EIARVARDZ UNIVERSITY. JENE) SI IEhvar der 3% OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. \B8S Braga Snplaubar \d, ee, IS: AuY. ne; anal H Hi Al rn. | RR Br} r ao u Me FENDT E: "ERUR:. 8 Pe a würd N en ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER. REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1910. PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1910 ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1910. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND DREIZEHN TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & OOMP. 1910 6 Inhalt. GEORG FR. Nicoraı, Die tatsächlichen Grundlagen einer myogenen Theorie des Herzschlags STEPHANIE ROSENBLAT, Die ne ler Tätigkeit ne ne Asch das Solenoid. HENRI vAan’T Horr, Das Verhalten "ab Clrkeeen: bei nlenden nnd fliegenden Tauben . : NADESCHDA SUSTSCHOWA, üntersuchun send abe den Einfluß des Alters Geschlechts und der Kastration auf die Zahl der roten Blutkörperchen und den Hämo- globingehalt bei Rindern, Schweinen und Schafen B. Fursenko, Die Bedeutung der künstlichen chronischen Fistel der Hamblace für physiologische und pathologische Experimente. Ein Beitrag zur T,ehre von der Harnsekretion . . Se ? Wourcane F. Ewaro, Über den Ponnestram. nes Mitteilung B Oswaup Pouimantı, Beiträge zur Physiologie des Nervensystems und der Be- wegung bei den niederen Tieren. I. Branchiostoma lanceolatum Yarr. (Amphioxus) : e £ O. SCHMIEDEBERG, Über ben MechantenuS der enmungswirkung am Herzen. Ein Beitrag zur Physiologie des Herzens auf Grund pharmakologischer Tatsachen i R. NIKOLAIDES, Untersuchungen über de Taneation der en der Amphibien. (Unter Mitwirkung von Dr. J. ee Assistenten am Institute.) (Hierzu Taf. 1.) . ! H. PırEr, Weitere Untersuchungen über die nakirliche Innen Hemae ı von Muskel, kontraktionen. Der 'Temperaturkoeffizient der Rhythmik in Muskel und Nerv. (Hierzu Taf. II—V.). Paurn Horrmann, Beiträge zur Kenntnis der ee ehlichen Be it a Berücksichtigung der elektrischen Erscheinungen. (Hierzu Taf. VI.). Pau Horrmann, Über die Aktionsströme von Kontraktionen auf Zeitreiz R. pu Boıs-Reymonp, Über den Mechanismus des Gaswechsels in den Lungen . E. SıneLnıkow, Über die Wirkungsweise des Wärmezentrum im Gehirne . EpDMUND STREERATH, Die Wirksamkeit der Wärmezentren im Gehirne A.K.M. Noyons, Über den Autotonus der Muskeln . Seite 129 173 197 207 223 247 257 279 295 319 vI INHALT. Wıra. Fıreune, Über die Rolle der Erfahrungsmotive beim einäugigen perspek- tivischen Fernsehen . ; Erich LESCHKE, Über die Wirkung A Bankrenserkraktes ut pankreasdinneere und auf normale Tiere ErıcH LeEscHKeE, Der dene den Tidsche Ernst WEBER, Ein automatischer Regulationsmechanismus der mp I. Der Einfluß arterieller Hyperämie der Haut auf die Tastempfindung. II. Der Einfluß lokalisierter Aufmerksamkeit auf die Blutfülle der tastenden Hautpartie . ; A. SAMOJLOFF, Praktische Nebzen zur andhabang las Saitenzaly anne ana zur photographischen Registration seiner Ausschläge . WALTER FRANKFURTHER und Arıuur HırschreiLo, Über den Binfluß einiger Narkotika und Anästhetika auf die Blutzirkulation des Gehirns. (Hierzu Taf. VII u. VII.) Wırn. FiLEHne, Über die Behmalitknee ir se tt Renchelee han Ei die verkleinernde Wirkung der Blickerhebung Fr. Kreis, Druckbilder der Netzhaut. (Hierzu Taf. IX— XL) WıtH. FILEHNE, Zur Lehre von der Wärmeregulation . : ARTHUR Sımons, Plethysmographische Untersuchungen der Gefäßreflexe kei N erven- kranken . Seite 392 40i 437 451 477 en. RED 2 SE EN ‚Physiologische Abteilung. 1910. I. u. 1I. Heft. = Er | ANATOMIR UND PHYSIOLOGIE FORTSETZUNG Des von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, „REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON u Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1910. _—— PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. — ‚ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT ELF FIGUREN IM TEXT UND EINER TAFEL. 22 AROHTV N | LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1910 Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des. In- und Auslandes. Inhalt ah Seite GEoRG FR. Nıcoraı, Die tatsächlichen Grundlagen einer myogenen Theorie. des Herzschlaesy Na; 1 STEPHANIE ROSENBLAT, Die Beben er Tätigkeit der "Hefe, dan das Bolenard . Kr ne 81 HENRI van’t Horr, Das Vorkalten ls iykofen: Bi Hahnden und Biogenden Tauben vn. Man 85. NADESCHDA N Untärdachungen. über Ei Einfiuß des Allee Genchlächhs und der Kastration auf die Zahl’ der roten Blutkörperchen und den Hänmo- globingehalt bei Rindern, Schweinen und Schafen . . . 97 B. Fursenko, Die Bedeutung der künstlichen chronischen Fistel der Harnblase i für physiologische und pathologische Experimente. Ein Beitrag zur Lehre von der Harnsekretion ... TEEN ee Woureane F. Ewaro, Über den eeetroii. ee Mine SR 122 : OswaLp POLIMANTI, Bene zur Physiologie des Nervensystems und der Bi wegung bei den niederen Tieren. 1. ma u Yarr. (Amphioxus) .. . ? Br. ©. ScHMIEDEBERG, Über den Meeehanidenis der Homme ira. am Seen. Ein Beitrag zur " Physiologie des Herzens auf Grund pharmakologischer Tatsachen. .., 212% 174 R. NIKOLAIDES, Unteraschunden fiber ie Ionsmälfbn der: Atenihewerene der Amphibien. (Unter Mitwirkung von Dr. J. Menegakis, Assistenten am Instituteys (khierzuBaE ya UT a a Se ee Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 80 #4 Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. [ Beiträge für die anatomische Abteilung sind an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Luisenstr. 56, - Beiträge für die physiologische Abteilung an Professor Dr. Max Rubner in Berlin W., Kurfürstenstr. 99a portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuskript getrennten.Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Die tatsächlichen Grundlagen einer myogenen Theorie des Herzschlags. Von Prof. Georg Fr. Nicolai, Privatdozent für Physiologie in Berlin. (Erweiterte Bearbeitung eines im Auftrage der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin in der Sitzung vom 7. Mai 1909 gehaltenen Referates.) $1. Die Bedeutung der myogenen Theorie und ihre Stellung in der Geschichte der Wissenschaft. Der wünschenswerte Zusammenhang zwischen der Physiologie und der allgemeinen Medizin wird immer mehr gelockert. Teils haben die Fragen der Physiologie das Interesse der Kliniker verloren, teils sind große Gebiete der bio- logischen Forschung von dereigentlichen Schulphysiologie unabhängig geworden. Nur auf wenigen Gebieten blieb das alte Verhältnis bestehen, wonach die Physiologie die gebende und die Klinik die aufnehmende war. Eins dieser Gebiete — und vielleicht das hauptsächlichste — war die Physiologie des Herzens. Kaum je hat eine physiologische Lehre so begeisterte Aufnahme in Klinikerkreisen gefunden, wie die — von Gaskell gegründete und in Deutschland von Engelmann ausgebaute — „myogene Theorie“. Es ist daher nicht wunderbar, daß diese Lehre, die einen aus- schlaggebenden Einfluß auf die Entwicklung aller modernen Vorstellungen von der gesunden und krankhaften Herztätigkeit ausgeübt hat, im Vorder- srunde des Interesses aller derjenigen Kreise steht, die ein Zusammen- arbeiten der Physiologie und der Klinik für wünschenswert halten, und es erscheint verständlich, daß die reorganisierte physiologische Gesellschaft, welche den Zusammenhang zwischen Biologie und Klinik fördern will, gerade diese viel umstrittene Hypothese als Thema ihres ersten größeren Referates gewählt hat. Dazu kommt, daß es im gegenwärtigen Augenblick in der Tat der . Mühe lohnen dürfte, die „herzlichen“ Bestrebungen des vorausgegangenen Menschenalters kritisch zusammenzufassen, weil es scheint, als wären gerade Archiv f. A.u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 1 2 GEORG FR. NICoLAr: jetzt manche der hierher gehörigen Streitfragen zu einem gewissen Abschluß gekommen.! Im folgenden wird dies im einzelnen begründet werden; ich möchte jedoch schon von vornherein hervorheben, daß die Möglichkeit der Entscheidung im wesentlichen den Arbeiten Carlsons (s. eine Zusammen- stellung dieser Arbeiten auf S. 30—84) zu danken ist, dem es gelang, im Limulusherzen ein Objekt zu finden, an dem die Trennung zwischen Nervösem und Muskulösem technisch durchführbar ist, an dem also über gewisse Fragen experimentiert werden konnte, über die frühere Forscher schlechter- dings nur zu theoretisieren vermochten. Aber auch ohne dies wird sich der unbefangene Beobachter eines ge- wissen Erstaunens über die fast beispiellose Popularität der myogenen Lehre nicht erwehren können, da deren Blüte in eine Periode fällt, in welcher im übrigen die Wertschätzung des „Nervösen“ im Organismus ge- stiegen ist. Man hat in allen Organen und in allen Geweben — ja man ! Ausführlichere zusammenfassende Referate über diese Frage liegen aus neuerer Zeit vor von 1. H. Kronecker (1897), Über Störungen der oneikon des Herzkammer- schlages. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXIV. 8. 529—603. 2. W.H.Gaskell (1900), The contraction of cardiac muscle. Schaefers Tez/- book of Physiology. Vol. I. 3. O. Langendorff (1902), Herzmuskel und intrakardiale Innervation. Zrgeb- nisse der Physiologie. Bd. I. Abtlg. II. S. 263—345. 4. Albrecht Bethe (1903), Das Kapitel über die „Rhythmischen Bewe- gungen“ in seiner Allgemeinen Anatomie und Physiologie des Nervensystems. Leipzig, Thieme. S. 383—456. 5. Th. W. Engelmann (1903), Myogene Theorie und Innervation des Herzens. (Deutsche Klinik. Bd. IV. S. 215.) 4, Derselbe (1903), Das Herz und seine Tätigkeit im Liehte neuerer Forschung. Fesirede am Stiftungstage der Kaiser Wilhelms- Akademie am 2. Dezember 1903. Berlin, Lange. 6. F. B. Hofmann (1903), Die neurogene und myogene Theorie der Herztätig- keit und die Funktion der inneren Herznerven. Antrittsvorlesung vom 9. Dezember 1903. Schmidts Jahrbücher. Bd. CCLXXXI. S. 113. Derselbe (1905), Allgemeine Physiologie des Herzens und die Innervation des Herzens und der Blutgefäße in Nagels Handbuch der Physiologie. Bd.I, erste Hälfte. S. 223—329. 7. R. Heinz (1905), Neurogene und myogene Theorie der Herztätigkeit in: Handbuch der experimentellen Pathologie und Pharmakologie. Bd. I, zweite Hälfte. S. 688—717. Jena, Gustav Fischer. 8. E. von Cyon (1901), Myogen oder Neurogen? Pflügers Archiv. Bd.88. 8.225. Derselbe (1905), Zes nerfs du coeur. Paris, Felix Alcan. Deutsch (1907), Die Nerven des Herzens. Berlin, Springer. 9. E. Mangold (1906), Die neurogene und myogene Theorie des Herzschlags. Vortrag vom 24. Januar 1906. Münchener med. Wochenschrift. Nr. 10 und 11. Diese Arbeiten sind gemeint, wenn in folgendem die betreffenden Autoren ohne nähere Angaben zitiert werden. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 3 kann fast sagen: in allen Zellen — Nerven und zum Teil auch Ganglien- zellen in vorher ungeahnter Verbreitung gefunden. Man sah aus der Ent- wieklungsgeschichte und der vergleichenden Anatomie, daß fast überall die nervösen Elemente das Primäre und das Bestimmende’ sind und ihrerseits die Entwicklung der anderen Organe erst bedingen. Nicht nur, daß das erste erkennbare Organ der Keimblase die Medullarplatte ist, auch im ein- zelnen hat man — bis herab zu den: Haaren und Federn — zeigen können, daß sie auf nervöser Grundlage entstehen, und ich selbst! konnte dies für die Horngebilde der Haut wahrscheinlich machen. Auch für alle Funk- tionen des tierischen Körpers hat sich die Bedeutsamkeit des Nerven- einflusses in immer höherem Maße herausgestellt. Wenn auch andererseits die Möglichkeit und Wichtigkeit einer chemischen Regulation durch Ver- mittelung der Blutbahn immer klarer zutage tritt, so hat sich doch überall diese Form der Regulation auf das innigste verknüpft und verschränkt er- wiesen mit nervösen Einflüssen. Ich erinnere Sie dabei vornehmlich an die bahnbrechenden und fundamental wichtigen Untersuchungen von Pawlow ‘über die Arbeit des Verdauungssystems. Aber auch vieles andere — die Regulation des Stoffwechsels, der Temperatur, sowie fast aller Drüsen und glattmuskulären Organe erwies sich abhängig vom Nervensystem. Bedenkt man nun ferner, daß speziell im Herzen und speziell in der Zeit der Aus- breitung der myogenen Lehre überall Nervenzellen und vor allem überall Nervenfasern bzw. -fibrillen gefunden worden sind, so hätte man es an sich für viel wahrscheinlicher halten können, wenn die neu aufgefundenen Ge- bilde zur Erklärung der alten Tatsachen mit verwertet worden wären. Endlich hat man — worauf schon Mangold in seinem Vortrag über die neurogene und myogene Theorie des Herzschlages hinweist — gerade in dieser Zeit erkannt, daß Nerv und Muskel phylogenetisch ursprünglich eine Einheit — die Neuromuskelzelle von Kleinenberg — bilden, welche die Fähigkeit, sich zu kontrahieren und die Fähigkeit, auf Reize zu reagieren, in sich vereinigt. Erst allmählich tritt die Arbeitsteilung ein; überall übernimmt der muskulöse Teil die mechanische Arbeitsleistung, der nervöse Teil die Reizaufnahme, die Reizleitung und eventuell die Reizerzeugung.?2 Schon frühzeitig beginnt " Nieolai, Verhornte Papillen unter Beteiligung des Bindegewebes bei den Am- phibien und ihre Verbindung mit Sinnesorganen. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft. Berlin, 18. Dez. 1907. ® Daß im strengen Sinne ein Reiz nirgends „entstehen“ kann, ist ebenso selbst- verständlich, als daß eine Kraft nirgends entsteht. Der Begriff der Automatie ist also im Grunde unsinnig und wo er im folgenden gebraucht wird, soll er nur bezeichnen, daß wir die Ursache einer sichtbaren Muskelaktion bis zu einer bestimmten Stelle zurückverfolgen können, weiter aber nicht. In diesem Sinne also ist der Ausdruck zum mindesten ebenso berechtigt wie der Ausdruck, daß die mechanische Kraft in den Muskeln entsteht. 1* 4 GEORG FR. NICOLAT: dann eine weitere Scnderung des nervösen Elementes: Nervenendorgane übernehmen die Reizaufnahme, Ganglienzellen die Reizerzeugung (also das, was man als Spontanität oder auch Automatie bezeichnet), und den Nervenfasern bleibt nur die Aufgabe der Erregungsleitung. Diese Ent- wicklung sehen wir überall, bei allen Organismen und in allen Organen. Nur am Herzen soll es anders sein; hier soll der Muskel alles leisten. Denn die heute klassisch gewordene Definition, die Engelmann (a. a. O. 8. 215) von der „myogenen Theorie“ gibt, lautet dahin: „daß sie die bisher dem intrakardialen Nervenganglienapparat zu- geschriebenen Funktionen der Reizerzeugung, der motorischen Reizleitung und der Koordination der Herzbewegungen als Funktion der Muskelsubstanz betrachtet.“ Man hät der myogenen Theorie eine neurogene T'heorie gegenüber- gestellt. Doch ist solche Gegenüberstellung nicht ganz korrekt, denn eine eigentliche neurogene „Theorie“ der Herzbewegung besteht überhaupt nicht — wenigstens nicht zu Recht: Die myogene Theorie nimmt, wie aus der obigen grundlegenden Definition hervorgeht, für gewisse Erscheinungen am Herzen, die man an sich, in Übereinstimmung mit allen übrigen Erfahrungen, als Funk- tionen des Nervensystems auffassen würde, das anatomische Substrat der Muskelfaser in Anspruch, sie also behauptet etwas Spezifisches, etwas, das eine „besondere Theorie“ nötig macht. Diejenigen aber, die — um das Schlagwort zu gebrauchen — neurogen denken, bedürfen im Gegensatz hierzu überhaupt keiner Theorie; sie sagen, daß Ganglienzellen die Träger autonomer Eigenschaften bzw. Reflexzentren sind, daß Nervenfibrillen die Erregung leiten, und daß Muskelzellen sich kontrahieren. So habe man es überall gefunden, und so wäre es auch wohl im Herzen; wer etwas anderes behaupte, müsse es beweisen. Die Beweislast liegt also den Myo- genikern ob, und sie haben ein Doppeltes zu beweisen: 1. daß die Herzmuskeln das tun, was man gemeinhin den Ganglien- zellen zuschreibt, nämlich Reize zu erzeugen; - 2. daß die Herzmuskeln das tun, was man gemeinhin den Nervenfasern zuschreibt, nämlich die Reize fortzuleiten.! ! Manchem wird es scheinen, als würde hier den Nervenfasern eine Funktion als Privileg zugeschrieben — nämlich die Leitfähigkeit —, welche den Muskeln ebenso zukommt. Daß Muskelzellen Reize leiten können, scheint klar; fraglich aber ist auf alle Fälle, ob sie auch Reize übertragen können. Die Möglichkeit muskulärer Leitung im Herzen ist also nur dann selbstverständlich, wenn man, wie allerdings viele tun, die Zellgrenzen im Herzen ignoriert; bzw. für Kunstprodukte erklärt (vgl. hierzu jedoch auch $ 11 8. 47). DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 5 Nach der oben zitierten Definition der myogenen Lehre käme dazu noch der Nachweis, daß „die Koordination der Herzbewegung eine Funktion der Muskelsubstanz sei“. Doch erscheint die Zuordnung dieses dritten Satzes auch schon in der Definition überflüssig, denn dasjenige Substrat, welches Reizerzeugung und Reizleitung besorgt, muß damit auch ipso facto die Koordination kontrollieren. Die weiteren, oft hiermit verknüpften Br- örterungen darüber, ob sich die Reizschwelle, die Kontraktionsstärke, der Rhythmus und die Leitungsfähigkeit im Herzen und speziell im Herz- muskel deshalb ändern, weil der Muskel selbst aus irgendeinem Grunde anders geworden ist oder deshalb, weil ihm andersartige Reize durch die Nerven zugeführt werden, gehören nicht eigentlich hierher, da es wohl von allen Seiten zugegeben werden dürfte, daß hier der Zustand des Muskels zum mindesten mitbestimmend ist. Auch erscheinen diese Fragen vorläufig ziem- lich müßig, denn, wie vor allem Hering! ausgeführt hat, wissen wir gar nicht, ob diese von Engelmann eingeführten Begriffe der Imotropie, Bathmotropie, Dromotropie und Chronotropie wirkliche selbständige Eigenschaften des Herzens sind, oder ob sie sich nicht auf weniger Grund- eigenschaften zurückführen lassen. Wir werden deshalb diese Frage auch nur beiläufig erörtern und uns im wesentlichen begnügen, die Tatsachen ‚anzuführen, welche dafür sprechen, ob Muskel oder Nerv die Erzeugung und die Weiterleitung der Reize besorgt. Sehr genau und gründlich sind die oben genannten Fragen bei v. Tschermak? gelegentlich seiner Arbeit über das embryonale Fischherz behandelt, der dabei seine reiche Kenntnis ‘der gesamten diesbezüglichen Literatur in glänzender Weise zu verwerten weiß. Jedem, der sich darüber orientieren will, sei dies Werk angelegent- lichst empfohlen. Nur die Ansicht von F. B. Hofmann? (8. 429) sei hier erwähnt. Er meint folgern zu dürfen, daß die Vagus- und Acceleransfasern direkt zum Herzmuskel führen müssen, weil der Herzmuskel die Eigenschaft habe, ver- schieden starke Reize mit gleichgroßen Kontraktionen zu beantworten, die Kontraktionsgröße könne also nicht durch Änderung des nervösen Reizes modifiziert werden. Diese Ausführungen wären einwandfrei, wenn es er- wiesen wäre, daß das Alles- oder Nichts-Gesetz eine Eigenschaft des isolierten . Muskels sei und nicht etwa die Verbindung mit nervösen Gebilden erfordere. Auf die Kontroverse über diesen Gegenstand sei nur hingewiesen: Rhode* ı H. E. Hering (1901), Über die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit der Kontraktilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern und ihre Bedeutung für die Theorie der Herztätigkeit und ihrer Störungen. Pflügers Archiv. Bd. LXXXVI. S DS Derselbe (1902), Über die vermeintliche Existenz bathmotroper Herznerven. Ebenda. Bd. XCI. S. 391. ? A.v. Tschermak (1909), Physiologische Untersuchungen am embryonalen Fisch- herzen. Sitzungsber. der Wiener Akademie. Math.-naturw. Kl. Bd. CXVII. Abtlg. II. > F.B. Hofmann (1898), Beiträge zur Lehre von der Herzinnervation. Pflügers Archiv. Bd. LXXI. S. 409. * Rhode (1905), Über die Einwirkung des Chloralhydrats auf die charakteristischen Merkmale der Herzbewegung. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XIX. S. 104. 6 GEORG FR. NICoLAr: und Bornstein! sind die neuesten Arbeiter auf diesem Gebiete (vgl. hierzu auch $ 10 8.45 u. 46). Sehr richtig sagt zwar Engelmann in neuerer Zeit, daß die myogene Schule den Nerven mehr Nervenfunktionen zuschreibe, als es je Neurogeniker getan. Aber um diese durchweg nur regulatorischen — und möglicher- weise gar nicht existierenden — Nervenfunktionen handelt es sich hier nicht. Sondern hier sollen nur die Tatsachen zusammengestellt und kritisch durch- mustert werden, welche nach myogener Ansicht dafür sprechen, daß der Herzmuskel Reize erzeuge und leite. Wir werden dabei sehen, daß die zugrunde liegenden Tatsachen kaum imstande gewesen wären, einer Lehre, welche die singuläre und sogar gegensätzliche Stellung des Herzmuskels gegenüber allen anderen Muskeln vertritt, zum Siege zu verhelfen. Ein Verständnis für den erstaunlichen Siegeszug der myogenen Lehre gewinnt man erst aus der historischen Betrachtung, die uns lehrt, daß folgende drei Umstände als wesentlich hinzukamen: 1. Die myogene Theorie entspricht uralten, liebgewordenen Vorstellungen des Menschengeschlechtes (siehe $ 2); 2. Wenigstens ein Teil des intrakardialen Nervensystems war zur Zeit der Entstehung dieser Lehre nicht bekannt (siehe $ 3); 3. Eine der wichtigsten Grundtatsachen der myogenen Lehre ist nicht, wie man nach der Lektüre der betreffenden Originalarbeit glauben könnte, eine beobachtete Tatsache, sondern nur eine Vermutung, so daß man über die zugrunde liegenden Fakta lange Zeit im unklaren war (siehe $ 14 8. 62—64). Auf den ersten dieser Punkte wollen wir in einem kurzen Überblick der Geschichte der myogenen Theorie eingehen, die im allgemeinen von den jeweiligen Ansichten über die Ur- sache der Herzschläge abhängig ist, denn die Frage nach der Reizleitung wurde erst sehr viel später, eigentlich erst seit Gaskell diskutiert. $2. Ältere Geschichte der myogenen Theorie. Die myogene Theorie der Herztätigkeit kann als die „neue Lehre“, wie Engelmann (a. a. O. S. 215) dies tut, nur dann bezeichnet werden, wenn man eine relativ kurze Zeitspanne im Auge hat; im übrigen ist sie aber recht alt, vielleicht ist sie sogar eine der ältesten physiologischen Vor- stellungen, von denen wir wissen. Schon Galen? war, da er ja von einem intrakardialen Nervensystem nichts wissen konnte, bewußter Myogeniker, der auf Grund von Vivisektionen ausdrücklich jeden Nerveneinfluß für die ! A. Bornstein (1906), Das Bowditchsche „Alles- oder Nichts“-Gesetz. Dies Archiv. 1906. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. 377. — Hier auch weitere Literatur. ” Galen, De usu partium. VI. $ 181. 447. Edition Daremberg. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. f« Entstehung des Herzschlages leugnet (cor nihil nervis ad suam functionem indigere) und die Pulsationen „eo ipsius cordis corpore“ entstehen läßt. Aber die Lehre von der Automatie des Herzens ist noch älter und läßt sich als vage Vorstellung in den Epen der ältesten Kulturperiode bei allen Völkern nachweisen. Überall herrscht die Meinung, daß dem Herzen — und zwar nur dem Herzen — Automatie zukomme, ja, daß vom Herzen der ganze Körper regiert werde. Bei dem naiven Dualismus früherer Ge- schlechter mußte dies mit der Vorstellung in Verbindung gebracht werden, daß das Herz der Sitz des aktiven Prinzips, also der Seele sei. Gerade hiervon — also von der Automatie in psychologischer Hinsicht — haben wir mannigfache Beweise. Der alte homerische Held war &» goeoiv (in seinem Herzen bzw. Zwerchfell! nachdenkend, fürchtend und hoffend, dachte er nach) und in dem Worte goovszv = Denken, blieb die alte Vorstellung sprachlich fixiert. Auch der heutige Sprachgebrauch zeigt in vielem noch Erinnerung an die alte Suprematie des Herzens. In der Tat mußte jeder naive Mensch, der das herausgerissene Herz des eben getöteten Tieres oder des eben erschlagenen Feindes zuckend und pulsierend in der Hand hielt, annehmen, daß das Herz solche Eigenschaft besitzt, die man heute mit dem Terminus „autonom“ bezeichnet. Es würde zu weit führen, im einzelnen zu zeigen, daß zwar die psycho- logische Suprematie des Herzens seit den großen Zeiten des späten Alexandriens unwiederbringlich zugunsten der Suprematie des Gehirns ver- loren war, daß aber die physiologische Suprematie des Herzens blieb, und daß alle Ärzte der römischen und arabischen Zeit ebenso wie die der Renaissance im Herzen immer noch das eigentlich aktive, Leben spendende und Leben verteilende Organ sahen. Wenn einzelne Autoren wie Willis, Sharpey, Petit u. a. den Ursprung der Herzbewegung ins Hirn, bzw. Kleinhirn verlegen, so geschah dies nicht auf Grund irgendwelcher tat- - sächlichen Feststellungen, sondern aus dem rein spekulativen Interesse an einem postulierten Monismus. Man brauchte ein einheitliches Zentral- organ, und dies konnte nach allem, was man sonst wußte, nur im Gehirn liegen. Als man aber versuchte, die an der Physik erprobte empirische Methode auch auf das Gebiet des Lebens anzuwenden, da mußte die alte Erfahrung von dem herausgerissenen zuekenden Herzen wieder zur Geltung kommen, und Albrecht von Haller? hat denn auch in der Tat damals, ! DaB gonv auch schon bei Homer den Begriff des Herzens hatte, darüber vgl. Nägelsbach, Homerische Theologie. 2 A. Haller (1756— 1766), Plementa physiologiae corporis humanı. Lausanne. — Vgl. hierzu: J. Dogiel, Vergleichende Anatomie, Physiologie und Pharmakologie des Herzens. Kasan 1895. S. 103. Derselbe, Causae motus cordis. Lausanne 1756. 8 GEORG Fr. NIcoLar: als man begann, die biologische Erfahrung vieler Jahrhunderte wissenschaftlich zu verwerten und zu klassifizieren, es klar! ausgesprochen, daß er in dem Herzen, das seiner Meinung nach durch den Blutzufluß direkt in Kontraktion versetzt wird, den Beweis für die autochthone Muskelirritabilität er- blickt. Als Stütze dieser Anschauung berief er sich einmal auf die Tatsache des herausgeschnittenen weiterschlagenden Herzens, dann aber darauf, daß die Durchschneidung des Vagus und Sympathicus die Kontraktionsfähigkeit des Herzens nicht alterierte. Also auch Haller war noch bewußter Myo- geniker, und er durfte und mußte es sein, denn damals, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, war von dem eigentlichen intrakardialen Nervensystem noch wenig bekannt. Erst'nach Hallers ersten Veröffentlichungen begann Scarpa° aufGrund mikroskopischer Präparation dem großen Nervenreichtum des Herzens seine Aufmerksamkeit zu schenken, wobei er als erster den Plexus coronarius dexter und den stärkeren Plexus coronarius sinister be- schrieb. Auf Grund dieser Tatsachen hob dann schon Spallanzani? den Einfluß des intrakardialen Nervensystems auf die Herztätigkeit hervor, aber Hallers Autorität siegte. Fast alle Forscher — selbst die Anatomen — folgten ihm, und es mutet ganz modern an, wenn Fontana* sagt, die Herznerven seien „von keinem Nutzen“, oder wenn Sömmering* versucht, sie überhaupt abzuleugnen (!). Allerdings waren auch die damaligen Gegner der myogenen Theorie recht wenig glücklich in ihren Argumenten. Wenn z.B. Legallois? ver- sucht, das Zentrum für die Herztätigkeit in das Zentralnervensystem zu verlegen, weil die myogene Theorie „der Abhängigkeit des Herzens von den Affekten keine Rechnung trage“, so war diese Form der neurogenen Lehre schon von Haller selbst widerlegt und seine Anhänger konnten in neuen Experimenten leicht zeigen, daß Frösche z. B. mit herausgeschnittenem Rückenmark monatelang am Leben blieben. So herrschte denn in der ganzen ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Lehre von der eigenen ! Cuvier hat allerdings darauf hingewiesen, daß Haller eigentlich nicht von der direkten Muskelirritabilität spräche, sondern dabei an die Wirkung des intrakardialen Nervensystems denke (also — wenn wir für „Nervensystem“ Bethesches Fibrillen- netz oder Hofmannsches Nervengeflecht setzen wollen — heute wieder hoch- modern wäre); aber Langendorff (a. a. 0. S. 318) hat schon gezeigt, daß das nicht richtig ist und daß Haller, der den Herzmuskel für den am meisten irritablen erklärt, mit Recht als wissenschaftlicher Urheber der myogenen Theorie erklärt werden darf. ? Scarpa (1794), Tabulae neurologicae cum figuris. \lll. Tieini 1794, ® Spallanzani (1773), De’ fenomeni della circolazione. osservala nel giro uni- versali de’ vasi. Modena. * Zitiert nach Langendorff a.a.O. S. 318. 5 Legallois (1812), Experiences sur le principe de la vie. Oeuvres. T.I. p.33f., 2161, 3321. Paris, Paniset. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 9 Muskelirritabilität des Herzens fast uneingeschränkt und wurde besonders von Brown-Säquard! in mehreren Schriften vertreten, manche Physio- logen, wie Budge? und Schift,® blieben dieser Hallerschen Lehre auch späterhin treu. Erst ganz allmählich erhob sich Widerspruch. In seinem in so vielen Beziehungen bedeutsamen Handbuch der Physio- logie hatte Johannes Müller schon im Jahre 1837 diesen wirklich neuen neurogenen Standpunkt zum erstenmal scharf präzisiert. Neben ihm war es vor allem Volkmann,’ der an der Hallerschen Autorität zweifelte und „in den Ganglienzellen den treibenden Motor des Herzens“ sah. Einen neuen Anstoß bildete die Entdeckung der hemmenden Vagus- wirkung durch die Gebrüder Weber‘ im Jahre 1845. Dies mußte die Myogeniker deshalb stutzen machen, weil hemmende Wirkungen im Zentral- nervensystem schon damals bekannt waren, immerhin in viel geringerer Zahl als heute. Die entscheidende Wendung in den allgemeinen wissen- schaftlichen Anschauungen wurde erst dadurch herbeigeführt, daß Bichat die Bedeutung des sympathischen Nervensystems genauer kennen lehrte, und daß .dann Remak’ einen Teil dieses sympathischen Nervensystems im Herzen wieder fand. Als dann in der Folgezeit dieser intrakardiale Nervenapparat des Herzens sich als immer mächtiger erwies, da verlor die myogene Lehre mehr und mehr an Boden. ! Brown-Sequard (1849), Du sang veineux comme excitateur de certains mouve- ments. ©. R. de la Soc. de Biologie. p. 105. Derselbe (1862), Action du nerf vague sur le coeur. Journ. de Physiol. V. p. 295. ®? Budge (1846), Sympathischer Nerv mit besonderer Rücksicht auf die Herz- bewegung. Wagners Handwörterbuch. III, 1. 8. 545. 3 Schiff (1850), Der Modus der Herzbewegung. Roser und Wunderlichs Archiv. IX. 8. 22 u. 220. Derselbe (1851), Versuch einer Kritik der in Volkmanns „Hämodynamik“ über die Ursache der Herzbewegung aufgestellten Ansichten. Jenaische Annalen Phys. Med. Il. 8. 315. ‚ 5 Johannes Müller (1837), Handbuch der Physiologie. 1. Aufl. Bd.II. S. 66. 5 Volkmann (1844), Nachweisung der Nervenzentren, von welchen die Bewegung der Lymph- und Blutgefäßherzen ausgeht. Archiv f. Anat. u. Physiol. (Joh. Müller). 1844. 8. 419. 6 Gebr. Weber (1845), Experimenta quibus probatus nervos rotatione machinae galvano magneticae irritatos motum cordis retardare et adeo intercipere. Vortrag auf der Versammlung ital. Naturforscher in Neapel. (In Annali universali di medizina di Omodei. Serie III. Vol. XX, Milano.) Vgl. auch Wagners Handwörterbuch der Physiologie. 1846 (3). Bd. II. S. 42—48. ” Remak (1838), Über die Verrichtungen des organischen Nervensystems. Fro- rieps neue Notizen der Natur und Heilkunde. Nr. 137. 8.65, und Remak (1844), Neurologische Erläuterungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. 8. 463. 10 GEORG FR. NICOLAL: $ 3. Die Entdeckung des intrakardialen Nervensystems. Die bedeutsamsten der hierhergehörigen Arbeiten sind (außer der schon erwähnten Arbeit von Remak!) die von Ludwig? und Bidder.? Diese drei Forscher haben im Herzen — insonderheit im Vorhof und an der Vorhofventrikelgrenze — große Haufen von Ganglienzellen gefunden, und zwar im Sinus venosus des Frosches die heute sogenannten Remak- schen Ganglien (von Remak zuerst beim Kalbe gefunden) — in Vorhof- scheidewand die paarigen Ludwigschen Ganglien — und an der Grenze von Atrium und Ventrikel die Bidderschen Ganglien. Die Einwirkung dieser anatomischen Tatsachen auf das physiologische Denken, die in einer großen Zahl von Arbeiten zum Ausdruck kommt, soll hier nicht im einzelnen geschildert werden. Es genügt das Resultat: . Schon frühzeitig erkannte man auf Grund der Stanniusschen Versuche das Remaksche Ganglion als das dominierende und das Biddersche Ganglion als das subsidiäre Herzzentrum an, stellte dieselben in Parallele zu den analogen Verhältnissen bei der Atmung, und als nach dem Zeitalter von Johannes Müller und Ludwig die deutsche Physiologie auf ihrer Höhe stand, da erschien die myogene Lehre bereits endgültig abgetan. Hieran änderte auch die Tatsache nichts, daß Rudolph Wagner‘ bereits im Jahre 1850 fand, daß das embryonale Hühnerherz schlägt, bevor Nerven nachweisbar sind und hieraus folgerte, „daß auch der gewöhnliche Modus der Herzbewegung (bei erwachsenen Tieren) ohne Vermittelung der Nerven zustande kommen könnte“ — könnte, wie er sich vorsichtig ausdrückt. Wagner ist also zweifellos als der eigentliche Vater der modernen myogenen Herztheorie zu bezeichnen, denn er war der erste, der die myogene Natur des Herzschlages behauptete, nachdem die Herzganglien bekannt waren. So war die myogene Lehre niemals ganz tot, aber in dem folgenden Menschenalter (etwa von 1850—1880) merkte man wenig von ihr, denn die anatomischen Tatsachen, die in der Entdeckung der oben genannten Ganglienmassen zutage traten, schienen allzu beweisend. Aber auch späterhin, nach der Wiederbelebung durch Gaskell bewegten sich, wie man in histo- rischem Rückblick leicht erkennt, die tatsächlichen anatomischen i Remak (1838), A. a. O. ?2 Ludwig (1848), Über die Herznerven des Frosches. Ebenda. 8. 139. 3 Bidder (1852), Über funktionell verschiedene und räumlich getrennte Nerven- zentren des Froschherzens. Zbenda. S. 163. — Vgl. auch 1871. Dies Archiv. Anat. Abtlg. S. 469. * A. Wagner (1850), Neue Versuche über das Verhältnis der Innervation zur Muskelirritabilität mit besonderer Rücksicht auf die Herzbewegung. Nachrichten v. d. Georgia Augusta in der kgl. Gesellschaft der Wissenschaften Göttingen. 8. 209. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 11 Feststellungen in genau derselben Richtung. Auch weiterhin wurden immer neue nervöse Massen im Herzen gefunden. Da diese anatomischen Feststellungen die sicherste Grundlage für die Beurteilung der myogenen Lehre bilden, müssen sie etwas ausführlicher zur Darstellung gebracht werden. Dogiel! beschreibt als erster schon in den siebziger Jahren das Vorhandensein von Ganglienzellen im Ventrikel und gibt an, daß man diese „Ganglia Ventricularia“ im oberen Drittel des Ventrikels am häufigsten finde, weiter unten stoße man nur hin und wieder auf eine Nervenzelle, an der Spitze aber suche man dieselben vergebens. Kasem- Beck? fand dann (besonders beim Schaf) Ganglienzellenhaufen bis nahe an die Herzspitze. Ähnliche Angaben machte Vignal? über das Affen- und Kaninchenherz. Berkley‘* fand bei der Maus (deren Herz sich der Kleinheit wegen zu einer mikroskopischen Untersuchung in Serien- schnitten besonders gut eignet) noch dicht an der Herzspitze (0,2 mm davon entfernt) „ziemlich zahlreiche Ganglienzellen“. Aber schon früher hatten Friedländer°® und Schweiger-Seidel® ihr Vorkommen im ganzen Ven- trikel behauptet. Diese von His und Romberg,’ Krehl und Romberg,® Engelmann (a.a.0.), Kluge? u.a. lange bezweifelten Angaben sind heute durch die Unter- ! Dogiel (1877), Die Ganglienzellen des Herzens bei verschiedenen Tieren und beim Menschen. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XIV. S. 470. — (1882) Die Nervenzellen und Nerven des Herzventrikels beim Frosch. Ebenda. Bd. XXI. S. 21. ? Kasem-Beck (1885), Zur Kenntnis der Herznerven. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XXIV, und (1887) Über das Vorkommen von Ganglien und einzelnen Nervenzellen auf den Herzventrikeln der Menschen, der Säugetiere und der Vögel. Zentralblatt für die medizin. Wissenschaften. 1887. Nr. 42, ® Vignal (1881), Recherches sur l’appareil ganglionnaire du coeur des vertebres. Arch. de Physiol. p. 186. * Berkley (1894), On complex nerve terminations and ganglion cells in the muscular tissue of the heart ventricle. Anatom. Anzeiger. Bd. IX. Nr. 1 und 2. — The intrinsie nerve supply of the cardiae ventricles in certain vertebrates. Johns Hop- kins Hospital Reports. Vol. VI. Nr. 4—5. 5 Friedländer (1867), Über die nervösen Zentralorgane des Froschherzens. Untersuchungen ans dem physiolog. Laboratorium zu Würzburg. 1867. 8, 59. 6 Schweiger-Seidel (1871), Das Herz. (In Strickers Handbuch der Lehre von den Geweben. S. 185.) ” His und Romberg (1890), Beiträge zur Herzinnervation. Zortschritte der Medizin. Bd. VIII. Nr. 10. S. 374 und (1893), Curschmanns Arbeiten aus der medizin. Klinik. Leipzig. 8 Krehl und Romberg (1893), Über die Bedeutung des Herzmuskels. Zbenda. ° Ferd. Kluge (1881), Die Herznerven des Frosches. Dies Archiv. 1881. Anat. Abtlg. S. 330. 12 GEORG FR. NICOLAT: suchungen von Bethe! und Carlson? sichergestellt. Auch im Bulbus Aortae hatte H. Munk° schon lange vor dem Wiedererwachen der myogenen Lehre Ganglienzellen vermutet, weil „eine Reizung des Bulbus denselben Effekt hatte, den sonst die Reizung solcher Stellen hatte, welche .Ganglien- zellen enthielt“. Löwit* hatte Ganglienzellen dann wirklich im Bulbus gesehen, und ebenso Dogiel (a. a. O.), der „an der Basis des Bulbus arteriosus einzelne oder paarige Nervenzellen“ fand. Aber Engelmann leugnete ihr Vorkommen. Die gegenteiligen Arbeiten fanden kaum Be- achtung und auch Tumanzews® positive Angaben konnten die Mehrzahl der Forscher nicht überzeugen: Erst die Untersuchungen Carlsons? (der mit der intravitalen Methylenblaufärbung im Conus arteriosus und in der Herzspitze von Necturus maculatus Ganglienzellen von demselben Typus fand, wie sie im Vorhof und Ventrikel schon früher beschrieben waren) haben jeden Zweifel darüber ausgeschlossen, daß irgend ein Abschnitt im Herzen völlig frei von Ganglienzellen sei. Dieser Ansicht ist auch Dogiel. Er hatte seinerzeit als erster Gang- ‚lienzellen im Ventrikel sicher nachgewiesen, und hat sich durch weitere Studien überzeugt, daß auch die Herzspitze nicht frei davon ist. Dieser vielleicht erfahrenste Kenner des intrakardialen Nervenapparates faßt das ge- samte Wissen darüber dahin zusammen, daß der Herzmuskel des Menschen und der Säuger mit zahlreichen motorischen End- apparaten versehen ist und daß einzelne sympathische Zellen und kleine Gruppen derselben im gesamten Myokard, also auch in der Herzspitze, im Verlauf der Nervenästchen verstreut sind. Besonders Bethe (a. a. ©. S. 90) hat hervorgehoben, daß diese kleinen Nervenzellen nur bei Anwendungspezifischer Nervenfärbungsmethoden gefunden werden können, deshalb „hätten alle Untersuchungen, welche, mit alten ! Bethe (1896), Eine neue Methode der Methylenblaufixation. Anatom. Anzeiger. Bd. XII. 8. 438. Derselbe (1903), Allgemeine Anatomie und Physiologie des Nervensystems. Leipzig. S. 90 ft. ® Carlson (1905), Die Ganglienzellen des Bulbus arteriosus und der Kammer- spitze beim Salamander. Pflügers Archiv. Bd. CIX. ® H. Munk (1876), Zur Mechanik der Herztätigkeit. Verhandlungen der Berliner Physiolog. Gesellschaft. 25. 11. 78. Abgedruckt in diesem Archiv. 1878. Physiol. Abtlg. S. 569. * Löwit (1883), Über die Gegenwart von Ganglienzellen im Bulbus Aortae. Pflügers Archiv. Bd. XXXL 5 Engelmann (1882), Der Bulbus Aortae des Froschherzenet Ebenda. Bd. XXIX. S. 425. ° Tumanzew (1890), Zur Lehre über das Nervensystem des Herzens. Archiv Jür mikroskop. Anatomie. Bd. XXXVI. S. 438. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 13 Methoden unternommen, zu negativen Resultaten führten, nur noch eine sehr geringe Bedeutung“ — aber gerade deshalb, darf man hinzufügen, _ haben die Betheschen Untersuchungen eine desto größere Bedeutung, weil es eben spezifische Nervenfärbungen sind. Bethe taxiert die Zahl der Zellen im Froschventrikel auf viele Hunderte und fügt hinzu, daß „die Herzspitze zwar arm an Ganglienzellen aber nicht ganglienzellenfrei sei“. In der Tat erscheinen die gerade von der Herzspitze mitgeteilten Ab- bildungen völlig beweisend. So dürfte die Mehrzahl der Forscher von der Omnipräsenz der Ganglienzellen überzeugt sein, und nur Schwartz? und Hofmann? (a.a.0.S. 3) stehen — neben Engelmann — auch heute noch auf anderem Standpunkte Schwartz hält die fraglichen Gebilde für „Ehrlichsche Mastzellen“ und Hofmann hält sie für Bindegewebs- zellen, weil sie sich „nach Größe und Form und durch das Fehlen der Nißlkörper durchaus von den sicheren Ganglienzellen unterscheiden“, während Bethe demgegenüber hervorhebt, daß „auch die sicheren Ganglienzellen des perivaskulären Netzes keine Nißlschollen enthalten“. Aschoff gibt kein eigenes Urteil, hält aber die Anwesenheit von Ganglien- zellen im ganzen Herzen heute noch nicht für völlig sichergestellt. - Der Nachweis von Ganglienzellen ist also im großen und ganzen auf demselben Wege erfolgt, der auch die peristaltische Welle im Herzen ein- schlägt: vom Sinus über den Vorhof zum Ventrikel, um im Aortenbulbus zu enden. Da naturgemäß die Ganglienzellen dort, wo sie am dichtesten sind, zuerst gefunden wurden, so entspricht das zeitliche Verhältnis der Ent- deckung ungefähr der relativen Zahl der Ganglienzellen in den einzelnen - Abschnitten. Der Zusammenhang zwischen dem Verlauf der Erregungs- welle und dem Verlauf der Entdeckung von Ganglienzellen ist also nicht zufällig, denn er weist uns darauf hin, daß dort, wo die peristaltische Welle in der Norm — und, wie wir gleich hier hinzufügen möchten, auch dort, wo sie meist in pathologischen Fällen — beginnt, die Ganglienzellen gehäuft liegen, während sie an den anderen Stellen der Leitungsbahn seltener 1 Es mag hierbei erwähnt werden, daß Engelmann noch 1903 (a. a. O. 8. 223) angibt, daß „schon die einfachen älteren Methoden der chemischen Isolierung der Muskel- und Nervenzellen mittels starker Kalilauge oder das Aufhellen der Präparate mit essig- säurehaltigem verdünnten Glyzerin genügen, um über die An- oder Abwesenheit von Ganglien mit Sicherheit zu entscheiden“. ? Schwartz (1899), Über die Lage der Ganglienzellen im Herzen der Säugetiere. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. LIII. 8. 63. 3 Hofmann (1902), Das intrakardiale Nervensystem des Frosches. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abtlg. S. 54. 14 GEORG FR. NICoLAL: sind. Viele Forscher — unter ihnen auch Engelmann — haben hierin einen Hinweis auf die nervöse Natur des Herzschlages erblickt (vgl. hierzu S. 29 in $ 6, wo die analogen Verhältnisse am Limulusherzen behandelt sind). Wir haben somit eine fortlaufende Kette von gangliösen Massen und Hofmann (a.a. O. 8. 3) meint überhaupt, daß es überflüssig sei, die alt- hergebrachten Namen für die Ganglienzellen im Frosehherzen zu gebrauchen: „Im Froschherzen sitzen diese Ganglienzellen den Vagusstämmehen und ihren größeren intrakardialen Verästelungen seitlich an. Dort, wo dieser Belag von Ganglienzellen etwas reichlicher ist, hat man ihnen früher besondere Namen gegeben.“ Für das Säugetierherz betont auch Hofmann das Vor- handensein „eines reichen Geflechtes mit vielen Ganglien“. Somit läßt diese Reihe von Entdeckungen eine deutlich erkennbare Richtung nicht vermissen. Die Auffindung aller dieser gangliösen Elemente fand dann gleichsam ihre Ergänzung und ihren Abschluß in dem Nach- weis des alles umspinnenden Nervennetzes. Auch hier haben viele mit- gearbeitet. Schon der Altmeister Koelliker sprach 1862 von der reichen Inner- vation auch des ganglienfreien Abschnittes des Herzens. Gerlach! untersuchte diese nervösen Massen genauer und hat das in den stärkeren Bindegewebssepten liegende Grundgeflecht, das davon aus- gehende aus marklosen Fasern bestehende perimuskuläre Geflecht und ein feinstes aus varikösen Fibrillen bestehendes intramuskuläres Ge- flecht unterschieden. Spätere Untersucher haben diese Befunde bestätigt und immer mehr Fasern gefunden. Schon Ranvier? (1880) stellte den reichen Nervenplexus des Herzfleisches dar, aber auch hier haben Dogiel und Tumanzew (a. a. O.), die zuerst mit der Ehrlichschen Methylen- blaumethode untersuchten, für die neueren Anschauungen die Bahn ge-. brochen. Es folgten die Arbeiten von Retzius,?® Berkley (1894 a. a. O.) und Heymanns und Demoor‘, die alle sehr zahlreiche verzweigte Fasern sahen. Berkley beschrieb zuerst echte Anastomosen und Heymanns und Demoor treten nachdrücklich für die netzförmige Struktur der Herzfibrillen ein. Eingehend beschreibt Bethe die Herznerven. Er unterscheidet ein Vorhof- und ein Kammernetz, die außer einigen Verbindungen an den ! L. Gerlach (1876), Über die Nervenendigungen in der Muskulatur des Frosch- herzens. Berliner Dissertation von 1876. Vgl. auch Archiv für pathol. Anatomie. Bd. LXIV. 8. 187. ?2 Ranvier (1880), Zecons d’anatomie generale. Paris 1880. ® Retzius (1892), Zur Kenntnis der motorischen Nervenendigungen. Biologische Untersuchungen. N.F. Bd. III. S. 41 ff. * Heymanns und Demoor (1894), Etude de l’innervation du coeur des vertebres a l’aide de la methode de Golgi. Mem. de !’Acad. de Belge, T. XIII. p. 619. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 15 Herzklappen nur durch die Bidderschen Ganglien in Verbindung stehen sollen. Auch Hofmann (a. a. O.) hat sehr zahlreiche Nervenfasern ge- sehen, über deren netzförmige Anordnung er allerdings noch im Zweifel ist, trotzdem er „niemals freie Endigung im Herzfleisch gesehen“. Er! hatte schon früher eine sehr ausführliche Darstellung der betreffenden Ver- hältnisse bei Wirbeltieren und Wirbellosen gegeben, aus der hervorgeht, daß wir in der gesamten glatten und der ihr verwandten Muskulatur der Wirbeltiere und Kephalopoden gemeinschaftliche überall wiederkehrende Innervationsverhältnisse finden“. Eine Konstatierung, die besonders im Hinblick darauf wichtig erscheint, daß sich bei allen anderen zum Vergleich herangezogenen Muskeln motorische Innervation nachweisen läßt (vgl. $ 9). Bei Hofmann siehe auch weitere Literatur. Auch sensible Endapparate, die schon Valentin? vermutet hat, sind wenigstens anatomisch im Herzen sicher nachgewiesen, sowohl im Epikard wie im Endokard haben sie Dogiel® und Smirnow* gefunden. Letzterer hat gleichzeitig den Nachweis erbracht, daß sie vom Vagus bzw. Depressor stammen. Auch Heymanns und Demoor (1894, a. a. O.), sowie His und Romberg (1893, a. a. O.) beschreiben ähnliche Gebilde. Physiologisch ist die Frage allerdings noch immer offen. Trotz der Versuche von Budge,°? Goltz, Gurboki,’ von Wooldridge® und neuer- dings von Torata Sano”? gibt es immer noch Autoren, welche z.T. auf die ı F. B. Hofmann (1907), Histologisehe Untersuchungen über die Innervation der glatten und der ihr verwandten Muskulatur der Wirbeltiere und Mollusken. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. LXX. S. 361. ” Valentin (1847), Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Braunschweig. 2. Aufl. Bd. II. S. 405. ®? Dogiel (1890), Zur Lehre des Nervensystems des Herzens. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XXXV1. S. 483, und (1898) Die sensiblen Nervenendigungen im Herzen "und in den Blutgefäßen der Säugetiere. Zbenda. Bd.LII. 8.44. Ebenda. Bd.XLU. 8.44. — (1899) Zur Erage über den feineren Bau der Herzganglien des Menschen und der Säugetiere. Zbenda. Bd. LIII. S. 237. * Smirnow. (1895), Über die sensiblen Nervenendigungen im Herzen bei Am- phibien und Säugetieren. Anatom. Anzeiger. Bd. X. Nr. 23. Derselbe (1903). Zur Frage von der Endigung der motorischen Nerven in den Herzmuskeln der Wirbeltiere. Ebenda. Bd. XVII. 5 Budge (1846), in Wagners Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. S. 435 und 1862 in seinem Lehrbuch der speziellen Physiologie des Menschen. S. 723. 6 Goltz (1863), Vagus und Herz. Virchows Archw. Bd. XXVL 8.1. ? G@urboki (1872), Der Vagus ist auch Empfindungsnerv des Herzens. Pflügers Archiv. Bd. V. S. 289. s Wooldridge (1883), Über die Funktionen der Kammernerven des Säugetier- herzens. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abtlg. S. 522. ° Torata Sano (1909), Zur Frage von der Sensibilität des Herzens und anderer innerer Organe. Pflügers Archiv. Bd. CXXIX. 8. 217. 16 GEORG FR. NIcoLAI: alten Angaben von Harvey! und Ziemssen” beim Menschen sich stützen, und jede Empfindlichkeit des Herzens leugnen. Dem gegenüber hat Grass- mann? auch beim Menschen gelegentlich einer Operation Schmerzen bei der Luxation des Herzens beobachtet. . Aus den angeführten anatomischen Arbeiten geht aber hervor, daß sich im ganzen Herzen zwar zarte, aber darum um so massenhaftere Nervenfäden finden, und man kann Bethe zustimmen, wenn er sagt, dab es im ganzen Körper des Frosches, — und auf den kommt es allein an, da sich fast alle physiologischen Untersuchungen auf ihn beziehen — „keinen einzigen Muskel gibt, der auch nur annähernd so viel Nervenfasern enthielte, wie die Herzmuskulatur“. Wenn nun trotz dieser gleichsam eindeutig gerichteten tat- sächlichen Entdeckungen die theoretische Deutung einen ganz anderen Weg einschlug, se ist das dem überragenden Einfluß zuzuschreiben, den nach dem Ende der klassischen Periode der Physiologie einer der erfolg- reichsten Physiologen seiner Zeit — Engelmann — ausgeübt hat, welcher, einem Gaskellschen Gedanken folgend, zur alten myogenen Theorie zurückkehrte und ihr durch eine Reihe zielbewußter Untersuchungen neues Leben verlieh. Diese Richtung war vielleicht von vornherein einseitig, immerhin werden wir sehen, daß sie die Wissenschaft nach vielen Rich- tungen hin gefördert hat und — wenigstens anfangs — imstande war, den beobachteten Tatsachen gerecht zu werden. Ganz unzweifelhaft aber erscheint es, daß die „myogene Lehre‘ gegenüber den späteren tatsächlichen Feststellungen nur deshalb sich behaupten konnte, : weil die Menschheit nun einmal eine glatte Formel leichter im Gedächtnis behält als die Masse von Tatsachen, die zur Aufstellung dieser Formel geführt haben. Diesem all- gemeinen Gesetze jeglicher Wissenschaftsentwicklung kann auch die Physio- logie sich nicht entziehen, und hier wird zum Fluche, was einstmals Segen war (vgl. hierzu $ 14 8. 62—64). $ 4. . Der nachweisbare Unterschied zwischen dem Gesamt- herzen und dem Skelettmuskel beweist nicht, daß der Herz- muskel eine Sonderstellung einnimmt. Die Grundtatsache, welche allen Betrachtungen über die Herztätigkeit zugrunde gelegt werden muß, ist die, daß das Herz seine Automatie in sich trägt. Das wußten schon die Alten, und jeder findet es von neuem, der ein Herz aus dem Körper herausschneidet und sieht, daß es ! Harvey (1651), De generatione animalium Exercitatio. 52. Amsterdami. ? v. Ziemssen (1882), Studien über die normalen Bewegungsvorgänge. Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. XXX. S. 298. ® Grassmann (1908), Zwei Fälle von Stichverletzung der rechten Herzkammer. Münchener Medizin. Wochenschrift. Bd. LIV. S. 2379. DiE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HrrzscHhtacs. 17 noch weiterschlägt. Das Warmblüterherz schlägt nur wenige Minuten, das Kaltblüterherz weitaus länger, das des Frosches oft tagelang, das der Schild- kröte selbst eine Woche und mehr. Diese uralte Beobachtung von Jägern, Kriegern und Hausfrauen hat, wie schon in der Einleitung erwähnt, früh- zeitig und nachhaltig das Interesse der Philosophen und Ärzte geweckt und . ist heute in der Zeit der exakten Wissenschaft und des methodischen Experimentes mannigfach modifiziert und umgrenzt worden, ohne daß dadurch allerdings die ursprüngliche Erfahrung wesentlich vertieft worden wäre. Im einzelnen hat man zeigen können, daß bei günstiger Ernährung ‘das herausgeschnittene Herz viel länger selbständig erresbar bleibt, als man vorher wußte. Ludwig und seine Schule! haben dies bereits für das Kaltblüterherz nachgewiesen; beim Warmblüter haben sich besonders Henry Newell,Martin®undLangendorff° um diese Frage bedeutsame Verdienste _ erworben, und Kuliabko* ist es gelungen, die ausgeschnittenen Herzen aller möglichen Tiergattungen inklusive des Menschen,5 welche mehrere Tage auf Eis gelegen hatten, wieder zum Schlagen zu bringen. (Ein Kaninchen- herz 7 Tage nach dem Tode des Tieres.) Friedenthal® hat die Frage von einem anderen Gesichtspunkt aus angegriffen. Er hat die alten Hallerschen Experimente über die nervöse Isolierung des Herzens in systematischer Weise wiederholt und bei Kaninchen und Hunden alle nervösen Verbindungen des in situ befindlichen Herzens zerstört. Es zeigte sich dabei, daß ein solches Tier mit nervös isoliertem Herzen bis zu 11 Monaten .die Operation überlebte, und daß das Herz annähernd normal schlug, „trotzdem doch sicherlich in dieser Zeit alle von außen eintretenden Nerven- fasern degeneriert waren“. Diese Frage darf also als erledigt gelten. Das Herz trägt seine Automatie in sich, und alle zuführenden Nerven können nur Regulationsmechanismen sein. Es entspricht dies ganz der Einteilung, * Vgl. hierzu vor allem E. Heubel (1889), Die Wiederbelebung des Herzens nach dem Eintritt vollkommener Herzmuskelstarre. Pflügers Archiv. Bd. XLV. S. 462. ° H. N. Martin (1881), Stud. Biolog. Labor. John Hopkins Univ. II. p. 119, und (1833) The direct influence of gradual variations of temperature upon the rate of beat of the dogs heart. Roy. Soc. Proc. 34. p. 444. Philos. Trans. 174. 1884 p. 663. ®° Langendorff (1895), Untersuchungen am überlebenden Säugetierherzen. Pflügers Archiv. Bd. LXI. S. 291. Bd. LXVI S. 355, und Bd. LXX. 8. 47. * Kuliabko (1902), Studien über die Wiederbelebung des Herzens. Hbenda. Bd. XC. S. 461, und (1903), ebenda. Bd. XCVII. S. 539. ® Derselbe (1902), Die Wiederbelebung des menschlichen Herzens. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XVI. 8. 330. $ Friedenthal (1902), Über die Entfernung der extrakardialen Herznerven bei Säugetieren. Dies Archiv. 1902. Physiol. Abtlg. $. 135. Archiv f, A. u, Ph. 1910, Physiol. Abtlg. 2 18 GEORG FR. Niconar: die Traube! in Anlehnung an Ludwig in seinen berühmten Vorlesungen über Herzkrankheiten zuerst eingeführt hat. Er unterschied das muskulo- motorische Nervensystem im Herzen selbst und das regulatorische, welches in den Fasern des Vagus von der Medulla zum Herzen verlaufen sollte. Eine Unterscheidung, die auch heute noch ebenso berechtigt ist, (nur wissen wir, daß viele der regulatorischen Fasern aus dem Sympathicus stammen). Das Herz als Ganzes ist zweifellos etwas anderes als ein Skelett- muskel. Ein Skelettmuskel braucht, um sich zu kontrahieren, einen von außen kommenden Reiz, das Herz — wenigstens das Wirbeltierherz — bedarf dessen nicht. Es ist überhaupt ein Organ sui generis, und auch, wenn man .davon spricht, daß es automatisch tätige Teile besitzt, so muß man bedenken, daß diese Automatie ganz spezifisch und z. B. durchaus verschieden ist von der sogenannten Automatie des Atemzentrums. Dort ist ein Reiz (das Blut) vorhanden, dessen wechselnde Zusammenseizung einen intermittierenden Reiz setzt, der seinerseits den Atemrhythmus hervorruft. Beim Herzen kennen wir jedoch den Reiz nicht. Alles Theoretisieren darüber hat sich als vergeb- lich erwiesen. Es scheint, als ob diese Fähigkeit der Automatie auch nach dem Tode des Tieres außerordentlich fest am ganzen Herzen haftet. Wenn Friedenthal? aus diesem festen Haften folgern zu müssen glaubt, daß es sich deshalb um eine myogen bedingte Automatie handele, so scheint dieser Schluß nach seinen Versuchen nicht gerade zwingend; denn wenn er zeigt, daß das Herz noch schlägt, wenn alle übrigen Nerven und Muskeln uner- regbar geworden sind, so ließe sich dieser Befund doch zum mindesten ebensogut gegen eine muskulöse wie gegen eine nervöse Theorie verwerten, außerdem sind in neuerer Zeit gerade Untersuchungen bekannt geworden, welche die sehr lange Lebensdauer überlebender Nerven einwandfrei beweisen. Daß zum Zustandekommen des automatischen Herzrhythmus die Muskeln unentbehrlich sind, ist ja ganz selbstverständlich, ob und inwieweit die refraktäre Phase der Muskulatur etwa dabei eine Rolle spielt, soll hier nicht erörtert werden und hat auch mit der myogenen Theorie nichts zu tun: Hier handelt es sich nur darum, ob wir Hinweise dafür haben, daß die Herzreize von den Ganglien zu den Muskeln gehen oder nicht. Trotz der oben geschilderten Tatsachen ist man nicht berechtigt, einen prinzipiellen Unterschied zwischen Herzmuskel und anderen Muskeln zu kon- struieren. Wenn Engelmann (a.a. O., S.218) sagt, „niemandem ist es beim Herzen bisher gelungen, was bei gewöhnlichen quergestreiften und bei den meisten glatten Muskeln immer möglich ist, durch einen einmaligen Reiz der zutretenden Nerven eine einmalige Kontraktion hervorzurufen“, so entspricht ! Traube (1871), Anteil des regulatorischen Herznervensystems an der Arbeit des Herzens. Beiträge zur Pathologie und Physiologie. I. S. 380. ?2 Friedenthal (1902), Beitrag zur Frage nach den Beziehungen des Nerven- systems zum Automatismus des Herzens. Zentralblatt f. Physiologie. Bd. XV. 8. 619. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HrrzscHuacs. 19 dies heute den Tatsachen nicht mehr. Die vorausgegangenen diesbezüglichen Angaben von Schelske,! Cyon? und Gaskell® am wärmestarren Frosch- herzen, welche Engelmann mit Stillschweigen übergeht, sind zwar, wie zuzugeben ist, nicht völlig eindeutig, aber seitdem hat Hering* 1906 an 24 Säugetierherzen (größtenteils Hundeherzen, aber auch Katzen- und Kaninchenherzen) gezeigt, daß ein Herz, das durch Kaliumchlorid oder Kampferinjektionen, durch Abstellen des Zuflusses der Ringerschen Lösung oder durch Abkühlung zum Stillstand gebracht ist, durch Akzeleransreizung wieder zum automatischen Schlagen gebracht werden kann, daß also „Nervenkraft das schlaglose Herz zum automatischen Schlagen bringt“. Wenn nun auch vor allem der Verfasser selbst immer noch an der Be- deutsamkeit seiner Versuche Zweifel hest, so ist dies ganz unmöglich bei Carlsons? Versuchen, der ein Herz — das des Limulus oder Pfeilschwanz- krebses, eines merkwürdigen altertümlichen Tieres, das in vieler Hinsicht sehr primitive Arthropodenformen zeigt, an die Trilobiten erinnert und zwischen den Spinnen und Krebsen steht — ausfindig gemacht hatte, in dem eine anatomische Trennung zwischen Nerven und Muskeln experi- mentell möglich ist. Da dies bei keinem anderen bisher bekannten Tiere möglich ist, so ist der Limulus das einzige, leider nur im Pazifique vor- kommende Objekt, an dem die Frage myogen oder neurogen einwandfrei entschieden werden kann, und es ist daher selbstverständlich, daß die Arbeiten Carlsons, auf die noch mehrfach zurückzukommen sein wird, epochemachend gewirkt haben. Carlson publizierte seine Versuche 2 Jahre, nachdem Engelmann jenen Satz geschrieben hatte. Aus diesen Versuchen geht unzweifelhaft hervor, daß beim Limulusherzen eine Reizung der sogenannten Akzeleratoren mit einem einzigen Induktionsschlag einen ganz normalen motorischen Effekt hervorbringt. Ein ganglienfreies Nervmuskelpräparat vom Herzen verhält sich genau so, wie ein Froschnervmuskelpräparat, gibt Tetanus usw. Es ist zu be- merken, daß man diese Carlsonschen Resultate am Limulusherzen nur dann mit denen an Wirbeltierherzen in Parallele setzen kann, wenn man annimmt, ! Schelske (1860), Über die Veränderungen der Erregbarkeit des Nerven durch die Wärme. ? Cyon (1866), Über den Einfluß der Temperaturveränderung auf Zahl, Dauer und Stärke der Herzschläge. Arbeiten aus Ludwigs Laboratorium. 1866. :® Gaskell (1882), Philos. Transact. Vol. CLXXII. p.1016 (vgl. Zitat auf 8. 24). * Hering (1906), Akzeleransreizung kann das schlaglose Säugetierherz zum auto- matischen Schlagen bringen. Zbenda. Bd. CXV. H. 5-6. 8. 354. Siehe auch die ältere Arbeit (1901), Über die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit der Kon- traktilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern. Pflügers Archiv. Bd. LXXXVI. S. 533, vgl. dort S. 578. 5 Carlson (1905), The rhythm in the resting heart of mollusks by the stimulus of the eardio-accelerator nerves. Americ. Journ. of Physiol. Vol. Xyj. I. p. 53. 9* 20 GEORG FR. NIcoLar: daß zwischen den Sympathicusfasern im Plexus cardiacus und in den Muskel- zellen des Herzens noch Ganglienzellen zwischengeschaltet sind, daß also nicht — wie F. B. Hofmann will — alle Ganglienzellen des Herzens Vagus- ganglien sind. Doch ergibt ein näheres Studium der Hofmannschen Schriften, daß diese Angabe auch nur als Vermutung ausgesprochen ist. Erst bei der Zitierung durch andere Autoren wurde daraus eine tatsächliche Feststellung. Falls man aber auch nur die Möglichkeit einer Zwischen- schaltung von Ganglienzellen in Betracht zieht, verliert die ganze von Engelmann aufgeworfene Fragestellung an Wichtigkeit. Die Carlson- schen Befunde und Ausführungen legen den Gedanken nahe, die periphersten Akzeleransfasern direkt mit motorischen Fasern zu vergleichen. Wenn nun im Säugetierherzen zwischen diese letzten Fasern und die außerhalb des Herzens liegenden Accelerantes Ganglienzellen geschaltet sind, so sind die Akzeleransfasern nicht den peripheren motorischen Nerven vergleichbar, sondern höchstens den übergeordneten Neuronen, also speziell den Pyramiden- bahnen des Rückenmarks. Es kann daher nicht wundernehmen, daß die Reizung der extrakardialen Nerven ebensoschwer einen motorischen Erfolg hat, wie es die Reizung von Rückenmarksbahnen in bezug auf den Skelett- muskel hat. In dieser Beziehung ist es bemerkenswert, daß Retzius (im Gegensatz zu His und Romberg,! die die sämtlichen Herzganglien als Sympathicusganglien ansehen) wenigstens einen Teil der Herzganglien mit den großen Ganglienzellen der Vorderhörner in Parallele stellt. Diese das sympathische und cerebrospinale Nervensystem gleicherweise umfassende Betrachtungsweise ergibt sich aus dem Carlsonschen Befund fast direkt. Nach dieser allgemeinen Orientierung wenden wir uns zu den speziellen Beweisen, die man für die eine oder die andere Theorie beigebracht hat. 85. Die Beweise für die myogene Theorie. Um in der Physiologie die Frage zu entscheiden, welehe Funktion einem Organ zukommt, bzw. welches Organ eine bestimmte Tätigkeit ausübt, stehen im Grunde nur zwei direkte physiologische Methoden zur Verfügung. 1. kann man das betreffende Organ vivisektorisch isolieren und zu- sehen, was es dann noch zu leisten imstande ist. 2. kann man eine bestimmte Stelle eines Organs reizen und zusehen, was für Wirkungen dies hat. Man kann aber im Herzen nur in sehr ungenügender Weise die Muskeln von dem Nervösen isolieren, bzw. eins von diesen Organen isoliert reizen. Man ist deshalb größtenteils auf indirekte Methoden angewiesen, wobei die Methode der Isolation durch Herz- bzw. Nervengifte nicht einwandfrei er- scheint (vgl. hierzu $ 10). Dagegen hat die anatomische Untersuchung eine große Bedeutung. Doch ist diese nur als die Basis. anzusehen, welche ı W. His und RE. Romberg (1890), Beiträge zur Herzinnervation. Fortschritte der Medizin. VIII. Nr. 10. 8.374, und Arbeiten aus der medizin. Klinik. Leipzig 1893. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HerzscHatacs. 21 jedem physiologischen Experiment vorausgehen und zugrunde gelegt werden sollte, aber doch erst durch dieses Leben und Bedeutsamkeit erhält. Mit Hilfe der Anatomie kann man immer nur die Tatsache erweisen, daß das materielle Substrat für eine Funktion vorhanden ist. Ob dieses Substrat die Funktion ausübt, kann nur die Physiologie entscheiden. Anatomisch kann man also nur die Möglichkeit, aber niemals die Realität einer Lebens- erscheinung nachweisen. Dann hat man Parallelen mit ähnlichen Organen zu verwerten gesucht. Solche Analogieschlüsse sollten eigentlich prinzipiell als Unter- suchungsmethode in der Naturwissenschaft nicht benutzt werden. So wert- voll es für ein Verständnis der Lebensvorgänge auch überall ist, nach Analogien zwischen anderweitig gefundenen Tatsachen zu suchen, so wertvoll eine vermutete Analogie heuristisch sein kann, so sehr muß man sich hüten, sie als Beweise anzusehen. Auch Mangold (a. a. 0.8.4) schreibt diesen Analogien nur einen Wert als Arbeitshypothesen zu. Trotzdem müssen wir im folgenden uns häufig und eingehend mit solchen Analogien beschäftigen. Sie spielen in der myogenen Lehre eine zu große Rolle und haben durch die häufige Verwendung fast Realität angenommen. Man kämpft um die Richtigkeit eines Beispiels und vergißt in der Hitze des Kampfes, daß es im Grunde für die eigentliche Frage gleichgültig ist, ob das Beispiel so oder so gedeutet werden muß. Konnte doch selbst ein Forscher wie Engelmann (a.a. O. S. 235) schreiben: „Wir müssen, wenn wir nicht den elementarsten Grund- sätzen der Logik Hohn sprechen wollen, zu dem Schlusse kommen, daß nicht die intrakardialen Nervengeflechte die Leitung der Bewegungsreize im Herzen vermitteln, sondern einzig die Muskelzellen selbst“, trotzdem — wie die Lektüre der Stelle ergibt und wie es bei der physischen Untrennbarkeit von Nerv und Muskel im Herzen auch gar nicht anders sein kann — alle jene „Tatsachen“, auf die sich Engelmann hier bezieht, nur „Analogien“ waren. Wenn umgekehrt Mangold (a. a. ©. S. 22) am Schlusse seiner Aus- . führungen zu einem ‚non liquet“ kommt, so ist dies vom formal logischen Standpunkt wenigstens halbwegs zulässig. Er vergißt aber dabei, daß, wie schon in $1 8.4 hervorgehoben worden ist, die Beweislast den Myogenikern zu- kommt. Ein non liquet bedeutet also de facto Verwerfung der myogenen Lehre. Faßt man die Beweise für die myogene Herztheorie zusammen, so kommt man zu folgendem Schema: Beweise für die muskuläre Automatie. A. Beweisende Tatsachen. 1. Der Herzreiz entsteht an ganglienfreien Herzteilen ($ 6). B. Analogieschlüsse. ‘1. Die Herzen wirbelloser Tiere |schlagen ohne Gang- . . ($7). 2. Embryonale Herzen | lienzelien rhythmisch . . (8 8). 22 GEORG FR. NICOLAT: 3. Andere Organe (Venen, Darm, Ureter usw.) sind dem Herzen ähnlich, ohne Ganglienzellen zu besitzen ($ 9). 4. Die künstlichen Reize sind keine sogenannten Nerven-, sondern Muskelreize ($ 10). Beweise für die muskuläre Leitung. C. Beweisende Tatsachen. 1. Der normale Reiz verläuft auf Bahnen, die nervenlos sind ($ 11). D. Analogieschlüsse und Hypothesen. 1.—3. (Siehe B. 1.—3. Die betreffenden Organe sollen auch keine Nerven enthalten.) ($ 11.) 4. Der Reiz läuft langsamer, als es vom Nervenprinzip zu erwarten ist (& 12). 5. Das anatomische Substrat ist durch die Entdeckung des Hisschen Bündels gesichert ($ 13). 6. Die Reizausbreitung erfolgt im Herzen gleichmäßig von Muskelzelle zu Muskelzelle fortschreitend ($ 14). Andere in Betracht kommende Beweise für die myogene Lehre sind niemals angeführt worden. Erwähnt sind in dieser Zusammenstellung jene „scheinbaren Beweise“ nicht, die in Wirklichkeit nur Umschreibungen eines an anderer Stelle schon einmal versuchten Beweises sind. Wenn Engelmann (a. a. O. 8. 234) z. B. schreibt: „Wenn man die ganglienfreie Herzspitze nach Bernstein am lebenden Frosch abklemmt, so behält sie ihr Leitungsvermögen Wochen, ja mehre Monate lang (Bowditch, Aubert, Langendorff): bei punktförmiger mechanischer Reizung zieht sich wie früher die ganze Spitze maximal zusammen, was nur durch Leitung möglich ist. Nach so langer Zeit aber sind erfahrungsgemäß Nervenfasern, die von ihren Ganglienzellen abgetrennt wurden, längst degeneriert und funktionsunfähig geworden,“ so ist dieses Argument natürlich nur so lange stichhaltig, als man sich auf den A. 1 zitierten Beweis verläßt, daß die Herz- spitze ohne Ganglienzellen ist, daß also die Nervenfasern in der abge- klemmten Herzspitze ihres Zentrums beraubt sind und demzufolge degene- rieren. Hat aber die Herzspitze selber Ganglienzellen, so liegt gar kein Grund vor, daß die Nervenfasern degenerieren, und dieser Beweis fällt also mit dem unter A. 1 genannten zusammen und braucht nicht mehr angeführt zu werden. Ähnliche Überlegungen müssen in bezug auf sehr viele in der Literatur zerstreute Argumente angewandt werden, und bei näherem Zu- sehen wird sich jeder überzeugen: mehr Beweise gibt es nicht. Wenn Engelmann weiter schreibt, daß „die myogene Theorie sich auch vom teleologischen Standpunkt = der bei einem so handgreiflich zweck- mäßig eingerichteten Organe wie das Herz durchaus berechtigt sei — der älteren Tehre überlegen "zeigt, so würde es genügen, einen solchen Beweis DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HErzscHLAGs. 23 der Vollständigkeit halber zu erwähnen, da teleologische Beweise doch nichts anderes als heuristische Behelfe sind; denn wenn auch der Ausspruch Pflügers! richtig ist, daß die Ursache jeden Bedürfnisses eines lebendigen Wesens auch zugleich Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses ist, so ist doch die Möglichkeit der Befriedigung unter allen Umständen viel zu mannig- faltig, als daß man je hoffen könnte, auf diesem Wege empirische Fest- stellungen durch deduktive Spekulation zu ersetzen. 86. Wo im Herzen Reize entstehen, sind Ganglienzellen vorhanden. Die myogene Theorie wäre erwiesen, wenn Satz A. und Satz C. richtig wäre, dann bedürfte es keiner Analogieschlüsse und keiner Hypothesen. Aber die myogene Theorie fällt auch mit A. und C., denn daß sich dafür, daß Ganglienzellen im Herzen dieselben Eigenschaften haben, wie auch sonst im Körper, und daß Herznerven ähnlich anderen Nerven sind, mehr Analogien und ungezwungenere Hypothesen finden lassen als für das Gegenteil, daran dürfte doch im Ernste niemand zweifeln. Es ist nun aber bisher niemandem gelungen, die beiden Sätze A. und C. zu beweisen. Wie schon in der Geschichte der myogenen Theorie auseinandergesetzt worden ist, sind seit der Proklamierung dieser Lehre infolge der Verbesserung der Methoden in sämtlichen Teilen des Herzens Ganglienzellen gefunden, und ebenso ist seitdem ein Nervennetz gefunden, das alle Muskelfasern umspinnt. Wo also auch immer der Reiz entsteht — er hat Ganglienzellen zur Verfügung, und wo auch immer die Leitung erfolgt — sie hat Nervenfibrillen zur Verfügung. Wir haben in $ 3 die Verdienste der einzelnen Forscher in dieser Frage geschildert und haben dort auch bereits erwähnt, daß trotz der vielen und glänzenden grund- legenden Untersuchungen die Omnipräsenz der Ganelienzellen im Herzen - erst nach den Untersuchungen Carlsons allgemein anerkannt wurde. Wir werden dessen Arbeiten ir nächsten Paragraphen besprechen und beschränken uns hier auf die Resultate an Wirbeltieren. Für das Froschherz speziell wußten wir schon vor dem klassischen Versuch von Stannius,? daß in der Sinusgegend, von der die normalen Herzreize ausgehen, massenhaft Ganglienzellen vorhanden sind. Diese Tatsache ist eigentlich auch niemals bestritten worden, und es ist daher schwer einzusehen, wie es geschehen konnte, daß die neueren wichtigen Feststellungen Gaskells, Engelmanns u. a. über die Reiz- ı Pflüger (1877), Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur, Pflügers Archiv. Bd. XV. S. 76. * Stannius (1852), Zwei Reihen physiologischer Versuche. Müllers Archiv für Anat., Physiol. u. Entwicklungsgeschichte. 8. 55. 24 GEORG Fr. NIcoLar: erzeugung im Herzen — die alle nur die Stanniusschen Beobachtungen ergänzten und vertieften — immer wieder als Stütze der myogenen Theorie angeführt worden sind. Wenn beispielsweise Engelmann! für das Frosch- herz nachgewiesen hat, daß von allen Stellen des Sinusgebietes aus normale Herzpulsationen ausgelöst werden können, so können wir alle die inter- essanten Schlußfolgerungen dieses Autors, die daraus hinauslaufen, wie zweck- mäßig es sei, daß die Funktion eines so lebenswichtigen Organes, wie es das Herz ist, nicht an eine einzige Stelle gebunden sei, voll würdigen, aber wir können darin nicht wie Engelmann selbst einen Beweis für die myogene Theorie erblicken, denn im ganzen Sinusgebiet liegen zahlreiche Ganglienzellen. Engelmann will dies zwar nicht zugeben; aber demgegenüber muß betont werden, daß neben den vorhin erwähnten modernen Arbeiten die histologischen Untersuchungen Engelmanns, der mit ganz primitiven Mitteln (Essigsäure und Glyzerin) arbeitete, überhaupt nicht in Betracht kommen können. Es muß endlich einmal konstatiert werden, dab es völlig be- deutungslos ist, ob mit dieser Methode in den Wänden der Hohlvenen viel oder wenig Ganglienzellen gefunden sind. Andere und bessere Methoden haben endgültig zugunsten des Vorhandenseins von Ganglienzellen gerade hier gesprochen. Ist es doch durch Engelmanns? eigene Worte erwiesen, daß seine Methode nicht ausreicht, um die doch sicher vorhandenen kern- haltigen Elemente im Ventrikel aufzufinden, denn er sagt: „Je n’ai trouve aucune trace ni de fibrilles nerveuses ni de cellules ganglionnaires ou de quelgque el&ment nucl&& plus ou moins analogue.“ Auch die später von Engelmann 1896 (a. a. O., S. 131 ff.) bestätigten Versuche von Gaskell,? der auf Grund einer Steigerung der Pulsfreguenz nach isolierter Sinuserwärmung beim Frosch diese Stelle als den Sitz des autonomen Herzzentrums ansieht, beweisen aus demselben Grunde ebenso- wenig für oder gegen die myogene Theorie, wie die an sich so wertvollen Versuche von Me William,“ Krehl und E. Romberg,° Langendorff,® ! Engelmann (1896), Über den Ursprung der Herzbewegungen und die physio- logischen Eigenschaften der großen Herzvenen des Frosches. Pflügers Archiv. Bd. LXV. S. 109. ? Derselbe, Sur la maniere dont lP’exitation se propage dans le muscle car- diaque. Zxtrait des Arch. Neerlandaises. p. 4. ® Gaskell (1882), On the rhythm of the heart of the frog and on the nature of the action of the vagus nerve. Philos. Trans. London. Vol. CLXXIII. p. 993, vgl. auch Proc. Roy. Soc. Nr. 217. Vol. XXXIII. p. 199. 1881. * Me William (1888), On the rhythm of the mammalian heart. Journ. of Physiol. No EIX ap era 5 Krehl und Romberg (1892), Archiv für experiment. Pathologie u. Pharmako- logie. Bd. XXX. 8. 49. ° Langendorff (1901), Eine neue Methode zur Messung der Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Erregung im Herzmuskel. Sitzungsberichte der naturforschenden Gesellschaft Rostock. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 25 Schlüter! u. a., welche die Stelle dieses Zentrums am Warmblüterherzen mit Glück zu bestimmen versuchten. Ja, Gaskell spricht in seiner Arbeit ausdrücklich davon, daß er die Reizerzeugung in die Ganglienzellen verlege. Aus den Erwärmungsversuchen geht im Gegenteil evident hervor, daß der Vorgang der Reizerzeugung sicher auf keinen Fall so sein kann, wie ihn Engelmann sich deutet. Engelmann nimmt bekanntlich an, daß die rhythmische Reizerzeugung an sich eine Eigenschaft sei, die allen Muskel- fasern mehr oder weniger zukommt und daß der Rhythmus der Sinusfasern nur deshalb prädominierend wird, weil sie im schnellsten Rhythmus arbeiten. Wäre dies richtig, so müßte, wenn man durch lokale Erwärmung anderer Stellen als des Sinus deren Rhythmus genügend beschleunigt hätte, plötzlich ein schnellerer Rhythmus des ganzen Herzens einsetzen, nämlich dann, wenn der Rhythmus dieser erwärmten Stellen so frequent geworden ist, daß er den Sinusrhythmus an Frequenz übertrifft. Der Umstand, daß dies nicht möglich ist, weist mit Notwendigkeit darauf hin, daß der Vorgang der Reizerzeugung komplizierter sein muß, als es der Beschreibung durch die myogene Lehre entspricht. Auch Lohmann? konnte nur nachweisen, daß bei Schildkröten der spontane Rhythmus häufig nicht vom Sinus ausgeht, sondern von irgend- welchen Stellen des Ventrikels; welche dies waren und ob insonderheit dort Ganglienzellen liegen, ließ sich nicht bestimmen. Ebenso belanglos für die hier interessierende Frage sind die Versuche, welche Gaskell,? Wooldridge,* Tigerstedt,° Krehl und Romberg® an der isolierten Herzspitze des Frosches, Me William” an der Herz- spitze von Fischen, Wesley Mills® an der des Menobranchus, Wittich,? ı Schlüter (1902), Die Reizleitung im Säugetierherzen. Pflügers Archiv. Bd. LXXXIX. 8. 87. 2 Lohmann (1897), Über den Sitz der automatischen Erregung im Herzen. Pflügers .drehiv. Bd. CXX. 8. 420. ° Gaskell (1880), On the tonieity of the heart and bloodvessels. Journ. of Physiol. Vol. III. p. 48—75. Pl. I-II. * Wooldridge (1883), Über die Funktionen der Kammernerven des Säugetier- herzens. Dies Archiv. Physiol. Abtlg. 8. 522. 5 Tigerstedt (1884), Über die Bedeutung der Vorhöfe für die Rhythmik der Ventrikel des Säugetierherzens. Ebenda. Physiol. Abtlg. S. 497 - 517. ®6 Krehl und Romberg (1892), Über die Bedeutung des Herzmuskels und der Herzganglien für die Herztätigkeit des Säugetiers. (Medizin. Klinik zu Leipzig.) Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XAX. S. 49—92, 157—158. ” William (1885), On the structure and rhythm of the heart in fishes, with especial reference to the heart of the eel. Journ. of Physiol. Vol. VI. p. 192—245. Pl. VI. ® Mills (1886), The heart of the Fish compared with that of Menobranchus etc. Ebenda. Vol. VII. p. 81-95. ° v. Wittich (1859), Über die Abhängigkeit der rhythmischen Bewegungen des Herzens von den Herzganglien. Königsberger Medizin. Jahrbücher. I. S. 15. 26 GEORG FR. NICOLAT: Wooldridge (a. a. O.), Tigerstedt (a. a. O.) und Krehl und Romberg (a. a. 0.) an der von Warmblütern anstellten. Es beweist gar nichts, daß die Herzspitze auch spontan pulsieren kann, denn die Herzspitze enthält ja, wie auf S.11 u. 12 gezeigt, ebenfalls Ganglienzellen — nur relativ wenig, und es liegt nahe, diese geringe Zahl damit in Verbindung zu bringen, daß diese Versuche, wie Engelmann selbst (a. a. O.) sagt, nur „unter ge- wissen, von den normalen nur wenig abweichenden Bedingungen“ gelingen (siehe die Deutung dieses Befundes unten 8. 30). Endlich gilt dasselbe auch für die Versuche von Verhoeff! und Engelmann,? die spontane Pulsationen am Bulbus arteriosus von Fröschen zeigen konnten, denn auch hier sind, wie schon erwähnt, vor allem von Bethe und Carlson zahlreiche Ganglienzellen nachgewiesen. Weiter gehören hierher die Angaben, daß 1. ganglienfreie Herzstücke rhythmisch pulsieren, besonders Vorhofsstücke; 2. daß die Herzen nach Herausnahme der Ganglien weiter pulsieren. ad 1 kämen die schon erwähnten Untersuchungen an Herzspitze und Bulbus arteriosus nicht mehr in Betracht. Im übrigen liegt nur die Angabe von Engelmann? ($.120) vor, daß Stücke der oberen Hohlvene des Frosch- herzens, die sich bei nachheriger mikroskopischer Untersuchung als ganglien- zellenfrei erwiesen, rhythmisch pulsiert haben, doch ist, wie schon mehrfach erwähnt, die mikroskopische Nachprüfung nur mit ungenügenden Methoden ausgeführt. Langendorff, der an sich der myogenen Theorie sehr sympathisch gegenübersteht, hat also ganz recht, wenn er (a. a. O. S. 325) sämtliche dies- bezüglich bekannten Tatsachen in die Worte zusammenfaßt, daß Teile des Herzmuskels bei fast allen bisher untersuchten Wirbeltieren eine selbständige, durch keinerlei äußere Reize geweckte Tätigkeit nur dann entfalten, wenn sie Ganglienzellen enthalten. In der Tat, nichts kann unberechtigter sein und den Beobachtungen mehr widersprechen als die Behauptung, daß jedes Stück des Herzens, ob ganglienhaltig oder nicht, der automatischen Tätig- keit fähig sei. ad 2 geben Krehl und Romberg* nur an, daß sie „nach Abtrennung so gut wie aller ganglienhaltigen Teile“ (Hofmann a. a. O. S. 4) Pulsationen 1 Verhoeff (1882), Histiologische en physiologische bijdragen tot de kennis van den bulbus aortae van het kikvorschhart. Onderzoek. etc. Utrecht. (3) VII. p. 149—191. ? Engelmann (1882), Der Bulbus aortae des Froschherzens, physiol. untersucht in Gemeinschaft mit I. Hartog und 1.1. W. Verhoeff. Pflügers Archiv. Bd. XXIX. Ss. 431— 474. ® Derselbe (1897), Ursprung der Herzbewegungen usw. Ebenda. Bd.LXV. 8.109. * L. Krehl und-E. Romberg (1892), Über die Bedeutung des Herzmuskels und der Herzganglien für die Herztätigkeit der Säugetiere. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXX. 8. 49. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 27 sahen. Viel bestimmter lauten die Angaben von Gaskell! und von F.B. Hofmann,” daß man das Remaksche Ganglion entfernen könne, ohne daß das Herz stillsteht. Weitere diesbezügliche Angaben existieren in der Literatur nicht. Anderseits berichtet Eckhard,? daß nach dem Anschneiden der Atrioventrikularganglien der Ventrikel kürzere oder längere Zeit (bis zu 10 Minuten) diastolisch still steht, und daß die Koordination dauernd auf- gehoben ist. Auch Marchand* sah, daß die Fortnahme der Bidderschen Ganglien die Pulse der mit dem Vorhof noch völligzusammenhängenden Kammer aufhebt. Ebenso sah Löwit? Aufhebung der Erregungsleitung nach Entfernung der Bidderschen Ganglien, auch Dogiel und Archangelsky berichten über Versuche, die mit den Ergebnissen Gaskells und Hofmanns nicht in Übereinstimmung zu bringen sind (vgl. darüber auch $ 11 8. 50). Langendorff (a. a. O. S. 330) referiert dann auch die Hofmann- schen Versuche nur mit einem Fragezeichen, aber Hofmann (2.2.0. 8.4) hält seine alte Angabe aufrecht, und wir wollen sie auch keinen Augen- blick bezweifeln, wir wollen diesem Forscher seine eigenen Anschauungen über die Verteilung von Ganglienzellen entgegenhalten, die wir auf S. 14 wörtlich wiedergegeben haben. Darnach ist das Remaksche Ganglion doch nur eine Verdichtung des in der Scheidewand und in den ganzen Vor- höfen gelegenen ganglienhaltigen Plexus. Es ist also durchaus nicht über- raschend, wenn seine Entfernung — d.h. also die Entfernung eines Teiles dieses Plexus — unter Umständen keinen direkt nachweisbaren Erfolg hat. Die von Engelmann mit so viel Verve verfochtene Ansicht ist eben richtig, daß der Herzreiz an sehr vielen Stellen entstehen kann, und ohne Zuhilfe- nahme des Elektrokardiogramms kann man, wie ich schon anderweitig mehr- fach ausgeführt habe, den normalen Schlag nicht vom anomalen unterscheiden. Daß im allgemeinen nach Abtrennung des Sinus die rhythmischen Pulsationen von der Vorhofventrikelgrenze ausgehen, wird allseitig zuge- geben. Der zweite Stanniussche Versuch zeigte dies bereits, Munk® konnte hinzufügen, daß ein Stich in diese Gegend dasselbe tut, wie die Ab- ı W.H. Gaskell (1893), On the innervation of the heart, with special reference to the heart of the tortoise. Journ. of Physiol. Vol. IV. p. 43. 2 Hofmann (1895), Über die Funktion der Scheidewandnerven des Froschherzens. Pflügers Archiv. Bd. LX. S. 142. °C. Eckhard, Einige neue Beobachtungen über die Herznerven. Beiträge. BUN IRHES. 193: * Marchand (1877 u. 1878), Beiträge zur Kenntnis der Reizwelle und Kontrak- tionswelle des Herzmuskels. Pflügers Archiv. Bd. XV. S.511 und Bd. XVII. S. 137. > M. Löwit (1830), Beiträge zur Innervation des Froschherzens. I. Zbenda. Bd. XXIII S. 340. ° H. Munk (1876), Zur Mechanik der Herztätigkeit. Verhandl. der physiolog. Gesellschaft zu Berlin. 25.11. 1876. Dies Archiv. Physiol. Abtlg. S. 569. 28 GEORG FR. NIcouAa1I: klemmung, und am schönsten läßt es sich wohl demonstrieren, wenn man mit einem einzigen Induktionsschlag das stillstehende Herz an der Atrio- ventrikulargrenze reizt und nun eine lange, allmählich in der Frequenz abklingende Reihe von bis zu 100 Pulsationen beobachtet. Die Reizung keiner anderen Stelle des Herzens hat solchen Erfolge. Engelmann hat durch genaue zeitliche Bestimmungen der Vorhof- und Ventrikelsystole fest- stellen können, daß die betreffenden Reize von einer zwischen Vorhof und Ventrikel gelegenen Stelle ausgehen müßten. Lohmann hat dasselbe bei Tieren mit freigelegtem Herzen unter sonst ganz normalen Verhältnissen beobachtet, und Kraus und ich konnten zeigen, daß manche der beim Menschen unter pathologischen Bedingungen vorkommenden, sogenannten Extrasystolen ebenfalls von dieser Stelle ausgehen, weil das Elektrokardiogramm' dieser Extrasystolen im Gegensatz zu dem aller anderen Extrasystolen einen normalen Erregungsablauf zeigt — abgesehen von der in diesen Fällen fehlenden Vorhofschwankung. Über die Anwesenheit eines „Zentrums“ an der Vorhofventrikel- grenze herrscht also Einigkeit. Fraglich ist nur, ob es von Ganglienzellen (also speziell von den Bidderschen Ganglien) oder von Muskeln (also spe- ziell von dem Hisschen Bündel) gebildet wird. Der einzige Versuch, hier- über Klarheit zu schaffen, ging von W. Ewald! aus, der unter Bernstein und Tschermak arbeitend nach der Munkschen Methode diese Gegend durch Stich reizte und in histologischer Nachprüfung dann untersuchte, was verletzt war. Er fand in allen 29 Fällen den Hisschen Atrioventri- kulartrichter verletzt, nur zweimal waren die Bidderschen Ganglien ge- troffen. Der Verfasser läßt es allerdings ausdrücklich offen, „ob es die nervösen oder muskulösen Elemente des Atrioventrikulartrichters sind, welche die Kontraktionsfolge bedingen“, doch neigt er offenbar der letzteren An- sicht mehr zu. Allerdings dürfte es schwierig sein festzustellen, was Ewald eigentlich unter dem Bidderschen Ganglion versteht. Es ist ja sicherlich richtig, daß, wie Hofmann (a. a. 0. S. 14) ausführt, die mit Namen be- legten Ganglienknoten nur besonders stark ausgeprägte Anhäufungen in dem großen Ganglienzellenstrang darstellen, der vom Sinus zum Ventrikel führt, aber das, was Ewald in seiner einzigen, nicht sehr klaren Zeichnung fast in der Mitte der Vorhofscheidewand als Biddersches Ganglion abbildet, dürfte kaum das sein, was andere Autoren darunter verstehen. Ich möchte diese kurze Übersicht über die hierhergehörigen Arbeiten nicht schließen, ohne auf eine — heute wohl fast vergessene — literarisch ı W. Ewald (1901), Ein Beitrag zur Lehre von der Erregungsleitung zwischen Vorhof und Ventrikel des Froschherzens. Hallenser Dissertation. Vgl. auch (1902) Pflügers Arckw. Bd. XC. 1/2. S. 21. | DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 29 bemerkenswerte Tatsache hinzuweisen. Wie schon erwähnt, hat Engelmann viel über die Reizerzeugung im Herzen gearbeitet, und dieselben Tatsachen, die er ursprünglich, ehe er durch die Gaskellschen Publikationen zu der entscheidenden Wendung seines Lebens gedrängt worden ist, als Stütze der neurogenen Theorie verwertet hat, dienten ihm später als „myogene Tatsachen“. Noch in dem eigentlichen Geburtsjahr der neomyogenen Lehre, im Jahre 1882, als Gaskell gerade seine bedeutsamen Anschauungen publi- zierte, die er am Schildkrötenherzen gewonnen hatte — schreibt Engel- mann wörtlich (1882 a. a. O. S.455): „Alle Teile des Herzens, welche motorische Nervenzentren, Ganglien enthalten, also Sinus, Vorkammer, Kammer, Kammerbasis oder Fragmente von diesen, wenn sie Ganglien bergen, klopfen nach Isolierung mit der Schere oft lange Zeit mit etwa der gleichen, ja auch wohl mit größerer Frequenz als das normale Herz“ . „ganglienfreie Stücke Kammermuskel dagegen bleiben auf die Dauer in Ruhe oder zucken bei Ernährung mit Blut oder Blutserum doch nur mit äußerst geringer Frequenz.“ Es ist verwunderlich, daß der ältere Engelmann diese tatsächlichen Feststellungen seiner eigenen Jugend schon 1397 in seinem zusammenfassenden Referat nur ganz bei- läufig und mit anderer Betonung, 1903 aber überhaupt nicht mehr erwähnt. Ebenso übergeht er später seine wertvollen tatsächlichen Feststellungen vom Jahre 1878 mit Stillschweigen. Er hatte sie damals (1878 S. 74) dahin zusammengefaßt, daß der von ihm nachgewiesene Beginn der Er- regung an der Basis in Übereinstimmung wäre mit der anatomischen Tat- sache, daß nur an und in der Nähe der Basis Nervenendzweige in den Muskelbündeln sich nachweisen lassen. Es ist aber notwendig, diese frühen Arbeiten der Vergessenheit zu entreißen, denn die in ihnen erkennbare experimentelle Geschicklichkeit und kritische Durcharbeitung der gewonnenen Ergebnisse wird auch dann noch vorbildlich bleiben, wenn vielleicht längst die myogene Theorie nur noch historisches Interesse besitzt. Aber dieser Umstand ist ein Hinweis und Symbol dafür, daß in den dazwischenliegenden 20 Jahren die myogene Lehre den Tatsachen immer fremder geworden war und dafür mehr und mehr den Charakter einer konstruierten Theorie angenommen hatte. Und doch ist die ursprüngliche Engelmannsche Ansicht klar und einfach verständlich und muß sich jedem aufdrängen, der die Tatsachen unbefangen ansieht: Die topographische Verteilung der Ganglien- zellen und die Topographie des Spontanitätsgrades der einzelnen Herzabschnitte ergeben dasselbe Bild, und dies weist darauf hin, daß Ganglienzellen und Spontanität auch ihrerseits im Zu- 30 GEORG FR. NIcoLAr: sammenhang stehen. Man bedarf daher jener Hilfshypothese gar nicht, die wohl Kronecker! 1896 zuerst aufgestellt hat, daß möglicherweise dem hypothetischen intramuskulären Nervennetz der Charakter von nervösen Zentralorganismen zukomme. Bethe (a. a.0. S. 328ff.) hat diese Möglichkeit eifrig verfochten und auch F. B. Hofmann (1903 a. a. O.S. 4) hält sie für diskutabel, aber danach würde sich dieselbe Schwierigkeit wie für die my- ogene Theorie ergeben; warum schlägt die Herzspitze, die doch auch Muskeln und auch Nervennetze hat, nicht spontan oder doch eigentlich nur unter Be- dingungen spontan, unter denen der Skelettmuskel auch rhythmisch schlägt? Die einzig mögliche Antwort hierauf kann doch nur sein: weil sie weniger Ganglienzellen besitzt. Da hypothetisch eine Ganglienzelle genügen würde (und auch viel- leicht unter Umständen genügt), um eine Pulsation auszulösen, könnte es scheinen, als wäre diese Erklärung gesucht. Nun läßt es sich aber gerade am Herzen einwandfrei nachweisen, daß „wenige Ganglien nicht genügen“, um Automatie zu erzeugen. Schon Patten und Redenbaugh’ hatten gezeigt, daß — ähnlich wie am Säugetierherzen — auch am Limulusherzen die meisten Ganglienzellen am venösen Ende angehäuft sind. Carlson®? wies nun nach, daß dementsprechend auch nur vom hinteren (venösen) Ende des Nerven- strangs Reize ausgehen. Also auch hier ist es wie am Wirbeltierherzen: Die Automatie ist annähernd proportional der Zahl der Ganglienzellen — der Unterschied besteht nur darin, daß es sich am Limulus beweisen läßt, daß die Ganglienzellen der Ursprungsort der Reize sind. Bei dieser Über- einstimmung in den numerischen Verhältnissen scheint es nicht einmal notwendig, wie Carlson es tut, von den höheren Graden der Automatie in den Ganglienzellen des venösen Herzendes zu sprechen. $ 7T. Bei den wirbellosen Tieren ist die neurogene Natur des Herzschlages erwiesen (Bl). Je unbestimmter die Resultate der direkten Versuche am Wirbeltier waren, desto eifriger hat man auf Grund von Analogien die myogene Natur der Herz- reize zu erweisen versucht; einmal stützte man sich darauf, daß die Herzen vieler wirbelloser Tiere, insbesondere von Mollusken, Arthropoden und Tuni- katen keine Ganglienzellen enthalten. Diese von Brandt,‘ Eckhard,’ 1 Kronecker (1896), Über Störungen der Koordination des Herzkammerschlages. Zeitschrift für Biologie. N.F. Bd. XXXIV. S. 529, vgl. S. 600. ? Patten und Redenbaugh (1899), Studies on Limulus. Journ. of Morphol. Vo]: DOVIrEp ® Carlson (1905), Americ. Journ. of Physiol. Vol. XIV. p. 16 (vgl. S. 32). * Brandt (1865), Physiologische Beobachtungen am Herzen des Flußkrebses. Melang. biolog. tires du Bullet. de lacad. imper. de St. Petersbourg. Derselbe (1866), Mitteilungen über das Herz der Insekten und Muscheln. Hbenda. 7. NT. p. 101. 5 Eckhard (1866), Zaxperimentalphysiologie des Nervensystems. Gießen. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 31 Foster und seinen Schülern, Schönlein,? Biedermann? und Knoll* gemachten Angaben scheinen nun wenigstens teilweise richtig zu sein, wenn auch im Sehneckenherzen, das Biedermann (a. a. O.) sowie Foster und Dew-Smith (a. a. O.) für ganglienfrei hielten, Ganglienzellen durch Ransom° und J. M. Dogiel einwandfrei nachgewiesen sind. Aber an anderen Herzen sind diese negativen Angaben in ausgedehnten Versuchsreihen von Carl- son® bestätigt worden; dieser Forscher konnte jedoch gleichzeitig zeigen, daß diese Tatsache nicht für, sondern gegen die myogene Theorie spricht. Insonderheit sind seine Versuche am Limulusherzen beweisend; dies Herz ist langgestreckt (15 bis 20 = lang, 2.5” dick), aus neun Segmenten zu- sammengesetzt und enthält keine Ganglienzellen. Die auch hier vorhandenen Herzganglien liegen vielmehr dem Herzen alle äußerlich auf und sind auf seiner dorsalen Seite in einem mediangelegenen Strang angeordnet, der durch Nerven mit dem Herzen verbunden ist. Dieser Umstand bietet die Mög- lichkeit, die sonst im ganzen Tierreich nicht vorhanden ist, die Ganglien- zellen von den Muskelzellen in einwandfreier Weise zu trennen, und zwar, was wichtig ist, ohne dabei die Muskulatur bzw. den Ganglienapparat irgend- wie zu verletzen. Wenn man die Trennung vornimmt, so zeigt es sich ganz unzweifelhaft, daß die rhythmische Tätigkeit des dorsomedianen Nerven- stranges, der einen in die Länge gezogenen Ganglienherd darstellt und sämtliche Ganglienzellen des Herzens enthält, die Ursache für den nor- malen Herzrhythmus ist, denn in dem Momente der Trennung hört die rhythmische Tätigkeit auf, und zwar dauernd auf, so daß man nicht ein- mal von einer etwaigen Shockwirkung sprechen konnte. Man kann mit ! Foster (1872), Über einen besonderen Fall von Hemmungswirkung. Pflügers Archiv. Bd. V. 8. 191—19. Foster and Dew-Smith (1875), On the behavior of the hearts of mollusks under the influence of electrie eurrents. Proc. Roy. Soc. London. p. 318—343. Foster (1877), Die Muskeln und Nerven des Herzens bei einigen Mollusken. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XIV. 8. 317—321. Foster and Dew-Smith (1886), The effeet of the constant current on the heart. Journ. of Anat. and Physiol. Vol. X. p. 735—771. ?2 Schönlein (1893), Über das Herz von Aplysia limacina. Zeitschrift für Bio- logie. Bd. XXX. S. 187—220. 3 Biedermann (1884), Über das Herz von Helix pomatie. Sifzungsderichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaft. Wien. Bd. LXXXIX. II. Abtlg. Jan. 5. 19—55. * Knoll (1893), Über die Herztätigkeit bei einigen Evertebraten und deren Be- einflussung durch die Temperatur. Zbenda. (3.) Bd. CII. Oktober. S. 387—405. 5 Ransom (1884), On the cardiac rhythm of invertebrata. Journ. of physiology. Vol. V. p. 261—341. % Carlson (1905), The nervous origin of the en beat in Limulus and the nervous nature of coordination and conduction in the heart. mr, ic. Journ. of Physiol. VORTEIL p: 617. 32 GEORG FR. NIcoLar: Recht sagen, daß diese, so wie die weiter unten zu erwähnenden Arbeiten auf unserem Gebiete revolutionierend gewirkt haben. Noch in demselben ‚Jahre, in dem Carlsons Arbeiten erschienen sind, berichtet Heinz (a.a.0. S. 703), ohne Kenntnis von ihnen zu haben, sehr ausführlich über die ver- gleichende Anatomie des Herzens und der glattmuskeligen Organe über- haupt und erwähnt dabei die zahlreichen anatomischen Arbeiten, die Carl- son schließlich doch nur bestätigt hat, überhaupt nicht, trotzdem Bethe sie wenigstens teilweise schon zusammengestellt hatte. So mächtig war die Autorität von Engelmanns Essig-Glyzerinmethode. Seit Carl- sons Arbeiten aber zweifelt niemand mehr, daß die Anatomen wenigstens auf ihrem Gebiete sachverständig sind. Und wie man auch über die Frage „myogen oder neurogen“ denkt, man muß zugeben, daß hierdurch zweifels- ohne die Polemik sachlicher geworden ist. Da also diese Arbeiten aus dem angedeuteten Grunde augenblicklich die wichtigste Basis für unsere Kenntnis von der Entstehung der Herzreize bilden, sei es erlaubt, dieselben etwas ausführlicher zu referieren, um zu- gleich eine Anschauung davon zu geben, auf welch reiche Fülle von Material Carlson seine Ansichten stützen kann, und ein wie reiches Material Carl- son durchmustert hat, ehe er im Limulus das geeignete Objekt fand. Zuerst bringt Carlson in mehreren Arbeiten! Untersuchungen über die Innervation der Herzen der verschiedensten Mollusken, insonderheit der Lamellibranchier, Chitonen, Prosobranchier, Tektobranehier, Nudibran- chier, Pulmonaten und Kephalopoden, von denen meist viele verschiedene Arten untersucht sind. — Die Gesamtheit seiner an den Molluskenherzen gesammelten Erfahrungen faßt er selbst in folgender Weise zusammen. Bei allen untersuchten Muscheln (mit Ausnahme von Mytilus, wo die Resultate nicht eindeutig sind) erhalten die Vorhöfe und der Ventrikel vom Viszeral- ganglion her herzhemmende Fasern, die an der Basis der Vorhöfe ein- treten. Bei den Gastropoden besitzen die Herzen der Prosobranchier und der Tektibranchier akzeleratorische Nerven, die von den Viszeralganglien — bzw. bei den Chitonen vom Pleuroviszeralstrang — ausgehen. Bei dem Nudibranchier Triopha scheinen auch Hemmungsnerven vorhanden zu sein. Bei den Pulmonaten ist die Innervation der Vorhöfe sehr einheitlich: es existieren hemmende und beschleunigende Nerven, die vom Subösophageal- oder Pleuralganglion an die Vorhofsbasis ziehen; größere Verschiedenheiten zeigt die Innervation des Ventrikels: derselbe besitzt bei Helix und bei Ariolimax (am Aortenursprung eintretende) akzeleratorische und inhibito- rische Nerven, von denen bei Helix die letzteren, bei Ariolimax die ersteren den überwiegenden Einfluß besitzen; dagegen scheint der Ventrikel von Limax " Carlson, Comparative Physiology of the invertebrate heart. — II. The func- tion of the cardiac nerves in mollusks. Americ. Journ. of Physiol. 1905. Vol. XIH. Nr V.2p.7396. Derselbe, Comparative Physiology of the invertebrate heart. — Part. III. Physiology of the cardiae nerves in mollusks. Zbenda. Vol. XIV. Nr. 1. p. 16. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HerrzscHLAGs. 33 bloß Hemmungsfasern zu erhalten, die durch die Vorhofswände hingelangen. Bei den Kephalopoden besitzen das systematische Herz, das Kiemenherz und wahrscheinlich auch die pulsierenden Partien der Nierenvenen Hemmungs- nerven, welche von den beiden Viszeralkommissuren stammen. Daneben scheinen auch akzeleratorische Fasern vorzukommen. Von Arthropoden hat Carlson! dann — außer der schon erwähnten Arbeit über das Limulusherz — vor allem noch die Herzen von Palinurus, Polyphemus, Dietyphorus retieulatus und von der Tarantel eingehend ana- tomisch geprüft. Ähnlich, wie es Conant und Clark für Maja beschrieben haben, so ist das Herz auch bei Palinurus mit inhibitorischen und akzelera- torischen Nerven versehen, die vom vorderen Ende des Ganglion thoracicum ausgehen. Bei Polyphemus, Dietyphorus und bei der Tarantel bewirkt Reizung des Gehirnes Beschleunigung des Herzrhythmus, und zwar auch, wenn alle Hirnnerven bis auf die beiden großen Kommissuren zum Ganglion thora- ciecum durchschnitten sind. Reizung der Kommissuren und des Ganglions selbst hat den nämlichen Effekt. Daß diese Beschleunigung nicht auf die bei der Reizung des Gehirns, der Kommissuren oder des Ganglions ein- tretenden Kontraktionen der Körpermuskeln bzw. Atembewegungen zurück- zuführen ist, läßt sich bei Dietyphorus ziemlich überzeugend dartun. Ob auch von den Abdominalganglien akzeleratorische Nerven ausgehen, ver- mochte Verfasser nicht festzustellen. Bei Dietyphorus scheinen neben den beschleunigenden auch inhibitorische Herznerven zu existieren. Das Haupt- zentrum der Automatie ist beim Herzen des Dietyphorus in den hinteren zwei Dritteln des Organes gelegen, ähnlich wie dies beim Limulusherzen der Fall ist, doch ist hier eine Trennung zwischen Nervösem und Muskulösem nicht so leicht wie beim Limulus. Immerhin beweist es, daß das letztere Herz keine Sonderstellung einnimmt. Durch diese Arbeiten glaubte Carlson die neurogene Natur des Herz- schlages bei den wirbellosen Tieren erwiesen zu haben. In seinen folgenden Arbeiten? versuchte er dann zu zeigen, daß der Herzmuskel der wirbellosen Tiere alle jene charakteristischen Eigenschaften aufweist, welche das Herz der Wirbeltiere vor anderen Muskeln auszeichnen. Seine Absicht ist es, ! Carlson, Comparative physiology of the invertebrate heart. — IV. The physio- logy of the cardiac nerves in the arthropodes. Americ. Journ. of Physiol. Nr. 2. p. 127. ?2 Derselbe, Comparative physiology of the invertebrate heart. — V. The heart rhythm under normal and experimental conditions. Zbenda. Vol. XVI. Nr.1. p.47. Derselbe, Comparative physiology of the invertebrate heart. — VI. The ex- eitability of the heart during the different phases of the heart beat. Zbenda. Vol. XVI. Neskep. 617: Derselbe, Comparative physiology of the invertebrate heart. — VII. The re- lation between the intensity of the stimulus and the magnitude of the contraction. Ebenda. Vol. XVI. Nr. 1. p. 85. Derselbe, Comparative physiology of the invertebrate heart. — VIII. The in- hibitory effeets of the single induced shock. Zbenda. Vol. XVI. Nr. 1. p. 102. Zusammengefaßt sind diese und andere Arbeiten Carlsons in seinem Sammel- referat: Vergleichende Physiologie der Herznerven und der Herzganglien bei den Wirbel- tieren. Zrgebnisse der Physiologie. 8. Jahrgang. S. 371. (1909.) Archiv f. A,u. Ph, 1910. Physiol. Abtlg. 3 34 GEORG FR. NIcoLar: dadurch plausibel zu machen, daß ebenso, wie für das Herz der Wirbel- losen, wo der neurogene Ursprung beweisbar ist, auch für das Herz der Wirbeltiere die neurogene Lehre zu Recht besteht. So zeigt er im einzelnen, daB mechanische Spannung der Herzwände und Erhöhung des Innendruckes bei Wirbeltieren und Wirbellosen gleich- mäßig als Herzreize wirken: Für Limulus aber hat er gezeigt, daß diese Wirkung nach Entfernung der Herzganglien aufhört. So zeigt er, daß die Änderungen in der Reizbarkeit und Kontraktionsfähigkeit (bathmotrope und und chronotrope Änderung nach Engelmann) während der verschie- denen Phasen des Herzschlages in allen Tierklassen wesensgleich sind und nur in der Intensität variieren, so daß im ganzen bei den Wirbeltieren ein stärkerer Abfall in der Erregbarkeit beim Beginn und während der Systole stattfindet. Doch sind bei Tunikaten und einigen Mollusken ebenfalls sehr große Unterschiede bemerkt, und nur bei den Arthropoden ändert sich die Erregbarkeit sehr wenig. Auch das Alles- oder Nichtsgesetz gilt für die Wirbellosen, wenn es auch hier schwerer zu bestätigen ist, weil die ge- ringsten Veränderungen ganz andere Bedingungen schaffen. Auch die Tat- sache, daß ein Induktionsschlag mäßiger Stärke, der das pulsierende Herz im Anfang der Systole trifft, die Stärke derselben mindert, ohne notwendiger- weise Kraft oder Frequenz der folgenden Pulsationen zu affizieren, ist (7) bei Mollusken und Arthropoden wiedergefunden, nur sind hier die Tonus- verhältnisse ganz andere als bei Wirbeltieren, was im einzelnen manche Ab- weichungen bedingt. Für das Herz der Wirbeltiere und speziell für das Limulusherz ist der Nachweis der neurogenen Natur der Herzreize einwandfrei mit physio- logischer Methodik erbracht, und wir müssen, wenn wir uns über die Kon- sequenz dieser Tatsache klar werden wollen, bedenken, daß dies der einzige Fall ist, wo überhaupt auf Grund einwandfreier Methoden etwas über die Natur des Herzreizes ausgesagt ist. Trotzdem. bleibt der Analogieschluß bedenklich, und wir können nicht ohne weiteres von den Wirbellosen auf die Wirbeltiere schließen. Wenn man aber daraus irgendeinen Schluß zieht, so kann dieser nur dahin lauten: die Erregung entsteht neurogen. $ 8. Die embryologischen Tatsachen sind nicht allein durch die myogene Theorie erklärbar. (B2). Dem embryologischen Beweis für die myogene Theorie, der darin be- steht, daß embryonale Herzen schlagen und manche für die Herzmuskeln charakteristische Eigenschaften zeigen, ehe in ihnen Ganglien oder Nerven- fasern nachweisbar sind, wurde von mancher Seite die größte Bedeutung zugeschrieben; ja Friedenthal! geht in seinem Enthusiasmus so weit, ! Friedenthal (1902), Beitrag zur Frage nach den Beziehungen des Nerven- systems zum Automatismus des Herzens. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XV. 8. 619. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 35 daß er schreibt, „nunmehr könne man nicht mehr von ‚einer Theorie‘ reden, sondern der myogene Ursprung des Herzautomatismus sei eine Tat- sache.“ Nun — versuchen wir das, was daran Tatsache ist, herauszu- schälen. Beim Hühnchen sieht man das Herz schon 36 Stunden nach dem Beginn der Bebrütung als „punetum saliens“, während die erste Anlage der Herzganglien erst am 6. Tage auftritt. Um diese zuerst von Wagner,! später von Preyer? behauptete Tatsache haben sich neben Pickering? und Botazzi* insbesondere Fano° und W. His jun.® große Verdienste er- worben. Vor allem die sehr exakten entwicklungsgeschichtlichen Unter- . suchungen des letztgenannten Forschers, der das Einwandern der Ganglien- zellen direkt beobachten konnte, erlauben als sichere Basis allen Überlegungen die Tatsache zugrunde zu legen, daß das embryonale Herz ohne Ganglien- zellen schlägt. Auch für andere Tiere ist heute der Nachweis erbracht, daß das Herz schon schlägt, ehe Ganglienzellen da sind. His selbst hat dies für Fische, Frösche und Katzen, St. Paton’ neuerdings für Selachier- herzen erwiesen und v. Tschermak® konnte letzteres bestätigen. (Das frühe. Auftreten von Herzpulsationen ist — allerdings ohne Beziehung ı Wagner (1850), Neue Versuche über das Verhältnis der Innervation zur Muskel- irritabilität mit besonderer Rücksicht auf Herzbewegung. Berichte der kgl. Gesell- schaft der Wissenschaften Göttingen. S. 41. 2 W. Preyer, Spezielle Physiologie des Embryos. S. 26. Leipzig 1885. 3J. W.Pickering (1893), Observations on the physiology of the embryonic heart. Journ. of physiol. Vol. XIV. p. 383, vgl. auch ebenda. Vol. XVII. p. 470. (1895) und Vol. XX. p. 164 (1896). * Botazzi (1885), Sullo sviluppo della funzione cardiaca nel embrione. Zo Speri- mentale. \gl. auch (1889) Zentralblatt für Physiologie. S. 325. Derselbe (1896), Über die postkompensatorische Systole. Zentralblatt f. Physiol. S. 401. Vgl. auch 1897. Arch. Ital. de biol. T. XXVI. p. 443. 5 Fano (1890), Sulla fisiologia del euore embrionale del pollo nell primi stadi dello sviluppo. Arch. per le sc. mediche. XIV. No.6. p. 113. Vgl. auch Arch. Ital. de biologie. T. XIII. F. 3. p. 387. % His jun. (1891), Die Entwicklung des Herznervensystems bei Wirbeltieren. Physik. Kl.d. Kgl. Sächs. Akad. d. Wiss. XVII. 8.1. Derselbe (1892), Recherches sur la physiologie du coeur embryonnaire chez les mammiferes. Arch. des sciences phys. et nat. T. XXVIII. nv. 548. Derselbe (1893), Die Tätigkeit des embryonalen Herzens. Arbeiten der med. Klinik Leipzig. S. 14. ” St. Paton (1908), The reactions of the vertebrate embryo to stimulation and the associated changes in the nervous system. lungen der zoolog. Station zu Neapel. Bd. XVII. S. 535. 8 v. Tschermak (1909), Physiologische Untersuchungen am embryonalen Fisch- herzen. Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Math.-naturw. Kl. Bd. CXVIII. III. 3*+ 36 | GEORG FR. NICOLA: auf das Nervensystem — schon früher von Marceau! behauptet worden.) Auch für den Menschen liegt die schon recht alte Beobachtung von Pflüger? vor, wonach ein Menschenherz schon vor Ablauf der 3. Woche schlägt, trotzdem nach His und Romberg? die Ganglienzellen erst in der 5. Woche einwandern. Zwar ist ein großer Teil dieser Untersuchungen nicht mit den mo- dernsten Methoden angestellt, und Bethe wendet daher gegen sie ein, daß sie keinen Aufschluß darüber gäben, ob im Herzen marklose Nervenfasern und jene kleinen von ihm besonders in der Herzspitze des Erwachsenen beobachteten Ganglienzellen vorhanden sind oder nicht. Doch haben Carl- son und Meck* auch im Limulusherzen beim Beginn seiner Tätigkeit, trotzdem diese erst nach 22 Tagen einsetzt, noch keine Nervenelemente gefunden, geben aber selbst an, daß sie ihren Untersuchungen keinen defini- tiven Wert beimessen. - | Bei dieser Sachlage dürfte eine andere neuere Arbeit nicht unwichtig sein, die die analogen Verhältnisse am Darm des Meerschweinchens behandelt. Yanase° konnte in dieser unter Kreidl ausgeführten Arbeit einwandfrei zeigen, daß vor dem 26. bis 27. Tage der Entwicklung der Darm keine Peristaltik zeigt, trotzdem er auf mechanische und elektrische Reize hin sich lokal kontrahiert. Von diesem Tage ab treten die ersten nervösen Elemente auf und gleichzeitig damit die Fähigkeit, sich peristaltisch zu kontrahieren. Auch bei menschlichen Föten scheint es ebenso zu seine Auf alle Fälle tritt auch hier die Fähigkeit, sich. peristaltisch zu kontra- hieren, sicher erst nach der Entwicklung der ersten nervösen Elemente auf, die hier in der 7. Woche erfolgt. Aber man wird sich mit Recht scheuen, diese Befunde am Darm für das Herz zu verwerten. Nur legt zwar die zuerst von His allein und später in Gemeinschaft mit Romberg erwiesene Tatsache, dab die Ganglienzellen im Laufe der embryonalen Entwicklung von außen in das Herz hineinwachsen, in Ver- bindung mit der von Carlson gefundenen Tatsache, daß beim Limulus ! F.Marceau (1904), Recherches sur la structure et le developpement compares des fibres cardiaques dans la serie des vertebres. Ann. des sciences nat. Zool. T. XIX. p- 191. ® Pflüger (1877), Die Lebenszähigkeit des menschlichen Fötus. Pflügers Archiv. Bd. XIV. S. 628. ® His und Romberg (1890), Beiträge zur Herzinnervation. Arb. d. med. Klinik Leipzig. Nr. 10 u. 11 und ebenda. 1893. S. 1. Vgl. auch His, ebenda. 1891. 8.35. * Carlson und Meck (1908), On the mechanisme of the embryonie heart rhythm in Limulus. Americ’ Journ. of Physiol. Vol. XXL p. 1. 5° Yanase (1907), Beiträge zur Physiologie der peristaltischen Bewegungen des embryonalen Darmes. Pflügers Archiv. Bd. CXVII. S. 345 und Bd. CXIX. S. 442. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 3837 (diesem offenbar in vieler Hinsicht primitiven Tier) die Herzganglien dauernd außerhalb des Herzens liegen, den Gedanken nahe, daß möglicherweise bei den Herzen höherer Tiere jener Zustand vorübergehend vorliegt, den wir bei dem Limulusherzen als dauernd kennen. Die Möglichkeit, daß die hierzu erforderlichen marklosen Fasern im embryonalen Herzen vorhanden sind, dürfte von niemandem bestritten werden. Es soll jedoch gern zugegeben werden, daß dieser Gedankengang zwar naheliesend, aber doch nur hypo- thetisch ist. Aber wie dem auch sei: Die von His hervorgehobene Tatsache sagt doch nichts anderes als das, wovon wir ausgegangen sind: daß näm- lich eine embryonale Zelle in Analogie mit der Neuromuskelzelle eben beides zu leisten imstande ist; sie übt sowohl die Funktionen der kontraktilen Faser als auch die Funktionen der Nervenfaser aus. Denn das, was 36 Stunden nach der Bebrütung im Hühnerei „springt“, ist wenigstens anfangs noch sicherlich kein Herzmuskel. Solange noch keine Nervenzellen im Herzen sind, gibt es auch noch keine Muskelzellen. Es ist eben, wie schon Kölliker! wußte, nur „kontraktiles Protoplasma“ vorhanden. Auch His (a. a. ©.) gibt — was vor ihm schon Chiarugi? fürs Fisch- herz behauptet hatte — an, daß die Muskelzellen sich als solche erst ent- wickeln, wenn das Herz schon tagelang schlägt; derselben Ansicht sind Bethe und wohl die meisten Histologen, vgl. z. B. die neuere Arbeit von Marceau (a. a. OÖ.) über das Fischherz. In bezug auf die wirbellosen Tiere geben Carlson und Meck ebenfalls an, daß das Herz beim Beginn der Kontraktionen noch nicht aus Muskelzellen besteht. Nur Engelmann hält: diese Ansichten für falsch; aber der von ihm? seinerzeit hervorgehobene Umstand, daß diese Zellen bereits doppelbrechend seien, verliert nach des Verfassers eigenen späteren Angaben jede Bedeutung, denn Engelmann‘ selbst gelang es zu zeigen, daß alle kontraktile Sub- 'stanz (nicht einmal bloß Muskeln und Protoplasma — sondern auch an- organische kontraktile Substanz!) doppelbrechend ist. Querstreifung hat aber auch er erst mehrere Tage nach dem Beginn der Herzkontraktion beobachten können. ? ! Kölliker (1856), Physiologische Untersuchungen über die Wirkung einiger Gifte. Virchows Archiv. Bd. X. 8. 1 und 235. ® Chiarugi, Delle condizione anatomiche del cuore al principio della sua funzione e contributo alla istogenesi della cellule muscolare cardiache. Atti Acad. Fisiocrat. di Siena. (3) IV. 1887. ; ® Engelmann (1875), Kontraktilität und Doppelbrechung. Pflügers Archiv. Bd. XI. S. 432. * Derselbe (1906), Zur Theorie der Kontraktilität. Sitzungsberichte der Kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften. Bd. AXXIX. S. 694. 38 GEoRG FR. Niconar: Mit ungefähr demselben Rechte, mit dem man sagt, „das Schlagen des Herzens vor der Ausbildung von Nervenzellen beweise, daß auch beim er- wachsenen Herzen die Erregung nicht von Nervenzellen erzeugt werde“, könnte man sagen, „das Schlagen des Herzens vor der Ausbildung von Muskelzellen beweise, daß auch beim erwachsenen Herzen die Erregung nieht von Muskelzellen erzeugt werde.“ Ja man könnte sogar hinzufügen: „da das embryonale Herz schlägt und sich kontrahiert, ohne daß Muskel- zellen vorhanden sind, kann auch beim erwachsenen Menschen die Kontraktion nicht durch die Muskelzellen ausgeführt werden“. So unglaublich es klingen mag, dieser letzte Schluß ist kein Phantasiegebilde. B. N. Nicolaieff! hat in der Sitzung der Kais. St. Petersburger Gesellschaft der Naturforscher am 28. II. 1908 ausgeführt, daß das Herz nicht der Motor des Kreislaufs sei, sondern nur passiv durch den (anderweitig erzeugten) Blutstrom auf- und zugeklappt werde, weil das Herz sich erst später entwickle als die Säfte- zirkulation und weil einige recht hoch organisierte Organismen voll- ständig ohne Herz auskämen. Es liegt mir natürlich fern, die eigen- artigen Ansichten des Herrn Nicolaieff mit den durchdachten Ansichten Engelmanns in Parallele zu stellen, aber man sieht doch, wohin solche Beweise führen — ad absurdum. Dies haben übrigens viele der berufensten Vertreter einer wenigstens bedingt myogenen Lehre längst selber erkannt, und F. B. Hofmann (a.a.O. 8. 4) schreibt z. B. ausdrücklich, daß das embryonale Herz sich hierin sehr wohl anders verhalten könne als das erwachsene; auch bei Gaskell sowie bei His finden wir ähnliche Hinweise. $:9. In fast allen anderen Organen, die zum Vergleich herangezogen wurden, hat man Ganglienzellen ge- funden bzw. den nervösen Ursprung der Be me sn ga nachweisen können. Auch viele andere Organe sollten rhythmisch tätig sein können, ohne daß Ganglienzellen in ihnen vorhanden seien. Doch müssen wir bei der großen Fülle des hierhergehörigen Materials in dieser Beziehung sehr sum- marisch vorgehen. Die älteste Angabe bezieht sich auf den Ureter, von dem Engel- mann? schon im Jahre 1869 behauptete, daß er in seinen zwei unteren ! Nicolaieff (1909), Die Diffusionstheorie des Blutkreislaufes. Petersburger Medizin. Wochenschrift. Nr. 30. ? Engelmann (1869), Zur Physiologie des Ureter. Pflügers Archw für die gesamte Physiologie. Bd. Il. S. 243—293. Derselbe (1869), Sur le mouvement peristaltique de l’uretere. Arch. neerland. IV. Derselbe (1869), Over the voorwaarden en vorzaken der spontane bewegingen van den Ureter. Onderzoek. physiol. labor. Utrecht. 2 Recks. D. III. p. 1-19. Die TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGSs. 39 Dritteln ganglienzellenlos sei. Diese Angabe wurde von Disselhorst! be- stätigt, ist aber inzwischen durch Dogiel,” Maier,?® Protopopow* und andere widerlegt worden, und damit verlieren auch alle die interessanten Angaben in bezug auf unsere Frage ihren Wert. Auch die glatte Muskulatur des Darmes ist herangezogen worden, aber hier haben vor allem die seitdem von vielen Seiten bestätigten Unter- suchungen von Magnus? den Beweis erbracht, daß alle jene Eigenschaften, welche den Darm „herzähnlieh“ machen, von dem Vorhandensein von Ganglien- zellen im Auerbachschen Plexus abhängig sind. Morgen® und Row’ sahen am Magen nach Entfernung des submukösen Plexus die Spontan- rhythmik im allgemeinen aufhören und Kautsch® beobachtete an diesem Organ nach Entfernung der Schleimhaut nur in „seltenen Fällen“ noch Spontanrhythmik, wobei zu beachten ist, daß der Verfasser selber (a. a. 0. S. 134) angibt, daß durch die angedeutete Operation „der submuköse Plexus nur im wesentlichen zerstört sei“. Auch er glaubt übrigens, daß an der Erhaltung der regelmäßigen Kontraktionsfolge das Nervensystem wesentlich beteiligt sei. Auch Dixon? sah nach Lähmung der nervösen Elemente des Magens (mit Nikotin oder Kokain) die regelmäßige Kontraktionsfolge des Magenrings verschwinden. Diese letzteren Versuche sind allerdings weniger beweisend als die vorher angeführten von Magnus, Morgen, Row und Kautsch, weil bei einer Einwirkung von Giften eine Schädigung der Muskulatur niemals mit Sicher- heit auszuschließen ist. ! Disselhorst (1894), Der Harnleiter der Wirbeltiere. Anatomische Hefte von Meckel und Bonnet. Bd. IV. S8. 133. 2.A.S.Dogiel (1378), Zur Kenntnis der Nerven des Ureter: Archiv für mikro- skop. Anatomie. Bd. XV. S. 64. 3 R. Maier (1881), Die Ganglien in den harnabführenden Wegen des Menschen . und einiger Tiere. Virchows Archiv. Bd. LXXXV. S. 49. * Protopopow (1897), Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Ureteren. Pflügers Archw. Bd. LXVI. S. 1. Bei Protopopow siehe die gesamte Literatur über die Ureteren. 5 Magnus (1904), Versuche am überlebenden Dünndarm von Säugetieren. I. Mitteilung: Pflügers Archiw. Bd. CI. S. 123; II. Mitteilung: Zbenda. Bd. CI. S. 349, III. u. IV. Mitteilung: Zbenda. Bd. CIII. S.515—525; V. Mitteilung: Zbenda. Bd. CVIIL S. 1; (1906) VI. Mitteilung: Zbenda. Bd. III. S. 152. 6 Morgen (1888), Über Reizbarkeit und Starre der glatten Muskeln. Unter- suchungen aus dem physiolog. Institut der Universität Halle. Bd. II. Nr. 1. ” Row (1904), On some effects of the constituents of Ringer’s fluid on the plain muscle etc. Journ. of physiol. Vol. XXX. p. 461. 8 Kautsch (1907), Studien über die rhythmische Kontraktion der Froschmagen- muskulatur. Pflügers Arckiw. Bd. CXVI. S. 133. ® Dixon (1902), The innervation of the frogs stomach. Journal of Physiol. NOLEXXWVII. .p. 57. 40 GEORE FR. NICOoLAT: Daß übrigens auch morphologisch am Magendarmkanal — wenigstens des Frosches — ähnliche Verhältnisse vorliegen wie am Herzen, hat jüngst eine Arbeit von R. Müller! ergeben, der auch hier ein terminales Nerven- netz mit morphologischer (und funktioneller?) Differenzierung seiner ver- schiedenen Schichten gefunden hat. (In der Müllerschen Arbeit findet sich auch ältere Literatur.) In ähnlicher Weise sind die Angaben in bezug auf die wirbellosen Tiere zu korrigieren. Die Körpermuskulatur des Regenwurmes, an der Straub? gearbeitet hat, enthält ebenso, wie die von Botazzi? benutzten Ambulakralfüsse der Seesterne und der Ösophagus der Amphibien nach Bethe‘ reichliche Nervenplexus. Der Ösophagus der Aplysia, den Botazzi für ganglienfrei hält, soll sogar nach neueren Angaben besonders reich an Ganglienzellen sein. Ähnlich steht es mit den Erscheinungen an der Subumbrella der Medusen, für deren Bewegungen Eimer und Romanes® eine Unabhängigkeit von Ganglienzellen glaubten nachgewiesen zu haben. Aber gerade bei diesen Tieren konnte Bethe” in sehr schönen Ver- suchen, die er auch auf Seite 386 bis 106 seines Buches ausführlich beschreibt, nachweisen, daß es sich hierbei ganz zweifellos um eine Ganglienzellen- wirkung handelte. Dieser Beweis läßt sich bei diesen Tieren darum er- bringen, weil hierbei die experimentelle Trennung von Ganglien und Muskeln möglich ist. Neuerdings hat er neue Versuche über diesen Gegenstand publiziert, die sich mit der Bedeutung der Elektrolyte für die rhythmischen Bewegungen der Medusen beschäftigen. Bekanntlich hatte Löb zuerst darauf hingewiesen, daß Muskeln — unter anderem auch Medusenmuskeln — auf die Einwirkung gewisser Salze hin rhythmisch reagieren. Für die Medusen zum mindesten hat nun Bethe zeigen können, daß dies eine Folge der Einwirkung auf nervöses Gewebe ist. Am stärksten war die Wirkung ! R. Müller (1908), Nervenversorgung des Magendarmkanals beim Frosch durch Nervennetze. Pflügers Archw. Bd. CXXIL. S. 337. ? Straub (1900), Zur Muskelphysiologie des Regenwurmes. I. Pflügers Archiv. Bd. LXXIX. S. 379. ® Botazzi (1898), Contribution to the physiology of unstriated muscular tissue. Journ. of physiol. Vol. XXU. p. 481. Derselbe (1899), Contribution a la physiologie du tissue des cellules muscu- laires. Arch. italiennes de Biologie. Vol. XXXI. p, 391. * Bethe (1903), a. a. 0. S. 391. ° Eimer (1887), Die Medusen, physiologisch und morphologisch auf ihr Nerven- system untersucht. ° Romanes, Preliminary observations on the locomotor system of medusae. Philosoph. Transact. Vol. CLXVI p. 289. ” Bethe (1908—1909), Die Bedeutung der Elektrolyte für. die rhythmischen Bewegungen der Medusen. I. u. II. Pflügers Archiv. Bd. CXXIV. S. 541 und Bd. CXXVII. S. 219. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGSs. 4 auf die Randkörper, geringer schon die auf das Nervennetz, während eine Empfindlichkeit der Muskulatur für derartige Reize überhaupt nicht nach- zuweisen war. Bethe bemerkt ausdrücklich (1909 S. 243), daß die Ver- hältnisse am Skelettmuskel anders liegen mögen. Auch von Biedermann! ist inzwischen in vergleichend physiologi- schen Untersuchungen an Schnecken neues Tatsachenmaterial erbracht worden; er konnte zeigen, daß die peristaltischen Bewegungen der beiden Muskelschichten des Muskelschlauches gewisser wirbelloser Tiere ausschließ- lich von Ganglien vermittelt werden, sei es, daß, wie bei (Würmern und) gewissen Schnecken (Helix) die lokomotorische Peristaltik von einer zentralen Ganglienkette des Bauchstranges, sei es, daß, wie bei Limax, diese durch peripher gelegene nervöse Apparate vermittelt wird. „Man wäre“, sagt Biedermann, „niemals zu einer schon an sich unwahrscheinlichen Annahme, wie es die vom myogenen Ursprung der so wunderbar komplizierten „wurm- förmigen“ Darmbewegungen ist, gekommen, wenn man von den in so’ ‘vielen Punkten so ähnlichen Bewegungserscheinungen des Hautmuskel- schlauches gewisser wirbelloser Tiere, insbesondere der Würmer, ausge- gangen wäre.“ Bei vielen glatten Muskeln, wie z.B. bei denen der Blase, sind motorische Nerven schon lange bekannt, bei vielen glatten ganglienfreien Muskeln sind in letzter Zeit echte motorische Fasern gefunden worden. Wenn auch die von Heidenhain? und Doyon° gefundenen motorischen Splanchnicusfasern für die Gallenblase noch nicht sichergestellt erscheinen, so sind doch die von Courtade und Guyon* im Vagus gefundenen motorischen Fasern für dieses Organ durch Bainbridge und Dale’ vollauf bestätigt. Auch am Ureter haben Protopopow (a. a. O.) nach Reizung des N. splanchnicus, Fogge nach Reizung des N. hypogastrieus Kontraktionen auftreten sehen. Henderson® konnte beides bestätigen. ! Biedermann (1906), Zur vergleichenden Physiologie der peristaltischen Be- wegungen. Pflügers Archiv. Bd. CV u. CXI. 2 Heidenhain (1860), Mitteilungen aus dem physiolog. Institut Breslau. Abh. I. Friedländer und Barisch, Zur Kenntnis der Gallenabsonderung. Dies Archiv. 1860. 8. 646. Vgl. auch Siud. des Physiol. Instituts Breslau. II. u. IV. 8. 227. ® Doyon, Contribution & l’etude de la contractilite des voies biliaires. Arch. de Physiol. XXV. p. 678. * Courtade et Guyon (1904), Action motrice du pneumogastrique sur la vesi- eule biliaire. C. Z&. Soc. de Biol. LVI. p. 313 und Trajet des nerfs extrinseques de la vesicule biliaire. Zbenda. p. 874. 5 Bainbridge and Dale (1905), The contractile mechanism of the gall bladder and its extrinsic control. Journ. of Physiol. Vol. XXXIL. p. 138. ° Henderson (1905), The factors of the ureter pressure. Zbenda. Vol. XXXIL. m A: 42 GEORG FR. NICoLAr: Was die selbständigen rhythmischen Kontraktionen von Arterien an- langt, so verweisen wir auf die Arbeiten von Schiff,! van der Beke Callenfels,? Vulpian,® Gunning,* Roever,° Saviotti,° Riegel? und Huizinga.® Die Verhältnisse sind hier zum größten Teil noch völlig un- geklärt. Die automatisch periodischen Pulsationen in der Flushaut der Fleder- mäuse, welche Wharton Jones,’ Luchsinger!’ u. a. für spontane, vom Nervensystem unabhängige Muskelkontraktionen hielten, sind in Wirklichkeit von nervösen Zentren durchaus abhängig, da J. M. Dogiel und Jegorow!! gezeigt haben, daß Durchschneidung der zu den Venen führenden Nerven diese Pulsationen aufhebt. Karfunkel,!? der unter Engelmann arbeitete, konstatierte ebenfalls eine weitgehende Abhängigkeit vom Nervensystem, allerdings sah er auch sehr verlangsamte Pulsationen nach Durchschneidung und angeblicher Degeneration der Nervenfasern nach S Tagen (vgl. hierzu S. 18 u.22). Doch kann dies um so weniger überraschen, als Karfunkel selbst (a. a. O. 8. 544) angibt, in den Gefäßwänden selbst Ganglienzellen gefunden zu haben. Hiernach dürfte es aber sehr fraglich er- scheinen, ob überhaupt völlige Degeneration eingetreten ist. ı M. Schiff (1854), Ein akzessorisches Arterienherz bei Kaninchen. Archiv für physiol. Heilkunde. S. 523. Vgl. auch ©. R. XXXIX. p. 508. ® I. van der Beke Callenfels (1855), Onderzoekingen over den invloed der vaatzenuwen op den bloedsomlop en den warmtegrad. Proefschrift. Utrecht. — S. auch Zeitschrift für rationelle Medizin. N.F. VI. S. 157. ® Vulpian (1857), Sur la contractilite des vaisseaux de l’oreille chez les lapins. Gazette medicale de Paris. Nr. 1. * W. M. Gunning (1857), Onderzoekingen over bloeds beweging en stasis Diss. Utrecht. 5 G. Roever (1869), Kritische und experimentelle Untersuchungen des Nerven- einflusses auf die Erweiterung und Verengerung der Blutgefäße. Rostock. ° Saviotti (1870), Untersuchungen über die Veränderungen der Blutgefäße bei der Entzündung. Virchows Archiv für pathol. Anatomie usw. Bd. L. 8.592 —623. ” Fr. Riegel (1871), Über die sogenannten rhythmischen Gefäßkontraktionen. Pflügers Archiv. Bd. IV. S. 350—360. ® D. Huizinga (1875), Untersuchungen über die Innervation der Gefäße in der Schwimmhaut des Frosches. Zbenda. Bd. XI. S. 207—221. ® Wharton Jones (1852), Discovery that the veins of the bat’swing (which are furnished with valves) are endowed with rhythmical contractility and that the onward flow of blood is accelerated by each contraction. Philos. Transact. of the Koy. Soc. of London. 1. p. 131—136. 10 B. Luchsinger (1881), Von den Venenherzen in der Flughaut der Fledermäuse. Pflügers Archiv. Bd. XXVI. S. 445—458. !ı Jegorow (1892), Zur Lehre von der Innervation der Blutgefäße. Dies Archiv. 1892. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. 69. : 12 Karfunkel (1905), Untersuchungen über die sogenannten Venenherzen der Fledermäuse. Dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. S. 538. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 43 Endlich sind auch von Engelmann! die Nervenfasern selbst als Ana- loson herangezogen, „deren jede sich als eine Kette selbständiger, nur durch Kontakt ihrer Achsenzylinder leitend verbundener Zellen erwiesen hat.“ 810. Aus der Natur der Herzreize kann man keine Schlüsse in bezug auf die Frage myogen oder neurogen ziehen (B 4). Als einen weiteren Beweis für die myogene Natur der Reizentstehung hat man endlich angeführt, daß diejenigen künstlichen Reize, welche im allgemeinen als Muskelreize angesprochen wurden, imstande seien, im Herzen eine Erregung hervorzurufen und demnach den normalen Reiz zu ersetzen; die spezifischen Nervenreize seien dagegen hierzu nicht imstande. Die Schwierigkeit einer derartigen Deduktion liegt nun — abgesehen von allem anderen — darin, daß es heute noch nicht ganz sicher ist, ob es überhaupt spezifische Nerven- bzw. Muskelreize gibt. In bezug auf den elektrischen Strom dürfte wohl nur noch von einigen Klinikern die Meinung vertreten werden, als gäbe es für Muskel und Nerv spezifische elektrische Reize. Meist begegnet man der Ansicht, als seien die Nerven leichter reizbar als die Muskeln. (Vgl. hierzu die Arbeiten von Rosenthal, der gleichzeitig gezeigt hat, daß der Unterschied zum min- desten nicht gar zu groß ist.) Wenn also Engelmann (a. a. 0. S. 235) sagt, „es bedürfe zur elek- trischen Erregung (durch Induktionsströme, Stromstöße) einer erheblichen größeren Dichte, bzw. bei gleicher Dichte einer bedeutend längeren Dauer der Durchströmung als zur Erregung gewöhnlicher Muskel- oder Empfindungs- nerven,“ so muß einmal hervorgehoben werden, daß der Unterschied nicht so bedeutend ist, als daß man die Engelmannschen Schlußfolgerungen ohne weiteres zugeben könne; zweitens aber bedarf man auch zur Reizung moto- rischer Skelettmuskelnerven, die im Muskel gelegen sind — also mit anderen Worten zur Reizung des nicht kurarisierten Skelettmuskels — relativ sehr starker Ströme. Es ist ja auch selbstverständlich, daß bei einem Gebilde, wo schlecht leitende Nervenfasern in gut leitende Muskelsubstanz eingebettet sind, wo also nur relativ schwache Stromschleifen aus dem Muskel in die Nerven einbrechen können, die Verhältnisse nicht so einfach liegen, als daß man ohne nähere Kenntnis der speziellen Widerstandsverhältnisse irgendwelche Schlüsse ziehen dürfte. ! Engelmann (1878), Zur Theorie der Peristaltik. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XV. S. 257. Vgl. auch Pflügers Archiv. Bd. XIII. S. 474 und Bu. XIV. 8. 138 ff. 44 GEORG FR. NICOLAT: Weiter hat man als Stütze einer myogenen Auffassung den Umstand angeführt, daß die sensiblen Nerven im Herzen leichter erregbar seien, als das Substrat, welches den motorischen Reiz aufnimmt. Das könnte eventuell darauf hinweisen, daß dies Substrat nicht ein Nerv, sondern ein Muskel se. Da man bereits seit den vielfach bestätigten Versuchen von Munk (1862) weiß, daß motorische Nerven im allgemeinen leichter erregbar sind als sensible, konnte dies in der Tat den Gedanken nahe legen, daß dies „treizbare Substrat“ ein Muskel sei und kein Nerv. Doch gilt dieser Vergleich nur zwischen Nerven, es ist aber sehr frag- lich, ob es sich überhaupt um die Erregung sensibler Nerven handelt, oder nicht vielmehr um die Erregung sensibler, im Perikard gelesener End- organe. Diese aber liegen einmal oberflächlich und können andererseits tausendmal empfindlicher sein, als die Nerven selbst. Zudem handelt es sich doch um die Erregung markloser Fasern, von deren Reizschwelle wir wenig wissen. Beim Hechtolfactorius z. B. ist sie — gemessen am Auftreten ler negativen Schwankung — relativ sehr hoch; auch vom Sympathicus wissen wir durch Langendorff,! Olday,? Mulert,? Piotrowsky* u.a., daß der- selbe — speziell gegen Induktionsströme — unempfindlich ist. Endlich ge- hört hierher auch die Tatsache, daß man auch durch Reizung des Rücken- marks keine direkten motorischen Reizerfolge, sondern nur reflektorische Reizungen erzielen kann — niemandem aber wird es einfallen, daraufhin dem Rückenmarke eine Beteiligung an dem Zustandekommen der willkür- lichen Muskelkontraktion absprechen zu wollen. Diese Auseinandersetzungen können und sollen nur zeigen, daß man mit derartigen auf so geringem tatsächlichen Wissen beruhenden Erörte- rungen überhaupt nichts anfangen kann, und ähnliches gilt für die Über- legungen hinsichtlich der Wirksamkeit chemischer Reizmittel. Langendorff° zeigte, daß Glyzerin, welches Nerven stark reizt, beim Herzen nicht wirkt, daß dagegen Ammoniak, auch verdünnte Mineralsäuren und Kalkwasser, Stoffe, die motorische Nerven nicht nachweislich reizen, aber Muskelreize sind, beim Herzen erregend wirken. Hierbei fragt es sich einmal, ob über- haupt das Glyzerin an die Nerven gelangt, es fragt sich weiter, ob es nicht ! Langendorff (1892), Sitzungsberichte der naturforsch. Gesellschaft Rostock. Vgl. auch Pflügers Archi. Bd. LIX. 8. 201. ? Olday (1894), Beiträge zur elektrischen Vagusreizung. Rostocker Dissertation von 1894. ® Mulert (1894), Über elektrische Reizung des Halssympathikus. Pflügers Archiv. Bd. LV. S. 550. * Piotrowsky, Studien über den peripherischen Gefäßmechanismus. Zbenda. Bd. LV. S. 240. 5 Langendorff (1884), Dies Archiv. 1884. Physiol. Abtlg. Suppl. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 45 richtiger ist, statt, wie Langendorff es tut, beim Herzen den Reizmitteln, welche auf Muskeln wirken, diejenigen, welche auf Nerven wirken, gegen- überzustellen, vielmehr Muskelreizee mit Ganglienreizen zu vergleichen; von der chemischen Reizbarkeit der letzteren wissen wir jedoch bekanntlich noch wenig. Im übrigen ist zu bedenken, daß der Herzmuskel, ebenso wie alle anderen Muskeln, höchst wahrscheinlich direkt gereizt werden kann. Endlich hat man auch die Kurarewirkung angeführt. Kurare wirkt auf das Herz nicht lähmend, oder zum mindesten bedarf es einer größeren Dosis, um das Herz zu lähmen, als um die Skelettmuskeln zu lähmen. Da aber Kurare auch den Darm nicht lähmt, bei dem doch nachweislich die Automatie von der Ganglienzelle ausgeht, so ist auch dieser Grund wenig stichhaltig. Umgekehrt können wir jedoch den Bemühungen, mittels chemischer Agentien eine Trennung des Nervösen vom Muskulösen (z. B. durch Nar- kotisierung der Nerven) herbeizuführen und auf diese Weise die nervöse Natur gewisser Erscheinungen am Herzen zu erweisen, keinen übertriebenen Wert beilegen. Wir haben schon mehrfach (vgl. Ende des $ 4 und $ 7) hervorgehoben, daß am Limulus die Trennung zwischen Nerv und Muskel mittels des Skalpells möglich ist, und wir stehen nicht an zu erklären, daß ein solcher Limulusversuch mehr wert ist, als alle die Mitteilungen über angebliche Trennung des nervösen Anteils vom muskulösen; trotzdem müssen wir diese Versuche der Vollständigkeit halber erwähnen, doch wollen wir uns auf das Wichtigste beschränken. Straub! hat gezeigt, daß Kohlensäure, die auf zentrale Teile bekannt- lich nur lähmend, aber nicht erregend wirkt, auch die Erregungsproduktion am Sinusgebiet gleich vom Anfang an lähmt bzw. herabsetzt. In bezug auf das Chloralhydrat konnten Liebreich,” Harnack,° Böhme“ und Rhode? konstatieren, daß dieses Gift, das im allgemeinen Zentren früher lähmt als Nervenfasern und Muskeln — die Reizerzeugung im Froschherzen zum Erlöschen bringt, während die Kontraktilität noch er- ! Straub (1901), Über die Wirkung der Kohlensäure am ausgeschnittenen sus- pendierten Froschherzen. Archiv für experim. Pathologie. Bd. XLV. H.5/6. S. 380. * Liebreich (1869), Das Chloralhydrat. Berlin. S. 25. 8 Harnack, Die Wirkung gewisser Herzgifte im |Liehte der myogenen Theorie der Herzfunktion. Dies Archiv. 1904. Physiol. Abtlg. S. 415. — Vgl. auch E.Harnack und Witkowski (1879), Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakol. Bd. XI. 8.1. * Böhme (1905), Über die Wirkung des Kampfers auf das mit Chloralhydrat vergiftete Froschherz. Archiv für ewperim. Pathologie und Pharmakologie. Bd. LU. S. 346. 5 Rhode (1905), Über die Einwirkung des Chloralhydrats auf die charakte- ristischen Merkmale der Herzbewegung. Zentralblatt f. Physiologie. Bd. XIX. S. 503. Vgl. auch Archiv für experim. Pathologie. Bd. LIV. S. 104 ff. 46 GEORG FR. NIcoLAr: halten ist. Die genannten Autoren sehen diese Tatsachen als Beweis für die zentralen Eigenschaften der Herzganglienzellen an. (Wenn Bornstein,! ein Schüler Engelmanns, speziell gegen Rhode polemisiert, so kann man ihm in fast all seinen Ausführungen zustimmen, muß aber bedenken, dab es sich dabei um die Frage handelt, ob außer der Automatie auch noch andere fundamentale Eigenschaften des Herzens durch Chloralhydrat ver- ändert werden.) Die Tatsache, das Chloralhydrat einerseits Nervenzentren lähmt, und andererseits die Herzautomatie aufhebt, erscheint durch vielfache Versuche sichergestellt, und Harnack? gibt sich im Jahre 1904 die größte Mühe, seine Entdeckungen vom Jahre 1379 mit den heute „herrschenden“ An- schauurgen in Übereinstimmung zu bringen, kommt aber doch (a. a. O. S. 429) zu dem, wenn auch nicht sehr dezidiert ausgesprochenen Schluß, daß „den pharmakologischen Tatsachen ... vollauf gerecht zu werden, für die myogene Theorie immerhin mit Schwierigkeiten verknüpft zu sein scheint“. Auch andere Versuche, insonderheit Gottliebs Adrenalinversuche, sowie gewisse Erfahrungen über Physostigminwirkungen sprechen für die zentrale Natur des intrakardialen Nervensystems. (Vgl. hierüber den zu- sanımenfassenden Artikel von Harnack über Herzgifte und myogene Theorie, der im wesentlichen eine Absage gegen die damals allmächtige myogene Theorie vom Standpunkte der Pharmakologie bedeutet.) $11. Wo im Herzen Leitung stattfindet, da sind auch Nerven- fibrillen vorhanden. Wo man diese von der Muskulatur trennen kann, erfolgt die Leitung auf nervösem Wege. (C und D1 bis.) Wenn wir nun zu den Beweisen übergehen, welche dafür angeführt sind, daß die Erregung nicht durch die intrakardialen Nerven, sondern durch die Herzmuskulatur selbst fortgeleitet werde, so ist von vornherein hervorzuheben, daß hier die experimentelle Entscheidung noch viel schwie- riger ist, als bei der Frage, ob die Erregung durch die Ganglienzellen er- zeugt werde Denn die Ganglienzellen sind zwar auch omnipräsent im Herzen, aber doch an den einzelnen Stellen in verschiedener Dichte, und somit ist hier die Möglichkeit gegeben, sie experimentell zu studieren; bei den Nervenfibrillen dagegen ist das von vornherein ausgeschlossen: Alle Herzmuskelzellen werden, wie im $ 3 ausführlich gezeigt worden ist, von ! Bornstein (1906), Die Grundeigenschaften des Herzmuskels und ihre Beein- flussung durch verschiedene Agentien. I. u. II. Dies Archiv. 1906. Physiol. Abtle. Suppl. 8. 343 u. 371. ® E. Harnack (1904), Die Wirkung gewisser Herzgifte im Lichte der myogenen Theorie der Herzfunktion. Zbenda. 1894. Physiol. Abtlg. S. 415. Die TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 47 einem dichten Netzwerk von Fibrillen umsponnen, und wo immer ein muskulöser Weg im Herzen ist, da ist auch ein nervöser Weg. Allerdings könnte man einwenden, daß auch der umgekehrte Satz richtig sei, wo immer ein nervöser Weg sei, da sei auch ein muskulöser Weg. Anatomisch ist die Umkehrung schon richtig, aber physiologisch dürfte dies fraglich sein, denn während es aus der Natur der Sache folgt, daß dort, wo eine Nervenbahn bzw. Nervenfibrillenbahn nachweisbar ist, auch die Möglich- keit vorliegt, daß dort Erregungen verlaufen, ist dies für Muskelbahnen durchaus nicht so ohne weiteres sicher gestellt: daß die Erregung von einer Muskelfaser direkt auf eine andere überspringen könne, ist nirgends erwiesen. Die Annahme der Möglichkeit einer muskulösen Leitung ist nur dann selbst- verständlich, wenn wir die vor allen Dingen von Ebner vertretenen Ansichten billigen, wonach die sogenannten Zellgrenzen im Herzen nicht real existieren und die Kontinuität der kontraktilen Substanz durch allseitig anastomosierende Verbindung und durchlaufende Muskelfibrillen gewährleistet ist. Es kann auf diese Frage hier nicht näher eingegangen werden, in meiner Arbeit über die Mechanik des Kreislaufs! habe ich die hierhergehörige Literatur zu- sammengestellt. Man sieht dort, daß die Frage durchaus noch nicht spruch- reif ist, daß sie vor allen Dingen bisher noch niemals physiologisch angegangen worden ist, und daß die Kontinuität der muskulösen Leitung nur eine Vermutung auf Grund anatomischer Bilder ist.” Weiter unten ‚(auf folgender Seite) wird gezeigt werden, daß das Limulussyneytium zum mindestens nicht befähigt erscheint, einen Reiz leiten zu können. Wenn die Angabe von Carlson sich bewahrheiten sollte, daß dies Muskelnetz dem der Wirbeltiere, vor allem auch in bezug auf den angeblich protoplasmatischen Charakter des Sarkolemms durchaus analog ist, so wäre dies ein schwer- wiegender Hinweis darauf, daß wieder einmal physiologische Konstruktionen auf rein deskriptiv-anatomischer Basis sich als falsch erwiesen haben, was ja eigentlich auch kaum überraschen dürfte. Außer dem geschilderten, die Muskeln umspinnenden und daher not- wendig der Anordnung der Muskulatur folgenden? Nervennetz gibt es nun ! Nicolai (1909), Mechanik des Kreislaufs. (In Nagels Handbuch der Physiologie.) 2 Seit der Drucklegung der Mechanik des Kreislaufs ist eine größere Anzahl von Arbeiten über diese Frage erschienen, die von A. E. Cohn (1909), Zur Frage der Kitt- linien der Herzmuskulatur. Verhandl. der deutschen patholog. Gesellschaft. Bd. XIII. S. 182, zusammengestellt sind. Aus der Diskussion über diesen Vortrag, an der sich die besten deutschen Kenner dieser Frage beteiligten (Aschoff, Benda, Dittrich, Marchand), scheint hervorzugehen, daß man heute ganz allgemein der Ansicht zu- neigt, daß diesen Kittlinien eine reale Existenz intra vitam zukommt. Besonders ist es bemerkenswert, daß Aschoff, der früher die Entstehung der Kittlinien in die Agone verlegte, zugibt, daß sie im Laufe des Lebens entstehen. Nur Marchand hält auf Grund noch nicht veröffentlichter Versuche an der älteren Ansicht fest, die in den Kittlinien nur agonale Kontraktionszustände sieht. ® Daraus folgt, daß man, um die Erregungsleitung im Herzen zu bestimmen, notwendigerweise von der anatomisch bekannten Anordnung der Muskulatur ausgehen muß, ganz gleichgültig, ob man auf myogenem oder neurogenem Boden steht. Vgl. Nicolai (1908), Zentralblatt für Physiologie. Bd. XXI. Nr. 20. 48 GEORG FR. NICOLAT: aber auch noch gröbere Nervenstämme im Herzen. Als solche kennt man die oberflächlich gelegenen Herznerven, welche sensibel zu sein scheinen, und jene zwei Nervenstränge (den Nervus septi anterior und posterior), welche von den Remakschen Ganglien ausgehen und nach Hofmann im wesent- lichen Vagusfasern enthalten. Sie verlaufen bis zur Atrioventrikulargrenze, wo sie mit den schon erwähnten Bidderschen Ganglien ausgestattet sind. Von diesen Ganglien begeben sich weiterhin Nervenfäden zur Gegend der Ventrikel, wo sie sich allmählich in das allgemeine Fibrillennetz auflösen. Nachgewiesen zu haben, daß auf diesen gröberen Nervenstämmen die Er- regung nicht verläuft oder, sagen wir richtiger, nicht zu verlaufen braucht, ist das bleibende Verdienst des Fickschen! Zerschneidungsversuches, den dann Engelmann? im folgenden Jahre zu seinem berühmt gewordenen Zickzackversuch vom Jahre 1875 erweiterte, wobei er die Herzkammer eines Frosches durch mehrere quere Einschnitte (Fick hatte nur von einem gesprochen) in einen zickzackförmigen Streifen zerlegte, der immer noch imstande war, einen auf einer Stelle gesetzten Reiz durch seine ganze Länge zu leiten. Fick sowohl, wie ihm folgend Engelmann schlossen daraus auf myogene Leitung. 1882 veröffentlichte dann Gaskell (a. a. O.) seine Ver- suche über das Schildkrötenherz, die eine muskuläre Leitung zwischen Atrium und Ventrikel zu erweisen schienen, und die wir in dem Abschnitt über das Hissche Bündel ($ 13) genauer auseinandersetzen wollen. Von Porter wurde später der Ziekzackversuch auch am Säugetierherzen erfulgreich wieder- holt; dieselben Folgerungen, wie aus diesen Arbeiten, lassen sich aus der unter Langendorff gearbeiteten Doktordissertation von Fonrobert? ziehen. Der Nachweis jedoch, den alle diese Forscher damit zu führen ver- sucht haben (daß der normale Reiz auf Bahnen verläuft, die nervenlos sind), ist der Natur der Sache nach nicht einwandfrei zu erbringen. Wenigstens nicht bei Wirbeltierherzen. Günstiger liegen die Verhältnisse bei Wirbel- losen, und an demselben Herzen von Limulus, an dem die Entstehung des Reizes in Gangienzellen zuerst demonstriert wurde, konnte Carlson dank der oberflächlichen Lage der Herznerven den Nachweis der neuro- senen Leitung erbringen. Wie schon erwähnt, enthält der mittlere dor- sale Strang Ganglienzellen und nach seiner Exstirpation hören die auto- matischen Bewegungen auf. Dagegen enthalten die beiden lateralen Stränge keine Ganglienzellen, sondern nur Nervenfasern. Wenn man nun das ganze ı A. Fick (1874), Über Herzbewegung. Sitzungsbericht der physiol.-med. Gesell- schaft zu Würzburg. Bd. XI. 8. S. XII. ? Engelmann (1875), Über die Leitung der Erregung im Herzmuskel. Pflügers Archiv. Bd. XL S. 465. s Fonrobert (1895), Über die elektrische Leitung des Herzens. Rostocker Jnaug.- Diss. von 1895. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 49 muskulöse Herz durchschneidet unter Schonung der nervösen Stränge, so fahren die einzelnen Herzabschnitte fort, in koordinierter Weise zu schlagen. Durehschneidet man die beiden lateralen Stränge ohne Verletzung des Mittel- stranges, so hört die Koordination der Herzsegmente auf, während ihre rhythmischen Kontraktionen fortdauern, die erst nach Exstirpation der be- treffenden Teile des Mittelstranges erlöschen. Diese Experimente lassen gar keinen Zweifel, daß zum mindesten bei dem Röhrenherz von Limulus die Leitung der Herzreize auf nervösem Wege erfolst. Umgekehrt läßt sich bei diesem Herzen auch der Beweis führen, daß das Myokard dieser Tiere, das ebenso ein netzförmig verzweigtes Syneytium bildet! wie das Muskelnetz des Wirbeltierherzens, die Reize nicht zu leiten imstande ist; denn wenn man die Nerven durchschnitten hat, breitet sich eine isolierte Muskelreizung im Limulusherzen nicht aus, sondern bleibt auf die Ursprungsstelle lokalisiert. Wir sagten oben, daß der von Engelmann erdachte Zickzackversuch beweist, daß die Erregung in dem zerstückelten Herzen sich nicht auf den makroskopisch sichtbaren Nervenbahnen ausbreitet; damit ist jedoch nicht gesagt, daß sich die Erregung im normalen und intakten Herzen nicht doch auf jenen Nervenbahnen ausbreitet. Engelmann allerdings hat aus seinen Experimenten diesen Schluß ziehen zu können geglaubt, weil er meinte, daß die Reizausbreitung nach künstlicher Reizung — also auch im Ziekzackversuch — ähnlich von statten ginge, wie in der Norm. Dies ist aber nicht der Fall. Wir werden weiter unten ($ 14) genauer ausführen, daß sich auf Grund elektrokardiographischer Untersuchungen der Nachweis erbringen läßt, daß die Erregung in der Norm auf anderen Bahnen verläuft, als in pathologischen Fällen. In der Norm breitet sich die Er- regung auf bestimmten prädisponierten Bahnen aus; in pathologischen Fällen — also auch beim Ziekzackversuch — breitet sie sich diffus aus. Der Zick- -zackversuch sagt also nichts über den normalen Erregungsablauf und er steht also nicht in Widerspruch mit jenen Versuchen, in denen man nach der Durchschneidung gewisser makroskopischer Nervenbahnen auch im Säuge- tierherzen die Koordination des Herzens aufgehoben sah. Denn diese Ver- suche sagen wiederum nur etwas über den normalen Ablauf aus und legen die Vermutung nahe, daß normalerweise der Leitungsreiz nicht nur auf nervösen Bahnen, sondern auch auf makroskopisch sichtbaren Bahnen ver- läuft; sind diese Bahnen durchschnitten, so breitet sich der Reiz auf anderen Bahnen, und zwar mehr diffus aus, und dabei geht die normal& Koordi- nation verloren. Da in diese Bahnen die Ganglienzellen eingeschaltet sind, ! Carlson (1908), The eonductivity produced in the non-conducting myocardium of Limulus by sodiumchloride. Americ. Journ. of Physiol. Vol. XXI. p. 11. Archiv f. A.u.Ph. 1910. Physiol. Abtlg. ’ 4 50 GEORG FR. NICoLAT: gehören auch die Exstirpationen von Ganglienzellen, über die in $6 auf S. 27 berichtet ist, hierher. Sonst liegen nicht viel Versuche vor. Daß Wooldridge! nach Durchschneidung der Koronarnerven keine Störung auf- treten sah, ist gern zu glauben; und wenn er und Tigerstedt” nach Ab- quetschung der Atrioventrikulargrenze Allorhythmien auftreten sahen, so ist das nach keiner Seite hin beweisend, weil dabei die Muskeln wie Nerven zerstört sind. Gaskell® hat angegeben, daß die Durchschneidung des Septumnervs bei der Schildkröte ohne Wirkung auf den Rhythmus ist. Neuerdings hat vor allem Hofmann‘ ganz bestimmt angegeben, daß nach Durchschneiäung der Scheidewandnerven beim Frosch das Herz weiter schlägt, daß aber umgekehrt, wenn man die Scheidewandnerven stehen läßt und den ganzen Vorhof durchschneidet, der Ventrikel still steht. Darnach wären also die großen Nervenstämme im Herzen gar nicht imstande, die Erregung zu leiten (was nicht wunderlich erschiene, wenn die Hofmannsche Angabe richtig wäre, daß diese Nerven im wesentlichen Vagusfasern enthalten). Entgegengesetzt lautende Angaben haben neuerdings J. Dogiel und K. Archangelsky° gemacht, welche auf Grund von mannigfachen Unter- suchungen an der Corethralarve, sowie an Fischen, Schildkröten, Fröschen, Vögeln und Säugetieren in einer sehr ausführlichen Arbeit zahlreiche Be- obachtungen mitteilen, welche im allgemeinen die neurogene Theorie stützen und insonderheit erweisen sollten, daß nach Durchschneidung ganz be- stimmter Herznerven ganz bestimmte Koordinationserscheinungen ausfallen. Diese sehr interessanten Angaben sind derart detailliert gemacht, dab man kaum umhin kann, sie ernsthaft in Betracht zu ziehen. Sie sind jetzt 3 Jahre alt, und es ist ihnen inzwischen nicht widersprochen worden. Allerdings sind sie auch nicht bestätigt worden, und da sie manches be- haupten, was früher von anderer Seite entschieden in Abrede gestellt ist, darf man die Frage als in suspenso betrachten. Auch ist sie nicht sonder- lich wichtig. Fest steht auf alle Fälle, daß die normale Erregung auf ganz bestimmten, prädisponierten Bahnen verläuft. Es fragt sich nur, ob man mit Dogiel und Archangelsky annehmen soll, daß diese Bahnen wenigstens teilweise makroskopisch dargestellt sind, oder ob dies nicht ı L. Wooldridge (1883), Über die Funktion der Kammernerven des Säugetier- herzens. Dies Archiv. 1883. Physiol. Abtlg. S. 512. 2 R. Tigerstedt (1884), Die Bedeutung der Vorhöfe für die Rhythmik der Ventrikel des Säugetierherzens. Zbenda. 1884. Physiol. Abtlg. 3. 497. 3 Gaskell (1882), Observations on the innervation of the heart. Brot. Med. Journ. Sept. 1882. Vol. II. p. 572. * Hofmann (1895), Über die Funktion der Scheidewandnerven des Froschherzens. Pflügers Archiv. Bd. LX. S. 142. 5 Dogiel and Archangelsky (1906), Der bewegungshemmende und der moto- rische Nervenapparat des Herzens. Pflügers Archiw. Bd. CXII. 8. 1. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HrErzZscHLacs. 51 riehtig ist. Gerade die besten Kenner des intrakardialen Nervensystems, wie z. B. F.B. Hofmann, neigen der letzteren Ansicht zu. In betreff anderer glattmuskeliger Organe, in denen die Reizleitung ebenfalls myogen sein sollte, möchte ich auf das hinweisen, was oben (in $ 9) über das Vorhandensein von Nervenplexus in diesen Gebilden ge- sagt ist; dabei ist zu bemerken, daß gerade für die nervöse Leitung in einigen solchen Organen auch die myogene Schule eintritt; so hat Eng- ling,! der unter F. B. Hofmann arbeitete, nachweisen können, daß mit der histologisch nachweisbaren Degeneration der Nervengeflechte in der . Adventitia von Gefäßen das Verschwinden der Möglichkeit parallel geht, durch lokale Reizung eine Kontraktion der Arterie auf größere Strecken hin hervorzurufen. Der Verfasser folgert aus dieser Tatsache, ganz selbst- verständlich, daß die normale Reizleitung bei den Gefäßen auf nervösem Wege vor sich geht. Sehr eingehend sind diese Fragen an den Medusen von Bethe studiert, der seine Meinung dahin zusammenfaßt (a. a. O. 8. 450), daß hier die Leitung ganz sicher nervös ist. Daß im übrigen die Leitung auch außerhalb des Herzens mit Sicher- heit in den Fibrillen und nicht etwa in anderen im Herzen nicht vorhandenen nervösen Teilen vor sich geht, ist wohl im allgemeinen für jeden, der die in Betracht kommenden Tatsachen übersieht, klar, zudem ist es in neuester ‚ Zeit von Bethe? in außerordentlich schlagender Weise demonstriert worden. Er konnte nämlich nachweisen, daß in dehnbaren Nerven, wie sie z. B. Blut- -egel besitzen, die Zeit, in welcher die Erregung einen Nerven durchläuft, unabhängig von dem Grade der oft sehr bedeutenden Dehnung ist. Da nun die Fibrillen, welche in der ungedehnten Nervenfaser dieser Tiere in stark gewellten Ziekzacklinien angeordnet sind, die einzigen Teile der Nerven sind, welche nicht gedehnt werden, ist der Schluß gerechtfertigt, daß sie auch die Träger der Erregung sind. $ 12. Es ist unrichtig, dab man aus der Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Herzreizes Schlüsse auf die myogene Natur desselben machen darf. (D 4.) Sehr viel ist mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzen operiert worden. Engelmann (a. a. 0. S. 233) geht sogar so weit, die im Vergleich mit der Nervenleitung in peripheren motorischen Nerven außerordentlich geringe Geschwindigkeit, mit der sich die Bewegungsreize im Myokard fortpflanzen, als einen „direkten Einwand‘ gegen die An- nahme einer motorischen Reizleitung durch die feinen intramuskulären ! Max Engling (1908), Untersuchungen über den peripheren Tonus der Blut- gefäße. Pflügers Archiv. Bd. CXXI. S. 275. ? Bethe (1905), Ein neuer Beweis für die leitende Funktion der Neurofibrillen usw. Pflügers Archiv. Bd. 122. 8.1. 4* 52 GEORG FR. NICOLAT: Nervengeflechte zu bezeichnen: „Während die Fortpflanzungsgeschwindig- keit bei den motorischen Nerven des Frosches 20” und darüber, bei Warm- blütern noch mehr betrage, messe dieselbe im Herzen von Kaltblütern nur nach Zentimetern, zwischen Atrium und Ventrikel nur nach Millimetern.“ Beim Absterben sinke die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle im Herzen auf „zehn-, ja hundertfach kleinere Werte“, im Ischiadicus bleibe sie da- gegen auch nach dem Herausschneiden stunden-, ja tagelang merklich die- selbe. Aus allem diesem folgert Engelmann, „daß es sich also in beiden Fällen um Größen ganz verschiedener Ordnung handele“. Nun bietet zwar der Umstand, daß sich die Erregung in dem System _ der Herznerven langsamer fortpflanze als in peripheren Nerven, überhaupt keinen Anlaß, sich für eine Theorie zu entscheiden. Wir wissen nicht, ob die Erresung Ganglienzellen zu passieren hat, und ob dies, wie Munk schon 1878 hervorhob, zur Erklärung der Verlangsamung heranzuziehen ist; wir wissen noch viel weniger, worauf Bethe (a. a. 0. $. 437 £.), besonders auf- merksam macht, ob nicht in dem Fibrillengitter eine bedeutende Verlang- samung stattfindet (daß zu dieser Annahme vielfache Wahrscheinlichkeits- gründe drängen, geht aus den Ausführungen Bethes klar hervor), und wir wissen endlich auch nur sehr ungenau, wie schnell eigentlich die Erregung im Herzen verläuft (vgl. die Tabelle auf folgender Seite), aber immerhin ist zuzugeben, daß die obigen Worte Engelmanns zur Zeit der Maienblüte der myogenen Theorie einen Sinn hatten. Damals, in dem letzten Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts, war nur bekannt, daß das Nervenprinzip sich in allen untersuchten Nerven mit großer Geschwindigkeit! fortpflanze, in markhaltigen Nerven mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 40” pro Sek., in den marklosen Nerven der wirbellosen Tiere (Kephalopoden und Crustaceen) mit einer Geschwindiskeit, die immer noch über 1” pro Sekunde hinaus- ging. Eine Ausnahmestellung schien nur der Muschelnerv zu bilden, der nach Fieks Angaben mit einer Geschwindigkeit von 1°= pro Sek. leitete; doch glaubte man ganz mit Recht, dieser Angabe keine gar zu große Be- deutung beilegen zu müssen, weil dieser Nerv Ganglienzellen enthält, und Ganglienzellen bekanntlich überhaupt die Leitung zu verlangsamen scheinen (vgl. jedoch hierzu Bethe 1903 a. a. O.). Dazu kam, daß Boekelmann, der unter Engelmann gearbeitet hatte, angeblich in den marklosen Kornealfasern des Frosches eine Ge- schwindigkeit von 30 = gefunden hatte. Wenn auch Engelmann selber angibt, daß man diese Zahl nur mit großer Vorsicht verwerten dürfte, so schienen die Zahlen doch in Ermangelung ui u Daten eine gewisse Bedeutung zu besitzen. ! Die Literaturangaben siehe in meiner unten zitierten Arbeit. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 58 Seitdem aber ist es mir! 1901 gelungen, am marklosen Riechnerven des Hechtes, auf den schon Garten als geeignetes Objekt hingewiesen hatte, mit Hilfe des Kapillarelektrometers in einwandfreier Weise zu zeigen, daß hier die Erregung mit einer Geschwindigkeit fortschreitet, die der von Engelmann im Froschherzen beobachteten ungefähr gleich ist (sie liegt genau in der Mitte zwischen der von Engelmann im Ven- trikel und im Atrium gefundenen Größe). Mit Recht hebt Bethe hervor, daß seit dieser Feststellung überhaupt kein zwingender Grund vorliegt, zu irgendeiner anderen Erklärung der lang- samen Leitung zu greifen (vgl. oben), und in der Tat muß es merkwürdig berühren, daß die Leitungsgeschwindiskeit im Herzen — die, wenn sie über- haupt auf nervösem Wege erfolgt, doch nur auf marklosem Wege erfolgen kann — von Engelmann nicht mit der Leitungsgeschwindigkeit in anderen marklosen Fasern verglichen wird (die, nebenbei bemerkt, wenigstens teilweise von derselben Größenordnung ist), sondern mit der Fortpflanzungsgesch windig- keit in Muskeln (die nebenbei bemerkt, wie aus der folgenden Tabelle hervor- geht, fast 100 mal größer ist). Froschherz (Hissches Bündel) Engelmann VOBe ‘ Embryonale Herzmuskeln Fano 1, Nerven, Muscheln Fick 1 2;; Salpenherz Nicolai 20% Froschherz Engelmann, Marchand Do Nerven, Hecht Nicolai 1% Froscehherz (Atrium) Engelmann | 1 Herznerven, Limulus Carlson 40. „ Nerven, Würmer. und Mollusken | Bethe, Uxhüll u. a. | m Froschherz | Bethe, Cyon 150 Nerven im Rückenmark | Cyon 2000 Hundeherz | Bayliss, Schlüter u. a. $ 300 ,„ “Muskeln, Frosch | Bernstein u. a. 300 ,„ Peripherische Nerven, Limulus Carlson 320 , Nerven, Kephalopoden Fuchs, Boruttau u. a. 350 „ Menschenherz Waller 500 „ Muskeln bei Säugetieren | Hermann 1200 ‚, Nerven beim Frosch Helmholtz,Boekelmann 2700 ,„ Nerven beim Menschen Helmholtz-Piper bisz.12000 „, Aus dieser Tabelle, in welcher die Befunde am Herzen übersichtlich von denen an Muskeln und Nerven abgesondert sind, dürfte nur das eine mit Sicherheit hervorgehen, daß sich daraus überhaupt kein Schluß ziehen 1 G. Nicolai (1901), Über die Leitungsgeschwindigkeit im Riechnerven des Hechtes. Pflügers Archiv. Bd. LXXXV. S.65. Siehe hier auch die Literatur über Leitungsgesch windigkeit. BY GEORG FR. NicoLar: läßt. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Herzen ist erstens einmal offen- bar sehr ungenau bestimmt — die Abweichungen betragen für das Frosch- herz z. T. 3000 Prozent (!) — weiter aber liegt sie — welchen Wert man auch immer akzeptieren wollte — zwischen der in marklosen Nerven und im Muskel gefundenen Geschwindigkeit; es ist also ins Belieben des ein- zelnen gestellt, sich für das eine oder andere zu entscheiden. Marchand z.B., der als erster die Überleitungszeit genauer bestimmt hat, folgert (1877 a.a.O.) aus ihrer langen Dauer die Unmöglichkeit einer muskulären Lei- tung. Engelmann zog später aus derselben Größe den umgekehrten Schluß. Engelmann meint (a. a. O. S. 235) all diesen Feststellungen gegen- über, daß man nur die Nerven von Wirbeltieren zum Vergleich heranziehen dürfe, weil z. B. „‚die Olfactoriusfasern —- morphologisch-genetisch wie physio- logisch — von allen anderen Nerven der Vertebraten so sehr abweichen, daß große Unterschiede in bezug auf die Leitung der Erregung nicht be- fremden dürfen“. Es kann natürlich fraglich erscheinen, ob man richtiger handelt, wenn man marklose Nerven des Frosches mit marklosen Nerven anderer Tierklassen oder wenn man die marklosen Fasern des Frosches mit den markhaltigen Nerven desselben Tieres vergleicht. Den meisten dürfte wohl das erstere richtiger erscheinen. Doch istinzwischen von Carlson! auch tatsächlich festgestellt worden, daß es durchaus nicht nötig ist, dab die Herznerven und die gewöhnlichen peripheren Nerven ein und des- selben Tieres gleich schnell leiten. Beim Limulus pflanzt sich die Er- regung im Plexus cardiacus 10 mal langsamer fort, als in den peripheren Nerven. (Beiläufig ist dies auch zahlenmäßig dasselbe Verhältnis der Fort- pflanzungsgeschwindigkeiten, wie es annähernd auch zwischen Herz- und Muskelnerven bei Frosch und Säugetier besteht.) Der Unterschied be- steht nur darin, daß beim Limulus nachweislich beide Leitungen nervös sind. Außerdem aber ist zu beachten, daß die Leitungsverhältnisse am Herzen scheinbar komplizierter sind, als es auf den ersten Blick scheint. Schon aus den Engelmannschen Versuchen geht hervor, daß die Kontraktions- welle im Herzfleisch überall da eine große Verzögerung erfährt, wo sie eine schmale Brücke zu passieren hat, dabei ist es gleichgültig, ob diese Brücke — wie beim Hisschen Bündel — prädisponiert ist oder wie beim Ziekzack- versuch experimentell hergestellt wird. Gaskell hat dies dann (1883, a.a.O. 8.64) auch für das Schildkrötenherz bestätigt. Endlich hat Bethe diese Frage bei den Medusen, wo die Leitung sicher eine nervöse ist, genauer verfolgt und hier durchaus analoge Verhältnisse gefunden. Es liegt nahe, einen der- artigen Vorgang sich etwa so erklären zu wollen, wie auch eine Kolonne ! Carlson, La vitesse du courant moteur du coeur. ©. R. de la Soc. Biol. Paris. I ID 0 SER DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 55 von Lastwagen, die auf breiten Wegen schnell vorwärts kommt, ins Stocken gerät, wenn sie eine enge Brücke passieren muß; doch würde eine solche Vorstellung, wie ich meine, zu der Annahme zwingen, daß große und starke Erregungen sich langsamer ausbreiten, was, wie ich zeigen konnte, für den Olfactorius des Hechtes ebensowenig zutrifft wie das oft behauptete Gegen- teil (daß nämlich starke Erregungen sich schneller ausbreiten). Man könnte auch daran denken, daß gewisse Teile des Nervennetzes (z. B. die einge- schalteten Ganglienzellen) langsamer leiten. Normalerweise können solche Stellen durch Umwege umgangen werden, in schmalen Brücken aber nicht. Hiermit würde die Angabe Bethes übereinstimmen, daß die Verbindung zwischen Atrium und Ventrikel, wo normalerweise allein eine Verlangsamung stattfindet, nur durch die Bidderschen Ganglienzellen vermittelt wird. Doch wie dem auch sei — mir scheint, daß auf diese eigenartige Tat- sache in bezug auf die theoretische Verwertung der Ergebnisse der Fort- pfanzungsgeschwindigkeitsbestimmungen bisher zu wenig Rücksicht genom- men ist. Hinweise hierauf habe ich außer an der zitierten Stelle bei Bethe nur bei Engelmann und Hofmann gefunden. Diese Autoren heben be- sonders hervor, daß die Leitung im Hisschen Bündel langsamer sei, und weisen auf die Schwierigkeit hin, die hierdurch für die neurogene Theorie gegeben sei, weil zwischen den Nervennetzen im Bündel und den sonstigen Nervennetzen „weder in bezug auf Bau, Form, Dimensionen, Entwicklung oder sonstige Eigenschaften irgendein Unterschied bestehe, während doch die Muskulatur im Bündel embryonal geblieben sei“. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgehen dürfte, sind diese Anschauungen zu eng und tragen nur den Verhältnissen am Bündel, nicht aber denen im ganzen übrigen Herzen Rechnung. $ 13. Die Entdeckung des Hisschen Bündels ist kein Beweis für die myogene Theorie — Neuere Anschauungen über das Reiz- leitungssystem. (D 5.) Als eine der wesentlichsten Stützen der myogenen Theorie erivies sich die Auffindung des sogenannten Hisschen Bündels. Die alte Dondersche . Lehre, wonach die Muskelmasse des Vorhofes von der des Ventrikels voll- ständig gesondert sei, mußte jede Annahme einer ausschließlich myogenen Leitung unmöglich machen, und in der Tat begann denn auch erst die allgemeine Anerkennung der myogenen Lehre, als in den 90er Jahren das Vorhandensein einer solchen muskulären Verbindung, wie sie bei den Fischen schon lange bekannt war, für alle Tierklassen sichergestellt war. Das Herz verrät bei den Fischen noch deutlich seinen Ursprung aus einem einzigen muskulären Schlauch; es ist eine fortlaufende Muskelmasse, die vom Venen- sinus bis zum Bulbus aortae reicht. Für die höheren Tiere hatte schon im Jahre 1856 Bidder eine direkte Muskelleitung vom Vorhof nach den Ventrikeln vermutet, Paladino! hatte 1 @. Paladino (1876), Contribuzione all’anatomia, istologia e fisiologia del cuore. Il moviment. med. chirurg. Separatabdruck. Napoli 8. 44. p. 56 GEORG FR. NICOoLAL: sie 1876 bei verschiedenen Wirbeltieren genauer beschrieben, doch wurde erst durch Gaskell! die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Dinge gelenkt, als er 1883 am Herzen der Schildkröte nachwies, daß es bei diesen Tieren sowohl zwischen dem Sinus und dem Vorhof, als auch zwischen dem Vorhof und dem Ventrikel muskulöse Verbindungsfasern gibt. Nachdem inzwischen diese Muskelverbindungen mehrfach geleugnet waren (so z. B. von Mc William?) wurde zehn Jahre später eine muskulöse Verbindung zwischen Atrium und Ventrikel auch für das Säugetierherz nachgewiesen. Kent? und His“ fanden sie fast gleichzeitig und unab- hängig voneinander. Beide betonen, daß sie bei jugendlichen Herzen relativ stärker entwickelt sei, was sehr wohl mit der Auffassung übereinstimmen würde, daß es sich dabei um ein funktionell unwichtiges Residuum einer phylogenetisch älteren Entwicklungsstufe handelt. „Dieses Muskelbündel“, sagt His, der die genaueste Beschreibung davon gegeben hat, „entspringt von der Hinterwand des rechten Vorhofes, nahe der Vorhofscheidewand. An der Artrioventrikularfurche legt sich die obere Kante des Kammer- scheidewandmuskels unter mehrfachem Faseraustausch an, zieht auf dem- selben nach vorn, bis es nahe der Aorta sich in einen rechten und linken Schenkel gabelt, welch letzterer in der Basis des Aortenzipfels der Mitralis endigt.“ Kent hat dies Bündel in verschieden starker Mächtigkeit bei allen untersuchten Tierarten (Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen, Hunder, Igeln und Affen) gefunden. Retzer? hat es unter Spalteholz bei kleinen Herzen durch mikroskopische Serienschnitte, an großen Herzen durch makroskopisch sichtbare Präparation nachgewiesen. Wichtig ist, daß er das Vorhandensein des Bündels auch für den Menschen bestätigen konnte. Bräuning® unter Engelmann und Humblet” haben das Bündel 1 Gaskell (1883), On the innervation of the heart asf. (of the tortoise). Journ. of Physiol. Vol. IV. p. 48. ? J. A. Mc William (1885), On the structure and rhythm of the heart in fishes with special reference to the heart of the eel. Zbenda. Vol. VI. p. 192. 3 Stanley Kent (1893), Researches of the structure and function of the mam- malian heart. Zbenda, Vol. XIV. * His (1893), Tätigkeit des embryonalen Herzens usw. Abhandlungen der Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Math.-physik. Kl. 19. I. 5 Retzer (1904), Muskulöse Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel des Säugetierherzens. Dies Archw. 1904. Physiol. Abtlg. 8.1. ® Bräuning, Muskulöse Verbindung zwischen Vorkammer und Kammer ver- schiedener Wirbeltierherzen. Ebenda. 1904. Physiol. Abtlg. Süppl. 8. 1. ” Humblet, Le faisceau inter-auriculoventrieulaire ete. Arch. intern. de physiol. 1904. 0 1 ps! DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGSs. 57 ebenfalls histologisch untersucht und sein Vorhandensein bestätigt. Vgl. hierzu auch die Arbeit von Lohmann.! So dürfen wir wohl nicht daran zweifeln, daß die alte Dondersche Lehre von der muskulären Isolation zwischen Vorhof und Ventrikel auch vom anatomischen Standpunkt aus ein Irrtum war. Anatomische Meinungsverschiedenheiten bestehen nur noch insofern, als man im Zweifel sein kann, ob die Muskelfasern, welche das Bündel bilden, mit gewöhn- lichen Muskelfasern identisch sind, oder ob es sich um eine Modifikation derselben handelt, und zwar spricht man dabei meistens von embryonal gebliebenen Muskelfasern. Diese histologische Frage ist nicht ohne Bedeutung für die Physiologie (denn da die Leitung an dieser Stelle sehr viel langsamer von statten geht als im übrigen Herzen, so müßten die Myogeniker eigentlich nachweisen, daß die Muskelsubstanz an dieser Stelle anders gebaut ist als im übrigen Herzen; zumal scheint das dann geboten, wenn man in diesen Fasern, die man auch als „Blockfasern‘“ bezeichnet, das sekundäre rhythmische Zentrum des Herzens sieht (vgl. jedoch zu der Frage nach der Leitungs- geschwindigkeit im Hisschen Bündel auch den vorigen Paragraph S. 54 u. 55). Eine Übersicht der älteren Literatur findet sich bei Heinz.? Heute ist die ganze Frage durch ausgezeichnete Arbeiten, die meist aus der Aschhoffschen Schule stammen, in ein durchaus anderes Stadium getreten, und im Sinne einer Sonderstellung dieser Fasern entschieden. Das Wesent- liche hat Tawara® in seiner grundlegenden Monographie geleistet. Er hat erstens einmal in bezug auf das Hissche Bündel selbst gefunden, daß es dicht oberhalb des Septum fibrosum atrioventriculare einen höchst kompli- ziert gebauten Knoten (den sogen. Atrioventrikularknoten) bildet, dann das Septum durchbricht und in zwei getrennten Schenkeln an der Kammer- scheidewand herabläuft. Diese beiden Stränge verlieren sich nicht, wie man geglaubt hat, einfach in der Kammermuskulatur, sondern verlaufen subendo- ‚kardial als distinkt wunterscheidbares „Reizleitungssystem“ bis nahe zur Spitze (bzw. durchsetzen sie auch die Ventrikelhohlräume in Form von Trabekeln oder falschen Sehnenfäden). Auf diese Weise gelangen sie zum Teil von dem freien, zum Teil von dem festgewachsenen Ende an die Papillarmuskeln und treten im wesentlichen erst an der Spitze mit den peripheren Wandschichten der Kammermuskulatur in Verbindung. Diese Ausbreitungen im Ventrikel waren seit langem unter dem Namen 1 A.Lohmann, Zur Anatomie der Brückenfasern und der Ventrikel des Herzens. Dies Archiv. 