HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF ee ZOOLOGY 8 Pougkt | ee IH, 2 JAN 14 1924 ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DESVONREIL, REILV. AUTENRIETH, J.F.MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. nen HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM von WALDEYER-HARTZ, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN, JAHRGANG 1917. PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. LEIPZIG, | VERLAG VON VEIT & COMP. 1918 JAN 14 1924 ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1917. MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. > YERnE IE. DLIREI AD. inhalt Max Rubner, Der Nährwert der Vogelwieken und Wicken . _ Max Rubner, Über die Verwertung wir Nebenprodukte der Stärke- industrie fi die Ernährung ß Max Rubner, Weitere Uflefuchänen zur Tedkuntehacnt des nit Säuren aufgeschlossenen Holzmehles c DR R. du Bois-Reymond, Über das N rnllien von rohen gegen er schwingungen (Mit 2 Figuren im Text) . 5 3 Rene du Bois-Reymond, Über den Gang; mit Künstlighen) Beinen: (Mit 3 Figuren im Text) Max Rubner, Nährwert des EN Aa DE eehlobsenen rohen Dein Hunde . Max Rubner, Die Verwertung Vanikeschlenseten rohen für die Bee khrune des Menschen. . . 3 Augustus D. Waller, Ale el Neceh Be ii BIeH es kardtogranin. Lothar Tirala, Die physiologischen Vorgänge in der Netzhaut und ihre Deutung en Grund neuer Methoden. (Hierzu Taf. I.). Lie Hans Virchow, Krümmung und Rippenpfannen der Brustwirbelsäule. (Mit 10 Figuren im Text.) . - Wilh. Filehne, Der absolute Crößeneindeuek beim Seheh. der dschen Gegenstände und der Gestirne SR < Rene du Bois-Reymond, Über den Gang mit Keinsikielen Beinen ; Max Rubner, Untersuchungen über Vollkornbrote Seite Physiologische Abteilung. 1917. I. und II. Heft. ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DESVONREIL, REILv. AUTENRIETH, J. F.MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM von WALDEYER-HARTZ, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1917, —— PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. —= ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT ACHTZEHN FIGUREN IM TEXT. | LEIPZIG, VERLAG VON VEIT&COMP. k n ) Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Inhalt. Seite Max Rusner, Der Nährwert der Vogelwicken und Wicken ._ . . . - i! Max Rusner, Über die Verwer tung einiger en der Stärkeindustrie für die Ernährung . . . ; 7 Max Rusner, Weitere Untersuekumgen zur Verdaulichkeit de ya, Sauren aan Holzmehles . . .. . ; ; A) R. ou Boıs-Reymono, Über das Verhalten von Fischen gegen as schwingungen. (Mit 2 Figuren im Text). . . . et) Rent ou Bois-Revmonn, Über den Gang mit Eihstlichen Beinen (Mit 3 Figuren im Text.) . . . 37 Max Rusner, Nährwert des durch Alkali feeschlossehen Str sh beim runde 50 Max Rüsner, Die Verwertung aufgeschlossenen Strohes für die ee des Menschen . . . Bi! Avscustus D. WaArzer, Altes und Neler ber das Hlektkokasdtoetaen. (Mit 13;Piguten am Text.) 22. 12. m m ee ee ee re a a Die Herrez Mitarbeiter erhalten werzig Separat-Abzüge ihrer Bektasn Sale und 30 .%4 Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. Beiträge für die anatomisehe Abteilung sind an Professor Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz oder an Professor Dr. H. Virehow oder an Dr. P. Röthig, sämtlich in Berlin N.W., Luisenstr. 56, Beiträge für die physiologische Abteilung an Professor Dr. Max Rubner ın Berlin W., Kurfürstendamm 241" portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzsehnitten sind auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeichnungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Format- verhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem een als Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizulegen. JAN 14 1994 Der Nährwert der Vogelwicken und Wicken. Von Geheimrat Max Rubner. Die Fälschung des Mehles mit Unkrautsamen hat wohl stets statt- gefunden. Die bei der Reinigung des Getreides vor dessen Mahlen als Abfall in großer Menge sich ergebenden wertlosen Sämereien werden als Handelsartikel in zwei Sorten, Raden und Wicken, bezogen.! Die Raden bestehen der Hauptsache nach aus dem Samen der Kornrade neben lokal wechselnden anderen Beimengungen (Delphinium consolida Polygonum convolvulus und arvensis usw.). Die Wicken bestehen aus Samen verschiedener Leguminosen (Vieia, Lathyrus, Ervum, Medicago usw.) und Cruciferen (Sinapis, Brassica, Camelina usw.), auch Früchten von Laubkrautarten (Galium); die Samenschalen werden ausgemahlen und sehen in die Kleie über. Von den hier aufgeführten Materialien ist in der ersten Knappheit des Mehles im Jahre 1915 vieles letzterem bei- gemengt worden, worüber ich schon früher berichtet habe.? Die Wicken sind übrigens auch mit Roggen gemischt ein Handels- artikel von erheblichem Umfang. So werden Vogelwicken mit Roggen- besatz benutzt, um Roggen als Futtermittel für Tiere unter Umgehung der Ernährungsverordnungen in den Handel zu bringen. Vor kurzem ist mir die Frage vorgelegt worden, wie sich die Vogelwicke etwa als Mittel zur Streckung des Brotgetreides verhalte. Geheimrat Prof. Dr. Wittmack hatte die Güte, eine Bestimmung des Samengemenges vorzunehmen; die hellen gesprenkelten Samen des Gemenges waren Vicia hirsuta (Ervum hirsu- tum), d.h. die rauhhaarige Wicke oder Zitterlinse, die kleinen schwarzen Samen sind Vieia tetrasperma (Ervum tetraspermum, die viersamige Wicke); außerdem befand sich darunter wenig Rapssamen, Kornblumensamen, etwas Lolium und Galiumarten. Von der Vicia augustifolia ist nach- ! Siehe Rubner, Lehrbuch der Hygiene. 7. Aufl. S. 581. ® Dies Archiv. 1915. Physiol. Abtlg. S. 148. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtle. 1 2 Max RUBNER: gewiesen, daß sie, mit Wasser verrührt, etwas Blausäure bildet; das war bei diesem Gemenge der Vogelwieke nicht zu erweisen. Ein Grund, Mehl aus diesen Vogelwicken für ungesund zu erklären, liegt nach den bisherigen Erfahrungen nieht vor. Als Gemisch einer Leguminosenart kann es wohl zur Verwendung kommen. Nach älteren Beobachtungen machen Leguminosenmehle ein Brot nicht gut backbar, doch verträgt Brot wenigstens Zusätze bis 10 Prozent der Mehlmenge, wie mir von erfahrener Seite mitgeteilt wurde. Natürlich kommen auch andere Verwendungsweisen der Mehle in Betracht, vorausgesetzt, daß der Geschmack nicht unangenehm empfunden wird. Wie die Vermahlung und ob eine teilweise Ausscheidung der Samen- schalen bewirkt wurde, ist nicht bekannt, aber unwahrscheinlich; makro- skopisch war eine Scheidung von Mehl und Schalenanteilen nicht zu sehen. A. Vogelwicke. Von dem Mehl wurden 708 lufttrocken mit der gleichen Menge Wasser bei 100° behandelt und diese verkleisterte Masse den 1000 & Pferdefleisch, welche der Hund pro Tag erhielt, beigemenst. Irgendwelche Veränderungen im Verhalten des Tieres wurden nicht bemerkt. Die Ab- srenzung war nicht sehr scharf, so daß noch etwas Knochenkot der Sicherheit wegen mit dem Versuchskot vermengt wurde. Das Vogelwickenmehl ist ziemlich aschereich, reich an N, es hat einen mittleren Zellmembrangehalt; die Zellmembran ist reich an Pentosan, aber sie erreicht darin die Zerealienkleie nicht. In 100g In 70 g = 62-.6g Trockensubstanz Trockensubstanz pro Tag Aschern Bm Re 5-64 3-15 Orsanıschiigr 2 27 ns 94-56 58-4 INIE RP N ERLERNEN. DER 00 3:72 —=23-25 Protein 2-35 = 14-55 Protein Bentosanı un War: 5-09 3-18 Zellmembraner m 6-26 3-92 mitwBentosann ar 1-41 0-88 „zellulose%. . veruaı 3-17 1:98 „ Restsubstanz 1-68 1-05 IN RE 1-00 0-63 Kalonfen un ee 460-5 288-2 In 100 Teilen Zellmembran Zeilulosem ut. a: 50-63 Pentosaws.. . urn. 22-50 Best. An ae 26-87 DER NÄHRWERT DER VOGELWICKEN UND WICKEN. 3 In 100 Teilen Kot In 26-68 Kot Ascher. yanlauln: 52-99 jan] Organische yn-luneis 47-01 12-5 INP® 5 20, 2ER A 3-55 0-94 IBentosan a ame nn 2-68 0-71 Zellmembran. .*. .. .. 7-30 1-94 nut, Pentosanı s,. .o. ... 1-33 0-35 nat Zelluloser 0.0. ri. 5-19 1-38 mit Restsubstanz .... 0.2 0-19 DIRT LEGE SE N a 1-5 0-40 IKalonienkume- u Au 2 226-2 60-7 In 100 Teilen Zellmembran Zelluloses 2 mr. a. 71-09 Pentosans um Ela. 18-29 IRestsubstanz sn a 2 10-62 In.ihrem Zellulosegehalt übertrifft die Vogelwicke die Kleiearten. Hierin liest also ein prinzipilleer Unterschied vor. Die Ausscheidungen waren nicht reichlich, aber sie übertrafen die Menge des sonst bei reiner Fleisch- kost entstehenden Kotes. Berechnet man kurzerhand den Kalorienverlust, so sieht man einen Verlust im Kot um 60-7 Kalorien pro Tag, während sonst etwa 67-7 Kalorien bei reiner Fleischkost erscheinen. Hierzu ist aber zu bemerken, daß die Ausscheidung von HRleischkot nicht von der Zufuhr allein, sondern auch von dem Eiweißumsatz abhängig ist; die Zugabe von Stärke, die einen wesentlichen Teil der Wicke ausmacht, kann also eine Minderung der Kotbildung durch Minderung des Umsatzes hervorgerufen haben. Zur Feststellung wirklichen Verlustes der Vogel- wicken muß man den Weg einschlagen, die nachgewiesenen Verluste im Kot im einzelnen zu betrachten. Dieses sind: No ‚StärkeszxgAs ini... in uelerdeit 1-6 Kalorien 1-94 g Zellmembran x 42 ...... 8-15 N Dass Bentosanz 3: Zu 2 0-8 a Zelroteinzn DE88 rr 10-0 ze 20-5 Kalorien Die Zufuhr war 288-2, Verlust 20-5 = 7-11 Prozent. 1 0.71 g Pentosan, abzüglich 0-13 aus Fleisch = 0-58, in Zellmembran allein 0.35 = 0:58 — 0-35 = 0.2. 2 0.27g N waren in der Zellmembran = 1.7 Protein. ı* 4 Max RUBNER: Im ganzen ist der Verlust also nicht so groß; er würde ohne die Zellmembran sich fast auf die Hälfte reduzieren. Das Stärkemehl ist ausgezeichnet resorbiert worden. In der Einnahme war (98-4 — 19-3) — 39-3 g, im Kot 0-4, direkt bestimmt = 1-02 Prozent Verlust. Die N-Ausscheidung war 0-94g N pro Tag; davon gehen ab als nicht resorbierbares Protein 0-27 g N, die in der Zellmembran blieben, — 0.67 g als Fleischkot, während sonst 1-03g N kam. Berechnet man als Eiweißverlust die 0-23g N in der Zellmembran, so macht dies, auf die Zufuhr bezogen, 11-5 Prozent aus (wobei die N-Stoffwechselprodukte außer Betracht bleiben). Der Hauptverlust der näher bestimmten Stoffe betrifft die Zell- membran. Die zugeführte Zellmembran zeigt eine Zusammensetzung, welehe von der Kleie der Zerealien abweicht, sie ist zellüulosereicher. Die Resorption zeigt aber ähnliche Verhältnisse wie bei der Kleie, sie ist also besser wie die von Holz und Nußschalen usw. Der Verlust an Pentosan und Zellmembran war folgender: An Gesamtpentosan . ... 2.2... 22-3 Prozent Be, ellmembranee ae SrrEKErNENEE: . 49-4 „, Pentosen der Zellmembran . .... 39-5 4 „„ Zellulose der Bau RE I A ET 3 69-6 „ Restsubstanz der Von der Pentosan des Kotes kommen pro Tag rund 0-15g auf Fleischkot, also 0-71 — 0-13 =0-58g aui die Vogelwicke; in der Zell- membran waren 0-35g, demnach 0-58 — 0-35 =0-23g nicht in Zell- membran enthaltene Pentosen, in der Zufuhr 3-18 — 0-88 = 2-30 g Pen- tosan nicht in der Zellmembran, so daß sich der Verlust des letzteren auf 10 Prozent stellt. Im ganzen betrachtet, wäre also das Vogelwickenmehl obiger Her- kunft ein durchaus zu beachtendes eiweißreiches Nahrungsmittel von günstiger Resorption, das die ausnahmsweise Verwendung für Ernährungs- zwecke wohl rechtfertigen würde. Bei der Zubereitung müsste die für Leguminosen wichtige Verwendung weichen Wassers auch bedacht werden. Die Verwendung von Vogelwicken wird dadurch rationell, daß diese nur einen mäßigen Gehalt von Zellmembran besitzen, etwa wie Korn von etwas über 70. Prozent Ausmahlung. Stoffwechselprodukte N-haltiger Natur wie andere sind hier in die Berechnung nicht einbezogen, weil die Resorption des Fleisches nebenbei auch die Verdauung der Wicke be- sorgt hat. j DER NÄHRWERT DER VOGELWICKEN UND WICKEN. 5 B. Die Wieke (Vicia sativa). Die Wicken sind im allgemeinen auch früher schon zur Mischung mit anderem Mehl als Brot verbacken worden, doch wird dem Wiekenbrot nachgesagt, daß es schwer verdaulich sei. Worauf sich dieses Urteil gründet, ist mir nicht bekannt. Die Wicke als Leguminose ist reich an Protein. Soweit mir bekannt, ergeben sich für die Entschälung der Wicken, auch bei der größeren Art Vicia sativa, große Schwierigkeiten, so daß an eine einfache Trennung zwischen Schalen und Mehl meist nicht zu denken ist. Die Wicken werden daher dort, wo sie ver- abreicht wurden, meist wie die Erbsen im ganzen mit den’ Schalen ver- kocht und so verzehrt. Die Wicken entwickeln mit Wasser angerührt Blausäure; beim Verkochen kommt das nicht in Frage, weil das Ferment durch die Hitze rasch zerstört wird. Sie enthalten als hauptsächlichsten Eiweißstoif neben anderen Legumin und stehen in mancher Beziehung den Lupinen nahe. Der Versuch wurde am Hunde ausgeführt, die Wicken 250 g luft- trocken gekocht und zerquetscht und direkt ohne Fleisch als Beifutter verabreicht. Zusammensetzung und Ausscheidung enthält nachfolgende Tabelle. In 100 Teilen sind In 225.5g pro Tag INSCHEA EN ah 7-98 Orcanısch 2... 96-46 217-1 INT. ol u a 4-02 — 25-12 Protein 9.05 Bentosan. .. 2... 9:49 12-35 Zellmembran . . . . 10-96 24-80 mit Zellulose . ... . 5-28 11-88 Verbrennungswärme . 441-6 995-7 In 100 Teilen Kot sind In 325.6g Kot=108-5g pro Tag SChesp am 2. 31-28 393-9 Organisch . . . . . 68-72 74-56 N se 4-69 5-14 Bentosan!. . . .. 5-35 5-80 Zellmembran . . . 18-12 19-57 Zellulose . . . . . 10-70 11-60 Verbrennungswärme 373-3 405-1 Das Tier erhielt fast genau so viel Kalorien in Wicken wie sonst in Fleisch. Die Resorption war sehr dürftig, von 100 Kalorien der Einfuhr wurden 40-6 Prozent verloren; da die Vieia sativa nicht viel anders | zusammengesetzt ist wie die Vogelwicke, nur etwas mehr Zellmembran 6 MıAıx RUBNER: DER NÄHRWERT DER VOGELWICKEN UND WICKEN. enthält, so ist die schlechte Verdaulichkeit eine Wirkung der schlechten Zubereitung. Die Zellmembran der Wicke ist schlechter verdaulich als jene der Vogelwicke, besonders schlecht wurde die Zellulose verdaut mit 97-64 Pro- zent Verlust. Die harten, groben Hülsen reizen offenbar den Darm und hindern die Resorption aller Bestandteile. Vom N gehen nicht weniger als 56-8 Prozent verloren, obschon, wie gesagt, die Eiweißstoffe an sich, nach dem Ergebnis bei Vogelwieken beurteilt, sich nicht ungünstig ver- halten müßten. An Protein war im Kot im Tag 1-75 N entsprechend, was einem Verlust von 19-05 Prozent entspricht, woraus weiter folst, daß, 34-0 Prozent des ausgeschiedenen N Proteinverlust und 66-0 Prozent Verlust aus Stoffwechselprodukten war. Die Zellmembran selbst erklärt den hohen Kalorienverlust im Kot nicht, denn sie macht nur 87-3 Kalorien aus; die Hauptmasse besteht neben den Stoffwechselprodukten und Proteinverlust aus unresorbierter Stärke. Es ist anzunehmen, daß das Wickenmehl fein zermahlen sich wohl wesentlich günstiger verhält. Jedenfalls muß der Versuch zur Ab- scheidung der Wickenschalen durch Sieben gemacht werden, da nur dann die wertvollen Nährstoffe entsprechend verwertet werden können. Über die Verwertung einiger Nebenprodukte der Stärkeindustrie für die Ernährung, Von Geheimrat Max Rubner. Die Kartoifel gehört zu den gut aufnehmbaren Nahrungsmitteln, allerdings ereicht sie, was Resorptionsfähigkeit anlangt, nicht die Gebäcke und Speisen aus feinem Weizen- oder Reismehl, aber mit 5-61 Prozent Verlust an Kalorien stellt sie sich doch nach meinen Versuchen günstig. Allerdings gilt dies nur für mäßige Zufuhr von 2000 bis 2500 Kalorien, während nach meinen älteren Untersuchungen bei 3300 Kalorien Zufuhr die Grenze der guten Verdaulichkeit (rund etwa 14 Prozent Verlust der Kalorien) schon erheblich überschritten sein kann, während gleichgroße Mengen Weizen- mehles noch ausgezeichnet resorbiert werden. Diese ungünstige Stellung gegenüber dem Weizen ist nicht wohl in der Verschiedenheit des Zellmem- brangehaltes, als wahrscheinlich zum Teil in der Eigenart der Stärke gelegen, da man bei Aufnahme von Mischungen von Kartoffel- und Weizenstärke häufig die erstere im Kote unverändert findet, während die Weizenstärke glatt verdaut ist. Ihr Vorzug in der Verdaulichkeit der Brotarten aus mittlerem Vollkornmehl gegenüber kommt keineswegs immer voll zum Ausdruck. Nach Versuchen von mir und Thomas eignet sich die Kartoffel nur als Beimengung zu kleiearmen Mehlen, während bei stark ausge- mahlenen die Verdaulichkeit des Gemisches herabgesetzt wird. Das trifft namentlich auf die Kriegsbrote zu. Es mögen auf diese Weise durch die unzweckmäßige Kombination von Brot und Kartoffeln Zehntausende von Tonnen an Zerealien gewissermaßen verloren gegangen sein. Die Kartoffel verdankt ihre gute Resorbierbarkeit zum erheblichen Teil dem geringen Zellmembrangehalt der entschälten Frucht; auch 8 Max RUBNER: scheint annehmbar, daß die feinen Zellhüllen des Parenchyms in Analogie zu anderen Fällen zu den leichter resorbierbaren gehören, doch liegen Versuche darüber nicht vor. Es ist zweifellos vielfach die Schale der Kartoffel mit zu Brot ver- backen worden, besonders da, wo Kartoffelwalzmehl zur Streckung aus- gegeben wurde. Die Mengen der Schale im Verhältnis zum übrigen ist nicht genau bekannt, auch nach Größe, Art der Kartoffel und dem Ver- korkungsgrade wechselnd, immerhin mag die Masse der Zellmembranen in der Schale mitunter etwa fast so viel ausmachen, als die Zellmembran im übrigen Teil. Der hohe Zellulosegehalt und die weitgehende Ver- korkung läßt die Kartoffelhaut als etwas Minderwertiges erscheinen. Man denkt in neuester Zeit an eine ausgedehnte Verwertung der Trockenkartoffel als Konserve der täglichen Küche. An und für sich stehen dem keine Bedenken entgegen — außer der Beschränktheit der Verwendung der Trockenpräparate —, falls das Trocknen in geeigneter Weise geschieht. Das zurzeit im Handel befindliche Material von Trocken- kartoffeln entspricht aber nicht immer nach Aussehen, Geschmack und Geruch dem an ein menschliches Nahrungsmittel zu stellenden Anforde- rungen. Offenbar wird manchmal nachlässig oder ungeschickt bei der Trocknung verfahren und bei der Hast, mit der die Herstellung dieser Waren betrieben worden ist, können schlechte Ergebnisse, die unterlaufen, nicht in Erstaunen setzen. Es ist auch geradezu widersinnig, schlecht gewordene Kartoffeln, wie empfohlen wurde, mit zu trocknen, da hier- durch die Ware für den menschlichen Gebrauch geradezu ungenießbar, also nar verschleudert wird. - Bei der technischen Verarbeitung der Kartoffel entstehen eine Reihe von Produkten, so bei der Spiritusbereitung, auch bei der Stärkedar- stellung und bei der Fabrikation der Preßkartoifel. Da auch solche Nebenprodukte, die früher zur tierischen Ernährung verwendet wurden, in mehr oder minder unverblümter Form für menschliche Zwecke in Er- wägung gezogen werden, sollen in nachstehendem einige dieser Produkte näher untersucht werden, zumal sich dabei Fragen von allgemeiner Be- deutung haben beantworten lassen. Die Kartoffelpülpe. Zu den Nebenprodukten der Kartoffelindustrie gehört die Kartoffel- pülpe. Das mir zur Untersuchung überwiesene Material stammte aus einer Stärkefabrik; die Pülpe entsteht dabei aus den Resten der Kartoffel, die bei dem Abschwemmen der Kartoffelstärke aus dem zerkleinerten VERWERTUNG EINIGER NEBENPRODUKTE DER STÄRKEINDUSTRIE. 9 Material zurückbleiben. Die Pülpe war ein ungefärbtes, geschmack- und geruchloses Pulver, reich an Stärke. Diese läßt sich bei einfachem Zusatz von Jod nieht immer gleich erkennen. Ihrer Natur nach müßte die Pülpe auch reich an Zellmembran sein: das bot die Möglichkeit, die letztere auf ihre Resorbierbarkeit mit zu prüfen, ohne sie erst mühsam eigen- händig herstellen zu müssen. Die Pülpe hat gegenwärtig, da so wenig Kartoffeln zur Stärke- fabrikation verwendet werden, kaum als Nährmittel eines Volkes wirt- schaftliche Bedeutung; in Friedenszeit wird sie aber als Nährmittel nicht verwendet, weil dann genügend anderes Material, das sich für die Er- nährung besser eignet, vorhanden ist. Die Pülpe dürfte wohl eine schwankende Zusammensetzung haben, da Ausgangsmaterial und Betriebsart nicht ohne Einfluß bleiben werden. Nach einer Angabe bei König (Bd. IT) berechne ich für 100 Teile Trockensubstanz: NeSubstanz . 2.02 2.0.00. 6-35 Prozent TDEKHE de RE ES /EO= TUN 08 N-freie Extraktstoffe . . . . 79-30 ,. (exkl. Rohfaser) Role a 10-00 , ENSCHTER TEE U ONE 3:35 Mein Präparat war folgendermaßen zusammengestellt: Kartoffelpülpe. In 100 Teilen In 100 lufttr. = 90-7g Trockensubstanz trocken pro Tag Bschesmlallern.. m’. 2-90 2-65 Örganisches . . . . 97-10 88-02 Ns... 0-62 0-56 Bentosanıl. 1... %. 8-81 793 Zellmembran . . . 43-92 mit 6-50g Pentosan 39-83 mit 5-89g Pentosan Zellulose ..: ... OS 18-06 Kesiweßelliin. 17-51 15-88 SIATKERER N. 1 44-7 40-54 Ders VABARRLL NK. 0-13 0-12 Verbrennungswärme 407-6 369-6 10 Mıx RUBNER: Zusammensetzung des Kotes. In 100 Teilen tr. Kot In 73-4 g tr. Kot pro Tag INSCHeRER SEN Auen 22-01 16-15 Organisches . . . . 71:9 57-25 IN 52 a a BE 3-36 2-46 Bentosansa rn 4-64. 3-41 Zellmembran . . . 24-02 mit 2-78g Pentosan 17-63 mit 2-06g Pentosan Zellulose . . . . . 14-79 10-84 Rest; yet. 6-75 4-73 Hettsracnit asll..% 0-80 0-56 Stärke mie Le 20-90 15-34 Verbrennungswärme 368-2 270-2 In 100 Teilen Zellmembran Zellulogermeur res 61-53 Pentosan 2 ee Best ee 26-88 Es war N-ärmer, als die oben angegebene Analyse im Durchschnitt angibt, sehr fettarm, ziemlich reich an Pentosan, von welchem der größte Teil in der Zellmembran sich befindet. 43-9 Prozent waren Zellmembran, die sogenannten N-freien Extraktstoffe waren srößtenteils Membranen. Zieht man alle näher bestimmten Stoffe von der organischen Substanz ab, so bleiben nur 44-7 Prozent als eigentliche N-freie Extrakte, die hier aus Stärkemehl bestehen. Das Präparat enthielt in diesen also ein wohl verwertbares Nähr- material, dagegen ist, von der Verdaulichkeit vorläufig abgesehen, der Zellmembrangehalt so hoch, daß er alle sonst pflanzlichen Nahrungsmittel, die etwa als menschliche Nahrungsmittel benutzbar sind, erheblich über- BIRLLUND, | Die Zellmembranen haben die Eigenschaft, bei dem Aufweichen in Wasser und nach dem Auswaschen usw. zu einer sehr voluminösen Masse aufzuquellen. Ihre Zusammensetzung geht aus den Zahlen der Tabelle hervor. In der Zellmembran der Kartoffel und in den Kartoffelschalen haben sich früher gefunden: Zellmembran Kartoffel- Kartoffel- des Parenchyms schale pülpe Zelluloseseeee ee 40-72 51-87 45-32 Pentosan 12 3... "2 5-55 8:59) er RAS Rest. th, 53-70 39-58 39-88 VERWERTUNG EINIGER NEBENPRODUKTE DER STÄRKEINDUSTRIE. 11 Auffallend groß ist der Unterschied in der Zusammensetzung mit Bezug auf die Menge der Zellulose; es wäre denkbar, daß etwa stark verkorkte Schalen beigemengt waren, worüber ich Näheres festzustellen nicht in der Lage war. a) Verdaulichkeit der rohen Pülpe. Zunächst habe ich die Pülpe als ‚Mehl‘ (100 & pro Tag lufttrocken) mit dem Fleisch gemengt und dem Versuchshunde zu 1000 g Fleisch gefüttert. Sie feuchtete sich aus dem Fleisch mit Wasser an und in diesem Zustand nahm der Hund das Material auf. Im ganzen betrug die Aufnahme der Kartoifelpülpe (s. Tab. S.9)369-6Kal., die Ausscheidung 270.2 Kal. Davon gehen ab: | 17-63 Zellmembran x 4-1Kal. 72-2 „, 1-35 fr. Pentosan x 3-9 ,, 5.26 ,, 4-8 Protein Dre ae ou 19833004718 Stärke... . el, Nas, bleiber U raaaR BIN SS KEN RE FREE 94-8 Kal. Der Fleischkot liefert im Durchschnitt. . . 677 „ SO REN Er ee ee 17-1 Kal. Es kommt also etwas mehr, als sonst an Fleischkotkalorien geliefert wird, aber der Unterschied ist so unbedeutend, daß man nicht sagen darf, er beweise eine Darmreizung mit vermehrter Bildung von Kot. Von den 369-6 Kalorien der Einfuhr waren 175-4 Kalorien in den näher angegebenen Produkten wieder entleert worden, also sicher 47-43 Prozent der Kalorien wieder verloren gegangen — wozu bei alleiniger Verfütterung von Pülpe noch Stoffwechselprodukte zu rechnen wären. Die Menge der Stoffwechselprodukte der Tardannnssie wurden hier ausschließlich in der Form des Fleischkotes ge: liefert; das Fleisch war also in der Lage, noch 396-6 Kalorien der Kartofielpülpe mit zu verarbeiten und zur Resorption zu bringen. Erheblich ist die Gesamt-N-Ausscheidung im Kot; im Durchschnitt liefern 1000 8 Fleisch 1-03g N im Kot, bei Pülpe treten 2-46& N aus. In der Zellmembran ist N eingeschlossen und durch kein Lösungsmittel zu entiernen, aus Kot dargestellt 0-77, so daß immer noch 0-66g N außerdem mehr ausgeschieden wurden, die als Mehrung der N-haltigen Stoffwechselprodukte verbleiben. Was die Zellmembran selbst anlangt, so ist diese zwar nicht sehr gut, aber doch nicht unter großem Verlust aufgenommen worden. 12 Max RUBNER: Es wurde verloren: von Zellmembran . . . . . ...... 44-26 Prozent Zellulose ! 2.0.7... ner: 460206 Pentosan . ..... .. „sespag 2 Restsubstanz . . . 29-8 Die Zellmembran entspricht in ihrer Verdaulichkeit zwar nicht den leicht resorbierbaren, wohl aber auch wieder nicht den schwer resorbier- baren Arten. Da wir sie im wesentlichen als Kartoffelzellmembran an- sehen dürfen, so wird es auch erlaubt sein. diese Ergebnisse als Hinweis auf die Verdaulichkeit der Kartoffel zu betrachten. Geschälte Kartoffeln enthalten nach meinen Bestimmungen 5-59 Prozent Zellmembran, was einem Mehl mittleren Kleiengehaltes entspricht. Die Verdaulichkeit der eigentlichen Kartoffelzellmembran nach Aus- schluß der Schalen dürfte vielleicht günstiger sein, als die vorstehenden Versuche ergeben, weil dabei nur feine, zarte Zellmembranen in Frage kommen, ähnlich wie für den Mehlkern der Getreidearten. Der Hund hat im Tag rund 22 & Zellmembran resorbiert, was etwa 9 Prozent seines Tagesumsatzes an Kalorien ausmacht. Ähnliche Größen habe ich auch bei Verfütterung anderer Zellmembranen gefunden. Man kann also auch in quantitativer Hinsicht nicht behaupten, daß der Darm des Hundes nur wenig leistungsfähig sei hinsichtlich der Resorption der Zellmembranen. Der Unterschied zwischen Fleisch- und Pflanzen- fresser scheint mir kein prinzipieller zu sein. Auch der Fleischfresser resorbiert, wie ich in zahlreichen Einzelbeispielen gezeigt habe, Zell- membranen verschiedener Art bis zu reiner Zellulose, nur die quanti- tative Leistung ist begrenzt. Über ein gewisses Maß kommt der Hunde- darm in der Resorption nicht hinaus, und diese Menge spielt in seinem Ernährungshaushalt keine bedeutende Rolle. um so weniger, als ja der volle Nährwert der resorbierten Kalorien für den Kraftverbrauch nicht ' in Anschlag gebracht werden darf. Ähnlich liegt die Sache auch für den Menschen. Der letzte Nährstoff, den wir zu’ betrachten haben, ist die Stärke; ihre Resorption war sehr ungünstig. Frühere Versuche haben bewiesen, dab man bei der Resorption der Stärke unter Umständen mit einem Eifekt von 99-5 Prozent rechnen kann. Hier wurden 37-83 Prozent ver- loren, von der Zellmembran 55-7 Prozent. Demnach ist die Resorption der Stärke nicht viel größer gewesen wie die der Zellmembran. Das kann unter allen Umständen nur auf die Anwendung der Pülpe in ungekochtem Zustande zurückgeführt werden, da sonst kaum ein anderer Grund für die mangelhafte Aufnahme zu finden sein dürfte. Zwar käme vielleicht: VERWERTUNG EINIGER NEBENPRODUKTE DER STÄRKEINDUSTRIE. 13 noch der Umstand in Betracht, dab ein Teil der Stärke in schwer lös- liche Zellmembran eingebettet ist. Die Frage wird durch den nach- folgenden Versuch mit gekochter Pülpe entschieden. b) Gekochte Pülpe. Zu dem folgenden Versuch waren 1000 g Fleisch 70 g Pülpe gekocht zugesetzt worden; im übrigen bleibt die Ausführung der Versuche genau dieselbe wie vorher. Die näheren Angaben der Zufuhr und Ausfuhr enthält die nach- stehende Tabelle. In 63.52 tr. Kartoffelpülpe ist enthalten ASCHE TEN TEN NE . 1-84 Örganisches 61-68 INSMRRIENEE EERIEER SRE BELLE, 0-39 Benbosanı 200 EEE, 5-59 Zellmembrane "nn. 27-89 Zeilulosett Anm NEN EN 12-62 Bentosankdanına a 4-12 INES IRB NE REIS ER 5 BRENNEN) Stünke Ba N I TEN 28-38 nette ie I 0-08 Kalonienge au SL ı tun 258-8 In 100 Teilen Kot sind In 40 Teilen Kot sind im Tag ‚Auclhar EA Fe 14-78 5-91 Örganisches . . . . 85-22 34-09 IN. 1 dr Se 3-94 1-58 Bentosan . .... 6-47 2-59 Zellmembran . . . 34-44 mit 4-57g Pentosan 13-78 mit 1-83g Pentosan Zelulose . ... . 22-36 8-94 Bes... 7-51 3.01 Seankern., 0. u 15-09 6-0 Verbrennungswärme 412-7 165-1 In 100 Teilen Zellmembran Zelluloser 0 u 64-92 Bentosan Vi. nr. 13-26 BROS. .0cn ee 21-82 Das Hauptinteresse konzentriert sich zunächst auf die Verbesserung der Gesamtausnutzung des Präparates, wie sie durch die Kalorien an- gezeigt wird. 14 Max RUBNER: Von den gefütterten 258-0 Kalorien pro Tag kamen im Kot 165-1 Kal. Davon gehen ab: 13378 21 Der Versuch zeigt, daß man mit Unrecht von einer Aufschließung der Zellulose spricht, wenigstens ist die Menge der Zellulose unver- ändert geblieben. Verändert wurde aber die Masse der Zellmembran, was nur dadurch möglich war, daß Bestandteile, die nicht Zellulose sind, in lösliche Verbindungen übergegangen sind. Dadurch ist auch die Zusammensetzung der Zellmembran im ursprünglichen Birkenholz und in dem mit CIH behandelten Präparat eine andere geworden. In 100 Teilen Zellmembran sind: In reinem In dem mit verd. CIH Birkenholz behandelten Präparat ZRSIT SC LEE EEE A 45-4 58-8 Bentosan N 26-5 15-9 Tees a a BE Ne 1 112 SE Er re 28-1 25-2 Die Zellmembran wird relativ reicher an Zellulose. Eine Veränderung des Holzes unter Einwirkung der verdünnten CIH findet also statt. Welehen biologischen Wert diese Änderung hat, kann nur direkt durch den Versuch entschieden werden. Von dem getrockneten Präparat wurden dem Hund täglich 70 g lufttrocken unter 1000 g Pferdefleisch gereicht. Die Übersicht über Aufnahme und Ausscheidungen enthält folgende Tabelle. In 100 Teilen Trockensubstanz In 68.8g pro Tag ASelne , DS 2.74 1-90 Organisches . 97-26 66-90 IN 2 0-22 mit 1-37g Protein 0-15 mit 0-93g Protein BZEMWSan. . .. . .. 25-74 lo zäl Zellmembran 68-17 46-90 Zellulose der Zellm. 40-12 27-60 Pentosan ,, 21V 7-47 Rest 3 aß) 11-83 Verbrennungswärme 443-6 305-2 Lösliches rund 27-72 Prozent. In 100g Kot In 75-.2g pro Tag ae ne a 16-72 1-26 Örganisches . 83-28 62-6 INEIESERRENEN ER... 2.56 1-82 Bentosan en... \ 9.43 6-39 Zellmembran 51-64 49-51 22 MıAx RUBNER: In 100g Kot In 75-25 pro Tag Zellulose der Zellm. 30-95 23-27 Pentosan „, ., 7-81 5-87 Rest EN 12-88 13237 Verbrennungswärme 407-6 306-5 Als äußerlich sichtbarer Erfolg der Aufschließung wurde erreicht, daß der Kot nicht zu harten Massen verfilzt, sondern mehr bröckelig blieb. Die weiche Beschaffenheit der Birkenholzfaser verlor sich also infolge der Herauslösung bestimmter Stoffe, die den Pentosanen und Ligninen zugehören müssen, wenn nicht die Zellulose nebenbei, obschon chemisch für die Reagenzien zur quantitativen Darstellung unverändert, doch eine Veränderung der physikalischen Eigenschaften angenommen hat. Die allgemeinen Ergebnisse der Verdaulichkeit mögen kurz ange- reiht sein. Die Ausnützung der Kalorien ist folgende: Verlust "im Kot PP IINEERTE Er 306-5 Kal. abrfür' Pleischko#? IRRE er. also trifft auf das CIH-Präparat allein . . . 238-8 Kal. Die Zufuhr war 305-2 Kalorien = 78-2 Prozent Verlust im ganzen. Pentosen waren auch im Harn vorhanden: am 1. Tag = 0:90 g Pentosan a ENDE a el, Sie waren noch nicht völlig ausgeschieden, denn an dem auf die Fütterung folgenden Tag kamen noch 0-14 g, somit treffen pro Tag 1-05 g Pentosan als Verlust im Harn. Es ist wahrscheinlich, daß auch noch andere Stoffe des Holzmehles, wenigstens in kleinen Mengen, neben Pentosen im Harn austraten. Der Verlust im Harn erhöht den Kalorienverlust um (1-05 x 3-9) 4-09 Kalorien täglich, wodurch der Gesamtverlust auf 79-6 Prozent der Kalorien sich steigert. Im Gesamtverlust ist auch eine etwaige Steigerung der Stoffwechselprodukte mit inbegriffen. Um letztere besonders festzustellen, kann man folgende Rechnung zugrunde legen: Eintleerte Kalorien . . . 2 „u... me el Zellmembranen des Kotes (42-51 x 4-25)! . 180-8 für gelöstes Pentosan (0-5 x 3-9) . 2... 1-97 Vase bleiben u = 77: 123-8 Kal. 1 Direkte Bestimmung der Verbrennungswärme. VERDAULICHKEIT DES MIT SÄUREN AUFGESCHLOSSENEN HOLZMEHLES, 23 Es hat also eine Mehrung der Stoffwechselprodukte stattgefunden, da sonst bei Fleisch allein nur 67:7 Kalorien entleert wurden, also mehr um 56-1 Kalorien pro Tag. Damit steht im Einklang die N-Ausscheidung von 1-82 pro Tag, während bei Fleisch allein nur rund 1-03g& N ent- leert wird. Da rund 20-4 Prozent vom CIH-Präparat resorbiert wurden, — 90-6 Kalorien, so entsteht die Frage, aus welchem Anteil der Zell- membran oder den löslich gewordenen Produkten dieser Gewinn stammt. Für die Verluste aus der Zellmembran und ihren Bestandteilen ergibt sich: für 100 Teile Zellmembran . . ......90-6 Zellulose der Zellmembran . . 84-4 Pentosan ,, IN N rkealeı Rest Rn 22 (13:0) Die Restsubstanz war in der Zellmembran im Kote etwas reichlicher vorhanden als in der Zufuhr; diese läßt sich nur so erklären, daß die Zellmembran durch die Verdauung eine Veränderung erfahren hat. Diese könnte sich auf eine Umwandlung eines Teiles der Zellulose beziehen, der dann für die Reagenzien zur Zellulosebestimmung löslich geworden ist. Von der Zellmembran werden im ganzen nur 4-4 Kalorien pro Tag resor- biert; die Aufnahmefähigkeit ist eine sehr geringe. Der Hauptanteil des Resorbierten muß daher aus der Aufnahme freier Pentosen aus den lös- lichen Produkten des Präparates überhaupt stammen. Von den Kalorien für 100 Teile Zufuhr des Präparates = 443-6 Kalorien kann man die Kalorien der vorhandenen Zellmembranen (62-2 x 4-251) — 289-8 abziehen, dann bleiben 153-8 Kalorien für den gesamten übrigen organischen Rest = 29-1 Teile (darunter 1-37 Protein), Verbrennungswärme pro 1g = 5-284 Kalorien, d. h. höher als die der Zellmembran. Auf den Tag treffen 105-7 Kalorien von diesem Substanzgemisch (20-0 x 5-284) als Zufuhr. Im Kot sind nach Abzug von 67-7 Kalorien für Fleischkot aus- geführt 238-8 Kalorien, davon gehen weiter ab 42-51 & Zellmembran mit 180-8 Kalorien u. 1-9 Kalorien pro Pentosan, also Rest 56-1 Kalorien, welehe sich auf die Steigerung der Stoffwechselprodukte über das Maß des normalen Fleischkotes hinaus beziehen, von diesen kann nur die Menge der Kalorien für freie Pentosane (0-5 x 3-9) = 1-9, auf die 105-7 Ka- lorien, Zufuhr in Form von löslichen Produkten allenfalls bezogen werden — 1-8 Prozent Verlust. 24 Max RUBNER: Die löslichen Produkte sind also leicht resorbierbar und bedingen eine anscheinend bessere Gesamtresorption. Je weiter eine Aufschließung in diesem Sinne sich vollzieht, desto resorbierbarer wird auch das u im ganzen werden. Naheliegend ist die Frage, ob denn durch die AufschlieBes die eigentliche Zellmembran des ursprünglichen Birkenholzes selbst eine Erhöhung der Verdaulichkeit erfahren hat. Es findet sich als Verlust: Bei der Birke Bei dem Präparat Pauly Zellmembranee rer 55-84 90-6 Zeiluloser 2 60-78 84-4 Bentoram 2 46-31 78-6 Rest, 2 ee 98-5 (113-0) Die sogenannte Aufschließung hat sonach zwar durch Bildung löslicher Produkte ein Material geschaffen, das leicht resorbierbar ist, die eigentliche Zellmembran ist aber beim ursprünglichen Birkenholz viel leichter resorbierbar als bei dem aufgeschlossenen Präparat. Auch wenn man nur den Kalorienverlust bei Birkenholz und dem mit CIH aufge- schlossenen Präparat vergleicht, sieht man, daß das unveränderte Holz leichter verdaulich ist als das letztere: Bei Birke werden verloren an Kalorien 63-4 Prozent, bei Präparat Pauly 79-6 Prozent. Die Aufschließung der Zellmembran ist also im gegebenen Falle völlig zwecklos, da sie keinen Erfole erzielt und die Zellmembran schwerer ver- daulich macht. Die in Wasser löslichen Produkte halten in alkalischer Lösung fast kein Kupferoxydhydrat in Lösung. Es bildet sich beim Kochen auch wenig Kupferoxydul, mit Phlorogluein-CIH in der Kälte färbt sich die Lösung und wird nach dem Abblassen in der Wärme nochmals rot. Nach diesen allgemeinen Erfahrungen über die neue Modifikation der sogenannten Aufschließung von Holz hätte es keine Berechtigung, weiter auf die Prüfung des Präparates zur Ernährung des Menschen einzugehen. Doch habe ich Anlaß genommen, persönlich im Mai 1917 mehrere Tage das Kriegsbrot in meiner Kost durch solches Brot mit aufgeschlossenem Holzmehl zu ersetzen, obschon solche Experimente nicht immer spurlos an meinem Magen vorübergegangen sind. Das Brot, durch Mischung von Mehl mit 60 Prozent Ausmahlung unter Zusatz von 20 Prozent auf-- geschlossenem Holzmehl hergestellt, war viel dunkler wie solches aus Mehl gleicher Ausmahlung ohne Holzmehlzusatz; es war kleinblasig, aber nicht feucht oder speckig. An manchen Stellen waren kleine Holz- VERDAULICHKEIT DES MIT SÄUREN AUFGESCHLOSSENEN HOLZMEHLES. 3 fäserchen mit bloßem Auge zu sehen. Auffallend schneller trocknete es aus, wobei es so hart wurde, daß das Messer schwer hindurchdrang. Beim gründlichen Kauen schmeckte weder Kruste noch Rinde wirklich gut, wie es bei Mehl von 60 Prozent Ausmahlung sein müßte. Beim Essen und nach demselben hat man ein kratziges Gefühl im Halse. Es bläht nicht weniger als das schlechte Kriegsbrot und gibt einen äußerst trockenen festen Kot. Von einer besonderen Sättigung ist keine Rede, wenn man nicht etwa den Begriff Sättigung damit verwechselt, daß man wegen der Härte und Zähigkeit des Brotes keine Neigung haben wird, viel davon zu essen. Auch beim Eintauchen des Brotes in Flüssigkeiten (Kaffee, Tee, Fleisch- brühe) fehlt der würzige Geschmack und Geruch. Ähnliche Beobachtungen habe ich auch bei anderen Zusätzen zu Brot gemacht, von denen man hätte annehmen sollen, daß sie sich wenigstens nur indifferent verhalten. Il. Unter Bezugnahme auf die Untersuchungen, die in diesem Archiv, Jahrgang 1916, S. 40, bereits die Einwirkung der Salzsäure auf das Holz zum Gegenstand gehabt haben, ist es jetzt möglich, sich eine nähere Vorstellung von der Wirksamkeit derartiger Aufschlußverfahren, insoweit sie Salzsäure in wässeriger Anwendung oder in Dampfform be- nutzen, zu machen. Bei der Behandlung mit Salzsäuredampf in der Kälte hatte ich festgestellt, dab dabei eine allmähliche Verfärbung des Birkenholzmehles eintritt, erst wird es gelblich, dann werden verschiedene braune Töne bis zu schwarzer Färbung, ähnlich wie Tierkohle, erhalten. Die Farbe gibt einen annähernden Anhaltspunkt für den Grad der Einwirkung, zwei Prozesse hat man zu unterscheiden. Läßt man die Salzsäure nur bis zu schwacher Einwirkung gehen, so bleibt die Zellulose selbst unberührt, von einer Aufschließung der Zellulose kann dabei nicht die Rede sein. Daneben entstehen aber in Wasser und Alkohol lösliche Produkte mit brauner Färbung, welche, von Säure befreit und eingedickt, eine schwarze Masse darstellen, vielleicht also nichts anderes sind, als jene schwarzen Produkte, welche bei langer Einwirkung der Salzsäure die ganze Holzmasse in Kohle zu verwandeln scheinen. Zieht man das Holz vorher mit Ammoniak in der Wärme aus, so verfärbt es sich nachträglich mit CIH-Dampf nicht mehr. Da die Lignine dabei in Lösung gehen, so könnten letztere das zuerst ange- griffene Material darstellen, doch werden auch Pentosane durch NH, in Lösung gebracht. Als Produkt einer solchen schwachen Einwirkung von 26 Max RUBNER: Wasserdampf und Salzsäuredampf ist das Schwalbesche Holzmehl zu betrachten. Das unveränderte Material hierzu kam nicht in meine Hände. Die Zusammensetzung des aufgeschlossenen Materials entspricht aber ganz den oben gegebenen Schilderungen. In diesem Präparat treten auch in erheblicher Menge in Wasser und Alkohol lösliche Produkte auf, die in dem ursprünglichen Holz wenigstens nieht in gleichem Umfang vorhanden gewesen sein können. Sie betragen 35-4 bis 25-1 Prozent, also nicht weniger als ein Viertel der ganzen Masse.. Damit wird der Verdaulichkeitscharakter des Produktes wesentlich ver- ändert. Sie erklären auch hier, wie schon oben S. 24 näher zahlen- mäßig dargelegt ist, die Resorbierbarkeit, während die Zellmembran selbst geradezu recht ungünstig verwertet wird. Der Verlust war 67-3 Prozent für die Gesamtkalorien, zum Teil bedingt durch Mehrung der Stofi- wechselprodukte, welche die sonst begünstigste Resorption durch die in Wasser löslichen Produkte wieder etwas ausgleichen. Der Verlust der Zellmembran selbst war 67-7 Prozent, während z. B. unverändertes Birkenholz nur 55-8 Prozent Verlust gibt. | Wie die Spaltung des Holzes im einzelnen verläuft, läßt sich genau bei dem Präparat Pauly verfolgen, bei welchem ich das Aus- sangsmaterial und die Endprodukte nach denselben Methoden unter- sucht habe. Im Präparat Birkenmehl In 100 Teilen aa: i N Birkenmehl Differenz In 100 Teilen organisch nach Pauly NSCHernE PR 0-64 — — — Örganisches . . . . 99-34 100 100 = IN ER RR 0-11 0-12 0-27 + 0-52 (Prot.) IDertosan 28-21 28-44 26-45 —99 Zellmembran . . . 91-07 91-64 70-07 — 21-61 Zelluloses a ME E26 41-54 41-23 40-5 Pentosan . . .. 24-35 24-31 11-16 — 13-19 Preste MI MEERE DEGG 25-83 17-68 — 8-15 Verbrennungswärme 458-2 461-2 455-9 — 5-3 Iboslichun2 0. Amer _ 7-58 28-56 +20-98 Die Zahlen sind auf organische Substanz umgerechnet, weil kleine Differenzen im Aschegehalt vorlagen. Faßt man das Gesamtresultat der Veränderungen zusammen, wie es in der Verbrennungswärme sich aus- drückt, so sind diese äußerst gering, denn VERDAULICHKEIT DES MIT SÄUREN AUFGESCHLOSSENEN HOLZMEHLES. 27 WesBirkenkolzaltelerule 7... ..,.0.0. 020. 4.612 kg-cal. 1 g aufgeschlossenes Holz liefert .. . . . 4.559 kg-cal. Verloren ging etwas Pentosan, letzteres wird durch Säuren leicht verändert und über Furfurol weiter gespalten; einer solchen Spaltung entspricht auch ungefähr. der hier gefundene Verlust an Verbrennungs- wärme. Im übrigen treten kaum Stoffe aus. Von der Zellmembran wird erheblich viel löslich und liefert die in Wasser und Alkohol aufnehmbaren Produkte. Die Zellulose wird aber nicht aufgeschlossen, wenigstens nicht im Sinne einer Veränderung ihrer wesentlichen Eigenschaften, die Pentosane wurden zu mehr als zur Hälfte aus der Zellmembran heraus- genommen, dazu noch Substanzen, die vielleicht Hexosane und Lignin- substanzen sind, denn sie entstammen dem „Rest“, d. h. hauptsächlich in Ammoniak löslichen Gruppen. Dies Verhalten zeigt, dab Pentosane und Restsubstanzen zum erheblichen Teile so in der Zellmembran verteilt sein müssen, daß sie für die benetzende verdünnte Säure leicht zugäng- lich sind. Über die Zusammensetzung der löslichen Substanzen besagt der Ver- such mit verdünnter CIH folgendes: Ursprünglich waren im Birkenholz 7-58 Teile Lösliches mit 4-13 g Pentosan, d. h. mit 54-5 Prozent von letzterem. Durch Salzsäure wurden gelöst 28-56 Teile, wozu noch 1-99 Teile Pentosan kommen, welche zerstört wurden = 30-55 Teile. In diesen waren gelöst inklusive des zerstörten Pentosan 17-28 g, ab 7-58 ursprünglich Gelöstes und 4-13 g Pentosan, bleiben 22-97 g gelöst durch Säurewirkung mit 13-15 g Pentosan = 57:1 Prozent Pentosan. Die aufgelöste Substanzmischung ist also ganz ähnlich der schon vor- her in Wasser und Alkohol löslichen Substanz und besteht aus etwa mehr als der Hälfte Pentosan. Dies Gemisch ist, wie oben gezeigt wurde, leicht resorbierbar. Wahrscheinlich entfalten diese Spaltungsprodukte aber nebenbei teils einen nachteiligen Reiz auf den Darm, teils auch eine desinfizierende Wirkung, denn die starke Verminderung der Zelluloseverdaulichkeit und der Zellmembranverdaulichkeit überhaupt weist auf eine Schädigung der Bakterienflora hin. Da stets Pentosane durch Säuren angegriffen werden, so ist die Bildung von Furfurol möglich, dieses aber bekanntlich eine Substanz, die schon in kleinen Mengen reizend auf die Schleimhaut wirkt. Läßt man Salzsäuredampf sehr lange einwirken, so kommt es zu ‚einer weitgehenden Zerstörung der Zellulose und Pentosane. Die Substanz sieht jetzt aus wie Ruß. Ein Vergleich des Ausgangsmaterials und der Endprodukte ergibt für 100 Teile: 28 Max RUBNER: Mit CIH-Dampf Birkenholz behandelt Asche@ ee: 220 2-62 — Orsanisches 3 97-4 97-38 — Bentosaumerr rer 31-9 9.61 —22-3 Zellmembran . . .. 94-4 70-66 | Zellulose der Zellm. 35-2 24-35 m) Pentosan ,, in 25-0 3-43 — 21:6 Rest in st 34-2 49.88 + 8-7 Verbrennungswärme . 400-9 398-5 — osliches er 2-8 26-72 +23-9 Die Zerstörung betraf Pentosane, aber auch die Zellmembran, und daraus entstanden Produkte, welche die Restsubstanz der Zellmembran und vor allem die löslichen Produkte vermehren, die aber nur etwa 33 Prozent Pentosan enthalten. Ein Vergleich der Zusammensetzung der Zellmembran ergibt für 100 Teile: Im Holz Im CIH-Präparat Tiellulosem u Se 37-29 34-46 Bentosan an 26-48 4-86 Rest 1 30 TR 36-23 60-68 Die Produkte, welche die Restsubstanzen ausmachen, haben bei dem CIH-Präparat eine weit höhere Verbrennungswärme als Zellulose und Pentosane und sind verdaulicher wie jene nach schwacher Einwirkung der CIH (1 g Organisches = 4-765 Kalorien). Verluste. Bei Birke Bei Aufschluß in CIH-Dampf An Zellmembran . . 55-8 67-7 Zelluloses ne 60 100-0 Pentosan .... 46-3 86-6 Restsubstanz . . 98-5 40-4 Hier kann man zwar bis zu einem gewissen Grad von einer Auf- schließung der Zellmembran sprechen, wobei sicher Zellulose auch ver- dauliche Spaltprodukte geliefert hat, aber die Zellulose selbst ist noch * Auf gleichen Aschegehalt gerechnet; einzelne Proben des anscheinend gleichen Materials hatten schwankenden Aschegehalt. ® Organisches abzüglich Zellmembran. VERDAULICHKEIT DES MIT SÄUREN AUFGESCHLOSSENEN HOLZMEHLES. 29 unverdaulicher wie bei reinem Birkenholz oder bei wenig mit Säure auf- geschlossenem Holz (nach Pauly). Der Gesamteffekt der Aufschließung ist, obschon reichlich wasserlösliche Produkte entstanden sind, ge- ringer als im ursprünglichen Holz (73-0 Prozent Kalorienverlust gegen- über 63-4). Die Versuche, Holz durch Säurebehandlung zu einem verwertbaren Nährstoff zu machen, sind demnach ohne Erfolg gewesen. Die auftretenden Spaltprodukte rühren bei den gebräuchlichen Verfahren nicht aus der Zellulose, sondern von ihren Begleitsubstanzen her und benachteiligen die Resorption in mäßigem Grade durch Vermehrung der Stoffwechselprodukte und behindern die Auflösung der Zellulose im Darm wahrscheinlich durch Störung der bakteriellen Prozesse. Daß die Präparate nicht noch un- günstiger verwertet werden, verdanken sie dem in Wasser und Alkohol löslichen Anteil, der ihnen durch Spaltung der Begleitsubstanzen der Zellulose, bei starker Säureeinwirkung allerdings auch aus den Produkten der Zellulosezerstörung, zufließt. Man könnte bei diesem Verfahren der Aufschließung mit voller Berechtigung nur die löslichen Produkte als das Entscheidende ins Auge fassen, denn sie sind offenbar wichtiger als ungelöste Anteile der Zellmembran. Dies würde dann weiter zu dem Gedanken der Isolierung dieser Produkte führen, ein Verfahren, das wegen der Umständlichkeit und den geringen Erträgnissen, auch wohl der äußeren Beschaffenheit der Produkte wegen nicht wohl als aussichts- reich angesehen werden kann. Über das Verhalten von Fischen gegen Wasserschwingungen. Von Prof. R. du Bois-Reymond in Berlin. Die Frage, ob die Fische hören, ist bekanntlich viel umstritten. Die Entscheidung ist dadurch erschwert, daß erstens keine scharfe Scheidung zwischen Schallschwingungen und anderen Erschütterungen besteht, und daß zweitens aus dem Verhalten der Fische nicht immer mit Sicherheit zu erkennen ist, ob sie einen Reiz wahrgenommen haben oder nicht. Den zweiten Fall hat namentlich Yerkes bei seinen Untersuchungen über das Hören der Frösche hervorgehoben. Er sagt: „Auf die Frage nach dem Hörvermögen der Frösche bin ich erst dadurch gekommen, daß es mir gelegentlich einer Arbeit über die Reflexzeit des Wasserirosches durchaus nieht gelingen wollte, eine Reaktion auf Schallreiz zu erhalten.“ Yerkes bezweifelt dabei keinen Augenblick, daß die Frösche vor- trefflich hören, denn er führt als Beweis dafür an, daß sie sich, wie jedermann weiß, beim Quaken nacheinander richten. Ferner erwähnt er auch, was jeder, der mit Fröschen in ihrer natürlichen Umgebung zu tun gehabt hat, bestätigen wird, daß sie, wenn erst einer ins Wasser gesprungen ist, nicht mehr am Ufer sitzend zu überraschen sind. Da dies auch in solchen Fällen geschieht, wo einer den anderen nicht sehen kann, muß geschlossen werden, daß sie das Plumpsen gehört haben. Die Untersuchung von Yerkes gilt daher überhaupt nieht der Frage, ob die Frösche hören, sondern ob die Frösche auf Schall reagieren. Hier kommt er zu folgendem Ergebnis: „Mit einer ganzen Reihe verschiedener Geräusche, die der Höhe nach von einem tiefen Ton, wie das Quaken eines Ochsenfrosches, bis zu einem schrillen Pfiff, und der Stärke nach vom Fallen eines Steinchens bis zum Knall einer Pistole abgestuft waren, wurden Versuche gemacht, die Ein- wirkung auf Frösche in ihrer natürlichen Umgebung festzustellen. Auf keinen einzigen Schallreiz habe ich je eine Bewegung erfolgen sehen.‘ _R. ou Boıs-ReyMoND: ÜBER DAS VERHALTEN VON FISCHEN USW. 3l Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung beschreibt dann Yerkes! eine Reaktion auf Schallreiz, die nicht in Bewegung, sondern im Gegenteil in Bewegungshemmung besteht, und deutet an, daß der Schalleindruck nach Art eines Warnungszeichens das Tier in einen regungslosen ‚‚Bereitschafts- zustand“ versetzen Könne. Dieselben Anschauungen spricht Puetter? aus, wenn er sagt: „Wir schließen auf den Eintrit eines Erregungszustandes in Sinnes- organen meist aus der motorischen Reaktion, die derselbe auslöst. Im positiven Fall ist dies Kriterium ja ohne weiteres brauchbar, bei negativem Ausfall wird aber die Frage zu erörtern sein, ob das Aus- bleiben des Erfolges wirklich auf einer Unfähigkeit beruhte, den Reiz in einem Sinnesorgan zu rezipieren oder ob in dem zentralen oder motorischen Teile des Reflexbogens Bedingungen gegeben waren, die einen äußerlich sichtbaren Effekt nicht zustande kommen ließen, bzw. ob sich der motorische Apparat in einem besonderen Zustand befinden muß, um die motorische Reaktion zu ermöglichen.‘ Demnach ließe sich sehr wohl annehmen, daß bei den Versuchen über das Hören der Fische derselbe Fall vorliege wie bei den Versuchen, über die Yerkes berichtet hat; daß nämlich, um mit Puetter zu reden, die Fische den Schallreiz zwar rezipieren, ihr motorischer Apparat sich aber nicht in dem Zustande befindet, der eine motorische Reaktion ermöglicht. Dabei wäre nach meiner Auffassung noch hervorzuheben, daß weder Yerkes noch Puetter einen Unterschied zwischen motorischer Reaktion und Reflex machen, obwohl doch nicht jede Bewegung auf Schalleindruck notwendig eine Reflexbewegung zu sein braucht. Ich möchte glauben, ein eigentlicher Reflex auf Schallreiz werde sich bei den Fischen schon deswegen nicht haben ausbilden können, weil die Schalleindrücke ihnen nur in seltenen Fällen unmittelbar drohende Gefahr anzeigen dürften. Es kommt für die Fische ganz auf die Bedeutung des Geräusches an. Ähnlich äußert sich Edinger?® dahin, daß bei diesen Versuchen hauptsächlich auf die Wahl des Schallreizes Gewicht gelegt werden müsse: „no scheint mir heute die Frage nicht mehr: Hören die Fische?, sondern: Was hören die Fische? Zu ihrer Beantwortung muß man biologische und nicht fremdartige physikalische Reize anwenden.“ Die Beobachtung, über die ich berichten will, entspricht zwar durch- 1 Yerkes, The Sense of Hearing in Frogs. Journ. of Comp. Neurol. and Psychol. 1905. Vol. XV. p. 279. 2 Puetter, Vergl. Physiol. Jena 1911. S. 605. 3 Rdinger, Über das Hören der Fische usw. Zentralbl. f. Physiol. 1908. 8.1. 32 R. pu Bois-REyMonND: aus nicht dieser Forderung, sie zeigt aber sehr deutlich, daß nicht jeder Schallreiz geeignet ist, erkennbare Reaktionen hervorzurufen. Zu technischen Zwecken, die hier nicht in Betracht kommen. werden Vorrichtungen gebaut, in denen Stahlplatten von 6 mm Dicke und etwa 45 cm Durchmesser durch einen Elektromagneten, der mit dem Strom einer dynamoelektrischen Maschine betrieben wird, in Schwingungen von ungefähr 0-1 mm Amplitude versetzt werden. Die Frequenz der Schwin- eungen betrug in unserem Falle gegen 1000. Die Amplitude war, da die Maschine nicht den vollen Strom gab, nur einige Hundertstel Millimeter. Die Schwingungen der Platte in Luft sind dem menschlichen Ohr weithin als ein hoher Ton vernehmbar. Der Klang ist dem einer ziemlich hohen Dampfpfeife oder dem Quietschen der Straßenbahn in der Kurve sehr ähnlich. Dasselbe Geräusch, nur etwas weniger laut, entsteht, wenn die Stahlplatte unter Wasser schwingt. In diesem Falle pflanzt sich der Schall unter Wasser fort und geht auch in die Luft über. Zufällig bot sich mir die Gelegenheit, das Verhalten von Fischen zu beobachten, die sich in einem See freiwillig in der Nähe der schwingenden Stahlplatte aufhielten. Die Platte war mit ihrer Außenfläche nach oben durch eine brunnen- schachtartige Öffnung unter den Boden eines Schiffes herabgelassen worden, so dab sie sich etwa 0-8 m unter dem Wasserspiegel und 0-2 m unter dem Schiffsboden befand. Die Klarheit des Wassers und seitlich einfallendes Sonnenlicht gestatteten, selbst auf dem Grunde in 2m Tiefe deutlich zu sehen. Unter dem Schiffsboden standen immer kleine Barsche in großer Zahl, die fortwährend die Lücke im Schifisboden durchkreuzten. Jedem, der eine Weile zusah, mußte auffallen, daß die Fische sich gar nicht darum zu kümmern schienen, ob die Stahlplatte in tönender Schwingung war oder nicht. Da aber schon einige Monate lang die Vor- richtung an derselben Stelle wiederholt in Tätigkeit gewesen war, durfte man annehmen, die Fische seien völlig daran gewöhnt. Trotzdem war zu erwarten, daß sie nicht ganz unerregt bleiben könnten, wenn der durchdringende Schall unmittelbar in ihrer nächsten Nähe plötzlich losbräche. Um dies erproben zu können, wurde ein Schalter unmittelbar neben dem Schacht auf dem Schiffe angebracht, so dab man die Fische beobachten und im geeigneten Augenblick den Strom ein- schalten konnte, der die Platte zum Tönen brachte. Um die Fische an- zulocken, wurden einige Regenwürmer auf der Platte selbst ausgestreut. Selbst unter diesen Bedingungen blieb aber das Ergebnis der Beob- achtungen völlig negativ. Wenige Zentimeter über der Platte schwammen die Fische ruhig und langsam hin, obgleich der Strom plötzlich eingeschaltet ÜBER DAS VERHALTEN VON FISCHEN GEGEN WASSERSCHWINGUNGEN. 33 wurde und der Schall, wie der einer Dampfpfeife, einen Kilometer in der Runde zu hören war. Der Gesamteindruck aus meinen Beobachtungen, wie er an Ort und Stelle niedergeschrieben wurde, war folgender: „Gruppen und einzelne Fische, die unten herumschwimmen, verhalten sich ganz gleichgültig. Die, die höher schwimmen, scheinen allmählich zu reagieren, in der Weise, als sei ihnen der Eindruck unheimlich. Da sie aber an dieser Stelle überhaupt vorsichtiger sind. ist das nicht maß- sebend. Auch unmittelbar über der Platte fliehen sie nicht reflektorisch, wenn eingeschaltet wird.