HARVARD UNIVERSITY. BITBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. = 969 _ Physiologische Abteilung. 1907. Supplement-Band. f ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, . FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. ' HERAUSGEGEBEN voN Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1907. — PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. — - 'SUPPLEMENT-BAND. MIT FÜNF ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN. = | 8 LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1907 Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 31. Dezember 1907.) Inhalt. Seite M. Sımpe, Über den Einfluß von Dünndarm- und Ischiadicusreizung auf die Luft- und Blutkapazität der Lungen. (Hierzu Taf. I-V.) . ..... 1 E. Mayoerr, Über kontinuierlichen Tetanus. (Hierzu Taf. VIu’VH) . .. 18 A. Samosvorr, Zur Charakteristik der polyrhythmischen ee, (Hierzu Tor VL) u: BER RLRN, R. pu Bo18- REYMOND, T. We len Moniee, De Einfluß det Viskosität auf die ee hihd das Poiseuillesche Gesetz . . . RER BIT H. ZWAARDEMAKER, Über die Proportionen der enable 59 a S. Baguıonı, Auch die normale ‚aktive Flügelhaltung der Taube beim Stehen und Gehen wird durch einen Reflextonus bewirkt: . 2... ....71 Die Herren Mitarbeiter erhalten vzerzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 W Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. Beiträge für die anatomische Abteilung sind an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin Bi Luisenstr. 56, Beiträge für dıe physiologische Abteilung an Professor Dr. Th. W. Engelmann. in Berlin N.W., Derathrend 35 portofrei ee — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES Von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVE 8. HERAUSGEGEBEN VON De. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1907. SUPPLEMENT-BAND ZUR PHYSIOLOGISCHEN ABTEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COME. 1907 ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. TH. W. ENGELMANN, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1907. SUPPLEMENT-BAND. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN. - LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1907 Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhrarlt: Seite M. Sıarr, Über den Einfluß von Dünndarm- und Ischiadieusreizung auf die Luft- und Blutkapazität der Lungen. (Hierzu Taf. I-V.) . . 2... 2.2.2... 01 E. Mayer, Über kontinuierlichen Tetanus. (Hierzu Taf. VIu VL). ... 18 A. SamosLorFr, Zur Charakteristik der polyrhythmischen Herztätigkeit. (Hierzu Inn WILL a N ea a) R. pu Boıs-Reymonp, T. G. BRoviE, Franz MÜLLER, Der Einfluß der Viskosität auf die Blutströmung und das Poiseuillesche Gesetz . -. - 2. 2 2 220.2. 87 H. ZWAARDEMAKER, Über die Proportionen der Geruchskompensation . . . . 59 S. Baczıons, Auch die normale aktive Flügelhaltung der Taube beim Stehen and Gehen wird durch einen Reflextonus bewirkt . . . 2. 2 2 2 220... 1 Über den Einfluß von Dünndarm- und Ischiadieusreizung auf die Luft- und Blutkapazität der Lungen. Von Privatdozent Dr. med. M. Sihle in Odessa. (Aus dem physiologischen Institut zu Odessa. Direktor: Prof. B. Werigo.) (Hierzu Taf. I—V.) Die Untersuchungsergebnisse vorliegender Arbeit bilden eine notwendige Ergänzung zu den Befunden, .die ich in zwei Mitteilungen in diesem Archiv 1905! und 1906? zum Abdruck gebracht habe. In der ersten Arbeit hatte ich dargelegt, daß bei peripherer Vagusreizung (am Halse) der Druck im Pleuraraum steigt, und zwar steigt der Druck bei einseitiger Vagus- reizung derart, daß er beim Exspirium um ein Geringes positiv wird. Bei doppelseitiger Vagusreizung konnte man dagegen beobachten, daß der Pleura- druck nicht nur beim Exspirium stark ansteigt, sondern häufig sogar auch während der Inspirationsphase positiv bleibt, daß also, mit anderen Worten, die Lungenelastizität durch Vagusreize hochgradige Störungen erleidet. Zu- gleich konnte man konstatieren, daß mit Einsetzen des Vagusreizes, ins- besondere bei doppelseitiger Reizung, regelmäßig ein gewisses Quantum - Luft aus der Lunge herausgedrängt wurde, und zwar unabhängig von den Respirationsbewegungen des Tieres. Wir bekamen demnach folgende Kon- ! Experimentelle Studien über den Alveolardruck der Lungen und über den Druck im Pleuraraum. Dieses Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. Suppl. ® Experimentelle Untersuchungen über Veränderungen des Lungenvolumens und der Lungenkapazität bei Reizung der Nasenschleimhaut. Zbenda. 1906. Physiol. Abtlg. Suppl. Archiv f. A. u. Ph, 1907. Physiol. Abtlg. Suppl. 1 >) | M. SIHLE: stellation: einerseits Ansteigen des Pleuradruckes, andererseits Verringerung der Luftkapazität der Lungen. Da wir in diesen Versuchen nur den Pleura- druck und den bei der Respiration ein- und ausströmenden Luftgehalt ge- messen, nicht aber den Thoraxumfang berücksichtigt hatten, so sprachen wir vorläufig die Vermutung aus, daß die bei verringerter Luftkapazität der Lungen zu beobachtende Steigerung des Pleuradruckes wohl durch eine Blutanhäufung in den Lungen zu erklären sei, bedingt durch den Einfluß des Vagusreizes auf die Herztätigkeit. Da jedoch durch den Vagus- reiz auch die Bronchialmuskeln und der Oesophagus mit beeinflußt werden, so haben wir die Möglichkeit zugegeben, daß eine Kontraktion genannter Muskeln bei der Herausdrängung der Luft aus den Lungen mitwirke. Später haben wir dann Versuche angestellt, in welchen auch die Thorax- exkursionen registriert wurden (derartige Kurven sind nicht veröffentlicht worden), aus welchen hervorgeht, daß gleich nach dem Vagusreiz die Lunge sich vergrößert, ungeachtet dessen, daß die Luftkapazität der Lunge sich verringert hat. Aus dem Umstande, daß längere Zeit nach Aufhören der Reizung (während 20 bis 50 Respirationsphasen) das Lungenvolumen ver- größert, die Lungenkapazität dagegen verringert bleibt, mußten wir schließen, daß an dem Herausdrängen der Lungenluft die Bronchialmuskeln und der Oesophagus nicht als alleinige Faktoren beteiligt sein können, denn mit Aufhören des Reizes hört auch die Kontraktion derselben auf. Wir kamen daher zu der Überzeugung, daß durch Vagusreize nicht allein eine Hyperämie der Lunge hervorgebracht wird, sondern daß diese Hyperämie auch die Luftkapazität der Lünge verringert. | Nachdem wir nun diese Erscheinungen als gesetzmäßige Tatsachen erkannt hatten, war es für uns natürlich von Interesse zu erforschen, wie die Luft- und Blutkapazität der Lungen sich zueinander verhalten, wenn andere Nervengebiete gereizt werden. Wir wählten zunächst das Trigeminus- gebiet, indem wir die Nasenschleimhaut des Versuchstieres elektrischen und chemischen Reizungen unterwarfen. Da der Trigeminus mit dem Atem- zentrum, und somit auch mit dem Vagus in engem Zusammenhang steht, so war schon a priori zu erwarten, daß eine Reizung der Nasenschleimhaut eine gewisse Rückwirkung auf die Lunge zur Folge haben würde. Die Versuchsergebnisse wurden 1906 in diesem Archiv (a. a. O.) veröffentlicht. Wir bekamen bei Nasenschleimhautreizung ganz ähnliche Resultate, wie bei direkter Vagusreizung, nur mit dem Unterschiede, daß der Pleuradruck im allgemeinen bei Nasenschleimhautreizung weniger hoch anstieg. Ver- ringerung der Luftkapazität war jedoch jedesmal die prompte Folge des Trigeminusreizes. Zugleich konnte man beobachten, daß gleich nach dem Reize die Lunge sich häufig etwas verkleinert, nachher aber wieder an- schwillt und bald einen Umfang aufweist, der größer ist als vor der Reizung. LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U.ISCHIADICUSREIZUNG. 3 Dabei blieb die Luftkapazität der Lunge längere Zeit hindurch verringert und nur allmählich kehrten Luft- und Blutgehalt zur Norm zurück. Also auch hier stellten sich dieselben Erscheinungen ein, wie bei direkter Reizung des Halsvagus: Verringerung des Luftgehaltes bei Vermehrung des Blut- gehaltes der Lungen. Nun erachteten es wir weiterhin als unsere Aufgabe festzustellen, wie die Verhältnisse in der Lunge sich gestalten, wenn wir andere Körper- gebiete reizen, von welchen aus der Herz- und Lungenvagus ebenfalls reflektorisch getroffen wird. Wir wählten für unsere Reizungen den Dünn- darm, ausgehend von der Erwägung, daß Darmreize, wie es ja z. B. der Goltzsche Klopfversuch zeigt, eine intensive Rückwirkung auf die Herz- tätigkeit ausüben. Ferner wollten wir, nachdem die Wirkungsart der Darmreizung klar- gestellt war, uns darüber Rechenschaft ablegen, ob und in welcher Weise Ischiadieusreize auf den Luft- und Blutgehalt der Lunge einen Einfluß ausüben, denn der Oharakter des Ischiadieusreizes muß als ein ganz anderer aufgefaßt werden, als derjenige, der von Vagus- oder Trigeminusgebieten herstammt. Wir wissen, daß Vagusreize die Herzarbeit schwächen, wobei ‘ der Blutdruck sinkt. Von Trigeminusreizen haben v. Basch und Groß- mann nachgewiesen, daß. sie die Herzarbeit erschweren, indem mit der Steigerung des Druckes im linken Ventrikel auch der Vorhofsdruck steigt. Von Ischiadicusreizen dagegen muß man nach den genannten Autoren eine Erhöhung der Herzarbeit erwarten, indem mit der Erhöhung des Druckes im linken Ventrikel der Druck im Vorhof sinkt. Diese verschiedenen Reaktionsarten der Herztätigkeit auf Nervenreize müßten demgemäß auch ein verschiedenes Verhalten der Lungenkapazität und des Lungenvolumens zur Folge haben. Die Versuche wurden, wie die vorhin erwähnten, gleichfalls im physio- logischen Institut zu Odessa vorgenommen und benutze ich hierbei die Ge- legenheit, um dem Direktor des Institutes, Hrn. Prof. B. Werigo, für die freundliche Erlaubnis zur Fortsetzung der Versuche, sowie auch für die stete Bereitwilligkeit, mit seinem liebenswürdigen Rat die Untersuchungen zu fördern, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Wir haben im ganzen an zwölf Hunden experimentiert und die Methodik der Versuche ist in meinen oben zitierten zwei Arbeiten detailliert geschildert. Hier will ich nur die Hauptmomente kurz rekapitulieren. Um einen Einblick zu bekommen in die Schwankungsgrößen des Lungenvolumens und der Luftkapazität der Lungen, müssen wir einerseits die Differenzen der Exkursionsbreite des Thorax und die Pleuradruck- schwankungen registrieren, andererseits das Quantum der aus der Lunge aus- und in dieselbe einströmenden Luft messen. Das Tier atmete während 1 * 4 M. SIHLE: der Versuche durch eine Trachealkanüle aus einer 50 Liter fassenden Atem- flasche, wobei der jeweilige Druck in der Flasche von einer Mareyschen Kapsel registriert wurde. In die rechte Pleurahöhle wurde die in meiner oben erwähnten ersten Arbeit genauer beschriebene Kanüle eingeführt, ferner ein Thoracograph am Tiere befestigt und diese beiden Instrumente ebenfalls mit Mareyschen Kapseln verbunden. Die Tiere befanden sich während der Versuche in Morphium- bzw. Morphium-Chloroformnarkose. Tafel I. Nachdem das Tier narkotisiert und mit dem Versuchs- instrumentarium in Verbindung gebracht worden war, wurde ‘die Bauch- wand beim Nabel durch einen etwa 4 °” langen Längsschnitt gespalten, eine Dünndarmschlinge freigelegt und dieselbe von der parietalen Wand aus einer elektrischen Reizung unterworfen. Auf der Tafel sehen wir drei übereinander gelegene Kurven. Die oberste zeigt an die Ausschläge vom Thoracographen, die mittlere die Schwankungen im Pleuraraum und die unterste die Veränderungen des Druckes in der Atemflasche. Hierbei ist zu bemerken, daß auf der obersten Kurvenreihe das Inspirium durch nach oben gerichtete Linien dargestellt wird, auf den beiden unteren Kurvenreihen dagegen umgekehrt, nach unten. Zunächst wurde der Dünndarm mit einer Stromstärke von 12° Rollen- abstand gereizt. Bei solch einer Stromqualität erhält man einen ganz schwachen Reiz, an den Fingerspitzen in ‚sehr geringer Deutlichkeit zu fühlen. Wir sehen, daß während des Reizes und kurz nach ihm be- schleunigte und intensive Atembewegungen ausgeführt werden, wobei der Thoraeograph auf starken inspiratorischen Zug hinweist (bei a). Dem ver- stärkten Inspirationszug des Thorax entspricht jedoch nicht eine Druck- senkung in der Atemflasche, sondern im Gegenteil, der Druck zeigt dort die Tendenz zum Steigen. Auch auf der Pleuradruckkurve sehen wir das- selbe. Die stark inspiratorische Erweiterung des Thorax erzeugt im Pleura- raum nicht, wie zu erwarten wäre, eine entsprechend starke Drucksenkung, sondern auch dort ist die Tendenz zum Steigen unverkennbar. Nach ein- getretener Beruhigung der Atmung (5) bieten die Verhältnisse nichts Ab- normes dar. Der noch vorhandene übernormale Druck in der Atemflasche ist wohl auf die verstärkte Exspirationsstellung des Thorax zurückzuführen, denn bei 5 befindet sich die Thoraxkurve auf einem niedrigeren Niveau, als vor der Reizung. Bei c wird der Darm von neuem gereizt (10 °” Rollen- abstand). Da dieser Reiz um einiges stärker ist als der vorhergehende, so sehen wir die Folgeerscheinungen auch in stärkerem Grade ausgesprochen. Auf der unteren Kurvenreihe sehen wir, daß der Druck in der Atemflasche hochgradig gestiegen ist, zugleich bemerken wir aber auch, daß der Pleura- druck bedeutende positive Werte erreicht hat. Einen gewissen Anteil an LUNGEN-LUFT- UV. BLUTKAPAZIT. B.DÜNNDARM- U. ISCHIADIOUSREIZUNG. 5 dem Steigen des Druckes in der Atemflasche und im Pleuraraum haben die verstärkten Exspirationsbewegungen des Thorax, denn auf der oberen Kurve sehen wir, daß die Exspirationsmaxima auf einem niedrigeren Niveau sich befinden, als zu Anfang des Versuches. Doch diese Verkleinerung des Thoraxumfanges ist nicht der alleinige Grund dafür, daß der Druck in der Atemflasche und im Pleuraraum so hoch gestiegen ist. Wenn wir nämlich den Inspirationsausschlag bei d betrachten, so sehen wir auf der oberen Kurve, daß der Thorax eine bedeutend tiefere Inspirationsbewegung gemacht hat, als zu Anfang des Versuches. Entsprechend dieser verstärkten In- spiration müßte man eine adäquate stärkere Senkung sowohl des Pleura- druckes, als auch des Druckes in der Atemflasche erwarten. Das ist aber nicht der Fall; man sieht, daß an dieser Stelle der Druck auf den beiden unteren Kurven annähernd derselbe bleibt, wie zu Beginn des Versuches. Wir müssen daher noch nach anderen Gründen für den erhöhten Druck in der Atemflasche und im Pleuraraum suchen. Es sind nur noch zwei Möglichkeiten, die hierbei in Betracht kommen können. Erstens eine Wir- kung der Bauchpresse, und zweitens eine erhöhte Blutfüllung der Lungen. Wir werden aber im nächstfolgenden Versuche uns davon überzeugen können, daß auch ohne Bauchpresse, unter sonst ganz analogen Bedingungen, der Druck in der Atemflasche bei Reizung des Dünndarms steigt, die Luft- kapazität der Lungen also abnimmt. Es bleibt daher nur die Annahme übrig, daß die infolge der Darmreizung veränderte Herzaktion eine Stauung im kleinen Kreislauf bedingt, wodurch die Lunge einerseits anschwillt, andererseits die hyperämische Lunge aber auch den Alveolarraum kom- primiert, wodurch die Luftkapazität verringert und der Druck in der Atem- flasche zum Steigen gebracht wird. Zu bemerken ist noch, daß die nach dem Reize eingetretene Lungenschwellung längere Zeit bestehen bleibt und ganz allmählich erst eine Abschwellung erfolgt, wie das aus dem langsamen Sinken des Pleuradruckes und des Druckes in der Atemflasche zu er- sehen ist. Auf der Kurventafel sehen wir dann noch die Folgen einer dritten Reizung des Dünndarmes (e). Der Strom wurde noch ein wenig verstärkt (9 Rollenabstand) und der Reiz setzte ein, als die Lunge ihre normale Luftkapazität noch nicht wiedererlangt hatte, wie wir aus dem noch über- normalen Druck in der Atemflasche (untere Kurvenreihe vor e) ersehen können. Im allgemeinen wiederholen sich hier die Verhältnisse in ähn- licher Weise, wie bei den vorhergehenden Reizungen, nur entsprechen dem stärkeren Insult auch bedeutend stärkere Reaktionen. Das Tier macht äußerst starke Inspirationsbewegungen (oberste Kurve), der Druck in der Atemflasche steigt noch höher an, als vorher, weil eben noch ein gewisses Quantum Luft aus der Lunge in die Atemflasche abfließt (unterste Kurve) 6 M. SIHLE: und der Druck im Pleuraraum wird noch stärker positiv (mittlere Kurve bei e). Auf der mittleren Kurve (Pleuraraum) fällt es auf, daß der Druck im Pleuraraum während der ganzen Dauer der Darmreizung, auch während des Inspiriums, hochgradig positiv bleibt. Das ist eine Erscheinung, die wir mehrfach beobachtet und auch in den oben genannten Arbeiten be- schrieben haben. Verhältnismäßig am häufigsten beobachteten wir sie bei Halsvagusreizung. Eine richtige Erklärung für dieses Positivbleiben des Pleuradruckes im Inspirium zu geben ist jedoch vorläufig nicht möglich. Nach Authören des Reizes ist der Pleuradruck in Exspirationsphase noch eine Zeitlang positiv, fällt dann unter den Atmosphärendruck, verbleibt aber noch eine Zeitlang höher, als ganz zu Anfang des Versuches. Der hohe Druck in der Avemflasche (untere Kurve) zeigt eine starke Verminde- rung der Luftkapazität der Lungen an. Dabei weist die Thoracographen- kurve darauf hin, daß an der erneuten Luftverdrängung aus der Lunge der Thorax keinen wesentlichen Anteil genommen hat, denn während der Respirationspause f (obere Kurve) steht die Kurvenlinie nicht niedriger, als während der Respirationspausen bei d, im Gegenteil, sie steht sogar ein wenig höher als bei d. | Tafel II. Den nachfolgend geschilderten Versuch nahmen wir an einem Hunde vor, bei dem, behufs Ausschaltung der Bauchpresse, der Leib breit gespalten wurde, und zwar wurden außer einem Längsschnitt vom Proc. xyphoideus bis zur Symphyse auch Querschnitte durch die ganze Bauchwand beiderseits .bis weit nach hinten geführt. Wenn wir nun den Anfang der Kurven betrachten, so fällt sofort die sehr tief unter dem Atmosphärendruck gelegene Pleuradruckkurve auf. Hierbei ist auf folgendes hinzuweisen: Die Druckwerte, welche auf der Pleurakurve und auf der Kurve des Atemflaschendruckes dargestellt sind, entstammen in allen unseren Versuchen immer je einer und derselben Kapsel. Auch bei den Ver- suchen, die in den zwei oben zitierten Arbeiten geschildert wurden, waren die nämlichen Kapseln in Verwendung. In all diesen Versuchen sind wir bei ruhig atmendem Tier nie einem so niedrig stehenden Pleuradruck be- geenet. Das erklärt sich wohl aus dem Umstande, daß bei vorliegendem Versuch, infolge des Fehlens eines Gegendruckes von Seiten der Bauch- organe, das Diaphragma tiefer gerückt ist. Zunächst wurde der Dünndarm mit einer Stromstärke von 8“ Rollen- abstand gereizt (a). Der Thorax macht verstärkte Inspirationsbewegungen und demzufolge müßte man auf der Atemflaschenkurve (unterste Kurve) ein Sinken der Inspirationsmaxima erwarten. Wir sehen aber, daß, im Gegenteil, die Inspirationsmaxima höher gerückt sind. Also trotz stärkerer Erweiterung des Thorax eine Verdrängung von Luft aus der Lunge. Zu- gleich steigt auch in starkem Grade der Druck im Pleuraraum und wird LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 7 dabei deutlich positiv. Wir haben hier also ganz analoge Erscheinungen, wie beim vorherigen Versuch. Trotz Erweiterung des Thorax eine Ver- minderung der Luftkapazität, und trotz Verringerung des Luftgehaltes der Lunge ein Ansteigen des Pleuradruckes. Nach Aufhören der Reizung sinkt der Druck in der Pleurahöhle, doch bleibt er noch eine kurze Zeit höher, als vor dem Versuch. In analoger Weise sinkt allmählich auch der Druck in der Atemflasche, d. h. die Luftkapazität der Lunge hat das Bestreben, zur Norm zurückzukehren. An der Thoracographenkurve ist dabei nichts sonderlich Abnormes zu erkennen, abgesehen davon, daß die Atembe- wegungen sehr geingfügig und unregelmäßig sind. Bei 5 wurde der Dünn- darm manuell gereizt, d.h. es wurde eine Dünndarmschlinge in die Hand senommen und dieselbe unter leichtem Druck durch die Finger gleiten gelassen. Der Effekt ist analog, wie bei elektrischer Reizung. Der Thorax erweitert sich (oberste Kurve), aus der Lunge wird Luft verdrängt (unterste Kurve) und der Druck im Pleuraraum steigt. Der Unterschied besteht hierbei nur darin, daß die Atembewegungen nicht so brüsk und schnell hintereinander erfolgen. Gleich darauf (bei c) ließen wir einen elektrischen Reiz einsetzen (8° Rollenabstand) und wir