1904. Physiol. Abtlg. 8. 431—452. Suppl. 8. 265—270. ® Heinz, Handbuch der, experim.. Pathologie und Pharmakologie. S. 652 f. Jena 1905, Fischer. ® Tawara, Das Reizleitunyssystem des Säugetierherzens. Jena 1906. 58 GEORG FR. NIcoLAr: der Purkinjeschen Fasern! besonders am Schafherzen bekannt, waren aber, wie so viele Befunde dieses vielseitigen Beobachters, kaum be- achtet worden. Tawaras großes Verdienst ist es, nicht nur die Auf- merksamkeit wieder auf sie gelenkt und gezeigt haben, daß es sich um eine in der Tierreihe allgemein verbreitete Erscheinung handelt, sondern auch den Zusammenhang zwischen ihnen und dem Hisschen Bündel nach- gewiesen zu haben. Diese Befunde sind inzwischen mehrfach bestätigt worden. Zwar Fahr? konnte ursprünglich einen Übergang des Hisschen Bündels in ein struk- turell differentes subendokardiales Netzwerk nicht nachweisen. Doch kommt es jetzt auf Grund sehr sorgfältiger Rekonstruktionsversuche zu einem günstigen Resultat. Vor Keith,? Flack,* Retzer,’ Nagayo,® Möncke- berg’ u. a. liegen zum Teil sehr eingehende Beschreibungen vor, welche die Tawaraschen Befunde für alle Tierklassen sicherstellen. Aschoff® meint, daß „alle entgegenstehenden Angaben sich als Irrtum herausgestellt haben“. All diese Arbeitenhaben nun auch die histologische Struktur desReizleitungs- systems klar gelegt. Aschoff faßt die hierhergehörigen Bestrebungen dahin zusammen, daß die Muskelfasern des Vorhofabschnittes und des sogenannten Atrioventrikularknotens durch ihre Schmalheit, durch ihre weniger starke Entwicklung der fibrillären Substanz, durch die mehr ovale Kernform und durch die Art der Anordnung von der übrigen Vorhofmuskulatur unter- schieden sind, daß andererseits der Kammerabschnitt durch auffallend dicke Fasern, welche ein sehr reiches perinukleäres Sarkoplasma aufweisen, ge- kennzeichnet ist. In diesem Sarkoplasma findet sich reichlich Glykogen; besonders bei den Huftieren, so daß durch die Glykogenfärbung allein schon die Fasern kennt- lich gemacht werden können (Nagayo, Mönckeberg). Auch Fettkörnchen finden sich sowohl in dem perinukleären Sarkoplasma, wie auch inter- ! Purkinje (1839), De musculari cordis structura. Bogislaus Palicki 1839. ®2 Fahr (1907), Muskulöse Verbindungen zwischen Vorhof und Ventrikel usw. Virchows Archw. Bd. CXLVIIL H.3. ® A. Keith (1906). The auriculo-ventrieular bundle of His. Zancei. Vol. CLXX. p- 628. * Martin W. Flack (1906), The auriculo ventrieular bundle of the human heart. Zbenda. Vol. CLXXI. p. 359. 5 Retzer (1908), Some results of recent investigation on the mammalian heart. The anatomical Record. 1908. Nr. 2. p. 149. ® Nagayo (1908), Über den Glykogengehalt des Reizleitungssystems des Säuge- tierherzens. Verhandl. der Deutschen patholog. Gesellschaft in Kiei. XII. p. 150. ” Mönckeberg (1908), Untersuchungen über das Atrioventrikularbündel im menschlichen Herzen. Jena, Fischer. 8 Aschoff (1909), Über die neueren anatomischen Befunde am Herzen und ihre Beziehungen zur Herzpathologie. Medizinische Klinik. 1909. Nr. 8 u. 9. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 59 fibrillär sehr häufig in den Fasern des Kammerabschnitts (Tawara, Mönckebersg). Für das Hissche Bündel ist ein Zusammenhang mit der Reizleitung sicher konstatiert; schon His! selber kam in einer späteren Arbeit mit Graupner auf Grund von Durchschneidungsversuchen zu diesem Re- sultat, doch ist seine Arbeit nicht gebührend berücksichtiset worden und erst später — auf Grund der allerdings sehr viel ausführlicher publizierten kombinierten Untersuchungen von Hering und Tawara? sowie der Er- langerschen? Untersuchungen kam dieser Zusammenhang zur Kenntnis weiterer Kreise. Tawära konnte an Hundeherzen, bei denen Hering intra vitam Durchschneidungsversuche gemacht hatte, in mikroskopischen Serienschnitten nachweisen, daß immer das Bündel verletzt war, falls die Durchschneidung zu einer Überleitungsstörung geführt hatte. (Die Ewald- sche Arbeit, die zu ähnlichem Resultat geführt hatte, war schon S. 28 er- wähnt worden.) Auch neuere klinische und pathologisch-anatomische Be- funde deuten darauf hin. Der erste Hinweis findet sich ebenfalls bei His in der schon zitierten Arbeit von 1899. Seitdem hat man bereits in sehr vielen Fällen von sogenanntem Adams-Stokesschem Symptomenkomplex, bei dem es sich ebenfalls um eine völlige Blockierung zwischen Atrium und Ventrikel handelt, nach der Sektion auf mikroskopischem Wege zeigen können, daß hierbei das Bündel durch fibröses Gewebe bzw. durch Kalk- herde völlig unterbrochen war. Die reichhaltige Literatur findet sich zu- sammengestellt bei Pletnew“* und in einer neueren Arbeit von His.° Nagayo® hat auf Grund eines eigenen gut untersuchten Falles die vor- liegende Literatur kritisch gesichtet. Jüngst hat auch Aschoff (a. a. O. S. 312£.) die bisherigen Resultate eingehend besprochen. ! Die Kurven und Präparate dieser Versuche sind dem internationalen Physio- logenkongreß in Bern 1896 demonstriert. Eine kurze Erwähnung der Versuche findet sich in His (1899), Ein Fall von Adams-Stokesscher Krankheit mit ungleichzeitigem' Schlagen der Vorhöfe und Herzkammern. Deutsches Archiv für klinische Medizin. Bd. LXIV. S. 320. 2 Hering (1906), Die Durchschneidung des Übergangsbündels beim Säugetier- herzen. Pflügers Archiv. Bd. CXI. S. 298 und Tawara (1906), Anatomisch- histologische Nachprüfung usw. Zbenda. 8. 300. ® Erlanger (1906), On the physiology of heart-block in mammals. Journ. of experiment. Med. Vol. VII u. VIII und Brit. med. Journ. 1906. II. p. 111 sowie dessen Arbeit mit Hirschfelder im Americ. Journ. of Physiol. XV. 1. Jan. * Pletnew (1908), Der Morgagni-Adams-Stokessche Symptomenkomplex. Zrgeb- nisse der Inner. Mediz. u. Kinderheilkunde. Berlin, 5 His (1909), Über den Adams-Stokesschen Symptomenkomplex. Charite Annalen Berlin. Bd. XXXI. S. 3. € Nagayo (1909), Pathologisch-anatomische Beiträge zum Adams-Stokesschen Symptomenkomplex. Zeitschrift für klin. Medizin. Bd. LXVI. S. 495. 607 2 GEORG FR. NIconAr: All dies sind wichtige Gründe, die dafür sprechen, daß das Ver- bindungsbündel in Beziehung zur Reizleitung steht, und es liegt demnach nahe, auch seine Verzweigungen, nämlich die Purkinjeschen Fasern mit der Reizleitung in Zusammenhang zu bringen, wie dies auch von allen Untersuchern geschehen ist. Es hat sich dementsprechend auch von keiner Seite Widerspruch gegen den von Tawara gewählten Namen „Reiz- leitungssystem“ erhoben. Die Auffindung der in obigem kurz skizzierten Tatsachen mußte naturgemäß anfänglich so wirken, als hätte eine von der myogenen Schule durch Kombination aufgestellte Vermutung durch neuentdeckte Tatsachen eine reale Bestätigung gefunden, und nichts kann selbstverständlicher- weise eine Theorie mehr stützen, als wenn man mit ihrer Hilfe neue Tat- sachen findet. \ Sieht man aber heute — ohne Voreingenommenheit nach beiden Seiten hin — die gefundenen Tatsachen an, so scheint folgendes festzustehen: Das Hissche Bündel ist zwar ein Teil des Purkinjeschen Fasersystems und scheint wie dieses in naher Beziehung zur Reizleitung zu stehen, aber die Purkinjeschen Fasern sind erstens einmal keine eigentlichen Muskelfasern (s. oben die Aschoffschen Ausführungen) und sind andererseits ebenfalls von Nervenfibrillen umsponnen. Wir wollen hier die Beziehungen des Hisschen Bündels zu den nervösen Gebilden überhaupt, also auch zu den Ganglienzellen erörtern. Aus den Darstellungen der Autoren geht hervor, daß von der hinteren Koronarfurche aus zahlreiche Nervenfasern in den Atrioventrikularknoten eindringen, und daß die die Nervenfasern begleitenden Ganglien dem Knoten mehr oder weniger aufgelagert sind. Besonders bei den Huftieren ist diese Einlagerung nervöser Elemente eine besonders reichliche, wie sie an keinem sonstigen Abschnitt der Herzmuskulatur gefunden wird. Auch auf den Verzweigungen (also längs der Purkinjeschen Fasern) sind „dichte Nervenbündel“ auf- gelagert. Tawara meint, daß die Nervenfasern, welche das ganze Reiz- leitungssystem in dichten Zügen umspinnen, in den Ganglienzellen, welche in der Nähe des Knotens liegen, entspringen. Beim Menschen konnten, wie Aschoff (a. a. O. S. 272) erwähnt, nur die Ganglienzellen, nicht aber die Nervenfasern nachgewiesen werden. Doch fährt Aschoff fort, daß es wohl sicher anzunehmen sei, daß weitere Untersuchungen an recht frischem Material doch noch zu einem positiven Ziel führen werden. Nach dem Gesagten erscheint es nur natürlich, daß die Aschoffsche Sehule den Knoten als kardiomotorisches Zentrum in Anspruch nahm. Doch wurde diese Bezeichnung zurückgenommen, weil Hering darauf auf- merksam machte, daß alle physiologischen Tatsachen darauf hinwiesen, daß der normale Herzreiz in der ursprünglichen Sinusgegend entsteht. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HrrzscHLacs. 61 Hier hatten schon Wenckebach! sowie Schönberg? Gebilde gesehen, die an das Hissche Bündel erinnerten, doch wurde diese Ähnlichkeit von Koch? nicht bestätigt. Es war daher außerordentlich wichtig, als Keith und Flack“* und andere in jener Gegend ein Gebilde entdeckten, daß in seinem Aufbau große Ähnlichkeit mit dem Tawaraschen Atrioventrikularknoten besaß. Wie dieser wird auch der „Sinusknoten‘“ von Fasern gebildet, die man als embryonal bezeichnen kann, wie dieser wird er von einer auffallend großen Arterie zentral durchsetzt und hat enge Beziehungen zu Nervenfasern und Ganglienzellen. Ja Koch, der im ganzen die Befunde Keiths durchaus bestätigt, sagt, daß beim Sinusknoten die Durchsetzung mit Ganglienzellen und Nerven noch prägnanter sei, als beim Atrioventrikularknoten. Ob und in welcher Form Verbindungen — seien es muskulöse oder nervöse — zwischen den beiden Knoten existieren, ist bis jetzt nicht be- kannt — wird aber zweifelsohne bald sichergestellt werden.’ Aber auch ohne dies darf heute schon als sicher angenommen werden, daß das Tawarasche Reizleitungssystem in der Tat leitet — wenigstens besser leitet als alle übrigen Herzgebilde — , und daß es reichlich — reichlicher als die anderen Muskeln — Nerven enthält. Und weiter darf es als sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, daß beide Knoten tatsächlich, wie Aschoff und Tawara es ur- sprünglich vom Atrioventrikularknoten behauptet hatten, kar- diomotorische Zentren sind. ı Wenckebach (1906 u. 7), Dies Archiv. 1906. Physiol. Abtlg. 8.297. 1907. Physiol. Abtlg. 8. 1. 2 Schönberg (1908), Über Veränderungen im Sinusgebiet des Herzens bei chronischer Arhythmie. Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. Bd.1II. S. 152, hier auch Literaturübersicht. 3 Koch (1909), Über die Struktur des oberen Cavatrichters und seine Beziehungen zum Pulsus irregularis perpetuus. Deutsche medizinische Wochenschrift. Nr. 10. 8.429. * Keith und Flack (1907), The form and nature of the muscular connections of the primary divisions of the heart. Journ. of Anat. and Physiol. Vol. XLI. p. 172. 5 Inzwischen ist es Ch. Thorel (Vorläufige Mitteilung über eine besondere Muskelverbindung zwischen der Cava superior und dem Hisschen Bündel. Münchener med. Wochenschrift. 1909. S. 2154) gelungen, in lückenlosen Serienschnitten nach- zuweisen, daß zwischen der Cava superior und dem Keith-Flackschen Sinusknoten einerseits und dem Aschoff-Tawaraschen Knoten andererseits eine spezifische Muskelverbindung existiert, deren Elemente in jeder Hinsicht den Bau der Purkinje- schen Fäden haben. Jedoch wird die Richtigkeit dieser Befunde von der Aschoff- schen Schule bestritten. Vgl. hierzu die Arbeit von Koch (1909), Weitere Mitteilungen über den Sinusknoten des Herzens. Verhandlungen der deutschen patholog. Gesell- schaft. Bd. XIII. S. 85. 62 GEORG FR. NICOLA: Gehen doch von diesen beiden Gegenden die Herzreize aus: vom Sinus- knoten die normalen Herzreize, vom Atrioventrikularknoten gewisse Formen der Extrasystole, bei denen der Erregungsablauf normal ist (vgl. hierzu den folgenden Paragraphen). Am naheliegendsten scheint nun die Annahme, daß dieses Faser- system, in dem sehr wohl die Leitung rein nervös sein kann, sich deshalb von allen anderen Muskelfasern differenziert hat, weil es eben nicht sowohl zur Kontraktion als zur Reizleitung in Beziehung steht. Gerade diese Differenzierung scheint ein bemerkenswerter Hinweis darauf, daß die eigentlichen Muskeln inklusive der umspinnenden Fibrillen nicht gut geeignet sind für die Reizleitung; auf keinen Fall aber darf der genannte Umstand als eine Stütze der myogenen Theorie ange- sehen werden. | Ganz im Gegenteil scheint mir die Entdeckung des Purkinje-Tawara- schen Systems und der Nachweis seiner Beziehung zur Reizleitung eine verbeißungsvolle Möglichkeit zu bieten, um trotz des nach allen Rich- tungen hin netzförmig verzweigten Muskelsyncytiums und trotz des alles umspinnenden Nervennetzes ein anatomisches Substrat für eine Erregungsleitung auf bestimmten Bahnen zu finden. S$S 14. Gebahnte und ungebahnte Reizausbreitung (D 6). Hiermit komme ich zu einer Frage, die den Ausgangspunkt meines speziellen Interesses an der myogenen Theorie gebildet hat. Die Frage, ob der Reiz sich diffus oder auf bestimmten Bahnen ausbreitet, ist wichtig — wichtig nicht nur in bezug auf die Theorie, sondern wie schon Albrecht hervorgehoben hat, auch in bezug auf die Mechanik des Herzens und damit in bezug auf außerordentlich viele praktische Fragen. Gerade in dieser Beziehung haben die von der myogenen Schule verbreiteten Vorstellungen nachweislich die tatsächliche Kenntnisnahme gestört, wie ich bereits in meiner Mechanik des Kreislaufs (8. 822) auseinanderzusetzen versucht habe. Hier läge also in der Tat ein Anlaß vor, von einer „myogenen Irrlehre“ zu sprechen, wie Cyon es übertriebenerweise ganz allgemein tut. Für diese Frage erweist sich eine myogene Theorie nicht nur als faisch — das wäre nicht schlimm, jede Theorie muß in gewissem Sinne falsch sem —, sondern auch als irreleitend und den Fortschritt hemmend. Der ursprüngliche, von Engelmann scharf formulierte Sinn der my- ogenen Reizleitungstheorie lag darin, daß sich die Erregung in dem Muskel- maschenwerk des Herzens von jedem Punkte aus und nach allen Seiten DiE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 63 hin gleichmäßig ausbreite.e Auch Langendorff (a. a. O. S. 340) sieht in der Annahme einer peristaltisch fortschreitenden Erregungswelle den „eigent- lichen Kernpunkt der myogenen Lehre“. Und dieser Kernpunkt ist falsch. Der Satz von der gleichmäßigen Reizausbreitung muß aus seiner Zeit heraus beurteilt werden; als er entstand, bildete er eine notwendige Reaktion gegen die zuerst von Kürschner und Budge ausgegangene durch die Autorität W. Volkmanns gestützte, von anderen auf Treu und Glauben hingenommene Behauptung, daß jede, wo immer angebrachte künstliche Reizung der Herzwand, wenn überhaupt, so stets eine in normaler Weise erst die Vorkammern, dann die Kammern ergreifende Herzrevolution auslöse. — Eine Umkehrung der Schlagfolge sollte nicht eintreten können. Hier- nach mußten alle durch künstliche Reizung erzeugten Herzpulse Reflex- kontraktionen, also durch Nerven und Ganglien vermittelt sein. Diese Kürschner-Volkmannschen Behauptungen sind ebenfalls falsch, und es ist ein nicht zu gering zu schätzendes Verdienst von Marchand,! und späterhin von Engelmann,? auf Grund ihrer damaligen mühseligen und mangelhaften elektrokardiographischen Aufnahmen nachgewiesen zu haben, daß jeder Punkt des Herzens (wenigstens ungefährer) Reizaus- sangspunkt sein kann, und daß bei künstlicher Reizung sich die Erregung gleichmäßig ausbreitet. Aber Engelmann ging weiter: Nachdem er in ausführlichster Weise die mit Kurven und Abbildungen be- legten und in extenso publizierten Protokolle seiner Versuche über die gleich- mäßige Reizausbreitung bei künstlicher Herzreizung erläutert und daraus ganz einwandfrei den Schluß gezogen hat, daß die Erregung sich bei künstlicher Reizung gleichmäßig ausbreitet — fährt er fort und be- hauptet, dasselbe auch bei spontanen Herzschlägen nachgewiesen zu haben. Hierfür aber fehlen Belege, Kurven und überhaupt alle näheren An- - gaben. Wie Engelmann zu diesem Ergebnis gekommen sein kann, ist natür- lich schwer zu sagen! — Da aus Gotchs sowie aus meinen messenden Ver- suchen am Froschherzen hervorgeht, daß das Elektrokardiogramm bei künst- licher Reizung ein ganz anderes gewesen sein muß, als bei natürlichen Systolen, und da zudem Engelmann mit einer Methode arbeitete — dem repetierenden Rheotomverfahren —, die bei natürlicher Schlagfolge gar nicht anwendbar ist, so darf man wohl füglich bezweifeln, daß Kurven existieren, die zu dieser Schlußfolgerung berechtigen. ! Marchand (1877), Beiträge zur Kenntnis der Reizwelle und Kontraktionswelle des Herzmuskels. Pflügers Archiv. Bd. XV. 8. 511 und Bd. XVII. 8. 137. ? Engelmann (1878), Über das Verhalten des tätigen Herzens. _Zbenda. Bd. XVII. S8. 68. .64 GEORG FR. NICoLAr: Doch wie dem auch sei, bedauerlich bleibt es auf alle Fälle, daß man während der folgenden 50 Jahre nicht einen einzigen Versuch gemacht hat, die zugrunde liegenden Tatsachen einmal nachzuprüfen. Man hätte nur nötig gehabt, einmal die Engelmannsche Originalabhandlung zur Hand zu nehmen, und man hätte gefunden, daß die dort behauptete Tatsache — das Auftreten eines diphasischen Aktionsstromes bei spontanem Herzschlag — durch die neueren elektrokardiographischen Untersuchungen längst widerlegt war. Wir wissen schon seit 1880, daß das normale Elektrokardiogramm kein dipha- sischer Aktionsstrom ist, aber die glatte Engelmannsche Formel vom Jahre 1878 haftet im Gedächtnis, während man offenbar die angebliche „be- sründende Tatsache“ vergessen hatte; deshalb ist es auch niemandem ein- gefallen nachzusehen. Im $ 52 unserer vor kurzem erschienenen ausführlichen Arbeit über das Rlektrokardiogramm haben Kraus und ich! die mannigfachen Versuche geschildert, die von verschiedenen Seiten gemacht worden sind, um das wirk- liche Elektrokardiogramm mit den Schlußfolgerungen in Überein- stimmung zu bringen, welche Engelmann aus seinen Vorstellungen vom Elektrokardiogramm gezogen hat. Es ist dies ein Beispiel von dem Schaden, den eine selbst gut durchgearbeitete Theorie in der Wissenschaft anrichten kann. Nur F. B. ann? hat mehrfach darauf hingewiesen, daß der Erregungsablauf möglicherweise eine ganz bestimmte, von den äußeren Bedingungen abhängige Form habe. Wir wären heute zweifellos in der Kenntnis des Herzmechanismus weiter, wenn man schon 1880 erkannt hätte, daß es nicht darauf ankommt, die neugefundenen Tatsachen der Theorie (also in diesem Falle der angeb- lich gleichmäßigen Reizausbreitung) anzupassen, sondern daß man im Gegen- teil versuchen müsse, aus der neugefundenen Tatsache (d. h. aus der genau bekannten Form des Elektrokardiogramms) die wirkliche Reizausbreitung abzuleiten. Diesen Weg habe ich? einzuschlagen versucht und die Resultate meiner diesbezüglichen Untersuchungen habe ich Ihnen vor etwa einem Jahre ebenfalls hier in der Physiologischen Gesellschaft vorgetragen. Ich lasse das Detail beiseite und resumiere das Wesentliche. Bei künstlicher Reizung sowie unter ganz bestimmten pathologischen Bedingungen ist die elektrische Begleiterscheinung des Herzschlages ein diphasischer Aktionsstrom, und daraus läßt sich in der Tat die regelmäßige ! TeilI aus Kraus und Nicolai (1910), Das Elektrokardiogramm des gesunden und kranken Menschen. Leipzig, Veit & Comp. :2 F. B. Hofmann (1901), Über die Änderung des Kontraktionsablaufes am Ventrikel und Vorhofe des Froschherzens bei Frequenzänderung und: im hypodynamen Zustande, Pflügers Archw. Bd. LXXXIV. S. 130. 3 @. Nicolai (1907), Über den Ablauf der Erregungsleitung im Säugetierherzen. Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft Berlin. 22. XI. 07. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XXI. Nr. 20. Dir TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HErzscHLAGs. 65 Reizausbreitung folgern. In allen anderen und vor allem in allen nor- malen Fällen sieht jodoch das Elektrokardiogramm ganz anders aus und ist ein Ausdruck dafür, daß die Erregung von der Basis zur Spitze und dann wieder zurück zur Basis läuft, und zwar ist es am wahrscheinlichsten, daß die Erregungswelle von den Vorhöfen durch das Hissche Bündel in das Papillarsystem der Ventrikel (also insonderheit in das System der Pur- kinjeschen Fasern) einstrahlt, in diesem zur Spitze läuft und sich gleich- zeitig in dem eigentlichen Herzfleisch, also in den Treibwerk des Herzens ausbreite. Da hierbei vor allem die äußeren Schichten (die ich ihres schrägen Verlaufs wegen Spiralfasern nennen möchte) ihren Reiz von der Spitze aus erhalten, ist es nicht wunderbar, daß die letzten Fasern, die in Erregung geraten (bzw. in Erregung sind), in der Nähe der Herzbasis gelegen sind. Es dürften dies im wesentlichen die Muskelmassen des Conus arteriosus sein. Diese Annahmen sind seitdem in der Literatur mehrfach diskutiert worden. Einthoven! hat ihnen völlig zugestimmt, ebenso im wesentlichen Kahn.” Samojloff? hat einige Tatsachen, die ihm dafür und einige, die ihm dagegen zu sprechen scheinen, angeführt. Eine besonders wertvolle tatsächliche Bestätigung obiger Deduktionen erblicke ich aber in den Arbeiten von F. Salzmann‘ und von H. E. Hering,° die beide die grundlegende Tatsache, daß das Papillarsystem sich vor dem eigentlichen Herzmuskel kontrahiert, mittels mechanischer Registrierung der Herztätigkeit — also auf ganz anderem Wege —, und zwar unabhängig von unseren Unter- suchungen gefunden haben. Doch ob nun auch alle einzelnen Behauptungen bestätigt werden sollten oder nicht, dem Kernpunkt meiner Ausführungen, womit ich mich in einen Gegensatz zu den bisherigen Untersuchern in dieser Frage setzte, und der darin besteht, daß man auf Grund des Elektrokardio- gramms die Reizausbreitung auf prädisponierten und kompli- ziert angeordneten Bahnen behaupten könnte, ist bisher von keiner Seite widersprochen, und dieser Satz darf daher wohl als allgemein akzep- tiert angesehen werden. ! W. Einthoven (1908), Weiteres über j28 Elektrokardiogsramm. Pflügers Archiv. Bd. CXXI. 8. 517. ”R.H.Kahn (1909), Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardiogramms. Zbenda. Bd. CXXVL S. 197. ® Samojloff (1908), Elektrokardiogrammstudien. Aus Beiträge zur A agr und Pathologie. * F. Saltzmann (1908), Über die Fortpflanzung der Kontraktion im Herzen mit besonderer Berücksichtigung der Papillarmuskeln. Skandin. Archiv. Bd.XX. 8.233. > H. E. Hering (1908), Über den Beginn der Papillarmuskelkontraktion und seine Beziehungen zum Atrioventrikularbündel. Pflügers Archiv. Bd. CXXVI. S. 225. Archiv f. A.u. Ph, 1910. Physiol, Abtlg. 5 66 GEORG FR. NIcoLAar: Damit aber ist die Lehre von der gleichmäßigen Reizaus- breitung im Herzen — eine der Hauptstützen der myogenen Theorie — gefallen. $ 15. Zusammenfassung. Alle die zahlreichen bisher diskutierten Arbeiten lassen sich nun zu folgenden tatsächlichen Konstatierungen zusammenfassen. 1. Wo immer sich Nervöses vom Muskulösen auf chirurgisch- experimentellem Wege trennen läßt, da läßt sich der stringente Nachweis erbringen, daß die Muskeln der normalen Kontraktion dienen, während normale Reizerzeugung und Reizleitung in der nervösen Substanz stattfindet. Dies gilt nicht nur für alle periphere Muskulatur, sondern auch für alle glattımuskeligen Organe (Darm, Medusenschirm, Schneckensohle, Limulusherz usw.). 2. In allen denjenigen Organen, bei denen sich auf chirurgisch- experimentellem Wege das Nervöse vom Muskulösen nicht trennen läßt, sind überall, wo Reizerzeugung stattfindet, Ganglienzellen und überall, wo Reizleitung stattfindet, Nervenfibrillen gefunden worden. Dies gilt insonderheit für alle Herzen (mit Ausnahme des unter 1. fallenden Limulusherzen). 3. Eine (scheinbare!) Ausnahme hiervon müssen naturgemäß jene Organismen (bzw. Organe) bilden, bei denen es noch nicht zu einer erkennbaren Sonderung in Muskeln und Nerven gekommen ist. Dies gilt für die Neuromuskelzellen der niedersten Tiere, sowie für das embryonale Herz. Gegen diese tatsächliche Konstatierung dürfte kaum etwas ‚Tat- sächliches‘“ einzuwenden sein. Die Nutzanwendung in bezug auf die myogene Theorie müssen Sie allerdings selber daraus ziehen. Der Zweck dieses Vortrags war ja auch nicht, eine Theorie zu widerlegen und eine andere zu begründen, sondern es kam mir nur darauf an, Ihnen die zu- grunde liegenden Tatsachen möglichst objektiv vorzuführen. Die neurogene Theorie ist erwiesen für alle unter 1. genannten Gebilde inklusive des Limulusherzens. Für das Säugetierherz sie zu erweisen, wäre nur dann möglich, wenn es auch hier gelänge, Nervöses vom Musku- lösen auf chirurgisch vivisektorischem Wege zu trennen, denn nur dann könnte der positive Beweis geführt werden, daß das Nervöse im Herzen tatsächlich Reize erzeugt bzw. leitet; daß dies für den heutigen Stand unseres Wissens unmöglich ist und daß die möglichen Konstatierungen immer DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HeErzscHLacs. 67 nur negativ sein können, wurde schon mehrfach hervorgehoben. Negationen aber können niemals die Grundlage eines Beweises sein. Von all diesen Beweisen also, welche die myogene Theorie für sich in Anspruch nahm, hat sich keiner als stichhaltig erwiesen, alle erscheinen - durch die seitdem erfolgten neuen tatsächlichen Feststellungen erledigt oder doch zum mindesten erschüttert. Wir dürfen demnach unsere eingangs aufgestellte Behauptung auf- recht erhalten, daß die tatsächlichen Entdeckungen seit der Wieder- erweckung der myogenen Lehre durch Gaskell und Engel- mann dieselbe eindeutige Richtung beibehalten haben, die seinerzeit schon einmal zu einem Sturz der myogenen Lehre geführt hat. Die myogene Theorie war also in gewissem Sinne prinzipiell immer überflüssig, weil sie immer nur einen kleinen Teil der Erscheinungen, nie- mals aber deren Gesamtheit zusammenzufassen gestattete. Daß sie im übrigen zur Auffindung vieler Tatsachen geführt hat, ist selbstverständlich; war sie doch das Kampfobjekt, um das sich die Besten der Zeit mühten. Es wäre aber falsch, hierin einen spezifischen Vorzug der myogenen An- schauung zu sehen. Eine ebenso begeistert aufgenommene und ebenso energisch bekämpfte () — neurogene Lehre hätie genau dieselben Resultate gezeitigt. Allein es soll hier nicht die historische Berechtigung der myogenen Theorie diskutiert werden. Festzuhalten aber ist, daß sie heute als überholt gelten darf, und zwar waren es im wesentlichen wohl folgende neue Tat- sachen, die zu einer Ablehnung der myogenen Theorie zwingen. Neue Tatsachen, welche seit der Entstehung der myogenen Theorie bekannt geworden sind, und welche gegen dieselbe sprechen: A. anatomische. 1. In allen Herzteilen sind Ganglienzellen (Dogiel, Bethe, Carlson). 2. Das Fibrillennetz umspinnt alle Muskeln (Gerlach, Dogiel, Bethe, Hofmann). B. vergleichend anatomische. 1. Die Herzen Wirbelloser schlagen „neurogen“ (Carlson), 2. alle anderen Organe werden neurogen regiert (Dogiel, Magnus, Bethe, Biedermann u. a.). 5* 68 GEORG FR. NIcoLAr: C. physiologische. 1. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in marklosen Nerven ist gleich der im Herzen (Nicolai). 2. Die Reizausbreitung verläuft auf prädisponierten Bahnen (Nicolai). Wenn wir somit nach einer kritischen Durchmusterung aller der an- geblichen Beweise zu dem Resultate kommen, daß die myogene Theorie nicht bewiesen ist, so ist damit selbstverständlich nicht gesagt, daß die neurogene Theorie richtig ist, ja, es ist nicht einmal damit gesagt, daß die myogene Theorie falsch ist. Der Umstand, daß man im Altertum mehrfach auf fehler- hafte und nicht einwandfreie Weise die Unmöglichkeit der Quadratur des Zirkels zu erweisen versucht hat, beweist natürlich in keiner Weise, daß die Quadratur des Zirkels möglich sei. Ebensowenig schließt die Tatsache, daß die Beweise für die Reizerzeugung und Reizleitung im Herzmuskel falsch sind, die Möglichkeit aus, daß ein späterer Beweis dafür erbracht wird. Diese neuen Tatsachen sprechen gegen die myogene Lehre und sind zugleich Wahrscheinlichkeitsgründe für eine neurogene Auffassung, denn schon mehrfach haben wir hervorgehoben, daß in Ermangelung zureichender Gründe für eine myogene Anschauung die neuro- gene Betrachtungsweise uns aus allgemeinen Gesichtspunkten als die natur- gemäße und seibstverständliche erscheint. Da es sich hier jedoch der Natur der Sache nach um keine streng- gültigen Beweise handeln kann, sondern um Anschauungen, die sich der einzelne auf Grund seiner gesamten biologischen Erfahrung gebildet, so bleibt nicht nur für die Beurteilung, sondern auch für die Auswahl des hierhergehörigen Materials dem subjektiven Ermessen ein weiter Spielraum. Erschöpfende Vollständigkeit zu erstreben, wäre also doch unmöglich, und wir beenügen uns daher, diejenigen Wahrscheinlichkeitsgründe, welche uns die wichtigsten scheinen, herauszugreifen, sie noch einmal zusammenzustellen und kurz zu erläutern. 1. Es ist eine überall bestätigte Wahrheit, daß Reize von nervösen Organen erzeugt und weitergeleitet werden und, wie aus dem Vorangegangenen hervorgeht, gibt es keinen zureichenden Grund zu der Annahme, daß in dieser Beziehung das Herz eine Sonderstel- lung einnimmt. 2. Es läßt sich zeigen, dab Kontraktilität und Reizleitung un- abhängig voneinander sind und es liegt nahe anzunehmen, daß ihnen dementsprechend auch verschiedene Substrate zugrunde liegen. 3. Die Funktion des Herzens weist manche Eigentümlichkeiten auf, die wir sonst nur bei nervösen Zentralorganen beobachten. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 69 Ad 1 ist nichts weiter zu bemerken. Allerdings könnte man einwenden, daß hier auch einer der oben als nicht beweisend bezeichneten Analogie- schlüsse vorliege. Aber solcher Einwand wäre unberechtist, denn die Er- scheinungen am Herzen werden hier nicht mit irgendeiner Einzelerfahrung verglichen, sondern es wird nur die gesamte Erfahrung in dieser Beziehung auf das Herz angewendet. Dazu ist man selbstverständlich berechtigt, ja sogar verpflichtet, solange kein zureichender Grund vorliegt, irgendeiner Erscheinung eine Ausnahmestellung zu vindizieren. Der zweite Punkt erfordert eine weitläufigere Auseinandersetzung. $ 16. Kontraktilität und Leitfähigkeit sind im Herzen nicht an dasselbe anatomische Substrat gebunden. An und für sich hätte die Tatsache, daß das Leitungsvermögen und die Kontraktilität eines und desselben Herzabschnittes völlig unabhängig voneinander sind, von vornherein darauf hindeuten müssen, daß diese beiden Eigenschaften an verschiedene Substrate gebunden sind, und Gaskell leugnet auch die Möglichkeit solcher Trennung und sagt in seinen ersten myogenen Arbeiten (1883, a. a.0. S. 66) ganz ausdrücklich, er habe nie gesehen, daß irgend eine Reizwelle den Ventrikel zum Schlagen bringen könne, dazu sei eben eine Kontraktionswelle nötig. Nur weil man eine Zeitlang glaubte, eine Ähnliche Trennung beim nervenfreien Skelettmuskel nach- gewiesen zu haben, konnte diese Frage eine gewisse Verwirrung hervor rufen. Die Ba ne selbst ist heute für das Kaltblüter- wie für das Warm- "blüterherz einwandfrei sichergestellt. Schon Engelmann! sah an einem nicht mehr klein klopfenden Froschherzen bei Reizung der Vorkammer in der Nähe der Sinusgegend nach einer Latenzzeit, die so groß war, daß während derselben normaler- weise die Vorhofkontraktion hätte erfolgen können — Kammerkontraktionen auftreten, ohne daß auch nur eine Spur einer Vorhofkontraktion zu beobachten gewesen wäre; bei wasserstarr gemachtem Vorhof gelingen diese Versuche ganz besonders leicht. Ein ähnliches Verhalten, Kontrak- tionen der Ventrikel ohne nachweisbare Vorhofskontraktionen, hatten auch O. Frank? und F. B. Hofmann? am bluthaltigen Froschherzen, Knoll! ı W. Engelmann (1894), Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. 2. Abhandlung: Über die Leitung der Bewegungsreize im Herzen. Pflügers Archw. Bd. LVI. S. 149. ?2 0.Frank (1897), Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physio- logie in München. 3 F.B. Hofmann (1898), Beiträge zur Lehre von der Herzinnervation. Pflügers Archiv. Bd. LXXIl. 8. 438. * Ph. Knoll (1897), Über die Wirkungen des Herzvagus bei Warmblütern. Ebenda. Bd. LXVII. 8. 587. 70 GEoRG Fr. Nicouar: und Bayliss und Starling! am Hundeherzen nach Vagusreizung be- obachtet. Auch nach Vergiftung ist dieser Zustand des Froschherzens häufig beobachtet worden. Rhodius und Straub? sahen bereits wenige Stunden nach Einbringung von Muskarin in den Lymphsack die Vorhofkontraktionen immer niedriger werden und endlich ganz verschwinden, während die Sinus- kontraktionen anscheinend ungeschwächt, die Ventrikelkontraktionen jedoch allmählich kleiner werdend noch vorhanden waren. Ähnliche Beobachtungen haben auch schon Schmiedeberg und Koppe,® Böhm,* Ishizaka und Loewi° angestellt. Besonders die Versuche der letztgenannten Autoren erscheinen beweisend; sie konnten zeigen, daß in einem gewissen Stadium der Muskarinvergiftung am Sinus einsetzende elektrische Reize nach ent- sprechender Latenzzeit Ventrikelkontraktionen auslösten, ohne daß der Vorhof sich bewegte. Auch Reizungen des Vorhofes führten nur zu Ventrikel- kontraktionen. Aus anderem Grunde sind die Untersuchungen von Carl Schwarz°® bemerkenswert. Er hat dieselben Resultate unter dem Einfluß isotonischer Lösungen von Natriumsulfat, neutralem Natriumtartrat und Natriumzitrat erhalten (das sind Salzlösungen, mit denen man am kurarisierten Skelett- muskel keine auch nur scheinbare Trennung zwischen Kontraktilität und Leitfähigkeit erreichen kann). Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß sich das Herz diesen Salzlösungen gegenüber ebenso verhält, wie der nervenhaltige Skelettmuskel. Umgekehrt hatte schon William” gezeigt, daß bei einem absterbenden Kaninchenherzen eine Reizung der Kammer zuerst eine Ventrikelkontraktion gibt, der dann ohne Vorhofkontraktion eine Kontraktion der großen Venen folgt. Dieser Versuch ist deshalb ganz besonders wichtig, weil zum Schluß jedesmal eine Vorhofkontraktion folgt, woraus hervorgeht, daß die Atrium- muskulatur kontraktionsfähig ist. Nach Ansicht der Myogeniker würde also ı Bayliss and Starling (1892), On some points in the innervation of the mammalian heart. Journ. of Physiol. Vol. XIII. p. 407. 2 R. Rhodius und W. Straub (1905), Studien über die Muskarinwirkung am Froschherzen bei erhaltenem Kreislauf. Pflügers Archiv. Bd. CX. 8. 492. 3 Schmiedeberg und Koppe (1869), Das Muskarin. Leipzig 1869. + R. Böhm (1871), Studien üher Herzgifte. Würzburg 1871. 5 T, Ishizaka und ©. Loewi (1905), Über die Wirkung von Muskarin auf das nicht oder unzureichend gespeiste Froschherz und die Gegenwirkung von Kalzium- salz. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XIX. 8. 593. 6 Carl Schwarz (1907), Über die Beziehung der Kontraktilität zur Erregungs- leitung im Froschherzen. Pflügers Archiv. Bd. CXX. 8. 349. ? J.A. Me William (1888), On the rhythm of the mammalian heart. Journ. of Physiol. Vol. IX. p. 357. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGs. 7 hier eine kontraktionsfähige Muskulatur einen Reiz leiten können, ohne sich zusammenzuziehen. Es ist schwer, sich auch nur vorzustellen, wie dies eigentlich denkbar sein sollte. Hierhergehörige sehr instruktive Versuche am Hundeherzen sowie an der Meduse beschreibt auch Bethe (a..a. O. S. 445). Die Engelmannschen Befunde an den wasserstarren Vorhöfen des Frosches wurden von A. I. Carlson! am Limulusherzen bestätigt. Auch hier gelang es, eine einwandfreie Trennung der Kontraktilität von der Leit- fähigkeit unter dem Einfluß der Wasserwirkung zu demonstrieren. Aus allen hier angeführten Beobachtungen ? geht wohl übereinstimmend hervor, daß im Herzen die zuerst von Engelmann ausgesprochene An- schauung der Unabhängigkeit der Kontraktilität von dem Leitungsvermögen tatsächlich zu Recht besteht. Zwar ist von Bayliss und Starling (1892 a. a. O.), von Gaskell? und von H. E. Hering’ der Einwand gemacht, daß möglicherweise die Vorhöfe doch noch unmerklich kleine Kontraktionen ausgeführt haben, doch läßt sich ein solcher Einwand allen tatsächlichen Feststellungen gegen- über machen, und Langendorif sagt daher in den Ergebnissen der Physiologie ganz mit Recht, es sei bedenklich anzunehmen, „daß alle die- jenigen, die über solche Fälle berichtet haben, solchen Täuschungen verfallen sein sollten.‘ * ı A.I. Carlson (1905), Conductivite du coeur a l’etat de „Water-Rigor«. Compt. rend. de la Soc. de biol. T. LIX. p. 558. ? Auch die von Langendorff, Kronecker und Spalitta gemachte Beobach- tung, daß die Ventrikel rhythmisch weiterschlagen, während die Vorhöfe schon flim- mern, wird von Schwarz als Beweis hierfür angesehen, während es sich doch um einen ventrikulär bedingten Rhythmus handeln könnte. 3 Gaskell (1900), Schaefers Texztbook of Physiol. Vol. I. 4 H. E. Hering (1901), Über die gegenseitige Abhängigkeit der Reizbarkeit, der Kontraktilität und des Leitungsvermögens der Herzmuskelfasern usw. Pfügers Archiv. Bd. LXXXVL S. 533. 5 Wir werden uns später (s. folg. Seite) die Anschauungen Clyde Brooks zu eigen machen, der die Biedermannschen Befunde am wasserstarren Muskel dadurch erklärt, daß in dem wasserstarren Muskel die innersten Fasern vom Wasser noch nicht gequollen sind, also auch noch leitungs- und kontraktionsfähig geblieben sind, daß aber die starre äußere Hülle das Erkennen der Kontraktionen unmöglich macht. Es könnte vielleicht manchen scheinen, als ob diese Erklärung der oben verworfenen von Gaskell und Hering ähnlich wäre, weil auch sie von unmerklichen Kontrak- tionen spricht, doch zeigt ein genaueres Zusehen sofort, daß von Clyde Brooks aufweisbare Tatsachen als plausibler Grund angegeben werden — was bei der anderen Erklärung nicht der Fall ist. Daß das eindringende Wasser die äußeren Fasern zuerst zerstört, ist klar — es liegt aber gar kein Grund vor anzunehmen, daß etwa auch das im Blute kreisende Gift einzelne Fasern zuerst schädigt. 712 GEORG FR. NIcoLar: Die große Schwierigkeit, die aus dieser Unabhängigkeit der Kontrak- tilität von dem Leitungen ner für die myogene Theorie erwächst, schien wegzufallen, als durch Biedermann! im Jahre 1888 der Nachweis geliefert zu sein schien, daß auch bei gewöhnlichen quergestreiften und nervenfreien Muskelfasern das Verkürzungsvermögen durch Wassereinwirkung aufgehoben werden kann, ohne -gleichzeitige Vernichtung der künstlichen Reizbarkeit und des Reizleitungsvermögens der im Wasser gequollenen Muskelsubstanz. Es schien dadurch bewiesen, daß Reizbarkeit, Reizleitungsvermögen und Kontraktilität verschiedene, innerhalb gewisser Grenzen und unter be- stimmten Bedingungen unäbhängig voneinander variable Grundvermögen der Muskelsubstnnz seien. Engelmann? bestätigte diese „hocherfreulichen Angaben“ auch für das Froschherz und faßte seine diesbezüglichen Untersuchungen in folgendem Satz zusammen: „Der Muskel wird in seiner ganzen Ausdehnung, in welcher das Wasser ihn seiner Kontraktilität beraubt, gleichsam zum Nerv. So nun auch die Muskelbündel der Vorkammern: sie verlieren im Wasser ihren Charakter als Muskeln und behalten ihre Funktion als motorische Nerven der Kammer.“ Aber schon Kaiser (1895): kam zu dem Resultat, daß der wirklich wasserstarre, d. h. durch die Einwirkung von Wasser seiner Kontraktions- fähigkeit beraubte Muskel nicht mehr imstande ist, die ihm an einem Orte mitgeteilte Erregung fortzuleiten. Hiergegen trat L. Härtl (1904)* auf, der unter UÜngelmann arbeitete und aus seinen teilweise sich widersprechenden Versuchsergebnissen Schluß- folgerungen zog, die zugunsten der von Biedermann und Engelmann vertretenen Anschauungen sprachen. Clyde Brooks® konnte indessen durch einwandfreie Versuche die Kaiserschen Ergebnisse bestätigen und auch die Fehlerquelle der Bieder- mannschen und Engelmannschen Versuche aufweisen, die darin bestand, 1 Biedermann (1888), Über die Einwirkung des Äthers auf einige elektro- motorische Erscheinungen an Muskein und Nerven. Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften in Wien. Bd. XCVYII. Abtlg. IIL S. 101. ®? Engelmann (1894), Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. 2. Abhandlung: Über die Leitung der Bewegungsreize im Herzen. Pflügers Archiv. Bd.-LVI. 8. 149. ® K. Kaiser (1895), Uber die Fortleitung der Erregung im wasserstarren Muskel. Zeitschrift für Biologie. Bd. XXXI. N. F. Bd. XIII. 8. 244. * L. Härtl (1904), Über den Einfluß von Wasser und anisotonischen Kochsalz- lösungen auf die Grundfunktionen der quergestreiften Muskelsubstanz und der moto- rischen Nerven. Dies Archiw. 1904. Physiol. Abtlg.. H. 1/2. 8. 65. 5 ©. Bro oks (1906), On conduction and contraction in skeletal muscle in water- rigor. Americ. journ. of physiol. Vol. XVII. p. 218. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 73 daß Skelettmuskeln, wenn sie der Wirkung des destillierten Wassers aus- gesetzt werden, in ihren außen gelegenen Fasern viel früher ihre Kontrak- tilität verlieren als in den zentral gelegenen. Hiernach erscheinen die Ergebnisse Biedermanns in einem gewissen Intermediärstadium der Wasserquellung selbstverständlich: die Erregung wird durch die erregungs- und kontraktionsfähigen, zentral gelegenen, noch nicht in Wasserstarre be- findlichen Muskelfasern geleitet, wobei die tatsächlich erfolgende Kontrak- tion dieser Fasern durch die Starre der außen gelegenen Fasern zu einer isometrischen Kontraktion gemacht und dadurch maskiert wird. Auch Carl Schwarz! kommt auf Grund sehr sorgfältiger Versuche zu dem Schlusse, daß „die Kontraktilitätim quergestreiften Skelett- muskel von der Fähigkeit der Erregungsleitung nicht getrennt werden kann, und daß alle bisher bekannten Mittel, welche die Kon- traktilität beeinflussen, gleichzeitig und gleichsinnig auch auf die Fähigkeit der Erregungsleitung einwirken.“ Da also im Herzen diese beiden Eigenschaften getrennt werden können, im Muskel aber nicht, so besteht der von Engelmann selbst früher als schwerwiegend anerkannte Einwand gegen die Annahme einer myogenen Reizleitung immer noch zu Recht. Die Tatsache, daß Vagusreizung die Kontraktilität des Vorhofs, aber nicht die Reizleitung aufhebt, beweist, daß auch in dieser Beziehung sich das „Herz als Ganzes“ anders verhält, als der nervenfreie Skelettmuskel. Ein naheliegender und mehrfach erhobener Einwand gegen diese Argumentationen ist die Überlegung, daß es „ganz undenkbar sei, daß die zarten marklosen Nervenfäserchen des Herzens der Schädigung durch das Wasser größeren Widerstand leisten sollten als die Muskulatur.“ Es mag schon sein, daß es undenkbar ist, aber es verhält sich tatsächlich so. Im seiner grundlegenden Arbeit über den Koordinations- und Leitungsmechanismus des Limulusherzens vom Jahre - 1906 hat Carlson gezeigt, daß, wenn man ein Stück des Limulusherzens in destilliertes Wasser taucht, der Muskel längst völlig wasserstarr ist, wenn der — sogar oberflächlich liegende — Nerv noch fast normale Leitungs- | fähigkeit besitzt. Carlson hebt besonders hervor, daß im Limulusherzen fast genau dasselbe Sarkolemm wie im Wirbeltierherzen vorhanden ist, und da also das Limulusherz als Ganzes sich genau so verhält wie das Wirbeltierherz als Ganzes, so sei kein Grund einzusehen, warum der Leitungsmechanismus in der Wasserstarre ein anderer sein soll in dem Herzen der Wirbeltiere, als im Herzen des Limulus. tC. Schwarz (1907), Beiträge zur allgemeinen Muskelphysiologie. II. Mit- teilung. Über die Beziehung der Kontraktilität zur Erregungsleitung im quergestreiften Froschmuskel. Pflügers Archiv. Bd. CXIX. S8. 93. 74 GEORG FR. NICOLAT: Im übrigen ist zu bemerken, daß schon Brooks in seiner oben zitierten Arbeit den Nachweis erbracht hatte, daß auch die Kontraktilität der quer- gestreiften Wirbeltiermuskeln durch hypotonische Lösungen eher zerstört wird, als die Leitungsfähigkeit der peripheren motorischen Nerven.- Also auch in dieser Beziehung nehmen die motorischen Herznerven (zum mindesten beim Limulus muß man von rein motorischen Herznerven sprechen) keine Ausnahmestellung unter den übrigen Nerven ein. Bethe sieht mit Recht (a.a.0. S.444) in der Gesamtheit dieser Ver- suche einen klaren Beweis dafür, daß im Herzen ein Gewebe besteht, welches leitet ohne sich zu kontrahieren, und er spricht nur etwas Selbstverständliches aus, wenn er hinzufügt, daß wir solches Gewebe nervös zu nennen pflegen. 8 17. Vergleich des Herzens mit den Zentralorganen. Es ist im vorhergehenden mehrfach von zentralen Eigenschaften des Herzens gesprochen worden, und zwar wird diese Ausdrucksweise von Ver- tretern beider Richtungen angewendet. Es fragt sich nun, ob ein derartiger Vergleich zwischen dem intrakardialen Nervensystem und den sonstigen Zentralorganen durchzuführen ist. Vorauszuschicken ist dabei, daß es anatomisch feststeht, daß im Herzen wie im Zentralnervensystem plexusartige Gebilde zwischen Ganglienzellen bestehen, wobei wir es dahin- gestellt sein lassen, ob es sich in dem einen wie in dem anderen Falle um echte Netze handelt. Ebenso lassen wir die Frage nach der zentralen Funktion der Nervennetze oder der Nervenzellen beiseite: welcher Zellen- bestandteill auch immer im Zentralnervensystem die Eigenschaften eines Zentrums besitzt, derselbe Zellenbestandteil wird auch im Herzen dieselbe Funktion haben. Es genügt hervorzuheben, daß alle Hirnbestandteile, die in Frage kommen könnten, auch im Herzen vorhanden sind. Also ana- tomisch ist die Parallele gesichert. In physiologischer Beziehung geht die eigentliche Parallelstellung der Ganglienzellen des Herzens mit den auch sonst bekannten Ganglienzellen auf Volkmann! zurück, der die sukzessive Tätigkeit der hintereinander gelegenen Herzabteilungen auf die Eigenschaften des nervösen Apparates zurückführte, der nach ihm aus gleichwertigen, in den verschiedenen Herzteilen liegenden Einzelzentren besteht. Dieser Vor- stellung hat sich eigentlich nur Langendorff? angeschlossen und auch er ı Volkmann (1850), Hämodynamik. Leipzig 1850. 8. 369. ® Langendorff (1884), Studien über Rhythmik und Automatie des Frosch- herzens. Dies Archiw. 1884. Physiol. Abtlg. Suppl. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 7 neigt heute der Meinung zu, daß den im Sinus gelegenen Ganglien- zellen die Bedeutung eines führenden, den Ausgangspunkt der Herzinnervation bildenden, Zentralorgans zukomme. Dieser An- schauung dürften sich heute wohl alle Forscher angeschlossen haben — natürlich mit Ausnahme derer, die den Grund der Automatie im Muskel suchen —, auch Kronecker, der früher auf Grund seiner Versuche mit Schmey! das Zentrum in dem oberen Drittel des Kammersystems sah, hat sich heute nach seinen Versuchen mit Barbera? für die Herzbasis entschieden, wobei es relativ gleichgültig ist, ob es sich um Ganglienzellen oder, wie eine audere Schülerin Kroneckers, Lomakina,° behauptet, um Nervengeflechte handelt. Eine abweichende Ansicht findet sich bei Kaiser,* der die Sache jedoch nur überflüssigerweise kompliziert. Doch man kann den Vergleich mit dem Zentralnervensystem weiter verfolgen, als es bisher geschehen ist. Das Heız besitzt im Sinusgebiete ein primär automatisches und rhythmisches Zentrum (Remaksche Ganglien, embryonal gebliebene Muskulatur oder Sinusknoten?). Primär automatisch ist es natürlich nur: relativ: wir können eben die Entstehung des Reizes nicht weiter als bis zu ihm verfolgen. Wenn aus irgendeinem Grunde dieses Zentrum versagt, tritt dafür ein sekundäres rhythmisches Zentrum in Tätigkeit, welches an der Atrioventrikulargrenze liest (Biddersche Ganglien — Hissches Bündel oder Atrioventrikularknoten?); dieses Zentrum tritt normalerweise nicht in Tätig- keit, auch dann nicht, wenn man durch die erste Stanniussche Ligatur das primäre Zentrum abgetrennt hat. Es bedarf dann erst einer allerdings nur einmaligen Reizung, um dieses Zentrum zu mehr oder weniger langem . rhythmischem Schlagen zu veranlassen. Wir können dieses Zentrum also nicht einmal in dem obigen Sinne als autonom bezeichnen. Der Vergleich mit den sekundären Atemzentren im Rückenmark drängt sich von selber auf. Auch der Afterschließmuskel bleibt nach Goltz und 1 Kronecker und Schmey (1884), Das Koordinationszentrum der Herzkammer- bewegungen. Berliner Akad. d. Wissenschaften. Physik.-math. Kl. Bd. VII. S. 87 2 A.G. Barbera (1898), Ein Gefäßnervenzentrum im Hundeherzen. Zeitschrift für Biologie. N. F. Bd. XVII. 8. 253. 3 N. Lomakina (1900), Über Verlauf und Bedeutung der Herznerven. Zest- schrift für Biologie. Bd. XXXIX. 8.3. 4 K. Kaiser (1893), Untersuchungen über die Ursache der Rhythmizität der Herzbewegungen. Heidelberger Habilitationsschrift. München 1893. 76 GEORG FR. NiIcoLar: Ewald! (8. 375) nach Zerstörung seines primären Zentrums im Rückenmark auch weiterhin unter einer nervösen Kontrolle, wobei auch hier ein sekun- däres, peripheres Zentrum anzunehmen ist. Aber in gewissem Sinne existiert im Herzen noch ein tertiäres Zentrum oder vielmehr viele tertiäre Zentren. Es ist lange bekannt, daß die Er- regung auf einen künstlichen Reiz hin von jeder Herzstelle ausgehen kann, dagegen wußte man nicht, daß auch spontan? Reize an allen Herzstellen entstehen können. Seitdem aber Kraus und ich gezeigt haben, daß man mit Hilfe des Elektrokardiogramms die Ausgangsstelle eines jeden Herz- schlages bestimmen kann, ist es leicht zu zeigen, daß die sogenannten ventrikulären Extrasystolen von allen (wenigstens von vielen) Stellen des Herzens ausgehen können. Diese letzteren „Zentren“ müssen omnipräsent im Herzen sein, und es bleibt demnach die Wahl zwischen Ganglienzellen, Muskelzellen und Nervenfibrillen. Der Umstand, daß die Extrasystolen vom oberen (basalen) Drittel des Ventrikels viel häufiger sind, weist allerdings darauf hin, daß sie von Ganglienzellen hervorgerufen werden, die bekanntlich auch im oberen . Drittel viel häufiger sind. Jedenfalls ist an der Tatsache nicht zu zweifeln, daß die genannten drei übergeordneten Zentren in irgendeiner Form existieren. Wenn die Erregung von den beiden erstgenannten Zentren ausgeht, breitet sie sich auf geordneten Bahnen aus, geht sie aber von den tertiären Zentren aus, so durchzuckt sie krampfartig in diffuser Ausbreitung das ganze Herz. Es ist dieselbe doppelte Möglichkeit der Ausbreitung, der wir auch im Zentralnervensystem begegnen. Auch hier kommen normalerweise geordnete, in pathologischen Fällen aber ungeordnete diffuse Reflexe vor. Diesen Anschauungen ist immer wieder die Tatsache entgegengehalten worden, daß die Erregungsleitung im Herzen auch in umgekehrter Richtung ablaufen könne: solche Umkehr sei aber in gangliösen Apparaten unerhört. Das letztere dürfte zwar richtig sein, doch liegt gar kein Grund vor, diese Frage überhaupt zu erörtern, denn der angeblich umgekehrte „nor- male Erregungsablauf“ kommt im Herzen gar nicht vor. ! Goltz und Ewald (1896), Der Hund mit verkürztem Rückenmark. Pflügers Archiv. Bd. LXIII. S. 362. ®2 Spontan kann hier natürlich nur heißen, daß wir die Ursache nicht kennen. Es ist sehr wohl möglich und vielleicht sogar wahrscheinlich, daß diese an falscher Stelle entstehenden Herzreize, die nur in pathologischen Fällen vorkommen, auch durch pathologische Veränderungen — i.e. durch pathologische Reize — hervorgerufen werden. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES Herzscauacs. 77 In allen Fällen, in denen man einen umgekehrten Erregungsablauf zu beobachten glaubte, handelte es sich in Wirklichkeit um die geschilderten krampfartigen Zuckungen des Herzens. Solch ein Krampf ist aber ebenso . wenig eine Umkehr der normalen Systole, wie der Strychnintetanus die Umkehr irgendeiner koordinierten Bewegung ist. $ 18. Der Sinn der myogenen Theorie. Ob die myogene Theorie richtig oder falsch ist, soll in diesem Schluß- wort nicht mehr erörtert werden. Aber es muß betont werden, daß auch diejenigen, die in dieser Theorie nicht der Weisheit letzten Schluß erblicken, dennoch nicht daran zweifeln, daß der 30jährigen myogenen Herrschaft etwas Unverlierbares zu danken ist: schärfer ist durch sie die Verschieden- heit zwischen Skelettmuskel und Herzmuskel herausgearbeitet worden. — Eine Verschiedenheit, die jedoch nicht — wie es unter myogener Betrach- tungsweise geschehen ist — als Gegensatz aufgefaßt werden darf. Hat man doch gerade im Anschluß an die rhythmische Tätigkeit des Herzmuskels neue Eigenschaften des Skelettmuskels gefunden. In dem heutigen Vortrag war es die Aufgabe zu entscheiden, ob es Tatsachen gibt, die uns zwingen anzunehmen, daß der Herzmuskel den ‘ normalen Herzreiz erzeugt und leitet, wie es die myogene Schule behauptet. Die Antwort auf eine so gestellte Frage kann nur „nein“ lauten: es gibt keine derartige Tatsache. Bei solcher Fragestellung ist es klar, daß die Übereinstimmungen der beiden Muskulaturen mehr in die Augen springen werden, als die Unter- schiede und doch ist es nötig, auch auf sie hinzuweisen. Die Muskulatur stammt —- wenigstens phylogenetisch — von der Neuromuskelzelle, hat also in ihrer Ahnenreihe etwas, das nervös ist oder woraus sich doch zum mindesten Nervöses entwickelt hat. Wunderbar kann es daher nicht scheinen, wenn dem Muskel auch nervöse Funktionen vererbt sind, aber je weiter sich der Muskel von der Stammzelle entfernt — in der ontogenetischen wie in der phylogenetischen Reihe — je differen- zierter und brauchbarer zur Kontraktion er wird, desto mehr werden seine nervösen Fähigkeiten zurücktreten. Es muß ein Stadium geben, in dem der Muskel zwar das, was der Nerv kann, auch noch kann, aber es nicht mehr tut, weil der Nerv, der diese Funktionen besser und prompter ausübt, ihm immer zuvorkommt; ähnlich wie wir heute noch mit den Füßen allerlei fassen könnten, es aber nicht tun, weil die Hände dazu geschickter sind. 18 GEORG FR. NICoLAI: Erst allmählich schwinden diese nervösen Funktionen des Muskels ganz. Die Arbeitsteilung ist vollkommen und der Muskel ist absolut ab- hängig vom Nerven. Aber auf dieser Stufe der Arbeitsteilung ist noch nicht einmal ganz der Skelettmuskel, er vermag noch direkt Reize aufzu- _ nehmen und vermag auch, wie die Versuche von Biedermann, Loeb und anderen gezeigt haben, unter abnormen Bedingungen Reize rhythmisch zu erzeugen! bzw. auf einen Dauerreiz rhythmisch zu antworten. Der Herzmuskel scheint diese autonome rhythmische Befähigung in noch höherem Maße zu besitzen, aber wie schon Langendorff (a.a.0. 8.328) ganz richtig hervorhebt — „er macht keinen Gebrauch davon“ —; gerade durch Gaskell und Engelmanns Versuche ist diese Tatsache absolut sicher gestellt. Ob man nun myogen oder neurogen denkt, die Tatsache, daß normaler- weise die Reizerzeugung im zweiten (Atrioventrikular-)Zentrum sowie in den dritten (omnipräsenten) Zentren schlummert, steht fest. Nur manchmal scheint er doch seines alten Könnens sich zu erinnern. Wenn die Not kommt und der normale Nervenreiz fehlt. Wie ja auch unter ähnlichen Umständen — bei fehlenden Händen — der Fuß oft wunderbare Fähigkeit erlangt. Doch solches zeigt sich nur bei Krankheit oder im Experiment, und ich möchte ganz kurz einen diesbezüglichen klini- schen Fall beschreiben, den ich jüngst beobachtet habe, und der mir in, dieser Beziehung außerordentlich instruktiv erscheint. Wie mehrfach erwähnt, kann man heute aus dem Elektrokardiogramm die Stelle bestimmen, von der aus ein Reiz ausgeht. Normalerweise geht er von dem automatischen Sinuszentrum aus. Wenn dies nicht möglich ist (z. B. infolge einer absoluten Leitungsunterbrechung zwischen Atrium und Ventrikel bei Leuten, die an sogenannter Adams Stokescher Krank- heit leiden) tritt dafür das sekundäre Herzzentrum an der Vorhofkammer- grenze in Tätigkeit. Auch von hier geht, wie erwähnt, die Erregung auf distinkten Bahnen. Dies Zentrum kann jedoch durch Acceleransreizung nicht zu beschleunigter Tätigkeit gebracht werden. Ich möchte die wichtige Frage hier nicht eingehend erörtern, ob über- haupt der Ventrikel durch den Accelerans direkt beeinflußt werden kann. Es wäre möglich, ja vielleicht sogar wahrscheinlich, daß normalerweise der Ventrikel nur deshalb schneller schlägt, weil das Sinuszentrum durch den Accelerans beschleunigt ist. Wenn nun die Verbindung zwischen Sinusganglien und ! Über den Ausdruck „erzeugen“ siehe Anm. 8. 3. DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN EINER THEORIE DES HERZSCHLAGS. 79 Ventrikel gelöst ist, kann der Ventrikel nicht mehr zum schnelleren Schlagen gebracht werden. Es ist aber auch möglich, daß durch die Leitungsunterbrechung gleich- zeitioe die zum Ventrikel ziehenden Acceleransiasern geschädigt sind. Doch gleichviel, die Tatsache, daß das sekundäre Herzzentrum bei völliger Leitungsstörung durch den Accelerans nicht beeinflußt werden kann, haben andere beobachtet und habe auch ich in mehreren Fällen beobachten können; stets war es unmöglich, durch Arbeit die Ventrikelfrequenz zu erhöhen, während dies beim Vorhof schon durch geringe Arbeit gelang. Wenn ein solcher Kranker arbeitet, so wird zwar der Vorhof schneller arbeiten, aber nicht der Ventrikel, und das Herz wird daher den gesteigerten Ansprüchen in keiner Weise genügen können, ja manchmal tritt sogar im Gegenteil (durch gleichzeitige Vagusmiterregung?) trotz der starken Be- schleunigung des Vorhofs eine germge Verlangsamung des Ventrikelschlages ein. Es läßt sich dies alles aus den Elektrokardiogrammen leicht und sicher nachweisen, und die betreffenden Kurven sind seinerzeit von mir in dem Berliner Verein für innere Medizin demonstriert worden. Gerade aus dieser Unmöglichkeit, das eigentliche Herz (das sind allein die Kammern) den gesteigerten Ansprüchen anzupassen, dürfte die bekannte Unfähigkeit der meisten dieser Kranken zu jeder Arbeit resultieren. Jüngst konnte ich nun einen Fall beobachten, bei dem eine solche Kranke leidlich arbeiten konnte (sie stieg z. B. in einem dreistöckigen Haus dreimal hinter- einander sämtliche Treppen), und zwar ergab sich bei der Untersuchung, daß dabei der sonst regelmäßige Puls arrhythmisch wurde. Das aufgenom- mene Elektrokardiogramm zeigte, daß dies dadurch möglich war, weil das Herz ventrikuläre Extrasystolen einschob, d. h. weil es von seiner Erinnerung, die es an frühere Stadien bewahrt, zweckmäßigsten Gebrauch machte, denn, um es bildlich auszudrücken, für dieses führerlose Herz war in der Tat keine andere Möglichkeit vorhanden, die notwendige Mehrarbeit zu leisten, als daß es sich auf seine eigenen früheren Führereigenschaften besann. Es ist eine interessante Frage, inwieweit Muskelzellen und inwieweit speziell Herzmuskelzellen derartige Eigenschaften besitzen. Es ist z. B. sehr möglich, daß manches von dem, was wir mit mehr oder weniger Ver- ständnis unter dem Namen Tonus zusammenfassen, von den Nerven ganz unabhängig ist. Aber diese Fragen, von denen wir im Grunde so wenig wissen, daß wir nicht einmal einig sind, was unter dem Namen Tonus zu verstehen ist, sind zu Unrecht mit der sogenannten myogenen Theorie des Herzschlags vermengt worden. Gewiß birgt das Herz noch unendlich viele 80 GEoRrG Fr. NIcoLALI: DIE TATSÄCHLICHEN GRUNDLAGEN USW. Geheimnisse: Was ist Tonus, was ist Hemmung, was ein rhythmischer Reiz und was Autonomie? Wie ist das „Alles- oder Nichts“-Gesetz zu er- klären und wie die refraktäre Phase? — All dies sind unbeantwortete Fragen! — doch ‚gerade darum sollten wir das wenige, was wir wissen, festhalten und sollten ‚uns nicht überflüssige Schwierigkeiten schaffen, indem wir unnötigerweise den unzähligen Ganglien und Nerven im Herzen das abstreiten, was sie überall sonst im Körper leisten, nämlich Ursprungsort und Leitungssubstrat für Reize zu sein. Die Beeinflussung der Tätigkeit der Hefe durch das Solenoid. Von Dr. Stephanie Rosenblat. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin. [Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. M. Rubner.]) In einer vor kurzem erschienenen Arbeit! berichtet H. Gaule, daß durch ein schwankendes magnetisches Kraftfeld die Hefewirkung begünstigt werden kann. Bei bestimmter Anordnung der Versuche, wenn die Zahl der Unterbrechungen um 50 herum sich bewegte, sind die höchsten Werte erzielt worden. In einem Falle. wo die Zahl der Unterbrechungen mit 48 pro Sekunde registriert wurde, konnte in dem im Solenoid befindlichen Saccharimeter eine Mehrproduktion an CO, von 450 Prozent festgestellt werden. Da bis jetzt von einer solchen Wirkung des magnetischen Feldes auf den Lebensprozeß der Hefe nichts bekannt war, so schien es von nicht geringem Interesse die Versuche, wie sie H. Gaule anführt, zu wiederholen und gegebenenfalls weiter auszudehnen. Die Versuchsanordnung war im wesentlichen dieselbe, wie die von Gaule. Auch hier wurden zwei ganz verschiedene Solenoide verwendet. Das eine bestand aus drei aufeinander gesetzten Spulen der Oberspannungs- wicklung eines Hochspannungstransformators für 20000 Volt, deren Eisen- kern vorher entfernt wurde. Die Spulen hatten etwa 400 wm lichter Weite und insgesamt etwa 400 "m Höhe. Die Spulen wurden von einem Wechsel- stromnetz von etwa 170 Volt bei 50 Perioden pro Sekunde gespeist. Die Stromstärke betrug 1 bis 2 Amp. Bei dieser Stromstärke war das mag- netische Feld im Innern der Spulen sehr stark. ! Justus Gaule, Die Beeinflussung der Tätigkeit der Hefe durch das Solenoid. Zentralblatt für Physiologie. 1909. Bd. XXIII. Nr. 15. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 6 83 STEPHANIE ROSENBLAT: Das andere Solenoid war die primäre Spule eines du Bois-Reymond- schen Schlittens. Als Stromquelle dienten 1 bzw. 2 gewöhnliche Akkumu- latoren von je 2 Volt Spannung. An Stelle des Wagner-Neefschen Hammers wurde ein selbständiger Unterbrecher, der Bernsteinsche Unter- brecher, benutzt. Die Anzahl der Unterbreehungen pro Sekunde, die man in diesem Falle in weiten Grenzen variieren kann, wurde jedesmal mit dem Pfeilschen Signal aufgeschrieben. Zur Aufnahme der Hefe und der Zuckerlösung dienten in beiden Fällen gleich große kalibrierte Gärungskölbehen (wie es die Einhorn- schen Saecharimeter sind). Für jeden Versuch wurden 88m frische Hefe abgewogen und in einer sterilen Reibschale mit 100°“ einer Iprozent. sterilen Traubenzuckerlösung aus chemisch reinem Traubenzucker gut ver- rieben. Dann wurde der Inhalt der Schale in ein ebenfalls steriles Kölb- chen umgegossen und von hier aus mit einer Pipette nach jedesmaligem Umschütteln in die Saccharimeter eingefüllt. In mehreren Vorversuchen wurden Temperaturmessungen innerhalb und außerhalb der Spulen ausgeführt; eine nennenswerte Temperaturdiffe- renz konnte hierbei nicht nachgewiesen werden. Beim ersten Versuch (mit den Hochspannungsspulen) sind in dem in der Spule befindlichen Saccharimeter 84" CO,, in dem frei aufgestellten Saccharimeter dagegen 118 "m abgelesen worden. Um zu sehen, inwieweit solche Resultate durch zufällige Momente entstehen können, wurden für die folgenden Versuche mehrere Kölbchen gleichzeitig aufgestellt, und zwar ein Saccharimeter in der primären Spule des Schlittens und vier gleiche Saccharimeter außerhalb; bzw. zwei Saccharimeter in den Hochspannungs- spulen, zwei außerhalb. Es muß noch hinzugefügt werden, daß die Entfernung der vom magne- tischen Felde unbeeinflußten Saccharimeter vom Solenoid etwa 2" betrug. Bei dieser Versuchsanordnung haben sich Resultate ergeben, die in der _ Tabelle auf Seite 83 zusammengestellt sind. Diese Zahlen sprechen für sich. Die Wirkung des Solenoids zeigt sich wenig wechselnd. Es scheint, daß die Ungleichheiten in der CO,- Entwicklung wesentlich Zufälligkeiten zuzuschreiben sind. Sobald die frisch gefüllten Saccharimeter sich selbst überlassen werden, setzt sich die Hefe zu Boden und wird mit fortschreitender Gasentwicklung zum Teil in den anderen Schenkel des Saccharimeters hineingedrängt. Die Tätigkeit dieses Teiles der Hefe ist für den Versuch verloren. Je nachdem ein größerer oder ein kleinerer Teil der gesamten Hefe im geschlossenen Schenkel zurückbleibt, wird der Gesamtwert der CO,-Produktion größer oder kleiner ausfallen. Die Zufälligkeiten in der Lagerung der einzelnen Hefezellen, die Art der Verteilung, die Größe der Berührungsfläche der BEEINFLUSSUNG DER TÄTIGKEIT DER HEFE DURCH DAS SOLENOID. 83 Versuche mit dem du Bois-Reymondschen Schlitten. | Zahl der Pumea! Dauer der | Unter- ra en aa Be | Solenoid ; | meter meter meter meter || Einwirkung I 1 9 3 | | Pro2Scke nm mm mm mm | mm 5 Std. | 30-5 25 33 za 2000 a 3. | 33-9 29 32 EI AN. ,; \ 42-0 5 a" 8 6 6 N; | 47-0 10 13 14 14 _ 11 30, 10Min. | ‚50-0 15 25 16 22 23 DE; 51-7 18 Fınn438 20 28 46 De 30. , 51-7 OS 9 10 24 48 se öl 58 a9 53 47 47 Dual, le 4 6 4 5 11 Zu 51-7 DT el 17 27 35 PR; Belle, DE 18 14 18 or, | 51-7 RN Dune 4 4 3%; 71-T. |. dos 14 I! 16 3 ” | 60-0 29 | 30 24 16 25 Versuche mit den Hochspannungsspulen. r Frei R In den Spulen Dauer der Einwirkung dm: Saccharimeter | Saccharimeter| Saccharimeter 1 2 1 | mm mm mm mm 3 Stunden | 118 — | 84 | _ | | [ en 30 Minuten | 139 | _ | 12 | _ 2 100,» | 67 er tal.5i | 57 | 60 | I | I Hefe mit der Flüssigkeit dürften ebenfalls eine Rolle dabei spielen. Hier- durch könnten schon Werte erhalten werden, die eine besondere Reiz- wirkung vortäuschen. | Um sich von diesen Zufälligkeiten möglichst zu befreien, sind zum Schluß noch folgende Versuche ausgeführt worden. Anstatt der Sacchari- meter ist folgende Anordnung getroffen worden. Gerade Röhrchen von solchen Dimensionen, daß sie in die primäre Spule des du Bois-Rey- mondschen Schlittens hineingesetzt werden konnten, wurden mit je 11 m einer 1 prozent. sterilen Traubenzuckerlösung gefüllt und mit Waschfläschchen, wie sie für die Buchnerschen Gärungskölbchen zur Verwendung kommen, versehen. Die Traubenzuckerlösung wurde vorher mit 8 Prozent frischer Hefe gut verrieben. Eine Zurückdrängung der Hefe, wie im Saccharimeter, 6* S4 STEPHANIE ROSENBLAT: BEEINFLUSSUNG DER TÄTIGKEIT DER HEFE USW. findet hier nicht statt; diese hieraus resultierende Fehlerquelle fällt also aus. Bei dieser Methode wird die Menge der gebildeten Kohlensäure be- kanntlich durch die Gewichtsabnahme des ganzen Apparates gemessen. Die Ergebnisse dieser Versuche sind aus folgender Tabelle ersichtlich. Gewichtsabnahme der frei Zahl der a Gewichtsabnahme Unter- aufgestellten Gärungs- des im Solenoid Dauer der Einwirkung en röhrehen befindlichen r ungen | a nn 22 | Röhrchen 1 | Röhrchen 2 ||. Sazungsrohxehene pro Sekunde grm grm grm 3 Stunden 5 Minuten 42 0-0046 | 0.0058 0.0041 a El 51 0-0071 | 0.0065 0.0052 Eine Begünstigung der Tätigkeit der Hefe durch das schwankende masnetische Kraftfeld hat sich auch bei dieser Anordnung des Versuches nicht nachweisen lassen. Das Verhalten des Glykogens bei ruhenden und fliegenden Tauben. Von Henri van’t Hoff. Über das Verhalten des Glykogens im großen Brustmuskel fliegender Tauben liegen keine Untersuchungen vor. Da mir diese Frage, besonders mit Rücksicht auf das Fliegen überhaupt von Interesse zu sein schien, so stellte ich hierüber Versuche an. Zu dem Zweck ließ ich eine Anzahl von Tauben 25 Minuten Flatter- bewegungen machen und tötete sie dann sofort; eine zweite Reihe ließ ich 30 Minuten Flatterbewegungen machen und dann bis zur Erschöpfung im Zimmer herumfliegen (letzteres dauerte meist nur kurze Zeit, etwa 5 Mi- nuten). Die dritte Reihe endlich ließ ich gar nicht fliegen. Die großen Brustmuskeln jeder Taube wurden nun auf ihren Glykogengehalt unter- sucht, wobei ich die Pflügersche Methode benutzte, nachdem ich zuvor durch Kontrollversuche! ermittelt hatte, daß die bei der Darstellung des Glykogens notwendige starke Kalilauge (60 Prozent) Glykogen nicht angreife. Es kam mir vor allem darauf an, sämtliche Tauben unter gleichen Bedingungen zu behandeln. 1. Der erste Faktor, der das Glykogen beeinflußt, besteht in der Nahrung. Bekannt ist es, daß beim Hungern das Glykogen abnimmt; in ! Auszug aus der Inaugural-Dissertation. Näheres siehe Dissertation, 1910. 86 HenRI vAn’T Horr: welcher Weise, darüber gehen freilich die Ansichten auseinander. Während Sudringer meint, das Glykogen schwinde beim Hungern sehr rasch aus den Muskeln, zeigen Aldehoffs Versuche an den verschiedensten Tieren im Gegenteil, daß das Glykogen bei Inanition sich in den Muskeln ziem- lich lange erhält, aus der Leber jedoch sehr. bald verschwindet. Wie dem auch sei, sicher ist jedenfalls, daß der Glykogengehalt bei Entziehung der Nahrung abnimmt. Da die Tauben vom Händler bezogen wurden, bei dem sie fast immer mehr oder weniger hungern, so benutze ich sie nie sofort zu meinen Versuchen, sondern fütterte sie erst mehrere Tage hindurch mit reichlicher Kost. Einige wog ich jeden Tag, vom Tage des Einkaufs bis zum Versuchstage, wobei das Gewicht der Tauben immer zunahm. 2. War der erste Faktor, der auf das Glykogen einen Einfluß ausübt, die- Nahrung überhaupt, so betrifft der zweite die Art der Nahrung. Es ist bekannt, wie verschieden in dieser Hinsicht die Fütterung mit Kohle- hydraten und Eiweiß wirkt. So läßt sich z. B. schon bald nach dem Ein- spritzen von Rohzuckerlösung eine Zunahme des Glykogens im Organismus nachweisen, wie namentlich die Versuche von Prausnitz lehren. Die Entstehung des Glykogens aus Eiweiß scheint ebenfalls möglich, doch er- folgt sie jedenfalls viel langsamer entsprechend dem komplizierten Eiweiß- molekül. Es ist überhaupt fraglich, ob sich aus allen Eiweißen Glykogen zu bilden vermag oder nur aus solchen, die einen „Kohlehydratkomplex‘, enthalten. Interessant sind auch Pavys Versuche. Er fütterte 11 Hunde mit animalischer Nahrung und fand durchschnittlich in der Leber 7-19 Pro- zent Glykogen. 5 anderen Hunden gab er vegetabilische Nahrung, die reich an Kohlehydraten war. Die Leber dieser Tiere zeigte einen viel höheren Glykogengehalt, nämlich 17.23 Prozent, ein Beweis dafür, daß bei der Glykogenablagerung in erster Linie Kohlehydrate in Betracht kommen. Da die Nahrung also von größter Wichtigkeit ist, und ein Tier je nach der Nahrung eine verschiedene Menge Glykogen enthält, so sorgte ich stets dafür, daß die Tiere gleiche Nahrung bekamen, nämlich Taubenerbsen. 3. Cramer wies nach, daß der Glykogengehalt auch vom Alter ab- hängig ist, und zwar zeigte er, daß bei Neugeborenen in sehr vielen Organen reichlich Glykogen enthalten ist. So konstatierte er in der Mus- kulatur von Neugeborenen einen Glykogengehalt von 1-85 Prozent, 0.57 Prozent und 1-22 Prozent. In der Leber fand er allerdings nur auffallend wenig, nämlich 2-15 Prozent, 1-2 Prozent und 1 Prozent Gly- kogen. Da meine Versuche sich aber hauptsächlich auf Muskeln erstreckten, so mußte auch dieser Punkt berücksichtigt werden, und so habe ich also VERHALTEN DES GLYKOGENS BEI RUHENDEN U. FLIEGENDEN TAUBEN. 87 fast nur gleichaltrige, vorjährige Tauben benutzt, und wo nicht, dies aus- drücklich hervorgehoben. 4. Eine eigentlich selbstverständliche Sache: Alle "Tauben, die mir irgendwie krank erschiener, nicht gut fliegen konnten, nicht gut fraßen oder dergleichen, wurden aus der Versuchsreihe ausgeschaltet. 5. Es ist festgestellt, daß das Glykogen nach dem Tode abnimmt, wobei es sich wahrscheinlich in Zucker umwandelt; in welchem Grade, ist allerdings wieder ein strittiger Punkt. Böhm konnte in der Muskulatur von Kaninchen 1 bis 2 Stunden nach ihrem Tode überhaupt keinen Gly- kogenschwund nachweisen, und ebenso zeigte sich in einem weiteren Ver- such an einer Katze, daß nach 24 Stunden noch reichlich Glykogen vor- handen war. Dagegen wies Prausnitz darauf hin, daß das Glykogen in den Muskeln von Hennen postmortal sehr rasch abnehme. Er verglich symmetrische Muskelpartien miteinander und beobachtete innerhalb 30 bis 60 Minuten eine Glykogenabnahme von 25 bis 50 Prozent! Schließlich zeigte Cramer, daß es vor allem auf die Temperatur ankommt, in welcher die Muskeln nach dem Tode verweilen, und daß in hoher Temperatur das Glykogen viel rascher zersetzt wird als in niedriger. Da ich an Tauben, also einer den Hennen verwandten Tierart, arbeitete, so mußte ich an- nehmen, daß der postmortale Glykogenschwund auch hier sehr rasch erfolge, und um dies zu verhüten, machte ich meine Operation so rasch wie mög- lich. Ferner wurde stets dafür Sorge getragen, daß das Wasserbad, in das die in Kalilauge befindlichen Muskeln kamen, schon vorher zum Sieden erhitzt war, damit die Zersetzung des Muskels sogleich vor sich ginge und eine weitere Umwandlung des Glykogens in Zueker verhindert würde. Die Zeit, die vom Tötungsmoment bis zu dem Augenblick verging, in dem die Muskeln in Kalilauge kamen, betrug 20 bis 25 Minuten. 6. Da die Glykogenbestimmung ziemlich kompliziert ist und infolge der vielen Operationen leicht ein Versehen mit sich bringt, so benutzte ich stets rechten und linken M. pectoralis und behandelte beide vollkommen getrennt. So konnte ich einen etwaigen Fehler in der Bestimmung leicht an dem verschiedenen Glykogengehalt der beiden Muskeln sehen; denn dab symmetrische Muskeln gleichen Glykogengehalt haben, darauf hat schon Cramer hingewiesen, und auch für die Brustmuskeln der Taube fand ich sein Gesetz bestätigt. Ich ließ also eine Reihe von Tauben flattern; eine andere Reihe von Tauben wurde sofort, ohne geflattert zu haben, getötet. Letztere will ich die „normalen Tauben“ nennen; diejenigen, welche ich 25 Minuten in der Hand flattern ließ, „die ermüdeten“ und diejenigen, die so lange flogen, bis sie zu Boden fielen, „die völlig erschöpften“. 88 HENRI van'T Horr: Normale Tauben. Taube 1. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewacaguinen. ad en PA Com... ,...26088 250 "8 Dexirosege u... 21302, 125 „ Glykozeme..7 .. 2 2a, 15665, Glykogen in Prozent . 0.45 0.43 Leber. Gewicht rn a Din Cu,0:, 1.2 So re er gellenne: Dextrose: oe ern Glykogenenr. Mans Glykogen in Prozent . 1-38 Taube 2. (4 Tage gefüttert). M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht „re sehen 23.58 OU, 02. ee 228 21878 Dextrose,. a een. 109 „ Glykogenr re 1 1 nal Glykogen in Prozent 0-45 0.43 Leber. Gewicht u sense lbe als OO Pe ea ae Dextrose ner sea 2, 22 1000 Glykogen N ker; Glykogen in Prozent 0-26 Taube 3. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links (Erewrielie SE 26 5m un, re 538 "8 Mextroseum. . . -. 283405 269 „ Glykosenen: 12..:...2021.8%, 250 „ Glykogen in Prozent . 0-84 0-96 Leber. Gewiehae... .. 0: ya emoger ee . aloe = Dexiensegen .. .\ Ballon Glykogen . LT... Glykogen in Prozent . 2-1 VERHALTEN DES GLYKOGENS BEI RUHENDEN U. FLIEGENDEN TAUBEN. Taube 4. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht 20 87m 20 870 Cu,O 460 m& 580 m& Dextrose 230 „ 2302, Glykogen . 214 ,, 270 „ Glykogen in Prozent . 1-07 1-35 Taube 5. (4 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht 25 sm Zilk nenn Cu,O 134 ©8 124 m& _Dextrose DU 62 „ Glykogen . Hassan 2, De Glykogen in Prozent . 0-27 0:27 Taube 6. (6 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht aan S2leLı Cu,O 298 98 268 78 Dextrose 149 „ 134 Glykogen . "=. 199, 125, Glykogen in Prozent . 0.42 0-39 Taube 7. (5 Tage gefüttert.) - M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht als 35 5m Cu,O 210 88 218 %8 Dextrose 105 „ KO. Glykogen . 38 „ 1025 Glykogen in Prozent . 0.28 0.29 Taube 8. (8 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht Suenn So u Cu,O 390 ms 396 "3 Dextrose 195r,, IS, Glykogen . Kot ,, 184 „ Glykogen in Prozeut . 0.49 0.51 Leber. Gewicht DE Cu,O 232 08 Dextrose . 1162, Glykogen. . 108, Glykogen in Prozent . 1.8 89 0) Henrı van'tr Horr: Taube 9. (12 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht ea ar oem Den Cu, OP N LSB 132 »8 Dextroseg ge... 267; bo Glykosenee a 2.2.2.2 4627), 615, Glykogen in Prozent . 0.31 0.29 Ermüdete Tauben. Taube 1, jung. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewichten... 2.0... 22lern 20 8m Om) Er ee [Lo 60 m Dexikoser un... tn 2a 30, Glykogen® 2 1..,..0..22. 230, 28, Glykogen in Prozent . 0.17 0.14 Taube 2. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewichten. 0. 0.8... Salem 22.5 5m Cu,O 62 ms Dextrose (geht bei Behandlung verloren 31 ,, Glykogen 20 Glykogen in Prozent 0-15 Taube 3. (8 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewichte 6... gez ler Cu OS. 22.1.2408 226 U8 Dextrosesee a. 120% ul, Giykogenggan..... 112%, 00, Glykogen in Prozent . 0-59 0.55 Taube 4. (6 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewichz » em. - 318 31.5 8:m 0,07 er206 TE 170 %8 Dextrose nn ner 103, , 55, Glykosen Ver 2 96, US; Glykomen- . N erreee 0-31 0:25 VERHALTEN DES GLYKOGENS BEI RUHENDEN U. FLIEGENDEN TAUBEN. 91 Taube 5. (6 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. liuks Gewicht a A 50 29.5 87m 0:0: een Bahe 330 %8 Dextrose.. . ee nu 1685, 165, Glykozen „re 072,87.:196%, 1532, Glykogen in Prozent . 0-52 0.52 Taube 6. (10 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewacht.a. gern Zul Or Vi, 0. Bares 284 mE Dextrose .. ..,..28e810139 142 „ Giykosen. 2 222. 7223190, 1925 Glykogen in Prozent . 0-48 0-49 Leber. Gewicht: a BE Cu, 0 We lo Dextrose Spa en Glykogen. . . a Glykogen in Prozent . 0.90 Völlig erschöpfte Tauben. Taube 1. (5 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewieht . 0. em 2 En Au nn CO... 7. Weg 85 m8 Dexirose . .’.. oe 44 „ Okogen . .. 1 20 Pen 41 ,, Glykogen in Prozent . 0.15 0-15 Leber. Gewicht Sg a Sin Ch Or 6028 Dextrosesgs a0 27 2,7750, Glykogen . . . um 20r, Glykogen in Prozent - 0-35 Taube 2. (10 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht... ze mes Are 24 87m Em, O0... 1 ne 134 m Dextrose .::.. T.0g:, 67 „ Glykogen’ 7. ers eo 62 „ Glykogen in Prozent . 0-3 0-26 92 Henrkı van’T Horr: Taube 3. (4 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht 95 28.58m Cu, Orr 2. 210408 116 %8 Dexinpseseyr 2.4 0525 DS Giykosenger, . „v..248%, 54 „ Glykogen in Prozent . 0.17. 0.19 Taube 4. (3 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewicht, x... se 30 8m Pu0R . 2 Eros 212 08 Mextrose ..., 2 wen 109: 10685 Glykogen'7.2 re 102% 33% Glykogen in Prozent . 0-34 0.38 Taube 5. (5 Tage gefüttert.) M. pectoral. rechts M. pectoral. links Gewichtes onen nen Cu,0 h LAN TE 130 »8 Dextroseper re: 10», 65 „ Glykosenee 2, .. 30 non 60 „ Glykogen in Prozent . 0.26 0.24 Leber. Gewicht ua En E02 Be oA Dextrose ,.rn.. „um 32 Glykogen ....0.. 0.20. 22508 Glykogen in Prozent . 0-5 Bezüglich der Tabellen sei zunächst bemerkt, daß ich die Zahl des Kupferoxyduls einfach durch 2 dividiert habe, um die des Traubenzuckers zu erhalten; denn es entsprechen ja 20”s Kupferoxydul 10”s Dextrose. Gewiß ist diese Umrechnung nicht ganz exakt; denn der Faktor, durch den man das Kupferoxydul dividieren muß, um die Dextrose zu erhalten, schwankt etwas um 2 herum je nach der Menge Zucker, die sich in der Flüssigkeit befindet. Dies ist aber für meine Versuche, in denen die Zahlen in so geringen Breiten liegen, gleichgültig, und außerdem sind ja die festen Zahlen in dem Kupferoxydul gegeben. Ich habe die Anzahl Milligramm Dextrose mit 0-927, dem Pflügerschen Faktor multipliziert, da ja nach Pflüger nicht alles Glykogen durch Salzsäure in Dextrose umgewandelt wird, sondern nur der größte Teil. VERHALTEN DES GLYKOGENS BEI RUHENDEN U. FLIEGENDEN TAUBEN. 93 Was nun die Resultate selbst betrifft, so ist als Wichtigstes daraus hervorzuheben: Das Glykogen nimmt beim Fliegen von Tauben aus dem M. pectoralis ab; denn über 0-6 Prozent Glykogen haben nur zwei normale Tauben, dagegen weder ermüdete noch erschöpfte Tauben. 0-4 bis 0-6 Prozent ist die Durchschnittsziffer für den Glykogengehalt der Brust- muskeln normaler Tauben; ferner fallen innerhalb dieser Grenzen noch 3 ermüdete Tauben. Weniger als 0-25 Prozent kommt bei normalen gut genährten Tauben nicht vor, sondern findet sich nur bei ermüdeten und völlig erschöpften. Ferner ist es von Wichtigkeit, daß bei vollständig er- schöpften Tauben das Glykogen niemals auf Null sinkt, weder in der Leber noch in den Muskeln. Gewiß ist in dieser Annahme Vorsicht ge- boten; denn es wäre ja denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß das Glykogen beim erschöpften lebenden Tier tatsächlich auf Null sinkt, um nach dem Tode im ersten Moment wieder zu steigen. Schließlich sei noch auf das auffallende Verhalten der Leber der Tauben aufmerksam gemacht. Bei Säugetieren ist ja festgestellt, daß die Leber nach reichlicher Fütterung mit kohlehydratreicher Nahrung fast immer über 5 Prozent Glykogen enthält, ja sogar 20 Prozent aufweisen kann. Etwa 15 Prozent waren in der Leber eines Meerschweinchens vor- handen, das Cramer untersuchte, und 9 Prozent in einer Kaninchenleber. Auch für die Froschleber scheinen ähnliche Verhältnisse vorzuliegen. Nach Athanius’ Beobachtung weist sie einen Durchschnittsgehalt von 6 Prozent Glykogen auf. Ganz im Gegensatz dazu nun zeigte sich bei meinen Tauben ein sehr geringer Glykogengehalt in der Leber; sie enthielt in den meisten Fällen nicht einmal 2 Prozent, und zwar ist das um so mehr befremdend, als die Tiere mit Erbsen, also einem kohlehydratreichen Nahrungsmittel, gefüttert wurden. Es geht also hieraus hervor, daß die Leber von Tauben — vielleicht die von Vögeln überhaupt — nicht als Glykogendepot angesehen werden kann, d. h. nicht als ein Depot, von dem aus alle Muskeln und alle Organe je nach Bedarf mit Glykogen versorgt werden können. Beide Mn. pectorales, ja sogar einer enthalten weit mehr Glykogen als die Leber. Zu erklären ist dieser auffällige Befund wohl nur durch die Lebensweise der Vögel. Weil sie hauptsächlich auf den Flug angewiesen sind, so ist es verständlich, daß sich dort die größte Menge Glykogen vorfindet, wo es unmittelbar gebraucht wird, d. h. eben in den Flug- muskeln. Anhangsweise sei folgendes bemerkt: Man könnte sich denken, daß das Gewicht der Taubenleber relativ größer ist als das einer Säugetierleber, wodurch der Totatbetrag des Glykogens in einer Taubenleber im Verhältnis 94 HENRI van’T Horr: zum Körper nicht geringer wäre als beim Säugetiere. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Eine Menschenleber wiegt z. B. 1800s, also den 42. Teil des Körpers, wenn man diesen auf 75% berechnet. Die Leber einer Taube dagegen wiegt durchschnittlich höchstens 78”=, also etwa den 50. Teil ihres Körpers, dieser zu 350 "= berechnet. Auffällig ist es — ich habe das in anderen Arbeiten nur wenig be- tont gefunden —, daß der Glykogengehalt individuell so sehr schwankt. Hieraus könnten Gegner der Glykogen-Arbeitstheorie sofort eine Bestätigung für ihre Ansicht finden, daß das Glykogen gar keine so große Rolle spiele, da es ja in einem so wichtigen Muskel wie dem M. pectoralis scheinbar ohne irgendwelchen Grund so verschieden sei. Die Tauben bekamen ja doch dieselbe Nahrung und in derselben Qualität; in ihrem Alter zeigten sie keinen wesentlichen Unterschied. Ferner wurden sie in derselben Weise g:tötet und kamen die gleiche Zeit nach dem Tode zur Behandlung; und trotzdem diese auffälligen Unterschiede Außerdem wurden sie stets um dieselbe Stunde geschlachtet aus folgendem Grunde nämlich: Man ist zu der Annahme berechtigt, daß der Glykogengehalt der Taube ihrer Nahrungs- aufnahme entsprechend zu verschiedenen Tageszeiten ein verschiedener sei. Allerdings kann man sagen: Tauben nehmen den ganzen Tag Nahrung zu sich; aber es ist doch möglich, daß sie zu gewissen Zeiten (wahrschein- lich nach der Nachtruhe) immer viel intensiver fressen als zu anderen Zeiten. Es kam mir nunmehr darauf an, aus dem Schwund des Glykogens die Arbeit zu berechnen. Durchschnittlich beträgt der Glykogenverlust bei einer Taube 60”. Ich nehme jetzt an, daß das Glykogen bei der Arbeit vollständig verbrannt wird. 1:”” Glykogen verbrannt gibt 4-2 Kal. Wärme, also 60 = Glykogen 252/000 Kal. Wärme Da 1 Kal. einer Arbeit von 426% entspricht (mechanisches Wärmeäquivalent), so würde dies einer Arbeit von 107m entsprechen. Es ist nur noch zu be- rücksichtigen, daß die Oxydation des Glykogens nicht nur zur Arbeits- leistung dient. Gewöhnlich nimmt man an, daß !/, der aufgewendeten Energie als Arbeit zutage tritt, während ?/, als Wärme verloren gehen. Es würde also in diesem Falle von dem M. pectoralis der Taube nur eine Arbeit von 107:3 = 36'*” geleistet werden. Es war nun von Interesse zu untersuchen, ob diese Zahl eine rein theoretische ist, also in der Luft hängt, oder ob man durch andere Me- thoden zu einem wenigstens annähernd gleichen Resultat gelangt. Auf absolut mathematische Übereinstimmung kann man hierbei natürlich nicht rechnen; nur müssen die Zahlen wenigstens von derselben Ordnung: sein. VERHALTEN DES GLYKOGENS BEI RUHENDEN U. FLIEGENDEN TAUBEN. 95 Das Fliegen besteht im wesentlichen aus einer Senkung des Flügels — diese Bewegung hat den Luftwiderstand zu überwinden, erfordert die größte Kraft und wird von den beiden großen Brustmuskeln besorgt — sodann in einer Hebung, einer kleineren Arbeit, welche die beiden kleinen Brust- muskeln verrichten. Den Luftwiderstand zu berechnen, den der Flügel bei seiner Abwärtsbewegung überwinden muß, ist ein schwieriges Problem, das bis jetzt kaum in Angriff genommen worden ist. Theoretisch ist die Lösung erschwert durch die komplizierten Verhältnisse beim Vogelflug, und direkte Experimente mit Vogelflügeln sind noch wenig gemacht worden. Man kennt zwar die Faktoren, auf die es ankommt, die Schwere der Flügelfläche, ihre Form, ihre Biegung und ihre jeweilige Stellung gegen die Horizontale, Aber wie schwierig es ist, diese Faktoren in ein mathematisches Verhältnis zu bringen, das zeigen die ganz verschiedenen Ergebnisse an künstlichen Flügeln. Es ist also nicht ohne weiteres möglich, die Arbeit des M. pec- toralis major direkt zu bestimmen; aber auf einem indirekten Wege, glaube ich, kann man mehr oder weniger zum Ziele gelangen, wenn man nämlich von dem M. pectoralis minor ausgeht. Merkwürdigerweise wird dieser Muskel in Abhandlungen über den Vogelflug so gut wie gar nicht berück- sichtigt; selbst Marey beschäftigt sich nur ganz flüchtig mit ihm. Da der Peetoralis minor den Flügel zu heben hat, so leistet er die Arbeit: Gewicht des Flügels multipliziert mit der Hebung des Schwerpunktes des Flügels. Den Schwerpunkt bestimmte ich in der Weise, daß ich den Flügel in verschiedenen Lagen aufhing und den Schnittpunkt der Verti- ‚kalen festlegte. Dabei fand ich, daß er außerhalb der Flügelfläche liegt. Gehoben wird er höchstens 3°”. Das Gewicht des Flügels beträgt 20 sm. Die geleistete Arbeit bei einer Flügelhebung beträgt demnach höchstens 0-03 x 0-02 = 0.0006 :em. Nun ist die Arbeit eines Muskels ceteris paribus proportional seiner Masse. Der M. pectoralis major wiegt etwa 28®”=, der - M. pectoralis minor 3%/, =”; der M. pectoralis major wird also für gewöhn- lich das Sfache von dem Pectoralis minor zu leister haben, also 0.0048 kem, Natürlich ist damit nicht die maximale Arbeit des M. pectoralis major be- rechnet, sondern nur die normale. Bei einem Flügelschlag wird also die Arbeit geleistet = 9 x 0.0006 Yu = 0.0054 Fem, Nun machten die Tauben, was ich durch Zählen feststellte, durch- schnittlieh 4000 Flügelschläge. In der ersten Minute etwa 230, in der zweiten 210 und so abwärts bis 160 und 120. Dies würde also einer Arbeit entsprechen von 4000 x 0.0054 km = 21.6 tm, Da die Arbeit, die durch Verbrennung des Glykogens geleistet wird, wie oben berechnet, 36!" beträgt, so würde also die Menge des verbrannten Glykogens genügen, die betreffende Arbeit zu verrichten, besonders da die 96 HENRI van’T HoFF: VERHALTEN DES GLYKOGENS USW. Abnahme des Glykogens mindestens 60:”" beträgt; es wurden ja hier nur _ die großen Brustmuskeln berücksichtigt und nicht die sonstige Körper- muskulatur. Ich möchte nicht unterlassen, Hrn. Geh.-Rat Prof. F. C. Schulze, Hrn. Geh.-Rat Prof. Rubner, Hrn. Prof. du Bois-Reymond und Hrn. Prof. Stendel für die liebenswürdige Unterstützung bei Anfertigung meiner Dissertation meinen besten Dank auszusprechen. Untersuchungen über den Einfluß des Alters, Geschlechts und der Kastration auf die Zahl der roten Blutkörperchen und den Hämoglobingehalt bei Rindern, Schweinen und Schafen. Von Nadeschda Sustschowa aus Jaroslavl, Rußland. (Aus dem physiologischen Institut Zürich.) Geschiehtliche Übersicht. Untersuchungen über den Blutkörperchengehalt wurden schon seit langem angestellt. Schon im Jahre 1852 veröffentlichte Vierordt eine ganze Reihe von Arbeiten, welche auf diesem Gebiete die ersten waren; sie erschienen in dem Archiv für physiologische Heilkunde 1852 Heft I, unter dem Titel: „Die quantitative und mikroskopische Analyse des Blutes.“ In den meisten dieser Arbeiten untersuchte man das Blut des Menschen; so wurde das menschliche Blut von Welcker, Hayem, Lyon, Thoma und Reinert untersucht. Die Forschungen über die gleiche Frage bei den Tieren sind seltener. Vierordt fand bei 2 Hunden pro Kubikmillimeter Blut 4610 000 bzw. 4230000 Blutkörperchen (inclusive farblose Zellen. Welcker! zählte neben den Blutkörperchen von Auchenia lama, Myoxus glis, Elephas indicus, Fringilla coelebs, Columba, Lacerta agilis, Proteus anguineus und Petromyzon marinus auch diejenigen einer 8 Tage alten Ziege und fand bei drei Zählungen: 9970000, 9210000 und 9800000, im Mittel 9720000 Zellen (einschließlich der weißen Blutkörperchen) pro Kubik- millimeter Blut. ! Welcker, Zesischrift für rationelle Medizin. 1864. Archiv f. A.u. Ph. 1910, Physiol. Abtlg. 7 98 NADESCHDA SUSTSCHOWA: Stöltzing! stellte den Gehalt des Kubikmillimeter Blutes an Zellen bei einem Schweine auf 5440000, bei zwei Kälbern auf 5500000 bzw. 4700000, bei einem Ochsen auf 5070000 fest. Stöltzing zählte die Blutkörperchen bei 11 Hunden und gab als die Durchschnittszahl 4 980 000 pro Kubikmillimeter an, wobei sich das Minimum zum Maximum wie 1-0 zu 1-3 verhielt. Bei den von Stöltzing ausgeführten Zählungen wurden niemals mehr als 6 Millionen, niemals weniger als 4 Millionen Blutkörperchen im Kubik- millimeter vorgefunden. Malassez? zählte die Blutkörperchen bei der Ziege, dem Renntiere, der Kuh, dem Pferde, dem Esel, dem Lama, dem Dromedar, dem Huhne, dem Truthahn, der Gans, dem Strauß, der Ente, dem Schwane und diversen Fischen. Er fand bei der Ziege 18, beim Pferde 6-3, beim Esel 5-4 und bei der Kuh 4-2 Millionen Zellen im Kubikmillimeter Blut. Malassez hat bei diesen Untersuchungen keine Angaben über das Alter, Geschlecht und die Zahl jeder Spezies gemacht. Lyon? untersuchte das Blut von 7 Hunden und fand dabei pro Kubikmillimeter 5606 000, 5577000, 5678500, 5499500, 5 335 500, 5201750 und 5312750 rote Blutkörperchen. Hayem‘ zählte beim Pferde 7403500 rote, 9500 weiße, bei der Ziege 19000000 rote, 30000 weiße Blutkörperchen, beim Hunde 6650000 rote, 10000 weiße. Sussdorf? stellte beim Pferde 6-5 bis 8 Millionen rote Blutkörperchen im Kubikmillimeter Blut fest, und zwar ergab sich für die Stute eine Durehschnittszahl von 6-65, für Wallache eine solehe von 7-8 Millionen. Bethe® fand: beim Kalbe 6 710000 rote, 69890 weiße Blutkörperchen; 2 Ochsen 202.75.000° ,,; — M . nicht gezählt; „ Schafe 9139000 ,„ 4140 „ Schweine 6960000 ‚„ 7840 = Mikrukow’ bestimmte im Kubikmillimeter Pferdeblut 7 198000 rote Blutkörperchen und 12000 weiße. ı Stöltzing, Zeitschrift für rationelle Medizin. 1864. ® Malassez, Compt. rend. des seances de l’acad. des Sc. Paris 1872. ® Zitiert nach Malassez. * Hayem, Du sang et des alterations anatomiques. Paris 1889. _ 5 Sussdorf im Lehrbuch der Physiologie der Haussäugetiere von Ellen- berger. 1910. 6 Bethe, Zahl und Maßverhältnisse der roten Blutkörperchen. Dissertation. Straßburg 1891. ” Mikrukow, Veränderungen der roten Blutkörperchen unter dem Einflusse des Rotzkontagiums. Compt. rend. des Veter.-Instituts zu Charkow. 1891. ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN: BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 99 Cohnstein! fand bei 5 Schafen im Durchschnitt 12.09 Millionen Erythrocyten pro Kubikmillimeter Blut. Die gefundenen Einzelzahlen waren 11500000, 12200000, 11 300000, 12 500 000, 12 950.000. Prus? sagt folgendes in seiner Arbeit über die Wirkung des Malleins auf das Blut: „Beim gesunden Pferde beträgt die Zahl der roten Blutkörperchen in 1 wm Blut aus dem Ohre durchschnittlich 7 Millionen, die Zahl der weißen Blutkörperchen 15 000 und die Blutplättehen 500 000. Das Verhältnis der weißen Blutkörperchen zu den roten beträgt 1:466. Kein Forscher von diesen hat Angaben über Zahl und Alter der Ver- suchstiere gemacht. Schroeder und Cotton? haben die Blutkörperchen bei 16 Kühen gezählt und fanden im Durchschnitt 6081000 rote Blutkörperchen pro Kubikmillimeter Blut. Storeh* fand bei folgenden verschiedenen Tieren nachstehende Durch- schnittszahlen für rote und weiße Biutkörperchen pro Kubikmillimeter Blut: bei 2 Hengsten 8205 -Millionen rote, 10478 weiße Blutkörperchen „ 7 Wallachen 7595 A SEI BO2OR 5 „ 6b Stuten 7119 5 MEI. SSSaMER, B 2 Rohlen 939 ” „ 14034 „ N „ 10 Bullen 6 503 5 BEEUSAl" = „. 10 Ochsen 6683 EZ IDHLL, Mi „ 10 Kühen 5473 Mi En nee W221 Ar u „ 10 Stück Jungvieh 7055 ie SE OT; 4 „ 10 Kälbern 8523 IRLDEUSIDNNN, h „ 5 Schafböcken 11183 ee BORN re „ 8 Hammeln 9839 ki INGA, A „ 9 Schafen 10 396 a SIT, rn „ Lämmern: 1. 1—14 Tage alt 8339 . (0135, 5 2. 2 Monate alt 12232 ” 55 —_ s > „ 5 Ziegenböcken 153 E 13185205 25 „ 8 Ziegen 13 839 5 a ae a „ 8 Lämmern 1015 ” "e2ll308. 5, er 1 Cohnstein, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie. 1894. 2 Prus, Österreichische Zeitschrift für wissenschaftl. Veterinärheilkunde. 1894. 8 Cotton und Schroeder, Annual report of the bureau of animal indusiry. Washington 1899. * Storch, Über den Blutkörperchengehalt des Blutes der landwirtschaftlichen Haussäugetiere. Inaug.-Dissertation. Karlsruhe 1901. 7*F 100 NADESCHDA SUSTSCHOWA: bei Schweinen a) männlichen Kastraten 8-43 Millionen rote Blutkörperchen b) weiblichen a 7.661 „ h H c\) Ferkeln 4923 Millionen rote, 11518 weiße - „ Bei früheren Zählungen der roten und weißen Blutkörperchen wurden verschiedene Methoden gebraucht; die Lösungen für die Verdünnung des Blutes wurden von verschiedenen Autoren in verschiedener Zusammen- setzung und verschieden angewendet. Ich benutzte für die Zählung der roten Blutkörperchen die Zeiss- Thoma-Zählkammer und als Verdünnungsflüssigkeit die 1 prozentige Na0l-Lösung. Für die Bestimmung des Hämoglobingehaltes im tierischen Blute benutzte ich die Methode von Prof. Sahli, sowie seinen Hämometer. Das Blut für die Zählung der roten Blutkörperchen entnahm ich sofort nach dem Abschlachten des Tieres, unmittelbar nach dem Durchschneiden der A. carotis; dabei ließ ich die ersten Blutwellen abfließen, um dadurch das Blut rein und frei von Lymphe zu erhalten. Die Schale, in welcher das Blut aufgenommen wurde, wurde zuerst gereinigt und abgetrocknet. Mit einer graduierten Pipette (aus dem Apparat Thoma-Zeiss) sog ich das Blut bis zur Marke 0-5 oder 1 (nach dem Blutkörperchengehalt des Blutes) und aus der anderen Schale entnahm ich 1prozent. NaCl-Lösung bis zur Marke 101 derselben Pipette. Bei Rindern (Ochsen, Stieren, Kühen und Kälbern) brauchte ich bei den Blutkörperchenzählungen 100fache Ver- dünnung, bei Schweinen und Schafen 200fache Verdünnung; das habe ich aus dem Grunde gemacht, weil das Blut der Schweine und Schafe sehr reich an Blutkörperchen ist. Storch! bemerkte bei seinen Blutuntersuchungen bei Haussäugetieren folgendes: „Eine solche Verdünnung von 1:100 ist entschieden für Zählung aus Haustierblut zu gering, da der Zellgehalt desselben mit teilweiser Aus- nahme des Rinder- und Ferkelblutes ein erheblich beträchtlicherer ist, als derjenige des menschlichen Blutes und die Genauigkeit des Resultates in- folge der dichten Lagerung der Blutkörperchen im Präparate in Frage ge- stellt war.“ i Nach der Verdünnung des Blutes in der Pipette habe ich die Kapillare mit dem Inhalt eine Minute lang geschüttelt, um die verdünnte Mischung in der Ampulle besser zu vermischen. Dann habe ich 3 bis 4 Tropfen von verdünntem Blute aus der Kapillare ausgeblasen und hiernach einen Tropfen von mittlerer Größe auf die Mitte der Zählkammer gebracht; die Kammer deckte ich sofort mit dem Deckgläschen, welches ich ein wenig drückte, bis die Newtonschen Farbenringe erschienen. Jetzt habe ich die SHOREIN, Br 5 Ü. ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 101 Zählkammer ruhig stehen lassen; nach 5 Minuten des Ruhigstehens fange ich an die Blutkörperchen zu zählen; ich zählte sie in 200 Quadraten der Zählkammer von rechts nach links, zuerst die ‘erste Reihe und dann die folgenden. Außer diesen Zählungen bestimmte ich bei allen Versuchstieren auch den Hämoglobingehalt des Blutes. Bei der Hämoglobinbestimmung habe ich die Methode und das Hämo- meter von Prof. Sahli angewendet. Das Hämometer besteht aus einem Holzgestell, welches zwei Gläschen enthält. Das eine von diesen Gläschen ist ungraduiert, geschlossen und mit der Probeflüssigkeit gefüllt; die Farbe dieser Probeflüssigkeit entspricht der des normalen Blutes vom 100 Hämoglobingehalt. Das andere Gläschen ist in 140 Teilchen durch Striche geteilt und offen; hinter beiden Gläschen befindet sich ein weißes, mattes Glas. Bei diesem Apparat findet sich ein Kapillarrohr mit der Marke von 20 ==. Die Hämoglobinbestimmung führte ich auf folgende Weise aus: zuerst füllte ich das offene Gläschen mit !/,. Prozent Normalsalzsäurelösung bis zum Teilstrich 10, dann ließ ich das Blut in die Kapillare bis zu der Marke 20 “= aufsteigen und blies ‚dieses Blut in das Röhrchen mit der Salzsäurelösung, dann schüttelte ich das Gemisch im Röhrchen und setzte so lange Wasser zu, bis die Flüssig- keiten im Probeglas und im offenen Glas gleichfarbig wurden. Darauf las ich den Teilstrich ab, an welchem das Blut mit Salzsäure angelangt war. Als Material für meine Blutuntersuchungen diente das Blut von im Schlachthaus in Zürich geschlachteten Tieren. Bei den Untersuchungen des Blutes nahm ich dasselbe meistens vormittags und bei den zu ver- sleichenden Tieren zu gleicher Zeit, ebenfalls vormittags oder am Nach- mittag von beiden. Die Rassen sind bei den Rindern angegeben, bei den Schafen kommt in Betracht nur die deutsche, bei den Schweinen die schweizerische Rasse. Bei meinen Untersuchungen des Blutes berücksichtigte ich also den Einfluß des Alters, Geschlechts und der Kastration auf die Menge der roten Blutkörperchen und den Hämoglobingehalt; weiße Blutkörperchen habe ich extra nicht gezählt, und wenn ich größere Blutkörperchen von der Gestalt der weißen bemerkte, so zählte ich sie nicht. Einfluß des Alters auf die Blutkörperchenzahl. Das Alter hat einen bestimmten Einfluß auf die Zahl der Blutkörper- chen beim Menschen; Sörensen, Bouchut und Dubrisay,! Duperie, Tönissen haben es durch ihre Untersuchungen nachgewiesen. Bouchut und ! Bouchut-Dubrisay, Medizin. Jahrbuch. 78. 102 NADESCHDA SUSTSCHOWA: Dubrisay fanden, daß das Kinderblut reicher an roten Blutkörperchen sei, als das Blut der Menschen aus anderen Lebensperioden. Duperie! fand, ‘ daß das Blut Neugeborener so viel Erythrocyten enthielt, wie das des stärksten Erwachsenen. Lepine? bemerkte, daß am Tage der Geburt die Zahl der roten Blutkörperchen größer sei und am zweiten Lebenstage stark abnimmt. Otto? hat aus seinen Blutkörperchenzählungen den Schluß gezogen, „daß im jugendlichen Alter die Anzahl sowohl der roten, als auch der weißen Blutzellen entschieden vermehrt ist“. Cohnstein-Zuntz* bemerkten folgendes: „Der Gehalt des Blutes an Blutkörperchen ist in den frühen Stadien der Ent- wicklung sehr gering. Die Zunahme der roten Blutkörperchen während des Fötallebens ist eine ganz allmähliche.“ Storch in seinen ‚Untersuchungen über den Blutkörperchengehalt des Blutes der landwirtschaftlichen Haus- säugetiere“, Inaug.-Diss. Karlsruhe 1910 schreibt: „Wir sehen, daß bei der Gattung ‚Rind‘ allerdings die neugeborenen und jugendlichen Tiere relativ mehr Blutzellen besitzen, als die erwachsenen Individuen und die Zahl der roten Blutkörperchen im allgemeinen vom Tage der Geburt an konstant abnimmt. Ganz anders jedoch liegen die Verhältnisse bei den kleinen Hauswiederkäuern Schaf und Ziege. Diese Tiere beherbergen in der Regel in ihrem Blut während der ersten Lebenstage verhältnismäßig geringere Mengen von Erythrocyten, als erwachsene Individuen. Und dieses Verhalten ist keine den Ruminantien allein zukommende Eigentümlichkeit, denn auch bei dem zu den nicht wiederkäuenden Artiodaktylen gehörenden Schweine stoßen wir auf die gleiche Tatsache.“ I Die Resultate meiner Untersuchungen des Blutes bestätigten die von Storch ausgeführten Untersuchungen. Er hat auch bei dem Rind die Blutkörperchenzählungen gemacht. Ich fand, daß die Zahl der roten Blut- körperehen der jugendlichen Tiere größer ist, als die der erwachsenen desselben Geschlechts (unkastriert) und fast desselben Hämoglobingehaltes; außerdem bemerkte ich, daß das Blut drei- und viermonatiger Kälber desselben Geschlechts ärmer an Blutkörperchen sei, als das Blut der vierzehn- tägigen Tiere. Meine Untersuchungsresultate also widersprechen denen von Storch nicht; die anderen Autoren haben ja bei anderen Tieren ihre Zählungen ausgeführt. Bei den übrigen Tieren habe ich diese Unter- suchungen infolge Zeitmangels nicht fortgesetzt. | ! Duperie, Medizin. Jahresberichte. 1879. 2 Lepine, Zitiert nach Otto. 3 Otto, Über Blutkörperchenzählungen in den ersten Lebenstagen. Dissertation. Halle 1863. R ’ * Cohnstein-Zuntz, Untersuchungen über den Kreislauf und die Atmung des Säugetierfötus. Pflügers Archiv. 1884. ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 103 Bei jungen Kühen, welche noch nicht gekalbt haben, fand ich auch eine größere Zahl roter Blutkörperchen, als bei älteren Kühen, die gekalbt hatten, bei gleichem Hämoglobingehalt. Einfluß des Geschlechts auf die Blutkörperchenzahl. Über den Einfluß des Geschlechtes auf die Zahl der roten Blutkörper- chen und im allgemeinen der Blutkörperchen bemerkt Walter Reinecke:! „Vom ersten Jahre bis zur Pubertätszeit schwankt die Zahl um 5 Millionen, ohne daß ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern bemerkbar wäre, bei Erwachsenen beträgt sie bei Männern nach Sörensen gegen 51/, Millionen, bei Weibern nur gegen 5 Millionen, bei beiden Geschlechtern finden wir mit zunehmendem Alter eine ziemlich gleichmäßige Abnahme.“ Ellenberger in seiner Physiologie der Haussäugetiere von 1910 sagt: „Die Zahl der roten Blutkörperchen im zirkulierenden Blute ist entsprechend der geringeren Größe eine sehr bedeutende. Sie schwankt aber nach Tier- art und vielen äußeren Verhältnissen (Geschlecht, Verdauungsstadium, hohes Klima, Arbeit usw.).“ Storch? bemerkte in seiner ausführlichen Arbeit über diese Frage folgendes: So sehen wir zunächst, daß das Blut der weiblichen Tiere im _ Durchsehnitte ärmer an roten Blutkörperchen ist als dasjenige der Männchen. Die Größe diesbezüglicher Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen ist bei Tieren verschieden und zwar im allgemeinen um so größer, je zell- reicher das Blut ist.“ Ich erlaube mir, aus der Arbeit von Storch einige Ziffern anzuführen. Bullen (unkastriert). Alter Zeit der a orper chen in Jahren Blutentnahme F rote weiße 21, 10 Uhr vormittags 7608 8450 3 5 ,„ nachmittags 6712 5432 3 3: ” 6576 8606 3 BA, 5 7304 9992 31, Due i% 6278 7501 4 1 , vormittags 6192 8709 4 Ir ss in 6872 8329 5 8.079 = 6096 - 6760 5 ge % 5124 — 5 Bänt kt 6088 6794 i Walter Reinecke, Über Blutkörperchenzählungen. Inaug.-Diss. Halle 1889. ® Storch, Untersuchungen über den Blutkörperchengehalt. Diss. Karlsruhe 1910. 104 NADESCHDA SUSTSCHOWA: Kühe. Alter Zeit der N ir ne in Jahren Blutentnahme £ BET | rote weiße 5 7 Uhr vormittags 6160 _ 5 2 „ nachmittags 5696 9669 5 1l „, vormittags 6136 8058 6 Se e 4952 7726 6 I08,: 35 5996 9838 6 Sr: S 5120 10955 j7 Sea 2 5648 7243 8 95 En 5324 8505 8 U “ 5176 8468 8 108%; R 4492 — 10 bs: 55 5156 6217 15 Sn » 4264 6881 18 5 ,„ nachmittags 9720 — Bei meinen Untersuchungen des Blutes der Haussäugetiere konnte ich alles früher Gefundene bestätigen. Bei den Zählungen der roten Blut- körperchen habe ich gefunden, daß die Stiere (unkastrierte männliche Rinder), Böcke (unkastrierte männliche Schafe) mehr rote Blutkörperchen haben, als _ die Kühe und Mutterschafe von gleichem Alter und gleichem Hämoglobin- gehalt, was aus den am Ende dieser Arbeit angeführten Tabellen ersichtlich ist. Bei jungem Rindvieh konnte ich diesen Unterschied im Gehalt des Blutes an Blutkörperchen bei beiden Geschlechtern nicht nachweisen. In dieser Beziehung unterscheiden sich die Angaben über das tierische Blut von solchen über das menschliche nicht. Dubrisay hat schon im Jahre 1878 im Mediz. Jahresber. geschrieben, daß ein Einfluß des Geschlechtes beim Menschen im Kindesalter nicht bemerkbar ist. Einfluß der Kastration auf die Blutkörperchenzahl. Über den Einfluß der Kastration auf die Zahl der roten und weißen Blutkörperchen spricht Storch seine Meinung aus: „ob beziehungsweise die Blutkörperchenmenge durch die Kastration beeinflußt wird, geht aus den Versuchen nicht mit Sicherheit hervor. Während die für Wallache (kastrierte männliche Pferde) und Ochsen (männliche kastrierte Rinder) gefundenen Werte mit denjenigen bei Hengsten bzw. Bullen (unkastrierten männlichen Pferden bzw. Rindern) ziemlich übereinstimmen, sehen wir, daß die durchschnittliche Blutzellenzahl beim Hammel (männliches kastriertes Schaf) unter derjenigen des Bockes (unkastriertes männliches Schaf) um 1.3 Millionen. pro Kubik- ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 105 millimeter zurückbleibt, ja sogar noch um 0-6 Millionen niedriger ist, als die für das weibliche Schaf festgestellte Durchschnittszahl.“ Meine Untersuchungen über den Kastrationseinfluß habe ich am Rinde, Schwein und Schaf angestellt. Die Resultate meiner Arbeit, wie sie aus den Tabellen ersichtlich sind, stimmen mit denen von Storch überein; dabei muß ich bemerken, daß ich das Blut von Tieren mit gleichem Hämoglobingehalt verglichen habe, das Alter war bei den zu vergleichenden Tieren das gleiche oder nicht wesentlich verschieden. Bei Rindern habe ich keinen großen Unterschied in der Blutkörperchenzahl zwischen Kastraten und Unkastrierten gefunden; bei Schweinen fand ich eine besser ausgedrückte Differenz in der Blutkörpenchenzahl, aber ich mußte mich bei dem Ver- gleich der Kastrierten und Unkastrierten auf das weibliche Geschlecht be- schränken, weil von männlichen unkastrierten Schweinen keine geschlachtet wurden. Bei Schafen ist der Unterschied sehr bemerklich. Aus diesen Angaben, gewonnen von Storch und mir, kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die Kastration vermindernd auf die Zahl der roten Blut- körperchen wirkt. Einfluß auf den Hämoglobingehalt des Blutes. Über den Hämoglobingehalt und die Einflüsse, welche auf den Hämo- globingehalt des menschlichen Blutes einwirken, schreibt Reinert in seiner Arbeit „Zählungen der Blutkörperchen und deren Bedeutung für Diagnose und Therapie“, Leipzig Preisschrift 1891, „daß das Blut der Frauen spezi- fisch leichter, wasserreicher, ärmer an Hämoglobin, Eisen und Blutkörperchen sei, als das der Männer.“ Was das Lebensalter anbelangt, in dem dieser Unterschied sich geltend zu machen anfängt, so fand Leichtenstern die Differenz im Hämoglobin schon in der Kindheit (bei Individuen unter .10 Jahren) ausgesprochen und im geschlechtsreifen Alter am stärksten. Leichtenstern bemerkt, „daß die Differenz im Hämoglobingehalt des männlichen und weiblichen Blutes nicht zufällig ist, daß sie vielmehr, wenn alle anderen konstanten Ursachen, von denen die Differenz herrühren konnte, sich ausschließen lassen, auf Verschiedenheit des Geschlechtes zu beziehen ist.“ Durch meine Untersuchungen bei Haussäugetieren fand ich, daß Kälber im Alter von 14 Tagen und von 3 bis 4 Monaten nicht mehr als 50 Prozent Hämoglobingehalt haben; bei erwachsenen Rindern (Ochsen, Stieren, Kühen) stieg der Hämoglobingehalt bis auf 110 Prozent, indessen bei weiblichen Rindern nur bis 80 Prozent. Also bei Rindern hat nicht nur das Alter, sondern auch das Geschlecht einen Einfluß auf den Hämoglobingehalt. Bei Schafen fand ich überhaupt keine deutliche Differenz zwischen weib- 106 NADESCHDA SUSTSCHOWA: lichen und männlichen Tieren im Hämoglobingehalt. Da der Hämoglobin- gehalt die Blutkörperchenzahl beeinflussen kann, habe ich nur Tiere mit gleichem oder fast gleichen Hämoglobingehalt verglichen. Die Abhängig- keit des Hämoglobingehaltes von der Zahl der roten Blutkörperchen konnte ich nicht nachweisen. Bei größerer Zahl der roten Blutkörperchen fand ich einen niederen Hämoglobingehalt und bei kleiner Zahl roter Blut- körperchen einen großen Hämoglobingehalt. Es ist mir nicht gelungen, die Regelmäßigkeit in dem Verhalten zwischen dem Hämoglobingehalt und der Zahl der roten Blutkörperchen nachzuweisen. Am Ende meiner Arbeit führe ich Tabellen mit den von mir gefun- denen Resultaten an. Rinder. Bullen (unkastriert). Tageszeit der Zahl der roten | Hämoglobin- Alter Blutentnahme | Blutkörperchen gehalt Rasse 5 Jahre Vormittags 8.070 000 110 Simmentaler d ” = 8530 000 110 Schweizer-Schlag eg ss 7 940 000 80 Simmentaler 4 = 5% 9 500 000 110 Luzerner 4,» r 7 384 000 70 — 3 > » 6 740 000 70 — 3 ie 7 234 000 70 Luzerner DL % 8 304 000 50 * 3 R 52 9 208 000 | 60 Französische Ochsen (kastriert). 3!/, Jahre Vormittags 7 368 000 s0 Schweizerische All, us Es 5 824 000 60 Französische 4 ; sy 6 168 000 40 Simmentaler 3 » » 7 304 000 50 Luzerner 21, h 7 783 000 110 5 Kühe, welche gekalbt haben. 6—7 Jahre Vormittags 6 766 000 60 Braun-Schlag 5 er > 6 226 000 60 Simmentaler 8-9 „ i, 6 550 000 60 Schweizerische 6-7 „ ” 6 438 000 60 Simmentaler 100, b: 7.056 000 70 Braun-Schlag TElr: % 6 396 000 50 Simmentaler Kühe, welche noch nicht gekalbt haben. 1', Jahre Vormittags 8 246 000 75 Simmentaler 2 an | = 9 156 000 50 — 2 >» S 7.520 000 40 Na ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 107 Kälber, männliche. 1 Tageszeit der | Zahl der roten | Hämoglobin- i Alter Blutentnahme | Blutkörperchen gehalt Rasse 2 Monate Vormittags 7 700 000 40 Simmentaler 14 Tage er 10 088 000 40 — 8—9 Wochen 2 6 428 000 20 _ 14 Tage ns 7 160 000 20 — 13 Wochen ;s 8 836 000 50 — 14 Tage Au 8 060 000 50 — 14 Wochen S 7 768 000 60 — Kälber, weibliche. 3 Monate Vormittags 7 894 000 40 _ 9 Wochen 3 7256 000 50 _ Schweine. Kastrierte männliche. 11—12 Monate | Nachmittags 10 218 000 80 Schweizerische 1!/, Jahre % 11 640 000 60 — 6-9 Monate ER 11 468 000 50 — 10 Monate 5276000 60 — Kastrierte weibliche. 7 Monate Nachmittags 6 980 000 70 Schweizerische m. 5 9 576.000 70 a dla .;E 5 | 8 364 000 60 ne Unkastrierte weibliche. 1!/, Jahre Nachmittags 9 226.000 50 Schweizerische ER 4 10 112 000 70 A 2 5 er 9572 000 40 Fr N on 3 316 000 60 55 ur, n 11 680 000 40 B Schafe. Unkastrierte männliche. 21/, Jahre Nachmittags 14 182 000 50 Deutsche 2 “ 3 12 308 000 60 6 1 2 N 12 692 000 60 2 Kastrierte männliche. Isjahr Nachmittags 10 848 000 50 Deutsche 2 : 6%) 8 276 000 70 ” EU 7, Er 10 268 000 50 5 A 10 006 000 50 R AST, 5 7 706 000 To » 108 NADESCHDA SUSTSCHOWA: Die Endresultate meiner Arbeit sind in den Tabellen zusammengestellt, deren Betrachtung zu folgenden Schlußfolgerungen führt. Bei den Haussäugetieren machte sich auch in bezug auf das Geschlecht ein Unterschied in der Zahl der roten Blutkörperchen und im Hämoglobin- gehalt geltend. Dieser Unterschied ist also nicht bloß eine Folge der Lebensweise und der äußeren Bedingungen der Umgebung, wie man bei Menschen annehmen könnte, sondern er muß von dem verschiedenen Auf- bau des Organismus und, wie dieser selbst, von der Bildung der Geschlechts- produkte herrühren. Tiere haben im Durchschnitt; Männliche geschlechtsreife Tiere. Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt IKnder-@B len 8101000 80 Schafe ee evt: ve 13 060 000. 56 Weibliche geschlechtsreife Tiere. Rinder @Kuüheme:; 0a 6 890 400 60 Schafe: Mutterschafe . . . . 9781000 52 Die Differenz betrifft den Hämoglobingehalt: männliche Tiere, Bullen haben einen um 20 Prozent höheren Hämoglobingehalt als Kühe. Böcke (männliche Schafe) haben einen um 4 Prozent höheren Hämo- globingehalt als Mutterschafe. Die Differenz betrifft die Zahl der roten Blutkörperchen. Bullen haben 1210000 mehr als die Kühe; Böcke (männliche Schafe) 3279000 mehr als Mutterschafe. 2. Daß die Differenz von der Bildung der Geschlechtsprodukte beein- flußt wird, sieht man beim Vergleich der kastrierten mit unkastrierten Tieren. Unkastrierte Tiere. Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt Bullen gen... 2.2.00 8101000 80 Schweine (weibliche) . . . . 9 976 000 65 Schafe (männliche) . . . . . 13 060 000 56 Kastrierte Tiere. Ochen VB IN. x: 6 910.000 20 Schweine (weibliche) . . . . 8 307 000 67 Schafe (männliche) . . . . . 9419600 58 ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 109 Differenz: bei Bullen (unkastrierten männlichen Rindern) ist die Blut- körperchenzahl um 1191000 größer als bei Kastrierten (Ochsen). Der Hämoglobingehalt bei Bullen um 12 höher als bei Ochsen. Ferner, bei unkastrierten Schweinen ist der Hämoglobingehalt um 2 ge- ringer als bei kastrierten. Die Blutkörperchenzahl bei unkastrierten Schweinen ist um 1669000 höher als bei kastrierten (weiblichen). Bei unkastrierten Schafen ist der Hämoglobingehalt um 2 geringer als bei den kastrierten und die Blutkörperehenzahl um 3640000 größer. 3. Die Differenz rührt aber nicht allein von der Bildung der Ge- schlechtsprodukte her, sondern auch vom Aufbau des Organismus. Männ- liche und weibliche kastrierte Tiere müßten ja sonst die gleiche Blut- körperchenzahl haben, und das ist nicht der Fall. Ich beschränke mich hier auf Schweine, da weibliche Rinder und Schafe nicht kastriert werden. Kastrierte Schweine. Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt Mannlicher @; ..' ..... ms 9400 000 62 Weibliche, +)... ı ©: Ve 8307 000 66 Die Differenz ist folgende: bei weiblichen Kastraten ist der Hämoglobin- gehalt um 4 höher, die Blutkörperchenzahl beträgt 1093000 weniger als bei männlichen Kastraten. 4. Das Alter hat einen entschiedenen Einfluß auf die Zahl der roten Blutkörperchen, d. h. mit dem Aufbau des Organismus ist ein Moment zur Veränderung der Zahl der Blutkörperchen gegeben. So wie andere Zellen gebildet werden, werden auch Blutkörperchen gebildet. Erwachsene Tiere: Rinder. Blutkörperchenzahl Hömoglobingehalt Bullen . . ; 8101000 80 Kühe, welche gekalbt haben ; 6 572 000 60 Kühe, welche nicht gekalbt haben 8 301 000 55 Kälber, mannlichers esse 8013000 40 Kälber, weibliche - ers 7575000 45 Die Differenz: Bullen haben 83000 Blutkörperchen mehr als männ- liche Kälber und einen um 40 höheren Hämoglobingehalt; Kühe, welche gekalbt haben, haben einen um 15 höheren Hämoglobingehalt und ihre Blut- körperchenzahl ist um 1003000 niedriger als bei weiblichen Kälbern. 110 NADESCHDA SUSTSCHOWA: Kühe, welche noch nicht gekalbt haben, haben einen um 10 höheren Hämoglobingehalt und ihre Blutkörperchenzahl ist um 88000 höher als bei weiblichen Kälbern. | 5. Entsprechend den Blutkörperchenzahlen wechselt auch der Hämo- globingehalt. Erwachsene Tiere Rinder: Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt Bullen, A Jahre 9500000 100 > Aloe m 7534000 70 en 7 940 000 80 Kühe, 10 r 7 056 000 70 6—7 , 6 4358 000 60 7 r 6 396 000 BL) 6. Aber der Hämoglobingehalt und die Blutkörperchenzahl gehen doch nicht parallel. Bei einzelnen Tieren überwiegt die Blutkörperchenzahl das Mittel, während der Hämoglobingehalt zurücksteht, bei anderen ist es umgekehrt. Beispiele: Männliche unkastrierte Schafe. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt '21/, Jahre 14182 000 50 2 a 12 308 000 60 2 A 12 692 000 60 Bullen (unkastrierte männliche Rinder). Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 4 Jahre 9500000 106 3 5 6 740 000 70 er; 7 940 000 80 7. Während wir in Punkt 5 ein Moment haben, welches uns die Ab- hängigkeit des Hämoglobingehaltes und der Blutkörperchenzahl zeigt, muß es ein anderes Moment geben, welches die Unabhängigkeit der Blutkörper- chenanzahl vom Hämoglobingehalt konstatieren läßt. Diese beiden Momente verhalten sich bei verschiedenen Tieren, bei verschiedenem Geschlecht und Alter nicht gleich. Beispiele: Bullen. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 41/, Jahre 7 384.000 70 B) » 6 740 000 70 3 > 7254000 70 ÜBER DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHEN BEI RINDERN usw. 111 Bullen. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 2l/, Jahre 8 304 000 50 B) a I 208 000 60 Die „ 8 070 000 110 B) e 8530 000 110 a ; 7 940 000 80 4 n 9 500 000 100 Kühe, welche gekalbt haben. Alter ‘ Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 6 Jahre 6 766 000 60 6 5 6438 000 60 5 " 6 226 000 60 8—9 „ 6 550 000 60 10 x 7056 000 70 7 7 6 396 000 50 Kälber, männliche. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 2 Monate 7 700 000 40 14 Tage 10 088 000 40 8— 9 Wochen 6 428 000 20 12 es 7768 000 60 14 Tage 8.060 000 50 13 Wochen 8 886 000 50 Kälber, weibliche. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 3 Monate 7 894 000 40 9 Wochen 7 256 000 50 Schafe, weibliche unkastrierte. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 1!/, Jahre 9 226 000 50 N 10112000 70 2 “ 9572000 40 U. 8 316.000 60 TIEREN 11 680 000 40 Schafe, männliche unkastrierte. Alter Blutkörperchenzahl Hämoglobingehalt 2!/, Jahre 14182 000 50 2 " 12 308 000 60 2 E 12 692 000 60 112 NADESCHDA SUSTSCHOWA: DIE ZAHL DER ROTEN BLUTKÖRPERCHENUSW. Die Resultate meiner Untersuchungen, welche ich hier niedergeschrieben habe, betreffen eine große Anzahl von Tieren, aber sehr verschiedener Art. Um im einzelnen zu verfolgen, welche Moınente die Zahl der roten Blut- körperchen und den Hämoslobingehalt bedingen, muß man spezialisieren. Meine Untersuchungen sollten zunächst als Wegweiser dienen, um zu sehen, wo man mit dieser Spezialisierung einsetzen soll. Am Schlusse meiner Arbeit spreche ich Hrn. Prof. Dr. Gaule meinen besten Dank aus für die Erlaubnis, dieses Thema zu bearbeiten, sowie für die freundliche Hilfe, die Herr Prof. Gaule mir bei der Ausführung dieser Arbeit geleistet hat. Auch Hrn. Dr. Schellenberg, der mir freundlichst das Laboratorium im Schlachthaus zur Ausführung meiner Versuche zur Verfügung gestellt hat, meinen besten Dank. Die Bedeutung der künstlichen ‚chronischen Fistel der Harnblase für physiologische und pathologische Experimente. Ein Beitrag zur Lehre von der Harnsekretion. Von B. Fursenko in Kiew. (Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. Pathologischen Instituts der Universität Berlin.) Bei der Erforschung des Harnabsonderungsprozesses bei Tieren wird Katheterisation der Harnblase oder Einsetzung einer Kanüle in die Harn- leiter angewendet. Diesen beiden Methoden haften wesentliche Mängel an. Die erste Methode ist deshalb mangelhaft, weil die durch den Katheter erhaltene Harnmenge der von den Nieren in derselben Zeiteinheit Ab- . gesonderten nicht entspricht. Die zweite Methode ruft beim Tiere entweder Anästhesie oder heftige Reizungen hervor, die ebenfalls die Harnabsonderung beeinflussen können. Außerdem ist die Anwendung dieser Methode nur beim akuten Versuch möglich. Dies erklärt nun die Bestrebungen verschiedener Autoren, eine Methode zu erfinden, die diese Mängel nicht aufweist. . Die Möglichkeit der Anbringung chronischer Fisteln der Harnleiter würde diesen Bestrebungen vollständig gerecht werden. Infolge der Schwierig- keit einer derartigen Operation beschränkten sich die meisten Autoren, die sich mit der Lösung .dieser Frage beschäftigten, darauf, eine zuverlässige Methode zur Herstellung einer chronischen Fistel der Harnblase zu erfinden, da sie annahmen, daß ein in dieser Richtung erzieltes günstiges Resultat Archiv f. A. u. Ph. 1910, Physiol. Abtig. 8 114 B. FURSENKO: immer noch einen Schritt vorwärts in der Frage der Forschung des Harn- absonderungsprozesses bedeuten würde. Von diesen Bestrebungen, die übrigens neuerdings auch im Institut von Prof. Lindemann aufgenommen wurden, ließ sich Borodenko! leiten, der im hiesigen Laboratorium die Technik dieser Operation so ver- vollkommnete, daß sie jetzt allgemein zugänglich ist und von den Tieren leicht vertragen wird. Seine Methode besteht im wesentlichen darin, daß der Teil der Harn- blase, welcher für die Fistelbildung bestimmt ist, außerhalb der Laparo- tomiewunde mittels eines Troikarts in eine von dem letzteren hergestellten Öfinung der Bauchwand nach außen gebracht und durch Nähte am Bauch- fell, an den Bauchfellwänden und der Haut befestigt. wird. Auf diese Weise verwachsen die Ränder der Wunde nicht; nach statt- gehabter Verheilung der genähten Gewebe ragt ein Teil der Harnblase an der Bauchwand in Form einer kleinen Halbkugel hervor. In die in diesem Teile der Blase hergestellte Öffnung kann nunmehr eine Röhre eingesetzt und durch diese der Harn abgefangen werden. Infolge der Elastizität der Bauchfellwände schließt sich die Fistel- öffnung derart, daß durch sie, wenn die Röhre nicht drinnen ist, der Harn nicht herausfließt. Die Harnblasenfistel behält lange diese Eigenschaften, wenn sie ge- hörig behandelt und wenn täglich die Röhre in sie eingesetzt wird, um das Verwachsen der Ränder zu verhindern. Ich stellte nun eine Reihe von Versuchen zur Feststellung der Be- deutung dieser Operation für physiologische Experimente an. Ich nahm diese Operation an weiblichen Hunden vor, weil sich bei diesen besonders bequem die Fistel gerade auf der mittleren Linie des Bauches anbringen läßt, was für die späteren’ Experimente von wesentlicher Bedeutung ist. | Zur Gewinnung des Harnes aus der Fistel wandte ich eine weiche Gummidrainröhre von 8°“ Länge an. In einer Entfernung von 3°“ davon befestigte ich einen Drahthaken, an den ein Probierglas angehängt wurde. Um die eingeführte Röhre festzuhalten, wurden an derselben Stelle zwei Schnüre angebunden. Die Röhre wurde in die Fistel, um eine Verletzung der Wände der letzteren zu vermeiden, mittels einer schmalen Pinzette eingeführt. Die an der Röhre befestigten Schnüre wurden auf dem Rücken des Tieres zu- sammengebunden, so daß sie die Röhre eine beliebig lange Zeit und fast in unveränderter Lage hielten. ı Physiologisches Zentralblatt. 1909. ÜBER DIE KÜNSTLICHE CHRONISCHE FiSTEL DER HARNBLASE. 115 Der aus der Röhre herausfließende und im angehängten Probierglas gesammelte Harn wurde mittels Meßzylinder in bestimmten Zeitabständen gemessen. Während der Versuche wurden die Hunde an Gestellen, wie solche in physiologischen Laboratorien bei Dauerversuchen an Drüsensekretionen an- gewendet werden, befestigt. Zweck meiner Versuche war die Klärung folgender Punkte: Entspricht die aus der Fistel erhaltene Harnmenge der von den Nieren Abgesonderten ? Läßt sich mittels dieser Kiste eine e vollständige Entleerung der Harn- blase herbeiführen? Wie wirkt die Operation sowie die nachfolgenden Experimente auf die Zusammensetzung des Harnes? Die Lösung der ersten Frage wird dadurch erschwert, daß die Schwankungen in der Harnmenge sowohl durch die unregelmäßige Ab- sonderungsfunktion der Nieren als auch durch die mangelhafte Funktion der Fistel entstehen können. Dies sind keine gleichwertigen Faktoren. Ersterer hängt von physio- logischen Erregern ab, letzterer jedoch nicht. Zur Einschätzung des ersteren und letzteren muß daher das Verhält- hältnis des Prozesses der Harnabsonderung aus der Fistel zu bestimmten Erregern der Harnabsonderung sowie die Grenzen, in denen dieses Ver- hältnis sich äußert, ermittelt werden. Die Einwirkung normaler physiologischer tego macht die An- wendung eines bestimmten, die Funktion der Nieren beeinflussenden Erregers komplizierter. Zu diesen gehörigen vor allem Nahrungsstoffe, deren Vorhandensein _ oder Nichtvorhandensein im Verdauungstraktus sich am Harnabsonderungs- prozeß wesentlich bemerkbar machen. Wenn wir den Fistelharnabsonderungsprozeß an hungrigen und satten Hunden untersuchen, so stellen wir klar fest, daß bei den ersteren sowohl die absolute Harnmenge als auch die bedingten Schwankungen in einer Zeiteinheit bedeutend niedriger sind als bei den letzteren. (S. Tabelle 1.) Bei graphischer Darstellung des Harnabsonderungsprozesses würde sich dieser bei den ersteren durch eine gerade oder ihr annähernd gleiche, nur wenig gebrochene, bei den letzteren durch eine komplizierte gebrochene Linie veranschaulichen lassen. Es ist nun klar, daß man sich zur Feststellung der Wirkung eines bestimmten einfachen Erregers hungriger Tiere bedienen muß, denn bei S*+ 116 = B. FURSENKO: Tabelle 1. Die Harnabsonderung bei den hungrigen Hunden. Nr. der, I II II IV V VL Van Versuchstiere " ccm ccm cem fh ccm ccm cem ccm 0-9 0-8 11 0-6 1-1 1-5 0-9 Es 0-5 0-8 16 0-6 0-8 1-6 0-7 = E 0-5 0-7 1-5 0-7 0-6 1.5 160 RE Is 0-5 1-0 1-2 0-7 1-0 1:62 le ee 0-6 0-9 1-5 0.8 | 1-5 15 | 11 ae 2 0.5 0-8 1-3 0265.11: 142 1.5 1.0 en, 0-5 0-8 1.4 0-7 1-3 1-4 0-9 Ass . 0.5 0-7 1-5 0-8 1-0 1-5 1:0 5 2 0-6 0-8 1.4 0-6 1-2 1-5 0-9 3” 0-5 1-0 1-6 0-5 1-5 1:0 0-8 Die Harnabsonderung bei den satten Hunden. Nr. der I DE 008 WE V vI Benelsuee ccm % ccm ccm ccm ccm : ccm 1°1 3.5 2-1 2.8 4.7 48 2.2 6-5 1-8 3.0 4+5 5.7 2.2 2.0 1-3 2.8 4-5 6>5 2.6 2-1 3.7 1-5 4.7 3.0 1:3 1-8 2.9 2.0 5-6 9-5 3.0 1-4 1-3 1-9 5+8 1-5 2-5 2.0 1-6 1:0 6-8 3-0 2.4 2-2 1.4 3.7 7.0 1-3 2:6 3-0 3-5 8-0 2.0 3.3 2.8 7-5 6-3 2.3 2-5 2.8 6+7 4-0 3.3 1-3 2.0 2-3 50 1) 045 7-2 satten Tieren würde eine Verdunklung der gebrochenen Linien der Spezial- absonderung durch gebrochene Nebenlinien unvermeidlich sein. Zu den einfachsten physiologischen Erregern, die die Menge des Harnes beeinflussen, gehören Wasser und Salzlösungen. Dieser letzteren bediente ich mich denn auch bei meinen ferneren Untersuchungen. Letztere vollzogen sieh alle in gleicher Weise. Der Hund, dem 24 Stunden vorher.die Nahrung entzogen wurde, wurde an dem Gestell so befestigt, daß er sich weder hinlegen noch hinsetzen konnte, aber die Mög- lichkeit behielt, andere Bewegungen zu machen. In die Fistel wurde die ÜBER DIE KÜNSTLICHE CHRONISCHE FISTEL DER HARNBLASE. 117 oben beschriebene Lens mit dem daran angehängten Probierglase eingesetzt. Alle Viertelstunden wurde die im Prößierpiis abgesonderte Harnmenge gemessen und der Harn zwecks weiterer Untersuchungen in bestimmten Gefäßen gesammelt. Kam es vor, daß sich zusammen mit dem Harn auch Blut ab- sonderte, so wurden die betreffenden Hunde für nl un zu nicht mehr verwendet. Da jede Untersuchung die Bier stark ermüdete, so wurde jedem Hunde nach. dem Experiment einige Tage Ruhe gewährt. Die Einführung kleinerer Mengen Wasser in den Magen der Hunde ruft nicht immer eine erhöhte Harnabsonderung hervor, die von dem allgemeinen Duürstzustande des Organismus abhängt. Da der Durst im voraus nicht präzisiert werden kann, so ist a priori anzunehmen, daß bei der Einführung der gleichen Menge Wasser wesentliche Schwankungen in der Menge des abgesonderten ‚Harnes möglich sind. Sie kann die gleiche bleiben oder aber _ die vor Einführung des Wassers vorhanden gewesene Harnmenge mehrfach übersteigen. Somit gibt uns die gebrochene Linie keine charakteristischen Werte, — diese sind im Charakter der Absonderung, der sich aus der Dauer der verschiedenen Absonderungsperioden sowie der Form der Gebrochenen bilden, zu suchen. _ Infolgedessen werden bei jeder Untersuchung folgende Perioden unter- schieden: 0. Periode bis zur Einführung in den Magen 1. Vom Moment der Einführung in den Magen bis zum Beginne der _ erhöhten Harnabsonderung, 2. Erreichung des Maximums und 3. Rückkehr zum ursprünglichen Werte. Wie aus den unten (siehe Tabelle 2) aufgeführten Untersuchungs- protokollen zu ersehen ist, äußerte sich die Dauer dieser Perioden beim Einführen des Wassers in folgenden Werten: ! | Nummer der Untersuchungen Perioden | en Nee va] va) & | Std. | Std. | Std. | Std. | Std. | std. | Std. | Std. | Sta. lo a. a. ie |. 0 1 1 SR ae 2, aohasih In 2; 0,0100 me 3, |, 3), >, ae, 0 0 B. FURSENKo: 118 Tabelle 2. Die Harnabsonderung bei den hungrigen Hunden nach der Einführung von 50-0°® destilliertem Wasser. Nummer der Versuchstiere IX ccm VIl ccm 8 3 2 1-3 1.4 1-2 1-5 VII ccm 1-7 |.2:0 | 0+8 1:7 | 2-0 | 0-8 10-0, 2-1 15-0 | 2-0 VO | NT=8 | TeT 3:0| 20 1-5 1:6 | .' | VI ccm S°0 | 77 0+6 5 5 5 5 5 5 B) 1-3 1°3 1.3 T 1:5 0 0 0 1 15.0 10.0 3 1 1 1 SO X OO 9 OO O8 > . Bi ae wune Ävwvircdrenrn mn uapoLIOA so ı9 ei) u9poL1I9A Die Harnabsonderung bei hungrigen Hunden nach der Einfüh- rung von 50-0 °m der hypertonischen (2 proz.) Kochsalzlösung. Nummer der Versuchstiere . [} . . . . . . [} . . . . [I HMoS°oS ran X SAX CI m aD en rt mn en S = SER SESTIE ER Pr ee) e Ne: Na we me Mm» oo mn © cı © OO nn oo von m an m m m © ın [1 U I ET er) RS ER ES) en mn — S — O0) PD Gase er En ES DE SE En . . Fi amanaaaaan pn nm — OL oO m [ [um } un | — S — [2 [au | Ssos0o0rnosonomwoonon tee e . en ea nt ee ae a 0 — m [un ri | S 1! ii en N Ka) Bee a a nen en a m 70 mm m LP m En an) 1a S | = ES »Eoowon nur on . . Soda rtruamn man ma ÜBER DIE KÜNSTLICHE CHRONISCHE FISTEL DER HARNBLASE. 119 Wenn wir die Werte der 2. und 3. Periode addieren, so erhalten wir die Dauer der erhöhten Harnabsonderung nach Einführung von 50 = destilliertem Wasser. In den ersten angeführten Untersuchungsresultaten betrug die Dauer der erhöhten Harnabsonderung 5 Viertelstunden, trotzdem die Mengen der Absonderungen bei all diesen Untersuchungen verschieden war. Die Untersuchungen Nr. VIII und IX der Tab. 2 sind dadurch be- merkenswert, daß dort eine Erhöhung der Harnmenge nach der Einführung des Wassers in den Magen nicht konstatiert werden konnte. Für die Zwecke meiner Untersuchung waren diese Ausnahmen von besonderer Wichtigkeit, denn entweder lieferten sie einen neuen Beweis zugunsten der hier zu lösenden Frage oder aber sie lösten diese im negativen Sinne. Letzteres wäre der Fall, wenn sich herausgestellt hätte, daß auch bei diesen Untersuchungen eine erhöhte Harnabsonderung stattfindet, was unvermeid- lich eine Verdünnung des Harnes zur Folge gehabt hätte Nun hat aber die Berechnung des spezifischen Gewichtes dieser viertelstündigen Harn- mengen ergeben, daß der Harn während der ganzen Zeit des Absonderungs- prozesses seine ursprüngliche Konzentration bewahrt hat. Lassen wir diese zwei Untersuchungen beiseite, so werden wir nicht leugnen können, daß das Bild der Absonderung des Harnes aus der Fistel nach der Wasser- einführung gewisse typische sich durch ihre Einfachheit auszeichnenden Züge aufweist. Sobald die Absonderung einmal begonnen hat erreicht sie ohne Sprünge das Maximum und sinkt dann gleichmäßig bis zur Norm. Die Einführung einer gleichen Menge hypertonischer Kochsalzlösung (2 Prozent) ruft aber ein ganz anderes Absonderungsbild hervor. Stellen wir die Dauer der Perioden, die wir dabei beobachten, in einer Tabelle dar, so erhalten wir folgendes Bild: F Nummer der Untersuchungen Perioden : I | "KT Ill IV | V | VI vi | VI Sta. | sta. SE ee stand sta. ser" ee Ka ee ea Neal iclın < LEER | a | Sal Ca | a | an. Hr | SR ET ann 4.1: Saal lie ae “la En | zes Hier fällt vor allem die Dauer der Absonderung auf. 1srm Kochsalz, das in 50m destilliertem Wasser aufgelöst wird, verlängert die Periode der erhöhten Harnabsonderung um das zweifache und noch mehr im Ver- 120 B. FURSENKOo: hältnis zu der Dauer, die nach der Einführung destillierten Wassers be- obachtet wird. Die Erreichung des Maximums schwankt in weiten Grenzen zwischen 30 Minuten bis 2 Stunden 30 Minuten, die Rückkehr zur Norm geschieht sehr langsam. Graphisch dargestellt, äußert sich die -Periode der Harnabsonderung nach der Einführung der hypertonischen Kochsalz- lösung in den Magen in einer komplizierten gebrochenen Linie, denn die Erreichung des Maximums sowie der Rückgang geschehen nicht allmählich, sondern sprungweise bald steigend bald sinkend. Ich meine, daß die hier angeführten Ergebnisse zu der Annahme berechtigen, daß die Absonderung des Harnes aus der Fistel in engem Zusammenhange mit der Einwirkung der physiologischen Erreger steht und daß wir uns deshalb mittels der Fistel ein richtiges Bild von dem Prozesse der Harnabsonderung aus den Nieren machen können. Durch die Einspritzung von Alkohol in eine Vene wurden vier Hunde während der Untersuchungen getötet und sofort obduziert, wobei sich herausstellte, daß bei allen Tieren die Blase zusammengeschrumpft war und keinen Harn enthielt. Ich nehme aus diesem Grunde an, daß wir durch die Einführung einer Gummidrainröhre in die Harnblase eine vollständige Entleerung der- selben erzielen. Was nun die Wirkung der chronischen Harnblasenfistel auf die Zu- sammensetzung des Harnes anbelangt, so bleibt diese so lange normal, als mit den Hunden nicht mehrmals experimentiert worden ist. Wenn man aber wiederholt den Drain in die Blase eingeführt hat, so erscheint im Harn Eiweiß und es können mikroskopisch Harnblasenepithel und Leuko- zyten festgestellt werden. Nicht selten erscheinen auch aus der fistulösen Wunde rote Blutkörperchen. Diese Erscheinungen traten bei allen Hunden hervor, trotzdem die Gummidrainröhre, die in die Fistel eingeführt, sowie die Instrumente, mittels deren sie eingeführt wurde, vor jeder Untersuchung sorgfältigst sterilisiert wurden. Aus obigen Ausführungen schließen wir, daß an Hunden vorgenommene Experimente mit Harnblasenfisteln wesentliche Vorteile in der Frage der Forschung der quantitativen Veränderungen der Harnabsonderung bieten. Den qualitativen Untersuchungen stellten sich jedoch das Vorhandensein von Eiweiß und Blut in den Weg. Nachdem ich diese methodische Prüfung beendet hatte, bin ich dazu übergegangen, einige spezielle Fragen aus der Nierenphysiologie- und Patho- logie mit Hilfe dieser Methode zu studieren. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen, indessen sah ich z. B. mehrmals, daß die intravenöse Zufuhr bestimmter Salzlösungen eine andere Wirkung auf die Nieren- ÜBER DIE KÜNSTLICHE CHRONISCHE FISTEL DER HARNBLASE. 121 sekretion hat, als ihre intragastrale Einverleibung. Ich will auch erwähnen, daß in einigen meiner Versuche die Zufuhr von Öl per os eine Hemmung auf die Nierensekretion hatte und die Wirkung eingeführten Wassers nicht zur Anschauung kommen ließ. Ich habe auch die Blasenfistel mit der Exstirpation einer Niere, oder der Ektopie beider Nieren unter die Haut oder endlich einer Ektopie einer Niere und Exstirpation der anderen kom- biniert und dann die ektopierte z. B. perkutan gereizt, um in diesen wie den anderen Fällen den Einfluß des betreffenden Eingriffes auf die Harn- sekretionskurve zu studieren. Indessen sind alle diese Versuche noch zu keinem Abschluß gekommen, Ich wollte sie nur erwähnen, um die mannig- fache Verwendungsmöglichkeit der Blasenfistel darzutun. Über den Tonusstrom. Kurze Mitteilung. ! Von Wolfgang F. Ewald. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Die kräftigen und langdauernden tonischen Muskelkontraktionen mancher Mollusken und Echinodermen, die mit so auffallend geringem Energieverbrauch verbunden zu sein scheinen, haben schon seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gelenkt. Insbesondere ist es I. von Uexküll, der sich seit Jahren in einer Reihe von Arbeiten mit dem Tonusproblem auseinanderzusetzen sucht und zu einigen sehr merkwürdigen Resultaten gelangt ist. Seine Untersuchungen ließen ihm den Tonus als etwas prinzipiell von der Muskelzuckung Verschiedenes erscheinen und führten ihn zur Aufstellung der Hypothese, daß der Zustand tonischer Kontraktionen für den Muskel dieser Tiere ein Ruhezustand sei, ähnlich dem der Erschlaffung. Er ist allerdings der Ansicht, daß die Muskelzellen dauernd einen gewissen Überschuß ihrer inneren Umsetzungsprozesse in Gestalt von Verkürzungsenergie — Tonus — nach außen in Erscheinung treten lassen. Das heißt also, daß während der tonischen Kontraktion ein Energieverbrauch stattfindet, der aber weit geringer und ganz andersartig ist, wie bei den willkürlichen Kontraktionen der quergestreiften Muskel. Bethe machte später darauf aufmerksam, daß auch ein Kontraktions- zustand ohne jeden Energieverbrauch denkbar sei, wenn der Muskel nur bei der Verkürzung oder Verlängerung Arbeit leiste, in jeder Stellung aber gleichsam fest eingestellt bleibe, ohne Energie zu verbrauchen. Er führt die Muskulatur von Aplysia als Beispiel an, die sich durch Einsaugen und ! Eine ausführlichere Darstellung erscheint in der Zestschrift für Richard Hertwig. Jena 1910, Gust. Fischer. ÜBER DEN TONUSSTRoM. 123 Auspressen von seröser Flüssigkeit auf sehr verschiedene Längen ein- stellen kann. Ich versuchte nun, diesem Problem durch Untersuchung der Aktions- ströme des Schließmuskels von Malermuschel und Teichmuschel näher zu kommen. Trotz der negativen Resultate von Fick ließ sich erhoffen, daß man mit den modernen Galvanometern zum mindesten bei Verkürzung des Muskels Aktionsströme erhalten würde, wie es neuerdings auch Fuchs bei Sipunculus und Pecten gelungen ist. Ich benutzte zu meinen Versuchen zunächst ein Einthovensches Saiten- salvanometer mit Platinfaden, der ziemlich stark entspannt wurde.! Da die Muschel zum Zweck der Atmung im warmen Zimmer die Schale bald öffnet und auf mechanischen Reiz des Mantelrandes regelmäßig wieder schließt, so konnte von der Herstellung eines Nervmuskelpräparates abgesehen werden. Die mit der Herstellung solcher Präparate verbundene Verletzung der Muschel veranlaßt dauernde maximale Verkürzung des Muskels, die nur durch künstliche Mittel. (Morphiumeinspritzung) zu beseitigen ist und zu ganz un- normalem Verhalten des Muskels führt. Zur Anbringung der Elektroden erhielten die Schalenränder in der Nähe des Schließmuskels je eine Ein- kerbung. Nach vielen vergblichen Versuchen mit unpolarisierbaren Elektroden benutzte ich schießlich zur Ableitung die Enden der beiden zum Galvano- meter führenden Kupferdrähte, die oben und unten in den Muskel ein- gestochen wurden. Die Polarisationserscheinungen mußten hierbei in An- _ betracht der sonstigen Vorteile in Kauf genommen werden. Zum Registrieren diente eine Trommel mit Bromsilberpapier, die in 15 Sekunden eine Um- drehung machte. Der Reiz erfolgte durch Berühren des Mantelrandes mit einem Strohhalm.” Zur Ableitung wurde meist der hintere Schließ- muskel benutzt. Die obere Schale der in ein Wattenest gebetteten Muschel wurde durch einen Faden mit einem Zeiger verbunden, der die Bewegungen der Schale vergrößert registrierte (in den Kurven die mittlere Linie). Zur Zeitschreibung diente eine Jacquetsche Uhr, die Fünftel- sekunden. markierte. Die auf diese Weise erhaltenen Kurven zeigen übereinstimmend fol- gende charakteristische Erscheinungen. Mit ziemlicher Latenz folgt auf den Reiz ein Aktionsstrom von unregelmäßigem Verlauf, von dem nicht mit Sicherheit zu sagen ist, ob er ein- oder doppelphasisch ist. Er dauert nach ungefährer Schätzung etwa 0-2 Sekunden und ist nicht sehr kräftig — etwa 70 mal schwächer, als der eines Froschgastroenemius. Nach einer “ Bei 1 Millivolt Spannung und 750 facher Vergrößerung 6—8 = Ausschlag. ® Elektrische Reizung konnte bei der Empfindlichkeit des Galvanometers nicht angewendet werden. 124 WoLFrGAnG F. Ewa: weiteren Latenz von etwa 0-2 Sekunden beginnt die Verkürzung des Muskels. Gleichzeitig aber fängt auch die Galvanometersaite wieder an, langsam nach der Seite des ersten Ausschlages hin abzuweichen, entfernt sich im Verlauf von etwa !/, Minute um ein beträchtliches Stück aus ihrer Ruhe- lage, um sehr allmählich — nach etwa 3 bis 6 Minuten — wieder zurück- zukehren. Der letzte Teil dieses Vorgangs wurde nur mit den Augen ver- folgt, da die Trommel nur 15 Sekunden läuft. Beobachtet man gleichzeitig auch die Muschel, so sieht man entsprechend der Rückkehr der Galvano- metersaite.auch die Schalen sich wieder öffnen. Um diesen langsamen Aktionsstrom näher zu untersuchen, schloß ich den Muskel an ein d’Arsonvalsches Spiegelgalvanometer an und notierte die Stellung des Lichtzeigers während zweier Stunden in kurzen Zwischen- räumen. Alle 5 bis 10 Minuten erfolgte eine spontane Kontraktion (Atem- bewegung); den Ablauf der dabei auftretenden Aktionsströme konnte ich auf Grund meiner Aufzeichnungen näherungsweise graphisch darstellen. Die Kurven (Fig. 2) weisen zuerst eine steile Zacke auf, die offenbar dem ersten Aktionsstrom der anderen Kurven entspricht. Dann fallen sie sehr langsam im Verlauf von 5 bis 6 Minuten zur Ruhelage ab. Das Spiegelgalvano- meter verwischt also zum Teil die Grenzen zwischen dem ersten und zweiten Aktionsstrom wegen seiner Trägheit, zeigt aber mit aller Deutlichkeit das Vorhandensein beider Ströme. Ferner wollte ich mich davon überzeugen, daß der zweite Aktionsstrem nicht nur was zeitlichen Verlauf, sondern auch was Intensität betrifft, mit der tonischen Muskelkontraktion ungefähr parallel gehe. Ich hatte schon be- merkt, daß bei längerem Reizen mit dem Strohhalm sowohl Höhe als Dauer des zweiten Aktionsstromes bedeutender waren als sonst. Ich klemmte also zwischen die Schalen einer Muschel einen Stab ein — ein Reiz, auf den die Tiere mit dauernd hoher tonischer Kontraktion antworten — und notierte wieder die Ausschläge. Die Atembewegungen fielen nun aus; statt dessen stieg der Zeiger im Laufe einer halben Stunde von 24-7 auf 26-9, um erst nach 1!/, Stunden wieder unter 25 zu fallen. Der größte Aus- schlag, der bei plötzlicher Kontraktion (Atembewegung) erreicht wurde, war fast genau so groß; nur stieg der Strom in diesem Falle in 7 Sekunden bis zur Höhe an. Um einen weiteren Beweis für den Parallelismus von Muskelspannung und Galvanometerablenkung zu erhalten, machte ich einigen Muscheln Morphium- injektionen, während sie mit dem d’Arsonvalschen Galvanometer verbunden waren. Nach Pawlows Angaben spritzte ich etwa 5 «m einer 2 prozentigen Lösung in den Fuß des auf der Unterlage gut befestigten Tieres ein; es wurde dabei sorgfältig vermieden, das Tier in seiner Gesamtheit zu bewegen. 125 ÜBER DEN TONUssTRoM. OH „0@ „DE 16% „0% 126 WoureAne F. EwaArp: Meine Aufzeichnungen über einen der beobachteten Fälle, die in Zwischen- räumen von etwa 1 Minute den Stand des Lichtzeigers angeben, zeigen dabei das folgende Verhalten des Stromes. Zeit Zeigerausschlag Bemerkungen DER! 13-3 = 44' Tale <- Erste Injektion = 6+05' 16.0) <= Zweite Injektiin '® 32’ 23-45 z 40° 23-45 + Mechanischer Reiz 53 a1’ 19-4 | = 7h15' 23-45 2 Zunächst wurde das normale Tier bei tonisch kontrahierten Muskeln 17 Minuten lang beobachtet. Die Nullstellung des Zeigers war bei Teilstrich 23-45; der Tonusstrom des Muskels lenkte ihn so weit ab, daß er zwischen den Teilstrichen 13 und 14 oszillierte.e In die Beobachtungszeit fiel eine Atembewegung. Der Strom fiel nach der Injektion im Verlauf von 20 Minuten allmählich auf Teilstrich 16. Ich machte sodann eine zweite Injektion, die den Strom im Verlauf von !/, Stunde bis dicht an den Nullpunkt fallen ließ. Es traten in der Narkosem kurzen Zwischenräumen kleine Stromstöße auf, die ein fortgesetztes Hin- und Herpendeln des Zeigers zur Folge hatten. Auch ganz zuletzt noch waren dauernd kleine positive StromstöBe zu bemerken, die den Zeiger vom Nullpunkt aus um etwa 1!/, ganze Teilstriche nach der positiven Seite ausschlagen ließen. Die Schalen des Tieres blieben bis zuletzt geschlossen. Sie konnten aber nach Abschluß des Versuches mit der Hand ohne jede Mühe geöffnet werden . und schlossen sich dann nicht mehr. Auf mechanischen Reiz des Mantel- randes erfolgte aber auch dann noch eine geringe Kontraktion der Schließ- muskel und vorübergehender Ausschlag des Galvanometers bis zum Teil- strich 19-4. Schließlich bleibt die interessante Tatsache zu erwähnen, daß bei passiver Dehnung des erschlafften Muskels und — in geringerem Grade — auch bei passiver Zusammendrückung ein Strom auftritt, der dem Tonus- strom entgegengesetzt gerichtet ist und in Höhe und Ablauf ebenfalls der Bewegung des Muskels ungefähr zu entsprechen scheint. Diese Erscheinung erinnert an die Aktionsströme, die Lewandowsky und Einthoven am Vagus von Warmblütern bei künstlicher Inspiration beobachtet haben. Meine Versuche scheinen mir nun zu beweisen, daß der glatte Muskel der Muschel tatsächlich auch bei tonischer Kontraktion ohne Verkürzung Aktions- ströme zeigt, die von den bisher beobachteten wohl zu trennen sind. Ich möchte sie daher als „Tonusströme“ den „Zuckungsströmen“, bzw. deren ÜBER DEN ToNUssTRom. 127 Summierung, dem „Tetanusstrom“, gegenüberstellen, von denen sie sich durch das Gesamtbild ihres Verlaufs wesentlich unterscheiden. Darin be- stärkt mich auch die Tatsache, daß der Zuckungsstrom mit geringer Latenz auf den Reiz folgt und der Muskelzuckung weit vorausgeht, wäh- rend der Tonusstrom mit der Kontraktion des Muskels selbst, sowohl was Ablauf als, vielleicht, auch was Intensität betrifft, Hand in Hand geht. Letztere Frage ist allerdings ohne dynamometrische Versuche nicht mit Sicherheit zu lösen; leider begegnen diese so großen Schwierigkeiten, daß ich sie vorläufig aufgeben mußte. Ich: möchte noch auf zwei andere in der Literatur beschriebene Fälle hinweisen, in denen ich Tonusströme erkennen zu können glaube. Der erste wird von Öremer publiziert und zeigt in einer Kurve den Nerven- aktionsstrom einer Anodonta. Man sieht dort sowohl die charakteristische erste Zacke, den Zuckungsstrom, wie das nachherige langsame Ansteigen, den Tonusstrom, mit aller Deutlichkeit. Der zweite ist in einer Arbeit von Dittler enthalten, der die Aktionsströme des atmenden Kaninchenzwerch- fells graphisch darstellt. Sowohl bei normaler Atmung, als bei Apnoe zeigt sich ein langsames Schwingen der Galvanometersaite im Atemrhythmus, das dem Tonusstrom der Muschel durchaus ähnlich ist. Superponiert sind diesen Schwingungen die doppelphasischen „Tetanusströme“, die bei nor- maler Atmung im Atemrhythmus größer und kleiner werden, bei Apnoe aber, ungleich den Tonusströmen, keine Schwankungen mehr zeigen. Bei Kurven, die durch künstliche Reizung des Phrenieus zustande gekommen sind, fehlen bezeichnenderweise die langsamen Schwingungen. Hier scheint mir eine Andeutung gegeben zu sein, wie beim Warmblütermuskel Tonus und Tetanus zu gemeinsamem Effekt zusammenwirken können. Dabei ist zu betonen, daß sowohl in meinen Muschelversuchen bei eingeklemmtem Stab ais in Dittlers Versuchen bei Apnoe eine Elektrodenverschiebung zur Erklärung des Phänomens nicht herangezogen werden kann. Ich möchte zum Schluß ausdrücklich betonen, daß ich vorläufig nicht beabsichtige, aus den angeführten Versuchen Schlüsse über den kausalen Zusammenhang von Energieumsatz und Aktionsströmen zu ziehen. Es soll nur konstatiert werden, daB beide Erscheinungen zeitlich zusammentreffen und auch in den untersuchten Fällen ganz ungefähr quantitativ parallel zu gehen schienen. Zusammenfassend lassen sich die Resultate meiner Versuche also fol- gendermaßen aussprechen: 1. Am Muschelmuskel lassen sich zwei verschiedenartige Aktionsströme nachweisen, der Zuckungsstrom und der hier zum erstenmal beobachtete Tonusstrom. 128 WorrGAang F. EwALD: ÜBER DEN TONUsSsSTRoM. 2. Gleichzeitig mit dem Zustande tonischer Kontraktion läuft beim Muschelmuskel ein Aktionsstrom ab (Tonusstrom), der, soweit sich das ohne dynamometrische Messung sagen läßt, ungefähr mit dem Energieverbrauch zu steigen und zu fallen scheint. : | 3. Der Tonus des glatten Muskels der Muschel unterscheidet sich also durch die Art seiner Aktionsströme prinzipiell von der mit Verkürzung verbundenen Einzelzuckung, die den Zuckungsstrom zur Folge hat; und von der (bei der Muschel nicht vorkommenden) Summierung solcher Einzel- zuckungen, dem Tetanus, der den Tetanusstrom zur Folge hat. Damit wäre, sofern sich meine Befunde bestätigen, eine ganz exakte Definition der tonischen Muskelkontraktion gegeben. Sie ist kein oszilla- torischer, diskontinuierlicher, sondern ein stetiger Vorgang, und zwar sowohl im mechanischen, als im elektrischen Ablauf. Beiträge zur Physiologie des Nervensystems und der Bewegung bei den niederen Tieren. I. Branchiostoma lanceolatum Yarr. (Amphioxus). Von Oswald Polimanti. (Aus der physiologischen Abteilung der zoologischen Station zu Neapel.) Das Branchiostoma lanceolatum (Amphioxus) wird zu den Akranen oder zu den Vertebraten gerechnet, welche die Übergangsstufe zwischen den Kranioten und den Wirbellosen darstellen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Anordnungen der Tiere, die wir gegenwärtig kennen und die, wie all- bekannt, durch die einzige Gattung Amphioxus repräsentiert sind, mit bezug auf die der Kranioten als fundamental betrachtet werden können. Der Amphioxus wurde von Pallas (1778) entdeckt, der ihn für eine Molluske hielt und ihn Limax lanceolatus nannte. Viel später wurde er zu den Vertebraten und speziell zu den Fischen gerechnet. Costa, der ihn zuerst lebend im Jahre 1834 auf dem Sand des Posillipo (Neapel) sah, erkannte seine Verwandtschaft mit den Cycelostomen und rechnete ihn unter dem Namen Branchiostoma lubrieum zur Gruppe der Fische Yarrell fand im Jahre 1836 zuerst bei ihm die Chorda dorsalis und reihte ihn bei der Klasse der Vertebraten ein; seitdem hat man ihn stets Amphioxus lanceolatus genannt. Jedoch wird er neuerdings wieder Branchiostoma lanceolatum Yarr. genannt. Parker (1908 S. 416), der eine lange Reihe von Untersuchungen über die verschiedenen Formen der Sensibilität beim amerikanischen Amphioxus (Branchiostoma carribbaeum-Sundwall) angestellt hat, ist der Ansicht, daß er viel stärker ist und Operationen einen größeren Widerstand entgegensetzt, als das Branchiostoma-Amphioxus lanceolatus (Haeckel 1880 S. 141), d. h. als die europäische Form des Amphioxus. Archiv f. A, u. Ph, 1910. Physiol. Abtlg. 9 130 OSWALD POLIMANTT: Anatomisches. Ich hatte es für unerläßlich, den physiologischen Untersuchungen, die ich an den verschiedenen Gruppen der den Gegenstand meines Studiums bildenden Tiere vorgenommen habe, einige kurze ana- tomische Erörterungen vorauszuschicken. Heutzutage ist ja die Verbindung der anatomischen mit der physiologischen Methode, namentlich beim Studium des Nervensystems, eine absolut unerläßliche Forderung. Da es mir jedoch an Zeit fehlte, konnte ich selbst keine anatomischen Untersuchungen an den verschiedenen Tieren ausführen; ich halte es aber für unerläßlich, wenigstens auf die wichtigsten Arbeiten der verschiedenen Autoren hinzu- weisen. Struktur, Funktion und Entwicklung sind die drei Grundsäulen, auf welchen ein Autor die vollkommenste und vollständigste biologische Methode aufbauen muß, wenn er an das Studium des Nervensystems heran- treten will. Dies gilt noch in höherem Grade für mich, der es unternommen hat zu untersuchen, wie sich die Funktion des Nervensystems bei den wichtigsten Klassen der Tiere entwickelt. Unpaarige NENSENSENEEN paarige Flossen Fig. 1. Das Tier von der. Seite gesehen. Rückenmark Chorda dorsalis Gehirn i anus RER \ \ Rechum / Mundöffnung . Darm SEN Mimdairren ' Peribranchialraum Peribranchualölfnung Branchialraum Fig. 2. Bezeichnung der Organe. Figg. 1 und 2 nach JammesL. Zoologie pratique. Paris Masson 1904 (8.299). Vergr. 1:4. Das Zentralnervensystem des Amphioxus ist dorsal und nimmt die ganze Länge des Körpers ein. In seiner ganzen Länge wird es durch eine fortlaufende Achse des Skelettes getragen, die Chorda dorsalis. H. Rathke (1841) war der Ansicht, daß das ganze Zentralnervensystem des Amphioxus aus einem Rückenmark bestände; ein Gehirn hatte er bei ihm nicht an- BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 131 getroffen. Später jedoch erkannten J: Müller (1843) und Quatrefages (1847) als rudimentäres Gehirn den vorderen Teil des Rückenmarkes, der sich leicht erweitert. Owsjanikow beschrieb diesen Teil sehr gut, der vorne und seitwärts den Hirnventrikel umgibt und rückwärts über dem Rückenmarkskanal verläuft. Von diesem „Gehirn“ sollten die sensiblen Nervenäste ausgehen, die den Namen Trigeminus führen; auch ist ein N. olfactorius und ein N. facialis vorhanden. Die Größe dieses „Gehirns“ ist nicht sehr verschieden, verglichen mit der ganzen übrigen Hirnmasse (Medulla spinalis). E. Rhode (1888 S. 190) sah, daß dieses Gehirn einen inneren ganglionären und einen äußeren, aus Nervenfasern bestehenden Teil hat. Im ersteren befinden sich viele polyfibrilläre Nervenzellen; die Fasern der letzteren gehen nach außen und umgeben die Nervenfasern des äußeren Teiles, die darin so gleichsam eingesperrt werden. Kupffers Verdienst ist es, nachgewiesen zu haben, daß das vordere Ende des Zentralnervensystems der 15 == ]angen Larven des Amphioxus aus einem Bläschen besteht, dessen Wände dorsal, vorne und ventral durch eine einfache Ependymschicht und nur lateral durch mehrere Zellschichten gebildet werden. Er betrachtet diesen Teil des Nervensystems als die fundamentale Form des Gehirns der Akranen und Kranioten, als einen Archiencephalus, und zwar mit Recht, weil man in den Wänden seiner Höhlung in der Mittellinie zwei Depressionen erscheinen sieht, von denen die eine nach vorne und die andere nach unten gelegen ist, und die homolog dem Recessus neuroporieus und dem Infundibulum des Prosencephalus der anderen Vertebraten sind. Auf den Archiencephalus folgt bei den jungen Larven ein langes Rückenmark, das an der Schwanzspitze endet. Mit dem Wachsen des Tieres nehmen die Wände der Nervenachse an Dichte zu, es verschwinden darin die früher dort vorhandenen Höhlen und so kommt es zur Bildung des Zentralnervensystems des erwachsenen Tieres. Bei letzterem ist die äußere Gestalt ähnlich der der Larven; vorne wird der dreieckige prismatische Strang rasch dünner, während er hinten allmählich abnimmt. Vorne behält das Gehirn die Eigenschaften des Archiencephalus der Larve bei; es ist ein weiter Ventrikel vorhanden, und von dem durch das Zusammentreffen der oberen mit der vorderen Wand gebildeten Winkel trennt sich eine kurze konische Ausstülpung ab, die blinddarmähnlich gegen die kleine Fossa olfactoria der Hautoberfläche hin endet; es ist der Lobus olfactorius impar, welcher Name ihm von Kupffer gegeben wurde, der ihn für den Vorläufer der paaren Geruchs- lappen der Kranioten hielt. Die untere Wand der Ausstülpung des Archi- encephalus ist ebenfalls dünn und zeigt an ihrem hinteren Ende eine Ein- stülpung, welche dem Infundibulum der anderen Vertebraten entspricht; sie wird hinten begrenzt durch eine Hervorragung, die Kupffer wegen ihrer 9* 132 OswALD POLIMANTT: Homologie mit der gleichnamigen Bildung der anderen Kranioten Tuber- culum posterius genannt hat. Endlich ist der hintere Teil der Aus- stülpung des Archiencephalus massiv und zeigt in seiner Mitte ein Loch, das ihn mit der Ausstülpung des übrigen Gehirns in Verbindung setzt. Kupffer betrachtet ferner die zwischen dem Archiencephalus und dem Rückenmark befindliche Strecke als einen neuen Teil des Gehirns aus- machend und bezeichnet sie mit dem Namen Deutorencephalus; sie ent- spricht dem Rhombencephalus der Kranioten. : Das Rückenmark des erwachsenen Amphioxus unterscheidet sich makroskopisch von dem der Larven nur durch die größeren Dimensionen; es endet ungefähr an der Spitze der Chorda. Delage und Herouard behaupten, der Markkanal des Amphioxus sei eine nach oben offene Rinne, vergleichbar derjenigen, welche eines der ersten Entwicklungsstadien des Markes bei der Mehrzahl der Kranioten darstellt. Kaudalwärts endet der Markkanal geschlossen und erweitert in einer kleinen Ausbuchtung, die je nach den Exemplaren in Gestalt und Dimensionen verschieden ist (G. Retzius). Aus jeder Seiten- fläche des Markes des Amphioxus entspringen zwei Reihen von Nerven, die den dorsalen und ventralen Nerven der Cyclostomen und den gleich- namigen Wurzeln der Säugetiere entsprechen, obschon sie sich natürlich hinsichtlich der inneren Zusammensetzung voneinander unterscheiden. Sterzi behauptete dann, die von der Plätt entdeckten Fäden, welche aus den lateral-ventral angeordneten Zellen entstehen, seien nicht den von uns schon besprochenen Nerven gleich, wie die Platt annahm. Die Hirnnerven haben einen ähnlichen Ursprung wie die Marknerven und verhalten sich ungefähr auf die nämliche Weise. Die wenigen Angaben, die ich bezüglich der Morphologie des Zentral- nervensystems und seiner Schutzmittel beim Amphioxus gegeben habe, genügen, um ihre außerordentliche Einfachheit auch im Vergleich zu denen der niederen Kranioten zu verstehen. Aber können wir, wenn auch die Dinge so stehen, die Einrichtungen des Amphioxus als Ausgangspunkt nehmen, um zu denen der Kranioten überzugehen? Wenn wir das Zentral- nervensystem des Amphioxus mit. dem der Cyclostomen vergleichen, die bekanntlich die niedrigste Stelle unter den Kranioten einnehmen, so stehen wir, während wir in den ersten embryonalen Phasen eine auffallende Ähnlich- keit konstatieren, bei Untersuchung der erwachsenen Tiere wahrhaft enormen Unterschieden gegenüber. Vielleicht erklärt sich dies aus dem Umstande, daß, während bei den Cyclostomen die Sensibilitätsorgane des Gesichts-, Geruchs- und Gehörssinnes gut entwickelt sind — den letzteren verstehe ich nicht im strengen Sinne des Wortes, da höchstwahrscheinlich bei den Cyclostomen kein wahres Gehör vorhanden ist, sondern nur die Sensibilität, für welche die semizirkulären Kanäle der höheren Vertebraten sorgen —, BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 133 diese Organe fast vollständig beim Amphioxus fehlen. Wenn auch im Rückenmark des letzteren von einer Pigmentzone überragte Zellen gefunden worden sind, die man als rudimentäre, längs der Nervenachse zerstreute Augen betrachten wollte, so kann man sie doch gewiß nicht mit den paaren Augen der Cyclostomen vergleichen. Und wenn man beim Amphioxus so den Recessus neuroporicus mit einem unpaaren Lobus olfactorius hat vergleichen wollen, so kann man doch nicht leugnen, daß — wenn wir die Homologie als erwiesen zugestehen — es sich,im Vergleich mit den paaren Lobi olfactorii der Cyclostomen um ein außerordentlich primitives Organ handelt. Endlich ist beim Amphioxus, während bei allen Kranioten das Organ des Gehörs im allgemeinen Sinne des Wortes niemals fehlt, keine Spur davon vorhanden. Überdies verhält sich die Chorda dorsalis dem Hirn gegenüber auf eine Weise, die sehr verschieden von der bei allen anderen Wirbeltieren beobachteten ist; während nämlich bei den letzteren das Vorderhirn stets vor dem Ende der Chorda und immer vor dem Herzen liegt, erstreckt sich dagegen beim Amphioxus die Chorda bis zur Spitze des Rostrum, indem sie sich vor dem Gehirn einschiebt. Kaudalwärts endet die Chorda im allgemeinen etwas weiter von der Spitze des Rectum entfernt als das Mark (G. Retzius); bald endet sie in einem und demselben Niveau, bald schiebt sich das Mark etwas kaudalwärts zur Chorda vor und umgibt ihr Ende so, daß es sich darunter begibt. Mit Recht hat Retzius, der diese letzte Anordnung beobachtete, ihr große Bedeutung zugeschrieben, weil sie ein Rudiment des neurenterischen Kanals der jungen Larven zu sein scheint; sie stimmt mit dem überein, was bei anderen Vertebraten beobachtet wird. Sterzi erscheinen diese Verschiedenheiten der Endigung des Markes des Amphioxus sowie die Tatsache, daß die Chorda bald länger, bald kürzer ist, von großer Bedeutung, weil sie mit den Verschiedenheiten der Chorda, die sich bald vergrößert, bald allmählich immer dünner wird, Erscheinungen darbieten, die sich auch bei den niederen Kranioten finden; diese Erscheinungen bringen uns auf den Gedanken, daß das Ende des Körpers der niederen Vertebraten während des Lebens einen fortwährenden Rückgang erleidet. Diese außerordentliche Einfachheit des Zentralnervensystems des Amphioxus im Vergleich mit dem der Cyclostomen treffen wir auch an, wenn wir die anderen Organe und Systeme des ersteren mit denen der letzteren vergleichen. Eben durch Anstellung derartiger Vergleiche ge- langten Delage und Herouard zu der Schlußfolgerung, daß der Amphi- oxus nicht als die ancestrale Form betrachtet werden kann, von der die jetzigen Kranioten abstammen. Auf Grund dieser Konstatierung ist es also nicht mehr möglich, die Anlagen des Amphioxus als phylogenetisch fundamental mit bezug auf die der Kranioten zu betrachten; und wie man 134 OSWALD POLIMANTI: nicht annehmen kann, daß die Vorfahren der jetzigen Kranioten keine paaren Augen gehabt haben, weil solche Augen beim Amphioxus fehlen, so kann man auch nicht annehmen, daß das Zentralnervensystem derartiger Formen von einer starken Bindegewebsscheide umgeben war, die dem axilen Skelett und den Meningen entsprach, obwohl eine solche Scheide beim Amphioxus vorhanden ist. Die Wahrheit dieser Behauptung wird durch die Embryologie der Kranioten bewiesen; in der Tat finden wir — um bei dem vorhin angeführten Beispiel zu bleiben —, daß das dem Schädel und der Wirbelsäule vorausgehende Hautskelett, wenn es sich bei den Kranioten bildet, von der Anlage der Nervenachse durch eine Zone von Mesenchym getrennt bleibt, welche das Blastem bildet, aus dem langsam die Menringen hervorgehen; von dieser Zone ist beim Amphioxus keine Spur vorhanden. Übrigens zeigt sich auch beim Studium der Kranioten, daß die Anlagen immer komplizierter werden in dem Maße, wie man von den Cyclostomen zu den Säugetieren übergeht, und es ist anzunehmen, daß das beim Ver- gleich zwischen Amphioxus und Cyclostomen Gesagte auch für den Ver- gleich zwischen den verschiedenen Kranioten gilt, da es die Ähnlichkeiten und Unterschiede auf Grund der durch anatomische, physiologische und embryologische Beobachtung gelieferten Daten zur Evidenz erweist. Daraus schließen wir, daß die Anlagen des Amphioxus nicht mit bezug auf die der Kranioten phylogenetisch fundamental sind, wie sich klar aus diesen wenigen anatomischen und embryologischen Daten ergibt, die im Buche Sterzis zusammengestellt sind. Biologie des Amphioxus. Ich gebe hier sehr kurze Angaben über die Biologie dieses Tieres, weil ich es für unerläßlich halte, daß man namentlich in meinem Falle, wenn man Untersuchungen über die Physiologie der Bewegung und des Nerven- systems der niederen Tiere durchführt, sich vor allem darüber Rechenschaft ablegen muß, wie die letzteren sich gegen ihre Umgebung verhalten. Dies habe ich getan, da es mir möglich war, eigene Beobachtungen über die Lebensweise des Amphioxus anzustellen. Wenn man bei derartigen Unter- suchungen diesen biologischen Zweck nicht verfolgt, setzt man sich den Ge- fahren aus, Ungenauigkeiten und Irrtümer bei der Erklärung der Erschei- nungen zu begehen, die man beobachtet. Der biologische Faktor darf meiner Ansicht nach niemals bei physiologischen Untersuchungen unbeachtet bleiben. Der Amphioxus findet sich unter normalen Verhältnissen in einer Tiefe von höchstens 2 bis 3” in den Sand eingegraben mit Ausnahme eines Endes, das stets an der Oberfläche des Sandes bleibt. Viele von den Autoren, die sich mit biologischen Untersuchungen über den Amphioxus beschäftigt BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 135 haben, erörterten die Frage, welches dieses frei an der Oberfläche bleibende Ende sei. Bei Durchsicht der diesbezüglichen Literatur findet man darüber - die‘ verschiedensten Ansichten. Yarrel (1836 S. 468) sagt sogar, das Schwanzende rage aus den Steinchen hervor. Dohrn (1875 8.51) ist der Ansicht, daß das Kopfende aus dem Sande hervorrage, weil die Erfassung der Nahrung ihm auf diese Weise erleichtert werde. Er spricht sich nämlich folgendermaßen aus (8. 51): „Durch das Agens der Flimmerbewegung und das Spiel der Cirren vor seinem aus dem Sande hervorstehenden Munde erzeugt er einen Wasser- strom, der ihm Diatomeen, Larven, Infusorien, kurz alles, was im Wasser umherschwimmt und klein genug ist, um in die Mundöflnung eingehen zu können, zuführt.“ Steiner (1886 S. 497) behauptet auch, daß sein Schwanz über den Sand hervorragt, was auch Krause (1888 S. 132, 135) wiederholt. Später jedoch änderten Steiner (1888 S. 41) sowohl als Krause (1897 S. 513) ihre Ansicht vollständig zugunsten der entgegengesetzten und nahmen an, daß das Kopfende aus dem Sande hervorsteht. Daß das Tier mit seinem vorderen Ende außerhalb des Sandes bleibt, war die Ansicht von J. Müller (1841 S. 399, 1844 8. 87), Nässlin (1877 S. 18), Rohon (1882 S. 37), Willey (1894 S. 9), Nagel (1896 S. 79) und anderer, welche behaupteten, daß dies einzig allein die normale Lage des im Sande vergrabenen Amphioxus sei. Auch Parker (1908 S. 427) bestätigte dies vollständig; ich meinerseits gelangte nach wiederholten Beobachtungen zu der Schlußfolgerung, daß ein Amphioxus unter normalen Verhältnissen stets das Kopfende und nie das Schwanzende an der Oberfläche des Sandes hält. Übrigens ist dies, wie Dohrn mit Recht bemerkt, die einzige Lage, in der es dem Amphioxus gelingen kann sich zu ernähren; der Schwanz hat keine Mechanismen, die zur Ergreifung des zur Ernährung des Tieres dienenden Plankton imstande wären. In einigen sehr seltenen. Fällen, namentlich bei sehr langen Exemplaren und wenn das Niveau des Sandes nicht vollkommen horizontal, sondern an einigen Stellen eingesunken war, ragte außer dem Kopfende auch das Schwanzende an der Oberfläche des Sandes hervor. Der Amphioxus bleibt also während des ganzen Zeitraumes des Tages stets fast in den Sand vergraben, indem er nur sein Kopfende hervorragen läßt und dort fast immer unbeweglich verlıarrt; während der Nacht ent- wickelt das Tier jedoch eine große Tätigkeit. W. Müller (1874 S. 7) sagt, das B. lanceolatum sei ein Nachttier und komme nur nachts an die Oberfläche des Sandes, während es bei Tage stets darin vergraben bleibe. 136 OswALD POLIMANTI: Rice (1880 8.9) sah im Aquarium zu Neapel Tiere von dieser Gattung, die stets während der ganzen Nacht umherschwammen, bei Tage aber sich absolut ruhig verhielten; auch Rohon (1882 S. 36) ist der Ansicht, daß es Tiere mit somraram nächtlicher Tätigkeit seien. Danilewsky (1892 S. 398) spricht in seiner Arbeit über den Am- phioxus von der größeren Reflexerregbarkeit, die er bei diesem Tiere während der ersten Morgenstunden beobachtet hat; er drückt sich nämlich folgender- maßen aus: „Besonders deutlich ist diese ‚reflektorische‘ Erregbarkeit nach nächtlicher Ruhe morgens, sowohl bei gesunden als auch bei operierten Tieren, weil zu dieser Zeit die Antwortsbewegungen besonders heftig sich äußern.“ Dies ist aber nicht vollständig; denn alle, die sich mit der Bio- logie der Seetiere beschäftigt haben, wissen jetzt wohl — und auch ich kann es vollkommen bestätigen —, daß die größte Tätigkeit und Erreg- barkeit von meisten dieser Tiere, mögen sie nun Operationen durchgemacht haben oder nicht, sich während der Nacht entfaltet und nicht am Morgen. Ich stimme jedoch in der Beziehung mit Danilewsky überein, daß morgens die Erregbarkeit des Amphioxus größer ist als während der anderen Stunden des Tages, jedoch nicht der Nacht. Übrigens ist diese größere nächtliche Tätigkeit fast allen Klassen der Seetiere eigen; es gibt nur wenige Aus- nahmen davon, wie wir an geeigneter Stelle im weiteren Text unserer „Beiträge“ sehen werden. Krause (1897 S. 513) ist ebenfalls der Ansicht, daß der Amphioxus ein Tier mit vorwiegend nächtlichen Gewohnheiten ist. Parker dagegen (1908 S. 427) sah beim B. caribbaeum, daß „the lancelets remained in the same position in the dark as in the light.“ Kurz, er glaubt nicht an eine größere nächtliche Tätigkeit, weil „B. caribbaeum is essentially a burrowing animal, and that it leaves its native sand only when forced to by the accidental action of currents, ete....