“ Man könnte fragen, was hieran Auffallendes sei, da doch schon des öfteren die Fische überhaupt für taub erklärt worden seien. Das Auf- fällige liest darin, daß es sich in diesem Falle um einen Reiz von ganz überwältigender Stärke gehandelt hat. Frühere Untersucher waren meist ängstlich darauf bedacht, jede Erschütterung des Wassers durch die Schall- quelle zu vermeiden. In unserem Fall war der Schall so stark, daß er, wie gleich berichtet werden wird, eine sehr merkliche Erschütterung des Wassers verursachte, und trotzdem waren die Fische anscheinend ganz gleichgültig dagegen. Wenn man beim Schwimmen, 5m und weiter von der Schallquelle entfernt, die Ohren unter Wasser brachte, war der Ton so laut, daß es unangenehm war, ihn länger als einige Sekunden zu ertragen. Schon daraus ließ sich ermessen, daß in unmittelbarer Nähe der Platte ein außerordentlich starker Eindruck entstehen müsse. Tatsächlich fühlte ich mich, als ich nahe an der tönenden Vorrichtung den Kopf unter Wasser steckte, sogleich genötigt, wieder aufzutauchen. Die Empfindungen, die mich dazu zwangen, sind schwer zu beschreiben: ein dröhnendes und zu- gleich schneidendes Geräusch machte den ganzen Kopf erzittern und erweckte die Vorstellung, als würden Teile des Schädels gewaltsam gegen- einander verschoben und insbesondere die Zähne des Oberkiefers aus ihren Alveolen herausgeschütteltl. Da unter diesen Umständen ersprießliche Selbstbeobachtung nicht möglich war, gab ich diese nach einigen Proben auf. Dab bei diesem Eindruck nicht nur die Schallempfindung, sondern auch die Erschütterung durch Wasserwellen mitwirkte, ergibt sich aus folgenden weiteren Beobachtungen: wenn man die Hände etwa 30 cm über der inzwischen der Wasseroberfläche auf etwa 50.cm genäherten schwingenden Platte ins Wasser brachte, fühlte man ein starkes Prickeln wie von Faradischem Strom. Es handelte sich aber nicht etwa um vagabundierende Ströme, denn die ganze Vorrichtung war äußerst sorg- fältig isoliert und in wochenlangem Gebrauch genau geprüft. Die Emp- Archivf, A,u: Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 3 34 R. pu Boıs-ReyMmonp: findung rührte vielmehr davon her, daß beim Eintauchen die Hände nicht vollständig benetzt waren und daß an allen Stellen, wo eine Luft- schicht an der Haut haftete, die Schallschwingungen des Wassers Ver- schiebungen der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser bewirkten, die dann die prickelnde Empfindung hervorriefen. Stellte ich mich im Wasser mit bloßen Füßen auf die schwingende Platte, so fühlte ich erstens die Schwingungen der Platte selbst und außerdem entstanden alsbald in dem zwischen Fußsohlen und Platte ein- seschlossenen Wasser Luftblasen, die die beschriebene Empfindung, ähn- lich dem Prickeln eines Faradischen Stromes, hervorbrachten. Sobald durch längeres Eintauchen die Haut vollständig benetzt war, war von der Erschütterung des Wassers nichts mehr wahrzunehmen. Bestünde der Körper der Fische, ebenso wie die Hand des Menschen, ausschließlich aus wasserhaltigem Gewebe, so könnte man annehmen, daß die Fische von den Schallwellen ebensowenig fühlen wie die benetzte Hand. Da aber der Fisch eine Schwimmblase enthält, so müssen so starke Schallwellen, wie die in unserem Fall, sich dem Fisch ebenso bemerkbar machen wie dem Menschen, der Luftblasen an der Hand hat. Dies ist nicht bloß eine theoretische Spekulation, sondern die Vorgänge an der Grenzfläche von den Luftblasen im schwingenden Wasser sind an mehreren höchst überraschenden Erscheinungen überaus deutlich zu be- merken. Kleine Luftblasen, von Erbsen- oder Kirschkerngröße, verhielten sich in dem schwingenden Wasser ganz anders als gewöhnliche Luftblasen. Sie sahen nicht glänzend durchsichtig aus, sondern neblig oder milchig trübe, und sie perlten nicht zur Oberfläche hinauf, sondern strebten an feste Gegenstände, wie die schwingende Platte unter ihnen oder die Hände und andere Körperteile des Beobachters, heranzustrudeln, an denen sie dann festklebten. Man konnte infolge dieses sonderbaren Verhaltens die Luftblasen wie Stücke einer schleimigen Masse zwischen den Fingern halten und aus einer Hand in die andere nehmen. Die Druckempfindung, die eine kirschkernsroße milchweiße Luftblase auf der darunter befind- lichen Handfläche hervorrief, war etwa der zu vergleichen, die ein gleich grober Tropfen Quecksilber verursachen würde. Alle diese Erscheinungen sind darauf zurückzuführen, daß die Schall- schwinsüngen des Wassers beträchtliche Volumschwankungen und Form- änderungen an den Luftblasen hervorbringen, indem sie sie gleichsam „pulsieren“‘ machen. Bei dieser fortwährenden schnellen Verschiebung kann natürlich die Grenzfläche zwischen Wasser und Luft nicht scharf gesehen werden, und die Luftblase muß daher neblig oder trübe erscheinen. ÜBER: DAS VERHALTEN VON FISCHEN GEGEN WASSERSCHWINGUNGEN. 35 Hierbei. sind übrigens sicher noch andere Bewegungen im Spiele als bloße Pressung und Entlastung. Wenn nämlich die schwingende Platte nahe an die Oberfläche des Wassers gebracht wird, entstehen auf der Ober- fläche Kräuselungen, die augenscheinlich größere Amplituden haben als die Platte selbst. Ähnliches mag bei den Luftblasen stattfinden, so daß ihre -Oberfläche in verhältnismäßig sehr starke Bewegung kommt. Der Umstand, daß die Luftblasen nicht aufsteigen, sondern sich an feste Oberflächen anzudrücken streben, beruht offenbar auch auf der „„Pulsation“ der Luftblasen und bildet ein Seitenstück zu den Erschei- nungen, die vor 18 Jahren Hensen! entdeckt hat. Hensen zeiste, daß schwingende Flächen in Wasser oder Luft feste Körper, die sich in ihrer Nähe befinden, selbst gegen beträchtliche Widerstände an sich heran- ziehen. Diese Angabe paßt nur auf einen Teil der im vorstehenden be- schriebenen Vorgänge. Die von Hensen entdeckte Anziehung der schwingenden Platte kann dem Auftrieb der Luftblasen das Gleichgewicht halten und verhindern, daß sie zur Oberfläche emporsteigen. Das würde auch der Fall sein können, wenn die Luftblasen nicht pulsierten. Durch das Pulsieren aber erhalten, wie mir scheint, die Luftblasen außerdem die Eigenschaft, sich festen Flächen gegenüber so zu verhalten, wie in Hensens Versuchen der feste Körper gegen die schwingende. Platte (vgl. beistehendes Schema). Nach dieser Hypothese wäre die ‚Klebrig- A. Fester Körper und schwingende Platte. B. Pulsierender Körper und feste Platte. keit“ der Luftblasen im schwingenden Wasser ein weiterer Beweis für ihre Pulsation. Nachzutragen wäre noch, daß die beschriebenen Erscheinungen nur an Luftblasen von etwa der angegebenen Größe zu beobachten waren. Drückte man mit der hohlen Hand größere Luftmengen unter Wasser, so entwich der größte Teil in der gewöhnlichen Weise an die Oberfläche, und es blieb nur ein kleiner Teil in ‚‚milchiger‘“ Form zurück. ! Hensen, Über die akustische Bewegung in dem Labyrinthwasser. Münchener med. Wochenschr. 1899. S. 444. 3* 36 R. ou Boıs-REyMoND: ÜBER DAS VERHALTEN VON FISCHEN USW. Wenn an der Grenzfläche von schwingendem Wasser und Luft so deutlich merkbare Verschiebungen auftreten, ist es unverständlich, daß die Fische davon keine Wahrnehmung haben sollten. Um mir darüber ein Urteil zu bilden, machte ich den Versuch, mich selbst mit dem ganzen Körper der stärksten Einwirkung der Schallwellen auszusetzen, um zu erfahren, ob sich die grob mechanische Wirkung der Schwingungen be- merkbar mache. Ich legte mich in rückwärts geneigter Stellung über der schwingenden Platte ins Wasser und empfand sogleich eine eigentümlich zusammenschnürende Erschütterung im unteren Teil der Wirbelsäule. Beim Ausschalten des Stromes verschwand sie sogleich und kehrte beim Einschalten wieder. Bei Wiederholung dieser Probe glaubte ich zu spüren, daß die Empfindung von einer Erschütterung der Baucheingeweide, ins- besondere des untersten Teiles des Colon, herrühre, die, nachdem mir einmal diese Lokalisation bewußt geworden war, immer deutlicher wurde. Die Empfindung entsprach ganz der bei dem sogenannten ‚„‚Gurren“ des Darmes. Sie entstand und verschwand regelmäßig mit dem Einschalten und Ausschalten des Stromes, der die Stahlplatte in Schwingungen ver- setzte. Offenbar wurde also durch die Schwingungen des umgebenden Wassers eine ‚„‚Pulsation‘“ der im Darm eingeschlossenen Gasblasen herbei- geführt. Entsprechende Einwirkungen auf den Luftraum in den Lungen konnte ich nieht wahrnehmen, doch mag dies daran liegen, daß ich die Brust der schwingenden Platte nicht so nahebringen konnte wie den unteren Teil des Leibes. Sehr auffällig war nun, daß selbst bei den Versuchen, in denen der Schalter wiederholt geöffnet und geschlossen wurde und dementsprechend das Gefühl des ‚‚Gurrens im Leibe“ wiederholt hervorgerufen wurde, jedes. sinnliche Gefühl für den Zusammenhang so gänzlich fehlte, daß die Er- schütterung durchaus nur als ein innerer Vorgang zum Bewußtsein kam. Die ‚exzentrische Projektion“, die sonst eine so große Rolle in der subjektiven Deutung von Sinneseindrücken spielt, versagte hier ganz und gar. Darin scheint mir ein Fingerzeig zu liegen, wie die Unerregbarkeit der Fische gegen so mächtige Einwirkungen wie die der beschriebenen. Schallwellen zu erklären sein mag. Ganz in Wasser eingeschlossen, machen sie dessen Schwingungen gewissermaßen ganz mit, und nehmen die daraus entstehenden Sinneseindrücke nur als innere Vorgänge wahr. Daß ein innerer Vorgang keine Reaktion, keine Fluchtbewegungen auslöst, ist klar. Über den Gang mit künstlichen Beinen. Von Prof. Renö du Bois-Reymond in Berlin. Erster Abschnitt: Beschreibung des Untersuchungsverfahrens nebst einer Bemerkung zur Lehre von dem normalen Gange. 1. Zweck der Untersuchung. . Man kann darüber streiten, ob die Gangbewegung von Amputierten mit künstlichen Prothesen ein Gegenstand pathologischer oder physio- logischer Forschung ist. Es wird dabei darauf ankommen, in welchem Maße die künstlichen Beine die natürlichen ersetzen können. Je voll- kommener das geschieht, desto mehr wird sich der ganze Vorgang dem normalen physiologischen Gehen annähern. Die Untersuchung lehrt nun zwar, daß sich diese Annäherung in gewissen Grenzen hält, aber sie führt zugleich auf einige Tatsachen, die unstreitig ins Gebiet der Physio- logie fallen und die ganze Untersuchung als eine physiologische kenn- zeichnen. Um den Gang der Kunstbeinträger zu beurteilen, hat man sich bis- her im allgemeinen nur des einfachen Anschauens befleißist. Es kann aber kein Zweifel darüber sein, daß dies Verfahren sehr wenig geeignet ist, die Gehbewegungen so zu erkennen, wie sie wirklich sind. Dies hat sich in der Geschichte der Forschung wiederholt unverkennbar erwiesen. Ausgezeichnete Beobachter, wie Colin, H. Munk und andere, haben sich, sogar mit Zuhilfenahme von allerhand Kunstgriffen, bemüht, die Reihen- folge zu bestimmen, in der das Pferd beim Galoppieren die Beine bewegt, und sind nicht zum Ziel gekommen. Die Gebrüder Weber, die mit bewundernswertem Eifer und Fleiß die Gehbewegungen des Menschen zu erforschen trachteten, haben in wesentlichen Punkten den wahren Tat- bestand verkannt. Als die Augenblieksphotographie zuerst die wirklichen 38 R. pu Bois-REyMonD: Stellungen galoppierender Pferde und gehender Menschen enthüllte, herrschte allgemeines Erstaunen. Noch heute fallen die Stellungen der gehenden Menschen etwa auf Augenblieksaufnahmen belebter Straßen jedem Beschauer auf. Was von der Untersucdung des normalen Ganges gilt, betrifft natürlich auch den Gang der Kunstbeinträger. Dies wird auch allgemein zugestanden. Gocht führt z. B. das Urteil Astley Coopers an, daß es unmöglich sei, bei gewöhnlichem Gange zu unter- scheiden, ob sich das Fußgelenk bewege oder nicht. Man wird also die Abweichungen des Kunstbeinganges vom normalen Gang, die Unter- schiede, die durch verschiedenen Bau der Kunstbeine bedinst werden, und die individuellen Eigentümlichkeiten des Ganges nur durch besondere Hilfsmittel für die Beobachtung, am besten durch ein potogrammetrisches Verfahren feststellen können. 2. Der „dynamometrische Steg“ von Amar. In Frankreich, wo, ebenso wie hier, wegen der großen Zahl der Kriegsverletzten zurzeit zahlreiche Techniker und Ärzte sich mit der Ver- besserung der künstlichen Glieder beschäftigen, hat man dies anscheinend früher als in Deutschland erkannt, denn schon im Juli 1916 ist in den „Comptes rendus“ der Parier Akademie die Beschreibung einer Vor- richtung erschienen, die der bekannte Forscher auf dem Gebiete der Arbeitsphysiologie, Amar, erfunden hat, um die Gehbewegungen Ampu- tierter mit Ersatzbeinen zu untersuchen.” In einer deutschen Bericht- erstattung heißt es darüber: ‚Die Vorrichtung gestattet einerseits das Studium des sogenannten pathologischen Ganges und eine Kontrolle der Fortschritte beim Verwenden der verschiedenen Ersatzmethoden, sowie andererseits ganz unzweideutig die Vorteile oder auch Nachteile der ver- schiedenen vorgeschlagenen Stelzfüße oder auch künstlichen Füße einwand- frei festzustellen.“ Die Vorrichtung besteht aus zwei schmalen Laui- brettern, die nebeneinander so angebracht sind, daß beim Hinübergehen der eine Fuß nur das eine, der andere nur das andere Brett betritt. Beide Bretter sind, ähnlich wie die Lastbrücke einer Brückenwage, jedes in einem Hebelwerk aufgehangen, das nach den drei Dimensionen des Raumes mit starker Federung nachgibt. Die Bewegung der Bretter wird durch acht Luftschlauchleitungen auf ein Schreibwerk übertragen, das die Größe des von den Füßen nach unten, nach vor- oder rückwärts und nach rechts oder links ausgeübten Druckes in Kurveniorm aufzeichnet. ! H. Gocht, Künstliche Glieder. Stuttgart 1907. S. 28. ® Compt. rend. T. CLXV. No. 5. p. 130. - ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 39 Es leuchtet ein, daß man mit dieser Vorrichtung alle Unregelmäßigkeiten des Ganges, insbesondere auch die seitlichen Schwankungen, überaus deutlich erkennen muß und daß sie, wenn sie nur einigermaßen zuver- lässig und fein arbeitet, den mit ihrem Bau beabsichtigten Zweck in befriedigendem Maße erfüllen muß. Die Kurven, die das ‚‚Trottoir dynamometrique“ liefert, wären ein Mittel, die Vergleichung zwischen verschiedenen Gangbewegungen viel sicherer und feiner zu gestalten, als die bloße Beobachtung es vermag. (Vgl. Fig. 1.) Fig. 1. Leider sind, soweit mir bekannt, Ergebnisse dieses Verfahrens oder auch nur Proben von den Kurven bisher nicht veröffentlicht worden. Einen Nachteil des Verfahrens kann man darin sehen, daß es die Form der Bewegungen nicht erkennen läßt. Dem steht aber der Vorzug gegenüber, daß man die wirksamen Kräfte, die man aus der Bewegungs- form erst mühsam ableiten muß, unmittelbar aufgezeichnet erhält. 3. Vorzüge des photogrammetrischen Verfahrens von Fischer. Von der Erfindung Amars bekam ich erst im November 1916 Nach- richt, als ich mit photographischen Aufnahmen des Kunstbeinganges schon begonnen hatte. Die Augenblicksphotographie ist unstreitig das einfachste und leistungs- fähigste Hilfsmittel zur Untersuchung von Bewegungen. Bei weitem die vollkommenste Analyse der Gangbewegung sowohl in bezug auf die Form wie auf das Spiel der Kräfte hat bekanntlich der jüngst verstorbene Leipziger Professor Otto Fischer ausgeführt. Seine gemeinsam mit dem 40 R. pu Boıs-REyMmonD: Anatomen Braune begonnene und leider unvollendet gebliebene Arbeit „Der Gang des Menschen‘ beruht auf einer außerordentlich genauen kinematographischen Aufnahme der Bewegungen aller einzelnen Abschnitte des gehenden Körpers, die es gestattet, die Geschwindigkeit, die jeder einzelne Körperteil in jedem gegebenen Augenblick hat, und mithin auch die Beschleunigung oder Verzögerung seiner Geschwindigkeit zu bestimmen. Diese Beschleunigungen und Verzögerungen sind aber der Ausdruck der auf die Körperteile wirkenden Kräfte, und so gelangt Fischer zu einer genauen Berechnung der Kräfte, die während des Gehens auf jeden Körperteil wirken. Diese Kräfte sind zum Teil äußere, wie die Schwere, der Widerstand des Bodens und der Luft, zum Teil innere, wie die Muskelkräfte. Wenn die äußeren Kräfte bekannt sind, wie das von der Schwere gilt, oder den inneren gleich, wie das von den Bodenkräften gilt, kann die Größe der Muskelkräfte aus der Form der Bewegung ab- geleitet werden.* In der Bestimmung der Bewegungen hat Fischer einen Grad von Genauiekeit erreicht, der geradezu als vollkommen gelten, weil er über das Maß dessen, was von einer solchen Messung vernünftiger- weise gefordert werden kann, ein gutes Stück hinausgeht. Diese erstaun- liche Genauigkeit beruht auf folgenden Einzelheiten des Verfahrens: 1. Anstatt den ganzen Körper in den verschiedenen aufeinander folgenden Stellungen auf verschiedene Platten zu photographieren, wie es bei kine- matographischen Aufnahmen geschieht, wird der ganze Ablauf der Be- wegung auf einer und derselben Platte aufgenommen. Dies hatte schon Marey getan und dabei die Aufnahme auf einzelne, durch glänzende Bänder hervorgehobene Stellen des Körpers beschränkt. So hatte er eine sehr übersichtliche Darstellung von Bewegungsvorgängen erreicht. Auf die Übersichtlichkeit kam es zwar für Fischer nicht an, aber er nahm Mareys Verfahren an, weil man auf einer einzigen Platte sehr viel genauer mesen kann als beim Vergleich mehrerer Platten untereinander. 2. Während Marey die wiederholte Exposition durch einen Revolver- verschluß an der Kamera bewirkte, verlegte Fischer gleichsam den Ver- schluß in das: Objekt selbst, indem er statt der Mareyschen Bänder an den Gliedmaßen seiner Versuchsperson gerade Geisslersche Röhren be- festigte, die durch eine Folge von Induktionsschlägen etwa 20mal in der Sekunde leuchtend gemacht wurden und dazwischen dunkel blieben. Die ganze Aufnahme ging in halbdunklem Raume vor sich, so daß nur die Abbildungen der Röhren in den Stellungen, die sie jeweils während ! W. Braune und O. Fischer, Der Gang des Menschen. Abhandl. d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. Math.-Phys. Kl. 1895. Bd. XXI. Nr. 4. S: 153. ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 41 eines Funkendurchganges gehabt hatten, auf der Platte erschienen. 3. Da- durch war es sehr einfach ermöglicht, genau dieselben Stellungen zu genau denselben Zeitpunkten auch von einer oder mehreren anderen Stellen auf- nehmen zu können. Nur durch die gleichzeitige Aufnahme von mehr als einer Stelle aus ist die genaue Bestimmung der Lage eines photo- eraphierten Punktes im Raume möglich. Fischer wendete sogar vier Kameras gleichzeitig an und konnte so die Ortsbestimmung von je zwei‘ Aufnahmen desselben Punktes miteinander vergleichen. Es fand sich, daß sie im allgemeinen nur um Zehntelmillimeter voneinander abwichen. 4. Ein wesentliches Hilfsmittel für den Erfolg der Messungen Fischers war endlich auch die von ihm angegebene Meßmaschine, mit der die "Abstände der Linienbilder auf der Platte bis auf Tausendstel Millimeter gemessen werden konnten. 4. Begründung eines vereinfachten Verfahrens. Leider ist der Hauptvorzug des Fischerschen Verfahrens, nämlich die genaue Ortsbestimmung durch gleichzeitige Aufnahme von zwei ver- schiedenen Punkten aus, nur für die Untersuchung vereinzelter Aufnahmen erreichbar, denn um ihn auszunutzen, muß man für jeden Punkt des Bildes erst die Berechnung seiner Lage aus den Standorten der beiden Kameras ausführen. Ein Verfahren, das zur vergleichenden Untersuchung zahlreicher Fälle dienen soll, muß auf diese äußerst mühsame Arbeit und damit zugleich auf die genaue Ortsbestimmung überhaupt verzichten. Es empfiehlt sich aber trotzdem, für ein vereinfachtes und vergröbertes Untersuchungsverfahren die Aufnahme im Dunkeln mit Hilfe aufleuchtender Geisslerscher Röhren beizubehalten. Hierdurch erreicht man, daß die Aufnahme übersichtlich auf einer einzigen Platte steht, daß man nur einen Stromunterbrecher und ein Induktorium, aber keinen chrono- graphischen Verschluß der Kamera braucht, und daß man zwei oder mehr Aufnahmen derselben Stellungen zugleich erhalten kann. Die An- wendung von zwei Kameras zugleich muß nämlich ebenfalls von Fischer übernommen werden, wenngleich aus einem ganz anderen Grunde als der, wegen dessen er sie brauchte. Für jede auch noch so grobe Aufnahme des Ganges ist es wichtig, die Bewegung der rechten und linken Körper- hälfte miteinander vergleichen zu können, und dieser Vergleich ist nur dann maßgebend, wenn die beiden Körperhälften wirklich in den zu- sammengehörisen Stellungen aufgenommen sind. Dies läßt sich aber nur mit Hilfe gleichzeitiger Aufnahmen mit zwei Kameras von beiden Seiten bewerkstelligen. | ’ 42 R. pu Bois-REyMmonD: Fischer hatte seine Versuchsperson mit einem eng anliegenden schwarzen Gewand bekleidet, auf dem die Geisslerschen Röhren, durch Kautschukstreifen isoliert, mit Schnallgurten befestigt wurden. Zur Zu- leitung des Stromes diente ein an den Schultern befestigter Querstab, der die Kabel trug, die ebenfalls mit Kautschuk isoliert waren. Um die Vorrichtungen schneller an verschiedenen Personen nacheinander anbringen zu können, fand ich es zweckmäßiger, die Röhren an Holzträgern zu befestigen, die aus einer länglichen Fußplatte bestanden, die an Ober- oder Unterschenkel angeschnallt wird, und die auf einem etwa 2 cm hohen Klotz die Röhre trägt, so daß diese frei in der Luft steht und dadurch isoliert ist. (Vel. Fig. 2.) Die Zuleitung führte ich durch dünne, nicht isolierte Kupferdrähte zu den Füßen, von da durch die Röhren zu den Hüften hinauf, und verband die Enden der Röhren an den Hüften Fig. 2. durch einen Querdraht, der hinter dem Rücken im Bogen durch die Luft ging, wo er durch einen Faden vom Rücken her schwebend erhalten wurde. Bei der hohen Spannung muß vermieden werden, daß der Leitungs- draht auf dem Boden schleift. Die Drähte wurden daher durch Porzellan- ringe gelührt, die an Fäden hingen, die an gespannten Drähten über der Gangstrecke an Ringen glitten. Dadurch wurde erreicht, daß die Leitung ohne fühlbaren Widerstand allen Bewegungen der gehenden Versuchs- person folgte und dabei ganz frei in der Luft isoliert hing. Aus dem städtischen Netz wurde ein Strom von etwa 7 Ampere entnommen, der, durch einen Wagnerschen Hammer mit Quecksilber- kontakt unterbrochen, in dem Ruhmkorffschen Induktor eine Funken- länge von etwa 25 mm erzeugte. _ Das vereinfachte Untersuchungsverfahren verlief dann folgender- maßen: Die Versuchsperson mußte einen Teil der Kleidung, in der ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 43 Regel nur den Waffenrock, ablegen. Dann wurden die Holzgestelle mit den Geisslerschen Röhren an Ober- und Unterschenkeln angeschnallt und im ‚Gehen und Stehen darauf nachgesehen, ob sie parallel zu den Gliedachsen säßen. Dann stellte sich die Veısuchsperson an das Ende der Gangstrecke, die durch einen Kreidestrich auf dem Fußboden bezeichnet war, die beiden photographischen Kameras rechts und links von der Gangstrecke wurden mit Platten versehen, der Raum verdunkelt, die Kameras geöffnet der Strom angestellt, und die Versuchsperson ging die Gangstrecke entlang. Darauf wurden die Kassetten geschlossen, der Raum erhellt und nochmals die Lage der Röhren zu den Gliedachsen nachgemessen und zusammen mit den übrigen Einzelheiten des Falles anfgezeichnet Zur Ausführung des Verfahrens bedarf man demnach folgender Ein- richtung: 1. Es muß ein verdunkelbarer Raum vorhanden sein, der so eroß: ist, daß darin senkrecht zu einer mindestens 5m langen Gang- strecke die beiden Kameras in je etwa ö m Abstand von der Gangstrecke aufgestellt werden können. 2. Man braucht zwei Kameras mit licht- starken Objektiven (1:7) und großer Brennweite (40 bis 50 em). Damit der Maßstab der Aufnahmen nicht zu klein wird, verwendet man am besten die Plattengröße 18:24 und macht dann je zwei Aufnahmen auf jede Platte, indem man nur die obere Hälfte der Platte für die Aufnahme benutzt und dann die Platte umdreht, so daß die zweite Aufnahme auf die andere Hälfte der Platte kommt. 3. Induktor und Unterbrecher. Diese können natürlich nach Bedarf durch eine andere Art Stromquelle ersetzt werden, z. B. habe ich mit Wechselstrom, der durch einen Turbinenunterbrecher unterbrochen wurde, gearbeitet. Als Probe auf die klinische Verwendbarkeit des Verfahrens möchte ich anführen, daß ich die gesamte Einrichtung vorübergehend im Reserve- lazarett in G. aufstellen und bei wöchentlichen Besuchen von Berlin aus mit bestem Erfolge dort Aufnahmen machen konnte, die erst in Berlin entwickelt und verwertet wurden. 5. Die Deutung der Aufnahmen. Die Aufnahmen, die man auf die beschriebene Weise erhält, stellen eine Reihe von Strichen dar, die der Lage der Geisslerschen Röhren in den Augenblicken der Funkendurchgänge entsprechen. ‘Wenn die Röhren den Gliedachsen genau parallel befestist worden sind, braucht man, um eine Darstellung der bewegten Glieder zu erhalten, nur die Striche so weit zu verlängern, wie der Länge der Glieder entspricht. Dies ist am schnellsten und einfachsten zu machen, indem man die Platte von unten 44 R. pu Bois-REeyMmonp: durchleuchtet und die Striche auf ein darübergelegtes Blatt Papier durchzeichnet. Auf dem Papier kann man dann die Ergänzung der Röhrenbilder zu dem Bilde der Gliedmaßen ausführen und zugleich die etwa erforderlichen Berichtigungen anbringen. Wenn nämlich aus irgend- einem Grunde die Röhren nicht parallel zu den Gliedachsen gesessen haben, so sind deswegen die Aufnahmen noch nicht unbrauchbar. Wenn man nur die Lage der Röhren zu den Gliedachsen kennt, so genügt das, um eine richtige Darstellung von der Bewegung herzustellen. Will man in dieser Beziehung ganz sicher gehen, so empfiehlt es sich, unmittelbar vor oder nach (noch besser vor und nach) der Aufnahme, die mit den Röhren geschienten Glieder bei vollem Lichte zu photographieren. Auf diesem Lichtbilde kann man dann die Stellung der Röhren zu den Längs- achsen der Glieder genau bestimmen und diese Bestimmung bei der Zeichnung des Bewegungsbildes benutzen. Wäre z. B. bei einer Gang- aufnahme die am Oberschenkel befestigte Röhre am oberen Ende 3 em zu weit ventralwärts angeschnallt gewesen, so würde man das auf dem Lichtielde deutlich erkennen und müßte dann beim Durchzeichnen der Bewegungsaufnahme die Längsachse des Oberschenkels immer um eine 3em entsprechende Strecke dorsalwärts von dem Bilde der Röhre angeben. Wenn man nicht besonderen Wert darauf lest, einen Beweis für die Zuverlässigkeit der Aufnahme in Händen zu haben, braucht man nicht erst ein Lichtbild aufzunehmen, um die Lage der Röhren zu den Gliedern zu bestimmen, sondern man kann sie einfach mit dem Maßstab abmessen. In der Ausführung des Verfahrens kommt es darauf an, die Grenzen der Zuverlässigkeit der Zeichnung richtig einzuschätzen. Man könnte z. B. fürchten, dab die Genauigkeit der Aufnahme sehr darunter leiden würde, wenn statt der Messung auf der Platte selbst oder wenigstens an einer photographischen Kopie einfach eine Pause gemacht wird. Da aber eine einfache Seitenansicht, wie sie hier in Frage kommt, doch kein ganz getreues Bild der Bewegung geben kann, hat es keinen Sinn, das Ver- fahren im übrigen besonders exakt gestalten zu wollen. Wenn die Gehbewegungen genau in der Ebene verliefen, auf die die Kamera eingestellt ist, würde das Objektiv ein getreues Abbild der einzelnen Stellungen liefern. Weder der Ober- noch der Unterschenkel bewegen sich aber in einer Ebene, sondern nach Fischers Aufnahme befinden sich Hüfte und Fußgelenk in einigen Stellungen bis zu 6 cm medial vom Kniegelenk. In dem Augenblick, in dem der Gehende sich gerade vor der Kamera befindet, wird das keinen Einfluß auf die Abbildung haben. Vorher und nachher aber, wenn er sich rechts oder links vor der Kamera befindet, ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 45 wird das Bild der Röhre, je weiter sie sich vor der betreffenden Ebene befindet, desto mehr nach dem Rande der Platte zu, je weiter dahinter sie sich befindet, desto mehr nach der Mitte zu verschoben werden. Dies Verhältnis veranschaulicht vorstehendes Schema, das wie ein Grund- riß der Versuchsanordnung zu betrachten ist. (Vgl. Fig. 3.) Pa Fig. 3. S bezeichnet den Ober- oder Unterschenkel (von oben im Querschnitt gesehen) mit der daran befestigten Röhre R. G@ ist die Gangebene, auf die die Kamera, KK, eingestellt ist. @'G’ und G”@” sind Parallelebenen zu GG, die die Grenze für die Abweichung von R aus der Ebene GG angeben. O ist das Objektiv, P die Platte, MOP der Mittelstrahl. Befindet sich R gerade vor O auf der Geraden OM, so ist es gleich, ob es. auf GG, G’G’ oder @” @ liest, die Abbildung fällt immer genau auf die Mitte der Platte P. Befindet sich R aber seitlich von OM, wie es 46 R. pu Bois-REyMmonp: bei II dargestellt ist, so fällt sein Bild auf den Punkt B der Platte und wenn nun R vor die Ebene GG in die Ebene @’G’ vorgeschoben oder hinter sie nach @”@” zurückgestellt wird, fällt sein Bild auf B’ oder B”. Die Möglichkeit der Abweichung von R aus der Ebene GG nach @’@’ oder @”G@’' zu, bedingt also eine Unsicherheit in der Bestimmung der Entfernung von P nach B, die man für die Ausmessung der Bewegung von M nach R gebraucht. | ‘ Es fragt sich nun, unter welchen Bedingungen dieser Mangel der einfachen Seitenaufnahme so groß wird, daß er den Wert des Verfahrens beeinträchtigt. Zwischen der Größe der möglichen Verschiebung von R, nämlich von R bis RG’, und der daraus hervorgehenden Verschiebung des Bildes von R, BB’ oder RR besteht, wie die Figur zeigt, die Proportion EBur= yo: Daher: RR-EM. TG. Je größer also der Abstand der Kamera von der Objektebene im Verhältnis zum seitlichen Abstand MR, desto kleiner ist der mögliche Fehler in der Lage der Abbildung von R. Nun ist RRG’ nach Fiseher höchstens 0-06 m, RM muß ungefähr 1-5 m groß sein, damit die ganee Gangstrecke, die aufgenommen wird, etwa 3 m lang ist, so daß sie sicher einen vollen Doppelschritt einschließt. An diesen beiden Werten kann man nichts ändern; es bleibt nur übrig, MO möglichst groß zu nehmen. Man muß also die Kamera möglichst weit von der Gangstrecke stellen. Dies findet daran seine Grenze, daß aus der Entfernung auf- genommen, das Bild unter sonst gleichen Bedingungen immer kleiner aus- fällt. Um aber kleine Unterschiede auf der Platte noch bequem wahr- nehmen und vergleichen zu können, empfiehlt es sich, die Aufnahme etwa im Maßstab 1:10 zu halten, so daß ein Zentimeter in Wirklichkeit auf der Platte einen Millimeter mißt. Dazu bedarf es, wenn man zugleich aus möglichst großer Entfernung photographieren will, eines Objektives von großer Brennweite. Die Firmen Busch in Rathenow und Zeiss in Jena haben mir mit dem größten Entgegenkommen vorzügliche Objektive dieser Art für die Vorversuche geliehen, wofür ich nicht verfehlen möchte, hier den gebührenden Dank auszusprechen. Diese Objektive hatten mehr Lichtstärke und zeichneten ein größeres Feld scharf aus, als für den vor- liegenden Zweck erforderlich war. Es waren Buschs Omnar-Anastigmat, 1:5-.5, £=45, und Zeiss’ Tessar, 1:6-3, 5 = 49. Ich habe gefunden, daß schon die Lichtstärke 1:7 bis 1:8 ausreichend ist. Bei der Brennweite von fast 50 cm erhält man eine Aufnahme im Maßstab 1:10 in rund 5m Abstand. Unter diesen Bedingungen würde u ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 47 sich der Fehler dureh die seitlichen Bewegungen beim normalen Gange folgendermaßen berechnen. Es war oben gefunden: Terlogın ORE kR= RM: RR’ ist die Verschiebung des Bildes infolge der Annäherung oder Ent- fernung von R, RM ist im ungünstigsten Falle, das heißt am Anfang und am Ende der Gangstrecke = 1-5m. RR@ ist nach Fischer im äußersten Fall = 0-06 m, mithin a 1.5.2 oder RR —— — 0.018 m. Da nach der Figur die Abbildung auf der Platte die Verhältnisse der Wirklichkeit im Maßstab MO:OR wiedergibt, und dies im vorliesenden Falle dem Maßstab 1:10 entspricht, würde unter den ungünstigsten Umständen, das heißt bei der größten vorkommenden seitlichen Ab- weichung von R und am Anfang oder Ende der Gangstrecke, der Fehler auf der Zeichnung 1:5 mn betragen. Außerdem hat man aber mit noch größeren Fehlern derselben Art zu rechnen, weil die Versuchsperson die Gangrichtung nicht immer richtig _ innehält, sondern etwas schräg oder gar im Ziekzack geht. Man muß sich diese Möglichkeit vor Augen halten und sich nur so weit auf die Richtigkeit der Zeichnung verlassen, als nach obigen Berechnungen zu- lässig erscheint, das heißt z. B. nur bis zu einer gewissen Entfernung von der Plattenmitte. Wenn man auf diese Weise die Gangbewegungen auf dem Papiere dargestellt hat, gilt es, die Zeichnung mit Rücksicht auf die Mechanik des Ganges auszudeuten. Hier tritt eine im ersten Augenblick über- raschende Schwierigkeit auf, daß man nämlich auf der Zeichnung mancher- lei Einzelheiten bemerkt, die man bei Betrachtung des Ganges mit bloßem Auge nicht sieht, während man umgekehrt die Dinge, die man mit dem Auge wahrgenommen hat, auf der Zeichnung nicht wiedererkennt. Es besteht sogar geradezu ein Gegensatz zwischen den beiden Unter- suchungsarten insofern, als das Auge diejenigen Stellungen am sichersten auffaßt, in denen die Gliedmaßen am längsten verweilen, während auf den Augenblieksbildern sich diejenigen Stellungen am deutlichsten ab- heben, in denen die Gliedmaßen sich am schnellsten bewegen, weil da die Einzelbilder am weitesten voneinander entfernt erscheinen. 48 R. pu Boıs-Reymonxp: Um die ganz verschiedenen Eindrücke, die man durch die beiden Arten der Untersuchung erhält, zu vereinigen, bedarf es recht ein- gehender Durchmusterung der Aufnahmen und entsprechender Erfahrung im Beobachten der Gehbewegung. Zur Erforschung der Augenblicksbilder bieten sich zwei Wege dar. Man kann entweder damit beginnen, irgendeine Einzelheit, die einem zuerst auffällt, messend festzustellen, und sich dann von den dabei gewissermaßen zufällig gemachten Bemerkungen weiter leiten lassen, oder man kann von vornherein nach einem festgesetzten Plan möglichst alle Einzelheiten der Bewegung, die überhaupt von Bedeutung sein können, genau ausmessen und verzeichnen, um so einen Überblick über die ganze Bewegung zu bekommen, der zugleich zuverlässig ist. Das letzte ist der Hauptvorzug dieses Verfahrens. Bei der Betrachtung der Bewegungs- bilder glaubt man nämlich nicht selten allerlei Auffälliges wahrzunehmen, das sich aber beim Nachmessen als bloße Urteilstäuschung erweist. Das Augenmaß wird nämlich durch die Reihen von Strichen und Linien, die in verschiedenen Winkeln gegeneinander geneigt sind, geradezu in ähn- licher Weise irregeführt wie durch die Zoellnersche Täuschungsfigur. 6. Bemerkung zur Lehre von der normalen Gangbewegung. Nachdem das Untersuchungsverfahren in allen den erwähnten Einzel- heiten ausgebildet worden war und schon eine Reihe von Beobachtungen über die Gehbewegung beim Gebrauch künstlicher Beine vorlag, ergab sich die Notwendigkeit, die Unterschiede zwischen den Bewegungen bei schnellem und bei langsamem Gange genauer, als bisher geschehen, fest- zustellen. Hierüber soll im zweiten Abschnitt dieser Mitteilung berichtet werden. Zum Schlusse des ersten aber möge eine Beobachtung über den normalen Gang angeführt werden, die, so selbstverständlich sie unter gewissen Voraussetzungen erscheinen mag, als allgemeingültiger Satz Be- achtung verdient: Bei der normalen Gangbewesung kommt nicht die seringste Rückwärtsbewegung im Raum vor. Die Gliedmaßen bewegen sich in der Riehtung der Gesamtbewegung oder sie stehen still, aber sie bewegen sich nie rückwärts. | Dies erscheint selbstverständlich, wenn man als selbstverständlich annimmt, daß der normale Gang keine unzweckmäßigen Bewegungen einschließt. Jede Rückwärtsbewesung im Raum bedingt eine unnütze Arbeitsleistung, weil der betreffende Körperteil entweder vor der Rück- wärtsbewegung weiter, als nötig war, vorgerückt gewesen sein muß oder schneller, als sonst nötig gewesen wäre, nachträglich vorgerückt werden ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 49 muß, um die Rückwärtsbewegung auszugleichen. Jede Rückwärtsbewegung im Raum ist also Arbeitsverschwendung, und unter der Voraussetzung, daß die Gangbewegung zur größten möglichen Zweckmäßiskeit ausgebildet sei, versteht es sich allerdings von selbt, daß keine Rückwärtsbewegungen dabei stattfinden. Daher mag es dann auch wohl kommen, daß frühere Untersucher es nicht der Mühe wert geachtet haben, die Tatsache besonders hervorzu- heben, daß beim normalen Gehen wohl relative, aber niemals absolute Rückwärtsbewegung beobachtet wird. Bedenkt man aber, wie starke relative Rückwärtsbewegungen beim Gehen gemacht werden, daß sie die Geschwindigkeit nach vorwärts bis auf Null herabsetzen und daß daher jede noch so geringe Verstärkung sie in absolute Rückwärtsbewegung verwandeln muß, so kann es im Gegenteil wundernehmen, daß dieser Fall nicht eintritt. Diese Auffassung drängt sich dem Beobachter auf, wenn er sieht, daß beim Gehen mit einem künstlichen Bein das gesunde Bein gar nicht selten Rückwärtsbewegungen im Raum ausführt. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol, Abtlg. 4 Nährwert des durch Alkali aufgeschlossenen Strohes beim Hunde. Von Geheimrat Max Rubner. Zu den Bemühungen, welche auf künstlichem Wege sonst schwer verdauliche pflanzliche Nahrung in eine leichter verdauliche Form über- führen wollen, gehört die Behandlung von Raufutter oder Stroh mit Al- kali bei hoher Temperatur mit oder ohne Steigerung des Atmosphären- drucks. Es eignen sich dazu Stoffe, die von Haus aus weder Stärke, Zucker oder N-haltige Nährstoffe in erheblichen Mengen enthalten. Dahin kann man in erster Linie das Stroh der verschiedenen Bodenfrüchte rechnen, zwar wird ihm ein erheblicher Teil von ‚‚N-freiem Extrakt‘ in den Ana- lysen zugeschrieben, tatsächlich macht, wie besonders auch die nachfolgenden Untersuchungen zeigen, die Zellmembran den größten Teil dieser N-freien Extrakte aus. Die Aufschließung von Stroh mit Natron oder Kalilauge in der Wärme ist eine Behandlung, welche schon vor dem Kriege bekannt war. Beson- ders hat Lehmann in Göttingen sich mit derartigen Produkten für Fütterungszwecke bei Pflanzenfressern beschäftigt. Anfänglich wurde das Material wie es war, ohne Auswaschen der Lauge verfüttert, wobei sich gelegentlich Nachteile gezeigt haben sollen, dann ist man zum Auswaschen des Strohes übergegangen. Das allgemeine Ergebnis läßt sich nach Ver- suchen von Lehmann, Fingerling, Zuntz dahin zusammenfassen, dab solches Stroh mit einem Nutzeffekt bis 90 Prozent verdaut werden kann, wodurch der Vorteil entsteht, daß für geeignete Tiere eine erheblich größere Masse als von Rohstroh verfüttert werden darf. Für Rindvieh, Pferde ist solches aufgeschlossene Stroh ein gutes Futter, ein Kohlehydrat; unbrauchbar ist es für Schweine, deren einfacher gebauter Darmkanal sich für hoch- wertige Ausnützung nicht eignet. Bei der großen Schwierigkeit, die sich Max RUBNER: NÄHRWERT USW. 51 jetzt auch für die Erhaltung von Versuchstieren ergeben, konnte es von Wichtigkeit sein, ein Ersatzfutter für Hunde zu erhalten, es schien mir deshalb schon von diesem Gesichtspunkte aus wünschenswert, einen Ver- such am Fleischfresser anzustellen. Ein prinzipielles Bedenken besteht ja nicht mehr, seitdem ich gezeigt habe, daß der Hund in seinem Darm viele Arten von Zellmembranen nicht allzu schlecht, manche sogar weitgehend verwertet. Die rein wissenschaftlichen Fragen konnten aber auch Interesse er- wecken, da die Verwendung des aufgeschlossenen Strohes mehr auf rein praktischer Grundlage aufgebaut wurde; der nähere Vorgang der Ver- daulichkeit bei diesem veränderten Stroh, ja, seine nähere Zusammensetzung ist bisher nicht geprüft worden, da man sich wesentlich auf Roh- faserbestimmungen in der Einnahme und Ausgabe beschränkt hat. Es mußte von Wichtigkeit sein, die Gesichtspunkte und Methoden, die von mir neuerdings für Fragen dieser Art Verwendung gefunden hatten, auch hier in Anwendung zu bringen. Dem Prinzip nach wären bei dem Studium der Aufschließung des Strohes oder ähnlicher Produkte eine Reihe von Zubereitungsarten und Verwendungsarten zu prüfen. Grundsätzlich verschieden sind sicher alle Präparate, je nachdem man das Material nach der Alkalibehandlung aus- wäscht oder nicht. Ist letzteres der Fall, so besteht das Nährende aus Ge- löstem und Ungelöstem, im ersten hinterbleibt — wenigstens nach üblicher Annahme — nur Ungelöstes. Die Verdaulichkeit von Präparaten so verschie- dener Zusammensetzung müßte selbstverständlich sehr ungleich sein. Da man aber wegen der Gefahr, welche stark alkalische Flüssigkeiten und Substanzen für den Darmkanal haben, auf die Verwendung solcher Präparate verzichtet hat, bleibt für die weitere Betrachtung nur das aus- gewaschene Material verschiedener Herstellung Objekt der Untersuchung. Vorversuche mit Stroh, das durch Kochen mit Natron aufgeschlossen war. Das erste Material stammte aus D., es war Strohhäcksel, das nach dem Alkaliverfahren zubereitet war. Die näheren Versuchsbedingungen der Zubereitung sind nicht mitgeteilt worden (Dez. 1916). Das feuchte Mate- rial wurde von mir in dem Faustschen Apparat getrocknet und in einer elektrisch betriebenen Laboratoriumsmühle sründlich zu mehlartiger Beschaffenheit zerkleinert. Von diesem Pulver erhält der Hund 3 Tage je 70 g lufttrocken zu je 1000 & Fleisch zugesetzt. Die Entleerungen waren sehr umfangreich, aber fest. 4* 52 MAx RUBNER: Es wird notwendig sein, zunächst einen Überblick über die Zusam- mensetzung von Stroh überhaupt zu geben, damit man von vornherein ein Maß für die Veränderungen erhält, die sich bei der Natronbehandlung vollziehen. Ich benützte dazu eine Analyse, die später in Zusammen- hang mit systematischen Versuchen der Aufschließung besondere Ver- wendung finden soll. In 100 Teilen Trockensubstanz sind bei Winterhalmstroh (nach An- saben des landwirtschaftlichen Kalenders): N.ı: . KEea 0-48 Bett... Su as NO. N-freie Extrakte . . . . 40-3 Rohfasersg 20 4 gr 49-2 Nach meiner Untersuchung enthält Strohhäcksel in .100 Teilen: Asche... „u... A A 4-32 Organische 95-68 IN LE Ne en ee N 0-54 (3-37 Rohprotein) Pentosam er En 26-43 Zellmembran . ..... 77-32 darin Zellulose ...... 35-20 „. „bentosanw ss more: 22-35 as = REST. AR 19-77 Rohfett Y.>.2 2 Kr (1-51) Verbrennungswärme . . . 448-6 Die eingehende Analyse zeigt uns ein ziemlich kompliziertes Bild des Aufbaues des Strohes, vor allem schrumpfen die bisher üblichen N-freien Extrakte von 40-3 Prozent auf 13-5 Prozent zusammen und zwar sind letztere die von Wasser und anderen Lösungsmitteln (Alkohol, Chloral- hydrat) aufnehmbaren Anteile; also offenbar Reste verschiedener Sub- stanzen, die sich noch in den Strohzellen befinden. Die größte Masse des Strohes besteht aus der Zellmembran, die sich aus Zellulose, Pentosanen und einem Rest nicht weiter bestimmbarer Verbindungen, wohl Hemi- zellulosen, Lignine usw. zusammensetzt. Vom Pentosan sind 84-6 Prozent in der Zellmembran, mit der Zellulose und ihren übrigen Bestandteilen innig verbunden. Von der Zellmembran selbst sind in 100 Teilen: Zellulose 2 2 mm 45-6 Bentosan, Me 28-9 Restä,.i... 2 m 25-49 NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL,. STROHES BEIM HUNDE. 53 Etwa !/, aller Substanzen läßt sich vorläufig in die besonderen Be- standteile noch nicht scheiden; die Gruppe dieser Stoffe hat, wie ich aus anderen Untersuchungen entnehme, eine höhere Verbrennungswärme wie Zellulose und Pentosane. In vielen Richtungen erinnert die Zusammensetzung des Strohes an jene des Holzes überhaupt. Nach dieser Darlegung kann an die Besprechung der Versuchsergebnisse am Hund, die in nachstehender Tabelle zusammengefaßt sind, herangetreten werden. In 100 Teilen aufgeschlossenen In 70 g lufttrocken Strohes sind: = 67.13 g trocken: Eaene. A 3-28 2-19 Organisch ... . . . 96-72 64-90 NO Safe TR 0-18 (1-12 Rohprot.) 0-12 Bentosan . ..... 31-80 21-33 Zellmembran . . . . 80-00 53-65 Zellulose der Zellm. . 53-70 36-02 Pentosan e: Alla) 14-45 Restsubstanz . .. 47 3-18 [Dann Wa A 1-15 0-77 Kalorien , =... 438-2 294-0 In 100 Teilen Zellmembran sind: Zellmlose ... . ..,:. 67-12 BENtOsan 0.0. 2; 26-94 Restsubstanz . . ... 5-94 In 100 Teilen Kot sind: In 90:45 Trockenkot sind: Asalnet oa 26-86 24-27 Orsanisch ”. . . .. 13-14 66-13 N 1-66 1-50 Bentosan '. . ...v. 14-29 12-92 Zellmembran . . . . 41-34 37-37 Zellulose der Zellm. . 26-79 24-21 Pentosan F 2.69 11-43 Restsubstanz .. ee‘ 1-73 Bene 2... 1-64 1-50 Kalmen‘ .. . ....... 318-8 288-2 In 100 Teilen Zellmembran sind: Zellulose . ..... 64-80 Pentosan . . ...... 30-63 ee a ara AT 54 Max RUBNER: Die Zusammensetzung des aufgeschlossenen Strohes kann nicht mit der Strohzusammensetzung Zahl für Zahl verglichen werden, weil ja das eigentliche Ausgangsmaterial nicht untersucht worden ist. Man erkennt aber die Gesamtwirkung der Natronaufschließung recht gut. Zunächst haben wir wieder ‚„lösliche Substanzen‘ 14-45 Prozent, dies sind aber nicht die ursprünglichen des Strohes, sondern die unausgewaschenen Reste der Aufschließungsprodukte, außerdem sehen wir die Zellmembran ver- ändert, sie hat die Gruppe von Stoffen größtenteils eingebüßt, welche das Lignin enthielten, die Verbrennungswärme ist gesunken. In der Zell- membran überwiegt jetzt stark die Zellulose. Sie ist entweder gar nicht oder nur unbedeutend in der Menge, vielleicht nicht einmal in ihrer Ver- daulichkeit beeinflußt. Darüber hat eben der Versuch zu entscheiden. Nach den über das Verfahren bekannt gewordenen Nachrichten geht bei der Behandlung des Strohes durch Kochen mit Lauge nahezu die Hälfte der organischen Substanz in Lösung. Man beabsichtigte damals, durch Eindampfen der Laugen eine Wiedergewinnung der Soda zu erzielen; wenn dies nicht möglich wäre, sollen die Laugen als Abwasser in die Flußläufe gelassen werden oder das eingediekte Material konnte auch, der trocknen Destillation unterworfen, auf Aceton, Methylalkohol, Schmieröl usw. ver- arbeitet werden. Hier interessiert, daß das Produkt zur Ernährung nur etwas mehr als die Hälfte des Ausgangsmaterials darstellt. Der Kot besteht zu */,, aus Zellmembran, die Pentosane sind nahezu ausschließlich in dieser vorhanden, nur ein kleiner Teil von Restsubstanz (Lignine usw.) findet sich noch vor. Der Rest des Kotes besteht aus Stofi- wechselprodukten. Vergleicht man die Ein- und Ausfuhr der Zellmembranen, so hat man: Verlust an Pentosan überhaupt. . . 60-6 Prozent .. Zellmembran . . . . . . 69-65 M „ Zelluloses rare 020 r .. Pentosan der Zellmembran 79-10 “ SER estsubsianv 54-40 * an freien Pentosanen . . . ..... 21-66 Die Zellmembran des mit Natron behandelten Strohes ist also für den Hundedarm verdaulich, aber nicht in höherem Grade als etwa Birken- holzmehl — ohne weitere Zubereitung —, die Pentosane der Zellmembran sind etwas schlechter resorbierbar als diese selbst im ganzen betrachtet, die freien, nicht an Zellmembran gebundenen Pentosane scheinen schlecht resorbiert zu werden, daher ist es wahrscheinlich richtiger, die freien Pentosane im Kot als Abkömmlinge der verdauten Zellmembran und ihrer NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 55 Pentosane anzusehen, die also erst bei dem Einsetzen der Zellulosever- dauung entstehen, dann ungelöst im Dickdarm bleiben. Außer der Zellmembran und den anderweitig bestimmten Substanzen findet sich im Strohmehl nur wenig anderes. Wir haben: Örcanıschessee ne wa 0 me... 96-7 Teile Aellmembrane 2. men. 2 0 80-00 Teile Kentosankren) 2 0. le Nosubstanz 0. un. en. VEN. IERE e len uf — 93-8 Teile bleiben 2-9 Teile Als „lösliche“ Substanz wird man nur die 11-6 Pentosan + 2-9 Teile nicht näher zu definierenden Zwischenprodukte der Strohaufschließung ansehen können —= 14-5 Prozent, wovon also 80-5 Prozent Pentosan sind. Damit soll nichts weiter gesagt sein, als daß die Furfurol liefernden Stoffe in den angegebenen Verhältnissen sich finden. Der lösliche Anteil wird unzweifelhaft leichter verdaut wie die Zellmembran. Fuseenouamen wurde... 2.2 ne: 294-0 Kal. im ganzen im Kot abgegeben . . .288-2 Kal. auleischkot trifft ....... Bo a 0EHKall welche als Gesamtverlust der Zufuhr anzuesehen sind = 74-9 Prozent Verlust. Wie groß die Menge der Stoffwechselprodukte in diesem Falle ist, läßt sich in folgender Weise berechnen: ausdenentleert"..0..7... 00 02. Ne. 288-2 Kal. p. Tg. für 37-37 g Zellmembran & 4-2 Kal.! .161-3 an freiem Pentosan 1-5 x 39 .... 58 aus Prot. in der Zellmembr. 3-6 x 5-8 . 21-0 — 188-1 bleibt: 100-1 Kal.p.Te. Der normale Fleischkot soll nur 67-7 Kalorien liefern, es ist also ein Überschuß vorhanden, der auf Kosten der gefütterten Substanz ent- fällt = 32-4 Kalorien per Tag. Eine Mehrung der N-Ausscheidung im Kote ist nicht zu erweisen. Die aus dem Kot dargestellte Zellmembran enthielt etwa eben soviel N wie das verfütterte Material pro Tag 0-58 & N. Dieser Wert von der Gesamt-N- Ausscheidung 1-50 abgezogen, bleibt 0-92 N, was der durchschnittlich bei Fleischfütterung kommenden N-Ausscheidung im Kot der Hunde an- nähernd entspricht. Würde man das aufgeschlossene Stroh für sich allein * Nach späteren Untersuchungen von aufgeschlossenem Stroh. 56 Max RUBNER: füttern können, so würde der Ausnutzungseffekt geringer werden, wie oben angegeben, weil dort die dabei auftretenden Stoffwechselprodukte in ihrer Gesamtheit auf den Nährwert des Strohes zu verrechnen wären. Die ganze Menge der vom Hunde resorbierten Kalorien beträgt für den Tag 294 — 220 = 74 Kalorien, was rund 7-4 Prozent des gesamten Stoffwechsels des Versuchstieres ausmachen würde, vorausgesetzt, daß die bei der bakteriellen Aufschließung der Zellmembran freiwerdenden Pro- dukte restlos dem Stoffwechsel dienen, was sicher nicht der Fall ist. Auch bei dieser maximalsten Leistung stellt also aufgeschlossenes Stroh für den Hund kein Nährmittel von Bedeutung dar. Im Anschluß an diese Vorversuche wurden im Sommer 1917 nach mannigfachen anderen Vorarbeiten die Experimente nochmals aufge- nommen, um unter möglichst vergleichbaren Verhältnissen die Wirkung der sogenannten Aufschließung nach verschiedenen Methoden, wie sie in der Praxis eingeführt worden sind, in ihrem Erfolg auf die Verdaulichkeit der Produkte zu untersuchen. Ausgegangen wurde von der Untersuchung des verwendeten Stroh- häcksels und damit verglichen ein Präparat, das unter Druck und ein zweites, das in nicht geschlossenen Gefäßen, mit derselben Konzentration von Alkali aufgeschlossen war. Da auch die Fabrikation überwacht war, so läßt sich auch die Aus- beute an aufgeschlossenem Stroh zu weiteren Schlüssen mit verwerten. Vergleichende Reihe. I. Gepulvertes Stroh. Das in Häckselform gelieferte Stroh wurde in einer elektrisch be- triebenen Laboratoriumsmühle zu einem feinen Pulver zermahlen, und diente unter der Bezeichnung Urstroh zu den nachstehend berichteten Versuchen. Der Hund erhielt neben 1000 g Fleisch je 70 g der lufttrockenen Masse, beides innig gemischt. Diese Menge wurde gewählt, weil in Versuchen mit Birkenholz ge- nauer erwiesen wurde, daß 70 bis 75 & Zellmembranen! das Optimum der Ausnützung bei meinem Tiere darstellt. Die Kotbildung war außerordent- lich gesteigert, der Kot aber nicht zusammenbackend, sondern locker und erdig. Über die Zusammensetzung der Ein- und Ausfuhr geben nachfolgende Tabellen Aufschluß. Strohhäcksel. In 100 Teilen In 66-.22g pro Tag INSCHENS. IE U OR N 4-32 2-87 Orsanisch „u... 2. 95-68 63-35 NÄHRWERT DES DURCH ÄLKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 57 In 100 Teilen In 66-22g pro Tag TVo een 0-54 (3-37 Rohprotein) 0-37 Bentosan.. .... 2... 26-43 17-49 Zellmembran . ... 7732 51:20 Pentosan der Zellm. . 22-35 14-79 Zellulose Bell 529320 23-30 Rest = NIT 13-11 Be ne. (1-51) 0-99 Verbrennungswärme . 448-6 297-0 eh. 2... 13-46 9.98 mit Pentosan ..... 4-18 = (31:05 Prozent Pentosan) In 100 Teilen Kot In 64-.1g pro Tag aselnet e 10-55 6-76 Mroanisch. . .... . 89-45 57-24 Dem... 5%, 2-49 1-59 Bentosan . . . ce... 20-28 13-00 Zellmembran . . . .. 48-77 31-26 Zellulose der Zellm. . 26-13 16-75 Pentosan N . 20-51 13-15 Rest 5 2 1-36 Verbrennungswärme . 423-4 971-4 Zur Darstellung der Zellmembran wurde wie üblich verfahren, zu- erst, um die Verhältnisse zur Behandlung des Kotes gleich zu machen mit schwach saurem Alkohol extrahiert, dann getrocknet, mit Wasser in der Wärme extrahiert, mit: Alkohol entwässert, der Alkohol mit Äther ent- fernt, wieder getrocknet, 24 Stunden in der Kälte mit konzentriertem Chloralhydrat stehen gelassen, !/, Stunde gekocht und heiß nachgewaschen, mit Äther und Alkohol behandelt. Ich hebe dies besonders hervor, weil sich bei diesem Verfahren zeigt, daß eine nicht unerhebliche Menge von löslichen Produkten abgeschieden werden kann, die Zellmembran macht 77-32 Prozent der Trockensubstanz aus, zu den löslichen Produkten ge- hört auch etwas Pentosan (26-43 — 22-35) 4-08. Ein Teil des N ist unlöslich = 0-32 g, er bleibt mit der Zellmembran fest verbunden. 82-21 Teile sind unlöslich, daher (95-68 — 82-2) 13-46 Teile organisch löslich. 1 177.32 Zellmembran 1:51 Fett 3.37 Protein rem 58 Max RUBNER: Der Kot war reich an Pentosan, bestand überhaupt fast aus der Hälfte, d. h. zu 48-77 Prozent aus Zellmembran. Mit dieser waren 0-69 N ausgeschieden worden, etwas mehr als die Zellmembran von Anfang an enthalten hatte, so daß sich Bestandteile des Fleischkotes fest eingelagert haben müssen (= 0-69 — 0-32) 0-37 g N entsprechend. Nimmt man die Gesamtausnützung in Kalorien ausgedrückt, so hat man 297-0 Kalorien als Zufuhr und 271-4 Kalorien als Ausfuhr, wovon 67-7 mindestens als Fleischkot abgehen —= 203-7 Kalorien als Verlust — 68-58 Prozent. Der Verlust betrifft die Zellmembranen, wie die löslichen Produkte. Die Verluste der Zellmembran lassen sich nach den Analysen kurz nachstehend angeben: Zellmembran im ganzen... . .. 61-05 Prozent Zellulose der Zellmembran . . .. . 74-46 M Pentosan .,, Eu u 36-64 Restsubstanz Be AR 10-37 Die Zellmembran ist also nicht unerheblich auflösbar, wobei wie immer die Zellulose etwas ungünstig abschneidet. Die Pentosane gehen schwer in Lösung, auffallend gut aber die Restsubstanzen, deren Natur wir zur- zeit nicht näher bezeichnen können. Im Kot sind nur mehr Pentosane der Zellmembran vorhanden. Was die löslichen Produkte anlangt, so läßt sich darüber folgendes sagen: 1 g organische Zellmembran inkl. des N-Anteiles hatte 4-497 Kalorien. Zellmembran + Rohprotein machen 80-69 Teile aus, und entsprechen (80-7 x 4.497) 361-2 Kalorien. Dass ÜrStroRghabten gr 448-6 Kalorien in obigem Unlöslichen . . . . . 361-2 Rest 87-4 Kalorien ab. fur LH Heiss ne 14-0 he 63-4 Kalorien Weisen für den löslichen Rest des Urstrohes = 13-48 Teile. 1 g dieser organischen Substanz liefert 4- 703 "Kalorien, also mehr wie reine Zellulose, was auf die Beimengung von Lignin bezogen werden mag. Der Wasserextrakt und der Alkoholextrakt aus dem Stroh sind von srüngelber Farbe. Ersterer löst etwas Kupferoxydhydrat in alkalischer Lösung, gibt aber keine Fällung von Kupferoxydul beim Erhitzen, wird mit Phloroglueinsalzsäure in der Kälte rot, blaßt ab, um beim Erhitzen wieder gelbrot zu werden. Mit 0-5 Prozent Salzsäure bei längerem Kochen gibt der Wasserauszug deutlich unter Fällung eines Niederschlages Zucker, der die Trommersche Probe liefert. NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 59 Von den löslichen Substanzen gehen furfurolbildende Anteile in den Harn über. el ac Eee Rentosamn BONEH DIESE ELN ı KAMERSEN EU)": a lea or Kuochentag 0) ime Kor wurden täglich ausgeschieden . N. ...... 