bemerken, daß sofort eine brüskere Atmung erfolgt, wobei der Thorax hastig noch stärker erweitert wird und die Inspirationsmaxima der Atemdruckkurve ein noch höheres Hinaufsteigen aufweisen. Auf der Pleuradruckkurve bemerken wir, daß beim Einsetzen des elektrischen Reizes der Interpleuraldruck, entsprechend der hastigen Erweiterung des Thorax gesunken ist, gleich darauf aber steigt er staffelföürmig an, wofür auf der Thoracographenkurve kein Äquivalent zu finden ist. Ferner sehen wir, daß nach der Reizung (bei d) der Thorax eine stärkere Inspirationsstellung aufweist, als vor dem Reiz, zugleich ist aber auch der Druck im Pleuraraum noch um Einiges, der Atemflaschendruck dagegen noch um ein Bedeutendes erhöht. Diese Kon- stellation der Kurven (bei d) zeigt nun ganz deutlich, daß wir es hier, ungeachtet der Verminderung der Luftkapazität der Lungen, mit einer Vergrößerung des Lungenumfanges zu tun haben. Da in diesem Versuch der Leib des Versuchstieres breit gespalten war, so ist damit erwiesen, daß die Bauchpresse keinen wesentlichen Anteil an der Steigerung des Pleura- und des Atemdruckes hat. Es ist daher anzunehmen, daß im wesentlichen die Hyperämie der Lungen es ist, welche das Volumen dieses Organes ver- größert und die Luftkapazität derselben verringert hat. Bei e setzt ein neuer elektrischer Reiz (7° Rollenabstand) ein, und wiederum sehen wir als Effekt die nämliche Konstellation der Kurven, nur noch ein wenig stärker ausgeprägt. Bei f wurde der Dünndarm längere Zeit manuell ge- reizt, indem mehrere Darmschlingen unter leichtem Druck hin- und her- geschoben wurden. Der Effekt ist hier ein sehr hochgradiger. Der Thorax 8 M. SIHLE: wird viel stärker, als bei den vorherigen Reizungen erweitert und trotz der be- deutenden Hebung des Thorax verringert sich zunächst der Lufthalt der Lungen (Steigen des Druckes auf der untersten Kurve bei f). Da aber die inspiratorische Hebung des Thorax weiter noch verstärkt wird, so sinken dementsprechend auch die Kurven der Inspirationsmaxima des Atem- flaschendruckes. Im Pleuraraum steigt zunächst der Druck ebenfalls, un- geachtet der starken Erweiterung des Thorax, und sinkt erst, als der Thorax die höchsten Inspirationsanstrengungen macht (bei g). Trotz dieser hoch- gradigen Erweiterung des Thorax sinkt der Pleuradruck nicht unter die Norm, sondern bleibt in Exspirationsphase höher, als ganz zu Anfang des Versuches. Wir sehen ferner, daß auch eine Zeitlang nach der Reizung der Thorax erweitert,. die Luftkapazität dagegen verringert bleibt. Und da auch hier der Pleuradruck noch höher ist, als zu Anfang des Versuches, so folet daraus, daß das Lungenvolumen zugenommen hat. — Wenden wir uns jetzt den Versuchen mit Ischiadicusreizung zu. Tafel II. Die Reizung erfolste am freigelegten Ischiadicusstamm des rechten Beines. Stromstärke = 10°” Rollenabstand. Wir sehen, daß der Thorax (oberste Kurve-bei a) foreierte Respirationsbewegungen ausführt, wobei der Thoraxumfang. sich schnell verkleinert (Sinken der Kurvenlinie). Auf der mittleren und unteren Kurve sind die Kapselausschläge nicht deutlich wiedergegeben; wir können aus ihnen nur entnehmen, daß die Druckdifferenzen in der Atemflasche und im Pleuraraum sehr hochgradige sind, wobei der Pleuradruck in Exspirationsphase stark positiv wird. Nach Aufhören des Reizes macht der Thorax einige sehr tiefe Inspirationen, um gleich darauf Respirationsschwankungen aufzuweisen, die annähernd auf demselben Niveau erfolgen, wie vor der Reizung. Nur ist die Respiration stark (um das 3 bis 4fache) beschleunigt. Der Thoraxumfang (bei 5) hat also wieder denselben Stand erreicht, wie vor der Reizung. Betrachten wir nun die unterste Kurve, so sehen wir, daß der Atemflaschendruck (bei 5) bedeutend gestiegen ist. Es ist also ein bedeutendes Quantum Luft der Lunge entwichen. Wir sahen, wie erwähnt, daß die Thorax- exkursionen (oberste Kurve) bei 5 dieselbe Höhe aufweisen, wie vor dem Reiz. Die Atemflaschendruckkurve belehrt uns aber, daß die Ventilations- größe der Lunge bei 5 ungefähr nur halb so groß geworden ist, als zu Anfang des Versuches. Also der Nutzeftekt der 'T’hhoraxelevationen ist für die Luftkapazität der Lungen ungefähr um die Hälfte reduziert. Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit der Pleuradruckkurve zu. Wir sehen, daß nach dem Reiz (bei 5) der Pleuradruck höher geworden ist, und daß er weiterhin in plötzlichen Absätzen treppenförmig steigt, um LuNnGEn-LUFT- UV. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 9 dann in ebensolehen Absätzen zur Norm zurückzukehren (bei ec). Auf der ganzen Strecke zwischen 5 und c ist der Pleuradruck höher, als vor dem Reiz. Auf derselben Strecke des Atemflaschendruckes sehen wir, daß während der ganzen Zeit die Luftkapazität der Lungen verringert bleibt, während der Thorax auf derselben Strecke seinen Umfang nicht verändert hat, was man aus dem Vergleich der Höhe der Respirationspausen zwischen d und c einerseits und den Respirationspausen vor dem Reiz andererseits erschließen kann. Also bei gleichbleibender Weite des Thorax eine Ver- ringerung der Luftkapazität der Lungen nebst Ansteigen des Druckes im Pleuraraum. Der Lungeninhalt hat demgemäß einen Druck nach beiden Seiten ausgeübt, d. h. sowohl in der Richtung nach dem Alveolarraum, als auch in der Richtung nach dem Pleuraraum. Man könnte sich nun hierbei fragen, ob das Ansteigen des Pleuradruckes nicht durch eine stärkere Aktion der Bauchpresse veranlaßt sein könnte. Man könnte sich dabei denken, daß die deutlich treppenförmig sich darstellenden Steigungen des Pleuradruckes durch Stöße erfolgten, welche durch periodische Komprimierung des Bauchinhaltes das Diaphragma nach oben schoben. Doch durch ein derartiges periodisches Hinaufschieben des Zwerchfells müßte auch die Luft- kapazität der Lungen eine periodisch zunehmende Verringerung erfahren. Wir sehen aber auf der Atemdruckkurve kein Äquivalent für eine solche Annahme. Durch die Bauchpresse wird demzufolge nicht die fragliche Erscheinung erklärt. Aus dem Umstande, daß bei unverändertem Thorax- umfang die Luftkapazität der Lungen abgenommen hat, der Pleuradruck dagegen gestiegen ist, können wir, analog wie bei den früheren Versuchen, auch hier schließen, daß das Lungenvolumen zugenommen hat, und daß für diese Volumvergrößerung eine Hyperämie der Lungen verantwortlich zu machen ist. Eine eindeutige Erklärung. für den sprungweisen Wechsel des Pleuradruckes zu geben, enthalten wir uns. Man könnte an einen periodischen Wechsel der Lungenelastizität denken, nur fragt es sich, ob ein derartiger Elastizitätswechsel nicht auch die Atemdruckkurve beeinflussen müßte. Weiterhin sehen wir bei diesem Versuch, daß bei d die Respirations- elevationen des Thorax in demselben Niveau verlaufen, wie vor der Reizung; zugleich ist der Pleuradruck derselbe, wie zu Anfang des Versuches. Die absolute Luftkapazität (unterste Kurve) ist dagegen noch immer stark ver- ringert, obgleich das beim Inspirrum in die Lunge eindringende Luft- quantum dieselbe Größe erlangt hat, wie vor dem Reiz (gleiche Länge der Inspirationslinien). Bei diesem veränderten Lungenzustande erfolgt (bei e) ein neuer Ischiadicusreiz von derselben Reizstärke, wie vorher. Die Er- scheinungen während der Reizung sind auf allen drei Kurven analog den vorhergehenden. Auf der Thoracographenkurve sieht man, daß nach der 10 M. SIHLE: Reizung (bei f) der Thoraxumfang um ein Geringes kleiner geworden ist (niedrigerer Stand der Respirationspausen). Dementsprechend müßte man ein geringes Ansteigen des Pleuradruckes erwarten. Wir sehen aber, daß im Gegenteil der Pleuradruck etwas gesunken ist. Dieses Sinken des Pleuradruckes findet seine Erklärung in einer weiteren Verringerung der Luftkapazität der Lungen. Wir sehen, daß auf der untersten Kurve (bei f) der Atemdruck erneut gestiegen ist, als Ausdruck eines Zuflusses von Lungenluft in die Atemflasche. Außerdem bemerken wir, daß der Nutz- effekt der Atembewegungen des Thorax für die Lungenventilation sehr stark vermindert ist (unterste Kurve bei f). Diese Herabsetzung des Nutz- efiektes der Atembewegungen dauert verhältnismäßig lange an, denn noch bei g sehen wir beinahe dieselben Verhältnisse. Ferner fällt es bei der Be- trachtung der Pleuradruckkurve auf, daß auf der Strecke f bis g die Schwankungen des Intrapleuraldruckes, trotz ausgiebiger Thoraxelevationen, ad minimum reduziert sind. Diese Erscheinung, die wir mehrfach bei Ischiadicusreizung beobachtet haben (wie wir das auch beim nächsten Ver- such sehen werden), ist sehr schwer zu erklären. Andeutungen dieser Er- scheinung finden wir auch auf der Strecke nach ce. Wenn wir die Kon- stellation der Kurven, wie sie sich nach den beiden Reizungen darbieten, vergleichen, so sehen wir," wie das schon erörtert wurde, daß nach der ersten Reizung (nach a) das Lungenvolumen, trotz Abnahme der Luft- kapazität, zugenommen hat. Anders sind die Folgen nach der Reizung bei ee Aus dem Umstande, daß bei Verengerung des Thorax (f) nebst Verringerung der Luftkapazität auch der Pleuradruck gesunken ist, müssen wir folgern, daß die vorher vergrößerte Lunge durch den neuen Reiz (e) um. Einiges verkleinert worden ist. Die Lungenelastizität ist eine größere, als diejenige, welche nach der ersten Reizung in die Erscheinung trat. Daß die Blutkapazität der Lungen aber immer noch eine größere sein muß, als ganz zu Anfang des Versuches (vor a), erschließen wir aus dem sehr hohen Druck in der Atemflasche (f). Tafel IV. A. Bei diesem Hundeversuch, von dem zwei Kurven- tabellen dargestellt sind, wurde der Ischiadicus zunächst mit einer Stromstärke von 11°”® Rollenabstand gereizt (bei a). Die Folgen des Reizes sind bedeutende inspiratorische Hebungen des Thorax. Zugleich sind auch die Linien der Respirationspausen höher gestellt, was auf eine Er- weiterung des Thorax hinweist (6). Trotz dieser Erweiterung ist aber auch der Atemdruck in Exspirationsphase gestiegen (unterste Kurve bei d), während die Inspirationsmaxima, ungeachtet der starken inspiratorischen Hebungen des Thorax, ungefähr auf derselben Höhe verbleiben, wie vor dem Reiz. Die Luftkapazität der Lunge ist also vermindert. Zugleich sehen wir auf der mittleren Kurve, daß der Pleuradruck bedeutend gesunken LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 11 ist. Dieses Sinken des Pleuradruckes kann jedoch nicht als alleinige Folge ‘der Thoraxerweiterung aufgefaßt werden, denn gleich nach 5 springt der Pleuradruck auf seine vorherige Höhe zurück. Der Elastizitätswechsel der Lunge ist demnach, ganz wie im vorigen Versuch, ein plötzlicher. B. In diesem Versuch sind die Erscheinungen am Thorax und Atem- druck ganz die nämlichen, wie auf der Kurventabelle A; eine Erläuterung ist daher überflüssig. Nur auf der Pleuradruckkurve sehen wir ein Phänomen, welches auf der Kurventabelle A bei 5 angedeutet ist und welchem wir auch auf der Tafel III begegneten. Nach der Ischiadicusreizung (dieses Mal mit einem stärkeren Strom — 8°® Rollenabstand —) ist der Pleura- . druck stark gesunken und bleibt lange Zeit sehr niedrig, ohne dabei den ausgiebigen Thoraxelevationen entsprechend sich zu verändern. Erst zum Schluß dieses Versuches sehen wir, daß die Pleuradrackschwankungen allmählich markierter werden, wobei der Pleuradruck langsam ansteigt. Wie sind nun diese ad minimum reduzierten Pleuradruckschwankungen bei ausgiebigen Thoraxelevationen zu erklären? Wir müssen konstatieren, daß diese Tatsache in der Physiologie der Atembewegungen ein vollständiges Novum darstellt. Ein fast bis Null reduziertes Schwanken des Pleura- druckes kann nur in dem Falle eintreten, wenn die Lunge ihrer Elastizität vollständig verlustig geht. Wenn wir diese Möglichkeit zugeben, so müssen wir andererseits fragen, weshalb denn der Pleuradruck unter die Norm ge- sunken ist, da eine Vergrößerung des negativen Druckes doch nur in dem Falle eintreten kann, wenn die viszerale Pleura von der parietalen mehr abgezogen wird, d. h. mit anderen Worten, wenn die Lungenelastizität größer wird. Das sind Widersprüche, die sich nicht vereinigen lassen. Ich glaube daher, daß wir vorderhand auf eine Deutung des Phänomens verzichten müssen und wollen wir es bloß mit der Konstatierung der Tatsache be- wenden lassen. Tafel V. Es muß hier vorausgeschickt werden, daß der Hund, an welchem dieser Versuch vorgenommen wurde, ein sehr heruntergekommenes, elendes, verhungertes Tier war. Von solch einem Tier kann man voraus- setzen, daß seine Herztätigkeit keine sehr kräftige ist. Wenn man nun dureh Ischiadicusreizung den Blutdruck und damit auch die Widerstände für die Herzarbeit im Aortengebiet bedeutend erhöht, so fragt es sich dabei, wie ein geschwächtes Herz auf solche Mehranforderungen reagiert, denn in dem Verhalten des Lungenvolumens und der Blutkapazität der Lungen ist auch zugleich ein Kriterium gegeben für die Arbeit des linken Herzens. Wir sehen auf der mittleren Kurve, daß schon vor der Reizung der Pleuradruck verhältnismäßig höher ist, als bei den übrigen Versuchstieren. Es mag nun sein, daß dieser relativ höhere Pleuradruck dem Tiere auch in seinen guten Tagen eigen war, aber andererseits muß man berücksichtigen, 12 M. SIHELE: daß auch Herzschwäche einen höheren Pleuradruck im Gefolge haben muß, denn eine Lungenhyperämie, als Begleitzustand der Herzschwäche, muß ja das Lungenvolumen vergrößern, wie das aus allen unseren früheren Ver- suchen hervorgeht. Nun setzt bei a ein starker Ischiadicusreiz ein (6 ” Rollenabstand) und wir sehen, daß der Thorax sich während des Reizes deutlich erweitert, wobei der Atemdruck stark steigt und der Pleuradruck, trotz Erweiterung des Thorax, in Exspirationsphase hochgradig positiv wird. Auch nach der Reizung (bei 5) bleibt der Thorax erweitert und längere Zeit hindurch bleibt auch der Atemdruck erhöht, als Ausdruck einer an- haltenden Verminderung der Luftkapazität der Lungen. Der vorher in Exspirationsphase stark positive Pleuradruck hat sich bei 5 bis auf den. Atmosphärendruck gesenkt, um dann längere Zeit um ein Geringes unter dem Atmosphärendruck, aber immer noch auf einem höheren Niveau, als vor der Reizung, zu verbleiben. Die nächste Reizung erfolgte mit einer Stromstärke von 8°” Rollenabstand. Die Folgen sind vollkommen analog denjenigen nach der ersten Reizung. Da die Lungenkapazität beim Ein- setzen des zweiten Reizes noch nicht zur Norm zurückgekehrt war, und da außerdem der Atemdruck nach der zweiten Reizung noch höher angestiegen ist, als nach dem ersten Insult, so ist damit erwiesen, daß die schon vor- her verringerte Luftkapazität noch um ein gewisses Quantum verkleinert worden ist. Zugleich bleibt der Pleuradruck nach der zweiten Reizung während der Respirationspause deutlich positiv, ist also im Vergleich zum Pleuradruck nach der ersten Reizung gestiegen. Dieser höhere Stand des Pleuradruckes findet jedoch zum Teil seine Erklärung in dem Umstande, daß der Thorax nicht, wie nach der ersten Reizung, erweitert ist, sondern denselben Umfang aufweist, wie ganz zu Anfang des Versuches, was aus dem gleich hohen Stand der Respirationspausen der Thoracographenkurve zu ersehen ist. Die dritte Reizung erfolgte ebenfalls mit einer Stromstärke von 8°“ Rollenabstand. Wiederum wiederholen sich genau dieselben Ver- hältnisse, nur noch in einem ein wenige mehr gesteigerten Maße. Die Luftkapazität wird noch um ein Unbedeutendes vermindert, der Pleura- druck bewegt sich in Respirationspause in einem Niveau, das noch ein wenig höher über dem Atmosphärendruck liegt. Dabei ist der Thorax- umfang in der Respirationspause unverändert, d. h. er ist gleich dem Thorax- umfang, wie er ganz zu Anfang des Versuches war. Die Folgen der Ischiadicusreizung sind bei diesem Versuch ganz ähn- lich denjenigen, die bei Dünndarmreizung beobachtet wurden. Nach jedem Reiz vermindert sich die Luftkapazität und steigt der Pleuradruck. Die Lunge füllt sich mehr mit Blut, vergrößert damit das Volumen des Organes, verringert aber zugleich den Luftgehalt desselben. Wenn wir jedoch die Kurven dieses Versuches mit denjenigen vergleichen, wo ebenfalls der LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 13 Ischiadicus gereizt wurde, so ist ein gewisser Unterschied zu bemerken. Dieser Unterschied bezieht sich auf das Verhalten des Pleuradruckes. Der- selbe zeigte weit weniger Tendenz zum Steigen (Taf. III bei d), als viel- mehr zum Sinken. Gleichartig ist aber die Wirkung der Dünndarm- als auch der Ischiadicusreizung auf die Luftkapazität der Lungen. Durchweg in allen Fällen wird durch die genannten beiden Reizarten der Luftgehalt der Lungen verringert. Aus dem Umstande, daß bei Ischiadicusreizung der Pleuradruck seltener zu steigen, vielmehr dagegen zu sinken pflegt, können wir entnehmen, daß stärkere Blutansammlung in den Lungen meist kein Folgezustand des Ischiadieusreizes ist. Wo jedoch nach Reizung des Is- chiadicus die Lunge durch Hyperämie stärker anschwillt, wie es z. B. auf Tafel V zu sehen ist, da kann man annehmen, daß die Herzarbeit durch den Blutdruck steisernden Reiz verschlechtert worden ist, indem der linke Ventrikel den im Aortengebiet erstehenden Hindernissen nicht gewachsen ist. Fassen wir zunächst die Untersuchungsergebnisse zusammen, welche wir bei Dünndarmreizung: erhielten. Eine derartige Reizung könnte refiek- 'torisch auf zwei Wegen den Herz- und Lungenvagus beeinflussen: einerseits auf dem Wege des Bauchvagus, andererseits durch Fasern, die mit dem Sympathicus zum Rückenmark und zur medulla oblongata verlaufen. Ob diejenigen Reize, die durch den Bauchvagus verlaufen, die Herzarbeit er- schweren oder verbessern, oder ob sie überhaupt den Herz- und Lungen- vagus beeinflussen, ist nicht zu sagen. Gestützt auf die Erklärung des Goltzschen Klopfversuches, müssen wir wohl annehmen, daß der Reflex auf dem zweitgenannten Wege zustande kommt. Die Herzarbeit wird ver- schlechtert. Eine Verschlechterung der Herzarbeit hat nun eine Stauung im kleinen Kreislauf zur Folge und diese Stauung modifiziert sowohl das Lungenvolumen, als auch die Luftkapazität der Lungen. Die Blutstauung bewirkt ein Steigen nicht nur des Druckes im Pleuraraum, sondern sie erhöht auch den Atemdruck. Die Vergrößerung der Blutkapazität zieht also eine Verringerung der Luftkapazität nach ‚sich. Doch diese Erschei- nungen beziehen sich lediglich auf die Reflexwirkung, die eine Dünndarm- reizung auf den Herzvagus ausübt. Es fragt sich daher weiter, ob der Dünndarmreiz reflektorisch nicht auch den Lungenvagus und die Vagusäste. des Oesophagus erregt. Nehmen wir zunächst den Lungenvagus. Hierbei kämen vor allem die Verzweigungen dieses Nerven in der Bronchialmusku- latur in Betracht. Die Erregung dieses Nerven müßte durch Kontraktion der Bronchialmuskulatur, d. h. durch Verkleinerung eines Bestandteiles der Lungen auch das Gesamtvolumen dieses Organes verringern und damit zur Abnahme der Luftkapazität beitragen. Das kann ohne weiteres zugegeben 14 M. SIHLE: werden, aber zugleich muß dann auch konstatiert werden, daß eine Ver- kleinerung des Lungenvolumens eine Drucksenkung im Pleuraraum im Gefolge haben müßte. Da das aber, wie aus den Kurven zu ersehen war, nieht der Fall ist, so erscheint es ungewiß, inwieweit eine reflektorisch be- dingte Verengerung der Bronchiallumina an der Luftaustreibung aus dem Lungeninneren beteiligt ist. Anders steht es dagegen mit der reflektori- schen Erregung der Oesophagusmuskulatur. Wenn dieses Organ sich kon- trahiert, so verkleinert sich ein Bestandteil im Thoraxraum, zugleich aber wäre es möglich, daß dann der Oesophagus am Magen zieht, wodurch das Zwerchfell gehoben werden müßte. Wenn es sich so verhält, so wird viel- leicht neben dem Atemdruck auch der Druck im Pleuraraum steigen. Doch alles das könnte nur Gültigkeit haben während der Dauer der Reizung. Nach Aufhören des Reizes kehrt sowohl die Oesophagus- wie auch die Bronchialmuskulatur in ihre ursprüngliche Lage zurück. Damit wäre dann auch eine Erklärung gegeben für die Tatsache, daß die auf den Kurven siehtbaren Veränderungen während der Reizung ein vieldeutigeres Bild dar- bieten, als nach derselben. Freilich darf man nicht vergessen, daß als modifizierender Faktor für die Kurvenformen während der Reizung