“ Der Amphioxus zeigt also ebenso wie sehr viele andere See- und Land- tiere einen Lebensrhythmus, den nichthemeralen Rhythmus, der in der Auf- einanderfolge von Tag und Nacht begründet ist. Mithin ist nach Parker (1908 S. 426) das B. caribbaeum negativ phototropisch; dies stimmt mit dem überein, was auch J. Müller (1874 S. 7) beim B. lanceolatus und Andrews (1893 S. 214) beim Asymmetron lucayanum gesehen hat. Das B. caribbaeum Parkers hielt sich während der Nacht gleichmäßig überall im ganzen Aquarium auf, bei Tage nur in seinem dunkelsten Teile; es ver- ließ beständig den am meisten beleuchteten Teil und hielt sich dabei stets im Sande vergraben. Übrigens hatte Parker (1906 8. 61) schon lange gesehen, daB das Tier negativ phototropisch ist; da es wegen des Lichts seine Tätigkeit be- BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 137 ginnt und sich deshalb an eine dunkle Stelle begibt, ist es demzufolge photokinetisch (photodynamisch). Ich habe viele Monate hindurch eine lange Reihe von eingehenden Untersuchungen an sehr vielen Exemplaren von Amphioxus angestellt, die in einem kleinen Becken aufbewahrt wurden, dessen Boden mit Sand be- deckt war — feiner, grauer Sand, derselbe, in welchem sie im offenen Meere (Posillipo) lebten — und dessen Wasser fortwährend erneuert wurde. Auf Grund dieser Untersuchungen, die ich in den verschiedenen Jahres- zeiten anstellte (um zu sehen, ob und welcher Einfluß die Temperatur des Wassers ausüben könnte) und zu verschiedenen Stunden des Tages, kann ich sagen, daß der Amphioxus während des Tages stets mit dem ganzen Körper in den Sand eingegraben ist, mit dem Kopfende an der Oberfläche des Sandes, und nur selten spontan, oder wenn er auch nur leicht gereizt wird, aus dem Sande hervorkommt. Während der Nacht dagegen bleibt er sehr selten im Sande vergraben, sondern schießt fortwährend hin und her im Becken, oder er bleibt unbeweglich auf dem Sande liegen, eine Lage, die er auch in den ersten Morgenstunden oder auch an sehr bewölkten Tagen beibehält; dies beweist uns, daß der Amphioxus negativ photo- tropisch ist. Ich habe oft mit elektrischen Lampen von 32 Kerzen versucht zu untersuchen, wie der Amphioxus auf diesen Lichtreiz reagierte. Wenn die Tiere mit dem Kopfende an der Oberfläche des Sandes waren, so zogen sie sich augenblicklich hinter diesen zurück, und wenn sie frei an der Ober- fläche ruhten, so drangen sie mit einer sehr heftigen schnellenden Bewegung in den Sand ein, in dem sie verschwanden, um nach einem mehr oder minder langen Zeitabschnitt mit dem Kopfende wieder an der Oberfläche des Sandes zu erscheinen. Das Licht ist ein sehr lebhafter, unangemessener Reiz für diese Tiere, weshalb sie sich ihm entziehen und fliehen, sobald sie ihm ausgesetzt werden. Seine. Sehwerkzeuge sind so beschaffen, daß der Amphioxus am liebsten im Schatten oder Halbschatten lebt. In der Tat wird ihm meiner Ansicht nach, wenn er sich im Sande und stets im Halbdunkel verborgen hält, die Jagd auf das Plankton marinum leichter, das ihm vielleicht in sehr lebhaftem Licht entkommen und fliehen könnte, weil es ebenfalls negativ phototrophisch ist. Ferner entgeht er auch auf diese Weise, wenn er sich stets im Sande vergraben hält, der Gefahr, die Beute anderer Seetiere zu werden. Diese verhältnismäßige Unbeweglichkeit bei Tage und diese größere nächtliche Tätigkeit müssen wir uns durch die Erscheinung des negativen Phototropismus erklären, der bewirkt, daß das Tier bei Tage im Sand ver- graben ist, bei Nacht dagegen eine große Tätigkeit entfaltet. Die Empfindlichkeit des Amphioxus gegen Licht wurde von Costa 138 OswALD POLIMANTT: (1834 S. 4) entdeckt, und eine eingehendere Beschreibung darüber liefert er in seiner zweiten Abhandlung (1839 S. 4). Willey (1894 S. 10) sagt, wenn man eine brennende Kerze in eine Gegend trage, in der Amphioxus vorhanden seien, so erfolge eine starke motorische Reaktion von seiten dieser Tiere. Späterhin bestätigten Nagel (1896 S.79) und Hesse (1898b 8.461) diese Annahmen. Andererseits sagt jedoch Nüsslin (1877 8.23), der Amphioxus sei nur leicht empfindlich gegen Licht; Rohon sagt, die Reaktion dieses Tieres gegen Licht erfolge gegen die Wärme und nicht gegen das Licht, und wenn das Tier gegen Licht empfindlich sei, so sei dies in sehr geringem Grade, eine Ansicht, die sich auch in der Arbeit von Kohl (1890 S. 185) findet. Parker jedoch hat klar nachweisen können, daß die Be- hauptungen dieser letzteren Autoren nicht der Wahrheit entsprechen; nach Parker ist es nicht, wie Nüsslin annahm, der mechanische, sondern der Lichtreiz, der die starken Bewegungen des Amphioxus verursacht; die Wärme hat keinen Einfluß auf den Vorgang, wie Rohon glaubte Als Krause (1897 S. 514) das Licht durch ein Filter mit Alaunlösung hindurchgehen ließ, das also alle Wärmestrahlen absorbierte, sah er augenfällige moto- rische Bewegungen der Tiere; was sodann Kohl (1890 S. 182) überein- stimmend mit Rohon sah, erklärt sich aus dem schlechten Material, das er verwendet hat. Und auch bei meinen Experimenten konnte man gewiß nicht annehmen, daß die verwendete elektrische Lampe ihre Wärme einer Masse von Meerwasser mitteilte, die in fortdauernder kreisförmiger Bewegung war, während ich die Lampe im Durchschnitt 10°” vom Wasserspiegel ent- fernt hielt. Parker schließt seine Untersuchungen mit folgenden Worten (1908 S. 417): „When sunlight, daylight, lamplight or even candle-light was allowed to fall into a previously darkened glass dish containing a dozen or more xamphioxus the whole company swam about for a minute or so in wild confusion and they dropped as though exhausted to the bottom.“ Ohne Zweifel hat der Phototropismus beim Amphioxus eine große Be- deutung, die auch größer ist als alle anderen Tropismen, die man bei ihm antrifft. Er ist es hauptsächlich, der den täglich-nächtlichen Rhythmus in der Tätigkeit verursacht, und wir werden in der Folge noch ausführlicher und länger davon zu reden haben. Ich habe beobachtet, daß es auch ge- lingt, diesen Rhythmus variieren zu lassen; bringt man nämlich diese Am- phioxus während des Tages in eine dunkle Umgebung, so kommen die meisten Tiere heraus und vergraben sich in den Sand. Sie sind auch, wie wir später noch sehen werden, imstande, den nächtlichen Rhythmus länger hinauszuziehen, indem sie nämlich außerhalb des Sandes bleiben, wenn der folgende Morgen dunkler als gewöhnlich ist. Unzweifelhaft tragen jedoch andere Faktoren dazu bei, daß der Amphi- oxus nach eingetretenem Tageslicht im Sand vergraben bleibt; diese BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 139 Faktoren sind der Tigmotropismus, der Geotropismus und auch der Rheo- tropismus. Nimmt man Exemplare von Amphioxus und bringt sie in ein Sand und Meerwasser erthaltendes Glasgefäß, so haben nach einem mehr oder minder langen Zeitabschnitt (längstens nach einer halben Stunde) alle Tiere sich im Sand versteckt. Ich kann diesen schon von Parker (1908 S. 433) beobachteten tigmotropischen Faktor nur bestätigen. Ich bin jedoch der Ansicht, daß die Tiere, sobald sie in den Sand gelangen, sogleich das Kopfende aus dem Sand herausstrecken, und nicht nach 1—1!/, Stunde, wie Parker glaubt. Der Umstand jedoch, daß, wenn man statt des ge- wöhnlichen Korallensandes Glassand nimmt, die Amphioxus sich darin gleichfalls eingraben und dann stets darin bleiben, ob er nun beleuchtet wird oder nicht, schloß aus, daß das Licht irgend einen Einfluß auf diese Erscheinung ausübte. Daß Parker dann zerriebenen Korallensand, be- sonders aber Glassand verwendet hat, war ein schwerer Irrtum von ihm; denn der von beiden auf den Körper des Amphioxus ausgeübte Reiz wird gewiß sehr verschieden von dem Reiz gewesen sein, den gewöhnlicher Sand ausüben konnte, in dem sie sich gewöhnlich befinden und in dem sie gefangen wurden. Da derartige Untersuchungen sehr feiner und zarter Natur sind, so muß man dafür sorgen, daß man sich so wenig als möglich von den natürlichen Verhältnissen entfernt, in denen die Tiere unter normalen Be- dingungen leben. Wie bekannt, ist der Amphioxus leicht geotropisch. Steiner (1886 S. 498, 1888 S. 43) versichert, das ganze Tier oder ein Teil von ihm schwimme in völligem Gleichgewicht; dasselbe haben Ayers (1892 S. 318) und Sherrington (1899 S. 1276) behauptet; aber Beobachtungen von Rice (1880 8.8) und Willey (1894 S. 10) haben nachgewiesen, daß der Amphioxus im Schwimmen fortwährend seine Lage ändert. Dieser fortwährende Wechsel der Lage während der Schwimmbewegung führt zu der Schlußfolgerung, daß das ganze Tier beim Schwimmen eine in bezug auf die Schwere gleichmäßige Lage annimmt.! Was. Teile des Amphioxus (und nicht das ganze Tier) betrifft, so würden diese sehr leicht der Schwer- kraft entsprechen. Rice (1880 S. 8) und Hesse , (18986 S. 459) haben wahrgenommen, daß der Amphioxus stets in die am nächsten an der Oberfläche gelegenen Teile des Sandes kommt, wobei sein Vorderteil mehr in die Höhe gehoben ist als das Hinterteil. Jedoch scheint dieser Umstand, daß der vordere Kopfteil höher gehalten wird als der hintere Schwanzteil, nicht von der Schwerkraft abzuhängen; der vordere Teil bleibt vielmehr, wie ich oben ı Was die horizontale Ebene des Beckens betrifft, so schwimmt das ganze Tier, indem es entweder seinen unteren Teil zeigt oder auch schräg schwimmt, zuweilen aber auch, indem es eine seiner größten Flächenebenen zeigt; niemals konnte ich aber beobachten, daß es sich mit dem Rücken nach unten bewegte. 140 OSWALD POLIMANTT: schon andeutete, an der Oberfiäche des Sandes, weil er stets zur Ernährung des Amphioxus in das klare Wasser taucht. Parker (1908 S. 436) hat beobachtet, daß, wenn man Gazefäden auf den Sand legt, die Tiere nach kurzer Zeit mit dem vorderen Ende im ’Meer- wasser heraustreten, als wollten sie sie als Nahrung erfassen. Dreht man ferner ganz sachte ein Gefäß mit Sand und Meerwasser, in welchem sich Amphioxus befinden, so ändern diese sogleich ihre Lage, so daß das Kopfende sofort frei aus dem Sande im Meerwasser hervorragt. Dieser Umstand liefert nach Parker den Beweis dafür, daß wir es mit einer Erscheinung von negativem Geotropismus zu tun haben, was ich meinerseits vollständig be- stätigen kann. Auch ich habe nämlich wiederholt denselben Versuch mit Exemplaren von Branchiostoma lanceolatum ausgeführt; das Resultat war immer, daß, welche Lage man auch dem Glase gibt, das die im Sande vergrabenen Amphioxus enthält, diese nach sehr kurzer Zeit plötzlich mit ihrem Kopfende an die Oberfläche des Sandes kommen. Auch der Rheotropismus hat einen großen Einfluß auf das Leben des Amphioxus. Wie bekannt, schwimmen einige kleine Fische stets gegen den Strom; dies würde bestätigen, was Lyon (1905) gesehen hat, nämlich daß der Rheotropismus einiger Fische nicht von dem direkten Reize der Strömung abhängt, sondern von dem Sehorgan, das durch die Unbeweglichkeit der benachbarten festen Seiten, d. h. durch die Ufer, an denen das Wasser vorbeifließt, beeinflußt wird. Da nach Parker (1908 8. 435) der Amphioxus keine wahren und eigentlichen Sehorgane besitzt, so läßt sich bei dieser Unsicherheit eine wahre und eigentliche Orientierung bei ihm nicht voraussetzen. Weiter sagt Parker, der Amphioxus orientiere sich stets in der Richtung der Strömung und sei deshalb verhältnismäßig rheotropisch; denn wenn man mit einer Rute das Wasser eines Zylinders, in welchem sich Amphioxus befinden, im Kreise dreht, so schwimmen die Tiere stets gegen die von der Rute verursachte Strömung, bis sie nach einer gewissen Zeit des Schwimmmens erschöpft auf den Boden des Gefäßes fallen. Deshalb bemerkt Parker mit Recht, der Amphioxus sei rheotropisch nur unter bestimmten Verhältnissen, nämlich wenn er, wie in diesem Falle, einer sehr unregel- mäßigen Wasserströmung ausgesetzt wird. Ich meinerseits habe auch häufig diese Erfahrung mit Exemplaren von Branchiostoma lanceolatum machen können und kann das von Parker Beobachtete nur bestätigen. Nicht nur schwimmen sie gegen den Strom, wenn das Wasser des Gefäßes, in dem sie sich befinden, mit einer Rute mehr oder minder stark umgerührt wird, auch wenn man sie in Glasröhren bringt und dann Wasser hindurchfließen läßt; solange es langsam fließt, halten sich die Tiere mehr oder weniger unbeweglich, oder wenn sie schwimmen,.tun sie es immer in der Richtung BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 141 der Strömung; sobald diese aber wieder anfängt, eine gewisse Geschwindig- keit anzunehmen, beginnen die Amphioxus sogleich mit ihrer schlangen- artigen Bewegung gegen die Strömung zu schwimmen, bis sie erschöpft zu Boden fallen in einer mehr oder minder kurzen Zeit, je nach der Intensität der Strömung des verwendeten Wassers und der mehr oder weniger langen Zeitdauer des Experimentes. Der Amphioxus ist also, wie wir oben sahen, beständig in den Sand eingegraben. Meiner Ansicht nach kann er aber auch aus anderen Gründen als den im obigen kurz angeführten aus dem Sande herauskommen und an der Oberfläche bleiben. In der Tat kommen diese Tiere, außer in den Stunden der Nacht, des Morgens usw. nur dann an die Oberfläche, wenn sie in ungünstigen Verhältnissen oder dem Tode nahe sind; in solchen Fällen würde schließlich bei diesen Tieren, wie bei allen im Sande lebenden Seetieren, jener charakteristische Reflex nachlassen (man könnte ihn „Sandreflex“ nennen), der dieser Tierklasse ganz eigen- ‘ tümlich ist und der bewirkt, daß sie beständig im Sand vergraben bleiben, wo sie ihr ganzes Leben verbringen. Mit diesem Reflex werden wir uns in der Folge noch ausführlich bei andern Tierklassen beschäftigen müssen. Kurz, wenn der Amphioxus sich aus irgend einer Ursache in ungünstigen Verhältnissen befindet, entweder was ihn selbst betrifft oder in seiner Um- gebung, so verläßt er das Innere des Sandes, in welchem er sich aufhält, und steigt sofort zur Oberfläche empor. Es ist leicht zu erkennen, wenn ein Amphioxus sich in ungünstigen Verhältnissen befindet, denn nicht nur verharrt er den ganzen Tag fast immer unbeweglich in horizontaler Lage an der Oberfläche des Sandes, an den er durch die größere Fläche gedrückt wird, sondern er reagiert auch nicht mehr sehr stark durch schlangenähnliche Fluchtbewegungen auch auf einen minimalen mechanischen Reiz; sein Körper beginnt sich mit hier und da zerstreuten fleischroten Flecken zu bedecken. Auf diese Erscheinung hat schon Danilewsky (1892 S. 400) in seiner Arbeit hingewiesen, und meiner Ansicht nach müssen sie als echte Ent- artungen der äußeren Haut des Amphioxus betrachtet werden, vielleicht mit mehr oder minder großer Beteiligung der tiefliegenden Gewebe. Dani- lewsky weiß keine Erklärung für diese Erscheinung anzugeben; er drückt sich folgendermaßen aus: „Das Pigment ist diffus verbreitet; schwache Essigsäure bringt dasselbe zum Schwinden, nieht aber Alkalien, welche das- selbe augenscheinlich sogar vermehren; durch Chloroform und Äther, des- gleichen durch Wasser läßt sich dasselbe nicht ausziehen. Mangel an Zeit gestattete mir nicht, diese Erscheinung weiter zu studieren.“ Galvanotropismus. — Um die Frage nach der Bedeutung des ersten Kopfmetamers zu lösen, wollte ich auch Untersuchungen über den Galvano- tropismus anstellen. 142 OswALD POLIMANTI: Wie man nämlich aus vielen an vielen Tieren der verschiedensten Klassen ausgeführten Untersuchungen weiß, ist es stets das Kopfende, das sich dem negativen Pol zuwendet. In ein Meerwasser enthaltendes Gefäß wurden Amphioxus gesetzt; zwei im Innern dieses Gefäßes befindliche Platinelektroden waren in Verbindung * mit zwei Bichromatsäulen; der Strom konnte vermittelst einer Pohlschen Wippe eingeschaltet werden. | Kaum wird der Strom geschlossen oder geöffnet, so fahren die Tiere mit einem Ruck auf und richten dann ihr Kopfende nach dem negativen Pol, das Schwanzende nach dem positiven Pol, nachdem sie lange genug hin- und hergeschossen sind, und nicht als ob das eine oder das andere Ende allmählich von einem der beiden Pole angezogen würde. Die Orientierung des Mundes nach dem negativen Pol erfolgt während einer mehr oder weniger langen Zeit (im Durchschnitt 5’ bis 10” bis im Maximum 20). Das Zusammenfahren der Tiere ist stets stärker beim Schließen als beim Öffnen des Stromes (beim Öffnen geringer oder gleich Null); es erfolgt: ausschließlich bei den Exemplaren, die je nach dem sStrome ihr Mundende nach dem negativen Pole richten, während ich bei den anderen, die verschiedene Lagen einnahmen, nie irgend eine Zuckung be- merkt habe. Nur in einigen sehr seltenen Fällen habe ich bei den letzteren einige ganz leichte Zuckungen wahrgenommen. Aber wenn sie auch nicht mit dem Mund gegen den negativen Pol gerichtet sind, so genügt es, daß irgend ein Teil des Kopfes einen der Pole berührt, damit konstant eine Zuckung beim Schließen und Öffnen des Circuits erfolgt, und dies ist leicht verständlich; der Strom wird übertragen und reizt. Zuweilen erfolgt da- gegen, obschon die Tiere mit dem Munde nach dem negativen Pol gerichtet sind, trotzdem keine Zuckung, namentlich wenn diese Versuche oft wieder- holt werden; dies hängt aber entweder von der Ermüdung des Tieres oder von den ungünstigen Verhältnissen, in denen es sich befindet. Es ist interessant zu sehen, wie bei Umschaltung des Stromes ver- mittelst der Pohlschen Wippe der Amphioxus allmählich sich in gleicher Weise nach rechts und links wendet und seinen Mund nach dem negativen Pol zu richten sucht. (Er gebraucht dazu stets denselben Zeitabschnitt; wie es scheint, tritt infolge dieser Versuche keine Erschöpfung ein, auch wenn sie einige Male, ja selbst 10 mal wiederholt werden, wie ich bei meinen vielen Versuchen zu konstatieren Gelegenheit hatte.) — Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß der Amphioxus ein Tier mit negativem Galvanotropismus ist. Nach Beendigung des Versuches, als die Tiere in fließendes Meerwasser gebracht wurden, verhielten sie sich durchaus wie die normalen. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 143 Sehr interessant gestalteten sich die Versuche über den Galvanotropismus bei in zwei Hälften zerschnittenen Tieren (s. Fig. 3). Eon 3; Kaum ist der Amphioxus in zwei Stücke geschnitten und der Strom hindurch geleitet, so ist das Kopfstück fast immer imstande, sich gegen den negativen Pol zu richten: BA — (jedoch nicht immer, was vielleicht von den mehr oder minder guten Verhältnissen abhängt, in denen sich das Tier befindet), während das Schwanzstück stets absolut unbeweglich bleibt und kein Anzeichen oder Merkmal einer Orientierung zu bemerken ist. Die beiden aus dem Mundschnitt AB und dem Schwanzschnitt CB’ resultierenden Stücke ergaben, wenn der Mund A und das Kopfende 2’ gegen den negativen Pol oder in der Richtung BA> — und CB’ — gerichtet waren, ziemlich starke Zuckungen bei jedem Schließen des Circuits, während beim Öffnen absolut niemals auch nur die leisesten Zuckungen eintraten. Waren dagegen die beiden Stücke mit dem Mund bzw. mit der Schnittfläche des Mundes nach der entgegengesetzten Seite + <= ADB und +-B’C gerichtet und leitete ich den Strom hindurch, so zuckten sie absolut niemals, weder beim Schließen noch beim Öffnen des Cireuits. Das- selbe trat ein, wenn die beiden Stücke statt in dieser dem negativen Pol absolut entgegengesetzten Richtung in einer mehr oder minder schrägen Richtung lagen. Auch wenn die beiden Stücke durch ein kleines Stück Gewebe miteinander verbunden bleiben, orientiert sich das Kopfende stets auf die bekannte Weise, das Schwanzende dagegen nie; es verharrt in einem Zustand größerer oder geringerer Unbeweglichkeit. An Exemplaren von Amphioxus, die nicht vollständig durchschnitten, sondern miteinander durch ein Stück Gewebe zusammenhängen, mache man das Experiment derart, daß das Kopfende gegen den negativen Pol B A> — gerichtet ist, während die Schwanzhälfte an die Kopfhälfte gelegt in umgekehrter Richtung C B’> + orientiert ist. In diesem Falle wird die Kopfhälfte stets durch eine Zuckung auf jedes Schließen des Circuits reagieren, die Schwanzhälfte absolut niemals. Nahm ich in der Mitte durchschnittene, aber durch eine kleine Brücke von Gewebe miteinander verbundene Amphioxus, richtete sie nach BA> + und BC>— und ließ dann den Schluß- oder Öffnungsstrom hindurch- gehen, so blieb das Kopfstück stets unbeweglich, während das Schwanzstück 144 OswALD POLIMANTI: immer durch eine Zuckung reagierte. Daraus schließe ich, daß diese Gewebe- brücke keinen Einfluß auf die Erscheinung des Galvanotropismus hat. Kaum ist der Versuch beendet und werden diese Stücke in fließendes Meerwasser gebracht, so verhalten sie sich wie diejenigen, an welchen die Operation nicht vorgenommen wurde, sondern welche dem elektrischen Strom nicht ausgesetzt wurden; von diesen werden wir später noch ausführlich sprechen, wenn wir uns mit den Erscheinungen beschäftigen, welche die in der Mitte quer durchschnittenen Amphioxus zeigen (Operation 4). Analyse der Bewegungen des Amphioxus. — Wie bekannt, ist der 3 bis 4°” lange Körper spindelförmig. Er zeigt längliche Hautauswüchse, die in Gestalt von Schwimmflossen angeordnet sind und umfassen (siehe Figg. 1 und 2): 1. Eine fortlaufende unpaare Schwimmflosse, die senkrecht auf der dorsalen Mittellinie und um den Schwanz herum sich erhebt. 2. Zwei lange ventrale Schwimmflossen, die symmetrisch zu den Seiten des Körpers in der ventralen Gegend angebracht sind. Die Orifizien sind dargestellt durch einen vorderen Endmund, der von Mundanhängen (Zirren) umgeben ist, einen hinteren, ventralen, subterminalen Anus, ein Orifieium peribranchiale, das ebenfalls ventral und vor dem Anus in einiger Entfernung geöffnet ist. Die Wand des Körpers besteht aus einer in viele Segmente oder Meta- mere geteilten Muskelscheide, die hintereinander und ganz nahe beieinander liegen. Wie schon oben bemerkt, ist es ein Tier, das stets im Sande lebt, aber bisweilen herauskommt und gut zu sehen ist, wenn es im Wasser fortwährend wahre und eigentliche Schlangenbewegungen macht, wobei es, wie früher schon bemerkt, beständig mit bezug auf die horizontale Ober- fläche des Beckens eine andere Ebene einnimmt. Um die Bewegungen des Amphioxus gründlich zu studieren, rate ich kleine, also natürlich jüngere Tiere zu fangen, weil sie lebhafter sind und auch viel besser auf alle Reize reagieren, die man auf sie einwirken läßt. Nach einem mehr oder minder langen Zeitabschnitt, während dessen er jene schlangenförmigen Bewegungen im Becken ausführt, vergräbt er sich in den Sand. Es ist vom biologischen Standpunkt aus höchst interessant zu sehen, wie der Amphioxus sich verhält, wenn er in den Sand eindringen will. Sobald er während seines Umherschnellens im Wasser in Berührung mit dem Sande gerät, verschwindet er mit Blitzesschnelle in einem Satz von der Oberfläche des Wassers und dringt in das Innere des Sandes ein. Wenn das Tier im Begriff ist, aus dem Wasser, in dem es sich be- findet, in den Sand einzudringen, so führt es zwei viel schnellere und viel- gewundenere Schlangenbewegungen aus als sie zum besseren Eindringen in BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 145 den Sand erforderlich wären. Nähert es sich dem letzteren mit dem Mund- ende oder auch mit dem Schwanzende oder mit der Längsfläche, und läßt der Strudel des verdrängten Wassers einen größeren Widerstand wahr- nehmen, so macht es hier einen größeren Satz, um das Hindernis zu über- winden und tiefer im Sande zu verschwinden. Das Tier dringt in den Sand entweder senkrecht ein oder (wie es in der Mehrzahl der Fälle geschieht) etwas schräg, wie ich zu bemerken Gelegenheit hatte, zur horizontalen Ober- fläche des Beckens (in diesem letzteren Falle erfordert das Eindringen natürlich einen geringeren Kraftaufwand von seiten des Tieres). Das senkrechte Eindringen in den Sand war schon von J. Müller (1844 S. 84), von Willey (1894 S. 10) und in letzter Zeit auch von Rice (1880 S. 8) beobachtet worden. Wie Goldschmidt (1908 S. 17 bis 22) richtig bemerkt hat, sind sowohl das vordere als auch das hintere (kaudale) Ende nicht nur lanzenförmig gestaltet und haben deshalb die am besten geeignete Bildung, um in den Sand einzudringen, sondern bestehen auch gleichzeitig aus einem sehr starken Stützgewebe, das infolge seiner Zusammensetzung beiden Enden dieses Eindringen erleichtert. Was nun die Frage betrifft, ob es das Kopfende oder das Schwanz- ende ist, mit dem das Tier in den Sand eindringt, so sagt schon J. Müller (1841 S. 399) in seiner Beschreibung der Gewohnheiten der Tiere, der Am- phioxus dringe mit dem Schwanzende in den Sand ein und verstecke sich oft, nur um seinen hinteren Teil zu bedecken, während sein vorderes Ende stets frei und unbedeckt bleibe. Steiner (1886 S. 497) ist der Ansicht, daB er stets mit seinem vorderen Ende in-den Sand eindringe, während der Leib fortwährend schlangenförmige Bewegungen macht und weiter hinein vordringt, bis er nicht mehr über die Oberfläche des Sandes hinausragt, stets mit seinem vorderen Ende, „so daß die Fischchen vielfach, fast senk- recht mit dem Kopfe nach oben, im Sande stehen“, Er behauptet, es sei dem Tiere unmöglich, mit seinem ebrede in den Sand einzudringen. Parker (1908 S. 435) konnte, wie er sagt, in anbetracht der großen Geschwindigkeit, mit der das Tier in den Sand eindringt, nicht feststellen, ob es mit dem Kopfende oder Schwanzende hineinfährt. Dagegen gelang es ihm (1908 S. 434), dies bei nicht völlig vom Sande bedeckten Tieren festzustellen; im allgemeinen konnte er beobachten, daß sie stets mit dem Ende eindrangen, das dann vollständig bedeckt blieb. Das Eindringen in den Sand hängt auch davon ab, ob das Tier an seinen beiden Enden Ope- rationen erlitten hat oder nicht. Ein Amphioxus, der Verstümmelungen oder Operationen an einem seiner Enden erlitten hat, dringt erst nach vielen immer wiederholten Versuchen in den Sand ein. Die größte Schwierig- keit für das Eindringen besteht jedoch immer für den hinteren und nicht Archiv f. A. u. Ph, 1910. Physiol. Abtig. 10 146 OswALD POLIMANTI: für den vorderen Teil, auch wenn letzterem die Zirren genommen sind; der vordere Teil dringt stets viel stärker in den Sand ein als der hintere, wie ich konstant in der Mehrzahl der Fälle beobachtet habe. Nachdem der Amphioxus mit seinen schlangenartigen Bewegungen (wie man sie deutlich im Wasser sieht) auf peristaltische oder antiperistaltische Weise, entweder mit dem Kopf- oder Schwanzende, in den Sand eingedrungen ist, setzt er darin diese seine gewundenen Bewegungen fort, indem er nicht nur durch den Sand vordringt, sondern auch durch Stücke von Muscheln, die sich zu- fällig dort befinden, wobei er mit größerer oder geringerer Geschwindigkeit zwischen einem Stück und dem andern hin- und herschnellt und sie streift. Wenn er im Sande vergraben ist, macht er es sich darin bequem, indem er eine gewundene oder auch kreisbogenförmige Gestalt annimmt; bei genauer Beobachtung sieht man, wie ich schon oben erwähnte, daß der Mund stets an der Oberfläche des Sandes hervorragt. Wird ein mechanischer Reiz auf den Mund oder auf einen andern Teil des Körpers ausgeübt, wenn er diese Lage eingenommen hat, so flieht er wieder, indem er schlangenartig hin und her schnellt; entweder vergräbt er sich dann noch mehr in den Sand, oder er kommt an seine Oberfläche, schießt von neuem im Wasser hin und her und vergräbt sich an einer anderen Stelle in den Sand. Zuweilen er- scheint, wenn man genau hinsieht, außer dem Kopfende auch das Schwanz- ende über dem Sand; in diesem Falle hält er sich darin kreisförmig ge- bogen. Der im Sande vergrabene Amphioxus ist durchaus verschieden von dem an der Oberfläche des Sandes liegenden; denn der an der Oberfläche ruhende ist gerade, zuweilen leicht kreisbogenförmig gebogen, was von der sehr starken Spannung der Notochorda, mehr nach einer Seite als nach der anderen hin, abhängt, während der andere stets eine gekrümmte Linie darstellt, um sich in den Sand einzuwühlen und dann darin auszuruhen. Kaum hat ein Amphioxus den Sand, in weichem er vergraben war, ver- lassen, so wird er sogleich ganz oder fast geradlinig und ruht auf diese Weise aus, bis er wieder in den Sand eindringt. Eben diese nämliche ge- radlinige Gestalt nehmen die Amphioxus auch an, wenn sie lange Zeit hin- durch im Becken hin und her geschwommen sind und nun, vielleicht aus Müdigkeit, nicht imstande sind, in den Sand einzudringen; sie bleiben dann in dieser rechtlinigen Lage an der Oberfläche des Sandes, jedoch nur kurze Zeit; denn kaum haben sie sich wieder erholt, so schnellen sie wieder hin und her und dringen in den Sand ein. Die Ausführung dieser schlangenförmigen, gewundenen Linie, ob nun der Amphioxus im Wasser hin und her schnellt oder sie im Sande aus- führt, ist von außerordentlichem Nutzen für die Fortbewegung des Tieres; denn nur wenn das Tier eine krumme und nie eine gerade Linie verfolgt, ist es ihm möglich, seine Bewegungen auf die vollständigste Weise auszuführen. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 147 Wenn wir darüber nachdenken, so sehen wir, daß dem Tiere jedes Eindringen unmöglich wäre, wenn es eine gerade Linie verfolgte. Die Bewegung des Eindringens und des Fortschreitens ergibt sich genau aus der Resultante aller dieser Kurven, die, wenn wir sie in Be- wegung umsetzen, das Parallelogramm der Kräfte darstellen. Die schlieb- liche Schwimmleistung ergibt sich aus der Summe aller dieser Resultanten, die längs des ganzen Tierleibes gelegen sind. Übrigens versteht man leicht, warum das Tier fast immer mit dem Mundende und fast nie mit dem Schwanz in den Sand eindringt, obschon letzterer in anbetracht seiner lanzenförmigen Gestalt mechanisch viel eher zum Eindringen geeignet wäre als der Mund, der verhältnismäßig dick und kurz ist. An diesem finden wir jedoch ein feines Organ von der größten Bedeutung, und zwar sind dies die Zirren, die rings herum stehen und den Mund vollständig umgeben; mit Hilfe der Zirren (abgesehen von ihrer Dienstleistung für die Ernährung) kann das Tier sogleich von den Hinder- nissen benachrichtigt werden, die es auf seinem Wege antrifft, und so eventuell seine Richtung ändern. Die Hypersensibilität dieser Zirren allen anderen Teilen des Körpers gegenüber bringt es deshalb mit sich, daß das Eindringen des Tieres in den Sand mit dem Mundende erfolgt. Auch die gewöhnlichen Schwimmbewegungen im freien Wasser ohne Sand werden fast immer vom Mundende ausgeführt, nicht nur weil das Kopfmetamer stärker entwickelt ist, sondern auch infolge des Vorhanden- seins der Zirren, die dem Tiere über die Verhältnisse seiner Umgebung - Aufschluß verschaffen. Selten werden sie vom Schwanzende ausgeführt. Steiner begeht einen schweren Irrtum, wenn er von einem durchaus an- thropomorphischen Gesichtspunkt ausgehend folgenden Satz niederschreibt: „So erscheint das Leben des Amphioxus als eine große Monotonie und ebenso monoton sind seine Bewegungen, die immer nur das eine Ziel verfolgen, zu entfliehen, wenn er gereizt wird.“ Jedes Tier führt aber das ihm eigen- tümliche Leben, nicht nur um zu leben und sich vor seinen Feinden zu schützen, sondern auch um sich fortzupflanzen; somit können wir nur vom anthropomorphischen Gesichtspunkt aus von einem monotonen, ruhigen, leb- haften usw. Leben sprechen, aber durchaus nicht vom biologischen Ge- sichtspunkte aus. Und wie kann Steiner, auch wenn er vom anthro- pomorphischen Gesichtspunkt ausgeht, das Leben eines Tieres monoton nennen, das kaum gereizt blitzschnelle Fluchtbewegungen ausführt und sich rasch im Sande vergräbt? Dasselbe gilt auch von Danilewsky, der sieh im Irrtum befindet, wenn er vom Amphioxus sagt, „daß diese Tiere äußerst träge sind“; mir scheint vielmehr, daß es sehr lebhafte Tiere sind. Dies erkennt übrigens Danilewsky selbst an, wenn er sagt, daß sie, wenn 10* 148 OÖswALD POLIMANTI: sie lange Zeit hindurch unbeweglich im Sande sich befunden haben, sofort sehr lebhaft reagieren, sobald sie mechanisch gereizt werden, auch wenn es ein ganz minimaler Reiz ist. Der Amphioxus ist vielmehr ein sehr leb- haftes Tier, das sich natürlich im Sande ruhig verhält, wo es ihm, ab- gesehen von dem oben Gesagten, leichter ist, seine Nahrung zu finden, wie Dohrn richtig-an der oben zitierten Stelle ausgeführt hat. Ein weiterer Irrtum Danilewskys besteht darin, daß er diese operierten oder nicht operierten Tiere nicht immer während ihres natürlichen Lebens in ihrer Umgebung beobachtet hat, nämlich im Sande, sondern sie in mit Wasser gefüllten Gefäßen aufbewahrte. Er beschreibt seine experimentelle Methode folgendermaßen: „Viel bequemer lassen sich Beobachtungen an diesen Fischen in flachen mit Wasser gefüllten Gefäßen ohne oder mit wenig Sand anstellen; in solchen lassen sich leicht selbst die geringsten - Be- wegungen des Tieres wahrnehmen.“ Alle aber, die sich mit biologischen Untersuchungen beschäftigen, wissen, daß man ein Tier, um so mehr wenn es operiert ist, in dem Mittel der Umgebung, wo es sein Leben verbringt, beobachten muß und es nie daraus entfernen darf; denn sonst müssen die an ihm angestellten Beobachtungen und namentlich diejenigen über etwaige auf dieses Tier ausgeübte Reize wenn nicht als absolut falsch, so doch als sehr irrig betrachtet werden. Ferner muß man bedenken, daß man ein solches Tier, wenn man es seiner natürlichen Umgebung, also hier dem offenen Meere, entnommen und es in ein Aquarium gebracht hat, auch wenn in letzterem die Be- dingungen der Umgebung günstig sind (Temperatur, O,, fortwährende Er- neuerung des Wassers usw.), in dieser Umgebung unter so natürlichen Ver- hältnissen als möglich erhalten soll (in unserem Falle in viel Sand, und zwar in dem nämlichen, in dem es unter normalen Verhältnissen [Posillipo] lebte). Deshalb ist es ein sehr schwerer Irrtum, wenn man es frei in Wasser allein und vielleicht in einem Gefäß mit hoher Temperatur und ohne fortwährende Zirkulation beobachten will. Sherrington (1906) gelangte durch das Studium der Reflexe und ihrer Kombinationen zu sehr interessanten Resultaten über die große Be- deutung der Korrelationsmechanismen und über deren sehr komplizierte Beziehungen. ‘Anatomisch sind bekanntlich die diese Anhäufung von Kor- relatoren ausmachenden Elemente in der „Substantia reticularis‘‘ des Zentral- nervensystems gegeben. Sherrington sah, daß, je größer die Korrelations- mechanismen sind, desto größer die Zahl der Reflexe ist, die man erhalten kann. Johnston (1906) erklärte zuerst, die „Substantia retieularis“ sei „material“, wodurch die primären rezeptiven und exzitativen Elemente diffe- renziert würden. Wie bekannt findet sich bei den niederen Formen der Vertebraten (Cyelostomen) und beim Amphioxus, mit dem ich mich hier BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 149 beschäftige, diese Substantia reticularis in verhältnismäßig geringer Menge, und deshalb wäre nach Sherrington die Tätigkeit dieser Tiere mithin verhältnismäßig einfach. Die Reaktion auf Reize ist bei ihnen verhältnis- mäßig elementar, verglichen mit den höheren Formen, bei denen eine große Kombination von Reflexen möglich ist. Nun besteht aber diese größere Menge von Reflexen im Nervensystem der höheren Tiere eben in der großen Entwicklung der Substantia reticularis und in ihrem großen Überfluß. Daher die Kompliziertheit der Reaktion, die große Zahl und Verschieden- artigkeit von Kombinationen aller Reflexe, die bei diesen Formen möglich sind. Deshalb sind die höheren Formen auf Grund dieser großen Zahl von Reflexen ihrer Umgebung weit besser angepaßt und einer reicheren ‚Er- fahrung fähig; nach Johnston ist der strukturelle Sitz dieser größeren Anpassung in der Zunahme der Substantia reticularis des Zentral- nervensystems ausgedrückt. Wenn bei den höheren Formen das Nervensystem eine größere Reflex- fähigkeit hat, so ist es mehr entwickelt, und dies beruht auf der Ontogenese ihres Zentralnervensystems. In diesem Falle haben die Keimzellen ein größeres Vermögen als bei den niedersten Formen. Das Neuroblast des letzteren stammt von einer Form eines ursprünglichen, rezeptiven und exzitatorischen Neurons. Das Neuroblast der ersteren erhält Elemente von Substantia reticularis. Die Menge dieser Substanz, welche sich bildet, und die Zahl und Mannigfaltigkeit der Verbindungen, die zustande kommen, hängt namentlich ab von dem Gesundheitszustand, der Kraft, der Tätigkeit und dem Reichtum an Erfahrungen der Organismen. Mit anderen Worten, die Zahl und Verschiedenheit der individuell möglichen Reflexkombinationen und die Größe und Kompliziertheit der Sub- stantia reticularis stehen in fortwährender Beziehung zueinander. Endlich wird der Grad der individuellen Anpassung an die eigentümliche Umgebung und die Zahl der umgebenden Bedingungen, denen das Individuum sich anpassen muß, durch die individuelle Erfahrung während eines langen Zeit- raumes bestimmt. Kurz, die individuelle Erfahrung ist es, die notwendiger- weise größere Tätigkeit und eine größere Zahl von Neuronen verlangt. Untersuchungen über das Nervensystem des Amphioxus. Zur Ausführung meiner Untersuchungen, sowohl der auf das Studium der Bewegungen des Amphioxus als auch der auf des Studium des Nerven- systems sich beziehenden (wobei ich also in letzterem Falle blutige Operations- methoden anwandte und mich nicht auf die bloße Beobachtung beschränkte), habe ich stets nur sehr lebhafte und lebenskräftige Tiere ausgewählt. Die 150 OswALD POLIMANTI: orößere oder geringere Erregbarkeit und Lebensfähigkeit eines Amphioxus ersieht man meiner Ansicht nach‘gleich aus der größeren oder geringeren Kraft seines Eindringens in den Sand. Dringt das Tier bei seinen schlangen- artigen Bewegungen im Wasser oder an der Oberfläche des Sandes wenig in letzteren ein oder kommt es nicht hinein, wenn es Versuche macht, so muß es absolut ausgesondert werden, weil es schwach, schon verändert, im Rückgang begriffen und deshalb für Versuche nicht geeignet ist. In der Tat eigneten sich alle Tiere, die gar nicht, nur wenig oder sehr langsam in den Sand eindrangen, sehr schlecht und sehr unvollkommen zu Versuchen sowohl mit dem Kopf- als mit dem Schwanzende. Dies ist ein Umstand von der größten Wichtigkeit, wenn die Untersuchungen gut vonstatten gehen und die an den Tieren angestellten Beobachtungen durchaus frei von Irrtümern sein sollen; wenn man nicht darauf bedacht ist, sehr starke Exemplare zu verwenden, müssen die erhaltenen Resultate als absolut falsch betrachtet werden. Und eben aus der mehr oder minder guten Auswahl der Tiere erklären sich die Widersprüche in den Beobachtungen und Schluß- folgerungen, welche die verschiedenen Autoren, die sich mit der Frage be- schäftigten, aus ihnen gezogen haben, wie wir später sehen werden. Und die folgende Auffassung scheint mir mehr als gerechtfertigt zu sein. Im Amphioxus haben wir ein Tier, das sein normales Leben vollständig im Sande vergraben zubringt; ehe wir also eine Untersuchung irgend welcher Art an ihm vornehmen, müssen wir uns davon überzeugen, daß die Re- aktionen des Tieres auf die Umgebung, in der nun sein Leben verläuft, durchaus normal sind. Und ein Amphioxus schnellt auch mehr oder minder flink im Wasser hin und her, wie ich sehr häufig gesehen habe, je nachdem er mit größerer oder geringerer Geschwindigkeit und Leichtigkeit in den Sand eindringt. Die über die Physiologie des Nervensystems des Amphi- oxus ausgeführten Untersuchungen sind nicht sehr zahlreich und stimınen in ihren Resultaten nicht vollständig miteinander überein; ja viele stehen, wie wir noch sehen werden, in vollständigem Widerspruch zueinander. Die von den Autoren beim Studium des Nervensystems des Amphioxus befolgte Methode war stets die Durchschneidung des Tieres in einen oder mehrere Teile, worauf sie beobachteten, wie sich nach dieser Operation die Lokomotion der aus diesem Schnitt sich ergebenden verschiedenen Stücke im gewöhnlichen Meerwasser wie auch nach gelegentlichem Zusatz eines stimulierenden chemischen Mittels (z. B. Pikrin-Schwefelsäure) gestaltete. Bei keinem Autor habe ich gesehen, daß er das Verhalten dieser verschie- denen Stücke dem Sande gegenüber studiert hätte. Steiner (1888 $. 38) schnitt mit einer Schere einen Amphioxus in zwei Stücke und sah kurze Zeit nach der Operation, wenn diese beiden Stücke gereizt wurden, „so führen beide Teile ganz regelmäßige Lokomotionen BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEwEGunG. 151 aus unter gleichzeitiger Erhaltung des Gleichgewichtes, und beide stets mit dem Kopfende voraus“. Er sah auch, daß man eines dieser Tiere in vier Stücke schneiden kann, von denen ein jedes imstande ist, sich zu bewegen; kaum hat die Bewegung aufgehört, so fallen sie seitwärts mit dem breitesten Teile, wie man wohl versteht, aus mechanischen Gründen auf den Boden des Beckens. Kaum beginnt dann die Erregbarkeit dieser Tiere nachzu- lassen, so genügt es, sie in eine 1 prozent. Lösung von Pikrin-Schwefelsäure zu bringen, damit sich wieder die stärksten lokomotorischen Bewegungen zeigen. Auch Häckel hatte schon früher diese Bewegungen beobachtet, die, wie dann Steiner bestätigen konnte, denen gleich sind, die der ganze Körper des Tieres macht. Häckel drückt sich folgendermaßen aus: „Die jungen Ampbioxus, von 1 bis 2m Länge, waren vollkommen durchsichtig und zeigten außerordentliche Lebensfähigkeit; die abgerissene hintere Hälfte eines Exemplars, aus deren Mitte die nackte Chorda dorsalis mehrere Milli- meter weit vorragte, blieb über acht Tage am Leben und zeigte nach dieser Zeit (als „partielles Bion“) noch lebhafte Bewegungen.“ Ich verstehe Steiner absolut nicht, wenn er sagt: „Da die Amphi- oxen, wie oben bemerkt, nur eine Bewegung, nämlich die Lokomotion, kennen.“ Steiner gelangt bei seinen Untersuchungen über das Nervensystem des Amphioxus zur Schlußfolgerung: „der Leib des Amphioxus besteht aus lauter gleichwertigen Metameren, worin implicite angedeutet ist, daß der Amphioxus nicht ein allgemeines Bewegungszentrum und die gemeinsame Tätigkeit derselben, welche untereinander in zweckmäßiger Verbindung stehen müssen, erzeugt die Lokomotion des Gesamttieres“. Steiner, der in einer früheren Arbeit dem Amphioxus ein wahres und eigentliches Rückenmark zugeschrieben hatte, leugnete dies später durchaus und war der Ansicht, es sei „das Zentralnervensystem des Amphioxus kein einfaches Rückenmark, sondern ein undifferenziertes oder einfaches Zentralnervensystem, aus dem sich phylogenetisch Gehirn und Rückenmark entwickeln sollen“, während das Zentralnervensystem der Kranioten differenziert ist in seinen verschie- denen Teilen, die dann miteinander verbunden werden. Im Jahre 1892 machte Danilewsky Untersuchungen an 20 Exem- plaren von Amphioxus, die zeitlich nicht ganz mit Steiners Untersuchungen zusammenfallen. Der Autor verwendete die Friedländersche Methode oder die der Durchschneidung des vorderen Teiles des Kopfes, welche der letztere Autor am Lumbricus terrestris vornahm und die zum Verlust der freiwilligen Lokomotion bei diesem Tier führte. Dieselben Resultate erhielten bei den Seewürmern Nephtis und Nereis; bei diesen Tieren werden die freiwilligen 152 OswAup POoLIMANTT: Bewegungen nur im vorderen Teile des Tieres verändert, und gleichzeitig sind auch „die Reflex- bzw. Antwortsbewegungen stärker und von längerer Dauer als im hinteren Teile“. Ferner zeigte sich der vordere Teil viel empfindlicher gegen den Einfluß der Nervengifte, z. B. Amylnitrit. Danilewsky teilte seine Untersuchungen über die Amphioxus in vier Gruppen; in der Gruppe A, bei der er das Tier in der Mitte durchschnitt, führte der vordere Teil noch freiwillige Bewegungen aus, wohingegen der hintere Teil vollkommen unbeweglich blieb. Wurde letzterer mechanisch, und zwar auch stark, gereizt, so zeigten sich Reflexbewegungen, die eben auf den ausgeübten Reiz folgten, jedoch schnell verschwanden; dieselben Reize erregten im vorderen Teile viel stärkere Reflexbewegungen, die 15” bis 30” dauerten, „und welche in einer ganzen Reihe von leichten Biegungen und Streckungen bestehen“. Der Autor irrt jedoch, wenn er bei Beschreibung eines Versuches folgendes schreibt: „Durchschneidet man das ganze Tier (Amphioxus) quer durch in zwei Hälften, so bemerkt man mitunter in dem vorderen Teile noch ‚willkürliche‘ Bewegungen; bald biegt sich, bald streckt sich dasselbe (ohne Lokomotion) ohne sichtbaren äußeren Reiz. Diese leichten, langsamen Bewegungen erinnern eher an willkürliche als an Reflex- bzw. Antwortsbewegungen. Die hintere Hälfte ceteris paribus dagegen bleibt die ganze Zeit vollkommen ‚unbeweglich‘“ Also glaubt Danilewsky, der vordere Teil des Tieres sei noch imstande, freiwillige Bewegungen auszuführen, während Steiner diese freiwilligen Bewegungen nicht beobachten konnte, sondern nur „Ortsbewegungen‘“, die spontan waren oder auf einen Reiz folgten. Danilewsky gelangt deshalb zu der Schluß- folgerung: „Aus diesen Beobachtungen halte ich mich für berechtigt, den Schluß zu ziehen, daß in dem vordersten Teile des Markes — im Gehirn der Autoren — die Zentren der willkürlichen Bewegungen gelegen sind.“ Steiner dagegen meint, wie wir auch oben gesehen haben, „daß der Amphioxus kein Gehirn besitzt, sondern aus gleichwertigen, lokomobilen Metameren zusammengesetzt ist‘. Und um dies zu bestätigen, behauptet Steiner, es sei beim Amphioxus unmöglich, eine homolaterale Läsion des Nervensystems zu machen, und dieses Tier vollführe, gereizt oder nicht, stets eine einzige Fluchtbewegung; es wäre also seiner Ansicht nach un- möglich festzustellen, welches eine freiwillige Bewegung sei. Dies entspricht aber durchaus nicht der Wahrheit, weil, wie ich durch meine Versuche beweisen werde, eine wahre und eigentliche lokomotorische Bewegung mit der vorderen Hälfte des Tieres erfolgt. In einer Reihe B von Untersuchungen schnitt er nur den „Kopf“ ca. 5"m weit ab und sah, daß alsdann die freiwilligen Bewegungen ganz verschwinden. Normal ist die motorische Reflexreaktion auf mechanische und elektrische Reize; sie entfernt sich jedoch nicht mehr als zwei- oder BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 153 dreimal die Gesamtlänge des Körpers des Tieres, während ein normales Tier sich viel weiter davon entfernt; kurz, er ist nicht so normal wie der vordere Teil der Tiere der Reihe A. Aber nach 6 oder 7 Tagen begannen die Körperbewegungen eines so operierten Tieres normal zu sein, und es antwortete viel mehr als ein normales Tier auf mechanische Reize. Bei einer anderen Gruppe C von Amphioxus durchschnitt er den dorsalen Teil bis zur Chorda zwischen dem vorderen und mittleren Drittel des Körpers. Auf Reize antworteten beide Teile der so operierten Tiere ziemlich gut. Jedoch konnte man sich am Tage der Operation wie an den folgenden Tagen davon überzeugen, daß der vordere Teil des durchschnittenen Tieres sich immer spontan bewegt, während der hintere Teil stets unbeweglich bleibt, wenn er nicht zufällig gereizt wird. Nach Ansicht des Autors war noch augenfälliger der Einfluß des „Gehirns“, der bei den Tieren der Gruppe D beobachtet wurde, bei welchen er das Rückenmark quer in der Mitte durchschnitt. Die vordere Hälfte führte stets ziemlich deutliche freiwillige Bewegungen aus; kaum zerstörte er jedoch mit glühendem Eisen das „Gehirn“, so blieben die beiden Hälften . des Tieres für immer unbeweglich. Danilewsky gelangt zu nachstehenden Schlußfolgerungen seiner Arbeit: „In dem vorderen Teil des Marks — im ‚Gehirn‘ der Autoren — sind die Zentren der willkürlichen Bewegungen gelesen; Zerstörung derselben oder Trennung von dem übrigen Zentral- nervensystem durch Abschneiden hat Bewegungslosigkeit des Tieres zur Folge, bis nicht irgend ein äußerer ‚genügender‘ Reiz auf dasselbe einwirkt. Dem Rückenmark ist eine reflektorische Erregbarkeit eigen, welche selbst durch schwache, aber häufige mechanische Reize erschöpft wird. Lange Zeit nach Trennung des Gehirns vom Rückenmark nehmen die reflektorischen Bewegungen den Charakter von Kontrakturen an.“ Wie wichtig diese Schlußfolgerungen Danilewskys auch sind, so finden sich doch viele Un- genauigkeiten und Widersprüche in seiner Arbeit. An einer Stelle der- selben, wo er von den Tieren der Gruppe B spricht, drückt er sich z. B. folgendermaßen aus: „Folglich erhöht die Entfernung des ‚Vordermarks‘ die reflektorische Erregbarkeit des Rückenmarks, wenn auch nach einer langen Zwischenzeit. Da es mir gelungen war, dieselbe Erscheinung auch bei solchen Amphioxus zu beobachten, bei welchen nicht der ganze vordere Körperabschnitt abgeschnitten, sondern bloß der Rückenteil (inkl. Mark) bis zur Chorda durchschnitten wurde, so sehe ich deswegen keinen Grund, dieselbe irgend welcher Nebenwirkung zuzuschreiben.“ Dies bedeutet nach Danilewsky, daß nach Entfernung des Gehirns der nach vorne gelegene Teil oder das Rückenmark eine erhöhte Reflexerregbarkeit besitzt. Aber auffallenderweise drückt er sich an einer anderen Stelle, wo er von den Tieren der Gruppe © spricht, folgendermaßen aus: „Beide Teile des Körpers 154 OswALD POLIMANTT: reagieren einzeln genommen und vollständig deutlich; Reflex- bzw. Antworts- bewegungen erhält man selbst bei leichter Berührung; im vorderen Teil dauern dieselben jedoch bedeutend länger an als im hinteren.“ Wie man klar sieht, behauptet er an dieser Stelle wieder, der vordere und der hintere Teil reagierten in gleicher Weise, der vom Gehirn aus nach hinten gelegene Teil sei auf die Länge der Zeit weniger erregbar, und die Erregbarkeit verschwinde hier eher als im vorderen Teile, kurz, das Gegenteil von dem zuerst Gesagten. Bickel kritisierte auch die Versuche Steiners und seine Arbeit; er schreibt auf S. 225: ,„Am Amphioxus und an Fischen experi- mentierte Steiner. Doch sind seine Versuche nicht beweisend, da er diese Tiere nicht am Leben erhielt und man so annehmen kann, daß durch die Öperationswunde die Nervenzentren künstlich erregt werden. In diesem Falle hätten wir dann einen nachweisbaren direkten Reiz. Steiner schnitt den Amphioxus in einzelne Teile und warf diese Stücke in ein Säurebad oder reizte sie mechanisch, wenn er sie im Wasser untersuchte. Weder in dem einen noch im anderen Falle haben wir es bei den Bewegungen, die diese Amphioxusstücke ausführten, mit Erscheinungen der Spontanität nach unserer Definition zu tun.“ Spontanität nach Bickel ist (S. 234): „Unter spontanen Bewegungen verstehen wir im Gegensatz zu den nicht spontanen Bewegungen solche, bei denen wir einen direkten äußeren Bewegungsantrieb oder Reiz nicht unmittelbar nachzuweisen vermögen.“ Und weiter .(S. 235): „Alle Tiere führen unter normalen Verhältnissen spontane Bewegungen aus.“ Von seinem Gesichtspunkte aus hat Bickel vollkommen recht, wie auch in der Kritik Steiner gegenüber, weil letzterer Säurebäder (2 prozent. Pikrin-Schwefelsäure) oder starke mechanische Reize verwendete und nicht die einfache direkte Beobachtung der Tiere in Anwendung brachte, ohne zu derartigen Reizen oder zu schwachen mechanischen Reizen seine Zuflucht zu nehmen. Auch ich habe wie andere Autoren beim Studium der Physiologie des Nervensystems des Amphioxus die Methode der Durchschneidung des Tieres in zwei oder mehr Teile angewandt und dann konstatiert, wie diese sich hinsichtlich der Lokomotion verhalten. Die operierten Tiere wurden ebenso wie die normalen in einem zur Hälfte mit Sand bedeckten Bassin gehalten, in welchem fortwährend Meerwasser zirkulierte. Um Beobachtungen an den zerschnittenen Tieren anzustellen, würde ich stets raten, sie namentlich an Stücken zu machen, die ?/, des Tieres oder wenigstens die Hälfte lang sind (wenn die Amphioxus lang genug sind). Denn wenn man kürzere Stücke beobachtet, so können diese aus mecha- nischen Gründen nicht recht dem Zweck des Studiums der Bewegung ent- sprechen, mag letztere nun spontan erfolgen oder nach verschieden- BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 155 artigen Reizen, die auf das ganze Tier oder auf Stücke von ihm ausgeübt wurden. Es ist empfehlenswert, die Beobachtung nicht nur an den normalen, sondern auch an den operierten Tieren nicht nur während des Tages son- dern auch während der Nacht vorzunehmen; denn, wie ich schon oben bemerkte, zur Nachtzeit und in den frühen Morgenstunden entfalten die Tiere ihre größte Tätigkeit und alle ihre Bewegungen können deshalb dann viel leichter und zuweilen auch ohne Reiz studiert werden. An einer großen Zahl von Amphioxus habe ich vier Reihen von Versuchen angestellt: Operation A. Schnitt in der Mitte des Tieres. n B. Schnitt des vierten Schwanzteiles. » C. Schnitt des vierten Kopfteiles. Fr D. Schnitt des Mundendes allein. Von diesen Versuchen, die wie die anderen, von denen ich früher gesprochen habe, in den Monaten September und Oktober 1907 ausgeführt wurden bei einer Temperatur des Wassers, in welchem sich die Amphioxus befanden, die zwischen 13° und 16° C schwankte, will ich nun in Kürze die von mir erhaltenen Resultate mitteilen. Die Bewegung des Amphioxus oder von Teilen desselben wurde studiert, indem ich, wie oben erwähnt, die Schwimmbewegungen beobachtete, die das Tier spontan längs des Bassins fortwährend ausführte; oder ich reizte ent- weder das ganze Tier oder seine abgeschnittenen Teile mit einem Glas- stäbchen von 10 bis 15 Zehntelmillimeter Durchmesser, eine Methode, die schon Allrutz beim Studium der schmerzhaften Stellen in der Haut des Menschen angewendet hat. | Bekannt ist, daß der Amphioxus gegen mechanische Reize sehr empfind- lich ist. Diese Form der Sensibilität ist schon vor langer Zeit von Merkel (1880 S. 7) beobachtet worden, der sagt, ein sehr kräftiger Amphioxus reagiere mit sehr starken Lokomotionsbewegungen auf die geringste Be- rührung mit einer Pinzette. Auch Parker (1908 S. 431) beschäftigte sich mit Studien über diese Form der Sensibilität; als Reiz verwendete er eine eingefaßte Schweins- borste.e. Berührte er das Tier an seinem vorderen Teile, so zog es sich sofort zurück; sehr selten floh es nach vorne. Am hinteren Teile ge- reizt, bewegte sich das Tier nach vorne, selten rückwärts; er bemerkte jedoch, daß dieser Teil nicht so empfindlich war wie der vordere. So war auch der mittlere Teil nicht so empfindlich wie die beiden Enden, und zu- weilen brachte die Annäherung der Borste längs des Körpers gar keine Wirkung hervor; war dies aber der Fall, so erfolgten stets Lokomotions- . bewegungen nach vorne, selten rückwärts. Parker hat auch die ver- 156 OswALD POLIMANTI: schiedenen empfindlichsten Teile des Körpers des Tieres festgestellt und gesehen, daß die empfindlichsten Stellen des vorderen Teiles die Zirren des Mundes und die Mundhöhle sind. Berührt man einen dieser Teile, auch nur sehr leicht, so erfolgt stets eine Lokomotion nach rückwärts. Die Konstatierung dieser vorzüglichen Empfindlichkeit der Zirren ist interessant, weil sie einen sehr wichtigen Dienst bei Erneuerung des Wassers leisten. Die negative Antwort auf den mechanischen Reiz (oder die Flucht vor dieser Quelle des Reizes), die zuerst Steiner (1888 S. 42) beobachtet hat, ist von der größten Bedeutung für die sensible Reaktion des Amphioxus und auch für die Frage, nach welcher Richtung dieses Tier schwimmt. Rice (1880 S. 8) sagt, der Amphioxus schwimme stets, indem er seinen vorderen Teil vorstrecke, nie den hinteren. Auch Steiner (1886 S. 497 bis 1888 S. 41) sagt, das Tier bewege sich fast immer mit seinem vorderen Ende. Parker (1908 S. 441) meint, nachdem er die Art des Schwimmens des Amphioxus eingehend beschrieben hat, er könne mit beiden Enden schwimmen; da er jedoch gesehen hat, daß er stets mit dem Schwanz in den Sand eindringt, so nimmt er mit aller Wahrscheinlichkeit an, daß er beim Schwimmen stets das Schwanzende vorhält. Eine weitere wichtige Erscheinung für das Studium der Bewegung des Amphioxus ist der Über- gang von großen energischen Schwimmbewegungen zum Untersinken und zur vollständigen Ruhe. Rice (1880 S. 9) nahm an, daß dies von Er- schöpfung des Tieres abhinge, nachdem es energische Schwimmbewegungen gemacht hätte. Daß dies keine Erschöpfung ist, beweist zur Genüge, was Parker (1908 S. 441) gesehen hat, daß er nämlich, wenn er auf den Boden des Bassins fällt und auch nur leicht gereizt wird, nach energischen Schwimmbewegungen in eine zweite Periode sehr starker Tätigkeit eintritt. Nach dieser neuen Anstrengung fällt das Tier völlig erschöpft an die Ober- fläche des Sandes und reagiert nur schwer, wenn es auch durch sehr starke mechanische Reize gereizt wird, von neuem, indem es in eine neue Tätig- keitsperiode eintritt. Die Zirren des Mundes dienen zur Respiration, und kaum geraten ein paar Sandkörnchen darauf, so werden sie mit großer Energie fortgestoßen; diese fortstoßende Bewegung wird sicher durch den Reiz verursacht, den die Sandteilchen auf die Zirren ausüben. Auch ich kann nur diese Beobachtung Parkers vollständig bestätigen; ließ ich näm- lich vermittels einer Pipette sehr langsam auf die Kopfenden der an der Sandoberfläche befindlichen Amphioxus mit sehr feinem Sand vermischtes Meerwasser fallen, so zog sich der getroffene Amphioxus, sobald diese Sand- körnchen sein Kopfende berührt hatten, entweder vollständig in den Sand zurück, oder er stieß mit Gewalt eine gewisse Wassermenge aus, so dab diese Sandkörnchen vollständig entfernt wurden. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 157 Auch nach Krause (1888 S. 146) liegt der empfindlichste Teil des Amphioxus in der oberen Fläche der Mundhöhle. Kurz, dies ist der Körper- teil, welcher, da er an der Oberfläche des Sandes bleibt, wenn der Am- phioxus darin vergraben ist, wegen seiner Lage imstande ist, alle Verände- rungen der Wasserströmung zu fühlen und durch Eintauchen in den Sand dem Feinde zu entfliehen. Ferner ist er imstande, alle Reize zu empfinden, welche Diatomeen, Infusorien usw. auf die Zirren des Mundes ausüben, die zur Ernährung des Tieres dienen und infolge des auf diese Zirren ausgeübten Reizes leicht vom Munde erfaßt und ins Verdauungsrohr geführt werden können. | Ebenso wie Parker habe ich konstatieren können, daß die mittlere Gegend des Rumpfes auf allen ihren Seiten (dorsale, laterale und ventrale) verhältnismäßig unempfindlich gegen mechanische Reize ist. Die kaudale Gegend ist gegen sie empfindlicher als die Gegend des Rumpfes, jedoch nicht so. sehr wie die äußerste vordere Grenze des Mundes. Der Porus des Kiemensackes ist sehr empfindlich gegen den geringsten mechanischen Reiz und eine Reizung dieser Gegend bewirkt nicht nur eine Lokomotion nach vorne, sondern konstant immer eine mehr oder minder starke Kontraktion des gereizten Teiles, je nach Beschaffenheit des Reizes. In anbetracht dieser Sensibilitätsempfindlichkeit des Amphioxus gegen mechanische Reize versteht man a priori, daß er leicht auf die sehr leichten mechanischen Reize reagieren kann, welche durch die rauschenden Wogen - verursacht werden. In einem abgeschnittene Stücke von Amphioxus ent- haltenden Glasgefäße hat Rice (1880 8. 8) gesehen, daß diese Stücke sich sofort zurückzogen, wenn er an das Glas stieß oder sie an den Cirren mit Stücken‘ von Baumwolle berührte, die mit Meerwasser durchtränkt waren. Parker (1908 S. 432) sah, daß eine andere Form von Antwort auf die Schallschwingungen eine Kontraktion der Membran des Atriums _ (eines der empfindlichsten Teile des Amphioxus gegen mechanische Reize, wie wir gesehen haben) ist. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß alle diese Reaktionen dieses oder jenes Körperteiles des Amphioxus auf den Schall wenn nicht ganz, so doch wenigstens zum größten Teil von mecha- nischen Reizungen spezieller Tastmechanismen abhängen, die längs des Körpers staffelförmig verteilt sind. Denn der Amphioxus hat, wie bekannt, kein spezielles Organ, das zum Hören dient (Stieda 1873 S. 52, diese Beobachtungen Stiedas sind einstimmig von allen Autoren bestätigt worden); sodann sind auch viele tönenden Schwingungen so klein, daß sie mehr Einfluß auf das Organ des Tastsinnes als auf das Gehörorgan haben. Dieser mechanische Reiz wäre es also, der einen solchen Einfluß auf den Amphioxus ausübt, und der ohne Zweifel die Basis aller tigmotropischen, geotropischen und auch rheotropischen Reaktionen ist (auch der rheotro- 158 OswAup POLIMANTI: pischen, weil, wie Lyon [1905 S. 149] konstatiert hat, der Rheotropismus bei gewissen Fischen mehr vom Gesicht als vom Tastsinn abhängt). Alle diese drei Reaktionen finden sich beim Amphioxus, wie ich im Vorhergehenden sehr ausführlich dargelegt habe. Ich hatte Gelegenheit zu beobachten, daß, wenn ich Amphioxus in einem Gefäß mit Sand und be- ständiger Wasserströmung hatte, die verschiedene Zeit hindurch sich so ruhig hielten, daß das Kopfende an der Sandoberfläche vorragte, und wenn ich die geringste tönende Schwingung am Glase verursachte, die Amphioxus sich sofort zurückzogen; so lebhaft ist ihre Empfindlichkeit gegen diese sonoren Reize, die sie treffen, und zwar sicher als Reize von nur mecha- nischer Natur und nicht von anderer Art. Übrigens würde die Vorstellung, daß der Amphioxus imstande wäre, Gehörsempfindungen im anthropo- morphischen Sinne des Wortes zu haben, durchaus jeder anatomischen Be- sründung entbehren, weil der Amphioxus keine Apparate besitzt, die geeignet wären, die Schallreize aufzunehmen und darauf zu reagieren. Jede Er- klärung in diesem Sinne muß daher als unbegründet zurückgewiesen werden. — Und diese große Empfindlichkeit der Amphioxus gegen mechanische Reize läßt sich mit derjenigen vergleichen, welche sie gegen Lichtreize be- sitzen, die in demselben Sinne einwirken wie die mechanischen, nicht nur auf das ganze Tier, sondern auch auf Teile desselben, so daß Lichtreiz und mechanischer Reiz als einer und derselben Klasse angehörend betrachtet werden können. Operation A. Sie bestand darin, daß der Amphioxus in der Mitte so durchschnitten würde, daß zwei gleiche Stücke entstanden (siehe Fig. 3). Nach der Durehschneidung kann der Amphioxus sogleich hin und her schnellen; ich habe gesehen, daß das Kopfstück im Wasser in horizontaler, vertikaler und mehr oder minder schräger Richtung hin und her schoß; kaum ist jedoch das Tier in der Mitte durchschnitten, so bleiben fast immer beide Stücke unbeweglich eine mehr oder weniger lange Zeit hin- durch (im Durchschnitt bis zu 20’) gehemmt. Dieser auf die Durchschneidung folgende Hemmungszustand der beiden Hälften des Tieres kann jedoch bisweilen viel länger andauern. Einmal habe ich zwei sehr lebenskräftige Amphioxus beobachtet, die in der Mitte durchschnitten absolut unbeweglich blieben, indem sie mit ihrem breitesten Teile ca. ®/, Stunden lang an der Oberfläche des Sandes lagen, obschon sie von Zeit zu Zeit (jede Minute bis alle 5 Minuten) mit einem spitzen Glas- stäbchen gereizt wurden. Als sie jedoch aus dem Wasser gehoben wurden, begannen sie sogleich sowohl mit dem Kopf- als mit dem Schwanzende die gewöhnlichen schlangenförmigen Bewegungen zu machen; aber auch in diesem Falle war srößere Erregbarkeit und Lebhaftigkeit im Mundstück wahrzunehmen. In diesem Falle hat bei diesen anormalen Tieren der Reiz BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 159 der Luft, in die sie gebracht worden waren, jenen starken Hemmungs- zustand aufgehoben, der sie zur Unbeweglichkeit zwang, und es war für beide Stücke ein sehr starker Reiz, so daß sie sogleich energische Schwimm- bewegungen ausführten. Bisweilen zeigt sich jedoch, daß unmittelbar nach dem Schnitt die beiden dadurch entstandenen Stücke, wie ich oben an- deutete, sehr lebhaft sind; zuweilen ist endlich nur die Kopfhälfte sehr lebhaft, während die Schwanzhälfte eine mehr oder weniger lange Zeit hin- durch unbeweglich bleibt. Auch wenn es nicht gereizt wird, ist eine ge- wisse Zeit nach Ausführung des Schnittes das Kopfstück imstande, mit dem Mundende in den Sand einzudringen; wenn es in den Sand gelangt ist, bleibt es immer mit dem Mund an der Oberfläche des Sandes.! Auch hier muß ich nur bestätigen, was ich gesagt habe, als ich von der Bewegung des Tieres im allgemeinen sprach, daß nämlich die Kopf- hälfte der kleineren Tiere viel besser und viel länger hin und her schnellt als die der starken Tiere. Die Bewegung des Schnellens wird stets im Kopfstück in der Richtung von 3 nach A ausgeführt, sehr selten von A nach 2. Im Falle daß nun die Mundhöhle des Tieres durch ein mechanisches Mittel (mit dem kleinen Glasstäbchen) gereizt wird, so macht sie fortwährend schlangenförmige Bewegungen (natürlich stets wenn man den Reiz eine ge- wisse Zeit nach der Ausführung des Schnittes auf das Tier einwirken läßt, denn sonst ist jeder Reiz absolut erfolglos eben wegen des oben besprochenen Hemmungszustandes, in dem das Tier sich befinden kann) — bis sie sich in den Sand vergräbt, entweder mit dem Kopfende oder seltener mit der Schnitt- fläche 2. Nicht nur die direkten mechanischen Reize, sondern auch die indirekten, z. B. Schütteln des Gefäßes, in welchem die Tiere sich befinden, bewirken, daß das Mundstück unter dem Einfluß dieser auf seinen Körper durch die Schwingungen des geschüttelten Wassers ausgeübten Reize fortwährend . schlangenförmge Bewegungen ausführt und imstande ist, sowohl mit dem Ende A als mit Ende 5, jedoch sehr selten mit letzterem, in den Sand einzudringen. Wird das Ende B vermittels einer Pinzette mehr oder minder stark gekniffen, so versucht das Tier stets mit dem Munde und auch durch starke schlangenförmige zerrende Bewegungen den Reiz zu ent- fernen oder zu fliehen, reagiert aber auch häufig gar nicht; wird dagegen das Kopfende A gekniffen, so schießt der Amphioxus sofort sehr schnell hin und her. Die Kopfhälfte ist bei jedem Amphioxus viel erregbarer als die ! Ich glaube, daß, wenn ein Amphioxus in zwei Teile geschnitten wird, die Mund- hälfte aus einem mechanischen Grunde nie mit ihrem kaudalen Ende in den Sand ein- dringen kann; denn da er an dieser Stelle glatt durchschnitten ist, so ist, da dies also eine ebene und nicht eine lanzenförmige Oberfläche ist, ein großes Hindernis für das Eindringen in den Sand vorhanden. 160 OswALD POLIMANTI: Schwanzhälfte; durch die geringsten Berührungen läßt sich eine sehr starke motorische Wirkung herbeiführen, wenn sie diesen Teil betreffen, während sie ganz oder fast ohne Antwort vorübergehen, wenn sie gegen den Schwanz- teil gerichtet sind. Wenn man nämlich eine kurze Zeit nach der Durch- schneidung des Tieres zur Reizung der beiden Hälften schreitet, so reagiert die Kopfhälfte gut auf die Reize und flieht, während die Schwanzhälfte nur wenig auf die Reize antwortet, auf jeden Fall nicht so energisch wie die andere. Dasselbe läßt sich von den spontanen Bewegungen sagen, die, wenn sie ausgeführt werden, energischer in der Kopfhälfte als in der Schwanzhälfte sind. Was die Lebensfähigkeit der beiden aus dem Schnitt sich ergebenden Stücke betrifft, des Mund-Kopfstückes und des Schwanzstückes, so ist letzteres im Maximum 3 bis 4 Tage nach Ausführung des Schnittes fast tot und zuweilen auch in völliger Degeneration, in Disgregation, in Auf- lösung begriffen; ersteres dagegen lebt viel länger (im Durchschnitt 5 bis 6 Tage, aber ich habe Stücke behandelt, die überlebten, indem sie sogar 10 bis 15 Tage sehr erregbar waren). Deutlicher zeigt sich dies jedoch, wenn das durchschnittene Tier verhältnismäßig klein war; alsdann stirbt der Schwanzteil beinahe sofort (2 bis 3 Tage) und stets früher als die Teile des Mundes, wenn die letzteren natürlich auch klein sind. Was sodann die Lebensdauer der beiden Hälften betrifft, der Kopf- und der Schwanzhälfte, so will ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß, wenn älle Metamere des Amphioxus in gleichem Maße gleich und unter- einander homogen wären und man sie durchschneidet (z. B. in unserem Falle in der Mitte), die dadurch entstehenden Stücke alle dieselbe Lebens- dauer haben müßten; dies ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall, weil das Kopfstück stets viel länger überlebt. Ferner ist das Mundende viel erregbarer das erste Mal, wenn es mechanisch gereizt wird, als in der Folge; wie es scheint, erschöpft sich bei Wiederholung der Reize seine Erregbarkeit allmählich immer mehr. Beim ersten Reiz, den man auf das Kopfende einwirken läßt, schnellt es sehr stark hin und her, dann allmählich viel schwächer, bis es ganz aufhört sich zu bewegen, wenn viele Reizungen einander gefolgt sind. Alsdann be- ginnt es spontan kreisbogenförmige Bewegungen auszuführen, indem es mit dem breitesten Teile auf dem Sande ruht; es kann sie auch eine lange Zeit (3° bis 4°) stets ununterbrochen fortsetzen, oder diese Bewegungen können auch in Intervallen, kurz intermittierend, auftreten. Nimmt man mit einer Pinzette einen normalen Amphioxus in der Mitte und hält ihn fest, so versuchen die beiden Enden, Kopf- und Schwanz- ende, den Reiz zu entfernen. Dasselbe Resultat erhält man ebenfalls, wenn - man die beiden aus einem in der Mitte des Tieres ausgeführten Querschnitt BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 161 entstandenen beiden Stücke in der Mitte kneift; die peripherischen Stümpfe versuchen den Reiz zu entfernen, was natürlich deutlicher in der Kopf- hälfte geschieht, welche energischere Bewegungen und mit größerer Ge- schwindigkeit ausführt als die Schwanzhälfte. Wird jedoch nach der Durchschneidung mit einem mechanischen Reize gereizt, so antwortet die Schwanzhälfte 3’C fast immer mit bogenförmigen Bewegungen, und der Mittelpunkt des Bogens befindet sich stets an der Stelle, wo gereizt wurde, wenn nicht der Reiz so weit von diesem Mittel- punkt entfernt einwirkt, daß die Schwanzhälfte sich an dieser Stelle nicht mehr biegen kann. Niemals habe ich gesehen, daß die Schwanzhälfte spontan schlangenförmige Bewegungen ausführt. Wird das Wasser des Gefäßes, auch auf sehr heftige Weise, fortbewegt, wo diese Hälfte sich befindet, so führt sie nicht die geringste Bewegung aus; nur sehr selten, einige Male, macht sie eine von den gewöhnlichen bogenförmigen Bewegungen, weiter nichts. Kneift man in B’ oder C, so versucht das Tier gar nicht den Reiz zu entfernen, ja es bleibt fast immer absolut unbeweglich; nur selten macht es einige kreisföürmige Bewegungen. Zuweilen (jedoch sehr selten) und unter sehr günstigen Verhältnissen der Umgebung, besonders der Temperatur, schnellt das Tier hin und her, wenn es bei C mit einer Pinzette gefaßt wird, aber nicht so schnell wie das Kopfende, weil die vom Tiere gemachten Serpentinen verhältnismäßig sehr klein sind. Spontan ist es absolut nicht imstande, diese Schlangen- windung auszuführen, wenn auch diejenige, welche es ausführt, sobald es gereizt wird, nicht die wahre, vom normalen Tiere oder von seiner Kopf- hälfte ausgeführte Schlangenbewegung ist, sondern nur eine so sehr ver- Iingerte, daß man sie für weiter nichts als einen Versuch einer derartigen Bewegung halten kann. Werden Versuche des Hinundherschnellens ge- macht, so werden sie stets in der Richtung von C nach 2’ ausgeführt, sehr selten von B’ nach C. Nie habe ich gesehen, daß die kaudale Hälfte des Amphioxus, auch nach einem mehr oder minder starken Reiz, sich in den Sand vergrub, mochte nun der Reiz stark oder schwach sein. Wird ein Reiz ausgeübt, so versucht das Tier immer, sich einzugraben; diese Versuche macht konstant das Ende 5’, niemals das kaudale Ende. Bei der ganzen Reihe meiner zahlreichen diesbezüglichen Versuche (etwa 50) habe ich nur zweimal gesehen, daß das Tier mit dem kaudalen Ende in den Sand einzudringen versuchte. Mithin läßt sich eine wahre Ausnahme von der allgemeinen Regel annehmen. Das Tier schnellt aber stets in der Richtung von C nach B’ und stets, was das Kopfende betrifft, nur während einer sehr kurzen Zeit. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel und kann als Tatsache betrachtet werden, daß alle Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtig. 11 162 OswAuD POLIMANTI: von der kaudalen Hälfte des Tieres ausgeführten spontanen Bewegungen sehr gering sind; wie es scheint, wird dieses Stück viel leichter erschöpft als die Kopfhälfte. Spontan ist das Stück, sowohl unmittelbar nach der Operation, als auch lange Zeit nachher, absolut unfähig, in den Sand einzudringen; es be- wegt sich nur, und natürlich nicht sehr schnell, indem es stets die charak- teristischen bogenförmigen Bewegungen macht. War aber das Tier, von dem das Stück stammt, sehr lang, so ist es auch imstande zu schnellen, während, wenn es kurz ist, diese schlangenförmigen Bewegungen aus einem mechanischen Grunde nicht eintreten können. Eine weitere Schlußfolgerung, die ich aus dieser Reihe meiner Ver- suche ziehen kann, ist die folgende: Stammen die beiden Hälften von einem ziemlich langen Amphioxus und werden sie mechanisch gereizt, so besteht die einzige Antwort, die sie auf den Reiz geben, in Versuchen des Tieres, diesen vom Körper zu entfernen, vorwiegend mit dem Kopfende oder Schwanzende, je nach der gereizten Hälfte. Außerdem — und dies bestätigt auch, was wir beim ganzen Amphioxus gesehen haben — sind es, wenn das Tier mechanischen Reizen ausgesetzt und auch wenn es in zwei Hälften geschnitten wird, stets die beiden Enden, das Kopf- und das Schwanzende, die im Vergleich zu den anderen Körperteilen hyper- erregbar sind. Fig. 4. Operation B. — Sie bestand darin, daß der Amphioxus im vierten kaudalen Teil fast im Niveau des Porus des Kiemensackes durch- schnitten wurde. Nach dem Schnitt zeigen die beiden daraus resultierenden Stücke dieselben Erscheinungen wie die der Operation A unterworfenen; d. h. sie können eine mehr oder minder lange Zeit hindurch unbeweglich bleiben oder auch sogleich spontane schlangen- bzw. bogenförmige Bewegungen ausführen. Wenn das Stück in der Mitte des Schwanzendes gekniffen wird, so be- wegt es sich nur unterhalb der gekniffenen Stelle (es macht Bewegungen, als wolle es sich von der Pinzette befreien, namentlich wenn es von einer BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 163 gewissen Länge ist). Wird es in A oder längs der Strecke AB gereizt, so macht es schlangenartige, dann auch bogenförmige Bewegungen und ver- sucht immer, mit A oder mit 3 in den Sand einzudringen; namentlich wenn man gerade am Kopfende kneift und es sich im Wasser in der Nähe des Sandes befindet, taucht es sogleich mit 3 unter. Man kann sogar, ohne Furcht sich zu irren, sagen, daß das Untertauchen vorwiegend mit dem Ende BD häufiger als mit A erfolgt. Natürlich, und gleichfalls aus mechanischen Gründen, ist der Kopfteil viel schneller in seinen Bewegungen als der Schwanzteil, weil er länger ist. Was die Lebensdauer dieser operierten Tiere betrifft, so ist zu be- merken, daß das Schwanzstück im Durchschnitt eine Lebensdauer hat wie das der Operation A unterworfene, während das Kopfstück viel länger lebt, als das entsprechende der Operation A. Bei einem habe ich gesehen, daß es nach der Operation 10 Tage lang lebensfähig blieb, dann am Ende B gegen A hin allmählich degenerierte; gegen das kaudale Ende hin zeigte es, ehe es der Zerstörung anheimfiel, jene roten Flecken, die ein sicheres Zeichen von Degenerationsvorgängen sind. Sie wurden, wie ich schon sagte, von Danilewsky bei einigen seiner Amphioxus beobachtet, und er wußte ihre Natur weder zu bestimmen noch zu erklären; sie sind aber bei seinen Tieren wie bei den meinen sicher durch entstehende Degenerationsvorgänge zu erklären. Das Stück antwortete auf alle mechanischen Reize, die ich darauf einwirken ließ, und zwar so lange, als auch nur ein kleines Stück des Kopf- endes normal blieb. Operation C. — Sie ‘bestand darin, daB der Amphioxus im vierten Kopfteil durchschnitten wurde: Fig. 5. Hierauf wurde der Querschnitt fast bis zum Beginn der Ovarien geführt. Kaum war der Schnitt geführt worden, als die beiden sich ergebenden Stücke vollständig unbeweglich blieben; erst nach einer Stunde machten die Schwanzstücke, als sie mechanisch gereizt wurden, einige (2 bis 3) kreisbogenförmige Bewegungen, blieben aber dann absolut unbeweglich und machten auch spontan nicht die geringste Bewegung, während nach Ablauf dieses Zeitabschnittes das Mundstück sich stets spontan bewegte. 11* 164 OswALD POLIMANTI: Zuweilen macht das Schwanzstück, wenn es gereizt wird, statt ein- fache bogenförmige Bewegungen auszuführen, wahre und eigentliche S-förmige Bewegungen, jedoch nicht mehr als 2 bis 3. Das Mundstück vollführt, wenn es gereizt wird, sehr lebhafte bogen- förmige Bewegungen (aus mechanischer Ursache ist es ihm unmöglich, schlangenartige auszuführen) aus und versucht, sich mit dem Kopfstück in den Sand einzugraben, was ihm aber nicht gelingt, weil, wie ich sicher glaube, der Kopf zu klein ist. Das Schwanzstück dagegen antwortet, wie gesagt, sehr spät auf Reize und versucht stets mit dem Kopfende 3’ in den Sand einzudringen, was ihm aber nie gelingt. Operatiin D. — Dem Amphioxus wird nur das Mundende ungefähr im Niveau des hinteren Teiles der Mundeirren abgeschnitten, welche so Fig. 6. zugleich mit dem vorderen Ende des Rückenmarks entfernt werden. Das Mundstück ist, auch wenn es gereizt wird, nicht imstande, die geringste Schwimmbewegung auszuführen; dies erklärt sich aber aus einer mechani- schen Ursache, da das Stück zu klein ist. Das Stück empfindet, aber in- folge seiner Kleinheit ist es nicht imstande, eine sehr starke motorische Reaktion auszuführen; dieses Mundstück AB entspricht nämlich kaum einem Achtel des Tieres. Dennoch zeigt sich konstant entweder eine kleine Zuckung oder eine wurmartige Bewegung; man muß sie jedoch mit großer Genauigkeit beobachten, um sie zu sehen, und, wie ich es in diesem Falle getan habe, sich entweder eines binokularen Vergrößerungsglases oder auch eines gewöhnlichen Mikroskops für Präparate dabei bedienen. Kaum ist der Schnitt geführt, so bleibt das aborale Stück lange Zeit (etwa 1 Stunde) unbeweglich; dann verhält es sich sowohl spontan als Reizen gegenüber wie das Schwanzstück der Operation C. Zuweilen genügt es, statt den Schnitt auszuführen, das Kopfende ver- mittels starken Zwiekens zu zerstören; als Folge zeigt sich stets die wenig- stens momentane Unbeweglichkeit des Tieres. Sehen wir nun zu, ob wir diese von mir bei Durchschneidung des Amphioxus erhaltenen Resuitate mit den Beobachtungen anderer Autoren [3 BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 165 und mit der Reaktion dieses Tieres in Einklang bringen können, um uns eine Vorstellung von der Funktionsfähigkeit seines Nervensystems zu machen. Aus meinen Versuchen ergibt sich die Schlußfolgerung, daß die Funktions- fähigkeit des Mundstückes des Amphioxus absolut verschieden von der des aboralen Stückes ist. Während nämlich das Mundstück nicht nur sehr regelmäßige Schwimmbewegungen ausführen, sondern auch in den Sand eindringen kann, macht das aborale Stück sehr beschränkte Schwimm- bewegungen und dringt sehr selten in den Sand ein; man kann sagen, daß es fast immer unbeweglich an der Oberfläche des Sandes bleibt. Auch die Reaktion auf mechanische Reize war konstant viel lebhafter im Mund- stück als im aboralen Stück. Was sodann die Lebensfähigkeit betrifft, so fiel die Mundhälfte stets viel eher der Zerstörung anheim als die Schwanzhälfte. Diese unsere Versuche lassen uns also die Ansicht Steiners verwerfen, nach der, wie wir oben im einzelnen gesehen haben (1886 S. 458 bis 1888 S. 43), nach Teilung des Tieres in 2, 3 oder 4 Teile jeder Teil gut auf mechanische Reize reagieren soll, um normal zu schwimmen. Man beachte jedoch, daß Steiner normale Reize anwendet, wie das Eintauchen der Teile des Amphioxus in ein Bassin, das eine Lösung von Pikrin-Schwefelsäure enthält. Aus diesen Versuchen schließt Steiner, daß das Zentralnerven- system des Amphioxus von metamerer Struktur ohne irgend welche Differenzierung ist; jedes Stück ist dem anderen gleich und jedes Metamer ist imstande, ganz normale Schwimmbewegungen zu liefern, wobei es ge- nügt, die Stücke in eine Lösung von Pikrin-Schwefelsäure einzutauchen. Danilewsky (1892) konnte jedoch konstatieren, als er nur mechanische Reize anwandte, daß die vordere Hälfte des Amphioxus sich in hohem Grade von der hinteren unterscheidet, die stets mit großer Schwierigkeit reagiert. | Auch Bickel verwirft, wenn er auch keine diesbezüglichen Unter- suchungen angestellt hat, auf Grund seiner theoretischen Ansichten die Ansicht Steiners. Übrigens haben die beiden Autoren nur bestätigt, was schon Ayers (1890 S. 223) behauptet hatte, nämlich, daß der vordere Teil des Nerven- rohres des Amphioxus ein primitives Gehirn und der hintere Teil das Rückenmark darstelle. Es steht auch im Widerspruch zu dem, was Johnston (1905 S. 124) behauptet, daß ein Schwanzstück des Amphioxus ebenso gut schwimmen kann wie das ganze Tier. Die physiologischen und biologischen Untersuchungen müssen auch auf anatomischen und embryologischen Tatsachen beruhen; aus diesem 166 OswALD POLIMANTI: ganzen Komplex von Kenntnissen lassen sich dann sichere und nicht ein- seitige Schlußfolgerungen ziehen. Um sich übrigens von der Irrtümlichkeit der Ansichten und Theorien Steiners zu überzeugen, genügt es, zu bedenken, wie das Tier auf die verschiedenen, auf verschiedene Teile seines Körpers einwirkende Reize reagiert. Diese Versuche führen übereinstimmend’ zu der Schlußfolgerung, daß nicht nur die beiden Teile, der vordere und der hintere, vollständig verschieden sind, sondern daß auch der vordere Teil unzweifelhaft mehr entwickelt ist, als die hintere Hälfte. Man braucht nur an die anatomische Zusammensetzung des Kopfendes zu denken, um sich davon zu überzeugen; in der Tat ist der Mundapparat mit äußerst empfindlichen Anhängen be- waffnet, die man als die wahren und eigentlichen Tastorgane betrachten kann. Und dasselbe läßt sich auch von dem Orifieium des Mundes sagen. Um die Überlegenheit der größeren Empfindlichkeit des Amphioxus an seinem Mundende dem Schwanzende gegenüber zu beweisen, genügt es auch, auf die Wirkung hinzuweisen, die das Licht auf dieses Tier ausübt. Was die Lichtreize betrifft, so hat nämlich Parker durch seine neueren Untersuchungen (1908 S. 442) als unzweifelhaft festgestellt, daß die vordere Hälfte viel besser auf diese Reize reagiert, als die hintere, auch wenn sie nicht sehr stark sind. Diese Resultate Parkers stimmen genau mit denen Hesses überein (1898h S. 462), eher als mit denen von Krause (1897 S. 514) und Nagel (1894a S. 811 bis 1896 S. 79), welche die Frage un- gelöst ließen. Übrigens ist diese ganze Empfindlichkeit des Amphioxus gegen Lichtreize nach Parker in Wirklichkeit eine Empfindlichkeit gegen mechanische Reize und, wie ich hinzufüge, gegen chemische Reize infolge der Einwirkung des Lichtes auf die Sehkuppen. Für richtig halte ich auch die Erklärung, die Parker dafür gibt, daß der hintere Teil weniger auf den Lichtreiz reagiert. Die geringere Reaktion dieses hinteren Teiles hängt nach Hesse nicht davon ab, daß er eine geringere Zahl von Sehkuppen hat, sondern von der Unterbrechung, - welche der optische Reflex erleidet, wenn das Tier durchschnitten wird. Die sensiblen Neurone des hinteren Teiles übertragen nämlich ihren Reiz auf die motorischen Neurone derselben Gegend vermittels des vorderen Teiles des Nervenrohrs. Nach Durchschneidung des Tieres ist die Bahn für den Reflex durch- schnitten, deshalb ist die Reaktion viel geringer als im hinteren Teil. Dagegen reagiert sie, auch wenn der vordere Teil durchschnitten ist, immer gut auf die Lichtreize, weil die motorischen und sensiblen Neurone so intakt geblieben sind, daß der Reflexbogen als normal betrachtet werden kann. Was die mechanischen Reize betrifft, so habe ich gesehen, daß der vordere Teil viel empfindlicher als der hintere ist; dies bestätigen vollständig BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U. DER BEWEGUNG. 167 die Versuche, die andere Autoren, wie wir oben gesehen haben, über diese Frage angestellt haben, und die alle miteinander fast vollkommen über- einstimmen. Dasselbe läßt sich von den chemischen Reizen sagen. Nagel (1894b S. 58 bis 192) und Parker (1830 S. 437 bis 439) konnten bei Anwen- dung verschiedener chemischer Reize klar feststellen, daß mit Bezug auf die Empfindlichkeit des Amphioxus diesen gegenüber die folgende Abstufung besteht: Kopfende, Schwanzende, Körper des Tieres. Auch die über den Galvanotropismus des Amphioxus sowohl beim ganzen Tiere als bei seinen beiden Hälften ausgeführten Versuche führen uns zu der Schlußfolgerung, daß das Kopfende unzweifelhaft mehr ent- wickelt ist und größere Bedeutung hat als das Schwanzende. Ausallen diesen Untersuchungen, die mit den verschiedensten Methoden unter Prüfung der verschiedenen Arten von Sensibilität an den verschiedenen Körperteilen des Tieres ausgeführt wurden, ergibt sich klar, daß die vordere Hälfte des Tieres, und im eigentlicheren Sinne die Endgrenze, viel empfind- licher ist als alle anderen Teile. Man versteht deshalb nicht, daß einige Autoren auf Grund ihrer Versuche zu der Behauptung gelangt sein wollen, beim Amphioxus sei jedes Metamer funktionell gleich dem anderen; dabei haben sie nicht bedacht, daß diese Ansichten der anatomischen Grundlage entbehren, denn gerade aus den anatomischen Untersuchungen wissen wir, wie sehr sich die verschiedenen Metamere voneinander unterscheiden, und daß das am meisten entwickelte das vordere Ende der Nervenachse ist, so daß einige Anatomen dazu gelangten, es mit seinem wahren und eigentlichen Namen „Gehirn“ zu bezeichnen. In der Tat finden wir in den vorderen Metameren Werkzeuge und sehr entwickelte anatomische Apparate (speziell die Mundzirren), die mit einer außerordentlichen Empfindlichkeit ausgestattet sind, Apparate, die uns auf die große anatomische Überlegenheit des vorderen Teiles des Amphioxus allen anderen Teilen gegenüber aufmerksam machen müssen. Man versteht deshalb nicht, warum die verschiedenen Autoren dieser, sagen wir höheren, ana- tomischen Individualität nicht eine gleiche, höhere physiologische Individuali- tät entsprechen lassen. Was würden alle sensorischen Apparate des „Kopfes“ in der Tat repräsentieren, wenn dieses Kopfende nicht wirklich allen anderen Teilen überlegen wäre, aus denen der Körper des Amphioxus besteht? Mithin beweisen uns embryologische, anatomische und physiologische Tatsachen, daß das vordere Ende des Amphioxus viel entwickelter ist als alle anderen Teile des Körpers, und wir müssen deshalb die Theorie verwerfen, welche ich die „nihilistische“ (Steiner-Loeb) nennen möchte, die ihn in jedem seiner Teile, in jedem seiner Metamere für gleich hält, vielleicht auf Grund physiologischer Untersuchungen, die aber. wenn nicht 168 OSWALD POLIMANTT: vollkommen irrig, so doch sicher nicht sehr korrekt und genau sind, wie ich zum Teil in meiner Arbeit angedeutet habe. Bei Veröffentlichung dieser ersten Arbeit, die ich an der zoologischen Station zu Neapel ausgeführt habe, sei es mir gestattet, meinen lebhaftesten Dank auszusprechen dem k. italienischen Unterriehtsministerium für die gütige Überlassung eines der Tische dieses Instituts, der Direktion der zoologischen Station, dem Direktor der physiologischen Sektion Dr. R. Burian und den andereı Mitgliedern dieser Sektion. BEITRÄGE ZUR PHYSIOLOGIE DES NERVENSYSTEMS U, DER BEWEGUNG. 169 Literaturverzeichnis. E. A. Andrews, An undescribed Acraniate: Asymmetron lucayanum. Studies Biol. Lab. Johns Hopkins Univ. 1893. Vol. V. No. 4. p. 213—247. pls. 13—14. H. Ayers, Contribution to the Morphology of the Vertebrate Head. Zoologischer Anzeiger. 1390. Jahrg. XIII. Nr. 344. S. 504-507. Derselbe, Concerning Vertebrate Cephalogenesis. Journ. Morph. 1890. ‚Vol. IV. No. 2. p. 221—245. Derselbe, Vertebrate Cephalogenesis. Il. H. Contribution to the Morphology of the Vertebrate Ear, with a Reconsideration of its Functions. Journ. Morph. 1892. Vol. VI. No. 1. p. 1—360. pls. 1—12. J. M. Balfour, A treatise on comparative Embriology. London ed. 2. 800. Vol. U. XII. p. 792. XXIV. p. 429 figs. 1885. T. Barbour, Notes on Bermudian Fishes. Bull. Mus. Comp. Zool. Harvard College. 1905. Vol. XLVI. No. 7. p. 109—134. 4 pls. P. Bert, Sur ’Amphioxus. Comptes rendus Soc. Biologie. Paris 1869. II. 19. p- 17—21. A. 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Uber den Mechanismus der Hemmungswirkung am Herzen. Ein Beitrag zur Physiologie des Herzens auf @rund pharmakologischer ' Tatsachen. Von O. Schmiedeberg. So eingehend die Bedingungen und die Erscheinungen untersucht und beschrieben sind, unter welchen bei der Reizung des Vagus die Hemmung der Herzbewegungen zustande kommt, so wenig ist es bisher gelungen, den inneren Mechanismus dieses eigenartigen Vorganges zu ermitteln. Es blieb unklar, in welcher Weise die Erregung der hemmenden Fasern des Vagus die Herzbewegungen verlangsamt und schließlich völlig zum Still- stand bringt. Auch die Bezeichnung der Verminderung der Zahl der Herzschläge als „negativ-chronotrope Wirkung“ und der Abschwächung der Kraft derselben bei der Zunahme der diastolischen Stellung als „negativ-inotrope Wirkung“ trägt trotz der den drei verschiedenen Sprachen entnommenen Wortbildung nichts zur Erklärung dieses Vorganges bei. In Versuchen, die C. Jacobj! über die Wirkung der Stoffe der Digitalingruppe ausführte, wandte er eine helleboreinhaltige Albanesesche Nährlösung anl, welche bei der Einspritzung in den Lymphsack eines Frosches in wenigen Minuten den charakteristischen systolischen Stillstand des Herzens hervorbrachte. Als er aber das am Williamsschen Apparat 1 Jacobj, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1900. Bd. XLIV. 8. 368. 174 0. SCHMIEDEBERG: arbeitende Herz in diese Lösung eintauchte, beobachtete er, daß bei dieser Anordnung die Wirkung verhältnismäßig langsam eintrat und nicht zu einer Verstärkung der Systole und zu dem schließlichen systolischen Still- stand des Herzens führte, sondern daß dieses regelmäßig nach anfänglicher Verstärkung der diastolischen Ausdehnung schließlich wie bei Vagusreizung oder Muskarinvergiftung in ausgesprochener Diastole zum Stillstand kam, um dann ganz allmählich, nach etwa einer Stunde, in die typische Systole überzugehen, die dagegen sofort eintrat, wenn die helleboreinhaltige Flüssigkeit durch die Herzhöhlen geleitet wurde, so daß das Gift von dem Endocardium aus zunächst mit den inneren Schichten des Herzmuskels in Berührung kam. Diese Beobachtung von Jacobj bildete den Ausgangspunkt für ein- gehendere Untersuchungen, die über das Wesen der Hemmungswirkung zu einer Auffassung führten, welche ich bereits vor einigen Jahren kurz veröffentlicht habe.! Die vorliegenden Mitteilungen haben den Zweck, die bisher ermittelten Tatsachen über diese anscheinend paradoxe Wirkung und die darauf begründete Auffassung über das Wesen der Hemmungswirkung in zusammenfassender Weise auch weiteren Kreisen zur Kenntnis zu bringen, wozu die bisherigen Veröffentlichungen wenig geeignet sind. Die sich zunächst an die Beobachtung von Jacobj anschließenden Untersuchungen wurden von Wybauw? mit Hilfe des von Jacobj? kon- struierten Froschherzapparats ausgeführt. Die Erscheinungen gestalten sich, wie bei der Hemmungswirkung, durch Vagusreizung. Die Pulse werden langsamer, die diastolische Erweiterung vergrößert, die Systolen bleiben noch kräftig, wobei das Schlagvolum sein Maximum erreicht, die Arbeitsleistung in der Zeiteinheit aber infolge der verminderten Puls- zahl meist sinkt. Schließlich steht der Ventrikel in ausgesprochener Diastole still, während die Vorhöfe noch einige Zeit fortpulsieren. Am atropinisierten Herzen nahm bei der Einwirkung des Helleboreins auf die Herzoberfläche das Pulsvolum zwar ebenfalls zu und die Pulsfrequenz ver- minderte sich, aber einen diastolischen Stillstand des Ventrikels sah Wibauw nicht eintreten. Er schließt aus diesen Versuchsergebnissen, daß das Gift von der Herzhöhle aus in kürzester Zeit mit dem Ernährungs- strom durch die Gewebsspalten in den Muskel gelangt, den es in den systolischen Stillstand veıseizt, dann erst trete die Erregung des Vagus- ! Schmiedeberg, Grundriß der Pharmakologie 5. Aufl. 1906. S. 271 und 6. Aufl. S. 293—294. Leipzig 1909. ’ Wybauw, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1900. Bd. XLIV. S. 434. A. 12.0, ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM Herzen. 175 apparats hinzu, die aber während des systolischem Stillstandes das Herz nicht mehr in die diastolische Stellung bringen könne. Vom Perikard aus dagegen dringe das Gift durch Osmose und Diffusion in die Wände des Ventrikels ein, da hier kein Ernährungsstrom besteht. Daher werden die nervösen Heınmungsvorrichtungen betroffen, während der Muskel nur teilweise vom Gift erfaßt sei. Der diastolische Herzstillstand bei der Applikation des Helleboreins auf die äußere Fläche des Herzens hänge somit von einer Erregung der intrakardialen nervösen Hemmungs- zentren ab. Diese von Jacobj und Wybauw beobachteten wichtigen Tatsachen forderten zu weiteren eingehenden Untersuchungen auf, die von Benedi- centi! ausgeführt wurden. Er wandte bei seinen Versuchen Digitalin, Strophantin, Seillain und Convallamarin an und fand, daß alle diese, der Digitalingruppe angehörenden Stoffe bei der Applikation auf die äußere Fläche des Herzens den gleichen diastolischen Stillstand hervor- - bringen, wie ihn Jacobj und Wybauw nach Anwendung von Helleborein erhalten hatten. Dagegen ergab eine nähere Untersuchung, daß das Atro- pin auf das Zustandekommen dieses diastolischen Herzstill- standes ohne Einfluß ist. Der nach der Vergiftung zunächst ein- tretende diastolische Stillstand ist kein definitiver, sondern wird durch Gruppen von Kontraktionen unterbrochen, dann folgen seltene, vereinzelte Pulse, bis der Stillstand ein definitiver wird. Genau so gestaltet sich der Verlauf der Vergiftung, wenn man gleichzeitig Atropin appliziert. Falls das Atropin nach dem Eintreten des ersten Stillstandes beigebracht wird, so könnte man die darauf in Gruppen und einzeln auftretenden Pulsationen von einer Beseitigung der Hemmungswirkung durch das Atropin abhängig machen, wie es offenbar Wybauw getan hat. Baldoni? untersuchte das Verhalten der Stoffe der Digitalin- gruppe bei ihrer Applikation auf die Oberfläche des Herzens an Ka- ninchen und Hunden, indem er Lösungen dieser Stoffe in die Perikar- dialhöhle injizierte.e Er prüfte zunächst an Kaninchen den Einfluß der Reizung der Herzoberfläche auf den Blutdruck und fand, daß nach der vollständigen Lähmung der nervösen Hemmungsvorrichtungen durch Atro- pin elektrische Reizung der Herzoberfläche ein jähes, aber vorübergehendes Absinken des Blutdrucks hervorbringt, während Senföl und Campher bei der Einspritzung in die Pericardialhöhle keinen Einfluß auf die Herztätig- keit ausübten. Ebenso blieb bei dieser Applikationsweise eine Lösung, 1 Benedicenti, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1902. Bd. XLVI. S. 360. 2 Baldoni, ebenda. 1905. Bd. LII. S. 205. 176 OÖ. SCHMIEDEBERG: welche 2—4 s’=-Moleküle Chlornatrium im Liter enthielt, ohne wesentliche Wirkung auf das Herz; erst eine gesättigte Kochsalzlösung bewirke starkes Sinken des Blutdrucks. Im Gegensatz dazu wurde der letztere durch das Chlorkallum schon bei einer Konzentration . von 0.12 erm-Moleküle im Liter stark erniedrigt, und 1 == einer Lösung, die 2 s’=-Moleküle dieses Salzes im Liter enthielt, führte sofortigen Herzstillstand und Tod des Tieres herbei. Aus diesen Versuchen von Baldoni folgt, daß chemische Stoffe nur durch eine spezifische Reizung der Herzoberfläche eine Verstärkung der Diastole und ein Sinken des Blutdrucks hervorbringen, während andere Reize nur bei großer Stärke eine ähnliche Wirkung haben. Die Ver- suche von Baldoni mit Digitalin und Bufotalin an Kaninchen und Hunden ergaben das gleiche Resultat, wie die an Fröschen. Nur trat an diesen Tieren die Wirkung sehr rasch ein, indem der Druck sofort nach der Injektion selbst kleiner Mengen in den Perikardialraum zu sinken begann. Nach größeren Gaben ging dem Absinken eine mäßige Steigerung des Blutdrucks voraus, die auch nach kleineren Mengen in einzelnen Fällen vorkam, und an Fröschen ebenfalls beobachtet wurde. Die Gestaltung und der Ablauf dieser Wirkung der Stofe des Digitalingruppe veranschaulichen die nachstehenden Kurven- abschnitte. Das am Williamsschen Froschherzapparat arbeitende, von einer aus 2 Teilen Kochsalzlösung von 0,7 Proz. und 1 Teil Rindsblut bestehenden Nähr- flüssigkeit durchströmte Herz war auch in diese Flüssigkeit eingetaucht, die dann durch die gleiche, aber 0,1 proz., also auf 1° 1%s Helleborein ent- haltende Nährflüssigkeit ersetzt wurde. Wie die Kurvenabschnitte Id und Ic zeigen, bleiben die Herz- kontraktionen bis auf eine mäßige Vergrößerung der Pulserhebungen nahe- zu eine halbe Stunde lang unverändert. Dann erfahren sie fast: plötzlich eine durchgreifende Veränderung. Die Pulse sind stark verlangsamt und vergrößert und unregelmäßig gruppiert, wie es der Kurvenabschnitt II zeigt. Zuweilen tritt eine neue Kontraktion ein, bevor die vorhergehende abgelaufen ist. Solche Doppelpulse veranschaulicht der Kurvenabschnitt Ill. Bald nach dem Eintritt dieser Veränderung kommt in Kurvenab- schnitt IV, 2, d, das Herz in ausgesprochener Diastole dauernd zum Stillstand. Reizt man jetzt die Herzspitze, ohne sie im mindesten zu verletzen, durch eine stärkere Berührung mittels einer nicht zu spitzen Nadel, so macht das Herz wieder Pulsationen. Zuerst veranlaßt in Kurvenabschnitt IV bei a eine einmalige Reizung der Herzspitze 6 Pulsationen hintereinander, dann bewirkt jede Berührung mit der Nadel in Kurvenabschnitt V, al, nur eine einzelne Kontraktion, die auch nicht ausbleibt, wenn die Reizungen rasch aufeinander folgen wie in Kurvenabschnitt V, a°. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 177 Poulsson! hat neuerdings durch Versuche an isolierten Froschherzen gezeigt, daß das Chlorbaryum, welches bei der gewöhnlichen Anwendungs- weise das Herz in Systole zum Stillstand bringt, bei der Applikation auf die Herzoberfläche genau den gleichen diastolischen Ventrikelstillstand Namen. wie die Stoffe der Digitalingruppe. TEE STÄTTEN 7 be: MM rn Er TER FRERTERSTEN SER IRRE 21 N } R * i z € | Inohannagnnan FUrU% in wrins hadcnmmelwinnaandn warnen U — TBUENUETVEHUUUVHUNTTEKUUUVUULTLIYU IE EN URTEIL SUITE UNEUIEU UA urn Un EUER VERTVWIIINIIUWUITIIVINIERT II U PUTUNDATENV anru BELUNERUUCHUVWEUTUNT r 5 k "m g F B2 Re N r x Ä ; = . 2 . Bere ag BER ER ß Lk. \ Er 2 Sy RE 2 a en v5 m Hr rg) ee Be & un BEIINNMAMAH- Yu u VOREIIETUERNPININUUIDITT TINTEN Fig. 1. Kurvenabschnitt Ia. Vor dem Eintauchen in die helleboreinhaltige Flüssigkeit. 5 Ib. 12 Minuten | Ich 220% » II 5 2a nach dem Eintauchen in die helleboreinhaltige n N Flüssigkeit. ! Vi 529.0 4 V.24307 588 1 Poulsson, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1910. Bd. LXII. S. 365. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtig. 12 178 | O0. SCHMIEDEBERG: Es fragt sich nun, wie dieser diastolische Herzstillstand zustande kommt. Daß der Herzmuskel nach dem Eintritt des letzteren nicht unerregbar geworden ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß jede stärkere Berührung des Ventrikels, namentlich seiner Spitze, Pulsationen hervorruft, wie es die oben mitgeteilte Kurve veranschaulicht. Schon früher habe ich gezeigt,! daß das Herz auch nach dem Zustandekommen des systolischen Stillstandes wieder kräftig zum Schlagen gebracht werden kann, wenn man es durch den Druck einer Flüssigkeitssäule ausdehnt, es gleichsam gewaltsam in die diastolische Stellung überführt. Nach dem Aufhören des Druckes kehrt der Ventrikel sofort wieder in den systolischen Stillstand zurück. Da demnach nach dem Eintritt des systolischen Stillstandes der Herzmuskel weder seine Kontraktilität verloren hat, noch die Impulse geschwunden sind, die seine Kontraktionen veranlaßen, so folgt daraus, daß dieser Stillstand nur durch eine Elastizitätsänderung der bei der Systole beteiligten Herzmuskulatur zustande kommt. Da der Herzmuskel auch während des diastolischen Stillstandes zunächst völlig erregbar ist, so kann es sich nur um eine Hemmung der Herzbewegungen handeln. Aber eine Erregung der nervösen Hemmungsvorrichtungen ist dabei nicht im Spiele, weil der diastolische Stillstand durch die Stoffe der Digitalingruppe, wie oben (8. 175) erwähnt ist, auch am atropinisierten Herzen nicht ausbleibt, an welchem Vagus- und Sinusreizung sowie Muskarin ihre Wirkung auf alle nervösen hemmenden Vorrichtungen völlig verloren haben. Da von den Stoffen der Digitalin- gruppe weder am Herzen noch an einem anderen Organ eine Wirkung auf nervöse Gebilde nachweisbar ist, so folgt aus allen diesen Tatsachen, daß der diastolische Stillstand wie der systolische von einer -Muskelwirkung abhängt, und es fragt sich nun weiter, worin diese besteht. Das durch Vagus- oder Sinusreizung sowie durch Muskarin einerseits und durch die Digitalinwirkung andererseits in Diastole zum Stillstand gebrachte Herz verhält sich völlig gleich, namentlich darin, daß künstliche Reize aller Art Pulsationen hervorrufen. Es liest daher die Annahme nahe, daß es sich in allen diesen Fällen um den gleichen Zustand des Herzens handelt, nur mit dem Unterschied, daß die Stoffe der Digitalingruppe direkt auf die an der Hemmung beteiligte Muskulatur einwirken, während bei der Sinus- oder Vagusreizung und durch das Muskarin die nervösen Hemmungs- vorrichtungen eine Erregung erfahren, die sich dann auf die betreffende Muskulatur überträgt und sie in derselben Weise wie jene Stoffe durch ! Beiträge zur Anatomie u. Physiologie. Festschrift für C. Ludwig. Leipzig 1874. “ ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 179 Veränderung des Elastizitätszustandes zur diastolischen Erschlaffung bringt. Falls diese Voraussetzung zutreffend ist, so müssen sich Vagus- reizung und hemmende Digitalinwirkung summieren oder addie- ren, wenn sie inihren schwächeren Graden gleichzeitig auf das Herz einwirken. Daß das in der Tat der Fall ist, haben die Versuche von Huldschinsky! auf das unzweideutigste erwiesen. Er reizte die Vagi an kurarisierten Fröschen mittels Elektroden, die in das verlängerte Mark eingestochen waren, und ermittelte am Induktionsapparat durch den Rollenabstand den schwächsten Strom, bei welchem eben noch der diastolische Stillstand eintrat. Darauf injizierte er in die Perikardialhöhle Helleborein in solchen Mengen, die eine deutliche diastolische Hemmung der Herzbewegungen, aber keinen Stillstand derselben hervorbrachten. Wenn er jetzt die Vagi reizte, so trat der diastolische Herzstillstand schon bei einem größeren Rollenabstand, also bei schwächeren Strömen ein, als vor der Anwendung des Helleboreins. Das Muskarin verhält sich wie Vagusreizung. Wenn von diesem und dem Helleborein in Versuchen am Williamsschen Froschherzapparat solche Mengen gleichzeitig einwirken, daß jedes dieser Gifte für sich nicht imstande ist, das Herz zum Stillstande zu bringen, so summiert sich ihre Wirkung und es erfolet der diastolische Stillstand oder wenigstens eine Verstärkung der Hemmung. In klarer Weise veranschaulicht die nachstehende Kurve diese additive Wirkung des Helleboreins und der Vagusreizung. Sie ist nach dem Verfahren aufgezeichnet, das Hr. Dr. Honda auf meine Ver- anlassung und unter meiner Leitung für seine Untersuchungen über das Wesen der Muskarinwirkung angewandt hat, und das demnächst in Bd. 63 des Archivs f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie veröffentlicht werden wir. Am Frosch wird zuerst das Rückenmark durch Einführen eines geeigneten Metallstäbchens in den Vertebralkanal zerstört und das Stäbchen aus dem letzteren nicht entfernt, so daß diese Operation keinen Blutverlust zur Folge hat und der Kreislauf gut erhalten bleibt. Dann wird unter Schonung des Pericardiums das Herz bloßgelest und ebenfalls unter sorgfältiger Vermeidung von Blutverlust eine Kanüle in den einen Aortenbogen eingeführt und mittels derselben das Herz mit einem von Dr. H.von Recklinghausen eigens für Tierversuche konstruierten, bisher noch nicht veröffentlichten, empfindlichen und zuverlässig registrierenden Tonograph verbunden, der die Herzbewesungen auf dem berußten Papier des Kymographions verzeichnete. Der Vagus der einen Seite wurde frei- ! Huldschinsky, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1908. Bd. LVIII. S..413. 125 180 O0. SCHMIEDEBERG: präpariert und auf die fixierten Elektroden so gelagert, daß er sich nieht verschieben konnte. Die Reizung wurde nur mit den durch Öffnung des primären Stromes hervorgebrachten Induktionsschlägen des Schlittenapparates ausgeführt, weil, wie v. Bezold! gefunden hat, durch eine gewisse Anzahl einfacher oder doppelter Stromesschwankungen, die in rhythmischem Tempo aufeinander folgen und bei weitem die Zahl nicht erreichen, die nötig ist, Tetanus zu erzeugen, die Vagi erregt und die Herzbewegungen bedeutend verlangsamt oder ganz unterdrückt werden. Die Reizung geschah in der Weise, daß der Abstand der sekundären Rolle, also die Stärke eines jeden Öffnungsschlages, unverändert blieb und die Stärke der Reizung nur nach der Anzahl der Öffnungsschläge bemessen wurde, welche erforderlich war, um gerade den diastolischen Herzstillstand herbeizuführen. Die Zahl der durch ein Metronom geregelten Öffnungs- schläge betrug 3 in der Sekunde, so daß sich aus der Zeit der Reizung die Zahl der Schläge ergab. Die nachstehenden Kurvenabschnitte veranschaulichen die Resultate eines solehen Versuches. In diesem Versuche ist 45 Minuten nach der Injektion des Helleboreins in den Perikardialraum der Einfluß der Vagusreizung auf das Herz in so hohem Grade gesteigert, daß der diastolische Herzstillstand statt nach 72 schon nach 21 Öffnungsschlägen eintritt und statt 6 nicht weniger als 62 Sekunden nach dem Aufhören der Reizung anhält. Die Addition der Vagusreizung und der Helleboreinwirkung kommt demnach in doppelter Weise zur Geltung, einmal durch die weit geringere Anzahl der Induktionsschläge, welche erforderlich ist, um den diastolischen Herzstillstand herbeizuführen und dann durch die viel längere Dauer dieses Stillstandes. Es addiert sich in diesem Falle die auch am unvergifteten Herzen auf die Vagusreizung folgende Nachwirkung zu der kontinuierlich andauernden hemmenden Helleboreinwirkung. Es ist im vorstehenden von der Wirkung der Stoffe der Digitalingruppe auf den diastolischen Zustand des Herzens bei ihrer Applikation auf die Oberfläche des letzteren die Rede gewesen. Es ist aber eine schon lange bekannte Tatsache, daß diese Stoffe bei jeder Art ihrer Anwendung sowohl bei ihrer Einspritzung unter die Haut der Frösche an dem bloß- gelegten Herzen, als auch bei der Arbeit der letzteren am Williamsschen Herzapparat eine Vergrößerung der diastolischen Ausdehnung veranlassen. Von dieser Wirkung hängt die zuerst von Williams? nachgewiesene Vergrößerung des Pulsvolums ab, welche auch an Säugetieren ! y. Bezold, Virchows Archiv. 1858. Bd. XIV. S. 282. ? Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1880. Bd. XUI. S.1. 181 ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. ‘Sunzioy A9p uSIOUMYy Wwep Towu uapunyas 39 SOpuegsjjigsziag Soap Jone(] ‚uooryossdunuye) 13 Yoeu sopwegsjj14sziarg sop yyrayurz °q sıq © uoA Sunzwasnser op aoneq ‚sar31ogopjarf SOp uoryyofug 10p yoeu uagnumm GF TIL luyosgeusany "Sunziay Ip uEIUNYy mep Yowu uapunyog ZT SOpurgspj4szief] SOp 1oneT ‚uoselyosssunuyg gg Y9eu SOpurgsjlIsziag SOp YyLıyuım ‘suL210g7[H SEp uorgyoluf Aop yoru opungg oajey our “g sıq © UOA JunzIaIsndeA Op Jane "uosungam.iasing op SunaggglsıoA pun SunumsäueplsAsgng "WNIPAENLIOT Sep UT utexogejjopg UoA woryolup 1ap Yown IT ugosgeusauny .Q sunzioy ep u9AOuny mop yoeu uapunyag 9 SOpmegsj[tjsziaf] sop Aanelı "uoorjyossdunuyg 3) Yowu sSapuegsiIsztar SOp Jar ‘4 sıq © uoA Sunzuay ıo9p Tone] "sur31ogajjo Sp uoryyalug ap zoA SunzramsndeA I Jlugosgeuaaany 2 "SIT ? AnnannananannAasnnananennnamanmnenennammanmmanmmanmnmanmmmannnArnariemnmnannnAanananmannarnnahmArnnannnannAnAnnannannanmrnnnmnnmrnrm ManannnannnrnnnnennahnannnnnansenananmrarnananAnnhrannnernn RE VI NSDIE ENV MRENEEISEIINFRAUN N RN AR : EEE BER 182 O0. SCHMIEDEBERG: zustande kommt und auf welcher die therapeutische Bedeutung der Digitalis und der übrigen Mittel dieser Gruppe beruht. An den bloßgelegten Herzen von Fröschen kommt es bei der Ein- spritzung des Giftes unter die Haut nicht ganz selten zum vollständigen, aber kurzdauernden Stillstand, „ganz ebenso wie er nach Vagusreizung oder bei Muskarinvergiftung einzutreten pflegt“ (Boehm!). Es erscheint daher von vornherein die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß das Gift in den schwächeren Graden seiner Wirkung auch die inneren Schichten der Herz- muskulatur zur Erschlaffung bringt, so daß es sich bei der diastolischen Erschlaffung und der systolischen Verkürzung, die beide von Hlastizitäts- änderungen der Muskelfasern abhängen, nur um graduelle Unterschiede der Wirkung handeln würde. Diese Frage hat Werschinin? durch Versuche am Williamsschen Apparat zu entscheiden gesucht. Er fand, daß beim Durchströmen des Froschherzens mit Ringerscher Lösung oder mit 0,6 bis 0,7 prozentiger Kochsalzlösung bei einem Gehalt von 0,05 bis 0,4”® g-Strophantin Thoms oder Digitoxin auf 50 «m Flüssigkeit nicht sytolischer, sondern diastolischer Stillstand des Ventrikels eintrat. Wenn er dagegen .statt jener Salzlösungen eine Mischung von 2 Teilen der letzteren und 1 Teil Kaninchenblut oder Kanirchenblutserum anwandte, so verursachte eine solche Lösung meist schon bei einem Gehalt von 0,05" und noch weniger g-Strophantin auf 50 em nicht diastolischen, sondern systolischen Ventrikelstillstand, der bei reinen Salzlösungen erst von 0,5”"s des Giftes angefangen eintrat. Da bereits 0,05"= 9-Strophantin in 50 °® bluthaltiger Nährflüssigkeit stets ausreichend sind, um mit derselben Lösung mehrere Herzen hinter- einander in Systole zum Stillstand zu bringen? und da in den Versuchen von Werschinin der diastolische Stillstand nur in den blutserumfreien Salzlösungen zustande kam, so sind die letzteren als die Ursache dieser Abweichung von der regelmäßigen Wirkung anzusehen. Man muß an- nehmen, daß sie die Herzmuskulatur verändern und für den Stillstand in der diastolischen Stellung disponiert haben. Diese Versuche sprechen demnach nicht für die Annahme, daß die Herzmuskeln durch eine schwache Wirkung dieser Stoffe in diastolische Erschlaffung, durch stärkere Grade derselben dagegen in die systolische Verkürzung versetzt werden. Vielmehr ist auf Grund der im vorstehenden mitgeteilten Tatsachen die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß im Herzen ! Boehm, Pflügers Archiv. 1872. Bd. V. 8. 161. ®? Werschinin, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1909. BASlX. 5.7328! ® Vgl. Archiv für exper. Pathologie und Pharmakologie. 1910. Bd. LXIl. 8. 305. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 183 zweierlei Arten von Muskelfasern existieren, zwischen denen hinsicht- lich der Kontraktilität kein Unterschied besteht. Beide kontrahieren sich in gleicher Weise bei Reizung und erschlaffen nach dem Aufhören der letzteren. Ihre Elastizitätszustände dagegen haben den entgegengesetzten Einfluß auf die Herztätigkeit. Die eine Art, die man wegen ihres Einflusses auf die Systole als systolische Fasern bezeichnen kann, erlangt durch spezifische Ein- wirkungen, besonders durch die Stoffe der Digitalingruppe, die Eigenschaft, sich in den höheren Graden jener Einwirkungen bei der Pulsation möglichst stark zu verkürzen und in diesem Zustand zu verharren. Sie gehen infolge- dessen nicht in die diastolische Erschlaffung über, und auch die andere Art, die man als diastolische Fasern bezeichnen kann, ist verhindert, zu erschlaffen, so daß es zum systolischen Herzstillstand bei erhaltener Kon- traktilität kommt. Die diastolischen Fasern erfahren durch die gleichen spezifischen -Ein- wirkungen und indirekt durch die Erregung der nervösen hemmenden Ein- richtungen eine Verstärkung der diastolischen Erschlaffung, die so hoch- gradig werden kann, daß sie durch die normalen pulsatorischen Anreize nicht mehr überwunden werden kann. Dabei sind auch die systolischen Fasern verhindert, sich zu kontrahieren, so daß es zum diastolischen Still- stand kommt. Doch können durch künstliche Reize Pulsationen hervor- gerufen werden, ebenso durch Verstärkung der elastischen Kontraktions- fähigkeit der systolischen Fasern. Wenn man das Froschherz durch eine gerade ausreichende Menge Muskarin zum vollständigen diastolischen Stillstand bringt und dann dem Tier z. B. Helleborein oder Digitalin unter die Haut einspritzt, so treten trotz der fortbestehenden, von der Muskarinwirkung abhängigen elastischen Erschlaffung der Hemmungsvorrichtungen Pulsationen auf, die aber keinen normalen Charakter haben. Das Herz arbeitet gleichsam mühsam, um die Erschlaffung der diastolischen Fasern zu überwinden. Beseitigt man die Erregung der hemmenden nervösen Vorrichtungen durch Atropin, so schlägt das Herz wieder lebhaft in normaler Weise, bis es schließlich durch das Helleborein in den systolischen Stillstand versetzt wird. Man kann an- nehmen, daß auch die Elastizitätszustände der systolischeu Fasern unter dem Einfluß von Nerven stehen, und zwar der Accele- ratoren, deren Reizung eine Verminderung der diastolischen Ausdehnung des Herzens und eine Verkleinerung des Pulsvolums hervorbringt. Das Vorkommen dieser zweierlei Arten von Muskelfasern findet sein Analogon in den kleineren arteriellen Gefäßen und bietetin diesem Sinne nichts Neues. Auch in diesen sind zweierlei Muskelfasern enthalten, die vom Zentralnervensystem innerviert werden. Den gefäßverengenden Nerven oder Vasokonstriktoren entsprechen die Acceleratoren des Herzens, 184 OÖ. SCHMIEDEBERG: während man die gefäßerweiternden Nerven oder Dilatatoren mit den herz- hemmenden Vagusfasern verglichen hat. Wenn beide Arten von Gefäßnerven in demselben Nervenstamm ent- halten sind, so tritt bei tetanischer Reizung solcher Stämme zunächst eine Gefäßverengerung ein, auf welche dann in der Regel eine starke Er- weiterung folgt. Etwas Ähnliches beobachtet man am Froschherzen bei ge- eigneter Reizung des Vagusstammes, in welchem sowohl hemmende wie beschleunigende Fasern enthalten sind. Bei mäßiger Reizstärke werden die Pulse nicht kleiner, weder auf Kosten der Systole wie bei der reinen Hemmungswirkung, noch auf Kosten der Diastole, wie bei Akzeleransreizung, sondern sie erfahren eine oft sehr bedeutende Vergrößerung, indem bei fortbestehender vollständiger, systolischer Zusammenziehung der Herz- muskulatur die diastolische Ausdehnung einen großen Umfang erfährt. Besonders stark ist diese Vergrößerung des Pulsvolums im Stadium der Nachwirkung nach dem Aufhören der Reizung. Es erscheint ganz unwahrscheinlich, daB in der Gefäßwand die gleichen Muskelfasern bei Reizung der Vasokonstriktoren zur Kontraktion, bei Reizung der Vasodilatatoren dagegen zur Erschlaffung gebracht werden. Man muß vielmehr annehmen, daß es verschieden organisierte Fasern sind, welche auf Reizung in dieser entgegengesetzten Weise reagieren, und daß diese zwei Arten von Fasern auch im Herzen vorkommen. Hier sind sie, wenigstens bis zu einem gewissen Maße, räumlich getrennt, indem die aktiv erschlaffenden an der äußeren, die sich verkürzenden an der inneren Fläche des Herzens liegen. Nach den Untersuchungen von Pohl-Pincus! enthält das Frosch- herz auch morphologisch zwei verschiedene Arten von Muskel- fasern, von welchen die eine Art „Kerne gleich denen der Muskesfasern des Warmblüterherzens, die andere Kerne gleich denen der Muskelfasern der kleinen Arterien“ hat. Pohl-Pincus hebt als besonders bemerkenswert hervor, daß die Trabekeln dort, wo sie an die periphere Herzwand anstoßen, vielfach eine umhüllende Schicht eigentlicher Herzmuskelfasern nicht be- sitzen, sondern uur aus Gefäßfasern bestehen. Wenn sich diese Angaben . bestätigen, so sind es sicherlich die „Gefäßfasern‘“, welche aktiv in den erschlafften Zustand übergehen. Aber nicht nur Gifte bewirken diese Erschlaffung, sondern auch mechanische und elektrische Reize. Schon Bichat (1801) machte die Beobachtung, daß bei Reizung der Spitze des Herzens die Aus- dehnung an dieser Stelle das erste Resultat ist, und daß auf diese Aus- ' Pohl-Pineus, Archiv für mikroskop. Anatomie. 1884. Bd. XXIII. S. 500. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 185 dehnung erst die Zusammenziehung folgt. Bichat schrieb, wie Ebstein! angibt, diese Erscheinung einer aktiven Diastole zu. Man kann diese Ausdehnung besonders gut am lebenden stillstehenden Frosch- herzen beobachten und ihren Ablauf verfolgen. Bringt man durch eine gerade ausreichende Menge Muskarin das Herz zum Stillstand und reizt dann eine Stelle des Ventrikels, am wirksamsten in der Nähe der Herz- spitze, in der oben (S. 176) angegebenen Weise mit einer Nadel so stark, daß eine Pulsation des Herzens eintritt, so nimmt die von der Nadel ge- reizte Stelle und in einem gewissen Umfange ihre Umgebung an der all- gemeinen systolischen Kontraktion nicht teil, sondern verharrt in dem er- schlafften diastolischen Zustand und wird durch den Druck des Blutes während der Systole zuweilen fast in Form einer Blase hervorgewölbt. Den gleichen Erfolg hat die ebenfalls auf eine eng umschriebene Stelle beschränkte elektrische Reizung, wenn diese nicht stärker ist, als nötig, um serade eine Pulsation des Herzens hervorzurufen. Es gelingt aber nicht, an pulsierenden, mit Atropin vergifteten Herzen die oberflächlichen Muskel- schichten derartig zu reizen, daß während der Reizung ein diastolischer Stillstand eintritt, weil dabei immer gleichzeitig auch die inneren Schichten gereizt werden, welche durch Kontraktionen antworten. Dagegen kommt das Herz unmittelbar nach dem Aufhören der Reizung in ausgesprochener Diastole zum Stillstand, so daß mehrere Pulse ausfallen. Dieser Stillstand hängt von der Nachwirkung der Erregung der oberflächlichen Muskel- schichten ab und ist kein auf die Reizung folgender Überreizungs- und Ermüdungsstillstand. Bei einem solchen ist das Herz nicht prall in Diastole gefüllt, sondern schlaff, in derselben Weise wie bei der Vergiftung mit muskelermüdenden und muskellähmenden Stoffen. Während des Muskarinstillstandes hat das Herz die maximale diastolische Ausdehnung und Füllung. Aber dieser Zustand ist unmittelbar nach dem Eintritt des Stillstandes ein sehr labiler. Es genügt schon ein leichter Druck mit einer stumpfen Nadel, um eine Pulsation hervorzurufen, die durch den Druck der Nadelspitze auf die inneren Muskelschichten ausgelöst wird. In diesem Falle nimmt auch die von der Nadel berührte Stelle an der Kontraktion teil. Bei stärkerem Druck mit einer spitzeren Nadel werden auch die oberflächlichen, diastolischen Muskelschichten so stark erregt, daß sie an der Reizstelle den Kontraktionen der übrigen Fasern nicht mehr zu folgen vermögen. Zur Erklärung aller dieser Vorgänge muß man daran festhalten, daß sowohl der diastolische wie der systolische Stillstand des ı Vgl. Ebstein, Die Diastole des Herzens. Zrgebnisse der Physiologie. 1904. Bd. III. 2. S. 168. 186 O0. SCHMIEDEBERG: Herzens Hemmungen sind, die von veränderten Elastizitätszuständen der Herzmuskulatur abhängen, während die vitale Kontraktilität des Muskels dabei unverändert bleibt (vgl. Seite 178). Wie dort ausgeführt ist, kann die elastische Erschlaffung durch Muskarin, Vagusreizung oder Digitalin so hochgradig sein, daß die normalen, automatischen Impulse die Muskulatur nicht zur Kontraktion zu bringen vermögen, und ebenso die elastische systolische Verkürzung beim systolischen Stillstand des Herzens (vgl. oben S. 178) so stark, daB die diastolische Erschlaffung nicht zustande kommen kann. Die beiden Arten elastischer Zustände können sich in graduellen Abstufungen in mannigfacher Weise kombinieren. Wenn es demnach unzweifelhaft ist, daß im Herzen Muskelfasern ent- halten sind, die durch aktive Eingriffe verschiedener Art zur Erschlaffung gebracht werden, so fragt es sich, welche Bedeutung diese Einrichtung für die Mechanik des Herzens hat, namentlich, ob es sich dabei um die viel umstrittene sogenannte aktive Diastole handelt, bei welcher nach dem Aufhören der Systole die Füllung der einzelnen Abteilungen des Herzens zum Teil durch eine Ansaugung des Blutes während des Über- ganges der Herzwandungen aus dem systolischen in den diastolischen Zustand zustande kommen soll. Erst in neuester Zeit hat man die sehr alte Lehre von der Saugkraft des Herzens einer eingehenden experimentellen Prüfung unterzogen. Ab- gesehen von zahlreichen andersartigen Versuchen, namentlich von Marey und Chauveau (1863), Luciani (1871) u.a., haben Goltz und Gaule! sowie de Jager? es sicher festgestellt, daß in einem von ihnen angewandten Minimummanometer, welches mit dem linken Ventrikel oder mit einem der ‘übrigen Abteilungen des Herzens in Verbindung gesetzt ist, ein negativer Druck entsteht. An einem solchen Quecksilbermanometer ist zwischen dem geschlossenen Schenkel und dem in die Herzhöhle eingeführten Katheter ein Ventil eingeschaltet, das den Austritt der Flüssigkeit aus jenem Schenkel in das Herz, nicht aber umgekehrt aus dem Herzen in das Manometer gestattet. Wenn also auf die in das Herz eingeführte Röhre oder das . Katheter keine Saugkraft ausgeübt wird, so bleibt das Quecksilber in beiden Schenkeln im gleichen Niveau, im anderen Falle steigt es im geschlossenen Schenkel. Goltz und Gaule untersuchten an großen Hunden bei geöffnetem Thorax, also unabhängig von der Respiration, die Druckverhältnisse im linken und rechten Ventrikel und im rechten Vorhof und erhielten in allen diesen Fällen am Manometer einen Unterdruck, der namentlich ! Goltz und Gaule, Pflügers Archiv. 1878. Bd. XVII. S. 100. 2 de Jager, Pflügers Archiv. 1883. Bd. XXX. S. 491. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM Herzen. 187 im linken Ventrikel ein sehr beträchtlicher war. Seinen tiefsten Stand er- reichte der Unterdruck erst nach einer Reihe von Pulsationen, in einem Versuche z. B. nach 85 Pulsen.! Die Versuche von de Jager sind im wesentlichen in der Weise ausgeführt wie die von Goltz und Gaule und ergaben die gleichen Resultate. Es fehlt aber auch nicht an experimentellen Untersuchungen, deren Resultate direkt gegen das Bestehen einer Saugkraft des Herzens sprechen. L. Fick? eröffnete in 6 Versuchen an Katzen den Thorax, schnitt möglichst rasch Herz und Lungen aus, entfernte die Lungen und band sehr schnell in den unteren Hohlvenenstumpf ein Manometer ein, verschloß die obere Hohlvene, brachte das Herz in ein Glas mit Salzwasser von 30° und füllte das Herz ebenfalls mit Salzwasser von 30°. Das schlagende Herz entleerte durch die offene Pulmonalis zuerst noch Blut, dann blutiges Wasser, wobei der Inhalt des Manometers bis auf das Ni- veau des in das Herz eingebundenen Schenkels herabsank, dann aber voll- kommen stille stand, obgleich die Herzen noch Pulsationen ausführten. Auch bei den kräftigsten Herzschlägen hörte alle und jede Bewegung des Manometers auf, sobald die Flüssigkeit nicht mehr durch ihr eigenes Ge- wicht in den Binnenraum des Herzens eindrang. Am linken Herzen band Fick das Manometer in den linken Vorhof. ein. Der Erfolg war genau derselbe. Auch von den Velden? fand in einer Reihe von Versuchen an isolierten oder mit dem Tier in Zusammenhang stehenden, kräftig schlagen- den Herzen von Katzen, daß niemals ein Einströmen von Blut oder einer anderen Flüssigkeit in den rechten oder linken Ventrikel stattfand, wenn die einströmende Flüssigkeit kein höheres Niveau als die Herzventrikel hatte. Wenn man annehmen kann, daß nach den Resultaten dieser Ver- suche eine Saugkraft des Herzens nicht besteht, so muß der negative Druck, den Goltz und Gaule, de Jager und andere in ihren Ver- suchen beobachtet haben, von Bedingungen abhängen, die erst durch die Verbindung des Manometers mit dem Herzen zur Geltung kommen. Ein derartiges, von einer Saugkraft des Herzens un- abhängiges Zustandekommen des negativen Druckes im Manometer hat Moens * in zutreffender Weise begründet, wie eine eingehendere Betrachtung 1 Goltz und Gaule, a.a. ©. Taf. IV, Kurve 6. 2 ],. Fick, dieses Archiv. 1849. 8. 284 und 285. 3 von den Velden, Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie. 1906. Bd. III. S. 432. -*% Moens, Pflügers Archiv. 1879. Bd. XX. S. 517. 188 O. SCHMIEDEBERG: und Nachprüfung seiner Versuche ergibt. Seine Auffassung ist so gut wie unbeachtet geblieben, besonders infolge des Versuches von de Jager,! sie zu widerlegen. Moens bediente sich folgender Versuchsanordnung, welche auf das Verfahren zur Bestimmung des negativen Druckes im Herzen angewandt, den Nachweis führt, daß dernegative Druck im Manometer nicht während der Diastole, sondern nur zu Ende der Systole entstehen kann. Er verband eine Öffnung eines Kautschukballons mit dem einen Ende einer Röhre, deren anderes Ende in ein Reservoir getaucht war, und eine zweite Öff- nung des Ballons mit einem Quecksilbermanometer, das mit einer „Mini- mumklappe‘“ versehen war, welche sich nur nach dem Ballon öffnen konnte. Ballon und Röhre wurden mit Wasser gefüllt und eine Saug- kraft des ersteren dadurch eliminiert, daß eine Wassersäule von gleicher Höhe, wie die, in welcher sich der Ballon über dem Niveau des leser- voirs befand, der Saugkraft des Ballons das Gleichgewicht hielt. Sobald der Ballon stark zusammengedrückt und also dessen Inhalt in die Röhre sepumpt wurde, „senkte sich unmittelbar darauf das Niveau des Manometers, wodurch bewiesen wird, daß in dem Ballon unmittelbar nach dessen Entleerung ein negativer Druck entsteht“. Der negative Druck lasse sich nach Moens nur aus dem plötzlichen Einströmen des Ballon- inhalts in die Röhre erklären. Die Geschwindigkeit mit der die Flüssig- keit in die Röhre getrieben wird, erlange ihren höchsten Wert in dem Augenblick, da das Zusammendrücken des Ballons endet. Der Zufluß des Wassers hört jedoch nun plötzlich auf, weil der Ballon leer ist. Die in die Röhre getriebene Masse bewege sich aber weiter und hierdurch müsse unmittelbar hinter ihr, also im Ballon, ein negativer Druck entstehen. Dieser verursache, daß die wenige Flüssigkeit, welche noch im Ballon zu- rückgeblieben ist, ebenfalls in die Röhre getrieben wird. Die inneren Wandungen des Ballons werden infolge des negativen Druckes fest auf- einander gepreßt. Moens übertrug dann diesen Vorgang auf die Entstehung des nega- tiven Druckes im Herzen. Er sagt: „Genau dasselbe muß in der Herz- kammer nach dem Entleeren ihres Inhalts stattfinden.“ „Auch beim Herzen wird der Inhalt des Ventrikels mit wachsender Geschwindigkeit in die Aorta gepumpt, bis plötzlich die Zufuhr aufhört, sobald der Ventrikel entleert ist; wie im Kautschukballon muß auch hier ein negativer Druck entstehen und müssen die soeben angegebenen Folgen auftreten.“ ' Moens nimmt mit anderen Autoren ein Verharren des Ventrikels in der Kontraktion an, welches nach Landois 0-085 Sekunden dauern soll. ! de Jager, a.a. 0. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 189 Moens betont besonders die „große Wichtigkeit‘ dieser letzten Periode der Systole für die Blutbewegung, „weil während dieser Periode ein leerer Raum entsteht“. Er spricht dann von dem großen Einfluß des leeren Raumes in der Herzkammer auf die Blutbewegung. Der Ausdruck „leerer Raum“ und die Betonung seiner Bedeutung für die Blutbewegung sind mißverstanden worden und haben die Ansichten von Moens über die Ent- stehung des negativen Druckes nicht zur Geltung kommen lassen.” Moens meint nicht einen wirklichen Raum, in welchen das Blut oder die Flüssig- keit aus dem Minimummanometer wie die Luft in einen luftleeren Raum einströmt. Er sagt an einer anderen Stelle ausdrücklich: „Der Ventrikel wird also durch die Systole vollkommen geleert.“? Moens schließt also aus seinen Versuchen und aus theoretischen Gründen, daß der negative Druck im linken Ventrikel in der letzten Periode der Systole durch das noch einen Moment andauernde und mit großer Geschwindigkeit erfolgende Wegströmen des Blutes in die Aorta hervorgebracht wird. Goltz und Gaule machen besonders darauf aufmerksam, wie steil in der Kurve des Minimummanometers der Abfall der Stufen in der Treppe ist, die durch die einzelnen Pulsationen hervorgebracht wird (vgl. oben S. 186). Die absteigende Linie einer jeden Stufe sei offenbar während des- jenigen Zeitmoments geschrieben, in welchem das Herz eine Ansaugung machte. „Dieser Moment, der mit dem Anfang der Diastole zusammen- fällt, ist also nur sehr kurz.“” Während demnach Moens die Entstehung des negativen Druckes an das Ende der Systole verlegt, lassen Goltz und Gaule die Saugung mit dem Anfang der Diastole zusammenfallen. Der Zeitunterschied zwischen beiden Momenten ist ein äußerst geringer und nichts widerspricht in den Versuchen von Goltz und Gaule der Annahme, daß die Saugung einen Moment früher, also im Sinne von Moens ganz zu Ende der Systole erfolgt. Gegen diese von Moens begründete Erklärung der Entstehung des nega- tiven Druckes macht de Jager* geltend, daß sich die Saugung längs der Schlagadern fortpflanzen und auch in der Aorta einen nega- tiven Druck hervorbringen müßte, wenn der letztere, wie Moens glaubt, „während der letzten Augenblicke der Systole“ entsteht. Zur Ent- scheidung der Frage, ob „etwas von einer solchen Saugung in den Schlag- ! Vgl. Ergebnisse der Physiologie. 1904. 3. Jahrg. II. Abtlg. S. 149. ” A.2.0. 8.531. ® Goltz und Gaule, a.a. O. 8.108. ‘ de Jager, 2.2.0. 8. 495. 190 O0. SCHMIEDEBERG: adern nachzuweisen“ sei, bestimmte de Jager im wesentlichen nach dem Verfahren von Goltz und Gaule den Maximal- sowie den’ Minimaldruck einerseits in der Aorta und andererseits in dem linken Ventrikel. Er fand in vier gelungenen Versuchen an Hunden im Mittel aus allen einzelnen Bestimmungen: in der Aorta einen Maximaldruck von + 176=® Ho ae $ „ Minimmalldruck „oe im linken Ventrikel „ Maximaldruck „ +18 „ „ u N: £ „ " Minmaldruck =, a0: Da sich nach den Resultaten dieser Versuche von dem negativen Druck in dem Ventrikel „nichts in die Aorta fortpflanzt“, so sieht de Jager darin „den direkten Beweis“, daß der negative Druck nicht am Ende der Systole entstehen kann, wie Moens annimmt. Die einzige noch übrig bleibende Möglichkeit sei daher die, daß er während der Diastole ent- stehen muß. Gleichsam als Gegenstück zu diesen Untersuchungen und Ansichten von de Jager sucht Moens! die Auffassung von Goltz und Gaule auf Grund der Druckverhältnisse in der Vena cava zu widerlegen. Er meint: wenn der negative Druck eine Folge der großen saugenden Kraft der Ventrikelwand sei, so müßte die hierdurch entstandene negative Welle sich durch das Atrium hindurch bis in die großen Venenstämme verbreiten und hier wahrgenommen werden. Seine Druckmessungen in der Vena cava ergaben aber, daß keine Ansaugung der Flüssigkeit durch den rechten Ventrikel stattfand, obgleich in diesem nach Goltz und Gaule ein negativer Druck vorausgesetzt werden konnte. Die Resultate dieser Druckmessungen von de Jager und von Moens machen es von vornherein wahrscheinlich, daß weder die Druckverhältnisse in der Aorta noch die in der Vena cava über die Entstehung des negativen Druckes im Herzen Aufschluß zu geben vermögen. Namentlich wider- spricht das Fehlen des negativen Druckes in der Aorta keines- weges der Ansicht von Moens, daß dieser Druck im Ventrikel am Ende der Systole entsteht, ohne Beteiligung einer Saugkraft der Ventrikelwandungen. Bei der Wiederholung des Versuches von Moens mit dem Kautschukballon kann man sich leicht davon überzeugen, daß selbst ein sehr starker, gleichmäßig durch die Röhre fließender Strom nicht ‘ imstande ist, im Minimummanometer, das mit der Röhre in Verbindung steht, einen negativen Druck hervorzubringen. Wenn dem Abfluß des Wassers aus der Röhre ein gewisser Widerstand entgegensteht, so vermag 1 Moens, 2.2.0. S. 530. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 191 auch ein kräftiges’ stoßweises Zusammendrücken des Ballons keinen nega- tiven Druck hervorzubringen, solange der Ballon noch gefüllt ist. Erst wenn die letzten Anteile, man kann fast sagen, die letzten Tropfen des Wassers, durch einen kräftigen, stoßartigen Druck aus dem Ballon plötzlich herausgepreßt werden, steigt das Quecksilber in dem geschlossenen Schenkel des Manometers anfangs nicht selten um mehrere Millimeter. Wiederholt man dieses Verfahren mehrere Male, so kann man schließlich im Mano- meter leicht einen negativen Druck von 120—150"® Hg hervorbringen, selbst wenn der durch den plötzlichen Stoß auf den Ballon erzeugte saugende Flüssigkeitsstrom gegen einen Wasserdruck von 1” oder mehr gerichtet ist. In diesem Versuch wirkt die fortgestoßene Flüssigkeit nur dann saugend, wenn der Ballon dabei völlig entleert oder der Zusammenhang seines Inhalts mit dem saugenden Strom plötzlich unter- brochen wird, so daß eine pulsatorische Beschleunigung des Stromes zustande kommt. Drückt man den gefüllten Ballon in der Weise zusammen, daß dieser Zusammenhang bestehen bleibt, so sucht die wegströmende Flüssigkeit die im Ballon zurückbleibende mitzureißen und es kommt zu keinem saugenden Stromstoß. Die Bedeutung der Entleerung des Ballons für das Zustandekommen des negativen Druckes hat auch Moens erkannt, nur spricht er, wie oben (S. 188) erwähnt, von einem leeren Raum, statt von Entleerung des Ballons, was zu Mißverständnissen Veranlassung ge- geben hat. In der Aorta entsteht kein negativer Druck im Minimummanometer, weil der pulsatorisch beschleunigte Blutstrom zwar in die Aorta gelangen muß, hier aber nur auf die Spannung der Gefäßwand einwirkt, nicht aber imstande ist, die große Blutmenge in raschere Bewegung zu versetzen und ihr eine eo. Kraft zu erteilen. Wenn demnach angenommen werden muß, daß die saugende Wirkäre im Herzen, durch welche der negative Druck im Minimummanometer hervorgebracht wird, im letzten Moment der Systole zustande kommt, so folgt daraus, daß diese Art der Saugung keinerlei Einfluß auf die Füllung des Herzens in der Diastole haben kann und überhaupt nur dann zur Geltung kommt, wenn ein solches Manometer in das Herz eingeführt wird. Es fragt sich aber, ob eine aktive, d.h. eine mechanische Arbeit leistende Diastole durchaus erforderlich ist, um eine ausreichende Füllung des Herzens herbeizuführen. Die Autoren, welche für das Vor- handensein einer diastolischen Saugkraft eintreten, lassen diese Frage un- beantwortet. Überblicken wir auf Grund der bisher bekannten Tatsachen die Kreislaufsverhältnisse, so ergibt sich kein Anlaß zu der Annahme, daß die durch die systolische Tätigkeit des Herzens bedingte Treibkraft allein, 192 O0. SCHMIEDEBERG: ohne die Mithilfe einer Saugwirkung, für die Füllung des Herzens in der Diastole unzureichend sei. Da die Wandungen der Hohlvenen nicht wie die der Arterien gespannt sind, so ist der Druck in diesen Gefäßen ein geringer und kann fast negativ werden. Das Blut fließt in ihnen wie in einem offenen Strombett. Dafür ist seine Stromgeschwindigkeit keineswegs eine geringe. Sie soll sogar nach den Messungen von Lyon und Steinmann (1871) nicht viel geringer sein, als die in den Arterien ähnlichen Kaliberss. Wenn während der Systole des rechten Ventrikels dıe Atrioventrikularklappe sich schließt, so dringt das Blut aus den Hohlvenen gegen den diastolisch erschlafiten Vorhof, staut sich hier zunächst, erweitert durch den Stauungsdruck die erschlafften Wandungen des Vorhofes und strömt in diesen ein. Wenn dann die Diastole des Ventrikels eintritt, die in einer einfachen Erschlaffung seiner Wandungen besteht, so setzen diese dem Einströmen des Blutes aus dem Vorhof keinen Widerstand entgegen, und die Füllung des Ventrikels voll- zieht sich unter dem Einfluß des Stauungsdruckes und der sich daran schließenden systolischen Vorbofskontraktion rasch und sicher ohne die Mitwirkung einer Saugung seitens des Ventrikels. Unter welchem Druck dieses Einströmen erfolgt, läßt sich auf Grund der bisherigen Untersuchungen nicht übersehen. Doch macht Hürthle! darauf aufmerksam, daß die Zusammenziehung des Vorhofes sich an der Druckkurve des Ventrikels in vielen Fällen durch eine der Systole des letzteren vorausgehende Druck- steigerung bemerkbar macht, welche bis zu 20== Hs und darüber be- tragen kann. Hier hat also ein starker Druck des Vorhofes den Ventrikel erweitert und das Blut in diesen hineingetrieben. Der gleiche Vorgang wie am rechten Herzen hat auch für die Füllung des linken Vorhofes Geltung. Auf dem kurzen Wege, den das Blut bis zum linken Vorhof zurückzulegen hat, genügt die Triebkraft des rechten Ventrikels, um jenen zu füllen, auch wenn man dabei die Beschleunigung des Blutzuflusses aus den Venen in die Vorhöfe durch die infolge der Ver- kleinerung des Herzens während der Systole der Ventrikel zustande kommende Aspiration außer acht läßt. Wenn demnach bei der Füllung des Herzens in der Diastole von der Mitwirkung einer Saugkraft abgesehen werden muß, so fragt es sich, welche Bedeutung der durch Vagusreizung, Muskarin oder durch die Stoffe der Digitalingruppe bewirkte aktive diastolische Zustand für die Blutbewegung hat. Durch Messungen des perikardialen Druckes unter verschiedenen ! Hürthle, Pflügers Archiv. 1891. Bd. XLIX. S. 55. ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 193 Bedingungen sucht Stefani! den Nachweis zu führen, daß bei der durch Vagusreizung, Erstickung, Digitalis und Strychnin (2) hervorgerufenen Hem- mung der Herzbewegungen der diastolische Druck erhöht und in aktiver Weise eine Vergrößerung des Herzens herbeigeführt wird. Stefani ver- band durch eine Öffnung (Fistel) den Perikardialraum mittels eines T-Rohres einerseits mit einem Quecksilbermanometer und andererseits mit einem Druckgefäß. Das letztere sowie das Manometer über dem Quecksilber und der Herzbeutel enthielten Kochsalzlösung von 1 Prozent. Außerdem wurde ein Manometer mit der Vena cava und ein anderes mit der Karotis ver- bunden. Diese beiden Manometer waren nur mit einer alkalischen, die Blutgerinnung verhindernden Lösung gefüllt. Stefani steigerte dann durch Zufluß aus dem Druckgefäß den perikardialen Druck bis zu dem Moment, in welchem der Eintritt des Blutes in das Herz und die Zirkulation unterdrückt wurden. In diesem Moment beobachtete Stefani die folgenden Druckverhältnisse an den 3 Manometern. In 8 Versuchen betrug der Druck im Mittel in. derKaron se ee open „5 Venaleava ORTS. im Perikardialraum . . 283, „ In 5 Versuchen war der Druck im Perikardialraum im Mittel vor der Vagusdurchschneidung . . 26° H,O nach, 2 BDSHLDN SU Atropin wirkt wegen seiner lähmenden Wirkung auf die nervösen Hemmungsvorrichtungen im Herzen wie Vagusdurchschneidung. Die Resultate dieser Versuche sprechen vielmehr für eine einfache Erschlaffung der Herzmuskulatur als Ursache des höheren Druckes vor der Vagusdurchschneidung als für eine aktive Erweiterung des Herzens, wie sie Stefani annimmt und Luciani vertritt. Wenn Stefani die Druckdifferenz, welche im Moment des Aufhörens der Zirkulation zwischen Perikardialraum und Vena cava bestand und welche 18°= H,O betrug, als diastolischen Druck bezeichnet, so ist dabei folgendes zu berücksichtigen. Der perikardiale Druck hängt von dem Gegendruck ab, den das Blut und die Herzmuskulatur unter den gegebenen Verhältnissen ausüben. Der Gegendruck des Blutes im rechten Vorhof ! Stefani, Vgl. Luciani, Prysiologie des Menschen. Bd.I. S. 166—172. Jena 1905 und Ergebnisse der Physiologie. 1904. 3. Jahrg. II. Abtlg. S.180—184. Referat von E. Ebstein. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 13 194 0. SCHMIEDEBERG: kann aber nicht größer sein als in der Vena cava, da die schwache Muskulatur der dünnen Wandung dieses Herzabschnittes dem Zusammen- drücken keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzt. Der perikardiale Druck von 28°“ H,O, entsprechend rund 20wm Hg, ist ausreichend, um die Atrioventrikularklappen in beiden Herzabteilungen sowie die Semilunar- klappen der Pulmonararterie zu schließen, nicht aber die Aortenklappen zu öffnen. Daher entspricht der beim Aufhören der Zirkulation von Stefani beobachtete perikardiale Druck dem Gegendruck des von den Ventrikeln, hauptsächlich wohl von dem linken Ventrikel eingeschlossenen Blutes und des Ventrikelmuskels. Er steht infolgedessen in keinem Zu- sammenhang mit dem Druck in der Vena cava und ist kein diastolischer Druck. Wenn dann die Vagi durchschnitten werden, so hört die beim Hunde ständige Erregung dieser Nerven auf. Nach Ausschaltung der Hemmungswirkung hat aber der Herzmuskel infolge der Änderung seines Elastizitätszustandes die Tendenz, leichter in den systolischen Zustand über- zugehen, und das Herz sucht sich zu verkleinern. In dem Versuche von Stefani drückt dann nach Ausschaltung der Vaguswirkung die Ventrikelwand stärker auf das Blut, so daß dadurch der Perikardialdruck um den Betrag vermindert wird, um welchen der Druck auf das Blut erhöht ist. Wird jetzt der Vagus gereizt, so erschlafft die Muskulatur, ihr Druck auf das Blut wird vermindert oder hört ganz auf und der Gegendruck des letzteren kommt in vollem Maße zur Geltung, so daß der Perikardialdruck infolge der Vagus- wirkung erhöht: wird, ohne daß es sich dabei um eine aktive Vergrößerung des Herzens handelt. Wenn die diastolische Erschlaffung der gesamten Herz- muskulatur bei Vaguswirkung einen höheren Grad erreicht, so daß durch den Gegendruck des Blutes der Perikardialdruck in erheblichem Maße über- wunden wird, so ist es nicht ausgeschlossen, daß in den Arterien wieder Pulsationen auftreten, wie sie Stefani unter diesen Verhältnissen be- obachtet hat. Auf Grund der vorstehenden Tatsachen und Erwägungen ist die Schuß- folgerung gerechtfertigt, daß durch Vagusreizung und Muskarin sowie durch die Stoffe der Digitalingruppe lediglich eine Ver- stärkung der diastolischen Erschlaffung der Herzmuskulatur hervorgebracht wird, ohne daß die letztere dabei die Eigenschaft erlangt, sich selbständig mit einer gewissen Kraft auszudehnen und dadurch eine Saugwirkung auf das in das Herz einströmende Blut auszuüben. Die Bedeutung dieser aktiven Erschlaffung der Hemmungs- oder Diastolemuskulatur für die Kreislaufsvorgänge ist nicht schwer zu übersehen. Es ist bekannt und man kann sich leicht durch den Augen- schein davon überzeugen, daß sich die Vorhöfe bei der Systole niemals vollständig entleeren. Sie beherbergen daher immer einen Vorrat von ÜBER DEN MECHANISMUS DER HEMMUNGSWIRKUNG AM HERZEN. 195 Blut, um den Ventrikel auch dann zu füllen, wenn dessen Kapazität durch besondere Umstände über das gewöhnliche Maß vergrößert wird. Das Einströmen des Blutes aus den Vorhöfen in die Ventrikel hört auf, sobald die elastische Spannung der Ventrikelwandungen so groß geworden ist, daß sie von dem Druck der Vorhofskontraktionen nicht mehr überwunden werden kann. Wenn aber die Ventrikelmuskulatur stärker erschlafft als gewöhnlich, so vermögen die Vorhöfe aus ihrem Vorrat mehr Blut in den Ventrikel überzuführen, als vorher. Wir haben am Herzen zweierlei Arten von Muskelfasern kennen ge- lernt. Beiden Arten gemeinsam ist, wie oben erwähnt, die Kontraktilität, während ihre Elastizitätsverhältnisse durch die gleichen Eingriffe im ent- gegengesetzten Sinne verändert werden. Die Kontraktilität kann unter be- stimmten, gegebenen Verhältnissen als ein konstanter Faktor angesehen werden. Ihre Äußerungen aber, die automatischen Pulsationen, werden durch die Rlastizitätsänderungen jener beiden Arten von Muskelfasern bis zu ihrer völligen Unterdrückung beeinflußt. Die bloße aktive Verstärkung der Erschlaffung der diastolischen Fasern vergrößert bei gleichbleibenden Druckverhältnissen in der be- kannten Weise die Ausdehnung des Herzens in der Diastole, macht seine systolischen Zusammenziehungen unvollständiger und vermindert ihre Fre- quenz. Dadurch gelangt mit jedem Pulsschlag weniger Blut in die Aorta als vorher, der arterielle Blutdruck sinkt und die gesamte Zirkulation wird verlangsamt. Das ist ein normaler Vorgang beim Menschen und bei manchen Tieren, wie beim Hunde, bei welchen eine ständige Erregung der nervösen Hemmungsvorrichtungen, der sogenannte Vagustonus besteht. Geraten dagegen die Acceleratoren für sich allein in Erregung, so werden die systolischen Zusammenziehungen der zugehörigen Muskelfasern, wenn sie vorher nicht vollständig waren, verstärkt, die Pulsfreguenz wird gesteigert, während die diastolische Ausdehnung eine Verminderung erfährt. Schließlich kann es, wie nach den Stoffen der Digitalingruppe, bei ihrer vorwiegenden Wirkung auf die inneren Herz- muskelschichten zum systolischen Stillstand des Herzens kommen. Wenn beide Arten von Muskelfasern gleichzeitig ihre Eia- stizitätszustände ändern, so wird die diastolische Ausdehnung der Ventrikelwandungen vergrößert, ihre systolische Zusammenziehung aber nicht abgeschwächt, wie bei der bloßen Hemmungswirkung, sondern auch in diesem Falle ihre Vollständigkeit vergrößert, wenn diese nicht schon vorher bestand. Die Folge dieser Einwirkung ist eine Vergrößerung des Schlagvolums, die so groß sein kann, daß trotz der dabei meist gleichzeitig auftretenden Verminderung der Pulsfrequenz in der Zeiteinheit mehr Blut in die Aorta gelangt, als vorher und die Zirkulation wesentlich 13* 196 O0. SCHMIEDEBERG: ÜBER DEN -MECHANISMUS USw. beschleunigt wird. Das ist die Art, wie die Stoffe der Digitalingruppe die Herztätigkeit und den Blutumlauf beeinflussen, und auf welcher ihre hervorragende Bedeutung bei der Behandlung von Herzkrankheiten beruht. Der Nachweis, daß die oberflächlichen Schichten der Herz- oder zu- treffender wohl der Ventrikelmuskulatur durch aktive Einwirkungen in den erschlafiten Zustand übergehen, führt die Mechanik der Hemmungswirkung auf bekannte Einrichtungen an den Gefäßen zurück und macht zugleich sie und ihre Beziehungen zur gesamten Herztätigkeit übersichtlicher und leichter verständlich. _ Untersuchungen über die Innervation der Atembewegungen der Amphibien. (Unter Mitwirkung von Dr. J. Menegakis, Assistenten am Institute.) Von R. Nikolaides. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Athen.) (Hierzu Taf. I.)) Einleitung. Die Untersuchungen über die Atmungsinnervation der Amphibien haben eine allgemeine Bedeutung, da sie uns auch Aufklärung verschaffen über . die nervöse Atemfunktion der höheren Tiere und deren Entwicklung aus einfacheren Verhältnissen. Außerdem, da bei den höheren Tieren ver- wickelte Nervenmechanismen existieren, zu deren experimenteller Analyse sich große Schwierigkeiten darbieten, wogegen bei den Amphibien viel ein- fachere Verhältnisse bestehen, sind diese Tiere viel mehr geeignet für die Behandlung vieler die Atmungslehre betreffenden Fragen und besonders - für die Frage, wie bei konstanten Reizen rhythmische Atembewegungen ‚entstehen. Die Atmung bei den Amphibien wird hauptsächlich, wie wir es schon in unserer kurzen Mitteilung! gezeigt haben, durch periphere Reize unter- halten. Bei den höheren Tieren ist der Auslösungsreiz der Atembewegungen ! R. Nikolaides, Die Atembewegungen der Amphibien und ihre Registrierung. Zentralblatt für Physiologie. Bd. XXII. S. 753. Febr. 1999. 198 Ir INTRO ÄTDNS: von der Peripherie ins Zentrum gerückt, doch wird auch bei diesen Tieren das Atemzentrum von auf peripheren Bahnen laufenden Reizen beeinflußt. Während aber die peripheren Nerven mit Ausnahme der Vagi bei den höheren Tieren keine zu große Bedeutung für die Atmung haben, spielen sie bei den Amphibien die Hauptrolle für die Auslösung der Atem- bewegungen. Dieser Unterschied erklärt sich wahrscheinlich aus der, Änderung der Angrifisstelle des Auslösungsreizes der Atembewegungen. Bei der philo- genetischen Entwicklung der Organismen nämlich ist unter Lebensbedingun- gen, welche verlangten, daß die Blutwärme beständig auf derselben Höhe bleibt, der Auslösungsreiz der Atembewegungen von der Peripherie ins Zentrum gerückt und die Atembewegungen sind von der Beschaffenheit des Blutes und dessen Temperatur abhängig gemacht. Damit ging in dem Einfluß der peripheren Nerven auf das Atemzentrum auch eine Änderung einher. Zwar wurde ihre Wirkung auf das Atemzentrum als Reminiszenz zu ihren Vorfahren erhalten, sie wurde aber stark reduziert und teilweise zur regulatorischen Wirkung auf das Atemzentrum verwandelt. Alles dieses wird die Analyse des Nervenmechanismus der Atem- bewegungen des Frosches im Vergleich zu dem der höheren Tiere zeigen. Dieser Analyse aber muß einiges über den Atmungsmechanismus der Am- phibien und über die Methode, mit welcher am besten die Atembewegungen registriert werden können, vorausgeschickt werden. Die Atembewegungen und ihre Registrierung. Unsere Versuche sind am Frosche gemacht. Bei diesem Tiere, wenig- stens bei ruhigem Atmen, sind zweierlei Arten von Bewegungen, die einander folgen und im Dienste der Respiration stehen, zu unterscheiden: 1. Die oszillierenden Kehlbewegungen, 2. die eigentlichen Atembewegungen. Die oszillierenden Kehlbewegungen finden bei geöffneten Nasenlöchern und bei fest geschlossenem Munde statt und bestehen in wechselweise auf- tretenden kleinen Erweiterungen und Verengerungen der Mundrachenhöble. Diese Bewegungen haben hauptsächlich die Aufgabe, die Mundrachenhöhle mit reiner Luft zu füllen. Denn mit der von außen kommenden Luft mischt sich in der Mundhöhle die wahrscheinlich auch durch Diffusion hinaufsteigende Lungenluft, welche nicht dieselbe Zusammensetzung, wie die von außen in die erweiterte Mundhöhle aspirierte Luft, haben kann. Nebstdem hat die Mundrachenschleimhaut, wie die äußere Haut, eine ge- wisse respiratorische Bedeutung, indem sich: hier ein feines respiratorisches Kapillarsystem von Blutgefäßen verzweigt. Daß die Atmung des Rachens, ÜBER DIE INNERVATION DER ATEMBEWEGUNGEN DER AMPHIBIEN. 199 verbunden mit der der Haut, in dieser Klasse sehr wichtig ist, beweisen gewisse Amphibien (Amblystomaarten, Salamandrina perspieillata), denen sowohl Lungen als Kiemen gänzlich fehlen und die somit allein auf Haut- und Rachenatmung angewiesen sind. Die eigentlichen Lungenatmungsbewegungen folgen den oszillierenden Bewegungen und sind in drei ganz verschiedene Phasen zu zerlegen, die man als Aspiration, Exspiration, Inspiration unterscheiden kann. Bei der ersten Phase wird Luft durch die geöffneten Nasenlöcher in die Mund- rachenhöhle durch Erweiterung der letzteren aspiriert. Bei der zweiten Phase findet Exspiration aus den Lungen in die erweiterte Mundhöhle hinein statt durch Kontraktion der Bauchmuskeln. Bei der dritten Phase, welche unmittelbar auf die zweite, d.h. auf die Exspiration folgt, wird bei geschlossenen Nasenlöchern und geöffnetem Aditus laryngis durch starke Kontraktion der Muskulatur der Mundrachenhöhlenwandung die in der Mundrachenhöhle befindliche Luft in die Lungen hineingepreßt. Diese Phase stellt die Inspiration dar. Der gewöhnliche Rhythmus ist also: os- zillierende Kehlbewegungen — Lungenatmung mit ihren drei Phasen (1. Aspiration durch Erweiterung der Mundhöhle, 2. am Ende derselben Exspiration und dann 3. blitzschnell folgende Inspiration) — oszillierende Bewegungen usw. Die Mundhöhle wirkt dabei als Motor und zwar als Saugpumpe bei der Aspiration und als Druckpumpe bei der Inspiration. Zur Registrierung dieser der Atmung dienenden Bewegungen der Mundhöhlenwandung haben wir folgende Methode angewendet. Der Frosch wird in der Rückenlage in schonendster Weise auf dem Öperationsbrette aufgebunden. Dann befestigt man einen feinen gezähnten Halter in die Haut der Kehlregion oder man schneidet mit der Schere über dem Boden des Mundes ein Hautstück und klemmt in die freigeleste Muskulatur der Mundhöhlenwandung eine feine Serre fine, welche einen Seidenfaden trägt, welcher an dem kurzen Arm des Engelmannschen Schreibhebels befestigt ist. Dann wird Frosch und Schreibvorrichtung so zueinander orientiert, daß der Faden in der Vertikalebene des Hebels sich befindet und in der Richtung vom Boden des Mundes weg schräg oder senkrecht nach oben zum Hebel verläuft. An den so registrierten Atemkurven sieht man bei ruhiger Atmung sehr deutlich die oszillierenden Kehlbewegungen und die eigentlichen Lungen- atmungsbewegungen mit ihren drei Phasen. Man sieht nämlich kleine Zacken, welche den oszillatorischen Kehlbewegungen entsprechen, und große Zacken, welche die starke Kontraktion der Muskulatur der Mundhöhlen- wandung, wodurch die Luft in die Lunge gepreßt wird, d. h. die Inspiration kennzeichnen. Zwischen der letzten kleinen und der ersten großen Zacke ist ein \-förmiges Gebilde eingeschaltet, dessen nach unten ziehende 200 R. NIKOLAIDES: Schenkel die erste Phase der Lungenatmung d.h. die Aspiration und. der nach oben ziehende die zweite Phase d. h. die Exspiration bezeichnet. Dieser folgt blitzschnell die Inspiration, welche durch die große Zacke dargestellt wird (Fig. 1, Taf. I). Gewöhnlich kommt auf zwei oder mehrere kleine Zacken nur eine große Zacke oder auf eine längere Reihe der ersteren eine kleine Gruppe der letzteren, was bedeutet, daß auf zwei oder mehrere Kehlatmungen nur eine ventilierende Atmung (Inspiration) oder auf eine längere Reihe der ersteren eine kleine Gruppe der letzteren folgt (Fig. 2, Taf. I). Wenn aber das Tier nicht ruhig ist, oder wenn es in abnorme Verhältnisse versetzt wird — als solche kann mitunter auch die Befestigung des Tieres gelten — so fallen die Kehlatmungen sehr oft vollständig aus und es finden lediglich ventilierende Atmungen statt (Fig. 3, Taf. ]). Diese Registriermethode, durch welche außerordentlich schön die Fre- quenz und die Amplitude des Atemrhythmus sich studieren läßt, kann man zur Untersuchung der Innervation der Atembewegungen der Amphibien verwenden und ganz besonders zur Feststellung der Bedingungen der Tätig- keit des Atemzentrums, d.h. ob sie bei diesen Tieren durch periphere Im- pulse bedingt wird, oder wie bei den höheren Tieren, durch innere, in ihm selbst gelegene Veranlassungen unterhalten wird. Die Versuche haben ergeben, daß beim Frosche die Atembewegungen hauptsächlich von verschiedenen zentripetalen Impulsen, also reflektorisch unterhalten werden und durch auf unteren und oberen Bahnen verlaufende hemmende Impulse reguliert werden. Von diesen Impulsen werden wir im folgenden berichten. A. Erregende Impulse. $ 1. Der Einfluß des Vagus auf die Atembewegungen. Die Tätigkeit des Atemzentrums des Frosches wird stark vom Vagus beeinflußt. Das zeigt sich in den Folgen der Durchschneidung beider Vagi und der Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus. Nach Durchschneidung des einen Vagus kommen, wie bei den höheren Tieren, keine oder unbedeutende Veränderungen in den Atembewegungen vor. Nach Durchschneidung beider Vagi aber kommen meistenteils starke Ab- weichungen vor, welche jedoch nicht immer die gleichen sind. Am gewöhn- lichsten kommt folgender Atemrhythmus vor. Auf viele kleinen Zacken folgt eine große Zacke, d. h. auf viele Kehlatmungen, welche eine Ventilation der Mundrachenhöhle, d. h. das in der Mundrachenhöhle befindliche Luftgemisch verbessern, und wahrscheinlich auch im Dienste der Oropharyngealatmung stehen, folgt nur eine ventilierende Atmung oder Inspiration. Diese ist, wie man aus der Kurve Fig. 4, Taf. I sieht, die am deutlichsten aus- ÜBER DIE INNERVATION DER ATEMBEWEGUNGEN DER AMPHIBIEN. 201 gesprochene Phase der eigentlichen Atembewegungen. Die dieser gewöhn- lich vorausgehenden zwei anderen Phasen, d. h. die Aspiration und die Exspiration, sind nicht so deutlich ausgeprägt. Das Resultat also der gleich- zeitigen Durchschneidung beider Vagi ist, daß diejenigen Atembewegungen, durch welche die in der Mundhöhle befindliche Luft in die Lungen hinein- gepreßt wird, viel seltener werden. Da aber die ventilierende Atmung, d.h. die Inspiration größeren Umfang hat, so kann die Atemgröße nach Vagusausschaltung trotz der großen Abnahme der Frequenz derselben im großen und ganzen unverändert bleiben. Vergleicht man das Resultat der Durchschneidung beider Vagi am Frosche mit dem an höheren Tieren zu beobachtenden, so findet man eine Ähnlichkeit insofern, als bei beiden die Inspiration seltener, aber umfänglicher ist. Der Atemrhythmus nach Ausschaltung beider Vagi ist aber nicht immer der beschriebene Manchmal folgt auf eine längere Reihe kleiner Zacken nicht eine große Zacke, sondern eine kleine Gruppe von großen Zacken, d. h. auf eine längere Reihe Kehlatmungen kommt eine kleine Gruppe ventilierender Atmungen (Fig. 5, Taf. I). Anderemale sind die Kehlatmungen sehr klein, fast unsichtbar (sehr kleine Zacken), nach langen Intervallen aber erscheinen ventilierende Atmungen (große Zacken) (Fig. 6, Taf. I. Mag aber dieser oder jener Typus nach Durchschneidung beider Vaei auftreten, immerhin besteht ein großer Unterschied der Atmungs- weise vor der Durchschneidung der Vagi im Vergleich zu derjenigen nach Durchschneidung derselben. Sodann erhalten wir Aufschluß über den Ein- fluß des Vagus auf die Tätigkeit des Atemzentrums durch die Reizung desselben. Die Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus mit tetanischen Induktionsschlägen hat meistenteils eine tetanische Kontraktion der Mundmuskulatur in Inspirationsstellung zur Folge (Fig. 7, Taf. I). Diese Erscheinung läßt sich viel leichter mit größerer Frequenz der Reize und kleinerer Stromstärke, als mit kleinerer Frequenz der Reize und größerer Stromstärke erzielen (Fig. 8, Taf. I). Die Reizfrequenz bei dieser reflektorisch hervorgerufenen tetanischen Kontraktion der Mundmuskulatur braucht nicht ebenso groß zu sein, wie die bei direkter Reizung der Mus- keln selbst. Nach unseren Erfahrungen sind bei direkter Reizung des M. submaxillaris mindestens 20 Reize in der Sekunde notwendig, um einen vollkommenen Tetanus hervorzurufen, während man durch Reizung des _ zentralen Endes des durchschnittenen Vagus mit der Hälfte der Reize und mit noch weniger Reizen einen vollkommenen Tetanus hervorrufen kann. Das erklärt sich daraus, daß die vom Atemzentrum, wie überhaupt die von den Zentralorganen nach den Muskeln abgegebenen Impulse einen etwas gedehnteren Verlauf haben, als die gewöhnlichen Momentreize. 202 R. NIKOLAIDES: Mitunter und ganz besonders wenn der Strom schwach ist, ruft die Reizung des zentralen Endes des Vagus eine Erweiterung der Mundhöhle, d. h. eine Aspiration hervor, welche durch tetanische Kontraktion der M. sternohyoidei und omohyoidei stattfindet (Fig. 9, Taf. ). Das kommt bei Reizung des zentralen Endes des Vagus viel seltener vor, als die er- wähnte tetanische Kontraktion in Inspirationsstellung, bei welcher der Boden des Mundes stark nach oben erhoben ist. Bedeutet diese eine Erregung, welche vom Zentrum zu der die Inspiration bewirkenden Mundmuskulatur übergeht, so ist die erstere, d. h. die Erweiterung der Mundhöhle, nach Reizung des zentralen Endes des Vagus eine Erregung, welche zu den die Aspiration bewirkenden Muskeln übergeht. Daraus läßt sich schließen, daß im Vagus des Frosches zweierlei zentripetale Fasern existieren, d. h. aspira- torische und inspiratorische Fasern. Die ersteren dienen der ersten Phase der Lungenatmung, bei welcher die Mundhöhle sich erweitert und Luft aspiriert, die zweiten dienen der dritten Phase der Lungenatmung, bei welcher die aspirierte Luft durch starke Kontraktion der Mundmuskulatur in die Lungen hineingepreßt wird. Beide stehen also im Dienste der eigent- lichen Lungenatmungsbewegungen und nicht der oszillierenden Atem- bewegungen, welche vielmehr durch die Reizung dieser Fasern unterbrochen werden. Beide Fasern entsprechen den Inspirationsfasern des Vagus der höheren Tiere und wie diese die Exspiration unterbrechen, so unterbrechen jene die oszillatorischen Kehlbewegungen, welche als die Lungenatmungs- pause darstellend betrachtet werden können. -$ 2. Der Einfluß der Haut auf die Atembewegungen. Wenn an einem Frosche, an dem beide Vagi durchschnitten sind und die Atmung infolgedessen sehr langsam geworden ist, auch die Haut ab- gezogen ist (bei A), so sistieren die Atembewegungen vollständig (Fig. 10, Taf. ]). Nur nach langen Intervallen von etwa 1 Minute macht das Tier Be- wegungen, welche den Eindruck von Atemnot machen und darin bestehen, daß das Tier sich aufrichtet und das Maul weit aufreißt. Diese Erscheinung ist konstant und drückt eine Dyspnoe aus. Wenn die Vagi nicht vorher durchschnitten sind, so hat die Abhäutung keine Sistierung der Atmung zur Folge (Fig. 11, Taf. I). Es handelt sich hier also nicht um Shock- wirkungen, welche durch Reizung von zentripetalen Bahnen bei der Ab- häutung hervorgerufen werden könnten, wie Babak und Kühnoya! ! Edward Babäk und M. Kühneva, Über den Atemrhythmus und die Onto- gonie der Atembewegungen bei den Urodelen. Pflügers Archiv. Bd. CXXX. S. 444. ÜBER DIE INNERVATION DER ATEMBEWEGUNGEN DER AMPHIBIEN. 203 meinen, sondern um Ausschaltung von Impulsen, welche von der Haut aus zu dem Atemzentrum geleitet werden. Diese Versuche beweisen, daß auch die Haut einen großen Einfluß auf die Auslösung der Atembewegungen hat. Außerdem zeigen diese Ver- suche, daß nicht der Sauerstoffmangel und die Kohlensäureanhäufung durch Reizung des Atemzentrums die Atembewegungen auslösen. Sollte dieses der Fall sein, so mußten die Atembewegungen nach Ausziehung der Haut frequenter werden. Denn da bei diesen Tieren die Hautatmung viel wich- tiger als die Lungenatmung ist, würde das Abziehen der Haut einen Mangel an Sauerstoff und eine Anhäufung von Kohlensäure im Blute zur Folge haben. Vagi und Hautnerven sind die wichtigsten Bahnen, auf welchen die Impulse zu dem Atemzentrum geleitet werden, durch welche die Atem- bewegungen ausgelöst werden. Sie scheinen miteinander vikariierend ein- zutreten, denn nur durch ein solches Vikariieren wird die Tatsache ver- ständlich, daß sowohl nach bloßer Ausziehung der Haut, wie auch nach bloßer Ausschaltung der Vagi, die Atembewegungen, wenn auch alteriert, erhalten werden, nach Ausschaltung beider Faktoren aber sistieren die Atembewegungen vollständig. B. Hemmende Impulse. $ 1. Der Einfluß des N. laryngeus auf die Atembewegungen. Der N. laryngeus hat eine exquisit hemmende Wirkung auf das Atem- zentrum des Frosches. Das zeigt sich erstens in den Folgen der Aus- schaltung der N. laryngei. Nach Durchschneidung beider N. laryngei wird der Atemtypus stark verändert. Die Atembewegungen werden seltener, ihre Amplitude aber ist größer, wie nach Durchschneidung beider Vagi bei den höheren Tieren. Die eigentlichen Lungenatembewegungen (Aspiration, Exspiration, Inspiration) sind, wenn auch etwas verändert, erhalten, die oszillierenden Kehlbewegungen aber sind kaum sichtbar. Etwas davon zeigt vielleicht der absteigende Schenkel der inspiratorischen Bewegung, welcher gedeknt und manchmal zackig ist (Fig. 12, Taf. I. Sodann sprechen für die hemmende Wirkung des N. laryngeus auf das Atemzentrum die Folgen der Reizung desselben. Reizt man nämlich mit frequenten Reizen, aber mit schwachem Strome das zentrale Ende des durchschnittenen N. laryngeus, so werden die Atembewegungen kleiner oder vollständig sistiert, wie nach Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus bei den höheren Tieren (Fig. 13, Taf. ]). Durch diese Tatsachen ist die hemmende Wirkung. des N. laryngeus auf das Atemzentrum bewiesen. Wir kommen noch einmal weiter unten auf diese Wirkung des N. laryngeus zurück. 204 R. NIKOLAIDES: $ 2. Der Einfluß der oberen Bahnen auf die Atmung. Ein Hemmungszentrum der Atmung. Nach Trennung der Medulla oblongata vom Gehirn kommt ein be- sonderer Atemtypus zum Vorschein. Die Atembewegungen haben kleinere Frequenz, aber größere Amplitude und bestehen nur aus ventilierenden Atembewegungen (Fig. 14, Taf. I). Diese gleich nach der Operation ein- tretende Veränderung der Atmung deutet auf hemmende Impulse, welche von den oberen Teilen des Gehirns dem Atemzentrum zugeführt werden. Wenn man nach dieser Operation auch die Vagi durchschneidet, oder wenn man das umgekehrt macht, d. h. zuerst die Vagi (bei V, 7, Fig. 15, Taf.]) durchschneidet und dann die Medulla oblongata (bei B Fig. 15, Taf. ]) vom Gehirn trennt, so werden die Atembewegungen noch viel seltener und binnen kurzem verschwinden (Fig. 15, Taf. ]). Diese Erscheinungen erinnern an die starke Veränderung der Atmung, welche man bei höheren Tieren beobachtet, wenn gleichzeitig beide Vagi durchschnitten werden und die Medulla oblongata von den hinteren Vier- hügeln getrennt wird. Man erklärt bekanntlich die bei den höheren Tieren auftretende Veränderung der Atmung nach diesen beiden Operationen aus Wegfall der hemmenden Impulse, welche von den oberen Bahnen und von den Vagis dem Atemzentrum zugeführt werden. Beim Frosche, bei welchem die peripheren Reize und besonders die von der Haut ausgehenden Reize große Wirkung auf das Atemzentrum haben, kann die Veränderung der Atmung nach Trennung der Medulla oblongata vom Gehirn und Durch- schneidung beider Vagi durch die Annahme erklärt werden, daß sämtliche afferente Bahnen, welche auf dem Wege des Reflexes die Atmung beein- flussen, in den vor der Medulla oblongata liegenden Teilen des Gehirns verlaufen. Diese Annahme wird unterstützt durch die schon erwähnte Tatsache, daß die Atmung sistiert, wenn beide Vagi durchschnitten sind und die Haut ausgezogen ist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die von der Haut ausgehenden zentripetalen Impulse, welche dem Atemzentrum zugeführt werden, auf den genannten Teilen des Gehirns verlaufen. Die Trennung derselben von der Medulla oblongata hat die erwähnten Veränderungen in der Atmung zur Folge. Es können aber zur Erklärung dieser Erscheinungen die hemmenden Impulse in Betracht gezogen werden, welche von den vor der Medulla ob- longata liegenden Teilen des Gehirns dem Atemzentrum zugeführt werden, wie das bei den höheren Tieren der Fall ist. Bei diesen Tieren existiert bekanntlich in den hinteren Corpora quadrigemina ein Inspirationshemmungs- zentrum, von dem, wie von dem Vagus, inspirationshemmende Impulse dem Atemzentrum in der Medulla oblongata zugehen, welche nicht wie die der ÜBER DIE INNERVATION DER ATEMBEWEGUNGEN DER AMPHIBIEN. 205 Vagi reflektorisch, sondern wie die des Atemzentrums selbst automatisch ausgelöst werden. Ein wirkliches Hemmiungszentrum der Atmung des Frosches existiert in den Lobi optiei, welche den Vierhügeln der höheren Tiere entsprechen. Am deutlichsten wird diese Hemmung der Atmung hervorgerufen durch mechanische Reizung der Lobi optici. Zu dem Zweck werden zwei sehr feine Nadeln durch einen Kork durchgestochen. Man faßt dann den Kork mit Daumen und Zeigefinger und sticht die feinen Nadel- spitzen in die Lobi optici ein. Sofort werden die Atembewegungen viel kleiner und, wenn gleichzeitig die Vagi durchschnitten sind, vollständig sistiert (Fig. 16, Taf. I). Nach Entfernung des Reizes, d.h. nach Heraus- ziehen der Nadeln aus den Lobi optiei, dauert eine Zeitlang die Atmungs- losigkeit fort. Dann aber erscheinen die Atembewegungen wieder, anfangs kleiner, und erreichen allmählich die Größe vor der Reizung. Wenn man während der Reizung der Lobi optiei auch das zentrale Ende des durchschnittenen Vagus reizt, so hat die Reizung keinen Erfolg; nur wenn der Strom sehr stark ist, kommt eine Kontraktion der Mund- muskulatur zum Vorschein. Es besteht also während der Reizung der Lobi optici eine Unerregbarkeit des Atemzentrums, d.h. ein relatives Refraktär- stadium. Während dieser Periode ist die Mundmuskulatur ganz erschlafit und die Mundhöhle infolgedessen erweitert. In den Lobi optici haben wir also ein Hemmungszentrum, dessen Reizung die Atmung vollständig hemmt und ganz analog ist dem in den hinteren Vierhügeln bei den höheren Tieren existierenden Hemmungszentrum der Inspiration. Aus allen diesen Mitteilungen über die vor der Medulla oblongata existierenden Teile des Gehirns ergibt sich, daß diese großen Einfluß auf die Atmung haben und zwar sowohl durch Fasern, welche dieselben passieren und zu dem Atemzentrum Impulse von der Peripherie zuführen, wie durch Hemmungs- .zentren, welche in denselben existieren. Unter den vor der Medulla oblongata liegenden Teilen des Gehirns, welche auf die Atmung des Frosches Einfluß haben, verstehen wir nur die Lobi optici und das Zwischenhirn, denn auch dieses hat einen Einfluß auf die Atmung, wenn auch viel kleineren als die Lobi optici, wie die kleine Veränderung derselben nach Reizung des Zwischenhirns zeigt. Die Hemi- sphären aber des Frosches im Gegensatz zu denen der höheren Tiere haben keinen Einfluß auf die Atmung. Auf Reizung der Hemisphären kommt keine Veränderung der Atmung. Es werden also von den oberen Bahnen durch die Lobi optiei und von den unteren durch N. laryngei hemmende Impulse zu dem Atem- zentrum geführt. Sind bei erhaltenen Vagis die N. laryngei (Fig. 17, Taf. ], bei A, 4,) nach Trennung der Medulla oblongata (Fig. 17 bei E) durch- 206 R.NIKOLAIDES: ÜBER DIE INNERVATION DER ATEMBEWEGUNGEN USW. E) schnitten, so wird die Frequenz der Atembewegungen stark herabgesetzt und die Amplitude derselben stark vergrößert. Die Atmung aber dauert nach diesen Operationen noch lange fort, weil beim Frosche die Atmung reflektorisch unterhalten wird und, wie gesagt, durch Impulse, welche von den Hautnerven und den Vagi dem Atemzentrum zugeführt werden. Erklärung der Abbildungen. (Taf. I.) (Sämtliche Figuren sind stark verkleinert.) Fig. 1. Normale Atmung. Fig. 2. a) Auf mehrere Kehlatmungen (kleine Zacken) folgt eine ventilierende Atmung (große Zacke). b) Gruppe ventilierender Atmung (Große Zacken) wechselt mit Kehl- atmuugen ab (kleine Zacken). Fig. 3. Ventilierende Atembewegungen. Fig. 4. Gewöhnlicher Atemrhythmus nach Durchschneidung beider Vagi. Fig. 5. Atemrhythmus nach Durchschneidung beider Vagi. Große Gruppen ventilierender Atmung (große Zacken) wechseln mit Kehlatmungen ab (kleine Zacken). Fig. 6. Atemrhythmus nach Durchschneidung beider Vagi. Sehr lange Reihen fast unsichtbarer Kehlatmungen (kleine Zacken) wechseln ab mit kleinen Gruppen ventilierender Atmung (große Zacken). Fig. 7. Tetanische Kontraktion der Mundmuskulatur in Inspirationsstellung nach Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus. Fig. S. a) Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus mit 20 Reizen in 1’ und 10 = R.