei ihnen dasselbe eintritt. Die mikroskopische Structur des Organs wird von den Autoren im All- gemeinen richtig angegeben. Man kann dieselbe zunächst am besten bei abgemagerten Thieren studiren. Bei diesen Thieren tritt sofort ein sehr wesentlicher Unterschied von dem gewöhnlichen Fettgewebe hervor. Lässt man eine Ratte oder eine Maus verhungern oder untersucht man einen Winterschläfer am Schluss des Winters — ich nahm dazu Murmelthiere, Igel, Haselmäuse und Siebenschläfer —, so findet man, dass alles weisse Fett verschwunden ist und sich in eine lockere Bindesubstanz von äusserst geringen Dimensionen verwandelt hat. Das Winterschlaforgan hat sich dann zwar auch wesentlich verkleinert, aber es ist noch deutlich als brauner Körper sichtbar. Mikroskopisch sieht man nichts von einer Auflösung der I 164 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Zellstruetur. Im Gegentheil sind die Zellen sehr deutlich als polygonale Gebilde mit Kern sichtbar, deren Protoplasma sich nur sehr intensiv färbt und daher eine Abgrenzung der einzelnen Zellen nur gestattet, wenn man dünne Schnitte macht. Auch bei äusserster Abmagerung bleiben noch Spuren von Fett in den Zellen des Organs zurück, wenn auch sehr wenig. Bei den winterschlafenden Thieren verschwindet das Fett auch von Januar bis März nicht so vollständig, wie bei den kachektischen; dasselbe weist vielmehr nur eine starke Abnahme auf. Das Fett ist in den Zellen stets als eine grosse Zahl von Tropfen vor- handen, die keine grössere Neigung zum Zusammenfliessen haben, als z. B. bei der Fettinfiltration der Leber und bei weitem nicht so sehr wie bei dem gewöhnlichen Fettgewebe. Der Kern ist niemals an die Wand gedrückt, wie bei der Fettzelle, sondern liegt immer in der Mitte der Zelle. Wenn die Zellen nur mässig mit Fett gefüllt sind, so sieht man die Anordnung desselben in der Mitte der Zelle, so dass das Protoplasma vorzugsweise in der Peripherie liegt. Dadurch entstehen charakteristische netzförmige Figuren, wie dies schon Carlier richtig schildert. Selbst bei stärkster Fettfüllung verschwindet dieses Verhältniss nicht vollständig. Die Vergrösserung des Organs bis zum Herbst und die Verkleinerung während des Winters, beruht ebenso wie die Verkleinerung bei der Ab- magerung lediglich auf der Fettimpletion bezw. dem Schwund des Fettes. Be- sonders die älteren Untersucher, in erster Linie Valentin haben sich mit der Grössenschwankung des Organs intensiv beschäftigt und zahlreiche Messungen vorgenommen. Gerade das periodische Wachsthum des Organs machte den Forschern die grössten Schwierigkeiten. Man kann sich nun leicht überzeugen, dass das Wachsthum nicht durch Zellvermehrung, die Verkleinerung nicht durch Zellschwund zu Stande kommt. Mitosen findet man nur beim wachsenden Thiere, aber zu keiner Zeit beim ausgewachsenen in dem Organ. Degenerationsprocesse an den Zellen oder deren Kernen treten zu keiner Zeit auf. Messungen an den Zellen im fetten und im mageren Zustand bei Ratten, sowie im Herbst und im Februar bei winterschlafenden Thieren zeigen, dass die Zellen und somit das ganze Organ sich um ein Mehrfaches vergrössern, bezw. verkleinern können. Die Frage des Wachs- ihums ist also dadurch vollständig gelöst und dieses dadurch ausreichend aus der periodisch wechselnden Lebensweise der Thiere erklärt. Bei den Ratten, die nicht im Winter schlafen, bleibt das Organ immer gleich gross, vorausgesetzt, dass sie im gleichen Ernährungszustand erhalten werden. Es haben sich also für die morphologische Betrachtung sehr erhebliche Differenzen von Fettgewebe ergeben. Man könnte ebenso gut die Neben- nierenzellen, die Leberzellen oder die grossen Zwischenzellen der Hoden als Fettzellen bezeichnen, weil sie sich gelegentlich mit Fett ganz anfüllen. Besonders an den Leberzellen kann dadurch eine Structur entstehen, die dem wirklichen Fettgewebe vollkommen‘ gleicht. Vom morphologischen Standpunkte aus muss man also sagen, dass das Winterschlaforgan sich vom Fettgewebe unterscheidet und auch niemals in Fettgewebe übergeht, dass es aber ein Organ ist, welches vermöge seiner physiologischen Thätigkeit als Fettreservoir dient, wie es von allen Autoren bisher angenommen wurde. Wie verhält sich nun das Organ entwickelungsgeschichtlich? Ich habe das, wie auch Hammar, an Ratten studirt und kann seine Angaben voll- ständig bestätigen, in einigen Punkten ergänzen. Bei einem Rattenfötus PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — VON HANSEMANN. 165 von 16 "® fand ich die ersten Anfänge. Sie treten ziemlich gleichzeitig am Rücken und in der Achselhöhle auf, etwas später in der Gegend des Thymus. Der Streifen längs der Aorta scheint erst zuletzt zu entstehen, vielleicht wächst er von der Thymusgegend nach hinten allmählich vor. In der Inguinalgegend treten analoge Bildungen zu keiner Zeit auf. Das von Hammar hier beschriebene braune Fett ist echtes Fettgewebe -und als solches extrauteriner Bildung, Am Rücken ist die Entstehung am charakteristischsten. Hier kommt von aussen nach innen zuerst die Epi- dermis, dann die fötale Cutis, dann ein Schleimgewebe, das spätere Fett- sewebe, dann eine dünne Muskelschicht, die das Platysma darstellt, und darunter erst das Winterschlaforgan, das also zwischen dem Platysma und den grossen Rückenmuskeln liegt. Schon von den ersten Anfängen charak- terisiren sich die Zellen in derselben Weise, wie später als grosse poly- gonale, diehtgedrängte Gebilde, die aus der Bindesubstanz hervorgehen und sich von den benachbarten Theilen immer ganz scharf absetzen. Man kann schon sehr frühzeitig die einzelnen Lappen unterscheiden. Schon vor der Entwickelung dieser Zellen fallen die grossen Gefässe dieser Gegend auf, die bei anderen Thieren und auch beim Menschen in dieser Gegend nur unansehnliche Gebilde sind. Besonders viele fast lakunär erweiterte Venen. Dieselben sammeln sich zu zwei Stämmen, die jederseits um die Wirbelsäule herumbiegen, sich zu einem Gefäss an der Vorderfläche der Wirbelsäule vereinigen, das nun direct in die Vena cava superior mündet. Dies Gefäss ist noch beim erwachsenen Thiere als grosse Vene vorhanden und lässt sich leicht vom rechten Herzen aus injieiren und dann durch Prä- pariren darstellen. Ich glaube, dass von der Existenz bezw. von der Ent- wickelung dieser Gefässe die Differenzirung der Bindesubstanzzellen dieser Gegenden zu einem besonderen Organ abhängig ist und dass das Organ nur bei denjenigen Thieren zur Entwickelung kommt, bei denen diese Ge- fässe besonders stark ausgebildet sind. Diese Venen fliessen zusammen aus einem feinen Netzwerk von Capillaren, das zwischen den Zellen fein vertheilt ist und einen hervorragenden Unterschied von Fettgewebe darstellt. Man sieht also, dass auch entwickelungsgeschichtliche Differenzen zwi- schen dem Winterschlaforgan und dem gewöhnlichen Fettgewebe bestehen, die mir ebenso erheblich erscheinen, wie diejenigen der Milz- und der Rindensubstanz der Nebenniere, die ebenfalls desmoiden Ursprungs sind. Diese Unterschiede erstrecken sich auf die Localisation der Entwickelung und auf ihre Art der Zellenbildung, die in einer über das Wachsthum der Thiere hinausgehenden Zelltheilung und in einer besonderen Differenzirung beruhen. Ich möchte glauben, dass es für die Klarheit unserer Sprechweise deshalb nicht vortheilhaft ist, das Organ als eine besondere Art von Fett- gewebe zu bezeichnen, sondern ich möchte diese Differenzen auch in dem Namen zum Ausdruck bringen. Alle Namen, die sich mit „Drüse* zu- sammensetzen, sind dazu ungeeignet, da es sich thatsächlich nieht um eine Drüse nach unserer modernen Definition handelt, die immer voraussetzt, dass etwas in einen Hohlraum secernirt wird (mit oder ohne Ausführungs- gang). Ich sehe also von „Blutgefässdrüse“ oder „Fettdrüse* ab. Die Bezeichnung als „Organ“ erscheint mir am unverbindlichsten, und da that- sächlich die enge Beziehung zum Winterschlaf besteht, so kann man ge- trost „Winterschlaforgan“ sagen und wird damit allen Ansprüchen gerecht werden. 166 VERHANDL. D. BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — VON HANSEMANN. Ich möchte nun glauben, dass dieses Winterschlaforgan ein ganz be- sonders günstiges Object ist, um auch manche andere Fragen, z. B. über die Fettbereitung im Körper zu studiren, besonders da wir in den Ratten sehr bequeme Versuchsthiere in beliebiger Quantität besitzen. Auch in dieser Richtung erlaube ich mir das Winterschlaforgan ganz besonders Ihrer Beachtung zu empfehlen. Litteraturverzeichniss. Hammar, Waldeyer’s Archiv. 1895. Bd. XLV. Velsch, Ephemerid. acad. nat. cur. 1670. Ann.I. Dez. 1. Harder, Zbenda. 1686. Ann. IV. Dez. 2. Sulzer, Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters. Göttingen 1774. Scheuchzer, Philosoph. Transact. Vol. XXXIV. Pallas, Novae species quadrupedum e glirium ordine. Erlangen 1784. Meckel, Abhandlungen aus der menschlichen und vergleichenden Anatomie. Halle 1806, — S.a. Zusatz zu der Arbeit von Tiedemann. Prunelle, Ann. du museum d’hist. nat. Paris 1811. T. XVII. 9. Mangili, "Ebenda. T. XVII. 10. Tiedemann, Meckel’s Archiv. 1815. Bd.1. 11. Burdach, Die Physiologie der Erfahrungswissenschaft. 1830. Bd. II. 12. Simon, 4 phys. essai on the thymus gland. London 1845. 13. Valentin, Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. 1857. Bd. 11. 14. Leydig, Lehrbuch der Histologie. Frankfurt a. M. 1857. 15. Jakobson, Meckel’s Archiv. 1817. Bd. III. 16. Haugstedt, Thymi in homine ac per serium animalium descript. anat.- phys. partieula prior. Hanniae 1831. 17. Marshall Hall, Phys. Trans. 1832. 18. Ehrmann, Sitzungsber. der Wiener Akad. III. Abth. 1883. Bd. LXXXVI. 19. Poljakoff, Waldeyer’s Archiv. 1888. Bd. XXXI. 20. Carlier, Journ. of Anat. and Phys. 1893. Vol. XXVL. 21. Ecker, Wagner’s Handwörterbuch. Art. „Blutgefässdrüsen“. 22. Barkow, Der Winterschlaf nach seinen Erscheinungen im Dhierreich. Berlin 1846. 23. Friedleben, Physiologie der Thymusdrüse. Frankfurt a. M. 1858. 24. Affanasiew, Waldeyer’s Archiv. 1877. Bd. XIV. 25. Stannius, Beobachtungen über Verjüngungsvorgänge im thierischen Orga- nismus. Rostock und Schwerin 1853. 26. Hirzel und Frey, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 1863. Bd. XL. 27. Fleischl, a der Wiener Akad. 11. Abth. 1869. Bd. LX. AR Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie‘ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen Stärke in gr. 8 mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandiung 12 .# 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“, vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt: den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Gentralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte, Preis des Jahrganges 24 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 .# direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infeetionskrankheiten. Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Institute 0,6. Professor und Direetor für Infectionskrankheiten des hygienischen Institute der zu Berlin, Universität Breslau. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. ' 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W.His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt. bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 ©#, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig, GER En u ar 2 FE N nf - Physiologische Abtheilun.. 1902. IH. u. IV. Heft. ARCHINV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, lORTSETZUNG DES VON REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vu. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. ' —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. —= DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT ACHTZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT. | 7 LEIPZI6, VERLAG VON VEIT & COMP. 1902. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 9. Mai 1902.) In.hat. Seite J. RosEnTHaL, Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel . . . . 167 G. GALEOTTI, Ueber die Arbeit, welche die Nieren leisten, um den osmotischen Druck des Blutes auszugleichen . . . . EEE FAN) J. W. LanGELaan, Weitere Untersuchungen über Muskeltonns SI ‚243 W. v. BECHTEREw, Ueber die ‚certicalen secretorischen Centra der widhttesten Verdauungsdrüsen . . . 5 5 264 JOHANNES FRENTZEL und Max Scheuer, Vo nungen Bar tar logischer Nutzwerth der Nährstoffe. III. Abhandlung: Der Nutzwerth des Eleisches) « ..} LINE a FO J. DEWITZ, Unleruchunoen. üben die Verwandlung den Tngektenlärvenl. DEREN EN SH Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1901—1902 . . . 341 Cowı, Röntgennegative der oberen Brustapertur des erwachsenen Menschen. — P. Mayer, Ueber Glucuronsäureausscheidung. — F. BLUMENTHAL, Ueber Indoxylurie. — JoACHIMSTHAL, Ueber Structur, Lage und Anomalien der menschlichen Kniescheibe. — M. Bıar, Ueber den physikalisch-chemischen Mechanismus der antiseptischen Wirkung verdünnter Säuren. — ALBERT NEUMANN, Ueber eine einfache Methode der Eisenbestimmung bei Stoff- wechselversuchen. — A. Macnus-Levy, Ueber den Aufbau der hohen Fett- säuren aus Zucker. — H. VırcHow, Ueber Einzelmechanismen am Hand- gelenk. Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 #7 Honorar für den Druckbogen.. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die Eliy-tologisehs Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die. dem Lithographen als Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizufügen. Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel. Von J. Rosenthal. (Aus dem physiologischen Institute zu Erlangen.) Erster Artikel. Aufnahme und Verbrauch des Sauerstoffs. Bei Gelegenheit meiner Mittheilungen über.Calorimetrie habe ich aus- einandergesetzt, warum ich bei der Untersuchung des respiratorischen Stoffwechsels die anfänglich benutzte Methode von Pettenkofer aufgegeben und mich ausschliesslich des von Regnault und Reiset ausgearbeiteten Verfahrens bedient habe. Ich habe auch schon dort! sowie in einer an die physiologische Gesellschaft gerichteten Mittheilung? den von mir zu diesem Zweck construirten Apparat in seinen Grundzügen beschrieben und die- jenigen Verbesserungen angegeben, welche theils zur Vereinfachung des Verfahrens, theils zur Erzielung genauerer Ergebnisse beitragen: In den folgenden Mittheilungen beabsichtige ich, auf einige wichtige Fragen der Physiologie des respiratorischen Stoffwechsels, zunächst ohne Rücksicht auf die mit ihnen zusammenhängenden Fragen der Calorimetrie, näher einzu- gehen. Ich werde dabei Gelegenheit haben, Verbesserungen des Verfahrens, welche ich seitdem erprobt habe, zu erwähnen. Vor Allem aber liegt mir daran, zu zeigen, dass bei der quantitativen Bestimmung des respirato- rischen Stoffwechsels eine grössere Genauigkeit erreicht werden kann, als sie die bisher benutzten Methoden zuliessen, und dass damit einige physio- logisch wichtige Fragen einer bestimmteren Lösung zugänglich werden. 1 Ich verweise besonders auf den 5. und 7. Artikel meiner calorimetrischen Unter- suchungen. Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 236; 1897. 8.173. 2 Ebenda. 1898. 8. 271. 168 J. ROSENTHAL: I. Der Respirationsapparat. Der Apparat von Regnault und Reiset ist so bekannt, dass ich auf eine Schilderung desselben nicht einzugehen brauche.! Mit ihm stimmt der meinige im Prineip überein, ist jedoch im Betrieb einfacher und dabei, lank der Vervollkommnung der gasanalytischen Methoden, eines vielseitigen Gebrauches fähig. Namentlich hervorzuheben ist die Möglichkeit, lang ausgedehnte Versuche in eine Reihe von kürzeren Einzelversuchen zu zer- legen und damit zeitliche Veränderungen der O,-Aufnahme oder CO,-Abgabe im Einzelnen zu verfolgen, mögen dieselben durch physiologische Zustände des Versuchsthieres (Verdauung u. s. w.) bedingt sein oder durch absicht- lich herbeigeführte Veränderungen der Bedingungen (z. B. Zusammensetzung der. umgebenden Luft) herbeigeführt werden. Wir haben zu unterscheiden: 1. den Raum, in welchem das Versuchsthier sich befindet; wir wollen ihn kurz den Athem- oder Luftraum nennen; 2. die Ventilationsvorrichtung; 3. die Vorrichtungen zur quantitativen Bestimmung des vom Thier verbrauchten O, und der von ihm ausgegebenen Respirationsproducte. Der Athemraum ist in meinen calorimetrischen Untersuchungen an den oben angegebenen Stellen dieses Archivs geschildert worden. Ich be- schränke mich daher darauf, hier eine schematische Skizze desselben zu geben mit Fortlassung aller für unseren jetzigen Zweck unwesentlichen Theile. Das Thier befindet sich in einem grossmaschigen Drahtkäfig inner- halb des kupfernen Cylinders 44 BB, welcher durch die anzuschraubende Thür C luftdicht geschlossen werden kann. Von den Wandungen ist der Käfig durch den dünnwandigen Einsatz EBFF getrennt. Durch die Venti- lationsvorrichtung wird die Luft in stetiger kreisender Bewegung erhalten, so dass sie an der Rückwand bei s, in den Luftraum eintritt, denselben vorn bei #/F verlässt, durch den Zwischenraum zwischen Einsatz und äusserer Wandung nach hinten streicht und bei s, abgesogen wird. Der Cylinder 4ABB ist noch von einem Luftmantel umhüllt, und das Ganze liegt in einem Wasserkessel. Durch passende Vorrichtungen, wegen deren ich auf die angeführte Abhandlung verweise, kann die Temperatur des Appa- rates während der Dauer des Versuches constant erhalten werden. Das Volum des Athemraumes beträgt rund 40 Liter. ‘ Man findet die Beschreibung in Annales de chimie et de physique. 1849. (3) T. XXIV. p. 299 und 1863. (3) T. LXIX. p. 129, sowie in den Annalen der Chemie und Pharm. 1850. Bd. LXII. Kürzere Beschreibungen enthalten viele Lehr- und Hand- bücher der Physiologie, z. B. Zuntz, Physiologie der Blutgase und des respiratorischen Gaswechsels, in Hermann’s Handbuch. Bd. IV. 2. 8. 120 ff. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 169 Die Ventilation wird durch Quecksilberpumpen unterhalten, zu deren Betrieb der von mir ursprünglich für den Zweck der künstlichen Athmung construirte Apparat dient.’ Da zwei solcher Pumpen abwechselnd saugen und drücken, wobei die Luftbewegung durch Ventile geregelt wird, so entsteht eine continuirliche, nahezu gleichmässige Luftströmung in der soeben angegebenen Richtung. Die Pumpen können bis zu 360 Liter in der Stunde in Bewegung setzen, was einer neunmaligen Erneuerung der im Athemraum enthaltenen Luft entspricht. ? Fig. 1. Absorption des H,O und CO,. Die bei s, aus dem Thierraum aus- tretende Luft wird unmittelbar hinter s, durch einen mit Bimssteinstücken und Schwefelsäure beschickten Thurm geleitet, in welchem sie allen aus dem Thierraum mitgenommenen Wasserdampf abgiebt, dann durch mehrere mit ! Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 249. ? Statt des Respirationsapparates kann natürlich auch irgend ein anderer- moto- rischer Apparat zur Bethätigung der Quecksilberpumpen benutzt werden. Die An- wendung jenes Apparates empfiehlt sich, weil zum Betrieb desselben nur Wasserdruck erforderlich ist, über welchen jedes Institut immer zu verfügen hat. 170 J. ROSENTHAL: Kalilauge beschickte Absorptionsflaschen, in denen sie von CO, befreit wird.! So gereinigt passirt sie die Quecksilberpumpen und kehrt wieder durch s, in den Athemraum zurück. Sie kommt auf diesem Wege ausschliesslich 270) mit Glas und Metall in Berührung, so dass irgend welche Verunreinigung ausgeschlossen ist. Die nothwendigen Verbindungsröhren bestehen aus ! Auf diesen die quantitative Bestimmung des fortgeführten H,O und CO, be- treffenden Theil der Einriehtung werde ich später zurückkommen. H a | 170 = T u N - D Er karl F 7 % = = DREES n q ee ID Fig. 2. | | | UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 171 Blei und sind durch sichere Verschraubungen mit einander verbunden. Kautschukröhren und andere dem Undichtwerden ausgesetzte Verbindungen sind durchweg vermieden. Die beiden Röhren, durch welche die Luft aus den Quecksilberpumpen austritt, vereinigen sich zu einem gemeinschaftlichen Rohr, welches die Luft nach s, hinleitet. In dieses mündet seitwärts ein anderes, durch einen Hahn absperrbares Rohr ein, durch welches O, aus grossen Gas- behältern in den Athemraum eintreten kann. Die Bedeutung dieses Ab- sperrhahnes wird später hervorgehoben werden. Die Anordnung der Sauerstoffbehälter und die Art, wie in ihnen der erforderliche. Druck unterhalten wird, ist in Fig. 2 schematisch dar- gestellt. Eine Reihe von oben und unten conisch zugespitzten Oylindern CC, ..., deren jeder etwa 20 Liter Gas aufnehmen kann, sind durch me- tallische Kappen, an denen Hähne angebracht sind, mit je einem oberen und unteren horizontalen Rohr verbunden. Das obere Rohr ist für die Zu- und Ableitung des Gases bestimmt, das untere für die Zu- und Ableitung des Füllwassers. Für letzteren Zweck ist das untere Rohr mit einem Füll- eylinder F verbunden, welcher höher ist als die O,-Behälter. Um die Behälter mit O, zu füllen, werden sie zuerst von dem Füll- cylinder her ganz mit Wasser gefüllt, während die in ihnen enthaltene Luft durch das obere Rohr entweicht. Dann verbindet man dieses Rohr unter Zwischenschaltung einer Waschflasche W mit dem Ausgangshahn einer Bombe 2, in welcher sich comprimirter O, befindet, und lässt das Gas von oben in die Behälter eintreten, während das Wasser unten bei /, oder //, abläuft. Zwischen der O,-Bombe und der Waschflasche ist noch ein Regulir- hahn Ä eingeschaltet, welcher gestattet, trotz des hohen Druckes in der Bombe, das Gas in langsamem Strome in die Behälter überzuleiten.! Durch passende Einstellung des Ablasshahnes für das Wasser hat man es in der Hand, während der Füllung den Druck in den O,-Behältern auf einer be- liebigen Höhe zu erhalten. Ein mit dem oberen Rohr communicirendes Manometer M gestattet die Ablesung dieses Druckes. Sind die Behälter gefüllt, so werden der Hahn der Bombe und der Ablaufhahn für das Wasser geschlossen. Um jetzt das Gas unter den für das Nachrücken in den Athemraum erforderlichen Druck zu versetzen, lässt man von dem Druckgefässe D her, in welchem das Wasser stets auf einer ! Dieser Regulirhahn, welcher sich für alle Arbeiten mit stark comprimirten (Gasen als sehr zweckmässig bewährt hat, ist auf meine Veranlassung von Hrn. Richar.d Hennig, Mechaniker am hiesigen physiologischen Institut, construirt worden. Ich füge eine Abbildung (S. 172) dieses ausserordentlich nützlichen Hülfsmittels bei. Eine Beschreibung desselben findet sich im Vereinsblatt der deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik (Beiblatt zur Zeitschrift für Instrumentenkunde). 1897. S. 194 IN2 J. ROSENTHAL: durch Einstellung des Ueberlaufrohres «= willkürlich einzustellenden Höhe erhalten wird, Wasser in das Füllrohr / fliessen, aus welchem es in die Oylinder € übertritt. Aus diesen wird das Gas durch den Hahn 4, weiter getrieben, sobald der Druck in den Cylindern €’ hoch genug ist, um die entgegenstehenden Widerstände zu überwinden. Das ist wegen der gleich zu erwähnenden eingeschalteten Apparate der Fall, sobald der Druck in den O,-Behältern um etwa 40 m Wasser höher ist als im Athemraum. Der aus den Cylindern © austretende Sauerstoff geht zunächst durch eine gut geaichte Präcisionsgasuhr!, welche Ablesungen bis auf 2°°m gestattet, dann durch eine Waschflasche mit concentrirter SO,H,, dann durch einen mit Bimssteinstücken und Schwefelsäure beschickten Trockenthurm, und ge- langt, von Wasserdampf befreit, in den Luftraum. Die Waschflasche ge- währt die Möglichkeit, durch die bei ihr sichtbaren durchtretenden Gas- Fig. 3. blasen die regelmässig vor sich gehende O,-Zufuhr zum Luftraum stets zu controliren. Alle Gasleitungen von den Behältern bis zum Luftraum be- stehen aus Metallröhren, und ihre Theile sind entweder durch Verlöthungen oder durch sichere Verschraubungen mit einander verbunden. Hat man in den O,-Behältern einen Druck erzeugt, welcher um etwa 40 m höher ist als derjenige im Athemraum, so strömt O, in den Luft- raum ein. Da in Folge dessen auch der Druck im Luftraum steigt, so muss der Eintritt von O, wieder aufhören. Nun verbraucht aber das Thier fortwährend O,, während das von ihm ausgegebene CO, durch die Venti- lation und Absorption in den vorgelegten Kaliflaschen beseitigt wird. Es muss also wieder O, aus den Behältern C nachrücken, und zwar genau ent- sprechend dem O,-Verbrauch durch das Thier, wenn man nur dafür sorgt, dass der Druck des O, in den Behältern constant bleibt. ! Aus der Fabrik von Sigmar Elster, Berlin. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 175 Dazu dient der Fülleylinder # in Verbindung mit der Waschflasche W. Der Fülleylinder ist oben durch eine Metallkappe abgeschlossen, welche von dem Wasserzuflussrohr / durchbohrt wird und ausserdem das F-Rohr 4 träet. In dieses Füllrohr fliesst Wasser aus dem höher stehenden Druckgefäss , in welchem das Niveau constant erhalten wird, tritt aus 7 von unten her in die O,-Behälter und setzt das in diesen befindliche Gas unter Druck. Sind diese Behälter, wie es in Fig. 2 bei dem einen Oylinder (C,) darge- stellt ist, etwa zur Hälfte mit Gas gefüllt und ist der Wasserstand in # und in den O,-Behältern auf gleiche Höhe gebracht, so steht das Gas in den Behältern unter dem gerade herrschenden Barometerdruck. Lässt man jetzt aus dem Druckgefäss D Wasser nach / fliessen, so wird der Gas- druck in den Behältern erhöht und Gas kann aus diesen in den Luftraum übertreten. Wäre 7 oben offen, so würde das Fliessen des Wassers unbe- hindert weiter gehen und der Gasdruck in den Behältern stetig steigen. Ist # oben geschlossen, so wird mit dem Steigen der Wassersäule in 7 die über dieser stehende Luft comprimirt; das Fliessen des Wassers hört dann auf, sobald der Druck dieser abgesperrten Luft dem Höhenunterschied zwischen der Oberfläche des Wassers in D und der unteren Mündung von Z gleich geworden ist. Da aber auch in den Cylindern €’ das Wasserniveau steigt, was wiederum auf 7 zurückwirkt, so würde der Gasdruck in diesem steigen, und damit der Wasserzufluss geringer werden. Um diesen Fehler zu beseitigen, ist der eine Schenkel des F-Rohres 4 durch einen Gummischlauch mit einem Glasrohr y verbunden, welches in ein weites Steigrohr » der Waschflasche W eingeführt ist. Dieses Steigrohr verhält sich wie ein Mano- meter; je höher der Gasdruck in den O,-Behältern steigt, desto höher steigt auch das Wasser in jenem. Wird das Glasrohr g, wie es die Figur zeigt, bis zum Niveau des äusseren Wassers in der Waschflasche eingesenkt, so kann aus / nur Luft entweichen, wenn der Druck dieser Luft grösser wird als der in den O,-Behältern herrschende. Er kann aber auch nicht merklich grösser werden; denn sobald dies geschieht, entweicht Luft aus #. Mithin bleibt der Widerstand, welchen das aus D kommende Wasser an der Mündung von Z findet, immer der gleiche. Das Wasser fliesst deshalb aus D nach F immer genau in dem Maasse nach, als das Gas aus den Behältern in den Luftraum übertritt, und der Druck des O, bleibt constant, wie gross auch der Verbrauch des O, durch das Thier sein möge. In den vielen Jahren, in denen ich bis jetzt mit diesem Apparate arbeite, hat er sich durchaus in allen Stücken bewährt. Dabei ist er so verwickelt er auch auf den ersten Blick scheinen mag, mit den aller- einfachsten Mitteln aufgebaut, deren Beschaffung selbst solchen Instituten, welche nicht über reichliche Hülfsmittel verfügen, nicht schwer fallen dürfte. Ich glaube deshalb, dass durch meine Anordnung die Schwierigkeiten, welche 174 J. ROSENTHAL: bisher der Verwendung der Regnault-Reiset’schen Methode im Wege standen, behoben sind, und dass sie sich mehr als bisher in den phy- siologischen Instituten einbürgern wird, ! 2. Gang der Versuche Nothwendigkeit der Analysen. Das an der Gasuhr abgelesene, aus den O,-Behältern in den Luftraum übergetretene Volum entspricht aus zwei Gründen nicht genau dem von dem Thier verbrauchten O,. Erstens ist der Sauerstoff, wie er in Stahl- bomben comprimirt käuflich bezogen werden kann, niemals rein, sondern enthält durchschnittlich etwa 5 Procent fremde Bestandtheile, der Hauptsache nach Stickstoff, welcher sich ihm bei der Compression beigemischt hat, unter Umständen auch, wenn .er auf elektrolytischem Wege gewonnen wurde, etwas Wasserstofl. Sind also von einem Thier in einer bestimmten Zeit, sagen wir 10 Liter O, aufgenommen worden, so sind zwar dafür auch 10 Liter Gas aus den Behältern nachgerückt; aber diese 10 Liter enthalten nur 9-5 Liter O,. Demnach muss nach dieser Zeit der im Athemraum vorhandene Sauerstoff um 500 °" abgenommen haben und wird bei Fort- setzung des Versuches immer weiter in demselben Verhältniss abnehmen. Hierauf muss bei der Berechnung der wahren O,-Aufnahme Rücksicht ge- nommen werden. Zweitens kann selbst bei der lebhaftesten Ventilation niemals alles vom Thier ausgeathmete CO, von den vorgelegten Kaliflaschen absorbirt werden. Dadurch entsteht in dem Luftraum eine Ansammlung von CO, bis zu einem bestimmten Maximum, auf welchem er dann so lange unverändert sich er- hält, als sich die CO,-Production und die Ventilation nicht ändern. Um das Volum dieses sich im Athemraum ansammelnden CO, wird also im Anfang des Versuches, d. h. bis zur Erreichung des durch die Ventilation be- dingten CO,-Maximums, das in den Athemraum eintretende O,-Volum hinter dem Verbrauch zurückbleiben. Nehmen wir z. B. an, ein Thier producire in einer Stunde 3 Liter CO, ; die Ventilation betrage 360 Liter in der Stunde, die Absorption des CO, sei eine vollkommene, so dass die in den Apparat aus den Pumpen zurück- kehrende Luft vollkommen CO,-frei wäre. Dann vertheilen sich die 3 Liter CO, auf 360 Liter, d. h. der Gehalt steigt bis auf 0-833 Procent, was für den gesammten Luftraum 333-3 m ausmacht. Um so viel wird dann der Sauerstoffzufluss aus den Behältern hinter dem Sauerstoffverbrauch zurück- bleiben. ! Sämmtliche bisher beschriebenen, sowie die gleich zu beschreibenden Einrich- tungen zur Gasanalyse können von dem Mechaniker des physiologischen Institutes zu Erlangen, Hın. Richard Hennig, bezogen werden. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 175 In der That habe ich in meinen Versuchen den CO,-Gehalt ungefähr in dieser Höhe gefunden, meist schwankte er zwischen 0-6 und 1 Procent nur sehr selten überstieg er den letzten Werth. Die viel höheren Werthe, welche bei Regnault und Reiset sowie bei dem von Hoppe-Seyler construirten Apparat des Strassburger physiologisch-chemischen Institutes vorkommen, rühren offenbar von ungenügender Ventilation her.! Um trotz dieser beiden Fehlerquellen dennoch die von dem Thier auf- genommene Menge von OÖ, genau kennen zu lernen, muss man daher noch Analysen machen, sowohl von dem O,, welcher die Gasuhr passirt hat, wie von der Luft, in der das Thier athmet. Dadurch gestaltet sich ein Versuch in folgender Weise. Angenommen, das Thier befinde sich schon seit einiger Zeit im Ap- parat und es sei beabsichtigt, die O,-Menge zu bestimmen, welche es in einer bestimmten Zeit, sagen wir von 10 Uhr Vormittags bis 2 Uhr Nach- mittags, aufnimmt. Um 10 Uhr wird die Zufuhr von O, zum Luftraum durch Umdrehen des im vorigen Paragraphen erwähnten Hahnes abgesperrt, dann eine Luftprobe aus dem Thierraum und eine aus den O,-Behältern entnommen, der Stand der Gasuhr, Temperatur und Druck notirt, schliess- lich der Gashahn wieder geöffnet. Um 2 Uhr wird wieder der Hahn ge- schlossen, der Stand der Gasuhr, Temperatur und Druck der Gase notirt, sodann werden abermals Proben entnommen. Während der kurzen Zeit, in welcher der O,-Zutritt verhindert ist, nimmt natürlich der O,-Vorrath im Athemraum ein wenig ab. Ein Fehler in der Bestimmung des vom Thier aufgenommenen 0, kann aber dadurch nicht entstehen. Denn da wegen der O,-Abnahme auch der Druck im Athemraum etwas sinkt, tritt un- mittelbar nach dem Wiederöffnen des Hahnes gerade so viel O, wieder in den Athemraum ein, als zur Wiederherstellung des früheren Druckes nöthig ist. Die Angaben der Gasuhr zusammen mit den gleich zu besprechenden Analysen bieten daher alle Elemente, aus denen der wirkliche O,-Verbrauch berechnet werden kann. Soll sich an diesen Versuch ein anderer anschliessen, ! Dass CO, in dieser Menge, ja bei noch viel höherem Procentgehalt, für das normale Befinden der Versuchsthiere ganz bedeutungslos ist, brauche ich nieht erst zu sagen. Bei der quantitativen Bestimmung der CO,-Production muss man aber natürlich auf die im Luftraum sich ansammelnden Mengen von CO, und seine etwaigen Schwankungen Rücksicht nehmen. Andere gasförmige Stoffe, auf deren Ausscheidung manche Forscher Gewicht legen, wie Stickstoff und Kohlenwasserstoffe, habe ich bei meinen Versuchen niemals in merklichen Mengen beobachtet. Ich muss daher auch mit Nachdruck betonen, dass die Versuchsthiere selbst bei längerem Verweilen im Apparat vollkommen gesund bleiben, und dass die Zusammensetzung der Atmosphäre im Luftraum keinen anderen Veränderungen unterliegt, als denen, welche im Text besprochen worden sind. Ueber den Apparat von Hoppe-Seyler siehe Zeitschr. für physiolog. Chemie Bd. XIX. 8.574 und 590. 176 J. ROSENTHAL: so wird der Gashahn wieder geöffnet und damit der neue Versuch einge- leitet. Auf diese Weise kann man die Versuche beliebig lange fortsetzen, indem jeder Versuch von dem vorhergehenden und nachfolgenden durch vorübergehendes Absperren der O,-Zufuhr und die Entnahme der Proben abgegrenzt wird. Für die Berechnung des O,-Verbrauches während der 4 Stunden hat man demnach folgende Angaben: Aus dem Stand der Gasuhr um 10 und um 2 Uhr ergiebt sich das Volum des in den Luftraum eingetretenen Gases. Nach Reduction auf 0° und 760”= und mit Berücksichtigung der Analysen findet man die abso- lute Menge reinen Sauerstoffs, welcher während dieser Zeit in den Luftraum übergetreten ist. Inzwischen hat sich die Zusammensetzung der Luft im Luftraum etwas geändert. Hierüber belehren uns die Analysen der Luftproben, welche bei Beginn und bei Schluss des Versuches entnommen wurden. Aus ihnen können wir berechnen, wie viel reiner O, im Luftraum zu diesen beiden Zeit- punkten vorhanden war. Die Differenz dieser beiden Werthe zu dem obigen binzu addirt, giebt nach Abzug des durch die erste Probe dem Luftraum entzogenen O, den ganzen Werth des vom Thier verbrauchten Sauerstoffs. Unter diesen Umständen war es von der grössten Wichtigkeit, die Einrichtungen für die Sauerstoffanalysen derartig zu treffen, dass sie mit möglichst geringem Zeitaufwand angestellt werden konnten und eine hinlängliche Genauigkeit gewährten, um die durch sie veranlassten Fehler in möglichst engen Grenzen zu halten. Anfänglich führte ich die zu analysirenden Gasproben unmittelbar in das Eudiometer ein, in welchem die Analyse vorgenommen wird. Da es aber schwer zu verhindern ist, dass nicht gelegentlich eine Analyse durch irgend ein Versehen verunglückt, während man auch den gut gelungenen . Analysen es nicht ansehen kann, welcher Grad von Zuverlässigkeit ihnen zukommt, so habe ich später die Einrichtung getroffen, dass eine zu meh- reren Analysen ausreichende Probe zunächst in einem sogenannten Probe- rohr aufgesammelt wird, aus welchem sie sodann erst in das Eudiometer gelangt. Das bietet ausserdem den Vortheil, dass die Analysen je nach den Umständen entweder sofort oder erst später und mit der nöthigen Ruhe vorgenommen werden können, was besonders dann von Werth ist, wenn viele kurzdauernde Versuche schnell hinter einander angestellt werden sollen, wovon wir später Beispiele kennen lernen werden. Das Verfahren zur Entnahme der Luftproben aus dem Luftraum ge- staltet sich daher bei der jetzigen Einrichtung folgendermaassen: Die Luft- probe (etwa 400°") aus dem Luftraum wird durch Entleerung einer mit Quecksilber gefüllten Kugel aus dem Luftraum angesogen, ihr Volum ge- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 177 messen und ihr Gehalt an CO, bestimmt.! Dann wird diese Luft in das oben erwähnte Proberohr übergeführt, um für die Analysen des O,-Gehaltes zu dienen. Mehrere solche Proberohre sind in einem Gestell derart vereinigt, dass jede Luftprobe in einem derselben an- gesammelt werden kann. Ihre Einrichtung wird aus Fig. 4 klar werden, welche eines der- selben im Längsschnitt schematisch darstellt. Die Proberohre sind oben und unten mit an- geschmolzenen Hähnen und durch diese mit den Röhren >,, r,, r, verbunden. Die Gestalt der Bohrungen dieser Hähne ist aus der Figur ersichtlich. Rohr r, steht durch einen langen Gummischlauch mit einer Druckflasche in Ver- bindung. Wird diese hochgestellt, so können sämmtliche Proberöhren mit Wasser gefüllt werden, während die in ihnen enthaltene Luft (bei passender Stellung der oberen Hähne) durch eines der beiden Rohre r, oder r, ent- weichen kann. Durch Drehung der Hähne wird das Wasser in den Proberöhren oben und unten abgesperrt. Jetzt wird Rohr r, mit dem oben er- wähnten CO,-Eudiometer, Rohr r, mit dem gleich zu erwähnenden O,-Eudiometer verbunden. Soll eine Sauerstoffanalyse gemacht werden, so wird der obere Hahn 4 in die Stellung ge- bracht, wie sie in Fig. 4 gezeichnet ist, bei welcher die Röhren r, und r, mit einander communiciren, das Proberohr dagegen abgesperrt ist. Etwa 30cm der schon auf CO, unter- suchten Luftprobe werden durch die Röhren getrieben, um diese von der in ihnen von früheren Versuchen her enthaltenen Luft zu säubern.” Durch Drehung des Hahnes 4 um 120° nach links wird vr, mit ? im Verbindung 2 Fig. 4. gebracht; die Luftprobe wird in / aufgesammelt und abgesperrt. Soll die Analyse vor sich gehen, so wird Hahn 4 in die Stellung gebracht, bei welcher ? mit r, communiceirt, so dass die Luftprobe in einzelnen Portionen in das O,-Eudiometer übergeführt werden kann. ! Auf diesen Theil des Verfahrens werde ich später zurückkommen. * Die Röhren r, und r, sind enger, als sie in der Zeichnung erscheinen, so dass 30 °® genügen, um das Verdrängen der alten Luft zu bewirken. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 12 178 J. ROSENTHAL: Jedes der Proberohre fasst etwa 370°", nimmt also die zur Analyse aus dem Luftraum entnommene Luftmenge nach Abzug der CO, und der zum Ausspülen der Röhren verwendeten 30“® auf. Da zu jeder Analyse rund 50°" verwendet werden, so genügt jedes Proberohr für 7 Ana- lysen. Selbst in dem höchst selten eintretenden Fall, dass zwei von diesen Analysen durch Unfälle unbrauchbar werden, behalten wir also noch fünf Analysen, deren mittlerer Werth zur weiteren Berechnung benutzt werden kann. Das Weitere siehe im folgenden Paragraphen. Ehe ich zur Besprechung der eigentlichen Luftanalysen übergehe, muss ich noch auf einen Punkt aufmerksam machen. Wenn zu Anfang eines Versuches 400°" Luft aus dem Luftraum zur Analyse entnommen werden, so wird demselben auch eine diesem Volum entsprechende Menge von O, entzogen, welche wir nicht auf die Rechnung des Thieres schreiben dürfen. Gleichzeitig aber sinkt auch der Druck im Luftraum, und zwar da dieser rund 40 Liter fasst, um Y/,., Seines Werthes. In Folge dessen dringen auch etwa 400 «= O, aus den O,-Behältern in den Luftraum ein, ganz unabhängig von dem O,-Verbrauch des Thieres. Diese 400 °“® werden von der Gasuhr angegeben und bei der Messung des O,-Verbrauches mit- gezählt. Ein Fehler in der Berechnung des Verbrauches kann aber durch diese Umstände nicht veranlasst werden. Denn soweit der Ueberschuss von eingetretenem ÖO, über den entzogenen vom Thier nicht verbraucht wird, findet er sich beim Schluss des Versuches im Thierraum und wird bei der zweiten Analyse der Luft in Rechnung gebracht. ! 3. Das Eudiometer. Das zur Bestimmung des O,-Gehaltes dienende Eudiometer ist in An- lehnung an die von Hempel u. A. eingeführten Methoden vor mir mit ! Wie wir oben (S. 174) gesehen haben, wird durch den Umstand, dass der ein- tretende O, niemals ganz rein ist, eine stetig fortschreitende Abnahme des O,-Gehaltes im Luftraum herbeigeführt. Diese wird durch die Entnahme der Proben zum Theil wieder ausgeglichen. Nehmen wir z. B. an, ein Thier verbrauche in der Stunde 2-5 Liter und der nachrückende Sauerstoff sei 90 procentig. Wir haben dann bei einem Versuch von 4 Stunden Dauer: Verbrauch 10 Liter, Ersatz 9 Liter, also eine Abnahme des O,-Vorrathes im Luftraum um 1 Liter. Da aber bei Beginn 400 °® Luft als Probe entnommen waren, welche bei einem O,-Gehalt von 20 Procent 80 «= OÖ, enthalten und durch 360 °® reinen O, ersetzt wurden, so beträgt der Ver- lust nur 720 °®, Entnehmen wir alle Stunden je 400 ° = als Probe, so bewirken wir sogar eine Zunahme des O,-Gehaltes um je 30 °® in jeder Stunde. Durch Auslassen grösserer Mengen von Luft aus dem Luftraume und Ersatz derselben durch O, können wir daher den O,-Gehalt des Luftraumes beliebig steigern. Ersetzen wir aber die herausgelassene Luft durch ein indifferentes Gas (H, oder N,), so können wir den O,- Gehalt bis auf jeden beliebigen ‚Grad herunterdrücken. (Vgl. hierzu $ 5.) UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 179 denjenigen Einrichtungen versehen worden, welche für meine besonderen Zwecke vortheilhaft erschienen. Es ist in Fig. 5 dargestellt. Das eigent- liche Eudiometer E# besteht aus einem getheilten Rohr, welches oben eine DO LITT R — ( | ro} Q El] etwa 30°m fassende Kugel trägt. Die Theilung beginnt dicht unterhalb der Kugel mit dem Theilstrich 30 und endet unten mit dem Theilstrich 100; sie gestattet 0.1” unmittelbar abzulesen und 0-01” zu schätzen. Die 195 180 J. ROSENTHAL: Ablesung erfolgt mittels einer (in der Zeichnung fortgelassenen) Lupe, welche, in einem horizontalen Rohr gefasst, an einem dem Eudiometer parallelen Dreikant verschoben und scharf auf den Meniscus eingestellt werden kann. Um die zu messenden Gase vor Temperaturschwankungen zu schützen, ist das Eudiometer in ein weiteres Glasrohr @ eingeschlossen. ! Unten erweitert sich das Eudiometerrohr zu einem geräumigen Gefäss, das durch einen Kautschukstopfen abgeschlossen ist. Ein diesen Stopfen durchbohrendes Winkelrohr setzt den Binnenraum des Eudiometers mit dem Steigrohr $ und dem Druckgefäss D in Verbindung. Durch Heben des letzteren kann man das Eudiometer vollkommen mit Wasser, durch Senken bis zu jedem beliebigen Punkte mit Gasen füllen. Um das Gas unter Atmosphärendruck zu setzen, muss das Flüssigkeitsniveau im Eudiometer und im Steigrohr in gleiche Höhe gebracht werden. Ist das geschehen, so kann man die Communication mit dem Druckgefäss durch den Hahn A aufheben; man kann dann das Druckgefäss aus der Hand stellen, ohne im Druck etwas zu ändern, was für die übrigen Manipulationen von Werth ist. F — «UM MD 7 N | a M Fig.5A. Die Kugel des Eudiometers ist oben durch capillare Röhren mit den Hähnen 4, 4,, 4, verbunden. Die Anordnung der Bohrungen dieser Hähne ist aus Fig. 5A zu ersehen, deren eine den Hahn %, im Querschnitt, deren andere die einander gleichen Hähne 7, und 4, im Längsschnitt dar- stellt. Die Hähne gestatten, das Eudiometer mit 3, Z, O, A oder Pin Verbindung zu setzen oder auch ganz abzuschliessen und nur die Verbin- dung von B, Z oder O mit A allein herzustellen. Von diesen Wegen ! Durch dieses Umhüllungsrohr Wasser strömen zu lassen, wie Hempel empfiehlt, finde ich unnöthig. Da die Zimmertemperatur ohnehin möglichst constant gehalten werden muss, so genügt es, das Eudiometer vor der directen Einwirkung der strahlenden Wärme des Beobachters und der warmen Exspirationsluft zu schützen. Strömt Wasser durch den Mantel, welches nicht ganz die Temperatur des Zimmers hat, so ist die Temperatur der Gase in verschiedenen Höhen oft viel verschiedener als bei blosser Umhüllung mit einer abgesperrten Luftsäule. Im Uebrigen erkenne ich gern an, dass ich Hempel’s Buch (Gasanalytische Methoden. Braunschweig 1890) manchen lebrreichen Wink verdanke. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 181 dient Z zur Zuführung der Luftprobe aus den Proberöhren, O zur Zufüh- rung der Probe aus den O,-Behältern; / ist eine Hempel’sche Phosphor- pipette zur Bindung des Sauerstoffs;? 3 und 4 endlich sind mit Wasser eefüllt und dienen zum Entleeren der nicht mehr gebrauchten Gase sowie zum Ausspülen aller in den Capillarröhren haften gebliebenen Gasbläschen. Der Gang einer Analyse ist folgender: Nachdem der ganze Apparat vollkommen mit Wasser gefüllt ist, werden die Hähne so gestellt, dass das Eudiometer abgesperrt ist und dass 4 mit 3 communieirt. Durch Saugen an einem mit 4 verbundenen Kautschukschlauch überzeugt man sich, dass in den Hahnbohrungen und in den sie verbindenden Capillarröhren keine Gasbläschen zurückgeblieben sind; sollte dies der Fall sein, so saugt man sie nach A hinüber; lässt man mit dem Saugen nach, so kann nur Wasser an ihre Stelle treten. Man saugt dann die zu analysirende Luftprobe in das Eudiometer, spült die letzten in den Capillaren befindlichen Bläschen durch Wasser gleichfalls in das Eudiometer und sperrt es ab.” Man misst das Volum, treibt das Gas in die Phosphorpipette, wartet die vollständige Bindung des Sauerstofis ab, saugt das übrig gebliebene Gas in das Eudio- meter zurück und misst wieder. Die Differenz zwischen dem ursprünglichen Volum und dem nicht von P aufgenommenen gestattet die Berechnung des O,-Gehaltes. War das so analysirte Gas eine Luftprobe aus dem Athem- raum, so ist damit die Analyse beendet und der übrig gebliebene Gasrest kann aus dem Eudiometer durch #7, und 4 entleert werden. Sind aber auch Analysen vom Sauerstoff aus den Behältern zu machen, so verbindet man diese, da Gase von 90 oder mehr Procent O,-Gehalt nicht direct analysirt werden können, mit den Analysen der Luftproben. Was von einer solchen Luftprobe nach vollendeter Reaction in der Phosphorpipette in das Eudiometer zurückgesaugt worden ist, kann nur Stickstoff oder ein sonstiges, gegen Phosphor indifferentes Gas sein. Nachdem man sein Volum gemessen hat, saugt man zu ihm noch eine angemessene Menge des auf seinen Ge- halt zu prüfenden Sauerstoffs hinzu, misst, drängt zum zweiten Mal in die Pipette und berechnet aus der dadurch bewirkten Volumabnahme den Ge- halt an reinem Sauerstoff. ? Ich habe mit dieser Vorrichtung eine sehr grosse Zahl von Analysen gemacht und mich davon überzeugt, dass sie einer sehr grossen Genauig- ! In Wirklichkeit hat der Hahn H, noch einen in der Figur nicht gezeichneten Auslass, welcher zu einer Explosionspipette führt, für den Fall, dass die O,-Bestimmung durch Explosion mit Wasserstoff erfolgen soll. ? Das kurze verticale Capillarrohr zwischen 7, und der Kugel bleibt dabei stets mit Wasser gefüllt. An seinem unteren Ende liegt der Nullpunkt der Theilung. ® Das Eudiometer, sowie sämmtliche dazu gehörige Glashähne stammen aus der rühmlichst bekannten Anstalt des Hm. Müller (Dr. Geissler’s Nachf.) zu Bonn a. Rh. 152 J.. ROSENTHAL: keit fähig ist, wenn man vorsichtig und sorgfältig arbeitet. Die vollständige Absorption des O, durch den P tritt sicher ein, wenn die Temperatur des Zimmers nicht zu niedrig ist (17 bis 15°), und wenn man das Gas mindestens 3 Minuten in der Pipette lässt. Die Volummessungen sind gleichfalls sehr genau zu machen, wenn man nur lange genug wartet, damit das Wasser an den Wänden des Eudiometerrohres vollständig heruntersickert. Eine vollständige Analyse einer Luftprobe aus dem Athemraum allein dauert etwa 12 Minuten, eine Doppelanalyse solcher Luft und des Sauerstoffs aus den Behältern etwa 20 Minuten. Da zu jedem Respirationsversuch zwei Analysenreihen von je 7 Analysen (vgl. weiter unten, S. 184) gehören, eine Anfangs- und eine Endanalyse, so würden diese etwa 4°/, Stunden in An- spruch nehmen. Eine Abkürzung dieser Arbeit kann man sich jedoch da- durch gestatten, dass man die Analysen des Sauerstoffes aus den Behältern nur einmal macht. Da dieser Sauerstofigehalt nur wenig schwankt, so ge- nügt selbst für längere Versuchsreihen die Analyse einer gemischten Probe vom Anfang und vom Ende der Versuchsreihe. Ich verfahre deshalb so: Ich sammele bei Beginn des Versuches in der oben (S. 176 ff.) angegebenen Weise eine Luftprobe aus dem Athemraum in einem Proberohr I und die Hälfte der zu den Analysen erforderlichen Menge O, aus den Behältern in einem anderen Proberohr 4; bei Schluss des Versuches entnehme ich dann dem Athemraum die zweite Probe in das Proberohr II und eine der ersten gleiche Menge von OÖ, aus den Behältern in das Proberohr A. Schliesst sich an einen solchen Versuch sofort ein zweiter an, so gilt die Endprobe in II zugleich als Anfangsprobe für den folgenden Versuch und so fort. Vom Sauerstoff aus den Behältern wird aber die zweite Hälfte der Probe nur beim endgültigen Abbruch der Versuchsreihe genommen. Eine Ausnahme hiervon wird nur dann gemacht, wenn während der Versuche eine Neu- füllung der Behälter nothwendig war. ‘Die O,-Bestimmung durch Explosion mit H, gewährt nach meinen Erfahrungen keine grössere Genauigkeit als die mit Phosphor. Sie ist auch nur dann zuverlässig, wenn man ganz sicher auf vollkommene Reinheit des H, rechnen kann. Daher verbietet sich die Verwendung des käuf- lichen, in Stahlbomben comprimirten H, leider durchaus, denn dieser pflegt nach meinen Erfahrungen häufig etwas O, zu enthalten. ! ! Die Anwendung von Wasser zum Füllen des Eudiometers, der Proberohre und Druckgefässe ist durchaus zulässig, wenn es sich nur um Bestimmung des O,-Gehaltes handelt. Bei dem niedrigen Absorptionscoöfficienten des Wassers für O, und der fort- dauernden Berührung dieses Wassers mit Gasgemengen, welche in ihrer Zusammen- setzung von der atmosphärischen Luft nur wenig abweichen, ist eine merkliche Ab- sorption oder Abgabe vun Gasen durch das Wasser ausgeschlossen. Für die Anwendung der Phosphorpipette würde der Ersatz des Wassers durch eine andere Flüssigkeit UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 183 4, Kritik des Verfahrens. Um zu zeigen, welchen Grad von Genauigkeit meine Analysen zu- lassen, führe ich einige Beispiele an. Il. Luft aus dem Athemraum nach Beendigung eines Respirationsver- suches: O,-Grehalt in Procenten: 21:71 21-42 - 21.58 21-51 21-61 21-68 21.72 21-67 21-74 21-73 Mittelwerth 21-637. 5 2. Atmosphärische Luft: 20-86 20.73 20.89 20.87 20:88 20.56 20.72 20-86 20:78 Mittelwerth 20-794. 3. Atmosphärische Luft: 20-83 20.74 20-75 20-75 20.92 20.79 20.73 20-85 20-80 20-91 Mittelwerth 20.807. 4. Sauerstoff aus den Behältern: 90-81 90.84 90.89 91.18 90.86 90.45 91.03 90.64 91-21 91.04 Mittelwerth 90.9. Endlich gebe ich zur Erläuterung des oben geschilderten Verfahrens das Schema einer combinirten Analyse einer Luft- und einer Sauerstoffprobe. Luftprobe 51.20 nach Absorption des O, 40.67’ also O, = 10.53 = 20.57 Procent, Der zurückgebliebene Rest von 40.67 m besteht aus Stickstoff; man saugt etwas von der Sauerstoffprobe hinzu und misst 69-30 N nach der Absorption 42.06’ nn Die mitgetheilten Beispiele sind nicht etwa ausgesuchte Fälle, sondern sie sind meinen ersten Versuchsreihen entnommen, welche ich zur Uebung und zur Prüfung des Verfahrens angestellt habe. In den meisten späteren 3m 27.24 m ), = 95-15 Proc. Schwierigkeiten bereiten. Für die Volummessung unter Atmosphärendruck ist Wasser viel günstiger als Quecksilber, da Unterschiede im Niveau von 1”” zwischen Eudio- meter und Steigrohr doch nur einen verschwindenden Einfluss auf das Volum ausüben. 184 J. ROSENTHAL: Fällen fielen die auf einander folgenden Analysen derselben Probe noch viel gleichmässiger aus. Bei den Reihen von je sieben Analysen, welche mit jeder einzelnen Probe gemacht werden, weichen meistens fünf oder sechs von einander um weniger als 0.2 Procent ihres ganzen Werthes ab, während manchmal eine oder zwei Analysen grössere Abweichungen aufweisen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in solehen Fällen ein bestimmter Versuchs- fehler, z. B. das Zurückbleiben eines Luftbläschens in den Capillarröhren, Schuld an der Fälschung der betreffenden oder der unmittelbar darauf folgenden Analyse war. Da sich dies nachträglich nicht mehr nachweisen lässt, so halte ich es für gerechtfertigt, in solchen Fällen einen Werth, welcher auffällig von allen anderen abweicht, von der Berechnung auszu- schliessen. Aus diesem Grunde nehme ich als Probe so viel, dass es für sieben Analysen ausreicht, um im ‚Nothfalle immer noch fünf für die Be- rechnung des Mittels benutzen zu können.! Betrachten wir jetzt ein Beispiel eines vollständig durchgeführten Ver- suches. Es sollte die Menge von O, bestimmt werden, welche ein Hund von 33208” Gewicht während 4 Stunden aufnimmt. Das erste und wich- tieste Erforderniss ist, sich davon zu überzeugen, dass der Apparat gasdicht ist. Wäre das nicht der Fall, dann würde man natürlich einen viel zu grossen Werth für den ÖO,-Verbrauch erhalten. Man überzeugt sich davon, indem man den Apparat zuerst beobachtet, ohne dass ein Thier in dem- selben ist. Es darf dann kein OÖ, aus den Behältern in den Athemraum übertreten; die Gasuhr muss den Stand, welchen sie nach Herstellung des Druckgleichgewichtes angenommen hat, unverändert beibehalten, und durch die oben erwähnte, hinter der Gasuhr eingeschaltete H,SO,-Flasche darf keine Luftblase hindurchtreten. Nun wird der Hahn, welcher dem O, Zutritt gestattet, geschlossen, das Thier in den Apparat gebracht und jener Hahn wieder geöffnet. In unserem Versuch gingen dann durch die Gasuhr (red. auf 0° und 760m) 10.628 Liter. Die Analyse ergab 94-65 Procent. Also waren in den Athemraum eingetreten 10-059 Liter reiner Sauerstoff. Die Analysen der Luftproben ergaben: Anfang 21-77, Ende 20.75 Procent. Diese entsprechen (da der Luftraum 40 Liter fasst) 8.708 und ! Um die Aenderung, welche das Mittel durch Fortlassung von 2 Analysen unter 7 erfahren kann, festzustellen, habe ich bei einer Reihe von 7 Analysen sämmtliche Combinationen von 5 Elementen zur 7. Classe einzeln berechnet. Das Gesammtmittel aus den 7 Analysen war 20-821. Der grösste Werth bei Berechnung aus nur je 5 derselben war 20-854, der kleinste 20-784, das ist 100°16 und 99-82 Procent des als richtigsten Werth zu betrachtenden Mittels aus allen 7 Analysen. Der durch Fortlassung von 2 Analysen begangene Fehler hätte demnach im allerungünstigsten Falle 0-18 Procent erreichen können. Sind also von 7 Analysen eine oder zwei mit Grund als fehlerhaft anzusehen, so wird man durch Fortlassung derselben ein wahrscheinlich riehtigeres Mittel berechnen, als bei Benutzung aller vorliegenden Zahlen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 185 8.300 Liter. Von ersterer Zahl ist 1 Procent abzuziehen; denn die ent- nommene Luftprobe von 400 °" ist gerade 1/0 des ganzen Luftraumes. Es betrug also der O,-Gehalt des Luftraumes im Anfang 8-621 und am Ende 8.300 Liter, welche nach der Reduction 8-306 und 7.766 Liter ergaben. Das Thier hat also ausser dem durch die Gasuhr gemessenen, ihm zugeführten Sauerstoff noch 0.540 Liter aus dem O,-Vorrath des Athemraumes auf- genommen, mithin im Ganzen in 4 Stunden 10-599 Liter oder durchschnitt- lich in der Stunde 2.6499 Liter und pro Kilogramm Körpergewicht 0.798 Liter. Um zu untersuchen, welchen Grad von Zuverlässigkeit wir dem so gefundenen Werthe zuschreiben dürfen, betrachten wir die zwei Summanden, aus denen er sich zusammensetzt, gesondert. Bei den Ablesungen der Gas- uhr können merkliche Fehler nicht unterlaufen; da aber für die Umrech- nung Bestimmungen der Temperatur, des Druckes, Tension des Wasser- dampfes sowie die Gasanalysen in Betracht kommen, so ist eine gewisse Unsicherheit nicht ausgeschlossen. Ich sehe keine bestimmten Anhalts- punkte zur Bestimmung der Grenzen dieser Fehler. Um aber sicher zu gehen, wollen wir annehmen, sie könnten bis zu 1 Procent steigen, was nach meiner Ansicht viel zu viel ist. Dann müssen wir also mit der Möglich- keit rechnen, dass der wahre Werth zwischen den Grenzen 9:-953 und 10-165 liegen kann. Bei der Berechnung des anderen Summanden kommen die gleichen Einflüsse (Fehler bei der Volumreduction und den Analysen) zwei Mal vor. Da dieser Summand aber selbst eine Differenz aus zwei unabhängig von einander gefundenen Werthen ist, so können die Fehler entweder sich sum- miren oder sich gegenseitig aufheben. Im ersteren, allerungünstigsten Falle könnte der mögliche Fehler also bis zu 2 Procent ansteigen; d. h. statt 0-540 Liter hätten wir vielleicht 0:529 oder 0.551 zu dem ersten Summanden zu addiren. Und wenn wir endlich wiederum die ungünstigsten Fälle annehmen, dass die bei den Luftanalysen gemachten Fehler und die beim ersten Summanden gemachten nach derselben Rich- tung liegen, so finden wir schliesslich, dass die wahre, vom Thier auf- genommene Sauerstoffmenge liegen kann zwischen den Grenzen: 10-482 und 10-716. Diese Werthe weichen von dem gefundenen um etwas mehr als 1 Procent ab. Der grösste mögliche Werth beträgt 101-1 Procent, der kleinste 98-9 Procent des von uns ausgerechneten. Da aber die Voraus- setzungen, unter denen die Fehlerberechnungen gemacht worden sind, nur 186 J. ROSENTHAL: unter den allerungünstigsten Umständen alle zusammentreffen können, so glaube ich annehmen zu dürfen, dass meine Bestimmungen der aufgenom- menen Sauerstoffmengen in den allermeisten Fällen um weniger als ein Procent von den wahren abweichen. Ich glaube kaum, dass irgend eine der bisher benutzten Methoden eine Sicherheit gewährt, welche sich mit der hier beschriebenen auch nur im Entferntesten vergleichen lässt. Jedenfalls vermisse ich bei meinen Vorgängern auf diesem Gebiete der Physiologie eine solche Selbstkritik, wie ich sie an der von mir ausgearbeiteten Me- thode geübt habe.! Von den beiden Summanden, aus denen sich der ganze für die Sauer- stoffaufnahme durch das Thier berechnete Werth zusammensetzt, ist der zweite in der Regel sehr viel kleiner als der erste. Der Einfluss, den ein bei jenem gemachter Fehler auf den Gesammtwerth hat, wird deshalb immer gering sein, um so geringer, je länger der Versuch gedauert hat, weil damit die Grösse des durch die Gasuhr gegangenen O,-Volums wächst, nicht aber in demselben Maasse die bei der Bestimmung des anderen Sum- manden gemachten Fehler. Daraus erklärt sich, warum, wie ich schon früher bemerkt habe, bei Perioden von weniger als 2-4 Stunden die Ueber- einstimmung zwischen den Ergebnissen des respiratorischen Stoffwechsels und der gleichzeitigen Wärmeproduction nur sehr unvollkommen hervortritt, wobei freilich auch noch berücksichtigt werden muss, dass die damals von mir benutzten Methoden weniger genau waren als meine jetzigen. Da aber eine tiefere Einsicht in die verwickelten Verhältnisse der physiologischen Vorgänge durch Untersuchung des gesammten Stoffwechsels während 24 Stunden allein nicht gewonnen werden kann, so war es unbedingt noth- wendig, die Untersuchungsmethoden so weit auszubilden, dass sie auch für kürzere Perioden noch brauchbare Ergebnisse liefern. Wie weit mir das gelungen ist, geht aus den vorstehenden Auseinandersetzungen hervor. Ich habe mich bei dem so erlangten Grade von Genauigkeit vorläufig beruhigt. Aus den weiteren Mittheilungen wird sich ergeben, welche Schlüsse man ! Manche Schriftsteller über physiologische Fragen lieben es, ihren Berechnungen den Anschein wissenschaftlicher Genauigkeit zu geben, indem sie aus einer Anzahl von Werthen die Grösse des „wahrscheinlichen Fehlers“ nach der Methode der kleinsten Quadrate berechnen. Dem gegenüber habe ich schon früher (Dies Archiv. 1894. Physiol. Abthlg. S. 264) darauf hingewiesen, dass diese Methode nur für die Berech- nung von Beobachtungsfehlern bestimmt ist, und dass sie bei Berechnungen aus mehreren Versuchen, bei denen aber jeder einzelne, aus den Versuchen berechnete Werth immer nur je ein Mal gemessen worden ist, ganz und gar nicht passt. Ich habe des- halb zur Beurtheilung der Zuverlässigkeit eines aus einer Versuchsreihe abgeleiteten Werthes die procentische Abweichung des grössten und des kleinsten gefundenen Werthes vom .Mittel gewählt. Denn diese geben wenigstens ein treffendes Bild von der Grösse der vorgekommenen Abweichungen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 187 aus den Zahlenergebnissen der einzelnen Versuche ziehen darf, und wie weit sie unsere Einsicht in die verwickelten Verhältnisse des Stoffwechsels zu vermehren im Stande sind. 5. Einfluss des Sauerstoffgehaltes der Athemluft auf die Sauerstoff- aufnahme. Bei dem gewöhnlichen Ablauf der Athmungsvorgänge stehen Sauer- stoffaufnahme und Kohlendioxydabgabe im Grossen und Ganzen in gegen- seitiger Abhängigkeit von einander oder doch unter dem Einfluss von gemeinsam auf beide einwirkenden Bedingungen. Das Verhältniss beider zu einander, der sogenannte respiratorische Quotient, pflest daher nur inner- halb enger Grenzen zu schwanken. Es kann jedoch auch vorkommen, dass die Sauerstoffaufnahme sehr erhebliche Veränderungen erfährt, während die Abgabe von Kohlendioxyd sich nur wenig oder gar nicht ändert. Dies ist, wie ich schon früher mitgetheilt habe!, der Fall, wenn Thiere Luft von verschiedenem O,-Gehalt athmen, insbesondere, wenn der O,-Gehalt der ihnen zur Verfügung stehenden Athemluft plötzlichen Schwankungen aus- gesetzt ist. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, zwar im Allgemeinen die Auf- nahme von OÖ, und die Abgabe von CO, gleichzeitig in ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Bedingungen zu untersuchen, welchem Zwecke ja die Einrichtung unseres Apparates angepasst ist, aber in Bezug auf die Ab- hängigkeit von dem O,-Gehalt der Umgebungsluft eine Ausnahme zu machen. Die gleichzeitige Bestimmung aller Theile des respiratorischen Stoffwechsels (der CO,-Ausgabe und der O,-Aufnahme, sowie des in Gas- form abgegebenen H,O) erfordert so viel Arbeit, dass die Untersuchungen nur langsam fortschreiten. Daher kann es unter Umständen von Nutzen sein, das Augenmerk nur auf den einen Theil des Vorganges zu richten. Ich will deshalb in diesem ersten Artikel nur die Menge des von einem Thier unter bestimmten Verhältnissen aufgenommenen Sauerstofis berück- sichtigen und habe deswegen auch in den vorhergehenden Paragraphen die Technik der Versuche nur so weit beschrieben, als sie sich auf die Bestim- mung des aufgenommenen 0, bezieht. Nun hängt, wie ich im Verlauf dieser Mittheilungen zu zeigen gedenke, die Menge des von einem Thier aufgenommenen Sauerstoffs von verschiedenen Bedingungen ab, von der Temperatur der Umgebung, der Art der Ernährung, der Zeit, welche seit der letzten Nahrungsaufnahme verstrichen ist. Ich will aber diesen ersten ! Dies Archiv. 1898. Physiol. Abthlg. S. 271 (Mittheilung an die Physiologische Gesellschaft zu Berlin). 188 J. ROSENTHAL: Artikel nur der genaueren Darlegung des in meiner eben angeführten Mittheilung kurz berichteten Verhältnisses zwischen der O,-Aufnahme und dem O,-Gehalt der Athemluft widmen. Es ist mehrfach behauptet worden, namentlich mit Berufung aut die gewichtige Autorität von Regnault und Reiset, dass eine solche Be- ziehung nicht bestehe, dass die Aufnahme des O, bei der Athmung ganz unabhängig sei von dem O,-Gehalt der geathmeten Luft, vorausgesetzt, dass die Schwankungen des letzteren sich innerhalb gewisser Grenzen halten. Dass bei vollständigem Mangel von O, in der Athmungsluft auch keiner aufgenommen werden kann, ist selbstverständlich. Andeutungen von Dyspnoe, welche auf eine ungenügende O,-Aufnahme in das kreisende Blut schliessen lassen, treten auf, wenn die eingeathmete Luft etwa 10 Proe. O, enthält, stärkere Dyspnoe und Lebensgefahr stells sich ein, wenn der O,- Gehalt ungefähr auf 6 Procent sinkt. Zwischen dieser unteren Grenze aber und Gehalten bis zu 50 Procent und darüber soll der O,-Gehalt schwanken dürfen, ohne dass dies einen merklichen Einfluss auf die Menge des von Thieren aufgenommenen O, haben soll. Ich werde später auf die Versuche von Regnault und Reiset zu sprechen kommen, um zu zeigen, wodurch sie zu dieser Anschauung gelangen mussten, dass aber durch ihre Versuche die Frage noch nicht endgültig entschieden ist. Vorher will ich jedoch die theoretischen Bedenken auseinandersetzen, welche in mir Zweifel an der gangbaren Lehre erweckten und mich ver- anlassten, den Gegenstand einer erneuten Prüfung zu unterwerfen. Der Athmunugsvorgang ist ein zum Theil physikalischer, zum Theil chemischer Process. Der letztere Theil des Vorganges wird, so weit es die Aufnahme des O, in den Lungen angeht!, durch die chemische Verwandtschaft des OÖ, zum Hämoglobin bedingt. Nun ist festgestellt worden, dass diese Ver- wandtschaft nicht mehr ausreicht, die Verbindung der beiden Stoffe zu ver- anlassen, wenn der Partialdruck des O, etwa 10"mHg beträgt. Ist er noch geringer, dann wird sogar schon fertig gebildetes Oxyhämoglobin durch Dissoeiation zerlegt. Wir wissen ferner, dass bei normalem O,-Gehalt der eingeathmeten Luft der O,-Gehalt der Alveolarluft, welcher ja für die O,- Aufnahme in der Lunge allein maassgebend ist, etwa 6 Procent beträgt; das ergiebt einen Partialdruck des O, von etwas über 45m, So erklärt es sich, dass die Aufnahme von OÖ, in den Lungen noch ganz gut vor sich gehen kann, wenn der O,-Gehalt der eingeathmeten Luft bis auf 10 Procent ! Von den Beziehungen des CO, zum Blut sehen wir, entsprechend dem Inhalt dieses Artikels, ab, ebenso von der Hautathmung, welche ja nur einen geringen An- theil an der Gesammtathmung hat. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 189 fällt, und dass die Athmung erst unterhalb dieses Werthes mangelhaft wird. Geben wir dies Alles zu, so dürfen wir trotzdem nicht daraus schliessen, dass die Menge des in den Lungen aufgenommenen O0, von dem O,-Gehalt oder, was ja bei unverändertem Gesammtdruck der Athem- luft das Gleiche ist, von dem Partialdruck des O, unabhängig ist. Denn bei der Athmung spielt noch ein wesentlicher Umstand mit, auf welchen bei der obigen Betrachtung gar keine Rücksicht genommen wurde, die Zeit, während welcher der Gasaustausch zwischen dem Blut und der Alveolarluft stattfinden kann. Bei den erwähnten Absorptionsversuchen ist als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die vollständige Vollendung der Absorption, so weit sie unter den obwaltenden Umständen überhaupt möglich ist, abgewartet wird. Durch Schütteln des Blutes mit dem Gase und die dadurch vermehrte Öberflächenberührung kann die dazu erforderliche Zeit abgekürzt werden. Immer aber wird die Bestimmung der vom Blut aufgenommenen O,-Menge erst vorgenommen, wenn man sicher zu sein glaubt, dass sie bei längerem Zuwarten nicht mehr verändert werden würde. In der Lunge dagegen fliesst das Blut an der Luft vorbei. Jedes einzelne Blutkörperchen hat daher nur während einer geringen Zeit Ge- legenheit, aus jener Luft O, aufzunehmen, und in dieser Zeit nimmt es nicht oder doch nur ganz ausnahmsweise! so viel von demselben auf, als es bei dem vorhandenen Partialdrucke aufnehmen könnte. Es ist aber leicht zu erweisen, dass unter diesen Umständen die O,-Aufnahme von dem Partialdruck des in den Alveolen vorhandenen O, abhängig sein muss. Bevor die chemische Verwandtschaft zwischen dem Hämoglobin und dem OÖ, in Wirkung treten kann, muss der letztere durch Diffusion aus den Alveolarräumen bis an die Oberfläche der rothen Blutkörperchen ge- langt sein. Wird er in diesen durch das Hämoglobin chemisch gebunden, so kann der Partialdruck an jenen Oberflächen immer nur sehr klein sein. Wir wollen vorläufig annehmen, was freilich in Wahrheit niemals zutrifft, dass er dort gleich Null sei. Auf dem Wege aus den Alveolen durch die Alveolarwand, Capillarwände und die dünnen Schichten von Blutplasma, welche die Blutkörperchen von den Capillarwandungen trennen, entsteht deshalb ein Diffusionsstrom, durch welchen O, von den Alveolen ins Blut hineingetrieben wird. Die Geschwindigkeit dieses Stromes muss dem Unter- schied der O,-Spannungen an den beiden Enden des Weges proportional sein. Und da, wie wir angenommen haben, die Spannung an dem einen Ende des Weges, an der Oberfläche der rothen Blutkörperchen, gleich oder doch jedenfalls nur sehr wenig verschieden von Null sein soll, so können ! Von diesen Ausnahmen wird später die Rede sein. 190 J. ROSENTHAL: wir die Geschwindigkeit dieses Diffusionsstromes dem Partialdruck des 0, in den Alveolen nahezu direct proportional setzen. Die Annahme, dass der O,-Druck an der Oberfläche der rothen Blut- körperchen nahezu Null sei, kann nur dann einigermaassen zutreffen, wenn die letzteren sofort nach ihrem Eintritt in die Lungencapillaren allen ihnen durch jenen Diffusionsstrom zugeführten Sauerstoff sofort chemisch binden. Wie weit dies geschieht, hängt in erster Linie von dem Zustand ab, in welchem die Blutkörperchen zur Lunge gelangen; es wird um so eher der Fall sein, je reicher an noch nicht mit OÖ, verbundenem Hämoglobin sie sind. Nehmen wir an, was doch für die Mehrzahl der Versuche zutrifft, dass ihr Hämoglobingehalt selbst während der Dauer des Versuches sich nicht ändert, so heisst das also, dass unsere Annahme um so genauer den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen wird, je ärmer an O0, das Blut ist. Die zahlreichen Untersuchungen über die Blutgase haben ergeben, dass auch das arterielle Blut unter normalen Athmungsverhältnissen niemals mit OÖ, gesättigt ist. Das Blut nimmt also bei der normalen Athmung während der kurzen Zeit seines Verweilens in den Lungencapillaren nicht so viel O, auf, als es zu seiner Sättigung bedarf. Nur bei künstlicher Ath- mung kann es zur Sättigung kommen. Dass dies möglich ist, reicht allein schon aus, zu beweisen, dass bei höherem O,-Gehalt der Alveolarluft die Ö,-Aufnahme ins Blut grösser wird. Unsere Aufgabe ist es, zu unter- suchen, ob auch dann, wenn der Partialdruck der Alveolarluft auf andere Weise als durch die vermehrte oder verminderte Lüftung der Alveolen ge- ändert wird, die O,-Aufnahme mit dem Partialdruck vermehrt oder ver- mindert werden kann. Ist dem so, dann können wir uns die Vorgänge bei der Athmung von Luft mit verschiedenen O,-Gehalten folgendermaassen vorstellen. Bei ge- ringem O,-Gehalt wird wenig von diesem Gas in den Lungen aufgenommen. Da aber in den Körpercapillaren immer O, abgegeben wird, so kehrt das Blut um so ärmer an O, zu den Lungen zurück und kann deshalb den den Blutkörperchen zugeführten O, schneller binden. Deshalb muss die mittlere Spannung des O, an der Oberfläche der Blutkörperchen sich mehr dem Grenzwerth Null nähern, so dass trotz der geringen Geschwindigkeit des“ oben besprochenen Diffusionsstromes das Blut dennoch gerade so viel O, auf- zunehmen vermag, als der vorhandenen Potentialdifferenz entspricht, voraus- gesetzt, dass die O,-spannung nicht unter die Grenze sinkt, bei welcher die Bindung des O, überhaupt nicht mehr erfolgt. Diese Grenze liegt, wie die Erfahrung gezeigt hat, etwa bei einem Gehalt von 6 Procent O, in der Athemluft. Bei der so zu Stande gekommenen O,-Armuth des Blutes geht also die Bindung desselben an das Hämoglobin mit grösserer Energie vor sich; UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 191 deshalb wird die Anfangs gesunkene O,-Aufnahme wieder wachsen, und es wird davon abhängen, welcher der beiden in entgegengesetztem Sinne wirkenden Einflüsse überwiegt. Analog wird bei hohem O,-Gehalt der Athemluft, dem auch ein höherer Partialdruck an OÖ, im den Alveolen entsprechen muss, der Diffusionsstrom des OÖ, aus den Alveolen zu den rothen Blutkörperchen Anfangs zunehmen. Weil aber dann das Blut reicher an OÖ, zu den Lungen zurückkehrt, wird die chemische Bindung desselben geringer werden, was wieder vermindernd auf die O,-Aufnahme wirken muss, Aus alledem würde also zu folgern sein, dass bei plötzlichem Wechsel in der Zusammensetzung der Athemluft der Einfluss des O,-Gehaltes sich Anfangs sehr stark geltend machen, allmählich aber immer mehr abnehmen müsste. Bei längerer Dauer solcher Versuche werden daher die im Anfang etwa eingetretenen Veränderungen in dem für die ganze Zeit berechneten Mittelwerth um so mehr verschwinden, je länger die Versuche dauern. So könnte der von uns vermuthete Zusammenhang zwischen O,-Aufnahme und O,-Gehalt der Athemluft vollkommen unkenntlich werden, trotzdem er in Wirklichkeit besteht. Und daraus würde weiter folgen, dass die in anderer Richtung so werthvollen Versuche von Regnault und BReiset eben wegen’ ihrer langen Dauer (24 bis 75 Stunden) als Gegenargument gegen unsere Vermuthungen nicht verwerthet werden können. Theoretische Speculationen von der Art der vorstehenden können je- doch über die Thatfrage nicht entscheiden. Sie haben nur Werth, wenn sie zu neuen Untersuchungen Anlass geben, durch welche unsere Einsicht erweitert wird. Ich habe deshalb zuerst, den oben auseinandergesetzten Erwägungen entsprechend, mich bemüht, die O,-Aufnahme in möglichst kurzen Zeiträumen zu bestimmen bei plötzlichen Schwankungen des O,- (rehaltes der Athemluft. Ueber diesen Theil meiner Untersuchung habe ich schon in meiner Mittheilung an die physiologische Gesellschaft berichtet, Ich habe dort schon darauf hingewiesen, dass eine genaue Bestimmung der Sauerstoffaufnahme bei kurz dauernden Versuchen überhaupt nicht gut möglich ist. Deshalb messe ich den einzelnen in solchen Versuchen ge- fundenen Zahlen nicht etwa den Werth bei, durch sie genau festzustellen, wie viel O, ein Thier bei einem bestimmten O,-Gehalt der Athemluft auf- nimmt, etwa in dem Sinne, dass jeder erneute, unter gleichen Bedingungen angestellte Versuch immer denselben Werth ergeben müsste. Nur so viei sollte durch sie festgestellt werden, ob in der That bei Vergleichung der Athmung im gewöhnlicher atmosphärischer Luft mit derjenigen in O,-armer und in O,-reicher Luft im ersteren Fall weniger, im zweiten Fall mehı Sauerstoff von dem Thier aufgenommen wird. Bei Wiederaufnahme dieser Versuche habe ich auch die Aufnahme des Sauerstoffs in Perioden von je 2 und je 4 Stunden Dauer mit einander ver- 192 J. ROSENTHAL: glichen. Um von anderen Einflüssen, welche die O,-Aufnahme ver- ändern können, möglichst unabhängig zu sein, wurden die einzelnen Ver- suche an einem und demselben Thier, an verschiedenen Tagen, in denselben Verdauungsperioden (gleiche Stunden nach der Nahrungsaufnahme) und auch sonst mit Einhaltung möglichster Gleichheit aller sonstigen Umstände angestellt. Aber selbst bei möglichster Einhaltung aller dieser Bedingungen müssen wir darauf gefasst sein, noch Schwankungen in der Menge des auf- genommenen OÖ, zu finden, welche nicht unmittelbar von dem Ö,-Gehalt der Athemluft abhängen. Wir müssen deshalb durch eine Reihe von Vor- versuchen feststellen, innerhalb welcher Grenzen diese Schwankungen sich bewegen, und dürfen nur dann aus den zur Lösung der aufgeworfenen Frage angestellten Versuchen einen bindenden Schluss ziehen, wenn in ihnen sich constante Unterschiede zeigen, welche bedeutend grösser sind als jene Schwankungen, die wir nicht zu verhindern vermögen, wenn wir auch alle Bedingungen nach Kräften gleich zu gestalten bestrebt sind. Nun habe ich im ersten Theil dieses Artikels schon darauf hingewiesen, dass es für die Ausgleichung der zufälligen Schwankungen, d. h. derjenigen, welche zu verhüten nicht in der Macht des Experimentators steht, vortheil- haft ist, längere Versuchsperioden zu wählen. Freilich ändert sich während eines solchen, über mehrere Stunden sich erstreckenden Versuches, falls er in die Verdauungsperiode fällt, die Menge des aufgenommenen 0,1, und man bestimmt nur den Mittelwert. Wenn man aber, wie ich schon angeführt habe, die zu vergleichenden Versuche an verschiedenen Tagen immer in den gleichen Stunden (von der Nahrungsaufnahme an gerechnet) und an demselben, im Stoffwechselgleichgewicht befindlichen Thier anstellt, so sind die einzelnen Versuche so weit unter einander vergleichbar, dass die Einflüsse des O,-Gehaltes der Athemluft genügend hervortreten können. Aber leider ist dieses, für die Erforschung anderer Fragen unschätzbare Mittel für unseren Zweck wenig brauchbar. Wir müssen aus den oben an- gegebenen Gründen uns mit kürzeren Versuchsperioden begnügen und be- sonders den Einfluss plötzlicher Schwankungen des O,-Gehaltes in den ersten Zeiten nach Eintritt der Schwankung gesondert festzustellen versuchen. Ich werde mich im Folgenden . darauf beschränken, als Belege für meine Behauptungen nur Beispiele aus den letzten von mir angestellten Versuchsreihen anzuführen. Sie beziehen sich alle auf einen Hund in voll- ständigem Stoffwechselgleichgewicht, welcher stets die gleiche Nahrung er- hielt und dessen Gewicht während der ganzen Dauer der Versuche nur wenig um 3100 8m schwankte. ! In der Periode der Nüchternheit, d. h. wenn die Nahrung regelmässig alle 24 Stunden einmal aufgenommen wird, in der 13. bis 24. Stunde, sind die Schwankungen viel geringer, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 193 In der ersten Reihe dieser Versuche wurde durch Zufuhr von Wasser- stoff eine O,-arme oder durch Zufuhr von Sauerstoff eine O,-reiche Atmo- sphäre erzeugt, und die bei verschiedenen O,-Gehalten der Athemluft aufgenommenen Mengen des Sauerstoffes (auf 1 Stunde umgerechnet) unter einander verglichen. Die Schwankungen im O,-Gehalt waren nicht sehr gross, der kleinste war 13-6 Procent, der grösste 28 Procent. Bei vierstündiger Dauer solcher Versuche zeigten sich bei einem Theil der Ver- suche deutliche, aber geringe Differenzen in dem erwarteten Sinne, indem die O,-Aufnahme mit dem O,-Gehalt der Athemiuft stieg, so lange dieser unter 20 Procent lag. Bei weiterer Zunahme des Gehaltes über 20 bis 28 Procent aber war eine Steigerung der O,-Aufnahme nicht mehr 'sicher nachweisbar. Zum Beleg führe ich eine Versuchsreihe an, in welcher die Sauerstoffaufnahme stets in der vierten bis siebenten Stunde nach der Nah- rungsaufnahme gemessen worden ist. Procent O,-Gehalt der Aufgenommener OÖ, Athemluft: Mittelwerth für eine Stunde: 14 1-897 17 2.432 18° 2.588 19 2.653 22 2.400 28 | 2.511 28 2.412 Während in diesem Versuch die O,-Aufnahme regelmässig mit dem O,-Gehalt von 14 bis 19 Procent steigt, dann aber mit geringen Schwan- kungen fast constant bleibt, war in einigen anderen Fällen auch noch dar- über hinaus ein geringes Ansteigen zu bemerken. Aus solchen Zahlen einen bindenden Schluss zu ziehen, scheint gewagt. Und dennoch glaube ich nicht zu irren, wenn ich in ihnen eine Spur des Einflusses zu erkennen glaube, welchen nach meiner Ansicht der O,-Gehalt der Athemluft auf die O,-Aufnahme ausüben muss. Betrachten wir die Schwankungen, welche in diesen Versuchen bei allen O,-Werthen von 19 Procent ab auftreten, als zu- fällige, und nehmen aus den für sie gefundenen Zahlen den Mittelwerth, so können wir das Ergebniss übersichtlich so darstellen: Procent Q,-Gehalt der In einer Stunde Athemluft: aufgenommener 0,;: 14 1.897 17 2.432 18 2.588 19—28 2.494 Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. 13 194 J. ROSENTHAL: oder in Worten ausgedrückt: Zwischen 14 und 18 Procent steigt auch bei Versuchen von vierstündiger Dauer die O,-Aufnahme mit dem O,-Gehalt der Athemluft; von da ab bis zu 28 Procent ist aber ein Einfluss des einen auf die andere nicht nachweisbar. Dieses Ergebniss lässt sich vom Stand- punkt unserer theoretischen Anschauungen, wie sie oben (8. 190) entwickelt wurden, sehr gut deuten. Da bei geringer O,-Aufnahme das durch die Lungencapillaren fliessende Blut immer sehr O,-arm sein muss, so ist: die erste Annahme, von welcher wir ausgingen, wenn auch nicht ganz streng, doch nahezu erfüllt: Die O,-Spannung an der Oberfläche wird immer sehr klein sein, so dass die O,-Aufnahme in hohem Grade von der Gesehwindig- keit des Diffusionsstromes des OÖ, aus den Alveolen in die Blutcapillaren abhängig sein wird. Und da dieser mit dem O,-Gehalt der Athemluft steigt und fällt, lässt sich die Abhängigkeit auch bei länger dauernden Ver- suchen noch, wenigstens einigermaassen, nachweisen. Bei etwas grösserem Ö,-Gehalt der Athemluft dagegen, bei welchem das Blut nicht so arm an OÖ, in die Lungencapillaren eintritt, wird die O,-Absorption trotz der höheren O,-Spannung in den Alveolen, nachdem sie im Anfang des Versuches ge- stiegen war, bald wieder abnehmen, so dass der Nachweis der Abhängigkeit der O,-Aufnahme von dem O,-Gehalt der Athemluft in länger dauernden Versuchen misslingt. Obgleich alle meine in dieser Weise angestellten Versuche ähnlich ver- laufen sind wie die als Beispiel mitgetheilte Reihe, habe ich doch die weitere Fortsetzung derselben unterlassen, da die darauf zu verwendende Mühe in keinem richtigen Verhältniss zu dem aus ihnen zu erhoffenden Gewinn für die Förderung unserer Kenntnisse steht. Aus demselben Grunde habe ich auch nur eine geringe Zahl von Versuchen mit zweistündiger Dauer ge- macht, sondern mich wieder dem Versuchsverfahren zugewendet, welches schon die Grundlage für meine frühere Mittheilung abgegeben hat. Ein Thier wird bei einem bestimmten O,-Gehalt der Athemluft untersucht, und die Sauerstoffaufnahme festgestellt. Dann wird der O,-Gehalt der Athem- luft innerhalb gewisser Grenzen geändert und sofort ein neuer Versuch an- geschlossen. Jede Reihe besteht also jetzt aus einer Anzahl von Doppelver- suchen, von denen entweder der erste bei niedrigem, der zweite bei höherem O,-Gehalt angestellt war, oder umgekehrt. Die Dauer der einzelnen Ver- suche schwankte zwischen 40 und 68 Minuten. Zur Aenderung des O,-Gehaltes der Athemluft benutzen wir, wie schon erwähnt wurde, Ersatz eines Theiles der Luft im Athemraum durch H, oder durch O,. Für den ersten der zwei jeweils zusammengehörigen Versuche gestaltet sich das Verfahren so, dass eine beliebige, je nach der gewünschten Zusammensetzung der Athemluft im Voraus berechnete Menge der Luft aus dem Athemraum entnommen und durch H, oder O, ersetzt wird, dass dann UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 195 die Ventilation in. Gang gesetzt und nach einiger Zeit, wenn man annehmen kann, dass die Luft des Athemraumes genügend durchgemischt worden. ist, die zur Analyse erforderliche Probe entnommen, der Stand der Gasuhr u. s. w. notirt wird, wie es in $ 2 geschildert ist. Am Schluss dieses ersten Ver- suches wird wieder eine Probe entnommen und alle anderen Notizen ge- macht, welche als Daten zur Berechnung des O,-Verbrauches erforderlich sind. Sodann wird die beabsichtigte Aenderung in der Zusammensetzung der Athemluft vorgenommen, die Luft wieder durch die Ventilation gemischt und der zweite Versuch in der gleichen Weise angestellt. Die zur Mischung der Luft nothwendige Zeit wurde bei starker Ventilation auf mindestens 20 Minuten bemessen. So gross war also mindestens die Pause zwischen je zwei zusammengehörigen Doppelversuchen. Ein Doppelversuch dieser Art dauert daher 2, zuweilen gegen 3 Stunden, ganz abgesehen von der zur Anstellung der vier Analysenreihen erforderlichen Zeit. Obgleich der Wechsel in der Zusammensetzung der Athemluft auf diese Weise verhältnissmässig schnell vor sich geht, kommt der Einfluss derselben doch nicht zur vollen Geltung, weil sich zwischen die beiden Theile eines Doppelversuches die zur Mischung erforderliche Zeit einschiebt und die Ver- suche über die Vorgänge innerhalb derselben nichts aussagen. Ich habe deshalb noch ein anderes Verfahren ausgesonnen, welches momentanen Wechsel der Athemluft gestattet, bei genauer Kenntniss ihrer Zusammen- setzung. Da ich aber noch keine Versuche nach demselben angestellt habe, gehe ich darauf nicht weiter ein. Ich habe ausserdem auch eine Anzahl von Versuchen angestellt, bei welchen die beiden Theile eines Doppelversuches zeitlich unmittelbar auf einander folgen. Wenn wir einen Versuch in der Art angestellt haben, wie es im $ 2 geschildert ist, gleich- gültig bei welchem O,-Gehalt, und wollen an ihn einen zweiten mit ge- ringerem Ö,-Gehalt anschliessen, so können wir das auf einfache Weise dadurch erreichen, dass wir die O,-Zufuhr abschneiden. Das Thier ist dann auf den O,-Vorrath angewiesen, welcher in dem Moment, wo der zweite Theil des Versuches beginnt, im Athemraum vorhanden ist. Die Menge desselben ist durch die Schlussanalyse des ersten Versuchsabschnittes genau bekannt; die Schlussanalyse des zweiten Abschnittes ergiebt dann den O,- Verbrauch in diesem Abschnitt. Dabei sinkt, weil das Thier fortwährend O, verbraucht, welcher nicht ersetzt wird, der Druck im Athemraum stetig. Gleicht man dies durch vorsichtiges Einleiten von H, aus, derart, dass der Druck im Athemraum constant erhalten wird, so bleiben alle Bedingungen für die Athmung ungeändert, bis auf die eine, welche untersucht werden soll, den O,-Gehalt. Aber freilich ist die Abnahme keine plötzliche, sondern eine langsam fortschreitende. Dass dabei die O,-Aufnahme sehr erheblich sinkt, geht aus meinen in dieser Art angestellten Versuchen deutlich her- 13* 196 J. ROSENTHAL: vor. Ein Beispiel dieser Art habe ich schon in meiner früheren Mittheilung! angeführt. Aus ihm geht auch hervor, dass die Abnahme in den ersten Minuten nach der Aenderung sehr erheblich ist. Ich habe dieses Verfahren auch noch in etwas veränderter Weise in Anwendung gezogen. Der Habn, durch welchen man Luft aus dem Athem- raum herauslassen kann, wird durch einen Kautschukschlauch mit einer grossen, mit Wasser gefüllten Flasche verbunden. Lässt man nach Oeff- nung jenes Hahnes das Wasser durch einen Heber in eine andere Flasche ablaufen, so hat man in der Flasche alle aus dem Athemraum ausgetretene Luft. Durch Analyse derselben erfährt man genau, wie viel O, man dem Athemraum entnommen hat. Zieht man diese Menge von der aus den Angaben der Gasuhr und den Analysen der Proben aus dem Luftraum berechneten O,-Menge ab, so erhält man genau die Menge des wirklich vom Thier verbrauchten O,. Je nachdem man während dessen die aus- getretene Luft durch O, oder durch H, ersetzt, hat dieser Vebrauch entweder bei steigendem oder bei sinkendem O,-Gehalt der Athemluft stattgefunden. Ehe ich in der Beschreibung und Besprechung dieser Versuche fort- fahre, will ich als Beispiel die Ergebnisse einer Reihe von Doppelversuchen der zuerst erwähnten Art mittheilen. Die Zahlen für den O,-Verbrauch sind, obgleich sie in etwas verschiedenen Zeiten gewonnen wurden, alle auf 1 Stunde umgerechnet worden. Alle Versuche wurden an demselben Thier innerhalb der vierten und fünften Stunde nach der Nahrungsauf- nahme gewonnen. O,-Verbrauch bei geringem O,-Gehalt bei hohem O,-Gehalt O,-Gehalt Verbrauch O,-Gehalt Verbrauch 18-5 Proc. 3.384 al Eroc. 4- 727 13 ch 1-971 23 3.412 17 , 2.209 3% 4:838 15 en 2.036 aD 3.874 Bei den beiden ersten Versuchen ging der hohe, bei den beiden anderen der niedrige O,-Gehalt zeitlich voraus. Alle Versuche zeigen übereinstimmend, dass beim Uebergang von ge- geringem O,-Gehalt der Athemluft zu höherem Gehalt die O,-Aufnahme wächst, bei umgekehrtem Verfahren abnimmt. Die Zunahme ist bei dem ersten der hier mitgetheilten Versuche am geringsten; das hat wahrschein- lich seinen Grund darin, dass zwischen den beiden Theilen des Doppel- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 197 versuches eine Pause von 34 Minuten lag, dass also diejenige Zeit, in welcher der grösste Unterschied in der O,-Aufnahme aufzutreten pflegt, nicht beobachtet worden ist. Und ebenso wie diese als Beispiel mitgetheilte Versuchsreihe sind alle meine Versuche ausgefallen. Nun sind zwar sicher die Berechnungen der aufgenommenen O,-Mengen bei Versuchen dieser Art nicht annähernd so genau, wie sie bei den normalen, bei nahezu constanter Zusammensetzung der Athemluft angestellten Versuchen sind. Aber mag man die \ersuchsfehler noch so hoch veranschlagen, sie können nicht an den grossen in den Versuchen gefundenen Unterschieden Schuld sein. Und vollends würde es unerklärlich bleiben, warum nicht ein einziges Mal in den vielen Versuchen, welche ich angestellt habe, sich ein Unterschied im entgegengesetzten Sinne hätte zeigen sollen. Ohne deshalb auf die Zahlenwerthe im Einzelnen mehr Gewicht zu legen, als sie verdienen, halte ich mich für berechtigt, aus meinen Ver- suchen den Schluss zu ziehen, dass der O,-Gehalt der Athemluft einer der Umstände ist, von denen die O,-Aufnahme in der Lunge abhängt, und dass daher, wenigstens während einer ge- wissen Zeit, die Q,-Aufnahme der Thiere durch Aenderungen im O,-Gehalt der Athemluft in hohem Maasse vermehrt oder vermindert werden kann. Mehr- oder Minderverbrauch nimmt bei längerem Bestehen des veränderten O,-Gehaltes wieder ab, Spuren derselben aber können, wie aus den oben mitgetheilten Zahlen hervorgeht, selbst bei Versuchen von vierstündiger Dauer noch nachgewiesen werden. Weiteren Untersuchungen bleibt es vorbehalten, die quantitativen Ver- hältnisse der O,-Aufnahme noch weiter zu verfolgen. Was ich in dieser Beziehung durch meine Versuche schon festgestellt habe, werde ich in den folgenden Artikeln auseinandersetzen. In diesem ersten Arikel kam es mir vor Allem darauf an, zu zeigen, dass die gangbare Vorstellung von der Bindung des O0, durch Hämoglobin auf rein chemischem Wege nicht ausreicht, die verwickelten Vorgänge der O,-Aufnahme in den Lungen voll- kommen zu erklären, dass wir es vielmehr mit einem physikalisch-chemischen Vorgang zu thun haben, von dessen Ablauf die im Eingang des $ 5 dar- gelegten theoretischen Erörterungen eine Vorstellung geben, welche den Thatsachen hinlänglich entspricht. Deswegen können jene theoretischen An- schauungen bis auf Weiteres unseren experimentellen Untersuchungen als Leitfaden und Richtschnur dienen. Wir sind durch sie in dem Verständniss jenes verwickelten Vorganges um einen Schritt weiter vorgedrungen, der sich hoffentlich für die weitere Erforschung fruchtbar erweisen wird. Zum Schluss dieses Artikels möchte ich noch auf einige besondere Fälle hinweisen, deren Deutung von dem jetzt gewonnenen Standpunkte aus sich 198 J. ROSENTHAL: N leichter ergiebt als von dem früheren, von manchen Physiologen noch aus- schliesslich vertretenen. Dass durch verstärkte Lüftung der Lunge der O,-Gehalt des Blutes gesteigert werden kann, ist bekannt. Es ist klar, dass bei künstlicher Ath- mung mit atmosphärischer Luft diese vermehrte O,-Aufnahme nur zu Stande kommen kann durch eine Erhöhung der O,-Spannung in den Alveolen. Wäre die O,-Aufnahme in so weiten Grenzen, wie es vielfach angenommen wird, von der O,-Spannung in den Alveolen unabhängig, so wäre es gar nicht zu verstehen, wie dabei vermehrte O,-Aufnahme stattfinden könnte. Was vermehrte Lüftung bei gleichbleibendem O,-Gehalt der Athemluft bewirkt, muss aber auch vermehrter O,-Gehalt derselben bei unveränderten Athem- bewegungen bewirken. Daher entsteht im Gegensatz zur Apnoe bei ver- mehrter Lüftung, bei verringertem O,-Gehalt zuerst Dyspnoe, so lange als die Verstärkung der Athmung noch den Einfluss des geringeren O,- Gehaltes auszugleichen vermag; ist dies nicht mehr der Fall, so tritt Er- stickung ein.! Mithin spricht auch diese allbekannte Erscheinung für die Richtigkeit des von mir behaupteten Verhältnisses. Im gleichen Sinne sind die gerade in letzter Zeit so viel untersuchten Wirkungen der Luftverdünnung zu beurtheilen, wie sie bei Bergbesteigungen und Ballonfahrten auftreten. Aus den Ergebnissen unserer Untersuchungen folgt, wie sehr dabei die Geschwindigkeit der Luftverdünnung bei der Erschwe- rung der O,-Aufnahme in Betracht zu ziehen ist, und warum die schon oft erprobte Einathmung reinen Sauerstoffis geeignet ist, die Gefahren zu vermindern. ? Schliesslich erinnere ich an die gleichfalls in neuerer Zeit wieder auf- genommenen Versuche, in Krankheitsfällen, bei welchen das Blut O,-arm ist, durch Athmung von reinem O, Erleichterung zu schaffen. Dyspnoische Beschwerden, wie sie durch Störungen der Circulation, z. B. nicht compen- sirte Herzfehler, entstehen, wobei das Blut trotz normaler Beschaffenheit der Athemluft nicht die genügende Menge von O, aufzunehmen vermag, können auf diese Weise gemildert werden, weil bei erhöhter O,-Spannung in den Alveolen das Blut wieder mehr O0, aufnehmen kann. Von ver- schiedenen Seiten sind Berichte über gute Erfolge dieses therapeutischen ! Vgl.hierzu die Auseinandersetzungen in meinen „Athembewegungen“ (Berlin 1862), sowie „Studien über Athembewegungen“ (Dies Archiv. 1864. S. 456 und 1865. 8. 191). Warum selbst in reinem Sauerstoff ohne künstliche Athmung keine Apnoe eintreten kann, ist leicht verständlich; ohne Lüftung der Lunge muss der O,-Gehalt der Alveolarluft stetig sinken, da die Diffusion durch den Bronchialbaum selbst bei reinem O, nicht ausreicht, den aus den Alveolen in das Blut übergetretenen O, zu ersetzen. ?2 Von den anderen dabei mitwirkenden Einflüssen, Ermüdung beim Bergsteigen, niedriger Temperatur u. s. w. sehe ich ab. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN RESPIRATORISCHEN STOFFWECHSEL. 199 Versuches veröffentlicht worden. Trotz des Widerspruches von Physiologen, die ihn für aussichtslos erklärten, haben sich Aerzte zu ihm entschlossen, dem guten Grundsatze folgend, dass Probiren über Studiren gehe. Ist bei den Herzfehlern und ähnlichen Zuständen nur eine freilich nicht zu unter- schätzende Besserung im Befinden der Kranken zu erhoffen, so kann bei der Vergiftung mit CO sogar Lebensrettung durch Einathmung O,-reicher Luft eintreten. Denn bei dieser kommt es darauf an, das Leben so lange zu erhalten, bis die im Blute entstandene Kohlenoxyd-Hämoglobinverbindung wieder zerlegt worden ist, was bei genügendem Ö,-Gehalt des Blutes immer nach einiger Zeit, bei vermehrter O,-Zufuhr in kürzerer Zeit geschieht. Ueber die Arbeit, welehe die Nieren leisten, um den osmotischen Druck des Blutes auszugleichen. Von G. Galeotti. (Aus dem Laboratorium für allgemeine Pathologie der K. Universität zu Cagliari.) Erst seit wenigen Jahren hat man angefangen, die Methoden der physi- kalischen Chemie auf dem Gebiete der Physiologie und der Pathologie anzu- wenden, und die bisher gewonnenen Resultate sind so befriedigend, dass sie die Biologen veranlassen, das Studium der verschiedenen Functionen der Organismen im Lichte dieser neuen Theorien systematisch wieder aufzunehmen. Ich habe eine Reihe physikalisch-chemischer Untersuchungen über die Function der Nieren unter verschiedenen physiologischen und pathologischen Verhältnissen des Organismus angestellt. In der vorliegenden Abhandlung wollte ich die Arbeit bestimmen, welche von den Nieren nach plötzlicher Zunahme des osmotischen Druckes des Blutes nach intravenösen Infusionen concentrirter NaCl- oder Traubenzuckerlösungen geleistet wird. Untersuehungsmethode. Meine Versuche bestanden darin, dass ich Hunden bestimmte Mengen von 10-procent. NaCl- oder 30-procent. Traubenzuckerlösung in eine der Gruralvenen mittels einer Bürette einfliessen liess. Die Flüssigkeit wurde auf einer Temperatur von 37° erhalten. Man liess sie ziemlich langsam einfliessen, so dass die Injection in ungefähr 10 Minuten vollendet war. Nach der Einspritzung habe ich in verschiedenen Zeitintervallen kleine Mengen von Blut aus der Carotis entnommen und den ausgeschiedenen Harn vermittelst eines fortwährend in der Blase befindlichen Katheters (so DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT UT. S. W. 201 dass er gar nicht in der letzteren verblieb) aufgefangen. Diese Flüssig- keiten wurden in folgender Weise untersucht: 1. Bestimmung des Gefrierpunktes. Die Bestimmung geschah mittels eines Beekmann’schen Thermometers. Die Temperatur des Bades schwankte zwischen —3° und —4°. Die Unterkühlung war nicht grösser als 0-3° Das Gefrieren wurde durch einen Eiskrystall bewirkt. In der Beschreibung der Untersuchungen wird die Gefrierpunktserniedrigung mit A bezeichnet. 2. Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit. Das defibri- nirte Blut wurde stets centrifugirt und die Bestimmung an klarem Serum ausgeführt. Der Harn wurde, wenn ertrübe war, filtrirt. Die Bestimmungen geschahen nach der Kohlrausch’schen Methode (W heatstone’sche Brücke und Telephon). Das Leitfähigkeitsgefäss hatte die von Ostwald empfohlene Gestalt und blieb in einem Bade von constanter Temperatur (12° oder 25°). In der Beschreibung der Versuche wird das Leitvermögen bei der Temperatur £° mit X 2°. in — or bezeichnet!. Theoretisch ist X = k. 106 30; in’diesem Ausdruck ist A die auf Quecksilber von 0° bezogene Leitfähigkeit. 3. Bestimmungdes organischen bezw.anorganischen Gehaltes des Harnes. Eine bestimmte Menge des Harnes (10° oder manchmal 5m) wurde in einem gewogenen Tiegel bis auf ein constantes Gewicht ausgetrocknet und dann verbrannt und die Aschenmenge gewogen. ? 4. Die qualitative Bestimmung des Eiweisses geschah nach der Adamkiewicz’schen oder der Heller’schen Methode — die quantitative aber mit der Esbach’schen Eprouvette. Die Zuckerbestimmung wurde mit einem Polaristrobometer ausgeführt. 5. In der Beschreibung der Untersuchungen bezeichne ich als Secre- tionsgeschwindigkeit die Harnmenge in Cubikcentimetern, welche während 5 Minuten ausgeschieden wird; als Eliminationsgeschwindigkeit der anor- ganischen bezw. organischen Substanzen die Menge in Gramm, welche in dem in 5 Minuten abgesonderten Harn enthalten ist. In Bezug auf die operative Technik halte ich es für überflüssig, viele Details anzugeben. Die Hunde blieben während starker Diurese (etwa eine halbe Stunde oder eine Stunde) auf dem Operationsbrette. Dann liess ich ! In Bezug auf das elektrische Leitvermögen des Blutes und des Harnes weise ich auf die Arbeiten von Roth, Bugarsky und Tangl, Oker Bloom, Rollet hin. Es ist aber nöthig zu bemerken, dass diese Forscher die ältere, auf Quecksilber von 0° bezogene Maasseinheit angewandt haben. ? Wenn der Harn Eiweiss enthielt, wurde er vor der Bestimmung von demselben durch Kochen befreit. 202 G. GALEOTTI: sie auf einen mit Stroh bedeckten Tisch legen und, um Erkältungen zu vermeiden, zudecken. ” | Nach Schluss der Untersuchung wurden die Thiere getödtet und die nöthigen Obductionen ‚gemacht. Ich werde in folgender Beschreibung nur über diejenigen berichten, welche einigermaassen wichtige Veränderungen zeigten. | | Die mikroskopische Untersuchung der Nieren wurde bei allen nephri- tischen Hunden vorgenommen und auch an einigen normalen, obschon ich an letzteren keine bemerkenswerthen Veränderungen fand.! Theoretisches über die Berechnung der von den Nieren geleisteten Arbeit. Ir Um die osmotische Arbeitsleistung der Nieren während der Secretion einer gewissen Harnmenge zu berechnen, denken wir uns, dass die durch die Glomeruli filtrirte Flüssigkeit innerhalb der Harncanälchen auf irgend eine umkehrbare Weise? concentrirt‘ werde, etwa dergestalt, dass aus dem im Anfangszustande dieselbe Concentration wie das Blut (Gefrierpunkts- erniedrigung 4,) besitzenden Harn eine gewisse Wassermenge entfernt sei, bis der Gefrierpunkt den Werth A, erreicht. Das Volum des ab- gesonderten Harnes sei /,. Das dem Anfangszustande entsprechende Volum V, kann man unmittelbar berechnen, wenn man die zwischen Gefrierpunkt und Concentration existirende Proportionalität in Betracht zieht. Wir haben nämlich Äh AV = ZE I, In dieser Annahme kann man die für die Concentration erforder- liche Arbeitsmenge 4 aus der Gleichung berechnen | Pr, ! Bei den hier aufgeführten Untersuchungen habe ich keine narkotischen oder anästhesirenden Mittel angewandt. Zwei Versuche, die ich zu Anfang machte, zeigten, dass bei Anwendung von Narkose sich die Thätigkeit der Nieren erheblich verändert. Daher habe ich diese Experimente ausser Betracht gelassen, und ebenso zwei andere, bei denen die Thiere laparotomirt wurden; das eine Mal zu dem Zwecke, eine Canüle in die Harnleiter einzuführen, um den Harn direet aufzusammeln, das andere Mal, um eine Darmschlinge zu isoliren und in dieselbe eine bestimmte Menge von einer mit dem Blute isotonischen Lösung hineinzuleiten. In diesen beiden Fällen brachte der operative Shock Veränderungen in der Nierenfunction hervor, und zwar in solchem Maasse, dass der osmotische Druck des Blutes nicht auf das Normale zurückkehrte. ® Bekanntlich bleibt der Arbeitswerth.eines umkehrbaren Processes unabhängig von der Art und Richtung der Wandlungen. DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. W. 205 oder ‚ A Ar aR in 7, : worin 2% die Grasconstante, 7 die absolute Temperatur bedeutet. Diese Gleichung gilt wie bekannt, für eine moleculare Menge der gelösten Sub- stanz. Für eine Flüssigkeit, welche » Grammmoleeül irgend einer gelösten Substanz enthält, hat man nur diesen Ausdruck mit » zu multipliciren. Für /, Cubikeentimeter eines Harnes, der die Gefrierpunktserniedrigung 4A, zeigt, ist N — dr EN 18-°50x710087 7 also die gesuchte Arbeitsmenge ? AP, 7 di Te ER ETR E A Aber das während dieser Concentrationserhöhung entfernte reine Wasser, welches ein Volum Y, — V, einnimmt, muss in das Blut zurück- kehren, und bei diesem Processe- wird eine gewisse Menge Arbeit geleistet, welche von dem vorigen Ausdrucke subtrahirt werden muss. Diese Arbeits- menge kann man berechnen, wenn man den osmotischen Druck des Blutes als constant annimmt. In diesem Falle genügt es, diesen Druck mit dem Volumzuwachs Y7, — V, zu multiplieiren. Diesen Druck berechnet man aus der Gefrierpunktserniedrigung, er ist gleich A RT x 100" Die abzuziehende Arbeitsmenge hat folgenden Werth: Io RT 18-5 x 100 Mn) Die ganze von den Nieren geleistete Arbeit lässt sich nun durch folgende Gleichung ausdrücken: RT J 4= 1830 \ Ana 7; male DE oder weil 2: 7 V, — Ze L, ist el 4 A= lang - Ara), wo für 2 84-800 (rund) zu setzen ist, wenn wir die Arbeit in Gramm- centimetern ausdrücken wollen, und 7 den Werth T = 273° + 38° = 311 annimmt, 204 G. GALEOTTI: Diese Arbeitsmenge muss als ein Minimum betrachtet werden. In der That ist die von den Nieren geleistete Arbeit grösser, weil die Concentrations- erhöhung des Glomerulifiltrates auf irreversibllem Wege stattfindet. Auf Grund vieler physiologischer Betrachtungen muss man annehmen, dass diese Concentrationserhöhung nicht durch Wasserresorption bedingt wird, sondern dadurch, dass die Epithelzellen Molecüle der zu eliminirenden ge- lösten Substanzen aus der umgebenden Lymphe aufnehmen und dieselben in den Harn einführen. Ein solcher Process ist ersichtlich irreversibel. Nur wenn die Harnconcentration sehr wenig verschieden von derjenigen des Blutes ist, kann man den Process für annähernd umkehrbar halten und die thatsächlich von den Nieren geleistete Arbeitsmenge nähert sich dem Werthe, welchen man mittels obenstehender Formel berechnen kann.! Beschreibung der Versuche. A. Intravenöse Infusionen von NaCl-Lösung bei Hunden, denen das Wasser entzogen war. Bemerkungen zu den Versuchen I und II (S. 206 — 209). Die dargestellten zwei Versuche haben die gleichen Resultate ergeben. Die Secretionsgeschwindigkeit hatte den grössten Werth während der ersten 15 Minuten nach der intravenösen Einspritzung; in der zweiten Viertelstunde nahm sie ab, und noch mehr während der folgenden Stunden. Von da an behielt sie einen fast constanten Werth. ! Dreser hat auch eine Formel für die Berechnung der osmotischen, von den Nieren während der Harnsecretion geleisteten Arbeit erfunden. Aber die Dreser’sche Formel ist weniger genau als die meinige, weil in ersterer die Temperatur, bei welcher der Process vor sich geht, nicht enthalten ist. Eine grössere Annäherung in der Berechnung der Arbeit, welche von den Nieren in dem Zeitintervall (?,, £,) zwischen zwei experimentellen Bestimmungen von 4, und A, geleistet wird, könnte man durch den Ausdruck tı RT 4 erhalten, bei welchem man V,, 4, und 4,, als lineare Functionen der Zeit, wie folgt Var: 4, =b tet, 4, =b—ct ansehen darf. Die Werthe der Constanten a,b,c,b',c' lassen sich unmittelbar aus den experimentellen Daten ermitteln. Die Integration des oben stehenden Ausdrucks bietet keine Schwierigkeit dar, doch führt sie zu einer sehr complieirten Formel, welche die Berechnung der Arbeit ziemlich erschwert, während die von mir benutzte ein- fachere Formel eine genügende Annäherung giebt, um die qualitativen Veränderungen der von den Nieren geleisteten Arbeit, während der verschiedenen Perioden des Ver- suches bei verschiedenen Zuständen der Nieren zu erkennen. DIE von DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. 205 Während der starken Diurese war der Harn entweder von klarer, gelber Farbe oder ganz farblos, dann, als die Secretionsgeschwindigkeit ab- und die Concentration zunahm, wurde der Harn dunkler und trübe; seine Reaction, welche vorher neutral war, wurde schwach alkalisch, und Spuren von Eiweiss traten auf: ein Bewies für die Erschöpfung der Nieren. Die moleculare Concentration des Harnes nahm nach der Einspritzung beträchtlich ab, vermehrte sich aber später stetig und mit einer gewissen Regelmässigkeit. Die Concentrationsänderung zeigt einen umgekehrten Gang in Vergleichung mit der Secretionsgeschwindigkeit, und wenn diese letztere ein Minimum erreicht, steigt die Concentration schnell. Die Totalmenge der während des ganzen Versuches eliminirten anorga- Det >90 N 212 3 5 6 7 8 9:0 mm ı1 2-3 4 53 e.iyNigtg Fig. 1. Variationen der Eliminationsgeschwindigkeiten der organischen bezw. anorganischen Harnbestandtheile bei einem normalen Hunde (Versuch I). Eliminationsgeschwindigkeit der organischen Harnbestandtheile. ----- Eliminationsgeschwindigkeit der anorganischen Harnbestandtheile. nischen Harnbestandtheile übersteigt die Quantität des intravenös einge- führten NaCl. Versuch 1. Versuch II. Eingeführtes NaCl in grm . . 16.00 15-00 Anorganische Bestandtheile des Harnes mn orm 2.8 18'207 16-910 Dieses Resultat beweist, dass auch während der Elimination des ein- geführten NaCl die normale Ausscheidung der anorganischen Stoffwechsel- producte nicht aufgehört bat. Die Eliminationsgeschwindigkeit der organischen Substanzen zeigt einen fast constanten Werth (Fig. 1), und diese Thatsache zeugt dafür, dass die normale 'Thätigkeit der Nieren, auch während sie eine viel grössere Arbeit für die Elimination des NaCl leisten müssen, nicht ausgesetzt hat. 206 (&. GALEOTTI: Versuch I. Hündin, Bastard. Gewicht 11-800", Infusion in Har re Del ı keesienzehee | 8.%& BB 2 = 0338338 532[8358 s| 2288 a El en x 02508 827.28 0580 = 35 38 8 & 2 m a aaa äe = = SB 25 S Bı5 Bee Bee sea - | mans Sa A | Nıeserszsömeessn = a3 | Sa Feel v Vor der gelb, — |(1 .324) —- _ Bi — | Einspritzung dunkel | | | | | ı Nach der Ein- schwach gelb | -- 0.922 115-98 0.042 spritzung klar zwischen 9® 15’ ‚und 9# 30° Vorm. (15 Min.) | 2 Zwischen 9% 30' farb- | — | 0864 |15-02 0-0583 ‚und 9» 45’ Vorm. los (15 Min.) klar 3) Zwischen 9" 45’ 55 — 10°840 |14:96 0:039 und 10% Vorm. (15 Min.) 4 Zwischen 10® = — 1.160 |21-35 0028 u. 10? 30’ Vorm. (30 Min.) 5'Zwischen 10# 30’ 2 — 11.246 21-30 0:036 und 11" Vorm. (30 Min.) 6 Zwischen 11? Vm. gelb | —. |1-402 |19-15 0-042 u.12+ 30’Nachm. ' (80 Min.) 7 Zwischen 12% 30' gelb | — | 1.744 28-30 0:037 und 3° Nachm. (2 St. 30 Min.) 8 Zwischen 3® und schwach | gelb | — | 2.005 24-06 0-032 7" Nachm. dunkel | (4 Stunden) 9| Zwischen 7" N. gelb |Spuren| 3.362 |26-18 0-031 und 9" Vorm. dunkel (14 St.) trübe | 10 Zwischen 9® V. dunkel [Spuren 3.502 124-831 0025 _ und 75 Nachm. trübe | (10 Stunden) " | 11/Zwischen T" N.| dunkel |Spuren 3.590 125+82) 0-028 und 8» Vorm. | trübe | (13 Stunden) Dumma | des Harnes DIE von DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. die rechte Cruralvene von 160 “® einer 10 procent. NaCl-Lösung. =| = = See = an een, © een la weile sn] e &0. en BES _SENSSURNSAgL 5 Eu 5 SERIE BEE IRRE Eee 2 SEESSEIEESTSISEHE RS TER] = har Bar | REES S SEES IEFES SAFE rain = rs Saar 150 N ia 2.130 0.710 1690 53 750 59 | 1-629 0-543 10-42 32 180 18 0-306 0+102 2-61 ‚4644 5 Oedem am. “rechten Beine 0-516 0-086 3-86 39010 21 0-252 0-042 1-17 1 -:24:660: 13 0-324 0-036 0-85 41 220 15 1-170 0-039 1-05 185 100 20 Das Oedem ist verschwunden | | | 1-152 | 0.024 0-74 230 400 | 3.864 | 0-03 | 0-74 3 735 000 74 | 3.120 | 0-0%6 | 1-04 | 1616000 a5: | | | | 3-74 | 0-024 | 1-11 |:2701:000 57 | | | 18-207 = — 8.662 964 | = Blut a cas = g| Ares x B=' uPB>9 N & a &°3 : = Pl O/Vorder Ein-0:584| 9-51 spritzung 9h5’ Vorm. ' 1/Nachd.Ein:/0-732|12-92 spritzung 9h 15° Vorm. 2 g9h 45’ 0-718/12-01 - Vorm.': |. 3| . 106 15’ 0.713/11-86 Vorm. 4 11545' |0-70611-40 Vorm. 5 3h30' 0-693|11°02 Nachm. 1, 6 5".Nachm. 0-684|111-°21 7) 9% Vorm. '0-657|11-06 86h Nachm. 0-643 10-90 9 8% Vorm. 0-620.10-68 a | = — 208 Versuch 1. E. GALEOTTI: Junger kräftiger Hund. Gewicht 10-0508. Infusion Nummer aufgefangen Vol. in cem Secretionsge- | schwindigkeit | Harn Reaction Farbe Eiweiss Menge der organischen Substanzen in 10 em | des Harnes keit der organischen Substanzen Menge der anorganischen: Substanzen in 10 m jet = En oa 1 (es) g D Vor der Einspritzung Nach der Ein- 'spritzung zwisch. | 10®15’ und 10% 30° Vorm. (15 Min.) Zwischen 10% 30’ und 10 45’ Vorm. (15 Min.) Zwisch. 10# 45’ ı und 11" Vorm. (15 Min.) Zwischen 11® u. 11® 15° Vorm. (15 Min.) Zwischen 11#15’ und 11545’ Vorm. (30 Min.) Zwischen 11®45’ Vorm. u. 115° Nachm. (1 St. 30 Min.) Zwischen 1215‘. und 5h25’° Nachm. (4 St. 10 Min.) Zwischen 5525’ Nachm. und 9b Vorm. ' (15 St. 35. Min.) ‚Zwisch. 9b Vorm. und 3% Nachm. (6 Stunden) | [3 | Zwischen 94 Vorm. (18 Stunden) Summa | 1117 3b Nachm. und | 23 13-5 19 150 46 48-3 74 4-5 6°6 0-8 0-6 schwach | gelb dunkel sauer neutral | gelb | klar | gelb | ‚dunkel | 2) alkal. | | ‚dunkel | ‚trübe | | | ” | 3 15-50 Spuren 1:116 21.60 0-991 18-86 | 0979 17-06 1-386 18-95 | | 2.789 29-93 3464 3516 | 1°164 22-02 0.806 16-10 0-0190 0-0134 | | 0-0597 0-1089 00873 0.4920 0.6840 0-3989 0.5478 0.7199 || Eliminations- \ geschwindig- 0-091 0-045 0-045 0-049 0-032 0-041 0:032 0035 | | 0.1198 0-1301 0-1302 O-1747 0-3503 des Harnes DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. W. in die rechte Cruralvene von 150°" einer 10 procent. NaCl-Lösung. 209 Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 14 2 Blut & = Dilfsrte = Fr Do m2g Ela Sala3THzu 32280 WE | = = ES SERFRIEFEE RI BE EEE PR a Ce = eeas |S5 „a8 FR SS MESSE AaA58 = S| Ma3 [ x N SIRNSRSE am! Das gm ey m =| = Fe = uses gs mSs Is a8 [neun = = Bl sea 5 SEIEN EEE: sasaslesa283 153, r | A ’3 S WO ge® Serra el NN N N _ — | — — — 0,VorderEin- 0-581| 9-43 | spritzung | 10» 5’ Vm. 1-737 0:646 | 6.30 7.000 s 1 Nach d.Ein-|0-728113-14 | spritzung 10#:15 Vin. 1.264 0-418 9.24 5 600 6 —: == = = | 0.299 0099 2-44 27.000 30 Oedem am \— — u | | linken Beine 0267 0.089 1-88 24 300 27 | 211% 20° Vm.|0-696/11+71 | | 0-319 0-053 1-66 16 850 9 | 3]12% 20’ Vm.|0-682[11-55 | 0.195 | 0.011 | 0-26 11 800 2 43% Nachm.0-672 11-40 | | 0-332 0009 0-25 76 300 5 || Das Oedem ist) 5/6" 30° Nm.\0-666| 11-44 | verschwunden 5.250 0:029 | 0-87 | 4048000 12 6| 9% Vorm. |0-640 11-11 1-936 0.06 | — 1 962 000 | | 7/55 30° Nm.|0-626|11-21 | | | 5.3118 0-024 0-63 5 311 000 147 | 8 9% Vorm. /0-602|10-96 | | „m n 16-910 — — 11 489 850 = | = = = = = 210 | (&. GALEOTTT: Die Eliminationsgeschwindigkeit der anorganischen Harnsubstanzen er- reicht beim Anfange des Versuches, während die Diurese am stärksten war, den höchsten Grad, um dann nahezu linear abzunehmen (Fig. 1). Es ist bemerkenswerth, dass, je dünner der Harn, um so grösser die Eliminations- geschwindigkeit, und umgekehrt. Das Verhältniss von anorganischen zu organischen Bestandtheilen nimmt fast in gleicher Weise ab, wie die Eliminationsgeschwindigkeit der Mineralsubstanzen. Das elektrische Leitvermögen des Harnes verändert sich zuerst in gleicher Weise, wie die moleculare Concentration: ist geringer, wenn der Harn weniger concentrirt ist, nimmt dann mit der Concentration zu, bis es ein Maximum erreicht nach welchem es wieder etwas abnimmt (Versuch II, während die moleculare Concentration zu steigen fortfährt). Diese Abnahme entspricht einer grösseren Concentration von Nichtelektrolyten, wie man aus den Procentzahlen der organischen Substanzen des Harnes in der Tabelle ersieht. In Bezug auf das Blut kann man Folgendes bemerken; Der osmotische Druck des Blutes steigt nach der Einspritzung; nimmt dann in den ersten zwei Stunden ziemlich schnell, dann langsam ab und erreicht am Ende des Versuches fast wieder den normalen Werth. Das elektrische Leitvermögen des Serums wächst mit der Concentration. Die von den Nieren geleistete Arbeit für die Ausscheidung des einge- führten Salzes und der physiologischen Stoffwechselproducte hat während des ganzen I. Experimentes (welches 46 Stunden gedauert hat) 8 662 964 srmem betragen, beim II. Versuch (Dauer 46 Stunden 45 Minuten) 11 489 850 smem In den ersten Stunden, bis der Harn reichlich war, hat die in einer Secunde geleistete mittlere Arbeitsmenge wenig geschwankt, aber nach der fünften Stunde, als die abgesonderte Harnmenge sich sehr verringerte, hat die Nierenarbeit beträchtlich zugenommen. B. Intravenöse Infusionen von NaCl-Lösung bei Hunden, welche zeitweise Wasser bekamen. Bemerkungen zu den Versuchen III und IV (8. 212—215). Die Secretionsgeschwindigkeit hat auch in diesen Fällen ein Maximum gleich nach der Einspritzung gezeigt; in den späteren Stunden, in welchen die Thiere getrunken haben, ist sie fast beständig auf mittlerem Grade ge- blieben, und bei dem Versuch III, während der Nacht, in welcher der Hund kein Wasser bekommen hat, bedeutend gesunken. Die Farbe und die Reaction des Harnes sind während des ganzen Experimentes normal geblieben, und bei dem Versuch III haben sich Nachts Spuren von Eiweiss im Harne gezeigt. DıE VoN DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. $. W. 211 Die moleeulare Concentration des Harnes hat stufenweise zugenommen, wie bei den vorhergehenden Versuchen. Es ist auch augenscheinlich, dass die Concentration des Harnes und diejenige des Blutes in umgekehrter Weise varliren (Fig. 2). Das elektrische Leitvermögen hat mit der Concentration zugenommen und > bei dem Versuch III hat das Verhältniss X ungefähr constante Werthe A Harn Nr. 1 2 3 4 5 6 7 222.8 27.3 25-6 28-1 28-1 31-2 25-8 Die Constanz dieses Verhältnisses hängt mit der Thatsache zusammen, dass die Concentration der organischen Bestandtheile (Nichtelektrolyte) innerhalb enger Grenzen schwankt. | 80 60 40 go a tı 20 m Zeit 6,3009 0 71 72 In 2 3 — a 5 6 Fig. 2. Variationen des osmotischen Druckes des Blutes und des Harnes und gleich- zeitig der Secretionsgeschwindigkeit bei einem normalen Hunde (Versuch IV). Ze ndesaBlutes: ---- - A des Harns (dureh 2 dividirt). =: Seeretionsgeschwindigkeit (durch 2 dividirt und mit 20 addirt). Die Eliminationsgeschwindigkeit der organischen Bestandtheile ver- ändert sich sehr wenig (Versuch IV), wie bei Versuchen I und II. Die Eli- mination der anorganischen Stoffe ist bei den Veränderungen der molecu- laren Concentration gemäss. Hinsichtlich des Blutes sehen wir Folgendes: 14= Versuch Il. (+. GALEOTTT: Kräftiger Hund. Gewicht 128. Infusion in Harn Nummer wurde Der Harn aufgefangen Volum in ccm Secretions- geschwindig- keit Reaction Eiweiss Menge der organischen Substanzen in 10 ccm des Harnes Eliminations- geschwindig- keit der organischen Substanzen _ ku} Vor der Einspritzung Nach der Einspritzung zwischen 10" (10 Min.) Zwischen 10? 10' u. 10% 25° Vorm. (15 Min.) Zwischen 10® 25 und 11 Vorm. (35 Min.) u.1E 40’ Nachm. (2 St. 40 Min.) | Zwischen 1®40' (1 St. 50 Min.) Zwischen 8b 30’ | u. 7 30° Nachm. (4 Stunden) Zwischen 7: 80’ Nachm. und 9b Vorm. Zwischen 11®Vm. u. 3# 30’ Nachm. | | u. 10% 10’ Vorm. | 37 8 194 | (13 St. 30 Min.) | | | | | Summa | | 194 163 | 187 | 54-3 71 4-3 4-9 3-9 1-2 | | ' neutral | gelb sauer | klar | = farblos schwach alkalisch n » | Spuren 1-8 -| - | - — use] 1-023 1.452 1:458 11.412 6 23-37 40-78 41-16 4403 | | | 00366 0.0130 -0-0378 0.0850 0.0651 0:0454 0.249 | 0.070 0020 0:024 0-017 ns AT nrw DIE von DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. die rechte Ururalvene von 160°" einer 10 procent. NaCl-Lösung. - m | — | || Blut 3 | = = olı x 5_SE2 0 5 | &n I | De: son: SIS2NESI2ET3 SZ N SQ@ RZ N 05T.) ie) |e|2Eos 25:2 5|,22s0 33° 22 SS 85 dE383 = IE Mes uszemln5sT5 fe 5dis nn en 525” Sue ng Ba „„ZEMSENIESE AS u 5 SnamaHtn| 2 Zn SErE Esar3as2" 38822532282 34% a IE S’5 SE Br Be Br Ba 1 5 a = _ _ | _ _ 0 'Vor d. Ein-|0-588, ‘ spritzung | | 9350 Vm. | 0-1354 26190 | 1.309 151 100 218 1 Nachd.Ein-0-730 | spritzung | ) 10RVm. | | | | 0-1515 2-4776 | 0829 75 720 ST 2 110" 40° Vm.0-716 | 0.1854 | 0-9270 | 0+132 | 99360 | 47T | Das Thier | 3 11" 40° Vm.[0-698 | | trinkt | | | 0.2758 2-4000 0-075 372 100 38 | 4 | 140° Nm. |0-659 || | 0-2173 1-7600 0.080 394 600 59 Das Thier | 5 5" 15’ Nm. |0-622 | trinkt | | 0-2134 3-9900 0-083 946 900 | 66 | Das Thier | 6, 10% Nm. |0-599 | trinkt | | | 0-2212 4.2910 0-027 | 2182000 45 | | 7 9" Vorm. |0-596 13-4646 ' 4.204 780 nkalon 11-08 9.72 9-50 214 G. GALEOTTI: Versuch IV. Junger Hund. Gewicht 10.400 Y=.. Temp. 38°. Intravenöse Harn Nummer Der Harn wurde aufgefangen Secretions- geschwindig keit Reaction Farbe Eiweiss A Menge der organischen Substanzen in“19.em des Harnes Eliminations- geschwindig- keit. (der. organischen Substanzen 0 Vor der — sauer gelb — |(2-185) —_ = Einspritzung a) Nach der 170 | 85-0 | neutral ifarblos| — 0-915: | 39-96 | 0.0262 ‚0.223 Einspritzung klar zwischen 9t u. | 910° Vorm. (10 Min.) 2| Zwischen 9" 10° | :82 | 27-3 H farblos] — 0:950 27:08 0-0151 .0-031 u. 9625. Vorm. | (15 Min.) | | | | 3. Zwischen: 9% 25’ 34 | 5-67 > > “—. ı 1:423 |34-75| 0-0400 .0-022:. | u. 955’ Vorm. | | (30 Min.) 4; Zwischen 9855 | 26 | 3-7 B: | == 1-658 |38-91 | 0.0584 0-021 | u. 10# 30° Vorm. | (35 Min.) 5'Zwischen. 10% 30 | 20 1-4 |. ,„ _ 1-928 |41-93 | 0-1306 .0:019 u. 11®40° Vorm. | , (1 St. 10 Min.) 6) Zwischen | 50 | 5-0 | sauer a — | 2.051 |42-87| 0.0540 0.027 | 11% 40’ Vorm. | ' u.12% 30°’ Nm. | (50 Min.) 7 Zwischen 1230°| 47| 4-7 ® selb| — | 2-040 |43-47| 0-0704 | 0-033 u. 1%?20° Nachm. klar | | (50 Min.) . | u. 4b Nachm. (2 St. 40 Min.) 8 Zwischen 1? 20’ 49 1.5 en es — |) 2340 |46-50.| 0.1762 0027 . 9. Zwischen 4® u. 96 3-2 5 — |) 2°465 — 0-0971 0:031 ı 6%30° Nachm. | (2 St. 30 Min.) 3 Summa — - —-— || — — — — — DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. $. W. 215 “Infusion von 150°" einer 10 procent. NaCl-Lösung in die rechte Cruralvene. B Blut en — = - = — {eb} En Z on Er en = = =] SE, =} i5.29 om 80 mas: 83/533 Blän Sszeees) mi, E) RE = Bzw. n ga s3san ma Bel 8ents re | 2.59 = "2:0,3| 2s5HB 8205. 22a > 255 3285 4 8 ER eIasıa 53a. lv2 388 & a Ra Ro 2a nn © = [ x Bsortmlusz "eisen 3... amlsgE2” = S|na83 s Sans resatasgmelausslnhmaa 0-891 | 5-97] 60-7 | 0-909 105 20°: Vorm. i (15 Min.) | | 3 Zwischen 10% 20’ Vorm. 8 0-3 b x 1-336 | 6-57, 77-5 | 0-528 und 12 30° Nachm. (2 St. 30 Min.) | | | 4 Zwischen 12430’ und 8 0:1 , schwach > 2.859 |24-20| 30-3 | 0-240 5% 80° Nachm. (5 $t.)) alkal. | | | I | | Summa | — — ne — 0 792712 Versuch VI. Hündin., Gewicht 5.550". Infusion von 100°" 0 Vor. der — — sauer gelb |(1.253) | — | — _ Einspritzung ‚ dunkel 1 Nach der Ein- 89 | 44-5 | neutral |gelbklar| 0-885 | 6-62) 48 | 4-272 spritzung zwischen 96 5° und 9* 15° Vorm. (10 Min.) 2 Zwischen 9" 15° und | 40 13-3 bE 5 0-891 | 4-23), 81 | 3.240 :9h 30° Vorm. | (15 Min.) | 3 Zwischen 930° | 13 2-1 1.255 12-9993 127 und 10" Vorm. | (30 Min.) 4 Zwischen 10® Vorm. | 10 0-1 gelb 2.294 115.17) 22 | 0-220 und 3% 10° Nachm. dunkel | ..6 St. 10 Min.) trübe DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S$. W. 219 in die linke Cruralvene von 38°" einer 50 procent. Traubenzuckerlösung. Blut 2% sg ErE ans B sesE | süss | 325 333 E _,Z an SET - Sl =! = ee SHn2-| 8 Asa NS x a8:5 | Sassa ) Sasse Se5 “% Bi | 2 [a8 ge a ba — _ To ı VorderEinspritzung | 0576 | 12-49 um 9b 45° Vorm. 0-345 23-800 | 26 1 Nach der Ein- 0:640 | 11-03 | spritzung 95 50° Vorm. 0-308 | 9:000 10 _ _ e= 0-024 37-090 4 2 10% 50° Vorm. 3.598 | 12-33 0.004 252-300 - 16 381 4" Nachnm. 0-579 | 12-08 | | — | 8322-190 ne = ee einer 30 procent. Traubenzuckerlösung in die rechte Cruralvene. = | >= | == | 0 | VorderEinspritzung | 0-574 _ | 9h Vorm. 2-136 53-370 | 59 | 1 Nach der Ein- 0.678 | | spritzung | 945” Vorm. 1.080 16-890 u» | 2.93 Vrm |osse| — | | | | 0.212 45-400 25 10243 104735’ Vorm. 0596 - | 0-003 197-700 11 a! 12" M. 0.58 — — = = 5 2» Nachm. 