271-4 Kal. davon gehen ab für die unlösliche Zellmembran inkl. Protein 201-7 „, bleiben 69-7 Kal. im normalen Fleischkot sind enthalten . ......... Ötleth Eine nennenswerte Mehrung der N-Ausscheidung im Kot über das Maß der N-Ausscheidung nach reiner Fleischkost ist nicht nachzuweisen. Die N-Menge pro Tag im Kot beträgt 1-59& N, außerdem wurde gefunden 0-32 & N in der Zellmembran, verbleiben also 1-27 & N, während bei reiner Fleischkost 1-03g N im Mittel abgegeben werden. Man kann daher an- nehmen, daß die oben aufgeführten löslichen Stoffe des Ur- strohes ohne Rest zur Resorption gelangt sind, durch diesen Umstand wird die Gesamtausnützung natürlich etwas günstiger, als oline die Beimischung solcher löslichen Substanzen. Die Verdaulichkeit des Strohes hat offenbar, was die eigentliche Zell- masse anlangt, große Ähnlichkeit mit dem Spelzmehl; zum Vergleich seien die beiden Ergebnisse nebeneinander gestellt: Feines Spelzmehl Gepulvertes Stroh Verlust in Prozenten Birkenholz für Zellmembran . .... 61-88 61-65 55-84 Pellulosenät. . 2... 13-54 74-46 60-78 Pentosan der Zellmembran 63-54 86-64 55-4 Restsubstanz . . : ..: .. 21-03 10-37 — II. Stroh bei 4 Atmosphären Druck mit 10 prozentigem Natron aufgeschlossen. Nach den Angaben der fabrikmäßigen Darstellung lieferten 420 Kilo trockenes Urstroh 271-2 Kilo = 64-02 Prozent fertige Produkte, die da- bei auftretenden löslichem Produkte wurden mit 6500 Liter warmen und 25000 Liter kalten Wasser ausgewaschen, das Material dann getrocknet, gemahlen und fein gesiebt. Ob bei letzterem Verfahren eine qualitativ 60 Max RUBNER: ungleiche Scheidung eintritt, ist nicht festgestellt. Das Pulver hat eine mehr graue Farbe gegenüber der gelben des Urstrohes. Über Zusammen- setzung und Ausnützung geben die nachstehenden Tabellen Aufschluß. Strohmehl aufgeschlossen mit Alkali bei Druck (Nr. 4a). In 100 Teilen Trockensubstanz INSCHEBAF ER 3-07 Orgamisch. 0 2 0.% 96-93 IN ra. 0-08 Bentosan. .. naar 27-43 Zellmembran . .. 2 2 77250 davon Zellulose . . 56-43 Pentosan . . 19-00 Kl AMBRESTA 2-07 Verbrennungswärme . 416-0 loslich eu ra 19-43 davon Pentosan ... 84 (=43-23 Prozent) In 100 Teilen Zellmembran ellulose 2 2 ae 72-81 Bentosanı cr ea 24-52 Restwert 8. ee 1-67 INSChe re 8-07 Organische 91-9 IN REN a... 2-32 Bentosans ee 020 19-33 Zellmembran . ... 61-21 darin Zelulose ... 41-21 Pentosan. .. . 14-24 a NESEA ee 5-76 Verbrennungswärme . 407-9 In 67.3g pro Tag 2-67 65-23 0-05 18-46 52-15 37-96 12-79 1-39 : 279-9 13-08 In 64:7g pro Tag 5-22 59-48 1-50 12-51 39-60 26-71 9-21 3-68 263-9 Durch das Kochen mit Natronlauge ist das Stroh so ziemlich N-frei geworden. Das Auswaschen hat aber kein Produkt geliefert, welches ganz von wasser- und alkohollöslichen Stoffen frei wäre, denn es fanden sich von letzteren (96-93 — 77-5) 19-43 Prozent. Hiervon wären etwa noch 1-1g als Rohfett in Abzug zu bringen. Die Verbrennungswärme des aufge- schlossenen Strohes ist erheblich geringer wie jene des Urstrohes. Wenn NÄHRWERT DES DURCH ÄALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 61 man nach den Ergebnissen der Fabrikation im großen rechnen darf, so kommen auf 448-6 Kalorien im Urstroh 268-7 Kalorien von aufgeschlossenen — 60-3 Prozent, der Rest 39-7 Prozent geht beim Aufschließen und Aus- waschen verloren. Der lösliche Anteil enthält 8-4 g Pentosan, auf 18-33 Teile Gelöstes (abzüglich Fett gerechnet), also 45-8 Prozent. Das Lösliche hier ist natürlich nicht mit den löslichen Substanzen des Urstrohes identisch, sondern nur der Rest der durch Natron löslich gewordenen Substanz, die sich, weil in allen Zellen von Stroh eingeschlossen, nicht ganz hat aus- waschen lassen. Die Zellmembran selbst hat hauptsächlich Pentosane und die Restsubstanzen eingebüßt, wie ein Vergleich mit dem Urstroh zeigt: 100 Teile Zellmembran enthalten: Urstroh Aufgeschlossenes Stroh Zellulose . . . . 45-60 72-81 Bentosan . : . .. 28-91 24-52 Inesisent | uaısla 25-49 1-67 Zellulose selbst scheint nicht zerstört zu sein, das Urstroh hatte 35-2 Proz. 64-6 Teile aufgeschlossenes Stroh hatten 36-4. Die Verdaulichkeit der Produkte setzt sich also wieder aus zwei Faktoren zusammen, aus der der Zellmembran und aus jenen der noch vorhandenen nicht ausgewaschenen löslichen Substanz. Nimmt man das ganze Präparat und berechnet den kalorischen Verlust, so hat man 2.5 Zune JRR 279-9 Kalorien „. NEST NE GAS a u ee 263-9 5, ‚„, normalen Verlust des Hbisehen VENOTET Verlust durch das aufgeschlossene Stroh 196-2 Kalorien = 70-9 Prozent. Der Verlust des aufgeschlossenen Strohes, d. h. der Zellmembranen ist folgender: | Zellnembranse wu. vn eek en 75-93 Prozent ellulosen 24 PUHD DRNANIER SEN! 70-3 ., Pentosan der Zellmembran . . . . 2-01 ,, Die Restsubstanzen spielen in der ganzen Bilanz keine Rolle, es werden pro Tag nur 1-39& dieser unter dem Sammelnamen zusammengefaßten Materie aufgenommen, aber es ist auffällig, in den Ausscheidungen mehr davon, d. h. 3-68 g, wiederzufinden. Da die analytischen Ergebnisse nicht zu bezweifeln sind, muß es sich wohl um folgendes handeln. Bei der Ver- dauung werden aus der Zellmembran offenbar aus der Zellulose Zwischen- 62 Max RUBNER: produkte gebildet, die zwar noch in den gewöhnlichen Reagenzien, wie Alkohol, Wasser, Chloralhydrat, wie sie zur Darstellung der Zellmembranen aus Kot dienen, unlöslich sind, aber den Charakter als Zellulose verloren haben. Die löslichen Produkte lassen sich nach ihrer Verbrennungswärme wie folgt berechnen: | das aufgeschlossene Präparat hat ........... 416-0 Kalorien 77-5 Zellmembran x 4:294 liefern . . 332-7 Kalorien IE Bo Acherextraktu 0 10-DR ER. — 342-9 Kalorien 18-3 & Lösliches 73-1 Kalorien also rund per 1g 399, was sich mit dem reichlichen Gehalt an Pento- sanen in dieser Mischung deckt. Im Rob sınd pro@aczenthalltenn oe ee 263-8 Kalorien davon gehen aber nach direkter Bestim- mung in die Zellmembran des Kotes 181-6 Kalorien weiter für gelöstes Pentosan (3:3 x 3-9) 12-8 Be — 194-4 Kalorien 79-5 Kalorien ab für Fleischkot 67-7 11-8 Kalorien Dieser kleine Überschuß ist nebensächlich, er könnte eine geringe Mehrung von Stoffwechselprodukten sein, oder etwa Substanz, die von den an sich löslichen Produkten herrührt. Eine Mehrung der N-Ausscheidung im Kot.läßt sich nicht nachweisen, die N-Abgabe betrug 1-50 8; in der Zellmembran waren 0-45 g, die viel- leicht von Produkten des gefütterten Fleisches herrühren können, an den Membranen fest hafteten und nicht löslich waren, diese in Abzug ge- bracht, liefert der Tageskot 1-05& N, während bei reiner Fleischkost 1-03 g N zu kommen pflegen. III. Strohaufschließung ohne Druck. Das Produkt, gleichfalls von mehr grauer Farbe als das Urstroh, war sehr fein gepulvert und gesiebt. Das Urstroh war 6 Stunden bei 100° ge- halten, dann mit 6500 warmem und 25000 Liter kaltem Wasser ausgewaschen worden, wobei 72-3 Prozent an Ausbeute an Trockensubstanz gewonnen wurden. Zusammensetzung der Ein- und Ausfuhr beim Ausnützungsversuch ergeben nachstehende Tabellen: NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 63 Aufgeschlossenes Strohmehl Probe 2, Sieb 0. In 100 Teilen trocken In 66-9g pro Tag ee ee las 2-76 1-85 Bsanisch Wa ch 97-24 65-05 nen arns ge 0-11 0-07 siagaie Sa Me ne 29.36 19-64 Zellmembral .......: NEL TSRELL N 53-11 Zellulose der Zellmembran . . ... 52-72 35-26 Pentosan .. KORAN Naht, 20-94 14-00 Rest # Nu WIR Hex, PESONERFER 5-73 3-85 Werbrennungswärme: . . ... ...... 418-6 279-9 alle 2 0 NE Ba N 17-85 11-94 In 100 Teilen tr. Kot In 67-0g austlae "0. 2 Bea BE N 14-23 9.53 eamischwe a: anae E 83-77 57-47 in. 2-02 1535 Pain oe a 19-77 13-24 Zellmembran. 2... 2,2. .2.. 0202: 56-11 37-58 Zellulose der Zellmembran . . . . . 35-24 23-61 Pentosan .,. EEE SEN 14-25 9.55 Ne N we. 6-62 4-42 Werbrennungswärme .'. ...... 31-2 262-1 Der N war etwas weniger vollkommen ausgezogen, der Eingriff über- haupt nicht so weitgehend, wie in der Probe unter Druck. Es war noch etwas mehr Pentosan in der Zellmembran vorhanden. In der Zellmem- bran war auch mehr Restsubstanz, wie in dem vorigen Präparat. Die Zell- membran der Versuche nebeneinander geben die beste Übersicht. Urstroh Stroh unter Druck Stroh ohne Druck Dahlemer Stroh Zellulose . 45-60 12-81 66-40 67-12 Pentosan 28-91 24-52 25. 70 26-94 Rest . . 25-49 1-67 7-85 5.94 Stroh ohne Druck und das Stroh aus Dahlem stimmen fast völlig untereinander überein. Der lösliche Anteil 17-85 Prozent, oder nach Ab- zug von 1-1 Prozent Fett, = 16-75 enthält 8-42 g Pentosan = 50-2 Prozent von letzteren. Die Verbrennungswärme ist geringer wie beim Urstroh, aber etwas größer wie beim Stroh unter Druck aufgeschlossen. Urstroh enthielt 35-2 Prozent Zellulose, bei dem Verfahren ohne Druck wurden 64 Max RUBNER: 72-3 Teile Aufgeschlossenes mit 52-73 Prozent Zellulose erhalten, was 38-1 & Zellulose pro 100 Teile Urstroh berechnen läßt. Hier liegt ein Wider- spruch vor, denn mehr Zellulose als im Urstroh kann doch nicht erhalten werden. Vielleicht erklärt sich das Ergebnis daraus, daß bei den großen ‚Mengen verarbeiteter Substanz die entnommenen kleineren Proben nicht alle absolut gleicher Zusammensetzung sind. Von 100 Kalorien im Urstroh werden bei dem Verfahren ohne Druck 62-24 Prozent wieder erhalten, bei dem Druckverfahren 60-3, der Unterschied ist also unbedeutend. Die Verdaulichkeit setzt sich wieder aus den jetzt bekannten zwei Komponenten zusammen, jener der Zellmembranen und jener der lösliehen Produkte. Der Gesamtverlust an Kalorien war: intdersZ uU hu ER 279-9 Kal. im) Kot. Sea 262-1 Kal. | abzüglich für Fleischkot .. 67.7 „ = 19-4 Ral. Verlust = 69-4 Prozent. Der Verlust der unlöslichen Teile war: Verlust an Zellmembranen . . . 70-76 „sZelluloser sr Wr 66-96 bentosan rege 68-14 Bezüglich der Restsubstanz ergaben sich die gleichen Verhältnisse wie im vorigen Versuch; statt 3-85 in der Zufuhr kamen 4-42 in der Aus- fuhr, also etwas mehr, doch sind die Unterschiede geringer wie im vorigen Versuch. Die Ursachen für dies Verhalten sehe ich in der Einwirkung der Verdauung und Umformung eines Teiles der Zellulose. Die Natur der löslichen Produkte läßt sich nur nach der Verbrennungs- wärme fassen: in dem aufgeschlossenen Präparat waren . 418-6 Kal. 79.39 Zellmembran x 41-94—=332-9 Kal. In lelsornhett, Per 1072 ,, = ads 75-5 Kal. für 16-75g (abzüglich Rohfett) Lösliches, 1g — 4502 Kalorien. Die lös- lichen Produkte besitzen hier etwas mehr an Brennwert wie im vorigen Versuch. Im Harn wurde etwas Pentosan ausgeschieden: aml. Tag . 0.109 g en a VO 0-168 g 23 A 0-120 g R Knochentag . . 0-08 g NÄHRWERT DES DURCH ÄLKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 65 In dieser Hinsicht steht dieser Versuch also zwischen dem Urstroh und dem vorhergehenden Versuch. Für die weitere Berechnung kommen diese Werte nicht in Betracht, denn 0-135g Pentosan entsprechen nur 0-53 Kalorien pro Tag an Verlust. Ba Kot; wurden. pro Tag verloren . - . . .......... 262-1 Kal. davon kommen in Abzug für die Zellmembran = nach direkter Bestimmung ...... 22. 169-8 Kal. für gelöstes Pentosan 3-69 x 3-9 = u 0. = leo 78-3 Kal. Fuonseehtgab. für Rleischkat; ... . „2a. Mm. Se der 9 bleibt 10-6 Kal. eine Differenz ohne Belang, welche auf geringe Mehrung von Stoffwechsel- produkten oder auf Stoffe unbekannter Art aus der Nahrung herrührend bezogen werden kann. Die N-Ausscheidung im Kot war 1-35; da in der Zellmembran 0-45 g N pro Tag vorhanden waren, so bleiben nur 0-90 N für die Stoffwechsel- produkte des Fleisches, was annähernd mit dem Durchschnitt überein- stimmt. Die Verhältnisse decken sich also mit dem vorigen Experiment. Über die Eigenschaften der im Wasser löslichen Substanz aus dem zweiten und dritten Präparat kann zusammengenommen gesagt werden, daß die Lösungen ziemlich farblos waren. Das ohne Druck aufgeschlossene Präparat gab eine Lösung, die etwas Kupferoxydhydrat in alkalischer Lösung aufnahm, aber kaum reduzierte, mit kalter Phlorogluzinsalzsäure gaben beide Präparate keine Reaktion, wohl aber — mit einer nach bläulichrot neigenden Färbung in der Hitze. Nach dem Aufschließen mit Salzsäure war erst nach mehrstündigem Erhitzen die Trommersche Probe deutlich. Zusammenfassung. ‚Zusammenfassend läßt sich über die warme Aufschließung mittels Natronlauge bei hoher Temperatur folgendes sagen: Die Aufschließung verändert den eigentlichen Zellulosegehalt nicht, beseitigt einen Teil der Pentosane, das Lignin und einige andere Bestandteile der Zellmembran. Das aufgeschlossene Material hat pro g Trockensubstanz weniger Brenn- wert, als das Urstroh. Die Aufschließung unter Druck macht nur um weniges mehr Produkte auflöslich, d.h. auswaschbar, wie die Methode ohne Druck. Von 100 Kalorien im Urstroh werden als verfütterbare Produkte ge- wonnen: Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol, Abtig. e 5 66 Max RUBNER: bei Aufschließen unter Druck . . . 60-3 Kalorien en R ohne a (ec... Der Unterschied erscheint praktisch nebensächlich. Der gleichheitlich berechnete Verlust bei der Verfütterung am Hunde war: angegeben in Kalorien der Zufuhr beim@Ulrstrohon gen 2 nr 68-6 Prozent, also verdaut 31-4 Prozent bei Aufschluß unter Druck . 70:9 ,, " 2 Mr A ohne 3 Sal, Ki st BOSSE Für den Hund ist es also gleichgültig, ob man fein gepulvertes Urstroh oder aufgeschlossenes Material gibt. Das Urstroh wie auch die aufgeschlossenen Präparate bestehen stets aus den eigentlichen Pflanzenzellmembranen und einem mehr oder minder reichlichen Teil löslicher Produkte. Die Zellmembranen des Urstrohes und des behandelten Strohes unterschieden sich wie folgt: 100 Teile Zellmembran enthalten: Urstroh Mit Druckaufschluß Ohne Druck Zellulosensn Be ur 45-60 72-81 66-4 Bentosane ante 28-91 24-52 25-75 Best A 25-49 1-67 1-85 Die Zellmembran nach Aufschließung unter Druck besteht fast nur noch aus Zellulose und Pentosan, dagegen sind Lignine, Hemizellulosen und ähnliches beseitigt.. Aus welchen Substanzen der Rest der Zellmem- bran, abzüglich Zellulose und Pentosane bei dem aufgeschlossenen Material besteht. steht offen. Die nächstliegende Annahme weist auf ein Zurück- bleiben eines schwerer durch Alkali angreifbaren Anteils von Restsubstanzen des Urstrohes hin. Die wasser- und alkohollöslichen Produkte werden erst beim Kochen mit verdünnten Säuren in Zucker übergeführt, welche die Trommersche Probe gaben. Urstroh gibt in der Kälte die Phloroglueinprobe, die lös- lichen Produkte aus aufgeschlossenem Material erst beim Erwärmen. Die löslichen Produkte des Urstrohes enthalten prozentig weit weniger Pento- sane wie jene der aufgeschlossenen Produkte. Die Verdaulichkeit der Strohproben wird bedinst a) durch die Verdaulichkeit der Zellmembran und b) jener der löslichen Produkte, welch letztere offenbar sehr weit- gehend resorbierbar sind. Bei einem Hund, der 1000 Kalorien zur Ernährung im Normalzustand brauchte, wurde folgende Menge aus der Zellmembran und in löslichen Produkten, für den Tag berechnet, nach den Experimenten verdaut: NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 67 Unter Druck Ohne Druck Sa UERLUR aufgeschlossen aufgeschlossen Kalorien insgesamt . . . . 9-1 83-7 85-6 Kalorien aus Zellmembran . 89-6 53-9 65-1 also aus löslichen Produkten . 3-5 29-8 20-5 Die verdauten Kalorien bestehen bei aufgeschlossenem Material zu einem nicht unerheblichen Teil aus gelösten Produkten, die mit Wasser schwer auswaschbar und zum Teil vielleicht nur in Alkohol löslich sind. Der höchste Nutzeffekt der Resorption macht beim Hunde 8 bis 9 Prozent der Gesamtnahrung aus, der aus Zellmembran selbst stammende Teil bei aufgeschlossenem Material nur 5 bis 6 Prozent, die als aufgenommen berechneten Stoffe sind zu hoch in Anschlag gebracht, weil der Nutzeffekt der Zellmembran durch Gärung im Darme Verluste erleidet. Die Verluste im Harne sind nicht wesentlicher Natur. Aus Vorstehendem läßt sich berechnen, ob durch die Überführung des Strohes in aufgeschlossenen Material ein Mehrgewinn an Verdaulichem erzielt wird. Kal. insgesamt Kal. in Zellmembr. 100 Teile Urstroh liefern verdaulich 140-6 135-4 —= 64-6 „, unter Druck aufgeschlossenes Stroh 78-2 52-4 ders 3., .. ohne Druck ı. „ur. 0... 92-5 70-1 Für den Darm des Hundes wäre die Aufschließung ein Verfahren, das keinen Gewinn an Nährstoffen bedeutet. Behandeln der Zellmembranen mit Alkali bei Zimmertemperatur. a) Birkenhola. Im Zusammenhang mit den vorhergehenden Versuchen der Aufschlie schließung von Stroh bei hoher Temperatur mag noch der Einfluß von Alkali bei gewöhnlicher Temperatur erwähnt sein. Der Ausgangspunkt meiner Untersuchungen hatte keinerlei Beziehung zu den Bestrebungen das Stroh für den Wiederkäuer aufzuschließen, diese Frage lag mir fern, vielmehr habe ich! an eine ältere Angabe W. Hoffmeisters angeknüpft. Er war der Ansicht, die Zellulose könne man mit 5 Prozent Alkali in zwei Teile, eine leicht und eine schwerverdauliche Substanz zerlegen, wofür er auch sonst nicht weiter beschriebene Versuche anführt. Ich habe diese Angabe nachgeprüft, indem ich Birkenholz mit 5 Prozent Kalilauge ı Dies Archiv. 1915. Physiol. Abtlg. 8.83. 5* 68 MıAx RUBNER: 24 Stunden behandelte, dabei wurden 28-6 Prozent des Holzes aufgelöst; das löslich Gewordene war nicht Zellulose, sondern zu ?/,, Pentosan. Das extrahierte Birkenholz selbst habe ich mit kaltem, dann kochendem Wasser gründlich ausgewaschen, getrocknet und verfüttert. Das mit Kali extra- hierte Material stellte dann die nach Hoffmeisters Annahme schwerer verdaulichen Komponente dar. Einen solchen Unterschied der Verdau- lichkeit habe ich nicht gefunden, der Verlust der Zellmembran war: a) ohne Kalibehandlung . . ..2.....69-79 Prozent b) nach ano a A RED Sie zeigte nach Behandlung mit Kali Quellungsvorgänge, aber trotz- dem keine wesentlich verschiedene Verdaulichkeit. Die Behauptung Hoffmeisters, daß das in Kali Lösliche aber verdaulicher sei, ist trotz- dem richtig. Das Kalilösliche sind jene Substanzen, auf welche ich schon oben bei dem aufgeschlossenen Stroh hingewiesen habe, wo sie als nicht ausgewaschene Reste der Alkaliauflösung auftraten. Auch wenn man nur die Zellulose ins Auge faßt, fand sich keine nennenswerte Verschieden- heit der Verluste, nämlich: a) ohne Kalibehandung ..... 59-5 Prozent b) nach RL LE BET 07 SR), Das sind bei den oft großen Schwankungen der Zelluloseauflösung geradezu übereinstimmende Werte. Wie wir jetzt zu sagen hätten, würde also die Aufschließung keine Bedeutung gehabt haben, sicher wenigstens nicht, insoweit die unlöslichen Produkte in Frage kommen. Die vorhergehenden Versuche mit Strohaufschließung haben in dieser Richtung ganz genau das gleiche Resultat gegeben, wie das schon früher für die Birke erwiesen wurde. b) Mit Alkali bei gewöhnlicher Temperatur aufgeschlossenes Stroh. Im April 1917 sind mir zwei Präparate dieser Art von Geheimrat B. zugegangen, die unter Anwendung verschiedener Konzentrationen von Lauge gewonnen worden waren. Ich gebe zunächst deren Zusammensetzung wieder. Das Ausgangs- material selbst habe ich nicht untersucht, es darf hinsichtlich dieses Umstandes auf die 5. 52 gegebenen Analysen verwiesen sein. Die beiden aufgeschlos- senen Strohsorten waren sehr ähnlich zusammengesetzt, sie enthielten etwa dieselbe Menge Zellmembran überhaupt, daneben aber reichlich lösliche Produkte, jedoch von verschiedener Zusammensetzung. Präparat I hatte NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 69 im löslichen Anteil 38-66, Präparat II aber 61-03 Prozent Pentosane und dementsprechend war auch der Gesamtpentosangehalt verschieden. In vielen Richtungen sind übrigens hier ähnliche Verhältnisse, wie bei dem 100° aufgeschlossenen Stroh, die Zellmembran besteht in überwiegender Masse aus Zellulose. In 100 Teilen Trockensubstanz: Stroh I! | Stroh II! AUG 0 2.23 2-15 Breanisch .../.0. 97-77 97-85 - Be nn. en. 0-11 = 0-69 Protein 0-18 = 1-12 Protein Bentosan . ...... 20-26 27-25 Zellmembran 217220 73-05 darin Zellulose . . . . 56-41 55-26 ebentosan .'.'. 112070. 13-47 „„ Restsubstanz 4-94 4-32 Kalorien... ... ..": 2). 433-3 440-4 Bosch”... run, 23-43 Prozent 22-58 Prozent mit 9-06 Pentosan = S3Sl000 mit 13-78 g Pentosan = 61-03 Prozent. In 100 Teilen Zellmembran sind: Stroh I Stroh II Zellmlose». + pi. 17-75 15-64 Pentosanr 210) mia, 15-60 18-44 Restsubstanz . . . . . 6-65 5-92 Der Hauptunterschied liegt also nicht im Verhalten der Zellmembran, sondern in dem der löslichen Substanzen. Frisch dargestellt und verfüttert war das Ergebnis ein recht ungün- stiges, was die Resorbierbarkeit anlangt. Ich habe an dem Versuchshund täglich mit 1000 & Fleisch je 70g des lufttrockenen Präparates fein ge- mahlen verlüttert. | Strohhäcksel I war mit 30 Prozent Natronlauge behandelt, dann gründ- lich ausgewaschen worden. Vor der Fütterung wurde es in einer Labora- toriumsmühle fein gemahlen. Was die Zusammensetzung der Zufuhr und Ausfuhr anlangt, so geben darüber folgende Tabellen Aufschluß. 1 etwa 1:1 Prozent Ätherextrakt. 70 MaAx RUBNER: Strohl. In 70 Teilen Zufuhr = 67:98 trocken Isll 66-4 0-07 13-72 49.25 38-28 7-69 3:28 294-2 In 100 Teilen Kot: tür 80-0 8 pre iz Ascher OU ae 1:16 0-93 Organische 98-84 79-07 Nische: 1 3-21 27 Pentosan Baur 72 13-70 Zellmembran . . . . 59-83 47-86 Zellulosem se 46-95 37-56 Pentosanti.a 9, ı 7-16 5-72 Resta Dez: 4-57 Verbrennungswärme . 4-803 384-0 Das Stroh war sehr arm an N, ziemlich reich an Pentosan, aber ärmer als natürliches Stroh im Durchschnitt davon enthält. Zieht man die Zell- membran, Ätherextrakt + Rohprotein von der organischen Substanz ab, so bleiben 23-43 Prozent, also etwa !/, an Bestandteilen, die als lösliche angesehen werden müssen, auf diese treffen (20-26 — 11-20) 9-06 g Pento- san = 38-66 Prozent Pentosan. Von einem unveränderten Stroh unterscheidet sich dieses Präparat durch den hohen Zellulosegehalt (s. oben S. 52). Der Gesamtkalorienverlust ergibt sich aus der Zufuhr = 294-2 Kalorien und den Ausscheidungen von denen 67-7 Kalorien als normaler Verlust bei Hleischfütterung in Abzug kommen, bleiben 316-5, Kal., d. h. es ist ein Gewinn an Nährstoffen überhaupt nicht eingetreten, sondern ein Verlust, der auf verminderte Resorption des gefütterten Fleisches bzw. Mehrung der Kotbildung zurückzuführen ist. Dies schließt nicht aus, daß von dem eingeführten Präparat ein Anteil zur Resorption gekommen ist. Betrachtet man nun die Verhältnisse der Zellmembran und ihrer Bestandteile, so läßt sich das Nähere leicht feststellen. NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. yai Es wird verloren von 100 Teilen: Zellnemloramnen ara a ya 97-19 Zelluloserder Zellmembran I. 2u.20.2.5. 98-12 Pentosan „, mathe nahe Sin 74-51 Von dem Pentosan wurde aber nichts resorbiert, obschon doch freie Pentosane in dem löslichen Anteil des Präparates vorhanden waren, jeden- falls blieb auch das Wenige, was an Pentosan aus der Zellmembran frei- gemacht worden war, unresorbiert liegen. Alles dies weist also auch auf eine besondere Störung hin, die wahrscheinlich im Alkaligehalt des Stroh- präparates gelegen haben dürfte. Ganz ähnlich verhielt es sich im Versuch II, wie nachstehende Zahlen kurz ergeben. StrohtII. In ”0g = Zufuhr 66-5 g trocken 1-42 65-08 0-12 18-00 48-57 36-73 293-4 In 100 Teilen Kot: pro 83-2 g pro Tag sche 9. A... 13-12 10-90 Örganisches . . . 86-88 72-30 IN Aelas yi 1-95 1-62 Bentosansı 40.7...1.4433 14-42 Zellmembran . . 57-55 47-89 Zellulose . . . . 40-50 33-69 Kalorien ... . . 420-9 390-1 Eine eingehende Besprechung erübrigt sich, nur mag erwähnt sein, dab der N-Verlust hier nicht so stark gesteigert war und vom Pentosan wenigstens ein Teil zur Resorption kam. Von 283-4 Kalorien im Stroh kamen mit dem Kote 350-1 — 67:71 = 282-4 zu Verlust, hier ist der letztere wesentlich geringer, einige Prozente sind also zur Resorption gelangt. Nachdem ich inzwischen die Untersuchungen an anderem aufgeschlos- senen Material gemacht hatte, schien es mir durchaus bewiesen, daß diese kalt aufgeschlossenen Präparate nur einem nebensächlichen Umstand ihre 72 - Max RUBNER: schlechte Resorbierbarkeit zuzuschreiben hatten. Ich habe daher nach vier Monaten wenigstens mit Präparat I eine neue Versuchsreihe ange- stellt. Wenn nur das freie Alkali an der schlechten Ertragbarkeit die Schuld trug, so war inzwischen ausreichend Zeit verflossen, um aus dem freien Alkali die an sich unschädlichen Karbonate in allen Schichten des Strohes herzustellen. In der Tat verhielt sich jetzt die Sache völlig anders. Gefüttert wurden wieder 70 lufttrockenes Präparat und 10008 Fleisch pro Tag. Das Ergebnis enthält folgende Tabelle: Stroh I. 2. Versuch. In 100 Teilen Kot: in 70-5 g pro Tag ‚Asche: 42 Wr aaa 20-25 14-27 Örganisch Ir 56-23 Ne. lg 1-19 Pentosanz 2 m ala 9.58 Zellmembran . . 48-45 34-17 Zellulose 27a 22-50 Pentosan .... al 5-02 Restun. ee 9.41 6-65 Verbrennungswärme 370-0 237-6 100 Zellmembran enthalten: Zellunlosesn.. Seas 65-86 Bentosan’ . Kiser u. 14-72 BREst. 1.0.0003, 8, er 19-42 Daraus folgt, daß sich dieses Präparat in seiner Resorption durch- aus nicht so ungünstig stellt. Von den Kalorien gingen im ganzen von 294-2 der Zufuhr (237-6 — 67-7) = 169-9 oder in Prozent 57-74 verloren. Irgendeine Störung des Darmes lag jetzt nicht mehr vor, der Kot ent- hielt 1-19g N pro Tag, in der Zellmembran des Kotes waren aber 0-28 N, so daß nur 0-91& N für den Fleischkot treffen, während im Durch- schnitt 1:03 zur Ausscheidung kommen. Von 100 Teilen wurden verloren: bei der’ Zellmembran "Eve 69-37 Zellulose :.,.... ws nern, 58-78 Pentosan der Zellmembran . ..... 65-28 Das erinnert ganz an die früher mitgeteilten Resultate bei Stroh mit Aufschluß bei hoher Temperatur. Ein näherer Vergleich ist ausgeschlossen, weil ja das Ausgangsmaterial hier nicht bekannt war. Das Pentosan, auch das nicht in der Zellmembran gebundene, wird schwer resorbiert, das ist NÄHRWERT DES DURCH ALKALI AUFGESCHL. STROHES BEIM HUNDE. 73 aber auch bei anderen ähnlichen Präparaten ebenso. In dem Harn sind nur Spuren von Pentosanen nachweisbar gewesen. Den Beweis völliger Reiz- losigkeit des Präparates für den Darm kann man leicht durch folgende Betrachtung erbringen: Iekor wurden ausgeschieden . . . : .... 0... 237-6 Kal. in 34-2 & Zellmembran des Kotes sind (x 4-2 Kal.) 143-6 melncdco Protemmı (9:88), .ls. “U lELUlenN. 10-4 BezyjoniweiemuPpentosan (329) . . 2.2... IMS = lls® bleibt Rest für Fleischkot 65-8 Kal. für Fleischkot wurde sonst erhalten Do er Die Differenz liegt innerhalb der Fehlerquellen, es hat keine Steigerung der Stoffwechselprodukte, also keine Reizung des Darmes stattgefunden. Im Kot erscheint etwas mehr Restsubstanz wie in der Einnahme, dies ist ein Vorkommnis, das auch bei den durch Wärmeaufschluß behandelten Stroh schon beobachtet und dort erklärt wurde. Die Aufschließung bei Zimmertemperatur liefert also ein Material das in seiner Resorptionsfähigkeit, wenn es frei von Ätzalkali ist, auch den anderweitigen Aufschließungsmethoden kaum nachsteht. Die Verwertung aufgeschlossenen Strohes für die Ernährung des Menschen. Von Geheimrat Max Rubner. Mit Rücksicht auf die zahlreichen Methoden und Versuche der Stroh- aufschließung und die Bedeutung, welche diese Produkte für die Tier- haltung erlangt haben, schien es angemessen, die Verhältnisse auch beim Menschen einer Durchprüfung zu unterziehen. Dies um so mehr, als tat- sächlich gleich bei der Propaganda im Winter 1916/17 für die Strohauf- schließung mit Alkalien die Empfehlung, damit auch das Brot des Men- schen zu strecken — um Nährmittel für die Tierhaltung frei zu machen — auftauchte. Das Ergebnis an Hunden zeigte mit Bestimmtheit, daß die aufge- schlossenen Präparate dieser Art heute in einer Weise hergestellt sein können, welche innerhalb der allerdings engen Grenzen der optimalen Resorptionsfähigkeit der Zellmembran eine Störung der normalen Ver- dauung nicht herbeiführen, wenigstens nicht in kurzer Zeit; wie eine lang- dauernde, monatelange Belastung des Darmes sich verhalten würde, steht dahin, bietet aber kein besonderes Interesse. Die Versuche zeigten, daß man in der alkalischen Aufschließung kein Mittel besitzt, um für den einfacher gebauten Darm des Fleischfressers die gefütterte Zellmembran grundsätzlich so zu ändern, daß sie in erhöhtem Maße auflösbar würde, obschon der Darm des Hundes bestimmten Zell- membranen gegenüber eine solche Fähigkeit starker Auflösung besitzt. Daß sich die Verhältnisse der Resorption aufgeschlossenen Strohes beim Menschen prinzipiell ganz anders gestalten sollten, wie beim Hunde, ist unwahrscheinlich, aber es läßt sich a priori der etwaige Grad einer Ab- weichung nicht voraussagen, zumal dieses auch von der Nahrungsart ab- hängt, in deren Verband die Verfütterung der Zellmembran erfolgt. Bestimmt zum Brotzusatz kann das Strohmehl quantitativ anders wirken, wie etwa im Fleisch. Immerhin ist folgendes sicher: Das aufgeschlossene Stroh hat manche Ähnlichkeit mit Spelzmehl, daher darf man auch ver- Mıx RUBNER: VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES USW. 79 muten, daß es sich in den Resorptionsverhältnissen beim Menschen diesem gleich oder sehr ähnlich verhält. Auch in allgemeiner Richtung wird der Wert des Strohmehls in Analogie zu dem Spelzmehl in die gleiche Formel zu bringen sein. Der Zusatz von Spelzmehl bedeutete eine vom Stand- punkt des Stofifwechsels und der Nährstoffbeschaffung zwecklose Maß- reeel, die in diätetischer Hinsicht die Qualität des Brotes herabdrückte, in hygienischer Hinsicht beim Gesunden durch die Kotmasse und Gärung belästigt und den Kreis der Personen, die derartiges Brot ohne Schädigung für den Darm ertragen können, sehr einschränkt. Da es sich aber bei der Aufschließung des Strohes um eine Maßregel handelt, von der man in manchen Kreisen ein die Brotversorgung umwälzendes Ereignis erwartet, so kann dieser Umstand vielleicht es rechtfertigen, beim Menschen eine solche besondere Prüfung vorzunehmen, obschon der Wert der Belehrung durch objektive Befunde bei der herr- schenden Bewegung ziemlich gering einzuschätzen ist. Für einen solchen Versuchszweck habe ich tunlichst optimale Ver- hältnisse gewählt, eine Mischung des aufgeschlossenen, Materials mit feinstem- Weizenmehl, weil dabei die Aufnahme der aufgeschlossenen Zell- membranen nicht durch gleichzeitig verzehrte andere Zellmassen, wie sie im Kriegsbrot sind, gestört oder durch Überlastung des Darmes mit Unver- daulichem die Grenzen der günstigen Resorptionsfähigkeit überschritten wird. Der Verwendung von halbverdaulichem Material wie Spelzen und Stroh, sind bestimmte diätetische Grenzen gezogen, die Brotqualität sinkt sehr rasch, selbst bei nur mäßigen Zusätzen, und höher wie auf 10 Prozent wird man schon aus diesen Gründen nicht gehen können, die Zähigkeit des Brotes nimmt zu, die Austrocknung wird begünstigt. So verhielt es sich in der Tat auch für das Brot, das aus einer Mischung von 90 Teilen feinstem Weizenmehl mit 10 Prozent Strohmehl (bei 4 Atm. und 10 Prozent Natron aufgeschlossen) gemengt war. Das Brot wird durch den Zusatz bräunlich, etwa wie Brot aus voll ausgemahlenem Roggen, ferner verliert das Weizenbrot seinen guten würzigen Geruch, es hat keinen ausgeprägten Geschmack, auch nicht bei starkem Durchkauen. Gebacken war das Brot ausgezeichnet, gleichmäßig, feinblasig, zeigte aber auch eine übermäßige Härte beim Trocknen; die kleinen Brotteilchen lösen sich langsamer im Speichel, bleiben daher leicht an der hinteren Rachenwand lange hängen. Der Kot ist sehr massig, aber nicht allzu fest, Gasbildung stark. Der -Kot ist von Gasblasen auf dem ganzen Durchschnitt durch- setzt. Nach diesem allgemeinen Urteil mögen die näheren Ergebnisse der Versuche berichtet werden. Ausgeführt wurde eine sechstägige Reihe an zwei Soldaten, die früheren Versuchspersonen waren einberufen, es 16 Max RUBNER: mußte daher ein Personalwechsel eintreten. Die beiden Leute M. und K. aßen nach Bedürfnis, d. h. freier Wahl; neben Brot erhielten sie kleine Mengen Zucker und Fett. Das Nähere enthält die Tabelle. Woche. Strohbrot 4a. Münch. Nahrung Brot Harn 8 |23 - 3 ä nz | >| BE Eee N 9) | =) m kg g g|g |Literi g cem| g 5. VL| 1. |70-01352| — | — | — 1352-0 6. „| 2. 168-411145 | 35 | 34 | %, 1151-5 71. „| 3. |68-4|1150| 5 | 34 | !/, ||1163+0 Bu, nA Rs re lsrzeo 9,15 En en | — | — |1153-4 1007 u|8le® 1117| — | 30 | — [1128-7 N, 7136-5 pro Tag g || 1189-4 | | trocken = | 1734 +3 Woche. Strohbrot 4a. 5. VL] 1. |62-5|l1060 | 50 | 80 | — [1060-0 6. „| 2. |61-0|| 995 | 55 | 54 | — 1006-7 2100 | 9-4 T. „» | 3. 159-4 || 920 | 55 | 54 | — 924.9 ||1340 | 7-4 Se EA 830 | 50 | — | — 839.5 || 1660 | T-1 es: 965 | — | 50 | — || 975-9) 1200 |7-6 0A 7125| 50 | 50 | — || 735-5 | 920 |7-1 en 5542-5|11480 7-5 pro Tag g | 923-5 trocken —= || 570.3 Zeit frisch oa trocken | 10F15v. | 295 | 128 9 9 9 9 „| 285 | 120 ‚| 310 | 185 „| 210 | 50 „| 200 | 4# 463 Brot 1490 g frisch = 920 g trocken = 61,74 Prozent Trockensubstanz. Person K. (rund 60 Kilo) verzehrt pro Er in Brot in Fett 48 g in Zucker 43-38 . im ganzen Person M. (70 Kilo) verzehrt pro II in Brot. in Fett 16-38 in Zucker 6- 6 g. im ganzen 2372-9 Kalorien 446-4 „, Ina s.. 2992-5 Kalorien! 3055-0 Kalorien 1a) 26: Are 3232-9 Kalorien! 2 Die Reinkalorien ergeben sich aus dem Umsatz der Kalorien abzüglich der Kalorien im Harn (1 N = 8-02) und des Kotes für Kurgas = 2584. 2 — 43.07 pro Kilo, für Münch = 2824-6 = 40:35 pro Kilo. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG usw. 77 Die eine Person war etwas verwöhnter und konnte sich nicht ent- schließen, das Brot zu genießen wie es war, Person M. hat nur ausnahms- weise kleine Zusätze von Zucker und Fett genommen. Beide Personen kamen ungefähr auf die gleiche Kalorienmenge pro Kilo. Was die Ei- weißbilanz anlanst, so zeigte sich folgendes: Summe der N-Aufnahme N imHarn N im Kot Ausscheidung Differenz Münch 12-27 7-6 1le7iS) 9.4 + 2-9 10-50 9.5 he 111108 — 0-8 10-80 8-8 N 10-6 — 0-2 11-00 9-0 A 10-8 — 0-2 10-70 Sal! " 10-9 — 0.2 10-50 9.6 E 11-4 — 0-9 Mittel: 10-7 Kurgas 9.85 8-3 1SCT 10-27 — 0-42 9.36 9-4 8 1 5@% — 2-01 8-59 7.4 In 9-37 — 0-78 7-80 7-1 £ 9-07 ar 9.07 7-6 IE ST — 0-50 6-83 an! a) 9.07 — 2-24 1-5 Mittel: 9-8 Das Brot hatte 61-74 Prozent Trockensubstanz und 0-93 Prozent N. M. war annähernd im Gleichgewicht, K. gab dauernd noch vom Körper an N nicht unerheblich ab. Über die Zusammensetzung des Brotes und die Ausscheidungen geben nachfolgende Tabellen Aufschluß. Münch. In 100 g Brot: in 734-3 g pro Tag INSchespt a 0.00... 1:75 12-86 Oreamischlk> 2... 02. 18-25 721-44 De et. 1-53 11-23 BEnosane 2. er 13-04 47-87 #ellmembran ... „ass. . 7-99 58-66 Zellulose der Zellmembran . . 4-97 36-47 Pentosan „‚, 2% al NED 13-36 Rest er Ki lee 8-83 Sea ei 74-401 546-20 Verbrennungswärme 416-1 3055-3 1 Direkt bestimmt. 78 MAx RUBNER: In 100g Kot sind: in 79-1g pro Tas NSCHENEEF EN BR SWRETE MU NE 4-54 3-59 Organs chen: 95-46 75-51 INA En a ad EEE Da 1-79 Bentosanas nr... ee 17-44 13-79 Zellmembrameen 62-85 49.71 Zellulose der Zellmembran . . 40-41 31-96 Pentosan _.. n I Nanlz 11-96 Rest Me EN Mean 7292 5-79 Stärke .- Mike 9.561 4-40 Kälonienz ae er . 423-3 3934-82 Kurgas. In 100 & Brot: in 870-3 g INSCHE 1 SE ER, MR 07 9.98 Orcanıschaespe . 2a 98-25 560.30 Near NETTER 1-53 8-72 Bentosan IL. 2 Pa 6-52 Did) Sn Zellmembrane Zr 7-99 45-56 Zellulose der Zellmembran . . 4:97 28-34 Pentosan .. Mr Ro 10-37 Rest n u Bat) 6-84 Stärke .; :....%.. NZ 74-40 424.30 Verbrennungswärme ... . 416-1 2672-9 In 100 Teilen trockenem Kot: in 73-7 g Kot Asche... 2 es Sr all 5-26 ÖOrsanısel., 15), Mes 92-89 68-44 Na Ein. EEE er 2-68 1:97 Pentosaniba.. 4, 20 22 ..19209 11-06 Zellmembrane 0 56-95 41-97 | Zellulose der Zellmembran . . 37.30 27-48 | Pentosan ., r > 9.56 | Rest 5; Y, ER 4-93 Stärke. Nie 4.391 3-23 Kalorien 0. 2. RE 454-7 339 Um die Art des Brotes näher zu schildern, wird es zweckmäßig sein, auch die Zusammensetzung des feinen Weizenmehls, des aufgeschlossenen 1 Direkt bestimmt. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG usw. 79 Strohmehls und des mit Strohmehl gemischten Brotes nach den wesent- lichen Punkten nebeneinander zu stellen: In 100 Teilen Trockensubstanz sind: Feinstes Aufgeschlossenes Brot mit Strohmehl Weizenmehl! Stroh aufgeschlossen erche . : .,. ee 2-30 3:07 1-75 Mreamnisch. 2: . ...'. . 97-70 96-95 98-25 ST 2 ee 1283 0-08 1-53 Bemosanı 2. ae) "4.52 27-43 6-52 Zellmembran: .:...% -.. 1-26 77-50 78 Bellnlose@ . .*... =... ... (0-53) 54-45 4-97 Verbrennungswärme . . . 423-8 416-0 416-1 Was die Ausscheidungen anlangt, so war der Kot sehr reichlich, relativ von hoher Trockensubstanz, die Verluste betragen: Kurgas Münch Mittel Gesamt-Kalorien , . -: .... ... 14-62 10-95 12-78 IT a A 22-47 15-90 19-18 Stine Ne ER 0-76 0-80 0-78 Felmenmbran ........: 92-12 84-70 88-41 Zellulose der Zellmembran . . 96-90 87-60 92-27 Pentosan „, N; 2 ale 89.52 90-85 Restsubstanz “ a ee 65-57 68-82 Pentosan im ganzen . . . . 29-8 27-58 28-70 Die beiden Personen stimmen in der Ausnutzung nicht ganz überein, Kurgas hat, obschon er weniger aß als Münch eine etwas geringere Ver- daulichkeit, die sich bei allen Stoffen gleichmäßig bemerkbar macht. Wenn man die Gesamtausnützung nach Kalorien mit Roggenmehl von 82 bis 95 Prozent Ausmahlung vergleicht, so ist da der Verlust 13-5 bis 14-8 Prozent, bei einem Weizenmehl von 80 Prozent Ausmahlung hatte ich 11-12 Prozent gefunden. Wie sich aus der prozentigen Beimengung der Zellmembran schon ergab, hatte das mit aufgeschlossenem Stroh vermengte Brot in seiner Zusammensetzung sich einem weit ausgemahlenen ! Das Weizenmehl war nicht genau das ‘zum Verbacken des Strohmehls benützte, aber doch von möglichst gleicher Beschaffenheit. Das Brot mit Strohmehl versetzt, ist also pentosanreicher und so reich an Zellmembran, als etwa 90 bis 95 prozentiger Ausmahlung eines durchschnittlichen Roggens entsprechen würde. 80 MıAx RUBNER: Korn nähern sollen, das ist auch geschehen. Die eine Person verdaute so gut, als man es bei einem Weizenbrot von etwa 80 Prozent hätte ver- langen können, also außergewöhnlich gut, Person K. entspricht etwa den durchschnittlichen Verhältnissen. Die Zellmembran ist auch beim Men- schen schlecht aufgenommen worden, weit schlechter als z. B. die Kleie- zellmembranen resorbiert werden. Ein Vergleich zwischen der Verdaulich- keit verschiedener Zellmembranen beim Menschen zeigt folgendes: Es wird verloren von 100 Teilen: Aufgeschlossenes Weizenbrot Roggenbrot Spelzmehl Stroh (Kleie) (Kleie) (fein) Zellmembran . . . . 8841 53-04 55-5 66-0 Zellulosen 0 2 BET 97-58 61-40 59-5 Bentosanes 90-85 38-73 59.10 66-1 Beste Re En 68-82 44-18 52-1 59-5 Von allen aufgeführten ähnlichen Zellmembranen wird also das auf- geschlossene Stroh am wenigsten gut verwertet. Ein Vorzug einer Aufschließung ist beim Menschen also ebensowenig wie beim Hunde nachzuweisen. Die Aufschließung durch Säuren, wie durch Alkali, kann demnach eine Erhöhung der Verdaulichkeit nicht erreichen, doch erweist sich der Menschendarm als befähigt, bestimmte Zellmem- branen hochgradigst aufzulösen, wie das für Wirsing und gelbe Rüben bewiesen worden ist. Bildet aber eine schwer verdauliche Zell- membran das Objekt der Aufschließung, so bringt diese selbst keinen weiteren Nutzen für die Verdaulichkeit zustande. Das kann als sicheres Ergebnis und als Richtlinie für die Zukunft festgehalten werden. An dieser Stelle mag auch nochmals daran erinnert sein, daß man der weitgehenden Zerkleinerung keine allgemein gültige Bedeutung für die Auflöslichkeit der Zellmembranen zuzuerkennen ver- mag. Hat durch Zermahlung die Masse etwa mehlartigen Charakter er- reicht, so habe ich oft beobachtet, daß die weitere Zerkleinerung und Trennung durch feinste Siebe keinen besseren Erfolg erzielt. Die beliebige Vergrößerung der Angriffsflächen bemißt man rein theoretisch für diese Fälle als zu wesentlich, in Wirklichkeit kommt ihr diese Bedeutung nicht immer zu. Ich habe das bei den Versuchen am Hunde mit aufgeschlossenem Stroh und auch beim Säugling bei Spinatzugabe usw. nachgewisen.. Wie ich schon bei den Versuchen mit Spelzmehl zeigen konnte, ist ein wirklicher Nutzeffekt, der sich in beachtenswerter Größe in der Resorp- tion an Zellmembran ausdrückt, nicht vorhanden. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG usw. 81 Man könnte aber meinen, die Bedingungen der Resorption wären viel- leicht bei aufgeschlossenem Stroh günstiger, weil es zusammen mit feinem Weizenmehl zum Genuß kam, wobei die Gesamtmassen der täglich zu verdauenden Zellmembranen natürlich klein sind. Eine solche Annahme bestätigt sich nicht. Die maximalste Größe der im Tag in der Zellmem- bran zur Auflösung gekommenen Substanzen beträgt bei M. 8-95 g x 4-109 = 36-77 Kalorien pro Tag a Ka 3,0907 22258, 3153 5 RN I Auch davon käme noch wegen Vergärung usw. ein Teil in Abzug. Die zu gewinnenden Nährwerte durch eine Beimengung von 10 Prozent auf- geschlossenes Stroh zur Tagesnahrnng bei ausschließlichem Brotgenuß beträgt also sicher weniger als 0-5 bis 1 Prozent der Gesamtnahrung. Außer der Zellmembran sind die löslichen Stoffe des Strohmehles jedenfalls größtenteils, wenn nicht ganz, zur Resorption gelangt. Hier- über kann ich vorläufig keine näheren Angaben machen, zur Beantwor- tung dieser Frage müßte man wissen, wie das verfütterte Brot ohne das auigeschlossene Stroh sich verhalten hätte, weil dann bewiesen werden könnte, welche Mengen in Kalorien das reine Mehl geliefert hat. Ich komme auf diese Frage am Schlusse zurück. Es erübrigt noch, die N-Ausscheidung und die Bildung der Stoffwechselprodukte näher zu betrachten. Der Verlust an N war sehr ungleich. Es läßt sich feststellen, auf welche Unterschiede das zurückzuführen ist. Bei Person K. waren 1-97 & N pro Tag entleert worden. Im Kot befand sich wie stets, wenn Eiweißstoffe verfüttert werden, eine gewisse Menge Protein, an die Zellmembran ge- bunden. In diesem Fall bei K. 0-797 & N, bei Person M. 0-608. Zieht man diesen Wert von der Gesamt-N-Ausscheidung ab, so bleibt welche als Stoffwechselprodukte anzusehen sind und bestens übereinstimmen. Unresorbiert bleiben bei M. (von 11-23 N 0-608) = 5-41 Prozent, bei K. (von 8-72 N 0:797) = 9-14 Prozent des aufgenommenen Eiweißes. Hier liest also ein individueller Unterschied in der Eiweißresorption vor. Von dem entleerten N sind bei M. 65-92, bei K. 59-39 Prozent Stoff- wechselprodukte. Die Gesamtmenge der Stofiwechselprodukte, so weit sie kalorimetrisch erfaßt werden können, ergeben sich aus nachfolgenden Tabellen. Archivf. A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 6 82 Max RUBNER: Unresorbierbares und Stoffwechselprodukte im Kot. (| — | _ . a . = =) . Verlust an Kalorien im Tag S 33 “= 2 Sea Mi a = = Er Kölle am angenommen ee er re NREIRE a as (ee #8 88 |85 |se3lg83 Person =| o | g® „ Aa e- Ze Ss | 2822| s5 | 85 >22|2,3 Stärke = ss | 88 E E02 TElaro ee membran | 5 3 a _ S Su) = nn 5 22 = 2 Er A - Ma I male 1:7 Münch |18-04| 204-25 7:13 | 229.44 | 334.82 | 105-38 | 3055-3 3.440], | 31.440], Kurgas || 13.24 178.83? | 5-85 197.22 335:10 | 137-13 | 2672-9 | 4.12 40-93 Mittel: | 3.78°/, | 36-18°/, Die Menge der Stoffwechselprodukte macht im Durchschnitt 3-78 Proz. der in dem Brot verzehrten Kalorien aus. Da der Gesamtverlust der Ka- lorien im Mittel 12-78 Prozent betrug, so entfallen 9 Prozent der Zufuhr auf Unverdautes. Das relative Verhältnis der Stoffwechselprodukte zum Gesamtverlust im Kot ist niedriger, als ich es in manchen anderen Ex- perimenten bisher beobachtet habe. Dies Ergebnis würde mit der Anschauung ‘wohl in Einklang zu bringen sein, daß die Stoffwechselprodukte zwar von mechanischer Reizung des Darmes abhängig sein können, aber nicht ab- hängig sein müssen, daß vielmehr ihre Bildung mit spezifischen Bestand- teilen einer Nahrung im Zusammenhang stehen kann. Im vorliegenden Falle konnte aber auch der Umstand mitwirken, daß diese Zellmembran viel schlechter verdaulich ist wie manche andere, wo- durch dann mehr Unverdauliches ausgeschieden und die Relation zu den eigentlichen Stoffwechselprodukten verschoben wurde; diese Annahme trifft nicht zu, weil die Person K., welche die Zellmembran schlechter resorbierte, im Gegenteil auch relativ mehr Stoffwechselprodukte bildete, es bleibt also wohl nur die Möglichkeit, einen gewissen Reiz auf die Darm- wand bei der einen Person anzunehmen. Ausnützung von Brot aus feinstem Weizenmehl. Ein Vergleich der Veränderung, welche die Zugabe von aufge- schlossenem Stroh zu feinem Weizenmehl in der Ausnützung hervorruft, sollte durch Parallelversuche an den gleichen Versuchspersonen durch- geführt werden, durch Abkommandierung der Person M. kann sich dieser Vergleich nur auf die Person K. erstrecken. Leider war von derselben Probe des Mehles, die verbacken wurde, nicht ausreichend zurückbehalten 14.109 Kal. direkt bestimmt. 2 4.258. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG usw. 83 worden, es konnte aber noch Mehl von gleicher Ausmahlung erhalten werden, mögen dadurch kleine Differenzen auch nicht ausgeschlossen sein, so wird doch die allgemeine Übersicht über die Wirkung des Zusatzes von aufgeschlossenem Stroh nicht unmöglich gemacht. Bei der Brotbereitung wurde die zuerst von mir bei Kleiebrot gemachte Erfahrung, daß dieses unlösliche Beimengungen enthaltende Brot wasser- haltiger ist als anderes, die sich inzwischen in Dutzenden analogen Fällen bestätigt hat, wieder gemacht. Brot mit aufgeschlossenem Stroh hatte nur 61 Prozent, reines Brot 67 Prozent Trockensubstanz unter vergleich- baren Verhältnissen. Der Versuch dauerte 6 Tage, seit dem vorhergehenden Experimente hatte K. von der üblichen rationierten Kost, die in dieser Zeit völlig unge- nügend war, gelebt und und wohl einige weitere Zuschüsse erhalten, sein Körpergewicht war aber in fortwährendem Absinken. Frei nach Wahl verzehrte er während des Versuchs an den ersten Tagen etwas mehr und stellte sich erst dann auf etwas geringere Nahrungsmenge ein. Im Durch- schnitt verzehrte er 654-2 Trockensubstanz im Brot — 2772-4 Kal. (2372 im früh. Versuch.) 12 Zucker \ WW 200 “ in Neth a 279 hs im ganzen 3251 Kal. (2992 im vorigen Versuch) bei 59 Kilo Gewicht. Die N-Bilanz war folgende: N aufgenommen! N im Ham N im Kot Summe Differenz il: 12-66 8-5 Iea® 9-88 + 2.78 2. sohil 6 ia 3:9 —+ 4-98 3 12-85 ST a 10-03 + 2:32 4. 12-48 320 En 10-83 21269 9. 10-73 9-0 " 10-33 + 0-44 6. 11-28 6-2 ” 7-53 + 3-7 Am Tage vor dem Versuch waren 10-9g N, am Tage nach dem Ver- such gleichfalls 10-98 N im Harn ausgeschieden worden. Im ganzen fand ein dauernder N-Ansatz statt, trotzdem N-Überschuß aber keine Steigerung des N-Umsatzes. Im Durchschnitt wurden 9-60 N umgesetzt — 0:164g N pro Kilo und 55-5 Kalorien pro Kilo.2 Eine Körpergewichtszunahme war nicht nachweisbar. Feines Weizenbrot ge- 1 1008 Brot = 1-23 N. ®2 Der wirkliche Nahrungsumsatz dieser Reihe, der einiges Interesse be- sitzt, läßt sich in folgender Weise ableiten: 6* 84 Mıx RUBNER: hört zu den bestverdaulichen Nahrungsmitteln vegetabilischer Herkunft, im einzelnen sei auf diese Zeitschrift 1916 S. 85 verwien. Was die Ausnutzung hier anlangt, so zeigt sich folgendes: Kurgas. Weißbrot. a Nahrung Brot Harn Kot =] g 38 » ea E|& © E = | al. s |2 53 2 E38/2)53 | e 3/2 Ss |E Ba 9 BRSlAlER |“ N | Zet |#|8 ® > oe) r kg | 8 | g|s|8l 8 |glgjem| 8 gs|8 26. VI. 1740 | 10-9 27. „ | 1.159-0||1030 | 30 |50| — 10380 |50 1920 | 8-5 — —_—|ı — 28. „| 2. 1125| 30 |50 |— | 1132 |50 1820 | 7-6| 10% v. |120| 30 29. „| 8. 1035 | 30 |30 — |1045 ||50 1040| 8-7| 10 „ |120| 30 Sp || € 940 | 30 |50 |30| 951 50/30) 880| 9-5 9°, 118040730 1.VIL.| 5. 850 | 30 |50 | 30 | 874 ||50|30 111240 | 9-0 9 „ |130| 20 2. „| e.|58-0|| sso| so |50|— | 918 |50 1090| 6.2) 9 „ |120| 20 3.5, Gemischte Kost || 5950 2260 | 10-9 8 „ |125| 25 pro Tag g | 975 155 lufttrocken = g || 654-2 In 100 Teilen feinstem Weizenbrot: Asche Organisch Ne Pentosan Zellmembran Stärke! Kalorien . N-Zufuhr im Kot sollten angesetzt Zufuhr im ganzen ab 2-30 15-0 97-70 639-2 1-83 11-97 4-52 29-57 1-26 8-23 74-80 490-0 493-8 9779-4 12.32 1.33 10-99 im Harn sein. Ausscheidung 8-25 2.74 3251 200 in 554-2 g p. Te. bleibt als Umsatz = Reinkalorien 3051 = 51-7 Kal. pro 1 Kilo. Von der Zufuhr gehen ab im Harn 66-2 Kal. 2.74 x 5-88 Kal. als Ansatz 16, im Kot 117-4 „ Se. 199.7 Kal. 1 Direkt bestimmt. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG USW. 85 _ In 100 Teilen Kot sind: in 23-1g Kot p. Te. Ascheg 2 a RR. 9-68 2.23 Orsanischg m aa. : 90-32 20-87 Net N ne. .h 25516 1.33 Bentosanser. „ua un; 7.29 1-68 Zellmembran em. 21-78 5-03 Dränkere ge sie. 7.451 1072 Rai Are elle 7-50 1°73 Ilorien 4:1... 2.5080 117-4 Die Menge des Verlustes an organischer Substanz war 3-26 Prozent, die der Kalorien — 4-23 Prozent, dies deckt sich zwar nicht mit der Ausnützung bei Kohlrausch?, wobei nur 3-70 Prozent der Kalorien verloren werden, aber doch sehr nahe. Der N-Verlust betrug im ganzen 10-89 Prozent, dies war mehr als in analogen Versuchen bei Kohlrausch und Thomas. Es dürfte sich dieser Unterschied dadurch erklären, daß die Zellmembran zum Teil aus wirklicher Kleie bestand, was sich auch aus der relativ geringen Resorbierbarkeit mit 60-4 Prozent Verlust er- gibt, während reine Zellmembran des Mehlkernes nach meinen Versuchen nur 24-6 Prozent Verlust liefert. In der Zellmembran im Kot war 0-855 g N Protein vorhanden, pro Tag traf also an Stoffwechsel-N 0-48, der Eiweißverlust selbst war 7-1 Prozent, was auch auf die Anwesenheit von Kleberzellen hinweist, da sonst nur rund 6 Prozent N bei feinem Mehl überhaupt verloren werden. Gesamt-N-Verlust verhält sich zum N-Verlust durch Stoffwechsel- produkte wie 100: 36-09, eine Zahl, die für Person K. wesentlich kleiner ist, als die bei den Versuchen mit Strohbrot. Von der Zufuhr des N treffen also rund 4 Prozent auf Verlust durch Stoffwechselprodukte, im allgemeinen ein niedriger Wert. In der Reihe mit Strohbrot trafen 13-42 Prozent der Zufuhr bei K. auf N-haltige Stoffwechselprodukte, man kann daher schon hieraus entnehmen, daß die Beigabe des Strohmehles nicht ohne Einfluß auf den Ablauf des Verdauungsprozesses war. Über die Gesamtmenge aller Stoffwechselprodukte gibt nachstehende Tabelle Aufschluß (siehe Tabelle nächste Seite): Die Gesamtmenge beträgt also bei feinstem Weizenbrot nur 2-04 Proz. aller Kalorien der Nahrungsaufnahme. Es läßt sich jetzt leicht die Frage beantworten, ob die Hinzufügung von aufgeschlossenem Stroh als ein Anreiz zur Mehrung der Stoffwechsel- ! Direkt bestimmt. ° Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. S. 85. 86 Max RUBNER: Verlust an Kalorien im Tag Person Zell- membran! im Brot Stärke insgesamt entstehen Stoffwechselprod. | Von 100 Kalorien treffen auf | Stoffwechselprod. Kal. im Kot aus Kalorien im Kot Stoffwechselprod. Verzehrte Kalorien Vom Verzehrten Pentosan? Summe 60-56 |117-a0| 56-8 |2772.0 | 2.040), |a8-380/, Kurgas | 7-05 | 53-51 oO produkte zu betrachten ist, d. h. ob dieses Material eine Mehrtätigkeit des Darmes erfordert und weiter wird ein Vergleich mit einem Brot aus Weizenmehl, das annähernd eine ähnliche Menge von Kleiezellmembran enthielt (5-09 Prozent), als das Strohbrot mit aufgeschlossenem Stroh (7-99 Prozent) von Interesse sein. Auf 100 Kalorien Zufuhr treffen Stoffwechselprodukte: bei feinstem \Weizenbrot 020.22 2302.22.222304 .,.10trohhbEotz,. en re N ‚„„ Weizenbrot (80 Prozent Ausmahlung)? . . 7-30 Strohbrot steigert tatsächlich den Verlust an Stoffwechselprodukten von 2,04 auf 4-14 Prozent der Gesamtzufuhr an Kalorien, kleiehaltiges Brot zeigt allerdings eine weit erheblichere Steigerung, ein Hinweis, daß ‚nicht das ‚‚Unlösliche“ an sich ausschließlich eine Steigerung der Darm- tätigkeit bedeutet, sondern die Eigenart der Nahrungsmittel, wie ich schon oben bemerkte. Damit mögen die Betrachtungen dieser Ver- suchsreihe geschlossen sein. Welche Ergebnisse zeigen sich bei einem Vergleich der beiden Brot- sorten des reinen Weizenbrotes und des mit Strohmehl versetzten ? Das Brot aus aufgeschlossenem Stroh sollte aus neun Teilen Trocken- substanz Weizenmehl und einem Teil aufgeschlossenem Stroh bestehen. Geht man von den Werten der Zellmembran des Brotes mit Strohzellulose aus, so findet man eine Mischung von 91 g trockenem Mehl und neun Teilen trocknen aufgeschlossenen Strohes, mit dieser Zahl ist in nachfolgendem gerechnet worden; bei dem Versuche von K. mit 570-3 täglich aufge- nommenem Brot mit aufgeschlossenem Stroh wären nach diesem Ver- hältnis also 519g feines Weizenmehl vorhanden. Die Ausnützungsverluste des letzteren werden nun von den Versuchs- ergebnissen mit Strohmehl abzuziehen sein. 1 5.03 reine Zellmembran = 22.12 Kal., dazu 5-34 Protein = 31-39 Kal. * Pentosan nur in der Zellmembran. ® Siehe dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. 8. 89. VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES FÜR DIE ERNÄHRUNG USW. 87 Zell- | Stoff- Asche | Organ. N Stärke | mem- | wechsel- Kal bran | prod. es ee TRRER SILBER 8 8 550 8 In den Ausscheidungen | bei Strohbrot täglich || 5-26 | 58-44 | 1.97 3.23 | 41-97 | 137:18 | 335-1 519g Mehl liefern . 