-A. b) Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus mit 5 Reizen in 1” und 5°= R.-A. Fig. 9. Erweiterung der Mundhöhle nach Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen Vagus. Fig. 10. Sistierung der Atembewegungen nach Durchschneidung beider Vagi und Abhäutung des Tieres (bei A). Fig. 11 zeigt, daß Abhäutung allein keine Sistierung der Atmung hervorruft, sondern nur die Amplitude der Atembewegungen kleiner macht. Fig. 12. Atemtypus nach Durchschneidung beider N. laryngei. Fig. 13. Sistierung der Atembewegungen nach Reizung des zentralen Endes des durchschnittenen N. laryngeus. Fig. 14. Atemtypus nach Trennung der Medulla oblongata vom Gehirn. Fig. 15. Atemtypus nach Durchschneidung beider Vagi (V, Y,) und Trennung der Medulla oblongata vom Gehirn (bei B). Fig. 16. Sistierung der Atmung während der Reizung der Lobi optiei (bei 7). Fig. 17. Von A bis E ventilierende Atmung. Bei Z ist die Medulla oblongata vom Gehirn getrennt und bei A, A, sind beide N. laryngei durchschnitten. | & Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & 00MP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie, Herausgegeben von j Dr. Robert Tigerstedt, 0, ö. Professor der Physiologie an: der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. FR Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12,4 80 9. h Das „Oentralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der) allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. \ ; DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des - einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung,. _Nenrologisches (entralblatt. ‘ Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und nr Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten, Begründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von Dr. Kurt Mendel. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 28 #. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 28 .% direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt . regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. | Zeitschrift Hygiene und Infektionskrankheiten, Herausgegeben von Prof. Dr. C. Flügge, und Dr. G. Gaffky, Geh. Medizinalrat und Direktor Geh. Obermedizinalrat und Direktor des Hygienischen Instituts der ' des Instituts für Infektionskrankheiten Universität Berlin, zu Berlin, { E. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten‘“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durehschnitt- lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflieh. ARCHIV. für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und ee J. F. Meckel, Joh. Müller, Reiehert und du Bois-Reymond ‚hausen scheuen a By erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Figuren im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteilung und 6 auf die ang 5‘ gische Abteilung. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 M. Auf die anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie und Entwicke- lungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abteilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Max Rubner) kann besonders abonniert werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abteilung 40 M; der Preis der Baumiolopiheben: Abteilung 26 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die Sezalneh Ab- teilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und ‘Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Physiologische Abteilung. __ 1910. II. u. IV. Heft. N ABCHIY FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE | FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETA, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, HERAUSGEGEBEN von | 02.0 De. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, ° UND ‘Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1910. —— PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. — DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT ZWEIUNDDREISSIG FIGUREN IM TEXT UND FÜNF TAFELN. R | “ LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 02 1910 Zu beziehen. durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Inhalt. kontraktionen. Der Temperaturkoeffizient der Rhythmik in Muskel und Nerv. (Hierzu Taf. I-V.). Pıur Horrmann, Beiträge zur Kenntnis der anne Bee Fr et a Berücksichtigung der elektxischen Erscheinungen. (Hierzu Taf. VI.) . 223 PAvs HOFFMANN, Über die Aktionsströme von Kontraktionen auf Zeitreiz. R. pu Bois-Reymonp, Über den Mechanismus des Gaswechsels in den Lungen . 257 E. SineLnıkow, Über die Wirkungsweise des Wärmezentrum im Gehirne. 279 STREERATH, Die Wirksamkeit der Wärmezentren im Gehirne 295 A. K. M. Novoxs, Über den Autotonus der Muskeln . u 819 Wir. Fıreuns, Über die Rolle der Erfahrungsmotive beim einäugigen Herapeh BSH tivischen Fernsehen . an ; "Seite H. PıpEr, W eitere Untersuchungen über die natürliche Innervierung von Muskel- 0 247 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 cW# Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. Beiträge für die anatomische Abteilung sind an - Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W., Luisenstr. 56, Beiträge für Ei physiologische Abteilung an Professor Dr. Max Rubner in Berlin W., Kurfürstenstr. 99a portofrei einzusenden, — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Weitere Untersuchungen über die natürliche Innervierung von Muskelkontraktionen. Der Temperaturkoeftizient der Rhythmik in Muskel und Nerv. Von H. Piper in Berlin. (Aus dem physiologischen Institute der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. II—V.) Einleitung. Wenn man die natürlich innervierten Muskelkontraktionen untersuchen und insbesondere die zeitlichen Verhältnisse der im Innervationsmuskelsystem ablaufenden Vorgänge verfolgen will, so ist die gegenwärtig erfolgreichste Methode, die von den Muskeln ableitbaren Aktionsströme mit Hilfe empfind- licher und schnell reagierender elektrischer Meßinstrumente, z. B. des Saitengalvanometers, zu registrieren und die so erhaltenen Stromkurven zu analysieren. Als günstigstes Objekt für eine solche Untersuchung haben sich die menschlichen Skelettmuskeln erwiesen. Wie ich in früher publi- zierten Versuchen! zeigen konnte, erzielt man daran mit großer Zuverlässig- keit konstante und sicher deutbare Ergebnisse. ı H. Piper, Über den willkürlichen Muskeltetanus. Pflügers Archiv. Bd. CXIX. S. 301. — Neue Versuche über den willkürlichen Tetanus der quergestreiften Muskeln. Zeitschrift für Biologie. Bd. L. S. 393. — Weitere Beiträge zur Kenntnis der will- kürlichen Muskelkontraktion. Zbenda. Bd. L. S. 504. — Über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Kontraktionswelle im menschlichen Skelettmuskel. Ebenda. Bd. LI. S. 41. — Zur Kenntnis der tetanischen Muskelkontraktionen. Ebenda. Bd. LII. S. 86. — Verlauf und Theorie des Elektromyogramms der Unterarmflexoren. Pflügers Archiv. Bd. CXXIX. 8. 145. — Über die Rhythmik der Innervationsimpulse bei willkürlichen Kontraktionen und über verschiedene Arten der künstlichen Tetanisierung menschlicher Muskeln. Zeitschr. f. Biologie. Bd. LIII. 8. 140. — Über die Ermüdung bei willkürlichen Muskelkontraktionen. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. 8. 91. 208 “ H. Pıprr: : Die Vorteile, welche in diesem Falle dem Versuche am menschlichen Muskel gegenüber dem Tierexperiment Überlegenheit verleihen und ein erfolgreiches Arbeiten ermöglicht haben, sind mannigfacher Art: Die elek- trische Untersuchungsmethode gestattet, die Aktionsströme vom intakten Muskel durch die bedeckende Haut hindurch abzuleiten. Man kann also das Organ unter den normalen Bedingungen der Ernährung, Zirkulation und Temperatur untersuchen und die Störungen dieser Verhältnisse aus- schließen, welche sich beim blutigen Versuch an Warmblütern leicht in hohem Maße und in oft nicht übersehbarer Art geltend machen. Außer- dem hat man im intakten menschlichen Muskel ein stets disponibles Organ, welches nach Monaten und Jahren in unverändertem Zustand von neuem dem Versuch unterworfen werden kann. Dazu kommt ein für die Unter- suchung der Willkürbewegungen sehr bedeutsamer Vorzug des menschlichen Untersuchungsobjektes: Man kann durch Einsicht in den Versuchszweck diejenigen Muskeln oder Muskelgruppen willkürlich zur Kontraktion bringen, welche der Untersuchung unterzogen werden sollen, und man kann auf diese Weise einen Muskel nach dem andern in weitgehender Isolierung durchprüfen. Auch hat es hier keine Schwierigkeit, alle Variationen der Kontraktion nach Intensität und Dauer zu untersuchen. Im Tier- versuch ist man dagegen auf einzelne, sicher erzielbare Reflexbewegungen angewiesen, bei denen häufig die gleichzeitige Kontraktion anderer Mus- keln den Versuch stört und die registrierten Stromkurven so kompliziert cestaltet, daß sie nicht deutbar sind. Den besten Beweis für die Über- legenheit der menschlichen Muskeln bei dieser Fragestellung liefert schließ- lich der Erfolg des Experimentes: Die Konstanz, die Klarheit und der Umfang der Versuchsergebnisse übertrifft weit die bisherigen aller gleich- artigen Tierversuche. Unter den menschlichen Muskeln ist besonders die Gruppe der Unter- armflexoren zur Untersuchung geeignet. Hier ist zunächst mit besonderer Sicherheit und Klarheit der Befund als typisch zu erheben, daß bei der willkürlichen Kontraktion die konstante Zahl von 50 Aktionsstromwellen abgeleitet wird. Ferner läßt sich leicht durch den Versuch der elektrischen Reizung des Nervus medianus oder ulnaris mit Einzelschlägen oder tetani- sierenden Reizarten ein Vergleich zwischen künstlich erzeugtem und natür- lich innerviertem Muskeltetanus gewinnen. Es gelingt eine künstliche Nach- ahmung der willkürlichen Kontraktion insoweit darzustellen, als die Reizung des Nerven mit 50 Induktionsschlägen pro Sekunde Aktionsströme vom Muskel abgeleitet werden, welche den für die Willkürkontraktion typischen 50er Rhythmus zeigen; durch den Reizversuch mit Einzelreiz läßt sich nach- weisen, daß für die Flexoren eine einfache Verteilung der Nervenendorgane in einer mittleren Muskelzone vorliegen muß, und daß von hier eine Kon- ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 209 traktionswelle zum oberen und unteren Muskelende bei Eintreffen eines einzelnen Innervationsimpulses ablaufen muß. Eine Frequenz der Aktionsstromwellen von derselben Größenordnung, zwischen 40 bis 60 pro Sekunde, fand ich beim Biceps, Deltoideus, Triceps, Flexor pollieis brevis, Quadriceps femoris, Gastrocnemius und Tibialis antieus. Nur der Masseter machte eine wohl nur scheinbare Ausnahme, indem hier eine inkonstante, zwischen 60 und 100 pro Sekunde schwankende Strom- wellenzahl gefunden wurde Auch hier dürfte für jede Muskelfaser der 50er Rhythmus zu Recht bestehen, eine höhere Zahl von Aktionsstromwellen aber dadurch zustande kommen, daß die Ströme der einzelnen Muskel- ‘ fasern im Ableitungsstrom mit Phasenunterschieden interferieren und sich zu einem Wellenzug von höherer und pro Zeiteinheit inkonstanter Wellen- zahl zusammenfügen. Den 50er Rhythmus der Aktionsstromwellen fand ich im Tierversuch wieder, als ich den freigelegten Gastroenemius des Kaninchens zu reflek- torischer Kontraktion brachte und von zwei Punkten der Oberfläche zum Galvanometer ableitete. Später hat Dittler! Aktionsstromrhythmen ähnlicher Frequenz (40 bis 60 pro Sekunde) erhalten, als er die Ströme des Kaninchen- zwergfells bei natürlich innervierten Atembewegungen registrierte. Aus diesen Tatsachen ergab sich folgende Theorie von den Vorgängen, die im Innervations- und Muskelapparate bei reflektorisch oder willkürlich ausgelösten Kontraktionen sich abspielen. Man muß annehmen, daß das Zentralnervensystem dem Muskel zur Veranlassung von Kontraktionen 50 Innervationsimpulse pro Sekunde zuschickt oder 50 Salven von Inner- vationsimpulsen pro Sekunde durch die Bündel der Nervenfasern zu den motorischen Endorganen im „nervösen Äquator“ des Muskels gelangen läßt. Vom nervösen Äquator aus laufen dann 50 Kontraktionswellen pro Sekunde über den Muskel oder 50 Schwärme von Kontraktionswellen über . die Gesamtheit der Muskelfasern bis zum Muskelende ab. Daß in dieser Weise der für die Willkürkontraktion typische 50er Rhythmus durch eine gleichfrequente Zahl von Innervationsimpulsen bestimmt sein muß, geht daraus hervor, daß er nur dadurch künstlich nachgeahmt werden kann, daß man durch Reizung des Nerven mit 50 Induktionsschlägen pro Sekunde eine gleiche Zahl von Innervations- impulsen erzeugt. Durch Abänderung der auf den Nerven wirkenden Reiz- frequenz kann man auch in weiten Grenzen (bis etwa 300 pro Sekunde) die Zahl der vom Muskel ableitbaren Aktionsstromoszillationen direkt ab- hängig variieren. Der Muskel bestimmt also seine Schwingungsfrequenz nicht selbst, sondern folgt den Innervationsimpulsen. Das geht auch aus ı Dittler, Über die Innervation des Zwerchfells als Beispiel einer tonischen Innervation. Pflügers Archiw. 1909. Bd. CXXX. S. 3. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 14 210 H. Piper: dem Nachweis hervor, daß jede einzelne der Stromwellen, welche hei der Willkürkontraktion abgeleitet werden, äquivalent ist einer solchen, welche man bei Einzelreizung des Nerven in Form eines doppelphasischen Aktionsstromes erhält und welche dem Ablauf einer Kontraktionswelle vom nervösen Äquator zum Muskelende entspricht und von einem Innervations- impuls ausgelöst ist. Garten hat sowohl meine Versuche über die Willkürkontraktion, nachgeprüft, wie auch diejenigen, in welchen ich den Tetanus der mensch- lichen Unterarmflexoren bei Reizung des Nerven mit starken konstanten Strömen untersuchte. Ich hatte festgestellt, daß zwischen beiden Arten von Tetanus erhebliche und typische Unterschiede bestehen, indem die bei Willkürkontraktionen abgeleiteten Aktionsströome den oben beschriebenen 50er Rhythmus regelmäßig und als typisches Charakteristikum hervortreten lassen, beim Kathodenschließungstetanus dagegen nichts derart beobachtet wird, sondern Stromwellen von erheblich höherer Frequenz und inkon- stanter Zahl pro Zeiteinheit gefunden werden. Diese Tatsachen sind, ein- mal festgestellt, sehr leicht kontrollierbar und die Unterschiede zwischen Willkürkontraktion und Kathodenschließungstetanus, nach dieser Methode. untersucht, sind durchaus nicht etwa prekärer Art, sondern so greifbar, daß man bei unbefangener Beurteilung der Stromkurven wohl gar nicht zweierlei Meinung darüber sein kann. Besonders gehört die Wiederauffindung des 50er Rhythmus an den willkürlich kontrahierten Unterarmflexoren zu den sichersten und leichtest demonstrablen Versuchen der Elektrophysiologie. Merkwürdigerweise hat Garten alles dieses nicht wiederfinden können. In seiner ersten Mitteilung! über diesen Gegenstand wird der von mir als typisch beschriebene 50er Rhythmus des Willkürtetanus überhaupt nicht erwähnt, dagegen behauptet, daß die von mir beschriebenen Unterschiede zwischen den bei Willkürkontraktion abgeleiteten Aktionsstromrhythmen und den bei Kathodenschließungstetanus registrierten nicht bestehen. Beiden soll die hohe Oszillationszahl, welche nach meinen Erfahrungen den Kathodenschließungstetanus kennzeichnet, in gleicher Weise zukommen. Die gleiche hochfrequente Rhythmik soll auch der Nerv bei Reizung mit dem konstanten Strom aufweisen. In seiner neuesten Äußerung? zu dieser Frage findet, Garten anders als früher für den willkürlichen Tetanus einen Rhythmus, dessen Frequenz der von mir angegebenen nahe liegt und nicht mehr die nach seinen früheren Messungen zu berechnende hohe Oszillationsfrequenz aufweist. Daß ! Garten, Beiträge zur Kenntnis des Erregungsvorganges im Nerven und Muskel des Warmblüters. Zeitschrift für Biologie. Bd. LII. 8. 534. ? Derselbe, in Wintersteins Handbuch der vergleichenden Physiologie. Jena, @. Fischer. 1910. ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 211 sich auch jetzt nach seinen Berechnungen, die Zahl pro Sekunde als recht variabel darstellt, hat meines Erachtens seine Gründe in der Art, wie Garten seine Kurven analysiert. Er zählt 4 oder 5 Wellen aus und be- rechnet aus deren Zeitwerten die Frequenz pro Sekunde Würde er wirk- lich über die ganze Sekunde direkt auszählen, so würden sich so konstante Zahlenverhältnisse ergeben, wie ich sie gefunden habe. Eine einfache Aus- zählung ist aber wohl unbestreitbar richtig, eine Berechnung aus wenigen Wellen hat aber bei der nicht unbeträchtlichen Schwankungsbreite, in welcher deren Längenwerte von dem Mittelwert !/,, Sekunde nach- oben und unten abweichen, ihre Fehlerquellen, und das Ergebnis stimmt sehr oft nur in grober Annäherung mit der tatsächlich vorhandenen Zahl pro Sekunde. Ferner ist erforderlich, daß bei der Auszählung der „Haupt- wellen“ in einer Stromwellenkurve eine scharf umgrenzte und bestimmt motivierte und von Willkür freie Anwendung des Interferenzprinzips als leitender Gesichtspunkt die Analyse beherrscht. Dem wäre, wie ich früher gezeiet habe, ein mit einwandfreier Technik aufgenommenes Eiektro- myogramm der Muskeln bei Einzelzuckung zugrunde zu legen.! Garten gibt nun neuerdings auch für den Kathodenschließungstetanus eine um 50 liegende Frequenz der Aktionsstromwellen pro Sekunde an. Da: also die für den Willkürtetanus und den Kathodenschließungstetanus ausgewerteten Zahlen die gleiche Verschiebung nach unten erfahren haben, so hält G. seinen früheren Schluß aufrecht, daß zwischen beiden Arten von Kontraktionen keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Früher stimmte Gartens Beschreibung des Kathodenschließungstetanus mit meinen Erfahrungen überein und seine Darstellung des Willkürtetanus widersprach meinen Befunden. Jetzt kommt seine Analyse der Willkürkontraktion der meinen sehr nahe, aber seine neue Auffassung des Kathodenschließungs- tetanus steht in Widerspruch zu den von mir konstatierten Tatsachen. - Ob Einmischung von Willkürkontraktionen oder unstetiges Andrücken der Reizelektrode an den Nerven oder andere Versuchsfehler bei Gartens, auch wohl ungeübter Versuchsperson im Spiele gewesen sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Da Garten früher fand, daß Nerv- und Muskel- rhythmus übereinstimmen, die Nervenrhythmen aber damals auch erheblich frequenter fand, als die neuerdings von ihm angegebenen Muskelrythmen, so muß auch hier eine Verschiebung eintreten, zumal da Dittler bereits eine zwischen 40 und 60 liegende Oszillationszahl für den Nerven gefunden hat. ‘ Das von Garten als Paradigma abgebildete Myogramm ist bei zu stark er- schlaffter Saite des Galvanometers registriert. Infolgedessen erscheint durch die träge Rückkehr der Saite in die Ruhelage die zweite Phase und damit die ganze Wellenlänge des Aktionsstromes stärker gedehnt, als den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. (Garten in Wintersteins Handbuch der vergleichenden Physiologie, a. a. O.) jetE 212 H. Pıper: Nach meinen Erfahrungen ist nichts leichter als die von mir be- schriebenen, von Garten bestrittenen Unterschiede zwischen den Aktions- strömen des Muskels bei Willkürkontraktion und beim Kathodenschließungs- tetanus zu konstatieren, man mag 20 oder 30 oder 40 Volt Spannung im Reizstrom verwenden. Da ich nichts Neues zu dem früher Gesagten hinzu- zufügen habe, so möchte ich getrost einem Dritten, der unengagiert an die Prüfung dieser Frage herangeht, es überlassen, die Versuche zu wieder- holen. Daß sich die tatsächlichen Feststellungen in Übereinstimmung mit meinen Angaben erledigen werden, daran besteht für mich kein Zweifel. Ich würde es jetzt nur für bedauerlich halten, wenn durch die Verkennung eines so einfach zu konstatierenden Tatbestandes eine tatsächlich voll- kommen klare Sachlage wieder in Verwirrung geworfen würde. Denn das prinzipiell Wichtige an dieser sonst wohl nieht so bedeutsamen Kontroverse liegt in den Gegensätzen der theoretischen Schlußfolgerungen, die sich aus den Versuchsbefunden für Garten und mich ergeben haben. Nach meinen Befunden ist der für die Willkürkontraktion typische 50er Rhythmus des Muskels durch eine gleiche Zahl von Innervationsimpulsen bestimmt zu denken. Garten kommt dagegen auf Grund seiner mit den meinigen nicht stimmenden Berechnungen zu der Auffassung, daß die Muskelrhyth- mik keine Schlüsse auf den Innervationsmechanismus zulasse, weil der Muskel mit seiner immer gleichen Eigenrhythmik auf die verschiedensten Arten der Nervenerresung antwortet. Es konnte nach ihm also die vom Zentralnervensystem ausgehende Nervenerregung ebensowohl mit der mit konstantem Strom erzeugten, wie der mit hochfrequentem Wechselstrom bewirkten, wie auch anderen Reizarten analog sein, ohne daß das in der Art der Muskelrhythmik einen Unterschied macht. Die tatsächlichen An- gaben Gartens, welche die Grundlagen dieser Auffassung bilden, stehen aber, wie gesagt, in klarem Widerspruch zu meinen Feststellungen. Als eine gute Bestätigung meiner Befunde über die Willkürkontraktion kann ich die von Miß Buchanan! veröffentlichten Kapillarelektrometer- kurven in Anspruch nehmen, wenn auch die Autorin eine von der meinen abweichende Darstellung gibt. Die Nachprüfung durch Wertheim- Salomonsohn? hat zu einer vollständigen Bestätigung meiner Fest- stellungen geführt. Daß bei dem für die Willkürkontraktion typischen 50er Rhythmus dem Muskel 50 Innervationsimpulse pro Zeiteinheit zufließen müssen, ließ sich aus den oben dargelegten Gründen mit Sicherheit erkennen. Zu diesem ! Buchanan, The electrical response of muscle to voluntary reflex and artifieial stimulation. Quarterl. Journal of experim. physiol. Vol. ]. ? Wertheim-Salomonsohn, Folia neurobiologica. 1910. Aprilheft. ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 213 Ergebnis kommt neuerdings auch Dittler,! der in seinen früheren Arbeiten mehr der Auffassung zuneigte, daß eine vom Nerven unabhängige Eigenrhythmik des Muskels bei den natürlich innervierten Kontraktionen vorliege.e. In seinen vor kurzem veröffentlichten Versuchen schließt er sich der von mir entwickelten Vorstellung an, daß der Muskelrhythmus bei Willkürkontraktionen durch gleichfrequente Innervationsimpulse be- stimmt sein müsse. Er findet, daß der Rhythmus der vom zentralen Phrenieusstumpf ableitbaren Aktionsstromwellen beim Kaninchen eine Frequenz von derselben Größenordnung hat, wie diejenige, welche er auch am Zwerchfell festgestellt hat, also 40 bis 60 pro Sekunde. Der Muskel gibt also in der Zahl seiner Kontraktionswellen die Periode der ihm zuströmenden Innervationsimpulse genau wieder. Dittler hält freilich noch für unerwiesen, daß dieser so gefundene Nervenrhythmus in seiner Frequenz vom Zentralnervensystem bestimmt ist, und denkt, ähnlich wie früher be- züglich des Muskels, jetzt an einen Eigenrhythmus des Nerven. Dem- gegenüber fallen aber dieselben Gründe ausschlaggebend ins Gewicht, durch welche ich schon früher den Muskelrhythmus bei Willkürkontraktion als vom Innervationsapparat bestimmt erwiesen habe. Denn ebenso wie man den Muskelrhythmus in weiten Grenzen abändern kann dadurch, daß man die Zahl der zum Muskel gelangenden und seinen Rhythmus bestimmenden Innervationsimpulse durch verschieden frequente Nervenreizung variiert, so kann man auch die Frequenz der Nervenerregungen abändern durch Variierung der Reizzahl. In diesem Falle ist der reizgebende Induktions- apparat der Faktor, welcher die Zahl der Nervenerregungen bestimmt, und von einer Eigenperiode der Nerven ist nichts zu merken. Ebenso wie in diesem Versuch ist bei der Innervation der Willkürkontraktion der für die Innervationsrhythmik bestimmende Faktor außerhalb des Nerven, das heißt im Zentralnervensystem, zu suchen. Die Ganglienzelle ist es, welche die 50 Innervationsimpulse pro Zeiteinheit durch den Nerven schickt. Einen Rhythmus von selbstbestimmter Frequenz zeist Nerv und Muskel z. B. im sogenannten Kathoden-Schließungstetanus; der kontinuierlich ein- wirkende Reiz wird in oszillatorische Erregungsvorgänge umgesetzt. Diese Rhythmen verhalten sich aber in Frequenz und in der Ordnung der zeit- lichen Aufeinanderfolge der Einzeloszillationen ganz abweichend von der bei Willkürkontraktionen vorliegenden Tätigkeitsweise des Nerven und Muskels. Bei der Untersuchung der menschlichen Unterarmflexoren hat sich gezeigt, daß der 50er Rhythmus der Aktionsstromwellen bei Abänderung der Kraft der Muskelkontraktion konstant bleibt. Es laufen also bei ! Dittler, Über die Aktionsströme des Nervus phrenicus bei natürlicher Inner- vation.e Pfiügers Archiv. Bd. CXXXL S. 581. 214 H. Piper: schwachen, wie bei starken Kontraktionen 50 Kontraktionswellen pro Sekunde über den Muskel ab. Es gelingt aber, die Frequenz der abgeleiteten Stromwellen bis auf die Hälfte dadurch herunterzudrücken, daß man eine kräftige Willkür- kontraktion bis zu hochgradiger Ermüdung fortsetzt. Diese Reduktion des Rhythmus ist darauf zurückzuführen, daß das Zentralnervensystem dem Muskel unter diesen Umständen nur noch die Hälfte der normalen Zahl von Innervationsimpulsen zuzusenden imstande ist. Daß die im reduzierten Muskelrhythmus zutage tretende Ermüdungserscheinung im nervösen Zentralorgan zu lokalisieren ist, geht vor allem daraus hervor, daß die ab- geleiteten Aktionsstromwellen aus der normalen Abmessung der Wellenlänge und Amplitude erkennen lassen, daß der Muskel die Kontraktionswellen' in normaler Stärke und normaler Geschwindigkeit zu leiten vermag; ‘auch kann man den Muskel durch Tetanisierung vom Nerven aus trotz vorauf- gehender hochgradiger Ermüdung für Willkürkontraktion durch entsprechend frequente Reizreihen in einen weit über 50 liegenden Schwingungsrhythmus versetzen. Er vermag also im 50er Rhythmus auch nach Ermüdung durch Willkürkontraktion zu reagieren, wenn ihn nur entsprechend frequente Innervationsimpulse treffen. Diese bringt aber der zentrale Innervations- apparat dann nicht mehr auf. Im folgenden werde ich nun den Nachweis erbringen, daß der Rhythmus des Innervations- und Muskelapparates eine Temperaturfunktion ist; es wird also zu zeigen sein, daß die Frequenz der vom Muskel ableitbaren Aktionsstromoszillationen in weiten Grenzen durch Abänderung der Tem- peratur variiert werden kann. Für diese Versuche sind die menschlichen und überhaupt die Warmblütermuskeln weniger geeignet, weil hier die Organe ihre Funktion einstellen oder doch als stark beeinträchtigt erkennen lassen, wenn man ihre Temperatur auch nur in bescheidenem Umfang ver- ändert. Von den Poikilothermen ist der Frosch für die Versuche nicht geeignet, weil es kaum möglich ist, lang anhaltende und stetige Kon- traktionen irgendeines Muskels durch reflektorische Innervation zu erhalten. Die Tiere machen nur kurze, schnellende Bewegungen, und fast immer sind diese durch das Ineinandergreifen und die schnelle Aufeinanderfolge der Aktion zahlreicher Muskeln so kompliziert, daß eine Analyse mit Hilfe der Aktionsströme auf sehr große Schwierigkeiten stößt. Immerhin gelingt es sehr wohl, Aktionsströme abzuleiten und zu reeistrieren. Wenn man z. B. in den Gastrocnemius oder den Quadriceps femoris zwei Silberelektroden spießt, durch diese zum Saitengalvanometer ableitet und nun durch Kneifen des Fußes das Tier zu Aktionen dieser Beinmuskeln veranlaßt, so erhält man Stromrhythmen, die den tetanischen Charakter dieser Kon- traktionen ohne weiteres verraten. Aber die Frequenz der Stromwellen pro ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 215 Zeiteinheit, auch inre Amplitude und Wellenlänge ist zu inkonstant, um eine detaillierte Analyse zu erlauben. Nur so viel ist sicher, daß die Zahl bei Zimmertemperatur (etwa 18°) einen Wert von sicher mehr als 30 pro Sekunde hat, somit weit höher liegt, als die Periode der Aktions- stromwellen, welche mit Hilfe des Kapillarelektrometers beim Strychnin- tetanus vom Gastroenemius des Frosches abzuleiten sind (7 bis 10 Haupt- wellen, zahlreiche superponierte Zacken). Ein sehr günstiges Objekt für die Untersuchung des Temperatur- einflusses auf die Nerven- und Muskelrhythmik sind die Schildkröten und zwar habe ich Testudo graeca erheblich brauchbarer gefunden als Emys europaea. Über die hier gewonnenen Versuchsergebnisse soll im folgenden berichtet werden. II. Methodik. Recht gut geeignet zur Untersuchung der Aktionsströme sind die Muskeln, mit welchen die Schildkröte den Kopf unter das Schild zurück- zieht. Die beiden Retraktoren liegen symmetrisch ganz nahe der Median- ebene Es sind parallelfaserige Muskeln, welche vom Kopf bis zum hinteren Ende des Rückenschildes ziehen und ganz nahe der Wirbel- säule jederseits liegen. Die Nerven treten ziemlich am oberen Ende zum Muskel, der nervöse Äquator dürfte also ziemlich weit oben zu lokalisieren sein, was auch durch das physiologische Verhalten der Aktionsströme des Muskels dargetan wird. Es ist sehr leicht, diese Muskeln zu reflektorisch innervierter, sehr . kräftiger und ganz stetiger Kontraktion zu bringen. Wenn man den Kopf des Tieres faßt und unter dem Schild hervorzieht, so strebt das Tier, ihn mit solcher Kraft aus der Hand zu befreien und zurückzuziehen, daß man bei kräftigen Exemplaren dem Zug kaum stand- halten kann. Man hat also bei diesem Muskel als Untersuchungsobjekt viele Vorteile vereinigt: einfache anatomische Verhältnisse, isolierte Unter- suchung eines einfach angeordneten, parallelfaserigen Muskels mit einfachen Innervationsverhältnissen, sehr kräftige und lange Zeit ganz stetige und dabei sehr leicht reflektorisch unlösbare Muskelaktion. Etwas seitlich von der Wirbelsäule, in der Mitte zwischen vorderem und hinteren Schildende, wurde mit einem kleinen Trepanbohrer ein Loch von 6mm Durchmesser durch das obere ‚Schild gebohrt (Fig. 1). Durch dieses wurde ein Thermometer eingeführt, so daß das Quecksilbergefäß 2m unter dem Schild seine Lage erhielt. Auf der anderen Seite der Medianebene wurden mit einem Bohrer 2 Trepanlöcher gleicher Art gemacht, das eine etwas vor dem Mittelpunkt der Verbindung vom vorderen und hinteren Schild- ende, das zweite 3!/, ““ weiter hinten. Durch diese Löcher wurden un- polarisierbare Elektroden so weit eingeführt, daß das Ende 2!/,°= tief unter 216 H. Piper; : dem Schilde stak. Man überzeugt sich leicht bei der Sektion des Tieres, daß die so angebrachten Elektroden dem Muskel unmittelbar anliegen. In mehreren Fällen habe ich an Stelle der unpolarisierten Elektroden Silber- drähte durch engere in den Schild gebohrte Löcher bis zum Muskel ein- geführt und mit diesen die Muskelströme abgeleitet. Dabei wurden Strom- oszillationen von Frequenzen pro Zeiteinheit registriert, die von denen nicht abweichen, welche unter sonst gleichen Bedingungen bei Ableitung mit unpolarisierbaren Elektroden erhalten wurden. Die Muskelströme wurden Fig. 1. zum Saitengalvanometer geleitet und dessen Ausschläge wurden bei 750 facher Vergrößerung mit Hilfe des kleinen Edelmannschen Registrierers photo- graphisch aufgenommen. Im Galvanometer war ein versilberter Quarz- faden von 2800 Ohm eingezogen. Es war vorteilhaft, einen Faden von nicht zu großem Widerstand zu benutzen, weil bei der beschriebenen Anordnung auch der Widerstand im Präparat nicht größer war, als der des Fadens. Die Operation und die Versuche halten die Tiere sehr gut aus. Soweit ich die Tiere nicht getötet habe, lebten sie nach dem Versuch weiter, fraßen und verhielten sich ganz normal. EN. 2 EEE u SON VON ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 217 Vor Beginn der Versuche wurden die Tiere mehrere Stunden lang unter Eisstücke gepackt und in den Eisschrank gesetzt; sie hatten dann eine Temperatur von +3 bis 4° und dabei wurden die ersten Registrierungen der Muskelströme gemacht. Dann wurde das Tier aus dem Eis herausgenommen und nahm nun im Laufe von 2 Stunden allmählich Zimmertemperatur (18 bis 20°) an. Immer wenn die Temperatur um etwa 2° gestiegen war, wurden von neuem die Muskelströme registriert. Um dann eine weitere . * Zunahme der Eigentemperatur des Tieres zu bewirken, wurde es auf warme Sandbäder gesetzt. So konnte im Laufe weiterer 2 Stunden eine langsame Temperaturzunahme bis zu 41° erzielt werden und es konnten wiederum bei bestimmten Temperaturintervallen Registrierungen der Aktionsströme der natürlich innervierten Kopfretraktoren vorgenommen werden. Bei 41° kollabiert das Tier und geht zugrunde, wenn es nicht abgekühlt wird. Solcher Versuchsreihen habe ich acht gemacht und in allen über- einstimmende Ergebnisse erhalten. III. Versuchsergebnisse. Registriert man zunächst die Aktionsströme der Kopfretraktoren unter normalen Bedingungen, also bei etwa 20° Körpertemperatur der Schildkröte, so erhält man Stromrhythmen, deren Oszillationsfregquenz 25 bis 30 pro Sekunde beträgt; dabei sind, wie das auch bei den menschlichen Muskeln immer geschehen ist, die Hauptwellen ausgezählt (Taf. III, Fig.5). Viele dieser Hauptwellen zeigen superponierte Nebenzacken, welche nach Zahl und Lage von Welle zu Welle höchst mannigfaltig variieren können. Das Zustande- kommen jeder Hauptwelle ist so zu denken, daß vom nervösen Äquator aus ein Schwarm von Kontraktionswellen durch den Muskel hinläuft und zuerst die vordere, dann die hintere Elektrode passiert. Auf diese Weise kommt ‘ein doppelfasischer Aktionsstrom im Ableitungsstromkreis zustande, der in Form einer aus Wellenberg (I. Phase) und Wellentai (II. Phase) bestehenden Hauptwelle registriert wird. Da man 30 Hauptwellen pro Sekunde ableitet, müssen 30 Schwärme von Kontraktionswellen von den Nervenendpunkten aus über die Muskelfasern ablaufen. Die superponierten Zacken dürften dadurch entstehen, daß jeder Wellenschwarm aufeinanderfolgende Unter- gruppen von fibrillären Kontraktionswellen enthält. Dies alles wird also ebenso im Kurvenzug wiedergefunden und ist wohl auch ebenso zu deuten, wie es bei den menschlichen Muskeln der Fall war. Es ist auch leicht festzustellen, daß die Stromwellenzahl unabhängig von der Kraft der Muskelkontraktion konstant bleibt. Auch wenn das Tier während der Stromregistrierung den Kopf nur durch schwachen Muskelzug zurückzuziehen strebt, erhält man Rhythmen von etwa 30 Wellen pro 218 156, dnaı Sekunde, sofern nur die Temperatur konstant bleibt. Nur die Amplitude wird kleiner. Mit gleichem Erfolg, wie von den Retraktoren kann man auch die Ströme von der Beugemuskulatur des Oberschenkels des Hinterbeines ab- leiten, wenn man Silberelektroden in der Mitte des Muskels und etwas weiter oberhalb einspießt. Faßt man das Bein, so sucht das Tier es durch sehr kräftigen Muskelzug zu befreien und in Beugestellung unter dem Schild zu verbergen. Diese Muskelkontraktionen geben im Ableitungs- stromkreis Aktionsströme, deren Oszillationszahl pro Zeiteinheit annähernd konstant ist und dieselbe Frequenz hat, welche bei den Retraktoren des Kopfes gefunden wurde, also bei 20° Eigentemperatur des Tieres etwa 30 pro Sekunde. Man erhält die regelmäßigsten und der Frequenz nach konstantesten Stromrhythmen bei Temperaturen zwischen etwa 18 und 30°. Diese Be- dingungen sind offenbar diejenigen, bei denen die Organe das Optimum für ihre funktionelle Tätigkeit haben. Oberhalb und unterhalb des so be- grenzten Temperaturbereiches beobachtet man Stromwellen, welche in Amplitude und Abständen in größerem Umfange variieren, so daß das Bild einer in unregelmäßigeren Wellen ablaufenden Stromkurve zustande kommt. Was nun die Abhängigkeit der Stromwellenfreguenz von der Tem- peratur betrifft, so überzeugt man sich zunächst leicht, daß die Zahl der Hauptwellen im Kurvenzug von dem oben angeführten Mittelwert 30 pro Sekunde absinkt, wenn das Tier abgekühlt wird, und daß sie zunimmt, wenn die Eigentemperatur des Tieres steigt. Bei ganz niedrigen Temperaturen, unter + 4°, wird die Aufeinander- folge der Stromwellen ganz unregelmäßig, so daß von einem Rhythmus und einer konstanten Zahl von Stromwellen pro Zeiteinheit überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Man registriert langgedehnte Hauptwellen von sehr niedriger Frequenz, von unregelmäßiger, durch superponierte Nebenwellen komplizierter Ablaufform und von mäßiger Amplitude (Taf. V, Fig. 11). Da- zwischen sind aber stellenweise doppelphasische Wellen von sehr großer Ampli- tude und ganz einfacher Ablaufform eingeschaltet, wie sie Einzelzuckungen des Muskels entsprechen würden. Auf eine solche Zuckungswelle folgt fast regel- mäßig ein wellenfreies Zeitintervall, eine Art: kompensatorischer Pause (Taf. V, Fig. 12). Diese Eigenschaften des Stromverlaufes lassen erkennen, daß das hochgradig abgekühlte Zentralnervensystem zum nervösen Äquator des Muskels Innervationssalven in unregelmäßiger Aufeinanderfolge und geringer Frequenz pro Zeiteinheit gelangen läßt. Die Präzision der einzelnen Salven ist meist so gering, daß der Schwarm der fibrillären Kontraktionswellen in lang aus- gezogener, loser Anordnung durch den Muskel hinläuft und in jedem Zeit- ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 219 teilchen seines. Bestehens eine lange Strecke des Muskels innehat. Im Ableitungsstrom kommt das durch die Ausbildung von Wellen großer Länge und kleiner Amplitude zur Geltung. Dann und wann aber läßt das Zentralnervensystem eine Innervationssalve von äußerst präziser Formierung zum Muskel gelangen. Dann geht vom nervösen Äquator durch die Muskelfasern ein Schwarm von Kontraktionswellen, der so dicht zusammen- gehalten abläuft, daß er in jedem Zeitteilchen seines Bestehens nur einen kurz begrenzten Bereich der ganzen Muskellänge inne hat. Dem entsprechen die doppelphasischen Ströme von kleinerer Wellenlänge und großer Ampli- tude. Aber auch in diesem Falle ist die Wellenlänge im Vergleich zum Mittelwert der normalen Wellen deutlich gedehnt, eine Erscheinung, welche eine Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle im abgekühlten Muskel erkennen läßt. Im ganzen erhält man bei Tem- peraturen unter 4° also das Bild einer trägen und nach Rhythmus und Intensität mangelhaft geregelten Funktionsweise von Innervationsapparat und Muskel. Bei 4 oder 4,5° erhält man Folgen von Aktionsstromwellen, die sich regelmäßig aneinander anschließen und eine Frequenz von 11 bis 12 pro Sekunde auszählen lassen. Die Zuckungswellen von großer Amplitude und die Pausen erscheinen nicht mehr. Die Wellen sind langgedehnt, von mäßiger Amplitude und haben vielfache und von einer Welle zur anderen sehr variabel angeordnete superponierte Zacken. Das ist das Kurvenbild einer zwar trägen aber ziemlich regelmäßigen Innervationsrhythmik und Muskelfunktion. Bei manchen Tieren tritt eine solche regelmäßige Rhyth- mik erst bei einer Eigentemperatur von etwa 10° auf. Bei langsam zunehmender gleichmäßiger Durchwärmung des Versuchs- tieres erhält man dann von den natürlich innervierten Retraktoren recht regelmäßige Stromrhythmen, deren Oszillationsfrequenz mit der Temperatur gleichmäßig ansteigt. Ich habe bei einer möglichst vollständigen Reihe von Temperaturpunkten zwischen 4 und 40° den Retraktorenreflex in Be- wegung gesetzt, die Muskelströme registriert und die Wellenfrequenz pro Sekunde an den Kurven ausgezählt (Taf. II—V, Fig. 1—10). Die Tabelle auf folgender Seite enthält die Ergebnisse einer solchen Serie von Registrierungen. _ Man sieht aus der Zahlenzusammenstellung, daß fast regelmäßig die Oszillationsfrequenz pro Sekunde in arithmetischer Reihe zunimmt, wenn die Temperatur um gleiche Beträge ansteigt. Trägt man in ein System recht- winkliger Koordinaten auf der Abszissenachse die Temperaturen, als Ordinaten die Oszillationsfreguenz des Muskelstromes pro Sekunde ein, so erhält man die in Fig. 2 dargestellte Kurve; stellt man in dieser Weise die Strom- rhythmik als Funktion der Temperatur dar, so sieht man ohne weiteres, daß die Zahl der Aktionsstromwellen, mithin die Zahl der über den Muskel 220 H. Piper: Temperatur Zahl der Aktionsstromwellen in Grad C pro Sekunde 4 11—12 7 15 12 19—20 14°5 23—25 15-5 25 18 29 20 32—33 22 35 24 38 26 40—41 28 44 30 47 32 51 34 54 36 56 40 62 pro Sekunde ablaufenden Kontraktionswellen einfach proportional zur Tem- peratur variiert. Da die Frequenz der Kontraktionswellen direkt durch die Zahl der vom Zentralnervensystem dem Muskel zugehenden Innervations- impulse bestimmt ist, so muß auch die Innervationsrhythmik in direkter Proportionalität zur Temperatur variieren. Zählt man die Temperatur nicht von 0° an, sondern von dem Punkte, wo die geradlinige Verlängerung der‘ Rhythmenkurvre die Abszissenachse Oszillationsfrequenz in Temperatur In schneiden würde, so ergibt sich, daß der Quotient konstante Größe ist. Die funktionellen Veränderungen, welche der Innervationsapparat und Muskel mit steigender Temperatur erfährt, bestehen demnach darin, daß das Nervensystem dem Muskel proportional zur Temperaturzunahme eine wachsende Zahl von Innervationsimpulsen zuströmen läßt und dab der Muskel gleichfalls proportional der Temperatur die Geschwindigkeit erhöht, mit welcher er die Kontraktionswellen leitet. Das letztere ergibt sich aus der Tatsache, daß im Kurvenzug der Aktionsstromwellen mit der Erhöhung der Oszillationsfreguenz pro Sekunde eine Abnahme der Länge jeder Haupt- welle einhergehen muß. Da bei gleichmäßiger Durchwärmung des ganzen Tieres, Muskel- und Nervensystem an den Zustandsänderungen in gleicher Weise beteiligt sind, so muß sich auch deren Einfluß an den Funktionen beider Organsysteme geltend machen. Unter normalen .Lebensbedingungen sind beide Organsysteme derart aufeinander in zweekmäßiger Weise ab- gestimmt, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle im ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG VON MUSKELKONTRAKTIONEN. 221 Muskel bei bestimmter Frequenz der Innervationsimpulse einen solchen Wert hat, daß eine Kontraktionswelle immer gerade dann die ganze Muskel- länge bis zum Ende durchzulaufen hat, wenn am nervösen Äquator ein neuer Innervationsimpuls eintrifft. Bei Abänderung der Innervationsfrequenz durch Temperaturvariierung ändert in zweckmäßiger Wechselbeziehung auch 80 70 60 50 40 30+ 20 19 15 20 25 30 35 4O Fig. 2. der Muskel die Leitungsgesehwindigkeit der Kontraktionswelle ab. So bleibt das Verhältnis bestehen, daß die Ablaufzeit einer Kontraktionswelle immer gerade die Pause zwischen zwei Innervationsimpulsen in Anspruch nimmt. Das müßte natürlich gestört werden, wenn nicht beide Organsysteme gleich- mäßig durchwärmt würden, sondern Innervationsapparat und Muskel auf verschiedene Temperaturen gebracht würden. 222 H. PıpER: ÜBER DIE NATÜRLICHE INNERVIERUNG USW. Noch ein Punkt in den Ergebnissen dieser Untersuchung erscheint in hohem Grade bemerkenswert. Die Lebensfähigkeit der Poikilothermen hört bei Temperaturen auf, die auch für den Warmblüterorganismus die Grenze des Zulässigen bilden, nämlich bei wenig über 41°. Eine noch auffälligere Beziehung aber ist die folgende: Bei etwa 37° hat das Nerv-Muskelsystem der Schildkröte dieselbe Oszillationszahl (etwa 56 pro Sekunde), welche bei der gleichen Temperatur für den Menschen und den Warmblüter die Norm ist (individuell variabel zwischen 47 und 56 pro Sekunde). Hier drängt sich die Vermutung auf, daß auch beim Warmblüter der 50er Rhyth- mus eine Temperaturfunktion ist. Die Tatsache, daß Innervations- apparat und Muskel bei Warm- und Kaltblütern bei gleicher Temperatur auch in gleich frequentem Rhythmus oszillieren, dürfte auf eine beide Organisationen umfassende Gesetzmäßigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit hinweisen. | Erklärung der Abbildungen. (Taf. II-V.) Zeitschreibung in allen Figuren !/, Sekunde. Fig. 1. Aktionsströme der Retraktormuskeln bei 4° — 110szillationen pro Sek. Fig. 2. Re ” E u Mei = 09 Fig. 3. D) za % „ 12° —19—20 „ ® Fig. 4. i > Y „15-5°- 3 3 5 Fig. 5. > ” ” „ 20° — 32 ; En Fig. 6. A s $: ON 5 “ ER; Fig. 7. he & F oo 4a x R Fig. 8. 35 55 5 „320 öl 3 s> Fig. 9. 23 er N soo 56 a h Fig. 10. > 60 > „ 40% — 62 > = Fig. 11. Aus demselben Kurvenzug wie Fig. 12. Temperatur unter 4°. Ge- dehnte Wellen geringer Frequenz. Fig. 12. Temperatur unter 4°. Aktionsströme der Retraktoren; zum Teil doppel- phasische Stromwellen, dazwischen Pausen, zu Anfang gedehnte Wellen von kleiner Amplitude. Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Reflexe mit besonderer Berücksichtigung der elektrischen Erscheinungen. Von Paul Hoffmann. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. VI.) Die Messung der Latenzzeit der menschlichen Reflexe, vor allem des Patellarreflexes litt bis vor kurzer Zeit an zwei sehr wesentlichen Übelständen. Der eine von diesen ist methodischer Natur, der andere beruhte auf un- genügender Kenntnis einer wesentlichen Konstanten. Der methodische Übelstand besteht darin, daß man die mechanische Kontraktion des Quadrizeps zu registrieren gezwungen war. Die Registrie- rung der geringen Dickenzunahme der menschlichen Muskeln ist notwendig schwierig und unsicher und die Latenzzeit der mechanischen Veränderung des Muskels ist sehr lang. Es ist möglich, diese in der Weise festzustellen, daß man den N. femoralis mit einem Induktionsschlag reizt und die Latenz _ des Muskels für diesen Reiz bestimmt. In dieser Weise ist Jendrassik vorgegangen. Die zweite Schwierigkeit, die der richtigen Deutung der Reflexzeit beim Menschen entgegenstand, waren die außerordentlich schwankenden und unsicheren Angaben über die Nervenleitungsgeschwindigkeit. Die An- gaben schwankten für die direkte Messung durch die Verdickung der Mus- keln des Daumenballens bei Reizung des N. medianus in der Achselhöhle und am Handgelenk! zwischen 30 und 64” in der Sekunde. ! Helmholtz und Baxt, Neue Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung im motorischen Nerven. Monatsberichte der kgl. preuß. Akademie. 1870. S. 184. 224 PAUL HOFFMANN: Die Bestimmung litt an genau demselben methodischen Fehler, den ich eben für die Reflexzeit beschrieben habe. Erst Piper gelang es dadurch, daß er statt des Eintritts des mechanischen Effektes den des elektrischen mit dem Saitengalvanometer markierte, zu befriedigend übereinstimmenden Werten zu gelangen. Er fand 120” pro Sekunde. Die Feststellung dieses Wertes ist für die Bestimmung der Latenz, ja für die gesamte Auffassung der Reflexe von entscheidender Bedeutung. Bei Einsetzung der früheren Werte erhielt man oft überhaupt keine meßbare Zeit für die Übertragung des Reizes im Rückenmark, oder die gemessene reichte sogar nicht aus für die Leitung in der verhältnismäßig langen Nervenstrecke. Es beruht wohl zum Teil auf dieser Unsicherheit, daß überhaupt noch Zweifel an der wirklichen Reflexnatur der menschlichen Sehnenphänomene sich bis in die neueste Zeit erhalten haben. Es lag nahe, die von Piper für die Nervenleitungsgeschwindigkeit beim Menschen mit so gutem Erfolg ver- wendete Methode zur Messung der Reflexzeit zu benutzen. Bevor ich zum eigentlichen Thema schreite, will ich die wesentlichsten Daten der Literatur kurz zusammenstellen. Die Zuckung des Quadrizeps bei Auslösung des Patellarreflexes ist eine Einzelzuckung. Dies nahm man auch schon auf Grund der me- chanischen Zuckungskurven an, z. B. auch Me William,! obgleich er feststellen konnte, daß man bei der Kontraktion ein deutiiches Muskel- geräusch hört, ähnlich dem systolischen Tone des Herzens. Was den Ablauf der Kontraktion im Quadrizeps betrifft, so war man der Ansicht, daß dieselbe gleichzeitig in allen Teilen des Muskels erfolge.” Bloch? und Tehirjew* haben nachgewiesen, daß sicher keine Kon- traktionswelle von der Patellarsehne proximalwärts läuft. Bei Hemiplegischen fand FeEre sogar, daß die Kontraktionswelle distalwärts ablief.° Über die Reflexzeit der menschlichen Sehnenphänomene sind sehr zahl- reiche Untersuchungen angestellt worden.° Ich greife nur einzelne An- gaben heraus. 1 Me William, Über das Muskelgeräusch. Zentralblatt für medizin, Wissen- schaften. 1887. 8. 657. ” Siehe Sternberg, Die Sehnenreflexe. Leipzig und Wien 1893. ® Bloch, Experiences sur la contraction musculaire provoquee par une pereussion du muscle chez ’homme. Journ. de l’anatomie et de la phys. 1885. p. 19. * Tehirjew, Ursprung und Bedeutung des Kniephänomens und verwandter Er- scheinungen. Archiv für Psychiatrie und Nervenheilkunde. 1818. Bd. VIII. S. 689. 5 Fere, Note sur les reflexes tendincux du genou etc. Comptes rend. Soc. de Biol. 1889. p. 530. ° Siehe die Zusammenstellungen bei Sternberg, a.a. 0. Langendorff, Physiologie des Rücken- und Kopfmarks in Nagels Handbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1905. Bd. IV. 1. 8. 221 ff. MENSCHLICHE REFLEXE. 225 Jendrassik! untersuchte bei zahlreichen normalen und pathologischen ‚Sehnenphänomen die Latenz des Patellarreflexes. Die direkt gemessene Reflexzeit beträgt zwischen 31 und 34!/,,00 Vek. Von diesen Zeiten subtrahiert er sowohl die für die Latenz des Muskels wie für die des Registrierapparates erhaltene Zeit, es bleibt dann ca. 0,023 Sek. für die zentrale Übergangszeit + Nerven- leitung. Für die zentrale Überleitungszeit, die sogenannte reine Reflexzeit erhält er, indem er 0.02 Sek. für die Nervenleitungszeit in Anrechnung bringt, ca. 0-003 Sek. Diese letztere Zahl würde sich nach den neuesten Bestimmungen der Nervenleitungsgeschwindigkeit beim Menschen ziemlich bedeutend erhöhen. Sehr wichtig ist, daß Jendrassik trotz zahlreicher Versuche keine Differenz zwischen der Reflexzeit des normalen und des pathologisch gesteigerten Sehnenphänomens fand. Das letztere Ergebnis steht mit denen von Eulenburg? in direktem Widerspruch. Dieser gibt an, daß in Fällen, wo die Sehnenreflexe abnorm verstärkt sind, die Dauer der latenten Reizung bis fast auf Null herunter- geht. Es ist Jendrassik ohne weiteres Recht zu geben, wenn er die Ergebnisse Eulenburgs schon dieses Resultats wegen bemängelt. Ich will deshalb von Eulenburgs Zahlen nur die anführen, die sich auf die Latenz des Achillesehnenreflexes beziehen. Die Latenz ist bei diesem größer als beim Patellarreflex und zwar um 0,016 Sek., insgesamt beträgt sie 0.048 Sek. Eulenburg maß ferner an der Leiche genau die zu den beiden Sehnenreflexen gehörenden Nervenstrecken. Es ergab sich für den Patellarreflex zentripetal 64 zentrifugal 34!/,,» zusammen 98'/, m Für den Achillessehnenreflex im Ganzen 170.5. . Rosenthal? fand, daß die Reflexzeit bei Erhöhung der Reizstärke sinkt, das ist, soweit es sich um kleine Differenzen handelt, sehr möglich; wenn der Autor aber angibt, daß sie bei sehr starken Reizen unmerklich 1 Jendrässik, Über die allgemeine Lokalisation der Reflexe. Deutsches Archiv für klin. Medizin. 1894. Bd. LII. S. 569. Derselbe, Beiträge zu der Lehre von den Sehnenreflexen. Zbenda. 1883. Bd. XXXIIL 8. 177. ? Eulenburg, Über die Latenzdauer und den pseudoreflektorischen Charakter der Sehnenphänomene. Neurolog. Zentralblatt. 1882. Bd. I. 8.3. Derselbe, Latenz des Achillessehnenreflexes. Zbenda. 8. 313. ® Rosenthal, Experimentelle Untersuchung der unter dem Namen Sehnen- phänomene bekannten Erscheinungen. Archiv für Psychiatrie und Nervenheilkunde. Bd. XV. S. 184. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 15 226 PAuu HorrmAnKN: klein wird, so werden dieselben Bedenken gegen seine Untersuchungen laut, wie gegen die von Eulenbure. Für den Lidreflex hat Exner! allerdings nachgewiesen, daß ein deut- licher Einfluß der Reizstärke auf die Reflexzeit besteht. Wertheim-Salomonson? registrierte die Aktionsströme beim Patellar- und Achillessehnenreflex mit dem Saitengalvanometer. Er stellte fest, daß bei geeigneter Ableitung die Aktionsströme nach Auslösung der Sehnenreflexe einfache doppelphasische Ströme sind. Damit ist der strikteste Beweis dafür gegeben, daß es Einzelzuckungen des betreffenden Muskels sind. Auch für den Patellarklonus wies er nach, daß es sich dabei um eine Reihe von Einzelzuckungen handelt. Beim hysterischen Klonus ist dagegen eine stetige Tätigkeit des Muskels festzustellen und man kann ungefähr 50 Aktionsstromwellen in der Sekunde zählen, was der von Piper für die normale, willkürliche Kontraktion des Menschen angegebenen Zahl entspricht. Über die Latenz des elektrischen Stromes bei Auslösung des Patellar- reflexes sagt Wertheim-Salomonson folgendes:? „La periode latente a pu &tre mesuree en inscrivant en m&me temps le moment de la pereussion. A cet effet, le moyen le plus simple etait d’enregistrer la contraction musculairee La courbe de la contraction est toujours precedee d’une petite inflexion qui est causee par l’Ebranlement mecanique du muscle par suite de la percussion du tendon. Le choc du marteau se progage le long du muscle avec une vitesse assez grande, mais facilement mesurable. Et quand on connait aussi la periode latente de l’appareil inscripteur, il n’y a aucune difficult@ a mesurer exactement la periode latente du courant d’action. On arrive & un chifire de 0-01 seconde.“ Der elektrische Vorgang im Nerven ist schon von Bernstein‘ für das Studium der Reflexzeit in Vorschlag gebracht worden. Mit der Wirkung einer längeren Folge von Reizen auf die Höhe des Reflexes beschäftigt sich eine Arbeit von Scheven.° Die Experimente 1 Exner, Pflügers Archiv. 1874. Bd, VIII S. 526. Derselbe, Vortrag auf dem IV. internationalen Kongreß für Hicktyomediarn und Radiologie. Amsterdam 1908. ? Wertheim-Salomonson, Clonus of organie and functional origin. Fol. neuro- biol. 1910. IV. p. 1. ® Annales d’electrobiologie et de radiologie, 5. Mai 1908. * Bernstein, Über reflektorische negative Schwankung des Nervenstromes und Reizleitung im Reflexbogen. Pflügers Archww. 1898. Bd. LXXII .S. 374. 5° Scheven, Zur Physiologie des Kniesehnenreflexes. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXVI. S. 108. MENSCHLICHE REFLEXE. 227 wurden am Kaninchen ausgeführt. Wurden die Schläge auf die Patellar- sehne in Intervallen bis zu 1 Sek. herab fallen gelassen, so fand sich nicht nur keine Verminderung, sondern eher sogar eine Erhöhung der einzelnen ‚Reflexe. Ferner konnte er feststellen, daß das Optimum der Reizstärke nicht mit dem Maximum zusammenfiel. Sehr ähnlich sind die Resultate, die Klarfeld! beim Menschen erhielt. Nach den Untersuchungen dieses Autors genügt eine Zeit von 1!/, Sek. völlig zur Wiederherstellung der Fähigkeit des Zentrums zu reagieren, und man kann in diesem Abstande eine sehr lange Reihe von Reizen folgen lassen, ohne daß eine Ermüdung eintritt. Methodik. Das Wesentliche der Methodik bestand darin, daß nicht wie bisher der Abstand des Reizes von dem Beginn der mechanischen Muskelreaktion bestimmt wurde, sondern der Abstand des Reizes von dem Beginn der elektrischen. Die elektrische Reaktion wurde durch Ableitung zum Saiten- galvanometer sichtbar gemacht. Da der Ausschlag des Saitengalvanometers, wenn man nicht bei höchster Empfindlichkeit sehr schwache Ströme hin- durchsendet, mit einer praktisch äußerst geringen, zu vernachlässigenden Latenz erfolgt, so war es allein die wesentliche Aufgabe, die Registrierung des Reizes ebenfalls möglichst latenzfrei zu machen. Es wurde dies da- durch erreicht, daß das Knie oder die Achillessehne der Versuchsperson sehr nahe vor den Spalt des Registrierers gebracht und ferner kurze dicke Hebel verwendet wurden. Ein 15 e® langer Holzstab wird in der Mitte drehbar an einem Stativ befestigt. Am untern Ende ist ein fingerdickes Querholz angebracht, Dieses Querholz liegt direkt auf der Patellarsehne und wird durch den Zug eines schwachen Gummibandes leicht angedrückt erhalten. Der Schlag, dessen Stärke variiert werden kann, erfolgt automatisch und wird elektromagnetisch ausgelöst. Er wird so gerichtet, daß er den Hebel an der, dem auf der Sehne liegenden Querholz gegenüberstehenden Stelle trifft. Das andere Ende des Registrierhebels ist etwas zugespitzt und wirft seinen Schatten vor den Spalt des Cremerschen photographischen Fallregistrierers, auf den zugleich das Bild der Galvanometersaite und einer Stimmgabel von 248 Schwingungen pro Sekunde fällt. Der gesamte Gang einer Untersuchung war folgender: Die Versuchs- person bekam auf den Oberschenkel und zwar auf die Mitte und das distale ı Klarfeld, Ergographische Untersuchungen über den Kniesehnenreflex. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXI. S. 404, 15* 228 PAuL HorrFmann: Ende des Quadrizeps zwei Trichterelektroden! aufgeschnallt, dann wurde das Querholz des Registrierhebels an die Patellarsehne angedrückt und die Stellung des Beins so gewählt, daß auf einen Schlag auf den Hebel prompt ein Reflex erfolgte. Das Bein wurde niemals, wie es für die klinische Untersuchung des Patellarreflexes vielfach üblich ist, über das andere ge- schlagen, sondern der Fuß stand stets mit ganzer Sohle auf, während das Bein im Kniegelenke einen stumpfen Winkel bildetee Dann wurden die Trichterelektroden mit dem Galvanometer verbunden und die Platte im Schlitten des Registrierers fallen gelassen. An einer passenden Stelle löste dieser den Schlag aus. Bei der Geschwindigkeit des Registrierers, 1300 "= pro Sekunde, muß der Auslösekontakt ziemlich genau eingestellt werden, um auf einer 12 = langen Platte, wie ich sie ausnahmslos verwendete, so- wohl den Reiz als auch den Galvanometerausschlag abzufangen. Bei Anwendung dieser Methodik sind Korrekturen wegen etwaiger Latenz der Reizmarkierung auf keinen Fall zu befürchten. Die Schwin- gungszahl des kurzen breiten Holzhebels ist so hoch, daß sie vollkommen in die Fehlergrenze der Ausmessung der Kurven fällt. Ferner hat die Methode den Vorteil, daß sie den gesamten Reiz ge- wissermaßen mit registriert. Es ist nicht ohne weiteres klar, an welcher Stelle des Eindrückens der Sehne der Reiz, der zum Zentralorgan reflex- erregend läuft, wirklich erzeugt wird. Dadurch, dab man den Reflex auch durch Nervenreiz auslösen kann, ist festzustellen, daß der wirksame Reiz ganz beim ersten Auftreffen des Schlages auf die Sehne gebildet wird. Die Vorrichtungen zur Messung der Latenz des Achillessehnenreflexes sind genau die gleichen wie beim Patellarreflex. Nur wurde statt des beim Patellarreflex verwendeten geraden Hebels ein Winkelhebel verwendet. Der Reizschlag wurde senkrecht geführt; die Versuchsperson befand sich in der für Auslösung des Achillessehnenreflexes üblichen knieenden Stellung. Das für die Registrierung der elektrischen Vorgänge verwendete Gal- vanometer war das große Modell des Saitengalvanometers, wie es Edel- mann liefert. Der Faden bestand aus Quarz und hatte 2500 2 Wider- stand. Es ist entschieden vorteilhaft, den Faden nicht zu stark zu spannen. Eine wesentliche Schwierigkeit bei der Ausmessung bildet nämlich die Be- stimmung des Abhebepunktes der Kurve von den Abszisse. Es ist demnach ı Es sind dieselben, die Piper auch zu seinen Untersuchungen benutzt hat. Die Öffnung des 10°= weiten Trichters wird mit Schweinsblase überspannt: der Innenraum wird mit konz. ZnSO,-Lösung gefüllt, durch den Hals ragt in die Lösung ein amal- gamierter Zinkstab hinein, von dem zum Galvanomcter abgeleitet wird. MENSCHLICHE REFLEXE. 229 wichtig, den allerersten Beginn eines Stroms im Galvanometerkreis schon wahrzunehmen. Hierfür ist ein entspannter Faden am besten. Auf den Ausfall der Gesamtschwankung kommt es eigentlich gar nicht an. Die Versuchsperson war in fast sämtlichen Fällen der Verfasser selbst. Alle in den zahlenmäßig angegebenen Resultaten befindlichen Ergebnisse sind von ihm. Die bei einer anderen Person (Student von etwa gleicher Größe) erhaltenen Werte waren die gleichen. Resultate. 1. Form der elektrischen Stromkurven. Die auf die oben beschriebene Weise erhaltenen Kurven können im großen und ganzen als dem wirklichen Ablauf der Aktionsströme ent- sprechend angesehen werden. Zum mindesten kann man die einzelnen Phasen als in jedem Fall vorhanden annehmen. Die Kurven könnten am ehesten entstellt werden durch die sogenannte Kondensatorwirkung des Körpers. Diese bewirkt eine Periodizität des Ausschlages beim Einschalten des Menschen in den Stromkreis. Die Periodizität ist unter Umständen (wenn der Widerstand des Körpers + Elektroden sehr groß ist) recht be- deutend.. Am wesentlichsten ist immerhin von den Gründen, die uns dazu bewegen, diese Kondensatorwirkung nicht allzu hoch einzuschätzen und unsere Kurven für zuverlässig zu halten, der, daß die physiologischen Ströme im Körper selbst entstehen und nicht von außen hineingeleitet werden und daß sie ferner nicht momentane Potentialsprünge sind, sondern langsam an- und abschwellen. Übrigens leiden nicht nur die Versuche am Menschen an diesem Fehler, sondern die an bloßgelesten Organen zeigen denselben, bloß in quantitativ geringerem Maße. «) Form der Aktionsstromkurven vom Quadrizeps. Es ist, wie auch schon aus den Untersuchungen Hermanns? und Pipers? über die Aktionsströme der Unterarmflexoren hervorgeht, durchaus ı Siche Garten, Über den Erregungsvorgang im Nerven und Muskel des Warm- blüters. Zeitschrift für Biologie. 1909. Bd. Lil. S. 534, und die der vorliegenden ganz ähnliche Fragebeantwortung bei Hoffmann, Über die Aktionsströme mensch- licher Muskeln bei indirekter tetanischer Reizung. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtg. S. 439. ® Hermann, Untersuchungen über die Aktionsströme des Muskels. Pflügers Archiv. 1878. Bd. XVI. 8. 191. ® Piper, Verlauf und Theorie des Elektromyogramms der Unterarmreflexoren. Pflügers Archiv. Bd. CIX. S. 151. 230 Pıun Horrmann: nicht gleicheültig, an welcher Stelle des Muskels man die Elektroden auf- setzt. Da der Quadrizeps in seiner Gesamtheit ein recht komplizierter Muskel ist, so ist es nicht lohnend, eine Übersicht über die Aktionsstromkurven bei den sehr zahlreichen möglichen Stellungen der Elektroden zu‘ geben. Die Lokalisation nach einem Schema, wie es Piper! für die Unterarm- flexoren angegeben hat, würde bei der viel komplizierteren Faserstruktur und den verwickelteren Innervationsverhältnissen nicht genügen, da auch noch die mehr mediale und laterale Stellung der Elektroden zu berück- sichtigen wäre. Ich habe selbst auch nur einzelne Positionen durchuntersucht. Manchmal traten auch bei scheinbar gleicher Elektrodenstellung etwas ver- schiedene Kurven auf. Setzt man die Elektroden auf der Oberseite des Femur in einer Verbindungslinie der Spina anterior superior mit der Patella auf, so erhält man bei geringer Höhe des Reflexes und dem entsprechend geringer Amplitude der Aktionsstromwelle einfache doppelphasische Ströme (siehe Taf. VI, Fig. 1). Man kann die Elektroden auf beliebige Punkte dieser Linie in beliebigen Kombinationen aufsetzen und erhält doch wieder, wenn auch nicht gleiche, so doch sehr ähnliche Kurven. Und zwar sind die Phasen der Kurve bzw. des Aktionsstroms in allen Fällen gleich ge- richtet. Dies ist sehr bemerkenswert, denn es beweist, daß die Erregungs- welle in den bei diesen Stellungen des Muskels unter den Elektroden liegenden Muskelteilen von oben nach unten, vom Beeken nach der Patella läuft. Der nervöse Äquator liegt also für diese Muskelabschnitte ganz oben am Becken. Die auf diese Weise gezogenen Schlüsse erweisen sich aber für andere Muskelteile als unhaltbar. Setzt man eine Elektrode von etwa 6°" proximal und etwas medianwärts von der Patella auf und die andere etwa auf die Mitte der eben besprochenen Linie, so erhält man drei phasische Kurven. Diese sind weiter auch dadurch unregelmäßig, daß die erste Phase so gerichtet ist, daß sie ein Negativwerden der distalen, näher der Patella gelegenen Elektrode anzeigt. Bei wieder anderen Stellungen kommen noch komplizierter vier bis fünf phasische Kurven zum Vorschein ! (siehe Textfig. 1). Die größere Zahl der Phasen ist nicht die Folge einer veränderten Reaktion der einzelnen Fasern, sondern sie entsteht durch Interferenz mehrerer doppel- phasischer Ströme. Das geht auch daraus hervor, daß die Gesamtlänge des Aktionsstroms in allen Fällen etwa !/,, bis !/,, Sek. beträgt. Kurz, es sieht schließlich so aus, als könne man keine einzige sichere Regelmäßigkeit fest- stellen und damit auch die Art der Erregung, die den Quadrizeps bei Aus- -Jösung des Patellarreflexes trifft, nicht bestimmen. Es gibt aber doch eine Möglichkeit, stets einfache doppelphasische Ströme von gleicher Richtung zu erhalten. Wenn man nämlich eine Elektrode ganz dicht an die Patella, Io En 0) MENSCHLICHE REFLEXE. 231 etwa auf die Ansatzsehne des Rectus femoris auflegt, so kann die andere beinahe liegen wo sie will, ausgenommen direkt medial oder lateral von der erstgenannten, und man erhält stets einen einfachen doppelphasischen Strom. Die Riehtung desselben ist die, daß erst die proximale, dann die distale Elektrode negativ wird, d. h. die Erregung tritt im Patellarende des Muskels später ein als in den übrigen Teilen. Ungefähr! genau denselben Verlauf des Aktionsstroms erhält man auch, wenn man den Muskel vom Nerven aus mit einem Einzelinduktionsschlag reizt. Zu den zahlreichen Beweisen für die tatsächlich reflektorische Natur der Zuckung des Quadrizeps bei Auslösung des Patellarreflexes wird hierdurch noch ein weiterer hinzugefügt. Es ist die von Fer&? beim Hemiplegischen gefundene Tatsache, daß beim Quadrizeps die reflektorische Kontraktionswelle distalwärts läuft, mit der elektrischen Methode auch beim Normalen ohne weiteres zu beweisen. A 0 B R 56 Sek. Hiszt® Wirkung der Stellung der Elektroden auf dem Muskel auf die Form der Stromkurve. Die Elektroden liegen bei A in der Leistenbeuge und in der Mitte des Femur, bei 2 distal von der Spina ant. sup. und in der Mitte des Muskels. A% Moment des Reizes. ß) Form der Aktionsstromkurve vom Gastrocnemius-Soleus. Wenn es beim Quadrizeps gelingt, bei bestimmten Elektrodenstellungen einfache doppelphasische Ströme bei reflektorischer Kontraktion zu erhalten, so glückte es mir peim Gastrocnemius-Soleus nicht. Ich erhalte, wenn ich die beiden Elektroden nahe beieinander auf die untere Hälfte der Wade setze, stets einen dreiphasischen Strom (siehe Taf. VI, Fig.2). Die erste Phase ist klein und dauert nur kurze Zeit. Ihre Höhe erreicht in günstigen Fällen nur !/, bis !/,, der beiden anderen, manchmal wird sie aber gröber, bis zu der gleichen Größe wie die dritte Phase, die regelmäßig kleiner ist als die zweite. Die erste Phase sieht also genau so aus wie ein kurzer Vorschlag vor der doppelphasischen Schwingung. Trotz ihrer relativen Kleinheit gelang es ! Die Schwierigkeit der Vergleichung liegt wesentlich daran, daß es sehr schwer ist, auf beide Arten Kurven etwa gleicher Amplitude zu erhalten. Zillere,. 2.2.0. 232 PAtı HorrFrmaAnn: mir nie, sie völlig zu unterdrücken. Die Richtung des Aktionsstroms ist derart, daß zuerst die distale Elektrode kurze Zeit negativ wird, dann die proximale und schließlich wieder die distale. Da es unbestreitbar ist, daß die distale Elektrode zuerst negativ wird, d.h. daß am unteren Ende des Muskels die Erregung gewissermaßen beginnt, so kommt der Gedanke, ob nicht doch am Ende eine direkte Erregung durch den Schlag auf die Sehne stattfindet. Hier hilft nur der Vergleich mit der Aktionsstromkurve, die man bei Reizung des Tibialis mit einem Einzelschlage erhält, aus. Es zeigt sich, daß diese Kurven ebenfalls einen solchen Vorschlag zeigen, wenn sie auch nicht ganz kongruent mit denen der reflektorischen Kontraktion sind (siehe Taf. VI, Fig. 4). Es folgt also auch hier derselbe Schluß wie beim Patellarreflex: die Erregung des Muskels erfolgt vom Nerven aus, folglich ist die Kon- traktion reflektorisch. y) Veränderungen der Form der Stromkurve. ‘Die Form der Stromkurve bei reflektorischer Kontraktion ist ebenso wie die bei den Zuckungen, die auf indirekten Einzelreiz erfolgen, für die betreffende Elektrodenstellung sehr konstant. Mit der Höhe des Reflexes steigert sich auch die Amplitude der Ausschläge, aber ihre Konfiguration bleibt dieselbe. Die sogenannte Bahnung des Reflexes, wie sie z. B. der Jendrässiksche Handgriff bewirkt, erzeugt nun eine Verstärkung der Zuckung .und damit ebenfalls nur eine Vergrößerung der Amplitude. Ein derartiges Verhalten ist eigentlich von vornherein zu erwarten. Die Konfiguration der Kurve könnte sich nur dadurch ändern, daß die Innervation in den Nerven- endigungen der einzelnen Muskelteile zu relativ verschiedenen Zeiten ein- träfe. Es könnte das also nur dann zustande kommen, wenn die Inner- vation nicht völlig salvenmäßig, sondern mehr peletonfeuerähnlich erfolgte. Nun hat das Zentralnervensystem aber von vornherein die Neigung, salven- mäßige Innervation auszusenden.” Ob der beim Reflex vom Rückenmark ausgesandte Innervationsstoß völlig dem entspricht, den ein Einzelinduktions- schlag im Nerven auslöst, läßt sich sehr gut durch Vergleich der Kurven bei direkter und reflektorischer Reizung erkennen. Für diese Feststellung ! Siehe Piper, Über den willkürlichen Muskeltonus. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXIX, S. 301. Derselbe, Neue Versuche über den willkürlichen Tetanus der quergestreiften Muskeln. Zeitschrift für Biologie. 1907. Bd. L. 8. 393. Derselbe, Weitere Beiträge zur Kenntnis der willkürlichen Muskelkontraktion. Ebenda. S. 504. - Derselbe, Über die Rhythmik der Innervationsimpulse bei willkürlichen Muskel- kontraktionen. Zbenda. 1909. Bd. LIII. S. 140. ‚MENSCHLICHE REFLEXE. 235 sind die Kurven am geeignetsten, die man durch indirekte Reizung des Gastrocnemius-Soleus vom Tibialis aus erhält. Ich erhalte bei mir selbst als Versuchsperson bei dieser Reizung sowohl eine direkte Muskelkontraktion, wie auch eine reflektorische. Das gleiche geschieht in manchen Fällen (die Erregbarkeit ist keineswegs alle Tage gleich) auch bei Reizung des Quadri- zeps vom Femoralis aus. Diese Kurven eignen sich aber viel weniger, weil die Reflexzeit des Patellarreflexes so gering ist, daß die durch die Nerven- reizung und die durch den Reflexvorgang erzeugte Kontraktionszone zugleich auf dem Muskel vorhanden sind und beide daher im Stromkreis inter- ferieren (Textfig. 2). Die Reflexzeit des Achillessehnenreflexes ist dagegen so lang, daß beide Kontraktionen durch eine Strecke, in der der Faden in die Ruhelage tritt, getrennt sind (Taf. VI, Fig. 4, Textfig. 3). Aus diesen letzthin beschriebenen Kurven ergibt sich nun, daß der Unterschied zwischen dem reflektorischen Innervationsstoß und dem durch Nervenreizung erzeugten nur ein minimaler sein kann. In manchen Fällen zeigen die 'Aktions- ströme der durch Nervenreiz erzeugten Zuckungen kleine Zacken und Un- ebenheiten, während die der reflektorischen Zuckungen rundere Formen haben (siehe Taf. VI, Fig. 4). Ich möchte mich hier beschränken festzu- stellen, daß die Innervationsimpulse der beiden Fälle mindestens eine sehr große Ähnlichkeit miteinander haben. Eine Veränderung der Form oder auch nur der Amplitude der Aktions- stromkurve, je nachdem man den Muskel mehr oder weniger spannt, ist nicht wahrzunehmen. Nach Versuchen von Bernstein, die ich nach eigenen ganz bestätigen kann, sind die Aktionsstromkurven, die man von isotonisch und isometrisch zuckenden Froschmuskeln erhält, schon an und für sich sehr wenig different. Beim menschlichen Quadrizeps fallen sie aber völlig innerhalb der Fehlergrenzen. Die verhinderte Bewegung des Unter- schenkels macht ganz sicher keine Veränderung der Verhältnisse, denn die Bewegung beginnt erst, wenn der Aktionsstrom schon fast abgelaufen ist, nach Weiler! erst 0,04 bis 0,06 Sek. nach dem Reiz. 2. Die Latenzzeit des Patellar- und Achillessehnenreflexes. Nachdem die Form der Kurven, die man für die Aktionsströme bei Auslösung des Patellar- und Achillessehnenreflexes erhält, feststeht, gehe ich zu den Ergebnissen der Latenzzeitbestimmung mit der elektrischen Methode üher. Die Methode beruht darauf, daß man als den Punkt des ı Weiler, Monatsschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. (Lewan- dowsky-Alzheimer.) Bd. I. Heft 1. 1910. 9234 PAuu HorFrMmaAnn: Einsetzens des Reflexes den Moment annimmt, an dem die Kurve des Aktionsstroms sich von der Abszisse abhebt. Es ist diese Methode vor allem von Piper für die Messung der Leitungsgeschwindigkeit im markhaltigen menschlichen Nerven verwendet worden." Aus den dort angegebenen Resultaten kann man ihre außerordent- liche Genauigkeit und ihre Unabhängigkeit von Zufälligkeiten, der Spannung des Muskels usw. ersehen. Piper fand z. B.,” daß das zwischen Reiz- moment und elektrischer Muskelreaktion bei Reizung des Nervus medianus in der Bizepsfurche verstreichende Zeitintervall 0,0044 Sek. beträgt; welcher Wert um nicht mehr als + 0,0001 Sek. schwankt. Die Tatsache, daß es Piper überhaupt gelang, gleichmäßige Werte für die Nervenleitung zu finden, spricht schon an und für sich für die Überlegenheit der Methode über die mechanische. Wertheim-Salomonson hat mit der gleichen Methode Messungen der Latenzzeit angestellt. Er findet 0,01 Sek. für die Latenz des elektrischen Stromes bei Auslösung des Patellarreflexes. Ob er diese Zeit für eine wirkliche Reflexzeit hält, sagt er nicht. Die Zahl von 0,01 Sek. für die Latenzzeit des Patellarreflexes ist zu klein. Da die Nervenstrecke 1” beträgt und die Latenz des Muskels auf indirekte Reizung vom Nerven aus von Piper beim Menschen (Unterarm- flexoren auf 0,003587 berechnet wird, so ergibt sich für eine Nerven- leitungsgeschwindigkeit von 130” (der höchsten irgendwie in der Literatur - fest begründeten) 0,0077 + 0,0036 = 0,0113 Sek. Der Wert 0,01 ist also schon theoretisch unmöglich. Es zeigt sich auch, daß der mit ungefähr gleicher Methodik zu erhaltende Wert ca. 100 Prozent größer ist. Ich hatte bei meinen ersten vorläufigen Angaben über die Latenzzeit? Werte angegeben, die 10 bis 15 Prozent niedriger sind, als ich sie jetzt mit verbesserter Methodik bestimme. Ich erhalte nach dem besten Verfahren jetzt 19 bis 23 !/,oo0 Sek. für den Patellarreflex und 31 bis 36 !/,ooo Sek. für den Achillessehnenreflex. Dabei ist in allen Fällen angenommen, daß der Reiz im allerersten Beginn des Auftreffens des Schlages auf den Reeistrierhebel (und damit auch auf die Sehne) erfolgt. Ich werde später einen Weg beschreiben, der uns ! Piper, Über die Leitungsgeschwindigkeit in den. markhaltigen menschlichen Nerven. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXIV. S. 591. Derselbe, Weitere Mitteilungen über die Geschwindigkeit der Erregungsleitung im markhaltigen menschlichen Nerven. Ebenda. 1909. Bd. CXXVI. S. 474. ? Ebenda. 8. 476. ® Berliner Physiologische Gesellschaft. Sitzung vom 20. Mai 1910. Medizin. Klinik. 1910. Nr. 25. MENSCHLICRE REFLEXE. 235 eine annähernde Kritik über die Zeit ermöglicht, die vergeht von der ersten Berührung des Schlaghebels mit der Sehne bis zur Fortleitung des Reizes im sensibeln Nerven. Die Gesamtdauer des Reizes von der Erhebung bis zum Gipfelpunkt (s. Taf. VI, Fig. 1, 2), den ich ja wie oben beschrieben, in seinem ganzen Verlauf auf die Platte registriere, beträgt etwa 2 bis 3 1/\000 Sek.. Die Bewegung des Registrierhebels beginnt mit geringerer Ge- schwindigkeit, erreicht bald das Maximum derselben und behält dies fast bis zum Ende, bis zum Zurückschwingen der Sehne bei. Dies Ver- halten ist aus den mechanischen Verhältnissen sofort klar, die Langsam- keit des Beginnes ist nur durch die Trägheit und Elastizität des Registrier- hebels, der plötzlich durch den Schlag in Bewegung gesetzt werden muß, bedingt. Von der Bildung des Reizes kann man sich nur sehr wenig Vorstellungen machen. Sind es spezifische Nervenendorgane oder ist es nur eine einfache Zerrung der Nerven selbst? Sehr auffallend ist jedenfalls, daß es nicht selingt, durch Reiz mit einem Induktionsschlag, den man auf die Patellar- sehne appliziert, einen Reflex zu erzeugen. Bei mir persönlich ist dies absolut der Fall, es entsteht zwar schließ- lich bei sehr starken schmerzhaften Reizen eine Zuckung, aber die Latenz- messung ergibt, daß der Reiz den Weg über das Gehirn genommen hat, die Latenz beträgt etwa !/, Sek. Es handelt sich offenbar um eine durch den Schmerz erzeugte Abwehrbewegung. Von Sternberg! wird betont, daß der reizauslösende Schlag Schwin- gungen der Sehne hervorrufen müßte. Der Hammer dürfe also nicht an die Sehne angedrückt liegen bleiben, sondern solle wieder zurückspringen. Nach einer solehen Auffassung würde also der Reiz viel später entstehen, als ich oben angenommen habe, eventuell erst beim Zurückschwingen der Sehne. Der Zeitunterschied wäre dann für den Achillessehnenreflex ?/, ., Sek., für den Patellarreflex ?/,ooo-, Die Gesamtwerte der Reflexzeit würden sich also um diese Zeitspanne verringern. Was etwaige Fehler der zeitlichen Markierung des Reizes betrifft, so erachte ich für den Patellarreflex bei meiner Methodik die Latenz desselben für praktisch bedeutungslos. Etwas anders steht es mit dem Achillessehnen- reflex. Da der Schlag senkrecht geführt wird und die Platte ebenfalls senkrecht fällt, muß ein Winkelhebel verwendet werden; dieser ist zwar mit einer Strebe versehen, so daß Schwingungen möglichst vermieden werden, doch könnte eine geringe Latenz von 1 bis 21/000 Sek. wohl vor- handen sein. Man muß dabei beachten, daß ein selbst gutes Pfleilsches ıA.2.0. 236 Pıun Horrmann: Signal noch nicht so exakt arbeitet. Man müßte in diesem Falle schon das von Einthoven beschriebene, nach dem Prinzip des Saitengalvano- meters konstruierte verwenden, oder in derselben Weise, wie Piper es bei der Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit tat, den reizanzeigen- den Strom direkt in den Galvanometerkreis einbrechen lassen. Ich habe anfangs auf diese letztere Weise zu experimentieren versucht, bin aber doch davon abgekommen, weil so sehr oft durch die Reizeinbruchszacke die gesamte Kurve entstellt wird. Diese Methode hat allerdings die absolute Sicherheit der Latenzfreiheit, denn die Latenz des Saitengalvanometers selbst ist praktisch null. Einzelne gelungene Aufnahmen beweisen, daß die Reflex- zeit .bei dieser Art der Messurg die gleiche ist. 3. Die Latenzzeit der Reflexe bei Auslösung mit Induktionsschlag vom Nerven aus. Die Schwierigkeit der genauen Bestimmung des Reizmomentes fällt bei einer Methode der Reflexauslösung fort. Ich meine die Anslösung des Reflexes durch Reizung des zum Muskel ziehenden Nervenstammes. Bei Reizung des Nervus tibialis mit einem Einzelinduktionsschlag er- halte ich, wie bereits erwähnt, stets außer der direkten Zuckung auch noch _ eine Reflexzuckung im Gastroenemius-Soleus. An einem Tage war das gleiche auch bei Reizung des Femoralis mit dem Quadrizeps der Fall. Diese letztere Erscheinung scheint aber nicht konstant zu sein, spätere Versuche mißlangen. Daß es sich bei den oben beschiebenen Zuckungen nicht um Reflexe handelt, die von der ersten auf Nervenreiz erfolgten Zuckung durch Zer- rung an der Sehne ausgelöst werden, erhellt daraus, daß die Latenzzeit, schon vom Induktionsschlage ab gerechnet, etwas kleiner ist als die bei Aus- lösung durch Schlag auf die Sehne gefundene. Ich erhalte in diesem Falle folgende Zahlen: für den „Patellarreflex‘“ bei Reizung des N. femoralis am Lig. puparti 1-70—1.78, für den „Achillessehnenreflex‘“ bei Reizung des N.tibialis in der Kniekehle 2.82—2.90!/,.. Sek. Diese Messungen sind sicher gänzlich latenzfrei. Sie leiden aber an dem anderen Fehler, daß der Faden sich nicht ganz in der Ruhelage befindet, wenn der Reflex einsetzt. Beim Achillessehnenreflex ist dies der langen Latenzzeit wegen kaum mehr der Fall, der elektrische Effekt der ersten durch Nervenreizung entstehenden Zuckung ist abgelaufen, wenn der zweite Innervationsstod kommt; anders ist es dagegen beim Patellarreflexe, hier interferieren die beiden Zuckungen in ihren elektrischen Effekten jedesmal im Stromkreise und man kann nur aus Knickungen im Kurvenverlauf den Eintritt des zweiten Aktionsstroms unscharf bestimmen. (Siehe Kurven 2 u. 3). Die Zahlen für den Pa- MENSCHLICHE REFLEXE. Dal tellarreflex seien also mit einer gewissen Einschränkung betreffend ihrer Sicherheit ausgesprochen. Durch Vergleich der auf diese Weise erhaltenen Werte für die Reflexzeit mit den auf die gewöhnliche Weise festgestellten RE F50Dek. Fig. 2. Auslösung des .Patellarreflexes vom Nerven aus. Interferenz der Aktionsströme der indirekt vom Nerven und der reflektorisch erzeugten Kontraktion. & _E Reizeinbruch. A erste Phase des indirekt erzeugten doppelphasischen Stromes, B Interferenz ‘der zweiten Phase des ersten und der ersten Phase des reflektorisch erzeugten Stromes. C zweite Phase des reflektorisch erzeugten Stromes. EN t {I | I E—— \ Pb z0 Sek. Hip 3: Auslösung des Achillessehnenreflexes vom N. tibialis aus. ARE Reizeinbruch, A erste kleinere durch den Nervenreiz erzeugte Aktionsstromwelle, © zweite größere durch den Reflex erzeugte Aktionsstromwelle. Trotz der verschiedenen Größe der Amplitude ist die Ähnlichkeit beider Kontraktionswellen evident. kann man zu einer gewissen Vorstellung über die Art des Zustandekommens des Reizes bei Schlag auf die Sehne gelangen. Die Höhe des Reflexes ist in beiden Fällen etwas verschieden, bei Reizung vom Nerven aus meist 238 Pıutu HoFFMmAnN: recht groß. Immerhin sind die Verschiedenheiten der Latenzzeit nur ge- ring (siehe hinten). Die Länge der Nervenstrecke ist bekannt, ebenso die Nervenleitungsgeschwindigkeit, es bleibt also als Rest die Latenzzeit der Nervenendorgane, die den Ursprungsreiz bilden, und der Zeit, die verstreicht von dem ersten Auftreffen des Schlages auf die Sehne bis zur wirklichen Affizierung der Nervenendorgane. Die letzten beiden Summanden sind nicht zu trennen. Wenn man der Berechnung kurze Zeiten zugrunde legt, beträgt die Differenz für die Reflexzeiten bei den beiden Arten der Auslösung 0.003 Sek. für den Patellar- und 0.005 Sek. für den Achillessehnenrefiex, Beim Patellarreflex beträgt bei mir die Ersparnis an Nervenstrecke ca. 43 a, beim Achillessehnenreflex ungefähr genau dieselbe Strecke. 0.003 Sek. für 43 °® würden einer Nervenleitungsgeschwindigkeit von 129 = in der Sekunde, 0-005 Sek. einer solchen von 86 in der Sekunde entsprechen. Der erstere Wert muß also sicher zu klein sein, er ist auch, wie schon bemerkt, in seiner Ausmessung unsicher, dagegen ist der zweite Wert schon recht möglich. Ich nehme natürlich nicht an, daß die Nerven- leitungsgeschwindiekeit tatsächlich eine solche ist, wie ich sie angegeben, es tritt ja die Latenz der Nervenenden hinzu. Diese kann man durch Einsetzen des Wertes für die Nervenleitungsgeschwindigkeit (120 = pro Sek. [Piper]) berechnen, für 43 °® gebraucht das Nervenprinzip danach 0.0036 Sek. Es bleiben also für die Endigungs- oder Erregungslatenz 0.0014 Sek. Dies ist eine recht geringe Zeit. Mit der Latenz der Nerven- endigungen + Muskel ist sie nicht zu vergleichen. Es existiert auch keine andere Angabe, die geeignet wäre, als Vergleichswert zu dienen. Die herausgerechnete Zeit ist, das gestehe ich offen, so kurz und der Wert wird durch Beobachtung so vieler einzelner sehr kurzer Zeiten festgesteilt, daß die Zahl wohl nur der Größenordnung nach zu gelten hat, Nimmt man andere Zahlen, als die ich oben angewendet habe (ich wählte fast die kürzesten, weil diese den höchsten Reflexen entsprechen, und die vom Nerven aus hervorgerufenen Reflexe recht heftig sind), so er- hält man natürlich andere Werte. Es lohnt sich nicht, die Rechnung noch- mals durchzuführen, sie sollte das erste Mal nur als Beispiel dienen. Insgesamt ergibt sich, daß die Latenz der Aufnahme des Reizes vom Schlage aus, eine sehr geringe sein muß, man wird also mit Recht an- nehmen, daß der Schlag schon ganz im Anfang des Auftreffens auf die Sehne wirkt, will man nicht die Latenz der Nervenendigungen als ver- schwindend klein ansehen. Hier will ich noch kurz über die Reflexzeit des Patellarreflexes be- richten, wenn man den Reizschlag nicht auf die Sehne distal von der Pa- tella, sondern direkt auf den Ansatz des Quadrizeps fallen läßt. MENSCHLICHE REFLEXE. 239 Es ergeben sich dann durchaus gleiche Werte. In der auf der Tafel Fig. 3 abgebildeten Aufnahme beträgt die Reflexzeit 2.00!/,,, Sek. Da die Elektroden ganz oben am Becken lagen, ist diese Zeit nicht meßbar kürzer, als die bei der gewöhnlichen Art der Auslösung erhaltene. 4. Wird bei der sogenannten Bahnung des Reflexes vom Gehirn aus die Reflexzeit kürzer? Von ganz erheblichem Interesse ist die Frage, ob durch zentrale Ein- flüsse die Latenzzeit des Reflexes vermindert werden kann. Wie aus der Literatur ersichtlich ist, ist Jendrässik zu dem Resultat gekommen, daß es nieht der Fall ist. Von anderer Seite (Eulenburg) ist es aber wieder sicher behauptet worden. Daß ein Einfluß vom Zentrum aus auf den Reflex stattfindet, ist ja unzweifelhaft, denn die Reflexe werden bei Bahnung, wie allgemein be- kannt, entschieden höher, dies prägt sich auch in einer größeren Ampli- tude des elektrischen Erfolges deutlich aus. Die Fragestellung, ob bei Bahnung des Reflexes eine Verminderung der Reflexzeit eintritt, muß in zwei Sonderfragen geteilt werden, sollen anders nicht Mißverständnisse auftreten. Zuerst muß die Frage erledigt werden: Ist die Reflexzeit in irgend einer Weise von der Höhe des Reflexes abhängig? Die Antwort hierauf erscheint beim Betrachten der Kurven leicht: ja. Der Abstand des Abhebepunktes von der Abszisse von dem Reiz ist bei großer Amplitude der Aktionsstromwelle entschieden etwas kleiner. Sollte ein einfacher Vergleich, des immerhin recht unbedeutenden Unterschieds halber, diese Tatsache nicht erhärten, so ergibt eine Tabelle den Unter- schied deutlich. Die Reflexe mit großen Ausschlägen der Saite haben ent- schieden die kürzere Latenz. Patellarreflex. Nummer Größe der Amiplırude Reflexzeit der Aktionsstromwelle 1 Kleiner Ausschlag 0-0227 Sek. 2 Schwacher Ausschlag 0:0223 „ 3 Desgl. 0-0227 „, 4 Desgl. 0.0218 „, 5 Mittelgroßer Ausschlag 0.0227 „ 6 Desgl. 0-0229 „ © Recht kleiner Ausschlag 0-0234 „ 8 Großer Ausschlag 0:0200 „ ]) Jendrässikscher 9 Desgl. 0-0200 „ Handgriff. Die mit Klammern verbundenen Werte sind unmittelbar nacheinander aufgenommen. 240 Pıuu Horrmans: Achillessehnenretlex. Nummer | Größe des Ausschlags Reflexzeit 1 Mittelgroß 0-0346 Sek. 2 Ziemlich groß | 0.0842 „ 3 Desgl. 0-0331 „ 4 . Mittelgroß 0-0346 „, 5 Desgl. 0-0339 „, 26 Desgl. 0.0342 „, m Desgl. 0-0342 „ 8 Sehr groß 0.0318 „, Zu dieser Tabelle gehört noch die Lösung der Frage: Beruht diese größere Latenz nur darauf, daß die Saite durch die größere elektromoto- rische Kraft früher aus der Ruhelage abgelenkt wird oder tritt die elek- tromotorische Kraft wirklich früher ein? Die Antwort auf diese Frage kann man durch Vergleich sonst gleicher unter entsprechenden Verhältnissen aufgenommener zweier Aktionsstrom- kurven finden; tritt die Erregung im Muskel tatsächlich früher ein, so muß sie auch früher vollständig abgelaufen sein und die Kurve muß ihre Gipfel beide zu einer früheren Zeit erreichen und in ihrer Gesamtheit ver- schoben sein. Ist es nur eine scheinbare Latenzverminderung, so wird der Strom eher später zu fließen aufhören, und die Gipfel der Kurve werden vor allem nicht in gleichmäßiger Weise nach einer Richtung verschoben sein. Bei der Betrachtung meiner Kurven erscheint es mir, daß auf diesen Fehler wohl mindestens noch ein Teil der Verlängerung der Latenzzeit bei höherem Reflex entfällt. Die zweite Frage, die den Einfluß der Bahnung feststellen soll, ist die: Hat die Bahnung, bei gleicher Amplitude des Galvanometerausschlags, einen entschiedenen Einfluß auf die Reflexzeit? Hierauf möchte ich direkt mit nein antworten. Ich werde also das Gesamtresultat dahin zusammenfassen: Mit dem Wachsen der Höhe des Reflexes und damit auch mit dem Wachsen der Amplitude der Aktionsstromwelle nimmt die Latenz der allerersten merk- baren elektrischen Veränderung etwas ab, die Bahnung des Reflexes vom Großhirn aus hat keinen anderen Effekt als die Erhöhung des Reflexes mit ihren Folgen. Die Verringerung der Latenzzeit ist so gering, daß sie auch vorgetäuscht sein kann von dem sich früher Bemerkbarmachen einer größeren Potentialdifferen.. Da die Potentialdifferenz nicht sprungweise entsteht, sondern namentlich im Anfang sehr allmählich auftritt, so ist die Bestimmung ihres ersten Eintretens notwendig etwas unscharf. Die Ver- MENSCHLICHE REFLEXE. 241 hältnisse werden durch die beiden Kurven, in denen mehrere Aktionsstrom- kurven verschiedener Amplitude in gleichem Verhältnis übereinander ge- zeichnet sind, illustriert. Hierbei sind in der Kurve A verschiedene Patellarreflexe, in der Kurve 2 verschiedene Achillessehnenreflexe über- einander gezeichnet. Die Veränderung der Latenzzeit durch die Er- 1 5oDek. Fig. 4a. Zwei Patellarreflexe mit verschiedener Amplitude, aber gleicher Konfiguration des Ausschlags und scheinbarer Latenzverminderung beim höheren Reflex. Fig. 4b. Dasselbe beim Achillessehnenreflex. 2 Moment des Reizes. höhung des Reflexes kann bis 15°/, der Gesamtlänge gehen. Hier ist der Ort, noch zu bemerken, daß die Stellung der Elektroden auf dem Muskel die Latenz nur wenig beeinflußt, immerhin sind die Zeiten bei den Aufnahmen, wo die Elektroden am meisten proximal liegen, am kürzesten. Die Gesamtveränderung dadurch beträgt bis zu 5°), der Ge- samtlänge. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtilg. 16 242 PAuL HoFrFMmAnR: 5. Versuch der Berechnung der wirklichen Latenzzeit des Rückenmarks,. Um aus den erhaltenen Daten der „rohen“ Reflexzeit die „reine“ zu berechnen, muß man noch die Latenz des Muskels auf Nervenreiz fest- stellen. Für den Menschen ist diese Latenz von Piper für die Unter- armflexoren bei Reizung des N. medianus in der Bizepsfurche bestimmt werden. Sie beträgt 0.0044 Sek., die Abweichungen betragen nicht mehr als 0-0001 Sek.! Mit der gleichen absoluten Genauigkeit die Latenzzeit der Quadrizepserregung bei Reizung des Femoralis festzustellen, ist mir nicht gelungen. Es mag dies auch daran liegen, daß die Registrier- geschwindigkeit des mir zu Gebote stehenden Cremerschen Fallapparats, will man häufige Störungen daran vermeiden, nicht über 1400 =" pro Sekunde gesteigert werden kann, während Piper viel größere Geschwin- digkeiten zu Gebote standen. Für diese Geschwindigkeit liegen die Längen, die man auszumessen hat, noch unter 1“, Ferner bewirkt, wie schon bemerkt, die Stellung der Elektroden auf dem Muskel doch einen kleinen Unterschied. Im ganzen sind aber doch die Resultate im Verhältnisse zu den übrigen hinreichend genau. Die Messung geschieht einfach durch Messung des Abstands des Reizeinbruchs vom Beginn der elektrischen Aktion. Für den Achillessehnenreflex finde ich 0-006 Sek. beim Aufsetzen der Elektroden auf das untere Ende des Soleus und auf die Mitte der beiden Muskeln. Für den Patellarreflex finde ich etwas weniger, ca. 0.004 Sek. Die Nervenstrecke beträgt nach Eulenburg für den Patellarreflex genau 1-0”, für den Achillessehnenreflex 1-70”. Diese Zahlen dürften auch für mich vollkommen stimmen. Von diesen Werten sind abzuziehen, als schon inbegriffen in der Zeit für den Reiz vom Nerven aus, für den Patellarreflex (Leistenbeuge, Mitte des Femur) ca. 20 ®, für den Achillessehnenreflex (Kniekehle, Mitte der Wade) ca. 14 =. Also sind die noch für Nervenleitung zu berechnenden Strecken SO ® und 153 =, Diese würden für eine Leitungsgeschwin- digkeit des Nervenprinzips von 120 ©“ pro Sek. durchlaufen werden in 0.0066 (Patellarreflex) und 0.0127 (Achillessehnenreflex) Sek. Also er- gibt sich bei abgekürzten Werten von 0-007 und 0.013 für den Patellarreflex 0.011 und für den Achillessehnenreflex 0-019 Sek. Abzug von der „rohen“ Reflexzeit für die „reine“ bei Verwendung der sichersten Werte 0-009 für den Patellarreflex und 0-013 für den Achillessehnenreflex. ı Piper, Pflügers Archiv. 1909. Bd. CXXVIL MENSCHLICHE REFLEXE. 243 Zusammengestellt für 1: Rohe Reflexzeit 32, Nervenleitungszeit 13. Zusammengestellt. Patellarrelex Achillessehnenreflex Rohe Reflexzeit . . . . 200 320 Nervenleitungszeit . . . 70 130 Muskellatenz . . 2. 2....40 60 Reine Reflexzeit . . . . 9% 180 on, Sek: Diese Werte stiminen recht schlecht überein. Man muß bedenken, wieviel notwendig ungenaue Messungen als Grund- lage dafür gedient haben. Sicherer erscheint die Berechnung auf Grund der durch Reizung des Nerven erhaltenen Reflexzeiten. Die so bestimmten rohen Zeiten betragen 0-017 und 0-028 Sek. Bei Berechnung der Nervenlänge muß außer der oben festgestellten Reduktion noch die Länge von der Patellarsehne bis zum Reizpunkt am N. femo- ralis und von der Achillessehne bis zum Reizpunkt am Tibialis subtrahiert werden, 45 und 34 °“, die Nervenlänge beträgt also 35 und 119 ®, Die Leitungszeit für das Nervenprinzip würde betragen 0.0029 und 0-0099, abgekürzt 0-003 und 0.001 Sek. Dazu kommt die oben berechnete Latenz vom Reizpunkt bis zum Muskel mit 0-004 und 0.006 Sek. Also Gesamt- reduktion für den Patellarreflex 0-007 und 0-016 Sek. für den Achilles- sehnenreflex. Reflexzeit im Rückenmark also 0-010 und 0-012. Zusammengestellt. Patellarreflex Achillessehnenreflex Rohe Reflexzeit vom Nerv aus 17 28 Nervenleitungszet . . .. 8 10 Müskellatenz „2 rss 6 Keime Reflexzet 2. 22272210 Ne Seit Diese Werte stimmen etwas besser überein, als die auf die andere Art bestimmten. Die Grundlage aller dieser Berechnungen bilden zwei Annahmen. Die erste besteht darin, daß die Leitungsgeschwindigkeit des sensibeln und des motorischen Nerven gleichgesetzt wird. Es ist dies von vornherein nicht ohne weiteres sicher. Schon die mikroskopische Struktur der sensibeln ünd der motorischen Nerven ist nicht gleich. Die mit Zuhilfenahme der sensibeln Reizung an verschiedenen Körper- stellen festgestellten Werte für die Nervenleitungsgeschwindigkeit ergaben 16* 244 PAuL HorFFMmANnN: bedeutend niedrigere Werte (Helmholtz 60”,! Hirsch 30”,?2 Schalske 25 bis 32.5, ähnlich Donders, v. Wittich, Oehl, Hietow, höher dagegen Kohlrausch,* im Mittel 94”). Ich möchte aus meinen Versuchen schließen, daß die Annahme, in sensibeln Nerven wäre die Geschwindigkeit geringer als in motorischen, nicht gerechtfertigt erscheint. Die Autoren, die die geringen Nervenleitungs- geschwindigkeiten für die sensibeln Nerven anführen, fanden etwa die gleichen für die motorischen Nerven (Helmholtz), Aus dem oben be- rechneten Unterschied der Geschwindigkeit des Reflexes für die Reizung der Sehne und für die Reizung des Nerven ergaben sich ohne weiteres Werte, die ungefähr dem von Piper für den motorischen Nerven an- gegebenen entsprechen. Die hier angestellten Rechnungen müßten einer bedeutenden Korrektur unterworfen werden, wenn man annimmt, wie es Sternberg tut, daß der Reiz nicht in der Sehne selbst gebildet wird, d.h. daß nicht die Nerven der Sehne selbst es‘sind, die gereizt werden, sondern daß die Erschütterung erst bis zum Muskel fortgeleitet werden muß und dort erst die Bildung des Reizes erfolgt. Ich habe über die Schnelligkeit der Fortpflanzung der Erschütterung im Muskel keine Versuche angestellt. Es würde durch solche neuen Bestimmungen, Berechnungen und Reduktionen das gesamte nur noch mehr kompliziert und unsicherer werden, denn man muß wieder den Punkt suchen, in dem schließlich im Muskel der Reiz für den Reflex gebildet wird. Nach den Vorstellungen, die wir heute vom Muskelsinn haben, ist die Sensibilität wesentlich nicht in den Muskeln selbst, sondern in den Ge- lenken und deren Umgebung lokalisiert. Durch den Vergleich der Zahlen, die man für den durch Schlag auf die Sehne und den durch Nervenreizung erzeugten Reflex erhält, kann man beweisen, daß der Schlag fast un- mittelbar im Momente des Auftreffens auf die Sehne wirken muß. 6. Kann der Reflex durch kurz aufeinanderfolgende Reize ausgelöst werden? Mit Hilfe der Aktionsströme kann man schließlich festzustellen ver- suchen, ob das Rückenmark imstande ist, in rascherer Folge reflektorisch Impulse auszusenden. 1 Helmholtz und Baxt, Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den motorischen Nerven der Menschen. Monatsberichte der kgl. preuß. Akademie zu Berlin. 1867. S. 238. ?2 Hirsch, Moleschotts Untersuchungen. Bd. I. 8. 183. ® Schalske, Archiv für Anatomie, Physiologie u. wiss. Med. 1864. S. 151. * Kohlrausch, Zeitschrift für rationelle Medizin. 1866. Bd. XXVIII. S. 190 und 1868. Bd. XXXI S. 410. MENSCHLICHE REFLEXE. 245 Die erste Art, auf die ich versuchte, diese Frage zu lösen, bestand darin, daß ich Schläge in rascher Folge auf die Patellarsehne richtete. Es gelingt mir ohne weiteres auf diese Weise, einen Klonus von 6 Zuckungen in der Sekunde hervorzurufen. Löst man bei einem Kranken den Fußklonus aus, so macht man ein sehr ähnliches Experiment. Die Zahl der Schläge bei diesem Klonus werden von Gowers! auf 5bis 7, von Waller? auf 8 bis 10 in der Sekunde an- gegeben. Wertheim-Salomonson findet bei Aufnahme der Aktions- ströme des Fußklonus, ebenfalls ca. 10 kis 12 pro Sekunde. Um noch kleinere Intervalle untersuchen zu können, ließ ich zwei Schläge dicht hintereinander auf die Patellarsehne fallen. Die Schläge waren so stark, daß sie in gehörigem Abstande beide einen kräftigen Reflex auslösten. Wenn sie in geringerem Abstande als !/, Sekunde auftrafen, so wurde die Amplitude des Aktionsstroms vom zweiten Reflex immer kleiner, bei !/,, etwa war der geringste Abstand, in dem ich noch 2 Reflexe auf diese Weise auslösen konnte, erreicht. Diese Untersuchungen leiden an dem Fehler, daß man nicht sicher ist, ob die Sehne beim Auftreffen des zweiten Schlages schon wieder in normaler Lage ist. Ja man kann wohl sogar ziemlich sicher behaupten, daß sie es nicht ist. Nun ist es kein Wunder, wenn ein Schlag bei un- günstiger Stellung der Sehne keinen Reflex auslöst. Man kann auch versuchen, durch Reizung der Nerven in der oben beschriebenen Weise mit Reihen von Induktionsschlägen, Reihen von Reflexen hervorzurufen. Das Auftreten von Reflexen zeigt sich an sehr heftigen und - schmerzhaften Zuckungen des betreffenden Muskels (Quadrizeps odor Gastro- enemius-Soleus). Nach diesem subjektiven Gefühl kann man ziemlich gut beurteilen, ob jeder Reiz wirksam ist oder nicht, bei 15 Reizen pro Sekunde erhielt ich so noch auf jeden einen Reflex. Bei Reizung mit Induktions- strömen von etwa 30 in der Sekunde habe ich bei einigen Versuchen keine Reflexe mehr, sondern nur noch direkte Zuckungen, in diesem Falle selbst- verständlich prompt den Reizen folgend erhalten. Zusammenfassung der Resultate. 1. Die Reflexzeit des Patellarreflexes beträgt für den elektrischen Effekt 0-019 bis 0-024 Sekunde, für den Achillessehnenreflex 0-032 bis 0.036 Sekunden bei Auslösung der Reflexe durch Einzelschlag der auf den N. tibialis in der Kniekehle (stets zu erzielen) und den N. femoralis in 1 Gowers, A study of the so-called tendon-Reflex phaenomena. "Medico-chirurgical transactions. Zit. nach Sternberg. 2 Waller, On muscular spasmus known as tendon reflex. Brain. Vol. III. p. 179. 246 PAauL HOFFMANN: MENSCHLICHE REFLEXE. der Leistenbeuge (selten zu erzielen) appliziert wird, vermindert sich die Reflexzeit auf 0-017 und 0-028 Sekunden. 2. Setzt man für die Nervenleitungszeit, sowohl im sensibeln als auch im motorischen Nerven, die Geschwindigkeit von 120” und bestimmt man die Latenz der Muskeln (Quadrizeps und Gastrocnemius-Soleus) auf indirekte Reizung des Nerven, so ergibt sich für die „reine“ Latenz des Rücken- muskels, für den Patellarreflex 0.009, für den Achillessehnenreflex 0-013 Sek., nimmt man die Werte von den Reflexen, die man bei Reizung der Nerven erhält, so sind die entsprechenden Zeiten 0.010 und 0-012. 3. Die Erregungswelle läuft über den Muskel in etwa derselben Weise ab, gleichgültig ob man den Muskel indirekt mit Einzelschlag oder reflek- torisch reizt, wodurch bewiesen wird, daß die Erregung in beiden Fällen vom Nerven aus erfolgt. F 4. Die Nervenleitungsgeschwindigkeit im sensibeln Nerven ist der im motorischen (120”) zum mindesten sehr naheliegend. 5. Eine irgendwie bedeutende Verminderung der Reflexzeit bei Bahnung ließ sich auschließen. Die Reflexzeit scheint bei sehr hohen Reflexen etwas kürzer zu sein als bei schwachen (alles nur für den normalen Menschen untersucht), diese Verminderung kann sehr wohl eine scheinbare sein, da geringe Potentialdifferenzen sich in den Kurven noch nicht sichtbar machen und infolgedessen der Abhebungspunkt der Kurve von der Abszisse nur unscharf zu bestimmen ist. Erklärung der Abbildungen. (Taf. VL) Fig. 1. Messung der Latenzzeit des Achillessehnenreflexes. Zu oberst die Zeit- schreibung !/,,, Sekunde, darunter die Galvanometerkurve, zu unterst die Markierung des Reizes. Von links nach rechts zu lesen. Fig. 2. Dasselbe für den Achillessehnenreflex. Fig. 3. Patellarreflex, ausgelöst durch Schlag auf das distale Ende des Quadrizeps. Fig. 4. Auslösung des Achillessehnenreflexes vom N. tibialis aus mit Einzelschlag. Oben Zeitschreibung !/,,; Sekunde, darunter die Galvanometerkurve. Nach dem Reiz- einbruch, der zur Markierung des Reizmomentes dient, folgt der erste, direkte Kon- traktionsvorgang mit vierphasischem Strom, nach einer kurzen Pause folgt die reflek- torische Erregung mit einem sehr ähnlichen Aktionsstrom. Ausschlag der Saite nach der Zeitschreibung hin bedeutet Positivität des proxi- malen Muskelteils. Über die Aktionsströme von Kontraktionen auf Zeitreiz. Von Paul Hoffmann, (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) Der elektromotorische Effekt der Muskelerregung bei indirekter Reizung mit verschiedenen Methoden ist bis auf wenige Lücken schon festgestellt. Ich führe nur die den quergestreiften Muskel betreffenden Resultate an, da diese für die vorliegende Abhandlung einzig in Betracht kommen. Bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen erhält man ein einmaliges Negativwerden jedes Muskelteils und bei der Ableitung zum Galvanometer dementsprechend eine einphasische oder doppelphasische Schwankung, je nachdem man einen Querschnitt am Muskel anlegt oder vom verletzten ableitet.! Reizt man mit 2 kurz aufeinanderfolgenden Induktionsschlägen, so er- hält man bei sehr kurzem Intervall zwischen den beiden Reizen (1 bis 2 1/ 000 Sek-, für den Frosch) nur einen einzigen elektrischen Effekt, bei größerem Intervall 2 bis 8 !/,o00 Sek. erfolgen zwei elektrische Reaktionen, die zweite tritt aber verspätet ein. Die Verspätung regelt sich mit einiger An- näherung: danach, daß der zweite elektrische Effekt erst !/,,., Sek. nach der ersten erfolgen kann (Samojloff? bestätigt von Keith Lucas?). 1 Hermann, Pflügers Archiv. 1878. Bd. XVI. 8. 191 und 410. Matthias, ebenda. 1893. Bd. LII. S. 10. Burdon Sandersson, Journ. of Physiol. 1895. Vol. XVII. v. Brücke, Pflügers Archiw. 1909. Bd. CXXIX. 2 A. Samojloff, Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. S. 1 und Zenfral- blatt für Physiologie. 1910. Bd. XXIV. Nr. 2. 3 Keith Lucas, Journal of Physiology, 1909. Vol. XXXIX. p. 331. 248 PAıurn Horrmann: Diese Feststellungen bilden die Überleitung zu den Muskelrhythmen bei tetanischer Reizung mit Folgen von Induktionsschlägen. Für den Frosch ergibt sich in diesem Fall, daß der Muskel bis zu einer Reiz- frequenz von 100 pro Sekunde regelmäßig auf jeden Reiz eine Erregung bewirkt (ausnahmsweise bis 270). Beim Menschen findet man bei der gleichen Untersuchung ais oberste Grenze des den Reizen folgenden Muskelrhythmus 300 pro Sekunde.” Wendet man sehr hohe Reizfrequenzen an oder auch konstante Ströme, so zeigt sich, daß der Muskel in der höchsten möglichen Frequenz oszilliert, also beim Frosch in ca. 100, beim Warmblüter in 200 bis 400 in der Sekunde.? In beiden Fällen sind die Werte von der Temperatur abhängig. Bei raschen Änderungen konstanter, noch keinen kontinuierlichen Tetanus bewirkender Ströme sind die elektrischen Fffekte im allgemeinen dieselben wie bei auf Induktionsschlag folgenden Zuckungen. Ein besonderes Interesse beanspruchen die elektrischen Vorgänge im Muskel bei willkürlicher Innervation. Piper‘ fand beim Menschen 50 Aktions- stromwellen und am Kaninchenskelettmuskel etwa das gleiche, bei der Schild- kröte (Testudo graeca) 12 bis 50 je nach der Temperatur. Dittler® fand später sehr ähnliche Frequenzen am Zwerchfell des Kaninchens bei normaler Innervation und bei direkter Ableitung der Aktionsströme des Phrenikus. Der Aktionsstrom einer Muskelzuckung, die durch einen einfachen Innervationsstoß erzeugt wird, unterscheidet sich beim Menschen nicht merklich von dem einer Zuckung, die durch einen Einzelinduktionsschlag hervorgerufen wird. Der Einzelinnervationsstoß wird erzeugt durch Aus- lösung eines Sehnenreflexes.® Über die elektromotorischen Erscheinungen im Muskel bei Reizung der Nerven mit sogenannten Zeitreizen, hat Kries? in seiner grundlegenden Arbeit interessante Tatsachen beigebracht. Er findet, daß die negative Schwankung bei Zuckungen die mit Zeitreizen ausgelöst wurden, bedeutend ı F. Buchanan, English journ. of physiol. 1901—1902. Vol. XXVI. ® P. Hoffmann, Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 430. ® Dittler und Tichomirow, Pflügers Archiv. 1908. Bd. CV. 8. 111. Garten, Aödhandlungen der königl.sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Math.- naturw. Kl. Bd. XXVl S. 330. Derselbe, Zeitschrift für Biologie. 1909. Bd. LII. S. 534. Piper, ebenda. Bd. LIII. S. 86 und ebenda. 1909. Bd. LIII. S. 140. * Piper, Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXIX. S.301. Zeitschrift für Biologie. 1907.2.Bd212 32393: 5 Dittler, Pflügers Archiv. 1909 und 1910. € Wertheim-Salomonson, Folia neurobiologiea. 1910. Vol. IV. p. 1. Paul Hoffmann, Dies Archiv. 1910. Physiol. Abtlg. S. 223. " v. Kries, ebenda. 1884. Physiol. Abtlg. S. 33f., - AKTIONSSTRÖME BEI ZEITREIZEN. 249 länger ist als die bei Zuckungen auf Momentanreiz. Und zwar ist die Verlängerung unter bestimmten Umständen eine sehr bedeutende (bis 6 fach). ‚Wenn man in der Literatur nach anderweitig beschriebenen Verlängerungen und Veränderungen des elektromotorischen Effektes im Muskel sucht, so ist die Ausbeute gering. Babkin! fand, daß die Aktionsstromkurve des Hyoglossus des Frosches einen gedehnteren Verlauf hat als die des Sartorius, entsprechend dem gedehnteren Verlauf der mechanischen Zuckungskurve dieses Muskels. v. Brücke? fand eine Verlängerung des absteigenden Schenkels der einphasischen Stromkurve vom Froschsartorius bei Ermüdung dieses Muskels. Untersucht man intakte Froschmuskeln, so scheint es nach den neueren Untersuchungen, daß der Ablauf der elektrischen Erscheinung stets derselbe bleib. Man muß also nach allen Angaben, außer der v. Kries annehmen, daß die Erregung des Muskels ein gewissermaßen präformierter Schwingungsvorgang ist, dessen Amplitude man wohl ändern kann, dessen andere Eigenschaften aber bei gleicher Temperatur so gut wie fest bestimmt sind. Unter diesen Umständen wäre es sehr merkwürdig, wenn man durch Zeitreize den Ablauf der Aktionsströme in so erheblichem Maße verändern könnte, wie es v. Kries angibt. Ich habe es auf Anregung von Z Prof. Piper unternommen, die Aktions- Keen ströme des Gastrocnemius vom Frosch bei Reizung der Ischiadicus mit Zeitreizen FR = nach der Methode von Kries mit Hilfe B des Saitengalvanometers zu untersuchen. 2 Il WX Die Aufstellung wurde so eingerichtet, une m daß durch den Schlitten des Registrierers 2 sowohl der Strom momentan durch einen Quecksilberkontakt (X) geschlossen werden Fi. 1 - konnte, als auch das Rheonom abgeschossen Sr wurde, je nachdem man eine Wippe Z Element. S Quecksilberschlüssel. ohne Kreuz umlegte. Im übrigen waren Br Brückendraht. R Kriessches die Drahtverbindungen wie sie die Skizze Bheonom (gerade gezeichnet). F’feste, B bewegliche Elektrode in der Zink- angibt. $ sulfatrinne. W Wippe. YV Vorreibe- | Das verwendete Präparat: war das schlüssel. M Elektromagnet. typische Ischiadieus Gastroenemius-Präpa- K. Kontaktapparat. N Nerv. rat vom Frosch. Die Ableitung zum Saitengalvanometer erfolgte durch in Kochsalz getränkte Wollfäden, die um die Mitte und um das distale Ende des Muskels geschlungen wurden. ! Babkin, Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXV. 8. 595. ? v. Brücke, ebenda. 1908. Bd: CXXIV. S. 215. 250 PAuL HOFFMANN: Ich habe früher bewiesen, daß man bei der Ableitung von diesen Stellen einfache doppelphasische Ströme erhält.! Der Faden des Saitengalvanometers bestand aus Platin und hatte 7000 2 Widerstand. Er wurde so gespannt, daß 1 Millivolt im Strom- kreis (bei Ausschaltung des Präparats) 2” Ausschlag bei der benutzten Vergrößerung entsprachen. Es erwies sich in vielen Fällen zweckmäßig, 2 Aufnahmen auf 1 Platte zu machen. Die Registriergeschwindigkeit war meistens 860 "= pro Sekunde. Die mechanische Zuckung des Muskels wurde auf einem kleinen Kymo- graphion aufgeschrieben. m 1 50 Sek. a b Fig. 2. Aktionsströme bei Momentanreiz. a normal, 5 anomal, doppelt. Die kleine Zacke beim Beginn kommt durch Induktion des Reizstromes auf den Galvanometerkreis. Von links nach rechts zu lesen. Die auf Momentanreiz erfolgende Zuckung ist im normalen Falle eine Einzelzuekung, d. h. der Aktionsstrom ist doppelphasisch (siehe Fig. 2a). Es läßt sich dies am besten beweisen, daß man, während die photographische Platte hinter dem Spalt des Registrierers vorbeifällt, den Reizstrom mehr- fach mit einem zuverlässigen Quecksilberschlüssel öffnet und schließt. Man erhält dann einzelne doppelphasische Aktionsstromkurven, zwischen denen die Saite längere Zeit in der Ruhelage verharrt. Die Länge und gesamte Konfiguration der Kurven entspricht durchaus denen, die man bei Reizung mit Einzelinduktionsschlägen erhält. ı Paul Hoffmann, Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 499, AKTIONSSTRÖME BEI ZEITREIZEN. 251 Bei starken Reizströmen erhalte ich, namentlich wenn der Muskel längere Zeit nicht gezuckt hat, oft bei Momentanreiz nicht einen einfachen doppelphasischen Strom, sondern zwei solche unmittelbar hintereinander (Fig. 2b). Es tritt in solchem Falle also keine Einzelzuckung, sondern ein ganz kurzer Tetanus ein. In der mechanischen Kurve äußert sich dies sofort, die Zuckung ist höher als die Einzelzuckung, dies entsteht einfach durch die Superposition. Ist der Reizstrom sehr stark, so entsteht der gewöhnliche Kathoden- schließungstetanus mit den ihm entsprechenden Aktionsströmen. Wenn man nun die Aktionsströme der Zuckungen auf Zeitreiz be- trachtet, so zeigt sich, daß man übereinstimmend mit v. Kries länger dauernde Erregungszustände des Muskels als bei Momentanreiz erhält. Was die mechanischen Effekte bei der Zuckung betrifft, so brauche ich hier nur anzugeben, daß meine Befunde sich mit denen v. Kries völlig decken. Auch ich finde in vielen Fällen eine geringe aber deutliche Verlängerung der Zuekung auf Zeitreiz gegenüber der auf Momentanreiz, namentlich bei längerer Dauer des Reizes. Der Unterschied zwischen den Befunden von v. Kries und mir besteht darin, daß die Zuckung auf Zeitreiz sich mit Ausnahme von sehr kurzen Reizen als tetanisch ausweist. Der elektrische Vorgang im Muskel ist also in diesem Fall kein einmaliger und kontinuierlicher, sondern er ist ein oszillatorischer (siehe Fig. 3). BEN 7 WE Hp so Sek. Eie’es. Aktionsstrom auf Zeitreiz. Kleine Amplitude. Die Gesamtlänge des Aktionsstromes, oder der Aktionsstromreihe be- trägt bis zu °/,o. Sekunde. v. Kries gibt an, daß die negative Schwan- kung bis 6 mal so lang dauern können, wie Bernstein sie für die Einzel- zuckung annimmt. Er kommt also in dieser Beziehung zu genau dem- selben Wert. Es ist mir nicht zweifelhaft, daß v. Kries ganz analoge Tetani vor sich gehabt hat wie ich, nur daß er noch nicht das Instrument besaß, ihre Natur zu erkennen. 2 Aus den Kurven, z. B. von Dittler und Tichomirow, betreffend die negative Schwankung des Froschmuskels bei Reizung der Nerven mit konstantem Strom, kann man ersehen, wie klein die auf die gesamte negative Schwankung aufgesetzten Zacken selbst bei einem vorzüglich reagierenden Saitengalvanometer sind. Es ist ganz natürlich, daß das be- 252 PıAuu HOFFMANN: deutend träger reagierende Kapillarelektrometer diese Einzelzacken nicht deutlich mehr zeigt. Die Länge der einzelnen doppelphasischen Ströme, die den Tetanus zusammensetzen, beträgt, wie aus den Versuchen von Garten, Dittler und Tichomirow schon zu erwarten war, etwa 2/00 Sekunde und demgemäß ist ein verhältnismäßig sehr langer Tetanus aus 5 Einzeloszillationen zusammengesetzt. 30Sek. Fig. 4. Aktionsstrom bei Zuckung auf Zeitreiz. Man könnte hier einwenden, daß ich doppelphasische Ströme ab- geleitet habe und infolgedessen große Irrtümer in bezug auf die wirkliche Zahl der Einzelschläge des Tetanus unterlaufen können. Hiergegen ist zuerst zu sagen, daß mein Resultat hinsichtlich des Eigenrhythmus des Muskels mit dem der Autoren, die einphasische Ströme untersuchten, voll- kommen übereinstimmt. Es handelt sich ja bei den ausgelösten Oszillationen offenbar um den Eigenrhythmus des Muskels. Ferner haben mir Versuche, vor allem an mit Strychnin vergifteten Fröschen gelehrt, daß es bei Ab- leitung doppelphasischer Ströme noch leichter gelingt, den Rhythmus der schnellen Oszillationen festzustellen, als bei Ableitung einphasischer. Die angewandte Methode ist also für den vorliegenden Zweck jedenfalls brauch- bar, ja vorteilhafter als die andern. Ebenso wie v. Kries fand ich auch, daß die Länge des Aktionsstroms mit der des Reizes zunimmt, bei sehr kurzem Reiz habe ich bei fast mini- malen Reizstärken mehrfach auch Einzeloszillationen auf Zeitreiz hin ent- stehen sehen (Fig. 5). Man kann also sagen, daß man eine kontinuierliche Reihe von tetanischen Zuckungen von 1 bis 5 Einzeloszillationen erhält, . wenn man mit dem v. Kriesschen Apparat immer längere Zeitreize auf den Nerven wirken läßt. Es ist natürlich, daß die Länge dieser Tetani nicht unbegrenzt sein kann, denn da der Stromanstieg einer gewissen Steilheit bedarf um überhaupt zu wirken, so wird man bei sehr langen Reizen AKTIONSSTRÖME BEI ZEITREIZEN. 253 schließlich einen recht starken Strom durch den Nerven schicken, der schon der Grenze naheliegt, an der ein Kathodenschließungstetanus auftritt. Kommt man diesen Stromstärken zu nahe, dann sind die Resultate nicht mehr einwandfrei. 35, Sek. I Sefı 50 ek. Fig. 5. Doppelphasischer Strom bei Zuckung auf Fig. 6. kurzen Zeitreiz. Aktionsstrom auf Zeitreiz. Die Amplitude der Oszillationen bei dem durch Zeitreiz ausgelösten Tetanus ist wechselnd, ebenso wie die Höhe der dazugehörigen Zuckung. (siehe Figg. 6 u. 7). Im allgemeinen ist sie erheblich niedriger als bei maximalem Einzelreiz. Bei sehr kleinen Zuckungen sind die Oszillationen nicht !/,, so groß wie bei Momentanmaximalreiz. Be © Bee ng 50Sek. Fig. 7 Aktionsstrom auf Zeitreiz. Ist die durch den Zeitreiz erzeugte Zuckung gleichhoch, wie die durch Momentanreiz hervorgerufene, so sind die Aktionsströme der Einzelschläge des Tetanus im ersten Falle erheblich schwächer. Es ist dies ohne weiteres so zu erklären, daß durch mehrere Superpositionen dasselbe schließlich er- reicht wird, wie durch eine einzelne aber sehr starke Kontraktion. Die mechanischen Zuekungskurven zeigen, wie auch aus den von v. Kries ab- gebildeten ersichtlich ist, einen langsameren Anstieg als die Momentan- 254 Paun Horrmans: zuckungen. Dieser mechanische Effekt wird durch dem elektrischen sofort erklärt. Die einzelnen Oszillationen des Tetanus bei Zeitreiz zeigen die be- merkenswerte Rigenheit, daß sie in bezug auf Größe der Amplitude nahezu übereinstimmen (siehe z. B. Fig. 8). Es ist also ein recht gleichmäßiger Tetanus, den wir auf diese Weise erzeugen. 50Sek Fig. 8. Aktionsstrom auf Zeitreiz, Regelmäßige Oszillationen. Wenn man nun annimmt, daß bei Zeitreiz ein Tetanus auftritt, so scheint es erstaunlich, daß die mechanischen Kurven einen so durchaus gleichmäßigen und stetigen Verlauf zeigen und nichts von Superposition erkennen lassen. Dies erklärt sich erstens dadurch, daß die einzelnen die Superposition bewirkenden Impulse eine bedeutend geringere Kraft haben, als z. B. der Impuls einer Maximalzuckung. Diese Eigenschaft geht aus der geringeren Stärke der Aktionsströme hervor. Die Superposition findet also gewissermaßen so stufenweise und langsam statt, daß sie sich in den mechanischen Kurven nicht ausprägt. Ferner tritt noch hinzu, daß die Superposition in der größten am Muskel möglichen Schnelligkeit erfolgt, nämlich in den Eigenrhythmus, der bei verschiedenen Arten der Reizung in gleicher Weise im Nerven und Muskel auftritt.! Aus diesem Grunde scheint es keineswegs unerklärlich, warum die mechanische Zuckungskurve bei Zeitreiz so glatt ausfällt, trotzdem es sich um einen Tetanus handelt. Es ist eben ein Tetanus von sozusagen höchster Vollkommenheit, der des- halb auch im ansteigenden Teil der Zuckung keine aufgesetzten Zacken mehr erkennen läßt. Es stimmt diese Beobachtung überein mit der Er- fahrung, daß wir auch durch frequente Reizung mit Induktionsschlägen imstande sind, einen vollkommen stetig ansteigenden Tetanus zu erzeugen. Die gesamte Verlängerung der mechanischen Kurven bei Zeitreiz ist sehr gering. Trotzdem es sich um einen Tetanus handelt, ist dies nicht ! Siehe Garten, Abhandl. der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. XXVI. AXKTIONSSTRÖME BEI ZEITREIZEN. 255 wunderbar, denn die einzelne Erregung des Tetanus ist in !/,.. Sekunde abgelaufen, wenigstens soweit der elektrische Effekt in Betracht kommt. Nimmt man nun an, daß der Zeitreiz °/,., Sekunde dauert, so ist die Er- regung nur */,,, Sekunde später zu Ende als wenn ein Momentanreiz vorlag. Die mechanische Zuckungskurve ist demgemäß auch nur um 1/,, Sekunde länger als die durch den Momentanreiz erzeugte. Diese Be- rechnung stimmt sowohl für meine Zuckungskurven, wie auch für die von y. Kries zu. | Zu der Erzeugung von Zeitreizen ist neben dem v. Kriesschen Feder- rheonom auch noch das Rheonom von Fleischl! zu verwenden. Ich machte deshalb auch einige Parallelversuche mit diesem Instrument an dem gleichen Präparat. Wie nicht anders zu erwarten war, ergaben sich vollkommen identische Resultate. Da bei Erzeugung eines vollkommenen Tetanus das Rheonom so schnell gedreht werden muß, daß das Zinksulfat aus der Rinne heraus- geschleudert wird, so habe ich mich auf die Untersuchung von Reihen von Zuckungen beschränkt. Es zeigt sich auch bei dieser Anordnung, dab jeder Zeitreiz einen kurzen Tetanus auslöst. Die Konfiguration ist voll- kommen gleich der bei den Zeitreizen mit dem v. Kriesschen Apparat. Die Einzeloszillation hat ebenfalls etwa !/,.. Sekunde Dauer. Die Länge der Tetani ist gemäß den längeren Reizen größer. Ich habe bis zu 8 Schläge für meinen Nervenanstieg erhalten. Auch die Amplitude der Einzel- oszillationen ist im Verlauf eines solchen kurzen Tetanus ungefähr gleich- bleibend. Aus den gesamten Resultaten kann man schließlich nur den Schluß ziehen, daß es nicht gelingt, durch Zeitreize in der Art wie die beschriebenen Methoden sie anzuwenden gestatten, die Erregung des Muskels, soweit sie durch den elektromotorischen Vorgang ausgedrückt wird, in sehr bedeutender Weise (Verlängerung auf das Mehrfache des Betrages) zu verändern, sondern man muß annehmen, daß die Erregung im Muskel einen ziemlich fest be- stimmten Ablauf hat und daß es nur möglich ist, die Amplitude dieses Vorganges zu verändern und beliebig viele derartige Erregungsstöße hinter- einander im Muskel (und Nerven) zu erzeugen. Zusammenfassung. 1. Reizt man den Gastroenemus des Frosches indirekt mit Zeitreizen mit Hilfe des v. Kriesschen oder Fleischlschen Rheonoms, so erhält man, ! Fleischl, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1880. Bd. LXXXIl. Abtle. 3. 256 PAaun HOFFMANN: AKTIONSSTRÖME BEI ZEITREIZEN. wenn irgend die mechanische Zuckungskurve Abweichungen von der durch Momentanreiz hervorgerufenen zeigt, kurze Tetani. Die Angaben von v.Kries betreffend die Verlängerung der mechanischen Zuckungskurve und des sonstigen Verhaltens des Präparats auf Zeitreiz konnten in allen Punkten bestätigt werden. 2. Der Tetanus besteht aus Einzeloszillationen von etwa !/,, Sekunde Länge. Es entspricht also dem Eigenrhythmus des Nerv-Muskel-Präparats, wie ihn Garten und Dittler bei verschiedenen Arten der Reizung nach- gewiesen haben. Über den Mechanismus des Gaswechsels in den Lungen. Von R. du Bois-Reymond. Vorbemerkung. Zu den im Folgenden beschriebenen Versuchen und Beobachtungen war ich vor einigen Jahren dadurch angeregt worden, daß Engelmann in einer Unterhaltung über den Inhalt seiner Vorlesung erwähnte, er be- spräche auch die Möglichkeit, daß der Gaswechsel in den Lungen durch eine der Resorption und Sekretion vergleichbare Tätigkeit der Epithelzellen zustande käme. Da nach meiner Auffassung strittige Fragen nicht in die Hauptvorlesung gehören, so wäre damit die Bohrsche Lehre gleichsam als feststehend bestätigt gewesen, und ich empfand deshalb das Bedürfnis, mich durch eigene Versuche zu überzeugen, ob dies berechtigt sei oder nicht. Es schien aber nicht angezeigt, zu diesem Zweck denselben Weg zu beschreiten, den Bohr selbst genommen hat, nämlich die Blutgasspannung mit der Spannung der Alveolenluft zu vergleichen. Denn wenn ich mit derselben Untersuchungsweise zu einem anderen Ergebnis gelangte, wie ein so gewiegter Experimentator, würde ich zu meinen Ergebnissen nicht Zu- trauen genug haben, sie den seinen gegenüberzustellen, und wenn ich zu dem gleichen Ergebnis gelangte, würden meine Zweifel ebenso lebhaft sein, wie vorher. Obgleich Bohr an einer Stelle geradezu sagt, es gebe nur eine Mög- lichkeit, zwischen Sekretion und Diffusion zu unterscheiden, nämlich den oben angegebenen Weg,! suchte ich nach anderen Mitteln, diese Unter- scheidung durchzuführen. ! Nagels Handbuch. Bd.I. 8.134: „Der einzuschlagende Weg muß der sein“ usw Ebenda. 8. 142: „Eine Lösung der Frage, ob in der Lunge 'eine spezifische Gas- sekretion stattfindet, muß sich, wie früher erwähnt, auf einen Vergleich der Spannung der Gase im Blute mit der Spannung in der Lungenluft stützen.“ Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 17 258 R. pu Boıs-Reymonp: Da nämlich die Bestimmung der Gasspannungen im Blute und die Bestimmungen der Gasspannungen der Alveolenluft beide mit einer ge- wissen zum Teil unvermeidlichen Unsicherheit behaftet sind, so kann die Vergleichung notwendigerweise nur zu einem ebenfalls unsicheren Ergeb- nis führen. Deshalb glaubte ich, Versuchsanordnungen den Vorzug geben zu müssen, bei denen nur eine möglichst einfache Bestimmung, am besten eine qualitative, auszuführen ist, um die an das Experiment gestellte Frage zu entscheiden. Diese Überlegung führte mich auf Versuchspläne, die, wie ich später erfuhr, Bohr selbst ebenfalls ausgeführt hat. Diese Versuchspläne zielen darauf ab, das gewöhnlich zwischen Blut und Alveolenluft bestehende Spannungsverhältnis umzukehren, und zu prüfen, ob dann ein dem ge- wöhnlichen entgegengesetzter Gasaustausch eintritt. Bohr hat Versuche dieser Art angestellt, und hat gefunden, daß, wenn die Alveolen ein sauer- stoffarmes Gasgemisch enthalten, Sauerstoff aus dem Blute in die Alveolen übergeht. Er erklärte aber, dies Ergebnis sei vereinbar mit der Vorstel- . lung, daß der Gasaustausch im wesentlichen auf Absonderungstätigkeit der Fpithelzellen beruhe. Ferner hat Bohr auch den umgekehrten Versuch gemacht, und gibt an, daß, wenn die Alveolen auch 10°), und mehr Kohlensäure enthalten, trotzdem Kohlensäure aus dem Blute in die Alveolen abgeschieden wird. Zwischen diesem Ergebnis und dem obigen besteht aber ein gewisser Widerspruch, denn wenn Sauerstoff durch die Lungenwand diffundiert, ist nicht einzusehen, warum Kohlensäure nicht ebenfalls durch die Wand dif- fundieren sollte, und wenn Kohlensäure durch die Lungenwand diffundieren kann, müßte bei den hohen Spannungsunterschieden, von denen Bohr spricht, diese Diffusion schon ziemlich stark sein. Die Sekretionstätigkeit, durch die trotzdem noch Kohlensäure aus dem Blut abgeschieden werden soll, müßte also noch stärker sein, um die Diffusion zu überwiegen. Wenn aber die Sekretion die Diffusion selbst bei so großen Spannungsunter- schieden überwiegt, so müßte bei den Versuchen mit Sauerstoff die schwache Diffusion aus dem venösen Blute noch viel leichter von der Sekretion überwunden werden, und es könnten sich keine merklichen Sauerstoff- mengen in den Alveolen ansammeln. In seiner Darstellung in Nagels Handbuch gibt Bohr an, es sei zwar neben der Sekretion auch Diffusion vorhanden, diese spiele aber eine untergeordnete Rolle. In späteren Arbeiten hat er die Rolle der Diffusion offenbar höher eingeschätzt, und die Sekretion nur gleichsam zur Aushilfe herangezogen. In neuester Zeit sind A. und M. Krogh! auf Grund eingehender Versuche dahin gelangt, die Sekretionstheorie völlig zu verwerfen. I Skandin. Archiv für Physiologie. Bd. XXIII. Heft 3 u. 4. ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LUNGeEn. 259 Zu diesem Ergebnis haben auch mich, wie aus dem Nachfolgenden hervorgeht, Versuche und Betrachtungen geführt, über die ich schon vor einiger Zeit kurz berichtet habe, die ich aber infolge einiger nachträglicher Ergänzungen und anderer äußerer Umstände erst jetzt ausführlich mit- teile. Ich erlaube mir, sie in der Form wiederzugeben, in der sie nieder- ‚geschrieben worden sind, obschon sich seitdem die Frage in verschiedenen Punkten verschoben hat. I. Die bestehenden Hypothesen. Der Vorgang, durch den der Gasgehalt des Blutes in den Lungen verändert wird, wurde bis vor kurzem wohl allgemein als ein rein physi- kalischer Ausgleich der Gasspannungen im Blut und in der Lungenluft angesehen. In neuerer Zeit scheint dagegen die Anschauung an Boden zu ge- winnen,! daß es sich auch hier, wie bei der Resorption und Sekretion, um eine eigentümliche Leistung lebender Zellen handle. Der Kürze halber möge im Folgenden die erste Ansicht als „Aus- gleichhypothese“, die zweite als „Absonderungshypothese“ bezeichnet werden. Um zwischen diesen beiden Ansichten zu entscheiden, muß man die Merkmale feststellen, die die beiden verschiedenen Arten von Vorgängen kennzeichnen, und untersuchen, ob dem Gasaustausch in den Lungen die Merkmale der einen oder der anderen Art zukommen. Ein solches Merkmal bildet das Verhältnis der Spannungen, unter denen das Gas vor und nach dem Austausch steht. Der physikalische Spannungsausgleich verläuft stets so, daß das Gas von Stellen mit höherer Gasspannung zu Stellen mit niedriger Gasspannung übergeht. Der Endzustand ist also vollkommene Gleichheit der Gasspan- nungen an beiden Stellen. Der Übergang der Gase kann durch ver- schiedene Bedingungen beschleunigt oder verlangsamt werden, behält aber stets dies Merkmal bei, weil eben die höhere Spannung in allen Fällen rein physikalischen Ausgleiches die Ursache der Bewegung ist. Aus dem- selben Grunde dauert die Bewegung gerade so lange, und nicht länger, als ein Unterschied zwischen den Gasspannungen besteht. Wenn man dagegen sieht, daß Gas von einer Stelle mit niedrigerer Spannung an eine Stelle mit höherer Spannung übertritt, so daß ein vor- handener Spannuugsunterschied zunimmt, oder daß, nachdem Gleichheit der Spannungen bestanden hat, ein Spannungsunterschied neu entsteht, so ! So sagt wenigstens A. Loewy, Respiration in Kornyi Richters Handbuch. D231. re 260 R. pu Boıs-Reymonxp: müssen andere Triebkräfte als die bloße Spannung tätig sein, und man darf, wenn lebende Zellen im Spiele sind, diesen eine gasabsondernde Wirkung zuschreiben. Um mit Hilfe dieses Merkmals zwischen Ausgleichshypothese und Ab- ‚sonderungshypothese zu entscheiden, muß man also feststellen, wie sich nach dem Gasaustausch in der Lunge die Sauerstoffspannung und die Kohlensäurespannung der Alveolenluft zu der des Blutes der Lungenvene verhält. Solche Vergleiche zwischen den Gasspannungen der Alveolenluft und des Blutes hat bekanntlich Bohr angestellt, und ist zu dem Ergebnis ge- kommen, daß die Sauerstofispannung des Blutes die der Lungenluft, und die Kohlensäurespannung die des Blutes in vielen Fällen übersteige. Bohr glaubt deshalb annehmen zu dürfen, daß der Übertritt des Sauerstoffs aus der Lungenluft ins Blut, und der der Kohlensäure aus dem Blut in die Lungenluft nicht als ein Diffusionsvorgang, sondern als eine chemische Leistung der Zellen des Lungenepithels anzusehen sei. II. Fragestellung. Der von Bohr eingeschlagene Weg, die Gasspannung im Blute mit der Gasspannung in der Alveolenluft zu vergleichen, mißfiel mir, weil er die Einwendung zuläßt, die Blutproben und die analysierten Luftproben hätten nicht genau dem tatsächlich in den Lungen kreisenden Blute und der in den Alveolen enthaltenen Luft entsprochen. Wenn auch diese Einwände gegenüber den Erörterungen Bohrs nicht mit Bestimmtheit begründet werden können, so schien es mir doch, als würde bei einer einfacheren Versuchsanordnung viel leichter der gleiche Grad von Zuverlässigkeit des Ergebnisses zu erreichen sein. Ein leichter zu erkennender Unterschied zwischen Spannungsausgleich und Absonderung ist nun offenbar durch folgende Betrachtungen zu finden: Die physiologische, d. h. die auf der Tätigkeit lebender Zellen be- ruhende Gasabsonderung wird, nach allem was man von der Tätigkeit der Zellen im Organismus weiß, stets nur in dem Sinne stattfinden, in dem sie dem Organismus als einem Ganzen förderlich ist. Dieser Satz ist im Grunde genommen derselbe, der schon oben zur Unterscheidung zwischen den beiden Vorgängen diente. Der physikalische Ausgleich richtet sich einfach nach der Verteilung der Spannnngen, die physiologische Absonderung unterscheidet sich aber dadurch, daß sie auch in der dem Spannungsverhältnis entgegengesetzten Richtung stattfinden kann, wenn dies die Lebensbedürfnisse des Organismus erfordern. ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN Lungen. 261 Auf die vorliegende Frage angewendet, führt diese Betrachtung zu folgendem Schluß: Wird durch künstliche Versuchsbedingungen das Ver- hältnis der Gasspannungen in der Lunge den natürlichen Bedingungen entgegengesetzt gestaltet, so muß sich das Gas, wenn es bloß den Spannungs- verhältnissen folgt, dem natürlichen Vorgange entgegengesetzt bewegen. Beruht aber der natürliche Übergang des Gases auf der Tätigkeit der lebendigen Zellen, so wird er durch die Umkehrung des Spannungsver- hältnisses nur herabgesetzt oder aufgehalten, niemals aber umgekehrt werden können. Für den einen Teil des Atmungsvorganges in den Lungen, nämlich für die Aufnahme des Sauerstoffes in das Blut, ist die angedeutete Ver- suchsbedingung einfach zu erfüllen. Man braucht nur in die Lunge statt sauerstoffhaltiger Luft ein indifferentes Gas, z. B. Stickstoff, einzuführen, und zu prüfen, ob aus dem Blute Sauerstoff in dies Gas übergeht oder nicht. Tritt überhaupt in den unbeschädigten Lungen Sauerstoff aus dem Blute in die Alveolen aus, so ist das ein Beweis, daß das Lungenepithel den Sauerstoff nicht im Blute zurückzuhalten vermag, und dies darf wohl als ein argumentum a fortiori gelten, daß noch viel weniger das Lungen- epithel Sauerstoff einem Spannungsunterschiede entgegen ins Blut abzu- sondern vermag. Der Vorteil, den diese Betrachtung für die experimentelle Prüfung der Frage mit sich bringt, liegt auf der Hand. An Stelle der sehr schwierigen quantitativen Bestimmung der Gasspannungen in der Alveolenluft und im Lungenblute bedarf es nur des einfachen qualitativen Nachweises von Sauer- stoff in der Stickstoffmenge, die man in die Lungen gebracht hat. Diese Versuchsmethode wird dadurch noch einfacher, daß es nicht einmal nötig ist, wirklich sauerstofffreien Stickstoff in die Lunge einzuführen, sondern daß es genügt, ein Gemenge von Stickstoff mit wenig Sauerstoff zu benutzen, wenn man nur nachweisen kann, daß der Sauerstoffgehalt des Gemenges in der Lunge nicht abnimmt, sondern im Gegenteil zunimmt. Es ist klar, daß, wenn in den Lungen sogar in ein sauerstoffhaltiges Gasgemenge neuer Sauerstoff eintritt, a fortiori geschlossen werden muß, daß in reinen Stickstoff ebenfalls Sauerstoff übertreten werde. Man braucht sich also nicht erst völlig sauerstofffreien Stickstoff her- zustellen, was bekanntlich technische Schwierigkeiten hat, sondern man kann sich einfach des käuflichen verdichteten Stickstoffs bedienen. Freilich wird dadurch die für den Versuch entscheidende Bestimmung wiederum zu einer quantitativen, aber es handelt sich dabei doch nur um eine sehr ein- fache Frage: Ist der Stickstoff nach dem Aufenthalt in der Lunge reicher oder ärmer an Sauerstofl? 262 R. DU Boıs-REYMmonND: III. Versuch am Frosch. Da ein Säugetier, dem reiner Stickstoff oder ein anderes sauerstoffarmes Gasgemisch in die Lungen gebracht wird, ersticken muß, so ist der an- gegebene Versuch am einfachsten am Frosch auszuführen, der bekanntlich allein durch die Hautatmung so viel Sauerstoff aufnehmen kann, wie er zum Leben bedarf. Man braucht nur eine Kanüle luftdicht in die Trachea eines Frosches einzubinden, die Lungen des Frosches mit Stickstoff anzu- füllen, und nach einiger Zeit zuzusehen, ob Sauerstoff aus dem Blute in die Lungenluft übergegangen ist. Die Technik eines solchen Versuches ist sehr einfach und man kann auf verschiedene Weise verfahren. Ich habe mehrere verschiedene Anord- nungen benutzt und schließlich folgendes angenommen: Aus Glasrohr von etwa 4” m äußerem Durchmesser wird eine olivenförmige Kanüle hergestellt. Der Frosch wird durch Ausbohren des Markes getötet und die Kanüle vom Maule aus durch die Glottis eingeführt. Unter der Schleimhaut des Schlundes wird um die Glottis herum mit der Nadel ein Faden geführt, und die Kanüle fest eingebunden. Der Frosch wird dann in eine Glas- glocke gelegt, die durch eine aufgeschliffene Scheibe mit den nötigen Durch- bohrungen geschlossen ist, und durch die während des Versuchs ein Sauer- stoffstrom geleitet wird. Durch eine Öffnung der Scheibe ragt die Kanüle nach außen und wird hier mit einem T-Rohr verbunden, dessen einer Schenkel an eine Stickstoffbombe mit Reduzierventil und Überlaufmanometer, und dessen anderer Schenkel an das Meßgefäß angeschlossen ist. Als Meß- gefäß dienten mir Glasröhren, die oben eine kugelförmige Erweiterung von 20°” Inhalt hatten, und deren unterer Teil von etwa 6m Durch- messer auf 150” Länge nach Millimetern geteilt war. Das Meßgefäß stand in einem Wassertroge, und war an seinem unteren Ende durch ein Heberrohr mit einer außerhalb des Troges befindlichen Quecksilberflasche verbunden, die auf einem Stativ in beliebiger Höhe be- festigt und durch eine Mikrometerschraube fein eingestellt werden konnte. Diese Einrichtung erwies sich als sehr bequem. Am oberen Ende des Meßgefäßes war eine Zweigleitung, die es gestattete, das Gas aus dem Meßgefäß nach Belieben in eine Absorptionspipette mit Phosphor oder mit Kalilauge hinüberzutreiben. Durch zahlreiche Vorversuche wußte ich, wieviel Sauerstoff dem der Bombe entströmenden Stickstoff beigemengt war, und zwar betrug diese Menge für das gefüllte Meßgefäß 4 Teilstriche. Es wurde nun die Röhren- leitung mit Stickstoff. ausgespült, das Meßgefäß gefüllt, von dieser ersten Füllungsmenge ein Teil in die Lunge des Frosches getrieben, wieder heraus in das Meßgefäß gesogen und diese Ausspülung der Lungen mehrmals ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LunGEn. 263 wiederholt. Dann wurde das im Meßgefäß enthaltene Gemenge durch das Überlaufventil ausgeblasen und nun, nachdem die ganze Leitung und die Lunge selbst höchstens mit stark verdünnten Luftresten erfüllt sein konnte, neuer Stickstoff in das Meßgefäß gelassen, um den eigentlichen Versuch zu beginnen. Dieser bestand darin, daß wiederholt vom Meßgefäß aus die ‚Lunge gefüllt und nach einiger Zeit wieder entleert wurde. Zuletzt wurde die Gasmenge in der Meßröhre abgeschlossen, gemessen, und dann erst in die Phosphor-, dann in die Kalilaugenpipette übergeführt, und die durch die Absorption entstehenden Volumverminderungen bestimmt. Die Volum- verminderung durch Sauerstoffabsorption mußte natürlich bei diesem Ver- fahren immer mindestens 4 Teilstriche betragen, weil der Bombenstickstoff soviel Sauerstoff enthielt. Um noch sicherer zu gehen, wurde der Versuch auch in der Weise angestellt, daß eine in das Meßgefäß aufgenommene Stickstoffmenge aus der Bombe zuerst in die Phosphorpipette übergeführt wurde. Die dadurch sauerstofffrei gemachte Stickstoffmenge wurde dann, soweit es ging, in die Lunge des Frosches getrieben, wieder zurückgesogen und von neuem hinein- getrieben, um möglichst die ganze Menge mit der Lungenwand in Be- rührung zu bringen. Zuletzt wurde das Gas aus der Lunge zurückgesogen, in dem Meßgefäß abgeschlossen und gemessen, und nun durch Absorption in den Pipetten auf Sauerstoff und Kohlensäure geprüft. Die Messungen wurden stets in der Weise vorgenommen, daß die Flüssigkeit in der Absorptionspipette durch den Druck des zu messenden Gases auf eine Marke an dem engen Haise der Pipette eingestellt war. Wiederholte Messungen derselben Gasmenge gaben fast immer genau die gleiche Einstellung, selten kamen Fehler vor, die einen vollen Teilstrich der Meßröhre erreichten. Die Temperatur habe ich, da es mir nicht auf absolute Bestimmungen ankam, nicht beachtet. Da aber das Meßgefäß in Wasser stand, waren schnelle Schwankungen jedenfalls ausgeschlossen, und da zu der Zeit, in der ich die Versuche machte, die Temperatur der Um- gebung im Steigen zu sein pflegte, kann die gefundene Volumänderung nicht auf Temperaturänderung bezogen werden. Nach dem Versuch wurde der Frosch jedesmal darauf untersucht, ob nicht vielleicht ein Bluterguß in die Lunge stattgefunden habe. Dabei konnte zugleich festgestellt werden, ob das Herz noch gut arbeite, und ob das Blut gut arterialisiert sei. Meistens war die hellrote Farbe des ge- samten Blutes geradezu auffällig. Als Beispiel setze ich die Zahlen her, die bei einem Versuche gefunden wurden, obschon sie keine bestimmte Bedeutung haben, weil das Verhältnis der angewendeten Gasmenge zum Rauminhalt der Lunge nicht bekannt ist, 264 R. pu Boıs-RExymonxp: und außerdem keine Gewähr besteht, daß der Spannungsausgleich in den Lungen vollständig war. Beide Röhren wurden mit Stickstoff gefüllt, ihr Inhalt mehrmals zum Teil in die Lunge des Frosches getrieben und wieder zurückgesaugt, dann in den Phosphorpipetten von Sauerstoff befreit, und eine Viertelstunde lang unter wiederholtem Ein- und Austreiben in der Lunge gelassen. Danach ergaben sich für Röhre I 4 Teile Sauerstoff, für Röhre II 3,5. Röhre II enthielt 4 Teilstriche Kohlensäure. Darauf wurde Röhre I aber- mals zum Teil in die Lunge entleert und eine Viertelstunde lang unter wiederholtem Aus- und Eintreiben darin belassen. Danach zeigte Röhre I 7,5 Teilstriche Sauerstoff, entsprechend ungefähr 1 Prozent. Bei diesen Versuchen ergab sich also, daß aus dem durch die Hautatmung arterialisierten Blute des Frosches Sauerstoff in das die Lunge erfüllende sauerstoffarme Gasgemenge überging. Das beweist, daß das Epithel der Froschlunge nicht imstande ist, Sauerstoff im Blute gegenüber einer niedrigeren Spannung im Innern der Lunge zurückzuhalten, und es beweist a fortiori, daß das Epithel nicht Sauerstoff gegenüber einer höheren Spannung im Blute aus dem Innern der Lunge aufzunehmen vermag. Vom Standpunkte der Absonderungshypothese könnten gegen die Be- weiskraft dieser Versuche zwei Einwände erhoben werden: 1. Beim Frosch, einem niedrigstehenden Tier mit geringfügigem Sauer- stoffbedarf sei die Absonderungsfähigkeit des Lungenepithels noch nicht entwickelt. 2. Da das Blut des Frosches durch die Hautatmung reichlich mit Sauerstoff versorgt war, habe kein Bedürfnis zur Sauerstoffabsonderung ins Blut bestanden, und das Lungenepithel habe deshalb den Sauerstoff aus dem Blute entweichen lassen. IV. Versuche am Säugetier. Um diese Einwände zu entkräften, mußten Versuche am Säugetier angestellt werden. Hier konnte nicht die ganze Lunge benutzt werden, sondern die Kanüle wurde in einen Bronchus eingebunden, während in der übrigen Lunge künstliche Atmung unterhalten wurde. Auf diese Weise erhielt das Tier Sauerstoff genug, um die Herztätigkeit im Gange zu halten, während gleich- zeitig in dem Lungenlappen, in dessen Bronchus die Kanüle stak, und in den nur so viel Sauerstoff eingeführt wurde, wie in dem Stickstoff als Ver- unreinigung enthalten war, das Lungenepithel sich im Zustand der höchsten ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN Lungen. 265 Dyspnoe befand. Der Farbenunterschied zwischen den mit Luft und dem mit Stickstoff gefüllten Lungenlappen war deutlich. Es zeigte sich, daß bei der Katze im Gegensatz zum Hunde die anatomischen Verhältnisse für das angedeutete Versuchsverfahren besonders günstig sind. Der Bronchus des linken unteren Lungenlappens liegt bei eröffnetem Thorax entweder frei, oder kann durch eine geringe Verschiebung: des Herzens nach rechts aufgedeckt werden. Die zugehörige Vene läuft sichtbar daran entlang, die zugehörige Arterie dagegen kommt von weiter kopfwärts und verläuft ganz dorsal, so daß man sie beim Freimachen und Abbinden des Bronchus und Einführen der Kanüle gar nicht zu sehen bekommt. Die Versuche wurden daher zum allergrößten Teil an Katzen gemacht. Um in den abgesperrten Lungenlappen Stickstoff einzulassen, hatte ich aus Gründen, die weiter unten angegeben werden sollen, einen be- sonderen Hahn, den ich ‚„Zeithahn‘“ nennen möchte (Z, vgl. Fig.) machen lassen, der durch eine mechanische Vorrichtung in Verbindung mit einer Bowditchschen Uhr in bestimmten Zeiträumen um je ein viertel und drei- viertel Umdrehung gedreht wurde. Dadurch wurde zuerst die Stickstoff- bombe (85) mit der Lunge (Z) in Verbindung gesetzt, so daß sich der Lungenlappen (N) mit Stickstoff füllte, dann, nach der bestimmten Zeit, drehte sich der Hahn und stellte eine Verbindung zwischen der Lunge und einem Gasbehälter (?) her, in den sie sich entleert. Als Gasbehälter dienten 6 weite Glasröhren (?) mit engen Öffnungen, die je etwa 60cm faßten. Sie waren durch kurze Gummischläuche an eine Kapillarröhre (YZ) mit 6 angeschmolzenen Ansätzen angeschlossen, so daß sie nahezu horizontal lagen. Vor dem Versuch wurden sie mit verdünnter Schwefelsäure als 266 R. pu Boıs-Reymonxp: Absperrungsflüssigkeit gefüllt, und mit Quetschhähnen verschlossen. Beim Versuch trat das Gas von oben ein, während unten die Flüssigkeit in eine Schale austrat (vgl. Figur). Dabei senkte sich der Flüssigkeitsspiegel um etwa 6%, so daß die Entleerung der Lunge durch diese gelinde Saugwirkung unterstützt wurde. Der Dreiwegehahn war zu größerer Sicherheit gegen Undichtigkeit mit einem Ölgefäß umgeben. Die gesamte Röhrenleitung faßte Luftmengen, die bei den Bestimmungen zu Fehlern hätten Anlaß geben können, daher mußte besondere Sorgfalt darauf verwendet werden, daß vor dem Versuche die gesamte Leitung mit Stickstoff gefüllt würde. Wegen der möglichen Undichtigkeiten wurde auch darauf geachtet, daß nur wo es notwendig war, Unterdruck in der Leitung herrschte Übrigens war die Dauer der Versuche so kurz, daß alle diese Fehlerquellen verhältnismäßig un- gefährlich waren. Der Versuch begann damit, daß die Proberöhren vollgesogen und ab- gesperrt wurden. Um die Röhren mit Stickstoff zu füllen, und zugleich eine Probe auf die Zuverlässigkeit der ganzen Vorrichtung zu haben, wurde dann an Stelle des Lungenlappens eine kleine, über angesäuertem Wasser umgestülpte Glasglocke mit dem Dreiwegehahn verbunden. Diese stellte einen elastischen Behälter vor, der sich wie der Lungenlappen bei der einen Stellung des Hahnes füllen, bei der anderen entleeren konnte. Die Hähne der Stickstoffbombe wurden geöffnet, so daß ein dauernder Stickstofl- strom durch das Überlaufmanometer (Ü, vgl. Figur) abströmte, und die Bowditchsche Uhr angestoßen. Je nach der Einstellung der Uhr drehte sich dann alle paar Sekunden der Zeithahn, und die Glasglocke füllte sich mit Stickstoff. Diese Einrichtung hatte den Zweck, die Röhrenleitungen in derselben Weise, wie es nachher beim Versuch geschehen sollte, mit Stickstoff anzufüllen. Nachdem die Meßröhre mehrmals mit dem Stickstoff aus der Glasglocke vollgesogen und nach außen entleert worden war, konnte dann auch an der Stickstoffmenge der Glasglocke erst noch eine Vergleichs- analyse vorgenommen werden, die zugleich dazu diente auch die Leitungen _ zu den Pipetten von etwa vorhandener Luft zu befreien. Dann erst wurde die Katze narkotisiert, künstliche Atmung hergestellt, der Brustkorb eröffnet, die Bronchialkanüle eingebunden und an den Zeit- hahn angeschlossen. Die Leitung zur Glasglocke wurde verschlossen, und der Zeithahn in Tätigkeit gesetzt. Um den schädlichen Raum der Kanüle, des Bronchus usw. sicher mit Stickstoff gefüllt zu haben, wurden gewöhnlich die ersten beiden Proberöhren von zusammen gegen 120°® Inhalt als Vorlauf betrachtet, und erst die folgenden als maßgebend angesehen. Da der Lungenlappen 5 bis 10m Luft faßt, waren in etwa 10 bis 15 Minuten alle sechs Röhren beschickt. Sie standen nun unter Atmosphären- ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LUNGEN. 267 druck und berührten die Sperrflüssigkeit nur an der wenige Millimeter weiten Ausflußöffnung. Während der Entleerung in die Meßröhre trat allerdings die Sperrflüssigkeit mit einer großen Oberfläche zu. Daß dabei aber keine merkliche Anreicherung an Sauerstoff stattfand, bewiesen zahl- reiche Proben. Als Beispiel füge ich die in einigen Versuchen gewonnenen Zahlen bei, indem ich betone, daß diesen Zahlen nur eine qualitative Bedeutung zukommt. Es handelt sich, wie ich ausdrücklich hervorhebe, nur um die Tatsache, daß Sauerstoff aus dem Blut in die mit Stickstoff gefüllten Alveolen übergegangen ist. Es würde keinen Sinn haben, aus der ge- fundenen Sauerstofimenge etwa die Spannung berechnen zu wollen, weil zu dem schädlichen Raum im Bronchus bei der beschriebenen Versuchs- anordnung noch der schädliche Raum der Leitung bis zum Zeithahn hinzu- kommt, weil ferner der Füllungsgrad des Lungenlappens und der dazu angewendete Druck in Betracht gezogen werden müßten. Überdies wird bei dem Versuch immer nur ein Teil des Lungenlappens wirklich mit Gas gefüllt und ebenfalls nur ein Teil wirklich von Blut durchflossen. Dadurch kommt zu dem gewöhnlichen schädlichen Raum noch ein un- bekannter Teil des Rauminhaltes des Lungenlappens hinzu, so daß die Berechnung der Gasspannung, die sich in der untersuchten Gasprobe findet, keinen Schluß auf die Vorgänge im Lungenlappen zuläßt. In ver- einzelten Fällen kann indessen die Sauerstoffspannung der Probe an die- jenige Spannung kerankommen, die für das Blut der Lungenarterie an- genommen wird. Bei einem Versuch am Hunde wurde bei der Vorprobe mit der Glas- glocke der Gehalt des Stickstofigases an Sauerstoff zu 4 Teilstrichen! ge- funden. Das aus dem Lungenlappen hervorgehende Gasgemisch ergab für Röhre I 17, für Röhre II 19 Teilstriche Sauerstoff. In einer weiteren Probe wurden für Röhre I 15-5, für Röhre II 17 Teilstriche Sauerstoff gefunden. In einer dritten Probe stellten sich beide Ablesungen auf 20-5 Teilstriche. Der Hahn war alle 10 Sekunden bewegt worden. Bei einem Versuch an der Katze zeigte das Gasgemisch aus dem Lungenlappen in 4 aufeinanderfolgenden Doppelproben 15 und 17 Teil- striehe, 12 und 14 Teilstriche, 10 und 11 Teilstriche, 10-5 und 11 Teil- striche Sauerstofi. Als Gegenstück setze ich eine in genau gleicher Weise an einer toten Katze angestellte Bestimmung her: Erste Doppelprobe 8 und 5-2 Teil- ! Ich führe die Zahlen, die ja doch nur Vergleichswert haben, deswegen auch nur nach Teilstrichen der Meßröhre an. Aus den weiter oben angegebenen Maßen ist zu ersehen, daß ein Teilstrich. etwa 0-028 = entspricht, daß mithin 10 Teilstriche etwas über 1 Prozent des Inhaltes der Meßröhre bilden. 268 R. vu Bors-Reymonp: striche, zweite Probe 5-5 und 3-5 Teilstriche, dritte Probe 4 und 4 Teilstriche Sauerstoff. Man sieht, daß in der ersten Probe etwas Luftsauerstoff aus den schädlichen Räumen enthalten gewesen sein muß, während bei der Fort- setzung des Versuches nur die Verunreinigung des Stickstoffs, die für die Füllung der Meßröhre gerade 4 Teilstriche ausmachte, übrig blieb. Übrigens wurden bei diesem Versuche in jeder Probe 2 bis 3 Teilstriche Kohlensäure gefunden, während der Stickstoff der Bombe von merklicher Kohlensäure- beimengung frei war. Auch diese Versuche ergaben unzweifelhaft, daß in den abgesperrten stickstofferfüllten Lungenlappen aus dem Blute Sauerstoff überging. Das beweist, daß auch beim Säugetier das Lungenepithel nicht imstande ist, gegenüber einer sauerstoffarmen Alveolenluft Sauerstoff im Blute zurück- zuhalten, und es beweist a fortiori, daß das Lungenepithel nicht imstande ist, Sauerstoff aus einer Alveolenluft mit geringer Spannung im Blut, mit höherer Spannung abzusondern. V. Erörterung der Versuche über den Übertritt von Sauerstoff. Dieser Schluß wird allerdings von den Anhängern der Absonderungs- hypothese nicht anerkannt. Bohr hat selbst den Versuch angestellt, eine Lunge mit Stickstoff zu füllen, und hat selbst auch gefunden, daß in diesem Fall Sauerstoff aus dem Blute in die Alveoleninft übergeht. Bohr meint aber,! daß die Absonderungshypothese ganz wohl mit der Tatsache verein- bar sei, daß gleichzeitig Gasdiffusion stattfinde. Es scheint mir hier eine Unklarheit vorzuliegen, die eine genauere Erörterung nötig macht. Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Alveolenwände so beschaflen sein könnten, daß an einigen Stellen sezernierendes Epithel vorhanden wäre, während an anderen Stellen Diffusion stattfände. Unter diesen Um- ständen würde aber die Tätigkeit des Epithels nur dann einen merklichen Spannungsunterschied auf beiden Seiten der Wand hervorbringen können, wenn sie mehr Gas durch die Wand hindurch beförderte, als gleichzeitig durch Diffusion zurückgelangte. Wäre die Sekretion sehr schwach, und die Diffusion sehr stark, so würden die Sekretionszellen einfach umsonst arbeiten. Eine absondernde Tätigkeit der Zellen hat also nur dann überhaupt einen Zweck, wenn die dadurch hervorgerufene Gasspannung sich entweder gar nicht oder doch nur in ganz geringem Grade durch gleichzeitige Diffusion ausgleicht. . ı Nagels Handbuch. Bd. I. S. 156 u. 136. ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LUNGEN. 269 Gestützt auf die Versuche, in denen er Spannungsunterschiede im Sinne der Absonderungshypothesen gefunden hat, nimmt denn auch Bohr an, daß die Diffusion „im Verhältnis zu der von den Zellen entwickelter Tätigkeit ein untergeordneter Faktor‘ sei.! Wie paßt aber diese Ansicht zu dem Ergebnis der obenerwähnten Versuche? Wenn die Diffusion wirklich nur ein untergeordneter Faktor wäre, könnten unmöglich größere Mengen Sauerstoff aus dem Blute in die mit Stickstoff gefüllten Alveolen übergehen, denn sie würden von der über- wiegenden Sekretionstätigkeit sogleich ins Blut zurückbefördert werden. Die Versuche zeigen aber, daß tatsächlich reichliche Mengen Sauerstoff aus dem Blute in die Alveolen eintreten können. Wenn also die Epithelzellen über- haupt Sauerstoff ins Blut zurückgeschafft haben, so haben sie offenbar viel weniger gefördert, als die Diffusion in der gleichen Zeit gefördert hat. Die Diffusion ist also nicht ein untergeordneter, sondern ein übergeordneter Faktor. Nun ist eben dargelegt worden, daß unter der Voraussetzung, daß die Diffusion wesentlich mehr fördert als die Sekretion, die Sekretion überhaupt zwecklos ist, weil sie doch an dem Ergebnis der Diffusion nichts ändert. Neben einer überwiegend starken Diffusion noch eine verschwindend kleine Sekretion anzunehmen, hat keinen Sinn. Es scheint mir, als habe Bohr die Tragweite seines eigenen Versuchs an der mit Stickstoff erfüllten Lunge in diesem Punkte nicht richtig ein- geschätzt. Offenbar kann doch der Sauerstoff nur durch Diffusion in den Stickstoff gelangt sein, und ebenso offenbar müßte die Resorptionstätigkeit ihn zurückbefördert haben, wenn nicht die Diffusion stärker wäre. Somit beweist der Übertritt von Sauerstoff in die mit Stickstoff erfüllten Alveolen, daß die Resorption, wenn sie überhaupt stattfindet, dem Spannungsausgleich gegenüber machtlos ist. Da nun die Resorptionstätigkeit nur angenommen wird, um Spannungsunterschiede zu erklären, muß weiter gefolgert werden, daß die Absonderungshypothese überhaupt unhaltbar ist. Gegen diese Folgerung aus den geschilderten Versuchen könnte noch ein Eimwand erhoben werden, der indessen der Widerlegung kaum bedarf. Man könnte nämlich behaupten, das Lungenepithel sei durch die sauer- stoffarmen Stickstoffmengen geschädigt worden, so daß dadurch die Diffu- sion ein Übergewicht erlangt habe, das ihr unter normalen Verhältnissen nieht zukomme. Diese Annahme wäre schon deshalb zurückzuweisen, weil unter den Bedingungen der Versuche durch ausgiebige künstliche Atmung dafür gesorgt war, daß die Sauerstoffspannung im Blute nicht allzutief sinken konnte. Zwar war der mit Stickstoff erfüllte Lungenlappen sicht- ! Nagels Handbuch. Bd. I. 8. 156. 270 R. pu Boıs-Reymonxp: lich venös, aber es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß während das Blut Sauerstoff in die Alveolen abgab, die Lungenepithelien aus Mangel an Sauerstoff untätig werden sollten, zumal da diese Zellen doch gerade zur Aushilfe bei zu geringer Sauerstoffzufuhr bestimmt sein würden. Übrigens war bei einigen Versuchen der Sauerstofigehalt des aus dem abgesperrten Lungenlappen entnommenen Gemisches so hoch, daß die Sauerstofispannung in den Alveolen nicht wesentlich unter der normalen gelegen haben kann. Ferner könnte eingewendet werden, daß, da das Tier durch die künst- liche Atmung mit Sauerstoff genügend versorgt war, das Lungenepithel keine Veranlassung gehabt habe, Sauerstofl zu resorbieren. Das hieße jedoch voraussetzen, daß das Epithel des abgesperrten Lungenlappens über den Zustand des Gasaustausches in den übrigen Teilen der Lunge informiert sei. Gegen diese Anschauung sprechen auch einige Fälle, die im Laufe der Versuche vorkamen, in denen das Tier offenbar Atemnot litt, und trotzdem nicht wesentlich geringere Sauerstoffmengen aus dem Blute in die mit Stickstoff erfüllten Alveolen übergingen. VI. Versuche über die Ausscheidung der Kohlensäure. Nachdem im Vorhergehenden gezeigt worden ist, daß der Übergang des Sauerstofls durch die Alveolenwand sich nach der Verteilung der Gas- spannungen richtet, wäre nun dasselbe für den Übergang der Kohlensäure nachzuweisen. Dieser Nachweis ließe sich von den gleichen Gesichtspunkten wie für den Sauerstoff führen, indem man die Versuchsbedingungen so einrichtete, daß der Spannungsausgleich im Versuch in entgegengesetzter Richtung statt- finde, wie unter gewöhnlichen Verhältnissen. Dazu müßte man also die Kohlensäurespannung in den Alveolen eines Lungenlappens höher machen als die des Blutes, und dann nachweisen, daß in dem Blute, das diesen Lungen- lappen durchfließt, die Kohlensäurespannung zunimmt. Dies Verfahren würde genau ebenso schwierig und unsicher sein, wie die von Bohr aus- geführte Vergleichung der Spannungen von Alveolenluft und Blut. Es schien mir daher angezeigt, nach einem weiteren Unterscheidungs- merkmal zwischen Absonderungsvorgängen und Spannungsausgleich zu suchen, das sich schon bei einfacheren Untersuchungsverfahren zu erkennen gäbe. Ein solches Merkmal besteht nun offenbar in dem zeitlichen Ablauf der Ausgleichsvorgänge, verglichen mit dem der Absonderung. Handelt es sich um eine Absonderung, so ist die treibende Kraft in der Lebens- tätigkeit der Zellen gegeben, die im allgemeinen gleichförmig wirken wird. Es ist ja das wesentliche Kennzeichen der Sekretionsvorgänge, dab sie in weiten Grenzen von der Konzentration der sezernierten Stoffe unabhängig ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN Lungen. 271 sind. Wird also die Kohlensäure aus dem Blute durch die Tätigkeit der Epithelzellen ausgeglichen, so ist zu erwarten, daß die ausgeschiedene Menge in der ersten Sekunde dieselbe sein wird, wie in der zweiten und so fort. Die Kurve der Ausscheidungsgröße nach der Zeit würde also eine Gerade parallel zur Abszissenachse sein. Sie würde nur dann anders aus- fallen, wenn etwa die Zellen ermüdeten, oder wenn der Reiz der Abson- derung nachließe, oder wenn kein Stoff mehr zugeführt würde, oder end- lich auch, wenn der abgesonderte Stoff sich allzusehr häufte. Alle diese Bedingungen treffen bei kurze Zeit währender Ausscheidung von Kohlensäure in einen mit Stickstoff erfüllten Lungenlappen nicht zu. Es wäre also nach der Absonderungshypothese zu erwarten, daß der Kohlensäuregehalt des Gasgemisches in dem abgesperrten Lungenlappen mit jeder Zeiteinheit um die gleiche Größe zunehmen würde. Im Gegensatz zu diesem Verlauf der Absonderungsvorgänge ist bei Ausgleichungsvorgängen die in die Zeiteinheit übergehende Menge ganz und gar von den vorhandenen Spannungsunterschieden abhängig. Findet also der Ausgleich von einem Raume, in dem eine bestimmte Spannung dauernd erhalten wird, gegen einen geschlossenen Raum statt, in dem anfänglich eine gegebene niedrige Spannung besteht, so wird in dem Maße, in dem sich die Spannung ausgleicht, die in jeder Zeiteinheit übergehende Menge geringer. Die Kurve der übergehenden Mengen nach der Zeit hat die Gestalt einer logarithmischen Linie, die anfänglich am steilsten, dann immer flacher zur Abszisse absteigt, an die sie sich asymptotisch anschließt. Der Unterschied im zeitlichen Verlauf der Ausscheidung durch Ab- sonderung oder durch Spannungsausgleich ist also kurz gesagt der, daß die Absonderung gleichförmig und andauernd stattfindet, während der Spannungsausgleich anfänglich viel schneller vor sich geht als später. Um aus diesem Unterschiede zu erkennen, ob die Abscheidung der Kohlensäure in den Lungen auf dem Ausgleich zwischen Blutgasspannung und Alveolenluftspannung oder auf Exkretionstätigkeit der Epithelzellen beruht, braucht man also nur festzustellen, ob in einen abgeschlossenen mit kohlensäurefreiem Gas gefüllten Lungenlappen zuerst viel, dann weniger Kohlensäure übergeht, oder ob in aufeinanderfolgenden Zeiträumen gleiche Mensen Kohlensäure übergehen. Dies läßt sich bestimmen, indem man unter sonst gleichen Bedingungen das in dem Lungenlappen enthaltene Gasgemisch einmal nach kurzem, ein zweites Mal nach längerem Verweilen in dem Lungenlappen untersucht. Wenn die Abscheidung gleichmäßig vor sich geht, muß man dann das zweite Mal um so viel mehr Kohlensäure finden, als der zweite Zeit- raum länger war als der erste. Wenn dagegen die Abscheidung durch Ausgleich stattfindet, wird die Verlängerung des Zeitraumes viel geringeren 202 R. pu Boıs-REyMmonp: Einfluß auf die abgeschiedene Menge haben, weil die übergehende Menge mit jedem Augenblicke geringer wird. Um diese Untersuchung auszuführen, ließ ich mir die oben erwähnte Vorrichtung herstellen, die ich kurzweg als „Zeithahn“ bezeichne. Sie. besteht aus einem Dreiweghahn, dessen Zapfen aber nicht die gewöhnliche T förmige Bohrung des gewöhnlichen Dreiweghahns, sondern nur eine winklige Boh- rung = L. hat (vgl. Fig. S.265). Der Zapfen stellt also in einer Stellung die Verbindung zwischen zwei Öffnungen des Dreiwegrohres her, und schließt die dritte ab, nach einer Viertelumdrehung oder Dreiviertelumdrehnng stellt er die Verbindung zwischen der zweiten und dritten Öffnung her, und schließt die erste ab. Der Zapfen ist mit einer Achse verbunden, auf der eine Trommel sitzt, die durch einen umgewickelten Faden mit Gewicht selbsttätig gedreht wird. Oberhalb der Rolle sitzt an der Achse eine Scheibe mit zwei Sperrzähnen, in die eine Sperrklinke eingreift. Die Sperr- zähne stehen so zum Zapfen, daß sie die Drehung gerade in den beiden oben angegebenen Stellungen hemmen. Die hemmende Sperrklinke kann durch einen Elektromagneten ausgehoben werden. Der den Elektromagneten durchfließende Strom kann durch eine Bowditchsche Uhr in beliebigen Perioden von 1 bis 60 Sekunden auf einen Augenblick geschlossen werden. War nun die in den Bronchus eingeführte Kanüle mit der mittleren Röhre des Zeithahns, die Stickstoffbombe mit der linken und die Proberöhren mit der rechten verbunden, und wurde die Bowditchsche Uhr auf 5 Sekunden gestellt, so füllte sich zuerst 5 Sekunden lang der Lungenlappen mit Stick- stoff, dann trat der Strom in den Elektromagneten, die Sperrklinke wurde ausgehoben, der Zeithahn drehte sich um eine Vierteldrehung und der Lungenlappen entleerte sich in die Proberöhre. Nach 5 Sekunden schloß die Bowditehsche Uhr abermals den Strom, der Zeithahn drehte sich um dreiviertel Umdrehung und die Stickstoffbombe war wieder mit der Lunge verbunden. So füllte sich die Proberöhre im Laufe von etwa 10 bis 20 Umdrehungen des Hahns mit Gasmengen, die jede gerade 5 Sekunden lang im Lungenlappen gewesen waren. Dann wurde die erste Proberöhre geschlossen, die zweite geöffnet, die Uhr etwa auf 30 Sekunden gestellt, und die zweite Röhre auf dieselbe Weise gefüllt, nur daß diesmal jede Gas- menge 30 Sekunden lang im Lungenlappen blieb. Darauf wurde wiederum eine Probe mit der Einstellung auf etwa 5 Sekunden genommen usw. Wenn die mit gleicher Einstellung der Uhr genommenen Proben unter- einander gleiche Kohlensäuremengen gaben, konnte dies als Beweis gelten, daß die übrigen Versuchsbedingungen während der Dauer des Versuchs gleich geblieben waren. Solche Versuche ergaben nun, daß der Kohlensäuregehalt der Proben keineswegs auch nur annähernd proportional der Dauer des Aufenthalts in ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LUNGEN. 273 dem Lungenlappen zugenommen hatte. Im Gegenteil war bei der Ein- stellung auf ganz kurze Perioden bis zu 3 Sekunden herunter, die eben nur zur Füllung des Lungenlappens hinreichten, der Kohlensäuregehalt immer schon über die Hälfte von dem, der bei 5 bis 6 mal längerem Aufenthalt in der Lunge erreicht wurde. . Bedenkt man, daß während der ganzen Zeit die Kohlensäurespannung des Blutes dieselbe blieb, und daß auch in der Alveolenluft die Kohlen- säurespannung nicht sehr hoch wurde, so muß man annehmen, daß die Exkretionstätigkeit des Epithels, wenn sie überhaupt vorhanden war, während der ganzen Zeit gleichmäßig angedauert hätte. Dann müßte aber im fünf- bis sechsfachen Zeitraum auch das Vielfache der Kohlensäuremenge ausgeschieden worden sein, die während der kurzen Periode ausgeschieden wurde. Das war aber nicht der Fall. Im Gegenteil, während der kurzen Periode von 5 Sekunden wurde eine Kohlensäuremenge abgeschieden, die gegen zwei Drittel von der betrug, die im Laufe der langen Periode von 30 Sekunden abgeschieden wurde. Das beweist, daß die Abscheidung erst sehr schnell, später langsamer vor sich geht, mithin, daß sie sich wie ein Diffusions- ausgleich verhält. Man könnte nun, ganz wie oben bei den Versuchen über den Über- tritt des Sauerstofis, die Behauptung aufstellen, daß neben dem Spannungs- ausgleich auch eine Exkretionstätigkeit des Lungenepithels im Spiel sei. Dann ist aber, nach dem Ergebnis des Versuchs, die Wirkung dieser Exkretionstätigkeit neben der der einfachen Diffusion ganz unbedeutend. Denn selbst wenn man den ganzen Unterschied zwischen den in kurzen Perioden von 5 Sekunden und den in langen Perioden von 30 Sekunden ausgeschiedenen Kohlensäuremengen ausschließlich auf die Exkretionstätig- keit bezieht, würde diese, da sie in der fünffachen Zeit nur ein Drittel der Menge fördert, mehr als fünfzehnmal schwächer sein als die Diffusion während der ersten 5 Sekunden. Übrigens zeigte sich bei den Versuchen deutlich, daß die Höhe der erreichten Kohlensäureabscheidung von der Höhe der Blutgasspannung ab- hängig war. Wenn die künstliche Atmung der ganzen Lungen verstärkt . wurde, wurde die Menge der in einem bestimmten Zeitraum in den mit Stickstoff erfüllten Lungenlappen abgegebenen Kohlensäure geringer, wenn das Tier unruhig wurde, oder die künstliche Atmung nicht stark genug war, größer. Als Beispiel setze ich die Zahlen her, die in einigen Ver- suchen gefunden wurden, indem ich bemerke, daß diese Zahlen nicht etwa als genaues Maß der in den Alveolen herrschenden Spannung anzu- sehen sind. Bei einem Versuch an der Katze wurden nach den erforderlichen Vor- proben 4 Proberöhren mit dem Stickstoff gefüllt, der durch den Zeithahn in Archiv f. A. u. Ph. 1910, Physiol. Abtlg. 18 274 - R. pu Boıs-Reymonp: einen Lungenlappen eingetreten war. Für die erste und dritte Röhre betrug die Periode des Zeithahns 2 Sekunden, für die zweite und vierte 10 Sekunden. Die gefundenen Zahlen für den Kohlensäuregehalt, die einen Vergleich zwischen den in verschiedenen Zeiträumen abgeschiedenen Kohlen- säuremengen gestatten, waren nach Doppelanalyse: Röhre I und III Röhre II und IV! (3 Sek.) (10 Sek.) 2 13 Teilstriche 17.0 15 Teilstriche 13 13 e Ile 15 “ Bei einem anderen Versuch an der Katze unter gleichen Bedingungen ergab sich: : Röhre I? und III Röhre II und IV (3 Sek.) (15 Sek.) 16-5 11 15-5 213 17 11 16 12.5 Bei einem anderen Versuch wurden 6 Proben genommen, der Lungen- lappen faßte nur wenig Gas und die Füllung der Röhre zog sich in die Länge. Um so deutlicher sprechen folgende Vergleichszahlen: Röhre IV Röhre VI (60 Sek.) (5 Sek.) 14 8 15 7 Trotz der zwölffachen Zeitdauer ist also die in der IV. Probe ab- geschiedene Menge nicht einmal ganz doppelt so groß, wie die in der VI. In einem weiteren Versuch wurde gefunden: ‚Röhre III und IV Röhre V und VI (10 Sek.) (60 Sek.) 18 19 26 2 21 20 31 29 ! Vor der letzten Probe war die künstliche Atmung verstärkt worden, weil das Tier Atemnot litt; es zeigt sich dabei deutlich eine Verminderung der ausgeschiedenen Kohlensäure, die nur auf diesen Umstand bezogeı: werden kann, weil eine unmittelbar darauf nachträglich genommene Probe mit 3 Sek. wieder 16 Teilstriche gab. ® Hier dürfte die Durchblutung im Laufe des Versuches abgenommen haben, so daß die erste Probe mit der späteren nicht vergleichbar ist. ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN Lungen. 