0.583 | — 220 3. GALEOTTI: Versuch VII. Hündin. Gewicht 4:900*F8. Infusion von 100 Harn | a I et) | an o = 5 | a a2 un SO . & NS = ar nen essen ar x“ \83,|<58 | sr © ee e 2 Se - 3 = 28 | «X zz | 0) Vor der _ — schwach gelb }„(2-174) _ — — | Einspritzung | sauer | 1| Nach der 50 16-6 r selb | 0-953 4-92 59-0 | 2-90) | Einspritzung klar | | ı Zwischen 9" 20° und | | | 94,35” Vorm. | | | (15 Min.) | 2| Zwischen 9535 und | 42 14:0 a RL 0-876 | 2-91 | 66-1 | 2-778 95 50° Vorm. | | (15 Min.) | | | | | | | | 3| Zwischen 9" 50° und | Sl a = | 3 1028 2-12 84-5 | 2.604 10% 35° Vorm. (45 Min.) | | | 4 | Zwischen 10%35 Vm. 7 08 | „| 0501-228 | 2-70 | 108-3) Om und 12%30° Nachm. | | | | (12 St755” Min.) | | | | | | 5 | Zwischen 12} 30’ N La N OS AR] N dunkel | 2-086 | 14-52 54-6 | 0.755 | 36 10° Nachm. | | trübe | (2 St. 40 Min) | | | Summa | — — Bee = — — .) 9.838 Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Fettige Entartung der Epithelzellen. Leichte Infiltration der Glomeruli. Spärliches Exsudat in den Bowman’schen Kapseln. Interstitielle Hämorrhagien. Bemerkungen zu dem Versuch VII. Wenn wir diesen Versuch mit denjenigen vergleichen, welche in ana- loser Weise an normalen Hunden ausgeführt wurden, können wir folgende Thatsachen feststellen. Die Secretionsgeschwindigkeit hat in gleicher Weise wie bei den nor- malen Hunden varürt: auch in diesem Falle fand gleich nach der Ein- spritzung eine starke Diurese statt und dann nahm die Secretionsgeschwin- digkeit rasch ab. Im Gegensatz dazu hat die moleculare Concentration des Harns keine DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT DT. S. w. 22 einer 30 procent. Traubenzuckerlösung in die rechte Cruralvene. | Blut = 2 = SERPIERENE || Ee = ze Be, a | Een ss, Edes |, ER = 3asS3 Soon, | Was es Zr 8 ar N Le} 7 Sy = = | [ae] = g x SE. < smmsS | Bd g | Bass N a2'o83 ne are Seen | A| sehr | a = au | a | A a < _ Eu 2 Fe I = WR si ze ae —_ — | — 0 Vord. Einspritzung | 0590 12-88 | 9515’ Vorm. | 0+983 23 870 26 li Nach der 0-719 | 12-18 | Einspritzung | 9 20° Vorm. 0-924 | 9 300 10 | 2 DD | 0.626 11-90 | | | | | 0+289 43410 15 | 8 10435 „ 0.631 u | | | | 0-083 23800 | 3° | 4 11045 „ 0605 | 12-59 | | 0:023 218700 22 | 5 | 3®10' Nachm. | 0-598 = m 8319080 | - _ — — | = | | | grosse Zunahme gezeigt: sie behielt mittlere Werthe (A=0.754 oder 0-989) auch wenn die Harnsecretion sehr abgenommen hatte. In analoger Weise varlirte auch die relative Menge des Harnzuckers wenig. Wenn man die Werthe der molecularen Concentration, die des elektrischen Leitvermögens und die des Zuckergehaltes vergleicht, sieht man, dass sich die Zusammensetzung des Harns in den verschiedenen Perioden des Versuchs sehr wenig verändert hat. So verschieden verhalten sich diese Befunde von den an normalen Thieren gewonnenen. Die Totalmenge des während des ganzen Versuchs eliminirten Zuckers betrug z. B. 3-596, d. h. 11-9 Procent der mit der intravenösen Injection eingeführten Menge (30®%). (In den normalen Fällen eliminirten die Nieren, wie oben gezeigt wurde, ungefähr !/, des eingeführten Zuckers.) Der osmotische Druck des Blutes nahm in 5 Stunden 40 Minuten 222 (@&. GALEOTTI: Versuch Harn = =) . eh) n 5 = a © oO | am a os = s age ee = Sales E 5 miss 3 E 2 N Sen = ses =: "8 - = = 2 |&8 A 53 s|28 = 7 3 $ S = En h N Vor der — _ sauer gelb N dell) — —_ | Einspritzung | | \ H \ 1 Nach der 99 31-7 ‚schwach | gelb |Reaction | 0-762 | 12-21 |17-5 Einspritzung ' sauer. klar positiv Zwischen 9® 10° | u. 96 25° Vorm. (15 Min.) 2 Zwischen 55 | 18-7 x r „| 0.754 | 12-03 |19-2 und | 9540’ Vorm. | (15 Min.) | | | | | 3 Zwischen 19 1-3 & gelb 55 0-893 | 13-40 | 25-2 9640 und | dunkel | | | 11% Vorm. | | (1 St. 10 Min) | | 4, Zwischen 12 | 0-2 | sauer „1.21.0989 | 15-29, | 30-8 | 11% Vorm. und | | | | | 3b Nachm. | | | | as) | | | | | | Summa — — | _ — a | — — (Dauer des Versuchs) wenig ab, während er bei den normalen Hunden schnell auf die Norm zurückgine. Die von den Nieren geleistete Arbeitsmenge ist geringer als diejenige, welche bei: den normalen Hunden berechnet wurde. Wir haben in der That als Durchschnittswerth der in 5 Stunden 40 Minuten geleisteten Nierenarbeit die folgenden Zahlen: Vers. VI (normaler Hund) 276.200 sem VII (normaler Hund) 305-400 „ VIII (nephritischer Hund) 33-460 „, ” ” Man darf wohl die Zahlen mit einander vergleichen, da alle diese drei Hunde dasselbe Gewicht hatten und gleiche Mengen von Zucker erhalten hatten. DIE voN DEN NIEREN GELEISTETE ÄRBEIT U. S. w. 223 Vu | Blut | a —— on 5 _— ng | . ' = | sı A Pa} Bess sein.) ae | JE 5| 8. 8 ı 2 STE ee Re re = | En = a=:5 | BaumlseEn | 35083 | SASS | S mean IS x EEs| 55% oes2uar | 2480 | = =) un B © es3|3® a’m8<|Se8.- 3 = sen Re So |=8 ee & 5938 | au 7 en 5 |a% > as sr h — = N I—| : Vor der [0-572 | 12-21 | ‚Einspritzung 965° Vorm. | | 1.662 | 0+-554 | 56 490 6 | ı 1|' Nach der 0-684 | 10-30 | Einspritzung | 910° Vorm. 1:056 0-352 | 2610 s | 2 = Da er | | | | 0-450 0.002 12060 ı 3 2| 118 Vorm. 0-637 | 11-69 | | | .397 5 | i F | o h 665 | 12» 0-397 | 0.006 12 300 | 0-8 Das Then 2| 3% Nachm. 0-665 | 12-01 | stirbt um | 3 Uhr Nm. | 3595| — | 83460 | e = = = Er E. Intravenöse Infusionen von NaCl-Lösung bei mit Phosphor vergifteten Hunden. Versuch IX. (8. 224 u. 225). : Junger, kräftiger Hund. Gewicht 4.400**. Einspritzungen von 1procent. Phosphorlösung in Mandelöl. 30. März. Subeutane Einspritzung von 0-5", er 31. „ „ „ „ 0.5 „ 1. April. E is A lohy Dies Einspritzung von 0-3 °®, u, n „ 0.5°em. — Eiweiss im Harn. 4 + = 1 „ — Eiweiss. Diarrhöen. . ” ’ 6. April. Man führt den Versuch aus. Gewicht des Hundes 4.500 ®8, Infusion von 70" einer 10 procent. CINa-Lösung in die linke Cruralvene. Das Thier stirbt um 11 Uhr 45 Minuten Vorm. Seetionsbefund: Fettleber. Die Milz ist vergrössert. Die Nieren geschwollen und blass. Die Rinde getrübt, in ihr vereinzelte röthliche Flecken. Marksubstanz roth gestreift. Kleine Infarete in den Lungen. 224 G. GALEOTTT: Versuch | me Harn = = ER ne) ne & and. 83% nee ä 2 < 3575818808858 = 38 2|l82| 2 = © oe EHE ETSReES Ss Bis a |E 8 = = > = x“ |aändg ae: Kt SE 80 Ealease 5 = 5) Ss. [288 jee 2.2 E05 Zi a = = 35 rs NIS 035 meer = 2 |83 Bl N PsereantRsg 0 Vor der —| — gelb sauer | 1/, gu |(1 034) — — — — ' Einspritzung dunkel 1! Nach der 21 7-0 | gelb schwach React. |1-664 25-45 | 0-1676 | 0-116 | 0-15604 Einspritzung dunkel 'alkalisch positiv zwischen 9® u. trübe 92515" Norm. (10 Min.) 2 | Zwischen 9 15’ | 6-5] 2-2 „ jalkalisch 1-599 |26-68 | 0-1736 | 0.034 | 0-1636 4 u. 9% 30° Vorm, (15 Min.) 3 , Zwischen 9# 30’ | 6 0-6 | hämor- £ 1:4799 25-64 | 0-1816 | 0-005 | 0-1732 u. 10® 15’ Vorm. rhagisch (45 Min.) 4 | Zwischen 10815’ 2 | 0-1 ” ; e — Br Br Pi m u. 11 30’ Vorm. (1 Std. 15 Min.) Summa | — | — — _ _ —_ — — a _ Versuch 0 Vor der er och sauer | 1%, |(1-102) — —_ — — Einspritzung grün 1 Nach der 8 | 2-0 | gelb ischwach| React. |1-098 | 20-30 | 0-1104 | 0-022 | 0-1180 Einspritzung alkalisch positiv zwischen 9% 20’ u. 9% 40’ Vorm. (20 Min.) 2 Zwischen 9"40'| 24 | 4-8 | gelb >10 10-993 | 22-36 | 0-0676 | 0-032 | 0-1318 1u.. 10857 V/orm. trübe (25 Min.) 3, Zwischen 10P 5’ | 20 | 0-7 | hämor- Fr Yo | 1104 |18-59 | 0-1005 | 0-006 | 0-1215 Vorm. und rhagisch 1? Nachm. | | ' (2Std. 55 Min.) | Summa | — | — — — ee = eh: Be 2 1ncemd Harne DIE voN DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. 225 BIX. . s Blut z Bene. 2 5, a OD: =] PRERT>) = in „® aaa: Dim ea = = a es aasssssarsssjlsanBaeasel| 5 |8l 2.5 E a sSamlesseoalsa .sSsel>935358|05_5 ER Ss BASSaSE2283E3 528 mRSS EZ E5 = Sl Eee 2% Sa _ eo Se SsHLalesese — (5) neo Rx 1:2 Hana sap zssnlsnanease 5 = = = | — — —— 0 | Vor d. Ein- |0-519 | 12-26 | spritzung | 111118:87452 Vım. 0-16385 | 0-108 0-93 119 300 132 el Nach der |0-750|18-79 | 5% m. | m. | 0-0490 | 0+082 0-94 37800 42 2|95 30° Vm. | 0-700 | 17-32 0-0519 | 0.010 0-94 27 160 10 = — — _ a: 2 _ — || Das Thier | 3 | 11° 30’ Vin. |0-741 | 17-60 | stirbt | | um 11b 45 0-2647 re va ze X. -- _ = _ —_ 0, Vor d. Ein- |0-583 | 11-18 | spritzung | 96 Vorm. 0-0944 0-023 1-06 10 640 9 Gallen- 1 Nach der |0-700 | 17-23 pigmente im Ein- Harn spritzung 32220: m, 0-3163 0-063 | 1-95 22 200 15 2|10% 5° Vm, | 0-671 | 16-54 0-2430 0.008 1-20 | 2600 2 | Das Thier | 3| 11% 45’ Vm. | 0-677 | 15-61 | | stirbt um || | 3°10° Nachm. | | | ' 4|1® Nachm. | 0-708 | 15-02 0-6537 = = 880 | — _— - 1 + | Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. 15 226 G. GALEOTTI: Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Fettdegeneration der Epithelzellen der Rinde. Interstitielle Hämorrhagien. Die Glomeruli sind mit rothen und weissen Blutkörperchen infiltrirt. Exsudat in den Bowman'’- schen Kapseln. Versuch X. (8. 224 u. 225). Hündin (Bastard). Gewicht 5-870®8. Einspritzungen von 1 proc. Phosphorlösung in Mandelöl. 5. April. Einspritzung von 1°, 8. ” ” ”„ 0 ® 5 ” 10. ” „ ” 0 5, 5 „ 12-567, „ 0-7 „ — Eiweiss im Harn. Diarrhöen. ? ” 14. April. Eiweiss und Gallenpigmente in dem Harn. Das Thier ver- weigert die Aufnahme der Nahrung. Gewicht 5.800 ®®. Man führt den Versuch aus. Intravenöse Infusion von 75 °® einer 10 procent. NaCl-Lösung in die linke Cruralvene. Das Thier stirbt um 3 Uhr 10 Min. Nachm. Seetionsbefund: Fettleber. Der Magen ist leer, blass und zeigt kleine oberflächliche Hämorrhagien. Die Nieren sind geschwollen und weiss. Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Fettdegeneration und Ablösung vieler Epithelzellen. Interstitielle Hämorrhagien. Fettembolien in einigen Blutgefässen. Exsudat in den Bowman’schen Kapseln. Bemerkungen zu den Versuchen IX und X. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Versuche sind folgende: Die Secretionsgeschwindiekeit stieg nach der intravenösen Infusion nicht so sehr, wie bei normalen Hunden. Der Harn war spärlich, dunkel, trübe und enthielt Eiweiss und Blutkörperchen, was aus den oben geschilderten Veränderungen der Blutgefässe und der Glomeruli erklärlich ist. Die moleculare Concentration und das elektrische Leitvermögen änderten sich in den verschiedenen Perioden der Versuche nur wenig. Ebenso wenig änderten sich die Procente der organischen und anorga- nischen Substanzen und das Verhältniss zwischen diesen zwei Grössen. Der Harn behielt also seine Zusammensetzung, während die Eliminations- geschwindigkeit seiner organischen bezw. anorganischen Bestandtheile im Laufe der Versuche abnahm. Die Totalmenge der Mineralbestandtheile des Harns, welche durch die Nieren während des ganzen Versuches eliminirt wurden, beträgt bei dem Hunde IX 0.2647 sm und bei dem Hunde X 0.6537 8m, also einen sehr geringen Bruchtheil der eingeführten NaCl-Menge (7 =” bei dem Hunde IX und 758m bei dem Hunde X). Dieses Resultat steht in engem Zusammen- hange mit der Thatsache, dass der osmotische Druck des Blutes im Anfange des Versuches sehr wenig abnahm, während er später stieg, weil die Nieren die leitunfähigen Stoffwechselproducte nicht mehr absondern konnten. In der That nahm das elektrische Leitvermögen des Blutes nicht mit der Concentration zu. DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT D.S.W. BO2T F, Intravenöse Infusionen von NaCl-Lösung bei mit Sublimat vergifteten Hunden. Versuch XI. (8. 228 u. 229). Junger, kräftiger Jagdhund. Ge- wicht 9-200 &®%. Sublimatlösung 1 Procent. 8. Mai. Einspritzung von 2 m, 15. „ ”„ ” 2 ” 16, 0% en » 2 „ — Diarrhöen. Abscess! an der Stelle der ersteren Einspritzung. 18. Mai. Einspritzung von 2 “wm in die Hüftmuskeln. r 8 “ ‘ 20. „ „ „ 2 „ ”„ ” „ 22. 2 „ „ 4 ”„ „ ” ”„ 24. FR) „ „ 4 22 „ „ „ Al r „ 4& „ —- Diarrhöen. oe Y „ & „ —- Eiweiss im Harn 1 pro mille. 50. „ „ 10 „ Su Mai. Hämorrhagische Diarrhöen. Der Harn ist reichlich und klar. Er enthält 7 pro mille Hiweiss, viele granulirte Oylinder, wenige Leukoeyten und keine rothen Blutkörperchen. 1. Juni. Gewicht des Thieres 8-800 "8. Temperatur 38°. Man führt den Versuch aus. Infusion von 140 “® in einer 10 procent. NaCl-Lösung. Um 11 Uhr Vormittags erscheinen kurze Zuckungsanfälle, welche sich Krater wiederholen und das Thier stirbt um 2 Uhr Nachmittags, Seetionsbefund: Omentum geröthet. Darmschleimhaut geröthet: in ihr stellenweise kleine Hämorrhagien. Leber dunkelroth, blutreich. Herz und Lunge normal. Nieren angeschwollen und blass. Die Rinde ist ge- schwollen, sehr getrübt und weiss. Die Marksubstanz fein rothgestreift. Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Ablösung und Zer- störung des grössten Theiles der Epithelzellen, zahlreiche hyaline und granu- lirte Cylinder. Keine bedeutende Veränderung in dem Gefässsystem. Die Glomeruli zeigen keine Infiltration nnd die Bowman’schen Kapseln sind unverändert. Versuch XI. (8. 228 u. 229). Junge, grosse Hündin. Einspritzungen von 1procent. Sublimatlösung. 15. März. Einspritzung von 4 m, 16. „ ” ” 2 ” 18. ” ” ” 2 ” 20. ” „ ” 2 ” SI Br u » 2 „ — Eiweiss im Harn. Diarrhöen. 24. ” „ ” 5) ” 21. „ „ » #:» Dane = „6, — 1 pro mille Eiweiss im Harn. 29. # „10 „ —- Diarrhöen. 3. April. 2 pro mille Eiweiss im Harn. Zahlreiche granulirte Cylinder. ! Die Abscesse wurden jedesmal geöffnet und antiseptisch behandelt. 19° 228 G. GALEOTTI: Versuch = =] = 5 P os n 2 &0 | B ig sı2®| 3 se 128 = ls38: 5jsss38 | a832 |Jalss| 3 = Ball x llessee E ss al332| 3 Son | 5: (Beeren & an) 2 |58 e An | S ERFEERENT = = 12% | Seine 0 Vor der — | — sauer |gelblich 7 |(1-114)| (8-91) — | — Einspritzung | 1 Nach der 102, 102 | schwach | farblos 210-791 13T 0-0886 0-904 Einspritzung sauer klar zwischen 8# 45’ | u. 8b 50’ Vorm. (5 Min.) | : Zwischen |119|59-5, neutral a 7, | 0.734 | 17-69 | 0-0296 | 0-176 8h 50’ u. 9» Vm. (10 Min.) | Zwischen 91 130-3 a „| 3, | 0.789 | 17-78 | 0-0428 | 0-127 ghry. 9815: Vm: | (15 Min.) Zwischen | 22| 7-3 h N 10-794 | 17-69 | 0-0614 | 0-045 955157 U29 30V. (15 Min.) Zwischen 9% 30° 11, 0-9| schwach | gelblich 1 | 0-809 | 17-88 0-1252 0:011 u. 10430’ Vorm. sauer trübe (1 Stunde) | Zwischen 191 0.4 hs 5s | 3 | 0-830 | 14-57 0.2321 | 0-012 10#:30/ u. 2E°N. (3 Std. 30 Min.) Summa | — | — — == = ZA — - Versueh\f Vor der — ll — sauer gelblich | 2 (0-830)| — _ — Einspritzung trübe 1| Nach der Ein- |152 |56-6 ” > 1Y/, | 0-848 | 13-92 | 0-0312 0-164 Ü spritzung zwischen 9?25’u. 95 40’ Vorm. (15 Min.) Zwischen 9% 40° | 54|18-0,) schwach | farblos | '/, | 0-833 | 16-36 | 0-0644 0-116 MW und 9# 55’ Vorm. sauer trübe (15 Min.) Zwischen 9% 55’ | 3411-3 neutral 5% 1), | 0-795 ! 15-56 0-0660 | 0.074 N und 10% 10’ Vorm. | | (15 Min.) Zwischen 10% 10' 15 2-5 .. ch) y-e und 10% 40’ Vorm. | | (30 Min.) | 5 | Zwischen 10%.40°| 18| 1-8 r " — ‚und 11? 30’ Vorm. | (50 Min.) | | Summa | — | — | — A DiE von DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S$. W. 229 XI. | Blut | SBEBTEETERTFEITEE | lass 2l= 8 sl2Euaa Arg 2 BB n4ö| [= 65) B222338885 SS 5®.85595% Bemerkungen 51 8%. = = lossisivossse$5sssaFssesee) El BE mSstlasssierselon=enls.an] Ela EB © - SEERICEFEIEFPEIEREERIFEER | ar: 5 EM el 2 ze N 2 = - = u | 0 ‚Vor d. Ein- |0-564 |10-40 spritzung 0-0912 | 0-9302 , 0.930 2050 6 | Der Harn enthält 1| Nach der | 0-744 [16-14 ' zahlreiche granulirte Ein- N Cylinder spritzung | r 8545’ Vm. 0-0978 | 1-1638 0+581 0 0 _ a =’ 0-1096 | 0-9973 | 0-332 9590 10 % >= — = —_ | 0-1056 | 0-2323 | 0.077 | 2060 2 ” 2| 9415' V. |0-694 [14-64 0.1100 | 0-1210 | 0-010 | s1s0 0-2 Zuckungen 3.105380’ V. | 0.719 |14-77 0-0976 00-1854 | 0:004 1960 0-1 Das Thier stirbt 4 | 2% Nachm. | 0-726 [14-97 um 2° Nachm. 0 |V.d.Einspr.| 0-643 | — 920 V. 0-0614 0-9332 | 0-311 23370 2 Der Harn ist getrübt | 1| Nach der 10-798 | — durch das Vorhanden- Ein- | seinzahlreicher granu- spritzung | lirter Cylinder 9 35° V. 0-0984 0-4332 | 0-177 | 506 | 0-56 3 = = ur | 0-0960 | 0-5313 | 0.108 0 0 | > 2| 10% 5’ V. 10:796 | — 0-0858 | 0-3264 | 0.022 277 0.15 , Zucekungen. — |— _ — — ' Schwere Athmung | | 0-0799 | 0-1332 | 0.014 6 0.002 Das Thier stirbt 3/11#30’V.|0-:840 | — | um 11# 55’ Vorm. | | I T IT | — | 2.3573 | — | 3159 = = | — —_ | 230 G. GALEOTTI: 4. April. Einspritzung von 5 “®,. Das Thier nimmt kein Futter an. Diarrhöen. Eiweiss im Harn 2 pro mille. 6. April. Eiweiss 2 pro mille. Zahlreiche granulirte Cylinder. Ge- wicht 10-800 ®®. Man führt den Versuch aus. Infusion von 160 “® einer 10 procent. NaCl-Lösung in die linke Cruralvene. Das Thier stirbt um 11 Uhr 55 Min. Vorm. Secetionsbefund: Leber dunkelroth, blutreich. Nieren vergrössert und blass. Kapsel leicht abziehbar. Die Rinde ist weich, trübe, saftreich. In dem Safte sind viele Cylinder enthalten. Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Ablösung fast aller Epithelzellen. Die Harncanälchen sind durch granulirte Cylinder verstopft. Keine Gefässveränderung. Wenig Exsudat in den Bowman’schen Kapseln. Versuch XII. (8. 232). Grosse Hündin (Bastard). Einspritzungen von 1 procent. Sublimatlösung. 14. April. Einspritzung von 4 “m in die Hüftmuskeln. 16.00, Abscess an der Stelle der ersten Einspritzung. Paresis des hinteren linken Beines. 25. April. Einspritzung von 4°, 2 0, us „ 10 „ Das Thier verweigert die Nah- rung. Erbrechen. Diarrhöen. Der Harn ist reichlich und enthält 2 pro mille Eiweiss und viele Cylinder. 4. Mai. Gewicht des Thieres 13%. Man führt den Versuch aus. Infusion von 200 °® einer 10 procent. NaCl-Lösung in die rechte Cruralvene. Um 1 Uhr Nachmittags erscheinen Zuckungsanfälle und an der Unregel- mässigkeit der Respiration sieht man, dass der Tod bald eintreten wird. Der Hund wird dann getödtet, indem man ihn verbluten lässt. Seetionsbefund: Die Peritonalhöhle ist normal. Darmschlingen ein wenig geröthet. Leber und Milz dunkel und blutreich. Die Nieren sind vergrössert und weiss. Die Marksubstanz sieht feingestreift, die Rinde ganz blass aus. Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Ablösung und Zer- störung sehr vieler Epithelzellen der Rinde. Viele Harncanälchen sind durch granulirte Cylinder verstopft. Geringe Infiltration der Glomeruli. Hier und da perivasculäre Hämorrhagien. Bemerkungen zu den Versuchen XI, XII und XII. Die Hauptresultate dieser Untersuchungen können folgendermaassen zusammengefasst werden: In allen drei Fällen nahm die Secretionsgeschwindigkeit anfangs sehr beträchtlich zu, vielleicht mehr als bei den Experimenten an normalen Hunden. Der Harn war immer, auch in den letzteren Perioden des Ver- suchs, fast farblos, klar oder durch das Vorhandensein zahlreicher hyaliner Cylinder getrübt: seine Reaction war neutral oder schwach sauer. Eiweiss war immer vorhanden und seine Quantität stieg beim Versuch XI bis zu 3 pro Mille. DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. 8. w. 23al Die moleeulare Concentration des Harnes schwankte wenig und zwar fast parallel mit derjenigen des Blutes (Fig. 3). Dies ist am besten aus dem Versuch XII ersichtich, dessen Daten hier folgen: Zeit 4 des Blutes 4A des Harnes 9h 35° Vorm. 0.798 0.848 10" 05° 2 0-796 0.795 112 30° i* 0.840 0.843 60°’ - ; Zeit 920° 10 11 1130 Fig. 3. Variationen des osmotischen Druckes des Blutes und des Harnes und der Secretions- geschwindigkeit bei einem nephritischen Hunde (Versuch VII). Wenn man diese Curven mit denen der Fig. 3 vergleicht, sieht man, dass die Secretionsgeschwindigkeit sich in beiden Fällen in ähnlicher Weise verhält, während die Curven, welche den osmoti- schen Druck des Blutes und des Harnes repräsentiren, sehr verschieden sind. 4 des Blutes. --- -- 4 des Harnes. ra Seeretionsgeschwindigkeit mit 60 addirt. Das elektrische Leitvermögen und die Procente der organischen bezw. anorganischen Harnbestandtheile haben sich gleichfalls sehr wenig verändert ! Koränyi fand, dass bei vielen Nierenkranken der Gefrierpunkt des Harnes gleich demjenigen des Blutes, manchmal aber um 0-001° höher ist. Er sagt, dass je schwerer der Fall, um so verdünnter der Harn ist. = = | — — — FL6-6€ _ _ = — — ewung —————————————— En EEE nn "wupDeN | | Cum cc 'PIS 2) Io JESUS N EHE "umeN ‚GEuL'n 961.0 wen ‚GL > g | J0I0L Sseq 8-1 080-9T 866-0, 1 a ae) “ [Zu 65 0 uOLUogosInz | | | | Cum 0%) | “s | 7 "ULIOA ‚OP wOLl m = —| I 660-°C )3%6-0, T ,‚9qnıy qies 9-3 13 | NOT UOgoSsInz | | | | (ur g1) | | 3 5 | "OA OL U 08,0 "WUIOA ‚09 u6 | ° E F LiF-& | 818-0 Ir n | O0-#1 er ‚EP 16 UOOSIMZ = | | | Cum 1) a 1 I sanıy | "ION Hub m a = = m “ q gir-F [988-0 | 9 | soraweg einen | 9-91 | 04 | 0846 uoyosımz « | | | | es | | | | | (urm ET) Dre | IN | | "ULOA 0Ey6 On (d>) "WIOoA,0Gu6 | vpumk) | | | ‚SIu6 WOWoSInz ' Zunzyradsum Oydroaygez eu 3 | Sunzyrdsunng 281.0, Ep QeN | Tue um aa 1 686-6 [018-0 x “ | 2:09 | 261 ı Aop yoeN "UIOA 46 | Sunzyudsumg | | san.ıy ones | | , Sunzyudsumg 819-0) porn |0| — — 668-0) 1 | gas | goemuos SE = 10p IoA FT ee Fe Fre ee Sl er an 3 = _ E Fer iz lee ee) „PZE og [e) fe) 1 ae ehrae) 8 B oO B — Ss Ro > e 3 3 fa) = -EE 3 = ne ®8. 222.58 2 Fr g „e8 ES - 3 & IR == B B em >2 mE. Er I 3 & S = RE B Bias B © soLr> So a8: Be. o' er Zo.S c= BIST REN Bozg e Fr ee garen = S g 25 | BB Be © 8 5 SL 5 = Basen ige © 2 >: 8 BE in E 8 ’F asge & E = = B = ı N = ynta = | uteH a -IIIX yonsıoy 233 ARBEIT U. S. W. sISTETE GELI LEREN r DIE VON DEN - |. =. |- ee ogerı| — | < = = | ze | = en | | | | | | uomoigesge | | | | (PIS 8) | | men ul un | om | and | "u0®eN I pun | GEL-o UeN ul + pumgonsıontog| 2C | 088-702 F9E-T| od | Toxump jenou 9.8 | 98 | uTruopsimz |G | (um 08) | | | yosıdeqı "ULIOA IT pım gro WAult | & Be | 000817 088-1 -TOWEU & sFr 63 | .08u0TUOUOSInz | p | | | | | | | uoındg Cumoe) | | | | sIe "ULIOA 08 u0l "nn 0820. "UA Ga0l| 6 | 89 01801 763-1 | you 4193 5 &r87 3. 08 „OT uoyosIMZ |8& I | | | | | | | Curt 7) | | | | JONBS "ONOA „ol pıan = z = 188, 00811 |OFT-T uomds| worglos | moemups | 0-8 78. | .aP uOOUUETATZEIG | | Cum er) | N | "ULOA GEu6ßn "WA CEu6| | | | ‚DEu6 NELDSIMZz zyerdsungg | | ) | Sand} SUNZYLLÄSUrT 892-0) 10p gen | I 86 | 06883 TIT-T wandg| yarrqros he 8.08 | 16 AP YOeN | | | | | UA 08u6| | | zyradsungg | | om | oanıy | Sunzyadsung 594-0) Op ao Io || - LEF8 — od T joyun | aonus —_ _ TOP UOA 0 DEZ nerBE Bu Far Seelen ee, 2 5 ed |DraoS sun| © = ae 5 DERE|# 7 r3e 3 | S el E| Saas | S Sa = = Ana n E= = = 8.35 Se: 3 E38 |8 = iszae |FoHhRo 2. oO Er eg =} & 3, H =) Bo So | cu = © B B' OH 7} © o BS 358 Be El = Bye |BEmes z > Bla Se @ 58 = = 12 armer. SR B = Eee HS u = ae 5 DE _— — — ——— Zu, yayg | ud Mm . "AIX yonsaoy 234 G. GALEOTTI: (etwas mehr bei dem Versuch XI). Also hat der Harn eine fast constante Zusammensetzung bewahrt. Im Gegensatze dazu sind die Eliminationsge- schwindigkeiten der organischen bezw. anorganischen Harnbestandtheile immer ceringer geworden (Fig. 4), und dies wies darauf hin, dass die Nieren- insuffieienz im Laufe der Versuche zugenommen hatte. In Folge dieser Insuffieienz ging der osmotische Druck des Blutes nicht auf die Norm Fig. 4. Variationen der Eliminationsgeschwindigkeiten und der Procente der organischen bezw. anorganischen Harnbestandtheile bei einem nephritischen Hunde (Versuch XID. Man sieht, dass, während die Procente fast eonstante Werthe bewahren, die Eliminations- geschwindigkeiten rasch abnehmen. Eliminationsgeschwindigkeit der organischen Harnbestandtheile. ----- Eliiminationsgeschwindigkeit der anorganischen Harnbestandtheile. re Prozent der organischen Harnbestandtheile. en - Prozent der anorganischen Harnbestandtheile. zurück, er stieg vielmehr in den letzteren Stunden des Versuchs wegen der Anhäufung der Stoffwechselproducte.! ! Koränyi und andere Forscher machten die Beobachtung, dass bei Nieren kranken und auch bei Thieren, bei denen eine experimentelle Nephritis hervorgebracht wurde, der osmotische Druck des Blutes höher als norınal ist. DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. 235 Die durehschnittliche Menge der von den Nieren geleisteten Arbeit war in allen diesen Fällen, auch während der stärksten Diurese, sehr gering, sie überwog nicht 10 2wem in einer Secunde und sank manchmal bis auf Null oder nahm ganz kleine Werthe an (0:002 stmen), Jedenfalls sind diese Zahlen immer viel kleiner, als die bei normalen Hunden berechneten Werthe der Nierenarbeit. Wenn man z. B. die Resultate der Versuche III und XIII (diese Hunde hatten ungefähr dasselbe Gewicht) vergleicht, findet man, dass die von den Nieren geleistete Arbeit in gleichen Zeiträumen bei dem normalen Hunde III 717-150 srmem » » hephritischn „ XII 35.020 „ betrug. 700 GG, g, DDDDTD0 GG Zeit 0 10'20’80' 40' 50'18110'20'30° 40' 50'2,Se 10'20' 80'450’ 50'3,5t10' 20'30'40' Fig. 5. Unterschied zwischen den Mengen der von normalen (graue Flächen) und kranken (schwarze Flächen) Nieren geleisteten Arbeit (Versuch II und XII). Diesen Unterschied erkennt man noch deutlicher, wenn man einen Blick auf die graphische Darstellung (Fig. 5) wirft. In dieser Figur stellt die in grau getönte Fläche die von den Nieren des Hundes III geleistete Arbeit in den verschiedenen Versuchsperioden dar, die schwarze Fläche aber die Arbeit der Nieren des nephritischen Hundes in demselben Zeitraum. Der Unterschied zwischen diesen (Grössen ist augenscheinlich sehr beträchtlich, obschon eine gewisse Aehnlichkeit der Variationen ersichtlich ist. Das beweist, dass auch die kranke Niere den osmotischen Druck des Blutes zur Norm zurück zu führen strebt, obschon sie zu diesem Zwecke über sehr viel geringere Energie verfügt als die normale Niere. G. Intravenöse Infusionen von NaCl-Lösung bei einem mit Cantharidin vergifteten Hunde. Versuch XIV (8. 233). Grosser Hund. Gewicht 14". 20. April. Intravenöse Einspritzung von 10 “” einer 0-2 procentigen Lösung von cantharidinsaurem Natrium. 236 (4. GALEOTTI: 21. April. Das Thier ist sehr matt und verweigert die Nahrung. Diarrhöen. Der Harn enthält 2 pro mille Eiweiss. 29. April. Subeutane Einspritzung von 1 °® einer 1 procent. Canthari- dinlösung in Mandelöl. 1. Mai. Spuren von Eiweiss im Harn. 5. Mai. Einspritzung von 2 °® alkoholischer Cantharidintinetur. 6. Mai. Abscess an der Stelle der dritten Einspritzung. 8. bis 22. Mai. Tägliche Einspritzungen von 6, 8 bis 10 ‘= Canthari- dintinetur. Es bildet sich ein zweiter Abscess. 27. Mai bis 4. Juni. Tägliche Einspritzungen von 20° Cantharidin - tinetur. 1 pro mille Eiweiss im Harn. 5. Juni. Gewicht des Thieres 13-20 %. Temperatur 38-2. Infusion in die linke Cruralvene von 200 “® einer 10 procent. NaCl-Lösung. Um 1 Uhr Nachmittags wird der Versuch abgebrochen und das Thier wird am folgenden Tage getödtet. Sectionsbefund: Die Brust- und Abdomenorgane sind normal. Die Nieren sehen etwas blass aus. Die Kapsel stellenweise adhärent. Die Rinde ist röthlich, die Marksubstanz fein gestreift. Mikroskopische Untersuchung der Nieren. Die Glomeruli sind verkleinert und reichlich mit Leukoeyten infiltrirt. Innerhalb der Kapseln findet man ein aus amorpher Substanz, Leukocyten, Erythroeyten, abgelösten Kapselepithelien bestehendes Exsudat. Sclerosis einiger Glomeruli. In den Blutgefässen perivasculäre Infiltration und Verdickung der Wände. Bemerkungen zu dem Versuch XIV. Bei diesem Hunde, bei welchem das Circulationssystem und die Glomeruli der Nieren schwer geschädigt waren, während die Epithelzellen der Harn- canälchen fast unverändert geblieben waren, entstand nur eine kleine Diurese nach der Infusion der NaCl-Lösung, und diese Diurese war beträchtlich seringer als diejenige, welche in den Versuchen XI, XII, XIII und bei den normalen Hunden vorgekommen war. Aber der osmotische Druck des Harnes war stets grösser als derjenige des Blutes, wie ich bei meinen normalen Thieren beobachtet habe. Die durcehschnittlichen Mengen der in den verschiedenen Zeitperioden des Versuches XIV von den Nieren geleisteten Arbeit sind durch Zahlen repräsentirt, die sich nicht viel von denjenigen unterscheiden, welche sich auf die normalen Fälle beziehen, obschon die bei diesem Thiere secernirten Harnvolumina kleiner waren als bei normalen Hunden. Diese Thatsache beweist, dass die Epithelzellen der Harncanälchen eine grosse Thätigkeit- entwickelt haben, trotzdem sie an Wassermangel litten, weil der Filtrations- apparat der Glomeruli weniger durchlässig geworden war. DIE voN DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. SS. W. Dan, Schlussbetrachtungen. Aus den vorhergehenden Versuchen ist wohl ersichtlich, auf welche Weise die Nieren für die Regulierung des osmotischen Druckes des Blutes functioniren. Nachdem in die Venen Kochsalz- oder Zuckerlösungen infundirt waren, stieg der osmotische Druck des Blutes beträchtlich, und die im osmotischen Gleichgewichte hervorgebrachte Veränderung regte die Nieren zu grösserer Thätigkeit an, vermittelst Mechanismen, über deren Natur wir bis jetzt sehr wenig wissen. Auch in den sehr veränderten Nieren hat sich das Aus- gleichbestreben gezeigt, obschon dieselbe ihren Zweck nicht erreichen konnte, den osmotischen Druck des Blutes auf die Norm zurück- zuführen. Man ersieht klar daraus, dass die Nieren immer die Tendenz zeigten, so schnell wie möglich die grösste Anzahl der eingeführten Salzmolecüle auszuscheiden. Zu diesem Zwecke und, um gleichzeitig dem Prineip der minimalen Arbeit zu gehorchen, welches im grössten Theile der Functionen der Organismen vorherrscht, beginnt die Ausscheidung des Salzes (oder des Zuckers) mit einem grossen Verbrauche von Wasser, dergestalt dass, wenn auch der osmotische Druck des Blutes wenig von demjenigen des Harnes abwich (nämlich fast unter Reversibilitätsbedingungen), dennoch viele Salz- oder Zuckermoleküle eliminirt wurden. Die Diurese schreitet, wenn auch in viel geringerem Maasse, fort, falls das Thier sich durch Trinken von Neuem mit Wasser versorgt, während sie hingegen aufhört, wenn dasselbe des Wassers beraubt wird. In diesem Falle bildet das Bedürfniss des Organismus, sein Wasser zu erhalten, ein Gegengewicht gegen die Tendenz der Nieren, Wasser auszuscheiden. Der Unterschied zwischen dem osmotischen Drucke der Flüssigkeit innerhalb der Harncanälchen und demjenigen des Blutplasmas wird dann “sehr gross, und die Ausscheidung des Harnes geht deswegen unter Irreversi- bilitätsbedingungen und mit grösserem Arbeitsverluste der Epithelzellen vor sich, bis die letzteren schliesslich erschöpft sind und degenerativen Processen unterliegen.! ! Hinsichtlich der sogen. Salzdiurese fand Limbeck, dass NaCl das wirksamste Salz ist. Kessler experimentirte mit Na?CO®? und Na?SO* und machte die Beob- achtung, dass diese Salze um so wirksamer sind, je concentrirter die angewandten Lösungen sind. Dreser behandelte drei Kaninchen mit 10 procent. NaCl-Lösung und fand, dass der abgesonderte Harn Anfangs reichlicher, aber ziemlich dünn, später spärlicher und concentrirter war. Nach Dastre und Loye kann man eine sehr reich- 238 G. GALEOTTI: Die Zahlenwerthe der eliminirten Mineralbestandtheile und der ent- sprechenden Arbeitsmengen in Versuch II zeigen, wie rasch die Menge der Arbeit steigt, welche die Nieren leisten müssen, während der Organismus allmählich ärmer an Wasser wird. In den verschiedenen Perioden des Versuches zur Elimination von 18 Mineralbestandtheilen leisteten die Nieren beim Harn No. 1 eine Arbeit von ine ”„ ” ” 2 ” ” „ 4 „ ” ” » 3. „ 4 „ „ ” 91 „ „ ” „ 5 „ „ 2) 52 „ 8 „ „ 2) 60 „ „ „ 22 er 5 TON nee LOL le, NO, Es ist bemerkenswerth, dass die ersten Zahlen sich auf Perioden des Versuches beziehen, in denen der Unterschied zwischen dem osmotischen Drucke des Blutes und dem des Harnes sehr klein war, also die von den Nieren geleistete Arbeit ziemlich genau angeben, die letzteren Zahlen aber grösser angenommen werden müssen, weil in den letzteren Perioden der osmotische Druck des Harnes sich von demjenigen des Blutes sehr beträcht- lich unterschied. In den normalen Nieren hört, während der grösseren Arbeitsleistung, welche von diesen Organen ausgeübt werden muss, um den rasch zuge- nommenen osmotischen Druck auf die Norm zurückzuführen, die physio- logische Ausscheidung der organischen Stoffwechselproducte nicht auf, wie die Constanz der Eliminationsgeschwindigkeit dieser organischen Substanzen beweist (Fig. 1). Die Eliminationsgeschwindigkeit der Mineralbestandtheile nimmt dagegen ziemlich rasch ab (Fig. 1), während die zuerst injieirte Kochsalzmenge allmählich aus dem Blute verschwindet. In analoger Weise nimmt die Eliminationsgeschwindigkeit des Zuckers bei den gesunden Thieren ab, welche Infusionen von Lösungen dieser Substanz erhalten hatten. Man ersieht also, dass bei den normalen Hunden die Zusammensetzung des Harnes in den verschiedenen Perioden des Versuches bedeutend varürt. liche Harnausscheidung mittels intravenöser Infusionen von 7 pro mille NaCl-Lösung her- vorrufen. Der Harn ist vorher gelb und enthält viele organische Bestandtheile, später wird er farblos und der eingeführten Lösung ganz ähnlich, endlich wird er wie am Anfang des Versuches. DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. w. 239 Im Gegensatz dazu bewahrt der Harn bei den nephritischen Hunden fast constante Zusammensetzung in Folge der maximalen Thätiekeit der kranken Nieren. Daher können die Geschwindigkeiten der Elimination verschiedener Harnbestandtheile nicht solche Werthe erreichen, wie die physiologischen Bedürfnisse des Organismus erfordern würden. Bei den normalen Hunden, welche Infusionen der Kochsalzlösungen erhielten, nimmt das elektrische Leitvermögen des Harnes mit dem Salz- gehalte zu, es nimmt im Gegensatz ab, wenn nichtelektrolytische Stoffe im Harn vorherrschen. Bei Thieren, denen Zuckerlösungen injieirt waren, zeigt sich die entgegengesetzte Erscheinung: das elektrische Leitvermögen des Harnes fällt auf ein Minimum, wenn der Gehalt des Zuckers im Urin ein Maximum erreicht, und umgekehrt. Die letzteren vier Experimente können dazu dienen, den Mechanismus der Harnabsonderung zu erklären, denn sie setzen Ausfallserscheinungen, wie auf anderen Gebieten der Physiologie völlige oder theilweise Exstirpation der Organe. In den Fällen XI, XII, XIII fehlte die Function der Epithelzellen fast ganz, während die Glomeruli unversehrt geblieben waren; im Fall XIV waren die letzteren verändert und die Epithelzellen nur wenig. In den ersten drei Fällen bildete sich überreichlich Harn, der aber sehr wenig con- centrirt war; im vierten Falle war der Harn spärlich, aber sein osmotischer Druck grösser als derjenige des Blutes. Man kann daher annehmen, dass eine gewisse functionelle Unabhängigkeit der Glomeruli von den Ganälchen- zellen besteht, und dass durch Verletzung der einen oder der anderen die Nierenfunction in wesentlich verschiedener Art beinflusst wird. Der erste Act der Absonderung: die Filtration der Salzlösungen durch die Wände der Glomeruli, scheint unabhängig von dem Zustande der Harn- canälchen zu sein, da auch, wenn deren Zellen sehr verändert sind, eine beträchtliche Diurese eintritt. Dagegen scheint die Filtration nur von der Höhe des Blutdruckes und dem Zustande der Gefässwände abzuhängen, d. h. indirect auch von nervösen Einflüssen. Die intravenösen Infusionen von concentrirten Kochsalzlösungen vermehren auf diese Weise die Filtra- tionsgeschwindigkeit. Aber wahrscheinlich hat die Flüssigkeit, welche durch die Glomeruli filtrirt, denselben osmotischen Druck wie das Blutplasma und gelangt unter solchen Bedingungen thatsächlich in die Blase, wenn — wie bei den XI., XII. u. XIII. Versuchen — die Thätigkeit der Canälchen- zellen fehlt. Mit anderen Worten: die Filtration durch die Glomeruli findet unter Isotonieität der Flüssigkeiten auf beiden Seiten der Filtrationsmembran statt, die also durchlässig für Wasser und Elektrolyten (wenigstens für das NaÜl) zu sein scheint, die sich passiv verhält, also auch keine osmotische Arbeit 240 G. GALEOTTI: leistet. Während sodann die vorher mit dem Blute isosmotische Salzlösung die Harncanälchen durchläuft, concentrirt sie sich. Kurz gesagt also handelt es sich um ein System von zwei Lösungen (Blutplasma und eine durch die Glomeruli filtiirte Flüssigkeit), die von einander durch eine halbdurchlässige Membran getrennt sind (Wand der Harncanälchen) und deren osmotisches Gleichgewicht, das Anfangs besteht, sich verändert, wenn der osmotische Druck der einen Lösung (Harn) zu- nimmt. Die hierzu nöthige Arbeit leisten die Harncanälchenmembranen. Es giebt bier kein analoges Factum unter den Laboratoriumsversuchen über die osmotischen Erscheinungen durch passive, halbdurchlässige Mem- branen; man muss daher annehmen, dass diese Membranen gewisse be- sondere Eigenschaften, sowie die Fähigkeit besitzen, specifische Energie zu entwickeln. Wie ist der Mechanismus beschaffen, durch den diese Veränderung der Concentration vor sich geht? Bekanntlich giebt es in Bezug auf diese Frage zwei Theorien. Nach der einen stellt man sich die Thätigkeit der Canälchenzellen als eine äussere Secretion vor (Bowman, Heidenhain) in der Weise, dass die zu elimi- nirenden Molecüle von gelösten Substanzen aus dem Blutplasma in den Harn gebracht wurden. Die andere Theorie schreibt diesen Zellen die Fähigkeit einer inneren Secretion zu (Ludwig und neuerdings Sobieranski) in dem Sinne, dass dieselben Molecüle des Lösungsmittels aus dem Harn in das Blutplasma einführen. Die erstere Theorie stützt sich auf viele gut bekannte physiologische Argumente, und noch andere thermodynamische Betrachtungen. ! Mit dem Tode des Protoplasmas der Canälchenzellen verschwindet auch die Concentrationserhöhung des Harnes, da keine Energien mehr vor- handen sind, die verändernd auf das osmotische Gleichgewicht zwischen der Flüssigkeit ausserhalb der Harncanälchen und der in Folge der Filtration der Glomeruli darin befindlichen wirken konnten. Zusammenfassung. 1. Die Untersuchungen, welche mit Hunden gemacht wurden, an deren Nieren man verschiedene Veränderungen herbeigeführt hatte, beweisen, dass von den Glomeruli eine Flüssigkeit durchfiltrirt, welche isotonisch mit dem Blut ist. In dieser Flüssigkeit nimmt nachher in bedeutender Weise ! In Bezug darauf möge man die Arbeit von Tamman ansehen, die gerade diese verschiedenen Argumente behandelt, über welche hier zu referiren zu weit führen würde. DIE von DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT U. S. W. 241 die Zahl der Moleeüle der eliminirenden Substanzen zu, und dann wird die Concentration des Glomerulifiltrates viel höher als die des Blutes. Die osmotische Arbeit, welche in diesem Process von den Epithel- zellen der Harncanälchen geleistet wird, kann aus den kryoskopischen Werthen des Blutes und des Harnes und aus dem Volum des secernirten Harnes leicht berechnet werden. 2. Wenn der osmotische Druck des Blutes sehr rasch zunimmt (wie nach intravenösen Infusionen von Kochsalz- oder Traubenzuckerlösungen), streben die Nieren den osmotischen Druck des Blutes zu dem normalen Werthe zurückzuführen, indem sie die grösste Zahl der Molecüle mit der Leistung der minimalen Arbeit eliminiren. Dann sondern die Nieren eine grosse Menge von Harn ab, dessen moleculare Concentration nicht sehr ver- schieden von derjenigen des Blutes ist. Wenn jedoch der Organismus Mangel an Wasser zu leiden beginnt und ihm ein grösserer Wasserver- brauch schädlich sein würde, dann müssen die Nieren einen Harn absondern, welcher viel concentrirter als das Blut ist. Die bedeutende Diurese, die sofort den intravenösen Infusionen folgt, findet auch in den Nieren statt, in welchen ausgedehnte Zerstörungen der Epithelzellen vorgegangen sind, während doch die Blutgefässe und die Glomeruli unverändert geblieben sind. Wenn dann die Thätigkeit der Canälchenzellen fehlt, wird fortwährend wenig concentrirter Harn abgesondert. In der Form der Nephritis, in der die Gefässveränderungen vorherrschen, ist die Diurese nach den Injectionen von concentrirten Lösungen unbeträchtlich oder tritt gar nicht ein. 3. In den normalen Nieren bleibt, während ihrer grösseren Arbeits- leistung, welche dazu dient, den künstlich erhöhten osmotischen Druck des Blutes auf’s Normale zurückzuführen, die Eliminationsgeschwindigkeit der organischen Stoffwechselproducte ungefähr constant. In den veränderten Nieren nimmt sie rasch ab, weil die functionelle Thätigkeit des Organs sich schnell erschöpft. 4. Die ganze Arbeitsmenge, welche die Nieren eines Hundes in der Zeit- einheit nach der Zunahme des osmotischen Druckes des Blutes leisten kann, schwankt bedeutend je nach physiologischen Factoren, die uns zum grössten Theil unbekannt sind. Jedenfalls kann man vorläufig den Schluss ziehen, dass in den normalen Nieren diese Arbeitsleistung mit dem Mangel des Wassers, über das der Organismus verfügen kann, in beträchtlicher Weise zunimmt: in den kranken Nieren ist diese Arbeitsmenge auch gross, wenn die anatomisch pathologischen Veränderungen nur das Gefässsystem betreffen, sie wird im Gegentheil auf den kleinsten Werth reducirt, wenn schwere degenerative Veränderungen in den Epithelzellen der Harncanälchen statt- finden. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 16 242 G. GALEOTTI: DIE VON DEN NIEREN GELEISTETE ARBEIT UV.S.w. Litteraturverzeichniss. Kohlrausch und Holborn, Leitvermögen der Elektrolyte. Leipzig 1898. Dreser, Ueber Diurese und ihre Beeinflussung durch pharmakologische Mittel. Archiv f. experimentelle Path. u. Pharm. 1891. Bd. XXTX. Roth, Elektrische Leitfähigkeit thierischer Flüssigkeiten. Virchow’s Archiv. 1898. Bd. CLIV. Bugarsky und Tangl, Physikalisch-chemische Untersuchungen über die molecularen Concentrationsverhältnisse des Blutserums. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXU. Rollet, Elektrische und thermische Einwirkungen auf das Blut. Zbenda. 1900. Bd. LXXXIL Oker-Bloom, Thierische Säfte und Gewebe in physikalisch-chemischer Be- ziehung. Zbenda. Bd. LXXIX u. LXXXI. Kessler, Versuche über die Wirkung einiger Diuretica. Inaug.- Diss. Dorpat 1877. Dastre et Loye, Nouvelles recherches sur l’injection de l’eau salee dans les vaisseaux. Arch. de Physiol. 1889. Serie 5. Tom. I. Koränyi, Physiologische und klinische Untersuchungen über den osmotischen Druck thierischer Flüssigkeiten. Zeitschr. f. klin. Med. 1897. Bd. XXXII. Weitere Untersuchungen über Muskeltonus. Von Dr. J. W. Langelaan, Assistenzarzt an der neurologischen Klinik zu Amsterdam. Untersuchungsmethode. Diese Experimente bilden eine Fortsetzung der Untersuchungen, welche von mir mit Fröschen angestellt sind!, und wobei die befolgte Methode dieselbe war. Für diese Experimente wurde der M. triceps surae einer Katze benutzt, welche zu dem Zwecke auf die gewöhnliche Weise auf einem Brett befestigt wurde. Vorher war das Thier tracheotomisirt, um dadurch die Aethernarkose zu erleichtern und zu regeln. Stets wurde die linke Hinterpfote, welche neben dem Brette herunterhing, für den Versuch ver- wendet; unter dem Ligamentum patellae hindurch war eine kräftige Nadel gestochen, die einerseits in einer Oefinung des Brettes ruhte, andererseits in eine Klemme gefasst war. Der mit Watte umwundene und in dem Tibio-tarsalgelenke gebogene Fuss war gleichfalls durch eine Klemme fixirt. Indem das Thier ganz fest auf dem Brett befestigt war, wurde dadurch das Becken, und somit auch auf indirecte Weise der proximale Theil des Femurs fixirt. Durch diese Methode wurde ein Druck auf die grossen Gefässe und Nerven vermieden, aber meistens war diese Befestigung nicht ausreichend, um den Einfluss der Respiration auf die augenblickliche Haltung des Beines gänzlich zu eliminiren. Hierdurch sind auf einigen Curven leichte Wellen sichtbar, welche der Respirationsbewegung entsprechen und welche sich in ähnlicher Weise auf den Ausdehnungscurven von Mosso und Benedicenti vorfinden. Um den M. triceps surae frei zu präpariren, wurde eine Hautineision von ungefähr 3°“ in der Mitte der Wade gemacht, welche in der Höhe des Calcaneus endete. Weiterhin wurde der Muskelstumpf aus dem lockeren Bindegewebe losgelöst und dabei mit grosser Vorsicht jede Blutung vermieden. Die Lymphspalten, welche hierdurch geöffnet wurden, liessen kleine Quan- ! Dies Archiv. 1901. S.106 und Berichtigung zu diesem Aufsatze im selben Bande, 16* 244 J. W. LANGELAAN: titäten Lymphe ausfliessen, welche den Muskel einigermaassen feucht und schlüpfrig hielten; auf diese Weise war die Reibung zwischen dem Muskel und dem umgebenden Gewebe, während der Ausdehnung, ganz gering. Hierauf wurde die Sehne durchschnitten und sorgfältig darauf geachtet, dass der Hautnerv nicht durchschnitten wurde, welcher an der lateralen Seite des Muskels auf innige Weise mit ihm verbunden ist, und von da aus mit einigen Blutgefässen in die Haut übertritt. Mit zwei Suturen wurde die Haut lose um den Muskel befestigt, um Austrocknung und localer Abkühlung vorzubeugen. An die Sehne war ein Häkchen befestigt, welches auf dieselbe Weise, wie im vorigen Aufsatze beschrieben ist, mit dem Längenschreiber verbunden war. Das ganze Thier und also auch die Hinterpfote, welche zu dem Ex- perimente benutzt wurde, wurden hierauf sehr sorgfältig in Watte ein- gehüllt, damit auch soviel wie möglich allgemeine Abkühlung verhütet wurde. In einigen Fällen aber, wo auch das Rückenmark durchschnitten war, gelang dies nicht vollkommen, so dass ein Kältetremor auf der Curve superponirt war. Die Curven wurden registrirt auf einem kleinen Kymographion, wie es im physiologischen Institut der „Harvard Medical School“ allgemein im Gebrauch war. Auf dem Cylinder dieses Kymographions war nur Raum für drei Curven, so dass diese Gurven in Gruppen von je drei geschrieben wurden. In Folge der grösseren experimentellen Schwierigkeiten sind diese Curven weniger vollkommen als jene, welche bei Fröschen erhalten sind; dadurch kann ich bei der Messung nicht weiter gehen als zur Abschätzung von Zehntelmillimetern. In einigen Fällen jedoch ist eine 5 in der ersten Decimalstelle zugefügt, um anzuzeigen, dass die gemessene Zahl zu klein ist, aber dass dieselbe Zahl um eine Einheit erhöht ganz sicher zu gross sein würde. In den Curven, bei welchen in Folge der Respiration kleine Wellen vorkommen, wurden an beiden Seiten drei auf einander folgende Gipfel durch eine gerade Linie verbunden, und die Mitte zwischen diesen beiden Linien als der wahrscheinliche Fusspunkt der Ordinate gewählt. Die Curven, bei welchen die Längen der Ordinaten auf diese Weise be- stimmt wurden, sind mit einem * versehen. Ueber Tonuscurven bei hoch durcehschnittenem Rückenmarke. In der Vorstellung eines Muskelreflexbogens, an den der Tonus ge- knüpft sein soll, wurde für Froschmuskeln der Beweis geführt, dass ein logarithmisches Verhältniss besteht zwischen der Grösse der auf einander folgenden Tonusquotienten und den entsprechenden Belastungszunahmen. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 245 Als Maass des Tonus wurde die Dehnbarkeit des Muskels gewählt, und mit Hülfe dieses Maasses die analytische Formel abgeleitet, welche den Zusammenhang zwischen der Zunahme der Länge des nicht sichtbar sich contrahirenden Muskels und der Zunahme des dehnenden Gewichtes aus- drückt. Die also abgeleitete Formel lautete: !=Ap + Bp len.p, während gleichzeitig darauf hingewiesen wurde, dass diese Formel nur Geltung hat für dasjenige Intervall des Belastungszuwachses, über welches das Experiment ausgedehnt wurde. Versuch vom 6.XI. 1900. Tabelle IL. Tabelle II. Tabelle IH. 3. Curve. 12335. 8. Curve. 1#15. 9. Curve. FR a Free A= 173-.1-.10 A= 873.10 p l.gem., 4°10 | B B= - 2.1-:105 B= - 31-107 25.40, | 496, | 76-3 | 0.0 p \L gem. | 2 ber. p |l gem. | 2 ber. Ar 0-0c,| 0-06 | 0-05 0.0c| 0-0%| 0-0«, a 6-2 | 9-5 - 112-5 6-2 | Tedu, | 11-8 12.6 24 24-9 12-6 20-5 22-7 19-0 [37 (37) 25-4 48-5 (435) 25-4 | 48 | 50-3 38-2 163 | 63-8 38-2 |72 72-7 51-0 83-5 | 82-6 50-9 96 (96) 54-7 ‚8 (88) P=38 p=153-9 P=3 p=142 c, = 3-02 c, =10° c, = 2-60 0, = 10” Tabelle IV. Tabelle V. Tabelle VI. 11. Curve. 12. Curve. 14. Curve. A= 97:5-10° A= 174-610” A= 100-5-107° B = — 6-.8:10° B= — 2-6-10”° B=-— 17-810 1} GR Er ZT | p . igem., Zber p | gem. I ber. p : |l gem. | 2 ber. ZUNG EEE 2 | | vo Sange 0-00, 0.0c, 0.0, 0-0c, 0-0, 0.0c, 0-00, 0-0, 0°0e, 6-2 10 12-5 62 13 10-7 62 012-5 13-5 12-6 | 22 23-9 12-6 19 23-0 12:6 |25 | 25-5 25-4 | 45 (45) 19-0 34-5 (84-5) 25-4 |48 (48) 38-2 | 66 64-9 25-4 45-5 | 45-1 38-2 169-5 68-0 51-0 | 84-5 83-1 38-2 67 66-7 51-0 [87-5 | 87-7 62-6 101 101) 45-6 |79. (79) 51-9 189 (89) P=35 p= 160-9 P=3 p=127-6 P_38 09-143. .=2:57 ,= 10° 1 =2:-80 = 10° =2-7T ,=10° 246 J. W. LANGELAAN: Dieselben Experimente habe ich nun mit Katzen angestellt, bei denen vorher die Medulla hoch durchschnitten war; diese Operation wurde, wie erwähnt, unter Aethernarkose ausgeführt, aber sofort nach Durchtrennung des Rückenmarkes wurde kein Aether mehr gegeben. Auf die Durch- trennung folgten immer die Erscheinungen des Shockes, aber innerhalb 1 oder bisweilen auch 2 Stunden hatten die Muskeln, wenigstens theil- weise, ihre Tonicität wieder erhalten. In Tab. I bis XXV sind die Resultate der Messungen von allen Curven wiedergegeben, welche ich ausgemessen Tabelle VII. Tabelle VII. Tabelle IX. 15. Curve. 17. Curve. 18. Curve. A= 8348-10 A= 846-107 A= 69-9-.10° B= — 5-5-40”° B = — 5.8.10 B= — 2-7-.10° p I gem. | ber. p ! gem. | 2 ber. p |\lgem.| Zber. 0.0. \70-.0% | 0:0 0.0c | 0.0%,| 0-0, 0.0c| 0°0c,| 0-0c, 6°2 75 10-8 6+2 95 |104 6-2 8 10-2 12-6 119 20-8 12-6 |18 19-9 12-6 |18-5 | 20-3 25-4 [39-5 (89-5) 25-4 38 (38) 19:0 |30 (30) 38-2 [57-5 |573 38-2 156 54-3 25-4 40 39-3 51:0 76 74-4 51-0 | 70-4 38.2 159 58-4 57:9 183-5 |(83-5) 60-8 |83-5 |(83-5) 4.0 74 |) P=38 p = 145-4 P=38 p = 148-5 P=38 p = 130-6 4=251 ,=10"° 4=24 5=10"° 4 =2.6 ,=10° Tabelle X. Tabelle XI. Tabelle XI. 20. Curve. 21. Curve. 23. Curve. 245. 4 = 0781-105 A= 62-5-10 A= 84-1-10 B= — 5.3107” B= — 2-7-10”° B= — 6-1-10° p l gem. | 2 ber. p i gem. | I ber. p i gem. | ber. 0-Viez:7 0:06, 0-0 c, 0:.0c| 00% 0-06, 0.0c| 0.0% 0.06% 6*2 8 10-4 6-2 7 8-8 6-2 15 8-9 12-6 [17-5 | 19-9 12-6 15-5 17-2 12-6 |1T-5 |195 25-4 |37 (37) 25-4 [33-5 |(83-5) 25-4 136-5 |(86-5) 38-2 [55 54-3 38-2 [49 49-3 38-2 [53 52-5 51-0 | 69-8 51:0 [66 64-8 51:0 68 67-9 59-4 |81 (81) 62-9 79 (79) 61-8 [80-5 |(80-5) P=38 p = 158-3 P= 38 p = 161-6 P= 38 p = 151-3 1 =2.6 5 = 10° 4=257 ,=10° 4=2-4 = 10° Länge des Muskels 10-5 °®; Gewicht 34-25”; Durchtrennung des Rücken- markes zwischen 6. und 7. Halswirbel um 10% 30' Vormittags. Vergrösserung durch die Längsschreiber 10 Mal. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONUDS. habe. Dies geschah in der Absicht zu beweisen, dass nicht eine einzige Curve unter einer grossen Anzahl der abgeleiteten Formel entspricht, aber dass alle Dehnungscurven, welche unter günstigen Versuchsbedingungen registrirt sind, dem gegebenen Gesetze genügen. Wenn es nun annäherungs- weise richtig ist, dass die Zeit nicht unmittelbar in diesen Versuchen auftritt, und dass die Integration in der von mir befolgten Weise ausgeführt werden darf, dann hat auch für Katzen mit hoch durchschnittenem Rücken- mark der Satz Geltung, dass ein logarithmisches Verhältniss besteht zwischen der Grösse der aufeinanderfolgenden Tonusquotienten und den entsprechen- den Belastungszunahmen, weil wir wissen, dass bei Anwendung der mathe- Versuch vom 4. XII. 1900. Tabelle XII. Tabelle XV. Tabelle XV. 2. Curve. 12% 5%, 7. Curve. 12525. 8. Curve. 5 FAIR A= 1045-10 ° A= 103-9-10 re B=-- 6.2-107° B=— 63:10 25-40, 57.56, 79-4 | 0-0 = j l gem. |, ber. il gem. | Z ber. P=38 p = 137-2 2 a & = | = 285 ,=10"° 00% | 00% 00%, 0-0, 0:06 0*0c, 62 | 14 16 62 118 15-3 Tabelle XIV. 12-6 | 29-5 | 31-9 12-6 | 28 29-4 3. Curve. 19-0 | 46 46-7 19-0 148 (43) - - 25-4 | 61 (61) 25-4 | 55-5 | 56-2 |: gem. | 4-10° ‚B 38-2 | 92 88-7 38-2 | 88 81-7 ———— —— 46-2 [105-5 |(105-5 51-4 107 107 25-4c, |69-56,| 85-5 | 0.0 100 ar: P= 38 p=1431 P= 38 p = 147-3 = De = 8-10 1, 2102 | g=.2-800% = 10° = 3:06 = 10° Tabelle XVII. Tabelle XVII. Tabelle XIX. 13. Curve. 19. Curve. 22. Curve. A= 107-.0-107° A290 10 A= 127-5107 Be r8:1.10 > B=— 6.0.10”? B= — 10-9-10”° p |Z gem. | I ber. p / gem. | I ber. p i gem. | I ber. 0.04| 00%) 00% 0-0%| 0:05] 0-0, 0-0c,| 9-06) 0-0. 6-2 10 13-9 62 13-5 | 15-1 6-2 14-5 | 16-4 12-6 23 26-5 12-6 | 25-5 | 27-4 12-6 | 27-5. | 30-7 25-4 49-5 | 49-5 19-0 40 (40) 19-0 44 (44) 332 u 70-9 25-4 | 52-5 | 52-5 25-4 | 56-5 | 56-6 531-0 92-5 . 91-6 38-2 | 76-5 | 75-7 38-2 | 78 79-3 58-0 102-5 (102-5) 49-9 | 96-5 |(96-5) 50-3 1,102 (102) P = 38 le p=146-6 P=38 p = 137-9 a= 268 = 10° 5= 2:94 9=- WW’ g= 274 = 10° 248 J. W. LANGELAAN: Tabelle XX. Tabelle XXI 23. Curve. 26. Curve. 15 45’. A= 120:1:107° A= 118-8-10° B= — 10-9-10”° B= — 8-9:10° p l gem. | l ber. p 2 gem. | ber. 0-00, | 0.0c,| 0-0e, 0-0c | 00%, 00%, 6-2 13 15-5 6-2 13°, \n1de8s 12-6 | 26 28-8 12-6 | 28 28-1 19-0 41 | (41) 25-4 | 52-5 | (52-5) 25-4 54 52-6 30.2 | 7 75-4 | 38-2 18 10743 531-0 | 97 97-3 51-8 | 96 | ee) 65-0 |120-5 |(120-5) P=33 p=1458 P=38 p = 165-2 = 2:31 = 10° = 2:54 = 10° Länge des Muskels 11 °®. Gewicht 37-5 ®=. Durchtrennung des Rückenmarks zwischen 7. Halswirbel und 1. Brustwirbel 10" 30’ Vormittags. Vergrösserung durch die Längsschreiber 10 Mal. matischen Analyse den abgeleiteten Folgen dasselbe Maass der Wahrschein- lichkeit zukommt, wie den Thatsachen, von denen sie abgeleitet sind.! Zweitens habe ich alle meine Messungen mitgetheilt, weil das Gewicht, welches den beiden Constanten A und DB beizumessen ist, bestimmt wird durch das Maass der Uebereinstimmung zwischen den gemessenen und den mit Hülfe dieser beiden Constanten berechneten Werthen von . Nun sind freilich diese beiden Constanten aus zwei Messungen bestimmt, und Versuch vom 11.X1II. 1900. Tabelle XXII Tabelle XXIIl. 6. Curve. 12% 25. 6. Curve. A = 163-9-10”° 4A= 150-4-10° = — 67.107 B= — 9.9.10 p | l gem. | ber. p Zgem. | 2 ber. 0-0c,| 0-0%| 0:0, 0-00, | 0.06, 0-06, 6-2 116...) 22-9 Ge 2 #145 | 119465 12-6 | 41-5 | 44-9 12-6835 37-6 19-0 66-5 | (66+5) 25-4 | 71 (71) 25-4 | 90-5 | 87-6 38-2 108-5 102-8 38-2. 1113484712921 51-0 134-5 133-6 48-0 160-5 | (160-5) 61-4 |158 (158) P='38 p = 122-0 P= 38 p= 151-1 a= 254 ,=10"° Üa= 251 9= 0 ! Laplace, Essai philosophique sur les probabilites. 6. ed. p. 16. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONUS, Tabelle XXIV. Tabelle XXV. 9. Curve. 10. Curve. 125 45, A= 135-0-10° A= 191-1-107° = 7-.9:10 ° B= -19-6-10”° p ! gem. ! ber. p | Igem. I ber. 0:0c,| 0-00, | 0r0e, 0-00, 0.06, 0-06, 6-2 13+5 19-3 62 13 22-8 12-6 34 36-2 12:6 | 33.5 41-6 19-0 52 54-4 25-4 7145 (74-5) 25-4 72 | (72) 38-2 [107-5 103-8 38-2 [106 103-6 51-0 |131-5 | 180-8 51-6 136-5 |(136-5) 61-5 151-5 (151-5) P=3s p = 142-3 P=38 p = 166-6 = 2% = 10° = 21 = 10° Länge des Muskels 12°®; Gewicht 37-5&"%; Durchtrennung des Rückenmarks zwischen 1. und 2. Brustwirbel 10" 45° Vor- mittags. Vergrösserung durch die Längsschreiber 10 Mal. Figur 1 ist die Reproduction der Curve, wovon Tab. IV die Messungen wiedergiebt. da die gemessenen und die berechneten Werthe nicht ge- nau übereinstimmen, so macht es einen Unterschied, welche zwei Messungen dafür gewählt sind. Es ist nun möglich, mit Hülfe einer allgemeineren Methode die beiden Constanten so zu bestimmen, dass allen Messungen ein gleiches Gewicht auf die Grösse dieser Constanten zuerkannt wird, aber die Constanten, auf diese Weise bestimmt, weichen nur ganz wenig von den vorigen ab. Dieses ist von Interesse, weil ich aus den Werthen beider Constanten einige Schlüsse ziehen will. Wie bei der allgemeinen Beschreibung der Me- thode mitgetheilt ist, wurden die Öurven in Gruppen von je drei registrirt. Das Zeitintervall zwischen diesen drei auf einander folgenden Curven wurde notirt. Die Curven einer selben Gruppe, welche ich in Bezug auf ihre zeitliche Aufeinanderfolge als 1., 2. und 3. andeuten kann, sind unter sich vergleichbar. Was stattfand zwischen zwei Gruppen von je drei Curven wurde nicht aufgezeichnet. In drei Tabellen XXVI bis XXVIIH sind die Werthe von 4 und 2, wie sie sich in den Tabellen vorfinden, welche die Messungen der Tonus- curven wiedergeben, auf diese Weise zusammengestellt. (Reduction zu ?/;.) Fig. 1 (Tabelle IV). 250 J. W. LANGELAAN: Versuch vom 6. XII. 1900. Tabelle XXVI. 9, 12. 15. 18. 21. | Ax10 87-3 74:6 84-8 69-9 62-5 I. Curven | ’ | Bx10 —5b.1l | —2-6 —5+5 —2-7 —2°7 ll a 17. 20. 23. Ax 105 97-5 100-5 84-6 78-1 84-1 III. Curven Bx10 SGB — 7.8 | 5.8 —5+3 sort Versuch vom 4.XII. 1900. Tabelle XXVII. Zell ag: 19. 22. Ax 105 104-5 107 95-7 127+5 ll. Curven Bx 10° —6:+2 ee —6-0 —10+9 Ss. 23. 26. 1 5 5 . . en AXx1 103-9 120-1 118-8 Bx 10° —6:3 — 10:9 —8:9 Versuch vom 11.XII. 900. Tabelle XXVII. ] 6. 9 AXxX 10° 163-9 135.0 I. Curven Bx 10° —6:7 —7.9 1 10. Ax 10° 1910 II. Curven Bx 105 —19*6 S. Ax 105 150-4 III. Curven Bx 105 —9:9 Aus diesen Zahlen im Zusammenhange mit meinen Zeitnotirungen geht hervor, dass, wenn zwischen zwei auf einander folgenden Tonuseurven ein Zeitintervall kleiner als 3 Minuten sich vorfindet, die Constante 3 in einer folgenden Curve bedeutend grösser ist. Mit 3 nimmt auch A an Grösse zu. Unter den mitgetheilten Zahlen giebt es drei Fälle, Tab. XXVI Curve 15 und 17, Tab. XXVII, Curve 7, 8 und 22, 23, wo ungefähr WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 251 identische Constanten gefunden wurden, und in diesen drei Fällen war das Zeitintervall zwischen zwei Curven immer grösser als 5 Minuten. Auf diese Thatsache, welche, wenn sie sich im Allgemeinen als richtig erweist, mir sehr merkwürdig erscheint, hoffe ich in späteren Versuchen zurück zu kommen. Ueber den Einfluss von Shock und Narkose auf Tonuscurven. Wenn bei Katzen mit intactem Rückenmarke in tiefer Narkose eine Ausdehnungscurve registrirt wurde, wurde hierfür eine gerade Linie ge- funden innerhalb eines gewissen Intervalles von Zeitdauer und Belastungs- zuwachses. Gleichfalls zeigte sich die Ausdehnungscurve geradlinig in der Shockperiode, welche der Durchtrennung des Rückenmarkes folgte, und dann gänzlich unabhängig von einem Narcoticum. In zwei Versuchen, wo der Shock sehr tief war, und wo die Katze sich innerhalb 2 Stunden nicht erholt hatte, habe ich aus den Messungen einer Reihe von Curven die Grösse dieses Intervalles bestimmt. In einem Versuche vom 13. XII. 1900, Tab. XXIX, wurde eine geradlinige Curve ge- funden für p<1308" und 7<50”. Im einem anderen Experimente vom 18. XII. 1900, Tab. XXX, ergab sich p <1208=, 7 <48”. In jenem Ver- suche ist dies der Mittelwerth aus sieben Curven, welche demselben Muskel Versuch vom 13. XII. 1900. Tabelle XXIX. 4. 6 | 10. 13. 16. 19. 25. Bra 76-5 | 71-6 | 65-6 | 76-8 | 69-4 | 69-9 | 56-9 II. Curven | | ıBxı0 | 00 0-0 | 0.0 0-0 0-0 0-0 0-0 Länge des Muskels 10-5 ®; Gewicht 32-25 erw, Versuch vom 18. XII. 1900. Tabelle XXX. 4. 100 19.221 >16. | 19.0 Wlan: 4x105°| 79-6 | 70-2 "| 72:5 | 79-8 |"g.1 | 641 I. Curven x | | 2% 10° 00 | 0-0 0-0 0-0 0:09, 22.0°0 | | Länge des Muskels 11-5 °®; Gewicht 40-5 s", entnommen sind; in diesem Versuche war es der mittlere Werth aus sechs Curven; in beiden Versuchsreihen waren die gegenseitigen Unterschiede gering. Aus der Üurve, wovon Tab. I die Messungen wiedergiebt, folgte p<152em, 7<60”, und aus der Curve von Tab. XIIIp <1358%, 7<48”, 252 J. W. LANGELAAN: wobei die Anfangsbelastung immer 385”% betrug. Aus diesen Werthen geht hervor, dass für verschiedene Muskeln dieses Intervall innerhalb weiter Grenzen variabel gefunden wird. Erstreckte der Versuch sich über ein grösseres Intervall der Zeitdauer oder der Belastungszunahme, so machte sich der Einfluss der elastischen Nachwirkungen auf die Form der Curve stark geltend. Weil wir nun wissen, dass unter Shock und in tiefer Narkose der efferente (motorische) Theil des Reflexbogens (z. B. von der Pyramidenbahn aus) ganz gut reizbar bleibt, war, da es sich zeigte, dass zugleich mit dem Ver- schwinden des Shockes die ursprüngliche geradlinige Curve sich in die Curve veränderte, welche wir als charakteristisch für den tonischen Muskel kennen, hierdurch der Weg angezeigt, auf welchem die Analyse weiter zu führen ist. Die gegebene Formel nämlich führt zu einer geradlinigen Ausdehnungs- curve für Z=0. Es liest dashalb auf der Hand, in dem Ausdruck Bplgn.p, den Einfluss. des afferenten (sensiblen) Theiles des Reflexbogens auf die Form der Dehnungscurve zu erblicken. Ob nun die geradlinige Aus- dehnungsceurve /=4Ap als typisch für den Muskel unter Einfluss allein seiner efferenten Bahn zu betrachten ist, oder ob diese Formel nur als eine erste Annäherung anzusehen ist, implicite im Gesetze Fechner’s enthalten, welches uns als Ausgangspunkt gedient hat, ist schwierig zu entscheiden. Denn, wenn auch in diesem Falle auf das ursprünglich geradlinige Anfangs- stück eine parabolische Dehnungseurve folgte, wie dies für Frosch- muskeln gefunden wurde, so muss doch dieser Theil der Dehnungseurve von den elastischen Nachwirkungen in hohem Grade deformirt werden. Weil nun die elastischen Nachwirkungen sich unter den Bedingungen des Versuches nicht eliminiren lassen, so muss die oben gestellte Frage vor- läufig unbeantwortet gelassen werden. Aus Tab. I, XIII, XIV, und aus Tab. XXIX, XXX, welche die Grösse des Coöfficienten A von zwei Versuchen wiedergeben, wo die Katze sich innerhalb 2 Stunden nicht vom Shocke erholt hatte, geht hervor, dass unter diesen Umständen der Coefficient 4 sich ihrer Grösse nach sofort den Fällen anschliesst, wo der Coöfficient 3 seinen kleinsten Werth hat, welcher über- haupt im Zusammenhange mit der Genauigkeit der Methode vorkommen kann. Die gegenseitigen Unterschiede dieser Coöfficienten 4 in. beiden Tabellen sind grösser, als im Zusammenhange mit der Methode zu erwarten war, und zwar sind die Grössen der nachfolgenden Differenzen derart ver- theilt, dass ein einfaches Gesetz ihrer Vertheilung höchstwahrscheinlich nicht zu Grunde liegt. Auf diese Unregelmässigkeiten, welche sich zeigen, nachdem der Reflexbogen unterbrochen ist, habe ich anlässlich der dis- eontinuirlichen Tonuscurven hingewiesen. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 253 Ueber Tonuscurven bei intactem Rückenmarke. Die Tonuscurven, welche von Katzen mit unversehrtem RKückenmarke und bei sehr oberflächlicher Narkose erhalten sind, unterscheiden sich gänzlich von denen, bei welchen die Medulla vorher hoch durchtrennt war. Aether wurde als Narcoticum benutzt. Im ihrer Form stimmen diese Curven augenscheinlich genau überein mit den Curven, welche von Mosso und Benedicenti mit ihrem Myotonometer bei Menschen erhalten wurden. Die Messungen ergeben hier für die Mehrzahl der Curven zunehmende Tonusquotienten mit zunehmendem Belastungszuwachs innerhalb des Intervalles, über welches das Experiment ausgedehnt wurde. Unter ge- wissen Umständen tritt in diesen Curven ein Inflexionspunkt auf. Die Stelle dieses Inflexionspunktes in der Curve steht in engem Zusammen- hange mit der Tiefe der Narkose, sowie mit der Grösse des Belastungs- zuwachses. War die Narkose tief, so war die Ausdehnungscurve für ein bestimmtes Intervall von Zeitdauer und Belastungszunahme geradlinig; ausserhalb dieses Intervalles wurden die Curven durch die schnell an Grösse zunehmenden elastischen Nachwirkungen deformirt. Wenn die Katze lang- sam aus der Narkose erwacht, so verändert sich die anfänglich geradlinige Curve in eine gebogene, welche — wenn man die von dem Signale ge- zogene Linie als Abscisse betrachtet — für eine geringere Belastungszunahme, ihre Convexität der Abscisse zuwendet, einen Inflexionspunkt zeigt und nachher für zunehmende Belastung concav ist. Anfänglich liegt dieser Inflexionspunkt im Anfangstheil der Curve, doch nähert er sich mehr und mehr dem Ende derselben, sobald sich die Katze aus der Narkose erholt. Un- gefähr 1 oder 2 Minuten bevor die Katze gänzlich aus der Narkose er- wacht ist, was sie durch sehr lebhafte Abwehrbewegungen anzeigt, befindet sich der Inflexionspunkt nicht mehr innerhalb des Intervalles, über welches das Experiment sich ausdehnt; die ganze Curve ist dann convex, wie dies als ein allgemein gültiger Satz von Mosso und Benedicenti gefunden ist; auch in einigen ihrer Curven tritt ein Inflexionspunkt auf. Wenn darauf wieder Aether gegeben wird, tritt fast immer innerhalb von 2 bis 4 Minuten ein lang anhaltender Clonus ein, welcher stets eingeleitet wird durch einen kleinen Ruck an der Sehne; dem Auftreten des Clonus geht immer eine träge Verkürzung des Muskels vorher. Ebenfalls wird oft bei dem Erwachen aus der Narkose, in dem Stadium ein Clonus gesehen, wo die Curve eben anfängt einen Inflexionspunkt zu zeigen. Der Tonusquotient, der anfänglich sehr gering ist, steigt erst schnell an, darnach langsamer, erreicht ein Maximum beim Inflexionspunkte, und nimmt dann wieder ab. Für diesen letzteren Theil der Curve, wo 254 J. W. LANGELAAN: abnehmende Tonusquotienten zunehmender Belastung entsprechen, zeigt sich wiederum das Fechner’sche Gesetz annäherungsweise gültig. Im Anschlusse an die bekannte Thatsache, dass hohe Durchtrennung der Medulla, nachdem der Shock vorbei ist, Erhöhung des Muskeltonus veranlasst, und dass dadurch eine physiologische Hemmung fortzufaller. scheint, wurde die Analyse dieser Öurven folgendermaassen versucht, Der Reiz, welcher in den Endigungen der afferenten Nerven im Muskel in Folge seiner Dehnung entsteht, steigt längs dieser afferenten Bahnen auf und geht, im Rückenmarke angelangt, einer kurzen Bahn entlang sofort auf das eflerente Theil des primären Reflexbogens über. Von diesem Reflexbogen wissen wir, dass das Fechner’sche Gesetz die Grösse des Reizes an seinem Effecte verknüpft. Aber derselbe Reiz längs der längeren Bahn emporsteigend, welche als secundärer Reflexbogen auf dem Ersten gebaut ist, verursacht in diesem eine Aenderung, welche additiv der Aenderung im primären Bogen zuzufügen ist. Die Voraussetzung der Möglichkeit einer einfachen Addition beider Einflüsse auf den Muskel, ist u. A. sehr deutlich von Sherrington ausgesprochen. Aber wenn für den Theil der Curve, welcher hinter dem Inflexionspunkte liegt, das Fechner’sche Gesetz Gültigkeit hat, und wenn dieser Theil deshalb nicht verschieden ist von Curven, welche erhalten sind, wenn der Reiz nur den primären Reflexbogen allein passiren kann, dann ist die physiologische Be- deutung des Inflexionspunktes in der Öurve diese: der Inflexionspunkt tritt in der Curve auf, sobald der Einfluss von dem secundären Reflexbogen auf den primären fortfällt. Da wir nun weiter wissen, dass in diesen Tonuscurven der Tonus an- fänglich ganz gering ist, und sein Maximum beim Inflexionspunkte erreicht, in welchem Augenblicke der Einfluss des secundären auf den primären Reflexbogen erlöscht, müssen wir ebenfalls annehmen, dass der Reiz, während er diesen secundären Reflexbogen durchläuft, in demselben eine Aenderung hervorruft, wovon wir den Effect als eine fortfallende Tonushemmung sehen. Es wird nun vorausgesetzt, als zweite Prämisse, dass auch hierfür das Fechner’sche Gesetz Gültigkeit hat. Die Analyse ist nun folgendermaassen möglich. Aus dem Segmente der Curve, das hinter dem Inflexionspunkte liegt, wird für einen gewissen Zuwachs der Belastung die damit übereinstimmende Grösse der Tonus- variation bestimmt. Diese Grösse dient als Basis für die weitere Berechnung, weil aus ihr mit Hülfe der Fechner’schen Gesetze eine Reihe auf einander folgender Tonusquotienten extrapolirt wird. Diese Reihe von Tonusquotien- ten repräsentirt also die wahrscheinliche Tonusgrösse, welche mit einer Gruppe auf einander folgender Belastungszunahmen übereinstimmt, wenn der Reiz nur den primären Reflexbogen durchlaufen hat. Darauf wird in der WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 255 Curve der Inflexionspunkt so genau wie möglich bestimmt. In diesem Punkte ist der tonuserniedrigende Einfluss, welchen der secundäre auf den primären Reflexbogen ausübt, Null. Gleichzeitig ist aus der Messung der Curve die wahre Grösse des Tonusquotienten für eine bestimmte Grösse des Belastungszuwachses bekannt. Aber wenn durch die genannte Extrapolation mit Wahrscheinlichkeit die Grösse des Tonusquotienten berechnet ist, welche ausschliesslich vom primären Reflexbogen abhängige ist, und wenn durch directe Messung der Tonusquotient unter gleichzeitigem Einflusse beider Reflexbögen bestimmt ist, und wenn endlich die Prämisse der einfachen Addition beider Einflüsse richtig ist, dann kann ich durch einfache Subtraction dieser beiden Grössen den Werth des vom secundären Reflexbogen ausgeübten tonuserniedrigenden Einflusses bestimmen. Aber wenn für zwei bestimmte Belastungen die Grösse dieses Fig. 2. tonuserniedrigenden Einflusses bekannt ist, dann ist es möglich mit Hülfe der zweiten Prämisse eine Anzahl von Gliedern dazwischen zu interpoliren. Hierfür wurden Glieder gewählt, welche mit denen übereinstimmen, für welche die Grösse des Tonusquotienten berechnet war, in der Voraussetzung, dass der Muskel allein unter Einfluss seines primären Reflexbogens war. Die Differenz dieser beiden Tonusquotienten muss dann übereinstimmen mit dem direct aus der Curve bestimmten Tonusquotienten. Ein Schema möge diese Methode veranschaulichen. Die Linie ABC stelle die Grösse des Tonusquotienten vor als Function des Belastungs- zuwachses. In B wird ein Maximum’ erreicht, und dieser Punkt stimmt mit dem Inflexionspunkte in der Dehnungscurve überein. Beim Punkte B fällt also der Einfluss des secundären Reflexbogens auf den primären fort. Uebereinstimmend damit ist Punkt 7 der Endpunkt der Curve, 256 -(TIIXXX SIoqeL) F St (*/, az uolDupay) J. W. LANGELAAN: "(IIXXX dloqeL) 8 S1A welche die Grösse der Tonus- hemmung vorstellt. Das Stück BC stellt also die Grösse des Tonusquotienten als Function des Belastungs- zuwachses vor, wenn der Muskel ausschliesslich unter dem Einflusse seines primären Reflexbogens steht. Dem Ge- setze Fechner’s entsprechend wird das Stück BD durch Extrapolation erhalten, und die Linie DC wird hierdurch zur graphischen Darstellung der Grösse desTonusquotienten als Function des Belastungs- zuwachses, wenn der Muskel während des ganzen Versuchs- intervalles nur dem Einflusse seines primären Reflexbogens unterworfen gewesen wäre. OA ist die Grösse des Tonus- quotienten unter Einfluss bei- der Reflexbögen, wie sie in Wirklichkeit gemessen wurde; aber dann ist auch OE = OD—04 die Grösse des tonushemmenden Einflusses, welche vom secundären Reflex- bogen ausgeübt wird. Hier- durch ist Punkt E bestimmt, und mit Hülfe des Fechner’- schen Gesetzes wird die Curve EF zwischen beiden Punkten construirt; diese Curve ist also die graphische Darstellung des tonuserniedrigenden Ein- flusses, welche vom secun- dären Reflexbogen ausgeübt wird. Während des Inter- valles O7 muss nun auch WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 257 in jedem Momente die Differenz der Ordinaten, welche durch die beiden Curven DB und EF bestimmt sind, der Ordinate gleich sein, welche durch die Curve 4.B determinirt ist. Aus dieser graphischen Darstellung erhellt zugleich, dass nur dann, wenn ein Inflexionspunkt in der Curve auftritt, von einem bestimmten Problem die Rede sein kann, und dass die Möglichkeit dieser Analyse daran geknüpft ist. Aber da das Stadium der Narkose, in welchem innerhalb des Inter- valles, über welches der Versuch sich ausdehnt, ein Inflexionspunkt in der Curve auftritt, sehr kurz ist, und da die experimentellen Schwierigkeiten in Folge des wiederholten Erwachens der Katze aus der Narkose viel be- deutender wurden, habe ich unter einem grossen Materiale nur vier Curven, welche von zwei Katzen erhalten wurden, finden können, welche für eine Messung geeignet waren. Bei drei dieser Curven sind ausserdem Respira- tionsbewegungen der Tonuscurve superponirt, wodurch eine genaue Messung sehr erschwert wird. . Das Resultat der Messungen ist folgendermassen in einer Tabelle wieder- gegeben: Versuch vom 23.XI. 1900. Tabelle XXXI*. 28. Curve. | dl dl dl dl p Ap l ı 41 dp dp dp dp gem. ber. ber. I. | ber. II. 0-0c, 0,0%, —1'0c, 65 | 3-0 arll-5, |# 5i52.|.4°90;:| (49 0,)-1:10:60,:|, 5-70; +10 16-25 | 4-75 la) 23-5 ER 6*2 30:25 6-75 | 6-7 6°5 8-6 +1-0 37 6-75 0 9:5 | 1:0 66-75 12»6 713 6:25 | 6-6 6°6 (6.6) +1-0 s0 7 1-0 108-255 | , 19.0 113-25 5 5 5+4 11-0 118-25 nel) 4-75 | | 25-4 142-75 1.5, (46 | (46) +10 | 147.25 | | 27-9 | 154 | | an: p= 16-1 ; Infl.-Punkt bei 9-5 P=45 1 Ras 3 oe % = 70: !0 6; = 000035 ‚= Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 17 258 J. W. LANGELAAN: Tabelle XXXIF 34. Curve. dl dl dl dl p Ap l Al dp dp dp dp gem ber. ber. I. | ber. II 0-0c, 00% | = 1e0/c, 3 | | | | \2-75e | | | 3-0 575... 270 | 2-76) | 720, | Abo, +1.0 De | | —10 11-25 R 5 | | NEO) | | | 6.2 1A 2.05 | 882 3:7 | 549 2-2 +1:0 17-75. | | | 1:0 RD ah „s] | 12-6 a a as) ) | 14:25 \ h +1.0 41 | —1.0 57-05 ||, | 19-0 Be | 97 +10 66 9 —1:0 83-75 | 2-75 | 25-4 186-5 31 '@*1) | +1-0 90 22> | le) 100-5 |, | | : 30-0 103-5 - In: P=& p = 15 Infl.-Pünkt bei 12-6 1 = 2.58 el c, = 0:00037 Länge des Muskels 11°®; Gewicht 378%; Vergrösserung 10-6 Mal. Figur 3 ist die Reproduction der Curve, wovon Tab. XXXII die Messungen wiedergiebt. Die ersten bis vierten Reihen enthalten dieselben Grössen wie die Tabellen im vorigen Aufsatze; die fünfte Reihe enthält die Tonusquotienten, wie die- selben gemessen wurden; zum Vergleich enthält die sechste Reihe dieselben Tonusquotienten, berechnet auf Grund der angegebenen Analyse; die siebente Reihe enthält die Tonusquotienten für bestimmte Grössen des Belastungs- zuwachses, für den Fall, dass der Reiz nur den primären Reflexbogen durch- laufen hat. Im Schema ist die Curve DC hiervon die graphische Dar- stellung. Die zwischen Häkchen gestellten Werthe sind die zwei direct gemessenen Grössen, welche als Basis für die Berechnung der ganzen Reihe verwendet sind; die achte Reihe enthält die Grösse des tonushemmenden Einflusses, welche der secundäre Reflexbogen auf den primären ausübt. Im Schema ist die Linie 27 hiervon die graphische Darstellung; die sechste Reihe enthält nun, unserer Prämisse der Additionsmöglichkeit gemäss, die Differenz der beiden Werthe von Reihe sieben und acht. Um zu untersuchen, inwiefern diese Analyse auch anzuwenden ist auf WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONTS, 259 Versuch vom 30.XI. 1900. Tabelle XXXIIL. 2. Curve. a | a ar | a p 4p l Al dp dp dp dp | gem. ber. ber. I. ber. 11. 0:00 | 0:06, | —10 | 1»5 DE 3:0 | 835 2.20; | (2-20) | 18 e, | .10-8c, +10 | 6 = —1:0: || 9 9:5 62 | 115 > 2-5 2.7 10-5 7-8 +10 | 14 — 207, „1,724 7 12-6 | 3 er 3.2 3:2 8 4+8 +20 | 83 | | —-2:0 | 645 z 254 | I 715 1.5 3-6 3-7 5-5 1-8 + 2-0 19 2:0 | 111-5 g 33-2 | | 119-5 ne 3.9 3-9 (3-9) , 0 | +20 | 127 a 1>0,6 11585 ey | 161-5 3 3 (3) | 166-5? Ile p = 142 Infl.-Punkt bei 38-2 ce = 2:92 = 107° C; = 0:00034 Tabelle XXXIV* 22. Curve. | | a | a| a | a p Apr | l AL dp dp dp dp | gem. ber. ber. I. | ber. Il. 0:0, 0-06, | — 1:0c | 3-0 ; 6 | Be |gire | ta) 8-80 | 8r4c, +10 9 | — 1:0 14 ee 6-2 17°5 7 3-7 3-8 5+5 1-7 +1-0 21-5 | — a EN 12-6 a ne 45 45 (4+5) ) +1:0 50-25 | — 1202 1.101258 | | | | 25-4 ? 927 185 (3-5) | +10 108-25 | 160 208-5 5 | | 51-0 213+5 EB ? 25 | +10 218-5 | N) | Br N 2.7 | 23 | 254 | | P=»38 p>—119=9 Infl.-Punkt bei 12-6 c, = 2-88 = 10° c, = 0°00085 Länge des Muskels 10®,. Gewicht 29 ==, Vergrösserung durch die Längenschreiber 10 Mal. Fig. 4 ist die Reproduction der Curve wovon Tabelle XXXIII die Messungen wiedergiebt. 1% 260 J. W. LANGELAAN: die Tonuscurven, welche bei Menschen erhalten sind, habe ich eine der von Mosso mitgetheilten Curven ausgemessen. Zu diesem Zwecke wählte ich eine Tonuscurve!, welche innerhalb des Intervalles, über welches das Experiment sich ausgedehnt hat, einen Inflexionspunkt zeigte. Dieser Curve ist die Respirationsbewegung superponirt, und um dieselbe für eine Messung brauchbar zu machen, habe ich die Curve continuirlich durchgezogen. Die Fig. 5 giebt die Reproduction der Curve wieder, welche auf diese Weise erhalten ist. Auch in diesem Experi- mente war die Ausflussgeschwin- digkeit des Quecksilbers annähe- rungsweise constant. Die Dauer des Experimentes war 180” und die Zunahme der Belastung 2200 gm, Die Länge dieses Inter- valles, der Abseisse entlang gemessen, betrug 3-75°“. Dieses Intervall wurde in 25 gleiche Theile getheilt, so dass dadurch als Zeiteinheit ein 180" Intervall von —,—- —=7.2” gewählt wurd. Wenn also auch in diesem Versuche c, die Zunahme der Belastung in der Secunde vorstellen soll, dann müssen auch die Zahlen 6-25, 12-5 u. s. w., welche im oben gewählten Maasse ausgedrückt sind, mit 7-2 x c, multiplieirt werden. Darauf wurde das Intervall 12:5 — 25-0 in vier gleich grosse Intervalle abgetheilt und der Inflexionspunkt annäherungsweise zusammenfallend gefunden mit dem Anfange des vierten Intervalles, von 12-5 aus gezählt. Dies stimmt bei Interpolation mit einer Belastungszunahme von 21-9 x 7.2 x c, S"” überein. Das Resultat der Messung ist hierauf auf dieselbe Weise in Tab. XXXV zusammengestellt. Es geht aus dieser Tabelle hervor, dass, wo das Resultat der Messung 5-5 ergiebt, durch die Berechnung 5.0 gefunden wurde. Wenn man bedenkt, dass ein geringer Fehler im Intervalle, welches als Basis der Berechnung von Reihe sieben gedient hat, einen grossen Fehler im Resultat bedingen muss, dann ist allerdings diese Uebereinstimmung als genügend zu betrachten. Fig. 5 (Tabelle XXXV). Ueber Sehnenreflexe. In meiner vorigen Mittheilung? habe ich eine Auswahl zwischen den beiden vorherrschenden Meinungen über die Natur des Sehnenreflexes ge- troffen und mich, stützend auf dıe Dauer der ganzen Erscheinung, zur ' Mitgetheilt in Archives Italiennes de Biologie. T. XXV. p. 356. ° Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 8. 133. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. 261 Tabelle XXXV. aa ran KRanmRa p Ap ! Al werd dp dp dp | | gem ber ber: I. ber. II 0-0 x 7-2e, 0-00, — 2.0x4-8c,| 14 6 | 6-25 x 72 20 6 alas cs, 1.(386,) 33-5c, | 80-5c, + 2:0x4-8 26 | — 20x48 | DB u 12-5 x 72 en. I 3°5 5 18:5 13-5 + 2:0x4*8 13-5 | | — 10x48 |159-5 | 0.5.1 | | | 21-9 x 72 166 6.5 |,6r0 6+5 (65) | 0 + 10x48 | 172-5 | | | | 1835 | | | R 2 — 2:0x4*8 3-5 | | 25:0 x 7-2 Eu 187 ; 3sdl }| (35) | 1-0x4°8 | 100.5 3-5 | P = 500 p = 2200 Infl.-Punkt bei 21-9 2200 es IR 20180 280 aa > 7 500 x 2200 T = 180” V=5 Annahme der Reflextheorie des Sehnenphänomens entschlossen. Aber bei sehr leichter Aethernarkose, wovon wir wissen, dass sie den Sehnenreflex erhöht, und bei zunehmender Belastung des Muskels treten bei Katzen Clonusceurven auf, in welchen die Geschwindigkeit der Tonusvariation der Geschwindigkeit der Contraction gleich kommt. Wenn auch unter normalen Verhältnissen die Verkürzung des Muskels, welche wir als Wirkung des Schlages auf die Sehne sehen, viel träger zu Stande kommt, als mit einer Contraction übereinstimmen würde, so ist doch darin kein genügender Grund vorhanden, um zwischen beiden Meinungen zu entscheiden. Un- geachtet dieses Zweifels stelle ich mich doch auf den Standpunkt der Reflextheorie, weil aus der in meinem vorigen Aufsatze mitgetheilten Analyse des Sehnenreflexes, welche aus dieser Anschauung hervorgegangen ist, ab- zuleiten ist, dass unter gewissen im voraus zu bestimmenden Umständen ein Schlag auf die Sehne mit Nothwendigkeit von einer Verkürzung des Muskels gefolgt werden muss. Aus den im vorigen Aufsatze sowie aus den in dieser Mittheilung veröffentlichten Zahlen kann abgeleitet werden, dass diese Verkürzung zur Erklärung des Sehnenreflexes genügend ist. Wollten wir dagegen der anderen Ansicht beipflichten, welche nur im Tonus einen Reflex erblickt, durch welchen eine gewisse musculäre Irrita- bilität unterhalten wird, in Folge dessen der Muskel auf Reize direct mit einer Contraction antwortet, so müsste sich diese musculäre Irritabilität stets 262 J. W. LANGELAAN: als Zwischenglied zwischen Tonus und Sehnenreflex vorfinden. Weil es nun vorläufig nicht möglich ist, diese Irritabilität durch ein gewisses Maass aus- zudrücken, so wäre das Problem nach dieser Auffassung einer quantitativen Lösung nicht mehr fähig. In meinem vorigen Aufsatze wurde nur der Fall betrachtet, wo der Reiz allein primäre Reflexbogen durchlaufen konnte, und somit die Theorie des Sehnenreflexes nur soweit entwickelt, als sie dem spinalen Mechanismus entspricht. Nehmen wir nun in unsere Betrachtung auch den Fall auf, wo ein secundärer Reflexbogen auf den primären gebaut ist, und wo der Reiz, im Rückenmarke angelangt, auch jenen durchläuft, dann gilt auf Grund der mitgetheilten Analyse eine übereinstimmende Beweisführung. Denn der Reiz, welcher in Folge des Schlages auf die Sehne entsteht und längs afferenter Nerven aufsteigt, durchläuft den primären Reflexbogen und hat als Effect eine übereinstimmende Erniedrigung des Tonusquotienten zur Folge; aber derselbe Reiz, welcher längs des viel längeren und wahrschein- lich mehr complieirten secundären Reflexbogens aufsteigt, ruft darin eine Aenderung hervor, wovon wir den Effect auf den Muskel als eine über- einstimmende fortfallende Tonushemmung sehen. Auch hier haben wir also als Wirkung des Schlages auf die Sehne zwei Gruppen von Er- scheinungen, welche nach gegenseitiger Compensation streben, nämlich eine Tonuserniedrigung und eine fortfallende Tonushemmung, welche letztere einem tonuserhöhenden Einflusse gleichwerthig ist. Die Möglichkeit, einen Sehnenreflex zu erzeugen, ist also auch in diesem Falle an drei Factoren gebunden: erstens an die Reizbarkeit des primären Reflexbogens, worauf der Tonus beruht; zweitens an die Grösse der fortfallenden Tonushemmung; drittens an die Gruppirung dieser beiden Einflüsse in Zeit neben einander, welche durch die Leitungsgeschwindigkeit der Impulse bestimmt wird. Auf dieselbe Weise, wie für den spinalen Mechanismus dargethan ist, kann auch hier ein Clonus und eine Andeutung von Clonus auftreten. Im Zusammenhange mit der gegebenen Darstellung scheint es mir von Interesse zu sein, auf einige Thatsachen hinzuweisen. An erster Stelle fulgt aus dieser Analyse die Complicirtheit des Sehnenreflexes, und dieselbe wird noch bedeutend grösser, wenn wir bedenken, dass die Untersuchungen von Bowditeh und Warren! gezeigt haben, dass Impulse, welche längs sehr verschiedenen zuführenden Bahnen die Medulla erreichen, im Stande sind, die Grösse des Sehnenreflexes in ansehnlichem Maasse zu beeinflussen. An zweiter Stelle folgt aus dieser Analyse, dass die Clonuseurve in Folge gleichzeitiger Variation der Constanten 4 und B und in Folge von ı Journal of Physiology. 1890. Vol. XI. WEITERE UNTERSUCHUNGEN ÜBER MUSKELTONDS. Interferenz der Impulse Periodieitäten in ihrem Rhythmus, in der Länge des Muskels, sowie im der Grösse der auf einander folgenden Variationen dieser Länge aufweisen muss. Zum Be- weise, dass auch in dieser Hinsicht die mitgetheilte Vorstellung den Thatsachen entspricht, reprodueire ich (Fig. 6) eine Clonusceurve, welche von einer Katze mit intactem Rückenmarke und bei sehr leichter Aethernarkose er- halten ist. Die Belastung war während des Clonus constant und betrug 388m Obgleich es nun möglich ist, mit einem gewissen Grade von Wahr- scheinlichkeit die Ursachen von einigen dieser Periodicitäten nachzuweisen, so wird doch eine ausgedehnte Unter- suchung von Clonuscurven nöthig sein, um in jedem Augenblicke die Combi- nation der Ursachen zu bestimmen, welcher diese Periodicitäten ihr Ent- stehen verdanken. In keiner der von mir registrirten Clonuscurven, sei es unter constanter oder unter anwach- sender Belastung, fehlen diese Periodi- eitäten, während sie sich mit zuneh- mender Dauer des Clonus mehr und mehr ausprägen. Diese Versuche sind ausgeführt in dem physiologischen Institute der „Harvard Medical School“ zu Boston, wo ich mich der grossen ‚Gastfreiheit der Hrrn. Prof. H. P. Bowditch und Prof. W. T. Porter habe lerfreuen können. Ihnen bin ich denn auch zum grössten Danke verpflichtet. Amsterdam, October 1901. 263 (Reduction auf 3/,.) Fig. 6. Ueber. die corticalen secretorischen Centra der wichtigsten Verdauungsdrüsen. Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. Die neuere Forschung hat nicht nur unsere Kenntnisse von den corticalen Centren der quergestreiften Körpermusculatur wesentlich ge- fördert, sondern auch bezüglich des Einflusses der Grosshirnrinde auf die Bewegungen der inneren Organe, wie Herz, Respirationsapparat, Gefässe, Oesophagus, Magen, Darm, Harnblase u.s. w., ein Reike wichtiger Auf- schlüsse zu Tage gefördert. Auf der Tagesordnung steht augenblicklich die Frage nach dem Einflusse der Gehirnrinde auf die secretorischen Verrichtungen des Organismus. In dieser Beziehung beansprucht die Frage des Einflusses der Grosshirnrinde auf die secretorische Thätiekeit des Nahrungsrohres unstreitig ein ganz besonderes Interesse. Es handelt sich, mit anderen Worten, um diejenigen Centra der Gehirnrinde, welche auf die Secretionsvorgänge ‚der wichtigsten Drüsen des Verdauungs- apparates, also der Speicheldrüsen, der Magendrüsen, des Pankreas, und der Leber einen Einfluss ausüben. Eine gewisse Beleuchtung dieser Frage gewähren die Ergebnisse meiner eigenen, schon vor vielen Jahren be- gonnenen Untersuchungen über Speicheldrüsen und die in meinem Labo- ratorium gewonnenen Ermittelungen über die übrigen Drüsen des Ver- dauungsrohres, so dass ich gegenwärtig in der Lage bin, die wesentlichsten Aufstellungen, zu denen jene Untersuchungsreihen berechtigen, hier in aller Kürze zusammenzufassen. Schon die alltägliche Beobachtung lehrt, wie sehr die Thätiekeit der Speicheldrüsen von der Psyche her beeinflusst werden kann. Allbekannt ist die speichelabsondernde Wirkung des Anblickes oder auch nur der blossen Vorstellung einer schmackhaften Speise, zumal wenn längere Zeit keine Nahrung aufgenommen wurde, wenn also die Speicheldrüsen noch DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 265 reiche Stoffvorräthe- beherbergen und ihr Nervenapparat nicht erschöpft ist. Auch an Thieren lässt sich der Vorgang verfolgen. Wird an den Aus- fübrungsgang der Glandula submandibularis eines Hundes ein Reagens- glas befestigt, so braucht man nur ein Stück Fleisch oder derel. der Nase des Thieres zu nähern, um sofort reichlichen Speichelfluss auszulösen. Hin- wiederum hat Angst eine hemmende Wirkung auf die Function der Speichelabsonderung. Mit der Parotis ist es freilich etwas Anderes. So sehr man das Versuchsthier durch Fleisch oder Leckerbissen anderer Art auch reizen möge, erfolgt aus der Öhrspeicheldrüse keinerlei Seecret- absonderune. Eine besonders eingehende Untersuchung über den Einfluss der Psyche auf die Speichelabsonderung liegt von Wulfsohn aus dem physiologischen Laboratorium J. Pawlow’s vor.! Er reizte die Mundhöhle des Hundes mit einer harten Bürste oder gab dem Thiere Steine zu kauen; und doch er- folgte trotz des Kauens keinerlei Speichelabsonderung. Wenn hingegen Sand in die Mundhöhle des Thieres gebracht wird, so tritt sofort Speichel- secretion ein, welche nun den Sand hinwegspült. In dem Umstande, dass Steine keine Speichelabsonderung hervorrufen, erblickt Wulfsohn eine eisenthümliche Zweckmässigkeitserscheinung in der Natur, da Steine nicht fortgeschwemmt, sondern hinausgeschleudert werden. Im vorliegenden Falle sind Steine und Sand offenbar ganz nebensächliche Factoren; es kommt einzig und allein darauf an, dass das irritirende Agens an etwas Essbares, den Wänden der Mundhöhle sich Anlegendes erinnere, während Steine die Schleimhaut und die Zähne beschädigen, und Reiben mit einer harten Bürste nur Schmerzen verursacht. Dass der Speichel eine bespülende Wirkung auf die Mundschleimhaut ausübt, kann trotzdem nicht bezweifelt werden. Beim Hunde konnte Wulfsohn feststellen, dass die Quantität des ab- gesonderten Speichels dem Grade der Trockenheit der Nahrungsmittel, welche dem Thiere dargereicht wurden, entspricht. Hingegen löst Wasser auch bei starkem Durst keinerlei Speichelabsonderung aus. Von der Art der dem Thiere dargereichten Nahrungsmittel hängt auch die Consistenz des abgesonderten Speichels ab. Nach allen diesen Thatsachen erscheint es zweifellos, dass in der Hemisphärenrinde sowohl Centra für den Chorda- speichel, als auch Centra für den sympathischen Speichel vorhanden sein müssen. Näher bekannt sind uns die ersteren. Schon Lepine und Bochefontaine? haben darauf hingewiesen, dass Reizung der vorderen Abschnitte der Gehirnrinde mit schwachen Strömen Speichelsecretion aus- löst, wenn solche vorher nicht vorhanden war, und eine bereits bestehende ! Wulfsohn, Die Arbeit der Speicheldrüsen. Dissertation. St. Petersburg 1898. ® Lepine und Bochefontaine, Gaz. med. de Paris. 1875. 266 W. v. BECHTEREw: Speichelabsonderung merklich steigert. Nach Angabe beider Autoren finden sich Stellen, bei deren Reizung ein secretorischer Effect aus der Unter- kieferspeicheldrüse zu beobachten ist, nach vorne, nach unten und hinten vom Sulcus cruciatus. Lebhafter erscheint die Secretion auf der Seite der gereizten Hemisphäre. Der Speichel selbst erinnert seiner Beschaffenheit nach an einen Speichel, wie man ihn durch Reizung der Chorda tympani erzielt. Hatte man letztere durchschnitten, so war in den Versuchen von Lepine und Bochefontaine bei Reizung der genannten Rindenregionen eine Absonderung von Speichel nicht zu beobachten. Eine topographische Uebereinstimmung zwischen speichelsecretorischer und vasomotorischer Wirkung der Gehirnrinde erwies sich dabei als nicht zu Recht bestehend. Beispielsweise haben die dem Riechlappen benachbart liegenden Gebiete fast gar keinen Einfluss auf den Blutdruck, während ihre Wirkung auf die Speichelsecretion fast ebenso lebhaft ist, wie diejenige des Gyrus postfron- talis. Die Speichelsecretion beobachteten Lepine und Bochefontaine am Ductus \Vhartonianus, und zwar erfolgte die Ausscheidung grösstentheils auf der dem Reize entgegengesetzten Seite. Eine ganz analoge Wirkung konnte nicht selten auch mechanisch erzielt werden. Wenn die eine oder andere Stelle der Gehirnrinde keine Speichelabsonderung auslöst, so lässt sich oft von einem henachbart liegenden Punkte aus eine Wirkung erzielen, und manchmal tritt Speichelsecretion auf, wenn die Elektroden ganz leicht in die subcorticalen Schichten eingeführt wurden. In einer anderen Mittheilung! macht Bochefontaine die Angabe, dass Reizung der vorderen Hemisphärengegend gesteigerte Secretion der Parotis und Submaxillaris zur Folge hat. Die Reizung erstreckt sich in diesen Fällen offenbar auf die Centra des Facialis und des Sympathicus. Bochefontaine selbst beobachtete von bestimmten Theilen der Rinde aus Speichelabsonderung, Steigerung der Peristaltik, Blasencontractionen, Pupillen- verengung u. s. w., doch glaubt er diese Rindenpunkte nicht als besondere Centra ansehen zu sollen. Wollte man diese Gebiete als specielle Centra betrachten, so wäre nach Bochefontaine zu beachten, 1. dass Reizung eines Centrums Wirkungen in verschiedenen Organen entfaltet, wie Darm- bewegungen u. dergl., und 2. dass Reizung von einander entlegener Stellen eine und die nämliche Wirkung nach sich zieht. Dagegen hat Reizung der Dura und selbst des Pericranium im Allgemeinen den gleichen Effect. Das Gleiche ist endlich auch zu beobachten bei Reizung des centralen Endes des Vagosympathicus und selbst des N. ischiadicus (Ansteigen des Blut- druckes, Contractionen der Milz, der Blase u. dergl.). Dementsprechend hält Bochefontaine die von ihm aufgefundenen Punkte für sensible ! Bochefontaine, Arch. de phys. norm. et pathol. 1876. Nr. 2. DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 267 Gebiete und die beobachteten Effecte als von diesen Gebieten ausgehende Reflexe. Seine Untersuchung führt somit nicht zur Eruirung besonderer Rindencentra für die Speichelsecretion und ebenso wenig zur Feststellung vasomotorischer oder anderer Centra. Späterhin sind in der Litteratur, vor Allem aus dem Laboratorium von Eckhard, Stimmen laut geworden, die das Vorkommen besonderer speichelsecretorischer Gebiete in der Gehirnrinde ganz in Abrede stellen. Da unter solchen Verhältnissen eine gänzliche Neubearbeitung der Frage nothwendig erschien, so habe ich schon im Jahre 1588 im Verein mit Misslawski! über die Beziehungen der Gehirnrinde zur Speichelabson- derung genauere Untersuchungen angestellt. Wir sind damalsauf Grund- lage unserer Versuche zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Rinden- partien aussen und hinten vom Gyrus sigmoideus und über und vor der Fissura Sylvi als wirksam anzusehen sind. In unseren Versuchen trat bei schwacher faradischer Reizung im Gebiete des Gyrus suprasylviacus Speichelabsonderung aus der Glandula submaxillaris auf; bei Reizung der unmittelbar darunter gelegenen Windung erhielten wir Speichelsecretion aus der Submaxillaris und aus der Parotis. Häufig war die Secretion von Speichel auf der gleichen Seite überwiegend, doch wurde manchmal auch das umgekehrte Verhalten beobachtet. Auch nach dem Erscheinen unserer Arbeit äusserte sich Eckhard gegen einen directen corticalen Einfluss. Nach seiner Ansicht konnte das Auftreten von Speichelabsonderung in unseren Versuchen in Abhängigkeit stehen einerseits von der Curarewirkung und andererseits von Tetanisirung des Centrums für den Facialis.? Wenn nun auch nicht zu leugnen ist, dass die Curarisirung auf die Speichelabsonderung einen Einfluss ausübt, so sieht doch Jedermann ein, dass ein Einfluss seitens einer bestimmten Gegend des Nervensystems nur dann mit Sicherheit angenommen werden kann, wenn sich nachweisen lässt, dass der zum Stillstand gelangte Secretions- vorgang auf einen entsprechenden Reiz hin von Neuem einsetzt, oder wenn eine schon bestehende Speichelsecretion in Folge eines bestimmten Reizes eine schnelle Steigerung erfährt. Selbstverständlich sind auch wir nach solchen Grundsätzen bei unseren Versuchen vorgegangen und zweifeln deshalb nicht, dass es sich in unserem Falle um rein corticale Effecte ge- handelt habe. Zu bemerken ist ausserdem, dass Curarisirung durchaus nicht in allen Fällen eine Steigerung der Speichelsecretion bedingt. Wenig- ! Bechterew und Misslawski, Medie. obosr. (Russisch.) 1888. Bd. XXX. — Neurolog. Centralblatt. 1888. Bd. VII. ? Eckhard, Neurologisches Centralblatt. 1889. Bd. VIII. 8.65. ® Bechterew und Misslawski, Neurolog. Centralblatt. 1889. Bd. VII. 268 W. v. BECHTEREW: stens war mässige Curarisirung in unseren Versuchen niemals von stärkerer Speichelabsonderung begleitet. Was die Frage nach dem Einflusse von Tetanisirung des Facialis- centrums (Hitzig) und die dadurch bedingten Antlitzzuckungen betrifft, so entspricht erstlich das von uns näher bezeichnete Rindengebiet topographisch nicht dem Rindencentrum für den Facialis (Hitzig), dessen Reizung bei mässiger Stromstärke keine Speichelabsonderung anregt; zweitens aber schliesst die Anregung corticaler Speichelsecretion bei Curarisirung zu einer Zeit, wo von irgend welchen Krämpfen noch keine Rede sein kann, schon an sich die Vermuthung aus, diese Secretion könnte bedingt sein durch mechanische Ursachen im Gefolge von Zuckungen im Facialisgebiete, die unmittelbar auf die Organe der Speichelsecretion einwirken sollen. Da auch nach unseren Erläuterungen das Vorhandensein corticaler Centra der Speichelsecretion in einer aus dem Laboratorium Eckhard’s hervorgegangenen Arbeit von Fluck! geleugnet wird, so hielt ich es für das Beste, die Frage der corticalen Speichelsecretion einer erneuten Prüfung zu unterwerfen. Der Aufgabe einer solchen Neubearbeitung der Frage der corticalen Speichelsecretion hat sich nun in meinem Labo- ratorium Hr. Dr. Bary unterzogen. Seine Versuchsergebnisse ? weisen im Ganzen eine erfreuliche Uebereinstimmung mit unseren früheren Er- mittelungen auf. In 10 Versuchen hatte Reizung des Gyrus suprasylvius anterior lebhafte Speichelabsonderung zur Folge Im Hinblicke auf die erwähnten, von Eckhard geäusserten Bedenken vermied es Bary, die Ver- suchsthiere mit Curare zu vergiften; er narkotisirte sie mit schwachen Morphiumdosen, bisweilen auch unter Zuhülfenahme von Chloroform. Zum Zwecke des Versuches wurden nach Durchschneidung der Mm. geniohyoideus und genioglossus und nach Spaltung der Fasern des M. styloglossus die Düuctus Whartoniani aufgesucht und mit je einer Canüle in Verbindung ge- bracht. Die Rindenreizung geschah durch ein angelegtes Trepanationsfenster mit schwachen faradischen Strömen und unter Anwendung von Platin- elektroden. In manchen Versuchen lösten selbst Reizungen der Hirnrinde mit maximalen Strömen, bei welchen bereits Muskelkrämpfe auftraten, nicht die geringste Speichelabsonderung aus. Dass hierbei nicht etwa ein mechanisches Hinderniss die Absonderung des Speichels hintanhielt, geht daraus hervor, dass Reizung der Mundschleimhaut mit verdünnter Essig- säure mehr oder weniger lebhaften Speichelfluss zur Folge hatte. Wie die negativen Versuchsergebnisse in diesen Fällen zu erklären sind, lässt ! Fluck, Jnaug.-Dissert. Giessen 1889. ® Bary, Neurolog. Wiestn. (Russisch.) 1899. Bd. VII. DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 269 Verfasser unentschieden, hebt aber mit Recht hervor, dass auch im Gebiete der bestgekannten Rindencentra hin und wieder negative Versuchsergebnisse vorkommen. Diese Versuche beleuchten bis zu einem bestimmten Grade die Ursache jener die Rindencentra der Speichelsecretion betreffenden Meinungsdifferenzen, von denen im Früheren die Rede war, thun aber zu- gleich dar, dass Krämpfe an und für sich keine merkliche Speichel- absonderung hervorrufen können. Dem ungeachtet konnte in 10 von des Verfassers 14 Versuchen durch Reizung bestimmter Punkte der Gehirn- rinde deutliche Speichelsecretion hervorgerufen werden. Diese „Punkte“ liessen mit Bezug auf ihre räumliche Anordnung bei den verschiedenen Versuchsthieren geringe individuelle Schwankungen erkennen, doch liegen sie sämmtlich nahe bei einander gerade in jener Gegend, von welcher aus ich auch in manchen eigenen Experimenten Speichelsecretion erzielte, und zwar im Gyrus suprasylvius anterior oder coronalis.! Mit dem Aussetzen des Reizes hörte gewöhnlich auch die Speichel- absonderung auf, doch hielt letztere in einem der Versuche noch einige Zeit (1 bis 2 Minuten) lang nach dem Aussetzen des Reizes an, um dann ganz stillzustehen. In der Mehrzahl der Experimente war die Speichel- ausscheidung aus der Canüle der entgegengesetzten Seite reichlicher als auf der gleichen Seite, und nur in einem Falle war das umgekehrte Ver- halten zu beobachten. Der ausgeschiedene Speichel erschien durchsichtig, hell und wenig fadenziehend, also mit anderen Worten ganz entsprechend einem Speichel, wie er durch Reizung der Chorda tympani zu erhalten ist. Nach mehr- facher Wiederholung des Reizes war in einigen Versuchen Ausscheidung eines dichten, weisslichen, zähen Speichels zu beobachten.? In einigen der Versuche traten gleichzeitig mit Speichelsecretion Schluckbewegungen und Contractionen der Muskeln des Mundbodens auf, was eine Erklärung findet in der nachbarlichen Lage des Schluckcentrums und der Centra für die am Zungenbein sich befestigenden Muskeln. Es ! In der Nachbarschaft dieser Gegend, nur etwas mehr nach vorne, findet sich das von mir und Ostankow entdeckte Schluckeentrum. Reizung der in Rede stehenden Rindenpunkte mit dem faradischen Strome bei einem Rollenabstande von 12 bis 15°® führte schon nach Verlauf von 20 bis 30 Secunden zur Ausscheidung mehrerer Tropfen Speichel. In einigen Versuchen bedurfte es sogar einer noch kürzeren Dauer der Latenzperiode. So z. B. wurden in einem der Versuche nach Verlauf von 10 Secunden 6 Tropfen secernirt, in einem anderen während der näm- lichen Zeitdauer 20 Tropfen. In einigen Fällen, besonders nach mehrfacher Versuchs- wiederholung, also bei bereits eingetretener Drüsenerschöpfung, bedurfte es einer Reiz- dauer von 45 bis 50 Secunden. ? Auch Eckhard erhielt nach Durchschneidung des N. sympathieus am Schluss des Versuches dicken Speichel. 270 W. v. BECHTEREW: handelt sich hier augenscheinlich um topographische Nachbarschaft der Rindencentra für die Speichelsecretion und für die damit nahe zusammen- hängenden Verrichtungen, zu denen ja unter Anderem auch das Schlucken gehört. Mit Bezug auf den Vorgang der Speichelausscheidung waren die er- wähnten Contractionen der Muskeln des Mundbodens von keiner Bedeutung; denn gerade in solchen Versuchen, wo die Ergebnisse in tadelloser Reinheit hervortraten, waren derartige Contractionen nicht zu beobachten. Wenn andererseits Zuckungen durch Reizung der motorischen Zone ausgelöst wurden, trat keine Absonderung von Speichel auf, wenigstens nicht vor Entwickelung eines allgemeinen epileptischen Anfalles, bei welchem das Auf- treten von Speichelabsonderung ohne Frage ebenfalls mit Reizung des Speichelsecretionscentrums im Zusammenhange steht. In meinem Laboratorium hat ferner Hr. Dr. Kerber! Unter- suchungen über die Gehirnrinde mit Beziehung auf die Function der Speichelabsonderung angestellt und ist auf Grund von Versuchen an erwachsenen Hunden bezüglich des Einflusses der Hirnrinde auf die Speichelabsonderung. ebenfalls zu positiven Befunden gelangt. Um gleich- zeitig damit den Zustand der speichelsecretorischen Centra bei neuge- borenen Thieren zu studiren (dies war die specielle Aufgabe der Arbeit), wurden Versuche an neugeborenen Hunden angestellt, wobei diesen in den Ductus Whartonianus eine besondere Art Canüle, bestehend aus einer über der Flamme gerade gerichteten Kymographionfeder mit abgebrochenem breiten Ende, eingeführt wurde. Als Ergebniss von 8 Versuchen an Welpen verschiedenen Alters bis incl. 12 Tagen konnte eruirt werden, dass bei neugeborenen Hunden Reizung des speichelsecretorischen Centrums der Gehirnrinde mit intermittirenden Strömen von beliebiger Stärke nicht die geringste Wirkung hervorruft, während Reizung der Chorda tympani, und zwar sowohl der intacten, als auch beider Enden der durchschnittenen Chorda deutliche Speichelabsonderung zur Folge hat, und zwar bedarf es hierzu bei Welpen der ersten Lebenstage eines Stromes von 5” R.-A., bei Thieren von 10 bis 12 Tagen eines Stromes von 3 Mal geringerer Stärke. Ebenso erfolgt bei Reizung des centralen Endes des N. lingualis mit starken Strömen (von 5m R.-A.) Speichelabsonderung aus der Unterkiefer- drüse, während schwächere Ströme in der Regel wirkungslos bleiben. Aus diesen Thatsachen wird ersichtlich, dass die Chorda tympani beim Hunde schon von den ersten Lebenstagen an für secretorische Impulse leitungsfähig ist, und dass die Erregbarkeit der Chorda tympani gegen den ! Kerber, Ueber die Function der Speicheldrüsen bei Brustkindern. Dissertation. St. Petersburg 1900. DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 271 10. bis 12. Tag ungefähr gleich gross ist wie beim erwachsenen Thiere. Da hierbei auch Reizung des centralen Endes der Paukensaite einen speichel- secretorischen Effect giebt, so ist zu schliessen, dass bei Welpen auch sympathischer Speichel abgesondert wird. Unzweitelhaft ist ferner, dass auch die reflectorischen Speichelseeretionscentra bei neugeborenen Hunden schon wirksam sind; zum Beweise dafür ist die Thatsache anzuführen, dass Reizung des centralen Endes des N. lingualis einen speichelsecretorischen Effeet auslöst. Dahingegen sind beliebig starke Reize in Gebieten der Hirnrinde, welche dem Speichelsecretionscentrum erwachsener Thiere ent- sprechen, nicht im Stande, bei neugeborenen Hunden die Thätigkeit der Speicheldrüsen anzuregen. Das Gewicht dieser Thatsache wird noch da- durch besonders gesteigert, dass gegen den 10. bis 12. Tag des Extra- uterinlebens die Rindencentra für das Antlitz, wie mir meine eigenen Ver- suche gezeigt haben, beim Hunde in der Regel bereits entwickelt sind. Handelt es sich einzig und allein um Uebertragung des Reizes von der Rinde auf tieferliegende Centra oder aber um Einwirkung des Stromes auf das Facialiscentrum und Auftreten von Speichelsecretion im Gefolge von Gesichtskrämpfen, wie dies Eckhard behauptet, so müssten wir bei neu- geborenen Hunden, besonders wenn man die geringe Grösse ihres Gehirnes in Rücksicht bringt, von der Rinde aus mit Beständigkeit Speichelsecretion auslösen können. Wenn dies nun aber in Wirklichkeit nicht zutrifft, so ist eine Erklärung nur darin zu suchen, dass das corticale Speichel- secretionscentrum auf jener Altersstufe noch nicht entwickelt ist. Diese Thatsache spricht offenbar für das Vorhandensein eines besonderen Rindencentrums beim erwachsenen Thiere, welches von entsprechenden, die Secretion der Speicheldrüsen anregenden psychischen Impulsen in Action gesetzt wird. Wir wenden uns nun zu den corticalen Gentren der Magensaft- secretion. Hier ist zunächst auf die bekannte Thatsache des Einflusses der Psyche auf die verdauende Kraft des Magens hinzuweisen. Gedrückte Stimmung alterirt immer mehr oder weniger lebhaft das Verdauungsvermögen des Magens, während angenehme Gemüthsverfassung mit Steigerung des Verdauungsvermögens einhergeht. Die Wirkung erheiternder Tafelmusik und angenehmer Unterhaltung bei Tische findet in dieser Erfahrung des alltäglichen Lebens ihre Begründung. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass schon der Anblick eines leckeren Bissens das Nahrungsbedürfniss sehr lebhaft steigert und das Gefühl des Hungers stärker hervortreten lässt. Diese Thatsachen stehen offenbar in Zusammenhang mit dem Einflusse psychischer Momente auf die Ausscheidung des Magensaftes. Und in der That giebt es physiologische Experimente, welche die Richtigkeit dieser Erklärung unzweifelhaft darthun. Schon im Jahre 1852 ist es Bidder 272 W. v.:BECHTEREW: und Carl Schmidt! gelungen, am Hunde mit Magenfistel zu zeigen, dass man dem Thiere die Nahrung nur zu zeigen braucht, damit einige Zeit nachher reichliche Absonderung von Magensaft aus der Fistel sich einstellt. Ganz analoge Beobachtungen am Menschen sind von Ch. Richet gemacht worden? und zwar bei einem gewissen Marcelin K., dem in Folge von Ver- wachsung der Speiseröhre von dem Chirurgen Verneuil eine Magen- fistel angelegt werden musste Jedes Mal, wenn der Kranke an etwas Süssem oder Saurem, wie z.B. an einem Stück Zucker oder an einer Citrone kaute, konnte Richet beobachten, dass aus dem Magen reiner Magensaft sich auszuscheiden begann. In diesem Falle handelt es sich freilich um einen Reflex von der gereizten Mundhöhlenschleimhaut aus auf die Magensaftausscheidung. Es geht aber aus den Versuchen von Pawlow und Schumowa hervor, dass die Wirkung auf die Magensaftsecretion hier- bei eigentlich nicht bedingt ist durch Reflexe von der Mundhöhle aus, wie man wohl glauben möchte, sondern in Abhängigkeit steht von entsprechen- den psychischen Einflüssen. Auf jeden Fall geht aus den Versuchen von Bidder und Schmidt unzweifelhaft hervor, dass die Thätigkeit der Magendrüsen von der Psyche aus beeinflussbar ist. Dafür sprechen auch mit aller Bestimmtheit die Versuche von J. P. Pawlow und Schumowa an Hunden mit Magen- fisteln bei durchschnittenem Oesophagus und in die Halswunde ein- genähtem oberen Oesophagusabschnitt. Es zeigte sich bei diesen Ver- suchen, dass schon der Anblick "eines von Weitem dem Thiere vorge- haltenen Stückes Fleisch oder dergl. Absonderung von Magensaft auslöste und zwar in ebenso reichlicher Menge, wie bei sogen. Scheinfütterung, wobei die Nahrung den Mund passirt und dann durch eine Oeffnung im Oesophagus nach aussen befördert wird, ohne in den Magen zu gelangen. J. P. Pawlow folgert hieraus, dass auch bei dem Scheinfütterungsversuche als Erreger der Magensaftausscheidung das psychische Moment des leiden- schaftlichen Essbedürfnisses bezw. der Wollust des Essens auftrete. Unter- stützt wird dieser Schluss unter Anderem durch die Thatsache, dass ein hungerndes Thier bei Scheinfütterung stets reichlichere Mengen von Magen- saft ausscheidet, als ein nicht hungerndes Thier unter den gleichen Ver- hältnissen. Andererseits wird bei Fleischfütterung, welche Hunde dem Brode vorziehen, in der Regel mehr Saft secernirt, als bei letzterer Art der Er- nährung. „Betrachtet man,“ schreibt Prof. J. P. Pawlow, „die ganze Er- scheinung vom rein physiologischen Standpunkte, so kann man sagen, es handle sich hier um einen zusammengesetzten Reflex. Der zusammen- ! Die Verdauungssäfte u. s. w. 1852. ® Richet, Journal de PAnat. et de la Physiologie. 1878. DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN CENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 273 gesetzte Charakter des Reflexes ist insofern verständlich, als das physiologische Ziel im vorliegenden Falle vom Organismus nur durch eine ganze Reihe von Thätigkeiten erreicht werden kann. Das Object der Verdauung — die Nahrung — befindet sich ausserhalb des Körpers, in der Aussenwelt. Die Nahrung soll dem Körper zugeführt werden nicht mit Hülfe von Muskelkraft allein, sondern gleichzeitig unter Mitwirkung höherer Körperverrichtungen: Verstand, Wille, Trieb. Dem entsprechend wirkt die Nahrung, wenn sie gleichzeitig verschiedene Sinnesorgane: Gesicht, Gehör (Tastgefühl?), Geruch und Geschmack irritirt, besonders aber die beiden letzteren, da deren Thätigkeit Annäherung oder selbst Einverleibung der Nahrung in das Körperinnere voraussetzt, als nächster und intensivster Erreger der secre- torischen Drüsennerven. Durch den leidenschaftlichen Trieb nach Nahrung hat die hartnäckige und unermüdliche Natur die Herbeischaffung der Nahrung innig verbunden mit dem Beginn ihrer Verarbeitung im Organis- mus. Man erkennt unschwer, dass die hier näher untersuchte Erscheinung in innigster Weise zusammenhängt mit jener Erscheinung unseres alltäglichen Lebens, welche wir bei dem Menschen Appetit zu nennen pflegen.“ „Der Appetit ist der oberste und heftigste Erreger der secretorischen Nerven der Magendrüsen.“ „Lebhafter Appetit beim Essen bedeutet von vornherein reich- liche Absonderung eines kräftigen Saftes; bei Mangel von Appetit fehlt dieser erste Erguss von Magensaft; Jemandem den Appetit wiederherstellen, heisst ihm zu Beginn der Mahlzeit reichliche Mengen starken Magensaftes verschaffen.“ ! Diese Sätze würden meiner Erachtung sehr an Vollständigkeit und Beweiskraft gewinnen durch Scheinfütterungsversuche an Thieren mit ent- fernten Grosshirnhemisphären, doch lässt sich aus dem Angeführten so viel als zweifellos feststehend ableiten, dass die Rinde des Grosshirns, als Organ der Seelenthätigkeit, befähigt ist, die secretorische Thätigkeit der Magen- drüsen in hohem Grade zu beeinflussen. Allein die Frage nach der Locali- sation jener Rindenterritorien, welche auf die Absonderung des Magensaftes anregend wirken, steht bis heute noch offen. Ich machte daher Hrn. Dr. Gerwer den Vorschlag, die Frage in meinem Laboratorium durch ent- sprechende Untersuchungen an Hunden einer Bearbeitung zu unterziehen. ? Diese Untersuchungen haben nun zu sehr befriedigenden Ergebnissen geführt, weshalb ich mit Rücksicht auf die Bedeutsamkeit des Gegenstandes bemüht sein werde, dieselben hier etwas ausführlicher darzulegen. Angestellt wurden sämmitliche Versuche an Hunden, denen zunächst in Ühloroformnarkose ıJ. P.Pawlow, Vorlesungen über die Thätigkeit der Verdauungsdrüsen. (Russisch.) S. 108 u. 109. 2 A. W. Gerwer, Ueber den Einfluss des Gehirns auf die Magensaftausscheidung. Vortrag, gehalten in der Gesellsch. Russ. Aerzte am 11. November 1899. Obosrenie psichiatrii. (Russisch.) 1899. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 18 274 W. v. BECHTEREW: unter Beobachtung aller aseptischen Cautelen in üblicher Weise eine Magen- fistel angelegt wurde. Nach völliger Verheilung der Fistelwunde wurde in der Narkose, manchmal auch ohne solche, zur Trepanation des Thieres geschritten, wobei einen Tag vor dem Eingriffe die Nahrungszufuhr ausgesetzt wurde, um bei Reizung der Rinde reinen Magensaft ohne Beimengung von Speisebestand- theilen zu erhalten. Nachdem das Thier sich von der Trepanation etwas erholt hatte, wurde sämmtlicher im Magen vorhandene Saft aufgesammelt. Zu diesem Ende wurde der Hund an Tragbändern in dem gewöhnlichen Gestell suspendirt und das Fistelrohr geöffnet; nun entleerte der Magen seinen ganzen Inhalt, bestehend aus einem Gemisch von Magensaft und Schleim, nach aussen. In der nämlichen Lagerung des Thieres wurde nicht selten auch die Reizung der Hirnrinde ausgeführt. In anderen Fällen allerdings diente zur Ausführung des Versuches ein Tisch mit einer ovalen, 20 bis 25°” langen Oefinung in der Mitte. Auf diesem Tisch wurde der Hund in der Weise befestigt, dass die Magenfistel in die Oeffnung des Tisches zu liegen kam und der Magensaft sich in einen unter der Oeffinung befindlichen Messcylinder frei ergiessen konnte. In vielen Fällen wurde zur Vermeidung von Speichelzutritt zum Magen die Speiseröhre unterbunden und ausserdem eine Ligatur am Pylorus angelegt, damit keine Galle in den Magen gelangen konnte. In einzelnen Fällen wurden die Versuchs- thiere gleichzeitig curarisirt. Die quantitative Bestimmung des Magensaftes geschah entweder durch Zählen der Tropfen in jeder Minute oder mit Hülfe von Messgläsern. Dabei wurde der ausgeschiedene Magensaft von dem Schleim abfiltrirt und dann auf seinen Gehalt an Salzsäure und Pepsin untersucht. Zur Salz- säurebestimmung diente Tropäolin, Congo, sowie Phlorogluein-Vanilin. In einzelnen Fällen wurde auch die allgemeine Acidität des Magensaftes durch Titriren mittels einer Decimallösung von Natronlauge bestimmt, und zwar nach dem Auftreten von Rosolsäure. Die Bestimmung der Anwesenheit von Pepsin im Magensafte geschah nach dem Verfahren von Mett: die verdauende Kraft wird bestimmt durch Auflösung von bei 95° zur Ge- rinnung gebrachtem Eiweiss in dem Safte, wobei letzteres in Glasstäbchen von 1 bis 2 == Durchmesser eingeschlossen wird, welche man in kleine Stücke bricht und in 2 bis 3°” des untersuchten Saftes bringt, wo sie bei einer Temperatur von 37 bis 38° während 10 bis 12 Stunden ver- bleiben. Die Reizung der Hirnrinde geschah mittels des faradischen Stromes. Es wurde zur Reizung erst dann geschritten, wenn die Ausscheidung von Magensaft völlig aufgehört hatte und ebenso wurde keine neue Reizung vorgenommen, ehe die Wirkung der vorhergegangenen Reizung ganz auf- gehört hatte. In einzelnen Fällen wurde zum Zwecke des Versuches das DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 275 Rückenmark und die Nn. vagi durchschnitten. Dazu kam in einigen Ver- suchen Abtragung bestimmter Bezirke der Gehirnrinde, deren Reizung Aus- scheidung von Magensaft ergab, und die solchergestalt operirten Thiere blieben dann zum Zwecke weiterer Untersuchungen über die Ausscheidungs- verhältnisse des Magensaftes reservirt. Es giebt nun, wie sich bei diesen Versuchen herausstellte, auf der Oberfläche der Grosshirnrinde ein scharf localisirtes Territorium von etwa im Durchmesser, dessen elektrische Reizung sehr merkliche Magensaft- absonderung auslöst. Das betreffende Rindenfeld findet sich lateral vom vorderen Abschnitt der Sigmawindung (Gyrus praecruciatus) ganz am vor- deren Ende der dritten Urwindung, an deren Vereinigungsstelle mit dem vorderen Ende der zweiten Urwindung. Reizung dieses Rindenfeldes regt sowohl die Thätigkeit der Schleimdrüsen, als auch die Ausscheidung des Magensaftes an. Dem entsprechend ergoss sich bei Beginn der Reizung aus dem Magen ziemlich dieker Schleim von alkalischer Reaction; wurde dann das nämliche Feld noch einige Male gereizt, so kam mit dem Schleim flüssiger Magensaft von deutlich saurer Reaction; schliesslich ergoss sich reiner Magensaft aus der Oeffnung. Beim Versuch an der Hirnrinde geht der Magensaftausscheidung eine Zeit der Schleimsecretion voraus, ganz ent- sprechend der physiologischen Function der Magendrüsen. Für gewöhnlich beginnt die Magensaftausscheidung 2 bis 3 Minuten nach dem Anfang der Reizung, manchmal aber auch noch später. Wenn dabei der Reiz 4 bis 5 Minuten andauert, so nimmt die Menge des ausge- schiedenen Saftes gegen das Ende der Reizung allmählich zu, ja diese Zu- nahme dauert noch einige Zeit (10 bis 12 Minuten) nach dem Aussetzen des Reizes an, worauf die Ausscheidung allmählich nachlässt, obwohl geringe Mengen noch ?/, Stunde bis 50 Minuten nach dem Aufhören des Reizes ab- geschieden werden. Damit während der Reizung kein Speichel in den Magen gelange, wurde, wie schon erwähnt, in einigen Versuchen der Oeso- phagus und, um Beimengungen von Galle zu vermeiden, ausserdem der Pylorus unterbunden. Dass ausser Schleim im vorliegenden Falle auch Magensaft abgesondert wurde, ging zweifellos auch aus der chemischen Untersuchung hervor, da die Gegenwart von Pepsin und Salzsäure in dem Secrete sich durch entsprechende Reactionen nachweisen liess. Specielle Ver- suche haben gezeigt, dass Umschneidung des erwähnten Rindenfeldes den Reizeffect in keiner Weise beeinflusst, dass hingegen Unterminirung des- selben sofort den ganzen Erfolg der Reizung aufhebt, woraus folgt, dass hier thatsächlich ein corticales Centrum vorliegt und nicht etwa einfach ein Rindenfeld, von welchem aus der Reiz auf tieferliegende Gebiete über- springt und nun entsprechende Wirkungen auslöst. Ausgeschlossen war hierbei auch die Vermuthung, es handele sich in den fraglichen Versuchen 155 276 W. v. BECHTEREWw: um eine rein mechanisch, durch Magenbewegungen und Expression des Drüseninhaltes bedingte Secretion von Magensaft; denn 1. erfolgte in den Versuchen zunächst Ausscheidung von Schleim und dann erst von Magen- saft, ein Verhalten, welches naturgemäss schon an und für sich auf eine chemische Magenthätigkeit hinweist, 2. stellte sich die Secretion aus dem Magen gewöhnlich nicht unmittelbar nach der Reizung ein, sondern nach Verlauf von 2 bis 3 und mehr Minuten, während bei einfacher mechanischer Auspressung der Magendrüsen der Saft sehr viel früher hätte abgesondert werden müssen, und endlich 3. konnten durch die weit geöffnete Bauch- wunde bei Reizung des geschilderten Rindenbezirkes keinerlei Magencontrac- tionen beobachtet werden. Es handelt sich demnach im vorliegenden Fall unzweifelhaft um ein Rindenfeld, welches die chemische Thätigkeit der Magendrüsen zu beeinflussen vermag. Höchst merkwürdig ist nun, dass gerade dieses Rindenfeld, wie ent- sprechende Versuche gezeigt haben, Bedeutung hat für das Zustandekommen jenes Psychoreflexes, welcher bei dem Versuchsthiere auftritt, wenn es durch den Anblick von Esswaaren gereizt wird. Hat man die Rinde im Gebiete jenes Feldes beiderseits abgetragen, so löst der Anblick vorgehaltenen Futters bei dem Thiere keine Absonderung von Magensaft aus, wie dies wohl bei gesunden Thieren der Fall ist. Dass das dem Gehirn zugefügte Trauma in diesem Falle für das Aufhören der Magendrüsensecretion nicht wesent- lich von Bedeutung ist, beweisen Controlversuche mit ebenfalls doppel- seitiger Entfernung entsprechend grosser, aber in anderen Rindengebieten gelegener Felder, die mit der secretorischen Thätigkeit des Magens nichts zu thun haben, wiez.B .in den Schläfenlappen, wobei sich herausstellt, dass der Drüseneffect bei Reizung des Versuchsthieres durch vorgehaltenes Futter in diesem Falle ebenso prompt eintritt, wie beim gesunden Thiere. Aus Allem ist also ersichtlich, dass bei der Ausscheidung des sog. „psychischen Magensaftes“ unter dem Einfluss des „Appetites“ am activsten betheilist sind gerade jene Centra der Grosshirnrinde, von denen im Vorhergehenden die Rede war. Um zu eruiren, auf welche Weise die Reizübertragung von jenem Rindenfelde auf die Magendrüsen vor sich geht, wurden die Nn. vagi nach dem Vorgange von Prof. J. Pawlow 2 bis 3°” unterhalb der Art. subelavia und unterhalb der Abzweigung des N. laryngeus inferior durchschnitten. Es ergab sich dabei, dass im Gefolge von Durchschneidung eines der Nn. vagi, z. B. des rechten, Reizung des beschriebenen Rindenfeldes in der contra- lateralen, im angenommenen Falle also der linken Gehirnhälfte zwar noch Ausscheidung von Magensaft hervorrief, aber dies in sehr viel schwächerem (Grade, als bei Unversehrtheit des Vagus, während Reizung des gleichen Rindenfeldes auf der Seite der Vagusdurchschneidung eine etwas stärkere DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 27 Magendrüsensecretion entfachte, als Reizung des nämlichen Feldes der eontralateralen Grosshirnhemisphäre. Durchschneidung beider Vagi setzte jeelicher Ausscheidung von Magensaft bei Rindenreizung ein Ende. Der Reiz wird also augenscheinlich von der Rinde aus durch die Vagi weiter befördert, und zwar ist die Reizübertragung hier eine zweiseitige, aber vor- wiegend eine gekreuztee Da die Nn. vagi in den betrachteten Fällen unterhalb der Abzweigung der für Kehlkopf und Herz bestimmten Zweige durchschnitten wurden, unter alleiniger Beschädigung der Lungen- und Bauchäste der Nerven, so ist klar, dass von einem Einflusse gestörter Herz- oder Gefässthätigkeit im vorliegendem Falle keine Rede sein kann. Es handelt sich offenbar um eine reine Drüsenwirkung, bedinet durch Reizung der Gehirnrinde. Die in Rede stehenden Versuche bringen demnach den Nachweis der Existenz besonderer Rindencentra, welche unter Vermittelung der Nervi vagi der Thätigkeit der Magendrüsen vorstehen, unter dem Einflusse psychi- scher Momente erregt werden und dann jene psychische Magensaftsecretion bedingen, wie sie in Folge von psychisch angerestem Appetit (Anblick oder Vorstellung von Speisen u. dergl.) in die Erscheinung tritt. Wie der Magensaft, so ist auch die Secretion des Pankreassaftes dem Einflusse bestimmter Rindencentra unterworfen. Dafür spricht unter Anderem die neuerdings eruirte Thatsache des Einflusses psychischer Momente auf die Secretion des Pankreassaftes. Kuwschinski! (1888) ist zu dem Resultate gekommen, dass schon der Reiz des Anblickes von Esswaaren bei Thieren Absonderung pankreatischen Saftes auslöst. Der Einfluss der Psyche ist also ein sehr wichtiges beförderndes Moment der Secretionsthätiekeit des Pankreas. Diese Art Pankreassecretion ist auch bei sog. Scheinfütterung zu beobachten, wo die Wirkung bezüglich der Magensaftsecretion, wie wir sahen, hauptsächlich von psychischen Momenten abhängt. Eine weitere Thatsache, welche für die Wirksamkeit psychischer Momente auf die Pankreas- secretion spricht, wird von Krewer ? beigebracht. Er sah ganz im Beginne von Brod- und Fleischmahlzeiten eine schwache Pankreassecretion sich ein- stellen, und zwar dauerte dieselbe im ersten Falle 25 Minuten, im zweiten 19 Minuten, wobei in das Duodenum noch nichts gelangt war und somit von einer reflectorischen Anregung des Pankreas seitens der Schleimhaut des Zwölffingerdarmes nicht die Rede sein konnte. Diese Wirkung, welche der durch Uebertritt von Magensaft in den Zwölffingerdarm bedingten stärkeren Pankreassecretion vorausgeht, kann entweder reflectorisch vom ! Teber den Einfluss einiger Nahrungs- und Arzneimittel auf die Secretion .des Pankreassaftes. Dissertation. (Russisch.) St. Petersburg 1888. ® Krewer, Untersuchungen über die secretorische Thätigkeit des Pankreas. St. Petersburg 1399. 