noch die foreierte Atmung in Betracht gezogen werden muß. Doch das alles ist für unseren speziellen Zweck nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Als Kriterium für die Veränderung des Blut- und Luftgehaltes der Lungen haben wir nicht so sehr die Erscheinungen benutzt, die während der Reizung statt hatten, als vielmehr jene, welche nach der Reizung sich aus- bildeten. Die letzteren sind aber durchaus eindeutige. Aus ihnen geht hervor, daß Dünndarmreizungen eine Vergrößerung der Blutkapazität be- dingen, und daß eine Blutfülle der Lungen von einer Abnahme der Luft- kapazität begleitet wird. Zugleich haben wir den Beweis erbracht, daß die Bauchpresse an der Erhöhung des Atemdruckes keinen wesentlichen Anteil zu nehmen braucht. Auf noch einen Umstand müssen wir hier zurückkommen. Fast immer beobachteten wir in unseren Versuchen, daß während der Dünndarmreizung der Pleuradruck positiv wird, ohne daß Exspirationshindernisse vorlagen. Nicht nur konnte konstatiert werden, daß diese Erscheinung fast regel- mäßig in Exspirationsphase auftrat, sondern auch nicht selten bemerkten . wir, daß während der Reizung der Pleuradruck zugleich in Inspirations- phase positiv blieb (Taf. I bei e). Ganz die nämlichen Erscheinungen konnten konstatiert werden bei direkter Reizung des Halsvagus, worüber in meiner ersten, zu Anfang dieses Aufsatzes zitierten Arbeit Mitteilung ge- macht ist. Dieses Faktum, daß bei Abwesenheit von Exspirationshinder- nissen der Pleuradruck positiv werden kann, ist für die Physiologie ein Novum. Diese Tatsache entdeckt zu haben, ist jedoch nicht allein mein LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 15 Verdienst, sondern. auch das Verdienst des Herrn Dr. Aron, was aus seiner Arbeit „Zur Mechanik der Exspektoration“ hervorgeht. Obgleich die Ver- suche, bei welchen diese neue Tatsache von mir festgestellt wurde, in eine Zeit fallen, als Aron! seine Arbeit noch nicht veröffentlicht hatte, so ge- bührt die Priorität, wenn auch nicht der Entdeckung, so doch der Ver- öffentlichung, ihm, was ich auf den Wunsch des Herrn Dr. Aron hier ausdrücklich und gern konstatiere. Die physiologische und pathologische Bedeutung des positiven Pleuradruckes infolge von Blutanhäufung in den Lungen ist von mir in der zu Anfang dieses Aufsatzes zitierten zweiten Arbeit (1906) besonders gewürdigt worden, so daß ich an dieser Stelle nicht weiter darauf einzugehen brauche. Fassen wir jetzt die Ergebnisse des Ischiadicusreizung zusammen. Wir sahen, daß nach jeder Reizung dieses Nerven der Atemdruck steigt, ohne daß eine Verkleinerung des Thoraxumfanges dafür verantwortlich gemacht werden könnte. Als Grund für die Atemdrucksteigerung kann auch nicht die Bauchpresse gelten, denn wenn die letztere in Aktion tritt, so muß der Pleuradruck steigen. Werfen wir nun einen Blick auf Taf. III bei f und Taf. IV 3, so sehen wir die Atemdrucksteigerungen mit einer Senkung des. Pleuradruckes einhergehen. Die Bauchpresse kann also ebenfalls nicht als Ursache für die Abnahme der Luftkapazität der Lungen angesehen werden. Der einzige Schluß, den wir aus der Abnahme der Luftkapazität bei Senkung des Pleuradruckes ziehen können, ist der, daß die Elastizität der Lungen eine Steigerung erfahren hat. Daß jedoch eine Erhöhung der Elastizität nicht allemal nach Ischiadicusreizung eintritt, ersehen wir aus der Taf. III bei 5, und vor allen Dingen aus der Taf. V, wo neben Verringerung der Luftkapazität eine bedeutende Steigerung des Pleuradruckes konstatiert werden konnte. Dieses verschiedenartige Verhalten des Pleuradruckes bei Verringerung der Luftkapazität der Lungen findet zum Teil seine Er- klärung in einer variablen Anspruchsfähigkeit des linken Ventrikels. Die größeren Widerstände, die der Ischiadicusreiz im Aortensystem schafft, wird ein kräftiger linker Ventrikel durch entsprechend ausgiebigere Arbeit über- winden, so daß eine Stauung im kleinen Kreislauf nicht einzutreten braucht. Vermag jedoch der linke Ventrikel den an ihn gestellten größeren An- forderungen nicht zu genügen, so wird die Lunge durch vermehrte Blut- anhäufung sich dehnen und die Pleura in die Höhe treiben. Dieser letztere Fall ist eingetreten bei dem Versuch, welchen Taf. V illustriert. Wir er- wähnten, daß das Tier sehr elend und verhungert war, welcher Umstand uns berechtigt, anzunehmen, daß auch der Herzmuskel des Tieres geschwächt gewesen sein muß. Nicht nur die theoretische Überlegung, sondern auch ! Aron, Zeitschrift für klinische Medizin. Bd. LIV. I. und II. Heft. 16 M. SIHLE: die klinische Beobachtung am Krankenbette weist uns darauf hin, daß blut- druckerhöhende Reize bei Insuffizienz des Herzmuskels eine Lungenstauung nach sich ziehen müssen. Unser Versuch gibt dazu die experimentelle Bestätigung. Alles Dargelegte kurz zusammenfassend können wir folgende Leitsätze aufstellen : 1. Dünndarmreizungen rufen eine Verminderung der Luftkapazität der Lunge hervor. Mit der Verminderung des Luftgehaltes geht eine Vermehrung des Blutgehaltes der Lunge einher. Das Lungenvolumen nimmt dabei zu, wodurch der Pleuradruck zum Steigen gebracht wird. Im Verlaufe der Reizung selbst kann der Pleuradruck gewaltig an- steigen, so daß nicht nur in Exspirationsphase, sondern zuweilen auch in Inspirationsphase der Druck positiv bleibt. Die hyperämische Lunge vermindert den Nutzeffekt der Atembewegungen für die Lungen- ventilation. 2. Reizungen des Ischiadicus bedingen gleichfalls eine Verminderung der Luftkapazität der Lunge. Der Pleuradruck zeigt dabei ein verschiedenes Verhalten. Er kann unter die Norm sinken, oder aber er kann in Ex- spirationsphase positiv werden. Den unternormalen Pleuradruck nach Ischiadicusreizung kann man durch Erhöhung der Lungenelastizität deuten, den übernormalen durch Verminderung derselben. Da der Ischiadicus- reiz die Widerstände im Aortengebiet erhöht, so kann der linke Ventrikel nur durch gesteigerte Arbeit die gesetzten Widerstände überwinden. Tut er dieses in ausreichendem Maße, so braucht der Blutgehalt der Lunge keine erhebliche Änderung zu erfahren und der Pleuradruck wird dank der verminderten Euftkapazität sinken müssen. Erweist sich dagegen der linke Ventrikel den an ihn gestellten erhöhten Anforde- rungen gegenüber zu schwach, so muß im kleinen Kreislauf eine Blut- stauung zustande kommen und der Pleuradruck wird steigen. Während der Ischiadieusreizung selbst wird der Pleuradruck in Exspirationsphase häufig hochgradig positiv, ohne daß Exspirationshindernisse, wie Glottis- verschluß, vorliegen. Zum Schlusse noch einige Hinweise auf die Untersuchungsergebnisse meiner zwei, zu Anfang dieses Aufsatzes zitierten Arbeiten: Sowohl bei den Versuchen mit direkter Halsvagusreizung, wie auch bei Reizung des Trigeminus (Nasenschleimhaut) erhielten wir Resultate, die durchaus analog sind den Resultaten nach Dünndarmreizung. Hier wie dort Erhöhung der Blutkapazität nebst Verminderung der Luftkapazität der Lungen. Auch in den Fällen mit Ischiadicusreizung, wo ein geschwächter Herzmuskel vorausgesetzt werden konnte, vermehrt sich die Blutkapazität und vermindert sich die Luftkapazität der Lungen. Unter den vielfachen LUNGEN-LUFT- U. BLUTKAPAZIT. B. DÜNNDARM- U. ISCHIADICUSREIZUNG. 17 Reaktionsarten des Herzens auf Reize können wir hier zweierlei Wirkungs- arten herausgreifen. Die eine Reizart setzt den Blutdruck herab, indem die Herzarbeit direkt geschwächt wird, die andere Reizart läßt den Blut- druck ansteigen und schwächt die Herztätigkeit nur dann, wenn der Herz- muskel nicht imstande ist, den höheren Anforderungen zu genügen. In allen diesen Fällen vergrößert sich die Blutkapazität der Lungen und in allen Fällen — das soll hier besonders betont werden — geht mit der gesteigerten Blutkapazität eine Verringerung der Luftkapazität einher. Eine Blutfülle der Lunge setzt den Luftgehalt der letzteren herab, das glauben wir einwandfrei bewiesen zu haben. Wie stimmt das nun mit der Lehre von der Lungenschwellung und Lungenstarrheit, die v. Basch und Großmann experimentell scheinbar exakt begründet haben? Ich sage „exakt“, weil die Experimente genannter Autoren tatsächlich exakte genannt werden müssen, und ich sage „schein- bar“, weil einige Schlußfolgerungen falsch sind. Das zu beweisen ist die Aufgabe meiner nächsten Publikation, zu welcher das experimentelle Material schon fertig vorliegt. In dieser Arbeit sollen Versuche geschildert werden, die unter Curare vorgenommen wurden und bei denen auch geprüft wurde, wie sich Luft- und Blutkapazität der Lunge zueinander verhalten, wenn man unter anderem, wie es Großmann getan hat, einen Obturator im linken Ventrikel aufbläst, wodurch ja, wie es selbstverständlich ist, ein Abfluß des Lungenblutes erschwert wird. Auch diese Versuche werden zur Evidenz erweisen, daß die seit Traube herrschende klinische Auffassung — wonach der Alveolarraum durch Blutfülle der Lunge verkleinert wird — zu Recht besteht. Archiv f. A. u. Ph, 1907. Physiol, Abtlg. Suppl. 2 Über kontinuierlichen Tetanus. Von Dr. Baron E. Maydell. (Aus dem Laboratorium für Physiologie der Kaiserl. St.-Wladimir-Universität zu Kiew. Direktor: Prof. S. J. Tschirjew.) . (Hierzu Taf. VI u. VII.) In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Tetanus entdeckt und von der Zeit an als eine der interessantesten Erscheinungen der Physiologie wiederholt der verschiedenartigsten und genauesten Bearbeitung unterworfen. Ungeachtet dessen, daß diese Arbeit eine Unmenge Mühe gekostet, daß sich mit ihr derart hervorragende Physiologen, wie Nobili» Matteucei, E. du Bois-Reymond, Helmholtz und mit ihnen eine ganze Reihe von Nachfolgern und Schülern beschäftigt, kann man doch bis auf den heutigen Tag die Frage nicht für vollständig gelöst erachten. Die verschiedenen Arbeiten griffen das Problem von verschiedenen Seiten an, wie vom künstlichen, direkten und reflektorischen, so auch vom physio. logischen, willkürlichen Tetanus ausgehend. Wir wollen uns hier nicht mit der geschichtlichen Entwicklung der Tetanuslehre beschäftigen — diese ist äußerst genau, interessant und mit großer Sachkenntnis von Friedrich Martius! bearbeitet worden —, wir wollen nur, und zwar auf Grund der genannten Arbeit, konstatieren, daß sich alle Autoren für ein und dieselben Fragen zu interessieren schienen, nämlich erstens dafür: inwieweit der Tetanus als Summe einzelner Reizimpulse, also auch einzelner Muskel- ‘ Historisch-kritische und experimentelle Studien zur Physiologie des Tetanus. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abtlg. S. 542. E. MAYDELL: ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANDS. 19 zuckungen erscheint; zweitens: ob es einen Tetanus von kontinuierlichem Charakter geben kann; drittens: inwieweit unsere willkürlichen Bewegungen durch den Tetanus erklärbar sind; und viertens: in welchem Grade die Einzelzuckung und der Tetanus von Modifikationen der elektrischen Eigen- schaften des Muskels begleitet werden. Diese Fragen wurden nun auch im Kiewschen physiologischen Labora- torium des Prof. S. J. Tschirjew bearbeitet. Im Herbste des vorigen Jahres proponierte mir mein hochverehrter Lehrer, Prof. Tschirjew, die Tetanus- frage in folgender Richtung zu studieren: 1. die Muskelkontraktionskurve bei durch konstanten Strom erhaltener Schließungs- und Öffnungsreizung des Nerven (Ritterscher Tetanus) zu erklären; 2. die Tetanuskurve bei Reizung der Pyramidenbahnen des RKückenmarks normaler und stryehnin- vergifteter Frösche durch den konstanten Strom zu erklären; 3. graphische Daten der aktiven Bewegungen des Menschen zu erhalten. Der experimentelle Teil der Arbeit bestand in folgendem: experimen- tiert wurde mit Fröschen, hauptsächlich Rana eseulenta. Mit einer Schere wurde der den großen Hemisphären entsprechende Teil des Kopfes weg- geschnitten, darauf vorsichtig die übrigen Hirnhöhlen und der Hohlraum des oberen Rückenmarkabschnittes eröffnet und schließlich die Medulla oblongata von den oberhalb liegenden Teilen durch einen Schnitt abgetrennt. Das derart bearbeitete Froschpräparat, bei welchem vom Zentralnervensystem nur Oblongata und Rückenmark zurückgeblieben, wurde am Mareyschen Myographen befestigt, die Gastroknemiussehne mit dem Myographenhebel verbunden, die Tetanuskurve auf der rotierenden Trommel fixiert. Als Reizquelle diente der Strom von 2 bis 3 Akkumulatoren a 2 Volt. Dieser Strom wurde entweder mit gewöhnlichen Platinaelektroden oder mit den Cyonschen Elek- troden — dieselben sind in seiner „Methodik der physiologischen Experimente und Vivisektionen“ S. 439 beschrieben und auf Taf. IV, Fig. 14a abgebildet —., die ins Rückenmark eingestochen wurden, appliziert. Die Rotationsgeschwindig- keit der Trommel betrug 6-38"" in der Sekunde. Der Jaquetsche Zeit- messer registrierte bis zu 0-2 Sekunden. Die ersten Experimente gelangen uns nicht ganz. Die mit dem Myographen in leitender Verbindung stehen- den Muskeln gaben scharf ausgeprägte Zuckungen tetanischen Charakters mit Ziekzackschwankungen am Anfang der Kurve. Diese Schwankungen zeichneten sich stets durch vollkommene Regelmäßigkeit mit allmählich abnehmender Amplitude und durch fast immer gleiche Anzahl aus. Auf Grund dieser Symptome und weil wir die Zickzackbewegungen als Folge der eigenen elastischen Schwankungen des Schreibhebels- auffaßten, setzten wir an Stelle der Plättchenfeder des Mareyschen Myographen, die diese Bewegungen verursachte und auf den auf der anderen Seite der Achse liegenden Hebelarm wirkte, eine gewöhnliche Spiralfeder, die auf 2 20 E. MAYDELL: denselben Hebelarm wie der Muskel wirkte (Taf. VI, Fig. 1). Nach diesem Federtausch zeigten die folgenden Kurven keine Zickzacke. Wie bekannt haben E. du Bois-Reymond! und Engelmann? gezeigt, daß wir bei Reizung der Nerven durch den konstanten Strom einen Schließungstetanus erhalten. Hiervon ausgehend machten wir einige Experimente in dieser Richtung und erhielten eine Reihe kontinuierlicher tetanischer Kurven. Doch gelang es uns dabei keinmal, vom verletzten Muskel sekundären Tetanus zu erhalten. Das Photogramm der negativen Schwankungen des verletzten Muskels, der leider keinen genügend starken Tetanus gab, stellt, wie auf der Abbildung sichtbar, auch eine Kurve vor, die gar keine Os- zillationen aufweist (Fig. 2, Taf. V]). In betreff der Kurven des Ritterschen Öffnungstetanus ist zu be- merken, daß er sich bei unseren Fröschen im Winter bei weitem nicht immer erzielen ließ. Wir erhielten jedoch eine schöne Kurve des Ritter- schen Tetanus durch Reizung der 10”® langen intrapolaren Strecke durch den konstanten Strom von 6 Volt (Taf. VI, Fig. 3). Die Kontinuität dieser Kurve ist evident. Wenn man beim Erhalten des Ritterschen Öffnungstetanus den Nerven des als Rheoskop dienenden Froschfußes auf den verletzten Muskel anlegte, erhielt man niemals sekundären Tetanus, sondern nur einzelne Zuckungen bei Öffnung und Schließung des konstanten Stromes. Wenden wir uns nun der Beschreibung der durch Reizung der Pyra- midenstränge des Rückenmarks durch den konstanten Strom entstandenen Kurven zu. Taf. VI, Figg. 4, 5, 6 zeigt uns tetanische Kurven, die auf solche Weise entstanden. Diese Kurven haben keine Zickzacklinien und sind vollkommen gleichmäßigen, nicht oszillatorischen Charakters. Zuweilen erhielten wir bei solchen Kurven Erhebungen auch bei Stromöffnung. Sekundären Tetanus bei solchen Tetanusexperimenten mit Anwendung des konstanten Stroms, wobei der als Rheoskop dienende Nerv auf die verletzte Stelle des primären Muskels gelegt wurde, zu erhalten, gelang uns nicht, hin und wieder konstatierten wir aber einzelne Zuckungen bei Öffnung und Schließung des Stromes. Weiter folgte eine Reihe von Experimenten, die Kurven der negativen Schwankungen bei kontinuierlichem Tetanus ergaben. Bei Herstellung der Photogramme dieser Kurven benutzten wir die von Prof. Tschirjew in der Arbeit „Photogrammes des courbes &lectrometriques des muscles et du coeur en contraction“® beschriebenenen photographischen Utensilien. Bei 1 Untersuchungen über die tierische Elektrizität. 1848. Bd. I. S. 258. ? Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Archiv für die ge- samte Physiologie. 1870. 8. 257. ® Journ. de Physiol. et de Pathol. gen. 1905, Juillet. No. 4. p. 593. ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANDS. 21 diesen Versuchen wurde die Methodik der vorhergehenden Experimente in folgender Weise abgeändert. Das auf die gleichmäßig rotierende Trommel von Balzer-Schmitt aufgezogene lichtempfindliche Plättehen nahm durch die enge Spalte der photographischen Camera die Bewegungen des Lippmann- schen Kapillarelektrometers auf. Sodann bewegte sich unter dem Bilde des Quecksilbermeniskus, hart vor der Platte, zwischen ihr und der licht- empfindlichen Platte, ein leichter und dünner Hebel an Stelle der Feder des Mareyschen Myographen. Der Gastroknemius selbst wurde von der Haut befreit und der Strom vermittelst Hoeringscher Elektroden vom Muskel zum Kapillarelektrometer fortgeleitet. Eine der Elektroden wurde auf die verletzte Stelle an der Achillessehne appliziert und der starke Eigen- strom des Muskels mit dem runden Kompensator E. du Bois-Reymonds kompensiert. In das freigelegte Rückenmark wurden Cyonsche Elektroden eingestochen und durch letztere der Reiz mitgeteilt. Eine ganze Reihe von Experimenten gab ein und dieselben Daten. Auf Taf. VI, Figg. 7, 8 führen wir beispielshalber auf die erwähnte Art gewonnene Kurven auf. Aus diesen Kurven erhellt, daß bei Reizung der Pyramidenstränge durch den konstanten Strom die negative Schwankung gleichfalls eine vollkommen kontinuierliche Kurve gibt, an deren Anfangsteil auch nicht die kleinsten oszillatorischen Schwankungen bemerkbar sind. Die Kurve der negativen Schwankung verläuft hinsichtlich ihrer Entwicklung nicht parallel der Tetanuskurve; sie nimmt ihren Anfang stets um einiges früher als die Muskelkontraktionskurve und überdauert letztere um ein Bedeutendes. Auf der von uns der vorliegenden Arbeit beigegebenen Tafel (Taf. VI, Fig. 7) zeigen die Kurven der negativen Schwankung bisweilen sogar die Tendenz, wieder höher zu steigen, d. h. die Stärke der negativen Stromschwankung wird sogar größer, während die Reizung aufgehört hat und der Muskel aus dem tetanischen Zustande zur normalen Ruhelage zurückkehrt. Dieses Phänomen ist auch von Prof. S. J. Tschirjew in der Arbeit: „Photo- grammes des courbes etc.“! beschrieben worden. Ferner folgen Versuche an mit Strychnin vergifteten Fröschen. Zu diesen Versuchen wurde gleichfalls Rana esculenta verwandt. Dem Frosche wurden unter die Haut bis zu 0-2”s Strychnini nitriei gespritzt, und wenn die Wirkung desselben eintrat, wurde der Frosch wie oben präpariert und am Mareyschen Myographen befestist. In den oberen Teil des Rücken- marks, in dem Bereiche, wo die Pyramidenstränge verlaufen, wurden Cyonsche Elektroden eingestochen und dem Frosche eine Reizung mit dem konstanten Strom von 3 Akkumulatoren von je 2 Volt mitgeteilt. Jedesmal, wenn der Strom geschlossen wurde, gab der Muskel einen EN a.Eı). 