275 Bei einem anderen Versuch fand sich Röhre III und IV Röhre V und VI (2 Sek.) (15 Sek.) 16 A 19.5 22-5 I il 19.5 22.5 Für die Kohlensäureausscheidung zeigt sich also ebenso wie für die Sauerstoffaufnahme, daß unter solchen Bedingungen, unter denen man die Wirkung des Spannungsausgleiches von der einer absendernden Tätigkeit der Epithelzellen scharf trennen kann, eine Tätigkeit des Epithels nicht nachzuweisen ist. Dagegen tritt der rein physikalische Ausgleich der Gas- spannungen deutlich hervor. Es kann also gar kein Zweifel darüber sein, daß ein sehr lebhafter Gasaustausch schon infolge des bloßen Spannungs- unterschiedes vor sich geht. VII. Versuche mit kohlensäurereichem Gasgemisch. Gegen die einfache Umkehrung des normalen Vorganges der Kohlen- säureabscheidung nach denselben Grundsätzen, wie es für die Sauerstoff- aufnahme in dem 3. und 4. Abschnitt der vorliegenden Mitteilung be- schrieben ist, hatte ich mir den Einwurf gemacht, es könnte eine hohe Kohlensäurespannung in den Alveolen lähmend auf das Lungenepithel wirken, so daß aus einer etwa auftretenden Diffusion von Kohlensäure in das Blut nicht geschlossen werden dürfe, daß die Zellen zur Ab- sonderung unfähig seien. ä Da ich bei meiner ersten Mitteilung jedoch von Hrn. Loewy darauf hingewiesen wurde, daß Bohr selbst solehe Versuche gemacht hat,! so habe ich nachträglich auch eine Reihe solcher Versuche angestellt. Dabei erwies es sich unerwarteterweise als schwierig, die Zusammensetzung des kohlen- säurereichen Gasgemisches genau festzustellen, weil entweder durch un- vollkommene Mischung der zugesetzten Kohlensäure mit der im Gasometer enthaltenen Luft, oder durch die Absorption ins Wasser die Analysen im Zeitraum weniger Stunden mitunter merkliche Unterschiede zeigten. Es mußte also zur Sicherheit vor und nach jedem Versuche unter möglichst gleichen Bedingungen der Kohlensäuregehalt der Mischung noch besonders bestimmt werden. In einer Reihe von Versuchen dieser Art fand ich meist den Kohlen- säuregehalt des in die Alveolen eingeführten Gasgemisches, der gegen 10 Prozent betrug, nach dem Aufenthalte in den Lungen vermindert, in ! Zentralblatt für Physiologie. Bd. XXI. 12. 8. 367. llay- 276 R. pu Boıs-Reymonp: einigen Fällen unverändert, niemals aber vermehrt. Meine Versuche stehen also hier denen von Bohr entgegen, der die Kohlensäuremenge unter diesen Bedingungen vermehrt gefunden hat. Ich gebe hier als Probe die Zahlen eines Versuches, mit derselben Bemerkung, die ich oben wiederholt dazu gemacht habe, daß diese Zahlen eben nur untereinander Vergleichswerte haben, ohne daß es möglich ist, etwa die absoluten Spannungen oder Prozentsätze des Gases in den Alveolen daraus abzuleiten. In zwei Doppelproben fand ich, daß das aus dem Gaso- meter strömende Gasgemisch durch Absorption in Kalilauge 75 und 75, in der anderen Probe 72 und 74 Teilstriche an Volum verlor. Der Zeithahn wurde auf Perioden von 10 Sekunden eingestellt, und 3 Proberöhren wurden mit Gasgemisch gefüllt, das 10 Sekunden lang in dem Lungenlappen ver- weilt hatte. Das Ergebnis war für die erste 56 und 58 Teilstriche Verlust in Kalilauge, für die zweite 62-5 und 59, für die dritte 72. Offenbar hatte während des Versuchs, wie es öfter vorkam, die Durchströmung des Lungenlappens nachgelassen. Ein anderer Versuch verlief wie folgt: Drei Doppelproben ergaben als Kohlensäuremenge im Gasgemisch 66 und 65, 66-5 und 67, 66 und 67-5 Teilstriche. Zwei Doppelproben mit dem Gasgemisch, das 5 Sekunden im Lungenlappen verweilt hatte, ergaben 48 und 49 und 47 und 51 Teilstriche. Dazwischen hatte ich die zu dem Lungenlappen führende Arterie durch Umschnürung abgeklemmt, um zu sehen, ob vielleicht bei Abschluß des Kreislaufs das Gasgemisch im Lungen- lappen kohlensäurereicher werde, und hatte dabei das Gemisch je 10 Se- kunden lang im Lungenlappen gelassen. Das Ergebnis zweier. Proben dieser Art war: 51 und 52 Teilstriche, 64 und 66 Teilstriche. Es war also während der letzten Probe gar keine Verminderung mit dem Gasgemisch vor sich gegangen, während im allgemeinen, wie zu erwarten war, die Kohlensäuremenge sich merklich verminderte. | V1Il. Vergleichende Betrachtungen über die Absonderungshypothese. Ist es nun denkbar, daß neben dem Ausgleich eine Absonderungs- tätigkeit der Zellen besteht, die unter den Bedingungen der oben beschriebenen Versuche nicht hervortritt, die auch unter allerhand anderen Bedingungen, wo sie für die Erhaltung des Individuums nützlich sein würde, zum Beispiel bei der Atmung in verdünnter Luft, nicht hervortritt, sondern nur in ganz vereinzelten Fällen dem Organismus durch Sauerstoffresorption oder Kohlen- säureexkretion zu Hilfe kommt? Diese Frage kann nicht durch Labora- ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS IN DEN LUNGEN. 277 toriumsversuche an einzelnen Tieren beantwortet werden, denn bei solchen Versuchen bliebe die Möglichkeit immer offen, daß eine Absonderungs- tätigkeit bestünde, die sich vielleicht aus unbekannten Gründen ganz genau nach den Gesetzen des physikalischen Ausgleiches richtete. Betrachtet man aber die Frage vom entwicklungsgeschichtlichen Stand- punkt, so tritt deutlich hervor, daß eine Absonderungstätigkeit, die nur in einzelnen Fällen wirksam ist, nicht angenommen werden kann. Der Grundzug aller organischen Entwicklung ist die Befriedigung der inneren Bedürfnisse nach den gegebenen äußeren Bedingungen. Wo kein Bedürfnis vorliegt, werden auch keine Fähigkeiten entwickelt. Ein Organ, das nur ab und zu im Notfall tätig wird, ist daher entwicklungsgeschichtlich geradezu unmög- lich. Wenn man dem Lungenepithel die Fähigkeit zuschreibt, Gas abzu- sondern, setzt man stillschweigend voraus, daß diese Fähigkeit im Laufe der Entwicklung erworben ist. Die Bedingungen zu solcher Entwicklung wären aber nur gegeben, wenn ein dauerndes Bedürfnis vorläge, d. h. wenn der Gasaustausch durch Spannungsausgleich schon unter den gewöhnlichen Lebensbedingungen unzureichend wäre. Fragt man weiter, ob der anatomische Befund Anhaltspunkte gibt, dem Lungenepithel die Fähigkeit zur Absonderung von Gasen zuzuschreiben, so muß die Antwort auch verneinend lauten. Der Epithelüberzug über den Lungenkapillaren ist so dünn, daß er von einigen Untersuchern überhaupt geleugnet worden ist. Die Beschreibung!, die heute nach den zuverlässigsten Quellen gegeben wird, läßt durchaus nicht auf besondere Fähigkeiten des Lungenepithels schließen, dessen Bau vielmehr der Anforderung angepaßt scheint, möglichst leichten Spannungsausgleich zu gestatten. Endlich die einzige vergleichend -physiologische Tatsache, auf die sich die Absonderungshypothese stützen könnte, nämlich die Gassekretion in der Schwimmblase der Fische, spricht, wenn man sie von der anatomischen Seite betrachtet, ebenfalls mehr gegen als für die Sekretionsfähigkeit des Lungenepithels. Denn in der Schwimmblase sind große makroskopisch erkennbare Organe für die Sekretion vorhanden, und nach neuerer An- schauung sogar zwei verschiedene, das eine für die Sekretion, das andere für die Resorption des Sauerstofis. Diese beiden Funktionen zugleich soll die selbst im Mikroskop kaum sichtbare Schicht Zellensubstanz, die die Lungenkapillaren überzieht, in so gewaltigem Maße dauernd ausüben können, wie dies die Atmung der Warmblüter erfordert! ! „Die körnigen Epithelzellen pflegen nie auf den Kapillaren, sondern stets in den Maschen des Kapillarnetzes der Alveolarwand direkt aufzuliegen, ohne daß indessen auf jede Masche eine Epithelzelle käme, wozu ihre Zahl bei weitem nicht ausreicht.“ Opel, Vergl. mikroskopische Anatomie. Bd. VI. S. 650, nach F. E. Schulze „Die Lungen,“ in Strickers Handbuch. 378 R.puBoıs-REeYMoND: ÜBER DEN MECHANISMUS DES GASWECHSELS USW. Aus solchen Erwägungen geht hervor, daß die Absonderungshypothese von vornherein so wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat, daß sie nur auf Grund zwingender Beobachtungsergebnisse angenommen werden könnte. Als durchaus zwingend sind aber die bisher als Beweisgründe angeführten Ver- suche angesichts der Kritik, die sie von berufener Seite erfahren haben, nicht anzusehen. Unter diesen Umständen wird man den oben mitgeteilten Versuchen, in denen von Absonderung keine Spur, dagegen ganz unzweifel- hafter Spannungsausgleich gefunden worden ist, um so größeres Gewicht beilegen, und die Absonderungshypothese ganz fallen lassen dürfen. Damit _ wäre dieser Teil der Physiologie auf rein physikalische Grundlage zurück- geführt. Über die Wirkungsweise des Wärmezentrum im Gehirne. von E. Sinelnikow aus St, Petersburg. (Preisarbeit der medizinischen Fakultät der Universität Bern.) Überall im tierischen Organismus, wo chemische Prozesse der regres- siven Metamorphose stattfinden, wird Wärme frei, aber nicht in allen Organen geht der Stoffwechsel mit gleicher Lebhaftigkeit vor sich. Geringe und träge Stoffwechselvorgänge, wie in der Knochenrinde und im Knorpel, sind von unbedeutender Wärmebildung begleitet. Dagegen sind Muskeln und Drüsen Hauptherde der Körperwärme. Das zentrale Nervensystem reguliert Wärmebildung und Abgabe. Aus den Beobachtungen von Brodie, Billroth und Simon an Menschen, und von Tscheschichin, Riegel und anderen an Tieren weiß man, daß nach Durchschneidung und Quetschung des Rückenmarks die Körpertemperatur dauernd und beträchtlich steigt. Die Reizung gewisser Punkte des Gehirns hat den gleichen Erfolg. Nachdem im Jahre 1884 von E. Aronsohn und J. Sachs am Innen- rande des Caput corporis striati das „Wärmezentrum“ entdeckt worden war, blieb es noch unentschieden, an welchen Orten die Herde der neurogenen Hyperthermie gelegen sind. Dennoch haben wir über diese Frage schon eine Reihe von Arbeiten: Ito hat gefunden, daß nach dem Wärmestiche die Temperatur im Duodenum zu steigen beginnt, derart, daß sie bis um 0-55° höher sein kann, als zu gleicher Zeit im Rectum; und diese letztere blieb stets höher als die Temperatur der Oberschenkelmuskulatur. Aus dieser Tatsache schließt er: „Wahrscheinlich erhöht das gereizte Wärme- 280 E. SINELNIKOW: zentrum zunächst die Tätigkeit des Pankreas und vielleicht auch der Duo- denaldrüsen.“ Zu denselben Resultaten kam Lepine, als er nach dem Wärmestiche die Temperaturen der Oberfläche des Pankreas mit derjenigen des Rectum verglich. Aronsohn erklärt (1906) die Muskeln als Wärmebildner: „Das Wärmezentrum steht durch seine motorisch-trophische Bahn mit dem Muskelsysteme in direkter und innigster Verbindung, so daß es nach der Intensität seiner Erregung den Stoffwechsel der Muskeln steigern oder ver- mindern kann. Werden die Muskeln von ihren Nervenansätzen durch Curarevergiftung in ihrem physiologischen Zusammenhange getrennt, so kann kein Fieber entstehen, beziehungsweise geht die Temperatur des fiebernden Tieres, wie die Versuche von mir beim pigürten (er meint den Wärme- stich) Kaninchen zeigen, nach Injektion von Curare bedeutend herab, um 7!/,° in 2 Stunden.“ Aronsohn folgert seine Ansicht aus Versuchen, deren Resultate er in folgender Tabelle zusammengestellt hat. Jede Zeile gibt ein Paar von Bestimmungen der Rektaltemperatur an gestochenen Kaninchen vor und nach Curarisierung. : | | a or ee na Du wei Grad C Grad C Grad C 2 | 41-3 39-7 1-6 2-8 | 42-1 39-6 2-5 1-5 40-7 | 38-2 2-5 2-1 41-2 | 40-1 1-1 3.5 40-65 34-8 5-85 1:0 41-4 34-0 7-4 1:0 41-2 40-6 0-6 In allen Versuchen hatten die Tiere nach der Curareinjektion „frei geatmet“. Die Versuche von Aronsohn sind methodisch ungenügend. Er scheint kein gutes Curare angewendet zu haben, denn trotz ungewöhnlich hoher Gaben lähmte es die Atemnerven nicht.. Dabei konnte es „foudroyant“ töten. Von anderer Seite wurde, gestützt auf die Versuche von Cl. Bernard, angenommen, daß nach dem Wärmestiche hauptsächlich die Leber an der Bildung der Wärme beteiligt sei. So gelangen Carl Hirsch und Otto Müller, nach Vergleich der Temperatur der Leber mit derjenigen von ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 281 Haut, Muskeln und Aortenblut zu folgendem Schlusse: „Die Leber muß einen hervorragenden Anteil, sowohl an der normalen, als auch an der pathologischen Wärmebildung haben.“ Die Temperatur wurde mittels thermoelektrischer Methode gemessen. C. Hirsch und Rolly kamen zum Ergebnisse: „daß es auch bei Ausschaltung der Muskulatur durch Curarewirkung gelingt, mittels Wärmestichs eine ausgesprochene Hyperthermie beim Kaninchen hervor- zurufen, und daß die Drüsentätigkeit, speziell die der Leber, einen eroßen Anteil an der Wärmebildung hat.“ Sie geben folgende Resultate von Beobachtungen curarisierter Tiere: In der Tabelle zeigt jede hori- zontale Reihe die maximalen Wärmegrade einer Versuchsperiode an, nebst Bestimmung der Zeit, nach welcher die Körpertemperatur ihr Maximum erreicht hatte. Die Temperatur vor dem Einstiche | Die Temperatur nach dem Einstiche, a Grad C | Grad C Muskeln Leber | Anus Muskeln Leber Anus | Std. | Min. 39-2 39-95 39-9 38.16 40-9 | 39.9 1 05 38-9 39-4 | 39-8 38-75 | 40-52 | 40-2 5750 38-4 39.3 1.894 || 3743 | 40-2 | 20.8 | 5 | 5 37-6 38-7, . |, 1188545 All 36.0 3950514 4,39:2, 15 4 07T «| 128 Sa | 39.35, | 39-15, | 38-622 7.40.55 40-15 | 14 00 38-52 39-20. | ..28-9° I 39.17050.40:05 | 39.42. | 7 25 37-3 39.2 38.6 | 836-6 | 40-6 39-42 u | \) | I | Während jedes Versuches waren die Tiere vollständig gelähmt und künstlich geatmet. Aronsohn sucht in kritischen Bemerkungen zu dieser Arbeit Fehler der Meßmethoden nachzuweisen, betont nochmals seine An- sieht und sagt: „Die Muskelwärme kann nie ... der Leberwärme gleich- kommen, weil normal die Temperatur des Muskels um beinahe 5° geringer ist als die der Leber.“ „Nach dem Wärmestiche aber werde der Unter- schied immer kleiner.“ Es kommt also auf den Zuwachs der Temperatur in einem Organe an, nicht auf die absoluten Werte. Dasjenige Organ, in welchem die Wärmezunahme beginnt, ist als Herd anzusehen. Auf S. 213 seiner „kritischen Bemerkungen“ sucht er die Muskeln als Wärmequellen zu retten, indem er einen Versuch von Hirsch und Rolly folgendermaßen darstellt: Da binnen 2 Stunden die Muskeltemperatur um 0.33° (von 37-.5° bis 37.83°) stieg, die Lebertemperatur (39-5°% um 0°, die Rektaltemperatur um 0.13° (39.02° bis 39-.15°), „so geht daraus hervor, daß in diesen 282 E. SINELNIKOWw: 2 Stunden der Muskel die höhere Temperatur für den Körper ge- liefert hat.‘“! Warum widersprechen die Resultate in den Arbeiten von Rolly denen von Aronsohn? i Aronsohn wartete nach dem Wärmestiche, bis die höchste Temperatur erreicht war, dann curarisierte er die Tiere. Die Temperatur bleibt aber nach dem Wärmestiche in der großen Mehrzahl der Fälle einige Zeit auf ihrer größten Höhe, fällt danach allmählich ab. Er konnte also nur den Temperaturabfall (ohne und mit Curare) vergleichen, während Rolly sogleich nach dem Wärmestiche, also im Be- sinne der Temperatursteigerung curarisierte. Zu gleicher Ansicht, wie Aronsohn, kommt Schulze durch folgende Versuche: Er resezierte die Nervi vagi am Ösophagus und die Nn. splanchniei. Auch dann führte Verletzung des Corpus striatum zu Hyperthermie. Da er meinte, daß mit der Durchtrennung der Vagi und Splanchniei die Ver- bindung zwischen Gehirn und ‘großen Unterleibsdrüsen unterbrochen sei, kam er zum Fehlschlusse, daß die Hyperthermie unabhängig von Leber und Pankreas, nur durch die Verstärkung des Muskeltonus bedingt werde; er vergaß, wie Rolly richtig bemerkt, daß zwischen Gehirn und Unter- leibsdrüsen noch andere Verbindungen als Vagi und Splanchniei vorhanden sind. Einwandfreie Resultate sind nur erhaltbar nach vollständiger Aus- schaltung des sympathischen Nervensystems, wie dies Magnus und Langley bei Untersuchung der Darmtätigkeit an Katzen gemacht haben. Mit der Frage: ob beim Wärmestich gereizte Muskeln als Herde dienen, -ging ich zu meinem eigentlichen Thema über. Ich benutzte zu meinen Experimenten Iprozentige Lösung von er- probtem Calebassencurare. Die klare Flüssigkeit wurde in eine Ohrvene injiziert. Nach 1 bis 2 Minuten waren die Tiere vollständig gelähmt; sie mußten durch künstliche Atmung lebend erhalten werden. Während dieser Zeit waren die Tiere in reichliche Watte gewickelt. Die Rektaltemperatur habe ich mit einem Normalthermometer von Max Stuhl (Berlin) ‚gemessen. Zur Curarisierung verwendete ich nur die zur Paralyse eben erforderliche Menge des Giftes. Es ist schon seit Riegel bekannt, daß curarisierte Tiere, ohne andere Behandlung, sich abkühlen, und daß der Temperaturabfall durch Einwicke- lung mit Wolle, Watte usw. wenig gehindert wird. Gute Beispiele bieten meine folgenden zwei Versuche: ! Physikalisch unverständlich ist die Vorstellung, daß ein Körper, dem von einen: thermogenen Apparate Wärme zugeleitet wird, höhere Temperatur annimmt, als die Wärmequelle. ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 283 Versuch I vom 7. Juni 1909. Zeit Temperatur im Rectum Bemerkungen Std. Min, Grad C 10 Vm.| 30 39-8 11 Tracheotomie. Während dieser Operation war das Tier 11 10 39.4 gefesselt. 11 20 In natürlicher Haltung. 11 30 39.5 i 11 35 | 0.4 m Curarelösung in die Ohrvene. Sogleich gelähmt, il 54 39.3 || künstliche Atınung. 12 38-9 | 12 10 33.6 | 12 dor |. .384 | 12 25 38-1 12 40 | 37:6 | 12 45 | 37:5 | Während der ganzen Zeit vollständige Lähmung. Versuch II vom 14. Juni 1909. Zeit Temperatur im Rectum | Bemerkungen Std. Min. Grad C | 11 Vm 39.3 11 20 Tracheotomie. 4 30 39-3 \ 5 0.7 = Curarelösung lähmt sogleich vollständig, künst- 5 10 38-2 liche Atmung. In Watte gehüllt. 5 20 31029 5 45 37.3 5 55 37:2 6 20 37.0 6 30 36-8 Wodurch wird die Körperwärme der curarisierten Tiere vermindert? Weil ausgestreckt aufgebundene Tiere unter günstigen Abkühlungs- bedingungen liegen, weil die kleinen Arterien erweitert sind, weil die künst- liche Atmung kühlt. Em. Cavazzani hat in drei Arbeiten gezeigt, daß das Curare die Temperatur der Leber sowohl unter normalen Verhältnissen, als auch während der Asphyxie erniedrigt. Er schreibt: „U’&levation de la temperature hepatique, durant l’asphyxie 284 E. SINELNIKOW: est rendue moindre ou est abolie par quelques poisons, lesquels ont une action sur les terminaisons nerveuses (curare, atropine) ....“* „Que les injections intraveineuses des solutions de cocaine, de lau- danum, de bile sont suivies d’une &levation de la temperature hepatigque, tandis que le contraire a lieu, si l’on injeete des solutions de chlorale et de curare.“ | Es wäre aber auch möglich, daß große Dosen von Curare nicht nur die Wärme der Leber minderten, sondern auch die Temperatur anderer Drüsen. | Was weiß man von der Wärme entnervter Muskeln, zumal nach Curarevergiftung? Otto Frank und Fritz Voit haben an curarisierten Hunden folgendes beobachtet: „Wir sehen die Kohlensäureausscheidung bis zur Vereiftung mit der 1-75-fachen Normaldosis, nachdem einmal stärkere Muskelbewe- gungen durch das Gift ausgeschaltet sind, konstant bleiben und außer der Einwirkung auf die Nervenendigungen keine spezifische Einwirkung auf die Zersetzungen im übrigen Organismus auftreten.“ In der Zusammen- fassung ihrer Ergebnisse sagen sie sogar: „8. Wahrscheinlich ist die Zersetzungsgröße des curarisierten auf- gebundenen Tieres etwas höher als diejenige des frei lebenden, ruhigen Tieres. Man kann die Erhöhung als einen ungenügenden Versuch des Organismus zur Erhaltung des Wärmegleichgewichts betrachten.“ „10. In der Curarenarkose ..., ist sowohl die Eiweißzersetzung als auch Fettzersetzung fast gleich der normalen.“ (S. 362.) Die Angaben über die Zersetzung der stiekstoffhaltigen Substanzen in- folge der Curareparalyse sind noch widersprechend (S. 146): „C. Voit nat gezeigt, daß die Zersetzung des N durch das Curare nicht vermindert wird.“ Im Gegensatz dazu haben Otto Frank und S. v. Gebhard ge- funden, daß die N-Zersetzung durch das Curare sogar bis auf 25 Prozent zurückging. Sie meinen (S. 124): „Die N-haltigen Substanzen, die nicht durch die Nieren in der ÜÖurarenarkose ausgeschieden wurden, müssen irgendwo im Körper zurückgehalten werden.“ Die Mehrzahl der Autoren ist geneigt, den Stoffwechsel während der Curarewirkung unverändert an- zunehmen. Es wird also beim normalen Tiere durch Curare die Körpertemperatur in der Regel herabgesetzt. Ganz andere Resultate bekommt man, wenn vor der Curareinjektion der Wärmestich in das Corpus striatum ge- macht war; dann steigt, nach meinen Erfahrungen, die Temperatur be- trächtlich. ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM (GEHIRNE. 285 Versuch III vom 19. und 20. Juli 1909. Zeit Temperatur Datum — —— [im Rectum bemerkungen 'Std.| Min. | Grad | 19.VIL]ıı | 30 | 39-0 el Bin 4020 ‚ Tracheotomie. 20. VI. 3 I 89-1 | | 8 15 | Stich in linkes Corpus striatum. 6:3 30 ||| 0.7 ® Curarelösung; sogleich vollständig gelähmt; | 8 35 ass künstliche Atmung. 4 | 38-8 2a 15 || 738.9 4| 30 || 89.0 : 4 45 | 39.2 a 154... 39-3 5| 30 || 39-4 5 En Schwache Kopfbewegungen auf Nasenreiz. 0-6 cm 5 40 | 39.4 Curarelösung. 5 50 39-5 6 30 39.7 62 45 || 89-8 6| 55 | 89.9 05 || 40-0 Bl 780 || #40rl Bass || 0-3 = Curarelösung. eu 30 || -A0sa0| I 8| 4 40-4 29 00 | 40-5 ı 9 | 30ab. | 40-6 Noch gelähmt; künstliche Atmung fortgesetzt. 21.V1l. 8 |30vm.|| 39-6 Trachealkanüle verschleimt. Beschwerliche Atmung. I 9 | | Mittels Ather getötet. Autopsie: Der Stichkanal geht durch die Mitte des freien Randes des Corpus striatum. Versuch IV vom 22. und 23. Juli 1909. Zeit ‚Temperatur Datum | im Reetum Bemerkungen Std. | Min. || Grad © Damm 3.30 | . s9«1 ge ss | Tracheotomie. In Watte gehüllt. 9 | 40. | Einstich in linkes Corpus priatum. 11 | ı Curarelösung 0-6 °®. Gelähmt. Künstliche Atmung. 5 | 11 | 40 |: 39-3 | do | 40 | 3a 2 399 | Selbständige Atmung. 2 5 || | 0-6°°® Curarelösung. Gelähmt. 2 | 20 | 40-0 | 286 E. SINELNIKOW: Versuch IV vom 22. und 23. Juli 1909 (Fortsetzung). Zeit |Temperatur Datum — im Reetum Bemerkungen Std. Min.| Grad C 22.VIL|. 2 | 25 | 40-7 | 2 40 40-2 2 55 40-3 3 10 40.4 4 40*5 Noch bewegungslos. Curare 0-5 m. 4 25 40-6 4 30 40-7 5 40-9 5 6) 41-0 en os I) 5. | so.|j 41-1 2252| 235 Selbständige Atmung. 23.VII.| 9 | 89-3 vorm. || 12 39-1 \ 2 Mittels Äther getötet. Autopsie: Stich hat die Mitte des freien Randes vom Corpus striatum getroffen. Versuch V vom 23. Juli 1909. Zeit Temperatur 2 im Rectum Bresmrerrakzuansorern Std. Min. | Grad C. ) Tracheotomie. 10 38-8 | 11 Wärmestich links. 12 38-9 1 30 39-3 1 40 39.4 In Watte gehüllt. 1 50 ı Curarelösung 0.7 =, Gelähmt. Künstliche Atmung. 2 B) 39-6 f 2 15 3 2 30 39.8 | 2 45 39-9 2 50 39.9 | Noch unbeweglich. Curarelösung 0-7 m, 3 40-0 3 15 | 40-1 3 30 | 39-9 4 20 | 39.9 | 4 30 | Selbständige Atmung, sogleich Curarelösung 0-5 cm. 4 40 39:9 Gelähmt. 5 40-0 | 5 30 401 | 6 5 0-1 | 6 10 ; | Freie Atmung. Ausgewickelt. 6 15 40-0 , Am nächsten Morgen tot gefunden. Die Trachealkanüle war ganz verschleimt. ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 287 Autopsie: Der Stich hat den medialen Rand des Corpus striatum nahe dem zentralen Teile gestreift. Während des ganzen Verlaufes jedes Versuches blieb das Tier voll- kommen gelähmt. Zur Prüfung wurde mehrmals erfolglos die Nase und Hornhaut gereizt. Um das Tier gleichmäßig gelähmt zu erhalten, soll am Anfange mehr Curare gegeben werden, als im späteren Verlaufe des Versuchs. Die vorstehenden Protokolle zeigen, daß trotz Ausschaltung der motorischen Nervenleitung durch Curare neurogene Hyperthermie hervor- gerufen werden kann. ‚Der folgende Versuch ist so angeordnet, wie Aronsohn es tat. Curare wird erst injiziert, wenn die Temperatur nach dem Einstiche den höchsten Grad erreicht hat. So fällt die Beobachtung in die Periode der maximalen Erhebung oder des Abfalls.. Es konnten also nur mächtigere Wärmequellen die Stauung mehren. Versuch VI vom 7. Juli 1908. Zeit Temperatur Datum — — im Rectum IBeesmrerrakauengszern Std. Min. Grad C Z- VII. 9 39-5 |) 9 30 , Tracheotomie. 10 38-9 | 10 30 39-1 11 Wärmestich rechts. 11 5 38-9 12 39-7 3 | 41.2 3 35 | 41-1 3 40 | Curarelösung 0-6°=. Gelähmt. Künstl. Atmung. 3 45 | 40-8 4 40.7 4 20 | 40:6 4 50 | 40-5 5 10 40-4 I: 20 40-4 Im 5 30 Freie Atmung. 5 35 40-3 Das Tier sitzt im Korbe. | 6 10 40-2 IS 40-3 8. v1l. 10,7) 39-7 9a -.:8: |: 30 39-1 Autopsie: Der Stich geht durch die Mitte des freien Randes vom Corpus striatum. 288 E. SINELNIKOW: Aus allen diesen Versuchen geht hervor, daß man die Temperatur eurarisierter Tiere dann gesteigert sieht, wenn sie untersucht wird, während die Tiere mehr Wärme bilden als abgeben. In diesem Zustande befindet sich der Organismus nur in der ersten Periode nach dem Wärmestiche, während in der zweiten Periode, wenn die Temperatur ihr Maximum er- reicht hat und die Wärmeproduktion der Wärmeabgabe gleich geworden ist, die Curareinjektion die gleiche Wirkung wie beim normalen Tiere hat, d. h. die Körpertemperatur herabsetzt. Da die Wirkung des Curare auf die Veränderung der Körperwärme von verschiedenen Momenten abhängig ist, so z. B. von der Dosis, der Giftart und von dem Zeitintervalle zwischen Injektion und Wärmestich, so suchte ich durch Ausschaltungsoperationen die Wärmequellen zu finden. Ich trennte nervöse Verbindungsbahnen zwischen Corpus striatum und Muskelgebieten oder Unterleibsdrüsen. Ich operierte folgendermaßen: Nach Durchschneidung des Rückenmarks wartete ich einige Tage, bis sich die Tiere von der eingreifenden Operation erholt hatten. Die Körper- temperatur zeigte keine großen Schwankungen. Das Tier fraß die dar- gereichte Nahrung. Erst dann machte ich den Einstich in das Corpus striatum, wonach die Rektaltemperatur stieg. Am nächsten Tage, als die Temperatur wieder zur Norm zurückgekehrt war, tötete ich das Tier mittels Chloroform, und machte die Sektion. Das Gehirn wurde in 10 prozentiger Formalinlösung sehärtet, um den Ort des Einstiches festzustellen. Ich wählte zunächst den für Durchtrennung des Rückenmarks günstig- sten Ort. Die Durchschneidung des Marks zwischen VI. und VII. Hals- wirbel durfte ich für meine Zwecke nicht als brauchbar erachten, denn die Erfahrungen bewährter Forscher lehren, daß danach die Tiere durch Ab- kühlung sterben. So schreibt Nebelthau: „Nach Durschneidung des Rückenmarkes in der Höhe des sechsten bis siebenten Processus spinosus cervicalis kann man eine dauernde Abnahme der Wärmeproduktion und Wärmeabgabe be- obachten“, und Israel: „Nach der Durchschneidung des Rückenmarkes zwischen VI. und VII. Halswirbel sieht man bisweilen eine geringere Temperatursteigerung neben erhöhter Reflextätigkeit, dann sinkt die Tempe- ratur allmählich ab; bis zum Tode des Tieres“. Nach Durchschneidung zwischen II. und III. Brustwirbel bleiben die Tiere einige Tage am Leben, dabei werden aber, außer willkürlichen Muskeln, auch alle Baucheingeweide mit ihren Drüsen dem Einflusse des Gehirns entzogen. (Der erhaltene Vagus hilft nichts, das hat schon Schulze gezeigt). ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 289 Da aber das Kaninchen an den hinteren Extremitäten die größte Masse der Muskulatur besitzt, so genügt auch Durchtrennung des Rückenmarkes zwischen dem Brust- und Lendenteile, um die Impulse vom Gehirne zur Hauptmasse der willkürlichen Körpermuskeln auszuschalten. Dabei be- halten die Unterleibsdrüsen zum größten Teile ihre zentrale Inner- vation. Um die Muskulatur der vorderen Extremitäten zu lähmen, durch- trennte ich beide Plexus brachiales. Auch nach dieser Operation bleiben mit dem Gehirn noch im Zusammenhange: die Gesichts-, Hals- und ein geringer Teil von der Rückenmuskulatur; also nur ein nicht sehr bedeut- samer Teil des Muskelsystems. Im Versuch Nr. VII. isolierte ich nur eine geringe Muskelgruppe: Ich unterband an den Schenkeln die beiden Nervi crurales dicht am Ligamentum inguinale. Nach Krause innervieren die Nn. crurales den größten Teil der Schenkelmuskeln: hauptsächlich die Adduktoren. Nach solcher Operation konnte aber das Tier, obgleich mangelhaft und ungeschickt, seine hinteren Extremitäten zum Laufen brauchen. Versuch VI. 1. Juni 1908. Zeit Temperatur Datum) 2 __ im Reetum Bemerkungen Std. | Min. | Grad € | ne Aa 20 38-6 ea! 30 | Narkose. Nn. erurales durchtrennt. 12 37-6 | 2 | 38°7 ; I RE | Wärmestich beiderseits. 4 10 | 391 4 40. || 39-7 | 6 | 40.0 | 8 \ 40:2 10 40-0 2. Vl. 10 39-7 11 45 39-3 3.vI.| ıı 38-9 Autopsie: Auf der rechten Seite verläuft der Stichkanal zentralwärts von der Mitte des freien Randes des Corpus striatum, links ist der Stich nicht sichtbar. Im folgenden Versuche durchtrennte ich einem Kaninchen das Lenden- mark zwischen 5. und 6. Lendenwirbel, wodurch die Hinterbeine nebst Beckenorganen völlig gelähmt waren. Dessen ungeachtet stieg die Körper- temperatur nach dem Wärmestiche. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 19 290 E. SINELNIKOWw: Versuch VIII. 15. Juni 1908. Zeit |Temperatur Datum ——-— im Rectum Bemerkungen Std. Min. Grad C 15.VL.| 2|15 39-2 3 30 Narkose. Lendenmark zwischen 5.u.6. Wirbeldurchschnitten. 4115 37-6 Hinterbeine und Blase gelähmt. 7 | 30 38-9 10 39-5 16.V1.| 8 38-9 10 | 35 38-8 11 Wärmestich rechts. 11 | 20 39-1 11 | 45 39:6 2 40-8 4 40.9 6|30 || 41-0 Retentio urinae. Der Harn muß künstlich durch Druck 11 |nm.| 40-9 auf die Blasengegend entleert werden. 17.Vl.| 8 |vm. 40:9 10 | 30 40-3 18.Vl.|| 10 vm. 39.2 2 39-0 19.V1.|| 2 39:3 Autopsie des Gehirns: Medialer Teil des freien Randes vom rechten Corpus striatum ist getroffen und mit Blut bedeckt. Versuch IX. 17. Juni 1908. Anordnung wie bei Versuch VIII. Zeit Temperatur Datum Sta. Min. m un Bemerkungen 1.VvL.| ı | 886 11 30 Lendenmark zwischen 5.u. 6. Wirbel durchtrennt. 2 37.2 4 37.6 18. VI. 10 38-6 11 38-4 11 15 Wärmestiche beiderseits. 11 30 38-2 12 38-9 2 40-7 4 41-1 6 30 40-5 11 nm. 40-0 19. V1. 8 vm. 39-6 10 30. 39.4 2 39-6 20. VI. 8 37.7 ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 291 Autopsie des Gehirns: Der linksseitige Stichkanal geht durch die Mitte des freien Randes des Corpus striatum; der rechtsseitige etwas median- wärts vom Corpus striatum. Im folgenden Versuche durchtrennte ich das Rückenmark zwischen 4. und 5. Lendenwirbel und beide Plexus brachiales, wodurch eine sehr große Masse willkürlicher Muskulatur ausgeschaltet war. Auch hiernach konnte durch den Wärmestich Hyperthermie verursacht werden. Nach den zwei eingreifenden Operationen ist das Kaninchen noch in gutem Zustande. Versuch X. 30. Juni 1908. Zeit Temperatur Datum im Rectum Bemerkungen Std. | Min. Grad C 30. VI. 10 38.7 | 11 Narkose. Beide Plexus brachiales durchtrennt. 2 39.1 4 39-3 7 39-5 1. VI. 9 39-1 2 30 | Rückenmark zwischen 4. und 5. Lendenwirbel 3 37:5 durchschnitten. 4 Ian 6 | 39.5 3.V1I. 10 38-3 | Heute morgen frißt das Tier reichlich Gras. 10 30 38-2 | 10 45 | Wärmestiche beiderseits. 11 38-1 12 38.4 2 39.7 4 40-0 6 | 40.0 7 39.4 3. VII, 8 vm. || 38-9 2 230’ mittels Chloroform getötet. Autopsie des Gehirns: Beide Stiche gehen durch die freien vorderen Ränder des Corpus striatum, der rechte gerade durch die Mitte, der linke ein wenig nach vorn von der Mitte bis zur Basis cranii. Plexus brachiales: VI; VII; VIII Nervi cervicales und 1. Nerv. dorsalis sind beiderseits durch- schnitten. 19* 292 E. SINELNIKOw: Versuch XI. 16. Juli 1908. Zeit Temperatur Datum im Rectum Bemerkungen Std. | Min. || Grad € 16.VIl.|| 10 vm. 39-6 10 30 Rückenmark vom Lendenmark getrennt. 11 15 36-3 | 4 39-8 | 6 40-2 17. VIL|| 10 89-0 2 I 891 | 6 I 89-5 || 18.VIL| 11 88-6 | 3 39-1 | 6 38-9 | 19. VIL| 10 38-7 | 11 I | Ik | | Wärmestiche beiderseits. 11 30: 9%. '38-2 00) 2 39.6 6 39.8 8 39.5 | 20.VIL|| 10 38-7 | 11 30 | \ Wiederholte Wärmestiche beiderseits. 12 38:1 | 1 so. | 398 | 1 45 | 40-0 2 15 | 40-4 4 40-5 5 | 30 || 40-0 A 40 || 39-3 Autopsie: Rechts das Corpus striatum richtig getroffen, links ein wenig nach vorn von der Mitte. Andere Stiche sind nicht gefunden. Versuch XII 22. Juli 1908. Zeit Temperatur Datum im Rectum Bemerkungen Std. Min Grad C 22. VII. 11 38-85 11 10 Narkose. Durchschneidung des Rückenmarkes 12 30 36-7 zwischen 7. und 8. Thorakalwirbel. 7 39-0 23. VII. 9 30 39-3 10 20 39.1 | 7 39-4 24. VI. 10 38.7 12 385 | 3 38.9 | ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM IM GEHIRNE. 293 Versuch XII (Fortsetzung). Zeit Temperatur Datum im Rectum Bemerkungen Std. Min. Grad C 25.VIL.| 10 38-3 10 45 || Wärmestiche beiderseits. 10 55 38-0 11 30 38-9 12 39-4 2 40.7 4 40-95 “ 30 40:6 26. VII. 10 38-9 Autopsie: Corpora striata richtig getroffen. In diesem und anderen Versuchen stieg die Körpertemperatur nach fast jeder Rückendurchschneidung um 0-5 bis 1°, nach Wärmestichen um 1 bis 2-50, | Versuch XIIL 8. Juli 1909. Zeit Temperatur Datum, im Rectum Bemerkungen Std. Min. Grad C 8. VI. 2 45 39.1 3 | Narkose. Rückenmark zwischen 2. u. 3. Thorakal- A | 36.2 wirbel durchtrennt. 6 | 86-7 9.VIL.| 10 Mesees | 11 35 || Wärmestiche beiderseits. 12 | 86-7 2 37-1 5 30 37.2 7 30 37-4 10. VII. 9 37-9 2 37.7 Autopsie des Gehirns: Beide Stiche gehen jederseits durch die Mitte des freien Randes des Corpus striatum. Aus den beschriebenen Versuchen ergibt sich, daß nach Durchtrennung des Rückenmarkes zwischen 4. und 5. Lendenwirbel, oder im Gebiete des Brustmarkes bis zum 7. Dorsalwirbel das erregte Wärmezentrum noch thermogen wirkte. Auch war nicht zu bemerken, daß bei Tieren, denen große Muskelgebiete durch Resektion der motorischen Nerven vom Zentral- nervensysteme getrennt waren, der Wärmestich minder wirksam wurde. Es traf sich wiederholt, daß die Temperatur sogar mehr stieg bei Tieren mit ausgedehnteren Lähmungen als bei voll beweglichen. Durch diese beiden Versuchsarten ist bewiesen, daß die Hyperthermie nach 294 E.SINELNIKOW: ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES WÄRMEZENTRUM USW. Wärmestich nicht durch thermogene Muskelinnervation ver- ursacht wird. Wenn man das Rückenmark zwischen Il. und III. Brustwirbel durchtrennt hat, so ist der Wärmestich wirkungs- los. Dann sind die Unterleibsdrüsen der Wirkung des „Wärme- zentrum“ entzogen. Ludwig und Spieß hatten die Wärmeentwicklung in der tätigen Speicheldrüse entdeckt (was freilich Bayliss und Hill nicht bestätigen konnten). “ Kronecker und Max Meyer fanden, daß während der Verdauung die Temperatur des Magens um 0-5 bis 1-3° steigt, durch chemische Reize um 0-8°, durch mechanische — um 0-4°. Hierdurch wurde es wahrscheinlich, daß die Drüsen eine wesentliche Rolle bei der Bildung der Körperwärme spielen. Bechterew und Pavlow haben ihrerseits gezeigt, daß die Reizung gewisser Gehirnteile die Drüsentätigkeit verstärkt. In meiner Arbeit glaube ich bewiesen zu haben, daß für die Wärmeentwick- lung infolge von Reizung des Corpus striatum die quergestreifte Mus- kulatur nicht verantwortlich gemacht werden kann. So bleiben nur die Drüsen als Herde der neurogenen Hyperthermie in Betracht. Vorstehende Arbeit ist nach dem Plane des Hrn. Prof. Kronecker ausgeführt. Literaturverzeichnis. Ito, Zeitschrift für Biologie. 1899. Bd. XXXVII. Lepine, Archives de medecine exper. 1899. p. 743. Hirsch und Müller, Deu£sches Arckiv f. klin. Medizin. 1903. Bd. LXXV. 8. 287. Hirsch und Rolly, ebenda. 1903. Bd. LXXV. S. 307. E. Aronsohn, Fieberlehre. 1906. S. 60. Derselbe, Virchows Archiv. 1902. Bd. CXCVI. S. 501. Derselbe, Pflügers Archiv. 1885. Bd. XXXVIL E. Cavazzani, Archives Italiennes de Biologie. T. XXVIIL. p. 284. Riegel, Pflügers Archiv. Bd. V. 8. 634. Ot. Frank und Fr. Voit, Zeitschrift für Biologie. 1901. Bd. XXIV. S. 331, 362. Ot. Frank und F. v. Gebhard, ebenda. 1902. Bd. XLIlI. S. 117. C. Voit, ebenda. Bd. XIV. S. 146. H. Kronecker und M. Meyer, Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 1818—719. Nr. 17. "Bechterew, Dies Archiv. 1902. Physiol. Abtlg. S. 264. Schulze, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XLII. Magnus, Pflügers Archiw. 1906. Bd. CXV. Bayliss und Hill, Te Journal of physiology. 1894. Vol. XVI. p. 351. Die Wirksamkeit der Wärmezentren im Gehirne, Von Dr. med. vet. Edmund Streerath in Herdecke. (Aus dem Hallerianum zu Bern.) Die normale Temperatur des Menschen ist 37.2°C, bei den Säuge- tieren schwankt sie zwischen 35°C und 40.5 C bis 41°C; eine höhere Temperatur besitzen die Vögel 39.4° bis 43.9° C. Bei Kaninchen, die mir zu meinen Versuchen dienten, schwankte die Temperatur im Rektum zwischen 37.7 und 38-9°, nach Versuchen von Samuel zwischen 38.6 und 39.8°%, nach Krehl zwischen 38-3° bis 39.99 C. B. Brodie machte 1837 an Rückenmarkverletzten die Beobachtung, daß deren Körperwärme steigt. Bei einem Manne, dem durch Unfall der untere Teil des Cervikalmarks zerrissen war, bestimmte er die Temperatur zwischen Skrotum und Schenkel auf 43.9°C. H. Weber beobachtete 1868 bei einem 19jährigen Burschen, dessen 3., 4., 5. Halswirbel gebrochen, das Halsmark zerquetscht hatten, vor dem Tode, 8 Stunden nach der Verletzung, Achselhöhlentemp. von 111.2° F. = 44°C, Derselbe Arzt fand bei einem 23jährigen Manne, der mit zerquetschtem Halsmarke noch 17 Stunden lebte, gleich nach dem Tode 110° F = 43.3°C im Rektum. Naunyn u. Quincke sahen 1869 bei Hunden mit zerquetschtem Halsmarke (zwischen 5. bis 7. Wirbel) die Temperatur von 39—40°—44 steigen. Die Verf. nehmen an, daß Hemmungsfasern der Stoffwechsel- innervation ausgeschaltet worden waren. 296 EDMUND STREERATH: Tscheschichin beobachtete 1866 niemals Steigen der Körper- temperatur nach Durchschneidung des Rückenmarks, dagegen beträchtliche Erwärmung, wenn er Pons und Medulla obl. verletzt hatte. Er vermutet moderierende Zentren im Gehirne. Schreiber fand 1874, daß „nach Verletzung des Pons in allen seinen Teilen, der Peduneuli cerebri, des Klein- und Großhirns Steigerung der Körpertemperatur dann eintritt, wenn die Tiere vor Wärmeverlusten durch künstliche Mittel geschützt werden, daß dieselbe aber bedingungslos und konstant bei Verletzung der Grenze zwischen Medulla oblongata und Pons erfolgt“. Eulenburg und Landois nehmen an, daß es in der Großhirnrinde thermische (vasomotorische) Zentren gibt, die ähnliche räumliche Anordnung wie Hitzigs motorische Zentren zeigen; Reizung derselben bewirke Ab- kühlung (Verengerung der Gefäße), ihre Zerstörung, Temperaturerhöhung (Erweiterung der Gefäße) der anderseitigen Extremitäten. Peyrani sah 1881 bei Kälbern und Hunden nach Durchschneidung des Thal. opt. Temperatursteigerung auf der operierten Seite. Wood fand bei Hunden, daß, wenn er die erste Hirnwindung hinter dem Suleus eruciatus zerstörte, die Körpertemperatur stieg; er gibt an, daß die Wärme mehr als doppelt so hoch stieg, wenn beide Seiten des Gehirns verletzt wurden, als wenn die Zerstörung auf eine Seite beschränkt blieb. Er schließt aus seinen Versuchen, daß bei Hunden das Corpus striatum entweder direkt oder auf Nebenwegen mit der Funktion der Wärme- produktion zusammenhängt. Wood sagt weiter: „Es ist wahrscheinlich, daß Wärmezentren im Pons gelesen sind und daß die Wirkung von der ersten Windung als Kontraktion aufzufassen ist, so daß die Willensimpulse gewöhnlich von der Hirnrinde die „Muskelmaschinerie‘“ auslösen und die hiermit notwendig verbundene Wärmeproduktion. Oberhalb der Medulla möge wohl ein allgemeines vasomotorisches Zentrum für das Muskelsystem liegen, welches unabhängig von den Hauptzentren in der Medulla oblongata wirke, auch könnte sich wohl im Pons oder oberhalb desselben ein Wärme- hemmungszentrum befinden. Es sei schwer zu glauben, daß die Wirkung kortikaler Zentren auf die Thermogenese lediglich auf vasomotorischem ° Wege erfolge.“ Lubarsch hat im physiologischeu Institute zu Bern die Temperatur- steigerung von Tieren untersucht, infolge Reizung des Corpus striatum. Er kam wesentlich zu folgendem Resultate: „Bei der Katze kann durch Reizung der Gehirnrinde ebenfalls in sehr kurzer Zeit, und sogar noch beim auf- gebundenen Tiere eine hochgradige Temperatursteigerung, die mindestens 4 bis 7 Stunden anhält, erzielt werden. Die Steigerung ist nicht in allen DIE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 297 Organen gleichmäßig, am stärksten im Magen und Rektum, geringer in der Leber.“ Girard hat: den Wärmestich von Aronsohn und Sachs wiederholt und in seiner ersten Arbeit 1886 die Angabe der letzteren ganz bestätigt, indem er sagt: „il y a Evidemment dans les parties medianes des corps stries un appareil dont P’exeitation augmente la production de la chaleur animale et qui probablement concourt, dans les conditions physiologiques, & regulariser cette production.“ In seiner zweiten Arbeit 1888 hat er aber seine Anschauung folgendermaßen modifiziert: „Le resultat le plus incontes- table de ces experiences est qu’il n’est pas permis d’admettre l’existence, dans l’enc£phale des animaux & temperature constante, d’un centre thermo- gene unique. La nature des ces centres enc&phaliques et m&dullaires ne nous est pas exactement connue, mais il est conforme aux idees modernes de supposer qu’ils peuvent &tre tout a la fois exeitateurs et inhibiteurs de la production de chaleur animale, et la designation qui leur convient le mieux est celle de regions rögulatrices de cette fonction.“ Nach Sawadowski (1888) ist in dem vorderen Teil der Corpora striata das vasomotorische, thermische Zentrum der Hautgefäße gelegen, wogegen in dem hintern Teil derselben der wärmeproduzierende sogenannte trophische Abschnitt dieses Zentrum sich befindet. W. H. White bestätigte 1890 frühere Angaben, wonach Verletzung der grauen Substanz vom Nucleus caudatus die Körpertemperatur um 3° C, vom Corpus striatum um 2-5° und vom Thalamus opticus um 1.5° steigert. Edward T. Reichert behauptet in der amerikanischen physiol. Ges. (1892), daß die Thalami optici kein Wärmezentrum enthalten, dagegen ge- wisse Orte der Hirnrinde, sowie Corpus striatum, Medulla oblongata und Rückenmark. Er schließt: 1. Die automatischen thermogenen Zentren liegen im Rückenmarke. 2. In der Hirnrinde, am Sulcus cruciatus und an der Fossa Sylvii sind Wärmezentren lokalisiert. 3. Beschleunigende thermogene Zentren sind enthalten: im Corpus striatum und in der Medulla oblongata. Isaac Ott gibt in seinem Lehrbuche der Physiologie an, daß er als erster im April 1884 an Katzen die Corpora striata quer durchschnitten habe und danach die Körpertemperatur bis 110-5 F (43-5°C) steigen ge- sehen. Auch habe er ein anderes thermogenes Zentrum in den thalamis opticis gefunden. Nach beiderseitiger Punktion in deren vordere Enden (im tubercinereum) stieg die Körpertemperatur auf 109° F (42.75° C). Richet faßt (1893, 8. 238) die Resultate seiner früheren Mitteilungen (1884) in folgenden .Sätzen zusammen: „On peut dire que, toutes les fois qu’on fait un traumatisme superficiel au serveau, il y a une hyperthermie 298 EDMUND STREERATH: consseutive.“ „L’hypertbermie existe toujours quand la lesion n’atteint pas les corps opto-stries.“ „Le contraste est remarquable entre les l&sions super- ficielles qui exeitent (& 42-.2°) et les lesions profondes qui detruisent‘“ (37°, 36°, 359). : Aronsohn fand 1884 bei Kaninchen 2 Stunden nach dem Zucker- stiche in Leber, Muskeln und Darm Abkühlung um 2°C. Für diese Angabe gebührt Hrn. Richet die Priorität. Aronsohn und Sachs fanden aber 1884 nach Einstich in die Streifenbügel, Temperatursteigerung bis über 42°. Dies Experiment wurde von Hrn. Kronecker demonstniert. Baculo gibt 1890 an, daß bei Kaninchen Verletzung des Thalamus opticus posticus oder medius allgemeine Hyperthermie verursacht, mit Vor- wiegen derselben Körperseite und zwar besonders an der vorderen Extremität; Verletzung des Tuberculum quadrigeminum allgemeine Hyperthermie, be- sonders auf der verletzten Seite und vorzugsweise im gleichseitigen Hinter- beine. Dagegen bewirke Injektion reizender Substanzen in die Seiten- ventrikel oder Verletzung der Hirnrinde ohne vorgängige Trepanation und ohne Beschädigung der Basalganglien allgemeine Hypothermie, welche mehrere Tage anhält. Die Basalzentren sind nach ihm „thermogeni“, die kortikalen Zentren „thermo-inibitori“. Der gewöhnliche Zustand beruhe auf dem Gleichgewicht beider; wenn das eine überwiege, so entstehe Hyper- bzw. Hypothermie. Aronsohn und Sachs haben zuerst sichergestellt, daß das Vorderhirn keine auf die Körpertemperatur einwirkenden Zentren besitzt. Sie stachen 21 Nadeln in verschiedene Stellen des Vorderhirns von Kaninchen, ohne wesentliche Temperaturveränderung zu bekommen. Durch weitere methodische Einstiche haben sie festgestellt, daß die Körpertemperatur steigt, wenn der Stich die mediale Seite des Corpus striatum, in der Nähe des Nodus cursorius von Nothnagel (Nucleus caudatus) getroffen hat. Sie fanden nach Einstich in die mediale Wand der Hemisphären bis zur Umschlagstelle des Sept. pellueidum die Temperatur im Rektum des Kaninchens nach 27 Stunden um 2.3° erhöht; in anderem Versuche maximale Temperatursteigerung um 1.9° nach 27 Stunden; bei drittem Kan. durch Stich I +1-6° nach 31 Stunden, durch Stich II +1-8° nach 50!/, Stunden, durch Stich III nach 73 Stunden +2.4° DBei dem vierten Kaninchen stieg die Rektaltemperatur binnen 47 Stunden bis um 1-5°. Nach Aronsohn ist die Art der Wirkung verschieden, je nachdem der Stich nur das Corp. striat. getroffen hat, oder durch dieses hindurch bis zur Basis cranii vertieft worden ist. Im letzteren Falle ist die Tem- peratursteigerung eine rasche: sie erreicht in 2 bis 4 Stunden das Maximum; im ersteren steigt die Temperatur zwar ebenso hoch; das Maximum wird Dis WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 299 aber erst nach 24 bis 70 Stunden erreicht; in den ersten 2 bis 4 Stunden bleibt die Temperatursteigerung relativ unbedeutend. Auf Grund ihres Untersuchungsmaterials neigen die Vff. zu der Auf- fassung, daß nicht nur an der geschilderten Stelle des Corpus striatum, sondern auch auf dem tieferen Wege ihres Stiches bis zur Basis sich Ele- mente finden, deren Läsion steigernd auf die Körpertemperatur einwirkt. Weitere Versuchsbelege für die Temperaturtopographie der Stiche ins Corp. striat. finden wir in der gründlichen Untersuchung von Ito. Derselbe machte an 7 Kaninchen elf Stiche und zwar bei 3 Kaninchen je einen Stich, bei einem Tiere zwei Stiche, bald nacheinander, durch beide Corpora striata und bei 3 Tieren je 2 Stiche in Pausen von je einem Tage. Hierauf fand er in 7 Fällen Temperatursteigerungen und in 4 Fälle keine. Die Steigerungen infolge der Stiche betrugen im Maximum 2.23° 0, im Minimum 0.75°C, im Mittel 1-.52°C. Der Höhepunkt der Steigerungen wurde durchschnittlich nach 6 Stunden und 20 Minuten erreicht und zwar spätestens nach 10 Stunden 45 Minuten und frühestens nach 3 Stunden 45 Minuten. Nach gelungenen Stichen sah Ito die Körpertemperatur innerhalb weniger Stunden steigen. Manchmal ging der Erwärmung unbeträchtliche Abkühlung voraus. In einigen Fällen stieg die Temperatur mit Schwan- kungen. | Als wesentliche Resultate seiner Untersuchungen über den Ort der Wärmebildung nach Gehirnstich stellt Ito folgende Sätze auf. 1. Im Kaninchen ist das Duodenum der wärmste Ort seines Körpers, und zwar sowohl, wenn das Tier verdaut, als auch wenn es mehrere Tage ohne Nahrung geblieben ist. 2. Der Stich in das Corp. striat. verursacht Hyperthermie durch nervöse Erregung, nicht durch Aufhebung einer Hemmung. 3. Im Duodenum steigt nach dem Einstiche die Temperatur schneller und zu höherem Grade als an irgend einer anderen Körperstelle. Es folgen dem Duodenum in abnehmender Wärmereihe: Magen, Leber, Rektum, Herz, Oberschenkelmuskulatur, Unterhaut. 4. Das Hauptwärmezentrum liegt in der Mitte des freien Randes vom Corpus striatum. Von dort gehen die nervösen Bahnen durch die Brücke und vermutlich auf das Gebiet des Sympathikus über.“ In der neuesten Zeit stellt man sich vor, daß durch die erhöhte Tem- peratur des Fiebers der Organismus sich der schädlichen Mikroorganismen entledige. So gewinnt das Wärmezentrum erhöhte Bedeutung für die Pathologie und eventuell Therapie. Lüdke stellt das Fieber als einen Vorgang dar, welcher für den Organismus sehr nützlich ist. Seine Untersuchungen über die Produktion 300 EDMUND STREERATE: der Schutzstoffe nach künstlich erzeugten Temperatursteigerungen ergeben, daß Erhöhung der immunisierten Tiere im Wärmekasten, im heißen Wasserbad oder durch Einspritzung chemischer Stoffe (wie Albumose) fast ausnahmslos die Schutzstoffe auf das zwei- bis fünffache vermehrt. .In vier Fällen diente der Wärmestich zur Erhöhung der Temperatur, und auch da wurden die Schutzstoffe gemehrt. Weitere Versuche von Lüdke zeigten, daß dann nicht nur mehr, sondern auch schneller die Schutzkörper gebildet wurden, und daß im völlig schutzfreien Blute die Antikörper wieder gebildet wurden, wenn die Tiere längere Zeit erhitzt worden waren. Die oben erwähnten Gesichtspunkte, sowie die Vorstellungen von Lüdke veranlaßten Mark Aisenstaat nach Gaule’s Rat, die Lage der Wärmezentren wieder zu bestimmen. Derselbe sagt: ‚In demselben Sinne wie die Sprachsphäre vier Zentren besitzt, kann auch das Wärmezentrum vier Zentren besitzen, die zusammen die Wärmesphäre darstellen können. Wie dort die Sprechsphäre sehr kompliziert ist und das Eingreifen von vier untereinander verbundenen Zentren zur Voraussetzung hat, kann auch hier die Wärmesphäre, welche zur Wärmeregulierung so verschiedene und nicht minder komplizierte Vorgänge beherrscht, vier verschiedene Zentren haben. In welcher Be- ziehung diese Zentren zueinander stehen und wie sie wirken, ist die Auf- gabe weiterer Forschungen festzustellen, und eine Aufgabe, deren Auflösung sehr wichtig ist, denn dadurch kann die Natur des Fiebers, welches alle infektiösen Krankheiten beherrscht, von uns erkannt und das Gleichgewicht in Wärmeabgabe und Wärmeproduktion vielleicht von uns beherrscht werden. Wie wenig diese Frage bis jetzt die Physiologen interessiert hat, beweist der Mangel an Experimenten auf diesem Gebiete Um diesen Mangel zu beseitigen, müssen noch viele Experimente in diesem Gebiete ausgeführt werden. Zuerst aber soll genau die Lage dieser Zentren studiert werden, und auch die Stelle am Schädel, von der aus sie am sichersten getroffen werden können.“ Mark Aisenstaat hat durch zwei am Kaninchen- schädel vorgestellte Linien jene Region abgegrenzt, welche der Lage der zentralen Ganglien entsprechen sollte Als vordere Begrenzung dieser Region nahm er die Verbindungslinie zwischen beiden hinteren Augen- höckern, als hintere Begrenzung die Verbindungslinie zwischen beiden Processus temporales des Os zygomaticum an. Den ersten Stich führte er durch die Verbindungslinie zwischen beiden hinteren Augenhöckern; jeden folgenden machte er 1 bis 2"m hinter dem vorhergehenden, in gewisser Entfernung von der Medianlinie bis an die hintere Begrenzung der Region. Im folgenden habe ich die Untersuchungsergebnisse von Mark tabellarisch so dargestellt, daß nur der allgemeine Verlauf der Versuche durch die maximalen und normalen Temperaturen kenntlich gemacht wird. ‘ Die WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 301 2 Stiche in den medialen Teil des Corp. str. erwärmten Kaninchen um 0,3 bis 0,8%; in die Mitte des Nucleus caudatus um 1,5°, in den vorderen Teil des Thal. opt. um 2,3 bis 3,6°, lateral 1,9°; in den hinteren . Teil 1,2°; rückwärts vom Thal. opt. sind Stiche unwirksam. Die Markschen Versuche bezeichnen demnach als wirksamsten Ort der Wärmeerregung im Großhirne des Kaninchens den vorderen medialen Teil des Thalamus opticus. Interessante Versuche über das en verdanken wir E.Sinel- nikow, dessen Arbeit im Jahre 1909 von der medizinischen Fakultät zu Bern preisgekrönt wurde. Sinelnikow erbrachte den Beweis, daß die Versuche von C. Hirsch und O. Müller, sowie von C. Hirsch und Rolly, welche von Aronsohn getadelt worden sind, richtig sind. Im Gegensatz zu Aronsohn waren C. Hirsch und O. Müller, nach Vergleich der Temperatur der Leber mit derjenigen von Haut, Muskeln und Aortenblut zu der Ansicht gelangt, daß die Leber einen hervorragenden Anteil, sowohl an der normalen, als auch an der pathologischen Wärme- bildung habe. C. Hirsch und Rolly fanden, daß auch Kuraresierung der Wärme- stiche eine ausgesprochene Hyperthermie der Kaninchen hervorruft, und daß die Drüsentätigkeit, speziell die der Leber, einen großen Anteil an der Wärmebildung hat. Einwandfreie Resultate sind nach Sinelnikow nur erhaltbar nach vollständiger Ausschaltung des sympathischen Nervensystems, wie dies Magnus und Langley bei der Untersuchung über die Darmtätigkeit an Katzen gemacht haben. Sinelnikow hat in vorstehender Arbeit bewiesen, daß die Muskeln nach dem Wärmestiche nicht als Herde der Wärmebildung anzusehen sind. Aus den Versuchen von Sinelnikow geht hervor, daß nach Durch- trennung des Rückenmarks zwischen 4. und 5. Lendenwirbel oder im Ge- biete des Brustmarks bis zum 7. Dorsalwirbel das erregte Wärmezentrum noch thermogen wirkte. Auch konnte er nicht bemerken, daß bei Tieren, denen große Muskelgebiete durch Resektion der motorischen Nerven vom Zentralnervensystem getrennt waren, der Wärmestich minder wirksam wurde; ja er konnte sogar verschiedentlich die Beobachtung machen, daß die Temperatur mehr stieg bei Tieren mit ausgedehnteren Lähmungen als bei voll beweglichen. Durch seine Versuche hat er bewiesen, daß die Hyperthermie nach Wärmestich nicht durch thermogene Muskelinnervation verursacht sein kann. Wenn Sinelnikow das Rückenmark zwischen 2. und 3. Brustwirbel durchtrennt hatte, so war der Wärmestich unwirksam; es waren dann die Unterleibsdrüsen der Wirkung des Wärmezentrums entzogen. 302 EDMUND STREERATHR: Sinelnikow hat die Resultate von Ito bestätigt. Nachdem durch Sinelnikow’s Arbeit wiederum festgestellt worden ist, daß die Drüsentätigkeit wesentlich für die Wärmeentwicklung verantworlich gemacht werden muß, blieb zu entscheiden, welehe Gehirnzentren hierfür am besten dienen. Die Arbeit von Mark Aisenstaat machte es unwahr- scheinlich, daß das Aronsohnsche Wärmezentrum das wesentlichste sei. Es wäre aber doch möglich, daß das Hauptzentrum im Corpus striatum liege, daneben aber andere kranielle, spinale oder sympathische Nervenelemente auf den zentrifugalen Bahnen wirksam seien, ähnlich wie dies von den vasomotorischen Nervenverbreitungen bekannt ist. Sinelnikow hat ja auch wieder bewiesen, daß Rückenmarksdurchtrennung bis zum Lendenmark thermogen wirken kann. Für die Frage, wo das Hauptzentrum liege, wäre entscheidend, nachzuweisen, von welcher Hirnstelle aus maximale Thermo- genie zu erreichen ist. Meine Versuche habe ich dergestalt uses daß ich abwechselnd bei ein- und demselben Kaninchen einmal zuerst den Aronsohnschen Wärmestich und dann denjenigen von Mark Aisenstaat machte und die Maximaltemperaturen miteinander verglich. Benutzt wurde zu den Tem- peraturmessungen ein Normalthermometer von Geisler in Bonn; dasselbe wurde etwa 6°@ weit in das Rektum der Kaninchen eingeführt; ferner wurde nach Abscheren der Schädelhaare und Desinfektion der Kopfhaut mit konz. Alkohol längs der Sutura sagittalis ein etwa 4°= langer Haut- schnitt gemacht. Vor Einstich in das Corpus striatum öffnete ich, nach Entfernung des Periostes vor der Vereinigung der Sutura sagittalis und coronalis, mit einem Trepan von 5== Durchmesser den Schädel in der Weise, daß die Zacken des Trepans über diese Suturen als mediale und kaudale Begrenzung zu stehen kamen. Hierauf stach ich, nach Spaltung der Dura mater, die Pigürenadel etwa 1”” seitlich vom Sinus longitudinalis hinter dem einen bzw. zwischen den zwei in der Wunde sichtbaren, dem Sinus senkrecht zutretenden Gefäßen direkt bis zur Basis eranii und zog die Nadel sofort wieder heraus. Sodann breitete ich über die Wunde einen Karbolwattebausch und heftete die Wundränder durch eine Naht aneinander. Zwecks Einstichs in den Thalamus opticus trepanierte ich in dem hinteren Winkel, welcher von der Sutur. long. und Sut. coron. gebildet wird, und zwar so, daß die Zacken des Trepans etwa 1 bis 2"= von diesen Suturen als mediale und nasale Begrenzung zu stehen kamen. Diese Stelle ist leicht zu finden; dagegen konnte ich mich nicht dazu entschließen, die von Mark angeführten Hilfslinien zu benutzen; denn einerseits ist dessen Verfahren ein sehr umständliches, anderseits bezweifle ich, daß man am lebenden Tiere die sehr kleinen Processus temporales durch Muskulatur und Haut fühlen kann. ‘DIE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 303 Bemerken möchte ich noch, daß es unbedingt nötig ist, um einwand- freie Resultate zu erzielen, in der letzten Stunde vor dem Einstich die Temperatur wiederholt zu messen, da dieselbe im normalen Zustande bedeutenden Schwankungen unterworfen ist, je nachdem das Kaninchen erst gerade eingefangen und sehr erregt ist, oder sich an seine neue Um- sebung gewöhnt bzw. beruhigt hat. Der Unterschied kann nach meinen Beobachtungen bis zu 1-3° C betragen. Die Kaninchen ertrugen die Operation ohne sichtbare Störung und überstanden den Eingriff ohne irgend welche Krankheitserscheinung. Der Gesundheitszustand derselben blieb ein vorzüglicher. Am zweiten oder dritten Tage nach der Operation wurde das Kanin- chen getötet und die Sektion gemacht; hierauf wurde das Gehirn in For- malin gehärtet und durch horizontale Schnitte der Verlauf der Stiche untersucht. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen zeigen folgende Protokolle: I. Versuch. Zeit der |'Temperatur Tag Beobachtung im Rectum Bemerkungen Std. | Min. || Grad © I. Vom. | 9 50 ı 39-0 Kaninchen von 2100 &= Körpergewicht. 10 00 Trepanation. 10 25 Stich bis zur Basis eranii durch das rechte 11 05 38-5 Corp. striat. ca. 1” seitlich vom Sin. long. 11 40 38-1 und hinter dem Sin. coron. Nachm. 12 15 38.0 1 50 | 38-4 Zweiter Einstich an derselben Stelle, jedoch etwas 92 35 98.1 nasalwärts gerichtete Pigüre-Nadel. 3 30 38.4 4 05 38-5 4 45 38.4 5 45 38-85 6 30 39:0 7 20 38.9 I. Vorm. 8 00 39-9 8 30 | 40-1 Höchste Temperatursteigerung 22°, nach 18 Std. 9 30 40-3 55 Min. 10 30 40:0 11 20 39.6 Nachm. || 12 10 || 39-4 1 55 39.3 4 30 39.3 | 5 | 30 39-4 6 30 39:3 304 EDMUND STREERATR: Zeit der Temperatur Tag Bernehimg im Rectum Bemerkungen Std. | Min. | Grad C III. Vorm. 8 15 39-0 Allgemeinbefinden und Futteraufnahme gut. fe) 00 Trepanation. 9 45 Einstich in den linken Thal. opt. 10 15 39-0 Das Kaninchen neigt nach dem Stich den Kopf 10 40 39.0 | etwas nach rechts, nimmt aber sogleich wieder ano 39-3 Nahrung auf. Nachm. 1 00 39.5 2 15 39-6 |) 3 30 39.8 4 30 37 4 45 Trepanation rechts. 5 00 | Einstich in den rechten Thal. optic. I 230 40-2 I 755 40-3 no. 45 40.5 I ee) 40-7 Höchste Temperatursteigerung um 2-6° nach 8 10 40.5 2 Std. 20 Min. IV. Vorm. 8 00 38-9 Nachm. 2 30 Durch Verblutung getötet. Sektion: Dieselbe ergab, daß durch die drei Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des rechten Corp. striat. 2. Der vordere laterale Teil des rechten Thal. opt. (keine Temperatur- steigerung). 3. Der vordere mediale Teil des linken Thal. optie. II. Versuch. Zeit der |Temperatur Tag Sarkoehiuung im Ben Bemerkungen. sta tin, | Srad2cz ur | I. Vorm. | 9 40 | 838-9 || Kaninchen von 1950 e*= Körpergewicht. LE 30|| ı Trepanation, 00 | Einstich etwa 1” seitlich vom Sin. long., nasal- 11 25 | 39-1 | wärts vom Sin. coron. in das linke Corp. str. Nachm. | 12 | 10 | 38-8 | Bas: || Sara 2 45 38-7 | 3 || soo | I 4 | 00 | 30.0 | 4 380 || 38-8 | 6 | 00 | 39-4 | 6 ,.80 || 89-1 I 2 as 391 DıiE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 305 Zeit der Temperatur Tag Beobachtung ||;m Rectum, Bemerkungen |NSta. ann Tl. vom. | 8 | 3:0 || 391 9 00 | Trepanation. Im 9 25 | Einstich in das rechte Corp. striat. 9. | ‚302 ser I" 10. .25 || 22920 sa al 15 39.75 In 12 | 00 | ae) Nachm. 2 | 39:8 || 4 45 | 40.0 | Höchste Temperatursteigerung von 0°9 nach IM 522. 12050, ag | 7 Std. 25 Min. IM. Vorm. | 8 | 00 || 390 | 9, 4504, | Trepanation. 10 10 | ' Einstich in den linken Thal. opt. hinter dem 10 2 30. A080 Gefäß, welches senkrecht zum Sin. long. läuft. iu 40-1 | Nachnm. | 12 20 | 40.2 | Höchste Temperatursteigerung nach 2Std.10Min. | 1: "25 || (Bes lr 241,230 1189 | s | 05 | 890 4 00 | 39-0 | Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß durch die drei Stiche getroffen waren: 1. Der vordere laterale Teil des linken Corp. striat. (keine Temperatur- steigerung). 2. Der vordere mediale Teil des rechten Corp. striat. 3. Der vordere mediale Teil des linken Thal. optie. II. Versuch. | Zeit der Temperatur Tag EL ubachinue] Rectum, Bemerkungen | Std, | Min. | udS I. Vorm. |° 8 | 30 | 89-1 I Sea a | 38.9 (normal). 9 208 Trepanation. 2:92 1040: Einstich in den linken Thal. opt. bis zur Bas. | 10 15, age eranıl. 10.12.50. soo 11-30. e-08 | Nachm. | 12 | 20 | 40.4 | 1 30 || 40-9 | Höchste Temperatursteigerung von 2-0° in 3 Std. b) 00 40-5 | 50 Min. Fee EN DH 1910: Physiol. Abtig. 20 306 EDMUND STREERATH: ı_ Zeit der Temperatur Tag Beobachtung im Reetum || Bemerkungen Sta. | arm. | dl | I. Nachm. | 2 | 20 40-3 | 2 2.30 ‚ | Einstich in das rechte Corp. striat. 3 | 00 || 40-6 IE 45 | 40-9 I Asa 41-0 | | 6 45 | 41-2 | Höchste Temperatursteigerung um 2-3°nach4Std. || 7 40 40-9 15 Min. I. Vom. | 8 40-3 9 10 40.1 10 00 40:0 10 30 | Trepanation. 11 00 Einstich in den rechten Thal. opt. bis zur Bas. 11 30 40-0 cranıl. h Nachnm. || 12 15 Ae2 | 2 00 | 40-4 | Pa | I 8 | A0os|e SAnvorzı | | 4 30 | 41-2 Höchste Temperatursteigerung um 2-3° nach I 295 10 || 40-9 || 5 Std. 30 Min. 6 5 | 208 | I u 17220 0 0 III. Vorm. | 8 00 38-8 Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß durch die drei Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des linken Thal. opt. 2. Der vordere mediale Teil des rechten Corp. striat. 3. Der vordere mediale Teil des rechten Thal. optie., jedoch etwas mehr kaudal als der erste. | IV. Versuch. Zeit der IMempereten| Tag || me im Rectum Bemerkungen AS tn | Grad'C I. Vorm. | 8 | 55 || 38-8 Il 9 50 38-0 || Trepanation. 10/5210 37:7 || Einstich in das rechte Corp. striat. 10 45 33:0 ae = 38.0 | Nachm. | 12 10. 38-4 || it 40 - 38.8 | Höchste Temperatursteigerung um 1-1°in 3 Std. 2.45 37.9 | 80 Min. DIE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 307 Zeit der Tem tur | peratur Tag Beobachtung | im Rectum Bemerkungen | Stal | Min, | SuausS I. Nachm 3 30 : | Einstich in den linken Thal. opt. bis zur Basis 4 00 38:0 eranil. IB 6 00 || 394 | 7 | 5 | 39.6. | Höchste Temperatursteigerung um 1-9° in 5 Std. g 00 39-5 | 25 Min. Il. Vorm. 7 50.| 839.1 lei]. (d Trepanation. 11 20 Einstich in das linke Corp. striat., jedoch etwas 11 55 || 38.8 || mehr kaudal und lateral als der erste. Nachm. 27240 | 39-4 3 Ho 39.1 4\,:85. U03920 Bes s.lbl| ©188=0 6 | 00 |. 33.7 81, 11°..40 1 2.3806 Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß durch die drei Stiche getroffen waren: 1. Der Nucleus caudatus des rechten Corp. striat. medial. 2. Der vordere mediale Teil des linken Thal. opt. 3. Der mittlere laterale Teil des linken Corp. striat. (keine Temperatur- steigerung). V. Versueh. | Zeit der Temperatur ar | Beobachtung \im Rectum Bemerkungen sta, | Min, | Sad C | - I. Vom. | .9 | o 39.2 I) 00 sg | 10 20 || 38.8 || Trepanation. 10 30. ||, 38-7 | Einstich in das linke Corp. striat. 11.) 0 39.3 | | 35 | aaa Nachm. | 12 N. IN: 45 | 39-8 | Höchste Temperatursteigerung um 1-1° in 3 Std. 11 ER 30 || 39-4 | 15 Min. 223, |, 00%. 89295) Ne 25 | | Einstich in den rechten Thal. opt. I 3) 509, 8103 Il 5 50 | 40-8 | INaer 5 | 41-2 | Höchste Temperatursteigerung um 2-5° nach N 50 | 40-5 |) 3 Std. 40 Min. 20* 308 EDMUND STREERATH: Zeit der Temperatur) Tag Beobaeniun] im Rectum | Bemerkungen Std. | Min, | Grad C Ä II. Vorm. 8 00 40-4 || 9 0071| = 40-2 10 10) 40.0 | 11 30 39-8 11 50 Einstich in den linken Thal. opt., jedoch etwas Nachm E10 20 39.8 mehr kaudal und lateral als der erste. 2 35 39-3 3 55 39-2 A240 | 9.00 | D9 220 | 39.0 | ar 00 39-0 | Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe ergab, daß durch die drei Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des linken Corp. striat. 2. Der vordere mediale Teil des rechten Thal. optic. 3. Der mittlere Teil des linken Thal. optie. lateral. (keine Temperatur- steigerung). VI Versuch. Zeit der Temperatur) Tag Saubmelniang in Reetum | Bemerkungen a a © I. Vorm. | 10 |%40 | 39.4 | 11 40 | 385 | 11 55 38-5 , Trepanation. ı 12 00 | Einstich in das linke Corp. striat. Nachm. || 12 20 39-4 | = | 1 20 37T I 2 30 | 40.0 | 8 30 | 0 4 20 40-5 | 5 20 40-8 |, Höchste Temperatursteigerung um 27° in 6 Std. I 30 41.2 |, 30 Min. I 10 41-0 I 8° | 00 40-9 | IIRaVorm ET 30 38.6 | 10 45 Trepanation. 10 55 | Einstich in den rechten Thal. optic. Nachm. | 12 | 30 | 390 | 1 880 39.9 2 35 | 40-0 | 3.0 | 40-5 | 30 41-2 | "Die WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 309 Zeit der 1 Std Min. II.Nachm. | 5 | 35 "6 5 Bin 6\ |. 35 7 00 2,520 8 00 Sektion: Temperatur im Rectum Grad C Bemerkungen 42-5 42:6 | 43:0 42-8 42.8 428 Pre | | Höchste Temperatursteigerung um 4-5° nach 6 Std. 40 Min. Das Kaninchen wird sehr unruhig, es springt verschiedentlich aus dem Korbe heraus und sucht die kalten Stellen im Zimmer auf, wo es sich langgestreckt hinlegt. Atmung gleich schnell. Gestorben in der folgenden Nacht. Dieselbe ergab, daß durch die Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des linken Corp. striat. 2. Der vordere mediale Teil des rechten Thal. optie. Bemerkt sei hier noch, daß trotz sorgfältigster Untersuchung am Gehirn, sowie an den Eingeweiden der Brust- und Bauchhöhle nichts Pathologisches festzustellen war, welches vielleicht zu einer solch” hohen Temperatur- steigerung hätte: beitragen können. Den Exit. letal. führe ich auf Collaps infolge der kolossalen Über- hitzung des Körpers zurück. VI Versuch. > Zeit der Temperatur Tag Beobachtung, im Reetum Bemerkungen Std. | Min, | Grad C I. Vorm 10 45 39-0 | 12 00 38-5 Trepanation. Nachm. | 12 | 15 | Einstich in das linke Corp. striat. 12 30 38:5 1 25 38-7 2 35 38.6 3 30 38°5 | 4 00 Trepanation. 4 30 Einstich in das rechte Corp. striat. 5 00 382 | 600 39-3 | 6 40 39:6 7 835 39.7 | Höchste Temperatursteigerung um 1-2° in 7 Std. 7 55 39.7 || 20 Min. 8 1.25 |: 39.0000 4. Vom. | 8 | 00 39-4 | ı 11 25 Trepanation. 1 en Einstich in den rechten Thal. optic. 310 EDMUND STREERATEH: Zeit der Temperatur, Tag Beobachiuneiln Reetum| . Bemerkungen Std. | Min, | Grad C U.Nachm. | 12 40 39-2 1 40 39-8 2 30 BOWIE) 3 20 | 40-0 Höchste Temperatursteigerung um 1-5° nach A 00 40:0 3 Std. 45 Min. 205 10, Erneuter Wärmestich an derselben Stelle, jedoch Dneso |. 39-0 etwas mehr kaudal und lateral. 5 700 | 38-1 5 | Sul iron Ban E10. 136-800 || BEE, 38.00 0 DE an. „a6, IE 20, |. aaa m 152 |, Szwasz III. Vorm. Ra n508 | eo 10 0 38-6 | 1 45 | | Subkutane Strychnininjektion 1°°= einer 1%/,, Lö- | | sung; nach derselben traten alsbald heftige | Krämpfe und Exit. let. ein. Sektion: Dieselbe ergab, daß durch die Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des rechten Corp. striat. : 2. Der vordere mediale Teil des rechten Thal. optie. 3. Der mittlere laterale Teil des linken Corp. striat. (keine Temperatur- steigerung). VIII. Versuch. | I] | _ Zeit der Temperatur. Tag | Beobachtung I Rectum | Bemerkungen Std. | Min. | Grad © I. Vorm. || 11 30 | 39.3 Nachm. | 12 30 | ea] 15. ago Trepanation. 2 00 ‚ Einstich in den rechten Thal. optie. 1.2 | 58 39-2 | Io |. 39-5 ik 45 | 39.9 a 30 40-4 ea 20.6 | KT 20 40-8 Höchste Temperatursteigerung um 2-1° in 5 Std. 7 50 40°7 20 Min. I 8 15 | 40-7 ‘ Dim WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 3ll Zeit der | Temperatur os | Beobachtung |; Rectum Bemerkungen Std. | Min. | @adC | II. Vorm. 7 40 | 39-4 -10 20 Trepanation. 10 30 Einstich in das linke Corp. striat. | 11 | 00 39.4 | 11 | 40 39-9 | Nachm. | 12 | 2% 40-2 | I 35 40-6 Höchste Temperatursteigerung um 1-9° nach 2 30 40:6 3 Std. 5 Min. Ina 30 | 40-5 I" #£ | .s0 || 40-5 5 25 40.4 | 6 40 40:0 II. Vorm. | 8 00 39-7 | 10 30 Trepanation. 10 50 Einstich in das rechte Corp. striat. sl 20 39+5 Ik. 50 39-2 | Nachm. 1 00 39-6 | IE0.\.'30 39-7 I 2 | 50 40-3 | I. 8.| 80 40-4 | 4 25 40:6 | an 1.00 05 | B) 55 405 6 5 #0 ”® Strychnin injiziert; kurze Zeit nach der I 6 95 40-5 Injektion traten Krämpfe ein. I 6 30 40°6 HEUT 30 40°6 IV. Vorm. | 8 00 38.9 Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe ergab, daß durch die Stiche getroffen waren: 1. Der Thalam. optie. im vorderen medialen Teil. 2. Der vordere mediale Teil des linken Corp. striat. 3. Der vordere mediale Teil des rechten Corp. striat. (trotz Krämpfen keine merkliche Temperatursteigerung). IX. Versuch. | Zeit der Temperatur Tag | Beobachtung |; Reetum Bemerkungen ————..,,.. |'sia | mn. | ade | I. Vorm. | 10 | 20 || 38.9 11 I! 38-8 8 312 EDMUND STREERATH: | Zeit der enpeata Tag Beobachinz im Rectum Bemerkungen | Std. | Min. | ee. I. Vorm. | 12 5 | 38-7 || Trepanation. 1 15 | | Einstich in das rechte Corp. striat. 1%,38 5 40.0 | 31.00. || 40-3: | Im 33, 50. 11 or \ A 40 | 40-6 5.125 | 40-7 Beeor |; 40:8! I = | 00 | "40-9 Be 30 , 41-0 "Höchste Temperatursteigerung um 2-3° in 7 Std. | EB 00 | 41-0 15 Min. IE Normal 30 | 4101 10 00 | 39-9 Trepanation. 10 15 | Einstich in den rechten Thalam. optie. da 10) | 740-6 oo A Nachm. 1 40 41-3 \ 2 20 41-5 | 3 30 | 41-8 | Höchste Temperatursteigerung um 3-1° in 5 Std. 4 00 | 141.6 j 15 Min. 4 | 0 412 | 5 20 | 40-8 | 5 45 | 20-6 6 | 30 | 40-5 | 7 |. 30-| 40-3 | III. Vorm. Zar. Soerh| 10 15 |) ı Trepanation. 10 45 || Einstich in den linken Thal. optic. u 150 3 11 5 | 396 | Nachm. | 1 5 | 397 | 1 35 | 89-7 2 | Ber 3 30 | 839-5 Amor 239.2, 4 35 | | 0-6®s Strychnin subkutan injiziert. 4 40 | 39-3 | Heftige Krämpfe steigern die Temperatur um 5 20 39:4 | 0.1—0.3°, künstliche Atmung wird eingeleitet. 5 40 39.6 Das Tierchen erholt sich wieder; es treten sodann 6 20 39:6 in kleinen Zwischenräumen noch mehrere An- 7 0 40-2 fälle auf. 2 Stunden nach der Injektion hat | 8 Mn | sich das Tierchen wieder vollständig erholt. IV. Vorm. > 00- 39-0 | Getötet durch Verblutung. Dis WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNR. 313 Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß durch die Stiche getroffen waren: 1. Das rechte Corp. striat. im vorderen Teile und medial. 2. Der rechte Thal. opt. im vorderen medialen Teil. 3. Der dritte Stich geht seitlich am linken Thal. optie. vorbei. X, Versuch. rk | Temperatur Tag Beobachtung Is Rectum Bemerkungen sta. | Min. || Grad © | I. Vorm. 8 20| 34.8 | E: 10 30 39-0 | Trepanation. I 11 30 38-9 | 0.4 =8 Strychnin injiziert. I 30 | 39-5 Kurze Zeit nach der Injektion macht sich außer | einem nur sehr geringgradigen gespreizten | ‚ Gang nichts Absonderliches bemerkbar. Um | ı 12 Uhr geht das Tierchen gerade wie vor der | | ' Injektion. I 2 10 | 39-5 Einstich in den Thalam, optic. 2... 20 |... I 8: | 00 40-0 Das Kaninchen ist andauernd munter und nimmt 8 | 45 || 40-1 || Gras auf. | 4 20 | 40-4 Höchste Temperatursteigerung um 15° in 2 Std. I 4 4 | 40-3 | 10 Min. I ee | Zweite Injektion von 0-48 Strychnin. | 4 50 | Heftige Krämpfe und trotz künstlicher Atmung | || Exitus letalis. Zur Kontrolle wurde ein zweites Kaninchen zu derselben Zeit mit der gleichen Quantität Strychnin injiziert, es machten sich bei demselben außer sehr geringen Krämpfen weiter keine Folgen bemerkbar. Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß der Stich den rechten Thal. optic. in seinem vorderen medialen Teile getroffen hatte. XI. Versuch. Zeit der Temperatur, Mae 7 Beobachtung im Reetum Bemerkungen sta. | min. || ad © || I. Vorm. | 8 | 00 39-7 ? BIER 92 [2.0001 Serone| | 10 10 38:6 | Trepanation. | 11 40 | Tracheotomie. Das Tier wird in Watte gehüllt, | | 0.5” Curare intravenös injiziert und künst- 12 00 Bel liche Atmung eingeleitet. Nachm. | 12 5 0-3 "2 Strychnin injiziert. | 12° | 15. 383 314 EDMUND STREERATH: ı _ Zeit der |Temperatur Tag | Beobachtung ||; Rectum Bemerkuwvgen |8ta. |" Min, |. Grad 9 I. Nachm. | 12 | 30 38:0 12 | 40 38-0 0-3 "=: Curare intravenös und 0-5"® subkutan injiziert. 12 | 45 37.9 | 0-4” Stryehnin injiziert. 1272850 SE 1 200 37-4 | Wärmestich in den rechten Thalam. optie, ee) BUeT en || 37-0 el 220 36.9 | Einstich in das linke Corp. striat. | |» 36-8 Nee so | 36:7 IE 25 36-4 ae 50 36-3 20) 36-0 2 9715 Sa 2 25 35-7 | Das Kaninchen bewegt die Augenlider; die künst- I 9 | 45 || 35.8 || liche Atmung wird unterbrochen; das Tier Bon 36-1 | atmet selbständig. Ba | 38 36-5 | | 95 36-9 || Ir" 390 370 | I, SA ee a... 10] a Re 38.0 | 5 |. 50 38-0 | | 6 | 10 | 380 || 0-5.=e Stryehnin injiziert. IR 20 38-1 | Kurz nach der Injektion treten ziemlich heftige RG 30 98.1 Krämpfe auf; es erholt sich aber bald wieder. 6 45 33.0) ae: 00 38-0 1207 15 37-9 De 50 37-9 | 7 45 38-0 | 0-5“e Stryehnin injiziert; kurz darauf treten 7 55 | 38-1 | wieder heftige Krämpfe ein. Bo | 38-0 Deu | 38-0 I emaleas 38-0 | Getötet durch Verblutung. Sektion: Dieselbe hat ergeben, daß durch die Stiche getroffen waren: 1. Der vordere mediale Teil des rechten Thal. optie. 2. Der vordere mediale Teil des linken Corp. striat. Keine Temperatursteigerung trotz Krämpfen. DıE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 315 Im folgenden will ich die Ergebnisse meiner Versuche der besseren Übersicht halber kurz tabellarisch zusammenfassen. Vergleiche zwischen Corpus striatum und Thalamus opticus jedesmal bei dem gleichen Kaninchen. Corpus striatum Thalamus optieus a Norm. | Maxim. Team Grad | Norm. | Maxim. - Grad Steigerung ; Steigerung ne | Tb pen mi me I. | 38-1 | 40-3 18-55 2.2 38-1 40-7 2.20 2.6 II. | 38-9 | 40.0 7-20 0-9 38.9 40*2 2.10 1-3 II. | 38-9 | 41.2 8-5 2-3 38-9 41-2 | 3.50 2-3 IV. | 87:7 | 38-8 3-30 1-1 37-7 39.6 0 3235 1-9 V. | 38-7 | 39.8 3-15 1-1 38:7 | A122 i2.10 2-5 VI. | 88-5 | 41-2 6-30 2.7 38-5 43-0 | 7-30 4-5 VII. | 38-5 | 39-7 7.20 1-2 38-5 | 40-0 3-45 1-5 VII. | 38.7 | 406 3-5 1-9 38-7 | 40-8 | 5.20 2-1 IX. | 38:7 | 41-0 7-25 2-3 33-7 | 41-8 |. 5.15 8-1 Folgende Tabelle veranschaulicht die zeitliche Folge der Einstiche bei den einzelnen Versuchen. Versuch Thal. opt. d. Thal. opt. s. | Corp. striat. d. | Corp. striat. s. T: 2 3 1 _ 108 _ 3 2 1 IM. 3 1 _ 2 IV. — 2 1 3 V, 2 ®) — 1 VI 1 — _ 2 Vin. 3 = 2 1 VI. er _ 3 2 IX. 2 3 1 _ RR — | 1 2 3 Durch meine Versuche glaube ich den Beweis erbracht zu haben, daß der wirksamste Ort, der im Großhirn des Kaninchens als Wärmenzentrum betrachtet werden kann, in dem Thalamus opticus gelegen ist und zwar in seinem vorderen medialen Ende. grenzte Stelle steigt die Temperatur zum Maximum; die Stiche, welche von da entfernt sind, erzeugen entweder kleinere oder keine Temperatur- 'erhöhung. Obwohl ich beim Wärmestich in den medialen vorderen Teil Nach Einstich in diese scharf be- 316 EDMUND STREERATEH: des Corpus striatum und in den medialen Teil des Nucleus caudatus auch stets eine Temperaturerhöhung erhalten habe, so war doch die Temperatur- steigerung, welche durch Stich in den Thal. opt. hervorgerufen wurde, bei meinen Versuchen höher als nach Stich in den Streifenhügel. Nur in einem einzigen Falle war bei beiden die Temperaturerhöhung die gleiche. Weiterhin glaube ich aus meinen Versuchen schließen zu können, daß Strychnin in kleineren Dosen und intensiver auf Kaninchen wirkt, deren Körpertemperatur durch den Wärmestich erhöht worden ist, als bei un- vergifteten. Endlich habe ich ein einfaches Verfahren gefunden, durch welches mit Sicherheit der Ort im Thal. opt. gestochen wird, von welchem der stärkste thermogene Effekt ausgeht. Man setzt zu diesem Zwecke eine Trepankrone von 5" Durchmesser so in den Winkel, der von der Koronar- und Sagittalnaht gebildet wird, daß er keide Nähte berührt, und sticht sodann die Pigürenadel 1”” seitlich vom Sinus longitudinalis bis zur Basis cranii ein. Zum Schlusse erfülle ich die angenehme Pflicht, Hrn. Professor Dr. Kronecker für die Anregung zu dieser Arbeit und für die Unter- stützung bei Abfassung derselben meinen gehorsamsten Dank auszusprechen. Dies WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN IM GEHIRNE. 317 Literaturverzeichnis. B. Brodie, Medico-chirurgical transactions. 1837. Vol. XX. p. 146. H. Weber, Two cases of lesion of the cervical portion of the spinal marrow, exhibiting the phenomena of heatstroke. 1868. Transact. of the clin. Soc. I. London. Naunyn und Quincke, Über den Einfluß des Zentralnervensystems auf die Wärmebildung im Organismus. Dies Archiv. 1869. Physiol. Abtlg. Tscheschichin, Zur Lehre von der tierischen Wärme. Zbenda. 1866. Physiol. Abtig. 8. 151. J. Schreiber, Über den Einfluß des Gehirns auf die Körpertemperatur. Pflügers Archiv. 1874. Bd. VIII. S. 576. Eulenburg und Landois, Über thermische, von den Großhirnhemisphären ausgehende Einflüsse. (Vasomotorische Apparate der Großhirnrinde.) Wood, Fever a study in morbid and normal physiology. Washington City Smithonian Institution. 1880. Isaac Ott, Text Book of Physiologie. 1907. p. 449. Charles Richet, Travauxr du Laboratoire. I. 1893. p. 221 ff. Recherches de calorimetrie. Erste Mitteilung 31. März 1884. Compt. rend. de l’ Acad. des Se. 1. 98, p- 826. E. Äronsohn, Der Einfluß des Zuckerstichs auf die Temperatur des Körperinnern und insbesondere der Leber. Deutsche med. Wochenschrift. 1884. Nr. 46. Aronsohn und Sachs, Ein Wärmezentrum im Großhirn. Zbenda. 1884. Dieselben, Pflügers Archiv. 1887. Bd. XXXVI. Lubarsch, Berliner klin. Wochenschrift. 1886. Girard, Contribution A l’etude de influence du cerveau sur la chaleur animale. Arch. de physiol. norm. et path. 1886. II und 1888. Peyrani, Biolog. Zentralblatt. 1881. Ebenda. 1. S. 380. Sawadowski, Zur Frage über die Lokalisation der wärmeregulierenden Zentren im Gehirn. Zentralblatt für die medizin. Wissenschaften. 1888. 8. 179. W. H. White, The effect upon the bodily temperature of lesions of the corpus striatum and optie thalamus. Journ. of physiol. 1890. Vol. XI. p. 1. 318 EDMUND STREERATH: DIE WIRKSAMKEIT DER WÄRMEZENTREN USW. Baculo, Centri termici. 1890. Istituto di patol. gener. Napoli. Ito, Über den Ort der Wärmebildung nach Gehirnstich. Zeitschrift für Bio- logie. 1899. Bd. XXXVII. S8. 139. Mark Aisenstat, Die Lage der Wärmezentren des Kaninchens und das Erkennen der Lage derselben durch äußere Merkmale. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 475. Lüdke, Die Bedeutung des Fiebers für die Bildung der Schutzstoffe. Klinische Umschau. 1909. Nr. 33. Ed. T. Reichert, Thermogenetie centres with special reference to automatic centres. Zead before the American physiol. Soe. Dec. 27, 1892. University Med. Magazine. March 1893. Über den Autotonus der Muskeln. Von A. K. M. Noyons, Privatdozent der Physiologie in Utrecht. Einleitung. Man nennt Tonus den bei vielen Organen auftretenden Zustand einer fortwährenden Reizung, deren Intensität wechselnd sein darf. Sowohl der Galenische Arzt des Altertums wie der moderne Physio- loge hat den Ausdruck Tonus an erster Stelle zur Benennung von Spannungs- eigenschaften kontraktiler Elemente des tierischen Organismus in sein Vokabu- lar eingereiht, ohne jedoch eine klare Vorstellung geben zu können von dem, was man gemeiniglich damit benennt. Beim Studium der Erscheinungen, der Eigenschaften und des Wesens des Tonus haben wir uns bestimmte Grenzen gezogen. So haben wir nicht die Absicht, den Brondgeestschen! Reflextonus, welcher vom Spinalmark aus unterhalten wird, zu behandeln, ebensowenig den Muskel- _ tonus von Luciani? und den von Ewald?, abhängig vom Cerebellum und von den statischen Organen. Wir wollen uns auch nicht beschäftigen mit der Untersuchung desjenigen, wovon Hermann‘ aussagt: „daß ein wirklicher automatischer Muskeltonus nicht existiert, wird dadurch erwiesen, daß .an einem aus Zentralnervensystem, motorischen Nerven und gespanntem Muskel bestehenden Präparate der Muskel nicht am geringsten dadurch verlängert wird, daß man den Nerven durchschneidet.“ ı P. Q. Brondgeest, Onderzoekingen over den tonus der willekeurige spieren. Dissertatie. Utrecht 1860. ® Luciani, Das Kleinhirn. Ergebnisse der Physiologie. 1904. S. 259. 37). R. Ewald, Über das Endorgan des Nervus octavus. Wiesbaden 1892. *L. Hermann, Dies Archiv. 1861. Physiol. Abtlg. 320 A. K. M. Noyons: Wir wollen einzig die Erscheinungen und Eigenschaften untersuchen, welche bei Tonusabänderung von Muskeln oder Muskelorganen zutage treten, welche nicht unter dem Einfluß eines Nervensystems stehen. Zur scharfen Unterscheidung von den übrigen, oben genannten Formen des Tonus werden wir diese ganz begrenzte Form des Muskeltonus als Auto- tonus bezeichnen. Dieser Name wurde gewählt nicht allein weil der Muskel der Träger der tonischen Erscheinungen und Eigenschaften ist, sondern auch weil der Zustand, in dem der Muskel sich befindet, für die Tonusabänderung maß- gebend ist, d. h. der Reiz zur Autotonusabänderung entsteht, greift an und wird ausgelöst im Muskel selbst. In diesem Sinne gehört zum Autotonus auch dasjenige, was Hermann! Verkürzungsrückstand nennt. Die Unterscheidung des Autotonus von dem Rigor mortis, der Toren starre, bietet einige Schwierigkeiten. Der Rigor mortis kann, nachdem er einmal aufgetreten ist, durch mechanische Einflüsse oder nach gewissem Zeitverlauf spontan abklingen und verschwinden, ohne daß man denselben Rigor hervorzurufen vermag. Die Autotonuszunahme im Gegensatz hierzu, einmal aufgetreten und nachher wiederum vermindert, kann jederzeit aufs neue von natürlichen Bedingungen oder auf künstlichem Wege hervor- gerufen werden. Hieraus erhellt ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Vorgängen. Die Analogie zwischen Autotonus und Kontraktion der Form nach führt zur Fragestellung, ob es wesentliche Übereinstimmungen und Unter- schiede zwischen Autotonus und Kontraktion gibt. Von diesem Standpunkte aus könnte man z. B. den Autotonus auffasen als eine Muskelkontraktion mit einem lang ausgezogenen Plateau. Diese Auffassung fordert einen in längerer Zeit sich nicht ändernden Zustand, worauf sich ein variables Plateau entwickeln kann, wobei ein derartiges Plateau durch das Auftreten willkürlicher oder unwillkürlicher Muskel- kontraktionen Zacken tragen kann. Der Verkürzungsrückstand Hermanns könnte z. B. als ein derartiges Plateau aufgefaßt werden. In dieser Auffassung läßt sich doch der Autotonus als ein aktiver Vorgang deuten, ebenso gut, wie man die Verkürzung als ein Resultat eines aktiven Vorganges manchmal sich vorstellt. Jedoch noch eine andere Auffassung drängt sich auf, nämlich der Autotonus sei ein Zustand, aufgetreten unter Einfluß von Reizen, die kurz vorher wirksam waren. Ein derartiger Zustand kann aber entweder nur ı ]. Hermann, Handbuch der Physiologie. Bewegungsapparate. Bd.]. Teil I. S. 35. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 321 scheinbar, oder essentiell sein. Der Zustand ist z. B. nur scheinbar, wo der Muskel mit solchen kurzen Intervallen sich kontrahiert, daß die Re- laxation der Zusammenziehung noch nicht vollständig erreicht ist, bevor eine neue Kontraktion wieder beginnt. Man findet manchmal ein Spezimen davon beim ausgeschnittenen Aalherzen, wo die Relaxation sich manchmal ganz typisch verhält zur Frequenz der Herzschläge. Demgegenüber steht der essentielle Zustand des Autotonus als ein Erfolg entweder nur der selb- ständigen physiko-chemischen Vorgänge oder der nicht näher zu definieren- den vitalen Prozesse. | Bei den weiteren Untersuchungen der ZEigentümlichkeiten und des Wesens des Autotonus werden wir uns leiten lassen von den Daten, welche bei der Muskelkontraktion bekannt sind, ohne dabei zu vergessen, daß die Muskelkontraktion wesentlich keinen Zustand, jedoch immer einen Verlauf, einen Vorgang bedeutet. In welcher Weise ein Muskel zur Funktion gebracht wird, d. h. wie das kontraktile Vermögen eine Verkürzung beziehungsweise eine vermehrte Spannung liefert, ist noch eine offene Frage. Die Lokalisation der Muskel- zusammenziehung, von Engelmann in die Inotagmen verlegt, hat ein schönes Hilfsmittel zum weiteren Studium des Kontraktionsverfahrens geliefert. Sind wir imstande für den Autotonus eine derartige Lokalisation in dem Muskel anzugeben? Fil. Bottazzi! hat dies schon versucht und den Vorgang des Auto- tonus ins Sarkoplasma verlegt. Bevor Bottazzi seine „teoria del sarco- plasma“ aufstellte, hatte schon Fano die Tonusoszillationen der indifferen- zierten Substanz der kontraktilen Zellen, d. h. dem Sarkoplasma zugeschrieben Infolge dieser Überlegungen habe ich meine Versuche hauptsächlich an- gestellt bei denjenigen Tierarten, deren Muskeln viel Sarkoplasma enthalten, - d. h. im allgemeinen bei den glatten Muskeln der unteren Tiere. Als Typus der wirbellosen Tiere wurde gewählt Anodonta fluviatilis. Als Vertreter des zweiten Typus, der Wirbeltiere, wurden herangezogen: a) der Aal (Anguilla vulgaris), b) der Frosch (Rana), c) die Ringelnatter (Tropidonotus natrix), d) die Schildkröte (Emys orbicularis). “ ı Fil. Bottazzi, Ricerche sulla muscolatura cardiale dell’ Emys europaea. Zeitschrift für allgemeine Physiologie. 1906. Bd. VI. Heft 2. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtig. Pi 322 A. K. M. Noyons: Kapitel I Experimentelle Ursachen des Autotonus. $ 1. Mechanische Reize. Der mechanische Reiz ist imstande den Autotonus des Muskels ab- zuändern. Man hat hierbei Unterschied zu machen zwischen Reizen, welche während einer kurzen Zeit einwirken, wie z. B. ein Schlag oder Stoß, und denjenigen, welche mehr permanent, sei es auch weniger intensiv auftreten, wie z. B. Dehnung und Spannung. Außerdem vermögen sowohl die schwach, wie die intensiv stimulierenden Reize durch Summation einen Effekt auszulösen. Zum Beweis dafür, daß man bei der Verwendung der genannten mechanischen Reize keine Effekte erzielt, welche als einfache Kontraktion zu deuten sind, nenne ich Saitos! Experimente über die „Dauerverkürzungen an gelähmten Muskeln.“ Im allgemeinen braucht man gar keine sehr kräftigen, mechanischen Reize, jain dazu geeigneten Fällen und besonders bei gewissen Versuchsobjekten vermögen ganz leise Berührungen zu genügen. Wenn man z. B. das Herz einer Süßwassermuschel frei lest, vermag die geringste Berührung den Autotonus des Herzens zu ändern; unter diesen Umständen bekommen be- sonders die Atria einen erhöhten Autotonus. Das Phänomen kann nach Eröffnung der Schale selbst bei intaktem Pericardium zum Vorschein ge- rufen werden durch eine sanfte Berührung der Außenfläche des Pericar- diums. Einen derartigen Effekt bekommt man, wenn auch nicht in demselben Maße, beim Herzen von Emys orbicularis. Das Auftreten lokaler Systolen des Ventriculus beim Herzen von Rana oder von Emys kann gedeutet werden als Reaktion auf einen mechanischen Reiz zur Autotonusänderung. Diese lokalen Systolen können ja hervorgerufen werden durch einen plötz- lichen Schlag oder durch ein leichtes Kneifen und können während langer Zeit fortwähren. Die summierten, mechanischen Reize bringen ganz leicht eine Abänderung des Autotonus zum Vorschein. Ganz schön läßt sich dies mittels des Quecksilbertropfenapparates von Schäfer? demonstrieren. Ein einziger fallender Tropfen ruft noch keine dauernde Muskelverkürzung hervor, doch nach der Betröpfelung mit 4 bis 5 Tropfen, fallend von einer Höhe von 1-5°“, fängt der M. sartorius sofort an, seinen Autotonus zu erhöhen. Den lokalen Systolen gegenüber steht die lokale Diastole, welche 1 Seiichiro Saito, Über Dauerverkürzungen an gelähmten Muskeln. Zeitschrift für Biologie. 1906. Bd. XLVII. 2 E. A. A. Schäfer, Simple apparatus for the mechanical stimulation. Proc. Physiol. Soeiety. 26. Jan. 1901. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 323 ebenso als aktiver Vorgang aufgefaßt werden kann im Sinne von Rosen- bach, Refisch, Ebstein u. a! Rosenbach nennt die lokale Diastole auch diastolischen Tonus. Gleich wie die lokale Systole vermag man die lokale Diastole durch Berührung hervorzurufen. Die Dehnung eines Muskels ist innerhalb bestimmter Grenzen zu deuten als negativ arbeitender mechanischer Reiz zur Autotonusänderung. Eine gewisse Sorg- samkeit ist erforderlich, um diese Wirkung zur Wahrnehmung zu bringen, da im allgemeinen das Auftreten des negativen Tonus verdeckt wird von der Elastizität des Muskels, die vom Autotonus unabhängig ist und jedem Gewebe, lebend oder tot, angehört. Als eine wichtige Bedingung gilt, daß die Dehnung durch ganz kleine Gewichte hervorgerufen werde. Ein Beispiel liefert das’ folgende Experiment. Der M. gastrocnemius einer Rana esculenta wird suspendiert an einem kleinen Hebel, dessen kurzer Arm 4” mißt und dessen langer Arm eine Länge von 166 =» hat, wobei der lange Hebelarm auf einer Distanz von 23”® vom Dreh- punkte ein ganz leichtes Schälchen aus Gelatine trägt. Oberhalb dieses Schälchens ist ein kleiner Tropfapparat aufgestellt, dessen Tropfenfrequenz und Tropfengröße variiert werden kann. Paraffinum liguidum wird zur Tropfenflüssigkeit verwendet. Auf diese Weise wird es möglich, das dehnende Gewicht im Schälchen im Verlauf der Zeit ganz nach Belieben anwachsen zu lassen. Aus untenstehender tabellarischer Übersicht ergibt sich das Verhältnis zwischen Muskellänge und dehnendem Gewicht. Tabelle T. M. gastroenemius von Rana esculenta. i | Dehnend. | Stand des Dehnend. | Stand des Zeitpunkt Gewicht ' Schreibhebels Zeitpunkt Gewicht |Schreibhebels mE.) 212 Dee BR en. mr au Beginn 0 0 nach 3'/), Min. | 885 — 83 aach !/, Min. 10 iM RAR N, 1380 — 45 Be .. 150 ER A ann, ILENIO Sa sel, , 385 —. 98 SEEN as ee lo, 630 — 19 Sal |.01:805 — 107 Bo, 685 296 ON, 1815 — 109 EL) 3 £}] 715 en 28-5 In derselben \Weise kann man bei andern Muskeln von Rana eine Dehnungskurve anfertigen; zu diesem Zwecke braucht man aber andere Hebellängen des Registrierungsapparates. ı E. Ebstein, Die Diastole des Herzens. Zrgebnisse der Physiologie. 1904 3. Jahrg. Abtl. II. Bil“ 324 ‚A.K..M. Noyens: Tabelle II. M. sartorius von Rana. Zeitpunkt Dehnend. Gewicht | Stand des Schreibhebels Die mm Beginn 0 0 nach 1'/, Min. 0 — 1 Bu. 192 — 2 aa 624 — 10 Be... 672 — 135 se EUR A 1440 24 RO, 2040 — al Tabelle II. M. gastrocnemius von Rana. Zeitpunkt Dehnend. Gewicht | Stand des Schreibhebels mg mm Beginn g i 0 nach 1!/, Min. 192 — 2 1 480 ZUG: u! 1100 | a Br, 2000 — od es... 2300 134 ln, 2400 — 45 Tabelle IV. Cloaca von Rana. Zeitpunkt Dehnend. Gewicht | Stand des Schreibhebels De mg mm Beginn 0 | 0 nach .1!/, Min. 480 | — 10 3. 980 | — 20 A 1250 N or, 1370 | N RE 1490° | — 38 nn ON 1560 | — 41 RO, 1600 | — 50 Bei genauerer Betrachtung der ursprünglichen Kurven stellt es sich heraus, daß es ein Moment gibt, wo die Kraft des Autotonus nicht mehr hinreicht, um dem dehnenden Gewichte Widerstand zu leisten. Dieses Moment deutet die Grenze an, wobei das unterstützende Vermögen des Autotonus erschöpft ist. Wenn man für die drei obengenannten Muskeln ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 325 eines und desselben Tieres nachforscht, welches Gewicht in diesem Moment eben noch getragen werden kann, und dann die erhaltenen Werte umrechnet für eine und dieselbe Hebellänge, bei welcher der Muskel (oder in diesem Falle der Autotonus selber) angreift, so kann man für die obengenannten Muskeln das folgende Verhältnis angeben: M. gastroenemius . . .. .854 IMERSATISELUS EUR RE rl 005 Üloacatt Faseyunı 9:92,2:22.1.::650. Anscheinend macht es den Eindruck, daß der M. gastrocnemius am längsten Widerstand leistet, jedoch ist das in Wirklichkeit nicht der Fall; der M. sartorius und besonders die Cloaca sind viel weniger voluminös und trotzdem stehen sie mit ihrem kleineren physiologischen Querschnitt dem M. gastrocnemius in Autotonuskraft ganz nahe und zwar derartig, daß man hieraus den Schluß ziehen darf, daß das glatte Muskelgewebe durch seinen Autotonus relativ mehr Arbeit zu leisten vermag, als das quergestreifte Muskelgewebe. Die Dehnung, welche man bei einem Längemuskel zu erzeugen vermag durch eine Kraft, welche nur in einer Richtung wirksam ist, soll für einen Hohlmuskel, wie z. B. das Herz, nach anderer Weise erzielt werden, nämlich durch Ausübung eines Druckes auf die Innenwand des Herzens. Einen derartigen Druck bekommt man durch starke oder geringe Füllung des Herzens. Daß ein derartiges Verfahren einen wich- tigen Einfluß auf den Autotonus übt, zeigte mir das folgende Experiment: beim Herzen von Rana temporaria wurden die an- und ableitenden Gefäße des Herzens unterbunden, nachdem durch den einen Aortazweig eine feine gläserne Kanüle bis in den Ventriculus eingeführt war. Diese gläserne Kanüle bildet einen Teil eines 60°” langen Druckrohres, welches in einer ‘ Distanz von 2°” oberhalb der Öffnung der feinen Kanüle eine Nebenver- bindung hat, welche mittels eines Kautschukröhrchens mit einem Druckgefäß, - das mit Ringerscher Lösung gefüllt ist, in Verbindung steht. Durch Auf- und Niederlassen dieses Reservoirs kann man abwechselnd jeden beliebigen Druck im Herzen erzeugen. TUE ANAAANNNAMA ICh Fig. 1 Einfluß des Druckes auf den Autotonus des Herzens von Rana temporaria. 326 A. K. M. Noyons: Beim ersten Kreuzchen wird der Druck erhöht von 2°” bis zu 45 = Wasser, und beim folgenden wird der Druck herabgesetzt bis zu 2 °= Wasser. Die Druckwirkung zeigt sich außen durch den positiv tonotropen Effekt, auch durch eine beträchtliche positiv chronotrope und negativ inotrope Wirkung. Von einer einfachen elastischen Dehnung allein kann hier keine Rede sein, da solch ein bedeutender Druck auf die Innenseite des Herzens beim toten Herzen eine viel ausgiebigere Dehnung verursachen würde, wie es sich hier zeigte. $ 2. Thermische Reize. Der Einfluß der thermischen Reize ist unverkennbar; jedoch das Er- gebnis des Reizes ist nicht eindeutig. Im allgemeinen darf man folgendes voraussetzen: wenn man die Herzen niedriger Tierarten frei legt und diese Organe im starken Tonus verharrend vorfindet, so kann man, besonders bei der Süßwassermuschel, diesen Tonus herabsetzen dadurch, daß man das ganze Tier in eine lauwarme Flüssigkeit legt (+ 30°C). Jedoch dann und wann geschieht es, daß das Herz statt zu erschlaffen einen noch mehr zunehmenden, intensiven Autotonus durch die zugefügte Wärme erlangt. Sertoli!, Schultz? und Bottazzi? haben sich in ihren Arbeiten über das glatte Muskelgewebe mit diesem thermischen Reiz beschäftigt und kamen zu dem Schluß, daß es nicht die absolute Temperatur, jedoch die Temperaturänderung ist, welche als thermischer Reiz fungiert. In diesem Sinne sind auch die obengenannten Versuche erklärlich. Wenn man aber das Verhalten des Herzens einer Süßwassermuschel, welche schon einige Zeit vorher präpariert worden ist, der Wärme gegenüber verfolgt, bekommt man ein nicht variierendes asia Die Untersuchung geschieht folgenderweise. Nach Eröffnung der Schale auf der Scharnierseite und Freilegen des Herzens wird das ganze Tier in ein kleines Bassin mit 0-6 prozent. NaCl-Lösung gelegt. Unter dem Boden des Bassins befindet sich in kurzer Distanz ein kleiner, elektrischer Ofen; die Erwärmung und die Abkühlung finden sehr allmählich statt. Die Be- wegungen des Herzens werden durch einen ganz leichten Strohhebel 'auf- geschrieben, der mittels eines Stützplättchens sich auf das Herz stützt. ! Sertoli, Contribution & la physiologie generale de muscles lisses. Archiv. italien. de Biologie. 1883. T. V. '? P. Schultz, Physiologie der längsgestreiften Muskeln der mubeluzz Pflügers Archiv. Suppl. 1903. Beiträge. 1897. ® Fil. Bottazzi, Ricerche sulla musecolatura cardiale dell’ Emys europaea. Zeitschrift für allgemeine Physiologie. 1906. Bd. VI. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 327 Die Temperaturänderung wird an einem Thermometer abgelesen, der mit dem Quecksilberreservoir in der Perikardhöhle steht. Auf diese Weise be- kam ich folgende Kurve. Fie. 2. Einfluß der Temperaturänderung auf den Autotonus und auf die Autotonusschwankungen des Herzens von Anodonta fluviatilis. i Gleichzeitig mit der Temperaturzunahme wächst auch der Autotonus. Daneben treten auch Schwankungen des Autotonus auf, offenbar durch den thermischen Reiz ausgelöst. Später verschwinden die Schwankungen wieder, sobald die Temperatur herabsinkt. Daß hier die Wärme diejenigen Prozesse beeinflußt, welche in der Muskelzelle zur Muskelverkürzung nötig sind, erklärt das Experiment, weil man beobachten kann: 1. daß mit der Autotonuszunahme die Frequenz der gesonderten Kon- traktionen wächst, 2. daß mit der Autotonuszunahme die Höhe der gesonderten Herz- kontraktionen abnimmt. Dies steht nicht im Einklang mit der Meinung, daß die Wirkung der thermischen Reize zur Autotonusänderung zurückzuführen sei auf eine ein- fache Wärmeverkürzung, welche verschiedenen kolloidalen Substanzen an- gehört, wie Engelmann so schön bei unvulkanisiertem Kautschuk und bei getöteten Muskeln demonstrieren konnte. Auch die, aus glattem Muskelgewebe bestehende Cloaca von Rana bietet ein ganz ausgezeichnetes Objekt zur Untersuchung mit thermischen Reizen. In einem kleinen feuchten Kämmerchen wird die Cloaca suspendiert und die Bewegungen werden aufgeschrieben. Die kleine Kammer befindet sich in einem großen Luftreservoir, das mittels eines elektrischen Ofens erhitzt wird. Ein Thermometer befindet sich in unmittelbarer Nähe des Muskels. Die Ablesungen der Temperaturen und des Schreibhebelstandes finden in immer gleichen Zeitintervallen statt. Man soll darauf achten, daß die 398 AI NE Nomanss Erwärmung die Grenzen der Wärmestarre nicht überschreitet. Auf diese Weise experimentierend, konnte ich folgende Tabelle zusammenstellen, welche den Einfluß zwischen dem Autotonus und der herangeführten Wärme angibt. Einfluß der Temperatur auf den Autotonus. Cloaca von Rana. Temperatur |Stand des Schreibhebels Temperatur |Stand des Schreibhebels GradC | mm Grad C mm x 17 | 0 12-5 33 20 — 5 27°5 — 10-5 25-5 — 5.5 20-5 — 145 23-4 | — 8 17 — 10-5 21 | — 3: 12-5 — 85 18 | &+5 11 — 85 15 — 35 10 — 8% 13 — 20 | 30 — 9 11 | 5 26 — 16-5 9.5 | — 1 Die Temperaturabnahme korrespondiert mit der Autotonuszunahme und umgekehrt. Ebenso kann man beobachten, wie beim Fortschreiten des Experimentes der Autotonus allmählich herabgesetzt wird. Der Einfluß der Temperatur auf das quergestreifte Muskelgewebe ist ein ganz anderer. Ich füge hier eine tabellarische Übersicht bei über den Einfluß der Temperatur auf die Länge des M. gastrocnemius. Dieser Muskel wurde während des Versuches außerdem einer leichten Dehnung ausgesetzt. M. gastrocnemius von Rana esculenta. Temperatur Dehnend Gewicht | Stand des Schreibhebels Grad C mg A 14 0 0 14 90 — 05 145 | 120 | ul 17 | 130 | — 9 20 | 150 | —&: 26 180 | 5 30-5 | 210 | 6 38-5 270 | = 6 46 | 420 | 2% 40 | 555 + 26 30 | 660 | +22 26 | 780 | 5 17 22 | 930 | +15 30 | 1050 | N. A: 1230 | +5 48 1370 | + 84 —— — ———— ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 329 Hieraus kann man entnehmen, wie die Wärme die dehnende Kraft des Gewichtes ganz leicht überwindet. Zum Schluß sei die Aufmerksamkeit gelenkt auf die eigentümliche, stimulierende Wirkung, welche die Tempe- raturabnahme auf den Verkürzungsrückstand eines Veratrinmuskels übt. Brunton und Cash! zeigten schon, daß die Veratrinkontraktur ebensowohl dureh Zufuhr einer größeren Menge von Wärme, wie durch Abkühlung zum Verschwinden gebracht werden kann, um wieder zum Vorschein zu kommen, sobald der Muskel seine Anfangstemperatur wieder erreicht hat. $ 3. Elektrische Reize. Elektrische Reize, welche den Autotonus abzuändern vermögen, können einfach oder summiert sein. In beiden Fällen kann sowohl ein Induktions- schlag, wie das Schließen und Öffnen eines konstanten Stromes als Reiz angewandt werden. Ein Wirksamkeitsunterschied besteht dennoch, wie später noch erörtert werden wird. A priori läßt sich dies schon erwarten, weil ja der Autotonus im sarkoplasmareichen glatten Muskelgewebe sich dem elektrischen Reize gegenüber so ganz anders verhält wie das quer- gestreifte, tonusarme Gewebe. Doch weicht .das tatsächliche Verhalten der Gewebe dem elektrischen Reize gegenüber dann und wann ab von dem, was man per analogiam mit anderen Geweben erwartet haben würde. Das ganze Studium des Einflusses des elektrischen Reizes auf den Tonus wird erschwert durch den Umstand, daß man bei den sarkoplasma- reichen Geweben, welche sich durch einen deutlichen Tonus auszeichnen, manchmal im Ungewissen darüber bleibt, ob die Reaktion auf einen elek- trischen Reiz in einem bestimmten Falle aufgefaßt werden soll als eine Tonusabänderung oder als eine einfache Kontraktion, welche langsam ein- tritt und noch viel langsamer verschwindet. Wenn man allen Effekt einer „Dauererregung“, welcher in einer - Längeabänderung zum Ausdruck gelangt, als Autotonus bezeichnen will, was ohne Zweifel erlaubt ist, so hat man ein Hilfsmittel mehr zur Auf- findung des Tonus in dieser Eigenschaft: „die sichtbaren Erscheinungen der Dauererregung treten um so mehr zurück, die erregenden Wirkungen der Stromesschwankungen dagegen um so mehr in den Vordergrund, je rascher beweglich das reizbare Plasma ist.“? Biedermann und seine Schüler haben ausführlich die Eigenschaften der Dauererregung und die damit verbundenen Längeabänderungen unter- sucht und zwar bei den Schließmuskeln von Anodonta; für weitere Einzel- heiten darüber verweise ich auf seine Elektrophysiologie. ! Brunton and Cash, Journal of Physiology. Vol. IV. ® Biedermann, Elektrophysiologie. 1895. S. 165. 330 A. K. M. Noxyons: Hier wird nur noch hingewiesen auf die v. Uexküllsche Beobachtung, daß glatte Muskeln im Tonus eine eigentümliche Verkürzung und Ver- diekung an der Anode aufweisen können bei Reizung des Muskeis durch den Schließungsschlag eines konstanten Stromes, welche Tatsache von der gewöhnlichen polaren Wirkung des elektrischen Stromes auf tonusfreie Muskeln, wie von Biedermann und seinen Schülern gefunden wurde, abweicht. Bei der Prüfung von Muskelobjekten auf den elektrischen Reiz wirken _ meistens die gewöhnlichen Kontraktionen, die mehr oder weniger das Auf- treten des Autotonus verdecken, störend ein, selbst wenn auch der weitere Verlauf des Autotonus im Verkürzungsrückstande seinen Ausdruck findet. Um die genannte Schwierigkeit zu umgehen, kann man Objekte wählen, bei welchen die Empfindlichkeit für den Kontraktionsreiz durch Hemmung herabgesetzt ist. Dies geschieht z.B. öfter, kurz nachdem man ein Muschel- herz präpariert hat, wobei das Herz zwar nicht mehr auf einen elektrischen Reiz mit der gewöhnlichen Kontraktion reagiert, aber seine Reizbarkeit in betreff des Autotonus nicht eingebüßt hat. Bei solchem Herzen kann man folgende Beobachtungen machen. Das Herz von Anodonta fluviatilis wird suspendiert, das distale Ende an einem isolierten kupfernen Stäbchen und der proximale Teil an einem leicht beweglichen kupfernen Drähtchen, das zu einem Hebel führt, 'be- festigt. Der Hebel und das kupferne Stäbchen stellen die beiden Pole für die Reizung dar. | Zuerst wird die Empfindlichkeit für Induktionsströme geprüft. In der primären Kette steht ein Lessingelement, ein Rheochord mit einem Wider- stande von 3-47 Ohm, eine primäre Spirale eines Induktoriums nach duBois-Reymond, ein Punktschlüssel und ein Pfeilsignal zur Registrierung des Reizes. | Wenn jetzt die sekundäre Spirale quer auf der primären steht, mit dem ganzen Widerstand des Reochords in der primären Kette, so erzeugt Öff- nung und Schließung keinen Effekt. Keine Reaktion tritt auf, selbst bei ganz übereinander geschobenen Spiralen. Bei Verkleinerung des Widerstandes bis zu 0-3 Ohm wird eine kleine Bewegung des Hebels bei Öffnung des Stromes sichtbar. Der Effekt wird immer deutlicher, wenn auch dieser Widerstand von 0-3 Ohm ganz ausgeschaltet wird. Man bekommt eine deutliche Tonuswirkung zu sehen. Nach einer halben Stunde ist das Herz wieder in seinen ursprünglichen Ruhestand zurückgekehrt. Bei Unter- suchung der Empfindlichkeit für den konstanten Strom ist man be- troffen durch die Größe der zur Autotonusabänderung erforderlichen Menge Elektrizität. Mit einem einfachen Lessingelement wird die Unter- suchung angefangen, und allmählich wird die Elektrizitätsquelle verstärkt ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 331 bis zu 20 Volt, ohne ein Resultat für den Tonus zu liefern, weder bei Öffnung, noch bei Schließung des Stromes. Erst bei Verwendung einer Akkumulatorenbatterie von 40 Volt gelangt ein kräftiger Effekt zur Wahr- nehmung. Diese Autotonusänderung im positiven Sinne dauert einige Stunden. Daß das Herz nicht in einem Zustande der vollkommenen Unreizbarkeit sich befand, wurde dadurch erwiesen, daß es immer sofort auf mechanische Reizung mit einigen gewöhnlichen Kontraktionen reagierte, und daß am nächsten Tage, als das Herz wieder vollkommen zu seinem früheren Ruhestande zurückgekommen war, erneute Reizung bei derselben Stromstärke ein gleiches Resultat ergab. Gleichzeitig wurde die Richtung des Stromes absichtlich umgekehrt, um die Gewißheit zu erlangen, daB der Effekt des vorigen Tages nicht der Stromrichtung zu verdanken war. Die Latenzzeit, d. h. die Zeit zwischen Reizungsmoment und Auftreten der Tonusänderung, wurde ebenfalls bestimmt. Diese war 2-1 Sekunde. So steht man, daß der Autotonus abgeändert werden kann, sowohl durch galvanische wie durch faradische Reizung des Muschelherzens, daß ja doch der Reizwert des faradischen Stromes den des galvanischen überwiegt, während die Richtung des Stromes keinen Einfluß auszuüben scheint. Bei einem Objekte wie das Muschelherz würde es wegen der langen Dauer einer eingetretenen Autotonusänderung schwierig sein, mit genügender Sicherheit festzustellen, ob auch die Elektrizitätsmenge auf den Autotonus- effekt Einfluß hat. Dazu wurden Untersuchungen in anderer Richtung gemacht, nämlich bei den Vorderarmmuskeln (M. biceps) von Emys orbicularis, welche Muskeln verhältnismäßig weniger empfindlich und auch weniger schnell erschöpft sind, wie die Skelettmuskeln von Rana, aber auf elek- trische Reize zur Autotonusänderung mit einem schneller hervortretenden und verschwindenden Effekt reagieren, wie das Herz der Süßwassermuschel, während überdies die erforderliche Elektrizitätsmenge zur Reizung viel _ geringer sein darf. Wir vermissen aber bei diesen Emysmuskeln den vorteilhaften Umstand, den das Herz von Anodonta uns durch die Hem- mung darbot. Der Muskel reagiert nämlich auf den elektrischen Reiz, außer . mit einer Autotonusänderung, auch mit einer gewöhnlichen Kontraktion. Alle 72 Sekunden wurde mittels einer Rheotomscheibe vom Kymographion bewegt und darauf die Muskelbewegung registriert und der elektrische Reiz an die beiden ausgeschnittenen und suspendierten Vorderarmmuskeln zugeführt. Der eine Muskel wurde überdies in einem gegebenen Augen- blick in eine 0-89 prozentigen Kaliumchloridlösung eingetaucht. Die Muskeln reagieren auf das Schließen und Öffnen des Stromes mit einer Kontraktion, nach dem Öffnen des Stromes behält der Muskel außerdem eine Verkürzung. Jedesmal wurde nun die Verkürzung, welche der Muskel 332 A. K. M. Novons: + 72 Sekunden nach der Reizung, also im Augenblicke, wo.ein neuer Reiz appliziert werden sollte, gemessen und diese Werte zu einer Tabelle und Kurve vereinigt. Im Anfang wurde mit 6 Volt gereizt, darauf mit 2 Volt, dann mit 4 und schließlich nochmals mit 6 Volt. Hieraus kann man ersehen, daß der größte Effekt bei der ersten Reizung mit 6 Volt auftrat, daß später durch die Reizung mit 2 Volt die Tonushöhe unverändert erhalten blieb, um durch 4 Volt zu steigen; dann aber scheint der Muskel sich zu erschöpfen, weil die Reizung mit 6 Volt ohne Resultat bleibt. Stand des Schreibhebels | Stand des Schreibhebels Zeit Voltage | beim normalen Muskel beim Muskel + KClI Volt mm | mm Beginn 0 0 0 6 0 1% 0 2 39 | 35 R 2 36 35 Nach 16 Min. 2 36 | 35 2 35 35 2 32 35 2 3l 35 2 31 35 a AR 2 30 35 2 30 35 2 29 35 DR 25 35 2 28 | 35 re 2 29 | 35-5 2 29 | 36 # E: 30 | 36 4 35 41 4 39 45 a Eh a 4 42 48 4 48 53- 4 5i 55 4 52 55 4 52 54 re 4 51 54 6 51 54 6 50 | 53 6 49 | 52 Zur Feststellung, ob vielleicht die Zuführung der im thierischen Organismus auf natürliche Weise gebildeten Elektrizität, einen deutlichen Einfluß auf die Abänderung des Autotonus ausüben könnte, wurde der nachfolgende Versuch gemacht. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 333 Zwei Frösche, deren Rückenmark und Gehirn zerstört sind, werden auf eine Korkplatte mit darunterliegender, isolierender Glasplatte gelegt. Die beiden Herzen schreiben mittels der Suspensionsmethode ihre Kontrak- tionen auf einen berußten Zylinder, während die Spitze und die Basis dieser Herzen mittels unpolarisierbarer Elektroden gleichzeitig zum Saitengalvano- - meter mit permanentem Magnete abgeleitet werden können. Jedes Herz kann beliebig für sich zum Saitengalvanometer abgeleitet werden, indem man einen Schlüssel in der Kette, worin sich das andere Herz befindet, öffnet. Mittels eines dritten Schlüssels kann das Galvanometer ausgeschaltet werden, so daß die Herzen sich in der gemeinschaftlichen Kette vollkommen entladen können. Weder das Schließen der Kette, worin Basis und Spitze eines der ‚beiden Herzen aufgenommen sind, noch die Einwirkung des rhythmischen, bei jeder Kontraktion erweckten Potentialunterschiedes des einen Herzens auf das andere üben eine sichtbare Wirkung auf den äußerlich wahrnehm- baren, regelmäßigen Kontraktions- und Autotonusverlauf aus, während aus den Ablesungen der Saitenausschläge im Galvanometer ersichtlich ist, daß der jedesmal auftretende Potentialunterschied des einen Herzens einen sum- mierenden oder einen herabsetzenden Einfluß auf die durch den Potential- unterschied des anderen Herzens verursachten Saitenausschläge ausübt. Das Ausbleiben der Veränderungen im äußerlich sichtbaren Verlauf der Kontraktion und des Autotonus würde man auch noch dem zuschreiben können, daß der Potentialunterschied des einen Herzens nicht im richtigen Moment der Kontraktionsphase des anderen Herzens zur Geltung kommt. Zur Umgehung dieser Komplikation wurde das eine Tier mittels Eis ab- gekühlt. Die Kälte hat einen negativ chronotropen Einfluß auf die Herz- aktion. Hierdurch wurde erreicht, daß ein eventueller Reiz des aus dem einen Herzen stammenden Potentialunterschiedes das andere Herz in un- . gefähr allen verschiedenen Momenten der Kontraktionsphase treffen konnte. Auch unter diesen Bedingungen blieb das Herz hinsichtlich seines Auto- tonus und seiner Kontraktion durch die elektrische Energie, bei jeder Herz- ‚kontraktion hervorgerufen, ungestört. Der folgende Versuch zeigte mir, daß die Ursache dieser Erscheinung nicht in der zu kleinen Menge Elektrizität zu suchen ist. Mittels des Castagnaschen Sinusinduktors wurde einem Frosche im Schlagtempo des Herzens mit unpolarisierbaren Elektroden ein Induktionsstrom zugeführt, dessen Energiewert nach der Form einer Sinus- kurve verlaufend gedacht werden kann. Dies wurde erreicht, indem man die acht Spiralen der primären Keite über einen Winkel von 45° hin und her an den sekundären Spiralen vorbei rotieren ließ. Der Zweck dieser Dosierung des Reizes war: ein Energieguantum, soweit als möglich dem Aktionsstrom des Herzens entsprechend, zuzuführen. 334 A. K. M. Noyons: Auf diese Weise konnten Ströme von 12 Volt durch die primären Spiralen geschickt werden, so daß die Bewegung der drehbaren Spiralen deutlich erschwert wurde, ohne daß jedoch irgend ein Effekt in der Suspensionskurve des ruhig pulsierenden, in der sekundären Kette auf- genommenen Herzens sichtbar war. Wenn der primäre Strom von 12 Volt direkt dem Herzen zugeführt wurde, so geriet das Herz in einmalige Systole; es traten unmittelbar nachher idiomuskuläre Kontraktionen auf, welche, an der Atrioventrikular- grenze anfangend, von hier aus sich allmählich über den ganzen Ventrikel des Herzens ausbreiteten. Die verwendete große Dosis Elektrizität war nicht erforderlich wegen der Unreizbarkeit des Tieres im allgemeinen, da der M. gastrocnemius und der M. sartorius desselben Tieres äußerst empfindlich waren für Reizung mit einem sehr schwachen Strom, sowohl direkt, wie indirekt. $ 4. Chemische Reize. Bei der Untersuchung, inwieweit eine Autotonusänderung durch ein- fache, chemische Stoffe zum Vorschein gerufen werden kann, liegt es nahe, zunächst an die Bestandteile der Ringer-Lockeschen Lösung zu denken. Die Chloride von Natrium, Kalium und Calcium bilden in dieser Lösung hauptsächlich die Bestandteile zur Ersetzung der natürlichen Be- dingungen. Die bei unseren Untersuchungen angewandten Na-, Ka- und Ca-Chlorid- lösungen! wurden äquimolekular an 0.9 prozent. NaCl-Lösung angefertigt (also Lösungen von ?/,, mol pro Liter). Das Versuchsobjekt wurde in eine reichliche Menge dieser Salzlösungen getaucht, damit die Konzen- tration dieser Solutionen nicht nennenswert durch einen eventuellen Austritt von Stoffen aus den Muskeln in die umgebende Flüssigkeit abgeändert werden konnte. Es stellte sich sogleich heraus, daß die Ka-, Na- und Ca-Salze, jedes für sich, einen sehr typischen Einfluß auf den Autotonus des Muskels aus- üben. Ich werde hier zuerst das Verhalten der Muskeln in Beziehung zu diesen Stoffen in allgemeinen Zügen vorführen, um nachher die Einzelheiten zu behandeln. Wenn man einen Muskel in eine Kaliumchloridlösung taucht, so reagiert dieser darauf mit einer ziemlich schnell auftretenden Verkürzung, die bald ihr Maximum erreicht und dann sehr allmählich nachläßt, bis nach einiger Zeit sogar eine Erschlaffung eintritt. Bei Natriumchlorid ist diese Wirkung eine ganz andere. In diesem Falle verlängert sich der ! H. J. Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre. Wiesbaden 1904. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 335 Muskel; die Verlängerung tritt jedoch bei weitem nicht so rasch ein, wie die Verkürzung bei Kaliumchlorid, sondern erscheint allmählich und ver- schwindet auch wieder langsam. Die Caleiumchloridlösung zeigt allerdings im Anfang eine derartige Wirkung wie das Natriumehlorid; sie nähert sich jedoch in ihrem Verlaufe mehr dem Spiegelbilde der Wirkung des Kalium- chlorides; der erschlaffende Einfluß äußert sich nämlich viel rascher und kräftiger wie bei der Kochsalzlösung und endet, obwohl nicht immer gleichgroß, mit einer Autotonuszunahme. Der besseren Vergleichbarkeit ihrer Dissoziation wegen habe ich mich bei meinen Versuchen hauptsächlich mit Lösungen von Kalium- und Natriumchlorid beschäftigt. Eine wichtige Eigenschaft der drei genannten Salze ist die, daß der bereits erzielte Effekt neutralisiert und in diesem Falle umgekehrt werden kann, indem man die zuerst angewandte Lösung durch eine antagonistisch arbeitende Lösung ersetzt. Die Salzsolutionen vermögen also innerhalb bestimmter Grenzen ihren gegenseitigen Einfluß aufzuheben, wodurch man bei einem Muskel unter künstlichen Bedingungen Autotonus- schwankungen hervorrufen kann, indem man den Muskel abwechselnd in die verschiedenen obengenannten Lösungen bringt. Zur Hervorrufung dieser Steigerungen und Remissionen des Autotonus ist es erforderlich, daß man den Muskel nicht allzulange der Wirkung dieser Lösungen aussetzt. Dies gilt im besonderen von KCl, das schon nach ziemlich kurzer Zeit auf den Muskel einen vergiftenden Einfluß aus- zuüben scheint. Bei einer Expositionsdauer von 30 Sekunden sah ich bei dem M. gastrocnemius keine deutliche Schädigung auftreten, nur wurde die Latenzdauer länger, je nachdem man mehr oder weniger häufig durch diese chemischen Stoffe den Autotonus künstlich zum Variieren gebracht hatte. Unter Latenzdauer verstehe ich die Zeit zwischen der Eintauchung und dem Augenblick, in dem sich der Autotonus sichtlich zu verändern an- fängt. Die toxische Einwirkung des Kaliumchlorids ist ganz deutlich erkenn- bar, wenn man die Muskeln während der Intoxikation auf ihre Reizbarkeit untersucht. Nach einem 4stündigen Aufenthalt in 0-89 Prozent KC] hat der Muskel seine Reizbarkeit vollständig eingebüßt. Untersucht wurde u. a. weiter, ob die genannten Salze als Molekül oder durch die dissoziierten Ionen wirksam sind (Dreser!). In bezug auf Kaliumcehlorid wurde dies näher studiert. Wirkt das Salz ganz als Molekül, so wird es nahezu gleichgültig sein, in welcher indifferenten Flüssigkeit eine bestimmte Quantität KaCl dem Muskel zugeführt wird. In diesem Sinne braucht die Verdünnungsflüssigkeit gar kein Lösungsmittel im engeren ame » I Dreser, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1893. Bd. XXXII. S. 456. 336 Ad. M; NOross: Sinne zu sein. Darum wurden Aqua destillata und Oleum olivarum als Verdünnungsflüssigkeit zur Vergleichung herangezogen. Es stellte sich heraus, daß ein Muskel, der während einer bestimmten Zeit einer Quantität KCl in Oleum olivarum, durch Schütteln ganz gleich- mäßig verteilt, ausgesetzt wurde, nicht in Tonus geriet, während dies so- fort geschah, wenn eine gleichgroße Quantität KCl einem dem des Oleum olivarum gleichgroßen Volumen Aqua destillata beigemischt wurde. Spektro- skopisch konnte man jedoch die Anwesenheit des Kaliumchlorids in dem Oleum olivarum feststellen. Die Lösung des Kaliumchlorids im Wasser macht diesen Stoff erst zum Tonicum. Bei dieser Auflösung ist jedoch ein beträchtlicher Teil der KCl-Molekeln dissoziiert in zwei Ionenarten: Kalium und Chlor. Wie verhält sich nun die verwendete Kaliumchloridlösung in bezug auf Dis- soziation und osmotischen Druck ? Die 0.9 prozentige Lösung ist 0.154 Normallösung und hat ein äqui- valentes Leitungsvermögen von 90.3; es werden also 82.3 Prozent aller Molekeln dissoziert. Indem wir annehmen, daß die Daten des osmotischen Druckes der Zuckerlösungen übertragen werden dürfen auf die Salzlösungen, so sind wir imstande, den osmotischen Druck bei einer Dissoziation von 82.2 Prozent zu berechnen, weil 1 Mol pro Liter 22.34 Atmosphären liefert. Also: 0-9 Prozent NaCl hat einen osmotischen Druck von 0.154 x [(2 x 0-823) + (1 x 0-177)] x 22-34 Atm. = 6-27 Atmosphären. Eine Kaliumchloridlösung äquimolekular 0-9 Prozent NaCl hat ein äquivalentes Leitungsvermögen von 121.20; woraus sich ein Dissoziations- grad von 93.6 Proz. berechnen läßt. Der osmotische Druck beträgt also: 0-154 x [(2 x 0-936) + (1 x 0-064)] x 22-34 Atm. = 6-62 Atmosphären. Für CaCl,-Lösung läßt sich eine derartige Berechnung nicht genau ausführen, weil man immer eine Mischung zweier Dissoziationsarten hat: die erste Stufe der Dissoziation ist CaCl—Cl; die zweite Ca—Cl—Ül. Nur wenn man annehmen darf, daß bei den durch uns verwendeten Lösungen die CaCl,-Molekeln ganz auseinanderfallen in drei Ionen: Ca— Cl—Cl, würde erst hieraus der nachfolgende Wert zu berechnen sein: 0-154 x [(3 x 0-739) + (1 x 0-261)] x 22-34 Atm. = 0-52 Atmosphären. Den großen Unterschied zwischen Kalium- und Natriumchlorid in Ein- wirkung auf den Muskel darf man also, wie aus Obenstehendem erhellt, nicht dem osmotischen Drucke auf Rechnung stellen. Auch das absichtlich in bezug hierauf unternommene Experiment zeigt dies. Es hat sich ergeben, daß, wenn man Konzentrationswerte von 0-5 Prozent bis 3 Prozent beider Substanzen verwendet, die antagonistische Einwirkung für die ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 337 Kalium- und Natriumsalze bestehen bleibt. Bedenkt man ferner, daß die Salze des Natriums, Kaliums und des Calciums sich nahezu verschieden verhalten, insofern sie im Kation voneinander abweichen bei demselben Anion, so liest es ganz nahe, die eigentümliche tonische Einwirkuug dieser Salze hauptsächlich dem Kation zuzuschreiben. Auch Zoethout,! der die Salze hinsichtlich des Einflusses auf den Tonus klassifiziert hat, ist derselben Ansicht. Ich habe eine ganze Serie von Experimenten unternommen, um dem Einfluß der obengenannten Salze nachzuspüren, wobei der Sarkoplasma- reichtum der Gewebe einen wertvollen Hinweis darbot. Die Experimente fanden statt bei dem Herzen in situ und beim suspendierten Herzen. Wenn der Versuch mehrere Tage in Anspruch nahm, wurde eine besondere Versuchsvorrichtung verwendet. Alle 10 Sekunden wurde der große Wind- flügel des Kagenaarschen Kymographion mittels eines Relaishebels ange- halten und nach 10 Sekunden oder länger wieder frei gelassen zur einmaligen Runddrehung und zur erneuerten Arretierung. Die astronomische Uhr des Laboratoriums besorgte die Bewegung der Rheotomscheibe, welche die Relais- bewegung regulierte. Das Herz von Anodonta wurde suspendiert in der eigenen Mantel- flüssigkeit und in der Perikardflüssigkeit des Tieres. Eine Ringersche Lösung von ganz genau bestimmtem iso-osmotischen Drucke (nach der Gefrier- punktmethode) mit der Mantelflüssigkeit, übt einen nachteiligen Einfluß auf den pulsierenden Ventrikel des Muschelherzens aus. Ich lasse hier unten nur einige Versuchsprotokolle folgen. Für ausführ- liche Versuchsmitteilungen verweise ich auf meine Dissertation. Herz von Nroderra fluviatilis. 23. November 1906. Um 10 Uhr. Herz präpariert; Atria abgetragen; Ventrieulus suspendiert in 5°“@® der Mantelflüssigkeit. Bewegungen fangen sofort an, registriert auf dem berußten Zylinder. Registration wird definitiv unternommen von 10!/, Uhr an; das Herz verliert allmählich den erhöhten Autotonus, indem die Kontraktionen der Höhe nach abnehmen. 2.30 Uhr: Um die Relaxation des Tonus zu beschleunigen, werden 2 Tropfen einer 1 prozent. NaCl-Lösung hinzugefügt; kein Effekt merkbar; später 5 Tropfen einer 1 prozent. CaCl,-Lösung: keine Abänderung des Auto- tonus, der Schlagfrequenz, ebensowenig der Schlaggröße. Das Herz arbeitet ganz regelmäßig. 3 Uhr: 3 Tropfen einer 5 prozent. NaCl-Lösung werden hinzugefügt. Später noch 4 Tropfen einer 5 prozent. NaCl-Lösung. Ein schwach re- laxierender Einfluß wird merkbar; viel deutlicher und länger anhaltend ist der. Einfluß auf die Schlagfrequenz und Schlaggröße. Die Schlagfrequenz ı W.D.Zoethout, The effeets of various salts on the tonicity of skeletal muscles. Americ. Journ. of Physiology. 1904. Vol. X. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 22 338 - A. K. M. Noyons: nimmt am Anfang ein wenig zu und vermindert sich später beträchtlich; eine anfängliche starke Verkleinerung, die allmählich abklingt, geht damit parallel. Die Schlaggröße ist nieht immer gleichgroß, jedoch sie wechselt ohne eine deutliche Periodizität. 24. November. 8 Uhr: Das Herz pulsiert ruhig, jedoch mittags um 2 Uhr steht es vollkommen. still. Eine verkürzte graphische Darstellung des Autotonus gibt eine regelmäßig verlaufende Kurve während der letzten 24 Stunden. Um 2-30 Uhr: Während das Herz in seinem Stillstande verharrt, werden mit kleinen Intervallen bzw. 4, 8, 8, 10 und abermals 10 Tropfen einer 1 prozent. CaCl-Lösung hinzugefügt. Bald hierauf sinkt der Autotonus immer mehr während dem Stillstand des Herzens. 26. November. Der Autotonus ist noch niedriger geworden, das Herz zeigt alternierende Perioden von Ruhe und Pulsation. Diese Perioden haben einen eigentümlichen Verlauf. Durch unvollständige Relaxation der ersten Kontraktionen bildet sich ein Plateau, das erst langsam nach der letzten Kontraktion der Periode herabsinkt. Die Kontraktionen sind sehr groß. In der Ruheperiode machen sich dann und wann kleine Kontraktionen geltend. Die Ruheperiode dauert + 2 Minuten, die Pulsationsperiorde + 1 Minute und jede Kontraktion + 10 Sekunden. 2 Uhr: Es werden 10 Tropfen einer 1 prozent. KCl-Lösung dazu getropft. Gleich darauf wächst der Autotonus sehr beträchtlich, die Ruheperioden werden seltener und die Schlaggröße nimmt ab, auch die Dauer der Pulsa- tionsperioden wird immer noch länger und länger, infolgedessen das Herz um 4 Uhr wieder ganz regelmäßig pulsiert; alsbald werden nun die Kon- traktionen auch wieder größer. Der Autotonus steigert sich. Um 7 Uhr werden bzw. 4, 4 und 8 Tropfen einer 1 prozent. CaÜl- Lösung zugefügt; die Autotonuszunahme, durch das KCl zum Vorschein ge- rufen, wird geringer, aber kann durch das zugefügte CaCl, nicht ganz hinuntergedrückt werden. Die CaCl,-Einwirkung zeigt sich besonders in der Zunahme der Schlagfrequenz und der Schlaggröße. Um 8 Uhr ist der Autotonus konstant. 27. November. Der Autotonus hat sich wahrscheinlich unter Einfluß des CaCl, beträchtlich gemindert, indem Schlagfrequenz und Schlaggröße wenig Abänderungen zeigen; nur später werden die Kontraktionen etwas niedriger. 28. November. Die Autotonusminderung hört auf. Die Kontraktionen sind klein, etwas unregelmäßig der Größe nach, jedoch ohne Ruheperiode in der Kontraktionsreihe.e Um 9 Uhr werden dreimal 4 Tropfen einer 1 prozent. KCl-Lösung beigetropft. Der Autotonus steigert sich in kurzer Zeit zu beträchtlicher Höhe; später werden noch 4 Tropfen einer 1 prozent. KCI-Lösung hinzugefügt, was die Autotonussteigerung noch vermehrt; die Kontraktionen sind indessen ziemlich niedrig geworden. Während der Zunahme des Autotonus wird eine kleine Dosis, nl. 6 Tropfen, einer ziemlich konzentrierten (5 prozent.) CaCl,-Lösung der Mantelflüssigkeit beigetropft. Nach sehr kurzer Zeit fällt nun der Autotonus wie „per erisin“ herab, um nach einigen Stunden wieder wie kurz zuvor auf dem Wege der allmählichen Autotonuszunahme weiter zu gehen. Das Herz pulsiert mit- kleinen Kontraktionen, sehr frequent; nachmittags nehmen die Kontraktionen an Größe ab, so daß sie nur schwer zu sehen sind. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 339 29. November. Das Herz steht stil. Autotonus außerordentlich groß. Das Herz stirbt, denn im Laufe des Tages wird es allmählich schlaffer ohne Bewegungen. Der Schreibhebel erreicht zum Schluß einen Stand, niedriger wie je zuvor. Magenring von Rana. 3. Mai 1907. Der mittlere dritte Teil eines Magens von Rana wird ausgeschnitten; die Mucosa und Submucosa abpräpariert; der Ring wird auf- geschnitten, wiederholt gepinselt mit einer 1 prozent. Lösung von Sulfas atropini in 0-7 prozent. NaCl und später suspendiert nach Abspülung in 0.7 prozent. NaCl. Nach unveränderter Suspension während einer Viertel- stunde, wodurch der Magenring sich etwas- verlängert hat, wird das Versuchs- objekt den isotonischen Lösungen von KCl, NaCl, CaCl, und NaHCO, aus- gesetzt. Sofort reagiert der Magenring mit ganz typischen Steigerungen und Remissionen des Autotonus. Im Laufe des Experimentes sinkt die Erreg- barkeit des Objektes für die chemischen Reize. Folgendes Bild gibt eine verkürzte Darstellung der Registrationskurve unter dem Einflusse der verschiedenen Salze. Fig. 3. Sehwankungen des Autotonus bei Eintauchung eines Magenringes in verschiedene Salzlösungen. 22* 340 A. K. M. Noxons: M. gastrocnemius von Rana. Die Skelettmuskeln verhalten sich ganz wie die anderen Versuehsobjekte den verschiedenen Salzen gegenüber. Folgendes Bild gibt die Autotonus- änderungen bei der Eintauchung des M. gastrocnemius in verschiedene Salz- lösungen, alle äquimolekular. Stand des Schreibhebels Art der Zeit Eintauchungsflüssigkeit Beginn 0 Natriumchlorid 0-7. Nach 1 Min. —äR Caleiumchlorid. Kaliumchlorid. Caleiumchlorid. Kaliumchlorid. &) 5 33 ru 93 Natriumchlorid. Kaliumchlorid. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 341 Man kann die Abänderungen des Autotonus durch die obengenannten chemischen Reize wiederholt auftreten lassen, indem man nur die Vorsicht beobachtet, daß der Muskel nicht zu lange dem Einflusse einer und der- selben Flüssigkeit ausgesetzt bleibt, weil der Muskel sonst seine Erregbarkeit einbüßt. Diese Abänderungen des Autotonus durch chemische Reize kann man kombinieren mit den durch Dehnung hervorrufbaren Variationen. $ 5. Der Einfluß der Ermüdung auf den Autotonus. Wenn man einen ausgeschnittenen Muskel durch regelmäßig zugeführte Reize, es sei direkt, es sei indirekt, zu isotonischer Kontraktion bringt und eine ergographische Ermüdungskurve aufschreiben läßt, beobachtet man meistens, daß die tiefsten Punkte der Kurve, je nachdem die Ermüdung zu- nimmt, eine Änderung aufweisen. Scheffer! nannte die Linie, welche die tiefsten Punkte vereinigt, „gebogene Grundlinie“ und ist der Ansicht, daß diese ihre Entstehung „der Verlängerung der Kontraktionsdauer und zwar namentlich der der Erschlaffungsphase verdankt“. Der wiederholte, erneute Reiz würde angreifen in dem Augenblick, wo die völlständige Erschlaffung des Muskels noch nicht eingetreten ist. In der Abhängigkeit der Ver- längerung von der Verkürzung sucht Scheffer den Grund, daß die „ge- bogene Grundlinie“ sich der Abszisse wieder nähert, ohne jedoch dieselbe wieder zu erreichen. Dies würde geänderten Elastizitätsverhältnissen zu- geschrieben werden müssen. Gegen diese Erläuterungen läßt sich folgendes Bedenken anführen: erstens wird die Verkürzung auf eine Verlängerung der Dekreszente zurück- geführt, was aber nicht näher erklärt wird, ferner hat sich herausgestellt, daß die Größe der immer kleiner werdenden Verkürzung nicht in so ein- fachem Verhältnisse zu der Beziehung zwischen Kreszente und Dekreszente steht. Die Tatsache des Verkürzungsrückstandes findet also in Scheffers Erläuterung keine Erklärung. Im Zusammenhang mit anderen Untersuchungen drängte sich mir die Frage auf, ob auch dieser Ermüdungstonus nicht zu einer chemischen Autotonusänderung, wie eine solche durch Kaliumchlorid hervorgerufen werden kann, zurückgeführt werden könnte. Schon bei einigen orientieren- den Experimenten ergab sich, daß ein ermüdeter Muskel sich hinsichtlich des durch Kaliumchlorid hervorgerufenen Tonus von einem nicht ermüdeten Muskel ganz abweichend verhält. Mit größerer Genauigkeit wurde dies alles folgenderweise studiert. Bei einem Frosche wurden Großhirn und Rückenmark zerstört und danach der M. gastrocnemius mit zugehörigem N. ischiadieus präpariert. Das Nervmuskelpräparat wird mit dem Femur ‘J. C. Th. Scheffer, Ergographie van de geisoleerde kikvorschspier. Onder- zoekingen Physiol. Laborat. te Utrecht. 5° Reehs I. 2° aflevering 1899. 342 A. K. M. Noyons: in eine Klemme gefaßt und besonders die Eintrittsstelle des Nerven gegen Verletzung geschützt. Beide Muskeln wurden nun sowohl hinsichtlich ihres Ermüdungstonus, wie ihres chemischen Tonus geprüft. Der rechte M. gastroenemius wurde in einem Myographion von Engelmann befestigt, dessen längster Hebel 28°” und dessen kürzester 1m mißt. Es wurde vorher darauf geachtet, daß das Myographion fast vollkommen äquilibriert war. Der Muskel wurde zwischen dem in einer Klemme fixierten Femur und einem an einem seidenen Drahte isolierten Haken, woran die Achillessehne befestigt wurde, ausgespannt. Mit diesem Haken war ein sehr dünnes Leitdrähtchen verbunden, das in ein tiefes Quecksilberreservoir eingetaucht war und so die Bewegungen des Muskels _ ohne Kontaktunterbrechung mitmachen konnte. Als anderer Pol diente die kupferne Klemme, worin der Femur fixiert war und worauf der Nerv niedergelegt wurde. Die zwei Pole standen mit einer sekundären Spirale eines du Bois-Reymondschen Induktoriums in Verbindung, während die primäre Spirale in einer Kette aufgenommen war mit einem Lessingelement und einem Metronom als Unterbrecher, der durch zwei Schläge in der Sekunde den Muskel indirekt reizte und zur Kontraktion und Ermüdung brachte. Wurde eine Ermüdungskurve aufgeschrieben, so wurde erst der Muskel gedehnt, indem man, bevor der Strom in der primären Kette ge- schlossen und der Muskel zur Kontraktion gebracht wurde, an den Hebel in einem Abstande von 2°® vor der Myographionsachse ein Gewicht von 100 = aufhängte. Beim Experiment A. wurde erst auf diese Weise eine Ermüdungskurve gewonnen und danach der Muskel in eine 2!/, prozent. Kaliumehloridlösung eingetaucht. Beim Experiment B. wurde dagegen mit dem Eintauchen angefangen, worauf die Dehnung und die Ermüdung folgte, um mit einem erneuten Eintauchen in Kaliumchlorid zu schließen. Bei Vergleichung der auf diese Weise gewonnenen Kurven sieht man, dab bei A. der Ermüdungstonus beträchtlicher ist als bei B., während um- gekehrt der Kaliumchloridtonus von A. weit dem von B. nachsteht. Dies ist nicht auf zufällige Umstände der Suspension oder dergleichen zurückzuführen, weil die Dehnungskurven beider Muskel vollkommen gleich- förmig und gleichgroß sind. Aus dieser Kongruenz der Dehnungskurven erhellt, daß in beiden Muskeln derselbe Zustand vorherrscht. Wenn man die bezüglichen Maxima der beiden Tonusarten zusammen- zieht, so ergibt sich, daß ihre Summe die gleiche ist, woraus man den Schluß ziehen dürfte, daß der Ermüdungstonus kleiner ist, je nachdem eine kräftigere Einwirkung von Kaliumchlorid vorangegangen ist. Dadurch wird zugleich vielleicht das Wesen des Ermüdungstonus einigermaßen bestimmt. Möglicher- weise ist der Ermüdungstonus selbst identisch mit dem chemischen Tonus. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 343 Bei Wiederholung dieser Experimente fand ich immer dasselbe Resultat. Auch muß bemerkt werden, daß sowohl bei einer Einrichtung des Experi- mentes für indirekte, wie bei einer solchen für direkte Reizung des I Fig. 4 und 5. Fig. 4 (A). Ermüdungstonus beim Anfang; nachher erhöhter Autotonus durch KCI. ab = chemischer Tonus. de = Ermüdungstonus. Fig. 5 (B). Autotonus erhöht durch KCl beim Anfang; nachher Ermüdungstonus. a’ b’ = chemischer Tonus. 5’c’ = Ermüdungstonus. 344 A. K. M. Novons: Muskels, kein Unterschied im Auftreten dieser Erscheinung beobachtet werden konnte. Scheffer! untersuchte sehr genau den Einfluß des Alkohols auf die Muskelarbeit beim Frosche, indem er bei den Ermüdungskurven die ge- leistete Arbeit an verschiedenen Momenten nach der Alkoholverabreichung maß. Die Frösche wurden 6 Stunden vorher kurarisiert. Zur Kon- trollierung der Alkoholwirkung wurde eines der Beine vor der Alkoholver- ‚abreichung abgebunden. Die Ermüdungskurve von den zwei symmetrischen Muskeln wurde dann aufgenommen. Ein konstanter Strom, von einer vibrie- renden Stimmgabel 15 mal in der Sekunde geöffnet und wieder geschlossen, diente als Reiz, wodurch der Muskel jedesmal zur Kontraktion gebracht wurde. Zur Messung und Abstufung des Stromes wurde ein Galvanometer und ein Rheostat in die Kette aufgenommen, während zur Vermeidung einer Anhäufung von Elektrolyten an den Polen die Richtung des Stromes nach jeder Serie von 15 Reizen umgekehrt wurde. Dazu wurde der auto- matische Stromumkehrer von Engelmann verwendet. Die Rheotomscheibe ermöglichte ihm auch die Reizungsdauer abzustufen. Die von Scheffer registrierten Kurven zeigen, wenn der Muskel während der Ruheperiode nieht unterstützt war, eine ganz markante Tonuskurve. Die mit vieler Mühe und Genauigkeit gewonnenen Schefferschen Kurven habe ich mit Rücksicht auf diesen Ermüdungstonus als Material verarbeitet. Die Kurven wurden in Teile mit einer Basis von 100 Sekunden ver- teilt. Der Flächeninhalt dieser Teile, nach oben begrenzt entweder durch die Verbindungslinie der Gipfel der Kontraktionen (Ermüdungskurve) oder durch die Verbindungslinie der tiefsten Punkte der Kontraktionen (Tonus- linie oder gebogene Grundlinie von Scheffer), wurde planimetrisch bestimmt und schließlich der Tonus in Prozenten der wirklich geleisteten Arbeit, gleich der Summe der statischen Arbeit des Tonus und der von den wieder- holt erneuten Kontraktionen herrührenden Arbeit, ausgedrückt. Das Resultat dieser Bestimmungen erhellt aus untenstehenden Tabellen. Experiment I. Mäßig großer Frosch. Verabreichte Alkoholmenge !/,.,„ des Körper- gewichts. Gehobenes Gewicht 502'%. Frosch kurarisiert. Direkte Reizung mit wechselnd auf- und niedersteigenden Strömen während einer Sekunde und mit einer Ruheperiode von 2 Sekunden. Stromstärke + 0-1 Milliampere. A = rechtes Hinterbein, unterbunden vor der Alkoholverabreichung; B = linkes Hinterbein, unterbunden nach Alkoholverabreichung während 20 Minuten. ! J.©. Th. Scheffer, Experimentelle Untersuchung über den Einfluß des Alkohols auf die Muskelarbeit, Onderzoekingen Physiol. Laborat. te Utrecht. 1900. V. Reeks. II. 1° aflev. &# ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 345 A. Kein Alkohol B. 20 Min. nach Alkoholverabreichung Gesamte | Tonus- un in % Gesamte | Tonus- |Tonus in '/, von von Arbeit arbeit | ges. Arbeit Arbeit | arbeit ges. Arbeit I | 3790 1160 30 T | 1896 240 13 1I 1584 1304 32 II 376 | 264 70 III 1016 1016 100 III 4883 488 100 Summa | 6390 3480 54-5 2760 992 36-3 Experiment I. Mäßig großer Frosch mit stark entwickeltem M. gastrocnemius. Alkohol- menge !/,.o des Körpergewichts. Gehobenes Gewicht 50 8. A = linkes Bein, abgebunden vor der Alkoholverabreichung; B = rechtes Bein, abgebunden nach 1!/,stündiger Einwirkung von Alkohol. A. Kein Alkohol B. 20 Min. nach Alkoholverabreichung Gesamte | Tonus- |Tonus in °/, ' Gesamte | Tonus- |Tonus in °/, von | von Arbeit arbeit | ges. Arbeit ‚ Arbeit arbeit | ges. Arbeit I | 35016 1096 Dee A025 84 I 3672 2616 71 1I 2376 1736 73-2 III 2048 1856 90-6 III 1624 1528 94 IV 1920 1872 97 IV 1936 1896 98 V 2064 | 2064 100 V 2144 2144 100 Summa | 14720 | 9504 64-6 | 12728 | 8152 |; '64 Bei diesem Experiment sind die Gesamtunterschiede nicht so beträcht- lich wie bei dem vorhergehenden, doch sind sie, besonders während der _ ersten 100 Sekunden, deutlich wahrzunehmen. Auch in allen anderen Kurven treten die Unterschiede immer am deutlichsten im ersten Teile der Ermüdungskurve auf. Die Geringheit des Unterschiedes bei Experi- ment II. darf nicht nur in der längeren Einwirkung des Alkohols, wie bei Experiment I. gesucht werden. Dies erhellt genügend aus dem folgenden Experiment, wobei der Alkohol während 1?/, Stunde eingewirkt hatte und doch einen ziemlich beträchtlichen Tonusunterschied ergab. Experiment II. Kleiner Frosch. Alkoholmenge !/,,, des Körpergewichts. Gehobenes Gewicht 50 sm, A = linkes Bein, abgebunden vor der Alkoholverabreichung; B = rechtes Bein, abgebunden nach Einwirkung von Alkohol während 1a ‚ Stunden. 346 A. K. M. Noyons: A. Kein Alkohol‘ ıB. 1°), Std. nach Alkoholverabreichung Gesamte Tonus- Tonusin % Gesamte | Tonus- |Tonus in %/° von von Arbeit | arbeit | ges. Arbeit | Arbeit arbeit | oes.Arbeit RE 2 ai I 1728° | 77160 10 II lmiaaına za er II 1504 600 40 UI | 1467 79 II 1344 880 68 IV 954 858 | 90 | IV 1064 896 | 84 vıllmsl Bert :..1000 0) V Asse. | ou 93+5 vI 776 re 1000 VI 696 696 100 N gr 792 100,05 VII 696 696 100 | | VIII | 821 821 | 100 Av 792 792 100 Summa | 94189 | sarı | 6-6 | 8592 5440 63-3 Auch bei Verabreichung noch geringerer Alkoholdosen tritt die Er- scheinung immerfort auf. Dies zu zeigen, lasse ich hier die tabellarische Übersicht nachfolgenden Experiments folgen. Mäßig großer Frosch. Alkoholmenge !/,00u des Körpergewichts. Ge- hobenes Gewicht 25 8”, A = rechtes Bein, abgebunden vor der Alkoholverabreichung; B = linkes Bein, abgebunden nach Einwirkung des Alkohols während 1!/, Stunden. A. Kein Alkohol ı B. 1'/, Std. nach Alkoholverabreichung Gesamte | Tonus- |Tonus in %, Gesamte | Tonus- Tonus in °/, von von Arbeit | arbeit | ses. Arbeit Arbeit | arbeit | ges. Arbeit I |" 3792: | 1968 BE: I | 38sos izes) so Il 2408 | 2160 90 1 2338 2122 | 91 1001 2051920 100 1II 1784 1784 | 100 IV 1848 | 1848 100 IV 1784 1784 100 Summa | 9768 | 7896 s0-8 7930 5674 | 71-5 $ 6. Einfluß toxischer Substanzen auf den Autotonus. Unter den chemischen Produkten, welche den Autotonus abzuändern vermögen, nehmen die Alkaloiden eine ganz besondere Stellung ein. Von den wohlbekannten Tonica der Digitalisgruppe wurde von mir das Infusum digitalis, wie das Digitalein und Digitonin untersucht. Weiter wurden Heroin, Lobelin, Atropin, Strophantin und Veratrin geprüft. Die Substanzen wurden nicht subkutan, sondern durch Auftröpfeln zu- gefügt, damit die Einwirkung rascher stattfinden konnte. Mit diesen Sub- stanzen wurden untersucht: das Herz, die Magenringe und die Skelettmuskeln. Bevor die Einzelheiten mitgeteilt werden, möchte ich die Aufmerksam- keit auf einige Eigentümlichkeiten lenken. Bei den Digitalisversuchen besonders beobachtete ich, wie während der ersten 10 Sekunden nach der ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 347 Intoxikation das Herz und besonders der Ventriculus auf diese Vergiftung mit einer Erschlaffung reagierte. Auf sie folgt nach dem Verlauf kurzer Zeit die eigentliche, typische Digitaliswirkung, nämlich die der positiven Tonotropie. . Mit Heroin, welches sich als negatives Tonicum erwies, bekommt man einen gleichartigen Erfolg. Beim Anfang der Intoxikation tritt eine leichte positive Tonotropie auf, begleitet von einer negativen Chronotropie; nach diesen Äußerungen folgen die negative Tonotropie und die dazu gehörige positive Chronotropie. Einem mechanischen Einfluß des Auftröpfelns darf diese Erscheinung nicht zugeschrieben werden. Die Registration geschah wie beim Studium der chemischen Reize. Nur einige Versuche werden hier mitgeteilt. Für die ausführlichen Mitteilungen wird auf meine Dissertation hingewiesen. Herz von Anodonta fluviatilis. 17. Oktober 1906. Herz in situ registriert mit kleiner Stützplatte auf dem Herzen. 6 Tropfen einer 1 prozent. Atropinlösung zugefügt. (Atropinum sulfurieum in 0-7 prozent. NaCl.) Herz pulsiert ruhig. Abends ein Tropfen einer Iprozent. Milchsäurelösung der Perikardialflüssigkeit beigemischt; sehr beträchtliche Autotonuszunahme; die Berieselung des Herzens mit 07 prozent. NaCl setzt die Autotonuszunahme allmählich herab; die fundamentellen Kon- traktionen, welche durch die Milchsäurelösung verschwunden waren, kommen wieder zurück. 18. Oktober. Das Herz pulsiert normal. 19. Oktober. Es werden 2 Tropfen einer lprozent. Lösung von Heroinum sulfuricum der Perikardflüssigkeit beigemischt. Nach sehr kurzer Zeit fängt das Herz an darauf zu reagieren mittels einer Autotonusabnahme, der eine leichte positive chronotrope Anderung vorausgeht. Einfluß des Heroinum sulfurieum auf das Herz von Anodonta fluviatilis. I st | ee | Kontraktionsdauer | er Sum | Sek. % Beginn | 0 20-8 Nach 4»5 Min.) + 0.4 20-8 | Heroicum sulfuricum 1%, 2 gutt. a 11.6 io . | (3:8 22-4 Bogen, |. —8 18-6 PR58 „ u 17-6 | E36 er — 2:2 JE | „44 | —;ı | 16 | 60 3% — 1:5 18905) | ee, 195 15-8 292 R — 1.7 16 348 A. K. M, Noyons: Herz von Anodonta fluviatilis. 25. Oktober 1906. Das Herz ist suspendiert in 5 °® der Mantelflüssig- . keit. Während der ersten Zeit nach der Suspension erschlafft das Herz allmählich; das Herz zeigt schöne Autotonusvariationen, welche sich zeigen als eine ziemlich plötzliche Hebung des Autotonusniveau, gefolgt von mehreren, der Höhe nach abnehmenden kleineren Wellen. Die untenstehende Figur gibt die erste große Welle der Reihe. a EB Ba a Ka Tan Fig. 6. Variation des Autotonus beim suspendierten Herzen von Anodonta fluviatilis. 26. Oktober. Nachdem während eines ganzen Tages der Autotonus sich nicht geändert hat, wurden dem Herzen 3 Tropfen einer 0-4 prozent. Lösung von Lobelinum sulfuricum zugefügt. Der Einfluß ist deutlich merkbar in folgender Tabelle. Einfluß des Lobelinum zsulfurieum auf den Autotonus. Zar | Stand des Schreibhebels wen...‘ e I » _ mm Eu 2 2 EEE Beginn | ) Nach 1 Min. 40 Sek. 0 | Lobelinum sulfuricum. Ba 00..,, — 08 ee Dr + 16-1 > Ge AU. ;,, +17:5 ae Il, +17 a | + 25-5 ein, | + 85 s 1 Std. 73 Min: + 25 „ 200 + 3-1 >» DEREN: + 3°5 Am Mittag wurde mit demselben Herzen noch ein Versuch angestellt. Es wurden 2 Tropfen einer 1 prozent. Milchsäurelösung in 0-7 prozent. NaCl beigetropft. In folgender Tabelle zeigt sich sehr schön die autotonusvermehrende : Wirkung der Milchsäure. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 349 Einfluß der Milehsäure auf den Autotonus des Herzens von Ano- donta fluviatilis. VE Stand des Schreibhebels mm Beginn 0 Milchsäure Nach 1 Min. 40 Sek 0 ” 9%» 0 ” 8 ER) 30 ” 12 Ei} 10 3’ 10 Bd 20 ne: ++) 21 Er} 40 Er} 5 2 6 +] 30 Er} 4 ii 5 33 40 2} 2 v B) „ 50 ” 15% 33 90° 9 0 Der Autotonus hat also nach 1!/, Stunden den Anfangswert aufsneue erreicht. Bei einigen Versuchen am Anodontaherzen stellte es sich heraus, daß diese Herzen gar nicht oder merkwürdig wenig reagierten auf die Zufügung von Digitalisprodukten, während dieselben Herzen ganz schön auf andere Autotonusreize wie z. B. CaCl, reagierten. Magenringe von Rana. 20. Februar 1907. Nach der Schultzschen Methode werden Magen- ringe präpariert. Einer dieser Ringe wird in zwei Teile geteilt. Der eine Teil wird während 3 Minuten in einer 5 prozent. Lösung von Atropinum sulfurieum in 0-7 prozent. NaCl aufbewahrt und nachdem suspendiert, wäh- rend der andere nicht dem Atropinum ausgesetzt wird und nur in 0-7 prozent. NaCl aufbewahrt bleibt. Die Registration der beiden Ringhälften fängt gleichzeitig an. Nach kurzer Zeit werden die Objekte in 0-89 prozent. KC1 eingetaucht; sie bekommen eine Autotonuszunahme, jedoch ganz verschieden dem Verlauf, wie der Intensität nach. Einfluß des Atropinum sulfuricum und des Kaliumchlorides bei Magenringen von Rana. Stand des Schreibhebels Stand des Schreibhebels Zeit Magenring Magenring ohne Sulfas atrepini mit Sulfas atropini | mm mm Beginn 11-2 11-2 Nach 10 Sek. 3.5 4-8 Kaliumchlorid. = 15 „ 0-5 3-1 0, 4-4 | 3-5 30, 27-1 | 7-7 en AO: ,, 32-8 13-5 0 19-1 17-1 Er) 60 ER 11-1 17:6 ER) 70 4*6 17-1 so, 0-3 16-4 350 A. K. M. Novons: Auch bei anderen Muskeln desselben Tieres wurde der Versuch angestellt und dasselbe Resultat gewonnen. Herz von Rana. 15. Januar 1908. Atrium und Ventriculus des Herzens werden in situ registriert mittels des Suspensionsverfahrens; 2 Tropfen einer 1 prozent. Digitaleinlösung in 0-7 prozent. NaCl werden aufgetropft. Der Autotonus ändert sich in folgender Weise. Einfluß von Digitalein. ‚Stand des Stand des | Kontraktions- Zeet a Schreibhebels | 4 es Atriums | des Ventrieulus auer RR Emm a Ram | Sek Beginn 0 | 0 | 1-4 Nach 10 Sck. |. 0 | 0 1-4 | | Digitalein RE — 0-3 1053 | 1:25 20 ri ge 1-29 2 | —1+5 0.7 1-34 BER | — 0:3 IH. 1°4 282° Nm! + 1:3 u yiod 1-6 Re ER + 2.7 | — 1-5 2 EN SOHT, | ee | le! 1-95 ae: en — 0.8 1-9 RR AED a oe 1-8 RRTLERN Ne RS 1.73 en | + 8-3 + 3.4 1-86 a au Bess ee 2 | TB: | + 8-3 | +3 2.2 a lach + 8-8 | rg 5 Nach 2 Std. 53 Mn. ° +3-8 | +4 4»5 Der anfängliche erschlaffende Einfluß des Digitalein tritt sehr schön hervor. Diese Erscheinung ist beim Ventriculus länger bemerkbar wie beim Atrium (siehe Fig. 7). Herz von Rana. Oktober 1907. Das freipräparierte Herz wird einen gewissen Augen- blick in 35 m einer 0-7 prozent. NaCl-Lösung, der man 29.6” Tinetura strophanti beigemischt hat, eingetaucht. Die tonotropen Änderungen zeigen sich früher und deutlicher, wie die inotropen Erscheinungen. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. Einfluß von Tinetura strophanti. | Stand Zeit | des Schreibhebels | des Ventrieulus | ir Er mm | Beginn 0 Nach 10 Sek. 0 Tinetura ' strophanti. , 20, — 0.4 ER) 40 >) 0 608... | — 0.5 2280, TE | ee | eo...) + 0-4 | 0 ,.| +0+5 | BRL6O | +1-1 | = 200 et | 940, +1 E20. | +1 30072, + 0-9 Es kommt nach einiger Zeit keine Auto- tonuszunahme mehr dazu. Während das Herz in einem beträchtlichen Autotonus verharrt, wird die Lösung von Tinctura strophanti durch eine reine NaCl-Lösung ersetzt. Der Autotonus senkt sich sofort. Einfluß des NaCl auf den Autotonus durch Tincetura strophanti hervor- gerufen. Stand | heit ı des Sehreibhebels mm Beginn | + 3-8 | ' NaCl. Nach 40 Sek. + 3-8 | 0. .; le | Bl | + 0-8 | 5 We +06 | 900 + 0-4 | 240, ;.. | + 0-4 Ba, „1 0 9,320 ;,; — 0.2 | a er Be os Mm sol Die erschlaffende Wirkung des Digitaleins beim Anfang der Vergiftung. 352 - A. K.'M. Noyons: M. gastroenemius von Rana. 20. Februar 1907. Die beiden M. gastroenemii werden präpariert. Der eine wird während 3 Minuten in 5prozent. Sulfas atropini in 0-7 prozent. NaCl aufbewahrt; der andere in reiner 0-7 prozent. NaCl-Lösung, indem KCl als Tonicum für beide Muskeln verwendet wird. Einfluß des Atropinum sulfurieum auf den Autotonus durch KCl hervorgerufen. Stand des Schreibhebels | Stand des Schreibhebels Det beim Muskel beim Muskel ohne Atropin mit Atropin N E u ee mm Beginn 0 0) Nach 28 Sek. . 52 5+2 una, 6:5 6-5 Ss MDDR 5, 7-8 7-7 Sa, 9.2 9-1 ei, | 10.9 10-1 se.) 12 | 11-1 en. 12-9 124 126, ;., 13-7 12-7 SEO. .,, 14-5 13-1 08, 15-7 13.7 Wlonlt:,, | 16.7 14-4 su2l0:: ;, | 17°1 14-7 en 17.4 15 Quantitative Prüfung. Im Vorhergehenden wurde über die Ursache berichtet, durch welche u. a. der Autotonus abgeändert werden kann, und wir haben außerdem die Richtung kennen gelernt, in der bestimmte Reize den Autotonus be- einflussen. Inwieweit jedoch der Reizwert im Verhältnis steht zum Reizefiekt, wurde nicht mitgeteilt. | Dies kann man nur kennen lernen durch Messung beider Größen und durch wechselseitige Vergleichung von Reiz und Effekt. Betrachtet man den Autotonus als einen chemischen Vorgang, so ge- hört zur Aufgabe die Feststellung, wie groß der Einfluß der Temperatur, des Druckes und der Bedingungen in chemischer Hinsicht ist. Die Wärme läßt sich leicht meßbar mit genügender Genauigkeit applizieren. So gibt eine der folgenden Kurven das Verhältnis zwischen der Temperatur und dem Autotonus beim Herzen Anodontae, in situ registriert. In einer anderen Kurve, welche das Verhältnis angibt zwischen der Temperatur und dem Autotonus der Cloaca bei Rana, tritt der Einfluß des ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. - 353 mr do (a 0 {>} Q y, a>) o° (>) Q Sn Sun mL a Bi nn >) SI D3S5 Fig. 8. “Änderung der Temperatur und des Autotonus beim Herzen von Anodonta fluviatilis. Die Ordinate gibt den Stand des Schreibhebels (also den Autotonusbetrag), die Abszisse die Temperatur im übereinstimmenden Momente. Temperaturwechsels ganz deutlich hervor. Bei der Wiederholung der Er- wärmung zeigt sich diese Erscheinung jedesmal in ganz derselben Weise, Io mM Fig. 9. Änderung der Temperatur und des Autotonus bei der Cloaca von Rana. Die Ordinate gibt den Stand des Schreibhebels, die Abszisse die Temperatur im überein- stimmenden Momente. Auf dem höchsten Punkt der Figur fängt die Kurve an. Archiv f. A.u.Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 23 354 A. K. M. Noyons: jedoch nicht vollkommen, da während des ganzen Versuches ein Hinauf- rücken der Kurve stattfindet. Man darf die Ursache dieses eigentümlichen Verrückens der Erschei- nung einer Hysteresis zuschreiben. Auerbach! formuliert diesen Begriff wie folgt: „Jeder Körper beharrt in dem Zustande der Ruhe oder der geradlinigen Bewegung, indem er sich befindet.... Wie die Bewegung, so haben auch die anderen Wirkungen der Kraft Beharrung, d. h. sie bleiben unter Umständen bestehen, auch wenn die Kraft zu wirken auf- gehört hat; am wichtigsten unter ihnen sind die elastische und die Fig. 10. Autotonus und dehnend Gewicht beim M. sartorius von Rana. magnetische Nachwirkung, am beträchtlichsten von allen ist wohl die thermische.“ Das letztgenannte, daß die thermische Hysteresis überwiegt, stellt sich deutlich heraus, wenn man die Nachwirkungen bei den Autotonus- änderungen verschiedenen Ursprunges unter sich vergleicht. Das Studium des Einflusses des Druckes ist mit Schwierigkeiten ver- bunden, und die Frage drängt sich auf, ob es möglich sei, daß der Druck im physischen Sinne auf diesen chemischen Vorgang Einfluß übt. Nehmen wir mit Langelaan? an, daß die tierischen Gewebe aufzufassen sind als ! Fel. Auerbach, Kanon der Physik. Leipzig 1899. S. 39. ® J. W. Langelaan. Kon. Akad. van Wetenschappen Amsterdam. Bd. X. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 355 kondensierte Systeme, in welchen keine Gasphasen vorkommen, so kann man nach van’t Hoff dem Druck keinen nennenswerten Einfluß auf dieses System zugestehen. Sobald es sich jedoch herausstellt, daß der Druck einen beträchtlichen Einfluß ausübt, so soll die Ursache der Erscheinung nicht in chemischen, jedoch in vitalen Eigenschaften des Prozesses zu suchen sein, wenigstens wenn die Auffassung des tierischen Gewebes als einem konden- sierten System gestattet ist. In Wirklichkeit würde man noch dagegen an- führen können, daß eine Gasphase doch immer noch submikroskopisch denkbar ‚bleibt. Vorläufig vertrete ich die Ansicht Langelaans und betrachte das --- - b et. au Sure 0 480 960 1140. IE ES} Fig. 11. Autotonus und dehnend Gewicht beim M. gastrocnemius von Rana. tierische Gewebe, in diesem Fall den Muskel als ein kondensiertes System, indem ich die Dehnung als eine Druckwirkung ansehe. Wenn man von den Dehnungsbeträgen und von den dazu gehörigen Gewichten einiger Muskeln eine graphische Darstellung anfertigt, so läßt sich folgendes feststellen. Die Kurve hat einen ganz eigentümlichen Verlauf, der keineswegs mit einer Parabol übereinstimmt. Wäre jedoch die Dehnung nur allein maßgebend für den Verlauf der Kurve, so würde die Parabol- form die gebotene Gestalt sein. Die gewonnene Kurve aber soll aufgefaßt werden als das Resultat zweier Vorgänge, nämlich des Autotonus und der Elastizität. Wenn man durch den Anfangspunkt a und den Punkt 5, auf welchem Punkt die Elastizität nur allein als wirksamer Faktor auftritt, eine 23* 356 A. K. IM. Noyons: Parabol konstruiert, so beobachtet man, daß diese Parabollinie einen ganz anderen Verlauf wie die Autotonuskurve sehen läßt. | Die Ursache dieser Abweichung ist in dem Autotonus zu suchen. Es macht den Eindruck, als ob der Autotonus im Gegensatz zur Elasti- zität einen mehr linearen Verlauf hat." Man würde diese beiden Faktoren theoretisch trennen können, indem man an dem Abschnitt der Kurve, wo fast nur elastische Dehnung eine Rolle spielt, den Elastizitätskoeffizienten bestimmt und dann durch Extrapolation den nicht unansehnlichen, fehlen- ‘den Teil der Kurve ergänzt. Aber gerade die Extrapolation über eine so große Breite macht es fast unmöglich, eine zuverlässige Kurve zu erlangen. Ich sehe deshalb davon ab, diese Kurve zu entwerfen. Fig. 12. i Autotonus und dehnendes Gewicht bei der Cloaca von Rana. Einen dritten nicht unwichtigen Faktor liefern die Veränderungen der Bedingungen in chemischer Hinsicht. Um diese zu studieren, habe ich als chemischen Reiz für den Autotonus einen Stoff angewandt, der unter gewissen Umständen durch den Muskel selbst gebildet wird, und der sich schon für die Autotonusabänderung zweckmäßig bewährt hat, nämlich die Milchsäure. Zu diesem Zwecke wurden die M. gastroenemii der beiden Hinterbeine bei Rana präpariert und in 30° = 0.7 prozent. NaCl-Lösung aufbewahrt. Der IP. Sehultz93.2.0. 8.15. Triepel, Die elastischen Eigenschaften des elastischen Bindegewebes, des fibril- lären Bindegewebes und der glatten Muskulatur. Analom. Hefte. 1898. Bd.X. 1. Abtlg. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 357 einen Flüssigkeit, worin derjenige Muskel sich befindet, den ich in der ganzen Versuchsreihe immerfort A nennen werde, wurden so viele Tropfen einer 10 prozent. Milchsäurelösung zugefügt, daß eine Konzentration von 0-13 prozent. Milchsäure entstand. Die hierdurch erzielte Autotonus- änderung bei A diente als Normalwert zum Vergleiche mit der des symmetrischen Muskels B, dem innerhalb gewisser Grenzen eine beliebige Menge Milchsäure zugeführt wurde. Die Verwendung eines Normalwertes war geboten, um auf diese Weise die individuellen Unterschiede der ge- brauchten Versuchstiere einigermaßen eliminieren zu können. Die Mus- keln waren beide suspendiert und die Länge wurde auf einem Rußzylinder registriert mit gleichzeitiger Aufzeichnung einer Nullinie. Die Schreib- fläche durchlief 60°" in 16 Minuten. Alle 80 Sekunden wurde der Wert des Autotonus gemessen und in die Tabelle eingetragen, in der ebenfalls die Konzentrationen angegeben sind. Um den Autotonus von A mit dem von B vergleichen zu können, wurde in der Tabelle II der Autotonus B in Prozenten desjenigen von A ausgedrückt. Autotonus A ist deshalb auf 100 Prozent gestellt. Tabelle I. Autotonusänderung bei verschiedenen Konzentrationen von Milchsäure Die Konzentration von A ist immer 0.13 Prozent. Konzentration Be- Ix80 Nee B, %, an t 2 3 4 5 6 7 8 | oe I A Won 3:8 | 4-4| 4-8| 5.2| 5-2| 5-4| 5.4| 5-8 0-24 B 05 5 5 5 5 5 5 5 5 II A| 0|3-8|5-4| 5-8| 6-1) 6-1| 6-4| 6-4| 6-4) 6-4 0-74 B 0/5518 9-4|10-4 11 |11-4 111-7 |11-7| 11-8 I A|0|2.3|3.1| 3-1| 3.3| 3-3| 3.5| 8-5| 3-5| 3.9 0:96 B|o|2-.3| 7.710 |11-1|11-9|12.7|13-5|13-8| 14-3 IV A| 0122| 3-5| 3-.5| 4-1 | 4-4) 4.6| 4-6| 4.6| 4-6 0-99 B: |? 02.1u0»6. 1 1-8| 1-8| 2:.6| 2-6| 3 3-4 324 V A102 lea 3.1 | 3-4| 3.6| 3.6) 3-7) 3-72| 3%7 1:98 B|o |2.2|2.2| 2-2| 2-2) 2°2| 2:2) 2-2 2-2| 2-2 VI A | 0|6-8 | 8-1 | 8:6) 9-3, 9-3 | 9-6| 9-6| 9-6| 9-6 2.88 Bol 2 2 2.4| 3 3-.4| 3-5| 3.5| 4 VI ln) hai 4-6 | 5-4| 56 6 6-4| 8:6 8-6| 8-6 | 3.34 Bl. 0.081 1 DE ua le 5 5 5 5-5 VIII A| 0. 110-2 Lo 1 1.4, 1:6 2-6| 3-4| 3-6| 3-6 | 4:24 B 0)0-.8|1.4| 1°4| 1-4| 1°4| 1-4) 1°4| 2-4| 2-4 IX Alo|/18|18| 385 5-8| 6-4| 6-6| 7 7-5 4.68 B|0/ 170] 138 |°2 2-4| 2-8| 3 3.2) 3:2) 3-4 IX A| 010.6 | 2-6 | 3-8) 4-2| 4-6| 4-9| 5-2| 5-5| 5-7 5-5 A | 0 | 0-4 | 0.4 | 0-4| 0-4) 0-6| 0-6| 0-6| 0-7| 0-7 358 A. K. M. Noyons: In der letzten Spalte der Tabelle II sind die Autotonuswerte der ersten 12 Minuten summiert. Diese Zahlen haben natürlich bloß einen relativen Wert. Tabelle II. Die Autotonusabänderung bei verschiedenen Konzentrationen, ausgedrückt in Prozenten der Autotonusabänderung bei 0.13 prozent. Milchsäure. | Nr. one 102 Be | 5 | 6 | 7 | 8 e we | ! I 0.24 167. | 132 | 114.165), a7. 9 | seele II 0-74 | 145 | 149 | 168 | 171 | 181 | 179 | 185 | 188.) 185 | 1439 1001 0.96 100 | 249 | 323 | 337 | 361 | 368 | 386 | 395 367 | 28st TVo 97 | 09: on Are kon a vieler 1123 | 76 | 71) .65.| 82.) 62) 82 | Jen) Tan vI 2.88 ı5| 25| 24| 26 | 33 | 36 | 37,3% 9 | Tays var 3:34 .|100| 22| 37° 54) 67 | 8383| 78) Sol ner VII | 4.24 |400-| 351 | 140 | 100 | 88 | 54 | 22 | 07| 67 1009 IX | 4.68 | 56 1092 53 | 49 | 42 44 | 4 | 47 46 483 x 55 1:87:16: 18] Mokrae | sh): 1ar)ı Hasena Wenn man die Werte von Nr. II und X zu Kurven verarbeitet und diese unter sich vergleicht, so sieht man, daß bei den Muskeln A der Auto- tonusveriauf (Normalwert) fast gleich ist, während der Autotonusverlauf bei den Muskeln B sehr stark abweicht. In diesem Falle kann dies überhaupt keiner andern Ursache wie dem Konzentrationsunterschiede der Milchsäure zugeschrieben werden. In der Tabelle II tritt die Tatsache hervor, daß in der Reihe der Summen zwei Maxima vorkommen, welche bei näherer Betrachtung ihre Erläuterung in den Zahlen finden, aus denen die Summe gebildet ist. Es stellt sich ja heraus, daß das erste Maximum hauptsächlich aus den hohen Werten der zweiten Hälfte des Autotonusverlaufes für die schwachen Kon- zentrationen gebildet wird, während das zweite Maximum gerade den hohen Werten in der ersten Hälfte des Autotonusverlaufes, jetzt jedoch für die stärkeren Konzentrationen seine Entstehung verdankt. Dies gestattet vielleicht die Annahme, daß die Konzentration des Tonicums Milchsäure nicht nur einen deutlichen Einfluß auf den Autotonuswert, sondern ebenfalls auch auf den Autotonusverlauf ausübt. Das Maximum des Autotonus tritt nämlich um so eher auf, je beträchtlicher die Konzentration ist. Eine deutliche quantitative Beziehung zwischen der Menge reizenden Stoffes und dem Autotonuseffekt ergab ein Versuch am ausgeschnittenen ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 359 Herzen von Rana. Das Herz wurde nach Unterbindung der zu- und ab- führenden Gefäße in 35°® einer 0.7 prozent. NaCl-Lösung suspendiert; dieser Lösung wurde in steigenden Dosen Tinctura strophanti zugefügt. i Fig. 13. Verlauf des Autotonus in bezug auf die Zeit bei verschiedenen Konzentrationen von Milchsäure. A = Autotonus bei 0-13proz. Milchsäure. = Autotonus bei 0-74proz. Milchsäure. Fig. 14. Verlauf des Autotonus in bezug auf die Zeit bei verschiedenen Konzentrationen von Milehsäure. A = Autotonus bei 0-13 proz. Milehsäure.. 3 = Autotonus bei 5-5 proz. Milchsäure. Jedesmal nachdem die Tinetura strophanti einige Zeit eingewirkt hatte und der Effekt konstant blieb, wurde eine neue Dose zugefügt. Aus den Registrationskurven wurde die nachfolgende Tabelle zusammengestellt. 360 A. K. M. Noyons: Tabelle IIL Einfluß der Konzentration der Tinctura strophanti auf den Autotonus des Herzens von Rana. Menge in Kubikmillimetern Betrag der Verkürzung auf 35 cm 0-7, NaCl in Millimetern 0 0 30-4 0.3 54-6 0-8 68-5 1-3 115.3 2.1 145-7 2.6 176 3 200.3 3-5 236-7 3-8 296 95 Die Konzentration der Tinctura strophanti und der Autotonusbetrag verhalten sich nach diesen Zahlen zueinander nahezu proportional. Kapitel II. Eigenschaften des Autotonus. $S 1. Die Längeabänderung. Vor kurzem galt die Abänderung der Länge bei der Autotonusvariation als die einzig meßbare Eigenschaft, ja als die charakteristische Qualität des Auto- tonus. Die bei der Autotonusvariierung hervorgerufenen Längeänderungen können aufgefaßt werden als abhängig von der Zeitfolge der Reize oder als abhängig vom Reizort.! Inwieweit dies mit der Wirklichkeit stimmt, beleuchten die nach- folgenden Versuche. Im Abschnitte „Über die chemischen Reize“ wurde bereits etwas über den eigentümlichen Autotonusverlauf, durch drei Stoffe der Ringer-Lockeschen Flüssigkeit: KCl, NaCl und CaCl, hervorgerufen, mitgeteilt. Hier soll näheres über diese Versuche berichtet werden. Ein gläsernes Gefäß, Breite 4°®, Länge 12m ist durch eine diagonal gestellte gläserne Scheidewand in zwei Hälften. geteilt. In jeder Hälfte wird der ! Aus absichtlich daraufhin angestellten Versuchen läßt sich schließen, daß der Zuwachs des Autotonus niemals von einer Volumänderung begleitet wird. Demnach soll die Längeabänderung eines Muskels bei der Autotonusvariation nur als eine Um- gestaltung der Form der Muskelmasse aufgefaßt werden. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 361 M. gastrocnemius eines Versuchstieres mit der Achillessehne auf dem Boden des Gefäßes befestigt, während die proximale Sehne durch einen Haken mit Draht, der über eine kleine Zugrolle läuft, an einem Hebelarm befestigt ist. Auf diese Weise werden die M. gastrocnemii desselben Tieres isochron untersucht und registriert während der Berieselung mit den zu unter- suchenden Flüssigkeiten. Die Flüssigkeit in der einen Hälfte des Gefäßes ist immer 0.7 Prozent NaCl, während die andere Flüssigkeit in der zweiten Hälfte eine äquimolekulare Lösung von KCl, CaCl,, Na,CO, und NaHCO, war. Zur Vergleichung des Effektes der verschiedenen Salzlösungen unter- einander, was bei diesen Versuchen ziemlich gut möglich ist, weil der NaCl-Muskel in den verschiedenen Fällen fast gleich reagierten, lasse ich hier eine Übersicht des Autotonusverlaufes folgen. Die Beträge sind nach gleichen Zeitintervallen bestimmt. Die Ver- suchstiere waren alle vier Rana esculenta. Verlauf der absoluten Längeabänderung. Versuchstier Versuchstier | Versuchstier : | Versuchstier | | a | I | II IM | IV Beginn 20 | 0 | 0 0 0 02 70 ) Nach 1Min. | 0 0 0 0 0 os 0 0 Berieselung mit NaCl | KCl || NaCl | CaCl, || NaCO |Na,CO,| NaCl NaHCO, Nach 1 Min. 208Sek.|—3 |+ 95-05 —9 |—1-5|+9 |—-1-5 +1 Nach 2Min. -3 |+10 |—-ı /—9.2|—1-5| +9.5|-1.5 +35 EEE I-—2 +10 |—1: —9 |—1 +9-5|1—1-3 +6 N) ER — 1 eo ers | 1295| Ser 6-5 rk. or el area] cal r6r5 » 6 „. |-2 +95) 1 |—6.2)—-1 |+9-1| 1.51 +65 Sn. ,,; 2 —5 (ei +9 |—1-5) +5-5 LO. .;, —25 + 86 —1 |—3 | —-1 +8-9|—-15 +52 Bote, BE a a A, 5 ET | 1 ron HB | +35 „i6 „ |-83-7|+ 65 —1 29 le res „18. 0 |-4.|#+6 1 )+8-6l—-ı |+9 |-ı1ı +35 00... | | er re ee le oh E94, se | | ro | ae een Aus vorhergehender Tabelle erhellt, wie für die chemischen Reize die Kreszente (bzw. die Dekreszente) kürzer dauert wie die Dekres- zente (bzw. die Kreszente), jedoch daneben, daß die Dauer der Kreszente 362 : A. K. M. Noyons: (bzw. Dekreszente) bei allen Stoffen nicht gleich lang ist. Für das KCl dauert sie am kürzesten, darauf folgen bzw. die von Ca0l,, Na,CO,, NaCl und NaHCO, hervorgerufenen. Die Autotonusänderung, durch KCl verursacht, findet in der von CaCl, hervorgerufenen fast ihr Spiegelbild. Diesen ganz typischen Effekt in bezug auf den Autotonus trifft man nicht nur bei den Skelettmuskeln von Rana, sondern auch bei den- jenigen von Emys und bei dem Herzen, bei den Magenringen und bei der Cloaca von Rana und Emys. Auch bei dem Herzen von Anodonta ‘wurden sie beobachtet. Es wurde schon erwähnt, wie der Betrag einer physiologischen Ver- kürzung sich geltend macht auf die Längeabänderung, welche nachher von einer Salzlösung hervorgerufen werden kann. Damit übereinstimmende Versuche zeigten mir, daß auch eine gleichzeitig wirksame Dehnung den Einfluß der Salzlösung in bezug auf die Längeabänderung herabsetzt. Man kann z. B. die beiden M. sartorii von Rana, genannt A und B, mittels der früher be- schriebenen Tröpfelung aus dem Tropfenapparat allmählich mehr und mehr ausdehnen: A weniger durch 10 Tropfen, B mehr durch 20 Tropfen. Taucht man nachher die beiden Muskeln in eine und dieselbe Kaliumchloridlösung, so bekommen die Muskeln nach gewisser Zeit eine gleichgroße absolute Ver- kürzung, jedoch eine abweichende relative Verkürzung. Schon wurde die Auf- merksamkeit gelenkt auf das Auftreten autochthoner Autotonusvariationen, welche an den Längeabänderungen des Muskels beobachtet werden können. Diese Autotonusschwankungen, welche von mir beobachtet wurden bei den Herzen von Anodonta und Rana und ebenso bei den M. sartorii Ranae, welche während einiger Zeit unter ungünstigen Umständen sich befanden, zeigen bei dem Herz von Emys und Anodonta manchmal einen sehr eisentümlichen Verlauf. Sie sind aus einer ganzen Reihe von Autotonusschwankungen aufgebaut, deren erste Welle die größte ist; ihr folgen eine oder mehrere Wellen, welche immer der Größe nach abnehmen. Die Dekreszente jeder Welle ist manchmal noch nicht vollständig abgelaufen, bevor die Kreszente einer neuen Welle schon anfängt. Dies verursacht eine allgemeine Er- höhung des Autotonusniveau, worauf sich die einzelnen Schwankungen wie Zacken erheben. Bei meinen Versuchen über die Längeabänderung fiel es mir auf, daß der eine Teil eines Muskels manchmal einen mehr erhöhten Autotonus auf- wies wie der andere Teil. Dies wurde näher untersucht. Zur Registrierung der Teile eines Muskels wurde ein dem Hering- Dobbelschen Myographion ähnlicher Apparat verwendet (Fig.15). Der Muskel wird von einer Klammer gefaßt; die beiden Muskelteile werden jeder für sich registriert. In jedem beliebigen Momente kann der Muskel in eine Flüssig- ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 363 keit hineingetaucht werden. Der rechte Hebelarm schreibt immer die Ver- kürzung des proximalen Muskelteiles bei einer 36 fachen Vergrößerung auf, der linke immer diejenige des distalen Muskelteiles bei 26facher Ver- größerung. Diese Muskeln waren in ganz ungleichen Distanzen der proxi- malen und der distalen Sehne von der Klammer gefaßt. Der M. gastro- cnemius und der M. sartorius ranae wurden als Versuchsobjekte verwendet. Die Versuche, bei dem M. sartorius angestellt, sind am meisten einwandfrei, weil die Fasern hier einen nahezu parallelen Verlauf haben. Fig. 15. Vorrichtung zur Registrierung der Längeabänderungen verschiedener Muskelteile. Versuch I. M. sartorius von Rana. Autotonusmaximum. Proximal Distal Miurskelteilläangenu. en. aan Io Nutotonusbetragsresisılen > 2.0.0020 3gem on Mereroberung®. „a een 3X 26 X Autotonusbetrag pro Millimeter Muskellänge . 0-.052"m 0.0147 Die nachfolgenden Tabellen zeigen den ganzen Autotonusverlauf nach der Eintauchung in Kaliumchloridlösung. Die Werte sind abgeleitet worden aus den absoluten Verkürzungen der Muskelteile bei immer gleichen Zeitintervallen. 364 A. K. M. Noyonss: Absolute Längeabänderung. Teak Proximaler Teil Distaler Teil $ Ranm mm Beginn | 0 0 0:03 0:07 | 0.14 0-11 0:94 0-19 1-08 1, 22.0015 0:97 | 0-11 0:83 0:09 0.72 0-08 0-61 | 0-08 0-53 | 0-07 0-47 | 0-06 0-42 | 0-05 0.39 | 0-03 0:36 0-02 0:33 0 0:30 0 0.28 0 0.26 0 Nach 400 Sek. 0-21 0 Versuch 1. M. sartorius von Rana. Autotonusmaximum. Proximal Distal Muskelteillänge . . . Ba RE a SHE 2m Autotonusbetrag registriert AR 6 Se ae ale 35 mm Vergrößerung . . . 86 X 26 x Autotonusbetrag pro "Millimeter Muskellänge .: 0.0384. 22 70-050 Absolute Längeabänderung. Zt Proximaler Teil Distaler Teil ; | mm | mm Beginn | 0 0 | 0-30 1-12 | 0-26 1-30 | 0-17 1-86 | 0-11 1-30 | 0:10 1-23 0:08 1:08 | 0.07 0:92 | 0.06 0:80 0:05 0.70% 0:04 0-63 0.04 0.60 | 0-04 0.56 Nach 250 Sek. | 0.04 0-54 ÜBER.DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 365 Versuch II. M. sartorius von Rana. Autotonusmaximum. Proximal Distal. Muskelteillänge . . 1 Re a 1 200 = Autotonusbetrag registriert: Er 3) ae 65.5 0m Vergrößerung . . a IX 26 X Autotonusbetrag pro Millimeter Muskellänge wur 0.100 am Absolute Längeabänderung. { re Proximaler Teil | Distaler Teil eit ä Ike mm Em mm anne Beginn | 0) | 0 l | 1.14 | 2.50 1-14 | 1-61 0.93 | 0-77 0.70 | 0:60 0-48 0-52 0-35 0:46 0:26 0.42 0.22 0.34 0-17 | 0-32 0-15 0-30 0.14 0:27 0-12 0:25 Nach 275 Sek. 0-11 0.23 Will man die Resultate dieser Versuche miteinander vergleichen, so müssen ebensowohl die Längen der Muskelteile ausgedrückt, wie die Auto- tonusmaxima der Muskelteile angegeben werden. Untenstehende Tabelle gibt einen derartigen Überblick. Beziehung der Länge des | Beziehung der Autotonus- Versuch distalen Muskelteils zum | maxima des distalen und proximalen des proximalen Muskelteils en FR . 