278 W. v. BECHTEREWw: Magen aus oder aber von der Psyche aus hervorgerufen sen. Krewer freilich hält einen reflectorischen Einfluss für ausgeschlossen. Nach seiner Meinung dürfte die Secretion, wäre sie reflectorischen Ursprunges, nicht so schnell nachlassen und aufhören, wie dies in Wirklichkeit der Fall, sondern müsste im Gegentheil stärker werden. Für eine psychische Beeinflussung als Ursache der anfänglichen Pankreassecretion bei Brod- und Fleischmahl- zeiten spricht die zeitliche Uebereinstimmung ihres Eintrittes und Aufhörens mit der bei Scheinfütterung beobachteten Pankreassecretion. Alle diese Thatsachen bezeugen also den Einfluss der Psyche auf die Secretion des pankreatischen Saftes. Deshalb erscheint es von grösster Wichtigkeit, festzustellen, welche Gebiete der Hirnrinde nach dieser Rich- tung hin wirksam sind. Leider besitzen wir hier noch sehr spärliche Kenntnisse. Gewisse Andeutungen finden sich in der Angabe Boche- fontaine’s, wonach bei Reizung der vierten Windung an dem Aussenende des Sulcus eruciatus Verminderung der Pankreassecretion auftritt, gewisser- maassen als Folge einer Hemmungswirkung. Dagegen lagen in Bezug auf die anregenden Wirkungen der Hirnrinde gegenüber der Pankreasseeretion bisher keine speciellen Untersuchungen vor, und erst ganz unlängst sind solche in meinem Laboratorium und auf meinen Vorschlag von Dr. Narbut angestellt worden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden im Ein- zelnen später veröffentlicht werden, hier aber soll nur bemerkt werden, dass den betreffenden Experimenten zufolge Reizung der Grosshirnrinde im Ge- biete des mittleren Theiles des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus (Gyrus praecruciatus) Absonderung von Pankreassaft hervorruft, woraus folgt, dass diese Gegend der Grosshirnrinde die speciellen Rindencentra der Ausscheidung des pankreatischen Secretes in sich beherbergt. Wie die Untersuchung von Gerwer ergeben hat, erfolgt bei Reizung bestimmter Bezirke der Hirnrinde Absonderung von Schleim und dann von Magensaft. Offenbar deutet diese Thatsache darauf hin, dass auch die Sehleimdrüsen des Magendarmtractus dem Einflusse der Grosshirnrinde unterworfen sind. Doch ist anzunehmen, dass, wie dies auch die Befunde von Gerwer ergeben haben, die Schleimdrüsen bei Reizung bestimmter Ge- biete der Hirnrinde gleichzeitig mit den speciellen Verrichtungen der be- treffenden Körperregion in Function treten, für welche die Schleimsecretion gewissermaassen die Bedeutung einer nothwendigen physiologischen Begleit- erscheinung hat. Die Bedeutung psychischer Momente für die Gallenabsonderung ist schon lange bekannt. Viele Kliniker beschreiben sogar eine besondere Form des Icterus als nervösen oder spastischen Ieterus. Als wichtigste Ursache dieser Krankheit kennt man psychische Momente depressiver Art, wie Schreck, Zorn u. dergl. (icterische Gemüthsstimmung), Kummer, ferner DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 279 starke Schmerzen u.s. w. Das Entstehen von Icterus in diesen Fällen hat man gewöhnlich zurückgeführt auf spastische Contractionen der Gallengänge oder des Duodenum, oder nach anderer Ansicht auf Lähmung dieser Organe. Die letztere Hypothese ist deshalb hinfällig, weil nach Durchschneidung der Nn. splanchniei und Entfernung des Ganglion coeliacum kein Ieterus und keine Gallenretention in der Leber stattfindet (Frerichs und Reichert). Auch haben Untersuchungen von Afanassjew ergeben, dass bei Durch- schneidung der Lebernerven wohl ein Lähmungszustand der Ausführungs. gänge eintritt, nicht aber Icterus, ja nicht einmal Steigerung der Gallen- absonderung. Ebenso wenig hat Durchtrennung des Rückenmarkes oberhalb oder unterhalb des Plexus cervicalis Icterus im Gefolge. Anscheinend ver- mag auch spastische Contraction der grossen Gallenwege diesen Icterus nicht zu erzeugen, da nicht anzunehmen ist, dass ein derartiger Gallen- gangsspasmus längere Zeit anhält. Andererseits vergehen bei Unterbindung des Ductus choledochus wenigstens 2, am häufigsten 3 bis 4 Tage bis zum Auftreten von Icterus, was offenbar in der Weise zu erklären ist, dass das Secret sich zunächst in den kleineren Gallengängen ansammelt und erst dann in das Blut hinein resorbirt wird. Uns erscheint daher Afanassjew’s Erklärung des Iceterus spasticus, welche denselben auf anhaltenden Spas- mus der Lebergefässe zurückführt, am zutreffendsten. „Denken wir uns,“ schreibt dieser Forscher, „einen Menschen auf dem Höhenpukte der Ver- dauung, also bei gesteigerter Gallenbildung und -ableitung. Plötzlich stellt sich bei ihm in Folge irgend welcher psychischer Einflüsse ein Spasmus der Lebergefässe und vor Allem der Arteria hepatica ein. Eine derartige, wenn auch nicht einmal complete Contraction der Lebergefässe ist, wie wir soeben gezeigt haben, stets verknüpft mit erschwerter Fortbewegung der Galle in den feineren Gallengängen, und zwar ebenso wohl in der Richtung von aussen nach innen, als umgekehrt. Unter solchen Umständen muss sämmt- liche ausgeschiedene Galle, mag sie quantitativ auch vermindert sein, sehr schnell in das Blut resorbirt werden; es wird hier und weiterhin auch in den Geweben zur Pigmentablagerung kommen. Natürlich wird sich bei schon früher bestandenem Katarrhe der Gallenwege und demnach bereits veränderter Schleimhaut schneller und leichter ein nervöser Icterus ent- wickeln, als bei einem bislang völlig gesunden Individuum. Man hat also zur Erklärung des nervösen Icterus eine vasomotorische Neurose anzu- nehmen, welche zum Mindesten mehrere Stunden andauerte. Analoge paralytische Neurosen müssen Leberhyperämie (und Polycholie?) hervorrufen, worauf auch manche Autoren (z. B. Eulenburg) hinweisen.! Die Betheiligung der Psyche ist also in diesem Falle auf vasomotorische ! Afanassjew, Ueber die Innervation der Gallenabsonderung. Dissertation. (Russisch.) 1881. S. 163. 280 W. v. BECHTEREw: Einflüsse zurückzuführen. Dieser Standpunkt scheint mir am zutreffendsten, da bisher die Frage nach dem specifisch trophischen Einflusse der Nerven auf die Drüsenthätigkeit der Leber noch offen steht. Wenn es corticale Centra, die auf die Gallenabsonderung von Einfluss sind, giebt, so muss die Wirkung derselben auf die Gallensecretion eine durch Vasomotoren vermittelte sein. Im Uebrigen wäre zu bemerken, dass wir bezüglich des Einflusses der Grosshirnrinde auf die Gallensecretion in der Litteratur keiner- lei Angaben finden, mit Ausnahme einer kurzen Notiz von Bochefontaine, wonach Reizung der vierten Windung am Ende des Sulcus cruciatus die Aus- scheidung der Galle vermindert. Bochefontaine betrachtet jedoch diese Rindengebiete nicht als bestimmte Centra, die auf die Gallenausscheidung von Einfluss sind, sondern erklärt die Wirkung, die man da erhält, für eine reflectorische. Zudem handelte es sich in seinem Versuche um eine Hemmungswirkung, nicht um Anregung der Gallenausscheidung von Seiten der Gehirnrinde. Um nun bezüglich des Einflusses der Hirnrinde auf die Gallenabsonde- rung näheren Aufschluss zu erhalten, machte ich einem der Herren, die sich in meinem Laboratorium beschäftigen, den Vorschlag, die Frage einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen. Daraufhin hat Dr. Wirsaladse! eine Reihe entsprechender Versuche an Hunden ausgeführt, wobei letzteren nach Eröffnung der Bauchhöhle in der Linea alba der Ductus cysticus unter- bunden und in dem Ductus choledochus eine Canüle, die durch die Bauch- wunde nach aussen führte, befestigt wurde Etwa nach Ablauf von zwei Tagen nach diesem Eingriffe wurde durch eine am Schädel erzeugte Trepanationsöffnung zur Reizung der Rinde geschritten. Dabei zeigte sich, dass Reizung des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoideus (Gyrus praeeru- eiatus), besonders des inneren Theiles desselben, in der Mehrzahl der Fälle gesteigerte Gallensecretion nach sich zog, die jedoch nach Aussetzen des Reizes fast momentan aufhörte. Da dieses Ergebniss in einer ganzen Reihe von Versuchen hervortrat und zudem in einem und demselben Versuche durch vielfache Wiederholung bestätigt werden konnte, und die übrigen Gebiete der Hirnrinde dabei keine Wirkung hatten, so ist nicht zu bezweifeln, dass wir es hier in der That mit einem Rindenfelde zu thun haben, welches einen specifischen Einfluss auf die Gallenabsonderung ausübt. Eine andere Frage ist, ob dieses Rindenfeld etwa den Muskelapparat der Gallenwege in Action versetzt und solchergestalt eine mechanische Expression der Galle einleibte, oder ob es sich hier um eine die Gallenabsonderung selbst stei- gernde Wirkung handelt. Diese Frage ist schwer mit positiver Sicherheit zu entscheiden. Ohne die Möglichkeit einer Einwirkung jenes Rindenfeldes ı Obosrenije psichiatrü. (Russisch) 1901. Nr. 12. DIE CORTICALEN SECRETORISCHEN ÜENTRA DER VERDAUUNGSDRÜSEN. 281 speciell auf den Muskelapparat in Abrede zu stellen, möchte ich bemerken, dass in den angeführten Versuchen vielfach wiederholte Reizungen jedes Mal einen positiven Effect ohne merkliche Abschwächung hervorriefen. Anderer- seits hatten Aenderungen der Stromstärke keinen nennenswerthen Einfluss auf das Ergebniss der Reizung. Diese Befunde scheinen mir eher dafür zu sprechen, dass in dem vorhin näher bezeichneten Rindenterritorium ein Centrum vorliegt, welches die Gallensecretion befördert, höchst wahrscheinlich unter Vermittelung vasomotorischer Vorgänge, die bei Reizung jenes Rinden- gebietes in der Leber auftreten. Ob in der Hemisphärenrinde auch Centra für die Secretion des Darm- saftes, dessen hohe verdauende Bedeutung unlängst durch Schapo- walenkow unter Leitung von Prof. J. P. Pawlow nachgewiesen wurde, vorhanden sind, kann bis jetzt nicht entschieden werden. Die Frage nach der Localisation der Rindencentra für die Absonderung des Darmsaftes wird gegenwärtig in meinem. Laboratorium durch Dr. Mering näher untersucht und werden die Ergebnisse seiner Untersuchungen späterhin veröffentlicht werden. Diejenigen von des Verfassers Versuchen, die bisher unter meiner unmittelbaren Mitwirkung ausgeführt worden sind, haben noch zu keinen ganz bestimmten Ergebnissen geführt. Eine endgültige Entscheidung der Angelegenheit wird jedoch erst in Zukunft möglich sein. Verbrennungswärme und physiologischer N utzwerth der Nährstoffe. II. Abhandlung: Der Nutzwerth des Fleisches. Von Johannes Frentzel und Max Schreuer. (Aus dem thierphysiologischen Institute der landwirtbschaftlichen Hochschule zu Berlin.) Als wir unsere erste Versuchsreihe über den Nutzwerth des Fleisches anstellten 1, war die Ansicht Ru bner’s?, dass der Extractivstickstoff des Fleisches so gut wie gar keine Rolle bei der Ernährung spiele, zumal durch die ein- gehende Beleuchtung, welche Pflüger? dem dieser Ansicht zu Grunde liegenden Versuche hat angedeihen lassen, zwar erschüttert, aber noch nicht auf experimentellem Wege widerlegt worden. Inzwischen hat der Eine von uns in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Toriyama“ die Berechtigung der Pflüger’schen Einwände auch durch den Versuch am Thiere nach- gewiesen und festgestellt, dass sich etwa 60 Procent der Verbrennungswärme des Fleischextractes am Kraftwechsel betheiligen. Weil wir nun damals nicht wussten, wie hoch oder wie niedrig wir den auf das Extract entfallenden Antheil des Stiekstoffs im Fleische zu bewerthen hätten, weil uns andererseits aber daran lag, auf alle Fälle unserem Versuchsthiere genügende Mengen von Eiweiss in der täglichen Kost zuzuführen, haben wir es für einfacher erachtet, in unserem ersten Versuche die Hündin zum grösseren Theil mit Fleischmehl, d. i. mit extractfreiem Fleische zu füttern. Wir werden die damals gewonnenen Resultate jetzt unter den durch die Arbeit von Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. 8. 284. Zeitschrift für Biologie. Bd. XX. 8. 265. Pflüger’s Archiv. Bd. LXXIX. S. 556. * Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 499. ov rm J. FRENTZEL UND M. SCHREUER: VERBRENNUNGSWÄRME U.s. w. 283 Frentzel und Toriyama veränderten Anschauungen von dem Werthe der Extractivstoffe für die Ernährung zu betrachten haben. Nachdem aber nun erkannt war, dass der Gehalt an „werthlosem Stickstoff“ im Fleisch erheblich geringer ist, als wir bei unserem ersten Versuche annehmen mussten, schien es uns richtig, noch zwei Versuchs- reihen mit reiner Fleischnahrung durchzuführen; wir haben das eine Mal ziemlich fetthaltiges, das andere Mal fast fettfreies Rindfleisch zum Ver- suche verwendet, um gleichzeitig auch darüber Aufschluss zu erlangen, ob bei ausreichender Eiweisskost die Gegenwart erheblicher Mengen von Fett das Schicksal des Eiweisses im Körper nach irgend einer Richtung beeintlusse, | Diese Versuche schliessen sich eng an die in unserem ersten Versuche befolgte Anordnung an. Durch gleichzeitig ausgeführte Respirationsversuche haben wir zu prüfen gesucht, in wie weit unsere Annahme, dass das Thier ausschliesslich Eiweiss umsetze, zutreffend sei; wir haben den eigentlichen Versuch erst dann begonnen, als dies nach Aussage des respiratorischen (Quotienten, soweit es überhaupt erreichbar, der Fall war. Zur Ermittelung des Extractgehaltes, des Extractivstickstoffs im Ver- gleich zum Gesammtstickstoff eines Fleisches haben wir eine Reihe von Bestimmungen ausgeführt. Andere Fragen, die sich bei Bearbeitung der Versuche ergaben, werden dann noch weiter besprochen, eventuell auch noch durch Experimente ge- prüft werden. Diesmal bringen wir auch die Elementaranalysen des Fleisches, des Fleischharnes und des Fleischkothes; wir werden hierbei die bereits vor- liegenden Befunde anderer Forscher mit den unserigen vergleichen und kritisch besprechen. Wir sind durch die von uns gewonnenen Resultate im Stande, eine neue Berechnung des Wärmewerthes des Sauerstoffs bei der physiologischen Verbrennung der Organsubstanz des Fleisches auszuführen; endlich werden wir versuchen, soweit dies mit unseren Daten möglich ist, eine Bilanz- berechnung für Eiweisskost aufzustellen. Bei dem umfangreichen, uns zu Gebote stehenden Material empfiehlt es sich, dasselbe der besseren Uebersicht wegen in besondere Capitel ein- zutheilen und in den Schlussbetrachtungen das Neue, was durch unsere Versuche bewiesen wird, hervorzuheben. Bemerken wollen wir noch, dass wir bei ee unserer analytischen Daten die unsicheren Decimalstellen fortgelassen, dieselben aber bei der Ausrechnung benutzt haben; daher können bei Nachrechnungen unter Umständen kleine Differenzen in den letzten Decimalstellen gefunden werden. ANNES FREN N AX SCHREUER: 254 JOHANNES FRENTZEL und M Sc Der Gehalt des frischen Rindfleisches an Extraectivstoffen. Um festzustellen, wieviel von dem Gesammtstickstoff des Fleisches auf das Extract entfällt, haben wir eine Anzahl von Extraethestimmungen im Fleische ausgeführt. Wir haben zu dem Ende in der Regel 100 s"% frisches Rindhackefleisch durch längeres Stehenlassen und Schütteln mit kaltem Wasser mehrere Male ausgelaugt, bis das Wasser farblos abfloss; die vereinigten Auslaugewässer wurden bis zum Sieden erhitzt, um das Eiweiss zu coaguliren, und das ausgelaugte Fleisch wurde für sich ebenfalls mit Wasser bis zum Sieden erhitzt. Die Filtrate vom ausgeschiedenen Eiweiss und vom ausgekochten Fleisch wurden nach dem Auswaschen der Niederschläge vereinigt und in Schalen auf dem Wasserbade zur Trockene verdampft. Als das trockene Extract dann in Wasser gelöst werden sollte, blieben jedes Mal in Wasser unlösliche Häutchen zurück. Diese Häutchen waren ihrer Masse nach sehr gering, brauchten aber, um vollständig ausgewaschen zu werden, viel Wasser und bewirkten eine sehr langsame Filtration; wir haben deshalb stets die wässerige Lösung des Extractes mit den Häutchen auf ein bestimmtes Volumen aufgefüllt, durch ein trockenes Faltenfilter fltrirt und in aliquoten Theilen des Filtrates den Gehalt an Trockenextract, an Gesammtstickstoff und an Eiweissstickstoff (durch Fällung mit aufgeschlämmtem Kupferoxyd- hydrat nach Stutzer’scher Vorschriit) bestimmt. Dabei haben wir die folgenden Resultate gefunden: Ein Rindhackefleisch (das übrigens zu unserem Versuch II dieser Ab- handlung verwendet wurde) von 1-46 Procent Rohfett und 3-77 Procent Gesammt-N enthielt: 4.08 Procent Trockenextract, 0-433 Procent Gesammtstickstoff und 0.096 Procent Stickstoff aus Reineiweiss im Extracte, so dass 0-337 Procent wirklicher Extractstickstoff verblieb. Extract-N = 8.94 Procent des Gesammtstickstoffs. (Ausserdem haben wir hier auch eine Bestimmung der Verbrennungs- wärme des Extractes ausgeführt: wir erhielten für 18m Trockenextract 3150-4 cal.; Frentzel und Toriyama! fanden für 18 Trockenextract 3177-0 cal.) Es erscheint übersichtlicher, die Resultate der 6 Versuche in einer Tabelle zu geben: NERNEOR VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 285 m) mm] Vo VI Teen in Procenten Auf feuchtes Rindhacke- fleisch bezogen: Gehalt an Gesammt N . 3-77 | 3-62 | 3-60 | 3-35 | 2-74 — Mu Rohfett: j 1-46 | 2-31 | 1-70 |10-29 sehrfett!| — Ar „ Extract (trocken) . . || 4-08 | 3-83 | 4-24 | 3-36 | 2-95 | 3-80 | 5 „ Stiekstoff im Extraet || 0-483| 0-401| 0-447| 0-347) 0-319| 0-41 » „ Reineiweiss N im Extr. || 0-096| 0-114! 0-173) 0-105| 0-125| 0-11 5 „ wirklichen Extract N |) 0.337) 0-287| 0:274| 0-242| 0-194 0-30 Gehalt des Gesammtstick- | stoffsan Extractivstickstoff | S-9 7-9 7-6 72 1 — Gehalt d. Trockenextractes: | | | | | an Gesammtstiekstoff NOCH) ‚10.54 10:33 ‚10-81 |110°79 |10:59 an eiweissfreiem Extract N . . 8:26 | 7-49 | 6-46 | 7-20 | 6-58 | 7-90 | 7-31 Man sieht aus diesen Versuchen, dass — ganz gleich, ob man fett- armes oder fettreiches Fleisch untersucht — das Verhältniss des Gesammt- stickstoffs zum wirklichen Extractivstickstoff innerhalb enger Grenzen schwankt; wenn wir die erhaltenen Resultate mitteln, so ergiebt sich für dieses Verhältniss 100:7-74. Da nun nach den Befunden von Frentzel und Toriyama mehr als 60 Procent der dem eiweissfreien Fleischextract zukommenden Verbrennungs- wärme am Stoffwechsel theilnimmt und so dem Körper Energie liefert, so würden von dem Gesammtstickstoff des Fleisches nur etwa 3 Procent auf den werthlosen Antheil des Fleisches entfallen. Wie wir in unserer ersten Abhandlung! bereits hervorhoben, hat Pflüger aus Rubner’s Zahlen 15.56 Procent des Gesammtstickstofis als solchen „werthlosen‘“ Stickstoff berechnet, . indem er sich dahei gegen seine Ueber- zeugung auf den Rubner’schen Standpunkt stellte, dass der Gesammt- stickstoff des Extractes im Körper nicht verwerthbar sei. Pflüger? be- rechnet aus Rubner’s Zahlen, dass 100 8” Trockenfleisch 17.38 8” Extract enthalten und in diesen 2.41 s”= „werthloser‘‘ Stickstof. Dass wir für den eigentlichen Extractivstickstoff die annähernd halb so grosse Zahl (für Rind- fleisch I 1-368m N in 100 = Trockenfleisch) finden, erklärt sich einmal aus der geringeren Extractmenge (16-25 == in 100 8% Trockenfleisch statt 17.388”) und zweitens aus dem Umstande, dass in diesem Extract noch etwa !/, dieses Stickstoffs in Form von Eiweiss enthalten ist. In unseren Nm 3.0: 2 Pflüger’s Archiv. Bd. LXXIX. S. 544 u. 545. 286 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Versuchen II bis VI, in denen die Trockensubstanz nicht bestimmt wurde, ist der Procentgehalt an Extractivstoffen im frischen Fleisch durchgehends noch geringer, als in Probe I. Bei der Berechnung Pflüger’s resultirte, wie wir jetzt, gestützt auf die Arbeit von Frentzel und Toriyama und auf unsere eben mitgetheilten Untersuchungen sehen, ein um über das Fünffache zu hoher Abzug für den werthlosen Stickstoff im Fleische. Da aber, wie damals bewiesen, die Kost unserer Hündin auch bei der Annahme von 15-56 Procent solchen werthlosen Stickstoffs als aus- reichend zur Erhaltung eines Eiweissstoffwechsels betrachtet werden konnte, so muss unser damaliger Versuch nach den jetzt eben entwickelten Befunden erst recht als ein reiner Fleischversuch angesprochen werden. Die Fütterungsversuche mit reiner Fleischnahrung. Wie schon in der Einleitung erwähnt, haben wir diesmal über zwei Versuche mit reiner Fleischnahrung zu berichten. Als Versuchsthier be- nutzten wir dieselbe Hündin, welche auch zu unserem schon veröffentlichten Versuche mit Fleisch-Fleischmehlkost gedient hat. In den jetzt zu be- sprechenden Versuchen haben wir das eine Mal absichtlich ein ziemlich fett- haltiges, das andere Mal ein sehr fettarmes Fleisch verfüttert. Wir haben uns bei diesen Versuchen nicht begnügt, aus dem analytisch ermittelten Stickstoffgehalt des Fleisches festzustellen, dass unserem Versuchs- thiere genügende Mengen von Eiweiss in der täglichen Kost zur Ver- fügung standen, sondern wir hanen auch eine ganze Reihe von Respirations- versuchen angestellt, um aus den Resultaten dieser Versuche uns ein Urtheil bilden zu können, in wie weit das Thier wirklich seinen Stoffbedarf auf Kosten von Eiweiss deckt. Um zu verhüten, dass das Thier auch nur stundenweise Mangel an Eiweiss leide, haben wir mit Ausnahme der beiden ersten Fütterungstage die tägliche Kost stets in drei Theile getheilt und jeden Theil immer 7 bis 8 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme dem Thiere gereicht. Im Uebrigen schloss sich die Anordnung unserer neuen Versuche eng an diejenige an, welche wir in unserer ersten Abhandlung genau beschrieben _ haben; eine ausführlichere Angabe über die Futtermengen u. s. w. bringen wir im nächsten Capitel. Speciell auch die Vorbereitung der Nahrung, des Harnes und des Kothes zur Analyse u. s. w. wurde in genau derselben Weise, wie damals, ausgeführt. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 287 Die Respirationsversuche. Die Respirationsversuche wurden vornehmlich zu dem Zwecke angestellt, um die Frage zu entscheiden, in wie weit die Annahme, dass das Thier nur von dem Fleischeiweiss gelebt habe, zutreflend sei. Zur Analyse der Respirationsgase bedienten wir uns der von Zuntz und Geppert ausge- bildeten Methode der volumetrischen Bestimmung über Wasser. Magnus- Levy hat in seiner Arbeit „Ueber die Grösse des respiratorischen Gas- wechsels unter dem Einfluss der Nahrungsaufnahme“! den Apparat und seine Anwendung auf das Genaueste beschrieben. Der Zuntz-Geppert’sche Apparat ermöglicht es, den Sauerstoffverbrauch, die Kohlensäureabgabe und den respiratorischen Quotienten zu allen Stunden des Tages zu ermitteln. Wenn wir — wie in unserem Versuche I — Respirationsversuche anstellten, die über fast 12 Tagesstunden, und solche, die über fast 12 Nachtstunden fortgeführt wurden, so sind wir einerseits in der Lage, den Gaswechsel bei Fleischnahrung und dessen Schwankungen in den einzelnen Stunden des Tages und der Nacht genau zu übersehen, andererseits sind wir aber auch vor dem Vorwurf sicher, durch eine zu geringe Zahl von Einzelversuchen nicht berechtigte Schlüsse auf den Ablauf und Gesammtwerth des täglichen (Graswechsels gemacht zu haben. Wir haben ferner versucht, die Resultate unserer Gasanalysen im Verein mit den Elementaranalysen der Nahrung und der Abfallstoffe für eine Bilanzberechnung des täglichen Umsatzes bei ausschliesslicher Fleischkost zu verwerthen. Wir sind uns jedoch hierbei klar darüber, dass diese Rechnung auf Voraussetzungen beruht, die in Wirklichkeit nicht völlig zutreffen. Die Werthe der Respirationsversuche sind gewonnen, während die Hündin ent- weder völlig ruhig dalag oder nur geringfügige Bewegungen machte. Ausserhalb der Versuchsstunden befand sie sich in ihrem Käfig, der ihr nur mässige Bewegung gestattete; dagegen musste sie denselben zum Zwecke der Athmungsversuche, der Defäcation, des Katheterisirens und der Wägung verlassen. Wir wissen nun und haben dies auch nochmals durch eigene Versuche (s. w. u.) festgestellt, dass selbst geringe Arbeitsleistungen den Sauerstoffverbrauch und den respiratorischen Quotienten erhöhen. Durch Nichtberücksichtigung aller Muskelactionen des Hundes bringen wir also eine — vielleicht nur sehr geringe — Fehlerquelle in unsere Rechnung, über die uns ein genaues Maass fehlt. Das würde aber auch bei Benutzung eines Respirationsapparates nach Pettenkofer oder Regnault-Reiset nicht voll- kommen zu vermeiden sein, denn auch hier hätten wir das Thier zum Füttern, zur Defäcation u. s. w. aus dem Apparat herausnehmen müssen, hätten also die Steigerung desStoffverbrauches durch diese Vorgänge auch nichtmessen können. 1 Pflüger’s Archiv. Bd. LV. 8. 9f. 288 JOHANNES FRENTZEL. UND Max SCHREUER: Versuch I. Das Thier bekam in der Versuchsperiode vom 13. Mai Abends an eine tägliche Futterration von 1100 &= analysirten Rindfleisches, das in derselben Weise conservirt worden war, wie bei unserem bereits veröffentlichten Fleisch- fütterungsversuch. Die Versuchsperiode endete am 21. Mai. Das Futter erhielt das Thier in den ersten beiden Tagen in zwei Portionen, vom dritten Tage an jedoch in drei Theilen, um zu verhindern, dass zu irgend einer Zeit das resorbirte Eiweiss zu gering wäre, um den Bedarf zu decken. Der eigentlichen Versuchsperiode voran ging ein Zeitabschnitt von 10 Tagen, in dem der Hund in Unterernährung gehalten wurde, um seine Fresslust zu erhöhen und das Glykogen seines Körpers nach Möglichkeit zu verringern: er erhielt in dieser Zeit eine einmalige tägliche Fleischration von 400 8%, Das Versuchsthier, dessen Gewicht am 3. Mai 16-97 = betrug, er- litt demzufolge einen Gewichtsverlust von 0-45®. AmT. und 9. Mai wurde der Hund zu Respirationsversuchen herangezogen, um seine Nüchternwerthe zu bestimmen. Die Versuche wurden gegen Mittag unmittelbar vor der Fütterung angestellt, also nach einer Nahrungsenthaltung von fast 24 Stunden. Die Ergebnisse der Versuche zeigt folgende Tabelle: Tabelle I. Versuche am nüchternen Hunde. | | am “ale Io do |® nel el .. und = 2.8 a. |2-+ (21738 as:s5elma305| = as) 8 [Sa Sejess|is |S8 \e3slsde 3322 m an 3. ga > “2 | za 259%< sSles5rT 57 Be 3933 &n El Ar A ©) iS | Ben een Ss aA; & |Bealssıaernt| Riesa ea N Sala 9, | Deo, orale 71.V.01 | | 1 11!/,V. | 16-67 | 21 | 1682 | 4-61 | 3-25 | 75-20 | 58-04 | 4-51 | 3-18 |0-705 2:0 122% 19 | 1862 | 4-44 | 3-10 | 82-64 57-71 | 4-96 | 3-46 | 0-698 9.V.01| | | 3 /12 M.|16-52| 19 | 1798| 4-37 | 3-18 |78.57 | 56-20| 4-76 | 3-40 |0-715 4.0128 20 | 1813 | 4-54 | 3-09 | 82-37 | 55-92 | 4-99 | 3-39 | 0-679 Mittel: 79-69 |55-72| 4-80 | 3-36 | 0-699 Der respiratorische Quotient der gefundenen Nüchternwerthe ist niedrig und zeigt eine Zahl, die der Zahl bei ausschliesslicher Fettzersetzung ent- spricht. Wir können hieraus den Schluss ziehen, dass der gutgenährte und mässig fettreiche Hund in den Stunden des Versuches im Wesentlichen von dem Fett seines Körpers lebte. Den Zahlen der Tabelle I stellen wir nun die der Tabellen II und III gegenüber, welche die Respirationswerthe enthalten, die während der eigent- VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 289 lichen Versuchsperiode bei täglicher Fütterung von 1100 8% reichlich Fett enthaltenden Fleisches gefunden wurden. Am zweiten Versuchstage (am 14. Mai) wurde ein Nachtversuch be- gonnen, nachdem der Hund zuvor die Hälfte seines täglichen Futters gefressen hatte. Tabelle IL Fleischfütterung (Nachtversuch). | | | | | | | | - | „28 li sle = | &0 SL ee en 135 SER SE Ss ME E ES 3a2| & [3% Ssal833 33 |SE 3883 588 85,85 58 82 2095| D 188 | sa°l535 | 5* = [ae) „BB. ma>r.ı.| = 2325| 8 |< 18828 <02.| 24 T. 1208| 228 8: 8 53 = 88 BRSE = 8" |6# 8” kesesE AT 14.V. 01 | eo en az Sl 10... 11 | 3301 |4-47 3-38 |147-67\109-94 | 8-64 | 6-43 |0-744 8 og, | 11!/,| 4578 2-85 12-06 1380-41 | 94-30| 7-63 | 5-51 |0-728 15. V. | 7012 9.1015 | 8518 [3-88 |2-34\119-21 | 82-43] 6-97 | 4-82 |o-esı s 129, | 28 | 2997 4-11 [2-91 ) 1238-17 | 8721| 7-20 | 5-10 |0-708 Da. 26 Y| 2973 |4-47 2-97 |133-02 | 97-52| 7-78 | 5.70 |0-733 10 | 2% 24 | 3235 |4-97| 3-18) 138-038 | 102-70| 8-07 | 6-01 )0-744 11 ga] 25 | 3158 4-36 |8-29 | 137-71 1083-73 | 8-05 | 6-07 |0-758 12 | 59..| 26 | 3115 [4-16 |8-18 |129-53 | 99-04| 7-58 | 5-79 10-765 Mittel: 132-34 Zte 1-74 | 5-68 |0-733 Der Hund, von früher her an diese Versuche gewöhnt, lag ruhig da, machte nur selten Bewegungen und schlief oft längere Zeit hindurch. Nur bei einer einzigen Minute während des ganzen Nachtversuches (in der letzten Minute des Versuches 9) ist im Protocoll „Unruhe“ vermerkt. Um 3 Uhr wurde die Reihe der Respirationsversuche für etwa 1!/, Stunden unterbrochen, um den Hund zu tränken und die Canüle zu reinigen. Tabelle III zeigt einen dem vorigen analog durchgeführten Tagesversuch. Derselbe wurde 36 Stunden später, am 16. Mai begonnen. Von diesem Tage an bekam der Hund, wie bereits vermerkt, sein Versuchsfutter in drei Portionen: früh Morgens etwa um 7 Uhr, gegen 2 Uhr Mittags und spät Abends etwa um 11 Uhr. Die tabellarische Uebersicht zeigt, dass bei Fleischfütterung (Tabellen II und III) die Werthe für die Athemgrösse, für den Sauerstoffeonsum und die Kohlensäureproduction recht beträchtlich höher sind, als die ent- sprechenden Nüchternwerthe (Tabelle I). Die Steigerung des Sauerstoffver- brauches beträgt pro Minute und pro Kilogramm Körpergewicht 62 Procent bezw. 51 Procent. ! In der letzten Minute Unruhe. Archiv f. A. u. Ph. 1%2. Physiol. Abthlg. 19 290 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Tabelle Ill. Fleischfütterung (Tagesversuch). B ee el nn |a5 |2:.9ws5.. B8=2| 3 |83 77 5=>8: EA |38 S e-Se Brelinvs ss. 8535A3.HM 55 53 sum) 3% An gras 8 &5S|ı == |258 12585 Ba man ae er elle ee © == r Oo 5) Fe | & 3 a ' a GR ı &L n3 es z8s2e7|s | SE 27 get rRargee se a | Sm A2l=* ö or 5” oa2522°* 22.V.01 | | | 23 11V. 23 | 2187 |5-00 | 3-44 | 102-38 | 70-31 | 5-77 | 3-97 | 0-687 24 121/,N. 17:73 26 2142 5-03 3-46 100-10|68-85 | 5-65 | 3-88 | 0-688 25 1 16 | 2463 4-64 | 3-28 |114-21 | 80-77 | 6-44 | 4-56 | 0+707 26 15/7 19 | 2274 |4-97 | 3-50 112-90 | 79-59 | 6-37 | 4-49 |0-705 ZU 2), 16 , 2363 |4-91|-3-48 |116-09 | 82-21 | 6-55 | 4:64 | 0-708 Mittel: 109.14 76-36 6-16 | 4-31 ‚0:699 I I \ Nüchternwerthe | vor der nach der Fütterung | Fütterung | O-Verbrauch pro Min. und 48070-072206 6,2116 :0cnn CO,-Bildung | Körperkg. 3.36%, | AN31R,, Respiratorischer Quotient . | 0.699 0.699 Gewicht des Hundes . . . 16.60 #8 | 17.73 ke Während der respiratorische Quotient nach der Fütterung der gleiche ist, wie vor derselben, der Hund also in gleicher Weise auch jetzt vorzugs- weise das Fett seines Körpers verbrennt, hat der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureabgabe, auf Minute und Kilogramm Körpergewicht berechnet, wesentlich zugenommen. Mit der Vermehrung des Körpergewichtes um mehr als 1®= in Folge der sehr reichlichen Fleischgaben hat sich also bei dem Thiere der Gaswechsel !in dieser beträchtlichen Weise gesteigert, und zwar weit beträchtlicher, als Pflüger auf Grund seiner Versuche an der Katze annimmt. Pflüger! hatte aus seinen Versuchen gefolgert, dass: ı Pflüger’s Archiv. Bd. LXXVIL. $. 425ff. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 293 der Stoffwechsel genau proportional wachse mit der durch Eiweiss erzeugten Vermehrung des Körpergewichtes. Wenn wir — was eher zu niedrig ge- schätzt ist — annehmen, dass der Hund 50 Procent seines Gewichtes active Zellsubstanz hat, so betrug dieselbe vor der Fütterung 8-3*s ent- sprechend dem Gesammtgewicht von 16-6%. Nimmt man nun an, dass der ganze Zuwachs von 1.138 (Gewicht nach der Fütterung: 17.73 *e) aus activer Substanz bestehe — was nicht richtig ist, da der Hund auch Fett angesetzt hat —, so wäre die active Substanz von 8-3: auf 9.43Kks gestiegen. Wäre nun die Oxydation der activen Masse proportional ge- wachsen, so müsste der Sauerstoffverbrauch von 79.69" pro Minute vor 79-69 x 9-43 3.8 angestiegen sein. Er ist aber in unserem Falle weit mehr gestiegen, näm- lich bis auf 109-14°w, Wir können selbstverständlich aus diesem einen Versuche keine Schlüsse ziehen, welche die These Pflüger’s erschüttern könnten; die hier beiläufig berührte wichtige Frage bedarf weiterer Unter- suchungen. der Fütterung auf = 90-54" pro Minute nach der Fütterung Versuch ll. Die Hündin, welche zu unseren früheren Versuchen über den Nutz- werth des Fleisches gedient hatte, wurde auch zu diesem Versuche ver- wendet. Sie erhielt nach Schluss des vorstehend besprochenen Versuches I ihr gewöhnliches Futter, das aus Reis, Schmalz und Pferdefleisch bestand; dieses Futter wurde vom 4. bis 7. Juni absichtlich etwas knapp bemessen. Das Gewicht des Hundes blieb in dieser Zeit nahezu constant; es betrug am 3. Juni: 17.38 ke Au 17.28. , Den 10.23, Be 16-93 „ rn 11223 , Sp a, Vom 8. Juni an erhielt das Thier täglich als einzige Nahrung 1200 s’” möglichst mageres Rindhackefleischh Vom 12. bis 19. Juni wurde das analysirte Fleisch in Menge von 1200®" täglich in drei Portionen, d.h. in Zwischenräumen von 7 bis 8 Stunden gereicht; dieses Fleisch war in der bereits früher beschriebenen Weise conservirt worden. Die Hündin, welche ihren Urin 24 Stunden hielt, wurde kurz vor der Mittagsmahlzeit um 1'/, Uhr katheterisirt und die Blase mit körperwarmer 3 procentiger Borsäurelösung gespült. Am Morgen des 12. Juni erhielt das Thier zur Abgrenzung des Kothes eine entsprechende Portion Kieselsäure; am 19. Juni Mittags zu dem- selben Zwecke eine Portion Knochen. ' ' \ 062-0 88-9. :T99ITW oqmıun | TIS-0 | (83-9 19-2 99-011 |Fr-981 | 61-3 | FrrE | 9968 öl nel Omi gyeigds puny | 882-0 | 8%-G non | Bo Rare no | aa en N 88L-0 | 0F-S 98-9 |L1I-96 |8I-Z01 | TO-E | 88-8 | G6IE 9 | RE O8 eve pt oynaun | 808-0 | (0-9 | 1-2 |FE-201 129-881 | 18-2 0G:E 086 el | ut 018-0 | ro-@ | 81-9 [81-68 |86-601 | 76-3 | 89-8 | 1eoe a Ba CHL-0 | STE | 86-9 -|0L-16 [80-831 | 98-3 | 78.6 | OLE 0 91 Ur | apa 10 "IA "GI = Sol | FgL-0 10-2 :PHIN IE) auto ppınp Junstysg[og N Re Te Fe ER = agfo,g ur oynaup) oyyol] | 122-0 68-4 66:9 |89-96 |LE-CZT | 82-8 19-8 | 9198 er | a oL 0) 2 « || g8gL-0 | &L-F 26-9 #878 | 70-SIı | 89-2 | 89-8 | 9918 cl I 6 > < « || 952-0 | 91+€ £6-9 164-236 |98-F81 | 06-8 | 68-8 | 861€ cı hz1 8 = scL-o | 9r-C 08-L 26-26 [01-681 | 88-2 | 08-8 | SO0FE FT 86 | "hal L gpeigos puny | 9FL-0 | OF-S F8-L |8L-96 |aL-681 | S6-2 | 96-8 | 1828 söeyım | TO IA 'z1 E | 222-0 88-9 IM 2 L6L-0 L6-F #2-9. | 81-68 |Fr-sır | 06-3 | OLE | 08 | 91 | FE v er I 182-0 | 61-6 59-9 | 00-86 | 81-611 | 98-72 | 99-8 | 6988 g1 3 & = j < & sPL-0 | 84 90-L | 18-86 | LE-LET | €8-3 | SL-E | #988 FI | e0-8T | "el 3 = gjeigds pung || C9L-0 | 62-4 LC-L \ 98-Fo1 | 68-981 | IT-E | 90-7 | 1988 GI I SET L A | ssengum| TO IA TI ki 3 3 Q [@) > Bar = o8 | „83.8 gen ne 2a 5 Q + HE = | - a uosuny.Lowogl ge TE 5 EI nE So DE Essen = SI une Baar er ae en HE SO 5 bus Sr u bus Sie Besen BE mussE sem. | Ba Keane Se HE mes aeg | 55| 55| 8 B 2, Ser nie = S 5 an | B"TS | ® gg eH aQ © O8 a " "A OTIAAeL 294 295 WÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. S VERBRENNUNG -PIIM JagnpoStagtoyg ua3unyoTromgy Ip Yplopssny AOpuagguug UT UNI Sep yaınp ep ‘warum nz Sunpayyip op 1aq ya A USAPUr uop A9po UauTra uap “Fıyyorium sun uaryosıo sy "oyey odegsasjne ang WI Huugsunjyoy Ayayasuun yaIs Wyeuzu 1op pusıygM spe U9IeM AOULO[T 9A01T I9p OA BULLINJoAWOUFY OIp WOP Iaq “oppe] We1aJsI0 ur ‘Yey uogadadgu Hungsusjgoy] JOIA AyIoA ug Sep ogqolg ap awyeuyu 0A Zunmugy oyuanbarzy yoınp ojfeT WOA19ZI9] ur ssep “uıyep Zunıgpyig] oIp sum gqars “opınm uoganıdsuroq uney 9IA nz Joy yonıpqy uossop “TIONOIOIA Se "CZL-0 :L3 "IN 19Q “LF8-0 :Ez "IN Toq yuorond oyosrıopeudsor Iop IA SI we 'g 'z Ist 08 -uOyONSIAA UAUJOZULD uap 1oq UAZUALHTT Syaıyyagiyoqun yyoıu Ioyunyur u9STaz uayuoryond usyostioyendser org :SunyIowuy | | 891-0 2°°9 | 6T-L |61-66 | 90-651 :EYTUyWUTSON | 8CL-0 | 89-2 ST | 262-0 88-C | 88-2 |76-C0L |00-88T | #6-5 | 69-8 | #098 Fl "ht 29 ypeiyos pung | 9#L-0 60°C | 588-9 [82-16 |16-821 | 80-8 | 90-F | 6308 SI I gg 2 “ \ 191-0 (er 08-8 |FL-91T |61-ECT | LL® | FE | FI 21 ri Dr uomugy sopupgprH | LEL-O | \26°-9 | 05-6 |6L-Fol |Fr-69T | 89-5 | 19-8 | Cpl 01 hir 18/ + leeı-o | 80-9 | 28-8 |oL-sor |63-8#1 | e6-3 | 00-+ | one a 08 aLL-0 93-9 11-8 106-811 | LI-9PT | 80-8 | T6-E | 8ELE iz II 63 | sau | TO IA CI Irıno 08-2 SION 091-0 geL-e | 0G-L |233-2301 |09-FEI | 16-8 16-8 shrE cl (Serlecı 85 | 021-0 gL-g 06°L | 8SI-ZOL |C8-OFL | 56-3 | 80-F | 66F8 Fl hal N x o | 861-0 Be 06-6 |9E-g81 |9F-2L1 | 18-2 | 20-8 | eLls 6 "hal u ! uowmggy sopupwypeH | 841-0 29-1 E1-0L |96-GEL |6L-08T | 68-2 | F8-E. | FOLF I 5 zI TARE |sos-0 | o2-e | 90-2 [12-101 |8s-ezı | 6-3 | @9-e | srre A ARE ;2 198-0 #9-4 19-9 109-001 |e0-6IT |, 90-8 | 29-8 | seze EI Yrası & | sörymt| TO "TA BI | 690 #%-L PM LBL-0 <0-9 | 02-2 [09-601 |80-68T | 00-8 | 18-8 | 9998 +1 | Bes | 082:0 | 4-4 80:L 1186-66 |T6-L81 | 2L-3 | CC-E | 2098 je SER, | ERTL ELL-0 88-9 72-8 |6T-SIT |16-8FT | 38-8 | 09-8 | B0F gl Ai 08 608-0 9-9 c3-8 [00-081 |L0-6H1 | 78-5 | 84-8 | Guar et | "9 61 Il 201-0 | a4 | str |26-16 88-621 | 98-7 | 82-e | vers on Aaunel2 | 28/76 81 | 90L-0 | 18-F 38:9 76:98 BU-Eal 86:5 207 LI6G 81 9 A N | | mIpeR | 10 TA LI | | 296 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Das tägliche Gewicht des Thieres während der für den Versuch in Betracht kommenden Zeit betrug am 9. Jun: IB KO 11.68, Kl.“ ;,, 18-03 „ 12. 17:33, 13.0, 18-02 „ (nach dieser Wägung wurde Koth entleert) A 17.81: „ 19.2 |, 17.80 „ 62 2.5, 10-85 3, 7); 18.07 , (nach dieser Wägung wurde Koth entleert) Kö 17.84 „ 9: 13-03 ” ” Das Gewicht, welches, wie man sieht, durch die Fütterung mit 1200 sem Fleisch, hauptsächlich wohl in Folge der stärkeren Füllung des Verdauungs- apparates, um etwa 700 bis 8008'® sich erhöhte, hielt sich also während der Fütterungsperiode nahezu constant. Respirationsversuche wurden am 11., 12., 15., 17., 18. und 19. Juni theils in den Vormittags-, theils in den Nachmittagsstunden angestellt. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle V niedergelegt. Der Sauerstoffverbrauch pro Minute und Kilogramm Körpergewicht beträgt 7-19" im Mittel aller Tage. Das tägliche Mittel der ersten 3 Versuchstage liegt etwas unter dieser Zahl (bis 4-5 Procent); das tägliche Mittel der letzten 3 Versuchstage übersteigt dieselbe etwas (bis 6-1 Procent). Die Schwankungen sind nur gering, um so mehr, wenn man bedenkt, dass die Respirationsversuche sich über eine Zeit von 9 Tagen erstrecken. Diese Conformität der Werthe beweist, dass der Hund während der Versuchszeit dauernd unter denselben Ernährungsbedingungen gestanden hat. Bei der Berechnung des Mittels für den Sauerstoffverbrauch und die Johlensäureproduction sind 6 Versuche nicht berücksichtigt worden: nämlich Nr.13 und 16 (15. Juni), Nr.25 und 26 (18. Juni), Nr. 31 und 32 (19. Juni). Hier sind die höheren Werthe bedingt theils durch Unruhe des Thieres, theils durch plötzlich auftretende Aenderung des Athemtypus, das sogenannte „Hacheln“. Diese Erscheinung beobachteten wir mehrmals während dieser Versuchsperiode Die Athmung des Thieres wird hierbei plötzlich sehr freguent, oberflächlich und laut hörbar. Der Versuch wurde alsdann in der Regel unterbrochen und erst wieder fortgeführt, wenn der Athemtypus normal geworden war. Das Mittel aus den respiratorischen Quotienten aller Versuchstage wurde zu 0-768 berechnet; den niedrigsten Quotienten zeigt der 12. Juni mit 0-754 im Mittel, den höchsten der 15. Juni mit 0-790 im Mittel. Wir fanden VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 297 also auch in diesem zweiten Versuch einen Quotienten, der niedriger ist, als wir ihn bei ausschliesslicher Eiweissverwerthung erwarteten. Die Er- klärungsmöglichkeiten haben wir bereits bei dem Versuch I erörtert. Bemerkenswerth ist vor Allem die gute Uebereinstimmung der Versuche, welche die folgende Vergleichstabelle demonstrirt: Tabelle VI. Vergleichstabelle der Versuche I und I. Y h I Dt | O-Verbrauch Co, -Bildung Respirator. ersuc | atum a er pro Minute und Körperkg. an I (Nacht) MIT DEN EHI ANTSV, 7.74 5-68 0-733 TtEas) an. nude ru NINLERNY,.. 0017527 5-56 0.765 II (sämmtliche Tage) . . NAobi® 191 119 9.52 0765 Da gegen den Nachtversuch I der Einwand erhoben werden kann, dass der Hund damals erst seit zu kurzer Zeit, nämlich seit 36 Stunden, das Fleischversuchsfutter erhalten habe, also sich vermuthlich noch nicht Es völligen Eiweissstoffwechsel befand (respiratorischer Quotient = 0.733), sind im strengsten Sinn nur der Tagesversuch I mit dem Versuch u vergleichbar. Dieser Vergleich zeigt uns fast identische Werthe sowohl für den Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäurebildung, als auch für den respiratorischen Quotienten. Diese gute Uebereinstimmung der genannten Werthe spricht dafür, dass der Hund sowohl während des ersten, wie während des zweiten Ver- suches den gleichen Stoffumsatz hatte und dass der mehr oder minder grosse Fettreichthum des Fleisches — vorausgesetzt, dass das Thier durch das Fleischeiweiss allein sein Nahrungsbedürfniss zu decken im Stande ist — für die Ausnutzung des Eiweisses von keiner Bedeutung ist. Die Ausnutzung des Futters. Versuch I. Das Fleisch. Die chemische Zusammensetzung des frischen Rindhackefleisches war die folgende: 6 Procent Feuchtigkeit, 6 02 „ Stickstoff, IT „. Asche, 14 „ Rohfett, kein Glykogen. dl 3. 0. gr 298 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Bei dem Trocknen des Fleisches im Vacuum bei höchstens 50° für die calorimetrische Bestiminung schmolz das Fett zum Theil heraus; es war auf diese Weise unmöglich, eine brauchbare Durchschnittsprobe zu er- halten; wir mussten also, um das getrocknete Fleisch weiter bearbeiten zu können, es durch Stehenlassen unter mehrfach gewechseltem Aether in der Kälte von der grössten Menge des Fettes befreien. Das so grob entfettete Fleisch liess sich dann gut im Mörser pulvern, schied sich aber beim Sieben in zwei ungleiche Theile; der grössere Antheil, welcher bequem durch das Sieb hindurch ging, war vorwiegend die gepulverte Muskelsubstanz, im Folgenden kurz als „Fleischpulver“ bezeichnet; die zurückbleibenden Sehnen und Häute wurden im Mörser platt gedrückt und liessen sich nicht zer- reiben; sie mussten mit der Scheere zerkleinert werden und ergaben schliess- lich auch ein gleichmässiges Pulver. Wie wir uns schon beim Absieben überzeugt hatten, war aber dieser Antheil specifisch leichter als das „Fleisch- pulver“; es war also unwahrscheinlich, dass durch Zusammenmischen eine gute Durchschnittsprobe zur calorimetrischen Bestimmung erhalten werden würde. Wir haben deshalb diesen kurz als „Fleischfaser“ bezeichneten An- theil auch für sich bearbeitet. Wir erhielten: vom „Fleischpulver“ von der „Fleischfaser“ 111-868” Substanz, lufttrocken, 21.07 8% Substanz, lufttrocken, mit 7.56 Procent Feuchtigkeit mit 11-18 Procent Feuchtigkeit Aa us Stickstofl, . „214500. 2; Stickstoff ns an Rohfett, 32er, Rohfett 111-86 x 89-16 100 Mr ER _ 15-851em N. Die Verbrennungswärme für 18 fetthaltige Trockensubstanz fanden wir in der Berthelot’schen Bombe zu 5440.75 cal. 5426-00 „ 5427.75 „ Mittel: 5431-50 cal., oder für 1gm fettfreie Trockensubstanz = 5281.75 cal. 21.07 sm Jufttrockene Fleischfaser = nn = 2.95m N. 111.86 sm lufttrockenes Fleischpulver = = 99.735 8m fett- freie Trockensubstanz mit = 13.155 8% fett- 21-07 x 14-00 100 Die Verbrennungswärme fanden wir: für 18m fetthaltige Trockensubstanz zu 5232-63 cal. el Mittel: 5223-19 cal., oder für 1m fettfreie Substanz = 5092-0 cal. freie Trockensubstanz mit VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 299 Wir sind jetzt in der Lage, die Calorienzahl für das verfütterte Fleisch in diesem Versuche zu ermitteln. Aus dem zur calorimetrischen Bestim- mung verwandten Fleisch haben wir erhalten: 99.7355 fettfr. Trockensubst. aus „Pulver“ mit 526-78 Cal. u. 15-85" N, 18-158 „ „ „ „ „Faser“ ” 92:46 „ „ 2.95 „m 117.893 sm fettfr. Trockenfleisch enthalten somit 619.24 Cal.u. 18-808 "N. 1sm fettfreies Trockenfleisch = 5252-7 cal. und 0:1595 3" N. (Nach der Analyse des frischen Fleisches giebt 1 2" fettfreies Trocken- fleisch 0-1541 8" N; die Differenz in den Stickstoffzahlen erklärt sich aus den Umwegen, welche wir bei der Herstellung des Trockenmaterials hatten einschlagen müssen.) 100 sm des verfütterten Fleisches entsprachen 19-6 &'m fettfreier und 18-623 sm asche- und fettfreier Trockensubstanz. 5252-7x19-60 — > Balz re 5528-25 cal Da 1sm N unseres verfütterten Fleisches! = 6.167 sm asche- und fettfreien Trockenfleisches, entpricht 12" N im asche- und fettfreien Trocken- fleisch = 34-09 Cal. 1sm asche- und fettfreies Trockenfleisch = Die Ausscheidungen. a) Der Harn. Da unsere Hündin ihren Harn 24 Stunden lang hielt, wurde derselbe an drei auf einander folgenden Tagen, 18./19., 19./20., 20./21. Mai, je ein Mal am Tage mit dem Katheter entnommen, auf 700°" aufgefüllt und für sich analysirt. Nach der Entnahme des Originalharnes wurde, wie schon in unserer ersten Abhandlung beschrieben ist, die Blase mit körperwarmer, sterilisirter 3 procent. Borsäurelösung so lange gespült, bis das Spülwasser klar ablief; die Spülwässer der 3 Tage wurden vereinigt, auf 2 Liter aufgefüllt und für sich analysirt. Die calorimetrische Verbrennung und die Elementaranalyse wurden nur mit dem Originalharn ausgeführt; das zur calorimetrischen Bestimmung nothwendige Eintrocknen des Harnes auf Cellulosepflöckchen nahmen wir wieder iin Vacuum bei Zimmertemperatur über Schwefelsäure vor, ein Ver- fahren, welches auf S. 291 unserer ersten Abhandlung bereits besprochen ist, ebenso wie wir auch diesmal wieder die im Spülwasser vorhandene brennbare Substanz aus dem Stickstoffgehalt berechneten. ! Die vielfach wiederholte N-Bestimmung im frischen Fleische erschien uns genauer, als die Berechnung aus dem für die calorimetrische Bestimmung zubereiteten Material; würden wir das Mittel beider Bestimmungen gelten lassen, so erhielten wir für 18m N im asche- und fettfreien Trockenfleisch = 33-50 Cal. 300 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Für die Elementaranalyse hatten wir kleine Schälchen mit ausgeglühtem Bleichromatpulver vorbereitet, auf welches der Harn, analog wie auf die Pfiöckehen, auch vertheilt und in derselben Weise — im Vacuumexsiccator bei Zimmertemperatur über Schwefelsäure — eingetrocknet wurde. Pflöckchen sowohl wie Bleichromatschälchen wurden täglich mit 1m, in einem anderen Exsiccator täglich mit 2°” Harn beschickt. Je 5° m des Originalharnes und des Spülwassers verbrauchten bei der N-Bestimmung von unserer Säure (1m = 2.957 WEN): Harn: 18./19. Mai 57-71 57 13 57 ° 72 em — m Ganzen 93-.895rm N 19.20. 0.59.68 59.76 59.72 „ = „ „ 24-72 ” „" 100. j21,03:56 13.47] 73-515, AR $P) 2) 30.43 eB}) im ÖOriginalharn. 79.04s5m N Spülwasser: 8.75 B e 8-73 8-74 em = im Ganzen 10-33s5mN im Spülwasser; es sind also in den 3 Tagen durch den Harn 89-37 s N aus- geschieden worden. Die calorimetrischen Bestimmungen ergaben: für je 3° m Harn 812.60 cal. NE 116.102, für je 6° m Harn 1584-22 cal.,d.i. für 3en 792.11 „ 1518-62, 07.0.0005 9..,.28923 1.8, in 3° m Harn im"Mittel 789.71 cal., d. h. für 2100°® Harn 552.797 Cal. Durch Stickstoffbestimmungen in zwei solcher Pflöckchen haben wir uns überzeugt, dass bei dem Eintrocknen kein Stickstoffverlust statt- gefunden hatte. Wir haben nun den Ansatz: 552-.8:79.04 (N des Originalharnes) = 2:39.37 (Gesammt-N der 3 Tage) und finden 625.04 Cal. für den Gesammtharn der 3 Tage. a Ä ö oe jsm N im Fleischharn = m 6-994 Cal. ! Am zweiten Versuchstage enthielt die Blase mehr als 700 °® Originalharn; dieses Plus wurde dann auch in das Spülwasser gegeben. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 301 b) Der Koth. Am 12. Mai Abends erhielt das Versuchsthier eine entsprechende Portion Kieselsäure im Futter zur Abgrenzung des Kothes, ebenso am 21. Mai früh; der zwischen diesen beiden Abgrenzungen gesammelte Koth bezieht sich also auf S Versuchstage mit dem gleichen Futter. Es wurden 234.0" feuchter Koth von der Hündin produeirt, der auf die übliche Weise getrocknet wurde; man erhielt 85.24®m Jufttrockenen Koth. Nach dem Pulvern des Kothes konnte aus demselben eine Anzahl Haare mit der Pincette herausgesucht werden, die das Thier offenbar in den wenigen Augenblicken, in welchen es frei vom Maulkorb war, ab- gerieben und verschluckt hatte. An diesen Haaren sassen auch vereinzelte Kothklümpchen fest, die nur zum Theil entfernt werden konnten. Wir er- hielten auf diese Weise zwei Portionen Koth, zunächst 79.04 sm Juft- trockenen Koth ohne Haare (dieser Antheil diente zur vollständigen Analyse, Elementaranalyse und calorimetrischen Bestimmung) und 6.28" Haare mit daran hängendem lufttrockenen Koth; in dieser Portion wurde eine Aether- extraction ausgeführt und aus dem Resultate derselben berechnet, wieviel lufttrockener Koth wirklich vorhanden war; wir erhielten so 5-85 sm Juft- trockenen Koth, so dass wir unsere Bilanzberechnung auf 84-89 8m ]uft- trockenen Koth zu beziehen haben.! Die Analyse des lufttrockenen Kothes ergab: 5.83 Procent Feuchtigkeit, 6-56 ,„ Stickstoff, 22:86 ,„ Asche, 12.50 ,, Rohfett. Bei der Verbrennung in der calorimetrischen Bombe lieferte 1erm Trockenkoth 5255-55 cal. 5265-14 „ 5234-80 „ Mittel 5251-83 cal. 12m Aetherextract dieses Kothes = 9549-5 cal. In 12% Trockenkoth mit der Calorienzahl 5251-83 sind 0.1327 2 Aetherextract enthalten; diese liefern . . . . 1267.59 cal. 0.8673 =" fettfr. Trockenkoth entspricht 3984-24 cal. ee mithin 4593-78 „ „ 12m N im fettfreien Fleischkoth = 57:19 Cal. ! Die Aetherextraction erschien uns am geeignetsten, den Gehalt an wirklichem Koth in dem mechanisch nicht trennbaren Gemisch festzustellen; wir müssen aber _ zugeben, dass ein — allerdings sehr kleiner — Theil des Aetherextractes auch aus den Haaren herrühren kann. 302 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Unser Hund hat in 8 Tagen 84.89 em Jufttroekenen Koth geliefert, also während der 3 Versuchstage 31-834 sm ]Jufttrockenen Koth. 31.834 gm Jufttrockener Koth enthalten nn 6:56 _ 9.0882 N. Mithin hat der fettfreie Trockenkoth 2-088 x 57-19 = 119-43 Cal. in diesen 3 Versuchstagen geliefert. Der Nutzwerth des Fleisches,. Es wurden in der täglichen Nahrung gereicht: 11002" Fleisch mit 33-22sm N und 1132.45 Cal. aus asche- und fettfreiem Trockenfleisch. Es wurden ausgeschieden in 3 Tagen: im Harn: 89.37 sm N Koth: 2:0 91.465 m N. Die Verbrennungswärme der umgesetzten Nahrung, da 18’= N in der- selben = 34-09 Cal., beträgt also 91.46 x 34-09 = 3117.86 Cal. Abfall im Harn: 62504 Cal. „ Koth: 119.43 „ AA AT 744.47 Cal. 2373.39 Cal. sind dem Körper nutz- „ „ bar geworden. 2373-39 3117-86. sind in diesem Versuche also verwerthet worden. Die in unserer ersten Abhandlung (auf S. 296) ausführlich begründete Correctur für die Verbrennungswärme des Kothes ergiebt nun 119-43 x 3117-86 A 3x 1139.05 — 109.61 Cal. Abfall im Kothe; die obige Rechnung lautet corrigirt: 3117.86 Cal. — 134.65 „ 2383.21 Cal. = 76°44 Procent des gegebenen Kraftvorrathes sind in = 76.12 Procent des gegebenen Kraftvorrathes 2383-21 d.h. 27-86 diesem Versuche verwerthet worden. Da 91.468" N umgesetzt und 2383-21 Cal. dem Körper nutzbar geworden sind, haben wir als Nutzwerth für 1="® N unserer Fleischnahrung in diesem Versuche 26-057 Cal. erhalten. Versuch I. Das Fleisch. Die chemische Zusammensetzung des frischen Rindhackefleisches war die folgende: VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 303 75.38 Procent Feuchtigkeit, Set Inn Stickstofl, Ta „ Asche, 1-468 ,„ Rohfett, kein Glykogen. > Dieses Fleisch liess sich im Vacuum bei 40 bis 50° vollkommen gut troeknen; der entstehende röthliche Fleischkuchen ergab ein Pulver, welches glatt durch das Sieb hindurch ging, so dass wir ein gleichmässiges Material für die calorimetrische Bestimmung und die Elementaranalyse zur Ver- fügung hatten. Die calorimetrische Verbrennung ergab: 1 sm Trockenfleisch = 556360 cal. 5540-75 „, 554790 „, Mittel 5550-75 cal. 1g'm Trockenfleisch enthält -_. — = 005963 s% Rohfett, welche 566.45 cal. liefern; mithin ergeben 0-94037 2m fettfreies Trockenfleisch = 4984-30 cal. oder 12m fettfreies Trockenfleisch . . .= 5300.38 „ 23-152 8m fettfreies Trockenfleisch enthalten 1-14 "m Asche, 10% x mithin 0-04924 8% Asche. 0-95076 8m fett- und Kklefreies Trockenfleisch = 5300-38 cal. en en 5 = 5575-0 cal. jsm N unseres foren Fleisches entspricht 5.8387 stm asche- und fettfreien Trockenfleisches. 12m N im asche- und fettfreien Trockenfleisch = 32-55 Cal. Die Ausscheidungen. a) Der Harn. Der Harn wurde an 5 auf einander folgenden Tagen, 12./13., 13./14, 14./15., 15./16. und 16./17.. Juni je ein Mal am Tage mit dem Katheter entnommen, und in Bezug auf Spülung der Blase, Her- stellen des Öriginalharnes, Vorbereitung desselben für die calorimetrische und elementaranalytische Verbrennung genau so verfahren, wie das bei unserem ersten Versuch dieser Arbeit besprochen ist. Der Originalmischharn betrug 3500 °”, das Spülwasser 4000 «m, Von dem Originalharn wurden 100° m auf 500 «m verdünnt und in je 5m — 1°°® ÖOriginalharn der Stickstoffgehalt bestimmt. 304 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: 5 m verdünnter = 1°" Originalharn verbrauchten: 16.63 °°® unserer Titrirsäure (1 «m = 2.957 meN): 16-51 „ 16:45, 16258385 16-68 „ Mittel 16.58 = = im Ganzen 171.59 sm N. Spülwasser (4000° m); 10m verbrauchten: 19.83 «= unserer Titrirsäure 19.86 „, 19.96 „ 19.88 m — im Ganzen 23.51 sm N. Es wurden also in den 5 Tagen 195-10sm N durch den Harn aus- geschieden. Die calorimetrischen Bestimmungen in Pflöckchen mit 5 bezw. 10: Harn beschickt, ergaben: für je 5°= Harn 1714-73 cal. 1710-9808 für 10° 339132 cal., d.i. für ‚Sem 1695.66 „, Mittel 1709.46 cal.; d.i. für 3500 «m 1196-622 Cal. Durch Stickstoffbestimmungen in zwei solcher Pflöckchen war nach- gewiesen, dass kein Stickstoffverlust beim Eintrocknen stattgefunden hatte. Wir haben nun den Ansatz 1196.622:171-59 (N des Originalharnes) = x:195-10 (Gesammt-N der 5 Tage) und finden 1360.57 Cal. für den Gesammtharn der 5 Tage. ERS: ee SIEISE 1z® N im Fleischharn = 5.19 > 6.914 Cal. b) Der Koth. Am 12. Juni Morgens wurde der Koth vor dem ersten Futter mit Kieselsäure abgegrenzt, das letzte Futter dieser Reihe erhielt das Thier am 19. Juni Morgens; am 19. Juni Mittags wurde der Koth mit Knochen ab- gegrenzt. Der zwischen beiden Abgrenzungen gesammelte Koth bezieht sich also auf 7 Tage mit der gleichen Fütterung. Es wurde im Ganzen 290.56 ®”% feuchter Koth producirt; da aber der erste und der letzte Koth viel von der Abgrenzung enthielten, wurden diese beiden Portionen für sich getrocknet; wir erhielten so 38-778 sm ]ufttrockenen Koth (die mittleren Portionen) und 36.0sm Jufttrockenen Koth aus den beiden Abgrenzungsportionen. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 305 Die 35:.778sm dienten zur Analyse, für die calorimetrische und für die elementaranalytische Verbrennung. Die Analyse der 38.778 8m ]Jufttrockenen Kothes ergab: 5.96 Procent Feuchtigkeit, 8.38 ,„ Stickstoff, 17-1007 2,1 0 Asche, 12-20 ,„ BRohfett. Bei der Verbrennung in der calorimetrischen Bombe lieferte lem Trockenkoth 5270-72 cal. 5263-00 ,„ 5297.25 „ Mittel 5276-98 cal. 12” Aetherextract dieses Kothes = 9617-2 cal. In 12 Trockenkoth mit der Calorienzahl 5276.98 sind 0.129753 sm Aetherextraet enthalten; diese liefern 1247.68 cal. 0.87027 fettfreier Koth = 4029.30 cal. em 5 „4629-89 „ 12m N im fettfreien Fleischkoth = 45-22 Cal. Um zu wissen, wie wir die 368% Jufttrockenen Kothes, welche viel Abgrenzung enthielten, für die Berechnung verwenden sollten, haben wir in denselben die Aschebestimmung ausgeführt. Wir erhielten 10.0176 em Asche, bezw. 25.982 sm organische Substanz + Wasser. In 100 &’” des lufttrockenen Kothes der analysirten 38-7782 sind 76.94 8m organische Substanz + Wasser enthalten; folglich entsprechen die 36 &"" mit 25.982 =” organischer ge _— 33 7698" unseres analysirten Materiales. Wir haben also mit 38-778 + 33-769 = 72.547 sm Jufttrockenem Koth zu rechnen; derselbe bezieht sich auf 7 Tage; in den 5 Tagen, in welchen u —Z — 51-82 sm Jufttrockener Substanz + Wasser — der Harn aufgefangen wurde, ist also Koth mit 4.3424 stm N produeirt worden. Mithin hat der fettfreie Trockenkoth 4:34 x 45:22 = 196.41 Cal. in den 5 Versuchstagen geliefert. Der Nutzwerth des Fleisches. Es wurde in der täglichen Nahrung gereicht: 1200 == Fleisch mit 45.24s"” N und 1472.55 Cal. aus asche- und fett- freiem Trockenfleisch. Es wurden ausgeschieden in 5 Tagen: im Harn 195-102" N „ Koth : 4.342, 199.44em N, Archiv f. A.u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 30 306 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Die Verbrennungswärme der umgesetzten Nahrung beträgt, dal1sm N — 32.55 Cal, 199-44 x 32.55 = 6491.70 Cal. Abfall im Harn: 1360.57 Cal. im Koth: 196-41 „, — 1556-98 Cal. | 1556-98 Cal. 4934.72 Cal. sind dem Körper nutzbar geworden. en = 76-02 Procent des gegebenen Kraftvorrathes sind im Körper verwerthet worden. Die schon mehrfach besprochene corrigirte Zahl für den Abfall im Kothe würde sein: 6491-7 x 196.41 a = 13-17 Cal. Die eben angestellte Rechnung lautet also corrigirt: 6491-70 Cal. — 1533-70 „ 4958.00 Cal. = 16.38 Procent des gegebenen Kraftvorrathes 4958-0 d.h. Gar sind in diesem Versuche im Körper verwerthet worden. Da nun 199.44 sm N umgesetzt und 4958-0 Cal. dem Körper nutzbar gemacht wurden, haben wir als Nutzwerth für 18”® N unserer Fleischnahrung im Versuch II 24-86 Cal. gefunden. Bemerkungen zu den vorstehend besprochenen Resultaten. Wir haben schon auf S. 239 unserer ersten Abhandlung darauf hinge- wiesen, dass die Verbrennungswärme von 1 5% fett- und aschefreiem trockenen Rindfleisch, nach den Befunden Köhler’s und den unsrigen, Differenzen bis zu 100 cal. zeigt. Wenn wir diese Werthe, die allein streng vergleichbar sind, noch einmal zusammenstellen, finden wir unter Mitbenutzung der Resultate dieser Arbeit sogar noch grössere Differenzen. Köhler: Halsmuskel (Ochse) 5661-2 cal. Hinterschenkel (desselben) 5734-8 „ 3 (Kuh A) 5639-8 „ » (Kuh B) 5674-4 „ Frentzel und Schreuer: Rindhackefleisch I. Abhdlg. 5629.25 „ ® IIl.. „. Ei. 255282255 „IL 5575-00 „ ” ” ” VERBRENNUNGSWÄRME U, PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 307 Wir haben dann ad hoc noch Rindhackefleisch anderer Herkunft in derselben Weise untersucht und gefunden: A Fleisch A 5685-6 cal, Fleisch B 5549.75 eal. Die sich aus den vorstehenden Befunden ergebende Calorienzahl für 1sm N im fettfreien Fleisch zeigt auch recht erhebliche Schwankungen und ist weit entfernt, eine Constante zu sein. Wir haben oben bewiesen, dass die Fleische verschiedener Herkunft einen nicht constanten Gehalt an Extraetivstoffen zeigen, dass aber die Ver- brennungswärme des trockenen Extractes nahezu die gleiche ist. Wir haben bei unserem Fleisch II dieser Abhandlung für 1®% Trockenextract 3130-4 cal. gefunden; Frentzel und Toriyama fanden für 1 3” käufliches Trockenextract im Mittel von vier Bestimmungen 3177.0 cal.; wir dürfen bei dieser nahen Uebereinstimmung wohl das Mittel: 12% Trockenextract aus Rindfleisch = 3153-7 cal. als richtig annehmen. Es lag nun der Gedanke nahe, dass, wenn man das Extract mit der ihm zukommenden Verbrennungs- wärme, ebenso wie in den oben stehenden Zahlen das Fett, eliminirt, man vielleicht für 18” fett- und extractfreies trockenes Rindfleisch eine grössere Uebereinstimmung in der Verbrennungswärme finden würde, — mit anderen Worten, dass der verschieden hohe Extractgehalt der untersuchten Fleisch- proben die oben besprochenen Differenzen zu erklären im Stande sei. Wir haben Fleisch II dieser Abhandlung, Fleisch A und Fleisch B nach dieser Richtung untersucht und gefunden: für Fleisch II dieser Abhandlung: 24.62 sm Trockenfleisch enthalten 4-08 Extract. 20-54 „,, extractfreies Trockenfleisch liefern 24.62 x 5550-75 cal. — 4-08 x 3153-7 R das sind 123.793 Cal. 20.54 „ extractfreies Trockenfleisch enthalten 1468 Rohfett 19.072 „ fett- und extractfreies Trockenfleisch = 123.793 Cal. — 9:5 x 1.468 = 109.847 Cal. mithin 18" fett- und extractfreies Trockenfleisch = 5760 cal. für Fleisch A: 25-062” Trockenfleisch enthalten 3-83 sm Extraet und 2-31 sm Rohfett (12m Trockenfleisch = 5704-84 cal.) 18.92 em extract- und fettfreies Trockenfleisch liefern 25-06 x 5704-84 cal. — 3-83 x 3153-7 \ — 2.31 x 9500-0 3 das sind 108.941 Cal., mithin 12m extract- und fettfreies Trockenfleisch = 5758 cal. 20* 308 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: für Fleisch B: 24.12erm Trockenfleisch enthalten 4-236 = Extract und 1-60 sm Rohfett (1 em Trockenfleisch = 5556-4 cal.). 18.284 2m extract- und fettfreies Tıockenfleisch liefern 24.12 x 5556-4 cal. — 4.236 x 3153-7 „ — 1:60 x 9500-0 das sind 105-451 Cal., mithin 1 8” extract- und fettfreies Trockenfleisch = 5767-40 cal. Es wäre wohl richtiger gewesen, auch den Aschegehalt des Fleisches noch zu berücksichtigen, weil derselbe ja auch nicht ganz constant ist; da er aber stets sehr annähernd 1 Procent im frischen Fleisch beträgt und jedenfalls die Menge der Aschenbestandtheile, die in das Extract übergeht, auch nahezu constant sein dürfte, so kann der Fehler, den wir durch Nicht- berücksichtigung der Asche begehen, kein sehr grosser sein. Wenn wir jetzt die früheren und die eben abgeleiteten Werthe zusammenstellen, so finden wir: I II 1 gm fett- u. aschefr. Trockenfleisch = cal. 1 8m fett- u. extractfr. Trockenfleisch = cal. Fleisch II dieser Arbeit: 5575.00 5760.00 lehnen 5758.00 aD des 2 al 554s 5767-40. Die Uebereinstimmung der Wärmewerthe für 1 =” fett- und extract- freies Trockenfleisch ist wohl eine so grosse, dass dadurch unsere Annahme, dass der verschiedene Gehalt an Extractivstoffen in den untersuchten Fleisch- proben die Differenzen der Wärmewerthe in Columne I bedinge, als zu- treffend bewiesen wird. Rubner! hat seinerzeit den Wärmewerth von mit Aether und Wasser extrahirtem Fleisch bestimmt und denselben für 18” fett- und extract- freies Rindfleisch zu 5754 cal. gefunden; Stohmann und Langbein? fanden für auf die analoge Weise vorbereitetes Fleisch 5720-5 cal., Berthelot und Andre? 5728-4 cal. Zu der Methodik der Verbrennungen in der Berthelot’schen Bombe nimmt Rubner* Gelegenheit, sich in seiner Abhandlung „Der Energie- werth der Kost des Menschen“ zwei Mal zu äussern. Zunächst bemerkt er, dass schon Stohmann darauf hingewiesen hat, dass manchmal Spuren von Kohle bei der Verpuffung zurückbleiben; ausser ! Zeitschrift für Biologie. Bd. XXI. 8. 298. ? Journal für praktische Chemie. Bd. XLIV. S. 368. 3 Ann. chim. Bd. VI. S. 22 und 25. * Zeitschrift f- Biol. Bd. XLIl (neue Folge 24. Jubelband für C. Voit). 8. 269 fl. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 309 der Bestätigung dieser Thatsache hat Rubner gefunden, dass auch manch- mal Stückchen der Substanz herabgerissen werden und sich der Verbrennung entziehen; um den zuletzt erwähnten Uebelstand zu vermeiden, empfiehlt Rubner, den Zündungsdraht nur auf die Substanz aufzulegen und nicht in die Substanz zu drücken. Dass Spuren von Kohle, bezw. organische Reste zurückbleiben, haben wir auch oft beobachten können; davon aber, dass diese Spuren meist für das Resultat bedeutungslos sind, haben wir uns zu wiederholten Malen durch Wägungen in solchen Fällen, in denen uns diese Reste besonders gross erschienen, überzeugt. Wir fanden z. B. bei Verbrennung von: a Cal. Rn Abzug sm Substanz stm org, Restes Cal. direct des org. Restes 0.8575 (lem = 3574 cal.) 00-0045 3065 3049 0.6210 (1 „ =3581 „) 0.0015 2324 2218 0-6651 (1 „ =5775 „) 0.0022 3841 3828 Derartige Differenzen liegen aber noch vollkommen innerhalb der Fehlergrenzen. Zu dem zweiten Punkt müssen wir bemerken, dass im Zuntz’schen Institute seit den 6 Jahren etwa, seitdem mit der Berthelot’schen Bombe gearbeitet wird, niemals Jemand anders als mit aufgelegtem, und nicht ein- gepresstem Drahte verbrannt hat; wir haben deshalb auch nie Substanz- verluste zu beklagen gehabt. So zu verfahren, hatte Stohmann persönlich Herrn Zuntz angerathen. Zufällig hat der Eine von unsin seinem Buche über „Ernährung und Volksnahrungsmittel‘?, das im Jahre 1900 erschienen ist, bei der Besprechung der Methode der Verbrennung mit der Berthelot’- schen Bombe diesen unseren Usus erwähnt; es heisst da ausdrücklich, dass die beiden in die Bombe hineinführenden Platindrähte durch einen Eisen- draht verbunden sind, „der dicht über der Substanz liegt“. Des Weiteren wendet sich Rubner gegen die von Kellner empfohlene Methode des Eintrocknens des Harnes auf Papierpflöckchen, wenigstens’für Menschen- und Hundeharn im Hinblick darauf, dass hierbei die Verbren- nungswärme des Harnes nur etwa !/, bis !/, der gesammten Verbrennungs- wärme ausmacht und, da die Verbrennungswärme der Üellulose als „Correctur‘ abgezogen wird, alle Fehler auf den kleineren Wärmeantheil aus dem Harn fallen. 1 Ernährung und Volksnahrungsmittel. Sechs Vorträge, gehalten von Prof. Dr. Johannes Frentzel. Leipzig, B. G. Teubner 1900. S. 57. 310 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Dass der Wärmeantheil aus Harn kleiner ist, als der aus Cellulose, ist für die Verbrennungen des Harnes in unseren Versuchen auch meist zu-- trefiend. Wir haben aber jedes Mal mindestens drei Verbrennungen mit der Bombe ausgeführt und in der vorliegenden Arbeit auch dadurch noch eine grössere Sicherheit unserer Resultate zu erreichen gesucht, dass auf einzelnen der verbrannten Pflöckchen die doppelte Menge Harn, wie auf den anderen Pflöckchen, eingetrocknet war. Wer unsere dabei gefundenen Werthe ansieht, wird zugeben, dass die Uebereinstimmung der verschiedenen Resultate als eine recht gute bezeichnet werden muss. ‘Während in unserer ersten Abhandlung bei dem Mittelwertb 1115-56 cal. die am meisten herausfallenden Bestimmungen von dem Mittel nur um 25 bezw. 41 kleine Calorien abwichen, ist bei dem ersten Versuch dieser Arbeit die Differenz nicht grösser; bei dem zweiten Versuch dieser Arbeit beträgt die Abweichung vom Mittel 1709.46 cal. im äussersten Falle nur 8 bezw. 14 kleine Calorien; zudem ist bei diesem Versuch bei der Ver- brennung von 10° Harn der auf den Harn entfallende Wärmeantheil grösser, als der der Cellulose. Was wir aber als einen entschiedenen Vortheil unserer Modification der Kellner’schen Methode hervorheben möchten, ist die Thatsache, auf welche wir auf S. 291 unserer ersten Abhandlung hinweisen; bei unserer Methode wird der Harn bei Zimmertemperatur im Vacuumexsiccator ge- trocknet; die Möglichkeit der Zersetzung ist gegenüber der Anwendung von erhöhten Temperaturen bei Luftzutritt!, wie Rubner vorschlägt, eine ganz geringe — um so geringer, als bei der Güte des von uns benutzten Vacuums. die Trocknung sehr schnell von statten geht. Ausserdem haben wir uns stets durch mindestens zwei Bestimmungen überzeugt, dass ein Stickstoff- verlust bei unserem Vorgehen nicht eingetreten war. Es giebt ja oft mehrere Wege, die zum Ziele führen; wir müssen aber an der Ansicht festhalten, dass der von uns eingeschlagene Weg auch ein solcher ist. Für das Fleisch haben wir festgestellt, dass die Relation zwischen Stickstoff und Calorien nach Abzug der Correcturen für Fett und Asche keine constante ist; um so weniger dürfen wir uns wundern, wenn wir beim Kothe, an dessen Bildung Nahrungsreste und mannigfache Secrete in wechselnder Menge Antheil haben, eine analoge Beobachtung machen. ! Frentzel und Toriyama (a. a. O.) haben den Harn seiner Zeit bei Luftzutritt: auf dem Wasserbade eingedampft; das war aber ein Nothbehelf, wie in der Abhand- lung auseinandergesetzt wird; das Eindampfen hatte ja auch einen geringen Verlust ..an N-haltiger Substanz zur Folge. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 311 Wir haben in dieser Arbeit gefunden, dass bei Versuch I 18" N im fettfreien Kothe = 57:19 Cal, R SERSTTAT 9.1 92 5; „ =45-.22 „ ist; wir haben in unserer ersten Abhandlung für sm N im fettfreien Kothe = 48.24 Cal. gefunden. Wenn auch die Uebereinstimmung dieser drei Werthe für Fleischkothe keine vollständige ist, so geht doch aus den Befunden der vorliegenden Arbeit auch hervor, dass die von Pflüger! auf Grund von Annahmen aus- gerechnete Zahl: „Lem Stickstoff des fettfreien Fleischkothes = 28-2 Wärmeeinheiten “ mit den von uns ermittelten, auf analytische Belege sich stützenden That- sachen schlechterdings nicht in Einklang zu bringen ist. Die fettfreie organische Substanz des Kothes stellt eine unbekannte Mischung von stickstofffreien und stickstoffhaltigen Substanzen dar; die Menge dieser organischen Substanz ergiebt sich, wenn wir von dem Ge- sammtgewicht des Kothes das Wasser, die ätherlösliche Substanz und die Asche abziehen. Diese Rechnung liefert als Verbrennungswärme von 1®" fettfreier organischer Kothtrockensubstanz für Vers. I. dieser Abhandlg.: 6775 cal. bei 11.16 Proc. N in dieser Substanz „ ” I. ” „ : 6224 DEREN) 12.94 2.990, ” „ den Vers.unserer >... 1.: 6444°,, 7,5 12,39 ve. 5 Man sieht aus diesen Zahlen, dass die Verbrennungswärme der nicht ätherlöslichen organischen Kothsubstanz um so höher ist, je geringer ihr Gehalt an Stickstoff, und dass sie die Verbrennungswärme des Eiweisses erheblich übertrifft. Elementare Zusammensetzung des Rindfleisches, des Fleischharnes, des Fleischkothes. I. Elementarzusammensetzung des Rindfleisches, Die Elementaranalyse des Rindfleisches ist schon mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen. Unter Anderen haben sich Rubner, Stoh- mann und Langbein, Berthelot, Argutinsky, Köhler mit dieser Frage beschäftigt. Erst in neuerer Zeit hat Dormeyer darauf hingewiesen, eine wie grosse Schwierigkeit die absolute Entfettung auch beim Fleische bietet; da nur einige der eben genannten Forscher auf diese Schwierigkeit Rücksieht nehmen, der wir, wie man sehen wird, auch Rechnung tragen, ı Pflüger’s Archiv. Bd. LII. S.30. (Vergl. auch S. 294 unserer Abhdl. 1.) 312 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: sind nur die Resultate dieser Forscher mit den von uns gewonnenen in Beziehung zu bringen. Während Argutinsky! den Fleischbrei über Schwefelsäure im n Vacuum- exsiccator trocknete, während Köhler”? das Fleisch im Soxhlet’schen Trockenschranke bei 55° C. ohne Anwendung des Vacuums vorbereitete, haben wir, wie schon auf S. 287 unserer ersten Abhandlung beschrieben, im Vacuum bei höchstens 40 bis 50° das Fleisch getrocknet, und auf diese Weise schon nach etwa 2 Stunden einen rothen trockenen Fleischkuchen erhalten, der sich im Mörser vollständig zu einem staubfeinen Pulver ver- reiben liess. Dieses Pulver des vorstehenden Versuches II haben wir mit seinem Fettgehalt in lufttrockenem Zustande der Verbrennung im ge- schlossenen Rohre (unter Anwendung von pulverigem Bleichromat mit vor- gelegtem körnigen Kupferoxyd und Kupferspirale) unterworfen. Wir haben dabei gefunden: I. 0.3695 2m Substanz ergab 0-2503=% H,O und 0.6520: CO,. Die Substanz enthielt 6-10 Procent Feuchtigkeit; unser Resultat umgerechnet ergiebt 0-34695 8m Trockensubstanz ergab 0.22775 sm H,O und 0.6520 2m CO, d.h. 0:025305 „ H 0 182 0:34695 „, n: enthält (24-62 Trockensubstanz = 146 Procent Fett) 0-.02057 = Fett? mit 0-002450="= H und 0.015742 m, 0.326938 2” fettfreie Trockensubstanz liefert 0.022855 „4. :.. 0.162085, d.h. 7:00 Procent H ,‚, 49.66 Procent C. 0.25165 &°" Trockensubstanz ergab R 0.4708 CO, = 0.1290 87 C. 0:25165 °” Trockensubstanz enthält 0-01492 stm Fett mit 0-01142,, „ 0.236753 sm fettfreie Trockensubstanz mithin 0-11758 sm C = 49.67 Proc. © II. 0:2680 sm Substanz = 100 sm fettfreie Trockensubstanz = 49-665 2" C und 7-00: H. 23.18 5m fettfreies Trockenfleisch lieferten 1-15 m Asche. 95.04 ru fett- und aschefreies Trockenfleisch = 49.665 sm C und 7:00 mH. 100 sr» fett- u. aschefr. trock. Rindfleisch = 52.26 s= C und 7:37 sm HH. Mit diesen Zahlen vergleichbar im strengsten Sinne sind nur die von Köhler* gefundenen: derselbe hat auch das Fett für sich bestimmt und seiner Zusammensetzung nach die Abzüge beim Kohlenstoff und Wasser- ı Pflüger’s Archiv. Bd. LV. S. 347. ? Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiol. Chemie. Bd. XXXI S. 481. ® Fett = 76-50 Proc. C und 11-91 Proc. H ZA 380. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 313 stoff ausgeführt. Köhler findet in 100 = fett- und aschefreiem trockenen Rindfleisch 52-54 °"m C und 7.14 H. Ausserdem lassen sich die Befunde von Stohmann und Langbein! und die von Argutinsky° heranziehen; diese Forscher haben getrocknetes Rindfleisch mit Aether, soweit das praktisch durchführbar ist, erschöpft und dann dies eventuell nur „fast fettfreie“ Fleisch verbrannt. Die gefundenen Zahlen sind bei Stohmann und Langbein: 100 ="® asche- und fettfreies Trockenrindfleisch = 52-02 ®’” C und 7:30 = H bei Argutinsky: 100 2 asche- und ss ” I el Er Bei der nahen Uebereinstimmung dieser Befunde glaubten wir von der jedenfalls umständlichen Verbrennung des in zwei Theile geschiedenen Fleisches unseres Versuches I absehen zu können; wir haben bei unseren Bilanzberechnungen für Versuch I das Mittel der Köhler’schen und unserer Zahlen: 52-40 Procent C und 726 Procent H zu Grunde gelegt; das Mittel ist, wie man sieht, nahezu identisch mit den von Argutinsky gefundenen Zahlen. II, Die elementare Zusammensetzung des Fleischharnes. Wie schon oben erwähnt, haben wir den Harn in mit ausgeglühtem Bleichromatpulver beschickten Schälchen im Vacuumexsiccator über Schwefel- säure getrocknet; die zusammengebackenen Klümpchen wurden dann im Mörser fein zerrieben, unter Nachspülen mit Bleichromatpulver in die Schälchen zurückgebracht und dort wieder vollständig getrocknet; die Elementaranalyse wurde im einseitig geschlossenen Verbrennungsrohr analos wie die des Fleisches ausgeführt. Versuch I dieser Arbeit. 6 «m Mischharn ergaben 0.6666 sm Trockensubstanz und 0-0858 s"" Asche. Verbrennung von 6°w Mischharn: Gefunden: 0-3345 8” H,O und 0.4838 3m CO,; in der aschefreien Trockensubstanz sind enthalten: 6.399 Procent H und 22-95 Procent C. Verbrennung von 3° Mischharn: Gefunden: 0.1743 8m H,O und 0.2466 2” CO,; in der aschefreien Trockensubstanz sind enthalten: 6.667 Procent H und 23.16 Procent C, im Mittel: 6-533 Procent H und 23-05 Procent C. ! Journal für praktische Chemie. Bd. XLIV. S. 364. au A8a..0: 314 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Versuch H dieser Arbeit. 10 «m Mischharn ergaben 1.3840 2” Trockensubstanz und 01792 srm Asche. Verbrennungen in 10“® Mischharn: I. Gefunden: 0-.69682® H,O und 1-0095 sm CO,; in der aschefreien Trockensubstanz sind enthalten: 6°426 Procent H und 22.85 Procent C. II. Gefunden: 0.709582” H,O und 1.0165" CO,; in der aschefreien Trockensubstanz sind enthalten: 6-543 Procent H und 23-01 Procent C. im Mittel: 6.484 Procent H und 22-93 Procent C. Gesammtmittel aus beiden Versuchen: 6-51 Procent H und 22.99 Procent C. Franz Meyer! hat seiner Zeit Hunde mit ausreichenden Mengen Pferdefleisch gefüttert, den Harn 6!/, Stunde nach der Nahrungsaufnahme, im Stadium der Nüchternheit, und noch einmal 7 Stunden nach der Nahrungsaufnahme aufgefangen und für sich analysirt. Er fand: T- I. 111. 61,281.0..0. i.Stadium..d. „7 St.n.d. Mittel aus Nahrungsaufn. Nüchternheit Nahrungsaufn. I—II 24 stdg. Harn C 23.40 Proc. 21-60 Proc. 22-51 Proc. 22.5 Proc. 22.05 Proc. Hr 46-317, ET, 636,40%,; 6,820 65-1005 Wie man sieht, zeigen die für I und III gefundenen Werthe, die nahezu identisch hätten sein müssen, erheblich grössere Abweichungen als unsere Zahlen aus zwei verschiedenen Versuchen. Die Zahl für den 24stündigen Harn bei Meyer ist das Mittel von II und II. Nach der auf S. 224 der Meyer’schen Abhandlung aus- gesprochenen Ansicht giebt der Mittelwerth der Zahlen dieser beiden Harn- arten ein Bild von der Zusammensetzung des 24stündigen Fleischharnes. Wir können dieser Folgerung nicht ganz zustimmen. Der Meyer’sche Harn III bezieht sich auf 7 Stunden, der Harn II auf den Rest des Tages; der Harn aus dem sogenannten Stadium der Nüchternheit ist also weit ent- fernt, diese Bezeichnung zu verdienen. Nach 7 Stunden war die Ver- dauung so grosser Mengen Fleisch, wie sie Meyer geben musste, vielleicht erst bis zur Hälfte gelangt, wie wir aus zahlreichen Versuchen wissen; viele Stunden der Entleerung des sogenannten nüchternen Harnes beziehen sich also noch auf die Verdauungsperiode. Pflüger? hält, wie aus seiner Abhandlung „Unsere Kenntnisse über den Kraftwerth des Fleisches“ hervorgeht, offenbar das Mittel aus den 1 Pflüger’s Archiv. "Bd. LV. S. 212. - 2 kbenda. Bd. LXXIX. 8. 558. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE 315 Meyer’schen ‘Versuchen I bis UI für die wahrscheinlichste Zusammen- setzung des Fleischharnes. Wenn wir uns einmal auf diesen Pflüger’schen Standpunkt stellen, so haben wir also: Fleischharn nach Meyer: 22.50 Proc. C und 6°8 Proc. H, Fleischharn nach Frentzel-Schreuer: 22.9 „ „ „651 „ y Das Trocknen des Harnes wurde von Meyer analog wie in unserem Versuche, aber in der Weise ausgeführt, dass der Harn sich allein auf den Schälchen befand. Meyer giebt an, dass das entstehende Harntrocken- pulver ausserordentlich hygroskopisch war; wir hatten durch die Vertheilung des Harnes auf eine verhältnissmässig grosse Menge Bleichromatpulver sehr schnell ein absolut trockenes Material zur Verfügung, das in den Augen- blicken, in welchen es ausserhalb des Exsiccators verrieben wurde, makro- skopisch wenigstens keine Feuchtigkeit anzog, während Meyer’s Pulver zerfios. Wenn z. B. die Trockenpulver Meyer’s nur eine Spur Wasser hartnäckig zurückgehalten hätten, so würde das kleine Plus im Wasserstoff und das kleine Minus im Kohlenstoff unseren Analysen gegenüber dadurch leicht erklärt werden können. Immerhin möchten wir bei der sehr nahen Uebereinstimmung unserer Werthe aus zwei verschiedenen Versuchen und der weniger guten Ueber- einstimmung der Zahlen I und III bei Meyer, ferner wegen der nach unserer Ansicht unberechtigten Art, wie Meyer zu seinen Mittelzahlen gelangt, unsere Werthe für die Elementarzusammensetzung des Fleisch- harnes für die zur Zeit wahrscheinlichsten ansprechen. III. Die elementare Zusammensetzung des Fleischkothes. Der Koth wurde in derselben Weise, wie das Fleisch, zur Verbrennung vorbereitet und auch lufttrocken und fetthaltig verbrannt. Koth aus Versuch I dieser Arbeit. 94-17 2m Trockenkoth enthielten 12-50 stm Rohfett und 22.86 em Asche. Verbrennung I. Koth enthält 98.94 Procent Trockensubstanz. 0-3125 2” Substanz ergab 0.1872=% H,O und 0:4829 sm CO, oder 0.3092 8” Trockensubstanz = 00-1838 , 5 ER = 0.020433 2® H und 0-131700 8m C, 0.3092 == Trockensubstanz enthält 0.041043 em Fett mit 9.004885 „ „ „ 0031598 , „ 0268157 „ fettfr. Trockensubst. = 0.015545 „ „ ,„ 0-100302 „ „ d.h. 5.797 Proc. H u. 37.404 Proc. C. 316 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Verbrennune 1. 0.1981 82” ergab 0-1243s"m H,O und 0.3096 em (CO,. oder 0.1960 8”® Trockensubstanz = 0-1222 ,„, „ 9, r TEN — 0.013578: m H „ 0.084436 8m C. 0.1960 stm Trockensubstanz enthält 0.02601 sm Fett mit 0.003098, „= 00193032 0.169998" fettfr. Trockensubstanz = 0-010480 „ „ , 0.064533 „ „ d.h. 6-165 Proc. H und 37.963 Proc. C. Mittel: 5-981 Proc. H und 37.684 Proe. C. 100 em fettfreier = 77.14 sm asche- und fettfreier Trockenkoth = 5.981 «m H ünd 37.684 8a 7, Fett- und aschefreier Trockenkoth enthält also 7:75 Proc. H und 48-85 Proe. (. Koth aus Versuch II dieser Arbeit. 94.042 m Trockenkoth enthielten 12.208 Rohfett und 17. 108m Asche. Verbrennung I. Koth enthält 92.25 Procent Trockensubstanz. 0.3342 em gaben 0.2157 sn H,O und 0-47842n 00, oder 0:30831 8m Trockenkoth = 0-189818" „ ,„ „IS = 0:021090 = H „ 0.130475 sm €. 0-.30831 2% Trockensubstanz ent- hält 0.039999 sm Fett mit 0.004764 „ „ „0.030599 „ ,„ 0.268311" fettfr. Trockensubst. = 0-016326 „ „ „ 0.099876 „ d.h. 6.085 Proc. H und 37-225 Proc. C. Verbrennung 1. 0.2990 8" gaben 0.18368m H,O und 0.4327 sm C oder 0-.27584 2m Trockensubstanz = 0-16044 su , = 0.017827sm H 0.27584 8m Trockensubstanz ent- hält 0:-035785 gm Fett mit 0:004262 „ 5. 0-.0273768m C. 0.240045 5" fettfr. Trockensubst. = 0.013565 „ „ ,„ 0.090634 „ , d.h. 5-6506 Proc. H und 37.756 Proc. C. Mittel: 5°868 Proc. H und 37.491 Proc. C. 100 sm fettfreier = 82-90 5" fett- und aschefreier Trockenkoth = 5.8685" H und 37.491 sm C. Fett- und aschefreier Trockenkoth enthält 7:08 Proe. H und 45:23 Proe. C. ” „ ” „ 0-11801em €, VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 317 Die aus den beiden Versuchen für fett- und aschefreien Trockenkoth ermittelte Elementarzusammensetzung weicht mehr von einander ab, als zulässig wäre, wenn es sich um dieselben Körper aus zwei verschiedenen Darstellungen handelte. Es liegen aber hier nicht chemische Verbindungen, sondern Stoffwechselproducte vor, die der Natur der Sache nach von einander verschieden sein können. Um einigermaassen vergleichbare Zahlen zu ge- winnen, haben wir für Feuchtigkeit, Asche und Rohfett die analytisch er- mittelten Abzüge gemacht. Hierbei haben wir das Aetherlösliche mit der elementaren Zusammensetzung des Fettes © = 76-5 Proc, H = 11-91 Proc. in Rechnung gestellt; dies war natürlich ein Nothbehelf. Wir wissen sehr wohl, dass nur ein Theil — ein wie grosser, entzieht sich unserer Kennt- niss — im Aetherextract des Kothes wirkliches Fett ist; in das Aether- extract gehen sicher auch Gallenbestandtheile, Farbstoffe u. s. w. hinein. Die Verbrennungswärmen der beiden Aetherextracte liegen ja nicht allzu weit aus einander; im Versuch I gab 1sm = 9549-5 cal., im Ver- such II 12% = 9617-2 cal.; ja diese beiden Zahlen nähern sich der Ver- brennungswärme des Fettes 1: = 9500 cal. so sehr, dass kein erheblicher Fehler entsteht, wenn wir bei der Berechnung der Verbrennungswärme des fett- und aschefreien Kothes statt mit der dem betreffenden Aetherextract zukommenden Verbrennungswärme mit der des Fettes rechnen. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass auch die elementare Zusammensetzung dieser Extracte mit der des Fettes innerhalb so enger Grenzen über- einstimmt. In Versuch II fiel es uns auf, dass das Aetherextract des Kothes eine sehr deutliche grüne Fluorescenz zeigte, welche durch die Pflüger’sche Reaction mit concentrirter Schwefelsäure in einer Spur des Extractes, wie sie am Glasstab hängen blieb, als deutliche Gallenreaction charakterisirt werden konnte. Diese Reaction ist bekanntlich der Cholalsäure und ihren Derivaten eigenthümlich Die elementare Zusammensetzung dieser Säuren ist aber: Cholalsäure 70.59 Procent C, 5-67 Procent H, Glyeocholsäure 67-10 r . 93.2) 5 Taurocholsäure 60-58 ns „ 8.74 3 ” „ Wir haben in unserer Rechnung die Abzüge für das Aetherextract mit der Zusammensetzung des Fettes 76.50 Procent C und 11-91 Procent H gemacht. Wenn nur etwas erhebliche Mengen der Gallensäuren in dem Extract des Versuches II vorhanden waren — und das kann nach dem eben Gesagten sehr wohl der Fall gewesen sein —, so haben wir für den Kohlenstoff und 318 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Wasserstoff aus dem Extract zu hohe Abzüge gemacht, mithin für den extractfreien, oder, wie wir gesagt haben, fettfreien Koth einen zu niedrigen Kohlenstoff- und Wasserstoff-Gehalt berechnet. Verwerthung der in unseren Versuchen gewonnenen Resultate. Mit Hülfe der von uns ausgeführten Elementaranalysen des Fleisches, des Fleischharnes und des Fleischkothes, an der Hand der durch die Aus- nutzungsversuche gewonnenen Daten und endlich durch die von uns vor- genommenen Respirationsversuche sind wir in der Lage, mit Zahlen, die alle demselben Versuche entstammen, gewisse Rechnungen und Betrach- tungen anzustellen, die früher nur durch Combination der Resultate ver- schiedener Forscher ausgeführt werden konnten. I. Neue Berechnung des Wärmewerthes des Sauerstoffs bei der physiologischen Verbrennung der Organsubstanz des Fleisches. Pflüger! hat seiner Zeit unter Zugrundelegung von Zahlen Rubner’s und solcher von Stohmann und Langbein für 15m:0=3-30 W.-E. berechnet. Wir haben in der vorstehenden Arbeit alle Daten gewonnen, um nur mit Hülfe von direct zusammengehörenden Zahlen die Rechnung wiederholen zu können. Versuch |. Während des Versuches sind ausgeschieden: im Koth 2.098m N, im Harn 89-37 , „ N-Gehalt der umgesetzten Nahrung 91-46 8m, Elementare Zusammensetzung des fett- und aschefreien fett- und aschefreien aschefreien Trockenfleisches Trockenkothes Trockenharnes C 52.40 Procent? 48.85 Procent 23-05 Procent H ee 6588 „ N 16:90 ” 11-16 ” 38:88 » 0 aaa, 32040 N ı Pflüger’s Archiw. Bd. LXXIX. S. 571. ® Mittel aus unseren und Köhler’s Zahlen; vgl. S. 313 dieser Arbeit. ® Ohne S zu berücksichtigen! VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 319 grm C grm H sımN gımO 18-728sm asche- u. fettfr. Tr.-Koth = 9-1485 1-4514 2-09 6.038 229.86 „‚, aschefreier Trockenharn = 52°982 15.0165 89.37 72.49 Abfall im Koth u. Harn = 62-13 16-47 91-46 78-53 541-1758 masche- u. fettfr.Tr.-Fleisch = 283-5858 39.29 91-46 126.85 Rest 221.45. 22.82 — 48.32 Nöthig zur Oxydation für: 221.45 5m C = 590.53 sm Sauerstoff 22.32 „ H= 182.56 „ e Summa = 773.09 sm Sauerstoff Vorhanden 48.32 „ " Zur Oxydation nöthig —= 124.77 8m Sauerstoff. Weil nun 12m N des fettfreien Trockenfleisches in diesem Versuche = 26-057 W.-E., liefern 541.175" fett- und aschefreies Trockenfleisch 91.46 x 26-057 = 2383-21 W.-E. Also 12m Sauerstoff = 3-29 W.-E. Versuch 1. Während des Versuches sind ausgeschieden: 4-348" N im Koth 195.10 „ „ „ Harn. N-Gehalt der umgesetzten Nahrung: 199.44 sm, Elementare Zusammensetzung des fett- und aschefreien fett- und aschefreien aschefreien Trockenfleisches Trockenkothes Trockenharnes C 52.26 Procent 45.23 Procent 22.93 Procent HT; De 08.0 a 6-44 „ N 17-12 " 12-944 » 40.69 ” 0.23:35. ., 34.746 29.896 grm C grmH grmN grmO 35.528 sm asche- u. fettfr. Tr.-Koth 15-17 2-37 4-34 11-65 479.48 „ aschefreier Trockenharn = 109.94 31.09 195-10 143.34 Abfall im Harn und Koth = 125.11 33.46 199-44 154.99 1164.15 =” asche- u. fettfr. Tr.-Fleisch = 608:-81 85-86 199.44 270.84 Rest = 483.70 52-40 — 115.85 I 320 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Nöthig zur Oxydation für: 483.70 2m C = 1289.83 sem Sauerstoff 525402,21 419.205, „ . Summa = 1709-03 sm Sauerstoff Vorhanden 115-85 „ H Zur Oxydation nöthig = 1593-188” Sauerstoff. Weil nun 18m N des fettfreien Trockenfleisches in diesem Versuche — 24.86 W.-E., liefern 1164.15 8m fett- und aschefreien Trockenfleisches 199-44 x 24-86 = 4958-0 W.-E. Also 15m Sauerstoff = 3.112 W.-E.! Die vorstehenden Berechnungen schliessen einen Fehler in sich ein; das frische Fleisch enthält Schwefel; ein Theil desselben wird im Körper oxydirt; dieser Schwefel ist aber in der vorstehenden Rechnung nicht be- rücksichtigt; man hätte richtiger gethan, den für die Oxydation des Schwefels nothwendigen Sauerstoff als „schon verbraucht‘ bei der Elementarzusammen- setzung des Fleisches in Rechnung zu stellen. Die Grösse dieses Antheiles aber ist uns unbekannt. Pflüger? hat, durch eine Arbeit von Zuntz? ver- anlasst, die Eingangs dieses Capitels eitirte Rechnung wiederholt, indem er dabei die Annahme macht, dass der ganze Schwefel oxydirt wird; diese Annahme entspricht aber, wie Pflüger hervorhebt, keinesfalls den That- sachen. Statt 1” Sauerstuff = 3-30 W.-E., erhält Pflüger in diesem Falle 1 2m Sauerstoff = 3-24 W.-E. Bei den geringen Differenzen dieser beiden Resultate — der wahre Werth muss natürlich zwischen beiden liegen — glaubten wir von der Wiederholung der Rechnung in unseren Fällen absehen zu dürfen, zumal da die Differenzen, die sich zwischen den beiden Versuchen gezeigt haben, grösser sind, als die ganze Correctur ausmacht. ! Die Differenzen 1 8m O = 3-29 W.-E. und 1&® O = 3-11 W.-E. werden, wie man sieht, bedingt durch die verschiedenen analytischen Befunde für Koth und Harn in beiden Versuchen. Rechnen wir mit einer Durchschnittsanalyse für Koth und Harn, wozu man schliesslich berechtigt wäre, beide Versuche aus, so erhalten wir: I... 1,200 32261 W.-R,, II. 120) =23s TAB: Die Differenzen werden also geringer. Immerhin glauben wir unseren Befunden einen grösseren Werth beimessen zu dürfen, als der Berechnung von Pflüger, welcher ja nicht einheitliche analytische Daten verwerthen konnte. 2A. 8.00% 3 Pflüger’s Archiv. Bd. LXVIII. S. 202. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 321 Wir fanden das eine Mal 1” Sauerstoff = 3:29 W.-E., das andere Mal 1:m Sauerstoff = 3-112 W.-E. Die, wenn auch geringe, Differenz beider Werthe bestätigt, was Pflüger damals ausgeführt hat, und wofür er in einer Arbeit Stohmann’s! eine im Wesentlichen übereinstimmende Auffassung findet. Pflüger sagt: „Es ist ganz unzweifelhaft, dass der so gefundene Nutzwerth keines- wegs allgemeine Geltung haben kann und nicht als Naturconstante ange- sprochen werden darf. Er ist sicher verschieden bei verschiedener Nahrung, bei einzelnen ver- schiedenen Organen, bei verschiedenen Thierarten.‘ Er ist aber, wie man aus unseren Versuchen sieht, trotz exactester Ausführung aller in Betracht kommender Bestimmungen auch bei zwei analog verlaufenden Versuchen bei demselben Thiere nicht absolut constant. II. Versuch einer Bilanzaufstellung. Zur Aufstellung einer vollständigen Stoffwechselbilanz unseres Versuchs- thieres müssen wir die in relativ kurzdauernden, wenn auch zahlreichen Respirationsversuchen gefundenen Zahlen der Sauerstoffaufnahme und Kohlen- säureausscheidung auf 24 Stunden umrechnen. Wir haben früher (S. 287) bereits erörtert, weshalb hierbei zu niedrige Zahlen gewonnen werden müssen. Zu den dort angeführten, den Gaswechsel steigernden Momenten kommt noch namentlich in Versuch II der Umstand, dass das Thier nur ungern den ihm umgelegten Maulkorb ertrug und vielfach Bewegungen zur Ab- streifung desselben machte. Wir hoffen, später Versuche beibringen zu können, welche wenigstens diese letztgenannten Fehler ausschliessen. Ein Respirationsapparat nach Regnault-Reiset’s Prineip für Dauer- versuche ist soeben in unserem Institute fertiggestellt worden; es wird in demselben möglich sein, auch grössere Hunde als Versuchsthiere zu be- nutzen. Wenn eine Reihe von Resultaten mit diesem Apparate vorliegt, werden wir etwas besser im Stande sein, den Mehrverbrauch von Sauerstoff und die erhöhte Production von Kohlensäure in Folge der mancherlei die Ruhe störenden Momente in unseren vorliegenden Versuchen schätzen zu können. Zur Zeit können wir nur eine Bilanzberechnung anstellen unter der Annahme, dass der Hund sich während der Dauer des ganzen Versuches ebenso ruhig verhalten habe, wie während der zahlreichen Respirationsversuche. Unter dieser Annahme, die, wie Eingangs gezeigt, die 24 stündige Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureausscheidung zu niedrig ergeben muss, finden wir: \ Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXI. S. 374. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. aa 322 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: Versuch |. Wir haben durch die Respirationsversuche in der Ruhe ermittelt: pro Minute und Körperkilo im Durchschnitt einen Verbrauch von 7.27 ccm Sauerstoff und eine Bildung von 5-56 m Kohlensäure. Der gefundene respiratorische Quotient war Zr = 0.765. Das Thier wog im Durchschnitt der 3 Versuchstage 17.83*s, also hat es während des Versuches 17-83 x 5-56 x 60 x 24x 3 = 428.25 Liter = 842.082 00, gebildet u.17-.83 x 7:27 x 60 x 24 x 3 = 559.96 Liter — 800.78 m Sauerstoff verbraucht. Es hat in dem umgesetzten Eiweiss erhalten 22145 == C, diese liefern 811-988" CO,, zur Oxydation waren nach Abzug des vorhandenen Sauer- stoffs noch nöthig 724.77 8m Sauerstoff. Wir haben also gefunden im Respirationsversuch 842-082” CO, u.800 788m Sauerstoff, RQ=0-765; aus dem umgesetzten Fleisch- eiweiss berechnet sich 811.98 „ „ ,„724-i7 „ „.. RQ=0-315 Differenz; 30-10 °mCO, u. 76.01 8m Sauerstoff. Da das Thier 99.66="% N mit der Nahrung erhalten, und 91-46 „ N umgesetzt hat, so muss ein Ansatz im Körper von 8-.208m N = 271.5 sm Fleisch stattgefunden haben. Versuch I. Wir haben bei den Respirationsversuchen in der Ruhe gefunden: pro Minute und Körperkilo einen Verbrauch von 7.19 m Sauer- stoff und eine Bildung von 5.52 m CO,. Der gefundene respiratorische Quotient war = = 0.768. Das Thier wog im Durchschnitt der 5 Versuchstage 17-913, also hat es während des Versuches . 17.913 x 5-52 x 60x 24x5=711-95Liter = 1399.98 CO, gebildet und 17.913 x 7-19 x 60 x 24 x 5 = 927.32 Liter = 1326.18” Sauerstoff verbraucht. Es hat in dem umgesetzten Eiweiss erhalten 48370 2m C; diese liefern 1773-53 8m CO,; zur Oxydation waren nach Abzug des vorhandenen Sauer- stoffs noch nöthig 1593-18 2” Sauerstoff. Wir haben also gefunden im Respirationsversuch 1399.9 emCO, u.1326 1 Em Sauerstoff, RQ=0 768; aus dem umgesetzten Eiweiss berechnet sich 177353 „ ,„ „1593-18 „ 5 RQ=0:.810 Differenz: 373.638mCO,u. 267.088" Sauerstoff. Da das Thier 226-208” N mit der Nahrung erhalten, und 199-44 „ N umgesetzt hat, so muss ein Ansatz im Körper von 26-762 N = 709.81 8m Fleisch stattgefunden haben. VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. 323 Wenn wir die vorstehend aufgestellten Bilanzen betrachten, so ist beim Versuch I O-Verbrauch und CO,-Bildung an der Hand der Athmungsver- suche sehr annähernd übereinstimmend mit den analogen, aus dem umge- setzten Fleischeiweiss berechneten Werthen. Wäre das Thier wirklich während des ganzen dreitägigen Versuches in absoluter Ruhe gewesen und hätte es nur von dem mehr als ausreichend vorhandenen Eiweiss in der Nahrung seinen gesammten Stoffbedarf bestritten, so könnten wir mit einer Ueber- einstimmung, wie sie die beiden Resultate bieten, recht zufrieden sein. Das Thier kann aber nicht in den 72 Versuchsstunden sich in absoluter Ruhe befunden haben, wie wir aus der Anlage des Versuches oben bewiesen haben; es hat Bewegungen ausführen müssen, es kann während seines Aufenthaltes im Käfig Bewegungen ausgeführt haben, und wir sind nicht im Stande, die Grösse der durch diese Bewegungen hervorgerufenen Arbeit und den Effect auf den Stoffwechsel auch nur annähernd zu bestimmen. Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, hätte der respiratorische Quotient bei ausschliesslicher Eiweisszersetzung 0-815 bezw. 0-810 sein sollen, während die Respirationsversuche nur 0-765 bezw. 0-768 haben finden lassen. Dies lässt sich auf zweierlei Weise deuten: entweder spricht es dafür, dass trotz des überschüssig verfütterten Eiweisses doch nicht unerhebliche Mengen Fett während der Ruhe verbrannt wurden, oder man muss annehmen, dass aus dem Eiweiss ein unverbrannter Rest, dem ein hoher respiratorischer Quotient zukäme, im Körper zurückgeblieben sei (etwa Glykogen). Die Wahrschein- lichkeit, dass aus Eiweiss Glykogen bezw. Zucker entstehen kann, ist, ab- gesehen von den Erfahrungen am diabetischen Menschen, erst jüngst durch die in unserem Laboratorium ausgeführten Versuche von Bendix! gestützt worden. Der Eine von uns hat den Nachweis geführt”, dass im hungernden glykogenfreien Thier, wenn man Bewegungen durch Narkose ausschliesst, Glykogen neu gebildet wird; in gleichem Sinne haben Lehmann und Zuntz3 den niedrigen respiratorischen Quotienten, den sie beim hungernden Menschen in der Ruhe fanden, durch eine Glykogenbildung aus Eiweiss erklärt Schliesslich hat auch Friedrich Müller* in einer vor Kurzem erschienenen Arbeit: „Beiträge zur Kenntniss des Mucins u. s. w.“ diese Frage kritisch beleuchtet und sich unzweideutig dahin ausgesprochen, dass „beim, höhezen, Thier und beim Menschen eine physiologische und pathologische. Zucker, bildung aus Eiweiss als sicher erwiesen angesehen werden darf“, 1 glıaıa7 sdsT sid 3Holeransa 29h 1 Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXXIl. 8. 579. ® Pflüger’s Archiv. Bd. LXVIII. S. 283. sA20 ‚esı esb ıs2dasw * Zeitschrift für Biologie. Bd. XLII (neue Folge 24. Jubelbaud für Vaiky S. 536. sh ı9b dos dar 21* 324 JOHANNES FRENTZEL UND MAX SCHREUER: In dem Versuch II finden wir selbst bei der Annahme, dass die ge- sammten Athemgase nur von der Zersetzung des Eiweisses herrührten, die aus der Umsetzung des Stickstoffs berechnete Bildung von Kohlensäure und Aufnahme von Sauerstoff erheblich grösser, als die Analyse der Respirations- luft wirklich ergeben hat. Dieses Plus könnte so gedeutet werden, dass (dieser Theil des umgesetzten Eiweisses zur Ausführung der in diesem Ver- suche lebhafteren Bewegungen des Thieres gedient habe. Der Umstand, dass auch in diesem Versuche, in welchem das zersetzte Eiweiss den Be- darf des Ruhestoffwechsels erheblich übersteigt, der respiratorische Quotient unter dem dem Eiweiss entsprechenden Werthe liegt, macht es wahrschein- lich, dass diese Erniedrigung des Quotienten nicht durch eine starke Be- theiligung des Fettes am Ruheumsatz, sondern durch Glykogenbildung zu erklären ist. Die eben gemachte Annahme, dass der niedrige respiratorische Quotient, den wir am ruhenden Thiere fanden, auf eine Glykogenbildung aus Eiweiss zu beziehen sei, führt zu der Consequenz, dass das in der Ruhe angehäufte “ Glykogen bei den Bewegungen des Thieres wieder verbraucht werde. Dies bedeutet aber, dass die Bewegungen mit einer Erhöhung des respiratorischen ‚Quotienten bei den so genährten Thieren verbunden sein müssen. Zur Prüfung dieser Annahme erhielt eine Hündin von durchschnittlich 12-3*s Gewicht, nachdem dieselbe 1!/, Tage lang gehungert und 2 Tage mit ungenügenden Fleischmengen gefüttert war, während einer Woche 1100 sm mageres Rindhackefleisch täglich in drei Portionen. In dieser Zeit wurden ganz in derselben Weise, wie das oben ausführlich beschrieben, Respirations- versuche angestellt und zwar im Stadium der Ruhe (vor und nach der Arbeit) und während der Arbeit; die Arbeit wurde auf der in den Veröffent- lichungen aus dem Zuntz’schen Institut schon mehrfach beschriebenen Tretbahn ausgeführt. Nach Schluss der Versuchswoche hungerte das Thier etwa 30 Stunden, und dann wurden Respirationsversuche in der Nüchternheit angestellt. Die bei diesen Versuchen gewonnenen Daten sind in der folgenden Tabelle VII zusammengestellt; nach unseren Erfahrungen bei den oben be- sprochenen Respirationsversuchen haben wir absichtlich diesmal erst am vierten Tage der Fütterung mit der grossen Menge Fleisch die Respirations- versuche begonnen. Die Tabelle zeigt, dass bei der Arbeit ausser der starken Erhöhung des Sauerstoffverbrauches und der CO,-Bildung auch ein wesentliches An- wachsen des respiratorischen Quotienten beobachtet werden konnte. Der- selbe beträgt während der Ruhe im Durchschnitt 0.74 vor der Arbeit, etwas mehr nach der Arbeit, und steigt während der Arbeit auf etwa 0-80. 325 VERBRENNUNGSWÄRME U. PHYSIOL. NUTZWERTH DER NÄHRSTOFFE. -Zungnapag Tauray uoA YDopol sarp 9st usyuarond, uoyostiogemmdsst usp ng 'UOM USNIMPuwıIaA Stuom wm UT uOgqesıd usssjeueyyu] ayjagso3uw ıoyedg "uepıom AEIsEdUR HyonsıeAsuoryerdsay 19p 497 nz oıp ‘uaskjeuegju] usIıgaw UoA [IA WOp sue ypıs qe319 II M TOSIIA r 1 es sOygIaM sap Sunsoppunısnz Aw Yuyaaırsq Apınm Sunppig-"o) Ip pun 4yPL-O Sed ı | GzL-0 | 89-4 | 92-L | 6-69 | 6-66 | 81-7 | 7688 LI “ "ell synxan "um » || 692-0 | 61-4 | 89-2 | 9-12 | 8-96 120:F | 9188 Ll oyny Yrası uagz4o] uop uf | | 20 '1'93 JTOyuIoJyonN I9p ur ayonsıaA | 882-0 |.60-6 | 96-11 | 89-211 | T-EHl LS-7 | BETE el e "et | 281-0 | 00-6 19-17 -| 9-TIT- | L>a#l | 2L-F | 2668 el oyny "hi | 96L-0 | EL-61 | 08-F2 | 9-Fr3 | C-L08 7-7 | 0169 8 aL-G | 89-18 "Tl gEL-0 | 81-6 | 29-31 | E-EIT | 0-HC1 8L-E | nor oL Br "ri | g2L-0 | 09-8 68-I1 | 22-901 | G-L#l 9L-8 | 3368 I syny al | 20 '1'C8 | 821-0 | ee-L rE-0L | 2-86 | L>8l | 16-€& | Er88 al x hl | 21-0 | 06*2 8C-0L | 8-86 | L-IEI 19-8 | 8848 gl oyny 1 EIS-0 | 99-t3 | CE-08 | T-LOE | 6-LLE LP-& | 68801 | 9 18-08 hrı | €08-0 | 81-37 | 66-63 | L-008 | F-&L6 18-7 | 0188 8 13-7 | 12-08 Yas | 8CL-0 | 86-2 09-01 | 8-66 | 0-ZE£1 08-8 | ELr8E al x "sol | 081-0 | 86-8 | 12-31 | 0-01 | 0-2<1 16-8 | 6388 II oyny hol | | | 30 '1'r2 1088-0 | 20-98 | 9L-1& | P-L1E | F-28€ LL-€ | sız01 | 2 61-7 | 80-08 hl FSL-O | 12-82 | G3-08 | 8-683 | 1-69€ L0-F | 6906 | 2 £0-08 "hit I8PL-0 | 970-6 | GL-3L | P-91L | 9-agı 63-7 | 9898 | = "or | 312-0 | 98-8 | 80-31 | ©-v0L | L-9H1 | 96-3 181» | 8gcE 11 oyny or | | | 30 °T’E8 a eg ee 5 Q == 1 Br 7 u|Ss58| A sg 8: FBSTeBe Eile Emi| EEE Erlen nee: | 2 | ES HeEelBns8 Bas SE8 Ne: 5 Bas: 55" BEg En EN pr | us Sensi| seR ® ‘BE ER: 28 Baer orIBSR | KR nn yraqıy pun oyny Ioq ZJundogyynzyastopg Ju oyonsıoA "ILA PLII9ALL 326 J. FRENTZEL UND M. SCHREUER: VERBRENNUNGSWÄRME U. SW. Ausser den schon besprochenen Resultaten möchten wir zum Schluss noch ein Mal feststellen, dass wir in den vorliegenden Fleischfütterungs- versuchen gefunden haben für wirklichen Fleischharn: I. 1m N = 6.994 Cal. : gs BA Nutzwerth des Eiweisses bei reiner Fleischfütterung: I. 76-44 Procent. II. 76-38” 7, (Man sieht, dass der hohe Fettgehalt der Nahrung I gar keinen Ein- fluss auf die Ausnutzung des Eiweisses gehabt hat.) Daraus ergiebt sich, dass bei reiner Fleischfütterung 1°" Ei- weiss der Nahrung 5.5282 x. 76-44 I= 100 = 4.226 Cal. 5.575 x 76-38 II = 100 = 4.258 Cal. im Mittel =4.24 Cal. liefert. ! Bei unserem schon veröffentlichten Fleisch -Fleischmehlversuch haben wir 74-84 Procent als Nutzwerth gefunden; das erklärt sich aus der durch die Bereitungs- weise herabgesetzten Verdaulichkeit des Fleischmehles, welche sich auch in der Mehr- ausscheidung von Stickstoff im Kothe und in der höheren Verbrennungswärme des Kothes zu erkennen giebt. Wir können dieser schlechteren Ausnutzung des Fleisch- mehles dadurch Rechnung tragen, dass wir annehmen, die Mehrausscheidung des Stick- stoffs im Kothe sei bedingt durch den unzersetzt durch den Darm gegangenen Antheil des Fleischmehles. Nun betrug die N-Ausscheidung in dem Kothe des Fleisch-Fleisch- mehlversuches 3-24 Procent des Nahrungsstickstoffs, in den beiden Fleischversuchen dieser Abhandlung 1-92 bezw. 2-10 Procent, im Mittel also 2-01 Procent. Es würden darnach im Fleisch-Fleischmehlversuch auf 100 &’= aufgenommenen Stickstoffs 1-23 em N in Form von unverdautem Fleischmehl in den Koth übergegangen sein; auf die in den Stoffwechsel eingetretenen 166.23 :"m N entfallen daher Fan een 2.045 8m N entsprechend 2-045 x 32-95 = 67:37 Cal. Dieser Werth ist von der früher berechneten Gesammtzahl der umgesetzten Calorien (5691-8) sowie von der Verbrennungswärme der Abfallproducte (1433-25 Cal.) abzuziehen. Wir erhalten dann einen Nutzwerth von 4952-5 Cal. auf eine Zufuhr von 5624-43 Cal., d. h. 75-73 Procent. Durch diese Correetur kommt der Nutzwerth der Nahrung in unserer ersten Ab- handlung unter Zugrundelegung des wirklich resorbirten Fleischmehles dem Nutzwerth des Fleisches in unserer vorliegenden Arbeit sehr nahe. Untersuchungen über die Verwandlung der Insektenlarven.! Von J. Dewitz. (Station viticole et de Pathologie vegetale a Villefranche, Rhöne, France.) Die Umstände, welche die Metamorphose der Insektenlarven und der Larven im Allgemeinen begleiten, sind bisher hauptsächlich vom histo- logischen Standpunkte aus behandelt worden. Mit der experimentellen Lösung der Frage hat sich besonders E. Bataillon beschäftigt, welcher zu dem Schluss gelangt, dass sich die reifen Insektenlarven im Zustande der Asphyxie befinden und dass dieser Zustand für die Metamorphose einen der bestimmenden Factoren bildet. Ich? selbst habe in diesem Jahre einige Experimente mitgetheilt, aus denen hervorgeht, dass gerade der Luftabschluss die Verpuppung der reifen Fliegenmaden sistirt und dass diese sich nach Aufhebung des Luftabschlusses in regelmässiger Weise verpuppen. Dieser Gegensatz ist vielleicht nur ein scheinbarer und wird durch weitere Experi- mente beseitigt werden. ' Wenn man derartige Vorgänge wie die Metamorphose erforschen will, so thut man gut, sich umzusehen, in welchen Fällen in der Natur die in Frage stehende Erscheinung unterbleibt, und sich dabei nicht allein an die Thiere, sondern auch an die Pflanzen zu wenden. Durch Vergleichung und Abwägung der verschiedenen Factoren schreitet man in der Erkennung der Sachlage laugsam, aber sicherer vor, als wenn man dieselbe dem Zufalle eines glücklichen Experimentes überlässt. In unserem speciellen Falle, in dem es sich um die die Verwandlung der Larven bestimmenden Factoren handelt, bemerkt man bei einer solchen Umschau sogleich, dass eine grosse 1 Vgl. Compt. rendus Soeciet. Biol. Paris 1902. 18. Janv. ® J. Dewitz, Verhinderung der Verpuppung bei Insektenlarven. Arch. f. Entw.- Mechan. 1901. Bd. XI. 8. 690—699. 328 J. Dewırz: Anzahl von Insektenlarven im Herbst im verpuppungsreifen Zustande in die Winterquartiere geht und sich erst im nächsten Jahre verwandelt. Es ist ebenso bekannt, dass Amphibienlarven überwintern können. Diese Fälle von Ruhezuständen, denen sich sodann diejenigen gewisser Eier und Puppen, ferner die Statoblasten und Gemmulae, ebenso die Knospen, Sporen und Zwiebeln der Pflanzen anschliessen, lassen uns vermuthen, dass wir es hier mit nahe verwandten Phänomenen zu thun haben. Sachs hat bereits die Idee ausgesprochen, dass es sich bei dem Ruhezustande von Pflanzenorganen wahrscheinlich um die Bildung von Fermenten handelt und dass diese sich während der Rubeperiode bilden.! Ich beabsichtige nun zu zeigen, dass ein solches bei der Verpuppung wahrscheinlich eine bedeutende Rolle spielt und bei jenem biologischen Processe vielleicht das Hauptagens ist. I. Nimmt man im Sommer (Juni, Juli) eine Anzahl zum Verpuppen reifer Larven von Lucilia caesar, wäscht sie gut ab, zerreibt sie mit etwas destillirtem Wasser in einem Porzellanmörser und schüttet diese Masse in einen Porzellantiegel, so verfärbt sich die Oberfläche derselben in wenigen Minuten und wird schwarz wie Tinte? Der weitere Inhalt des Tiegels färbt sich nach und nach. Bei vollkommenem Lichtabschluss zeigt sich die gleiche Erscheinung. Bei Musca vomitoria wird der Larvenbrei Anfangs rothbraun. Dieses Schwarzwerden lässt vermuthen, dass hier ähnliche Factoren (Oxydasen) in Frage kommen, wie bei der Blau- und Schwarz- färbung angeschnittener Pilze und Früchte. 1 Möglicher Weise ist der Winterschlaf der Thiere auf die gleichen Ursachen zurückzuführen wie die Ruheperiode der in Entwickelung begriffenen Organe und Organismen. Wer die Mittelmeerländer kennt — und v. Leydig hat schon vor langer Zeit auf diese Erscheinung aufmerksam gemacht —, wird wissen, dass dort die niederen Thiere ebenso wie im Norden in Winterschlaf verfallen, obgleich ihnen die Temperatur ein Leben im wachen Zustande gestatten würde. ® Es handelt sich hier wie in allen anderen Untersuchungen weniger um die Schwarz- oder Braunfärbung der festen Bestandtheile des Breies, als um die Flüssig- keit, mit der derselbe durchsetzt ist. Es giebt aber auch einzelne feste Theile der Larve, welche sich mehr oder minder dunkel färben. Es sind dieses besonders der hinter den Malpighi’schen Gefässen liegende Darmabschnitt, die beiden grossen Tracheenstämme und die Chitinhaut. Diese letztere schwärzt sich besonders an Stellen, an denen sie in Folge der Quetschung der Mörserkeule zerrissen, zerquetscht und aufgesprungen ist, und diese Schwärzung scheint auf der Innenseite der Chitin- bedeckung zu liegen. Ebenso werden die beiden Tracheenstämme da, wo sie in Folge der Quetschung abgebrochen sind, tief schwarz. Die Schwarzfärbung dieser Bestandtheile hat vielleicht ihren Sitz in der Hypodermis. Es ist auch bemerkens- werth, dass bei den in Ruhe befindlichen Larven von Lucilia (vgl. S. 335) eine Schwarz- färbung von Organen nicht statthat. Ob dieses auch bei solchen Larven der Art der Fall ist, welche sich im Sommer in voller Verwandlungsperiode befinden, vermag ich nicht zu sagen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 329 Zerreibt man die Larven mit etwas destillirtem Wasser und mischt die Masse mit mehr Wasser oder mit verdünntem Glycerin und schüttet das Gemisch in ein sehr hohes Reagensglas, so sinkt ein Theil der Masse zu Boden; ein anderer steigt, da er mit Luft gemischt ist (Tracheen u. s. w.), in die Höhe und bildet einen Pfropf. Dieser Pfropf hindert die Luft mit dem Inhalt des Reagensglases in innige Berührung zu kommen, so dass sie nur an der Oberfläche des Pfropfes wirken kann. Hier, an der Oberfläche, wird die Masse alsbald schwarz. Nach zwei Stunden war aber die Schwarz- färbung kaum 1°” tief vorgedrungen, und auch die bis zum nächsten Morgen verflossene Zeit hatte an der Sachlage kaum etwas geändert. Schüttete man jetzt den Inhalt des Reagenzglases in eine flache Schale, so trat sogleich Schwarzfärbung der gesammten Masse ein. Der Luftzutritt und damit die Verfärbung des Larvenbreies kann auch durch Uebergiessen des letzteren mit Olivenöl verhindert werden. Auch sonst verhindern oder verzögern alle diejenigen Umstände eine Verfärbung, welche einem freien Luftzutritt im Wege stehen. In einem Kohlensäurestrom bleibt die Masse der zerriebenen Larven vollkommen ungefärbt. Die Schwarzfärbung der- selben kann sich also ohne die Gegenwart der Luft, oder genauer ohne Sauerstoff, nicht vollziehen. Das Agens, welches die Verfärbung veranlasst, wird durch Kochen zer- stört. Kocht man den Larvenbrei einige Male auf, so wird er weder schwarz, noch schwärzlich, noch bräunlich, sondern bleibt weiss. Setzt man die Masse ?/, Stunden lang einer Temperatur von 70°C. aus, so verfärbt sie sich nicht mehr. Nach einer Erwärmung auf 60 bis 65°C. bei gleicher Zeitdauer tritt sehr langsam Verfärbung ein. Der Larvenbrei wird jetzt auch nicht schwarz, sondern hell chokoladenfarbig. Das Enzym ist also theilweise zerstört worden. Während Chloroform und Aether die Schwarzfärbung nicht hindern, ist dieses bei Oyankali (0-2 Procent) der Fall. Kaliumhydroxyd von 0-5 Procent verzögert die Verfärbung um zwei Mal 24 Stunden. Eine 4 procentige Lauge hindert jede Färbung. Dasselbe thut Essigsäure und zwar schon in einer Verdünnung von 1:1000. Ebenso erhält man keine Verfärbung, wenn man die Larven in concentrirter Kochsalzlösung zerreibt. Diese letztere Erscheinung erinnert an die Eigenschaft eines Enzymes des Graubrodes (Oxydine L. Boutroux’s), welches in einem mit Kochsalz gesättigten Auf- guss von Kleie ebenfalls inactiv wird. Sublimat hat in einer Lösung von 1:1000 und bei Verwendung einer grossen Anzahl von Larven keinen Ein- fiuss auf die Verfärbung. In einer Lösung von 1:500 wird die Färbung um 1 Stunde verzögert und dieselbe erreicht schliesslich nicht dieselbe Intensität wie im vorigen Falle oder bei normalem Larvenbrei. Da Alkohol die Fermente fällt und inactiv macht, so wurden Larven 330 J. DEWwITz: von Lucilia eaesar mit absolutem Alkohol zerrieben, worauf keine Spur von Schwarzfärbung eintrat. Fügte man zu dem mit verdünntem Glycerin er- haltenen und filtrirten Auszug des Larvenbreies Alkohol hinzu, so erhielt man einen grauen Niederschlag, welcher sich beim Trocknen braunschwarz färbte. Sehr wichtig ist es, dass die zerriebene Masse von ganz jungen, 1 oder 2 Tage alten Larven keinerlei Verfärbung zeigt. Zerreibt man etwas ältere Larven, so färbt sich der Larvenbrei etwas. Er wird aber nicht schwarz oder dunkel, sondern bleibt blond. Wir haben es hier ohne Zweifel mit einem Enzym zu thun, dessen Ausscheidung im Laufe des Larvenlebens zunimmt und dessen Gegenwart die Verbindung des Luftsauerstoffs mit gewissen Chromogenen veranlasst (Oxydase). Dass das Blut der Insekten in Berührung mit der Luft sich bräunt oder schwärzt, ist eine bekannte Erscheinung. Aber erst nach Vollendung meiner Untersuchungen bemerkte ich, dass sich andere Beobachter mit dieser Sache näher beschäftigt haben. L. Fredericq constatirte, dass das Blut, welches man dem Organismus der Larve von Oryctes nasicornis ent- nimmt, sich bei Berührung mit der Luft bräunt und dass die Bräunung durch Kochen des Blutes nicht zerstört wird. Erwärmt man dagegen die Larven !/, Stunde auf 50 bis 55°C., so ist nachher das Blut nicht mehr fähig sich zu verfärben. Der Beobachter hat sich nicht über die etwaige Anwesenheit eines Enzymes ausgesprochen. C. Fr. W. Krukenberg hat dagegen erkannt, dass es sich bei der Bräunung der Lymphe verschiedener Insekten um ein solches handelt und hat die in Frage kommenden Farb- stoffe als Uranidine bezeichnet. Ich habe an der Darstellung der von mir für diesen Abschnitt ge- wonnenen Resultate keine Aenderung vorgenommen, um nicht den Paralle- lismus mit den Resultaten der beiden anderen Abschnitte zu zerstören. II. Bekanntlich sind die Puppen der Fliegen während ganz kurzer Zeit weiss wie die Larven; sie färben sich aber fast gleich nach ihrer Ent- stehung und werden braun oder schwarzbraun. Die Puppe von Musca carinaria wird schliesslich fast schwarz. Man kann bei dieser Verfärbung der Puppen alle diejenigen Stadien verfolgen, welche man bei der Ver- färbung des Larvenbreies (Musca vomitoria) wahrnimmt. Andererseits wird die Verfärbung der Puppen durch die gleichen Mittel unterdrückt, durch welche man die Verfärbung des Larvenbreies unterdrücken kann. Um die Luft von noch weissen Puppen fern zu halten, werden einige derselben (drei bis vier) in ein kleines Glasröhrchen geschüttet. Ein gut schliessender Kork wird bis ganz in die Nähe der Puppen vorgestossen und der übrige Raum des Röhrcehens mit geschmolzenem Paraffin gefüllt. Man UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 331 kühlt sofort unter der Wasserleitung ab, damit die Erwärmung nicht das Enzym beeinflusst. Diese Puppen zeigen auch nach Tagen keine Spur von Färbung. Sodann wurde mit dem gleichen Erfolg die Luft von der Puppe durch eine Wasserschicht fern gehalten. Hierbei erhielt man zur Hälfte braune und zur Hälfte weisse oder schwach gefärbte Puppen, wenn man die frischen, weissen Puppen nur zur Hälfte mit Wasser bedeckte. Nach Kochen in Wasser verfärbt sich keine Puppe. Die Gegenwart von Blausäure in der Luft, in der sich die weisse Puppe aufhält, nimmt ihr vollkommen die Eigenschaft sich zu verfärben. Aether dagegen thut dieses nicht. Ebenso hindert absoluter Alkohol die Verfärbung nur so lange, als die Puppe sich in ihm befindet. Nimmt man die Puppe aus dem Alkohohl heraus. so färbt sie sich auch am folgenden Tage noch schwarzbraun. Lässt man weisse Puppen in einer Atmosphäre von Essig- säure oder Ammoniak verweilen, so färben sie sich nicht, sondern werden hell missfarbig; in der Essigsäureatmosphäre heller als in der Ammoniak- atmosphäre. Es muss erwähnt werden, dass durch diese verschiedenen Mittel gleich- zeitig mit der Verfärbung auch das Hartwerden, die Chitinisirung der Puppenhaut verhindert wird. Beide Vorgänge scheinen daher in enger Beziehung zu einander zu stehen. Das hier über die Verfärbung der Fliegenpuppen Mitgetheilte gewinnt an Interesse, wenn wir es mit einer gewissen Gruppe von Färbungserschei- nungen in Beziehung setzen. Man ist versucht zu vermutken, dass auch sonst bei der Färbung der Chitinhaut der Insekten die Enzyme mitwirken. Wäre dieses richtig, so müsste nothwendiger Weise ein Gleiches für jene Fälle gelten, in denen die Chitinhaut Färbung und Färbungsmuster der Umgebung wiedergiebt (Mimikry, Schutzfärbung). Dieser Process würde sich dann also unter Mitwirkung von Enzymen vollziehen. Dieses liesse uns aber schliesslich unsere Blicke auf die Photographie der Farben über- haupt richten. Eine gleiche Erklärung wie die Mimikry und Schutzfärbung würde die Saisonfärbung finden. Man müsste sich vorstellen, dass durch die physikalisch-chemischen Agenzien der Jahreszeit die Enzyme in ihrer Absonderung, Zusammensetzung und Wirkung Aenderungen erfahren, oder dass andere, die Enzyme modifieirende Secrete vom Organismus gebildet werden. Ich hatte der vorgeschrittenen Jahreszeit wegen die weitere experimen- telle Untersuchung dieser Frage nicht ausführen können. Jedoch war es mir noch möglich, frisch gebildete Puppen von Pieris brassicae in kleinen Glastuben unter Luftabschluss zu setzen. Soweit mir diese flüchtigen Ver- suche ein Urtheil erlauben, fielen sie günstig aus. Die Verfärbung und das Hartwerden konnten, indem die Puppen am Leben blieben, zum grossen 332 J. DEWITzZ: Theil verhindert werden. Es ist mir auch eine Angabe von W. Petersen! bekannt, nach der Heterocerenpuppen in Flüssigkeit sich nicht verfärben und weich bleiben. Ill. Wie bekannt, sind die Fliegenmaden während ihrer ganzen Lebens- dauer ungefärbt, und erst in dem Augenblick, wo sich die Larve zur Puppe zusammengezogen hat, fängt die ehemalige Larven- und jetzige Puppenhaut an sich zu bräunen, mit der aboralen Vertiefung, in der die beiden grossen Stigmen liegen, beginnend. Es sind diese beiden Erscheinungen, Vollzug der Verpuppung und Beginn der Verfärbung, also gleichzeitig und man muss annehmen, dass sie in innigster Beziehung zu einander stehen. Es war nun von grossem Interesse, zu untersuchen, ob diejenigen Mittel, welche die Verfärbung des Larvenbreies und der Puppe verhindern und welche die Wirkung der Enzyme hindernde Mittel darstellen, auch die Verpuppung der Larven aufzuhalten im Stande sind. In meiner ersten Publication habe ich bereits gezeigt, dass Fernhalten der Luft durch Verschliessen des Gefässes die Verpuppung der Larven auf- hält. Dasselbe Resultat kann durch Oelen der Larven erzielt werden. Nur muss man hierbei Sorge tragen, die reifen Larven mehrere Male, zwei bis drei Mal am Tage, in Oel zu tauchen, weil sie beim Umherkriechen die Oelschicht schnell verlieren. Unterbricht man das Oelen, so tritt schnelle Verpuppung ein. Eine andere Methode besteht darin, dass man auf den geraden Boden des Gefässes Wasser so weit giesst, dass die Larven be- deckt sind.” Die Larven halten sich im Wasser auf oder kriechen an den Wänden des Gefässes umher. Da sie sich aber am Boden der Gefässe ver- puppen, so müssten sie sich im Wasser verpuppen, was sie aber nicht oder in wenigen Fällen thun. In dieser Weise habe ich z. B. zum Verpuppen reife Larven von Musca carinaria vom 11. August bis zum 1. September, d.h. 20 Tage am Verpuppen gehindert, während sich die Controllarven im Sande innerhalb 2 bis 3 Tagen sämmtlich verpuppten. Natürlich stirbt bei einer solchen Operation ein grosser Theil oder der grössere Theil der Versuchsthiere. Im erwähnten Falle hatte ich am 18. August sechzehn lebende Larven, am 1. September lebten davon noch acht Stück. Diese acht Larven wurden am 1. September in Sand gesetzt und verpuppten sich jetzt ebenfalls in 3 Tagen. Man erhält analoge Resultate bei Anwendung von Lösungen von Chlornatrium. ı W. Petersen, Zur Frage der Chromophotographie bei Schmetterlingspuppen. Sitzungsber. d. Naturf.