22 E. MAYDeut: Tetanus, der von der mit der Achillessehne verbundenen Feder aufgezeichnet wurde. Auf Taf. VII, Figg. 9, 10, 11, 12 sind einige solcher Kurven wiedergegeben. Bei den Tetanuskurven mit Strychnin vergifteter Frösche bemerkt man sehr oft, ebenso wie beim Tetanus nichtvergifteter Frösche, eine gewisse Senkung des Tetanus nach der anfänglichen Hebung und sodann eine Steigung der Kurve bei Stromschließung. Wie aus den Tafeln ersichtlich, ist der durch Reizung des Rückenmarks eines mit Strychnin ver- gifteten Frosches erhaltene Tetanus — ein kontinuierlicher, dauernder Tetanus ohne jede Ziekzacke. Eine Kurve von durchaus anderem Charakter erkält man, wenn man bei einem solchen mit Strychnin vergifteten Frosche durch Ersehütterung, oder sogar durch einfaches Anblasen reflektorischen Tetanus hervorruft. Wie aus Taf. VII, Figg. 13, 14 ersichtlich, wird ein solcher Tetanus durch eine ganze Reihe einzelner stärkerer Kontraktionen, deren Wellen bisweilen nach Maßgabe der Annäherung der Feder an die Abszisse srößer werden, ausgelöst. Diese wellenförmigen Schwankungen sind jeden- falls der Zeit nach von solcher Dauer, daß sie keinenfalls mit den einzelnen Impulsen des unterbrochenen (20 in der Sekunde) Tetanus identifiziert werden können. Einen derartigen diskontinuierlichen Charakter hat der reflektorische Tetanus nicht nur bei einem mit Strychnin vergifteten Frosche, sondern auch überhaupt bei normalen Fröschen. Hierin besteht auch der prinzipielle Unterschied zwischen willkürlichem Tetanus und einem solchen, der durch Reizung der Pyramidenstränge des Rückenmarks hervorgerufen wurde — einerseits, und jedem durch Reizung der zentripetalen Nerven hervorgerufenen reflektorischen Tetanus —, andererseits. In letzterem Falle erhält man klonische Zuckungen, ähnlich den Kontraktionen der Frosch- füße bei kontinuierlicher dauernder Reizung von Hautbezirken. Wenn wir die von mit Strychnin vergifteten Fröschen erhaltenen Kurven — die des reflektorischen Tetanus und die bei Reizung der Pyra- midenstränge des Rückenmarks durch den konstanten Strom erhaltenen — vergleichen, so fällt sofort der verschiedene Charakter derselben auf. Alle unsere Bemühungen, sekundären Tetanus bei beiden Arten des Strychnintetanus zu erhalten, hatten keinen Erfolg; der als Rheoskop dienende Froschfuß gab nur einzelne Zuckungen. Die letzte Versuchsreihe endlich hat unsere willkürlichen Bewegungen zum Gegenstande. Wir machten den Versuch, die Kurve unserer einfachen Bewegungen aufzuzeichnen. Zu diesem Zwecke wurde folgender Myograph zusammengestellt, der dem von Cyon auf Taf. LI, Fig. 4 dargestellten und in seiner „Methodik usw.‘“ beschriebenen Myographen ähnlich ist. An einem vertikalen Stative wurde eine Spiralfeder aus Stahl befestigt, deren unteres Ende mit Hilfe von Scharnieren mit einem großen zweiarmigen Hebel ver- bunden wurde. Die sehr leicht bewegliche Achse des großen Hebels teilte ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANDS. 28 den Hebel selbst in zwei Teile, die zueinander in dem Verhältnis von 1:3 standen. Die ganze Länge des Hebels betrug 45°“. An dem längeren Ende wurde eine leichte Feder befestigt, die eine Kurve auf einen gleich- mäßig in vertikaler Richtung rotierenden Zylinder aufzeichnete. Die Schnelligkeit der Walze betrug 2-75°® in der Sekunde. Unterhalb dieses Hebels mit der Feder registrierte ein Jaquetscher Registrierapparat 0.2 Sekunden. Der Versuch selbst wurde in folgender Weise angeordnet. Der rechte Arm wurde frei und bequem auf einer hölzernen Unterlage zurechtgelest und vier Finger der Hand faßten den dicken vertikalen Stab dieses Ge- stelles, während der Daumen in einen an dem unteren Ende der Feder angebrachten Ring hineingesteckt wurde. So machte der Finger, indem er die Feder anzog, bei geringfügiger Spannung willkürliche Bewegungen, die nun durch den mit der Schreibfeder versehenen Hebel auf dem Zylinder aufgezeichnet wurden. Bei gewisser Übung kann man gute Kurven der tetanischen Muskelkontraktionen der den Daumen beugenden Muskeln erhalten. Auf Taf. VII, Figg. 15, 16, 17 sind einige auf solchem Wege erhaltene Kurven dargestellt. In einer ganzen Reihe von seit dem Jahre 1901 publizierten Arbeiten hat Prof. S. J. Tschirjew erstens die Tatsache festgestellt, daß unverletzte lebende Muskeln bei ihrer Kontraktion im Körper vollkommene elektro- motorische Inaktivität zeigen; zweitens hat der genannte Forscher gezeigt, daß die negative Schwankung des sogenannten Muskelstroms des verletzten Muskels, dank dem Umstande, daß sie von bedeutend längerer Dauer ist, als die Muskelkontraktion, nicht als integrierender Bestandteil zu dem Prozeß der Muskelerresung gehört und in diesem Sinne eine durchaus unwesentliche Erscheinung ist. Drittens hat er gezeigt, daß der dis- kontinuierliche Charakter der Muskelkontraktiion nur durch die gleiche Eigenschaft der Muskelreizung bedingt wird. Aus diesem Grunde hält er ebenso jeden willkürlichen, oder künst- lichen, durch den Willen bzw. durch irgendwelche andere dauernde Reizung hervorgerufenen Tetanus für einen vollkommen kontinuierlichen, nicht oszillierenden Tetanus. Diese Versuche des Prof. S. J. Tschirjew werden durch die meinigen in vollem Umfange bestätigt. Der kontinuierliche Charakter der Tetani, sowohl des willkürlichen, als auch des bei Reizung eines einzelnen Nerven, oder der Pyramidenstränge des Rückenmarkes erhaltenen wird erwiesen: 1. durch den kontinuierlichen Charakter der myographischen Kurven selbst, d. h. das Fehlen jeglicher Öszillationen in denselben; 2. durch die völlige Abwesenheit von sekundärem 24 E. MAYDELL: Tetanus bei solchen tetanisch kontrahierten Muskeln; 3. durch das Fehlen jeglicher Oszillationsbewegungen auf den Photogrammen der Kurven der negativen Schwankung dieser im Zustande des beständigen Tetanus befind- lichen Muskeln. Ferner hebe ich besonders den prinzipiellen Unterschied zwischen will- kürlichem oder durch beständige Reizung der motorischen Bahnen hervor- gerufenem und reflektorischem Tetanus hervor: die ersteren sind kon- tinuierliche Tetani, die letzteren klonische, diskontinuierliche. In der Wissenschaft hat dank dem Einflusse der Arbeiten Wollastons, Helmholtz’ u. a. die Ansicht tiefe Wurzeln gefaßt, daß sich der willkür- liche Tetanus aus annähernd 19 bis 20 Impulsen in einer Sekunde zu- sammensetzt, die von der motorischen Zelle des Rückenmarks bei willkür- licher Innervation gesandt werden. Das ist noch von niemand bewiesen worden. Diese These wurde auf Treu und Glauben hingenommen, zu einer Zeit, wo man in der negativen Schwankung das Zwischenglied zwischen der Muskelreizung und -Kontrak- tion sah und durch den sekundären Tetanus den diskontinuierlichen Cha- rakter der negativen Schwankung an verletzten Muskeln bei diskontinuier- licher Reizung beweisen wollte. Jetzt, wo Prof. S. J. Tschirjew die wahre Bedeutung der negativen Schwankung aufgedeckt und gezeigt hat, daß es eine diskontinuierliche Muskelkontraktion nur bei diskontinuierlicher Reizung gibt, fällt die Notwendigkeit, einen diskontinuierlichen Charakter der von Seiten der motorischen’ Zelle des Rückenmarks ausgehenden Erregung an- zunehmen, fort. M. v. Frey fügt bei Besprechung der bei Reizung des Nerven durch den Dauerstrom erhaltenen Muskeltetanuskurve, die einen wirklichen ohne jede Oszillationen ablaufenden Tetanus darstellt, hinzu, daß er auch bei Erhalt dieser Kurven im Telephon ein gewisses Geräusch gehört habe.! Prof. Tschirjew? hat in seiner Polemik mit Prof. Wedensky gezeigt, daß die Untersuchung der Nerven mit dem Telephon eine für die Elektro- physiologie völlig untaugliche Methode ist. Die Verbindung des Nerven mit dem Telephon kommt im Grunde der Anlegung eines gut leitenden Metallbogens gleich, der einen Teil der Induktionsströme auf sich ablenkt. In Anbetracht dieses Umstandes ist es durchaus gleichgültig, ob wir einen lebenden Nerven nehmen und reizen, oder einen toten. Beim toten Nerven ist das Telephongeräusch sogar besser hörbar, als beim lebenden. 1 Über die tetanische Erregung von Froschnerven durch den konstanten Strom. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abtlg. S. 43. * Journ. de Physiologie et de Pathologie generale. 1902—1904. ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANUS. 25 Diese an Nervenmuskelpräparaten angestellten Experimente wurden von mir nachgeprüft. Das im Telephon hörbare Geräusch wird deutlicher, wenn die Leitungsdrähte des Telephons mit dem Muskel in querer Richtung zu letzterem verbunden werden, und ist beim toten Muskel sogar deutlicher, als beim erregbaren und sich gut kontrahierenden lebenden Muskel. Auf welche Weise M. v. Frey aber ein Geräusch beim Muskel, der sich infolge von Reizung durch den konstanten Strom kontrahiert, gehört hat, ist uns nicht ganz verständlich. Bei Reizung des Nerven durch den konstanten Strom hörte ich sogar sehr nahe an der der Reizung ausgesetzten Stelle von derselben her keinerlei Geräusch. In solchen Fällen hörte man vom Muskel selbst her erst recht kein Geräusch. Wenn man aber sogar mit der Meinung M. v. Freys! und Wedenskys? einverstanden ist, daß bei Reizung des Muskels durch den konstanten Strom und bei willkürlichen Bewegungen ein gewisses Geräusch im Telephon zu Gehör kommt, so ist, wie das auch Martius®? sagt, diese Methode noch kein Beweis für den diskontinuierlichen Charakter, wie der Reizung selbst, so des durch letztere bewirkten Effektes. M. v. Frey‘, Biedermann’, Haycraft®, Loven’ weisen darauf hin, daß bei durch den konstanten Strom erhaltenem Muskeltetanus der Kapillarelektrometer, zu dem der Muskelstrom hingeleitet wird, beständige symmetrische Schwankungen gibt. Auf unseren die negativen Schwankungen zur Darstellung bringenden Photogrammen sind solche Schwankungen des Kapillarelektrometers nicht vorhanden. Außerdem haben wir der Selbstkontrolle halber eine Reihe von Versuchen im Sinne der soeben erwähnten Autoren angestellt. Die Versuchsanordnung der genannten Forscher unterschied sich von der unsrigen dadurch, daß wir Frösche verwandten, ohne ihre Erregbarkeit zu erhöhen. Wir nahmen einen gewöhnlichen Frosch, schnitten ihm die Großhirn- hemisphären heraus, befestigten ihn, wie oben erwähnt, am Mareyschen Myographen, reizten die Nervenstränge des Rückenmarks durch den kon- stanten Strom und führten von dem schreibenden Muskel, dessen eigener Strom kompensiert wurde, Leitungsdrähte zum Kapillarelektrometer hin. ! Dies Archiv. 1883. Physiol. Abtlg. S. 53. 2 Über telephonische Erscheinung im Muskel usw. Zbenda. 1883. S. 313. ® Ebenda. 1883. S. 593. * Ebenda. 8. 53. 5 Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissensch. 3. Abtlg. LXXXVI. ® Willkürliche und reflektorische Muskelkontraktion. Zentralblatt für Physiologie. IV. 8. 132. ” Zur Frage von der Natur des Strychnintetanus und der willkürlichen Muskel- kontraktion. Zentralblatt für die medizinische Wissenschaft. 1881. Nr. 7. S. 114. 96 E. MAYDELL: Die Resultate unserer Versuche bestehen in folgendem: Bei der Nach- prüfung der M. v. Freyschen Versuche erhielten wir Ergebnisse, die den von ihm selbst erhaltenen sehr nahe kommen. Wenn der Muskel eine vollständige Tetanuskontraktiin gab, so waren am Kapillarelektrometer keinerlei Schwankungen des Meniskus zu bemerken. Wenn aber im kon- trahierten Muskel dank irgendwelchen molekulären Prozessen, oder infolge der Ermüdung desselben Zuckungen oder fibrilläre Erzitterungen einzelner feinster Fasern erfolgten, so gab der Quecksilbermeniskus unverzüglich die entsprechenden Schwankungen. Vollkommen gleiche Resultate erhielten wir auch bei der Nachprüfung der Lovenschen Versuche. Wenn ein mit Strychnin vergifteter Frosch vollständige tetanische Kontraktionen gab, so ließen die Bewegungen des Meniskus keinerlei Schwankungen erkennen; kaum waren aber in den Muskeln Zuckungen oder fibrilläre Erzitterungen zu bemerken, so wies der Quecksilbermeniskus die entsprechenden Schwan- kungen auf. Derartige Schwankungen des (Quecksilbers darf man aber keinenfalls den rhythmischen Schwankungen des Elektrometers bei dis- kontinuierlicher Reizung von Nerven und Muskeln gleichstellen. Diese Schwankungen besitzen niemals einen regelrechten Rhythmus, sind selbst sehr geringfügig und erreichen nicht eine Frequenz von 20 in der Sekunde. Diese von M. v. Frey, Loven und anderen gesehenen Schwankungen dürfen keinenfalls als solche von zentralem Ursprung infolge von Erregung der Nervenzelle angesehen werden. Als bester Beweis dient folgender Versuch. Wenn man ein Nervenmuskelpräparat, z. B. den Gastroknemius des Frosches, oder besser einen Muskel mit paralleler Faserung nimmt, ihn im Myoskop von Prof. Tschirjew! befestigt, den Muskelstrom zum Galvanometer ableitet und ihn kompensiert, den Nerven auf chemischem Wege, z. B. durch eine konzentrierte Kochsalzlösung reizt, so entwickelt sich in solch einem Muskel allmählich eine gleichsam aus einzelnen fibrillären Zuckungen sich summierende vollständige Muskelkontraktion, bisweilen sogar ein sehr kurzer Tetanus. Am Kapillarelektrometer bemerkt man hierbei die gleichen Schwankungen des Quecksilbermeniskus, wie bei den anderen vorerwähnten Versuchen. Hieraus ist ersichtlich, wie vorsichtig man nach den Schwankungen des Quecksilbermeniskus im Kapillarelektrometer über den diskontinuierlichen Charakter der Muskelerregung und Muskelreizung urteilen muß. Wenn man sogar voraussetzt, dab alle mit dem Telephon an Muskeln angestellten Versuche fehlerfrei wären, und daß im Muskel infolge seiner Erregung und der in ihm entstehenden Molekularbewegung bis zu einem solehen Grade starke und häufige Stromschwankungen entstehen können, " Journ. de Physiol. et de Pathol. gen. 1902, Septembre. No. 5. ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANDS. 27 daß sie imstande wären, ein Geräusch im Telephon hervorzubringen, so können doch derartige im Telephon zu Gehör kommenden Geräusche und Töne noch nicht zugunsten der Diskontinuität der Erregung selbst sprechen. Um die Beweglichkeit unseres Kapillarelektrometers zu zeigen, der in einem Raume aufgestellt war, bis zu welchem keinerlei andere Schwan- kungen, wie z. B. Bodenerschütterungen vom Straßenverkehr hingelangten, führen wir eine künstliche Kurve auf, aus der klar ersichtlich, daß der Apparat imstande ist, die so sehr erwünschten 20 Schwankungen in der Sekunde wiederzugeben. Taf. VII, Figg. 19, 20. Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor S. J. Tschirjew, unter dessen Anleitung ich die vorliegenden Versuche ausgeführt, auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. 28 E. MAYDELL: ÜBER KONTINUIERLICHEN TETANUS. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VI u. VIL) Tafel VI. Fig. 1. Schema des modifizierten Mareyschen Myographen. Fig. 2. Photogramm der negativen Schwankungen des Muskel; bei Reizung durch konstante Ströme. Fig. 3. Ritterscher Tetanus. Figg. 4,5, 5a, 6. Tetanuskurven bei Reizung der Pyramidenstränge des Rücken- markes durch den konstanten Strom. Figg. 7, S, Sa. Photogramme der negativen tetanischen Schwankungen bei Reizung der Pyramidenstränge durch den konstanten Strom. Tafel VII. Figg. 9 bis 19. Strychnintetanus bei Reizung der Pyramidenstränge des Rücken- markes durch den konstanten Strom. Figg. 13, 15a, 14, 14a. Reflektorischer Strychnintetanus. Figg. 15 bis 18. Tetanuskurven der willkürlichen Kontraktionen der Flektoren des Daumens. Figg. 19 u. 20. Künstlich erhaltene, die Beweglichkeit des Kapillarelektrometers zeigende Kurven. Zur Charakteristik der polyrhythmischen Herztätigkeit. Von Prof. A. Samojloff. (Aus dem physiologischen Laboratorium der physiko-mathematischen Fakultät der Universität in Kasan.) (Hierzu Taf. VIII.) Es ist hier unter polyrhythmischer Herztätigkeit diejenige Erscheinung gemeint, die zuerst von v. Kries genauer präzisiert und geschildert ist. Die Erscheinung besteht darin, daß unter bestimmten Verhältnissen der Vorhof und Ventrikel des Froschherzens nicht in gleichem Tempo schlagen, sondern der Vorhof 2, 4, 8 oder im allgemeinen 2" mal frequenter pulsiert, wie der Ventrikel. Diese Polyrhythmik erzeugte v. Kries durch gleich- zeitige Wärmung des Sinus und Kühlung des Ventrikels bzw. der schmalen Zone, entsprechend der Atrioventrikulargrenze. Die von v. Kries für die polyrhythmische Herztätigkeit gegebene Erklärung besteht bekanntlich in Folgendem. Die vom Vorhof kommenden Erregungen gelangen an kältere Partien, für welche letztere die Frequenz von oben angelangter Erregungen zu hoch ist. Die Hälfte der Erregungen verliert sich. Der Prozeß wiederholt sich auch weiter, wodurch „eine Reihe hintereinander geschalteter Halbie- rungen“ resultiert. ! Maßgebend für v. Kries bei Aufstellung dieser Erklärungsweise war die von ihm festgestellte Tatsache, daß die Entwicklung, bzw. die Änderung der Polyrhythmik sprungweise geschieht, d. h. also, daß beispielsweise !/,-Rhythmus in den !/,-Rhythmus plötzlich und ohne Vermittelung des 1/.-, Y/g- oder !/,-Rhythmus übergeht. Die unvermittelten Sprünge werden auf die hintereinander geschalteten Halbierungen zurückgeführt. 1 J.v. Kries, Über eine Art polyrhythmischer Herztätigkeit. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abtlg. S. 477. 30 A. SAMOJLOFF: Es gibt aber ein Mittel, auch ohne das Überwachen von Sprüngen der Rhythmik, die Natur der polyrhythmischen Herztätigkeit aufzudecken. Das Mittel besteht darin, daß man während des Ablaufes einer wohl aus- gebildeten polyrhythmischen Reihe einen Extrareiz auf den Ventrikel ein- wirken läßt. Die Dauer der darauffolgenden Pause des Ventrikels gibt genügenden Aufschluß darüber, in welcher Reihenfolge die. vom Vorhof überleiteten Reize zum Ventrikel gelangen. Die Anwendung der Extrareize zur Aufklärung der Polyrhythmik scheint insofern von Wert zu sein, als sie in der einfachsten und in ganz unmittelbarer Weise in jeder beliebigen polyrhythmischen Reihe die uns interessierenden Fragen der Polyrhythmie beantwortet. Es ist hier für die Methode der Extrareize ganz gleich, ob der Übergang von einem Rhythmus zum anderen in Sprüngen oder wie zuweilen in einer mehr komplizierten, schwer zu deutenden Weise geschah. Die Methode der Extrareize in der uns interessierenden Frage hat noch den Vorteil, daß man vermittelst derselben präzise Aufklärung in Bezug auf manche neue Seite der Erscheinung erzielen kann. Nehmen wir bei- spielsweise an, daß der Vorhof achtmal frequenter wie der Ventrikel schlägt und daß wir hierbei sämtliche Sprünge der Rhythmusänderung beobachtet haben. Dieses Material spricht ganz bestimmt dafür, daß von den acht Reizen, die vom Vorhof ausgehen, nicht alle an den Ventrikel gelangen. Ob aber von den acht Vorhoferregungen bloß eine, nämlich die erste, die Ventrikel- kontraktion bewirkende, oder zwei Erregungen, nämlich die erste und die fünfte, die aber wirkungslos bleibt, weil sie in die refraktäre Phase des Ventrikels fällt, das läßt sich auf Grund des erwähnten Materials nicht entscheiden. Ein einziger Extrareiz dagegen, in dem entsprechenden Momente appliziert, entscheidet, wie wir gleich darauf näher eingehen werden, den ganzen Sachverhalt in der befriedigendsten Weise. Es scheint mir deshalb die Mitteilung einiger diesbezüglicher Versuche nicht ohne Wert zu sein. Wir beginnen mit dem einfachsten Fall. An einem dekapitierten Frosch mit bloßgelegtem Herzen sei die Vorhofventrikelgrenze in zweckmäßiger Weise in der ganzen Länge leicht gequetscht, bis ein !/,-Rhythmus sich entwickelt. In Fig. 1, Taf. VIII sind die Kurven des suspendierten Vorhofes und Ventrikels vor der Quetschung wiedergegeben. Wie in sämtlichen Kurven (etwa ®/, der Originalgröße), die weiter unten folgen, so auch in der Fie. 1 ist die obere Kurve vom Ventrikel, die untere vom Vorhof geschrieben; die dritte Linie stammt vom Reizmarkierer her und gibt durch eine leichte vertikale Er- hebung den Zeitpunkt der Reizung mit einem Öffnungsinduktionsschlag an; die untere wellige Linie entspricht den Schwingungen einer Stimmgabel von fünf Doppelschwingungen in 1 Sekunde (gezeichnet durch Lufttransport); sämtliche Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Nach der Quetschung ZUR ÜHARAKTERISTIK DER POLYRHYTHMISCHEN HERZTÄTIGKEIT. 31 erhalten wir den !/,-Rhythmus des Ventrikels, s. Fig. 2, Taf. VII. Auf zwei Vorhotkontraktionen folgt jetzt bloß eine Ventrikelkontraktion. In jedem Paar der Vorhofkontraktionen bezeichnen wir mit a diejenige, die eine Ventrikelkontraktion nach sich zieht, und mit 5 diejenige, die von keiner Ventrikelkontraktion gefolgt ist. Es fragt sich nun, warum 5 erfolglos bleibt. Es ist erstens möglich, daß durch die durch Quetschung bedingte Leitungsveränderung die Erregung, welche von 5 herrührt, auf ihrem Wege zum Ventrikel verloren geht und den Ventrikel also gar nicht erreicht. Die zweite Möglichkeit besteht darin, daß die von 5 herrührende Erregung an dem Ventrikel zwar anlangt, aber gerade in die refraktäre Periode des- selben fällt. Wie aus der Fig. 2, Taf. VIII ersichtlich, unterbrechen wir den Ablauf der dritten Kontraktion durch einen Extrareiz. Es erfolgt jetzt eine Extrakontraktion, und nachdem diese abgelaufen ist, beginnt wiederum der regelmäßige !/,-Rhythmus des Ventrikels. Nun ist aber die aktive Vorhof- kontraktion nicht mehr a, wie vorher, sondern 5; wenn wir also früher für die harmonische polyrhythmische Herztätigkeit den !