1:77 | 16-95 | 1-03 | 1-36 | 4-13 44.83 93-0 Also mehr im Tag. . || 3-49 | 41.49 | 0.94 | 1.87 | 37.79 | 92.35 | 242-1 ‚Die Zufügung von Zellmembran, welche aus dem feinen Mehl gewisser- maßen ein Vollkornmehl gemacht hat, hat eine allgemeine Vermehrung der Ausscheidungen hervorgerufen, die sich auf Zunahme der Asche, der organischen Substanz, des N, der Stärke, der Zellmembran und der Ka- lorien erstreckt. Im Strohbrot der Zufuhr waren p. Tag 45-56 & Zellmembran überhaupt auum Weizenmehl .. ..........6:ö538 bleibt mehr bei Strohbrot: 39-05 8 diese Zellmenbranen müssen auf aufgeschlossenes Stroh überhaupt um- gerechnet werden; sie entsprechen (& 4-16 Kal.) = 209-2 Kalorien im ganzen pro Tag. Diese 209-2 Kalorien hatten aber keinen Nutzeifekt, weil pro Tag 242-1 Kalorien aus Anlaß der Zugabe von aufgeschlossenem Stroh mehr in den Ausscheidungen kamen. Das Stroh bringt an sich keinen N als Nahrung mit sich, erzeugte aber eine Mehrausscheidung von N im Betrage von 0-94 pro Tag, die teils als Stoffwechselprodukte, teils als Proteinverlust aufzufassen ist. Außerdem kamen (242-1 — 209-235) 32-9 Kalorien als Mehrverlust überhaupt. Da außerdem aber doch von der Zellmembran wirklich kleine Anteile, wie nachgewiesen, und außerdem auch noch die wasserlöslichen Stoffe des aufgeschlossenen Strohes zur Resorption gelangt sind, so muß dieser Resorption entsprechend eine Mehrausscheidung von anderen Stoffen stattgefunden haben, die hier nur rechnerisch verdeckt sind. Die obige Zusammenstellung ergibt auch hierfür die Antwort; der Resorption der in Wasser löslichen Stoffe, dem aufgeschlossenen Stroh steht anderer- seits die Mehrung der Stoffwechselprodukte gegenüber. Zusammenfassend kann man also folgendes über die Wirkung aufge- schlossenen Strohes in der Nahrung des Menschen sagen. Der Zusatz von aufgeschlossenem Stroh vermindert die Qualität des Brotes gegenüber dem reinen Brot aus gleichem Mehl, Wohlgeruch und Wohlgeschmack des ursprünglichen Gebäckes nehmen ab. Das Brot trocknet rasch aus und wird dann sehr zäh. Die Auflösung durch den Speichel scheint herab- 88 Max RUBNER: VERWERTUNG AUFGESCHL. STROHES USW. gesetzt, das Brot nimmt einen stärkeren Wassergehalt an. Im Darm steigert sich die Entwicklung von Gasen, die Ausscheidungen werden sehr stark vermehrt, der Kot ist wasserarm, doch verfilzen die Strohfasern nicht. Die Zellmembranen des aufgeschlossenen Strohes werden im Darm des Menschen wenig angegriffen, weniger wie Kleie und Spelzmehl. Die aus der Zerlegung und Verdauung der Zellmembran selbst frei werdenden Nahrungswerte betragen auch bei ausschließlicher Brotkost weniger als 0-5 bis 1-0 Prozent des gesamten Brennwertes der Kost. Bei einem Vergleich mit Brot aus reinem Mehl derselben Herkunft liefert das Strohbrot einen Mehrverlust an allen wiehtigen Bestandteilen, der durch den gesamten Brenn- wert des zugesetzten Strohes nicht gedeckt wird, vielmehr erhöht sich unter dem Einfluß des letzteren die tägliche N-Ausscheidung und der Verlust an Kalorien. Demnach ist von einer Sparung an Nährstoff nicht die Rede, sondern es steigt der Ver- lust im ganzen an. Es empfiehlt sich daher, von derartigen Zusätzen zu Brot abzusehen, da durch sie nicht nur kein Nutzen, sondern eine meß- bare Benachteiligung der sonstigen Nährstoffverwertung die Folge ist. Die bei gesunden Männern angestellten Versuche erlauben keine Übertragung der Resultate auf die ganze Bevölkerung und etwa auch auf Leute mit schwächerem Magen, alte Personen usw., eine allgemeine Verwendung von Strohbrot kann sicher nicht darauf rechnen, günstigere Ergebnisse wie hier zu erzielen. Auch wenn man statt feinen Weizenmehls kleiereiche Mehle hochgradiger Ausmahlung verwendet, können die Er- gebnisse nicht günstiger, Sondern nur schlechter werden. Altes und Neues über das Elektrokardiogramm. Von Professor Augustus D. Waller. Beim Lesen der Schriften, die in den letzten Jahren in Pflügers Archiv und in anderen Zeitschriften über das Elektrokardiogramm er- schienen sind, die die Entdeckung der Herzströme, die Grundbedingungen für deren graphische Aufnahme und ihre klinische Bedeutung behandeln, hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt, daß es von Nutzen sein - könnte, wenn ich dem deutschen Leserkreis einen kurzen Abriß meiner eigenen Anschauungen über diesen Gegenstand vorlegte. Der gegebene Ort für diese Mitteilung ist das Archiv, das fast 40 Jahre lang (1858 bis 1895) von du Bois-Reymond herausgegeben worden ist. Ist es mir doch seinerzeit durch das gütige Entgegenkommen dieses Altmeisters und unermüdlichen Forschers auf dem Gebiete der tierischen Elektrizität ver- eönnt gewesen, der Berliner Physiologischen Gesellschaft die grundlegenden Versuche über die elektromotorische Tätigkeit des Herzens vorzuführen, die dann in den Verhandlungen der Gesellschaft beschrieben worden sind. Mein Besuch in Berlin im Jahre 1839 ist mir in Erinnerung, als ob es gestern gewesen wäre. Mit welch lebhafter Aufmerksamkeit beobachtete du Bois-Reymond die Stromstöße seines eigenen Herzens und prüfte dureh den Vergleich zwischen ‚‚wirksamen“ und „unwirksamen“ Anord- nungen die Bedeutung der schrägen Lage der Achse CO und des ı W. Einthoven, G. Fahr und A. de Waart. Über die Richtung und die manifeste Größe der Potentialschwankungen im menschlichen Herzen und über den Einfluß der Herzlage auf die Form des Elektrokardiogramms. Pflügers Archiv. 1913. S.275. — A. Samojloff, Vorzüge der mehrfachen Ableitung der Herz- ströome bei Elektrokardiogrammaufnahmen. Ebenda.1913. S.195. — F.Kraus, G.F. Nieolai und F. Meyer, Prinzipielles und Experimentelles über das Elektro- kardiogramm. Ebenda. 1913. Bd. CLV. 8.97. — R.H.Kahn, Das Elektro- kardiogramm. Ergebnisse der Physiologie. 1914. B. XIV. — A. Hoffmann, Die Blektrographie als Untersuchungsmethode des Herzens und ihre Ergebnisse. : 90 Aucustus D. WALLER: Äquators OO der Spannungslinien, und wie sorglich war er darum be- müht, daß mein ‚großer gelber Hund‘ und mein ‚‚mittelgroßer brauner Hund“ ihr Kunststück, mit den Pfoten in Zuleitungsgefäßen stillzustehen, recht gut machen sollten, als ich auf seinen Wunsch unternahm, die Versuche in der Physiologischen Gesellschaft zu zeigen und den Beweis zu liefern, daß die Achse der Spannungsfigur beim Menschen eine andere Lage hat als beim Vierfüßer, dessen Herz weniger schräg steht. ‚Von diesen Strömen,“ sagte du Bois-Reymond, ‚‚wird niemand behaupten können, daß es ‚Demarkationsströme‘ sind.“ Obgleich zu dieser ersten Untersuchung nur ein verhältnismäßig un- empfindliches Instrument angewendet werden konnte, nämlich das Lipp- mannsche Kapillarefektrometer, traten doch schon alle wesentlichen Züge des Phänomens hervor. Der grundlegende Unterschied zwischen ‚schwachen und starken“ oder ‚‚wirksamen und unwirksamen“ Ableitungen wurde nachgewiesen und seine Bedeutung klar gemacht, indem bei Individuen mit Situs inversus der entgegengesetzte Befund erhoben wurde. ‚Es handelte sich dabei nicht um theoretische Klügelei oder Auskramen belangloser Einzelfälle, sondern um die Feststellung einer Tatsache, die mit wohlüberlegter Absicht als Korollar zu einer sorgsam durchdachten Kette von Schlüssen aufgesucht worden war. Sechs Jahre später nahm Einthoven mit Hilfe des viel feineren Apparates, den er eigens zu diesem Zwecke erfunden hatte, das Gebiet von neuem in Angriff. Indem er die wahre Stromkurve für bestimmte Ableitungen angab, wies er der Forschung den Weg, von der Unter- suchung des normalen Herzens zu der der pathologisch veränderten Herz- tätigkeit fortzuschreiten. Ein weiterer großer Fortschritt wurde erreicht, als fast gleichzeitig Stanley Kent in England und His (der Sohn) in Deutschland das nach His benannte Muskelbündel im Herzen entdeekten.! Doch das sind allbekannte Dinge. Trotz dieser eroßen Fortschritte aber glaube ich durch das, was ich im folgenden von ‚Altem und Neuem“ aus diesem jetzt schon so weit angebauten Gebiet berichten will, zeigen zu können, daß die neueren pathologischen Untersuchungen auf Abwege geraten sind, weil man den Unterschied zwischen wirksamer und unwirksamer Anordnung nicht hinlänglich beachtet, und weil Einthoven schon bei seinem ersten Auftreten meiner vollkommen richtigen Angabe widersprochen hat, daß die Ableitung von der linken Hand eine „unwirksame“ ist und sie ddaraufhin leider auch als dritte unter seine klassisch gewordenen drei ! Kent, Journ. of Physiol. Proc. Physiol. Soc. 12. Nov. 1892. Vol. XIV. p. 23. — His, Arbeiten aus der Medizinischen Klinik zu Leipzig. 1893. ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 91 Ableitungen I, II und III aufgenommen hat. Allerdings muß ich zu- gestehen, daß ich selbst in gewissem Grade daran mitschuldig bin, daß jetzt so viele durch die falschen Wegweiser P, @, R, 8, T, U nebst den drei Ableitungen I, II und III vom rechten Wege abgebracht werden. Ich betrachtete nämlich die ganze Sache schon im Jahre 1890 als ab- geschlossen und habe daher auch mehr als 20 Jahre lang nichts darüber veröffentlicht, abgesehen von meinen Vorlesungen, in denen ich Jahr für Jahr dies Kapitel mit immer einfacher werdenden schematischen Dar- stellungen auf der Tafel behandelte. Ich habe mir eben du Bois-Rey- mond nicht nur auf dem Gebiete der tierischen Elektrizität, sondern auch in bezug auf das Druckenlassen zum Muster genommen, und das „nonum prematur in annum‘“, das für ihn vierfach galt, ist in meinem Falle kaum mehr als zweifach. Inzwischen hatte ich für die im Archiv von 1890 a S. 187 abge- druckte Spannunesfigur eine einfachere Form gefunden, indem ich die Linien, die Orte gleichen Potentials bezeichnen sollten, durch ein System von Äquidistanten zum Äquator ersetzte, deren Abstand gleiche Bruch- teile von 1 Volt bedeutete, und auf denen ich an der Tafel die Zeichen M. R. L. ankreidete, um die Potentialspannungen und Potentialdifferenzen bei den Ableitungen von Mund und Rechter Hand und Mund und Linker Hand zu bezeichnen. Dadurch tritt anschaulich hervor, daß die Potential- spannung bei der rechten oberen (unwirksamen) Ableitung und der linken oberen (wirksamen) Ableitung verschieden ist, und daß die Größe des Unterschiedes davon abhängt, ob das Herz steiler oder flacher nach links geneigt ist. Ebenso machte ich es für die linke oder rechte untere Ab- leitung, da ja die beiden Füße in bezug auf die Herzströme als isoelektrisch angesehen werden können. Es versteht sich von selbst, daß ich in der Vorlesung auch die drei Zacken des typischen Elektrokardiogrammes be- sprach, von denen ich eine als Vorhofzacke, die beiden anderen als erste und zweite Ventrikelzacke unterschied. Ferner hatte ich, bloß der be- quemeren Bezeichnung wegen, die verschiedenen Ableitungen als trans- versale, axiale, äquatoriale, rechte und linke, obere und untere benannt. Da ich aber in diesem Ausbau der Lehre keine neuen Entdeckungen sah, fühlte ich keine Veranlassung, besondere Mitteilungen darüber zu ver- öffentlichen. Jetzt aber, da ich sehe wie die Klinik es als ein Dogma hinstellt, daß die Hypertrophie des linken Herzens sich im Elektro- kardiogramm durch Vergrößerung von R;, (also kleines R,,) und Ver- kleinerung von R;77r ausspricht, während die Hypertrophie des rechten Herzens sich durch kleines R, (großes R,,) und großes R,,, anzeigt und daß dies Doema allgemein als eine bloße Frfahrungstatsache ohne jede 92 Aucustus D. WALLER: theoretische Begründung aufgestellt wird, jetzt, dünkt es mir, tut es not, daß man einmal wieder auf den Anfang dieser jetzt ja schon recht alten Geschichte zurückgeht, um sie noch einmal von vorn an zu erzählen, aber diesmal vom Standpunkte der Unterscheidung von Rechts und Links! Ich bin fest überzeugt, daß der Leser, der sich an diese Betrach- tungsweise gewöhnt und sich die einfache Berechnungsweise zu eigen macht, nach der sich die Spannungshöhe für rechte und linke Ableitung bemißt, bald verstehen wird, woher es kommt, daß man Leitungsstörungen im rechten Schenkel des His’schen Bündels als die klassische Form der Herzstörung betrachtet, seitdem man ausschließlich mit den drei Ab- leitungen I, II, III arbeitet. Genau dieselben elektrischen Symptome müssen nämlich nach meiner Auffassung häufig bei ganz normalen Herzen vorhanden sein. Auf diese Dinge soll weiter unten ausführlicher ein- gegangen werden. Was die Bezeichnungen betrifft, so freut es mich, mit Kraus und Nicolai darin durchaus übereinzustimmen, daß, wie sie auf S. 215 er- klären: die geschichtliche Entwicklung, die Beobachtungen und die Ein- fachheit ebensoviel Gründe sind, nur drei Zacken im Elektrokardiogramm des Menschen anzuerkennen. Ich selbst habe mich seit nunmehr über 20 Jahren im Unterricht immer nur dieser Bezeichnungsweise bedient, nur daß ich dabei nicht gerade die von Kraus und Nicolai vorge- schlagenen Buchstaben benutzte, weil ich zufällig eine andere Sprache rede. Ich unterschied eine Vorhofszacke A, eine erste Ventrikelzacke V, und eine zweite Ventrikelzacke V,,. Ich gebrauchte die Wörter ‚‚erste“ und ‚zweite‘, weil diese Zacken mit dem ersten und zweiten Herzton zeitlich zusammenfallen oder ihnen nur um sehr wenig vorausgehen. In den Vorlesungen nenne ich häufig V,, auch die „systolische“ Zacke. Die neuere (oder wie Kraus und Nicolai sie nennen, die ältere) Nomenklatur PQRST, die Einthoven 1895 zur Beschreibung seiner Kurven eingeführt hat!, halte ich für unbequem und obendrein irre- führend, obschon sie von vielen Klinikern angenommen worden ist. Gegen die Bezeichnung AJF, die den Vorteil bietet, für die deutsche, französische und englische Sprache gleich gut zu passen, habe ich nichts einzuwenden, aber ich gebe doch der Bezeichnung V, und V7,, (oder bloß I und II) für die erste und zweite Ventrikelzacke den Vorzug, vielleicht hauptsächlich deswegen, weil ich eben daran gewöhnt bin, aber auch weil ich finde, daß es gut zu der althergebrachten Bezeichnung der Herztöne als erster und zweiter paßt. Was die Benennung der Ableitungen betrifft, so ist natürlich kein 1 Pflügers Archiv. 1885. Bd. LX. 8. 105. ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 093 Anlaß vorhanden besondere Namen einzuführen, wenn man sich wie Kraus und Nicolai es tun, mit bewußter Absicht auf die einzige Ab- leitung von den Händen aus beschränkt. Ich bin aber in diesem Punkte derselben Ansicht wie Samojloff, nämlich daß man mit Hilfe. von drei Ableitungen Aufschlüsse erlangen kann, die eine Ableitung nicht gibt. Ja, ich meine sogar daß es sich verlohnt, die Kurve mit fünf verschiedenen Ableitungen aufzunehmen. vs E We Va Rip 1. Gleichzeitige Aufnahme des Elektrokardiogramms und der Herztöne von L. Bull. E elektrokardiographische Kurve. S mikrophonische Kurve der Herztöne. V7; und Vzrerste und zweite Ventrikelzacke, gehen dem ersten und zweiten Herzton, die durch die Stromschwankungen bei S7 und 877; angezeigt werden, um einen kurzen Zeitraum voraus. Die Abszissen sind Fünftelsekunden. 1887 bis 1889, bei meinen ersten Untersuchungen, hatte ich es für zweckmäßig gehalten, zunächst so viele verschiedene Ableitungen wie nur möglich in Betracht zu ziehen, und habe daher sogar die Ergebnisse von zehn verschiedenen Ableitungen mitgeteilt, also keineswegs, wie Kraus und Nicolai irrtümlicherweise angeben, bloß die der Anordnung „Mund und linker Fuß“. Tatsächlich war sogar die erste Ableitung, die ich untersuchte, die von rechter Hand und linkem Fuß, das heißt also die axiale Ableitung von B und A. Als ich dann fand, daß Mund und rechte Hand eine ‚unwirksame Anordnung“ bilden, das heißt nahezu isoelektrisch sind, nahm ich die Elektrode, die von B abgeleitet hatte, in den Mund, um die rechte Hand zum Gebrauch frei zu haben.! 1 Übrigens auch, weil sich diese Ableitung als die günstigste erwies. Ich habe die Ableitung vom Mund zum After nur einmal probiert, und als ich mich überzeugt hatte, daß sie der vom Mund zu den Füßen entspreche, behielt ich sie den Versuchen an Katzen, Hunden und Kaninchen vor. Sie gibt natürlich eine einfache longitudinale Ableitung und kommt der rechten oberen und unteren oder der linken oberen und unteren gleich. 94 Aucustus D. WALLER: Die fünf Ableitungen, die ich als maßgebend betrachte, sind: . Rechte obere (Mund — rechte Hand). . Linke obere (Mund — linke Hand). . Transversale (rechte Hand — linke Hand). . Linke untere Links-laterale (linke Hand — linker Fuß) Äquatoriale (linke Hand — rechter Fuß). 5. Rechte untere Rechts-laterale (rechte Hand — rechter Fuß) Axiale (rechte Hand — linker Fuß). Zu diesen kann noch eine sechste Ableitung hinzugefügt werden: 6. Loneitudinale (Mund — rechter oder linker Fuß). kom - Diese fünf Ableitungen muß man sämtlich anwenden, wenn man sich ein Bild von der Verteilung der Ströme rings um das arbeitende Herz machen will. Es ist nach meiner Auffassung für die Untersuchung eines klinischen Falles unerläßlich, von allen diesen fünf Ableitungen Kurven aufzunehmen, weil es oft sehr nützlich ist, diejenigen Größen bestimmt zu haben, aus denen sich die Neigung der Potentialachse, kopfwärts oder fußwärts vom Herzen aus, nach folgenden einfachen Formeln berechnet: R-'L Obere Halbaxe: tang« = 2 = ER Tntere lee tange = 2 SI REr' In -2R° Ich hatte den Vergleich angestellt zwischen den einander entgegen- gesetzten Wirkungen auf beiden Seiten, beispielsweise zwischen rechter und linker oberer oder rechter und linker unterer Ableitung. (Da ich finde, daß die beiden Füße sich, was die Herzströme betrifft, so gut wie gleich verhalten, betrachte ich sie als isoelektrisch. Zwischen links-lateraler und äquatorialer, wie zwischen rechts-lateraler und axialer Ableitung ist also praktisch kein Unterschied.) In den Jahren 1887 bis 1889 stellte ich fest, daß die linke obere und die rechte untere Ableitung ‚‚wirksam“, die rechte obere und die linke untere „unwirksam“ sind, und ich brachte diesen normalerweise stets vorhandenen Unterschied mit der normalen Schräglage der Symmetrieachse des Herzens in Zusammenhang. In dem Schema, in dem ich ‚diese Ergebnisse zusammenfaßte, nahm ich die Neigung des Herzens zu 45° an und erklärte, dab. die Ableitung von zwei Punkten, die auf entgegengesetzten Seiten des ‚„Äquators“ gelegen seien, wirksam, die Ableitung von zwei Punkten auf derselben Seite des Äquators dagegen unwirksam sei. Man hat später behauptet, ich hätte darin unrecht gehabt. Imsbesondere hat Einthoven, der durch sein herrliches Saitengalvanometer erst erreicht hat, daß es möglich wurde, den Verlauf der Herzströme getreu abzubilden, geäußert, ich hätte damit einen Fehler gemacht, daß ich die links-laterale Ableitung als unwirksam ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 95 bezeichnet hätte!, und hat dann diese Ableitung als die dritte seiner drei Hauptableitungen I, II, III angenommen. Ich erkenne aber auch heute (1914) noch nicht an, daß das ein Fehler war, und bleibe auch heute (1914), wo ich das Gebiet vielleicht noch etwas besser überblicken kann, dabei, daß Ableitungen von Punkten, die auf derselben Seite des Äquators gelegen sind, unwirksam oder nur schwach wirksam sind. Die links- laterale Ableitung, von der linken Hand und dem linken Fuß, also Einthovens Ableitung II, ist hier einbegriffen. — —— | SE ESA => zENl= EB H Fig. 2a. Fig. 2b2. Die Lage der Symmetrieachse der Schema der Ableitungen. M Mund; Potentialspannungen CC und des Äqua- R rechte, ZL linke Hand; F Füße; tors der Spannungsfigur0O0 am mensch- OO Äquator; C'C' Achse der Spannungs- lichen Körper. figur. Um mich dem Sprachgebrauch, wie er durch Einthovens Vorgang festgelegt ist, anzupassen, will ich die Reihenfolge meiner fünf Ableitungen umstellen, so daß die ersten drei mit Einthovens I, II, III überein- stimmen: I. 1. Transversale. II. 2. Rechte untere (und axiale). III. 3. Linke untere (und links-laterale). 4. Rechte obere. 5. Linke obere. 1 Pflügers Archiv. 1908. Bd. CXXLI. S. 551. 2 Die Figur ist so gezeichnet, daß der Winkel bei M = 80°, bei F — 52-5°, 96 Ausustus D. WALLER: Man findet nun z. B. bei einer Versuchsperson (T. G.), daß der Spannungswert der systolischen Zacke V, bei den fünf Ableitungen, in Dezimillivolt gerechnet, beträgt:! de 2, 3 4. 5. Tr. =8 Ruk-ß ki=d Ro 0 Lo. =8 Die Potentialdifferenz zwischen Mund und linker Hand ist 8, zwischen Mund und rechter Hand 0. Der Neigungswinkel der Potentialachse gegen die Senkrechte berechnet sich nach der Formel mithin & = 45%. Ferner ist die Potentialdifferenz zwischen Fuß und linker Hand gleich 3, zwischen Fuß und rechter Hand gleich 9, woraus 9-3 12 a ur — = MM) == 0 9-3 12 2 a0. tangae —=2. An dieser Stelle will ich aber nicht etwa diese einfache Berechnung erklären, sondern nur an einem Beispiel zeigen, daß es gleich ist, ob der fundamentale Gegensatz zwischen wirksamen und unwirksamen Ableitungen durch Potential- unterschiede oder durch Stromstärken ausge- drückt wird. In den Jahren 1887 bis 1889 habe ich angegeben, daß Ableitungen von zwei FE Punkten, die auf entgegengesetzten Seiten des ig3. Äquators gelegen sind, „wirksam“ sind, Ab- Schema der Ableitungen. leitungen von zwei Punkten, die auf derselben ML gibt die Spannung 8; Seite des Äquators gelegen sind, „unwirksam“. EE die Spannung 9; Jetzt sage ich: Ableitungen von zwei Punkten, MR und LF geben die die auf oder nahe an der Potentialachse gelegen Spannung 0. h ; b ß c Der Pfeil deutet die Rich- Sind, sind wirksam, Ableitungen von zwei Punk- tung der Potentialachse an. ten, die in der Richtung quer auf die Potential- so daß cot M/2=1 und cot F/2 = 2. Über die geometrische Konstruktion vgl. Proc. Roy. Soc. B. 1913. Vol. LXXXVI. p. 513. 1 Die Zahlen dieses Falles (T. G.) sind genau nach der Ablesung N, Es kann auffallen, daß sie der Gleichung: Rechte obere Ableitung + rechte untere Ableitung — linke obere Ableitung + linke untere Ableitung nicht genügen. Das mag auf mangelnden Synchronismus oder auf Messungsfehler zurückzuführen sein, Die Zahlen würden der Gleichung genügen, wenn sie lauteten: R. ob. = ]. R. unt. = 10. Dann würde der obere Winkel zu 38°, der untere zu 47° gefunden werden. Der Ausschlag bei longitudinaler AbIEIDUNE betrug für diese Versuchs- person 11. ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 97 achse gelegen sind, sind unwirksam. Welcher Fassung man den Vor- zug gibt, ändert nichts an der Tatsache, daß die linke obere und rechte untere Ableitung stark wirken, die rechte obere und linke untere schwach. Ich habe die Wörter ‚linke untere‘ unterstrichen, um so scharf wie möglich hervorzuheben, daß ich die Berechtigung von Einthovens Korrektur meines angeblichen Fehlers nicht anerkenne. Ganz im Gegenteil, ich sehe in dieser angeblichen Korrektur einen Beweis dafür, dab in jener Zeit Einthovens Anschauungen, trotz seines Scharf- blickes in physikalischen und mathematischen Dingen und trotz des herr- lichen Apparates, den er zur Nachprüfung und Erweiterung meiner Beobachtungen erfunden hatte, dennoch weniger umfassend und weniger zutreffend waren als die, zu denen ich früher mit Hilfe eines viel unempfindlicheren Instrumentes gelangt war, das in meinen Händen nur eine viel schlechtere Darstellung des Elektrokardiogrammes gewährte, als sie nachmals Bayliss und Starling, Einthoven, Kraus und Nicolai, Samojloff und endlich alle späteren Untersucher erhalten haben. In gewisser Beziehung hat es sich glücklich gefügt, daß in der Zeit, als es galt, die Genossen meiner Forschungen von der Grundtatsache des Gegen- satzes zwischen ‚wirksamen‘ und ‚unwirksamen‘ Ableitungen zu über- zeugen, das Kapillarelektrometer, dessen ich mich bediente, so unempfind- lich war, daß es bei „unwirksamen“ Anordnungen mitunter gar nicht ausschlug, so daß überhaupt nur bei ‚wirksamer‘ Anordnung die Strom- schwankungen sichtbar wurden. Unglücklicherweise aber gaben die photo- graphischen Kurven, die ich damals aufnahm, den Stromverlauf nicht getreu wieder. Kraus und Nicolai sind daher ganz im Recht, wenn sie bemerken (8. 105): ‚In seinen verschiedenen Arbeiten neigt er bald dazu, die Normalform als diphasisch, bald als triphasisch anzunehmen.“ Ich bekenne mich schuldig, in den Jahren 1887 bis 1889 in dieser Be- ziehung schwankend gewesen zu sein. Aber ich möchte doch auch zwei mildernde Umstände anführen: Erstens stand ich damals stark unter dem Einflusse der Lehre von Marchand, von Engelmann und von Burdon Sanderson, nach der die diphasische Schwankung eine Ziekzackkurve darstellte, indem ein positiver Ausschlag auf einen negativen folgt oder umgekehrt (wie es Kraus und Nicolai in ihrer Fig. 4a auf S.121 an- geben). Daher konnte ich mir den doppelten positiven Ausschlag nicht recht erklären, als ich ihn zuerst in ganz derselben Form erkannte und beschrieb, die Kraus und Nicolai in ihrer Fig. 4b veranschaulichen. Zweitens fand ich später bei vielen Versuchspersonen, unter anderen auch bei mir selbst, die erste Ventrikelzacke V, bei der linkslateralen Ableitung negativ und nur bei tiefer Inspiration positiv, während bei anderen die Archivf,A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 7 98 Aucustus D. WALLER: Ausatmung bei linkslateraler Ableitung vorübergehend einen Umschlag von positiv zu negativ hervorrufen kann. Da diese beiden Tatsachen, soweit mir bekannt, bisher von keinem anderen Untersucher angegeben worden sind, will ich sie hier durch Kurven belegen, obwohl dies eigentlich nicht zur Sache gehört. Diese Angaben mögen zugleich als Rechtfertigung für die Wörter ‚und Neues“ in der Überschrift der vorliegenden Abhandlung angenommen werden. 4.D.W /inks Jaterg]. ar, Zalı TCW /inks lateral, Fig. 4. Oben das Elektrokardiogramm und die Atemkurve von A. D. W. Bei Inspiration wird die negative Ventrikelzacke positiv. Unten das Elektrokardiogramm und die Atemkurve von J.C.W. Bei Exspiration wird die positive Ventrikelzacke negativ. Beide bei linkslateraler Ableitung aufgenommen. Unter diesen Umständen bin ich also längere Zeit hindurch im Zweifel darüber geblieben, welche Richtung dem Doppelschlage V, Vır zukäme, den ich damals, je nachdem der Meniskus im Gesichtsfelde auf- oder abstieg, mit NN oder SS zu bezeichnen pflegte und von dem ich durch gleichzeitige Aufnahme des Spitzenstoßes festgestellt hatte, daß er vom Ventrikel herrühre. 1888 hielt ich NN oder $8 für die normale Form, aber mitunter beobachtete und verzeichnete ich auch sN und n& und nahm daher auf Grund der damals herrschenden Lehre ven der diphasischen Schwankung des Herzstromes eine Zeitlang an, daß dies die normale Form sei. Aber diese Ansicht berichtigte ich bald wieder, teils infolge eigener Beobachtungen und Überlegungen, teils infolge der von ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 99 Bayliss und Starling! mitgeteilten Kurven. Ich kam nun zu dem Schluß, daß die normale Form NN (oder 85) sei und daß dies die Bedeutung haben müsse, daß die Herzbasis tatsächlich zweimal negativ werde, so daß die Zusammenziehung der Reihenfolge BAB entspreche. Die Sache schien mir aber damals nicht so wichtig, daß ich sie einer besonderen Mitteilung für wert gehalten hätte. Ich erwähnte sie also nur in meinen Vorlesungen und in einer kurzen Bemerkung auf S. 389 der ersten Auflage (1891) meines Lehrbuches ‚‚An introduction to Human Physiology“, in der ich angab, daß die Zusammenziehung des Herzens nieht einfach nach der Reihenfolge BA, auch nicht nach der entgegen- gesetzten, AB, sondern nach der Reihenfolge BAB (Basis, Apax, Basis) verläuft. Fig. 5. Kontraktionswelle des spontan schlagenden Froschherzens, mit zwei Kardiographen gleichzeitig an der Spitze und an der Basis aufgenommen. Oben: Kurve von der Herzspitze. — Unten: Kurve von der Herzbasis. Die Kon- traktion beginnt an der Basis früher als an der Spitze und hält länger an. (Kurve 15 aus: Waller und Reid, The action of the exeised mammalien heart. Philos. Transact. Roy. Soc. 1887. B. Vol. CLXXVII. p. 215. Ich möchte nochmals betonen, daß die Wandlung meiner Auffassung der normalen Kurvenform, von sN zu NN, nicht erst durch die Befunde von Bayliss und Starling vom Jahre 1892 herbeigeführt wurde, sondern schon früher durch meine eigenen unveröffentlichten Untersuchungen mit besseren Kapillaren und durch Erwägungen, die an die Kurve 15 auf S. 228 einer meiner früheren Arbeiten anknüpften, an der deutlich zu ersehen ist, daß die normale Kontraktion des Ventrikels beim Frosch an der Basis beginnt und auch an der Basis endet.” Ich erinnere mich noch genau, ! Monthly International Journal of Anatomy and Physiology. 1892. S. 256. 2 Waller und Reid, Action of the exeised mammalian heart. Phil. Transact. Roy. Soc. B. 1887. Vol. CLXXVIN. p. 215— 256. mie 100 AuGusTus D. WALLER: bald nach dem Erscheinen jener Abhandlung diesen Punkt Herrn Prof. Starling gegenüber erwähnt und ihm gesagt zu haben, daß ich als normale Form der Schwankung BB ansehe, das heißt, daß die Basis zweimal negativ werde, weil die Kontraktion, die an der Basis beginnt, auch am längsten von der Basis ausgeht. Bayliss und Starling er- lielten, mit dem noch besseren Kapillarelektrometer von Burch, vor- treffliche Kurven dieser Art, wie Kraus und Nicolai ganz richtig an- geben, und wie ich selbst in der ersten Auflage meines Lehrbuches auf S.389 gebührend anerkannt habe, und zwar noch vor der Veröffent- lichung der Arbeit von Bayliss und Starling. Also haben diese Kurven eigentlich nur den von mir schon vorher festgestellten Befund bestätigt, und daher ist auch das Schema, das Kraus und Nicolai auf S. 132 ihres Berichtes bringen, im wesentlichen identisch mit der Figur, durch die ich meinen Zuhörern die zweimalige Negativität der Herzbasis an der Tafel zu veranschaulichen pflegte. Übrigens muß sich diese Erklärung jedem aufdrängen, der den Kurvenverlauf BB beobachtet, und sie hat sich tatsächlich auch einer ganzen Reihe unabhängis von einander arbeitender Beobachter außer mir und Bayliss und Starling darge- boten, z. B. erst vor kurzem Mines!, Samojloff? und Boruttau?. Trotzdem aber möchte ich auch heute die Sache noch nicht für ganz ausgemacht erklären, obschon ich die angegebene Theorie für die wahr- scheinlichste halte. Ich pflegte mich damals in meinen Vorlesungen auf die erwähnte Kurve zu beziehen, um einleuchtend zu machen, daß man die Strom- kurve BAB des ausgebildeten Herzens als die der peristaltischen Kon- traktion eines einfachen Gefäßschlauches, die vom venösen Teile aus zum arteriellen verläuft, ansehen könne. Nach alledem muß ich aber zugestehen, daß ich den Verlauf BAB der Stromkurve doch noch nicht als endgültig abschließenden Befund gelten lassen kann. Schon in den Jahren 1896 bis 1897 sah ich mich genötigt, von der Annahme abzugehen, daß man den Ventrikel als eine gleichförmige Muskelmasse, etwa wie den Sartorius vom Frosch auffassen dürfe, in der dann die Kontraktionswelle verhältnismäßig langsam von der Basis zur Spitze und wieder von der Spitze zur Basis ablaufen sollte. Ich bemerkte nämlich schon sehr frühzeitig bei den Untersuchungen, die ich in Gemeinschaft mit Prof. Reid ausführte, daß das erste Zeichen der Kammerkontraktion an der Herzspitze auftreten könne. Dies würde ı Journ. of Physiol. 1913. Vol. XLVI. p. 188. 2 Zentralbl. f. Physiol. Bd. XXVI. ® Dies Archiv. Physiol. Abtlg. 1913. S. 519. ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 101 beweisen, daß es besondere reizleitende Bahnen vom Vorhof zur Herz- spitze gebe. Ich stellte sie mir damals als nervöse Bahnen vor, obschon ich, wie Kraus und Nicolai erwähnen, etwas später allerdings die Mög- lichkeit angedeutet habe, daß die Erregung durch die Musculi papillares vom Vorhof zur Spitze geleitet werden könnte. Auf diese Vermutung legte ich aber keinen Wert und dachte auch gar nicht daran, sie anatomisch zu prüfen. Es las mir damals nur daran, festgestellt zu wissen, dab über- haupt auf irgendeine Weise, wahrscheinlich auf nervösem Wege, die Vor- höfe in funktioneller Beziehung zum Spitzenteil der Kammer stünden. Man schrieb damals 1887, das heißt es war sechs Jahre, bevor Kent und His entdeckten, daß sich ein System von reizleitenden Muskelfasern von den Vorhöfen aus in alle Teile der Kammermuskulatur hinein ausbreitet. Diese Entdeckung erklärt in sehr vollkommenem Maße, warum sich der sesamte Ventrikel beinahe im gleichen Augenblick zusammenzieht, und daneben auch noch die rätselhafte Erscheinung, daß am selbsttätig schlagenden, ausgeschnittenen Herzen die Zusammenziehung manchmal an der Spitze etwas früher als an der Basis auftritt. Man kann eben jetzt die Herzkammer als eine Art neuromuskuläres Organ betrachten, in dem die vom Vorhof in die Kammer ausstrahlenden Verzweigungen dieselbe Rolle spielen wie sonst nervöse Leitungsbahnen. Eine Bestätigung für meine Anschauung fand ich nun in dem zeit- lichen Verlauf der ersten Ventrikelzacke V,. Ihre Gipfelzeit, die man als die Leitungszeit der Anfangserresung für die Strecke von der Basis zur Spitze ansehen darf, beträgt etwa 0-02 Sekunden, was bei einer Strecke von 10 cm die Leitungsgeschwindigkeit von 5m in der Sekunde bedingt, also eine größere Geschwindigkeit, als bei gewöhnlicher Muskelleitung vorkommt. Ferner findet sich nicht selten, daß die erste Zacke V,, statt eine einzige schmale Spitze zu bilden, wie sie der diphasischen Schwankung BA entsprechen würde, zweigipfelig ist, was eine triphasische Schwankung BAB anzeigt. Ihr folgt dann eine ganz normale zweite Ventrikelzacke, die das Vorwiegen der Erregung an der Basis andeutet. Es kann auch der ersten Ventrikelzacke, mag sie nun einfach oder zweigipfelig sein, erst eine kleine Erhebung vorausgehen, die Einthoven als die Zacke Q bezeichnet und die einen diphasischen Stromverlauf anzeigt. Endlich kann noch die erste Zacke V, ganz zersplittert erscheinen, als sei die Saite oder der Spiegel des Galvanometers von einer Anzahl entgegen- gesetzter Stromstöße hin- und hergerüttelt worden. Ich deute alle diese verschiedenen Formen der Ventrikelzacke im Sinne der neuen anatomischen Lehre von einem verzweigten Reizleitungssystem. Die Kammerkontraktion 102 Ausustus D. WALLER: ist eben eine koordinierte Tätigkeit vieler einzelner Gruppen von Muskel- fasern und die Muskelströme überwiegen nach dieser oder jener Richtung, je nachdem die Muskelfasergruppen vorwiegend an dieser oder jener Stelle tätig werden. Diese Deutung ist im Einklang mit der Theorie von Kraus und Nicolai, die besagt, dab die Anfangszacke von dem Reiz- leitungssystem und die Endzacke vom Conus arteriosus herrührt. Ich stimme mit ihnen auch darin überein, die Vorstellung zu verwerfen, als könne die Zacke auf bloßer Erregung, unabhängig von mechanischer Zusammenziehung, beruhen oder als könnte sie durch die Zustands- änderung entstehen, die in den dünnen Leitungssträngen vom Vorhof zur Kammer fortschreitet. Ein weiterer bemerkenswerter Punkt in bezug auf die Reizleitung im ausgeschnittenen Herzen, auf den ich kurz eingehen möchte, wird von Kraus und Nicolai auf S. 108 erwähnt. Reid und ich haben im Jahre 1888 am ausgeschnittenen Säugetierherzen Beobachtungen nach dieser Richtung sowohl mit künstlicher Reizung wie bei spontaner Tätigkeit angestellt. Wir fanden, daß an dem ruhenden überlebenden Herzen die künstliche Reizung eine Zusammenziehung hervorruft, die an der Basis beginnt und zur Spitze fortgeleitet wird, wenn der Reiz die Basis trift, und umgekehrt, von der Spitze zur Basis, wenn der Reiz auf die Spitze einwirkt. Die Leitungsgeschwindiskeit schwankte je nach der Temperatur zwischen 40 und 1200 mm in der Sekunde. Beim spontanen Schlage schien die Zusammenziehung an der Basis und an der Spitze gleichzeitig, oder ein wenig (0-005 Sekunden) früher an der Spitze einzutreten. Dieser auf mechanischem Wege gewonnene Befund wurde durch die elektrische Untersuchung bestätigt. Der spontane Herzschlag beim überlebenden, aber absterbenden Herzen, dessen Vorhof- und Kammertätigkeit schon völlig dissoziiert waren, ergab spontane Kammerkontraktionen, deren Stromkurven zeigten, daß die Tätigkeit normalerweise an der Spitze und nur in seltenen Fällen an der Basis einsetzt. Wir haben z. B. von einem Schafherz 4 Minuten nach der Exzision eine Leitungsgeschwindigkeit von 8m in der Sekunde angegeben, aber! wir sind doch zu dem Schluß ge- kommen, daß die Herzkammer bei ihrem normalen Schlage sich in ihrer sanzen Ausdehnung nahezu im gleichen Augenblick zusammenzieht, so daß sich die Fortpflanzung einer Erregungswelle nicht nachweisen läßt. Wir mußten also schließen, daß die mit der Erregung verbundene Zustands- änderung in allen Teilen der Kammer gleichzeitig stattfinde, und diese Gleichzeitigkeit bedingte die Annahme nervöser Verbindungen. In diesem I Ara. 10.78: 239. ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 103 Sinne haben wir uns denn auch im Jahre 1886 geäußert. Jetzt (1914) würde ich mich dahin aussprechen, daß die Gleichzeitigkeit auf dem Vorhandensein der neuromuskulären Fasern von Kent und His beruhe. Fig. 6a. Konstruktion des Neigungswinkels & der Potentialachse an dem Schema der Ableitungen. Das obere Dreieck. £E Fig. 6b. Das untere Dreieck. In dem Dreieck M RL bedeuten die Seiten MR und ML die rechte und linke obere Ableitung, indem M den Mund, R die rechte und Z die linke Hand bezeichnet. In ihrer wirklichen Beziehung zum Herzen stellen _ die Eekpunkte eigentlich Querschnitte durch Hals und Oberarm vor. Um bequemer zu rechnen, mag der Winkel bei M = 90° angenommen werden, so dß MV=1,RL=RV. Ist nun z. B. die Zacke von der 104 Aucustus D. WALLER: rechten Hand = 1 und die Zacke von der linken Hand = 3, so hat man in M das Potential 0, in R das Potential 1, in Z das Potential 3. Projiziert man das Potential von M auf die Verlängerung der Horizontalen LR nach O und wählt die Lage des Punktes 0 so, daß die Strecke OR die Potentialdifferenz zwischen M und R, die Strecke OL die Potential- differenz zwischn M und L angibt, so stellt MO die Nulllinie der Ä X 7——N Fig. 7a. Konstruktion der Spannungswerte für die verschiedenen Neigungswinkel der Potentialachse und die verschiedenen Ableitungen. Potentialspannung dar. Die Gerade V P, senkrecht auf die Nulllinie MO gezogen, stellt die Lage der Potentialachse dar, die mit der Vertikalen MV einen Winkel bildet, der mit «a bezeichnet werden mag. Da Winkel MOV =.a, so ist tanga = tang MOV = ni —, 020 folglich «a = 26° 36’. ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 105 Oder wiederum: da MV=&(L— R) und OV=4(L+R), kann man schreiben: Der DE 19° das heißt in Worten: der gesuchte Winkel ist der Winkel, dessen Tangente der Bruch ist, der zum Zähler die Differenz zwischen dem Ausschlage bei wirksamer und dem bei unwirksamer Anordnung, zum Nenner deren. Summe hat. tanga = Fig. 7b. Das elektrokardiometrische Kreuz. M Mund; Z linke, Rrechte Hand; F Füße; l linker, r rechter Fuß. Diese Formel gilt auch für negative Werte der unwirksamen Ab- leitung, wie sich leicht durch geometrische Konstruktion beweisen läßt. Es wird genügen, ein Beispiel herzusetzen: Es sei der Wert, den man von der unwirksamen Anordnung erhält, R = —1, und der für die wirk- same Anordnung L = 3, so hat man DR a Ib Sp 18 3—1 a = 64°. tanga — =) 106 AuGustus D. WALLER: In der Figur, die das untere Dreieck darstellt, ist die Strecke VF der Strecke RL gleich angenommen worden, also doppelt so groß wie RV. Die Formel lautet hier: Ban Ne Rem: wo R und L die Ausschläge bei rechtslateraler und linkslateraler Ab- leitung darstellen. Wie im vorhergehenden Falle ist die Tangente von a gleich dem Quotienten der Differenz R —L, dividiert durch die Summe R-+L, und multipliziert mit FV/RV, der Kotangente des halben Winkels RFL. Für das obere Dreieck wurde MV/RV = 1 angenommen, für das untere FV/RV =2, das heißt der Winkel RFL wird gleich 53° gesetzt. Die allgemeine Formel für den Wert des Winkels bei M oder # ist: a BE‘ worin a die Gradzahl des halben Winkels ist. Wenn wir also mit Einthoven das Dreieck RLF als ein gleichseitiges Dreieck annehmen, ist der Winkel bei F = 60° und der Wert für cot a ist 1:73. Die Formel lautet dann: tanga — 2 tang a = cot a een Tor le Ich bediene mich folgender Darstellung an der Taiel, um in der Vorlesung klar zu machen, wie sich theoretisch der Ausschlag bei unwirk- samer und wirksamer Anordnung mit größerer oder geringerer Schräg- lage des Herzens in der Brusthöhle ändern muß oder, genauer genommen, mit höherem oder niedrigerem Werte des Neigungswinkels « der Potential- achse, wobei natürlich vorausgesetzt wird, was dem wirklichen Tat- bestande allerdings nicht genau entspricht, daß der Gipfel des Ausschlages bei allen Ableitungen auf den gleichen Zeitpunkt fällt.! tanz a — 1213 1 Im Jahre 1908 hat Einthoven zuerst den Satz ausgesprochen, der jetzt als „Einthovensche Regel‘ bekannt ist, nämlich II — I= III (Pflügers Archiv. Bd. CXXLI. S. 558), das heißt: die algebraische Summe von drei oder mehr be- liebigen Potentialdifferenzen innerhalb eines geschlossenen Stromkreises ist gleich Null. Später hat er erkannt, daß die Gleichung nicht zutrifft, weil die Gipfel der Zacken nicht synchron sind, indem der von ARj etwa 0-01 Sekunden früher fällt als der von Ryr und Krrır, die er als gleichzeitig gelten läßt. Für solche Punkte der drei Wellen, die im Zeitverhältnis übereinstimmen, ist der Satz selbstverständ- lich gültig, wie Einthoven dann auch geometriseh gezeigt hat. Ich habe mich nicht darauf eingelassen, die Gültigkeit der Einthovenschen Regel für die drei Ableitungen zu untersuchen, sondern habe mich damit begnügt, anzunehmen, daß die Gipfel der Zacken von R und ZL annähernd als synchron betrachtet ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 107 h transversale Ableitung NA W% R untere Ableitung L obere Ableitung Long. Ableitung L untere Ableitung R obere Ableitung Fig. 8. Spannungskurven für die verschiedenen Ableitungen bei verschiedener Neigung der Potentialachse. Die Abszissen sind die Werte des Neigungswinkels «a, in den Ordinaten die Spannungen: 100 mm — !/ooo Volt. Theoretisch, das heißt bei vollkommener zeit- licher Übereinstimmung der Zackenzipfel, müßten die Gleichungen bestehen: R. unt. — L. wt. = L. ob. — R. ob. = transversale R. unt. + R. ob. = L. unt. + L. ob. = longitudinale. 108 Aucustus D. WALLER: Quer über die Tafel werden gleichlaufende Linien mit etwa 1 cm Abstand gezogen, die Äquipotentialen darstellen, und mit den Ziffern 1, 2, 3 usw. bezeichnet sind, die so viele Volt, Millivolt oder Mikrovolt bedeuten. Ein romanisches Kreuz, also ein Kreuz mit drei gleichen kürzeren oberen Armen und einem unteren, der die doppelte Länge hat, wird mit seinem Kreuzungspunkt in der Mitte der Tafel durch einen Nagel drehbar befestigt. (Ich habe übrigens auch ein Modell, an dem das Kreuz feststeht, während die Tafel drehbar ist, was manchem eine klarere Anschauung gewährt als das drehbare Kreuz auf feststehender Tafel.) Durch die Stellung des Kreuzes auf dem Liniensystem können die wirksamen und unwirksamen Ableitungen, ihre Veränderung bei ver- schiedenem Winkel a, die verschiedene Neigung der Potentialachse bei verschiedener Potentialspannung in R und L, u.a. m. dargestellt werden. Ich zeige damit meinen Medizinern, daß die unwirksamen Anordnungen (rechte obere und linke untere) negativ werden, wenn das Herz flach auf dem Zwerchfell ruht, und auf welche Weise es mir möglich ist, durch tiefe Einatmung bei mir selbst den Ausschlag der linken unteren Ableitung aus einem negativen in einen positiven zu verwandeln, und auf welche Weise es vielen unter ihnen möglich ist, an ihrer Kurve die umgekehrte Veränderung hervorzurufen, das heißt, durch eine tiefe Einatmung den Ausschlag von der linken unteren Ableitung aus einen positiven zu einem negativen zu machen. Nie versäume ich hinzuzufügen, daB man aus dieser Umkehrung nicht auf eine vorübergehende Unterbrechung der Er- regungsleitung im rechten Arm des Hisschen Bündels zu schließen braucht. Übrigens komme ich auch nicht gern meinen medizinischen Hörern mit Sinus und Cosinus, wage aber doch zu Nutz und Frommen derer, die sich noch einige Überbleibsel von Trigonometrie aus ihrer Schulzeit bewahrt haben, zu erwähnen, daß die Verminderung des Ausschlages bei transversaler Ab- leitung, die bei tiefer Einatmung ausnahmslos an allen Herzen auftritt, dem Sinus des Neigungswinkels der Potentialachse proportional ist. Um bestimmte Beispiele von der Benutzung des elektrokardio- metrischen Kreuzes beim Unterricht zu geben, möge zunächst einmal werden dürfen. In der Tat habe ich in einem Falle geschätzt, daß der Gipfel der linken Seite etwa 0-005 Sekunden vor den der rechten Seite fiel. In anderen Fällen konnte ich überhaupt keine Ungleichzeitigkeit finden. Daraus schloß ich, daß die Formel tang & = 2 == m mit gutem Erfolg verwendet werden könne, wo man annehmen will, daß die Gipfel zeitlich übereinstimmen, obgleich ich zu- geben muß, daß es in solchen Fällen, in denen der Ausschlag von der linken unteren Ableitung klein und positiv ist und ihm ein großer negativer folgt, zweifelhaft bleibt, welcher Wert für Z in die Rechnung eingesetzt werden soll. 4 ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 109 angenommen werden, das Kreuz sei senkrecht gestellt. Dann ist offenbar zwischen R und ZL kein Potentialunterschied. Der Winkel « muß Null sein, wenn die Ausschläge von Rß und Z gleich sind, und das sind sie in diesem Fall, wo sie 5 dm (entsprechend 5 Dezimillivolt) für die oberen, 10 dm (entsprechend 10 Dezimillivolt) für die unteren Ableitungen be- tragen. Wird das Kreuz gedreht, so daß R um einen Dezimeter gehoben und ZL um ebensoviel gesenkt wird, so sieht man, daß nunmehr folgende Potentialdifferenzen bestehen: Obere Ableitung: Bei transversaler Ableitung... .... 2 ana = m 80 Bosmeehter oberer Ableitung . .. 2... 4 ä "linker oberer Ableitung... .... fast 6 aan, Niletmmes ‚„„ rechter unterer Ableitung. . . . fast 11 1 Zi „,„ linker unterer Ableitung ...... g)| tanga—=2 ergg: 0:2 a ad. Nun möge das Kreuz gedreht werden, bis sein längerer Arm mit der Vertikalen einen Winkel « = 80° bildet. Man liest die Höhen ab, in denen nunmehr die Punkte M RLF stehen, und erhält: Für die transversale Ableitung. . . . fast 10 (9-8) ma rechte oberer Ableitung; 2... —4 (4-05) » „ linke obere Ableitung... . fast 6 (5-79) » „ rechte untere Ableitung . . . fast 6-5 (6-65) » „ linke untere Ableitung . . . über —3 (-3-17) Nun berechne man nach der Formel den Winkel «a (unter Berück- sichtigung der Fehler bei so grober Ablesung), so ergibt sich für die obere Ableitung: De Eier - 5 a — 80° und für die untere Ableitung: tanga=2. zu = Das Modell ist aber auch noch etwas mehr als ein bloßes Kinder- gartenspielzeug. Es ist tatsächlich ein Meßinstrument, mit Hilfe dessen man in einigen Augenblicken das Wertverhältnis für alle fünf Ableitungen für verschiedene Neigungswinkel der Potentialachse bestimmen und deren 110 Aucustus D. WALLER: Kurve aufzeichnen kann, sogar erheblich schneller, als es möglich ist, die Gleichungen für beliebigen Winkel anzusetzen und auszurechnen. obere transversale Abl. axiale Ableitung rechtslaterale Ableitung untere transv. Ableitung rechte long. Ableitung linke long. Ableitung | linkslaterale Ableitung Äquatoriale Ableitung 10° 20° 30° 40° 50° 60° 70° 80° Fig. 9. Spannungskurven für verschiedene Ableitungen bei verschiedener Neigung der Potentialachse. Angaben wie in Fig. 8. ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. all Die Anwendung des Modells im Vergleich zur Rechnung wird aus der Fig. 7 ersehen werden können. Wenn das Kreuz RMLF, das die Ableitungspunkte darstellt, mit dem Kreuzungspunkt auf der Mitte der Spannungstafel befestigt und in beliebige Winkelstellungen von 10°, 20°, 30° usw. gedreht wird, kann man die Werte für die verschiedenen Ab- leitungen sofort festlegen, indem man mit einer Nadel durch die Punkte RMLEF durchsticht und so die entsprechenden Stellen auf der Spannungs- tafel bezeichnet. Die elektromotorische Kraft jeder Ableitung bei jedem Neisungswinkel der Potentialachse ergibt sich dann aus dem Höhen- unterschied zwischen den Stichmarken der betreffenden Ableitungspunkte. Z. B.: wie groß ist theoretisch für die Achsenneisung 30° der Wert für die linke untere Ableitung? Am Modell durch Einstechen gemessen, beträgt er 87 — 25 =62. Die Berechnung ergibt 61-7. Wie groß wird der Wert für die Achsenneigung 70°? Die Stichlöcher zeigen 17 — 49 —= —92. Die Berechnung ergibt —31 7. Man sieht gleich, daß der Aus- schlag für die linke untere Ableitung negativ sein muß, wem die Lage des Herzens sich der Horizontalen nähert, und man kann leicht ver- stehen, wie es kommt, daß bei solcher Stellung des Herzens eine tiefe Einatmung den normalen negativen Ausschlag in einen positiven um- wandelt. Der Leser wird an der Fig. 9, auf der dieses Zahlenbeispiel dargestellt ist, ersehen können, daß, wenn bei linker unterer Ableitung die Zacke positiv und größer ausfällt als bei rechter unterer, wenn mithin die Potentialachse nach rechts abweicht, der Ausschlag bei transversaler Ableitung negativ sein muß. Sind das neue oder alte Lehren? Ich weiß es wahrhaftig nicht. In ihrer Form ist diese geometrische Darstellung jedenfalls neu, in ihrer inneren Bedeutung ist sie aber alt, denn sie ist nur die Fort- entwicklung des Prinzips der „unwirksamen“ und „wirksamen“ An- ordnungen, das schon 1887 mit aller Bestimmtheit und Ausführlichkeit erkannt (und in du Bois-Reymonds Archiv, Jahrg. 1899, veröffentlicht) worden ist. Ich möchte hier noch einmal hervorheben, wie tief ich’ mich Einthoven für das hervorragende Verdienst zu Dank verpflichtet fühle, das er sich um die Wissenschaft durch die Erfindung seines herrlichen Apparates erworben hat. Nur durch diesen ist es möglich gewesen, die Beobachtungen zu machen, auf die sich die geschilderte Fortentwicklung der Lehre vom Elektrokardiogramm aufbaut. 112 Ausustus D. WALLER: Tabelle I. Werte von V, bei den verschiedenen Ableitungen, am Modell abgelesen: IV. V. 1a), Melk II. VL se Rechts oben | Links ob. | Transy. | R. unt. |Linksunt. | Long, 00 50 50 0 8700 100 150 10° 40-5 58 17 | 107 90 148 20° 30 64 ar Kool 77 141 30° 18 68 SO ie 62 130 40° 6 70 64 109 45 115 500 — 6 70 76 102 26 96 60° — 15 68 86 93 7 75 700 — 30 64 94 81 — 13 51 80° — 40-5 58 Sn 66 — 32 26 900 — 50 50 O0 50 — 50 0 Werke von V, bei den verschiedenen Ableitungen nach der Formel berechnet: IV. V. 1E 1I. III. VI. a \ cos (26-5 — eo) | cos (26-5 +«) c08 (45 +0)cos45| c0s(45—)Cc08 45 | sin « DE cos 2655 1-5 cos« 0° 500 500 000 1000 1000 1500 10° 405 579 174 1071 | 898 | 1477 200 299 641 342 1110 | 769 1409 300 183 683 500 1115 | 617 1299 400 62 701 643 | 1086 445 | 1149 50° — 62 701 766 1024 | 261 | 964 600 — 183 683 866 932 68 750 700 — 299 641 940 811 —16 | 513 80° — 405 579 985 665 — 317 260 900 — 500 500 1000 | 500 — 500 0 Tabelle II. Vom Modell abgelesen: % L. Lat. | Aequat. R. Lat. Axial. R. long L. long mm mm mm mm mm mm 0° 90 90 90 90 140 140 10° 81 79 96 98 136 134 200 69 66 100 103 130 127 300 55 50 100 105 121 116 40° 40 33 98 104 107 101 50° 23 15 92 100 91 63-5 60° 6 u 84 93 72 63-5 700 — 1 — 21 713 83 50 41 80° —3 — 38-5 60 70 27 18 90° — 4.5 — 55 45 55 3-5 — 3-5 ALTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 113 Tabelle II (Fortsetzung). Nach der Formel berechnet: a | L Lat. | Aequat. | R. Lat. | Axial. R.long. | L. long. 0° 8: ‚999 8.999 83-999 | 8.999 13. 71 13. 71 10° | 8.083 7-905 9.640 9-819 13. 58 13. 41 200 |: 6915 | 6.569 - 10-010 |. 10. 34 13.02 12269 30° Il 5-550 | 5.036 10: 038 10- 54 12: 07 11. 58 40° 4.010 3.349 I-TTT 10- 43 10: 74 ı 10. 13 50° | 2.346 1.524 9.221 10- 01 9.099 8.358 60° | 0.614 — 0.276 | 8:385 9.274 7.174 6-340 70° | — 1.139 | — 2-104 | 71-295 | 8.258 53-032 4.129 80° | — 2:856 | — 3.864 | 5.981 6:993 2.738 1-793 90° | — 4-486 | — 5.514 4.486 5.514 0.359 — 0.359 In dieser Zahlenübersicht habe ich noch einen sechsten Stab zugefügt, der die Werte für die longitudinale Ableitung (Mund und Füße) angibt, die natürlich der Summe der Werte für die obere und untere Ableitung jederseits gleich sein müssen. Der allgemeine Wert dieser Ableitung ist 1-5cosa. Das Verhältnis zwischen transversaler und longitudinaler Ab- leitung: ist hier sina: 1-5 cosa oder =; tanga. Die Größe des Winkels a kann also auch aus den Werten der Ausschläge bei transversaler und longitudinaler Ableitung abgeschätzt werden, und zwar nach der Formel: tanga = 1-5 = Ich habe aber diese Formel nicht systematisch angewendet, weil die Gipfelpunkte der Zacken T und L asynehron sind, und habe zur Be- stimmung von a der Formel ge "RH+L a) tanga = den Vorzug gegeben. Man kann das Modell auch benutzen, um angenäherte Werte für die Ausschläge bei der äquatorialen, axialen, rechts- und linkslateralen Ab- leitung zu erhalten. In der zweiten Zahlenübersicht ist wie zuvor für 1 Millivolt der Wert 100 angesetzt. Beachtet man die geringfügige Potentialdifferenz, die zwischen beiden Füßen besteht, und stellt sie mit 0-1 Millivolt in Rechnungs, so sieht man, daß von dem unteren Dreieck die Spitze durch die Gerade Ir abgetrennt werden muß (Fig. 7b). Man hat dann Lhlf entsprechend der linkslateralen Ableitung Lhrf a „ äquatorialen u ‚Rhrf % ‚„„ rechtslateralen ,, Rhif # ER axialen En Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtig. 8 114 Aucustus D. WALLER: und kann die Werte für den Ausschlag bei diesen Ableitungen für beliebige Größen des Winkels « durch Nadelstiche in den Punkten r und I ab- stecken. Die so gefundenen Zahlen sind in der zweiten Zahlenübersicht ' zusammengestellt, deren untere Hälfte die entsprechenden berechneten Zahlen enthält. Die Verringerung der Höhe des Dreiecks und die kleine Veränderung des Winkels infolge der Abtrennung der Spitze hätten zwar vernachlässigt werden dürfen, sie sind aber bei der Rechnung in Betracht gezogen worden. Die Figur zeigt sehr schön, daß die axiale Ableitung die rechtslaterale ein wenig an Wirksamkeit übertrifft und ebenso die linkslaterale die äquatoriale. Sie zeigt ferner, daß bei äquatorialer Ab- leitung der Ausschlag etwas größer wird als bei linkslateraler, wenn die Ausschläge negativ sind. Der Wendepunkt, in dem die Kurven die Null- linie schneiden, liest für die äquatoriale Ableitung bei der Achsenneignng 58°, für die linkslaterale bei 64°. Daher empfiehlt es sich, wenn man den Versuch mit der Umkehrung des Ausschlages machen will, die linkslaterale Ableitung zu wählen, wenn der Umschlag von negativ zu positiv durch tiefe Einatmung gezeigt werden soll, und die äquatoriale Ableitung, wenn der Umschlag von positiv zu negativ durch Ausatmung gezeist werden soll. Infolge der geringfügigen Potentialdifferenz, die zwischen beiden Füßen besteht, ist: theoretisch ein gewisser Unterschied zwischen den Ausschlägen bei rechter und linker longitudinaler Ableitung. und der bei linkslongitudinaler Ableitung kann negativ sein. Der Einfluß der Atembewegungen auf das Elektrokardiogramm ist beträchtlich, schwankt aber je nach der Wahl der Ableitungsstellen und nach persönlichen Verschiedenheiten. Bei mir selbst (das Herz liest bei mir horizontal) ist er bei sämtlichen Ableitungen sehr bedeutend. So kann ich z. B. durch angestrengte Einatmung den Ausschlag bei der linken unteren Ableitung, der normalerweise negativ ist, umkehren. Bei einem meiner Söhne (J. C. W.), mit einer Neigung der Herzachse von 30°, ist der Einfluß der Atembewegungen auch sehr groß. So vermag er z. B. durch angestrengte Ausatmung den Ausschlag bei der linken unteren Ableitung, der normalerweise bei ihm positiv ist, negativ zu machen. Dagegen ist in diesen beiden Fällen die Einwirkung der Atembewesungen auf den Ausschlag bei rechter unterer Ableitung verhältnismäßig gering. Bei meinen ersten Untersuchungen im Jahre 1887, die ich an mir selbst vornahm, wurde ich durch diese respiratorischen Schwankungen gestört, und gewöhnte mich, um sie zu vermeiden und die transversale Ableitung in voller Stärke zu beobachten, den Atem in Exspirations- stellung anzuhalten. Ich bildete mir damals ein, daß die Ableitung vom ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 115 Herzen zur Peripherie durch den Verengungszustand des Brustkorbes begünstigt werde, habe aber diese Ansicht später meinen weiteren Be- obachtungen gemäß verändert. Die respiratorischen Schwankungen der Gipfelhöhen des Elektrokardio- grammes sind in den letzten Jahren von Einthoven, von Samojloff und von Kraus und Nicolai verzeichnet und untersucht worden. Ich habe ihnen erst letzthin eingehende Beachtung geschenkt und sie syste- matischer Beobachtung unterworfen. In den Proc. of the Physiol. Soc. vom Juni 1913 habe ich kurz über den Einfluß verschiedener Ableitungen bei verschiedener Neigung des Herzens (vertikale und horizontale Herz- lage) berichtet. Die Zacke V, nimmt bei Inspiration zu, am meisten die große positive V,-Zacke, die sich bei horizontaler Herzlage findet. Bei dieser Herzlage nimmt der Ausschlag bei Inspiration auch bei der rechts- lateralen. Ableitung zu, während bei linkslateraler, wo der Ausschlag negativ ist, eine Verkleinerung eintritt. Bei vertikaler Herzlage sind die Einwirkungen der Atmung weniger deutlich. Bei Inspiration nimmt der Ausschlag zu bei transversaler und bei linker unterer Ableitung, und nimmt meist ein wenig ab (manchmal aber auch etwas zu) bei der rechten unteren Ableitung. Der Ausschlag bei linker oberer Ableitung nimmt bei Inspiration ein wenig ab bei horizontaler Herzlage und bei vertikaler Herzlage. Der Ausschlag bei rechter oberer Ableitung, der bei vertikaler Herzlage positiv ist, nimmt zu, aber bei horizontaler Herzlage, bei der er negativ ist, ab. Diese etwas verwirrende Reihe von Einzelangaben wird verständlicher und faßlicher, wenn man das Schema der Fig. 9 zu Hilfe nimmt, das die theoretischen Werte der Spannungen für die fünf Ableitungen bei verschiedenen Neigungen der Potentialachse von 0° bis 90° angibt. Es leuchtet ein, daß mit dem Absteigen des Zwerchfells bei der Einatmung die Herzachse der vertikalen Lage näher kommt, so das 2. B. bei transversaler Ableitung der Ausschlag abnehmen muß in dem Verhältnis, in dem der Sinus des Achsenwinkels kleiner wird. So muß 2. B., wenn es sich um horizontale Herzlage handelt nnd mithin die Achse des Herzens bei Exspirationsstellung mit der Vertikalen einen Winkel von 90° einschließt, bei tiefster Inspiration einen Winkel von 45°, die Größe von V, bei 90° zu der bei 45° sich verhalten wie sin 90° zu sin 45°, das heißt wenn der Wert von V, bei Exspiration 1 Millivolt beträgt, wird er bei Inspiration auf 0-7 Millivolt herabgehen. Und für dasselbe horizontal gelagerte Herz ist auf dem Schema zu ersehen, daß die verkehrte Zacke bei linker unterer Ableitung, deren Wert —0-5 Milli- volt ist, bei Inspiration zu dem Wert -+0-3 Millivolt umschlägt, was bedeutet, daß durch das Absteigen des Zwerchfells der Winkel zwischen 8* 116 ÄUGUSTUS D. WALLER: Herzachse und Vertikallinie auf 48° herabgegangen ist. Solche Betrach- tungen führten mich dazu, die beiden Aufnahmen zu machen, die in der Fig. 4 wiedergegeben sind. A. D. W. hat ein horizontal gestelltes Herz A.D.W. ANnk3 siepal. u eK /inks lateral, Fig. 4. Oben das Elektrokardiogramm und die Atemkurve von A. D. W. Bei Inspiration wird die negative Ventrikelzacke positiv. Unten das Elektrokardiogramm und die Atemkurve von J.C.W. Bei Exspiration wird die positive Ventrikelzacke negativ. Beide bei linkslateraler Ableitung aufgenommen. und gibt bei linker unterer Ableitung bei ruhiger Atmung negative Aus- schläge. Bei tiefster Inspiration schlägt die negative Zacke um und wird positiv. J. C. W. hat bei ruhiger Atmung eine mittlere Schräglage des Herzens (die Potentialachse ist um 39° bis 48° geneigt) und der Aus- schlag von der linken Ableitung ist bei ihm positiv. Bei tiefster Aus- atmung schlägt die positive Zacke um und wird negativ. Der Leser, der die Grundtatsachen richtig aufgefaßt hat, wird keine besondere Erklärung mehr dafür verlangen, daß während bei A. D. W. die Ausschläge bei rechter unterer und linker oberer Ableitung, die beide positiv sind, durch tiefe Einatmung vergrößert werden, bei J. C. W., dessen Kurve eben- falls positive Zacken aufweist, durch tiefe Einatmung im Gegenteil die Höhe der Zacken ein wenig vermindert wird. Sehr viel Gewicht ist in den letzten Jahren auf die Untersuchung von Fällen von Situs viscerum inversus gelegt worden. Ganz kürz- ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. lat lich sind solche Fälle ausführlich von Samojloff! und von Kraus und Nicolai? beschrieben worden. Es versteht sich von selbst, was aus dieser Umkehrung für die Stromverteilung folgen muß. Die gegenseitige Lage der unwirksamen und wirksamen Ableitungen wird ins Entgegengesetzte verkehrt, aber nur für einen einzigen Fall, nämlich für die transversale Ableitung, be- kommt die Stromrichtung selbst die entgegengesetzte Richtung. Das Schema, das diesen Sachverhalt ausdrückt, ist einfach das Spiegelbild des Schemas für den Normalfall. Alles dies ist schon in meinen ersten Schriften aus den Jahren 1887 bis 1889 klar ausgesprochen worden. Das ist doch ein unzweifelhafter Beweis, daß ich auch damals schon genau gewußt haben muß, was es damit auf sich hatte, als ich den Unterschied zwischen rechter und linker Ableitung auf verschiedene Neigungswinkel der Herzachse zurückführte. Aber so selbstverständlich der Tatbestand jetzt auch erscheint, in jener ersten Zeit hat er erst mühsam erforscht werden müssen, und es galt damals zunächst den grundlegenden Unter- schied zwischen wirksamer und unwirksamer Anordnung nachzuweisen. Die elektromotorische Wirksamkeit des Herzens bei Situs inversus war für meine Lehren vom Jahre 1889 von ausschlaggebender Bedeutung. Es war nicht etwa zufällig, daß ich 1887 Fälle von Situs inversus auf die Herzströme hin untersuchte, im Gegenteil, ich bedurfte solcher Fälle zur Bestätigung meiner Ansicht über das elektrische Verhalten des normal gelagerten Herzens, und ich erinnere mich noch recht wohl, wie ich zwei Tage lang ganz London wie eine Art Detektivbeamter durchsuchen mußte, um zweier Individuen habhaft zu werden, die in den Büchern der Krankenhäuser als Fälle von Situs inversus verzeichnet gestanden hatten. Der eine wurde sogar zufällig gerade von den Gerichten gesucht, und es war also nicht ganz leicht, ihn an das Elektrometer heranzubringen. Ich besinne mich auch noch deutlich auf die Genugtuung, die ich empfand, als ich diese beiden Fälle mit Hilfe einer Silberelektrode vom Munde zum Elektrometer untersuchte und beim Eintauchen der rechten Hand in ein Gefäß mit Kochsalzlösung, das an den anderen Pol des Elektrometers angeschlossen war, der Meniskus ‚ja‘ sagte, ‚nein‘ dagegen, sobald die linke Hand an Stelle der rechten trat. (Vielleicht noch lebhaiter ist aller- dinss meine Erinnerung an die abscheuliche Enttäuschung, die ich mit dem ersten mühsam erbeuteten Fall erlitt, als ich ihn, der ganz normalen Situs hatte, ans Elektrometer stellte und seine linke Hand ‚,ja“ sagte, während die rechte verneinte, wie bei jedem gewöhnlichen Menschen.) 