-Gesellsch. Dorpat. 1891. Bd. IX. Heft 2. (1890) S. 262. ° In meiner Mittheilung in Compt. rendus Societ. Biol. habe ich aus Versehen gesagt „theilweise bedeckt“. Unter solchen Verhältnissen tritt leicht Verpuppung ein UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 333 Ich wollte nun noch die Wirkung der Blausäure und der Essigsäure auf die zur Verpuppung reifen Fliegenlarven beobachten. Es ist aber sehr schwer, die richtige Menge von Blausäure zu finden, denn in Blausäuregas sterben die Thiere bald ab oder sie werden schnell unbeweglich. Die Schwierigkeiten wurden noch durch die vorgeschrittene Jahreszeit erhöht, in welcher eine regelmässige und prompte Verpuppung nicht mehr statt- findet. Liess man die Larven in einer Blausäureatmosphäre und wurden sie daselbst unbeweglich, so lebte nach der Entfernung der Thiere aus dieser Atmosphäre ein Theil wieder auf und solche Larven ergaben theils regelmässige, zum grossen Theil aber ganz unregelmässig gebildete Puppen. Oft zog sich die Larve einfach zusammen und verfärbte sich, ohne dass die Tonnenform der Puppe zu Stande kam. Ebenso wenig befriedigende Resultate erhielt ich, wenn ich die Larven täglich kurze Zeit in die Blausäureatmosphäre brachte, Es mag aber erwähnt werden, dass ich in dieser Weise zwei Larven erhielt, die, obgleich sie sich bewegten und Larven blieben, eine chokoladbraune Farbe annahmen. Ebenso wenig zufriedenstellend fielen die Versuche mit einer Essigsäure- atmosphäre aus, in der ich die Larven hielt, und hier trug wohl haupt- sächlich die vorgeschrittene Jahreszeit die Schuld. Ich will jedoch einen Versuch mittheilen, welcher für unsere Zwecke von Interesse ist. Ich be- sass am 12. October eine Anzahl von Larven von Musca vomitoria, welche, wahrscheinlich weil sie im Hause und nicht im Freien aufgezogen waren, sich trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit sehr schnell und sicher verpuppten. Es wurden am 12. October dreizehn dieser Larven als Controlthiere in eine Schachtel gelegt und am 14. October Nachmittags waren sämmtliche ver- puppt. Von denselben Larven wurden 95 Stück, einige am 11., die meisten am 12. October, in ein weites Gefäss gebracht, in dem beständig Essig- säure verdampfte.e Am 14. October Abends lebte noch etwa die Hälfte dieser Larven. Am 15. October Morgens waren sämmtliche todt. Unter den Larven von Musca vomitoria hatte sich eine Larve von Musca carinaria befunden und diese zeigte Anfänge einer Verpuppung. Es wurden im Herbst ausser mit Fliegenmaden auch Versuche mit zum Verpuppen reifen Raupen von Pieris brassicae angestellt. Ich habe schon in meiner ersten Puhlication erwähnt, dass sich reife Larven — d.h. solche, welche sich festgesetzt, sich zusammengezogen und den Gürtel an- gelegt haben — in zugekorkten Fläschchen oder Glastuben nicht verpuppen oder nur Anfänge von Verpuppung zeigen. Die hier sich einstellenden Erscheinungen sind wahrscheinlich nicht allein auf Sauerstoffmangel, son- dern auch auf Selbstvergiftung zurückzuführen. Ich erhielt damals unter den Anfängen von Verpuppung Larven, welche nur am Nacken aufgesprungen waren, und andere, welche zwar in die Puppenform übergegangen waren, 334 J. DEWITzZ: aber noch die langgestreckte Gestalt der Raupe besassen und weichhäutig blieben. Es scheinen sich die Folgen eines zeitweiligen Einschliessens der Larven auch bei einer etwaigen späteren, nach der Befreiung der Larven eintretenden Verpuppung zu zeigen. Schliesslich habe ich auf diesem Wege noch ein Anfangsstadium von Verpuppung erhalten, das ich als Raupen- puppe bezeichnen möchte und auf das ich sogleich zurückkomme. Es wurde ferner versucht, den zum Verpuppen reifen Raupen von Pieris brassicae Eisessig in verschiedener Stärke einzuspritzten, um den Einfluss desselben auf die Verpuppung; zu beobachten. Zu diesem Zwecke wurde am hinteren Körperende die Haut durchstochen und dicht unter der Haut in den Körper der Raupe ein fein ausgezogenes Glasrohr eingeführt und mittels desselben ein starker Tropfen Essigsäure langsam eingespritzt. Ausserdem wurde zur Controle dienenden Thieren das Rohr eingeführt, ohne dass jedoch Essigsäure eingespritzt wurde. Es zeigte sich nun, dass von den so einfach nur verwundeten Thieren im Mittel etwas mehr als die Hälfte normale Puppen lieferte. Von denjenigen Larven aber, welchen Essigsäure in den Körper eingespritzt war und welche eine solche Operation noch mehrere Tage überlebten, erhielt man Puppen, deren Anzahl je nach der Stärke des angewandten Eisessigs ausfiel. Bei einer Concentration von 3:100 überlebten die Raupen nur ganz kurze Zeit die Operation und lieferten keinerlei Puppe. Bei einer Concentration von 1-6:100 erhielt ich im Mittel 2 Procent Puppen. Raupen, welche mit Eisessig 1:100 be- handelt waren, ergaben im Mittel 14 Procent, und solche, welche mit Eis- essig 0.25:100 behandelt waren, 13 Procent Puppen im Mittel. Die beiden letzten Zahlen zeigen keinen grossen Unterschied. Die vorletzte Zahl ist etwas grösser als die letzte, wahrscheinlich weil hier ein Theil der Raupen einige Wochen früher, als die Verpuppung noch kräftig von statten sing, die Einspritzung erhielt. Es sei noch erwähnt, dass, wenn zum Verpuppen reife Raupen von Pieris brassicae mit etwas destillirtem Wasser zerrieben werden, sich der Raupenbrei (Flüssigkeit) sehr bald schwarz färbt. Die Schwarzfärbung unterbleibt aber, wenn man statt destillirten Wassers Eisessig in der Stärke 1:100 oder eine concentrirte Lösung von Chlornatrium beim Zer- reiben anwendet (vgl. I.). Unter den Raupen, welche eine Einspritzung empfangen hatten und nicht zur Verpuppung gekommen waren, befanden sich sehr viele Exemplare, welche ein Zwischenstadium zwischen Raupe und Puppe darstellten und welche ich deshalb Raupenpuppen nennen möchte. Sie hatten fast gänzlich die Gestalt der Raupe und nur der Hinterleib näherte sich etwas der Puppen- form. Kopf und Brust waren gänzlich diejenigen der Raupe. Unter der Haut der Raupe, welche dünn geworden war oder sich abziehen liess und UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 335 ein abgestorbenes Aussehen besass, war die neue Chitinhaut — diejenige, welche die Chitinhaut der Puppe werden sollte — erhärte. Nur der Bauchtheil, d. h. jener Theil, welcher an der Puppe häutig bleibt und von den Flügelscheiden bedeckt ist, war hier in genau denselben Grenzen wie bei der Puppe ebenfalls häutig geblieben und fiel später ein. Diese ge- panzerten Raupen oder diese Raupenpuppen bewegten sich auf Berührung, wie es die wahren Puppen zu thun pflegen. Sie lebten selbst in der trockenen Zimmerluft ziemlich lange. Ein Exemplar lebte noch nach 14 Tagen. Auch unter den in Tuben eingeschlossenen Raupen bemerkte ich diese Zwischenformen. Schon in meiner ersten Publication habe ich gesagt, dass Lucilialarven sich im Herbst nicht mehr verpuppen. Sie verbleiben in diesem Zustande der Ruhe mehrere Monate auch im Warmen und verwandeln sich hier erst Mitte oder Ende December. Die im letzten sowie im vorletzten Jahre an- gestellten Beobachtungen ergaben für den Eintritt der Ruheperiode Ende Sep- tember und für das Aufhören derselben Mitte und Ende December. Wenn man solche Larven zerreibt, so wird die zerriebene Masse schwarz wie im Sommer; nur ist die Verfärbung jetzt ganz sichtlich verzögert und sie färbt sich wie bei Musca vomitoria zuerst roth, ehe sie schwarz wird. Theilt man eine Anzahl der seit Ende September aufbewahrten Lucilialarven in zwei Haufen zu 16 bezw. 14 Stück und fügt letzterem der beiden Haufen zwei Larven von Vomitoria hinzu, so dass die Zahl in beiden Partien gleich ist, und zerreibt man diese beiden Partien mit einer gleichen Quantität destilirten Wassers, so wird die Verfärbung in derjenigen Larvenmasse dunkler und kräftiger, in welcher sich die Vomitorialarven befinden. Der Unterschied ist zwar nicht sehr gross, aber bereits seit dem Beginn der Verfärbung deutlich wahrnehm- bar. Man kann daher annehmen, dass das Enzym nicht die gleiche Wirkung besitzt wie im Sommer. Ob nun dieses der Grund oder einer der Gründe ist, aus denen die Larven sich nicht verpuppen — zur Beantwortung dieser Fragen reichen meine Beobachtungen bis jetzt nicht aus. Es muss noch erwähnt werden, dass die Rube nicht oder nicht in dieser Länge einzutreten scheint, wenn Larven von Lucilia nach Eintritt der kalten Saison im Freien aufgezogen werden. Es giebt auch Ende October und Anfang November und später in dieser Gegend noch immer Fliegen, darunter auch Lucilia, welche ihre Eier auf im Freien aufgestellten Fleisch ablegen. Von solchen Lucilialarven erhält man, wenn man sie in die Wärme bringt, in wenigen Tagen Puppen. Ebenso erhielt ich im Spätherbst 1900 von Larven von Musca vomitoria, welche im Anfange ihrer Entwickelung auf Eis gestanden hatten, sehr bald die Fliegen. In den alpinen und polaren Gegenden ver- läuft die Entwickelungsperiode der Pflanze bekanntlich sehr schnell, und die 336 J. DEWwITZ: Pflanze legt hier in der gleichen Zahl von Wochen das Stück in ihrem Entwickelungsgange zurück, zu dem sie an anderen Orten die gleiche Zalıl von Monaten braucht. Auf den gleichen Factor ist gewiss auch die Leb- haftigkeit der Farben der alpinen Pflanzen zurückzuführen. Diese beiden Eigenschaften der alpinen Blumen, ihr plötzliches Hervorspriessen und ihre Farbenpracht, bilden einen der am meisten hervortretenden und anziehend- sten Züge der Biologie des Hochgebirges. Denn wie die Inseln, die Höhlen, die Wüste, so hat auch das Hochgebirge seine Physiologie und einzelne Erscheinungen derselben, wie die Bergkrankheit, lassen sich sicher am besten verstehen, wenn man den Blick auf das Ganze gerichtet hält. Wir sind hier wieder zu der Ruhe- oder Latenzperiode der Organismen zurückgekehrt. Ich will nun noch weitere Fälle andeuten, in denen diese Latenz durch äussere Mittel aufgehoben wird. Zunächst sei erwähnt, dass das Halten der Lueilialarven im Thermostaten auf Sommertemperatur zu keinem Ziele führt. Dasselbe hat schon früher Weismann für die Winter- eier von Daphniden festgestellt. Es ist also nicht die niedrige Tempe- ratur, welche bei in Winterruhe befindlichen Organismen oder Organen die Weiterentwickelung hemmt. Natürlich muss, wie W. Johannsen richtig be- merkt, nach Beendigung der Ruhe die Temperatur einen solchen Grad erreichen, dass die Entwickelung ihren Fortgang nehmen kann. Ist ein solcher Wärmegrad nicht vorhanden, so bleibt die Weiterentwickelung trotz der Beendigung der Winterruhe sistirt. Es ist nun zunächst bekannt, dass die Eier von Apus und Branchipus sich erst dann entwickeln, wenn sie vorher ausgetrocknet sind. Nach Weismann wird ferner die Latenzperiode der Daphniden durch Austrocknen sowie durch vorübergehende starke Ab- kühlung abgekürzt.! Austrocknen und Temperaturerniedrigung werden auch in der Gärtnerei? beim Treiben von Winterblumen angewandt und in neuester Zeit ist zu dem gleichen Zwecke von W. Johannsen das Aetherisiren der Pflanzen in Anwendung gebracht. Durch E. Duclaux ist schon früher bekannt geworden, dass bei den Eiern des Seidenspinners, welche im Herbst in einen Ruhezustand verfallen, diese Ruheperiode durch vorübergehende Abkühlung abgekürzt wird, ein Verfahren, welches auch in der Praxis geübt wird.? In der Seidenzucht bedient man sich jedoch noch anderer Mittel, um ! In neuerer Zeit haben J. Loeb und A. W. Greely die Gleichheit des biologi- schen Effectes, welche Wasserverlust und Erniedrigung der Temperatur zur Folge haben, behandelt. Diese Verhältnisse sind schon früheren Autoren bekannt gewesen. ? Ueber Litteraturangaben, die Pflanzen betreffend, sowie über das Keimfähig- werden von Pilzsporen durch eine Temperatur von 0° vgl. J. Erickson, Centralbl. ‚f. Bakteriologie. Abth. 2. Bd.I. S. 557— 565. ® Vgl. auch H. Gauckler, Untersuchungen über beschleunigte Entwickelung überwinternder Schmetterlingspuppen (Treiben der Puppen). /Uustr. Zeitschr. f. Entom. 1899. Bd. IV. S. 103—105, 182— 184, 230—233; 1900. Bd. V. 8.203, 219. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 337 den gleichen Zweck zu erreichen, z. B. des Eintauchens der Eier in Säuren, des Bürstens u. s. w. Dieses mechanische Verfahren habe ich auch für die in Ruhe befindlichen Larven von Lueilia angewandt, indem ich die Larven längere Zeit schüttelte, und habe in den beiden letzten Herbstperioden ver- einzelte Puppen erhalten. Ich will bemerken, dass Weismann durch Stossen und kütteln aus der Sommerform (Schmetterling) Prorsa die Winterform Levana erhielt! und will mit Rücksicht hierauf daran erinnern, dass ver- schiedene Experimentatoren durch vorübergehende stärkere Abkühlung der Puppen für die Schmetterlinge Farbenvarietäten (Formen nördlicher Gegenden, Winterformen) erzielt haben und dass wir andererseits sahen, dass sich die Färbung von Insekten unter dem Einflusse von Enzymen vollziehen kann. Die Abkürzung der Latenzperiode der Eier des Seidenspinners durch Ein- tauchen in Säuren und das mechanische Verfahren führt uns auf einen anderen interessanten Gegenstand, der mit dem erwähnten eine grosse Aehnlich- keit zeigt. Schon an anderer Stelle? habe ich auf die Analogie, welche zwischen Ruheperiode bezw. der Aufhebung derselben und der Befruchtung besteht, hingewiesen. Das unbefruchtete Ei befindet sich, wie es scheint, in einem Zustande von gleicher Ordnung wie die in Ruhe befindlichen Ent- wickelungszustände von Organismen oder Organen. Die Vorgänge, welche sich bei dem Anstoss zur Entwickelung des Eies und bei der Aufhebung der Ruheperiode abspielen, scheinen in ein und dieselbe Kategorie zu fallen. Diese Ansicht erhält dadurch Bestätigung, dass Tichomiroff durch die gleichen Mittel (Schwefelsäure, Bürsten) aus unbefruchteten Eiern des Seiden- spinners Embryonen erhielt (1886), durch die das in der Entwickelung stillstehende, befruchtete Ei aus seiner Latenzperiode gebracht wird. Denn bekanntlich ist es nicht erst heute gelungen, aus unbefruchteten Eiern durch künstliche Mittel Embryonen zu erziehen. Wie es aber mit einer freiwilligen Parthenogenesis dieser Art bestellt ist, geht am besten aus dem Urtheil der Praktiker hervor: „Siebold et d’autres pretendent que des oeufs pourraient se developper sans ötre fecondes. En Italie et en France ceux “qui ont essaye d’obtenir des oeufs parthenogenesiques ont constamment echoue“, 3 ! Vgl. V. Graber, Die Insekten. Theil 2. Bd. 1. S. 43. \ ® J. Dewitz, Der Apterismus bei Insekten, seine künstliche Erzeugung und seine physiologische Erklärung. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 61—67. ® E. Maillet, Lecons sur le ver ü soie du mürier. Montpellier et Paris. 1885. p. 239. — Ebenso muss man mit Rücksicht auf die kürzlich von A. P. Mathews (Arti- fieial parthenogenesis produced by mechanical agitation. Amer. Journ. Physiol. 1901. Vol. VI. p. 142—154) ausgeführten Experimente, bei denen unbefruchtete Echino- dermeneier durch Schütteln zur Entwickelung gebracht werden, bemerken, dass, wie Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 22 338 J. DEwITZ: Ich habe gesagt, dass die Factoren, welche unbefruchtete Eier zur Ent- wickelung anregen, und andererseits die Factoren, welche die Ruheperiode der in Entwickelung begriffenen Organismen aufzuheben im Stande sind, in die gleiche Kategorie zu gehören scheinen. Ich habe nun aber oben aus- zuführen gesucht, dass die Verwandlung der Larven von einem Enzym ab- hängig ist. In neuester Zeit haben einige Experimentatoren versucht, auch den Befruchtungsvorgang auf die gleiche Ursache zurückzuführen.! Die Ruhe von in der Entwickelung begriffenen Organismen aufzuheben, sind, wie gesagt, nach den bisherigen Erfahrungen im Stande das Austrocknen, das Frieren, das zeitweise Eintauchen in Salzlösungen oder in Säuren, das Aetherisiren und das mechanische Verfahren (Bürsten, Schütteln, Stossen).? Von diesen haben bisher unbefruchtete Eier zur Entwickelung angeregt die Anwendung des mechanischen Verfahrens, das Eintauchen in Salzlösungen und in Säuren und das Aetherisiren (A. P. Mathews; vgl. auch Häcker, 1900). Den für diese Fragen sich interessirenden Personen scheint eine Beobachtung vonS.L.Schenk° unbekannt geblieben zu sein: „Wenn man das Sperma frieren und wieder aufthauen lässt, so stellt sich die Bewegung der Samenfäden abermals ein. Sie verlieren aber ihre befruchtende Wirkung bei Bufo und bei Rana, wäh- rend das befruchtete Ei nach dem Aufthauen seinen Entwickelungsgang fort- setzt (Schenk).“ Für die Wirkung des Frierens scheint es nach Object und Grad ein Optimum zu geben. Während z. B. Duclaux fand, dass ein gewisser Kältegrad (0° die Entwickelung des befruchteten Seiden- spinnereies beschleunigt, konnte er auf der anderen Seite für höhere Kälte- grade das Gegentheil feststellen. Aehnliche Resultate erhält man bei An- wendung anderer Mittel (z. B. Elektrieität), durch die man das vorzeitige Auskommen der Eier herbeiführt. Alle diese Mittel scheinen auf die Ent- erwähnt, schon Tiehomiroff vor 15 Jahren durch Bürsten aus unbefruchteten Seiden- spinnereiern Embryonen, allerdings nur wenige, erhielt. — P. Rittinghaus machte die Beobachtung, dass Pollen von Lathyrus, Digitalis und Antirrhinum in Folge von Schütteln nach 4 bis 6 Stunden lange, normale Schläuche getrieben hatten. Verh. nat. Ver. Bonn. XLIU. 5. Folge. Bd. III. S. 161. ! In der letzten von W. J. Gies (Do spermatozoa contain enzyme having the power of causing development of mature ova. Amer. Journ. Physiol. 1901. Vol. VI. p. 53—76) herrührenden Arbeit über diesen Gegenstand wird gezeigt, dass in ver- schiedener Weise hergestellte Spermaauszüge auf unbefruchtete Echinodermeneier keine Wirkung ausüben. Diese Experimente — und der Autor selbst hat dieses in keiner Weise verkannt — lassen aber mancherlei Möglichkeiten offen. ® Bei den Eiern des Seidenspinners hat man ausserdem mit Erfolg angewandt Elektrisiren und Erwärmen während kurzer Dauer auf höhere Temperaturgrade. Vgl. Bellati et E. Quajat, Sur l’eclosion anticipee des oeufs du ver & soie. Arch. ital. Biol. 1896. T.XXV. °8.L.Schenk, Grundriss der normalen Histologie des Menschen. Wien und Leipzig 1891. 8. 210—211. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 339 ziehung von Wasser aus den Geweben hinauszulaufen. Für die Salze, das Austrocknen und auch für das Gefrieren und stärkere Abkühlen ist dieses verständlich. Gleiches scheint aber auch für die Wirkung des Aethers und anderer anästhesirender Mittel zu gelten (Raph. Dubois). Dass Schüt- teln u. s. w. Wasseraustritt aus den Geweben veranlasst, zeigen die herab- hängenden Blätter und zarten Sprosse der Pflanzen, welche unsere Hand oder der Wind heftig gerüttelt hat. Ein solcher Wasserverlust wird aber nur der entferntere, nicht der unmittelbare Grund sein, indem‘ er den Chemismus des Eies, Organes oder Organismus zu beeinflussen im Stande ist. Andererseits möchte ich mit Rücksicht auf den Einfluss von Magnesium auf die Entwiekelung unbefruchteter Seeigeleier (J. Loeb) auf die Untersuchungen von @. Bertrand hinweisen. Nach Bertrand spielt Mangan in der Thätigkeit der Laccase eine bedeutende Rolle und kann für die Wirkung dieses Enzymes durch kein anderes Mittel ersetzt werden. Ferner haben Bertrand und Mallevre festgestellt, dass die Pectase unfähig ist die Transformation des Pectin zu vollziehen, wenn ihr der Gehalt an Calcium genommen ist, welcher sie im Zellsaft begleitet. Calcium kann hier durch Baryum und Strontium ersetzt werden. Wenn ich nun nach den oben mitgetheilten Versuchen annehme, dass die Metamorphose das Werk eines Enzymes (Oxydase) ist, so bin ich zu gleicher Ansicht für die Ausbildung der Flügel der Insekten (und Vögel) gelangt.! Die Unterdrückung der Flügel, der Apterismus, kommt nach meiner Ansicht durch Veränderung der Oxydationsfähigkeit in den Geweben zu Stande, sei es, dass die Enzyme in ihrer Secretion beschränkt oder in ihrer Wirkung behindert werden, oder dass der Organismus andere, toxische, die Enzyme unwirksam machende Stoffe secernirt. Dieses Fehlen der Flügel kommt in der Natur als Ausnahme bei vereinzelten Arten oder Individuen- classen (Arbeiter oder Neutra) in solchen Insektengruppen vor, welche sonst von geflügelten Arten und Genera gebildet werden. Es giebt aber Insekten- gruppen, welche in keiner ihrer Arten geflügelt sind (Synaptera). Diese ungeflügelten Insektenordnungen (Synaptera) haben keine Metamorphose (ametabole Insekten). Auf der anderen Seite besitzen die geflügelten In- sektenordnungen (Pterygota) eine solche, eine unvollkommene oder eine voll- kommene. So wenig auch die Insekten früherer Erdepochen erhalten sind, so scheint doch aus den Resten, die auf uns gekommen sind, hervorzugehen, dass seit dem mesozoischen Erdalter und der jüngeren Steinkohlenformation in dem Maasse, als wir uns der Jetztzeit nähern, die Ausbildung der Flügel ! Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 61—67. 340 J. DEwITZz: ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. und der vollkommenen Verwandlung zugenommen hat, und gleichzeitig hat sich auch der Reichthum an Arten und Genera der Insekten er- höht. Wir können demnach vermuthen, dass die Factoren (Enzyme), welche auf die Ausbildung der Flügel und auf das Stattfinden der Meta- morphose wirken, seit den ersten Erdepochen in Zunahme begriffen sind und dass mit ihrer Zunahme die Ausbildung der Flügel und der Meta- morphose und die Differenzirung in Arten zugenommen hat. Diese Ver- hältnisse sind geeignet, die Vergangenheit der Organismen der physiologischen Forsehung zugänglich zu machen und sind damit auch geeignet, das Pro- blem der Artenbildung der Speculation und den blossen Folgerungen aus morphologischen Verhältnissen zu entziehen und es auf den Boden des Ex- perimentes zu stellen. Villefranche (Rhöne). December 1901. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1901—1902. V. Sitzung am 17. Januar 1902. Hr. Cowr demonstrirte unter elektrischer Beleuchtung Röntgen- negative der oberen Brustapertur des erwachsenen Menschen, die er zur Klarstellung der Maassverhältnisse und Beschaffenheit des ersten Rippenknorpels u. A. bei Patienten des Hrn. Dr. Zuelzer erzielte, da dem- selben seitens Freund eine grosse Bedeutung für die Athmung, je nach- dem er kurz oder lang, bezw. normal oder verkalkt ist, beigemessen wird. Die Projeetion gelang wiederholt bei antisagittaler Richtung der Röntgen- strahlen schräg nach unten, namentlich nach kurzem Verlauf von der Röntgenröhre aus, um den Schatten der Wirbel vermittelst starker Ver- grösserung abzuschwächen. Auf den Bildern, wie auch sonst am intacten Thorax, heben sich die Schatten der normalen Knorpel nicht, sondern nur die der verkalkten nebst denen der angrenzenden Knochen und des Sterno- elavieulargelenkes mit wünschenswerther Deutlichkeit ab. Auch die an- nähernde Messung der schräg frontal verlaufenden Knorpel begünstigt die kurze Projeetion insoweit, als die Röntgenstrahlen sich radial senkrecht zur Knorpelcurve stellen. VI. Sitzung am 31. Januar 1902. 1, Hr. P. Mayer (Karlsbad): „Ueber Glucuronsäureausscheidung.“ Nachdem ich in einer Reihe früherer Arbeiten auf die Bedeutung der Glueuronsäure für den normalen und pathologischen Stoffwechsel hingewiesen und eine Anzahl von Fällen mitgetheilt hatte, bei denen man oft eine ver- mehrte Glucuronsäureausscheidung beobachtet, habe ich auf dem letzten Congress für innere Mediein im April vorigen Jahres ausgeführt, dass ich in einer Reihe von Fällen, und zwar besonders bei directer Zufuhr grösserer Zuckermengen, ferner bei Fällen von schweren Respirations- und Circulations- störungen, und endlich beim Diabetes mellitus das Auftreten der Glucuron- säure als Ausdruck einer unvollkommenen Oxydation des Traubenzuckers auffasse. Diese Anschauung ist im vergangenen Sommer an dieser Stelle von Hrn. F. Blumenthal! bekämpft worden. Ich betone zunächst, dass ich niemals für alle Fälle von Glucuronsäure- ausscheidung an eine unvollkommene Oxydation gedacht habe. In meinem erwähnten Vortrage habe ich selbst darauf hingewiesen, dass eine vermehrte 1 Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 275. 342 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Glueuronsäureausscheidung auch durch eine gleichzeitige Steigerung der normalen Glucuronsäurepaarlinge, Phenol und Indol, bewirkt sein kann, und habe die Annahme einer unvollständigen Zuckeroxydation ausdrücklich auf diejenigen Fälle beschränkt, bei denen die aromatischen Substanzen des Harns nicht vermehrt erscheinen, und bei denen keine Substanzen in den Organismus eingeführt werden, die sich direet mit der Glucuronsäure paaren.! Da nun Hr. Blumenthal auf Grund seiner Untersuchungen zu der Ueber- zeugung gekommen ist, dass Phenol und Indol entgegen der bisher herr- schenden Annahme auch ohne bakterielle Einwirkung durch abnormen Ei- weisszerfall in den Geweben selbst entstehen können, ist er der Ansicht, dass auch die von mir beschriebenen Fälle mit einer unvollkommenen Zuckeroxydation nichts zu thun haben und sich einfach durch eine gleich- zeitige Vermehrung von Phenol und Indol erklären lassen. Untersuchungen aber, ob in diesen Fällen wirklich eine gesteigerte Phenol- und Indolaus- scheidung vorhanden ist, hat Hr. Blumenthal nicht ausgeführt, die Ver- suche, welche er gegen meine Anschauung in’s Feld führt, sind vielmehr lediglich Versuche mit Phloridzin, die er gemeinschaftlich mit Hrn. ©. Lewin angestellt hat und die vor Kurzem von Hrn. Lewin? ausführlich veröffent- licht worden sind. Hr. Lewin hat nun bei seinen Phloridzinversuchen an den Phloridzintagen ausnahmslos eine gesteigerte Phenol- und Indoxylausscheidung bei gleichzeitig vermehrter Glucuronsäureausscheidung beobachtet. Was das Auftreten von In- doxyl an den Phloridzintagen betrifft, so braucht dasselbe durchaus nicht auf die Wirkung des Phloridzins zurückgeführt zu werden, da die Thiere des Hrn. Lewin sich sämmtlich in Unterernährung befanden, die er allerdings absicht- lich hervorgerufen hat, um die Bedingungen für einen gesteigerten Eiweiss- zerfall möglichst günstig zu gestalten. Das Auftreten von Indoxyl bei Hunger- kaninchen ist ja schon lange bekannt, aber ich habe mich selbst überzeugt, dass Kaninchen, die bei ausreichender Nahrungszufuhr niemals Indican aus- scheiden, sofort eine Indieanurie bekommen, sobald die Nahrungsaufnahme ungenügend wird, und die Thiere anfangen abzumagern. Dass Hr. Lewin also an den Phloridzintagen positive Indicanreactionen erhalten hat, ist nicht wunderbar, nur bedurfte es, um diese zu erzielen, nicht erst des Phloridzins, da schon die Unterernährung seiner Kaninchen das Auftreten von Indican bedingt. Unerklärlich ist es mir aber, wieso Hr. Lewin an den phloridzin- freien Tagen meistens kein Indican nachweisen konnte, obwohl seine Thiere auch in der Vor- und Nachperiode in derselben unzureichenden Weise er- nährt worden sind. Vielleicht stehen seine auffallenden Resultate in Zusammenhang mit seiner Versuchsanordnung. Hr. Lewin hat nämlich immer zwei oder sogar drei Kaninchen in einem gemeinsamen Käfig gehalten und den Harn in einem Gefäss aufgefangen und so den Mischharn von mehreren Thieren untersucht. Bei einer solchen Versuchsanordung lässt sich natürlich die Nahrungsaufnahme der einzelnen Thiere, die ge- meinsames Futter erhalten haben, gar nicht controliren. Ich habe nun bei meinen eigenen Phloridzinversuchen niemals einen ı Verhandl. des Congresses für innere Medicin. 1901. 8.399 u. 406. ® Beiträge zur chemischen Physiologie u. Pathologie. 1901. Bd.I. 8. 472. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — P. MAYER. 343 Einfluss des Phloridzins auf die Indoxylausscheidung constatiren können. In meinen Versuchen, bei denen ich streng darauf geachtet habe, dass die Thiere ausreichend ernährt wurden (nicht überernährt, das Körpergewicht blieb annähernd constant), um keine Unterernährung und keine etwa durch diese veranlasste Stoffwechselstörung hervorzurufen, trat weder in der Vor- und Nachperiode, noch an den Phloridzintagen Indoxyl auf, so dass ich mit Sicherheit aussagen kann, dass das Phloridzin als solches nicht zu einer Vermehrung der Indolausscheidung führt. Auch bezüglich der Phenolausscheidung, die Hr. Lewin an den Phlorid- zintagen beträchtlich vermehrt fand, bin ich zu gänzlich differirenden Re- sultaten gelangt. Ich habe in einer Reihe von Versuchen, bei denen ich Kaninchen an 2 oder 3 Tagen hinter einander je 1®”% Phloridzin einspritzte, keine Phenolvermehrung auftreten sehen, und auch in Versuchen, wo ich pro Tag 4°" Phloridzin einspritzte, war die Phenolausscheidung an den Phloridzintagen nicht grösser als während der Vor- und Nachperiode. Wo- durch die sehr bedeutende Phenolvermehrung, die Hr. Lewin erhalten hat, zu erklären ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Dass die immerhin nur geringe Unterernährung seiner Thiere dieselbe bewirkt haben soll, ist nicht möglich, da nach den Feststellungen von E. Salkowski hungernde Kaninchen überhaupt kein Phenol ausscheiden. Nun komme ich aber zu dem wichtigsten Punkte, nämlich zur Glucuron- säureausscheidung, die Hr. Lewin jedes Mal an den Phloridzintagen con- statirt zu haben angiebt. Ich habe nach Phloridzin niemals Glucuronsäure auftreten sehen; hier ist allerdings der Grund unserer divergirenden Resul- tate sehr durchsichtig; denn es erscheint mir zweifellos, dass, was Hr. Lewin bei seinen Versuchen als Glucuronsäure anspricht, keine Glucuronsäure ge- wesen ist. Hr. Lewin hat bei seinen Kaninchen auf die Anwesenheit von Glucuronsäure geschlossen, lediglich auf Grund des positiven Ausfalles der Oreinreaetion und einer nach dem Vergähren des zuckerhaltigen Harns auf- tretenden Linksdrehung. Was die Oreinprobe anlangt, so bezogen sich meine Angaben über den Nachweis der Glucuronsäure mittels der Oreinprobe lediglich auf menschlichen Harn. Für den Kaninchenharn hat die Orein- reaction nicht den geringsten Werth, weil jeder Harn von nicht hungernden Kaninchen die Orcinreaction giebt, und dies rührt daher, dass die in dem Futter enthaltenen Pentosane zum Theil in den Harn übergehen. Die An- gaben von Hrn. Lewin, nach denen die ÖOreinprobe immer nur an den Phloridzintagen positiv ausfiel, an den übrigen Tagen meist negativ, oder nur dann positiv, wenn gleichzeitig die Phenol- und Indoxylausscheidung vermehrt war, sind mir völlig unverständlich. Ebenso wenig vermag ich eine Erklärung dafür zu geben, dass Hr. Lewin die Oreinprobe bei hungern- den Kaninchen stets positiv findet, während nach meinen Erfahrungen der Harn hungernder Kaninchen die Orcinreaction nicht giebt. Der zweite Punkt ist die Linksdrehung, die an den Phloridzintagen nach der Vergährung des Harns auftrat, und die Hr. Lewin als beweisend für Glucuronsäure an- sieht. Hier hat Hr. Lewin die Thatsache völlig ausser Acht gelassen, dass das Phloridzin, wie mit Sicherheit nachgewiesen ist und wovon ich mich selbst überzeugt habe, in den Harn übergeht. Da nun das Phloridzin links- drehend ist — seine specifische Drehung ist annähernd dieselbe wie die des Traubenzuckers —, so beweist eine nach Phloridzin auftretende Linksdrehung 344 VERHANDLUNGEN DER BERLINER im vergohrenen Harn gar nichts für das Vorhandensein von Glucuronsäure. In der That habe ich bei meinen Phloridzinversuchen niemals Glueuronsäure nachweisen können. Durch diese kritische Beleuchtung der Lewin’schen Arbeit erscheinen mir diejenigen Einwände, welche Hr. Blumenthal auf Grund der Lewin’schen Versuche gegen meine Anschauungen erhoben hat, völlig widerlegt zu sein. Ebenfalls auf Grund von Phloridzinversuchen hat Hr. Loewi! in Mar- burg sich gegen meine Ansichten ausgesprochen, da er nach seinen Unter- suchungen zu der Schlussfolgerung kommt, dass die Glucuronsäure im Organismus überhaupt nicht aus dem Zucker stammt. Da man bei Hunden durch Phloridzin eine gleichmässig hohe Zuckerausscheidung bewirken kann, die durch kein anderes Mittel noch gesteigert wird, so dedueirt Loewi folgendermaassen: Wenn die Glucuronsäure aus dem Zucker stammt, dann muss bei einem unter der Wirkung des Phloridzinzuckers ausscheidenden Hund nach Zufuhr eines Glucuronsäurepaarlings um so viel weniger Zucker ausgeschieden werden, als zur Bildung der Glucuronsäure nothwendig ist. Loewi fügt allerdings selber hinzu, dass dieser Ideengang nur dann Gültig- keit hat, wenn bei der maximalen Phloridzinvergiftung kein Zucker selbst im Körper verbraucht wird. Seine Schlussfolgerungen haben also, wie er selbst zugiebt, nur dann eine Berechtigung, wenn diese Voraussetzung zu- trifft, für deren Richtigkeit er allerdings nicht einen Beweis beibringt. Loewi macht aber noch eine andere stillschweigende Voraussetzung, die nämlich, dass seine Thiere glykogenfrei sind; denn dies muss doch der Fall sein, wenn für die Bildung der Glucuronsäure nur der ausgeschiedene Zucker in Betracht kommen soll. Nach den Erfahrungen von Külz und Praussnitz, die bei Hunden, welche 12 Tage gehungert und dann Tage lang Phloridzin erhalten hatten, noch 5 bis 10 bis 25 8" Glykogen fanden, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Loewi’schen Hunde, die überdies während der Versuche dauernd Nahrung erhalten haben, trotz der relativ hohen Zuckerausscheidung noch einen gewissen Kohlenhydratvorrath be- sassen, der für die Entstehung der Glucuronsäue ausreichend war. Ich will an dieser Stelle nicht näher auf die Versuche Loewi’s ein- gehen; schon das eben Auseinandergesetzte zeigt, dass die Schlussfolgerung des Autors, es könne die Glucuronsäure nicht aus dem Zucker stammen, keineswegs berechtigt ist, um so weniger, als die Thatsache, dass die Glu- curonsäure auch im Organismus aus dem Zucker entstehen kann, schon vor Loewi’s Publication von mir experimentell festgestellt worden ist. Ich ver- weise in dieser Hinsicht auf meine Ausführungen auf dem letzten Congress für innere Medicin. Nach diesen vorwiegend kritischen Ausführungen sei es mir gestattet, diejenigen Thatsachen kurz zu besprechen, welche für die Anschauung sprechen, dass das Auftreten der Glucuronsäure in gewissen Fällen als Aus- druck einer unvollkommenen Oxydation des Traubenzuckers betrachtet werden kann. Zunächst erscheint es bemerkenswerth, dass eigentlich in allen den Fällen, bei. denen ich die vermehrte Glucuronsäureausscheidung in dem er- wähnten Sinne gedeutet habe, die Zuckeroxydation gestört ist. Bei den Ver- I Archiv für exper. Pathologie. 1901e Bd. XLVII. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — P. MAYER. 345 suchen von alimentärer Glykosurie, beim Diabetes mellitus ist dies ohne Weiteres ersichtlich. Aber auch bei schweren Respirations- und Circulations- störungen lässt sich durch das Thierexperiment eine verminderte Verbren- nung des Zuckers leicht nachweisen. Es ist ja bekannt, dass beim Thier hochgradige Dyspnoe meist eine Zuckerausscheidung zur Folge hat, die be- sonders von Hoppe-Seyler und seinen Schülern studirt und als Ausdruck einer mangelhaften Oxydation in den Geweben aufgefasst worden ist. Es liegt also in solchen Fällen sehr nahe, an einen Zusammenhang zwischen Zucker- und Glueuronsäureausscheidung zu denken und die Glucuronsäure als un- vollkommenes Oxydationsproduct des Zuckers anzusprechen, zumal es ja durchaus einleuchtend erscheint, dass bei der Verbrennung des Zuckers eine Reihe von intermediären Producten entstehen, und dass der Traubenzucker nicht immer bis zu seinen Oxydationsendprodueten abgebaut zu werden braucht. Eine wesentliche Stütze erhielten diese Vorstellungen dadurch, dass ich eine unvollkommene Oxydation im Bereiche der Kohlenhydrate experi- mentell feststellen konnte. Ich habe nachgewiesen, dass die Gluconsäure, die chemisch dem Traubenzucker sehr nahe steht, im Thierkörper nicht immer verbrannt wird. Es wird aber dann nicht die Gluconsäure selbst ausgeschieden, sondern es tritt im Harn die nächst höhere Oxydationsstufe auf, nämlich die Zucker- säure. Ich möchte darauf hinweisen, dass gerade diese Verwandlung der Glueonsäure in Zuckersäure im Organismus auch rein formal dem Ueber- gang des Traubenzuckers in die Glueuronsäure gleicht. Denn in beiden Fällen greift die Oxdation, im Gegensatz zur rein chemischen Erfahrung, nicht an der für die chemischen Begriffe aufgelockerten Stelle — also nicht an der Aldehyd bezw. Carboxylgruppe an, sondern an der endständigen primären Alkohol- gruppe. Des Weiteren hatte ich in den von mir beschriebenen Fällen gar keine Veranlassung, die Glucuronsäureausscheidung auf eine Vermehrung der normalen Glucuronsäurepaarlinge, Phenol und Indoxyl, zurückzuführen, da ja damals noch die Anschauung die herrschende war, dass Phenol und Indol nur durch bakterielle Einwirkung entstehen können. Da nun Hr. Blumenthal annimmt, dass diese Substanzen auch ohne bakterielle Processe durch abnormen Eiweisszerfall in den Geweben ent- stehen können, habe ich einige Versuche darüber angestellt, ob in den von mir beschriebenen Fällen eine Vermehrung von Phenol und Indol vorhanden ist. Ich habe zunächst bei künstlich an Kaninchen hervorgerufener Dyspnoe, die nach meinen früheren Untersuchungen sehr häufig mit einer gesteigerten Glucuronsäureausscheidung einhergeht, die Phenol- und Indoxylausscheidung studirt, und habe festgestellt, dass ein Einfluss selbst hochgradigster Dyspnoe auf die Phenolausscheidung nicht besteht. Indican schieden die Thiere aller- dings regelmässig an den Dyspnoetagen aus; diese Indoxylurie dürfte wahr- scheinlich auf die Nahrungsabstinenz der Thiere zurückzuführen sein, jeden- falls war sie niemals genügend, um die häufig recht beträchtliche Glueuron- säureausscheidung zu erklären. Ueberdies trat sie auch immer in solchen Versuchen auf, in denen gar keine Glucuronsäure ausgeschieden wurde. Irgend ein Zusammenhang zwischen Indoxyl- und Glucuronsäureausscheidung lässt sich also nicht nachweisen. Ich möchte diesen Satz ganz besonders scharf betonen im Hinblick auf die gegentheilige Annahme der Hrrn. Blumenthal und Lewin, da ich mich auch aus anderen Untersuchungen über- 346 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zeugt habe, dass ein Parallelismus zwischen Phenol- und Indoxylausscheidung einerseits und Glucuronsäureausscheidung andererseits keineswegs besteht. Ich habe dann noch den Einfluss grösserer, auf einmal eingeführter Zuckermengen auf die Phenol- und Indolausscheidung untersucht, und diese Versuche haben ergeben, dass die Zuckerzufuhr in keiner Weise zu einer Vermehrung von Phenol oder Indol führt; die hier auftretende Gluceuronsäure kann also nicht durch eine Vermehrung der Glucuronsäurepaarlinge erklärt werden. Bei diesen Zuckerversuchen zeigte es sich des Weiteren, dass an den Zuckertagen, entsprechend dem Auftreten der Glucuronsäure, die Ansicht schwefelsäureausscheidung geringer wurde. Diese Thatsache scheint mir eine wesentliche Stütze zu sein für die von mir ausgesprochene Ansicht, dass das Auftreten der Glucuronsäure in diesen Fällen seinen Grund hat in einer unvollkommenen Oxydation des Zuckers. Denn wenn bei einer unvoll- kommenen Zuckeroxydation mehr Glucuronsäure als unter normalen Ver- hältnissen dem Organismus zur Verfügung steht, und im Harn nun mehr Phenol- und Indoxylglucuronsäure erscheinen, ohne dass Phenol und Indol selbst vermehrt sind, dann müssen diese Paarlinge, die sich sonst zum über- wiegenden Theil mit der Schwefelsäure paaren, sich nun in grösserer Menge mit der Glucuronsäure verbinden; und da dies nur auf Kosten der Schwefel- säure geschehen kann, so müsste ein relatives Absinken der Aetherschwefel- säureausscheidung constatirt werden können. Dies ist, wie aus meinen Zuckerversuchen hervorgeht, in der That der Fall. Hr. Blumenthal hat in seinem Vortrage auch die Verhältnisse beim Diabetes mellitus gestreift und die Meinung ausgesprochen, dass auch beim Diabetes die von mir häufig beobachtete und auch von ihm bestätigte Glucuronsäurevermehrung sich durch eine gleichzeitige Steigerung der In- doxylausscheidung erklären lasse. Indicanurie ist bei Diabetikern allerdings recht häufig, aber ich habe zahlreiche Fälle gesehen, bei denen keine Spur von Indican und trotzdem vermehrte Glucuronsäureausscheidung vorhanden war, ebenso wie man umgekehrt Fälle mit reichlicher Indoxylurie sieht ohne Glucuronsäureausscheidung. Bei den geschilderten Wechselbeziehungen zwischen Zucker- und Glucuronsäureausscheidung erscheint mir daher die Annahme, dass auch hier das Auftreten der Glucuronsäure im Sinne einer unvollkommenen Zuckeroxydation aufzufassen ist, viel wahrscheinlicher zu sein. Ein paar Worte noch über diejenigen Fälle, bei denen man ohne nachweisbaren Grund eine vermehrte Glucuronsäureausscheidung findet; es handelt sich hier um Leute, die einen Harn entleeren von starkem Reductionsvermögen, Linksdrehung und meist auch hohem speeifischen Ge- wicht, Harnbefunde, die zuerst von mir durch den Nachweis der Glucuron- säure richtig gedeutet worden sind. Ich hatte nun für einzelne solcher Fälle den Gedanken ausgesprochen, dass dieselben als Vorstufen des Diabetes melitus aufgefasst werden können. Ich hatte diesen Gedanken mit aller Reserve zum Ausdruck gebracht und bin natürlich weit entfernt, etwa in jedem Menschen, der einmal eine gesteigerte Glucuronsäureausscheidung zeigt, einen Zukunftsdiabetiker zu sehen. In vielen solcher Fälle mag ein- fach eine Vermehrung von Phenol oder Indol die Ursache der Glucuron- säureausscheidung sein. In denjenigen Fällen aber, wo die aromatischen Substanzen nicht vermehrt sind und wo man trotzdem die Glucuronsäure bei wiederholter Untersuchung während einer längeren Periode nachweisen PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — P. Mayer. — F. BLUMENTHAL. 347 kann, erscheint mir die Annahme doch nicht so ungerechtfertigt, dass hier vielleicht eine Disposition zum Diabetes mellitus vorliegt. Wenn ich zum Schluss meinen Standpunkt noch kurz präeisiren darf, dann möchte ich Folgendes sagen: Zweifellos kann eine gesteigerte Glucuronsäureausscheidung durch eine gleichzeitige Vermehrung von Phenol und Indoxyl hervorgerufen werden. Das Auftreten der Glucuronsäure hat hier dieselbe Bedeutung wie bei den- jenigen Fällen, wo Substanzen, die sich mit der Glucuronsäure direct paaren, in den Organismus eingeführt werden. Es giebt aber ebenso zweifellos Fälle, wo eine vermehrte Glucuronsäureausscheidung vorhanden ist, ohne dass irgend welche Substanzen, die sich mit der Glucuronsäure verbinden, dem Körper zugeführt wurden oder in vermehrter Menge im Organismus ent- stehen, und in diesen lässt sich das Auftreten der Glucuronsäure am zwang- losesten durch die Annahme einer unvollkommenen Zuckeroxydation erklären. 2. Hr. Dr. F. BrumentHAu: „Ueber Indoxylurie.“ (Aus dem Labo- ratorium der I. medieinischen Klinik zu Berlin.) Mit Sicherheit sind uns zwei Stätten für die Bildung des Indoxyls im Organismus bekannt; erstens die Darmfäulniss, zweitens bakterielle Prozesse ausserhalb des Darmes, bei denen Indol entsteht. Wohl haben früher ver- schiedene Autoren, unter denen in erster Linie Senator zu nennen ist, eine Bildung von Indoxyl durch Zellzerfall ohne Bakterien angenommen, jedoch ist diese Vermuthung erst neuerdings durch Versuche von Harnack und Fräulein von der Leyen experimentell gestützt worden. Diese Forscher fanden, dass Hunde nach Oxalsäureinjection und Schwefelsäuregaben und Injectionen z. B. verstärkte, zum Theil vorher nicht bestandene Indoxylurie zeigten. Ich habe dann neuerdings im Hinblick auf meine früheren Untersuchungen! diese Frage wieder aufgenommen, weil mir die Annahme, dass Indoxyl auch ohne Bakterienthätigkeit entstehen könne, an und für sich interessant und auch noch weiterer experimenteller Stützen bedürftig erschien. Es ist ja bei den Versuchen von Harnack und von der Leyen immerhin der Einwand möglich, dass bei Vergiftung mit Oxalsäure geringe Blutungen im Darm ent- stehen, die eine Quelle für die vermehrte Indoxylbildung abgeben können, eine Erscheinung, die wir ja bei sehr vielen auch subcutan angewandten Giften sehen. Während es allgemein anerkannt ist, dass beim Hunger die Phenol- ausscheidung häufig enorm steigt, wie das Friedr. Müller besonders bei dem Hungerkünstler Cetti nachgewiesen hat, ist im Gegentheil die Aus- scheidung von Indican bei Hungernden meist vermisst worden, sovon Tuczeck bei abstinenten Geisteskranken und von Friedr. Müller bei dem Hunger- künstler Cetti. Aehnlich verhält sich der hungernde Hund (E. Sal- kowski). Während sich nun Carl Lewin auf meine Veranlassung mit der Frage der Phenolbildung unter Ausschluss bakterieller Einflüsse be- schäftigte, machten wir bei den beobachteten Kaninchen wiederholt die Erfahrung, dass dieselben im Hungerzustande wiederholt Indoxyl ausschieden. Es war dies um so auffallender, als gesunde Kaninchen bei gewöhnlicher Ernährung, wie dies inbesondere von Rosin und von Harnack und von der Leyen nachwiesen wurde, keine Indigo gebende Substanz in ihrem Harn aus- ! Berl. Klin. Woch. 1899 u. Charite- Annalen 1901. 348 VERHANDLUNGEN DER BERLINER seheiden. Es schien deshalb interessant, zu untersuchen, ob sich das Kanin- chen im Hunger so ganz anders verhielte als der Mensch, und ob es auf diesem Wege möglich sei, weitere Stützen zu finden für die Annahme, dass Indoxyl ohne bakterielle Thätigkeit im Organismus gebildet werden könne, In der That stellte sich heraus, dass verschiedene Kaninchen nach dem Hungern eine sehr reichliche Indicanausscheidung zeigten, und zwar trat die Indoxylurie auf bei den verschiedenen Kaninchen, welche, ohne dass anf ihre Ernährung vorher geachtet war, plötzlich aus dem Stall in den Käfig gesetzt wurden, zwischen 6-bis 24stündigem Hungern. Es wurde nun auf den Ernährungszustand der Kaninchen geachtet, als sie in dem Käfig zum Zweck des Hungerns isolirt wurden, und es zeigte sich da, dass beidenüberernährten Kaninchen die Indoxylurie erst verhältnissmässig spät beim Hungern auftrat — zwischen 20 und 40 Stunden, bei einigen auch noch später, dass dagegen bei solchen Thieren, welche sich im Stickstoff- gleichgewicht befanden, einmal bereits die nach 6 spätestens 22 Stunden entleerten Harnportionen deutliche bis starke In- doxylurie zeigten. Dabei ist zu bemerken, dass häufig zuerst bei der Anstellung der Jaffe’schen Indicanprobe Urorosein und erst in einer späteren Portion Indigoblau auftrat. Das Urorosein erscheint in ähnlicher Weise hierbei wie das Indigo gebildet zu werden. Hat man nun durch weiteres Hungern die Indoxylurie so gesteigert, dass der Harn höchst intensiv tiefblaue Reactionen giebt, was gewöhnlich 12 Stunden nach dem ersten Auftreten der Indoxyl- reaction der Fall ist, und sich in dieser Stärke bis zum Tode des Thieres erhält, so genügt es, dem Thiere wieder reichlich Nahrung zuzuführen, um schon, je nach der vorhanden gewesenen Stärke und Dauer der Indoxylurie, nach wenigen Stunden bis etwa 24 Stunden dieselbe zum völligen Ver- schwinden zu bringen. In ähnlicher, wenn auch nicht so intensiver Weise, wirkt Unterernährung. In einem Falle z. B. wurde ein Kaninchen benutzt, das bei Beginn des Versuches 2560 8" wog und täglich 500 2” Kohl bekam, niemals Indieanurie zeigte, und dabei nach 8 Tagen an Gewicht zugenommen hatte, so dass es nunmehr 2760 ®”% wog. Bei diesem trat beim Hungern erst nach 72 Stunden eine allerdings sehr starke Indicanreaction auf. In einem zweiten Versuch wurde ein Kaninchen benutzt, das 21808” wog, 6 Tage lang je 600 8” Kohl bekam, nunmehr ein Gewicht von 2395 8% hatte und niemals Indoxyl ausschied; dieses Kaninchen wird nun auf 200®’% Kohl gesetzt und zeigt schon nach 24 Stunden starke Indoxylurie. Ein drittes Kaninchen von 2850 8% bekommt 3 Tage lang 500 8°" Kohl, ohne Indoxyl auszuscheiden, am 4. Tage 400 2%, ebenfalls keine Indoxylausscheidung, am 5. Tage 300 ©”, worauf Indoxyl am nächsten Tage deutlich vorhanden ist. Am 6. Tage 2008" Kohl, darauf äusserst starke Indoxylprobe, die Indoxylurie dauert nun unter der Gabe von je 200®"% Kohl 10 Tage lang, dann ist sie am 11. Tage verschwunden und bleibt es. Das Kaninchen hat bis auf 2160 8% abgenommen. Aus diesen beiden Versuchen geht hervor, dass auch Unterernährung, wenn auch nicht so schnell wie Hungern, zur Indoxylurie führen kann, und ferner, dass, sobald der Organismus so weit abgenommen hat, dass die Nahrung genügt, um ihn einigermaassen auf dem Be- stand zu halten, die Indoxylurie aufhört. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — F. BLUMENTHAL. 349 Noch deutlicher wird der Einfluss der Unterernährung, wenn man nicht mit überernährten Thieren arbeitet, sondern mit solchen, welche sieh annähernd im Stiekstoffgleichgewicht befinden. So hatte ich ein Kaninchen, das bei einem Gewicht von 1502 ®%, bei einer Nahrung von 250 bis 400 8% Kohl pro Tag an Gewicht zugenommen hatte, d.h. nach 6 Tagen 1700 3" wog. Nunmehr ging ich herunter auf 150°”. Die Stickstoffausscheidung war 0.649 2%; am 1. Tage keine Indicanausscheidung, am 2. Tage wurden 0.60% Stickstoff ausgeschieden und war eine Spur von Indican vorhanden. Am 3. Tage war die Stickstoffausscheidung 0-75, die Indicanurie war stark. Am 4. Tage Indicanurie schwächer, Stickstoffausscheidung 0-67; am 7. Tage Indican verschwunden, Stickstoffausscheidung 0°508, Gewicht 1390 #”, Am 8. Tage Indican 0, Stiekstoffausscheidung 0-48. Am 9. Tage Indican 0, Stickstoffausscheidung 0-446. Das Kaninchen hatte also auf die Unter- ernährung mit Indicanurie reagirt; als dann sein Körpergewicht so herunter- gegangen war, dass die aufgenommene Nahrung genügte, um es annähernd im Stickstoffgleiehgewicht zu erhalten, verschwand die Indicanurie. Darauf wurde dieses Kaninchen auf 100®"” Kohl pro Tag gesetzt, und nunmehr trat am nächsten Tage deutliche Indicanurie auf, Stickstoffausscheidung 0458. Nicht so genau durchgeführt, aber mit demselben Ergebniss, verliefen noch drei andere Versuche. Daraus geht hervor, dass ein annähernd im Stickstoffgleichgewicht oder besser in geringer Unterernährung befindliches Kaninchen nur einer verhältnissmässig geringen Nahrungsentziehung bedarf, um Indoxyl auszuscheiden. Wenn es auch scheint, dass in diesem Versuche das Indoxyl aus Zerfall von Körpereiweiss stammt, so kann doch der Einwand nicht ganz ausge- schlossen werden, dass bei einer verminderten Nahrungsaufnahme eine ver- mehrte Resorption von Indol aus dem Darm statt hat. Es mussten deshalb die Versuche wiederholt werden mit einem chemischen Körper, welcher einen Eiweisszerfall herbeiführt, ohne dass die Nahrung verringert zu werden braucht. Hierzu schien uns das Phloridzin geeignet. Es zeigte sich dabei, dass bei überernährten Thieren, z. B. solchen, welche bei einem Körper- gewicht von 1750 bis 20008” 600®”% Kohl bekommen hatten, sich nach den verschiedensten Phloridzininjeetionen im Ganzen sieben Versuche, nur in einem Versuch und an einem Tage ein Mal eine allerdings nicht ganz unbeträchtliche Indoxylurie zeigte. Sonst waren sämmtliche Harnportionen, die mehrmals am Tage gesondert untersucht wurden, negativ. Dabei war auch die Einwirkung des Phloridzins auf den Eiweisszerfall gar nicht zu beobachten; es wurde dies allerdings nur in zwei Versuchen geprüft. Ich ging also, um die Einwirkung des Phloridzins auf die Entstehung. von Indoxyl durch Gewebszerfall zu prüfen, zu mässig ernährten Thieren über, d. h. zu solchen, bei denen ich wusste, bei wieviel Gramm Nahrung ihre Indoxylurie einsetzte. Ich gab ihnen etwas mehr, als diese Nahrung betrug, beobachtete sie einige Tage auf ihre Indoxylausscheidung, die stets negativ war, und spritzte ihnen dann das Phloridzin ein. Zwei Versuche sind genauer durch- geführt worden. Im ersten Versuche benutzte ich das oben erwähnte Kaninchen, dessen Gewicht bei Beginn des Versuches 1300 2”” betrug und 1502”% Kohl bekam. Die Stickstoffausscheidung betrug in den 3 Tagen der Vorperiode 0.426, 0.489 und 0°453®"%, Indoxyl war nie nachweisbar. 4. Tag. Es hat gestern 0-5 2” Phloridzin in alkoholischer Lösung 350 VERHANDLUNGEN DER BERLINER erhalten, Urinmenge 100. Trommer’sche Probe positiv. Polarisation 0-75 Procent Rechtsdrehung. Stickstoffgehalt 0-788. Indican stark. 5. Tag. Urinmenge 80. Polarisation 0-4 Procentrechts. Indican stark. Stickstoff 0-787. 6. Tag. Urinmenge 140. Polarisation 0-25 rechts. Indican Spur. Stickstoff 0.748. 7. Tag. Urinmenge 115. Indican Spur. Stickstoff 0-647. Polarisation Spur Rechtsdrehung. 8. Tag. Urinmenge 100. Indican stark. Stickstoff 0.607. IE tAs, Urinmenge 80. Indican stark. Stickstoff 0-619. Polarisation 0. Wir sehen also, dass mit der Phloridzineinspritzung ein erhöhter Eiweisszerfall und eine starke Indicanurie aufgetreten ist. Nun erhält das Kaninchen pro Tag 230®’% Kohl. Darauf beträgt am nächsten Tage die Urinmenge 210. Die Stickstoffausscheidung 0.89 &7, Indican 0. Das Gewicht des Kaninchens war heruntergegangen auf 1120 &". 11. Tag. Urinmenge 200. Stickstoff 1-122”®. Indican 0. 12% 5 5 200. 5 1-08”, Indiecan deutlich. In h 154. A 0.819. Indican 0. Ass: 2 185. % 0-906. Indican 0. 15. „ 205. Indican 0. Das Kaninchen hat am Tage vorher 0- 5 Phloridzin bekommen. Zuckerausscheidung 0 - 6 Proc. Rechtsdrehung. 16. Tag. Urinmenge 180. Rechtsdrehung 0-4. Indican 0. Stick- stoff 0.922. 17. Tag. Das Gewicht des Thieres ist 1410®”". Urinmenge 200. Stickstoff 0.614. Indican 0. 18. Tag. Urinmenge 200. Stickstoff 0-840. Indican angedeutet. ES 3 190. % 0.675. s Spur. 2005 5 215. 3 0.735. n 0. 215-1, Mi 195. ni 0.818. > 0. An diesem Tage bekommt das Kaninchen eine Einspritzung von 0.52% Phloridzin. Körpergewicht 1425 8’%, Man sieht also, das Kaninchen hatte auf die zweite Phloridzineinspritzung, als es sich im Stadium einer leichten Ueberernährung befand, nicht reagirt mit Indoxylurie. Der Stoffwechsel war aber immerhin so durch die Phloridzineinspritzung alterirt, dass vorübergehend Spuren von Indican auftraten. 22. Tag. Urinmenge 210. Indican stark. Zucker 0-5 Procent. N..0.923:52 23. Tag. Urinmenge 230. Indican 0. N 0.871. Zucker 0-3 Proc. 24 sn, I; 200. „. 0. Stickstoff: 0-67 Sun. 25. " 205. > 0. N 0:76®%. Das Gewicht des Thieres betrug bei Beendigung des Versuches 1400 2”, II. Versuch. Kaninchen 1850 2%. Nahrung 200®”% Kohl. Urinmenge 220. Kein Indoxyl. N = 1-560 8". 2. Tag. Nahrung 1002" Kohl. N = 0'9388". Menge 170. Kein Indoxyl. 3. Tag. Nahrung 150°” Kohl. N = 0-871°””. Menge 150. IndoxylSpur. 4. Tag. Nahrung 150 S® N=1-1018”. Menge 175. Indoxyl 0. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — F. BLUMENTHAL. — JOACHIMSTHAL. 351 5. Tag. Nahrung 1508 N = 0.73 Sm. Indoxyl 0. Menge 138. 6. ” „ 150 „ N=1: 554 ” „ 0. ” 210. U, N OL 8. ION 2.018, 0. 145, „ ” ” Gewicht 18 202%, Das Thier erhält 0-5 °”% Phloridzin in alkoholischer Lösung. 9. Tag. Nahrung 1508% N = 1-149. Indoxyl ziemlich stark. Zueker 1 Procent Rechtsdrehung. Menge 180. 10. Tag. Nahrung 1508®. N=1.1751. Indoxyl stark. Zucker 0-6 Procent Rechtsdrehung. Menge 160. 11. Tag. Nahrung 150°". N= 1.190. Indoxyl schwach. Zucker 0.2 Procent Rechtsdrehung. Menge 170. 12. Tag. Nahrung 150 sm N—= 11-209. Indoxyldeutlich. Zucker 0. Menge 135. Gewicht 1540 sm, 13. Tag. Nahrung 1508". N=1-386. Indoxyldeutlich. Zucker 0. Menge 100. 14. Tag. Nahrung 150°% N= 1.232. Indoxyl 0. Zucker 0. Menge 125. 15. Tag. Thier todt. Harnmenge 105. Indoxyl deutlich. Alles auf- gefressen. Section ohne Befund. In dem zweiten Versuch trat ebenfalls auf Phloridzineinspritzung Indo- xylurie auf. Dieselbe war sehr heftig. Der Eiweisszerfall war ebenfalls gesteigert. Die Gewichtsabnahme war stark. Auch in den Phloridzin- versuchen wurde reichliche Bildung von Urorosein beobachtet. Das Auftreten von Indoxylurie bei annähernd im N-Gleichgewicht be- findlichen Thieren kann kaum anders als durch Entstehung einer Indoxyl liefernden Substanz aus Gewebseiweiss erklärt werden. Der Einwand, dass das Phloridzin auf die Darmfäulniss oder auf die Resorption von Indol aus dem Darm einwirkt, wird dadurch entkräftet, dass bei überernährten Thieren keine oder sehr selten Indoxylurie nach Phloridzininjection eintritt. Diese Versuche zeigen ferner, dass nicht bloss bei hungernden und bei unterernährten Kaninchen, sondern auch bei solchen, bei denen ein starker toxischer Eiweisszerfall erfolgt, Indoxyl gebildet wird und es dürfte gewiss bei dem leichten Nachweis dieses Körpers dies auch von nicht geringem klinischen Interesse sein. Allerdings dürfen wir hierbei nicht ausser Acht lassen, dass die Verhältnisse beim Menschen, wie die Hungerversuche Tuezeck’s und Fr. Müller’s zeigen, anders liegen, als beim Kaninchen. Trotzdem scheint es mir nach den Erfahrungen Senator’s und meinen eigenen verlohnend, diese Frage beim Menschen weiter zu verfolgen. VII. Sitzung am 14. Februar 1902. Hr. JoACHIMSTHAL: „Ueber Structur, Lage und Anomalien der menschlichen Kniescheibe.* (Mit Demonstrat. am Projectionsapparate.) Wenngleich man der Kniescheibe wegen ihrer Grösse, ihrer exponirten Lage und ihrer namentlich in Gestalt von Brüchen und Verrenkungen uns beschäftigenden Verletzungen von jeher unter den Sesambeinen eine ganz besondere Rolle zugeschrieben hat, sind doch unsere Kenntnisse über diesen Knochen noch recht mangelhafter Natur. Die zur Erklärung seiner functio- 352 VERHANDLUNGEN DER BERLINER nellen Bedeutung aufgestellten Theorien, die von einer Erleichterung des Gleitens der Quadricepssehne über das untere Femurende, von einer besseren Uebertragung der Action der Streckmuseulatur auf den Unterschenkel sprechen, fallen zusammen, wenn man sieht, dass ein Thier, wie das Känguruh, das sich ausschliesslich springend fortbewegt, und dazu einer überaus schnellen und kräftigen Streckbewegung des Kniegelenkes bedarf, keine Kniescheibe hat, ja dass es Menschen mit nicht nur operativ entstandenen, sondern auch angeborenen Patellardefecten giebt, die trotz dieser Anomalie keinerlei Functionsstörungen erkennen lassen. Erst vor Kurzem ist wieder von Wuth in der Münchener chirurgischen Klinik ein derartiger Mangel an einem sonst völlig gesunden, kräftigen Manne von 35 Jahren beobachtet worden. In der Familie des Patienten war das Fehlen der Patella bei sämmtlichen männlichen Mitgliedern erblich. Bei keinem war der Defect mit irgend einer functionellen Störung verbunden. Wuth’s Kranker selbst, dessen Kniegelenke ich Ihnen Dank der Liebenswürdigkeit des Hrn. Collegen hier im Bilde und am Skiagramm vor Augen führen kann, vermochte die grössten Strapazen auszuhalten, war passionirter Reiter und Tourist und hat es namentlich bei Derbyreiten und Hochgebirgstouren zu nennenswerthen sport- lichen Leistungen gebracht. Die Configuration der Kniegelenksgegend er- scheint auf den ersten Blick auffallend. Sie ist vor Allem vollständig ab- geflacht, was namentlich bei seitlicher Ansicht bemerkbar wird. Die normale Wölbung des Kniegelenkes ist wie in einer senkrechten Ebene abgeschnitten. Sehr stark springt dagegen die Tuberositas tibiae vor. Von einer Patella ist nients zu bemerken, auch war sie durch Abtasten nicht aufzufinden. Dabei war die Lage der Quadricepssehne normal, und ihr Gleiten in der Fossa intercondyloidea bei Bewegungen des Kniegelenkes leicht zu fühlen. Die Femurcondylen waren ungewöhnlich stark entwickelt und sprangen wegen des Mangels der Kniescheibe, namentlich bei rechtwinkliger Beuge- stellung des Gelenkes, stark vor. Ueber das absolute Fehlen der Kniescheibe giebt das in Seitenlage aufgenommene Röntgenbild Gewissheit. Es zeigt, dass in der That keine Spur der Patelia vorhanden ist. Das Skiagramm lässt im Uebrigen neben dem lateralen Condylus femoris einen etwa bohnen- grossen Schatten erkennen, der dem bei den meisten Säugethieren constanten, beim Menschen in etwa !/, aller Fälle vorkommenden Sesambein in der lateralen Ursprungssehne des Musc. gastrocnemius entspricht und auf Röntgenbildern leicht zu der irrthümlichen Annahme einer Gelenkmaus Ver- anlassung geben kann. | M.H.! Wenn ich, trotzdem wir nach dem Gesagten bisher so wenig Anhalts- punkte über die eigentliche Bedeutung der Kniescheibe besitzen, dennoch Ihre Aufmerksamkeit heute auf dieselbe hinlenke, so geschieht es, um einige bisher weniger beachtete Bau und Lage der Patella unter normalen und pathologischen Bedingungen betreffende Verhältnisse zu erörtern, Dinge, die für uns dadurch an Interesse gewinnen, dass sich aus den Fest- stellungen an einem so einfach gebauten und beanspruchten Knochen all- gemeine Gesichtspunkte für die Gestaltungsverhältnisse der übrigen Skelet- knochen ergeben. Bekanntlich besitzt die in die Sehne des Quadriceps eingeschlossene von vorn nach hinten abgeplattete menschliche Patella im Grossen und Ganzen die Gestalt eines Dreiecks mit nach unten und ein wenig nach PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — JOACHIMSTHAL. 353 innen gerichteter Spitze. Sie hat eine rauhe convexe Vorderfläche. Ihre hintere Fläche ist nur in den oberen drei Vierteln überknorpelt und zeigt hier die von H. v. Meyer zuerst genauer studirten durch die Artieulation mit der Trochlea des Femur bedingten Gestaltungsverhältnisse. Ein senk- recht herablaufender, in die Rinne der Trochlea passender Wulst theilt sie in zwei Abschnitte. Der so entstehende äussere Theil der Patella ist dünner und breiter, der innere schmäler aber dafür dieker. Der Winkel, unter dem beide Abschnitte der Gelenkfläche zusammenstossen, ist im unteren Theil ein ungleich grösserer als in dem oberen. Durch einen weiteren in querer Richtung verlaufenden Wulst wird die Patellagelenkfläche in ein oberes und ein unteres Doppelfeld zerlegt, deren unteres, wie wir sehen werden, in der Streckstellung auf den oberen Theil der Trochlea, deren oberes in der Beugung auf den unteren Theil derselben zu liegen kommen, und deren Gestaltung im Allgemeinen den entsprechenden Theilen der Rolle des Femur angepasst erscheinen. Der unterhalb der überknorpelten Zone übrig bleibende etwa fingerbreite Theil der Hinterfläche der Knie- scheibe bildet mit der Gelenkfläche etwa einen Winkel von 135° und trifft an dem Apex patellae unter mehr oder weniger spitzem Winkel mit der Vorderfläche zusammen. Diese Gliederung der Hinterfläche der Patella in eine obere überknorpelte Fläche und einen winkelförmig von dieser ab- gehenden unteren, nicht überknorpelten Theil ist, wie wir sehen werden, im Wesentlichen der normal gelagerten menschlichen Kniescheibe eigenthümlich. An dem Uebergange der der Öberschenkelrolle fest aufliegenden und dadurch unterstützten Fläche in den hohl liegenden Theil der Knie- scheibe ereignen sich die weitaus häufigsten Brüche. Sie entstehen hier, indem das Lig. patellae in der gebeugten Stellung des Gliedes den unteren Rand der Patella nach vorn und hinten, die Quadricepssehne jedoch den oberen Theil nach hinten und oben, also in einem Winkel mit der Zug- richtung des Lig. patellae, zieht, in ähnlicher Weise wie ein Stab bricht, den man quer über dem Knie zu biegen sucht. Die Kniescheibe ist bekanntlich in den ersten Lebensjahren noch knorpelig. Ueber die Zeit des Beginnes der Össification existiren bei den Anatomen wider- sprechende Angaben. Um nur einzelne hervorzuheben, verlegen sie Kölliker in das 1. bis 3. Jahr, Henle in das 4. bis 6., Sömmering in das 6. bis 10., M. Munz sogar an das Ende des 15. Lebensjahres. Portal, M.J. Weber u.A. sahen die knorpelige Patella von zwei Kernen aus ossificiren. Nach meinen Erfahrungen erkennen wir noch im 4. bis 5. Jahre auf den Skiagrammen keinen Knochenkern. Sie sehen hier das Bild eines 4 jährigen Mädchens und sehen an demselben keinerlei Andeutung einer knöchernen Kniescheibe. In der Regel im 6. Lebensjahre — wie in dem hier vorliegenden Falle — erscheint dann ein länglicher Össificationsbezirk, der nun bald die spätere charakteristische Gestaltung der Kniescheibe annimmt, die vordere Convexität zeigt und die unter einem stumpfen Winkel zusammenstossenden Ab- schnitte der Hinterfläche erkennen lässt, wie dies in ausgesprochener Form die Kniescheibe des Erwachsenen zeigt. Ebenso wie die allmähliche Formgestaltung der Patella lässt sich auch ihre jeweilige Lage vortrefflich an Röntgenbildern studiren. Wie schon erwähnt, hat H. v. Meyer zuerst gezeigt, wie sich die Verschiebung von Kniescheibe und Femur gegen einander vollziehen. Beim gestreckten Knie Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. 23 354 VERHANDLUNGEN DER BERLINER steht das untere Doppelfeld der Kniescheibe dem oberen Theile der Trochlea gegenüber. Wird der Unterschenkel gebeugt, so gleitet dieses selbe Feld so lange auf dem oberen Theile der Trochlea hin, bis der vorhin erwähnte Querwulst die höchste Stelle der Rollenconvexität erreicht hat. Nun findet gleichsam ein Umkippen der Patella statt, indem von jetzt ab das obere Doppelfeld der Kniescheibe mit dem unteren Theile der Trochlea zur Artieulation gelangt und mit zunehmender Beugung in derselben Weise wie zuerst, jedoch mit ausgewechselten Feldern, über die Rolle nach abwärts gleitet. Abgesehen von dem rein physiologischen Interesse, welches dieser complieirte Apparat beansprucht, ist die genaue Kenntniss der normalen Lage der Kniescheibe und der Form ihrer Gelenkflächen insofern bedeutungs- voll, als mit abnormer Lage die Form derselben gewissen Umgestaltungen unterliegt, auf die ich zurückzukommen Gelegenheit haben werde. Sie sehen an den in Seitenlage von dem Kniegelenk eines Erwachsenen in verschiedenen Beugestellungen gewonnenen Röntgenbildern die Knie- scheibe etwa so, wie auf einem durch die Mitte sagittal gelegten Schnitt in Gestalt etwa eines ungleichseitigen Parallelogramms, dessen längere Seiten erstens von der dem Femur zugekehrten Artieulationsfläche (die vier oben erwähnten Doppelfelder zusammengerechnet), zweitens von der unter der Haut liegenden Fläche gebildet werden, dessen kürzere Seiten erstens der Ansatzstelle der Quadricepssehne und zweitens derjenigen Fläche ent- sprechen, die, vom unteren Rande der Doppelfelder beginnend, bis zum Apex patellae reicht. Diese Normalform vorausgesetzt, liegt beim gestreckten Beine die Patella mit der unteren Hälfte der langen Artieulationsfläche den höchsten Theilen der Trochlea an, während die obere Hälfte bedeutend vom Femurknochen entfernt ist. Bei der Beugestellung im rechten Winkel liest nunmehr die obere Hälfte der langen Kniescheiben-Artieulationsfläche einer etwa in der Verlängerung der Femuraxe liegenden Stelle der Trochlea an. Die Entfernung des unteren Doppelfeldes markirt sich durch eine bei spitz- winkliger Beugung noch ausgedehntere helle Partie in Form eines nach unten offenen spitzen Winkels. Das folgende Bild zeigt Ihnen noch deutlicher die Lage der Patella in gestreckter Stellung bei einem in Folge von gonorrhoischer Kniegelenksentzündung versteiften Kniegelenk. Nur der untere Theil der Articulationsfläche der Patella liegt hier dem Femur an, während ober- und unterhalb dieses unteren Doppelfeldes hellere Zonen Knie- scheibe und Oberschenkel trennen. M.H.! Ich bitte Sie nun, einen Blick auf die mit Röntgenstrahlen in Narkose photographirten Kniegelenke einiger Thiere zu werfen. Sie werden hier recht charakteristische Unterschiede sowohl in der Lage als in der Form der Patella gegenüber dem Verhalten beim Menschen entdecken. Beim Meerschweinchen, beim Kaninchen, bei der Ratte, bei Hund und Katze ist die Kniescheibe weit am Oberschenkel in die Höhe gerückt und hat damit in recht charakteristischer Weise ihre Form derartig verändert, dass ihre Hinterfläche auf dem Durchschnitte die Eintheilung in zwei unter stumpfem Winkel zusammenstossende Flächen, von denen die obere lediglich die Articulation mit dem Femur besorgt, vermissen lässt. Hier ist die ganze hintere Fläche bis zur Spitze zur Gelenkfläche geworden und hat damit im Ganzen eine concave Gestaltung angenommen. Nur beim Affen finden wir noch entsprechend dem geringen Hochstand eine leichte Andeutung der PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — JOACHIMSTHAL. 355 für den Menschen charakteristischen Patellarform. An dem von der Katze gewonnenen Bilde erkennen Sie ausser dem Sesambein in dem lateralen Ursprungskopf des Gastrocnemius, das auch an dem zum Vergleich benutzten vom Menschen gewonnenen Bilde sich findet, ein bei den Feliden constantes, in der Sehne des Musc. popliteus gelegenes, weiteres Sesambein. M. H.! Es musste nun besonders interessant erscheinen, die meines Wissens bisher weder beim Menschen, noch beim Thiere beachteten Archi- tekturverhältnisse der Kniescheibe zu untersuchen. Ich habe zu diesem Zwecke Sagittal-, Horizontal-und Frontalschnitte hergestellt und diese dann an Röntgenbildern, die ich Ihnen vorführen werde, studirt. Man erhält auf diese Weise, wie Ihnen das ja erst vor Kurzem von Hrn. Julius Wolff auseinandergesetzt worden ist, bessere und genauere Aufschlüsse über die Anordnung der Knochenspongiosa, als sie bis jetzt auf irgend eine andere Art und Weise zu erlangen gewesen wären. Wenn wir zunächst die mittleren Sagittalschnitte uns vor Augen führen, so finden sich hier im Wesentlichen zwei Richtungen, in denen .die einzelnen Bälkchen verlaufen. An der vorderen Wand dicht zusammengedrängt und auf diese Weise eine Corticalis bildend, verläuft eine Anzahl von Bälkchen leicht nach vorn convex von oben nach unten. Senkrecht zu ihnen, von der ganzen Articulationsfläche ausgehend, zieht ein zweites System von Bälkchen. Grösstentheils verlaufen diese direct von hinten nach vorn. Von dem unteren Abschnitte der unterstützten Partie gehen einzeine solche Züge auch zur Spitze herab. Ihre Zahl ist aber eine so spärliche, dass auf diese Weise in dem untersten Theile eine Art von Markhöhle entsteht. Diese queren Züge sehen wir mit grosser Deutlichkeit auch auf Horizontalschnitten, die gleichzeitig die durchschnittenen vorderen Züge zeigen. Die unteren Schnitte entsprechen, wie uns der stumpfe Winkel, unter dem der äussere breitere mit dem inneren diekeren Theil der Kniescheibe zusammenstossen, zeigt, dem unteren, die oberen dem oberen Theil der Patella. Auf frontal aus der Mitte der Patella herausgesägten Schnitten endlich erkennen wir keinerlei in bestimmten Richtungen verlaufende Bälkchen, sondern lediglich recht- eckige Durchschnitte der beiden erwähnten Liniensysteme. Sie sehen die drei Schnittserien hier auf einem Bilde vereint Die Deutung der, wie überall am Körper, so auch .hier den Richtungen des stärksten Druckes und Zuges entsprechenden Bälkchensysteme bereitet an der Kniescheibe keinerlei Schwierigkeiten. Die Patella unterliegt im Wesentlichen zweierlei Beanspruchungen. An ihrem oberen und unteren Ende zieht die Streckmusculatur, oben in Gestalt des Quadriceps, unten in der Form des Lig. patellae inferius. Um dieser Zugwirkung Widerstand zu leisten, besitzt die Patella eine Reihe von von oben nach unten verlaufenden Zugbälkchen, die sich deshalb in Form einer Compacta an der Vorderseite zusammendrängen, weil sich die Wirkung des Streckapparates auf die Patella im Wesentlichen in der gebeugten Stellung des Kniegelenkes be- merkbar macht, demnach die Richtungen des stärksten Zuges nach vorn fallen. Besässe nun die Patella ausser diesen Zuglinien kein weiteres System, so würde sie unter der Wirkung der starken Musculatur, wie ein einer festen Unterlage aufliegender weicher Gummiball, an dem oben und unten kräftig gezogen wird, plattgedrückt werden. Dagegen schützt sie das zweite System der von der ganzen unterstützten Fläche nach vorn verlaufenden 23* 356 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Drucklinien. In der Richtung der hier wiedergegebenen Frontalschnitte, der sogenannten neutralen Faserschicht der Patella, herrscht weder Druck noch Zug; daher vermissen wir hier jegliche Systemanordnung. Auch an der Patella ist demnach mit dem geringsten Materialaufwand die grösstmöglichste Festigkeit erreicht. Bei der Einfachheit der Be- anspruchung dieses Knochens und der demnach vorhandenen Bälkchensysteme erscheint gerade die Kniescheibe geeignet, das Studium der complieirteren Structurverhältnisse der grösseren Skeletknochen zu klären und zu erleichtern. Die Kniescheibe des Hundes, die ich Ihnen hier neben derjenigen des Menschen vorführe, unterscheidet sich in ihren Sagittalschnitten von dieser wiederum nur durch die abweichende Gestaltung der ganz zur Gelenkfläche geworden hinteren Partie. Sonst finden wir auch hier die vorn in Form einer dieken Compacta zusammengedrängten Zuglinien und senkrecht zu ihnen die von der ganzen Artieulationsfläche ausgehenden Druckbälkchen. Angeregt durch unseren Hrn. Vorsitzenden, dem ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank ausspreche habe ich zum Vergleich mit den Structurverhältnissen der Kniescheibe diejenigen der an dem Vorderfusse des Pferdes gelegenen Sesambeine untersucht und dabei ein noch ein- facheres System der Spongiosa-Anordnung als das eben bei der Kniescheibe geschilderte gefunden. Die beiden Sesambeine, um die es sich hier handelt, die die Gelenkfläche des Fesselbeines zur Aufnahme des unteren Schienbein- endes vervollständigen, bilden, mit den Knochen des Skeletes fest durch Bänder verbunden, mit ihren hinteren Flächen eine breite Rinne, in der die Hufbein- und Kronbeinbeugesehne entlang gleiten, welch letztere den ganzen vorderen Theil des Körpers, also etwa ?/, der Last des Pferdes, zu tragen haben und demnach mit enormer Gewalt gegen den unterliegenden Knochen andrücken. Hier haben wir, da die Sesambeine oben und unten durch Bänder fest fixirt sind, eine Zugwirkung also nicht stattfindet, eine reine Druckwirkung seitens der über sie hinweggleitenden Sehnen, und demnach sehen wir hier an Sagittalschnitten im Gegensatz zur Kniescheibe die bei ihr so deutlichen Zuglinien fehlen und lediglich ein System von dicht an einander liegenden Druckballehen, die von Ber dem Fesselbein anliegenden Fläche zur Gleitfläche radienförmig ausstrahlen. Wir wissen nun aus den Untersuchungen namentlich Julius Wolff's, dass sich die Skeletknochen in ihrer Structur neuen statischen Bedingungen, d. h. neuen Zug- und Druckwirkungen derart anzupassen vermögen, dass in genügend langer Zeit der Knochen die dieser neuen Functionsweise voll- kommen zweckentsprechende Structur und Gestalt erlangt. Dass ähnliche Umwandlungen auch an der Patella stattfinden, dafür möchte ich Ihnen nun ein Beispiel anführen. Sie sehen hier ein Präparat einer knöchernen Kniegelenksankylose mit Verwachsung der Patella an der Vorderfläche des Femur. Schon das Röntgenbild des unzersägten Präparates zeigt ein durchaus von dem normalen Verhalten abweichendes Bild der im oberen Bereiche mit dem Femur verwachsenen Kniescheibe, eine Verdickung der oberen Wand, ein lockeres Gefüge an der Stelle der sonstigen Compacta. Deutlicher er- kennen wir die Veränderungen an einem aus der Patella und dem darunter gelegenen Femurknochen in sagittaler Richtung herausgesägten Fournier- blatte. Die Gegend der vorderen sonst so dichten Compaeta zeigt nur noch PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — JOACHIMSTHAL. 37T einige wenige längsverlaufende Zugbälkchen. Dagegen verlaufen dichte, in die Compacta des Oberschenkels übergehende Züge in querer wie bogen- förmiger Anordnung namentlich durch den oberen und mittleren Abschnitt der Kniescheibe, und ändern damit, entsprechend den veränderten Functions- bedingungen, vollkommen das sonst unter normalen Verhältnissen stets wiederkehrende oben genauer geschilderte Gefüge dieses Knochens. M.H.! Von welchem Einfluss die Lage der Patella auf deren Gestaltung sich erweist, haben wir bereits bei einem Vergleich der Gestalt der menschlichen und thierischen Kniescheibe kennen gelernt. Ich möchte Ihnen nun zeigen, dass auch beim Menschen, falls es zu dauerndem Hochstand der Kniescheibe kommt, ähnliche Formveränderungen dieses Knochens eintreten, wie wir sie vorhin beim Hunde und bei anderen Thieren kennen gelernt haben. Die- jenige Erkrankung, die zu einem dauernden derartigen Hochstand beim Menschen führt, ist, wie zuerst Schultbess in Zürich, dann an einer grösseren Anzahl von Fällen aus meiner Poliklinik ‘Peltesohn gezeigt hat, der unter der Bezeichnung der Little’schen Krankheit oder angeborenen spastischen Gliederstarre bekannte Symptomencomplex, dessen Ursche wir in gewissen cerebralen Veränderungen, theils congenitalen Defecten, theils Ver- letzungen des Grosshirns suchen, wie letztere bei schweren oder lange sich hinziehenden Geburten eintreten können. Ausser Störungen des psychischen Verhaltens in den verschiedensten Abstufungen, Strabismus, gelegentlich auftretenden Convulsionen, findet sich als constantestes Symptom eine spastische Erkrankung, namentlich im Bereiche der unteren Gliedmaassen, die die Kinder oft vollständig unfähig zum Gehen macht. Durch Ueber- wiegen der Adduetoren der Oberschenkel, der Knieflexoren’ und der Waden- muskeln bei diesen Spasmen entsteht eine eigenthümliche Stellung der Gliedmaassen, die Ihnen das Bild einer 5jährigen Patientin meiner Be- obachtung deutlich vor Augen führt. Die Oberschenkel waren hier so intensiv an einander gedrängt, dass ihre Abduction selbst bei stärkster Gewaltanwendung nicht gelang, die Knie standen gebeugt, die Fersen in die Höhe gezogen, so dass jede Art der Fortbewegung zur Unmöglichkeit wurde. Durch die Behandlung, bestehend in Tenotomie an den Adductoren der Oberschenkel, den Knieflexoren und den Achillessehnen, gefolgt von fixi- renden Gypsverbänden und einer orthopädischen Nachbehandlung, hat sich der Zustand so gebessert, dass die Kleine leidlich an einer Hand zu gehen vermag. Was ich nun speciell an dieser Patientin zeigen möchte, das ist eine eigenthümliche bei Betheiligung des Kniegelenkes stets wiederkehrende Stellungsveränderung der Kniescheibe, die besonders bei spitzwinkeliger Beugung in die Augen fällt. Die Kuppe der Krümmung wird hier nicht, wie beim normalen Knie, vom Condylus internus und von der oberen Partie der Patella gebildet, sondern von der Patella allein, und zwar von einem ihrer Mitte nahegelegenen Punkte. Das Knie bekommt dadurch ein eigen- thümlich spitzes Aussehen. Die Distanz von dem unteren Patellarende bis zur Tuberositas tibiae ist grösser geworden und damit das Lig. patellae unzweifelhaft verlängert. Sehr deutlich lässt sich dieses von der Norm ab- weichende Verhalten am Röntgenbilde vor Augen führen. Unter gewöhn- lichen Verhältnissen steht die Patella, wie Sie an dem von dem Knie eines normalen 7 jährigen Mädchen gewonnenen Bilde sehen, unterhalb einer in der Verlängerung der Femuraxe gezogenen Linie. An dem Bilde der 358 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Patientin mit Little’scher Krankheit ist sie beträchtlich, und zwar um mindestens 1!/,®, in die Höhe gerückt. Das folgende diese Verhältnisse vortrefflich wiedergebende Bild stammt von einem an dem gleichen Uebel leidenden 11 jährigen Knaben. An dem nach längerer Behandlung in Streckstellung des Kniegelenkes gewonnenen Röntgogramm findet sich hier die Kniescheibe vollkommen im Bereiche der Diaphyse des Femur, im Gegensatze zu dem normalen Verhalten bei einem Kinde gleiehen Alters, bei dem etwa ?/, des Knochens vor der unteren Epiphyse des Oberschenkels liegen. Die weiter vorgeschrittene Ossifieation lässt uns hier gleichzeitig charakteristische Formveränderungen erkennen. Genau entsprechend dem Verhalten der Patella bei denjenigen Thieren, bei denen sie in die Höhe gerückt ist, lässt auch hier die Patella die Ein- theilung der hinteren Fläche in einen oberen die Artieulation mit dem Femur besorgenden, und einen unteren unter stumpfem Winkel von diesem nach vorn ziehenden Theil vermissen. Ihre ganze hintere Fläche hat sich, der gleichmässigen Anlagerung an den Öberschenkelknochen entsprechend, in eine von oben nach unten concav geschweifte Fläche verwandelt. Aehn- liche charakteristische Unterschiede finden sich auch an den in recht- winkeliger Stellung hergestellten Bildern. Während die Kniescheibe des Menschen sich normaler Weise der gleichmässigen Rundung des Kniegelenkes anpasst, findet sich bei der angeborenen spastischen Gliederstarre eine starke durch den oberen Theil der hinaufgerückten Patella, entstehende Hervor- ragung — ein Verhalten, das durchaus demjenigen, wie wir es bei Thieren sehen, ich zeige hier zum Vergleich das Kniegelenk eines Meer- schweinchens, analog ist. Fragen wir nach der Ursache des Hochstandes der Patella bei der Little’schen Krankheit, so erweisen sich zwei Erklärungen als möglich. Entweder handelt es sich bei dieser Affeetion um eine Anpassung der Streekmusculatur an die durch die Spasmen eingeschränkte Beweglichkeit des Kniegelenkes.. Wir wissen, dass bei einer dauernden Einschränkung der Beweglichkeit eines Körpertheiles eine Verkürzung des bewegenden Muskels und eine Verlängerung seiner Sehne eintritt. Am bekanntesten ist hier das Variiren der Länge des Wadenmuskels. Verkürzt man den Proc. posterior calcanei und verringert damit seine Excursion beim Uebergange aus der Beugung in die Streckung des Fusses, oder ist die Beweglichkeit des Fussgelenkes und damit der Ausschlag des Hackenfortsatzes dauernd eingeschränkt, wie beispielsweise selbst nach.der bestgelungensten Behand- lung des angeborenen Klumpfusses, so verkürzt sich, wie ich Ihnen zeigen konnte, der Bauch des Wadenmuskels bis auf die Länge des oberen Unter- schenkeldrittels, und verlängert sich die Achillessehne entsprechend. So könnte man auch bei der Little’schen Krankheit, einer durch die Spasmen bewirkten Einschränkung der Beweglichkeit des Kniegelenkes zu Folge, eine Verlängerung der Sehne des Quadriceps annehmen. Ein Hinauf- rücken der Patella in der eben geschilderten Weise würde indess hierbei schon deshalb kaum zu erwarten sein, weil der Hauptantheil der Ver- längerung auf den oberhalb der Patella gelegenen Theil der Sehne ent- fallen würde. Auch ist hier im Gegensatz zu den vorhin angedeuteten zu functionellen Umwandlungen im Bereiche der Musculatur führenden Ver- hältnissen die Einschränkung, der Beweglichkeit keine dauernde, sondern PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — JOACHIMSTHAL. 359 eine intermittirende. Lassen die Spasmen nach, so gelingt zeitweise — namentlich nach vorausgeschickter Verlängerung der Beugesehnen durch Tenotomien — die Bewegung des Gelenkes in vollem Umfange, und trotzdem bleibt, wie wir sahen, das Phänomen bestehen. Bei den Widersprüchen, die somit die Erklärung des Hochstandes der Patella auf diesem Wege findet, bleibt nur eine andere Annahme übrig, nämlich die, dass bei der Little’schen Krankheit durch die dauernden Spasmen eine Dehnung und Verlängerung der Patellarsehne durch Störung ihrer normalen Entwickelung und damit das charakteristische Verhalten der Kniescheibe zu Stande kommt, dass übrigens, soweit bisher bekannt, ledig- lich der Little’schen Krankheit eigenthümlich, dagegen bei den ver- schiedenen im späteren Leben auftretenden spastischen Erkrankungen der unteren Extremitäten zu fehlen scheint. M.H.! Zum Schluss möchte ich Ihnen noch über eine überaus seltene Anomalie der Patella, ihre Verdoppelung, berichten. In Bezug auf die bisher über diese Anomalie vorliegende Litteratur kann ich mich kurz fassen. Pfitzner beschreibt bei Nagern und Raubthieren das Vorkommen eines Sesamoids, das, sich aufwärts an die Patella anschliessend, bei guter Ausbildung dieselbe wiederholt, eine mit dem Apex aufwärts gerichtete Patella nachbildet. Es ist gut abgesetzt und lässt sich leicht von der Quadricepssehne abpräpariren. Bernays sah dasselbe bei Mäusen, Ratten und Kaninchen. Pfitzner fand bei einer noch nicht ausgewachsenen Zibethkatze beiderseits eine aus zwei Stücken bestehende Patella.. An der rechten präparirten Seite lag die untere Patella etwa an der normalen Stelle, die obere so hoch, dass sie höchstens bei äusserster Beugung auf die überknorpelte Fläche des Femur trat. Am Menschen fand Gruber bei einer 21 jährigen männlichen Leiche nach der Maceration beiderseits auf dem oberen lateralen Rande der Kniescheibe, in einem Ausschnitt liegend, ein selbstständiges Knochenstück, etwa 13" Jang, 6-5”” breit und eben so dick. Nach der Beschreibung scheint es mit der Patella durch Coalescenz verbunden gewesen zu sein. Bernays fand an mehreren Leichen von Erwachsenen oberhalb der ver- knöcherten Patella eine kleine, selbstständigere, mehrschichtige Knorpellage, die nieht mit dem Knorpel der Patella zusammenhing. Endlich fand Till- manns bei „einem gesunden normalen Kniegelenk eines Menschen aus den mittleren Lebensjahren“ in der Höhe der Communicationsöffnung der Bursa suberuralis auf der unteren Fläche der @Quadricepssehne eine Knorpelpartie. Am Lebenden sind Doppelbildungen der Patella bisher nicht beschrieben worden. Die folgenden Bilder, die ich der Liebenswürdigkeit des Hrn. Collegen Reinhold Natwig in Christiana verdanke, dürften demnach ein ganz besonderes Interesse beanspruchen. Es handelt sich nach dem mir von Dr. Natwig übersandten Bericht um ein Bauernmädchen von 33 Jahren, das angeblich im Alter von 3 Jahren eine Rückenmarkskrankheit durch- gemacht hat. Vor 10 Jahren stellten sich Schmerzen in beiden Knien ein, die im letzten halben Jahre besonders zugenommen haben. Die Kranke geht mit in den Hüft- und Kniegelenken fleetirten Unterextremitäten. Die Oberschenkel sind addueirt. Die Contracturen sind spastischer Natur. Die 860 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Beine können in den Kniegelenken fast völlig gestreckt werden. Beide Patellae gewähren den Eindruck, als ob sie in die Länge gezogen seien. Im unteren Drittel fühlt man beiderseits eine querverlaufende Furche, in die die Nagelspitze etwas eingesenkt werden kann. Die Palpation an der Stelle dieser Furche ist empfindlich. Aeussere Verletzungen der Kniegelenke, Schlag, Stoss, Fall u. s. w. waren nicht zu eruiren. Die Skiagramme des rechten in gestreckter, des linken in stumpfwinkeliger Beugestellung befindlichen Kniegelenkes, bei an der Aussenseite anliegenden Platten an gefertigt, ergeben beiderseits ein sehr auffallendes Verhalten. Es fällt zunächst eine beträchtliche Längenausdehnung der in toto nach oben verschobenen Kniescheibe auf. An dem rechten Knie hat die Patella von der oberen dem Femur zugewandten Partie bis zur unteren Spitze eine Länge von 7°%, während sie sonst kaum 5°“ Länge erreicht. Dabei ist in auf- fallender Weise ihre Gestalt so verändert, dass ihr Durchschnitt statt des- jenigen eines Parallelogramms den eines annähernden Dreiecks angenommen hat, dessen eine dem Femur anliegende Seite in dem oberen Theil eine leichte Concavität aufweist, dessen vordere Seite in derselben Region convex gestaltet ist, während die dritte, der Ansatzstelle der Quadricepssehne ent- sprechende Seite gerade erscheint. Die Kniescheibe ist mit ihrem grösseren Antheil weit über das Bereich der Condylen nach oben gerückt, ihre Spitze ist etwa 3% von der Gelenk- linie entfernt. Etwa 2°“ nach oben von der Spitze zeigt sich eine von vorn und hinten fast durch die ganze Dicke bis nahe zur Mitte hindurch- gehende Trennungslinie, durch die demnach die Kniescheibe in ein unteres kleineres und ein grösseres oberes Segment zerfällt. Könnte die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenkes allein so den Eindruck erwecken, dass wir es hier mit den Folgen einer Patellar- fraetur zu thun haben, so lässt die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenkes in dieser Beziehung jeden Zweifel schwinden und nur die Annahme einer angeborenen Zweitheilung zu. Findet sich doch hier genau an der gleichen Stelle eine fast die ganze Continuität des Knochens durch- setzende breite helle Zone. Nur in der Mitte scheint eine kleine Brücke zwischen beiden Theilen der Kniescheibe zu bestehen. Der Hochstand und die Gestalt der Patella sind die gleichen wie an der rechten Seite. Nach den vorliegenden Verhältnissen haben wir es hier offenbar, was Lage und Gestalt anlangt, mit den Folgen der in früher Kindheit erworbenen spasti- schen Erkrankung im Bereiche der Obersehenkelmusculatur zu thun, möglicher Weise mit der angeborenen spastischen Gliederstarre selbst. Ich möchte an dieser Stelle nur noch auf die praktische Bedeutung des vorliegenden Befundes hinweisen. Die Durchleuchtung nur des einen Kniegelenkes hätte möglicher Weise zu der fälschlichen Annahme einer vorauf- gegangen Patellarfractur führen können. Erst der Vergleich mit der anderen Seite, an der in genau identischer Weise eine Zweitheilung bestand, konnte in Bezug auf den angeborenen Charakter der Verbildung jeden Zweifel aufheben. Diese Beobachtung zeigt uns von Neuem die Nothwendigkeit, bei der Untersuchung der einen Körperseite, auch mittels des Röntgenverfahrens, den Vergleich mit der anderen Seite nicht zu vernachlässigen. (Der Vor- trag erscheint ausführlicher mit Abbildungen im Archiv für klin. Chirurgie.) PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — JOACHIMmSTHAL. — M. Bıar. 361 VIII Sitzung am 28. Februar 1902. 1. Hr. Dr. M. Bıau (a. G.): „Ueber den physikalisch-chemischen Mechanismus der antiseptischen Wirkung verdünnter Säuren.“ Im Jahre 1896 veröffentlichte ich Versuche ! über das Zustandekommen der Hefegährung im Mageninhalte. Diese Gährung tritt ein trotz Anwesen- heit der stark antiseptisch wirkenden HCl; also muss im Mageninhalte ein Stoff sich befinden, welcher der HC] ihre antiseptische Kraft raubt. Diesen fand ich damals im ClNa. Es handelte sich nun darum, diese Wechsel- beziehung zwischen HCl und ClNa aufzuklären. Die Gesetze der physika- lischen Chemie ermöglichen dies in folgender Weise: Bei der Auflösung eines Elektrolyten, wie HCl, in Wasser, geht ein weiterer Zerfall der Molecüle des gelösten Stoffes, also der HCl, in Ionen H und Cl vor sich. Es fragt sich nun, welches von den dreien der anti- septisch wirksame Körper ist, das Molecül HC], oder die Ionen H und Ol? Wenn man die Frage verallgemeinert und nicht allein die antiseptische Beziehung der HCl zum Hefepilz berücksichtigt, sondern bedenkt, dass alle Säuren in verdünntem Zustande solche Desinfectionskräfte entfalten, dann lässt sich leicht ein Anhaltspunkt finden. Alle Säuren sind Elektrolyten und zerfallen deshalb bei ihrer Auflösung in Ionen, und zwar entsteht jeden- falls das Ion H aus jeder beliebigen Säure. Es ist also allen Säuren ge- meinsam die H-Ionen-Bilduns. Man darf sich deshalb fragen, ob nicht die allen gemeinsame, anti- septische Kraft an diesem H-Ion haftet. Ebenso, wie gemeinsame chemische Reactionen der Säuren, z. B. die Zuckerinversion, von den physikalischen Chemikern an dieses H-Ion geknüpft werden. Zur Beantwortung der Frage verglich ich die antiseptische Kraft ver- schiedener Säuren, welche sich verschieden stark in Ionen aufspalten, disso- eiiren, mit einander und fand, dass die stark dissociirenden Säuren, welche also viel H-Ionen bilden, so HC], H,SO,, HNO, u. s. w., am stärksten antiseptisch wirken; an zweiter Stelle hinsichtlich ihrer antiseptischen Kraft stehen die in mittlerem Maasse dissociirten Säuren, wie COOH — COOH, H,PO, u. s. w., und an letzter Stelle stehen die schwach dissociirten, also nur wenig H-Ionen bildenden Säuren, wie CH,—COOH, CH,—CH,— COOH u. s. w. Die einzelnen Säuren unter einander fand ich dann gleichstark antisep- tisch wirksam, wenn ich solche verschiedenen Moleeular-Concentrationen nahm, dass aus jeder ungefähr gleiche Mengen H-Ionen resultirten, z. B. 2/50 n. HCl und !/,„n. CH,—COOH. Darnach ist es wahrscheinlich, dass die antiseptische Kraft der Säuren sich an deren H-Ionen-Gehalt knüpft. Wenn also, wie Eingangs erwähnt, CINa im Stande ist, der HCl ihre antiseptische Kraft zu rauben, so muss man fordern, dass ClNa im Stande sei, dem Träger der antiseptischen Wirkung den Gehalt an H-Ionen zu be- einflussen. Dies ist auch nach einem physikalisch-chemischen Gesetz der Fall, welches besagt, dass Zusatz eines gleich-ionigen Elektrolyten zur Lösung eines anderen dessen Dissociationszustand herabdrückt, also die Ionisation vermindert. Das gleiche Ion ist hier Cl, also setzt Zusatz von ClNa zur ı M. Bial, Archiv f. exper. Pathol. Bd. XXXVIL. S. 1. 362 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Lösung von HCl deren Dissoeiationszustand und deshalb auch deren H-Ionen- Gehalt herab. Da dies Gesetz allgemein gilt, muss der Zusatz jedes Neutralsalzes zu einer Säure deren antiseptischen Werth beeinträchtigen. Dies fand ich auch bestätigt für alle untersuchten Säuren und deren Salze, z. B. H,—SO, und Na,— SO,, H—NO, und Na— NO,, CH,— COOH und CH, — COONa u.s.w. Diese Beeinflussung des Reactionsverlaufes durch Neutralsalz gleicht für die anti- septische Kraft einer Säure völlig der Beeinflussung, wie sie die physikalischen Chemiker für die Inversionskraft der Säuren festgestellt haben; sogar die Ausnahmefälle, welche der Theorie zuwiderlaufen, verhalten sich für beide Funectionen der Säuren homolog. Für die starken Mineralsäuren, wie HC], müsste der Zusatz von dem gleich-ionigen ClNa nach obigem physikalisch- chemischen Gesetz die specifische Function der Säure, die Inversionskraft, schwächen. Das tritt nach Arrhenius nicht ein, sondern im Gegentheil eine gewisse Erhöhung der Inversionskraft. Untersucht wurde dies an hohen Molecular-Concentrationen der HCl, weil das Polarimeter bessere Aus- schläge unter diesen Bedingungen erkennen lässt. Auch ich fand bei hohen Molecular-Concentrationen von HCl (!/,,n.), dass der Zusatz des CINa nicht die von der Theorie geforderte Schwächung der antiseptischen Kraft, sondern eine Verstärkung derselben herbeiführt. Dagegen ergaben Versuche mit geringen Molecular-Concentrationen von HC] (!/,,n. und !/,,n.) ein Verhalten, welches ganz der Theorie entsprach und die Abschwächung der antiseptischen Kraft der Säure durch das Salz erkennen liess. Die entsprechenden Versuche, welche die Theorie befriedigen, mit dünnen Molecular-Concentrationen von HCl sind von physikalischen Chemikern noch nicht gemacht. Bei den schwachen Säuren, z. B. CH,— COOH, stimmt für den physikalisch-chemischen Versuch über die Inversionskraft, wie für den biologischen Versuch über die antiseptische Kraft der Reactionsverlauf für alle Molecular-Concentrationen überein, nämlich schwächender Einfluss des Neutralsalzes auf die specifische Function der Säure. Man sieht also eine völlige Analogie des Verhaltens beider specifischer Säurefunetionen, der Inversions- wie der antiseptischen Kraft. Wenn der physikalische Chemiker also ein Recht hat, die Inversionskraft an die H-Ionen der Säuren zu knüpfen, so darf ich für die antiseptische Wirk- samkeit der Säuren dies auch beanspruchen. 2. Hr. ALBERT NEUMANN: „Ueber eine einfache Methode der Eisenbestimmung bei Stoffwechselversuchen“* (2. Mittheilung). Die in der ersten Mittheilung über diesen Gegenstand ! beschriebene Ausfällung des Eisens mittels Zinkoxyds hat sich bei Gegenwart von grossen Phosphorsäuremengen (wie z. B. in 500 °® Harn) als unvollständig erwiesen, während sie in solchen Fällen, wo neben verhältnissmässig viel Eisen wenig Phosphorsäure vorhanden ist (wie z. B. im Blut und Koth), quantitativ verläuft. In Folgendem will ich nun kurz eine Methode be- schreiben, bei der die Abscheidung des Eisens durch Zinkammonium- phosphat bewirkt wird. Dieses Verfahren giebt nicht nur in allen Fällen vorzügliche Resultate, sondern ist auch schneller und leichter auszuführen als das frühere. Da ich aber auch sonst noch vielerlei Aenderungen vor- ı Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. S. 541. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — NM. BıauL. — ALBERT NEUMANN, 363 genommen habe, so will ich zunächst die Methode der Verdampfung und Veraschung grosser Mengen Harn und dann die ganze Eisenbestimmung nochmals im Zusammenhang auseinandersetzen. Verdampfung und Veraschung grosser Mengen Harn. Prineip: Um grosse Mengen Harn (z. B. 500 °“ zur Eisenbestimmung) für die Veraschung ohne Stossen schnell und quantitativ zu concentriren, lässt man beständig kleine Mengen des mit Salpetersäure versetzten Harnes zu concentrirter siedender Salpetersäure fliessen. Ausführung: Der abgemessene Harn wird in einem Kolben mit eoncentrirter Salpetersäure (Yo des Harnvolumens) gemischt und durch einen Hahntrichter tropfenweise in einen Jenaer Rundkolben (!/, bis 3/, Liter Inhalt) übergeführt, in dem sich bei Beginn der Operation 30 °m eoncentrirte siedende Salpetersäure befinden. Man regulirt nun das Zutropfen des Harnes so, dass bei starkem Sieden der Flüssigkeit, das man am besten durch ein Baboblech erzielt, keine zu grosse Volum- vermehrung (höchstens bis zu etwa 100 °®) im Kolben eintritt. Kolben und Hahntrichter werden mit wenig verdünnter Salpetersäure nachgespült; gegen den Schluss der Verdampfung wird die Flamme verkleinert. Hat man die Flüssigkeit bis auf etwa 50°” concentrirt, so giebt man durch den Hahn- trichter gemessene Mengen Säuregemisch (gleiche Volumtheile concentrirter Salpetersäure [sp. @. 1-4] und concentrirte Schwefelsäure) hinzu und ver- ascht weiter in der früher ! beschriebenen Weise. Sind grosse Mengen organischer Substanz zu zerstören, wie z. B. in sehr zuckerreichen Harnen, so lässt man nach dem Hinzufügen des Säure- gemisches, eventuell unter Abkühlung, erst die Hauptreaction vorübergehen, ehe man wieder erwärmt. Sobald die Entwickelung der braunen Nitroso- dämpfe geringer wird, giebt man aus dem Hahntrichter tropfenweise weiteres Gemisch hinzu und fährt damit fort, bis ein Nachlassen der Reaction ein- tritt und die Intensität der braunen Dämpfe abgeschwächt erscheint. Um zu entscheiden, ob die Substanzzerstörung beendet ist, unterbricht man das Hinzufliessen des Gemisches für kurze Zeit, erhitzt aber weiter, bis die braunen Dämpfe verschwunden sind und beobachtet, ob sich die Flüssigkeit im Kolben dunkler färbt oder gar noch schwärzt. Ist dieses der Fall, so lässt man wieder Gemisch zufliessen und wiederholt nach einigen Minuten die obige Probe. Wenn nach dem Abstellen des Gemisches und dem Ver- jagen der braunen Dämpfe die schwach gelbe oder farblose Flüssigkeit sich bei weiterem Erhitzen nicht mehr dunkler färbt und auch keine Gasent- wickelung mehr zeigt, dann ist die Veraschung beendet. Ist die Flüssigkeit gelblich gefärbt, so muss sie nach dem Erkalten wasserhell werden. Nun fügt man drei bis vier Mal so viel Wasser hinzu, wie Säuregemisch ver- braucht wurde, erhitzt und kocht etwa 5 Minuten; dabei entweichen braune Nitrosodämpfe, welche von der Zersetzung der Nitrosylschwefelsäure herrühren, Eisenbestimmung. Prineip: Wenn man eine schwefelsaure Lösung von Zinksulfat und viel phosphorsaurem Natron schwach ammoniakalisch macht und dann ! Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 159. 364 VERHANDLUNGEN DER BERLINER erhitzt, so scheidet sich alles Zink in Form von Zinkammoniumphosphat krystallinisch ab; enthält die Lösung nicht zu grosse Mengen von Eisenoxyd, so wird auch dieses quantitativ mitgefällt. Aus dem so abgetrennten Eisenoxyd werden nach dem Lösen in Salzsäure durch Jodkalium äquivalente Mengen Jod frei gemacht, welche nach Zusatz von Stärkelösung noch mit einer etwa "/,-„ Thiosulfatlösung gemessen werden können. Erforderliche Lösungen: 1. Eisenchloridlösung, enthaltend 2" Fe in 10 °®, Dieselbe wird hergestellt, indem man genau 20° der Fresenius'- schen Eisenchloridlösung !, welche 10&”% Fe im Liter enthält und von der Firma Kahlbaum bezogen werden kann, in einen Litermaasskolben fliessen lässt, mit etwa 2° concentrirter Salzsäure versetzt und dann genau zum Liter auffüllt. Diese Lösung ist lange unverändert haltbar. 2. Etwa "/g,, Thiosulfatlösung. Man löst 1°” Natriumthiosulfat und 1 2" Ammoniumcarbonat (beides annähernd genau abgewogen) in etwa 1 Liter Wasser. 3. Stärkelösung. Man löst in !/, Liter kochenden Wassers 1 2”% Jösliche Stärke (Schering) und kocht noch weitere 10 Minuten. 4. Zinkreagens. Etwa 25 2"% Zinksulfat und etwa 100 2”” Natriumphosphat werden jedes für sich in Wasser gelöst und die Lösungen in einem Liter- maasskolben vereinigt. Der entstandene Niederschlag von Zinkphosphat wird durch Zusatz von verdünnter Schwefelsäure gerade gelöst und die Lösung sodann zum Liter aufgefüllt. Alle zur Eisenbestimmung benutzten Reagentien müssen frei von Eisen sein. Titerstellung: Da die sehr verdünnte Thiosulfatlösung nicht unver- ändert haltbar ist, so muss bei jeder Bestimmung der Titer derselben fest- gestellt werden. Dieses geschieht leicht und schnell in folgender Weise: 10 2 Eisenchloridlösung werden in einem Kolben mit etwas Wasser, einigen Cubikceentimetern Stärkelösung und etwa 1°”% (nach dem Augenmaass) Jod- kalium versetzt, auf etwa 50 bis 60° erwärmt und mittels der Thio- sulfatlösung titrirt, bis die blaue Farbe über rothviolett gerade verschwindet. Die verbrauchten Cubikcentimeter entsprechen dann gerade 2”® Fe. Nach einigen Minuten färbt sich die Lösung wieder violett. Der Titer der Thio- sulfatlösung ändert sich in den ersten beiden Wochen nach der Herstellung sehr wenig, dann aber schneller. Es ist zweckmässig, eine Thiosulfatlösung nur so lange zu benutzen, als sich der Titer nicht um mehr als den vierten Theil seines ursprünglichen Werthes verändert hat; entsprachen also Anfangs gem — 2W Fe, so kann man die Lösung benutzen, bis 10 m — 2" Fe entprechen. Dieser Zeitpunkt wird im Allgemeinen nach 3 bis 4 Wochen erreicht sein. Ausführung der Eisenbestimmung: Die mit Wasser verdünnte und etwa 5 Minuten gekochte Aschenlösung wird nach dem Abkühlen und eventueller Zugabe von genau abgemessenen 10 °® Eisenchloridlösung (siehe am Schluss) mit 20 *® Zinkreagens und dann mit Ammoniak so lange versetzt, bis der weisse Niederschlag von Zinkphosphat gerade bestehen bleibt. (Bis zur annähernden Neutralisation nimmt man concentrirtes, dann ver- dünntes Ammoniak.) Nun giebt man etwas Ammoniak im Ueberschuss zu, ! Fresenius, Quantitative Analyse. Bd.1I. S. 288. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — M. Bıau. — A. Macnus-LevyY. 365 bis der weisse Niederschlag beinahe verschwunden ist, und erhitzt auf dem Baboblech zum Sieden. Wenn krystallinische Trübung eingetreten ist, er- hitzt man noch etwa 10 Minuten; hierbei ist Vorsicht nöthig, da die Flüssigkeit zuweilen hochgeschleudert wird. Der krystallinisch abgeschiedene Niederschlag setzt sich schnell ab und kann leicht durch Dekantiren von der Flüssigkeit getrennt werden. Man giesst die heisse Flüssigkeit durch ein kleines aschefreies, anliegendes Filter (von 3 bis 4” Radius) und prüft eine Probe des Filtrates mit Salzsäure und Ferrocyankalium auf Eisen; es darf keine oder nur eine äusserst schwache Röthung eintreten. (War die Färbung deutlich roth, so muss man das schon Filtrirte zurückgiessen, nochmals auf dem Baboblech erhitzen und wieder prüfen.) Der Niederschlag wird nun etwa drei Mal durch Dekantiren mit heissem Wasser ausgewaschen; das letzte Waschwasser darf dann, mit einigen Krystallen Jodkalium, Stärkelösung und wenigen Tropfen Salzsäure versetzt, keine oder nur äusserst schwache Violettfärbung zeigen. Nunmehr wird der Trichter mit dem Filter auf den Kolben, in dem sich noch die Reste des Niederschlages befinden, gesetzt, das Filter zwei Mal mit verdünnter heisser Salzsäure gefüllt und dann mit heissem Wasser vier bis fünf Mal ausgewaschen. Eine Probe des Waschwassers darf ebenso wenig wie das Filter mit Rhodankalium eine Rothfärbung geben. Jetzt befindet sich das ganze Eisen in salzsaurer Lösung im Kolben. Da aber für die Titration die Flüssigkeit nur schwach sauer sein darf, so wird zunächst mit verdünntem Ammoniak neutralisirt, bis gerade wieder der weisse Zinkniederschlag erscheint, und dann durch portionsweises Zugeben von je 10 Tropfen Salzsäure wieder völlig klar gelöst. Diese Lösung wird sodann genau in derselben Weise titrirt, wie es für die 10 “m Eisen- lösung bei der Titerstellung angegeben ist. Die Berechnung ist äusserst einfach. Ergab die Titerstellung, dass 10 °® Eisenlösung (= 2"& Fe) 9.2 m Thiosulfatlösung erforderten, und wurden bei der Haupttitration 12-5 ‘“ Thiosulfat verbraucht, so berechnet sich aus der Proportion 9-2:2 = 12-5:x x = 2-72"8 Fe. 20°» Zinkreagens sind ausreichend für 5 bis 6" Fe. Man wählt die Substanzmenge für eine Bestimmung zweckmässig so, dass darin 2 bis 3”® Fe vorhanden sind. Hat man selbst in grossen Mengen sehr wenig Eisen, wie z. B. im Harn, so giebt man zweckmässig genau abgemessene 10 Eisenchloridlösung vor dem Hinzufügen des Zinkreagens hinein und zieht dann von den Cubikcentimetern 'Thiosulfatlösung, welche bei der Haupt- titration verbraucht wurden, die Anzahl Cubikcentimeter Thiosulfatlösung ab, welche bei der Titerstellung von 10°” Eisenchloridlösung beansprucht wurden. IX. Sitzung am 14. März 1902. 1. Hr. A. Macnus-Levyr: „Ueber den Aufbau der hohen Fett- säuren aus Zucker.“ Die Entstehung von Fett aus Traubenzucker ist heute eine gesicherte Thatsache, eine der am besten begründeten in der Physiologie des Stoff- wechsels. Wie dieser Vorgang sich vollzieht, ist vollkommen unbekannt; er setzt voraus eine umfangreiche Reduction und eine Verknüpfung von Kohlenstoffketten, also eine weit ausgedehnte Synthese. Enthalten ja doch 366 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die Kohlenhydrate sehr viel mehr Sauerstoff als die Fette, und statt der 16 oder 18 Kohlenstoffatome der Fettsäuren deren nur 6. In der älteren Litteratur finden sich, wenn ich von einer noch zu erwähnenden Arbeit ab- sehe, nur einige Andeutungen über dies Problem bei Liebig, in der neueren so gut wie nichts. Nur E. Fischer spricht einmal von der Möglichkeit, dass die Stearinsäure direct durch Aneinanderlagerung von drei Zucker- moleeülen mit nachfolgender Reduction zu Stande kommen könne. Er hält eine Zerspaltung der Kohlenstoffkette des Zuckers für unwahrscheinlich; die Physiologen glauben aber wohl zumeist an eine solche, vor Allem Liebig und Pflüger. Sie meinen, dass der überschüssige Sauerstoff nicht als solcher austreten könne, sondern dass er mit einem Theil des Kohlenstoffs und des Wasserstoffs aus dem ursprünglichen Verband trete. Unter der An- nahme, dass der Zucker sich glatt in Fett, Wasser und Kohlensäure auf- spalte, sind denn die verschiedenen Autoren zu einigen, im Wesentlichen übereinstimmenden Formeln gelangt, die die quantitativen Verhältnisse dar- legen; diese Gleichungen, von denen ich eine hier wiedergebe, zeigen aber nur, wie viel Fett sich unter jener Annahme bestenfalls aus Zucker bilden kann; über den Weg, der dabei eingeschlagen wird, geben sie keinerlei Auskunft. 100 Zucker = 37-0 Fett + 42-8 CO, + 20-2 H,O. Die vollständige Synthese des Fettes setzt sich aus drei Processen zu- sammen, der Entstehung der Fettsäuren, der Bildung des Glycerins und der Esterbildung aus diesen beiden Producten. Ich will heute nur über die Bildung der hohen Fettsäuren selbst sprechen, die beiden anderen weniger schwierigen Probleme nicht erörtern. Die Processe bei der Buttersäuregährung nun geben vielleicht, wie schon Liebig andeutete, einen Weg zur Lösung des Räthsels, wie die hohen Fettsäuren aus Traubenzucker entstehen. Wenn man bisher nicht auf diesen Weg gerathen ist, so liegt das meines Erachtens daran, dass man diese Gäh- rung als eine ausschliessliche Domäne der Mikroorganismen betrachtet hat. Bei meinen Untersuchungen über die Autolyse der Leber! entdeckte ich nun neben anderen Producten das Auftreten von grossen Mengen Butter- säure; gleichzeitig wurde sehr viel Kohlensäure und Wasserstoff etnwickelt. Es ist mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesen, dass auch hier diese Producte aus Milchsäure durch Gährung entstehen, und dass die Milchsäure ihrerseits ein Zerfallsproduct des Zuckers ist. So kam ich auf die Vermuthung, dass diese Veränderungen in der autolysirten Leber ein Analogon zu vitalen Vorgängen darstellen und dass sie den Weg bezeichnen, der im Leben bei der Bildung von Fett aus Zucker eingeschlagen wird. Bei dem Process der Buttersäurebildung aus Zucker auf dem Umweg über Milchsäure sind alle Forderungen bereits erfüllt, die bei der Ent- stehung der hohen Fettsäuren gestellt werden müssen. C,H, ;0,; = 2 C,H,0, = C,H,0, + 200, +2H;: Eine Kohlensäureabspaltung hat stattgefunden, der verbleibende C-haltige Rest ist stark redueirt und es ist bereits eine echte Fettsäure entstanden. ! Die Arbeit erscheint in Hofmeister’s Beiträgen zur chem. Physiologie und Pathologie. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. Macnvs-LEvY. 367 Wohl ist deren Kette kürzer als die des Zuckers, aber sie ist länger als die der Milchsäure, aus der sie entstanden ist; und zwar entstanden durch eine echte Kohlenstoffsynthese, durch Zusammentritt von 2 Moleeülen mit je 2 Kohlenstoffatomen (vielleicht Acetaldehyd). Es müsste nur gezeigt werden, dass auf dem gleichen Wege auch andere und namentlich höhere Fettsäuren sich bilden können. Die Buttersäure ist nicht die einzige Säure, die sich bei der Gährung bildet. Bei der bakteriellen wie auch bei der autolytischen Lebergährung entstehen daneben stets Essig- und Capronsäure. Das ist mit Sicherheit so zu deuten, dass jene zweigliedrigen Kohlenstoffradicale, die bei dem Milch- säurezerfall abgespalten werden, unter Umständen unverbunden bleiben, dass sie zumeist, zu zweien zusammentretend, Buttersäure bilden, während ein kleiner Theil jener Gruppen zu dreien zusammentritt. Entstehen auf diesem Wege bei den Gährungen nicht auch höhere homologe Säuren? Dass sämmt- liche Fettsäuren des Organismus mit 6 und mehr C-Atomen eine paare Anzahl Kohlenstoffatome besitzen, lässt die Annahme, sie bauen sich aus Radicalen mit je 2 C-Atomen auf, recht wahrscheinlich erscheinen. Aus dem vorliegenden Material (es kommen ja zunächst nur die bak- teriellen Gährungen in Betracht) kann ich für diese Anschauung zunächst nichts Sicheres entnehmen, doch halte ich es für nicht unmöglich, dass Ver- suche in ganz bestimmter Richtung doch unter Umständen zu positiven Resultaten führen werden. Da uns die Biochemie im Stiche lässt, ist es angezeigt, sich an die reine Chemie zu wenden. Es gelingt auf ziemlich einfachem Wege aus Traubenzucker (Milch- und) Buttersäure darzustellen, nämlich durch einfaches Stehenlassen von Trauben- zucker mit überschüssigem Kalkhydrat in der Brutwärme. Der Vorgang vollzieht sich auch hier, darüber kann kein Zweifel obwalten, genau wie bei der bakteriellen Gährung, durch Zusammentritt von Radicalen mit 2 C- Atomen. Wenn es gelänge, bei einem derartigen Process unter nur wenig ver- änderten Bedingungen auch die höheren Fettsäuren zu erhalten, so würde die hier vorgetragene Hypothese, dass die Bildung der hohen Fettsäuren sich ähn- lich wie die der Buttersäure vollzieht, an Discutirbarkeit wesentlich gewinnen. Nun, diese Forderung ist längst erfüllt, und zwar von Hoppe-Seyler. Ausgehend von der Aehnlichkeit, die die Gährungserscheinungen mit der Spal- tung durch Alkalien zeigen, erhitzte er milchsauren Kalk mit überschüssigem Natronkalk auf 230°. Unter den Reactionsproducten fand er nun in der Haupt- sache die Producte der Buttersäuregährung, daneben aber auch, wenngleich nur in kleiner Menge, hohe feste Fettsäuren. Es lag kein einheitlicher Körper vor, aber so viel ist sicher, dass entweder Palmitinsäure oder ein höheres Homologon beigemischt war. Hoppe -Seyler erkannte sofort, dass hier eine Bildung der hohen Fettsäuren auf demselben Wege stattgefunden habe, auf dem die Buttersäure entsteht. Er sprach sogleich mit voller Bestimmtheit aus, dass hiermit die ersten unverkennbaren Andeutungen des Weges ge- funden seien, auf dem im Thierkörper Fett aus Zucker gebildet würde. Halte ich diesen Nachweis zusammen mit meinem Befund einer aus- giebigen Buttersäuregährung in der Leber, so scheint mir Hoppe-Seyler’s Annahme, die ich unabhängig von ihm neuerdings gemacht habe, recht wahrscheinlich. Wenn im Organismus Fermente vorkommen, die analog dem 368 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Alkali zwei und drei Kohlenstoffketten mit je zwei C-Atomen zu einer Säure verknüpfen können, so erscheint es einigermaassen plausibel, dass sie auch gleich dem Alkali die Synthese von mehr Gliedern zu hohen Fettsäuren vollziehen können. Wie könnte nun dieser Aufbau gedacht werden? Es ist vielleicht ge- stattet, Nencki’s Vorstellungen über den Vorgang bei der Buttersäure- gährung hierher zu übertragen. Aus der Milchsäure entsteht nach Nencki neben einem Körper mit einem Kohlenstoffatom (Kohlensäure oder Ameisen- säure) eine Kette mit 2 C-Atomen. Nencki spricht sie als Acetaldehyd an und denkt sich diesen auf folgendem Wege in Buttersäure übergehen: CH, CH, CH, OEL, | | | | CHO CH CH EB CHR = |.» + H= | CH CH CH 07 CHE | | | | CHO CHO CHO CHOOH Die Fähigkeit des Aldehyds zur Condensation ist ja bekannt. Es handelt sich bei dieser Condensation um eine Perkins’sche Synthese, eine Synthese, deren Wesen darin besteht, dass die Aldehydgruppe sich unter Wasseraus- tritt mit einem anderen Molecül vereinigt, wobei dann ein Körper mit doppelter Kohlenstoffbindung entsteht. Perkins’sche Synthesen aber können sich im Körper abspielen, das ist durch Kohn’s Nachweis der Furfurakrylsäure nach Eingabe von Furfurol erwiesen. Und solche unge- sättigten Verbindungen, wie sie dabei, wenigstens intermediär, entstehen müssten, sind im Organismus nicht unbekannt. Ich denke an die Oelsäure, deren Constitution freilich, ich will das gleich hier bemerken, meiner Hypo- these einige Schwierigkeiten bereitet. Wenn nun die Bildung der hohen Fettsäuren durch eine Art Perkins’sche Synthese geschehen solle, so müsste diese sich freilich acht oder neun Mai wiederholt haben, da ja bei diesem Process eine Verlängerung der Kohlenstoffkette in unverzweigter Richtung jedes Mal nur um zwei Kohlenstoffatome erfolgen kann. Zwei Molecüle Acetaldehyd können ohne Weiteres in Buttersäure über- sehen. Enthalten sie ja doch die gleiche Anzahl von C-, H- und O- Atomen wie jene Säure 2C,H,0 = C,H,0,. Die hohen Fettsäuren aber enthalten relativ weniger Sauerstoff als die Buttersäure und somit auch als der Aldehyd. Es muss also bei ihrer Bil- dung noch eine Abspaltung von Sauerstoff stattfinden. Wie kann dies ge- schehen? Nun in sehr einfacher Weise durch eben jenen Wasserstoff, der bei der ersten Phase der Umwandlung der Milchsäure frei geworden ist. Die bei der Buttersäuregährung entstandene Wasserstoffmenge reicht nicht nur aus, um jene Reduction zu vollziehen, sondern es lässt sich leicht nach- weisen, dass der Wasserstoff für diesen Zweck nicht einmal ganz aufgebraucht wird, dass somit noch ein kleiner Rest übrig bleibt. I. 9C,H,0, = 90,H,0 + 9H, + 9 CO,. II. 9C,H,0 + 7H, = 0,,H,0, + 7H,O. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — A. Macwus-Levyr. — H. Vırcmow. 369 Die Umwandlung des Zuckers, oder vielmehr seines ersten Derivates, der Milchsäure, in hohe Fettsäuren vollzieht sich nach diesen Vorstellungen in überaus einfacher Weise. Wir können theoretisch den Vorgang in zwei Phasen zerlegen. Die erste ist die Spaltung der Milchsäure in Kohlensäure, Wasserstoff und einen Körper mit zwei C-Atomen, der vielleicht Aldehyd ist (s. die vorhergehende Formel I). Mit dieser Phase aber sind die wesentlichen Atomverschiebungen schon abgeschlossen. Aller Kohlenstoff, der überhaupt eliminirt werden muss (es ist ein Drittel des gesammten), ist bereits abgespalten, das resti- rende Kohlenstoffmoleeül schon redueirt, wenn auch noch nicht genügend weit. In der zweiten Phase (s. Formel II) nun vollzieht sich die Synthese der zweigliedrigen Ketten zu den hohen Fettsäuren durch Perkins’sche Synthese. Die noch nöthige Reduction wird nicht durch besondere, unbekannte Kräfte vollzogen, sondern durch eben jenen Wasserstoff, der bei der ersten Phase frei geworden ist und in statu nascendi die Reduction bewirkt. Bei dieser meiner Erklärung würde das Zuckermolecül, ich muss es noch einmal hervorheben, sich nicht glatt in Fett, Kohlensäure und Wasser umlagern, wie die, früheren Autoren annahmen, sondern es würde etwas Wasserstoff übrig bleiben. Dieser Wasserstoff braucht nicht gasförmig aus- zutreten, sondern er wird wahrscheinlich sofort an Ort und Stelle ander- weitig verbraucht. Dass es sich bei dieser Erklärung der Entstehung von Fettsäuren aus Zucker zunächst nur um eine Hypothese handelt, will ich mit aller Schärfe betonen. Sie vorzutragen, nehme ich Veranlassung nur aus dem Grunde, weil man bisher vor jedem Versuch einer Erklärung zurückgeschreckt ist, und weil dieser Hypothese, wie ich glaube, ein heuristischer Werth inne- wohnt. Welches die Rolle der Fermente und des Protoplasmas bei jener Condensation ist, wie sich der Aufbau im Einzelnen vollzieht, lasse ich vor- läufig unerörtert. Es bleibe dahingestellt, ob sich die Bildung der Butter- säure thatsächlich nach dem Nencki’schen Schema vollzieht. Das sind weiter zurückliegende Probleme, die das letzte Geschehen chemischer Vorgänge be- treffen. Nur darum ist es mir zunächst zu thun, einen bisher völlig uner- klärten Vorgang, den der Fettbildung aus Zucker, in Beziehung und Ana- logie zu setzen zu einem häufig vorkommenden und leichter zu erklärenden, dem der Buttersäuregährung, und damit ein erstes Verständniss anzubahnen. Wird man in der Zukunft einen genaueren Einblick in die chemischen Vor- gänge bei der Buttersäuregährung erhalten, so werden sich die dann ge- wonnenen Anschauungen, wie ich glaube, unmittelbar oder mit geringen Ver- änderungen auch zur Erklärung der Fettbildung aus Zucker verwerthen lassen. 2. Hr. H.VırcHow: „Ueber Einzelmechanismen am Handgelenk.“ Ueber die Bewegungen des Handgelenkes im Ganzen sind wir durch mehrere Untersuchungsmethoden: Gefrierskelet-Präparation, Formalin-Alkohol- Härtung, X-Aufnahmen der lebenden Hand, Axenbestimmung nach Braune und Fischer, in ziemlich weitgehender Weise aufgeklärt; und es stellt sich naturgemäss der Wunsch in verstärktem Maasse ein, auch die Einzelgelenke, aus deren Leistungen ja die Gesammtleistung resultirt, genauer zu begreifen; jeden einzelnen Knochen, jede Fläche, jeden Spalt, jeden Einzelmechanismus endgültig kennen zu lernen. Archiv f. A.u. Ph. 19%2. Physiol. Abthig. 24 = 370 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Schon Henke lässt auf der ersten Seite seiner Betrachtungen über das Handgelenk ! den Gesichtspunkt hervortreten, dass in letzter Linie nur aus dem Zusammenwirken aller Einzelverbindungen die Gesammtbewegung zu Stande kommt, hebt aber auch zugleich die Schwierigkeit hervor, Natur und bedeutung derselben festzustellen: „Jede Articulation an sich lässt bei ihrer kleinen Ausdehnung und ihrem nicht sehr vollkommen genauen Schlusse das Gesetz ihrer Bewegung nicht wohl erkennen. ... Es ist deshalb auch nicht thunlich, bei diesen vielen kleinen in einander greifenden Gelenkchen, wie sonst bei zusammengesetzten Gelenken, von der Untersuchung und Be- schreibung derseiben im Einzelnen auszugehen und dann aus ihrer Zusam- menfassung den Gesammtmechanismus zu construiren.“ Thatsächlich ist ja auch jeder Versuch, durch Untersuchung von Gelenk- präparaten älteren Stiles, bei welchen die Gelenktheile freigelegt und die Knochen hin- und herbewegt wurden, den Mechanismus aufzuklären, fehl- geschlagen. Je nachdem dabei der eine oder der andere Einzelmechanismus in den Vordergrund gestellt und zur Grundlage deductiver Betrachtungen gemacht wurde, entstand eine andere Theorie, wie das Beispiel von Henke und H. v. Meyer zeigt, die beide ebenso logisch, ebenso consequent, ebenso sorgfältig das Problem untersuchten und durchdachten, und doch zu einer verschiedenen: Darstellung kamen. Indem aber jetzt durch die erwähnten besseren Methoden das That- sächliche über die Bewegungen genauer bekannt geworden ist, bezw. die Wege gefunden sind, es genauer bekannt zu machen, ist damit auch die Möglichkeit gegeben, beständig zu controliren, ob das, was aus der anato- mischen Präparation geschlossen wird, richtig ist. Die neueste Phase in der Untersuchung des Handproblemes weist jedoch keine grössere Vertiefung der anatomischen Untersuchung, sondern im Gegen- theil grossentheils eine völlige Abwendung von letzterer auf. Manche Besitzer von X-Bildern scheinen ganz das Gefühl dafür verloren zu haben, dass ein grosser Unterschied zwischen einem Thatbestand und seiner mechanischen Erklärung besteht. Hatten wir früher zu viel Erklärung und zu wenig Thatbestand, so haben wir jetzt zu wenig Erklärung und zu viel Thatbestand und damit zu viel seichte Casuistik. In dieser Hinsicht ist zu betonen, dass die Aufgabe des Physiologen von der des Praktikers wesentlich ver- schieden ist. Für letzteren mag es in vielen Fällen völlig genügen, ein X-Bild von einer bestimmten Stellung der Hand zu haben, um aus der Lage der Knochen zu begreifen, wie eine Verletzung zu Stande kam. Er, der Praktiker, kann sich in solchen Fällen den Umweg der theoretischen Ueberlegung sparen und mühelos den Thatbestand ablesen, den er früher ableiten musste. Der Physiologe dagegen wird unfehlbar zu einer schiefen Auffassung und Darstellung kommen, wenn er nicht stets mit dem anato- mischen Präparat in Verbindung bleibt. Ganz abgesehen von den Miss- deutungen, von denen man selbst bei diesem günstigsten Object für die X-Durchstrahlung nicht sicher ist, läuft man Getahr, individuelle Varianten für wesentlich und Verschiebungen von Knochenschatten, die die Folge von Stellungsänderungen der Hand oder Röhre sind, für Bestandtheile des ı W. Henke, Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke. Leipzig und Heidelberg 1863. 