100: 62 ET de DR I 100 : 183 | 100 : 120 I 100 : 300 | 100 : 147 Hieraus darf man den: Schluß ziehen, daß es einen Unterschied gibt zwischen dem proximalen: und distalen Teil des Muskels in bezug auf den von Kaliumchlorid hervorgerufenen Autotonus. Die Mitte reagiert am intensivsten auf den chemischen Reiz zur Autotonusabänderung. Diese Tatsachen gelten nicht nur für ein Tonicum wie Kaliumchlorid, sondern ebensowohl für Na,CO,, und nicht nur allein für Skelettmuskeln, wie M. sartorius von Rana, sondern ebenso, wiewohl in einer ganz anderen 366 A. K. M. Noyons: Beziehung, für Muskeln wie M. gastrocnemius von Rana und die Vorder- armmuskeln von Emys. Man darf diese eigentümliche Erscheinung nicht auf die Quantität der Muskelfasern, und gar nicht auf den Verlauf der Fasern zurückführen. Ebensowenig darf man die Ursache der Erscheinung bei den nervösen Elementen des Muskels suchen. Schon die Tatsache, daß bei indirekter Reizung des Muskels durch Eintauchen des N. ischiadieus in eine Kalium- chloridlösung kein Effekt auf dem Autotonus merkbar wird, weist darauf hin. Wenn man dagegen eine Lähmung der Nervenendplatte des Muskels durch Delphinin oder Curare hervorruft, so bekommt man dieselben Er- scheinungen des Autotonus bei Eintauchen des Muskels in eine Kalium- chloridlösung, wie bei einem nicht gelähmten Muskel. Die nachfolgenden Tabellen zeigen die Autotonuserscheinungen bei einigen delphinisierten Muskeln. Das Delphinin wurde subkutan verabreicht (2m einer 1 prozent. Delphininlösung).! Versuch IV. M. sartorius von Rana (delphinisiert. Autotonusmaximum. Proximal Distal Muskelteillänge . . Re, A 6,0 mn Autotonusbetrag nt ea N nen Im Vergrößerung . . AR: OO 36 x Autotonusbetrag pro "Millimeter Muskellänge 0.027 2 70-0 Absolute Längeabänderung. | Proximaler Distaler Zeit | Muskelteil Muskelteil & | mm 1 mm Sr Beginn | 0 0 Oase 0:15 0.25 0:23 0.24 0.25 0.23 | 0:25 0.20 0:23 0-19 0:19 0-13 0-17 0-10 0-13 0:07 0-11 0-06 | 0:09 0:04 0.08 Nach 250 Sek. 0-02 0-07 ' Lohmann, Pflügers Archiv. Bd; XCI. 8. 473, ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 367 Versuch V. M. sartorius von Rana (delphinisiert). Autotonusmaximum. ar Proximal Distal Muskelteillange: JE VB nn TH mm 180m Mnlotonus registriert 2. „uNaısy as 3210 %0m 100m Vergrößerung . . ER 26 X Autotonusbetrag pro Astkimeher Muskellänge > 20-.0192272,.0:020: 7% Absolute Längeabänderung. Proximaler Distaler Zeit Muskelteil Muskelteil mm mm Beginn 0 0 0-07 0-19 0:19 0-35 0-26 0.38 0-28 0-38 0-24 0:40 0.19 0.40 0-11 0-31 0:09 0-13 0-08 0.06 0:08 0.04 0:07 | 0-02 Nach 250 Sek. 0.06 | 0 Aus obenstehendem erhellt, wie die Erscheinung auch bei den Muskeln mit gelähmter Nervenplatte sich zeigen läßt. Die Ursache ist also peripher von der Nervenendplatte d. h. in das muskulöse Gewebe zu verlegen. Als eine Erklärung würde man die Auffassung heranziehen können, daß die rezeptiven Substanzen Langleys in ungleicher Menge verbreitet in den Muskelteilen sich vorfinden. Wir würden in unserem Falle an- nehmen müssen, daß die rezeptiven Substanzen, welche die Kalium- ionen festhalten, reichlicher vorhanden sind in dem proximalen Teil des M. sartorius, als sie in dem distalen Muskelteile und besonders‘ im Zentrum angehäuft sind. Ohne den Nervenelementen eine direkte Rolle beim Autotonusvorgang zu verleihen, würde man aber der Ansicht sein können, daß die Distribution der Nervenelemente in Beziehung steht zu der reichlichen Anwesenheit der rezeptiven Substanzen. Da, wo der 368 A. K. M. Noyons: Nerv sich primär am meisten verästelt, da braucht er auch am frequente- sten und am meisten die rezeptiven Substanzen, oder umgekehrt, wo die rezeptiven Substanzen am reichlichsten vorkommen, da werden einem in Entwicklung begriffenen Nerv die günstigen Umstände geboten, um so bald wie möglich zur Verwendung zu kommen, und dadurch sich kräftiger zu entwickeln und reichlicher zu verästeln. Die Erklärung dafür dahingestellt lassend, jedenfalls ist es Tatsache, dab in dem proximalen Teil des M. sartorius, besonders nach dem Zentrum hin, . die Nervenelemente am reichlichsten auftreten, indem der Autotonus in diesem Muskelteil, ohne vom Nerven direkt abhängig zu sein, sich am beträchtlichsten geltend macht. Schiff und Kühne sind einer ganzen Reihe von Urtersuchern voran- gegangen mit der Frage, ob bei Muskelkontraktion die Kontraktionswelle von einer bestimmten Stelle ausgeht. Viele Einzelheiten in bezug auf die Kontraktionswelle und die Fortpflanzungszeit wurden aufgestellt, jedoch keine Wahrnehmung betrifft den eigentlichen Autotonus. x Ich habe mir die Frage gestellt: gelten ihre Daten auch für eine mini- male Muskelverkürzung, wenn diese durch den Autotonus hervorgerufen wird ? Es bot sich ein ganz bequemes Versuchsobjekt im Aurikel von Emys. Wenn die Autotonuszunahme in allen Teilen des Muskels gleichzeitig auf- tritt, so müssen auch bei gesonderter Registration der Aurikelteile synchrone Registrationskurven geschrieben werden. In Wirklichkeit läßt sich das auch zeigen. Dazu wurde der Aurikel so durch einen Schnitt in zwei Zacken geteilt, daß in dem einen Falle nur die Basis die beiden Teile zusammenhält, während in dem anderen Falle die Apex als die Verbindungsstelle benutzt wird. Die Verkürzungen der Zacken wurden während der spontanen Autotonusvariationen registriert. Man be- kommt in dieser Weise in den beiden Fällen vollkommen synehrone Registrationskurven der beiden Zacken. Wenn man der Ringerschen Lösung, in der ein derartiger Aurikel suspendiert ist, eine kleine Dosis, etwa 10 Tropfen, einer 1 prozentigen KÜl- Lösung beimischt, so kann man beobachten, daß der synchrone Autotonus- vorgang der zwei Zacken während kurzer Zeit verloren geht, um danach wieder normal mit synchroner Periodizität zum Vorschein zu kommen. Die Störung in der synchronen Reihenfolge tritt gar nicht immer in derselben Zacke zuerst auf; sie muß der beim Anfang ungleichen Verteilung des Kaliumchlorids in der Flüssigkeit zugeschrieben werden. Sobald die Diffusion des Kaliumehlorids überall dieselbe ist, kehrt auch die synchrone Wirkung der Zacken zurück, obwohl ein deutlicher Unterschied in dem Autotonus- betrage der beiden Zacken noch fortwährend vorhanden ist. Es gibt also ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 369 keinen bestimmten Angriffspunkt für den Autotonus, von wo eine Auto- tonuswelle über den Muskel fortläuft, im Gegenteil der Autotonus kann an allen Stellen des Muskels gleichzeitig zu- und abnehmen. $ 8. Die Härteabänderung. Berührt man mit dem Finger einen Muskel, der im erhöhten Auto- tonus verharrt, so bekommt man sogleich den Eindruck einer größeren Härte. Es hat sich herausgestellt, daß die Härte als Maß für den Autotonus c.p. sich verwerten läßt. Die physiologische Härte ist ein Sammelbegriff, hauptsäch- lich drei Qualitäten umfassend: die Elastizität, die Plastizität, die Kohäsion. Die Messung der Gesamtheit dieser Eigenschaften bringt Schwierigkeiten mit sich. Um die physiologische Härte zu messen, bın ich in der Lage, zwei Methoden anzugeben. Die erste Methode ist eine ballistische. Ein kleines fallendes Hämmer- chen beklopft den Muskel. Die Schwingungen des Hämmerchens sind ein Maß für den Autotonus. Die Elastizität des Versuchsobjektes tritt bei dieser Methode in den Vordergrund. Den Apparat, mit welchem sich die physiologische Härte untersuchen läßt, nenne ich ballistischen Sklerometer. Die zweite Methode ist statischer Natur. Man läßt einen Konus von gewissen Abmessungen, den man nach Belieben mehr oder weniger belasten kann, in das Versuchsobjekt eindringen. Die Tiefe der Eindringung ist ebenfalls ein Maß für den Autotonus. Den Apparat, mit welchem man in dieser Weise die Härte untersucht, nenne ich statischen Sklerometer. Näheres über die physiologische Härte und über die Methoden zur Bestimmung dieser Härte läßt sich in meiner Dissertation! und in meinen Abhandlungen finden.? $ 4. Die optischen Änderungen. Die Muskelfasern dürfen aufgefaßt werden als Lagerstätten kolloidaler Lösungen, besonders der Eiweißlösungen, sei es, daß man letztere als wahre Lösungen oder als Suspensionen betrachtet. Die Kolloide befinden sich teils in dem Plasma, teils in dem Stroma des Muskels. Durch Zerreibung des Muskels und durch Auspressen kann man eine beträchtliche Menge dieser Kolloide zur direkten Untersuchung 1 Dissertation. Utrecht 1908. ?A. K. M. Noyons, About hardness in muscles. Proceed. of the Roy. Acad. of Sc. Amsterdam. 1908. Derselbe, About physiological Sklerometrie. Zbenda. 1910. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtig. 24 370 A. K. M. Noyoss: erhalten. Die optische Untersuchung hat sich von großer Wichtigkeit er- wiesen für die Kolloidlehre, weil man ebeıi dadurch die Kolloide als hete- rogene Systeme kennen gelernt hat. Als ein: wesentliches Hilfsmittel zur genaueren Belehrung hat sich das Ultramikroskop erwiesen, das zuerst von Siedentopf und Zsigmondy konstruiert worden ist. Von einfacher Anwendung und mir damals allem zu Gebote stehend, ist die Methode von Cotton und Mouton, welche, durch die Firma Reichert in eine bestimmte Form gebracht, mir gute Dienste leistete. Mit diesem Apparat, dem Plattenkondensor, wurde nun der Preßsaft von je zehn Hühnermagen untersucht. Zur Vergrößerung wurde Objektiv F. und Okular 2 von Zeiss verwendet. Der Preßsaft war zuvor nach Biltz! mittels einer Wassersaugpumpe filtriert in die Pukall- filter, aus Diastomeenerde angefertigt, worden. Der Filter wurde mittels eines mit Stanniol bekleideten Korkes verschlossen, um der Verunreinigung der Flüssigkeit mit Staub vorzubeugen. Der Preßsaft, von makroskopischen Teilchen also befreit, wurde nun über dem Plattenkondensor betrachtet. Gewöhnlich zeigt der Preßsaft sich wie ein Nebel, worin eine Anzahl von leuchtenden Punkten wahrzunehmen sind, welche die Brownsche? Molekularbewegung zeigen. Der Plattenkondensor mit dem Preßsaft wurde auf einen heizbaren Objekttisch von Leitz angebracht, so daß die Flüssigkeit bei verschiedenen Temperaturen untersucht werden konnte. Bei Erwärmung des Preßsaftes in dieser Weise konnte man beobachten, daß die Anzahl der Teilchen sich miehrte, und daß die Brownsche Molekularbewesung deutlicher wurde. Zur Erläuterung der Frage, ob bestimmte Flüssigkeiten als Suspensionen betrachtet werden sollen, hat Tyndall ein wertvolles Mittel angegeben; ein Lichtstrahl, von der Seite auf die Flüssiekeit geworfen, wird während dieser Radiation polarisiert, wenn feste Teilchen in der Flüssigkeit sus- pendiert sich befinden. Diese Methode ist nach an und Tyndall* der mikroskopischen Methode vorzuziehen. Wenn man in dieser Weise auf den Preßsaft in kleinen gläsernen Gefäßen mit zwei Paar parallelen Wänden einen Lichtstrahl wirft, so kann man eine sehr deutliche Polarisation des Lichtes wahrnehmen. Der Polari- sationsbetrag zeigt sich ganz verschieden, je nachdem man Kalium- oder Natriumchlorid bis zu einer 5 prozent. Mischung dem Preßsaft zugefügt ! Biltz, Göttinger Nachrichten. 1904. S. 303. ? Arth. Müller, Die Theorie des Kolloiden. Leipzig 1903. S. 13. ® Faraday, Philosoph. Transactions of the Roy. Soc. London. 1869. p. 165. * Tyndall, Proceedings of the Roy. Soc. London. 1869. p. 17. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 371 hat. Der in der Kaliumchloridmischung wahrnehmbare Lichtstrahl ist dunkler und trüber, wie der in der Natriumchloridlösung. Eine große Zahl von Stoffen, welche ultramikroskopische Teilchen sus- pendiert enthalten, können Erscheinungen von Doppelbrechung zeigen, wenn die Flüssigkeiten durch irgend eine andere Ursache verändert werden. Kerr und Metz! zeigten ausführlich, daß diese Tatsache mit der ultramikroskopischen Struktur zusammenhängt. Eine ganz einfache Weise der Abänderung ist die Erwärmung der Flüssigkeit. Auf dem Objekttische eines Hartnack-Polarisationsmikroskopes, dessen einer Nikol an der Stelle des Kondensors sich befindet, während der andere Nikol einer Skaleinteilung entlang im Okular drehbar ist, wird ein HeiB- apparat von Zeiß mit den, mit dem Preßsafte angefüllten, parallelwändigen Spektroskopfläschehen aufgestellt. In dem Gefäße A befindet sich der Preßsaft, dem Natriumchlorid bis zu einer 5 prozent. Mischung zugefüst ist; in dem Gefäße B befindet sich Kaliumchlorid mit dem Preßsaft ebenfalls bis zu 5 prozent. Lösung. Mischung mit Natriamchlorid. Gefäß A zwischen Nikols. Bei 19° C wird größte Dunkelheit erreicht bei 33° der Skala, Bei 60° C wird größte Dunkelheit erreicht bei 35-6° der Skala. Mischung mit Kaliumchlorid. Gefäß B zwischen Nikols. Bei 19° C wird größte Dunkelheit erreicht bei 33-3° der Skala, Bei 60° © wird größte Dunkelheit erreicht bei 31-6° der Skala. Die Beimischung des Kalium- bzw. des Natriumchlorids übt älso einen ganz typischen antagonistischen Einfluß auf die Doppelbrechung des Preßsaftes aus. Schon makroskopisch zeigen sich nach der Erwärmung bestimmte Unterschiede. Konnte man, bevor die Erwärmung stattfand, durch die beiden Mischungen hindurch kleine Buchstaben ganz bequem lesen, so hat sich das nach der Erwärmung geändert. Die Mischung mit NaCl-Lösung verändert die Deutlichkeit der Buchstaben nicht nennenswert, während man durch die Mischung mit KCI-Lösung hin die Buchstaben ! De Metz, La double refraction accidentelle dans les liquides. Coll. Seientia. Gautbier-Villars. Paris 1906. 24* 312 A. K. M. Noxons: gar nicht mehr lesen konnte, obwohl die Schicht der Flüssigkeit in beiden Fällen gleich dick war. Wenn man aber dem Preßsaft so viel 10 prozent. Kaliumchlorid- lösung beimischt, daß man eine 5 prozent. Mischung bekommt, so läßt sich beobachten, daß der Nebel sich sozusagen auflöst, indem zu gleicher Zeit die Anzahl differenzierter Teilchen zunimmt. (Die obengenannte KCl-Konzentration wurde gewählt, da ich bei den viskosimetrischen Versuchen gerade bei dieser Konzentration ganz deutliche Unterschiede zwischen Kalium- und Natriumchloridmischungen mit dem Preßsaft auf- treten sah.) In gleicher Weise wie mit der Kaliumchloridlösung wurde auch der Preßsaft mit einer 10 prozent. Lösung von Natriumchlorid gemischt. Der Nebel wurde zwar verhältnismäßig dichter, aber es zeigten sich relativ nur wenig Teilchen, so daß ich sogar den Eindruck bekam, daß die Anzahl der sichtbaren Teilchen allmählich ganz beträchtlich sich mindere In bezug auf die Bildung ultramikroskopischer Teilchen benehmen sich die Kalium- und die Natriumchloridlösungen wie zwei antagonistische Stoffe, ganz wie Raehlmann es für Alaun und Tannine auf die organischen Farbstoffe dargetan hat. Aus vorherigen Versuchen war hervorgegangen, dab 0, und CO, ebensowohl wie KCl und NaCl als Antagonisten für den Autotonus selten. Dem Einfluß dieser Gase auf die optischen Eigenschaften des Preßsaftes wurde deshalb nachgeforsch. Wenn man den Preßsaft mit O,, durch Schütteln mit Luft, innig zusammenbringt, bekommt der Preß- saft eine dunklere Färbung und zeigt über dem Plattenkondensor viele Teilchen. Wenn man hingegen während einiger Zeit CO, durch den Preßsaft hinleitet, so bekommt die Flüssigkeit eine mehr helle Farbe, und wird mehr getrübt, während bei der mikroskopischen Untersuchung die Anzahl wahrnehmbarer Teilchen sehr gering ist. Diese Versuche lieferten bei mehrmaliger Wiederholung denselben Erfolg, $ 5. Viskosimetrische Abänderungen. Bei jeder Formänderung des Muskels wird auch der Zustand der Flüssigkeit, welche der Muskel beherbergt, sich ändern, indem die kleinen Teilchen, aus denen der Muskel aufgebaut ist, gleichfalls einer Verschiebung unterworfen sind. So werden die äußerlich wahrnehmbaren Formab- änderungen begleitet von einer Variation der inneren Reibung bis in die tiefsten Schichten des Muskels. Zum Teil werden diese Änderungen sich abspielen im Muskelplasma, d. h. in demjenigen Teil, den wir als den ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 31 Preßsaft aus dem ganzen Muskel gewinnen können. Durch diese Über- legungen kam ich dazu, zu untersuchen, ob die mit gutem Erfolg angewandten Reize zur Autotonusabänderung ebenfalls einen bestimmten Einfluß auf den Preßsaft auszuüben vermögen. Zu diesem Zwecke wurde je ein Zehntel Hühnermagen, bei dem man die Mucosa ganz leicht abzutragen vermag, verwendet. Die Muskelmasse wurde zerhackt mit gleichen Teilen Diato- meenerde zerrieben, und nachher in einer Presse von Brinck und Hübner während einer ganzen Nacht ausgepreßt. Der in dieser Weise gewonnene - Preßsaft wurde danach mittels der Filtration durch einen Papierbrei von größeren Teilchen befreit. Die Viskosität dieses Preßsaftes wird nun mittels eines Ostwaldschen Viskosimeters bestimmt. Die Durchfließungszeit eines bestimmten Quan- tums wird verzeichnet. Damit die Viskosität immer bei derselben Tempe- ratur stattfindet, wird der Apparat in einem gläsernen Gefäß mit strömen- dem Leitungswasser aufgestellt; erst wenn der Thermometer, ganz in der Nähe des Viskosimeters aufgestellt, einen konstanten Wert hatte, wurde mit den Messungen angefangen. Einer gleichgroßen Quantität des Preßsaftes wurden genau abgewogene Quanta KCl und NaCl bzw. beigemischt. Die Dosen wurden immerzu erhöht. Bevor die definitiven Bestimmungen geschahen, wurde der Viskosi- meter einige Male mit der zu u uch un Flüssigkeit in Berührung gebracht. Man bestimmt danach die sogenannte relative Viskosität der ver- schiedenen Lösungen. Die Durchströmungszeiten geben mittlere Werte aus fünf Bestimmungen.! Entsprechend der Meinung, daß der Einfluß der bei- gemischten Metallsalze am deutlichsten bei den kristalloidarmen Preßsäften auftreten würde, wurde der Preßsaft in einigen Fällen durch eine 60 stün- ‘dige Dialyse im sirömenden Wasser soweit möglich der Kristalloide be- raubt. Die gewonnenen Resultate sind übereinstimmend mit den einiger- maßen ähnlichen Versucken Cesanas.” In den Kurven auf Fig. 16 geben die Ordinate die beigemischten Quanta von KCl bzw. von NaCl und die Abszisse die Durchströmungszeit in Sekunden. Die Größe der inneren Reibung hängt ganz genau zusammen mit der Zahl von Teilchen, welche sich in der Volumeinheit einer Flüssigkeit vorfinden. ı E. Cohen, Vorträge über physikalische Chemie. Leipzig 1907. ” G. Cesana, Contributo allo studio ultramieroscopio della coagulazione e della praecipitazione dei corpi proteici. Archivio di Fisiologia. 1906. T. IV, 4. p. 327. 374 A. K. M. Noyons: In diesem Fall können es sein: die Moleküle der gelösten Substanzen, die freien Ionen und die kolloidalen Teilchen, wobei man die Moleküle und Ionen des Lösungsmittels selbst außer acht läßt. Die Zahl der freien Ionen verhält sich nicht proportional der Viskosität der verschiedenen Preßsäfte, welche man bekommt, indem man demselben Preßsaft immer größere Dosen beimischt. Dies wurde festgestellt durch nahezu gleichzeitige Bestimmung der Viskosität und des elektrischen Leitungs- “ vermögens derselben Flüssigkeiten. Diese Bestimmungen geschahen in dem ‘van’t Hoffsehen Laboratorium nach der Kohlrauschen Methode mit 87 Hi 87 x {ı) ß y. Ä % Ve ! a ! 6% { % n | 5% ! 3 N yo, * 4 x fa) ! - WA Baer | ’ 2 4 22 a 5% 5% dee ” Aa to s35 J20 SıE 30 535 sYo 95 oo 505 33a SS 320 Muskelpreßsaft + KCl. ---- Muskelpreßsaft + NaCl. Fig. 16. Relative Viskosität Relative Viskosität des undialysierten Preßsaftes. des dialysierten Preßsaftes. Telephon und Wheatstones Brücke. Zur Bestimmung der Leitungs- fähigkeit zwischen den Elektroden standen uns nur kleine Quantitäten der Flüssigkeiten zur Verfügung, deshalb wurden nur ganz kleine Platin- elektroden nach Arrhenius verwendet. Die Flüssigkeit befand sich in einem fein regulierten Thermostat von 25-1°C. Durch Wiegen wurde die Quantität der zugefügten Substanzen bestimmt. Unter Beobachtung verschiedener Fürsorgen, damit keine falschen Bestimmungen stattfinden konnten, bekam man folgendes: ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 375 Leitungsvermögen. | Widerstand in Ohm °%/, KCI dem Preßsaft beigemischt | o | 0-5 | 10 1 | 7-1 2 | 4.5 6 1-8 Viskositätsbestimmung. °%, KCl dem Preßsaft beigemischt | Durchströmungszeit in sek. 0 | 88 2 | 35-2 4 | 83.2 Mag die Beziehung zwischen der Viskosität und dem elektrischen Widerstand der Flüssigkeit sich nicht proportional verhalten, so besteht doch ein ganz deutlicher Zusammenhang. Wird der Leitungswiderstand einer Flüssigkeit hauptsächlich bedingt von den geladenen Teilchen, so sind vielleicht auch die oben beschriebenen Viskositätsänderungen auf Ionen- wirkungen zurückzuführen. Daß der eigentümliche Verlauf der Kurven der KCl- bzw. der NaÜl- Mischungen des Preßsaftes ganz wahrscheinlich auf der Einwirkung der Metallionen auf die kolloidalen Teilchen beruht, dafür sprechen die mit der- selben Flüssigkeit gewonnenen Erfahrungen bei anderen Eiweißlösungen, z. B. bei dem Hühnereiweiß. Die Salze wurden auch hier in steigenden Dosen zugefügt. Viskositätsbestimmungen bei Hühnereiweiß. | Durchströmungs- | { Durchströmungs- Substanz | zeit Substanz | zeit Min. | Sek. Min. | Sek. Hühnereiweiß, ganz rein 2 | 29-9 | Hühnereiweiß, ganz rein 2 29.9 2 +1%,%KC| 2 53-3 + +1, NaCl 7 19-6 „ == 1 Er) FR) 5 | 22-9 er + 1 „ er) | 7 3:5 3 SF 2 Er} „ 6 2-7 er} + 2 Er) „ 6 39.4 3» == 4 ».» 6 11-5 > + 4 33035 6 ı 20-1 5 eg 5. 1010-3 % al dan 8 2-5 Es zeiet sich, daß die Zeitwerte der Salzmischungen im Anfange ziemlich unregelmäßig und ungleichsinnig sich verhalten, später einander 376 A. K. M. Noyons: sich nähern, um am Ende mit großem Unterschiede voneinander abzu- weichen, wie auch bei dem Preßsaft deutlich hervortrat. Daß der ganze Verlauf der Werte nicht denjenigen des Preßsaftes identisch sein würde, konnte man a priori schon erwarten, weil die chemische Zusammensetzung eine ganz andere ist und damit auch der Zustand und die Zahl der kolloidalen Teilchen. Allenfalls trifft es zu, daß die Viskositäts- bestimmungen verschiedener Eiweißlösungen, denen steigende Dosen von KCl bzw. NaCl beigemischt werden, im Anfange bei den kleinen Dosen einige kleine Unterschiede darbieten, jedoch bei den größeren Dosen alle eine typische Divergenz aufweisen. Die Beobachtung ganz übereinstimmender Erscheinungen bei den ver- schiedenen Mischungen mit Rücksicht auf den Einfluß des KCl bzw. NaCl ist der Grund des vorläufigen Schlusses, daß die Salze in Lösung durch das Kation einen Einfluß üben auf diese Gruppe von Kolloiden und zwar in dem Sinne, daß bei den Chloriden das Kaliumion im allgemeinen die Viskosität herabsetzt und das Natriumion dieselbe erhöht. $ 6. Die elektrischen Änderungen. Die bedeutungsvollen Untersuchungen von Gaskell! und von Fano und Fayod? über den Einfluß der Vagusreizung auf die elektrischen Er- scheinungen des Herzens haben mich veranlaßt, zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem elektrischen Vorgang im Muskel und der Autotonusabänderung, um so mehr, weil Fano in einer späteren Mit- teilung dargetan hat, daß die Tonuszunahme des Aurikels von Emys von einer positiven Variation begleitet werde. Beim Studium dieser elektrischen Vorgänge habe ich mich des Saiten- galvanometers von Einthoven bedient. Über die Einzelheiten der Elektro- graphie kann hier nicht gehandelt werden; dafür verweise ich auf die allgemeine Literatur bei Einthoven, de Vogel, de Lint, Galeotti, Samojloff, de Meyer, Vaandrager u. a. | Zur Ableitung der Versuchsobjekte zum Galvanometer habe ich mit Rücksicht auf die lange Dauer der Versuche neue Elektroden konstruiert, eine Modifikation der Ostwald-Oker-Blumschen Pinselelektroden. Besonders die Magazinelektroden? haben sich bei den Versuchen ganz vorzüglich erwiesen. ı W.H. Gaskell, On the action of muscarin upon the heart and the electrical changes in the non-beating cardiac muscle. Journal of Physiol. 1887. Vol. VIH. ® Fano et Fayod, De quelques ravports entre les proprietes electriques des oreil- lettes du coeur. Archiv. vital. de biologie. T. IX. 1888. ®>A.K. M. Noyons, Über Modifikationen unpolarisierbarer Elektroden. Zeit- schrift für biolog. Technik und Methodik. Bd. I. Heft 4. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 377 Hauptsächlich wurde als Versuchsobjekt das in situ präparierte Herz verwendet. | Wenn man einen quergestreiften Muskel der strahlenden Wärme aus- setzt, verkürzt er sich. Leitet man einen derartigen Muskel, welcher gegen Austrocknung geschützt werden soll, ab zum Saitengalvanometer und re- eistriert zu gleicher Zeit die Verkürzungen, so wird man betroffen, wie es ganz bestimmte Beziehungen gibt zwischen der Muskelverkürzung und den Saitenausschlägen des Verkürzungsverlaufes. Man würde diese Potential- differenzen auffassen können als Schwankungen der Demarkationsströme. Jedenfalls sind die Potentialdifferenzen nicht rein mechanischer Natur. Bei einer einfachen physischen Deformation des Muskels jedoch durch einen Konus, den man unter Belastung in den Muskel eindringen läßt, ohne den Zusammenhang der Gewebe zu vernichten, bekommt man bei der Ableitung des Muskels zum großen Einthovenschen Galvanometer von weitgenügender Empfindlichkeit keine Potentialdifferenzen. Die untenstehende Tabelle zeigt die Beziehungen zwischen tonischer Längeänderung und den Saitenausschlägen beim M. sartorius ranae unter dem Einfluß der Erwärmung. Als Wärmeguelle wurde ein 1°” langer Platindraht verwendet, welcher durch einen Strom von 4 Volt bei 3 bis 4 Ohm Widerstand schwach glühend auf eine Distanz von 1°“ vor dem Muskel aufgestellt war. Als Meßinstrument wurde das kleine Saitengalvanometer mit permanentem Magnete bei mäßiger Spannung der Saite (15°) verwendet. M. sartorius von Rana. Stand | Saitenausschläge Stand Saitenausschläge des Schreibhebels | des Galvanometers des Schreibhebels des Galvanometers mm | mm mm mm 0 10 + 10-5 | 19-5 0 | 10 + 18-5 30 0 1% 10 + 245 36 0 | 10 + 36-5 51 — 0-5 8:5 + 52.5 65 +1+5 8 + 49°5 61 +25 | 5 + 49:5 61 Diese Erscheinung tritt nicht allein bei den quergestreiften Muskeln auf, sondern ebenso gut bei den glatten Muskeln, z.B. der Cloaca von Rana. Die Erwärmung soll bei diesen Versuchsobjekten nur weniger intensiv sein. Das Resultat zeigt folgende Tabelle. Kleines Saitengalvanometer mit per- manentem Magnet. Spannung der Saite 30°. 378 A. K. M. Noyons: Cloaca von Rana. Stand | Saitenausschläge Stand Saitenaussschläge des Schreibhebels | des Galvanometers des Schreibhebels des Galvanometers mm mm mm mm 0 1 +19 | 13 — 2 10 +24 | 13 4 | 9-8 + 23 | 12-5 —5 OD. + 21-5 | 12-4 0 10-5 + 21-5 | 12-2 +4 10 + 22 | 13 +6 9.5 + 29 | 20 6 9-5 + 29-5 | 18 +20 13 | Das ausgeschnittene Herz ebensowohl wie das in situ präparierte zeigt unter dem Einfluß dieser strahlenden Wärme dieselben Erscheinungen. Der _ Stand des Schreibhebels wurde in der Herzpause abgelesen. Herz von Rana. Stand Saitenausschläge | des Schreibhebels | des Galvanometers | mm mm h | 0 14 | 0 14 | | | Erwärmung. 0 14 | — 0:2 14 + 0-1 14-5 | +0-1 | 15 | + 0.2 | 15 | + 0.3 | 16 + 0-4 | 16 + 0-7 | 16 | Abkühlung. +05 | 15-5 + 0+2 15-5 Im vorhergehenden wurde schon dargetan, wie der Druck, welcher auf die innere Fläche eines Herzens wirksam ist, einen Einfluß auf den Auto- tonus eines derartigen Herzens geltend macht. Es stellte sich nun weiter heraus, daß eine Druckabänderung, welche mehr oder weniger plötzlich stattfand, immer von einem elektrischen Vorgang im Herzen begleitet wurde. Diese elektromotorische Produktion wird nicht durch eine Verschiebung der Elektroden hervorgerufen. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 379 Fano! und seine Schüler Fayod und Brigneti sind infolge ihrer Versuche über die Tonusvariation und die dabei auftretenden elektrischen Erscheinungen bei Herzen von Emys der Ansicht, daß die Autotonus- abänderung eine positive Variation des Aktionsstromes zum Vorschein bringt. Der prinzipiell großen Wichtigkeit wegen habe ich einige Versuche Fanos wiederholt und befand mich in der glücklichen Lage, daß sich eines Tages ein Versuchsobjekt zu meiner Verfügung darbot, das sehr schöne Variationen des Tonus zeigte, während die fundamentellen Kontraktionen nur dann und wann auftraten. Dadurch wurde es möglich, einen Eindruck zu bekommen über die reinen Tonusschwankungen. Die elektromotorischen Messungen geschahen wie bei Fano. Als Messungsinstrument wurde ein Spiegel- galvanometer von Nalder Bros und Comp. verwendet. Autotonusvariationen und elektrische Erscheinungen beim Aurikel von Emys orbicularis. Stand Ausschläge des Spiegels Stand |Ausschläge desSpiegels des Schreibhebels ' des Galvanometers des Schreibhebels | des Galvanometers mm = Um mm Inn 0 +9 +23 | —& SR | ns NT | 0 + 215 ag + 4 | ee +21 —2 — El +12 +15 (ir — 10 + 16 + 7 +4 + 4 +5 0 +6-5 + 16 + 3 +4 — 2-5 +20 | +6 oo —; +13 | +10 Die von Fano schon mitgeteilten Tatsachen finden in der Wahr- nehmung beim obengenannten Atrium nähere Befestigung, jedoch der Deu- tung dieser Erscheinung, die für das Wesen des Autotonus von so großer Wichtigkeit ist, kann nicht ohne weiteres beigestimmt werden. Fano jedoch zeigte nur, daß ein elektrischer Strom, durch das Atrium produziert, schwächer wird bei Tonuszunahme des Aurikels und umgekehrt. Die Ursache könnte gesucht werden in der Variation: 1. der Potential- unterschiede, 2. des elektrischen Widerstandes. Nur auf die Änderung der Potentialunterschiede nehme ich Bezug, weil ich bei den absichtlich dazu unternommenen Widerstandsmessungen an den Herzen von Emys und Anodonta bei variierendem Autotonus nie- mals eine Variation des elektrischen Widerstandes wahrnehmen konnte. 1 @. Fano, Sur les causes et sur la signification des oscillations du tonus aurieu- laire dans le coeur de ’Emys europaea. Archives ital.de Biolog. T.XXXIV. p. 301. 1901. 380 A. K. M. Noxons: Jedenfalls ist die Konklusion Fanos! möglich. Man bedenke inzwischen, daß sie nur durch Überlegung aufgebaut und nicht durch Experimente be- gründet ist. Man darf es eine positive Variation nennen, jedoch diese Tatsache gestattet nicht, es als den Ausdruck eines Anabolismus aufzufassen; der Anabolismus und die positive Variation können selbst nebeneinander wirksam sein, identisch brauchen sie gar noch nicht zu sein.? Wenn man die Basis und den Apex des Herzens von Rana zum Naiten- galvanometer ableitet, bekommt man nach Auftröpfeln einiger Tropfen eines Infusum digitalis auf das Herz nicht nur sehr typische Änderungen der jede Kontraktion begleitenden elektrischen Erscheinungen, sondern auch des Ruhestandes der Saite während der Herzpause. Diese Verschiebung des Ruhestandes der Saite hängt mit dem Tonusbetrage des Herzens zusammen, jedoch nicht so, daß eine Tonuszunahme immer eine Verschiebung der Saite in derselben Richtung hervorruft. Auch gibt es keinen engen Zu- sammenhang zwischen der Dauer des Tonus und der Verschiebung der Saite. Es macht ganz den Eindruck, als ob zwei ganz gesonderte Prozesse beim Tonus stattfinden, nämlich der mechanische und der elektrische Vor- gang, welche nur dann und wann isochron hervorgehen, manchmal ganz verschieden verlaufen, indem in bestimmten Fällen die elektrischen Er- scheinungen ganz fehlen können. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man eine Reihe auf photographischem Wege gewonnener Registrationen der mechanischen und elektrischen Abänderungen des Herzens während der Intoxikation mit Herzgiften in bezug auf die Tonusfrage durchsieht. Man findet die mechanischen Abänderungen des Autotonus immer begleitet von elektrischen Änderungen, jedoch läßt sich keine Beziehung feststellen zwischen beiden Vorgängen in bezug auf Richtung und Anfargsmoment der Er- scheinungen. Ein Beispiel von oben beschriebener Unabhängigkeit beider Phänome liefert nachstehende Tabelle (s. nächste Seite). Auch beim Muschelherzen ließen sich diese Tatsachen sehr schön nach- weisen. Nach der Eröffnung der Schale leitet man das Herz zum Saiten- galvanometer ab. Wenn man das Herz wiederholt berührt, bekommt es einen erhöhten Autotonus, welcher von einer elektrischen Variation begleitet wird. Jedoch die Richtung dieser Variation ist ganz unsicher und nicht vorauszusagen. Wird ein derartiges Herz sich selbst überlassen, so verliert es den erhöhten Autotonus und die elektrische Variation verschwindet gleich- falls. Die Autotonusvariation, sowohl auf elektrischem wie auf mechanischem Wege hervorgerufen, kann sich elektrisch äußern, jedoch nur auf ganz un- bestimmte Weise. ‘ Boruttau, Pflügers Archw. 1904. Bd. CV. ® G. Fano, Su aleune variazioni elettriche del cuore che accompagnano la inibi- zione pneumogastriea. Archivio di Fisiologia. 1904. T. 1. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 381 Einfluß von 1 prozent. Digitonin auf das Herz von Rana. | [7 = | Die A- ne 12 ee Se 2 = ee su. a os: (Sara. 5 | ° = rs SZ Be: , | f = TS 2 Sek. Beginn 1 0 6-2 3.4 2 0 6-3 3.4 3 0 6-3 3.4 | 5 Tropfen 1proz. Digitonini. Nach 12-5 Sek. 5 —0:5 | 2-4 ge9- 6 — 0:6 | 2-4 Sc 7 — 0.5, 3 3! 9 —0:5 | 3-3 2.9 | 11 —0.6 | 4 3 13 0.6 | 43 3-1 16 020.005 3.2 RIED) 5 19 —0.6| 6 3-5 23 —0.5 | 6-8 3-8 27 —0.4 | 7-9 4 32 +0.1 | 84 4-3 Nach 1 Min. 12 Sek. 37 +06 8.4 4+6 42 HIT Bel 6-3 a a EEE \ ER Enz) 6+5 Nach 18 Min. — 1 .+4-2 |. 3*+5 11 ee le Kapitel III. Eine Autotonustheorie. Zur Erläuterung und Erklärung des Autotonus, wo der Reiz zur Al- _ änderung in dem Muskel selbst entsteht, angreift und zum Effekt leitet, sind viele Theorien versucht, die sich in der allgemeinen Literatur über den Tonus finden lassen. Man kann die Urheber dieser Theorien in zwei Gruppen einteilen, nämlich diejenigen, welche den Autotonus morphologisch zu erklären versuchen, und diejenigen, welche der Erscheinung eine rein physiologische Deutung zugrunde legen. Der ersten Gruppe gehört Grützner! an, welcher eine mechanische Erklärung aufstellt, wobei hakenförmige Verbindungen ganz leicht los- und festgemacht werden können, und Hermann,? der den Verkürzungs- ı P, Grützner, Die glatten Muskeln. Ergebnisse der Physiologie. 3. Jahrg., I. Abtlg. Wiesbaden 1904. ?L. Hermann, Handbuch der Physiologie. Erster Teil. Leipzig 1879. 3. 35. 382 A. K. M. Noyvoss: rückstand zurückführt teils auf das Kontraktionsresultat beim erhöhten, inneren Reibungswiderstand, teils auf das physiologische Moment, daß unter be- stimmten Bedingungen die Verkürzungskraft eines Muskels abgeändert wird. Auch Biedermann! würde man unter diese Gruppe klassifizieren können, der den Tonus einem unvollendeten Ablauf des Kontraktionsprozesses zuschreibt, indem dennoch nicht zutage tritt, was eigentlich als die Ur- sache selbst anzusehen ist. Unter denjenigen Autoren, welche die Frage des Autotonus im physiologischen Sinne zu beantworten suchen, müssen genannt werden u. a. Gaskell,? der die Ursache des Autotonus auf die explosiven Stoffe, welche aus und durch das Protoplasma der Muskelzelle gebildet werden sollen, zurückführt; ferner Ringer,° der die Reizbarkeits- änderung des Muskels in den Vordergrund stell. Schenck“* sucht die Ursache in einem Mangel assimilierbarer Substanzen, Schultz’ sucht den Substanztonus, welcher mit dem Autotonus vergleichbar ist, durch die vorherige Kontraktion zu erklären; die Kontraktion würde in dem Muskel eine chemische Änderung verursachen, welche auf ihre Weise eine chemische Quellung und dadurch eine Längeabänderung des Muskels hervorzurufen vermag. von Uexküll® betrachtet den Tonus vergleichbar mit einer Spannung. Er versucht nicht das Wesen dieser Spannung zu erklären, eben weil es biologischer Natur ist. Demoor und Philipson’ führen die tonische Muskelverkürzung auf Viskositätsänderungen des gereizten Sarkoplasmas zurück, während Fano und Bottazzi°® die vollständigste i W. Biedermann, Tonus glatter Muskeln. Pflügers Archiv. 1904. Bd. CH. Derselbe, &klektrophysiologie. Jena 1390. ® W. H. Gaskell, On the tonieity of the heart and blood vessels. Journ. of Physiol. 1880. Vol. II. Derselbe, On the action of the vagus nerve upon the tonieity of the heart. Philos. Transactions. 1882. Vol. III. p. 173. 3 8. Ringer, Regarding the action of lime, potassium and sodium salts on skeletal ınuscles. Journal of Physiology. 1885. Vol. VIII. p. 20. * Fr. Schenk, Ein einfacher Versuch zur Demonstration des Einflusses der Span- nung auf den Ablauf des Kontraktionsprozesses. Pflügers Archiv. 1892. Bd. LX. 5 P.Schultz, Physiologie der längsgestreiften Muskeln der Wirbeltiere. Pflügers Archiv. 1903. Suppl. Beiträge. I. 1897. II. 1897. II. 1897. 6 J. V. Uexküll, Studien über den Tonus. Zeitschrift für Biologie. 1902. Bd. XLIV. 1904. Bd. XLVI. Derselbe, Zeizffaden in das Studium der Wassertiere. Wiesbaden 1905. ” J. Demoor et M. Philipson, Influence de la pression osmotique sur le vis- cositE du muscle. Bulletin de l’ Academie de Medecine de Belgique. 1907. IV. Serie. T. XXI 22No10: ® Fil. Botazzi, The oscillations of the auricular tonus in batrachian heart with a theory on tlıe function of sarcoplasma in muscular tissues. Journal of Physiology. 1897. Vol.XKU ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 383 Theorie aufstellen in bezug auf die Ätiologie des Tonus. Sie suchen die Ursache in einem anabolischen Vorgang, erweckt durch die im Muskel vorhandenen Metaboliten. Engelmann! hat sich nur beschränkt auf die Äußerung einer Ver- mutung bezüglich des Autotonus, indem er sagt: „Auch in bezug auf die Auf- fassung des Muskeltonus eröffnet unsere Theorie neue Gesichtspunkte, indem sie auf zwei verschiedene Quellen dieser Erscheinung, eine chemische und “eine thermische, weist, und damit die Unterscheidung eines „Chemotonus“ von einem „Thermotonus“ nahelest. Alle diese Verhältnisse verdienen vom Gesichtspunkte unserer Theorie aus eigene, eingehende Untersuchung.“ Eine in jeder Hinsicht befriedigende Erklärung kann keine der hier _ genannten Theorien gewähren, besonders, wenn man auf die oben he- schriebenen experimentellen Ursachen und Eigenschaften des Autotonus Wert legt. Der Autotonus gibt Ausdruck einer ganzen Reihe von Gleichgewichts- zuständen, an bestimmte Bedingungen gebunden. Die Schwankungen des Autotonus sind als Variationen ziemlich labiler Gleichgewichtszustände zu deuten, welche durch Reize hervorgerufen und abgeändert werden können. Diese Reize können sowohl innerhalb des Muskels, wie extern angreifende Reize sein, indem die innerhalb wirksamen Reize unterschieden werden können in autochthone Reize, welche in dem Muskel an Ort und Stelle entstehen, und in zugeführte Reize, welche von außen den Muskel durch Konvexion oder Translation erreichen. Die genannten Gleichgewichtszustände sind am besten bezeichnet durch die Länge des Muskels, ferner durch das Muskelvolum, die Muskelhärte, die viskosi- metrischen und optischen Eigenschaften und durch die elektrischen Eigen- tümlichkeiten. Dieser Zustand hat übrigens das Vermögen, Arbeit zu leisten, jedoch nicht im mechanischen Sinne des Begriffes von Arbeit, sondern im biologischen Sinne, welche Leistung man heutzutage als statische Arbeit bezeichnet. Ferner ist der Autotonus imstande, nötigenfalls einen Druck zu über- winden, jedoch braucht er dies nicht immer zu leisten; der Druck kann aber auch unter gewissen Umständen einen ganz beträchtlichen Grad erreichen, ohne daß das Organ sich bald erschöpft. Man hat gefunden, daß der Sauerstoff- verbrauch tonusreicher Gewebe ganz gering ist. Besonders bei Hohlorganen, wie bei dem Herzen, der Blase und dem Uterus, wo das Organ bei den ver- schiedenen Füllungsbeträgen jedesmal in einen anderen Autotonuszustand eintritt, ohne daß man Druckunterschiede wahrnehmen kann, ist die oben genannte Eigenschaft von großer Bedeutung. Diese Eigentümlichkeit jedoch ! Tn. W. Engelmann, Über den Ursprung der Muskelkraft. Leipzig 1893. 384 "A. K. M. Noyons: macht es ganz unmöglich, den Autotonus auf eine Elastizitätserscheinung zurückzuführen. Was ist schließlich das Wesen dieses Vorganges? Der Autotonus ist vor allem eine Eigenschaft des lebenden Muskels. Sobald das Leben erlischt, verliert auch der Muskel das Vermögen, seinen Autotonus abzuändern sowohl spontan, wie unter dem Einfluß der angeführten Reize. Also ist das Vermögen eng verknüpft mit der lebenden Materie des Muskels. In diesem Sinne würde der Autotonus ohne weiteres zu ordnen ‘sein unter die, bis jetzt wenigstens, unerklärlichen vitalen Prozesse, zu deren Erklärung unsere physikalischen und chemischen Gesetze sich als unzulänglich erweisen. Das Leben aber als eine Bedingung des Autotonus vorausgesetzt, kann man sich die Frage stellen, auf welche Weise dieser Vorgang beim Leben sich abspielt, und welche Hilfsmittel dieser Vorgang dazu braucht. Dies wollen wir näher beleuchten und erläutern. Der Muskel ist unter anderem zum Teil eine Vorratskammer, zum Teil Produzent derjenigen Stoffe, welche als chemische Reizmittel zur Auto- tonusänderung gebraucht werden. Ich stelle mir vor, daß die genannten Stoffe bei den kolloiden Bestandteilen des Muskels eine derartige Abänderung herbeiführen, daß das Quellungsvermögen der Muskelzelle und vor allem des Sarkoplasmas modifiziert wird. Mögen auch die osmotischen Wirkungen bei diesem Vorgang ihren Einfluß geltend machen, so haben sie sich doch nicht als die hervorragendsten Faktoren der Quellungsänderungen erwiesen, welche meiner Meinung nach nahezu ganz durch die Einwirkung von Ionen auf die Eiweißsubstanzen verursacht werden. Man kann sich den Vorgang in folgender Weise denken. Die Ionen bilden mit den Eiweißsubstanzen Adsorptionsverbindungen,! welche reversibel sind und zwar so lange Zeit, als die Eiweißsubstanz noch als eine lebende Masse aufgefaßt werden kann. Der Gleichgewichtszustand des Autotonus in einem Muskel kann nun bestimmt gedacht werden durch die Quantität und das Wesen der Adsorptionsverbindungen. Die selbständigen Fähig- keiten des Muskels, nämlich die Verkürzung und die Verlängerung, können erklärt werden durch die Annahme zweier Arten von Adsorptionsverbindungen, nämlich von denjenigen, welche die Quellung herabsetzen und von denjenigen, welche die Quellung steigern. Wir denken uns die zwei Gruppen der Verbindungen durch die Art des Ions und des Proteids bestimmt, entsprechend den .präzipitierenden und den ! H. J. Hamburger, Nieuwere onderzoekingen over colloiden en haar beteekenis voor de geneeskundige Wetenschappen. Ned. Tydsch. v. Gen. 1904. I. p. 889. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 385 schützenden Ionen, welche bei er Vorgängen in der Kolloidehemie angenommen werden.! Sobald eine dieser Gruppen von anna überwiegt, sobald wird auch demgemäß der Autotonus sich abändern und diese Zustands- änderung wird so lange Zeit dauern, bis ein neuer Gleichgewichtszustand erreicht ist. Zur Begründung dieser Auffassungen sei unter anderem die Aufmerk- samkeit auf Loebs? Untersuchungen gelenkt, wo er zum Schluß kommt, daß die Metallionen mit den im Muskel anwesenden Proteiden Verbindungen bilden, welche, wie die differenten Seifen, ein nicht gleichgroßes Absorptions- vermögen für Wasser aufweisen. Die Muskeln verhalten sich in Hinsicht auf die Quellung ganz Ver- schieden, wenn sie während einiger Zeit in verschiedenen Salzlösungen ver- weilen. Das Kation hat hierbei eine wichtige Funktion und bestimmt hauptsächlich die Quellung. Die Muskelquellung, beim Aufenthalt des Muskels während 18 Stunden in äquimolekularen Lösungen, verhält sich folgendermaßen: im Kaliumsalz 43 Prozent Volumzunahme, “ „. Natriumsalz Br rEh, = „ Calciumsalz 20 „ x Die eigentümliche antagonistische Wirkung auf den Autotonus und auf die Quellung des Muskels im allgemeinen, durch das Kaliumchlorid einerseits und durch das Caleiumchlorid andererseits, zwischen welchen das Natriumchlorid sich befindet, ruft die Frage nach physischen Differenzen zwischen diesen Stoffen hervor. Derartige Unterschiede bestehen wirklich und finden ihren Ausdruck auch in den Diffusionskoeffizienten® genannter ‚Salzlösungen. | c = Diffusionskoeffizient Substanz | Konzentration Kıo bei 10°C Kaliumchlorid | 0-1 mol 1-10 Natriumchlorid 0-1 „ 0:84 Caleiumchlorid | 0-1 „ 0.68 ı A. Lottermosen, Das Verhalten der irreversiblen Hydrosole Elektrolyten gegenüber. Zeitschrift für Chemie und Industrie der Kolloide. 1908. Bd. I. ® Loeb, Physiologische Untersuchungen über Ionenwirkungen. Pflügers Archiv. Bd. LXIX und Bd. LXXI. ® Schuhmeister, Wiener Berichte. Bd. II. S. 79. Archiv f. A. u, Ph. 1910. Physiol, Abtlg. 25 386 A. K. M. Noyors: Daß das Kation eine wesentliche, physiologische Funktion bei diesen Salzen hat, erweisen die Untersuchungen von Brailsford,'! der die Geschwindig- keiten der Ionen auf experimentellem Wege feststellt und auf diese Weise zu den folgenden Verhältniszahlen kommt: Kaliumion 66 Natriumion 45 Caleiumion 35 Chlorion 33 Overtons? Experimente, wiewohl von einem anderen Standpunkte aus beleuchtet, nämlich vom Standpunkte der Osmose, zeigen, wie es möglich ist, daß bestimmte Stoffe, besonders durch die Diffusion, in den Muskel hineinwandern und nicht durch das Sarkolemma und Perimysium belästigt werden. Die Annahme der Ionenadsorption gestattet es, die verschiedenen Eigenschaften des Autotonus zu erklären, ohne daß eine einzelne bekannte Tatsache Ursache zu Einwendungen gibt. Die obengenannten, durch die in eigentümlicher Weise adsorbierten Eiweißstoffe hervorgerufenen Quellungsänderungen, werden die Länge- abänderungen des Muskels verursachen durch die Umgestaltung? der Form und des Inhaltes der Muskelfaser, welche das Sarkoplasma, den Sitz des Autotonus, in sich faßt. Sei es, daß es sich um den quergestreiften Muskel handelt, der durch die geringe Breite, über welche der Autotonus seine Wirksamkeit gelten lassen kann, charakterisiert ist, sei es, daß man es mit dem glatten Muskel zu tun hat, der eine so viel größere Wirkungsstrecke des Autotonus dar- bietet, in beiden Fällen kann man sich die Muskelfaser denken als einen Schlauch mit einem mehr oder weniger flüssigen Inhalt. Dieser Schlauch ist das Sarkolemm der quergestreiften Muskeln, während die Heidenhain- sche,* äußere, mehr widerstandsfähige Schicht der Muskelfaser dieselbe Funktion bei der glatten Muskelfaser ausübt. Die gesteigerte Quellung, zum Teil eine Folge des abgeänderten Ver- mögens der Adsorptionsverbindungen das Wasser heranzuziehen, wird dahin streben, daß der Inhalt der Faser den möglichst kleinen Raum einnimmt, 1 Robertson Brailsford, Studien zur Chemie der Ionproteidverbindungen. I. Rob. Trans. Roy. Soc. of South Australia. Vol. XXIX. — Siehe Übersetzung Pflügers Archiv. 2 Overton, Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. Pflügers Archiv. Bd. XCH. 3 Siehe H. Freundlich, Über Kolloidfällung und Adsorption. Zeitschrift für Chemie und Industrie der Kolloiden. 1907. Bd. 1. 4 Siehe C, A. Pekelhariug, Voordrachten over Weefselleer. 1905. S. 361. ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 387 was eine Längeabänderung jedes Muskellaserschlauches und dadurch des ganzen Muskels zur Folge haben wird. Daß das Volum sich mit dem Autotonus nicht ändert, wird verständ- lieh, da die Muskelfaser aus den intrazellulären Gewebespalten das nötige Material bekommen kann; es findet nur eine Wanderung des Materiales statt, innerhalb der ganzen Muskelmasse, als ein einheitliches System, Unlängst hat Fumihiko Urano! Mitteilungen veröffentlicht in bezug auf die im Muskel nicht gleichmäßige Verteilung der auch für den Auto- tonus als wichtig sich ergebenden drei Stoffe: Kalium, Natrium und Calcium. Durch gelegentliche neue Bildung der Adsorptionsverbindungen wird eine ganz andere Verteilung und Anordnung aller anwesenden Ionen auf- treten, wodurch gleichzeitig Ladungsänderungen hervorgerufen werden; diese letztgenannten Änderungen werden die Oberflächenspannung der Lösungen und Suspensionen, die in den Muskelfasern vorhanden sind, modifi- zieren können, da ja doch die Bildung der festeren Teilchen? auch von der Zahl und von der Ladung der anwesenden Ionen abhängt. . Das Auftreten dieser festeren Teilchen, wovon auch die Formabänderung der Muskelfasern die Folge sein kann und als dessen Kriterium die Durch- siehtigkeit der Muskeln gelten darf, erklärt ebensowohl wie die Wasser- aufnahme, die Härtevariationen des Muskels und die optischen und viskosi- metrischen Änderungen des Muskelpreßsaftes. Also ist die Zunahme der Zahl über dem reflektierenden Kondensor der sichtbaren, differenzierten Teilchen bei einer Mischung des Preßsaftes mit Kaliumchlorid zu deuten als eine Agglutination der kolloiden Teilchen. Daß nach der Einwirkung der K-Ionen die Flüssigkeit ein anderes Polarisationsvermögen erwerben wird, wie nach der Einwirkung der Na-Ionen, ist wohl verständlich, weil das Polarisieren einer Flüssigkeit von der Zahl _ und der Größe der Teilchen, die in der Flüssigkeit vorhanden sind, abhängt. Auch kann man in dem Unterschiede der Dunkelheit, welche nach Erhitzung von Preßsaft, der bzw. mit Kalium- und Natriumchlorid ge- mengt ist, entsteht, eine Analogie mit den eigentümlichen Erscheinungen sehen, welche auch in Hofmeisters und Paulis® Untersuchungen über Gerinnung und Quellung angetroffen werden. Selbst die antagonistischen Erscheinungen des Kalium- bzw. Natriumchlorids, welche für den Muskel gelten, sind leicht mit der Quellungshypothese in Übereinstimmung zu 1 Fumihiko Urano, Neue Versuche über die Salze des Muskels. Zeitschrift für Biologie. Bd. L. N.F. Bd. XXX. 2 Perrin siehe A. Cotton et H. Mouton, Zes Ultramicroscopes. Paris 1906. 3 Pauli, Allgemeine Physikochemie der Zellen und Gewebe. Ergebnisse der Physiologie. 1902. 6. Jahrg. | 25 388 A. K. M. Noyons: bringen. "Wolfgang Ostwald! teilt mit, daß ein vollständiges Spiegelbild zwischen der u enge und der ulaslalss un verdünnter Lösungen besteht. en. Ally, Si Obgleich man nun diese für Gelatine festgestellten "Tatsachen nicht ohne weiteres auf den Muskel und den Preßsaft übertragen kann, können sie doch in relativem Sinne dazu verwendet werden. Man bedenke, daß die Viskosität in sehr engem Zusammenhang mit der Oberflächen- spannung und der Anzahl der in der Flüssigkeit anwesenden größeren Teilchen besteht. Henry? hat sich damit beschäftigt, den Zusammenhang zwischen der Viskosität einerseits und Anzahl, Masse, mittleren Schnellig- keit und Bewegungsraum der Moleküle andererseits aufzuspüren. Wenn nun, wie solches bei der Bildung der Absorptionsverbindungen selbstverständlich stattfindet, eine Verschiebung und Abänderung der Anzahl und der Größe: der Teilchen erfolgt, wird auch die Viskosität dabei sich verändern müssen. Die elektrische Erscheinung, welche dann und wann mit dem Autotonus bis zu einem gewissen Grade sich ändert, bekommt durch die Vorstellung der Bildung der Adsorptionsverbindungen einige Erläuterung. Durch die langsam vorgehende veränderte Anhäufung von Ionen einer bestimmten Ladung, zum Teil die Folge umgestalteter Adsorption, kann, aber braucht sich nicht immer, auch der Potentialunterschied zwischen zwei Punkten des tierischen Gewebes zu ändern. Auf dieser bis zu einer gewissen Höhe permanent bleibenden elektrischen Spannungsdifferenz werden sich die elek- trischen Erscheinungen, die jede Herzkontraktion begleiten, als gesonderte Potentialwechselungen superponieren. Außerdem ist zu bedenken, daß dasjenige, was Chanoz? über „Osmose et les phenomenes £lectriques“ schreibt, auch mutatis mutandis für diesen Fall gilt: „e’est donc la vitesse inegale de migration de ion (ou le rapport des vitesses) qui constitue la cause de la difference du potentiel au contact de deux dissolutions inegalement concentrees.“ Das Hervortreten der elektrischen Änderungen bei einem Muskel, durch strahlende Wärme hervorgerufen, findet zugleich eine Deutung. Die Wärme 'ı Wolfgang Ostwald, Über feinere Quellungserscheinungen von Gelatine und Salzlösungen nebst allgemeinen Bemerkungen zur physikalisch-chemischen Analyse der Quellungskurven in Elektrolyten. Pflügers Archiv. Bd. CXI. S. 140. ? Ch. Henry, A propos de colorants nouveaux. Inst. gen. Psycholog. 1907. Bull. V. ae ® M. Chanoz, Osmose et phenomenes electriques. Journal de Physiologie et de Pathologie. 1906. T. VII. Ei I Ssen ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 389 ruft nämlich eine andere Gruppierung kolloidaler Teilchen hervor, wodurch, im Zusammenhang‘ mit, der veränderten Ionenadsorption, Änderungen in den elektrischen. Verhältnissen, des Muskels auftreten werden. “Nach .diesen Auffassungen sind. die elektrischen Erscheinungen keine rein selbständigen Prozesse, sondern: sich. möglicherweise ergebende Folgen bestimmter Veränderungen, über welche Engelmann in seinem „Ur- sprung. der Muskelkraft“ sagt: „Unsere Theorie ‚nun. gibt gar keine Rechenschaft von .den elektrischen Vorgängen - im Muskel. '.-Das ‚würde ein ernstlicher Vorwurf sein, wenn die elektrischen mit den mechanischen Vorgängen wirklich direkt zu schaffen hätten. Zu solcher Annahme besteht aber, wie mir scheint, durchaus kein Grund .... Man wird demnach eine prinzipiell richtige Erklärung des Ursprunges der Muskelkraft geben onnen, ohne von den elektrischen Erscheinungen: Notiz zu nehmen.“ Die Versuche Quertons über die Produktion der Elektrizität i in lebenden Wesen, führen gleichfalls zu dieser Auffassung. Seine Arbeit ist in folgender Konklusion zusammenzufassen:- „Aussi quelque soit-le ph&nomöne organique que l’on. examine, les. manifestations &lectriques apparaissent intimement liees aux r&actions chimiques;. m&me lorsque celles-ci sont quantitativement infaibles, que rien ne se r&vele encore & notre observation, la rupture de P’equilibre moleeulair est annoncee par le degagement de force &lectro- motrice.“! er In. diesem Gedanken finden auch die ersahedenen Reize zur Autotonusänderung eine Erklärung. Über die chemischen Änderungen braucht nach allem Vorhergehenden nichts näheres mehr gesagt zu werden; die elektrischen Reize sind in ihrer Wirksamkeit auf Ionen- verschiebungen zurückzuführen, wodurch die Gelegenheit, andere Adsorp- tionsverbindungen zustande kommen zu lassen, geboten wird, was wiederum das Auftreten neuer Gleichgewichtszustände in dem Muskel zur Folge hat. Den thermischen Reizen gehört das Vermögen, die Stabilität der halb- flüssigen kolloidalen Massen abzuändern.? Daß die Reaktion des elektrischen Reizes unter deoeelinen _Gleich- _ gewichtszuständen des Muskels immer die gleiche sein wird, ist eine Folge der stets gleichen Weise, auf welche: die Ionen sich unter. dem Einfluß dieses Reizes verschieben; daß hingegen das Resultat eines thermischen Reizes so ganz verschieden ausfallen kann (vgl. die Versuche an dem Muschel- herzen), findet gerade seine Erklärung in dem prekären Zustande der Stabili- tät, die auch von so vielen anderen Faktoren abhängt. ! L. Querton, Mode de production de PelectrieitE dans les ätres vivants. Tra- vaux du laberatoire de Fhysiologie. Instituts Solvay. Bruxelles. 1902—1903 T. V. 2 The. Svedberg, Studien zur Lehre von den kolloiden Lösungen. Nova acta Regine Societatis Scientiarum Upsaliensis. Serie IV. 1907. ‚Vol. I. Nr. I. 390 A. K. M. Noyons: Der mechanische Reiz hat einen deformativen Einfluß, wobei Verände- rungen der Oberflächenspannung entstehen, durch welche indirekt Ände- rungen der Ladung auftreten, welche von anderweitiger kolloidaler Grup- pierung und veränderter Quellung gefolgt werden. Dies alles wird zur Aufhebung des Gleichgewichtszustandes in dem Muskel sowie zur Verände- rung des Autotonus führen. Daß bei intensiver Muskelarbeit Veränderungen des Autotonus auftreten können, wird begreiflich, wenn man bedenkt, wie beim Abbauvorgang der Muskelkontraktion eine Menge Metaboliten gebildet werden, welche gewiß nicht bedeutungslos sind für die Ionenadsorptiin im Muskel. Um nur einige zu nennen, sei hingewiesen auf die Milchsäure, das Kreatinin und die Kohlensäure und weiter auf die verschiedenen Metallionen, welche zum Wesen der komplizierten Eiweißstoffe gehörten. Diese verschiedenen Metaboliten werden sich teils als selbständige Ionen betragen und Adsorp- tionsverbindungen eingehen können, teils werden sie auf das Benehmen anderer Ionen ihren Einfluß geltend machen. Daß der Zuwachs von Autotonus ein Vorteil für den ermüdeten Muskel ist, kann vielleicht hierin liegen, daß die Kontraktionen selbst nicht so groß zu sein brauchen, um eine gleiche Last ebenso hoch zu heben, wodurch das vorrätige Material, die wirklich anabolischen Stoffe, weniger schnell er- schöpft werden; nimmt der Autotonus, nachdem er ein Maximum erreicht hat, ab, dann kann dies bedeuten, daß entweder der Muskel nicht mehr imstande ist, die benötigte Anzahl adsorbierender Metaboliten zu schaffen, oder daß die für die Adsorption befähigten kolloidalen Bestandteile ver- braucht sind. Wie haben wir uns die Wirkung von Alkaloiden als Reiz der Auto- tonusänderung vorzustellen? Wir können hierbei schwerlich an eine einfache Dissoziation in Ionen denken, wobei die entstehenden Ionen ohne weiteres dann ganz selbständig wirken würden. Nach Loebs Auffassungen kann die Wirkung der Alkaloiden auf eine engere Verbindung dieser Alkaloide mit den bereits anwesenden Salzionen zurückgeführt werden, die sich ihrerseits mit dem Protoplasma vereinigen. Auf diese Weise würden die Alkaloide Adsorptionsverbindungen einer ver- wickelten Struktur hervorrufen. Es ist jedoch noch eine andere Möglichkeit denkbar, wofür einige Be- weise,angeführt werden können. Es geht nämlich aus vielen meiner Ver- suche hervor, daß der Autotonus und der Herzschlag auf verschiedene Weise durch denselben Reiz beeinflußt werden können und daher zwei ganz verschiedene Substrate erfordern. Zoethout drückte ungefähr dasselbe aus, indem er annahm, daß zwei verschiedene kontraktile Substanzen in den Skelettmuskeln anwesend sind, ÜBER DEN AUTOTONUS DER MUSKELN. 391 wie Bottazzi dies bereits für den Herzmuskel angenommen hat. Dies alles weckt die Vermutung, daß der Autotonus eines Muskels an die An- wesenheit bestimmter Stoffe gebunden ist. Diese Stoffe könnte man sich in dem Muskel ungleich ver- breitet denken, wobei ein gewisser Zusammenhang zwischen Distribution der Nervenelemente und Autotonuswirksamkeit nicht zu verkennen ist. Bereits früher wurde ein Zusammenhang dieser Tatsachen untereinander gesucht durch die Annahme der rezeptiven Stoffe Langleys. Ich stelle mir vor, daß die genannten rezeptiven Stuffe durch die Alkaloide Verände- rungen erleiden können und zwar durch einfache chemische Bindung, so daß sie sich anders benehmen, als wenn sie mit Metallionen zu sogenannten Adsorptionsverbindungen vereinigt werden. Die Alkaloide ändern demnach auf die oben erwähnte Weise die natür- lichen Adsorptionen der Ionen mit den rezeptiven Stoffen und üben dadurch eine katalytische Wirkung aus, gleichwie auch der N. vagus und N.sympathicus dies auf den Autotonus vermögen. Die Annahme von dergleichen rezeptiven Stoffen für den Autotonus, während in gleichartigen anderen Stoffen die anabolischen und katabolischen Vorgänge der Muskelkontraktion sich ab- spielen, erleichtert die Vorstellung, daß der Nervenreiz in mehreren Fällen einen kräftigen Einfluß auf den Autotonus ausübt. Ich habe mich bemüht, die experimentellen Ursachen und Eigen- schaften des Autotonus möglichst unter einen Gesichtspunkt zu bringen. Das Prinzip der Adsorptionsverbindungen bringt eine ziemlich große Labilität der Verbindungen mit sich, wodurch gerade der Autotonus sich kenn- zeichnet. Die wenig feste Vereinigung der Elemente der Adsorptions- verbindungen wird es möglich machen, daß der Autotonus jedesmal den Ausdruck der inneren Konstellation des Protoplasmas angibt. Das Leben, gekennzeichnet durch seine wunderbare Rhythmik des erhöhten und verminderten Stoffwechsels, größerer und geringerer Arbeitsleistung, wird auch seinen Einfluß auf das Entstehen, auf den Vorrat und auf die Ladung der Ionen geltend machen. In dieser Weise wird eine rhythmische Ab- änderung des Autotonus möglich sein. Was in letzter Instanz die Ursache der Rhythmik selbst sein kann, darüber kann ich mich hier nicht äußern. Nur will ich die Aufmerksamkeit auf die Untersuchungen Robertson Brailsford über die Schlagrhythmik des Herzens lenken. Man würde vielleicht diese Daten auf die Autotonus- rhythmik übertragen können, welche die Variationen um den Gleichgewichts- zustand des Autotonus hervorruft. Über die Rolle der Erfahrungsmotive beim einäugigen perspektivischen Fernsehen. Von Wilh. Filehne. Gleichviel ob wir eine Landschaft, ein Interieur usw. in Wirklichkeit oder ihre Photographie, ein sie wiedergebendes Gemälde usw. mit einem Auge betrachten, so gewinnen wir auf Grund unserer Erfahrung eine räumliche, der Wirklichkeit analoge Wahrnehmung, deren letzter phy- sikalischer Anlaß das flächenhafte Bild auf unserer Netzhaut ist. Wenn wir am Seestrande etwa 50 Schritte von der Brandung entfernt stehen und Strand und See betrachten, so nehmen wir die See als weit ausgedehnt wahr, den Strand dagegen als verhältnismäßig schmalen Streifen. Und doch beträgt der Sehwinkel, unter dem wir den Strand sehen, 871/,°, während die ganze für uns sich weit ausdehnende See nur einen Winkel von weniger als 21/,° ausfüllt. Woher kommt dies? Es hat sich in uns von Kindheit auf durch Abtasten, Abschreiten des Bodens usw. die Raum- wahrnehmung dahin entwickelt, daß wir der Wirklichkeit entsprechend die nahen Strecken trotz großen Sehwinkels klein, die fernen trotz kleinen Winkels groß sehen. Wir dehnen also letztere. Daß wir dieses „Dehnen“ (der den ferneren Strecken des Fußbodens entsprechenden winzig kleinen Winkelbildchen bei ererbter Anlage erst erlernen mußten, beweist das Verhalten blindgeborener Erwachsener, die durch eine Operation dasSehvermögen erhalten haben; diese sehen alles der Sehwinkelgröße entsprechend: ein Taubenei, das in der Nähe gezeigt unter einem Sehwinkel von 10° von ihnen gesehen wird, erscheint ihnen größer als ein etwas entfernteres unter 5° Sehwinkel er- blicktes Gänseei. Sie sehen eben noch den Sehwinkeln entsprechend ohne die dritte Dimension, die ihnen aber sehr wohl durch Tasten, Schreiten usw. bekannt ist. Daß also ein Horizontalvertiefen beim erworbenen perspek- WıLH. FILEBNE: ERFAHRUNGSMOTIVE USW. 393 tivischen Sehen, ein wirklicher Akt der Psyche ‘vorliegt, kann nicht wohl bestritten werden. Es erschien aber wünschenswert, diesem psychischen Akte am fertigen Räumlichsehenden auf breiterer experimenteller Basis hachzugehen, besonders wegen der Stellungnahme O. Zoths! gegen meine Theorie der scheinbaren Himmelsform und der mit dieser Form zusammen- hängenden Täuschungen betreffs der scheinbaren Größe der Gestirne.? Die Grundlage meiner Theorie ist, daß wir das horizontal-perspektivische Ver- tiefen, wie wir es am Fußboden, auf Plafonds usw. uns angeeignet haben, schließlich auch auf dem Himmel übertragen haben, den wir ja am Ho- rizontrande unmittelbar mit den Fußboden im Zusammenhange zu sehen vermeinen. Der Rand des irdischen Horizonts sei, sagte ich, gedehnt, also auch der zugehörige Horizontrand des Himmels ‚und so seien die Strecken, die uns am Horizonthimmel vorzuliegen scheinen,-für uns größer geworden. Zoth hat nun später den’ Nächweis erbracht,® daß die Blickrichtung für unsere Auffassung der Größe vom Mond usw. von Bedeutung ist; bei er- hobenem Blicke erscheint der Mond usw. an ein und derselben Stelle des’ Himmels kleiner als bei geradem. Zoths Beobachtungen kann ich bestätigen. Nicht aber kann ich mich seiner, allerdings nur als Vermutung ausgesprochenen Auffassung anschließen, daß die,Grundlage meiner Theorie, das perspektivische „Dehnen“ der entfernten Strecken auf einem Irrtum beruhe. Im Gegensatze zu meiner Auffassung hält Zoth es für wahr- scheinlich, daß uns nicht die mit geradem Blicke am Horizonte gesehenen Gestirne und Sternbilder vergrößert erscheinen, sondern die hoch am Himmel gesehenen verkleinert. Zoth sagt:* „Ich will nun noch eine vermutliche Beziehung meines Bliekrichtungsmomentes zu der zuletzt von Filehne in eingehender Weise behandelten Frage der schein- baren Form des Himmelsgewölbes kurz erörtern. Es dünkt mich nämlich ziemlich naheliegend, die scheinbare Verkleinerung aller Dimensionen beim _ Übergange aus der geraden in die erhobene Blickrichtung als eine Ur- sache dafür anzunehmen, ‚daß wir bei aufrechter Körperhaltung den Himmel ... in horizontaler Richtung ... en vertieft‘ sehen, nicht als Folge davon.“ Diese Vermutung ist für Zoth hai zur festen Überzeugung ge- worden; denn in Nagels Handbuch der Physiologie? 1904 erwähnt er an der betreffenden Stelle meine Theorie überhaupt nicht und hält sie also anscheinend für abgetan, wie ich glaube, nicht mit Recht. Zuvörderst sei ı Pflügers Archiv. 1899. Bd. LXXVII. S. 377. ? Ebenda. 1894. Bd. LIX. 8. 279 ff. = A.a.0. S. 363. Bean O®. 8.3 Un: SSBa- IT. . 1. Hälfter sz39-hr 394 WıLu. FILEHNE: auf eine Irrung hingewiesen, der Zoth zum Opfer gefallen ist. Ein Un- befangener, der den Bogen eines Himmelsquadranten (zwischen Zenith und Horizontrand) zu halbieren versucht, bezeichnet einen Punkt (bzw. Stern) als Mitte, der nicht 45° sondern nur 23° über dem Horizonte steht.! Will er auch diese vermeintliche untere Hälfte halbieren, so gibt er einen Punkt (Stern) als Mitte an, der etwa 9!/,’ über dem Horizonte steht.? Er würde also 91/,° für ein Viertel von 90° gleich 221/,° nehmen; er sieht also diesen Bogen und daher jeden Teil dieses Bogens im Mittel 2!/,mal so groß als er sehen sollte; er sieht also auch innerhalb dieser Zone von 91/,° jedes einzelne Bogenstück z. B. von !/,° im Mittel 21/, mal zu groß: er sieht also auch den Mond (31” 8°) 2!/,mal zu groß. In der oberen, vermeintlichen Hälfte des Quadranten, die statt mit 45° bedacht zu sein, mit 45° + 22° = 67° ausgestattet wurde, ist der Fehler verhält- nismäßig klein: die Bögen von 67/45° = fast 1.5° würden schlimmstenfalls für 1° gehalten. Der Fehler ist hier aber in Wirklichkeit noch kleiner und als verschwindend zu bezeichnen. Fängt nämlich ein Unbefangener, ohne irgendwie auf den Horizontteil des Himmels acht zu geben, am Zenith an und versucht seinem Gutdünken nach in der Richtung vom Zenith weg einen Bogen von 45° abzutragen (also nicht den Quadranten zu halbieren), so sind die Bogenbezeichnungen ebenso oft etwas zu groß wie zu klein. In der Nähe des Zeniths sehen wir also die Bögen, also auch die halben Grade, also auch den Mond im wesentlichen richtig — und nicht zu klein. Zoths Vermutung, daß wir alle Dimensionen, also z. B. den Mond nur hoch oben falsch und an dem Horizonte richtig sehen, ist also ein grund- stürzender Irrtum. Aber auch abgesehen von diesem Irrtume reicht Zoths Ermittlung der Blickrichtungswirkung nicht aus, das Problem zu lösen. Denn erstens erscheint der aufgehende Vollmond mit Blickerhebung von 20° oder mit fast maximal erhobenem Blicke betrachtet (wenn man nämlich das Kinn zur Brust senkt) zwar ein wenig kleiner als bei geradem Blicke, aber immer noch auffallend groß. Zweitens wird er etwa 2 Stunden nach Aufgang, wo er also etwa 20° über dem Horizonte steht und schon klein erscheint, zwar ein klein wenig vergrößert gesehen, wenn man den Kopf um 20° nach rückwärts streckt (es ist dies eine durchaus nicht unnatür- liche Körperhaltung; vielmehr wird sie von vielen häufig oder gar meistens eingehalten). Trotzdem er aber hierbei mit „geradem“ Blicke (senkrecht zur Kopfachse) betrachtet wird, sieht er dennoch jetzt lange nicht so groß aus wie 2 Stunden vorher am Horizonte bei ebenfalls gerader Blick- ! Rob. Smith, 1755. ? Vgl. hierzu Drobisch, 1854. ERFAHRUNGSMOTIVE BEIM EINÄUGIGEN PERSPEKTIVISCHEN FERNSEHEN. 395 richtung, — auch dann nicht, wenn man bei zunächst geschlossenen Augen, den Kopf leicht zurückgelegt und dann den Mond betrachtet. Ich will jedoch hierauf nicht näher eingehen, vielmehr nur schildern, wie man jenes perspektivische Dehnen, das ich als wesentliche Ursache der fraglichen Täuschung angesprochen habe, weiter experimentell nach- weisen kann. Nach meiner Theorie lag es nahe, festzustellen, wie die Täuschungen beeinflußt würden, wenn jene Erfahrungsmotive ausgeschaltet werden, die nach der Theorie die Hauptrolle spielen. Ein derartiges Experiment habe ich bereits in meiner erwähnten Arbeit mitgeteilt: ich kann mich fast völlig frei von jenen Erfahrungsmotiven machen und verliere mein perspek- tivisches Fernsehen fast ganz, wenn ich irgendwie die Bilder der Landschaft, der See usw. umkehre: alsdann schrumpft die Ferne auf ein winziges Stück zusammen. Ich schloß daraus wohl mit Recht, daß ich vorher uuter dem Zwange der Erfahrungsmotive die Dehnung vorgenommen hatte. Aber freilich: die Umkehrung der Netzhautbilder ist ein etwas gewaltsames, un- natürliches, unseren Seh-Gewohnheiten zuwiderlaufendes — überdies nicht für alle Menschen gleich wirksames Mittel. Viel überzeugender ist, wie ich glaube, folgendes. Mein Ziel, die Er- fahrungsmotive auszuschalten, läßt sich recht einfach erreichen; man nimmt ein Stück schwarzen, rauhen (wenig reflektierenden) Papiers von etwa /, bis !/, bis 1” Länge und etwa !/, bis !/, ® Breite, rollt es je nach Be- darf enger oder weiter zusammen und beobachtet durch das so entstandene Rohr hindurch ein entfernteres Streckenstück, z. B. einen kleinen Acker usw. oder einen aufrecht stehenden Gegenstand. Für die meisten Fälle genügt übrigens die Benutzung der zu Röhren gekrümmten Hände Man kann entweder die Vergleichung sukzessive vornehmen, erst mit dem Rohr be- trachten und darauf ohne Rohr (oder umgekehrt), oder, wenn die Augen der Versuchsperson gleich gut sind, mit dem einen Auge durch das Rohr, mit dem andern frei beobachten lassen, was — bei paralleler Blickrichtung — vergleichbare (gekreuzte) Doppelbilder liefert. — Was sich bei Betrach- tung durch das Rohr ändert, ist folgendes. Die beobachteten ferneren Bodenfelder oder Gegenstände sieht man verkleinert, außerdem aber heller und deutlicher. Daß diese drei Änderungen nicht ohne weiteres zueinander gehören, ergibt sich aus folgendem: zwei von ihnen, das Heller- und das Deutlicher- werden treten ohne Verkleinerung auf, wenn man aufrechtstehend im Vordergrunde, z. B. am Fußboden ein Teppichmuster betrachtet. Man wird kaum fehlgreifen, wenn man diese beiden Änderungen wie folgt er- klärt: Die Dunkelheit des größten Teiles des Gesichtsfeldes gibt Anlaß zum Auftreten eines Helligkeitskontrastes; ferner fällt seitliche Blendung 396 . i + »WALH, PIbERNE: ur one, und diffuse Lichtzerstreuung fort. Alles dies muß die Objekte heller und schon dadurch deutlicher erscheinen lassen; ‘der Wegfall der Zer- streuungskreise muß: gleichfalls die Deutlichkeit erhöhen.! | : Zur Erklärung des Kleinererscheines müssen wir den einfachen Ver- such noch variieren.:»'Das Kleinerwerden der entfernteren Strecken und Gegenstände wird je näher dem Horizontrande um so bedeutender geschätzt: bei 50—100 ® Entfernung des Objekts um !/,, am Horizontrande um mehr als die Hälfte. Daß die Verkleinerung alle Teile des Bildehens gleich- mäßig trifft, ist ja selbstverständlich, möge aber aufgezeigt werden. ‚Wenn man z. B. einen - Abschnitt einer von rechts nach links ziehenden Land- straße betrachtet, die ‘auf der dem Beobachter näheren. Seite von Prell- steinen eingefaßt ist halb so hoch wie der Abstand :der Prellsteine von- einander und gerade so hoch, daß sie für das beobachtende unbewaffnete Auge mit der gegenüberliesenden Begrenzung der Straße abschneiden, so schneiden sie auch im verkleinerten Rohrbilde mit dem Straßenrande ab, und der Zwischenraum zwischen zwei Steinen erscheint auch hier :doppelt so groß wie die Höhe der Steine. Die Verkleinerung ist also sowohl von rechts nach links, als in der dritten Dimension (in die nt als von unten nach oben in gleichem Verhältnis erfolgt. : Wohl zweifellos infolge der Verkleinerung urschöinen die ver- kleinerten Gegenstände usw. dem bewaffneten Auge weiter entfernt als dem :unbewafineten. Eindringlich ist dies bei Objekten bekannter mittlerer Größe, Fuhrwerk, Menschen, zumal Bekannten usw., weniger deutlich bei Streckenbildern, Acker usw. Bei Bildern, die hauptsächlich ferne Fuß- bodenstücke, Wege, Äcker usw. wiedergeben, geht dann auch insofern das perspektivisch-vertiefende Sehen oft verloren, daß sie, statt horizontal zu. liegen, aufsteigen, wie im Netzhautbilde selbst und analog den, Beob- achtungen Helmholtzs bei Umkehrung des Netzhautbildes einer Land- schaft. | Daß die aufgeführten Beobachtungen nichts mit .den sonst bekannten Formen von Mikropsie und Makropsie, am wenigsten mit den bei An- wendung engster Diaphragmen zu tun haben, bedarf keiner besonderen Be- gründung. Auch wird es kaum nötig sein darzulegen, daß hier nicht rein physikalische Vorgänge (Beugungserscheinungen usw.) oder, rein physio- logische Einflüsse in Betracht kommen: beweist doch das bereits erwähnte Fehlen des Kleinersehens bei Betrachtung von Strecken und Gegenständen des Vordergrundes und sein Auftreten und seine allmähliche Zunahme bei zunehmender Entfernung der Objekte, daß es sich bei Rohrbetrachtung nur um Beschränkung eines psychischen Aktes handeln kann. - ! Diese Dinge dürften auch für die Erklärung der Helligkeitserhöhung bei Dämmer- licht, wenn man durch ein Fernrohr blickt, in Betracht kommen, TATDERR ERFAHRUNGSMOTIVE BEIM EINÄUGIGEN PERSPEKTIVISCHEN FERNSEHEN. 397 Fassen wir diese Beobachtungen’ zusammen, so sehe ich nicht, wie man sie anders deuten könnte, als nach meiner oben erwähnten Auffassung. Die ferneren Objekte werden im Rohre kleiner gesehen, weil der Anlaß zum perspektivischen Sehen, zum- Dehnen hier 'nieht mehr wie sonst be- steht. Denn nach meiner Auffassung ist dieser Anlaß, dieser Zwang nur vorhanden, wenn gegenständliche Erfahrungsmotive ihn hervorrufen. Fehlen diese, so fällt er weg und damit das Vertiefen und Vergrößern. Wenn soeben von dem Einflusse der Entfernung gesprochen wurde, so bedarf dies einer Erläuterung. Es.ist nicht die Entfernung als solche das bestimmende. Dies mögen folgende Versuche dartun. Ich betrachte beispielsweise eine Palmette eines Teppichmusters in der Entfernung von 1 = mit und ohne Rohr: eine Verkleinerung ist nicht zu sehen; ich entferne mich von der Palmette immer mehr. In der Ent- fernung von beiläufig 3—4" kommt der Punkt, an dem die Verkleinerung durch das Rohr eben deutlich auffällt. Steige ich jetzt an diesem Punkte auf einen Stuhl, so verschwindet der Unterschied zwischen bewafinetem und unbewafinetem Auge. Steige ich herab, so ist er wieder da. Fasse ich andrerseits ein Detail an der Zimmerdecke, etwa eine Kassette, in nicht zu kleiner Entfernung ins Auge, so ist die Verkleinerung deutlich; gehe ich näher heran, so kommt der Punkt, an dem die „Täuschung“ ver- schwindet. Steige ich jetzt auf einen Stuhl, so ist sie wieder da. — Was die „Täuschung“ hier hervortreten ließ, kann nicht ein Sich-entfernen ge- wesen sein: wir haben ja gerade umgekehrt beide Male durch ein An- " nähern die „Täuschung“ hervorgerufen; durch Aufsteigen auf den Stuhl sind wir der Decke näher, durch Absteigen dem Teppichmuster näher ge- kommen. Das was sich gleichsinnig in beiden Fällen geändert hatte, wenn die Täuschung eintrat und verschwand, war die Größe des (spitzen) Winkels, den unsere Blicklinie mit der Vertikalen bildete: er wird, wie eine einfachste Zeichnung ergibt, um so größer, je weiter wir uns vom Objekte horizontal entfernen;! dies gilt für den Fußboden wie für die Decke. Steigen wir auf den Stuhl, so verkleinern wir, während wir uns vertikal entfernen, jenen Winkel für den Fußboden, vergrößern ihn da- gegen für die Decke, der wir uns vertikal nähern. Und zwar zeigen unsere Beobachtungen; daß die Größe des Winkels mindestens 50° betragen muß, wenn die Täuschung entstehen soll. | Je größer aber weiterhin dieser Winkel wird, unter um so kleineren Sehwinkeln erscheint — wie eine einfache Konstruktion ergibt — auf den ! Im Interesse der Darstellung sehe ich vorläufig von der Größe des Objektes selber ab; daß dies gestattet ist, folgt daraus, daß wir das Objekt recht klein an- nehmen können. 398 \WILH. FILEHNE: Horizontalebenen (Boden, Decke) eine Strecke von bestimmter Länge. Das was der Maler, der Zeichner „nerspektivische Verkürzung“ nennt, nimmt also zu. Und gleichermaßen nimmt unsere Täuschung — Verkleinerung bei Rohrbetrachtung — zu. Die Täuschung geht also proportional der „perspektivischen Verkürzung“. Angesichts dieser Proportionalität dürfte wohl unbedenklich als Ursache unserer „Täuschung“ die Eigenart unseres auf dem Fußboden, an Zimmerdecken, Laubdach usw. gewonnenen per- spektivischen Sehens bezeichnet werden können. Um mich jedoch möglichst gegen Einseitigkeit und Vorurteil zu schützen, habe ich die Beobachtungen noch nach zwei Richtungen aus- gedehnt; erstens wollte ich wenigstens beiläufig nachsehen, was von dem gesamten Landschaftsbilde unverdeckt bleiben darf, ohne daß jene Täuschung verschwindet, welche Teile also des wahrgenommenen Gesamtbildes die dehnenden Erfahrungsmotive hauptsächlich enthalten; und zweitens sollte versucht werden, was für Resultate unsere Methode am scheinbaren Himmels- gewölbe gibt, da doch bei Fernblick der Himmel im Landschaftsbilde meist den größten Raum einnimmt. Ähnliche Versuche habe ich schon in meiner ersten Arbeit besprochen. Ich hatte dort! nachgewiesen, daB die V.erdeckung des ganzen irdischen Horizontes an den Täuschungen, denen wir über die scheinbare Form des Himmelsgewölbes und scheinbare Größe von Sternbildern und Gestirnen (m. a. W. über die Winkelbögen) unterworfen sind, nichts ändert. Denn (S. 303): „Nachdem wir unser räumliches Sehen auf Erden nun einmal in der Weise entwickelt haben, daß wir in horizontaler Richtung perspek- ° tivische Vertiefungen vornehmen, und daß wir gleiche Winkelstücke auf der Horizontebene für um so größer und ausgedehnter ausdeuten, je ent- fernter das betrachtete Stück von uns und je näher es dem Horizontrande sich befindet, so können wir bei aufrechter Haltung überhaupt nicht anders, also auch am Himmel nicht anders, als mit, nach dem Horizontrande zu progressiver, horizontaler Vertiefung sehen.“ Die Freigabe der optischen Umgebung bei Rohrbetrunnane kann auf verschiedene Weise geschehen. So erscheint der ganze Vordergrund im Auge wieder, schon wenn man das Rohr um eine kurze Strecke vom Auge entfernt. Solange diese Entfernung nicht größer als etwa 10 “ ist, bleibt die Verkleinerung unverändert. Sodann schnitt ich das Rohr der Länge nach durch, so daß etwa Halbzylinder entstanden. Hielt ich einen solchen mit dem offenen Teile nach oben vor das Auge, wodurch der Fußboden bis zum Objekte hin ver- deckt war, so trat die Täuschung nicht ein. Wurde die Halbröhre um- ı Pflügers Archiv. Bd. LIX. S. 286. ERFAHRUNGSMOTIVE BEIM EINÄUGIGEN PERSPEKTIVISCHEN FERNSEHEN. 399 gekehrt mit der Konvexität nach oben vorgehalten, was ja im wesentlichen alles außer dem Fußboden verdeckt, so kam die Verkleinerung, — zwar in etwas geringerem Maße, als bei Vollröhre — aber dennoch deutlich zustande. Alle diese Experimente habe ich nicht nur im Freien, sondern auch in langen Korridoren, Galerien, Zimmerfluchten usw. angestellt. Die Re- sultate blieben dieselben.! Demnach entsteht die Täuschung nicht, wenn nur der Fußboden ver- deckt ist, andrerseits bleibt sie bestehen, wenn der ganze Vordergrund oder der ganze Fußboden nicht abgeblendet sind, also normal gesehen werden. Nach meiner Auffassung ist dies leicht verständlich. Daß der Vorder- grund ohne Bedeutung ist, beruht sicher darauf, daß er mit den ferneren Objekten, die ja der Gegenstand der Täuschung sind, in keinem unmittel- baren Zusammenhange steht und somit keinen Einfluß ausüben kann. — Und fast ebenso einflußlos muß auch der Fußboden für sich allein sein bei allen den Änderungen, die in unserer Wahrnehmung durch Beschrän- kung der Erfahrungsmotive herbeigeführt werden sollen. Zwar haben wir unser horizontal vertiefendes Sehen als Kinder hauptsächlich am Fußboden gelernt, haben es jedoch auf Zimmerdecke, Wände usw. übertragen. Und tatsächlich bildet doch nun einmal der Fußboden nur den kleinsten Teil dessen, was wir beim Fernblick wahrnehmen. Am Himmel konnte ich folgendes feststellen: Wenn ich den Abstand zweier tiefstehenden Sterne am klaren Nachthimmel oder den aufgehenden Vollmond oder später die senkrechte Entfernung des Vollmonds vom Ho- rizontrande durch das Rohr betrachtete, ‘so erschienen sämtliche genannten Größen bedeutend verkleinert. Die Verkleinerung war um so ausgiebiger, je näher die betrachteten Objekte dem Horizonte waren; hier wurde der Grad der Täuschung bis unter die Hälfte von einzelnen Personen geschätzt. Je näher zum Zenith, um so geringer wurde die Täuschung, um in einer Höhe von schätzungsweise 50° Zenithabstand kaum merklich zu werden. Sonach gestalten sich diese Dinge an der „Himmelsdecke“ genau so, wie an der Korridordecke: eine unmittelbar über dem Beobachter bis etwa 50° Zenithabstand gesehene Strecke läßt die Verkleinerung bei Benutzung des Rohres nicht entstehen; von da an, fortschreitend in der Richtung nach dem Horizonte entwickelt sie sich mehr und mehr. Und ganz am Hori- zontrande erreicht für den Himmel der Grad der Verkleinerung denselben Schätzungswert, wie wir ihn auf der irdischen Horizontebene gefunden ! Mit Rücksicht auf den Einfluß, den die Blickrichtung auf die Größenwahrnehmung auszuüben vermag (Zoth), habe ich versucht, ob die Resultate durch Hebung und Senkung des Blickes geändert wurden: dies war nicht der Fall. 400 WıcLH. FILEHNE: ERFAHRUNGSMOTIVE USW. hatten: das direkt gesehene „Objekt“ erscheint an beiden Stellen mehr als doppelt so groß, wie das im Rohr gesehene. Nun ist bekanntlich fest- gestellt, daß z. B. der Vollmond am Horizonte dreimal so groß gesehen wird, wie in Zenithnähe. Wie man sieht, nähert sich dieses Zahlenverhältnis dem: von. mir ermittelten, und diese Annäherung ist genügend, wenn man berücksichtigt, daß mit dem Rohr ja niemals alles außerhalb des Objektes liegende verdeckt wird. Ich fasse das Vorgetragene dahin zusammen: Mit der Rohrmeihoib ‘haben sich Resultate ergeben, die durchaus in Übereinstimmung mit der von mir früher vorgetragenen Anschauung über die scheinbare Form des Himmelsgewölbes stehen. Ja, man kann sogar behaupten, daß nur auf Grund dieser Theorie die Ergebnisse eine befriedigende Deutung finden. Es ist deswegen berechtigt, hieraus eine Stütze für die Bedeutung des ho- rizontal-perspektivischen Sehens! abzuleiten. Die Erhebung der Blick- richtung spielt nicht die ihr von Zoth zugeschriebene Rolle. Ich habe die Absicht, hierauf und besonders auf die scheinbar schlagende Widerlesung meiner Theorie durch die Rauchglasversuche Zoths demnächst ausführlicher einzugehen. \ 1 Vielleicht mag das folgende zu einer Verständigung über diesen Punkt beitragen. Nehmen wir an, der Erdball existierte nicht, sondern nur seine Atmosphäre, die allerlei Gegenstände und Geschöpfe und auch uns Menschen, willkürlich frei beweglich, enthielte.e Dann würden wir von Kindheit an ein räumliches Sehen entwickelt haben, das wesentlich von unserem heutigen abweicht: wir würden nicht horizontal-vertiefend perspektivisch, sondern radiär-vertiefend perspektivisch sehen. Eine Horizontalebene gäbe es nicht; statt ihrer hätten wir ein kugelförmiges Anschauungsbild unserer Sphäre, das von einem genau kugelförmigen (scheinbaren) Himmelsgewölbe umschlossen wäre; gleiche Bogenstücke würden uns überall an ihm gleich erscheinen, eventuell als gleiche Strecken umgedeutet werden. Überall am Himmel erschiene uns z. B. der Mond oder ein Sternbild in der gleichen Größe. Ein Cartesius würde nicht senkrecht zueinander stehende Koordinaten (X- und Y-Achse), sondern Polarkoordinaten (Radius r und Winkel ®) erdacht haben. Wie die Dinge aber liegen, haben wir Horizontebene, Fußboden, Zimmerdecken, Wände usw., Himmelsdecke — und horizontal-perspektivisches Fernsehen. a Sa = Zeitschriften aus dem Korkaee von YBıT & CoMP. in Leipzig. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors, Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 8 Bogen mit. Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 %; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .% 80 2. Das „Üentralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- Hehste, alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES- GENTRALBLATT. . . INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. - Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des ‘einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 .%#. Zu, beziehen durch alle Eearendiansen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung, Neurologisches (entralblatt. | Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und ‘Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. Begründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von Dr. Kurt Mendel. 5 Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 28 .#. Gegen Einsen- ‚dung des Abonnementspreises von 28 #4 direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt er regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift 1% _ Hygiene und Infektionskrankheiten, Herausgegeben von Prof. Dr. C. Flügge, und Prof. Dr. G. Gaffky,- Geh, Medizinalrat und Direktor Geh. Obermedizinalrat und Direktor des Hygienischen Instituts der des Instituts. für Infektionskrankheiten Universität Berlin, zu Berlin, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten‘‘ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- liehen Elan g von 30-35 Druckbogen zu Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflieh. 5 ARCHIV ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, I. F, Meckel , Er Miller, Reichert und du Beis-epmond herausgegebenen Archives, 2 erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in a mit Figuren im n Text; | und zahlreichen Tafeln. | 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteiling und 6 anf die physiolo- | gische Abteilung. | Der Preis des J ee beträgt 54 .M. Auf ii: anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie und Hntwieke.} _ lungsgeschichte, her ausgegeben von 'W. Waldeyer), sowie auf die physio- | logische Abteilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Max Rubner) N kann besonders abonniert werden, und es beträgt bei Einzelbezug der { Preis der anatomischen Abteilung 40 #, der Preis der BRYROlDPseheR Abteilung 26 MW. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die BEN, Ab- teilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. f Die. Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. SET NR. \ EEE, | i | BR ee ee 'Physiologische Abteilung. 1910. V.u. VI. Heft. "AROHIYV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. y.A \ - Fonsserzung oxs von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vu. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN: RR YoN | ae d N ' b 2 r Dr. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, : UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1910. —— PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. — FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT SECHSUNDDREISSIG FIGUREN IM TEXT UND SIEBEN TAFELN. Hi; LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1910 0. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. el . N Seite ERICH LESCHKE, Über die Wirküne des Pankreasextraktes auf Pau a la und auf normale Tiere . ... De En A ErIicH LESCHKE, Der Puloediälete: Her Frösche, EERRUN 437 Ernst WEBER, Ein automatischer Regulationsmechanismus der Bnpan s ‚I. Der Einfluß arterieller Hyperämie der Haut auf die Tastempfindung. II. Der Einfluß lokalisierter en auf die Blutfülle der tastenden- Hautpartie . . nk an 451 A. SAMoJLoRF, Praktische Notizen zur ER nn des Setengaltanometes ı und- Ki zur photographischen Registration seiner Ausschläge . .. 477 WALTER FRANKFURTHER und ARTHUR HirscHreLnD, Über den Bi nfinß einiger Narkotika und Anästhetika auf die Blatzirkulaipn des Gehirns. ie Taf. VII,u. VL) ER 515. WirH. FiLzHns, Über die einaehtung, a Geslirne nichts Rauchgläser und über die verkleinernde Wirkung der Blickerhebung . . re a ee FR. Krems, Druckbilder der Netzhaut. (Hierzu Taf. IX XII.) RE NE AD TT Wien. Fıreane, Zur Lehre von der Wärmeregulation.. .. ’ - 551 - ARTHUR Simons, Plethysmographische Untersuchungen der ae en N. erven- heran Ken ee N en RS Die. Herren ‚Mitarbeiter erhalten vierzig Separat-Abzüge ihrer Bei- träge gratis und 30 / Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. Beiträge für die anatomische Abteilung sind an Professor Dr. Wilhelm Waldeyer in Berlin N.W,, Luisensir. 56, Beiträge für die physiologische Abteilung an Professor Dr. Max Rubner in Berlin W., Kurfürstenstr. 99a portofrei einzusenden. ee Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen ‘die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Lithographen als Vorlage dienen kann, ‘beizufügen. ae Über die Wirkung des Pankreasextraktes auf pankreasdiabetische und auf normale Tiere. Von Erich Leschke, vorm, Assistenten am physiologischen Institut der Universität Bonn, $1. Kritik der Theorien über das Zustandekommen des Pankreasdiabetes. Obwohl schon 20 Jahre verflossen sind seit der Entdeckung des Pan- kreasdiabetes durch Mering und Minkowski,! und obwohl grade diese Form des Diabetes das Interesse zahlreicher Forscher erregt und zu mannig- faltigen Untersuchungen Anlaß gegeben hat, sind wir dennoch auch heute noch nicht in der Lage, die Frage nach dem Mechanismus dieses Diabetes eindeutig zu beantworten. Diejenige Theorie, die sich den Entdeckern ‚selbst von vornherein aufdrängte, war die, daß es sich um eine Störung handelt, „welche die Pankreasexstirpation für den intermediären Stoffwechsel im Innern des Organismus zur Folge haben muß“. Und zwar kommen nach Ansicht der Autoren zur Erklärung dieser Störung zwei Möglichkeiten in Betracht: 1. „Es häuft sich nach der Pankreasexstirpation etwas Abnormes im Organismus an, d. h. das Pankreas hat in der Norm die Aufgabe, irgend- eine vielleicht giftartig wirkende Substanz fortzuschaffen, deren Retention im Organismus die Zuckerausscheidung bewirkt.“ 2. Es ist in der Norm eine Funktion des Pankreas, den Verbrauch des Zuckers im Organismus zu vermitteln, und der Ausfall dieser Funktion ist die Ursache des Diabetes.“ ! Mering u. Minkowski, Diabetes mellitus nach Pankreasexstirpation. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1889. Bd. XXVI. S. 371. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 26 402 ERICH LESCHkKE: Die erste dieser Theorien glauben die Autoren ausschließen zu dürfen auf Grund folgender Versuchsergebnisse: a) Das Blut eines pankreasdiabetischen Hundes, einem anderen Hunde transfundiert, bewirkt bei diesem keine Zuckerausscheidung. b) Die Unterbindung der Ausführungsgänge und selbst des ganzen um die Ausführungsgänge gelegenen Teiles des Pankreas macht keinen Diabetes. Es bleibt also für Mering und Minkowski nur die Möglichkeit, übrig, daß der Pankreasdiabetes „auf das Aufhören einer Funktion dieses Organs zurückgeführt werden muß, welches für den Verbrauch des Zuckers im Organismus durchaus notwendig ist, daß wir hier also mit einer be- sonderen, bisher unbekannten Funktion dieses Organs zu rechnen haben“; und zwar mit einer positiven Funktion im Sinne Hansemanns.! Daß im Pankreas selbst der Zucker normalerweise zersetzt werde, ist gänzlich ausgeschlossen, da die vergleichenden Zuckerbestimmungen im zufließenden und abfließenden Blut des Pankreas, die Pal? ausführte, keinen Unterschied ergaben. Den unbekannten Stoff, durch den das Pankreas den Zuckerverbrauch im Organismus reguliert, glaubten Lepine und Barral? in dem glyko- lytischen Ferment des Pankreas gefunden zu haben. Sie versuchten daher, mit Hilfe eines diastatischen Fermentes den Diabetes therapeutisch zu be- einflussen und glaubten, hiermit tatsächlich günstige Erfolge erzielt zu haben. Wir werden diese Versuche später noch besprechen. Im Gegensatze hierzu schloß sich Hedon* der ersten der beiden an- geführten Erklärungsmöglichkeiten an und suchte die Ursache der Gly- kosurie nicht in einem verminderten Zuckerverbrauch, sondern in einer vermehrten Zuckerproduktion, hervorgerufen durch eine giftartig wirkende Substanz, welche nach der Pankreasexstirpation im Körper zurückgehalten wird. Auch Kaufmann’ kommt zu dem Schluß: „L’hyperglycaemie dia- betique reconnait pour cause toujours un exces de production glycosique et non un arret ou un ralentissement de la depense du sucre.“ ı Hansemann, Spezifität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. Berlin 1893. ® Pal, Beitrag zur Kenntnis der Pankreasfunktion. Wiener klin. Wochenschrift. 1891. Nr. 1. ® Lepineu. Barral, Congres pour l’avancement des sciences. Marseille. Sept. 1891. Derselbe, Un nouveau traitement du diabete. Semaine medicale. 1895. T. XV. p- 81. * E. Hedon, Travauz de physiologie. Paris 1898. Derselbe, Physiologie normale et pathologique du Pancreas. Paris 1901. ®? Kaufmann, Semaine medicale. 1895. XV. p. 31. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 403 Eine weitere experimentelle Stütze erhält die Annahme einer giftartigen Substanz, die sich nach der Pankreasexstirpation im Körper anhäuft und den Diabetes bedingt, durch die Versuche von Forschbach,! deren Be- deutung zuerst Pflüger? erkannt hat. Forschbach fand nämlich, daß bei der parabiotischen Vereinigung von zwei Tieren nach der Pankreas- exstirpation bei dem einen Tier auch cas andere Tier Zucker ausscheidet, das sein Pankreas noch besitzt. Also gerade das entgegengesetzte, positive Resultat von dem negativen, das Mering und Minkowski bei der Trans- fusion des Blutes eines pankreasdiabetischen Hundes, erhalten hatten. „Dieser Versuch,“ sagt Pflüger, „läßt sich kaum anders erklären, als durch Annahme eines giftartigen Stoffes, welcher aus dem Körper des pankreas- losen Tieres in den des normalen Organismus überwandert und, ähnlich wie das Adrenalin, Glykosurie erzeugt. Denn, wenn in dem pankreaslosen Tier die Stoffe der inneren Sekretion sich nicht mehr am allgemeinen Stoffwechsel beteiligen, wird eine Abnormität der chemischen Umsetzungen begreiflich, also auch die Entstehung von Toxinen, die sonst vielleicht sich niemals oder nur in Spuren bilden.“ Diese Annahme einer giftartigen Substanz befriedigt aber nicht als alleinige Erklärungsmöglichkeit eines so intensiven Diabetes. Daher fährt auch Pflüger fort (a. a.0. p. 636): „Diese Vorstellung würde aber die anti- diabetische Fähigkeit des Pankreas vollkommen außer acht lassen, was nicht befriedigen kann, weil die ungeheure Beeinflussung des Kohlehydrat- stoffwechsels nach Exstirpation der Drüse zu entschieden darauf hinweist, daß das Pankreas auch im unversehrten Zustande eine Beziehung zu dem- selben besitzt. Auch hier wird man wieder auf eine Mechanik der Regu- lation hingewiesen, in welcher antagonistische Kräfte in fortwährender Wechselwirkung stehen.“ 3. Eine dritte Theorie des Pankreasdiabetes wurde von Bouchardat, Pink und Heidenhain u. a. aufgestellt, welche annahmen, daß die Ur- sache des Diabetes in Anomalien der Verdauung zu suchen sei, die durch das Fehlen des Pankreassaftes im Darm hervorgerufen würden. Auch de Dominieis® faßt den Pankreasdiabetes einfach als die Folge der Er- nährungsstörungen und der Kachexie auf, die durch das Fehlen des Pan- kreassekretes im Darm bedingt ist. Diese Annahme wird sehr unwahrschein- 1 J. Forschbach, Parabiose und Pankreasdiabetes.. Deutsche med. Wochen- schrift. 21. Mai 1908. No. 21. 2 E. Pflüger, Über Parabiose und Pankreasdiabetes. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXIV. S. 633. ® De Dominieis, Gazette hehdom. de Med. et Chirurg. 1890. p. 605. Derselbe, Noch einmal über Pankreasdiabetes. Münchner med. Wochenschrift. 1891. Bd. XLI. S. 300. ; 26* 404 ERICH LESCHKE: lich gemacht durch die Tatsache, daß die Glykosurie nach Unterbindung aller Ausführungsgänge und selbst nach Obliteration der ganzen Drüse ausbleibt. 4. Arthaud und Butte! suchen die Ursache des Pankreasdiabetes in einer indirekten Einwirkung des Pankreas auf die Leber. Diese Ansicht wird gestützt durch die Tatsache, daß der Pankreasdiabetes nach Exstir- pation der Leber aufhört (im Gegensatz zum Phlorhizindiabetes). Die Mehrzahl der Autoren schloß sich der von Mering und Min- kowski aufgestellten Theorie der inneren Sekretion des Pankreas an. Aber wie sehr man sich auch bemühte, für diese Theorie eine Stütze zu finden durch das Auffinden des Stoffes, durch welchen das Pankreas den Zuckerverbrauch reguliert, so scheiterten doch alle Versuche, und wenn auch mancher Forscher anfangs glaubte, den antidiabetischen Stoff des Pankreas gefunden zu haben, so herrscht doch jetzt ein resigniertes Still- schweigen in der Literatur über diese Versuche. 5. Infolgedessen gewann die nervöse Theorie des Pankreasdia- betes mehr und mehr an Bedeutung. Thiroloix? begründet sie in seiner ausgezeichneten Dissertation über den Pankreasdiabetes mit folgenden Argumenten: a) In den meisten Fällen von Diabetes findet man in der Anamnese und im Verlauf nervöse Erscheinungen. b) Der Diabetes mellitus, azoturicus und insipidus sind aufs engste mit- einander verknüpft. c) Bei Verletzungen des Plexus solaris tritt Diabetes auf. d) Die Injektionen und a fortiori die Ligaturen des Pankreas erzeugen keinen Diabetes, obwohl sie die Drüse selbst zur gänzlichen Obliteration bringen. Mithin kann die Abwesenheit der Drüse nicht die Ursache des Diabetes sein, sondern diese muß in den durch die Operation gesetzten Nervenverletzungen liegen. e) Durchschneidungen und partielle Exstirpationen führen zu vorüber- gehenden oder auch dauernden Glykosurien. Dabei besteht zwischen der Schwere des Traumas und der Dauer der Glykosurie ein bemerkenswerter Parallelismus. Zudem ist die Pankreasexstirpation in keinem Falle eine totale im strengsten Sinne, da bei der mikroskopischen Untersuchung sich fast immer noch Reste der Drüse finden lassen. ! Arthaud und Butte, Recherches sur la pathogenie du .diabete suere. Arch. de physiol. 1888. Dieselben, Sur le determinisme du diabete panereatique. Soc. de Biol. 1890. ? Thiroloix, Le diabete panereatique. These. Faculte de medeeine. Paris 1892. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 405 f) Das plötzliche, unmittelbare Auftreten der Glykosurie nach der Operation sowie ihr intermittierender Verlauf erklären sich am besten durch die Annahme von nervösen Störungen. g) Die Exstirpation des Ganglion semilunare (Klebs und Munk) und des Plexus solaris (Ludwig) führen zu vorübergehenden Glykosurien.! Zu diesen Argumenten kommen noch folgende, die E. Pflüger in seinen Arbeiten über diesen Gegenstand aufgestellt hat. In seiner Arbeit gegen „O. Minkowskis neueste Verteidigung seiner über den Pankreas- diabetes aufgestellten Lehren“? bringt er außer den von Thiroloix bereits angeführten Argumenten noch folgende neue hinzu: h) Die durch Pfröpflinge ausgeübte Hemmung des Pankreasdiabetes braucht nicht durch einen Stoff bedingt zu sein, den dieser Pfröpfling an das strömende Blut abgibt. „Wenn Minkowski diesen Pfröpfling exstier- piert, so kann er das nicht tun, ohne daß er den Mesenterialstiel durch- schneidet, welcher die Nerven und Blutgefäße normalerweise dem Drüsen- fragment unter der Haut zugeführt hat.“ Daher läßt sich der Diabetes, der nach der Exstirpation der Pfröpflinge eintritt, sehr wohl und ebenso- gut durch die Durchtrennung der vom Pankreas ausgehenden Nerven er- klären wie durch die Annahme eines inneren Sekretes dieser Pfröpflinge. Diese Möglichkeit hat auch schon Hedon (a. a. O.) in Erwägung gezogen. i) Errico de Renzi und Enrico Reale? haben bei Resektionen des Duodenums einen Diabetes erhalten, der bis zum Tode andauerte. E. Pflüger* konnte diese lange Dauer zwar nicht bestätigen, fand aber gleichfalls „in der Mehrzahl der Versuche Glykosurien .... in periodisch einsetzenden Exazerbationen, die durch zuckerfreie Tage geschieden waren.“ Den Beweis für die nervöse Bedingtheit des Duodenaldiabetes brachte E. Pflüger? dadurch, daß er in dem zwischen Duodenum und Pankreas ı Vgl. Claude Bernard, Lecons sur le systeme nerveux. 1858. ?2 E. Pflüger, Pflügers Archiw. 1906. Bd. CXI. S. 61. 3 Enrico Reale, Über Ursprung und Behandlung des Diabetes mellitus. Wiener medizinische Wochenschrift. 1891. Nr. 33. ; De Renzi u. Reale, Über den Diabetes mellitus nach Exstirpation des Pankreas. Berliner klinische Wochenschrift. 6. Juni 1892. S. 560. * EB. Pflüger, Über die durch Resektion des Duodenums bedingten Glykosurien. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXIV. 8.1. Derselbe, Die Aufklärungen, welche Errico de Renzi und Enrico Reale soeben (August 1908) über ihre den Duodenaldiabetes betreffenden Versuche gegeben haben. Ebenda. 1908. Bd. CXXIV. S. 529. 5 Derselbe, Über die Natur der Kräfte, durch die das Duodenum den Kohle- hydratstoffwechsel beeinflußt. Zbenda. 1907. Bd. CXIX. S. 227. Derselbe, Experimentaluntersuchungen über den Darmdiabetes. Ebenda. 1909. Bd. CXXVII. S. 125. 406 EricH LEscHKE: gelegenen Mesenterium die Nerven durch Zubinden über eine Strieknadel zerquetschte, ohne daß die Zirkulation dadurch nach Lösung dieser Ligaturen unterbrochen blieb, und in allen Fällen einen starken bis zum Tode an- dauernden Diabetes beobachtete. k) Hansemann! hat bei der akuten Pankreatitis, die zur Zerstörung des ganzen Organs führte, keinen Diabetes gefunden, ebensowenig wie bei der ausgedehnten Zerstörung durch Karzinom. Hiergegen hat man aller- dings eingewandt, die Karzinomzellen könnten die Funktion der Pankreas- zellen übernehmen. Eine experimentelle Begründung dieses Einwandes fehlt jedoch bisher. Auf Grund aller dieser Tatsachen kommt E. Pflüger (a.a. 0.) zu dem Ergebnis: „daß die nervöse Theorie ganz befriedigend alle Erscheinungen erklärt — und auf der anderen Seite doch alle Versuche, den wirksamen Stoff der inneren Sekretion experi- mentell nachzuweisen, mißlungen sind.“ $?2. Kritik der bisherigen Versuche, den Diabetes mit Pankreasextrakt zu heilen. Wir haben gesehen, daß sich die Theorie der inneren. Sekretion und die nervöse Theorie der Pankreaswirkung gegenüberstehen, ohne daß die auf beiden Seiten vorliegenden Argumente ausreichen, um der einen dieser beiden Theorien zum endgültigen Siege über die andere zu verhelfen. Wir haben gleichfalls gesehen, daß sich die Argumente zugunsten der nervösen Theorie mehr und mehr gemehrt haben. Es war daher begreiflich, daß die Anhänger der Theorie der inneren Sekretion — und es ist die Mehr- zahl der Forscher — sich alle Mühe gaben, den wirksamen Stoff dieser hypothetischen inneren Sekretion, das „Antidiabetin“, wie E. Pflüger es genannt hat, zu finden. Zu diesem Zwecke wurden Injektionen von Pankreasextrakten und Pankreasfermenten bei Tieren und bei Menschen gemacht, und eine Zeitlang herrschte eine große Aufregung in der Literatur, indem die einen von außerordentlich günstigen Resultaten zu berichten wußten, während die anderen nichts dergleichen finden konnten. Diese Arbeiten über die Wirkung des Pankreasextraktes möchte ich an dieser Stelle einmal kritisch zusammenstellen und durchsichten, da sie bisher noch an keiner Stelle im Zusammenhang abgehandelt worden sind und ein drückendes Stillschweigen in der letzten Zeit über sie herrscht. Und doch ist es nicht unwichtig, zu wissen, was man mit der Pankreas- therapie beim Diabetes erwarten kann und was nicht, und wie man sie anzu- ı Hansemann, Zeitschrift für klinische Medizin. 1894. Bd. XXVI. S. 195. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 407 wenden hat und wie nicht. Und gerade für das überraschende Ergebnis meiner eigenen Versuche war es mir interessant und wertvoll, nachträglich dasselbe Ergebnis in einer Reihe sehr gründlicher Arbeiten über die Wir- kung des Pankreasextraktes beim Diabetes zu finden, ohne daß die Autoren die Bedeutung und den Grund dieser Ergebnisse erkannt hatten. Man kann die Forscher, die über die therapeutische Wirkung des Pankreasextraktes gearbeitet haben, in zwei Kategorien einteilen: 1. in solche, die einen günstigen Erfolg, wenn nicht gar eine Heilung((!) des Diabetes dadurch zu erreichen geglaubt haben; 2. in solche, die keinen oder sogar einen ungünstigen Effekt dieser Therapie beobachtet haben. I. Versuche über die Wirkung des Pankreasextraktes mit günstigem Resultat. Wir wollen uns zuerst zu der ersten Kategorie dieser Arbeiten wenden, die eine antidiabetische Wirkung des Pankreasextraktes behaupten. Der erste, der das diastatische Ferment zur Therapie des Diabetes angewendet hat, ist Kussmaul.! Und zwar kam er zu dem Schlusse: „Die in Wasser gelöste Diastase in der Menge von 0-1:’” und selbst weniger, in die Haut- vene eines Diabetikers eingespritzt, wirkt auf die Zuckerausscheidung ver- . mindernd ein,“ während er von der subkutanen Injektion keinen Erfolg sah. Diese Behauptung stützte sich auf folgende Beobachtungen bei einem Diabetiker, die ich abgekürzt wiedergebe als Unterlage für die Kritik: Datum Injektion Zucker Bemerkungen 10. III. —_ 6-4 Proz. 11.III. | 0-1 82 Diastase intravenös | 5-8 ,„ Frost, Kopfweh, Appetitlosig- keit, ißt nicht. 12.11. — BE 13. 111. — 6-7 „ 14.11]. | 0-1 = Diastase subkutan bus. Befindet sich wohl. bis 15. IV. — (BO (Durchschnitt) 16. IV. | 0-2e'= Diastase subkutan 6°3 Proz. 17. IV. | 0-1erm Diastase intravenös | 5-2 „ Schüttelfrost, Kopfweh. (Mittel) Der Patient starb nach 4 Wochen an Lungenphthise. ! Kussmaul, Zur Lehre vom Diabetes mellitus. 3. Anhang: Einspritzung von Diastase in die Venen eines Diabetikers. Archiv für klinische Medizin. 1874. Bd. XIV. S. 435. 408 Erich LEscHke: Aus dieser Tabelle geht wohl mit Sicherheit hervor, daß die Behaup- tung von Kussmaul auf einer völlig falschen Interpretation beruht. Denn es ist von jeher bekannt, daß jeder Eingriff bei einem Diabetiker, der sein Allgemeinbefinden in stärkerem Maße alteriert, so daß sogar Schüttelfröste eintreten und er nichts ißt, wohl imstande ist, die Zuckerausscheidung herabzusetzen und solche relativ geringe Schwankungen von 0-6 bis 1-1 Prozent, wie sie in diesem Falle erzielt worden sind, zu erklären. Die Wirkung der Diastasse — um zunächst bei diesem Pankreas- ferment zu bleiben — wurde ferner sehr eingehend studiert von Lepine. Im Verein mit Barral! fand er eine erhebliche Herabsetzung der Zucker- ausscheidung bei diabetischen Hunden und Menschen durch Injektion von Diastase. Einen eingehenden Bericht über die Wirkung der Diastase bei Diabe- tikern gibt er in seiner zitierten Arbeit,” in der er seine Beobachtungen an 4 Fällen veröffentlicht und zu dem Schlusse kommt: „Le ferment a notablement reduit le sucre, il l’a mö&me fait, pendant plusieurs jours, tomber a O0. Je trouve aussi, qu’il a peut-etre agi (indirectement) sur l’azoturie.(?)* Hinter dieses letztere setzt er selbst ein Fragezeichen; wir werden seher, daß es auch für das erstere gilt. Seine Beobachtungen sind folgende: 1. Fall (64jährige Frau). 1. Ohne Behandlung . . . . ....... 1408" Zucker (in 24 Stunden) 2. Verschiedene Behandlung . 100 „ h „ 24 3 3. 1 Liter Amylase (alzdiastase) tüglich. 102% . „24 4. Fortlassen der Diastase . . lan 5 ae Se\vredersabere .. . „2 er = „ 24 n 2. Fall (43jährige Mann von 100®8). s Nor der Behandlung” 2 222777722 He ns 7eken 28 Mit 1008: Glukose re Beer n 3. 1 Liter Ferment . Kara ka bet, i 4, 1 Liter Ferment + 100 gm lkss ee = 3. Fall (48jährige Frau von 648). 1. Vor der Behandlung (7 Tage) durchschnittich . . . 1163 Zucker 2. Mit 1 Liter Amylase (14 Tage) 5 ee ee) 5 ! Lepine et Barral, Sur les variations du pouvoir glycolytique et sacharifiant du sang dans le diabete phlorhizique et dans le diabete de ’homme. C. R. Soc. Biol. 1891. T. CXIH. p. 1044. Derselbe, a.a. O. 8.2. ® Lepine, Un nouveau traitement du diabete. Sem. med. 1895. T. XV. p. 169. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 409 4. Fall (47jährige Frau von 42%). 1. Ohne Behandlung (4 Tage) durchschnittlich . . . . 25780 Zucker 2. Mit Ferment (erste Tage) . . - sh TE, iS Ei, 9 (lefzierlasepsee 0.) 0... dan, 5; BE neRerment: re ee... .. 20 ea: nr Zur Kritik dieser in der Tat merkwürdigen Verminderung der Zucker- ausscheidung unter dem Einflusse des diastatischen Fermentes läßt sich folgendes sagen: 1. Lepine gibt selbst zu, daß seine Beobachtungen nicht frei von Fehlerquellen mannigfaltigster Art sind: „on n’est jamais certain qu’ils (die Patienten) se soumettent au regime, m&me mitige, que l’on leur prescrit. Il est impossible d’eviter qu’ils se fassent apporter des aliments du dehors.“ Übrigens gibt er selbst zu: „le ferment a mieux agi les premiers jours qu’au bout d’un certain temps.“ 2. Die meisten Fälle von Diabetes zeigen eine intermittierende Stärke der Glykosurie, so daß auch normalerweise größere Schwankungen vor- kommen, selbst völlige Remissionen, wie in dem Fall von Leo, den Pflüger! zitiert. 3. Es fehlen alle Angaben, wie die Diastase auf das allgemeine körperliche Befinden der Patienten und im besonderen auf ihre Verdauung und die Ausnutzung der anderen Nahrungsstoffe gewirkt hat. Ebenso fehlen Angaben über die sonstige Therapie, so daß die Schlüsse, die Lepine aus diesen vereinzelten Beobachtungen zieht, sich jeder Kontrolle gänzlich entziehen. 4. Normalerweise ist es durchaus nicht eine Funktion des Pankreas, ein diastatisches Ferment an das Blut abzugeben, da sehr eingehende Untersuchungen von Ehrmann und Wohlgemuth? erwiesen haben, daß das Blut der Pankreasvenen keinen Unterschied im Gehalt an Diastase gegenüber anderen Venen zeigt, ebensowenig das Blut der Vena portae. Ebensowenig ließen sich bestimmte Beziehungen zwischen Pankreasfunktion und Diastasegehalt des Blutes feststellen, so daß die Behauptung einer inneren Sekretion von Diastase durch das Pankreas jeder experimentellen Begründung ermangelt. Thiroloix? faßt sogar die Glykolyse des Blutes — auf die Lepine seine ganze Theorie der Diastasenwirkung beim Diabetes aufbaut —, als ein postmortales Phänomen auf, ebenso wie die Blut- gerinnung, das im normalen zirkulierenden Blute niemals eintritt. = Pflüger; Über die durch Resektion des Duodenums bedingten Glykosurien. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXIV. S. 27. ®? Wohlgemuth u. Ehrmann, Untersuchungen über Diastasen. I—-VIII. Bio- chemisches Zentralblatt. 1909. Bd. IX. 8. 381 (III). Na 0. p. 24, 410 ERICH L&EscHke: 5. Schließlich lassen sich gegen Lepine die völlig entgegengesetzten Beobachtungen von Hildebrand u. a. anführen, die sehr gut experimentell fundiert sind und auf die wir im zweiten Teil dieses Paragraphen näher eingehen werden. Noch überraschendere Erfolge erzielte Ausset! bei pankreasdiabetischen Hunden durch Verfütterung mit gekochtem (!) Kalbspankreas: er fand nichts Geringeres als ein Aufhören des Diabetes vom Beginn dieser Behandlung an, das dann so lange andauerte, als die Behandlung beibehalten wurde. Auch bei einem Falle von menschlichem Diabetes erzielte er eine Abnahme des Zuckers von 388" täglich auf 48”=® und nach einigen Wochen sogar ein intermittierendes Verschwinden des Zuckers. Man wird kaum fehlgehen, wenn man diese märchenhaften Erfolge auf den normalerweise inter- mittierenden Verlauf der Glykosurie beim Pankreasdiabetes sowohl wie beim menschlichen Diabetes (besonders ausgeprägt in gewissen, nicht seltenen Fällen) zurückführt. Wegele? fand in einem Falle von 0-8 Prozent Glykosurie mit Steatorrhöe und schweren Verdauungsstörungen, daß auf Gaben von 0-52” Pankreon 4 mal täglich in 3 Tagen der Zucker verschwand. Dieser günstige Erfolg erklärt sich wohl mühelos aus der günstigen Beeinflussung der Verdauung durch das Pankreon, da bei Darmreizungen leichte Glykosurien beobachtet werden, die später verschwinden. Zudem bestand trotz der Pankreontherapie noch eine alimentäre Glykosurie von 0-8 Prozent weiter. Zülzer, Dohm und Marxer® fanden bei Tieren und Menschen eine Herabsetzung der Zucker- und Azetonausscheidung durch Extrakt von Pankreas, das einem Tiere auf der Höhe der Verdauung entnommen und enteiweißt war. Diese Herabsetzung erklärt sich jedoch sehr einfach: es traten regelmäßig nach der Injektion des Pankreasextraktes Schüttelfröste und Temperatursteigerungen ein, und sobald das Allgemeinbefinden wieder ungestört war, hatte auch die Zuckerausscheidung die alte Höhe wieder erreicht. Capparelli? benutzte einen durch Zerreiben von frischem Pankreas in 0-76 Prozent NaCl-Lösung gewonnenen Extrakt. „Diese Mischung spritzte ich in die Bauchhöhle eines durch die Pankreasexstirpation diabetisch gemachten Hundes; schon nach 36 Stunden fing der Zucker im Urin an, ! Ausset, Traitement du diabete pancreatique par l’ingestion de pancreas du veau. Semaine medicale. 1895. T. XV. p. 376. ?2 Wegele, Zur Diagnostik und Therapie des Pankreasdiabetes. 1902. ® Zülzer, Dohm und Marxer, Neuere Untersuchungen über den experimentellen Diabetes. Deutsche medizin. Wochenschrift. 1908. Bd. XXXI. S. 1380. * Capparelli, Über die Funktion des Pankreas. Biologisches Zentralblatt. 1892. Bd. XII. "Nr. 180.21997522606: ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 411 sich zu vermindern, und in den meisten Fällen verschwand er bald darauf vollständig.“ Gegen diese Angaben wandte sich bereits Pflüger! mit seiner Kritik. Nach ihm erklärt sich das erstaunliche Ergebnis dieser Versuche daraus, daß Capparelli sicher Teile der Drüse zurückgelassen hat bei der Exstirpation. Ein Beweis dafür ist der Umstand, daß die Tiere ungewöhnlich lange am Leben blieben. Und bei dem intermittierenden Charakter der Glykosurien, die durch partielle Pankreasexstirpationen ent- stehen, können über den Einfluß irgend eines Medikamentes auf die Glykos- urie keine Schlüsse gezogen werden. Auch hat Capparelli selbst nach dieser ersten Veröffentlichung kein Wort mehr über sein vermeintliches Heilmittel gegen den Diabetes verlauten lassen — ein Vorwurf, der übrigens alle hier abgehandelten Arbeiten fast samt und sonders trifft. Battistini? behandelte zwei schwere Fälle von Diabetes mit Glyzerin- extrakt vom Pankreas, indem er 5 bis 20m injizierte. Die Zuckeraus- scheidung verhielt sich folgendermaßen: J 1. Ball. SHE en HEN Zucker 10. IV. ö 0 . . 0 . 6 . 31-3 „ „ IV. BR PIENC/TERE er INK N 2 118% IV. ö a ö ö . . o e rk „ „ 14. IV. EL IRSNG.. ;, en H.RRVK BE a he a ee A DE » 2. Fall: 27. III. Pankreasextrakt injiziert. Kein Einfluß auf die Glykosurie. 27. DE ” PR) ” ” 9.V. Glykosurie im Mittel 622” täglich. 15. V. Pankreasextraktinjiziert. Sinken der Glykosurie auf 3 bis 58% täglich. „ ” „ Der Fehler von Battistini liegt darin, daß er zwei Dinge nicht berücksichtigt hat, die die Wirksamkeit des Pankreasextraktes in diesen Fällen sehr in Frage stellen: 1. daß im Anschluß an die Injektionen Störungen des Allgemeinbefindens eintraten, in einem Falle sogar ein Abszeß, der mit Fieber verlief; 2. daß er gleichzeitig mit der Pankreas- therapie oder kurz vorher das Regime änderte und die Patienten auf Fleisch- bzw. Hungerdiät setzte. ı E. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflügers Archiv. Bd. CXVII. S. 2745. h 2 Battistini, Über zwei Fälle von Diabetes mellitus mit Pankreassaft behandelt. Therapeutische Monatshefte. Oktober 1893. S. 494. 412 ERICH LESCHEKE: Vanni! injizierte Pankreasextrakt bei pankreasdiabetischen Tieren und fand eine Verminderung der Zuckerausscheidung. Pflüger (a.a.O., 8.277) wendet gegen diese Versuche ein, daß niemals die 24 stündliche Zucker- menge bestimmt wurde, sondern nur die Stärke der qualitativen Analyse als Anhaltspunkte für die Zuckerbestimmung diente — was freilich nicht ausreicht. Pflüger gewinnt sogar den Eindruck, daß die Injektionen das Absterben der Tiere eher beschleunigt haben — wir werden später noch sehen, wie richtig und wie wichtig diese Tatsache ist. Schließlich glaubte noch Vahlen?, das Heilmittel des Diabetes im Pankreas gefunden zu haben. Er annonciert es folgendermaßen: „Ich habe mit meiner Substanz“ — (einem Pankreasbestandteil, der den Zucker zwar nicht selbst zersetzt, aber die Zuckerzersetzung beschleunigt) — „Ver- suche an Phlorhizintieren angestellt mit dem — wie mir scheint (!) — unzweideutigen Ergebnis einer Herabsetzung der ausgeschiedenen Zucker- menge. Entscheidende Versuche werden an pankreasberaubten Hunden auszuführen sein, die ich vorzunehmen gedenke.“ „Möglicherweise gewinnt der von mir gefundene Pankreasbestandteil für die Therapie des Diabetes eine gewisse Bedeutung. Mindestens wird man ihn versuchsweise der praktischen Verwendung zuführen müssen. Es werden daher Schritte getan werden, seine Darstellung im Großbetriebe in die Wege zu leiten.“ Den Erfolg dieser Versuche wird man wohl erst abwarten müssen. Es zeigt sich also, daß alle bisherigen Versuche, den Pankreas- diabetes mit Pankreasextrakten zu heilen, welche angeblich einen positiven Erfolg erreicht haben, nichtfrei sind von Fehlerquellen und einer sorgfältigen Kritik nicht stand zu halten vermögen. II. Versuche über die Wirkung des Pankreasextraktes mit negativem oder ungünstigem Resultat. a) Injektion von Pankreasextrakt. Die ersten Versuche über die Wirkung des Pankreasextraktes beim Pankreasdiabetes hat Minkowski,® ausgehend von seiner Theorie der inneren Sekretion, selbst angestellt, und zwar, wie er angibt, mit negativem Resultate, tatsächlich jedoch, wie aus seiner Tabelle XII hervorgeht, mit dem Resultate einer vermehrten Zuckerausscheidung nach der Injektion des Extraktes. ı Vanni, Sugli effetti dell’ estirpazione del Pancreas. Ricerche sperimentali. Archiv. ital. di Clinica medica. 1894. p. 175. 2 Vahlen, Pankreas und intermediärer Stoffwechsel. Zentralblatt für Physio- logie. Juni 1908. Bd. XXII. S. 202, 8 Minkowski, Untersuchungen über den Diabetes mellitus. Archiv für experi- mentelle Pathologie und Pharmakologie. 1893. Bd. XXXIL S. 133. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 413 10. IV. Proz. Zucker 14.:1V; 12, IV. 13.1V. 14. IV. SZ V. 10,.1V. 71V. 5 18. IV. "0er „ (Das Tier ist krank.) Später etwa 5 Prozent. 2! 7 6 0 „ ) 1 be) 8 (Injektion eines frischen Pankreasextraktes.) an TO AISIISD Hedon! injizierte in einer ersten Versuchsreihe sterilisierten Pankreas- extrakt intravenös und subkutan in größerer Menge, ohne irgend einen Einfluß auf den Diabetes feststellen zu können. In einer anderen Versuchs- reihe injizierte er 508'= frisches Hundepankreas, daß er mit 50° Glyzerin und 100°® Wasser digeriert hatte, zunächst nach gewöhnlicher Filtration, wobei er jedoch Abszesse infolge der Gewebsverdauung erhielt, später nach Filtration durch eine Kerze unter CO,-Druck in der Gesamtmenge von 30° = Extrakt mit 30°= H,O in die Vena saphena. Das Verhalten der Tiere war folgendes: Bei der Injektion schrien sie laut auf, legten sich nachher sehr schwach hin und rührten ihre Nahrung nicht an. Am andern Morgen waren sie meist wiederhergestellt. Auf die Glykosurie sah Hedon keinen deutlichen Einfluß — in Wirklichkeit trat jedoch auch in seinen Versuchen eine vermehrte Zuckerausscheidung und Diurese nach der Injektion ein, wie folgende Zahlen beweisen: 25. II. 1893: Exstirpation des Pankreaspfröpflings. 26. I. 1880°”® Urin mit 448'” Zucker 27.0. 000 „en, 98. I. Be LSTIT- 1400,» 5» .87 , „ (Injektion von Pankreasextrakt.) SSnRL 1490, So ae, 2 EL, 940., Ale Williamson? kommt nach seinen Erfahrungen am Menschen zu dem Schluß, daß „alle Präparate, ob sie subkutan, intraperitoneal oder intravenös gegeben werden, völlig wertlos sind“, da die heilende Wirkung nur dem lebenden Pankreas allein zukomme. Hale White? hat bei Diabetikern sowohl frisches Schafspankreas per os als auch liguor pancreaticus subkutan gegeben, mit dem Erfolge ! Hedon, Travaux de physiologie. Paris 1898. p. 133. ®? Williamson, Note on pancreatic preparations in the treatment of diabetes. Practitioner. 1901. ® Hale White, On the treatment of diabetes mellitus by feeding on raw pancreas and by the injection of liquor pancreatieus. British medie. journ. Juni 1893. p. 452. 414 ERICH LESCHEKE: „that it is very doubtful whether feeding on fresh pancreas or subcutane- ous injection of liguor pancreatieus is of any benefit in diabetes mellitus.“ Seine Tabellen zeigen, was auch er nicht beachtet hat, ebensowenig wie die anderen Forscher, daß die Pankreastherapie nicht nur „not any benefit“ gebracht, sondern sogar die Zuckerausscheidung vermehrt hat. Ich bringe an dieser Stelle nur die beiden Versuche mit Injektionen, um die Versuche mit Fütterung von Pankreas im Zusammenhang mit den anderen Fütterungsversuchen zu behandeln. 1. Versuch. 1.bis 2. Tag . . 5284 grains Zucker SD RAINER EI; „ (Nach Injektion von Pankreassaft.) DO AATE.. h 2. Versuch. 14. bis 15. Tag . . 5144 grains Zucker (Injektion von Pankreassaft.) 6A er 95, N 18... lg 2226356: ;.,; ; 20 ae ee 5196 ” br] Außer mit Pankreasextrakt und -saft wurden auch Versuche mit ein- zelnen Pankreasfermenten angestellt, so injizierte Rosenberger! pankreas- diabetischen Hunden Zymase und fand dabei eine Steigerung des Zuckergehaltes im Urin. Dieses Ergebnis stimmt überein mit dem Resultate der Versuche, die Hildebrand? an normalen Tieren mit Injektion von Diastase angestellt hat: daß nämlich Injektion von Diastase die Assimilationsgrenze für gleichzeitig eingeführten Traubenzucker herabsetzt. „Nach subkutaner Injektion von O-38’m Diastase fand ich von 308m in den Magen gegebener Glukose 0.855" im Harne wieder, während normale Kaninchen nach diesem Quantum noch keine Glykosurie zeigen.“ Diese Versuche sind besonders wichtig für die Kritik der Versuche Lepines, den Diabetes durch Diastase günstig zu beeinflussen (s. S. 409 und 410). Auch die Versuche, mit Blutserum normaler Tiere den Pankreasdiabetes zu beeinflussen, haben zu keinem Ziele geführt, weder die Injektionen mit dem Blute der Vena pancreatico-duodenalis, die Alexander und Ehr- ! Rosenberger, Über Injektion von Zymase bei Pankreas diabetes. Deuische Ärztezeitung. 1902. 2 Hildebrand, Über die diuretische und chemotaktische Wirkung der Fermente. Virchows Archiv. 1893. Bd. CXXXL S. 30. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 415 mann! ausgeführt haben, noch die Versuche von O. Hess,? der normalen Hunden das Blutserum pankreasdiabetischer Hunde injizierte, um die innere Sekretion des Pankreas zu steigern und dadurch ein stärker antidiabetisch wirkendes Serum zu erhalten. Dieses Serum injizierte er pankreasdiabetischen Hunden mit „im ganzen negativem Resultate“, wenn auch zuweilen am Injektionstage die Zuckerausscheidung um ein weniges sank. b) Verfütterung von Pankreas. Wir haben gesehen, daß Injektionen von Pankreasextrakt mit Pankreasfermenten nicht nur keine Verminderung, sondern sogar eine Vermehrung der Glykosurie hervorrufen. Ähnliche Resultate haben verschiedene Autoren bei der Verfütterung von Pankreas erzielt, die zuerst großes Aufsehen erregten bei dem Widerstreit der Meinungen für und gegen die Pankreastherapie, dann aber nach einigen Jahren ziemlich unbeachtet gelassen wurden. Sandmeyer? hat umfangreiche Verfütterungsversuche gemacht mit dem überraschenden Resultate: „Durch Zulage von rohem Rindspankreas wurde bei diabetischen Hunden die Zuckerausscheidung um das 3 bis l14fache vermehrt.“ Diese Versuche sind wichtig genug, um wenigstens in ihren wesentlichen Resultaten an dieser Stelle reproduziert zu werden: Daten | Fleisch Pankreas y ; Zucker | grm grm | Prozent grn 4. IV. | 1000 — 0-3 2-12 DE, 1000 en 0-1 | 6-67 ER 1000 _ | Spur — leer, — 0-4 2.4 Br", 1000 100 rch | 1-1 .8 I 600 50 „ 3.0 21-9 10995 500 50 „ 38 22-8 TG»; 500 50 ,„ 4-0 22-8 10%, 550 _ | 3.2 11-84 3a;, 550 —_ 1-3 5:07 14; : ,; 550 1-4 5-25 ! Alexander u. Ehrmann, Untersuchungen über Pankreasdiahetes, besonders über das Blut der Vena pancreatico-duodenalis. Biochemisches Zentralblatt. 1908. 2 O0. Hess, Über das Wesen des Diabetes. Münchner med. Wochenschrift. 1902. S. 1449. ® Sandmeyer, Die Folgen der partiellen Pankreasexstirpation beim Hunde. Zeitschrift für Biologie. 1894. Bd. XXXL S. 48. 416 ERICH LESCHKE: Datum Fleisch Pankreas Zucker grm grm Prozent grm 5. | 550 50 gekocht 1-6 | 59 10 | 550 .. Bo 2-4 11-16 11, | 550 Bo 1-2 5-10 N | 550 2 Spur ak NO | 550 2. 0-4 1-48 20.08 | 550 _ 1-0 3-65 21% | 550 — 1-1 3-36 a | 550 501 | 38 18-24 a = | 550 80 „ I 4.2 21-0 DAR | 500 BO: | 3.7 18-87 25. „ | 1000 50 ,„ 4.7 25-85 285; | 1000 | - | 3-8 17-86 DIN | 1000 | — 2-0 10-56 28. „ | 1000 = 3.8 24-89 Mit Maisstücken ALL | 500 | r 2-6 12-43 2808 | 500 _ | 2-4 13-56 ya: 500 100 roh 2-8 17.30 oa 500. 20) 33-28 Sa | 500 100 „ 3:6 36-72 1. 8% | 500 1000: 4-2 41-68 0 | 500 100 .. | 5-4 28.35 3 | 500 100 „ | 4-2 23-41 AN 500 100m: 3-6 26-35 De 500 100.2. 5.0 26-55 Be | 500 OD 4-6 33-03 DVS | 500 100 „, 5+1 32-28 Bug | 500 | 100. 3-6 30.28 Gen | 500 10 4-0 30-44 10. | 500 OD 4-0 28-72 a 500 | 3.6 ? 12. „ 210 20 Raffinose 1-2 4-76 13423 500, 7 on | 1-2 4-14 140,5, 500 DON IR | 1-0 5-14 N. | 500 2On | 1-4 7-56 Diese Zahlen reden deutlich genug. Man kann es geradezu an der Stärke der Glykosurie ablesen, ob Pankreas gegeben wurde oder nicht. In den Tagen vom 8. IV. bis 11. IV. werden 76.32" Zucker ausgeschieden gegen 5.19s" in den 4 vorhergehenden Tagen, vom 22. IV. bis 25. IV. 83.96erm gegen 8.49srm in den 5 vorhergehenden Tagen. Und zwar kommt diese glykosurische Wirkung nur dem frischen Pankreas zu, nicht dem gekochten. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 417 Diese Beobachtungen von Sandmeyer wurden von vielen Seiten be- stätigt. Pflüger! kam in nicht ausführlich publizierten Versuchen zu dem gleichen Resultat. Lüthje? fand gleichfalls bei pankreaslosen Hunden eine Steigerung der Zuckerausscheidung durch Verfüttern von Pankreas. Versuche an Diabetikern wurden angestellt von mehreren englischen Autoren, mit dem angeblichen Ergebnis einer Wirkungslosigkeit der Pankreas- verfütterung. In den Arbeiten jedoch, bei denen Zahlenangaben gemacht werden, findet sich tatsächlich gleiehfalls eine deutliche Vermehrung der Zuckerausscheidung. Wood? fand bei subjektiver Besserung durch die Pankreasdarreichung eine Vermehrung des Zuckers von 7 Proz. auf 10 Proz. Mackenzie“* gab 3mal täglich !/, Unze Pankreas nach dem Essen mit dem Ergebnis einer subjektiven Besserung und objektiven Wirkungslosigket. Hale White® gab täglich 2 Unzen frisches Schafpankreas mit folgendem Resultat: 1. Versuch. 2 Tage vorkeran 7 2 2... 7419 grains Zucker nach der Fütterung: 1: bis! 2 ar 87278698, R 3 6172,71, R Das, x DATE „ 4. SUSWa 2. Versuch. Verben ee 22.8480 erains’ Zucker Nachher Me AI, 5 4668 , iy 3. Versuch. Vorher Erin 5355 grains Zucker Nachher 2 tobi AD, 2 Also auch hier nicht nur „no benefit“, sondern sogar eine Verschlechterung. Wills® gab täglich ein Pankreas, seine Zahlen zeigen weder eine Ver- mehrung noch eine Verminderung der (übrigens geringen) Glykosurie. Auch ıE. Pflüger, Ein Beitrag zu der Frage nach dem Ursprung des im Pankreas- diabetes ausgeschiedenen Zuckers. Pflügers Archiv. 1905. Bd. CVIH. S. 123. ® Lüthje, Die Zuckerbildung aus Eiweiß. Deuisches Archiv für klin. Medizin. 1904. Bd. LXXIX. ® Wood, The treatment of diabetes by pancreatic extract. British medie. journ. 1893. p. 64. * Mackenzie, The treatment of diabetes by means of pancreatic juice. Zbenda. 1893. p. 63. 5 Hale White, On the treatment of diabetes mellitus by oe on raw pancreas ete. Zbenda. 1893. p. 452. 6 Wills, A case of diabetes treated by the administration of raw pancreas. Ebenda. 1893. p. 1265. Archiv f. A.u. Ph, 1910. Physiol. Abtlg. 27 418 ERICH LESCcHKkE' Knowsley Sibley! fand neben subjektiver Besserung „no change in the percentage of sugar“ in seinen Fällen. i Marshall? erzielte eine vermehrte Zuckerausscheidung durch Pankreatin. Vor der Behandlung . . . 1760 grains Zucker 14 Tage Pankreatin . . . 2858 „, n Nachperodee © .. .... .. ©0000: =, 5 Wir sehen also, daß die Mehrzahl der Autoren ebenso wie nach der Injektion von Pankreasextrakt auch nach der Verfütterung von Pan- kreas eine vermehrte Zuckerausscheidung erhalten hat. Wie können wir dieses merkwürdige Ergebnis erklären? Sandmeyer meint (a. a. ©. S. 48), diese vermehrte Zuckerausscheidung nach Verfütterung von Pankreas könne im wesentlichen nur bedingt sein durch die bessere Ausnutzung der eingeführten Nahrungsstoffe. Auch Minkowski?® erklärt „diese auffallende und auf den ersten Blick paradox erscheinende Tatsache“ dadurch, daß „durch die Verabreichung von Pankreas eine bessere Ausnutzung der Nahrung möglich wurde“. Lüthje (a. a. ©.) führt die Steigerung der Glykosurie nach Verfütterung von Pankreas auf die Wirkung der Spaltungs- produkte des Eiweißes zurück, und diese Ansicht erhält eine wesentliche Stütze durch eine Reihe von Arbeiten, die zeigen, daß in der Tat die Spaltungsprodukte des Eiweißes die Zuckerausscheidung beim Diabetes ver- mehren. So fand Nebelthau* eine gesteigerte Glykosurie bei pankreas- ektomierten Hunden nach Verfütterung von Asparagin und Acetamid, Mohr? eine solche bei Diabetikern nach Verabreichung von Leuzin und Tyrosin, Kraus‘ das gleiche beim Phloretindiabetes nach Gabe von Alanin. Diese Erklärungen für das Zustandekommen einer vermehrten Zucker- ausscheidung nach Verabreichung von Pankreas sind zweifellos richtig; dennoch scheint es mir, daß auch irgendwelche Stoffe des Pankreas selbst an dieser Steigerung der Glykosurie direkt, nicht erst durch Vermittelung von Nahrungsstoffen oder Abbauprodukten des Eiweißes, schuld sind. Denn einmal reicht diese Erklärung doch nur für die nach Verfütterung, nicht ! Sibley, Brilish medic. journ. 1893. p. 579. ° Marshall, Treatment of diabetes by pancreatic extract. Zbenda. p. 743. ® Minkowski, Störung der Pankreasfunktion als Krankheitsursache. Lubarsch- Ostertags Ergebnisse der allgemeinen Ätiologie. 1896. Bd. I. 8. 78 Anm. * Nebelthau, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Zuckerbildung im Organismus. Münchner medizinische Wochenschrift. 1902. Bd. LXXIX. ° Mohr, Zuckerbildung im Diabetes mellitus. Zeitschrift für klinische Medizin. Bd. LI. ° Kraus, Über die Frage der Zuckerbildung aus Eiweiß im diabetischen Organis- mus. Berliner klinische Wochenschrift. 1904. Bd. XL]. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 419 aber für die nach Injektion von Pankreassubstanzen eintretende Steigerung der Zuckerausscheidung aus, und sodann bleibt es besonders in den Ver- suchen von Sandmeyer (S. 28) doch immer noch merkwürdig, daß — selbst nach Herabsetzung der täglichen Nahrungsmenge auf die Hälfte — der Zuckergehalt bis auf das 3 bis 1Ofache steigt. Schließlich werden meine eigenen Versuche zeigen, daß im Pankreas direkt glykosurisch wirkende Substanzen enthalten sind. c. Transplantation von Pankreas. Schließlich hat man noch versucht, den Pankreasdiabetes durch Transplantation von Pankreasgewebe zu heilen oder in seiner Intensität herabzusetzen. Diese Versuche sind spärlich, da ja auch die bisherigen Erfahrungen mit Injektion und innerlicher Verabreichung von Pankreas nicht gerade sehr ermutigend waren. E. Pflüger! transplantierte pan- kreaslosen Fröschen 1 bis 4 frische Pankreas von gesunden Fröschen in die Bauchhöhle und unter ‘die Rückenhaut. Das Ergebnis lautete: „Diese Pfröpflinge verhinderten das Entstehen des Diabetes niemals und hatten auf den Verlauf desselben nicht den geringsten Einfluß.“ Sogar am Menschen sind solche Transplantationsversuche leider angestellt worden, obwohl der Tierversuch nicht die geringste Berechtigung dazu gab — mit völlig negativem Ergebnis. Watson Williams? faßt seine Beobachtungen über Transplatation von Schaf(!)Jpankreas beim Menschen dahin zusammen: ‚practically nothing can be expected from such a treatment.“ III. Ergebnis der bisherigen Versuche, den Diabetes durch Pankreas- extrakt günstig zu beeinflussen. 1. Durch Injektion von Pankreasextrakt wird die Zucker- ausscheidung beim Diabetes nicht nur nicht vermindert, son- dern sogar erheblich vermehrt. Zugleich treten Störungen des Allgemeinbefindens dabei auf. Die vereinzelten Angaben über günstige Erfolge halten einer Kritik nicht stand. 2. Die Verabreichung von frischem Pankreas per os führt gleichfalls zu einer vermehrten Zuckerausscheidung. Ob diese lediglich durch die bessere Ausnutzung der Nahrung bedingt wird, bleibt fraglich. ! E. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes.. Vorläufige Mit- teilung. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXVII. S. 265 u. 300. ?® Watson Williams, Notes on diabetes treated with extracts and by grafts of sheep pancreas. British medic. journ. 1894. p. 1303. 21 420 ERICH LESCHKE: 3. Durch Transplantation von Pankreas läßt sich weder der Pankreasdiabetes der Tiere noch der menschliche Diabetes in seiner Intensität herabsetzen. Wir können diese Erörterungen mit den Worten E. Pflügers be- schließen:! „Die bisberige Untersuchung hat also den Beweis geliefert, daß in den zahlreichen mühevollen Arbeiten, welche der Begründung der inneren Sekretion des Pankreas gewidmet waren, keine Spur eines Be- weises enthalten ist. Die unbefangene Prüfung empfängt den Eindruck, daß die Injektionen von Pankreassaft keine Verringerung der Glykosurie zu erzeugen vermögen.“ „Negative Beweise aber haben an sich keine ent- scheidende Kraft, wenn nicht der Beweis vorliegt, warum sie negativ sind.‘ SS 3 bis 6. Eigene Versuche. $3. Begründung der eigenen Versuchsanordnung. Der Pankreasdiabetes beim Frosch. Als ich im Herbste 1908 meine Versuche über die Wirkung des Pankreasextraktes bei pankreasdiabetischen Tieren begann, war mir dieses Ergebnis der bisherigen Versuche noch ebenso unbekannt, wie den meisten Autoren selbst, die nur von einer Wirkungslosigkeit des Pankreasextraktes zu berichten wußten, während doch tatsächlich ihre eigenen Zahlen eine Vermehrung der Glykosurie zeigten. Aber, wie Pflüger sagt: „Negative Beweise haben an sich keine entscheidende Kraft, wenn nicht der Beweis vorliegt, warum sie negativ sind.“ ’ Und gegen alle diese Arbeiten, die zu einem negativen Ergebnis ge- führt hatten, ließ sich ein Einwand erheben, den zu untersuchen ich mir auf Veranlassung meines verehrten verstorbenen Lehrers Hrn. Geh: Rat Prof. Dr. E. Pflüger zur Aufgabe stellte. Der Einwand war nämlich dieser: Da durch die Untersuchungen von Minkowski, Pflüger,? Bierry und Mme Gatin-Gruiewska? u. a. festgestellt worden ist, daß nach der Exstirpation des Pankreas der Diabetes bereits nach 1!/, bis 21/, Stunden eintreten kann, so muß angenommen werden, dab — unter Voraussetzung der Theorie der inneren Sekretion — „der durch die innere Sekretion des Pankreas erzeugte hypothetische Stoff, welcher den Stoff- 1EN.2.081289, ? Pflüger, Ob die Totalexstirpation des Pankreas mit Notwendigkeit Diabetes bedingt? Pflügers Archiw. 1905. Bd. CVI. 8. 182. :M. H. Bierry und Mme. Gatin-Gruiewska, C. R. Soc. Biol. T. LVII- Mai 1905. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 421 wechsel der Kohlehydrate regulieren soll, offenbar sehr schnell verbraucht wird und kaum länger als eine Stunde wirksam sein kann“ (Pflüger). Die geringen Mengen Pankreassubstanz jedoch, die bei den bisherigen Versuchen eingeführt worden sind, konnten unter diesen Bedingungen nicht ausreichen, den Diabetes zu verhindern. Wenn man daher durch Injektion von Pankreasextrakt das Auftreten des Diabetes nach der Pankreas- exstirpation verhindern wollte, konnte man nur durch kontinuier- liche Injektion größerer Mengen von Pankreasextrakt in kleinen Zeit- abständen Aussicht auf Erfolg haben. Auf Grund dieser Überlegungen wählte ich daher folgende Versuchs- anordnung: ich injizierte in Zeitabständen von 2 bis 3 Stunden den jedesmal frisch bereiteten Estrakt aus zwei Pankreas, so daß auf jede Stunde ein Pankreas kam, anfänglich Tag und Nacht, durch 24 Stunden hindurch, später nur am Tage durch 12 bis 14 Stunden hindurch. Obwohl es nach den Erfahrungen, die man mit den wirksamen Sub- stanzen in anderen Drüsen mit innerer Sekretion sowie mit den übrigen Fermenten des Pankreas selbst gemacht hat, nicht wahrscheinlich ist, daß die hypothetische antidiabetische Substanz des Pankreas für jede Tierart eine spezifische ist, benutzte ich doch bei meinen Versuchen, um ganz sicher zu gehen, stets Pankreas derselben Tierart, und da ich für jeden einzelnen Versuch eine große Menge jedesmal frisch zu entnehmenden Pankreas be- nötigte, kamen als Material für meine ohnehin hinreichend kostspieligen Untersuchungen nur Frösche und Meerschweinchen in Betracht. Der Pankreasdiabetes der Frösche, den Minkowski übersehen und erst Pflüger sichergestellt hat, ist eine ebenso konstante wie in wenig Tagen tödlich verlaufende Änderung des Stoffwechsels nach der Exstirpation. Bereits nach 8 Stunden habe ich Zucker gefunden; die Reaktion trat trotz der wenigen Tropfen Urin manchmal schon nach Minuten, jedenfalls aber nach wenigen Stunden deutlich ein. Man findet dann bei der Probe nach Worm-Müller einen gelbroten bis rotbraunen Niederschlag am Boden des Reagensglases. (Bei geringeren Urinmengen und geringerem Zuckergehalte tritt entweder ein grüner flockiger Niederschlag oder eine ausgesprochene grüne Färbung während des Erkaltens der Flüssigkeit ein, die von Pflüger als „grüne Reaktion“ bezeichnet und, da sie nach der Gärung verschwindet, als Beweis für geringe Mengen von Zucker angesehen wird.) Ich habe in allen meinen Versuchen in Übereinstimmung mit Pflüger, Loewit u.a. bei Fröschen, die überhaupt Glykogen besaßen (also in erster ı Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflügers Archiv. 1907. BdzCxVIlT. 8.1282 422 ERICH LESCHKE: Linie Winterfröschen), nach der Pankreasexstirpation ausnahmslos Diabetes erhalten. Auf diese Tatsache muß ich um so nachdrücklicher hinweisen, als Minkowski! auch in seiner neueren Arbeit wieder behauptet, daß „der Frosch ein für das Studium des Pankreasdiabetes durchaus ungeeignetes Versuchstier ist“. Ich schließe mich vielmehr auf Grund meiner Be- obachtungen vollkommen dem Urteile Loewits? an: „Es kann mit Be- rechtigung gesagt werden, daß alle oder nahezu alle unter günstigen Bedingungen pankreasexstirpierten Frösche diabetisch werden, womit die Verwendbarkeit des Frosches für das Studium des Pankreasdiabetes erwiesen. erscheint.“ Die Exstirpation des Pankreas führte ich folgendermaßen aus: In Äthernarkose wird nach vorausgegangener Sublimatwaschung der Bauchhaut unter aseptischen Kautelen die Bauchhöhle rechts von der Linea alba eröffnet, wobei sorgfältig jede Verletzung der Vena abdominalis, die allein den Kollateralkreislauf zur Leber nach Unterbindung der Pfortader ermög- licht, vermieden werden muß. Hierauf wird mit einem stumpfen Haken der Magen vorgezogen, das Pankreas mit der Pinzette gefaßt und die Leber nach oben umgeschlagen, so daß die Pars hepatica pancreatis, die bis in die Leberpforte hineingeht, freiliest. Um diese wird an ihrem äußersten Ende in der Leberpforte ein Seidenfaden geschlungen und dadurch die Pfortader abgebunden, die durch diesen Teil des Pankreas verläuft und nicht geschont werden kann. (Diese eine Ligatur genügte mir während des Verlaufs der ganzen Operation vollständig zur Vermeidung jeder Blutung, so daß es mir unnötig erscheint, nach dem Vorschlag von Loewit 3 bis 4 Ligaturen anzulegen. Ich habe nie bei der Sektion postoperative Blutungen gefunden. Und je schneller man operiert, um so besser ist die Prognose.) Hierauf wurde das Pankreas von der Leberpforte abpräpariert, sodann von der Milz, zu der es sich oft in mehreren Ausläufern erstreckt, und schließlich mit samt dem Mesenterium ganz scharf vom Magen, Duodenum und Jejunum abgetrennt, ohne daß auch nur das Geringste stehen blieb. Von der Genauigkeit der Operation habe ich mich nachträglich in mehreren Fällen bei Tieren, die erst am 7. bis 8. Tage ad exitum kamen und bei denen der Verdacht eines Zurücklassens von Pankreassubstanz trotz des aufgetretenen Diabetes möglich war, durch mikroskopische Unter- suchung der Leberpforte, sowie des Magens und Duodenums in Serien- schnitten überzeugt, daß tatsächlich alles Pankreasgewebe entfernt war. Schließlich wurden Peritoneum und Muskeln, zuletzt die Haut mit fort- " Minkowski, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1908. Bd. LVIIL. S. 286. ” Loewit, Diabetesstudien. III. Der Pankreasdiabetes beim Frosch. Zbenda. 1909. Bd. LXII. 8.4. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 423 laufenden Seidennähten geschlossen und dem Tier ein Urinal übergezogen nach dem Vorgange von Pflüger, um eine Verunreinigung des Urins mit Blut und Wundsekret zu vermeiden. Die Dauer der Operation betrug nach einiger Übung bis zum Schluß der Hautnaht nur 15 Minuten. Die Tiere waren nachher sehr munter und blieben, wenn sie nicht weiter alteriert wurden, im Eisschrank bei 4 bis 6° und im Zimmer bei 10 bis 12° 6 bis 8 Tage am Leben. Bezüglich der Lebensdauer weichen bekanntlich die Angaben der Autoren voneinander ab: Pflüger erzielte nie mehr als 3 bis 6 Tage, Marcuse! 8 bis 10 Tage, Loewit 10 bis 29 Tage. Diese Verschiedenheiten sind bedingt durch die Technik der Operation sowie durch die verschiedene Widerstandsfähigkeit der Tiere. Der erste Umstand ist besonders wichtig: die besten Erfolge erzielte ich, wenn ich ohne Narkose operierte und keine Urinale anlegte, auch die Tiere nicht anfaßte, besonders ihnen nicht die Blase ausquetschte. Ich habe dabei die Tiere nach Pankreas- und sogar Leberexstirpationen 10 Tage am Leben halten können. In diesen Versuchen jedoch, in denen es mir auf die Gewinnung eines möglichst reinen Urins ankam, mußte ich die Urinale verwenden. Die Glykosurie setzte meistens bereits in den ersten Stunden oder wenigstens am ersten Tage ein, in seltenen Fällen später, und stieg sehr schnell zur maximalen Höhe an. Jedoch ist ihre Stärke sehr wechselnd, es können Remissionen und Intermissionen (sehr oft allerdings nur scheinbare, auf Anurie beruhende) vorkommen. 1 bis 2 Tage vor dem Tode pflegt sie oft zu verschwinden, jedoch nieht in allen Fällen. Albuminurie habe ich übereinstimmend mit Loewit in den meisten Fällen gefunden — doch möchte ich wegen der leichten Möglichkeit der Beimischung von Blut und Wundsekret keine Schlüsse daraus ziehen. Der Tod tritt ein durch Autointoxikation unter den Erscheinungen zunehmender motorischer Schwäche und Koma, ohne Krämpfe, wie auch Marcuse und Loewit beschrieben haben. Der Sektionsbefund ergab regelmäßig Veränderungen, die wohl in erster Linie durch die Unterbindung der Pfortader bedingt sind: starke nervöse Hyperämie des Magens und Darms mit kleinen Ekehymosen; reichlichen glasigen Schleim im Magen; Vergrößerung der Milz; starke Blutfüllung der Nieren; gelbe Verfärbung der Leber. Der Pankreasextrakt wurde für jede Injektion frisch hergestellt durch Herausnahme des Organs unmittelbar nach Tötung des Tieres, Zerreiben im Mörser mit feinstem ausgewaschenem und ausgekochtem Quarzsand (alles 1 Marcuse, Dies Archw. 1894. Physiol. Abtlg. S. 509. Derselbe, Zeitschrift für klinische Medizin. 1894. Bd. XXVI. S. 225. 424 ERICH LESCHKE: unter aseptischen Kautelen) und steriler physiolog. NaCl-Lösung 0-6 Proz. Nach Filtration durch Glaswolle wurde der frische Extrakt sofort injiziert (meist intraperitoneal). Die jedesmal den Fröschen injizierte Menge betrug labisı2icau Die Versuche sind ihrer sachlichen Zusammengehörigkeit nach, nicht chronologisch geordnet. $4. Wirkung des Pankreasextraktes auf pankreas- diabetische Tiere. I. Vermehrte Zuckerausscheidung bei Anwendung frischen Pankreasextraktes. 1. Versuch. 15.IX. 1908. Pankreasexstirpation bei 4 Fröschen, Frosch 1 und 2 von Hrn. Geh. Rat Prof. Dr. Pflüger ausgeführt, Frosch 3 und 4 von mir. Frosch 2 und 4 dienten als Kontrolltiere, Frosch 1 und 3 wurde frisches Pankreasextrakt injiziert, und zwar: Frosch 1: 1, 3, 5, 7, 10 Uhr nachm., 2, 5 Uhr nachts. Exitus 6 Uhr. im euren 15 Pankreas. Urin: — (kein Urin entleert). Frosch 3: um 1,3, 5, 7, 10 Uhr nachm. Exitus 11 Mine im ganzen 10 Pankreas. Urin: +-+. Kontrolltiere: Frosch 2 . . . . Urin +. ie gr e: u ee 2. Versuch. 28. XI. 1908. Pankreasexstirpation an 8 Fröschen, von denen 4 als Versuchstiere und 4 als Kontrolltiere benutzt wurden. Den 4 Versuchstieren wurde jedesmal frisch bereiteter Pankreasextrakt in 2stündlichen Intervallen subkutan und intraperitoneal injiziert, den 4 Kontroll- tieren 0-6 Proz. NaCl-Lösung in der gleichen Menge. Der Extrakt wurde vor jeder Injektion aus 8 (nur zweimal aus 6) frisch entnommenen Frosch- pankreas hergestellt, so daß auf jedes Tier pro Stunde 1 Pankreas kam (im ‚ganzen 44 Pankreas). Die Injektionen führten zu folgendem Ergebnis: Frosch.| Operation Injektion von Pankreasextrakt Rassen Zucker vorm. abends E il, 91, 90, - 1 Tees" 91), ne Sc) Bo8 10 10. ..%.12,. oe le ++ Zelles To lol, 11.30 Kost oe ron + zZ A. 11 ib, 2. v ae 11 ++ Injektion von 0-6 Prozent NaCl S | 1. 95% Se 12. 2. 4.08, Salh + (schwach) 2 2. oo. -12., 2. ao + >=| 3 100 100.2. A. 6. 810° 10S0 Be Schwach) a 4. u 2 4 Nee oe + ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 425 Dieselben Zuckerreaktionen bleiben auch in den folgenden Tagen. Die Versuchstiere gehen am 2. und 3. Tage zugrunde, die Kontrolltiere erst am 4. bis 7. Tage. Ergebnis: 1. Injektion von frischem Pankreasextrakt in 2stündlichen Intervallen (1 Pankreas pro Stunde) vermehrt die Zuckerausscheidung bei pankreasdiabetischen Tieren. 2. Die Versuchstiere gehen schon am 1. bis 3. Tage zu- grunde, die Kontrolltiere erst am 4. bis 7. Tage. II. Unveränderte Zuckerausscheidung bei Anwendung inaktivierten Pankreasextraktes. Das Ergebnis der ersten Versuchsreihe war genau das Gegenteil von dem, was wir unserer Voraussetzung nach erwartet hatten. Denn wenn das Pankreas auf dem Wege der inneren Sekretion eine antidiabetisch wirkende Substanz abgibt, so mußte diese Substanz bei den großen Mengen von Pankreasextrakt, die ich in so kurzen Zeiträumen injizierte, unbedingt ihre antidiabetische Wirkung entfalten. Das gerade Gegenteil trat ein: die Injektionen verstärkten den Diabetes und verkürzten die Lebensdauer der „behandelten‘‘ Tiere. Diese deletäre Wirkung des Pankreasextraktes bezog ich naturgemäß auf die Fermente der äußeren Sekretion. Ich suchte daher dieselben durch Inaktivierung des Pankresextraktes auszuschalten, wobei die Möglichkeit bestand, daß die hypothetische antidiabetische Substanz der inneren Sekretion nicht zugleich mit unwirksam gemacht wurde, da ja auch die wirksamen Bestandteile der bisher bekannten Drüsen mit innerer Sekretion (Nebenniere, Schilddrüse, Hypophysis usw.) hitzebeständig sind. Ich erhitzte daher den Pankreasextrakt erst auf 75 bis 80° im 1. und etwa 70° im 2. Versuch, ehe ich ihn injizierte, um die Fermente zu inaktivieren. 1. Versuch. 16. XI. 1908. Ich benutzte zu diesem Versuch die zwei Kontrollfrösche 2 und 4 des 1. Versuches der I. Versuchsreihe, denen ich am vorhergehenden Tage (15. XI.) das Pankreas exstirpiert hatte und die eine starke Zuckerausscheidung zeigten. Frosch 2 erhielt Pankreasextrakt, der bei 75 bis 80° inaktiviert worden war (16 Pankreas), Frosch 4 frischen Pankreasextrakt (6 Pankreas). Frosch Extrakt ; Injektionen Exitus Zucker 2: | Pankreasextrakt | 1. 3. 6. 9(nachm.). 12 (nachm.) | 3% (nachts) _ auf 75—80° erhitzt Frischer Pankreas- | 1. — 6 (nachm.). 9b (nachm.) ++ extrakt 4. 426 ERICH LESCHKE: Dieser Versuch zeigt, wie vorsichtig man in der Bewertung negativer Ergebnisse sein muß: das Fehlen des Zuckers im Urin des 2, Frosches beweist natürlich nichts für eine etwaige antidiabetische Wirkung des in- aktivierten Pankreasextraktes, da solches Fehlen vor dem Tode eine häufige Erscheinung ist. Frosch 4 ergab eine viel stärkere Reaktion als am Tage vorher (S. 424 letzte Zeile). 2. Versuch. 21. IX. 1908. Pankreasexstirpation bei 8 Fröschen, 4 Versuchs- und 4 Kontrolltieren. Den Versuchstieren wird 2 bis 3 stünd- lich jedesmal frisch bereiteter Pankreasextrakt, der durch 15 Minuten langes Erhitzen auf etwa 70° inaktiviert worden war, intraperitoneal und subkutan injiziert (im ganzen 38 Pankreas), den Kontrolltieren die gleiche Menge (1.5 ° =) 0-6 Proz. NaCl-Lösung zu den gleichen Zeiten. Die Injektionen finden statt um 11 Uhr vormittags, 1, 3!/,, 6!/,, 10%/, Uhr nachm., die Re- aktionen werden in !/, stündlichen Intervallen genau 12 Stunden nach der Operation des betreffenden Tieres gemacht. Frosch 21. XI. |22..X1| 23. XL) 24: XI 0125. X126. XT2TXT 23 X e 1 m | + |+ Exitus! | = | 2. + schwach | + |-+ Exitus =e= | 3. + + |+ Exitus | = A. + + |-+ Exitus , il, + | + + + Exitus ea 2 + In + + Exitus | a2 3 + + + + + | + + + Exitus = 4. + - + + + + + | + Exitus Ergebnis: Injektion von Pankreasextrakt, der bei 70 bis 80° inaktiviert worden ist, beeinflußte die Stärke der Glykosurie in keiner Weise. Jedoch gingen die Versuchstiere früher zugrunde als die Kontrolltiere. Dieses letzte Ergebnis erklärt sich daraus, daß nach der Erhitzung auf 70 bis 80° doch noch toxische Substanzen im Pankreassaft erhalten bleiben, die erst beim Aufkochen bei 100° zerstört werden, wie die Versuche des nächsten Paragraphen zeigen werden. $5. Wirkung des Pankreasextraktes auf normale Tiere. I, Glykosurische und toxische Wirkung des frischen Pankreasextraktes. Um diese merkwürdige und nach allen Voraussetzungen der Theorie der inneren Sekretion des Pankreas völlig unverständliche Wirkung des Pankreasextraktes auf den Stoffwechsel pankreasdiabetischer Tiere erklären zu können, war es notwendig, dieselben Versuche an normalen Tieren anzustellen. | ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 427 Untersuchungen in dieser Richtung lagen so gut wie gar nicht vor. Hildebrand (a. a. O.) hatte die letale Dosis von Diastase und Invertase bestimmt, auch-hatte er, wie schon Seite 26 erwähnt worden ist, nach subkutaner Injektion von Diastase die Assimilationsgrenze für Traubenzucker erheblich herabgesetzt gefunden. Arthaud und Butte! konnten zwar nach Injektion von (pflanzlicher) Diastase keinen Diabetes erzielen, doch mögen ihnen kleine Zuckermengen, wie sie nur nach der Worm-Müllerschen Probe nach längerem Zuwarten nachweisbar sind, entgangen sein. Schließ- lich liegen noch Untersuchungen von Ghedini? vor, der die Wirkung ver- schiedener Organextrakte im Laboratorium von Prof. Perroneito in Turin untersuchte, aber leider gar keine klinisch-physiologischen Angaben bringt, sondern nur pathologisch-anatomische, die nach der Injektion der ver- schiedenen Drüsenextrakte (Pankreas, Schilddrüse, Leber, Niere usw.) gar nicht sehr voneinander abweichen, da er fast in allen Fällen paren- chymatöse degenerative Hepatitis mit perivaskulären Infiltraten, hyper- plastische follikuläre Splenitis, parenchymatöse degenerative Nephritis und Vergrößerung der Lymphdrüsen fand. (Er injizierte jeden 2. Tag 20 bis 30° m Organextrakt.) Andere Untersuchungen über diesen Gegenstand sind mir nicht bekannt. Ich injizierte also normalen Tieren unter denselben Bedingungen den Pankreasextrakt wie bei den pankreasdiabetischen Tieren. Und zwar machte ich drei Versuchsreihen: | 1. mit frischem Pankreasextrakt. 2. mit bei 70° inaktiviertem Pankreasextrakt. 3. mit auf 100° erhitztem Pankreasextrakt. 1. Versuch. 11.1.1909. 2 gesunden Fröschen wird jedesmal frisch hergestellter Pankreasextrakt aus im ganzen 24 Pankreas durch 12 Stunden hindurch in 2stündlichen Intervallen injiziert, und zwar um 9"/,, 11t/,, 1?/,, 31/,, 5t/,, 7'/, Uhr, so daß jedes Tier ein Pankreas pro Stunde erhält, die gleiche Dosis, die ich den pankreasexstirpierten Tieren injiziert hatte. Die Urinuntersuchung auf Zucker ergab zu meinem Erstaunen: Frosch 12.1. | 13. 1. | TE | 16. 1. 1. | ee ++ + Exitus 2. | + | zZ +++ Exitus Die Sektion der Tiere, die nach der letzten Injektion am Abend des 1. Tages vollkommen in Ruhe gelassen worden waren, ergab auber einer ! Arthaud et Butte, ©. R. de la Societe biolog. T. XLU. ? Ghedini, Untersuchungen über die Wirkung einiger Organextrakte. Zenzral- blatt für Bakteriologie. Bd. XXXIV. 8. 721. 498 ERICH LESCHKE: geringen Rötung der Därme keinen Befund.! Das Gewicht betrug 41 und 438%, Die von Hrn. Geh. Rat Prof. Dr. E. Pflüger selbst ausgeführte Glykogenanalyse ergab: Frosch 1 . . . 0.34 Proz. Glykogen Brosch. 2:11:08 3 Die Möglichkeit, daß nur die Injektion einer größeren Flüssigkeits- menge mit Na0l-Gehalt oder die Temperatur des Eisschrankes (4 bis 6°) allein einen so schweren und tödlich verlaufenden Diabetes erzeugen könnte, würde, so unwahrscheinlich sie auch war, doch in diesem und in allen anderen Versuchen durch Kontrolltiere, die zusammen mit den Versuchs- tieren im Eisschrank gehalten wurden und die gleiche oder noch größere Menge physiolog. NaCl-Lösung 0.9 Proz. injiziert bekamen, gänzlich aus- geschlossen: Der Urin dieser Tiere ergab niemals eine Spur Zucker. Um zu sehen, ob die Frösche auch im Sommer trotz des verschwindend kleinen Glykogengehaltes dennoch auf Injektion von frischem Pankreas- extrakt mit einer Glykosurie antworten würden wie im Winter, injizierte ich in den zwei folgenden Versuchen im Juli gesunden Fröschen den frischen Extrakt aus 48 bzw. 24 Pankreas, die ich ein bis zwei Stunden nach ihrer Tötung im physiologischen Praktikum (in dem nur die Frosch- schenkel zu Ischiadicusreizungen benutzt wurden) herauspräparierte. Der Umstand, daß ich die Organe nicht sofort nach der Tötung entnehmen und vor allem, daß ich nicht vor jeder Injektion den Fxtrakt frisch herstellen konnte, so daß eine Autolyse unvermeidlicherweise sehr bald eintrat und sich auch durch die veränderte Farbe und den schärferen Geruch kund tat, diese Umstände haben es wohl unterstützt, daß die Glykosurie nicht so stark ausfiel wie in den ‚Versuchen im Winter. Der Hauptgrund der schwächeren Glykosurie im Sommer liegt aber wohl darin, daß der Glykogengehalt der Frösche gerade im Mai bis Juli sein Minimum erreicht und nach den Untersuchungen von Athanasiu? in diesen Monaten bis unter 0-2 Proz. sinkt, während er Ende September sein Maximum von 1-4 Proz. erreicht und bis zum März etwa auf 1 Proz. bleibt. Diese Tatsache hat sogar auf den Pankreasdiabetes der Frösche Einfluß, wie auch E. Pflüger in seinen „Untersuchungen über den Pankreasdiabetes“ (a.a.0. S.294) hervorhebt, daß „die Totalexstirpation des Pankreas im Winter eine viel stärkere Glykosurie erzeugte, als nachdem die Temperatursteigerung im März sich vollzogen hatte, Die Untersuchung ergab, daß tatsächlich der beim Herannahen des Frühjahres sehr geringe ! Ebenso ergaben Kulturen von Blut und Bauchhöhlenserum auf Bouillongelatine keinen Befund. | ? J. Athanasiu, Über den Gehalt des Froschkörpers an Glykogen in den ver- schiedenen Jahreszeiten. Pflügers Archiv. 1899. Bd. LXXIV. S. 565. n ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 429 Grad von Glykosurie bei dem Pankreasdiabetes des Frosches immer mit einem sehr niedrigen Glykogengehalt des Tierkörpers zusammenfiel.“ Ich glaube, daß diese Umstände die geringere Stärke der Glykosurie in den beiden folgenden Versuchen vollkommen erklären. Das Wesentliche ist ja doch schließlich, daß trotz dieser ungünstigen Umstände dennoch nach Injektion von Pankreasextrakt überhaupt Zucker ausgeschieden wurde. 2. Versuch. 3, VI. 1909. 4 gesunden Fröschen wird der Pankreas- extrakt von 48 Froschpankreas, die 2 Stunden nach der Tötung entnommen wurden und zusammen 40°" Extrakt ergaben, in 3stündlichen Intervallen injiziert. Das Ergebnis war: Frosch | 3. VIL ee | one Bemerkungen + schwach | Exitus nach 11 Stnnden. 2. (+) | > = Exitus am 3. Tage. | grüne Reaktion % (+) Exitus nach 10 Stunden. ı grüne Reaktion 4. | => + => Exitus am 3. Tage. 3. Versuch. 10. VII.1909. 2 gesunden Fröschen wird frischer Pankreas- extrakt aus 24 Froschpankreas injiziert. Die Pankreas wurden, wie im vorigen Versuch, 2 Stunden nach der Tötung der Tiere im physiologischen Praktikum entnommen und zusammen extrahiert. Um die toxische Wirkung des Extraktes etwas zu mildern und die Frösche länger am Leben zu er- halten, wurde nur alle 4 bis 6 Stunden 1 bis 2 °" Rxtrakt injiziert, und zwar erhielt Frosch 1 nur 3 Injektionen (im ganzen 5°" Extrakt), Frosch 2 erhielt 4 Injektionen (6° Extrakt. Es wurde nicht aller Extrakt auf- gebraucht. Das Ergebnis war: Frosch | Pankreasextrakt| 10. VI | 11.VII. a sg. . a: Exitus | | 2. | er h 12 h gi | ai schwache grüne . | Reaktion | Reaktion | Faitus Es gelang also trotz aller Vorsicht bei der Injektion, trotz der großen Zeitintervalle und trotz der geringen Extraktmenge nicht, weder die toxische noch die glykosurische Wirkung des Pankreasextraktes aufzuheben, am wenigsten die toxische. Dieselben Versuche stellte ich auch am Warmblütler an, und zwar benutzte ich große Meerschweinchen, von denen mir Herr Geh. Rat Prof. Dr. Pflüger in liebenswürdigster Weise eine große Anzahl zur Ver- fügung stellte. 430 Erich LESCHKE: Das Pankreas der Meerschweinchen durchsetzt, ähnlich wie das der Kaninchen, einen so großen Teil des Mesenteriums, daß seine Totalexstir- pation in vivo unmöglich ist und man nur bei der Sektion annähernd alle seine Verzweigungen und Ausläufer herauspräparieren kann. Es erstreckt sich links bis an die Milz, mit deren Kapsel es oft so fest verwachsen ist, daß man es ohne Beschädigung derselben nicht entfernen kann, nach hinten bis an die linke Nebenniere, verläuft dann in dem Teil des Omen- tum minus, der an der kleinen Kurvatur des Magens ansetzt, bis zur Porta hepatis und erstreckt sich nach unten in zahlreichen feinsten Ausläufern, die wie ein dünner Schleier das Mesenterium trüben, zum Duodenum und Jejunum. Die Herausnahme erfolgte unmittelbar nach Tötung des Tieres und möglichst aseptisch. Die Extraktion erfolgte wie gewöhnlich (S. 423f.). 4. Versuch. 16.1. 1909. Einem Meerschweinchen wurde in 12 Stunden 7 mal Extrakt aus im ganzen 11 Pankreas von frisch getöteten Meer- schweinchen injiziert (60°®), einem zweiten Meerschweinchen als Kontroll- tier 7 mal je 10 °® einer 0-9 Proz. NaCl-Lösung. Die Untersuchung des Urins auf Zucker ergab: Injektion | I6.E | Era | | Versuchstier: | 60 cm Pankreasextrakt SL | + Exitus | Kontrolltier: 70 „ 0-9 prozent. NaCl Obduktion. Muskulatur der Bauchwand angedaut an der Stelle, an der der injizierte Pankreasextrakt lag. In der Bauchhöhle geringe Flüssig- keitsmenge. Keine Veränderungen der Organe. Zuckerreaktion des enteiweißten Serums: Blut: + (gelber Niederschlag). Bauchhöhlenflüssigkeit: + (gelbroter Niederschlag). Ergebnis: Injektion von größeren Mengen Pankreasextrakt bewirkt bei normalen Tieren und zwar sowohl bei Kalt- wie bei Warmblütlern Glykosurie und führt nach wenigen Tagen zam Tode. Bei Fröschen erzeugt Injektion von Pankreasextrakt im Sommer eine geringere Glykosurie als im Winter, entsprechend dem geringeren Glykogengehalt der Frösche in dieser Jahreszeit. Die toxische Wirkung dagegen bleibt unverändert. Die Glykosurie tritt nicht nur am Tage der Injektion auf, sondern dauert bis zum Tode an. Sie beruht auf einer Hyper- glykämie. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 431 II. Geringe glykosurische und toxische Wirkung des bei 70° inakti- vierten Pankreasextraktes. Der Gedanke lag nahe, die in der vorhergegangenen Versuchsreihe an normalen Kalt- und Warmblütlern gefundene glykosurische und toxische Wirkung des frischen Pankreasextraktes auf die Fermente der äußeren Se- kretion dieser Drüsen zu beziehen. Ich versuchte daher in der folgenden Versuchsreihe, diese Fermente unwirksam zu machen, ohne jedoch dabei höhere Temperaturen anzuwenden, als eben zu ihrer Inaktivierung not- wendig sind. Die Zerstörungstemperaturen der Fermente sind schon wieder- holt bestimmt worden, ohne daß ganz genaue und scharf begrenzte Zahlen dabei gewonnen worden sind. Ich beschränke mich auf die drei wichtigsten Pankreasfermente: Trypsin, Diastase und Steapsin, ohne auf die unbedeuten- deren Fermente wie Pankreaserepsin, Nuklease, Glutinase, Pankreaslab u. a. einzugehen, deren Zerstörungstemperaturen von denen der drei wichtigsten Fermente nur unbedeutend abweichen, soweit sie überhaupt bestimmt sind. Die Vernichtungstemperatur des Trypsins wird’zu 75—80°, in schwach alkalischer Lösung zu 50°, in neutraler zu 45° von Biernacki! angegeben. Nach Heidenhain? verliert es bei längerem Erwärmen seine Wirksam- keit bereits bei 37° (2), was zwar von Vernon® und Mays“* bestätigt, dagegen von Kühne,? Salkowsky,® Ewald’ u. a. bestritten wird. Ich selbst fand nach ca. 20 Minuten langem Erhitzen des Pankreasextraktes auf 70— 75° keine sichtbare Wirkung auf Fibrinflocken mehr. Die Zerstörungstemperatur der Diastase liegt nach Dufresne® bei 58°, nach Biernacki (a. a. 0. S.49) hängt sie jedoch von dem Verdünnungs- grade ab und wechselt mit diesem. Oppenheimer” bestimmte sie zu ca. 65°. Diese letztere Zahl erwies sich auch bei meinen Versuchen als an- nähernd richtig; jedenfalls habe ich bei längerem Erhitzen auf 70° keine Invertierung gekochter Stärke (nach Kühne und Vernon [a.a.0.] wirkt sie ! Biernacki, Zeitschrift für Biologie. Bd. XXVIII. S. 62. ®? Heidenhain, Pflügers Archiv. Bd. X. S. 557. 3 Vernon, Journ. of Physiol. Bd. XXVII u. XXIX. * Mays, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. XXXVII. 5 Kühne, Verhandlungen der naturw.-medizin. Gesellschaft zu Heidelberg. 1876. Bd. V. 8. 196. © Salkowsky, Virchows Archiw. Bd. LXX. S. 158. " Ewald, Lehre von der Verdauung. 8. 8. ® Dufresne, Compt. rend. Soc. biol. T. LXXXIX. p. 1070. °C. Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen. 3. Aufl. 1909. 432 ErıcH L&EscHke: ja auch auf ungekochte Stärke, jedoch langsamer und schwächer) mehr nachweisen können, wohl aber noch bei 60°, Die Zerstörungstemperatur des Steapsins läßt sich kaum bestimmen, da seine Wirkung eine so schnell vorübergehende ist und sich schon nach längerem Stehen verliert. Ich habe bei Temperaturen über 65° keine Wirkung mehr nachweisen können. (Zum Nachweise benutzte ich die Methode, reines Olivenöl, das durch Extraktion mit NaOH und Äther noch- mals gereinigt war, nach Abdunsten des Äthers mit frischem Pankreas- extrakt zu versetzen — und zwar benutzte ich bei allen diesen Versuchen, über die ich nicht im einzelnen berichten will, frische Schweinepankreas, die ich mir an den Schlachttagen frisch aus dem Schlachthause holte und mit physiologischer NaCl-Lösung extrahierte. Dem Gemisch von Olivenöl und Pankreasextrakt setzte ich Lackmus zu, das durch die sich bildenden Fettsäuren bald die vorher blaue Flüssigkeit rot färbte.) Die Zerstörungstemperatur des Erepsins gibt Oppenheimer (a. a. 0.) auf 59° an. Ich wählte für meine folgenden Versuche über die Wirkung des inak- tivierten Pankreasextraktes auf normale Tiere eine Zerstörungstemperatur von ca. 70°, bei der ich die Diastase und das Steapsin sicher, das Tryp- sin allerdings nicht vollständig unwirksam machte. Versuch. 23. I. 1909. 2 Meerschweinchen und 2 Fröschen wurde Extrakt aus je 12 Pankreas von Meerschweinchen und Fröschen injiziert, der auf etwa 70° erhitzt wurde (15 Minuten). Der Extrakt wurde auf Körpertemperatur abgekühlt, intraperitoneal und intramuskulär injiziert, und zwar um 11, 1, 3, 5, 7, 10 Uhr. Der Urin zeigte in den nächsten Tagen folgendes Verhalten: | 24.1. ZI 26. bis 29.1. 30.1. Meerschw. 1 |grüne Reaktion, Exitus \ Linksdrehung Ra 2 | grüne Reaktion, | grüne Reaktion, schwache — Exitus ı Linksdrehung | Linksdrehung | grüne Reaktion, | Linksdrehung Frosch 1 | Exitus | » » . 2 | grüne Reaktion | grüne Reaktion, = — Exitus | Linksdrehung | Obduktion. Bei Meerschweinchen 1 und Frosch 1 findet sich in der Bauchhöhle sanguinolentes Serum mit unresorbiertem Pankreasextrakt, das faulig riecht, obwohl die Sektion kurze Zeit nach dem Exitus gemacht wurde. Die Organe sind ohne pathologischen Befund. ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 433 Bei Meerschweinchen 2 und Frosch 2 finden sich keine Veränderungen, so daß die Todesursache unaufgeklärt bleibt, zumal in den 7 Tagen nach der Injektion die Tiere vollkommen in Ruhe gelassen werden und außer einem ruhigeren Verhalten keine Krankheitserscheinungen darboten. Nach allen anderen Beobachtungen ist wohl auch in diesen Fällen der Tod auf die toxische Wirkung von irgendwelchen Substanzen des Pankreas, die nur langsam resorbiert wurden, zurückzuführen, zumal ja das Trypsin nieht völlig zerstört und daher eine Autolyse sehr wohl möglich war — wie sie ja auch durch den Obduktionsbefund der am 1. und 2. Tage nach der letzten Injektion gestorbenen Tieren sichergestellt worden ist. Ergebnis: Injektion von Pankreasextrakt, der bei 70’ inakti- viert worden ist, führt nur zu einer minimalen Zuckeraus- scheidung (grüne Reaktion) bei Warm- und Kaltblütlern. Der Tod tritt in ‘allen Fällen nach spätestens 8 Tagen ein, wahr- scheinlich infolge der Bildung von autolytischen Zersetzungs- produkten durch das nicht vollständig zerstörte Trypsin. III. Wirkungslosigkeit des auf 100° erhitzten Pankreasextraktes. Wenn die Annahme richtig war, daß die glykosurische und toxische Wirkung des Pankreasextraktes auf der Wirkung der Fermente, sei es direkt, sei es durch Vermittlung autolytischer Zersetzungsprodukte, beruht, so mußte bei der Anwendung abgekochten Extraktes die glykosurische und toxische Wirkung ausbleiben. Diese Annahme bestätigte sich in der Tat durch den folgenden Versuch, bei dem ich den Extrakt, weil er ja abgekocht werden mußte, nicht vor jeder Injektion frisch herstellte, son- dern die dazu notwendigen 36 Pankreas zusammen verarbeitete. Versuch. 26. VI. 1909. 36 Pankreas von Fröschen werden mit 0-6 proz. NaCl-Lösung extrahiert und 10 Minuten lang gekocht. Das Filtrat, eine leicht opak schimmernde Flüssigkeit, beträgt im ganzen 48°m, Es wird drei Fröschen intraperitoneal dreistündlich injiziert, so daß auf jede Stunde ein Pankreas kommt. Die jedesmalige Injektionsmenge beträgt 2 bis 3°°®. _Die Injektionen finden statt um 12/, (mittags), 3!/,, 6!/,, 91/,, 12!/, (nachts). Die Tiere sind sehr munter. Die Urinuntersuchung ergab: DIT AE 28. VI. 29. VI. 30. VI. 1.VII. u. weiter | oO DD - mr a n | | EA Archiv f. A.u. Ph, 1910, Physiol. Abtlg. 28 434 ERICH LESCHKE: Die Tiere zeigten keinerlei Störungen und blieben am Leben, bis sie nach einigen Wochen im physiologischen Praktikum gebraucht und ge- tötet wurden. Ergebnis: Injektionen selbst großer Mengen von Pankreas- extrakt, der auf 100° erhitzt war, bewirken keine Glykosurie. Die Tiere bleiben sämtlich am Leben. $ 6. Ergebnisse. 1. Alle bisherigen Versuche, den Pankreasdiabetes durch Injektion von Pankreasextrakt zu verhindern, sind erfolglos geblieben. Gegen dieses ne- gative Ergebnis ließ sich jedoch der Einwand erheben, daß viel zu geringe Mengen von Pankreassubstanz eingeführt worden waren, da ja der Dia- betes bereits 11/,—2!/, Stunden nach der Pankreasexstirpation auftritt und demzufolge die antidiabetische Substanz des Pankreas, wenn sie über- haupt existiert, bereits in dieser kurzen Zeit aufgebraucht wird. Ich versuchte daher, durch häufige Injektion größerer Mengen von Pankreasextrakt, indem ich auf die Stunde ein Pankreas rechnete, das Auf- treten des Diabetes nach der Pankreasexstirpation zu verhindern. Die Versuche ergaben jedoch das völlige Gegenteil von dem, was er- wartet worden war: der frische Pankreasextrakt nämlich verminderte die Zuckerauscheidung nicht nur nicht, sondern steigerte sie sogar erheblich und führte regelmäßig in 1—2 Tagen zum Tode. Inaktivierter Pankreas- extrakt beeinflußte zwar die Zuckerausscheidung nicht nachweisbar, da- gegen übte auch er eine, wenn auch geringe, toxische Wirkung aus. 2. Eine kritische Durchsicht der Literatur ergab, daß auch bei den meisten Versuchen, den Pankreasdiabetes oder den menschlichen Diabetes durch Injektion, Verfütterung oder Transplantation von Pankreas zu heilen, nicht nur keine Verringerung der Zuckerausscheidung erzielt worden war, sondern sogar eine Vermehrung — ein Ergebnis, das vielen Forschern selbst entgangen ist, da sie die Verstärkung der Glykosurie übersehen haben. Meine Ergebnisse einer glykosuriesteigernden und toxischen Wirkung des Pankreasextraktes bei pankreasdiabetischen Tieren stehen daher völlig im Einklang mit der Mehrzahl der bisherigen physiologischen und klinischen Beobachtungen. 3. Die gefundene glykosuriesteigernde und toxische Wirkung des Pan- kreasextraktes auf pankreasdiabetische Tiere erklärt sich aus der gleichen Wirkung auf normale Tiere. Frischer Pankreasextrakt erzeugt bei normalen Warm- und Kaltblütlern einen bis zum Tode dauernden Diabetes; und zwar tritt der Tod bereits in den ersten Tagen ein. Pankreasextrakt, der ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. 