1 A.a. 0. S. 197. 2A. 8.0. 118 AUGUSTUS D. WALLER: Die Umständlichkeit, mit der ich über diese Erinnerungen berichte, möge damit entschuldigt werden, daß sie dazu dienen, die grundlegende Unterscheidung zwischen ‚wirksamer‘ und ‚‚unwirksamer“ Ableitung ins rechte Licht zu stellen, die auch jetzt durchaus noch nicht gebührend gewürdigt wird. Man bedenke nur, was gewöhnlich in der Klinik über die elektrische Diagnose der Hypertrophie oder der Hyperdynamie der (linken) Kammer durch Leitungsstörung in einem (dem rechten) Schenkel des Hisschen Bündels gelehrt wird. Man lehrt klinisch und empirisch, daß die elektrischen Kennzeichen von Hypertrophie der rechten Kammer in einer verhältnis- mäßig großen R,-Zacke und einer verhältnismäßig kleinen R,-Zacke be- stehen oder, nach meiner Bezeichnungsweise ausgedrückt, daß die Zacke V; bei transversaler Ableitung klein, bei linkslateraler groß ist. Ich deute das so, dab die elektromotorische Kraft auf der linken Körperhälfte nahezu ebenso groß ist wie auf der rechten und daß sie daher bei trans- versaler Ableitung natürlich entsprechend ‚gering sein muß. Dies ist aber meiner Auffassung nach das Kennzeichen der vertikalen Herzlage, also eines ganz normalen Zustandes. Ich will allerdings gern zugeben, daß diese Zeichen auch bei Herzleidenden vorkommen und daß sie auch bei rechtsseitiger Hypertrophie oder Dilatation oder bei relativer Schwäche der linken Kammer bestehen können.! Ferner lehrt die Klinik, daß die elektrischen Kennzeichen linksseitiger Kammerhypertrophie in verhältnismäßig großer R,-Zacke und verhältnis- mäßig kleiner oder sogar verkehrter R,;rZacke bestehen oder, nach meiner Bezeichnungsweise ausgedrückt, daß dabei die Zacke V, bei transversaler Ableitung groß, bei linkslateraler Ableitung klein ist. Ich deute dies so, daß zwischen beiden Körperhälften eine beträchtliche elektrische Asym- metrie besteht, das heißt daß die Potentialachse weit von der Vertikalen abweicht. Dies ist nach meiner Auffassung einfach das Kennzeichen der horizontalen Herzlage, also eines wiederum ganz gewöhnlichen normalen ! In obigem beziehen sich die Ausdrücke vertikal, horizontal, schräg auf die Richtung der Potentialachse, nicht auf die anatomische Längsachse des Herzens Die Richtungen der elektrischen und der anatomischen Achse fallen durchaus nicht genau zusammen und weichen in vielen Fällen erheblich voneinander ab. So findet man nicht selten, daß die elektrische Achse, nach rechts geneigt ist, während die anatomische, wie das Orthodiagramm beweist, unzweifelhaft nach links abweicht. Wiederum bleibt die anatomische Achse, selbst wenn das Herz schlaff auf dem Zwerchfell anliegt, so daß eine sehr große Abweichung von der Vertikalen besteht, doch immer noch unter der Horizontalen, während der elek- trische Befund eine Achsenneigung von über 90° anzeigt, also der Achse eine Lage über der Horizontalen zuweist. ÄLTES UND NEUES ÜBER DAS ELEKTROKARDIOGRAMM. 119 Zustandes. Ich will aber durchaus nicht bestreiten, daß dies Zeichen auch bei Hypertrophie der linken Kammer oder bei einer bestimmten Störung im rechten Schenkel des Hisschen Bündels vorkommen kann. Ich bin mit größter Aufmerksamkeit der erstaunlicken Entwicklung der klinischen Lehre vom Elektrokardiogramm gefolet. Eigentlich gegen meine Erwartung habe ich die Überzeusung gewonnen, daß die elektrische Untersuchung des menschlichen Herzens zu praktischen Erfolgen führen kann. Es scheint mir, daß das größte Verdienst um diesen Fortschritt Einthoven zugeschrieben werden muß, erstens wegen seines vortrefflichen Galvanometers und seiner systematischen Methodik, dann aber auch, weil er der erste gewesen ist, der die elektrischen Symptome der Dissoziation, der Arythmie und der Extrasystolen bestimmt hat. Ohne sein Galvano- meter hätten diese pathologischen Verhältnisse überhaupt nicht untersucht werden können, und auch das Verhalten des normalen menschlichen Herzens hätte nicht so genau erforscht werden können, wie es jetzt möglich ist. Dennoch aber kommt es mir so vor, als gingen die Forscher von heute, indem sie sich so eng an Einthovens drei Ableitungen I, II und II und an Einthovens Satz IT—I=III und an seine Zacken P,@. R, S, T und U in ihren verschiedenen Gestalten klammern, einen Weg, der schwerlich zu viel neuen Erkenntnissen führen wird und der schon ganz erhebliche Verirrungen verursacht hat. Man denke beispiels- weise an die klinische Lehre von den Störungen im Hisschen Bündel. Ich möchte nicht geradezu behaupten, daß sie ein bloßes Hirngespinst ist, aber ich muß bekennen, daß ich nicht im mindesten von der Richtig- keit der aus dem Elektrokardiogramm erhobenen Befunde von Leitungs- störung in den Tawaraschen Fasern überzeust bin. Soweit meine Literaturkenntnis reicht, ist die gewöhnlich angegebene Störung. Leitungs- unterbrechung (infolge von Gumma oder Sklerose) im rechten: Schenkel des Bündels, und das elektrische Kennzeichen, auf das sich die Diagnose stützt, ist eine negative Zacke bei linker Ableitung (R;,;). Man scheint gar nicht zu beachten, daß eine solche negative Zacke auf ganz normalen, von der linken Hand aufgenommenen Kurven vorkommt. Man denke ferner an einen anderen Fall, nämlich an die elektrischen Symptome von rechts- und linksseitiger Hypertrophie. Im ersten Fall handelt es sich um kleine R,-Zacke und große Ry;r-Zacke, im anderen um große R,-Zacke und kleine oder verkehrte R,;rZacke. Theoretisch kann sehr wohl ein soleher Zusammenhang bestehen, aber leider wird immer nur die Tat- sache als unerklärter und rein erfahrungsmäßig festgestellter Befund an- gegeben. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob unter diesen Umständen diese Lehre viel nützen kann und ob sie nicht vielmehr irreleitend wirkt. 120 Aucustus D. WALLER: ALTES UND NEUES USW. Die elektrischen Symptome müßten, soweit sie überhaupt eine Störung des Gleichgewichtes beider Herzhälften anzeigen, in der Weise beurteilt werden, wie ich es zuerst im Jahre 1889 getan habe und die ich in vor- liegender Abhandlung auseinanderzusetzen versucht habe, das heißt man sollte aus ihnen zunächst nur auf eine Veränderung der normalerweise vorhandenen elektrischen Ungleichheit zwischen den beiden Körperhälften schließen. Es ist sehr gut möglich, daß Vergrößerung der rechten Herz- hälfte den Ausschlag der linken Hand verstärken und so die Ungleich- heit zwischen rechts und links und mithin den Ausschlag bei transversaler Ableitung herabsetzen kann, und daß Vergrößerung der linken Herzhälfte den Ausschlag der linken Hand verringern und die Ungleichheit zwischen rechts und links vergrößern und damit den Ausschlag bei transversaler Ableitung erhöhen kann. Eben darum aber wird es sich empfehlen, weitere Beobachtungen zu machen, die Veränderung der Achsenneigung unter verschiedenen physiologischen Verhältnissen zu untersuchen, den Wert des Winkels oberhalb so gut wie unterhalb des Herzens zu be- stimmen. Eben darum meine ich, daß der klinische Forscher gut tun würde, der grundlegenden Anschauung von den wirksamen und unwirk- samen Ableitungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die bei meinen ersten Untersuchungen 1887 bis 1889 das Leitmotiv war und noch jetzt das Leitmotiv meiner Beobachtungen und Berechnungen ist. Diese „alte Geschichte‘ bleibt eben ‚‚ewig neu“. Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in LEIPZIG. Skandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie“ erscheint in Heften von 3 bis 5 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von \ Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. "Preis des‘ Jahrganges (12 Hefte) 12 4; bei Zusendung unter Streifband direkt von ; der Verlagsbuchhandlung 12 # 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- « tenden Disziplin sich zu erhalten. - DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 #4. Zu beziehen durch alle - Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung. Neurologisches. Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. Begsründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von Dr. Kurt Mendel. Monatlich erscheinen zwei Hefte zum Preise von 16 .% halbjährig. Gegen Einsendung des Betrages direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zıeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Herausgegeben von Prof. Dr. C. Flügge, und Prof. Dr. G. Gaffky, Geh. Medizinalrat und Direktor = ABER des Hygienischen Instituts der Universität Berlin, Wirkl. Geh. Obermedizinalrat. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankhevten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- - liehen Umfang von 30-35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Beymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Figuren im Text und zahlreichen Tafeln, 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteilung und 6 auf die physiologische Abteilung. | Der Preis des Jahrganges beträgt 54 #. Auf die anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie, herausgegeben von Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz, Dr. Hans Virchow und Dr. Paul Röthig in Berlin) sowie auf die physiologische Abteilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von Dr. Max Rubner) kann besonders abonniert werden, und es beträgt bei Einzel- bezug der Preis der anatomischen Abteilung 40 .#, der Preis der physiologischen Abteilung 26 .4. ur Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Abteilungen a nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. 2 Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. _ N: Metzger & Wittig, Leipzig. _ Physiologische Abteilung. 1917. TIL. und IV. Heft. r 7973 u . ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, . FORTSETZUNG DESVoNREIL, REILv: AUTENRIETH, J.F.MECKEL, J OH.MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM von WALDEYER-HARTZ, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN UND Dr. MAX RUBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1917, —— PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. —— DRITTES UND VIERTES HEFT. MIT FÜNFUNDVIERZIG FIGUREN IM TEXT UND EINER TAFEL. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT &COMP. : | | ae Rt Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Inhalt. { Seite Loruar Tırara, Die physiologischen Vorgänge in der Netzhaut und ihre Be Deutung auf Grund neuer Methoden. (Hierzu Ta£.L). . . . ... 121 Hans Vırosow, Krümmung und Rippenpfannen der Brustwirbelsäule . . . 170 Wırn. Fisense, Der absolute Größeneindruck beim Sehen der irdischen Gegenstände und der Gestirme . . . a TEE Ren& nu Bois-Rermono, Über den Gang mit künstlichen Beineh Er 0 02 Die Herren Mitarbeiter erhalten dreißig Separat-Abzüge ihrer Beiträge gratis Ei und 30 # Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. Beiträge für die anatomische Abteilung sind an Professor Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz oder an Professor Dr. H, Virehow oder an Dr. P. Röthig, sämtlich in Berlin N.W., Luisenstr. 56 | Beiträge für die physiologische Abteilung an ; Professor Dr. Max Rubner in Berlin W. Kurfürstendamm 241" portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzsehnitten sind auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeichnungen u zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Format- verhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Tailor als \ { Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizulegen. ie JAN 14 1924 Die physiologischen Vorgänge in der Netzhaut und ihre Deutung auf Grund neuer Methoden. Von Dr. phil. et med. Lothar Tirala, Assistenten am physiologischen Institut der Wiener Universität, dz. im Felde. (Hierzu Taf. I.) Inhaltsübersicht. I. Die früheren Arbeiten über den Netzhautstrom und die Probleme. 1. Verlauf des Netzhautstromes S. 121. — 2. Latenzzeit S. 133. — 3. Zerlegung in Teilströme S. 136. — 4. Chemische Beeinflussung S. 141. — 5. Deutung des Aktionsstromes S. 143. — 6. Zusammenhang von Empfindung und Aktionsstrom 8. 150. — U. Eigene Versuche. 1. Versuchsanordnung $. 152. — 2. Die Wirkung chemischer Substanzen, insbesondere der Narkotika auf den Netzhautstrom S. 155. — 3. Ver- such einer neuen physiologischen Deutung der Netzhautströme S. 161. — II. Lite- ratur 8. 166. — IV. Tafelerklärung S. 169. I. Die früheren Arbeiten über den Netzhautstrom und die Probleme. 1. Verlauf des Netzhautstromes. Wenn man das Auge eines Frosches aus der Orbita herauspräpariert, ohne es dabei stark durch Druck oder Zug zu schädigen, so kann man dadurch, daß man zwei Elektroden an verschiedenen Stellen des Bulbus anlegt, durch ein Galvanometer einen elektrischen Strom nach- weisen. Diesen Strom nennen wir den Bestandstrom. Wir können dabei eine Elektrode an den Querschnitt des Nervus opticus, die andere an die Cornea anlegen, dann fließt bei allen Wirbeltieren dieser Strom im äußeren Stromkreis von der Cornea zum Öpticusquerschnitt. Dieser Ruhestrom oder Bestandstrom wurde von duBois-Reymond entdeckt und von allen Nachuntersuchern bestätigt. Der Bestandstrom ist am größten, wenn die Elektrode nicht den Querschnitt des Nervus opticus berührt, sondern den Funduspol des Auges, wie aus den Arbeiten von Westerlund hervor- geht. Hermann versuchte zwar diesen Strom auch als einen Alterations- strom hinzustellen, es hat sich aber herausgestellt, daß dieser Strom in vollem Umfange bestehen bleibt, wenn man auch von einem Auge ab- leitet, welches ungeschädigt in der Orbita belassen wird. Holmgren war nun der erste, welcher Schwankungen dieses Bestandstromes, die bei Be- 122 LOTHAR TIRALA: ; licehtung des Auges sich einstellen, entdeckte. Als nun 10 Jahre nach seiner Entdeckung Dewar und M’Kendrick die Retinaströme neu entdeckten, denn die schwedische Abhandlung Holmgrens war in weiteren wissen- schaftlichen Kreisen nicht bekannt geworden, wandte sich das Interesse zahlreicher Forscher diesen Fragen zu, was schon aus der großen Zahl von Arbeiten hervorgeht, welche über diesen Gegenstand veröffentlicht wurden. In diesen 30 Jahren haben die elektrischen Meßinstrumente aber auch eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit erfahren und man braucht nur darauf hinzuweisen, daß die ersten Untersucher wie Kühne und Steiner in den 80er Jahren mit dem Galvanometer (Bussole nach Wiedemann) arbeiteten, Goteh um 1900 mit dem Kapillarelektrometer, Ishihara um 1906 mit dem Galvanometer nach Deprez d’Arsonval, v. Brücke und Garten um 1907 mit dem Kapillarelektrometer, Ein- thoven und Jolly, Waller, Westerlund, Piper in den Jahren 1908 bis 1912 bereits mit dem Saitengalvanometer, um zu verstehen, dab die Autoren den verschiedenen Instrumenten entsprechend, auch verschiedene Angaben über den Verlauf der Ströme machten. Holmgren sah sowohl bei Belichtung als bei Verdunkelung eines Auges je eine positive Schwankung des Bestandstromes. Ich gebe hier ein schematisches Bild des Ablaufes der Retinaströme nach Holmgren: B V Dunkel Lieht Dunkel Fig. 1. (Nach Holmgren.) Dewar und M’Kendrick geben einen ganz ähnlichen Stromverlauf an, wie dies Schema zeist: 3 4 Dunkel Lieht Dunkel Fig. 2, El (Nach Dewar und M'’Kendrick.) DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 123 Also bei Belichtung ein rasches Ansteigen und bald darauf ein Ab- sinken des Stromes, bis dann bei Verdunkelung ein neuer jäher Anstieg des Stromes Kunde gibt von einer neuerlichen Veränderung der Um- gebung. Wir wollen diese beiden positiven Schwankungen bei Belichtung und Verdunkelung einem Vorschlage Exners gemäß als Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung bezeichnen. Doch berichten die beiden Forseker auch von einem Stromverlauf, der sich im Bilde so darstellt: B | v AM Dunkel Licht _ Dunkel Fig. 3. (Nach Dewar und M’Kendrick.) Es kommt also nach der positiven Belichtungsschwankung zu einer negativen Schwankung während der Dauer der Lichteinwirkung. Diese Schwankung wollen wir ebenfalls nach Exner-Ishihara Helligkeits- schwankung nennen. Kühne und Steiner, welche nicht nur am Bulbus, sondern auch an der herauspräparierten Retina arbeiteten, fanden, daß der Stromver- lauf an der isolierten Netzhaut ähnlich dem ist, wie ihn Dewar und M’Kendrick beschreiben und nur bei ganz frisch isolierten Netzhäuten fehlt diese negative Helligkeitsschwankung;; 8 Dunkel - Licht Dunkel Fig. 4. (Nach Kühne und Steiner.) hingegen fanden sie bei Ableitung vom Augapfel eine Kurve von ungefähr folgender Form: 124 LOTHAR TIRALA: Dunkel Licht Dunkel Fig. 5. (Nach Kühne und Steiner.) Hier fehlt also jeder negative Ausschlag während der Dauer der Be- licehtung und Kühne und Steiner verleihen ihrer Überzeugung Aus- druck, daß nur durch die Verwendung absterbender oder schon geschä- digter Augen diese negativen Ausschläge zu erhalten seien. Waller hat diese Anschauung bestätigt und gezeigt, daß bei einem unversehrten Frosch- bulbus der Verlauf der Kurve fast identisch ist mit der Kurve Kühnes und Steiners. Man erkennt, daß die Kurve Fig. 6 während der Be- lichtung fast parallel mit der Abszisse verläuft, daß aber bei langsamem Absterben des Auges (Fig. 7) der Abstieg nach der positiven Belichtungs- schwankung immer deutlicher wird, ja daß ein Teil der Kurve negativ wird, schließlich aber die ganze Belichtungsschwankung negativ wird. $ 074 v Dunkel Licht Dunkel Dunkel Licht Dunkel Fig. 1. (Nach Waller.) Wenn man also an einer Kurve negative Schwankungen sieht, so wird man daher zuerst den Verdacht beheben müssen, es mit einer Absterbenser- scheinung zu tun zu haben. Ki % er = DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 125 Noch im Jahre 1902 waren Himstedt und Nagel der Meinung, daß die Netzhautströme der Kalt- und Warmblüter voneinander voll- ständig verschieden seien, weil man bei den Augen der Vögel infolge des raschen Absterbens häufig negative Schwankungen, z.B. Verdunke- lungssehwankungen, erhielt und erst v. Brücke und Garten waren _ mit verbesserten Methoden im Jahre 1906 imstande, zu zeigen, daß der Verlauf der Netzhautströme in der Reihe der Wirbeltiere, wenn man von kleinen Unterschieden absieht, ein prinzipiell gleichartiger sei. In ähnlicher Weise beschreibt Ishihara den Verlauf der Retinaströme. Bei Belichtung eines Auges erschien zuerst eine mehr oder weniger deut- liche positive Beliehtungsschwankung, auf welche etwas weniger steil, - mehr langsam ansteigend, die sogenannte Helligkeitsschwankung_ folst, welche je nach der Dauer der Belichtung verschiedene Form aufweist, schließlich kommt es bei der Verdunkelung zu einem positiven Ausschlag, dem Verdunkelungsausschlag. Zu einer ganz ähnlichen Kurve war schon Gotch im Jahre 1903 gekommen, doch-hat er an einem empfindlichen Kapillarelektrometer zum ersten Male nachweisen können, daß es vor der positiven Belichtungsschwankung einen kurzen, negativen Vorschlag gibt, so daß das Bild der Kurve jetzt nach Gotch sich wie folgt darbietet: Ye A L Dunkel Licht Dunkel Fig. 8. (Nach Gotch.) Gotch nennt unsere Belichtungsschwankung den On-Effekt, die positive Verdunkelungsschwankung den Off-Effekt, die Helligkeitsschwankung den Continous-Effekt, für den negativen Vorschlag hat er keinen Namen. Ihm sind hierin Einthoven, Jolly und Waller gefolgt, obwohl v. Brücke und Garten hervorgehoben haben, daß dieses Wort Effekt zweideutig ist. Alle Untersucher, die seither mit, dem Saitengalvanometer arbeiteten, wie Brücke, Garten, Einthoven, Jolly, Piper, haben diese negative Schwankung. gesehen und ich schlage vor, diese Schwankung A(ende- rungs)schwankung zu nennen. Einthoven und Jolly, welche zum ersten Male nur mit dem Saiten- salvanometer arbeiteten, konnten ebenso wie Brücke und Garten diese 126 LOTHAR TIRALA: negative Änderungsschwankung im Froschauge sowohl bei Dunkel- als Helltieren einwandfrei nachweisen, so daß eine schematische Wiedergabe der Kurve, wie sie nach dem derzeitigen Stande unserer Methodik von dem Dunkelauge eines Frosches mit dem Saitengalvanometer erhalten werden kann, folgendes Aussehen hat: 4 HA Dunkel Licht Dunkel | Fig. 9. Wie wir sehen, ist bei dieser Kurve aber auch zum ersten Male nach der Verdunkelungsschwankung noch ein sanft ansteigendes Kurvenstück, der Continouseffekt, unsere positive Helliskeitsschwankung, welche Ishi- hara auch schon abgebildet, aber dadurch, daß er meist ziemlich lange belichtete, 10 bis 60”, fiel sie mit dem breiten Gipfel gewöhnlich noch in die Belichtungsdauer, so daß nach der positiven Verdunkelungsschwankung ein Ansteigen der Kurve von ihm nicht mehr beobachtet wurde, wie wir dies an dem Dunkelauge des Frosches auch bei kurzer, aber intensiver Belichtung sehen können. a a tn r Diese Netzhautstromkurve ist aber unter verschiedenen Bedingungen verschieden. i Am ausführlichsten haben noch Kühne und Steiner, Einthoven und Jolly die äußeren und inneren Bedingungen variiert. Wir wollen \ unterscheiden zwischen den Erscheinungen, die durch Veränderungen des Auges und solche, die durch Veränderung der Belichtung hervor- serufen werden. Veränderungen am Auge. ad 1. Die einfachste Änderung im Zustand des Auges wird bewirkt durch den Aufenthalt des Tieres im Hellen oder im Dunkeln, den Adap- tationsvorgang, und je nach dem Adaptationszustand des Auges verläuft & auch die Netzhautstromkurve. x 3 Kühne und Steiner haben schon deutlich den Unterschied zwischen Hell- und Dunkelfröschen und einen quantitativen und qualitativen Unter- schied zwischen den Kurven von einer purpurreichen und purpurlosen j DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 127 Netzhaut behauptet. Schematisch ausgedrückt, würde das Netzhautstrom- bild des Dunkelauges « und Hellauges b sich so darstellen: 8 (4 H Junkel Licht Dunkel Dunkel Lieht Dunkel Fig. 10a. Fig. 10b. Zu einem anderen Bild des Ablaufes der Netzhautströme gelangten Brücke und Garten, ebenso wie Einthoven und Jolly. | Schon Fig. 9, die Kurve von einem Dunkelauge, läßt diesen Unter- schied zwischen Fig. 9 und 10 a deutlich erkennen, womöglich noch größer aber wird der Unterschied, wenn wir den Netzhautstrom von einem Licht- - auge betrachten. | v. Brücke und Garten fanden auch beim Hellauge eine positive Beliehtungsschwankung, allein nach dieser sinkt der Strom allmählich ab, um sieh nur zu Beginn der Verdunke- lung in einer positiven Verdunkelungs- 5 D schwankung wieder zu heben. Ob die kleine negative Änderungs- schwankung auf ihrer als typisch an- gegebenen Kurve (Tafel V, Fig. 2 ihrer C Bere) zu sehen ist, wgeichnicht u —D—5—4—D— 1 entscheiden, beschrieben wurde sie beim Suse en Licht Dunkel Hellauge von ihnen jedenfalls nicht. Feel: 5 I r (Nach Einthoven und Jolly.) Wir sehen aber, Fig. 11 aus der Ar- ellaree, beit von Einthoven und Jolly, daß zu Besinn der Belichtung unsere negative Änderunssschwankung sich einstellt, ‚aber außerordentlich viel größer, als wir sonst diese Schwankung zu sehen ge- wöhnt sind, dann erkennen wir in der Zacke beim Punkt B unsere positive Belichtungsschwankung, die Helliekeitsschwankung fehlt überhaupt, dagegen ist die positive Verdunkelungsschwankung OD von außerordentlicher Höhe. Wir kommen also zu dem Schlusse, daß die photoelektrischen Kurven eines Hellauges und eines Dunkelauges voneinander wesentlich verschieden sind. Die sich aufdrängenden Fragen über die Wirkung des Sehpurpurs oder einzelner Netzhautelemente unterdrücken wir jetzt und wollen sie in einem späteren Kapitel zu beantworten suchen. 128 LOTHAR TIRALA: Kühne und Steiner haben aber auch den Stromverlauf bei der Belichtung der herauspräparierten Netzhaut untersucht. ® Die Resultate unterscheiden sich im Prinzip nicht von den Strömen, die bei Ableitung vom Bulbus gewonnen wurden, deshalb hat diese schwierige Methode keinen Anklang gefunden. Kühne und Steiner haben, um den Stromverlauf zu studieren, an Teilen der Bulbus gearbeitet, die Cornea entfernt, ebenso die Linse, die Iris, den Glaskörper, die Retina vom Pigmentepithel abgelöst, schließlich sogar nur einzelne Stückchen der Netz- haut belichtet, die Retinaströme bleiben dieselben. Die beiden Forscher haben auch vom Nervus optieus abgeleitet und zwar direkt die eine Elektrode an den Längsschnitt, die andere an den Querschnitt angelegt und so den Bulbus selbst ganz aus dem Stromkreis entierntt. [4 Dunkel Licht Dunkel Fig. 12. (Nach Kühne und Steiner.) Der Nervus opticus zeigt einen deutlichen Ruhestrom und bei Be- lichtung, Fig. 12, kann man eine negative Stromschwankung nachweisen, welche während der ganzen Belichtung anhält, zu Beginn der Verdunke- lung aber eine starke negative Schwankung. Solange also Licht auf das Sinnesepithel fällt, solange ist der Nervus opticus in Erregung. Kühne und Steiner berichten zwar, daß diese Ströme mit den vom Bulbus oder von der Retina abgeleiteten elektrischen Strömen keine Ähnlichkeit besitzen. Dagegen spricht aber ihr eigenes Schema und die Angabe von Ishihara, nach welcher Belichtungs- und Verdunkelungsschwankungen bei Ableitung des Nervus opticus auftreten. Ishihara befreite den Nervus opticus von seiner bindegewebigen Scheide und vermied sorgfältig bei der Anlegung der Elektroden die Berührung des Bulbus, um die Wirkung desselben auszuschalten. Der Aktionsstrom ist vou geringerer Intensität als bei normaler Ableitung, obwohl der Ruhestrom sehr bedeutend ist. Die am Nervus optieus gewonnenen Kurven sind im großen und ganzen ein Spiegelbild der am Bulbus gewonnenen. Ich gebe hier ein Schema der Kurven Ishiharas bei der Belichtungsdauer von 60”, wobei oberhalb der Abszisse gleichzeitig das Bild der vom Bulbus abgeleiteten Netzhaut- stromkurve wiedergegeben ist. | 4 DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 129 [A 2 H V Dunkel Lieht Dunkel Fig. 13. (Nach Ishihara.) Eine bedeutende Helligkeits- und Änderungsschwankung ist von ihm bei dieser Ableitung vom Nervus opticus nicht beobachtet worden. Sehr sonderbar ist es, daß der Belichtungsausschlag bei Ishihara deutlicher bei der Opticuskurve, als bei der Bulbuskurve, scheint. Eine gewisse negative Helliskeitsschwankung hat Ishihara auch bei Ableitung vom Nervus opticus gefunden. Bei absterbendem Präparat soll die Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung früher aufhören als eine träg absinkende, sehr geringe negative Hellickeitsschwankung. Im übrigen sind die Ver- _ suche mit intermittierendem Licht bei der Ableitung vom Nervus optieus ganz analog ausgefallen, denen bei der Ableitung vom Bulbus. Jeden- falls wird es bei der nächsten Saitengalvanometerarbeit notwendig sein, - bei allen Versuchen aueh immer wieder die Ableitung vom Nervus optieus in Betracht zu ziehen. Es muß aber prinzipiell vorausgesetzt werden, daß alle Schwankungen der Netzhautstromkurve auch vom Nervus opticus, wenn auch nur spiegel- bildlich, abgeleitet werden können, wenn die Netzhautstromkurve mit der Gesichtsempfindung zeitlich in irgendeine feste Beziehung gebracht werden soll. _ Denn es ist klar, daß, wenn in der Netzhaut, sagen wir in der Stäb- chen- und Zapfenschicht, irgendwelche Lebensvorgänge sich bei Belich- tung und Verdunkelung abspielen, von denen wir durch die elektrischen Ströme Kunde erhalten, diese elektrischen Ströme aber nieht durch den Nervus opticus zum Zentralorgan weitergeleitet werden, daß diese Lebens- vorgänge dann mit der Gesichtsempfindung in keiner Beziehung stehen, solange wir natürlich die übrigens wohlbegründete Meinung hegen, daß das Zentralnervensystem mit der Empfindung in einem innigeren Zu- sammenhang steht, als die nervösen Organe an der Peripherie. Archivf. A.u. Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 9 130 LOTHAR TIRATA: ad 2. Wir haben jetzt den Stromverlauf besprochen, der zutage tritt, wenn der Zustand des Auges verändert wird. Der Stromverlauf ist aber auch verschieden, wenn die Lichtreize verändert werden. Die schema- tischen Darstellungen des Stromverlaufes, die ich bisher gab, beziehen sich meist auf konstante Belichtung, während einiger Sekunden. Anders bei ganz kurzer Belichtung. Schon Kühne und Steiner haben vor dem Froschbulbus einen elektrischen Funken aufblitzen lassen und dabei nur eine Belichtungsschwankung erhalten, nach welcher der Strom unter die Abszisse absinkt. Bei der isolierten Retina sind die Ergebnisse dieser Forscher nicht eindeutig, einmal fast übereinstimmend mit dem Schema Fig. 20 (2), ein anderes Mal zeigt sich eine bedeutende negative Schwankung als einzige Wirkung. Die Wirkung der Lichtblitze auf das Froschauge haben dann be- sonders Einthoven und Jolly genau untersucht. Sie bilden nach einer kleinen negativen Änderunssschwankung einen steilen, ziemlich hohen Belichtungsausschlag ab, der nach einem sanften Abstieg in die langsam und träg aufsteigende Helligkeitsschwankung übergeht, welche dann nach etwa 20 bis 30” wieder zur Abszisse zurückkehrt. Ein Schema wird es verdeutlichen. A Belichtungsdauer: !/,o. Sekunde. Fig. 14. (Nach Einthoven und Jolly.) Was uns an der Kurve auffällt, ist das Fehlen des positiven Ver- dunkelungsausschlages. Bei einem Lichtauge hingegen ist es vor allem ein kurzer Ver- dunkelungsreiz, der uns interessiert. Eine hohe, steil aufsteigende Verdunkelungsschwankung, welche immer wieder fast zur gleichen Höhe aufsteigt, ist seine Folge, sooft auch das Experiment wiederholt wird. Denn das Lichtauge wird natürlich durch einen kurzen Verdunkelungs- reiz in seinem Adaptationszustand nicht geändert, wohl aber kann ein Dunkelauge durch ein oft wiederholtes Belichten ‚‚ermüdet‘‘ werden. Wie wir sehen, überragt die Verdunkelungsschwankung die positive | Belichtungsschwankung fast um das Doppelte. ar Eloliekuus u 4 nun fehlt vollkommen. DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. tal Dunkel Licht Dunkel Fig. 15. (Nach Einthoven und Jolly.) Wie schwankt nun der Netzhautstrom, wenn man ein Dunkelauge mit intermittierendem Licht reizt? Ishihara hat diese Frage aus- führlieh zu beantworten gesucht. Die Kurve war im Grunde genommen dieselbe, nur stieg die positive Belichtungsschwankung höher an, als bei konstantem Licht. Ganz ähnlich berichten auch Kühne und Steiner. Weil diese Autoren noch nicht mit dem Saitengalvanometer arbeiten konnten, blieb es den späteren Forschern, z. B. Piper, vorbehalten, die Verhältnisse aufzuklären. Wenn die einzelnen Lichtreize auf das Dunkelauge des Frosches nicht öfter als 15 mal in der Sekunde fallen, so erhält man eine Kurve, in welcher man die einzelnen Änderunes-, Belichtungs- und Verdunkelungs- schwankungen noch unterscheiden kann; wird diese Zahl der Lichtreize überschritten, oder, anders ausgedrückt, die Verschmelzungsfrequenz erreicht, so wird in der Kurve nur mehr eine große Belichtungs- und Helligkeits- schwankung ersichtlich, als ob mit einer stetigen Lichtquelle gereizt worden wäre. Die Tagvögel besitzen eine Verschmelzungsfrequenz von 40 Reizen in der Sekunde, Nachtvögel von etwa 20 Reizen, Säuger von etwa 25, stehen also physiologisch den Nachttieren näher, was übrigens um so weniger zu verwundern ist, weil auch vergleichend anatomisch das Auge der höheren Säuger auf eine nächtliche Lebensweise hinweist. Die stetige Kurve der Netzhautströme bei einer gewissen Reizzahl findet eine Entsprechung in dem Stetigwerden der Empfindung, welches der Mensch bei 15, spätestens bei 50 Reizen in der Sekunde angibt. Siehe auch meine Kurve Fig.5. Bei einer Anzahl von Lichtreizen, welche die Verschmelzungsfrequenz noch nicht erreicht, merkt man deut- lich die Oszillationen des Netzhautstromes und kein Ansteigen bzw. keine Summation der Belichtungsschwankungen. Wie wirkt die Größe des leuchtenden Objektes, das zur Reizung des Auges dient? Diese Frage hat Ishihara beantwortet, indem er das Maximum der Helliskeitsschwankung an ein und demselben Auge verglich, je nachdem vor dem untersuchten Auge 1, 2, 3,.4, 5 oder 6 Lampen 9* 132 LOTHAR TIRALA: aufleuchteten. Mit der Zahl der Lampen stieg im allgemeinen auch die Größe des Ausschlages, doch konnte man eine strenge Abhängigkeit nicht nachweisen. Die Größe der photoelektrischen Schwankung ist nicht an- nähernd proportional der Größe des leuchtenden Objektes. Die Stärke (Intensität) des Reizlichtes kann aber von bedeutender Wirkung sein. Wir haben schon hervorgehoben, daß die früheren Forscher die Helligkeitsschwankung nicht gesehen haben, das dürfte wohl mit der Intensität ihrer Reizlichter zusammenhängen. Wenn aber die Intensität eine gewisse Größe erreicht hat, so daß eine deutliche Helligkeitsschwankung vorhanden ist, dann bringt die weitere Steigerung der Intensität fast keine Veränderung der Kurven zustande. Das berichten sowohl Ishi- hara als auch Einthoven und Jolly. Dewar und M’Kendrick haben zwar behauptet, daß das Weber-Fechnersche Gesetz gelte, wir wissen aber heute durch die Arbeiten von Waller, de Haas, Ishihara, Einthoven und Jolly, daß das Gesetz nicht gilt. Ich weise vor allem darauf hin, daß bei schwachen Reizen die Helliekeitsschwankung fehlt, bei stärkeren Reizen aber diese neu hinzutritt und wächst, während Änderungs-, Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung bei starken Reizen unverändert bleiben. Jolly gibt in seiner Arbeit einige genaue Tabellen hierüber. . Das leuchtende Objekt kann ruhen, es kann aber auch in Bewegung sesetzt werden. Wenn es sehr rasch bewegt wird, kann man nach dem früher Gesagten voraussetzen, daß das bewegte Objekt wirken wird, wie ein ruhendes bedeutend größeres Objekt. Ishihara fand diesen Gedanken auch bestätigt. Er ließ durch einen Spiegel ein Bild einer Lampe in das untersuchte Auge werfen und verglich die Kurve bei rotierendem Spiegel und bei ruhendem Spiegel. Die Belichtungs- und Helliskeitsschwankung ist bei der ersten Anordnung bedeutend sekehrte aber zeigt sich bei der Ver- dunkelungsschwankung; diese ist bei ruhendem Objekt viel größer als bei beweglichem. Siehe das Schema 16: Dunkel Licht Dunkel Alle angewendeten Lichtreize Fig. 16. blieben während der Dauer der Ver- (Nach Ishihara.) suche, von denen bisher immer be- Ausgezogene Linie: Lichtreiz bewegt. tichtet wurde, in ihrer Intensität Gestrichelte Linie: Lichtreiz ruht. konstant. erößer als bei der zweiten, das Um- | DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 133 Kühne und Steiner haben schon versucht, den Lichtreiz ein- schleichen zu lassen, so daß man mit sehr geringen Lichtstärken beginnt und allmählich bis zur gewünschten Stärke steigert. Ebenso hat Ishi- hara mit Hilfe eines Rheostaten gefunden, daß bei einschleichendem Reiz — er begann mit 0-01 Normalkerze — die Belichtunsschwankung aus- bleibt, hat aber nach 60’ bei Lichtstärke 7-2 N.-K. eine sehr deutliche Verdunkelungsschwankung bekommen. Wenn er aber mit der vollen Licht- stärke begann, allmählich aber bis auf 0-01 N.-K. herabstieg, so erhielt er eine deutlich kleinere Verdunkeluugsschwankung, so daß man die Regel aussprechen kann: Die Größe der Belichtungs- und Verdunke- lungsschwankung ist eine Funktion der jeweils herrschenden Lichtstärke. Wir haben bisher nur von Versuchen mit weißem Licht berichtet und wollen nun die Frage beantworten, ob die Netzhautstromkurve sich verändert, je nach den einzelnen Spektralfarben, die man als Reiz- lichter verwendet. Die Frage kann man nicht schlechthin bejahen oder verneinen. Ishi- hara konnte zeigen, daß die Größe des Belichtungsausschlages verschieden ist, je nachdem man mit rotem oder grünem Licht reizt. Wenn man mit srünem Lichte reizt, ist die Schwankung größer als bei rotem Licht — natürlich sind beide Lichter zuvor photometrisch gleich hell &emacht . worden, doch sind sie bolometrisch natürlich nicht gleich. Wenn man zuerst mit grünem, dann mit rotem Licht reizt, bekommt _ man eine positive Schwankung, die ich als eine Art positiver Verdunke- lungsschwankung deuten möchte, keine dagegen bei Übergang von Rot zu Grün. Jolly hat mit grünem und blauem Licht bestimmter Wellen- länge gearbeitet und auch keinen anderen Unterschied in den Kurven sefunden. Die positive Belichtungsschwankung ist im Grün speziell bei geringer Intensität das 4- und das 3-fache von der im Blau, bei größerer Intensität vermischen sich diese Unterschiede — ähnlich ist es auch bei der Helliskeitsschwankung. Es wären also eigentlich gar keine bemer- kenswerten Unterschiede, wenn nicht zu jeder Wellenlänge eine bestimmte latente Periode zugeordnet wäre. Da wir aber hierüber noch gar nicht gesprochen haben, so wollen wir diese zuerst einmal in den Kreis unserer Betrachtung ziehen. 2%. Die latente Periode, Beginnt die Netzhautstromkurve gleichzeitig mit der Belichtung oder vergeht eine gewisse Zeit, bis der Bestandstrom eine Änderung zeigt? 134 LoTHAR TIRALA: Der erste, der versuchte, mit Hilfe eines Rheotoms die Latenz des Netzhautstromes zu bestimmen, war S. Fuchs. Doch kam er zu solch niedrigen Werten, daß man annehmen muß, die Methodik sei unzureichend gewesen. Gotch gelang es dann, etwa 10 Jahre später, mit Hilfe des Kapillar- elektrometers die Latenz der Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung zu bestimmen. Diese Latenzzeit wird bei höherer Temperatur geringer. Die Latenz der Belichtungsschwankung beträgt nach ihm durch- schnittlich 0-2”, die der Verdunkelungsschwankung ist um 0-02” kürzer — mit anderen Worten, die Verdunkelungsschwankung tritt etwas rascher ein, als die Belichtungsschwankung. Gotch hat nun gefunden, daß bei Reizung eines Froschauges mit verschiedenen Spektraltarben verschieden lange Latenzperioden der Belichtungsschwankung vorhergehen. Die kürzeste Latenzperiode geben Reize mit weißem und grünem Licht (0-16 bis 0-23”). Mit rotem Licht die längste 0-3”, mit violettem Licht etwa 0-25”. Man kann daher sagen, die Latenz verschiedener homogener Lichter des Spektrums ist verschieden, am kürzesten im Grün, am längsten im Rot, auch gegen das Violett nimmt die Latenz langsam zu. Auf ein Koordinaten- system bezogen, würden wir etwa diese Kurve bekommen, wenn wir auf der Abszisse ein Spektrum und = den Ordinaten gleichzeitig die Latenz- zeiten auftragen. Rot _ Grün Violett Fig. 17. Kurve der Latenzzeiten. Wie Einthoven und Jolly fanden, verkleinern sich die Latenzzeiten bei zunehmender Lichtstärke bis zu ‚einem gewissen Grade, so daß man bei Kenntnis der angewandten Lichtintensität, wenn homogenes Licht als Reiz dient, prinzipiell von jeder Kurve sagen könnte, welche a: die als Reiz dienende Lichtquelle hatte. Durch den Nachweis von Einthoven und Jolly, daß die Größe der atenten Periode im umgekehrten Verhältnis zu der Stärke des Reiz- lichtes steht ist müssig, die verschiedenen Werte, welche Piper, Ein- thoven, Jolly, v. Brücke, Garten, fanden, eingehend’ zu erörtern. Piper hat kürzere Werte als Gotch, v. Brücke und Garten bekommen, DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 135 Einthoven und Jolly geben Werte an, welche die von v. Brücke und Garten gefundenen einschließen. Mit Hilfe des Saitengalvanometers ist es auch möglich geworden, die Latenzzeit der Änderungsschwankung zu bestimmen. Sie beträgt nach v. Brücke und Garten 0-078’ bis 0-099” (Einthoven und Jolly). Piper fand sie nur halb so groß, 0-045’' und dürfte damit auch recht haben, denn es hat sich herausgestellt, daß, je frischer das untersuchte Auge ist, desto kleiner die latenten Perioden sind, man kommt so dem normalen Ablauf am nächsten. Die Latenz der Beihakumnesseh.eialnne beträgt nach v. Brücke und Garten 0-108” bis 0.244”. Piper gibt diese mit 0-07” bis 0-136’ an. Schließlich wurde auch die Latenz der Verdunkelungsschwankung genau bestimmt. Einthoven und Jolly geben sie mit 0-01’ bis 0-04 an, bei sehr schwacher Belichtung kann sie den Wert 0-2’ erhalten. Hinzufügen will ich, daß die Lichtintensität bei der Latenzbestimmung der Belichtungsschwankung nicht beliebig vergrößert werden kann, weil bei Auftreten der negativen Änderungsschwankung von einer exakten Latenzbestimmung der Belichtungsschwankung keine Rede mehr sein kann; _ denn es wäre möglich, daß wir nur die Resultierenden der Änderungs- und Belichtungsschwankung untersuchten. Piper gibt die Latenz der positiven Verdunkelungsschwankung mit 0-031” bis 0-093” an. Eine Bestimmung der Latenz der träge aufsteigenden Helligkeits- schwankung ist zurzeit unmöglich, weil ihr Beginn in die Belichtungsschwan- kung fällt und daher verdeckt ist. Waller, der mit einem trägen Thomson- galvanometer arbeitete, spricht von Latenzperioden von 3”, 5’ und 7”, die er aber selbst als unphysiologisch bezeichnet. Ich gebe hier eine Über- sicht über die Angaben der Autoren: Latenz der | Änderungs- Belichtnngs- | Verdunkelungs- schwanknng schwankung schwankung _ lol NA | — 0.17” 0-15” v. Brücke-Garten. . . | 0.078” 0.108” — Einthoven- N || 0.02 0.24” 0-.01—2” Eiupler) u... Beate | 0.03” 0-07” 0.031” Frosceh-Dunkelauge. Wenn wir nun dieses Resultat überb ieken, so fällt uns vor a em auf daß die Latenzperioden der Änderungs- und Verdunkelungsschwankung von gleicher Größe sind, daß die Latenz der Belichtungsschwankung ein 136 LOTHAR TIRALA: Vielfaches der beiden anderen Zeiten ist. Dies soll uns bei der Analyse des Stromverlaufes einen wertvollen Fingerzeig geben, der bisher von niemanden beachtet wurde, obwohl alle Forscher übereinstimmen, daß die Auffassung des Netzhautstromes als einer Resultierenden verschieden ablaufender Teilströme durch die verschiedenen Latenzzeiten der einzel- nen Schwankungen gestützt werde. Hinzufügen will ich noch, daß auch an allen anderen untersuchten Tieren, also an Cephalopoden, Fischen, Urodelen, Reptilien, Vögeln und Säugern ähnliche Werte gefunden wurden, z. B. am Affen — Angabe nach Piper. Latenz der Änderungsschwankung: 0-018 bis 0-02 Sek. Latenz der Belichtungsschwankung: 0-038 ‚„,„ 0:047 „, Latenz der Verdunkelungsschwankung: 0-024 ‚, 0-034 „, Es beweist dies nur von neuem, daß das Auge der Wirbeltiere, wel- ches im großen und ganzen in seinem Sinnesepithel sehr einheitlich gebaut ist, auch physiologisch nur geringe Unterschiede zeigt, ja, daß sogar das Auge der Gephalopoden, dessen Stäbchen nicht so wie bei den Wirbeltieren vom Reize abgewandt, sondern den Lichtreizen zugewendet ist, eine ähn- liche Aktionsstromkurve aufweisen, weil eben das Sinnesepithel überall die gleiche Funktion aufweist. So ist es gewiß auch merkwürdig, daß der Bestandstrom #m Cephalopodenauge die umgekehrte Richtung,. wie im Wirbeltierauge hat und wir werden später bei der Bestimmung der Schicht, in welcher sich der Netzhautstrom entwickeln dürfte, nochmals auf diese Tatsache hinweisen. 3. Zerlegung des Netzhautstromes in Teilströme. Rein mathematisch ausgedrückt, läßt sich jede Kurve als die Resul- tierende mehrere Kräfte auffassen und es ist lediglich eine Frage der Brauchbarkeit und der Wahrscheinlichkeit, wieviel hypothetische Vektoren man zu diesen Zwecke einführt. Wir wollen daher diesen Gesichtspunkt bei der Analyse der Netzhautstromkurve nicht aus dem Auge verlieren, erst aber die Frage beantworten: Können wir aus der Netzhautstromkurve selbst irgendwelche Anhalts- punkte gewinnen, daß verschiedene Prozesse sich abspielen, wodurch ver- schiedene elektrische Teilströme erzeugt werden, die sich dann in Kun Wirkung summieren ? Ich glaube diese Frage bejahen zu Rinde und will zuerst ein BE historisch darüber berichten. Schon Kühne und Steiner haben die Frage erörtert, ob nicht in der Netzhautstromkurve sieh die Tätigkeit der Stäb- chen und Zapfen ersehen ließe, konnten aber damals diese Frage nicht beantworten. DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 137 Dagegen hat Waller die Meinung vertreten, dab die Aktionsstrom- kurve durch die Übereinanderlagerung zweier verschiedener Prozesse ent- stünde, eines anabolischen und eines katabolischen, indem er von rein theoretischen Erwägungen über den Lebensvorgang ausging, dessen Haupt- phasen Assimilation und Dissimilation anabolische und katabolische Tätig- keit sind. So betrachtete er die positive Verdunkelungsschwankung als die Summe zweier Komponenten. Der Unterbrechung einer negativen und des Beginnes einer positiven Komponente. Man sieht, daß in diesem - Falle da Studium der zeitlichen Beziehungen durch so eine Erklärung aus- geschlossen wird. Waller unterscheidet nicht die positive Helliekeits- schwankung, um nicht gezwungen zu sein, einen dritten Prozess anzu- nehmen, obwohl bei der Analyse der Netzhautstromkurve diese langsam aufsteigende Schwankung mit breitem Gipfel sich jedenfalls als ein Vorgangs; eigener Art darstellt. Eine ähnliche Vorstellung hat Gotch entwickelt, welcher annimmt, daß im Auge zwei verschiedene Substanzen vorhanden sind, eine, welche auf Licht, eine andere, welche’ auf Dunkelheit reagiert. Er macht aufmerksam, daß die positive Verdunkelunss- und Belichtungsschwankung niemals die Äußerungen einer und. derselben chemischen Veränderung sein können, weil die Latenzzeiten bei der Reaktion voneinander deutlich verschieden sind. Diesen Gedanken werden wir später als einen fruchtbringenden nochmals aufgreifen. Zwar hat er die Meinung, daß die latente Periode der Verdunkelunsgsschwankung von vollkommener Beständigkeit sei, eine Meinung, welche sich später nach den Untersuchungen von Einthoven und Jolly nicht bestätigt hat, aber dadurch wird seiner Hypothese kein Ab- bruch getan. Alle Veränderungen in diesen chemischen Substanzen sind nach ihm monophasisch, d. h. die Abnahme bei einer Schwankung stellt nieht den Ausdruck eines entgegengesetzt gerichteten photoelektrischen Prozesses dar, sondern gehört zur Natur derselben Substanz. So stellt er die negative Veränderungsschwankung und die positive Verdunkelungs- schwankung als Wirkung der Dunkelsubstanz hin, welche auf Belichtung in ihrer Tätigkeit gehemmt wird und bei Verdunkelung in ihrer Tätigkeit gefördert wird — die positive Belichtungsschwankung hingegen als Aus- druck der Förderung der Lichtsubstanz. Jedoch fehlt uns hier ein deut- liches Zeichen. der Hemmung der Lichtsubstanz durch Dunkel, es sei denn, daß man das. langsame und träge Absinken .der Belichtungsschwankung für diesen Prozeß in Anspruch nehmen würde. Eine Erklärung, die meiner Ansicht nach ziemlich gezwungen wäre. Gotch gibt übrigens auch an, bei längerer Belichtung eine Serie von Perturbationen oder Oszillationen in der Netzhautstromkurve gesehen zu haben und wollte diese auf eine 138 LOTHAR TIRATA: antagonistische Beeinflussung beider Substanzen beziehen, so hätte einen Moment die eine Lichtsubstanz die Oberhand — es entstünde eine posi- tive Stufe — und dann die gehemmte Dunkelsubstanz das Übergewicht — und es entstünde eine negative Stufe. Doch waren Brücke und Garten, die gerade auf diesen Punkt ihr Augenmerk richteten, nicht imstande, solche Oszillationen nachzuweisen und ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich die Meinung äußere, dab diese Oszillationen durch den Einbruch irgendwelcher fremder elektrischer Ströme hervorgerufen wurden. Weitaus exakter haben Einthofen und Jolly die Zerlegung des Aktionsstroms in verschiedene Teilströme versucht. Obwohl sie gerade an gewissen entscheidenden Stellen es an der nötigen Deutlichkeit ver- missen.lassen, so daß es möglich ist, daß Piper in einer Darstellung ihres Gedankenganges ihnen eine Meinung zuschreibt, die sie, wie ich glaube, nicht als die ihre anerkennen würden. Piper stellt es nämlich so. dar, als ob sie der Meinung wären, daß die Netzhautstromkurve drei Prozesse in sich schließe, welche während der ganzen Dauer der Belichtung sich abspielen würden, jeder Prozeß würde sich auf eine eigene Substanz beziehen, es wäre eine positive Stromkurve der Ausdruck einer Substanz, welche auf die Belichtung reagiert. Eine zweite negative, welche bei der Belichtung langsam absinkend, bei der Verdunkelung zur Abszisse zurück- kehrte und drittens eine Substanz, welche für die reine träg ansteigende und :absinkende Helligkeitskurve verantwortlich wäre. Auf diese Weise gelangt Piper zu einer Kurvenform, welche es in Wirklichkeit gar nicht gibt und er hat dann leicht, aus diesem Grunde die Ansicht Eintho vens und Jollys zurückzuweisen. Zum Schlusse der Darstellung gibt er aber zu, daßser möglicherweise die Hypothese von Einthoven und Jolly falsch verstanden hätte und daß ihre Meinung eine andere sei. Diese will ich jetzt vortragen. Gewiß sprechen Einthoven und Jolly auch von drei verschiedenen Substanzen. Allein die beiden ersten Substanzen be- teiligen sich nur bei Beginn und bei Beendigung der Belichtung an der Kurve. Nur die dritte Substanz würde während der dauernden Be- lichtung in Tätigkeit geraten. Die erste Substanz wirkt am schnellsten, sie hat die kürzeste Latenzperiode und bewirkt in einem Dunkelauge die neeative Änderungs- schwankung bei Belichtung und in einem Lichtauge eine steile Verdunke- lungsschwankung. ‘Will man diese Ausschläge deutlich bekommen, so muß man, um den Charakter des Lichtauges nicht zu verändern, nur mit sehr kurzen Verdunkelungsreizen arbeiten und in einem Liehtauge mit sehr starkem weißen Licht reizen, um eine deutliche Änderungsschwankung zu erzielen. Auf diese Weise gelinst es, bei einem Lichtauge eine größere ee DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 139 Änderungsschwankung als Belichtungsschwankung zu erzielen, obwohl wir sonst das gerade Gegenteil zu sehen gewohnt sind. Ein Schema mag dies Verhalten verdeutlichen: EG V V 23 A a NT Te Dunkel Licht Dunkel Dunkel Licht Dunkel Fig. 18. Fig. 18b. Einthoven und Jolly meinen, bei ganz kurzen Verdunkelungsreizen, welche von sehr starken kurzen Lichtreizen gefolgt sind, die Reaktions- weise der ersten Substanz rein. zum Ausdruck zu bringen. (Schema b). Die zweite Substanz wirkt weniger rasch als ß die erste, sie ist Ursache der positiven Be- lichtungsschwankung und verliert bei Ver- _dunkelung lanesaman elektromotorischer Kraft. Sie entwickelt Potentialdifferenzen, welche Dunkel Licht entgegengesetzt sind denen der ersten Sub- Fig. 19. stanz, und hat ihre eigene wohl charakterisierte Latenzperiode. Am deutlichsten wirkt sie bei einem Dunkelauge, welches für kurze Zeit durch mäßiges Licht beleuchtet wird. In diesem Falle erscheint sie fast isoliert in einer einfachen Belichtungsschwankung. Siehe Fig. 19., Wenn die Intensität der Beleuchtung gesteigert wird, nimmt ihre _ elektromotorische Kraft zu, wir erhalten eine höhere Belichtungsschwankung, _ aber wir bekommen auch schon Andeutungen der anderen Schwankungen. Wieder gebe ich ein Schema: 1. Substanz: Ba en 2. Substanz: ... =. 