8. 161. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHoWw. 3 mechanischen Vorganges zu nehmen. Die weitgehenden Differenzen, welche in der Röntgen-Litteratur hervortreten, bestätigen diese kritischen Bedenken nur zu sehr. Der Weg nun, um die Hand in der angedeuteten Weise genauer zu studiren, besteht darin, aus dem Carpus einzelne, aus zwei, drei oder vier Knochen gebildete Combinationen sammt den zugehörigen Bändern heraus- zuschneiden und sie auf ihre mechanischen Bedingungen zu prüfen. Dies ist also nicht eine Analyse der Logik, sondern des Messers, an welcher die Logik nur so weit betheiligt ist, als sie die Combinationen bestimmt. Diese anatomische Analyse verlangt zweierlei: präparatorische Schulung und Zeit, und zwar von letzterer nicht wenig. Ich hätte daher auch die Untersuchung nicht zu Ende führen können, wenn nicht Herr J. Dubs aus Chieago mit unermüdlicher Ausdauer die Präparationen gemacht hätte. Stellt man die geforderten Einzelpräparate her, so macht man alsbald die Entdeckung, dass hier eine Anzahl von Einzelgelenken vorliegt, welche durch die Gestalt der Gelenkflächen und sinnvolle Anordnung von Bändern einen bestimmten Gang um feste oder doch ziemlich sicher ge- lagerte Axen zu haben scheinen. Wenn man aber dann die Einzel- bewegungen innerhalb der Gesammtbewegung aufsucht, so wie uns letztere durch die vorhin genannten Methoden vorgeführt wird, so findet man, dass sie nur in eingeschränktem Maasse zur Geltung gelangen. Es stellt sich damit heraus, dass die Hand ein geradezu klassischer Boden für Compromisse ist; dass die Einzelgelenke für gewisse Richtungen, für ge- wisse Phasen der Gesammtbewegung bestimmend sind, bei anderen aber insufficient werden; dass eine „gangbestimmende“ oder „führende“ Fläche dies nicht uneingeschränkt ist. Ich will nun in dem angedeuteten Sinne die intercarpalen Gelenke schildern. Wenn ich das Radiocarpalgelenk für diesmal unbesprochen lasse, das Erbsenbein als einen an der Mechanik des Handgelenkes nicht be- theiligten Knochen ausschalte und die Knochen der distalen Reihe als eine feste Einheit behandle, so habe ich es mit sechs Verbindungen zu thun: Der Verbindung des L. mit N.!, L. mit Tri, L. mit C. und H., Tri. mit H., N. mit C, N. mit den beiden Multangula.. Um der Vorstellung von vorn- herein eine bestimmte Richtung zu geben, wähle ich dafür functionelle Bezeichnungen: das radiale Stellgelenk, das ulnare Stellgelenk, der centrale Ginglymus, die ulnare Schraube, das erste radiale Ellipsoidgelenk, das zweite radiale Ellipsoidgelenk. Diese sechs Verbindungen ordnen sich in drei Gruppen, eine centrale, eine ulnare und eine radiale. Zu der centralen gehört eine Verbindung, zu der ulnaren zwei, zu der radialen drei. Ich will sie nach einander besprechen, und zwar die Knochenflächen und Bänder charakterisiren, die Bewegungsmöglichkeiten, wie sie sich aus dem anatomischen Bau ergeben, nennen, und die wirklich stattfindenden Bewegungen hervorheben. ! Ich schreibe der Kürze halber die Knochennamen im Folgenden nicht immer aus; L. bedeutet Lunatum, N. Naviculare, Tri. Triquetrum, C. Capitatum, H. Hamatuı ; Trapezium und T'rapezoides werden unverkürzt gegeben. 24* 372 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 1. Das Gelenk zwischen Lunatum einerseits, Capitatum und Hamatum andererseits. a) Knochen. — Der proximalwärts gewendete Kopf des Kopfbeines hat für den ersten Blick ein kugeliges Aussehen, und Henke! bezeichnet demgemäss auch die Verbindung desselben mit dem L. als Kugelgelenk (Arthrodie). Bei näherem Zusehen zeigt sich, dass an der ulnaren Seite die amphiarthrotische Fläche zur Verbindung mit dem H. bis an’s proximale Ende läuft. Es bleibt also nur die proximale und radiale Seite zur freien Gelenkverbindung übrig. Beide sind durch eine schief verlaufende Kante von einander geschieden, die am überknorpelten Knochen sehr deutlich ist, am macerirten dagegen selten scharf hervortritt, obwohl manchmal auch an diesem eine sehr ausgeprägte Trennung existirt. Das dorsale Ende dieser Kante liegt weiter ulnar als das volare. Durch diese Kante wird auf dem Kopfe ein proximales und ein radiales Feld geschieden, von denen hier nur das proximale in Betracht kommt, während das radiale weiter unten Be- rücksichtigung finden soll. Das proximale greift auf die dorsale und volare Seite über und ist an der dorsalen Seite schmaler wie an der volaren. Zur Ergänzung dieser Fläche dient ein in radio-ulnarer Richtung schmaler Streifen auf der proximalen Fläche des H. Die dem C. und H. zugewendete Fläche des L. ist, wie bekannt, durch eine Leiste in zwei Facetten geschieden, eine breitere für das C. und eine schmalere für das H. Das Breitenverhältniss beider Facetten, sowie der Winkel, den beide mit einander bilden, unterliegen bedeutenden Schwankungen; zuweilen fehlt die Facettirung gänzlich, in manchen (seltenen) Fällen ist die Facette für das H. ebenso breit wie die für das C. Die dergestalt charakterisirte Verbindung ist mit H. von Meyer als ein Ginglymus zu bezeichnen.” Und zwar ist die durch C. und H. gebildete Rolle gekehlt, wie die des unteren Humerusendes, und das L. gleitet auf ihr mit einer Kante, wie am Humerus die Ulna. b) Bänder. — Einen gut charakterisirten Bandapparat für diesen Ginglymus kann es nicht geben, weil zu jeder der beiden Seiten noch andere Knochen liegen. Am ehesten wären wohl das Lig. radio-capitatum, d. h. der zum Ü. gehende Zug des Lig. radio-carp. volare und das Lig. capito- triguetrum nebst dem gleichlaufenden Lig. hamo-triquetr. volare zu nennen als Hemmungsbänder gegen dorsale Flexion. ec) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. — Der Gingylmuscharakter kommt bei den flexorischen Bewegungen in klarer Weise zum Ausdruck, und die von-Meyer angenommene quere Axe hat auch durch die X-Untersuchungen Bestätigung gefunden. Bei seitlichen Bewegungen dagegen wird, wie Gefrierskelet-Präparat und X-Aufnahme zeigen, der Ginglymuscharakter nicht respectirt, und insbesondere bei radialer Abduction findet, wie ich früher erwähnt habe, eine erhebliche seitliche Verschiebung statt. Da haben wir einen der Compromisse, von denen einleitend gesprochen wurde. ! Henke, a.a.0. 'S. 180: ® H. Meyer, Die Statik und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes. Leipzig 1873. 8. 167. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHoWw. 313 Uebrigens glaube ich, dass auch bei reiner Flexionsbewegung nicht von einer genauen Queraxe gesprochen werden kann, indem dabei das L seine Stellung gegen die Flexionsebene ändert, soweit wenigstens das Ge- frierskelet-Präparat Aufschluss giebt. Da aber diese Mitbewegungen des L. am X-Bilde schwer zu erkennen und zu deuten sind, so will ich für dies- mal nicht versuchen, dieselben näher zu bestimmen. Das Gelenk zwischen L. und Tri. a) Knochen. — L. und Tri. berühren sich mit planen Flächen. Der zwischen ihnen gelegene Spalt steht schief, d.h. mit dem proximalen Ende weiter ulnar wie mit dem distalen. b) Bänder. — Abgesehen von dem Knorpelüberzuge, der von dem einen Knochen auf den anderen übergeht und schon eine ziemlich feste Verbindung herstellt, sind beide Knochen noch durch zwei straffe Bänder, ein dorsales und ein volares, vereinigt, welche eine mehr distale Lagerung besitzen. Diese Bänder sind nicht rechtwinklig. zu dem Spalt, sondern rechtwinklig zu der Längsaxe der Hand angeordnet. c) Bewegungsmöglichkeiten am isolirten Präparat. — Eine Drehung der beiden Knochen gegen einander um eine quere Axe ist aus- geschlossen. Eine Verschiebung des Tri. gegen das L. in proximaler Richtung ist unmöglich, eine Verschiebung in distaler Richtung dagegen lässt sich ausführen. Dieses Phänomen ist für denjenigen, der es zum ersten Male sieht, nachdem er bis dahin von der Vorstellung einer starren Ver- bindung zwischen L. und Tri. beherrscht war, sehr überraschend. Zur Demonstration dient ein kleines Modell, an welchem die beiden Knochen durch Holzklötzchen und die beiden Bänder durch Darmsaiten dargestellt sind. Ich hatte die distalwärts gerichtete Verschiebung des Tri. bei radialer Abduction schon früher bemerkt und beschrieben auf Grund von Gefrier- skeiet-Präparat und X-Bild, ohne den bedingenden Mechanismus zu erkennen; ich hatte mir auch Gedanken über die Schiefstellung des Spaltes gemacht, ohne die nahe Beziehung zwischen Schiefstellung und Verschiebung zu ver- stehen. Erst bei dem Versuch, am isolirten Präparat Bewegungen auszu- führen, wurde die Sache klar. Der Grund für die Verschiebung, und zwar ausschliessliche Verschiebung in distaler Richtung, liegt in der erwähnten Anordnung der Bänder. d) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. Bei flexorischen Bewegungen macht das Tri., soweit bis jetzt bean ist, die Bewegung des L. genau mit. Bei seitlichen Bewegungen der Hand führt es die „flexorische Mitbewegung“ genau ebenso aus wie das L. und N.; dagegen vergleitet es, der oben erwähnten Bewegungsmöglichkeit entsprechend, bei radialer Abduction distalwärts, vergleitet aber nicht bei ulnarer Abduction proximalwärts, sondern bildet in dieser Phase der Be- wegung eine feste Einheit mit dem L. Der mechanische Werth dieser Einrichtung ist in folgender Weise zu bezeichnen: Das distalwärts gerichtete Vergleiten bei radialer Abduction ist nicht gefordert, wohl aber gestattet; und zwar ist es gestattet, weil bei radialer Abduction die ulnaren Theile des Carpus nicht führend sind und daher ein Loslassen der Flächen vertragen. Dieses Loslassen ist aber von Vortheil, weil dadurch die Bänder vom Tri. zur distalen Reihe, 374 VERHANDLUNGEN DER BERLINER d. h. das Lig. capito-triquetrum und hamo-triquetrum volare kurz sein können, was der Hand bei anderen Phasen der Bewegung, nämlich bei Dorsalflexion, zu Gute kommt. Bei ulnarer Abduction dagegen muss das Tri. in feste Combination mit dem L. treten, weil es nun gangbe- stimmend werden soll, dazu aber eines festen Widerlagers bedarf. Da es selbst an der proximalen Seite dem Discus gegenübersteht, also eines solchen Widerlagers entbehrt, so muss es sich durch Vermittelung des L. auf den Radius stützen. Forssell hat meine Angabe über die Längsvergleitung des Tri. gegen das L. bei radialer Abduetion bestätigt! und sie dahin erweitert, dass bei ulnarer Abduction ein Vergleiten in proximaler Richtung stattfinde. Ich kann diese Ergänzung meiner Angabe nicht annehmen. Ich finde sie that- sächlich nieht richtig und mechanisch unmöglich. Ein Vergleiten in proxi- maler Richtung ist nur in zwei Fällen denkbar, in dem einen wirklich, in dem anderen scheinbar; wirklich bei ungewöhnlicher Schlaffheit der Bänder, scheinbar, wenn man als „Ausgangsstellung“ für die Unter- suchung nicht die natürliche Haltung der Hand, sondern eine mehr radiale Stellung wählt. Die natürliche Haltung ist aber mit einem gewissen Grade von ulnarer Abduction verbunden; die „gerade Haltung“ der Hand liegt schon radial von der natürlichen. Fick gar hat die Sache in ihr direetes Gegentheil verkehrt ?, indem er gar nicht mehr von einer distalen Verschiebung, sondern nur von einer proxi- malen Verschiebung bei ulnarer Abduction spricht. Der Grund für diese Darstellung ist ein rein zufälliger; er besteht darin, dass Fick die Abbildung der radial abducirten Hand (Taf. II) vor die der ulnar abducirten (Taf. III) gestellt hat; indem er nun von Taf. II nach Taf. III umschlägt, erhält er seinen Befund. Was der Autor hier beschreibt, ist nicht Vergleitung bei ulnarer Abduction, sondern Rückgleitung aus radialer Abduction. Dies ist ein Beispiel, wohin man kommt, wenn man nur X-Bilder liest, ohne sich um das anatomische Präparat zu bekümmern. 3. Das Gelenk zwischen Tri. und H. a) Knochen. — Ich habe den auf der proximalen Fläche des H. ge- legenen Schraubengang, dessen ulnares Ende volarwärts geführt ist, schon früher erwähnt und abgebildet. Die entsprechende Fläche am Tri. ist kürzer, so dass für eine Verschiebung des Tri. am H. Raum vorhanden ist. Ich möchte beifügen, dass beim Schimpanse die Schraube weit ausdrucksvoller ist, als beim Menschen, indem die Fläche des H. viel weiter nach der volaren Seite herumgreift. b) Bänder. — Das wohlcharakterisirte Band für diese Verbindung ist das volare Lig. hamo-triquetrum, dem sich das Lig. eapito-triquetrum, d.h. der zum Tri. gehende Zug des Lig. carpi volare radiatum anschliesst. Ein dorsales Band kommt nicht in Betracht, denn das Lig. hamo-triquetrum dorsale ist sehr variabel und auch bei bester Ausbildung stets dünn und Y 1 G. Forssell, Ueber die Bewegungen im Handgelenke des Menschen. Skandi- navisches Archiv für Physiologie. 1901. Bd. XI. S. 209. ® R. Fiek, Ueber die Bewegungen in den Handgelenken. Abhandl. der math.- phys. Classe d. königl. sächs. Ges. d. Wissensch. Leipzig 1901. Bd. XXVI. S. 436. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOw. 35 dabei merkwürdig dehnbar, so dass es eine Hemmung erst an einer Grenze bilden würde, welche an der unzerlegten Hand aus anderen Gründen über- haupt nicht erreicht wird. c) Bewegungsmöglichkeit am isolirten Präparat. — An dem Präparat, welches nur aus Tri, H. und Lig. hamo-triquetrum volare besteht, lässt sich die Schraubenbewesung wohl zur Anschauung bringen, indessen hat dieselbe dann wegen der mangelhaften Bandverbindung einen wackeligen Charakter. Es muss die Verbindung mit den benachbarten Abschnitten des Carpus hinzukommen, um ihr ein festes Gepräge zu geben. d) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. — Die ulnare Schraube ist bei allen Bewegungen der Hand mit Ausnahme der ulnaren Abduetion insufficient wegen Klaffens des Spaltes. Bei ulnarer Abduetion dagegen wird sie gangbestimmend und nöthigt, wie ich früher hervorgehoben habe, dem Triquetrum die dorsal-flexorische Mitbewegung auf. 4. Das Gelenk zwischen L. und N. Während an der ulnaren Seite zwei Verbindungen mit klar geschiedener Mechanik gefunden wurden, so gestaltet sich die Sache auf der radialen Seite schwieriger, weil ein Knochen, das Naviculare, in sehr bestimmter Weise an allen drei radialen Gelenken theilnimmt. Man kann daher auch diese Gelenke nach diesem Knochen als das erste, zweite und dritte N.-Gelenk bezeichnen. . Es soll zuerst von dem ersten derselben gesprochen werden. a) Knochen. — L. und N. berühren sich mit planen Flächen. Genau genommen sind allerdings diese Flächen in dorsovolarer Richtung etwas ge- wölbt, die am N. convex, die am L. concav. Die überknorpelte Fläche ist auffallend niedrig und stets in sehr charakteristischer Weise dorsal höher wie volar. Der Spalt zwischen beiden Knochen ist der Längsaxe der Hand parallel gerichtet, aber er steht in anderem Sinne schief wie der zwischen L. und Tri., nämlich mit der dorsalen Kante weiter ulnar wie mit der volaren Kante. b) Bänder. — Auch hier sind, wie an der Verbindung des L. mit dem Tri., zwei Bänder vorhanden, ein dorsales und ein volares, aber sie sind schlaffer als jene. Von ihnen befestigt sich das dorsale an den gegen- überstehenden Kanten der beiden Knochen, und zwar am distalen Theil der Kanten; das volare befestigt sich am L. an der radialen Fläche, also inter- stitiell, am N. dagegen auf der volaren Fläche. c) Bewegungsmöglichkeit am isolirten Präparat. — Eine so aus- druckslose Verbindung wie diese prädisponirt an sich zu keiner bestimmten Art der Bewegung, und keines der sechs Einzelgelenke ist weniger geeignet als dieses, die theoretische Betrachtung in irgend eine Bahn zu weisen. Es ist Flächenvergleitung des N. möglich, sowohl in dorsaler und volarer, wie in proximaler und distaler Richtung; ferner Drehung um eine quere Axe und endlich Entfernung beider Knochen von einander. Bewegst man beide Knochen im Sinne der Drehung, so stellt sich heraus, dass die Axe in das hintere Band fällt. Es ist von vornherein klar, dass erst durch Beein- flussung von Seiten der Umgebung die Bewegung ein bestimmtes Gepräge erhalten kann, wobei der Umstand eine wesentliche Rolle spielt,“ dass der 376 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Kopf des N. in den halbkuppelförmigen Raum zwischen L. und Radius ein- gezwängt ist. d) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. — Gefrierskelet-Präparat und X-Bild lassen uns einen auffallenden Unterschied im Verhalten des N. bei flexorischen und bei seitlichen Bewegungen erkennen. Bei flexorischen Bewegungen nämlich, wenigstens Dorsalflexion, folgt das N. im Wesentlichen der distalen Reihe, ist also gegen das L. be- weglich; bei seitlichen Bewegungen dagegen macht es streng die Be- wegung des Lunatum mit, ist also gegen die distale Reihe beweglich; bezw. das Lunatum macht die Bewegungen des N. mit. Es ist klar, dass der Grund für dieses wechselnde Verhalten nicht in den Verbindungen des N. mit dem L. allein liegen kann; und ebenso ist es klar, dass das Problem nicht genügend mit der Frage bezeichnet ist: „Warum folgt das N. bei flexorischen Bewegungen der distalen Reihe und bei seitlichen dem Lunatum ?“, sondern dass die ergänzende Frage hinzutreten muss: „Wie geht es zu, dass bei flexorischen Bewegungen das N. vom L. und bei seitlichen. von der distalen Reihe losgelassen wird?“ Ich kann diese Frage hier nicht erschöpfend behandeln, schon aus dem Grunde nicht, weil von der Articeulatio radio-carpalis und damit von dem proximalen Widerlager des N. hier gar nicht gesprochen wird; ich will aber doch zwei wichtige mechanische Verhältnisse hervorheben. Bei Dorsal- flexion bleibt das N. dadurch an die distale Reihe gebunden, dass seine nach vorn ragende Tuberositas durch starke Bänder festgehalten wird: Lig. carpi volare proprium, welches sich an beide radiale Eminentiae carpi befestigt und sie dadurch verbindet; Lig. navi-trapezium laterale und Scheide des Flexor carpi radialis, welches die Rolle eines Lig. navi-trapezium mediale spielt. Bei ulnarer Abduction drückt das Naviculare gegen das L. in Folge der veschriebenen Schiefstellung des trennenden Spaltes wie gegen eine Backe und nimmt das L. in die schiefe Bewegung, welche sich aus seitlicher Verschiebung und Dorsalflexion zuammensetzt, mit. 5. Das Gelenk zwischen N. und (C. a) Knochen. — Das Gelenk zwischen dem Kopf des C. und der Pfanne des N. ist ein Ellipsoidgelenk. Ich nehme hier die vorhin abgebrochene Beschreibung des Ö.-Kopfes wieder auf. Die radiale Fläche dieses Knochens, welche, wie gesagt, von der proximalen durch eine schiefe Kante geschieden wird, ist ellipsoidisch gestaltet. Der längere Durchmesser dieses Ellipsoids liegt mit seinem dorsalen Ende mehr proximal, mit seinem volaren Ende mehr distal.e Uebrigens ist der Unterschied der Krümmung in beiden Richtungen so unbedeutend, dass man praktisch von einer Kugelfläche sprechen kann, und ich wäre sicher nicht auf das Ellipsoid aufmerksam ge- worden, wenn man es nicht beim Schimpanse weit deutlicher sehen könnte. Den Radius der Krümmung der Fläche bestimmte ich an einem frischen und mehreren trockenen Knochen, welche entsprechend dem kurzen Durch- messer des Ellipsoids durchgesägt waren, zu 8%; und da der Mittelpunkt des C-Kopfes 6%" von der Oberfläche entfernt ist, so fällt das Centrum für die ellipsoidische Fläche annähernd in ihn, etwas weiter ulnar und volar. Diese Gelenkfläche trägt an ihrem distalen Rande einen zungen- PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOWw. DM förmigen, auf dem Halse des C. gelegenen Fortsatz, welcher aber die Krümmung der Hauptfläche nicht einfach fortsetzt, denn in dorso-volarer Richtung ist er stärker convex, in Längsrichtung dagegen concav; er ist also sattelförmig. Auf diesen Halsfortsatz kommt bei radialer Abduction die dorso-distale Kante des Naviculare, von der sogleich gesprochen werden wird, zu stehen. Dieses zungenförmige Stück der Gelenkfläche variirt er- heblich, in manchen Fällen fehlt es gänzlich, in anderen verbreitert es sich bedeutend in dorso-volarer Richtung. Ich habe jedoch nie einen Fall getroffen, wo es so breit würde wie bei Affen und Anthropoiden, wo der Hals des C.an der radialen Seite von einer überknorpelten spiraligen Rinne eingenommen ist, deren dorsales Ende mehr proximal und deren volares Ende mehr distal steht. Die Pfanne am. ist nur selten ringsherum gleichmässig entwickelt; meist fehlt ihr ein dorso-distales Randstück, und diese Stelle passt, wie schon angedeutet, bei radialer Abduction auf den Halsabschnitt der Ge- lenkfläche des ©. Den Radius der Pfanne bestimmte ich an einem feuchten Knochen zu 30 "®; er differirt also von dem des ellipsoidischen Kopfes. b) Band. — Es giebt ein Band, welches zu dem geschilderten Ellipsoid- gelenk in der nächsten Beziehung steht: das Lig. navi-capitatum. Es liegt an der volaren Seite und läuft dem kurzen Durchmesser des Ellipsoides parallel. Es ist überraschend, wie gut noch der Einzelmechanismus, der aus den beiden Knochen und diesem einen Bande gebildet wird, functionirt. Die Bewegung, in welche das N. dabei am leichtesten fällt, ist die um eine schiefliegende Axe, welche dem langen Durchmesser des Ellipsoides parallel ist; bei Bewegung des N. in volar-ulnarer Richtung wird das Band gefaltet, bei Be- wegung in dorsal-radialer Richtung wird es gespannt und hemmt die Bewegung. c) Bewegungsmöglichkeit am isolirten Präparat. — Die eben charakterisirte Bewegung giebt nur die so zu sagen rohe Grundlage für die Vorstellung. Es ist auf der einen Seite natürlich, dass an einer solchen Verbindung, wie die geschilderte, mit einem kugeligen Kopf, mit einer Pfanne, die nicht genau congruent ist mit dem Kopf, mit einem einzigen Bande, auch andere Bewegungen als die erwähnte Hauptbewegung möglich sind; es ist auf der anderen Seite aber ebenso natürlich, dass durch die feste Vereinigung der beiden Multangula mit dem ©. und die Verbindung des N. mit dem Trapezium durch Bänder das Spiel des N. gegen das C. nicht die Freiheit behalten kann, welche es für sich haben würde. Insbesondere ist hier wieder der schon erwähnte Umstand zu betonen, dass die Spitze des N. mit dem Trapezium durch Bänder ausgiebig verknüpft ist. Dieser Umstand ist von so dominirender Bedeutung, dass er sogleich seinen Platz in der weiteren Betrachtung erhalten muss; und ich will, um zunächst zu einer völligen, wenn auch etwas einseitigen Klarheit zu kommen, annehmen, dass die Spitze der Tuberositas des N. ihren Platz gegen das Trapezium gar nicht verändern kann. Wenn man diese Annahme macht, so muss die Axe durch die Spitze der Tuberositas gehen. Und da die Axe ausserdem, wie vorhin gesagt, durch die Mitte des O.-Kopfes läuft, so ist sie damit festgelegt. Es ist dies die schiefe Axe Henke’s für das distale Gelenk; und ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf aufmerksam machen, wie man auf rein constructivem Wege aus den anatomischen Componenten zu der Henke’schen Axe kommen kann. 378 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Bohrt man zu grösserer Klarheit diese Axe, so zeigt sich, dass die-' selbe genau am vorderen Rande der Pfanne austritt, und dass sie auch die ellipsoidische Fläche des Kopfes des ©. am vorderen Rande trifft. Das Ellipsoidgelenk ist also nur einseitig von der Axe, und zwar an der dorsalen Seite, entwickelt. Es zeigt sich nun allerdings, dass am isolirten Präparat, welches aus N., C. und den beiden Multangula nebst den zugehörigen Bändern besteht, das radiovolare Ende der Axe in seiner Lage nicht völlig gesichert ist. Es giebt keinen Punkt an der Tuberositas des N., welcher seinen Platz unverrückt festhielte. Dies lässt sich noch deutlicher durch den Gegensatz zeigen, wenn man in die eben erwähnte Bohrung eine materielle Axe in Gestalt eines Metallstiftes einführt. Dann ist der Gang der Bewegung ruhig, aber zugleich eingeschränkt; zieht man die materielle Axe wieder aus, so ist die Exeursion der Bewegung grösser, aber der Gang nicht so sicher. Die Art der Abweichungen von der streng schematischen, d. h. gingly- musartigen Bewegung ist jedoch nicht ohne Weiteres zu erkennen. Um sie genauer beobachten zu können, verfuhren wir in folgender Weise: wir entfernten durch einen auf der genannten Axe rechtwinklig stehenden Sägeschnitt das ulnare Stück des C., und es musste dann dieser Schnittebene eine Linie auf der Pfanne des N. entsprechen. Ist die Bewegung zwischen N. und C. eine reine Ginglymusbewegung, so muss der durchschnittene Rand des C. auf der entsprechenden Linie der Pfanne gleiten, wie es thatsächlich geschieht, wenn die materielle Axe eingelegt ist. Eine derartig reine Ginglymusbewegung findet jedoch nicht statt, sondern die Projectionen der Schnittlinie auf die Pfanne bei verschiedenen Stellungen der Knochen, d.h. verschiedenen Phasen der Bewegung, bilden mit einander Winkel. d) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. — Da das eben besprochene Gelenk mit dem folgenden, dem letzten der sechs Gelenke, eng verbunden ist, so kann die Betheiligung an den Gesammt- bewegungen nur für beide gemeinsam besprochen werden. 6. Das Gelenk zwischen N. und den beiden Multangula. a) Knochen. — Es ist leicht zu sehen, dass das N. mit einer convexen, die Multangula mit einer concaven Fläche betheiligt sind; auch, dass der Spalt nicht genau quer gerichtet ist, sondern wegen des Vorragens des N. nach der volaren Seite mit seinem radialen Ende weiter volar, mit dem ulnaren Ende weiter dorsal liegt. Endlich ist auch zu sehen, dass der Spalt nieht rechtwinklig auf der Längsaxe der Hand steht, sondern mit seinem radialen Ende mehr proximal, mit dem ulnaren Ende mehr distal. Dies Alles genügt aber noch nicht, um die Knochenformen und damit das Ge- lenk zu charakterisiren. Um den Gelenkkörper des Navieulare scharf zu begreifen, bedürfen wir einer Linie, die wir zur Grundlage der Betrachtung machen können. Als solche bietet sich naturgemäss die schon hervorgehobene schiefe Axe dar, welche durch die Spitze der Tuberositas des N. und durch die Mitte des Kopfes des C. geht. Denn da beide Gelenke in Folge der festen Ver- einigung der distalen Knochen unter einander so anzusehen sind, als handele cs sich um eine Doppelverbindung des N. mit einem einzigen Knochen, so PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. — H. VIRCHow. 379 nimmt das eine an den Bewegungen des anderen zwangsmässig theil. Bohren wir nun die Axe, wie vorhin angegeben, so zeigt sich alsbald, dass die Kante, welche am N. die Facette für das Trapezium von der für das Trapezoides scheidet, rechtwinklig auf der Axe steht. Es empfiehlt sich, um die Vorstellung zu materialisiren, auf diese Kante eine Linie zu ziehen und dann drei weitere parallele Linien hinzuzufügen, eine ulnar in einem Abstand von 5"®, eine zweite in gleichem Abstande radial und eine dritte noch 3m weiter radial. Diese vier Linien nebst der materiellen Axe (Metall- draht) geben einen sicheren Anhalt für die Orientirung über die Form. Man wird dieses Verfahren vielleicht umständlich finden, und es mag sein, dass ein mit Formensinn begabter und in stereometrischen Dingen geübter Beobachter es entbehren kann. Ich für meine Person muss be- kennen, dass ich ohne dasselbe nicht zum Ziele gekommen bin, und viel- leicht wird auch mancher Andere es nützlich finden. Es ist dabei zu be- denken, dass eine convexe Fläche an sich kugelig, ellipsoidisch, walzenförmig, kegelförmig sein kann; und der litterarische Hinweis darauf, dass an dieser Stelle Henke mit einem Ginglymus, Meyer mit einem Kegel operirt, zeigt, dass selbst sehr gründliche Untersucher verschiedener Meinung sein können. An einem N. fanden wir den Krümmungsradius an der Stelle der Kante, welche die beiden Facetten für die Multangula trennt, gleich S"", - also ebenso gross wie den des Ellipsoides am ©. An einem anderen, aller- dings ungewöhnlich grossen N. betrug er an gleicher Stelle 10 7m, 3 mm weiter radial S"", und noch weitere 3 "% weiter radial 6 ®"; an der ulnaren Seite dagegen, d. h. auf der Facette für das Trapezoides vergrösserte er sich nicht, sondern nahm sogar etwas ab. Darnach haben wir eine ellip- soidische Fläche vor uns, und zwar ist es wesentlich ein Ausschnitt aus dem radialen Theil des Ellipsoides. Dieses Ellipsoid gleicht aber allerdings häufig an der radialen Seite einem Kegel. Darin hat Meyer bis zu einem gewissen Grade Recht. Eine vollkommene Kegelfläche ist es zwar nie, sondern an der Facette für das Trapezoides bleibt stets der ellipsoidische Charakter gewahrt. Der volare Abschnitt ist stärker convex, d. h. hat einen kürzeren Krümmungsradius. Diese stärkere Krümmung ist wesentlich gegen die Spitze der Tuberositas hin entwickelt. Auf diesen Abschnitt stellt sich das Trapezium bei Volarflexion und insbesondere bei ulnarer Abduction. In dem N. kehrt also ein Zug wieder, den wir von den Öondylen des Femur kennen: die Figur einer Evolvente. Mit diesen Angaben ist aber noch nicht Alles erschöpft, was über diese kleine Fläche zu sagen ist; es sind noch zwei Merkmale hervorzuheben: das radiovolare Stück, also der der Spitze der Tuberositas am nächsten liegende Abschnitt, ist zuweilen in querer Richtung concav, also sattelförmig ge- staltet; und endlich findet sich an der dorso-ulnaren Ecke der Facette für das Trapezoides eine zungenförmige Fortsetzung der Gelenkfläche. Die letztere correspondirt mit einem Felde, nicht auf der proximalen, sondern auf der dorsalen Fläche des Trapezoides, und hauptsächlich mit dem hier gelegenen kurzen Bändchen zwischen C. und Trapezoides. Ein Contact an dieser Stelle tritt nur ein bei extremer Dorsalflexion, und es wäre inter- essant, die Hand eines Handstandkünstlers daraufhin untersuchen zu können. So haben wir also zwei ausgezeichnete, diagonal zu einander gelegene Stücke 380 VERHANDLUNGEN DER DERLINER an dieser complieirten Gelenkfläche, das eine radiovolar für volare Flexion (und ulnare Abduction), das andere ulnodorsal für dorsale Flexion. Es mag vielleicht kleinlich oder gar spitzfindig erscheinen, alle diese Modificationen an einer kleinen Fläche hervorzuheben, um so mehr, da dabei schon stark in das Gebiet der individuellen Variation hineingegriffen werden muss. Ich glaube jedoch umgekehrt, dass alle diese Besonderheiten an’s Licht gezogen werden müssen, weil sich in jeder von ihnen Beziehungen auf die wechselnden Phasen der Bewegungen und Beanspruchungen des Carpus verrathen. Ich finde mich darin um so mehr bestärkt, da beim Schimpanse die für das Trapezium bestimmte Facette des N. eine sehr bewegte Gestalt hat. Die Fläche auf den Multangula entspricht natürlich der Haupt- sache nach der eben geschilderten, doch nicht genau im Einzelnen. Sie weicht nämlich in dorsovolarer Richtung stets ab, indem sie einen srösseren Krümmungsradius besitzt; und in querer Richtung zuweilen, indem sie einen kleineren Krümmungsradius hat, in Folge wovon dann das Naviculare nur an der radialen und ulnaren Seite aufliegt, in der Mitte aber abgehoben ist. b) Bänder. — Das dritte Navieulargelenk ist mit Bändern in ausgiebiger Weise ausgestattet, und besonders ist die Tuberositas des N. mit dem Trapezium in vorzüglicher Weise vereinigt. Das Lig. navi-trapezium laterale hat wie ein echtes Seitenband eine dreieckige Gestalt: es befestigt sich schmal an der lateralen Seite der Tuberositas des N. und breit am Trapezium von der Tuberositas bis an einen seitlich gelegenen Wulst. Die Scheide des Flexor carpi radialis übernimmt, indem sie sich an beiden Knochen festheftet, die Rolle eines ulnaren Lig. navi-trapezium. Wenn man aus ihr ein solches Band herausschneidet, so bildet dieses mit dem zuvor genannten Bande einen rechten Winkel. Das Lig. carpi vol. proprium, indem es sich straff an die beiden radialen Eminentiae carpi befestigt, verstärkt sehr wesentlich die Verbindung zwischen beiden Knochen. Hierzu kommt eine weitere volare Sicherung durch ein tiefliegendes Lig. navi-trapezoides. An der dorsalen Seite findet sich nur ein Lig. navi-trapezoides dorsale. Dieses ist nicht constant; wenn es aber vorhanden ist, so ist es sehr charakteristisch. Es hat bei Dorsalflexion und radialer Abduction einen fast queren Verlauf und stellt sich bei ulnarer Abduction schief, mit Neigung zur Längsrichtung. Es muss als ein Hemmungsband für die ulnare Ab- duction angesehen werden. ec) Bewegungsmöglichkeit am isolirten Präparat. — Das dritte N.-Gelenk erhält durch die eben beschriebenen Bänder einen sehr ent- schiedenen Ausdruck, hat aber trotzdem keinen selbstständigen Charakter, denn es verliert, sobald man das Capitatum bezw. den Kopf desselben weg- schneidet, seinen ulnaren Halt. Ein sicherer Gang der Bewegung ist dann nicht mehr vorhanden. Um aber doch, der Tendenz der vorliegenden Untersuchung entsprechend, ein isolirtes Präparat dieses Gelenkes herstellen und demonstriren zu können, verfuhren wir in folgender Weise: die Knochencombination N., C. und PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRcHow. 381 Multangula nebst den zugehörigen Bändern wurde präparirt, die schiefe Axe, wie früher angegeben, gebohrt und darauf der Kopf des Ü. so weit aus- gesägt, als er mit der Pfanne des N. verbunden ist, so dass nur ein ulnarer Rest des Kopfes stehen blieb, der mittels des in ihm enthaltenen Bohrloches das ulnare Ende der Axe (des Metallstiftes) aufnehmen konnte. Ein solches Präparat ist geeignet, die Bewegung um die schiefe Axe zu demonstriren, wobei jedoch die Axe selbst an ihrem radialen Ende schwankt. Wir müssen nun, nachdem die Bewegungsmöglichkeiten im zweiten und dritten N.-Gelenk für sich betrachtet sind, weiter gehen und dieselben in eine gemeinsame Vorstellung zusammenfassen, da ja beide Gelenke nur zugleich zur Geltung kommen können. Schon im Vorausgehenden wurde mit einer gemeinsamen schiefen Axe für beide Gelenke operirt, und es ist für das Folgende von entscheidender Bedeutung, zu wissen, in welchem Sinne, bis zu welcher Grenze, eventuell mit welcher Einschränkung von einer solchen gesprochen werden kann. Ich berühre hier nebenbei, dass ich bei einer früheren Gelegenheit von einer pronatorischen Mitbewegung des radialen Carpalrandes bei ulnarer Abduetion gesprochen habe; und ich möchte trotz der hiergegen von anderen Seiten gemachten Einwendungen diese Sache, die allerdings von mir nicht ganz klar dargestellt war, noch nicht für abgethan ansehen. Aber ich habe diese Mitbewegung nur als ein feineres Accidens, so zu sagen als einen physiognomischen Zug in der Gesammterscheinung der Hand be- handelt, welcher für die künstlerische Betrachtung Beachtung verdient. Auf keinen Fall habe ich damals und auch bis jetzt nicht die fragliche Be- wegung als ein wesentliches Moment in der Mechanik des Carpus angesehen, und ich kann sie daher für die vorliegenden Betrachtungen unerörtert lassen und demgemäss die distale Reihe als eine feste Einheit behandeln. Wenn man dies thut, so ist es selbstverständlich, dass eine Bewegung im zweiten N.-Gelenk von einer entsprechenden Bewegung im dritten N.-Ge- lenk begleitet sein muss; oder — anders ausgedrückt — dass eine (gedachte) Linie, welche in einer bestimmten Phase der Bewegung die Axe für das zweite N.-Gelenk darstellt, in der gleichen Phase auch die Axe für das dritte N.-Gelenk darstellen muss. Aus dieser mechanischen Nothwendigkeit folgt, dass, wenn es für eines der heiden N.-Gelenke eine feste Axe giebt, gleichviel ob für das zweite oder dritte, dass dies auch zugleich eine feste Axe für das andere der beiden Gelenke sein muss. Nun hat die vorausgehende anatomische Analyse gezeigt, dass jedes der beiden Gelenke ein Ellipsoidgelenk ist, dass also keines von ihnen für sich eine feste Axe haben kann. Es fehlt mithin bis zu dieser Stelle noch an der bestimmten anatomischen Basis für die Behauptung, dass die erwähnte schiefe Axe, die Henke’sche Axe, deren grosse Bedeutung ich ausdrücklich anerkenne, eine feste Lage habe. Lässt sich erweisen, dass diese feste Lage existirt, so muss man auch die theoretische Consequenz mitmachen, welche Henke zog, indem er von einem distalen Ginglymus sprach. Bis zu dem Zeitpunkte aber, wo dieser Beweis nicht geliefert ist, muss eine mehr reservirende Bezeichnung Platz greifen; und ich drücke meine eigene Auffassung in dem Terminus aus: „Das gekoppelte Doppel- ellipsoid des Carpus“. Diese Bezeichnung ist nicht so unmittelbar fasslich wie die eines Ginglymus, aber sie enthält die Reserve, zu welcher 382 VERHANDLUNGEN DER BERLINER die genauere anatomische Betrachtung zwingt; sie steht an sich nicht im Widerspruch zu dem Henke’schen Ginglymus, sondern bringt eine weitere Fassung zur Geltung, von welcher der Ginglymus die strengste Form sein würde; meine Bezeichnung hebt die zwangsmässige Ver- bindung beider Gelenke hervor und wahrt zu gleicher Zeit jedem der- selben seine Eigenart. ‘ Hiermit ist die Formulirung bezeichnet, bis zu welcher man meiner Meinung nach auf Grund der Untersuchung des Gelenkpräparates berechtigter Weise gehen kann. Das isolirte Präparat, welches aus N., ©. und den beiden Multangula nebst zugehörigen Bändern besteht, lehrt, dass im Grossen und Ganzen die schiefe Axe Geltung hat, lehrt aber auch zu gleicher Zeit, dass ein gewisses Wackeln in der Verbindung stattfindet, wofür ja in der oben hervorgehobenen Incongruenz der Gelenkflächen der materielle anatomische Grund nachgewiesen ist. Damit sind wir aber an der Grenze angelangt, bis zu welcher wir das Gelenkpräparat theoretisch zu verwenden uns gestatten dürfen; es ist ebenso wenig erlaubt, dieses Wackeln der Axe zu ignoriren, wie, auf dasselbe Deductionen zu bauen. Es ist auf der einen Seite möglich, dass durch die anderen Theile der Hand, Knochen, Bänder, Muskeln, die Axe die Stetigkeit bekommt, deren sie bis dahin entbehrt; es ist aber ebenso wohl möglich, dass innerhalb der Gesammtbewegungen die Freiheit, die sich am isolirten Präparat nur als Schlottrigkeit äussert, in Gesetzmässigkeit, aber in eine andere Gesetzmässigkeit als die aus der schiefen Axe allein resultirende, übergeführt wird. d) Betheiligung an den Gesammtbewegungen der Hand. — Gefrierskelet-Präparat wie X-Bild lehren, wie schon weiter oben hervor- gehoben wurde, dass bei flexorischen Bewegungen das N. im Wesentlichen die Bewegung der distalen Reihe mitmacht, während es bei seitlichen Be- wegungen den Gang der proximalen Reihe, insbesondere des L., theilt. Es würde daher eine gewisse Berechtigung haben, an dieser Stelle nur von den seitlichen Bewegungen zu sprechen und die flexorischen Bewegungen von der Betrachtung auszuschliessen. Ganz besonders könnte dies gelten von der Volarflexion, denn bei dieser ist überhaupt das distale Ge- lenk wenig betheiligt. Schon H.v. Meyer hat auf Grund der Unter- suchung am Gelenkpräparat hervorgehoben, dass die Volarflexion im Wesent- lichen im Radiocarpalgelenk ausgeführt wird!; und Forssell hat durch X-Bilder die geringe Betheiligung des distalen Gelenkes an dieser Bewegung bestätigt. Wir fanden in Uebereinstimmung mit diesen Angaben, dass, wenn man am Gelenkpräparat das L. an den Radius annagelt, also die Bewegung der proximalen Reihe unterdrückt, dass dann die Möglichkeit der Volarflexion fast gänzlich aufgehoben ist. Trotzdem findet jedoch, wie nicht übersehen werden darf, bei beiden Bewegungen, sowohl bei der dorsalen wie bei der volaren Flexion, eine nicht unerhebliche Verschiebung der Multangula gegen das N. statt; und zwar gleiten bei Vorlarflexion die Multangula auf dem N. nach vorn, bei Dorsalflexion zurück, wie sehr deutlich auf meinen Gefrierskeletpräparaten und auf den durch R. Fick? bekannt gewordenen X-Aufnahmen des ! A.a.0. 8.169. area 072,802528 3 R. Fick, Ueber die Bewegungen in den Handgelenken. Abhandl. der math.- phys. Olasse d. königl. sächs. Ges. d. Wissensch. Bd. XXVI. S. 417—468. Tat. VI. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOw. 383 Hrn. Wüest zu sehen ist. Es handelt sich dabei fast ausschliesslich um eine Gleitbewegung, wozu sich aber bei Dorsalflexion, wie das X-Bild von Fick zeigt, ein gewisses Aufklaffen am volaren Rande gesellt. Dagegen bleibt bei Volartlexion das Aufklaffen an der dorsalen Seite aus, welches bei der verwandten Flexionsbewegung, die als Begleiterscheinung der ulnaren Abduction auftritt, und die sogleich besprochen werden soll, so charakteristisch ist. Es müsste ja auch ein irgendwie erhebliches Aufklaffen bei Volar- tlexion die unmögliche Consequenz haben, dass — wegen der volaren Lage der Tuberositas des N. — das L. vollkommen vornüber gehebelt werden würde. Wichtiger aber sind die seitlichen Bewegungen. Bei radialer Abduction setzen sich, wie ich bei früherer Gelegen- heit bemerkt habe, die Multangula fest auf das Naviculare, wodurch sie dieses zu der volarflexorischen Mitbewegung zwingen, welche seit Henke bekannt und von allen Beobachtern, die mit X-Bildern gearbeitet haben, bestätigt ist. Dabei nimmt der dorso-distale Randabschnitt der Pfanne des N. seinen Platz an dem oben erwähnten Halsfortsatz der radialen Fläche des C. ein, und es findet in Vervollständigung der Action ein Rückgleiten der Multangula auf dem Naviculare, oder besser — im Sinne der wirkenden Kraft — Vorgleiten des N. an den Multangula statt. Noch beachtenswerther ist die ulnare Abducetion. Bei ihr findet, wenn man im Interesse der Description die distale Reihe als ruhend, das N. als bewegt annimmt, ein Vorgang statt, wie ihn Henke gelehrt hat, d.h. eine Bewegung um die vorhin bezeichnete schiefe Axe. Aber diese schiefe Bewegung associirt sich mit einem Aufklaffen des Spaltes zwischen N. und Multangula an der dorsalen Seite. Ich habe dieses Aufklaffen schon früher erwähnt und die daraus her- vorgehende Stellung abgebildet;! finde es aber im Hinblick auf die seitdem erschienene Litteratur angemessen, eine genauere Angabe hinzuzufügen. Am X-Bilde kommt, den Bedingungen des Verfahrens entsprechend, diese Er- scheinung nur unvollkommen zum Ausdruck. Ich muss mich daher auf das Gefrierskelet-Präparat beschränken, wobei ich allerdings hervorheben muss, dass mir nur ein derartiges Präparat zur Verfügung steht. Der volare Rand der Gelenkfläche des N. entfernt sich nicht von den Multangula, ebenso wenig die der Tuberositas benachbarte radio-volare Ecke. Dagegen klafft der Spalt an der dorsalen Seite, und zwar in zunehmendem Maasse gegen die ulnare Seite, so dass er seine grösste Tiefe an der dorso-ulnaren Ecke hat. Fick hat dieses Klaffen zugegeben?, aber dasselbe zugleich mit einer Wendung begleitet, durch welche der theoretische Werth dieser Beobachtung verwischt wird: „Aber diese Klaffbewegung ist im mechanischen Sinne nichts weiter, als eine Volarbeugung der Vieleckbeine.“ Hierzu habe ich meinerseits mit Rücksicht auf den vorliegenden Zusammenhang und mit Rücksicht auf den damaligen Zusammenhang, in welchem meine Aeusserung gemacht war, das Folgende zu bemerken. Wenn der Spalt zwischen dem N. und den Multangula an der dorsalen Seite aufklafft, so kommt allerdings dieses Aufklaffen der Volarflexion ıH. Virchow, Das Skelet der ulnarwärts abducirten und radialwärts abdu- eirten Hand. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. Bd.1. S. 453—482, Fig. 4 auf S. 459. 27A, 3..0.185442, 384 VERHANDLUNGEN DER BERLINER zu Gute. Das ist so selbstverständlich, dass es keiner ausdrücklichen Betonung bedarf. Ebenso wie das ausgiebige Klaffen der Knochen am gebeugten Knie auf der vorderen Seite des Gelenkes, welches ich be- schrieben habe, die Flexionsbewegung unterstützt, so muss das Klaffen zwischen den genannten Knochen der Hand gleichfalls die Flexionsbewegung fördern. Wenn aber Abschnitte eines Gelenkes aus einander klappen, so werden diese Abschnitte insuffieient, denn es ist klar, dass Flächen, die nicht mehr in Contact stehen, nicht mehr gang- bestimmend sein können. Dies dürfte wohl als gleichfalls selbstverständ- lich Niemand Anstand nehmen zuzugeben. Und in diesem Sinne stellte ich der Fig. 37 von Henke, welche einen reinen Gleitmechanismus für das dritte N.-Gelenk annimmt, meine Fig. 9, welche den Klappmechanismus repräsentirt, gegenüber, wobei noch zu bemerken ist, dass die Henke’sche Figur ein Schema ist, welches einen gedachten Vorgang verbildlicht, meine Figur dagegen eine Copie eines Thatbestandes. Und dieser Thatbestand gewinnt nun im Zusammenhange der vor- stehenden Betrachtungen seine schärfere Beleuchtung. Die vorausgehende Analyse hatte uns vor die Frage gestellt, ob das „gekoppelte Doppelellipsoid des Carpus“ ein Ginglymus sei, als welchen es Henke angenommen hatte. Und wir kommen nun zu der Erkenntniss, dass es das nicht ist. Wenn das dritte N.-Gelenk insufficient wird, so ist es nicht mehr im strengen Sinne bestimmend für den Gang der Bewegung, sondern die Führung fällt dem zweiten Gelenke zu (falls nicht auch für es bei gewissen Phasen der Bewegung eine Insuffieienz erwiesen wird). Ist aber das zweite Gelenk führend, so ist kein Grund vorhanden, warum dieses streng der einaxigen Be- wegung folgen und nicht vielmehr den weiteren Bewegungsmöglich- keiten, die ihm als einem Ellipsoidgelenk zukommen, folgen sollte. Damit aber ist die anatomische Basis für den Henke’schen Gingly- mus und für die Henke’schen Axen zerstört. Es liegt mir fern, die grosse Bedeutung der Henke’schen Auffassung bestreiten zu wollen. Ich glaube, durch meine vorausgehende Besprechung der schiefen Axe dieser Theorie in genügender Weise gerecht geworden zu sein. Ich möchte nur die durch Deduction auf anatomischer Basis gewonnene, zu weit gehende Einseitigkeit dieser Auffassung beseitigen. Ich hoffe, durch die Bezeichnung des „gekoppelten Doppelellipsoides“ meine Auffassung nach beiden Seiten hin, im zustimmenden wie ablehnenden Sinne, gekennzeichnet zu haben. Ich greife nun auf die Eingangs eitirten Worte Henke’s zurück, weil sich an ihnen am besten der Gegensatz der Anschauungen erläutern lässt. Ich bin mit keinem der beiden dort angeführten Sätze ganz einverstanden. Auf der einen Seite ist es meiner Ansicht nach gar nicht so schwer, jedes der kleinen Einzelgelenke anatomisch zu charakterisiren und die daraus resultirende Bewegungsmöglichkeit zu bezeichnen. Was hier nöthig ist, ist — wie man wohl bemerkt haben wird — zweierlei: Geduld zur Analyse und Logik, um zwischen Bewegungsmöglichkeit des einzelnen Gelenkes und thatsächlich stattfindender Beanspruchung innerhalb der Ge- sammtbewegungen zu unterscheiden. Ich bin allerdings selbst erst zu der im Vorhergehenden vorgetragenen Anschauung gelangt, nachdem ich mich PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOw. 385 Jahre lang mit der Hand beschäftigt hatte. Aber der Grund dieser Ver- zögerung besteht darin, dass ich früher nicht den Weg der präparatorischen Zerlegung, wie er im Vorausgehenden geschildert ist, betreten habe. An sich könnte ich mir wohl denken, dass Jemand, der mit offenem Blick und ohne theoretische Voreingenommenheit an die Sache herantritt, alles das an diesen kleinen Gelenken und noch mehr beim ersten Anlauf wahrnimmt. Auf der anderen Seite aber glaube ich, dass, wenn man auch diese Einzelgelenke des Carpus noch so genau kennte, man doch daraus die Ge- sammtbewegung nicht würde ableiten können. Ja es scheint mir gerade die genaue Kenntniss und die klare Auffassung der Einzelmechanismen die Einsicht zu begründen, dass es direet unmöglich ist, auf dem Wege der Deducetion vom anatomischen Präparat aus die Gesammtbewegung zu ver- stehen, so hart auch diese Beschränkung für den deduetionsfreudigen Gelenk- mechaniker alten Schlages sein mag. Wenn der centrale Ginglymus gezwungen wird, eine seinem Ginglymuscharakter widersprechende Seitenbewegung zu machen; wenn die an sich unscharfe Verbindung zwischen L. und N. durch die Beeinflussung der Umgebung einen bestimmten Gang erhält; wenn die schein- bar starre Verbindung zwischen L. und Tri. doch eine Gleitbewegung gestattet; wenn die Schraube des ulnaren Randes, so wirksam bei ulnarer Abduction, bei allen anderen Lagen insufficient wird; wenn die Verbindung des N. mit den Multangula je nach der Phase der Bewegung bald mehr als Gleit- mechanismus, bald mehr als Klappmechanismus wirkt, so ist es klar, dass sich aus dem Studium solcher Gelenke eine Theorie nicht aufbauen lässt. Es war daher auch gar nicht möglich, eine endgültige Fassung des Handproblems zu gewinnen, bevor man Methoden hatte, den Thatbestand festzustellen; auf dem Arbeitstisch des Untersuchers müssen deswegen Gefrierskelet-Präparat und X-Bild stets bereit liegen, um zu prüfen, ob das, was er am isolirten Gelenkpräparat als Möglichkeit findet, an der ganzen Hand eine Realität ist. Es wird nach den vorhergehenden Ausführungen wohl verständlich ge- worden sein, was ich damit meinte, wenn ich die Hand als einen Boden für Compromisse bezeichnete. Es konnte ja im Grunde a priori er- wartet werden, dass der centrale Ginglymus wesentlich für die Flexionsbewegung bestimmend sein, und den seitlichen Theilen der Hand ein entscheidender Einfluss auf die seitlichen Bewegungen zufallen würde. In letzterer Hinsicht tritt aber noch speciell die That- sache hervor, dass die Gelenke der ulnaren Seite nur bei ulnarer Ab- duetion bestimmend sind, während sie bei radialer Abduetion insufficient werden; dass dagegen die radialen Gelenke nicht nur bei der radialen, sondern auch bei der ulnaren Abduction eine entscheidende Rolle spielen. Es zeigt sich hierin, dass der Aufbau der Hand, welche nur an der radialen Seite mit dem Vorderarm verbunden ist und an welcher von den Meta- carpalien allein das zweite und dritte amphiarthrotisch mit dem Carpus in Verbindung stehen, auch innerhalb des Carpus selbst radial seine grössere Festigkeit hat. Wir können jetzt auch, wie mir scheint, ein bestimmteres Urtheil über die Henke’sche Theorie aussprechen, d. h. ein Urtheil, welches die Henke’- sche Theorie in das richtige Verhältniss zu dem Gesammtproblem bringt. Die Henke’sche Theorie ist, kurz gesagt, eine Theorie des Naviculare. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 95 386 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Henke fand an dem Naviculare höchst interessante Thatsachen, er ent- deckte an ihm die schiefe Axe für die Bewegung der distalen Reihe, und diese schiefe Axe forderte zu ihrer Compensation die andere schiefe Axe, die für die Bewegung der proximalen Reihe. Neuerdings ist für den von verschiedenen X-Untersuchern angegriffenen Henke ein Retter aufgetreten, R. Fick, der gleichfalls mit X-Strahlen untersucht hat und auf Grund davon behauptet, der auf diesem Wege ge- fundene Thatbestand sei eine glänzende Bestätigung der Henke’schen Lehre. Dabei ist jedoch fünferlei zu bemerken: 1. hält Fick die Henke’schen Axen nur für seitliche Bewegungen aufrecht, für flexorische Bewegungen lässt er sie fallen; 2. giebt Fick das Klaffen des dritten Naviculargelenkes bei ulnarer Abduction zu und opfert damit, freilich ohne es zu merken, die anatomische Grundlage der Henke’schen Theorie; 3. bestätigt Fick die That- sache des Vergleitens des Tri. gegen das L., wenn auch in missverstandener Weise, und giebt damit die proximale Reihe als eine feste Einheit auf; 4. demonstrirt Fick in den von ihm publieirten X-Aufnahmen des Hrn. Wüest, freilich ohne es selbst zu merken, dass das N. bei flexorischen Bewegungen mit der distalen Reihe geht; 5. endlich legt Fick die beiden schiefen Axen anders, als Henke gethan hatte. Eine derartige Rettung ist nicht frei von dem Beisatz des Komischen; sie ist ein schönes Zeichen der Pietät gegen einen Forscher, den wir Alle hoch verehren, aber sie führt uns nicht zu dem litterarischen Ziele, zu er- kennen, was von den Henke’schen Ausführungen auch jetzt noch haltbar ist. Ich für meinen Theil möchte glauben, dass Henke selbst mit dieser Art der Rettung nicht sonderlich zufrieden gewesen sein würde. Ich glaube vielmehr, dass es der Henke’schen Betrachtungsart weit mehr entsprechen würde, zu sagen: Wenn die Henke’schen festen Axen für die seitlichen Bewegungen voll gelten, so können sie auch für die flexorischen Bewegungen nicht ganz bedeutungslos sein; oder umgekehrt, wenn sie für die flexorischen Bewegungen gar keine Bedeutung haben, so können sie auch für die seitlichen Bewegungen keine absolute Geltung beanspruchen. Die Bedeutung der Henke'- schen Betrachtungsart bestand ja gerade darin, dass im Gegensatz zu der rein schematischen Zerlegung der Bewegungen in solche um ge- dachte rechtwinklig zu einander stehende Axen, wie sie zZ. B. bei der Darstellung der Fussbewegungen vielfach noch jetzt üblich ist, wirklich ana- tomische Axen aufgesucht wurden, wobei allerdings Henke in eine ge- wisse Liebhaberei für schiefe Axen verfiel. Wenn nun Fick die Henke’- schen Axen zwar für die seitlichen Bewegungen gelten lässt, sie aber für die flexorischen Bewegungen bestreitet, so ist dies einer Zerstörung und nicht einer Rettung der Henke’schen Lehre gleich zu achten, denn der Sinn dieser Lehre war ja eben der, dass die gleichen Axen für alle Bewegungen Geltung haben sollten. Nur in diesem Sinne waren die Henke’schen Axen feste Axen. Es ist dabei auch Folgendes zu berücksichtigen — und dies ist, wie ich glaube, ganz im Henke’schen Geiste gesagt —: Wir machen zwar, wenn wir die Bewegungen der Hand untersuchen wollen, „rein flexorische“ und „rein seitliche“ Bewegungen; wir bemühen uns sogar jetzt mehr als früher, derartige Bewegungen „rein“ auszuführen, weil wir für die PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. VIRCHOWw. 387 X-Bilder, die ja heutzutage eine so grosse und für manchen Beobachter ausschliessliche Bedeutung erlangt haben, vergleichbare Aufnahmen brauchen. Aber wir dürfen doch nicht das Gefühl dafür verlieren, dass wir damit etwas Künstliches machen. Die natürliche Haltung der Hand ist nicht eine gerade, sondern sie enthält einen gewissen Beisatz von ulnarer Abduetion. Geht die Hand in Dorsalflexion, so schwindet dieser Beisatz ulnarer Abduction; bei Volarflexion wird, wie Forssell hervorhebt, eine supinatorische Mitbewegung im Radio- carpalgelenk ausgeführt, u. s. w. Dies sind die wahren Stellungen, die wahren Bewegungen der Hand; sie zu verstehen, werden wir in letzter Linie streben müssen, und die rein seitlichen und rein flexorischen Be- wegungen, die wir jetzt machen, sind nichts anderes als Hülfsmittel auf dem Wege der Untersuchung. Rein seitliche Bewegungen haben, wenn sie auch gemacht werden können, etwas Gewaltsames, und die radiale Abduction zumal ist in so geringem Maasse natürlich, dass sie von vielen Menschen nur schwierig, von Anderen gar nicht ausgeführt werden kann. Dass nun gerade für diese Bewegungen der Carpus mit bevorzugten Axen ausgestattet sein sollte, ist von vornherein sehr wenig einleuchtend. Bei den natürlichen Bewegungen aber wird das Naviculare weder mit der ‘proximalen, noch mit der distalen Reihe fest verbunden bleiben son- dern sich gegen beide bewegen. Alle Axenbestimmungen bezw. Mittelpunktsbestimmungen für die Ge- sammtbewegungen der Hand, wie sie seit Henke bis auf die neueste Zeit gemacht sind, die von Henke selbst, von Meyer, Braune und Fischer, Fick, Forssell u. A. zeigen, dass der Hauptsache nach der Mittelpunkt immer im Kopf des Kopfbeines gelegen ist. Es kann unsere Be- wunderung für den kunstvollen Mechanismus der Hand nur steigern, wenn wir sehen, dass ein derartiger gemeinsamer Mittelpunkt möglich ist trotz der wechselnden Einzelverschiebungen in den kleinen Gelenken des Carpus. Wenn wir z.B. bemerken, dass das Naviculare bei den flexorischen Be- wegungen der distalen und bei den seitlichen Bewegungen der proximalen Reihe sich anschliesst, dass das Triquetrum bei radialer Abduction am Lunatum vergleitet, während bei ulnarer Abduction eine feste Combination Luno-Triquetrum gebildet wird, so lässt uns dies tiefer in die Eigenart des Handgelenkes hineinblicken, als wenn wir die proximale Reihe als eine feste Einheit mit einer festen Bewegungsaxe annehmen. Solche festen Einheiten und festen Axen, wie sie Henke und ihm folgend Fick an- nimmt, sind nur möglich durch einen Gewaltact, nämlich dadurch, dass man einen Einzelmechanismus in den Vordergrund stellt und die Verschiebungen in anderen Einzelverbindungen als „Nebenbewegungen“ oder, wie Fick es ausdrückt, „besondere Bewegungen“ auf die Seite stellt. Hieraus ergiebt sich aber zwingend die Aufgabe, die Einzelgelenke und ihre mechanischen Bedingungen, ihre Bewegungsmöglichkeiten und ihre factische Betheiligung an den Gesammtbewegungen auf’s Genaueste festzu- stellen und die Methoden auszubilden, welche diese Feststellung ermög- lichen. Dass die Durchstrahlung mit X-Strahlen für sich allein zu diesem Ziele nicht führen kann, dürfte wohl klar sein. Suchen wir aber diese Einzelverschiebungen festzustellen, so zeigt sich, dass manche Verschiebungen, welche so fest sind, dass wir am isolirten 25* 388 VERHANDL. DER BERLINER PHYSIOL. GESELLSCH. — H. VIRCHOw. Präparat gar nicht darauf kommen würden, ihnen überhaupt eine Bedeutung beizulegen, doch innerhalb der Gesammthand eine gewisse Verschiebung erleiden, wie das Gelenk zwischen L. und Tri., und dass andere Verbindungen, welche verh. nachgiebig sind, wie das Gelenk zwischen L. und N., doch bei gewissen Phasen der Bewegung nicht nachgeben. Hier lässt uns die apriorische Betrachtung, die Deduction aus dem Gelenkpräparat, völlig im Stich. Es sind aber noch zwei Verhältnisse zu nennen, welche bei der Fest- stellung der Thatsachen eine Rolle spielen. Das eine ist die Comprimir- barkeit der Knorpel. Dieses Moment ist für das Kniegelenk durch Braune und Fischer hervorgehoben worden, und ich habe für das gebeugte Knie die Formen, die dabei angenommen werden, genau geschildert. Am Carpus spielt dieser Umstand trotz der geringeren Knorpeldicke gleichfalls eine Rolle. Das zweite ist das Klaffen von Spalten. Schon Henke sprach von dem „nicht sehr vollkommenen genauen Schlusse“! der kleinen Gelenke, aber er formulirte seine Theorie der zwei festen Axen unter Ignorirung dieser Thatsache. Meyer dagegen führte bereits das Klaffen von Spalten als eine „merkwürdige Thatsache“ ? auf, mit welcher er theoretisch operirte. Ich habe dieses Klaffen für die ulnarabducirte und radialabducirte Hand auf Grund der Gefrierskelet-Präparate im Einzelnen erörtert, d.h. ich habe nicht nur ausgesprochen, dass dasselbe existirt, sondern auch nach- gewiesen, in welchem Umfange, an welchen Stellen es vorkommt. Das Gleiche wird auch für die dorsalfleetirte und volarflectirte Hand anzugeben sein. Wenn in den neueren Arbeiten, welche den Handmechanismus unter ein- seitiger Benutzung von X-Bildern erörtern, dieses Klaffen entweder gar keine Berücksichtiuug gefunden hat, oder in unbestimmter und z. Th. gänzlich irrthümlicher Weise geschildert worden ist, so liegt dies an der Natur der Methode, welche eine genauere Feststellung in dieser Richtung so voll- kommen ausschliesst, dass es ein bedenkliches Licht auf den Autor wirft, wenn er auf Grund von X-Bildern allein derartige Angaben macht. Hier wird die Fixirung durch Formalin-Alkohol-Injection als ergänzende Methode hinzutreten müssen. Ich spreche von dem Klaffen von Spalten nicht, um damit die Präeision der Gelenkbetrachtung zu beeinträchtigen, sondern im Gegentheil, um der Untersuchung diejenige Präcision zu geben, deren sie bisher ermangelt. Auch das Klaffen von Spalten an gewissen Stellen und in gewissen Phasen ist eine Realität, gerade so gut wie der Contact von Flächen eine Realität ist, und wir müssen trachten, dieses Klaffen im Ein- zelnen genau festzustellen. Der Weg zum Ziele wird dadurch allerdings verlängert, aber wir haben kein Recht, den Weg willkürlich dadurch ab- zukürzen, dass wir wichtige Stücke des Thatbestandes von der Beobachtung ausschliessen. ISA OLLS ET: 2A.2.0. 8.1. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & C0MP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie, Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das ‚„Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben. von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .% 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 %#. Zu beziehen durch. alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung Nenrologisches Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel in Berlin, Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 %#. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 %# direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeit sc hrift Hy giene und Infectionskrankheiten. Herausgegeben von. Dr. R. Koch, und Dr. C. Flügge, Director des Instituts 0.6. Professor und Director für Infectionskrankheiten des hygienischen Instituts der zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Abbildungen im Text und zahlreichen Tafeln. | 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W.His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 0%, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 4. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die Ahlen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck won Metzger & Wittig in Leipzig. Physiologische Abtheilung. 1902. YV. u. VI. Heft. Be | ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUFENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM HIS, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1902. —— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT ACHTUNDZWANZIG ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. LEIPZIG, VERLAG VON WEIT & COMP: 1902. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 28. August 1902.) Inhalt. Seite Max Borchert, Experimentelle Untersuchungen an den , des Rückenmarks. (Hierzu Taf.Il.) . ... . 389 J. Dewırz, Weitere Mittheilungen zu meinen Untersnchinsen Süber die Wer. wandlung der insektenlarven“ . . 425 ° Tr. W. EnGeLMAnN, Weitere Beiträge zur näheren Kenn a on Wirkungen der Herznerven. . . 443 EDMUND SAALFELD, Beiträge zur Physiologie der Hanı : pe Bon grösserer Hautstücke . . . NE RAT. J. v. Kries, Ueber eine Art Salyehtimssoher Hazihätigkeit: > RN, . 47 H. J. HAMBURGER und G. Ad. van LIER, Die Durchlässigkeit der vier Bien körperchen für die Anionen von Natriumsalzen . . . 492 A, Scaückıng, Ueber veränderliche osmotische hilenschaften, der Monkinen: FON DERLIHErEN Eat Ce a ne A NE ee G. Grisss, Berichtigung . .. N Verhandlungen der phy en Gesellschaft : zu Berlin 1901-1902 DENE DEE H. HiLDEBRANDT, Ueber einige Oxydationsprocesse im Thierkörper. — C. NEUBERG, Ueber die Pentosen des T'hierkörpers. — HERMANN Munk, Zur Physiologie der Grosshirnrinde. — A. SCHLESINGER, Ueber Plasmazellen und Lymphocyten. — H. Levinsonn, Ueber Beziehungen zwischen Hirnrinde und Pupille. BerichtieUNngen rs. 2 ee N ea a ee Re Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat- Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 c# Honorar für den Druckbogen. Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. Wilhelm His in Leipzig, während der Monate März, April, August und September jedoch an die Verlagsbuchhandlung Veit & Comp. in Leipzig, Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann in Berlin N.W., Dorotheenstr. 35 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizufügen. Experimentelle Untersuchungen an den Hintersträngen des Rückenmarks. Von Max Borchert. (Aus dem physiologischen Institute der kgl. Thierarzneischule zu Berlin.) (Hierzu Taf, II.) Die Arbeiten Walker’s (1809), Bell’s (1811), Magendie’s (1322) und Johannes Müller’s (1831) trugen die Jahrtausende alte Anschauung zu Grabe, dass der Vorgang, der sich bei der Bewegung und Empfindung abspielt, an ein und dieselbe Leitungsbahn gebunden sei, und lehrten, dass es eigene motorische und sensible Nerven giebt, die zwar innig mit einander verflochten, doch streng isolirt durch den Körper ziehen, um zu je einem Bündel vereinigt, der vorderen und der hinteren Wurzel, in’s Rückenmark einzutreten. Was nun den Verlauf der sensiblen Leitungsbahnen im Rücken- mark anlangt, so haben die anatomischen Untersuchungen des vorigen Jahrhunderts, die durch die Vervollkommnung unserer mikroskopischen Technik in den letzten Jahrzehnten eine grosse Vertiefung erfahren haben, gezeigt, dass sich die hinteren Wurzeln nach dem Eintritt in’s Rückenmark in zwei wesentlich verschiedene Bahnen gabeln, davon die eine, die eigent- lichen Hinterstrangbahnen, keine Unterbrechung in der grauen Substanz des Rückenmarks erfährt, sondern direct bis zu den Nuclei graciles und cuneati der Medulla oblongata aufsteigt. Die zweite Bahn besteht aus den- jenigen hinteren Wurzelfasern, die entweder direct oder nach kürzerem oder längerem Verlaufe durch die weissen Hinterstränge in Zellen der grauen Substanz (Hinterhorn, Substantia gelatinosa Rolandi, Zellen der Clarke’schen Säulen) übergehen und sich hierauf gekreuzt oder ungekreuzt in die weissen Vorder- und Seitenstränge, zum kleinen Theil auch Hinterstränge fortsetzen. 390 Max BORCHERT: Unter letzteren giebt es lange Bahnen, die ununterbrochen bis zu den Kernen der Medulla oblongata und Pons aufsteigen, und kurze Bahnen, die auf dem Wege dahin eine oder mehrfache Unterbrechungen in der grauen Substanz des Rückenmarks erfahren. Demnach unterscheiden wir mit Kölliker sensible Bahnen erster Ordnung, das sind die eigentlichen langen bulbopetalen Hinterstrangbahnen, welche der grauen Substanz des Rücken- marks nur aufliegen und Collateralen an sie abgeben (exogene Fasern), und sensible Bahnen zweiter, dritter u. s. w. Ordnung, das sind diejenigen Hinterwurzelfasern, welche auf dem Wege zur Medulla oblongata und Pons eine oder mehrfache Unterbrechungen in der grauen Substanz des Rücken- marks erfahren (endogene Fasern). Die sensiblen Bahnen erster Ordnung steigen, wie durch mehrfache Methoden sicher nachgewiesen wurde, im Wesentlichen ungekreuzt in den weissen Hintersträngen auf. Eine Durchschneidung der Hinterstränge unterbricht nur die sensible Leitung erster Ordnung (die langen endogenen Fasern der Hinterstränge sind nur gering an Zahl), hebt deren Function auf, und zwar: erfolgt die Durchschneidung im unteren Brustmark, für den Hinterkörper, erfolgt die Durchschneidung im mittleren Halsmark, für den ganzen Körper des Thieres. Ein solches Experiment ist also analog einer totalen Systemerkrankung der langen Hinterstrangbahnen beim Menschen, wie sie sich in mehr oder weniger grossem Umfang, aber stets mit einer Erkrankung der sensiblen Bahnen zweiter Ordnung vergesellschaftet, bei Tabes dorsalis findet. Ein flüchtiger Blick auf die vergleichende Anatomie lehrt, dass die sensiblen Bahnen erster Ordnung in der aufsteigenden Thierreihe an Zahl stetig zunehmen. Schon beim Frosche sind sie nachgewiesen (Singer und Münzer), bei den Vögeln sollen nur sehr wenige bis zu den Hinterstrangs- kernen aufsteigen (Edinger). Beim Hunde beträgt in der Halsanschwellung das Areal der aus dem Lendenmark und untersten Brustmark aufsteigenden langen Hinterstrangbahnen, wie ich durch Messung festgestellt habe, den achten Theil des Hinterstrangquerschnitts (Taf. II, Fig. XI), während es beim Menschen in einem analogen Fall den dritten Theil ausmacht (Taf. II, Fig. XI). — Um die physiologische Bedeutung der Hinterstränge zu erforschen, nahm man schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Reizungen und Durchschneidungen der Hinterstränge vor; dieselben führten zu durchaus abweichenden Ergebnissen, deren Deutung um so zweifelhafter war, als das Bell’sche Gesetz noch in seinen Grundvesten wankte und erst durch die Experimente Johannes Müller’s (1831) gegen alle An- feindungen sichergestellt wurde So kam es, dass die Einen den Hinter- strängen im Wesentlichen sensible Functionen beimaassen (Magendie, Foderä, Schöps), Andere ausschliesslich motorische (Bellingheri). Es UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 391 gebührt van Deen das Verdienst, die motorischen Effecte, die fast jede Hinterstrangsreizung begleiteten, auf die erst damals von Marshall Hall und Johannes Müller entdeckte Reflexfunetion des Rückenmarks zurück- geführt zu haben. Van Deen (1841) stellte die These auf: La substance blanche des cordons posterieurs est uniquement destinee pour le sentiment. Schränkte er aber schon selbst die Bedeutung der langen Hinterstrang- bahnen für die Sensibilität sehr ein, so erklärte noch entschiedener Stilling (1842), dass eine Durchschneidung der Hinterstränge beim Frosch nicht den geringsten Einfluss auf die Empfindung ausübe, ja er leugnete damals geradezu die Existenz langer Hinterstrangbahnen. In der That bewiesen in der Folgezeit entscheidende Versuche von Chauveau, Brown-Sequard (1855) u. A., dass eine Durchschneidung der Hinterstränge für das Zustande- kommen der Sensibilität belanglos sei. Zahlreiche Forscher beobachteten sogar eine Hyperästhesie (Philippeaux et Vulpian und viele Andere). Man beschränkte sich bis dahin stets darauf, die Schmerzempfindung zu prüfen, eine Untersuchung der Berührungsempfindung galt beim Thiere für unmöglich. Während nun alle diese Forschungen über die Function der Hinter- stränge nichts Positives erbracht hatten, berichten zum ersten Male darüber Versuche Schiff’s aus dem Jahre 1857. Schiff stellt jetzt den Satz auf, dass die Hinterstränge den Sinnesnerv für die Berührungsempfindung dar- stellen. Schiff hat diese Behauptung in allen seinen Schriften bis in die neueste Zeit hinein streng. verfochten. Ja, er geht noch weiter, wenn er sagt, dass die Hinterstrangbahnen in ihrer Funetion durch keine andere Bahn compensirt werden können, dass ihre Durchschneidung die Berührungs- empfindung des Thieres für immer aufhebt. Später lässt er gelegentlich eine Einschränkung zu für die Hinterstränge des Lendenmarks; sie ver- mitteln nur die Berührungsempfindung der Analgegend, während die Be- rührungserregungen des übrigen Hinterkörpers fortgeleitet würden durch Bahnen, die nach schrägem Verlaufe durch die Seitenstränge erst im unteren Brustmark sich den Hintersträngen beigesellen., Diese letztere Annahme widerspricht aber unseren heutigen anatomischen Anschauungen; denn wir wissen, dass alle hinteren Wurzelfasern direct in die Hinterstränge über- gehen. Die Lehre Schiff’s hat sich bis heute als die herrschende in der Physiologie erhalten, wiewohl es nicht an Beobachtungen gefehlt hat, die ihr entgegentraten, indem sie den Hintersträngen auch den Antheil am Zustandekommen der Berührungsempfindung absprachen. Aber alle diese Untersuchungen haben nichts recht Ueberzeugendes: sie kranken meist an dem Mangel einer einwandsfreien Methodik, die Berührungsempfindung als solche nachzuweisen. So gehen die Schüler Ludwig’s (Miescher, 392 MAx BORCHERT: Nawrocki, Dittmar), später Langendorff von der gänzlich unbewiesenen Voraussetzung aus, dass gewisse nicht corticale Reflexe, die auf Berührung des Körpers eintreten (reflectorische Blutdruckveränderung), der Berührungs- empfindung „verschwistert“ seien. Suchten sie auf diesem \Wege zu be- weisen, dass die Berührungserregungen nicht durch die Hinterstränge sondern durch die Seitenstränge fort geleitet würden, so stehen dem gegenüber die Angaben Schiff’s, der sich mit Vorliebe der nach Berührung eintretenden Pupillenreaction bediente (also ebenfalls eines nicht corticalen Reflexes), und zeigte, dass ausschliesslich durch eine Erregung der Hinterstrangbahnen dieser Reflex zu Stande käme. — Den meisten Arbeiten fehlt ferner die Angabe der Operationsmethode und der mikroskopische Nachweis, der uns allein die Gewähr giebt, dass die Durchschneidung der Hinterstränge eine vollständige gewesen ist, so in einer überdies vereinzelten Beobachtung Osawa’s; Martinotti’s Präparate weisen eine einzige nahezu vollkommene Zerstörung des Hinterstrangquerschnittes auf; doch ist seine Angabe, dass darnach die Bewegung nnd Empfindung keine Störung erfahren habe, nicht näher begründet. Die nähere Begründung mangelt in gleicher Weise den Ergebnissen Woroschiloff’s (Versuch III) und Kusmin’s. Insbesondere scheint die Berührungsempfindung von allen Dreien gar keiner Prüfung unterzogen worden zu sein. Soweit sich die Versuche ausschliesslich auf’s Lendenmark beziehen, stehen sie aber nicht in Widerspruch mit der Lehre Schiff’s, der ja für diesen Theil des Rückenmarks eine Ausnahme eingeräumt hatte (Brown- Sequard 1859, Piccolo e Santi Sirena 1879, Bikeles 1899). — Während die Ansicht der meisten Physiologen und Kliniker dahin geht, dass die Berührungsempfindung der Haut nur eine Components der Lage- empfindung darstellt, betrachtete Schiff, den experimentellen Ergebnissen Claude-Bernard’s entgegen, die Lageempfindung nur als ein Symptom der Berührungsempfindung. Er lehrt daher, dass in gleicher Weise, wie die Berührungsempfindung, auch die Lageempfindung des Thieres nach Hinter- strangdurchschneidung aufgehoben ist, und zwar ebenfalls für immer. Für die Lageempfindung haben wir beim Hunde ein grobes Maass in dem Widerstand, den das Thier entgegensetzt, wenn man versucht, seine Pfoten derart umzulegen, dass es sich mit dem Fussrücken statt mit der Sohle aufstützt. Seine Aufmerksamkeit, insbesondere sein Gesichtssinn muss bei diesem Versuch abgelenkt sein. Ein unversehrtes Thier lässt sich das nie gefallen, wohl aber ein Thier, das seines Lagegefühls verlustig gegangen ist. Ein solches Thier stützt sich auch öfters von selbst auf den Fussrücken, ohne den Fehler in der Stellung bald zu verbessern. Als eine Folge des Verlustes der Lageempfindung sieht Schiff auch bestimmte Störungen in der Bewegung an: Das Thier gleitet leicht aus UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 393 besonders wenn der Boden nicht eben ist. Es hebt bein Laufen die Pfoten bald zu wenig, bald zu sehr, kurz, es sind ganz jene Störungen, wie sie zum ersten Male Fritsch und Hitzig nach Abtragung jener Gross- hirnrindenbezirke beschrieben hatten, welche Hermann Munk als Fühl- sphäre nachgewiesen und charakterisirt hat. Alle diese Störungen nun beobachteten Schiff, v. Leyden u. A. nach Durchschneidung der Hinterstränge. Schon unmittelbar nach dem Bekannt- werden der Untersuchungen von Fritsch und Hitzig betonte Schiff die völlige Gleichheit der Erscheinungen nach Hinterstrangdurchschneidung und nach Abtragung jener Grosshirmrindenbezirke und hat auf diesen Punkt immer und immer wieder in zahlreich variirten Versuchen hingewiesen. Er bezeichnete diese Störungen als Ataxie locomotrice und identificirte sie durch diesen Namen mit dem bei Tabes dorsalis beobachteten Symptom der Ataxie.e So nahm er an, dass jene Rindenbezirke die centrale Fortsetzung der Hinterstränge auf dem Wege zu einem noch hypothetischen Fühl- centrum darstellen. Durch die Arbeiten Hermann Munk’s aber wissen wir, dass jene Rindenbezirke die Fühlsphäre selbst sind, dass sie aber auch centrifugalen Bahnen ihren Ursprung geben. Schiff beobachtete ferner, dass die durch den Verlust des Lagegefühls, d.i. in seinem Sinne des Berührungsgefühls, bedingten Störungen, die nach Hinterstrangdurchschneidung auftreten, einer gewissen Compensation zu- gänglich sind. Die Thiere lernen z. B. die Extensores carpi et metacarporum stärker spannen, so dass das Umlegen der Pfoten erschwert, oft auch un- möglich gemacht wird. Ferner wächst die Energie mancher Bewegungen, so dass das stärkere Aufsetzen der Extremitäten das Druckgefühl weckt als Ersatz des mangelnden Tastgefühls. Bechterew trat 1890 der Ansicht Schiff’s entgegen und konnte sich nach Hinterstrangdurchschneidung von einer Störung des Lagegefühls ebenso wenig überzeugen wie von einer Störung der Berührungsempfindung, wogegen er regelmässig eine erhebliche Störung des Gleichgewichtes beob- achtete.e. Doch kommen die vier Jahre später aus seinem Laboratorium hervorgegangenen Untersuchungen Holzinger’s zu ganz demselben Ergeb- niss wie Schiff. Im Jahre 1900 erscheint die dritte Arbeit über die Function der Hinterstränge aus Bechterew’s Laboratorium.! Borowikow kommt zu einem neuen, sowohl von dem der ersten, wie von dem der zweiten Arbeit abweichenden Ergebniss, nämlich dass nach Durchschneidung der Hinterstränge die Berührungsempfindung erhalten ist, aber der „Muskel- sinn“ grobe Störungen aufweist oder ganz fortfällt. Auch das Gleichgewicht ! Borowikow, Jnaug.-Dissert. Referat: Neurolog. Centralblatt. 1902. 394 Max BORCHERT: des Körpers und die Coordination der Bewegung ist erheblich gestört. — Merkwürdiger Weise sind alle drei im Laufe eines Decenniums aus Bechterew’s Laboratorium hervorgegangenen Arbeiten durch „mikro- skopische Präparate“ gestützt. Befremden muss der Gegensatz, in dem die Lehre Schiff’s steht zu den anatomisch-klinischen Beobachtungen am Menschen. Es sind zahlreiche Fälle überliefert, in denen ein Mensch für die leiseste Berührung zum min- desten dumpfe Empfindung hatte, und die Section ergab, dass die Hinter- stränge mehr oder weniger vollständig degenerirt waren. Die Kliniker sind also übereinstimmend der Ansicht, dass die Hinterstrangbahnen für das Zustandekommen der Berührungsempfindung entbehrlich sind, und können sich nur noch nicht darüber einigen, ob sie im normalen Zustande über- haupt einen (Oppenheim) oder gar keinen Antheil daran haben (Edinger, Wagner). Es ist daher von grossem Interesse!, die Arbeiten Schiff’s einer Kritik zu unterwerfen. Der schwerste Vorwurf, der die meisten seiner Arbeiten trifft, ist das Fehlen einer mikroskopisch anatomischen Untersuchung des durch das Experiment verletzten Rückenmarks. An einer Stelle spricht er z. B. von „über hundert Hunderückenmarken, die noch in Weingeist der Untersuchung harren“. Wo aber die mikroskopische Untersuchung ausgeführt wurde, ist sie geeignet, die peinlichsten Zweifel wachzurufen. Die Schuld trifft in diesem Punkte die durchaus mangelhafte mikroskopische Technik der da- maligen Zeit. Das gebräuchlichste Conservirungsmittel, der Alkohol, löst das Fett der degenerirten Markscheiden auf und täuschte Schiff in der That über die Degenerationen hinweg, die bei Hinterstrangdurchschneidung durch die Mitverletzung der Seitenstränge bedingt waren. Am besten zeigt sich dies in seiner Arbeit über Atelectasis medullae spinalis.? Der zweite erhebliche Mangel, der den Untersuchungen Schiff’s an- haftet, sind die unzulänglichen und nicht einwandsfreien Methoden, die Berührungsempfindung am Thiere nachzuweisen. Gleich den Schülern Ludwig’s verwendet er dazu häufig einen nicht corticalen Reflex, nämlich die Reaction der Pupille auf Berührung der Haut. In der That war es ! Bickel vermeint einen „Beitrag zur Lehre von der Tabes dorsalis“ zu erbringen, indem er noch einmal auf diesen merkwürdigen Gegensatz zwischen Mensch und Hund hinweist. Bickel berichtet freilich nur über eine Operation an einem einzigen Hunde, und enthält uns noch dazu das mikroskopische Präparat vor. Bickel bemüht sich ferner vergebens, durch diesen Versuch die Temperatursinnbahnen im Rücken- mark zu localisiren. Benutzt er doch zu dieser Prüfung Temperaturen, welche die von Dessoir für den Temperaturschmerz beim normalen Hunde gezogenen Grenzen nach oben hin um 31° C,, nach unten hin um 20°C, überschreiten! Auch im Uebrigen halten Biekel’s Untersuchungsmethoden selbst der mildesten Kritik nicht Stand. ? Pflüger’s Archiv. 1880. - UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜOKENMARKS: 539! früher oft schwierig, die Berührungsempfindung oder besser das Erhalten- sein der Bahnen, welche Berührungserregungen zur Rinde leiten, beim Thiere in unzweideutiger Weise nachzuweisen. Dies hat aber heute nicht die geringsten Schwierigkeiten mehr, seit uns Hermann Munk einen echten Rindenreflex kennen gelehrt hat, den jeder normale Hund zeigt. Nach Abtragung der Fühlsphäre ist dieser Reflex für immer erloschen. Hermann Munk schildert ihn folgendermaassen (1892): „Unter- suchen wir unseren Hund, während er von einem Gehülfen mit der einen Hand unterm Kinn gestützt, mit dem anderen Arm an der hinteren Partie der Brust umfasst, senkrecht emporgehalten wird. Die Beine hängen rubig herab... der Hund kann nicht sehen, wie man an den Füssen hantirt. Fährt man an einem Fusse oberhalb der Nägel leicht mit dem Finger von unten nach oben über die Haare hin, so beugen sich bei leisestem Streichen ganz kurz und schwach entweder die Zehen oder auch der Fuss, und erst bei weniger leichtem Streichen bewegen sich zugleich die oberen Glieder, so dass ein blitzartiges Zucken des Beines, eine schwache Bewegung aller Glieder erfolgt... .“ Der Reflexbogen dieses „Berührungsrellexes“ besteht nun, wie Her- mann Munk ebenfalls in überzeugender Weise nachgewiesen hat, aus einem centripetalen Schenkel, der gebildet wird durch Fasern, welche die Berührungserregungen von der Haut des berührten Gliedes zur Fühlsphäre leiten, und einem centrifugalen Schenkel, der ganz nahe der Endigung jener Fasern in der Fühlsphäre entspringt und durch das Rückenmark ver- laufend in denjenigen Vorderhornzellen endigt, deren Erregung zu einer Contraetion der dem berührten Gliede entsprechenden Muskeln führt. Während nun das Vorhandensein des Berührungsreflexes stets für das Erhaltensein der Berührungsempfindung, d. i. der Leitung der Be- rührungserregungen zur Hirnrinde beweisend ist, kann dieser werthvolle Reflex oft abgeschwächt sein oder ganz fehlen, ohne dass die Berührungs- empfindung gestört zu sein braucht. Das ist der Fall, wenn der centri- fugale Schenkel des Reflexbogens, sei es im Gehirn, sei es in den Seitensträngen des Rückenmarks (Pyramidenseitensträngen, Monakow’sches Bündel), unterbrochen ist. Wiewohl Sc hiffselbst gelegentlich den Berührungs- reflex als das „einzig sichere Kennzeichen der Berührungsempfindung“ be- zeichnet, hat er sich seiner zur Prüfung der Berührungsempfindung nur selten bedient. Da er ferner durch einen Circulus vitiosus stets auf’s Neue in der Ansicht bestärkt wurde, dass den Pyramidenseitensträngen keine bemerkliche Function zukomnıen könne, und dass sie insbesondere zu der Bewegung des Thieres in keinerlei Beziehung stünden, so hat er auch dem eben erwähnten Factor nie Rechnung tragen können, sondern stets ein 396 Max BORCHERT: Erloschensein des Berührungsreflexes für ein Zeichen fehlender Berührungs- empfindung angesehen. Diese gewichtigen Einwände gegen die Untersuchungen Schiff’s legen Jedem, der in seine Arbeiten einen Einblick thut, den Zweifel nahe, ob denn seine Hinterstrangsdurchschneidungen nicht oft verbunden waren mit einer mehr oder weniger beträchtlichen Verletzung der Seitenstränge. Wie erklärt es sich sonst, dass Schiff nach Durchschneidung der Hinter- stränge ganz dieselben Erscheinungen beobachtete, als wenn er mit den Hintersträngen zugleich die Pyramidenseitenstrangbahnen und die Klein- hirnseitenstrangbahnen mit durchschnitten hatte, ja dass auch die Abtragung der Fühlsphäre in seinen Versuchen denselben Effect hatte wie die Durch- schneidung des gegenüberliegenden Hinterstranges? Wie erklärt es sich auch, dass Schiff nach Hinterstrangdurchschneidung die Beobachtung machte, dass eine elektrische Reizung von den erregbaren Theilen der Hirnrinde aus nicht den geringsten Erfolg hatte, eine Behauptung, die Horsley! längst widerlegt hat? So dürfte sich wohl auch erklären, dass Schiff jenen Unterschied machte zwischen der Hinterstrangdurch- schneidung im Halsmark und im Lendenmark. Im Halsmark sind die motorischen Seitenstrangbahnen den Hintersträngen viel näher gelagert als im Lendenmark, mithin ist dort die Gefahr einer Mitverletzung der Seitenstränge viel grösser als hier. Und schliesslich erklärt sich nur so eine Angabe, der wir in Schiff’s Arbeiten öfters begegnen: dass eine Durch- schneidung der G oll’schen Stränge im Halsmark keine wesentlichen Störungen hervorruft, so lange die Burdach’schen Stränge nicht mit durchschnitten sind. Wir wissen heute, dass die Goll’schen Stränge in ihrem Areal noch weit mehr als die Gesammtheit aller aus dem Lendenmark und unteren Brustmark aufsteigenden langen Hinterstrangbahnen enthalten; mithin müsste ihre Durchschneidung auf die hinteren Extremitäten genau denselben Ein- fluss haben wie eine totale Hinterstrangdurchschneidung im Brustmark, d.h. im Sinne Schiffs die Berührungsempfindung der hinteren Extremi- täten aufheben. Nunmehr berichte ich über 13 Versuche, die ich auf Anregung von Hrn. Geheimrath Hermann Munk in den Monaten Juni 1901 bis zum Januar 1902 im physiologischen Institut der kgl. thierärztlichen Hoch- schule ausgeführt habe. Ich durchschnitt Hunden die Hinterstränge, theils im Halsmark, in der Höhe zwischen III. und IV. Wirbel, theils im Brustmark zwischen X. und XI. Wirbel. Vor der Operation erhielten die Thiere eine Morphininjeetion (4 bis 7m einer 3procent. Lösung). Die Operation I Brain: 1896. UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 397 selbst fand unter Anwendung der Aethernarkose statt. Es wurde aseptisch operirt. Nachdem die Haut an der Öperationsstelle rasirt und desinficirt war, wurde in der Medianlinie! ein langer Hautschnitt gemacht, darauf die Wundlefzen zur Seite gedrängt, die Fascie und die Musculatur bis zu den Dornfortsätzen durchschnitten. Hierauf wurden die Muskeln zu beiden Seiten dicht am Ligamentum nuchae bis auf den Knochen durchschnitten und mit einem stumpfen Instrument vom Wirbelkörper abpräparirt, bis der Wirbel an seiner hinteren Fläche freilag. Die Muskeln und das Liga- mentum nuchae, das in vielen Fällen durchschnitten wurde, werden nun mit Hakenketten, die durch Gewichte beschwert sind, von der Mitte ab- gedrängt. Jetzt wird der Dornfortsatz des III. Hals- bezw. X. Brustwirbels mit der Knochenzange abgeknipst. Mit dieser bahnte ich mir nun zwischen beiden Wirbeln, die in Betracht kamen, einen Zugang und brach stück- weise den Wirbelkörper ab, bis die Oeffnung ein genügend grosses Operationsfeld darbot. Jetzt wurde mit einem kleinen spitzen Messerchen, das kurz gefasst wurde, die Dura mater durchstochen, so dass sich Cerebro- spinalflüssigkeit entleerte, und auf der Messerschneide gespalten. Die beiden Hälften der gespaltenen Durapartie wurden mit der Pincette angehoben und seitlich eingeschnitten, so dass man die Dura mater zurückklappen konnte und das Rückenmark frei pulsirend zu Tage lag. Die Operationsmethode, deren ich mich zur Durchschneidung der Hinterstränge bediente, ist mir von Hrn. Geheimrath Hermann Munk angegeben worden. Sie hat den Vorzug, dass sie die Gefahr einer Mit- verletzung der Seitenstränge möglichst vermeidet und die Gewähr giebt, dass die Hinterstränge vollständig durchschnitten werden. Zwei spitze Messerchen werden spitzwinkelig convergirend in die beiden hinteren Seiten- furchen des Rückenmarks eingestochen, so dass sie sich etwa in der Gegend der hinteren Commissur mit ihren Spitzen begegnen. Eine Verletzung der grauen Substanz ist nie zu vermeiden, ist aber nach unseren heutigen anatomischen Anschauungen belanglos, da.in der grauen Substanz keine langen Bahnen vorkommen. Ist der Contact der beiden Messerspitzen hergestellt, so dreht man die Messer, deren Schneide nach vorn (proximai- wärts) gerichtet ist, ein wenig nach der Medianlinie zu und zieht sie nun nach vorn heraus, ohne dass der Contact der Messerspitzen je unterbrochen wird. Auf diesem Wege wird die Continuität der Hinterstränge unterbrochen ! Eine zutreffende Beschreibung dieses Vorganges findet sich schon bei Galen, ed. Kühn, De anatomicis administrationibus. Lib. VIII. Cap. II. 398 Max BORCHERT: und damit die sensiblen Bahnen erster Ordnung ausser Function gesetzt. Eine erhebliche Blutung des Rückenmarks kommt nie vor, die kleinen Blutungen der Rückenmarkshäute werden leicht durch Auflegen eines heissen Tupfers zum Stillstand gebracht. Umangenehmer machen sich die Muskelblutungen bemerkbar, die besonders die Operationen am Halsmark oft begleiten. Zwei Mal musste die Wunde geschlossen werden, ohne dass es gelang, der Blutung Herr zu werden. Die Schliessung der Wunde geschah durch zwei tiefe und drei ober- flächliche Muskelnähte. Besondere Sorgfalt wurde verwandt auf die Haut- nähte, die in möglichst grosser Zahl dicht bei einander angelegt werden. Die erste Beobachtung des operirten Hundes geschah meistens am zweiten Tage, also zu der Zeit, wo das Thier wieder völlig aus der Nar- kose erwacht ist. Die Berührungsempfindung wurde geprüft: 1. an dem Berührungs- reflex; 2. indem die Thiere mit dem Pinsel berührt wurden und beob- achtet ward, ob sie die berührte Pfote wegziehen; 3. indem die Thiere bei verbundenen und unverbundenen Augen, während sie von. dem Gehülfen an der Leine gehalten wurden, unversehens mit einem an einem langen Stabe befestigten Pinsel berührt wurden, und darauf geachtet wurde, ob sie sich nach dem Orte, an dem sie berührt wurden, umblickten; 4. indem man sie bei verbundenen Augen über einen Fleischteppich laufen liess, um zu sehen, ob sie mit den Pfoten darauf traten. Das Lagegefühl wurde geprüft und gemessen durch den Widerstand, den das Thier entgegensetzt, wenn man versuchte, die Pfoten derart um- zulegen, dass sich das Thier auf den Fussrücken stützt. Es wurde ferner darauf geachtet, ob die Hunde von selbst in diese fehlerhafte Stellung verfielen. Das Schmerzgefühl wurde meistens durch das Anlegen federnder Klemmen geprüft. Insbesondere wurde ferner auf das von Schiff beschriebene Symptom des Ausgleitens auf glattem Boden in der Prüfung Bedacht genommen, eine Gangstörung, die Schiff wohl mit Unrecht als rein sensiblen Ur- sprunges anspricht. Schliesslich wurde auch das Gleichgewicht der Thiere und die Fähig- keit zu isolirten Bewegungen (Verzehren eines Knochens, Scharren, Aus- packen von Fleisch aus Papier, Pfote geben) mit ins Bereich der Unter- suchung gezogen. Nach zwei- bis vierwöchentlicher Untersuchung wurden die Thiere ge- tödtet. Das Rückenmark wurde nach der Marchi’schen Methode be- handelt, und zwar wurden die von der Operation betroffenen Partien in gänzlich lückenloser Serie geschnitten, sowie von den oberhalb und UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 399 unterhalb der Verletzung befindlichen Rückenmarkspartien zur Unter- suchung der auf- und absteigenden Degeneration Marchi-Präparate an- gefertigt. Die Orientirung wurde dadurch sehr erleichtert, dass die in 2 bis 3”® dünne Scheiben zerlegten Stücke an einem feinen Messingdraht aufgereiht wurden, wie Perlen an einer Schnur. Das Oben und Unten, das Rechts und Links ergab sich dann stets sofort aus der auf einer vorher bestimmten Seite angelegten feinen Oeffnung, die der Messingdraht zurückliess. I. Versuch. 20. Juni 1901. Höhe des III. Cervicalwirbels. Schwarzer Hund. 22. Juni. Der Hund holt Fleisch vom Stuhle, indem er sich dabei auf die Hinterpfoten stützt, ohne die geringste Unsicherheit zu zeigen. An den Vorderbeinen geführt ‚geht er vorwärts und rückwärts. Im Lagegefühl lässt sich keine Störung nachweisen. Berührungsreflexe an allen vier Pfoten deutlich. Das Thier wurde in der Folgezeit nicht untersucht, da es keine Stö- rung zeigte. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Fig. D): Die Goll’schen Stränge zeigen in ihrer Mitte einen Defect, der weit grösser ist als das Areal einernachDurchschneidungderHinterstränge im untersten Brust- mark aufsteigenden Hinterstrangdegeneration (vgl. Taf. II, Fig. X]). IH. Versuch. 13. Juni 1901. Mittelgrosser schwarzweisser Terrier: Höhe des III. Halswirbels. Die erste Beobachtung vom 15. Juni ergab abermals das Erhalten- sein der Berührungsreflexe an allen vier Pfoten. Die Pfoten lassen sich nicht umlegen. Auch sonst sind nicht die geringsten Stö- rungen nachweisbar. Mit Rücksicht auf die bestimmten Angaben Schiff’s wurde an eine Un- vollständigkeit der Operation gedacht und der Hund ausser Beobachtung gelassen. Der mikroskopische Befund (Taf. II, Fig. II) ergiebt, dass die Hinterstränge fast vollständig degenerirt sind. An der Stelle der grössten Verletzung findet man nur mehrere von Einschnitten herrührende Narben, in deren Umgebung Erweichungsherde. III. Versuch. 4. Juli 1901. Operation am vorigen Hunde in der Höhe des XI. Brustwirbels. 6. Juli. Der Hund hält das rechte Bein steif, abdueirt und eircum- duceirt es beim Gehen. Beim Zwicken der Hinterpfoten äussert er Schmerz. Patellarreflexe deutlich. Lässt man ihn auf beiden Hinterpfoten gehen, so wird die rechte Hinterpfote oft umgekippt und rutscht aus, die linke nie. 8. Juli. Er stützt sich Minuten lang auf den rechten hinteren Fuss- rücken, wenn man ihn in diese Stellung gebracht hat. Beim Gehen auf den Hinterpfoten verfällt er mit der rechten Hinterpfote oft von selbst in diese Stellung und schleift so das Bein nach. Oft rutscht er dabei mit dem rechten Bein derart aus, dass er nicht von der Stelle kommt. Beim Um- 400 Max BOoRCHERT: drehen gleitet er ebenfalls oft mit dem rechten Fuss aus, nie mit dem linken. Keine Hyperästhesie. 13. Juli. Das rechte Bein ist nicht mehr steif und abdueirt, doch stützt sich der Hund lange auf den rechten Fussrücken, wenn man die Pfote um- gelegt hat. 16. Juli. Ohne den geringsten Widerstand kann man die rechte Hinter- pfote, beliebig addueiren, abdueiren, mit der anderen Pfote kreuzen. An der linken Pfote leistet er Widerstand. Berührungsreflex an der rechten Pfote erloschen, an der linken erhalten. 22. Juli. Er ist zu hohen Sprüngen geneigt. Lässt man ihn auf dem Steinboden nach Fleisch laufen, so gleitet er öfters mit der rechten Hinter- pfote aus, nie mit der linken. Berührungsreflex links hinten wohl, rechts hinten gar nicht auszulösen. 26. Juli. DBerührungsreflex fehlt nur rechts hinten. Schmerzgefühl rechts hinten abgeschwächt. Die rechte Hinterpfote lässt sich umlegen und verharrt in dieser Stellung. Links kräftigster Widerstand. Wenn er nach einem auf hohem Fensterbrett liegenden Fleischstück springt, verräth er keine Unsicherheit. Das rechte Hinterbein ist auch in der Ruhelage stark abducirt. 27. Juli. Gleitet beim Laufen nach Fleisch mit der rechten Hinter- pfote aus, nie mit der linken. Rechte Hinterpfote verharrt lange in der Umlegestellung. 29. Juli. Berührungsreflex rechts hinten fehlend, links hinten deutlich. Dasselbe Verhalten an den folgenden Tagen. 31. Juli. Stützt sich mit der rechten Hinterpfote lange auf den Fuss- rücken. 2. August. Eröffnung der Schädelhöhle in Aethernarkose: Erregbar- keit der Hirnrinde beiderseits ungefähr gleich gut. Mikroskopischer Befund (Taf. I, Fig. IHIa): Beide Hinter- stränge sind vollständig durchschnitten. Rechts greift die Verletzung auf den Seitenstrang über. Dem entsprechend zeigt sich neben der beider- seitigen aufsteigenden Hinterstrangentartung eine aufsteigende Degeneration im rechten Kleinhirnseitenstrang, und eine absteigende der rechten motorischen Seitenstrangbahnen (Taf. I, Fig. III b). IV. Versuch. 8. Juli 1901. Mittelgrosse schwarze Hündin. Höhe des III. Halswirbels. 10. Juli. Tritt oft mit dem Fussrücken auf, sowohl rechts wie links. Taumelt stark und droht nach links umzufallen. Gang langsam, unsicher, namentlich beim Umkehren nach der linken Seite starkes Taumeln. Alle vier Pfoten lassen sich ohne Widerstand umlegen und verharren in dieser Stellung. Beim Gehen kreuzt er oft seine Vorderbeine. 12. Juli. Extremitäten steif. Gang langsam. Zittert am ganzen Körper. Bei verbundenen Augen nimmt er die verschiedensten Stellungen ein: Wirbel- säule gänzlich verkrümmt, Kopf nach der Seite gedreht. Bei dem geringsten Anstoss oder Stellungsveränderung taumelt er seitlich und fällt hin. Das rechte Vorderbein wird auffällig nachgeschleift und knickt besonders häufig in den Gelenken ein. Schmerzempfindung überall herabgesetzt. UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜOCKENMARKS. 401 15. Juli. Behutsamer Gang. Beine gestreckt. Pfoten am Boden ge- schleift, besonders rechts. Die rechte Pfote wird beim Gehen oft nicht aufgesetzt, sondern in der Luft gehalten. Häufiges Auftreten mit dem Fuss- rücken. Seitwärtstaumeln bis zum Umfallen. Berührungsreflex rechts er- loschen (über links fehlt jede Notiz). Beim Treppensteigen geht er mit den beiden linken Füssen voran. 16. Juli. Gang rascher. Kreuzen der Vorderpfoten beim Laufen. Das Umlegen der Vorderpfoten gelingt überall, am besten rechts vorn. Die rechte Vorderpfote verfällt oft von selbst in die Umlegestellung oder knickt auch in den höheren Gelenken ein, seltener die linke. Häufiges Taumeln. Leute, die seiner zufällig ansichtig wurden, sagten: „er sei betrunken“. Gleitet häufig mit allen vier Pfoten aus. 20. Juli. Beim Emporklettern an meinem Körper gleitet er fortwährend ab. Verfällt mit der rechten Vorderpfote oft, seltener mit der linken, in die Umlegestellung. Berührungsreflex an den Vorderpfoten unbestimmt, an den Hinterpfoten scheint zuweilen der Reflex angedeutet zu sein. Er tritt mit allen vier Pfoten auf Fleisch. 23. Juli. Gang deutlich stampfend. Kein Widerstand der Gliedmaassen gegen gröbste Lageveränderungen. 24. Juli. Läuft bei verbundenen Augen über einen Teppich von Fleisch- stücken, ohne die Pfote anzuheben. 25. Juli. Wird das rechte oder das linke Hinterbein an den Körper festgebunden, so gleitet er mit den drei übrigen beim Laufen fortwährend aus und fällt oft hin. Die Unsicherheit ist grösser, wenn das linke ange- bunden wurde. Beim Suchen nach Fleisch schiebt er dieses mit der rechten Vorderpfote ein Mal aus Versehen fort und findet es erst später mit den Augen. 27. Juli. Berührungsreflex an beiden Hinterpfoten deutlich vorhanden. Ein langes Stück Fleisch, das ich ihm vorwerfe, nimmt er mit dem Maul auf, schleudert es mehrmals in die Luft, um es hernach auf- zufangen und hinunterzuschlucken. Die Pfoten benutzte er gar nicht. 30. Juli. Berührungsreflex an beiden Hinterpfoten deutlich. Das Umlegen der Pfoten gelingt nicht immer, am besten auf der rechten Seite Bei leiser Berührung an der linken Körperseite, während die Augen verbunden sind, dreht er sich ein Mal um, bei Wiederholung des Versuches nicht mehr. Beim Laufen nach Fleisch rutscht er mit allen vier Pfoten aus. 31. Juli. Vergebens sucht er einen vorgeworfenen Knochen mit den Vorderpfoten zu fixiren, verändert dabei fortwährend seine Stellung, knickt in mehreren Gelenken ein, überkreuzt die Beine, gleitet am Knochen mit den Vorderpfoten aus, schliesslich verzehrt er ihn ohne Unterstützung der Pfoten. 2. August. Kann den Knochen nicht mit den Pfoten festhalten. 3. August. Die auf den Knochen gelegten Beine kann man ohne Widerstand bei Seite schieben. Berührungsreflex an beiden Hinter- pfoten und an der linken Vorderpfote auszulösen. 5. August. Gang stampfend, den Knochen legt er auf die Pfoten herauf Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 26 402 MAx BORCHERT: oder benutzt die Pfoten gar nicht. Berührungsreflex ausser rechts vorn überall auszulösen. Taumelt nicht mehr so häufig. Sucht er mit den Vorderpfoten den Knochen, den er mit dem Maule fasst, gegen den Boden zu drücken, wird der Knochen stets den Pfoten entrissen. 6. August. Berührungsreflex an den Hinterpfoten deutlich. 8. August. Berührungsreflex überall vorhanden. Versucht ver- gebens, die Pfoten beim Fressen des Knochens zu benutzen. Die elektrische Reizung der Extremitätenregionen ergiebt von beiden Hemisphären aus nicht wesentlich von der Norm abweichende Erregbarkeits- verhältnisse. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Figg. IVa u. IVb): Die Hinter- stränge sind gänzlich durch Narbengewebe ersetzt. Die Verletzung erstreckt sich auch auf beide Seitenstränge, insbesondeer den rechten, sowie beide Vorderstränge. Von langen Bahnen sind aufsteigend degenerirt compact die Hinterstränge und die Kleinhirnseitenstränge (Taf. II, Fig. [IVd), ab- steigend: die Vorderstrangbahnen und die Seitenstrangbahnen (Pyramidenseitenstrang und Monakow’sches Bündel). Rechts ist die De- generation umfangreicher als links (Taf. II, Fig. IV). V. Versuch: 14. November 1901. Schwarzgelblicher weiblicher Pintscher. Höhe des III. Cervicalwirbels. 16. November. Keine Gangstörung. Steigt die Treppen herauf und herunter wie ein unversehrter Hund. Gleitet nie aus. Beim geringsten Versuch, die Pfoten umzulegen, leistet er kräftigen Widerstand. Die Berührungsreflexe sind ohne Unterschied von allen vier Pfoten auszulösen. Beim Fressen eines Knochens bedient er sich in zweckmässiger und normaler Weise beider Vorderpfoten. 18. November. Berührungsreflex an allen vier Pfoten deutlich. Lagegefühl intact. Keine Gangstörung. Gleitet beim Laufen nach Fleisch auf dem Steinboden nie aus. 19. November. Berührungsreflex überall deutlich. 21. November. Gleitet beim Laufen auf dem Steinboden nie aus. Lege ich ein Stück Fleisch auf ein über meterhohes Pult, so stellt er sich auf die Hinterbeine, und es gelingt ihm, ohne Unsicherheit und ohne aus- zurutschen, das Fleischstück bald mit der rechten, bald mit der linken Pfote heranzuscharren. Berühreiich leise den rechten oder linken Hinter- fuss, so zieht er ihn weg. 22. November. Berührungsgefühl überall deutlich vorhanden. Lagegefühl unversehrt, auch sonst ist nicht die geringste Störung nach- weisbar. 23. November. Bei leichter Berührung der linken Hinterpfote mit einem Pinsel dreht er sich mehrmals um. Die Pfoten lassen sich nicht umlegen. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Figg. Va, Vb): Der rechte Hinter- strang ist total durchschnitten. Die Verletzung greift auch auf den linken Hinterstrang über. Aufsteigende Degeneration des rechten Hinter- stranges, in den medialsten Partien auch des linken. UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 403 VI. Versuch. X. Brustwirbel am vorigen Hunde. 25. November 1901. 26. November. Der Hund läuft schon herum und frisst Fleisch. Zeigt keine Gangstörung. Wird nur flüchtig untersucht, weil er noch nicht völlig aus der Narkose erwacht ist. Die beiden Hinterpfoten lassen. sich nicht umlegen, sondern leisten kräftigen Widerstand. Berührungs- reflex war nicht auszulösen. 27. November. Er läuft völlig wie ein normaler Hund. Berühre ich ihn, während ich ihn mit der einen Hand unterm Halse kraue, und dadurch ablenke, mit einem feinen Pinsel an den Hinterpfoten, so zieht er regelmässig die berührte Pfote weg, wenn der Reiz mit dem Pinsel kurze Zeit angedauert hat. Es gelingt nie, seine Pfoten umzulegen. Er springt in den Käfig, was er schon gestern that, springt von einer ziem- lich hohen Treppe herunter unter Umgehung der Stufen. Berührungs- reflex ist links nicht auszulösen, rechts vorhanden. Beim Gehen auf den Hinterbeinen keine Abweichung. 28. November. Keine Gangstörung. Er holt ein Stück Fleisch von einem über meterhohen Kasten herunter, ohne Unsicherheit zu verrathen. Beim Laufen nach Fleisch gleitet er auf dem Steinboden nicht ein einziges Mal mit den Pfoten aus. Er zieht stets die Pfote, die man mit dem weichen Pinsel berührt, weg. 29. November. Gleitet beim Laufen nach Fleisch nie aus. Steht voll- ständig sicher, wenn er von hohem Tisch Fleisch herunterholt. Zieht jedes Mal alle vier Pfoten weg, wenn man sie mit dem Pinsel berührt. Lässt sich die Pfoten nicht umlegen. Berührt man ihn, während er vom Gehülfen an der Leine gehalten wird, unversehens mit einem an langem Stab befestigten Pinsel, so sieht er sich wiederholt bald rechts, bald links um, je nach der Stelle, die man berührt. Dabei zieht er fast jedes Mal die Pfoten, die berührt werden, an. Berührungsreflex lässt sich nur rechts sicher auslösen. 30. November. Lagegefühl erhalten. Bei Berührung mit dem Pinsel deutliche Reaction. Dagegen blickt er sich heute und alle folgenden Tage auch bei Stunden langer Prüfung bei Berührung mit dem langen Pinsel nicht ein einziges Mal um. 2. December. Zieht bei leisester Berührung die berührten Pfoten stets weg. 5. December. Deutliche Reaction auf Pinselberührung. Nicht die geringste Gangstörung. 7. December. Berührungsreflex sowohl rechts wie links hinten deutlich auszulösen. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Figg. IVa und IVb): Die Hinter- stränge sind vollständig durch Narbengewebe ersetzt. Auf der jinken Seite greift die Verletzung auf den Seitenstrang über. VI. Versuch. III. Halswirbel. Weiblicher gelber Fuchs. Operation 18. November 1901. Erhebliche Muskelblutung. Die Wunde wurde geschlossen, ehe die Blutung gestillt war. 20. November. Erhebliche Gleichgewichtsstörung. Der Hund gleitet fortwährend mit allen vier Pfoten aus und fällt hin. Taumelt hin und her. 26* 404 MAx BORCHERT: Die Pfoten lassen sich ohne den mindesten Widerstand umlegen, die Beine knieken auch von selbst in allen Gelenken ein. Berührungsreflex an allen vier Pfoten erloschen. Bei Berührung der Wunde winselt er. 21. November. Liegt im Käfig. Zuweilen versucht er ein paar Schritte zu gehen. Gang ganz breitbeinig. Im Freien nicht untersucht. 28. November. Auffallende Gleichgewichtsstörung des Körpers. Er geht ganz breitbeinig, taumelt rechts und links. Auf den Hinterpfoten lässt er sich nicht führen, sondern muss passiv nachgeschleift werden. Die Gehbewegungen für sich zeigen keine Störung. Die Pfoten lassen sich nicht umlegen und leisten kräftigen Wider- stand. Auch stütztersich nie auf den Fussrücken. Beim Laufen nach Fleisch glitscht er nicht ein einziges Mal auf dem Stein- boden aus. Berührungsreflexistan allen vier Pfoten auszulösen, besonders deutlich an den beiden Vorderpfoten. 29. November. Er holt das Fleisch vom Stuhle, springt mit den Vorder- pfoten auf meinen Schoss. Zeigt noch eine deutliche Gleichgewichtsstörung. Die Pfoten lassen sich nicht umlegen. Berührungsreflex an den Vorderpfoten deutlich, schwächer an den Hinterpfoten. Er dreht sich nie um nach der Seite, auf der man seine Pfoten unversehens mit dem langen Pinsel berührt. 30. November. Geht breitbeinig. Berührungsreflex überall vor- handen, an der linken Hinterpfote deutlicher als an der rechten, am deutlichsten an den beiden Vorderpfoten. Keine Lagegefühlsstörung. Dreht sich nicht um nach der be- rührten Seite. 2. December. Berührungsreflexe wie vorher. Die Gleichgewichts- störung ist völlig geschwunden. Wenn er Fleisch haben will, stellt er sich oft auf beide Hinterpfoten, ohne Unsicherheit zu verrathen. Die Pfoten lassen sieh nicht umlegen. Beim Laufen nach Fleisch gleitet er, wie oft ich den Versuch auch wiederhole, auf dem Steinboden nicht ein einziges Mal aus 3. December. Gleitet beim Laufen nach Fleisch nie aus. Stützt sich mit beiden Vorderpfoten sicher auf meinen Schoss. Steht sicher auf seinen Hinterbeinen. Berührungsreflex wie vorher an den Hinterpfoten auch auszulösen, doch nicht so lebhaft wie an den Vorderpfoten. Heute sah er sich wenige Male bei Berührung der Hinter- pfoten mit dem langen Pinsel nach der richtigen Seite um. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Fig. VlIla u. b. Hinterhörner und Hinterstränge sind vollständig zerstört. Der rechte Klein- hirnseitenstrang ist vollständig erweicht, in dem linken auch Er- weichungsherde. Neben der totalen aufsteigenden Hinterstrangdegene- ration zeigt sich eine compacte Entartung des rechten Kleinhirnseitenstranges, eine leichtere im linken Kleinhirnseitenstrang (Taf. II, Fig. VIle). Absteigend mässige Degeneration im rechten Pyramidenseitenstrang, vereinzelte degene- rirte Fasern im rechten Monakow’schen Bündel. VIII. Versuch. Schwarzgelber Pintscher. Operation 6. December 1901. III. Halswirbel. Die Blutung aus den Muskeln konnte nicht gestillt werden. 8. December. Er geht sehr behutsam, gleitet häufig auf dem Stein- UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 405 boden aus. Tritt zuweilen auch mit dem Fussrücken auf und lässt sich passiv ohne Widerstand in diese Lage bringen. 9. December 1901. Berührungsreflex an beiden Hinterpfoten sehr ausgeprägt, wenn auch schwach. Bei Berührung der Zehen- glieder heben sich stets nur diese, nicht der ganze Fuss. Er macht einen sehr matten Eindruck. Aus der "Wunde entleert sich Eiter. An den Vorderpfoten liess sich der Berührungsreflex nicht auslösen, doch hielt er die Vorderbeine gestreckt. Die Wunde schmerzt ihn sehr. Er kniekt öfters, besonders beim Kehrtmachen, in den Gelenken der Vorderbeine ein. Dem Versuch, die Pfoten umzulegen, setzt er meist Widerstand entgegen, doch gelingt es an den Vorderpfoten zuweilen doch. Er dreht sich zwangsweise 10 bis 15 Mal rechts, darauf einige Male links um seine eigene Körperaxe. Die Treppe seht er sehr vorsichtig herunter und sucht jede Erschütte- rung seiner Wunde zu vermeiden. Eizo nochmalige Prüfung der Be- rührungsreflexe ergiebt nicht nur an den Hinterpfoten, sondern auch an beiden Vorderpfoten deutliche Reaction. Ich lasse ihn auf dem Steinboden sechs Mal nach Fleisch laufen. Er geht langsam, gleitet aber nie aus, wie ein zum Vergleich herbeigezogener Hund, dem ein Seitenstrang mit verletzt ist, auf der betroffenen Seite stets thut. 10. December. Knickt beim Treppensteigen an allen Vorderbeingelenken ein, ebenso wiederholentlich beim Kehrtmachen. Berührungsreflex ist schwach, aber in ausgeprägter Weise an beiden Vorder- und Hinter- pfoten auszulösen. Während einer einstündigen Beobachtung zeigt es sich, dass das Thier mit kurzen Unterbrechungen sich fast fortwährend um seine eigene Körperaxe zeigerförmig dreht; und zwar öfters rechts als links herum. Es kommt vor, dass er sich 15 Mal hinter einander rechts herum- dreht und im unmittelbaren Anschluss daran mehrere Male links herum; dann setzt er sich nieder, erhebt sich wohl noch ein Mal, um noch eine oder wenige Drehungen links herum anzuschliessen und sich wieder hin- zusetzen. 12. December. Beim Verzehren eines Knochens benutzt er die Vorder- pfoten gar nicht. Dieselben knicken auch zuweilen ein. Berührungsreflex ist wohl an den Hinterpfoten, an den Vorderpfoten nicht sicher aus-- zulösen. Wegen seines leidenden Zustandes wird er die folgenden beiden Tage geschont. 14. December. Als ich an sein Gitter komme, stellt er sich auf seine Hinterbeine, während er die Vorderpfoten ans Gitter lehnt. Berührungs- reflexe sind an allen vier Extremitäten sehr deutlich. Lage- gefühl erhalten: Die Pfoten lassen sich nicht umlegen. Auch stützt er sich von selbst nie auf den Fussrücken. Nicht die geringste Gangstörung. Sein Gang ist heute sicher und schnell. Beim Laufen nach Fleisch gleitet er auf dem Steinboden nie aus, obwohl die Prüfung häufig wiederholt wurde. Er steht sicher auf den Hinterbeinen und springt stets nach dem Fleische, das ich hoch am Zaune befestige. 15. December. Keine Gangstörung. Gleitet beim Laufen nach Fleisch nicht aus. Springt gut und sicher nach Fleisch. 406 Max BoRCHERT: 16. December. Berührungsreflex an allen vier Pfoten deut- lich. Lagegefühl unversehrt. Keine Unsicherheit bei verbundenen Augen. Bringt man eine federnde Drahtklemme an seinen Pfoten an, so schreit er, hebt die Pfote hoch, nur selten leckt er die erhobene Pfote ab. 17. December. Schon bei der geringsten Berührung mit der Klemme zieht er die Pfoten weg. Ist sie an einer Pfote befestigt, so winselt er, macht sie aber nicht ab. 18. December. Er scharrt das Fleischstück, das er mit dem Maul nicht erreichen kann, bald mit der rechten, bald mit der linken Pfote heran. — Springt auf den Stuhl, legt sich mit seinen Vorderpfoten sicher an meinen Körper an. Nimmt die Klemme nie von der Pfote ab. 20. December. Berührungsreflex überall deutlich. Pfoten lassen sieh nicht umlegen. Hält sich mit den Vorderpfoten an meinem Körper fest. Keine Gangstörung, gleitet nie aus. Springt mit den Vorderpfoten auf einen ziemlich hohen Tisch und scharrt sich ein Stück Fleisch heran. Wird eine Klemme an einer Vorderpfote befestigt, so hält er das betreffende Bein lange in die Luft, winselt Minuten lang, nimmt aber die Klemme nie ab. Nach einer Weile leckt er an der Pfote und schleudert die Klemme ab. Er befreit in Papier eingewickeltes Fleisch von der Hülle, indem er die Vorderpfoten zweckmässig dabei benützt. Auf Wunsch giebt er mir zuerst nur die linke Pfote, später ebenso oft die rechte. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Fig. VIII): Die Hinterstränge sind durch Granulationsgewebe vollständig ersetzt bis auf einen einseitigen, der Substantia gelatinosa anliegenden, schmalen Streifen normalen Nervengewebes, das aber in seiner Ausdehnung höchstens. dem Areal der oberhalb der Halsanschwellung eingetretenen hinteren Wurzel- fasern entspricht. Absteigend nur vereinzelte degenerirte Fasern in den Seitensträngen. Aufsteigende Entartung der Hinterstränge. IX. Versuch: Kleiner schwarzweisser Terrier. Höhe des III. Hals- wirbels. Operation 12. December 1901. 13. December. Noch in halber Narkose untersucht. Die Berührungs- reflexe sind an beiden Hinterpfoten deutlich auszulösen. Er taumelt beim Gehen, wird nicht näher untersucht. 17. December. Berührungsreflex an allen vier Pfoten deut- lich vorhanden. Beim Laufen nach Fleisch gleitet er, obwohl ich den Versuch an 20 Mal wiederhole, nicht ein einziges Mal aus. Lege ich ein Fleischstück auf einen hohen Platz, so stellt er sich auf die Hinterbeine. So steht er gänzlich sicher da, auch wenn er das eine Vorderbein noch in der Luft hält. Lagegefühl intact. Beim Springen auf den Stuhl oder Abspringen von demselben keine Unsicherheit. 15. December. Keine Gang- oder Gleichgewichtsstörungen. Bewegt sich beim Fleischlaufen auf dem Steinboden bei wiederholten Ver- suchen stets normal. Springt nach Fleisch, das hoch am Zaune befestigt wird. 16. December. Er läuft auf den beiden Hinterbeinen ein paar Schritte seitwärts, um mich um Fleisch zu bitten. Heute und an allen folgenden Tagen macht er die Klemme, die an seinen Pfoten befestigt wird, nie ab, UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 407 beisst nie darnach und dreht sich nie darnach um. Gewöhnlich hebt er die geklemmte Pfote an; nur selten leckt er daran. 17. December. Gleitet beim Laufen nach Fleisch auf dem Steinboden nie aus. Dem Umlegen der Pfoten wird an allen vier Pfoten gleich starker Widerstand entgegengesetzt. Der Berührungsreflex ist an den beiden linken Pfoten etwas deutlicher als an den rechten. 19. December. Berührungsreflex an allen vier Pfoten deutlich. Die Pfoten lassen sich nie umlegen, gleiten nie aus. Keine sonstige Störung. 22. December. Berühre ich ihn sanft mit meinen Füssen, so zieht er stets die berührte Pfote weg. Trete ich ihn, so schreit er, sieht sich aber nie nach der schmerzenden Pfote um. Berührungsreflex überall deutlich. Beim Laufen nach Fleisch gleitet er nie aus. 24. December. Berührungsreflex und Lagegefühl heute und an den folgenden Tagen erhalten. Keine sonstige Störung nachweisbar. Zuweilen tritt er bei verbundenen Augen mit den Vorderpfoten auf’s Fleisch. Bei länger fortgesetzter Prüfung kommt es wiederholt vor, dass er in dem Augenblicke, wo er auf Fleisch herauftritt, sofort die Pfoten anhebt. Nie sieht er sich darnach um oder schnappt er darnach. Mikroskopischer Befund (Taf. II, Fig. IX): Die Hinterstränge sind auf dem Querschnitt vollständig durchNarbengewebe ersetzt. Die Verletzung greift auch ein wenig auf den rechten Seitenstrang über. Aufsteigend findet sich vollständige Hinterstrangdegeneration. Absteigend leichte Degeneration im rechten Pyramidenseitenstrang eine noch gering- fügigere im linken Seitenstrange. X. Versuch: dGelbes Spitzhündchen. Einfache Chloroform - Aether- narkose, ohne Morphininjeetion. Operation 14. December 1901. III. Hals- wirbel. 1. Beobachtung schon 3 Stunden nach der Operation: Er geht ein wenig breitbeinig; die Berührungsreflexe wurden mehrmals geprüft und sind an allen vier Pfoten sicher vorhanden. 15. December. Er ist sehr lebhaft wie vor der Operation, springt aus dem Käfig auf den Steinboden, ohne auszugleiten. Er klettert an mir empor, springt nach einem Stück Fleisch, das ich hoch am Zaune befestige, ohne Unsicherheit zu verrathen. Nicht die geringste Gang- oder Gleich- gewichtsstörung. Ich lasse ihn 6 Mal hinter einander nach Fleisch auf dem Steinboden laufen. Er gleitet nicht ein einziges Mal aus. 16. December. Berührungsreflexe an allen vier Pfoten aus- zulösen, vorn besonders deutlich. Er gleitet nie beim Laufen nach Fleisch aus, stützt sich nie auf den Fussrücken. 17. December. Die Klemme nimmt er heute und später nie von der Pfote ab und sieht sich nie darnach um weder bei offenen noch bei ver- bundenen Augen. Stets hebt er die geklemmte Pfote an. Keine Lage- gefühlsstörung. 18. December. Berührungsreflexe überall vorhanden; auch am 408 Max BORCHERT: Unterschenkel und Oberschenkel ist der entsprechende Be- rührungsreflex auszulösen. 19. December. Berührungsreflex überall auszulösen. Berühre ich bei verbundenen Augen seine Vorderpfoten mit dem Pinsel, so zieht er sie weg, sieht sich aber nie darnach um. Sobald ich mit der Klemme an seine Pfoten komme, zieht er sie sofort weg. 21. December. Keine Störung. Obwohl er sehr schnell läuft, gleitet er beim Laufen nach Fleisch auf dem Steinboden nie aus. 23. December. Sein Gang ist wie vor der Operation, sehr rasch und lebhaft, aber keine Spur von stampfend. 10 Mal muss er auf dem Steinboden nach Fleisch laufen, gleitet nie aus. Springt fortwährend auf meinen Schoss, ohne die geringste Unsicherheit zu verrathen. Bei verbundenen Augen wird er mit dem langen Pinsel berührt. Er zieht stets die berührte Pfote weg, sieht sich aber nie um. 24. December. Lege ich Fleisch auf seine Vorderpfoten, so zieht er jedes Mal die Pfoten weg und hält sie eine Zeit lang in der Luft. Lege ich teppichartig mehrere Fleischstücke auf den Boden, so kommt es vor, dass er, bei verbundenen Augen, zuweilen beim Laufen darauf tritt, ohne den Fuss wegzuziehen oder sich darnach umzusehen. Auch setzt er zuweilen, wenn er vorher den Fuss in der Luft hält, und ich Fleisch darunter lege, den Fuss darauf. In dem Augenblicke, wo seine Augen von der Binde befreit werden, stürzt er sich auf das Fleisch. 25. December. Macht die Klemme nie ab. Lege ich Fleisch auf eine Vorderpfote, so zieht er die Pfote an den Körper an und hält sie in der Luft. Fällt sie beim Aufsetzen wieder auf das auf den Boden gelegte Fleisch, so zieht er sie wieder an, das wiederholt sich mehrmals, bis er sie schliesslich auch ein Mal auf dem Fleisch ruhen lässt. Nie sieht er sich darnach um. Auf den hinteren Pfoten lässt er das Fleisch, das man darauflegt, ruhig liegen. Berührungsreflex an allen vier Pfoten deutlich, besonders deutlich an beiden Vorderpfoten. 26. bis 28. December keine Aenderung. Mikroskopischer Befund (Taf. IH, Fig. X): Hinterhörner und Hinterstränge sind völlig durch Narbengewebe ersetzt. Aufsteigend totale Hinterstrangdegeneration, leichte Degeneration in beiden Kleinhirnseitensträngen. Absteigend mässige Degeneration in beiden Pyramidenseitensträngen. XI. Versuch: Grosser schwarzweisser Terrier. X. Brustwirbel. Operation 11. November 1901. 