/,-Rhythmus als a—b bezeichnen konnten, müssen wir nach dem Extrareiz den Rhythmus durch b—a bezeichnen. Es ist hier also gewissermaßen eine Phasenverschiebung aufgetreten und die ganze Kurve, Fig. 2, Taf. VIII, ähnelt in gewissem Sinne denjenigen Kurven, die seinerzeit L. Hermann auf ganz anderem Gebiete zur Illustration seiner Phasenwechseltöne anführte. Daß hier eine Ver- schiebung der Phase um eine halbe Periode tatsächlich Platz hat, geht unzweifelhaft aus den Ausmessungen der Periodendauer hervor. Die durch die Extrasystole unterbrochene Ventrikelperiode dauert 5-0 Sekunden, die vorhergehende und nachfolgende dauern je 3-3 Sek. Da 3-3.°/, = 4-95, also sehr nahe der unmittelbar durch Messung gefundenen Zahl ist, so geht der Verlust einer halben Phase deutlich genug hervor. In der Fig. 3, Taf. VIII sind im Laufe einer kurzen Zeit durch drei Extrareize drei Extra- systolen erzeugt; jede derselben bewirkt einen Phasenwechsel: am Anfange haben wir a—2, nach der ersten Extrasystole 5—a, nach der zweiten a«—b und nach der dritten 6—a. Die Ausmessung der Perioden ergibt (die Zahlen bedeuten hier, wie auch in den folgenden Tabellen, Sekunden): Nummer Dauer nen Dauer der 2: Extrasyst. | der nach- | Beziehung der einfachen Periode zu der Extra- enden unter- folgenden durch Extrasystole unterbrochenen systole | "Periode ne Periode 1 2-9 4*3 2-9 2-9.2]), = 4-35 (!/, Phasenverschiebung) 2 3:0 45 3.0 3200 2,425 9 3 3-0 45 3:0 13.0.8, = 45 x 32 A. SAMOJLOFF: Die ganze Erscheinung kann somit in der Weise gedeutet werden, daß sowohl Erregungen von a, sowie auch von 5 an den Ventrikel gelangen; hier aber bleibt der eine von denselben unwirksam. Wäre der Sachverhalt ein anderer, erreichten z. B. nur die Erregungen von a den Ventrikel, so müßte die Extrasystole eine regelrechte kompensatorische Pause zur Folge haben und man würde dann, um die lange Periode durch Rechnung zu bekommen, die kleine Periode mit 2 und nicht mit °/, multiplizieren müssen, Es war interessant, die geschilderten Verhältnisse an der Polyrhythmie höheren Grades zu prüfen. Leider macht es einige Schwierigkeiten, eine derartige Polyrhythmie für längere Zeit durch Quetschung zu erzeugen; das polyrhythmische Verhältnis ändert sich ziemlich oft, so daß man kaum den nötigen Zeitpunkt findet, um den Extrareiz anzubringen. Ich verfuhr deshalb in der Weise, wie es v. Kries anfänglich angegeben hat, d. h. es wurde der Sinus gewärmt und die Atrioventrikulargrenze gekühlt. Die Versuche wurden an kuraresierten Fröschen vorgenommen. Zur Kühlung benutzte ich mich nicht Metall-, sondern Gummiröhren von ungefähr 2m Durchmesser. Die Röhre wird in einer ziemlich großen Schleife umgebogen und mit zwei losen Fadenligaturen so befestigt, daß das Herz zwischen beiden Teilen der Schleife zu beiden Seiten der Ligaturen zu liegen kommt; die Ligaturen sollen die Gummirohre unverändert an der Atrioventrikular- grenze halten und dabei doch nicht so fest angezogen sein, daß daraus ein Hindernis für die Blutbewegung entstehen könnte. In Figg. 4 und 5, Taf. VIII haben wir Beispiele von !/,- und !/,-Rhyth- mus des Ventrikels. In beiden Reihen sieht man je eine Periode durch einen wirksamen Extrareiz unterbrochen und als Folge davon in beiden Fällen echte kompensatorische Pausen. Die Ausmessung ergibt: Dauer der Dauer der durch Dauer der Grad d 1 T n n 5 3 vorhergehenden e el nn nachfolgenden eye | Periode Periode Periode (Fig. ) m a — = Da ea = 9. 5 — == 5 7 —=— Fig. 5) ! 5:0 9.4 9.0 (Fig. 5) ', In diesem Falle war also kein Phasenwechsel eingetreten und wir dürfen annehmen, daß von den vom Vorhof ausgehenden zwei bzw. vier Erregungen jedesmal bloß eine Erregung den Ventrikel erreichte und eine bzw. drei Erregungen noch vor dem Erreichen des Ventrikels durch Halbie- rungen erloschen sind. Es sei hier auf die Form der einander folgenden Vorhofkontraktionen aufmerksam gemacht. Es wechseln immer eine große ZUR ÜHARAKTERISTIK DER POLYRHYTHMISCHEN HERZTÄTIGKEIT. 33 und eine kleine Kontraktion miteinander. Solche Ungleichheiten werden bei der Polyrhythmie auch am Ventrikel besonders in den Übergangs- perioden, jedoch häufiger am Vorhof und hier in langen Reihen beobachtet. In manchen Fällen scheint es, als ob man es mit einer rein äußerlichen Erscheinung zu tun hätte; man könnte z. B. glauben, wie im Falle Fig. 4, Taf. VIII, daß die Vorhofkontraktionen deshalb verschiedene Kurven liefern, weil die beiden Vorhofkontraktionen, die einer Ventrikelkontraktion ent- sprechen, auf verschiedene Grade der Zusammenziehung des Ventrikels fallen, wodurch irgendwelche Unterschiede in den mechanischen Be- dingungen des Aufzeichnens der Kurven geschaffen werden. Daß eine solche Erklärung nicht zutrifft, ersehen wir aus dem Teile der Kurve, welcher der kompensatorischen Pause entspricht; auch hier bleibt der frühere Unter- schied der benachbarten Vorhofsystolen erhalten. Gegen die Möglichkeit obiger Erklärung spricht auch Fig. 5, Taf. VIII, in welcher der gespaltene Charakter der Form der Vorhofkontraktion auch beim !/,-Rhythmus be- stehen bleibt. Das Auftreten kompensatorischer Pausen nach Extrareizen bei Poly- rhythmie, die durch entsprechende Wärmung und Kühlung hervorgerufen ist, erscheint durchaus nicht in allen Fällen. Ebenso häufig oder sogar häufiger bekommt man die früher besprochene !/,-Phasenumkehrkontraktion . zu sehen. Nicht selten beobachtet man sogar, daß bei einem und dem- selben Grad der Polyrhythmie und unter scheinbar gleichen Bedingungen, die eine Extrasystole eine kompensatorische Pause und die andere, nach kurzer Zeit hervorgerufene, eine Phasenumkehr bewirkt. Ein gutes Beispiel dafür sehen wir in den Figg. 6 und 7, Taf. VIII, die von einem und dem- selben Versuch stammen. In Fig. 6 haben wir beim !/,-Rhythmus die in Bezug auf den Ventrikel wirksame Vorhoferresung in a; b bleibt erfolglos; nach der Extrasystole schlägt der Rhythmus a«—5 in d6—a um. Die Fig. 7 gibt ein anderes Bild. Der erste Reiz bleibt interpoliert, was, beiläufig be- merkt, immer unter den geschilderten Versuchsbedingungen geschieht, wenn man zu früh nach dem Kurvengipfel der Vorhofsystole den Reiz auslöst; das leichte Hervorrufen der Trendelenburgschen! Interpolation hängt wohl damit zusammen, daß bei Polyrhythmie die Schlagfolge sehr verlang- samt ist und andererseits die Ventrikelextrasystole keine Störung des Rhythmus des Vorhofs nach sich zieht. Der zweite Extrareiz (Fig. 7) ruft wohl eine Extrasystole hervor, und es folet darauf, wie deutlich zu sehen ist, keine Umkehr des anfänglichen Rhythmus a—b. Der Unterschied des Erfolges der Extrareizung in beiden Fällen geht auch aus der Messung hervor. ! Trendelenburg, Dies Archiv. 1903. Physiol. Abtlg. S. 311. Archiv f. A,u. Ph. 1807. Physiol. Abtlg. Suppl, 3 34 A. SAMOJLOFF: Dauer |4 a N Dauer der | Extrasyst. | der nach- | Beziehung der einfachen Periode zu dor ANSEnOE unter- | folgenden durch Extrasystole unterbrochenen senenc en | prochenen | Periode Periode | Periode Fig. 6 4-3 6-1 4-2 4-25.°/, = 6-37 (Phasenverschiebung) Fig. 7 3-4 Bla ln 355 3-45.2 = 6-9 (kompensatorische Pause) Genau denselben Verhältnissen begegnen wir auch in Figg. 8 und 9, Taf. VIII mit dem !/,-Rhythmus des Ventrikels. In Fig. 8 haben wir vor der Extrasystole die Perioden a&—5—c—d, nach der Extrasystole dagegen c—d—a—b. In Fig. 9 sehen wir nach der Extrasystole, da hier eine kompensatorische Pause auftritt, keine Phasenverschiebung und die Periode behält die Reihenfolge «—b—c—d. Die Messung ergibt: Dauer De ER Dauer | ne Extrasyst, der nach- | Beziehung der einfachen Periode zu der en unter- | folgenden durch Extrasystole unterbrochenen ae A: brockenen | Periode Dil. Ü Beriode mlmmEN vos RR feit Fig. 8 BIO | 5-6 | 3.8 ‚37.5.°/,= 5-62 (Phasenverschiebung) Fig. 9 Seh 328 | 87-5.2 =7-5 (kompensatorische Pause) Ich möchte an dieser Stelle eine Bemerkung, anknüpfend an meine! früheren Versuche in betreff der elektrischen Phänomene des Herzens, an- bringen. Zur Beantwortung ‘der Frage, ob das Herz in der refraktären Periode auch in Bezug auf das elektrische Phänomen refraktär sei, wurde auch die Erscheinung der polyrhythmischen Herztätigkeit herangezogen. Es zeigte sich dann bei der Reeistrierung der Kontraktionen des Vorhofes und des Ventrikels, sowie gleichzeitig der Schwankungen des Kapillarelektro- meters, daß, wenn eine Vorhofsystole von keiner Kontraktion des Ventrikels gefolgt ist, auch der Aktionsstrom des Ventrikels ausbleibt. Da man an- nehmen konnte, daß die vom Vorhof ankommende Erregung hier deshalb wirkungslos blieb, weil dieselbe in die refraktäre Phase des Ventrikels fällt, so war der Schluß möglich, daß die refraktäre Phase sich auch auf den Aktionsstrom bezieht. Jetzt wissen wir aber auf Grund der mitgeteilten Versuche, daß das Ausbleiben der Wirkung der Vorhofsystole auch dadurch ! A. Samojloff, Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens. Dies Archiv. 1906. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. 207. ZUR ÜHARAKTERISTIK DER POLYRHYTHMISCHEN HERZTÄTIGKEIT. 35 zustande kommen kann, daß die entsprechende Erregung den Ventrikel gar nicht erreicht. Es ist deshalb die oben erwähnte Schlußfolgerung nicht ganz streng; übrigens wurde in der zitierten Arbeit die Tatsache, daß die refraktäre ‚Phase des Ventrikels auch in seinem Aktionsstrom zum Aus- druck gelangt, direkt durch elektrische Extrareizee der Ventrikelspitze festgestellt. Zuletzt möchte ich noch einen Versuch (s. Fig. 10, Taf. VIII) anführen, in welchem im raschen Gange durch Kühlung der Atrioventrikulargrenze der Ganzrhythmus des Ventrikels in !/,- und !/,-Rhythmus und darauf durch hinzukommende Wärmung des Sinus in !/,;-Rhythmus übergeht. Bei jedem Grade der Polyrhythmie wurden Extrareize appliziert und es resultierten: interpolierte Systole, kompensatorische Pause und Phasenwechsel. Die Fig. 10 gibt drei aufeinanderfolgende Kurvenreihen entsprechend drei spiraligen Umläufen der Trommel des Engelmannschen Pantokymo- graphions. In der unteren Reine haben wir Ganz-, Halb- und Viertel- rhythmus. Der erste (1) Extrareiz bewirkt im !/,-Rhythmus eine Extra- systole mit kompensatorischer Pause, der zweite (2) im .!/,- Rhythmus bewirkt eine Extrasystole mit Phasenverschiebung um !/, Periode (der Typus a—b—c—d geht in c—d—a—b über). In der zweiten Reihe ist nur 2 ‚Rhythmus vorhanden; von den drei Extrareizen (3, 4, 5) verursacht der dritte und vierte eine Extrasystole mit Phasenverschiebung um !/, Periode, der fünfte nur eine interpolierte Systole. Während die Polyrhythmie !/, und !/, in Sprüngen auftritt, bildet sich in der dritten Reihe der !/,-Rhyth- mus allmählich; die erste Ventrikelsystole umfaßt 4 Vorkammersystolen, die zweite 6, die dritte 12 und darauf geht eine regelmäßige Reihe Ventrikel- systolen, die je 8 Vorkammersystolen umfassen. Ein im !/,-Rhythmus applizierter Extrareiz erzeugt, wie es sehr deutlich zu sehen ist, eine Extra- systole, wobei die Dauer der resultierenden Periode gleich der Dauer von 12 Vorkammerperioden ist. Es ist hier also ebenfalls eine !/,- Phasen- verschiebung zu konstatieren, und wenn wir vor dem Extrareiz den Typus a—b—c—-d—e-f—g—h hatten, so haben wir nach dem Extrareiz den Typus e-f-g—-k—a—-b—c—d erhalten. Von den acht vom Vorhof kom- menden Erregungen gelangen somit an den Ventrikel zwei. Erregungen, nämlich entsprechend a und «; letzterer bleibt vor dem Fxtrareiz wirkungslos, nach demselben wird er der wirksame und a der wirkungslose. In diesem Falle hat uns also der Extrareiz mehr belehrt, als der schwer zu deutende Übergang vom !/,- zum !/,-Rhythmus: wir können sagen, daß im !/,-Rhyth- mus des in Rede stehenden Versuches auf dem Wege vom Vorhof zum Ventrikel zwei Kriessche hintereinander gescnaltete Halbierungen Platz hatten; die dritte Halbierung erfolgte im Ventrikel. . Die Ausmessung ergibt für Fig. 10, Taf. VIII folgendes: 3* 36 A. SAMOJLOFF: ZUR ÜHARAKTERISTIK USW. = © = 3 e © = { 5 382 = | seo Sean Nmoreı = es ee ee ee j : : sen| „m | u3215532| „iS Beziehung der einfachen Periode zu der Esu | aE 325 78555 3825 | durch Extrasystole unterbrochenen lee) ©) =D = e a \© 4 3) FH Ss.arn = Eu=| Oo A Fe Ze - A 3 ar Tl ee Ber: 1 7 3-2 6-4 3:5 |3-35.2 = 6-7(kompensatorische Pause) 2 ln 6.8 10-9 —_ 6.8.2), = 10-2 (!/, Phasenverschiebung) 3 AR 7-7 12-0 7-9 To, lo es 4 ın 7-9 12:0 831 8.082), — 1220 5 A 8-3 8-7 — 83.1 = 8-3 (Interpolation) 6 28 6-4 9-5 6-2 163.2, = 9-45('), Phasenverschiebung) In obiger Tabelle, wie auch in den früheren, finden sich einige Aus- messungen, die mit den berechneten Werten nur mangelhaft überein- stimmen. Das kann uns nicht wundern, denn die drei ausgemessenen einander folgenden Ventrikelperioden dauern infolge der Polyrhythmie un- gemein lange, zuweilen bis !/, Minute, außerdem werden hierbei am Herzen Wärmungen und Kühlungen vorgenommen; jede unter solchen Umständen mögliche leichte Änderung. der Frequenz des Vorhofes, der Leitungs- geschwindigkeit des Herzmuskels, der Übergangszeit vom Vorhof zum Ventrikel ist imstande, eine Übereinstimmung der Zahlen zu verdecken. Daß die Deutung der erhaltenen Zahlen in den wenigen Fällen, wo sie nicht gut übereinstimmen, die richtige ist, geht aus dem Betrachten der überall mitregistrierten Vorhofkontraktionen mit Evidenz hervor. Auf Grund obiger Versuche kommen wir also zum Schluß, daß bei der polyrhythmischen Tätigkeit des Herzens, von den 2% = 2 m Vorhofreizen, die einer Ventrikelkontraktion entsprechen, zum Ventrikel entweder nur der erste Reiz gelangt, während die 2m — 1 Reize auf dem Wege der Kriesschen Halbierungen noch vor dem Ventrikel verloren gehen, oder aber es gelangen zwei Reize, der erste und der (m + 1)te, wobei letzterer, da er in die refraktäre Phase hineinfällt, wirkungslos bleibt; durch Phasen- verschiebung infolge eines Extrareizes kann im letzten Falle der erste wirkungslos und der (m + 1)te wirksam werden. Der Einfluß der Viskosität auf die Blutströmung und das Poiseuillesche Gesetz." Von R. du Bois-Reymond, T. G. Brodie, Franz Müller. (Aus der speziell-physiologischen Abteilung des physiologischen Instituts zu Berlin und dem Royal Veterinary College, London NW.) I. Einleitung. Als Poiseuille 1843 die Strömung von Flüssigkeiten in Kapillar- röhren untersuchte, faßte er sogleich die Frage ins Auge, ob das auf seine physikalischen Bestimmungen gegründete Gesetz auch auf den Blut-, kreislauf im tierischen Körper angewendet werden könne.” Diese Frage die seitdem wiederholt erörtert, aber noch nicht entschieden worden ist, enthält in ihrer ganz allgemeinen Fassung eine gewisse Unklarheit. Das Poiseuillesche Gesetz findet seinen exakten Ausdruck in einer Formel, die etwa so geschrieben werden kann: nıp-t»r* ; eg p+l e Das besagt, daß die Menge v, die durch eine gerade Kapillarröhre vom Radius r und der Länge Z fließt, proportional ist dem Druck p, der Zeit ? und der vierten Potenz des Radius r der Röhre, umgekehrt pro- portional der Viskosität p der Flüssigkeit und der Länge / der Kapillare. Die Formel paßt also gar nicht auf ein vielverzweigtes System von Röhren ! Ein Teil der unten beschriebenen Apparate wurde auch von der Gräfin Luise Bose-Stiftung gewährten Mitteln beschafft. ? Ann. chim. et phys. 3. Serie. T. VII. p.50. 1843. — Poggendorffs Annalen. 1843. Bd. LVIII. 8. 424. — Comptes rendus de l’ Acad. 1843. T. XVIL p. 60. 38 R. pu Boıs-ReymonD, T. G. BRoDIE, FRANZ MÜLLER: verschiedener Weite, wie die Blutbahn des Tierkörpers.! Man kann daher nicht fragen, ob die Poiseuillesche Formel für den Blutstrom im Tierkörper gültig ist, sondern nur, ob die Bedingungen, die in der Poiseuilleschen Formel ihren Ausdruck finden, in gleicher Weise für die Blutströmung im tierischen Kreislauf maßgebend sind, oder ob hier neue, ganz andere Bedingungen auftreten. Um die Frage in strenge Form zu bringen, kann man sie etwa folgendermaßen aus- drücken: Gilt für jedes einzelne Element des tierischen Kreis- laufs, das heißt für jedes grade gleichmäßige Röhrenstück, die Poiseuillesche Formel? Unmittelbar läßt sich diese Frage natürlich nicht durch Versuche entscheiden, denn die Formel enthält die Größen 7 und .r, die sich nur für eine einzelne Röhre, aber nicht für das ganze Gefäßsystem angeben lassen. Wenn man aber, nachweist, daß die durch das Gefäßsystem strömende Blutmenge v» durch Veränderung der anderen Werte der Formel, nämlich p und @, in genau demselben Maße beeinflußt. wird, wie es beim Strömen in einer geraden Glasröhre der Fall sein würde, so kann man mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß für die Strömung in den tierischen Ge- fäßen keine anderen Bedingungen maßgebend sind, als für die Strömung in Glasröhren. Diese Schlußfolgerung war es auch, die Poiseuille selbst seinen Versuchen am Tierkörper zugrunde legte. Es schloß schon aus dem Umstande, daß solche Flüssigkeiten, die durch Glasröhren schneller als andere strömen, auch durch die Gefäße schneller strömen, daß die Be- dingungen in beiden Fällen dieselben seien. Poiseuilles Versuche sind nun von W. Heubner mit Recht an- gefochten worden, weil sie für die Durchströmung der tierischen Gefäße unverhältnismäßig größere Unterschiede zwischen den verschiedenen Flüssig- keiten ergeben, als nach dem Befunde in Glasröhren zu erwarten war.? Heubner geht aber weiter, indem er bezweifelt, daß für die Strömung des Blutes in den Gefäßen überhaupt die gleichen Bedingungen bestehen, wie für die Strömung in Glasröhren. Insbesondere sei es zweifelhaft, ob der inneren Reibung des Blutes für die Strömungsgeschwindigkeit in den Gefäßen dieselbe Bedeutung zukomme, wie für die Strömungsgeschwindigkeit in Glasröhren. Dem ist von C. Beck und C. Hirsch mehrfach widersprochen worden.® ‘ Benno Lewy, Die Reibung des Blutes. Pflügers Archw. 1897. Bd. LXV. S. 465. — Grüneisen, Über die Gültigkeitsgrenzen des Poiseuille’schen Gesetzes. Die Bewegung tropfbarer Flüssigkeiten durch gerade und gewundene Kapillaren. Wissensch. Abhdl. Phys.-Techn. Reichsanstalt. 1905. Bd. IV. S. 151. ®: W. Heubner, Die Viskosität des Blutes. Archiv für exp. Pathologie. 1905. Bd. LIII. S. 280. 3 Archiv für exp. Pathologie. Bd. LIV. 8.54. Entgegnung von W. Heubner: ebenda. S. 149. Ferner: C. Beck, Zeitschrift für physikal. Chemie. 1907. VISKOSITÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 39 Der letzte Punkt ist deshalb besonders hervorzuheben, weil man der inneren Reibung des Blutes einen erheblichen Einfluß auf die Strömungs- geschwindigkeit zuzuschreiben pflegt und weil, seit Beck und Hirsch eine leicht zu handhabende Methode zur klinischen Bestimmung der inneren Reibung des Blutes ausgebildet haben!, zahlreiche Untersucher sich mit solchen Bestimmungen bei verschiedenen Krankheitszuständen beschäftigen. Es ist mehrfach versucht worden, experimentell den angeblichen Ein- fluß der inneren Reibung im Tierkörper nachzuweisen, aber die bisher ver- öffentlichten Arbeiten können nicht als entscheidend betrachtet werden. Die Schwierigkeiten der Versuche sind allerdings nicht unerheblich. Wie schon angedeutet ist und unten noch ausführlicher begründet werden soll, sind Poiseuilles eigene Versuche durchaus nicht beweisend. Benno Lewy hat zwar die Absicht ausgesprochen, entscheidende Versuche an- ‚zustellen, doch ist dies bis jetzt noch nicht geschehen. W. Heubners Durchblutungsversuche an überlebenden Säugetierorganen haben ihn nicht zu sicheren Ergebnissen geführt. Am lebenden Frosch ist ihm nur ein Versuch gelungen. Jakobj endlich hat seinen 1901 mitgeteilten Versuchen? über die Blutviskosität die in Aussicht gestellten genauen Mitteilungen seiner Arbeiten über den Einfluß der inneren Reibung auf die Zirkulation und Sekretion bisher noch nicht folgen lassen. Man darf also sagen, daß überhaupt noch keine zuverlässigen Angaben über den Einfluß der inneren Reibung des Blutes auf den Kreislauf vor- handen sind. | Da dessen ungeachtet von den verschiedensten Seiten die Dickflüssig- keit des Blutes als wesentliche Ursache mannigfacher Krankheitsbilder hingestellt wird, schien es uns der Mühe wert, die Frage nach der „Gültig- keit des Poiseuilleschen Gesetzes“ für den Blutkreislauf durch eine größere Reihe von Versuchen der Entscheidung näher zu bringen. II. Methodik. _ Es kann, wie oben angedeutet, keine Rede davon sein, daß sich die Poiseuillesche Formel als für den Tierkörper gültig erweisen liebe. Die Formel gibt die Durchflußmenge für eine gegebene Flüssigkeit und eine gegebene gerade Glaskapillare bei gegebenem Druck an. Das Biut 1 C. Beck, Habihtationsschrift. Leipzig 1904. — C. Beck und C. Hirsch, Deutsches Archiv für klinische Medizin. Bd. LXIX. S. 503 und Bd. LXXII. 