3. Substanz: Fig. 20. Schließlich wirkt die dritte Substanz in derselben Richtung wie die zweite, nur noch langsamer. Sie ist charakerisiert durch eine Kurve von sanftem Aufstieg und Abfall mit einem breiten Gipfel. Wir können ihre Wirkung am deutlichsten an einem Dunkelauge sehen, welches für wenige Sekunden mäßiger oder starker Belichtung ausgesetzt wird. Ihre 140 LOTHAR TIRALA: Wirkung fällt aus, bei einem vollständigen Hellauge und bei einem Dunkel- auge, welches durch sehr schwaches Licht gereizt wird. b? Eine Latenzperiode der dritten Substanz kann nicht bestimmt werden. Wir sehen, daß bei der Bestimmung der beiden ersten Substanzen neben den sichtbaren Zacken der Nezthautstromkurve, auf welche die eine oder die andere bezogen wurde, vor allem die Latenzperiode eine wichtige Rolle spielt und daß die beiden Forscher versuchen, die alleinige Wirkung jeder einzelnen Substanz uns vor Augen zu führen. Anders Piper. Obwohl er und auch Trendelenburg ausdrücklich die Wichtigkeit der latenten Periode bei der Analyse der Kurve hervor- hebt, werde ich zeigen können, daß gerade bei ihnen die latente Periode jede tifere Bedeutung verliert. Er geht, wie Trendelenburg lobend hervorhebt, von dem Aktions- strom des Cephalopodenauges aus. Dieses hat bekanntlich eine sehr ein- fach gebaute Netzhaut — die Ganglienzellschicht liest außerhalb der Retina — und nur einerlei Elemente des Sinnesepithels — eine Art Stäb- chen. Bei Belichtung steigt der Aktionsstrom langsam an, bleibt auf der erreichten Höhe und fällt bei Verdunkelung wieder ab. Piper macht diesen Stromverlauf zum Urbild der elektromotorischen Wirkung einer jeden ein- h fachen Netzhautsubstanz. Er unterscheidet deren drei (Fig. 21). Die erste, ' deren Kurvenanstieg dem Steilanstieg der Belichtungsschwankung entspricht, dann parallel der Abszissenachse während der Belichtung weiterwirkt, nach der Belichtung etwas sanfter abfällt. Dieser ersten Kurve schreibt er die latente Periode der Belichtungsschwankung zu. Mit einer kleineren Latenz beginnt die Wirkung der zweiten Substanz, der zweite Teilstrom, welcher für sich betrachtet, ein sanftes negatives Absinken der Kurve unter die Abszissenachse die zur Folge hat, während der weiteren Belichtung dann parallel zur Abszissenachse die Saite bewegen würde und bei Verdunke- lung dann ziemlich steil zur Abszissenachse zurückkehrt. Diese beiden Teilströme würden, übereinander gelegt, eine Kurve geben, welche der Aktionsstromkurve eines gut helladaptierten Auges entsprechen würde. Wir haben derart eine negative Veränderungsschwankung, eine positive Be- licehtungsschwankung, ein Konstantbleiben des Stromes während der Be- lichtung und eine positive Verdunkelungsschwankung, die nichts anderes sind, als das Interferenzergebnis beider Teilströme. Die Latenz der Än- derungsschwankung kann ohne weiteres verändert werden durch ein steileres Absinken des zweiten Teilstromes oder ein sanfteres Aufsteigen des ersten Teilstromes. Ebenso die Latenz jedes anderen Kurvengipiels, die dann nichts Charakteristisches dieser bestimmten Schwankung aus- drücken würde. Ein dritter Teilstrom mit viel größerer Latenz und DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USw. 141 j sanftem Aufstieg und Abfall kommt dann dazu, er entspricht ganz der dritten Substanz Einthovens und Jollys und ist die Ursache für die Helligkeitsschwankung. Der Unterschied zwischen den Substanzen Pipers einerseits und Einthoven und Jollys andererseits ist der, daß Pipers hypothetische Netzhautsubstanzen einen einfachen Teilstrom verursachen, weleher aufsteigt, während der der Belichtung konstant bleibt und bei Verdunkelung absinkt, eine Vorstellung, die manches für sich hat, wogegen Einthoven und Jolly imstande sind, ihre Teilströme als Ausdruck der Tätigkeit der von ihnen postulierten Netzhautstromsubstanzen rein in den Aktionsstromkurven selbst aufzuzeigen, dafür aber wenigstens von der ersten Substanz einen komplizierteren Ablauf voraussetzen müssen. Ich gebe hier ein Schema der drei Teilströme Pipers. a n N OD NVA A RE EEE ERERUNN, De nn id De & 2 z 2 Be Dunkel Lieht Dunkel Fig. 21. Gegen die Anschauung Pipers spricht, daß bei Reizung eines Dunkel- auges durch Licht zwar eine negative Änderungsschwankung und eine posi- tive Beliehtungsschwankung eintritt, dagegen eine positive Verdunkelungs- schwankung bei mäßigen Lichtreizen nicht eintritt, siehe Schema Fig. 14, obwohl nach seiner Vorstellung die erste Substanz wirksam wäre und eine positive Verdunkelunsgsschwankung erzeugen müßte. Ferner ist für Pipers Anschauung bezeichnend, daß Zacken der Netzhautstromkurve In- terferenzerscheinungen sind, die in Wirklichkeit gar nichts Charakter- istisches haben und ich habe den Eindruck, daß sich seine hypothetischen Teilströme dadurch noch mehr von der wirklich beobachteten Kurve entfernen. Man muß aber zugeben, daß sowohl die Hypothese Einthovens und Jollys, als auch die Pipers imstande ist, die vorhandenen Resultate auf relativ einfache Grundprozesse zurückzuführen. 4. Die chemische Beeinflussung der Netzhautströme. _ Wenn ich nun daran gehe, die chemische Beeinflussung der Netzhaut- ströme zu schildern, so will ich hervorheben, daß die vereinzelten Forscher 142 | LOTHAR TIRALA: welche diese Versuche anstellten, nicht von einem einheitlichen Gesichts- - | punkte dabei ausgingen. Holmgren z. B. wollte zeigen, daß der Seh- ) purpur nichts mit dem Aktionsstrome zu tun habe. Zu- diesem Behufe A legte er purpurhaltige Augen vom Kaninchen und Frosch in Alaun und u weil von diesen abgetöteten Augen, deren Retina noch rot gefärbt war, 0} keine Aktionsströme zu erhalten waren, glaubte er den Schlub ziehen zu können, daß der Sehpurpur mit dem Netzhautstrom nichts zu tun habe. Eine Kritik dieser Meinung ist nicht notwendig. — Kühne und Steiner wollten die Widerstandsfähigkeit der isolierten Retina gegen Gewebsgifte prüfen und fanden, daß eine halbprozentige Kaliümehlorid- lösung, tropfenweise der Retina zugesetzt, diese in 5 bis 10 Minuten licht- unempfindlich macht, daß ebenso Chloroform wirkt — wie es angewendet wurde, ist aus ihren Angaben nicht zu ersehen —, wenn man aber die reak- "| tionslose chloroformierte Retina 2 Stunden in reiner feuchter Luft liegen ließe, so kehrte die Lichtempfindlichkeit wieder. Auch Pilokarpin und salizylsaures Natron erwiesen sich als wirksam. Allerdings wurden außerordentlich große Mengen zugesetzt, 0-1g Pilo- karpin muriat oder 0-5g salizylsaures Natrium; Atropin dagegen erwies 4 sich als unwirksam. } v. Brücke und Garten wiederum wollten entscheiden, ob die Ab- | nahme der Belichtungsschwankung bei wiederholter Belichtung auf einer Erschöpfung der lichtempfindlichen Elemente beruhe, oder ob während 4 der Erregung sich vielleicht Kohlensäure oder andere Produkte des Stoff- | wechsels ansammeln, welche die photoelektrische Reaktion hemmten. Zu diesem Zwecke brachten sie einzelne hintere Bulbushälften von Fröschen in eine Kammer, in welche ein Kohlensäurestrom geleitet wurde und konnten sehr deutlich zeigen, daß bei Einwirkung der Kohlensäure während einiger Minuten der Belichtungs- und Verdunkelungsausschlag - gleichmäßig abnimmt; wenn das Auge dann aber durch 10 Minuten wieder der Luft ausgesetzt wird, so steigen Belichtungs- und Verdunkelungs- ausschlag ziemlich gleichmäßig wieder an. Trotzdem also tatsächlich durch die Kohlensäure die photoelektrische Reaktion ziemlich rasch gehemmt wird, vermeinen die beiden Forscher, daß wärend der Tätigkeit der licht- empfindlichen Elemente Kohlensäure nicht in einer derartigen Konzen- tration gebildet würde, so daß sie ausreichen könnte, diese Elemente zu hemmen und nehmen schließlich trotz der nachgewiesenen Wirkung der 7 Kohlensäure dennoch an, daß die lichtempfindlichen Elemente ermüden. ze Außerdem hat noch Waller angegeben, daß Kohlensäure, Chloroform und Äther auch am uneröffneten Bulbus wirksam sind und daß speziell die Kohlensäure merkwürdigerweise zuerst eine Abnahme, dann eine Ver- re TEN $ Te DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 143 stärkung der Lichtreaktion hervorıufe. Diese Verstärkung konnten vw. Brücke und Garten nicht nachweisen. 5. Deutung des Aktionsstromes. Wir sprachen früher die ganze Zeit von Substanzen und Teilströmen, welche der Ausdruck der Tätigkeit dieser Netzhautsubstanzen seien und müssen uns aber gestehen, daß wir von diesen Substanzen gar nichts wissen. Daß sie vielmehr Annahmen sind, um der Zerlegung des Netzhautstromes in Teilströme eine bildhafte Unterlage zu geben und glauben nicht fehl- zugehen, wenn wir annehmen, daß diese Substanzen oder Sehstoife be- wußt oder unbewußt auf Grund der Heringschen Theorie. postuliert wurden. Überlegen wir uns aber unbefangen, was für Prozesse in dem Ause während der Belichtung vor sich gehen könnten, so müssen wir sagen, daß ‚die elektrischen Ströme der Ausdruck sein könnten einer Sinnes- tätigkeit der lichtempfindlichen Elemente, also der Stäbchen und Zapfen. Ferner der Ganglienzellen, der gereizten Opticusfasern, der Verscheibung _ des Pigmentepithels, der Verlängerung der Stäbchen und Zapfen, der Zer- setzung des Sehpurpurs, schließlich der Irisbewegung. Schon Kühne und Steiner, in deren Arbeit wirklich eine unerschöpfliche Anregung gefunden wird, und Holmgren haben versucht, wenigstens einige dieser Fragen zu beantworten. Deshalb arbeiteten sie nur zum Teil am uneröfineten Bulbus, sehr oft aber am eröffneten Bulbus, an welchem der vordere Teil des Auges, nähmlich Cornea, Iris, Linse und Ciliarkörper entfernt worden war. Wie wir schon früher ‚hervorgehoben, verändern sich die Netzhaut- ströme an einem solchen Präparat eigentlich nicht. Nichtsdestoweniger hat noch Piper fast 30 Jahre später, vielleicht in Unkenntnis dieser Unter- suchungen behaupten können, daß unsere Helliskeitsschwankung der Aus- druck der Iriskontraktion sei, weil er an einem atropinisierten Säugerauge diese Helligkeitsschwankung vermißte. v. Brücke und Garten konnten ‚aber zeigen, daß auch am atropinisierten Säugetier (Katze) die Hellig- keitsschwankung auftritt und mithin ist der Hypothese Pipers der Boden ein für allemal entzogen; die Iriskontraktion ist nicht Ursache irgendeiner elektromotorischen Schwankung während der Be- lichtung. Kühne und Steiner gaben sich aber nicht zufrieden, den Stromverlauf an der isolierten : Retina festzustellen, sondern versuchten auch, die Retina in ihre einzelnen Schichten zu zerlegen, und von den isolierten Schichten Aktionsströme zu erhalten. Die beiden Forscher versuchten in der Froschretina einen solchen Nachweis zu führen, indem sie Netzhäute in der Zone der Zwischen- 144 LOTHAR TIRALA: körnerschicht spalteten durch Pressung der Retina zwischen zwei Seiden- papieren, von der man das eine Seidenpapier dann wie ein Abzugpflaster herunterzog. Dieses eine Papier enthielt dann Sehpurpur und Stäbechen- außenglieder, das andere die Zapfen, Ganglien- und Nervenfaserschicht. Die zwischen den beiden Seidenpapieren liegende Retina ergab, obwohl gepfeßt dennoch eine deutliche photoelektrische Schwankung. Die isolierten Stäbehenaußenglieder mit dem Sehpurpur dagegen keine. Kühne und Steiner aber gingen noch weiter, sie versuchten, Stäbchen und Zapfen voneinander zu isolieren und waren es tatsächlich imstande, indem sie, das Pigmentepithel von der Retina abzogen, so daß die abgerissenen Fort. sätze der Pigmentzellen, mit Fuscin gefüllt, die Zapfen noch bedeekten und so den Zugang des Lichtes zu den Zapfen hinderten, während die Stäb- chenendglieder frei herausschauten. Sie konnten jedenfalls nachweisen, obwohl diese Versuche infolge der großen Schwierigkeiten der Präpa- ration nur selten den Anforderungen ganz entsprachen, daß die Stäbchen ohne die Zapfen imstande sind, photoelektrische Schwankungen zu erzeugen; doch waren sie leider nicht imstande, den Teilstrom der Stäbchen rein darzustellen. Niemand hat es bisher versucht, mit den neuen Instru- menten diese Versuche zu wiederholen und es besteht kein Zweifel, daß die Frage der Stäbchen und Zapfen durch eine derartige Neuuntersuchtung sehr gefördert werden könnte. Ferner suchten die beiden Forscher nach einer Netzhaut, von welcher man behaupten könnte, daß die verschiedenen Schichten verschieden lang überlebten; wenn dann entweder die ganze photoelektrische Reaktion erhalten bliebe und man mit Sicherheit annehmen könnte, daß nur noch eine Schicht der Retina lebendig wäre, so könnte man den ganzen Netzhaut- strom auf diese Schicht beziehen. Kühne und Steiner haben nun ge- funden, daß die isolierte Taubennetzhaut noch 3/, Stunden nach dem Herauspräparieren die normale photoelektrische Reaktion zeigte und nahmen daher an, daß nach °/, Stunden die Ganglienzellen und Nerven- faserschicht der Retina abgestorben sei, denn damals glaubte man, daß jede Ganglienzelle nach kurzer Zeit ersticken müßte. Wir werden diesem Versuch zwar nicht unbedingte Beweiskraft zuschreiben, aber doch zu- geben, daß die Wahrscheinlichkeit sehr für die Annahme der beiden Forscher spricht. Es käme sonach nur die eigentliche Sinnesepithelschicht für die Entstehung der Netzhautströme in Betracht. Auch Pipers neuere Untersuchungen gehen dahin, daß die elektrischen Vorgänge vor allem in der Schicht der Stäbchen und Zapfen ihren Ur- sprung hätten, außer der Helliskeitsschwankung, weil er, wie ich schon erwähnte, für die Helligkeitsschwankung zuerst die Iriskontraktion, sodann DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 145 den Adaptationsvorgang verantwortlich macht. Auf die Frage, warum aber gerade bei Hellaugen und starken Lichtreizen diese Schwankung fehlt, konnte man auf dem Boden dieser Hypothese keine Antwort finden. Eine Anzahl anderer Forscher will aber von dieser Einschränkung des Netzhautstromes auf bestimmte Schichten nichts wissen. Engelmann z. B. meint, daß sämtliche Schichten der Retina an der Entstehung des Netz- hautstromes beteiligt seien, allerdings versucht er gar nicht seine Meinung zu begründen. Auch Gotch vertritt ganz allgemein den Standpunkt, daß die Retinaströme im hinteren Abschnitt des Augapfels entstünden, sowohl in der Retina als auch in der Pigmentepithelschicht, ohne tiefer in das Problem einzudringen. Waller, welcher berichtet, daß photoelek- trische Schwankungen noch im Auge beobachtet werden, dessen Retina durch Induktionsschläge zerstört worden ist, glaubt, daß die Pigment- schicht des Auges Ursprungsstätte der Netzhautströme ist. Ich begreife dann erst recht nicht, daß Waller trotz dieser Anschauung bemüht ist, - den Netzhautstrom in einem anabolischen und katabolischen Teilstrom aufzulösen, wobei die anabolische und katabolische Tätigkeit bei Licht- . reiz doch jedenfalls vor allem auf die Tätigkeit der Sinnesepithel- schicht zu beziehen ist. In anderer Weise versuchte eine Gruppe von Forschern festzustellen, in welchen Schichten der Augen der Aktionsstrom entsteht. Holmgren durchschnitt an einem Kaninchenauge den Nervus opticus und fand, daß das elektromotorische Verhalten der Augen dieser - Tiere trotzdem normal geblieben war. Gesetzt den Fall, daß er bei der - histologischen Untersuchung eine Degeneration der Stäbchen und Zapfen- schicht gefunden hätte, dann wäre die Annahme wohl begründet, daß der Netzhautstrom nicht in der Stäbchen- und Zapfenschicht seinen Ursprung hätte. Hamburger, welcher den Nervus opticus von Fröschen und Kanin- chen unblutig von der Mundhöhle aus durchschnitten hat, fand an der Netzhaut selbst nicht die kleinste histologische Veränderung. Die photo- mechanischen Prozesse, also Umlagerung des Pigments und Adaptations- vorgang, hatten infolge der Durchschneidung nicht gelitten. Ishihara durchschnitt bei Fröschen intrakraniell den Nervus opticus und fand 2 bis 6 Monate hernach das photoelektrische Verhalten der Augen voll- ' kommen normal, war aber auch bei der histologischen Nachuntersuchung nicht imstande, irgendwelehe Veränderungen an der Retina nachzuweisen. Wir sehen also, daß dieser Weg auch nicht gangbar ist, weil die Degenera- tion der Opticusfasern nur zentralwärts nicht aber peripheriewärts fort- schreitet und es daher nicht gelingt, eine Schicht der Retina, wir denken natürlich zuerst an die Nervenfaserschicht, auszuschalten. Ein anderer Weg wäre der vergleichend-physiologische. Ich glaube zwar nicht, Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 10 146 LOTHAR TIRALA: daß Kühne und Steiner, die zuerst solche Versuche anstellten, schon die Frage der Deutung des Retinastromes damit beantworten wollten, ebensowenig wie v. Brücke und Garten, welche vor allem den Ablauf des Retinastromes bei verschiedenen Tieren beschreiben wollten. Uns aber sei es hier gestattet, aus den Ergebnissen dieser Forscher die Schlüsse zu ziehen und vielleicht eine oder die andere Frage zu beantworten. Schon die Richtung des Bestandstromes gibt uns einen Fingerzeig über den Ursprung dieses Stromes. Wie bekannt, geben die verschiedensten Epithelien auch in ihrer Ruhe ihre Lebenstätigkeit zu erkennen durch elektrische Potentiadifferenzen, so zwar, daß die Basis der Zelle positiv geladen ist im Vergleiche zu der z. B. in ein Lumen ragenden Oberfläche. Im Auge der Wirbeltiere ist die Richtung des Bestandstromes eine derartige, als ob ein freies Epithel mit starken Spannungsdifferenzen sich im’ Auge be- finde, dessen Basis in das Innere des Auges gerichtet sei und dessen Ober- fläche skleralwärts schaute. Wir werden nicht fehlgehen, die Schicht der Stäbchen und Zapfen als dieses Epithel anzusprechen. Tatsächlich ver- läuft der Bestandstrom im äußeren Stromkreis von der Cornea zur Sklera, wie er auch nach den vergleichend elektrophysiologischen Erwägungen verlaufen müßte. Als nun Piper das Auge eines Gephalopoden (Eledone moschata) untersuchte, fand er die Richtung des Bestandstromes umge- kehrt. Die gegenteilige Angabe Becks, der vor ihm auch dasselbe Objekt untersuchte, erwies sich als Irrtum. Nun wissen wir schon lange, daß die Stäbchen der Cephalopodenretina mit ihrem freien Ende gegen das Augen- innere gerichtet sind, also gerade entgegengesetzt gerichtet sind wie die Stäbchen der Wirbeltiernetzhaut. Der Bestandstrom hat mithin nur scheinbar die umgekehrte Richtung, denn die Sinnesepithelschicht der Gephalopodenretina ist ja auch um 180° gedreht. Es wird also die Wahrscheinlichkeit um so größer, dab der Bestandstrom, der nach der Lage der lichtempfindlichen Elemente seine Richtung wechselt, im wesentlichen von dieser Schicht ausgeht. Außer- dem fehlt in der Cephalopodennetzhaut die Ganglienzellenschicht; sie liest in einem besonderen Ganglion außerhalb des Auges. Trotzdem ist der Bestandstrom vorhanden, wir schließen daraus, daß die Ganglienzellen- schicht auch bei dem Wirbeltierauge mit der Entstehung des Bestand- stromes nichts Wesentliches zu tun habe. Schließlich glauben wir in Übereinstimmung mit Kühne und Steiner damit auch erklären zu können, warum der Bestandstrom einer absterbenden Wirbeltiernetzhaut die Rich- tung wechselt. Die empfindlichste Schicht in der Retina dürfte wohl die Ganglienzellenschicht sein. Wenn diese zuerst abstirbt, liegen die Stäb- chen und Zäpichen mit ihrer Basis an den absterbenden Ganglien, welche TRREER DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 147 eine Art chemischen Querschnitt darstellen würden, dieser ist stärker negativ als die normale polare Spannung zwischen Basis und Endglied von Stäbchen und Zapfen, der Bestandstrom muß die Richtung wechseln. Auch das Gesetz von Kühne und Steiner von der konstanten Spannungsänderung will ich heranziehen, um den Beweis vorläufig zu Ende zu führen, daß die Retinaströme ihren Ursprung in der Sinnesepithel- schicht nehmen. Dieses Gesetz besagt, daß die Belichtungs- und Ver- dunkelungsschwankung gleiche Richtung behalten, auch wenn der Bestand- strom seine Richtung ändert oder, anders ausdrückt, die Retinastromkurve bleibt immer gleich, nur die Abszissenachse muß paralell zu sich selbst verschoben werden. Wären an den Netzhautströmen andere Schichten als die Stäbchen- und Zapfenschicht beteiligt, so würde bei der Veränderung des Bestandstromes, welche doch sicherlich durch Veränderung in den Netzhautschichten zustande kommt, auch eine Veränderung der Belich- tungs- und Verdunkelungsschwankung eintreten; da diese aber nicht ein- tritt, so ist an dem Zustandekommen der Netzhautströme nur die Stäb- chen- und Zapfenschicht beteiligt. Ich werde dann später noch zeigen, daß dieser Satz auch durch meine Experimente gestützt wird. Trotzdem im Cephalopodenauge nur Stäbehen vorhanden sind, wollen wir doch diese Gebilde nicht den Stäbchen der Wirbeltierretina gleich- setzen, denn es kann sehr wohl zutreffen, daß die Stäbchen der Cepha- lopodennetzhaut die Funktionen der Stäbchen und Zapfen der Wirbel- tierretina ausüben. Es ist immerhin verlockend, darauf hinzuweisen, daß diese reine Stäbehennetzhaut nur eine positive Belichtungsschwankung zeigt, während der Belichtung läuft der Aktionsstrom der Abszisse fast parallel, und nach der Belichtung sinkt er ohne besondere Schwankung ab. Ich möchte fast sagen, leider, verläuft der Netzhautstrom bei dem nur zapfenhaltigen Auge der Schildkröte nicht dementsprechend einfach, denn dann hätten wir hier eine Zapfenkurve, dort eine Stäbchenkurve und wären dann imstande, den komplizierten Netzhautstrom auf zwei Teil- ströme, einen Stäbchen- und einen Zapfenstrom zu beziehen. Am Netz- hautstrom des zapfenhaltigen Schildkrötenauges können wir eine einfache Belichtungs- und eine Verdunkelungsschwankung feststellen; es fehlt dagegen die Helligkeitsschwankung. Der Aktionsstrom des Schildkröten- auges ist mithin in seinem Verlaufe sehr ähnlich dem des helladaptierten Froschauges und ich werde in meinem Versuch, den Aktionsstrom zu deuten, gerade darauf nochmals zurückkommen. Piper hat versucht, den Netzhautstrom der Stäbchen- und Zapfenvögel miteinander zu ver- gleichen und auf diese Weise vielleicht den Teilstrom der Zapfen und den der Stäbchen isoliert darzustellen. Bekanntlich haben die Tagvögel, wie 10* 148 LOTHAR TIRALA: Hühner und Tauben, eine Sinnesepithelschicht, in der die Zapfen, die Nachtvögel, wie z. B. Eule und Kautz, eine solche, in der die Stäbchen überwiegen. Während die Retinaströme der Taube und des Mäusebussard nur eine schwache Belichtungs- und eine Verdunkelungsschwankung auf- weisen, zeichnen sich die Netzhautströme der Nachtvögel durch kräftige Schwankungen aus. Wir unterscheiden nach den Untersuchungen von v. Brücke und Garten nicht nur eine deutliche Beliehtungs- und Ver- dunkelungsschwankung, sondern auch eine hohe Helligkeitsschwankung. Ich gebe ein Schema nach den Kurven von v. Brücke und Garten: | £B V _—— mm — Dunkel Dunkel Mäusebussard, V 8 m Dunkel Lieht Dunkel Auch hier sind wir also nicht imstande, durch Vergleiehung die hypo- thetischen Teilströme zu isolieren. Piper, der sich am eingehendsten gerade mit dieser Frage beschäftigt hat, kommt zu dem Schlusse, daß eine Isolierung der Teilströme auf vergleichend physiologischem Wege nicht möglich sei. Einige andere Tatsachen bestärken ihn in der Meinung, daß die Zapfen der Retina Ursache des einen und zwar des negativen Teilstroms seien. Der eine positive Teilstrom hätte die längere Latenz und würde dadurch besser der relativen Trägheit der Stäbchen entsprechen, während der negative Teilstrom die Tätigkeit der Zapfen darstellen würde. Als Beweis dafür führt er an, daß bei Reizung eines Hellauges mit starken Lichtblitzen nur eine negative Schwankung auftrete — das wäre der Typus der Zapfentätigkeit. Nun ist aber das Argument unrichtig, weil ein solches Hellauge auf solche Reize nicht nur mit einer negativen Änderungsschwankung, sondern auch mit einer positiven Belichtungsschwankung antwortet. — Ich ver- weise auf Schema Fig. 18a. Haben wir aber außerdem noch aus der Analyse der Netzhaut- ströme Beweise dafür, daß Stäbchen- und Zapfennetzhaut auf verschie- a RE ET TE En DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 149 dene Bedingungen des Sehens eingestellt sind, erstere auf die Bedingung des Dunkelsehens, letztere auf die des Hellsehens. Diese Frage kann man nach den Untersuchungen Himstedts, Nagels, Pipers und Trendelenburgs bejahend beantworten; die beiden ersten Forscher haben eine neue Methode eingeführt, um die Frage zu beantworten. Sie haben die Höhe des Nezthautstromes, d. h. seine Erhebung über die Abszissenachse, bei Licht verschiedener Wellenlänge gemessen und ge- funden, daß es zwei Maxima für den Netzhautstrom des Froschauges gibt, ein Maximum für das Hellauge im Gelb (589 u Wellenlänge) und ein Maximum für das Dunkelauge im Grün (bei etwa 544 Wellen- länge). Diese beiden Maxima entsprechen fast genau dem Maximum des Dämmerungswertes und dem des Helligkeitswertes für das jeweils adap- tierte Auge des Menschen. Wir konstatieren somit eine auffallende Parall- elität psychophysischen Geschehens. Doch gewinnt diese Tatsache noch größere Bedeutung durch die objektiven Methoden, welche Hess zur Be- stimmung der Dämmerungswerte und Helliekeitswerte bei den verschie- denen Tierklassen ausgearbeitet hat. Wir können, wie Hess zeigte, feststellen, wann für einen Tagvogel oder Nachtvogel das Spektrum die größte Helligkeit hat, indem man auf die Futterkörner, welche in einer Reihe liegen, ein Spektrum fallen läßt. Die Tiere beginnen das Futter dort aufzupicken, wo es am hellsten ist. Wir erkennen daraus, daß das Maximum der Helligkeit für Tagvögel mit der Zapfennetzhaut im Gelb, das Maximum der Nachtvögel mit der Stäbchennetzhaut im Grün liegt. Ebenso aber konnte Piper zeigen, daß das Maximum der Netzhaut- stromkurve bei Tagvögeln im Gelb, ihr Maximum bei Nachtvögeln im Grün liegt, und daß außerdem die Form der Kurve, welche bestimmt wird durch die jeweilige Höhe der Netzhautstromkurve, genauer gesagt der Belichtungs- oder Helligkeitsschwankung, bei Reizlichtern verschiedener Wellensänge sehr gut übereinstimmt mit der Kurve der menschlichen Dämmerungswerte und außerdem mit der Kurve der Energie- absorption des Sehpurpurs — mit anderen Worten, an der Stelle des Spektrums, wo es für das dunkeladaptierte Menschenauge am hellsten ist, absorbiert auch der Sehpurpur (von Säugeties, Vogel und Amphibium) am meisten Energie und dort ist auch die Helligkeitsschwankung der Stäbchenretina eines Nachtvogels am höchsten. Wir sind bei der Erörterung dieser Frage bereits zu einem psycho- physischen Problem angelangt und wollen daher nun den Versuch be- sprechen, den Netzhautstrom mit dem Ablauf der Gesichtsempfindung in Parallele zu setzen. 150 LOTHAR TIRALA: 6. Zusammenhang von Empfindung und Aktionsstrom. Wir können die Frage so formulieren: Entspricht dem Netzhautstrom der Ablauf der Gesichtsempfindung ? Es ist gar kein Zweifel, daß diese Frage überhaupt nur auf dem Boden des psychophysischen Parallelismus gestellt werden kann, einer Hypothese, welche bündig so gekennzeichnet werden mag: Jedem Vorgang im Zentralnervensystem läuft gleichzeitig ein psychi- scher Vorgang parallel, so daß jeder Änderung der Nervenerregung eine Änderung im Psychischen entspricht und umgekehrt jede Veränderung im Psychische sich in einer Änderung der nervösen Prozesse zu erkennen gibt. Exner hat nun schon in seinem, ‚Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen‘ darauf hingewiesen, daß in dem Ablauf des 'Netzhautstromes gewisse Schwankungen vorkommen, die nicht vereinbar sind mit derAnnahme,daß essich bei der Belichtung lediglichum die Zersetzungeiner Sehsubstanz handle. Die rein: energetische Kurve der Zersetzung einer lichtempfindlichen Substanz ist wie Exner in seinem Werke ausführt, deutlich unterschieden von der Kurve des Verlaufes der Liehtempfindung; die letztere Kurve ist aber auch deutlich unterschieden von der Kurve des Netzhautstromes. Daher hat auch Piper im Jahre 1912 die Meinung geäußert, daß z. B. Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung in der Netzhautstromkurve nicht das physiologische Korrelat einer Empfindung sei, weil wir bei Ablauf der Lichtempfindung selbst weder zu Beginn noch am Ende eine solche Besonderheit wahrnehmen würden. Dem wollen wir auch zustimmen, nur hinzufügen, daß das Auge eben nicht nur Lichtempfindungen, sondern auch spezifische Empfindung für die Veränderung vermittle, welche am auffallendsten in den Bewegungs- empfindungen deutlich werden. Diese entstehen durch den Anblick be- wegter Objekte; die vergleichende Physiologie lehrt uns, daß diese Be- wegungsempfindungen nicht nur beim Menschen nachzuweisen sind, sondern auch z. B. bei den Libellen eine wohl charakterisierte Reaktion auslösen; denn eine Libelle, welche auf ein fliesendes Papierschnitzel ganz beliebiger Form losstürzt, zeigt uns, daß der Motorreflex ausgelöst wird durch den Reiz des sich bewegenden Objektes, nicht aber durch den Form- oder Farbenreiz des Beuteltieres. Wir können sagen, daß die Emp- findung der Bewegung auch biologisch von hoher Bedeutung ist. Ishihara versuchte nun, in seiner Arbeit die Beliehtungs- und Ver- dunkelungsschwankung als physiologischen Ausdruck der Veränderungs- empfindung nachzuweisen und richtete seine Versuche so ein, daß er bei der Belichtung hauptsächlich die Bedingungen herstellte, unter denen Exner beim Menschen das Auftreten von‘ Veränderungsempfindungen . DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 151 nachweisen konnte. Er vermochte zu zeigen, dab man unter diesen Be- dingungen, welche sind: Bewegungen der Lichtquelle, Intermittenz der Lichtreize, Wechsel der Intensität und schließlich der Farben der Reiz- lichter, immer wieder deutliche positive Schwankungen des Aktionsstromes bekommt, welche man wohl als objektiven Ausdruck der Veränderungs- _ empfindungen deuten kann, denn wenn wir auch nicht wissen, wann und wo diese Empfindungen sich diesen speziellen nervösen Erre- gungen hinzugesellen, eine Schwierigkeit, die übrigens jeden psychophy- sischen Parallelismus trifft, so wissen wir doch gerade durch die Unter- suchungen Ishiharas, daß die positive Belichtungs- und Verdunkelungs- schwankung vom Nervus opticus zum Zentralorgan weiter geleitet wird und dort dementsprechend imstande sein wird, eine eigene Erregung zu veranlassen. Bei kurzen Lichtreizen tritt nach Ishihara nur eine posi- tive Schwankung ein und dieser Forscher will diese Erscheinung damit begründen, daß unter solehen Umständen auch nur eine Veränderungs- empfindung auftritt. Das ist wohl richtig, doch muß hinzugefügt werden, - daß auch die negative Änderungsschwankung auftritt, und wir daher so- _ wohl für die Lichtempfindung als für die Veränderungsempfindung ein physiologisches Korrelat haben. Auf eine wichtige Tatsache hat Ishihara ferner aufmerksam gemacht, als er zeigen konnte, daß die Netzhautstromkurve des Frosches stetig wird, d. h. keinerlei Oszillationen mehr aufweist bei derselben Reizfre- quenz, bei welcher auch unsere Liehtempfindung stetig wird. Die Stetig- keit der Lichtempfindung ist abhängig von der Stetigkeit des Netzhaut- ‚stromes. Scheternikoff und v. Kries konnten zeigen, daß das menschliche Auge, wenn es dunkeladaptiert ist, eine Verschmelzungsfrequenz aufweist von ungefähr 20 Reizen in der Sekunde, d. h. die Empfindung wird stetig, und eine solche von 40 bis 50 Reizen, wenn das Auge helladaptiert ist. Dem läuft auffallenderweise parallel das Verhalten der Zapfennetzhaut der Tagvögel und Stäbchennetzhaut der Nachtvögel. Denn von dem Auge der Tagvögel (Huhn, Bussard, Taube) erhält man eine stetige Netzhaut- stromkurve bei einer Frequenz von 40 Lichtreizen in der Sekunde, von dem Auge der Nachtvögel (Eule) eine stetige Kurve ohne Oszillationen bereits bei einer Frequenz von 20 Lichtreizen. Wir können mithin den theoretisch wichtigen Satz aussprechen: Die Stetigkeit unserer Licht- empfindung ist nicht etwa auf die integrierende Tätigkeit des Zentral - nervensystems zurückzuführen, sondern in der Tätigkeit unserer Netzhaut begründet. Je nachdem die Netzhaut der Reizfrequenz folgen kann oder nicht, ist unsere Lichtempfindung unterbrochen oder stetig. Dagegen erhebt sich eine andere Schwierigkeit, die meiner Ansicht 152 LOTHAR TIRALA: nach noch nicht gelöst ist. Und das ist die Frage der Latenzzeit. Die Latenzzeiten der Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung unterscheiden sich so sehr voneinander, daß die beiden Schwankungen kaum ein und die- selbe Empfindung vermitteln können, da nach den Grundsätzen des pyschophysischen Parallelismus für dieselbe Empfindung auch der gleiche Nervenvorgang gefordert werden muß. Außerdem aber ist die Latenz- zeit der Belichtungsschwankung nach den neuen Untersuchungen so groß (0-2 Sek.), daß die Empfindung längst zum Bewußtsein gekommen wäre, bevor überhaupt die Erregung der Netzhaut begonnen hätte. Auf diese und einige ähnliche Fragen will ich aber erst am Schlusse meiner eigenen Untersuchungen, bei dem Versuche einer neuen Deutung der Netzhaut- ströme eingehen. II. Eigene Versuche. 1. Versuchsanordnung. Die Fragestellung, mit der ich ursprünglich an die Arbeit herantrat, lautet: Sind die chemischen Substanzen, welche als Narkotika bekannt sind, imstande, die Netzhautströme zu beeinflussen, und wenn dies der Fall ist, wie verändern sie das Bild derselben? Nun wird mancher im vor- hinein geneigt sein, folgenden Standpunkt zu vertreten: Die Netzhaut- ströme sind der physiologische Ausdruck der Lebensvorgänge in der Netz- haut während der Belichtung. Wir wissen, daß alle Lebensvorgänge des Protoplasmas, wie Bewegung, Sekretion, Reizleitung durch die Narkose zeitweise aufgehoben werden, warum sollten die Lebensvorgänge der Netzhaut eine Ausnahme machen ? Sind aber die Netzhautströme auch wirklich der Ausdruck der Lebens- vorgänge in der Retina? Ist nicht etwa die Zersetzung einiger Sehstoffe, z. B. der drei Substanzen Eintkovens und Jollys durch das Lieht Ur- sache der elektrischen Potentialdifferenzen, welche sich in den Schwan- kungen der Saite offenbart ? Wenn die Hypothese richtig wäre, so könnten tatsächlich die Retina- ströme trotz Einwirkung der Narkotika erhalten bleiben. Vielleicht sind aber alle Schichten der Retina an dem Aktionsstrome, der bei der Belichtung oder Verdunkelung einsetit, beteiligt, sind aber alle Schichten gegen Narkotika gleich widerstandsfähig? Vielleicht hätten Wrede a Ms; wir in der Narkose ein Mittel, die Wirkung der einzelnen Schichten zu N isolieren; und anstatt der komplizierten Versuche Kühnes, die einzelnen Schichten anatomisch zu trennen, hätten wir ein Mittel, sie chemisch zu isolieren. fees KAREEN Zn) DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 153 Man sieht, daß, wenn einer imstande wäre, auch nur einen Teil dieser Fragen zu beantworten, die aufgewandte Mühe reichlich belohnt wäre. Meine Versuche habe ich in dem Winter der Jahre 1912 und 1913 angestellt. Das Saitengalvanometer des Wiener physiologischen Institutes war eben erst aufgestellt worden; da in die Saite immer wieder elektrische Ströme unbekannter Herkunft einbrachen und das Arbeiten unmöglich machten, sah ich mich gezwungen, den elektrischen Strom aus dem ganzen Nordtrakt des Institutes auszuschalten, was für gewöhnlich nur in der Zeit von 6 bis 10 Uhr abends möglich war. Außerdem hatte ich, um das Präparat vollständig zu isolieren, den ganzen Tisch mit: der Versuchsan- ordnung in einem Zimmer auf eine Paraffinplatte gestellt, das Saiten- galvanometer selbst befand sich in einem Nebenzimmer. Eine Drahtleitung, durch die Mauer gezogen, verband die Elektroden mit dem Galvanometer. Ich arbeitete meistens an Fröschen, Rana esculenta, aber auch an Kanin- chen. Die Methodik bei beiden ist verschieden. Die Frösche setzte ich gewöhnlich in der Frühe in ein grobes Stand. gefäß, das in einen geräumigen, verschlossenen Kasten gestellt wurde, arbeitete also fast stets mit Dunkel-Fröschen. Die Elektroden waren die unpolarisierbaren Quecksilber-Kalomelelektroden, wie sie Ostwald- Luther angegeben haben, hie und da auch Tonstiefelelektroden, welche aber im Vergleiche zum obengenannten einen viel größeren Widerstand boten. Da bekanntlich bei den erwähnten Quecksilber-Kalomelelektroden mit Hilfe eines mit Ringer befeuchteten Dochtes abgeleitet wird, so legte ich meist das herauspräparierte Froschauge auf den Docht der einen Elek- trode, unterstützt durch einen gläsernen Objektträger, den Docht der anderen Elektrode, zu einer leichten Spitze zusammengedreht, brachte ich mit der Cornea in Berührung. \ Das Präparat befand sich in der feuchten Kammer, um gegen Aus- trocknen geschützt zu sein. Dem Auge gegenüber, etwa 20 bis 30cm von ihm entfernt, befand sich eine Glühlampe, die ich mit Hilfe eines Schlüssels zum Leuchten brachte, den ich im Nebenzimmer betätigen konnte, ohne das Auge vom Bilde der Saite abwenden zu müssen. Denn ich konnte und _ wollte nicht bei jedem Versuch die Saite photographieren und begnügte mich oft, die gefundenen Werte zu verzeichnen. Zu diesem Behufe pro- jizierte ich das Bild der Saite mit Hilfe eines Projektionsokulars auf einen mit einer Skala versehenen weißen Schirm. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln brachen dennoch infolge der vielen elektrischen Leitungen in und neben dem Institut ab und zu fremde Ströme ein, so daß ich manchmal nach stundenlangem Bemühen, ein ruhiges Saitenbild zu erhalten an dem be- treffenden Abend die Arbeit einstellen mußte. 154 LOTHAR TIRALA: Wenn ich die Saite photographierte, so ließ ich die Dauer des Licht- reizes durch einen Elektromasneten verzeichnen, der bei Aufleuchten der Lampe automatisch in Tätigkeit geriet; die Zeit wird auf die Abszissen- achse durch eine Uhr geschrieben, welche !/, Sekunden verzeichnete. — War eine Kurve Dura ur so wurde sie meist noch am Abend ent- wickelt und fixiert. Wurde das sorgsam herauspräparierte Auge mit den Elektroden ver-. bunden, so mußte natürlich zuerst der Bestandstrom kompensiert werden, was mit Hilfe der ‚Brücke‘ nach Du Bois Reymond bewerkstelligt wurde. Gewöhnlich blieb der Bestandstrom während der nächsten Stunde so weit konstant, daß nur ganz kleine Änderungen des Bo - Stromes notwendig waren. Nachdem ich mich gewöhnlich überzeugt hatte, daß an did Abend, an dem ich gerade arbeiten wollte, die Saite ruhig sei und das Auge eines normalen Dunkelfrosches die bekannten Belichtungs- und Verdunkelungs- ausschläge gab, stülpte ich z. B. über einen Frosch eine Glasglocke, unter die ich auch eine mit Äther oder Chloroform getränkte Watte brachte, wenn ich einen Versuch über eine dieser Substanzen machen wollte. Nach einer Zeit, die bei verschiedenen Versuchen verschieden bemessen wurde, nahm ich das Tier heraus, dekapitierte es, um leichter arbeiten zu können und präparierte dann das Auge mit Hohlschere aus der Orbita so schonend wie möglich heraus. Dies geschah immer bei einer roten Dunkelkammer- lampe. Die Rollläden waren auch heruntergelassen, obwohl ich weiß, daß diese Vorsichtsmaßregeln von vielen vielleicht als zu weitgehend be- zeichnet werden. Diese Präparation dauerte etwa 5 Minuten, doch könnte man mir bei meiner Fragestellung einwerfen, daß in dieser Zeit ein Teil des gasförmigen Narkotikums entwichen sei; diesem Einwand hätte man am besten begegnen können, wenn, ähnlich wie bei einer Sauerbruch- schen Kammer, in diesem Falle das Tier und die Arme des Operateurs in Äther- oder Chloroformatmosphäre eingeschlossen gewesen wären. Ich aber zog es vor, diese wenigen Minuten des Aufenthaltes in normaler Luft in Kauf zu nehmen und das Auge gleich darauf in die feuchte Kammer zu bringen, in welcher ein offenes Schälchen, z. B. Äther oder Chloroform, gestellt wurde. So befand sich das Auge dann in einer Atmosphäre, deren Zusammensetzung ich jeweils bestimmen konnte. Ich arbeitete in zwei Jahren leider hauptsächlich in der Winterzeit an der Beantwortung dieser Frage. Die Retinaströme der untersuchten Frösche sind in dieser Zeit viel schwächer, auch ist der Anstieg der Schwan- kungen in der Winterzeit bedeutend träger als im Sommer; am schwächsten sind aber die Retinaströme im Februar und März, also vor der Brunstzeit. = DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 155 Sollte dieser Herabsetzung der nervösen Erregbarkeit vor der Brunst- periode nicht eine biologische: Bedeutung zukommen? Es wäre nicht un- - möglich, daß veränderte Zirkulationsvorgänge mit Ursache der ange- führten Verhältnisse wären. 2. Die Wirkung von chemischen Substanzen, insbesonders der Narkotika auf den Netzhautstrom. Bevor ich meine eigentlichen Versuche bespreche, will ich bemerken, daß die Netzhautströme bei demselben Tier im Winter und Sommer von- einander verschieden sind. Als Beispiel bringe ich hier zwei Kurven, die unter denselben technischen Bedingungen gewonnen wurden, d. h. also dieselbe Beleuchtung, gleiche Elektroden, gleiche Empfindlichkeit der Saite des Galvanometers. Die eine Kurve Nr. 2 ist aber vom Januar, die anderen Nr. 1 und 4 sind vom Juni. Die Schwankungen der Saite, die auch während völliger Dunkelheit sich bemerkbar machen, sind, wie ich schon erwähnte, verursacht durch fremde Ströme, deren Einwirkung ich oft nicht ganz ausschalten konnte. Auf Kurve Nr. 4 sehen wir den idealen Verlauf eines Netzhautstromes an einem Dunkelauge bei mäßiger - Beleuchtung. Die negative Änderungsschwankung als zarten Strich nach abwärts angedeutet — durch die Unruhe der Saite zum Teil gedeckt — die steil aufsteigende Belichtungsschwankung; nach einem Absinken, sanft - aufsteigend und fast parallel zur Abszisse weitergehend die Helligkeitsschwan- schwankung, bei der Verdunkelung (Kurve 1) sinkt der Strom steil ab, _ um sogar etwas tieier zu sinken, als er vor der Belichtung war und noch- mals sanft anzusteigen, ein Ausdruck der noch wirkenden Helligkeits- schwankung, bei der Kurve 4 erkennen wir wieder eine steile Verdunkelungs- schwankung, welche höher als die Belichtungsschwankung auch zu einem Absinken unter die Abszisse führt, worauf dann der Strom wieder lang- sam ansteist — die bekannte Helliskeitsschwankung. Ganz anders die Winterkurve Nr. 2. Die Belichtungsschwankung steigt träger auf, hat eine Latenz, die gleich um ein Vielfaches größer ist als die der Sommerkurve, die Helliskeitsschwankung ist kaum an- gedeutet, während der 3 Sekunden der Belichtung sinkt die Kurve fast zur Abszisse, ohne sie zu erreichen und hebt sich dann gleich träge in eine mäßig hohe Verdunkelungsschwankung, nach welcher sie weiter absinkt. Der Unterschied zwischen beiden Kurven ist so auffallend, daß ich dabei nicht lange zu verweilen brauche. Besprechen wir nun die reinen Narkoseversuche. Ein Dunkelfrosch wird unter die Glocke gesetzt, ein Wattebausch, mit Äther getränkt, dazu 156 LOTHAR TIRALA: gelegt. Nach etwa einer Viertesltunde ist das Tier narkotisiert und das Auge wird an die Elektroden gebracht. Der Netzhautstrom besteht im vollen Maße weiter. Wir ersehen daraus, daß die zur Narkose des Nerven- systems notwendige Menge nicht ausreicht, den Aktionsstrom zum Ver- schwinden zu bringen. Ich stellte daher in die feuchte Kammer ein offenes Schälehen mit Äther und beobachtete von 5 zu 5 Minuten die weitere Ein- wirkung des Narkotikums. Zuerst fällt uns auf, dab bei zwei- oder drei- maliger Reizung des Auges durch Licht die Verdunkelungs- und Beliehtungs- ausschläge kleiner werden, das Auge mithin leichter ermüdet, ferner nimmt die Latenzzeit der Belichtungsschwankung zu, sie kann schließlich mehr als 1/, Sekunde betragen, nach einer Stunde, manchmal noch nach längerer Zeit geben, ganz geringe Schwankungen der Saite sozusagen die Stelle an, wo die beiden Schwankungen auftreten und verschwinden (Kurve Nr. 3). Oft kam gerade bei der Äthernarkose dazu, daß, wenn die Belichtungs- schwankung des normalen Auges deutlich größer war als die Verdunkelungs- schwankung, letztere zuerst verschwand. Doch möchte ich darauf kein besonderes Gewicht legen, weil die Äthernarkose beide Schwankungen vermindert und wenn die Verdunkelungsschwankung zu Beginn des Ver- suches schon kleiner ist, sie natürlich auch zuerst verschwinden muß. Als Beispiel dient die Kurve Nr. 7. Wenn ich nun den Äther aus der feuchten Kammer entfernte, so kann man ein allmäliches Rückkehren der beiden Schwankungen feststellen, doch sah ich niemals, daß die Schwankungen die ursprüngliche Höhe erreichten. Es wird wohl die Narkose nicht ohne eine leichte Schädigung der Funktion vor sich gehen, worauf auch die lange Latenzperiode der Belichtungsschwankung hindeutet. Auch die Latenzzeit der Verdunkelungsschwankung nimmt während der Narkose zu, erreicht aber die der Belichtungsschwankung bei weitem nicht, son- dern beansprucht iu besten Fall die halbe Zeit; wenn also die letztere fast den Wert von 2/, Sekunden hat, beträgt die Latenz der Verdunkelungs- schwankung kaum /, Sekunde. Ganz ähnlich verlief die Chloroformwirkung. Auch da gelang es regel- mäßig von einem zur vollständigen Reflexlosigkeit narkotisierten Tier normale Netzhautströme zu erhalten, Kurve Nr. 2 ist der Netzhautstrom von dem Auge eines chloroformierten Tieres. Das Auge selbst ist ebenfalls, wenn auch erst kurze Zeit, in der Chloro- Ra formatmosphäre. Wenn nun das Chloroform länger auf das Auge ein- wirkte, so begann der Beliehtungsausschlag deutlich kleiner zu a & VRR werden, wenn man zwei Lichtreize, durch die Zeit von einigen Sekunden getrennt, aufeinander folgen ließ, als ob der Belichtungsausschlag zuerst ermüdete (Kurve Nr. 6). Im weiteren Verlauf tritt tatsächlich eine Zeit . 2 TE Me DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 157 ein, wo der Belichtungsausschlag fehlt und nur der Verdunkelungsaus- schlag vorhanden ist. Ich gebe hier einen Auszug aus meinem Versuchsprotokoll zur Probe. 25. I. 7 Uhr 25 Min. abends Dunkelfrosch unter eine Glasglocke. Chloro- formnarkose. Et „„ Das Auge wird herauspräpariert, das Tier hat keine Reflexe mehr. Bu, Auge in Chloroformatmosphäre der feuch- ten Kammer gebracht, deutliche Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung. SAL)" „ Fast keine Belichtungsschwankung. Ver- dunkelungsschwankung 4 mm. R Nach einer weiteren halben Stunde verschwindet auch diese. Aus _ dem Versuchsprotokoll entnehmen wir, daß die Belichtungsschschwan- - kung mithin früher verschwindet als die Verdunkelungsschwankung, _ eine Tatsache, die ich deutlich bei der Narkose mit Chlorroform erweisen konnte, aber auch bei der Äthernarkose konnte ich sie aufzeichnen, j wenn Belichtungs- und Verdunkelunesschwankung zu Beginn der Unter- suchung bei einer Reizdauer von 2 bis 4 Sekunden gleich hoch waren. "Ich werde auf diese Tatsache bei Besprechung der Ergebnisse noch - zurückkommen. Chloroform dem Auge in Tropfenform erweist sich als ein sehr starkes Gift, denn die Belichtungs- und Verdunkelunsgsschwankung £ verschwinden wenige Minuten, nachdem man zwei Tropfen zu dem Auge zugesetzt hat. Wird nun das Auge etwa eine Stunde frischer Luft ausgesetzt, so kehrt der Aktionsstrom langsam wieder zurück, die Belichtungsschwankung erreicht die Höhe von 3 mm. Ich habe auch am Kaninchen im Jahre 1913 einzelne Versuche mit ‚Chloroform gemacht. Das Kaninchen wurde einige Stunden vor dem Ver- suche im Dunkeln gehalten. Das Auge läßt sich leicht luxieren, so daß die zweite Elektrode ohne blutigen Eingriff an die hintere Seite des Auges angelegt werden konnte. Um störende Bewegungen auszuschalten, wurden die Tiere kurarisiert. Um auch von den Atembewegungen ganz ungestört zu sein, führte ich dem Kaninchen eine Trachealkanüle ein und erhielt das Tier durch Sauerstoffinsufflation am Leben. Die Schwankungen des Bestandstromes auf Belichtung und ‚Verdunkelung waren nicht groß, etwa 2 mm. Wenn ich dann anstatt des Sauerstoffes eine Chloroformatmosphäre insufflieren _ ließ, so verschwand der Retinastrom nach etwa 15 Minuten; wurde dann 158 LOTHAR TIRALA: wieder reiner Sauerstoff eingeblasen, so’ stellten sich auf Belichtung und Verdunkelung die so geringen Schwankungen des Retinastromes wieder ein. Also auch bei Säugetieren werden die Netzhautströme durch die Narkose zum Verschwinden gebracht und zwar im Vergleiche zu den Kaltblütern in einer geringeren Zeit, da die Retina bei Säugetieren empfindlicher ist als die der Kaltblüter. Auch hier tritt die Narkose des Zentralnervensystems sicher früher ein als das Verschwinden des Aktions- stromes. 5 Ich suchte denn im Verlaufe der Untersuchungen noch festzustellen, ob es gelingt, an dem Auge eines Frosches, der durch die Narkose getötet worden ist, Netzhautströme im normalen Umfange zu erhalten und habe | eine Anzahl positiver Versuche in dieser Richtung gemacht. Auf diese Weise ist dem Einwand der Boden entzogen, daß die Ganglienzellen der | Retina, welche entwicklungsgeschichtlich doch ein Teil des Gehirns ist, etwa an den Aktionsströmen beteiligt wären. Im weiteren Fortgang der Arbeit untersuchte ich die Wirkung des Äthylalkohols und zu diesem Behufe injizierte ich Fröschen subkutan je 1 cem 96 prozentigen Alkohol. Obwohl ein solcher Frosch nach wenigen Minuten reflexlos war, erhielt ich von dem enukleierten Auge deutliche Retinaströme. Dagegen zeigte das Auge eines Frosches, dem 1/, cem Alko- hol subkutan, 1 cem intraperitoneal, und !/,ccm in den Rücken-Iymph- seits injiziert worden war, keine photoelektrischen Schwankungen des Bestandstromes mehr. Ich war also imstande, durch relativ große Mengen von Alkohol die Retinaströme zum Verschwinden zu bringen. Um den Versuch ein wenig zu verändern, wurde zu dem Auge eines normalen Dunkelfrosches, welches ein normales photoelektrisches Verhalten zeigte, 4 Tropfen Alkohol.(75 proz.) zugesetzt. Nach der ersten Minute trat nun eine bedeutende Steigerung der photoelektrischen Reaktion ein, welche aber meist so rasch verging, daß die wenigen Minuten, welche ich brauchte, um eine photographische Aufnahme vorzubereiten, schon ausreichten, um die Steigerung ver- schwinden zu lassen. Nach 10 bis 15 Minuten waren die Retinaströme: gewöhnlich endgültig entschwunden. Es ist klar, daß man den Moment. der Steigerung der photoelektrischen Reaktion bei Versuchen mit sub- kutaner oder intraperitonealer Injektionen nur schwer sehen wird, weil er eben nur wenige Minuten anhält. Dieses Verschwinden der Retina- ströme kann eben aus dem Grunde nicht mehr als Narkose bezeichnet werden, weil wir bei direktem Zusatz von Alkohol eben nicht imstande sind, die Schädigung des Gewebes zu vermeiden, so daß eine Wiederkehr der Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung nicht zu erzielen ist. > Pa EP 2 = wert ee 9 Fe A N 9 I nn ne Ze 5 Rz 3 re DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 159 Vom salzsauren Morphin kann ich berichten, daß ich deutliche Retinaströme bekommen habe, wenn ich es Fröschen subkutan injizierte - (0-01 g bis 0-03 g). Ob die ganz großen Dosen nicht doch auch die photo- elektrischen Schwankungen beseitigen, kann ich nicht behaupten. Doch darf man nie vergessen, daß alle diese Experimente bei ganz großen oder sanz geringen Mengen anders verlaufen und daß wir uns bei diesen Ver- suchen immer innerhalb der Grenzen der auch auf andere Organe oder Ge- webe wirksamen Mengen halten wollen. Morphin ist also auf die Retina- ströme ohne Wirkung. r Nicht das gleiche kann ich von der Blausäure behaupten. Wenn ich 1ccm einer 0-5 prozentigen Blausäurelösung einem Frosche subkutan injizierte, so fand ich dann am herauspräparierten Auge die photoelek- trischen Schwankungen bedeutend stärker als bei einem normalen Auge. - Es werden also geringe Mengen der Blausäure imstande sein, die Licht- empfindlichkeit der Retina zu steigern. Wenn ich aber 2 bis 3 Tropfen Blausäure direkt aufs Auge brachte, so verschwanden Belichtungs- und - Verdunkelungsschwankung binnen drei Minuten. Man wird nicht fehl- sehen, diese Er-scheinung als eine Gewebserstieckung zu deuten. Wenn ich einen Dunkelfrosch mit Strychnin subkutan vergiftete - und wartete, bis er absolut reflexlos war, so konnte ich bei einer Reizdauer von 1 bis 2 Sekunden feststellen, daß die Verdunkelungsschwankung - doppelt so groß als normal war, die Belichtungsschwankung sich dagegen - nicht verändert hatte. Auch da mußte man gerade die richtige Zeit nach der Injektion treffen, wenn man gerade das Verhalten treifen wollte. Wenn ich dagegen ein normales Auge zwischen den Elektroden hatte, das auf der Skala photoelektrische Schwankungen bis zu lcm aufwies, und diesen 4 Tropfen einer Strychninlösung 1:1000 zusetzte, so waren Belichtungs- und Verdunkelungsausschläge nach fünf Minuten kaum mehr 1!/,mm. So stark wirkte das Gift auf die Retina! Bei direktem Zusatz des Giftes zum Auge konnte ich also eine Empfindlichkeitssteigerung nicht nachweisen. Wir kommen nun zu der Besprechung der Wirkung von Pilokar pin und Atropin. Ich injizierte einem Frosch subkutan 5 bis 10 mg Pilokarpin. Wenn ich etwa 20 bis 30 Minuten hernach das Auge frei präparierte und in die feuchte Kammer brachte, so konnte ich deutliche Belichtungs- und Ver- dunkelungsschwankungen nachweisen. Wenn ich dagegen einem normalen frei präparierten Auge 8 Tropfen einer Pilokarpinlösung (1 :1000) zusetzte, so verschwanden auch da die photoelektrischen Schwankungen binnen 3 Minuten. Setzte ich aber nur 160 LOTHAR TIRALA: 3 bis 4 Tropfen dieser Lösung dem Auge zu, so trat nach etwa 5 Minuten eine deutliche Vergrößerung der photoelektrischen Reaktion ein. Der Antagonismus, der zwischen Pilokarpin und Atropin besteht, erfuhr durch weitere Versuche eine Bestätigung. Atropinzusatz (1 : 1000) direkt zum Auge verändert die Retinaströme nicht. Dagegen gelang es zu zeigen, daß Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung wieder auf- . treten bei Zusatz von Atropin, wenn diese in einem enukleierten Bulbus bereits durch Zusatz von Pilokarpin zum Verschwinden gebracht worden waren. Die neu auftretende Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung erreichten zwar nicht die ursprüngliche Höhe vor Zusatz des Pilokar- pins, “ sich aber dennoch zu ihnen, wie meine Messungen er- gaben, wie 3: Auch die Umkehr dieses Versuches habe ich geprüft. Ich setzte einem Dunkelauge ‚welches sich zwischen der Elektrode befand und dessen nor- males photoelektrisches Verhalten bereits festgestellt worden war, einige Tropfen Atropin zu, die Netzhautströme blieben unverändert. Wenn ich nun einige Tropfen Pilokarpin zusetzte, so dauerte es fast !/, Stunde, bis die Verminderung der photoelektrischen Schwankungen deutlich wurden, die doch sonst in wenigen Minuten eintrat. Es hat also tatsächlich den An- schein, als ob die beiden Substanzen sich gegenseitig aus ihren Angrifis- punkten verdrängen würden. Wenn ich diese Ergebnisse zusammenfasse, so kann ich feststellen? 1. Eine Beeinflussung der Netzhaut ist durch verschiedene Substanzen möglich. 2. Die Narkotika bringen die Netzhautströme zum Verschwinden. 3. Selbst der Tod des Frosches durch Narkotika tritt lange vor dem Momente ein, in welchem: der Netzhautstrom erlischt. k 4. Zuerst verschwindet die Belichtungsschwankung, später die Ver- dunkelungsschwankung. 5. Belichtungs- und ont nk messen werden nicht nur kleiner, sondern auch ihre Latenzzeiten nehmen zu. Die Latenzzeit der Verdunkelungsschwankung beträgt knapp vor dem Erlöschen etwa die Hälfte der Latenzzeit der Belichtungsschwankung. 