435 bei 70° inaktiviert worden ist, hat nur noch eine sehr geringe glyko- surische Wirkung, führt aber, in größeren Mengen injiziert, gleichfalls nach mehreren Tagen zum Tode. Auf 100° erhitzter Pankreasextrakt hat weder eine elykosurische noch toxische Wirkung, die Tiere bleiben völlig gesund. Diese drei verschiedenen Ergebnisse erklären sich aus dem Verhalten der Pankreasfermente, für deren Zerstörungstemperaturen ich folgende Werte fand: Trypsin: 70—75° Diastase: 65— 10° Steapsin: unter 65° Ob die glykosurische und toxische Wirkung des Pankreasextraktes auf der Wirkung der Fermente direkt oder durch Vermittlung autolytischer Zer- setzungsprodukte beruht, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls fanden solche Zersetzungen statt und wurden bei der Sektion gefunden. 4. Das theoretische Ergebnis dieser Versuche ist, daß die Annahme einer inneren Sekretion des Pankreas sich auf diesem Wege nicht beweisen läßt. Denn selbst wenn die hypothetische antidiabetische Substanz des Pankreas wirklich existierte, würde ihre Wirkung dennoch vollkommen auf- gehoben werden durch die entgegengesetzte glykosurische und toxische Wirkung der Pankreasfermente. Aber die Existenz dieser hypothetischen antidiabetischen Substanz erscheint nach allen diesen Versuchen doch sehr fraglich; und wir können wohl mit Recht auch die Ergebnisse dieser Ver- suche der Reihe der zahlreichen Argumente angliedern, die gegen die Theorie der inneren Sekretion und zugunsten der nervösen Theorie des Pankreasdiabetes sprechen. 5. Die praktische Bedeutung dieser Versuche liegt darin, daß der Pankreastherapie des Diabetes dadurch jede Grundlage entzogen wird. Denn bei der subkutanen, intraperitonealen und intravenösen Ein- verleibung von Pankreasextrakt steigert man die Zuckerausscheidung und erzielt obendrein eine erhebliche Verschlechterung des Allgemeinbefindens mit Schüttelfrost, Fieber, Appetitlosigkeit, Gewebsnekrose und eventuell Ver- eiterung der Injektionsstelle, so daß man nicht nur nicht nützt, sondern direkt: schadet. Bei der Verabreichung von Pankreas per os dagegen erzielt man in Fällen, die mit Verdauungsstörungen einhergehen, zwar eine bessere Aus- autzung der eingeführten Nahrung durch die verdauenden Fermente des Pankreas und eine subjektive Besserung des Allgemeinbefindens, objektiv dagegen erhält man auch auf diesem Wege eine Vermehrung der Zucker- ausscheidung, die sowohl durch die elykosuriesteigernde Wirkung der in 28* 436 Erich LEscHKE: ÜBER DIE WIRKUNG DES PANKREASEXTRAKTES. größerer Menge assimilierten Nahrungsstoffe, insbesondere der Spaltungs- produkte des Eiweißes, als auch wahrscheinlich durch die direkte glykosu- rische Wirkung des Pankreasextraktes selbst bedingt ist. Die Anregung zu dieser Arbeit verdanke ich meinem verehrten ver- storbenen Lehrer Herrn Geheimrat Prof. Dr. Eduard Pflüger, der mich auch während der Ausführung aller Versuche stets in wohlwollender Weise: unterstützt hat. Als ein geringes Zeichen meiner tiefen Dankbarkeit und Verehrung sei diese Inaugural-Dissertation seinem unvergeßlichen Andenken gewidmet. Bonn, Juni 1910. Der Phlorhizindiabetes der Frösche. Von Erich Leschke in Bonn. Der Phlorhizindiabetes der Frösche scheint bisher noch wenig unter- sucht worden zu sein.’ J. von Mering, der Entdecker des Phlorhizin- diabetes, hat seine Versuche anscheinend auf Warmblütler (Hunde, Katzen, Kaninchen, Gänse) beschränkt, wenigstens berichtet er in seinen Arbeiten ? nichts über Versuche an Fröschen oder anderen Kaltblütlern. Auch die anderen Autoren, die sich mit dem Studium des Phlorhizindiabetes be- schäftigt haben, haben ihre Versuche an Warmblütlern angestellt. Ich habe in der mir zugängigen Literatur zuerst in der Arbeit von Külz und Wright? eine Angabe über Versuche mit Phlorhizin an Fröschen gefunden. Sie lautet: „An Fröschen (Rana temporaria und esculenta) haben wir 9 Versuche mit Phlorhizin angestellt, und zwar 4 im Juli und 5 im August 1887. Das Gewicht der Tiere schwankte zwischen 72 sm und 938%, Die einzelne Dosis betrug 0,1&=. In keinem einzigen Versuche konnte Zuckerausscheidung konstatiert werden.“ Das Verdienst, zum ersten Male eine Zuckerausscheidung bei Fröschen durch Phlorhizin gefunden zu haben, gebührt M. Cremer*; jedoch hat er nur einige kurze Versuche gemacht, über die er in wenigen Zeilen be- ! Eine vorläufige Mitteilung meiner Versuchsergebnisse findet sich in einer An- merkung zu meiner Arbeit „Über das Verhalten des Phlorhizins nach der Nieren- exstirpation.“ Pflügers Archiv. 1910. Bd. CXXXIL S. 332 Anm. 2? y. Mering, Über experimentellen Diabetes. Verhandlungen des V. Kongresses für innere Medizin. Wiesbaden 1886. S. 185. Derselbe, Über experimentellen Diabetes. Zeitschrift für klinische Medizin. 1888. Bd. XIV. S. 405 und 1890. Bd. XVI. S. 431. ®E. Külz und A. E. Wrigbt, Zur Kenntnis der Wirkungen des Phlorhizins und Phloretins. Zeitschrift für Biologie. 1890. Bd. XXVII. 8. 210. * M. Cremer, Phlorhizindiabetes beim Frosch. Zeitschrift für Biologie. 1893. Bd. XXIX. 8. 175. 438 ERICH LESCHKE: richtet: „Nach einigen vergeblichen Experimenten kam ich auf folgende einfache Weise zum Ziel: die Rückenhaut des Frosches wurde mit der Schere eingeschnitten, Phlorhizin in Substanz in die aufgehobene Tasche gebracht und die Wunde alsdann wieder vernäht. Der Harn der beiden nächsten Tage wurde meist nach G. Aldehoff gewonnen. Stets gab der- selbe die Trommersche Probe Auch habe ich einmal aus solchem Harn ein in gelben Nadeln kristallisierendes Osazon dargestellt, die unter dem Mikroskop völlig denen des Phenylglukosazons glichen. Ich glaube daher annehmen zu dürfen, daß es sich um Traubenzuckerausscheidung handelt. Weiter habe ich die Erscheinung bisher noch nicht verfolgt.“ Diese Angabe von Cremer ist mir erst nach Fertigstellung meiner Versuche bekannt geworden; ich selbst wurde zur Anstellung meiner Ver- suche durch den Umstand ermutigt, daß man auch den Pankreasdiabetes der Frösche so lange übersehen hat, bis E. Pflüger! ihn dadurch fand, daß er zum qualitativen Nachweis des Zuckers im Froschharn die Probe: von Worm-Müller benutzte. „Ich sage es nochmals: das beste Rea- gens auf den Zucker des Harns ist das von Worm-Müller; es ist von unschätzbarer Sicherheit.“? | Das Wesentliche bei der Prüfung so geringer Mengen von zucker- haltigem Urin, wie sie ein so kleines Tier wie der Frosch ausscheidet, ist,. daß man den Inhalt des Reagenzglases nicht gleich ausschüttet, wenn man nicht sofort im ersten Augenblicke eine Verfärbung oder einen Niederschlag erhält, sondern ruhig stehen läßt und einige Stunden bis einen Tag lang abwartet. Denn dann findet man in vielen Fällen, in denen anfänglich keine Spur einer Reaktion zu sehen war, am Boden des Reagenzglases einen schönen gelblichen bis roten Niederschlag von Kupferoxydul, der sich langsam abgesetzt hat. Ich fragte ınich also, ob nicht mit derselben Methode ebenso wie der Pankreasdiabetes der Frösche auch der Phlorhizindiabetes der Frösche nachgewiesen werden könnte Darum möchte ich auch an die Spitze meiner Untersuchungen die Worte Pflügers setzen:® „Bei der hier vor- ! E. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXVIH. S. 267. Vorher hatte schon Aldehoff bei Fröschen vom 5. Tage nach der Pankreas- exstirpation an in einigen Fällen eine Znckerausscheidung von 0-01 bis 0-02 &® Zucker täglich (nur einmal 0-088 =”) beobachtet. (Aldehoff, Tritt auch bei Kaltblütlern nach Pankreasexstirpation Diabetes mellitus auf? Zeitschrift für Biologie. 1892. Bd. XXVIII. Heft 3.) E. Pflüger, Über die durch Resektion des Duodenums bedingten Glykosurien. Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXIV. S. 6. ? A.2.0.8.6. 27Ar2. 028.4. DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 439 liegenden Untersuchung ist die richtige Ausführung der Zuckerreaktion von großer Bedeutung. Die Geschichte hat gezeigt, daß sogar sehr bekannte Kliniker tatsächlichen Pankreasdiabetes (bei den Fröschen) in vielen Fällen nicht erkannten und ebenso Zucker nachwiesen, wo keiner vorhanden war, nur deshalb, weil sie mit den Vorsichtsmaßregeln zum Nachweise des Zuckers nicht ausreichend bekannt waren.“ Eigene Versuche. Ich benutzte zu meinen Versuchen männliche und weibliche Land- und Wasserfrösche, deren Gewicht zwischen 40 und 502m schwankte. Die Tiere waren seit dem Sommer des vorigen Jahres im Froschbassin des - zoologischen Instituts gehalten worden und hatten seit der Zeit keine Nah- rung bekommen. Diesen Fröschen injizierte ich verschieden große Mengen von Phlo- rhizin (Merck), das ich vor jedem Versuche frisch in gekochtem destillier- tem Wasser auflöste. Beim Erkalten setzte ich soviel Natrium carbonicum zu, als nötig war, um es in Lösung zu halten. Die Injektion geschah subkutan, intramuskulär und intraperitoneal; der Effekt war stets derselbe. Die Frösche wurden in große Gläser gesetzt, in denen sich ca. 5 bis 10°c® Wasser befanden. Sie wurden täglich nach der Entnahme der urin- haltigen Flüssigkeit sorgfältig: gereinigt. Die Prüfung des Urins geschah nach der Methode von Worm- Müller. Die Stärke der Zuckerreaktion bezeichne ich aufsteigend mit —, grüne Reaktion, Spur, + = geringer Bodensatz, der erst nach einigen Stunden ausfällt, + + = stärkerer Bodensatz, der sich bald absetzt. Mit + + + bezeichne ich eine viel stärkere Reaktion, als Pflüger es tut; ich habe sie in meinen Versuchsprotokollen sogar mit 4 bis 5 Kreuzen be- zeichnet, weil ich sonst nie so starke und augenblicklich auftretende Zuckerreaktionen beim Froschharne gesehen habe, selbst nicht bei pankreas- diabetischen Fröschen.! Alle Versuche wurden in meinem Privatlaboratorium angestellt. I. Versuchsreihe: Der Phlorhizindiabetes der Frösche. 1. Versuch: 9. III. 1910. Von einer 3-3 proz. Phlorhizinlösung (0-5:15.0) werden 2m = 0.0668”® Phlorhizin einem Frosch (Rana temp.) von 528% subkutan injiziert. Exitus nach 2 Stunden. Sektion ohne Befund, außer geringer Rötung der Därme. Urin: Spur (erst nach 24 Stunden setzt sich etwas roter Nieder- schlag ab). 1 Kontrollreaktionen nach Vergären sowie mit 5 °® frisch bereiteter 1 prozentiger Phlorhizinlösung ergaben niemals eine Reduktion. 440 ErıcH LEscHKE: 2. Versuch: 9. III. 1910. Von einer 3-3 proz. Lösung Phlorhizin wird 1° = 0.0538'% Phlorhizin einem Frosche von 508"" intraperitoneal injiziert. Urin: 10.III. morgens: + ++ (sofortige Rotfärb. m. ziegelrotem Niederschl.) 10.III. abends: +++ 5 Br R in a 11. III. morgens: +++ # ® % 2 “ 11.III. abends: +++ f; 5 n 5 E> 12.IH. abends: +++ r . „ gelbrotem A 113, 00% “ +++ 5 5; „ ziegelrotem “ 14. IH. N +++ n ir „ totbraunem 19.11. 9 ++ _ (Niederschlag setzt sich nach einiger Zeit ab) 16. III. ” rag ; „ „ ” „ „ „ „ Ten + ESANTE r Spur. allen. + 20 Spur. 21. 3, D2 UT 5; 2 TN — 24 Te, — 25. Ill — (Spur?). 26. II. Di 30, III. grüne Reaktion. Das Tier befand sich bei der 10 tägigen starken Glykosurie sehr wohl. 3. Versuch: 9.Til. 1910. 57 einer 3 proz. Lösung —0-452-27Ehle- rhizin werden einem Frosch von 508"" intraperitoneal injiziert. Exitus nach 1 Stunde. Sektion: Auf dem Peritoneum viscerale und parietale befinden sieh miliare feinste weiße Niederschläge (wahrscheinlich von ausgefallenem Phlorhizin). Die Organe sind wenig gerötet. Urin: + (grüne Reaktion und ziegelroter Niederschlag, der in einigen Stunden ausfällt). i 4. Versuch: 10. Ill. 1910. 1° ‚einer 6proz. Lösung — 0-05: Phlorhizin wird einem Landfrosch von 50®”= intraperitoneal injiziert. Der Zuckergehalt des Urins verhält sich folgendermaßen: 11.I1. +++ 12. HI. +++ (nachmittags Injektion von 0-02:'= Phlorhizin in 1°). 13. III. Urin gesammelt für die 2. Versuchsreihe (11. Versuch, Seite 443). 14 ee 15.1. +++ 16.1. +++ 17.1. +++ 18.Il. +++ 19. III. + (grüne Reaktion und geringer roter Niederschlag). 20. III. + (Spur Niederschlag und grüne Reaktion). 21. III. — 22. III. grüne Reaktion. 23211 , 24. III. ++ (mach Fütterung mit Fleisch). 25. II. ++ DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 441 26. III. + 27. III. Spur. 28. bis 31. III. —. Gesamtdauer der Glykosurie: 10 Tage + 3 Tage nach der Fütterung. 5. Versuch: 10. III. 1910. Injektion von 0.058”% Phlorhizin in 1°” in die Schenkel (subkutan) eines Landfrosches von 378%, Exitus nach 5 Stunden. Obduktion: Geringe Rötung der Muskeln an der Injektionsstelle.e. Noch nicht alles resorbiert. Urin: —. 6. Versuch: 10. III. 1910. Subkutane Injektion von 0-058’”% Phlo- rhizin in 1°" unter die Rückenhaut eines weiblichen Landfrosches von 508”, Exitus nach 5 Stunden. Obduktion o. B. Alles Phlorhizin resorbiert. Gewicht 508%, Eierstöcke 208%, Rest 308, Urin: + (geringer brauner Niederschlag). 7. Versuch: 10. III. 1910. Intraperitoneale Injektion von 0.013" Phlorhizin in 0-2°® einer 5 proz. Lösung bei einem männlichen Landfrosch von 42s!m, Urin: 11. IH. +++ starker gelber Niederschlag. 12.01. +++ Nachmittags: Injektion von 0-04 rm Phlorhizin in (ar ern Exitus nach 2 bis 3 Stunden. Urin (2° m dunkelgelb):; +++. Obduktion: In der Bauchhöhie befanden sich 7°” einer hellgelben serösen Flüssigkeit, die nicht oder nicht nur aus unresorbiertem Phlorhizin, sondern größtenteils aus Serum bestand und durch Kochen und Zufügen von etwas Essigsäure sich stark trübte. Das klare, fast farblose Filtrat ergab einen nicht starken, aber nach einigen Stunden deutlichen Niederschlag von rotem Kupferoxydul nach der Worm-Müllerschen Probe. Ob diese Reduktion vielleicht dadurch zu erklären ist, daß durch das Bauchhöhlen- exsudat sich Glukose aus dem Phlorhizin abgespalten hat, muß offen bleiben. Ich kann nur die Tatsache mitteilen. 8. Versuch: 10. III. 1910. Intraperitoneale Injektion von 0.028 Phlorhizin in 0-4°® der 5proz. Lösung bei einem männlichen Landfrosch von 508m, Urin: 11. III. +++ (sofortige Braunfärbung mit starkem Niederschlag). Ze a en „ 13.II. (Urin aufgefangen für diell. Vera 12. era, Seite 444), 14. II. +++ (rotbraune Färbung und Niederschlag). 15.1. 7 ++ e a n is © IE == >= y; 5 3 .; 17.11. +++ s; r A 5 18.10. ++ 19. II. ++(+) 20. III. Spur. 21. III. + (Spur, wenig mehr als am 20.). 22. III. + (nach einigen Stunden Niederschlag). 23, Il, ” h) „ ” 442 ERICH LEscHKE: 24. III. zen (nach Fütterung mit Fleisch). 25. II. 26. III. — 27. III. — (Spur). 28. bis 30. III. —. Dauer der Glykosurie: 9 Tage deutliche Zuckerausscheidung + 4 Tage Spuren Zucker + 2 Tage nach Fleischfütterung mäßige Glykosurie. 9. Versuch: 10. III. 1910. Intraperitoneale Injektion von 0.03 2m Phlorhizin in 0-6°® der 5 proz. Lösung bei einem männlichen Landfrosch von 525m, Urin: 11. HI. +-+- (morgens). + (abends). 12. III. ++ + (sofortiger rotbrauner Niederschlag). 13. Il. St „ „ ” 14. Il. +++ 5 15. II. ++ (erst nach 10 Minuten kenne: Niederschlag). 16.01. + LO). © 20, S 17.01. + se rotbrauer Neodersehle LEI Er), und grüne Reaktion). 198. 2, gelber Niederschlag). 20. II. Spur. 22. bis 25. III. —. Im ganzen 9 tägige Glykosurie. 10. Versuch: 10. III. 1910. Injektion von 0.12% Phlorhizin (0.058 intraperitoneal und 0-053”% subkutan) in 2°“ der 5 proz. Lösung bei einem weiblichen Landfrosch von 608'”, Exitus nach 6!/, Stunden. Nach 5 Stunden reagiert er nur noch auf grobe mechanische und thermische Reize, verharrt sonst regungslos in jeder Stellung, die man ihm gibt. Die Cornealreflexe sind erloschen, zuletzt reagiert er nur noch auf Nähern einer Flamme. Obduktion o.B. Gewicht: Eier 258 sım Rest 35 stm, Urin: + (geringer roter Niederachan)| Ergebnis: Einmalige Injektion von 0,02 bis 0,058” Phlo- rhizin (subkutan wie intraperitoneal) erzeugt bei Fröschen eine 9 bis 1Otägige starke Zuckerausscheidung. Größere Mengen von 0.05 bis 0.158’ führen in 1 bis 6Y/, Stunden zum Tode. In zwei Fällen trat nach Fleischfütterung am 14. Tag eine erneute Zuckerausscheidung für 2 bis 3 Tage auf.! * Kontrollreaktionen bei gesunden Fröschen nach Fleischfütterung und auch bei denselben Fröschen nach späteren Fütterungen ergaben niemals Zuckerausscheidung. — Die Tatsache der Verstärkung des Phlorhizindiabetes durch Fleischfütterung ist schon seit den ersten Arbeiten v. Merings bekannt. DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 443 II. Versuchsreihe: Ausscheidung des Phlorhizins bzw. Phloretins durch den Harn. Es ist durch die Versuche von Mering sowie von Moritz und Praußnitz! an Hunden festgestellt worden, daß das Phlorhizin bzw. sein wirksamer Bestandteil durch den Harn ausgeschieden wird. Moritz und Praußnitz fanden während der Dauer der Glykosurie im Harn einen Körper, der mit Eisenchlorid eine dunkle Braunfärbung gibt, die in der Verdünnung einen violetten Ton annimmt, der der Reaktion des Phlorhizins völlig gleicht. Fast die gleiche Reaktion gibt allerdings das Phloretin auch, hier ist der violette Ton nur etwas stärker. Die Autoren fanden auch, daß der größte Teil des Phlorhizins — wenn nicht alles — im Harne aus- geschieden wird, da die Bestimmung der gepaarten und ungepaarten Schwefelsäuren ergab, daß nur 0.59 bis 1.688"% von 6sm Phlorhizin an Schwefelsäure gebunden sein konnte. Bei meinen Versuchen fiel mir sofort der tief orangerote Ton des Froschharnes auf, den ich auf irgend ein Spaltungsprodukt des Phlorhizins beziehen mußte, denn er erwies sich als völlig identisch mit der Orange- farbe (in konzentrierter Lösung kirschrot), die eine Lösung von Phlorhizin nach Erhitzen mit etwas Natronkarbonat oder anderen Alkalien bei län- gerem Stehen ergab. Auch das Verhalten gegen Zusatz von Essigsäure war in beiden Fällen dasselbe: es trat eine Aufhellung des orangeroten Tones in einen hellgelben auf. Die Zugehörigkeit dieses orangeroten, im Urin ausgeschiedenen Stoffes zum Phlorhizin, die schon durch die Gleich- heit des chemischen Verhaltens wahrscheinlich gemacht wurde, wurde in den folgenden Versuchen dadurch bewiesen, daß der Harn eines phlorhizin- diabetischen Frosches, einem anderen Frosche injiziert, auch bei diesem eine mehrtägige starke Glykosurie erzeugte. 11. Versuch: 14. III. 1910. Die 24 stündige Urinmenge des Frosches Nr. 4, der vor 3 Tagen 0-058"% und vor 1 Tag 0-022”% Phlorhinzin er- halten hatte, vom 13. III. (4. Versuch, Seite 440) wird gesammelt und auf 1-:55° m durch Erwärmen eingeengt. Die eingeengte Flüssigkeit ist dunkel- orange und reagiert schwach alkalisch. Sie wird einem Frosche intra- peritoneal injiziert. Der Urin ist ganz leicht gelblich gefärbt, fast farblos, und gibt folgende Reaktionen: Urin: 15. III. ++ (Niederschlag nach einigen Minuten). 16. II. +++ (Niederschlag sofort). 17.1. +++ 18. III. + 19. II. + (Spur). ! Moritz und Praußnitz, Studien über den Phlorhizindiabetes. Zeitschrift für Biologie. 1890. Bd. XXVIIL S. 84. 444 ERICH LEscHkE: 20. III. (grüne Reaktion). 21. III. — 22. bis 23. IH. —. 12. Versuch: 14. III. 1910. Die 24 stündige Harnmenge vom 13. II. des Frosches Nr. 8 (8. Versuch, Seite 441), der 3 Tage vorher 0-028= Phlo- rhizin erhalten hatte, wird auf 2°® eingeengt als dunkelorangene und schwach alkalische Flüssigkeit einem Frosche injiziert. Der Urin ist nach der In- jektion goldgelb gefärbt und gibt folgende Reaktionen: 15. II. +++ (sofort gelbrote Verfärbung der ganzen Flüssigkeit). 16. II. ie ae 5; „ „ 2) „ ” ” 17. II. > Ser ” „ ” „ ” „ 18. III. + Spuren. 19. III. — 20. bis 23. III. —. Ergebnis: Der wirksame Bestandteil des Phlorhizins wird Im Urin ausgeschieden. Durch Injektion der 24stündigen Urin- menge eines phlorhizin-diabetischen Frosches kann man bei einem zweiten Frosche eine 4 bis 5 Tage dauernde Glykosurie erzeugen. III. Versuchsreihe: Die glykosurische Minimaldosis des Phlorhizins für Frösche. Die Phlorhizinmenge, die ich in der vorigen Versuchsreihe den Fröschen ‘injiziert hatte, war eine außerordentlich geringe. Frosch 12 erhielt z. B. den 24stündigen Harn von Frosch 8, der 0.028” Phlorhizin erhalten hatte und daraufhin 9 Tage lang zucker- und phlorhizinhaltigen (orangefarbenen) Urin ausschied. Wenn sich daraus auch die täglich ausgeschiedene Phlo- rhizinmenge nicht exakt berechnen läßt, zumal sie sicher in den ersten Tagen viel größer war als in den letzten, so würde sich doch bei 9 Tagen ein Mittel von nur 0-002 g”= für den Tag ergeben, und selbst das Doppelte dieser Menge würde noch immer wenig genug sein in Anbetracht einer so starken Glykosurie, die dadurch hervorgerufen wurde. Ich suchte daher die minimale Dosis von Phlorhizin zu finden, die eben noch bei Fröschen Glykosurie zu erzeugen imstande ist. Dabei war ich mir wohl bewußt, ebensowenig einen einheitlichen Wert finden zu können, wie er etwa für die Maximaldosen der Arzneimittel bei verschiedenen Menschen existiert, und ich mußte von vornherein auch der Individualität meiner Frösche einen mehr oder weniger großen Spielraum zugestehen. Dazu kam, daß diese Versuche gerade während und nach dem Laichen angestellt worden sind, wobei der Glykogengehalt der Frösche ja nach den Unter- suchungen von Athanasiu! erheblich abnimmt. Ich glaube sogar, daß ! Athanasiu, Über den Gehalt des Froschkörpers an Glykogen in den ver- schiedenen Jahreszeiten. Pflügers Archiv. 1899. Bd. LXXIV. S. 565. DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 445 Winterfrösche auf noch kleinere Mengen Phlorhizin mit einer Glykosurie antworten als Sommerfrösche, wie ein gleiches Verhalten ja auch beim Pan- kreasdiabetes von Pflüger, Loewit? u. a. infolge des verschiedenen Glykogengehaltes zu den verschiedenen Jahreszeiten beobachtet worden ist. Wenn aus diesen Gründen sich zwar keine bestimmten Zahlen für die mini- male glykosurische Dosis des Phlorhizins für Frösche festlegen lassen, so ist es doch nicht unwichtig, zu wissen, daß sehr geringe Mengen von Phlo- rhizin sich mit Hilfe des Froschexperimentes nachweisen lassen. #3. Versuch: 24. 117 1941077 0-00238°2. Phlorhizin; in 1m einer 0-1 proz. Lösung? wird einem männlichen Landfrosch intraperitoneal injiziert. Der ausgeschiedene Urin ist hellgelb und zeigt folgende Reaktionen: 25. III. + (Niederschlag setzt sich nach einigen Stunden ab). 26. III. == ” 1) ” 2) „ ) ) 27. bis 31. III. —. 14. Versuch: 24. III. 1910. 0-00058% Phlorhizin in 0.1°@ einer 0-1 proz. Lösung wird einem weiblichen Landfrosch injiziert. Urin: 25. III. + (Niederschlag setzt sich nach einigen Stunden ab und bedeckt den Boden des Reagenzglases). 26. III. Spur. 27. bis 31. IV. —. 15. Versuch: 24.111.1910. 0.0028“ Phlorhizin in 2° einer 0-1 proz. Lösung werden einem männlichen Wasserfrosch injiziert. Der Urin ist dunkel- goldgelb und gibt folgende Reaktionen: 25. II. +++ (sofortige Rotbraunfärbung mit starkem Niederschlag). 26.1. ++ 27.1. + 28. III. Spur. 29. bis 31. IH. —. 16. Versuch: 5. IV. 1910. 0-.0001°'® Phlorhizin in 0-1 °® einer 0-1 proz. Lösung wird einem männlichen Landfrosch intraperitoneal injiziert. Urin? 6.IW 7.IV. —. 17. Versuch: 5. IV. 1910. 0-00018'% Phlorhizin in 0.1° m einer 0.1pros. Lösung wird einem weiblichen Landfrosch, der eben gelaicht hat, injiziert. Urin: 6. IV. — 7. IV. —. ı EB. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. ZEbenda. 1907. Bd. CXVII. S. 294. ? Loewit, Diabetesstudien. III. Der Pankreasdiabetes beim Frosch. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 1910. Bd. LXII. 8. 47. 3 Für die Abwägungen der kleinen‘ Phlorhizinmengen, die ich bei diesen Versuchen anwandte, stellte mir Fräulein Prof. Dr. Gräfin M. zur Linden ihre eigene Präzisions- wage im hygienischen Institut (parasitolog. Abteilung) in liebenswürdiger Weise zur Verfügung, wofür ich ihr auch an dieser Stelle herzlich danke. 446 ErIcH LESCHKE: 18. Versuch: 5. IV. 1910. 0.00018’”® Phlorhizin in O0-1°® einer 0:1 proz. Lösung wird einem weiblichen Wasserfrosch, der noch nicht ge- laicht hat, injiziert. Vs: 76. IV. 7. IV. — 8. IV. —. 19. Versuch: 5. IV. 1910. 0-00028"m Phlorhizin in 0.2° m einer 0-1 proz. Lösung werden einem männlichen Landfrosch intraperitoneal injiziert. Urin: 6. IV. — 7. IV. — 8. IV. —. 20. Versuch: 5. IV. 1910. 0.0002s’m Phlorhizin in 0.2°m einer 0.1 proz. Lösung werden einem männlichen Landfrosch unter die Rücken- haut injiziert. Urin: 6. IV. — (Spur?) 20 — 8. IV. —. 21. Versuch: 5. IV. 1910. 0.00028%@ Phlorhizin in 0.2°@® einer 0-1 proz. Lösung werden einem männlichen Landfrosch intraperitoneal injiziert. Urin: 6. IV. + (roter Niederschlag, nach einigen Stunden abgesetzt). 7. IV. — (grüner flockiger Niederschlag). 8. IV. —. 22. Versuch: 7. IV. 1910. 0.00038”® Phlorhizin in 0-3°@% einer 0-1 proz. Lösung werden einem männlichen Landfrosch injiziert. Urin: 8.IV. ++ (sofortige Rotfärbung und Niederschlag, der nach einigen Stunden den Boden des Glases bedeckt). 9 IV. — (grüner flockiger Niederschlag). 10.IV. —. 23. Versuch: 7. IV. 1910. 0-00038" Phlorhizin werden einem weib- lichen Landfrosch, der grade zu laichen beginnt, intraperitoneal injiziert in 0.3°® einer 0-1 proz. Lösung. Urin: 8.IV. — JlV. 24. Versuch: 7. IV. 1910. 0.0003 8”® Phlorhizin werden einem weib- lichen Wasserfrosch nach der Laichung intraperitoneal injiziert. Urin: 8. IV. — (grüner wolkiger Niederschlag). ” ” ” 25. Versuch: 9. IV. 1910. 0.00028rm Phlorhizin in 0.2°® einer 0.1 proz. Lösung werden dem Frosche vom 21. Versuch, der vor 4 Tagen auf dieselbe Menge Phlorhizin eine geringe Zuckerausscheidung gezeigt hatte, abermals injziert. Urin: 10. IV. (grüne Reaktion). 11. IV. + (roter Niederschlag). 12. IV. — DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 447 26. Versuch: 9. IV. 1910. 0-00028"® Phlorhizin in 0-2°m einer 0-1 proz. Lösung werden einem frisch aus dem Behälter entnommenen Frosch injiziert. Urin: 10.IV. +-+(+) (dieker gelber Niederschlag). 11. IV. — (grünflockiger Niederschlag). 12. IV. —. 27. u. 28. Versuch: 9. IV. 1910. 0.0005 8” Phlorhizin in 0.5 m einer 0-1 proz. Lösung werden den Fröschen des 19. und 20. Versuches, die beide auf Injektion von 0-00028® Phlorhizin vor 3 Tagen keinen Zucker ausgeschieden hatten, injiziert. Us:zen | Froseh 19 | Frosch 20 10. IV. + geringer roter Niederschlag ++ BI TVES N + Er gelber .r + DIN | — = Ergebnis: Injektion von O-1”s Phlorhizin bewirkt keine Glykosurie, 0-28 eine geringe eintägige Glykosurie bei 3 von 5 Fröschen, 0.3”8 eine eintägige Glykosurie beil von 3 Fröschen, 0-5%3 bewirkt bei allen 3 Fröschen eine zweitägige Glykosurie, 123 eine zweitägige und 2”8 eine dreitägige Glykosurie. IV. Versuchsreibe: Phlorhizindiabetes nach Leberexstirpation. Bereits v. Mering hat festgestellt, daß der Phlorhizindiabetes unab- hängig vom Glykogengehalt und überhaupt von der Funktion der Leber auftritt. Er suchte zunächst bei Säugetieren (Hunden) die Leber dadurch auszuschalten, daß er sie durch Phosphorversiftung mit nachfolgender fettiger Degeneration funktionsunfähig machte. 9 Stunden vor dem Tode gegebenes Phiorhizin ergab dennoch eine reichliche Zuckerausscheidung. Da er den Hunden aber schlecht operativ die Leber exstirpieren konnte, ent- leberte er Gänse durch Unterbinden verschiedener Gefäße, einmal schnitt er die Leber heraus. Diesen Tieren, die 2 bis 3 Tage gehungert hatten, gab er Phlorhizin ein und es gelang ihm, bei ihnen 1 proz. Zuckerharn zu erzeugen.! Auch Langendorff? stellte Versuche an entleberten Tieren an, nach- dem er gezeigt hatte, daß der Curarediabetes bei 5 Fröschen, denen er die Leber unter Zurücklassung eines kleinen Restes zur Schonung der Vena cava inferior exstirpiert hatte, dennoch eintrat (im Gegensatz zum Strychnin- diabetes). Er berichtet über diese Versuche mit phlorhizindiabetischen Nas 0, Selen. ®? O.Langendorff, Der Curarediabetes. Dies Archiv. 1887. Physiol. Abtlg. S.140. 448 Erich LEscHKE: Fröschen nach der Leberexstirpation jedoch nur mit dem einem Satze: „v. Mering hat nachgewiesen, daß der Phlorhizindiabetes auch bei ent- leberten Fröschen zustande kommt, eine Angabe, die ich nach eigenen Ver- suchen bestätigen kann.“ Nun findet sich in keiner Arbeit v. Merings eine solche Angabe über Versuche an Fröschen, worauf schon E. Külz und E. Wright! hingewiesen haben, und auf eine Anfrage dieser Autoren teilte Langendorff ihnen mit, daß seine Angabe auf einem Versehen beruhe und daß es statt „Fröschen“ heißen sollte: „Tieren“. Die Leberexstirpation führte ich folgendermaßen aus: Ich band die Frösche gut fest und führte ohne Narkose (deren schlechten Einfluß auf die Resistenzfähigkeit der Tiere ich schon in früheren Versuchen kennen gelernt hatte) einen 2°” langen Schnitt, von der Mitte des rechten Rippen- bogens beginnend, nach unten. Dann durchtrennte ich die Bauchmuskeln am lateralen Rande des M. rectus, um die Äste der Vena abdominalis in ihrem Anfangsteil und später bei der Naht auch die Vene selbst zu schonen, luxierte die Leber nach außen, wobei der Frosch durch Pressen mithalf (ein Mithinauspressen der Lunge schadet nichts, man hüte sich nur vor Repo- sitionsversuchen). Hierauf legte ich zwei Ligaturen: die erste um die Pfort- ader, den Ductus choledochus und den Pankreaskopf (etwas entfernter von der Leberpforte als bei der Pankreasexstirpation), die zweite um den ge- samten Stiel der Leber, doch schnitt diese Ligatur noch zum Teil in das Lebergewebe mit ein. Ich ließ darum diese Fäden lang stehen und zog den Stumpf, nachdem ich die Leber schon vollständig peripher davon ab- getrennt hatte, vor, um eine zweite Ligatur etwas zentraler zu legen, mit möglichster Schonung der Vena cava inferior. Zwischen diesen beiden Ligaturen trennte ich dann den kleinen Rest von Lebergewebe, der stehen’ geblieben war, ab. Im strengsten Sinne total war jedoch die Leberexstirpation nie, denn mikroskopische Reste mußten der Vena cava wegen zurückbleiben. Wenn die Ligaturen sorgfältig angelegt waren, ging kein Tropfen Blut ver- loren. Nach Reposition des Stumpfes und der hervorgepreßten Eingeweide (meist Magen) wurde die Muskel- und Hautwunde je mit fortlaufender Seiden- naht geschlossen. Die Injektion des Phlorhizins erfolgte erst mehrere Stunden nach Be- endigung der Leberexstirpation unter die Rückenhaut und in die Muskeln. 29. Versuch: 15. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem weiblichen Landfrosch. Tier nach der Operation sehr unruhig. Nach 3 Stunden In- jektion von 0-028”= Phlorhizin in 1°” einer 2 proz. Lösung. Urin: 16. IV. + (kein Eiweiß). Abends 0-018”% Phlorhizin. 17. IV. Spur. Exitus nach mehrstündigem Koma (morgens). AAO ST2HE DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. 449 Obduktion. Rötung der Därme. In der Bauchhöhle und in den Gefäßen flüssiges Blut, das auch nach längerem Stehen nicht gerinnt. Herz- muskel blab. 30. Versuch: 15. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Wasserfrosch in Äthernarkose. Keine Blutung. Nach 3 Stunden Injektion von 0.028'% Phlorhizin in 1°® einer 2 proz. Lösung. 3/, Stunden nach der Injektion obduzierte ich das Tier, weil es gänzlich regungslos dalag und auf mechanische Reize nieht mehr reagierte. Jedoch fand ich bei der Obduktion das Herz noch kräftig schlagend. Im Abdomen keine Flüssigkeit, kein Blut. Urin: Sachar: + (nach einigen Stunden roter Niederschlag). Albumen: —. 31. Versuch: 16. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Landfrosch ohne Narkose; geringe Blutung. Nach 1 Stunde Injektion von 0.02®””% Phlorhizin. Exitus 2 Stunden nach der Injektion. Urin: —. Obduktion: Rötung und Injektion der Därme. Geringe Menge flüssigen Blutes in der Bauchhöhle. 32. Versuch: 16. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Landfrosch. Keine Blutung; auch die Flüssigkeit im Glase bleibt völlig klar. Nach 5 Stunden Injektion von 0-004®% Phlorhizin in 1 = einer 0.4 proz. Lösung zur Hälfte subkutan in die Schenkel, zur Hälfte intra- peritoneal vom Rücken aus. Urin: 17. IV. + (Spuren, direkte grüne Reaktion). 17. IV. Exitus.. Obduktion: Rötung der Därme. Schlechte Gerinn- barkeit des Blutes. 33. Versuch: 17. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Landfrosch, kein Tropfen Blut weder während der Operation noch nachher im Glase. Nach 4!/, Stunden Injektion von 0.004®”% Phlorhizin in 1m einer 0-4 proz. Lösung, zur Hälfte intramuskulär, zur Hälfte intraperitoneal. Urin: 18. IV. Sachar. +. Alb. — 19: IV. a 5,0 2 00. Das Tier stirbt am 4. Tag nach der Operation, die Zuckerreaktion in den letzten Tagen konnte ich leider einer Reise wegen nicht prüfen. 34. Versuch: 17. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Landfrosch ohne jede auch nachträgliche Blutung. Nach 4 Stunden Injektion von 0.028’ Phlorhizin in 0-5°” einer 4 proz. Lösung. Urin: 18. IV. Sachar. +. Alb. + (Biuretreaktion). IV. Exitus am 4. Tag. 35. Versuch: 17. IV. 1910. Leberexstirpation bei einem männlichen Landfrosch ohne jede Blutung. Nach 2 Stunden Injektion von 0.0235 Phlorhizin in 0-5°”% einer 4 proz. Lösung. Urin: 18.IV. +. Alb. — 19. IV. +. Exitus am 8. Tage. (Bei diesem Tier war ein kleiner Rest Lebergewebe stehen geblieben an der Ligatur.) Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 2) 450 ERICH LESCHKE: DER PHLORHIZINDIABETES DER FRÖSCHE. Ergebnis: Auch bei Fröschen tritt der Phlorhizindiabetes, wenn auch in abgesch wächter Form, nach der Leberexstirpation ein, und zwar ohne gleichzeitige Albuminurie. Zusammenfassung der Ergebnisse. 1. Ebenso wie bei Warmblütlern läßt sich auch bei Fröschen durch Injektion von Phlorhizin Zuckerausscheidung im Harne erzeugen. Die Stärke und Dauer der Glykosurie hängt von der Größe der injizierten Phlo- rhizinmenge ab, und zwar fand ich bei !/,”® Phlorhizin in allen Fällen keine Glykosurie er „einigen... Alttapıge 3/10 a ee) „ einem „ 1 4 7, 1], me x „ allen . DER Rn 128 4 ; & h 2 5 x an „ , ’ „ 3 7 - 0-013 > “ en a 2 z E 0.028 n 5 En 3 9 Y Bi 0.038 ” 4 in „le, rn 0.058 „ „ „ „ eine je nach der Lebensdauer verschieden lange anhaltende Glykosurie (bis zu 10 Tagen). Größere Mengen von 0.058” ab führten den Tod der Tiere nach wenigen Stunden herbei und zwar unter den Erscheinungen des Koma mit Erlöschen aller Reflexe. R & “ In zwei Fällen trat nach Fleischfütterung 14 Tage nach der Injek- tion eine erneute Zuckerausscheidung auf, die 2 bis 3 Tage lang anhielt. 2. Die Ausscheidung des Phlorhizins bzw. seines wirksamen Bestand- teils erfolgt durch die Nieren. Der Harn reagiert schwach alkalisch und zeigt eine goldgelbe bis orangerote Färbung, die nach Zusatz von etwas Essigsäure hellgelb wird. Das gleiche Verhalten zeigt Phlorhizin, das mit Natrium carbonicum erhitzt, einen orange- bis kirschroten Ton annimmt (nach längerem Stehen) und nach Zusatz von Essigsäure wieder gelb wird. Mit dem Harne phlorhizindiabetischer Frösche kann man gesunde Frösche diabetisch machen. . 3. Nach der Leberexstirpation tritt auf Injektion von Phlorhizin eine, wenn auch abgeschwächte, so doch deutliche Zuckerausscheidung bei Fröschen ebenso wie bei Warmblütern ein. Albuminurie konnte ich dabei nicht nachweisen. Ein automatischer Regulationsmechanismus der Empfindungsstärke. I. Der Einfluß arterieller Hyperämie der Haut auf die Tastempfindung. Il. Der Einfluß lokalisierter Aufmerksamkeit auf die Blutfülle der tastenden Hautpartie. Von Prof. Ernst Weber, Oberassistent des Instituts, (Aus dem physiologischen Institute zu Berlin.) I. Der Einfluß arterieller Hyperämie der Haut auf die Tastempfindung. Durch die Untersuchungen von Verworn,! Winterstein? und v. Baeyer?® ist gezeigt worden, von welch großer Bedeutung für die Funktion der nervösen Substanz die Gegenwart einer genügenden Menge von Sauerstoff ist. Sowohl die markhaltigen Nerven, als die Ganglienzellen werden gelähmt und unerregbar, wenn ihnen der Sauerstoff entzogen oder sein Ersatz verhindert wird, dagegen erholen sie sich später wieder voll- kommen und reagieren wieder auf Reize, nachdem ihnen neuer Sauerstoff zugeführt worden ist. ! Verworn, Ermüdung, Erschöpfung und Erholung der nervösen Centra des Rückenmarks. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abtlg. S. 315. ? H. Winterstein. Über die Wirkung der Wärme auf den Biotonus der Nerven- zentren. Zeitschrift für allgemeine Physiologie. I. 1902. ® H.v. Baeyer, Zur Kenntnis des Stoffwechsels in den nervösen Zentren. Zbenda. I. 1902. Derselbe, Das Sauerstoffbedürfnis des Nerven. Zbenda. II. 1903, 29* 452 ERNST WEBER: Daraus wäre zu folgern, daß die Funktion der Nervensubstanz auch durch eine Verbesserung der arteriellen Blutzufuhr gesteigert wird, wenn diese Funktion überhaupt noch steigerungsfähig ist, und daß sie durch eine Verschlechterung der arteriellen Blutzufuhr herabgesetzt wird. Das müßte auch für die Sinnesempfindungen der Haut gelten. Dagegen findet man in physiologischen Lehrbüchern bisweilen die Angabe, daß Hyperämie der Haut die Tast- und Temperaturempfindung herabsetzt. Geht man aber dieser Angabe nach, so findet man, daß sie sich immer auf die Untersuchungen von Alsberg! stützt, und daß Alsberg bei seinen Versuchen nur eine venöse Hyperämie der Haut herbeiführte. Alsberg untersuchte den Raumsinn durch Feststellung der Simultan- schwelle mittels zweier Zirkelspitzen, während seine Methode der Unter- suchung des Temperatursinns ungenügend war. Die Anämie des Armes führte er durch Hochlagerung herbei, die Hyperämie durch Anlegung einer Aderlaßbinde, durch die nicht nur die herbeigeführte Hyperämie eine völlig venöse wurde, so daß eine Ver- schlechterung der Sauerstoftzufuhr zu der Haut eintrat, sondern außerdem auch ein direkter Druck auf die Nervenstämme ausgeübt wurde. Es ist. daher verständlich, daß er dabei immer eine Herabsetzung der Hautempfind- lichkeit feststellte. Da diese Art der Hyperämie hier nicht von Interesse: ist, will ich auf andere Arbeiten mit Herbeiführung venöser Hyperämie in ähnlicher Weise nicht eingehen. Andere Angaben über eine Steigerung der Hautempfindlichkeit bei Hyperämie der Haut sind aus andern Gründen nicht maßgebend. So fanden Klinkenberg,?” Schmey® und Notnagel,* daß bei Rötung der Haut infolge von scharfen äußeren Reizen die Empfindlichkeit der Haut steigt, aber diese äußeren Reize bestanden in Applizierung von Vesikantien, und Notnagel meint, daß diese Wirkung schon durch die Verdünnung der Epidermis durch die Vesikantien sich erklären läßt. x Auch die Anwendung von inneren Gaben von Medikamenten, durch die eine Veränderung der Blutverversorgung der Haut herbeigeführt wird, 1 Alsberg, Untersuchungen über den Raum- und Temperatursinn. Dissertation. Marburg 1863. Ausführliches Referat im Zentralblatt für die med. Wissenschaften. 1864. 8. 66. 2? Klinkenbere, Über den Einfluß von Hautreizen auf die Sensibilität. Disser- tation. Bern 1876. 3 Schmey, Über die Modifikation der Tastempfindung. Dies Archiv. 1884. Physiol. Abtlg. S. 309. * Nothnagel, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Temperatursinns. Deutsches Archiv für klinische Medizin. II. 1867. S. 292. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 453 muß für derartige Sensibilitätsuntersuchungen immer von sehr zweifelhaftem Werte sein, da es niemals sicher ist, inwieweit dabei eine Ändernng der Sensibilität von zentralen Wirkungen des Medikaments abhängt. Ein Bei- spiel dafür bieten die Untersuchungen Schmeys.! Schmey stellte zwar eine Verfeinerung des Raumsinnes der Gesichts- haut fest, nachdem sie infolge von Einatmung von Amylnitrit stark gerötet war, es fiel ihm aber. besonders auf, daß er gleichzeitig auch an seinem Arm eine Verfeinerung des Raumsinnes feststellen konnte, obwohl dessen Haut nicht im geringsten gerötet war. Es würde dies also eher für eine zentrale Wirkung des Amylnitrits sprechen. Ausführlicher sind die Untersuchungen über die Wirkung von Er- wärmung und Abkühlung einzelner Hautpartien; aber hierbei trat ein anderes Phänomen in den Vordergrund, das die Beobachtung der Wirkung der veränderten Blutversorgung der Haut in den Hintergrund schob, so daß man keine Angaben über die Wirkung der durch den Temperatur- wechsel der Umgebung herbeigeführten Änderung der Sauerstoflzufuhr zur Haut findet Die hier wichtigsten in Frage kommenden Arbeiten sind die von Notnagel,? Grützner° und Goldscheider.‘ Während früher schon bekannt war, daß bei sehr starker Abkühlung die Haut ganz unempfindlich werden kann, stellten die genannten Autoren fest, daß sowohl bei künstlicher Abkühlung wie Erwärmung der Haut die Empfindlichkeit der Haut herabgesetzt wird. Wie Goldscheider ausführt, beeinflußt eine äußere Temperatureinwirkung in doppelter Weise die Sinnes- organe der Haut. Einmal wird in den gleichsinnigen, also den temperatur- empfindlichen Nerven, ein Erregungszustand hervorgerufen, der sie für weitere Reize abstumpft, und dann wird durch die Änderung der Tem- peratur der einzelnen Teile des ganzen nervösen Apparates der Haut, die dann also nicht mehr ihrer Normaltemperatur entspricht, die Empfindlich- keit aller Sinnesorgane der Haut gemeinsam herabgesetzt. Der Einfluß der vermehrten oder verminderten Sauerstoffzufuhr zur Haut infolge von Erweiterung oder Verengerung der Hautgefäße bei den Temperatureinflüssen kann also offenbar durch die direkte Wirkung der Temperatur auf die nervösen Teile völlig überdeckt werden. Man könnte daran denken, experimentell eine Hyperämie der Haut, die nicht mit den beschriebenen schädigenden Begleiterscheinungen verknüpft ist, dadurch herbeizuführen, daß man den Arm in einen luftverdünnten Raum bringt 1! Schmey, zit. oben. 2 Nothnagel, zit. oben. 3 Grützner, Pflügers Archiv. Bd. XV. * Goldscheider, Gesammelte Abhandlungen. Bd. I. 8. 140 ff. 454 ERNST WEBER: und dort die Sensibilitätsprüfungen vornimmt, was, trotz einiger Schwierig- keiten, möglich wäre. Aber eine derartige Ansaugung muß mehr auf das venöse Blut wirken, als auf das arterielle und verbürgt keineswegs eine bessere Sauerstoffzufuhr. Dagegen war es durchaus nicht ausgeschlossen, daß die nach Er- wärmung einer Hautportion eintretende Erweiterung ihrer Kapillargefäße, wenn auch in vermindertem Maße, länger dauert, als die Herabsetzung der Hautempfindlichkeit infolge des direkten Temperatureinflusses auf die nervösen Teile der Haut. Ich stellte Versuche darüber an einer Reihe von Personen an. Ich untersuchte das Tast- oder Druckgefühl der Haut der Hand und des Unterarmes mit dem Ästhesiometer von v. Frey. Bekanntlich ragt bei diesem Instrument ein „Reizhaar“ frei hervor, dessen Spitze der Haut so fest aufgesetzt wird, daß das Haar sich biegt. Durch weiteres oder geringeres Hervorschieben des Haares kann der damit ausgeübte „Stauchungs- druck‘ des Haares verändert werden. Es muß dabei nur darauf geachtet werden, daß eine unbehaarte Stelle der Haut berührt wird, da Verschiebungen der Haut-Haare fehlerhafte Resultate ergeben. Es wurde bei jedem Versuche zunächst die normale Sensibilität der Haut des Unterarms untersucht, und es wurde das Reizhaar in der Länge so eingestellt, daß sich gerade einzelne größere Hautpartien am Unterarm feststellen ließen, die mit Sicherheit auf diese Reizstärke nicht mehr reagier- ten, während das bei anderen Hautpartien des Unterarms noch deutlich der Fall war. Die so festgestellten insensiblen Zonen wurden mit dem Dermographen deutlich umzeichnet. Hierauf wurde der Unterarm 2 bis 5 Minuten lang erwärmt, und zwar entweder in heißem Wasser oder in heißer Luft. Das Erwärmen in heißer oder erwärmter Luft ist vorzuziehen, weil nach dem Erwärmen in heißem Wasser der Arm zur Vermeidung der Verdunstungskälte gut abgetrocknet werden muß und also hier der Effekt der Reibung der Haut hinzukommt, was den Versuch etwas kompliziert, ohne ihn indessen wertlos zu machen, denn Reibung allein ergibt eine ganz ähnliche Wirkung. Sofort nach Herausnahme des Armes aus der heißen Luft wurde wieder die Haut mit dem vorher eingestellten Ästhesiometer untersucht und diese Untersuchung in kurzen Intervallen wiederholt. Es wurde zu- nächst immer die bekannte Herabsetzung der Empfindlichkeit festgestellt, nämlich auch die Hautpartien, die vorher noch deutlich bei dieser Reiz- stärke reagiert hatten, reagierten jetzt nicht mehr. Diese Zeit der herabgesetzten Empfindlichkeit dauerte aber immer nur wenige Minuten, nämlich 4 bis 10 Minuten, im Mittel ca. 6 Minuten, und AUTOMAT: REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 455 zwar so lange, als das subjektive Wärmegefühl an dem aus der erwärmten Luft herausgenommenen Armes anhielt. Dann trat regelmäßig eine Steigerung der Empfindlichkeit bis über das Normale hinaus ein, so daß dann auch diejenigen Hautpartien auf jede Berührung des Reizhaares reagierten, die bei Beginn des Versuchs niemals reagiert hatten. Meist war diese Überempfindlichkeit auch nach 15 Minuten, also ca. 20 Minuten nach Beendigung der Erwärmung des Armes noch festzustellen, sie ging aber auch vorher zur Norm zurück, wenn der Arm durch Fächeln der Luft abgekühlt wurde. Es dürfte kaum anders möglich sein, als daß die längere Zeit anhaltende Erweiterung der Kapillargefäße der Haut, die infolge der Erwärmung eintrat, und die damit verbundene Vermehrung der Sauerstoffzufuhr zu den nervösen Organen in diesen Teilen es ist, die diese Steigerung der Empfindlichkeit der Haut herbeiführte. Diese Wirkung würde sofort nach der Erwärmung festzustellen sein, wenn nicht die direkte Wirkung der Wärme auf die nervösen Teile dies verhinderte. Sowie aber diese direkte Wärmewirkung verschwindet, was meist an dem Schwinden des subjektiven Gefühls des \Wärmereizes zu er- kennen ist, tritt diese indirekte Wirkung der Erwärmung auf die nervösen Teile der Haut deutlich hervor. Es sei noch erwähnt, daß bei den verschiedenen Sensibilitätsprüfungen der einzelnen Personen gewisse Vorsichtsmaßregeln getroffen werden mußten. Zunächst wurde die betreffende Person jedesmal aufgefordert, bei ge- schlossenen Augen ihre ganze Aufmerksamkeit auf die zu erwartenden Reize am Unterarm zu richten. Dann wurde bei Untersuchung der ver- schiedenen, auseinanderliegenden Hautbezirke, jedesmal zunächst ein so starker Reiz auf den betreffenden Bezirk ausgeübt, daß er mit Bestimmt- heit gefühlt wurde, bevor derselbe Bezirk mit schwachen Reizen geprüft wurde. Die Bedeutung dieser Vorsichtsmaßregeln wird sich aus den Experi- menten ergeben, die im folgenden Abschnitte beschrieben werden, und ich komme am Schlusse wieder darauf zurück. — 1I. Der Einfluß lokalisierter Aufmerksamkeit auf die Blutfülle der tastenden Hautpartie. Nachdem schon von Mosso und vielen anderen Experimentatoren fest- gestellt worden war, daß bei Steigerung oder Konzentrierung der Aufmerk- samkeit bei geistiger Arbeit eine Verengerung der Blutgefäße der Haut und der Extremitäten eintritt, zeigte ich an dieser Stelle,’ daß diese Ver- 1 E. Weber, Über Gegensätze im vasomotorischen Verhalten der äußeren Teile des Kopfes und der des übrigen Körpers bei Mensch und Tier. Dies Archiv. 1908, Physiol. Abtlg. S. 189 ff. 456 ERNST WEBER: engerung der Hauptgefäße sich auch auf die sonst bisweilen eine Ausnahme- stellung einnehmenden Hautgefäße des Kopfes erstreckt, also der ganzen Körperoberfläche gemeinsam ist, während ich früher! schon nachgewiesen hatte, daß sich gleichzeitig die Gefäße der Bauchorgane aktiv erweitern und dadurch die Verschiebung des Blutes von den äußeren zu den inneren Körperteilen zum mindesten erleichtern. Ob diese Blutverschiebung mehr durch die Kontraktion der äußeren Gefäße oder mehr durch die aktive Dilatation der inneren Blutgefäße bewirkt wird, kann durch die gleichzeitige Beobachtung des Verhaltens des Blutdrucks festgestellt werden und scheint nach den vorläufigen Versuchen von dem Gesundheitszustand der Versuchs- person beeinflußt zu werden.? Nach den im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Versuchen muß aber eine solche Verengerung der Hautgefäße des Körpers bei geistiger Arbeit oder gesteigerter Aufmerksamkeit eine Verminderung der Sauerstofizufuhr zu den nervösen Organen der Haut, und damit eine Herabsetzung der Empfindlichkeit der Haut gegen äußere Reize zur Folge haben. Auf die Möglichkeit einer teleologischen Erklärung dieser Erscheinung komme ich später zurück. Jedenfalls ist eine nachteilige Wirkung einer solchen Herabsekmint der Empfindlichkeit der Haut gegen äußere Reize bei einer geistigen Arbeit, die z. B. in Rechnen oder Lesen besteht, nicht einzusehen, denn wir wissen, daß gleichzeitig bei diesem Vorgange am normalen, nicht ermüdeten Menschen die Gefäße der Hirnrinde, von der diese Arbeit geleistet wird,® sich aktiv erweitern. Anders dürfte es sich aber bei einer solchen Steigerung der Aufmerk- samkeit verhalten, die mit einer Anspannung der Haut-Sinnesempfindungen verknüpft ist. Betasten wir z. B. mit einem Finger einen Gegenstand, oder suchen wir einen schwachen Reiz, der an eine beliebige Hautstelle gelangt, in seiner Natur deutlich zu erkennen, so würde es, selbst angenommen, daß die Gefäßverengerung an der Körperoberfläche in ihrer Gesamtheit einen bestimmten Nutzen für den ‚psychischen Vorgang hat, doch in jedem Falle sehr vorteilhaft sein, wenn sich wenigstens die Blutgefäße lokal an der Hautpartie erweitern, mit der etwas betastet oder genau empfunden werden soll, und dadurch ihre Empfindlichkeit steigern. Nun habe ich vor kurzem an dieser Stelle* gezeigt, daß eine derartige, ı E. Weber, dies Archiv. 1907. Physiol. Abtlg. S. 293 ff. ” Derselbe, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper. Berlin 1910. S. 240. ® Derselbe, ebenda. 8. 337 fl. * Derselbe, Über willkürlich verschiedene Gefäßinnervation beider Körperseiten. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 359 fi. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 457 auf bestimmte Körperteile völlig lokalisierte Innervation von Blutgefäßen von der Hirnrinde aus herbeigeführt werden kann. Es handelte sich dabei an jener Stelle um die Herbeiführung lebhafter Bewegungsvorstellungen durch hypnotische Suggestion, bei der normaler- weise eine aktive Erweiterung der Blutfülle der Haut und Muskeln der äußeren Körperteile bei gleichzeitiger Verengerung der Gefäße der Bauch- organe eintritt. ! Schon normalerweise tritt bei dieser Blutverschiebung eine eigenartige Lokalisierung der Innervationsimpulse für die äußeren Blutgefäße des Körpers ein, indem die der äußeren Teile des Kopfes eine Ausnahmestellung zu denen aller anderen äußeren Teile des Körpers einnehmen: sie verengen sich nämlich beim Eintritt von Bewegungsvorstellungen oder bei wirklicher Ausführung von Bewegung.” Wurde nun der hypnotisierten Person die Suggestion gegeben, daß sie die Bewegung in der Vorstellung einmal mit dem rechien Arm, dann aber mit dem linken ausführe (ohne daß die ge- ringste Bewegung wirklich ausgeführt wurde, wie genau kontrolliert werden konnte), und wurden gleichzeitig die Volumenschwankungen jedes der beiden Arme registriert, so zeigte es sich, daß jedesmal die Volumenzunahme des Armes, mit dem die Bewegung in der Vorstellung ausgeführt wurde, be- deutend stärker vor, als die des andern. Es zeigte dies, daß diese Zunahme der Blutfülle der äußeren Teile nicht ausschließlich eine passive ist, bewirkt durch die Kontraktion der Gefäße der Bauchorgane, sondern daß auch, sicherlich wenigstens in dem einen Arm, eine aktive Erweiterung der äußeren Gefäße hinzukommt, die eben, wenigstens in gleicher Stärke, auf diesen Arm lokalisiert ist. Wurde endlich noch die Suggestion hinzugefüst, daß der in der Vorstellung an der Bewegung nicht beteiligte Arm absolut unbeteiligt bleiben sollte, so daß die Aufmerksamkeit auf diesen negativen Teil der Be- wegungsvorstellung besonders hingelenkt war, so trat an diesem Arm sogar eine lokalisierte Volumabnahme infolge von Verengerung der Gefäße ein, also das Gegenteil, wie am andern.> Nach diesen Versuchen mußte angenommen werden, daß bei der Aus- führung wirklicher, anstrengender Bewegungen durch ein einzelnes Körper- glied, sich die Blutgefäße in diesem Glied in entsprechend stärkerem ! E. Weber, Das Verhältnis von Bewegungsvorstellung zur Bewegung bei ihren körperlichen Allgemeinwirkungen. Monatshefte für Neurologie und Psychiatrie. 1906. Derselbe, dies Archiv. 1907. Physiol. Abtlg. S. 293 ff. 2 Derselbe, Über Gegensätze im vasomotorischen Verhalten der äußeren Teile des Kopfes und der des übrigen Körpers bei Mensch und Tier. Zbenda. 1908. Physiol. Abtlg. 8. 108 ff. ® Siehe ebenda. 1909. Physiol. Abtlg. Kurve S. 365. 458 ERNST WEBER: Maße erweitern, als die in den anderen äußeren Körperteiler, deren Blut- fülle, soweit sie an der Bewegung nicht beteiligt sind, wohl nur passiv infolge der gleichzeitigen Kontraktion der Gefäße der Bauchorgane zu- nimmt. Der Nutzen dieses Mechanismus ist natürlich der, daß durch die stärkere Versorgung der tätigen Muskeln mit immer erneuertem Blut, auch der Ersatz der bei der Bewegung dort verbrauchten Stoffe mehr erleichtert und die Dauer der Funktionsfähigkeit verlängert wird. Da durch diese Versuche die Möglichkeit des Ausgehens von lokalisierten Innervationsimpulsen für die Blutgefäße einzelner Körperteile von der Hirn- rinde bei der Entstehung entsprechender Vorstellungen bewiesen worden war, war die Wahrscheinlichkeit näher gerückt, daß auch eine gesteigerte Auf- merksamkeit, die auf eine lokalisierte Empfindung der Hautsinnesorgane ge- richtet ist, mit einer lokalen aktiven Erweiterung der äußeren Gefäße dieses Körperteils verknüpft ist. Die Wirkung würde aber dabei nicht in der besseren Blutversorgung der Muskeln dieses Körperteils beruhen, wie bei der Vor- stellung oder Ausführung anstrengender Bewegungen, sondern in der besseren Blutversorgung der Haut und der Steigerung der Empfindlichkeit der in ihr enthaltenen nervösen Elemente durch größere Zufuhr von Sauer- stoff, wie das durch die Experimente des I. Teils gezeigt wurde. Ich stellte auch darüber zunächst Versuche mit Anwendung der hypno- tischen Suggestion an. Den tief hypnotisierten Versuchspersonen wurde die Suggestion gegeben, daß sie an der im Plethysmographen liegenden Hand sehr leicht mit einer feinen Feder berührt werden würden, und daß es für sie darauf ankäme, sofort bei Empfinden dieser Berührung, dies an- zugeben, daß sie also genau darauf aufpassen müßten. Nach einiger Zeit wurde ihnen dann gesagt, daß sie nicht mehr auf- zumerken brauchten. Eine andere Suggestion war die, daß die Versuchs- person einen dünnen Faden zwischen die Finger bekäme und ihn fühlen solle, oder es wurden ihnen feine Tastvorstellungen suggeriert, die ihnen aus ihrem Berufsleben geläufig waren. Derartige Tastvorstellungen sind in keiner Weise mit den oben er- wähnten Bewegungsvorstellungen zu identifizieren oder auch nur zu ver- gleichen. Bewegungsvorstellungen haben nur dann die oben beschriebenen vasomotorischen Wirkungen, wenn sie in Vorstellungen von kräftigen, an- strengenden Bewegungen bestehen, Vorstellungen von so leichten gering- fügigen Bewegungen, wie sie allenfalls mit diesen Tastvorstellungen verknüpft werden können, haben an sich niemals die geringste vasomotorische Wirkung. Vollends kommen bei den anderen Versuchen, bei denen nur die Aufmerksam- keit auf eine an einer bestimmten Stelle zu erwartende Berührung gelenkt wird, auch leichte Bewegungsvorstellungen gar nicht in Frage. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 459 Es sei deshalb die Kurve der Volumänderung des Unterarmes bei derartigen Versuchen beigegeben. In Fig. 1 wirkt zweimal, jedesmal vom Zeichen + bis —, die er- wähnte Suggestion auf die Versuchsperson ein, und jedesmal tritt während der Dauer der Anspannung der auf die Hand lokalisierten Aufmerksamkeit für Tastempfindungen eine deutliche Zunahme des Armvolums ein. (Da bei dieser Versuchsperson im hypnotischen Zustand die Atmung immer völlig gleichmäßig blieb, ist ihre Wiedergabe ausnahmsweise unnötig.) Indessen muß bei allen derartigen Versuchen ein Punkt wohl im Auge behalten werden, der eine stark Fehlerquelle darstellen kann. Arm- volumen Fig. 1. Von + bis — wird der tief hypnotisierten Versuchsperson jedesmal suggeriert, daß sie eine leichte Berührung, die den im Plethysmographen liegenden Arm treffen würde, genau empfinden müsse. (Lokalisierte Steigerung der Tastaufmerksamkeit.) Wie oben schon erwähnt, ist jede geistige Arbeit und jede Steigerung der Aufmerksamkeit mit einer Verengerung der Blutgefäße der Körper- oberfläche in ihrer Gesamtheit verbunden, die nach der hier zu. unter- suchenden und durch obige Kurve scheinbar bestätigten Annahme nur dann teilweise durch eine völlig lokalisierte Erweiterung der äußeren Gefäße ersetzt wird, wenn die Steigerung der Aufmerksamkeit das \Vahrnehmen eines Reizes mit der Hautsinnesempfindung eines bestimmten Körperteils betrifft. Nun habe ich aber vor kurzem an dieser Stelle gezeigt," daß diese der Körperoberfläche in ihrer Gesamtheit eigene Gefäßaktion auf Steigerung der Aufmerksamkeit sich unter bestimmten Verhältnissen umkehren kann, so daß dann immer an Stelle der Verengerung eine Erweiterung der äußeren Gefäße des Körpers eintritt. Wie ich dort zeigte, ist diese Umkehrung der normalen ı E. Weber, Die Beeinflussung der Blutverschiebungen bei psychischen Vor- gängen durch Ermüdung. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 367 ft. 460 ERNST WEBER: . Gefäßreaktion eine stete Begleiterscheinung gewisser Krankheiten, bei denen sie dann zu jeder Tageszeit beobachtet werden kann und sich auch auf die Gefäßreaktionen anderer psychischer Vorgänge erstrecken kann. Ferner ist diese Umkehrung aber auch eine vorübergehend auftretende Begleit- erscheinung von Zuständen starker Ermüdung, mag sie nun durch starke körperliche oder geistige Arbeit, oder Mangel an Schlaf herbeigeführt worden sein, ja sie konnte durch absichtliche starke Ermüdung bei allen Versuchspersonen experimentell herbeigeführt werden. _ Würde nun bei einer der hier untersuchten Versuchspersonen infolge eines pathologischen oder physiologischen Ermüdungszustandes eine all- gemeine Umkehrung der Gefäßreaktion bei Steigerung der Aufmerksamkeit vorliegen, so daß an allen Körperteilen dabei eine Zunahme des Volumens an Stelle einer Ahnahme eintreten würde, so würde es nichts Besonderes sein, wenn wir auch bei Anspannung der Aufmerksamkeit für eine lokale Tastempfindung eine Erweiterung der Gefäße des betreffenden Körperteils finden würden. Es ist daher dringend nötig, und wurde von mir nie unterlassen, zu Beginn der Versuche festzustellen, ob bei der Versuchsperson die normale Gefäßkontraktion an der Körperoberfläche bei Ausführung einer geistigen Arbeit allgemeiner Art, wie Kopfrechnen oder Lesen eintritt. Ebenso ist es wünschenswert, bei sehr lange dauernden Versuchen am Schlusse sich zu überzeugen, ob nicht schon. der oben erwähnte Ermüdungszustand ein- getreten ist, der dann den letzten Teil der Versuche beeinflußt haben könnte. Bei allen Personen, von denen die Kurven dieser Abhandlung stammen, waren diese Verhältnisse normale. Es schien mir nun sehr erwünscht, diese lokale Gefäßerweiterung bei ge- steigerter Tastaufmerksamkeit nicht nur durch hypnotische Suggestionen herbeizuführen, wie es bei den Versuchen geschah, von denen Kurve 1 stammt, sondern ihr Eintreten auch im normalen Zustand der Versuchs- personen zu erweisen. Ich hatte schon früher! gefunden, daß dieselben vasomotorischen Be- gleiterscheinungen, die solche Bewegungsvorstellungen hatten, die durch hypnotische Suggestion bei den Versuchspersonen herbeigeführt worden waren, auch dann eintraten, wenn die Versuchspersonen im Normalzustande sich willkürlich Bewegungsvorstellungen bildeten. Am leichtesten war das für die Versuchsperson dann, wenn sie eine kräftige Bewegung wirklich ausführte, die dann nur in der Weise lokalisiert werden mußte, daß die in den Apparaten gemessenen Körperteile dadurch "E. Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper. Berlin 1910. S. 205 ff. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 461 picht erschüttert wurden, und das konnte durch gewisse Vorsichts- maßregeln erreicht werden. Aber auch dann trat die vasomotorische Wirkung bei einer Reihe von Personen deutlich ein, wenn diese Versuchspersonen sich willkürlich lebhafte Bewegungsvorstellungen bildeten, ohne die Bewegung wirklich auszuführen. i | Es waren nur zu dieser schwierigen Konzentration der Gedanken, die gleichzeitig immer mit Hemmung der vorgestellten oder intendierten Be- wegung verbunden ist, nicht alle Personen fähig, und der Erfolg trat viel langsamer ein, als der bei der hypnotischen Suggestion, bei der die Hem- mung der intendierten Bewegung offenbar auf viel leichtere Art sich er- reichen läßt, und die Vorstellungen infolge des Fehlens aller Ablenkung schnell eine weit größere Stärke gewinnen, aber doch war das Eintreten der vasomotorischen Wirkung auch dann oft ein unzweifelhaftes. Auch bei Übertragung dieser Versuchs-Anordnung auf die hier be- handelten Experimente war vorauszusehen, daß im Wachzustande die Konzentration der Gedanken, die eine Steigerung der Tastaufmerksam- keit herbeiführen sollte, nicht mit der Regelmäßigkeit, Stärke und Prompt- heit die erwartete vasomotorische Wirkung haben würde, wie es bei der entsprechenden hypnotischen Suggestion der Fall war. Um das Eintreten der Wirkung möglichst zu erleichtern, untersuchte ich zunächst eine Reihe von Blinden, da ich annehmen durfte, daß Blinde sich leichter als andere Menschen willkürlich Tastvorstellungen machen können und in höherem Grade, als andere Menschen, darin geübt sind, ihre Tastaufmerksamkeit ad maximum zu steigern. Ich untersuchte zu diesem Zwecke S Blinde einer Berliner Blinden- anstalt und zwar besonders weibliche Blinde, denen in der betreffenden Anstalt eine besonders feine Ausbildung des Tastsinnes zugeschrieben wurde. Ich hatte zuerst daran gedacht, daß eine besonders starke Steigerung der Tastaufmerksamkeit mit dem Lesen der erhabenen Blindenschrift ver- bunden sein müsse und suchte das in zweierlei Weise auszunützen. Zu- nächst forderte ich die Blinden auf, lebhaft sich das Fühlen der Blinden- schrift willkürlich vorzustellen, während die rechte Hand im Plethysmo- graphen gemessen wurde, dann aber ließ ich sie mit der dazu weniger gebrauchten linken Hand wirklich Blindenschrift lesen und maß dabei das Volumverhalten der rechten Hand, mit der Erwartung, daß dabei in der ruhig bleibenden, aber sonst mehr zum Lesen benutzten Hand, vielleicht eine konsensuelle Gefäßveränderung eintreten würde. Beide Arten von Versuchen waren ergebnislos, und das erklärte sich daraus, daß wie mir von den Blinden versichert wurde, das Lesen der Blindenschrift an sich schon durchaus nicht eine besondere Steigerung der 462 ERNST WEBER: Tastaufmerksamkeit erfordert, sondern für die Blinden zu den relativ leicht zu tastenden Dingen gehört, sowie auch dadurch, daß bei einiger Übung das Lesen der Blindenschrift größtenteils mechanisch vor sich geht, ohne UIWINJOAULIY Sanuyy < > © % ? u = _ - = 5 >> u = — 5 & Set = == 7} 2 B — er Zu == Sr [e:} -. B [e) ER ee) — =. BE [=2 = ‘puwg uopuasaı uoydersowsigpfg WI Sıynı 1op yını T9I9NIIJEpUeH UOULOF AouTe Sunaynjsny 1994 uodunpugydmegsgT, Ip ZunjfegsıoA oyrıyqoy sp yaranypım apuna arp yaIs Jopıtgq — SIG + UOA Zah: zz "= = u = FASER >, SE AN) daß Mühe aufgewendet werden muß, die einzelnen Buchstaben genau durch Tasten zu erkennen. Sehr gut gelangen die Versuche aber, als die Blinden sich dann will- AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 463 kürlich lebhafte Vorstellungen von Handarbeiten bildeten, die eine beson- ders große Steigerung der Tastaufmerksamkeit erfordern. Solche Arbeiten waren besonders das Sticken und das Häkeln, hei denen es besonders auf das richtige Fühlen der Muster der Vorlage und der eigenen Arbeit ankommt. | In Fig. 2 ist die Kurve eines derartigen Versuchs wiedergegeben. Während die Atmung immer gleichmäßig blieb, dachte die Blinde in der Zeit von Zeichen + bis — lebhaft an das Ausführen einer Stick- arbeit und während dieser Zeit trat eine starke Volumzunahme des Unter- armes ein, vermutlich nur der Hand, die nach Aufhören dieser Vorstellungen langsam wieder zur Norm zurücksank. Bei dieser, sowie bei den folgenden Kurven, die im normalen Zustand der Versuchspersonen aufgenommen wurden, fällt besonders das langsame Ab- und Ansteigen der Kurven auf, im Gegensatz zu den in Fig. 1 abgebildeten Kurven. Es erklärt sich dies natürlich dadurch, daß im Wachzustand die Konzentration auf derartige Vorstellungen langsam eintritt und der Gedanke darum nicht sofort völlig zu verdrängen ist, während durch hypnotische Suggestion die Vorstellung sofort in voller Stärke herbeigeführt und sie dann ebenso schnell gänzlich beseitigt werden kann. Daß bei der willkürlichen Konzentration auf solche Vorstellungen äußere oder innere Ablenkungen bisweilen längere Zeit hemmend wirken können, bis sie dann endlich doch überwunden werden, zeigt die Kurve in Fig. 3, die von einer anderen Blinden stammt. Hier war die Kon- zentration der Gedanken offenbar erst in der Mitte des Kurvenblattes er- reicht werden. | Die Versuche gelangen am besten bei solchen Blinden, die blind- geboren, oder sehr bald nach der Geburt erblindet waren und bei denen daher Tastvorstellungen in der Vorstellung der Handarbeiten alles be- herrschten. Eine Blinde, bei der die Versuche nicht gelangen, war erst im späteren Lebensalter erblindet und gab auch an, daß sie beim Denken an die Handarbeiten immer Gesichtsvorstellungen habe. — Ich hatte natürlich zuerst diese Versuche mit willkürlicher Herbei- führung lokal gesteigerter Tastaufmerksamkeit an nicht erblindeten, nor- malen Personen vorgenommen und benutzte nun zur Erleichterung des Eintretens des Erfolges der Versuche Blinde. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß es für normale Menschen meist mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist, willkürlich sich eine lokalisierte Steigerung der Tastaufmerksamkeit zu verschaffen, ohne daß ein wirklicher Reiz an die im Apparat eingeschlossene Hautpartie gelangt. ERNST WEBER: 464 Arm- volumen Atmung Dasselbe E) wie in Fie. 2 Fig. 3. Die Konzentration der Aufmerksamkeit gelingt erst nach”einiger Zeit. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 465 Bei einigen wenigen Personen gelang es zwar nach einiger Übung, meist aber trat nur eine Volumsenkung ein als Zeichen dafür, daß nur ein allgemein gesteigerter Aufmerksamkeitszustand eingetreten war, und es nicht gelungen war, speziell die Tastaufmerksamkeit an der Haut eines be- stimmten Körperteils zu steigern. Bei einem dieser Versuche fand nun Herr Kollege Brigl ein sehr einfaches Hilfsmittel heraus, bei dessen Anwendung des ohne jede Mühe hei allen Versuchspersonen, auch bei denen es vorher nicht möglich gewesen war, gelang, die gewünschte lokale Steigerung der Tastaufmerksamkeit her- beizuführen. Arm- volumen Fig. 4. Normale Versuchsperson. Von + bis — Versuch einer willkürlichen, auf den im Apparat liegenden Arm lokalisierten Steigerung der Tastaufmerksamkeit. Bei dem Versuche, der durch Fig. 4 dargestellt ist, begann die Versuchsperson bei + zunächst in der früheren Weise, sich die gewünschte Vorstellung zu bilden, mit dem Erfolg, daß als Zeichen der allgemeinen Aufmerksamkeitssteigerung das Volumen des Armes sank. Da die Ver- suchsperson selbst fühlte, daß so die erforderliche lokale Steigerung der Tastaufmerksamkeit an der Haut des im Plethysmographen liegenden Armes nicht zu erreichen war, begann sie plötzlich ihre Aufmerksamkeit lebhaft auf die geringfügigen Stöße zu richten, die der im Plethysmo- graphen liegende Arm dadurch erhielt, daß das dicht daneben auf dem Tische stehende Kymographion durch die Rotation seiner Räder den Tisch in schnell aufeinanderfolgende leichte Erschütterungen versetzt. Sowie dies geschehen war, begann die Kurve, wie aus Fig 4 zu er- sehen ist, langsam bis weit über den Anfangsstand anzusteigen und sank erst wieder nach dem Zeichen —, bei dem diese Konzentration der Auf- merksamkeit unterbrochen wurde. Es ist ohne weiteres verständlich, daß durch dieses einfache Hilfs- mittel, bei dem die Versuchsperson auf wirkliche, von außen an den im Apparat liegende Reize achtet, die dabei doch die Aufnahme der Volum- Archiv f. A. u. Ph. 1910, Physiol. Abtlg. = 466 ERNST WEBER: kurve nicht hindern, die lokale Steigerung der Tastaufmerksamkeit außer- ordentlich erleichtert wird, und in der Tat war damit die Untersuchung aller Versuchspersonen erfolgreich. Fig. 5a. Von + bis — dauert eine auf den gemessenen Arm lokalisierte willkürliche Steigerung der Tastaufmerksamkeit durch Achten auf einen gleichmäßigen Erschütterungsreiz Normale Versuchsperson. F=| tet) 3 =) = “ 2 < Die Versuche wurden dann immer so angestellt, daß beide Arme in plethysmographischen Apparaten lagen, die gleichweit von dem den Tisch erschütternden Kymographion entfernt waren, so daß die Erschütterung an beiden Armen völlig gleichmäßig empfunden wurde. Gemessen wurde aber dabei immer nur das Volumen des einen und desselben Armes. Die Ver- AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 467 suchsperson wurde nun zunächst aufgefordert, ihre Aufmerksamkeit auf die Erschütterungsstöße zu richten, die der Arm erhielt, dessen Volumen re- gistriert wurde. Nach Beendigung dieses Versuchs richtete die Versuchs- Von + bis — dauert eine auf den nicht gemessenen Weise an den anderen Arm gelangenden Erschütterungsreiz. Arm lokalisierte willkürliche Steigerung der Tastaufmerksamkeit durch Achten auf den in gleicher Unmittelbar nach 5a aufgenommen. Ss &n [1 S = BE = 2 « person in gleicher Weise ihre Aufmerksamkeit auf die Erschütterungsstöße, die in völlig gleicher. Weise der andere Arm erhielt, dessen Volumen nicht registriert wurde. Das Ergebnis eines derartigen Kontrollversuchs an derselben Versuchs- person, von der Kurve 4 stammt, ist in Fig. 5a und 5b abgebildet. 30* 468 ERNST WEBER: Die Atmung blieb bei diesen Versuchen, wie aus der Kurve zu er- kennen, so gleichmäßig, daß sie die Volumkurve des Armes nicht hat beeinflussen können. In Fig. 5a richtete die Versuchsperson in der Zeit von + bis — ihre Aufmerksamkeit auf die Erschütterungen, die derselbe Arm erhielt, dessen Fig. 6a. Von + bis — dauert eine auf den gemessenen Arm gleichmäßigen Erschütterungsreiz. =. = u => — — = Fr = et = = = = Se = & 5 N = >> _— ! Normale Versuchsperson. lokalisierte willkürliche Steigerung der Tastaufmerksamkeit durch Achten auf einen \ \ Arm- volumen Atmung Volumen in dieser Kurve gemessen wurde, und die Steigerung der Tast- aufmerksamkeit in der Haut dieses Armes führte, wie die Kurve zeigt, eine sehr starke Volumzunahme des Armes herbei, die nach Unterbrechung dieser Konzentration der Aufmerksamkeit langsam wieder zum An- fangstande zurückging. Daß diese so festgestellte Gefäßerweiterung aber AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 469 nur eine lokale, auf die Haut des einen Armes beschränkte ist, geht aus dem Kontrollversuche hervor, dessen Ergebnis in Fig. 5b abgebildet ist. Hierbei wurde das Volumen desselben Armes registriert, wie vorher in Fig. 5a, die Versuchsperson richtete aber von + bis — ihre Aufmerk- samkeit auf die Erschütterung, die der andere Arm erhielt, dessen Vo- lumen nicht registriert wurde. Während dieser Zeit trat an dem gemessenen Arm eine Volumabnahme ein, die der allgemeinen Gefäßreaktion der Körperoberfläche bei jeder Auf- merksamkeitssteigerung entspricht. und dies beweist, daß die durch lokale Steigerung der Tastaufmerksamkeit herbeigeführte Hperämie wirklich nur Von + bis — dauert vs 3 = = = Bn = = = Fig. 6b. Unmittelbar nach 6a aufgenommen. Erschütterungsreiz. ? volumen Arm- eine auf den nicht gemessenen Arm lokalisierte willkür- liche Steigerung der Tastaufmerksamkeit durch Achten auf den in gleicher Weise an den anderen Arm gelangenden eine lokalisierte ist und sich auf die betreffende Hautpartie beschränkt und keine konsensuellen Gefäßveränderungen hervorruft. In Fig. 6a und 6b, ist das Ergebnis eines völlig gleichen Versuchs an einer anderen Versuchsperson abgebildet. In Fig. 6a, wurde willkürlich eine Steigerung der Tastaufmerksamkeit an dem Arm hervorgerufen, dessen Volum in 6a und 6b gemessen wurde, und in 6b am andern Arm. Die Versuche mit hypnotischer Suggestion, die an Blinden, und besonders auch die an Versuchspersonen im Normal- zustande beweisen, daß wirklich bei Steigerung der Tastauf- merksamkeit, die auf die Haut eines bestimmten Körperteiles 470 ERNST WEBER: lokalisiert ist, sich die Blutgefäße der betreffenden Hautpartien aktiv erweitern, so daß durch die vermehrte Sauerstoffzufuhr zu den nervösen Organen in dieser Hautpartie die Empfindungs- fähigkeit der Haut gegen die Reize, die wahrgenommen werden sollen, gesteigert wird. Diese vasomotorische Reaktion stellt also offenbar einen höchst zweckmäßigen Vorgang dar, und es ist daher sehr wahr- scheinlich, daß eine lokale, aktive Erweiterung der betreffenden Blutgefäße auch bei der willkürlichen Funktionssteigerung der anderen Sinnesorgane eine Rolle spielen wird. Wie weit dies zu erreichen ist, und ob, wie bei den Versuchen des 1. Abschnittes, auch hier eine experi- mentell herbeigeführte arterielle Hyperämie des betreffenden Körperteils eine Funktionssteigerung herbeiführt, wird durch weitere Versuche fest- gestellt werden. — Da die hier nachgewiesene lokale Erweiterung der rer Gefäße des- jenigen Körperteils, bezüglich dessen die Tastaufmerksamkeit willkürlich gesteigert wird, zweifellos ein höchst zweckmäßiger Vorgang ist, so liegt es nahe, danach zu fragen, welchen Nutzen wohl die gleichzeitige Verengerung der äußeren Blutgefäße aller übrigen Körperteile haben könne. Wie wir sehen werden, können wir uns nach den Ergebnissen der im ersten Abschnitte beschriebenen Untersuchungen vielleicht auch eine Vor- stellung von dem Nutzen dieses Teils der den psychischen Vorgang be- gleitenden Blutverschiebung machen. Zunächst sei aus meiner früheren Arbeit! zur besseren Übersicht das Schema abgedruckt, das die Blutverschiebungen im Körper bei verschiedenen psychischen Vorgängen darstellt, wie sie durch andere Experimentatoren und mich festgestellt wurden. Die Verminderung des Armvolums bei gesteigerter Aufmerksamkeit war die erste der nicht grob sinnlich wahrnehmbaren vasomotorischen Begleit- erscheinungen psychischer Vorgänge, die experimentell festgestellt wurde. Nachdem dieselbe Erscheinung auch bei Messung des Fußvolums gefunden worden war, und es sich herausgestellt hatte, daß das Hirnvolum dabei zunahm, kam man zu der bis jetzt allgemein geltenden Anschauung, daß die Verengerung der äußeren Gefäße bei gesteigerter Aufmerksamkeit den Zweck habe, die Blutzufuhr zu dem Gehirn während seiner gesteigerten Tätigkeit zu vermehren, durch bessere Ernährung seine Funktionsfähigkeit zu verstärken und den schnelleren Ersatz der dabei verbrauchten Stoffe zu ermöglichen. Wenn das wirklich der Fall wäre, müßte natürlich das Volumen des Gehirns sich bei diesen psychischen Vorgängen immer in entgegengesetzter Richtung verändern, wie das Volumen der äußeren Körperteile, und zwar 1 Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 368. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 471 nicht nur im allgemeinen, sondern auch entsprechend den einzelnen Volum- schwankungen. + bedeutet Zunahme, — Abnahme der Blutfülle des betreffenden Körperteiles. Ä Glieder und Gehirn Außere Bauchorgane | äußere Teile Kopfteile des Rumpfes Bei Bewegungsvorstellung (mitoderohne Ausführung | der Bewegung). . . . — = | “+ Bei geistiger Arbeit. . . + _ | + —_ Beipschreck "12.1: 121. Ba BEE IE I NDERINEET ER Ehe Bei Lustgefühlen. . . . 4 | + | — | + Bei Unlustgefühlen . . . — | — NE RE mBSchlat: 2... üb | = + Bei peripherer sensibler Rei- Id | ZU SS ee + | «L ee en Diese Vorstellung war besonders dann begründet, wenn man noch daran glaubte, daß das Gehirn überhaupt keine eigenen Gefäßnerven besitze. Aber schon an den Kurven Mossos konnte man erkennen, daß die Volum- kurven des Arms und Hirns sich durchaus nicht im einzelnen immer reziprok verhalten und Brodmann! und Berger? stellten dies genauer fest. Berger fand auch, daß bei den erwähnten psychischen Vorgängen die Volumänderungen des Gehirns mehrere Pulsschläge vor denen der äußeren Körperteile beginnen, so daß es unmöglich ist, daß jene von diesen herbeigeführt werden. Man könnte aber immer noch daran denken, daß die Veränderungen an den äußeren Gefäßen ein, wenn auch später ein- tretendes Hilfsmittel für die bessere Blutversorgung des Hirns und für eine dadurch ermöglichte längere Dauer des betreffenden psychischen Vorgangs bedeute, aber auch dies wird durch meine früheren? Untersuchungen hin- fällig, durch die nachgewiesen wurde, daß bei der Kontraktion der Gefäße der äußeren Körperteile während dieser psychischen Vorgänge die Gefäße der Bauchorgane sich aktiv erweitern, so daß ein möglicher Einfluß der Kon- traktion der äußeren Gefäße auf die Blutversorgung des Gehirns dadurch ganz oder doch zum größten Teil verloren gehen müßte. Läge eine solche Beeinflussung im Plane der Entwicklung dieses Mechanismus, so würden sich neben den äußeren Gefäßen auch die der ! Brodmann, Plethysmographische Studien am Menschen. Journal für Psychiatrie und Neurologie. 1902. ? H. Berger, Körperliche Äußerungen psychischer Zustände. Jena 1904. 1907. ® Dies Archiv. 1907. Physiol. Abtlg. S. 293 ff. 472 : ERNST WEBER: Bauchorgane kontrahieren, zumal ja die Wirkung dieser Gefäße auf den Blutdruck stärker sein kann, als die der äußeren Blutgefäße. Zudem haben sich aus meinen Untersuchungen, die in diesem Archiv 1908, S. 457 ff. veröffentlicht wurden, die physiologischen Unter- lagen zur Erklärung des selbständigen Verhaltens der Volumkurven der äußeren Körperteile und des Gehirns ergeben, da aus ihnen hervorging, daß die Hirngefäße selbständig allen übrigen Gefäßen des Körpers gegenüber- stehen, indem sie ein anderes Zentrum für ihre Gefäßnerven besitzen, wie alle andern Blutgefäße. Wie man sich, auf diese Tatsache gestützt, das. verschiedene Verhalten der Gefäße des Gehirns und der anderen Gefäße des Körpers bei dem- selben Reiz, der auf den Körper, also auf beide vasomotorische Zentren gleichzeitig einwirkt, vielleicht erklären könnte, kann hier nicht erörtert werden. Vorläufig entnehmen wir diesen Überlegungen nur die Folgerung, daß wir bei der Biutverschiebung bei psychischen Vorgängen die Bedeutung der Volumänderungen am Gehirn streng auseinanderhalten müssen von denen an den übrigen Körperteilen, und daß besonders die Kontraktion der äußeren Blutgefäße sicherlich in keiner Beziehung steht zu der gleich- zeitigen Zunahme der Blutfülle des Hirns bei gesteigerter Aufmerk- samkeit. Noch viel weniger kann dies in Frage kommen bei der Gefäßver- engerung an den äußeren Körperteilen bei Unlustgefühl (siehe Schema), da dabei ja dabei das Hirn gar nicht an Blutfülle zu-, sondern abnimmt. Aus bestimmten Gründen betrachten wir zunächst den Nutzen der Blutverschiebung im Körper bei Unlustgefühlen, soweit sie nicht das Gehirn betrifft, das sich vasomotorisch selbst reguliert. Es handelt sich dabei um eine Verschiebung der größeren Menge des Blutes von der Außenseite des Körpers zu den Bauchorganen im Innern, bei der sowohl die Kon- traktion der äußeren Gefäße, als die aktive Erweiterung der inneren Gefäße mitwirkt. Da der Nutzen dieser Blutverschiebung sicherlich nicht in der besseren Ernährung der Bauchorgane während dieser kurzen Zeit liegen kann, muß er in der zeitweiligen Verschlechterung der Blutversorgung, also der Sauer- stoffzufuhr zu den äußeren Körperteilen, besonders also der Haut, gesucht werden. Aus den Untersuchungen des ersten Teils dieser Abhandlung, durch die bewiesen wird, daß durch Herbeiführung einer arteriellen Hyperämie der Haut die Empfindlichkeit der Hautsinnesorgane gesteigert wird, wie es nach den Untersuchungen Verworns über das Sauerstoffbedürfnis der Nervensubstanz zu erwarten war, geht auch hervor, daß umgekehrt durch AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. 473 eine Verschlechterung der Blutversorgung der Haut, wie sie hier vorliegt, die Empfindlichkeit der Hautsinnesorgane herabgesetzt werden muß. Es wird dadurch dem Körper also ein gewisser Schutz gegen die weitere Einwirkung der schmerzhaften unlusterregenden äußeren Reize ver- liehen, die Empfindlichkeit dagegen wird herabgesetzt. Ein ganz entsprechender Vorgang spielt sich gleichzeitig bei Einwirkung des schmerzhaften oder uniusterregenden Reizes in der Hirnrinde ab, indem sich dort die Hirngefäße verengen und dadurch gleichfalls die Reiz- empfindlichkeit der von ihnen versorgten nervösen Substanz, nämlich der Biogene der Hirnrinde herabsetzen. Vermutlich wird der’ Mechanismus zur Kontraktion der Hirngefäße schon durch den schmerzhaften Reiz selbst auf seinem Wege zur Hirnrinde in Bewegung gesetzt. Die Schmerzempfindung hat bekanntlich den großen Wert, dem Körper als Warnungssignal zu dienen, und erfüllt diesen Zweck wenigstens bei den häufigsten, den äußeren Verletzungen, im normalen Zustand immer. Zur Erreichung des Nutzens der schmerzhaften und unangenehmen Empfindung gewisser Reize als Warnungssignale genügt es aber völlig, wenn die Reize in der sehr kurzen Zeit in voller Stärke auf die Hirnrinde ein- wirken, die zwischen dem Anlangen des Reizes in der Hirnrinde und dem Eintreten der Wirkung des gleichzeitig an den Rindengefäßen anlangenden Impulses zur Kontraktion verstreicht. Ebenso muß für diesen Zweck auch eine nur kurze Einwirkung des Reizes in seiner vollen Stärke auf die sensiblen Aufnahmeapparate an der Außenseite des Körpers genügen. Beim Durchpassieren des Reizes durch das vasomotorische Zentrum in der Medulla, also noch ehe der Reiz zu dem mehr zentral gelegenen vasomotorischen Zentrum für die Hirngefäße und zur Hirnrinde selbst ge- langt, wird vermutlich schon der Mechanismus in Bewegung gesetzt, der zur Kontraktion der äußeren Gefäße und gleichzeitigen Erweiterung der Bauchgefäße führt, so daß gleichzeitig durch Druck- und Saugwirkung in schnellster Zeit eine relative Blutleere der Haut erzeugt wird, die den etwa weiter einwirkenden Unlust- oder Schmerzreizen den Panzer der herab- gesetzten Erregbarkeit entgegensetzt. Die Unlustreize, die dann trotzdem, wenn auch in abgeschwächter Form noch aufgenommen und zum Gehirn weitergeleitet werden, finden in der Hirnrinde wieder einen Aufnahmeapparat, dessen Erregbarkeit infolge der Kontraktion seiner Gefäße herabgesetzt ist. Mit Hilfe dieses Mechanismus werden also, abgesehen von dem ersten außerordentlich kurz dauernden Eindruck, auch starke Schmerz- und Un- lustreize nur in sehr abgeschwächtem Maße in der Hirnrinde wahr- 474 ERNST WEBER: genommen, und die durch sehr starke Reize leicht gefährdeten Biogene der Hinrinde bleiben intakt, denn je stärker der Reiz ist, um so stärker wird, bis zu einer gewissen Grenze, auch die Kontraktion der Gefäße des Gehirnes und der äußeren Körperteile und die die Wirkung dieser Vorgänge erleichternde Erweiterung der Bauchgefäße sein. Lust stellt’den entgegengesetzten Zustand dar, wie Unlust, und deshalb sind auch offenbar die Veränderungen an den Gefäßen bei diesem Zustand (siehe Schema) die entgegengesetzten und die Erklärung ergibt sich durch Umkehrung der obigen Ausführungen von selbst. Durch Erweiterung der äußeren Gefäße wird die Sauerstoffzufuhr zu den Endigungen der sensiblen Nerven und ihre Empfindungsfähigkeit gegen die angenehmen Reize gesteigert, und ebenso bewirkt auch die Gefäßerweiterung in der Hirn- rinde eine vermehrte Wahrnehmungsfähigkeit der Hirnrinde für die an- genehmen Reize. Bei gesteigerter Aufmerksamkeit und geistiger Arbeit liegen die Ver- hältnisse anders. Auch hier entsteht eine Blutverschiebung von den äußeren zu den inneren Teilen neben der damit nicht zusammenhängenden Er- weiterung der Hirngefäße. HE Auch hierbei muß der Nutzen der Blutverschiebung in der Herab- setzung der Empfindlichkeit der Haut in seiner Allgemeinheit gesucht werden, von der, wie wir sahen, nur bestimmte Teile ausgenommen sein können. Aber von Unlust erregenden äußeren Reizen kann bei dem ein- fachen Zustand der gesteigerten Aufmerksamkeit und bei psychischer Arbeit keine Rede sein. Es würde also nur eine Herabsetzung der Erregungs- fähigkeit der sensiblen Aufnahmeapparate gegenüber allen denjenigen ge- wöhnlichen äußeren Reize in Frage kommen, die im wachen Zustand des Menschen dauernd in stärkerem oder geringerem Grade auf ihn einwirken. Es liegt nun nahe, daran zu denken, daß bei psychischer Arbeit, die eine innere Sammlung, die Konzentration der Gedanken nach einer be- stimmten Richtung hin erfordert, ein solcher Zustand nützlich für diese Gedankenkonzentration sein muß, der eine gewisse Abschließung des Körpers gegen die während der Arbeit dauernd von außen auf ihn einwirkenden geringeren Reize herbeiführt, also einen gewissen Schutz gegen Ablenkung der Aufmerksamkeit von der auszuführenden Arbeit gewährt. Ganz besonders muß aber eine solche Abschließung gegen äußere Reize während dieser Zeit deshalb von Wert sein, weil die Hirngefäße während der Ausführung der psychischen Arbeit sich erweitert haben, und in diesem Zustand die Hirnrinde, ähnlich wie bei Lustgefühlen, besonders empfindlich für alle Reize ist, da ja die vermehrte Sauerstoffzufuhr die Erregungs- fähigkeit der Biogene der Hirnrinde bedeutend steigert. AUTOMAT. REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFIRDUNGSSTÄRKE. 475 Es würde bei diesem Zustand der Hirnrinde, der ja für die Ausführung einer psychischen Arbeit sehr günstig ist, auch jeder äußere Reiz sehr empfindliche Aufnahmeapparate in der Hirnrinde antreffen, er würde sehr stark zur Empfindung kommen und die Aufmerksamkeit in viel höherer Weise in Anspruch nehmen, als er es im Ruhezustand des Gehirnes tun würde. Gegen diese Gefahr der Ablenkung, könnte man denken, bietet die Herabsetzung der Erregungsfähigkeit der sensiblen Aufnahmeapparate an der Außenseite des Körpers einen wirksamen Schutz, da die äußeren Reize dann nur noch in stark abgeschwächtem Maße weiter zum Gehirn geleitet werden. Wenn diese Anschauung richtig wäre, so müßte es zunächst sich herausstellen, daß bei einer stärkeren Konzentration der Aufmerksamkeit auf eine schwierigere psychische Arbeit, auch der Schutz gegen äußere Ab- lenkung ein größerer wird, weil dann eine Ablenkung bei der stärkeren Erweiterung der Hirngefäße um so störender wirken müßte. Die Richtigkeit dieser Erwartung wurde auch in der Tat durch aus- führliche Untersuchungen bewiesen, die Frankfurther und Hirschfeldt vor kurzem an dieser Stelle! veröffentlicht haben. Die Zweckmäßigkeit dieser Herabsetzung der Empfindlichkeit der sensiblen Aufnahmeapparate der Außenfläche des Körpers bei gesteigerter Aufmerksamkeit würde nur dann nicht mehr vorhanden sein, wenn auch die Empfindlichkeit desjenigen Teils der reizempfindlichen Außenfläche des Körpers herabgesetzt würde, mit der der Reiz wahrgenommen werden soll, auf den die Aufmerksamkeit gerichtet ist. Da nun in den oben beschriebenen Versuchen durch das Beispiel der lokalisierten Steigerung der Tastaufmerksamkeit gezeigt wurde, daß der- jenige Teil der Sinnesoberfläche, mit dem etwas wahrgenommen werden soll, lokal die entgegengesetzten vasomotorischen Innervationsimpulse erhält, wie die andern Teile, und seine Empfindlichkeit sogar gesteigert wird, so scheint die Zweckmäßigkeit dieser anscheinend komplizierten vasomotorischen Begleit- erscheinungen der psychischen Vorgänge eine vollkommene zu sein. — Wie ich am Ende des ersten Abschnittes dieser Abhandlung andeutete, komme ich nun auf die Bedeutung der Vorsichtsmaßregeln zurück, die ich bei den dort beschriebenen Sensibilitätsprüfungen beobachtete. Ich forderte zunächst die Versuchsperson immer auf, mit aller Auf- merksamkeit auf die kommenden Reize zu achten. Würde dies nicht ge- schehen, und würde die Versuchsperson einmal bei den Versuchen mit angespannter Aufmerksamkeit auf die Reize achten, ein andersmal weniger ! Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. 476 ERNST WEBER: REGULATIONSMECHANISMUS DER EMPFINDUNGSSTÄRKE. oder gar nicht, so würden sich die Ergebnisse dieser Versuche in keiner Weise vergleichen lassen, da ja, wie aus den Untersuchungen des 2. Teils hervorgeht, bei Steigerung der Tastaufmerksamkeit sich in der Haut des betreffenden Körperteils die Gefäße erweitern und die Empfindlichkeit der nervösen Organe vermehrt wird. Entweder muß man also bei diesen Prüfungen die Aufmerksamkeit der Versuchsperson niemals oder immer auf die zu er- wartenden Reize lenken. Da das erstere kaum in gleicher Weise zu er- reichen sein wird, wird man das letztere vorziehen, obwohl auch dabei Schwankungen der Konzentration der Aufmerksamkeit eintreten werden. Auch die sogenannten Ermüdungserscheinungen, die durch die Ästhesio- meter von einigen Experimentatoren nachgewiesen wurden, hängen ver- mutlich von dem Nachlasse der Konzentration der Aufmerksamkeit und der davon abhängigen vasomotorischen Veränderung in der Haut ab. Um diese Aufmerksamkeit ad maximum zu steigern, war es außerdem noch nötig, sie genau zu lokalisieren, da nach meinen Feststellungen die Steigerung der arteriellen. Blutversorgung und damit der Empfindlichkeit eine streng lokalisierte ist. Zu dem Zwecke wurde bei der Prüfung einer neuen Hautstelle von mir jedesmal zunächst ein so starker Druckreiz aus- geübt, daß er bestimmt empfunden wurde. Es wurde dadurch sogleich die Empfindlichkeit gerade dieser Hautstelle die möglichst feinste, da die Aufmerksamkeit genau darauf lokalisiert war, und durch Abschwächung (der folgenden Reize erhielt ich einen genauen und konstanten Schwellenwert. Wie nötig diese Vorsichtsmaßregel ist, konnte ich daran beobachten, daß, wenn ich umgekehrt mit sehr schwachen Reizen begann, um sie dann allmählich zu verstärken, ich nach der Verstärkung des Reizes bis zu dem Grade, daß er empfunden wurde, dann auch mit schwächeren Reizen von derselben Stelle aus deutliche Empfindungen auslösen konnte. Offenbar erklärt dies sich dadurch, daß durch die erste Empfindung des Reizes einmal die Aufmerksamkeit im allgemeinen noch mehr gesteigert wird, besonders aber daß sie mehr lokalisiert wird und daß die vom Gehirn ausgehenden Innervationsimpulse zur Erweiterung eines Teiles der Haut- gefäße mehr auf einen Punkt konzentriert werden. Praktische Notizen zur Handhabung des Saitengalvanometers und zur photographischen Registration seiner Ausschläge. Von Prof. A. Samojloff. (Aus dem physiologischen Laboratorium der physiko-mathemat. Fakultät der Universität Kasan.) I. Das Registrierwerk. Wir besitzen eine ganze Reihe von sehr gut durchdachten Konstruk- tionen der Registrierwerke für photographische Zwecke. Es sei nur auf die Apparate von B. Sanderson,! Einthoven,? Morochuwetz,? Garten,? Cremer’, Wertheim Salomonson,® Frank?” und Edelmann?® hin- ! B. Sanderson, The electrical response to stimulation of muscle. Journal of of Physiology. 1895. Vol. XVII. p. 117. 2 Einthoven, Eine Vorrichtung zum Registrieren der Ausschläge des Kapillar- elektrometers. Pflügers Archiv. 1900. Bd. LXXIX. S. 25. 8 L. Morochowetz, Die Chronophotographie im physiologischen Institut der k. Universität in Moskau. Le physiologiste russe. 1902. Vol. II. p. 51, vgl. p. 54 (Pendel-Photochronograph). 48. Garten, Zwei einfache Vorrichtungen zur photographischen Registrierung der Bewegungsvorgänge. Pflügers Archiv. 1904. Bd. CIV. S. 392. 5 M. Cremer, Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München. 1905. Heft 1. (Zitiert nach M. Edelmann, Mitteilungen aus dem physik.-mechan. Institut. Nr. 4.) i 6 Wertheim-Salomonson, Ein neuer photographischer Registrierapparat. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXX. S. 618. ” O0. Frank, Ein Kymographion für photographische Registrierung. Zeitschrift für biologische Technik und Methodik. 1908/9. Bd. I. S. 105. 8 Edelmann, Mitteilungen aus dem physiko-mechanischen Institut von Prof. M. Edelmann. Nr. 4 (S. 27) und 5 (8. 18). 478 A. SAMOJLOFF: gewiesen. Indessen sind manche von diesen Apparaten zu kompliziert und kostspielig, manche nicht universal genug, sondern mehr einem bestimmten Zwecke angepaßt. Nachteilig ist auch meiner Meinung nach in einigen von den aufgezählten Apparaten die Fixierung des Spaltes in horizontaler Fig. 1A. Richtung und die Unmöglichkeit, mit vertikalem Spalte zu arbeiten. Das Prinzip des Pendels, welchem man in einigen der angeführten Registrier- werke begegnet, kommt jetzt, wie es scheint, mehr und mehr außer Gebrauch. Ich habe früher schon, während der Kapillarelektrometerperiode, das Bedürfnis nach einem Registrierwerke empfunden, welches für langsame, NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 479 schnelle und schnellste Vorgänge sich eignete, welches mit Einrichtungen für verschiedene Reizmöglichkeiten ausgerüstet wäre, die Registration breiter oder schmaler, langer oder kurzer lichtempfindlicher Flächen ermöglichte und das Arbeiten im hellen Zimmer zuließe. Nach vielem Probieren und Fig. 1B. Umkonstruieren gelangte ich schließlich zu einem Registrierwerk, das allen Anforderungen entspricht und mir im Laufe der letzten Jahre gute Dienste leistete. Das Registrierwerk enthält wenig ganz Neues und nichts prinzipiell Neues, es stellt vielmehr eine Zusammenstellung und Verbesserung von 480 A. SAMOJLOFF: Eigenschaften dar, die mir an verschiedenen anderen Apparaten zweck- mäßig und vervollkommenswert erschienen und die ich deshalb an einem Apparate kombinierte und denselben zu einem ziemlich universellen Kymo- photographion gestaltete (Fig. 1A und 2). Der Hauptteil des ganzen Registrierwerkes ist dem Engelmannschen Pantokymographion! entnommen: das Polyrheotom unten an der Trommel- achse, die Federmechanik der Trommel oben mit Handgriff und die Ein- richtung zur Kuppelung der Trommel an die Achse einerseits und der Achse an das Polyrheotom andrerseits. Jedoch mußte die Grundform des Instru- mentes in Anbetracht der speziellen Aufgabe, nämlich der photographischen Registration, etwas geändert werden. Das Gestell mußte solider und kräftiger gebaut werden, um jede Spur von Zitterbewegungen der einzigen Kolonne im Original-Pantokymographion von Engelmann, von deren Existenz ich mich überzeugen konnte, zu beseitigen. In meinem Registrierwerk ist das Gestell durch ein massives Viereck dargestellt; die eine Seite desselben bildet ‚eine schwere gußeiserne, an ein Holzbrett befestigte Grundplatte, die anderen zwei Seiten sind die in der Fig. 1A und 2 zu stehenden Kolonnen A, A und schließlich die obere Seite des Vierecks, die den Federantriebapparat mit Handgriff a zur Spannung der Feder und die Schraube 5 zur Fixierung der Trommelachse enthält. Das Gestell trägt nicht nur die Trommelachse, sondern auch den Spalt- apparat, 5, B, sowie die Trommelkassette C, C. Der Spaltapparat besteht aus einem den Spalt tragenden flachen Holz- kasten ohne Hinterwand, der an die vordere Fläche der Kolonnen befestigt ist. Die Befestigung muß ganz besonders sorgfältig ausgeführt werden, denn jede auch die leiseste Zitterbewegung des Spaltes erzeugt an der lichtempfindlichen Fläche parallel dem Spalte laufende Striche. Vier, zwei oben und zwei unten, rechtwinkelig umgebogene Eisenplatten (D, D, D, D,) bewirken die Fixierung des Spaltapparates.. Die vordere Seite des Holzkastens besitzt einen vertikalen ‚Ausschnitt, in welchen die zwei Schneiden des verstellbaren, 13 °® langen Spaltes hineinpassen. Die Ver- stellung der Spaltbreite geschieht vermittelst des Handgrifis mit einem Zeiger c, so daß man an der hier angebrachten geeichten Teilung die Spalt- breite ablesen kann. Vor dem Spalte befindet sich der ihn verdeckende Schirm, der vermittelst des Hebels d verschoben werden kann; wird der Hebel losgelassen, so schneilt der Schirm durch Federkraft in seine alte Stellung und verdeckt den Spalt. Der Schirm spielt die Rolle des Ver- schlusses im gewöhnlichen photographischen Apparat. Um den Schirm für längere Zeit geitwärts vom Spalt zu fixieren, wird der Hebel d um seine Achse ! Th.W.Engelmann, Das rbythmische Polyrheotom. Pflügers Archiv. 1892. Bd. LII. S. 603. Das Pantokymographion. Zbenda. 1895. Bd. LX. S. 28. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 481 gedreht und darauf durch den Haken e festgeklemmt. Diese Art der Öff- nung des Spaltenschlusses wird nur dann gebraucht, wenn man behufs der Einstellung oder Vornahme irgend welcher optischer Änderungen den Spalt für längere Zeit offen halten will. Bei der Aufnahme von Kurven öffnet man den Verschluß nicht durch Haken e, der dann auf die andere Seite umgeworfen wird und also nicht mehr funktioniert, sondern vermittelst des Griffes f, welcher durch einen über die Rolle g gleitenden Faden mit dem Hebel d verbunden ist. Der Griff f dient aber zu gleicher Zeit auch dazu, um die gespannte Feder der Federmechanik abzusperren. Hebt man nun den Griff /, so wird die Trommel ihre Schleuderbewegung anfangen und gleichzeitig wird der Lichtverschluß geöffnet. Man gewöhnt sich sehr leicht, pen Griff f in dem nötigen Momente loszulassen, wobei die Feder % denselben in die Anfangsstellung bringt und der Spalt wiederum verdickt wird; die Trommei wird nach einmaliger Umdrehung durch besondere Federn an- gehalten. Der Verschluß kann noch in einer dritten Weise geöffnet werden, nämlich vermittelst des Blektromagneten :, dessen Anker dann mit dem Hebel d verbunden wird. Der Elektromagnet wird namentlich dann be- nutzt, wenn die Trommel nicht durch Federkraft sondern langsamer durch einen elektrischen Motor mit entsprechenden Übertragungen getrieben wird. In diesem Fall wird das Öffnen und Schließen des Spaltverschlusses nach Vollendung einer Trommelumdrehung automatisch vermittelst eines kleinen an die Kolonne unten befestigten Sternes Ak bewirkt, (ähnlich den Vor- richtungen, die man an Türen zum temporären Aufleuchten einer Glüh- lampe anbringt) Fig. 1 3, dessen Speichen von einem am Polyrheotom an- brachten Haken am Anfange und am Ende einer Umdrehung mitgenommen werden, wodurch der Strom im Elektromagneten ö geschlossen und ge- öffnet wird. Vor dem Spalt kommt ein Zylinderlinse (2.5 °® breit, 13 lang) zu 'stehen; letztere ist in einen Metallrahmen gefaßt und vermittelst desselben an die vordere Fläche des Spaltapparates befestigt. . An die hintere Fläche der Zylinderlinse wird eine Glasplatte mit horizontalen Linien für die horizontalen Linien des Gartenschen Netzes angelegt und durch besondere Federn im Rahmen der Zylinderlinse fixiert. Über die Herstellung der horizontalen Linien auf der Glasplatte s. weiter unten. Wie oben erwähnt, trägt das Gestell des Instrumentes außer. dem Spaltapparate noch die Trummelkassette. Letztere besteht aus der Achse m, der Trommel von 13°® Höhe und 60°® Umfang, sowie aus dem zylindrischen Mantel, der die Trommel umgibt. Die Aluminiumtrommel ist fest an die Achse fixiert und dreht sich mit derselben; der zylindrische Mantel da- gegen ist während der Aufnahme nicht an die Achse fixiert, er ist ver- mittelst zweier Vorsprünge n,n (Fig. 1B) an die Kolonnen A, A befestigt. Die Befestigung wird besorgt durch zwei mit ovalen Köpfen versehene Archiv f. A.u. Ph. 1910, Physiol. Abtlg. al 482 A. SAMOJLOFF: Schrauben 0,0, die durch entsprechende ovale Ausschnitte in den Vor- sprüngen hindurchgehen und durch Drehung um 90° die Vorsprünge an die Kolonnen andrücken und auf diese Weise den Mantel fixieren. Die Höhe des Mantels ist 14°®; derselbe überragt die Trommel oben und unten um 0,5°“; der Abstand der inneren Fläche des Mantels von der Außen- fläche der Trommel ist Imm, Wenn die Kassette an ihrem Platze im Apparate sich befindet, so liegt der halbe Umfang des Mantels im Holz- kasten des Spaltapparates, der oben und unten entsprechende Ausschnitte für die Hälfte des Achsenumfanges besitzt. Genau gegenüber dem früher beschriebenen Spalte befindet sich im Mantel ebenfalls ein vertikaler Spalt, der durch eine 1°“ breite Platte verdeckt ist. Die Metallplatte hat unten einen Griff, durch welchen man dieselbe nach unten verschieben kann, bis sie den ganzen Spalt befreit; sie spielt also dieselbe Rolle, wie die verschieb- liche Wand in einer gewöhnlichen Kassette. Nach einer Trommelumdrehung, nachdem die Aufnahme ausgeführt ist, wird die Platte nach oben geschoben und somit die Trommel wiederum allseitig vom Lichte abgeschlossen. Will man nun das exponierte Papier bzw. Film entwickeln, so muB man die Kassette abnehmen und in das Dunkelzimmer hineinbringen. Zu diesem Zweck muß vor allem der Mantel, der bis jetzt nur an den Kolonnen befestigt war, nunmehr auch an die Achse fixiert werden. Dort, wo die Trommelachse durch den Mantel hindurchgeht, ist der lichtdichte Abschluß dadurch bewerkstelligt, daß an der Achse und der Trommel Hülsen angebracht sind, die dasselbe leisten, wie die Hülsen, die das Mikroskopokular mit einer mikrophotographischen Kamera verbinden. Unsere Hülsen unterscheiden sich aber dadurch, daß sie sich gegeneinander ver- schrauben lassen, wodurch Achse, Trommel und Mantel dann ein Ganzes bilden. .Hat man die Hülsen verschraubt, so lüst man die Schraube 2, macht eine Drehung der Schrauben o und o um 90° und nimmt die Trommel zusammen mit der Achse und Mantel heraus. Im Dunkelzimmer befindet sich auf dem Tisch ein Holzgestell, das dem am Registrierwerk befindlichen Holzkasten mit den Ausschnitten zur Aufnahme der Trommel- achse ähnlich ist. Man legt die Kasseite auf das Gestell, öffnet die kleine Tür, die sich auf der hinteren (bzw. oberen an der liegenden Kassette) Wand des Mantels befindet und entnimmt das exponierte Papier bzw. Film. Zur Befestigung des Papiers befinden sich an der Trommel zweckmäßig gestaltete Stahlfedern. Ich benutze entweder Filmplanplatten von Eastmon (besonders bequem ist das Fabrikat, das den Namen „Kodoid“ trägt) 13 x 18°% oder Negativpapier ebenfalls 13 x 1S°® und 13 x 60%, wenn ‚die ganze Trommel bespannt ist (die besten Resultate erhielt ich mit dem vorzüglichen Negativpapier der „Neuen Photographischen Gesellschaft“ Berlin-Steglitz, welche in zuvorkommender Weise das Papier in gewünschter NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 483 Größe zustellt). Selbstredend kommen die Film- öder Papierstücke 13 x 18 . auf denjenigen Teil der Trommel zu liegen, welcher bei Federantrieb mit gleichförmiger Geschwindigkeit vor dem Spalte vorbeieilt. An der allseitig mit Papier bespannten Trommel liegen die Federklammern an jener Stelle, welche im Moment des Stromschlusses bzw. Öffnens im Elektromagneten i vor dem Spalte sich befindet. Das Herausnehmen das Papieres und abermaliges Laden dauert bedeutend weniger, wie das Bespannen und Be- rußen einer gewöhnlichen Trommel. Die geladene Trommelkassette kommt dann wiederum vor den Spaltapparat, sie wird durch die Schrauben o und o an die Kolonnen fixiert, nachdem das untere Ende der Achse in die Ver- tiefung des Polyrheotoms in entsprechender Stellung hineingelangt. Darauf schraubt man 5 zu und löst die Verbindung zwischen den das Licht ab- schließenden Hülsen: die Trommel ist wiederum frei und der Mantel hänst an den Kolonnen. Zieht man nun den Schieber mit der das Licht ab- schließenden Platte nach unten, so ist alles zur Aufnahme bereit. Die beschriebene Kassette erlaubt im hellen Zimmer zu arbeiten, auch wenn man keine besonderen lichtabschließenden Röhren zwischen dem Registrierwerk und Okular des Galvanometermikroskopes anbringt; man muß nur das Licht gut konzentrieren und den Spalt möglichst stark mit dem. Bogenlichte beleuchten, damit der Kontrast zwischen der Stärke der Tages- beleuchtung und der Bogenbeleuchtung des Spaltes möglichst groß wird. Wie oben erwähnt, läßt sich die Trommel entweder mit Federkraft, oder für langsamen Gang vermittelst eines Motors treiben. Das Anbringen eines elektrischen Motors anstatt des Uhrwerkes, erlaubte das Polyrheotom in seiner vollkommeneren Form auszuführen, denn _man gewann dadurch Platz und konnte für die Führung der metallischen Kontaktbänke anstatt eines kleinen Kreisausschnittes den ganzen Kreis verwenden. Am Umfange des Polyrheotomringes ist ein zweifacher Schnurlauf angebracht. Der eine ‘ führt zum Speichenrad für die Vertikalen des Gartenschen Netzes (siehe weiter unten), der andere dient zum Verbinden des Ringes mit der Scheibe p (Fig. 1B), die zum Reduzieren der Zahl der Motorumdrehungen mit einer Zahnschnecke verkuppelt ist; an der Achse der Zahnschnecke sitzt die Scheibe g mit zwei Schnurläufen, die vom Motor r angetrieben wird. Vermittelst der Kombination dieser Schnurläufe, sowie Änderung der Widerstände im Motorkreise läßt sich die u a en der Trommel in breiten Größen variieren. Es ist leicht einzusehen, daß das Anwendungsgebiet des beschriebenen Registrierwerkes sehr groß ist. Man kann damit in der bequemsten Art mehrfach auf ein- und derselben Filmplatte bei großer Umdrehungs- geschwindigkeit photographieren, um die Kurven übereinander schreiben. zu lassen, wie wir das bei Versuchen mit Summation der Kontraktionen u. dgl. 31* 484 A. SAMOJLOFF: auf berußten Trommeln machen. Beispiele derartiger (kapillarelektro- metrischer) Kurven befinden sich in genügender Zahl in meinem Aufsatze „Aktionsströme bei summierten Muskelzuckungen“;! hier werden auch Be- lege für die außerordentliche Exaktheit der Funktion des Registrierwerkes gegeben. Weiter findet man „mehrfache“ saitengalvanometrische Kurven in meiner Publikation „Über die Aktionsstromkurve des quergestreiften Muskels bei zwei rasch aufeinanderfolgenden Reizen“.?” Kurven, die beim langsamen Gange des beschriebenen Registrierwerkes aufgenommen sind, findet man in meinen Aufsätzen: „Beiträge zur Elektrophysiologie des Herzens“? und teilweise in „Elektrokardiogrammstudien“ im Jubelbande für L. Hermann, 1908, S. 171. Einige Kurven folgen noch weiter auch in diesem Aufsatze. Über die am Registrierwerke angebrachte Einrichtung für das Garten- sche Netz kommen wir weiter unten zu sprechen. Il. Das Saitengalvanometer von Einthoven. Persönliche Erfahrung habe ich nur mit dem Saitengalvanometer in der Ausführung von Hm. Edelmann in München. Das Laboratorium besitzt das kleine Modell mit dem Elektromagneten und das große Modell. Das kleine benutzte ich. bis jetzt nur zu Demonstrationszwecken in der Vorlesung und in dieser Beziehung eignet es sich sehr gut, besonders wenn man eine extra dicke Saite benutzt, damit dieselbe in der Projektion auch von weitem sich gut markiert. Viele Versuche der Elektrophysiologie, auch manche sehr subtilen lassen sich mit diesem Instrumente in schönster Weise vorführen. Versuche mit Registration der Ausschläge habe ich nur vermittelst des großen Edelmannschen Galvanometers ausgeführt und möchte be- züglich der Handhabung des Instrumentes einige Punkte hervorheben. 1. Das Zittern der Saite. Die größten Schwierigkeiten habe ich bei der Beseitigung der Zitter- bewegungen des Quarzfadens empfunden. Man bekommt in letzter Zeit zu lesen ünd auch in Abbildungen zu sehen, daß das Saitengalvanometer einfach auf einem gewöhnlichen Tisch montiert wird. Es ist schwer zu begreifen, wie man dabei irgendwie brauchbare .Resultate erlangen kann; vielleicht läßt sich durch diese Art der Handhabung das völlig entstellte Aussehen vieler 1 Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl: 8. 1. ” Zentralblatt für Physiologie. 1910. Nr. 2. S. 45. ® Dies Archiv. 1906. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. 207. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 485 verschiedenen Publikationen beigefügter saitengalvanometrischer Kurven er- klären. Denn auch bei der sorgfältigsten und gewissenhaftigsten Auf- stellung des Instrumentes sind die Zitterbewegungen der Saite nicht in allen Fällen bis auf die letzte Spur zu beseitigen. Einige Erfahrung im Kampfe mit den Erschütterungen habe ich noch aus den Zeiten der Kapillarelektrometerperiode erworben und diese Erfahrung auch beim Auf- stellen des Saitengalvanometers ausgenutzt. An einer festen Wand wird ein kräftiger Kronstein eingemauert und auf diesem ein Holzkasten durch Schrauben befestigt. Der Kasten wird mit Sand gefüllt, so daß die Sandschicht etwa 25°® hoch ist. Auf den Sand kommt eine Filzlage, die überall den Sand namentlich an den Seiten- wänden gut zudeckt, damit vom Sande kein Staub übertragen wird. Auf die Filzlage wird schließlich eine 1°” dicke Metallplatte gelegt; die Metall- platte ist etwas kleiner, wie der Holzkasten so daß dieselbe nur die Mitte des Kastens einnimmt und die Seitenwände nicht berührt. Das Saiten- galvanometer kommt nun auf diese Platte zu stehen, zu welchem Zwecke an der Platte in entsprechenden Stellen Grübehen für die Stellschrauben des Galvanometers eingegraben sind. Diese Einrichtung erwies sich im Laufe der Zeit als durchaus zweckmäßig. Als das Instrument jedoch zum ersten Mal in der beschriebenen Weise aufgestellt war, war das Resultat ungemein traurig, so daß der Gedanke auftauchen konnte, ob nicht etwa die ganze Einrichtung an einem prinzipiellen Fehler leide. Dagegen sprach aber entschieden die Erfahrung mit dem Kapillarelektrometer, das viele Jahre hindurch in derselben Weise montiert, tadellos funktionierte. Die Quarzsaite dagegen blieb für keinen Augenblick in Ruhe und machte die ausgiebigsten Zitterbewegungen. Nach langem Suchen war der Fehler auf- gedeckt und darauf leicht beseitigt. Es stellte sich heraus, daß die Ur- sache der Zitterbewegungen in einer ungenügenden gegenseitigen Fixierung einiger Galvanometerteile beruhtee Im Edelmannschen! Galvanometer werden nämlich die keilfürmigen Räume zwischen den Polschuhen durch zwei Messingprismen (4 in der Edelmannschen Fig.) abgeschlossen. Diese Messingprismen bewirken, wenn sie nicht gut befestigt sind, die ärgsten Störungen im Funktionieren des Instrumentes. Sie machen jede leiseste Bewegung, wie die Kohlen des Mikrophons mit, und übertragen dieselbe auf die Saite. Zur Befestisung der Messirgprismen in der Originalkon- struktion von Edelmann dienen besondere Zähne, die in den Schlitz der Platten B (s. Edelmannsche Fig.) hineinpassen. Die Zähne scheinen aber wenig zu nützen (so war es jedenfalls in meinem Fall), denn wenn die- ' M. Edelmann, Mitteilung Nr. 5 aus dem Physiko-mech. Institute von Edel- mann in München. 1908. S. 2. Fig. 1,4. 486 A. SAMOJLOFF: selben mit Widerstand in den Schlitz hineingehen, so sind sie einfach ge- fährlich, weil man bei gewaltsamem Eindringen des Messingkeils Gefahr läuft, durch heftige Erschütterungen den Faden zu beschädigen; geht der Zahn ohne Widerstand in den Schlitz, dann nützt er nicht, weil er den Messingkeil nicht fixiert. Ich ließ deshalb die Zähne herausnehmen und bestellte anstatt derselben besondere Klammern, die die Messingkeile absolut sicher fixieren und leicht zu handhaben sind. Die Messingkeile, befreit von den Zähnen, gehen leicht in den prismatischen Raum hinein, man schiebt L sie möglichst weit und befestigt dann die Klammern (Fig. 2). Die Schraube 5 befestigt die Klemme an die B Galvanometerplatte 3, darauf dreht man die Schraube a, a a bis sie den Messingkeil in seiner Lage sicher fixiert. f Man braucht also 4 Klemmen, 2 oben und 2 unten. Etwas umständlich ist es, die Klemmen, die zur Wand M hinsehen, zu befestigen, da es aber einmal für viele Monate geschieht, so hat es wenig Bedeutung. In »B unserem Fall hat die beschriebene Maßregel einen & äußerst günstigen Effekt gehabt, weil die Störung, die Fig. 2. beseitigt werden sollte, sehr ausgesprochen war. Grobe Zitterbewegungen sind nach Befestigung der Messing- keile mit einem Schlage für immer verschwunden. Man darf wohl an- nehmen, daß die sorgfältige Befestigung der Messingkeile in allen Fällen, auch wo die Störung nicht ganz arg ist, sich günstig bezüglich der Zitter- bewegungen der Saite erweisen wird. Eine weitere Vorsichtsmaßregel ist die Umgebung des ganzen Instru- mentes mit einem Kasten, um möglichst Luftströmungen zu beseitigen. Das ist bei dem Edelmannschen Instrumente von Wichtigkeit, da die Saite doch nicht ganz abgeschlossen ist. Die Abdichtung durch die kleinen am Instrumente befindlichen Glassturze mit Deckplatte kann (namentlich oben) und soll nicht vollkommen sein, da sonst doch die Entspannung der Saite unmöglich sein würde: man muß also zwischen der Platte B und dem Glassturz einen wenn auch sehr schmalen Spielraum freilassen. Ich benutze zum Bedecken des Instrumentes einen Kasten, der genau auf den Kasten mit Sand paßt und auf denselben aufgelegt wird. Aber nicht nur mechanische Erschütterungen bewirken die Unruhe des Fadens. Es tritt eine ganze Reihe von Störungen des Ruhezustandes der Saite ein, deren Ursache aufzudecken ungemein schwierig ist, um so mehr, als viele von den Störungen von unbeständiger Natur sind. Heute sind sie da, morgen steht die Saite wiederum still. Zuweilen genügt es, vor dem Instrument einen Schritt zu tun, ja sogar eine leichte Bewegung mit der Hand auszuführen, um die Saite aus ihrer Ruhelage zu stören. Die NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 487 Berührung irgend einer Klemme in der ganzen Zusammenstellung von Apparaten bewirkt zuweilen einen äußerst starken Ausschlag der Saite. Man mußte auf den Gedanken kommen, daß man es mit statischen Ladungen zu tun hat und daß man durch Einführung der Kapazität des eigenen Körpers bzw. durch Ableiten zur Erde beim Berühren der Klemmen die Verteilung der Ladung ändert! Man konnte daran denken, daß die Polschuhe eine Ladung bekommen und auf die Saite einwirken. Ich ver- suchte deshalb eine der Stellschrauben des Galvanometers und somit also das ganze Gestell und die Polschuhe mit der Quarzseite zu verbinden, um die Saite auf ein und dasselbe Potential mit den Polschuhen zu bringen. Das half, aber nicht ganz. Weiter bemühte ich mich nach Möglichkeit, die Quellen der statischen Ladung zu beseitigen. Als solche sind die Drahtleitungen der Zentrale zu bezeichnen. Jede Klemme, die mit der Zentralleitung verbunden ist, ist bei uns (in Kasan) auf 150 bzw. 300 Volt geladen. Berührt man mit der einen Hand eine derartige Klemme, mit der andern Hand eine Klemme, . die in den Kreis der mit dem Galvanometer verbundenen Apparate gehört, so überträgt man die Ladung auf die Saite. Störend in dieser Beziehung können sich die Apparate erweisen, die man der bequemen elektrischen Speisung wegen mit einer Zentrale verbindet. Zum erstenmal habe ich das bemerkt, als ich den elektromagnetischen Spaltverschluß am be- schriebenen Registrierwerke vermittelst des Stadtstromes unter Einschaltung eines Lompenwiderstandes in Tätigkeit setzte. In diesem Falle war noch eine Klemme des Elektromagneten mit dem ganzen Gehäuse des Registrier- werkes verbunden, so daß man einen großen metallenen bis 150 Volt ge- ladenen Körper in der Nähe des Galvanometers hatte. Man konnte leicht merken, daß die erwähnten Störungen nach Verbindung des VerschluB- elektromagneten mit der Zentrale besonders häufig sich einstellten. Zur . Beseitigung der erkannten Fehlerquelle wurden von mir verschiedene Mittel angewandt, wie Isolation der Klemmköpfe, einfache Ableitung zur Erde, Um- gebung entsprechender Teile mit einer zur Erde abgeleiteten Metallkapsel (die Umgebung der Drahtleitungen mit Metallröhren und Ableitung der- selben zur Erde, wie es von einigen getan wird, habe ich bis jetzt nicht versucht). Außerdem habe ich die Ausnutzung des Stadtstromes und die Einführung der Leitungen der Zentrale in das Galvanometerzimmer nur auf das notwendigste beschränkt, sonst aber ausschließlich von Akkumulatoren Gebrauch gemacht. Sehr günstig ist in dieser Beziehung das Saiten- galvanometermodell von Edelmann, welches zur Erzeugung des magne- ı Daß das Saitengalvanometer unter Umständen als ein äußerst empfindliches Galvanometer fungieren kann, berichtete seinerzeit Einthoven: s. Über einige An- wendungen des Saitengalvanometers. Onderzoekingen g. i. Physiologisch Laboratorium d. Universiteit te Leiden. 1907. VI. S. 118, vgl. S. 126. 488 4 A. SAMOJLOFF: tischen Feldes eine geringe Anzahl von Akkumulatoren braucht, so daß man auch bezüglich des Galvanometerelektromagneten auf die Benutzung des Stadtstromes verzichten kann. Durch das eine oder andere Mittel lassen sich die Ruhestörungen der Saite durch statische Ladungen beseitigen. Über die Zitterbewegungen der Saite infolge der Induktionswirkung seitens der Wechselstromleitungen habe ich keine persönliche Erfahrung, da unsere Zentrale Gleichstrom liefert, s. darüber bei Rothberger,! der in Kahns? Kurven auf Wechselstromwirkung beruhende Entstellungen erkannte und die Mittel zur Beseitigung der Fehlerquelle (doppelpolige Ausschaltung) angab. Rothberger und Winterberg geben noch als Ursache für die Unruhe des Fadens das unruhige Brennen, das Zischen der Bogenlampe an. Durch das Zischen der Lampe sah ich bloß unerwünschte Streifen auf der Aufnahme, aber keine deutlichen Saitenausschläge entstehen.® Was mir aber bis auf die letzte Spur zu beseitigen nicht gelang, ist folgendes. Hat man das ganze Instrumentarium so weit vervollkommnet, daß die Saite auch in entspanntem Zustande ruhig ist, so bemerkt man, dab sie anfängt zu zittern, wenn man sie aus ihrer Ruhelage durch einen Strom ablenkt. Je größer die Ablenkung (durch Verstärkung des Stromes oder durch Entspannen der Saite), desto ausgiebiger sind die Zitter- bewegungen der Saite. Man muß gestehen, daß auch in der Ruhelage die Saite, wenn sie auf sich selbst geschlossen ist und sehr entspannt ist, dann und wann unruhig wird, was man allerdings nicht durch bloßes Betrachten des Saitenbildes, sondern durch Zuhilfenahme der photographi- schen Registration erkennen kann. Diese Störung zu beseitigen ist mir, wie gesagt, nicht gelungen, weil ich den Grund derselben nicht aufdecken konnte.* Praktisch leide ich aber nicht viel darunter, weil vor allem die beschriebene Unruhe der Saite an sich gering ist, wie unter anderem die _ Eiehungskurven in Fig. 4, 5, 6, 10 und 11 beweisen, an welchen man auch bei großen Ablenkungen der Saite z. B. 55“” bei 2,0 Millivolt kaum eine Unruhe wahrnehmen kann. Weiter lassen sich die Einflüsse, die die be- schriebene Erzitterung zum Vorschein kommen lassen, durch verschiedene Mittel mäßigen. So ist es ungemein wichtig, daß man beim Registrieren ! Rothberger, Über das Elektrokardiogramm. Wiener klinische Wochenschrift. 1909. Nr. 13. S. 7 (des Separat-Abdruckes). ° Kahn, Weitere Beiträge zur Kenntnis des Elektrokardiogramms. Pflügers Archiv. 1909. Bd. CXXIX. S. 291. ® Rothberger und Winterberg, Über das Blektrokardiogramm der Vorhöfe. Ebenda. 1910. Bd. CXXXI. S. 387, vgl. S. 391. * In dem für die Aufklärung der Eigenschaften und Handhabung des Saiten- galvanometers ungemein wichtigen Aufsatze W. Einthovens, Die Konstruktion des NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 489 der Saitengalvanometerausschläge im physiologischen Versuche jede eventuell vorhandene permanente Potentialdifferenz auf das sorgfältigste kompensiert, damit die Saite ihre Schwankungen von der Ruhelage aus ausführt. Man muß auch während des Versuches genau beobachten, daß die Kompensation nicht gestört wird. Es geht anderseits daraus hervor, wıe wichtig es ist, möglichst gleichartige und unpolarisierbare Elektroden zu benutzen und wie schädlich für die Treue der Kurve jeder Kompromiß in dieser Beziehung sein kann. Da die in Rede stehende Störung der Saitenruhe mit der Entspannung der Saite zunimmt, so ist es vorteilhaft, die Entspannung der Saite mög- _ lichst einzuschränken. Man muß also den Widerstand des Kreises durch zweckmäßige Elektroden kleiner zu machen suchen, und anderseits die Empfindlichkeit . des Instrumentes durch starke optische Vergrößerung erhöhen. ' 2. Die Drehung des vertikalen Saitenbildes um 90°. Das projizierte Saitenbild und der Spalt des Registrierwerkes müssen sieh unter rechtem Winkel schneiden. Da die meisten Seitengalvanometer so konstruiert sind, daß die Quarzseite vertikal zu stehen kommt, was auch das Zweckmäßigste ist, so gibt man häufig in der letzten Zeit dem Registrier- werke eine solche Stellung, daß der Spalt horizontal verläuft, wodurch die nötige Kreuzung am einfachsten erzielt wird. Das hat aber einen Nach- teil: der größte Teil unserer Instrumente, wie das Myographion, Thonograph u. del. sind hauptsächlich für das Schreiben auf einer vertikalen Fläche eingerichtet. Will man also neben der Saitenkurve eine Myographion- hebelkurve schreiben lassen, so kommen manche Schwierigkeiten in den Weg. Es ist deshalb weit zweckmäßiger, den Spalt des Registrierwerkes vertikal zu stellen und das Saitenbild in irgend welcher Weise horizontal zu entwerfen. Zum letzten Zwecke hat Judin! seinem Saitengalvanometermodell . eine solche Form gegeben, daß der Faden horizontal verläuft und also ohne weiteres horizontal projiziert werden kann. Leicht lassen sich die kleinen Modelle von Edelmann um 90° drehen und in dieser Stellung, also mit horizontal verlaufendem Faden fixieren. Das Einfachste und wohl das Zweckmäßigste ist es aber, das vertikal verlaufende Bild des Fadens auf optischem Wege zu drehen. Das kann in mehrfacher Weise geschehen. Erstens kann man an das Projektions- Saitengalvanometers (Pflügers Archiv. Bd. CXXX. S. 287) finden sich keine Angaben über die erwähnte Art der Zitterbewegungen der Saite. Vielleicht fehlen an seinem Instrumente diese Zitterbewegungen infolge irgend besonderer Vorzüge der Montierung des Instrumentes bzw. der Konstruktionseigenschaften desselben. ı A. Judin, Aktionsströme der markhaltigen Nerven. Physiologiste russe. 1907. VoV. 490 A. SAMOJLOFF: okular eine Kombination von drei Prismen befestigen,! die dann vermittelst dreifacher Reflexion die Drehung des ganzen Sehfeldes um 90° bewirkt. Ich habe eine derartige Prismenkombination auf spezielle Bestellung von der Firma Zeiß bezogen, habe aber damit bis jetzt wenig Glück gehabt. Die Prismenkombination war mir von der Firma in einer allseitig abge- schlossenen zylindrischen Fassung geliefert; letztere war mit einem Schrauben- gewinde versehen und ließ sich ohne weiteres an das Zeißsche Projektions- okular nach Abnahme des Deckels an Stelle desselben aufschrauben. Es stellte sich aber bald heraus, daß infolge irgend einer Störung der Justierung der Prismen ein großer Teil des projizierten Sehfeldes abgeschnitten er- schien. Die Firma Zeiß stellte in Aussicht, eine solche Konstruktion zu treffen, daß die Prismen durch nach außen aus der Fassung ragende Schrauben vom Abnehmer selbst justiert werden können. Das Umdrehen des Saitenbildes um 90° durch das dreiteilige Prisma scheint mir übrigens in einer Beziehung nachteilig zu sein. Das projizierte Sehfeld wird dabei nämlich nicht nur um 90° gedreht, sondern auch seit- lich verschoben. Beim Drehen des Okulars mit dem daran befestigten Prismensatz dreht sich das abgelenkte Sehfeld um seinen Mittelpunkt und zugleich um die Achse des Mikroskopes. Man muß deshalb, wenn man das Registrierwerk und Galvanometer bei einer gegebenen Stellung der Prismen fest und unverrückbar befestigt hat, jede minimalste Drehung der Prismenkombination vermeiden, denn sonst bekommt man sofort Störungen: der Mittelpunkt des Sehfeldes fällt nicht mehr mit dem Spalt zusammen. Diese Störungen werden sehr unangenehm empfunden, wenn man behufs Änderung der Mikroskopvergrößerung das Umkehrprisma vom einen Pro- jektionsokular abnimmt und auf ein anderes aufschiebt. Andrerseits ist es zuweilen sehr vorteilhaft, eine ganz kleine Drehung des projizierten Sehfeldes (die das dreiteilige Prisma nicht erlaubt) vorzunehmen, um ein vollständiges Zusammenfallen des reellen Bildes der projizierten Speiche für das Garten- Netz mit dem Spalte zu bewirken (s. weiter unten). Der geschilderte Nachteil fehlt der anderen Einrichtung für die Dre- hung des Sehfeldes, die ich seit einigen Jahren zu meiner vollkommenen Zufriedenheit benutze. Man stellt vor dem Projektionsokular ein kleines total reflektierendes Prisma so auf, daß der Strahlenkegel, der auf die Prismenfläche fällt, weiter nach der Brechung, Reflexion und zweiter ! Daß W. Einthoven die Drehung des Saitenbildes um 90° auf optischem Wege durch Prismenanwendung bewirkt, folgt aus einer Stelle seiner Arbeit „Weiteres über das Blektrokardiogramm‘“, Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXII. 8.517. Vgl. S. 522: „Unter diesen Verhältnissen schlägt das Saitenbild, das mittels eines Prismas um 90° um die Achse gedreht wird, nach oben aus, wenn der Quarzfaden von unten nach oben durchströmt wird.“ NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 491 Brechung mit unveränderter Achsenrichtung aus dem Prisma austritt. Dreht man das Prisma um diese Achse, so dreht sich das Sehfeld um seinen Mittelpunkt mit und zwar kommen auf eine ganze Umdrehung des Prismas zwei ganze Umdrehungen des Sehfeldes. Es ist das also dieselbe Verwendung des totalreflektierenden Prismas, von welchem, im Anschluß . an Mach, Ewald! bei der Konstruktion seines Zykloskopes Gebrauch machte. Ich benutzte ein kleines Prisma von 15" Kantenlänge (Fig. 3), das in einen kleinen Apparat gefaßt ist. Die Fassung hat ein Schrauben- gewinde, welches in das Gewinde des Projektionsokulardeckels genau paßt; außerdem besitzt die Fassung noch eine Schlittenführung, so daß man das Prisma senkrecht zur Tubusachse verschieben kann und schließlich läßt sich durch eine auf der Fig. 3 nicht sichtbare Schraube das Prisma um seine Achse drehen. Bei der Justierung verfährt man folgendermaßen. Zunächst Eroo: projiziert man das Bild der Galvanometersaite ohne Prisma und fixiert das Registrierwerk in solcher Stellung, daß der das Sehfeld halbierende verti- kale Faden mit der Richtung des Spaltes und andrerseits die Mittel- punkte des Spaltes und des Fadens zusammenfallen. Man stellt vor das Registrierwerk einen Projektionsschirm auf und zeichnet auf demselben den Kreis des Sehfeldes nach. Jetzt schraubt man die Prismenfassung an das Projektionsokular und bringt durch Drehung des Prismas um seine Achse, sowie durch Verschiebung der Schlittenführung den projizierten Kreis mit dem vorher aufgezeichneten zur Deckung. Wenn alles gut zentriert ist, so dreht sich jetzt beim Drehen des Okulars das ganze Sebfeld und mit ihm auch das Bild des Fadens mit. Um das ganze Sehfeld ohne jeden Defekt zu bekommen, ist es nötig, das Prisma möglichst nahe an die 1 J. R. Ewald, Über die Verwendung rotierender Spiegel zu physiologischen Untersuchungen. I. Das Zykloskop. Zeitschrift für physiol. Technik und Methodik. 1908/9. Bd. 1]. S.1. 492 A. SAMOJLOFF: Linse des Okulars zu bringen, was bei der Konstruktion der Prismenfassung berücksichtigt werden muß. Mit Projektionsokular Zeiß 2 erhält man das Sehfeld absolut rein, mit 4 ist ein so kleiner Teil desselben am Rande ab- geschnitten, daß es in keiner Weise die Registration der Ausschläge stören kann und mehr als ein kosmetischer Fehler erscheint. Die Möglichkeit, das Sehfeld durch die beschriebene Anordnung zu drehen, kann unter anderem auch dazu benutzt werden, um, wenn es nötig ist, in der einfachsten Weise das Zeichen der Ausschläge des Quarz- fadens zu ändern: anstatt die Pole zu wechseln, braucht man nur (was bei Kompensation besonders von Vorteil ist) bloß das Okular mit dem Prisma um 90° (das Bild also um 180°) zu drehen. Vom rein optischen Standpunkte hat das dreiteilige Prisma gewiß prinzipielle Vorzüge vor dem einfachen Prisma. Dort haben wir drei Reflexionen, hier dagegen eine Reflexion und zwei Brechungen. Weiter muB abgesehen vom Lichtverluste auch noch die Qualität des Bildes leiden, weil die Strahlen nicht alle eine gleiche Glasdicke bei Anwendung des Einzelprismas passieren. Dennoch scheint mir bei Registration der Quarz- fadenbewegungen die Benutzung des Einzelprismas mehr am Platze zu sein. Die optischen Nachteile sind praktisch ohne Belang. Es kommt ja hier nicht auf die Aufdeckung irgend einer mikroskopischen Struktur des Quarz- tadens, sondern auf die vergrößerte Wiedergabe seiner Konturen’an. Was den Lichtverlust bei Benutzung des Einzelprismas anbetrifit, so läßt sich dem- gegenüber sagen, daß man bei zweckmäßiger Anordnung der Projektion das Licht so vorteilhaft konzentrieren kann, daß man kaum jemals in die Gelegenheit kommt, über ungenügende Lichtmenge besonders bei Verwendung empfindlicher Papiere bzw. Film und entsprechender Entwicklung zu klagen. Sämtliche bis jetzt von mir publizierten Kurven sind vermittelst des beschriebenen Prismas Fig. 3 aufgenommen worden. 3. Das Aufsuchen einer olatten Stelle des Quarzfadens. Würde man sich bloß mit derjenigen Menge von Licht begnügen, die bei der Projektion auf den Spalt fällt, dann könnte man mit jedem Teil des Quarzfadens zufrieden sein, denn wenn auch der Faden sehr unglatte Ränder hat, so wird doch vom schmalen Spalt ein so kleines Stück des Fadenbildes abgeschnitten, daß der erwähnte Mangel unbemerkt bleibt. Stellt man aber vor dem Spalt in einiger Entfernung eine Zylinderlinse auf, so bekommt man eine bedeutende Vermehrung der Lichtmenge, zu gleicher Zeit aber schrumpft gewissermaßen in sich zusammen der Faden, weshalb jetzt der vom Spalt abgeschnittene Teil des Fadenbildes infolge der unglatten Ränder nicht scharf genug erscheint. Um die Sache zu verbessern ist, es zweckmäßig, für den von der Zylinderlinse aufgenommenen NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 493 Teil des Fadens gerade diejenige Stelle aufzusuchen, die am glattesten ist. Zu diesem Zwecke habe ich am Edelmannschen Galvanometer eine Mikro- meterschraube anbringen lassen, die das Projektionsmikroskop vertikal ver- schiebt, also senkrecht zu derjenigen Richtung, in welcher der Tubus durch die Schraube 8 (s. Edelmanns Abblidung des großen Modells) verstellt wird. Man sucht also durch leichte Drehung der neu hinzugefügten Schraube die im gegebenen Gebiete glatteste Stelle des Quarzfadens und bringt die- selbe gerade vor die Zylinderlinie. 4. Änderung der Empfindlichkeit des Galvanometers. Die Empfindlichkeit des Galvanometers kann in verschiedener Weise geändert werden. a) Man kann in die Wickelung des Elektromagneten verschieden starke Ströme senden, wodurch entsprechend das magnetische Feld in seiner Stärke geändert wird und also auf einen und denselben Strom, der durch den Faden hindurchgeht, verschieden große Anschläge resultieren.” Diese Art der Empfindlichkeitsänderung wird, wie es scheint, gar nicht benutzt. Ich finde jedenfalls dieselbe nirgends erwähnt. Ich selbst habe sehr häufig die Empfindlichkeit des Instrumentes in dieser Weise justiert und finde diese Methode sehr zweckmäßig. Man muß bei ihrer Anwendung folgende Punkte beobachten. Erstens läßt sich dieselbe nur dann mit Erfolg benutzen, wenn der Elektromagnet mit dieker Wickelung von Akkumulatoren gespeist wird, denn in diesem Fall hat man genug Garantie, daß das magnetische Feld auch bei unvollständiger Sättigung konstant bleibt. Dagegen läßt sich diese Art der Empfindlichkeitsänderung nicht anwenden, wenn die Elektromagnetenspulen so gewickelt sind, daß sie hohe Spannung verlangen und also von einer Zentrale gespeist werden; wird in diesem Fall das Feld nicht gesättigt, so bewirkt jede Änderung der Spannung der Zentrale eine Änderung der Empfindlichkeit des Galvanometers. Zweitens muß man sich klar sein, daß bei Verkleinerung der Empfindlichkeit durch Abnahme des Elektromagnetenstromes eine raschere Einstellung des kleineren Aus- schlages resultiert, was freilich sehr willkommen ist; man gelangt aber dabei rasch an die Grenze, wo der Ausschlag nicht mehr aperiodisch ist. Macht man deshalb keine Eichungskurven, so läuft man Gefahr, entstellte Kurven infolge Eigenschwingungen der Saite zu bekommen. Ein großer Vorzug der erwähnten Art der Empfindlichkeitsänderung besteht darin, daß man im Falle einer relativ ausgiebigen Potentialdifferenz, z. B. bei direkter Ableitung vom Herzen mit einem schwachen Strom im Elektromagneten auskommen kann, wodurch man die etwaigen Strömungen ! W. Einthoven, Die Konstruktion des Saitengalvanometers. Pflügers Archiv. 1910. Bd. CXXX. S. 287. 494 A. SAMOJLOFF: durch Erwärmung der Saite (worauf in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten hingewiesen wurde) ziemlich beseitigt. Das Regulieren der Empfindlichkeit geschieht sehr einfach. Man ver- schiebt den Kontakt des Ruhstratschen Rheostaten im Elektromagneten- kreise und beobachtet gleichzeitig die Ablenkung der Seite bei Einführung, z. B. 1 Millivolt. Im allgemeinen ist es gefährlich, für die Saite große und rasche Änderungen der Stärke des Stromes in den Rlektromagnetenspulen bei auf sich kurz geschlossener Saite vorzunehmen, denn infolge von In- duktion macht der Quarzfaden dabei ausgiebige Ausschläge, wodurch die Saite beschädigt werden kann. Nicolai! hat Recht, wenn er auf diesen Punkt aufmerksam macht; er konstruierte sogar einen besonderen Schlüssel, der den Strom im Elektromagneten zu schließen und zu Öffnen nur nach vorheriger Aufhebung der Verbindung der Seitenendpunkte erlaubt. Da- gegen fand ich, daß man die geringen Verschiebungen des Rheostaten zur Änderung der Empfindlichkeit des Instrumentes ohne jede Gefahr vornehmen kann. Um die Änderung der Reaktion der Seite bei Änderung der Strom- stärke in den Elektromagnetenspulen und zu gleicher Zeit die Leistung des Registrierwerkes an einem konkreten Beispiel zu illustrieren, führe ich die Kurven Fig. 4 an, die in folgender Weise gewonnen sind. Die Trommel mit Film bespannt, öffnete während ihrer Umdrehung zwei Kontakte nach- einander. Der erste Kontakt spielte die Rolle eines Nebenschlusses für eine Potentialdifferenz von 2-0 Millivolt, die also beim Schluß des Kon- taktes durch denselben und nicht durch die Quarzsaite sich ausgleichen konnte, wogegen beim Öffnen die 2-0 Millivolt einen Strom in der Saite erzeugten. Die 2-0 Millivolt wurden durch Abzweigung von einem Rheostaten abgegrenzt. Ein Akkumulator wurde mit den Endklemmen des Rheostaten von 100000 © verbunden und die Abzweigungsklemmen an die Endpunkte von 100 © angelegt. Zur Ausgleichung der 2-0 Millivolt waren also nach Öffnen des Nebenschlusses im Rheotomkonktate der Widerstand der Quarzseite, gleich 4000 © plus 100 © des Rheostaten vor- handen. Den Schlüssel für den Hauptstrom des Akkumulators bildete der zweite Konstant am Polyrheotom. Waren also beide Kontakte zunächst geschlossen, so ging durch die Saite des Galvanometers kein Strom; beim Rotieren der Trommel öffnete sich zunächst der erste Kontakt und im selben Momente wurden 2-0 Millivolt in den Kreis der Saite eingeschaltet; durch Öffnen des zweiten Kontakten wurden die 2.0 Millivolt aus- geschaltet, weil der Akkumulatorstrom überhaupt unterbrochen wurde. Es ı F. Kraus und G. Nicolai, Dus Elektrokardiogramm des gesunden und kranken Menschen. Leipzig 1910. 3. 93. Y NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 495 geht aus obigem hervor, daß im Momente des Einbrechens und Verschwindens des Stromes der Kreis der Quarzseite einen und denselben Widerstand besaß. | Es wurden auf einer und derselben Filmplatte 3 Kurven nacheinander aufgeschrieben, wobei jedesmal der Strom in der Elektromagnetenwickelung geändert wurde. Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit auf diese Art der „mehrfachen Photographie“ auf einer Platte, die man mit dem Über- einanderschreiben von Kurven auf der berußten Trommel vergleichen kann, nochmals hinzuweisen. Ich habe vor einigen Jahren diese Art des Über- 496 A. SAMOJLOFF: einanderphotographierens empfohlen und habe dieselbe in vielen Fällen zuerst bei Kapillarelektrometeraufnahmen und später bei der Saitengalvano- metrie angewandt. Für die kapillarelektrometrischen Kurven eignet sich die „mehrfache Photographie“ bedeutend mehr, wie für die Saitengalvano- meterkurven. Man hat nämlich im ersten Fall eine Grenze zwischen hell und dunkel, weshalb man durch Verschieben des Quecksilbermeniskus! bei Wiederholung der Aufnahme eine Stelle der lichtempfindlichen Platte exponiert, die bei der ersten Aufnahme fast vollständig vom Lichte ge- ' schützt war. Beim Saitengalvanometer ist das weniger günstig: macht man eine dreifache Aufnahme, so wirde jede Kurve zweimal unnützerweise be- lichte. Die Aufnahmen verlieren dann ihre Brillanz, das schöne kontrast- reiche Schwarz auf Weiß kann nicht mehr erreicht werden. Dessen- ungeachtet sind doch die Kurven sehr deutlich und ungemein anschaulich, so daß man dieselben in der Tat sehr empfehlen kann. Bei der ersten Umdrehung der Trommel (Federmechanik) war der Strom 3-4 Amp. (parallele Schaltung der Elektromagnete) und der Aus- schlag der Saite war am stärksten (s. Fig. 4). Darauf wurde der Strom so weit verkleinert (1-1 Amp.), bis der Ausschlag nur die Hälfte des ur- sprünglichen bildete und die zweite Kurve aufgenommen; die dritte Kurve wurde registriert, nachdem mar den Ausschlag durch Verkleinerung des Elektromagnetenstromes (0-5 Amp.) bis auf !/, der ursprünglichen Größe reduzierte. ° Während der ersten Umdrehung wurde auch zur Aufzeichnung des Gartenschen Netzes das Speichenrad und eine Stimmgabel von 50 Schwingungen in der Sekunde zur Zeitschreibung in Bewegung gesetzt. Die zweite Umdrehung wurde bei stillstehendem Speichenrad und Stimm- gabel, wobei der in den Kreis der letzteren eingeschaltete Chronograph zur Seite vom Spalt geschoben wurde, um keine überflüssige Spur auf der Platte zu erzeugen. Die horizontalen Linien des Netzes sind durch drei- maliges Übereinanderschreiben entstanden, weshalb sie auch so schwarz erscheinen. Man sieht auf der Figur, wie der Beginn des Ausschlages bzw. sein Ende in allen drei Kurven in einem und demselben Punkte zusammenfällt und wie genau die Saite jedesmal ihre Ruhelage erlangt. Die genaue Ausmessung für die Einstellungszeit ergibt entsprechend 0.0196—0.0098— 0.0059 Sek. (die Zeitdistanz zwischen den benachbarten vertikalen Linien des Netzes beträgt 0-00098 Sek.). Vermindert man also die Empfindlichkeit des Galvanometers durch Schwächung der magnetischen Feldstärke, so werden ceteris paribus die kleineren Ausschläge infolge der " A. Samojloff, Aktionsströme bei summierten Muskelzuckungen. Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. ı. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS 497 schwächeren elektromagnetischen Dämpfung in einer kürzeren Zeit aus- geführt, was selbstredend für die Registration rasch sich vollziehender Vor- gänge von großem Werte ist. b. Die Fig. 5 zeigt: den Verlauf der Saitenbewegung bei Änderung der Empfindlichkeit durch verschiedenen Grad der Anspannung der Saite. RN ITFRRER - VERSRRRUR RESKURN EIN KTÜERTN RN Fig. 5. REERRTANS R S III IIIN EREREN WR: SET Der Ausgangspunkt ist hier genau derselbe, wie im ersten Fall bei dem stärkeren Ausschlag, d. h. die Stärke des Elektromagnetenstromes 3-4 Amp, die Spannung der Saite wie bei Aufnahme der Fig. 4, die Potentialdifferenz 2.0 Millivolt und dementsprechend der Ausschlag wiederum derselbe und auch die Einstellungszeit von etwa demselben Betrage, wie früher Archiv f. A.u. Ph. 1910, Physiol. Abtlg. 32 498 A. SAMOJLOFF: — 0.021 Sek. Für die zwei folgenden Kurven wurde ceteris paribus die Spannung so weit vergrößert, bis die Ausschläge !/, uud !/, der ursprünglichen ausmachten. Genaue Ausmessung der Ausschläge ergibt56 -0—28.0—14.3um, Die Einstellungszeiten verhalten sich, wie 0-0216—0:0111— 0.0038 Sek. Wir sehen also, daß auch bei der zweiten Art der Verkleinerung der Emp- findlichkeit des Saitengalvanometers die Saite sich, wie es auch von Einthoven seinerzeit dargetan ist, rascher einstellt. - Die Ausmessung ergibt, daß beim gleichen Ausschlag die Verkleinerung der Einstellungszeit durch Änderung der Spannung stärker ausgesprochen ist, als durch Ver- minderung der Stärke des magnetischen Feldes. Dabei wird, wie es scheint, die Aperiodizität im letzten Falle eher geschädigt: in Fig. 5 ist der kleinste und schnellste Ausschlag absolut aperiodisch, wogegen in Fig. 4 entsprechend eine freilich kaum bemerkbare Störung in jeder Beziehung zu bemessen ist. Es sei noch besonders auf das merkwürdig vollständige Zusammenfallen der Kurven in Fig. 5 in ihrem Anfangsteil (dünne ganz schwarze Linie) auf- merksam gemacht. Man hat hier eine schöne Demonstration der Behauptung von Einthoven, daß für kurzdauernde Vorgänge bei nicht zu stark gespannter Saite die Änderung der Spannung, die Stärke der Ausschläge und die Anfangsgeschwindigkeit derselben unverändert läßt.! Es ist auf Grund der Fig. 5 sehr leicht einzusehen, daß wenn ein Vorgang in unserem Falle, also beispielsweise bloß 0.003 Sek. oder noch weniger dauert, man bei allen drei Spannungen denselben Ausschlag für den betreffenden Vorgang erhalten wird. : c) Anders ist es mit dem dritten Modus der Empfindlichkeitsänderung, nämlich durch Nebenschluß. Ich habe auch für diesen Fall eine Auf- nahme mit drei Kurven in der geschilderten Weise ausgeführt (Fig. 6). Auch hier ist der anfängliche große Ausschlag durch Einführung von 2.0 Millivolt in den Kreis der Quarzsaite, bei 3-4 Amp. im Elektro- magnetenstrome erzeugt. Durch zweckmäßig’ abgestuften Nebenschluß ist der Ausschlag zu !/, und !/, der Anfangsgröße reduziert. In diesem Falle vollzieht sich der kleine Ausschlag infolge der stärkeren elektro- magnetischen Dämpfung nicht bedeutend schneller, wie der große; in allen 3 Kurven differieren die Einstellungszeiten wenig voneinander: 0.0221—0.0192—0.0170. Diese Art der Empfindlichkeitsänderung darf in reiner Form nur dann angewandt werden, wenn der zu untersuchende Vorgang langsamen Verlauf hat. Von großem Werte ist dagegen die Wirkung des Nebenschlusses in jenen Fällen, wo infolge zu starker Spannung ı W. Einthoven, Über einige Anwendungen des Saitengalvanometers. Onder- zoekingen gedaan in het Physiologisch Laboratorium der Universiteit te Leiden. 1907. Vol. VI. p. 118, vgl. p. 125. Vgl. auch Kraus und Nicolai, a. a. O. 8. 68. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 499 des Fadens, ungenügender Stärke des magnetischen Feldes bzw. zu großen Widerstandes im Kreise der Quarzsaite, letztere einen mit eigener Periode behafteten Ausschlag ausführt. Durch entsprechend gewählten Nebenschluß wird der Ausschlag wiederum aperiodisch. 3 Mo SER] wagen ae £ Kekse Bekanntlich hat zum selben Zwecke Einthoven die parallele Schaltung eines Kondensators empfohlen. Ich habe in manchen Fällen dieselbe Wirkung durch parallele Erhaltung einer Selbstinduktion mit Erfolg angewandt, habe aber bis jetzt den Gegenstand nicht genau untersucht. 32* 500 A. SAMOJLOFF: Die Verschiedenheit im Verlaufe der drei Eichungskurven in Fig. 4, 5 und 6 erkennt man nicht nur am Ausschlag der Seite von der Nullage aus, sondern selbstredend auch an demjenigen Teil der Kurve, der die Rückkehr der Saite zur Anfangslage wiedergibt. In mancher Hinsicht ist dieser Teil noch demonstrativer. Wir erkennen, daß in Fig. 4 und 5 die Rückkehr zur Nullage beim stärkeren Ausschlag länger dauert, wie die des mittleren und die Dauer des letzteren größer, wie die des kleineren. In Fig. 6 erkennen wir, daß die Dauer der Rückkehr sämtlicher 3 Kurven etwa die gleiche ist, weil dieselben in einem und demselben Punkte die Nullinie erreichen.! d) Der Vollständigkeit wegen sei hier noch eine vierte Methode der Empfindlichkeitsänderung des Galvanometers, nämlich durch Änderung der optischen Vergrößerung der Ausschläge, erwähnt. Übrigens ist der Grad der anzuwendenden Vergrößerung in jedem konkreten Falle überhaupt ein wichtiger Umstand für die photographische Registration und kann in anderem Zusammenhange behandelt werden. 111. Die Vergrößerung des Saitenbildes, die Spaltbreite und die Bewegungsgeschwindigkeit der lichtempfindlichen Fläche. Bei den meisten physiologischen Arbeiten wird die Vergrößerung 400 bis 800 mal wohl die zweckmäßigste sein. Ich benutze immer als Objektiv ein Apochromat Zeiß 8" und Projektionsokular 2 bzw. 4 bei Projektions- distanz 1-5%. Man erzielt dabei die Vergrößerung in Sprüngen in etwa 400 bzw. 800. Die Änderung der Vergrößerung durch Projektionsokular- wechsel ist einfacher als die durch Wechsel des Objektivs, weil man im letzteren Fall um das neue Objektiv im Galvanometer in die richtige Stelle ohne Gefahr für den Faden zu bringen, den Messingkeil der Kontrolle wegen fortnehmen muß. Die Änderung der Distanz ist auch umständlich, be- sonders wenn das Registrierwerk schwer und in der Wandkonsole fixiert ist. Außer dem in I beschriebenen Registrierwerke besitze ich noch ein kleines und leichter gebautes, das senkrecht zur Mikroskopachse aufgestellt ist und dessen Distanz vom Mikroskope sich ieicht ändern läßt. Vor dem in II, 2 angeführten Reversionsprisma wird ein größeres total reflektierendes Prisma zur Ablenkung des Strahlenbündels um 90° in das kleine Registrier- werk gestellt. Die in dieser Weise aufgenommenen Kurven sind nicht schlechter, wie die ohne seitliche Ablenkung gewonnenen. ! Es sei bemerkt, daß man in derselben Weise vermittelst der mehrfachen Photo- graphie demonstrieren kann, daß ceteris paribus durch Änderung der in die Saite ein- zuführenden Potentialdifferenz verschieden stark gemachte Ausschiäge ebenfalls einander gleiche Einstellungszeiten aufweisen. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 501 In manchen Fällen ist das Arbeiten mit Hilfe zweier Registrierwerke von Vorteil, da man in dieser Weise leicht einen bestimmten Vorgang bald bei einer Geschwindigkeit bzw. Vergrößerung, und sofort darauf bei einer anderen aufzunehmen imstande ist.! Die richtige Wahl der Vergrößerung ist im allgemeinen bei ge- gebener Empfindlichkeit des Galvanometers von der Stärke der zu unter- suchenden Potentialdifferenz und, wie ich betonen möchte, von der Schnellig- keit, mit der die Potentialdifferenz sich in der Zeit ändert, abhängige. Dem Sinne des Saitengalvanometers gemäß muß der Quarzfaden leicht und folglich dünn sein. Letzteres bringt es aber mit sich, daß das Photo- graphieren der Ausschläge des Fadens manchen Schwierigkeiten begegnet. Beim Photographieren der Ausschläge der Quarzsaite wird die Kurve nicht wie beim Kapillarelektrometer vom Quecksilbermeniskus mit seinem einzigen Kontur, sondern vom Bilde der Quarzsaite mit ihren beiden Konturen ge- schrieben. Für die Deutlichkeit und Vollkommenheit der registrierten Kurve kommen somit außer Geschwindigkeit der lichtempfindlichen Fläche, der Breite des Spaltes, der Schnelligkeit der Bewegung der Saite, auch die Breite der letzteren in Betracht. In manchen Fällen kombinieren sich die aufgezählten Einflüsse so ungünstig, daß die einzelnen Teile der auf- genommenen Kurve fast gar nicht zu sehen sind. Am günstigsten ge- staltet sich die Registrierung bei schneller Bewegung der Schreibfläche; bewegt sich dagegen dieselbe langsam und ist der Ausschlag der Saite steil und groß, so läßt letzterer auch bei einer sehr feinen Spalte auf der licht- empfindlichen Platte kaum eine Spur nach. Schickt man z. B. in das Galvanometer plötzlich einen Strom, so bekommt man bei kurzer Ein- stellungszeit der Saite und langsamer Bewegung der Schreibfläche auf dem Bilde eine plötzliche Verschiebung der Konturen der Seite im Momente der Stromzuführung; ist der Ausschlag ausgiebig und erfolgt er sehr rasch, so erscheint der Anfangsteil und der dislozierte Teil des Saitenbildes mit- einander gar nicht verbunden. Die Erscheinung beruht darauf, daß bei rasch erfolgendem Ausschlag und langsamer Bewegung der Schreibfläche, das Licht Zeit genug hat, die nur momentan und sukzessiv vom beweg- lichen Bilde der Saite verdeckte Stelle der lichtempfindlichen Fläche an- zugreifen. Deshalb sieht man jetzt sehr häufig an den publizierten Elektro- ! Zusatz bei der Korrektur. Eine interessante Art der Registration der Saiten- bewegung auf zwei mit verschiedener Geschwindigkeit sich bewegenden Trommeln beschreibt S. Garten in einer im Tigerstedtschen Handbuch der physiologischen Methodik (bereits während der Drucklegung des vorliegenden Aufsatzes) erschienenen Abhandlung. Die Abhandlung von Garten, die in vielen Punkten das Thema unserer Mitteilung berührt und eine Reihe sehr wertvoller praktischer Ratschläge enthält, konnte leider aus oben erwähntem Grunde nicht berücksichtigt werden. 502 A. SAMOJLOFF: kardiogrammen bei ziemlich gelungenen sämtlichen Teilen der Kurve die rasch sich vollziehende Zacke X so wenig ausgebildet, daß manche Autoren dieselbe mit Punkten besonders zu markieren sich genötigt finden. Es ist klar, daß, je dicker die Saite ist, um so günstiger in bezug auf den in Rede stehenden Punkt die Verhältnisse für die Registrierung sich gestalten und daß in dieser Beziehung das Kapillarelektrometer, dessen registrierender Teil, der Hg-Meniskus, bloß einen Kontur besitzt, dem Saiten- galvanometer weit überlegen ist. Aus demselben Grunde ist es unmöglich, bei langsamer Bewegung der lichtempfindlichen Fläche vermittelst des Schattens eines dünnen Miographionhebels die raschen Zuckungen eines Skelettmuskels zu registrieren: nimmt man anstatt des dünnen Hebels einen dicken, indem man z. B. eine Kartonplatte an den Hebel klebt, so kommt man sofort zum Ziel. Ich habe auf diesen Gegenstand schon vor vielen Jahren aufmerksam gemacht.! Registriert man die Aktionsströme des Froschherzens vermittelst des Saitengalvanometers bei der Geschwindigkeit der Schreibfläche, z. B. 0.5—1.0%@ in 1 Sekunde, so hat man gerade eine solche Kombination von Einflüssen vor sich, bei welcher der Ausschlag 2 kaum zu erhalten ist. Diesem Umstande kann aber in verschiedener Weise abgeholfen werden. Erstens ist es das Einfachste, man bewegt die lichtempfindliche Platte schneller, wodurch die Aufgabe sofort gelöst wird.®2 Ist es aber aus be- sonderen Gründen, z. B. beim Verfolgen eines länger sich vollziehenden Prozesses, wie die Änderung der Elektrokardiogramme bei Reizung des Vagus u. dgl., wünschenswert, das Papier langsam sich bewegen zu lassen, so empfiehlt es sich den Spalt des Registrierwerkes möglichst eng zu machen, denn dadurch kann die belichtete Stelle auch bei langsamem Gange der Trommel von der schädlichen übermäßig langen Exposition verschont bleiben und die scharfe Zacke R bei Entwickelung wiedergeben. Als ein drittes Mittel kann man im Zusammenhange mit dem oben besprochenen die Zunahme der optischen Vergrößerung anführen. Dadurch wird das Bild der Saite breiter gemacht, die Kurve wird als gewissermaßen mit einem dickeren Pinsel geschrieben und man erzielt dieselbe Wirkung wie im früheren Beispiele durch das Ankleben einer Papierplatte an den Myographionhebe. Man sieht also, daß die stärkere Vergrößerung der Seite nicht nur zur Hebung der Empfindlichkeit des Galvanometers, sondern ı A. Samojloff, Einige elektrophysiologische Versuche. Arch. d. science. biolog. St. Petersburg. Xl (Supplement, Jubelband für Pawlow, russisch). 1904. Dasselbe in deutscher Sprache: Za Physiologiste Russe. 1908. Vol. V. p. 86/90. ° Derselbe, Elektrokardiogrammstudien. Beiträge zur Physiologie und Patho- logie, herausgegeben von OÖ. Weiss (Jubelband für L. Hermann). 1908. S. 171, vgl. S. 173. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 503 auch aus Gründen der Technik der photographischen Registration angewandt wird. Schließlich kann man sämtliche drei aufgezählten Mittel selbstredend miteinander kombinieren. Man muß aber bedenken, daß jedes von diesen an sich die Belichtung verkleinert und kombiniert man sie miteinander, so kommt man.unter Umständen mit dem Lichte zu kurz. Das vierte Mittel, das dazu noch die Lichtmenge nicht beeinflußt, besteht darin, daß man durch Verminderung der Empfindlichkeit "des Galvanometers die Ausschläge geringer macht, denn in diesem Falle wird scheinbar die Saite im Verhältnis der Verkleinerung des Ausschlages an- haltender die dem Lichte im Spalte ausgesetzte Stelle verdecken. Die ab- sichtliche Verkleinerung der Ausschläge wird aber leider selten, besonders von den Liebhabern großer Kurven, angewandt. Im Gegenteil, man be- kommt sehr oft Elektrokardiogramme mit mächtigem wohlausgebildetem, aber entschieden entstelltem Ausschlage ? zu sehen. Ein solches Aussehen bekommen die Elektrokardiogramme, die mit übermäßig entspanntem Quarz- faden aufgenommen sind. Diese Art der Entstellung der Saitengalvanometer- kurven habe ich bezüglich der, Elektrokardiogramme auf Grund speziell zu diesem Zwecke gemachter Aufnahmen in meiner Broschüre „Blektro- kardiogramme“ illustriert.! Dieses fünfte Mittel zur Verdeutlichung der Kurve bei langsamer Trommelbewegung d. h. die; Verlangsamung der Fadenbewegung durch Vergrößerung der Einstellungszeit benutzen gewöhnlich unwillkürlich, wie ich glaube, diejenigen, die mit dem kleinen Saitengalvanometer von Edel- mann arbeiten. Um Elektrokardiogramme von der nötigen Größe des Ausschlages zu erhalten, muß man infolge der kleinen Vergrößerung', die man mit diesem Instrumente erzielen kann, den Faden sehr stark ent- spannen; der Faden bewegt sich langsamer, man bekommt ohne besondere Schwierigkeit ununterbrochene Kurven mit dünnem „Pinsel“, aber meistens . sind dieselben für rasche Vorgänge, wie z. B. für die Zacke R ganz und gar entstellt. Der empfindlichste Mangel der kleinen Instrmente Edelmanns scheint der zu sein, daß man infolge der Konstruktion die Empfindlichkeit nicht durch stärkere Mikroskopvergrößerung heben kann; es ist nämlich unmöglich, mit einem starken Objektiv an den Faden heranzukommen (das dem Instrumente beigegebene Objektiv ist schwächer, wie das Objektiv Zeiß A). Will man unter diesen Umständen eine stärkere Vergrößerung erzielen, so muß man entweder sehr starke Okulare oder eine sehr große Distanz des Mikroskops vom Registrierwerk nehmen. Da man dabei nur kraftlose Bilder mit wenig kontrasten, Negativen zustande bringen kann, ı A. Samojloff, Elektrokardiogramme. Sammlung amatomischer und physio- logischer Vorträge und Aufsätze, herausgegeben von E. Gaupp u. W. Nagel. Jena, Fischer, 1909. 8.14f. S. auch F. Kraus und G. Nicolai, a.a.O. S. 69. 504 A. SAMOJLOFF: so ist es sehr verführerisch, die Ausschläge lieber durch Entspannen der Saite groß zu machen. Hat man es mit einem rasch verlaufenden Vorgang, z. B. Aktionsstrom des quergestreiften Muskels oder der Nerven zu tun, den man auf schnell sich bewegender Fläche aufnimmt und man also mehr Licht braucht, dann kann man ohne jeden Schaden den Spalt stark vergrößern. Gewiß kommt man auch hier an eine Grenze, wo das Bild einen engeren Spalt zu verlangen anfängt. Nimmt man gleichzeitig mit der Kurve auch das Gartensche Netz auf, so kommt man sogar sehr bald an die Grenze, wo eine weitere Zunahme der Breitenspalte sich verbietet und zwar, weil die vertikalen Linien des Netzes dabei zu plump, zu dick erscheinen. 1V. Das Gartensche Netz. Das Gartensche Netz ist ein sehr zweckmäßiger Schmuck der Kurven. Vor allem ist damit durch die vertikalen Linien eine feste Ordinaten- richtung gegeben und der Vergleich etwaiger gleichzeitig aufgenommener Kurven auf ihr gegenseitiges zeitliches Verhältnis absolut sichergestellt. Zweitens wird durch das Netz das Ausmessen der Ordinaten und Abszissen ungemein erleichtert. Garten hat anfangs zum Aufzeichnen der verti- kalen Linien ein Speichenrad in den Gang der Strahlen eingebracht.! Später hat er? zur Erzeugung der Lichtintermittenzen die schwingende Zunge einer Zungenpfeife benutzt, wodurch die Zeitdistanz zwischen zwei benachbarten Vertikalen gut definiert ist und man keine besondere Zeit- markierung braucht. Dasselbe ist zu sagen von den Vertikalen vermittelst Lichtintermittenzen durch eine in den Gang der Strahlen aufgestellte Stimmgabel, wie es Bernstein und Tscehermak® gemacht haben. Mir scheint es, daß die ursprüngliche Art der Netzerzeugung nach Garten ver- mittelst eines Rades mit Speichen den Vorzug verdient, indem sie die einzige st, durch die man auf dem Netze neben dünnen nach Wunsch auch dickere vertikale Linien auftragen kann: jede fünfte bzw. zehnte dickere Vertikale erleichtert aber ungemein die Ausmessung. Um die vertikalen Speichen des Netzes möglichst scharf zu erhalten, muß man das Speichenrad nicht so aufstellen, daß die Speichen einfach das Licht wenn auch an einer engen Stelle des Strahlenbündels abschneiden, 18, Garten, Über rhythmische elektrische Vorgänge im quergestreiften Skelett- muskel. Abhandlungen der sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. XXVI. Nr. 5. S. 331. Vel. 8. 336. 2 Derselbe, Über die Anwendung der Zungenpfeife zur Registrierung. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXVII. S. 228. 3 Bernstein u.Tschermak, Über die Frage: Präexistenztheorie oder Alterations- theorie des Muskelstromes. Zdenda. 1904. Bd. CHI. 8. 67. NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 505 sondern es ist vorteilhaft, den Spalt des Registrierwerkes selbst seiner ganzen Länge nach auf einmal zu verdecken. Zu diesem Zwecke kann man erstens so verfahren, daß man das Speichenrad zwischen Lichtquelle und Be- leuchtungsmikroskop des Galvanometers aufstellt; man muß dabei genau denjenigen Punkt aufsuchen, von welchem aus durch das Beleuchtungs- objektiv ein reelles Bild gerade in der Ebene der Quarzfadens entworfen wird, das reelle Bild der Speiche wird dann zusammen mit dem Faden durch das Projektionemikroskop auf die Entfernung des Spaltes projiziert. Die Vereinfachung von Edelmann im Vergleich zum Originalmodell von Einthoven, die in der Beseitigung der Mikrometerschraube zur Fein- stellung des Beleuchtungsmikroskops besteht, ist sehr nachteilig, denn da- durch wird die scharfe Einstellung des Speichenbildes bedeutend erschwert. Da wie erwähnt, am Projektionsokular ein das Sehfeld um 90° drehendes Prisma sich befindet, so muß man, um die Speichen in der Projektion vertikal zu bekommen, dieselben tatsächlich horizontal stellen. Die Motorachse mit dem Speichenrad muß somit in der Höhe der Mikroskopachse aber seitwärts und parallel zu ihr aufgestellt werden. Hat man das Rad richtig plaeiert, so erscheinen die Speichen in der Projektion scharf und dunkel, sie passieren bei Bewegung des Rades den Spalt so, daß derselbe seiner ganzen Länge nach auf einmal verdeckt und ebenso befreit wird. Ich benutze diese Art der Aufstellung des Rades nur dann, wenn die Trommel des Registrier- werkes durch die Federmechanik, d. b. schnell geschleudert wird. Um den Abstand zwischen den Vertikalen auf irgend ein konventionelles Maß z. B. j mm zu bringen, muß man das Rad mit einer gegebenen Anzahl von Speichen bei gegebener Federspannung der Federmechanik durch Aus- probieren in die entsprechende Umdrehungsgeschwindiskeit versetzen. Zur genauen Bestimmung des Zeitabstandes zwischen zwei Vertikalen werden immer die Schwingungen einer Stimmgabel mitregistriert. In der be- . schriebenen Weise wurde das Netz in den Figg. 4, 5 und 6 gewonnen. Wird die Trommel des Registrierwerkes langsam durch Motorantrieb Sedreht, so stelle ich das Speichenrad unmittelbar in die Nähe des Spaltes (s.in Fig. 1 A und 2 das Rad y), wobei ich die Anordnung von Hrn. Edel- mann, nämlich das Kuppeln der Trommelachse an die Speichenrandachse anwende. Die Speichen dürfen in diesem Fall ziemlich dünn gemacht werden. Jedoch muß in diesem Falle dafür gesorgt werden, daß die dünnen Speichen beim Passieren vor dem Spalte in ihrer Richtung mit demselben genau zusammenfallen, und daß ihre Dicke es erlaubt, daß der Schatten den Spalt ganz erfüllt bzw. die durch die Zylinderlinse an der Trommel- fläche erzeugte scharfe Linie ganz verdeckt. Da die Speichen nahe un- mittelbar vor dem Spalte sich befinden, müssen dieselben wenigstens so lang sein, wie der Spalt selbst lang ist, in unserem Falle also 13-0 ®, 506 A. SAMOJLOFF: In diesem Falle macht sich aber schon die verschiedene Winkelgröße der verschieden weit von der Achse befindlichen Punkte der Speichen bemerkbar. Hat die Speiche überall gleiche Dicke und ist ihre Länge so groß, wie die des Radius des Rades, so bekommt man auf der Aufnahme vertikale Linien, die nicht überall gleich dick sind: von oben bis unten nimmt ihre Dicke gleichmäßig zu. Um diesen Mangel zu beseitigen, wäre es gut, die Speichen nicht gleich dick zu machen, sondern dieselben in der Richtung der Radien schneiden zu lassen. Bei der geringen Dicke der Speichen ist es aber etwas umständlich. Ich versuchte deshalb dasselbe Ziel in anderer Weise zu erreichen, indem ich das Rad ziemlich groß “ machte. Das ist in zweifacher Hinsicht günstig. Erstens bilden dann die Speichen nur einen Teil des Radius, weshalb der Unterschied in der Winkelgröße der Endpunkte der Speichen entsprechend kleiner wird; zweitens dürfen in diesem Fall die Speichen etwas dicker genommen werden, weshalb man sie leichter in der Radiusriehtung schneiden kann, zumal der Unterschied in der Dicke beider Enden der Speiche, die bloß einen Teil des ziemlich großen Radius ausmacht, nicht besonders groß zu sein braucht. Das Rad hat in unserem Falle einen Radius von 26 em und besitzt 10 feste Metallspeichen zu je 13 = Länge. Vom Polyrhevtomrade läuft eine Schnur, die dann weiter um die Achse des Speichenrades umschlungen ist. Die Größen der beiden ge- kuppelten Schnurläufe sind so abgemessen, daß beim Drehen der Trommel- achse die 10 Speichen auf der Trommel ihre Spuren als Schatten mit der Distanz 1 °” zwischen je zwei benachbarten Vertikalen hinterlassen. Zwischen je zwei benachbarten Speichen können am Rande noch je 4 bzw. 9 Speichen aufgespannt werden; man bekommt dann vertikale Linien auf dem Netze mit 2mm bzw. I mm gegenseitiger Entfernung. Zu diesem Zwecke be- finden sich am äußeren Umfange und an der zentralen Scheibe des Rades Öffnungen, durch welche man je nach Wunsch 4 bzw. 9 Speichen aus einem Faden von entsprechender Dicke herstellt. Von den Löchern müssen kleine Rinnen radialwärts führen, in die sich der durch die Löcher ge- führte Faden gut legt; um den Faden glatt zu machen, ist es empfehlens- wert, denselben mit Wachs zu bestreichen. Was die horizontalen Linien des Netzes anbetrifft, so empfehle ich ein ganz einfaches und bequemes Verfahren, eine Glasplatte mit horizontalen Strichen von entsprechender Dicke und gegenseitiger Distanz herzustellen. Man läßt die mit einem Film (in unserem Falle von 13x18 =) bespannte Trommel sich drehen und nimmt dabei die vertikalen Linien durch Mit- drehen des gekuppelten Speichenrades auf. Man muß darauf achten, daß das resultierende Negativ tadellos hergestellt wird; es muß überall ohne Defekte und kontrastreich sein. Vom Negativ wird ein Diapositiv her- NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 507 gestellt: auch dieses muß sorgfältig hergestellt werden, die schwarzen Linien sollen auf einem absolut glasklaren Grunde erscheinen. Aus einem solehen Diapositiv schneidet man eine Glasplatte (in unserem Falle 13 lang und 2 ® breit), so daß die schwarzen Linien senkrecht zu der langen Kante der Platte verlaufen. Die Glasplatte kommt dann zwischen Spalt und Zylinderlinse des Spaltapparates zu liegen und zeichnet auf einer neuen Rie. 7. Aufnahme horizontale Linien, die nicht nur ihrer Distanz, sondern der ganzen Konfiguration nach den vertikalen Linien gleichen. Das ist ganz natürlich, denn die horizontalen Linien sind in der Tat aus den vertikalen durch Drehung derselben um 90° gebildet. Man bekommt auf diese Weise ein in jeder Beziehung symmetrisches Netz. Entsprechend den erwähnten drei Kombinationen der Speichenzahl 1, 5 und 10 fertigt man sich drei Glasplatten mit den Abständen der horizontalen Linien 10, 2 und I m, A. SAMOJLOFFE: Durch die Kuppelung der Achsen der Trommel und des Speichen- rades erscheint die Form des Netzes unabhängig von der Schnelligkeit der Bewegung der Trommel, es bleiben deshalb sämtliche Unregelmäßiekeiten im Gange der Trommel, falls solche vorhanden sein sollen, vollständig ver- o NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 509 deckt. Schon deshalb, noch mehr aber zum Zwecke einer exakten Zeit- messung ist es nötig, einen Chronographen neben dem Spalte aufzustellen, um auf dem Netze eine Zeitkurve mit aufzuschreiben. a FT w I Lobketittigettt me susrrsszen | > TRTaua MIEREE B.. 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Elektrokardiogramm eines Menschen auf einem Zweimillimeterquadratnetze (Negativpapier). Fig. 9. Elektrokardiogramm eines Menschen auf Millimeterquadratnetze; die Auf- nahme ist auf Kodoidfilm mit nachträglichem Druck auf Veloxpapier aus- geführt. In allen 3 Figuren bedeuten die Zeitmarken — 0-1 Sek, Trotz der bedeutenden Länge der vertikalen Linien ist kaum eine Verdickung derselben von oben nach unten wahrzunehmen. V. Das Beobachten der Kurve vor der Aufnahme. Infolge der Eigenschaft unserer Netzhaut, nämlich der Nachdauer der Erregung, sind wir bekanntlich imstande, die Bewegung eines leuchtenden Punktes in Form einer ununterbrochenen Linie wahrzunehmen, falls die Bewegung mit der entsprechenden Geschwindigkeit geschieht. Führt die Saite des Galvanometers rasche Bewegungen aus, so läßt sich unter ge- eigneten Bedingungen dieselben in Form einer Kurve und zwar einer schwarzen Kurve auf weißem Grunde wahrnehmen. Diese Art der Beob- achtung ist besonders am Platze, wenn man sich rasch über den Charakter der Eichungskurre ohne phothographische Aufnahme orientieren will, speziell um zu entscheiden, ob die Saite aperiodisch ihren Ausschlag aus- führt. Um die Bewegung der Saite in Form einer Kurve zu beobachten, ist es Bedingung, daß das Spaltbild, d. h. eine leuchtende Linie mit einem schwarzen Punkt, herrührend von der Saite, sich mit zweckmäßiger Ge- schwindigkeit bewegt. Herr Edelmann hat diese Aufgabe in seinem kleinen Registrierwerk in einer ziemlich komplizierten Weise verwirklicht. Die Sache läßt sich aber ungemein einfach gestalten. Es sei bei dieser Gelegenheit erwähnt, daß es für den Zweck einer stärkeren Konzentrierung des Lichtes günstig ist, die Zylinderlinse nicht unmittelbar vor dem Spalt, sondern in einer Entfernung von demselben, bzw. eine zweite Zylinderlinse in einiger Entfernung von der ersten auf- zustellen. Meistens mache ich die Aufnahmen mit zwei Zylinderlinsen, wobei vor ‘der zweiten Linse sich ebenfalls ein Spalt befindet, und die Brechungsverhältnisse, sowie die Entfernungen so bemessen sind, daß vom zweiten Spalt ein scharfes linienförmiges Bild auf die Trommel entworfen wird; der erste Spalt des Spaltapparates darf bei dieser Kombination ziem- lich weit geöffnet werden. Man bekommt somit eine Distanz zwischen den Zylinderlinsen (von etwa 25 °® in unserer Anordnung), in welcher ein in jedem Punkte aufgestellter Schirm bloß eine leuchtende vertikale im all- gemeinen dünne, sehr helle, mit einem schwarzen Punkte (Galvanometer- NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 511 faden) versehene Linie auffängt. Es ist nun klar, daß wenn wir eine ver- tikal und senkrecht zu den Lichtstrahlen stehende weiße Kartonplatte in dem Zwischenraume zwischen den Zylinderlinsen rasch bewegen und zwar in der Richtung der Lichtstrahlen, so daß die Platte rasch zwischen den Zylinderlinsen schwingt, wir ein weißes Band mit einer horizontal ver- laufenden schwarzen Linie sehen. Bewegt sich die Quarzsaite, so sehen wir anstatt der Linie eine Kurve. Der ganze Apparat zum Beobachten der Aufnahme besteht also in einem Stück weißens Kartons, welches man mit der Hand bewegt. In dieser Weise gelingt es sehr leicht sich über den Gang der Eichungskurven zu orientieren. Eine schärfere Kurve und bequemere Art, dieselbe zu beobachten, er- langt man, wenn man zwischen den Zylinderlinsen ein total reflektieren- des Prisma mit vertikal stehenden Kanten so aufstellt, daß die helle Linie senkrecht zur Strahlenrichtung auf einen in zweckmäßiger Entfernung sich befindenden kleinen Schirm abgelenkt wird. Macht man mit der Hand leichte Drehungen des Prismas um seine Achse, so bekommt man auf dem Schirme auf hellem Grunde die schwarze Kurve in ausgezeichneter Weise zu sehen. Selbstredend könnte man eine Anordnung trefien, um das Prisma vermittelst einer Kurbel zu drehen, bzw. ein Königsches viel- seitiges Spiegelprisma aufstellen u. dgl. mehr; ich habe es aber nicht getan, weil man sich auch ohne dem nach kürzester Übung gewöhnt, das einfache Prisma mit der primitivsten Einrichtung so richtig und dem Gange des Saitenausschlages gemäß zu bewegen, daß man von den er- zielten Kurven kaum noch etwas mehr verlangen kann. VI. Die Elektroden zur Aufnahme von Elektrokardiagrammen. Die einfachste Art, unpolarisierbare Elektroden für Ableitung von Ex- - tremitäten herzustellen, besteht darin, daß man, wie es manche auch ge- tan haben, die entsprechenden Extremitäten in gesättigte oder auch ver- dünnte Lösung von Zinksulfat hineintaucht und von der Lösung vermittelst amalgamischer Zinkstäbe ableitet. Da aber das Zinksulfat die Haut an- greift, so muß man dazwischen eine indifferente Flüssigkeit einführen. Einthoven hat von Anfang an als Elektroden große mit physiologischer NaCl-Lösung gefüllte Tröge von Ton, in die die Extremität versenkt wird, empfohlen; die Tröge kommen in größere Gefäße mit Zinksulfatlösung und Zinkplatten zu stehen. Die großen Tontröge sind aber kostspielig und nicht überall zu erhalten, andrerseits bringt die Benutzung einer größeren Menge von Zinksulfat immer eine Verunreinigung des Raumes u. dgl. mit sich, Ich bemühte mich, eine Elektrode zusammenzustellen, die. ein- fach und bequem zu handhaben wäre und dabei exakte Resultate liefere. 