13. November. Berührungsreflex rechts hinten deutlich, links fehlend. Er hält das linke Bein steif und abdueirt, rutscht oft damit aus. Die linke Pfote lässt sich ohne den geringsten Widerstand umlegen und verharrt lange Zeit in der aufgezwungenen Stellung. An der rechten Hinterpfote zeigt sich nie auch nur die geringste Störung. Dem Versuch, sie umzulegen, setzt sie kräftigsten Widerstand ent- gegen. Er stützt sich sehr oft von selbst auf die linke Hinterpfote, niemals auf die rechte. UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 409 | 14. November. Auch beim Sitzen wird das linke Bein ganz abdueirt gehalten, während das rechte an den Körper angezogen wird. Beim Gehen wird das linke Bein nachgeschleift und rutscht fortwährend aus. Er stützt sich Minuten lang auf den Rücken der linken Hinterpfote. Der Berührungs- reflex fehlt an der linken Hinterpfote. Das rechte Hinterbein zeigt nicht die geringsten Störungen. Berührungsreflex ist deutlich, es leistet kräftigen Widerstand, wenn man es umzulegen ver- sucht, und zeigt nicht die geringsten Gangstörungen. In der Folgezeit (bis 31. December) hat sich nichts Wesentliches geändert. Rechts hinten liess sich nicht die mindeste Störung nachweisen; insbesondere war der Berührungsrellex deutlich, das Lagegefühl vorhanden. Das Bein glitt nie aus und wurde, wenn mit dem Pinsel berührt, weg- gezogen. An der linken Pfote fehlte der Berührungsreflex und zeigten sich die schon erwähnten groben Störungen des Lagegefühls und des Ganges. Ferner zeigte sich stets Folgendes: Lässt man ihn auf den Hinterpfoten Kehrt machen, so gelingt es ihm wohl, linksum Kehrt zu machen oder links seitlich zu gehen, indem er dabei das rechte Bein adduceirt, darauf das linke abdueirt u.s.f. Soll er aber rechtsum Kehrt machen oder rechts seitlich gehen, so adducirt er das linke Bein nie, sondern macht mit dem rechten Bein einen Seitensprung und schleift passiv das linke nach.! Bei der Section zeigt sich, dass die Hinterstränge vollständig durcehschnitten und durch Narbengewebe ersetzt sind. Aufsteigend ist ihre Degeneration vollständig. Absteigend zeigt sich rechts nichts, links ein weisser Fleck im Seitenstrang, entsprechend der Lage der motorischen Bahnen. Mikroskopisch noch nicht untersucht. XI. Versuch am vorigen Hunde in der Höhe des III. Halswirbels, operirt am 30. December 1901. 31. December. Er ist noch in halber Narkose. Berührungsreflex ist rechts hinten deutlich auszulösen. Nicht weiter untersucht. 1. Januar 1902. Er springt aus dem Käfig. Berührungsreflex ist rechts vorn und rechts hinten deutlich. Links hinten fehlte er schon vor der Operation. Auch links vorn ist er nicht auszulösen. Die rechte Vorderpfote lässt sich nicht umlegen, die linke Vorderpfote lässt sich gegen geringen Widerstand umlegen und stützt sich zuweilen von selbst auf den Fussrücken. Ein Stück Fleisch scharrt er bald mit der rechten, bald mit der linken Vorderpfote heran. Die Klemme, die er früher von den Vorderpfoten stets sofort ab- genommen hatte, nimmt er heute nur selten ab, indem er die betreffende Pfote an seinen Mund führt. Beim Laufen nach Fleisch auf dem Steinboden gleitet er nur mit der linken Hinterpfote aus, was er schon vor der Ope- ration that. 3. Januar. Gleitet beim Laufen nach Fleisch nur mit der linken Hinter- ı Das gleiche Verhalten zeigte sich bei einem in dieser Arbeit nicht erwähnten Hunde auf einer Seite, auf der der Seitenstrang erheblich mitverletzt war. Herr Dr. Sehüller aus Wien machte mich auf dieselbe Erscheinung bei seinen Hunden aufmerksam, denen er das Corpus striatum und die Capsula interna verletzt hatte. 410 MıAx BOoRCHERT: pfote aus. Giebt auf Verlangen sowohl die rechte als die linke Vorderpfote. Bei Berührung der rechten Vorderpfote und der rechten Hinter- pfote mit dem Pinsel zieht er die berührten Pfoten weg. Lege ich Fleisch auf die beiden Vorderpfoten, so zieht er beide weg, also auch die linke, an welcher der Berührungsreflex nicht auszulösen ist. Die Klemme macht er nirgend mit den Füssen ab. Er hebt nur das geklemmte Bein an und macht öfters Abschüttelbewegungen. 4. Januar. Berührungsreflex rechtsvorn und rechts hinten deut- lich, links nicht auszulösen. Umlegen lassen sich die rechten Pfoten nie, die linke lässt sich zuweilen umlegen, doch leistet sie einen geringen Wider- stand. Die geklemmten Vorderpfoten führt er öfters an’s Maul und nimmt die Klemme dann ab, nachdem er zuvor daran geleckt hat. Bei nachträg- licher Untersuchung gelingt es auch links vorn, wenn auch nur schwach, den Berührungsreflex auszulösen. 6. Januar. Er nimmt fast jedes Mal sofort die Klemme, die ich rechts oder links vorn anbringe, mit den Zähnen ab. Er sieht sich nie um, wenn ich mit dem langen Pinsel die Vorder- oder Hinterpfoten berühre, obwohl er die Vorderpfoten und die rechte Hinterpfote häufig an- hebt. Links vorn tritt er zuweilen mit dem Fussrücken auf, rechts vorn nie. 7. Januar. Gleitet mit der linken Hinterpfote beim Laufen nach Fleisch stets aus, nie mit den anderen Pfoten. Wiederholte Prüfung ergiebt, dass er sich weder bei verbundenen noch bei unverbundenen Augen je nach der Stelle umsieht, wo man ihn mit dem Pinsel berührt, obwohl er auf der rechten Seite die berührten Pfoten anhebt. Die linke Vorder- pfote zieht er nur bei Verstärkung des Reizes, bei gelindem Druck mit dem Stabe, fort. 8. Januar. Bei Berührung mit dem langen Pinsel blickt er sich heute und alle folgenden Tage fast nie nach der berührten Stelle um, was er vor der Operation bei derartigen Prüfungen öfters gethan hat. Dagegen zieht er häufig das berührte Glied weg, seltener die linke Vorderpfote als die rechte. Die Klemme nimmt er auch in den folgenden Tagen stets unverzüglich mit den Zähnen ab. 12. Januar. Er hält beim Stehen zuweilen die linke Vorderpfote an den Leib angezogen. Berührungsreflex links vorn angedeutet, rechts vorn und rechts hinten deutlich. Er tritt weder mit der rechten noch mit der linken Pfote auf Fleisch, sondern zieht beide Pfoten an. Am Öber- und Unterschenkel findet er die Klemme selten, zuweilen sucht er abwechselnd beide Beine ab. Ist die Aufmerksamkeit durch den Geruch von Fleisch erregt, sind die Augen verbunden, der Kopf nach einer Seite gerichtet, so berühre ich jetzt stets die der Richtung des Kopfes abgewandte Seite mit Fleisch; im Moment der Berührung blickt er sich stets nach der richtigen Seite um und sucht die betreffende Pfote ab. Auch bei Berührung der rechten Hinterpfote blickt er sich meistens um. Bei Berührung des Ober- oder Unterschenkels sucht er oft erst die Vorderpfote ab, dann die Hinterpfote derselben Seite. 14. Januar. Wird die Klemme an der rechten Rückenhaut befestigt, so sucht er oft erst links. Bringe ich die Klemme, indem ich im Vorbei- streifen das eine Bein berühre, am anderen Unterschenkel an, so sucht er UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 411 regelmässig erst die gestreifte Pfote ab, ehe er zur geklemmten übergeht und die Klemme abnimmt. Bringt man ceteris paribus die Klemme an der Pfote selbst an, so nimmt er sie sofort richtig ab. Wird nur mit dem Aermel die Pfote gestreift, die Klemme aber nirgends befestigt, so bleibt der Hund ruhig. 16. bis 19. Januar. Berührungsreflexe an beiden Vorderpfoten und der rechten Hinterpfote deutlich vorhanden, links etwas schwächer als rechts. Das linke Vorderbein wird zuweilen in der Luft ge- halten oder an den Leib angezogen. Auch stützt er sich manchmal auf den linken Fussrücken. An der rechten Hinterpfote findet er die Klemme selten, sucht wohl auch zuerst das rechte Vorderbein ab. Bei Berührung mit dem Pinsel zieht er beide Vorderpfoten und die rechte Hinterpfote fort, die linke Hinterpfote nie; an ihr fehlt auch der Berührungsreflex. Der Seetionsbefund ergiebt, dass beide Hinterstränge vollständig durch eine Narbe ersetzt sind bis auf einen ganz schmalen Randstreifen rechts. Mikroskopische Untersuchung steht noch aus. XIII. Versuch. Junger Bastardspitz. Vorher am 30. und 31: December 1901 untersucht. Berührungsreflexe an beiden Vorderpfoten schwer hervorzurufen. Er zieht jedes Mal sofort die Klemme heraus, wenn man sie in die rechte oder linke Vorderpfote einklemmt. Befestigt man die Klemme hinten, so sucht er zuweilen erst die Vorderpfote ab. Berührt man ihn mit einem langen Stabe, so blickt er sich fast immer darnach um. Operation. III. Halswirbel. Beabsichtigt wurde eine einseitige Durch- schneidung des rechten Hinterstranges. 1. Januar 1902. Er zieht die Klemmen, wiewohl er noch nicht ganz aus der Narkose erwacht ist, stets aus beiden Vorderpfoten sofort heraus. Berührungsreflex hinten beiderseits gut auszulösen, vorn nicht genau geprüft. 4. Januar. Er sucht vorn wnd hinten richtig nach der Klemme und zieht jedes Mal und überall die Klemme heraus. Berührungsreflex vorn und hinten deutlich. 6. Januar. Fast jedes Mal, wo ich mit dem Stabe die rechte oder linke Vorderpfote berühre, fährt er mit der Schnauze hin. Auch in den folgenden Tagen sind nicht die geringsten Störungen nachweisbar, die Berührungsreflexe waren deutlich an allen vier Pfoten aus- zulösen. Bei Berührung mit dem Pinsel wurden alle vier Pfoten angezogen. Dauerte die Berührung länger, so blickte er sich oft darnach um. 11. Januar. Rechts vorn fährt er, während die Augen verbunden sind, zwei Mal nach der berührten Pfote, links nie. Die Klemme localisirt er vorn und hinten und nimmt sie ab. Belästige ich ihn durch Pinselberührung, so blickt er sowohl rechts wie links hin und leckt die Stelle, da er berührt wurde, ab. Es scheint, dass er rechts regelmässiger sich umblickt als links, doch thut er es auch links. Einmal, als ich die linke Hinterpfote berührte, suchte er die :u9q[osıop Jnejqy OeN 'pums 4sup -99 Sungupgr ypınp op “syızmuoyony Ssop 4.103898 u9SunmoT»sıosuorssdLdwmon) Yoanp yuorpd yoırqoy | -WO9 UeLIOA Aayosıuyy 'ON.1ZoqDUeLS -19 Puo9s ABgSIEMyILU -UONOSTUNUOLN] AOPIOg SunzyoploA NIS (eus[eH) July -TIANIOA SUNIOIg UN uoyyeı[ıo vgugajsıojurg .AopIagq Sunprmugosyaamd ITa ypnsoaA ABgSIOoAydeU | (AIRWLYEAIOLLL) 9uroy jewmaou SUNIOIS UN uoyeiLıo ' oduRıjsaoguıg AopIoq Sunpruyosgo.Andg IA ypnsıoA Aeqstomydru | (spIEW[EOTAAN,)) duo peuniou SUNIOIS OULoN uoyeyıo ‚ SIUTAZSAHJUL] UNI SEP Sunpraugosypand A Pnsıor UNLOSUIFXO -SSn,7 Iop Sunuuedg an ‘Suen) Aopuazduregs a1 :UISUNUTOTISIO E -Suorgsu9aduon) OU UOPoM SLOT SIOPUOSOq 2 U9JLO]LS 1199899 | o3uLaH 4194593 | uaFluro LOTU 9819 YOIS | VSULLISUHNOS AOpIoq FUnzpypLlaAm 9q0aS | (RwedLAay,)) ° -suy sSOsmeH | Yolqaıo ,9SToM AOISq915 uf y1[o9s xoyaasdunayniog | oZuwıysıogug .opIoq Sunpimwuyosyoind AT ypnsıaA a. v4 UOZIUIS UONOMI < -ssn7 up MU = yaıs *uoyloLosıny uogytugosip.np ula]]e ‘SunIogssuern) 4104893 YoLLqaILLO uosmMmnzuogu yyaru | Iuwagsaayumg SyUrT Duwagsusgrag pan|| (MIRwmpEyL.ioy]) 9q018 SYy2oy [TULIOU | SIqDHLWoNEg.LD Sur] sguDodt “Uagpeito SYyul] | Suwagstogurg 0A Suuptouyosypand] SIUDoM IT yusıaA ABgsTMudeU 9DUR.1IS (NıBWwE9LAı)) Juroy jemaou SUNIQIS 9u1oy uoyjeq.1d -199u1 7 A9p UOLEAOUSFOLL PSLPURIS][0oA ISCH II yansıa A yıewgsnıg wI d2ur1}sıojuig AOp Sunpleuyasypincg uasıp zegstomuouu -ue4s][0A auto ymorıdszuo “ogyıpy Aorgr ur) (HIBWWOLAL,)) auoN jemaou | Suntogg ouoy | uoypeu.1d ‚HAFULLIS a9L9S,[L0H9 AOP Sunpruuyoswp.und T yonsıaıa nl en —- - — | m Q | & BR Be Bun 1quposase] | mmpssäwmameg Yopy9asuore.19dg S may ur 413 RSTRÄNGEN DES RÜCKENMARRS. . 4 UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTE 9UToN Toy syum uo3unıogs -Zuen 9q0.1H) duo autoy auroy UOFUNLOIg aaıysuos jeanıou jeuriou euntom jeuniou jeuntou jeuntonu YUOIM9S -upreId syun TeSIOM ru FUunIoIg 9uoy ySıpeyps9d Sy ZUNLOIS HULOy SIUD91 | U0898 1.104893 40.19 egstomydeu SUNIOIS SUN 1Bqstompeu ZUNTOIg 9UOM IBASIOMUIBU ZUnIogg Hury qnjo3osw] “IBASIOMUIFU ı Fanı10Jg 9uroy SIQDO.L uoyjeuTto wasıommen | NPeMTSIFqL sguo9A syun SEM ABISOMUITU Jydıu syum “uoyjey.td SYUDa. uoyerLıd uoyjeiL.to uoyperpto [qnj9IsZunagmaog] ua4u9aT SOp AOFLU9M “sZuRA1JSIOJur] uoyulf SOp Sunprugssyoamdg "u9goT[q9.8 Stan SIT IST “ZUBISqUSUHAION OEL -Tou Pu9urogdsu® *uojloryspuryy Aapwuıgds | zue3 u UN Stpuegsjfoa om qus| 08 9SURagsıojuımg AOpIoq Sunprougpsgamdg, SSULLSUANS UONUI SOP pun oSueijsıoyurp] 19pIaq Sunprouyosydandg SDURAISIONLIH AOPIOq Sunpruyosyd.ind] odueigsrogurg DPIRq Sunprouyosyaand usqjesıop MeIqYy yrN 'sSogdsug Junynjgpoysn dawajpgsun ud MB IS op “Sumaagiopum 4 yaınp SUNYUEDLIST OAOMIIS UDR], UPISIE UP uf uogoıged 1917 SOAOMISUDAION URL -10U UOFOAS AORWUIS ZURd UM DEU gSL ag HU oryıwdpuryg UOIS[LIOB] OP un ION DOUIISTOFUILLL LOPIOA SUNPIEAYOSUIANG] PopPsuoru.mdo (Iwurs[eH) ITIIX yonsıoA (yıwuısıeH) TIX yansıooA (Aw nuopuof) IX onsıoA (ywurs[eH) x yamsıa\ (NAeUıs[%}H) XT yonsıoA Opwuuspe]) IA pusoA 414 Max BORCHERT: rechte Vorderpfote ab. Die Pfoten hebt er bei Berührung meist an. Rechts scheint die Localisation häufiger wie links. Werden die Hinterpfoten geklemmt, so sucht er oft erst die Vorderpfoten ab. Während die Augen verbunden sind, werden abwechselnd die Vorder- und Hinterpfoten mit Fleisch berührt. Stets fährt er mit der Schnauze dar- nach und leckt an der Pfote. Wird rechter Unter- oder Oberschenkel be- rührt, so blickt er stets in der entsprechenden Richtung, nie nach der Pfote, die er auch nicht absucht. Links blickt er stets in falscher Richtung, nämlich nach den Vorderpfoten, auch wenn ich Öber- und Unterschenkel berühre. Mehrfache Wiederholung dieser Prüfung führte zu demselben Er- gebniss. 14. Januar. Ist seine Aufmerksamkeit durch den Geruch von Fleisch geschärft, so genügt die geringste Berührung mit dem Finger, bald rechts, bald links, um ihn darnach blicken zu lassen. Auch hinten holt er die Klemme oft heraus, wenn er oft auch vorher die Vorderpfote absucht. Der Sectionsbefund zeigt in eindeutiger Weise, dass der linke Hinter- strang total degenerirt ist; auch der rechte ist mitbetroffen. Mikroskopisch noch nicht untersucht. Zum Schluss bemerke ich noch, dass von den normalen Thieren, die ich untersucht habe, einige gar nicht auf die Klemme, die an ihren Pfoten befestigt wurde, reagirten, die meisten aber die geklemmte Pfote anhoben und Minuten lang an den Leib anzogen, ohne sie mit den Zähnen abzunehmen oder sich auch nur darnach umzublicken. Bei Berührung mit dem Pinsel hoben sie zuweilen das Bein an, die Hinterpfoten sel- tener als die Vorderpfoten, sahen sich aber nie nach der Stelle der Berührung um. Auf S. 412 und 413 gebe ich noch eine tabellarische Uebersicht über die beschriebenen Versuche. Resume: Der vierte Versuchshund stellt einen Typus dar, wie er Schiff als Unterlage für seine Behauptung gedient hat, dass nach Durchschneidung der Hinterstränge die Berührungsempfindung aufgehoben und die Lage- empfindung in gröbster Weise gestört ist. Der Hund bietet in der That ganz den Symptomencomplex dar, wie er nach Abtragung der Fühlsphäre beobachtet wird. Auch die von Schiff geschilderten Compensations- erscheinungen stellten sich ein. Der Gang des Thieres wurde stampfend. Die Fuss- und Zehenstrecker wurden zuweilen beim Versuche, die Zehen umzulegen, gespannt. Doch in einem wesentlichen Punkte weichen schon hier meine Er- gebnisse von der Lehre Schiff’s ab, dass nämlich nach einigen Wochen der Berührungsreflex deutlich hervorgerufen werden konnte. Allerdings UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 415 war die Berührungsempfindung abgeschwächt, denn der Hund trat regel- mässig beim Laufen über Fleisch darauf, ohne den Fuss anzuheben. Der dritte und elfte Versuchshund bieten ein gleiches Verhalten, wie es Schiff beschrieben hat für die rechte, bezw. linke Hinterpfote dar. Im diesen beiden Fällen stellte sich auch der Berührungsreflex auf der betreffenden Seite nie wieder her, obwohl das Thier im elften Versuche über 2 Monate am Leben blieb. Diese drei Fälle sind äber gleichzeitig die einzigen, in denen die Operation auch zu einer groben Mitverletzung des Seitenstrangs geführt hatte, wie durch compacte Degenerationen in den ab- steigenden motorischen Bahnen erwiesen ist. Besonders lehrreich ist in den beiden letzt erwähnten Versuchen der Vergleich zwischen der sich normal verhaltenden und der geschädigten Extremität. Auch auf der anscheinend normalen Seite war der Hinterstrang total durchschnitten. Mit Bechterew (1890) zeigt der siebente Versuchshund eine grobe Gleichgewichtsstörung, die freilich allmählich vorüberging. Hier zeigt sich nun eine compacte Degeneration des einen, und eine leichtere des anderen Kleinhirnseitenstrangs. Bei dem achten Hunde machte sich in den ersten Tagen eine grobe Lagegefühlsstörung bemerkbar. Doch bot das Thier in Folge einer Wund- eiterung den Eindruck grösster Mattigkeit und Schwäche dar. Die Er- scheinungen der entzündlichen Reizung zeigten sich überdies in einem eigenartigen, in seiner Gesetzmässigkeit an das Ablaufen eines Rades er- innernden Bewegungszwanges. Im Verlaufe einer Stunde drehte sich das Thier in kurzen Intervallen an 200 Mal zeigerföürmig um seine eigene Axe, bald und mit Vorliebe rechts, bald links herum. Es dürfte sich hier um die Erregung eines im Körper doppelt angelegten Mechanismus gehandelt haben, der sich im normalen Leben das Gleichgewicht hält, und hier durch gesonderte Reizung in seine Componenten zerlegt wurde. Es ist aber kein Grund vorhanden, eine Reizung der Hinterstränge dafür verantwortlich zu machen. Dass sich die Störung des Lagegefühls bei diesem Hunde aus- schliesslich aus dem Erschöpfungszustand erklärt, geht daraus hervor, dass nach zweitägiger Ruhepause nicht die mindeste Empfindungs- oder Be- wegungsstörung nachweisbar war. Das wesentliche Ergebniss dieser Untersuchungen, worin sämmtliche Versuche übereinstimmen, und wofür die mikro- skopischen Präparate den unwiderleglichen Beweis liefern, ist, dass nach Durchschneidung der Hinterstränge (die graue Substanz wird mehr oder weniger fast immer mit durchschnitten) nicht nur die Schmerzempfindung, sondern auch die Berührungsempfindung und die grobe Lageempfindung erhalten ist. Auch das Locali- 416 MAx BOoRCHERT: sationsvermögen ist im Groben erhalten. Im Gange und in den feineren isolirten Bewegungen lassen sich keine Störungen nach- weisen. Mit diesem Ergebniss ist die Lehre Schiff’s, dass die langen Hinterstrangbahnen einzig und ausschliesslich der Leitung der Berührungserregungen dienen, widerlegt und die Kluft, die zwischen der Physiologie des Menschen und des Hundes zu bestehen schien, überbrückt. Gerade so wie der Mensch Berührung empfindet, wenn die Hinterstrangbahnen entartet sind, verhält sich der Hund, dessen Hinterstränge durchschnitten sind. Es folgt weiter, dass die Wege, auf denen die Berührungserregungen von der Peripherie zur Rinde geleitet werden, auch in den sensiblen Bahnen zweiter, eventuell dritter u. s. w. Ordnung enthalten sein müssen. Während aber die Kliniker noch darüber streiten, ob die Seitenstränge in der Leitung der Berührungserregungen schon im normalen Zustande oder erst nach dem Untergange der Hinterstrangbahnen compensirend für sie eintreten, zeigt hier das Experiment für den Hund, dass schon kurze Zeit nach Hinterstrangdurchschneidung die Berührungsempfindung in unzweideutiger Weise nachgewiesen werden kann. Von einer Compensation kann hier nicht die Rede sein: Vielmehr leiten die sensiblen Bahnen zweiter u.s. w.Ordnung schon im normalen Zustande die Erregungen der Berührung. Nun setzt aber der Berührungsreflex ebenso wie die anderen Zeichen von Berührungsempfindung (Wegziehen des berührten Gliedes, Umblicken nach dem Orte der Berührung oder des Schmerzes u. s. w.) eine isolirte Ortsempfindung voraus. Das ist ja gerade wie Hermann Munk gezeigt hat, das Charakteristicum des Berührungsreflexes, dass immer nur das be- rührte Glied und kein anderes mit Bewegung antwortet. Damit aber zwei an sich gleiche Reize als örtlich getrennt empfunden werden, müssen un- bedingt zwei isolirte Leitungen vorhanden sein. So werden wir zu dem Schlusse geführt, dass in den sensiblen Bahnen zweiter u.S. w. Ordnung isolirte Leitungen vorhanden sein müssen, welche die Berührungsempfindung und auch den Ortssinn des Thieres vermitteln, in dem Maasse, als dieselben durch die von uns angewandten Methoden nachgewiesen wurden. Freilich setzt der Berührungsreflex und die anderen Zeichen, die wir als beweisend für Berührungsempfindung ansehen durften, nur wenige Localzeichen voraus. Bei Berührung ver- schiedener oft entfernter Punkte eines Gliedes antwortet immer das ganze Glied (der Fuss, seltener die Summe aller Zehenglieder.. Es brauchen mithin die verschiedenen kleineren Bezirke des Gliedes unter einander nicht isolirt empfunden zu werden, auch wenn der Berührungsreflex vor- handen ist. UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 417 Es ist daher verfehlt, allein aus der Thatsache, dass nach Hinterstrang- durchschneidung die Berührungsempfindung nachweisbar ist, den Schluss zu ziehen, dass die langen Bahnen der Hinterstränge an dem Zustande- kommen der Berührungsempfindung überhaupt nicht betheiligt sind. Dieser Schluss wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Nachweis erbringen liesse, dass die Berührungsempfindung nach Durchschneidung der Hinter- stränge unversehrt geblieben ist. — Doch liegen im Gegentheil einige An- haltspunkte vor für die Annahme, dass die Empfindung der Thiere nach der Durchschneidung der Hinterstränge abgestumpft ist. Einem exacten Beweise stellt sich die Schwierigkeit entgegen, beim Hunde normale und pathologische Empfindung gegen einander abzugrenzen, wenn der Operation nicht eine durch längere Zeit vorgenommene, eben darauf gerichtete sorg- fältige Untersuchung voraufgegangen ist. Nur eine grössere Versuchsreihe kann hierüber Gewissheit geben. Man wähle nur intelligente Hunde mit möglichst feinem Localisationsvermögen und nehme am besten einseitige Hinterstrangdurchschneidungen vor, um so die kranke Seite mit der ge- sunden vergleichen zu können. Auch empfiehlt es sich, die Durchschneidung nicht ganz vollständig zu machen, damit die Gefahr auch nur der geringsten Seitenstrangverletzung ausgeschlossen wird. Hier beschränke ich mich darauf, die Punkte anzuführen, die an eine Gefühlsabstumpfung meiner Thiere denken liessen, wenngleich sie nicht absolut beweisend sind: Die meisten meiner Thiere nahmen die Klemme, die sie wohl merkten, nicht ab, bliekten sich nicht um, wenn man sie berührte, traten zuweilen auf Fleisch herauf, ohne die Pfoten anzuheben. Ein besonders intelligenter Hund (XII), der sich vor der Operation öfters nach der berührten Pfote umgesehen hatte, that dies nachher nur, wenn seine Aufmerksamkeit durch den Geruch von Fleisch aufs Schärfste angespannt war. Dass dieser die Klemme in den ersten Tagen nach der Operation wider seine frühere Ge- wohnheit nicht abnahm, mag freilich nur an der Schmerzhaftigkeit seiner Wunde gelegen haben, die ihn auch bewog, ein Fleischstück nicht gleich mit dem Maule zu erfassen, sondern erst mit den Pfoten heranzuscharren. Beim 13. Hunde wurde mehrmals beobachtet, dass er sich nach links seltener umblickte als nach rechts, auch schien links die Localisation von Ober- und Unterschenkel mangelhafter zu sein als rechts, wie denn auch das Präparat statt der beabsichtigten Durchschneidung des rechten eine solche des linken Hinterstrangs ergab, während der rechte minder betroffen war. In gleicher Weise findet sich beim fünften Hunde eine vereinzelte Be- obachtung, dass er sich bei Berührung mit dem Pinsel links öfters umsah, rechts nicht. Hier war der rechte Hinterstrang durchschnitten. Wenn demnach meine eigenen Versuche eine Gefühlsabstumpfung nach Archiv f. A. u. Ph. 1%2. Physiol. Abthlg. 27 418 Max BoRCHERT: Hinterstrangdurchschneidung nur wahrscheinlich machen, so giebt es doch andere gewichtige Momente, welche unsere Annahme indirect beweisen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die langen Hinterstrangsbahnen gleich allen anderen hinteren Wurzelfasern sensible Leitungsbahnen dar- stellen:: Bei direeter Reizung eines vom Rückenmark abpräparirten Hinter- strangkeils erzielte Schiff stets eine Reaction der Pupille. Doch ist dieser Versuch an sich nich nicht einwandsfrei (Schiff präparirte gewöhnlich, um den Hinterstrang nicht zu lädiren, auch benachbarte Theile der grauen Substanz und der Seitenstränge mit heraus). Auch beweist die Reaction der Pupille, die einen nicht corticalen Reflex darstellt, noch keine Empfin- dung. In alter und neuer Zeit hat man das Rückenmark oft durchschnitten und nur die Hinterstränge übrig gelassen, und die meisten Beobachter con- statirten hierauf eine völlige Gefühllosigkeit der Thiere. Derartige Ver- suche beweisen aber nichts, da durch die Ausschaltung fast aller sensibler und motorischer Bahnen das Thier in einen schwer pathologischen Zustand versetzt wird. Unsere besondere Beachtung verdient dagegen jener denk- würdige Versuch von Schiff, der ihm den Anstoss zu seiner neuen Lehre gab und den er auf der Deutschen Naturforscherversammlung in Karlsruhe 1858 demonstrirte: Es wurden Kaninchen durch künstlichen Blutverlust in einen derart erregbaren Zustand versetzt, dass sie auf die leiseste Berührung zusammen- schreckten. Nun schnitt ihnen Schiff das Rückenmark am Halse, mit Ausnahme der Hinterstränge, quer durch. Nach dem Erwachen verhielten sie sich ruhig. Bei der leisesten Berührung fuhren sie erschreckt zusammen, öffneten die Augen, hoben den Kopf und athmeten rascher. Andererseits konnte man einen ganzen Körpertheil, ja den Nervus ischiadicus selbst zer- malmen, ohne dass das Thier den geringsten Schmerz äusserte. Nur im Anfang trat bei der ersten Berührung dieselbe Reaction ein, wie sie auch durch Berührung jedes anderen Punktes der Peripherie ausgelöst werden konnte. Kniff man das Thier oberhalb der Operationsstelle, so öffnete es den Mund, um zu schreien. Die Anwesenden, darunter Hermann v. Helmholtz, überzeugten sich bei der Section, dass vom Rückenmarks- querschnitt nur die Hinterstränge erhalten waren; ja auch diese waren ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Dieser Versuch beweist zwar nichts für die Berührungsempfindung (wie Schiff folgerte), da die Erregbarkeitsverhältnisse des Rückenmarks schwer verändert sind, doch macht er das Bestehen einer sensiblen Leitung durch die Hinterstrangbahnen ziemlich sicher. Da nun die Hinterstrangbahnen sensible Bahnen darstellen, so muss ihre Ausschaltung eine Verminderung der Sensibilität herbeiführen. Da dieselbe nun, wie wir nachweisen konnten, nicht auf qualitativ-sensiblem UNTER SUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 419 Gebiete liegt, so muss sie auf quantitativ-sensiblem Gebiete liegen, d. h. die Empfindung als solche ist nach Hinterstrangdurchschneidung in sämmt- lichen Qualitäten vorhanden, aber abgestumpft. Da aber die Feinheit der Empfindung abhängt von der Anzahl der Localzeichen, diese aber von der Anzahl isolirter sensibler Nervenleitungen, so müssen in den Hintersträngen Bahnen enthalten sein, welche isolirte Erregungen zur Hirnrinde leiten, durch deren Erregung also die Localzeichen des Körpers vermehrt werden. Diese Annahme wird durch folgende Thatsachen gestützt: Die vergleichende Anatomie zeigte uns eine phylogenetisch fort- schreitende Differenzirung der sensiblen Bahnen erster Ordnung aus den sensiblen Bahnen zweiter, dritter u. s. w. Ordnung. Wir dürfen schon hieraus auch auf ihre functionelle Differenzirung in der aufsteigenden Thier- reihe schliessen. Beim Hunde besitzen die Hinterstrangbahnen nur eine niedrige Entwickelungsstufe, während sie beim Menschen das Hauptcontingent aller sensiblen Leitungsbahnen ausmachen. Dies in Zusammenhang mit der aus unseren Versuchen gewonnenen Erfahrung, dass eine Durchschneidung der Hinterstränge beim Hunde keine grobe Störung der Empfindung und der Bewegung verursacht, beweist, dass die Function der Hinterstränge beim Menschen eine weit ausgeprägtere sein muss als beim Hunde. In der That kann man sich kaum einen krasseren Gegensatz in der Feinheit der Empfindung vorstellen, als er zwischen Mensch und Hund besteht. Dies bedingte ja gerade die Unmöglichkeit, das überaus mangel- hafte Localisationsvermögen des Hundes (vgl. Versuch XII), wie es beim Menschen als hochgradig pathologisch angesehen werden würde, hier als krankhaft zu bezeichnen. Eine mächtige Stütze für unsere Annahme giebt ferner die Anatomie. Wir erwähnten bereits, dass eine isolirte Empfindung zu ihrem Zustande- kommen unbedingt einer isolirten Leitung bedarf, die den betreffenden Ort, der als solcher empfunden wird, mit der Hirnrinde verbindet. Dem Ideal einer Ortsempfindung würde es daher entsprechen, wenn jeder Punkt des Körpers durch eine isolirte Faser mit der Fühlsphäre verbunden wäre Dieses Ideal ist in der Anatomie nicht verwirklicht. Doch zeigt sich in der Isolirung der Nervenleitung ein ausgesprochener Unterschied derart, dass das System der langen Hinterstrangbahnen unter allen sensiblen Leitungen die isolirtesten, directesten Verbindungen der Peripherie mit der Rinde dar- stellen. Sie sind mithin von Natur prädestinirt zur isolirten Leitung sensibler Erregungen, und wir gewinnen so ein Verständniss dafür, dass der Mensch mit seinem Reichthum an langen Hinterstrangbahnen ein so ungemein feineres Localisationsvermögen besitzt als der Hund. Die Pathologie der Tabes dorsalis lehrt ferner, dass die mit einer Hinterstrangerkrankung behafteten Individuen von jedem Punkte ihres 27° 420 Max BORCHERT: Körpers die feinste Berührung oft wahrnehmen können, aber ihre Empfin- dung wird von ihnen selbst oft als dumpf bezeichnet, und Hand in Hand damit geht, wie erst jüngst Förster an zahlreichen Fällen von Tabeskranken nachgewiesen hat, eine grobe Störung ihres Localisationsvermögens. Es er- klärt sich hieraus, dass auch das feinste Lagegefühl hierbei stets eine Be- einträchtigung erfahren muss, da ja das Berührungsgefühl der Haut eine wichtige Componente des Lagegefühls darstellt. So gewinnen wir die Einsicht, dass sich die Empfindung des Thieres zusammensetzt aus einer groben Empfindung für Berührung, Schmerz, Ort, wie sie vermittelt wird durch die Erregung der sensiblen Bahnen zweiter u. s. w. Ordnung und aus einer feinsten Empfindung, die an die Erregung der sensiblen Bahnen erster Ordnung gebunden ist. Die grobe Empfindung verfügt über wenige Localzeichen, die feinste Empfindung da- gegen ist ausgezeichnet durch eine Fülle von Localzeichen. Wir sahen weiter, wie in der aufsteigenden Thierreihe mit der steten Fortdifferenzirung der sensiblen Bahnen erster Ordnung auch das Bestreben nach Verfeinerung der Empfindung herrscht. Noch beim Hunde genügen die wenigen Local- zeichen seiner „groben“ Empfindung, um eine erhebliche Störung in Be- wegung und Empfindung auszuschliessen, während beim Menschen die feinere Empfindung das Uebergewicht gewonnen hat und eine Ausschaltung derselben grosse Störungen mit sich bringt. Wir haben mithin für den Gefühlssinn das gleiche Verhalten wie für den Gesichtssinn. Wie wir dort ein schärfstes, mit einer Fülle von Local- zeichen ausgestattetes Sehen mit der Fovea centralis unterscheiden von dem groben Sehen mit der übrigen Retina, so setzt sich der Gefühlssinn zu- sammen aus groben Empfindungen mit wenigen Localzeichen, vermittelt durch Erregungen der sensiblen Bahnen zweiter u. s. w. Ordnung und feinen Empfindungen mit vielen Localzeichen, die sich an Erregungen der sen- siblen Bahnen erster Ordnung knüpfen. Was nun die Lageempfindung anlangt, so ist nur das eine sicher, dass die Berührungsempfindung der Haut eine wichtige Componente von ihr darstellt. Wir dürfen also schliessen, dass nach Durchschneidung der Hinterstränge auch die Lageempfindung des Thieres stets geschädigt sein wird. Die übliche Methode, die Lageempfindung durch den Widerstand zu messen, den .das Thier entgegensetzt, wenn man versucht, seine Pfoten derart umzulegen, dass es sich auf den Fussrücken stützt, versagt nach einiger Zeit selbst bei gröbsten Störungen des Lagegefühls (Schiff’s Com- pensationserscheinungen); sie versagte auch bei unserem zwölften Hunde, bei welchem sich die Lagegefühlsstörung deutlich darin offenbarte, dass er sich bei längerer Beobachtung ab und zu auf den Rücken der linken Vorder- pfote stützte. Hier war auch der Berührungsreflex deutlich gegen rechts herab- UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN DES RÜCKENMARKS. 421 gesetzt. Die inzwischen beendete mikroskopische Untersuchung hat nun in der That bei diesem Thiere eine ganz geringe Verletzung des linken Seiten- strangs ergeben; doch ist dieselbe, wie auch die absteigende Degeneration bekundet, nicht bedeutender als bei den anderen Thieren, bei denen sich eine Lagegefühlsstörung unserer Beobachtung gänzlich entzogen hatte. Es muss demnach noch unentschieden bleiben und bedarf der Untersuchung an einer noch grösseren Versuchsreihe, ob sich nicht nach gänzlich iso- lirter Hinterstrangdurchschneidung zugleich mit der Abstumpfung der Berührungsempfindung ab und zu auch eine solche der Lageempfindung wird nachweisen lassen, was mir entgegen allen anderen Versuchsergeb- nissen lediglich auf Grund des zwölften Versuches durchaus wahrscheinlich ist.! Jedenfalls lässt sich eine grobe Störung der Lageempfindung oder eine Ataxie (auch bei isolirten Bewegungen) nach Hinterstrangdurchschnei- dung beim Hunde nie beobachten. ! Ein kurzer Bericht über die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks der “letzten drei Versuchshunde wird als besonderer Nachtrag mitgetheilt werden. 422 Max BORCHERT: Litteraturverzeichniss. Bechterew, Dies Archiv. 1890. Physiol. Abthlg. Bell, Physiologische und pathologische Untersuchungen des ms übers. von Homberg. Berlin 1832. Derselbe, Magendies’ Journal. 1823. 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Türck, Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften. Math.- naturw. Classe. Wien 1851. Derselbe, Ebenda. 1855. Wagner, Centralblatt für Nervenheilkunde. 1886. Woroschiloff, Bericht der Königl. Sächs. Akademie der Wissenschaften. Math.-naturw. Classe. Leipzig 1874. Von den übrigen Arbeiten las ich nur die Referate in den: Jahresberichten über die Fortschritte der gesammten Medicin. 1840—1900. Jahresberichte für Anatomie und Physiologie von Hermann. 1882—1891, sowie den Bericht Eckhard’s in Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1879. 424 Max BORCHERT: UNTERSUCHUNGEN AN DEN HINTERSTRÄNGEN. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IL.) Die Figuren der beigegebenen Tafel tragen die Zahlen der Versuchs- hunde, von deren Rückenmarksverletzungen sie Querschnitte darstellen. Sie sind mit Hülfe eines Zeichenapparates hergestellt worden. In den Fällen, in denen auf einem Querschnitt die Verletzung nicht in ihrem ganzen Umfange zu sehen war, wurden mehrere Abbildungen gegeben (Figg. IVa, IVb, Va, Vb, VIla, VIIb). In den Fällen, in denen die Seitenstrangbahnen erheblich mitverletzt waren, wurde auch ein Bild von der absteigenden Degeneration gegeben (IIle, IVc), des- gleichen von der aufsteigenden Degeneration, wenn ausser den Hintersträngen in er- heblicher Weise die Kleinhirnseitenstränge entartet waren (IVd, VIle). Fig. XI giebt einen Querschnitt durch das Halsmark des III. Versuchshundes und demonstrirt die nach einer Hinterstrangdurchschneidung im unteren Brustmarke aufsteigende Degeneration. Fig. XII demonstrirt einen ähnlichen Fall vom Menschen (Querschnittsmyelitis des Lendenmarks). Das Präparat verdanke ich der Güte des Hrn. Dr. Richard Cassirer. Die Grenzen des normalen Gewebes wurden durch’ starke Linien angedeutet, die des Narbengewebes durch schraffirte Linien. \ Weitere Mittheilungen zu meinen „Untersuchungen über die Verwandlung der Insektenlarven“.' Von J. Dewitz. (Station viticole et de Pathologie vegetale a Villefranche, Rhöne, France.) Die Verpuppung der Fliegenlarven ist schon äusserlich von besonderen Umständen begleitet. Bekanntlich sind die Larven Zeit ihres Lebens weiss, und erst dann, wenn sie sich zu Puppen umformen, nehmen sie eine braune Farbe an. Die Verfärbung beginnt mit einem zarten Roth, das dann dunkler und dunkler wird und bei gewissen Arten schliesslich zu Schwarzbraun führt. Diese beiden Vorgänge, die Verpuppung und die Verfärbung, stellen sich in dem Maasse gleichzeitig ein, dass man glauben muss, sie stehen auch ursächlich in innigster Beziehung zu einander. Durch diese Erscheinung war der Weg, den meine Untersuchung einzuschlagen hatte, vorgezeichnet. Man musste zuerst die Ursache für die Verfärbung feststellen und dann zusehen, ob man den Uebergang der Larve zur Puppe auf dieselben Ursachen zurückzuführen im Stande wäre. Die Feststellung der Ursachen der Verfärbung der frisch gebildeten Puppe verlangte aber ihrerseits wieder andere Nachforschungen. Es war mir nämlich bekannt, dass sich die zerdrückten Fliegenlarven an der Luft bräunen oder schwärzen. Es ist übrigens eine allbekannte Thatsache, dass Insektenblut sich an der Luft schwärzt. Es lag also nahe, dass sich die Verfärbung der Flieger- puppen aus der Fähigkeit des Larvenblutes, sich unter Luftzutritt zu schwärzen oder zu bräunen, herleiten liesse. ? 1 Vgl. Compt. rend. Soc. Biol. Paris. Seance du 18. Janv. 1902 und Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 327. ® Ich habe davon Abstand genommen, die Resultate der verschiedenen Unter- suchungen und Hypothesen, welche den Verwandlungsprocess zum Gegenstande haben, hier aufzuführen. Dieses ist in letzter Zeit bereits von anderer Seite geschehen. Vgl. A. Giard, Compt. rend. Soc. Biol. Paris 10. Fevrier 1900 und G.Loisel. Revue annuelle d’embryologie. Zev. gener. d. Sciene. 1901. T. XII. p. 1123—1140. 426 J. DewIzz: 1. Die Verfärbung des aus zerriebenen Fliegenlarven gebildeten Larvenbreies. Erst nachdem ich meine Untersuchungen über die Verfärbung zer- riebener Fliegenlarven fast beendet hatte, wurde ich gewahr, dass sich bereits zwei Autoren! mit der Verfärbung des Blutes von Insekten beschäftigt hatten. Obgleich nun aus diesem Grunde die in diesem Abschnitte be- schriebenen Experimente im Princip nichts Neues bieten, so sollen dieselben doch in der von mir ausgeführten Weise wiedergegeben werden, weil sie die Basis für die beiden folgenden, uns vornehmlich interessirenden Ab- schnitte bilden. L. Fredericq? suchte im Blute der Larve des Nashorn- käfers (Oryetes nasicornis) nach einer Substanz, welche wie das Hämoglobin und Hämocyanin als Sauerstoffträger fungirt. Er fand dabei, dass das der Larve entzogene Blut an der Luft coagulirt und sich, besonders in der Nähe der Blutkörperchen, dunkelbraun färbt, wobei das Licht keinen Ein- fluss ausübt. Merkwürdiger Weise sagt aber der Verfasser, dass das Blut durch Kochen die Eigenschaft, sich zu verfärben, nicht verliert. Er ver- muthet ferner, dass die Coagulation und die Verfärbung Erscheinungen sind, welche erst post mortem sich zeigen. Wenn man die Larve während !/, Stunde in Wasser von 50 bis 55 ° legt und ihr erst dann Blut entnimmt, so tritt an demselben weder Coagulation noch Verfärbung auf. Die Bildung der farb- losen Substanz, meint der Autor, welche sich unter Einfluss des Luftsauer- stoffs bräunt, ist wahrscheinlich durch die Erwärmung verhindert worden. Aber einmal gebildet und zusammen mit dem Blute der Luft ausgesetzt, verbindet sie sich auch in der Siedehitze mit dem Sauerstoff. Fredericq scheint aber nicht erkannt zu haben, dass es sich in dem Ve Falle um ein Enzym und dessen Wirkung handelt. Erst Krukenberg hat die Erscheinung richtig gedeutet und sie auf die Wirkung eines oxydirenden Fermentes zurückgeführt, wie er an ver- schiedenen Stellen seiner Schriften ausführt. „Als Uranidine habe ich jene gelben Farbstoffe sehr verschiedenartigen Vorkommens (Aplysinofulvin in Aplysina aörophoba und Aplysilla sulfurea, die lymphatischen Farbstoffe von ‘ Kürzlich haben sich zwei andere Autoren mit der Verfärbung des Insektenblutes beschäftigt. Ich habe von dieser Publication erst nach Vollendung meiner Unter- suchungen und nach theilweiser Publication derselben durch die letzte Nummer des Physiologischen Centralblattes Kenntniss erhalten (O. v. Fürth und H. Schneider, Ueber thierische Tyrosinasen und ihre Beziehungen zur Pigmentbildung. Hofmeister’s Beitr. zur chem. Physiol. und Pathol. Bd.I. Nr. 5/6. 8.229. Auszug im Physiol. Centralblatt. 1902. 18. Jan.). Die Arbeit selbst ist mir noch nicht bekannt geworden. * L. Frederieg, Sur le sang des insectes. Bull. Acad. Belg. 1881. Ann. 50. Ser. 3. T.I. p. 487—490. ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 427 Ascidien und Insekten [Hydrophilus, Dytiscus, Oryctes, Melolontha, Lepidop- terenpuppen u. s. w.|, Aethalioflavin in Aethalium septicum) zusammengefasst, welche unter Mitwirkung von Fermenten (sei es, dass solche bei der Melanose zerstört, sei es, dass diese dabei überhaupt erst in Wirksamkeit treten) in bräunliche oder dunkelviolette, gegen lipochromatische Lösungsmittel und Alkalien, theilweise auch gegen Säuren widerstandsfähige Massen verwandelt werden.“ 1 Die Gegenwart des Luftsauerstoffs ist für die Verfärbung des Larvenbreies unentbehrlich. Um die Erscheinung des Schwarz- werdens der Gewebeflüssigkeiten (Blut) der Fliegenlarven zu zeigen, bedient man sich am besten während des Sommers (Ende Juni, Juli) der reifen Larve von Luceilia, deren Fliege sich bekanntlich durch den grünen Metall- glanz auszeichnet. Zerreibt man eine Anzahl dieser ausgewachsenen Larven in einem Porzellanmörser mit etwas destillirtem Wasser, so färbt sich der Brei in wenigen Minuten und wird in kürzester Zeit schwarz wie Tinte. Die Verfärbung tritt so schnell auf, dass, wenn man mit der noch unge- färbten Masse zu operiren wünscht, man sich beeilen muss, damit sie sich nicht schon zu schwärzen anfängt, ehe man die nöthigen Reagenzien u. s. w. hinzugefügt hat. Hier, wie in allen übrigen Versuchen, handelt es sich jedoch fast ausschliesslich um die Flüssigkeit des Breies, denn von den testen Bestandtheilen verfärben sich nur einige wenige, schon früher er- wähnte, bei welchen aber eine Verfärbung gänzlich unterbleibt, wenn man sie auswäscht. Die Breiflüssigkeit von Lucilia färbt sich viel schneller als die anderer Arten (Musca vomitoria, carinaria), bei denen erst längere Zeit vergeht, ehe sie anfängt die Farbe zu wechseln. Sie erhält bei diesen Arten zuerst einen röthlichen Schein und wird darauf stärker roth. Aber erst nach mehreren Stunden ist die Farbe schwarzbraun oder schwarz. Die Verzögerung der Verfärbung scheint besonders bei sehr feisten, strotzenden und ungewöhnlich grossen Larven aufzutreten, welche in Fleisch aufgezogen worden sind, das stark in Fäulniss übergegangen und durch Zusatz von Wasser in einen Brei verwandelt war (Musca carinaria). Aber auch bei der Breiflüssigkeit von Lucilia kann man den anfänglich röthlichen Farbenton herbeiführen, wenn man zu der verriebenen Larvenmasse viel destillirtes Wasser setzt. Unter diesen Verhältnissen wird die Flüssigkeit zuerst roth- braun, dann schwärzlich und schliesslich schwarz wie Tinte. Dass die Flüssigkeit die Luft nöthig hat, um sich zu schwärzen, lässt sich auf die mannigfachste Weise zeigen. Schüttet man die mit etwas Aqua destillata ı C. Fr. W. Krukenberg, Vergleichend-physiologische Vorträge. Bd. I. Nr. III. — Grundzüge einer vergleichenden Physiologie der Farbstoffe und der Farben. Heidelberg 1886. S. 92. 428 J. Dewımz: zerriebenen Larven in eine kleine Kochflasche und giesst man auf den Brei bis zu einer gewissen Höhe verdünntes Glycerin, so bemerkt man, wie die Bräu- nung in den obersten Schichten der Flüssigkeit Platz greift. Schüttelt man die Kochflasche, so dass die Bräunung in der Flüssigkeit vertheilt wird und diese nun kaum gefärbt erscheint, so bemerkt man nach einiger Zeit wieder die Bräunung der oberen Flüssigkeitsschichten. Wenn man die reifen Maden von Lucilia zerreibt und den Brei mit Aqua destillata oder ver- dünntem Glycerin stark verdünnt und das Gemisch in ein sehr langes Reagensglas giesst, so steigt ein Theil des Breies in Folge seines Luft- gehaltes (Tracheen u. s. w.) zur Oberfläche und bildet hier einen Pfropf. Unter dem Pfropf befindet sich Flüssigkeit und am Boden der nieder- gesunkene Theil des Larvenbreies. Der Pfropf genügt, um die Luft von den tieferen Schichten fern zu halten, denn nach 2 Stunden ist die Schwarz- färbung erst 1°” tief von der Oberfläche her eingedrungen und der Rest des Inhaltes des Reagensglases zeigt keinerlei Verfärbung. Die vom Nach- mittag bis zum nächsten Morgen verflossene Zeit hatte an der Lage der Sache kaum etwas geändert. Ich goss nun den Inhalt des Reagensglases in eine flache Schale und schwenkte diese hin und her. Die Flüssigkeit wurde jetzt sofort schwarz. Schüttet man compacten Larvenbrei in ein Glasschälchen und giesst auf denselben eine dicke Schicht von Olivenöl, so unterbleibt im Allgemeinen die Färbung. Sie zeigt sich aber an solchen Stellen, an denen zwischen Brei und Oel Luft geblieben war. Dass das Licht auf die Verfärbung ohne Einfluss ist, lässt sich leicht feststellen, indem man den Larvenbrei sofort nach der Zerreibung in ein dunkles Zimmer für photographische Zwecke stellt. In der Luft wirkt nun aber der Sauerstoff, nicht die Kohlensäure auf die Verfärbung. Der Larvenbrei von Lucilia wurde in ein Rohr geschüttet, welches in der Mitte zur Kugel aufgeblasen war und in dieser den Brei aufnahm, und das eine Ende des Rohres wurde mit dem Rohre eines Kohlensäure entwickelnden Apparates verbunden. Der Kohlensäurestrom begann 3° p. m.! und war bis 6% p. m. sehr stark. Um diese Stunde hatte sich keine Spur von Verfärbung eingestellt. Am nächsten Morgen war das Gleiche der Fall. Jetzt wurde der Brei in einen Porzellantiegel gegossen, aber erst gegen 4" p. m. dieses zweiten Tages begann er sich etwas zu bräunen. Im Laufe des dritten Tages nahm die Bräunung etwas zu und blieb dann stationär. Einfluss verschiedener Agentien auf das Ausbleiben der Verfärbung des Larvenbreies. Kocht man den etwas mit Aqua dest. ı 3 Uhr Nachmittags. ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 429 verdünnten Larvenbrei von Lucilia einige Male auf, so verfärbt er sich hinterher nicht mehr. Er wird weder schwarz noch braun, sondern behält seine Farbe. Nur wird er etwas weisser. Vor dem Kochen ist seine Farbe etwas gelblich. Wenn man die zerriebenen Larven von Lucilia mit Aqua destillata von 70° Wärme übergiesst, so hindert dieses die Schwarzfärbung der Breiflüssigkeit nicht. Die Flüssigkeit wird nach kurzer Zeit schwarz wie Tinte. Man füllt einen Kochkolben, der eine grosse Menge Wasser fasst, mit Wasser und steckt in ihn ein langes Reagensglas, in das man etwas Aqua destillata giesst, und führt ein Thermometer in das Reagensglas ein. Man setzt darauf den Kochkolben auf das Feuer und lässt in dem Thermometer die Temperatur auf 70° steigen. Darauf schüttet man Larvenbrei von Lucilia in das Reagenselas und erhält die Temperatur auf 70°. Bei dieser Temperatur belässt man den Brei ®/, Stunden lang. So behandelt färbt er sich nachher nicht mehr, sondern behält seine Farbe. Hält man den Brei während °/, Stunden auf 60 bis 65°, so stellt sich später sehr langsam eine graubraune Färbung ein. Nach etwa 2 Stunden ist die Breiflüssigkeit chocoladenfarbig und am nächsten Morgen hat sie nur wenig nachgedunkelt. Eine Controlprobe ist zu dieser Zeit pechschwarz geworden. Das die Ver- färbung bewirkende Agenz ist also durch die Temperatur von 60 bis 65 theilweise zerstört. Zerreibt man Larven von Lucilia und mischt den Brei in einem Napf mit Chloroform, so tritt doch nach kürzerer Zeit Schwarzfärbung ein. Das- selbe ist der Fall, wenn man die Lucilialarven in einem Gemisch von Aqua destillata und Aether zerreibt, den Brei in ein Schälchen schüttet und mehr Aether hinzufügt. Da Alkohol in höherer Stärke bekanntlich die Enzyme -fällt und daher ihre Wirkung verhindert, so war es nöthig, seinen Einfluss auf den Larvenbrei zu beobachten. Werden die Lucilialarven im Porzellan- mörser in absolutem Alkohol zerrieben, und die Masse in ein Schälchen geschüttet, so tritt keine Spur von Färbung ein. Larvenbrei von Lucilia- und Vomitorialarven gemischt, der schon bräunlich geworden war, wurde mit verdünntem Glycerin ausgezogen. Das Filtrat wurde mit Alkohol ver- setzt, worauf man einen bräunlichen Niederschlag erhielt. Dieser blieb auf dem Filter und war am nächsten Morgen, nachdem der Alkohol verdunstet war, schwarzbraun geworden. Es wurde eine grosse Menge von Vomitorialarven in einer kleinen Menge von Sublimat verrieben, und zwar wurden hierbei zwei verschiedene Proben angefertigt. Die eine Probe enthielt Sublimat 1: 1000, die andere Sublimat 1:500. Ausserdem wurde gleichzeitig zur Controle eine Probe mit Aqua dest. hergestellt. Die Controlprobe sowie die Probe Sublimat 1:1000 färbten sich beide normal und in der gleichen Zeitdauer. In der Probe Sublimat 1:500 430 J. DewIzz: begann die Verfärbung eine Stunde später und am nächsten Morgen war nicht derselbe Grad von Schwarzfärbung erreicht wie in den beiden anderen Proben. Verwendet man nur wenige Larven, so erreicht die Probe Sublimat 1:1000 erst im Laufe der Nacht die Färbung der normalen Probe. Die Probe Sublimat 1:500 gelangt nur bis zu einer geringen Verfärbung. In den beiden letzten Fällen, sowie bei dem Versuche mit vielen Larven und Sublimat 1:500 schwärzen sich die im Brei befindlichen Chitinbälge der Larven, welche ebenfalls etwas schwarz werden, schneller und dunkler als die Flüssigkeit. Noch mehr ist dieses der Fall bei denjenigen Larven, welche die Mörserkeule nicht zerrieben, sondern nur gequetscht hatte. Sie werden an den Stellen, an welchen sie gequetscht und aufgesprungen sind, dunkel. Wurden Lucilialarven in einer Lösung von Cyankali 0.2 Procent zerrieben, so blieb die Breiflüssigkeit weiss und hatte sich auch am nächsten Tage nicht geändert. Das gleiche Resultat erhält man, wenn man die Larven in gesättigter Chlornatriumlösung zerreibt. Ich erinnere hier an die Eigen- schaft der Oxydine Boutroux’s, welche die Färbung des Graubrodes (pain bis) bewirkt und welche in einem Aufguss von Kleie mit gesättigter Kochsalzlösung gefällt wird.! Um die Wirkung der Alkalien und Säuren zu prüfen, wurden Versuche mit Lösungen von KHO und mit Verdünnungen von Essigsäure (Eisessig) an- gestellt. Proben für beide Verbindungen wurden gleichzeitig hergestellt sowie auch eine Controlprobe mit Aqua destillata. Da ein solcher Versuch mehrere | Tage in Anspruch nimmt, so wurde bei Beginn desselben den verschiedenen Proben eine Dosis Chloroform zugegeben und dieses später wiederholt. Erster Tag: zwischen 3 und 4!/,® p. m. Larven von Carinaria wurden in Lösungen von KHOÖ 0-1, 0-2, 0.3, 0-4, 0-5 zerrieben. Ausserdem wurden Larven derselben Art und Zucht zerrieben mit Eisessig in der Stärke von: 1:100, 0.5:100, 0-.25:100 und 0-125:100. Dazu kam dann noch die in Aqua destillata zerriebene Controlprobe. Um 6% p. m. hatte nur die Controlprobe angefangen sich zu verfärben (rothbraun). Die anderen Proben waren unverändert. Die Beobachtung wird bis zum nächsten Tage aus- gesetzt. — Zweiter Tag: St a. m. Controlprobe schwarz. Die Proben KHO 0-1, 0-2 und 0-3 sind verfärbt, aber heller gefärbt als die Control- probe. KHO 0.4 und 0-5 sind weiss. Die Essigsäurenproben sind weiss — 6" p. m. Controlprobe pechschwarz. KHO-Proben 0-1 bis 0-3 dunkler als am Morgen; 0-4 wurde im Laufe des Tages schwärzlich und war um 6" p. m. dunkel, aber heller als 0-1 bis 0:3; 0-5 fing um 6% p. m. an schwärz- lich zu werden. Die Essigsäureproben sind weiss. — Dritter Tag: 8% a.m. Alle KHO-Proben sind schwarz; auch die Probe KHO 0.5. Diese ’ J. Effront, Les Enzymes et leur application. 1899. p. 360. ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 431 letztere ist weniger dunkel als die anderen, wird aber im Laufe dieses dritten Tages noch dunkler. Die Essigsäureproben sind unverändert. Es ist bemerkenswerth, dass die mit KHO erhaltenen Breiflüssigkeiten bei ihrer Verfärbung sogleich mit einem schwarzen Farbenton beginnen, während die normale Breiflüssigkeit von Carinaria- (und Vomitoria-) Larven sich mit einem rothen Farbenton zu verfärben anfängt. Auch die normale Breiflüssigkeit von Lucilialarven beginnt, wie gesagt, sogleich mit einem schwarzen Farbenton und nur dann mit einem rothen, wenn der Brei stark mit Aqua destillata verdünnt ist oder Winterlarven angewandt werden, welche sich im Latenzstadium befinden oder nur unregelmässig verpuppen. Es muss noch erwähnt werden, dass Proben von Carinarialarven in KHO 4 Procent und 7 Procent zerrieben auch nach 3 x 24 Stunden keine Ver- färbung zeigten. Nach diesen Versuchen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit einem Oxydationsferment (Oxydase) zu thun haben. Was aber von besonderer Wichtigkeit ist, ist der Umstand, dass der Körper der Larve erst im Laufe seiner Entwickelung die Fähigkeit erlangt, das Enzym zu secerniren. Ganz junge, etwa 1 Tag alte Larven, wahrscheinlich Lucilia angehörend, werden in grosser Menge vom Fleisch genommen und, wie auch die Larven in den sonstigen Versuchen, mit Aqua destillata gut ab- gespült. Sie wurden in einem kleinen, vorher geglühten und dann erkal- teten Porzellantiegel mit einem in der Flamme abgerundeten und ebenfalls erkalteten Glasstab mit etwas Aqua destillata zerrieben. Es wurde Chloro- form hinzugefügt. Nach 24 Stunden keinerlei Verfärbung. Dasselbe nega- tive Resultat erhielt man nach der gleichen Zeitdauer bei ebenso behandelten, etwa 2 bis 3 Tage alten Larven, die wahrscheinlich Carinaria angehörten. Etwas ältere Larven von Carinaria wurden am Sonnabend Nachmittag mit etwas Aqua destillata zerrieben. Nach 3 Stunden war die Breiflüssigkeit sehr hellbraun und am Montag Morgen war kein Fortschritt in der Ver- färbung zu constatiren. An dieser Stelle muss ich noch einer anderen Er- scheinung gedenken, welche die Secernirung des Enzymes betrifft. Während die Lucilialarven sich im Sommer sehr prompt und in kurzer Zeit ver- puppen, hört diese Verpuppung Ende September auf und man kann die reifen Larven bis in den December hinein aufbewahren, ohne dass sie sich verwandeln. Von diesem Zeitpunkt ab beginnt die Verpuppung wieder; sie ist aber unregelmässig und zieht sich über Wochen hin. Es ist nun schwer, Farbennuancen im Gedächtnisse zu behalten, soweit man aber nach einem solchen Vergleich urtheilen konnte, war die schliessliche Verfärbung der Breiflüssigkeit von Lucilialarven im Winter schwächer als im Sommer. Es erscheint bei den ersteren ferner zuerst der rothe Farbenton wie bei Vomi- toria und Carinaria und bei dem stark mit Aqua destillata verdünnten Brei 432 J. Dewızz: der Sommerlarven von Lucilia. Ebenso ist jetzt im Winter der Eintritt der Verfärbung sichtlich verzögert. Ausserdem gehört hierher der Versuch, den ich bereits mitgetheilt habe und der darin besteht, dass man eine Partie von Winterlarven von Lucilia allein und eine andere mit Hinzu- führung von wenigen Larven von Vomitoria zerreibt. Diese letzteren kann man in dieser Gegend fast den ganzen Winter hindurch in geringer Zahl haben. Die Verfärbung der zweiten Partie war kräftiger als die der ersteren. Wie ebenfalls bereits erwähnt, scheinen sich andere Insektenlarven ebenso zu verhalten, wie die Larven der Fliegen. Dieses haben bereits die Versuche von ıFredericq und Krukenberg gezeigt. Ebenso konnte ich mich auch davon überzeugen, dass, wenn man Raupen von Pieris brassicae, welche sich festzuspinnen begannen, in etwas Aqua destillata zerreibt, die Brei- flüssigkeit sehr bald schwarz wird. Wurde die Aqua destillata durch Eis- essig 1:100, durch Ameisensäure in derselben Stärke und durch concentrirte NaCl-Lösung ersetzt, so unterblieb die Verfärbung. Wir werden genöthigt sein, im dritten Abschnitte auf die Raupen von Pieris brassicae zurückzu- kommen. 2. Die Verfärbung der frisch gebildeten Fliegenpuppen. Die sich verpuppende Larve zieht sich zu einem Tönnchen zusammen, die segmentalen Einschnürungen auf der Haut verwischen sich mehr und alsbald erhält die weisse Puppe einen röthlichen Schein, welcher, um die beiden grossen analen Stigmen herum beginnend, sich über die ganze Ober- fläche ausbreitet und allmählich an Intensität zunimmt, bis die Farbe bei gewissen Puppenarten (Carinaria) fast ganz schwarz wird. Ich habe auch bemerkt, dass, wenn Fliegenpuppen in sehr feuchtem Sande liegen, ihre Farbe viel dunkler wird als an einem trockenen Orte.! Gleichzeitig mit der Verfärbung wird die Chitinhaut der Puppe hart. Bei Puppen, welche in der kalten Jahreszeit entstanden, besonders bei Frost im Freien, war die Chitinhaut nur papierartig und das Colorit war schwächer. Wenn man nun die verschiedenen Phasen der Verfärbung der Puppe genau verfolgt, so überzeugt man sich, dass es dieselben sind, welche man bei der Verfärbung der Breiflüssigkeit von Vomitoria oder Carinaria oder bei dem mit viel Aqua destillata verdünnten Brei von Lueilia wahrnimmt Die Fliegenmaden sind ihrerseits vollständig weiss, sie enthalten aber be- reits die Agentien, welche die Verfärbung der Puppen entstehen lassen. Werden nun die Larven im Mörser zerstampft, so treten diese Agentien in Function. In beiden Fällen müssen also die gleichen Vorgänge statt haben. Ich werde jetzt zeigen, dass die gleichen Mittel, welche die Verfärbung der ' Vergl. hierzu Anm. 2 S. 435. ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 433 Breiflüssigkeit der Larven verhindern, auch jm Stande sind, die Verfärbung der Puppen zu verhindern. Schon gelegentlich der für meine erste Mittheilung! dienenden Ver- suche, in denen ich die Larven in kleinen Glasröhrchen eingeschlossen hielt und in denen sich einzelne Exemplare verpuppten, bemerkte ich, dass solche Puppen weiss oder hell blieben. Dieser Versuch wurde wiederholt und die Luft dabei in folgender Weise von der Puppe ferngehalten. Drei bis vier noch vollständig weisse Puppen wurden in ein enges kleines Glas- röhrchen geworfen. Ein gut passender Kork wurde bis ganz in die Nähe der Puppen vorgeschoben und der übrige Raum des Röhrchens über dem Kork mit flüssigem Parafin von niedrigem Schmelzpunkt ausgefüllt. Um den störenden Einfluss der Wärme auf die Wirkung der Enzyme auszu- schliessen, wurde das Paraffin sofort unter dem Strahle der Wasserleitung abgekühlt. Der Boden des Röhrchens, auf dem die Puppen lagen, hatte sich übrigens kaum merklich erwärmt. Während nun eine normale Puppe nach 3 Stunden bereits rothbraun ist, waren die so behandelten Puppen nach 24 Stunden vollkommen weiss und änderten auch später nicht ihre Farbe. Unter Wasser verfärben sich die Puppen ebenfalls nicht. Man kann dieses beobachten, wenn man ein langes Reagensglas mit Wasser füllt und in dasselbe einige weisse Puppen wirft. Die Puppen fallen auf den Boden, und noch nach 24 Stunden sind sie weiss. Im dritten Abschnitt werden wir sehen, dass ich Larven in Gläsern hielt, auf deren Boden eine Sandschicht oder Leinwandstücke lagen und über welchen sich eine Wasserschicht be- fand. Diejenigen Puppen, welche unter solchen Verhältnissen entstanden, waren oft auf der Seite, mit welcher sie aus dem Wasser herausragten, gefärbt, während sie auf der anderen Seite weiss oder hell blieben. Wenn die Wasserschicht abdampfte und nur die Unterlage, der die Puppen auflagen, nass war, so genügte dieses bereits, um die Färbung dieser Seite der Puppe zu beschränken oder zu verhindern. Ich konnte die Verfärbung der Puppen auch durch Oelen mit gutem Olivenöl unterdrücken. Man taucht die noch weissen Puppen sogleich in Oel, lässt etwas abtropfen und legt die Puppen auf eine Glasplatte. Es ist aber nöthig, die Oelung zu wiederholen. Am besten gelang der Versuch mit Larven von Carinaria; weniger sicher mit solchen von Vomitoria. Die Larve von Vomitoria verpuppt sich auch noch in der kalten Jahreszeit und ver- puppt sich ferner leichter als andere Arten unter Luftabschluss. Die En- zyme haben in den verschiedenen Arten nicht die gleichen Eigenschaften, und diese Unterschiede sind es vielleicht, denen die Arten ihre Entstehung verdanken. Giesst man andererseits auf den Boden eines Schälchens etwas 1 Arch. f. Entw.-Mech. Bd. XI. S. 690-699. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 28 434 J. DEWwITZ: Oel und legt die Puppen hinein, so dass nur eine Seite das Oel berührt, so bleibt diese Seite blass oder weisslich. Das eindringende Oel verwandelt übrigens den weissen Farbenton in einen schmutzigen. Auch der Einfluss, den die Wärme auf die Verfärbung der Puppen ausübt, wurde beobachtet. Wirft man noch weisse Puppen von Carinaria oder Lucilia in kochendes Wasser, erhält das Wasser etwa 2 bis 3 Minuten im Kochen und nimmt dann die Puppen heraus, so bleiben sie später voll- ständig weiss. Hieran möchte ich noch einige andere Beobachtungen reihen. Es wurde siedendes Wasser vom Feuer genommen und eine weisse Puppe von Carinaria hineingeworfen und hier einige Secunden gelassen. Beim Herausnehmen röthete sich die Puppe sofort und plötzlich, was normale Puppen nicht thun. Die Röthung nahm in den folgenden Stunden etwas zu und blieb dann stationär, erreichte also nicht die völlige Verfärbung. Ich fasste nun eine weisse Puppe (Carinaria) mit einer breiten Pincette und tauchte sie für einen Augenblick in siedendes Wasser. Die Puppe blieb weiss und nur die beiden Streifen auf der Oberfläche, wo die Arme der Pincette auflagen, wurden schwarzbraun. Ein anderer Versuch wurde in folgender Weise ausgeführt. Eine schon etwas roth gewordene Puppe von Carinaria wurde mit der Spitze voran zur Hälfte in siedendes Wasser ge- taucht und in dieser Stellung einige Minuten gelassen. Die Puppe wurde herausgezogen uud die eingetaucht gewesene Hälfte war etwas auf- gebläht. Nach etwa 30 Minuten wurde die Puppe in der kreisförmigen Linie, bis zu welcher die Eintauchung gereicht hatte und bei welcher die Aufblähung anfing, schwarzbraun. Diese Färbung ging darauf gegen die Spitze der eingetaucht gewesenen Hälfte vor. Während dessen war der nicht eingetaucht gewesene Theil erst ganz hellroth geworden. Blausäuregas nimmt den Puppen die Fähigkeit, sich zu verfärben. Um dieses zu zeigen, werden Cyankalistücke in ein Reagensgläschen geschüttet und mit einem losen Wattepfropf bedeckt. Auf diesen liess ich ein kleines Glasröhrchen gleiten, welches mehrere noch weisse Puppen enthielt. Dann wurde das Reagensgläschen mit einem Kork zugekorkt, in welchen ein breiter Längsspalt geschnitten war. In anderen Versuchen wurde auf die Cyankalistücke verdünnte H,SO, gegossen. Bei dieser Anordnung des Ver- suches muss man sich jedoch in Acht nehmen, dass die Säure die Puppen nicht benetzt. Unter dem Einfluss des sich entwickelnden Blausäuregases verfärben sich die Puppen nicht. Wenn sie die Nacht über in dieser Atmo- sphäre verblieben und am nächsten Morgen herausgenommen wurden, so änderten sie auch in den späteren Tagen nicht ihre weisse Farbe. Ich be- merkte sogar, dass, wenn die Puppe bereits ein wenig verfärbt war, die Farbe in dem Blausäuregas verblasste. In der gleichen Weise wurden ferner noch unverfärbte Puppen den ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 435 Dämpfen von Aether ausgesetzt. Nur wurden die Puppen dieses Mal direct auf den Wattepfropf gelegt. Da Aether schwerer ist als die Luft, so wurden in anderen Versuchen die Puppen in eine kleine Kochflasche geschüttet und in letztere ein mit Aether gefülltes Röhrchen gehängt. Die Kochflasche wurde dann mit einem Kork, welcher einen Längsspalt hatte, zugekorkt. In der Atmosphäre von Aetherdampf färbten sich nun die Puppen vollständig aus. Häufig war die Chitinhaut eingefallen. In derselben Weise wie den Blausäure- und Aetherdämpfen wurden die Puppen Essigsäure- und Ammoniakdämpfen ausgesetzt. Für die ersteren war die Beobachtungsdauer 30 Stunden, für die letzteren 18 Stunden. Es trat keine Verfärbung ein. Die Puppen wurden und blieben aber miss- farbig; die Puppen der Ammoniakatmosphäre mehr als die der Essigsäure- atmosphäre. 3. Die Verwandlung der Larven. Es handelte sich nun darum, zu zeigen, dass die Mittel, welche, wie wir sahen, die Verfärbung der Breiflüssigkeit der Larven und andererseits die Verfärbung der frisch gebildeten Puppen verhinderten, auch im Stande waren, die Verpuppung der für diese reifen Larven zu verhindern. Es galt da- bei zunächst die Folgen des Fernhaltens der Luft für die Verpuppung fest- zustellen. Zum Theil ist dieses bereits in meiner ersten Mittheilung! ge- schehen. Wir sahen dort, dass reife Fliegenmaden in kleinen Glastuben verkorkt die Verpuppung unterliessen, so lange sie sich in dieser Situation befanden. Die Verpuppung stellte sich erst dann ein, wenn die Larven wieder befreit waren. ? Durch Oelen der reifen Larven kann man ebenfalls die Verpuppung verhindern oder über einen langen Zeitraum hinziehen. Man muss aber bei diesen Versuchen beständig auf die in Behandlung befindlichen Larven Acht geben. Beim Umherwandern streifen die Larven die Oelschicht, welche die Chitinhaut umgiebt, leicht ab, und in einem solchen Falle lässt dann die Verpuppung nicht lange auf sich warten. Die Larven vertragen das Oelen verhältnissmässig gut. Man wirft die Larven in ein Glas mit gutem Olivenöl und lässt sie sich dort einige Minuten bewegen. Dann nimmt man sie mit der Pincette heraus. Um die überschüssige, an den Larven hängende Oelmasse zu entfernen, kann man die Larven für einen 1 Arch. f. Entw.-Mech. Bd. XI. ® A. Giard berichtet von einem Fall, in dem Puppen von Epilachna argus (Coceinelle), welche von parasitischen Hymenopteren bewohnt waren, in einem ver- schlossenen Gläschen vergessen wurden. Nach einem Jahr wurden in den vertrock- neten Puppen die noch lebenden Larven gefunden, deren Entwickelung so ein Jahr lang unterbrochen gewesen war. Compt. rend. Soc. Biol. Paris 1896. 25. Juillet. 28” 436 ‘ J. Dewıtzz: Augenblick auf ein Leintuch werfen, welches das Oel aufsaugt. Darauf rimmt man die Larven mit der Pincette auf und legt sie in eine Blech- büchse (Cacaobüchse), welche mit einem siebartig durchlöcherten Bleche, etwa dem Boden einer Thee- oder Kaffeemaschine, zugedeckt wird. Man kann auch einige Tropfen Oel in die Blechbüchse giessen; nur muss man sich hüten, zu viel Oel hineinzuschütten, weil sonst die Larven ersticken können. Will man aber eine grössere Menge Oel hineingiessen, so muss der Boden in gleicher Weise wie der Deckel durchlöchert sein, damit das Zuviel des Oeles allmählich durch die Löcher abläuft. Im Sommer muss man die Larven 2 bis 3 Mal am Tage ölen. Im Herbst, wenn die Ver- puppung weniger leicht und schnell vor sich geht, genügt ein einmaliges Oelen am Tage. Beispiele von Versuchen:! 1. Sehr reife Larven von Vomitoria. Beginn 12. October. — 14. October: Sämmtliche Controllarven sind verpuppt. Es bleiben nur die geölten Larven übrig. — 15. October: Am Morgen sind 3, am Abend 5 Puppen vorhanden. — 16. October: 7 Puppen. — 18. October: 8 Puppen. — 21. October: 9 Puppen. — 24. Oetober: Der Bestand ist 9 Puppen, 6 lebende Larven, 4 todte Larven. Der Versuch wird abgebrochen. Die Mehrzahl der Verpuppungen fand um den 14. October statt, Datum, an welchem die Controllarven verpuppt waren. . Darauf nahm die Verpuppung an Kraft ab. 2. Grosse Larven von Carinaria. Beginn 15. October. a) Controllarven. Beginn 15. October. — 18. October: 1 Puppe. — 21. October: Morgens 2 Puppen. Abends 4 Puppen. — 22. October: 6 Puppen. — 23. October 7 Puppen. — 24. October: 9 Puppen. — 25. October: 10 Puppen. Sämmtliche 10 Larven verpuppt. b) Geölte Larven. Beginn 15. October. Bestand am 26. October: 8 Puppen, 7 lebendige Larven, 25 todte Larven. Unter den Puppen hatte nur eine die normale Puppenform. Die anderen waren lang- gestreckt und zeigten nur am analen Ende den Anfang der Verpuppung; nur die über dem After liegende Vertiefung mit den beiden grossen Stigmen, in der bei normaler Verpuppung die Verfärbung beginnt, war hier gebräunt. Im Uebrigen waren alle Puppen unverfärbt. Es wurde auch eine Anzahl von Versuchen angestellt, um die Luft durch Wasser (und NaÜCl-Lösungen) fern zu halten. Diese Versuche wurden in der Weise unternommen, dass eine Schicht gewaschenen Sandes auf den Boden des Glasgefässes gelegt und etwas Wasser in letzteres gegossen wurde. Die Wasserschicht ist so hoch, dass sie genügt, um die Larven zu bedecken. Die Athmung der Larven vollzieht sich dadurch, dass diese den ! Hier wie bei den Versuchen mit Wasser ist bei jedem Beobachtungstage der Gesammtbestand angegeben, gerechnet von dem ersten bis zu dem betreffenden Be- obachtungstage. I r Ex ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 437 hinteren, mit den beiden Stigmen versehenen Körpertheil etwas in die Höhe heben. Sie halten sich jedoch nicht beständig auf dem Boden (Sand) des Gefässes auf; sie kriechen auch viel an den Wänden umher. Um sich jedoch zu verpuppen, sind sie eenöthigt, sich auf den Boden und damit in das Wasser zu begeben. Bei diesen Versuchen: sowie bei den vorher- gehenden (Oelung) ist die durch Stigmen sich vollziehende Athmung der Larven nicht verhindert, dieselbe bleibt bestehen. Es ist aber die Berüh- rung der Hautoberfläche mit der Luft ausgeschaltet. Die Eigenschaft. der Hypodermis als secernirendes Organ ist bekannt und es ist nicht undenk- bar, dass sie in dieser Eigenschaft bei dem Verwandlungsvorgang eine be- sondere Rolle spielt. Der Sand wurde in diesen Gläsern auch durch Stücke gut gewaschener Leinwand ersetzt, die auf den Boden des Gefässes gelegt wurden. Es kann nun aber vorkommen, dass die Larven auf aus dem Wasser herausragende Falten kriechen und sich dort verpuppen. Im Folgenden will ich nur solche Versuche mittheilen, welche mitten im Sommer, angestellt wurden, also zu einer Zeit, zu der sich die Verpuppung regelmässig und schnell vollzog. . | 1. Larven von Vomitoria. Sand. Beginn 7. Juli. Controllarven ver- puppen sich am ersten, zweiten und dritten Tage. 9. Juli. a) Aqua 6 L.+!, 9 L.1. b) NaCl 2 Procent 6 L.+, 10 L.l. c) NaCl 3 Procent 15 L.}, 3 L.l. d\) NaCi 5 Procent 3 L.+, 4L.|. | 2. Larven von Lucilia. Sand. Beginn 18. Juli. Am 19. Juli werden in NaCl 2 Procent ausser den 20 vorhandenen Larven noch 9 hinzugefügt. Die Controllarven (30 Stück) sind am 20. Juli verpuppt und am 28. Juli haben sämmtliche Puppen bereits die Fliege geliefert. 21. Juli. a) Aqua 24 L.}, 4L.l. b) NaCl 2 Procent 11 L.f, 18L.1. .c) NaCl 8 Procent 25 L.+, 6L.l. d) NaCl 5 Procent 25 L.+4, 1 L.]. (entflieht an demselben Tage). — 28. Juli. a) Aqua 2 L.1, 24L.}, 2L. unbeweglich (können viel- leicht P. werden). b) NaCl 2 Procent 4 L.L, 11L.f, I1L. unbeweglich, 3 L. waren vorher entflohen. c) NaCl 3 Procent 29L.7, 2 L. vorher ent- flohen. — 2. August. a) Aqua25L.7,11.1;2 unvollkommene, missfarbige N b) NaCi 2 Procent 24 L.+; 2 unvollkommene, missfarbige P. c) NaCl 3 Procent 25 L.+. 3. Larven von Lucilia. Leinwand. Beginn 2. August. Controllarren nach 2 Tagen verpuppt. 11. August. a) Aqua 4L.l, 2L.+, 7 P., 1 P.missfarhig, ZIP. nn b) NaCl 2 Procent 3 L.l, 2 L., 2 L. oe 4 PB... weiss. c) NaCl 3 Procent 2L.l., 3L.f, 1 L. unbeweglich, 1 P., 4 P. miss- farbig oder weiss. -15.. August. a)-Aqua 2L.1,3L.7, S-P., 1 P. missfaärbig, 1]. Larve, P. = Puppe, + = todt, 1. = lebend. 438 J. DEWwITz: 2P. weiss. b) NaCl 2 Procent 1L.1., 4L.f, 6P., 1 P. weiss. c) NaCl 3 Procent 4L.+, 3 P., 4 P. weiss. 4. Grosse Larven von Carinaria. Leinwand. Beginn 11. August. Die Con- trollarven verpuppen sich am zweiten und dritten Tage. 18. August. a) Aqua. An der Oberfläche! der Leinwand bemerkt man 16 L.l. b) NaCl 10 Procent an der Oberfläche 9 L.1. c) NaCl 15 Procent an der Oberfläche 10 L.|. d) NaCl 20 Procent an der Oberfläche 11 L.l. — 25. August. In NaCl 10, 15, 20 Procent sind sämmtliche L.f. Aqua 14 L.l. Nach dem 18. August lebten in den verschiedenen NaCl-Lösungen noch mehrere L. — 1. Sep- tember. Aqua 8 L.l. Diese 8 Larven werden am 1. September heraus- genommen und in eine Schachtel mit Sand gelegt. Sie verpuppen sich am zweiten und dritten Tage wie die Controllarven. Im Winter 1900/01 hatte ich mit Vomitorialarven, welche sich im November und December draussen entwickelt hatten, analoge Versuche an- gestellt. Es schien mir aus denselben hervorzugehen, dass bei solchen Ob- jecten Wasser und NaCl-Lösungen weniger im Stande sind, die Verwandlung zu unterdrücken, als bei den Sommerlarven. Da, wie bereits früher erwähnt, die im Herbst angestellten Versuche, in denen ich die Verpuppung durch Blausäuregas und Essigsäuredampf unterdrücken wollte, zu wenig positive Resultate lieferten und diese Ver- suche besser im Sommer wiederholt werden, so will ich hier sogleich zu den Resultaten übergehen, welche ich mit Einspritzungen von Essigsäure in verpuppungsreife Raupen von Pieris brassicae erhielt. Die zu diesen Versuchen dienenden Raupen hatten sich bereits sämmt- lich mit dem Hinterende festgehakt und den bekannten Faden um ihren Leib gesponnen, welcher später wie ein Gürtel die Puppe in ihrer Lage erhält. Die Raupen sind dann bereits etwas zusammengezogen und zeigen keine Ortsveränderung mehr. Es wurde nun auf der linken Seite auf einem der letzten Segmente die Haut mit einer Nadel zur Einführung der Canüle durchstochen. Um nicht tiefere Theile des Organismus zu verletzen, muss man darauf achten, dass die Nadel fast parallel zur Körperaxe gerichtet ist und so nur die Haut durchbohrt wird. Da die Flüssigkeit Metalle angreift, so enthielt ich mich des Gebrauches einer Spritze und ersetzte eine solche durch ein Glasrohr, welches zur Capillarröhre ausgezogen und an der ver- engten Stelle knieförmig gebogen war. Das Material gestattet es, für jede neue Versuchsreihe ein neues Rohr anzuwenden. Jedem Thiere wurde ein ! Die Leinwand ist fest auf den Boden gedrückt, so dass keine Falten aus der Flüssigkeit herausragen oder an den Spiegel der Flüssigkeit reichen. Es kriechen jetzt bisweilen Larven in die unteren Schichten der festgedrückten Leinwand, verfangen sich dort und ersticken. ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 439 starker Tropfen der Flüssigkeit eingespritzt, den man in der Weise ab- mass, dass man an dem Glasrohr ein Zeichen machte, bis zu dem man die Flüssigkeit einzusaugen hatte. Wenn man diese auf ein weisses, stark ge- leimtes Papier oder auf eine Glasplatte ausspritzt, so kann man die Grösse der Tropfen leicht abschätzen und vergleichen. Beim Einsaugen und Aus- spritzen der Flüssigkeit durch den Mund muss man sich hüten, Speichel in das Rohr fliessen zu lassen. Man wählt dieses daher ziemlich lang aus. Beim Einspritzen wurde das Ende des capillaren Theiles des Glasrohres in die in der Haut eingestochene Oeflnung eingeführt und das capillare Rohr der Haut dicht anliegend bis gegen die Brust des Thieres vorgeschoben. Darauf wurde mit dem Munde die Flüssigkeit ausgespritzt. Dieses muss langsam und vorsichtig geschehen und man lässt am Ende der Capillar- röhre etwas Flüssigkeit zurück, damit nicht Luft in den Organismus der Raupe eingeblasen wird. Neben den Raupen, welche eine Einspritzung er- hielten, wurden andere der Controle halber nur verwundet. Bei einigen Raupen wurde nur ein Einstich in die Haut gemacht, bei anderen wurde das leere Rohr wie zur Einspritzung eingeführt und dann zurückgezogen. A. Zur Controle dienende, verwundete Raupen. a) Die Verwundung geschieht durch einen Einstich in die Haut. Operation am 15. November. Resultat: 5 P.!, 1 L. am Nacken auf- gesprungen?, 1 L. b) Die Verwundung geschieht durch Durchstechen der Haut, Ein- führen und Zurückziehen des Capillarrohres. 1. Operation am 22. November. Resultat: 2 P., 1 P.am Bauch un- vollständig ausgebildet, 1 L. am Rücken bis zur Hälfte des Körpers auf- geplatzt. 2. Operation am 5. December. Resultat: 8 P., 2 L.am Nacken auf- geplatzt, 8L. 3. Operation am 12. December. Resultat: 4P., 2L. Resultat von A: 35 operirte Raupen und 19 Puppen = 54-2 Procent. B. Raupen, denen Essigsäure (Eisessig) eingespritzt wurde. a) Essigsäure 0-25 Procent. 1. Operation am 2. und 3. December. Resultat: 6 P., 2 L. am Nacken aufgesprungen, 24 L. 2. Operation am 7. December. Resultat: 1 L. am Nacken aufge- sprungen, 6L. Am 12. December leben noch 4L. ı P.= Puppe, L. = Raupe. * Zum Verpuppen; vergl. meine Publication im Arch. f. Entw.-Mech. Bd.XI. 440 J. Dewızz: Resultat von B.a: 39 operirte Raupen und 6 Puppen = 13.3 Procent. b) Essigsäure 1 Procent. 1. Operation am 15. November. Resultat: 3P., 2 L. am Nacken auf- gesprungen, 9 L. 2. Operation am 12. December. Resultat: 7 L. Resultat von B.b: 21 operirte Raupen und 3 Puppen = 14-2 Procent. c) Essigsäure 1-6 Procent. 1. Operation am 15. November. Resultat: 1 P., 4 L. mit aufgeplatztem Nacken, 9L. 2. Operation am 18. November. Resultat: 1 L. am Nacken aufge- sprungen, 36 L. Resultat von B.e: 51 operirte Raupen und 1.Puppe — 1.9 Procent. d) Essigsäure. 3 Procent. u Operation am 5. und 7. December. Resultat: 15 L. 3 L. wurden am 5. December operirt, am 7. December gaben sie kein Lebenszeichen mehr von sich. 12 L. wurden am 7. December operirt, am 9. December gaben sie kein Lebenszeichen von sich. Bemerkung. Bei dem jedesmaligen Resultat bedeutet L., dass die Raupen schliesslich abgestorben waren, ohne sich zu verpuppen. Die Raupen überleben aber noch mehrere Tage die Operation. In B. c. 2. z. B. wurde den 37 Raupen die Essigsäure am 18. November eingespritzt und am 23. November leben 15 Stück und 22 Stück waren todt. Unter den nicht zur Verpuppung gekommenen Raupen befanden sich viele der früher er- wähnten Raupenpuppen. Wie schon mehrmals erwähnt, giebt es einen Fall, in dem bei- ver- puppungsreifen Larven die Verwandlung normaler Weise für längere Zeit unterdrückt wird. Dieses geschieht für viele Insektenlarven bei Eintritt der kalten Jahreszeit und dieses findet im Herbst auch bei den reifen Larven von Lucilia statt. Allerdings beginnt bei dieser Art die Ruheperiode schon sehr frühzeitig. Im Herbst 1901 stellten die Larven vom 20. September ab die Verpuppung ein. In den diesem Datum folgenden Tagen fand man zwar noch vereinzelte Puppen, das Gros verblieb aber im Larvenstadium, wogegen sich reife Larven von Vomitoria und Carinaria zu der gleichen Zeit noch in 2 bis 3 Tagen verpuppten. Im Herbst 1900 wurde am 15. September eine Anzahl von .Lucilialarven in einen Blumentopf mit feuchtem Sand gelegt. Beim Nachsehen am 17. und 20. September bemerkte man, dass fast alle Larven unverpuppt waren und, als am 5. October die Puppen und Larven gezählt wurden, erhielt man 9 Puppen und 41 Larven. Seitdem unterblieb die Verpuppung. Die am 20. September 1901 erhaltenen und aufbewahrten Lueilialarven, welche sich auf 200 bis 300 Stück beliefen, ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. 441 standen während October und November im kalten Zimmer. Am 30. No- vember wurden sie in ein geheiztes Zimmer gebracht und am 22. December wurden 3 Puppen bemerkt. In anderen Gläsern, in welchen die gleichen Larven waren, die aber weniger lange (etwa 10 Tage) im Warmen gestanden hatten, fand ich am 22. December 1 Puppe, am 31. December 3 Puppen. Es folgten dann in beiden Fällen weitere Verwandlungen. Die erste Fliege (Lucilia) wurde am 2. Januar bemerkt. Im Winter 1900 wurden um die- selbe Zeit, aber ein wenig früher, d. h. Mitte December, die ersten Lucilia- puppen constatirt. Man kann demnach sagen, dass die reife Lucilialarve für die hiesige Gegend Ende September in ein Ruhestadium verfällt und aus diesem Mitte December austritt. Sie verpuppt sich dann, falls die um- gebende Temperatur ihr solches gestattet. Während der Ruheperiode kann die Verwandlung aber nicht dadurch herbeigeführt werden, dass man die Larven in einer erhöhten Temperatur hält. Um dieses zu zeigen, wurden mit den Lucilialarven des Herbstes 1900 folgende Versuche angestellt. Am 12. October 1900 Mittags wurden Larven in sehr lange Reagens- gläser gelegt, welche zum Theil mit trockenem Sand gefüllt waren. Die Öefinung der Glasröhren war mit durchlöchertem Papier überbunden. Die Röhren standen bis zum 17. October Mittags in einem beständig auf 35 bis 35° erhaltenen Wasserbad. Keine Verwandlung fand statt. Im Juli (19., 20.) verpuppten sich die reifen Lueilialarven im Zimmer im trockenen Sand in 2 Tagen. Zu dieser Zeit war im Freien die Maximaltemperatur 34 bis 35° und die Minimaltemperatur 16 bis 17° (für 24 Stunden beob- achtet). Am 17. October Mittags wurden die Larven aus dem Sand, mit dem die Röhren theilweise angefüllt waren, herausgenommen, der Sand ausgeschüttet und die Larven ohne Sand in die Röhren zurückgelest. Am 18. October 8" a. m. wurde keine Verpuppung constatirt. Die Larven wurden von jetzt ab im Dunkeln gehalten. 21. October Mittags wurde keine Puppe gefunden. Der Versuch wird abgebrochen. Die Larven sahen zusammen- geschrumpft und welk aus; viele waren todt. Derselbe Versuch wurde am 28. October mit anderen Exemplaren be- sonnen und das Wasserbad wurde jetzt auf 45° erhalten. Am 29. October Morgens fand ich die meisten todt, zusammengeschrumpft oder vertrocknet. In feuchten Sand gebracht erholte sich ein Theil. Diesen Verhältnissen muss eine andere Beobachtung entgegengehalten werden. Von Lucilialarven, welche im November draussen bei niedriger Temperatur aufgewachsen waren — denn die Luciliafliegen zeigen sich noch im October — erhielt ich schon zu dieser Zeit im Zimmer Puppen und Fliegen. Diese Beobachtung ist also in Uebereinstimmung mit den Resul- taten, welche man für die Abkürzung der Latenzperiode für die Eier des Seidenspinners und die Eier der Daphniden erhalten hat. 442 J. Dewitz: ÜBER DIE VERWANDLUNG DER INSEKTENLARVEN. Die Jahreszeit, welche durch das Ende des September und durch den October bezeichnet wird, scheint auf den Organismus einen besonderen Ein- fluss zu haben. Ausser des Beginnes der Latenzperiode von Organismen und Organen gehört hierher die Ablösung der viviparen Fortpflanzung durch die ovipare, ferner das Aufhören der ungeschlechtlichen und der Beginn der geschlechtlichen Fortpflanzung, d. h. die Production von befruchtungsbedürf- tigen Eiern und von Männchen. Vom teleologischen Standpunkte aus sind diese beiden Vorgänge der eine die Folge des anderen. In Wirklichkeit sind sie aber wohl nur zwei verschiedene Erscheinungsformen desselben Processes. Weitere Beiträge zur näheren Kenntniss der Inotropen Wirkungen der Herznerven. Von Th. W. Engelmann. 1. Einleitung. Jeder Versuch, ein tieferes Verständniss der inotropen Wirkungen der Herznerven zu gewinnen, ‚wird in erster Linie der Thatsache Rechnung tragen müssen, dass das Herz keine im gewöhnlichen Sinne motorischen Nerven erhält. Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet als motorische Nerven solche, deren Erregung — genügende Reizstärke, erhaltenes Leitungs- vermögen der Nervenfasern, Erregbarkeit der Muskelsubstanz vorausgesetzt — mit Nothwendigkeit eine Contraction des zugehörigen Muskels auslöst: jeder Reizung des Nerven folgt nach einem Latenzstadium von bestimmter Dauer eine Zusammenziehung. Niemand ist es bisher gelungen, eine derartige Abhängigkeit zwischen Reizung eines Herznerven und Contraction von Herz- muskelfasern nachzuweisen. Das, was die Herznerven vermögen, ist: Beein- flussung der Anspruchsfähigkeit der Herzmuskeln für die natürlichen und künstlichen Reize (bathmotrope Wirkungen), Beeinflussung des Tempos der automatischen Reizerzeugung (chronotrope Wirkungen), Aenderung des Leitungsvermögens der Muskelwand für die motorischen Reize (dromo- trope Wirkungen) und Stärkung oder Schwächung der mechanischen Leistungsfähigkeit der Herzmuseulatur (inotrope Effecte). Bei den inotropen Wirkungen, die uns an dieser Stelle ausschliess- lich beschäftigen werden, sollte es sich nach einer bis vor nicht langer Zeit allgemein verbreiteten Annahme um eine indirecte Beeinflussung der Herz- muskelfasern handeln. Es sollten die vom Gehirn und Rückenmark kom- menden Nerven zu intracardialen Ganglienzellen treten, deren peripherische Ausläufer die angeblich in den Herzganglien, automatisch oder reflectorisch, erzeugten motorischen Impulse den einzelnen Muskelfasern zuführen sollten. Die durch Reizung der extracardialen Nerven zu erzielenden positiv- und negativ-inotropen Wirkungen sollten die Folge von Verstärkung oder Schwächung der in den Ganglienzellen erzeugten motorischen Reize sein 444 Ta. W. EnGELMANN: Die Unhaltbarkeit dieser Vorstellungen ist inzwischen bekanntlich durch die Auffindung zahlreicher neuer morphologischer wie physiologischer That- sachen genügend dargethan worden. Unter den für die Erklärung der inotropen Nervenwirkungen wichtigen Thatsachen dürfte an Bedeutung obenan stehen die von Bowditch entdeckte, seit seinen und Kronecker’s grundlegenden Arbeiten allgemein anerkannte Unabhängigkeit der Grösse und Kraft der Herzsystolen von Art und Stärke der Reize. Zwar wurde diese Unabhängigkeit zunächst nur für die Kammermusculatur erwiesen, aber sie gilt — entgegen einer früher von Nuel! zur Discussion gestellten Vermuthung — ebenso für die Vorkammern der Wirbelthierherzen. Auch in den Vorkammern zieht sich jedes Stück der Wand normaler Weise auf einen beliebigen künstlichen Reiz entweder gar nicht oder so stark zusammen, wie es sich im gegebenen Augenblick überhaupt contrahiren kann. Hiernach kann Stärkung oder Schwächung der Systolen niemals von einer Aenderung der Stärke der motorischen Reize herrühren, niemals also auch ein inotroper Effect der Reizung extracardialer Nerven durch Modification angeblich von motori- schen Ganglienzellen im Herzen ausgehender Bewegungsreize erklärt werden. Es muss sich in allen Fällen hierbei um eine Beeinflussung der Leistungsfähigkeit der Muskelelemente handeln. Dabei ist es zu- nächst gleichgültig, ob diese Beeinflussung der Muskelzellen eine directe, ohne Vermittelung von intracardialen Ganglienzellen erfolgende, oder eine indirecte, durch zwischen extracardiale Nerven und Muskeln eingeschaltete Ganglienzellen zu Stande kommende Wirkung ist. Wäre letzteres der Fall, was nach den neuesten gründlichen mikroskopisch-anatomischen Unter- suchungen von F. B. Hoffmann? nicht unwahrscheinlich ist, so würden die von diesen Ganglienzellen zu den Muskeln ziehenden Nervenfasern doch jedenfalls nicht motorische im gewöhnlichen, oben definirten Sinne sein, sondern müssten in speeifischer, erst näher zu ergründender Weise die Leistungsfähigkeit der Muskelsubstanz modifieiren, also eine nach meiner Bezeichnung primär-inotrope Function haben. Wenn man einwenden wollte, wie neuerdings allen Ernstes geschah?, dass die Eigenthümlichkeit der Herzmuskelfasern, entweder maximal oder ! Nuel, Ueber den. Einfluss der Vagusreizung auf die Herzeontraction ' beim- Frosche. Pflüger’s Archiv. 1874. Bd. IX. S. 101. vor ” F. B. Hoffmann, Das intracardiale Nervensystem des Frosches. Archiv f. Anat. u. Entw. 1902. 8.54—114. Taf. II-W. NIE ni '® E..v. Cyon, Myogen oder neurogen? Pflüger’s Archiv. Bd. LXXXVIH. 1901. 8.260. Die Kritik, welche der Verf. in diesem Aufsatz an der myogenen Theorie, ihren. Vertretern und. deren Methodik übt, ist in so 'erregtem Tone gehalten, so über- reich an offenkundigen Entstellungen von Thatsachen und Meinungen Anderer, dabei so evident ohne eigene Kenntniss und ohne Verständniss der neueren Methodik ge- schrieben, dass eine Erwiderung weder im sachlichen noch im persönlichen Interesse INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 445 gar nicht zu reagiren, nur für künstliche Reize gelte, für die natürlichen Reize aber nicht, so dürfte man solchen Einwand schon von vornherein als einen ad hoc erfundenen ablehnen. Es kann keine einzige Thatsache zu seiner Begründung angeführt werden. Da für elektrische wie für mecha- nische, für thermische wie für chemische Reizung der Herzwand jenes Ge- setz von Bowditch gilt, muss seine Gültigkeit auch für den physiologi- schen Reiz angenommen werden, so lange nicht genügende Gegenbeweise geliefert werden. Dazu ist aber nicht nur keine Aussicht vorhanden, son- dern es lässt sich vielmehr die Gültigkeit jenes Gesetzes auch für die nor- malen Erregungen direct experimentell beweisen. Man kann, wie ich schon früher in diesem Archiv! näher beschrieben habe, bespielsweise die Stärke der physiologischen motorischen Reize im Herzen bis an die Grenze ihrer Wirksamkeit schwächen, ohne dass die von ihnen ausgelösten Systolen eine Schwächung erleiden. Wenn ich ein klopfendes Froschherz in der Atrioventrieularfurche so weit zuklemme, dass die Leitung der motorischen Reize von den Vorkammern zur Kammer so stark herabgesetzt wird, dass eine kaum messbare Steigerung des Klemmen- drucks sie völlig aufheben würde, so darf ich nicht annehmen, dass in solchem Falle die durch die geklemmte Stelle sich fortpflanzenden, von der Vorkammer kommenden physiologischen Reize den Ventrikel ungeschwächt erreichen. Sie werden ausserordentlich geschwächt sein müssen. Trotzdem zeigen die Kammercontractionen in solchem Falle nicht die geringste Abnahme ihrer Grösse und Kraft. Dasselbe gilt für alle anderen Ab- schnitte der Herzwand. Theilte ich die Vorkammern durch die Klemme in ein proximales und ein distales Stück, so hatte diese Quetschung auf die Grösse und den Umfang der Contraction des distalen Stückes keinen Ein- nutzbringend erscheint. Die missverständliche Beurtheilung, welche meine eigene Stellung zur Herzphysiologie durch v. Cyon erfährt, liegt, glaube ich, grossentbeils darin be- gründet, dass für den Autor das Herz wesentlich nur als Motor des Blutes Interesse hat, während es mir zunächst auf ein Verständniss des Herzens als Nerv-Muskelapparat ankam, ohne specielle Rücksicht auf seine Bedeutung für den Blutstrom. Mit demselben Rechte wie das Nerv-Muskelpräparat des Frosches seit Galvani zur Erforschung der Lebensvorgänge in den willkürlichen Muskeln und Nerven gedient hat, darf das Frosch- herz als klassisches Object für das Studium der physiologischen Eigenschaften der Herzmuskeln und -nerven und ihrer gegenseitigen Beziehungen bezeichnet und benutzt werden. Ein volles Verständniss der Rolle, welche das Herz für den Kreislauf spielt, erscheint mir ausgeschlossen, wenn man nicht zuvor die letztere Aufgabe löst. Dazu bedarf es natürlich noch ganz anderer Methoden, als der blossen Untersuchung des Blut- druckes und Blutstromes, welche dagegen ihrerseits für das Studium des Herzens als Motor des Kreislaufes immer den höchsten Werth behalten werden. ı Th. W. Engelmann, Die Unabhängiskeit der inotropen Nervenwirkungen von dem Leitungsvermögen des Herzens für motorische Reize. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abthlg. S. 108. 446 Ta. W. ENGEIMANN: fluss: sie blieben maximal, so lange überhaupt der vom proximalen Stück herkommende physiologische Reiz noch durch die gequetschte Stelle hin- durch konnte. Ja es konnten gleichzeitig durch Vagusreizung die Con- tractionen des proximalen Stückes der Atrien, bezüglich, bei Abklemmung zwischen Kammer und Vorkammern, die Vorkammersystolen bis zur Un- merklichkeit geschwächt werden, ohne dass die Contractionen der jenseits der Klemme befindlichen Partien der Herzwand eine Schwächung erlitten hätten." Es ist ja auch schon längst bekannt, dass die Kammer mit un- geschwächter Kraft weiter pulsiren kann, wenn die Vorkammern durch negativ-inotrope Vaguswirkung anscheinend völlig gelähmt sind. Ebenso, dass — wie ich im Anschluss an Biedermann’s Versuche an willkür- lichen Muskeln zeigte — die Vorkammern durch Wasser ihrer Contractilität völlig beraubt werden können, ohne dass die vom Sinus her durch die Vorkammern hindurch ausgelösten Kammerpulse im Geringsten geschwächt werden. Es ist ganz unzulässig, anzunehmen, dass die tiefgreifende Schädi- gung der Vorhofswände durch das Wasser ohne schwächenden Einfluss auf die durch sie hindurch zur Kammer fortschreitenden motorischen Erregungen geblieben sein sollte. Schädigt man das Sinusgebiet durch örtliche starke Erhitzung mit dem Thermokauter oder durch Bepinseln mit differenten Lösungen, z. B. Galle, so weit, dass die automatischen Pulsationen des Sinus und der grossen Hohlvenen zwar noch — wenn auch in anderem Tempo — fortdauern, aber doch jedenfalls äusserst geschwächt sind, so bleiben gleichzeitig die vom geschädigten Sinusgebiet aus erregten Vorkammer- und Kammersystolen völlig ungeschwächt und in ihrem zeitlichen Verlauf unbeeinflusst. Hiernach bedarf es auch für den Fernerstehenden keiner weiteren Be- weise, dass Form und Stärke auch der physiologischen motorischen Reize einen Einfluss auf Stärke und Verlauf der Herzmuskeln nicht be- sitzen. Dies Ergebniss gilt selbstverständlich, gleichviel ob die Erzeugung der automatischen motorischen Erregungen und ihre Leitung im Herzen auf neurogenem, oder, was ich für bewiesen halte, auf myogenem Wege erfolgen. Wir dürfen also ganz allgemein den Satz aussprechen: jede beliebige inotrope Wirkung, d. h. jede beliebige Aenderung in Kraft, Grösse und zeitlichem Verlauf der einzelnen Herzmuskelcontractionen, rührt nicht von Aenderungen der die Contractionen auslösenden Reize, sondern von Aenderungen der Leistungsfähigkeit der Muskelfasern her. Welcher Art nun die von den Herznerven ausgeübten inotropen Wirkungen sind, welche von den Nervenenden ausgehenden Processe die ! Diese wichtige Thatsache ist, wie ich leider a. a. O. übersehen habe, unabhängig von mir auch von F.B. Hoffmann beobachtet worden. Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXII. S. 443. Taf. VIII, Fig. IV. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 447 Leistungsfähigkeit der Muskelzellen modificiren, bleibt zu untersuchen. Chronotropen Ursprunges können jene Wirkungen nicht sein, da sie, wie schon Nuel fand, unter Umständen ohne jede Aenderung der Pulsfrequenz auftreten. Mit den von mir als secundär -inotropen bezeichneten Nervenwirkungen, welche chronotropen Ursprunges zu sein pflegen, d. h. von Aenderung der Pausendauer herrühren, haben sie, soweit ihre Ursache in Betracht kommt, demnach nichts zu schaffen. Dass sie nicht dromotropen Ursprunges sind, d. h. auf Aenderungen im Längs- oder Querleitungsver- mögen der Muskelfasern für die motorischen Impulse beruhen, habe ich in meiner vorigen Abhandlung gezeigt. Sie können auch nicht von bathmo- tropen, d. h. von Aenderungen in der Anspruchsfähigkeit der Muskel- theilchen für die natürlichen motorischen Reize herrühren, schon darum nicht, weil diese Aenderungen häufig gleichzeitig entgegengesetzten Vor- zeichens sind und überhaupt keine constanten Beziehungen zur mechanischen Leistungsfähigkeit der Herzmusculatur besitzen, wie ich unlängst nachwies! und demnächst ausführlich darthun werde, Es scheint hiernach nur die Annahme übrig zu bleiben, dass es sich bei den inotropen Nervenwirkungen um die Erzeugung von Vorgängen in den Muskelfasern handelt, welche speciell die Verkürzungsfähigkeit der elementaren Muskeltheilchen, also das mechanische Leistungsvermögen der kleinsten contractilen Elemente beeinflussen. Welcher Art wiederum diese Vorgänge sind, darüber können einstweilen nur auf Ana- logien gegründete Vermuthungen ausgesprochen werden, denn es ist kein Weg ersichtlich, die Kette der Processe direct zu beobachten, welche sich zwischen den letzten Enden der mit den Muskelfasern in Contact tretenden Nervenfibrillen und den contractilen Theilchen der Muskelzellen im Herzen abspielen. Ich finde nicht, dass wir viel gewinnen, wenn wir mit Gaskell, auf Grund hauptsächlich der von inm bei Vagusreizung beobachteten Aende- rungen der elektromotorischen Kräfte des Herzens, die Hemmungswirkungen als anabolische, assimilatorische oder aufbauende Processe bezeichnen gegen- über den Erregungswirkungen als catabolischen, dissimilatorischen oder ab- bauenden. Denn ich vermag nicht einzusehen, weshalb bei einer Steigerung der ersteren, also bei einer Vermehrung des für Umwandlung in mecha- nische Energie bestimmten Materials, die zweiten nothwendig geschwächt sein sollten, wie das bei der negativ-inotropen Vaguswirkung doch der Fall ist. Um so weniger ist das einzusehen, als thatsächlich, wie ich fand!, die ! Th. W. Engelmann, Quelques remarques 'et nouveaux faits, concernant la relation entre P’exeitabilite, la conductibilite et la contractilite des muscles. Arch. nearl. 1901. Ser. I. T. VI. p. 689—695. — Ferner: Ueber den Einfluss der Nerven auf die Reizbarkeit der Vorkammern des Herzens. Sitzungsber. d. königl. preuss. Akad. d. Wiss. Math.-physik. Classe, vom 12. Dec. 1901. 448 Ta. W. ENGELMANN: Anspruchsfähigkeit für Reize während und nach schwacher oder auch starker negativ-inotroper Nervenwirkung häufig merklich gegen vorher und nach- her gesteigert ist. Wenn Reizbarkeit und reizbares Material beide ver- mehrt sind, müsste man, wie mir scheint, auf Grund jener Vorstellung das Gegentheil von dem erwarten was thatsächlich geschieht. Es kann sich, wie ich glaube, hier nur um Zweierlei in den Muskelfasern handeln: ent- weder um eine Abnahme des der Erregung zugänglichen zu mechanischer Kraftentwickelung geeigneten Energievorrathes, etwa durch zeitweilige, partielle oder völlige, Entziehung. von Stoffen, die für das Zustandekommen der Con- traction. nöthig sind, oder um. eine mechanische Verhinderung der Ver- kürzung, etwa durch eine active Streckung, oder durch Steigerung der inneren Reibung, z. B. durch Gerinnung oder Fällung vorher gelöster Substanzen zwischen den contractilen Theilchen. | | Eine Thatsache, welche für die vorliegende Frage bedeutungsvoll er- scheint, aber bisher noch nicht die verdiente Untersuchung und Würdigung ge- funden hat, ist die im Folgenden näher zu besprechende Unabhängigkeit der Grösse und des Verlaufes der inotropen Nervenwirkungen von der Phase der Thätigkeit, in welcher der hemmende Nerven- reiz die Herzmuskelfasern trifft. Im klopfenden Herzen ist ja der Zustand jedes einzelnen erregbaren contractilen Elementes in fortwährendem, mit den Herzschlägen isochronem periodischen Wechsel begriffen. Erregbar- keit und nutzbares Arbeitsvermögen schwanken periodisch in jedem Element auf und ab zwischen einem hohen Maximum unmittelbar vor und einem tiefen Minimum nach eingetretener Erregung: ein während des „refractären Stadiums“ einfallender motorischer Reiz beliebiger Stärke bleibt wirkungslos. Falls es sich bei den inotropen Wirkungen der Herznerven um eine directe Beeinflussung der krafterzeugenden Muskeltheilchen handelte, würde es nicht wohl begreiflich sein, dass der Zustand, in dem sich diese Theilchen in dem Augenblick befinden, wo der Reiz sie trifft, gar keinen Einfluss auf Grösse und Verlauf der Wirkung in ihnen haben sollte. Es scheint mir im Gegentheil fast eine mechanische Nothwendig- keit zu sein, dass ein solcher Einfluss sich bemerkbar mache, und sogar in auffälliger Weise, da die Zustandsänderungen der krafterzeugenden Theil- chen während der Pulsation offenbar höchst bedeutende sind und unter Umständen lang anhalten. Da dieser Einfluss nun nicht merkbar ist, wie die alsbald näher zu schildernden Versuche beweisen, so wird es wahr- scheinlich, dass die Nerven nicht unmittelbar auf die krafterzeugenden Theilchen wirken, sondern auf räumlich von diesen gesonderte Gebilde oder Substanzen innerhalb der Muskelzellen, deren Aenderungen dann secun- där, auf einem der beiden oben angedeuteten Wege, Ursache für die Steigerung oder Schwächung der Contraction werden. Damit würde auch INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 449 in Uebereinstimmung sein, dass die Nervenenden nur mit relativ wenigen Punkten der Oberfläche der Muskelzellen in Contact sind, also an die über- grosse Mehrzahl der contractilen Elemente in den Zellen gar nicht heran- treten. Und ebenso kann die lange Latenzdauer, welche sowohl den positiv- wie den negativ-inotropen Nervenwirkungen eigen ist, zu Gunsten unserer Annahme angeführt werden. Wir kommen später hierauf zurück und wenden uns jetzt zur Beschreibung der die inotropen Wirkungen der Herz- nerven betreffenden Versuche. Eine kurze Mittheilung der wichtigeren Resultate habe ich bereits im vorigen Jahr in der K. Akademie der Wissen- schaften zu Amsterdam gegeben. ! 2. Experimentelles über die inotropen Nervenwirkungen. a) Methodisches. Als das klassische Object für das Studium der inotropen Nervenwir- kungen dürfen seit Nuel die Vorkammern des Froschherzens bezeichnet werden. Hier lassen sich diese Wirkungen, besonders die negativ-inotropen, so sicher und in solcher Regelmässigkeit und Reinheit hervorrufen, nach Intensität und Dauer so fein abstufen, dass das Studium ihrer Abhängig- keiten auch in quantitativer Beziehung nicht viel mehr Schwierigkeiten bietet, als das der motorischen Reizeffecte beim gewöhnlichen Nervmuskel- präparat des Frosches. Selbstverständlich ist dies nur möglich bei Anwendung der Suspensions- methode, da nur diese gestattet, Grösse, Form und zeitlichen Verlauf der Vorkammercontractionen auf’s Genaueste graphisch aufzuzeichnen, ohne dass gleichzeitig eine merkliche Störung der Herzthätigkeit und des Blut- laufes zu fürchten wäre. Beschränkt man sich darauf, bei einem sehr schwach curarisirten oder durch Einwickelung fixirten Frosch über der Vor- hofsgegend ein kleines Fenster aus der Körperwand herauszuschneiden und nach Eröffnung des Pericardiums über dem Vorhof diesen mittels einer kleinen Serrefine zu fassen und am Schreibhebel zu suspendiren, so bleiben, wie ich schon vor Jahren hervorhob, Tempo, Form und Grösse der Systolen sehr lange Zeit constant, und es können die Versuche vier, fünf und mehr Tage lang am selben Präparate ununterbrochen mit gleichem Erfolge wieder- holt werden.?2 Selbst Herzen von Fröschen, denen Gehirn- und Rücken- ı Th. W. Engelmann, Bijdrage tot de kennis van den negativ inotropen invloed van den nervus vagus op het hart. Verslag. van de gew. vergad. der wis- en natuur- kund. afdeel. d. k. Akad. v. wetensch. te Amsterdam. Zaterd. 28. Sept. 1901. ? Das Pantokymographion mit seiner beliebig langsam zu machenden Umdrehungs- geschwindigkeit, seiner selbstthätigen spiraligen Senkung bezüglich Hebung des Registrir- Archiv f. A.u. Ph. 1%2. Physiol. Abthlg. 29 450 Ta. W. ENGELMANKN: markshöhle durch eine Nadel oder ein Holzstäbchen ausgebohrt und tam- ponirt wurden, können einen Tag und länger, ausgeschnittene Herzen oder Herzen verbluteter Frösche wenigstens viele Stunden lang für das Studium der inotropen Wirkungen der Herznerven völlig tauglich bleiben. Noch in sehr weit vorgerückten Stadien des Absterbens, wenn Tempo und Grösse der Vorkammersystolen bereits tief gesunken sind und die Pulse beginnen unregelmässig zu werden, sind beiläufig noch starke inotrope Effecte durch directe Reizung extra- und intracardialer Herznerven zu erzielen. Es soll inzwischen auf die Absterbeerscheinungen hier nicht weiter eingegangen werden. Einige Angaben darüber findet man schon bei Nuel. Inotrope Wirkungen lassen sich bekanntlich durch Reizung der ver- schiedensten Körpertheile hervorrufen: durch directe Reizung des Vagus- stammes oder seiner Fortsetzungen in der Herzwand, wie auch durch Reizung der Herznervencentren im verlängerten Mark, direct oder reflectorisch, von beliebigen Körperstellen aus. Während in den beiden ersten Fällen, bei elektrischer Reizung durch Induetionsströme, die in meinen Versuchen aus- schliesslich in Anwendung kamen, der Erfolg fast immer! nur in einer Schwächung der Vorkammersystolen besteht, kommen bei refleetorischer Reizung positiv-inotrope, allein oder im Gefolge von oder abwechselnd mit negativ-inotropen, häufiger vor, namentlich bei Reizung der äusseren Haut. Von den Baucheingeweiden aus werden weit überwiegend rein oder fast rein negativ-inotrope Wirkungen erhalten, deren Verlauf häufig völlig identisch ist mit dem nach directer Reizung des peripherischen Stückes eines durchschnittenen Vagus. Selbstverständlich wurde, der zahlreichen Complicationen wegen, welche durch die reflectorische Reizung eingeführt werden, bei der Untersuchung zunächst ausgegangen von Versuchen mit directer Reizung des Vagusstammes, und zwar von Versuchen, bei denen ausschliesslich negativ-inotrope Wirkungen auftraten. Entweder wurde der Vagus (meist der rechte) in 1!/, bis 2°” Entfernung vom Sinus durch- schnitten und das peripherische Stück gereizt, oder es wurden auch, was für viele Fragen zulässig war und meist den gleichen Effect hatte wie Reizung des durchschnittenen Vagus, die Elektroden (Platindrähte von 1 bis cylinders, und der durch die Verbindung mit dem Polyrheotom ermöglichten auto- matischen Auslösung von elektrischen Reizen beliebiger Art, Zahl und Frequenz an beliebigen Punkten des Cylinderumfanges, leistet hier unschätzbare Dienste, namentlich auch in Bezug auf Zeitersparniss. Zusammenhängende Versuchsreihen von Tage, ja wenn man will Wochen langer Dauer können ohne Anwesenheit des Experimentators und ohne irgend welche Bedienung des Apparates selbstthätig aufgeschrieben werden. So gelingt es namentlich auch die Nächte auszunutzen. ! Ausnahmen kommen vor, wie u. A. derin meinem vorigen Aufsatz beschriebene und (in Fig. 5) abgebildete Versuch zeigt, in welchem an der Herzwurzel gereizt ward. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 451 2mm Spannweite, bis in 2m Eintfernung vom Ende in Hartgummi einge- bettet) direct auf den undurchschnittenen Nerven aufgesetzt; sollten hierbei Reflexe vom Vagus sicher ausgeschlossen werden, so wurde zuvor die Me- dulla zerstört, oder es wurden, falls die Circulation nicht erhalten zu werden brauchte, zuvor Nerv und Herz in Zusammenhang ausgeschnitten. In allen Fällen ergaben sich dieselben Gesetzmässigkeiten der Reizwirkung. Wenn man mit der Reizstelle zu nahe an das Herz heranrückt, können leicht durch Stromschleifen, die das Sinusgebiet oder auch die Vorkammern direct treffen, Extrasystolen ausgelöst werden. Diese üben zwar, wie weiter unten gezeigt werden wird, keinen directen Einfluss auf den Verlauf der Hemmungswirkung aus, können aber doch das Bild derselben trüben durch die negativ-inotrope Wirkung, welche jeder, wie immer hervorgerufenen Systole als solcher eigen ist. Beim frischen und namenlich beim blutdurch- strömten Herzen macht sich dieser Umstand nicht bemerkbar, da hier die Reactionsfähigkeit der Muskelsubstanz unmittelbar nach der Systole schon wieder die alte Grösse erreicht hat, es sei denn allenfalls, dass eine grössere Zahl von Extrasystolen rasch auf einander folgten. Am verbluteten Herzen kann die Störung aber sehr auffällig werden. Wichtiger, und auch am frischen, bluthaltigen Herzen drohend, ist die Möglichkeit der Einmischung chronotroper Wirkungen, insbesondere negativ-chronotroper. Bei starker Vagusreizung fehlen sie fast nie und werden bekanntlich dann leicht so stark, dass die Sinus- und Vorkammer- pulsationen einige Zeit ganz aussetzen. Dann ist natürlich über den Ver- lauf der negativ-inotropen Wirkung während dieser Zeit nichts zu ermitteln. Auch treten beim Wiederanfang der spontanen Pulsationen die secundär- inotropen Effecte der langen Pausen complieirend auf. Diese Effecte sind nach nicht übermässig langem Stillstand positiven Vorzeichens, schwächen dann also den negativ-inotropen nervösen Effect, können ihn sogar völlig maskiren oder übercompensiren. Aber auch wenn die Verlängerung der Pausen durch die Vagusreizung nur eine mässige ist, beispielsweise die Dauer einer oder zweier Herzperioden nicht erreicht, können sich, wenigstens beim blutarmen Herzen, die secundär-inotropen Wirkungen chronotropen Ursprunges bemerklich machen und das Bild der reinen, primär-inotropen Nervenwirkung entstellen. Es ıst deshalb, wo es auf die reine Darstellung der letzteren ankommt, nöthig, dass die Dauer der Herzperiodeu während des Versuches constant bleibe. Dies lässt sich nun häufig schon durch blosse Abschwächung der Vagusreizung erreichen, da, wieschon Nuel fand, die negativ-inotrope Wirkung noch bei schwächerer Reizung merklich bleibt als die chronotrope Wo dies Mittel aber nicht genügen oder aus anderen Gründen nicht anwendbar 99% 452 Ta. W. ENGELMANKN: sein sollte, kann man sich des schon vor längeren Jahren von mir zu ähn- lichen Zwecken empfohlenen Kunstgriffes bedienen, die Vorkammer durch künstliche Reizung in Pulsationen von constanter Periode zu versetzen. Wenn das Tempo der künstlichen Reize etwas schneller ist, als das der natürlichen, von den Hohlvenen ausgehenden motorischen Impulse, so nimmt die Vorkammer bald das Tempo der künstlichen Reize an. Diese müssen selbstverständlich etwas stärker sein als die natürlichen, d. h. die Vorkammer muss für sie nach jeder Systole früher wieder anspruchsfähig sein als für den natürlichen, vom Sinusgebiet kommenden Reiz. Da von jedem beliebigen beschränkten Punkte der Herzmuskelwand aus eine Vorkammersystole ausgelöst werden kann, bedarf es nur der Er- regung einer verschwindend kleinen Stelle der Musculatur, um die Vor- kammern in die verlangten Pulsationen von constanter Dauer zu versetzen. Störende Miterregung von intracardialen Nerven ist auf diese Weise durch passende Wahl der Reizstelle auszuschliessen. Am einfachsten reizt man den Vorhof direct mit spitzen, um nur 1” von einander abstehenden Elektroden, etwa an der suspendirten Stelle, wobei man auch die Serrefine zu einer der beiden Elektroden machen kann. Weniger empfiehlt es sich, die Vorkammer vom Sinusgebiet aus in regelmässiges Klopfen zu bringen, weil hier die Gefahr von wirksamen Stromschleifen auf die daselbst eintretenden Herznerven besteht. Auch bei Reizung von der Kammer aus (antiperistaltisch) hat man, doch nur, falls die Elektroden der Vorhofsgrenze sehr nahe anliegen, Störungen durch Mit- erregung intracardialer — negativ-inotroper — Nerven zu fürchten. Am sichersten wirkt Reizung an der Kammerspitze. Beim reichlich von Blut durchströmten Herzen empfiehlt sich begreiflicher Weise diese antiperistal- tische Reizung des Vorhofes von der Kammer aus weniger. Durch die antiperistaltisch fortschreitende Contraction wird der Blutstrom in Vor- kammer und Sinusgebiet gestaut, was sich sofort in Aenderung der Grösse der Atriogramme auffällig zu äussern pflegt. Am entbluteten oder doch sehr blutarmen Herzen ist dagegen die Reizung von der Kammerspitze aus mit grossem Vortheil verwendbar. Es sei gleich hier bemerkt, was weiter unten näher bewiesen wird, dass der Verlauf der inotropen Vaguswirkung bei gleicher Stärke und Dauer der Reizung des Nerven ganz derselbe ist, gleichviel ob die Vorkammer währenddem spontan klopfte oder künstlich, direct oder indirect, peristaltisch oder antiperistaltisch, von einer anderen Herzabtheilung aus, zum regelmässigen Schlagen gebracht ward, Thatsachen, die beiläufig der alten neurogenen Theorie der Herzthätigkeit ebenso zu- widerlaufen, wie sie nach der myogenen selbstverständlich erscheinen. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 4583 b) Ergebnisse. Verlauf der negativ-inotropen Wirkung bei directer Erregung des Vagus durch momentane elektrische Reize, Der Erfolg einer momentanen Vagusreizung ist im Wesentlichen so, wie er schon aus Nuel’s Beschreibungen und Atriogrammen hervorgeht und wie ihn auch zahlreiche andere seitdem erschienene Arbeiten erkennen lassen. Nach einem Latenzstadium, das immer merklich länger dauert als das für die motorische Erregung, tritt die Wirkung ein, erreicht relativ rasch ein Maximum, um von diesem alsbald, aber in langsamerem Tempo, wieder abzusinken. Grösse, Verlauf und Dauer hängen in erster Linie von der Stärke des Reizes ab, und zwar ändern sie sich innerhalb sehr weiter Grenzen mit dieser. Die Schwellenwerthe der Reizung liegen sehr ungleich hoch. In manchen Fällen kann man, bei Reizung des Vagus innerhalb der Herzwand, eine negativ-inotrope Wirkung bekommen bei Rollenabständen, die erheblich grösser sind als die für Erregung von Extra- systolen am Ende normaler Pausen nöthigen. Andererseits kommen Herzen vor, bei denen auch bei ganz aufgeschobenen Rollen keine oder nur ganz schwache Effecte zu erhalten sind, auch nicht bei der häufig ausserordentlich wirksamen reflectorischen Erregung vom Darm aus. Es kann sich hier nicht um eine gleichzeitige Erregung positiv-inotrop wirkender Fasern gehandelt haben, da beim Frosch die Wirkung der letzteren, gerade wie die der positiv’-chronotropen, cet. par. merklich später beginnt, später ihr Maxi- mum erreicht und später schwindet als die schwächende Wirkung. Es hätte dann wenigstens zu Anfang, in den ersten Secunden nach der Reizung, eine Schwächung sich bemerklich machen müssen. Mitunter war diese Un- empfindlichkeit nur im Anfang des Versuches vorhanden und schwand späterhin. Einige Male schien es, als ob Verblutung die Herstellung der inotropen Reizbarkeit begünstigte. Beim Froschventrikel ist es ja die Regel, dass, so lange derselbe frisch und von Blut durchströmt ist, er durch Vagus- reizung nicht geschwächt wird. Es kommen aber auch Ausnahmen vor, von denen ich früher einige Beispiele abgebildet habe. Die Ursache dieser auffallenden Unterschiede liegt vermuthlich in verschiedener Blutbeschaffen- heit. Es ist ja bekannt, wie geringfügige Aenderungen in der Zusammen- setzung des Blutes gerade die Hemmungswirkungen des Vagus zum Ver- schwinden bringen können (Atropin!). Bluttransfusionen, bezüglich In- jectionen würden zur Entscheidung anzustellen sein. Prüft man bei reizbaren Präparaten die Wirkung eines einzelnen Inductionsschlages, so ergiebt sich näher Folgendes: Bei der geringsten wirksamen Stromstärke beschränkt sich die Schwächung auf eine einzige 454 Ta. W. ENGELMANN: oder zwei Systolen und ist dann nur eben messbar gross, selbst bei zehn- bis zwanzigfacher Hebelvergrösserung. Die Schwächung tritt in diesem Falle nicht auf, wenn der Reiz den Vagus nicht wenigstens 0-5” vor An- fang der Systole traf. So lang wenigstens dauert also das Latenzstadium. < S S. .S. | "I Geht man stufenweise zu stärkeren und stärkeren Reizen über, so wird eine immer grössere Zahl von Systolen geschwächt und die Abnahme der Hubhöhe wächst unter Umständen bis zu voller Unmerklichkeit einer längeren Reihe von Pulsationen. Die Dauer der Latenz nimmt dabei ab INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 455 bis auf etwa 0-3”. Der etwas grössere von Nuel gefundene Latenzwerth — 0-5” im Mittel aus allen Versuchsreihen an sieben Esculenten! — er- klärt sich vermuthlich daraus, dass Nuel nur an ausgeschnittenen Herzpräpa- raten arbeitete, eine wenig empfindliche Registrirmethode und im Ganzen schwache Reize verwandte. Meine Latenzmessungen beziehen sich auf frische, in situ befindliche, von Blut durchströmte Herzen bei gewöhnlicher Zimmertemperatur. Die Bestimmung der Latenzzeiten erfolgte aus je einer grossen Zahl von Einzelversuchen, in derselben Weise wie bei Nuel, nach der zuerst von Donders für die Latenzbestimmung der negativ-chrono- tropen Vaguswirkung angewandten „Methode der grössten Minima und kleinsten Maxima“. Das Maximum der Schwächung wird etwa 3 bis 4 Secunden nach dem Reizmoment erreicht, bei sehr starken Reizen an- scheinend etwas früher als bei mässig starken. Bei den allerstärksten kann, bei einer Pulsfrequenz von noch nicht 2”, schon die Hubhöhe der ersten Systole nach der Reizung zu Null reducirt sein. Die Gesammtdauer der Wirkung, bis zur Rück- kehr constanter, der vor- herigen gleichen Hubhöhe, beträgt bei schwächster ein Reizung nicht viel über Fig. 2. 2 Secunden, bei den stärk- sten Reizen unter Umständen weit mehr als eine halbe Minute. Zur Ilustrirung mögen Figg. 1 und 2 dienen. Die Curven von Fig. 1 sind von der Vorkammer einer schwach curari- sirten R. esculenta bei 6 maliger Hebelvergrösserung gezeichnet (Vers. XIV. 14. VI. 1900, Bogen 22). Der rechte Vagus wird in etwa !/, *® Entfernung vom Sinus bei vier verschiedenen, von a nach d stufenweise wachsenden Stromstärken erst mit einem Schliessungsinductionsschlag (S), etwa ?/, Minute später mit einem Oeffnungsinductionsstrom (O0) gereizt, die Zeit in halben Secunden registrirt. Das Herz klopfte spontan, die Circulation war gut erhalten. IA.2.0.293922 456 Ta. W. ENGELMANKN: Ausser dem soeben über Grösse und Verlauf des negativ-inotropen Effectes Gesagten lehrt Fig. 1 noch, dass der Schliessungsinductionsstrom für die herzschwächenden Nerven ein specifisch schwächerer Reiz als der Oeffnungs- strom ist. Wenn in Fig. 1d das Gegentheil der Fall zu sein scheint, insofern nämlich nach dem Oeffnungsstrome die Anfangs bis zur Unsichtbarkeit redu- eirten A, früher zurückkehren, so liegt das daran, dass die äusserst starke Erregung durch den vorausgegangenen Schliessungsinduetionsstrom die inotrope Function geschwächt, ermüdet hatte. Wäre der O-Reiz nach einer vollen Minute oder noch später eingefallen, so würde seine Wirkung stärker als die des vorhergegangenen Schliessungsreizes gewesen sein. Schon Nuel! hat auf die lang anhaltende Erschöpfung der hemmenden Fasern, speciell für R. esculenta, aufmerksam gemacht. Die Thatsache ist seitdem oft bestätigt worden. Will man in längeren Versuchsreihen constante inotrope Erfolge haben, so empfiehlt es sich, die zulässige untere Grenze der Reizintervalle zuvor auszuprobiren. Sie liegt um so höher, je stärkere Reize man ver- wendet und hängt auch vom Ort der Reizung ab. Am höchsten liegt sie cet. par. bei reflectorischer Erregung, da hier noch die sehr erhebliche Er- müdbarkeit der centralen Reflexleitung hinzukommt. Ernährungszustand, Temperatur, Beschaffenheit der Circulation, Dauer der vorausgegangenen Versuche und andere Umstände haben auf die Schnelligkeit der Erholung nach der inotropen Reizung in allen Fällen merklichen Einfluss. Auch im günstigsten Falle ist es nicht rathsam, die Pausen viel kürzer als etwa !/, bis 1 Minute dauern zu lassen. Aus Fig. 2 ist ersichtlich, dass der Erfolg von Momentanreizen ver- schiedener Stärke sich in gleicher Weise äussert, wenn die Vorkammer nicht durch die normalen, vom Sinus kommenden Reize, sondern antiperistaltisch, von der Kammer her in regelmässigem Klopfen erhalten wird. In dem abgebildeten Versuch (Nr. XXV. 21. VI. 1900, Bogen 2) wurde die V-Spitze in Perioden von 1-2” Dauer gereizt, auf jede V, folgte eine A,. Der rechte Vagus wurde an der Herzwurzel (daher die Extrasystolen mit compensatorischer Pause) momentan gereizt (0), in a bei 15, 5b bei 14, c bei 13 °® Rollenabstand. Die Zeit ist in !/, Secunden notirt. Summirung der Wirkungen von Einzelreizen. Die Wirkung eines einzelnen Inductionsschlages, überhaupt eines momen- tanen Einzelreizes, ist bei directer Application auf den Vagusstamm immer relativ schwach. Nuel’s „Versuche, um mit einem einzigen Inductions- schlag zu reizen, misslangen“ sogar „vollkommen“.? „Oeffnen und Schliessen des constanten Stromes ergaben kein besseres Resultat. Um mit einem AED. Sr 1o8 Os INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 457 Induetionsschlage einen merkbaren Effect zu erzielen, müssen Schläge von einer solchen Intensität angewandt werden, dass die Reizbarkeit des Nerven sehr bald erlischt und auch unfehlbar unipolare Wirkungen auf den Rumpf des Thieres stattfinden. Im günstigsten Falle sind dennoch die Effecte so geringfügig, dass es eine missliche Sache wird, zu entscheiden, ob sie eine Folge der Reizung sind oder nicht.“ Nuel pflegte dann, „wo es auf mög- lichst kurz dauernde Reizung ankam, z. B. zur Beantwortung der Frage nach der Dauer der latenten Reizung“ sehr kurz, gewöhnlich nur !/,, Secunde lang zu tetanisiren. In der That kann die Wirkung durch Summirung ausserordentlich gesteigert werden. Schon einzelne, oder in kleiner Zahl völlig unwirksame Reize können durch latente Addition (Richet) wirksam werden, wie ich das von anderen träge reagirenden reizbaren Gebilden (Flimmerzellen, Protoplasma, glatte Muskeln) schon vor vielen Jahren ge- zeigt habe und wie es auch von den meisten centralen Reflexapparaten lange bekannt ist. Eine Steigerung der Wirkung erhält man schon, wenn ein zweiter gleicher Momentanreiz im Latenzstadium der negativ-inotropen Wirkung folgt. Aber auch, wenn er später, zu einer beliebigen Zeit während der Wirkung des ersten Reizes einsetzt, verstärkt er die Wirkung des ersten Reizes. Die Wirkung des zweiten kann durch die eines dritten weiter ver- stärkt werden u. =. f. Nach meinen bisherigen Beobachtungen handelt es sich im Wesent- lichen immer um eine directe Superposition der Wirkungen, gleichviel in welchem zeitlichen Abstand der zweite Reiz folgt. Doch habe ich mit Intervallen von weniger als etwa 0-01 Secunde keine Versuche angestellt. Inzwischen ist die Superposition keine einfache in der Art, dass etwa der zweite gleichstarke Reiz die Hubhöhen um den gleichen, absoluten oder relativen Betrag wie der erste weiter reducire und die Gesammtdauer der Wirkung um so viel verlängere, als das Intervall zwischen den beiden Reizen betrug. Es scheint vielmehr innerhalb gewisser, einige Secunden nicht überschreitender Grenzen dieses Intervalls die Wirkung des zweiten Reizes an Intensität und Dauer zu wachsen, also durch den vorausgegangenen Reiz die negativ-inotrope Wirkungsfähigkeit des Vagus, bezüglich seiner Endigungen im Herzen, vorübergehend gesteigert zu werden. Da die inter- essante Frage der Summirung von inotropen Vaguswirkungen gegenwärtig von befreundeter Seite einer besonderen Bearbeitung unterzogen wird, be- schränke ich mich auf diese wenigen Angaben und füge nur noch in Figg. 3 und 4 einige graphische Belege bei. Fig. 3 zeigt den Erfolg der Summirung von gleichstarken Momentan- reizen (Stromschwankung, im secundären Kreise erzeugt durch momentanes Schliessen des primären Stromes), die sich in Intervallen von 1 Secunde in 458 verschiedener Zahl folgten. Tu. W. ENGELMANN: Es wurde der rechte Vagus einer schwach curarisirten R. esculenta in etwa 1!