6. Die photoelektrischen Schwankungen können nach der Entfernung des gasförmigen Narkotikums wiederkehren, doch erreichen sie nie mehr die ursprüngliche Höhe. | 7. Die anderen Gifte, Alkohol, Blausäure, Strychnin, Pilokarpin schädigen die Netzhaut nach einer kurzen Steigerung ihrer Erregbarkeit, so daß die Netzhautströme nach einer kurzen ‚Periode stärkerer Schwan- kungen verschwinden. DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 161 ‚8. Strychnin bewirkt für kurze Zeit eine elektive Vergrößerung der Verdunkelungsschwankung. 9. Morphin und Atropin erwiesen sich als unwirksam. 10. Atropin vermag jedoch den durch Pilokarpin zum Verschwinden gebrachten Netzhautstrom wieder in Erscheinung treten zu lassen. 3. Versuch einer neuen physiologischen Deutung der Netzhautströme. Aus den Ergebnissen meiner Arbeit möchte ich vorerst einige Fol- gerungen ziehen. Ich hebe erstens hervor: Wenn auch die Ganglien- zellen und Nervenfaserschicht an der Entstehung der Netzhautströme beteiligt wären, so müßten bei der tiefen Narkose eines Frosches, in welcher sämtliche Nerventätigkeit bereits unterbrochen ist, auch diese beiden Schich- ten ausgeschaltet worden sein. Die Netzhautströme bestehen weiter, daher haben.diese beiden Schichten keine Beziehungen zu ihnen. Dazu kommt noch, daß bei der Ableitung vom Nervus opticus der _ Netzhautstrom viel früher erlischt, als bei Ableitung vom Bulbus. Der Nervus opticus ist aber selbst noch erregbar, ein Beweis dafür, daß eine Schieht zwischen Nervus opticus und Sinnesepithelschicht bereits abge- storben ist. Diese früher absterbende Schicht bewirkt also keinerlei Schwankung des Netzhautstromes; denn wenn sie auch fehlt, ist der Netz- hautstrom bei Ableitung vom Bulbus unverändert. Aus den Untersuchungen Kühnes und. Steiners wissen wir, dab die Pigmentepithelschicht keine photoelektrische Reaktion aufweist, daher können wir sagen: Die Netzhautströme entstehen in der Schicht der Stäbchen und Zapfen. Die Netzhautströme sind aber nicht bewirkt durch die Zersetzung irgendwelcher Sehsubstanzen. Denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß irgendwelche chemische Substanzen, durch Narkose zur Ruhe und nach - Aufhebung derselben wieder zur Tätigkeit gebracht werden könnten und auch durch Pilokarpin und Atropin in ähnlicher Weise beeinflußt werden könnten. Viel eher werden wir den Netzhautstrom als Ausdruck der Lebenstätigkeit des Protoplasmas der Sinneszellen auffassen. Dafür, daß der Netzhautstrom nicht einheitlicher Natur ist, sprechen auch meine Versuche. Chloroform und Äther bringen zuerst die Belichtungsschwan- kung zum Verschwinden. Die Latenzzeit der Belichtungs- und Ver- dunkelungsschwankung vergrößert sich ungleichmäßig. Strychnin ver- doppelt elektiv die Verdunkelungsschwankung. Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung sind mithin nicht Aus- druck der Reizung ein und deselben Elementes, sondern der verschiedenen Archivf.A u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. Sur 11 162 LOTHAR TIRALA: ' Elemente. Es geht also nicht nur aus den Untersuchungen Einthovens, Jollys und Pipers, sondern auch aus meinen Versuchen hervor, daß Be- lichtungs- und Verdunkelungsschwankung nicht zusammengehören, wohl aber, daß die Verdunkelungsschwankung und die negative Änderungs- schwankung Ausdruck der Reizung eines Netzhautelementes seien, und ich zögere nicht gerade mit Rücksicht auf die Untersuchungen Ishiharas diese beiden Schwankungen als Ausdruck der Erregung der Stäbchen aufzufassen. Es ist klar, daß ich dann die Erregung der Zapfen in der » sogenannten Belichtungsschwankung wiedererkenne. Auch die Verdunkelungsschwankung ist dann wieder sozusagen in ihre alte Würde eingesetzt, sie stellt sich nicht als ein zufälliges Ergebnis der Interferenz zweier Teilströme dar, sondern erscheint als das, was sie sowohl der Form als auch der Latenz nach ist: als positive Ergänzung zu dem negativen Vorschlag, den ich als Änderungsschwankung zu bezeichnen vorschlug; mit dem Buchstaben A wird sie auch bereits von Einthoven und Jolly bezeichnet. Wenn die Verdunkelungsschwankung nur das wäre, was Piper behauptet, wäre es auch ganz unmöglich, daß sie wäh- rend der Narkose, eine Zeitlang wenigstens, allein sichtbar ist. Man be- trachte nur einmal den hypothetischen Entwurf Pipers, um zu sehen, daß eine Ausschaltung der Belichtungsschwankung, sagen wir durch Ver- kleinerung des hypothetischen Teilstroms I, ohne gleichzeitiges Verschwin- den der Verdunkelungsschwankung unmöglich ist. Wir wissen ferner, daß die Verdunkelungsschwankung an jeder Stelle ihres Aufstiegs unterbrochen werden kann, die Belichtungsschwankung dagegen, einmal im Aufstieg begriffen, nicht mehr gestört werden kann. j Auch das stimmt mit der Tätigkeit der Zapfen als Vermittler unserer Lichtempfindung gut überein, da wir wissen, daß das positive Nachbild # Exners (das metaphotische Bild Stiglers) einen sehr kurzen Licht- reiz überdauert und in der Intensität noch im Anstieg begriffen ist, wenn der Lichtblitz längst vorüber ist. Dafür wird uns die Hypothese Pipers, welche in der kurzen und spitzen Änderungsschwankung die Zapfen- erregung zu erkennen glaubt, keinen Anhaltspunkt geben, wohl aber unsere Anschauung, welche in der steil aufsteigenden B(elichtungs)schwankung das physiologische Korrelat der einfachen Lichtempfindung sehen will. So fällt denn auch die Schwierigkeit für Ishihara hinweg, die große Latenz der Belichtungsschwankung (0-2 Sek.) mit der Veränderungs- empfindung zusammenzubringen. Denn eine der ersten psychophysischen Fragen ist wohl die: Ist die Latenz der Lichtempfindung (Veränderungs- empfindung) wohl größer als die der ersten Schwankung des Netzhaut- stromes? Denn, wenn dies nicht der Fall wäre, müßten wir darauf ver- DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 163 zichten, die Lichtempfindung und den Netzhautstrom überhaupt in eine Be- ziehung zu setzen. Wir wissen aber, daß die Latenz der Änderungsschwankung (0-01 Sek.) sehr gut zusammenstimmt mit der Latenz der Empfindung, so daß auch dieses Bedenken beseitigt werden kann. Darauf hinweisen will ich, daß auch die Untersuchungen der Astronomen über Reaktionszeit — Ein- thoven und Jolly berichten davon — damit recht gut übereinstimmen. Von einer Schwankung habe ich bisher nicht gesprochen, das ist die Helligkeitsschwankung. Die Tatsache, daß sie bei schwachen Reizen, welche aber sicher eine „ Licehtempfindung erregen, nicht auftritt, beweist, daß sie mit der Licht- empfindung selbst nichts zu tun hat. Diese Anschauung wird unterstützt durch die Tatsache, daß die Helligkeitsschwankung langsam und träge abläuft und viele Sekunden, nachdem der Lichtreiz längst erloschen ist, noch andauert, zu einer Zeit, in der auch die primäre Empfindung (das metaphotische Bild) längst abgeklungen ist. Da diese Schwankung ferner bei Tieren fehlt, welche nur Zapfen in der Netzhaut haben, ferner bei helladaptierten Fröschen auch vermißt wird, stelle ich die Hypothese auf, daß es die Zersetzung und Regene- ration des Sehpurpurs ist, deren photoelektrisches Korrelat wir in der Helliskeitsschwankung nachweisen können. Gerade bei den Tieren, welche keine Stäbchen in ihrer Retina haben — der Sehpurpur befindet sich in den Außengliedern der Stäbchen —, z. B. bei Schildkröten, fehlt diese Schwankung ganz. Aber nicht nur bei Fröschen, welche gut hell adaptiert sind, fehlt bei Lichtreizen die Helligkeitsschwan- kung, auch bei den Vögeln kann man Ähnliches bemerken. Die Helligkeitsschwankung, auf welche sich bei den Nachtvögeln recht deutlich Belichtungs- und Verdunkelungsschwankung aufsetzen, fehlt bei den Tagvögeln, bei denen in der Retina vor allem Zapfen vor- kommen, fast vollständig. Man sieht also, daß die Helligkeitsschwankung nur dort vorkommt, wo auch die Stäbchen und zwar die nicht ausgebleich- ten Stäbchen in Tätigkeit geraten. Wir meinen nachgewiesen zu haben, daß die Sinnes- tätigkeit der Stäbchen sich in der Änderungs- und Ver- dunkelungsschwankung zu erkennen geben. Es kommt also vor allem ein Prozeß in den Stäbehen in Betracht, welcher nicht direkt mit der Sinnestätigkeit in Beziehung steht. Außerdem liest das Maximum der Helligkeitsschwankung je nach den verschiedenen Wellenlängen des Reizlichtes fast genau an derselben Stelle, an der das Maximum der Energieabsorption des Sehpurpurs liegt. Es muß sich also ein Prozeß abspielen in den nicht ausge- 11 164 LOTHAR TIRALA: bleichten Stäbchen, der nicht direkt mit der Sinnestätig- keit zusammenhängt. Ich glaube daher ein hypothesis bene fundata auszusprechen mit den Worten: Die Helligkeitsschwankung ist der physiologische Ausdruck der Zersetzung des Sehpurpurs durch das Licht und seiner Wiederneubildung im Dunkeln. Wir kommen zum Schlusse. Ich gebe ein Schema des Netzhautstromes, den man nach meiner Untersuchung vielleicht richtiger mit dem Worte Sinnesepithelstrom bezeichnen könnte. Zapfen Stäbchen B 4A V A= Änderungsschwankung B = Belichtungsschwankung V = Verdunkelungsschwankung 4 H=Helligkeitsschwankung Dunkel Stäbchen Licht Dunkel Fig. 23. Die Tätigkeit der Stäbchen wird sich also in einer kurzen negativen Schwankung bei Belichtung und einer positiven bei Verdunkelung kund tun und beim Menschen die Bewegungs- und Veränderunssempfindung vermitteln und beim Dämmerungssehen einen großen Teil der Lei- stung, wenn nicht alle übernehmen. Isoliert würde diese Schwankung im Schema sich so darstellen: Reaktion der Stäbehen: Auf BE ER Lichtreiz ea Dunkelreiz Lieht Fig. 242. Fig. 24b. ) Reaktion der Zapfen auf Licht. Die Tätigkeit der Zapfen würde sich in einem Teilstrom kundtun, wie wir es hier auf Schema B wiedergeben und würde uns die Licht- empfindung vermitteln. = Dunkel Licht Dunkel Fig. 24c. DIE PHYSIOLOGISCHEN VORGÄNGE IN DER NETZHAUT USW. 165 Die Zersetzung des Sehpurpurs durch Licht und seine Regeneration würde isoliert sich in der Kurve C wiederspiegeln. Die Deutung des Netzhautstromes als einer Resultierenden ver- schiedener Teilströme ist also auch bei meiner Hypothese beibehalten, nur versuchte ich an Stelle der hypothetischen Sehsubstanzen die wohl- charakterisierten Strukturelemente der Sinnesepithelschicht als Erreger der Teilströme hinzustellen, nachdem ich nachgewiesen zu haben vermeine, daß der Netzhautstrom nur in dieser Schicht entsteht. Bei meinen Versuchen habe ich nicht den Gedanken aus dem Auge verloren, vielleicht eine ungleichmäßise Empfindlichkeit der Stäbchen und Zapfen gegen chemische Substanzen zu finden und dadurch auf chemischem Wege die Leistung der Stäbehen und Zrpfen auseinander zu halten und konnte tatsächlich zeigen, daß bei der Chloroformnarkose zuerst die Belichtungsschwankung verschwindet; die Zapfen, deren Tätigkeit ich für diese Schwankung in Anspruch nehme, würden also zuerst der Nar- kose erliegen, erst dann würden die Stäbchen ausgeschaltet. Eine ganz geringe Verschiedenheit in dem chemischen Aufbau der Stäbchen - und Zapfen könnte die Ursache davon sein. In ähnlicher Weise wäre die Wirkung des Strychnins zu deuten. Diese - Substanz, welche die Verdunkelungsschwankung vergrößert, würde mithin -elektiv die Empfindlichkeit der Stäbchen steigern. Ich bin mir wohl bewußt, hier auf einem Boden zu stehen, wo be- ‚obachtete Tatsachen und hypothetische Annahmen ineinander verschränkt sind. Vielleicht gelingt es auch hier, durch neue Beobachtungen und Tat- sachen diesen’ Boden zu stützen. Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinen ergebenen Dank abzustatten Herrn Hofrat Sigm. Exner für die Anregung und das Interesse, das er meiner Arbeit stets entgegenbrachte und Herrn o. ö. Professor Dr. C. Schwarz, dem damaligen Assistenten des Institutes, welcher mir in allen technischen Fragen stets mit Rat und Tat beige- standen ist. 166 LOTHAR TIRALA: Literaturverzeichnis. k G. Abelsdorff, Die ophthalmoskopische Erkennbarkeit des Sehpurpurs, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane. 1896. Bd. XIV. S. 77—%. Derselbe, Zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinnes bei Menschen und Tieren. Dies Archiv. 1900. Physiol. Abtlg. S. 561—562. 1 KIC. Ayres und K.Kühne, Über Regeneration des Sehpurpurs beim Säugetiere. Unters. a. d. physiol. Inst. Heidelberg. 1882. Bd. II. S. 215—240, A. Beck, Über die Belichtung der Netzhaut mit von Eledone moschata entstehenden Aktionsströmen. Pflügers Archiv. 1899. Bd. LXXVIN. S. 129 bis 162. k F. Boll, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Mon.-Ber. d. Akad. d. Wiss. Berlin. 1876. S. 783— 787. $ Derselbe, Zur Anatomie und Physiologie der Retina. Dies Archiv. 1877. Physiol. Abtlg. S. 1—36. | L Derselbe, Thesen und Hypothesen zur Licht- und Farbenempfindung. Ebenda. 1881. Physiol. Abtlg. S. 1—38. E. Th. v. Brücke und S. Garten, Zur vergleichenden Physiologie der Netz- hautströme. Pflügers Archiv. 1907. Bd. CXX. 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Verlängerung der Latenzzeit der Belichtungs- schwankung etwa ?/, Sekunden. Die Latenz der Verdunkelungsschwankung sehr gering. Dunkelfrosch im Winter. Von rechts nach links lesen. Fig.4. Netzhautstrom eines enukleierten a normal. Dunkelfrosch im, Juni. Von links nach rechts lesen. Fig: 5. Netzhautstrom eines enukleierten Auges bei intermittierender Reizung. Die Verschmelzungsfrequenz ist nicht erreicht, jeder Belichtung entspricht eine positive Stufe. Dunkelfrosch im Winter. Von rechts nach links lesen. Fig.6. Netzhautstrom eines enukleierten Auges bei zweimaliger Reizung je 1 Sekunde. 15 Minuten in Chloroformatmosphäre. Bei der zweiten Reizung deut- liche Verkleinerung der Belichtungsschwankung, Verdunkelungsschwankung unver- ‚ändert. Dunkelfrosch im Winter. Von links nach rechts lesen. Fig.7. Netzhautstromkurve eines enukleierten Auges in Ätheratmosphäre. Die Belichtungsschwankung ist allein übrig geblieben. Dunkelfrosch im Sommer. Von rechts nach links zu lesen. Zeichenerklärung. Es bedeuten überall: A = Änderungsschwankung. B = Belichtungsschwankung. H = Helligkeitsschwankung. V = Verdunkelungsschwankung. ‚Alle schematischen Kurven sind von links nach rechts zu lesen. Krümmung und Rippenpfannen der Brustwirbelsäule. Von Hans Virchow in Berlin, (Mit 10 Figuren im Text.) Einleitung. — Eines Tages lagen zufällig, als Reste von Präpara- tionen des Situs thoracis, zwei Brustwirbelsäulen, noch verbunden mit den hinteren Abschnitten der Rippen, nebeneinander, die eine sehr wenig ‘gekrümmt, die andere ziemlich stark, aber doch nicht über die Grenzen des „„Normalen‘‘ hinaus, gebogen. Keine von ihnen bot an sich etwas Be- sonderes, etwas, was man nicht im Präpariersaalbetriebe häufig zu sehen ° bekäme; aber indem sie so nebeneinander liegend durch den Gegensatz - wirkten, belebten sie bei mir gewisse Vorstellungen, die mir schon längst - seläufig waren, und gaben diesen bestimmtere Form. Seitdem ich mich mit der Wirbelsäule beschäftige, habe ich immer wieder den Wunsch gefühlt, neben dem positiven Neuen, was ich etwa zur Kenntnis derselben beitragen könnte, die Frage der Wirbelsäule und - der Wirbelsäulenform von den Fesseln der Dogmatik, des Schematismus und der ‚Deduktion befreit zu sehen, in welche sie durch die Anatomen, welche sich vor 50, 70 Jahren mit ihr beschäftigten, geschlagen worden ist, und welche ihr noch immer anhängen. Der Grundfehler, welcher damals gemacht wurde, bestand darin, daß das Problem der Wirbelsäule ausschließlich als ein statisches Problem ee behandelt wurde. Nun ist es zweifellos eine bemerkenswerte Tatsache, daß der Mensch seinen Körper aufrecht, seine Wirbelsäule senkrecht trägt, und es ist gewiß, daß ebenso wie in anderen Verhältnissen seiner Organisation auch in der Wirbelsäule sich Bezüge auf die aufrechte Hal- tung finden. Aber die in wissenschaftlichen und auch sonstigen Dingen notwendige und selbstverständliche Kritik verlangt doch, daß man sich, | Pal En Se 5 KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE, 171 sobald irgend ein Merkmal auf die aufrechte Haltung bezogen wird, frage, ob nicht dieses selbe Merkmal auch ganz anders erklärt werden könne. Wenn also ganz allgemein die eigentümlicke Krümmung der Wirbelsäule mit dem nach hinten konkaven Halsteil, nach hinten konvexen Brust- teil und wieder nach hinten konkaven Lendenteil aus der aufrechten Hal- tung erklärt wird, so läßt sich doch dagegen sofort einwenden, daß auch die vierfübigen Säugetiere, obwohl sie ihre Wirbelsäulen horizontal tragen, also eine ganz andere Statik haben, die gleiche Krümmung zeigen; nicht genau so wie der Mensch, wie sie sich ja auch untereinander nicht völlig gleichen; aber sie zeigen sie doch. Ist es da nicht natürlich, nach einer Begründung zu suchen, die für den Menschen und für die vierfüßigen Tiere in gleicher Weise gelten kann? Niemand, der nicht durch Gewohn- heit ganz in der einseitigen statischen Auffassung erstarrt und auf die- selbe eingeschworen ist, wird die Berechtigung dieser anderen Betrach- tung bestreiten. Ich nun finde einen Grund für die nach hinten gerichtete Konkavität der Lendengegend darin, daß die hier dickere Muskulatur günstigere Be- dinsungen für die Wirkung findet, wenn sie in einer ausgehöklten Form liegt; und für die nach hinten gerichtete Konvexität der Brustgegend _ darin, daß die Wirbelsäule an der gewölbten Gestalt des Thorax Anteil nimmt. Das Letztere wird aufs klarste belegt durch die folgende anatomische Tatsache: die Querfortsätze sind an dem nach hinten ausgebogenen Teil der Brustwirbelsäule nicht einfach nach der Seite, sondern zugleich rück- wärts gerichtet, so daß, wie Henle es ausdrückt, eine Linie, welche die Spitzen der Querfortsätze verbindet, die Krümmung der Wirbelsäule über- treibt. Das heißt doch klar, daß die auf der Anwesenheit der Lungen beruhende Neigung zu kugeliger Abrundung auf die Rippen wirkt, daß diese die Querfortsätze rückwärts drücken, und daß die Wirbelkörper-- säule dem gleichen Einflusse zwar folgt, aber doch widerwillig folgt, woraus sich denn als logischer Schluß ergibt, daß die Wirbelsäule, wenn sie nicht durch den genannten Einfluß, indirekt also durch die Lungen, zur Aus- biesung genötigt wäre, gerade sein würde. Man sieht daraus, wenn es auf Logik ankommt, wenn man die Auf- gabe auf deduktivem Wege lösen will, daß man mit derselben Logik und Konsequenz bei ganz verschiedenen Schlüssen anlangen kann, je nach- - dem man die eine oder eine andere Hypothesis wählt. In dem anregenden und an feinen Beobachtungen reichen Buche von 1 J. Henle, Handb. d. system. Anat. d, Menschen. 1. Bd. Knochenlehre, 3. Aufl. 1871, 8.45. 172 “ = Hans VIRCHOW: F. Treves und A. Keith (Deutsch von Mülberger)! heißt es: ,‚Die Wirbelsäule vereinigt in einer merkwürdigen Weise sehr verschiedene und komplizierte Funktionen. Sie dient dem Körper als der zentrale Pfeiler, welcher das Gewicht des Schädels trägt; sie vereinigt die oberen Sesmente des Körpers mit den unteren; an ihr setzen die Rippen an. Sie hat die Fähigkeit, Shockwirkungen, welehe von den verschiedensten Stellen des Körpers auf sie übertragen werden, abzuschwächen. Sie er- möglicht in einer wundervollen Art und Weise eine Anzahl der kompli- ziertesten Bewegungen und bildet schließlich ein solides Rohr, in vu das Rückenmark sich findet‘ (a. a. O. S. 448). Wieviel frischer, vielgestaltiger, der Wirklichkeit näher klingt dies, wie die Darstellung unserer älteren Anatomen, in welchen nur von der statischen Aufgabe die Rede ist! Und doch ist auch in den Ausführungen Er der genannten Autoren einiges zu beanstanden, namentlich das, was sie über die Entstehungen der Krümmungen der Wirbelsäule in Überein- stimmung mit früheren Auffassungen behaupten. Seit langem gibt es zwei „Erklärungen“ für die Form der mensch- lichen Wirbelsäule, eine teleologisch-mechanische und eine kausal-mecha- nische. Die teleologisck-mechaniscre vergleicht die Wirbelsäule mit einer Feder und sagt, daß sie als solche geeignet sei, die in senkrechter Rich- tung wirkenden Stöße und Erschütterungen elastisch aufzunehmen. Die kausal-mechanische Erklärung behauptet, daß die Wirbelsäule ihre Krüm- mungen durch die Belastung erhalte, welche die aufrechte Haltung mit sich bringt. Mechanische Erklärungen sind nicht immer sehr tiefsinnig — einer der Gründe für ihre Beliebtheit. Diejenigen aber, welche die beiden vor- benannten Erklärungen nebeneinander im Munde führen, haben sich wohl niemals gesagt, daß sie damit etwas Entgegengesetztes, ja sich geradezu ' Ausschließendes behaupten, denn auf der einen Seite wird gesagt, dab die Wirbelsäule eine Gestalt habe, welche sie befähist, der Belastung in zweckmäßiger Weise zu widerstehen, und auf der andern Seite, daß sie gerade diese Gestalt durch die Belastung erhalte. Ich verschließe mich an sich keiner der beiden Betrachtungen. Ich gebe auf der einen Seite zu, daß die Federform, da sie einmal da ist, ge- eignet sein mag, Erschütterungen zu dämpfen, aber ich sehe in diesem Nutzen nicht die Ursache für die Form; und ich räume auf der andem EREEEHLLTT ER ZT Be 1) EEE ZELL a Seite ein, daß die Belastung einen gewissen Einfluß auf die individuelle Gestalt haben kann; aber ich kann doch nicht an der allen Ärzten bekannten | 1 Berlin 1914, KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 173 Tatsache vorübergehen, daß gerade in solchen Fällen, in welchen dieser Einfluß am wenigsten gehemmt zur Geltung gelangt, schwere Störungen - der Form entstehen, daß also jedenfalls die Belastung allein nicht die normale Gestalt herbeiführen kann. Ich gebe in Figg. 1 und 2 zwei Wirbelsäulen in Eigenform, die eine die eines dreijährigen Kindes, die andere die eines Dreiundzwanzigjährigen. Dieselben sind, um sie vergleichbar zu macken, in verschiedenem Maße verkleinert, so daß sie auf dieselbe Länge gebracht sind. Man wird sich vergeblich bemühen, einen Unterschied in ihrer. Krümmung aufzufinden. Dabei stellen sie nichts Ungewöhnliches dar; weder ist die des Kindes besonders stark, noch die des Erwachsenen besonders wenig gekrümmt. Ich halte mich wenigstens nach den in meinen Händen befindlichen nach Eisenform aufgestellten Wirbelsäulen jugendlicher Erwachsener für be- reehtist, zu behaupten, daß eine so geringe Krümmung bei diesen nicht aus dem Typus herausfällt. Dagegen trifft man auf der anderen Seite an den Wirbelsäulen Er- wachsener, insbesondere am Brustteil derselben, sehr erhebliche Ver- _ schiedenheiten im Grade der Krümmung, neben gestreckten von der Art der eben vorgeführten, erheblich gebogene, äuch bei solchen Menschen, die nie an einer Krankheit der Knochen oder der Muskeln oder der Nerven selitten haben. Am häufigsten sind diese stark gebogenen Formen bei alten Leuten, ja sie sind hier geradezu als typisch zu bezeichnen. Daher müssen auch diese „„Alterskyphosen‘“ in die Untersuchung einbezogen werden, um letz- terer ihre natürliche Abrundung zu geben; und ich habe demgemäß auch die Wirbelsäule eines Greises in Figenform zusammensetzen lassen.! Sammelstellen derartiger runder Rücken sind die Altersheime und Pfründenanstalten, und dort kann man sich auch durch die Beobachtung der Lebenden eine ‘anschauliche Vorstellung von der Kausalität dieser Wirbelsäulenform verschaffen. Der alte Mensch, insbesondere wenn er _ von beschränkter Bildung, von beschränktem Intellekt ist, hat nur noch ein schwaches Interesse an der umgebenden Welt; er hat so vieles gesehen, ‘oder richtiger, dasselbe so oft wiedergesehen, daß es ihn nicht mehr an- zieht; er dämmert dahin, den Blick vor sich auf den Boden gerichtet, “wozu ihn auch der Wunsch, bei der Unsicherheit seiner Bewegungen den Weg mit den Augen zu suchen, veranlaßt. Die Schwäche seiner Musku- latur ist nieht der einzige Grund, oft nicht einmal der Hauptgrund für seine fehlerhafte Haltung, sondern sein runder Rücken ist wesentlich durch seelische Momente bedingt. Ben, 1 Berl. klin. Wochenschr. 1907. Nr. 39 u. 40. Fig. 2. HANS VIRCHOW: Fig. 1. Fig. 2. Halbierte Wirbelsäule eines dreijährigen Halbierte Wirbelsäule eines 23 jährigen Mädchens in Eigenform. Mannes in Eigenform, KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 175 "Was uns beim Greisenrücken in typischer Weise entgegentritt, kommt nun aber auch bei Leuten, welche ihrem Lebensalter nach noch weit vom Greisenzustand entfernt sind, außerordentlich häufig vor, ja nimmt seinen Anfang oft schon bei Jugendlichen, sogar bei Kindern. Diese Form kann als „Nachlässickeitskyphose‘“ bezeichnet werden. Lebensweise und Be- sehäftigung begünstigen dieselbe (‚Beschäftigungskyphose‘‘). Für den Anatomen kommt besonders der ‚„Mikroskopikerrücken‘ in Betracht, für welchen ich mehrere charakteristische Beispiele aus meiner persönlichen Bekanntschaft anführen kann. Aus den vorausgehenden, Betrachtungen ergibt sich die wichtige Be- - merkung, daß die Eigenform der jugendlichen Wirbelsäule, obwohl letztere - weicher, biegsamer ist, doch eine mehr gerade ist, daß dagegen die Eigen- form der älteren Wirbelsäule, obwohl diese steifer, starrer und daher besser geeignet ist, von sich aus der Belastung. zu widerstehen, doch stärker gekrümmt ist. Übrigens äußert sich das Verständnis für diese anatomische Tatsache durchaus im praktischen Leben. Wenn Eltern und Erzieher den ihnen anvertrauten Kindern zurufen: „‚Haltet euch gerade!“, so bekunden sie ‚damit ein Verständnis dafür, daß die noch nachgiebige und daher den Verunstaltungen durch Belastung besonders ausgesetzte Wirbelsäule des Kindes in verstärktem Maße einer Überwachung durch die Muskeln be- darf. Was der Anatom hinzuzutun hat, ist, daß er durch Feststellung der Eigenform der Wirbelsäule und ihrer mechanischen Eigenschaften der Betrachtung einen festen und klaren Kern verschafft. Die Anatomen haben jedoch diese Aufgabe nicht erfüllt. Anstatt von Hunderten von Wirbelsäulen Jugendlicher und Erwachsener die Eigenform festzustellen und sie der Analyse zu unterwerfen, haben sie, im Kielwasser Hermann von Meyers weitersegelnd, den kraftlosen Phantomen einer ‚„Normal- haltung‘ und „natürlichen Haltung‘ nachgejagt und sind in der Ver- wirrung, welche schon von Anfang an durch diese Begriffe herbeigeführt _ worden war, verstrickt geblieben. - Von den Abschnitten der Wirbelsäule hat der Brustteil noch ein be- sonderes Interesse wegen der Beziehung zu den Rippen. Wenn zwei Brust- wirbelsäulen erheblich verschiedene Krümmungen haben, so kann dies - nicht ohne Einfluß bleiben auf das Verhältnis zu den Rippen. Rein logisch betrachtet ist zweierlei möglich: Entweder bleibt der Ansatz der Rippen an die Wirbelsäule der gleiche, dann müssen die vorderen Enden der Rippen bei der geraden Wirbelsäule auseinander gespreizt, bei der ge- bogenen zusammengedrängt sein, oder die Beziehungen der Rippen zu- 176 Hans VIRCHoW: einander bleiben die gleichen; dann müssen diese an die gerade Wirbel- säule anders wie an die gebogene ansetzen. Tatsachen, Betrachtungen und Fragen der im vorausechenden er- wähnten Art und noch andere, auf welche ich hier nieht eingehe, um nicht die Einleitung zu dehnen, steckten mir schon lange im Sinne und verlangten Gestaltung und Verknüpfung. Die Aufforderung dazu trat mir besonders lebhaft entgegen, als zufällig die beiden oben erwähnten Brustwirbelsäulen nebeneinander lagen. ke Indem ich dieser Aufforderung folge, kann es sich aber. doch nur darum handeln, die in Betracht kommenden Probleme zu klären und voneinander abzugrenzen. Von einer endgültigen Lösung der Aufgaben kann noch lange nicht die Rede sein; dazu sind dieselben viel zu aus- sedehnt und viel zu verwickelt. Aufgaben. — Ich habe es in vorliegender Arbeit hauptsächlich mit zwei Aufgaben zu tun, die sich in folgender Weise bezeichnen lassen: erstens Beziehungen zwischen der Form der Wirbelkörper und der Ge- stalt der Wirbelsäule, und zweitens Beziehungen zwischen den u pfannen und der Gestalt der Wirbelsäule. Material. — Die beiden Wirbelsäulen, welche die Grundlage meiner Besprechung bilden, sind in Figg. 3 und 4 dargescellt. Es sind hier die Wirbelhälften nach der Mazeration in Eigenform vereinigt. Das Charak- teristische der Gestalt tritt noch schärfer hervor, wenn man nur die Vorder- seiten auf Papier überträgt und von der oberen Kante von t.1 zur unteren Kante von t:12 eine Gerade als Sehne zum Bogen zieht (Figg. 5 u. 6). Wesentlich gesteigert wird das Verständnis dieser Figur dadurch, daß man von der Sehne ein Lot zu der Bandscheibe zwischen 6. und 7. Brustwirbel zieht. Die Sehne mißt an der geraden Säule 257 mm (die Summe der vorderen Höhen der Wirbelkörper 227,5 mm), an der gebogenen Säule 244 mm (die Summe der vorderen Höhen der Wirbelkörper 236 mm); das Lot bei der geraden Säule 18 mm, bei der gebogenen 42 mm; der Index von Sehne und Lot, wobei die Sehne gleich 100 mm gesetzt ist, bei der geraden Säule 7, bei der gebogenen 17-2 Gegenüber diesen Unterschieden beider Säulen gibt es hen auch Übereinstimmungen. Setzt man die Sehne in beiden Fällen gleich 100° und rechnet den oberhalb und den unterhalb des Lotes gelegenen Abschnitt daraufhin um, so ergibt sich Gleichheit, wie folgende Zahlen zeigen: Rohzahlen. Gerade Säule Gebogene Säule Oberes Stück der Sehne 113mm 109 mm Unteres „, {4 5 144 „, 135 % KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 177 Umpgerechnete Zahlen. Oberes Stück der Sehne Unteres ,, En ia Fig. 3. Die wenig gekrümmte Brustwirbel- säule (nebst 7. Halswirbel und den 3ersten Lendenwirb.)in Eigenform. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtle. Gerade Säule Gebogene Säule 44 45 56 Kahn 55 Fig. 4. Die stark gekrümmte Brustwirbelsäule (nebst den 2 letzten Hals- und 3 ersten : Lendenwirbeln) in Eigenform. 12 178 Hans VIRCHoW: Die Sehne wird also durch das Lo; in beiden Fällen gleich geteilt. Ferner trifft in beiden Fällen das Lot den Scheitel des Bogens, und in beiden Fällen unterscheiden sich der obere und der untere Abschnitt des Bogens in gleicher Weise dadurch, daß das obere Bogenstück stärker und das untere flacher gekrümmt ist. L =. | l | I | | | | | ) } | | [ | 4 ö ) Sı 4 gl u! SI Nı g| 5 ZEN D| 9. { | | | 6. | | 18 Mm \ 6. SU ee] 42 Mm | ; S > 735 Mm } nu mm — m — m -— - - - — zoo. oo oo _o I0, | nm, 72. 72. } Fig. 5. Fig. 6. Vorderseite der in Fig. 3 dargestellten Vorderseite der in Fig. 4 dargestellten Brustwirbelsäule nebst Sehne zu dem Brustwirbelsäule nebst Sehne und Lot durch dieselbe gebildeten Bogen und Lot wie in Fig. 5. vom Scheitel des Bogens auf die Sehne. KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 179 Daß es sich so in allen Fällen verhalte, soll damit nicht gesagt werden; aber es kommt ja hier nicht darauf an, auf Grund einer festgestellten Methodik Untersuchungen an einem Material zu machen, über welches wir etwas Bestimmtes erfahren wollen, sondern vielmehr, die Methodik zu finden und zu prüfen, welche uns in den Stand setzen soll, das Mateıial zu sammeln und zu analysieren. Ich werde die beiden Säulen, wie es schon im Vorausgehenden ge- schehen ist, der Kürze halber als „gerade Säule“ und als „gebogene Säule‘ bezeichnen und hoffe, daß daraus keine Mißverständnisse hervorgehen werden. Insbesondere bemerke ich, dab die zweite Säule nicht etwa für die Untersuchung künstlich gebogen wurde, sondern daß sie sich so ver- fand, wie sie in der Fig. 2 dargestellt ist. Das Material ist kein gutes, insofern als es nicht von frischen Leichen senommen wurde. Die letzteren waren vorher injiziert und aufbewahrt, also in einem gewissen Grade der Härtung. Außerdem ist der Situs tho- racis beim Präpariersaalbetriebe immer das letzte, was an die Reihe kommt, und er ist, da die Studierenden ihren Gewohnheiten gemäß mit dem Material nicht sehr achtungsvoll umzugehen pflegen, der Gefahr der Trocknung ausgesetzt. Die ‚.Eigenform“, welche bei einer strengeren 4 o Untersuchung zugrunde gelegt werden müßte, ist also in diesen Fällen nicht voll gewährleistet. Ich will auch noch hinzufügen, daß ich nichts über Lebensalter, Konstitution und Todesursache anzugeben weiß. Ahker "alle diese Mängel verringern nicht den Wert der beiden Wirbelsäulen für _ meine Zwecke, wie sie im vorausgehenden gekennzeichnet sind. Methode. — Ich habe die Methode zur Hilfe herangezogen, welche "ich schon oft für Wirbeluntersuchungen angewendet habe, die Aufstellung “ nach Form. Obwohl ich diese Methode schon beschrieben habe, so muß durch Stifte vereinigt; ich es doch hier wieder tun, um damit dem Leser die nötigen Grundlagen für die Kritik zu bieten Die Methode besteht in Kürze aus folgenden Bestandteilen: a) Die Knochen werden so weit sauber geschabt, daß man eine scharie RBorm gewinnen kann, jedoch unter sorgfältiger Schonung der Bänder; b) es wird Gipsform genommen; e) die Knochen werden durch Mazeration getrennt und gesäubert; d) an den isolierten Wirbeln werden die nötigen en und Messungen gemacht und verzeichnet; e) die einzelnen Wirbel werden mit der Laubsäge beiden f) je eine Wirbelhälfte wird in die Form eingelegt und mit den übrigen 12* 180 Hans VIRCHow: g) falls es für den besonderen Zweck der Untersuchung erforderlich ist, auf den Schnittflächen Orientierungslinien oder Meßmarken anzu- bringen, so werden die Schnittflächen mit einem Überzuge versehen, auf welchem man mit scharfem Strich schreiben kann, Zu diesem Zwecke werden zuerst die Räumchen der Spongiosa mit einem Gemisch von Gips und Leim ausgeschmiert und dann die Fläche mit Zinkweiß über- strichen. Mängel der Bildung. — Bevor ich an meine Aufgabe herangehe, muß ich noch eine Angelegenheit besprechen, welche für die kritische Beurteilung von Messungen an der Wirbelsäule von der größten Bedeutung ist. Schon vor Jahrzehnten, sobald man überhaupt anfing, genauere, d.h. messende Untersuchungen an der Wirbelsäule zu machen, hat man es mißbilligend vermerkt, daß vielfach an den Wirbeln kleinere und größere „Fehler de” Ausführung“ vorkommen, durch welche die Zuver- = lässigkeit der Maße beeinträchtigt wird. Solche Fehler trifft man in der Tat überreichlich. Kein Teil der Wirbel ist von ihnen frei; sie finden sich an Körpern, Bogen, Dornfortsätzen, Querfortsätzen, Gelenkfortsätzen, Rippen- pfannen. Bedenkt man, daß die Unterschiede von Wirbel zu Wirbel sich z. T. nur in Bruchteilen von Millimetern bewegen, und daß die Fehler 1 oder 2 oder selbst mehr Millimeter betragen können, so wird begreiflich, daß durch die hierdurch hervorgerufene Unsicherheit die Einsicht in manche feinere Verhältnisse verhindert wird, und daß man wohl schon tiefer in das Verständnis der Wirbelsäule eingedrungen wäre, wenn solehe Fehler nicht beständen. Ich werde von diesen Unvollkommenheiten im folgenden so weit sprechen, als es durch die Absichten der vorliegenden Arbeit ge- boten ist. Ich bemerke nur noch das Eine, daß, wenn man von Fehlern der Ausführung spricht, damit nicht gesagt sein soll, dab es sich um an- = geborene Fehler handelt oder solche, welche durch die Anlage gegeben sind. Solche mögen wohl auch gelegentlich vorkommen; die meisten aber sind erworben, im späteren Leben entstanden. Das geht schon daraus hervor, daß sie an jugendlichen Wirbelsäulen seltener sind, während wohl a keine etwas ältere Wirbelsäule davon gänzlich frei ist. A. Beziehung zwischen Höhen der Wirbelkörper und Gestalt — der Brustwirbelsäule. Man wird es für selbstverständlich halten, wenn man die vorderen © und hinteren Höhen an den einzelnen Wirbelkörpern mißt, die Differenzen der vorderen und hinteren Höhen ausrechnet und alle Differenzen zu- sammenzählt, daß dann die Summe der letzteren bei der gebogenen Säule KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 181 größer ist wie bei der geraden. Wir werden sehen, wie es damit in unserem Falle steht. Gerade Wirbelsäule Gebogene Wirbelsäule vordere | Mater | Dierens | maräbre | Matere | Diteren mm mm mm mm mm mm t.1 14 16 | 2 | 16 17-5 | 1-5 2 17 17 0 17 18 1 3 15-5 18 2° 18 17-5 —0°5 4 17.5 13-5 1 19 18-5 — 0.5 5 18 19 1 18-5 | 20-5 2 6 18 20 2 20 20 0 7 19 21 2 18-5 21-5 3 8 20 21 1 16 21-5 5.5 9 21 20 —1 22 19 —3 10 22 21 —ı 24-5 21 —3:5 11 22.5 22-5 0 | 24 22 —2 ı2 | 28 24.5 1-5 | 22-5 26-5 4 Summen der Differenzen 11 7-5 Die Summe der Differenzen ist also an der gebogenen Säule geringer als an der geraden. Dieses paradoxe Ergebnis ist der Hauptsache nach durch einen Umstand bedingt, welcher schon beim Messen an den nicht halbierten, also auch noch nicht in Form zusammengesetzten Wirbeln bemerkt wurde, nämlich durch mediane senkrechte Einkerbungen an den hinteren oberen Rändern der Wirbelkörper der acht ersten Wirbel; außerdem durch Erhebungen an den vorderen Kanten. Ein solcher Befund müßte niederschlagend wirken, wenn man auf denselben bestimmte Schlüsse begründen wollte. Man denke nur, daß nieht vorher die Formen genommen wären, und daß man aus den Diffe- renzen der Höhen die Krümmung der Säule berechnen oder konstruieren wollte; man würde doch unfehlbar die gerade. Säule für die stärker ge- bogene und die gebogene für die weniger gekrümmte halten müssen. Für die vorliegende Untersuchung aber, welche kritische Zwecke verfolgt, ist der Befund nicht unerwünscht, sondern im Gegenteil mit Freude zu be- srüßen, weil er zur Vorsicht mahnt und daraufhin führt, die Beziehungen zwischen den Höhen und der Gestalt der Säule schärfer ins Auge zu fassen. 'R. Martin hat in seinem Lehrbuche der Anthropologie darauf auf- merksam gemacht, daß durch Knochenwucherungen an den vorderen Kanten der Wirbelkörper die sagittalen Maße vergrößert werden können.! I R. Martin, Lehrbuch der Anthropologie. Jena 1914. S. 897. 182 Hans VIRCHow:. Dies ist aber nur einer von den Punkten, die zu beachten sind, und nur der gröbste. Was hier zu erwähnen ist, ist viel mannigfaltiger: die Auf- lagerungen auf die vorderen Kanten ragen nicht nur vorwärts, sondern auch aufwärts, vergrößern also nicht nur die Dieke, sondern auch die Höhe; es werden nicht nur Erhöhungen der vorderen Ränder, sondern auch Erniedrigungen derselben getroffen, wie z. B. die „„Abwetzung‘“, auf welche ich bei früheren Gelegenheiten die Aufmerksamkeit gelenkt habe; es kommen nicht nur Veränderungen an den vorderen Rändern, sondern auch solche an den hinteren Rändern vor, wie soeben von unserer ge- bogenen Säule mitgeteilt wurde; die Veränderungen betreffen nicht nur die Ränder, sondern auch die Wirbelkörper in ihrer ganzen Höhe bzw. die mittleren Abschnitte derselben. Daraufhin müssen wir unser Material noch etwas genauer mustern. An der Abbildung unserer ze him Säule (Fig. 4) ist leicht zu sehen, daß die Keilform der Wirbelkörper am stärksten an t. 8 und 2.1 hervor- tritt. Dies spricht sich scharf in den Maßen aus. Sch Vordere Höhe Hintere Höhe Differenz Gerade Säule 20 mm 21 mm 1 mm Gebogene Säule 16 „, DIDI HD \ Lidl: Vordere Höhe Hintere Höhe Differenz Gerade Säule 25mm 25:5 mm 0:5mm Gebogene Säule 20 „, 21, 31025 Ti Dabei ist zu bemerken, daß, wie oben gesagt, an i. 8 der gebogenen »äule der hintere Rand eingekerbt- ist, ohne welchen Umstand die Differenz noch größer wie 5-5 sein würde. Hier liegen also anscheinend Abnahmen der vorderen Höhen vor im Körper selbst, welche durch Erniedrisung infolge fehlerhafter Haltung zustande gekommen sind. Ob nun gerade die beiden genannten Wirbel, 2.8 und 2.1, häufiger von solchen Ver- änderungen betroffen sind wie andere Wirbel, müßte durch den Vergleich mit anderen Fällen entschieden werden. Was die Veränderung der sagittalen Durchmesser der Wirbelkörper durch die Haltung der Wirbelsäule betrifft, so ziehe ich hier eigene frühere - RR ae ” Bun sc A De EENELUUTWRT REN DE WERT LTERE IE = nn Sr 22 a zB Mitteilungen heran: einerseits die senilkyphotische Brustwirbelsäule, bei 1 ‚Über den Lumbar-Index“ in Zeitschr. f. Ethnol. 1914. S. 146—154; vgl. dort 8.151; und ‚‚Abwetzung an den Endflächen der Wirbelkörper“. Berl. klin. Wochenschr. 1916. Nr. 38. zz KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 185 welcher der sagittale Durchmesser vergrößert ist (a. a. O.), andrerseits die lordotische Brustwirbelsäule, bei welcher die sagittalen Durchmesser der Wirbelkörper verkleinert sind (a. a. O.). Namentlich das letztere ist so ungemein auffallend, daß sich darin eine starke Abhängigkeit der Maße von den Belastungsbedingungen ausspricht. Ich habe deswegen auch im vorliegenden Falle auf diesen Umstand geachtet, habe aber keinen sicheren, wenn auch möglichen Einfluß der Belastung auf den sagittalen Durch- messer feststellen können. Das zeigen die folgenden Angaben. Ich habe mich dabei auf drei Wirbel beschränkt, je einen vom oberen Ende, vom unteren Ende und aus der Mitte der Reihe, welche auch an der gebogenen Säule frei von Verdiekungen der vorderen Ränder und dadurch für ge- naue Messung geeignet waren. Die Bestimmungen sind an den oberen Endflächen gemacht. 4 Sagittaler Durchmesser. Gerade Säule Gebogene Säule a2 185 mm 20:5 mm lneı 2debr 30 cn 1.2 3l°5 38 5 Rechnet man dies um auf Indizes und setzt man dabei jedesmal die Dicke des Wirbels der geraden Säule gleich 100, so beträgt die der Wirbel der gebogenen Säule bei t. 2 113-9 IT 117-6 l.2 120-6 Das sieht ja allerdings so aus, als nehme der sagittale Durchmesser nach unten hin, also mit zunehmender Belastung, bei der gebogenen Säule zu; aber es sind hier auch die Breitenmaße zu berücksichtigen. Diese betragen für die gleichen Wirbel, ebenfalls an den oberen Endflächen gemessen, bei der | ur geraden Säule gebogenen Säule für 2. 2 26-0 mm 25:5 mm | 28 > 32 „ 1. 2 40-5 „, Alu, Hieraus ergeben sich die Indexzahlen, wenn man wieder die Maße der Wirbel der geraden Säule gleich 100 setzt, für die Wirbel der gebogenen Säule | 184 Hans VIRCHow: Das ist zwar nicht ganz genau das gleiche wie vorher, aber doch etwas Ähnliches insofern, als der Index bei {.2 der Zahl 100 näher steht und sich bei den unteren Wirbeln weiter davon entfernt. Damit tritt die Er- wägung auf, ob es sich nicht um einen von vornherein anderen Typus handle, bei welchem die unteren Wirbel kräftiger sind wie bei der ge- raden Säule, die oberen aber in den Maßen mehr übereinstimmen; und damit wäre in unsere Betrachtung ein neuer Faktor eingeführt, der doch "auch, jedenfalls als Möglichkeit, Beachtung verdient und die schon so schwierige und so wenig durchsichtige SraE der DR noch weiter kompliziert. ‘ Und damit wende ich mich an die Adresse der Anthr cn. w irbel- körper messen ist leicht, und wenn man die Maße der einzelnen Wirbel zusammenschreibt, so erhält man schöne Tabellen. Aber diese Tabellen haben so lange ‚keinen Wert, als sie nicht kritisch gesichtet sind. Es ist jedoch sehr schwierig zu wissen, welche verschiedenen Umstände jedes- mal auf die Maße Einfluß haben, wie viele solcher Umstände es gibt und wie stark ihre Einwirkung in jedem Falle ist. Das Schlimmste aber ist, daß wir es gar nicht in der Hand haben, diese Einsicht durch scharfes Nachdenken zu erzwingen, sondern wir dürfen nur hoffen, daß uns bei fortgesetzter Beschäftigung mit dem Gegenstande allmählich die einzelnen Umstände beifallen werden. Höhen der Zwischenwirbelscheiben. — Wirbelkörper und Zwischenwirbelscheiben bilden zusammen die Wirbelkörpersäule. Daher verlangt die vorausgehende Betrachtung zu ihrer Ergänzung eine solche der Höhen der Scheiben, welche an unseren Präparaten wiedergegeben sind durch die Abstände zwischen den Wirbelkörpern. Messungen von Zwischenwirbelscheiben sind nur von wenigen Ana- tomen gemacht worden, und diese wenigen haben immer nur wenige Fälle, meistens deren nur einen untersucht. Daher kommt es, daß über Art und Zuverlässigkeit von Messungen an Zwischenwirbelscheiben keine klaren, gesichteten Vorstellungen bestehen. Mit dieser kritischen Aufgabe werde ich mich im folgenden beschäftigen, da die von mir geübte, im voraus- gehenden beschriebene Methode die Möglichkeit einer klaren Einsicht in die in Betracht kommenden Verhältnisse bietet, welche ohne dieselbe nicht besteht. Fehlermöglichkeiten. — Es gibt bei meiner Methode zwei Mög- lichkeiten zu Fehlern oder doch kleinen Ungenauigkeiten: a) es kann vorkommen, daß die Lager für die einzelnen Knock nicht hinreichend scharf und umfassend sind; . KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 185 b) es kann sich ereignen, daß beim Zusammenstiften der Wirbel in der Form eine leichte Verschiebung durch Druck oder Schlag stattfindet. Solche kleinen Ungenauigkeiten sind zwar dann nicht störend, wenn man nur etwas über die Summe der Höhen aller Bandscheiben wissen will; denn wenn sich der Abstand eines Wirbels von dem einen Nachbarn vergrößert, so verkleinert er sich um ebensoviel von dem anderen. Die Fehler gleichen sich also vollkommen aus. Will man jedoch etwas Zu- verlässiges über die Höhen der einzelnen Zwischenwirbelscheiben wissen, so müssen Fehlermöglichkeiten ausgeschlossen werden, und das läßt sich auch in folgender Weise erreichen: nach dem Schaben, aber vor dem Formen, werden mittels des Drillbohrers durch jeden Wirbel zwei Boh- rungen in voneinander abweichenden Richtungen gemacht; dann, während die Wirbelsäule in dem Gips liegt und dieser bereits steif, aber noch nicht starr ist, werden die Bohrungen in die Form hinein fortgesetzt. Diese Bohrungen kann man dann benutzen, um nach dem Ausmazerieren die Knochen vollkommen sicher in ihrer Lage festzumachen. Nach dieser Verbesserung wird man sich hoffentlich um so mehr mit der Methode befreunden, wenn man sich von ihrer Unerläßlichkeit überzeugt hat. Die letztere zu erweisen ist meine nächste Aufgabe. An der frischen Säule lassen sich nur die vorderen Höhen der Zwischen- _ wirbelscheiben messen, aber nicht die hinteren, denn an diese kann man _ wegen der Bogen nicht herankommen; und auch die vorderen Höhen lassen sich nieht einwandfrei bestimmen aus zwei Gründen. Der eine derselben besteht darin, daß die Zwischenwirbelscheiben mit der Knochen- haut und mit dem vorderen gemeinsamen Längsband zusammenhängen, so daß es nicht möglich ist, die Grenzen so genau zu bestimmen, um auf Bruchteile von Millimetern messen zu können. Der zweite Grund läßt sich erst an den nach meiner Methode hergerichteten Präparaten mit völliger Klarheit erkennen, bzw. drängt sich erst dann mit solcher Deut- lichkeit hervor, daß man nicht an ihm vorbeikommen’ kann. Ich gebe in Fig. 7, um die Deutlichkeit noch zu steigern, die einander zugewendeten Abschnitte der Körper von t. 11 und t. 12 der geraden Säule in doppelter Vergrößerung. Die beiden schwarzen Marken zeigen die Stellen an, bis zu welehen an der Oberfläche die Zwischenwirbelscheibe reicht, und man wird nun sofort die schwierige Lage erkennen, in welcher sich derjenige befindet, der die vordere Höhe der Bandscheibe zu messen wünscht. Wären die Endflächen der Wirbelkörper eben und stießen dieselben mit der Mantelfläche in scharfen Kanten zusammen, so wäre über die Meßpunkte kein Zweifel. Aber beide Bedingungen sind nicht erfüllt: die Endflächen sind nicht eben, und der Übergang derselben in die Mantel- 186 Hans VIRCHOW: fläche vollzieht sich in sanfter Rundung. Daher ergeben sich für die Mes- sung zwei Möglichkeiten: entweder man mißt an der Oberfläche, also in unserem Falle zwischen den beiden schwarzen Marken (Fig. 7), oder man 'mißt etwas hinter der Oberfläche, dort, wo die Knochen sich am meisten annähern. In unserem Falle würde das eine Maß 7-5 mm und das andere 3mm betragen. Man sieht wohl ein, daß es sich bei der Entscheidung nur um Vereinbarung handeln kann. Am richtigsten, d.h. am meisten logisch würde es wohl sein, sowohl die eine wie die andere Höhe zu messen , und das Mittel zwischen beiden zu nehmen, also in unserem Falle 5,25 mm. Fig. 7. Zwischenraum zwischen den Körpern des 11. und 12. Brustwirbels der in Fig. 3 dargestellten Säule auf dem Medianschnitt, aufs Doppelte vergrößert. Die Schnitt- flächen sind mit einem Überzuge von Leim und Gips versehen, auf dem sich schreiben läßt. Die beiden schwarzen Marken bezeichnen die Grenze der Zwischenwirbel- ; scheibe an der Oberfläche. } Doch scheint mir, daß die folgende Erwägung den Ausschlag geben muß: wenn man, wie es ganz allgemein geschieht, zur Bestimmung der Höhen N a der Wirbelkörper die am weitesten nach oben bzw. nach unten vorsprin- senden Punkte der Knochen (der Epiphysenringe) wählt, so muß man auch dieselben Punkte zur Bestimmung der Höhen der Zwischenwirbel- F scheiben benutzen, denn sonst würde die Summe der Höhen der Wirbel- | körper und der Zwischenwirbelscheiben beträchtlicher sein als die Höke der ganzen Wirbelsäule. Nach diesem Verfahren sind daher auch die Maße in der gleich mitzuteilenden Tabelle gewonnen. - Nun über die hinteren Höhen. Wie schon bemerkt, ist an dieselben an der frischen Säule nicht heran- zukommen. Es gäbe dazu nur zwei Wege: entweder die Entfernung der Bogen und Zwischenbogenbänder, um von hinten her die Zwischenwirbel- scheiben zugänglich zu machen, oder die mediane Durchsägung der Säule. Beide Wege sind jedoch nieht gangbar. | KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. a) Sägt man die Bogen ab und ent- fernt damit die elastischen Zwischenbogen- 'bänder, so nimmt man eine Kraft fort, welche die Wirbelsäule nach hinten zieht. Ich benutze seit mehr als dreißig Jahren Pappschablonen, um die Veränderungen in der Gestalt der Wirbelsäule zu zeigen, welche eintreten, wenn man nacheinander die Bogen, das hintere gemeinsame Längs- band und das vordere gemeinsame Längs- band entfernt.* Von diesen benutze ich in Fig. 8 die beiden, welche die Gestalt der unbeeinflußten. Säule und diejenige nach Entfernung der Bogen zeigen. b) Durchsägt man eine frische Säule median, so treten, wie jeder Anatom weiß, auf der Schnittfläche die Kerne der Zwi- schenwirbelscheiben hervor. Damit ist ge- sagt, daß nun, indem die Kerne, von der -Umschließung, . befreit, die Wirbelkörper nicht mehr in gewohnter Weise auseinander- drängen können, die letzteren einander ge- nähert werden. Und es ist nicht einmal zu erwarten, daß dies vorn und hinten eleichmäßig geschieht, da die Faserringe vorn dicker sind als hinten. Es müßte jedenfalls, um über diesen Punkt und da- mit über die Formänderung der Säule ins Reine zu kommen, erst einmal eine sehr sorgfältige kritische Untersuchung statt- finden, an welche meines Wissens bisher noch niemand gedacht hat. Ich will, um zwei weitere falsche Wege zu verbauen, auf welche sich vielleicht ein Untersucher verirren könnte, noch folgen- des bemerken: a) Man darf nicht etwa, um das Vor- quellen der Kerne der Zwischenwirbel- 1 Erwähnt in Berl. klin. Wochenschr. 1907. Nr. 39 u. 40. Fig. 8. Vorderseite einer frischen Wirbelsäule, erst mit Bogen (m), dann ohne Bogen (0). Durch Die Vorderseite ist nach rechts gewendet. 187 ‚ 1 Grenze von Brustteil und Lendenteil. Entfernung der Bogen wird die Krümmung vergrößert. i Grenze von Halsteil und Brustteil 188 HANS VIRCHOw: scheiben zu verhüten, die frische Wirbelsäule vor dem medianen Durch- sägen mit einer Fixierungsflüssigkeit, beispielsweise Alkohol, behandeln. Dichte bindegewebige Formationen sind gegen Alkohol sehr empfindlich; sie schrumpfen selbst noch in solchem von 60°/,, wie man sehr deutlich beispielsweise an der fibrösen Lippe der Hüftgelenkspfanne sehen kann. Besteht nun gar ein Gebilde aus Bestandteilen verschiedener Dichtigkeit bzw. Quellbarkeit, wie es bei den Zwischenwirbelscheiben der Fall ist, so kann es sich ereignen, daß die gleiche Flüssigkeit auf den einen Bestandteil schrumpfend und auf den anderen quellend einwirkt und daß ein gar nicht mehr nachzurechnendes Gesamtergebnis entsteht. b) Noch verwerflicher ist es, die Gestalt und Krümmung der Wirbel- säule und die Dieken der Zwischenwirbelscheiben bestimmen zu wollen an median durchsägten ganzen Körpern, ein Verfahren, welches auch mehrfach angewendet worden ist. Denn hier haben wir nicht die Eigen- ° form der Wirbelsäule vor uns, sondern eine Beeinflussung derselben durch die Schwere, welche je nach der Lage, welche der Körper beim Fixieren hatte, nach Art und Richtung verschieden einwirkte. Man wird sich jetzt, wie ich hoffe, überzeugt haben, daß wir es mit einer sehr schwierigen und mit äußerster Kritik zu behandelnden Frage zu tun haben, wenn es darauf ankommt, die Höhen der Zwischenwirbel- scheiben zu bestimmen, und daß nur der von mir vorgeschlagene Wee zum Ziele führen kann. Ich gebe nun die Zahlen für die vorderen und hinteren Höhen der Scheiben der beiden von mir untersuchten Brustwirbelsäulen. Gerade Säule Gebogene Säule vordere | Mntsre | Diinens | Yraere | Hintere | Dimren Be: | mm mm mm mm‘; |- mm Er t.1/t.2 | 5 2 —3 3:5 3 —0-5 t. 2/t.3 2-7 2:8 0-1 2 3 1 1. 31.4 2 2 () 2-5 5 2.5 t. 4/t.5 1-5 2:2 0-7 1 2-5 1-5 1. 5/1. 6 1-5 2.2 0.7 0-5 3 2-5 2. 6/1. 7 2:8 2-7 —0.1 1-5 2 0-5 1. 1/t.8 2 2-7 0-7 3 2 21 t. 8/1. 9 3 3-5 0-5 3 3 0 t. 9/t. 10 4.5 4 0-5 3 3 0 t. 10/8. 11 4 5-3 \ 1.3 1-4 5 3-6 2 612 2-5 ne 6 8 2 Summen der Differenzen 0-7 12-1 KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 189 Die beiden Schlußzahlen entsprechen mehr, als es bei den Höhen der - Körper der Fall war (vgl. S. 181), den Erwartungen und stellen ein natür- licheres Gesamtergebnis her, wie die folgende Zusammenrechnung zeist. Summen der Differenzen. Gerade Säule Gebogene Säule Körper 11 7-5 Scheiben 0-7 12.1 Summe 11-7 19-6 Die Gesamtsumme für die hinteren Höhen ist also an der gebogenen Säule um 7,9 mm größer wie an der geraden. Daraus lernen wir jedoch wenig, oder im Grunde genommen nichts. - Es ist nämlich bei der Beurteilung dieser Zahlen zunächst etwas in Be- tracht zu ziehen, was man sich von Anfang an auf Grund der Unter- suchung der Knochen allein hätte sagen müssen: die Endflächen der Wirbelkörper und die Zwischenwirbelscheiben entsprechen einander wie Matrize und Ausguß; die einen sind genau das Negativ der anderen; daher muß jeder Erhebung einer Endfläche eine Erniedrigung der Band- ‚scheibe an dieser Stelle und jeder Einsenkung der Endfläche eine Er- - höhung der Zwischenwirbelscheibe entsprechen. Es wäre z. B. ganz falsch, _ wenn wir aus unserem Einzelfalle, denselben verallgemeinernd, schließen wollten, daß stärkere Biegung der Wirbelsäule auf Zunahme der hinteren - Höhen der Scheiben beruhe. Es wurde ja weiter oben mitgeteilt, daß in unserem Falle die verhältnismäßige Niedriskeit der Rückseiten der Wirbel- körper der gebogenen Säule auf medianen Einkerbungen der hinteren - Ränder beruhe; durch denselben Umstand müssen die Rückseiten der Zwischenwirbelscheiben verhältnismäßig hoch erscheinen. Die durch die „Ungenauigkeit der Ausführung‘ bedingten Übelstände fallen bei den Wirbeln, d.h bei den Knochen, nicht so sehr ins Gewicht; denn hier, wo man ein reichliches Material zur Verfügung hat, kann man entweder diejenigen Säulen, die mit offenkundisen Fehlern behaftet sind, von der Untersuchung ausschließen, oder man kann darauf rechnen, daß die Un- regelmäßiskeiten des einen Falles in den aus einem großen Material ge- _ wonnenen Mittelzahlen unschädlich werden. Über die Zwischenwirbel- scheiben aber wird man wegen der Schwierigkeit der Methode nur ein sehr beschränktes Material beschaffen können, und es ist entmutigend, wenn man sich dabei von vornherein sagen muß, daß die Verwertung desselben durch Fehlermöglichkeiten so sehr in Frage gestellt wird. Trotz- dem ist es besser, von Anfang an mit klarer Kritik an die Untersuchungen der Höhen der Zwischenwirbelscheiben, die wegen ihrer großen Wichtig- keit doch einmal gemacht werden müssen, heran zu gehen, anstatt sich 190 | Hans VIRCHoOw: einem blinden Vertrauen hinzugeben und Ergebnisse aufzuhäufen, welche zwar exakt erscheinen, weil sie sich in das Gewand der Zahlen kleiden, sich aber nachträglich doch als unzuverlässig erweisen. B. Beziehungen zwischen den Rippenpfannen und der Gestalt der Wirbelsäule. Der Gesichtspunkt für die nachfolgende Betrachtung wurde schon früher angegeben (vgl. 5.175). Ich wiederhole denselben hier. Wenn von zwei Wirbelsäulen die eine stärker gebogen ist wie die andere, so muB entweder die Stellung der Rippen gegeneinander oder die Stellung der Rippen gegen die Wirbelsäule verschieden sein. Diese Betrachtung kreuzt sich jedoch mit einer zweiten, welche ich deswegen auch, um Verwechs- lungen zu verhüten, vorführen will. Die zweite Betrachtung ist diese: auch bei ein und derselben Wirbel- säule muß, wenn der Träger derselben Bewegungen ausführt, die Stellung der Rippen entweder zueinander oder zu der Wirbelsäule geändert werden, wenn nicht zu beiden. Von Bewegungen der Brustwirbelsäule sprechen nun allerdings die Anatomen und Physiologen nicht gern oder gar nicht wegen der Erschwe- rung, welche dadurch das Problem der Thoraxmechanik (und Respiration) erfährt. Bezeichnend für diese Ablehnung ist eine Äußerung von Henke, welche ich schon bei anderer Gelegenheit angeführt habe!, die aber immer wieder angeführt werden muß und nicht oft genug angeführt werden kann. Henke sagt nämlich, ‚daß die Brustwirbelsäule so gut wie ganz un- biegsam“ sei.2 Noch wirksamer tritt dies in der folgenden Mitteilung hervor: Als ich auf der Versammlung der Anatomischen Gesellschaft in Leipzig 1911 über die sagittalen Bewegungen der menschlichen Wirbel- säule berichtet hatte (a. a. 0. 