8. 560. ? Referat über Vortrag in der Göttinger medizinischen Gesellschaft am 10. Januar 1901 in Deutsche med. Wochenschrift. 1901. Nr. 8. Vereinsbeilage S. 63. ® So führt u.a. Kunkel in seinem klassischen Zehrbuch der Toxikologie (Bd. 1, S. 32) Kreislaufstörungen in der Niere auf „die Änderung des Blutes selbst, in dem Sinne, daß es zähflüssiger, dieker wird‘, zurück. 40 R. pu Bors-Reymonn, T. G. BRovDIE, Franz MÜLLER: im Tierkörper dagegen strömt in vielfach verzweigten Bahnen von ganz verschiedenen Querschnitten und verschiedenen Längen. Von Gültigkeit oder Ungültigkeit des Poiseuilleschen Gesetzes kann also nur in dem Sinne gesprochen werden, daß man sich fragt: Ob die Strömung des Blutes im Tierkörper sich ebenso verhält, wie die anderer beliebiger Flüssigkeiten in geraden Kapillaren, das heißt ob sie durch Änderung des Druckes, des Röhrenkalibers und der inneren Reibung in demselben Maße geändert wird, wie die Strömung in einer geraden Glas- röhre. Unser Versuchsplan wurde demnach folgendermaßen angelegt: Von dem defibrinierten Blut eines Versuchstieres wurde ein Teil durch eine Zentrifuge in Serum und Blutkörperchenbrei geschieden, der übrige Teil nötigenfalls mit Ringerscher Lösung verdünnt, im Apparat von Hirsch und Beck auf seine innere Reibung geprüft, und nun zur künstlichen Durchblutung bestimmter Teile des Versuchstieres, etwa Lunge oder Hinter- bein benutzt. Bekanntlich beruht die Bestimmung der inneren Reibung im Apparat von Hirsch und Beck darauf, daß die Zeit gemessen wird, die eine ge- gebene Flüssigkeitsmenge braucht, um die Kapillarröhre des Apparates zu durchfließen. . Wir bestimmten nun bei der künstlichen Durchblutung ebenfalls die Zeit, die eine gegebene Blutmenge brauchte, um die Gefäßbahn zu durch- laufen. Nachdem man durch wiederholte Messung einen Anfangswert für die Durchflußzeit gefunden, wurde der Durchblutungsflüssigkeit entweder das Serum oder der Blutkörperchenbrei zugesetzt, und wiederum die innere Reibung im Apparat von Hirsch und Beck bestimmt. War zum Beispiel Blutkörperchenbrei zugesetzt, und dadurch die innere Reibung erhöht worden, so mußte sich eine größere Durchflußzeit im Apparat von Hirsch und Beck ergeben. Bei der Fortsetzung der künstlichen Durchblutung mit der diekeren Flüssigkeit mußte sich nun zeigen, ob die Durchfluß- zeit der gegebenen Menge durch den Tierkörper sich in demselben Maße geändert habe wie die Durchflußzeit durch die Glaskapillare oder nicht. Dieselbe Versuchsweise wurde auch bei der natürlichen Durchströmung am lebenden Tiere durchgeführt, indem die Durchflußmenge an einem im Onkometer eingeschlossenen. Organteil nach dem Brodieschen Verfahren gemessen wurde. Wir hatten zunächst versucht, nach dem Vorgang von Czerny, Jakobj, Hirsch und Stadler? die innere Reibung dadurch zu erhöhen, " A. Czerny, Die Bluteindickung und ihre Folgen. Archiv für exp. Pathologie. Bd. XXXIV. S. 268. — Jacobj, a.a.0. — Hirsch und Stadler, Studien über den N, depressor. Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. LXXXI S. 400. VIsKkositÄt UND BLUTSTRÖMUNG. 41 daß wir dem Blute Gummilösung zusetzten. Diese Versuche verliefen aber unbefriedigend, weil immer Hämolyse eintrat, wenn dem Blute soviel Gummi zugesetzt wurde, wie nötig ist, um die innere Reibung merklich zu erhöhen. Dies ist, wenigstens beim Katzenblut, das wir ausschließlich ver- wendeten, selbst durch die sorgfältigste Neutralisation der Gummilösung nicht zu vermeiden gewesen. Sobald aber nur ein geringer Teil des Blutes hämolytisch ist, gehen die Gefäße schnell zugrunde und man findet zu kleine, durchaus abnorme Strömungsgeschwindigkeiten. Die Bestimmungen im Hirsch-Beckschen Apparat geschahen bei 38° und konstantem Druck von. 400" Benzol. Die Viskosimeter waren mit frisch destilliertem Anilin geeicht. Der Wert p bedeutet den Viskositäts- koeffizienten, bezogen auf Wasser = 1-0. (Beobachtungsfehler der Einzel- messungen bis zu 0-4 Sekunden, d.h. bei dünnem Blut und Durchflußzeit von 8 bis 10 Sekunden 4 Prozent des Wertes, bei diekerem Blut und längerer Zeit entsprechend weniger. Der Fehler des Endresultates, des Durchschnitts- wertes aus mindestens 3 nur um 0-1 bis 0-2 Sekunden oder 4 bis 6 um 0-4” abweichenden Werten ist viel kleiner.) Fig. 1. Zur Durchblutung der überlebenden Organe benutzten wir Brodies Apparat in seiner neuesten Form: Er beruht darauf!, daß die Durchblutungs- Nlüssigkeit aus einem Gefäße A durch den Druck einer Sauerstoffbombe in die Arterie des zu durchspülenden, überlebenden Organs hineingetrieben und aus der Vene durch eine Pumpe, die den Sauerstoffdruck rhythmisch über- windet, in das Ausgangsgefäß zurückgepreßt wird. Durch die Stöße der Pumpe wird der Druck im Gefäß A periodisch erhöht, so daß der künst- liche Kreislauf, ähnlich wie der natürliche, stoßweise fließt. Die Versuche verliefen im einzelnen etwa folgendermaßen: Das Tier wird verblutet, das Blut gut defibriniert, durch Gaze filtriert und in das ! Brodie und Dixon, Journ. of Physiol. Vol. XXX. p. 476. 42 R. pu Boıs-Reymonv, T. G. BRovDIE, FrAnz MÜLLER: Sammelgefäß A eingefüllt (Fig. 1). Die mit Manometer, Sicherheitsventil und Vorlegeflasche montierte Sauerstoffbombe preßt das Blut, das zugleich durch den Sauerstoff arterialisiert wird, in eine kurze Röhrenleitung, ih der sich Glaswolle zum Abfangen der immer vorhandenen kleinen Gerinnselreste befindet, und von da “in die Arterienkanüle Von der Venenkanüle führt eine ebenfalls kurze Schlauchleitung in ein Gefäß B von etwa 10°“ Höhe und 2°@ Durchmesser, aus dem das oben einströmende venöse Blut durch die elektrisch angetriebene Pumpe ins Anfangsgefäßb A zurückgelangt, wo es von neuem arterialisiert wird. Das Sammelgefäß A wird durch ein Wasserbad auf 39° gehalten. : Die Durchflußmenge wurde nach Brodies Verfahren volumetrisch ge-' messen, indem die Größe des Luftraums in D durch einen „Bellow-recorder“ auf der Schreibtrommel registriert wurde. Das Gefäß B enthält eine ge- wisse Menge Blut und darüber ein gewisses Quantum Luft. Je nachdem aus der Vene mehr oder weniger Blut zufließt, als gleichzeitig durch die Pumpe entfernt wird, nimmt die Blutmenge zu oder ab und in entsprechen- dem Maße muß Luft ausgetrieben oder angesogen werden. Hält man nun die Pumpe für kurze Zeit an, so geht der Zufluß aus der Vene unverändert fort, die Blutmenge in 3 nimmt also zu und verdrängt die Luft. Der Recorder verzeichnet auf der schnell rotierenden Trommel des Kymo- sraphions die Kurve des Zufiießens der Blutmenge in Form einer aufwärts steigenden geraden Linie. Zugleich wird auf der Trommel eine Zeitkurve mit 10 bis 30 Zacken in der Sekunde geschrieben. Ferner sind vor Beginn des Versuchs auf der Trommel zwei Abszissen geschrieben, deren Abstand für den gleichen Recorder etwa 3°® Zunahme entspricht. Die Länge der horizontalen Strecke von der Stelle an, wo die aufsteigende Linie die untere - Abszisse verläßt, bis zu der, wo sie die obere erreicht, nach der Zeitkurve gemessen, gibt die Zeit an, die das Ausfließen einer gegebenen Blutmenge von etwa 3m erfordert. Diese Art der Messung erwies sich als außerordentlich genau. (8. Tab. 1.) Dies gilt allerdings nur für solche Fälle, in denen sich die Versuchs- reihe schnell durchführen läßt. Zuerst pflegt die Durchflußmenge nur gering zu sein, um allmählich anzusteigen. Brodie empfiehlt, mit ganz niedrigem Druck zu beginnen und erst allmählich zu höherem Druck, 30" Queck- silber für Versuche an der Lunge, 90 für Versuche am Bein, überzugehen. Bei diesem Druck und 38° erreicht die Strömungsgeschwindigkeit innerhalb etwa einer halben Stunde bei einer Durchflußmenge von über 30 “® in der Minute für die Lunge, oder etwa 20°” für das Bein der Katze eine be- friedigende Gleichmäßigkeit. Aber auch dann muß der eigentliche Versuch, d.h. die Bestimmung des Minutenvolumens vor und nach Veränderung der inneren Reibung, im Laufe von etwa 45 Minuten durchgeführt werden, denn der Durchfluß hält sich bei defibriniertem Blut nicht länger als etwa zwei Stunden nach dem Tode auf normaler Höhe. Nach dieser Zeit nimmt die Strömung mehr und mehr, oft ganz plötzlich ab. Leider kann man nicht mit Hirudin- blut arbeiten, da das Blut, obschon es im Glasgefäß stundenlang ungeronnen bleiben würde, gerinnt, wenn es das Organ mehrmals durchflossen hät. Besonders sorgfältig ist darauf zu achten, daß der Druck dauernd genau konstant bleibe. Schon kleine Schwankungen des Druckes bringen sehr erhebliche Änderungen in der Durchströmung hervor. VIsKosSITÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 43 Tabelle I]. Beispiele von Einzelmessungen. seen Es fließen hindurch Nummer um Sycenı In 1 Minute in Sekunden ccm XXI | 11640380” | 4-55 39-5 Dein a" | 4-35 41.5 41’ 15” 4.40 41:0 30° || 4-38 41-2 42 0° 4-32 41-8 FOR 114 59' 30" 3-36 55-0 Bein 12: 0° 0" 3.38 55-0 30” 3.40 53-0 12°0% 3.30 54*5 30 3.25 55.0 12815. 0 | 6-02 30-0 30" 5-90 30-6 1630” | 5-95 30-5 a) 5-92 30-5 18° 0" 5-92 30-5 19° 0” 5-95 30-5 | 19’ 45” 6-00 30-0 | XV 11% 56’ 3.15 57-1 Lunge . 57 3:10 58-1 58’ 3-15 57-1 12% 0 3.105 05 58 1’ 3-15 57-1 2 3.10 58-1 g' 3.00 60-0 Wenn man nur die Wirkung der Vasomotoren untersuchen will, kann man das zu durchströmende Organ ebensogut bei Zimmertemperatur halten, wie bei Körpertemperatur. Bei unseren Versuchen dagegen mußten wir die Temperatur sowohl des durchströmenden Blutes, wie des Organs konstant: bei ca. 38° halten. Solange dies nicht geschah, erzielten wir keine kon- stanten Werte. Dies dürfte weniger auf dem Einfluß der Temperatur auf die innere Reibung beruhen — ein Grad Änderung macht für die Durchflußmenge nur 2 Prozent Unterschied —, vielmehr kommen die Schwankungen der Gefäßweite infolge inkonstanter Temperatur bei unseren, sich über relativ längere Zeit erstreckenden Messungen sehr in Betracht. Schon geringe Änderungen in der Gefäßweite haben ja eine bedeutende Änderung der Strömung zur Folge. Die Organe wurden daher, ohne sie aus dem Kadaver zu entfernen, schnell in einen Kasten mit konstanter. Temperatur (38°) gebracht und darin durchblutet. 44 R. pu Boıs-ReYmonD, T. G. BRoDIE, FRANZ MÜLLER: Die Bestimmungen der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes im lebenden Tiere wurden gleichfalls volumetrisch nach Brodie ausgeführt. Das zu untersuchende Organ wird in eine Onkometer-Kapsel aus Kautschuk ein- geschlossen, aus der Arterie und Vene, und, wenn man will, auch die Nerven, mit einem eingefetteten Wattepfropf abgedichtet, herausführen. Um die Vene ist ein Faden gelegt, der sie, wenn man ihn anzieht, komprimiert, so daß sich das zuströmende Blut im Organ ansammeln muß. Die Zunahme des Organvolumens wird genau wie oben beschrieben, vermittelst eines geeichten Volumrecorders auf schnellrotierendem Papier registriert. Gemessen wird (s. Stab 4 der Tabelle II) die Zeit, die verstreicht, bis die aufsteigende Volumkurve diejenige Höhe erreicht hat, die einer bestimmten Volumzunahme entspricht. Dann wird sogleich die Vene wieder freigelassen, so daß die Messung in sehr kurzer Zeit mehrmals wiederholt werden kann.! Wir lassen eine Übersicht über eine Reihe solcher Bestimmungen folgen: Tabelle Il. Beispiele von Einzelmessungen. Versuch Uhr Blutdruck | ‚jeccm In 1 Minute Nummer mm in !/,, Sekunde ccm II 45450” 20-0 45-0 Dünndarm 51’ 0" 166 Ir 19-7 45+8 (ohne Nerven) 10" 17:0 52.9 20" 18-0 50:0 53° 0" 19:0 47-3 45" 18-3 49.5 54° 10" 170 17-3 52-0 Derselbe Bu 19-7 45-7 Versuch 10" 17:0 52.9 15" u) 17-2 52-0 20” 18-6 48:3 5510’ 10" 18-6 48:3 25" | 17-6 51-1 35" „2 17-0 52.9 50" 18:8 47°6 IV 11% 50° 0" 155 9:6 188-0 Dünndarm 10" 168 8.4 215.0 (ohne Nerven) 20" 164 8-6 210-0 30" 164 10:0 180:0 40" 160 11-0 163-6 50" 150 11-2 160-8 ! Siehe Bareroft und Brodie, Journ. of Physiol. Vol. XXXII. p. 52. — Brodie und Russell, ebenda. Vol. XXX. p. XLVII. — Franz Müller, Archives internat. de pharmacodynamie. 1907. T. XVII. p. 90. VISKOSITÄT UND. BLUTSTRÖMUNG. 45 Tabelle II (Fortsetzung). Versuch Uhr Blutdruck Ice In 1 Minute Nummer mm in !/,, Sekunde ccm VI el 106-0 16-9 Niere | 190 108-4 16-6 (ohne Nerven) | 11% 5’ 0” 95.0 18-9 le 160 64-6 27.9 162 66-0 27.3 11814’ 0" 165 73.0 24-7 Man sieht, daß die Einzelmessungen zwar ungefähr um 10 Prozent vom Werte abweichen, doch ist der Fehler des Resultats erheblich geringer, da immer Durchschnittswerte aus zahlreichen Einzelbestimmungen mit- einander verglichen werden. Nur solche Durchschnittszahlen sind in die folgenden Tabellen aufgenommen. I1I. Ergebnisse. A. Einfluß des Druckes auf die Durchströmung. Unsere Versuche beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Einfluß der inneren Reibung. Wir wollen aber zunächst einige nebenbei beobachtete Beispiele für den Einfluß des Druckes auf die Durchströmung zusammen- steilen. Die folgenden Zahlen stammen von künstlichen Durchblutungen am getöteten Tier. Die Änderung ist auf den Anfangswert 100 berechnet. Tabelle Ill. Durchflußmenge pro Minute Prozentische Änderung Organ : . bei Druck I bei Druck II der Durch- inmm Hg an in mm Hg ne ds inte flußmenge == 2 —— =) == = = Lunge 30 27.4 20 148 | — .50-0 — 85.1 30 8-2 20 Zu2 7 90:0 — 272-7 43 30.4 30 12-0 | — 43.3 — 153.3 20 3:6 40 26-1 | + 100.0 + 625-0 20 2.2 40 20-7 + 100-0 + 840-9 14 '2°6 20 9.3 + 42-9 + 257.7 In diesen Werten tritt keine Proportionalität zwischen Druck und Durchflußmenge hervor. Sie ist dagegen sehr deutlich in den folgen- den Zahlen, die bei Messung der natürlichen Stromgeschwindigkeit im Dünndarm erhalten sind. (Die Zahlen sind wie gesagt Durchschnittswerte 46 R. pu Boıs-Reymono, T. G. BropıE, FRAnz MÜLLER: einer Reihe kurz hintereinander gemachter Einzelmessungen.) Außer dem Druck hatte sich während der beiden Teile der Versuche nichts geändert. Tabelle IY. Blutmenge pro Minute Prozentische Änderung Ver- > | R z Organ suchs- || bei Blut- bei Blut- : Nr. druck I ccm | druck II ccm Be es mm Hg - | mm Hg | Dünndarm I 138 25-5 162 29.35 | + 17-4 + 15-1 IV a 160 127-7 124 93-3 | — 29:0 — 36-9 IVb 160 180-1 98 :| 108-3 | — 63.3 | — 66-3 Der Unterschied zwischen den Zahlen der Tabellen III und IV dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die im ersten Fall in Betracht kommen- den Gefäße der Lunge viel leichter dehnbar sind als die Gefäße des Darms, auf die sich die zweite Versuchsserie bezieht, so daß bei den Versuchen an der Lunge mit jeder Druckzunahme eine merkliche Zunahme der Gefäß- weite verbunden ist, Aktive Änderungen der Gefäßweite können wohl kaum im Spiel sein, da die Gefäßmuskulatur nach Bayliss gerade im entgegengesetzten Sinne auf Druckschwankungen reagiert, indem sie sich bei Drückerhöhung zusammenzieht und bei Druckverminderung erschlafft.! B. Einfluß der inneren Reibung auf die Durchströmung. 1. Durchblutung post mortem. Die folgende Tabelle V gibt eine Zusammenstellung der Resultate unserer gelungenen einwandfreien Versuche. Stab 5 der Tabelle zeigt, daß die Viskosität des Blutes im Beginn unserer Durchblutungen zwischen 1-91 und 3.27 betrug. Diese niedrigen Zahlen erklären sich dadurch, daß die Röhrenleitungen des Durchströmungs- apparates vor Einfüllen des Blutes mit Ringerscher Lösung gefüllt waren, und daß, wenn das unverdünnte Blut des Tieres zur Durchblutung nicht hinreichte, weil. ja ein Teil davon zur Gewinnung von Serum und Blut- körperchenbrei verwendet ‘werden mußte, größere Mengen von Ringer- scher Lösung zugesetzt wurden. Als wirkliche Normalwerte der Viskosität von. defibriniertem Katzenblut wurden gelegentlich gefunden: 3-27, 3-16, 3-20 (Hirudinblut 3-42). Ein sehr diekes Blut mit besonders hohem spezifischen Gewicht (1-0603) hatte nach dem Defibrinieren 4-03. Diese Zahlen gehören nicht zu dem in der Tabelle V dargestellten Beobachtungs- material. ı Journ. of Physiol. 1902. Vol. XXVII. p. 220. 47 VISKOSITÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 5 GH — ir 0.09 | #17 | 8-5 | 22-8 88 88 = IIXX Sunsoplosug | #8 — 09 — 8:89 | 0*28 || L6-T | 91-8 sg 88 4 DENE Sunzaisıperagty aygoorgog wmnıag — | L-98 | 8-12 || 00-2 | 81°# ie Lk us | z 0 + | ser | v.os| erg | er-# | era | a8 Ba | XX raqzedıoygugg 6 + 6L + G-FF | L-8# | 6T-E | 89-7 = Er & I | = | esc| 0-1 | 89a | 21.0 | u XIX wnıog 6 I 0-89 | 0-L1E | 13-3 | 8-2 E . eo | 7202 oral |eesa a el, IIAX tiqrsdıoymmg | 6 + 6I+ | 0.998 | 9-8C | 11-3 | 82-1 = ; & | er :|.2 — |. 0:9 | o-sa-| er. 10-7 |, || 08 Nur wun.ıog I Be 8a— | 0-7 | 9eE | 20-8 | 09-2 | 38 08 E AX wıgtodioymmg | ET -+ In+ | 8-7e | 8-68 || 62.8 | 88-2 | € 08 ; AIX dzuaı1d -19]U9, 1 I9p qfeyrouur uoy DIES CO: 8 — gs.08 | 1-08 | 8h-5 | 86-5 Sn -UBMTOS UOSUNSSOTLOZULT “ 0 *F 01 + 0.383 | 0.23 | 86-8 | 79-8 | ame | & < £ Allee ar 0-33 | 1.98 | 99-5 | 98-7 | Y Olsen sI + 46 F0T | 70:8 | 84:7 ö£ | Toaqzadionnig | 83 + or + | 9607 | 9rep | 80722 werd | emo | gr || eSanıy| XI yuejsuoyur ınyeradws], wnıag FE — 0) ||| (011037 1+2 FE:8 | 89-7 uoa Zunyostwmog, Pdıgy | oreden | WygDeu| To.IoA | TOUTOrU| AOT.IoA en - - i 5 - . SUONSıI IT a 01 nz yaınp yımagq NL un) 2 en SH wu Me 1 = A ua3uny1owog opına Sunppur Any JU9ZoIg oynuır ord woo | (Q-.T = 1ossey)| TI song 10 Z Een uopozgnggaımg \MONSIpuIMmy9sa3 | JuarzyJ90N -odwalr, JOUIUIn N FENSONSTA Orc 19p sundopuy -woagsmig -SIBSONSIA gi [Ai ak gr a ae v & 3 I A eII9odeL 48 R. pu Bors-Reymonp, T. G. BrRoDIE, Franz MÜLLER: Der 9. und 10. Stab von Tabelle V enthält das eigentliche Ergebnis der Versuche, nämlich den Vergleich zwischen dem Einfluß der Viskosität auf die Strömung in der Glaskapillare des Hirsch-Beckschen Apparates und die Strömung in den Gefäßen. In beiden Fällen ist die Strömung gemessen durch die „Durchflußzeit“ für ein bestimmtes Flüssigkeitsvolum, und in beiden Fällen ist die Durch- flußzeit für die in jedem Versuch zuerst angewendete unveränderte Durch- strömungsflüssigkeit = 100 gesetzt. Für die durch Zusetzen von Serum, Blut- körperchenbrei oder Ringerscher Lösung veränderte Flüssigkeit ergibt sich dann eine gewisse Anderung der Durchflußzeit im Hirsch-Beckschen Apparat, die im Stab 9, bezogen auf den = 100 gesetzten Anfangswert, in Prozenten angegeben ist. Ebenso ergibt sich auch für die Durchflußzeit durch die Gefäße eine Anderung, die in Prozenten des zuerst beobachteten Wertes für die Gefäßdurchflußzeit im Stab 10 angegeben ist. Ist der Einfluß der inneren Reibung in beiden Fällen derselbe, so muß auch die Prozentzahl in beiden Stäben gleich sein, wie dies in einigen Zeilen der Tabelle mit großer Annäherung zutrifft. + bedeutet Zunahme, — Abnahme der Durchflußzeit. Die meisten Einzelwerte lassen allerdings diese strenge Proportionalität zwischen innerer Reibung und Strömung ver- missen. Jedoch haben sich die Durchflußzeiten immer in gleichem Sinne für Glas wie für die überlebende Gefäßwand geändert. Für den Vergleich zwischen Glaskapillare und Gefäßen ist nur das absolute Maß der Änderung ohne Rücksicht auf das Vorzeichen. von Bedeutung. Man darf daher die. Summen aller prozentischen Änderungen in Stab 10 und 11 addieren. Ist der Einfluß der inneren Reibung im Tierkörper der- selbe wie in der Glaskapillare, so müssen die Summen gleich sein. Die Summe der Werte von Stab 10 (Glaskapillare) ist 480 „». 1 (ierkörper), , 485 Diese genaue Übereinstimmung ist nun keine scheinbare. Stellt man die Einzelwerte in beliebigen Gruppen von gleichviel Versuchen zusammen, so bekommt man gleichgroße Abweichungen im entgegen- gesetzten Sinne. Je mehr Werte man nimmt, desto geringer wird die Abweichung. Addiert man z. B. die ersten, dritten, fünften usw. Zahlen und ebenso die zweiten, vierten, sechsen. usw., so ergibt sich | Ungerade Zahlen | gerade Zahlen für Glaskapillare 239 | 241 für Tierkörper 282 | 201 Während also bei den ungeraden Zahlen + 43 zugunsten des Tier- körpers herauskommt, sehen wir bei den geraden + 40 zugunsten der VısKosITtÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 49 Glaskapillare. Dasselbe zeigt eine Addition der ersten 10 und der letzten 8 Versuche der Tabelle: Letzte Serie | Erste Serie für Glaskapilare 160 | Bm für Tierkörper 193 | 290 Bei den ersten Versuchen also + 24 zugunsten des Tierkörpers, in den letzten + 21 zugunsten der Glaskapillare. Alles das beweist mit Sicherheit, daß die Abweichungen der Werte der einzelnen Versuche, wie gesagt immer Durchschnittswerte von einer großen Zahl Einzelbestimmungen der Stromgeschwindigkeit, durch schwer vermeidbare Versuchsfehler hervorgerufen sind. Diese Abweichungen gleichen sich aus bei Betrachtung einer großen Anzahl von einwandfreien Ver- suchen und zeigen dann mit Sicherheit für die Gefäße des über- lebenden Organs eine völlige Proportionalität zwischen innerer Reibung und Ausflußmenge. 