/, ““ Entfernung vom Herzen gereizt (Vers. XXVN. 25. VI. 1900, Bogen 1). | de. 06 Fig. 3. Auf den einzelnen Reiz (Fig. 3«) folgt eine kaum merkbare Abnahme der Hubhöhe, die in maximo (3te A, nach 0) noch nicht 0.5 ® beträgt. Die Gesammtdauer der Wirkung erstreckt sich sicher nicht über 6 Secunden. Dagegen beträgt ın Fig. 4. ten bei Fig ig. 3b nach 2 Reizen die maxi- male Schwächung (3te 4,) 17m, dieGesammtdauer etwa 10 Secunden, , 3c nach 3 Reizen die maxi- male Schwächung (3te 4,) 2um, dieGesammtdauer etwa 13 Secunden, , 3d nach 6 Reizen die maxi- male Schwächung (te A,) 4m dieGesammtdauer etwa 16 Secunden, g.3e nach 21 Reizen die maxi- male Schwächung (9te 4A,) 6.8", die Gesammtdauer etwa 32 Secunden. In dem in Fig. 4 abgebilde- Versuche (Nr. XXV. 21. Vl. 1900, Bogen 2) wurde der rechte Vagus mit gleichstarken, abwech- selnd gerichteten Schliessungs- und Oeffnungsinductionsströmen einer Reizfrequenz von etwa 80 in 1Sec. tetanisirt. Es betrugin . 4a die Reizdauer 0°5”, die maximale Schwächung (2te A,) 0-6%®%, die Dauer der Schwächung etwa 7 See., INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 459 Fig. 45 die Reizdauer 0-75”, die maximale Schwächung (2te A,) 3"m, die Dauer etwa 8-5 Secunden, Fig. 4c die Reizdauer 1-25”, die maximale Schwächung (3te A,) 4.5", die Dauer etwa 10.0 Secunden, Fig. 4d die Reizdauer 1-75”, die maximale Schwächung (3te A,) 7-5 ”"®, die Dauer etwa 11-5 Secunden, Fig. 4e die Reizdauer 4-00, die maximale Schwächung (3te 4,) 11.2 mm, die Dauer etwa 14-0 Secunden. Die Möglichkeit, um durch Summirung sehr schwacher Reize starke negativ-inotrope Effecte zu erhalten, wurde, wie erwähnt, schon von Nuel erkannt und praktisch verwerthet. Benutzt man kurzes, schwaches Tetani- siren anstatt einzelner starker Inductionsschläge, so gelingt es namentlich auch die bei Reizung des Vagus in der Nähe oder innerhalb des Herzens drohenden Extrasystolen zu verhüten, welche das typische Bild der inotropen Wirkung beträchtlich trüben können, ohne jedoch — wie unten noch näher gezeigt werden soll — die dem Verlauf der Wirkung zu Grunde liegenden Processe im Herzmuskel merklich zu beeinflussen. Dass die Summirung sich besonders wirkungsvoll erweist, wenn man den Vagus reflectorisch erregt, entspricht nur den an anderen Reflexen ge- sammelten Erfahrungen. Doch gelingt es, wie oben schon angedeutet, auch durch einen einzelnen Schliessungs- oder Oeffnungsschlag mässiger Stärke von vielen Körperstellen aus starke und constante negativ-inotrope Wir- kungen zu erhalten. Fige. 5 bis 7 mögen hierfür als Beispiele dienen. Sie zeigen zugleich, dass der Verlauf der Wirkung bei reflectorischer Reizung nicht von der nach directer übrigens gleicher Reizung des Vagus abzuweichen braucht. So zeigt Fig. 5z bis d die Wirkung je eines auf die Magenwand applieirten elektrischen Momentanreizes (Vers. vom 30. XI. 1901). Zu unterst ist die Zeit in Secunden aufgeschrieben. Nach einem Latenzstadium, das nach Aussage von Fig. 5a jedenfalls länger als eine ganze Secunde dauert, steigt die Wirkung ziemlich rasch an, erreicht das Maximum etwa 6 Secunden nach der Reizung, nimmt allmählich, erst schneller, dann langsamer, wieder ab und ist etwa 10 bis 12 Secunden nach dem Maximum verschwunden. In allen vier Versuchen mischt sich eine schwache negativ-chronotrope Wir- kung bei, die aber das typische Bild der rein inotropen Hemmungswirkung nicht merklich modifieirt. Eine chronotrope Nebenwirkung fehlt in Fig. 6 (Vers. XX VI. 3.X. 1896). Hier wurde, und zwar bei einem seit !/, Stunde durch Abschneiden der Kammer verbluteten, schwach curarisirten Frosch, der Daumen der linken Vorderextremität durch einen einzelnen starken Oeffnungsinductionsstrom gereizt. Der Moment der Reizung (o) verräth sich in dem Atriogramm durch eine kleine, von der Erschütterung des Rumpfes durch die Zuckung der Extremitätenmuskeln herrührende Erhebung. Die Stimmgabel notirte '/)o Secunden. I SSrH Ei i | 1 460 Ta. W. ENGELMANK: Beim selben Frosch wurde in derselben Weise (doch vor der Verblutung) die Ventrikelspitze mit einem Oeffnungsinduetionsstrom von so geringer ‘9 314 oe iR S 5 || S : S Stärke gereizt, dass eine Extrasystole der Kammer nicht ausgelöst ward. Der sehr erhebliche, in Fig. 7 abgebildete Reflex weicht in keiner Weise von den früheren ab. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 461 Unabhängigkeit der negativ-inotropen Wirkung von der Phase der Herzthätigkeit, in welche der Reiz fiel. Die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche enthalten nun zugleich auch schon die Beweise für die im Eingange hervorgehobene Unabhängig- keit der schwächenden Wirkung der Vagusreizung von der Phase der Herz- thätigkeit, in welche der Reiz fiel. Es kommen als solche namentlich die Figg. 1, 3, 5 und 6 in Betracht, da hier mit Momentanreizen in sehr verschiedenen Phasen erregt ward. Beispielsweise fielen im Versuch Fig. 1a die Reizung 5 in den Anfang der Pause von A, u. PRaRUNndG can 2 » „ die Systole, sa B 5 » » » Mitte der Pause, ‚He 3 „0 ,„ das Latenzstadium von A, »...1a S 2 »„ „ den Anfang der 4,, „. DMkasundıde is 5 » „ die Pause. Die inotrope Wirkung ist trotz dieser Phasenunterschiede in allen Fällen in typischer Weise da und zeigt sich nur von der Reizstärke ab- hängig. In den fünf Versuchen der Fig. 3 fallen die Einzelreize in die ver- schiedensten Phasen der Herzperiode, ohne dass dies irgend welchen merk- lichen Effect auf die Gesammtwirkung hätte. Eine schärfere Bestimmung des Reizmomentes gestatten Figg. 5 und 6, weil sie bei grösserer Geschwindigkeit der Schreibfläche gezeichnet sind. Es fällt der Reiz ein in Fig. 5a in der Mitte der Pause, 1” vor A, „ 556 am Anfang der A,, „ 5Öc im Latenzstadium, etwa 0-05” vor A, „ ö5d in der Mitte einer A,, „ 6a am Anfang einer A, „ 65 am Anfang der Pause. Dies sind selbstverständlich nicht die Momente, in denen der Nerven- reiz an den Muskelfasern der Vorkammer anlangte und seine Wirkung zu entfalten begann, aber da nicht der geringste Grund zur Annahme besteht, dass die Phasenunterschiede während der Leitung von der Reizstelle zum Muskel aufgehoben sein sollten, ist dieser Umstand für unsere Frage gleich- gültig. Ganz besonders instructiv lässt sich die Einflusslosigkeit der Phase dar- thun in der Weise, von welcher Figg. 8 bis 11 Beispiele geben: durch graphische Superposition der Wirkungen verschiedenphasiger Reize. Die Anwendung dieses Verfahrens ist möglich, da bei sorgfältiger 462 TH. W. ENGELMANKR: Einrichtung der Versuche die Constanz der Wirkungen gleicher Reize während langer Zeiträume eine nahezu vollkommene ist. Man lässt zu diesem Zwecke den auf der Axe des Pantokymographions fixirten Registrir- 8 a7 cylinder mit constanter Geschwindigkeit und ohne Unterbrechung eine grössere Zahl von Umdrehungen machen und reizt während jeder Um- drehung ein, bezüglich mehrere Male in passenden Abständen mittels des auf gleicher Axe befestigten Polyrheotoms stets an genau denselben Stellen des INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 463 Cylinderumfanges. Da bei jeder neuen Umdrehung der Reizmoment im Allgemeinen in eine andere Phase der Herzperiode fallen wird, erhält man bei genügender Zahl der Umdrehungen leicht alle erforderlichen Fälle. Hat die Phase keinen Einfluss, so muss die Curve, welche die Gipfel aller ge- schwächten systolischen Erhebungen einer zusammengehörigen Versuchs- reihe verbindet, einen glatten Verlauf und dieselbe einfache Form wie die der Einzelversuche besitzen, die Höhe jedes einzelnen Gipfels wird aus- schliesslich eine Function der seit dem Moment des Reizes verflossenen Zeit sein. Im anderen Falle ist eine verwickeltere Gestalt zu erwarten. Die Versuche ergeben das erstere. Ill BO EN nu N Fig. 9. In den Versuchen Fig. 8z u. 5 führte der Cylinder nur drei, in Fig. Sc fünf Umdrehungen aus, es wurden also jedes Mal die Erfolge von drei, be- züglich fünf Reizungen graphisch superponirt. Bei der benutzten Umdrehungs- geschwindigkeit lassen sich die den einzelnen Reizungen zugehörigen Curven noch getrennt verfolgen. Es wurde jedes Mal der "rechte. Vagus in unge- fähr 1%), m Entfernung vom Herzen etwa !/.” lang bei sleichem Rollen- abstand (150 ®=) tetanisirt. Bei a und 5 ist die Zeit in !/„Secunden, bei cin ganzen Secunden notirt. Die Dauer der Herzperioden maass vor und nach der Reizung constant 2-2”. Die Wirkung war also in allen Fällen eine rein inotrope. In den drei Versuchen von Fig. 8a fällt der Reiz ein Mal in die Grenze von Latenzstadium und Anfang von A, ein Mal an das Ende der Diastole, ein Mal in die Mitte der Pause; in Fig. &5 ein Mal in den Anfang der Systole, je ein Mal in den Anfang und kurz vor die Mitte der Pause. Von 464 Tu. W. ENGELMANnNN: den fünf Reizungen in Fig. Sec fällt eine kurz vor Anfang, zwei gegen Ende der A, eine in das erste Drittel der Diastole, eine in die Mitte der Pause. Verbindet man die Curvengipfel von 84 durch eine Linie, so erhält man eine vollkommen continuirliche, erst steiler abfallende, dann langsam wieder ansteigende Curve, eine nahezu ebenso vollkommene bei 5 und c. Hier waren die Hubhöhen schon vor den Reizungen etwas, wenn auch nur äusserst wenig, unter sich verschieden. Noch anschaulichere Beweise für die Einflusslosigkeit der Phase und zugleich für die ausserordentliche Constanz der Reizeffecte bei richtiger Handhabung der Methodik geben Figg. 9 und 10. Der Reiz bestand hier in kurzem Tetanisiren. In den Versuchen der Fig. 9 (Nr. XXIV.20. V1.1900) wurde die Vorkammer, nach Zerstörung von Gehirn und Rückenmark, direet mit Strömen von so geringer Intensität ge- (ı| II I Ai il | IH, di ll) R ui un u “ll en IN An. | ULLI Ur il N As ll il; Il! I ii! Fig. 10. reizt, dass zwar die intracardialen Vaguszweige erregt, aber Extrasystolen nicht ausgelöst wurden; in Fig. 10 (Nr. XXV.26. VI. 1900) ward der rechte Vagus in einiger Entfernung vom Sinus gereizt. In beiden Fällen war, wie in Fig. 8, die Wirkung eine rein inotrope, Pausenverlängerung nicht bemerk- lich. Die Geschwindigkeit der Schreibfläche betrug 2"® in 1 Secunde. In a, d, e sind in beiden Fällen zum Vergleich die Wirkungen einmaliger gleicher Reizungen registrirt, in d hat in Fig. 9 eine sechsmalige, in Fig. 10 eine etwa 20 malige Wiederholung der Reizung an derselben Stelle des Cylinderumfanges stattgefunden. Namentlich die letztere Figur giebt eine nahezu ideale Darstellung des Verlaufes der negativ-inotropen Wirkung unter den vorliegenden Bedingungen. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 465 Auch bei refleetorischer Reizung können, wie Fig. 11 lehrt, gleich regelmässige Superpositionsbilder erhalten werden. Hier ist in a ein einzelner Reizerfolg, in d derselbe in fünfmaliger Wieder- holung und Superposition verzeichnet. Die Geschwindigkeit der Schreibfläche betrug nur etwa 0°2"M und war nicht völlig eonstant. Als Reiz diente kurzes Tetanisiren der durch einen kleinen Bauchschnitt blossgelegten Magen- wand. Die Grösse und Regelmässigkeit der Wirkungen ist um so bemerkens- werther, als derselbe Frosch, eine schwach curarisirte R. esculenta, bereits vier volle Tage und Nächte ununterbrochen zu graphischen Versuchen über inotrope und chronotrope Wirkungen der Herznerven auf die Vorkammern gedient hatte. (Vers. vom 7. bis 11. XI. 1901). Die Reactionsfähigkeit des Herzens auf direete und indirecte Reize hatte nach dieser Zeit noch nicht merklich gelitten, wie auch die Grösse, Frequenz und Regelmässigkeit der spontanen Pulse kaum geringer als am ersten Tage war. Von den durch directe Reizung des Vagus oder der Vorkammern erhaltenen, oben abgebildeten Wirkungen unterscheidet sich die vor- liegende durch complieirteren Verlauf, insofern die Curve der Hubhöhen vom Maximum der Schwächung an nicht in continuirlichem Anstieg zur früheren Höhe zurückkehrt, sondern in 2 OR einem ersten Steigen nur auf etwa Ill ei Na fünf Sechstel der anfänglichen Höhe Hl ©. | kommt, dann alsbald nochmals, wenn IA ul N auch nur mässig sinkt, um etwa eine halbe Minute später allmählich noch Ä Fig. 11. über die ursprüngliche Höhe hinauszusteigen. Von dem zweiten Maximum sank sie erst im Verlauf von weiteren 1 bis 2 Minuten ganz allmählich zur ersten Höhe herab. Offenbar handelte es sich um eine Combination positiv- und negativ-inotroper Wirkungen, an der sich vielleicht indirect auch Aenderungen der Circulation (in Folge Aenderungen des Gefäss- tonus u. s. w.) durch Einfluss auf den Tonus der Herznervencentren im Gehirn betheiligten. Ueberdies mischte sich auch im Anfang eine deut- liche negativ-chronotrope Wirkung bei. Um so erstaunlicher ist die Con- stanz der Erfolge. Im Allgemeinen ist bei reflectorischer Reizung, auch von derselben Körperstelle aus, der Erfolg nicht von so vollkommener Gleichmässig- keit wie in dem abgebildeten Beispiel und wie bei directer Reizung des Vagusstammes. Nachdem ich schon früher! die ungeheuere Mannigfaltig- ! Th. W. Engelmann, Ueber die Wirkungen der Nerven auf das Herz. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 315-361. Taf. III bis VI. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 30 466 Ta. W. ENGELMANK: keit und Variabilität der bei reflectorischer Erregung auftretenden Aende- rungen der Herzthätigkeit experimentell nachgewiesen habe, kann dies nicht befremden. Für den Zweck der vorliegenden Arbeit kann ein weiteres Ein- gehen auf diese Reflexwirkungen unterbleiben. Einfluss von Extrasystolen auf Grösse und Verlauf der negativ- | inotropen Vaguswirkung. | Von Wichtigkeit dagegen für ein tieferes Verständniss der herz- | schwächenden Nervenwirkungen und darum hier einer näheren Besprechung | zu unterziehen, ist die oben schon kurz hervorgehobene Thatsache, dass das Einschalten von Extrasystolen keinen Einfluss auf Grösse und Verlauf der schwächenden Wirkung des Vagus an sich hat. Beim frischen blutdurch- strömten Herzen, wo schon unmittelbar nach Ablauf einer Systole jeder wirksame Reiz eine Zuckung von gleicher Gipfelhöhe wie die vorhergehende HNO Fig. 12. auslöst, ist das graphische Bild der Wirkung im Falle des Auftretens einer oder einiger Extrasystolen insofern mit dem des rein inotropen Eiffectes identisch, als die Curven, welche die Gipfel der geschwächten Systolen ver- binden, in beiden Fällen congruent sind: die Höhe jeder einzelnen ge- schwächten A, ist dann in beiden Fällen streng nur von der seit dem Moment der Reizung verflossenen Zeit abhängig. Wenn aber die Cireulation erlahmt oder erloschen ist, oder sonstige Schädigungen eingewirkt haben, kehrt das Verkürzungsvermögen, dessen Maass die Hubhöhe der A, ist, nicht sogleich, sondern allmählich zurück, es hinterbleibt von jeder Systole eine für einige Zeit merkliche negativ-inotrope Wirkung. Die Gipfel | der Extrasystolen liegen dann nicht gleich hoch mit denen der gewöhnlichen | Systolen, sondern in jedem Falle um so tiefer, je schneller die Extrasystole auf die vorhergehende spontane Zusammenziehung folgte. Leicht kann | dann eine nach 2 Secunden und später einfallende Extrasystole noch merk- | lich geschwächt sein. Ich habe bereits bei anderer Gelegenheit! diesen | ! Th. W.Engelmann, Das rhythmische Polyrheotom. Pflüger’s Archiv. Bd. LII. 1892. S. 617. Fig. 2. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 467 Einfluss der Pause auf die Vorkammersystolen an einem Beispiel ge- schildert. Als weiterer Beleg möge noch Fig. 12 dienen, die von dem isolirten Vorhof des kurz zuvor ausgeschnittenen Herzens einer unvergifteten Eseu- lenta bei 17° C. gezeichnet und aut zwei Drittel der Originalgrösse redueirt ist. Der Vorhof wurde von einem anhängenden Sinusreste aus spontan in regelmässigem Klopfen erhalten. Die Perioden dauerten 1-6”, wovon ein Drittel auf Systole und Diastole, zwei Drittel auf die Pause kamen. Die durch den Hebel 15 Mal vergrösserte Hubhöhe der normalen Systolen betrug 22.0%®, In auf- und wiederabsteigenden Intervallen nach einer Systole wurde, jedes Mal nach Ablauf von vier spontanen Pulsen, durch directe Reizung der suspendirten Vorkammer eine Extrasystole eingeschaltet. Es betrug nun nach genauer Ausmessung in Fig. 12 bei Reizung in a nach einem Intervall von 0-62” die Hubhöhe der Extrasystole 11:2 "® 10 2 2) BROT { „ „ „ „ 18.5 „ RC „ 2) „ 0.787 „ ” „ ” 22.0 ” „ d „ „ le 16” ” „ „ „ 20-0, e „ „ „. 0ebo8 „ „ „ ” 15-0, Te „ „ „ „ 0.617 ” „ ” % 11.0, Die Dauer der durch eine Systole verursachten Schwächung betrug hiernach etwa 0-78”. Dementsprechend waren auch die ersten Systolen nach den den Extrasystolen in normaler Weise folgenden compensatorischen Pausen nicht weiter vergrössert. 30° 468 Tu. W. ENGELMANN: Der im vorliegenden Versuch ganz rein zu Tage tretende schwächende Effect der Systolen kann sich nun zu dem negativ-inotropen Effect der Vagusreizung fügen, wenn bei letzterer Extrasystolen mit ausgelöst werden. Da aber die erstere, myogene, Wirkung im Allgemeinen sehr viel schneller schwindet als die zweite, neurogene, macht sie sich nur im Anfang nach der Reizung bemerklich und es tritt nach ihrem Abklingen der reine neu- rogene Efiect hervor, mit derselben Stärke und demselben weiteren Ver- lauf, wie wenn keine Extrasystolen vorhergegangen wären. Es erklären sich in dieser Weise, aus der vorübergehenden Superposition dieser beiden Wirkungen, die oft auf den ersten Blick recht unregelmässigen und schein- bar widerspruchsvollen Bilder der unmittelbar auf die Reizung folgenden Curvenstücke. ; Ein Beispiel der Art geben die in Fig. 13 abgebildeten vier Versuche. Hier wurde, am Herzen eines verbluteten Frosches (Vers. XX. 16. VI. 1900), der Vagus intracardial in der Vorkammerwand gereizt durch kurzes (0-5”) Tetanisiren mit mässig starken Inductionsströmen. Fiel die Reizung in das refractäre Stadium, wie in Fig. 13c, so erfolgte die reine Nervenwirkung, in den drei anderen Fällen mischten sich Extrasystolen und damit schwächende Wirkungen myogenen Ursprunges ein. Diese erklären die bei Vergleichung der vier Fälle auffallenden Abweichungen von der rein neurogenen Wirkung. Dass beispielsweise in « und d die Extrasystole viel niedriger ist als die erste der Reizung folgende spontane Systole in c, trotzdem letztere erheblich später nach der Reizung folgt als jene, erklärt sich daraus, dass in a und d der Extrasyostole eine spontane Systole unmittelbar vorausging, in e aber die erste gechwächte Contraction nach der gewöhnlich längeren Pause eintrat. In Fig. 135 ist die erste geschwächte Systole, obschon sie nur sehr wenig später als in a und d der letzten spontanen folgt, doch erheblich grösser als, jene beiden. Dies beruht theils auf dem bereits weiter gediehenen Abklingen der myo- genen Schwächung, theils auch darauf, dass in a und d die Vagusreizung sich bereits bemerklich machte, da die Reizung hier der ersten Extrasystole um mehr als 0-5”, also länger als die Latenzzeit, in d aber nur um etwa 0.2" vorausging, zu kurz also, um manifest werden zu können. Ebenso wenig wie durch Extrasystolen in Folge directer Reizung der Vorkammern lässt sich der Verlauf der schwächenden Vaguswirkung durch Extrasystolen beeinflussen, die primär im Sinusgebiet ausgelöst und erst secundär auf dem gewöhnlichen Leitungswege von Vorkammerextrasystolen sefolgt wurden. Hierfür liefert Fig. 14 ein Beispiel, in welcher der Vagus an der Herz- wurzel tetanisch gereizt wurde (Nr. XV1.15.VI. 1900, Bogen 1) und wirk- same Stromschleifen die Hohlvenen, bezüglich den Sinus und auch den Vorhof, trafen. In a fällt der Reiz kurz vor Anfang der Si, ein und löst eine Extrasystole des Sinusgebietes aus, zugleich aber, durch direete Reizung der Vorkammern, eine verfrühte A,. In 5 und e fällt die Reizung in ein Stadium, INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 469 wo die Vorkammer noch für den Reiz refraetär, das Sinusgebiet aber bereits wieder erregbar ist. Es folgt deshalb eine Extrasystole des Sinusgebietes und auf diese nach der gewöhnlichen Zeit von etwa 0-5” eine Extrasystole der Vorkammern. Der schwächende Effeet des Vagus äussert sich in allen drei Curven in der normalen Weise; die auffälligen Unterschiede zwischen a, d und e in Bezug auf Intensität und Extension der Wirkung rühren von der aus der Figur ersichtlichen, ungleichen Dauer des Tetanisirens her. Er NN RER NR EN “ S g Ir N 4 MH h _ X war nö i n DS ne S Re | n‘ B Man ZINN Fig. 14. Nach den vorstehenden Versuchen herrscht somit, wie es scheint, eine äusserst einfache Beziehung zwischen den beiden Arten negativ-inotroper Wirkung, der myogenen und der neurogenen: die Grösse der Gesammt- wirkung beider ist in allen Fällen in jedem Augenblicke die Summe der Wirkungen, welche jede einzelne der beiden im selben Augenblicke gehabt haben würde, wenn die andere nicht mit vorhanden gewesen wäre. Es findet also einfache Addition statt. Die nächstliegende Erklärung für dies Verhalten würde sein, dass es sich in beiden Fällen von Schwächung um denselben elementaren Vorgang handelt. Dies ist jedoch mehr als unwahrscheinlich. Im einen Falle, bei der Systole, findet eine gesteigerte physiologische Verbrennung statt, im anderen, bei der Vaguswirkung, deutet nichts auf eine solche. Eher könnte man hier, auf Grund namentlich von Gaskell’s elektrischen Beobachtungen, das Gegentheil, eine gesteigerte Assimilation annehmen. Es ist ferner die myogene Schwächung stets maximal, die neurogene wächst innerhalb weitester Grenzen mit der Reizstärke. Die erstere verschwindet sehr rasch, die letztere, auch wenn sie viel geringer ist, sehr viel langsamer. Während der myo- genen Schwächung ist die Anspruchsfähigkeit der Muskelwand für directe elektrische Reize stets herabgesetzt, während der neurogenen häufig gleich- 470 Ta. W. ENGELMANN: zeitig erhöht —- alles Thatsachen, welche zeigen, dass, wie die Veranlassung der Schwächung verschieden ist, so auch das Wesen der Schwächung in beiden Fällen verschieden sein muss. Nur insoweit wird man eine Ueber- einstimmung anzunehmen berechtigt sein, als man annehmen darf, dass es sich in beiden um Wirkungen auf dieselben Zellen der Herzwand handelt. Da die der Contraction folgende Schwächung unzweifelhaft in den Muskel- zellen Ursache und Sitz hat, würde also auch die negativ-inotrope Wirkung der Vagusreizung in den Muskelzellen und nicht im intracardialen Nervenapparat wurzeln müssen. Wir würden damit also ein neues Argument zu Gunsten dieser schon aus anderen Thatsachen oben von uns abgeleiteten Vorstellung erhalten. Während aber bei der myogenen Schwächung die Abnahme der Leistungsfähigkeit der Muskel- elemente in einer primären Aenderung, und zwar in gesteigerter Zersetzung und damit in Abnahme des krafterzeugenden Materials beruht, wird die vom Nerven aus erzeugte Abnahme der Leistungsfähigkeit indirect, auf dem einen oder anderen der oben (S. 448) angedeuteten Wege zu Stande kommen, nämlich entweder dadurch, dass ein je nach der Reizstärke grösserer oder kleinerer Theil des innerhalb der kleinsten Muskeltheilchen vorhandenen krafterzeugenden Materials der Erregung unzugänglich gemacht wird, oder — was aus verschiedenen Gründen weniger wahrscheinlich — dadurch, dass der Verkürzung entgegenwirkende mechanische Widerstände im Innern der Muskelzellen erzeugt werden. Es könnten sich auch beide Processe combiniren. Alle diese Vermuthungen werden weiterer Prüfung zu unter- ziehen sein. Hierbei werden besondere Berücksichtigung verdienen einmal die Schiff-Rossbach’sche örtliche Lähmung der Ventrikelwand nach Be- rührung, sowie die von W. Biedermann! ausführlich studirten Lähmungen, welche bei Schliessung eines constanten elektrischen Stromes an der Anode, nach Oeffnung des Stromes an der Kathode, beim Herzen wie bei vielen anderen Muskeln erfolgen. Handelt es sich doch in diesen beiden Fällen wie beim Vagus um echte, primäre, negativ-inotrope Wirkungen auf die contractile Substanz. Und zwar lassen sich so mannigfache Punkte der Uebereinstimmung zwischen ihnen nachweisen, dass die Vermuthung, es möchten alle drei Processe im Wesen verwandt sein, wohl näherer Prüfung werth erscheint. Es werden dann aber auch die wichtigen und noch viel zu wenig ge- würdigten Erfahrungen heranzuziehen und weiter zu verfolgen sein, welche ı W. Biedermann, EZlektrophysiologie. 1893. S. 220 u. ff. — Daselbst das Ver- zeichniss der Originalabhandlungen. INOTROPE WIRKUNGEN DER HERZNERVEN. 471 J. Pawlow! am Schliessmuskel von Anodonta, W. Biedermann?’ u. A.an den Scheerenmuskeln des Krebses gesammelt haben. In diesen Fällen hat man es, gerade wie beim Herzvagus — und wie ohne Zweifel auch bei der Wirkung der Vasodilatatoren — mit einer Einwirkung specifischer Nervenfasern direct auf die Muskelsubstanz zu thun. Ganglienzellen kommen hier überhaupt nicht in Betracht, da sie nachweislich nicht vor- handen sind. ! Joh. Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet. Versuche und Fragen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Pflüger’s Archiw. Bd. XXXVI. 1855. 8.6—31. Taf. I. ® W. Biedermann, Ueber die Innervation der Krebsscheere. Sitzungsber. der k. k. Akademie d. Wissensch. 3. Abtb. Wien 1887. Bd. XCV. 8.7—46. Taf.3. — S. auch W. Biedermann, Hlektrophysiologie. 8. 526 u. ff. Beiträge zur Physiologie der Haut. I. Ueber Exeision grösserer Hautstücke. Von Edmund Saalfeld in Berlin. (Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Institutes zu Berlin.) Unsere Kenntnisse über die Physiologie der Haut sind trotz zahlreicher darauf gerichteter Untersuchungen noch ziemlich mangelhaft. Obwohl wie kaum ein anderes Organ directer Untersuchung zugänglich, steht die Haut trotzdem in ihren mannigfaltigen Functionen, insbesondere in Hinsicht der Grösse und des Umfanges der einzelnen von der Haut geübten Leistungen anderen besser erkannten Organverrichtungen beträchtlich nach. Nicht zum geringsten ist dieser Umstand darin begründet, dass die Haut des Menschen von der der Thiere in ihrem gröberen und feineren Bau so ausserordentlich differirt, dass erwiesener Maassen die Haut und ihre An- hangsgebilde beim Menschen und bei Thieren, und bei diesen wiederum bei Warm- und Kaltblütern, so verschiedene physiologische Bedeutung be- sitzen, dass es nur in geringem Maasse gestattet ist, Schlüsse, die sich aus physiologischen Untersuchungen der Haut bei den verschiedensten Thier- arten ergeben haben, auf die Haut des Menschen zu übertragen. Durch voreilige Deutungen, die man pathologischen Beobachtungen gab, hatte man der Hautathmung eine grosse Rolle zugeschrieben. Von dieser irrthümlichen Anschauung ist man abgekommen, seitdem die quan- titiv geringe Bedeutung der Hautathmung nachgewiesen ist. Nach Regnault und Reiset beträgt bei kleinen Säugern die Menge des durch die Haut absorbirten Sauerstoffes nur !/,;;, des durch die Lungen aufgenommenen. Die durch die Haut ausgeschiedene Kohlensäuremenge kann im Mittel für den Menschen zu 5 bis 85m (Aubert, Schierbeck), also höchstens zu EDMUND SAALFELD: BEITRÄGE ZUR PHysIioLoGIE DER HAur. 4753 etwa Y/,0. des durch die Lunge ausgeschiedenen angesetzt werden; bei hoher Umgebungstemperatur oder bei Körperarbeit sind ihre Werthe etwas höher.! Sind hierüber erst in der letzten Zeit einheitliche Anschauungen unter den Physiologen erzielt worden, so sind von jeher die Forscher darüber einig gewesen, dass der Kohlensäureausscheidung beim Menschen und den Säuge- thieren eine nur sehr untergeordnete Bedeutung zukommt. Im Gegensatz hierzu steht die Wasserabgabe durch die Haut, die schon bei ruhendem Körper ein und ein halb bis doppelt so gross ist (600 bis 800 8m) als die durch die Lungen (400 ="), und bei Arbeitsleistung zwei Mal so gross und darüber werden kann; diese ist daher als eine für den Organismus sehr bedeutsame Leistung anzusehen. Wird durch Ausschaltung eines Theiles der Haut die Wasserabgabe durch die Haut verringert, so tritt die Lunge dafür vicarirend ein. Die verminderte Hautathmung konnte also nicht der alleinige oder wichtigste Factor für den Tod der Versuchsthiere sein, deren Körper man zur Hälfte mit Firniss überzogen hatte, zumal es späteren Experimentatoren gelang, den Tod der Versuchtsthiere wesentiich hinauszuschieben, wenn die Thiere durch Aufenthalt in warmen Räumen vor dem durch die Firnissung be- dingten grösseren Wärmeverluste durch die Haut bewahrt blieben. Aehn- lich dürften die Verhältnisse bei Menschen und Thieren liegen, bei denen über ein Drittel der Körperoberfläche durch Verbrennung zerstört ist. Ob hier der Tod durch Intoxication eintritt, durch ein Gift, das durch den Zer- fall der rothen Blutkörperchen gebildet wird, ist bisher mit Sicherheit nicht erwiesen. Beachtung verdient jedenfalls die von Kreidl? mit aller Vor- sicht aufgestellte Vermuthung, „ob nicht das Ausserfunctionsetzen grösserer Hautflächen sowohl bei der Verbrennung als beim Firnissen dadurch von Einfluss ist, dass sich im Gesammtstoffwechsel das Fehlen des Stoffwechsels dieser Hautpartie bemerkbar macht“. Auf dieses Moment, sowie auf die hiermit in Zusammenhang stehende Frage, „ob die Haut nicht wie andere Organe eine sog. ‚innere Secretion‘ besitzt“, weist Kreidl hin. „Dabei kann man sich vorstellen, dass die lebende Haut entweder die Aufgabe hat, gewisse Stoffe für den Gesammstoffwechsel zu liefern, oder durch ihre Pro- ducte giftige Stoffwechselproducte zu paralysiren.“ Um der Frage der Ausschaltung grösserer Hautpartien experimentell näher zu treten und hierbei gleichzeitig die etwaige Einwirkung sich bil- dender Giftstoffe oder die chemische Reizung zahlreicher sensibler Haut- nerven, die ebenfalls als Todesursache bei Verbrennungen angesehen wurde, '1.Munk, Physiologie des Menschen und der Säugethiere. 6. Aufl. Berlin 1901. S. 98 ff. ® Die Physiologie der Haut in Mra@ek’s Handbuch der Hautkrankheiten. Wien 1901. Zweite Abtheilung. S. 183. 474 EDMUND SAALFELD: zu vermeiden, habe ich Versuche in der Richtung angestellt, ob man bei Thieren grössere Hautpartien entfernen könnte, ohne dass die Thiere hier- durch einen nachweislichen Schaden an ihrer Gesundheit erlitten. Diese Versuche schienen um so mehr berechtigt, als analoge Untersuchungen, so viel ich aus der Litteratur feststellen konnte, bisher noch nicht ausge- führt waren. Den Herren Geheimrath Prof. Dr. Engelmann und Prof. Dr. I. Munk bin ich für das freundliche Interesse, welches sie der Arbeit entgegen- brachten, zu Danke verpflichtet. Die Versuche wurden an 12 Kaninchen von verschiedener Grösse an- gestellt. In der Aethernarkose wurde den Thieren ein von der Mittel- linie des Rückens ausgehendes und einen Theil der Rücken-, Brust- und Bauchhaut umfassendes Stück entfernt. Die Wunde wurde mit Verband- watte bedeckt. Die Schmerzensäusserungen der Thiere nach dem Erwachen aus der Narkose waren, wenn überhaupt vorhanden, nur sehr gering. Nach der Operation wurde den Thieren keine besonderer Wärmeschutz zu Theil. Von den 12 operirten Kaninchen überstanden 9 die Operation bis zur völligen Vernarbung, während 3 nach 4, 10 bezw. 18 Tagen zu Grunde gingen, ohne dass die Section die Todesursache zu erklären vermochte. Nach der Operation zog sich die Haut an den Schnittstellen zurück, so dass die freiliegende Fläche stets etwas grösser war, als die Ausdehnung des exeidirten Stückes betrug. Der Verlauf der Heilung varürte an ver- schiedenen Stellen. An manchen blieb die Watte mehrere Tage kleben, während sie an anderen bereits 2 Tage nach der Operation abfiel und die darunter liegende Fläche trocken war. Das Allgemeinbefinden der Thiere wurde nicht alterirt, und nur bei den drei zu Grunde gegangenen Thieren trat nur wenige Stunden vor dem Tode eine Störung des Allgemeinbefindens ein. Die Heilung schwankte zwischen 5 bis 7 Wochen, und nur bei einem Thier nahm dieselbe 3 Monate in Anspruch. Irgend eine Gesetzmässigkeit bezüglich der Heilungsdauer festzustellen, war nicht möglich, da dieselbe trotz Verschiedenheit des Gewichtes und der Exeisionsfläche fünf Mal gleich- mässig 5 Wochen, zwei Mal 6 Wochen, ein Mal 7 Wochen und in einem Falle 3 Monate betrug. Im ersten Versuch war das Körpergewicht 8508”. Die Körperober- fläche des Thieres betrug demnach, nach der Meeh’schen Formel berechnet, 1076.78 «m, Die excidirte Fläche betrug 12-.5:12.5 m = 156-251°m, es war also der 6-89 Theil.der Gesammthaut entfernt. Der besseren Ueber- sicht wegen sind die entsprechenden Zahlen in der folgenden Tabelle ver- zeichnet. BEITRÄGE ZUR PHYsIoLoGIE DER HAUT. 475 & 2 Körper- | Körper- Der IE gewicht des re Grösse rennt Heilungs- : | Kannchens Ianinchens des exeidirten Stückes chend deu = | in grm in gem | Theil 1 850 1076-78 |12-5:12-.5 m = 156-252 | 1:.6.89 6 Wochen 2 1550 ı 1607.2 USE H0B =) > 1:14°»61 3 Monate 3 1470 1551-457 |14 :10 „ = 140 En 1:11-081 | 7 Wochen 4 1060 1247029411227 082057 2120 > 1:10.39 Da b) 1000 1200-0 Se le E96 > 1:21-44 DEM; 6 1560 1614-1 U Se nl > 1:19.92 Dill 7 1400 | 1467-7 TuS AT) s 1:29-95 DORIS 8 1320 | 1444-0 Drag Sasse 2Dnaerl| 416557016 BED. 5 9 1440 | 1530.24 Are, rn, 16 5 1: 95-66 bias Es musste nun noch daran gedacht werden, ob durch die, in Folge der Operation bedingten Wärmeentziehung eine Temperaturerniedrigung einträte. Allein mehrere regelmässig vorgenommene Messungen 8 Tage vor der Operation und 8 bis 14 Tage nach Ausführung derselben ergaben das Fehlen irgend welcher Unterschiede. Nach Eintritt der Heilung zeigte sich die Narbe und ihre Umgebung mit feineren Haaren als normal bedeckt, ebenso waren die Haare spärlicher als normal gewachsen. In den Fällen, wo die excidirten Stücke eine grössere Ausdehnung hatten, war die Narbe mit der darunterliegenden Fascie ver- wachsen, während in den Fällen 7, 8, 9 eine Verwachsung nicht ein- getreten war. An den angeführten Versuchen fällt der Umstand auf, dass die Heilungsdauer bei den meisten (8) der Thiere trotz der Grössenverschieden- heit der exeidirten Stücke — auch wenn man letztere im Verhältniss zur gesammten Körperoberfläche nimmt — nur geringen Schwankungen unter- worfen war. Eine Erklärung für diese auffallende Thatsache zu geben, vermag ich nicht. Schlüsse aus den Versuchen auf analoge Verhältnisse beim Menschen übertragen zu wollen, wäre nicht gerechtfertigt. Wenn bei Menschen mit ausgedehnteren Verbrennungen (unter einem Drittel der Gesammtoberfläche) fieberhafte Störungen des Allgemeinbefindens eintreten, so dürfen diese wohl erstens auf eine Resorption toxischer Stoffe, die sich im verbrannten Theil bilden, zurückgeführt werden. Dieser Factor fällt bei meinen Versuchen fort. Zweitens aber kommt wohl beim Menschen auch eine Infection mit Fieber-(Eiterung-)erregenden Bakterien in Frage; für eine Infection mit Eitererregern sind aber Kaninchen bekanntlich weniger empfänglich als Menschen. Sieht man doch bei Operationen an Kaninchen, auch bei un- 476 EDMUND SAALFELD: BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DER HAUT. genügender Beachtung antiseptischer Maassnahmen, die Wunden, selbst bei Eröffnung der Bauchhöhle, meist glatt heilen. Aus den zuerst genannten Gründen können auch Hautkranke, bei denen grössere Körperstrecken der oberflächlichen Hautschichten entbehren oder selbst bis zum subcutanen Gewebe blossliegen, nicht in Vergleich gezogen werden. Kommt ein solcher Zustand an einem Patienten zur Beobachtung, so handelt es sich doch um schwerere Hauterkrankungen, die an sich schon eine Störung des Allgemeinbefindens hervorrufen. Des Weiteren darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Haut beim Kaninchen wie überhaupt bei den meisten Säugethieren dem unterliegenden Gewebe viel lockerer aufliegt und’ viel dehnbarer ist als beim Menschen; dem entsprechend ist ihr Verhältniss zur Oberfläche des Körpers bei den genannten Thieren grösser als beim Menschen. Darnach ist wohl der Schluss gestattet, dass ein Deficit an Haut beim Kaninchen durch das an sich schon vorhandene Plus schneller gedeckt wird als beim Menschen, bei dem nur gerade so viel Haut vorhanden ist, als zur Bedeckung des Körpers nothwendig ist. Auch darf wohl angenommen werden, dass die restirenden Hautpartien bei den Versuchsthieren die Functionen für die ausgefallenen übernommen haben. Ueber eine Art polyrhythmischer Herzthätigkeit. Von J. v. Kries. (Aus dem physiologischen Institut zu Freiburg i. B.) Im Jahre 1882 hat Gaskell! zuerst eine eigenthümliche Thätigkeitsart des Froschherzens beschrieben, darin bestehend, dass die Vorhöfe regel- mässig schlagen, der Ventrikel aber nicht auf jede Vorhofssystole auch seinerseits mit einer solchen antwortet, sondern (in wiederum ganz regel- mässiger Weise) nur auf jede zweite oder dritte. Die Frequenz des Vorhofs- schlages ist also dann ein ganzes Vielfaches von derjenigen des Ven- trikelschlages.. Die Erscheinung kann nach Gaskell theils durch Be- schädigung des Herzens (Quetschung in der Atrio- Ventrieularfurche), theils durch Ungleichheiten der Temperatur hervorgerufen werden; sie tritt ein, wenn der Vorhof höher als der Ventrikel temperirt ist. In dem letzteren Falle (ich sehe von dem ersteren, den Quetschungen, einstweilen ab) kann man die Erscheinung aus bekannten Eigenthümlichkeiten des Herzmuskels in einer durchaus befriedigenden Weise erklären. Charakteristisch ist ja für ihn, dass er während der Thätigkeit nicht reizbar erscheint; der während eines gewissen Theiles der Systole eintreffende Reiz bleibt ohne Wirkung, mindestens ohne sichtbare Wirkung. Die Kälte andererseits ver- zögert die Dauer der Systole sehr erheblich und zwar in der Weise, dass der Thätigkeitsablauf jedes Herztheiles nur von seiner eigenen Temperatur bestimmt wird. Ein niedrig temperirter Ventrikel wird, wenn er durch einen Vorhofsschlag einen Impuls erhalten hat, seine Contraction lang- sam ausführen, und, wenn der Vorhof relativ warm ist, einen zweiten, event. mehrere Anstösse noch während der Dauer seiner Systole erhalten, ı W. H. Gaskell, On the rhythm of the heart of the frog. Philos. Transactions. 1882. Vol. CLXXIIL p. 993. 418 J. v. Kris: so dass nun diese, der allgemeinen Regel gemäss, wirkungslos bleiben. — Um die ganze Erscheinung auf möglichst hohe Grade zu steigern, erschien es hiernach geboten, den Vorhöfen möglichst hohe, dem Ventrikel eine möglichst niedrige Temperatur zu geben. Bei Versuchen, die vor einer Reihe von Jahren Hr. Fleischer in meinem Institute ausführte, zeigte sich die eigenthümliche Thatsache, dass es sehr leicht gelang, dem Ventrikel die halbe oder ein Viertel der Vorhofsfrequenz zu ertheilen, während eine Einstellung auf Drittelfrequenz niemals in befriedigender Weise erreicht werden konnte. Bei noch weiterer Vermehrung der Temperaturdifferenz fand sich sogar, dass ohne zu grosse Schwierigkeit der Vorhof auf die 8 fache Frequenz des Ventrikelschlages gebracht werden konnte, dass dagegen wiederum eine 5-, 6- und 7fache Frequenz niemals mit Sicherheit zur Beobachtung zu bringen war. Es schien hier also in der That eine eigen- artige Bevorzugung der ganzen Potenzen von Zwei vorzuliegen, die zur ge- naueren Untersuchung und zu dem Versuche irgend einer theoretischen Deutung aufforderte. Ich habe aus diesem Grunde die betreffenden Versuche neuerdings wieder aufgenommen und will im Folgenden darüber berichten. In methodischer Beziehung war zunächst ein wesentlicher Mangel der älteren Versuche zu beseitigen. Bei diesen war, unter Benutzung eines im hiesigen Institut zunächst zu Demonstrationszwecken eingerichteten Ver- fahrens, Vorhof und Ventrikel auf Kupferröhrchen gebettet worden, die mit erwärmtem bezw. abgekühltem Wasser durchströmt werden konnten. Die Registrirung war meist noch nach altem Verfahren durch aufgesetzte Hebel- chen erfolgt. Ein Theil der in den Versuchen auftretenden Unregelmässig- keiten konnte mit Wahrscheinlichkeit darauf zurückgeführt werden, dass bei dieser einseitigen Variirung der Temperatur (nur von unten her) nament- lich der Ventrikel in seinen verschiedenen Theilen sicher nicht unbeträcht- liche Temperaturunterschiede aufweisen musste. Wollte man, in Nach- ahmung der von Verwej! benützten Methoden, den Ventrikel zwischen zwei ihn ganz einschliessende Abkühlungsröhren, eine obere und eine untere, bringen, so war das natürlich leicht zu bewerkstelligen; jedoch wäre dabei die für den Versuch unerlässliche Möglichkeit einer Registrirung der Be- wegungen in Fortfall gekommen. Aus theoretischen Gründen liess sich nun aber vermuthen, dass für die Erreichung des wesentlichen Effectes die Abkühlung einer schmalen Zone an der Atrio-Ventrieularfurche genügen werde. Dies bestätigte sich in der That, und hiernach wurde dem Versuch die folgende Form gegeben. Zwei ‘ T. Verwej, Ueber die Thätigkeitserscheinungen ungleich temperirter moto- rischer Organe. Dies Archiv. 1893. Physiol. Abthlg. S. 504. ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT, 479 Kupferröhrchen wurden auf eine Strecke von etwa 1°" mässig platt ge- schlagen und an einer Kante mit einer ca. 1" breiten ebenen Fläche ver- sehen. Diese Röhrchen wurden dann so angebracht, dass sie quer von rechts nach links über den Froschkörper hinliefen, das Herz aber so zwischen sie gelagert, wie es Fig. 1 (Längsschnitt der Röhren, Querschnitt des Herzens) und Fig. 2 (Querschnitt der Röhren und Längsschnitt des Herzens) ersicht- lich machen. ° Vorhof I Kam INEer ZZZD- --Herz x | D Fig. 1. Fie. 2. Der Ventrikel sowohl als das Atrium bleiben daher grösstentheils noch frei und gestatten die Aufzeichnung ihrer Bewegungen. Diese geschah in den hier in Rede stehenden Versuchen stets nach der Engelmann’schen Suspensionsmethode, die ohne Zweifel für derartige Beobachtungen weitaus die geeignetste ist. Schickt man durch die beiden Röhrchen einen gleichen Flüssigkeitsstrom, so darf angenommen werden, dass es gelingen wird, eine schmale Zone des Herzens willkürlich und in allen ihren Theilen wenigstens annähernd gleichmässig zu temperiren, eine Annahme, für die allerdings im Grunde erst die Versuche selbst die wünschenswerthe Bestätigung erbringen. Für Vorhof und Sinus venosus konnte nun ein ähnliches Verfahren nicht wohl angewandt werden; ich habe mich daher hier auf die Erwärmung von unten her beschränkt. Zu diesem Zwecke wurde ein drittes Röhrchen von nur 2== Durchmesser benutzt, welches in der Horizontalebene 4 förmig gebogen war; die Mitte des Bogens kann den beiden anderen Röhrchen leicht genügend angenähert werden, um darauf den Venensinus oder den grösseren Theil der Vorhöfe zu lagern, während jene in der soeben geschilderten Weise die Atrio-Ventricularfurche einschliessen. Was die Hervorrufung der gewünschten Temperatur-Variirungen anlangt, so wird noch zu erwähnen sein, dass die Erwärmungen durch Strömung eines Wassers, das im Reservoir einige 30° hatte, stets leicht im erforder- lichen Betrag erhalten werden konnten. Für die Abkühlung reichte es da- gegen nicht aus, ein mit Eis gekühltes Wasser zu benutzen, was auch nicht überraschen kann, da bei der unvermeidlichen Erwärmung in den Zuleitungs- stücken die Temperatur der gekühlten Theile des Herzfleisches schwerlich tiefer als auf + 5 bis6 ° gebracht werden konnte. Hier wurde also (wie auch vordem schon Verwej gethan) Spiritus benutzt, der in einem kupfernen 480 | J. v. KRIES: Schlangenrohr eine in gewöhnlicher Weise aus Eis und Salz bereitete Kälte- mischung durchüoss. Die Versuche zeigten nun, dass in solcher Weise mit grosser Leichtig- keit bei Erwärmung des Vorhofes und Abkühlung der Furche ein Verhältniss erzielt wird, bei”dem mit vollkommener Präeision die Frequenz des;Vorhofes URN TNNRANARANNNUN Fig. 3. Obere Curve Vorhofs-, untere Ventrikelschläge. Halbfrequenz. Fig. 4. Obere Curve Vorhofs-, untere Ventrikelschläge. Achtelfrequenz. ein Multiplum von derjenigen des Ventrikels darstellt; sie bestätigten aber auch, dass dabei als Quotient der beiden Frequenzen stets nur die Potenzen von Zwei auftraten. Fig. 3 möge als Beispiel einer Halbfrequenz, Fig. 4 als Beispiel einer Achtelfrequenz hier mitgetheilt sein. Für das Fehlen der Zwischenwerthe wäre es nun ein nicht sehr befriedi- gender Nachweis, wenn ich mich auf die Angabe beschränken müsste, dass ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 481 ich in zahlreichen Versuchen und bei vorsichtiger Führung der Temperatur- verhältnisse niemals mit Sicherheit habe eine Drittel-, Fünftel- u. s. w.-Frequenz beobachten können. Entscheidend ist vielmehr die Thatsache, die man mit einiger Vorsicht leicht in ganz überzeugender Weise darstellen kann, dass bei einer ganz I N af Il Fig. 5. Obere Curve Vorhofs-, untere Ventrikelschläge. Uebergang aus Halb- in Viertelfrequenz. \l Inn DRIN Fig. 6. Untere Curve Vorhofs-, obere Ventrikelschläge. Auf einander folgend Gleich-, Halb-, Viertel- und Achtelfrequenz. (Nicht ganz tadelloser Versuch; beim Viertelrhythmus leichte Schwankung.) allmählichen Variirung der Temperatur stets plötzlich und ohne Vermitte- lung durch Zwischenstufen, höchstens etwa mit Einschiebung eines oder zwejer überhaupt aus der Reihe fallender Schläge ! die Halb- in die Viertel- frequenz, diese in die Achtelfreguenz (oder umgekehrt) überschlägt. Am leichtesten. gelingt dies so, dass man nach einer sehr starken Abkühlung ! Anf den Grund dieser Unregelmässigkeiten komme ich später noch zu sprechen. Archiv f. A. u. Ph. 1902, Physiol. Abthlg. 31 PRAO k "HFRTLOSPONLIUOA 9Toyum °-SJoqIoA PAım "zuonborpfoggoy pun -[oytorA -AIeH -SepPS AOpuafe} Pqray ıap sme um © 190g "L 'S04 J. v. KRIES: der Furche die Strömung in den Ab- kühlungsröhren ganz unterbricht. Unter dem Einflusse der Zimmerwärme steigt dann die Temperatur des Spiritus in jenen Röhren und ebenso diejenige der vorher gekühlten Herzzone langsam an. Hier ist dann die sprungweise Aenderung des Frequenzverhältnisses vortrefflich zu sehen. Bei einiger Vorsicht stösst aber auch die Darstellung der entgegengesetz- ten Sprünge (bei der allmählich fortschrei- tenden Abkühlung) auf keine Schwie- rigkeit. Als Illustrationen für diese Er- scheinungen mögen hier die Figuren 5 bis 9 mitgetheilt sein. Es erscheint hiernach berechtigt,den Satz aufzustellen, dass die Frequenz des VentrikelschlagesdurchTemperaturvarii- rung stets nur auf solche Bruchtheile der Vorhofsfrequenz gebracht werden kann, die sich durch Division mit ganzen Po- tenzen von Zwei ergeben. Gewisse Ein- schränkungen und Vorbehalte müssen dabei, wie noch zu besprechen sein wird, allerdingsgemacht werden; es istindessen zweckmässig, ehe wir auf relativ un- erhebliche Punkte eingehen, sogleich die Frage in’s Auge zu fassen, wie das ganze eigenthümliche Phänomen aufzufassen und zu verstehen ist. Mir scheint nun, dass die Erklä- rung wohl kaum eine andere als die folgende sein kann. Bei einer un- gleichen Temperirung des Herzmuskels in seinen verschiedenen Theilen wird jedenfalls, selbst wenn wir uns be- mühen, eine möglichst schmale Zone zu kühlen, die Temperaturvertheilung eine stetige sein, d. h. der Tempera- turunterschied dicht benachbarter Theile tr es ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 483 wird auch nur ein geringer sein. Nehmen wir an, es sei (wie in unseren Versuchen) der wärmste Theil derjenige, von dem die Erregungsanstösse ausgehen, etwa in der Zahl n pro Minute. Indem wir uns von ihm in Fig. 8. Untere Curve Vorhofs-, obere Ventrikelschläge. Uebergang von Achtel- in Viertelfrequenz. HN ge NN Fig. 9. Untere Curve Vorhofs-, obere Ventrikelschläge. Uebergang von Viertel- in Halbfrequenz. (Bei « einige Schläge aus der Reihe fallend,) der Richtung der normalen Erregungsleitung entfernen, werden wir zunächst auf benachbarte Theile stossen, deren Temperatur etwas, aber noch nicht 31* 484 J. v. KRIES: sehr viel tiefer liegt, und die daher »/2 Contractionen in der Minute aus- führen werden. Gehen wir nun weiter, so stossen wir natürlich auch auf Theile, die ihrer eigenen Temperatur nach im Stande wären, n/3 Systolen pro Minute auszuführen. Allein es ist zu bedenken, dass sie mit denjenigen Theilen, die die n Reizanstösse aussenden, nicht in directer Verbindung stehen, sondern nur durch Vermittelung solcher, die auf die Schlagzahl n/2 eingestellt sind. Geht diese Frequenz über ihre Leistungsfähigkeit hinaus, so können sie sich nur auf die Hälfte derselben, d. h. auf n/4 einstellen. Wir gelangen also zu dem Ergebniss, dass zwischen benachbarten Theilen kein anderes Verhältniss als das der Gleich- oder der Halbfrequenz be- stehen kann; Viertel- und Achtelfrequenz werden darnach aufzufassen sein als eine Reihe hinter einander geschalteter Halbirungen. Eine solche Herz- thätigkeit, bei der also hinter einander geschaltete Theile mit einfacher, doppelter, vierfacher, achtfacher (event. sogar noch sechzehnfacher) Frequenz arbeiten, darf wohl als eine polyrhythmische bezeichnet werden. — Wir wären hiermit zu einer in der That sehr einfachen Erklärung des uns beschäfti- genden Phänomens gelangt, allerdings nicht ohne in einer bedeutungsvollen Hinsicht die Grundanschauung zu ändern, von der zuerst (wenigstens still- schweigend) ausgegangen wurde. Ursprünglich wurde die Frequenzänderung als eine Besonderheit betrachtet, die dem Uebergang der Erregung vom Vorhof auf den Ventrikel unter Umständen anhaften kann. Stellen wir uns bei einer Achtelfrequenz vor, dass nicht bloss ein- und achtfache, sondern dazwischen geschaltet noch die zwei- und vierfache Frequenz vorhanden sind, so muss die Ungleichheit des Tempos an drei verschiedenen Stellen verwirklicht sein; sie wird also dann als eine allgemeine Eigenschaft des Herzmuskels überhaupt, nicht als ein Charakteristicum des Ueberganges zwischen den beiden, auch in sonstiger Hinsicht differenzirten Theilen, Vor- hof und Ventrikel, in Anspruch genommen werden müssen. Eine Be- stätigung dieser, in theoretischer Hinsicht vielleicht am meisten interessirenden Anschauung, kann man zunächst darin finden, dass es öfters in der That gelingt, mehr als zwei verschiedene Frequenzen neben einander zu beob- achten. So habe ich nicht selten, wenn der Ventrikel eine einfache, der Vorhof eine achtfache Schlagzahl aufzeichnete, an dem (offenbar wohl am höchsten temperirten) Sinus venosus die nochmals verdoppelte Frequenz (also die 16 fache des Ventrikels) mit aller Deutlichkeit sehen können. ! — Entscheidender würde es natürlich sein, wenn man die ganze hier behan- delte Erscheinung, Einstellung auf Halb- und Viertelfrequenz innerhalb derselben Herzabtheilung (natürlich kann hierfür nur der Ventrikel in Frage kommen) darzustellen im Stande wäre. Dies gelingt nun in der ! Die Aufzeichnung dieser äusserst frequenten und ungemein kleinen Bewegungen habe ich leider nicht zu Stande gebracht. ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 485 That an grossen Fröschen ganz wohl. Es ist nur nothwendig, die Abküh- lungszone einige Millimeter unterhalb der Atrio-Ventriculargrenze zu legen. Man kann dann ohne zu grosse Schwierigkeiten isolirt die Thätigkeit ober- ‚halb und unterhalb des gekühlten Streifens registriren, und zwar mit der Vorsicht, auch oberhalb desselben eine Ventrikelthätigkeit darzustellen. Einem Versuch dieser Art gehört Fig. 10 an, in welcher man, ganz wie bei den früheren Versuchen, den sprungweisen Uebergang von der Viertel- zur Halb- frequenz wahrnimmt. NR Fig. 10. Registrirung zweier durch die Abkühlungszone getrennter Ventrikelstellen. Die obere Curve gehört dem dem Vorhof näher gelegenen Theil, die untere der Spitze an. Ueber-. gang von Viertel- in Halbfrequenz. Noch etwas leichter gelangt man zum Ziel, wenn man den Ventrikel in der durch Fig. 11 ersichtlich gemachten Weise spaltet und aus einander lest. Man kann dann die Abkühlungszone etwa bei « anbringen und die Thätigkeit der beiden, nur durch die gekühlte Zone zusammenhängenden Ventrikelabschnitte isolirt beobachten. Auch hier ist die Erzielung der Viertelfrequenz leicht möglich und auch hier findet man, wie . diese unvermittelt in die Halbfrequenz über- geht. Fig. 12 illustrirt eine Beobachtung dieser Art. In dem Falle der Viertelfreguenz wird also anzunehmen sein, dass die hinsichtlich der Erregungsanstösse hinter einander geschalteten Fig. 11. Ventrikeltheile successive drei verschiedene Rhythmen aufweisen, einfache, halbirte und nochmals halbirte Frequenz, wenngleich die mittlere vermuthlich nur in einem kleinen Bezirk ver- wirklicht ist. Stimmt man der in Obigem entwickelten Deutung zu, so gestatten die Er- scheinungen noch einige weitergehende und theoretisch nicht uninteressante 486 “pPIsasrep “uw JIOU], uSU9F9]93 Aoyeu JomIo‘ Wop wop J1IOUa3 AA.ımy) adayun Arq IT Sg ur 9IM “uoypedsos JoytıyuoA !TOWwmeyZziag A9p 9fIEU], IoJuusı13 Juozsdungnyqy PIp yaınp OIOMZ SunAoLıstsoy "zı 14 i Ei Sale ie a os Bd J. v. Krıes: Folgerungen bezüglich der Erreg- ungsleitung im Herzmuskel. Ehe ich jedoch auf diesen Gegenstandein- gehe, wird eserforderlichsein, einiger Einschränkungen zu gedenken, mit denen, wie schon angeführt, die auf- gestellten Sätze genommen werden müssen. Erstlich muss bemerkt werden, dass, was wir hier für die Ab- kühlung feststellten, wohl nicht ohne Weiteres auf den anderen Fall über- tragen werden darf, in dem Gaskell einen Frequenzsprung zwischen Vor- hof und Ventrikel constatirt hat, nämlich den der Quetschung. Ob der Einfluss einer solchen überhaupt demder Abkühlunganalog aufgefasst werden kann, d. h. ob die Beschä- digung zunächst nur eine verlang- samte Zusammenziehung der lei- tenden Zwischenstücke veranlasst und auf diese Weise die Einstellung auf reduecirte Frequenzen bewirkt wird, das kann zum Mindesten be- zweifelt werden. Selbst dies ange- nommen, wird aber bei der Quet- schung die Stetigkeit des Ueber- ganges nicht selbstverständlich sein, die wir bei der Temperaturvariirung für sicher halten dürfen; hier er- scheintesvielmehrdoch denkbar, dass eine intacte und eine schonin erheb- lichem Maasse geschädigte Stelle un- mittelbar an einander stossen. ! ! Drittelfrequenz findet sich in den Curven Gaskell’s in der That mehrfach; so z. B. in Fig. 14 (a.a. O.). Ob hier dieser Zustand durch Temperaturdifferenz oder, wie ich vermuthen möchte, durch Quetschung herbeigefüht war, ist aus dem Text (8.1013) leider nicht zu ersehen. Tr a ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 487 Es ist ferner hervorzubeben, dass, wenn man in ausgedehnteren Ver- suchen .dieser Art eine genaue Ausmessung der Vorhofs- und der Ven- trikelfrequenz vornimmt, sehr häufig die Werthe, die z. B. dem Verhältniss 1:4 oder 1:5 entsprechen würden, nicht ganz genau, sondern (wenn auch meist nur vorübergehend) mit kleinen Abweichungen sich verwirklicht finden. So kann es z. B. wohl kommen, dass innerhalb desjenigen Zeitraumes, der von 5 Ventrikelschlägen eingenommen wird, nicht 40, sondern 39 Vorhofs- eontractionen gezählt werden. Natürlich ist nicht daran zu denken, dass wirklich in Folge eines functionellen Zusammenhanges ein solches irratio- nales Verhältniss zwischen Vorhofs- und Ventrikelschlägen bestehen sollte. Man könnte nun meinen, dass in solchen Fällen der Ventrikel überhaupt gar nicht auf die ihm vom Vorhofe zugehenden Impulse, sondern unab- hängie schlägt, eine Möglichkeit, von der sogleich noch zu reden sein wird. In den Fällen, von denen ich hier rede, ist das schon dadurch ausgeschlossen, dass bei Wiedererwärmung die Ventrikelfrequenz prompt auf ein Viertel, dann auf ein Halb der Vorhofsfrequenz springt. Der Grund der erwähnten kleinen Abweichungen liegt offenbar wohl nur in den Leitungsverhältnissen; denn bei den starken Abkühlungen ist sicher auch die Zeitdifferenz zwischen einer Vorhofssystole und dem durch sie ausgelösten Ventrikelschlag eine sehr beträchtliche. \Wenn sie, was man kaum ausschliessen kann, durch eine geringe Schwankung der Temperaturverhältnisse im Herzmuskel sich etwas ände:t, so wird während dieser Zeit der Abstand zweier auf einander folgender Ventrikelschläge etwas vermehrt oder vermindert erscheinen und von dem genauen Multiplum der Vorhofsperiode etwas abweichen. In der obigen Zeichnung Fig. 7 z.B. kommen an einer Stelle auf die Dauer von 4 Ventrikelschlägen fast genau 33 (nicht 32) Vorhofs- contractionen. Trotzdem ist jedenfalls anzunehmen, dass, wenn wir von correspondirenden Schlägen ab zählen, der 4. Kammerschlag durch den 32., nicht durch den 33. Vorhofsschlag ausgelöst ist; nur folgt er diesem in einem ein wenig grösseren Abstande als der frühere Kammerschlag dem ihn anregenden Vorhofsschlage. In der That fällt dieser Versuch in ein Stadium zunehmender Ab- kühlung, wodurch die Leitungszeit sehr wohl um den geringen Betrag ge- wachsen sein kann. Ein weiterer hier zu erwähnender Punkt ist der soeben schon kurz berührte, die Eutwickelung einer von dem normalen Ausgangspunkte der Reize unabhängigen Thätigkeit. Selbst bei grosser Vorsicht kommt es nicht ganz selten vor, dass man die Thätigkeit des Ventrikels sich von derjenigen des Vorhofs emancipiren sieht, und zwar noch ehe man etwa mit der Ab- kühlung der Furche begonnen hat, allein durch die oben beschriebene Ein- bringung des Präparates zwischen die Kupferröhrchen. Man darf vermuthen, 488 J. v. KRIES: dass es sich hierbei doch immer um eine Druckbeschädigung handeln wird, durch welche die Zuleitung der Vorhofsreize verhindert und die selbständige Entwickelung von Reizen an der Atrio- Ventriculargrenze eingeleitet ist. Selbstverständlich sind Präparate, bei denen dies eingetreten ist, für die in Rede stehenden Versuche unbrauchbar. Eine letzte Abweichung von den oben aufgestellten Regeln besteht endlich in einer eigenthümlichen Art von Periodenbildung. Es kann vor- kommen, dass der Ventrikel in Folge eines Temperaturunterschiedes nicht im Stande ist, auf jeden Vorhofsschlag zu antworten, sich aber dabei nicht ‘sogleich auf Halbfrequenz einstellt; er schlägt vielmehr anscheinend: iso- rhythmisch, lässt aber etwa jeden 3. oder 4. u.s.w. Schlag ausfallen. OICNM I NDR. Fig. 13. Periodenbildung. Der Ventrikel lässt Anfangs jeden dritten, dann den vierten, fünften u. s. w. Schlag ausfallen. So sieht man in Fig. 13, dass Anfangs jeder 3., dann noch der 4., 5., schliesslich der 9. Schag des Ventrikels ausfällt. Die Erklärung dieses eigenthümlichen Phänomens ergiebt sich, wie mir scheint, aus der folgenden Ueberlegung. Wenn z. B. nach der 4. Systole einer Periode die folgende ausfällt, während nach 1., 2. und 3. jeweils die folgende ausgeführt wird, so muss ohne Zweifel in jenem Falle (beim 4. Schlage) der Reizanstoss in ein etwas früheres Stadium der Systole fallen, als in den vorangehenden. That- sächlich bestätigt auch die Messung, dass die Anfänge der Ventrikelsystolen um ein Geringes weiter aus einander gerückt sind, als die der Vorhofs- schläge, so dass successive der folgende Vorhofsschlag in ein etwas früheres Stadium der Kammerperiode fällt. Die ganze Erscheinung wird verständ- lich, sobald wir annehmen, dass die dem Ventrikel seitens des Vorhofes zu- ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 489 gehenden Antriebe jedes Mal nicht auf einen Augenblick concentrirt, sondern über eine gewisse, wenn auch kleine Zeit erstreckt sind. Dies kann, da der Erregungsimpuls ja eine Anzahl verschiedener Wege von seinem Aus- gange bis zum Ventrikel durchlaufen kann, jedenfalls dann sehr leicht ein- treten, wenn die Temperaturverhältnisse auf den verschiedenen Wegen erheblich ungleich sind.! Die Art, wie sich unter diesen Umständen die Dinge abspielen würden, veranschaulicht die schematische Fig. 14. In den fünf auf einander folgenden (gleich verlaufenden) Systolen bedeutet & jedes Mal den Punkt, von dem ab der Ventrikel für einen neuen Anstoss zugänglich ist. Die schraffirten Felder 5 stellen die vom Vorhof ankommenden Reize dar. Unmittelbar nach einer Pause reagirt der Ventrikel auf die frühesten (zuerst ankommenden), durch die linke Begrenzung des Feldes / dargestellten. Arbeitet der Ventrikel relativ langsam, so kann es nun kommen, dass bei der nächsten Contraction der Anfang von # schon in das refractäre Stadium fällt, jedoch können die etwas später eintreflenden Anstösse noch eine Ventrikel- systole auslösen; successive rücken dann aber die Vorhofsantriebe mehr und ä N N | | a I! / \e X / \ & | \a | a « \ RE 23 siusasläl\ N | \ \ N | | a 128 IE 2 ee) IS ——— eg = | — — u ES Fig. 14. mehr in das unwirksame Stadium, bis schliesslich, wenn dies vollständig der Fall ist, eine Ventrikelsystole ausfällt und die ganze Periode von Neuem beginnt. Auf ähnliche Umstände dürfte es dann endlich wohl auch zurückzu- führen sein, wenn zuweilen (wie vorher schon erwähnt) beim Uebergang eines Rhythmus in einen anderen (z. B. der Viertel- in die Achtelfrequenz) ein so zu sagen aus der Reihe fallender Schlag sich einschiebt. Jedenfalls wird man, auch wenn einmal der Abstand zweier Kammersystolen annähernd gleich sechs oder fünf Vorhofsschlägen gefunden wird, darin keine Ver- wirklichung einer Sechstel- oder Fünftelfrequenz erblicken wollen. Im Ganzen erscheint es hiernach wohl gerechtfertigt, trotz der be- rührten Abweichungen an der Eingangs gegebenen Deutung festzuhalten. Wir werden demgemäss nun noch fragen dürfen, ob bezw. was sich für die Auf- fassung der allgemeinen Verhältnisse des Herzmuskels daraus entnehmen lässt. ! In der That habe ich die Erscheinung vorzugsweise bei dem älteren mangel- haften Verfahren der Temperaturvariirung gesehen. 490 J. v. Kris: Dies ist nun im Grunde etwas sehr Einfaches. Die Voraussetzung unserer Deutung ist nämlich die, dass ähnlich, wie jedes Stück des Herzmuskels während der Dauer einer Thätigkeit sich einem neuen Reiz gegenüber un- erregbar erweist (also weder zu einer Verstärkung noch zu einer Verlängerung seiner Contraction veranlasst werden kann), ähnlich auch die erregungs- leitenden Theile nur in bestimmten, durch ihren eigenen Zustand, nament- lich ihre Temperatur sich bestimmenden Intervallen, Erregungsanstösse aufnehmen und weiter geben. Unsere ganze Erklärung basirt kurz ge- sagt auf der Annahme, dass die hinsichtlich der Contractionsverhältnisse für den Herzmuskel bekannten Thatsachen in ganz ähnlicher Weise auch für die Erregungsleitung gelten. Man wird also, glaube ich, rückwärts die Richtigkeit dieser Annahme wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit daraus folgern dürfen, dass eben nur bei ihrer Zugrundelegsung die Bevorzung der Potenzen von Zwei sich in befriedigender Weise verständlich machen lässt. Gehen wir hiervon aus, so wird man vor Allem wohl in den That- sachen ein schwerwiegendes Argument für die musculäre Natur der bei der gewöhnlichen Thätigkeit im Herzen stattfindenden Erregungsleitung erblicken dürfen. Es würde dann aber weiter, was für unsere theoretischen Auffassungen auch nicht ohne Bedeutung ist, für die Elemente des Herzmuskels anzu- nehmen sein, dass sie auch hinsichtlich der Leitungsfähigkeit die in Bezug auf die Erregbarkeit bekannten und durch den Terminus des refractären Stadiums bezeichneten Eigenthümlichkeiten aufweisen; eine Anschaung, die bekanntlich neuerdings H. E. Hering! auf Grund seiner Untersuchungen und kritischen Erörterungen vertreten hat. Daneben aber scheinen mir noch einige andere theoretische Erwägungen sich aufzudrängen. Die Erscheinungen, von denen hier ausgegangen wurde, betrachtet man ja gewöhnlich als den Ausdruck eines sogen. Blocks; sie werden so aufgefasst, dass die den Vorhof mit der Kammer verbindenden Fasern nur eine beschränkte Anzahl von Anstössen (in der Zeiteinheit) durch- zulassen befähigt sind, und man erblickt hierin eine Herabsetzung ihres Leitungsvermögens (negativ dromotrope Wirkung). Kann man aber eigent- lich von einer Verminderung des Leitungsvermögens reden, wenn es sich nur darum handelt, dass der ganze Ablauf der Vorgänge durch die Abküh- lung einen anderen zeitlichen Typus bekommt (in die Länge gezogen wird)? Die ebenfalls durch Abkühlung herbeigeführte zeitliche Protrahirung der Contraction betrachtet man doch nicht als eine Minderung der Contractilität. ! H.E. Hering, Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Con- tractilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern. Pflüger’s Archiw. Bu. LXXXVL 8.533. ÜBER EINE ART POLYRHYTHMISCHER HERZTHÄTIGKEIT. 491 Und von einer Herabsetzung des Leitungsvermögens hätten wir doch im eigentlichen Sinne nur dann zu reden, wenn etwa die Erregungen beim Durchgange durch ein Stück des Herzmuskels erheblich geschwächt oder wenn etwa nur starke (nicht aber schwache) Erregungen durchgelassen würden. Mir scheint hiernach, dass die Deutung des Blocks, zu der wir gelangten, zum Mindesten noch eine gewisse Unsicherheit der jetzt gebräuchlichen Begriffe für die functionellen Modificationen des Herzmuskels herausstellt. Man wird wohl entweder die hier mitgetheilten, zum Theil ja lange bekannten Erscheinungen nicht wie bisher als Block auffassen oder aber den Begriff des Blocks erweitern und genauer präcisiren müssen. Die Durchlässigkeit der rothen Blutkörperchen für die Anionen von Natriumsalzen. Von H. J. Hamburger und G. Ad. van Lier. Einleitung und Historisch-Kritisches. Unter den Diensten, welche die physikalische Chemie bereits in den verschiedensten Zweigen der medicinischen Wissenschaften geleistet hat, muss auch die Thatsache genannt werden, dass sie das Problem der vom physiologischen und pathologischen und nicht weniger vom pharmakologi- schen Gesichtspunkte aus so wichtigen Zellenpermeabilität zuerst an die Tagesordnung gestellt hat. Der Versuch, mit welchem die physikalische Chemie ihren Einzug in die medicinischen Wissenschaften hielt, war folgender: ! Man bringt in einige Probirgläser eine gleiche Quantität Kochsalz- lösung, welche nur einen Concentrationsunterschied von !/,oo Procent be- sitzen, und ‘setzt einige Tropfen defibrinirten Blutes hinzu, schüttelt die Gemische und lässt die Blutkörperchen sich zu Boden senken. Nach einiger Zeit bemerkt man, dass die obere blutkörperchenfreie Schicht in den ein- zelnen Gläsern nicht dieselbe Farbe besitzt. Man sieht z. B. da, wo eine 0-58 procentige NaCl-Lösung angewandt wurde, die obere Schicht einen Stich in’s Roth zeigen, die 0°57 procentige NaCl-Lösung zeigt eine röthere obere Schicht, während bei der 0°59 procentigen NaCl-Lösung genannte Schicht farblos ist. Führt man nun eine ähnliche Versuchsreihe mit KNO,-Lösungen aus und sucht die Concentration aus, welche benutzt werden muss, um der oberen Schicht einen Stich in’s Roth zu ertheilen, so stellt sich heraus, dass die Concentration 1°01 Procent beträgt. Schwächere Lösungen veranlassen eine röthere Farbe, bei stärkeren dagegen lassen die Blutkörperchen die Schicht farblos. Stellt man die entsprechende Concentration fest für KBr, so ergiebt sich diese als eine 1-19 procentige; für KJ ist die Concentration 1-66 Procent; für Rohrzucker 5°13 Procent u. s. w. Hamburger, Versl. en Meded. d. Koninkl. Akad. v. Wetenschappen te Amsterdam. December 1883. Dies Archiv. 1886. Physiol. Abthlg. 8. 476. H. J. HAMBURGER U. G. AD.vAn LIER: DURCHLÄSSIGKEIT UV.S.w. 493 Vergleicht man nun diese Zahlen mit einander, so stellt sich die merk- würdige Thatsache heraus, dass dieselben das gleiche wasseranziehende Ver- mögen zeigen. Hugo de Vries, der eine derartige Beziehung früher für Pflanzen- zellen gezeigt hatte, nannte solche Lösungen, welche dasselbe wasseranziehende Vermögen besitzen, „isotonisch“. Es ist nun die Frage, wie man sich diesen Blutkörperchenversuch zu erklären hat. Am einfachsten scheint es anzunehmen, dass die äussere Begrenzung der Blutkörperchen eine semipermeabele Wand darstellt, d. h. die wohl dem Wasser, aber keinen Salzen den Durchgang gestattet. Man stelle sich dann einen Augenblick vor, dass ein Blutkörperchen aus seinem eigenen Serum in eine verdünnte Kochsalzlösung übergebracht ‚wird. Besitzt der Blutkörpercheninhalt ein grösseres wasseranziehendes Vermögen als die umgebende Kochsalzlösung, so wird der Blutkörperchen- inhalt Wasser anziehen und zwar so lange, bis die wasseranziehende Kraft innerhalb des Blutkörperchens so gross geworden ist wie ausserhalb. Je schwächer die umgebende Salzlösung ist, desto mehr wird das Blutkörperchen quellen, und nun kann man sich vorstellen, dass die Salzlösung so schwach ist, dass die äussere Begrenzung des Blutkörperchens den inneren Druck nicht mehr ertragen kann und den rothen Inhalt ganz oder theilweise durchläst. Nimmt man statt einer NaCl-Lösung eine damit isotonische KNO,-Lösung, d.h. eine KNO,-Solution, welche dasselbe wasseranziehende Vermögen besitzt, so liegt es auf der Hand, dass letztere ebenfalls einen Austritt von rothem Blutkörpercheninhalte veranlassen muss, denn die Ur- sache der ganzen Erscheinung beruht nach dieser Vorstellung ausschliess- lich auf dem Unterschied zwischen dem ursprünglichen wasseranziehenden Vermögen des Blutkörpercheninhaltes und dem der umgebenden Lösung. So ist dann erklärlich, dass ein und dasselbe Blutkörperchen durch isoto- nische Lösungen zerstört werden muss. Nun verhalten sich in einem Bluttropfen nicht alle Blutkörperchen gegenüber derselben Salzlösung gleich; ob dies davon herrührt, dass die äussere Begrenzung dem darauf ausgeübten Druck nicht in demselben Maasse Widerstand bieten kann, oder ob es sich hier auch um andere Factoren handelt, können wir hier ausser Betracht lassen. Hier kommt es nur darauf an, zu constatiren, dass die Blutkörperchen in einem Bluttropfen gegenüber verdünnten Salzlösungen sich nicht in gleicher Weise verhalten. In einer 0.58 procent. Lösung z. B. verlieren nur einige ihren Inhalt, andere dagegen nicht. In einer 0.57 procent. Lösung werden noch andere zerstört u. 8. w. Dass die Empfindlichkeit der Blutkörperchen in einer Blutprobe so 494 H. J. HAMBURGER UND G. AD. van Leer: verschiedenartig ist, macht keine Schwierigkeit, denn die Vergleichungen des Einflusses verschiedener Salze beziehen sich doch alle auf ein und dasselbe Blutkörperchen, nämlich auf dasjenige der geringsten Resistenz. Mit diesen Ansichten war die später gefundene Thatsache! ohne Mühe in Einklang zu bringen, dass, wenn Blutkörperchen einige Zeit mit con- centrirten oder mit schwachen Salzlösungen in Berührung gewesen sind und dann diese Lösungen entfernt werden, die Blutprobe doch in derselben Kochsalzlösung gefärbten Inhalt abzugeben anfängt, wie die ursprüngliche nicht behandelte Blutprobe. Denn was ist dabei geschehen? Nach der Vorstellung, dass die Blut- körperchen lediglich permeabel sind für Wasser, sind dieselben bloss ge- schrumpft in den starken Lösungen und in den schwächeren gequollen. Der Gehalt an wasseranziehenden Substanzen ist dabei unverändert geblieben. Ob man nun ein normales oder ein geschrumpftes oder ein gequollenes Blut- köperchen in eine 0-58 procent. NaCl-Lösung bringt (um bei dieser Lösung zu bleiben), in jedem Falle wird das Blutkörperchen schliesslich zu demselben Volumen quellen und die äussere Begrenzung wird den Inhalt durchlassen. Lag es also, auch mit Hinsicht auf dieses Versuchsergebniss, auf der Hand, eine Impermeabilität der Blutkörperchen für Salze anzunehmen, um so befrem- dender musste es erscheinen, als directe chemische Analysen dagegen redeten.? Es ergab sich nämlich, dass, wenn man Blutkörperchen mit Salz- lösungen oder mit Wasser verdünntem Serum in Berührung brachte, unter bestimmten Umständen die Blutkörperchen Chlor aus der Umgebung auf- nahmen und unter anderen Umständen abgaben, dass demnach die Blut- körperchen nicht als undurchgängig für Chlor betrachtet werden durften. Da man indessen auf Grund des soeben genannten Versuches zu schliessen genöthigt war, dass bei Einwirkung von Salzlösungen auf Blutkörperchen der Gehalt an wasseranziehenden Stoffen ungeändert blieb, stand wohl kein anderer Ausweg offen, als anzunehmen, dass, wenn z. B. Chlor die Blut- körperchen verliess, so viel von der umgebenden Salzlösung in die Blut- körperchen hineindrang, dass die wasseranziehende Kraft des Inhaltes den ursprünglichen Betrag behalten musste; mit anderen Worten, es musste ein Austausch in isotonischen Verhältnissen stattgefunden haben. Einige Jahre, nachdem diese Untersuchungen bekannt geworden waren, erschien eine Abhandlung von Grijns!, in welcher die Permeabilität der Blutkörperchen für Chlor in Abrede gestellt wurde, und zwar auf Grund davon, dass Hamburger’s Chlorbestimmungen den Blutkörperchen zuweilen einen Chlorgehalt zuwiesen, welcher über den des Serums hinausging, was ı Hamburger, Zeitschrift für Biologie. 1889. S. 414. ® Grijns, Pflüger’s Archiv. 1896. Bd. LXII. S. 86. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 495 mit den bekannten Erfahrungen bezüglich der Vertheilung dieses Elementes auf Blutkörperchen und Serum streitig sein sollte. Das hätte aber für Grijns lediglich eine Veranlassung sein dürfen, den Chlorbestimmungen zu misstrauen, nicht aber die Permeabilität einfach zu leugnen. Ohne Beweis anzuführen, erklärte er dann eine Substanz für nicht eindringend, wenn dieselbe, in einer mit dem Serum isotonischen Concentration angewandt, keinen Farbstoflaustritt aus den Blutkörperchen herbeiführt. Ist letzteres wohl der Fall, so ist dies nach ihm ein Beweis, dass der Stoff eintritt. So sieht man z. B., dass Chlorammonium, in isotonischer . Concentration gebraucht, Farbstoffaustritt herbeiführt; daraus schliesst Grijns, dass NH,C! in die Blutkörperchen eindringt. Ka- und Na-Salze dagegen, in mit dem Serum isotonischer Con- centration angewandt, veranlassen keinen Farbstoffaustritt; darum sind nach Grijns die Blutkörperchen für diese Salze impermeabel. Wir brauchen kaum hervorzuheben, dass diese Impermeabilität der Blutkörperchen für Ka- und Na-Salze nur eine Hypothese war, welche zwar den oben be- schriebenen Blutkörperchenversuch auf einfache Weise erklärte und des- wegen, wie erwähnt, auch anfänglich von Hamburger angenommen wurde, aber welche der Autor fallen zu lassen sich genöthigt sah, als die Resultate der chemischen Analysen dagegen das Wort redeten. Ausserdem war gegen das Grijns’sche Criterium geltend zu machen, dass ein Stoff, in isotonischer Concentration angewandt, sehr gut zu einem gewissen Grade in die Blut- körperchen einwandern könnte, ohne darum Farbstoflaustritt zu veranlassen. Diese Einwände gegen die Gryns’schen Ausführungen wurden auch er- hoben von Hedin! als dieser in einer ausführlichen Arbeit auch seiner- seits das Permeabilitätsproblem zur Hand nahm. Hedin hat dabei die Permeabilität der Blutkörperchen für eine grosse Reihe von Stoffen untersucht und zwar nach einer ganz neuen Methode. Wenn man nämlich in einer gewissen Quantität Blut eine bestimmte Menge eines Salzes auflöst, für welches die Blutkörperchen nicht permeabel sind, so bleibt der aufgelöste Stoff auf das Plasma (Serum) beschränkt und dieses wird eine entsprechende Gefrierpunktserniedrigungszunahme erfahren. Dringt ein wenig von der Substanz in die Blutkörperchen hinein, so wird die Gefrierpunktserniedrigung des Serums eine geringere sein. Hieraus geht hervor, dass die Grösse der durch Auflösung einer Substanz herbei- geführten Depressionszunahme Auskunft giebt über die Frage, ob und in wie weit derselbe in die Blutkörperchen eingedrungen ist. Natürlich muss hierzu das Blutkörperchenvolumen bekannt sein, denn es versteht sich, dass ! Hedin, Zbenda. 1897. S. 229. 496 H. J. HAMBURGER unD G. AD. van LieEr: eine Quellung der Blutkörperchen und demnach Eindickung des Serums ebenfalls eine Gefrierpunktserniedrigungszunahme zu Stande bringt, und Schrumpfung der Blutkörperchen das Umgekehrte. Und so hat Hedin dann gefunden, dass es Stoffe giebt, für welche die Blutkörperchen in hohem Grade permeabel sind, andere Stoffe, für welche sie es gar nicht sind, und andere Substanzen, für welche letzteres zweifelhaft ist; zu den letzteren gehören die Ka- und Na-Salze. Hedin ist sich aber davon bewusst, dass die Kenntniss der Depressions- zunahme allein nicht ausreicht, um über die Permeabilität ein Urtheil auszusprechen, denn selbst im Falle, dass die Gefrierpunktsbestimmung des Serums im Zusammenhang mit der Volumenbestimmung der Blutkörperchen auf eine ausschliessliche Vertheilung der Substanz in dem Serum hinweisen würde, ist es noch möglich, dass die Substanz doch theilweise in die Blut- körperchen eingewandert ist, wenn nämlich eine damit isotonische Menge anderer Substanzen die Blutkörperchen verlassen hat. Ob ein derartiger Austausch nun wirklich vorlag, hat Hedin dadurch zu entscheiden gesucht, dass er das Serum nach Zugabe von H,SO, ein- aschte und den Sulfatrückstand wog. War dann z. B. NaCl in die Blut- körperchen eingetreten und eine damit isotonische KCl-Menge ausgewandert, so konnte das zwar nicht an der Gefrierpunktserniedrigung, wohl aber am Gewicht des Sulfatrückstandes bemerkbar sein, denn K,SO, wiegt mehr als Na,SO,. Das Resultat dieser Experimente war, dass das Gewicht des Sulfat- rückstandes unverändert blieb. Wir müssen hierzu bemerken, dass diese Sulfatbestimmungen wohl über die Metalle etwas aussagen, nicht aber über die entsprechenden Säureradicale, denn wenn CO, des den Blutkörperchen angehörenden K,CO, auswechselt mit zwei Chloratomen des dem Serum angehörenden NaCl, so erfährt der Sulfatrückstand nicht den geringsten Einfluss davon. Dieser Sulfatrückstand giebt nur Aufschluss über eine etwaige Auswechselung von Metallen. Esseiaber hervorgehoben, dass es kaum möglich scheint, geringfügige Auswechselungen, wie hier in Frage kommen können, auf Grund von Aschebestimmungen festzustellen; dazu bieten diese nicht genug Genauigkeit. Ausserdem vergesse man auch nicht, dass die Metalle, um die es sich hier handelt, nur einen geringen Unterschied im Atom- gewicht besitzen (Ka, Na, Me), und die Atomgewichte selbst auch gering sind. Ungefähr gleichzeitig, aber doch ein wenig früher als Hedin, hat sich auch Overton! mit dem Problem beschäftigt. Dessen Untersuchungen be- ziehen sich aber auf andere Zellenarten, speciell auf Pflanzenzellen. Wie interessant diese Untersuchungen auch von manchen Gesichtspunkten aus ' Overton, Vierteljahrschr. d. Naturforschergesellschaft in Zürich. 1895. 8.159. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 497 sein mögen, müssen wir dieselben doch hier bei Seite lassen, denn die Blutkörperchen werden darin nicht behandelt. An die Untersuchungen Hedin’s (1897 bis 1898) schliessen sich un- mittelbar die von Oker-Blom! (1900) an, dessen Verfahren auf demselben Prineip beruht. Nur sind statt Gefrierpunktserniedrigungsbestimmungen, elektrische Leitfähigkeitsbestimmungen ausgeführt worden. Nachdem nämlich Stewart”, Roth°®, Bugarszky und Tangl* und auch Oker-Blom5 selbst gefunden hatten, dass das elektrische Leitvermögen des Blutes lediglich dem darin enthaltenden Serum bezw. seinen Elektrolyten (Salzen) zukommt, während die Blutkörperchen zu der Stromleitung kaum etwas beitragen, schien es letzteren Forscher wahrscheinlich, dass auch fremde Elektrolyten, welche dem Blute hinzugesetzt und in die Blutkörperchen einzudringen im Stande waren, sich der Betheilieung der Stromleitung entziehen würden, dass sie dagegen am stromleitenden Vermögen theilnehmen würden in so weit sie im Serum verblieben. So stellte sich dann Oker-Blom die Aufgabe, die Leitfähigkeit des Blutes zu ermitteln nach Hinzufügung bekannter Mengen Elektrolyten, und diese Leitfähigkeit zu vergleichen mit der, welche sich berechnen liess unter der Voraussetzung, dass von dem hinzugefügten Elektrolyt nichts in die Blutkörperchen eingedrungen war. Seine Resultate waren verschieden, je nachdem der Stoff, in Serum oder in Wasser gelöst, dem Blute zugefügt wurde. Waren die Salze, in Serum gelöst, zu dem Blute hinzugesetzt, so drangen sie nur in unbedeutendem Maasse ein. Waren sie in Wasser ge- löst, so wanderten sie ein, wenn sie als hyperisotonische Lösung, dem Blute hinzugesetzt wurden; dagegen büssten sie ihr Eindringungsvermögen ein, wenn die hinzugefüste Salzlösung eine hypisotonische war. Das Bestehen dieser und noch andere Bedingungen, welche nach Oker-Blom das Eindringen von Substanzen in Blutkörperchen beeinflussen, macht gegen die Methode misstrauisch. Weiter gilt, abgesehen davon, hier ein analoger Einwand wie bei Hedin’s Versuchen, nämlich der, dass ein nieht unbedeutender Austausch von Bestandtheilen zwischen Blutkörperchen und Umgebung stattfinden kann, ohne dass das Leitvermögen davon in merkbarer Weise den Einfluss erfährt. Denn die Leitfähigkeiten der hier in Frage kommenden Metalle zeigen keinen grossen Unterschied, und dasselbe gilt von den Säureradicalen (Anionen). ! Oker-Blom, Pflüger’s Archiv. 1900. Bd. LXXXI S. 167. ? Stewart, Journal of Boston Soc. for. Med. Sc. 1897. June 3. — Centralbl. für Physiol. 1897. 7. August. Vol. XI. 3 Roth, Virchow’s Archiv. 1899. Bd. CLIV. S. 466. * Bugarszky und Tangl, Centralblatt f. Physiologie. 1897. 24. Juli. Bd. XI. — Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXXIL S. 531. 5 Oker-Blom, Pflüger’s Archiv. 1900. Bd. LXXIX. 8.111. Archiv f. A.u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 32 oO 498 H. J. HAMBURGER und G. AD. van Lier: Es mag befremdend erscheinen, dass die Forscher, welche sich bis jetzt mehr oder weniger eingehend mit dem Permeabilitätsproblem beschäftigt haben, die Untersuchungen des Einen von uns über den Austausch von Bestandtheilen zwischen Blutkörperchen und Umgebung unter dem Einfluss von Kohlensäure und anderen Säuren und Alkalien! (1891 bis 1897) un- berücksichtigt gelassen haben, um so mehr, weil diese Untersuchungen, in so weit dieselben von Anderen (©. Lehmann’, von Limbeck? u.s. w.) nach- gearbeitet wurden, immer ohne Ausnahme Bestätigung gefunden haben. Nur Willerding* hat darauf hingewiesen, dass die betreffenden Unter- suchungen von 1891 die Permeabilität der Blutkörperchen für Chlor über allen Zweifel erhoben haben. Bei diesen Experimenten hatte sich nämlich herausgestellt, dass, wenn Blut mit CO, behandelt wird, Chlor in die Blut- körperchen eindringt, Carbonat und Phosphat dagegen dieselben verlässt. Und dass es sich hier um einen physiologischen Process handelt, eing daraus hervor, dass nach Vertreibung der CO, die ursprüngliche Vertheilung der Blutbestandtheile über Körperchen und Serum sich wieder herstellte, der Process also ein umkehrbarer war. Zweitens zeigte es sich, dass die genannten Bewegungen von Chlor, Carbonat und Phosphat noch nach- zuweisen waren, wenn CO, in Quantitäten, wie dieselben im normalen Leben im Spiele sind, angewandt wurde. Von den entsprechenden Einwirkungen der Spuren anderer Säuren und von Alkali galt dasselbe. Bei Hinzufügung von Spuren H,SO, und HCl findet ebenfalls eine Auswechselung statt, wobei Cl in die Blutzellen eindringt; durch Alkali dagegen wandert Cl aus den Blutkörperchen in das Serum hinüber. Indessen blieb die eigentliche Natur dieser Bewegungen und die Be- dingungen, welche ihren Umfang beherrschen, im Dunkeln, bis Koeppe’ auf den glücklichen Gedanken kam, die Ionentheorie heranzuziehen. Die Untersuchungen Gürber’s® sollten dazu den Weg bahnen. Während nämlich von dem Einen von uns stillschweigend angenommen war, dass das Chlor, Kohlensäure und Phosphorsäure als Salze in die Blut- körperchen ein- und auswanderten, zeigte Gürber, dass an diesen Be- wegungen die Metalle nicht betheiligt sind. ! Hamburger, Zeitschrift f. Biologie. 1891. 8.405. — Dies Archw. 1892. Physiol. Abihlg. Suppl. S. 153; 1893. 8.1583 u. 157, 1894. 8.419. — Zeitschr. f. Biologie. 1897. 8.252; 1898. 8.1. ? Lehmann, Pflüger’s Archiv. 1894. Bd. LVII. S. 432. 3 y. Limbeck, Archiv f. exp. Pathologie und Pharmakologie. 1892. S. 419. * Willerding, Hamburger’s Blutkörperchenmethode in ihren Beziehungen zu den Gesetzen des osmotischen Druckes. Jnaug.-Diss. Giessen 1897. 5 Koeppe, Pflüger’s Archiv. 1897. Bd. LXVII. 8. 189. $ Gürber, Verhandlungen der physik.-mediein. Gesellschaft zu Würzburg. 1895. 8. 28. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 499 Durch sorgfältig ausgeführte quantitative Bestimmungen des Kaliums und Natriums im normalen Blutserum und im Serum des Blutes, welches vorher mit Kohlensäure behandelt war, wies Gürber nach, dass bei der Einwirkung von Kohlensäure auf Blut das Ka und Na der beiden Blut- bestandtheile ihre Stellen nicht wechseln, was nebenbei gesagt in Einklang steht mit der Erfahrung, dass die Blutkörperchen das Ka und das Serum das Na enthalten, was sonst bei einer Permeabilität der Blutkörperchen für diese Alkalimetalle nicht verständlich wäre. Um nun dem von Hamburger gefundenen Eintritt von Chlor in die Blutkörperchen und dem von Zuntz! und Hamburger nachgewiesenen mehr alkalisch werden der Umgebung nach Einwirkung von Kohlensäure näher zu treten, führt Gürber folgenden Versuch aus: Blutkörperchen werden wiederholte Male mit NaCl ausgewaschen, bis das NaCl dieser Suspension neutral reagirt. Dann wird Kohlensäure durch- geleitet, und nun sieht Gürber die Lösung alkalisch werden. Es findet nach ihm folgende Reaction statt: 2NaCl + CO, +H,0 = Na,C0, + 2HCl; denn wenn Kohlensäure auf NaCl-Lösung einwirkt, entsteht durch Massenwirkung Salzsäure und Natriumearbonät. Die Salzsäure dringt in die Blutkörperchen, das alkalisch reagirende Na,CO, bleibt in der NaCl-Lösung zurück. Das Cl dringt also in der Form von Salzsäure in die Blutkörperchen hinein, und Gürber sieht eine Stütze für die Meinung darin, dass die Flüssigkeit roth wird, was nach ihm dadurch entstehen soll, dass einige Blutkörperchen durch das freie HC] zerstört werden. Diese Erklärung ist aber nicht statihaft, weil es nicht verständlich ist, warum nur einige Blutkörperchen und nicht alle durch so viel Salzsäure, als hier entstehen muss, zerstört werden. Mehr auf der Hand liegt die Erklärung, dass Gürber eine 0-6 procent. NaCl-Lösung gebrauchte, welche die normalen Blutkörperchen in vielen Fällen intact lassen kann, die stark kohlensäurehaltenden Blutkörperchen dagegen, wie das Einer von uns gezeigt hat?, nicht. Koeppe hat sich der Annahme einer Impermeabilität der Blut- körperchen für Ka und Na angeschlossen, nicht aber der Vorstellung, dass Chlor in der Form von HCl in die Blutkörperchen eindringt. Um dieses Eindringen zu erklären, betrachtet er das Problem vom Standpunkt der Ionenlehre. Bereits Ostwald® hatte die Meinung ausgesprochen, dass es sich bei der Membrandiffusion nicht ausschliesslich handele um die Aus- wechselung von Salzen, sondern von deren Ionen. Und so denkt sich ! Zuntz, Beiträge zur Physiologie des Blutes. /naug.-Diss. Bonn 1868. ® Hamburger, Zeitschrift für Biologie. 1891. 8. 405. ® Ostwald, Zeitschrift für physik. Chemie. 1890. Bd. VI 8.71. 32* 500 H. J. HAMBURGER UND G. Av. van LieEr: Koeppe die Blutkörperchen undurchgängig für die elektropositiven Ka- und Na-Ionen, durchgängig aber für die elektronegativen Cl- und C0,”-Ionen. Schüttelt man Blutkörperchen, welche wiederholte Male mit Zucker- lösung ausgewaschen sind, um das anhaftende Serum vollständig zu ent- fernen, mit CO, und fügt dann eine neutrale NaCl-Lösung hinzu, so treten Cl-Ionen in die Blutkörperchen ein, CO,”-Ionen wandern aus, während die Metalle ihre Stellung behalten. Dieser Austausch von elektronegativen C/- und CO,”-Ionen wird nach Koeppe durch die folgenden Umstände beherrscht: In der die Blutkörperchen umgebenden NaCl-Lösung sind die Na0l-Molecüle theilweise gespalten in deren Ionen Na’ und Cl; in den Blutkörperchen kommen auch freie C/’-Ionen vor; da ist aber die Con- centration dieser Ionen geringer. Es wird nun eine Tendenz bestehen, wodurch die Concentration dieser Ionen sich innerhalb und ausserhalb der Blutkörperchen ausgleicht. Es können aber keine Cl’-Ionen in die Blut- körperchen hinüber gehen, wenn nicht eine äquivalente Menge eines anderen Ions aus den Blutkörperchen in die NaCl-Lösung herüber tritt. Nun be- steht auch für diesen Uebergang eine Tendenz, denn in den Blutkörperchen kommt schon unter normalen Umständen K,CO, vor, und die Quantität dieser Substanz ist noch dadurch vermehrt, dass bei der Einwirkung von CO, sich eine neue Quantität K,CO, bildete. Dieses K,0O, ist auch jeden- falls gespalten in die Ionen K, und CO,”. Ausserhalb der Blutkörperchen sind keine CO,"-Ionen vorhanden; demnach werden, wenn die Gelegenheit günstig ist, CO,”-Ionen die Blutkörperchen zu verlassen suchen. Dass wirklich für den Uebergang von CO,”-Ionen aus den Blutkörperchen die Anwesenheit eines anderen Ions, welches ihre Stelle vertreten kann, nothwendig ist, hatte Koeppe dadurch gezeigt, dass eine Suspension von Blutkörperchen in Rohrzuckerlösung selbst nach energischer Behandlung mit CO, neutral bleibt. Indessen ist es nach Koeppe nicht genug, dass elektronegative Ionen in der Aussenflüssigkeit vorhanden sind, sondern die Blutkörperchen müssen auch für das Ion permeabel sein. So hat er eine Suspension von kohlen- säurereichen Blutkörperchen mit einer neutralen Na,SO,-Lösung versetzt, und obgleich nun das SO, hätte auswechslen können mit 0O,, blieb doch die Salzlösung neutral. Es war kein Na,00, darin vorhanden. Nach Koeppe rührt diese Erscheinung daher, dass SO, in die Blutkörperchen nicht einzudringen im Stande ist. Dieselbe Ansicht wird von ihm ver- treten für NO,” Die Gründe, welche er für das Nichteindringen von SO,”- und NO,”- Ionen anführt, wurzeln in anderen Versuchen, welche er zwei Jahre früher DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 501 (1895) angestellt hat! und welche wir hier mit einigen Worten besprechen müssen. Koeppe wünschte nämlich damals zu untersuchen, in wie weit das Volumen der Blutkörperchen durch den osmotischen Druck der sie umge- benden Salz- oder Zuckerlösung beherrscht wird. Hierzu sucht er empirisch von ‘diesen Lösungen diejenige Concentration auf, welche den Blutkörperchen einer gewissen (uantität Blut dasselbe Volumen ertheilte, wie eine 21/, proc. Kaliumbichromat- Lösung ; diese Lösung wurde vom Verfasser als indifferent gegenüber dem Volumen der Blutkörperchen betrachtet. Im letzteren Theil seiner Arbeit wurde aber, weil der Verfasser diese Indifferenz bezweifelte, die Methode dahin geändert, dass er nicht mehr das Bichromat verwendete, sondern eine Rohrzuckerlösung. Hängt nun das Volumen der Blutkörperehen ausschliesslich von dem wasseranziehenden Vermögen der sie umgebenden Lösungen ab, so muss nach Koeppe die Salzlösung, welche den Blutkörperchen dasselbe Volumen ertheilt wie einer Zuckerlösung, mit dieser Zuckerlösung isotonisch sein. Und so findet er dann z. B., dass eine NaCl-Lösung, welche 0-15grm-Mol. NaCl = 0-15 x 58-5 stm pro Liter enthält, den Blutkörperchen dasselbe Volumen ertheilt wie eine Rohrzuckerlösung, welche 0.275 grm-Mol. (d. i. 0-275 x 342 sm) pro Liter enthält. Nun weiss man durch die Theorie von van’t Hoff-Arrhenius, dass man von NaCl deswegen weniger Gramm-Mol. im Liter zu lösen hat als von Rohrzucker, um isosmotische Lösungen zu bekommen, weil das NaCl theilweise dissocürt wird in die Ionen Na und Ol und jedes Ion dieselbe wasseranziehende Kraft (usmotischer Druck) ausübt wie ein ungespaltenes Moleeül. Schliesslich muss in der NaÜl-Lösung die Summe von Molecülen und Ionen dieselbe sein, wie in der isosmotischen Zuckerlösung die der Molecüle. Wenn man nun die der Zuckerlösung entsprechende Molecül- zahl dividirt durch die der NaCl-Lösung, so bekommt man ein Maass für die elektrolytische Dissociation letzterer Flüssigkeit, und diesen Factor hat vant’ Hoff mit bezeichnet (Dissociationsfactor). Hier ist somit 0-275 O=15) = 1 -833. Vergleicht man nun diesen z-Werth mit dem, welchen Arrhenius mittels physikalisch-chemischer Methoden (Gefrierpunktserniedrigung und elektrische Leitfähigkeit) gefunden hat, so ergiebt sich eine schöne Ueber- einstimmung. Der letztere Verfasser fand für 2 bei einer NaÜCl-Lösung, welche 0.194 grm-Mol. pro Liter enthielt, ©= 1-87, und für eine Lösung, welche 0-117 grm-Mol. pro Liter enthielt, = 1-93; dies würde also sein Da 1 Koeppe, Dies Archiv. 1895. Physiol. Abthlg. 8. 154. 502 H. J. HAMBURGER UND G. AD. VAN Lier: für eine NaCl-Lösung von 1-5grm-Mol. pro Liter @=1-9, was mit i= 1-833 auf befriedigende Weise übereinstimmt. Aus diesem Versuchergebnisse und manchem anderen gleichlautenden schliesst Koeppe, dass das Volumen der. Blutkörperchen ausschliesslich durch das wasseranziehende Vermögen der umgebenden Salzlösung beherrscht wird; ein Sachverhältniss, welches für ihn dasselbe bedeutet wie: die Blut- körperchen sind ausschliesslich permeabel für Wasser. Befremdend muss es darum erscheinen, dass Koeppe, wenn er zwei Jahre später einen Aufsatz veröffentlicht, in welchem er die Permeabilität der Blutkörperchen für Cl-Ionen nachzuweisen versucht, für © nicht den Werth 1.833 nimmt, sondern 1.6. Um so mehr muss das befremden, da er in einer Discussion mit Hedin! diese Zahl als unrichtig verwirft, wei] dieselbe durch Versuche mit Kalium-Bichromat gewonnen war. Und nun ist es gerade die Zahl 1-6 und nicht 1.833, mit welcher seine Aus- führungen betreffs der Permeabilität von Blutkörperchen für CI’-Ionen ver- einbar sind. Was ist nämlich der Fall? Man denke sich ein Blutkörperchen aus einer Rohrzuckerlösung in eine damit isotonische O-9procent. NaCl- Lösung gebracht. Wenn ein CO,”-Ion das Blutkörperchen verlässt, treten zwei Cl’- Ionen aus der Umgebung in die Stelle, denn ein CO,”-Ion ist zwei- werthig, ein Cl-Ion einwerthig. Da aber jedes Ion dasselbe wasseranziehende Vermögen ausübt, muss die wasseranziehende Kraft des Blutkörperchen- inhaltes steigen. Während das Blutkörperchen ursprünglich im Gleichgewicht war in der O.9procent. NaCl-Lösung, wird es jetzt darin quellen. Um der Quellung vorzubeugen, wird eine NaCl-Lösung von grösserer Concen- tration als 0-9 Procent erforderlich sein. Nun erinnert man sich, wie soeben i bestimmt wurde; die moleculare Concentration von Rohrzucker wurde ge- theilt durch die moleculare Concentration von NaCl. Letztere ist durch den Ionenaustausch grösser geworden, also muss © kleiner sein als 1.833, und Koeppe hat vollkommen Recht, dass er einen verringerten ö-Werth in Uebereinstimmung erachtet mit seiner Theorie über den Ionenaustausch. Leider aber ist der ausdrücklich von ihm als richtig angewiesene Werth von i (1.833) nicht mit der Forderung seiner Theorie in Einklang. Unter diesen Umständen würde es gewiss gewagt sein, mit Koeppe zu schliessen auf eine Impermeabilität der Blutkörperchen für SO,”- und NO,-Ionen auf Grund der Thatsache, dass seine Versuche Ö-Werthe ergeben, welche mit denen von Arrhenius und Raoult (physikalisch- chemische Methoden) übereinstimmen. Es schien darum unerlässlich, neue Experimente anzustellen, am besten ‘ Hedin, Zeitschr. für physik. Chemie. 1895. Bd. XVO. S. 164. — Koeppe, Ebenda. 1895. Bd. XVII. 8. 552. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 503 nach Methoden, abweichend von der, wobei der z-Werth als Criterium an- genommen wurde. Man ist ja bald geneigt, zwei ’-Werthe, welche nach ganz verschiedenen Methoden gewonnen sind, als in befriedigendem Grade übereinstimmend zu betrachten, wenn dieselben 0-1 von einander abweichen. Und doch kann gerade in dieser scheinbar geringen Differenz eine gewisse Permeabilität verborgen liegen. Wenn man die Tabelle von Koeppe durch- sieht, welche er angewandt hat, um z zu bestimmen, so bemerkt man nicht selten zwischen den mittels des Hämatokritverfahrens gewonnenen /-Werthen für zwei gleich concentrirte Lösungen (Parallelversuche) Unterschiede, welche sich um 0-1 bewegen. Und wie gross sind die Differenzen nicht, welche sogar die nach physikalischen Methoden bestimmten z-Werthe unter einander zeigen! In der vorliegenden Arbeit ist es in erster Linie unser Bestreben ge- wesen, die Permeabilität der Blutkörperchen für NO, und SO, mittels directer chemischer Analysen zu untersuchen. Dann fanden wir Gelegen- heit, um die von Einem von uns bereits gefundene und von Lehmann, Gürber und Willerding nach verschiedenen Methoden bestätigte Permea- bilität für Chlor noch einmal nachzuweisen und schliesslich eine allgemeine, und wie wir meinen, zuverlässige Methode anzugeben, wodurch es möglich ist, über die Permeabilität der Blutkörperchen auch für solche Anionen, welche keine genaue chemische Analyse erlauben, ein Urtheil auszusprechen. Allgemeines über die Methoden. Defibrinirtes Pferdeblut wird sich selbst überlassen und damit den Blutkörperchen Gelegenheit gegeben, sich zu Boden zu senken. Dann wird das Serum möglichst vollständig entfernt und der zurückgebliebene Blut- körperchenbrei in die Centrifuge gebracht, um eine noch bessere Trennung von Blutscheiben und Serum zu Stande zu bringen. Die nunmehr vor- handene Serumschicht wird abpipettirt und, nach dem Vorgang Koeppe’s, der Bodensatz zu wiederholten Malen mit einer mit den Blutkörperchen etwa isotonischen Traubenzuckerlösung (4-15 Procent) ausgewaschen. Nach viermaliger Auswaschung war die, die Blutkörperchen umgebende Lösung vollkommen eiweiss- und chlorfrei und reagirte neutral. Dann wurde die Aufschwemmung in zwei Theile getheilt. Ein Theil wurde in eine Flasche übergebracht, welche mit Kohlensäure gefüllt war, und damit tüchtig ge- schüttelt. Der andere Theil der Suspension erfuhr keine Behandlung mit ÖO,. In einigen Fällen wurden nun von diesen beiden Flüssigkeiten gleiche Volumina in calibrirten Capillarröhrchen!, von welchen bald noch näher ! Hamburger, Journ. de physiol. norm. et pathol. Nov. 1900. 504 H. J. HAMBURGER unD G. AD. van Lier: die Rede sein wird, centrifugirt, um den Einfluss von Kohlensäure auf das Volumen festzustellen. Jetzt war die Zeit gekommen, dass der Einfluss von Natriumsulfat und NaNO, und anderer Natriumsalze untersucht werden konnte. Hierzu wurden gleiche Quantitäten der beiden Aufschwemmungen in dickwandige, weite und kurze Röhrchen gebracht, welche mit einem Gummistöpsel verschlossen waren. Nach Centrifugirung wurden gleiche Quantitäten Traubenzucker entfernt und durch die zu untersuchenden Lösungen ersetzt. Denken wir uns einen Augenblick, dass es einen Versuch mit Na,SO, galt, so liess sich Folgendes erwarten: Wenn wirklich das SO,”-Ion das Vermögen besitzt, in die Blutkörperchen einzudringen, so wird das in viel stärkerem Maasse stattfinden bei den mit Kohlensäure behandelten Blut- körperchen, als bei den normalen; denn wo SO,” in die Blutkörperchen eindringt, müssen CO,”- und wahrscheinlich auch andere Ionen, wie Chlor und Phosphorsäure, die Blutkörperchen verlassen. Es liegt auf der Hand, dass je mehr Kohlensäure in den Blutkörperchen vorhanden ist, in desto ausgiebigerem Maasse die Auswechselung zwischen SO,” und CO,” sich ereignen kann. Und so ist dann zu erwarten, dass, nach Hinzufügung von Na,SO, zu den Kohlensäure enthaltenden Blutkörperchen, die Flüssigkeit eine alkalische Reaction (Na,CO,) und Chlorreaction zeigen wird, während diese Erscheinungen kaum zu beobachten sein werden bei den normalen Blutkörperchen. Weiter liess sich erwarten, dass das Volumen der Blut- körperchen sich in keinem der beiden Fälle in bedeutendem Maasse ändern würde, denn wenn SO, in die Blutkörperchen eindrinst und CO, tritt hinaus, so wird dadurch keine Aenderung des osmotischen Druckes des Blutkörpercheninhaltes herbeigeführt. Wohl aber findet das statt durch den Austausch von SO,” mit Cl’-Ionen; denn wenn ein SO,”-Ion in die Blut- körperchen einwandert, müssen zwei Cl’-Ionen austreten. Da nun jedes Ion ein gleiches wasseranziehendes Vermögen ausübt, muss die wasseranziehende Kraft des Blutkörpercheninhaltes abnehmen; folglich müssen die Blutkörper- chen schrumpfen. Indessen lehrt die Erfahrung, dass der Austausch von SO,”- und C/--Ionen in den Hintergrund tritt und kann also die Schrumpfung bloss eine unbedeutende sein. Schliesslich wurde dann auch auf directe Weise untersucht, ob SO,” in die Blutkörperchen eingedrungen war. Hierzu wurde der SO,”-Gehalt der CO,-reichen Blutkörperchen-Na,SO,- Aufschwemmung und der normalen Blutkörperchen -Na,SO,-Aufschwem- mung genau quantitativ ermittelt. Bei der Schlussfolgerung wurde natürlich an die Möglichkeit gedacht, dass die Blutkörperchen durch CO, gequollen oder geschrumpft waren und bereits dadurch der SO,-Gehalt geändert sein könnte. War das der Fall, so wurde diese Aenderung in Rechnung gebracht. Auf gleiche Weise wie für Na,SO, wurde mit NaNO, gehandelt; auch da DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 505 wurde nach Hinzufügung des Salzes der Alkaligehalt, der Chlorgehalt und der NaNÖ,-Gehalt und auch das Blutkörperchenvolumen ermittelt, und zwar in der normalen, sowie in der kohlensäurereichen Blutkörperchen-Auf- schwemmung. Um das Eindringen von anderen Anionen als SO,“ und NO,’ zu studiren, haben wir uns auf Volumen- und Alkalibestimmungen beschränkt. Wir möchten uns im Anschlusse mit den ausführlich quantitativen Bestimmungen, welche für Chlor, SO,” und NO,’ angestellt waren, berechtigt achten, die Permeabilität auch für die anderen Anionen anzunehmen, wenn die Blut- körperchen-Traubenzuckeraufschwemmung nach Hinzufügung des betreffenden Natriumsalzes alkalisch wurde. Im dieser Richtung haben wir dann phos- phorsaures, borsaures, oxalsaures Natron u. s. w. untersucht, und wir wollen schon jetzt erwähnen, dass die Blutkörperchen sich für alle diese Anionen permeabel zeigen. Wir stellen uns nun vor, erst die Permeabilität für SO,”-Ionen zu behandeln, dann für NO,’-Ionen und endlich für die anderen. Bei jedem Ion werden wir einen Versuch ausführlich beschreiben; die anderen Ver- suche sind dann demnach zu beurtheilen. Versuche über die Permeabilität der Blutkörperchen für SO,”-Ionen. Versuchll. In vier dickwandige Röhrchen a, 5, e und d werden 10°°® des nach Abhebung des Serums erhaltenen Blutkörperchenbreies gebracht. Drei Mal wird ausgewaschen mit 25 *“" Traubenzuckerlösung von 4-15 Procent. Nach der dritten Waschung wird die Traubenzuckerlösung abgehoben und durch 20 °°® einer frischen Traubenzuckerlösung ersetzt. Dann wird der Inhalt der vier Röhrchen zusammengefügt und gut vermischt. Von dieser Auf- schvemmung werden 60“ jn ein mit CO, gefülltes, 150°" fassendes Fläschchen gebracht, während der übrige Theil der Aufschwemmune auf- bewahrt wird. Von beiden Aufschwemmungen werden 0.06 °" in trichter- förmige Capillarröhrchen gebracht und bis zum constanten Volumen centrifugirt. Es stellt sich heraus: dass das Bodensatzvolumen der ÜO,-haltigen Blutkörperchen-Aufschwem- mung 36 Volumentheile beträgt, und das Bodensatzvolumen der normalen Blutkörperchen-Aufschwemmung 30 Volumentheile beträgt. 506 H. J. HAMBURGER UND G. AD. van Lier: Was die Röhrchen selbst betrifft, so findet man diese beschrieben in „Journal de physiologie normale et pathologique“.T | Erwähnen wir hier, dass sie aus einem + 2!/,°®= fassenden trichter- törmigen Theil bestehen, welcher in einem 17 °® Jangen Capillarrohr endet, dessen calibrirter Theil 0.04 fasst und in 100 Volumentheile genau graduirt ist. Unten ist das Capillarrohr zugeschmolzen, was für die Reinigung keine Schwierigkeit giebt und auch nicht für das Trocknen, denn wenn man ‘das Röhrchen umgekehrt in die Centrifuge setzt, ist alle Flüssigkeit innerhalb einiger Minuten hinausgeschleudert. Jetzt werden von der Kohlensäure - Blutkörperchen- Aufschwemmung zwei Mal 25 w in zwei diekwandige Röhrchen gebracht, und dasselbe geschieht mit der Traubenzucker-Aufschwemmung der normalen Blutkörperchen. Es wird centrifugirt und möglichst viel von der obenstehenden Traubenzucker- lösung entfernt und in alle Röhrchen 10“ Na,SO,-Lösung von 1-68 Procent (isotonisch mit dem normalen Serum des Blutes) gebracht. Nachdem die Blutkörperchen sorgfältig mit den Salzlösungen gemischt sind, werden die Gemische eine halbe Stunde sich selbst überlassen. Wiederum werden 0.06 m für die Volumenbestimmung entfernt. Nachher werden die Haupt- massen centrifugirt, die obigen Flüssigkeiten entfernt und zur Bestimmung des SO,, Alkali und Chlor fertig gehalten. Die Volumenbestimmungen in den Capillaren geben die folgenden Resultate: Die CO,-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung zeigt ein Volumen von 44. Die normale Blutkörperchen-Na,SO,- Aufschwemmung zeigt ein Volumen von 53. ? ! Hamburger, Journ. de physiol. norm. et pathol. Novembre 1900. ® Bei oberflächlicher Betrachtung geht aus diesen Volumenbestimmungen hervor, dass unter dem Einfluss von CO, die Blutkörperchen stark geschrumpft sind. Das ist aber nur scheinbar. Denn irrthümlich wurde von den Traubenzucker-Blutkörperchen- Aufsehwemmungen nicht dasselbe Volumen an Traubenzuckerlösung entfernt, so dass später in gleicher Volumina-Suspension sich nicht eine gleiche Blutkörperchenzahl be- finden könnte. Für die Beurtheilung, ob SO, eingedrungen ist, bringt das keine Schwierigkeit, wenn man nur die gefundenen Volumina in Rechnung bringt. Was die Volumenveränderungen unter dem Einfluss von CO, betrifft, so zeigen dieselben sich, wenn genannter Fehler vermieden wird, wie in Hamburger’s Werke: Osmotischer Druck und Ionenlehre in den medicinischen Wissenschaften. S. 236 ff, zu ersehen ist, vollkommen in Uebereinstimmung mit der oben entwickelten Theorie. Wird nämlich durch eine Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung CO, geleitet, so schrumpfen die Blutkörperchen ein wenig; bei der Auswechselung zwischen SO," und CO,” findet keine Volumenänderung statt; wohl aber bei der Auswechselung von SO, der Sulfatlösung mit Cl der Blutkörperehen; denn wo 2C1’ die Blutkörperchen verlassen und 180”, an die Stelle tritt, muss die wasseranziehende Kraft des Blutkörpercheninhaltes abnehmen. -_ DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 507 Indessen wird mit der Alkalibestimmung ein Anfang gemacht, weil dieselbe, wie wir sofort sehen werden, auch für die Sulfatbestimmung nothwendig ist. Alkalibestimmung. Hierzu werden 5 °“® der zu untersuchenden Flüssigkeit abgemessen und so lange !/,,normal HNO, hinzugefügt, bis ein Streifen blaues Lakmoid- papier einen Stich in’s Rothe bekommt. Bekanntlich kann man durch Lakmoid nicht nur freies Alkali, sondern auch das Alkali von kohlensauren Alkalien bestimmen. Im vorliegenden Versuche erforderten 5“ der Flüssigkeit, welche der Kohlensäure - Blutkörperchen - Sulfat - Aufschwemmung zugehörte, 0.8 m \/, normal HNO,, während die entsprechende Lösung der normalen Blut- körperchen 0-35 = 1/, normal HNO, erforderten. Man könnte nun geneigt sein, hieraus zu schliessen, dass unter dem Einflusse von Kohlensäure mehr Alkali freigekommen ist, als bei den normalen Blutkörperchen. Man muss sich aber die Frage vorlegen, in wie weit die Volumenänderung der Blut- körperchen verantwortlich gemacht werden muss. Hierzu haben wir die Volumenverhältnisse nachzusehen. Die Blutkörperchen der Kohlensäure- Sulfat-Behandlung besassen ein Volumen von 44, während die entsprechenden normalen, welche mit Na,SO, behandelt waren, ein Volumen von 55 be- sassen. Wie oben gesagt, entsprechen 100 Scalenvertheilungen des Capillar- rohrs 0.04%; deshalb kommen mit 44 Scalentheilen überein 0, x 0.04 —= 0.0176 °® und mit 55, nn x 0.04 = 0.022", Nun waren im Ganzen 0.06 °°® Aufschwemmung gebraucht, also enthält die Kohlensäure-Auf- schwemmung an Flüssigkeit 0:06 — 0.0176 = 0.0424“ und die Flüssig- keit der normalen Blutkörperchen -Sulfat- Aufschwemmung 0°06 — 0-02 = 0.0383°®, Die den Kohlensäure-Blutkörperchen entsprechende Flüssig- keit enthält ihr Alkali also in mehr verdünntem Zustande, als die den normalen Blutkörperchen entsprechende. A fortiori ist somit im Vergleiche mit der normalen Flüssigkeit der Alkaligehalt grösser. Um denselben ver- 0-0424 ee Das Resultat ist also, dass der Alkaligehalt in der Flüssigkeit der Kohlensäure - Blut- 0-0424 & 3 058 0.89 beträgt, während in der Flüssigkeit der normalen Blutkörperchen - Na,SO, - Aufschwemmung der Alkaligehalt 0.35 beträgt. Weiter scheint aus diesem Versuche hervor- zugehen, dass die normalen Blutkörperchen auch unter dem Einflusse von Na,SO, CO,”-Ionen abgeben, denn auch hier wird die Flüssigkeit alkalisch. gleichen zu können, muss man 0-8 multiplieiren mit körperchen-Na,SO,-Aufschwemmung 0-8 x 508 H. J. HAMBURGER und G. AD. van Lier: Wir sind aber darauf bedacht gewesen, dass dieses Resultat vielleicht herbei- geführt sein könnte dadurch, dass, um die schwache Rothfärbung beim Lakmoidpapier hervorzurufen, auch bei einer vollkommen neutralen Flüssig- keit immer eine gewisse Quantität /,,normal HNO, hinzugefügt werden muss, und diese Quantität wird natürlich von der Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres abhängen. Um diese in casu wichtige Angelegenheit in Rechnung bringen zu können, haben wir untersucht, wieviel von der !/,, normal HNO,-Lösung nöthig ist, um in 5“ der neutralen Na,SO,-Lösung eine saure Reaction hervor- zurufen, welche im Stande ist, das gebrauchte Lakmoidpapier eben zu röthen. Diese Quantität betrug 0-15 m, Strieto sensu muss auch das Resultat der Alkalibestimmung in der Flüssigkeit von der CO,-Suspension eine Correction erfahren, so dass eigent- lich 5° dieser Lösung nicht 0-8, sondern 0-5 — 0-15 = 0.65" Alkali enthalten, gegenüber der Flüssigkeit der normalen Blutkörperchen-Na,S0,- Aufschwvemmung, welche statt 0-35, wie gesagt, 0-35 — 0-15 = 0:20 Alkali enthält. Diese 0-65 ist es, welche man mit dem Factor -— multiplieiren muss, und also 0-65 x on —= 0.725 wird. Das Resultat ist somit: dass das den Blutkörperchen hinzu- gefügte neutrale Na,SO, alkalisch wird und zwar schwach bei normalen Blutkörperchen, stark, wenn es sich um kohlensäure- Teiche Blutkörperchen handelt. SO,-Bestimmungen. Zu diesem Zwecke befolgten wir die Methode von Wildenstein. 5m der zu untersuchenden Flüssigkeit werden in einer Kochflasche versetzt mit 50 «= Wasser, dann wird gekocht und 7 “" einer 2.38 procent. Ba@l,-Lösung aus einer Bürette hinzugesetzt. Es entsteht ein weisser Nieder- schlag von BaSO,. Wiederum wird aufgekocht und aus einer anderen Bürette 8 “= K,CrO, von 2-23 Procent ! hinzugetröpfelt (Uebermaass). Hier- durch ist die trübe Flüssigkeit gelb geworden und es kommt jetzt darauf an, das vorhandene Uebermaass zu ermitteln. Wildenstein verfährt in der Weise, dass er vorsichtig BaCl,-Lösung hinzufügt, den Niederschlag sich zu Boden senken lässt und untersucht, wenn die obere Flüssigkeit farblos ! Die Concentrationen der Lösungen von BaCl,, K,CrO, und Na,S0, sind so gewählt, dass gleiche Volumina mit einander äquivalent sind und mit einer 1-63 proc. Na,SO,-Lösung (im Mittel mit den Blutkörperchen des Pferdes isotonisch) überein- stimmen. Also 10 <= der BaCl,-Lösung gleich 10 °® der K,CrO,-Lösung gleich 10 °® der 1-63 proc. Na,SO,-Lösung. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 509 wird. Uns konnte diese Methode nicht gefallen. Gewöhnlich wollte das Präcipitat sich nicht vollkommen zu Boden senken; darum haben wir filtrirt und dabei, um den Flüssigkeitsverlust auf ein Minimum zu beschränken, für den ganzen Versuch ein und dasselbe Filter benutzt. Es wurde so lange BaÜCl, hinzugefügt, bis das Filtrat völlig farblos erschien. Da es sich im vorliegenden Falle nicht um SO,-Bestimmungen in einer reinen Sulfatlösung handelte, sondern in einer Flüssigkeit, welche mit- unter auch Na,CO, enthielt, war es nothwendig, die Kohlensäure erst zu vertreiben, weil sonst auch eine gewisse Quantität des BaCl, gebraucht sein würde, um das Carbonat zu binden. Nun hatten wir gerade im vorigen Versuch den Alkaligehalt bestimmt und wir verfügten also über eine geeignete Flüssigkeit, denn das Na,CO, war darin neutralisirt. Im vorliegenden Versuch brauchten 5°" Flüssig- keit der Kohlensäure-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (welche Flüssig- keit mit 0-8" HNO, !/ „normal neutralisirt worden ist) 2.95 «m BaQl,; der Parallelversuch ergab 2-9 m BaCl,; also im Mittel 2.925 cm, 5 «= der normalen Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung, welche mit 0.35 “m HNO, behandelt worden sind, erforderten in einem Versuch 3.55 «m BaCl, und in einem anderen auch 3-55 °”® BaCl,; im Mittel also 5) Hieraus geht hervor, dass die Flüssigkeit der mit Kohlensäure behan- delten Blutkörperchen weniger SO, enthält, als die den normalen Blut- körperchen entsprechende Flüssigkeit. Ob nun wirklich Sulfat in die Blutkörperchen eingedrungen ist, kann wieder erst ausgemacht werden, nachdem die Volumenverhältnisse in Anmerkung gebracht worden sind. 0-0424 0-038 kommt dann 3-26, also eine Zahl, welche noch immer kleiner ist als 3-55. Unter dem Einflusse von CO, ist also SO, in die Blutkörperchen eingedrungen. Demnach muss man 2-925 mit dem Factor multipliciren. Man be- Chlorbestimmung. Diese geschah nach der Methode von Volhardt. 5m der zu untersuchenden Flüssigkeit werden in ein Reagirröhrchen gebracht und hierbei 5°” einer gesättisten Ammoniumsulfatlösung hinzu- gefügt, um eventuelle geringe Hämoglobinmengen niederzuschlagen. Das Reagirröhrchen wird mittels eines Korkes geschlossen und in einem Wasser- bade erhitzt. Nach Abkühlung werden eventuelle Spuren Eiweiss filtrirt und 5“ des Filtrates mit 5°" !/ „normal AgNO, und 1m concentrirte HNO, versetzt. Wiederum wird filtrirt und 5 “” des nunmehrigen Filtrats mit 5 °® concentrirter HNO, und drei Tropfen Ferrinitrat vermischt. Zu 510 H. J. HAMBURGER unD G. AD. van Liek: dieser Mischung lässt man Rhodankalium '/ „normal hinzufliessen, bis die Flüssigkeit bleibend rothbraun gefärbt wird. Die Filtration des zweiten Filtrates lehrt, dass 5 “® desselben bei den kohlensäurereichen Blutkörperchen 2-15 °® 1/ normal KCNS erfordern; im Parallelversuch ebenfalls 2-15, während für die der normalen Blut- körperchen-Aufschwemmung entsprechende Flüssigkeit diese Zahlen bezw. 2-21 und 2-2 sind; das ist im Mittel 2-2 m KCNS, Berechnet man derartige Mittelwerthe für die ursprünglichen Flüssig- keiten, so stellt sich heraus, dass 5°” der Flüssigkeit von der Kohlen- säure-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung mit 0.54 m 1/, AgNO, über- einstimmt, während diese Zahl für die nicht mit CO, behandelten Blut- körperchen 0.32 «m !/ , normal AgNO, beträgt. Wiederum muss auch hier die Correction für die mehrgenannten Volumenverhältnisse angebracht werden und ist wieder die erstgenannte 0-0424 0-038 such ausweist, dass 5 °® der den Kohlensäure-Blutkörperehen entsprechenden en x 0-54 = 0.6 m !/ „normal AgNO, übereinstimmen und die normalen mit 0-52 m 1/ ‚normal AgNO,. Schliesslich findet man, also, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure Chlor in die Na,SO,-Lösung übergegangen ist. Noch sei erwähnt, dass das Na,SO, und die nach der vierten Auswaschung erhaltene Traubenzucker- lösung so geringe Spuren Chlor enthielten, dass sie nicht zu bestimmen waren. Zahl zu multipliciren mit dem Factor so dass schliesslich der Ver- Flüssigkeit mit Aus allen diesen Versuchen ist man berechtigt zu schliessen, dass, wenn man Blutkörperchen, welche vorher mit Kohlensäure behandelt worden sind, mit Na,SO,-Lösung in Berührung bringt, die letztere alkalisch und chlorhaltig wird, während dagegen SO, in die Blutkörperchen eindringt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch die normalen Blut- körperchen dieselben Verhältnisse zeigen. Für das Alkali haben wir das in directer Weise gezeigt. Was das Cl betrifft, ebenso; und was nun endlich die SO,-Bestimmung betrifft, so scheint uns diese zu um- ständlich, um mit genügender Genauigkeit solche kleine SO, -Differenzen quantitativ nachzuweisen, wie hier zur Auswechselung kommen. Im Allge- meinen darf man es gerade dem geringen CO,-Gehalt der normalen Biut- körperchen zuschreiben, dass bis jetzt die Permeabilitätsversuche zweifelhafte Resultate geliefert haben, und wir erachten es gerade als einen Vorzug unserer Methode, dass wir durch vorherige Steigerung des CO,-Gehaltes in den Blutkörperchen eine bedeutende Auswechselung ermöglicht haben. Jetzt können wir die anderen Versuche kurzweg behandeln. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 511 Versuch I. 10 °°® der Blutkörperchen-Traubenzucker-Aufschwemmung geschüttelt mit 15 m CO,; 10° ® nicht. Das Volumen ist nieht bestimmt worden. Zwei Mal 5 °® von der CO,-Blutkörperchen-Aufschwemmung werden in zwei dick- wandige Röhrchen gebracht und dasselbe geschieht mit der Aufschwemmung der normalen Blutkörperchen. Noch werden in alle Röhrchen 10 “" Na,SO,- Lösung gebracht und dann wird nach !/, stündiger Einwirkung centrifugirt. Auch hier ist das Volumen nicht bestimmt worden. Versuchsresultate. 1. Die Flüssigkeit der CO,-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (4A) ist stark alkalisch. Die Flüssigkeit der normalen Blutkörperchen -Na,SO, -Aufschwemmung (B) ist weniger alkalisch. 2. 5° der Flüssigkeit von Aufschwemmung A enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 3.25" und 3.2° m der BaCl, -Lösung, also im Mittel 3-225 °® von der BaCl,-Lösung entsprechen. 5 em der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten eine SO, „Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 3° 35 = End 33,2 der BaCl,- Lösung, also im Mittel 3-325 m von der BaCl,-Lösung entsprechen. Versuch II. Blutkörperchenbrei (Pferd); 5°® in 4 Röhrchen a, d, e u.d; drei Mal ausgewaschen mit 10°” Traubenzuckerlösung 4-15 Procent. Die dritte Traubenzuckerlösung wird abgehoben und nicht durch eine andere ersetzt. 10° der Blutkörperchen-Traubenzucker-Aufschwemmung geschüttelt mit 15 «= C0,. Hiervon geben 0.04” nach Centrifugiren 60 Volumentheile Bodensatz, während 0.04 “® der nicht mit CO, behandelten Aufschwemmung 65 Theile enthält. Zwei Mal 4°" von der CO,-Blutkörperchen-Aufschwemmung werden in zwei diekwandige Röhrchen gebracht, und dasselbe geschieht mit der Auf- schwemmung der normalen Blutkörperchen. Nacher werden in alle Röhrchen 5 m Na,SO,-Lösung gebracht und dann wird nach !/, stündiger Einwirkung en ringart; Auch wird nach ‘/, stündiger Einwirkung 0-04” von beiden Aufschwemmungen in Capillarröhrcehen eentrifugirt. Versuchsresultate. 1. 0.04 m CO,-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (A) enthalten 25 Volumentheile Blutkörperchen und 75 Volumentheile = 0-03 “" Flüssigkeit. 1a. 0-04” normal Blutkörperchen-Na,SO,-Aufsehwemmung (B) ent- halten 28 Volumentheile Blutkörperchen und 72 Volumentheile = 0.0288 Flüssigkeit. 2. Die Flüssigkeit von Aufschwemmung A ist stark alkalisch. 2a. Die Flüssigkeit von Aufschwemmung B ist weniger alkalisch. 3. 5%” der Flüssigkeit von Aufschwemmung A enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2.75" und 2-74 m der BaCl,-Lösung entsprechen, also im Mittel 2-77 °®, Nach Correction mit 512 H. J. HAMBURGER unD G. AD. Van LiER: Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse beträgt 0-08 ; | 0-0288 x 2.77 —= 23.883 SEM, 3a. 5°” der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2.8 und 2-75 ° m der BaCl,-Lösung entsprechen, also im Mittel 2.77. m, Der Chlorgehalt ist nicht bestimmt worden. Versuch IV. Blutkörperehenbrei (Pferd); 5°” in 4 Röhrchen a, b, e u. d; drei Mal ausgewaschen mit 10°” Traubenzuckerlösung 4-15 Procent. Die dritte Traubenzuckerlösung wird abgehoben und nicht mehr durch eine andere er- setzt; dritte Waschung ist neutral. 10 “” der Blutkörperchen-Traubenzucker- Aufschwemmung mit 15°” CO, geschüttelt. Hiervon geben 0-04 mM nach Centrifugiren 65 Volumentheile Bodensatz, während 0-04 “® der nieht mit CO, behandelten Aufschwemmungen 67 Theile enthält. Zwei Mal 4% von der CO,-Blutkörperchen- Aufschwemmung werden in zwei diekwandige Röhrchen gebracht und dasselbe geschieht mit der Aufschwemmung der normalen Blutkörperchen. Weiter werden in allen köhrehen 5°" Na,SO,-Lösung gebracht und dann wird nach T/, stündigem Einwirken centrifugirt. Auch wird nach !/,stündiger Einwirkung 0-04 von beiden Aufschwemmungen in Capillarröhrehen centrifugirt. die der SO,-Menge entsprechende BaCl,-Lösung Versuchs-Resultate. 1. 0-04 m CO,-Blutkörperchen Na,SO,Aufschwemmung (A) enthalten 21 Volumentheile Blutkörperchen und 79 Volumentheille = 0-0 316 Flüssigkeit. 