512 ’ A. SAMOJLOFF: Ich versuchte anfangs überhaupt auf die Zinksulfatelektroden zu ver- zichten. Es wurde geprüft, eb man nicht mit Platin in physivlogischer Kochsalzlösung auskommen kann. Taucht man zwei Platindrähte in NaCl- Lösung hinein und leitet zum Galvanometer ab, so sieht man, wie bei Ein- führung einer Potentialdifferenz, z. B. 1 Millivolt die Saite ausschlägt und augenblicklich. zum Ruhepunkt zurückkehrt, was natürlich von einem polarisierbaren System auch zu erwarten ist. Nimmt man aber anstatt eines Drahtes eine Platinplatte von etwa 10 «= Fläche zur Elektrode, so ist die Sache sehon anders: die durch einen Strom abgelenkte Quarzsaite eilt nicht so rasch zur Nullage zurück. DBeschlägt man aber die Platinplatte mit Platinschwanz, so verwandelt sich dieselbe infolge ihrer kolossalen Polarisa- tionskapazität in eine für relativ kurzdauernde (Herzaktionsströme) Vor- gänge sehr gute Elektrode, ähnlich den Platinelektroden bei Leitfähigkeits- bestimmungen. Man könnte sehr gut solche Elektroden für Elektrodar- diogrammaufnahmen besonders noch in Anbetracht ihres geringen Widerstandes und ihrer ungemeinen Reinlichkeit sowie bequemen Handhabung anwenden. Die Elektroden haben aber einen sehr großen Nachteil, nämlich daß man sie nicht genügend gleichartig herstellen kann. Man bekommt häufig kolossale Phtentialdifferenzen bis zu 0-1 Volt, so daß man sehr vorsichtig sein muß, um durch einen zu starken Ausschlag (besonders infolge des geringen Widerstandes) die Saite nicht zu beschädigen. Es ist also wichtig, sorg- fältig zu kompensieren. Das Unangenehmste ist aber, daß die Ungleichartig- . keit fortwährend wechselt, so daß man fast ununterbrochen die Kompensation kontrollieren muß. Tut man das nicht, so entfernt sich die Saite mehr und mehr von ihrer Nullage, was, wie wir früher gesehen haben, ungünstig ist. Eine andere Versuchsreihe habe ich mit der Ostwaldschen Kalomel- Elektrode ausgeführt. Diese ebenfalls sehr bequeme und reinliche Elektrode erwies sich leider in einer anderen Beziehung sehr unvollkommen. Die Kalomelelektroden sind ohne Schwierigkeit absolut gleichartig herzustellen. Sie haben aber einen sehr großen Widerstand (bis etwa 10000 Ohm) und, - was noch wichtiger ist, sie erwiesen sich zu meiner Überraschung durch- aus nicht unpolarisierbar. Um das zu illustrieren, führe ich die Fig. 10 an, die die Bewegung des Quarzfadens angibt, wenn man den Strom (1 Milli- volt Spannung) schließt, nach etwa 2 Sekunden Öffnet, nach etwa 2 Sekunden wiederum schließt usw. Die Polarisation ist sehr deutlich. Es ist mög- lich, daß man vielleicht mit reineren chemischen Produkten und bei sorg- fältigerer Zusammenstellung bessere Resultate erzielen könnte, — es ist aber schon als ein Mangel einer Elektrode zu bezeichnen, wenn en besondere Vorsicht bei ihrer Zusammenstellung fordert. Ich bin deshalb wiederum zur Zinkzinksulfatelektrode zurückgedreht und gebe derselben folgende Zusammenstellung. In einen großen Glastrog NOTIZEN ZUR HANDHABUNG DES SAITENGALVANOMETERS. 513 wird physiologische Kochsalzlösung gegossen und in diese die Extremität eingetaucht. In den Trog kommt dann noch ein Tonzylinder von einem kleinen Danielschen Element mit Zinksulfatlösung und Zinkstab zu stehen. Fig. 10. Eine solche Kombination erweist sich in jeder Beziehung bequem. Zum Vergleich mit der Ostwaldschen Elektrode, lasse ich die Fig. 11 folgen, die die Unpolarisierbarkeit der Zinkzinksulfatelektrode illustriert. Die in der letzten Zeit gemachten Vorschläge zur „Vereinfachung“ der Elektroden, nämlich Zinkwannen, die mit Kochsalzlösung gefüllt werden es li. und die Extremitäten aufnehmen, beruhen vermutlich auf Konfusion und brauchen nicht weiter berücksichtigt zu werden; da die Zink-Kochsalz- wannen ungleichartig und polarisierbar sind, so dürfen sie nicht verwendet werden. Archiv f. A.u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 33 514 A.SAMOJLOFF: NOTIZEN ZUR HANDHABUNGD. SAITENGALVANOMETERS. Bei der Aufnahme von Elektrokardiagrammen von Menschen ist es wichtig, daß die Versuchsperson sich möglichst ruhig verhält, da jede Bewegung der Skelettmuskeln die Herzkurve verunstaltet. Aus diesem Grunde ist es vorteilhaft, daß man die Person mit den Elektroden nicht in demjenigen Zimmer plaziert, wo die Apparate sich befinden und die Auf- nahme gemacht wird, sondern im Nebenzimmer. Die Person braucht gar nicht zu wissen, in welchem Augenblicke die Kurve geschrieben wird. Selbstredend darf man für die vom Nebenzimmer aus geschriebenen Elektro- kardiogramme nicht die Bezeichnung Telekardiogramme gebrauchen, wie das neulich ein Autor in allem Ernste getan hat. Einthoven brauchte das Wort Telekardiogramme für Entfernungen Herz-Galvanometerstation von ganz anderem Betrage. Ich erlaubte mir in den vorliegenden Zeilen manche technische Einzel- heiten, die ich mir im Laufe einer längeren Zeit betreffend die Registration der Saitengalvanometerausschläge aneignete, zu beschreiben. Die Veran- lassung zu diesem Aufsatze gaben mir Anfragen, die ich von Kollegen be- züglich einiger technischer Momente der Anfertigung der Saitengalvano- meterkurven erhalten habe. Es schien mir, daß das Eingehen auf manche der befragten Punkte möglicherweise allgemeineres Interesse beanspruchen könnte. Über den Einfluß einiger Narkotika und Anästhetika auf die Blutzirkulation des Gehirns. Von Walter Frankfurther und Arthur Hirschfeld. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Berlin.) (Hierzu Taf. VII u. VIII.) Im Anschluß an die Arbeit: „Über die Wirkung des Alkohols und einiger Analgetika auf die Hirngefäße“,! haben wir es auf Anregung von Hrn. Prof. E. Weber übernommen, den Einfluß einiger Narkotika aus der Reihe der Alkaloide auf die Hirnzirkulation zu untersuchen. Die Frage nach dem Einflusse pharmakologischer Agentien auf die Blutversorgung des Gehirns ist einerseits theoretisch in eine neue Phase getreten durch den Nach- . weis Webers, daß die Vasomotoren des Gehirns? von einem besonderen Zentrum aus beeinflußt werden, so daß ein besonderes Verhalten der Hirn- gefäße verständlich wird, andererseits ist die Deutung und Übersichtlichkeit der Experimente bei Benutzung des Roy-Sherringtonschen Hirnonkometers® um vieles sicherer und einfacher geworden, als bei Anwendung der früher meist benutzten indirekten Untersuchungsmethoden. Auch wir benutzten in den folgenden Untersuchungen diese Methode der direkten Volummessung - des Gehirns, die verbunden mit einer gleichzeitigen Registrierung des Blut- druckes zu einem eindeutigen Urteil über den Zustand der Hirngefäße zu führen vermag. Es darf nicht erstaunen, daß unsere Ergebnisse von denen anderer Autoren, die mit anderen Methoden arbeiteten, abweichen. Wir ‘konnten aber nach der ausführlichen Kritik Webers“ über die Methoden von Hürthle, Gärtner und Wagner u. a. davon absehen, noch einmal die möglichen Fehlerquellen dieser Methode zu erörtern und unsere wider- sprechenden Ergebnisse daraus zu erklären. 1 Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 348. 2 E. Weber, Über die Selbständigkeit des Gehirns in der Regelung seiner Blut- versorgung. Zbenda. 1908. Physiol. Abtlg. S. 457. 8 Journal of Physiol. Vol. XI. 4 Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 348. 516 WALTER FRANKFURTHER UND ARTHUR HIRSCHFELD: Unsere Versuche wurden an mittelgroßen, kurarisierten Katzen an- gestellt, deren Atmung künstlich geregelt wurde. Dies hat, neben der absoluten Ruhe der Tiere, die für eine exakte Blutdruckschreibung natürlich erforderlich ist, noch den Vorteil, daß die Veränderungen der Respiration durch Reizung oder Lähmung des Atmuneszentrums, wie sie die Alkaloide erzeugen, nicht in ihrer Wirkung auf die Blutverteilung die rein vaso- motorischen Effekte der untersuchten Pharmaka verdecken. Durch Ein- binden einer Kanüle in die A. carotis wurde der Blutdruck gemessen und dureh Übertragung mit Mareyschen Kapseln wurden Kurven der Volumen- änderungen verschiedener Organe aufgenommen. Die Pharmaka wurden, gelöst in physiologischer Kochsalzlösung in die Vena jugularis injiziert. Die Trepanöffnung, in die das Hirnonkometer eingeschraubt wurde, wurde möglichst nahe der Mittellinie über dem Scheitellappen angelegt und der Kopf des Tieres so gedreht, daß die Trepanöffnung möglichst in einer wagerechten Ebene lag. Durch die Kanüle in der Karotis oder durch die in der V. jugularis, die wir zur besseren Applikation des Pharmakons und des Kurare anwandten, wird der Blutkreislauf im Gehirn durchaus nicht gestört. Die freibleibende Karotis sowie die Aa. vertebrales mit den dazu gehörigen Venen sorgen vermittelst des Circulus arteriosus Willisii für eine genügende Durchblutung. Wir untersuchten an einer Reihe von Katzen die Wirkung einiger Alkaloide, nämlich des Morphinum hydrochloricum, Codeinum phosphoricum, Cocainum muriaticum und an einer Katze Scopolaminum hydrobromicum, außerdem das als Ersatz für das Kokain so viel gebrauchte, nicht zu den Alkaloiden gehörende Novokain. Das Morphin (Morphinum hydrochloricum) gehört in der Tabelle Koberts! zu den gefäßerweiternden Mitteln, an den Hirngefäßen aber konnten die meisten Autoren eine Wirkung nicht feststellen. Nach Noth- nagel und Roßbach? findet man während des Morphinschlafes das Gehirn bald blutreich, ja sogar mit Blut überfüllt, bald hochgradig blutarm, während der Blutdruck durch kleine Morphingaben nicht ver- ändert oder um ein geringes erniedrigt wird. Ebenso fand Hürthle® es in seinen Wirkungen auf die Hirngefäße wechselnd, bald erweiternd, bald verengernd und schreibt ihm keinen entscheidenden Einfluß auf den Kontraktionszustand der Hirngefäße zu. Berger,* der am Menschen ! Kobert, Über die Beeinflussung der peripheren Gefäße durch pharmakologische Agentien. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXI. ° Nothnagel und Rossbach, Handbuch der Arzneimittellehre. Berlin 1899. ®-Hürthle, Beiträge zur Hämodynamik: Über die Innervation der Hirngefäße. Pflügers Archiv. Bd. XLIV. * H. Berger, Zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Men- schen. Jena 1901. EINFLUSS EINIGER NARKOTIKA USW. 517 arbeitete und das Volumen des Gehirns an einer Schädelverletzung durch Auflegen von Hebeln auf die pulsierende Stelle aufschrieb, fand bei mittleren Dosen keinen Einfluß auf den Blutdruck und das Hirnvolumen. Allerdings nahm die Höhe der einzelnen Hirnvolumpulse ab, so daß er auf einen ver- minderten arteriellen Blutzufluß schloß. An Tieren, die er mit der Hürthle- schen Methode untersuchte, schloß er auf eine längere Zeit nach der Injektion eintretende Anämie des Gehirns. Gärtner und Wagner! beobachteten schon vor ihm nur mit dem Blutdruck gleichgerichtete Schwankungen der Gehirnkurve Roy und Sherrington? fanden eine geringe Kontraktion des Gehirns, die aber nicht stets und auch nur sehr wechselnd eintrat Nur bei einem älteren Autor, Schüller,? der mit Opiumtinktur arbeitete und die Hirngefäße mit der Lupe bei eröffnetem Schädel untersuchte, findet sich die bestimmte Angabe, daß unter dem Einfluß der Opiumtinktur die Hirngefäße sich zunächst erweitern, um sich dann nach einer Weile zu kontrahieren. Wir wählten meist sehr kleine Dosen, um den Blutdruck und die Herzaktion möglichst wenig zu beeinflussen. Die Resultate waren im wesent- lichen überall die gleichen. In einem Versuche — wir untersuchten die Wirkung des Morphiums an 8 Katzen — (Fig. 1, Taf. VII) spritzten wir einer Katze 0.2s" Morphium ein. Die Zunahme des Hirnvolumens war bei ziemlich starker Blutdrucksenkung deutlich ausgeprägt, wie aus Fig. 1, Taf. VII zu ersehen ist. Die anderen 7 Versuche fielen ebenso aus. Auch wir haben also, wie Schüller, nach einer anfänglichen aktiven Gefäß- erweiterung im Gehirn, deren Dauer sich wegen der Veränderung des Blut- drucks nicht genau bestimmen läßt, eine vielleicht nur durch Sinken des Blutdrucks bedingte Verminderung des Hirnvolumens beobachtet. Über das Verhalten des Kodeins (Codeinum phosphoricum) auf die Hirnzirkulation haben wir in der Literatur keine Angaben gefunden. Unsere Resultate stützen sich auf 5 Versuche, die alle die gleichen Ergebnisse . hatten. Bei einer Injektion von 0.015: (Fig. 2, Taf. VIII) trat nach einer etwas längeren Latenzzeit eine Steigerung des Blutdruckes ein. Das Hirn- volumen beginnt etwas früher zu steigen, aber, während der Blutdruck wieder zurückgeht, ja sogar ein wenig unter die O-Linie sinkt, steigt das Hirnvolumen immer mehr bis zu sehr beträchtlicher Höhe an, bis erst nach längerer Zeit wieder die alten Verhältnisse eintreten. Wir haben hier also ohne entsprechende Blutdrucksteigerung eine beträchtliche Er- 1 Gärtnerund Wagner, Über den Hirnkreislauf. Wiener medizinische Wochen- schrift. 1887. Nr. 19. S. 20. ? Roy und Sherrington, On the regulation of the blood supply of the brain. Journal of Physiologie. Vol. XI. 3 Sehüller, Über die Einwirkung einiger Arzneimittel auf die Hirngefäße. Berliner klinische Wochenschrift. 1874. Nr. 25. 26. 518 WALTER FRANKFURTHER UND ARTHUR HIRSCHFELD: weiterung des Volumens der Hirngefäße. Die Unabhängigkeit des Ein- flusses auf die Hirngefäße vom Blutdruck wird noch dadurch deutlich, daß sich ein geringes Steigen des Hirnvolumens schon vor dem Eintreten der Blutdrucksteigerung bemerkbar macht. Bei der Wichtigkeit dieser Frage scheint es uns angebracht, noch eine Kurve zu veröffentlichen, bei der neben dem Steigen des Hirnvolumens ein viel länger anhaltendes und stärkeres Sinken des Blutdruckes zu beobachten ist. Bei einer Injektion von 0-02 em (Fig. 3, Taf. VIII) trat eine Blutdrucksenkung und eine gleichzeitige deutliche Volumzunahme des Gehirns ein. Letztere geht während der dann eintretenden Blutdrucksteigerung langsam zurück. Das Kodein hat also eine dem Morphin ähnliche Wirkung, nur ist die gefäßerweiternde Wirkung energischer und an- haltender als beim Morphin; außerdem beschleunigt es in etwas stärkeren Dosen den Herzschlag und kann nach vorübergehender Verminderung leicht blutdrucksteigernd wirken, wie aus dem späteren Verlauf der beiden hier reproduzierten und anderer Kurven hervorgeht. Über das jetzt in der Psychiatrie bei Aufregungszuständen als Schlaf- mittel so viel gebrauchte Hyoszin (Scopolaminum hydrobromicum) haben nur Sohrt (mitgeteilt von Kobert)! und Berger? Versuche angestellt. Sohrt fand, daß sich die peripheren Gefäße beim Menschen unter dem Einfluß der Injektion erweitern, ohne daß er aber dem Mittel einen Einfluß auf das Vasomotorenzentrum zuschreiben möchte. Bei Tieren wurde die Zirku- lation überhaupt nicht beeinflußt. Berger glaubt beim Menschen aus der Verminderung der Pulshöhe auf eine Kontraktion der Hirngefäße schließen zu können, während er beim Hunde gleichfalls zu keinem sicheren Resultat gelangen konnte. Auch wir können dies nur bestätigen. Wir experi- mentierten an einer Katze, die, wie es öfters beobachtet wird, spontane, rasch vorübergehende Blutdrucksteigerungen zeigte. Wir injizierten ihr langsam steigende Dosen von !/,”® bis zur Gesamtmenge von einem Dezi- gramm, ohne daß eine deutliche Beeinflussung der Gefäße, oder vor allem eine Affektion des Herzens stattfand. Vielleicht wurden die spontanen Blutdrucksteigerungen, die das Hirnvolumen in gleichnamigem Sinne be- einflußten, etwas vergrößert, doch läßt sich dies nicht mit Sicherheit be- haupten. Dieser mangelnden Wirkung halber gaben wir die weiteren Versuche mit Hyoszin auf. Das Kokain (Cocainum muriaticum) hat infolge seiner eigentümlichen Wirkungen auf das Zentralnervensystem und seiner so ausgebreiteten Ver- wendung als Lokalanästhetikum viele Bearbeiter gefunden. Gerade bei diesem ! Kobert, Über die Wirkung des salzsauren Hyoszins. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXL. ® Berger, Zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle des Menschen. Jena 1901. EINFLUSS EINIGER NARKOTIKA USW. 519 Mittel mußten die Zirkulationsverhältnisse im Gehirn besonders interessant erscheinen, da es bei innerlicher Anwendung eine so überraschend anregende Wirkung auf den Körper, namentlich bei Ermüdung auszuüben vermag. Nach Kobert! erweitert es manchmal bei der Durchströmung die Gefäße; er rechnet es aber unter die Mittel ohne deutlichen Einfluß auf die Gefäß- weite. Bei Bepinselung mit Kokainlösung kontrahieren sich die Blut- gefäße. Mosso? beobachtete eine Verengerung der Gefäße, allerdings nur bei größeren Dosen, während der Druck manchmal erhöht, bis- weilen aber erniedrigt war. Au kurarisierten Tieren sind seiner Meinung nach keine sicheren Resultate zu erzielen. Berger? stellte bei einem Ver- such am Menschen eine Abnahme der Pulsationshöhe des Gehirns fest und schließt aiso auf eine Verengerung der Blutgefäße. Wiechowski* fand an Tieren, nach der Hürthleschen Methode, Erweiterung der Hirngefäße, die bald von Blutdrucksenkung, bald von Steigerung begleitet war. Man muß bei der intravenösen Injektion sehr vorsichtig sein, da Kokain schon in geringen Dosen die Herztätigkeit stark gefährdet. Nach Injektion von 0-001s8”® Kokain (Fig. 4, Taf. VIII) sehen wir den Blutdruck sinken, während die Hirnvolumenkurve zu steigen beginnt. Gleich aber zeigt sich der Einfiuß auf das Herz, es erscheint Vaguspuls, während dessen aber das Hirnvolumen vergrößert bleibt. Die besondere Beeinflussung der Gehirn- sefäße durch das Pharmakon wird noch dadurch deutlich, daß das darauf- folgende Steigen des Blutdrucks nicht auch ein Steigen des Gehirnvolumens mit sich führt, sondern gleichzeitig mit dem Steigen des Blutdrucks ein Sinken des Hirnvolumens eintritt, woraus hervorgeht, daß sich die Hirn- gefäße aktiv erweitert haben. Kokain erweitert also die Hirngefäße, ohne daß, wie bei dem Kodein, eine Gefäßkontraktion auf diese Er- weiterung folgt; der Blutdruck wird vorübergehend herabgesetzt. Diese Verhältnisse fanden wir bei 7 Katzen. Über Novokain findet sich in der Literatur die aneaße: daß es fast gar nicht den Blutdruck und die peripheren Gefäße beeinflußt. Fischer,’ Misch® und Biberfeld’ sind sich darin einig, daß die Zirkulation durch dieses. ! Kobert, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XXII. 2 Mosso,TÜberdiephysiologische Wirkung des Cocains. Pflügers Archiv. Bd. XLVII. ® Berger, a.a. 0. * Wiechowski, Über den Einfluß der Analgetika auf die intrakranielle Blut- zirkulation. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XLVIN. 5 G. Fischer, Beiträge zur Frage der lokalen Anästhesie (Kokain, Nirvanin, Tropakokain, Stovain, Novokain). Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. Bd. XXIV. 1906. Juniheft. * J. Misch, Über lokale Anästhesie mit besonderer Berücksichtigung des Novo- kains. Österreich-ungarische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. Bd.XXIl. Heft III. ? Biberfeld, Pharmakologisches über Novokain. Medizin. Klinik. 1905. Nr. 48. 520 WALTER FRANKFURTHER UND ARTHUR HIRSCHFELD: Mittel nicht alteriert werde, wenn man nicht zu letalen Dosen greift, die 6 bis 7 mal höher sind, als die des Kokains. Wir injizierten in die V. jugularis einer Katze 0-01e”®. Novokain. Der Blutdruck und das Hirnvolumen wurde mittels der oben angegebenen Methode gewonnen, dazu nahmen wir noch mit dem Darmplethysmographen das Volumen der Eingeweide auf. Die schonende Methodik nach E. Weber! besteht darin, daß in das Rektum eine an einem biegsamen Gummikatheter befestigte Blase geschoben, dann leicht aufgeblasen und durch eine Schlauchleitung mit einer Mareyschen Kapsel verbunden wird. Wir fanden nun bei mehreren von 9 untersuchten Katzen, wenn auch häufig nur geringen, so doch deutlichen Einfluß auf das Gefäßsystem. Der Blutdruck sank immer und die Gehirngefäße erweiterten sich aktiv, ebenso wie die Gefäße der Bauchorgane. Eine Katze (Fig. 4, Taf. VII) wurde mit 0.022” Novokain gespritzt. Wir sehen hier eine deutliche Blutdrucksenkung, die von einem Sinken des Hirnvolumens begleitet ist. Aber während nun der Blutdruck erniedrigt bleibt und erst ganz allmählich zur alten Höhe zurückkehrt, ist die Hirn- volumensenkung nur eine ganz vorübergehende, die alte Höhe wird sofort wieder erreicht, so daß eine aktive Dilation der Hirngefäße vorliegen muß. Es ist nun sehr interessant, einen Vergleich des Novokains mit Kokain anzustellen. Während das Kokain bei uns immer das Herz alteriert, be- einflußt Novokain den Puls gar nicht, obwohl wir eine zwanzigmal höhere Dosis anwandten. Trotz der kleineren Dosis beim Kokain konnten wir eine stärkere Wirkung bezüglich der Vermehrung des Hirnvolumens feststellen. Es liegt nahe, diese Zirkulationsänderungen wenigstens teilweise mit der Wirkung der Pharmaka in ursächliche Verbindung zu bringen, um so mehr, als die Schwankungen der Zirkulation in besonderer Weise das Gehirn betreffen, das einer Änderung seines Ernährungszustandes am allerempfindlichsten gegenübersteht. In der Tat hatte Berger? in dieser Hoffnung seine Unter- suchungen unternommen, kam aber auf Grund seiner Ergebnisse doch zu dem Schluß, daß „Morphin und Hyoszin wohl mehr direkt, als durch Alteration der Gefäße wirken“. . Überblicken wir unsere Resultate, so glauben wir doch zu dem Schlusse berechtigt zu sein, daß die Gefäß- veränderungen vielleicht im bestimmten Maße an der pharmakologischen Wirkung beteiligt sind. Wir möchten die Zunahme des Hirnvolumens bei der Morphininjektion mit dem Exzitationsstadium, die wohl durch die Blut- drucksenkung bedingte Volumenabnahme mit dem narkotischen Stadium in Beziehung setzen. Dem würde entsprechen, daß das Kodein eine viel stärkere und länger dauernde dilatorische Wirkung hat, da es dem Morphin ı E. Weber, Dies Archiv. 1907. Physiol. Abtlg. S. 302 ff. 2 Berger, 2.2.0. EINFLUSS EINIGER NARKOTIKA USW. 521 an exzitatorischer Kraft überlegen, an narkotischer Kraft aber geringer als das Morphin ist. Sicherlich kommen auch die Ganglienzellen direkt an- greifende Eigenschaften des Morphins in Betracht, aber es ist doch möglich, daß diese Wirkungen durch die Veränderungen der Blutzirkulation und damit der Ernährung der Ganglienzellen unterstützt oder verstärkt werden. Wnndert man sich darüber, daß die Wirkungen der Pharmaka bei unseren Versuchen im Vergleich zur Wirkungsdauer beim Menschen, so rasch vorüber- gehen, so muß man bedenken, daß die venöse Injektion die Applikationsart ist, bei der die pharmakologische Wirkung am raschesten eintritt, aber auch am schnellsten wieder verschwindet. Wir glauben uns zu unserem Schlusse um so mehr berechtigt, als für die Chloroformnarkose, ebenso für den Chloral- schlaf, nach langen, widersprechenden Untersuchungen durch Roy und Sherrington! festgestellt wurde, daß das Hirnvolumen während der Narkose abnimmt, wie das schon Cl. Bernard? behauptet und durch Experimente belegt hat. Und gerade für die Chloroformnarkose mit ihren anfänglichen Aufregungszuständen macht Schüller? aus seinen Tierexperimenten ent- sprechende Schlüsse, wie wir sie für Morphin machen wollen. Nach Webers® Untersuchungen erweitert Koffein die Hirngefäße zunächst, um sie dann stark zu verengern, — Koffein, das nach Schmiedeberg° beim Menschen „rauschähnliche Erregungszustände, Schwindel .... Delirien, schließlich Schläfrigkeit verursacht“. Im allgemeinen herrscht, entsprechend der hier vorgetragenen Ansicht, bei den meisten Autoren die Anschauung, daß wie bei den anderen Organen, so auch im Gehirn gesteigerter Energieumsatz mit gesteigerter Blutzufuhr verbunden ist. Um so überraschender war die Mitteilung Bergers,° daß bei der Kokainvergiftung, deren psychische Erscheinungen schon auf einen gesteigerten Energieumsatz hindeuten, den aber auch Mosso” objektiv durch Nachweis einer Temperatursteigerung des Gehirns feststellte, die Blut- zufuhr zum Gehirn vermindert sein sollte. Berger brachte diese von ihm beobachtete Erscheinung in Zusammenhang mit der Verwornschen Biogen-- ! Roy und Sherrington, On the regulation of the blood supply of the brain. Journal of Physiologie. Vol. XI. ? Cl. Bernard, Lecons des anaesthetigues. Paris 1871. 3 Schüller, a.a. ©. * Weber, Die Wirkung des Alkohols und einiger Analgetika auf den Körper. Dies Archiv. 1909. Physiol. Abtlg. S. 348. 5 Schmiedeberg, Grundriß der Pharmakologie. 5. Aufl. 1906. 8. 93. Leipzig, W. Vogel. 6 Berger, Die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände. Bd.]1, II. Jena 1904, 1907. ? Mosso, Über die physiologische Wirkung des Kokains. Pflügers Archiv. Bd. XLVII. 522 WALTER FRANKFURTHER U. ARTHUR HIRSCHFELD: EINFLUSS Usw. ° hypothese und führte aus, daß diese verminderte Blut- und damit Sauer- stofzufuhr zum Gehirn einen Schutz des Organismus gegen zu raschen Zerfall der Biogene darstelle, daß sich auf diese Weise also die anregende Wirkung beim Kokaingenuß erklären lasse. Nach ihm ist die vermehrte und verminderte Zufuhr von Blut nicht Grund oder wenigstens unter- stützendes Moment kortikaler Vorgänge, sondern erst die kortikalen Vor- gänge lösen den Mechanismus der Hirnvasomotoren aus, um das Stoff- wechselgleichgewicht im Gehirn durch vermehrte oder verminderte Blut- zufuhr zu erhalten. Weber! hat gegen diese Auffassung schwerwiegende Einwände erhoben, unter anderem betont, daß dies doch für alle Exzitantien gelten müßte, beim Alkohol aber von ihm eine deutliche Erweiterung der Hirngefäße festgestellt wurde. In Übereinstimmung mit Wiechowski2 haben wir nun beim Kokain — Berger kommt auf Grund nur eines Ver- suches, allerdings am Menschen, zum gegenteiligen Resultat — Erweiterung der Hirngefäße gefunden. Wir glauben uns wohl berechtigt, die Ergebnisse des Tierexperiments auch auf den Menschen zu übertragen, da gerade beim Kokain die Erscheinungen der Vergiftung bei Mensch und Tier sehr ähnlich verlaufen. Auch der Einwand, daß die Gefäßerweiterung zu vorübergehend sei, um zur Erklärung der Kokainwirkung herangezogen zu werden, ist nicht stichhaltig, denn man muß bedenken, daß wir nur ganz kleine Dosen (der Giftwirkung auf das Herz wegen) intravenös injizierten. Beim Menschen aber wird das Kokain subkutan oder per os gegeben; die Resorption erfolgt un- gleich langsamer und die Wirkung erstreckt sich damit auf eine ungleich längere Zeit. Sahen wir doch auch bei unseren Versuchen eine Verlängerung der Wirkung, sowie sich etwas mehr Kokain, genügend verteilt, um das Herz nicht zu schädigen, im Kreislauf befand. Beweisend für diese Ansicht - scheint der Vergleich mit Novokain zu sein. Trotz der unvergleichlich höheren Dosen sehen wir keine derartig ausgeprägte Hirnvolumenwirkung wie beim Kokain, allerdings macht das erstere auch keine psychischen Erscheinungen. Wir glauben also schließen zu dürfen, daß beim Gehirn, wie bei den anderen Organen, Tätigkeit mit vermehrtem, Untätigkeit mit vermindertem Blutzuluß ‚verbunden ist, und daß die pharmakologisch bedingten Zirku- !ationsveränderungen an dem Zustandekommen der vom Zentralnerven- system ausgehenden Erscheinungen bei Einwirkung dieser Pharmaka mit beteiligt sind. " Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper usw. Berlin 1910. Ss. STIER. 2 Wiechowski, a.a.0. Über die Betrachtung der Gestirne mittels Rauchgläser und über die verkleinernde Wirkung der Blickerhebung. Von Wiilh. Filehne. Vor kurzem! habe ich Beobachtungen und Erwägungen veröffentlicht, die meine frühere? Erklärung der bekannten Täuschung über die scheinbare Größe der Gestirne am Horizonthimmel und die scheinbare Form des Himmelsgewölbes stützen sollten. Ich glaube von neuem und mit Erfolg dargetan zu haben, daß diese Täuschungen auf unserem horizontal-vertiefenden perspektivischen Sehen beruhen. Wenn Zoth? versucht hat, sie dadurch zu erklären, daß wir den tiefstehenden Mond mit geradem, den hoch- stehenden mit erhobenem Blicke betrachten, und daß —, was an sich tatsächlich richtig ist —, bei erhobenem Blicke der Mond kleiner erscheint, als wenn er an derselben Stelle des Himmels mit geradem Blicke angeschaut wird, so war von mir dargelegt worden, daß hiermit das Problem nicht gelöst ist, weil der am Horizontrande befindliche Mond mit erhobenem Blicke betrachtet, immer noch ungewöhnlich groß, und namentlich, weil der hochstehende Mond bei ganz gerader Blickrichtung immer noch auf- fallend klein im Vergleich zum aufgehenden Monde gesehen wird. 1. Die Rauchgläser. In meiner letzten Veröffentlichung habe ich mir vorbehalten, unter anderem auf Beobachtungen Zoths* einzugehen, die in schlagender Weise die Richtigkeit der Zothschen Auffassung und die Unrichtigkeit der meinigen zu beweisen scheinen, — aber auch nur scheinen. Es sind dies Wahr- nehmungen, die er machte, wenn er den Mond durch Rauchgläser oder ähnliche Abblendungsvorrichtungen betrachtete, durch die hindurch nur der Mond und nichts vom Horizonte oder Himmelsgewölbe gesehen wurde. Dies nunmehr zu behandeln, sind die folgenden Ausführungen bestimmt. ı Wilh. Filehne, Über die Rolle der Erfahrungsmotive beim einäugigen per- spektivischen Ferusehen. Dies Archiv. 1910. Physiol. Abtlg. S. 392. ® Pflügers Archiv. 1894. Bd. LIX. S. 279—308. ® Ebenda. 1899. Bd. LXXVII. 8. 363-401. * A. a. 0. 8. 366. 524 WILH. FILEHNE: Auch durch dunkle Rauchgläser, die nichts von Himmel und Erde, sondern nur den Mond (oder die Sonne) sehen lassen, erscheint das tief- stehende (auf- oder untergehende) Gestirn groß, das hochstehende klein, wenn man es, wie Zoth fordert, aufrechtstehend und mit gerade gehaltenem Kopf betrachtet. Zoth sagt (S. 367): „Aus dem Umstande, daß in unserem Versuche die einzige veränderte Bedingung bei den zwei Beobachtungen des hoch- und des tiefstehenden Mondes die verschiedene Blickrichtung ist, kann ich zunächst nur den einzigen Schluß ziehen, daß diese die Ursache der verschiedenen scheinbaren Größe der beiden Bilder ist — — —: der hochstehende Mond erscheint kleiner, weil er mit erhobener, der tiefstehende größer, weil er mit-annähernd horizontaler oder gerader Blickrichtung gesehen wird.“ Wäre Zoths Voraus- setzung, daß „die einzige veränderte Bedingung die verschiedene Blick- riehtung ist“, richtig, so wäre seine Schlußweise zwingend. Die Voraus- setzung ist aber unrichtig. Um den Beweis für diese meine Behauptung dem Leser und mir zu erleichtern, will ich unter Benutzung genau desselben logischen Rüstzeuges und unter Vorführung eines von jedem leicht als völlig richtig zu be- stätigenden Doppelversuches mit Rauchgläsern zu dem entgegengesetzten und zweifellos unrichtigen Resultate gelangen, daß die Blickerhebung den Mond vergrößere, der gerade Blick ihn verkleinere. Der Versuch ist folgender: Ich setze mich kurz vor Aufgang des Vollmondes im Freien rittlings auf einen Gartenstuhl, der eine niedrige Rundlehne hat; das Gesicht nach Osten gekehrt stütze ich mich mit den Ellbogen auf die Stuhllehne und bringe mich in eine solche nach vorn schräge Körperhaltung, daß ich bei gerader Blickrichtung den Rasen vor mir in etwa 6 = Entfernung betrachte; dann erhebe ich den Blick so, daß ich die am Horizontrande sichtbaren Gegenstände (Kirchtürme usw.) betrachte und gewöhne mich an diese Körperhaltung und Blickrichtung etwa zehn Minuten. Kurz bevor der Mond zu erscheinen hat, bringe ich vor mein Auge (das andere ist verbunden; — man darf aber auch beide Augen benutzen) ein Rauchglas, das alles andere bis auf das Mondbild abblenden würde. Der Mond, von mir also mit erhobenem Blicke betrachtet, geht auf — und erscheint groß. — Nach etwa vier oder fünf Stunden, wenn der Mond hochsteht, setze ich mich in einen bequemen Lehnstuhl mit nach hinten so schrägstehender Lehne, daß ich, sobald ich dem Monde mein Gesicht zukehren würde, ihn mit geradem Blicke betrachten würde. Ich gewöhne mich an diese Körperlage und an die gerade Blickrichtung, mit der ich Baumkronen, Fenster in höheren Stockwerken eines benachbarten Hauses mustere, nehme dann das Rauch- glas vors Auge und lasse den Stuhl so drehen, daß ich den Mond zu Gesicht bekomme. Der jetzt also mit geradem Blicke gesehene Mond erscheint ÜBER DIE BETRACHTUNG DER GESTIRNE MITTELS RAUCHGLÄSER. 525 klein. Wenn — wie Zoth annimmt, — „die einzige veränderte Bedingung bei den zwei Beobachtungen des hoch- und tiefstehenden Mondes die ver- änderte Blickrichtung ist“, so wäre zwingend bewiesen, daß der gerade Blick verkleinert, oder daß der erhobene Blick vergrößert, — was beides nachweislich falsch ist. Im Zothschen Doppelversuche und ebenso in dem meinigen ist eben die Blickrichtung keineswegs das einzig veränderte. Vielmehr ändert sich außerdem die Stelle, die Entfernung, in die das wahrgenommene 31 Minuten Sehwinkel einnehmende Bild projiziert wird — daher der Fehler der Schlußfolge. Hat man ein durch das dunkle Rauchglas zu betrachtendes Objekt — Mond, erleuchtete Lampenglocke, helles Fenster — vorher ohne Abblendung beobachtet, so projiziert man bei Benutzung des Rauchglases sofort richtig ohne weiteres Probieren. Ist das Objekt als solches und seine Entfernung der Versuchsperson bei Rauchglasbenutzung unbekannt, so wird gänzlich unbewußt ungemein schnell eine annähernd ‘richtige „Diagnose‘ bezüglich der (eventuell scheinbaren) Entfernung gestellt und das Bild wird annähernd richtig (bzw. gewohnheitsgemäß) projiziert. Durch Selbstbeobachtung und Beobachten und Befragen der Versuchspersonen, die, wie bemerkt, zunächst diese Diagnose gänzlich unbewußt erledigen, läßt sich über diesen Akt etwa folgendes aussagen: zuerst (oder in umgekehrter Reihenfolge) Konvergenz- stellung (auch bei einäugiger Betrachtung) mit Akkommodation für die Nähe, allmählicher Nachlaß beider Innervationen und allmählicher aber sehr schneller Übergang zur Einstellung für die fernste Ferne; Benutzung schon der hierbei entstehenden Bewegung des Bulbus sowie feine Seitwärts- bewegung des Bulbus, Rechts- und Links- und Vorwärts- und Rückwärts- bewegung des Kopfes und Rumpfes — und die Diagnose ist gestellt und das Auge annähernd richtig eingestellt.: Betrachtet man eine etwa 2% - entfernte erleuchtete Lampenglocke, eine etwa 50—100 ® entfernte brennende Bogenlichtlampe (mit Glocke) und dann den Mond, alles durch das Rauchglas, ohne vorher diese Objekte frei gesehen zu haben, so wird man sich der Verschiedenheit der Entfernungen, in denen man diese Objekte wahrnimmt, voll bewußt, obschon man von Himmel und Erde sonst nichts wahrnimmt. Und man sieht diese Objekte dann in der Größe, die dem Sehwinkel und der wahrgenommenen oder gewohnheitsgemäß scheinbaren Entfernung entspricht.! Denn selbstverständlich kann eine Größenauffassung. im Sinne des Sprachgebrauches bei einem Winkelbilde von beispielsweise ! Diese leuchtenden Objekte erscheinen durchs Rauchglas gesehen sehr erheb- lich verkleinert (Zoth sagt a.a. O. 8. 366 vom Monde: „vielleicht etwas kleiner als bei unmittelbarer Beobachtung“). Zu einem wesentlichen Teile dürfte die Verringerung der Irradiation hierfür maßgebend sein, als Folge der Helligkeitsabschwächung. 526 WıILH. FILEHNE: !/,°, wie beim Monde, erst dann eintreten, wenn das Bild in eine be- stimmte Entfernung projiziert ist; Sehwinkelgrößen als solehe nehmen wir ja nicht wahr. Daß dies z. B. für die durch das Rauchglas gesehene Sonne und den Mond, gleichviel wo sie am Himmel stehen, zutrifft, habe ich experimentell prüfen können. Nach einiger Übung gelang es mir ohne Konvergenz- stellung der Sehachsen und ohne Akkommodations-Innervation die Sonne und den Mond beliebig nah zu sehen: sie wurden kleiner und kleiner. Die meisten Versuchspersonen konnten die Bilder nur dann in größere Nähe projizieren, wenn sie gewaltige Akkommodationsanstrengungen mit Kon- vergenzstellung machten, — wodurch sie eine dem „Tapetenphänomene“ analoge Mikropsie für die Gestirne erzielten. Manche lernten allmählich das Nahprojizieren ohne Muskelanstrengung, — die meisten lernen es nie, Aber wohlverstanden: nur näher bringen läßt sich das Bild; weiter hinaus als an die betreffende Himmelsstelle es zu projizieren bin ich — und sind vermutlich die Menschen überhaupt unfähig; ich kann also die durch Rauchglas betrachtete Sonne und den Mond wohl verkleinert, nicht aber vergrößert erscheinen lassen. Die äußerste Entfernung, die ich in horizontaler Richtung optisch wirksam mir vorstellen kann, ist eben der Horizonthimmel, und die äußerste Entfernung, die meine Erfahrung mir in vertikaler Richtung zur Verfügung stellt, ist das Zenith. Und da ich in horizontaler Richtung große Entfernungen auszudeuten von Kindheit an gelernt habe und ich hierzu in vertikaler Richtung keine Nötigung hatte, so stehen meiner optischen Projektion in horizontaler Richtung größere Entfernungen zu Gebote als in die Nähe des Zeniths. Man ersieht aus dem vorgetragenen, daß bei Betrachtung der Gestirne mittels Rauchglases im wesentlichen dieselben Dinge wiederkehren, die für die Gestirn-Spiegelungsversuche von mir seinerzeit! in Experimenten und Erwägungen vorgeführt wurden und die rückhaltlose Anerkennung und Bestätigung seitens Zoths fanden, der meine Versuche in eleganter Weise vervollkommnete. So gebe ich mich der Hoffnung hin, Zoth werde auch für diese Abblendungsversuche anerkennen, daß es sich um Projektion des Gestirnbildes an die „abgeflachte Himmelsdecke“ handelt, die zwar durch das Rauchglas hindurch nicht gesehen wird, die aber auf Grund unserer Erfahrung sich uns als tatsächlicher Grenzwert weitester Fernen darbietet, sobald unser Auge für diese eingestellt wird. Haben wir so gesehen, daß die Ergebnisse der Rauchglasversuche sich sehr wohl vertragen mit meiner Erklärung der scheinbaren Form des Himmelsgewölbes und der scheinbaren Größe der Gestirne am Horizont- himmel, so kommt ihnen für die Theorie dieser „Täuschungen“ noch insofern ı A.a. 0. (1894.) 8. 291. ÜBER DIE BETRACHTUNG DER GESTIRNE MITTELS RAUCHGLÄSER, 527 eine besondere Bedeutung zu, als sie schon für sich allein! alle anderen bisherigen Erklärungsversuche widerlegen, soweit sie Anspruch darauf er- heben, das Problem im Prinzip gelöst zu haben: widerlegt ist durch sie die Blickrichtungstheorie, da der aufgehende Mond bei ihnen groß erscheint, wenn er mit erhobenem, und der hochstehende klein gesehen wird, wenn er mit geradem Blicke betrachtet wird. Widerlest ist auch die Behauptung, daß jene Täuschungen durch den Dunst in der Atmosphäre bedingt werden, — denn wir haben die Täuschung gehabt, obwohl nichts weiter als das Gestirn zu sehen war, woraus sich ergab, daß sie ausschließlich von der Himmelsstelle abhängig ist, an die wir das Bild projizieren. Wider- legt sind alle Vergleichungstheorien (Vergleichung des Mondes usw. am Horizontrande mit irdischen Dingen), sowie die Erklärungsversuche, die von der Horizontebene die Maßstäbe für die tiefstehenden Gestirne hernehmen wollen, — denn weder vom Horizonte noch vom Himmel war irgend etwas zu sehen und die Täuschungen bestanden dennoch fort. 1I. Die Blickerhebung. Auch bezüglich der Blickerhebung habe ich mir an der erwähnten Stelle Mitteilungen vorbehalten. | Wenn man die Wirkung der Blickerhebung auf die scheinbare Größe eines Objektes unkompliziert beobachten will, so empfiehlt es sich, wie wir bald sehen werden, auch hier, die Abblendung aller anderen Objekte vor- zunehmen. Betrachtet man durch ein Rauchglas z. B. den tiefstehenden Mond zuerst bei geradem, dann bei erhobenem Blicke, so erscheint er im zweiten Falle kleiner. Allerdings ist diese Verkleinerung sehr geringfügig, während sie bei Fortlassung des Rauchglases erheblich ist. Manche Versuchspersonen, die ohne Rauchglas die verkleinernde Wirkung der Blickerhebung bei der genannten Gelegenheit vorher und nachher sehr lebhaft bestätigten, machten bei Anwendung des Rauchglases unsichere Angaben. Ein wesentlicher Teil des hier bei Weglassung des’ Rauchglases erfolgten beruht also jedenfalls nicht auf der Blickerhebung als solcher. Wenn wir zu einer vollen Erklärung der von Gauss, Rollet und Zoth erkannten verkleinernden Wirkung der Blickerhebung gelangen wollen, so haben wir also zweierlei zu berücksichtigen. Zoths Erklärung setzt voraus, daß es sich überall nur um die Blickerhebung als solche handelt. Er erklärt ihre Wirkung auf Grund der Mechanik der äußeren Augenmuskeln und ihrer Innervation bei den verschiedenen Blickrichtungen (geradeaus und empor): es tritt bei Blickerhebung gleichzeitig ein Antrieb zu Kon- ! Die älteren Theorien sind schon in meiner ersten Arbeit (1894) eingehend auf Grund mannigfaltiger Beobachtungen widerlegt. Die aus Zoths Blickrichtungsversuchen abzuleitende Erklärung fand ihre Widerlegung in der eingangs zitierten Arbeit. 528 WıiLH. FILEHNE: vergenzstellung der Sehachsen (und Akkommodation?) ein, — Verhältnisse, die bekanntlich auch sonst (z. B. beim Tapetenphänomen) zu Mikropsie führen. Für denjenigen Anteil dieser Mikropsie, der auch bei An- wendung von Rauchgläsern bestehen bleibt, der also zweifellos von der Blickerhebung als solcher. bedingt ist, wird man sich Zoth anschließen müssen. Für denjenigen Anteil der Verkleinerung aber, der sich nur bei Fortlassung des Rauchglases zeigt (Gauss, Rollet und Zoth haben ihre Beobachtung mit freiem Auge gemacht), ist sie jedenfalls nicht zutreffend. In bezug auf ersteren Anteil ist es vielleicht nicht uninteressant vom Standpunkte meiner Auffassung aus zu fragen, wie sich unter dem Einflusse der Entwicklung unseres horizontal vertiefenden perspektivischen Sehens bei Blick- erhebung als Mit-Innervation jene Konvergenz-Innervation (und Akkommo- dation) herausbildete, während bei geradem Blicke sie zunächst ausbleibt und nur auf Veranlassung einer besonderen Innervation im Bedarfsfalle eintritt. Wie ich wiederholt betont habe, haben wir große Strecken, große Entfernungen wirklich auszudeuten nur auf dem Fußboden, auf der Horizont- ebene gelernt. So oft wir z. B. nahe dem Horizontrande ein Objekt ins Auge faßten, stellten wir unsere Sehachsen parallel und annähernd hori- zontal. Senkten wir dann beispielsweise den Blick um etwa 45°, so daß unsere Sehachsen den Fußboden 1!/, bis 2” vor unseren Füßen trafen, so waren sofort nur nahe Dinge zu betrachten und wir hatten dann stets Anlaß, Konvergenz und Akkommodation eintreten zu lassen. Das gleiche gilt für die Erhebung des Blicks: gleichviel ob hierbei Laubdach, Zimmer- decke, die Spitze eines nahen Kirchturms, eine fliegende Schwalbe usw. in unseren Sehbereich kamen, — stets war Anlaß zur Konvergenz-Innervation. Eine andauernde Nötigung, unser perspektivisch-vertiefendes Sehen z. B. für die Vertikale ebenso auszubilden und vertikale Strecken mit derselben Plastizität auszudeuten, wie wir es für die Horizontalrichtung gelernt haben, lag nicht vor.! So mußte sich, vielleicht schon phylogenetisch (in der ! Wie richtig wir aut der Horizontalebene sowohl Strecken in bezug auf ihre Längen- verhältnisse als auch von uns auf sie optisch projizierte Bilder aufrechtstehender Objekte in bezug auf ihre Größenverhältnisse ausdeuten und wie wenig wir dies in vertikaler Rich- tung gelernt haben, kann man sich an folgendem vergegenwärtigen. Man betrachte eine Ebene, auf der Äcker und vereinzelte Bäume usw. zu sehen sind. Ohne weiteres deutet man hier die Unterschiede in der Entfernung der Bäume (von uns aus gerechnet) und ihre Größenverhältnisse genügend richtig aus: ein Baum, der 300” von uns entfernt steht, erscheint uns mehrere Male ferner, als ein nur 50 = entfernter; ein 50” entfernter Baum von 10” Höhe erscheint uns wenigstens annähernd halb so hoch, wie ein anderer in seiner Nähe stehender von 20” Höhe. Stellt man sich dagegen unmittelbar vor den Kölner Dom oder das Straßburger Münster und vergleicht diese Bauwerke mit den umstehenden Häusern, so erhält man keine Vorstellung von den wirklichen: Größen- verhältnissen: erst wenn man einige Kilometer von jener Stelle entfernt ist, — wenn ÜBER DIE BETRACHTUNG DER GESTIRNE MITTELS RAUCHGLÄSER. 529 anatomischen Anordnung der äußeren Augenmuskeln), jedenfalls aber indi- viduell in bezug auf die Innervation das besprochene Verhalten der Kon- vergenzstellung (und Akkommodation) bei Hebung und Senkung des Blicks entwickeln, während bei horizontaler, also gerader Blickrichtung die Ferne und die Nähe völlig gesonderte Ansprüche stellten. | Wie verhält es sich nun mit jenem Anteile der Verkleinerung, der nur bei unbewafinetem Auge (ohne Rauchglas) durch Blickerhebung herbei- geführt wird? Abgesehen davon, daß er bei Rauchglasbenutzung ausfällt, unterscheidet er sich von dem anderen Anteile noch durch folgendes. Er hat keinen Genossen bei Blicksenkung; er ist, bei aufrechter Körperhaltung, am bedeutendsten, je näher das betrachtete Objekt — sei es am Himmel oder auf der Horizontebene — dem Horizontrande sich befindet und wird unmerklich, wenn dessen Abstand vom Horizontrande unter einem Winkel von mehr als etwa 40—50° gesehen wird. Er wird schon bei geringer Erhebung des Blickes um so bedeutender, je mehr der Augenbrauen- vorsprung durch Anlegen eines oder mehrerer Finger oder der ganzen Hand verstärkt wird. Er entsteht also, z. B. wenn bei aufrechter Körperhaltung der tiefstehende Mond zuerst bei geradem und dann (durch Herabsenken des Kinns) bei erhobenem Blicke betrachtet wird, dadurch, daß der Augen- brauenbogen mehr und mehr vom Himmel und vom Gesichtsfelde überhaupt abblendet und uns hierdurch, wie in meiner letzten, im Eingange dieser Veröffentlichung zitierten Arbeit ausführlich entwickelt worden. ist,! der Erfahrungsmotive beraubt, die uns Anlaß zum horizontal-perspektivischen Vertiefen geben. Es liegt hier ein Spezialfall jener Verkleinerung vor, die ich dort dadurch erzielte, daß ich eine Röhre oder eine Halbröhre, mit Konkavität nach unten, vor das Auge hielt. III. Schlußbemerkung. Wir haben gesehen, daß sowohl die Resultate der Rauchglasversuche als die analytischen Ergebnisse der (verkleinernden) Blickerhebungsrichtung sich harmonisch eingliedern lassen in meine Auffassung über die Entstehung der scheinbaren (abgeplatteten) Form des Himmelsgewölbes und der schein- baren Größe der Sternbilder und Gestirne. Was sich nämlich uns am „Himmel“ optisch darbietet, sind lediglich Winkelbögen. Was wir dagegen auf der Erde wirklich zu „sehen“, d.h. auszudeuten gelernt haben, sind einzig und allein Strecken, Längen- gsrößen. Deshalb vermeinen wir auch am Himmel Strecken, Größen zu sehen. Nun haben wir auf der Erde gelernt, ein Bild von einer be- stimmten Sehwinkelgröße für um so größer (dem Längenmaße nach) man also jene Größen auf die Horizontalebene bezieht, erkennt man, um wie viele Male jene Monumentalkirchen die Häuser überragen. 2 Ar a0 0.8. 392, Archiv f. A.u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 34 530 WırH. FILEHNE: auszudeuten, in eine je größere Entfernung wir es zu projizieren Anlaß haben. Für geringere Entfernungen haben wir ferner in unserer irdischen Umgebung das räumliche Sehen, das perspektivische Vertiefen, d. h. das Wahrnehmen der sogenannten „dritten Dimension“ nach allen Rich- tungen gleichmäßig erlernt. Für größere Entfernungen dagegen haben wir dies perspektivische Vertiefen nur auf der (vermeintlichen) Horizont- ebene, also in horizontaler Richtung gelernt, da wir nur dort hierzu dauernde Lerngelegenheit, Nötigung und die Kontrolle (durch Abschreiten usw.) hatten. In vertikaler usw. Richtung fehlte uns die dauernde Nötigung für große Entfernungen. So haben wir für die Ferne das perspektivische Vertiefen, das „Dehnen“ nur in horizontaler Richtung ausgebildet und haben in horizontaler Richtung die Horizontebene und mit ihr — ebenfalls hori- zontal — den Himmel als eine über ihr hinziehende Decke perspektivisch gedehnt, wie dies in meiner früheren Arbeit genauer nachgewiesen ist. Was wir „Himmelsgewölbe“ nennen, ist die Summe der Grenzwerte oder Maxima der „Dehnung“, zu denen wir optisch in den verschiedenen Rich- tungen genötigt worden sind. Das Maximum oder der Grenzwert mußte — nach dem Erörterten — in vertikaler Richtung am kleinsten, in horizontaler am größten werden, — daher die Abplattung des Gewölbes im Zenith. Die Gestirne und Sternbilder präsentieren sich nun, gleichviel an welcher Stelle des Himmels sie stehen, stets unter gleichbleibenden Winkelbögen. Indem wir die geschauten Winkelbilder nach irdischer Gewohnheit an das „Himmels- gewölbe“ projizieren, müssen sie uns dort am „größten“ (im Sinne eines Längenmaßes) erscheinen, wo jener Grenzwert des Vertiefens am größten ist, nämlich am Horizonthimmel, und um so kleiner, je näher dem Zenith. Sekundär können sich hieran weiterhin Urteilstäuschungen angliedern. Wenn jemand, ohne über die getroffenen Vorkehrungen unterrichtet zu sein, durch ein in einer Wand angebrachtes Loch zu schauen hat, das ein für sein Auge eingestelltes (einäugiges) Opernglas enthält, und hierbei einen entfernt stehenden Bekannten erblickt, — und wenn er dann durch ein anderes aber nicht armiertes Loch zu schauen hat und durch dieses einen in Wirklichkeit ebenso entfernt stehenden anderen Bekannten erblickt, so wird er den ersteren für näher als den letzteren halten, obgleich doch lediglich das Retinabild des ersteren vergrößert worden ist. Da nun der Mond uns allen ein Bekannter ist, so kann es nicht auffallen, wenn es sehr viele Menschen gibt, die den beim Aufgange vergrößert erscheinen- den Mond für näher halten, als wenn er hochstehend klein erscheint. Das ändert aber nichts an der Genese der Vergrößerung des tiefstehenden Mondes: sein beide Male 31 Winkelminuten großes Bildchen wurde am Horizont größer als in Zenithnähe gesehen, weil es dort in eine (etwa dreimal) größere Entfernung projiziert wurde als hier. Druckbilder der Netzhaut. Von Fr. Klein. (Aus dem physiologischen Institute zu Kiel.) (Hierzu Taf. IX—XII.) 1. Beobachtungen. Es ist seit langem bekannt, daß (auch im Dunkeln) durch Druck auf das Auge Gefäße und andere Netzhautbestandteile sichtbar gemacht werden können. ! Diese Tatsache muß, was bisher nur unvollkommen geschehen ist, von der Theorie des Sehens berücksichtigt werden. ‘ Vorbedingung für die theoretische Verwertung der Druckbilder ist, daß sie nicht nur mit Worten beschrieben,? sondern gezeichnet vorliegen. Die Gewinnung brauchbarer Zeichnungen begegnet aber ganz außer- ordentlichen Schwierigkeiten. Sie liegen nicht in der Erzielung der Druck- bilder an sich, denn mehr als die Hälfte aller Personen, die ich daraufhin _ geprüft habe, sieht die Bilder, sondern in ihrem Formenreichtum und schnellen Wechsel. | | Ich habe die Druckbilder seit dem Jahre 19)4 in kürzeren oder längeren Zwischenräumen immer wieder beobachtet: und gezeichnet. Doch erst die letzten Zeichnungen sind, was den Gesamtcharakter und die hervor- stechendsten Einzelheiten betrifft, einigermaßen zu meiner Zufriedenheit aus- gefallen. Ich habe mich dabei auf die einfacheren Bilder beschränkt. Von der Mannigfaltigkeit und Schönheit der überhaupt auftretenden Bilder geben sie nur einen sehr unvollkommenen Begriff. ! Vgl. Helmholtz, physiol. Opt. 2. Aufl. S. 237. Es ist zu erwarten, dıB die im Erscheinen begriffene 3. Auflage die neuere Literatur bringen wird. ® Dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. S. 151. 34* 532 FR. KLEm: Die sehr naheliegende Mitarbeit der Phantasie habe ich nach besten Kräften auszuschalten gesucht. Ausführung des Drucks. ° Die Ausführung des Drucks geschieht am besten so, daß man das geschlossene Auge mit den dicht aneinander- liegenden Fingern bedeckt und damit auf die ganze vordere Bulbusfläche drückt; zuweilen habe ich den Druck mehr an den inneren Augenwinkel verlegt. Das andere Auge ist dabei verdunkelt. (Schwächster Druck.) Schon sehr leiser Druck, kaum mehr als eine Berührung, kann bei ausgeruhtem Auge zur Entstehung von Bildern führen, die aber, weil dunkel auf schwach erhelltem Grunde, sehr wenig auffallend sind. Wellenzüge. Bei fortgesetztem und etwas verstärktem Druck treten häufig Bilder vom Charakter der Fig. 1, Taf. X auf, Wellenzüge aus hellen und dunkeln Bändern, die, an einer Stelle immer neu entstehend, mäßig schnell über das Gesichtsfeld wandern. Sie sind nicht als eigentliche Druckbilder aufzufassen: Denkt man sich das von solchen Wellen eingenommene Netz- hautgebiet in schmale, den Wellen parallele Streifen zerlegt, so wird ein Streifen in ganzer Länge gleichzeitig und in regelmäßigem Tempo ab- wechselnd hell und dunkel; in den benachbarten Streifen verläuft der Prozeß ‚ebenso, aber mit zunehmender Phasenverschiebung. Dieser Wechsel zwischen hell und dunkel ist theoretisch von Wichtig- keit. Er findet sich bei allen Druckbildern wieder, mit dem Unterschied, daß meist größere Gebiete gleichzeitig sich ändern, und das wellenartige Fortschreiten schneller verläuft oder auch gar nicht zu erkennen ist. (Gleichzeitig mit den Wellenzügen können feststehende Objekte — schwarze Striche — sichtbar werden; zuweilen erscheint auch ein Teil des Dior kreislaufs in raum.) Druckbilder im engeren Sinne. Anstatt der Wellenzüge oder darauf folgend können andere Bilder auf- treten, die entweder auf die Gegend der fixierten Stelle beschränkt sind oder eine größere Ausdehnung, bis zur nalen, vollständigen ua des Gesichtsfeldes, besitzen. Diese Bilder wandern nicht über die } Netzhaut, sondern bleiben an Ort und Stelle, bis sie verschwinden. | Gefäße. Die größten darin erkennbaren Objekte sind die Gefäße, die dunkel auf hellem Grunde oder hellglänzend, meist in gelblichem Ton, auf dunklerem Grunde auftreten. In ‚beiden Fällen kann die Helligkeit des Grundes in weiten Grenzen variieren. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 533 Die dunkeln Gefäße scheinen mir stets breiter zu sein, als die hellen, ferner sehe ich die dunkeln Gefäße meist ununterbrochen, die helien dagegen vielleicht immer stückweise. Zahl und Ve der Äste wechselt. In Figg. 17a und b, Taf. XIII sind die Hauptgefäße der Purkinjeschen Aderfigur gezeichnet, die in meinen Augen durch Belichtung (ohne Druck) sichtbar werden. (Das nähere in der Figurenerklärung.) Die äußeren, mittleren und inneren Äste sind dort mit a, m und i bezeichnet. Einige dieser Äste erscheinen regelmäßig doppelt (wahrscheinlich Arterien und Venen); in den Druckbildern ist (mit einer Ausnahme !) niemals eine Ver- doppelung vorhanden. Aus dem Vergleich einiger Skizzen möchte ich den noch unsicheren Schluß ziehen, daß manchmal das eine Gefäß. wu Arterie), inanchmal das andere (die la) erscheint. Sehr oft erscheinen nur die äußeren Gefäßbögen mit mäßig ent- wickelten Verzweigungen, die entweder, wie in Fig. 4, nach beiden Seiten abgehen, oder nur nach außen; de ist der ganze Raum zwischen den großen äußeren Gefäßbögen frei von Gefäßen (vgl. die halb- schematische Fig. 14, Taf. XI). | In anderen Fällen erscheinen auch die mittleren Gefäße (Figg. 9, , 8, Taf. IX u. X) oder außerdem noch die inneren (Fig. 9, Taf. X). Sehr oft bilden die Gefäße auch eine Grenze für die Helligkeit, indem beispielsweise das Gebiet zwischen den mittleren Gefäßen entweder heller oder dunkler als die Umgebung ist. Der blinde Fleck und die Netzhautmitte. In den Druckbildern ist bei hinreichender Ausdehnung stets der blinde Fleck zu erkennen (Figg. 3, 4, 6, Taf. IX u. X), außerdem wohl immer die fixierte Stelle. In seltenen Fällen ist sie wenig auffallend (Figg. 7 und 14°, Taf.X u. XII), meist ist sie aufs deutlichste zu erkennen, entweder als kleine, oft gezackte, helle oder dunkle Figur in wenig differenzierter Umgebung (Figg. 2 und 3, Taf. IX) oder als Mitte eines größeren, mehr oder weniger scharf begrenzten Gebietes mit auffallenden Objekten (Figg. 4, 10, 11, 12, Taf. IX, XI, XII). Kurze gerade und gebogene Linien. Die Mitte des Gesichtsfeldes kann von einer Art Sternfigur eingenommen werden mit mehr oder weniger hellen Strahlen; gleichzeitig treten Gruppen äußerst scharf gezeichneter 1 Eine Strecke des oberen mittleren Gefäßes des rechten Auges erscheint sehr oft doppelt, vgl. Fig. 12. 2 Die Zeichnung der Mitte ist in diesen beiden Fällen etwas willkürlich; sie hätte vielleicht doch etwas deutlicher hervorgehoben werden müssen, aber das Ge- dächtnis hat versagt. 534 1 ER... KLEIN: kurzer dunkler Striche, dazwischen auch wohl etwas gröbere, mehr körner- artige! Foımen auf (Figg. 4 und 5 Taf. IX u. X). | Ein anderes Bild zeigt kurze gerade oder schwach gebogene Striche, die ein meist ovales, ziemlich scharf begrenztes mittleres Gebiet oder auch den ganzen Raum zwischen den mittleren Gefäßen ausfüllen (Figg. 6 und 7, Taf. X u. XJ). Die Anordnung und Helligkeitsverteilung kann mannig- fach variieren (vgl. Fig. 10, Taf. XI und die Erklärung dazu). Büschel welliger Linien. Wieder andere Bilder zeigen kürzere oder längere Büschel gewellter Linien, an aufgefasertes Tauwerk erinnernd (Figg. 13 und 142, Taf. XIJ). Perlschnüre. Das zierlichste aller Bilder, vielleicht auch in theoretischer Beziehung das auffallendste, zeigt „Perlketten“, Reihen von Punkten, die das eine Mal durch vollkommen deutliche Zwischenräume getrennt sind, ein anderes Mal,‘einander berühren (Figg. 11 und 12, Taf. XII). Meist treten die Punktreihen, soweit ich es beurteilen kann, unvermittelt auf; nach einer noch allein stehenden Beobachtung (Fig. 11 b, Taf. XII) gehen sie vielleicht aus kontinuierlichen Linien hervor. Des öfteren habe ich sie von der Mitte beginnend nach und nach so verschwinden sehen, daß nur einzelne Punkte übrig bleiben (Figg. 11d und e, Taf. XII). Schriftartige Formen. Während die bisher geschilderten Formelemente untereinander Ähnlichkeiten und Übergänge zeigen, treten, oft schon bei kaum nennenswertem Druck, Formen ganz anderen Charakters auf, die man allenfalls mit arabischen Schriftzügen vergleichen kann. Die Formen (Fig. 16b, Taf. XIII), die bei wiederholtem leisen Druck mehrere Male er- schienen, sind genau wiedergegeben. Seltenere Formen. Eine seltener gesehene Form ist annähernd in Fig. 16f, Taf. XIII gezeichnet (Moosstilchen der Autoren?). Diese und die schriftartigen Formen erscheinen meist dunkel auf schwach erhelltem Grunde, so daß sie wenig auffallen. — Die Darstellung ist noch lückenhaft: Ich habe Bilder gesehen, die von den mitgeteilten nicht unwesentlich abweichen, habe sie aber noch nicht befriedigend zeichnen können. Unbestimmte Formen. Außer den schon "angeführten mehr oder minder gut definierbaren Formen erscheinen gleichzeitig andere von mehr unbestimmtem oder vielleicht richtiger von noch nicht erkanntem Charakter: ! Zuweilen scheinen diese Formen vorzuherrschen. * Fig. 14 gibt die Größenverhältnisse einigermaßen richtig, den Gesamteindruck nur mangelhaft wieder. Andere, nicht mitgeteilte Zeichnungen sind ebensowenig zu- friedenstellend. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 535 In Fig. 4, Taf. IX ist der mäßig helle Grund bedeckt von im allgemeinen eckigen, vielfach zusammenhängenden Figuren, die sich in dem gezeichneten Falle nur schwach abheben. Ich habe oft ganz ähnliche Bilder mit sehr starken Helligkeitsdifferenzen gesehen, die etwa an den Goldgrund byzantinischer Gemälde oder an Goldbrokat erinnern. Befriedigende Zeichnungen der- artiger Bilde besitze ich nicht. Gesichtsfeld hell ohne Formen. Die Erhellung des Gesichtsfeldes infolge von Druck ist nicht notwendig mit dem Auftreten von Formen ver- bunden. Beispielsweise ist in Fig.3, Taf. IX (leuchtende Gefäße) das Gesichtsfeld im ganzen wie von einem hellen Nebel erfüllt; nur in der leuchtend hellen Mitte sind einige spärliche (selten beobachtete) dunkle Objekte zu sehen. Bei starkem Druck und ausgeruhtem Auge wird oft ein sehr erheb- licher Teil des Gesichtsfeldes, die Mitte oder deren Umgebung, so hell, daß ich vollständig das Gefühl der Be habe (vgl. auch die Erklärung zu Fig. 15, Taf. XIII). Änderung der Druckbilder. Es gelingt im allgemeinen nicht, ein be- stimmtes Bild etwa durch Variation des Drucks willkürlich zu erzeugen, und darin liegt für die Wiedergabe eine ganz außerordentliche Schwierig- keit, wohl aber pflegt jede Änderung des Drucks auch eine Änderung des Bildes zu bewirken, indem beispielsweise die hellen Gefäße dunkel werden oder umgekehrt. Aber diese und andere Änderungen treten auch bei soweit möglich konstantem Druck auf, indem periodisch ganze Gebiete einen Helligkeitsumschlag erleiden. So wird etwa aus der hellen Mitte in dunkler Umgebung (Figg. 6, 12 u.a., Taf. XI u. XII) schnell, fast plötzlich eine dunkle Mitte in heller Umgebung (Figg. 8 und 9, Taf. X); ähnliche schnell auf- einander folgende Formen, bei denen die Mitte von einem helleren oder dunkleren Wall umgeben sein kann, finden sich bei Fig. 10, Taf. XI. Häufig wird auch ein Teil der dunkeln Striche plötzlich leuchtend hell, um gleich darauf zu verschwinden. Ferner weisen die welligen Bündel, die ich mit aufgefasertem Tauwerk verglichen habe (Figg. 13 u. 14, Taf. XII) oft helle Linien auf; äußerst feine helle Linien habe ich endlich zwischen den „Moosstilchen“ (Fig. 16f, Taf. XIII) gesehen; dagegen sind mir die „Perl- sehnüre“ (Figg. il und 12, Taf. XII) immer nur dunkel erschienen. Auf die Wiedergabe solcher Bilder, bei denen ein Teil der Objekte hell, ein anderer dunkel ist, habe ich nuch verzichtet. Die Zeit vom Auftreten bis zum Verschwinden eines Bildes ist recht verschieden; sie dürfte nach roher Schätzung etwa von !/, bis 2 (selten mehr) Sekunden variieren; Messungen habe ich nicht versucht. Bei jedem einzelnen Bilde habe ich für eine zwar kurze, aber doch merkliche Zeit im großen und ganzen den Eindruck der Ruhe, nicht den 536 2 Fr. Kreis: einer kontinuierlichen Änderung. Vor allem aber wandert es niemals, wie die geschilderten Wellenzüge, über die Netzhaut. Aber die Art, wie die Objekte verschwinden oder anderen Platz machen, ist verschieden. Am häufigsten tauchen sie wohl in dem dunkel werdenden Gesichtsfeld unter; in anderen Fällen verschwinden sie in allgemeiner Helligkeit; oder aber, und das scheint mir der interessanteste Fall zu sein, sie ändern ihre Lage so, daß sie vom einen Ende aus blaß werden und verschwinden, am anderen dagegen wachsen. Dadurch rücken einige Striche zusammen, andere weiter auseinander, einige verschwinden auch wohl ganz, neue tauchen auf, kurz, das Bild wird ein anderes, doch zunächst ohne Änderung des Gesamtcharakters. Diese Übergänge habe ich bisher nur an den kurzen in Gruppen auf- tretenden dunkeln Strichen (Figg. 4 u. 5, Taf. IX u. X) beobachtet. Ich habe dabei genau denselben Eindruck, als wenn ich in einem mikro- skopischen Präparat langsam eine andere Ebene einstelle. Erschöpfung der Netzhaut. Ich habe früher! gezeigt, daß man das Druckphosphen im Hellen schwer, im Dunkeln sehr leicht wegreiben kann, und ich habe daraus geschlossen, daß am Zustandekommen des Druck- phosphens eine Substanz beteiligt ist, die verbraucht und ersetzt wird, und daß der Ersatz im Dunkeln langsam, im Hellen schnell vor sich geht. Bei den Druckbildern läßt sich dasselbe beobachten. Erzeuge ich sie im Dunkelzimmer, so nimmt der Erfolg des Druckes mit der Zeit ab, und ist bei fortgesetztem Druck nach etwa 10 Minuten fast Null. Diese nahezu vollständige Erschöpfung tritt im Hellen nicht ein, der Erfolg nimmt aber doch mit der Zeit ab, so daß bei länger fortgesetzten Versuchen wenig be- friedigende Bilder erhalten werden. Schmerz infolge des Druckes. Aber auch aus anderen Gründen ver- bieten sich lange fortgesetzte oder oft wiederholte Druckversuche. Denn in dem gedrückten Auge stellt sich schließlich eine unangenehme Empfindung ein, die kürzere oder längere Zeit anhält, meist nach einigen Stunden oder auch eher verschwunden ist, doch auch nach Tagen und sogar nach Wochen von Zeit zu Zeit spontan, jedenfalls aber bei Druck von neuem auftreten kann. Darin liegt eine eindringliche Warnung zur Vorsicht. Ich habe deshalb im allgemeinen nur wenige Einzelversuche unmittel- bar hintereinander gemacht, womöglich Ruhetage eingelegt und meist wochenlang iınmer ein und dasselbe Auge gedrückt, um, wenn doch eine Schädigung eintreten sollte, das andere intakt zu halten. 1 Dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. S. 148—151; ebenda. 1908. Physiol. Abtlg. S. 446; ebenda. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. 8. 161. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 537 Ich habe nach häufigen Druckversuchen einigemale den Eindruck ge- habt, als sei meine Sehschärfe temporär herabgesetzt en Eine dauernde Schädigung ist nicht eingetreten. Projektion der Drucekbilder; Messung. Hat man durch Druck auf das geschlossene Auge ein Bild erhalten, so kann man es auf zwei Arten nach außen projizieren, indem man nämlich entweder das ‚gedrückte oder das andere Auge öffnet. f Bei ersterem Verfahren erhalte ich des öfteren für den mittleren Teil des Gesichtsfeldes ein Negativ des Druckbildes.. Für die Zeichnung der Druckbilder habe ich beide Methoden mitbenutzt. Auf dermeist senkrechten Zeichenfläche ist, eine sehr kräftige Marke (anderenfalls. ist sie in dem projizierten Druckbild überhaupt nicht zu erkennen), je nach dem Papier ein weißes oder schwarzes Kreuz, angebracht; eine feste, Stütze sorgt für unveränderte Lage des Auges. Ich habe dann meist in der gewöhnlichen Weise die Grenzen des blinden Fleckes bestimmt und. nun erst gedrückt. Sobald ein brauchbares Bild auftaucht, öffne ich das gedrückte Auge und deute, die Marke fixierend, so schnell wie möglich mit Kohle oder Kreide die Lage der großen Gefäße an. In einigen Sekunden muß die Arbeit ausgeführt sein; es gelingt aber oft, nach kurzem Schließen des Auges die Gefäße noch ein oder mehrere Male deutlich zu sehen. Es verlangt einige Übung, dabei den a nal. festzuhalten; unwillkürlich folgt der eig: der zeichnenden Hand. Sind die Hauptpunkte festgelegt, so erfolgt die weitere Ausführung ohne Projektion (die bereits vorhandenen Striche stören das projizierte Bild) nach der Erinnerung unter zeitweiser Wiederholung des Druckes. Bei den kleineren Ästen und ihren Verzweigungen habe ich mich meist begnügt, den ungefähren Eindruck wiederzugeben. | In derselben Weise wie für die Gefäße werden auch die Haupt- dimensionen und -formen der Netzhautmitte mit Hilfe der Projektion des Druckbildes festgelegt. Für die kleineren Objekte ist diese Methode weniger brauchbar. Ich habe aber brauchbare Resultate in der Art gewonnen, dab ich die Objekte nicht auf, sondern dicht unterhalb der Projektion nach- zeichnete. Es handelte sich dabei meist um die kurzen dunkeln Striche, die gruppenweise in der Nähe der fixierten Stelle auftreten. Vollständig ist eine solche Zeichnung nie, denn die Striche verschwinden sehr bald, so daß immer nur einige, in einem Falle nur zwei, gewonnen wurden. Aber diese wenigen Striche (Taf. X, Fig.5 a bis g), haben doch insofern einen gewissen Wert, als sich — bei bekanntem Abstand des Auges von der Zeichenfläche — aus ihren Maßen die Größe der zugehörigen Netzhaut- bilder berechnen oder nach dem den Figuren beigegebenen Maßstab abmessen 538 Fr. Kueiım: läßt. Die Genauigkeit dieser Messung hängt davon ab, inwieweit es ge- lungen ist zu beurteilen, ob die beiden Größen, das projizierte Druckbild und seine daneben gezeichnete Abbildung, einander gleich sind oder nicht. In den mitgeteilten Fällen (Fig. 5, Taf. X) schienen sie mir gleich zu sein. Einige Zeichnungen sind so gewonnen, daß nicht das gedrückte, son- dern das andere Auge geöffnet wurde, wobei ebenfalls das Druckbild auf die Zeichenfläche projiziert erscheint. Durch rapides Nachzeichnen des Projektionsbildes lassen sich, wie gesagt, immer nur relativ wenige Striche erhalten, die weitere Ausführung muß nach der Erinnerung geschehen. Dies hat mir, ich kann wohl sagen, un- geheure Schwierigkeiten gemacht. Da verschiedene Bilder schnell aufeinander folgen, so handelt es sich darum, eins davon auf einmal zu erfassen und wiederzugeben. Aber kaum habe ich die Zeichnung mit irgend einer Einzel- heit begonnen, so versagt das Gedächtnis — es gelingt mir nicht, die ge- sehenen Bilder auseinanderzuhalten. Es scheint auch, als ob jeder falsche Strich nun seinerseits das Gedächtnisbild ungünstig beeinflußte. So habe ich vor Jahren oft stundenlang hintereinander immer wieder Druckbilder erzeugt, bis der auftretende Schmerz dem Versuch ein Ende machte, ohne doch mehr als ein paar wertlose Striche zu erhalten. Später habe ich dann meist von vornherein meine Aufmerksamkeit nur auf ein kleines Stück vor- wiegend der Mitte des Gesichtsfeldes gerichtet (Figg. 10, 11, 13, Taf. XI und XII), und so allmählich die Einzelheiten der Bilder besser kennen gelernt, bis ich es jetzt endlich wagen konnte, die einfacheren derselben wiederzugeben. Größenschwankung des projizierten Druckbildes. Erst verhältnismäßig spät (im Dezember 1909) habe ich gesehen, daß ein Druckbild, durch Öffnen des gedrückten Auges auf weißes Papier projiziert, seine Größe ändert. Es heißt in dem Protokoll: „An diesem Bilde trat, mit einem un- gemein scharfen Ruck einsetzend, eine Größenändernng ein. Ich meine, daß die Bewegung erst eine zwar kurze, aber merkliche Zeit nach dem Öffnen des Auges und dem Auftreten des Projektionsbildes einsetzte, und daß nur eine einzige Bewegung (ein Kleinerwerden?) stattfand.“ Ich habe seitdem unter denselben Bedingungen häufig Größen- schwankungen gesehen, aber nicht näher untersucht, da ich alle Aufmerk- . keit auf die Zeichnung verwenden mußte. Diese Größenschwankungen sind den zum Teil schon beschriebenen der Nachbilder durchaus ähnlich.! 1 Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. S. 219 ff. («-Nachbilder, 5; y-Nachbilder, 8) und S. 223 ff. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 53% Bewegung im Druckbild. Eine ganz andere Art der Bewegung habe ich, und zwar bisher nur einmal (3. IlI. 1910) an einem Druckbild des linken Auges beobachtet. Das Auge blieb dabei geschlossen: „Das Bild zeigte leuchtende Gefäße auf einem Grunde, der, im ganzen dunkler, ein reiches Muster aufwies, etwa in der Art eines orientalischen Teppichs; wenn ich nicht irre, waren die hellen Teile des Musters etwa goldgelb. Die Ge- fäße und das Muster blieben ziemlich lange stehen, aber die einzelnen Teile machten kleine Bewegungen, indem sie sich einander näherten und voneinander entfernten.“ (Die schwach bewegte Oberfläche einer zähen Flüssigkeit, die mit leichten Objekten bedeckt ist, gibt den Charakter der Bewegung ungefähr wieder. Die Objekte bewegen sich langsam um eine Mittellage.) Ganz ähnliche langsame Bewegungen sieht man in der Dämmerung, wenn man geeignete dunkle Objekte (z. B. eine Gardinenborte) auf hellerem Hintergrund beobachtet. — Auch beim längeren Anstarren eines Terrazzo- fußbodens sehe ich, neben anderen auffallenden Erscheinungen, Bewegungen derselben Art. Ich komme auf diese Dinge in einer späteren Arbeit zurück. Den Druckbildern ähnliche Erscheinungen. Bei und nach verschieden starker momentaner Belichtung des mehr oder weniger dunkeladaptierten oder bei sehr starker Belichtung des helladap- tierten Auges können helle oder dunkle Gefäße, der blinde Fleck und die Netzhautmitte deutlich werden. Dieselben Formen können auch in Nach- bildern oder spontan (ohne erkennbare Ursache) im geschlossenen Auge (nachts) auftreten. Die Formen in der Mitte des Gesichtsfeldes sind größten- teils mit denen der Druckbilder identisch, aber nicht alle: So erscheint bekanntlich bei plötzlicher starker Belichtung des dunkeladaptierten Auges - die Netzhautmitte als Oval mit sehr regelmäßig angeordneten Punkten besetzt; dieses Bild tritt so ausgesprochen unter den Druckbildern niemals auf, sondern nur angedeutet als Rest der „Perlschnüre“ (Fig. 11 d und e, Taf. XII). Auf alle diese Dinge komme ich bei einer anderen Gelegen- heit zurück. Erwähnt sei noch, daß auch in dem sogenannten Lichtchaos, wenn- gleich dabei andere periodisch verlaufende Prozesse! die Hauptrolle spielen, manchmal einzelne Formen der Druckbilder erkennbar sind. — Nur in bezug auf die Schönheit der Gefäßfigur können sich einige der hier erwähnten Bilder mit den Druckbildern messen; in bezug auf Formenreichtum und Deutlichkeit der Zeichnung übertreffen die Druckbilder weitaus alle anderen. ! Sie sind „Wellenzügen“ mit unregelmäßigem oder kompliziertem Verlauf zu vergleichen. 540 Fr. Keim: Zeichnungen anderer Beobachter. Ich besitze eine Anzahl (hier nicht mitgeteilter) Zeichnungen von Stu- dierenden, welche Druckbilder wiedergeben. Hr. F. Brenner zeichnet (teilweise farbig) Sternfiguren verschiedener Form, die in der Mitte des Gesichtsfeldes auftreten; ferner Linien, die „wie aus Punkten zusammengesetzt“ sind; helle, von einer Stelle ausgehende Linien (zweifellos Aderfigur, obwohl der Fixationspunkt nicht bezeichnet ist); „langsam über das Gesichtsfeld ziehende“ helle Wellen und anderes. Hr. H. Feldmann zeichnet die Aderfigur für das linke Auge hell auf dunklem Grunde, für das rechte dunkel. auf. hell; die Lage des Fixations- punktes ist Kantone richtig angegeben; ferner mehrere charakteristische Formen des mittleren Gebietes, das sich hell oder dunkel von der Umgebung abhebt und die fixierte Stelle deutlich erkennen läßt u.a. Hr. Stoltenberg zeichnet die fixierte Stelle teils als kleines helles oder dunkles, etwas gezacktes Gebilde, teils auch als auffallend regelmäßige Sternfigur. Hr. Weber zeichnet die dunkle Gefäßfigur des Inka: Auges. Dunkle kurze oder gebogene Striche sind von den Beobachtern zwar zum Teil gesehen, aber nicht gezeichnet. Einem derselben mußte ich von der Fortsetzung der Versuche abraten, da länger andauernder Schmerz auftrat. Ich spreche den Herren für ihre Mitarbeit auch an dieser Stelle meinen besten Dauk aus. Meine Versuche, den einen oder anderen Maler für die Druckbilder zu interessieren, sind leider bisher fehlgeschlagen. 1I. Zur Theorie der Druckbilder. Die Druckbilder entsprechen Bestandteilen mehrerer Netzhautschichten. Es kann zunächst keinem Zweifel unterliegen, daß es sich bei den Druck- bildern nicht um Phantasiebilder, sondern um Netzhautbestandteile handelt. Für die Gefäße läßt sich dies durch den Vergleich mit der Purkinje- schen Aderfigur, für den blinden Fleck durch die übliche Bestimmung seiner Grenzen nachweisen. Die Stelle des besten Sehens tritt meist aufs deutlichste hervor. Danach müssen auch alt übrigen Formen der Druckbilder der Netz- haut angehören. Da aber an ein und derselben Stelle des Gesichtsfeldes eine (beschränkte) Anzahl mehr oder weniger voneinander verschiedener Formen miteinander abwechseln, so bleibt meines Erachtens nur die An- nahme, daß entweder nacheinander verschiedene Netzhautschichten oder verschiedene Bestandteile einer und derselben Schicht sichtbar werden; die erstere Annahme ist die wahrscheinlichere. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 541 Wodurch werden die Druckbilder sichtbar? Nicht durch mechanische Reizung der Sehzellen. Für das Sichtbar- werden der Gefäße ist die (tatsächlich beobachtete) Entleerung der Venen durch Druck als Erklärungsgrund herangezogen worden; dabei ist doch wohl an eine direkte Reizung der Sehzellen durch beginnende Erstickung gedacht. Die Verfolgung dieses Gedankens führt nicht zu einem brauch- baren Ergebnis. Eine zweite Annahme wäre die, daß durch Erhöhung des intraokularen Druckes eine direkte mechanische Reizung der Sehzellen erfolgt. Keine dieser Annahmen erklärt das Auftreten der beobachteten scharf ‚begrenzten Formen. — — sondern durch Prozesse in anderen Netzhautschichten. Wenn demnach die Sehzellen nicht direkt gereizt sein können, so muß der Reiz von einem anderen Ort der Netzhaut ausgehen. Zu diesem Schluß bin ich bereits früher durch Untersuchung des Druckphosphens gekommen;! auch die „deformierenden“ Größenschwankungen der ersten (von mir mit « be- zeichneten) im völlig verdunkelten Auge auftretenden Nachbilder fordern zu ihrer Erklärung, daß das Nachbild nicht auf der Fortdauer der Erregung in den Stäbchen und Zapfen beruht, sondern auf einem Prozeß, der, in einer oder mehreren anderen Netzhautschiehten auftretend, seinerseits die Sehzellen erregt.? ! Nimmt man an, das Druckphosphen beruhe auf direkter mechanischer Reizung der Sehzellen, so ist die Tatsache völlig unverständlich, daß bei andauerndem Reiben der dunkle Fleck verschwindet und die betreffende Netzhautstelle die Gegenstände der Außenwelt ganz so sieht, wie ohne Reiben! Das nähere wolle man a.a. 0. (vgl. Anm. S. 536) nachsehen. 2 Vgl. dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. S. 223f. Ich habe dort gezeigt, dab die Nachbilder im völlig verdunkelten Auge sich derart ändern, daß die hellen Teile kleiner, die dunkeln größer werden (und umgekehrt). Das kann unmöglich auf einer Nachwirkung der Erregung in den Sehzellen selbst beruhen: Wenn die hellen Teile des Nachbildes (im Vergleich zu den dunkeln) kleiner werden, so kann das nur heißen: Jetzt sind weniger Sehzellen gereizt als vorher. — Die Er- klärung sei hier angedeutet: Auf die Netzhaut falle für einen Moment ein scharfes Bild. Das Licht reizt die Sehzellen und erregt außerdem in einer anderen Netzhaut- schicht in den Grenzen des Bildes einen Prozeß von längerer Dauer, der seinerseits, als „Eigenlicht“ der Netzhaut, die Sehzellen ebenso reizt, wie äußeres Licht: Es wird ein Nachbild gesehen. Aber die belichteten Sehzellen werden dicker (bekannt für Frösche, vermutet für Säugetiere), nehmen mehr Flächenraum ein und rücken zum Teil über die Grenzen des Bildes hinaus, Diese Sehzellen jenseits der Grenze werden also nicht mehr vom „Eigenlicht‘“ der Netzhaut getroffen — geben nicht mehr die Empfindung „hell“; die Folge ist, daß die hellen Teile des Bildes. kleiner, die dunkeln größer werden. — Ich habe diese für sich allein noch ganz unzureichenden Angaben hier gemacht, weil ich der (bereits fertiggestellten) ausführlichen Mitteilung noch ee andere vorauszuschicken wünsche. 542 Fr. KLEix: Diese Prozesse wirken auf die Sehzellen nicht durch Nervenleitung, sondern wie Licht. Diese Erregung kann nicht durch Nervenleitung erfolgen; das ist mit dem Auftreten deformierender Größenschwankungen gänzlich unvereinbar." Der Prozeß wirkt vielmehr, soweit sich bis jetzt erkennen läßt, auf die Sehzellen ganz ebenso, wie (äußeres) Licht. Ob es sich bei diesem „Eigenlicht“ der Netzhaut um ein wirkliches Leuchten handelt, kann bis zur Bestätigung oder Widerlegung dahingestellt bleiben. ? Ich komme auf die Druckbilder zurück: Angenommen, ein die Sehzellen erregender „Leuchtprozeß“ verlaufe in einer Schicht nahe dem Glaskörper. Wird man nun die Schichten, die das „Eigenlicht“ auf seinem Wege zu den Sehzellen passiert, sehen können? Ich meine, man wird im besten Falle die Purkinjesche Aderfigur als Schatten sehen. Die schwarzen Objekte sind keine Schatten. Aber die tiefschwarzen Objekte, kürzere und längere, gerade und gebogene Striche und Punktreihen sind sicher keine Gefäße; sie sind sicher 'Teile anderer an sich sehr durchsichtiger Netzhautelemente;, sie können also schon ihrer Schwärze wegen keine Schatten sein.? Außerdem sehe ich sie oft plötzlich zum Teil hell werden, so daß nun eine Anzahl heller Objekte zwischen den dunkeln verteilt ist. Dies und anderes gleich Wichtiges ist durch bloßes Schattenwerfen nicht zu erklären. Intermittierende Prozesse reizen, kontinuierliche nieht. — Licht ab- sorbiert Licht. Zu einem Verständnis der Druckbilder gelangt man auf Grund von Erwägungen, die sich in einer früheren Mitteilung finden (‚Das Wegreiben des Druckphosphens und seine Bedeutung für die Theorie des Sehens“).* Ich habe dort (unter „4. Nerv und Sinnesepithel“), und auch schon früher, ausgeführt, daß zum Zustandekommen eines Reizes eine (steile) Änderung der äußeren Bedingungen nötig ist, und daß dementsprechend ein länger dauernder Reizzustand nur durch wiederholte Änderungen, d. h. durch rhythmische Vorgänge erzielt werden kann. (Beispiel: Die IFA 20.78. 2328: * Da die »Lichtquelle« den Sehzellen außerordentlich nahe ist, so kann schon eine minimale „Lichtstärke“ einen Reiz ausüben (vgl. dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. 8. 147 Anm.). Ich habe seit Jahren, zuletzt mit einem, wie ich glaube, schon sehr vollkommenen Apparat, das »„Eigenlicht« der Netzhaut photographisch nachzuweisen gesucht; der Erfolg war negativ. Die Methode werde ich später mitteilen. Die Versuche sind sehr angreifend für die Augen. ® Anfangs habe ich sie als Schatten angesprochen; vgl. dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. 8. 156f, % Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. S. 161—172. DRUCKBILDER DER NETZHAUT., 543 Schwankungen des Luftdruckes erregen das Ohr, nicht der gleich. bleibende Druck.) — Zu dieser Ansicht steht das Verhalten des Auges in scheinbar schroffem Widerspruch, denn es wird auch durch Licht von gleichbleibender Stärke, nicht etwa nur durch intermittierendes Licht dauernd erregt. Nun habe ich nachgewiesen, daß das Wegreiben des Druckphosphens mit Notwendigkeit auf die Annahme von Prozessen in anderen Netz- hautschichten führt, die ihrerseits erst die Sehzellen erregen, und ferner habe ich aus dem Auftreten der deformierenden Größenschwankungen geschlossen, daß der Reiz von diesen anderen Netzhautschichten auf die Sehzellen nicht durch nervöse Bahnen übertragen werden kann. Verlaufen jene Prozesse intermittierend, so bewirken sie für sich allein (ohne Zutritt äußeren Lichtes) eine Lichtempfindung; verlaufen sie dagegen kontinuierlich, so geben sie — wenn meine Auffassung vom Wesen des Reizes für das Auge zutrifft — unter denselben Verhältnissen keine Lichtempfindung. (Bei der gewöhnlichen Form des Druckphosphens, dunkler Fleck mit hellem Rand, würde hiernach durch schwächeren Druck in der Randzone ein intermittierender Prozeß, durch den stärkeren in der Mitte ein kontinuierlicher Prozeß hervorgerufen werden; dieser letztere gibt nicht die Empfindung „hell“). Ich habe dann weiter geschlossen, daß diese Prozesse, die sich beim Druckphosphen und bei Nachbildern zu erkennen geben, eine funktionelle Bedeutung haben müssen, also auch beim normalen Sehen auftreten, d. h. durch Licht angeregt werden. . Wenn ich noch an die Tatsache erinnern darf, daß Licht von gleich- artigem Licht nicht durchgelassen wird (Fraunhofersche Linien!), so ergibt sich folgende Auffassung für den Vorgang der Erregung der Sehzellen durch Licht: Erregungsmodus der Sehzellen. Das ins Auge fallende äußere Licht erregt in einer Netzhautschicht, die vor den Sehzellen liegt, einen inter- mittierenden Prozeß, der, wenn er nicht Licht ist, doch mit dem Licht das gemeinsam hat, daß er Licht absorbiert und die Sehzellen erregt. Der Prozeß werde als „inneres“ oder „Eigenlicht‘“ bezeichnet. Dann erhalten die Sehzellen abwechselnd nur inneres oder nur äußeres Licht. Vorausgesetzt, daß diese beiden Lichtarten (am Ort der Wirkung) verschieden stark sind, so sind damit die rhythmischen Helligkeits- schwankungen gegeben, die ich für das Zustandekommen der Erregung fordere. ! ! Die hier kurz angedeutete „Ergänzung der Theorie des Sehens« wird in späteren Mitteilungen über 6- und (wiederbelebte) y-Nachbilder eine ausführliche experimentelle 544 FR. Kreis: ' Anwendung auf die Druckbilder. Es soll nun untersucht werden, ob die Druckbilder sich auf Grund der vorstehenden theoretischen Annahmen erklären lassen. Ich gehe von einem Bilde aus, das. auf hellem Grunde kleine haus Objekte zeigt. F Die Empfindung ‚‚hell« tritt nur auf, wenn die Sehzellen ee mittierend belichtet werden. Die Empfindung „dunkel“ tritt dagegen nicht nur beim Fehlen jeden ‚Liehtes auf, sondern auch, wenn kontinuierliches Licht (beliebiger aber gleichbleibender Stärke) vorhanden ist. Die schwarzen Formen sind keine Schatten, so undurehsichtige Dinge gibt es nicht in der Netzhaut. Aber wohl können es kontinuierlich leuchtende Objekte sein, die erstens selbst keinen Reiz ausüben und zweitens kein Licht durchlassen. Die schwarzen Objekte auf hellem Grunde wären also kontinuierlich leuchtende Netzhautbestandteile zwischen den Sehzellen und einer ent- fernteren intermittierend leuchtenden Schicht (vgl. die untenstehende Figur). SO DSDSSIDONEIDT a Le —<- intermittierend leuchtende Schicht. — ‘<- kontinuierlich leuchtendes Objekt. ERIEIIIELIDIIIELININNN <- Sehzellen. hell | dunkel | hell 2 Man erkennt leicht, daß noch andere Kombinationen möglich sind, die denselben Erfolg haben. Ich gehe darauf an dieser Stelle nicht ein. Die Natur der dunkeln und hellen Objekte; Striche, Punktreihen. Es erhebt sich nun die Frage nach der Natur der schwarzen Dinge. Unter den Bestandteilen der Netzhaut finden sich keine Objekte, welche die Form kurzer, gerader oder gebogener Striche haben. He Man stelle sich jedoch vor, daß der „Leuchtprozeß“ an die Ausläufer von Zellen gebunden ist, dieselben aber nicht (oder nicht immer) in ganzer Länge gleichzeitig, sondern zu einer Zeit nur zu einem kleinen Teil ergreift; dann‘ würde dieser kleine Teil, wenn er intermittierend leuchtet, als kurzer Begründung erfahren. Der Rhythmus des intermittierenden Eigenlichtes läßt sich aus der „Streifung“ des primären Nachbildes bewegter Objekte erkennen; vgl. „das Tempo des intermittierenden Leuchtens (vorläufiges Resultat)“. Dies Archiv. 1905. Physiol. Abtlg. 8. 182—185. Die dort gegebene Auseinandersetzung hat eine damals nicht erkannte Lücke. Eine besondere Mitteilung wird neue, nach verbesserter Methode ge- wonnene Resultate und eine befriedigende Erklärung der Erscheinung bringen. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 545 heller Strich erscheinen, dagegen als schwarzer Strich, wenn er kontinuierlich leuchtet. Und in der Tat sehe ich im Druckbild sehr oft einen Teil der dunkeln Striche plötzlich glänzend hell werden; das würde heißen, der bisher konti- nuierliche Prozeß wird intermittierend. Denkt man sich die Netzhaut in konzentrische Schichten oder Schnitte zerlegt, so enthält eine Schicht, in der die Zellausläufer wesentlich radial verlaufen, kurze Stücke derselben, eine andere, in der sie mehr tangential und geschlängelt verlaufen, kann ein Bild geben wie Fig. 13c,d,e und Fig. 14, Taf. XII, das ich mit aufgefasertem Tauwerk verglichen habe. Hier würde der Leuchtvorgang in einem größeren Stück der Zellausläufer gleichzeitig stattfinden. In der äußeren plexiformen Schicht finden sich beispielsweise bipolare Zellen mit flach ausgebreitetem Büschel, die in einem Tangentialschnitt wohl ein ähnliches Bild geben könnten. Besonders auffallend sind die als „Perlschnüre‘“ bezeichneten Bilder (Fig. 11 u. 12, Taf. XI). Die reihenweise Anordnung der dunkeln Punkte beweist, daß es sich um zusammenhängende Dinge handelt; dieselben Überlegungen, wie vorher, führen dann zu der Auffassung, daß auch hier Zellfortsätze kontinuierlich leuchten, also dunkel erscheinen, daß aber kontinuierlich leuchtende (dunkle!) und nicht leuchtende (unsichtbare! durchsichtige!) Stellen regelmäßig miteinander abwechseln. Nicht immer sind die Punkte scharf getrennt; oftmals berühren sie sich, ja vielleicht können die Punkte zu einem Faden zusammenfließen oder aus ihm hervorgehen (vgl. Fig. 11b, Taf. XII u. S. 534). Es könnte sich um eine Gliederung, um eine regelmäßige Anordnung chemischer Substanzen in Zellausläufern handeln. Jedenfalls gewähren die Bilder der Perlschnüre einen besonders interessanten Einblick (auch im wörtlichen Sinne) in eine der Werkstätten des Organismus. Unter welchen Bedingungen erscheinen die Gefässe hell, dunkel oder gar nicht?! Ich will noch kurz angeben, wie man sich etwa vorstellen kann, daß ein Gefäß im Druckbild das eine Mal dunkel auf hellem Grunde er- scheint, ein anderes Mal hell auf dunklem Grunde, wieder ein anderes Mal überhaupt nicht sichtbar ist. (1) (2) (8) 9 ee Tee ED ee) dreier B b S =) o uno 0 go 0000000000000 005 a : —l, a a IE IEIEIEEIEIIIIIIEITTIIIIs IITIITEINIINAENTIIIIT s KEEEIIILILHEIDELILINITS < hell ——= == Nele 3 BE I hell > << dunkel > D *dunkel> auekd hell Archiv f. A. u. Ph, 1910. Physiol, Abtlg. 35 546 . Fe. KLem: In den vorstehenden Figuren seien $ die Sehzellen, a und 5 zwei Netzhautschichten, zwischen ihnen das Gefäß g. (1) Leuchtet die Schicht # intermittierend (durch Punkte angedeutet), b gar nicht, so ist das Gesichtsfeld hell, das Gefäß ist nicht sichtoar. (2) Leuchtet 5 intermittierend, a gar nicht, so ist das Gesichtsfeld hell, mit Ausnahme der von g beschatteten Stelle; das Gefäß erscheint dunkel auf hellem Grunde. | (3) Leuchtet a intermittierend, 5 kontinuierlich (durch die aus- gezogene Linie angedeutet) und in gleicher Stärke wie a, so tritt der besondere Fall ein, daß die Sehzellen zwar abwechselnd aus zwei verschie- denen Quellen Licht erhalten, aber Licht von gleicher Stärke: Während die Schicht a leuchtet, absorbiert sie das von 5 ausgesandte Licht; in den Pausen (wo a nicht leuchtet), läßt sie es durch; die Sehzellen sind also dauernd gleichmäßig belichtet, erleiden keine Helligkeitsschwankungen, sind nicht gereizt,! ausgenommen da, wo das Gefäß das Licht der Schicht 5 abfängt. Denn an dieser Stelle erhalten die Sehzellen nur das inter- mittierende Licht von a. Folglich erscheint das Gefäß hell auf dunklem Grunde. Sind die Lichtstärken von a und 5 nur annähernd gleich, so treten geringe Helligkeitsschwankungen auf; das Gefäß erscheint dann leuchtend auf nicht ganz dunklem Grunde. Ich werde in einer späteren Mitteilung zeigen, daß die hier gegebene Auffassung, soweit sie die Gefäße betrifft, weit weniger willkürlich ist, als es vielleicht jetzt den Anschein hat. Im besonderen ist die Annahme von zwei gleichzeitig in verschiedener Weise leuchtenden Schichten für das Verständnis gewisser Nachbilder? nicht zu entbehren. Auf die Größenschwankungen der Druckbilder (S. 538) wird in einem anderen Zusammenhange einzugehen sein. Nieht alle Netzhautbestandteile sind im Druckbild sichtbar. Als be- sonders bemerkenswert möchte ich betonen, daß nach der gegebenen Er- ! Selbstverständlich nehme ich nicht an, daß gleichmäßige Belichtung ohne Einfluß auf die Sehzellen ist. Durchaus nicht! Aber das dauernd in gleicher Stärke einwirkende Lieht muß auch gleichmäßig andauernde chemische Prozesse in den Sehzellen zur Folge haben. Vermutlich werden die Sehzellen dabei dicker (Frosch), die Prozesse reizen aber nicht, d. h. sie führen nicht zur Nervenleitung. Es ist zu unterscheiden zwischen Vorgängen im Nervenendapparate und solchen im Nerven. Nur solehe Vor- gänge im Endapparat, die intermittierend verlaufen, führen zu Prozessen im Nerven. Auch im Dunkeln gehen in den Sehzellen dauernd chemische Prozesse vor sich; sie sind mit dem Leben der Zelle untrennbar verbunden; aber da sie kontinuierlich ver- laufen, setzen sie keinen Reiz. ® Dies Archiv. 1908. Physiol. Abtlg. Suppl. S. 219 unten bei 4. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 547 klärung der Druckbilder, abgesehen von den relativ undurchsichtigen Gefäßen, nur solche Netzhautbestandteile in den Druckbildern deutlich, sei es hell, sei es dunkel, sichtbar werden können, welche intermittierend oder konti- nuierlich „leuchten“, während die übrigen Netzhautelemente, die überhaupt nicht leuchten können, ihrer Durchsichtigkeit entsprechend entweder gar nicht zu sehen sind oder sich ganz schwach (hell oder dunkel) vom Grunde abheben. Lokalisierung der Druckbilder. Die Druckbilder würden danach mikro- skopischen Netzhautpräparaten zu vergleichen sein, in welchen bestimmte Elemente durch Färbung hervorgehoben sind, und es ist, die Richtigkeit meiner Vermutungen vorausgesetzt, wohl denkbar, daß geeignet gefärbte Flachsehnitte (Tangentialschnitte) der Netzhaut eine Differenzierung zeigen, welche die in den Druckbildern auftretenden Formen erkennen läßt. Solche Schnitte würden von ausschlaggebender Bedeutung für die Lokalisierung der Druckbilder und damit auch der Nachbilder! sein. Ich habe bisher weder versucht, derartige Präparate zu gewinnen, noch. auch die vorhandenen Zeichnungen auf entsprechende Bilder durchgesehen, und zwar zum großen Teil deshalb nicht, weil ich mir die volle Unbefangen- heit bei der Wiedergabe der Druckbilder wahren wollte. Überhaupt hat die Frage nach den anatomischen Grundlagen der Druckbilder bei Ausführung der Zeichnungen gar keine Rolle gespielt. Schlußwort. Ich fordere für das Zustandekommen eines Reizes eine (steile) Änderung der äußeren Bedingungen. Nicht der im Nervenendapparat oder in der Zelle des Zentralorgans verlaufende chemische Prozeß als solcher führt zu einer Erregung des Nerven, sondern nur der plötzlich auftretende und ver- schwindende, meist wohl nur der mehrmals kurz nacheinander auftretende Prozeß (Tetanus). Licht von gleichbleibender Stärke würde hiernach zwar Zersetzungen in den Sehzellen hervorrufen, aber es würde nicht zu einer Erregung der Opticusfasern führen. In der Tat führt es aber zur Erregung. Wenn demnach jene Forderung zu Recht besteht, so muß im Auge selbst eine Einrichtung vorhanden sein, welche eine Umwandlung konstanten Lichtes in intermittierendes herbeiführt. Unabhängig von diesen Erwägungen hat die Untersuchung von drei recht verschiedenen Erscheinungen (Wegreiben des Druckphosphens — deformierende Größenschwankungen von Nachbildern — Druckbilder) über- ı A.a. 0. 8. 222, „y-Nachbild im Druckbild“. 35* 548 Fr. KLEin: einstimmend zu dem Resultat geführt, daß bei ihrem Auftreten außer den Sehzellen mindestens noch eine, höchstwahrscheinlich mehrere Netzhaut- schichten beteiligt sind. Dies Resultat ist als sichergestellt anzusehen. Ich habe dann für diese Schichten die hypothetische Annahme gemacht, daß in ihnen intermittierende und kontinuierliche Prozesse auf- treten, die mit dem Licht das gemeinsam haben, daß sie (gleichartiges) Licht absorbieren und die Sehzellen erregen. Mit Hilfe dieser Annahme und unter Zugrundelegung der Forderung, daß nur steile Schwankungen der äußeren Bedingungen einen Reiz setzen, haben sich die drei Gruppen von Erscheinungen einheitlich erklären lassen. Ich "habe dann weiter gefolgert, daß die genannten Prozesse (soweit sie intermittierend sind) auch beim normalen Sehen eine Rolle spielen. (Man kann kurz von einem in den Weg des Lichtes eingeschalteten „Unter- brecher‘‘ reden.) Ich werde zeigen können, daß die hier entwickelte Hypothese noch eine erhebliche Zahl anderer Erscheinungen, vor allem die Nachbilder (be- kannte und unbekannte), soweit ich sehe, lückenlos erklärt; bei diesen Untersuchungen haben sich noch bemerkenswerte Einzelheiten ergeben. Zu den herrschenden Theorien des Sehens steht die entwickelte Hypo- these nirgends im Gegensatz, sondern sie steilt eine Ergänzung der- selben dar, die durch das Anwachsen des Beobachtungsmaterials nachgerade notwendig geworden war. Erklärung der Abbildungen. (Taf. IX— XIII.) Die Figuren 1—16 sind durch Druck auf die Hornhaut sichtbar gemacht, Fig. 17 durch Beleuchtung. Die Maße gelten für die Netzhautbilder, wenn der Knotenpunkt 15 =“ vor den Sehzellen liegt. Fig. 1. Taf. X. Langsam fortschreitende Wellen, an einer Stelle immer neu entstehend, an einer anderen verschwindend. Außerdem unbewegliche dunkle Striche. Fig.2. Taf. IX. Linkes Auge. Dunkle zusammenhängende Gefäße auf mäßig hellem ledergelbem Grunde. Die inneren Gefäße (vgl. Fig. 17) nicht sichtbar. In der Mitte stärkere Verzweigungen. Mitte hell, Fixationspunktı dunkel. Unbestimmte Formen, strahlig von der Mitte ausgehend. Außer den Gefäßen wenig charakteristische Einzel- heiten. DRUCKBILDER DER NETZHAUT. 549 Fig. 3. Rechtes Auge. Auf mäßig hellem Grunde vom blinden Fleck ausgehende unterbrochene leuchtend helle Gefäße, äußere und mittlere. In dem von den mittleren Gefäßen eingeschlossenen Raum viele Verzweigungen, unterbrochen, mehr oder weniger hell. Mitte leuchtend hell mit wenigen sehr dunkeln scharf gezeichneten Linien mit Knoten. Fig. 4. Linkes Auge. Dunkle vom blinden Fleck ausgehende Gefäße, nur die äußeren, mit Verzweigungen nach außen und nach der Mitte zu (sehr oft fehlen die Verzweigungen nach der Mitte). Außerhalb der großen Gefäße ist das Gesichtsfeld recht dunkel, ohne erkennbare Einzelheiten. Der Raum innerhalb der großen nach der Mitte ziehenden Gefäbe mäßig hell, etwa ledergelb, mit etwas dunkleren, geradlinig begrenzten Objekten unbestimmten Charakters (durch Behandlung der Originalzeichnung mit Fixiermittel zu matt geworden). In der Mitte eine etwa sternförmig angeordnete Gruppe intensiv schwarzer, meist gerader, z. T. auch schwach gebogener kurzer Striche. Fig. 5. Taf. X. Die Figuren a—g sind Projektionen; dabei wurde entweder das gedrückte Auge selbst geöffnet, oder das andere. Die Striche wurden blitzschnell nach- gezeichnet, und zwar, wenn das gedrückte Auge selbst offen war, dicht unterhalb des projizierten Bildes, wenn das audere Auge offen war, auf dem Bilde selbst. Während des Zeichnens verschwinden die Striche nach uud nach, so daß stets nur ein Teil der Striche nachgezeichnet ist. Bei A—% ist der Gesamteindruck (mit allen Strichen) wiedergegeben; bei A und ö sind außerdem helle von der Mitte ausgehende Bänder sichtbar; bei % ein Stück des unteren mittleren Gefäßes mit starker Verzweigung an einer Stelle. Fig. 6. Taf. XI. Linkes Auge. Auf im ganzen sehr dunklem Grunde sind vom blinden Fleck ausgehende, unterbrochene, leuchtende Gefäße sichtbar, und zwar die äußeren und mittleren, die inneren nicht. Der Raum zwischen den mittleren Gefäßen ist großen- teils mit einem unterbrochenen feinen Netzwerk heller und weniger heller Linien ausgefüllt, die vielleicht den Kapillaren entsprechen. Die Mitte des Gesichtsfeldes nimmt ein helleres Oval ein, darin die fixierte Stelle leuchtend hell. Das Oval ist dicht besetzt mit kurzen, schwarzen, ganz scharfen, schwach gebogenen Strichen; sie treten in der stark verkleinerten Figur nicht scharf genug hervor. In dem Gebiet außerhalb der mittleren Gefäße sind neben leuchtenden Gefäßstücken auch dunkle Ver- zweigungen erkennbar. Fig. 7. Taf. X. Linkes Auge. Die inneren Gefäße nicht sichtbar. Die mitt- leren Gefäße schwach verzweigt, dunkel, außerhalb derselben das Gesichtsfeld einförmig dunkel, der Raum zwischen ihnen hell, ausgefüllt mit kurzen, dunkeln, schwach ge- bogenen Strichen. | Fig. S. Rechtes Auge. Die mittleren Gefäße dunkel auf mäßig hellem Grunde, zwischen ihnen in einem helleren Hof ein dunkles Oval mit dichtgedrängten dunkeln, kurzen Strichen, die fixierte Stelle heller mit spärlicheren Strichen. Fig. 9. Rechtes Auge. Ähnlich der vorigen Figur, aber auch die inneren Gefäße sichtbar. Sie begrenzen das aus dunkeln Strichen bestehende Oval, das nur eine sehr kleine helle Mitte hat. Fig. 10. Taf. XI. Gerade oder schwach gebogene Striche in der Mitte des Gesichtsfeldes. a Sternfigur (ältere Beobachtung, 1904, ähnlich Fig. 5% und 5). — Bei 5b (1904) und f (1906) ein helles mit Strichen besetztes Oval, bei f ein kleines mittleres Gebiet 550 Fr. KLEIN: DRUCKBILDER DER NETZHAUT. frei, bei g Mitte hell, umgeben von einem dichten Wall dunkler Striche, bei A dunklere Mitte, umgeben von einem inneren hellen und einem äußeren dunkeln Wall, beide mit schwarzen Strichen besetzt; z ähnlich Fig. 8. Fig. 11. Taf. XII. „Perlschnüre.“ a) Feine Striche aus Punktreihen bestehend, deutliche Zwischenräume zwischen den einzelnen Punkten. 5) Anfangs ununterbrochene Striche; diese lösen sich in Punktreihen auf; anfangs berühren sich die Punkte, später treten Perlketten mit deutlichen Zwischenräumen auf. c) Nur an den weniger dicht besetzten Stellen sind die Striche als aus Punkten bestehend zu erkennen; die Punkte berühren sich. d) und e) Die anfangs sichtbaren Perlketten verschwinden, zuerst in der Mitte bis auf einzelne Punkte. Fig. 12. Die mittleren Gefäße dunkel auf mäßig dunklem Grunde. In der Mitte helles Oval mit „Perlketten“. Fixationspunkt deutlich erkennbar. Außerhalb des Ovals Striche, nicht deutlich als Perlketten zu erkennen. Fig. 13. Mehr oder weniger stark gebogene und geschlängelte Striche. a und b schwach gebogen (ähnlich Fig. 10d und e). ec, d, e zu Bündeln ver- einigte geschlängelte Striche, an aufgefasertes Tauwerk erinnernd. Fig. 14. Halbschematisch, Charakter des Bildes nicht recht getroffen. Ähnliche Bündel wie Fig. 13c—e, meist dunkel, zum kleineren Teil hell auf mäßig hellem Grunde, den Raum zwischen den äußeren Gefäßen ausfüllend. Fig. 15. Taf. XIII. Ein Bild, wie es ähnlich bei stärkerem Druck häufig erscheint. Mitte dunkel, gestrichelt, mit schmalem, goldig leuchtendem Saum. Die Umgebung sehr hell, rötlich violett, gegen die dunkle Peripherie ebenfalls mit schmalem, goldig leuchtendem Saum abgesetzt. Fig. 16. a—e buchstabenartige Formen, welche dunkel auf schwach erhelltem Grunde häufig schon bei sehr geringem Druck auftreten. 5 Bei wiederholtem schwachem Druck kehrten viermal hintereinander dieselben Formen wieder; jedesmal wurde eine Form genau gezeichnet; dann kehrten sie nicht mehr wieder, so daß das Bild unvoll- ständig bleiben mußte. c Ein kleines Gebiet des Gesichtsfeldes hell; Formen nur an der Grenze von hell und dunkel. — f Seltener gesehene Formen (Moosstielehen der Autoren?). Fig. 17. Purkinjesche Aderfigur, kein Druckbild. Das geschlossene Auge gegen eine Lichtquelle gerichtet, das untere Lid mit dem Finger etwas heruntergezogen (Belichtung der Sklera). Dabei erscheinen die Gefäße dunkel auf hellem Grunde; beim Loslassen des Lides erscheint ein Teil der Gefäße leuchtend hell auf weniger hellem Grunde. Die äußeren Gefäße (a) erscheinen hier zum Teil doppelt (Venen und Arterien), bei Druck nicht; von den mittleren (m) nur das obere in Fig. 17a, dieses auch bei Druck (vgl. Figg. 9 und 12). Das punktierte Gefäß in 17a ist nicht zu sehen, er- scheint aber sehr regelmäßig bei Druck. — Die Aderfigur ist in der angegebenen Weise, Beleuchtung von vorn unten, viel bequemer sichtbar zu machen, also auch zu zeichnen, als durch Beleuchtung von der Seite; das Bild ist aber der spärlichen Beleuchtung wegen weit weniger schön. Zur Lehre von der Wärmeregulation. von Wilh. Filehne. Den Anlaß, zur Lehre von der Wärmeregulation das Wort zu ergreifen, geben mir zwei autoritative Äußerungen aus neuester Zeit, denen ich nicht zustimmen kann. Nicht nur die Persönlichkeiten der Autoren, R. Gottlieb und R. Tigerstedt, sondern auch die literarischen Stellen, an denen sie ihre Auffassung der wissenschaftlichen Welt darbieten, sind ganz besonders geeignet, jene Auffassungen als gesicherte Ergebnisse erscheinen zu lassen. Ersterer lehrt in dem mit H. Meyer gemeinsam herausgegebenen Buche „Die experimentelle Pharmakologie als Grundlage der Arzneibehandlung“:! ‘ „Bei der Reaktion gegen niedrige Außentemperaturen werden die wärmeregulierenden Zentren reflektorisch gereizt, möglicherweise auch durch die niedrige Bluttemperatur. Bei der Reaktion gegenüber Erhitzung wird ihr Erregungszustand ohne Zweifel nur vom Blute aus beeinflußt.“ Tigerstedt schreibt in Nagels „Handbuch der Physiologie des Menschen“: ? „Aus diesen und anderen Erfahrungen —, ... dürfte mit einer ge- _ wissen Wahrscheinlichkeit geschlossen werden können, daß die bei der Wärmeregulation stattfindende Reizung gewisser Teile des Nervensystems wesentlich durch die Temperatur des Blutes zustande kommt, und daß im Vergleich dazu die reflektorischen Wirkungen der Wärme- und Kältenerven von geringer Bedeutung sein dürften.“ Wie man sieht, leugnet Tigerstedt überhaupt, daß reflektorische Vorgänge an der Temperaturregulierung wesentlich beteiligt sind, während Gottlieb die Abwehr gegen Abkühlung so gut wie ausschließlich durch sie, die Fernhaltung der Überhitzung aber „nur vom Blute aus“ bewirkt werden läßt. 1 Berlin-Wien 1910. $S. 384. 2 1909. Bd. I. S. 604, 552 WıILH. FILEHNE: Beide Ansichten lassen sich, wie ich meine, schon nach den von den beiden Autoren selbst zitierten Publikationen nicht aufrecht erhalten. Außerdem habe ich neue Versuche angestellt und glaube durch sie ebenfalls den Beweis liefern zu können, daß jene Darstellungen nicht richtig sind. Gottliebs Ansicht liegt ein unberechtigter Schluß zugrunde Daß die Regulierung auf den Kältereiz reflektorisch erfolge, gilt ihm auf Grund des Versuches von Brown-Sequard und Tholozan (Sinken der Temperatur der einen Hand, wenn die andere in eiskaltes Wasser getaucht wird) im Zusammenhang mit den Befunden von Amitin, Lommel, Otfried Müller (Änderung der Blutverteilung im Körper unter dem Einflusse eines Kälte- reizes) als erwiesen. Weil nun zufällig solche Versuche für den Wärme- reiz nicht angestellt sind, — und weil andererseits durch Erwärmung des zum Hirn fließenden Blutes ohne Erhöhung der Gesamttemperatur eine Regulation zu erzielen ist (R. H. Kahn) und kein entsprechender Versuch mit Abkühlung des Karotisblutes vorliegt, — so schloß Gottlieb, daß gegen Erwärmung nur vom Blute aus, — gegen Abkühlung im wesent- lichen nur von den Hautnerven aus (reflektorisch) reagiert werde. Dieser Schluß wäre aber erst dann berechtigt, wenn alle diese nicht angestellten Versuche angestellt und im Gottliebschen Sinne ausgefallen wären. So ist jetzt doch nur bewiesen, daß einerseits die Erwärmung des Karotisblutes und andererseits die Abkühlung der Hautnerven die Reculation in Gang _ bringen. Nicht aber ist nach dem von Gottlieb berücksichtigten Materiale _ erwiesen, daß Erwärmung der Hautnerven und Abkühlung des Blutes dies nicht in genau demselben Maße tun. Ja für die Abkühlung des Gesanıt- blutes ist gerade umgekehrt bereits ein genügender Beweis geliefert, daß sie ganz wie die Erwärmung des Gesamtblutes ohne Beteiligung der Haut- nerven Regulierung veranlaßt, was Gottlieb entgangen zu sein scheint. Ich meine die weiter unten noch genauer zu besprechenden Versuche, die im Jahre 1890 mein damaliger Schüler und jetziger Kollege R. Stern! auf meine Veranlassung angestellt hat.? Erkennt man diese Versuche von Stern als beweiskräftig an, so bleibt nur noch übrig, zu zeigen, daß auch Erwärmung der Haut allein die Regulation hervorruft, um darzutun, daß sowohl Wärme- wie Kältereize in gleicher Weise reflektorisch und Steigen wie Sinken der Bluttemperatur direkt wirken können. Noch leichter ist Tigerstedts Auffassung zu widerlegen, daß sowohl gegen Abkühlung als gegen Erwärmung die regulierenden Teile des Nerven- 1 Zeitschrift für klinische Medizin. Bd. XX. H. 1 und 2. ® Gerade diese Versuche sind es gewesen, die Tigerstedt den Anlaß gaben, sowohl für Abkühlung als Erwärmung die oben angeführte Auffassung hinzustellen. ZUR LEHRE VON DER WÄRMEREGULATION. 553 systems „wesentlich durch die Temperatur des Blutes‘ in Aktion versetzt werden „und daß im Vergleich dazu die reflektorischen Wirkungen der Wärme- und Kältenerven von geringer Bedeutung sein dürften“. Die einzige Stütze, die Tigerstedt für seine Ansicht beibringt, sind nur die oben bereits kurz erwähnten Beobachtungen Sterns und Versuche von Frederieg, der fand, daß bei starker Arbeit Schweiß auftritt, sobald die Innentemperatur des menschlichen Körpers um 0-14 bis 0-49°C erhöht worden ist. Daß letztere Versuche für die Entscheidung der uns beschäf- tigenden Frage nicht verwertet werden können, liegt auf der Hand. Hier traf die Haut ja gar kein Reiz. Es bleiben also für Tigerstedt nur die Versuche Sterns als Stütze seiner Behauptung. Aber diese zeigen nur, daß unter Vermeidung der Hautreize man auch vom Blute allein her die Regulation herausfordern kann. Durch ganz vorsichtige, ganz allmäh- liche Änderung der Temperatur des ursprünglich behaglich empfundenen Badewassers wurde „eingeschlichen“. Der Zweck jener Versuche war, zu- nächst ad oculos zu demonstrieren, daß der 37°C warme Normale für eine Temperatur von 37°C reguliere, da er, auf etwa 36.7 vorsichtig abgekühlt oder auf etwa 37.3°C erwärmt, — gegenreguliere. Und indem beim Fiebernden gezeigt wurde, daß auch er, wenn er ohne Hautreiz um eine Kleinigkeit abgekühlt oder erwärmt wird, beide Male gegenreguliert, so durfte geschlossen werden, daß, wie Liebermeister es sich richtig gedacht hatte, die Temperatur, für die das Nervensystem des Fiebernden reguliert, beispielsweise zwischen 39.2 und 40-2°C liege; es ist also durch den pathologischen Zustand (die Infektion) die Regulation auf einen höheren Grad, ca. 39-7, eingestellt. Und ebenso wurde gezeigt, daß die Regulation dieses Fiebernden, sobald infolge Darreichung eines Antipyretikums seine Temperatur beispielsweise auf 36-5° C für einige Zeit erniedrigt blieb, für eben diese Temperatur (36-5) eingestellt ist: denn bei einem Versuche, - Ihn um etwas (etwa 0-3°) zu erwärmen oder abzukühlen, sieht man sofort die Gegenregulation eintreten. (Und durch diese unwiderlegt gebliebenen Versuche ist, wie ich nebenbei bemerken möchte, die Richtigkeit der von mir auf Grund meiner eigenen Beobachtungen und der meiner Schüler seit nunmehr fast dreißig Jahren vertretenen Auffassung erwiesen: Die Antipyretika [Phenol, Dihydroxybenzole, Salizylsäure, Kairin, Antipyrin usw.] wirken dadurch antipyretisch, daß sie jene Änderung der Einstellung der \Wärmeregulation, die durch die Infektion nach aufwärts statthatte, zurück, d.h. nach abwärts ändern.) So ist also der Sinn dieses Teils der Sternschen Versuche folgender: auch unter tunlichster, d. h. so gut wie völliger Fernhaltung des kutanen Kälte- und Wärmereizes kann man durch Erwärmung und Abkühlung die Gegenregulation herausfordern. Hieraus ist aber ganz gewiß nicht, wie 554 WıcH. FILEHNE: Tigerstedt es tut, abzuleiten, daB „die reflektorischen Wirkungen der Wärme- und Kältenerven von geringer Bedeutung‘‘ seien im Vergleich zu der wesentlichen Bedeutung der Bluttemperatur. Hiermit ist gezeigt, daß das von Tigerstedt für seine Auffassung beigebrachte Beweismaterial nicht ausreicht. Weiterhin läßt sich aber sogar direkt zeigen, daß sie falsch ist. Zwar mag Tigerstedt die oben er- wähnten Versuche von Brown-Sequard-Tholozan und von Amitin, Lommel und Otfried Müller als für unsere Frage nicht streng be- weisend ablehnen. Aber es existieren ja doch noch andere vollgültige Be- weise. So zeigen andere Versuche Sterns!, nämlich die mit der kalten Dusche, eine sehr energische Wärmeregulation, während „gleichzeitig im Körperinnern nicht nur kein Sinken der Temperatur, sondern in den meisten Fällen sogar ein Steigen derselben erfolgt. Nicht eine tatsächliche Temperaturänderung des Körperinnern also, sondern lediglich der sensible Reiz, durch welchen der Organismus gleichsam vor der Gefahr der Abkühlune gewarnt wird, bedingt hier die Raschheit und Energie der Gegenregu- lation. Unter Vermeidung jedes brüsken Kältereizes dagegen läßt sich die Körpertemperatur bei den meisten Menschen wenigstens um einige Zehntel- srade herabsetzen, ohne daß es zu deutlichen Erscheinungen der Gegen- regulation kommt“. Hieraus ergibt sich, daß zweckentsprechend die reflek- torische Erregung frühzeitig dem vorbeugt, daß es zur Abkühlung des Blutes komme, — daß jene also prompter wirkt als diese. Auch liegen schon vor Sterns Versuchen Beobachtungen dafür vor, daß im kalten Bade die Innentemperatur des menschlichen Körpers steigen könne. Neuerdings ist in dieser Beziehung durch eine Experimentalunter- suchung von A. Loewy, Franz Müller, W. Cronheim, A. Bornstein? eine Bestätigung und eine feine Individualisierung gebracht worden, auf welch letztere näher einzugehen hier jedoch nicht der Ort ist. So viel geht aus dem vorgetragenen hervor, daß Tigerstedts Ausspruch nicht aufrecht erhalten werden kann. Nach dem, was bisher tatsächlich festgestellt ist, müßte man es schon, wie ich glaube, im Gegensatz zu jenen beiden Autoren, als sehr wahr- scheinlich bezeichnen, daß Wärme und Kälte sowohl reflektorisch als direkt ihren Einfluß völlig symmetrisch ausüben. Um dies zu beweisen, fehlten, wie bemerkt, nur noch Versuche, ob die einfache Wärmereizung ohne Steigerung der Körpertemperatur die Regulation anrege. Diese Lücke aus- zufüllen habe ich mich bestrebt. 1 A.a.0. 8.2 des Sonderabdruckes. ? Über den Einfluß des Seeklimas und der Seebäder auf den Menschen. Zeitschrift für experiment. Pathologie und Therapie. 1910. Bd. VII. 8. 656. /UR LEHRE VON DER WÄRMEREGULATION. 555 Es sollten Bäder, die von vornherein heiß waren, benutzt werden, um beim Einsteigen ins Bad sofort einen stärkeren Wärmereiz einwirken zu lassen. Es sollte aber, ebenfalls im Gegensatz zu den bei den Sternschen Versuchen innegehaltenen Bedingungen, nicht der ganze Körper exklusive Kopf in das’ Wasser versenkt werden, sondern dem Organismus Gelegen- heit geboten werden, von einem genügend großen Teile der Körperoberfläche (Haut) aus die Wärmeregulation wirksam zu betätigen und Wärme an die umgebende Luft abzugeben. Ich machte die Versuche an mir selbst und ließ das Badewasser nur etwa bis zur Mitte zwischen Basis des Processus xiphoideus und der Verbindungslinie zwischen den beiden Brustwarzen! reichen. Im einzelnen wurde folgendermaßen verfahren. Die Bäder wurden früh- morgens unmittelbar nach dem Verlassen des Bettes genommen, nachdem die Rektaltemperatur und die Temperatur unter der Zunge durch besonders empfindliche Maximalthermometer gemessen worden war. Das für die Mes- sung der Rektaltemperatur bestimmte Thermometer, das ein sehr kleines Quecksilberreservoir und eine sehr feine Steigkapillare hatte, zeigte beim Eintauchen in konstant auf 36, 37 und 38°C gehaltenes Wasser schon nach 10 bis 15 Sekunden den höchsten Stand. Auch im Rektum wurde nach 15 Sekunden ein Stand erreicht, der beim weiteren Liegen nicht erhöht wurde. Diese Empfindlichkeit war nötig, da die Rektaltemperatur nicht innerhalb des heißen Bades, das ich zu 42 bis 44°C nahm, gemessen werden konnte, sondern erst nach Erhebung des Anus über den Wasser- spiegel. In 15 Sekunden kann aber die Innentemperatur unter den gegebenen Bedingungen (warmes Zimmer, Verbleiben des Unterkörpers. im heißen Bade) sich nieht ändern. Übrigens ließ ich die Thermometer stets eine volle Mi- nute liegen, bevor ich die Ablesung vornahm. — Zu den in folgender Tabelle angegebenen Zahlen der „Zimmertemperatur“ ist folgendes zu bemerken: Die Zahl ist vor dem Einsteigen ins Bad abgelesen; während des Bades stieg sie meist um etwa 1 bis 2° 0. Sie liefert nicht das richtige Bild für die Möglichkeit Wärme abzugeben, weil die Temperatur der vom heißen “ Wasserspiegel her geheizten, aufsteigenden Luftteile höher sein muß, als die Zimmertemperatur. Z. B. betrug jene bei 18° Zimmertemperatur unmittelbar über dem Wasserspiegel 26 bis 27°C. Die Wärmeregulation befand sich also in weniger günstiger Lage, als man nach dem niedrigen Stande der Zimmertemperatur meinen könnte. Auch die Wasserdampfsättigung der aufsteigenden Luftteile erschwerte die Regulation. In folgenden Zahlen sind die Zehntelgrade abgelesen, die Hundertstel geschätzt. Das Eintauchen in Wasser von 45 bis 46°C ist schmerzhaft, ohne daß die Haut leidet. Bei 42 bis 44° ist das Eintauchen nur unerfreulich. Ich liebe übrigens Bäder von 41 bis 42° und nehme mein tägliches Bad meistens ! In den Versuchen vom 19. und 20. VI. 10 reichte das Wasser bis über die Mamillae, 556 WıILH. FILEHNE: so oder nur um 1 bis 2° kühler. Ich erwähne dies, weil ich glaube, daß durch diese Gewohnheit (und durch kalte Seebäder usw.) bei mir eine ge- wisse „Übung“ der in der Haut befindlichen Muskelfasern herbeigeführt worden ist, die für die zu meldenden Erscheinungen in Betracht kommen könnte. Das erste nach dem Eintauchen in das heiße Bad war stets, daß mich sofort eine energische „Gänsehaut“ in dem eingetauchten Gebiete (be- sonders den Beinen) unter Blaßwerden der betroffenen Haut überlief. (Diese Erscheinung geht beim Verbleiben in heißem Wasser nach etwa 20 Sekunden vorüber und ist zweifellos ein rudimentärer Versuch zu regulieren, nämlich die Überwärmung des Blutes durch Anämisierung der Haut zu verhüten — analog der Gänsehaut bei Kältereiz, die, anhaltender, mit mehr Energie und Erfolg dort das Blut vor Abkühlung schützt.) Rötung des Gesichts usw. trat sehr bald ein. „Deutlicher Schweiß“ an Stirn usw. zeigte sich nach 30 Sekunden bis 1!/, Minute. Die Körpertemperaturmessung wurde vor- genommen, nachdem das Schwitzen noch zwei, in den beiden letzten Ver- suchen noch vier Minuten, an Stärke zunehmend, angedauert hatte. | Rektumtemperatur Mundtemperatur Zimmer- || Grad C | Grad € Datum temperatur im Bade | Differenz im Bade || Differenz Grad c || vr dem nach | vor dem nach '" Bade |Schweib- Bade |Schweib- ausbruch ausbruch 19. VL10 | 21-0 | 36-93 | 87.05 | +0-12 | 36-17 | 36.67 | +0-5 20.VI.10 | 20.0 | 86-91 | 37-2 || +0-29 | 36-38 | 36-62 || +0-24 21.V1.10 | 18-5 | 36.80 | 36-95 | +0-15 | 86.65 | 36-5 "| 0.15 Boy lo 18:0 | 370 4 0 35:90 en 36-51 36-45 | —0-06 23.VI.10 | 18-75 || 36-75 | 36-75 | +0 36-25 | 36-20 | —0-05 PAyloRE lsers, | steon ae 0 36-40 | 36-41 | +0-01 26. V1.10 || 18-75 | 37-2 36-98 | —0.22 | 36-3 36-5 +0.2 27. VI.10 | 18.75 36-9 36-85 | —0-05 | 36-38 | 36-5 +0-12 28. VI.10 | 18-0 | 36-95 36-99 | +0-04 | 36-2 36-3 +0-1 3. VII. 10) 19-0 | 37:0 37:05 | +0-05 | 36-3 | 36-55 || +0-25 5. VIL.10 | 18-75 | 36-9 36-92 | +0-02 | 36-33 36-57 || +0-24 Betrachten wir die Rektaltemperaturen! vor und in dem Bade nach Schweißausbruch, d. h. nachdem längst die Regulation in Gang gesetzt war. ! Über die Mundtemperaturen vor und in dem Bade sei folgendes bemerkt: Ob- gleich der Mund vor der ersten Messung strengstens geschlossen gehalten wurde, blieb die Angabe des unter die Zunge gebrachten kleinen zuverlässigen Thermometers gegen die Rektumtemperatur um 0-76 — 0-.53— 0-15 — 0-49 - 0-5—0-8— 0-9 — 0-52 — 0-75 — 0:7 — 0:570C zurück, d.i. im Mittel 0.7°. (Bei Fiebernden scheint der Unterschied geringer zu sein.) Anscheinend ist die ventilierende Wirkung der Nasenatmung, die /uR LEHRE VON DER WÄRMEREGULATION. 557 Lassen wir die ersten beiden Versuche, die an heißen Tagen statt- fanden, und bei denen überdies das heiße Wasser bis über die Mamillae reichte, bei denen die Regulation also gar zu sehr behindert war, ganz bei- seite. Bei den anderen Versuchen sehen wir mit Ausnahme des 21. VI. 10, an dem die Steigerung 0-15° beträgt, keine einzige Steigerung, die den Wert von 0-1 erreicht, dagegen viermal Senkungen (am 22. VL, 24. VI, 26. VL, 27. VI.) die zweimal 0-1°, einmal 0-2° ausmachen. Am 23. VI. fand gar keine Änderung statt. In Anbetracht der ungünstigen Wärmeabgabeverhältnisse (s. oben) bedeutet dies Resultat, daß durch den Wärmereiz, der auf einem Teil der Oberfläche ein- wirkte, reflektorisch auch ohne Erhöhung der Bluttemperatur, ja selbst bei Sinken der Bluttemperatur bis um 0-2°C die Wärmeregulation eintrat und in Gang erhalten wurde.! Weiterhin: wenn ich ein Vollbad (bis an den Hals) von 43°C etwa 10 Minuten auf mich einwirken lasse, so steigt meine Innentemperatur um 0-5 bis 0-7°; dann strömt der Schweiß von Stirn und behaarter Kopfhaut nicht bloß während des Bades, sondern bei einer Zimmertemperatur von geringe Dicke der Wangenwand usw. im wesentlichen daran schuld, daß die außerhalb des Kauaktes (Speichelung) wenig reichlich vom Blute durehströmten Mundteile kühler sind, als die „inneren Organe“. Im heißen Bade steigt (Gefäßerweiterung) die Mund- temperatur meistens, auch wenn die Innentemperatur sinkt; jedenfalls aber verringert sich die mittlere Temperaturdifferenz zwischen beiden und sie beträgt statt 0-7 nur noch 0-5°C. Es verhält sich also die Gegend unterhalb der Zunge in bezug auf die Temperaturhöhe und Temperaturschwankungen durchaus wie ein verhältnismäßig peripher gelegenes Gebiet, — etwa wie die Gesichtshaut, deren Temperatur beim Eintauchen der unteren Körperhälfte in heißes Wasser ebenfalls steigt, wodurch sich der Abstand von der Innentemperatur auch verringert und auch dann verringert, wenn die Innentemperatur etwas sinkt. Es hat sich also auch in meinen Versuchen die alte Erfahrung bestätigt, dab Temperaturmessung im Munde die Messung hoch oben im Rektum nicht ersetzen kann. ! Der einzige allenfalls mögliche Einwand ist, soweit ich sehe, folgender: Tat- sächlich sei eine Erhöhung der Bluttemperatur wohl erfolgt, aber nicht in Erscheinung getreten, weil eben zur Zeit, da gemessen wurde, durch die Regulation, den Schweiß- ausbruch, die Erhöhung wieder rückgängig gemacht war. Von vornherein schon hat dieser Gedanke wenig Wahrscheinlichkeit für sich: erstens ist die Zeit für Anwachsen und Verklingen der supponierten Temperatursteigerung viel zu kurz. Überdies müßte man dann annehmen, daß, während die Schweißsekretion noch zunimmt (in der Zeit bis zur Messung), die Bluttemperatur sinke. Aber trotzdem habe ich noch Versuche angestellt, um diesen Einwand vollends zu entkräften. An sechs aufeinanderfolgenden Tagen der ersten Hälfte des November wurden unter sonst denselben Bedingungen wie im Sommer, z.B. also bei einer Zimmertemperatur von 19 bis 20°C, Versuche an- gestellt, in denen die Rektumtemperatur sofort bei dem ersten Anzeichen des Schweiß- ausbruches, nämlich 30 Sekunden, i Minute, 45 Sekunden, 1',, Minute, 1'/, Minute, 35 Sekunden nachı Beginn des Bades gemessen wurde. Die Differenzen gegen die vor dem Bade gemessenen Temperaturen waren: + 0, — 0-02, #0, +01, +0.02, +0.04°C, also praktisch 0. 558 WıuH. FILEHNE: ZUR LEHRE VON DER WÄRMEREGULATION. 18—19° C noch reichlich 15 Minuten nachher. Wenn ich aber nach Ver- lassen des Bades (und Abtrocknen) die Hände sofort in 2 Liter Wasser von 10°C tauche, so hört der Schweiß fast augenblicklich auf, während sich die zwei Liter Wasser um kaum 0-2° erwärmt haben, — was also eine Abgabe von weit weniger als einer halben (großen) Kalorie bedeutet. Selbst wenn wir diese als ausschließlich meinem Gesamtblute von 4 bis 5 Liter entnommen rechnen wollten, was doch nicht angeht, da die Masse der Hände unmittelbar und die des ganzen Körpers mittelbar, d.h. zum Aus- gleich herangezogen, in Betracht kommt, so ist doch auch dann die Abkühlung des Blutes so gering zu bewerten, daß von ihr das plötzliche Aufhören der Regulationsvorgänge nicht abhängig gemacht werden kann. Vielmehr ist es der kutane Kältereiz, der einzig in Frage kommt. Das Analoge zeigt sich auch nach einem abkühlenden Wasservollbade, in dem ich mich z. B. durch „Einschleichen“ um einen halben Grad ab- gekühlt habe. Auch hier dauert es in einem 18—19° C warmen Zimmer über eine Viertelstunde, ‘ehe das Frösteln, Zittern, der Hautgefäßkrampf usw. völlig aufgehört haben. Stecke ich aber sofort die Füße in 2 Liter Wasser von 43° C, so hört nach 10 Sekunden die Gegenregulation auf, während sich das Fußbad im Vergleich zu einer gleichgroßen unbenutzten Wasser- probe von 43° (in gleichgeformten Behälter) um weniger als 0-5° abgekühlt hat — nachdem also weniger als eine Kalorie auf meinen Körper über- getreten ist. Auch hier ist es also nicht die Wärmemenge, die dem Blute zugeführt worden ist, sondern der kutane Wärmereiz, der — reflektorisch — das Ende der Gegenregulation bedingt hat. Faßt man die Ergebnisse der Sternschen und dieser meiner neuen Versuche zusammen, so kann man nur folgendes schließen: Der physiologische Vorgang der Temperaturregulation ist symmetrisch für beide Richtungen. Reflektorische Erregung durch Kälte- und Wärme- reiz von der Haut her ist imstande, die Temperaturänderung des Blutes zu verhüten.! Steigt oder sinkt aber die Temperatur des Blutes, so findet eine „direkte“ Ingangsetzung der Regulation statt. ! Da wir Menschen Warmblüter sind, für gewöhnlich in einem kühleren Medium leben und dementsprechend bekanntlich auch mehr Kälte- als Wärmenerven zu unserem Schutz entwickelt haben, so ist die Wärmeregulation gegen Abkühlung reicher aus- gestattet. _Plethysmographische Untersuchungen der Gefässreflexe bei Nervenkranken. Von Dr. Arthur Simons, Assistenten der Poliklinik. (Aus dem Physiologischen Institut der Universität [Geheimrat R. Rubner] und der Poliklinik für Nervenkranke von Prof. H. Oppenheim.) I. Das Armvolumen nach Verletzungen der Armnerven (N. radialis, medianus, ulnaris). Die pletbysmographische Untersuchung der Kranken mit trophischen und vasomotorischen Neurosen, mit Gehirn- und Rückenmarksleiden, mit der ich seit längerer Zeit beschäftigt bin, ist noch nicht zum Abschluß selangt, wohl aber bis zu einem gewissen Grade die Messung des Arm- volums nach Verletzung der Armnerven. Sie hat ein Zufall veranlaßt. Wegen der äußerlichen Ähnlichkeit der Hautfarbe vasomotorischer Störungen bei Medianusverletzungen mit Verfärbungen beim Morbus Ray- naud war nämlich auch eine Kranke, der der Medianus und Ulnaris durch- schnitten und später genäht waren (Prof. Klapp), untersucht worden. Das Ergebnis der Volummessung war so überraschend, daß ich die folgenden Monate jeden, der mit einer Verletzung der Armnerven die Poliklinik auf- suchte, plethysmographierte Leichte Lähmungen, z. B. Schlaflähmungen des Radialis und toxische Lähmungen (Blei, Arsen, Alkohol usw.) wurden nicht untersucht, da die Vasomotoren in diesen Fällen funktionell auch ohne motorische Lähmungen geschädigt sind oder sein können. Ich beschränkte mich auf Kranke mit schweren und mittelschweren, frischen und älten, ungeheilten und partiell geheilten Lähmungen durch äußeres Trauma in der Gegend der Ellenbeuge .oder über dem Handgelenk (Durch- schneidungen und Durchstechungen, Quetschungen, Zerrungen, Läsionen nach Operationen, Kallusbildung); bei ihnen war auch anamnestisch 560 ARTHUR SIMONS: keine Schädigung der Vasomotoren festzustellen. Selbstverständlich schieden ebenfalls Kranke mit Herzinsuffizienz oder Klappenfehlern, die periphere ° Lähmungen haben, aus. Diese strenge Auswahl der Fälle erschwerte sehr die Sammlung ge- eigneter Kranken, und deshalb bin ich den Herren Geheimrat Bier, Prof. Klapp, Prof. Schuster und T. Cohn für ihre Zuweisungen doppelt verbunden. Leider waren auch unter diesen einige aus technischen Gründen nicht zu untersuchen oder ihre Kurven unbrauchbar. Die Hand eines Mannes mit Medianus und Ulnarislähmung z. B. konnte infolge einer isch- ämischen Kontraktur in den Apparat nicht eingeführt werden. Bei einem sehr großen Manne mit traumatischer Plexusläiimung —- der Medianus war besonders betroffen — ging nur ein kleiner Teil des Unterarms in den Apparat. Am freien Teile des Armes sah man fibrilläre Zuckungen in den atrophierenden Muskeln, die die richtige Aufnahme der Arm- und Finger- kurven verhinderten. (Diese fibrillären Zuckungen erschweren beiläufig ganz besonders die Untersuchung von Kranken mit amyotropischer Lateralsklerose.) Bei einem Knaben mit Medianus- und Ulnaris- Durchschneidung erhielt man auf keine Weise Pulse. Man sah nur in der Kurve die Atem- schwankungen. Nach längerem Eintauchen der Arme in heißes Wasser erhielt man einige Pulse, die sich aber rasch verloren. Außer der Kallus- deformität am Ellbogen fanden sich noch verschiedene große Operations- narben am Unterarm, die vermutlich die Hauptgefäße komprimiert hatten, denn die Radialis war nicht zu fühlen; auch sphygmographische Aufnahmen mit dem empfindlichen Apparat, den R. du Bois-Reymond! kürzlich an- gegeben hat, mißglückten an den verschiedensten Stellen des Handgelenks und Unterarms. In anderen Fällen zeigten sich bei der plethysmographischen Aufnahme einzelner Finger mit einer atrophischen oder sehr fetten Haut keine Pulse. Ferner ist es bisweilen unmöglich, bei Menschen, deren Gefäßsystem besonders ataktisch ist, das Eintreten eines normalen Gefäßreflexes zu be- urteilen. So sah ich einige Male während vieler Monate bei denselben aus- gerubten Kranken die gleiche Gefäßunruhe, also schon in der Ruhe außerordentliche Volumschwankungen, trotz normaler Atmung und Pulszahl, gesundem Herzen und Fehlen aller äußeren Reize. Das dauernde Schwanken verlor sich nicht, auch wenn der Arm vor Beginn der Messung minutenlang in Eiswasser getaucht wurde. Die Pulse wurden zwar kleiner, die vorübergehende Volumänderung infolge eines Reizes war aber UR. du Bois-Reymond, Ein neuer Sphygmograph. Berliner klin. Wochen- schrift. 1910, Nr. 25. PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 561 auch dann nicht zu beurteilen; denn sie verbirgt sich in dem dauernden Wechsel der Blutfülle. | NER (Solche Fälle machen es nicht unwahrscheinlich, daß zur richtigen Organ- funktion dieser Menschen noch besondere Regulationen notwendig werden oder daß — und das ist klinisch das Wahrscheinlichere — die veränderte, ‘oft minderwertige Organleistung zum Teil die Folge dieser eben geschilderten plethysmographisch im ganzen Umfange nachweisbaren Ge- fäßunruhe- ist. Denn sie bedingt andere Ernährungsverhältnisse und andere Reaktionen auf Reize. Auch Wachstumsstörungen, z. B. die vaso- motorische Atrophie könnte zum Teil wohl auf diesen Störungen beruhen. ‘ Leider konnten solche Kranke, bei denen ich sie in letzter Zeit sah, nicht gemessen werden; das Bein war atrophisch und es fehlte mir ein Bein- plethysmograph. Inwieweit diese monatelang veränderte Gefäßarbeit — viel- leicht ist sie es sogar lebenslang — auf Veränderungen des Nervenapparates oder Störungen des Adrenalsystems beruht, soll noch untersucht werden.) Die Technik der Volummessung, die Beurteilung der Kurven und die Wirkung psychophysischer Reize auf sie ist von E. Weber! ein- gehend dargestellt. Besonders ist auf Webers Versuche zur Analyse der Fehlerquellen bei Volumschwankungen infolge unwillkürlicher Bewegungen des untersuchten Körperteils hinzuweisen. | Zum leichteren Verständnis der. folgenden Kurven und der Schlüsse aus ihnen muß man sich. zunächst erinnern, daß die Blutfülle eines Körperteils von seinem Einzel-, Wechsel- und Zusammenwirken mit allen übrigen Organen des Körpers dauernd abhängt. Die feinere Blutverschiebung und -verteilung, die die Funktion eines Organs erfordert und erst ermöglicht, geschieht aber vorzugweise aktiv durch Vermittelung der Gefäßnerven nur des betreffenden Organs. So wird die Volumbestimmung und -veränderung eines Körper- teils bei unveränderter Atmung (vgl. später) und gesundem Herzen u.a. auch zu einer Funktionsprüfung des Nervensystems. Eine eingehende klinische Untersuchung ist selbstverständlich die V oraus- setzung zur Prüfung einer Volumkurve, die übrigens auch über die Kreis- lauforgane einiges direkt verrät (z. B. Extrasystolen, Geschwindigkeit und Stärke des Herzschlags).. Gerade in der Ausdrucksfähigkeit der Volum- messung nach verschiedenen Richtungen liegt ihre Bedeutung. Ohne Atemkurve ist aber keine Volumenkurve ausreichend zu beurteilen; denn die Atmung beeinflußt sie in besonders starker Weise; das bedarf keiner näheren Begründunng. Bleibt bei sonst fehlerfreier Aufnahme des Körperteils die Atmung und Herztätigkeit unverändert, so ist jede ! E. Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper. 1910. Archiv f. A. u. Ph. 1910. Physiol. Abtlg. 36 562 ARTHUR SIMONS: Volumänderung eine reine Vasomoterenarbeit, und zwar sind positive Ge- fäßreaktionen bei unveränderter Atmung und Herztätigkeit alle deutlichen Volumveränderungen, die bis zur Ermüdung regelmäßig auf Reize eintreten, mit Pulsverkleinerung (-vergrößerung) verbunden sind und kürzer oder länger andauern. Gewöhnlich treten von diesen Begleiterscheinungen einer Reaktion nur zwei Veränderungen auf einmal ein, also z. B. die Volumveränderung und Pulsverkleinerung. E. Weber! hat übrigens vor kurzem wieder auf die Schwierigkeit der plethysmographischen Untersuchung im allgemeinen hingewiesen. Auch ich habe zur Untersuchung den Lehmannschen Apparat und Mossoschen Fingerplethysmograph benutzt, dessen Bau und Anwendung an dieser Stelle nicht weiter beschrieben zu werden braucht. Die Eigenheit der Kranken ergab bei der Messung noch besondere Erfahrungen. Bei stark atrophischen Armen ist die Armöffnung des Apparates durch Anbringung eines passend zugeschnittenen Pappstücks zu verkleinern, um den Austritt des Gummisackes und damit Energieverlust für die Über- tragung der Volumschwankungen zu verhindern. Daß man nur Ausgeruhte untersucht, ist selbstrerständlich Denn wie Weber (I. cit. S. 3) gezeigt hat, tritt bei starker Ermüdung gerade der umgekehrte Reflex bei pychiichen Reizen ein. Fehlte bei der ersten Untersuchung am gelähmten Arm jede Gefäb- reaktion auf psychische oder thermische Reize, oder ist sie undeutlich, so ist die Messung mehrfach am besten morgens, weil infolge Ermüdung die Volumveränderungen sich umkehren, zu wiederholen. Bei der Reizung der Gefäßnerven durch geistige Arbeit ist weitgehend zu individualisieren. So sah ich bei einem Manne mit einer Radialislähmung die für geistige Arbeit charakteristische Volumverminderung, nicht bei schwierigem Rechnen, nicht beim Buchstabenzählen vorgedruckter Reihen oder innerlichem Auf- sagen des großen Einmaleins usw, sondern nur beim innerlichen Buch- stabenzählen vorgesprochener langer Worte. Andere Kranke reagieren wieder am besten auf Zählen unregelmäßig hingezeichneter Punkte. Der Geschmack ist ein anderer geeigneter Gefäßreiz. Weckt er ein Lustgefühl, so steigt das Volum, umgekehrt ist die Wirkung der Unlust. In allen bisher untersuchten Fällen, auch bei den organisch Nervenkranken, hat mich die kontralaterale thermische Reizung (Eis, Hitze) am schnellsten zum Ziele geführt, bei der eine starke Volumänderung (meist stärker wie bei psychischen Reizen) eintritt. ıE. Weber, Plethysmographische Untersuchungen bei körperlicher Arbeit. Münchner med. Wochenschrift. 1910. Nr. 36. PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 563 Ich muß mir hier gegenüber F. Munk einen Hinweis er me von ihm sagt nämlich F. Kraus!: » ».. F. Munk hat schon vor längerer Zeit gefunden, daß ne applizierte thermische Reize immer auf die andere Seite hinübergreifen, offenbar ebenfalls durch „nervöse Vermittlung“; der eigenartige Reiz des Co,-Bades aber bleibt auf die Applikationsstellen beschränkt.“ Diese Beobachtung Munks, die jeder nur bestätigen kann, ist seit langem bekannt. Die von Brown-Sequard und Tholozan? gefundene gesetzmäßige konsensuelle Gefäßreaktion der Hände wurde zuletzt von Otfried Müller? für die ganze Peripherie erweitert; auch über die sichere Vermittlung der Reaktion durch das Nervensystem, und zwar bestimmter Teile, liegen aus- reichende Beweise vor. Wenn nun Munk im kohlensauren Bad keine konsensuelle Gefäßreaktion festgestellt hat, so kann das sehr wohl auf der Schwäche des Reizes beruhen. Darin liegt ja nach F. Kraus die schonende Wirkung dieses Bades. Auch ich sah bei schwachen thermischen Reizen sehr oft keine Wirkung. Ein stärkerer Reiz wirkt jedenfalls immer konsensuell. Die konsensuelle thermische Reizung versagte auch dann nicht, wenn die Psychoreaktion schwer zu beurteilen, also die Volumschwankung un- deutlich war. Schon früher ist die dauernde Gefäßunruhe erwähnt. Ich sah sie bei Traumatikern und schweren Neurasthenikern. Manchmal — aber nicht immer — erhält man auch bei diesen noch Kurven, in denen ein Reiz- effekt eindeutig zu beurteilen ist, wenn man den Wassermantel, der den Arm umgibt, von 37 bis 40° auf 15° und weniger abkühlt, nachdem der Arm noch vorher in Eiswasser getaucht ist. Arteriosklerotiker, bei denen be- kanntlich die thermischen Gefäßreaktionen abgeschwächt sind oder fehlen (Otfried Müller‘), müssen natürlich mit anderen Reizen geprüft werden. Umgekehrt konnten durch rasches wiederholtes Eintauchen in Wasser von 54° Pulse und Reaktionen, die bisher unsichtbar waren, oft noch deutlich gemacht werden. Bei der Reizung der Vasomotoren durch Unlustgefühl (Geschmacks- prüfung) reagierten einige Kranken auf Essigsäure weniger gut wie auf Magnesiumsulfat. Dabei fiel mir die lange Nachwirkung besonders bei zwei ı F.-Kraus, Über funktionelle Herzdiagnostik. Deutsche med. Wochenschrift. 1910. Nr. 41. ? Brown-Sequard u. Tholozan, Journal de la physio’ogie. 1858. T.I. p. 500, vgl. auch Tigerstedt, Physiologie des Kreislaufs. s Q. Müller, Über die Blutverteilung im menschlichen Körper unter dem Einfluß thermischer Reize. Deutsches Archiv für klin. Medizin. 1905. 8. 557. . * Derselbe, Zur Funktionsprüfung der Arterien. Deutsche med. Wochenschrift. Nr. 38, 39. 19086. 36* 564 .ız ' ARTHUR SIMons: Traumatikern auf. Obwohl sie große Mengen Zuckerwasser oder Wasser mit Natr. bicarb. zur Neutralisation des Essigs tranken, klagten sie lange noch über schlechten Geschmack. In der Tat stieg das Armvolum nur sehr langsam und bei wiederholten Versuchen oft nicht bis zur vollen Höhe an. Manche Frauen empfanden noch nach Tagen schlechten Geschmack. Mit dieser Überempfindlichkeit ist bei Nervenkranken zu rechnen und deshalb in solchen Fällen besonders die konsensuelle Reaktion durch ther- mische Reize zu prüfen. Es kommt bei der volumetrischen Analyse der peripheren Lähmungen nur auf den Eintritt einer Gefäß- reaktion überhaupt an. Ob sie stark, schwach ist, zur Volumverminderung am Arm (normal bei geistiger Arbeit, Unlustgefühl, peripherem Kältereiz) oder zur Volumvermehrung (normal nur bei peripherem Hitzereiz und Reizen, die ein Lustgefühl wecken) führt, ist für die zu ziehenden Schlüsse zunächst nebensächlich. Die Gefäßreaktion war übrigens, wenn sie eintrat, bei fast allen Kranken normal, entsprach also dem folgenden Weberschen Schema (I. eit. 8. 3). + bedeutet Zunahme, — Abnahme der Blutfülle des betreffenden Körperteiles. IR Glieder | Außere Bauch- und äußere ' Kopfteile | organe Teile des | | Rumpfes Bei Entstehung von Bewegungsvorstel- | lung (mit oder ohne ueaLDanı der Bewegung) . She + — — us Bei geistiger Arbeit. + Ber a z Bei Schreck + — fe Ze Bei Lustgefühlen . a > ur | ar Bei Unlustgefühlen . _ — | AL | an Im Schlaf . Ar er | Ei a Über die Umkehr der normalen Gefäßreaktion, ihr Vorkommen, ihre Bedeutung finden sich übrigens in dem Werk von Ernst Weber weitere Angaben. Während nun in einer Reihe von Fällen schon die erste Messung am gesunden und kranken Arm normale Verhältnisse zeigte, war bei anderen Kranken eine wochenlange Analyse, eine immer wiederholte Mes- sung des Arm- und Fingervolums notwendig, um zu zeigen, daß die Ge- fäßreaktion doch eintrat oder immer fehlte. Unbedingt erforderlich ist dabei der Vergleich beider Arme, auch wenn die Blutverschiebung am kranken Arme normal erscheint. Bei Prüfung der konsensuellen thermischen Reaktion ist bei normaler Atemkurve der Abfall oder Anstieg der Kurve fast immer eindeutig, so daß diese Prüfung die Psychoreaktion in wesentlicher Weise ergänzt und kontrolliert. PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 565 Bei Geschmacksreizen (Essigsäure, Magnesiumsulfat; Bestreichen der Zunge. oder Schlucken, aber. kein Einspritzen wegen des Rachenreflexes) muß man unter Umständen die Wirkung der Zungenbewegung (Heraus- strecken, Hineinziehen) an sich auf die Kurve erst beobachten; auch dabei kommt es unter Umständen zu täuschenden Volumveränderungen. Über- haupt gibt es nech eine ganze Reihe Fehlerquellen und notwendiger kleiner Kunstgriffe. Ich will sie nicht alle aufzählen, da jeder, der mit dem Apparat an Nervenkranken arbeitet, dieselben Schwierigkeiten finden und ihnen in gleicher oder ähnlicher Weise abhelfen wird. Am wichtigsten ist die Kontrolle der Volumveränderungen durch die Atemkurve. Bei der Prüfung jedes Armes und dem Vergleich der Gefäßreflexe beider Arme sind bei demselben Menschen möglichst annähernd dieselben Reize anzuwenden: also jeder Finger dieselbe Zahl von Minuten in heißes Wasser vor der Fingermessung (heißes Wasser ermöglicht bei Gesunden oft überhaupt erst die Pulsdarstellung am Finger), Berührung mit Eis oder Hitze ungefähr gleich lange Zeit, Essig in derselben Konzentration. Die Dosierung der Geschmacksreize ist individuell sehr verschieden; ferner ist eine annähernd gleiche Temperatur im Wasser des Gummisackes und die- selbe Wasserhöhe im Steigrohr beim Vergleich beider Arme selbstverständ- lich. Alle diese Verhältnisse verändern sich zum Teil im Einzelfall, z. B. die Wasserhöhe des Steigrohrs des Plethysmographen, die die besten Pulse gibt, müssen erst gesucht, aber dann bei dem einzelnen während des Versuchs auch festgehalten werden. Daß die Größe und Stärke der Pulsschwankungen und Blutverschie- bungen bei verschiedenen Menschen nicht verglichen werden können, ver- steht sich von selber, aber auch bei demselben Menschen sind sie nur während der Dauer des Versuchs vergleichbar. Erhebliche Differenzen der Pulswellen beider Arme kommen bei trauma- ‘tischen Läsionen der Armnerven entsprechend dem palpatorischen und sphygmographischen Befunde vor. Fehlen lokale Hindernisse oder sind sie gering, so ist auch an die Möglichkeit einer peripheren Kontraktion (direkt oder reflektorisch nach Durchschneidung eines Teiles der zuführenden Nerven) zu denken. Aber auch ohne diese sah ich Pulsdifferenzen am kranken Arm bei Arbeitern, die jedenfalls mit Wandveränderungen dieses Arms (lokale Verdickungen infolge Mehrarbeit) wohl zusammenhängen. Im allgemeinen kontrolliert die Volummessung des gesunden Armes den ge- lähmten bei demselben Kranken am einfachsten und sichersten. So sind im ganzen sechsehn Fälle peripherer traumatischer Lähmungen untersucht. 1. Ein Fall von isolierter Medianusdurchschneidung in der Ellbeuge. (Später von Prof. J..Israel oper.) 56% MER :: ARTHUR SIMONS: . 2. Fünf: Fälle von schwerer Medianus und Ulnarialähmung durch Trauma in der Ellenbeuge, darunter zwei, operativ kontrollierte, völlige Durchschneidungen beider Nerven. 3. Ein Fall von Ulnaris- und Medianusverletzung bei Ausräumung der Achselhöhle. 4. Eine 32(!) Jahre alte Medianuslähmung und frische leichte Neuritis des N. radialis am selben Arm. 5. Eine chronische degenerative Neuritis in beiden Medianusgebieten ischämischen Ursprungs. 6. Drei Fälle von Ulnarisdurchschneidung bzw. Zerreißung oder schwerer Quetschung oberhalb des Handgelenks und in der Ellbeuge. 7. Eine komplette Radialislähmung mit leichter Zerrung des Medianus und Ulnaris desselben Armes infolge Transmissionsverletzung des Oberarms. 8. Eine komplette Radialislähmung infolge Durchschneidung bei der Operation am Oberarm; sofortige Nervennaht; Schlauchlähmung des Medianus und Ulnaris nach der Operation. 9. Drei Fälle von partiell geheilten Radialislähmungen. Krankengeschichten und Operationsberichte verdanke ich für einzelne Fälle Herrn Geheimrat Körte, Prof. Israel, Prof. Klapp, Prof. de Ruyter, Herrn Kollegen Schulze, T. Cohn und Herrn Prof. Schuster. Das Ergebnis der Untersuchung war in allen Fällen das gleiche: | 1. War der Radialis völlig intakt, aber der Medianus und Ul- naris durchschnitten oder schwer verletzt, so fehlte am kranken Arm jede Gefäßreaktion bei immer wiederholter Untersuchung. Am gesunden Arm waren normale Verhältnisse. 2. War nur der Radialis gelähmt, und der Medianus und Ulnaris intakt oder nur ganz leicht beschädigt (keine oder geringe Sen- sibilitätsstörung, leichte Paresen, keine E.A.R.), so waren alle Reaktionen wie am gesunden Arm vorhanden. Das kann kein Zufall sein. Beteiligt sich an der Volumveränderung des ruhenden Armes nur die Haut, so kann der Radialis nach dem Aus- fall meiner Messungen für den Unterarm und die Hand keine Vasomotoren haben, vielmehr würden diese in den Hautästen des Medianus, Ulnaris und musculocutaneus verlaufen. Beteiligt sich aber auch an der Volum- vermehrung des ruhenden Arms die Muskelmasse, so müssen die vom Radialis versorgten Muskeln auf anderem Wege, jedenfalls nicht vom Radialis, ihre Gefäßnerven erhalten. Mit der Feststellung, daß der Radialis keine Vasomotoren für die Haut besitzt, decken sich nur scheinbar die all- ‘ gemeine Erfahrung und die Headschen Experimente, aus denen hervor- geht, daß der Radialis mit der Hautsensibilität sehr wenig zu tun hat PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 567. und dabei trophische Störungen bei Radialisverletzungen kaum beobachtet werden; denn Hautsensibilität und Gefäßversorgung bzw. -innervation stehen nur im funktionellen, aber nicht im anatomischen Zusammenhang. Beachtenswerter für die Kurvendeutung ist die sichere Feststellung, daß erst aus dem ersten Dorsalsegment sympathische Fasern entspringen. Es entspricht also klinischen und anatomischen Tatsachen, daß der Radialis, dessen Kernsäule im Cervicalmark am höchsten liegt, bei Austritt aus dem Rückenmark zunächst überhaupt keine vasomotorischen Fasern erhält oder zu erhalten braucht. Etwas anderes ist es, ob nicht doch den Armnerven im späteren Verlaufe postganglionäre sympathische Fasern aus dem Plexus der die Arterie subclavia umspinnt, also aus dem Ganglion cervicale medium et inferius und dem ersten Brustganglion entspringen, beigemischt werden. Diese Faserwirkung braucht bei Prozessen im Üervicalmark z. B. noch nicht auszufallen, doch müßte ihre Wirkung sich bei der pletysmographischen Untersuchung peripherer Lähmungen, bei der konsensuellen Reaktion auf periphere Reize unbedingt bemerkbar machen, denn der Weg führt auch für die postganglionären sympathischen Reflexe über das Rückenmark, d. h. Reizung der einen Seite geht durch die vordere Wurzel in die Vaso- motoren der gemischten Nerven. Solange nun der Einzelanteil der Haut- und Muskelgefäße am Arm- volumen und seiner Veränderung nicht bestimmt ist, und das ist bisher nicht geschehen, ist der Befund des Fehlens einer Gefäßreaktion bei Medianus- und Ulnaris-Durchschneidung, aber intaktem Radialis zweideutig. Beteiligen sich nämlich am Volum des völlig ruhenden Arms, wie ihn die Untersuchung erfordert, überhaupt nicht die Muskelgefäße, weil dazu die Muskelfunktion gehört, so addiert sich einfach die immer gleiche Muskel- masse bzw. der in Ruhe gleich große Muskelblutstrom zu den wechselnden Veränderungen des Hautvolums. Dann käme in der Kurve nur die Haupt- - komponente volumetrisch zum Ausdruck und der Radialis könnte also immer noch Vasomotoren für seine Muskeln haben, die aber graphisch nicht zur Wirkung kommen. Um das zu erfahren, muß die Volumkurve des ruhenden Gliedes experimentell in ihre Bestandteile (Hautmuskelgefäße?, nur Hautgefäße?) zerlegt werden. Klinisch ist das unmöglich, denn beim muskelstarken und muskelarmen Gliede erhält man in der Ruhe dieselben Kurven. Die Frage entscheidet nur der Tierversuch. Volumzunahme der enthäuteten Hinterpfote des Hundes nach Reizung der anderen unverletzten beweist den aktiven Anteil der Muskelgefäße bei der Entstehung des Ge- samtvolums. Wenn Veränderungen des Muskelvolums bei dieser Versuchs- anordnung nicht eintreten, so wird damit die alleinige Beteiligung der Hautgefäße bewiesen. Die am Hunde angestellten Versuche (Kurarisierung, Enthäutung eines 568 ARTHUR SIMONS: Beines, Amputation der Zehen aus technischen Gründen, luftdichter Ein- schluß des Beines in einen geeigneten Plethysmographen, sensible Reizung des anderen Beines mit Eis oder heißem Wasser) ergaben, wie aus den ab- gebildeten Kurven hervorgeht, daß an der Volumveränderung der ruhenden ‚Pfote auch die Muskelgefäße deutlich beteiligt sind. (Fig. 1, 2.) Die Pulse sind infolge des großen Eingriffs niemals groß, meist sehr klein; bei Lupenvergrößerung aber und zum Teil auch mit bloßem Auge waren sie gut zu sehen und ihre Verkleinerung bzw. Vergrößerung zu verfolgen. Besonders ist bei der Operation darauf zu achten, daß der Zylinder, der das enthäutete Bein umgibt, oben nur mit entfetteter Watte abschließt, und nirgends an Haut stößt, deren Gefäßverschiebungen während des Ver- suchs sich auf die Luft (Luftübertragung war vorteilhafter wie Wasser- übertragung) im Zylinder übertragen würde. Schwierig ist die völlige Blut- stillung. Ein Tropfen Blut, der aus dem Amputationsstumpf in den Zylinder fällt, zerstört eine Kurve. Nach den früher erwähnten Ergebnissen der plethysmographischen Unter- suchung beim Menschen und dem Tier scheint also der N. radialis keine Vasomotoren zu führen, wenigstens in keiner Menge, daß im Plethysmo- gramm ihre Wirkung nachweisbar ist. Dabei ist der Apparat, wie ich speziell bei der Volummessung von Kranken mit Morbus Raynaud sah, so empfindlich, daß schon außerordentlich geringe Zu- oder Abnahmen des Volums sichtbar werden. Auch folgende Beobachtung beweist das. Bei einer Kranken, der die Brust wegen Krebses entfernt war, kam es bei Ausräumung der Achselhöhle zu einer stärkeren Verletzung des Medianus und Ulnaris. Nach der bestimmten Aussage des Operateurs (Dr. Schulze, Kgl. chir. Klinik) waren die Nerven nicht durchschnitten, höchstens an- gerissen; dagegen war die arteriosklerotisch veränderte A. axillaris verletzt worden. Eine Naht des Gefäßes war unmöglich. Trotzdem kam es zu keiner Gangrän des Arms, weil sich ein kollateraler Kreislauf entwickelte. Der Radialpuls war nicht zu fühlen oder zu messen. Die Hand war nicht kühler wie die andere. Nach Eintauchen in heißes Wasser traten hier noch Volumenpulse und Gefäßreaktionen auf, die in der üblichen Weise niemals zu erzielen waren. Ich bilde jetzt eine Reihe Kurven ab und gebe dazu die nolwrendieien klinischen ‚Daten. Fall S.B.: Schwere Medianus- und Ulnarisverletzung durch Sehnittwunde (vgl. Fig. 3a, b; 4a, b; 5, 6). Am 9.X.08. fiel die Pat. mit aller Wucht in eine Glasflasche, dr im oberen Bereich der Ulnarseite einen Zoll in die Tiefe drang, gleich als sie nach Hause kam, bemerkte sie die Lähmung. Am 22. II. 09 suchte sie die Oppenheimsche Poliklinik auf. 569. PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. ‘ur auoH UayoıSugjug ınz sıq (PPILIESgE ur Jyoru) -yorgjoryos 751098 Any 9rp ‘Sunzioy Iop uaIOuUny — 19q !IOSSEMSIT IUL 9707ÄIOJuLF UOTemIOU 94991 AOp Zungerns.utagf] + eg 'A pung "= "Sta ‚Sunzioy Iop uBIgUmYy — 109 “AOSSeMsim AL 990Jdaayurm uopewWLIoU ueygo9ı 1ap ungern + Tag ‘9j07d.1ayurpg uoJognegygus9 uoyu Aop oAınyuommnjoA "IL,punf "1 a7 9Aıny -uaumfoA yonıpynıg aAıny -TOUNJOA AONIPIAIT 570 ’ ARTHUR SIMORXS: Klinisch bestanden die Zeichen einer schweren, nahezu kompleten Lähmung des ]. n. medianus und einer weniger schweren des n. ulnaris; eine völlige Continuitätsunterbrechung bes. des n. ulnaris war nach dem Sensi- bilitätsbefunde, auf den ich nicht weiter:hier eingehe, nicht ‚wahrscheinlich. Bei der Revision der Narbe am 26. II. 09 durch Prof. Klapp (Kgl. chirurg. Klinik) ergab sich aber „Medianus und Ulnaris völlig durchschnitten, beide Enden eingebacken in Narbengewebe, Loslösung, Anfrischung und Vernähung beider Nerven“. Die Operation hatte übrigens noch einen hervorragenden lan lan Erfolg, obwohl die Verletzung vor 51/, Mon. erfolgt war. Die objektive Besserung dauert auch heute noch an. Der Gegensatz zwischen dem Öperationsbefund und den klinischen Sehlüssen über den Zustand des n. ulnaris überrascht nicht; denn die Tat- sache, daß die Sensibilitätsstörung im Ulnarisgebiet geringer wie in dem des Medianus war, kann durch Anastomosen erklärt werden. Die über ein halbes Jahr immer wiederholte Volummessung ergab stets am kranken Arme das Fehlen der Gefäßreflexe, die am gesunden in nor- maler Weite vorhanden waren, obgleich der Radialis funktionell und elek- trisch völlig intakt war. Das Ausbleiben der Gefäßreflexe trotz der Nervennaht erklärt sich wohl aus der Tatsache, daß die Vasomotoren besonders resistent sind, aber dafür nach Schädigungen sich auch am schwersten erholen. Besonders schön kommt die Differenz beider Arme in ihrer gleich- zeitigen plethysmographischen Aufnahme zum Ausdruck. Die dabei ge- wonnene Kurve verdanke ich Prof. E. Weber. Die Kurve änderte sich nicht, auch wenn die sehr empfindlichen Schreibkapseln beider Plethysmo- graphen vertauscht wurden. Die Kurvendifferenz ist also unabhängig vom Apparate. Da durch die Operation eine Kontraktur der Finger verhindert war, konnte auch das Fingervolum jedes einzelnen kranken Fingers mit dem gesunden verglichen werden. Nur der Daumen bs. konnte nicht recht untersucht werden, weil dann die Hand nicht genügend Halt hatte, um ruhig gehalten zu werden. An den übrigen Fingern der Hände zeigte sich die gleiche Differenz der Gefäßreflexe wie an den Armen. Bei dieser 58jährigen Patientin fiel übrigens entsprechend den Angaben O. Müllers die thermische Reizung viel unsicherer aus, wie die Geschmacksreizung. Man sieht am kranken Arm (Fig. 3a) das Fehlen jedes Reflexes auf das durch die Essigsäure erzeugte Unlustgefühl; am gesunden Arm (Fig. 3b) tritt die Reaktion sofort und deutlich ein. Die Atmungskurve bei der Aufnahme des kranken Armes ist fort- gelassen, sie war genau so ruhig wie in der Fig. 3b. . Die Kurven (Fig. 4a, b) bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Die gleichzeitige Aufnahme beider Arme (Fig. 5) ist besonders beweisend. Die Schreiber beider Plethysmographen standen genau untereinander, daher PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 571 entsprechen auch die Atemschwankungen der Volumkurven einander voll- kommen. Man vergleiche die einzelnen Hebungen und Senkungen in beiden Kurven. Während nun am gesunden Arm der Essigsäurereizung sofort eine Volumsenkung und Pulsverkleinerung folgt, die nach Aufhören des Reizes sich umkehren, tritt an der Kurve des kranken Armes nichts \ Arnvolumen Armvolumen fm Am, Fig. 3b. Fall S.B. Medianus- und Ulnaris-Durchschneidung am 1. Arm; Radialis völlig intakt Volumen des kranken I. Arms (Fig. 3a) und des gesunden r. Arms (Fig. 3b). Aufgenommen am 4. VI. 10. Bei + Essigsäurereiz; bei — Neutralisation mit Zuekerwasser. ein. Daran änderte auch, wie ich bereits früher betont habe, die Ver- tauschung der empfindlichen Schreibkapseln nichts. Wenn der Radialis Vasomotoren führte, so müßte das doch in den bisherigen Kurven zum Ausdruck kommen; die Pulsgröße ist völlig gleichgültig; denn beim Tier und beim Menschen bekommt man noch Volumveränderungen, auch wenn der Hebel fast eine pulslose Grade schreibt. Dia. ı. ' ARTHUR SIMoNS: Der Differenz der Armkurven entspricht auch die der Fingerkurven (Fig. 6). Beide Finger wurden vor der Aufnahme 5 Min. in möglichst. heißes Wasser getaucht, um die Pulse besser sichtbar zu machen. Arm- volumen SM Ni ui Ay Hi, ii if, x N N, M rm An, me \ m num MM AN N ul I \ IM M Armvolumen in ih HH My ae Ir h a um, a Fig. 4b. Derselbe Fall: Volumen des gesunden Arms (Fig. 4a) und des kranken Arms (Fig. 4b). Aufgenommen am 27. VII. 10. Bei + Essigsäurereiz; bei — Neutralisation mit Zuckerwasser. Die mit x bezeichnete Stelle in der Fig. 4a entspricht dem Aussetzen eines Herzschlags. “[oAodurg PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 573 Armvolum. des gesunden Arms Armvolum. des gelähmten Arms Fig. 5. Derselbe Fall. Gleichzeitige Aufnahme beider Arme, die obere Volumenkurve vom gesunden, die untere vom kranken Arme. Bei + Essigsäurereiz; bei — Neutralisation mit Zuckerwasser. Aufgenommen am 29. VII. 10. Fig. 6. Derselbe Fall. Volumenkurve des 3. Fingers, die linke von der kranken Hand, die rechte von der gesunden Hand. Bei + Essigsäurereiz; bei — Neutralisation mit Zuckerwasser. Aufgenommen 3. VI. 10. Fall E.K.: Schwere Neuritis des medianus und ulnaris infolge Fraetura intercondyloidea im April; Radialis völlig intakt; schwere trophische Störungen; auch hier derselbe plethysmographische Befund vor der 574 ARTHUR SIMONS: Operation wie bei Fall 1: fehlen alle Reflexe am kranken Arme. — Am kranken Arm war die radialis schwer zu fühlen; es wurde daher zunächst von Prof. Klapp eine Arteriolyse durch Callusfortmeißelung gemacht; der Puls wurde danach bedeutend besser, auch die Hautfarbe der Hand frischer; aber auch nach dieser Operation fehlten am kranken Arme weiter die Gefäßreflexe. Eine opera- tive Freilegung des Nerven ist noch nicht erfolgt, so daß ich über den anatomischen ‘Zustand der Nerven nicht unterrichtet bin, vgl. Fig. 7a, b. Auch diese Kurven sind besonders be- weisend, sowohl bei den thermischen wie den Geschmacksreizen fehlt an dem kranken Arm jede Reaktion, während sie am ge- sunden sehr lebhaft ist — es handelte sich um einen Knaben; man sieht die Atmung an einer Stelle etwas unruhig durch zu starkes Schlucken; für die Beurteilung der Kurve ist das aber gleichgültig, weil der Effekt bereits völlig eingetreten war. Der Anstieg und die Pulsvergrößerung erfolgen bei ruhiger Atmung, und ebenso die Volum- veränderung bei thermischer Reizung. Die Atmungskurve bei der Aufnahme des kranken Armes (Fig. 7a) ist nicht mit abgebildet, sie war völlig ruhig, denn es fehlte die Unruhe beim Schlucken. Die zwei übrigen Kranken mit einer sehr schweren Medianus- und Ulnarisver- letzung gaben keine brauchbaren Kurven; bei dem einen Kinde war infolge mannig- facher Operationen kein Puls auf irgend eine Weise nachweisbar, man sah nur die Atemschwankungen in der Volumkurve, das andere Kind — 3!/, Jahr — war im Appa- rat nicht ruhig zu halten. Ein Kranker, dem der Ulnaris und Medianus oberhalb des Handgelenks durch- schnitten war, gab Fingerplethysmogramme wie der Fall S. B., vgl. Fig. 11, 12 mit Fig. 6. Fall J. G. (von Kollegen T. Cohn überwiesen) vgl. Fig. 8a, b: isolierte Fig. Ta Fall E. K: 575 PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. Medianusdurchschneidung durch Schnittwunde (Sturz in eine Fenster- scheibe) auf der Beugeseite des Unterarms etwas vom lacertus fibrosus bis zur Kante der ulna. Ulnaris, radialis waren völlig intakt. Trophische Geschwüre “rrogsadge 91ago Tap apına ‘Nues [ga Playum Aop sıq :uamoorgaogun Togo Iap Sunznauy 9Sjoyur 9fjegg auto us Ist aAınymmjoA ld ‘Sunzfay I9p uaLloumy — !aq ![eroyefeinuoo Zreisıqg (upAInyy uHp June syy09L) -+ 19 “qteorg “eN 'n AOsseM YIuL uolestermnon — 1oq !zIeI0ıngssissq (U9AImy up jne donegasag WoA syur) -+F 1ogl ‘OT 'IIA'g ue uowuIouosInYy 'Jygyur Sıpeipeyy !urgoproj4puoorayur "eaz 'Isod wIıy | me Zunwyejstieuff) pun -snueıpow "I ' IIeH ‘a2 'Sıa Aus dem ÖOperationsbefund des Prof. J. Israel, den ich = ® =) | © n =; & = © > [m] [eD) A nn ® rS &0 =) 5 n de} HA.: 5 Junwyy ee u: - o © An [eb] SB .- Fi: a en 5 Es =) 5.2 DIE es es -< En an SWIYy En. = uppunsdas = E sap a u9wnjoA or muy 93% ae smM=aA 576 ARTHUR Sımons: Armvolumen Ai) ih, MELLE ne! an AN h ALL Atmung MM Ma Mu Fig. 8a. Fall J. G. Medianusdurckschneidung in der Ellenbeuge vor 4 Wochen; Ulnaris und Radialis intakt. Bei + Essigreiz; bei — Neutralisation. Kranker Arm. Bei der Kurve 8a ist die Atmungskurve in der Mitte der Abbildung höher gestellt worden. Der technische Fehler bei der Aufnahme hat keine besondere Bedeutung, weil die Volumensenkung bereits bis zur tiefsten Stelle erfolgt war; bei der Kurve 8b ist die Atmung vollkommen ruhig. Vor PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 577 ee Fig. Sb. Derselbe Fall. Bei + Eisreiz; bei — Aufhören der Reizung. Aufgenommen am 23. VII. 10. Beginn der Reizung sinkt die Kurve schon etwas, es ist daher besonders auf die beweisende starke Pulsverkleinerung und nach Aufhören der Reizung auf den Anstieg und die Pulsvergrößerung zu achten. Archiv 5A. u. Ph, 1810. Physiol, Abtlg. 37 578 ARTHUR SIMONS: Arm- volumen hai N IN) ANTET L MRNg \\ BE I INLANAARAUA A AU ANAL. Fig. 9. Fall E. K. Vor 3 Wochen Radialisdurchschneidung am Oberarm bei Operation einer Osteomyelitis; leichte Medianus- und Ulnarisschlauchlähmung an demselben Arm. Volumenkurve des kranken Arms. Aufgenommen am 28. VII. 10. Bei + Eisreiz; bei — Aufhören der Reizung. Die Kurve braucht keine Erklärung. = Fingervolumen NEE 3 EN N ; Ray Ana 2 NNOYAANN! N Fiyl NUN" Fig. 10. Fall K. Ulnarisdurchschneidung oberhalb des Handgelenks; Volumenkurve des 4. gelähmten Fingers. Bei + Eisreiz; bei — Aufhören der Reizung. Auch im Fall K. und H. war der Finger 5 Minuten vor der Aufnahme in heißes Wasser getaucht, um deutlichere Pulse zu erhalten; am kranken Finger des Falles H. (Fig. 11) fehlt jeder Reflex, am gesunden erfolgt der Anstieg ziemlich langsam; vergleicht man Figg. 11, 12 mit der Figg. 6 und 10, so fällt wieder die Übereinstimmung auf, daß die Reflexe fehlen, wenn der Ulnaris und Medianus durchschnitten, und der Radialis intakt ist; daß aber bei Ulnarisdurchschneidung und intaktem Medianus ein normaler PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN DER GEFÄSSREFLEXE. 579 Gefäßreflex sich findet, vgl. Fig. 10; die Haut des 4. Fingers wird ja auch vom Medianus mit versorgt, so daß die Kurve nichts Überraschendes hat; leider Fig. 12. Volumenkurve des gesunden 3. Fingers. Bei + Eisreiz kontralateral; bei — Aufhören der Reizung. Fig. 11. Fall H. Vor einem Jahre Ulnaris- und Medianusdurchschneidung oberhalb des Handgelenks. r SE EEE EN Derselbe Fall. Volumenkurve des gelähmten 3. Fingers (vgl. mit Figg. 6 u. 10). = © = = oO > u () on = Ei war der 5. Finger, dessen Haut nur vom Ulnaris versorgt wird, infolge Kontraktur in dem erwähnten Falle nicht zu untersuchen. Mit den bisher abgebildeten Kurven und ihrer Erklärung habe ich zu zeigen versucht, daß die Volummessung bei peripherisch Gelähmten eine 37° 580 ARTHUR SIMONS: PLETHYSMOGRAPHISCHE UNTERSUCHUNGEN USW. funktionelle Prüfung einzelner gemischter Nerven im besonderen auf ihre Vasomotoren gestattet. Es gelingt aber auch noch in gewissem Grade die Analyse trophischer Störungen. Denn war der Medianus allein durchschnitten (Fig. Sa, b), so fanden sich normale Gefäßreflexe und trotzdem mannigfache Geschwüre an den Fingern. Die Pulse waren kaum geringer wie am gesunden Arm. In diesem Falle genügte also allein der Sensibilitätsverlust oder -Mangel zur Ent- stehung schwerer trophischer Störungen. Ich komme auf die Wechselbeziehungen zwischen Hautsensibilität und Gefäßreflexen zurück, wenn die Untersuchung der Syringomyelie- und Raynaudkranken abgeschlossen ist. Hier genüge der Hinweis auf die - Wiehtigkeit der sensiblen Komponente zur Entstehung von Geschwüren. Gut sieht man auch im Pletbysmogramm die Unabhängigkeit der Ge- - fäßreflexe von der Schwere der Motilitäts- und Sensibilitätsstörung. Das zeigt der Vergleich der früher erwähnten klinischen Befunde mit den Kurven ohne weitere Erläuterung. Die feinere Analyse nervöser Störungen und die funktionelle Diffe- renzierung gemischter Nervenstämme durch das Plethysmo- gramm ist aber nur möglich, wenn sehr viele Messungen längere Zeit hindurch bei demselben Kranken gemacht und mit einem eingehenden neurologischen Status verglichen werden. Z. B. müssen bei der Syringo- myelie die Gefäßreflexe in den einzelnen Segmenten geprüft und verglichen, bei Raynaudkranken die Finger und der Arm vor und nach dem Anfall aufgenommen werden. Vielleicht kommt man so einmal zu Beiträgen zur Topik der Gefäß- nerven beim Menschen. Ich verdanke meinem Chef Prof. Oppenheim die unbeschränkte Benutzung der Kranken und Prof. du Bois-Reymond mannigfache Hinweise. Besonders verpflichtet bin ich aber Prof. E. Weber, der mich in die Untersuchungstechnik einführte und mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand. 'Skandinavisches Archiv für Physiologie. | erausgegeben von = Dr. Robert Tigerstedt, | 0. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. _ Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 5 bis 6,Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. - Centralblatt für praktische - AUGENHEILKUNDE Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .#; bei Zusendung unter Streifband direkt von \ der Verlagsbuchhandlung 12 .# 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- - liehste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt ‚den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig. fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. = DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Dr. Max Joseph in Berlin. | Monatlich erscheint ‘eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12.4. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung. Nenrologisches Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. Begründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von Dr. Kurt Mendel. Monatlich erscheinen zwei Hefte. Preis des Jahrganges 28 A. Gegen Einsen- dung des Abonnementspreises von 28 % direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande., Prof. Dr. C. Flügge, und Prof. Dr. G. Gaffky, Geh. Medizinalrat und Direktor 3 Geh. Obermedizinalrat und Direktor des Hygienischen Instituts der des Instituts für Infektionskrankheiten Universität Berlin, zu Berlin, Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- liehen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflieh. ABCHIV. ‘ für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, Jr Meckel, Joh. Müller, Reichert und dn Bois-Reymond BeTanaE chen Archives, he jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppaheten) mit Pier im Tort und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteune und 6 au die phyeno- gische Abteilung. Der Preis. des Jahrganges beträgt 54 M ; Auf die anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie und Entwicke- lungsgeschichte, herausgegeben von W. Waldeyer), sowie auf die physio- logische Abteilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Max Rubner) kann besonders abonniert werden, und: es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abteilung 40 c#, der Preis der es Abteilung 26 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- teilungen ‚nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Sn z 2 © > ” fi f nl u ln ha dp Du En BE 4 m a m de ln u Det Y EEE ER TETISENNEN | il - 1 IN nu N B n )\ N u R - is HHHEREE Anz Archiv f. Anat.u.Phys.1910. Phys. Abtig. Taf: I. Lith.Anst.v.E. A Funke Leipzig. Verlag Veit &Comp. Leipzig Archiv f Anat. u. Phys.1910. Phys. Abtlg. Taf: II. Verlag Veit, &Comp. Leipzig Lith Anst.v.E. A Funke leipzig. Archiv f. Anat.u.Phys.1910, Phys. Abllg. Far IV. Verlag Veit &Comp. Leipzig. Archiv f. Anat. u.Phys.1910. Phys. Abtlg. Dat, VW. Fig10 Lith.Anst vL ‚AFunke, Leipzig. Verlag Veit &Comp. Leipzig Taf. VI. Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Physiolog. Abtlg. a «9 5 oA Beisein ie hasse Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Archiv f. Anat. Blutdruck N Hirnvolumen m Blutdruck Hirnvolumen Blutdruck Hirnvolumen Darmvolumen Ber ® | Be Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Physiolog. Abtig. Taf. VI. Blutdruck ANAANUANANN! Hirnvolumen Fig. 1. Blutdruck Hirnvolumen Fig. 4. Blutdruck Hirnvolumen Darmvolumen Fig. 5. Bei + fließen 0,02 grm Novocain in die Vena jugularis. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Archiv f. An Taf. VII. Hirnvolume N Blutdruck Ihi ll JUNI UNI Il ALL I INN IL NNNLININNINNINN 1 HMI NIMM Hl] | "" HirnvolumerM | | EHEN Archiw f. Anat. u. Phys. 1910. Physiolog. Abtlg. Taf. VI. Blutdruck u WNNMMMMINMNIN Ba ANTERLDULLL LET Kar ae I | AN A q nn uYrrwu r IR. vum Dan u vr amnanMV“ | Hirnvolumen 8 re ; | Fig. 2. Bei + fließen 0,015 grm Codeinum phosphoricum in die Vena jugularis. Blutdruck IARNIRRRIUR" U; AULDERUNNIANE u. Alm iR N” Bei + fließen 0,02 grm Codeinı Fig. 3. ım phosphoricum in die Vena jugularis. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Phys. Abtlg. Tofeloxg Verlag von VEIT & COMT. in Leipzig. Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Phys. Abtly. TREE N | TE % / | NER , N r) mm 0,5 mm 6.2.06 t.A 27.506 1A | a 1 Bis, Da. ° Fig. 5b. N | 1 u ee | | L nn ee —._ ge 16.11.09 rÄ.0) =, En . de - | a ne a: = Be EL ER ; | Fig. 5e. l B" er a Dias: | T ‘a2 | 1.1.10 rA = \ os a 2 n. 4, Fig. 58. N / SUN N sSmm, 12:12:09 TA Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. RE ’ a r D c ” vr . a r ( D } ’ ' = x i ’ e 5 A . = : hai j . ! Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Phys. Abtlg. E.K:% LA. Okt. og9-Märzıo ur ne N SH 4 } b= en SR EN Ran eh HK N Üj “ N U er ff 6 wi 8. Fig. 10h. Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Archiv f. Anat. u. Phys. 1910. Phys. Abtlg. Taf. XIL. Nr en RS ee N 4 R ' —— VN- “ BL n i FR n : u a u 5. Raus, ER | 2 Ra 12.1209 #ÄA ; De DD ” ” Fig. 11d. 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