2. Messung der Durchflußzeit durch lebende Organe. Auch für die Versuche am lebendigen Tiere wurden Katzen verwendet und der Darm oder die Niere des durch Urethan stark narkotisierten Tieres benutzt. Die innere Reibung wurde durch intravenöse Injektion von isotonischer Kochsalzlösung oder in einem Falle von Natriumsulfat- lösung herabgesetzt. Da der Aortendruck nach der Injektion in die Höhe ging, so entzogen wir dem Tier, nachdem die ersten Einzelmessungen der pro Minute hindurchgeflossenen Blutmenge gemacht waren, ein der in- jizierten Flüssigkeitsmenge entsprechendes Quantum Blut und brachten den Druck dadurch wieder auf etwa die vorherige Höhe. Jetzt wurde nochmals, und zwar immer in Abständen von etwa 10 Sekunden, die Durchflußzeit bestimmt. Doch blieb natürlich der Blutdruck nicht so absolut konstant wie bei künstlichen Durchströmungen nach dem Tode, wenn auch in Urethannarkose relativ geringe Druckschwankungen vorkamen. Man ist daher gezwungen, wenn man die in der Zeiteinheit durchgeflossenen Blut- mengen vor und nach der Injektion der Salzlösungen vergleichen will, jeden Wert auf einen bestimmten Druck umzurechnen unter der nach Vor- stehendem zutrefienden Voraussetzung, daß Druck und Durchflußmenge direkt proportional sind. So sind die in der folgenden Tabelle VI ent- haltenen Durchschnittswerte auf den zu Beginn des Versuches bei den ersten Messungen herrschenden Aortendruck umgerechnet. Archiv f. A.u. Ph. 1907. Physiol. Abtlg. Suppl. 4 50 R. pu Boıs-ReymonD, T. G. BRoDIE, Franz MÜLLER: Tabelle VI. Natürlicher Kreislauf (Katze). 1 2 sum 5 6 NT Peer _ — | ER 2 | Eller Anderung der Durchfiuß- us KSelss.|43#5| Anderung der | zeit in Prozent für oo e®) B=iRz| so = (>) . . a2 Ba8zs 8353 „| Jnneren Reibung 52 Organ =3 DE 5 &” = 5 | durch intravenöse | Glas- n a n Z Basäatn2sı olt | röhre | Einzel- | Durch- ® 2.27 nu-#-Te Injektion von | röhr Be 27-9 | I | Dünndarm |1155 3-64 | 21-5 1 8-6) +29-8 19-6 — 12-3 +42-3 ( 50-2 | 64-6 — 6.0 —28-8 46-0 — 1.3 + 9-0 | 139-0 169.0] | „93-31 Be 143-0 |) oral II aa N 0-9°/, NaCl |; | 133-0 | je el) m || 204-0 | —103-8 — 46-6 Dünndarm | entnervt 105-1 N an 33-21 Bon 116-0 als) Iv-|®i 160) 3-56 wi ll 149-8 | m eo el | N UlEre 32081 | | 110-3 | | 133-0 | | 191-2 | —43-8| | 0 N je 0 = D V W144] 4-42 | 176-9/|°0 0% Na,50,1 28-4 U2.0j]| 38 |) 153-9 | Yneem 40) | 34-5 — 15-7] 138-3 | a 184-2 | | VI | Niere entnervt [10 3-02 | 310-3 | 0 NaC [7 22-5 — 68-4 | 807-2) || 0,2% NaCl | 88.7 66-8 Betrachten wir den ersten Versuch, in welchem die zum Dünndarm führenden Nerven erhalten waren, so haben sich die Durchflußzeiten durch die Glaskapillare und durch die Darmkapillare nicht gleichsinnig geändert. Die innere Reibung, d.h. die Durchflußzeit durch die Glas- kapillare, nimmt ab. Im Darm dagegen ist die Durchflußzeit des dünneren Blutes nicht geringer, sondern größer als beim normalen, und zwar in den beiden Teilen des Versuchs, in denen jedesmal 40 «m Kochsalz in- VIsKosItÄtT UND BLUTSTRÖMUNG. 51 fundiert wurden. Anders in den Versuchen II bis VI. In diesen waren vor Einlegen der Darmschlinge bzw. der Niere in die Onkometerkapsel alle zum Organ führenden, neben der Arterie und Vene oder in deren Adventitia verlaufenden Nervenfasern durchtrennt worden. Wir sehen jetzt gleichsinnige Änderung der Durchflußzeit durch die Glas- und die lebenden Kapillaren, mit einer Ausnahme, bei der die Änderung innerhalb der Fehlergrenzen liegt, vermissen aber wie bei den künstlichen Durchblutungen strenge Proportionalität im einzelnen. Das wird verständ- lich, wenn wir berücksichtigen, daß die Viskositätsbestimmung in dem der Karotis entnommenen, durch Hirudin flüssig erhaltenen Blute doch nicht genau den gerade im Augenblick der Messung vorhandenen Zustand des Blutes anzeigt, obschon die Probe für die Bestimmung in der Kapillare unmittelbar nach der ersten Serie von Geschwindigkeitsmessungen ent- nommen wurd. Wir wissen, daß die Salzlösung sehr schnell aus der Blutbahn entfernt wird, wie auch ein Vergleich der ersten Serie von Messungen, die eine halbe bis 3 Minuten nach der Injektion angestellt wurde, mit der zweiten zeigt, die etwa 5 bis 7 Minuten nach Beendigung der Injektion gemacht wurde (siehe Stab 5 und 8 der Tabelle, in denen diese zwei Serien immer durch Klammern verbunden sind). In Anbetracht dieser schnell eintretenden Änderungen hielten wir es für richtig, bei der Durchschnittsberechnung alle Durchströmungswerte des Stabes 5 nach dem numerischen Wert der prozentischen Änderung in Rechnung zu bringen. Sie wurden wie bei den künstlichen Durchblutungen ohne Rücksicht auf das Vorzeichen addiert (vgl. S. 48). Es ergibt sich aus Versuch II bis VI (Stab 7 bzw. 8 und 9): für die 13 Werte der Glaskapillare 537.7, im Mittel 41 Proz. Änderung; 20 im Tierkörper 670 5; Nr Daß auch die Mittelwerte nicht so gut übereinstimmen, wie bei den ange spülungen post mortem, darf uns in Anbetracht der geringeren Anzahl von Versuchen nicht wundern. Der Fehler ist nicht größer, als wenn wir etwa nur die Hälfte unserer künstlichen Durchblutungen berücksichtigten (siehe S. 49 oben). Wir sind also, wie uns scheint, berechtigt, auch während des Lebens Proportionalität zwischen innerer Reibung und Strömung anzunehmen. IV. Diskussion der Ergebnisse. Nachdem somit die Anschauung Poiseuilles bestätigt ist, wollen wir auf die von Heubner gegen seine Versuche erhobenen Einwendungen zurückkommen. Bei gelegentlichen Stichproben konnten wir uns zunächst mit Hilfe des Beckschen Apparates immer wieder von der Richtiekeit der physikalischen Angaben von Poiseuille überzeugen. Anders steht es mit A 52 R. pu Boıs-Reymonn, T. G. BRoDIE, Franz MÜLLER: den Messungen in den Organen frisch getöteter Tiere. Poiseuille hat, wie es scheint, nur vier Versuche dieser Art angestellt, deren Ergebnis, in derselben Weise wie oben unsere : Versuche berechnet, in der folgenden Tabelle VII zusammengestellt ist. Auch Heubner hat schon einige der Tabelle VL. Poiseuilles Versuche. 1 ee 5 een “2 ., Durchflußzeit | Prozentische E 3| = Durchflußzeit dreh Änderung an r e E . | = E E & Beniseimng ae ni com Durchiinßzeit 2 au as:lg von Glasröhre || ;n Sekunden | durch a _ = Mi Mi | Gl g Rn i- | l- aß = mm | um schung] Serum schung) röhre Ser 1 | Niere |j1835 13-5 | Ammonacetat | 4184!| 4114 | 189 | (169) | —2 | —20 1:75 188 Hz 188 | 157 | 2 Bein 1835 11-7 | Kaliumnitrat || 4257 | 4090 62 (53) | —4 | —25 EL 63 | 50, = 62 50 3 Bein 1835 112-5 Alkohol 4186 | 4464| 69 (77) +7 | +18 ca. 509%, 70 81 1: 100 69 82 4 Leber 18355 || — | Kaliumnitrat | 4257 | 4090 || 297 | (290) | —4 | — 9 desselben 1: 100 1 296 275 ee 296 | 270 270 | Versuche in dieser Weise nachgerechnet und auf die mangelhafte Überein- stimmung der prozentischen Änderungen von innerer Reibung und Strömung hingewiesen. Man ersieht ohne weiteres, daß Poiseuille aus ihnen keine Beziehung zwischen Strömungsgeschwindigkeit und innerer Reibung ab- leiten durfte. Wir haben es deshalb unternommen, Poiseuilles Versuche genau nach seiner Beschreibung zu wiederholen. Er gibt an, daß er die Gefäße von Hunden mit Pferdeserum durchströmen ließ, sobald das durch Ver- blutung getötete Tier vollkommen abgekühlt war, d. h. nach etwa 1 Stunde. Diese Angabe ist höchst auffallend, denn wenn man, wie es Poiseuille tat, die Zeit mißt, in der bei gleichbleibendem Druck von etwa 120"m Hg 100% reines Serum aus der Vene des einen Beins ausfließen, und ! Für 1 Salz: 25 Serum. ° Für 2 Alkohol 50 °/,:100 Serum. oa & VıIskosItÄT UND BLUTSTRÖMUNG. nachdem Konstanz erzielt ist, ohne Druckänderung dasselbe Serum mit 1:100 Kalisalpeterzusatz einschaltet, so hört der Strom plötzlich fast voll- kommen auf, statt wie Poiseuille behauptet, zuzunehmen. Auch nach Durchspülen mit frischem, salzireiem Serum stellt sich die Strömung nicht wieder vollkommen her. Dies haben wir wiederholt beobachtet, wie zum Beispiel das folgende Protokoll zeigt. Protokoll: Hund 5®, rechtes Bein, Druck 120 "" Hg, Tempera- tur 16-5°. 100 °°m Serum Uhr fließen aus Bemerkungen. in Sekunden a 56-0 5 54:0 6 49-2 2 48.2 8 47-6 45.4 43.2 Durchlaufszeit durch Glaskapillare bei 400 == Benzoldruck und 12' 44-8 16°8°%. 39-2 Sekunden. 44-2 verloren 46-2 15° 48-8 45.2 verloren 19’ 44-0 20 45:0 a % io : 99. 45-6 Pause 1 Minute während Einfüllens des Serums mit Salpeter. 23 139.4 Von 1:23 ab ohne Unterbrechung Serum + 1:100 Kali- 96° 256-4 salpeter filtriert. 30' 172-8 33' 1542 38’ 143.2 Pause 1 Minute. 40' 198-0 44' 267-0 48’ 290-8 Pause 45 Sekunden. 53 505-2 Durchflußzeit durch Glaskapillare, 400 ”® Benzoldruck, Tempe- ratur 16-7°: 38-7 Sekunden. av 2 295.8 Von 242’ ab wieder normales Serum. Pause 3 Minuten. 8 214.2 15' 184.0 18° 161-0 Es ist daher gar nicht zu verstehen, wie Poiseuille zu seinen An- gaben gekommen ist. Er muß sehr viel länger nach dem Tode des Tieres den Versuch begonnen haben. Dann allerdings, wenn man 24 Stunden nach dem Tode des Tieres wartet, erhält man, wie wir uns auch überzeugt 54 R. pu Bors-REeyYmonD, T. G. BRoDIE, Franz MÜLLER: haben, ungefähr dasselbe Ergebnis wie Poiseuille. Die Gefäßwand ist dann eben tot und reagiert nicht mehr auf das Salz. Berechnet man einen solchen Versuch von uns, dessen Protokoll hier folgt, ebenso wie die früheren, so ergibt sich absolute Proportionalität zwischen innerer Reibung und Strömung, die bei Poiseuille vermißt wird: Abnahme der Durchflußzeit durch Glaskapillare (siehe Tabelle VII Ver- such 2 und 4) — 4 Proz. Abnahme der Durchflußzeit durch aas Bein — 3.5 Proz. (siehe unten). Protokoll: Hund etwa 20®8, rechtes Bein, 16 Stunden nach dem Tode, Druck konstant 120 "m Hg. 100 °°® Serum Uhr fließen aus Bemerkungen. in Sekunden 1 16' 39-6 1% 38-2 36° 12257 37. 38’ 36° Durchschnitt der 8 letzten exakten Werte: 36-4. h 0 o k 1 ne 2 Minuten Pause. (3%) 1245 ohne Druckänderung. Umschaltung auf Serum mit 1:100 Kalisalpeter. Immer 2 Messungen hintereinander. Durchschnitt der 6 nicht exakten Werte: 37°5. o 1645’ cv (Sb) \ rw ao ‘1 9090 9 @ SilRleiike o ee Sets se, oe. aD DO DO U OP OOo ro O0 Etwa 10 Minuten nicht gemessen, aber dauernd durchspült. Von 12"9' ab Messungen hintereinander ausgeführt. m m DD ai an a co 35.0 verloren 35.4 35.0 verloren 34:6 Durchschnitt der 9 ganz exakten Werte: 35-1 = — 3+59],. 34:2 35.0 35.0 35.6 VISKOSITÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 55 | 100°» Serum Uhr fließen aus Bemerkungen. in Sekuuden 12 16' 36-8 | Von 1216’ ab fortschreitende Verschlechterung. Zunehmendes 97° Odem. 38° Ha oO 07 mn - AB Tel A, SO, PDOODO Co Poiseuille hat dann weiter die Beziehung zwischen innerer Reibung und Strömungsgeschwindigkeit in der Weise zu prüfen gesucht, daß er bei Pferden, im Anschluß an die Heriugschen Messungen der Durchflußzeit des Blutes durch das Gefäßsystem, Ferrocyankalium in die eine Halsvene injizierte und beobachtete, wann es aus der anderen wieder herauskam. Nachdem diese Zeit für das betreffende Individuum festgestellt war, in- jizierte er mit dem Ferrocyankalium zusammen Kalisalpeter und beob- achtete in derselben Weise. Um einen seiner Versuche anzuführen, so erhielt ein Pferd von 11 Jahren 4s'm Kaliumnitrat. Das Pferd muß schätzungsweise 15er" Blut enthalten haben. Auf 100 Blut kam also etwa 0-027 Kaliumnitrat! Die Durchflußzeit nahm von normal 32 auf 22.5 Sekunden, d. h. um 30 Proz. ab. Wir können daher Poiseuille nicht folgen, wenn er dies Ergebnis auf die Verringerung der inneren Reibung durch das Salz (0-027 Proz.) zurückführt. Alles in allem haben also Poiseuilles eigene Versuche für die Strömung iin Glaskapillaren uneingeschränkten Wert, dagegen müssen wir Heubner beipflichten, wenn er Poiseuilles Versuchen im Tierkörper jede Beweiskraft abspricht. Setzen wir aber die Versuche, die wir nach seiner Vorschrift nachgemacht haben, und diejenigen, die wir mit unserer eigenen oben beschriebenen Anordnung ausgeführt haben, an deren Stelle, so erscheint uns das, was Poiseuille zu beweisen versuchte, nunmehr tatsächlich erwiesen. V. Die Bedeutung der inneren Reibung für die Blutströmung unter normalen und pathologischen Bedingungen. Man weiß, daß die innere Reibung des Blutes durch die verschiedensten Umstände beeinflußt wird. So fand Burton-Opitz mit Hürthles Methode 56 R. pu Boıs-ReymonxD, T. G. BRoDIE, FrAnz MÜLLER: geringe Änderungen bei verschiedener Ernährung." Er sah gegenüber dem Hungerzustand eine Änderung von Prozent des Wertes | bei Ernährung mit für — 14 | Kohlehydraten — 17 Fett Hunde — 35 Fleisch +15 Mohrrüben Ukannehen — 0:5 Hafer | Einen ähnlich geringen Einfluß der Ernährung beobachtet man bis- weilen auch beim Menschen (in Maximo etwa 20 Proz.).” Muskelarbeit, kalte und warme Bäder, Einpackungen wirken etwa ebenso stark auf die innere Reibung des Venenblutes (in Maximo: + 28 bis — 17 Proz., bei 45 Minuten dauernder Packung + 20 Proz.).” Kohlensäureanhäufung im Blut bei abnormer Atmung? oder Stauung bewirken dagegen erhebliche Z/unahmen (bis 52 Proz. bei Kohlensäuredurchleitung durch Blut, bis 90 Proz. bei 20 Minuten andauernder Bindenstauung). Einige dieser Resultate sind ohne weiteres verständlich, da Zunahme der Erythrocytenzahl die -innere Reibung erhöht, Abnahme sie verringert, wenn auch nicht immer streng proportional. Dementsprechend nimmt eben auch der Viskositätskoeffizient wie bei der Cholera, so bei Polyglobulie stark zu (Normalwert: @ etwa 4.8, hier bis über 20).* Endlich hat O. Müller kürzlich festgestellt’, daß Jodkalium die innere Reibung des Blutes von gesunden Individuen verringert (Minimum bei un- komplizierten Versuchen — 1-6 Proz., Maximum 8-3 Proz. des Wertes) und Romberg hat darauf die günstige Wirkung des Jodkaliums bei Arterio- sklerose zurückgeführt.® Es wurde bis zu 14 Tagen täglich dreimal bis zu 0-5 Jodkalium gegeben. Nehmen wir an, es sei überhaupt kein Salz ausgeschieden worden, und die ganze Menge zirkuliere im Körper, so sind in den 5 Liter Blut des Menschen 21.0 Jodkalium = 0-42 Proz. enthalten. In Poiseuilles physikalischen Versuchen verminderte 1 Proz. Kaliumnitrat die innere Reibung des Serums um 4 Proz. des Wertes. Folglich ist nicht anzunehmen, ! Burton-Opitz, Pflügers Archiv. 1900. Bd. LXXXIH. S. 457 und 1907. Dd. CXIX. S. 359. ® Bence, Zeitschrift für klin. Medizin. 1906. Bd. LVII. S. 203. — Deter- mann, ebenda. 1906. Bd. LIX. S. 283. ° Determann, a.a.0. * Bence, a.2a.0. 7 = 14-4—20-9. — K. Winter, Diss. Breslau 1907: 7 bis 20-02. 5 Deutsche med. Wochenschrift. 1904. S. 1751. ° Kongreßber. inn. Med. 1904. S. 60. VIsKoSITÄT UND BLUTSTRÖMUNG. 97 daß die Anwesenheit von Jodkaliummengen, die höchstens 0-4 Proz. be- tragen können, an sich die innere Reibung merklich ändern kann. Falls die Beobachtungen sich bestätigen, muß daher Jodkalium, wie O. Müller vermutet, durch eine besondere Wirkung etwa auf die Blutzellen die Ver- ringerung der inneren Reibung mittelbar herbeiführen. Es fragt sich nun, ob solche Änderungen der inneren Reibung in der Tat von großer, einschneidender Bedeutung für den menschlichen Organis- mus sind. Unsere Versuche zeigten, daß sich die Strömung in gleichem Verhältnis wie die innere Reibung ändert. Nimmt diese also um 50 Proz. zu, müßte danach die Durchblutung des Körpers um 50 Proz. langsamer werden. Eine solche Abnahme hat nun für die normal elastischen Gefäße gar keine Bedeutung. So sahen wir beim normal von Nerven versorgten Darm trotz erheb- licher Verdünnung des Blutes keine Zunahme der Stromgeschwindigkeit in den Darmgefäßen (siehe Tabelle VI Versuch I), im Gegenteil eine Abnahme. Selbst geringe Reizung der Gefäßnerven, etwa durch Erwärmung oder Abkühlung, ändert eben die Durchströmung um 100 Proz. und mehr. Das zeigen auch die auf S. 45 gegebenen Werte bei plötzlichen Druckänderungen aufs deutlichste. Wir wissen ferner, daß Muskelarbeit mit Gefäßerweiterung in dem betreffenden arbeitenden Muskelgebiet verbunden ist. Chauveau und Kaufmann fanden beim Kaumuskel des Pferdes die vierfache Durchblutung während der Tätigkeit gegenüber der Ruhe!, und zwei von uns (Brodie und Müller) sahen in noch nicht abgeschlossenen Ver- suchen nach tetanischer Reizung der Extremitätenmuskeln des Hundes vom Nerven aus die Stromgeschwindigkeit im Bein gegenüber dem Ruhezustand um das 31/,fache zunehmen. Endlich bringen schon die kleinsten wirksamen Mengen von Mitteln, die die Gefäße erweitern oder verengern, Änderungen in der Strömung um das Vielfache hervor. Beispielsweise sahen wir nach minimalen Dosen von Yohimbin?: Abnahme der Stromgeschwindigkeit des Beins auf die Hälfte, dann sofort Zunahme um das Einundeinhalbfache = + 250 Prozent. Dabei änderte sich der Blutdruck nur wenig: zuerst von 135 bis 108"" = — 18 Prozent, dann Anstieg auf 150" = +11 Prozent. Solche Schwankungen des Aortendrucks sind im normalen Organismus zweifellos sehr häufig: bei Übergang von Ruhe zur Arbeit, in der Ver- dauungszeit usf. 1 Comptes rendus de "Acad. 104, 105. ® Franz Müller, Arch. internat. de pharmacodynamie. 1907. T. XVII. p. 90. 58 R.pu Boıs-Reymonv, T.@G. BRoDIE, FRANZ MÜLLER: VISKOSITÄT USW. Nun führen sogar nicht einmal die extremen Änderungen der inneren Reibung des Blutes bei Polyglobulie zu merklicher Erhöhung des Wider- standes in der Körperperipherie: Man hat regelmäßig, wenn Arteriosklerose fehlte, Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels oder Verstärkung des zweiten Aortentones, sowie Stauungen in den peripherischen Körpergebieten oder Erhöhung des tonometrisch gemessenen Blutdrucks vermißt.! Die durch die erhöhte innere Reibung dem Herzen zugemutete Mehrarbeit wird also durch Ver- breiterung der Strombahn vollkommen ausgeglichen, zumal die Gefäßnerven solcher Patienten stark übererregbar sind.” Nur wenn außer der Hyper- globulie Arteriosklerose besteht, ist die Blutverteilung abnorm. Dementsprechend dürfte schwerlich eine durch Kohlensäureanhäufung im Blut bedingte Zunahme der inneren Reibung für den Organismus eine irgendwie bemerkbare Zunahme der Herzarbeit bedingen, zumal die durch Reizung des Atemzentrums hervorgerufene Zunahme der Ventilationsgröße und die dadurch bewirkte vermehrte Blutansaugung aus den venösen Ge- bieten zum Herz hin normalerweise der Kohlensäureanhäufung entgegen- arbeiten. Wir möchten daher denen durchaus recht geben, die die innere Reibung als ein drittes Moment für die Blutströmung neben den treiben- den Kräften und äußeren Widerständen bezeichnen, aber von viel ge- ringerer Größenordnung als diese. Vergleicht man daraufhin unsere Ergebnisse nochmals mit den soeben angeführten, so wird‘ man zugeben müssen, daß die Bedeutung der inneren Reibung für die Blutströmung von klinischer Seite vielfach überschätzt wir. Man wird weiter auch in der Pharmakologie die Änderung der inneren Reibung nur da zu berücksichtigen haben, wo ein Gift gleichzeitig: die innere Reibung erhöht und die Gefäßwand, die Gefäßnerven oder die Herzkraft schädigt. ! Weintraud, Zeitschrift für klin. Medizin. 1904. Bd. LV. 8. 91. — Lom- mel, Archiv für klin. Medizin. 