1a. 0.04 °® normale Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (BD) ent- halten 25 Volumentheile Blutkörperchen und 75 Volumentheile = 0-03 Flüssigkeit, 2. Die Flüssigkeit von Aufschwemmung A ist stark alkalisch. 2a. Die Flüssigkeit von Aufschwemmung B ist weniger alkalisch. 3. 4° der Flüssigkeit von Aufschwemmung A enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2-14 “® und 2-14 °“% der Ba0l,-Lösung entsprechen, also im Mittel 2-14 m, Nach Correetion mit Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse wird die BaCl,-Menge = __ 2 ld — 12. once 3a. 4°" der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2-14 MW und 2-14” der Ba0l,-Lösung entsprechen, also im Mittel 214°. Der Chlorgehalt ist nieht bestimmt worden. Versuch VW. Blutkörperchenbrei (Pferd); 10°" in 4 Röhrchen a, 5, e u. d; drei Mal ausgewaschen mit 25 °® Traubenzuckerlösung (4-15 Procent). Die dritte Lösung wird abgehoben und nicht durch eine andere ersetzt. Die Trauben- zuckerlösung ist nach der dritten Waschung neutral. 20°" der Blut- körperchen -Traubenzucker-Aufschwemmung in einer 60°“ haltenden, mit DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 513: CO, gefüllten Flasche geschüttelt. Hiervon geben 0-04 “® nach Üentri- fugiren 60 Volumentheile a während 004°” der nicht mit CO, behandelten Aufschw emmung 7 Theile enthält. Zwei Mal St yon der 00, -Blutkörperchen-Tr rl En mung werden in zwei diekwandige Röhrehen gebracht uud dasselbe geschieht mit der Aufschwemmung der normalen Blutkörperchen. Weiter werden in alle Röhrchen 10 “® Na,SO,-Lösung gebracht und dann wird nach !/, stün- digem Einwirken centrifugirt. Auch wird nach 1/, stündiger Einwirkung 0.08” von beiden Aufschwemmungen in Capillarröhrchen centrifugirt. Versuchsresultate. 1. 0.08 m 60,-Blutkörperchen-Na,SO -Aufschwemmung (4) enthalten 60 Volumentheile Blutkörperchen und 140 Volumentheile = 0.056 Flüssigkeit. la. 0-08 °® normale Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (B) ent- halten 60 Volumentheile Blutkörperchen und 140 Volumentheile = 0056 °"* Flüssigkeit. 2. 5° m. der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthalten 0.42 m \/,, normal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlich- keit des Lakmoidpapieres 0.42 — 0-15 = 027 °M und. die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse 0-27 X a — 0.27 m 1/, normal Alkali. 2a. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten 0.22 m !/,, normal Alkali, d. i. nach Correetion für die Empfindlichkeit des Lak- moidpapieres 0°22 — 0-15 = 0-07 “m !/,, normal Alkali. 3. 5°% der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthalten eine SO,-: Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2-.7°"® und 26°" der BaCl-Lösung entsprechen, also im Mittel 2°65°®,. Nach Correction mit Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse 2-65 °°m.: 4. 5‘ der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten eine SO,- Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 2-76" und 2-.8°% der BaCl,-Lösung entsprechen, also im Mittel 2-78 m, Versuch VI. Blutkörperchenbrei (Pferd); 10°" in 4 Röhrchen a, b, ce u. d; drei Mal ausgewaschen mit 25 *® Traubenzuckerlösung. Die dritte Lösung wird ab- gehoben und durch eine andere ersetzt (20 °"). Die Traubenzuckerlösung ist nach der vierten Waschung neutral und chlorfrei. 60°" der Blutkörperchen- Traubenzucker - Aufschwemmung in einer 150 °” haltenden, mit CO, ge- füllten Flasche geschüttelt. Hiervon geben 0:05” nach Centrifugiren 40 Volumentheile Bodensatz, während 0.06” der nicht mit CO, behandelten Aufschwemmung 33 Theile enthält. Von den beiden Blutkörperchen - Traubenzucker - Aufschwemmungen werden gleiche Volumina (25°°=) centrifugirt. Die Flüssigkeit wird mög- lichst vollständig abgehoben und durch 10°” Na,SO, 1°63 Procent ersetzt. Nach 1/, stündiger Einwirkung werden 0.06 = an beiden in un, röhrchen centrifugirt. Die Hauptmassen ebenso. ch, Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 33 514 H. J. HAMBURGER UND G. AD. van Lier: Versuchsresultate. 1. 0.06 “® CO,-Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (4A) enthalten 46 Volumentheile Blutkörperchen und 104 Volumentheile = 0.0416 «m Flüssigkeit. 1a. 0.06°® normale Blutkörperchen-Na,SO,-Aufschwemmung (2) ent- halten 53 Volumentheile Blutkörperchen und 97 Volumentheile = 0.0388 «m Flüssigkeit. 2. 5° der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthalten 0.9 m 1/,, nor- mal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-9 — 0-15 = 0-75 *” und die unter 1. und 1a. gefun- 0-0416 | IRRE: Re Dose sem -/, normal Alkali. 2a. 5°” der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthalten 0.275 °m !/;, normal Alkali, d. i. nach Correcetion für die Empfindlichkeit des Lak- moides 0°275 — 0-15 = 0.125 "m 1/,, normal Alkali. 3. 5° der Flüssigkeit von A enthalten eine SO,-Menge, welche in den beiden Parallelversuchen von 2°8® und 2.9“ der Ba0l,-Lösung ent- sprechen, also im Mittel 2:85 °® BaCl,. Nach Correetion mit Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse wird die Ba0l,-Menge 0.0416 _ «RR Fr Er Fe cem 7.2:89,% oepssar 908 BaC],. 3. 5° der Flüssigkeit von B enthalten eine SO,-Menge, welche in den beiden Parallelversuchen 3-45 “" und 3-4 der BaCl,-Lösung ent- sprechen, also im Mittel 3-425 “m BaQl,. denen Volumenverhältnisse 0-75 X 4. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthalten eine Chlor- menge, welche 0.54 “m 1/ „normal AgNO, entspricht, d. i. nach Correetion mit Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse 0.0416 em n 0-54 > 0-0388 = 057° In normal AgNdO.. 4a. 5‘ der Flüssigkeit von Aufschwemmung 5 enthalten eine Chlor- menge, welche 0.54 m 1/, normal AgNO, entspricht. Wir fassen die erwähnten Versuche in einer Tabelle zusammen, welche ohne weitere Erklärung verständlich sein wird. Diese Tabelle (S. 515) berechtigt zu den folgenden Schlussfolgerungen: 1. Wird eine neutral reagirende Blutkörperchen-Aufschwemmung in Traubenzuckerlösung mit einer neutralen Na,SO,-Lösung versetzt, so wird letztere schwach alkalisch, wo normale Blutkörperchen gebraucht wurden; stärker dagegen, wo die Blutkörperchen erst mit CO, behandelt wurden. 2. Mit dem Austritt von alkalischen Affinitäten (CO,) aus den Blut- körperchen geht in allen Versuchen, ausser in Versuch III und IV, ein Eintritt von SO, parallel. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 515 Dass in diesen beiden Versuchen gerade das Entgegengesetzte gefunden wird von dem, was die anderen Versuche zeigen, liegt daran, dass wir ge- rade da vergessen haben, vor der quantitativen Bestimmung des SO, mittels BaCl, das CO, unschädlich zu machen. Demzufolge ist nieht nur BaC], für die Sättigung von SO, verbraucht, sondern auch für die des CO,, das in der Kohlensäure-Flüssigkeit eben in der grössten Quantität vorhanden war. 3. Gegenüber dem Eintritt von SO, steht ein Austritt nicht nur von CO,, sondern auch von Cl. Versuche über die Permeabilität für SO,, CO, und (l. Er GG Sc der Flüssigkeit 5m der Flüssigkeit | 5°" der Flüssigkeit Er = = der Suspension besitzt der Suspension besitzt der Suspension besitzt 258 =. nach Correetion einen | nach Correetion einen |nach Correction einen ng Br Alkaligchalk von: | SO,-Gehalt von: Chlorgehalt | von: —— _— T 7 nn — — nn II normal | a ach alkalisch | 83-325 m BaCl, 91 stark > | 3W225,, = II | normal | schwach alkalisch | 2-77 m BaCl, CO, | stark 25 | 2-88 ” ” IV normal | schwach alkalisch 2.67 cm BaCl, BOaR stark F Pd V | normal |0-.07 cm ı/,,n. Alkali 2.78 «m BaCl, _ Co, "Allee, Uno „” „ | 2:65 , 15 | | 0 I ! normal |0-20 «= Y,,n. Alkali 3+55. ©2’BaCl], 0:3 CO, 0.725 „ ie ” ER) 3.26 „ EZ) 0-6 VI | normal |0-125 «m 1), n. Alkali | 3.425 = BaCl, 05 Co, 0»8 Er) 7 /20 Er) Er) | 3-05 *H) IL} 0+5 .g2 cm 1, n. AgNO, 1 | | = ” 20» ” 4 cm 1/,n.:AgNO, 7 ” 2» ” Versuche über die Permeabilität der Blutkörperchen für NO, -Ionen. Diese Versuche wurden auf genau dieselbe Weise ausgeführt, wie die über die Permeabilität für SO,. Ueber die quantitative Bestimmung des NO, wird an der geeigneten Stelle die Rede sein. Wir fangen wieder an mit der ausführlichen Beschreibung eines der Versuche, über die anderen können wir dann kurz sein. Sie sind nach dem ausführlich mitgetheilten zu beurtheilen. Versuch I. In vier diekwandige Röhrchen a, 5, c und d werden 15°" des nach Abhebung des Serums erhaltenen Blutkörperchenbreies gebracht. Einmal wird ausgewaschen mit 30 «m Traubenzuckerlösung von 4-15 Procent. Nach 35 * 516 H.-J. HAMBURGER unD G. AD. van LiIEr: dieser Waschung wird die Traubenzuckerlösung abgehoben und durch 25 «m einer frischen Traubenzuckerlösung ersetzt. Dann wird der Inhalt der vier Röhrchen zusammengefügt und gut mit einander vermischt. Von dieser Aufschwemmung werden 80°” geschüttelt mit 20 «m C0,; 35 «m von diesen 80 m werden dann wieder mit O geschüttelt und in Röhrchen a, 35 m von der nicht mit O geschüttelten CO,-Aufschwemmung in Röhrchen 5 gebracht. 80°" der Aufschwemmung sind nicht mit CO, geschüttelt worden. 35 «m von diesen werden in Röhrchen c gebracht. Von den übriggebliebenen 45 «m werden 40°" mit 5°” CO, geschüttelt und dann werden von diesen 40 m noch 35° m in Röhrchen d gebracht. Also: In Röhrchen a: 35°” Aufschwemmung mit CO, und nachher mit O ge- schüttelt. R " b: 35m Aufschwemmung mit CO, geschüttelt. 5, } c: 35 m normale Aufschwemmung. 5 „ d: 35° m Aufschwemmung mit sehr wenig CO, geschüttelt. Von diesen vier Aufschwemmungen werden 0-06 ° in trichterförmige Capillarröhrchen gebracht und centrifugirt bis zum constanten Volumen. Es stellt sich heraus: dass das Bodensatzvolumen von Aufschwemmung a beträgt 40 Vol.- Theile b ” 46 2) e „412 5 2) ” „ „ „ d „ 42.5 „ Jetzt werden die vier Röhrchen a, d, ce und d centrifugirt und wird möglichst viel von der oben stehenden Traubenzuckerlösung entfernt und in alle Röhrchen 15°" NaNO,-Lösung von 1.307 Procent (isotonisch mit dem normalen Serum) gebracht. Nachdem die Blutkörperchen sorgfältig mit den Salzlösungen gemischt sind, werden die Gemische eine halbe Stunde sich selbst überlassen. Wiederum werden 0.06 °°" für die Volumenbestim- mung entfernt. Nachher werden die Hauptmassen centrifugirt, die obigen Flüssigkeiten entfernt und zur Bestimmung des NO,, Alkali und Chlor fertig gehalten. . . Die me in den Capillarröhrchen g aan die Sigenden Resultate. Blutkörperchen-NaNO,-Aufschwemmun 8: a zeigt ein Volumen von 5l ; Flüssigkeit also 0-0396 em By „” Bw) 19 37.5; ” „ 0.037. Be; ‚Ce Nancy „ ” al 3 ns Era rfauta \sgohps 0:0396 re dm ae ld ” 51 RINEBEN hit 0.0327. ans Di DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 517 Alkalibestimmung. Hierzu werden 5“® der zu untersuchenden Flüssigkeit abgemessen und so lange !/, „normal Oyalsäure hinzugefügt, bis ein Streifen blaues Lakmoidpapier einen Stich in’s Röthliche bekommt. Die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres ist auch hier untersucht worden (vgl. den entsprechenden Versuch bei der Permeabilität für SO,-Ionen), 5°” der neutralen NaNO,- Lösung erforderten 0.05 m 1/ „normal Oxalsäure, um das gebrauchte Lakmoidpapier eben zu röthen. 5m der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung. von a zu- gehörte (CO, und Luft), erforderten 0-6 !/ „normal Oxalsäure, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0.6 — 0-05 = 0.55 m 1) „normal Oxalsäure. 5m der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von 5 zuge- hörte (20 CO,), erforderten 1-5 — 0-05 = 1.45 = !/ „normal Oxalsäure, und nach Correetion mit Rücksicht der gefundenen Volumenverhältnisse 037 DIR ce | .. 1:45 x sn : = 1.35 em 1) ‚normal Oxalsäure. 5m der Flüssigkeit, welche der NaN,O-Aufschwemmung von c zuge- hörte (normal), erforderten 0.3 — 0-05 = 0-25 !/ „normal Oxalsäure. 5 cm der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von d zuge- hörte (5 CO,), erforderten 0-85 — 0-05 = 0-8 m !/ ‚normal Oxalsäure, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die gefundenen Volumenverhältnisse .0372 0-8%x 00372 0:0396 — ara ‚normal Alkali. NO,-Bestimmungen. Für die quantitative Bestimmung des NO, haben wir die Methode von Uelsch dienstbar gemacht. == Hierzu benutzt man einen Glaskolben von 600 =“ Inhalt, derselbe ist mittels eines Kautschukstopfens, durch welchen ein kolbenförmiger Tropfen- fänger gestochen ist, verschliessbar, so wie auch bei der Kjeldahl’schen Methode für die Stickstoffbestimmung beim Abdestilliren des. Ammoniaks gebräuchlich ist. E Der unter dem Kautschukstopfen gelegene Theil des Tropfenfängers ist über eine Länge von 1°” so weit ausgezogen, bis der innere Diameter 1 == geworden ist. Man bringt 5 ““ der Nitratlösung in das Glasgefäss, fügt 20 = Wasser hinzu, dann 5=" Ferrum Hydrogenio reductum und 10°” verdünnte Schwefelsäure (bereitet aus 1 Vol. concentrirter Säure + 2 Vol. Wasser). 518 H. J. HAMBURGER unD G. AD. Van Lier: Dann wird der Gummistopfen mit Tropfenfänger auf dem Gefäss ange- bracht und das Gemisch auf einer kleinen Flamme erhitzt. Dabei ent- wickelt sich Wasserstoff und dieser Wasserstoff führt das vorhandene NO, in HN, über, welche unmittelbar von dem H,SO, gebunden wird. Das Uebermaass des sich entwickelnden Wasserstoffs findet einen Ausweg durch den Tropfenfänger und giebt, bevor derselbe aus dem Apparat entweichen kann, dem darin vorhandenen Wasser die mitgetheilten Flüssigkeitstheilchen ab. Später, wenn «die Reduction beendigt ist, spült man dann auch die im Tropfenfänger vorhandene Flüssigkeit sorgfältig aus und setzt dieselbe der Flüssigkeit im grossen Glasgefässe zu. Nachdem das Gemisch von Nitrateisen und Schwefelsäure ungefähr fünf Minuten der Flammenhitze ausgesetzt gewesen ist, findet eine heftige Gasentwickelung statt; dann wird die Flamme entfernt, und nachdem die Gasentwickelung ruhig geworden ist, wird noch ungefähr 5 Minuten vor- sichtig gekocht und kann die Reaction als beendigt betrachtet werden. Wie gesagt, wird nun der Inhalt des Tropfenfängers sorgfältig ausgespült. Jetzt sind wir an die zweite Phase der Methode gelangt, nämlich an die Ueberführung des gebildeten Ammoniumsulfats in Ammoniak, Auf- fangen des Ammoniaks und Filtration dieser Base. Der saure Inhalt des Gefässes wird versetzt mit 100 °® Wasser und 30 «= Kalilauge von 1-25 sp. G. und dann wird unmittelbar auf die gebräuchliche Weise (d. h. mittels eines mit dem Tropfenfänger verbundenen Kühlers) abdestillirt. Gegen das Stossen empfiehlt Uelsch Stückchen Zink oder Bimsstein; bei uns war das überflüssig. Das Kölbchen, in welchem das Ammoniak aufgefangen wurde, ent- hielt 15° m !/ ‚normal Schwefelsäure Das Destilliren wurde fortgesetzt, bis ein Drittel des Flüssigkeitsvolumens aus dem grossen Glaskolben ver- schwunden war. Die Methode ist sehr scharf, wie wir uns mittels Controlversuchen haben überzeugen können. Als Beispiel erwähnen wir Folgendes: Es wurde eine NaNO,-Lösung von 1-307 Procent angefertigt. 5 cm dieser Lösung entsprachen nach Ueberführung des NO, in NH, 7.64 m 1/ „normal H,SO,; was genau übereinstimmt mit der H,SO,- Menge, welche nach der Berechnung erforderlich sein würde. Bei der Be- rechnung findet man 7-7, NO,-Bestimmungen der abgenommenen Flüssigkeiten. 5eem der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von a zu- gehörte (CO, und Luft), entsprachen nach Ueberführung des NO, in NH, 3 ccm 1/ ‚normal H,SO, oder NH,. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 519 5m der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von 5 zu- gehörte (20 CO,), entsprachen 2.4 em !/, normal H,SO, oder NH,, d. i. nach e ü DR 3 > Eat: 0-037 Correction mit Hinsicht auf die gefundenen Volumenverhältnisse 2:4 x 030306 = 22cm 1/ ‚normal H,SO, oder NH,. 5m der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von c zu- gehörte (normal), entsprachen 9.2 °m 1/ „normal H,SO, oder NH,. 5m der Flüssigkeit, welche der NaNO,-Aufschwemmung von d zu- gehörte (5 CO,), entsprachen 2.7 m !/ normal H,SO,, d. i. nach Correetion { Se NR R Eee 00372 r mit Hinsicht auf die gefundenen Volumenverhältnisse 2.7 x ——__ = 2.5 m 0-.0396 / normal H,SO, oder NA,. Chlorbestimmung. Diese geschah nach der Methode von Vollhardt (vgl. Versuch I über die Permeabilität für SO,”-Ionen). 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmungen a und c enthalten eine Chlormenge, welche 0:54" !/ „normal AgNO, entspricht. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung d enthalten eine Chlormenge, welche nach Correction mit Rücksicht auf die gefundenen Volumenverhält- 0-0372 0-0396 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 5 enthalten eine Chlormenge, welche nach Correction mit Rücksicht auf die gefundenen Volumenverhält- nisse 0-76 x u = 0.71 em !/ „normal AgNO, entspricht. Aus dieser Versuchsreihe geht hervor: 1. dass, wenn man eine neutrale Traubenzucker-Blutkörperchen-Suspen- sion mit NaNO, versetzt, Alkali und Chlor aus den Blutkörperchen tritt; 2. wird die Traubenzucker - Blutkörperchen - Aufschwemmung aber erst mit ein wenig CO, geschüttelt, so wird nach Hinzufügung von NaNO,- Lösung die Flüssigkeit mehr alkalisch, während der NO,-Gehalt abnimmt; 3. schüttelt man die Traubenzucker - Blutkörperchen - Aufschwemmung mit mehr CO,, so verlieren die Blutkörperchen nach Hinzufügung von NaNO, mehr Alkaligehalt, als unter 2; dementspreehend nehmen sie aber mehr NO, auf; 4. wird die sub 3. erhaltene CO, - Blutkörperchen - NaNO, -Aufschwem- mung mit Luft geschüttelt, so nimmt der Alkaligehalt der Flüssigkeit wieder ab, während NO, in die Flüssigkeit zurückkehrt. Der Process ist also ein umkehrbarer. nisse 0-76 x = 0.7] em !/ „normal AgNO, entspricht. 520 H. J. HAMBURGER UnD G. AD. van LiER: Versuch I. Blutkörperchenbrei (Pferd); 10°” in 4 Röhrchen a, b, ce u. d; drei Mal ausgewaschen mit 25 °® Traubenzuckerlösung. Während der dritten Waschung sprang Röhrchen d; der Inhalt ist verloren.) Die dritte Lösung wird ab- gehoben und ersetzt durch eine andere (20 “® in a, b und c; "Inhalt der 3 Röhrchen wird zusammengefügt, d. i. also 90 «m Blutkörperchen- Trauben- zucker-Aufschwemmung. 45 ° = geschüttelt in einer 60 “” haltenden, mit CO, gefüllten Flasche. Hiervon geben 0.04 “" nach Centrifugiren 36 Volumentheile Bodensatz, während 0-04” der nicht mit CO, behandelten Aufschwemmung 32 Theile enthält. Von diesen beiden Blutkörperchen - Traubenzucker - Aufschwemmungen werden gleiche Volumina (20 “®) centrifugirt. Die Flüssigkeit wird mög- lichst vollständig abgehoben und ersetzt durch 10 “® NaNO, (1-307 Procent). Nach !/, stündiger Einwirkung wird 0-06” von beiden in Capillarröhrchen centrifugirt. Die Hauptmassen ebenso. Versuchsresultate. 1. 0.06" CO,-Blutkörperchen -NaNO,-Aufschwemmung (4) enthalten 70 Volumentheile Blutkörperchen und 80 Volumentheile = 0.032 Flüssigkeit. 1a. 0.06" Normal-Blutkörperchen- NaNO, - Aufschwemmung (B) ent- halten 72 Volumentheile Blutkörperchen und 78 Volumentheile = 0.0312 m Flüssigkeit. 2. 5° m der Flüssigkeit A enthält 0.7 = !/ normal Alkali, d. j. nach oreeion mit Hinsicht auf dieEmpfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-7 — 0-05 = 0.65 “®“, und die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse . 0.032 = pe ccm 1 » . 0:65 x 0a = 0.66 /}0 normal Alkali: 2a. 5°°M der Flüssigkeit von B enthält 0-175°® !/, normal Alkali; mit Correetion 0-175 — 0-05 = 0.125" !/ „normal Alkali. 3. 5° der Flüssigkeit von A entsprachen 4:5 !/ „normal H,SO,, d. i. nach Correetion mit Rücksicht auf die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse 4-5 x a nn = 4.6” !/,, normal H,SO, oder NH,. 3a.. 5°® der Flüssigkeit von B entsprachen 6.6 °® !/ „normal H,SO, oder NH, 4. 5. der Flüssigkeit von A enthalten eine Chlormenge, welche 0-76 !/ „normal AgNO, entspricht, d.i. mit Correction 0-76 x nn =.0.479 cm !/,. normal AgNO.,. 4a. 5° der Flüssigkeit von B enthalten eine Chlormenge, welche 0- 76 nn 1/. normal AgNO, entspricht. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 521 Versuch II. Blutkörperchenbrei (Pferd); 10“ ”® in 4 Röhrchen a, db, e u.d. Nicht ausgewaschen mit Traubenzuckerlösung. Gleich fügt man bei allen vier Röhrchen 10° NaNO,. Der Inhalt der 4 Röhrchen wird zusammengefügt. 35 °® der Blutkörperchen. Serum-NaNO,-Aufschwemmung geschüttelt mit 5 ecm [676) 1. Hiervon geben 0°06 “" nach Centrifugiren 68-5 Volumentheile Bodensatz und 81-5 Volumentheile = 0:0326 “® Flüssigkeit. la. 0-06 °® von 35 °® der nieht mit CO, behandelten Aufschwemmung 60 Theile Bodensatz und 90 Volumentheile = 0.036 “® Flüssigkeit. Von den beiden Aufschwemmungen werden gleiche Volumina (15 °®) eentrifugirt; die obige Flüssigkeit wird abgehoben und untersucht. Versuchsresultate. 2. 5° Flüssigkeit von CO,-Blutkörperchen-Serum-NaNO,-Aufschwem- mung (4) enthält 1°” 1/, normal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 1 — 0-05 = 0.95 “" 1/,, nor- mal Alkali und die unter 1. und 1a. gefundenen Volumenverhältnisse 0-95x —— — 0.86 m 1/ normal Alkali. "UDO 2a. 5°® Flüssigkeit von normaler Blutkörperchen-Serum-NaNO,-Auf- schwemmung (B) enthält 0.6” !/ „normal Alkali, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-6 — 0-05 = 0-05. an. 2eder An von A entsprechen 5.2°m 1 normal H,SO,, : 0.0326 d. i. nach Correetion 5°2 x ea in !/.ö normal H,SO, oder NH,. 3a. 5° der Flüssigkeit von B entsprechen 5.7 m 1/ normal H,SO, oder NH.. : 3 Versuch IV. Blutkörperchenbrei (Pferd); 15 “" in 4 Röhrchen 4,5, eu. d; au. 5 nicht mit Traubenzuckerlösung behandelt; unmittelbar ‚ist jedem Röhrchen 15°@ NaNO, (1-307 Procent) hinzugefügt worden; Inhalt von a und 5 zu- sammengefügt; 25° der Blutkörperchen-Serum-NaNO,- -Aufschwemmung ge- schüttelt mit 5°" CO,. In a 20°” der CO,-Aufschwemmung; in 5 20° der nicht mit CO, behandelten Aufschwemmung. ce und d ein Mal ausgewaschen mit 25°" Traubenzuckerlösung. Die Lösung wird abgehoben und durch 15" NaNO, (1-307 Procent) ersetzt. Inhalt von e und d zusammengefügt. 25°“ der Blutkörperchen - Traubenzucker -NaNO, - Aufschwemmung ge- schüttelt mit 5 “= CO,. In e 20°@ yon dieser CO,-Aufschwemmung, in d 20°” der nicht mit CO, behandelten Aufschwemmung. 522 H. J. HAMBURGER unD G. AD. van LiEr: Also: in a 20 “m CO,-Blutkörperchen-Serum-NaNO,-Aufschwemmung (4), in d 20 “® normal Blutkörperchen-Serum-NaNO,-Aufschwemmung (5), in ce 20 “m CO,-Blutkörp. - Traubenzucker -NaNO,-Aufschwemmung (0), in d 20°” normal Blutkörp.-Traubenzucker-NaNO,-Aufschwemmnng (D). Von diesen vier Aufschwemmungen werden 0.04 “% in Capillarröhrchen centrifugirt; danach werden die Hauptmassen centrifugirt. Es stellt sich heraus: 1. Dass das Bodensatzvolumen von Aufschwemmung A 67 Volumentheile, beträgt; also 0.0132 °® Flüssigkeit. 2. Dass das Bodensatzvolumen ven B 68 Volumentheile beträgt; 0.0128" Flüssigkeit. 3. Dass das Bodensatzvolumen von © 63°5 Volumentheile beträgt; 0.0146 °® Flüssigkeit. 4. Dass das Bodensatzvolumen von D 60-5 Volumentheile beträgt; 0.0158 °® Flüssigkeit. 5. 5m Flüssigkeit von A enthält 1-3 1/, normal Alkali, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres1-3— 005 = 1.25" und die unter 1.u.2 gefundenen Volumenverhältnisse 1-25 x Fa = 1.28 em 1/ , normal Alkali. 6. 5°°m Flüssigkeit von BD enthält nach Correetion 1— 0.05 = 0-95 !/ 0 normal Alkali. 7. 5m Flüssigkeit von C enthält 0:25 °Ww 1/ normal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-25 — 0-05 = 0°2°W und die unter 3. und 4. gefundenen Volumenver- a a 5 0.0146 20% cemlr n . hältnisse 0-2 x 0:08 0:18 In normal Alkalı. 8. 5m Flüssigkeit von D enthält nach Correetion 0-15 — 0-05 = 0.1" !/\0 normal Alkali. 9. 5°em Flüssigkeit von A entsprachen 51°" !/, normal H,SO,, d. i. : 0.0132 nach Correction 51x — — =5.2°=m 1/ ‚normal H,SO,. 001283 10. 5m Flüssigkeit von BD entsprachen 5.4“ 1/ normal H,SO, oder NH,. 11. 5 em Flüssigkeit von CO entsprachen 4.4 “m 1/ normal H,SO,, d. i. 0-0146 nach Correetion 4-4 X yigg — 406° Jo normal H,SO,. 12. 5m Flüssigkeit von D entsprachen 4.6 “m !/,, normal H,SO, oder NH,. Wir fassen die mitgetheilten Versuchsergebnisse in eine Tabelle zu- sammen, welche ohne weitere Erklärung verständlich sein wird. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 523 Versuche über die Permeabilität für NO,, CO, und Cl. 25 = 5m Flüssigkeit der | 5° m Flüssigkeit der | 5m Flüssigkeit der == = Suspension besitzt nach Suspension besitzt nach | Suspension besitzt nach £ = = Correction einen Alkali- Correetion einen NO,- | Correction einen Chlor- >. = gehalt von: Gehalt von: gehalt von: I | normal |0-25 em 1, n. Alkali] 8-2cm Y,, n. H,SO, | 0-54 m 4), n. AgNO, Be n= / r | wenig CO, 0: id » fo» s 25 Hin ” ” ı 0-71 ” Un ” ER) er de os) A 10» 2-2 y„ 10» ”„ | 0- (1 ” 20 ” ” vie 2 | u. nachher R | Luft 0:99 5; ho ” „ 3 ” Un ” „ 10.54 „ is ” „ | U | normal |0-125m%/,, n. Alkali| 6-6 m %,, n. H,SO, |0-.76 m !j,,n. AgNO, cv, 0-66 „ "ho » » 26, io» „ Ola, ln >> „7 IH | normal. | 0-55 m %, nn. Alkali | 5.7 em!) n. H,SO T 0 10 2 4 10107 OSSSE ort: er EN N ER een s Va normal. 0.295 aan. Alkali, 79-4 Sal) en, H3S0% Co, 1-28 ” It » LE) m) | IVb normal |0-1 «m Y,, n. Alkali | 4-6 m ı/, n. H,SO, Co, 10-1855 is » » 4:06 „ "no > 5 Uebersieht man diese Tabelle, so stellt sich heraus, dass: 1. Wenn man zu einem mit Traubenzuckerlösung ausgewaschenen Blutkörperbrei eine neutrale Lösung von NaNO, hinzufügt, dieselbe alkalisch wird, und dass dieser Alkaligehalt grösser wird, wenn der Blutkörperchen- brei vorher mit CO, geschüttelt war. 2. Mit der Zunahme des Alkaligehaltes geht eine Abnahme des NO,- Gehaltes der Flüssigkeit Hand in Hand, während das Chlor derselben Be- wegung folgt, wie das Alkali. Es findet also ein Austausch statt; Alkalı und Chlor verlassen die Butkörperchen, während NO, an die Stelle tritt. 3. Letzterer Process ist umkehrbar, denn durch Schütteln mit Luft geht NO, wieder in die Flüssigkeit zurück, während Alkali und Chlor daraus verschwanden. Versuche über die Permeabilität der Blutkörperchen für andere Anionen als SO,”, N0,, Cr. Bei diesen Versuchen haben wir uns allein auf Volumen- und Alkali- bestimmungen beschränkt. Wir durften uns berechtigt achten, die Permea- bilität der zu untersuchenden Anionen anzunehmen, wenn nach Hinzu- fügung des betreffenden Alkalisalzes die Blutkörperchen - Traubenzucker- Aufschremmung alkalisch wurde. 524 H. J. HAMBURGER und G. AD. van Lier: Versuch I. Permeabilität für J und Br. In vier diekwandige Röhrchen a, 5, ce und d werden 10 “w des nach Abhebung des Serums erhaltenen Blutkörperchenbreies gebracht. Ein Mal wird ausgewaschen mit 35°” Traubenzuckerlösung. Diese Lösung wird nach Centrifugiren entfernt und durch 20” einer frischen Traubenzucker- lösung ersetzt: Dann wird der Inhalt der 4 Röhrchen zusammengefügt und gut mit einander vermischt. Von dieser Aufschwemmung werden 60 °“® mit 10m CO, geschüttelt, die anderen nicht. Von beiden Aufschwemmungen werden 0.06 “” in Capillarröhrchen centrifugirt bis zum constanten Volumen. Es stellt sich heraus, dass das Bodensatzvolumen der beiden Aufschwem- mungen 33-5 Volumentheile beträgt. Jetzt werden von der Kohlensäure-Blutkörperchen-Aufschwemmung zwei Mal 25°” in a und 5 gebracht und in e und d zwei Mal 25°® von der nicht mit Kohlensäure behandelten Aufschwemmung. Es wird centrifugirt und möglichst viel, aber gleiche Volumina von der obenstehenden Traubenzuckerlösung entfernt. Diese zweite Waschung ist neutral. Nun werden in die Röhrchen a und e 10“ NaJ (2-48 Procent) und in 5 und d 10°" NaBr (1-58 Procent) gebracht. Nachdem die Salzlösungen und Blutkörperchen gut unter einander gemischt sind, werden die Gemische !/, Stunde sich selbst überlassen. Danach werden von al’en vier Aufschwem- mungen 0.06 °“" für die Volumenbestimmung entfernt. Nachher werden die Hauptmassen centrifugirt, die obigen Flüssigkeiten entfernt und zur Be- stimmung des Alkaligehaltes fertig gehalten. Versuchsresultaäte. 1. 0.06 «m 6O,-Blutkörperchen-NaJ-Aufschwemmung 4 enthalten 64 Volumentheile Blutkörperchen und 86 Volumentheile = 0.0344 “m Flüssigkeit. la. 0-06 «m Normal-Blutkörperchen-NaJ-Aufschwemmung (2) enthalten 50 Volumentheile Blutkörperchen und 0.0398 °® Flüssigkeit. 2. 5ecm der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthält 0.5 m 1) - normal Alkali, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-5— 0:1 = 0-4 und die unter 1. und la. ge- 0-0344 kt ar rosa 0.34 / normal Alkali. 2a. 5 m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 2 enthält nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit. des Lakmoidpapieres 0-2—-0.1= 0.1" / „normal Alkali. : 3. 0.06 °m CO, - Blutkörperchen- NaBr-Aufschwemmung (C) enthalten 48.5 Volumentheile "Blutkörperchen und 101.5 Volumentheile = 0. 0406 cem Flüssigkeit. fundenen Volumenverhältnisse 0-4 x DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 525 3a. 0.06 em Normal- Blutkörperchen - NaBr- Aufschwemmung (D) ent- halten 46 Volumentheile Blutkörperchen und 104 Volumentheile = 0-0416 em Flüssigkeit. 4. 5° m der Flüssigkeit von Aufschwemmung C enthält 0.5 em 1 .- normal Alkali, d.i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-5— 0-1 = 0-.4°® und die unter 3. und 3a. ge- 00406 Ar : fundenen Volumenverhältnisse 0-4 x Te = 0.98 cm 1/ „normal Alkali. 4a. 5° der Flüssigkeit von Aufschwemmung D enthält nach Correetion mit Hinsicht auf. die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-2 —0-.1= 0-1 em !/ ‚normal Alkali. Versuch II. Permeabilität für das Anion von Na-Lactat und Citrat. Es wird auf gleiche Weise gearbeitet, wie beim Versuch I, aber statt NaJ und NaBr sind Lösungen von Natriumlactat (1.723 Procent) und Natrium- eitrat (3.4 Procent) gebraucht worden. Versuchsresultate. 1. 0.06 «m CO,-Blutkörperchen -Na-Lactat- Aufschwemmung (A A) ent- halten 60 Volumentheile DL und 30 Volumentheile = 0.036 Flüssigkeit. la. 0.06 °® Normal - Blutkörperchen - Na-Lactat- Aufschwemmung (B) enthalten 56 Volumentheile Blutkörperchen und 94 Volumentheile = 0.0376 = Flüssigkeit. 2. 5°m der Flüssigkeit von Aufschwvemmung A enthält 0.75 m „normal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlich- keit des Lakmoidpapieres 0-75 — 0-1 = 0.65 “® und die unter 1. und 1a. 2 = 0.62 %m 1), norm. Alkali. 2a. 5°en der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthält nach Oorrection mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-5—0-1=0.4 m l/ normal Alkalı. 3. 0.06 = CO,-Blutkörperchen-Na-Citrat-Aufschwemmung (C) enthalten 46 Volumentheile Blutkörperchen und 104 Volumentheile = 0.0416 «m Flüssigkeit. gefundenen Volumenverhältnisse 0-65 x 3a. 0-06 = Normal - Blutkörperchen - Na-Citrat- Aufschwemmung (D) enthalten 43 Volumentheile Blutkörperchen und 107 Volumentheile = 0.0423 «= Flüssigkeit. 526 H. J. HAMBURGER und G. AD. van Likr: 4. 5° der Flüssigkeit von Aufschwemmung C enthält 5 = !/ „normal Alkali, d. i. nach Correetion mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lac- moidpapiersd — 0-1 = 4.9 °® und die unter 3.und 3a. gefundenen Volumen- u a, 9041 verhältnisse 4-9 x ne = 4.7 m 1) ‚normal Alkali. 4a. 5 “wm der Flüssigkeit von Aufschwemmung D enthält 4.4 «m !/normal Alkali, d. i. nach Correction 4.4 — 0-1 = 4.9 m 1/ ‚normal Alkali. Versuch Ill. Permeabilität für die Anionen von Na-Salicylat und Oxalat. Gearbeitet ist mit Lösungen von Salicylas natrieus (2-6 Procent) und Oxalas natriecus (1-6 Procent). Versuchsresultaäte. 1. 0-06 = CO,-Blutkörperchen-Na-Salicylat-Aufschwemmung (A) ent- halten 56 Volumentheile Blutkörperchen und 0.0376 «m Flüssigkeit. 2. 0.06 «® Normal - Blutkörperchen - Na- Salicylat-Aufschvemmung (2) enthalten 56 Volumentheile Blutkörperchen und 94 Volumentheile = 0.0376 m Flüssigkeit. 3. 5 °m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4 enthält 0.9 m !/, normal Alkali, d. i. nach Üorrection mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lak- moidpapieres 0-9 — 0-15 = 0.75 m !/, „normal Alkali. 4. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 2 enthält nach Correction. mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-5— 0-15. = 0.35 m 1/, normal Alkali. 5. 0.06 °= 0O,-Blutkörperchen-Na-Oxalat-Aufschwemmung(C)enthalten. 47.5 Volumentheile Blutkörperchen und 0.0471 = Flüssigkeit. 6. 0-06 «m Normal-Blutkörperchen-Na-Oxalat-Aufschwemmung (D) ent- halten 46 Volumentheile Blutkörperchen und 104 Volumentheile = 0.0416 Flüssigkeit. 7. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung C enthält 1-15 « /,o-- normal Alkali, d.i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 1-15 — 0-15 = 1" !/, normal Alkalı und die unter 0-041 0.0016 = 098 romormal 5. und 6. gefundenen Volumenverhältnisse 1 x Alkali. 8. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung D enthält 0.9” 1/,,- normal Alkali, d.i. nach Correction 0.9 — 0.15 = 0.75” !/, „normal Alkali. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 527 Versuch IV. Permeabilität für die Anionen von Na-Phosphat und Borax. Gearbeitet ist mit Lösungen von Phosphas natrieus (2-7 Procent) und Borax (3-561 Procent). Versuchsresultate. 1. 0-06" CO,-Blutkörperchen-Natriumphosphat-Aufschwemmung (4A) enthalten 53.5 Volumentheile Blutkörperchen und 96-5 Volumentheile = 0.0386 “m Flüssigkeit. 2. 0-06 «= Normal-Blutkörperchen-Natriumphosphat-Aufschwemmung (B) enthalten 55 Volumentheile Blutkörperchen und 97 Volumentheile = 0.0388" Flüssigkeit. 3. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung 4A enthält 4.6 m 1/,.- normal Alkali, d.i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 4-6 — 0-15 = 4-45” und die unter 1. und 2. ge- fundenen Volumenverhältnisse 4-45 x se — 4.42 m ı, normal Alkali. 4. 5° der Flüssigkeit von Aufschwemmung 3 enthält 4.4 m 1/,- normal Alkali, d.i. nach Correction 4-4 — 0-15 = 4.25 m !/, normal Alkali. 5. 0-06 “m CO,-Blutkörperchen-Borax-Aufschwemmung (C) enthalten 53 Volumentheile Blutkörperchen und 97 Volumentheile = 0.0388 cm Flüssigkeit. 6. 0.06 m Normal-Blutkörperchen - Borax - Aufschwemmung (D) ent- halten 50 Volumentheile Blutkörperchen und 100 Volumentheile = 0.04 «m Flüssigkeit. 7. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung C enthält 12 «m !/, normal Alkali, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lak- moidpapieres 12 — 0-15 = 11-85 “= und die unter 5. und 6. gefundenen Volumenverhältnisse 11-85 x = 11.49 cm 1), normal Alkali. 8. 5m der Flüssigkeit von Aufschwvemmung D enthält 11-35 m \/,,normal Alkali, d. i. nach Correction 11-35 — 0-15 = 11.2 «" !/, normal Alkalı. Versuch \V, Permeabilität für die Anionen von Natriumarseniat und Magnesiumsulfat. Gearbeitet ist mit Lösungen von Arsenias natricus (4 Procent) und Sulfas magnesicus (5-3 Procent). 523 H. J. HAMBURGER und G. AD. VAN LiIER: Versuchsresultate. 1. 0.06 «m CO,-Blutkörperchen-Arsenias-Na-Aufschwemmung (A) ent- halten 46 Volumentheile Blutkörperchen und 104 Volumentheile = 0.0416 cm Flüssigkeit. 2. 0.06 “m Normal-Blutkörperchen-Arsenias-Na-Aufschwemmung (2) enthalten 40.5 Volumentheile Blutkörperchen und 109.5 Volumentheile = 0.0458 «m Flüssigkeit. 3. 5 m der Flüssigkeit von Aufschwemmung A enthält 10 «= !/, normal Alkali, d. i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lak- moidpapieres 10 — 0-15 = 9:85 und die unter 1. und 2. gefundenen Volu- menverhältnisse 9-85 x ae = 9.35 m !/, normal Alkali. 4. 5° m der Flüssigkeit von Aufschwemmung B enthält 9.3 m 1/,,- normal Alkali, d. i. nach Correction 9-3 — 0-15 = 9-15 m, 5. 0.06 «m CO,-Blutkörperchen-MgSO,-Aufschwemmung (C) enthalten 46-5 nen ha Reh und 103-5 Volumentheile = 0.0414 en Flüssigkeit. 6. 0.06 “m Normal - Blutkörperchen - MgSO,-Aufschwemmung (D) ent- halten 44 Volumentheile Blutkörperchen und 106 Volumentheile = 0.0424 cm Flüssigkeit. 7. 5m. der Flüssigkeit von Aufschwemmung C enthält 0:85 m 1), - normal Alkali, d.i. nach Correction mit Hinsicht auf die Empfindlichkeit des Lakmoidpapieres 0-85 — 0:15 = 0.7“ und die unter 5. und 6. ge- fundenen Volumenverhältnisse 0-7 x O1 = 0.68 Y/,,normal Alkali. 8. 5m der Flüssigkeit von Aufschwemmung D enthält 0.5 = 1/, normal Alkali, d. i. nach Correction 0-5— 0:15 = 0.35 «= !/,,normal Alkali. Auch diese Versuche wollen wir ın einer Tabelle zusammenfassen. Aus dieser Tabelle (S. 529) geht hervor, dass: 1. Wenn man eine Aufschwemmung von normalen Blutkörperchen in Traubenzuckerlösung mit einer neutralen Salzlösung versetzt, diese Lösung alkalisch wird. 2. Ist der ea khenbie vorher mit CO, behandelt gewesen, so. wird die hinzugefügte neutrale Salzlösung mehr alkalisch, als wenn normale Blutkörperchen gebraucht worden sind (sub 1). 3. Wo die Salzlösung bereits alkalisch war, wie z. B. bei Citras natricus, Phosphas natricus u. s. w., bewirkt Hinzufügung eines auf sich selbst neutral reagirenden kohlensäurereichen Blutkörperchenbreies in Traubenzucker überall eine Steigerung der alkalischen Reaction. DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTKÖRPERCHEN. 529 5 ccm Flüssigkeit der Suspension Tan & | Kerl | Alkalisalze — Suspension ' besitzt nach Correction einen N | Alkaligehalt von: = _ _— _ —— —— — —— — —— — — — — nn | | normal 0-1 cm 1/,, pormal Alkali Ia | Jodetum natrieum . NICOLE 0-34 „ un f i | . . com 1 s 2 Ib Brometum natrieum aan | a Ne EN 2 ” 10 ” » | | | , ? | normal 0.4 «m 1 normal Alkali lla ' Lactas natrieus \ co, 0262. aa K . > me T N Ilb || Citras natricus . . nn “ NE a el | 2 ” 10 ” ” | . s com 1 s . IIla | Salieylas natrieus. . u | I Be na A | 6) Er} 20 EL} ” | N com 1 . 1 IIIb | Oxalas natricus . . na | en m ie gr | 2 ” 20 ” E}) IR ccm 1 1 IVa Phosphas_ natrieus | Be en 12 Aue 2 33 20 » „ . .D> m 1 y M IVb BOTaxa. ne ee | om ne K 0 u ar | . ce 1 ; -alı Va Arsenias natricus . | as S Be Er ‚leo en nen 2 E} /20 ” Er | @ . [ normal | 0-35 cm !/,, normal Alkali Vb Sulfas magnesicus . \ 00, 0-68 „ m j 2 Zusammenfassung und Schluss. In der Hauptsache haben die vorliegenden Untersuchungen Folgendes ergeben: 1. Wenn man rothe Blutkörperchen so lange mit etwa isotonischer Traubenzuckerlösung (4-15 Procent) auswäscht, bis dieselbe vollkommen neutral reagirt und weder Eiweiss noch Chlor enthält, und man setzt zu dem zellenreichen Traubenzuckerlösung-Blutkörperchenbrei eine neutrale Lösung von Na,SO, oder NaNO, hinzu, so werden die Flüssigkeiten der nunmehr entstandenen Suspensionen ein wenig alkalisch. 2. Viel stärker alkalisch werden aber die betreffenden Flüssigkeiten, wenn die Traubenzucker-Blutkörperchen-Suspension vorher mit Kohlensäure geschüttelt war. 3. Neben dem Alkalischwerden der Flüssigkeiten beobachtet man anderweitige Veränderungen. Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 34 530 H. J. HAMBURGER und G. AD. van Lier: Wo Na,SO, hinzugefügt wurde, vermindert sich der SO,-Gehalt, und wo NaNO, hinzugesetzt wurde, nimmt der NO,-Gehalt ab. Weiter sieht man in beiden Fällen Chlor in den Flüssigkeiten erscheinen. 4. Die erwähnten Thatsachen sind folgendermaassen zu deuten. Da nach den Untersuchungen von Gürber die Blutkörperchen im- permeabel sind für Kalium und Natrium, muss hier ein Austausch aus- schliesslich von Säureradicalen stattgefunden haben. Dieser Austausch ist vom Standpunkt der Ionenlehre, wie dieselbe von Koeppe für thierische Zellen in Anwendung gebracht worden ist, leicht verständlich. In normalen Blutkörperchen befindet sich K,CO,, welches theilweise gespalten ist in elektropositive K‘-Ionen und elektronegative CO,”-Ionen. Bringt man ein solches Blutkörperchen in eine Lösung von Na,SO,, in welcher die Na,SO,-Molecüle ebenfalls gespalten gedacht werden müssen in elektropositive Na’- und elektronegative SO,”-Ionen, so findet eine Aus- wechselung statt zwischen CO,”-Ionen des Blutkörpercheninhaltes und SO,”- Ionen der Umgebung; Ka und Na behalten ihre Stelle. Die Folge ist, dass der SO,-Gehalt der Sulfatlösung abnimmt, während das in die Na,SO,- Lösung eingedrungene CO,, durch Bildung von Na,CO,, die Lösung alkalisch macht. Nicht nur aber mit CO,”-Ionen des Blutkörpercheninhaltes wechseln die SO,”-Ionen der Umgebung aus, sondern auch mit den Ol’-Ionen, so dass die Sulfatlösung chlorhaltig wird. Im Allgemeinen ist aber der K,CO,-Gehalt der normalen Blutkörperchen, zumal wenn es sich um arterielle oder mit Luft geschüttelte venöse Blut- körperchen handelt, gering, so dass ein Uebergang von viel CO, in die Umgebung und ein entsprechender Uebergang von NO, oder SO, in die Blutkörperchen nicht zu erwarten ist. Vergrössert man aber den 00,- (Gehalt, indem man die Blutkörperchen mit CO, schüttelt, so zerlegt sich ein Theil des darin vorhandenen Kaliumalbuminats unter Bildung von K,CO, und Albumen. Die auf diese Weise behandelten Blutkörperchen machen die mit denselben in Berührung gebrachten neutralen NaNO,- und NaSO,-Lösungen viel stärker alkalisch als die normalen Blutkörperchen, während dementsprechend auch mehr SO, und NO, in die Zellen eindringt. 5. Nicht für alle Anionen verfügt man über solche zuverlässige quantitative Bestimmungsmethoden wie für SO, und NO,. Trotzdem ist es nach den obenstehenden Ausführungen möglich, über die Permeabilität der Blutkörperchen auch für diese Anionen ein Urtheil auszusprechen. Man verfährt dann folgender Weise. Die Blutkörperchen werden mit Trauben- zuckerlösung ausgewaschen, bis die Lösung neutral reagirt. Dann wird die Suspension in zwei gleiche Theile getheilt. Der eine geschüttelt mit CO,, der andere nicht. Dann werden gleiche (Juantitäten Traubenzuckerlösung DURCHLÄSSIGKEIT DER ROTHEN BLUTRÖRPERCHEN. 531 (welehe beide noch neutral reagiren) abgehoben und durch gleiche Quantitäten der zu untersuchenden Lösung ersetzt. Nach Vermischung und Centrifugirung erhält man dann zwei Flüssigkeiten, welche auf ihren Alkaligehalt untersucht werden. Zeigt sich nun der Alkaligehalt der Kohlensäure-Blutkörperehen-Aufschwemmung grösser als die der normalen Blutkörperehen-Aufschwemmung, so ist man berechtigt anzunehmen, dass unter dem Einfluss von CO, elektronegative Anionen der zu untersuchenden Substanz in die Blutkörperchen eingedrungen sind; denn nur unter dieser Bedingung können CO,”-Ionen die Blutkörperchen verlassen haben. Auf diese Weise haben wir dann die folgenden Stoffe untersucht: Jodetum natricum, Brometum natricum, ÖOxalas natricus, Phosphas natricus, Salicylas natricus, Borax, Laetas natrieus, Citras natrieus, Arsenias natricus, Sulfas magnesicus. Ohne Ausnahme hat sich herausgestellt, dass diese Lösungen nach Hinzufügung zu den mit Kohlensäure behandelten Blut- körperchen alkalisch wurden in so weit sie es noch nicht waren, und an alkalischer Reaction zunahmen, wo letztere schon bestand. 6. Wirerachten uns zur Annahme berechtigt, dass die rothen Blutkörperchen für die elektronegativen Ionen aller Na-Salze permeabel sind und dass diese Permeabilität um so deutlicher zum Ausdruck kommt, je nachdem die Blutkörperchen mehr CO, enthalten, also kohlensäurereicher sind. Der Thatsache, dass man Letzteres nicht im Auge behalten hat, darf es hauptsächlich wohl zuzuschreiben sein, dass bei den Autoren, welche übrigens mit grösster Sorgfältigkeit gearbeitet haben, Unsicherheit über die Frage besteht, ob die Blutkörperchen permeabel seien für Chlor. War doch vom Einen von uns schon vor langer Zeit (1891) nach- gewiesen und von verschiedenen Autoren bestätigt, dass, wenn man CO, durch Blut hindurchführt, die Blutkörperchen Cl aus dem Serum auf- nehmen, während das Serum selbst mehr alkalisch wird. Durch diese Untersuchungen war, wie auch Willerding bemerkt hat, die Permeabilität der Blutkörperchen für Chlor über allen Zweifel erhaben. Und dass es sich hier um einen physiologischen Process handelte, ging daraus hervor, . dass nach Vertreibung des CO, die ursprüngliche Vertheilung der Blut- bestandtheile über Körperchen und Serum sich wieder herstellt, der Process also ein umkehrbarer war. Ausserdem hatte Hamburger gezeigt, dass die genannten Bewegungen von Chlor und Alkali, wobei auch Phosphorsäure sich betheiligte, noch nachzuweisen waren, wenn CO, in Quantitäten an- gewandt wurde, wie dieselben auch im normalen Leben im Spiele sind. Was mit Kohlensäure gefunden wurde, konnte mit anderen Säuren auch festgestellt werden. Auch diese bewirkten, in Spuren angewandt, 34* 532 H. J. HAMBURGER UND G. AD. Van LIER: DURCHLÄSSIGKEIT U. S.w. Eintritt von Chlor, Austritt von CO, und Phosphorsäure, während Spuren von Alkali. die entgegengesetzten Bewegungen hervorriefen. 7. Auch bei der hier in Anwendung gebrachten Versuchsanordnung ist gefunden worden, dass der Eintritt von NO, und SO, in die Blutkörperchen unter dem Einfluss von Kohlensäure ein umkehrbarer Process ist: wurde eine Kohlensäure-Blutkörperchen-Traubenzucker-NaNO,-Lösung-Aufschwem- mung mit Luft geschüttelt, so ging das in die Blutkörperchen eingedrungene NO, theilweise in die Umgebung zurück, während der Alkaligehalt der Flüssigkeit abnahm. Ueberlest man noch, dass die von uns gefundenen Erscheinungen auch bei Anwendung sehr geringer Quantitäten Kohlensäure sichtbar waren, so darf man schliessen, dass unsere Ansichten über die Permeabilität der Blutkörperchen für die elektronegativen Ionen der Na-Salze auch für das Leben Gültigkeit besitzen. 8. Bei der alkalischen Reaction der Gewebsflüssigkeiten, in welchen das Na,O0 die Hauptrolle spielt, müssen die vielen bei der Oxydation ent- standenen Säuren, wie SO,, Milchsäure u. s. w. in die entsprechenden Natriumsalze übergehen. Unter dem Einfluss von CO, werden nun die betreffenden Säure-Ionen in die Blutkörperchen eindringen können und mit dem venösen Blute nach den Lungen mitgeführt werden, wo dieselben unter den Einfluss von O in das Plasma übergehen und in der Niere angelangt, zur Ausscheidung kommen werden. So haben wir denn einen neuen Factor im Stoffwechselkreisprocess kennen gelernt. 9. Schliesslich sei hervorgehoben, dass, obgleich wir uns bei der Deutung der in dieser Arbeit aufgefundenen Thatsachen auf den Standpunkt der Ionenlehre gestellt haben, die Gültigkeit dieser Thatsachen unversehrt bleibt, auch dann, wenn man diesen Standpunkt eventuell verlassen würde. Wenn man keine Ionenauswechselung annimmt, so muss man entweder einen Austausch von Säureradicalen oder von Salzen als solche anerkennen. Von den drei Vorstellungen aber hat uns nur die erste befriedigt, da dieselbe von allen Erscheinungen Rechenschaft geben konnte. Ueber veränderliche osmotische Eigenschaften der Membranen von Seethieren. Von Dr. A. Schücking. (Aus dem physiologischen Laboratorium der zoologischen Station zu Neapel.) Bei den Untersuchungen über das moleculare Gleichgewicht zwischen den Körperflüssigkeiten und dem äusseren Medium, wie sie kürzlich von Bottazzi und Enriques!, Fredericq”’, Rodier?, Quinton* an See- thieren angestellt sind, wurde eingehend über die Frage verhandelt, ob das osmotische Gleichgewicht zwischen inneren und äusseren Flüssigkeiten bei gewissen Seethieren durch dialysirende oder semipermeable Membranen hin- durch hergestellt werde Die in Nachstehendem mitgetheilten Versuche ergaben, dass der Grund dieser Divergenz der Anschauungen nicht in Fehler- quellen liegt, die den betreffenden Experimenten anhafteten, sondern darin, dass die beobachteten osmotischen Vorgänge selbst eine Entscheidung nur in dem einen oder dem anderen Sinne nicht zuliessen. Diese Vorgänge verlaufen derartig, dass die Krystalloide beim Austausch zwischen den beiderseitigen Flüssigkeiten durch die trennenden Membranen hindurch- treten können, dass aber die Abweichungen der Diffusionsgeschwindigkeiten vom theoretischen Grenzwerth in den meisten Fällen deutlich erkennbar werden. Die in Frage kommenden Membranen sind daher weder semi- permeable noch dialysirende im gebräuchlichen Sinne dieser Bezeichnungen, die bekanntlich keine absoluten Zustände bedeuten. " Bottazzi und Enriques, Dies Archiv. 1901. Physiol. Abthlg. Suppl. S. 109. ° Frederieg, Bulletin de l’Acad. roy. de Belgique. 1901. ® Rodier, Travaux des laboratoires de la station zoologigue d’ Arcachon. 1899. p-. 103. * Quinton, Comptes rendus de l’Acad. des sciences de Paris. 26. Nov. und 3. Dec. 1900. 534 A. SCHÜCKING: Die Aplysien, die ich zu den Versuchen gebrauchte, standen mir Dank der Liebenswürdigkeit des Hrn. Dr. Lo Bianco in reichlicher Anzahl und in allen Grössen zur Verfügung. Um den Antheil festzustellen, den die Haut des Thieres auf die Gesammtaufnahme und Abgabe von Flüssigkeiten und Salzen hat, musste ich untersuchen, wie weit etwa Darmtractus und Kiemen der Aplysia an dieser physiologischen Function betheiligt waren. Ueber die Eigenschaft des Magens der Aplysia, als semipermeable Membran zu wirken, liegen sorgfältige Untersuchungen von Bottazzi und Enriques vor. Die Frage nach dem Antheil, den dies Organ an dem molecularen Ausgleich zwischen innerem und äusserem Milieu hat, musste eine offene bleiben. Versuche mit verschieden concentrirtem Seewasser lagen bereits vor, hatten indess nicht zu einem befriedigenden Ergebniss geführt. Quellungs- erscheinungen an den Geweben sind mit der Existenz dialysirender Mem- branen nicht zu vereinigen. Gegen Versuche mit Seewasser, dem fremde Salze hinzugefügt waren (Quinton, Fredericg), hatte Bottazzi Wider- spruch erhoben. Es erschien unter diesen Umständen wünschenswerth, zunächst ganz neue Bahnen einzuschlagen und von etwa erhaltenen Resultaten und neuen Gesichtspunkten in die Prüfung der früheren Untersuchungen einzutreten. Ich nahm aus diesem Grunde die Versuche statt mit verschieden concen- trirtem Seewasser zunächst mit destillirtem Wasser vor. Es zeigte sich, dass die Aplysien einen Aufenthalt in destillirtem Wasser von ein bis zwei Stunden vertragen, ohne nachweisbar Schaden zu nehmen. Die Widerstandsfähigkeit war in dieser Beziehung bei grösseren Aplysien erheblich grösser als bei kleineren und auch grösser bei A. limacina als bei A. depilans. Es ist rathsam, nicht ganz frisch eingefangene Thiere, die noch überflüssiges Secret angesammelt haben, zu verwenden und dieselben auch vor dem Versuch nicht anzufassen und zu drücken. Wenn die Thiere mit einem Netz vorsichtig auf trockene Tücher befördert und über diese gerollt werden, so gelingt es meist leicht, auch den letzten Rest von Feuch- tigkeit von der Haut zu beseitigen, ehe sie gewogen und in destillirtes Wasser gelegt werden. Uebrigens resultiren bei den Versuchen so be- deutende Gewichtsunterschiede, dass es auf eine geringe Quantität von Schleim, dunkelviolettem oder weissem Secret oder Wasser nicht ankommen kann. Die Versuche liessen nach dieser Richtung keinen Zweifel übrig. Das Ge- wichtsverhältniss des destillirten Wassers zum Körpergewicht des Thieres betrug 2 zu 1. A.limacina zeigte im destillirten Wasser mässige Reiz- erscheinungen, bei A. depilans traten solche Erscheinungen, in Abgabe von Schleim u. s. w. bestehend, anfänglich stärker auf. Nach durchschnittlich 1!/," wurden sie aus dem destillirten Wasser entfernt und zeigten sich dann OÖSMOTISCHE EIGENSCHAFTEN DER MEMBRANEN VON SEETHIEREN. 535 beträchtlich gequollen; ihre Gewichtszunahme betrug durchschnittlich 20 bis 25 Procent ihres Anfangsgewichtes. Wie die Untersuchungen auf Kochsalz und die kryoskopischen Bestimmungen ergaben, hatten sie an das destil- lirte Wasser eine geringe Quantität von Salzen abgegeben. Je kleiner die Thiere waren, um so weniger Wasser nahmen sie im Verhältniss auf, welcher Umstand vielleicht mit verhältnissmässig grösserer Körperperipherie bei kleineren Thieren in Verbindung zu bringen ist. Wurden die Aplysien dann ın Seewasser gebracht, wobei sich wiederum Reizerscheinungen zeigten, so verringerte sich langsam ihr Volumen — sie gaben in etwa 11/,® durch- schnittlich 7 Procent des erlangten (rewichtes ab und nahmen nach längerer Zeit Salze auf. Das Verhältniss zwischen der Zeit der Abgabe und Auf- nahme entsprach annähernd dem jeweiligen Concentrationsverhältniss zwischen äusserer und innerer Flüssigkeit. Die Aplysien, die in 1%/,® in destillirttem Wasser um 20 Procent des Anfangsgewichtes zunabmen und in derselben Zeit im Seewasser 7 Procent ihres Gewichtes verloren, nahmen bei dreistündigem Aufenthalt im destillirten Wasser 30 Procent zu, gaben aber dann im Seewasser schon nach !/," 7 Procent des erlangten Gewichtes wieder ab. Das Aufquellen und Schrumpfen der Thiere in Flüssigkeiten verschiedener Concentration beweist, dass es sich hier um Entstehung eines osmotischen Druckes handelt, dass die Haut der Aplysia Wasser passiren liess, die Diffusionsgeschwindigkeit der krystalloiden Stoffe aber sich dem theoretischen (Grenzwerth sehr näherte. Völlige Undurchlässigkeit gegenüber den Salzen bestand nicht. Die Gefrierpunkts- bestimmungen zeigten, dass die Aplysien in destillirtem Wasser geringe Mengen von Salzen abgaben und solche im Seewasser aufnahmen. Ehe ferner die Thiere im Seewasser zum früheren Gewicht zurückgekehrt waren, war bereits das moleculare Gleichgewicht mit dem Seewasser eingetreten. Der Annahme, dass die Abgabe von Salzen an das destillirte Wasser nur auf Secretion von Schleim u.s. w. zurückzuführen sei, widersprach die kegelmässigkeit der Erscheinung. Der Umstand, dass auch im Seewasser Schleim abgegeben wurde und trotzdem eine Aufnahme von Salzen aus diesem Medium schon durch das specifische Gewicht der Aplysien nach- gewiesen werden konnte, war ein fernerer Beweis dafür, dass, unabhängig von diesem Factor der Secretion, Salze die Haut der Aplysien passirten. Es trat regelmässig der Ausgleich zwischen dem specifischen Gewicht der Aplysien und des Seewassers ein, ehe erstere ganz abgeschwollen waren. Da die Thiere das Experiment ohne Schädigung überstanden, so ist es wenig wahrscheinlich, dass ihre Haut von dem destillirten Wasser namhaftere Schädigungen erfahren hatte. Um festzustellen, wie weit sich Darmtractus und Kiemen an dem Austausch zwischen dem äusseren und inneren Medium betheiligen und 536 A. SCHÜCKING: damit einer Forderung zu genügen, die Bottazzi mit Recht erhebt, wurde einer Aplysia sorgfältig Mund und After abgebunden und die Versuche darauf in derselben Weise wiederholt. Das Resultat unterschied sich in Nichts von dem, das ich bei den anderen Aplysien erhalten hatte. Die Aufnahme im destillirten Wasser betrug 20 Procent, die Abgabe im See- wasser 7 Procent. Wiederholung des Versuches ergab dasselbe Resultat. Es unterliegt selbstverständlich keinem Zweifel, dass die Aplysia mit der stark wasserhaltigen Nahrung auch das derselben anhaftende Seewasser in ihren Darmtractus aufnehmen muss. Wir haben indess keine Anhalts- punkte, um das Quantum Wasser, das sie unter normalen Verhältnissen thatsächlich aufnimmt, abzuschätzen. Bei der nun folgenden Abbindung der Kiemen war die Frage von Interesse, wie lange eine Aplysia mit abgebundenen Kiemen zu leben ver- mag. Die erste so behandelte Aplysia lebte zwei, die zweite annähernd vier Tage ohne Kiemen — ein Resultat, bei dem wir uns daran erinnern, dass auch der Frosch, bei dem die Haut Wasseraufnahme und sonstigen Stoffwechsel vermittelt, die Entfernung der Lungen lange Zeit zu ertragen im Stande ist. Da im Uebrigen die Vorgänge bezüglich der Wasseraufnahme und Abgabe bei den kiemenberaubten Aplysien nicht anders als bei den anderen Aplysien verliefen, so geht daraus hervor, dass Kiemen und Darm- tractus zur Herstellung des osmotischen Gleichgewichtes nicht mitzuwirken brauchen. x In den nun folgenden Versuchen wurde geprüft, wie weit gewisse Gifte, die auf die Hautmusculatur der Aplysia besondere contractions- erregende und lähmende Wirkung zeigen, die osmotischen Vorgänge zu be- einflussen vermögen. Es wurde mit Nicotininjectionen der Anfang gemacht. Das Nicotin erwies sich noch in Dosen von 0-001 8m als ein äusserst heftiges Gift, so dass selbst Berührung mit nicotinvergifteten Aplysien auf andere Aglysien toxisch wirkte. Es zeigte sich, dass die nikotinvergifteten Aplysien in destillirtem Wasser wenig oder gar kein Wasser aufnahmen; dagegen war die Abgabe von Salzen an das Wasser grösser als in anderen Fällen. Der Gefrierpunkt des destillirten Wassers, in dem sich die Aplysien befunden hatten, sank in einem Fall bis —0-.32° Wie die nun folgenden Versuche ergeben, steht bei der Aplysia das Nicotin in seiner contractions- erregenden Wirkung auf die Musculatur hinter dem Strychnin zurück, auch scheint das. Gift die Eigenschaft der Haut, die Diffussionsgeschwindig- keit der Krystalloide zu verlangsamen, beeinträchtigt zu haben, so dass Salze in grosser Menge durch die Haut hindurchtraten. In Seewasser ge- bracht, schrumpfen die betreffenden Aplysien nur sehr langsam zusammen und waren sie nach 1 bis 2 Tagen auf etwa !/, des früheren Gewichtes ÖSMOTISCHE EIGENSCHAFTEN DER MEMBRANEN VON SEETHIEREN. 537 angelangt. Auch solche Aplysien, die in Folge übermässigen Aufquellens gestorben waren, zeigten diese Schrumpfung, die in Uebereinstimmung mit den weiter unten aufgeführten Beobachtungen auf die Erscheinung zurück- zuführen ist, dass bei der getödteten Aplysia noch lange Zeit die gesammte Musculatur in starker tonischer Contraction zu verharren pflest. Zu berück- sichtigen ist hierbei noch, dass bei ganz hochgradigem Aufquellen Continui- tätstrennungen in der Haut auftreten können. So stellte ich solche bei einer Aplysia am sogen. Fuss derselben fest. Diese Continuitätstrennungen müssen das spätere Schrumpfen im Seewasser erheblich begünstigen. Nun folgende Versuche mit Anwendung von Strychnin (2° einer 2 procentigen Lösung) ergaben, dass die so vergifteten Aplysien in destil- lirtem Wasser nicht nur nicht aufquollen, sondern bis zu 30 Procent ihres Gewichtes an Wasser und auch geringe Mengen von Salzen abgaben. In Seewasser gebracht, gaben sie weitere Flüssigkeit ab. Bei zwei Versuchen mit Cocain wurde das Gift (2° einer 2 procentigen Lösung) dem Thiere erst injieirt, nachdem es sich 1!/,® in destillirtem Wasser befunden hatte und auf etwa 30 Procent seines Gewichtes, auf 1% 30° berechnet, gequollen waren. Die Thiere gaben darauf im Seewasser nur etwa 2 Procent ihres Körpergewichtes ab, also nur den dritten Theil des Gewichtes, das die aufgequollenen Aplysien im Seewasser in derselben Zeit durchschnittlich verlieren. Die Cocain-Aplysia schrumpfte auch nicht bei längerem Aufenthalt im Seewasser weiter ein, ebenso wie Aplysien, die aus unbekannten Gründen gestorben waren, im Seewasser nicht wesentlich an Gewicht verloren. Die Schrumpfung war nur dann eingetreten, wenn die Museculatur vor dem Absterben von starken Reizen getroffen war. Nach dem Gange der Versuche ist auszuschliessen, dass uncontrolirbare Gift- wirkungen das erhaltene Gesammtresultat wesentlich beeinflussen konnten. Dagegen sprach die Gleichmässigkeit der mit den bekannten Eigenschaften der betreffenden Gifte übereinstimmenden Wirkungen, und der Umstand, dass die anderweitigen Erscheinungen eine Schädigung der Haut ausschliessen liessen. Es war indess wünschenswerth, durch andauernde Erregung der Hautmusculatur auf einem anderen Wege als den der Intoxication eine Controle der Giftwirkungen und anderweitige Aufschlüsse über den Einfluss der Contractionen zu erhalten. Von mechanischen und elektrischen Reizen musste ich Abstand nehmen, da diese vermehrte Schleimsecretion hervorriefen. Nach den Versuchen von Jordan erzeugt die Entfernung des Pedalganglions eine andauernde tonische Contraction der gesammten Musculatur. Auf Grund dieser Beobachtung wurde dieses Ganglion zugleich mit den beiden anderen Ganglien entfernt und die Wunde dann sorgfältig geschlossen. Das Thier, dessen Gesammt- musculatur sofort nach der kleinen Operation sich in stärkster Contraction 538 A. SCHÜCKING: befand, war nach 1'/," in destillirtem Wasser nicht gequollen. Es hatte im Gegentheil eine Abnahme um 9!/, Procent des ursprünglichen Körper- sewichtes stattgefunden. Im Seewasser nahm das Thier nun weitere 10 Procent seines Körpergewichtes ab. Mit Bestimmtheit dürfte aus diesen Beobachtungen der überwiegende Einfluss, den die Function der Musculatur auf die Aufnahme und Abgabe von Flüssigkeiten bei der Aplysia hat, hervorgehen. Dieser Einfluss erwies sich stärker als die Wirkung des osmotischen Druckes. Von weiteren geeigneten ÖObjecten stand mir Sipunculus nudus zur Verfügung. Wenn das Thier 1!/,® in destillirtes Wasser im Gewichtsver- hältniss von 1 zu 3 gebracht wurde, so nahm es 25 Procent des ursprüng- lichen Gewichtes durch Wasseraufnahme zu. Gleichzeitig gab es geringe Quantitäten von Salzen, die den Gefrierpunkt des destillirten Wassers auf -- 0-05 ° erniedrigten, ab. Da die Thiere keine nachweisbaren Mengen von Schleim absondern und sorgfältig mit destillirtem Wasser abgespült wurden, ehe sie in das destillirte Wasser gebracht und da auch das Abschnüren von Mund und After am Resultate nichts ändert, so erhalten wir beim Sipunculus ein ähnliches Resultat wie bei der Aplysia. Die Haut des Sipuneulus setzt die Diffusionsgeschwindigkeit der Krystalloide herab, so dass ein osmotischer Druck entsteht. Diese Verminderung ist aber nicht derart, dass die Diffusionsgeschwindigkeit überhaupt nicht mehr messbar würde. Der Einfluss der Hautmusculatur auf den Ausgleich zwischen innerem und äusserem Medium trat dagegen erheblich hinter den Wirkungen zurück, die sich bei Contractionen der Gesammtmusculatur der Aplysia fanden. Die Haut des Sıpunculus besteht im Wesentlichen aus sich Kreuzenden Muskelbündeln, die nach innen von einer einfachen Flimmerepithelschicht, nach aussen von einer stärkeren Epithelschicht bedeckt ist. Die Körper- höhle ist einem mit Blut gefüllten Sack zu vergleichen. Das Blut wird durch Flimmerepithel in Bewegung erhalten. Die Musculatur übt bei ihren Contractionen also im Wesentlichen zunächst einen Druck auf das Blut aus. v. Uexküll fand, dass dieser Druck entsprechend den Bewe- gungen des Thieres erheblichen Schwankungen unterliegt. Das Blut ist äusserst dickflüssig und enthält verhältnissmässig wenig Wasser, wenig Salze (2-1 Procent) und reichlich Eiweissstoffee Die Abgabe von Wasser und Salzen muss unter diesen Umständen erheblich hinter der beobachteten Abscheidung von Wasser und Salzen bei der Aplysia zurückstehen, wenn diese einem gleichen Drucke ausgesetzt wird.! ! Bei einigen ergänzenden Feststellungen, die ich mit freundlicher Erlaubniss des Hrn. Professor I. Munk in dessen Laboratorium anstellte, nahmen die in Aq.d. gequollenen Thiere nach 24stündigem Verweilen in Seewasser nicht unerheblich an Gewicht zu. Sie hatten im Seewasser mehr Salze aufgenommen, als sie im Gewichts- ÖSMOTISCHE EIGENSCHAFTEN DER MEMBRANEN VON SEETHIEREN. 589 Ziehen wir die Summe aus vorstehenden Beobachtungen, so geht aus denselben hervor, dass die Haut von Aplysia und Sipunculus Eigenschaften zeigt, wie sie gewissen colloiden Zwischenwänden eigen sind, die colloide Stoffe zurückhalten, krystalloide Stoffe aber mit messbar verminderter Ge- schwindiekeit durchtreten lassen und dass diesen Wänden gegenüber die als semipermeable und dialysirende Membranen bezeichneten Gebilde weitere Differenzirungen darstellen. Aplysia und Sipuneulus waren von Fredericq und Quinton in die Classe der Seethiere mit dialysirenden Membranen eingereiht. Bottazzi und Enriques nahmen auf Grund ihrer am Magen der Aplysia angestellten Versuche an, dass der Austausch zwischen innerem und äusserem Milieu bei der Aplysia durch semipermeable Membranen geschehe. Fredericq hatte, um kurz zu resumiren, eine grössere Reihe kryoskopischer Untersuchungen angestellt, auf Grund deren er folgende drei Classen von Seethieren unter- scheidet. 1. Seethiere, deren Blut äquimolecular mit dem Seewasser ist und fast gleichen Salzgehalt wie dieses besitzt. 2. solche, deren Blut mit dem Seewasser zwar äquimolecular ist, aber erheblich im Salzgehalt diesen gegen- über differirt. 3. solche, deren Blut nicht äquimolecular mit dem äusseren Medium ist und auch nicht gleichen Salzgehalt mit diesem hat. Dieselben Eintheilungsgründe benutzt Fredericq zur Classification der Gewebe der Seethiere. Ferner nimmt er überall dort, wo nicht erhebliche Unterschiede zwischen inneren und äusseren Medien bestehen, Ausgleich des molecularen Gleichgewichtes durch Dialyse an. Ich würde vorziehen, auf Grund kryo- skopischer Untersuchungen in Uebereinstimmung mit Bottazzi die betr. Thiere einzutheilen in solche, bei denen Blut und Gewebe mit dem See- wasser äquimolecular sind, und solche, bei denen dies nicht zutrifft. Bei fast allen Seethieren, die bisher auf ihren Salzgehalt untersucht wurden, war dieser niedriger als der des Seewassers, wenn auch die Ab- weichung im Salzgehalt bei Thieren mit sehr wasserreichem Gewebe nur ein äusserst geringer ist. Schon hieraus geht hervor, dass der Ausgleich zwischen innerem und äusserem Milieu nicht durch Membranen geschieht, die den Krystalloiden ungehinderten Durchgang lassen. Ich erinnere hier an die Versuche an pflanzlichen Zellen von A. Nathansohn. Der ent- stehende osmotische Druck muss der Öoncentration und der Temperatur der Lösungen entsprechen. Wir haben ferner gesehen, wie auch der äussere Druck in den Ablauf dieser Vorgänge eingreifen kann. Es sei noch darauf hingewiesen, dass auch der Widerstand, den die Formenergie, die verhältniss Wasser abgegeben hatten. Die betreffenden fünf Exemplare von Sipunculus, die ich durch Vermittelung des Berliner Aquariums erhalten hatte, bilden die letzten fünf Nummern der Tabelle. 540 A. SCHÜCKING: Elastieität dem Innendruck entgegensetzt, mit dem äusseren Drucke gleich- sinnig wirken muss. Die herrschenden Anschauungen, die den osmotischen Druck auf das Bestreben der gelösten Theilchen, den grösstmöglichen Raum einzunehmen, zurückführen wollen, können die Erscheinung, dass durch die Membranen Wasser vom Orte niederen Druckes zum Orte höheren Druckes strömt, die Thatsache, dass die Drucksteigerung nicht von den gelösten Theilchen, sondern vom zuströmenden Wasser herrührt, nicht erklären. Diese Er- klärung finden wir, wenn wir die Ursache der Osmose in Energien suchen, die zwischen den Theilen der Membranen und den beiderseitigen Lösungen bestehen. Nach der Verschiedenheit der Theile der Membranen und der Lösungen wird die Geschwindigkeit des Uebertrittes der jeweiligen Flüssig- keit eine verschiedene sein. Wenn wir also die Energie, welche dem osmotischen Ueberdruck das Gleichgewicht hält, in der Tren- nungsmembran zu suchen hätten, so würden durch toxische Einflüsse bewirkte Aenderungen in den Membranen die osmotischen Vorgänge ab- zuändern im Stande sein. Unter diesem Gesichtspunkt würden nur die Versuche, die mit Entfernung des Pedalganglion angestellt wurden, absolute Beweiskraft haben, obgleich es mindestens sehr auffällig erschiene, dass gerade die muskelerregenden Gifte Austritt von Wasser, die muskellähmen- den Aufnahme desselben zur Folge hatten. Ich glaubte diese Beobachtungen, die ich vorläufig abschliessen musste, aber baldmöglichst wieder aufzunehmen beabsichtige, schon jetzt mittheilen zu sollen. Es geht aus denselben hervor, dass eine grössere Breite in den osmotischen Vorgängen bei den untersuchten Membranen besteht — und dass durch Muskelcontractionen der Stoffaustausch zwischen thierischen Zellen und deren Umgebung den biologischen An- forderungen entsprechend geregelt und sogar entgegengesetzt dem sonstigen osmotischen Verhalten beeinflusst werden kann. Tabelle. on 8 ® Fe) Zen Br Ion] 322 |5_|3_|823 |3, |geN | 388N Ese | SE lEA| TEE (Eee The „se | Aa | 55 4838 | 35 ETS |STe EI &0 sag | © FoizE Bere, 258 Bee ee 292 23 |»s35 285 R=7 5 es) Ze fs) SAe |ne> RENATE 15 | 404 | 443 7304 9m 540 507 | —0-01 | —2-14 han | han | I 2 ema Er Aplysia limaeina 1 307 423 1 y 395 0:12 1330 223 302 1330 250 | —0-03 | —2:06 1"30'.| 486 | 626 | ıh 596 | 1% 30' 583 | — 0-04 | — 2-08 ÖSMOTISCHE EIGENSCHAFTEN DER MEMBRANEN VON SEETHIEREN. 541 (Fortsetzung.) Sean = aSsa|la 25 2 \S58| 88 =: eas|z8 lg 28. Thier | 588 | 55 | 58 | „28 | E59 EIS |8-8 RE - Sn Bas m ‚aalzaa IS Sr (35 | 8892 |35 985 |3 85 u j I rer 272 Teen are be Vr?+R°) V(8-3? + 4-69) a ' LH LET En VE HT) An Für Tabelle II und IV 312 — 253 in Spalte 4: me En (8-3? + 4-3) ' 214 — 174 ’ 5: > = 5.4 Mat V(6-6? + 3-29) Für Tabelle III und IV : 269 — 253 Spalte 4: — — de Bu V(4-6? + 4-33) . Verne. 187 „umav Mob VASE + 3-29) Die Wahrscheinlichkeiten unserer Folgerungen aus der Ungleichheit der gefundenen Werthe sind also: Für Tabelle II und III in Spalte 4: 0-997, in Spalte 5: 0-931. . e II2,, alVa%; 1 4:00. 999 „20 5:10=998: 5 „ MI „IV. 7,.420.908,;, 5 0,,055M000888 In den Tabellen: Tabelle I Spalte5 R.1 v.u. steht 3-4, lies 8-8. 5 11 »». KörlabeiNr. 27a, AA ar 25 BD: 129 na LE). y SR.Lv.u a No an I 0, An vn 2 ae DERARTIG 5 DE mo m 000 IV rl ss ya) A >, ee mn Boa no Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1901—1902. X. Sitzung am 2. Mai 1902. 1. Hr. Dr. H. HınLDEgrAnDr (a. G.): „Ueber einige Oxydations- processe im Thierkörper.“ Das Keton Carvon C,,H,,O geht durch Oxydation ausserhalb des Or- ganismus über in C,,H,,0, unter Hydroxylirung; es ist dies ein krystalli- nischer Körper, der sich im Organismus mit Glyeuronsäure paart. Nach Darreichung von Carvon tritt ebenfalls eine gepaarte Glycuronsäure im Harn auf, in weleher ein Oxydationsproduct des Caryons enthalten sein musste. Es zeigte sich jedoch, dass dieses nicht identisch mit dem durch Autoxydation erhaltenen ist. Nach Darreichung von Santalol, dem sesquiterpenalkoholischen Bestand- theile des ostindischen Sandelholzöles, entsteht eine gepaarte Glycuronsäure. Doch ist das Molekül des Santalol nicht unverändert geblieben, sondern es hat eine Oxydation von CH, zur COOH und ferner Abspaltung eines Atom- complexes stattgefunden, der einem halben Terpenmoleeül entspricht. Bei den halogensubstituirten Toluolen verläuft die Oxydation ausser- halb des Organismus verschieden, je nachdem es sich um die Ortho- oder m- und p-Verbindungen handelt. Die Ortho-Verbindungen sind gegen Chrom- säure wenig widerstandsfähig und werden leicht über die entsprechenden Benzoösäuren hinaus oxydirt. Im Organismus sind die p-Chlor- und p-Brom- Toluole die giftigsten; am wenigsten giftig sind die Ortho-Verbindungen. Doch beruht dieser Unterschied nicht auf einer vollständigeren Oxydation der Ortho-Verbindungen; die Orthochlorbenzoösäure wird nach der Eingabe fast quantitativ wieder ausgeschieden. Beim Hunde gehen die aus den Toluolen entstandenen Benzoösäuren eine Paarung mit Glycocoll ein zu den entsprechenden Hippursäuren. Beim Kaninchen ist dies nur bezüglich der Bromtoluole der Fall, und zwar derart, dass O-Bromtoluol vollständig in O- Bromhippursäure übergeht, m- und p-Bromtoluol nur zum Theil die Paarung eingehen. Da die Hippursäuren weniger giftig sind als die Benzoösäuren, so könnte man die verschiedene Giftigkeit der Toluole mit dem verschieden- artigen Verhalten im Organismus in Zusammenhang bringen. Es kann dies jedoch prineipiell nicht angenommen werden, da die chlorsubstituirten Toluole in ihrer Giftigkeit sich analog verhalten, ohne die Paarung mit Glycocoll einzugehen. Der Unterschied ist vielmehr begründet in der verschieden- artigen Structur der Körper; es zeigt sich dies darin, dass auch die Oxy- dationsproducte der Toluole, nämlich die Benzoösäuren in ihrer Giftwirkung 544 VERHANDLUNGEN DER BERLINER erheblich und zwar in ganz analoger Weise differiren. Die Giftigkeit der p-Brombenzoösäure ist fast drei Mal so gross wie die der Ö-Chlorbenzoösäure.! 2. Hr. C. Neuere: „Ueber die Pentosen des Thierkörpers.“ Von den Pentosen des Thierkörpers, die seit E. Salkowski’s Ent- deekung der Pentosurie und ihres Vorkommens im Pankreas ein grösseres Interesse beanspruchen, konnte ich die Natur der beiden wichtigsten feststellen. Die Harnpentose wurde als inactive Arabinose, die Pankreas- pentose als 1-Xylose erkannt, worüber ausführlich an anderer Stelle? be- richtet ist. Auf Grund dieser Constitutionsaufklärung kann man der Frage nach der Entstehung der Pentosen im Organismus näher treten. Durch die Arbeiten von Tollens und seinen Schülern ist für die Pflanze festgestellt, dass hier die Bildung der Pentosane durch langsame Umwandlung der 6-Kohlenstoffzucker, bezw. deren Derivate erfolgt. Eine analoge Art der Pentosenbildung scheint nun auch für den thierischen Organismus durchaus möglich, und zwar gerade im Hinblick auf die Con- stitution der Harn- und Pankreaspentose. Macht man die aus verschiedenen Gründen wahrscheinliche Annahme, dass die Oxydation der Hexosen im Thierkörper an der endständigen primären Alkoholgruppe erfolgt (Emil Fischer und O. Piloty, Paul Mayer), so lehrt ein Blick auf die Formeln die Zusammengehörigkeit von Traubenzucker und Organpentose (l-Xylose): COH COH | | HCOH HCOH | | OHCH OHCH | | HCOH HCOH | | HCOH H,C.OH | (1-Xylose) CH,OH (d-Glukose) Eine gleiche Betrachtung verknüpft die Harnpentose (r-Arabinose) mit der Galaktose, ein Zusammenhang, der für die Harnpentose in ungezwungener Weise die seltsame Eigenschaft der optischen Inactivität zu deuten ver- möchte. Denn optisch active Galaktose kann leicht in optisch inactive Systeme übergehen; ferner ist die Annahme von Galaktosequellen im Organismus zulässig, da dieser Zucker von Thierfelder und Wörner im Gehirn nachgewiesen ist und allgemein während der Lactationszeit in grosser Menge in Form von Milchzucker gebildet wird. Experimentelle Einzelheiten, die den Mechanismus der besprochenen Umwandlung von Hexosen in Pentosen beleuchten, sollen an anderer Stelle mitgetheilt werden. ! Ausführliche Mitteilung erfolgt an anderer Stelle. ? C. Neuberg, Ber. der deutsch. chem. Ges. Bd. XXXII. S. 2243 u. Bd. XXXV. 8. 1467. PHYSIOLOG. GESELLSCHAFT. — Ü. NEUBERG. — HERMANN Munk. 545 XI. Sitzung am 16. Mai 1902. 1. Hr. Hermann Munk: „Zur Physiologie der Grosshirnrinde.“ Meine Herren! Es sind gerade 25 Jahre, dass ich das erste Mal vor unserer Gesellschaft über die Grosshirnrinde zu sprechen hatte. Goltz hatte damals mit den Erfolgen grosser Verstümmelungen des Grosshirns die neue Fritseh-Hitzig’sche Lehre bekämpft, und ich legte dar, wie seine Versuche nach Anlage und Ausführung nicht das beweisen konnten, was sie sollten, ich trat zudem mit eigenen Erfahrungen für die Localisation der Funetionen in der Grosshirnrinde ein. Ein sonderbarer Zufall will es, dass ich zum Jubiläum wiederum mit solcher Aufgabe mich zu befassen habe und diesmal wider Hrn. Hitzig. Hr. Hitzig, der durch 25 Jahre nur hin und wieder und mehr ge- legentlich zur Grosshirnphysiologie das Wort genommen und seine ursprüng- lichen Verdienste um das Gebiet damit nicht vergrössert hatte, hat in den letzten 1!/, Jahren eine grosse Reihe von Veröffentlichungen rasch auf ein- ander folgen lassen, in welchen er auf hunderten von Seiten höchst spärlich beibringt, was als neuer Erwerb zu gelten hätte, wenn es richtig wäre, dafür aber des breitesten sich in historisch-kritischen Betrachtungen über die vor- liegenden experimentellen Untersuchungen ergeht und seine jetzigen An- schauungen kundthut. Offen und versteckt ist dabei durchweg die Tendenz verfolgt, was wir heute wissen, im wesentlichen alles als Hrn. Hitzig’s Verdienst, als eigentlich schon in seinen Ermittelungen und Ausführungen vor drei Jahrzehnten enthalten hinzustellen und für die Anderen, die um das Grosshirn sich bemühten, nur sehr wenig, insbesondere für mich nichts übrig zu lassen. Wie es da nicht anders sein kann, sind seine Darlegungen voll von Unrichtigkeiten, Missverständnissen und Irrthümern. Aber die Ver- fehlungen alle aufzudecken, würde nur ein für die Sache ganz unfruchtbares Unternehmen sein, und es lohnt um so weniger, das Buch, das dazu nöthig wäre, zu schreiben, als die Wahrheit, wie sehr Hr. Hitzig der Anderen Er- werb benutzt hat, klar und bündig der Schluss seines grossen Resumös in einer seiner letzten Mittheilungen verräth, wo es heisst: „Meine Auffassung (der cerebralen Vorgänge) unterscheidet sich sonach von der ihr am nächsten stehenden Munk’s im Wesentlichen dadurch, dass ich keine ‚Fühl-, Seh-, Hör- oder ähnliche Sphären‘, sondern nur Vorstellungs- oder Bewusstseins- sphären kenne, und dass ich in diesen nicht, wie Munk, die Gefühle, sondern nur die Gefühlsvorsteilungen ebenso wie alle anderen Vorstellungen localisire.‘“ Es wird darnach, glaube ich, genügen, wenn diejenigen, die sich über die Ermittelungen am Grosshirn geschichtlich und thatsächlich unterrichten wollen, davor gewarnt werden, den Hitzig’schen Darstellungen Vertrauen zu schenken. Lediglich den vermeintlichen neuen Erwerb von Hrn. Hitzig will ich hier ins Auge fassen. Sie wissen, ich habe die verschiedenen Abschnitte der Grosshirnrinde als den verschiedenen Sinnen dienend nachgewiesen, als die Sinnessphären, und unter ihnen die Rinde des Hinterhauptslappens als die Sehsphäre. Nun meint Hr. Hitzig: es wäre bis auf den heutigen Tag nicht entschieden, ob eine Sehsphäre überhaupt existirt oder nicht; ich hätte argumentirt, Seh- störungen treten nur nach Verletzung meiner Sehsphäre auf, folglich ist Archiv f. A. u. Ph. 1902. Physiol. Abthlg. 35 546 VERHANDLUNGEN DER BERLINER dies eine Sehsphäre; ich wäre von der Annahme ausgegangen, dass alle dureh corticale Verletzungen hervorgebrachten Sehstörungen direct von der Ausschaltung des vernichteten Rindenstückes abhängig seien; gelänge es, Sehstörungen auch durch Eingriffe in andere corticale Gebiete zu erzielen, so wäre an die Existenz eines Sehcentrums in meinem Sinne nicht mehr zu denken. Und das darnach Erforderliche gelingt Hrn. Hitzig, so dass meine Theorie, wie er sich ausdrückt, widerlegt ist. Das Thörichte in Argumentation und Annahme, das Hr. Hitzig mir da andichtet, zeigt nur, dass er über das ABC, von dem ich bei meinen Untersuchungen auf dem Gebiete ausgegangen bin, noch nicht zur Klarheit gekommen ist. Dass nach den verschiedensten Verletzungen vorderer sowohl wie hinterer Partien der Grosshirnrinde Sehstörungen auftreten, war durch die Goltz’schen Versuche ausser Zweifel und liess sich auch bei weniger ausgedehnter Verstümmelung bestätigen. Doch kommt es für die Erkennt- niss der Function eines Rindentheiles nicht darauf an, was nach seiner Verletzung an Störungen auftritt, sondern allein darauf, welche Störungen als die nothwendige Folge der Schädigung gerade dieses Rindentheiles sich ergeben. Denn an einem Organe, das ein so eng zusammenhängendes Ganzes bildet, wie die Grosshirnhemisphäre, kann die Verletzung eines Theiles schon durch die operativen Maassnahmen, dann durch die Blutungen, die mit ihnen verbunden sind und ihnen folgen, durch die Veränderungen der Cireulation und der Lagerung, durch die mit der Heilung verbundenen Vorgänge, insbesondere die Entzündung, Schädigungen der Hemisphäre herbeiführen, die mehr oder weniger weit über den verletzten Theil hinaus sich erstrecken, und kann damit Functionsstörungen nach sich ziehen, die mit dem verletzten Theile gar nichts zu schaffen haben. Dieser sogenannten Nebenwirkungen halber, die so oft erörtert worden sind, bedarf es bei den Versuchen nicht bloss der äussersten Fürsorge für die Beschränkung des Angriffes, sondern auch der aufmerksamsten Verfolgung der Functions- störungen nach Zeit, Art und Grösse in Verbindung mit regelmässigen und zu passenden Zeiten ausgeführten Sectionen, um die in Rücksicht auf den Zweck offenbar verunglückten Versuche ausschalten und aus den brauch- baren übrigen Versuchen, unter prüfender Vergleichung der mehr und der weniger reinen, die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Man hatte da früher, zur Zeit meiner einschlägigen Untersuchungen, als man ohne alle Maassnahmen gegen die Sepsis oder mit allzustrenger Antisepsis operirte, eine Aufgabe vor sich, von deren Schwierigkeit, zumal wenn es sich um Verletzungen von etwas grösserer Ausdehnung handelte, man sich jetzt im Besitze des aseptischen Verfahrens nicht gut mehr eine richtige Vorstellung machen kann. Ging man aber auf die angegebene Weise vor, so dass man nicht von einem blinden Tappen, sondern von einer wirklichen Untersuchung sprechen durfte, so stellte sich, so viel uns heute interessirt, heraus: dass 1. nach Verletzungen der Rinde im Bereiche des Hinterhauptslappens immer Sehstörungen auftraten, und zwar Sehstörungen für sich allein, wenn kein Umstand des Versuches eine weiter reichende Schädigung der Rinde an- zeigte oder anzunehmen gestattete, Sehstörungen dagegen früher oder später und für kürzere oder längere Zeit im Verein mit anderen Sinnesstörungen, wenn durch die Operation oder den Heilungsvorgang oder die Wieder- erkrankung eine weiter reichende Schädigung der Rinde herbeigeführt war; PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MunK. 547 und dass 2. nach Verletzungen der Rinde ausserhalb des Bereiches des Hinterhauptslappens Sehstörungen nur dann früher oder später und für kürzere oder längere Zeit zu beobachten waren, wenn eine weiter reichende Schädigung der Rinde durch die Operation oder den Heilungsvorgang oder die Wiedererkrankung und oft geradezu die Schädigung der Hinterhaupts- lappenrinde nachweisbar war. So ergaben sich die Sehstörungen als die Folge der Schädigung der Hinterhauptslappenrinde und allein dieser Rinde, und daraufhin stellte ich die Rinde des Hinterhauptslappens als die Seh- sphäre den anderen Sinnessphären in der übrigen Rinde gegenüber. Hr. Hitzig hält mir nun entgegen, dass nach seinen Versuchen am Gyrus sigmoideus des Hundes mit aller Bestimmtheit sich sagen lasse, dass die bei Eingriffen in das Vorderhirn auftretenden Sehstörungen keineswegs, wie ich wolle, durch unbeabsichtigte Beleidigung der Sehsphäre veranlasst werden. Er erwähnt, dass er eine grosse Zahl „unanfechtbarer Beobachtungen“ habe, bei denen Sehstörungen eintraten, nachdem der Gyrus sigmoideus theils in seiner Rinde, theils tiefer durch Scarification, Anätzung, Auslöfflung oder subeorticale Einschnitte beschädigt wurde. Gewicht legt er auf acht Versuche, bei welchen er einfach die Dura über dem Gyrus sigmoideus abgetragen und die freigelegte Pia überhaupt nicht verletzt hat. Da war in sieben Fällen eine mehr oder minder starke und anhaltende Sehstörung zu be- obachten: und da könne seiner Auffassung nach der Einwand einer unbe- absichtigten Beleidigung der Sehsphäre nicht erhoben werden, da sei dem Einwurfe, dass irgend welche Symptome durch Nebenverletzungen hervor- gerufen seien, am sichersten dadurch begegnet, dass man überhaupt keine Verletzung der Pia anrichtete. Darauf ist einfach zu erwidern, dass solche Versuche, wie sie Hr. Hitzig als schlagende Beweise hinstellt, schon von vorneherein, auch wenn die Operation glücklich verlaufen war, als unrein und für den Zweck unbrauch- bar zu erachten waren. Denn wenn nach der blossen Aufdeckung einer Rindenpartie Gefühls- und Bewegungs- und Sehstörungen — nebenbei be- merkt, alle Arten von Rindenfunctionsstörungen, die Hr. Hitzig überhaupt in Betracht gezogen hat — sich einstellten, so konnte es nicht anders sein, als dass eine Encephalitis oder Encephalomeningitis an der Wunde auf- getreten war; und wie weit die Entzündung über die kinde mit Beein- trächtigung von deren Funetionen sich ausgedehnt hatte, war durch die Section schliesslich nicht festzustellen, weil solche Entzündung, wie sie sich aus- breitet, später auch sich wieder mehr oder weniger zurückbildet, ohne dass sie sichtbare Spuren zu hinterlassen braucht. Dazu kommt dann noch, was Hr. Hitzig ferner über seine Versuche mit Freilegung von Rindenpartien ohne Verletzung der Pia berichtet. Er hat in einzelnen seltenen Fällen nichts, in allen anderen Fällen aber genau die gleichen mehr oder minder ausgeprägten Symptome beobachtet, als wenn man die entsprechende Rinden- partie abgetragen hätte, und in den letzteren Fällen Folgendes gefunden. Die freigelegte Hirnpartie war regelmässig, und zwar schon vom zweiten Tage an, pilzartig in die Schädellücke vorgedrängt. Die Pia war gewöhn- lich mehr oder minder stark hyperämisch, in einem Falle anämisch. Der Rand der Knochenlücke markirte sich auf dem Gehirn durch eine deutliche Schnürfurche. Auf dem Durchschnitt zeigte das Gehirn in den früheren Stadien kleinere und grössere, bis zu stark hirsekorngrossen, häufig bis in 35* 548° VERHANDLUNGEN DER BERLINER die Tiefe der Windung reichende Blutungen, welche später entweder nur kleine apopleetische Cysten oder auch diffuse gelbliche Verfärbung vornehm- lich der Rinde zurückliessen. Traf letzteres nicht zu, so bemerkte man in allen Fällen eine deutliche weissliche Verfärbung der freigelegten Rinde, so dass diese sich im Farbenton kaum von der weissen Substanz abhob und, was von besonderem Interesse war, eine manchmal ziemlich weit über die Grenzen der Knochenlücke hinaus reichende Ausdehnung dieser Verfärbung der grauen Rinde. Bei diesen Befunden hat Hr. Hitzig von reinen Angriffen auf die Rinde zwar nicht sprechen zu können gemeint, indem die weisse Substanz in Mitleidenschaft gezogen war, doch „localisirte Herde“ will er hervorgebracht haben. Aber da ist doch gar nicht darüber zu debattiren, dass, wo die Hirnsubstanz prolabirt war, wo eine Schnürfurche sich zeigte, wo tief reichende Blutungen und ausgedehnte Verfärbungen der Rinde sich fanden, Versuche vorlagen, bei denen gar nicht abzusehen war, wie weit die Schädigung der Rinde und ihrer Functionen sich erstreckt hatte; so dass die beobachteten Störungen lediglich der Schädigung des Gyrus sigmoideus oder der freigelegten Rindenpartie zuzuschreiben, durchaus unzulässig war. Man ist sogar zu sagen berechtigt, dass Hr. Hitzig seine Schlüsse aus den Versuchen wider besseres Wissen gezogen hat. Ich will ganz davon absehen, dass er früher einmal den Prolapsus cerebri eine entzündliche Schwellung der Umgebung der Hirnwunde und eine Dislocation der benach- barten Gyri hat anzeigen lassen. Hr. Hitzig hatte 1874 angegeben, dass grössere Verletzungen des Hinterhirns seinen sogenannten „Defect der Willensenergie“, d. h. den Mangel des Widerstandes gegen passive Be- wegungen der Extremitäten, auftreten lassen, und ich hatte dem entgegen in meiner ersten Mittheilung 1877 angemerkt, dass Exstirpationen in jener Gegend nicht den ,„Defeet“ nach sich ziehen. Neuerdings stimmt mir Hr. Hitzig bei, freilich nieht ohne seitenlang gegen mich zu polemisiren, dass er nicht durch eine directe, bei der Operation erfolgte Verletzung der Fühlsphäre getäuscht worden sei, -— wovon ich nie ein Wort gesagt habe; ich hatte gesehen, dass der „Defeet“ nur unter denselben Umständen nach Verletzung des Hinterhirns sich fand, wie Sehstörungen nach Verletzung des Vorderhirns, dann nämlich, wenn eine Entzündung dort von hinten nach vorn, wie hier von vorn nach hinten, sich ausgebreitet hatte. Und weshalb hat jetzt Hr. Hitzig seine frühere Angabe zurückgenommen’? Er hat jetzt Versuche erhalten, bei welchen nach Verletzung des Hinter- hirns der „Defeet“ nicht vorhanden war oder erst später sich einstellte, nach- dem er zuerst nicht vorhanden gewesen war. „Aus diesen Versuchen‘, sagt er, „geht hervor, dass sehr erhebliche Ausschaltungen der Substanz des Hinter- hirns vorgenommen werden können, ohne dass das von mir als ‚Defeet der Willensenergie‘ bezeichnete Symptom eintritt, aber wenn dies geschieht, so darf es doch nicht auf die ausgeschaltete Hirnpartie bezogen werden, weilesnichtzu den nothwendigen unmittelbaren Folgen der Operation gehört.“ Wenn aber letzteres Hr. Hitzig einsah und die Einsicht so hoch schätzte, dass er sie durch Sperrdruck hervorhob, so musste ihn die Einsicht auch davon abhalten, die Sehstörungen bei den in Rede stehenden acht Versuchen auf den Gyrus sigmoideus zu beziehen, da doch in einem Falle, wie er selber sagt, „gar keine Sehstörung bestand“. Die Durchsicht der von Hrn. Hitzig jüngst mitgetheilten Protocolle PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MUnNK. 549 lehrt zudem einen zweiten Versuch (Nr. 12) kennen, bei welchem Sehstörungen fehlten, da, was Hr. Hitzig allein anzuführen vermochte, dass der Hund „am dritten bis fünften Tage Fleisch rechts weniger schnell als links be- achtete“, nicht im mindesten eine Sehstörung darthut. Ja, es kommt noch ein dritter Versuch (Nr. 16) hinzu, wo die Angabe lautet: „Sehstörung: un- bedeutend, beachtet am zweiten Tage kleine Stückchen Fleisch (rechts) weniger regelmässig als links; am fünften Tage lateraler Streifen amblyopisch“, denn auf eine solche einmalige Beobachtung und nackte Angabe ist bei einer so merkwürdigen, auf einen „lateralen Streifen“ beschränkten Amblyopie gar niehts zu geben. Wollte man aber doch der Hitzig’schen Angabe Ver- trauen schenken, so reiht sich der letztere Versuch nur mit zwei anderen Versuchen (Nr. 14 und 15) zusammen, bei denen Sehstörungen zuerst fehlten und dann auftraten. In dem einen dieser Fälle ergab sogar die Section: „Dura mit Pia über dem ganzen Hinterhirn durch zarte Adhäsionen ver- wachsen“, und doch hat Hr. Hitzig den Fall zu den sieben „mit aller Be- stimmtheit“ beweisenden Versuchen gerechnet. Neuerdings giebt er ihn, weil er nicht rein sei und ich sicher Einwendungen erheben würde, preis, obwohl — man muss es lesen, um es zu glauben — „obwohl er sich, was die Krankheitssymptome angeht, nur durch eine längere Dauer der Störung der optischen Reflexe von den anderen Fällen unterscheidet und obwohl die örtlichen Erscheinungen an der Öperationsstelle — Erweichungsherde, Abblassung der Rinde — die beobachteten Symptome befriedigend erklären“. Wer jetzt aseptisch operirt und zu operiren versteht, muss staunen, dass man über derlei Dinge heutzutage noch zu verhandeln hat. Ich habe, seitdem Hr. Hitzig von seinen Versuchen Kunde gab, dutzendemal die Rinde im Bereiche des Gyrus sigmoideus oder im Bereiche des Hinterhauptslappens des Hundes exstirpirt und nicht ein einziges Mal dort Sehstörungen, hier andere Sinnesstörungen als Sehstörungen folgen sehen. Auch habe ich wiederholt den Gyrus sigmoideus oder den Hinterhauptslappen ohne Verletzung der Pia freigelegt, und niemals trat eine Sinnes- oder Bewegungsstörung ein. Das war natürlich Glück, insofern bei Viviseetionen immer Unfälle vor- kommen können, jedoch nicht bloss Glück, da ich die Exstirpationen auf die Convexität der Hemisphäre beschränkte und die grossen Gefässe vermied. Erst wenn man ausgedehnte Exstirpationen mit vorgeschriebener Begrenzung auszuführen hat, wie die Totalexstirpation der Extremitätenregionen oder des Gyrus sigmoideus oder die Totalexstirpation der Sehsphäre oder diesen nahekommende Exstirpationen, ist es nicht auszuschliessen, dass Versuche grob verunglücken, und kommt es andererseits auch hin und wieder vor, dass trotz anscheinend wohlgelungener Operation nach dem Angriff des Gyrus sigmoideus neben andauernden Gefühls- und Bewegungsstörungen in den ersten Tagen Sehstörungen, nach dem Angriff der Sehsphäre neben andauernden Sehstörungen in den ersten Tagen Gefühls- und Bewegungs- störungen zu beobachten sind. Aber dass so grosse Verletzungen unter Umständen die ganze Hemisphäre erschüttern und vorübergehend für ein paar Tage in allen ihren Functionen beeinträchtigen können, ist auch so selbstverständlich, dass deshalb schon die alten Experimentatoren von Bouillaud an immer und immer wieder es für unstatthaft erklärt haben, aus den Erscheinungen, die sich in der ersten Zeit nach dem Eingriff dar- bieten, die Folgen des Verlustes der Rindenpartie entnehmen zu wollen. 550 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Aus neuester Zeit kann ich sogar auf Goltz verweisen, den im vorliegenden Falle sicherlich Alle als unverfänglichen Gewährsmann werden gelten lassen. In seiner letzten Mittheilung hat Goltz einen Affen geschildert, dem der grösste Theil des linken Stirnlappens und zwei Monate später auch des linken Scheitellappens zerstört worden war. Die Beobachtungen stimmten bezüglich der Gefühls- und Bewegungsstörungen, wie Goltz gern anerkennen wollte, in vielen Punkten mit meinen älteren Beobachtungen überein, und ich finde sogar in den Angaben nur eine einzige bemerkenswerthe Ab- weichung, über die ein anderes Mal wird zu reden sein. An diesem Affen hatte Goltz für eine kurze Zeit nach der Operation neben einer ausge- sprochenen Lähmung der ganzen rechten Körperhälfte die Störung bemerkt, dass das Thier die Gegenstände, die sich in der rechten Hälfte des Gesichts- feldes befanden, nicht wahrzunehmen schien; aber er hat dies nur beiläufig angeführt und nicht daran gedacht, die Sehstörung als Folge des Ver- lustes des Vorderhirns hinzustellen. Hr. Hitzig hat ferner noch Doppeloperationen am Gyrus sigmoideus und am Hinterhauptslappen des Hundes ausgeführt, und sie haben ihm „mit Sicherheit“, „mit absoluter Sicherheit“, „mit Nothwendigkeit“ ergeben, dass der Hund weder im Gyrus sigmoideus noch in der von mir mit A, bezeichneten Stelle des Hinterhauptslappens ein corticales Sehcentrum be- sitzt. Wie steht es mit diesen Versuchen? Wartete Hr. Hitzig nach der Verletzung der Stelle A,, bis die Sehstörung sich ausgeglichen hatte, und griff er dann oberflächlich den Gyrus sigmoideus an, so trat keine Seh- störung ein. Dazu ist meinerseits natürlich nichts zu bemerken. Aber ein im höchsten Grade überraschendes Resultat, wie er selber es nennt, erhielt Hr. Hitzig, wenn er in umgekehrter Reihenfolge operirte, zunächst den Gyrus sigmoideus und dann die Stelle 4, der Sehsphäre angriff. „Ich habe diese Stelle“, sagt er, „geätzt, scarifieirt, ausgelöffelt und unterschnitten, ohne dass in der Regel auch nur die Spur einer Sehstörung eintrat. In Ausnahmefällen zeigte sich auf einen oder einige Tage eine so un- erhebliche temporale Amblyopie, dass man über deren Existenz oder Nicht- existenz in Zweifel sein konnte“ Das war allerdings ein höchst über- raschendes Ergebniss, aber — es war auch grundfalsch. Ich habe jetzt achtmal den Versuch wiederholt, habe zuerst eine grosse Exstirpation im Gyrus sigmoideus vorgenommen, einmal sogar den Gyrus total exstirpirt und habe alsdann nach etwa einem Monate die Stelle A, exstirpirt: ausnahm- los habe ich die Sehstörung gerade so gefunden, wie wenn ich die Stelle A, primär und allein exstirpirt hätte; alle Prüfungen, die ich 1878 und 1879 angab, fielen positiv aus. Wodurch Hr. Hitzig getäuscht worden ist, darüber lassen sich bloss Vermuthungen hegen, und ich mag sie im all- gemeinen Interesse nicht aussprechen, da sonst Hr. Hitzig wieder bogen- lang gegen die Vermuthungen polemisiren dürfte. Ich will lediglich darauf aufmerksam machen, dass Hr. Hitzig selber einmal aus ähnlichem Anlass erklärt hat, es sei dafür, dass ein Untersucher eine früher gemachte Angabe bestätige, absolut erforderlich, dass der Untersucher thatsächlich vorhandene Störungen wirklich auffindet und referirt. Englich hat Hr. Hitzig für seine Annahme, dass die Sehstörungen nach Rindenverletzungen auf der Hemmung subcorticaler Centren beruhen, einen Beweis oder eine Stütze im Verhalten eines optischen Reflexes gefunden, PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — HERMANN MunkK. 551 im Verhalten des Lidschlusses auf plötzliche Annäherung der Hand. Für die Ueberlegungen, die Hr. Hitzig dabei angestellt hat, fehlt mir, wie ich gern gestehe, das Verständniss; aber es reicht für unsere Zwecke schon aus, wenn wir uns an seine experimentellen Ergebnisse halten. Ich habe zuerst 1878 in meiner dritten Mittheilung angezeigt, dass nach der Exstir- pation der Stelle 4, der Sehsphäre Finger und Feuer dem Auge genähert den Hund nicht mehr blinzeln machen; und noch ın demselben Jahre habe ich in meiner vierten Mittheilung weiter angegeben, dass auch nach der Ex- stirpation der Augenregion der Fühlsphäre, wenn man Finger oder Faust dem Auge nähert, das Blinzeln ausbleibt. „Solches Ausbleiben des Blinzelns“, sagte ich da ausdrücklich, „hatten wir schon früher beobachtet, wo durch Läsionen der Sehsphäre Seelen- oder gar Rindenblindheit herbeigeführt war, das Thier somit die Gefahr, die seinem Auge drohte, nicht sah; jetzt, da die Gesichtswahrnehmungen und die Gesichtsvorstellungen des Thieres nach- weislich ganz unversehrt sind, kann das Ausbleiben nur darauf beruhen, dass die Grosshirnrinde den Sphinceter palpebrarum nicht mehr in Thätigkeit zu setzen vermag.“ Daher steht es nicht „im Gegensatz zu Munk’s Theorien“, wie Hr. Hitzig bösartig sagt, sondern bestätigt im Gegentheil lediglich Munk’s Ermittelungen, dass Hr. Hitzig den Reflex auch auf Verletzung „motorischer Centren“, nicht bloss auf Verletzung „optischer Centren“ gestört gefunden hat. Ja, die Uebereinstimmung ist selbst be- züglich der „motorischen“ Rindenpartie, auf deren Verletzung es ankommt, eine vollständige. Denn die den Sphincter palpebrarum in Thätigkeit setzende Rindenpartie ist, unmittelbar anstossend’ an den Gyrus sigmoideus, gerade da im Gyrus coronalis gelegen, wo meine Augenregion und meine Kopf- region der Fühlsphäre an einander grenzen, so dass man sie, wie ich es früher that, zur Augenregion oder, wie ich es jetzt vorziehe, zur Kopfregion rechnen kann: und diese Rindenpartie war nach den Hitzig’schen Ein- griffen in den Gyrus sigmoideus, die eine Störung des Reflexes zur Be- obachtung kommen liessen, bei der Schädigung, welche, wie wir früher sahen, die Rinde über die verletzte Stelle hinaus erfuhr, natürlich zu aller- erst in Mitleidenschaft gezogen. Eben deshalb versteht es sich dann aber auch ohne weiteres, dass in einer Anzahl dieser Hitzig’schen Versuche die Störung des Reflexes sowohl dem Grade als der Zeit nach die Störung des Sehvermögens überwog. Somit bleibt allein zu erwägen übrig, was Hr. Hitzig nach oberflächlichen Verletzungen der Stelle A, und ihrer nächsten Umgebung gefunden zu haben angiebt, dass der Reflex ungeachtet einer gleichzeitigen hochgradigen Sehstörung vorhanden sein konnte und andererseits fehlen konnte, obwohl keine Sehstörung mehr bestand. Da ist nun zu beachten, dass ich nur nach der Exstirpation der Stelle A, und noch grösseren Exstirpationen, wenn Seelenblindheit bis Rindenblindheit herbei- geführt war, nicht nach kleineren Exstirpationen der Sehsphäre regelmässig den Reflex ausbleiben sah. Demgemäss ist, weil Hr. Hitzig weder darüber Auskunft giebt, was er unter „hochgradiger Sehstörung“ versteht, noch die Grösse seiner Exstirpationen anzeigt, und weil er sogar hervorhebt, dass es oberflächliche Verletzungen waren, die er ausführte, die Auffassung wohl- begründet, dass die Hitzig’schen Exstirpationen in den betreffenden Fällen einfach zu wenig ausgedehnt gewesen sind, um den Reflex verschwinden zu machen. Andererseits lässt sich nicht nur nach den Erfahrungen, die 552 VERHANDLUNGEN DER BERLINER wir bei den Doppeloperationen machten, dem nicht vertrauen, dass keine Sehstörung bestand, wo Hr. Hitzig keine fand, sondern geht es auch gerade aus den paar Notizen, die Hr. Hitzig über seine einschlägigen Versuche mitgetheilt hat, hervor, dass die Versuche nicht ohne Entzündungen abliefen und daher dort, wo bei anscheinendem Fehlen einer Sehstörung der Reflex gestört war, ausser der Sehsphäre noch die Rinde des Gyrus coronalis, die dem Sphineter palpebrarum zugeordnet ist, geschädigt sein konnte. Es ist also nach alledem auch in den Hitzig schen Erfahrungen über den optischen Reflex nichts, gar nichts enthalten, das zu einem Bedenken gegen die Seh- sphäre im Hinterhauptslappen berechtigen könnte. Damit ist alles erschöpft, das ich zu behandeln hatte, und ich mag nur noch eine Bemerkung hinzufügen. Hr. Hitzig hat sich wiederholt be- fremdet, missfällig, vorwurfsvoll darüber ausgesprochen, dass ich über diese und jene Angabe, die mir widersprach, mich nicht geäussert habe. Ich kann die Thatsache nicht bestreiten, aber ich habe auch, nach der Art von Hrn. Hitzig zu verfahren, weder die Zeit noch die Lust. Wohl habe ich die Gewohnheit, jeden thatsächlichen Einwurf, der mir gemacht wird, als- bald der experimentellen Prüfung zu unterziehen; aber dass ich den Einwurf unrichtig fand, halte ich nicht für nöthig sofort kundzuthun, sondern spare es mir für die Zeit auf, dass die Veröffentlichung meiner Untersuchungen mich wieder auf den Gegenstand zurückführt, wo ich es dann an der noth- wendigen Kritik nicht fehlen lasse. Nur besondere Umstände können mich veranlassen, von dieser Regel abzuweichen; und so bin ich auch zu dem heutigen Vortrage nur dadurch gekommen, dass mir von verschiedenen be- freundeten Seiten der Wunsch nach einer Aeusserung gegenüber den Hitzig'- schen Veröffentlichungen dringend ausgesprochen worden ist. Es wird nun jedenfalls keiner unrichtigen Deutung mehr unterliegen, wenn ich zu den weiteren Veröffentliehungen, die Hr. Hitzig noch in Aussicht gestellt hat, mich schweigend verhalte. Aber wie ich einstmals zuerst und vor Allen das bahnbrechende Verdienst der Fritsch-Hitzig’schen Untersuchungen unumwunden und ganz anerkannt habe, so werde ich auch nicht zögern, dem Ausdruck zu geben, wenn Hr. Hitzig wieder einmal etwas Förderndes auf unserem Gebiete producirt haben wird. 2. Hr. A. SCHLESINGER (a. G.): „Ueber Plasmazellen und Lympho- eyten.* Nachdem Waldeyer früher als Plasmazellen Gebilde beschrieben hatte, die wohl zum grössten Theil unter die Kategorie der heutigen Mast- zellen fallen, beschrieb Unna im Jahr 1890 Zellen mit hellem Kern und sranulirtem Protoplasma, die sich nur nach der Unna’schen Methylenblau- methode färben, nur bei pathologischen Zuständen der Haut, besonders bei Lupus, vorkommen und aus Bindegewebszellen hervorgehen sollten. Im Einverständiss mit Waldeyer erhielten diese Zellen den Namen Plasmazellen. Dann erschien die Arbeit von Marschalko, der die Specifität der Färbung leugnete, einen ganz anderen morphologischen Typus (ovale Form, rand- ständiger Kern mit randständigem Chromatin, krümeliges Protoplasma) als charakteristisch aufstellte und behauptete, dass die Zellen aus Leukoeyten hervorgingen. Auf Grund dieser Arbeit haben sich dann fast alle Beob- achter nur mit dem von Marschalko angegebenen Zelltypus beschäftigt. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. SCHLESINGER. 553 Die Unna’sche Form wurde wohl ziemlich allgemein als das Resultat un- genauer Beobachtungen betrachtet. Nun sind durch die letzten Arbeiten über diese Punkte wieder Diffe- renzen entstanden. Almgvist! hat in einer Arbeit aus der Joseph’schen Poliklinik dar- auf hingewiesen, dass thatsächlich beide Zellformen vorkommen, die Unna’- sche nur speeifisch mit Methylenblau färbbar, aus Bindegewebszellen her- vorgehend, die Marschalko’sche mit verschiedenen Farbstoffen darzustellen, aus Leukocyten hervorgehend. Pappenheim* (die Arbeiten erschienen ungefähr gleichzeitig) erklärt ebenfalls, dass es verschiedene Formen der Plasmazellen giebt. Die Zellen unterscheiden sich aber nicht prineipiell, sondern nur durch den Zustand des Gewebes von einander: die Unna’sche Form kommt im trockenen, die Marschalko’sche im suceulenten, feuchten Gewebe vor. Ueber die Bedeutung der Plasmazellen kommt Pappenheim zu folgenden Anschauungen: Er hebt den Unterschied hervor zwischen grossen (plasmahaltigen) und kleinen (nur wenig oder kein Plasma enthaltenden) Plasmazellen. Letztere verhalten sich morphologisch gleich oder ähnlich den kleinen, erstere gleich den grossen Lymphoeyten. Nun können aber die Iymphocytoiden Elemente des entzündeten Granu- lationsgewebes, also grosse und kleine Plasmazellen, nicht aus dem Blut emigrirt sein, weil 1) im normalen Blut keine grossen pen (nach Pappenheim morphologisch gleich grossen Plasmazellen); 2) die Lymphoeyten nach Ehrlich nicht emigrationsfähig sind; 3) man in den Iymphoiden Organen kleine aus grossen Lymphocyten hervorgehen sieht; 4) die Iymphocytoiden Elemente des Granulationsgewebes sich oft in der Umgebung von kleinen Arterien fanden, aus denen keine Emigration stattfinden kann; 5) bei normalem Blut besteht das Granulationsgewebe oft nur aus grossen Plasmazellen. Da nun die Zellen nicht aus dem Blut stammen, auch die Ribbert’sche Hypothese verworfen wird, so entstehen die Zellen aus dem Bindegewebe, haben also mit Lymphocyten nichts gemeinsam als die Form. Es giebt also im entzündeten Gewebe keine Lymphocyten. Ferner sind Enderlen und Justi? auf Grund von Experimenten im Gegensatz zu Marschalko zu der Ansicht gelangt, dass die Plasmazellen aus Bindegewebe hervorgehen. Auf einem ähnlichen Standpunkt steht Marchand in seinem „Process der Wundheilung“. Auf Anregung von Hrn. Prof. Benda, dem ich auch an dieser Stelle für die überaus liebenswürdige Unterstützung meinen verbindlichsten. Dank sage, beschäftigte ich mich nun mit diesen Dingen. Ich untersuchte etwa ! Almgvist, Beiträge zur Kenntniss der Plasmazellen, besonders bei Lupus. Archiv für Dermatologie. "Bd. LVIU. H.1u. 2. : Pappenheim, Wie verhalten sich die Unna’schen Plasmazellen zu Lympho- eyten? Virchow’s Archiv. Bd. CLXV u. CLXVI. ® Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. LXlI. H.1u. 2. 554 VERHANDLUNGEN DER BERLINER 80 Organe, Geschwülste und die verschiedensten entzündlichen Processe. Das Material war theils frisch, theils wurden die Organe der Leiche ent- nommen. Grösstentheils fertigte ich Gefrierschnitte nach Härtung in 10 proe. Formalinlösung an; zur Controle härtete ich in Alkohol. Gefärbt wurde nach der Unna’schen Vorschrift, zur Controle in 2!/, procentiger Carbol- toluidinblaulösung und mit Hämatoxylin-Eosin. Mit der Pappenheim’schen Pyronin-Methylgrün-Resoreinmethode konnte ich leider keine guten Bilder erzielen, vielleicht wegen der vorangegangenen Formalinhärtung. Sehr gute, leider wenig haltbare Bilder, konnte ich durch Nachhärten der Toluidin- blaupräparate mit Eosin erzielen. Alle diese Härtungen und Färbungen geben nun die gieichen Bilder. Auch wird die Darstellung der Plasmazellen nicht wesentlich, wie Unna neulich in einer Polemik gegen Almquvist be- hauptet, verändert, wenn die Mastzellen nicht vollständig metachromatisch roth hervortreten. Es bestehen hier grosse Differenzen. Vor Allem sieht man in manchen Präparaten rothe Mastzellen und solche, die nur violett gefärbt sind, so dicht neben einander liegen, dass hier noch andere Unter- schiede als die der Färbung vorhanden sein müssen. Jedenfalls ist die Unna’sche Methode auch nicht für den Unna’schen Zelltypus in Bezug auf Härtung oder Färbung irgendwie specifisch. Wenn ich nun auf die Zellen eingehe, so möchte ich zuerst be- tonen, dass, wenn ich hier den Ausdruck „Unna’scher“ und „Marschalko’- scher“ Typus gebrauche, diese beiden Zelltypen keineswegs zwei scharf von einander getrennte sind. Wir finden die verschiedenen Zellbilder oft neben einander, eine ununterbrochene Reihe, deren Endpunkte einerseits die Zelle mit hellem Kern, schmalem, feinkörnigem, dunklem Protoplasma (Unna), andererseits die Zelle mit excentrischem Radkern!, breitem, ovalem, mehr homogenem Protoplasma (Marschalko) bilden. Die Zellen sind nun nicht prineipiell von einander verschieden, sondern es sind nur ver- schiedene Formen einer Zellart. Der Beweis dafür ist, dass wir bei demselben pathologischen Process verschiedene Zellformen finden, so z. B. die kleinzellige Infiltration in der Umgebung eines Skirrhus besteht aus Unna’schen, die eines Adenocareinoms mehr aus Marschalko’schen Zellen. Wovon die Verschiedenheit der Zellform abhängt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls findet sich nicht, wie Pappenheim meint, im trockenen Gewebe mehr die Unna’sche, im suceulenten die Marschalko’sche Form; denn ich fand z. B. besonders oft bei Processen im Darmcanal den Unna’schen Zell- typus. Besonders möchte ich hier auf Präparate von normalem Dünndarm, von denen ich Ihnen eines aufgestellt habe, hinweisen. Ich fand dort einige Male die Lymphzellen des Iymphoiden Gewebes der Darmschleim- haut theilweise von schmalem feinkörnigen Protoplasma um- geben, also typische Unna’sche Zellen, in anderen Fällen mehr den Marschalko’schen Typus. Vielleicht geben uns diese Präparate einen Hin- weis auf die Entstehung der verschiedenen Formen. Bezüglich der Morphologie der Plasmazellen finde ich nun nirgends ! Dieser Ausdruck wird, obwohl nicht ganz passend, vielfach gebraucht für eine bestimmte Anordnung des Kernehromatins: 5 bis 8 Chromatinkörner am Rande, einige in der Mitte, alles verbunden durch ein feines radiäres Fasersystem. PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — A. SCHLESINGER. 555 . eine Thatsache erwähnt, die, wie ich glaube, für die Auffassung der Genese der Plasmazellen von Bedeutung ist, nämlich, dass es grosskernige und kleinkernige Plasmazellen giebt, und zwar haben die Kerne der letz- teren immer die Grösse kleiner Lymphoeyten. Eine Regelmässigkeit in der Anordnung beider Formen konnte ich nicht finden, Sie können sich aber in den meisten Präparaten von den Unterschieden in der Kerngrösse überzeugen. Nun hatte ich durch die Liebenswürdigkeit des Hrn. Prof. Benda einige Fälle von acuter Leukämie zur Untersuchung. Sie wissen, dass nach den Untersuchungen Benda’s hier die Grenzen zwischen Keimeentren und Peri- pherie in den Follikeln der Lymphdrüsen verwischt sind, und die Lympho- gonien die grossen Lymphocyten in der Zahl stark überwiegen, da sie in Folge der starken Proliferation keine Zeit haben, sich in kleine Zellen um- zuwandeln. Es bot sich nun folgendes Bild, das ich Ihnen dort von einer besonders charakteristischen Lymphdrüse aufgestellt habe: Kurz gesagt (die nähere Beschreibung muss ich der ausführlichen Publication überlassen) finden sich hier bunt durch einander grosse und kleine Lymphoeyten, grosskernige und kleinkernige Plasmazellen. Genau denselben Befund hatte ich in den Gefässen bezw. Capillaren der verschie- denen Organe. Sehen wir uns nun diese Befunde an, so kann wohl kein Zweifel be- stehen, dass alle die in den Lymphdrüsen vorhandenen Zellen zur Gruppe der Lymphoeyten gehören, denn die acute Leukämie ist ein entzündlich hyperplastischer Process und die Geschwulst bei ihr eine homöoplastische, nicht heteroplastische. Einen Zweifel darüber können sofort die Befunde in den Gefässen beseitigen, wo wir genau dieselben Zellen wie in den lym- phoiden Organen finden. Ich glaube also darnach zu dem Schlusse berechtigt zu sein, dass hier die Zellen in den Lymphdrüsen verschiedene Entwicke- lungsstufen derselben Zellart sind, dass also grosskernige Plasmazellen oder grosse Lymphocyten sich zu kleinkernigen Plasmazellen oder kleinen Lym- phoeyten entwickeln. Sehen wir nun, wie wir im entzündeten Gewebe genau die gleichen Befunde haben, nur dass wir hier die grossen Lymphocyten nicht von anderen Zellen (Endothelzellen, primären Wanderzellen Saxer’s) abgrenzen können, so geht mit grosser Wahrscheinlichkeit daraus hervor, dass sich die Plasmazellen nicht nur theilweise morphologisch, sondern vor Allem genetisch ebenso wie Lymphocyten verhalten, dass also wenigstens ein Theil der Plasmazellen nichts weiter als durch Aufnahme von Plasma veränderte Lymphocyten sind. Diese Ansicht wird weiter ge- stützt durch die Befunde in normaler Darmschleimhaut, wo kleine Lympho- cyten sich durch Plasmaaufnahme in Plasmazellen verwandeln. Aus dem Gesagten geht hervor, dass ich mich den Pappenheim’- schen Anschauungen, die sich hauptsächlich auf die morphologische Aehn- lichkeit zwischen grossen Lymphocyten und (grossen) Plasmazellen stützen, nicht anschliessen kann. Eine solche Aehnlichkeit mit grossen Lymphocyten besteht höchstens bei den grosskernigen Plasmazellen. Dass z. B. die Plasmazellen des normalen Darmes in der Hauptsache den kleinen Lympho- eyten entsprechen, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Wie haben wir uns nun zu den Theorien über die Herkunft der klein- zelligen Infiltration zu stellen? Bezüglich der Lehre von der hämatogenen 556 VERHANDLUNGEN DER BERLINER Entstehung der Entzündungszellen glaube ich Punkt 1, 3 und 5 der Einwände Pappenheim’s durch die obigen Ausführungen widerlegt zu haben. Was die übrigen betrifft, so ist eine Anordnung der Plasmazellen um kleine Arterien herum allerdings öfter zu finden. Jedoch ist sie nicht so häufig, dass man Schlüsse aus ihr ziehen kann; dann lässt sie sich auch zwangles aus der lockeren Beschaffenheit des periarteriellen Gewebes und dem Vorkommen kleiner Venen in der Nähe der Arterien erklären. Die Ehrlich’sche Theorie aber von der Unfähigkeit der Lymphocyten, zu emigriren, wird neuerdings so viel angegriffen, dass sie kaum als Stütze für eine andere Theorie dienen kann. Wenn wir unsere Befunde zu dieser Theorie in Beziehung bringen, so müssten also die grosskernigen Plasmazellen, da im Blut für gewöhnlich keine grossen Lymphocyten sind, nachträglich im Gewebe aus den klein- kernigen entstanden sein, eine Genese, die wohl möglich ist, wenn wir be- denken, dass wohl auch ein ruhender kleiner Lymphocyt bei Reizzuständen in einer Lymphdrüse sich in einen grossen verwandeln kann. _ Was die Lehre von der Entstehung der Entzündungszellen aus Binde- gewebszellen betrifft, so würden sich darnach, da die Plasmazellen Lymphocyten sind, sich nicht nur in Lymphdrüsen, wie manche Forscher annehmen, sondern auch im Gewebe Lymphocyten aus Bindegeweos- bezw. Endothel- zellen entwickeln können. Ich sehe wenigstens keinen Grund ein, weshalb man diese Zellen, die dieselbe Genese haben wie die Lymphdrüsenlympho- eyten, nicht auch Lymphocyten nennen sollte. Mir persönlich scheint diese Genese, besonders wenn ich die Analogie bei der acuten Lymphämie be- trachte, wenigstens theilweise möglich zu sein. Ich möchte aber bemerken, dass Hr. Prof. Benda auf dem Standpunkte von der ausschliesslich hämato- genen Entstehung dieser Zellen steht. Gegen die Verallgemeinerung der Ribbert’schen Theorie von der Ent- stehung aus kleinsten im Gewebe präformirten Follikeln spricht, dass wir z.B. im Gehirn, wo diese Follikel nur wenig vorhanden sind, auch klein- zellige Infiltrationen finden. Dagegen wäre es wohl möglich, dass öfters eine Wucherung dieser Zellen mit secundärer Aufnahme von Granoplasma stattfindet. Zusammenfassung: 1) Die Unna’sche Methode ist für keine Form der Plasmazellen eine speeifische. 2) Die Plasmazellen, wie sie von Unna einerseits, von Marschalko andererseits beschrieben werden, sind nicht verschiedene Zellarten, sondern nur verschiedene Formen derselben Zellart. 3) In der normalen Darmschleimhaut findet man öfters die Zellen des Iymphoiden Gewebes durch Aufnahme von Plasma in Plasmazellen verwandelt. 4) Wir haben zu unterscheiden zwischen grosskernigen und klein- kernigen Plasmazellen, die wenigstens theilweise verschiedene Entwickelungs- stufen der Zellen darstellen. 5) Bei acuter Lymphämie ist diese Entwickelung in Lymphdrüsen und Gefässen besonders deutlich. 6) Die Plasmazellen sind, zum grossen Theil wenigstens, nichts weiter als in ihrer Form veränderte grosse und kleine Lymphocyten. (Der Vortrag erscheint in ausführlicher Form in Virchow’s Archiv.) PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. — H. LEVINSoHN. 557 3. Hr. Dr. H. Levinsonn (a. G.): „Ueber Beziehungen zwischen Hirnrinde und Pupille.“ Vortragender hat an Katzen, Hunden und insbesondere Affen auf ex- perimentellem Wege die Beziehungen festzustellen versucht, die zwischen der Grosshirnrinde und der Pupille bestehen. Er richtete sein Augenmerk vornehmlich darauf, einmal zu prüfen, ob die Pupillenveränderung bei Rei- zung der Hirnrinde einem bestimmten Rindencentrum zuzuschreiben oder nur als eine Secundärerscheinung aufzufassen sei, und zweitens bei Bejahung der letzteren Frage, inwieweit diese Pupillenveränderung von den eigent- lichen, der betreffenden Rindenpartie zukommenden Functionen abhängt. Zunächst konnte er sich nicht überzeugen, dass bei Reizung der Hirn- rinde eine typische und eonstante Pupillenverengung auszulösen war, er be- schränkte daher seine Beobachtungen auf die bei Reizung zu Stande kom- mende Pupillenerweiterung. Diese erzielte er 1) bei jeder Rindenreizung, die einen epileptoiden Krampfanfall zur Folge hatte; 2) bei starker Reizung der motorischen Sphäre, ohne dass es zu einem epileptoiden Krampfanfall kam; 3) bei Reizung der Hörsphäre, meist mit stärkeren Strömen; 4) mit schwachen Strömen bei Reizung der Nacken-, Augenfühl- und Sehsphäre. Von letzteren ergab die Reizung der Nackensphäre beim Affen das promp- teste Resultat. Beim Hund und bei der Katze zeigte sich neben der Nacken- region hauptsächlich derjenige Theil der Augenfühlsphäre, welcher dem Hitzig’schen Centrum entsprach, als für die Pupillenerweiterung besonders empfindlich. In allen Fällen war aber die Pupillenerweiterung, die bei Rindenreizung zu Stande kam, beim Affen wesentlich intensiver ausgesprochen, als bei Hund und Katze. Die Pupillenerweiterung bei Rindenreizung war ferner nie ein isolirtes Symptom, sondern mit associirten Augenbewegungen nach der der Reizung entgegengesetzten Seite und Lidbewegungen verbunden. Die Ausdehnung der Augenbewegungen stand gewöhnlich in directem Verhältniss zur Intensität der Pupillenerweiterung. Bei epileptoiden Krämpfen kam es neben der associirten Augenbewegung meist zu starkem Aufreissen der Lidspalten und Hervortreten der Bulbi. Die Exstirpation der die Pupillenerweiterung herbeiführenden Rinden- gebiete ergab in den meisten Fällen ein negatives Resultat; nur zwei Mal waren geringe Veränderungen nach dieser Richtung hin zu constatiren. Ebenso war aber auch in der Stellung und Beweglichkeit der Augäpfel nach Exstirpation dieser Theile eine Störung nicht nachweisbar. Es dürfte sich daher nicht um corticale Centren für die Pupillenerweiterung oder für die associirten Augenbewegungen handeln, sondern Pupillenerweiterung und asso- ciirte Augenbewegung bei Rindenreizung sind als Secundärerscheinungen auf- zufassen, die von subeorticalen Centren ihren Ausgangspunkt nehmen und indireet von der Hirnrinde erregt werden. Vortragender setzt dann aus- einander, wie die Abhängigkeit von Pupillenerweiterung und associirter Augenbewegung von der eigentlichen Hirnrindenfunetion zu denken sei. Zum Schluss führt er noch Versuche an, welche beweisen, dass die Pupillenerweiterung bei Reizung der Grosshirnrinde durch Erhöhung des Dilatatortonus und gleichzeitige Erschlaffung des Sphinetortonus zu Stande kommt. Berichtigungen. Auf S. 104 2.13 v.o.statt (3) lies (15) 500 ODER RO AVELEe (A) 23) a as ie 6 5 5 »„ .» 330. .994099:733 ” (7) EL) (6) 5 DA ns, (5) 55 (4) LOET TR: ur CO Le) BE] I (Ser ze) ED EL} Ei} "LE 39 ,.230,93 2 (9) Ei} (8) ee LO a LO) le) sel L6 A, Sr vauellB)E er l6) a 165 CL) OT LE 100 ao oe) Auf S. 134 sind unten hinzuzufügen: 15. Derselbe, Ueber die Natur der herzschwächenden (negativ-inotropen) Nerven- wirkungen und das Phänomen der „Treppe“. Sitzungsber. d. K. preuss. Akademie der Wissenschaften. 19. Juli 1900. 16. J. Velichi, Untersuchungen über das elektrische Verhalten des künstlichen Längsschnittes quergestreifter Muskeln. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abthlg. S. 29 bis 38. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & UOMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 A. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 % 80 2. Das „Üentralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und giebt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom October des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. Herausgegeben von Professor Dr. E. Mendel 2 in Berlin. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 24 #. ‚Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 24 % direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, Herausgegeben von Dr. R. Koch, und Dr.cC. Flügge, Director des Institute 0. ö. Professor und Director für Infectionskrankheiten des hygienischen Instituts der Zu Berlin, Universität Breslau, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- liehen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in .. mit SU EL im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den piysio gischen Theil. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 #. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von W. His), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Th. W. Engelmann) kann separat abonnirt werden, und ‘es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 #, der Preis der physiologischen Abtheilung 26 4. \ Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. ae nl ut a nd. u an ad weg Ne. En ee ee FE a o Tafı!. ys.Abthlg. 27 Inat.u.Phys.1902. Pl Archivf | -drchivfinat.u.Phys.1902. Phays.1bthlg. Taf. Verlag Veit &Comp. Leipzig Milk AnatıvE. A Funk Leis V I, IRRE e kr Eh nn ME erg iR RR INTEINUNNELNN Date Due Ä N .3.Mar:49r : 1 une a en PER VEN TEISRRREIE PD 71 SENSE E27 en net ee erneut