1906. Bd. LXXXVIL. S. 315 u. A. ®? K. Winter, Diss. Breslau 1907. Über die Proportionen der Geruchskompensation. Von H. Zwaardemaker in Utrecht. Wenn man die außerordentlich große Menge der Gerüche, die Natur und Kultur darbieten, auf Grund der in der Literatur niedergelegten An- sichten, also rein konventionell, zu klassifizieren versucht, kommt man auf verhältnismäßig einfachem Wege zu dem von mir in meiner Physiologie des Geruchs ausführlich beschriebenen, modifizierten Linne&schen System. Dieses unterscheidet neun Klassen, die mit ihren historischen Namen zu be- nennen sind: ätherische Gerüche, aromatische Gerüche, odores fragrantes, Moschusgerüche, Allylgerüche, empyreumatische Gerüche, Caprylgerüche, narkotische Gerüche und odores nauseosi. Ich habe für jede dieser Klassen einen Standardriechstoff gewählt, der, chemisch gut charakterisiert, durch seine Löslichkeitsverhältnisse sich zur olfactometrischen Benutzung eignet. Da ich monatelang mit den gleichen riechenden Lösungen zu arbeiten beabsichtigte, kamen keine wässerigen Lösungen zur Anwendung, sondern nur solehe in Paraffinum liquidum oder, wenn die Riechkraft dieser Lösung zu gering sich zeigte, in einer festen Fettsäure (Myristinsäure). Das Paraf- finum liquidum muß, will es sich zu unserem Zwecke eignen, geruchlos sein. Obgleich diese Anforderung mit den gewöhnlichen im Handel vor- kommenden Sorten nie gänzlich zu erfüllen, so ist jedoch darauf zu achten, ein möglichst geruchloses Spezimen zu nehmen, was im allgemeinen, wenn man mit der Verdünnung des Riechstoffs nicht allzu sehr heruntergeht, genügt. Meine Standardlösungen waren: 60 H. ZWAARDEMAKER: Isoamylacetat 1/,%/, in Paraffinum liguidum Nitrobenzol 5°, PR 2. N Terpineol 2D + ; Muskon 0.627°/, „ Myristinsäure Äthylbisulid 1%,o0 „ Paraffınum liquidum Guajacol 1 R F i Valeriansäure 1/90 h 3 5 Pyridin! 1 YR ” ” ” Skatol m u 3 7 Wenn man im Doppelolfactometer diese Standardgerüche 2 zu 2 kombi- niert, so erhält man 36 Kombinationen, von welchen die meisten die Eigen- tümlichkeit haben, statt einen Mischgeruch herzustellen, eine gegenseitige Abschwächung der von den Komponenten hervorgerufenen Geruchsempfin- dungen zu veranlassen. Letzteres Ereignis kann bei sehr genauer Abwägung der beiden. zusammengebrachten Gerüche bis zur vollständigen Aufhebung der Empfindung gehen, bei weniger genauer Kompensation oder auch bei sehr intensiven Reizen tritt aus den abgeschwächten Empfindungen eine besonders hervor oder auch folgt die eine der anderen nach. Wie ich in einer früheren Schrift genauer hervorgehoben habe, scheint im allgemeinen die Regel zu gelten, daß wenig intensive Gerüche einander aufheben, kräf- tigere, obwohl einander abschwächend, in Wettstreit geraten. Ist der Unterschied der zusammengebrachten Intensitäten sehr groß, so unterdrückt der eine Geruch den anderen gänzlich.” Die Ursache dieser Erscheinung soll im allgemeinen nicht in einer chemischen Bindung gesucht werden. Höchstens wäre dies Ereignis für vereinzelte Kombinationen, z. B. Valerian- säure und Pyridin möglich. Die übrigen Mischungen bestehen aus ganz indifferenten, chemisch gar nicht aktiven Stoffen. Aber ebensowenig soll die Ursache in einer Wirkung des peripherischen Sinnesorgans gesucht werden, denn ähnlichen Kompensationen begegnet man, wenn der Versuch bilateral vorgenommen wird. Am wahrscheinlichsten ist eine psychologische Deutung des Versuches, ungefähr in der \Veise, wie Heymans in seinen Aufsätzen über psychische Hemmung sich die Sache gedacht hat. Über diese Frage wollen wir uns jedoch nicht verbreiten, weil der Zweck der vorliegenden Arbeit für den Augenblick in ganz anderer Richtung liegt. * Der Pyridingeruch wurde 1895 von mir zu den brenzlichen Gerüchen gerechnet, weil er im Tabaksrauch vorkommt; es hat sich aber herausgestellt, daß das reine Pyridin nach der Qualität seines Geruches besser in die 8. Klasse hineinpaßt. ° H. Zwaardemaker, Physiologie des Geruchs. Leipzig 1895. S. 165 und dies Archiv. 1900. Physiol. Abtlg. S. 423. ÜBER DIE PROPORTIONEN DER GERUCHSKOMPENSATION. 61 Die Vermischung der beiden Gerüche fand im Laufe der vorliegenden Untersuchung immer in der Weise statt, daß während einer Viertelminute über die genau abgemessene Verdunstungsfläche des Riechmessers, in kon- tinuierlicher Strömung, eine genau geregelte und gemessene Luftmenge geführt wurde. Dieser Vorgang fand gleichzeitig in den beiden Hälften des Doppelriechmessers statt. Die beiden kontinuierlichen Luftströme ver- einigten sich in einem mit Glashähnen abschließbaren Behälter, an welchem nach Beendigung der Viertelminute, bei Abschließung des nach dem Riech- messer gekehrten Hahnes, gerochen wurde. Die Strömungsgeschwindigkeit der Luft nahm ich in meinen Versuchen immer 75 = pro Sekunde beider- seits. Der Luftbehälter faßte 100 °°® und hatte die in Fig. 1 angegebene Gestalt. RN, Rmeet BL NG Fig. 1. Doppelolfactometer A mit erwärmbarem Glasbehälter 3 und Aerodromometer C. Das Doppelolfactometer dient zur genauen Abmessung der beiden gleichzeitig zu ver- wendenden Reize, der Glasbehälter zur Mischung, das Aerodromometer zur Kontrolle der Strömungsgeschwindigkeit der über die duftenden Flächen gemessener Ausdehnung geführten Luft. Äußerlich wurde er umschlungen von einem Nickelindraht, durch welehen ein mittels Graphitwiderstand abstufbarer elektrischer Strom geleitet wurde, dessen Stromwärme eine leichte Erwärmung der Glaswände hervor- rief. Die Erwärmung geschah permanent, und zwar in einem solchen Grade, daß die Wand beim Anfühlen etwas mehr als Körperwärme zeigte. Starke Erwärmung wurde vermieden, weil dann die Luft im Behälter nicht mehr 62 H. ZWAARDEMAKER: völlig geruchlos erschien. Der Zweck dieser Vorrichtung war der, den Be- hälter möglichst rasch von an seinen Wänden absorbiertem Geruch zu be- freien. In bezug auf den Riechmesser sei noch bemerkt, daß die olfacto- metrischen Zylinder zwischen den Versuchen immer vollständig eingeschoben blieben, also tatsächlich nur jedesmal während einer Viertelminute der Verdunstung ausgesetzt waren. Das Vorschieben der Zylinder geschah genau gleichzeitig aus freier Hand, nachdem vorher der Punkt, bis zu welchem vorzuschieben sei, durch eine Arretierungsvorrichtung angegeben war. Mit Bezug auf die olfactorischen Zylinder sei bemerkt, daß ihr poröses, von der Riechstofflösung. getränktes Material in allen hier vorliegenden Fällen aus mehrschichtigem, um eine Nickelgaze gewickeltem Filtrierpapier bestand.” Wenn die Zylinder keine Verwendung fanden, wurden sie, an beiden Seiten mit kleinen Korkstopfen verschlossen, aufbewahrt. Wegen der ungemein zeitraubenden Herstellung einer vollkommenen Geruchlosigkeit des Inhaltes eines Glasbehälters, was immer viele Stunden in Anspruch nimmt, wurde davon abgesehen, mit Reizschwellen zu arbeiten, anstatt dessen stellte ich auf Erkennungsschwellen ein, bzw. begnügte ich mich mit einer, der Geruchlosigkeit sich mehr oder weniger annähernden, Unbestimmbarkeit der Sinnesempfindung. Als Erkennungsschwelie stellten sich für mein Geruchsorgan die folgen- den Werte in Länge des vorgeschobenen Zylinders heraus: Isoamylacetat 1/,°/, Vor a Nitrobenzol 5%, 0.03 „ Terpineol 2 Muskon 0.627 °/, 0-15 „ Äthylbisulid 1/00 0-014, (ruajacol Yen Des, Valeriansäure 1 °/yoo 0-03 „ Pyridin 1%) 0.02 „ Skatol U 0.003 „ Bezüglich dieser Zahlen sei bemerkt, daß die sebr kleinen, an einer Millimeterskala nicht mehr ablesbaren, Werte erhalten sind, indem ich erst durch Verdünstung aus einer zehn- bzw. hundertfach größeren Oberfläche des olfactometrischen Zylinders eine mehr konzentrierte duftende Luft- mischung herstellte und nachher je nach Bedarf im mit Glashähnen ab- schließbaren Behälter zehn- oder hundertfach verdünnte. Die Nachteile einer sukzessiven Verdünnung, wie sie wenigstens mittels Wasserstrahlluft- pumpe bei hundertfacher Verdünnung stattfinden muß, sind zwar nicht gering, aber dennoch weniger ins Gewicht fallend als die Ungenauigkeit 'H. Zwaardemaker, Dies Archiv. 1903. Physiol. Abtlg. S. 42. ÜBER DIE PROPORTIONEN DER GERUCHSKOMPENSATION. 63 der Ablesung über die ersten Millimeter in unmittelbarer Nähe des Metall- randes des olfactometrischen Zylinders. Die Verdampfung in der Nähe eines Randes gehorcht nicht vollständig dem Gesetze der Verdampfung aus freier Fläche. Aus diesem Grunde wurde soviel wie möglich mit Zenti- metern oder jedenfalls mit halben Zentimetern abgestuft und nachträglich durch Luftverdünnung die Erkennungsschwelle erreicht. In solchen Fällen geschah also die ungefähre Aufsuchung der Erkennungsschwelle mittels Luftverdünnung bis auf das Zehnfache oder Hundertfache, die feinere Ein- stellung nach dem Prinzip der einander bedeckenden Zylinder. Fig. 2. Zusammenbringung zweier Gerüche a und 5b zu einer Mischung a +5, die nach zweck- entsprechendem Hin- und Herschieben der beiden olfactometrischen Zylinder « und 5 eine Empfindung der Geruchlosigkeit oder unendlich schwacher Unbestimmtheit hervorruft. Während der Versuche wurde ich von der Adsorption des Riechstoffs an die Glaswände sehr gehindert. Namentlich war dies der Fall bei Terpineo], Muskon, Guajacol und Skato. Nur durch sorgfältige Erwärmung des Behälters und durch längere Durchführung von Luft ist der Behälter wieder geruchlos zu bekommen. Ihn auf andere Weise zwischen den Versuchen z. B. mit Wasser, Alkohol, Äther zu reinigen, daran ist nicht zu denken, weil man dann den Äthergeruch (von den Verunreinigungen des Äthers herrührend) erst nach längerer Zeit los wird. Eher wäre an eine Sand- spülung zu denken, die ich denn auch gelegentlich in Anwendung gebracht habe. Über die Technik einer solchen Sandspülung sei auf meine früheren Publikationen verwiesen.! Mit Hilfe der für meine Erkennungsschwelle als Mittelwert festgestellten, eben eine Geruchsempfindung hervorrufenden, Zylinderlänge läßt sich für t H. Zwaardemaker, Onderzoekingen Physiol. Lab. Utrecht. 5. Reihe. 1899. Bl IC 6 le 64 H. ZWAARDEMAKER: die in den besonderen Kombinationsversuchen verwendete Zylinderlänge der Olfactienwert leicht berechnen. In einem konkreten Versuche z. B., wo a” vorgeschobene Zylinderlänge des einen Riechstoffs mit 5 = vorgeschobene Zylinderlänge des anderen Riechstoffs zusammengestellt werden sollen, hat man bloß a bzw. 5 durch die Zylinderlänge der betreffenden Er- kennungsschwelle zu dividieren, um die Olfactienzahl zu erhalten. Ich definiere dabei die Olfactie als die kleinste noch gerade qualitativ erkenn- bare Duftmenge, und zwar in jener Form, in welcher sie in den physi- kalischen Konstanten des Riechmessers ausgedrückt werden kann. Die Olfactienzahl bezieht sich also nur auf die Intensität des physiologischen Reizes; weder über die stoflliche Menge des Reizes noch über die Intensität der Empfindung sagt sie etwas aus. Erstere jedoch ist berechenbar, wenn nach anderer Methode die kleinste wahrnehmbare Menge des Riechstoffs in Milligramm bestimmt ist, letztere läßt sich beurteilen, wenn man das Weber-Fechnersche Gesetz zu Rate zieht. Nur erleidet die Anwendbar- keit des psycho-physischen Gesetzes auf unserem Gebiete eine gewisse Ein- schränkung, weil manche Gerüche die sonderbare Eigenschaft haben, beim Verstärken des Reizes keineswegs intensivere Empfindungen hervorzurufen, sondern sogar in der Nähe der Reizhöhe sich einer mehr oder wenigeren Unbestimmtheit zu nähern. Dies trifft z. B. zu für Terpineol und für Muskon, während von den übrigen nicht mit vollkommener Bestimmtheit behauptet werden kann, daß ihnen bei steigender Konzentration ein leichtes Zurück- bleiben vollkommen abgehen würde. Aus früheren Untersuchungen geht hervor, daß es bei Geruchskompen- sationen meistens gelingen wird, eine gewisse Breite des Reizes für beide Stoffe ausfindig zu machen, innerhalb welcher ein bestimmtes, erfahrungs- gemäß gefundenes Verhältnis verdoppelt oder verdreifacht werden kann, ohne daß die Kompensation verloren geht. Daß sich unterhalb und ober- halb dieser Breite gleiches ergeben wird, wenn man darauf nachprüfte, dessen sind wir gar nicht sicher, im Gegenteil, es ist sogar unwahrschein- lich. Man darf nichts weiter behaupten, als daß innerhalb einer gewissen Breite das Verhältnis der sich kompensierenden Reize dasselbe bleibt und also etwas ähnliches vorliegt, als für die sogenannten Kardinalwerte eines Reizes, die auch nur über eine verhältnismäßig geringe Zone den Empfin- dungen proportional bleiben. Wir hätten dann in unserem Falle von Kardinalwerten kompensierender Reize zu reden, es dahingestellt sein lassend, ob das Vorkommen dieser neuen Kardinalwerte in einigermaßen analoger Weise zu deuten wäre, als das Vorkommen der Fechnerschen Kardinal- werte.! Ich beabsichtige, über diese und verwandte Fragen eine besondere 1 @. Fechner, Elemente der Psychophysik. 1860. Bd. II. 8.49 und H. Wundt, Grundriß der physiol. Psychologie. 8. 309. ÜBER DIE PROPORTIONEN DER GERUCHSKOMPENSATION. 65 Arbeit zu veröffentlichen und berühre die aufgeworfene Frage hier nur im Vorübergehen, um hervortreten zu lassen, daß ich möglichst bestrebt ge- wesen bin, mich bei meinen 36 Kombinationen der 9 Standardgerüche immer in solcher Breite der Reizintensitäten zu bewegen, daß eine für eine gewisse Kombination aufgefundene Verhältniszahl über angrenzende Reiz- intensitäten seine Bedeutung annähernd nabesel (Zone der kardinalen Proportionen.) Einige der verwendeten Gerüche zeigen bei der Korabmätion mit anderen einige Eigentümlichkeiten, die ich kurz hier hervorheben möchte, weil sie zur Charakteristik jener Gruppen beitragen. Das Isoamylacetat z.B. hat einen leichten säuerlichen Beigeschmack, der sich namentlich bei den höheren Zylinderlängen Geltung verschafft. Alle Kombinationen, in welchen diese höheren Zylinderlängen eintreten, sind daher nie vollkommen geruch- los, obgleich eine richtige, dem Originalgeruch entsprechende Empfindung sehr wohl fehlen kann. Aus der unbestimmten, nicht weiter definierbaren Empfindung tritt mehr oder weniger die an sich ebenfalls wenig klare Geschmacksempfindung ganz schwach hervor. Außerordentliche Schwierigkeiten bereiten alle Kombinationen, in wel- chen Muskon eintritt. Nicht nur daß die Reinigung des Glasbehälters durch Erwärmen desselben und durch Durchleitung von reiner Luft einen großen Zeitaufwand erfordert, auch leidet die Exaktheit der Bestimmungen an dem bedeutenden Wechsel, welchem die Erkennungsschwelle des Mus- kons- unterliegt. Man könnte geneigt sein, die Unsicherheit der Erkennungs- schwelle in diesem Falle der raschen Ermüdbarkeit des Sinnesorgans für Muskon zuzuschreiben, wenn nicht die von den zwischengeschobenen Luft- spülungen herrührenden langen Zwischenpausen es unwahrscheinlich machten. Eher möchte ich eine physikalische Ursache verantwortlich machen. Der Muskonduft ist bei Gegenwart von Glaswänden einer Änderung unterworfen. Eisernen Wänden geht dieser Einfluß völlig ab und in Übereinstimmung hiermit bekommt man an einem ganz aus Eisen gebauten Riechmesser die Erkennungsschwelle des Muskonparfüms erst, wenn der Zylinder 4 oder 5” vorgeschoben ist, während an einem gewöhnlichen gläsernen Riechmesser die Erkennungsschwelle bei 0-15 °” gefunden wird. Ich glaube dies durch die Annahme erklären zu müssen, daß die Erkennungsschwelle des dem Moschus ähnlichen Parfüms materiell bedeutend niedriger liegt, als die Er- kennungsschwelle des Muskonparfüms. ! Ein anderer Grund für den ungemeinen Wechsel der Erscheinungen ist die außerordentlich große Adsorption, die an den Glaswänden stattfindet. I H.Zwaardemaker, K. Akad. d. Wissenschaften. Amsterdam 24. Mai/29. Juni 1907. Archiv f. A. u. Ph. 1907. Physiol. Abtlg. Suppl. 5 66 nasangen} H. ZWAARDEMAKER: Dieser letztere macht sich übrigens gar nicht allein beim Muskon geltend, sondern mehr oder weniger bei allen Riechstoffen. Die einen Duft führende Luft passiert immer an Wänden entlang, die eine Vorgeschichte haben. Alle früher daran vorübergezogenen Gerüche haben, sei es in der auf der Glasoberfläche kondensierten Luft bzw. Wasserschicht oder im Glas selbst, eine gewisse Zahl ihrer Moleküle zurückgelassen, die erst allmählich hieraus entweichen und die späteren im Apparate stattfindenden Versuche stören. Man muß daher Sorge tragen, einige Tage hindurch mit den gleichen Sub- stanzen zu arbeiten und dabei so wenig wie möglich sich von der Gleich- gewichtslage der beiden Gerüche zu entfernen. Wenn der Grad der Ad- sorption für beide Stoffe sehr verschieden ist, kommt man jedoch auch in dieser Weise nicht zum Ziel und bleibt nichts übrig, als die Versuche über längere Zeiträume zu verteilen. Abgesehen von den individuellen Eigentümlichkeiten jedes Riechstofis treten auch manchmal besondere Eigenschaften gerade bei bestimmten Kom- binationen hervor. So kommt es vor, daß zwei Gerüche, gesondert geprüft, deutlich unterscheidbare Qualität der Geruchsempfindung aufweisen, während sie, in Kombination gebracht und miteinander wetteifernd, ungemein schwer zu trennen sind. Ganz umsichtig vorgehend und nicht zu starke Reize benutzend gelingt es, eine ungefähre Kompensation zustande zu bringen, so daß die beiden zusammen einen nicht näher definierbaren, schwachen, der Reizschwelle nahe liegenden, qualitativ nicht weiter deutbaren Geruchs- eindruck hervorrufen. Sobald man aber die Reize ein wenig. intensiver nimmt,. so daß Wettstreit zustande kommt, man also entweder den einen oder anderen Geruch oder endlich beide nacheinander hervortreten läßt, so macht Verwirrung und Verwechselung sich fühlbar. In dieser Hinsicht zeigten sich Isoamylacetat neben Valeriansäure und Äthylbisulfid neben Valeriansäure und neben Pyridin bemerkenswert. Wenn eine Komponente der untersuchten Mischung starke Adsorption an die Glaswände darbietet, empfiehlt es sich, nur einmal und dazu noch rasch am Behälter zu aspirieren, denn das zweitemal oder beim gedehnten Riechen am Ende der Aspiration schleichen außer den ursprünglich ge- mischten Düften auch adsorbierte Reste sich ein, die das Verhältnis der beiden Komponenten abändern werden. Daß in dieser Weise der Versuch sich sehr in die Länge zieht, ja unter Umständen gar nicht beendet werden kann, ist selbstverständlich. Nach diesen Vorbemerkungen will ich in einer Tabelle die Ergebnisse meiner Untersuchung der 36 Kombinationen zusammenfassen. Sie ist in der Weise entstanden, daß ich alle tatsächlich im Journal verzeichneten Kombinationsversuche, die zur nahezu vollständigen Aufhebung der ver- wendeten Reize führten, in Olfactien umgerechnet habe und dann das ÜBER DIE PROPORTIONEN DER GERUCHSKOMPENSATION. 67 Isoamylacetat Nitrobenzol und Terpineol Terpineol und EL} Muskon und Äthylbisulfid E22] ” E}] 3 EL} EL} 9 Ei 2 Valeriansäure und Pyridin > | h i Olfactien N Grad der Vollständigkeit Kombination = Kos der Kompensation ? Pa | Pia | und Nitrobenzol 29 | 66 |0-44 Bis zu Unbestimmtheit der Empfind.* »„ Terpineol 8-5 | 6-1 |1-32 | Mit Zurücklassung eines säureartigen ' Geschmackes. » Muskon 1-25 20 |0-0625 | Bis zu Unbestimmtheit der Empfind. „ Äthylbisulfid 3 ,12-5/0-244 Vollkommene Kompensation.” » Guajacol 3 1 3 Bis zu Unbestimmtheit der Empfind. „ Valeriansäure | 2-5 267 10-01 Bloß Wettstreit. „ Pyridin 45 |12.5|3-6 Bis zu einer unbestimmten Empfind.“ „ Skatol 4 | 1500 |0-0037 | Bis zu Unbestimmtheit der Empfind. 11 8 12375 ss > » Be „ Muskon 107 5230-4547, » RE „ Äthylbisulfid Io lose oe re $ t E » Guajacol 17 26 [0-65 FAIR ” 5 an „ Valeriansäure 10 | 300 | 0-03 mp 5 > „ Pyridin 133 | 45 3 AR ” » n „» Skatol 21 |1750|0-.012 „ > » » Muskon 5 39 0125, ;% 5 ss „ Äthylbisulfid 7 | 107 0.067 |Etwas Aromatisches zurücklassend.” » Guajacol 8 8 1 Bloß Wettstreit. » Valeriansäure 3:3 67. |0-05 Fast vollkommene Kompensation. „» Pyridin 8 15 0-53 n z » „ Skatol 8 67 0:12 a h a 20°, 21 1 Bis zu unbestimmtem Rest.” Guajacol 33 | 1 ,0-03 |Ziemlich befriedigend. Valeriansäure Zu 108 627 Fast vollkommene Kompensation. Pyridin 30 | 25 1-2 Wettstreit. Skatol 20 | 100 |0-2 Bis zu einem unbestimmten Rest.’ Äthylbisulfid und Guajacol 71 | 4 [0-056 | Wettstreit.* » Valeriansäure 143 | 117 |1-2 Bis auf einen unbestimmten Rest. „ Pyridin 321 | 100 |3-2 Bis auf einen Maschinengeruch.* „ Skatol 36 |1600 |0-023 |Bis auf einen unbestimmten Rest. Guajacol und Valeriansäure 1 33 [0-03 Be, 35 35 „» Pyridin 1770 71092. 1(0.016 1722 ;; 5 = Se „ Skatol 1.214001 0.0007, i 5 200 | 50 4 Rs > s En „ Skatol 317 | 25 12 nass ” er > 1408 3331 02 8 1 5; & e- Pyridin und Skatol 1 P 1 % I E ” N 2 'Y en Pr, ! “ er 2 “ Lo j“ & EE N & ” Ku ; % « = ” x 3 Y “ y . er , Ni 2 A b u ‘ e MN, an 5 ” 1 Iy, 7 ı P # Ä [y x 1 " \# ? NY D3 x AeE r $ ” D „ " , = Hi ach Er Ei \ DT, » 7 1 * er, j } 4 Z e h © 4 N £ RG £ S ? IM w ur & 2 } + E \ f RN 5 Ä ; 4 Ta Io ı v r he 1 fx x, 2 N N 2 1 5 } n . ir ö hi ı h D ES 4 4 5 z \ i 5 7 \ R An. 5 Br x ® : me: , ß » MI =. 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