8.176), erzählte von Ebner, er sei als junger Mensch zu Henke gekommen und habe es übernommen, unter dessen Leitung über die Rippenbewegungen zu arbeiten; da habe Henke gesagt: „Nun wollen wir zuerst einmal eine eiserne Stange durch die Wirbelsäule stecken, um diese unbeweglich zu machen‘. Ich habe nichts gegen diese Henkesche Stange, d. h. ich habe nichts dagegen, daß man, um eine komplizierte Frage in ihre Teile zu zerlegen, erst einmal eine vereinfachende Annahme mache. Man darf jedoch nicht ' vergessen, daß diese Annahme eine Annahme war, und daß es sich in Wirklichkeit anders verhält. Und hier verhält es sich tatsächlich anders 1 Verhdl. d.anat.Ges. auf d.25. Vers. in Leipzig. 1911. S.186. u. Vortrag v. 1907. 2 Henke, Wilh., Handb. d. Anatomie u. Mechanik der Gelenke. Leipzig und Heidelberg. 1863. S. 76. ae pe VI en KRÜMMUNG UND RiPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 191 Man braucht noch gar nicht an Bewegungskünstler wie die Schlangen- ‚menschen oder Kautschukkünstler zu denken; man braucht sich nur den Fischer zu vergegenwärtigen, der seine Netze aufzieht, oder den Bauern aut dem Kartoffelacker, oder den Gärtner, der das Land umgräbt, oder den Rinekämpfer, oder den Feldgrauen, der im Schützengraben zusammen- sekauert ist oder hinter einer niederen Deckung Schutz sucht, oder tausend andere, um sich klar zu machen, daß der lebende Mensch seine Wirbel- säule, auch die Brustwirbelsäule, in der mannisfaltigsten Weise bewegt und dennoch dabei atmet. Ja, es ist den Ärzten bekannt, daß ein Kranker, der an einer Stelle des Thorax Schmerzen empfindet, ganz von selber diesen Abschnitt ruhigstellt und mit dem übrigen. Teil des Brustkorbes - Atembewegungen ausführt; und es ist den Gesangstechnikern bekannt, daß es verschiedene und verschieden wirksame Respirationstypen gibt, bei welchen bald mehr der obere, bald mehr der untere Abschnitt des Brustkorbes in Betrieb gesetzt wird. Ich habe an der Wirbelsäule, welche dem oben erwähnten Leipziger Vortrage zugrunde lag, die Erfahrung gemacht, daß, wenn man die sagit- tale Biegsamkeit an den einzelnen Wirbelverbindungen bestimmt, und zwar nicht so, daß man einen Wirbel festhält und den nächsten gegen ihn bewegt, sondern so, daß man die Säule im ganzen biest und innerhalb - dieser Gesamtbiegung dann die Einzelbeträge feststellt, daß dann auf die - einzelne Halswirbelverbindung (von extremer Ventralflexion bis zu extremer Dorsalflexion) im Durchschnitt 22-2°, auf die einzelne Brus;wirbelverbin- dung 9-1° und auf die einzelne Lendenwirbelverbindung 13-9° kommen. Teilen wir, um eine anschaulichere Vorstellung von dem Verhältnis dieser Zahlen zueinander zu bekommen, jede derselben durch 9, so stellt sich die Biessamkeit. der Brustwirbelsäule zu der der Lendenwirbelsäule und zu der der Halswirbelsäule wie 1:1-5:2-5. Da kann man doch nicht davon sprechen, daß die Biegsamkeit des Brustteiles gegenüber der der anderen Abschnitte zu vernachlässigen sei. Auch die seitliche Biegsamkeit der Brustwirbelsäule ist nicht gering, _ wovon man sich ja am eigenen Körper jederzeit leicht überzeugen kann. Dazu kommt. als eine spezielle Bewegungsmöglichkeit gerade des Brust- abschnittes die Drehfähigkeit Vergegenwärtist man sich diese reichen Erfahrungen der Anatomie und des täglichen Lebens, so ist Klar, daß das vereinfachte Schema der Thoraxmechanik, wie es von Anatomen und Physiologen gelehrt wird, in Wahrheit gar nicht bestehen kann, sondern daß Einrichtungen vor- handen sein müssen, um die Erhaltung und Verwendbarkeit des Thorax bei wechselnden Haltungen der Wirbelsäule zu sichern. 192 Hans VIRCHOw: Solche findet man auch, wenn man die Vorderseite des Brustkorbes und die vorderen Enden der Rippen zunächst ins Auge faßt, in Fülle: die Kürze und freie Endigang der beiden letzten Rippen, die Beschränkung der Verbindung mit dem Brustbein auf die sieben ersten Rippen, die ver- schiedene Länge der Rippenknorpel, die Beschränkung der gelenklosen Verbindung des Knorpels mit dem Sternum auf die erste Rippe, die Fuge im Brustbein. Alle diese Einrichtungen zusammen erweisen, daß der Mechanismus in dem oberen Abschnitte des Thorax ein strengerer ist wie in dem unteren, und daß insbesondere der ersten Rippe eine führende Rolle zu- kommt, was sich ja auch in den Vorstellungen der Praktiker festgesetzt hat. Von diesen Dingen wili ich indessen nicht sprechen; ich führe sie nur an, um den Leser der Erwäzrung geneigt zu machen, daß doch wohl auch an den hinteren Enden der Rippen, an den Verbindungen derselben mi: der Wirbelsäule Einriehtungen vorhanden sein mögen, welche dem gleichen Zwecke dienen, ein Weiterfunktionieren des Thorax bei gleichzeitigen Be- wegungen der Wirbelsäule zu ermöglichen, und daß dabei am unteren Abschnitt des Thorax eine größere Freiheit und am oberen eine größere Beschränkung herrschen wird. Von Unterschieden in den Verbindungen der Rippen mit der Wirbel- säule sind zwei bekannt: a) daß die 1., 11. und 12. Rippe sich nur mit je einem WER und nicht wie die übrigen Rippen mit deren zwei verbinden; b) dab die 12. Rippe und sehr häufig auch die 11. keine Gele verbindung mit dem Querfortsatz, sondern nur eine solche mit dem Körper haben. Die mechanische Bedeutung der zweiten dieser Einrichtungen ist leicht verständlich; es wird dadurch die Freiheit der Bewegungen ver- größert. Der mechanische Wert der ersten der beiden Einriehtungen ist dagegen nicht so unmittelbar einleuchtend und ist mir auch bis jetzt nicht klar; vorhanden ist er aber ohne Frage, und es ist dabei besonders zu betonen, daß diese Einrichtung am Anfange und am Ende der Reihe besteht, obwohl doch die erste Rippe die strengste und die beiden letzten die freieste Mechanik haben. Es muß aber doch noch feinere Unterschiede zwischen den einzelnen Rippenpfannen geben. Solche bestehen allerdings nicht an den Piannen, welche sich an den Wirbelkörpern befinden (Foveae costales corporum vertebralium), wohl aber an denen an den Querfortsätzen (Foveae costales processum transversariorum). Allerdings sind an diesen Pfannen gerade = BI SE Da BEEHEBER die ‚Fehler der Ausführung‘‘ besonders häufig, was wohl auch die Er- kenntnis der betreffenden Verhältnisse erschwert hat; ja es mag sein, KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE. 193 daß manche Beobachter überhaupt alle Unterschiede auf solche ‚‚Fehler‘“ geschoben haben. Wenn man jedoch häufig Wirbelsäulen betrachtet, be- sonders jugendliche, wenn man ernsthaft darauf aus ist, Unterschiede zu finden, und wenn man auch Säugetiere, bei welchen die Formen schärfer und die Unterschiede stärker sind, in Betracht zieht, so tritt doch mit der Zeit eine Klärung ein. Die Unterschiede beziehen sich auf die Krümmung der Oberfläche, auf Größe und auf Neigung zum Horizont. a) Oberfläche. — Die zylindrische Gestalt, welche von der Theorie sefordert wird, findet sich nur an den oberen Wirbeln, und zwar an deren dreien. Sie ist zwar auch nicht streng zylindrisch, indem die Flächen sowohl in senkrechter wie in horizontaler Richtung konkav sind; aber es besteht doch eine starke Annäherung an die_ Zylinderform, indem der vordere (mediale) und hintere (laterale) Rand ausgeschnitten sind, der - obere und untere Rand überstehen. Die Pfanne am 4. Wirbel ist kugelig, dabei flach. Nach unten -hin nimmt die Flachheit zu; an den unteren _ Wirbeln sind die Flächen eben. Hierin präst sich eine größere Strenge des Mechanismus an den oberen Wirbeln, eine größere Freiheit an den x er unteren aus. b) Größe. — Der senkrechte (kranio-kaudale) Durchmesser ist ge- ringer an dem ersten Wirbel, erheblich größer an dem zweiten und den _ folgenden; an den letzten nimmt er wieder ab. — Auffallend ist dabei ah >72 besonders die geringe Größe beim ersten Wirbel, wofür ich keine Er- klärung weiß. Bei vierfüßigen Säugetieren ist es anders; hier ist die erste - Pfanne mindestens ebenso groß wie die zweite, meist aber größer, was ja auch der Vorstellung besser entspricht, daß die erste Rippe in der - Thoraxmechanik eine führende Rolle spielt. e) Neigung. — Es kommt hier die Neigung gegen den Horizont in Betracht. An den ersten Wirbeln stehen die Gelenkflächen senkrecht, seitwärts (und dabei ein kleines wenig ventralwärts) gewendet. Von dem 4. oder 5. Wirbel an stellt sich bereits eine leichte Neigung der Gelenk- fläche ein, indem diese etwas kranialwärts schaut; an den unteren Wirbeln nimmt diese Neigung zu. An meiner geraden Säule sind die beschriebenen Merkmale sehr klar ausgeprägt. Ich habe deshalb von dieser den 1., 2., 6 und 10. Wirbel in der Fig. 9 vereinigt. Die genannten Merkmale sind mir seit langem be- kannt; ich habe sie aber bisher nicht mitgeteilt, weil ich sie immer von neuem nachprüfen wollte und weil ich keine Veranlassung zu einer Mit- teilung hatte. Hier aber, wo es darauf ankam, Unterschiede zwischen Archivf. A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtilg. 13 “ 194 - Hans VIRCHoWw: der geraden und der gebogenen Säule festzustellen, mußten auch die Rippenpfannen besprochen werden. Unterschiede zwischen den Rippenpfannen "a seraden und der gebogenen Säule. — Solche fanden sich mit Rücksicht auf die Neigung zum Horizont. Allerdings nicht an den ersten drei Wirbeln. Am 4. Wirbel dagegen ist bei der geraden Säule die Pfanne bereits schwach kranial- wärts gewendet, was bei der gebogenen Säule noch nicht der Fall ist. Bei £.5 ist die Fläche auch an der gebogenen Säule leicht kranialwärts gewendet, an der geraden aber ist sie es mehr; und dieser Unterschied erhält sich nun bei allen folgenden Wirbeln. Ich habe, um dies zur Anschauung zu bringen, an den wiedergegeben sind, auf der rechten und linken Seite Nadeln anbringen lassen, welche die Neigung der Flächen zum Horizont wiedergeben. Durch diese läßt sich auch der Winkel ermitteln, welchen bel der geraden Säule 87°, für den der gebogenen Säule D0°. genau das, was man auch deduktiv er- warten muß unter der Voraussetzung, Fig. 9. Säule die Rippen nicht sklavisch der Rippenpfannen des 1.,2., 6. und 10. [etzteren folgen; sondern eine gewisse Un- Wirbels der in Fig. 3 dargestellten a IE | N abhängigkeit ihr gegenüber bewahren. daß bei der Zunahme der Biegung der beiden 10. Wirbeln, welche in Fie. 10 die rechte und linke Fläche miteinander bilden. Derselbe beträgt für den 10. Wir- Dieser empirisch gefundene Unter- schied zwischen den beiden Säulen ist Obwohl diese Übereinstimmung zwischen dem tatsächlich Gefundenen und dem theoretisch zu Erwartenden für die Richtigkeit des Befundes spricht, so mag man doch den letzteren, da er sich auf nur je eine Wirbelsäule stützt, ruhig für noch nicht hinreichend begründet halten und weitere Bestätigung verlangen. Die Berechtigung dieser Forderung gebe ich zu; ich möchte aber doch hier zum Schluß noch ey av KRÜMMUNG UND RIPPENPFANNEN DER BRUSTWIRBELSÄULE.- 195 zwei Betrachtungen anreihen, welche aus dem Vorhergehenden sich ergeben und auf alle Fälle Beachtung beanspruchen. Die eine bezieht sich auf die gestaltenden Kräfte des Brustkorbes, die andere auf die anthropo- logische Untersuchung der Wirbel. Fig. 10. Zehnte Brustwirbel der in den Figg. 3 und 4 dargestellten Säulen von hinten mit auf die Querfortsatzpfannen aufgeklebten Nadeln zur Bezeichnung der Neigung der letzteren gegen den Horizont, der Wirbel der geraden Säule oben, der der ge- bogenen unten. a) Wenn es richtig ist, wie es nach dem Vorausgehenden scheint, daß an der gebogenen Wirbelsäule die Stellung der Querfortsatzpfannen eine andere ist wie an der geraden Säule, und wenn, wie ich weiter oben als wahrscheinlich hingestellt habe, die jugendliche Wirbelsäule eine mehr gerade Gestalt hat und die gebogene aus ihr durch den Einfluß der Be- lastung hervorgeht, so heißt das, daß gleichzeitig mit der Änderung der Gestalt der Wirbelsäule auch eine solche der Querfortsatzpfannen durch ge Form beeinflußt wird. Wenn man sich nun fragt, was den Rippen die Fähigkeit, die Kraft verleiht, sich nicht nur der veränderten Gestalt der Wirbelsäule gegenüber mit einer gewissen Unabhängigkeit in ihrer Lage 4 zu behaupten, sondern auch ihrerseits umformend auf die Wirbel einzu- wirken, so können es nicht allein die ventralen Verbindungen der Rippen sein, denn die Rippen der unteren Thoraxhälfte, die ja hier in Betrackt 5 kommen, sind mit langen und gebogenen Knorpeln versehen und von der 8. an. gar nicht auf das Sternum gestützt. Es müssen vielmehr andere * Einflüsse sein, welche den Rippen in ihrem Kampfe um Behauptung ihrer Lage und Form zu Hilfe kommen: Eingeweide, Zwerchiell und Muskeln der Rumpfwand. Hier greife ich nun zurück auf früher Gesagtes. ° Ich habe, als ich die nach Form aufgestellten Rumpiskelette Skoliotiscker besprach, darauf hingewiesen, mit wie großer Beharrlichkeit, trotz enormer Verkrümmung der Wirbelsäule, die Rippen bestrebt und befähist sind, die ihnen zukommende Lage festzuhalten (a. a. 0. S. 272). E b) Die zweite Bemerkung betrifft die anthropologische Unter- suchung der Wirbelsäule. Sollte es dahin kommen, daß die Anthropologie sich bei der Untersuchung der Wirbelsäule auch um die genaueren Merk- x male der Rippenpfannen bekümmert, was ja bis jetzt nicht der Fall ist, so könnte es sich ereignen, daß man bei der Untersuchung einzelner” Rassenwirbelsäulen eine bestimmte Neigung der Rippenpfannen gegen den Horizont für charakteristisch hält. In diesem Falle möge man sich erinnern, daß diese Neigung abhängig ist von der Krümmung der Wirbel- säule, und daß man über diese Krümmung nichts Bestimmtes wissen kann, wenn man nicht Wirbelsäulen nach der Art der in dieser Arbeit besprochenen zur Verfügung hat, d.h. Wirbelsäulen, welche nach Form aufgestellt sind. 1 „Über drei nach Form zusammengesetete skoliotische Rümpfe‘“. Zeitschr. | 7. orthopäd. Chirurgie. Bd. 29. S. 263— 2%. Der absolute Größeneindruck beim Sehen der irdischen Gegenstände und der Gestirne. Von Wilh. Filehne. | Die im folgenden zu besprechenden Beobachtungen wurden auch bei Naheversuchen unter Vermeidung von Akkommodation (für die Nähe) und _ von Konvergenz der Sehachsen angestellt, da diese beiden Aktionen ver- ‚kleinernd auf einen bestehenden Größeneindruck wirken. Und weil es mir um die Untersuchung eben dieses Größeneindrucks in seiner Ur- "sprünglichkeit zu tun war, so schloß ich die modifizierenden Einflüsse aus. Gleichviel, ob diese Einflüsse mittelbar, z. B. etwa bei der Akkom- _ modation durch Beseitigung von Zerstreuungskreisen usw., oder unmittel- bar durch die Innervation als solche stattfinden — so interessant die _ Zergliederung dieser Vorgänge auch an sich sein würde —, handelt es sich hierbei doch nur um Neben- und Unterfragen. Wenn jene Einflüsse ver- hütet werden sollten, durften wir die Betrachtung der Objekte auch nur mit einem Auge vornehmen lassen. An und für sich würde sonst das zweiäugig-stereoskopische Sehen wegen der besseren Wahrnehmung der Entfernung uns erwünscht sein. Aber auch bei einäugigem Sehen wird — unter voller Benutzung aller Erfahrungsmotive und unter Bewegungen des Auges, die ausreichende parallaktische Verschiebungen veranlaßt, und zumal durch seitliche Bewegungen des Kopfes usw. — die Entfernung ‚genügend erkannt. I. Absoluter Größen- und Entfernungseindruck. Um optisch einen relativen Größeneindruck zu gewinnen, um bei- spielsweise zu erkennen, daß das Ganze größer als seine Teile, ist der Besitz des räumlichen Sehens nicht erforderlich. Dagegen kann der Eindruck einer absoluten Größe, nach Zahlen z. B. des Metermaßes, 198 WILH. FILEHNE: erst entstehen, wenn das räumliche Sehen bis zu einem gewissen Grade sich entwickelt hat. Der Betreffiende muß aus Erfahrung wissen, wie grob beispielsweise 25 em in den verschiedenen Entfernungen optisch erscheinen. Ein blind geborener Erwachsener hat diese Länge zwar sehr wohl im Bewußtsein: er vermag auf einer Tischkante von der Ecke ab recht genau abzugreifen oder durch Ausspannen der Hand anzugeben, wie lang 25 cm sind. Erhält er aber durch eine Operation das Sehvermögen, so hat er in den ersten Tagen und Wochen wohl relative Größeneindrücke, nicht aber erkennt er an einem Zentimetermaße, daß 25 cm gleich seiner Hand- spanne sind, wenn nicht mit dem Maße seine Handspanne gemessen wird. Ja, wenn ihm zwei Stäbchen von 25cm Länge in sonst gleicher Lage, das eine aber in 35 cm, das andere in 70 cm Entfernung vorgezeigt werden, hält er das erstere für doppelt so lang wie das andere. Sobald aber sich bei ihm — oder dem normal sehenden Kinde — das räumliche Sehen entwickelt hat, sobald in der Tiefendimension gelegene Strecken, d.h. Entfernungen, gesehen werden, wird für die ge- nannten Fälle und überhaupt für die nächste Umgebung ein absoluter Größeneindruck, und zwar ein „richtiger“ gewonnen, der jetzt überein- stimmt mit dem durch Abtasten und Messen erhaltenen. Meist wird das Zustandekommen dieses richtigen absoluten Größen- eindrucks so dargestellt: aus der wahrgenommenen Entfernung des 7 Gegenstandes und aus der Größe des Gesichtswinkels, unter dem der Gegenstand gesehen wird, bzw. aus der Größe des Objektbildes auf der Netzhaut, entstehe zwangsmäßig auf Grund der Erfahrung der Eindruck seiner wirklichen Größe. Aber nicht Gesichtswinkel werden empfunden - oder wahrgenommen. Auch die Größe des Objektbildes in uns auf der Netzhaut wird nicht empfunden und nicht wahrgenommen, sondern das 4 Objekt mit seiner Umgebung draußen wird wahrgenommen. Und ebenso steht aut größer als 50” abbildet, so müssen wir von ihm einen absoluten, d.h. im Metermaß ausdrück- baren, sei es richtigen, sei es zu kleinen Größeneindruck haben. Und daher muß z. B. der aufgehende Vollmond, dessen Netzhautbildchen einen Durchmesser von etwa 31’ hat, auf uns schlechterdings einen absoluten Größeneindruck machen. Und das gleiche gilt für den Mond, gleichviel an welcher Stelle er am Himmel steht, da er stets unter einem Gesichts- winkel von etwa 31’ gesehen wird und da wir ihn am „Himmel“ in einer bestimmten, aber je nach der Himmelsstelle wechselnden Entfernung wahrnehmen. In der Tat ist im naiven natürlichen Publikum von jeher z. B. gesagt worden: hoch am Himmel hat der Vollmond die Größe eines Kompotttellers, in der Mitte des Himmelsquadranten die eines Dessert- tellers und nahe am Horizont ist er noch größer als ein großer Teller. Von wissenschaftlicher Seite wurde ein solcher absoluter Größeneindruck abgelehnt, z. B. etwa mit folgender Kritik: da könnte man ebensogut statt „groß wie ein Teller‘ sagen: ‚‚wie ein Mühlrad“, es komme eben darauf an, aus welcher Entfernung man Teller und Mühlrad betrachte. Aus dem weiter oben ausgeführten geht hervor, daß diese Ablehnung und Kritik irrig ist: freilich erscheinen Teller und Mühlrad aus gewissen — nicht ‚mittleren‘, sondern größeren — Entfernungen, d. h. wenn sie sich jenseits des kritischen Punktes befinden, verkleinert, und es läßt sich leicht für den Teller eine Entfernung jenseits jenes Punktes angeben, in der er ebenso klein oder groß aussieht, wie ein Mühlrad in einer anderen — und selbstverständlich größeren — Entfernung, wo dann aber N wu + ÄABSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 201 auch das Mühlrad jenseits des kritischen Punktes liegt. Aber wenn man vom Eindruck ‚‚Tellergröße“ oder „Mühlradgröße“ spricht, meint man den Größeneindruck an Teller und Mühlrad diesseits des kritischen Punktes. Und hier macht es keinen Unterschied, an welchem Punkte zwischen Auge und kritischem Punkte das Objekt sich befindet, sofern es nur so weit vom Auge entfernt ist, daß ein Überblick ermöglicht ist. Aber ein Teller in 35 em Entfernung sieht keineswegs doppelt so groß aus wie aus 70 cm, sondern ebenso groß, denn das Entiernungsmoment “und die unterschiedliche Sehwinkelgröße werden unmittelbar zwangsmäßig so verschmolzen, daß der Teller unter halbem Sehwinkel, aber aus doppelter Entfernung gesehen, genau denselben absoluten Größeneindruck macht, _ wie unter vollem Sehwinkel, aber aus einfacher Entfernung gesehen. Jedoch gilt dies nur so lange, als das Objekt, hier der Teller, diesseits des kritischen Punktes sich befindet. Jenseits des kritischen Punktes liefert das Objekt einen mehr und mehr sich verringernden absoluten "Größeneindruck nach dem bereits besprochenen Modus (annähernd pro- portional der Entfernung). Wir haben erkannt, daß am Monde ein absoluter Größeneindruck gewonnen werden muß, und haben festgestellt, daß er von unbefangenen Erwachsenen tatsächlich von jeher gewonnen oder doch angegeben wird. - Um hierin eine etwas schärfere Prüfung anzustellen, verfahre man wie - folgt. Zu einer Zeit, wann der Vollmond in der scheinbaren Mitte des Himmelsquadranten zu sehen ist (er ist dann bekanntlich nur etwa 23° über dem Horizonte), lege man einen Satz kreisrunder (zylindrischer) weißer Papierscheiben mit Durehmessern von 1 mm, 1 cm, 5 em, 20 cm, 50 und 75cm beliebigen sehenden Erwachsenen mit der Aufforderung vor, die- jenige auszuwählen, die ihrer Auffassung zufolge am meisten der Größe des Vollmondbildes entspricht. Mag der eine oder andere gegen eine solche Ausmessungsmethode der Mondgröße Protest erheben — auch dieser und alle anderen wählen ohne eine einzige Ausnahme die 20-cm-Scheibe, _ während sie die kleineren Scheiben für viel zu klein, die größeren für zu groß erklären. Ich legte dann Scheiben von 16cm, 16-5, 17 us. bis 24 cm Durchmesser, also mit Unterschieden von je 0-5 em, zur genaueren „Bestimmung“ vor. Die Angaben schwankten zwischen 19 und 21 cm. Wir dürfen also als annähernden Eindruck den Wert 20 em nehmen. Diese Vergleichsscheiben wurden in einer Entfernung von 3m in guter Beleuchtung gezeigt, und zwar in einer Stellung, die der unmittelbaren Vergleichung mit dem Vollmonde möglichst günstig war. Ich nehme vor- weg, daß der kritische Punkt für eine 16-cem-Scheibe 18-3m vom Auge entfernt liest, für 20 cm 22-5 m usw., so daß also die Scheiben dies- 202 WILH. FILEHNE: seits des kritischen Punktes in ihrer wirklichen Größe gesehen wurden und — einäugig — ohne Akkommodation betrachtet werden konnten. Für den hoch (40° Zenitdistanz) stehenden Vollmond erhielt ich auf diese Weise einen Durchmesser von 10 bis 12 em, für den tief stehenden manch- mal 40, meist 35 cm. Der Gedanke, die scheinbare Größe der Gestime durch Vergleiche mit weißen Karton- oder Papierscheiben zu bestimmen, ist nicht neu. Eug. Reimann? hat solche im Jahre 1894 an der Sonne, sowohl um 12 Uhr mittags als bei ihren Untergängen, angestellt. Er benutzte hierzu zwei Scheiben aus weißem Karton. Die eine hatte — rein zufällig — einen Durchmesser von 34 cm; diese bewährte sich — begreiflicherweise — für den Sonnenuntergang. Die andere wurde für die Mittagssonne halb so groß — 17cm — gewählt. Mittags wurde die Sonne durch ein Blendglas betrachtet. Die Beobachter traten von der Vergleichsscheibe so weit zurück, bis diese an Größe der Sonne gleich erschien. Aus der Größe des Abstandes von der Scheibe wurde die scheinbare Größe der Scheibe berechnet. Reimann konnte ja von der Existenz eines kritischen Punktes noch niehts wissen. Und da er für den Sonnenuntergang rein zufällig die richtige Scheibengröße zur Hand hatte, so stimmt selbst- verständlich die Größe bei Abständen von 9 bis 13m mit dem überein, was wir auf Grund-unserer Kenntnis vom kritischen Punkte am Monde, der fast dieselbe Bogengröße wie die Sonne hat, ermittelt haben. Dagegen war die 17-cm-Scheibe, die für die Mittagssonne benutzt wurde, für Colberg und Hochsommer, d.h. für 55° über dem Horizonte, zu groß. Nach meinen Versuchen liest ihr kritischer Punkt bei etwa 20m. Da diese Scheibe zu groß wär, mußte sie über den kritischen Punkt binaus- seführt werden und erschien also verkleinert. Außerdem zwang die Hellig- keit der Mittagssonne zur Anwendung von Rauchglas, was alles die dort gewonnenen Abstandszahlen nicht ohne weiteres für uns benutzbar macht. Immerhin stimmen Reimanns Zahlen mit seinen übrigen Versuchsergeb- nissen für seine damaligen Zwecke zenügend überein, für unsere jetzige Fragestellung sind sie aber nicht verwendbar. Aber die Priorität des Vorgehens sei Reimann gewahrt. ee Unsere Zahlen, z. B. 20 em Durchmesser für den Vollmond in schein- barer Mitte des Himmelsquadranten und 35 cm für den tief stehenden, 1 Programm des Kgl. Gymnasiums zw Hirschberg i. Schl. 1901. S. 26. 3 ABSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 203 bilden eine Bestätigung der vor 8 Jahren gemachten beiläufigen Schätzung, die v. Kries! mitteilte. Seine Worte sind: „Auch bei dem viel umstrittenen Problem über die scheinbare Größe der Himmelskörper sind, wie ich glaube, diese Verhältnisse bisher nicht genügend gewürdigt worden. Mir erscheint als vorzugsweise merkwürdig und als der notwendige Ausgangspunkt aller speziellen Erklärungsversuche die Tatsache, daß die Himmelskörper, ich weiß nicht, ob von allen, aber jedenfalls von sehr vielen Personen in einer ganz bestimmten absoluten Größe wahrgenommen werden, und zwar in einer solchen, die zu ihrer Winkelgröße und zu der Entfernung, in der sie gesehen werden, in einem auffälligen Mißverhältnis steht. Mir z. B. (und viele Personen haben mir ähnliches bestätigt) gibt die Scheibe des Vollmondes in durchaus zwingender Weise einen Eindruck, den ich, so sehr ich mir der Unsinnigkeit einer solchen Schätzung bewußt bin, sehr wohl als absolute Größe angeben kann. Ich kann sie auf etwa 20 cm taxieren, wenn der Mond hoch am Himmel steht, während sie bis auf 30 bis 35 em wächst, wenn er über dem Horizonte aufgeht. Um bei dieser absoluten Größe unter dem Winkel zu erscheinen, in dem wir den Mond tatsächlich sehen, müßte ein Gegen- stand in der Entfernung von 25m sich befinden. Dem entspricht aber der wirkliche Entfernungseindruck in keiner Weise. Steht der Mond’ so, daß die Gleichheit seiner Winkelgröße mit der irgendeines irdischen Objektes unmittelbar anschaulich ist (z. B. wenn er mit seiner oberen Hälfte gerade einen Kamin überragt), so kommt jener Größeneindruck wohl ins Wanken. Sobald es aber an einem so unmittelbaren Vergleiche fehlt, ist er zwingend gegeben. Diese absoluten Größeneindrücke sind es nun»doch wohl, die auch den Gegenstand der viel umstrittenen Täuschung bilden. Und es wird, wie mir scheint, nicht möglich sein, zu einer sicheren Erklärung zu gelangen, ehe wir darüber ins Klare gekommen sind, wie es eigentlich zugeht, daß ein absoluter Größeneindruck, und zwar in solcher Diskrepanz mit dem Entfernungseindruck zustande kommt.“ Auf Grund der Erkenntnis von der Entstehung eines absoluten Größen- eindrucks sind wir nun sehr wohl in der Lage, Klarheit darüber zu schaffen, wie es zugeht, daß am Monde ein absoluter Größeneindruck, und zwar in jener vermeintlichen Diskrepanz mit dem Entfernungseindruck, zustande kommt. Wenn wir am Meeresstrande so stehen, daß wir einen Horizontradius von 5km vor uns haben, und sichten am Horizonte einen rechtwinklig 1 Handbuch der Physiol. Optik von H.v. Helmholtz. Dritte Aufl. Bd. III. 1910. 8. 492 u. 493. 204 WırH. FILEHNE: zu unserer Blickrichtung fahrenden Dampfer, dessen Länge von uns unter 31’ gesehen wird, so wissen wir — nehmen es optisch aber nicht wahr —, dab seine objektive Länge gleich etwa 45 m ist. (Trigonometrisch berechnet sich diese =2x5xtg31’/2 km.) Wir sehen aber seine Länge wegen der eroßen Entfernung stark — um mehr als das Hundertfache — verkleinert: das Schiff erscheint fast wie ein Spielzeug. Nach der oben besprochenen Methode können wir diese scheinbare Länge messen. Mit einem 50-cm- Maße, das wir in einer bequemen Entfernung diesseits des kritischen Punktes, der über 30 m vom Auge entfernt liegt, in der Hand halten, finden wir diese Größe durch Vergleichung als 35 cm. Jetzt gehe am Horizonte der Vollmond auf, dessen Durchmesser ebenfalls unter (etwa) 31’ gesehen wird. Also sehen wir auch diesen in der scheinbaren Länge von 35 cm, was die Messung bestätigt. Für den Dampfer, den wir in einer scheinbaren Länge von 35 cm sehen, müßten wir mit v. Kries sagen: ‚‚Um bei dieser Größe von 35 em. unter dem Winkel von 31’ zu erscheinen, müßte ein Gegenstand in der Entfernung von 38-8 m (diesen Wert ergibt die Rechnung) sich befinden. Dem entspricht aber der wirkliche Entfernungseindruck in keiner Weise.“ Dann hätten wir ja die Diskrepanz auch für die entfernteren irdischen Gegenstände. Denn in 38-8 m Entfernung sehen wir den Dampfer, der 5km entfernt am Horizont fährt, ganz sicherlich nicht. _ Und so hätte der Mond vor irdischen Objekten nichts Besonderes mehr voraus. Wenn wir so bezüglich des Dampfers schlössen, würde der Fehlschluß darin liegen, daß einerseits der „wirkliche Entfernungseindruck“, d.h. die scheinbare Entfernung, andererseits die objektive Größe von 35 cm in Beziehung gesetzt werden, denn es heißt: ‚um bei dieser Größe von 3 cm“ statt: bei diesem Größeneindrucke. Wollen wir für den Dampfer die Sache richtig ausdrücken, so müssen wir sagen: damit ein unter einem Winkel von 31’ gesehener Gegenstand den Größeneindruck von 35cm mache, darf er beliebig verschiedene objektive Größe, von 35 em aufwärts, haben, wobei einer jeden objektiven Größe eine besondere von ihr abhängig variable Entfernung zugehört. Bei einer wirklichen Gegenstandsgröße von 35cm — die der Dampfer ja nicht besitzt — muß der unter 31’ gesehene Gegenstand sich in nicht mehr als 38-8 m Entfernung befinden, um den Größeneindruck von 35 cm, also jetzt den „richtigen“ Größeneindruck zu machen. Das ist eben die Entfernung des kritischen Punktes. Dann — aber nur dann — ist die scheinbare Größe, d.i. der absolute Größeneindruck, genau gleich der objektiven Größe. Der Gegenstand kann aber beispielsweise — statt 55cm — 45m lang sein und muß dann in 5km Entfernung gesehen sein — und dies ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 205 ist der Fall unseres Dampfers; er könnte aber auch jede beliebige, zwischen 35 cm und 45m gelegene Länge — oder auch eine Länge von wesentlich mehr als 45m haben; dann entspricht jeder dieser Längen eine leicht ausrechenbare Entfernung.. Und gleichviel welche objektive Länge der unter 31’ gesehene Gegenstand hätte und welche Entfernung dieser Länge zugehörig ist, macht der ee überall den optischen Größen- eindruck von 35cm. ' Für den Mond gilt nme, dasselbe. Aus der unendlich großen Zahl von Möglichkeiten seien nur drei herausgegriffen: rein logisch ge- nommen könnte der Mond, wenn wir von unserer sonstigen optischen Erfahrung und unserem Wissen absehen — analog jenem Dampfer — erstens ein Gegenstand von objektiv 35 cm Dürchmesser sein; dann müßte er in 38-8m Entfernung liegen. Kann er aber in 38-8 m Entfernung nach unserer sonstigen Erfahrung usw. nicht liegen, dann ist sein Durch- messer eben objektiv größer als 35cm. An und für sich könnte der Mond zweitens einen Durchmesser von 45 m haben; dann würde er 5 km von uns entfernt liegen. Dem widerspricht unsere optische Erfahrung nicht. Drittens könnte der Mond einen Durchmesser von 3470 km haben; dann muß er sich in 384400 km Entfernung befinden. Auch dies steht mit unserer sonstigen optischen Erfahrung, steht aber auch mit unserem auf ausgebildeter optischer Erfahrung beruhenden Wissen in Überein- stimmung. In welcher Entfernung auch immer der Mond stehen und welchen zugehörigen Durchmesser er auch haben möge — solange er am Horizonte, d.h. tiefstehend unter 31’ gesehen wird, würde er überall den Größeneindruck von 35 cm Durchmesser machen. Aber nur, wenn er tief steht. Von einer „Diskrepanz“ zwischen absolutem Größen- und Entfernungseindrucke kann also nunmehr, d.h. nachdem wir uns über cie Bedeutung des kritischen Punktes (für kleinere und mittlere Gegen- stände) und das Wesen des absoluten „‚Größeneindrucks‘“ klarer geworden sind, nicht gesprochen werden — weder in bezug auf den Dampier, noch einen irdischen Ballon, noch den Mond. Was das anbetrifft, daß man gelegentlich an der Zuverlässigkeit des am Monde gewonnenen Größeneindrucks irre werden kann, so sei folgendes angeführt. Wenn wir eine an unseren Füßen beginnende sagittale — also in der Tiefendimension liegende und perspektivisch verkürzt gesehene — Strecke von 35m betrachten, so erscheint ihre Länge uns zwar noch einigermaßen „richtig“, aber doch schon etwas zu klein; denn wenn ein Merkzeichen vor unseren Füßen das Ende der ersten 5m angibt, so erscheint das Bild der 35 m keineswegs siebenmal so groß wie das der 5m, sondern 206 WıLH. FILEHNE: etwas kleiner. Und wenn wir uns in die Mitte der 35m stellen, macht die Strecke einen etwas größeren Eindruck als von ihrem einen Ende aus. Betrachten wir dann aus 35m Entfernung einen 35m hohen Fabrik- schornstein, so erscheint er uns wiederum etwas kleiner als die 55 m Fuß- bodenstrecke, aber immerhin noch einigermaßen richtig. Wenn dann über dem Horizonte der Vollmond aufgeht und sein Durchmesser gleich 35 cm erscheint, so bedeutet dieser Größeneindruck: es erscheint uns die Höhe des Kamins beinahe 100mal größer als der Monddurchmesser. Und wenn fernab in der Richtung zum Monde ein zweiter, objektiv ebenfalls 35m hoher Schornstein in solcher Entfernung und Richtung gesehen wird, dab er den Durchmesser des Mondes genau deckt, so bedeutet dies, daß der erstgenannte, 35m von uns entfernte Schornstein gleichermaßen fast 100ma] höher erscheint als der fernliegende. Dann erscheint also der Mond nicht etwa in gleicher Größe wie ein 35 m hoher Kamin an und für sich, sondern wie ein solcher Kamin, der wegen seiner großen Ent- fernung nur ein Hundertstel der Größe des uns nahen Kamins zu haben scheint. Wird also ein denkender Erwachsener bei dieser Gelegenheit irre an der Zuverlässigkeit semes Größeneindrucks vom Monde, so liegt dies daran, daß er die Verkleinerung fern stehender irdischer Objekte zwar als selbstverständlich hinnimmt, dagegen nicht im gleichen Maße über Er- fahrungen an Monden verfügt. Wir fassen kurz zusammen: solange ein flächenhaft erblickter, nicht in der Tiefendimension und nicht perspektivisch verkürzt gesehener Gegenstand — sei es ein Dampier, sei es ein (irdischer) Ballon, sei es der Mond — in ein und derselben, z. B. horizontalen, Richtung unter 31’ bis heran zu 38-8 m Entfernung geschaut wird, ist der absolute Größeneindruck unter allen Umständen der gleiche, z. B. für horizontale Richtung gleich 35 cm. Hieraus folgt, daß für diesen Größeneindruck der auf Tiefendimensionwahrnehmung begründete Entfernungseindruck, gleichviel wie und aus welchen Motiven auch immer er zustande kommen mag, überhaupt nicht in Betracht kommt — weder an irdischen Objekten noch am Monde. Wenn hinter jenem 45m langen Dampfer — ebentalls am Hori- zonte — ein objektiv halb so langer Dampfer führe, würden wir ıhn unter etwa 31’/2 =15’30” sehen und von ihm den Größeneindruck von 35/2 cm —=1?7-5em haben. Und diesen Eindruck würde jeder Dampfer machen, den wir unter 15’30° in horizontaler Richtung sehen, gleichviel wie groß er objektiv ist und wie groß die zugehörige Ent- fernung ist. j ; h ie ERLERNT ee ER er e et DER SINE Se re u, OR ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 207 Wir können uns jetzt den unter dem fest gegebenen Winkel o in ein und derselben Richtung gesehenen Dampfer in der Art bezüglich seiner Größe und seiner Entfernung als variabel vorstellen, daß er zwischen den Schenkeln ces Sehwinkels @ verschiebbar sei und sich genau ent- sprechend verkürze, je näher er dem Auge kommt, und sich ent- sprechend verlängere, je weiter er vom Auge zwischen den Schenkel ab- - geschoben werde. So würde er stets unter dem Winkel @ gesehen werden. . Solange die Richtung der Blicklinie die gleiche bleibt, bleibt auch der “ Größeneindruck — bis heran zum kritischen Punkte — der gleiche. Unter dieser Voraussetzung gilt auch folgendes. Wenn wir am Horizonte neben dem Vollmonde einen (irdischen) Ballon sichten, den wir unter ctwa 31'/2 = 15’ 50” zu sehen bekommen, so muß sein Durchmesser uns unter allen Umständen gleich 17-5 cm zu sein scheinen. Der kritische "Punkt eines objektiv 17-5 cm im Durchmesser haltenden Ballons ist etwa bei 20m. Wie groß der Durchmesser auch in Wirklichkeit wäre und welches auch die zugehörige Entfernung ist, —er erscheint stets halb so groß wie der des Mondes. Ist der Ballon so weit von uns entfernt, daß wir ihn nicht mehr dreidimensional, sondern nur noch flächenhaft sehen, während er aber optisch dem Horizonte aufsitzt, so könnten wir ihm nach Gut- dünken einen Entfernungseindruck beilegen: entweder berührt er den Horizont, oder wir lassen ihn diesseits des Horizontes in einiger Höhe schweben, oder wir verlegen ihn jenseits des Horizontes, und zwar in um so größere Höhe, je größer die Entfernung ist, die wir ihm zuweisen wollen. Der unbefangene Beschauer wird ihn in Horizontradiusferne ver- legen. Daß aber derartige absolute Entfernungseindrücke keinen Einfluß auf den absoluten Größeneindruck ausüben können, liegt auf der Hand. Und ebensowenig kann umgekehrt der Größeneindruck, den der Ballon macht, den Entfernungseindruck bestimmen, da dieser hier in unser Be- lieben gestellt ist. Auch wenn wir den Horizontradius als das Maß nehmen für die Entfernung, kann doch die zufällige Größe des Ballons, die bei - gegebener objektiver Entfernung den . Sehwinkel bestimmt, nicht be- stimmend auf die scheinbare Länge des Horizontradius wirken und um- gekehrt. ' Wodurch wird denn nun aber der absolute Entfernungseindruck be- stimmt? Auch hier muß daran festgehalten werden, daß das hierüber zu Sagende nur für ein und dieselbe Richtung gilt. Wir wählen zunächst die horizontale Richtung. Hier wird für uns die scheinbare Entfernung gewonnen je nach dem Orte, den der Gegenstand auf der Horizontfläche, z.B. auf der Meeresfläche, einnimmt. Sehen wir den Dampfer, Ballon oder Mond auf dem Horizontkreise aufsitzen, so ist die scheinbare Ent- 208 . WıEH. FILEHNE: . fernung eben durch die scheinbare Länge des Horizontradius — nicht durch die 5 km — gegeben. Der Eindruck, den diese 5km Horizontradius machen, ist geringer, als man denken möchte. Von diesen 5 km bilden sich die fernsten 2km auf der Netzhaut unter weniger als 50” ab, werden also nicht als ausgedehnt wahrgenommen. Die uns zunächst liegenden 2 bis 5m werden bei 1-6m Augenhöhe ja „richtig“ gesehen, aber hinter ihnen beginnt die erhebliche perspektivische Verkürzung und bald auch die Verkürzung für die Wahrnehmung. Bei Ausblick von größerer Aussichtshöhe erweitert sich der Horizont zwar objektiv beträchtlick, subjektiv aber nur um etwas, um bei (nicht erreichbaren) Höhen von über 10000 m wieder abzunehmen (vgl. meine * Horizontflächenarbeit 1912). Hierüber jedoch im nächsten (Il) Ab- schnitt. Handelt es sich um Gegenstände, z. B. Dampfer, die auf der Meeres- fläche wahrgenommen werden, die optisch also unterhalb des Horizontes, für die Vorstellung also innerhalb des Horizontkreises, liegen, so wird der absolute Entfernungseindruck durch den Winkel bestimmt, unter dem die Meeresstrecke zwischen unserem Fußpunkt und dem Gegenstande (Dampfer) gesehen wird. Für den Mond kann nur eine scheinbare Ent- fernung in Betracht kommen, nämlich der Horizontradius; näher kann der aufgehende Vollmond nicht zu stehen scheinen, da er sonst optisch unter dem Horizonte liegen und auf der Wasserfläche schwimmen müßte; und weiter ab als am Horizonte kann er nicht zu liegen scheinen, weil die Weltenstrecke vom Horizonte zum Monde nicht zur Abbildung auf der Netzhaut kommen kann. In der Richtung nach dem Zenite oder anderen über dem Horizonte jr gelegenen Himmelspunkten ist die äußerste Grenze für einen absoluten Entfernungseindruck früher erreicht als für die horizontale Richtung. = Unser räumliches Fernsehen ist, je mehr unser Blick von der. Horizontlläche aufwärts gerichtet ist, weniger entwickelt, da wir für größere Ent- fernungen nur auf der Horizontfläche das räumliche Sehen zu erlernen Gelegenheit hatten. Für größere Entfernungen aufwärts fehlt es an den % erforderlichen perspektivischen Maßen. Es genügt, daran zu erinnern, dab im Zenite selbst der fernste leuchtende Stern (oder auch schon eine Zirruswolke) nur ?/,.,, der Entiernung zu haben scheint, die dem Eindrucke B nach zwischen uns und dem Horizonte liest. Daher kann der Mond im Zenite (in tropischen Gegenden) nicht mehr als Y/,,, derjenigen Ent- E fernung zu haben scheinen, die er am Horizonte für uns hat. Zu erklären bleibt aber, weshalb er uns dort nicht noch näher zu liegen scheint. Da E der Zenithimmel und die zwischen Zenit und Horizont gelegenen Himmels-. EEE ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 209 teile mitsamt dem Monde offensichtlich höher als die höchsten Spitzen der Bäume, Bauten und Berge sind, da ferner, wenn wir in der Land- schaft dahinschreiten, Wegstrecken, Hecken, Bäume, Häuserreihen und Bersketten hinter uns zurückbleiben und kleiner zu werden scheinen, während der Mond in gleicher Höhe, Richtung und Größe an seiner Stelle bleibt, muß uns Mond und Himmel höher als alle irdischen Dinge er- scheinen, und daher können wir den Mond und den Himmel nicht näher zu uns sehen als es jetzt der Fall ist. Sehen wir den Mond aber im Zenite nur 1/s,,, so fern wie am Horizonte, während wir ihn beide Male unter (etwa) dem gleichen Winkel von 31’ erblicken, so muß er im Zenite im 1/7, der Größe erscheinen, in der man ihn am Horizonte zu sehen glaubt. Verwickeln wir aber uns hier nicht in einen Widerspruch ? Wir hatten doch kurz vorher in einem bestimmten Zusammenhange mit aller Schärfe hervorgehoben, daß der Größeneindruck ausschließlich durch den Winkel bestimmt wird, unter dem wir den Gegenstand sehen, und gänzlich un- abhängig ist von der Entfernung, in der er sich scheinbar befindet. Das galt aber für beliebig viele in derselben, z. B. in der horizontalen, Richtung gelegene verschieden große Körper. Hier jedoch handelt es sich um ein und denselben in zwei verschiedenen Richtungen ge- sehenen Körper. Dort wird der Größeneindruck lediglich von dem objektiv gegebenen Gesichtswinkel bestimmt. Im jetzigen Falle dagegen wird der Unterschied im Größeneindruck, den derselbe Körper an zwei ver- schiedenen Stellen bei gleichem Gesichtswinkel macht, ausschließlich durch den Unterschied der beiden scheinbaren Entfernungen bedingt. Daher - stehen im letzteren Falle die scheinbaren Durchmesser desselben Körpers an den beiden verschiedenen Himmelsstellen in demselben Größen- _ verhältnisse zueinander wie die beiden scheinbaren Entfernungen. Was für den absoluten Größeneindruck am Monde gesagt wurde, läßt sich — mit passenden Einschränkungen — auch auf Sternenabstände übertragen. Wir wollen 1. nur Sternenpaare zulassen, die gleiche Höhe über dem Horizonte für beide Sterne aufweisen, und 2. uns ausbedingen, daß der Abstand zwischen beiden nicht über 10° betrage. Dann gilt alles für den Mond Gesagte auch hier. So ist nahe dem Horizonte ein Sternen- - abstand von 5° in scheinbarer Größe von etwa 3-5m gesehen; in der scheinbaren Mitte des Himmelsquadranten, also in 22%, 33 über dem "Horizonte, macht ein solcher Abstand .den Eindruck von etwa 2m usw. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtle. . 14 210 WILH. FILEHNE: II. Absolute Größeneindrücke am Horizontradius. E: Während wir beispielsweise die ersten, zu uns nächsten 3m des Horizontradius richtig sehen, verkleinern sich seine ferneren Strecken so sehr, daß er im ganzen einen im Vergleiche zu seiner objektiven Länge E nur sehr bescheidenen absoluten Größeneindruck machen kann. Wir wollen 4 versuchen, auch für diese scheinbare Größe einen Zahlenausdruck zu ge- ü winnen. % In meiner Horizontflächenarbeit hatte ich die relativen Größen naher und fernerer Strecken auf abgeteiltem Gelände bestimmt. Jetzt soll der absolute Größeneindruck der Gesamtstrecke Horizontradius “ durch Vergleich gemessen werden. Aber mehr noch als damals soll alles Intellektuelle, alles was auf bewußter Erfahrung, auf Wissen und Urteil beruht, möglichst ausgeschieden werden und nur dasjenige wirk- sam bleiben, was völlig zwangsmäßig als Folge des räumlichen physie- logischen Sehens in unsere unmittelbare Wahrnehmung eingeht. Wir 1 benutzen deshalb eine Horizontfläche, die keinerlei Hilfsmittel für unser Urteil über Entfernungen enthält — keine Bäume, keine Häuser, keine Sehlagschatten, keine Ackerfurchen, keine Meereswogen, keine Menschen £ usw. Am besten erfüllt diese Anforderungen eine ganz glatte Wasser-. fläche, die durch den Horizont begrenzt ist. Der Himmel muß ganz 1. wolkenfrei sein, damit nicht durch die sich spiegelnden Wolken, durch ungleiche Reflexe, durch Schatten usw. perspektivische Merkzeichen auf der Wasserfläche liegen. Wir treten bis unmittelbar an das Wasser heran. Bei aufrechter Stellung, bei 1-5 m Augenhöhe, haben wir dann einen Horizontradius von objektiv etwa 4-5 km vor uns. Um den absoluten Größeneindruck zu bestimmen, den jetzt die Länge 7 des Horizontradius macht, benutzen wir, wie in der Horizontflächenarbeit (1912), die Halbierungsmethode. Es soll nicht der ‘ Horizontradius, sondern das Bild des Horizontradius halbiert, sein scheinbarer Mittel- punkt bestimmt werden. Zu diesem Zwecke stellt sich der Beobachter ” unmittelbar mit seinen Füßen an das Wasser, während ein Badelustiger mit dem Ende einer Meßschnur oder eines Bandmaßes, dessen Rolle den F Beobachter in der Hand behält, in der Blickrichtung des letzteren so lange 5 und weit in das Wasser geht, bis dieser den „Mittelpunkt“ des Radius- bildes für erreicht hält und halt gebietet. Wie sehr unser Fernsehen sonst 3 durch bewußte Erfahrung, durch Wissen und Urteil bedingt ist, zeigt sich jetzt. Der scheinbare Mittelpunkt des Horizontradius, d.h. die” a Mitte des Bildes liest etwa bei 20 m Entfernung — eher bei weniger Ri als jenseits von 20 m. Dies bedeutet, daß ‘die Bildlänge des ganzen 5 Se Ss ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. Dalai! Horizontradius uns knapp wie 40 m erscheint — gemessen an den „richtig“ gesehenen ersten paar Metern des Radius. Und dabei ist er objektiv 4500 m lang. Jetzt fahre am Horizonte rechtwinklig zu unserer Blicklinie ein Dampfer, dessen Länge von uns unter 31’ gesehen wird. Wir denken uns den Knotenpunkt unseres Auges mit der Mitte der scheinbaren Länge - des Schiffes und ebenso mit dem einen Ende der Schiffslänge geradlinig verbunden. Dann bilden diese beiden geraden Linien zusammen mit der halben Schiffslänge ein rechtwinkliges Dreieck, in dem außer dem rechten Winkel noch der am Auge gelegene spitze Winkel gleich 31’/2 und die -srößere Kathete, d.i. der scheinbare Horizontradius, gleich 40 m be- kannt sind. Daher läßt sich die Länge der kleineren Kathete, d.i. die scheinbare Größe der halben Schiffslänge, berechnen. Man erhält für - diese den Wert von etwa 0-18 m, also für die ganze scheinbare Schiffs- "länge 36cm. Hätten wir die Länge des scheinbaren Horizontradius mit 38-8m eingesetzt — was vielleicht noch richtiger als 40m sein - würde —, so würden wir genau 85 em für den rein physiologischen Größen- eindruck einer am Horizonte unter 31’ gesehenen Bootslänge erhalten haben — gerade so, wie wir sie im vorigen Kapitel durch Messung gewonnen hatten. Sollte unsere Messung des scheinbaren Horizontradius völlig zu- verlässig sein, so würde unsere vorige Messung der scheinbaren Boots- ‚länge nicht völlig zuverlässig sein und statt der 35 cm würde etwa 36 cm zu setzen sein. Wenn aber diese vorige Messung mehr Zutrauen verdient als unser Halbierungsversuch am Horizontradius, dann ist eben statt 40 m die Länge von 38-8 m für den rein physiologisch-optischen Größeneinaruck des Horizontradius hinzustellen. Man wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, daß bewußte Erfahrung und Urteil mehr Anteil an der Vorstellung der Ferne des Horizontes haben, als dem physiologischen räumlichen Sehen unmittelbar zukommt. Es darf mit Sicherheit vorausgesetzt werden, daß bei einem etwa dreijährigen Kinde der Horizontradius einen noch geringeren Größen- ‘eindruck als 40 m unmittelbar hervorruft, und daß auch dieser Teil des "unbedingt zwangsmäßigen räumlichen Fernsehens in den nächsten Jahren eine weitere Entwicklung, eine „„Dehnung‘“ bis zu 40 m, erfährt. Bewußte Erfahrung und Urteil dehnen den Horizontradius später noch weiter, aber doch nur so weit, daß er immer noch hinter der objektiven Länge zurück- bleibt. Diese letztere Dehnung betrifft aber ausschließlich die Tiefen- dimension und wirkt nicht verlängernd auf den am Horizont gesehenen 14* 212 Wırn. FILEHNE: | : Dampfer und also auch nicht vergrößernd auf den dort erbliekten Voll- mond, dessen Entfernungseindruck übrigens nicht über die Länge des scheinbaren Horizontradius hinauskommen kann. / Nun könnte jemand sagen: da hier ein Horizontradius rein intellektuell sedehnt wird, ohne daß gleichzeitig die Länge des auf dem Horizont- kreise fahrenden Dampfers, die doch ein integrierendes Stück der Horizontperipherie ist, verlängert wird, so haben wir die für geo- metrische Betrachtung höchst paradoxe Tatsache, daß psychisch an einem Kreise der Radius verlängert werden kann, ohne daß die Peripherie srößer wird. Aber auch hier liegt nur scheinbar ein Paradoxon, eine Disko | vor. Zwar die Schiffslänge wird nicht sedehnt, aber die Peripherie, d.h. der Horizontkreis wird erweitert. Im rein physiologischen Sehen maßen wir für den Horizontradius vorher 40 m, während wir ihn psychisch wesent- f lich dehnten, wenn auch nicht bis zum objektiven Maße von 4-5 km. Zu dem Radius von 49m würde eine Peripherie, ein Horizontkreis von etwa 251-3 m gehören. Schauen wir uns aber von 1-5m Augenhöhe den R Horizont rings um uns an, so erscheint er uns keineswegs so klein, sondern wird auf 6000 m, mindestens auf 3000 m und höchstens auf N 18000 m geschätzt, je nachdem ob der Radius auf 1000, 500 oder 3000 m i taxiert wird. Sonach wird die Peripherie genau So wie # der Radius. Jenes Paradoxon liest also nieht vor. Trotzdem bleibt aber selbstverständlich die Tatsache bestehen, daß die Länge eines recht- winklig zu unserer Blickrichtung fahrenden Dampfers, die beispielsweise unter einem Winkel von 1° gesehen wird — was für den Dampfer eine objektive Länge von 87-2 m bedeutet —, in einer scheinbaren Größe von etwa 70 cm gesehen wird, gleichviel ob man sich den Horizontradius von 40m im rein physiologischen Sehen erzeugt oder ob man im un- befangenen, von bewußter Erfahrung modifizierten Hinschauen den Horizont- radius bis zu — beispielsweise — 1000 m und mehr dehnt. # Wenn dagegen ein Dampier direkt auf uns zufährt, wenn also seine 72 Länge mit dem Horizontradius zusammen- und in die Tiefendimension %& fällt, dann wird, vorausgesetzt, daß die Länge unter mehr als 507 gesehen wird, auch sie gedehnt. Dies sind die Konsequenzen unseres s räumlichen Sehens. Nur die Tiefendimension wird — und zwar am stärksten in horizontaler Richtung — gedehnt. ä Wie kommt es aber, daß die Peripherie gedehnt wird, während der a einzelne, unter 1° gesehene oder selbst eine Reihe auf dem Horizont- kreise dicht hintereinander fahrender Dampfer gleicher Größe an Zahl von 100 oder 135, von denen jeder unter 1° gesehen wird, nicht gedehnt a ÄABSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 213 werden, obwohl doch z. B. diese 100 oder 135 Dampfer ein Drittel der Peripherie bilden und identisch mit dem von uns gesehenen Teile der Peripherie sind? Auch hier ist der Widerspruch nur scheinbar. Jene Kette von 100 bis 155 Dampfern wird, ebenso wie der Horizont über- haupt, wenn wir uns nicht im Kreise um unsere Achse drehend uns ringsherum umschauen, nicht etwa als ein Kreisbogen von 100 bis 135° gesehen, sondern, wie ich früher gezeigt habe!, als eine gerade Linie bzw. Kette. Diese gerade Linie, die rechtwinklig zur Blicklinie — also auch zur Tiefendimension — steht und also keine Tiefenkomponente in sich birgt, wird nicht gedehnt, wohl aber der die Tiefendimension repräsentierende Horizontradius. Bleibt unsere Blickrichtung ungeändert, z. B. horizontal, so hängt der Größeneindruck jener nicht tiefendimensionalen geraden Linie des Horizontteiles bzw. ihrer Teilstrecken, wie im ersten Abschnitte dieser Arbeit gezeigt wurde, ausschließlich von dem Sehwinkel ab, und dieser ist objektiv gegeben, kann also durch die bewußte Erfahrung nicht verändert werden. Der Horizontradius aber liegt in der Tiefendimension; er unterliegt also im räumlichen Sehen der Ausdeutung, er ist variabel und wird gedehnt. Der Horizontkreis dagegen ist eine sekundäre Vorstellung, ge- wonnen durch sukzessive Wahrnehmungen, die beim Umdrehen und "Umherschauen gemacht werden. Die Peripherie dieses Kreises wird ent- sprechend dem Horizontradius r so gedehnt, daß sie wie bei jedem Kreise gleich 2er ist. Das Paradoxon existiert also nicht. III. Der kritische Punkt. Um einen ‚‚richtigen“ absoluten optischen Eindruck von der Größe eines Objektes zu gewinnen, bedarf es eines zwischen bestimmten Grenzen liegenden, je nach der Größe des Objektes verschiedenen Abstandes des Auges vom Objekte. Den minimalen — geradezu selbstverständlichen — Abstand vom Auge bis zum „Nahepunkte‘‘ woilen wir nicht besprechen, _ wohl aber ist folgendes hervorzuheben: bei ‚größeren‘ Objekten, z. B. dem Kölner Dom, ist es unmöglich, einen ‚‚richtigen‘‘ Größeneindruck zu gewinnen. Um überhaupt einen Größeneindruck von dem Dome zu haben, darf das Auge nicht etwa nur 1 bis 10m vom Objekte entfernt sein. Wir müssen beispielsweise 160 m zurücktreten, um den 160 m hohen Turm überblicken zu können. Alsdann sehe ich den in Augenhöhe liegenden Teil t Dies Archiw. 1912. S. 469 u. S. 6. N aut WıLH. FILEHNE: zwar nicht mehr ganz richtig, sondern wegen der schon recht erhcblichen Entfernung etwas verkleinert, aber immerhin viel ‘richtiger als alles andere, zumal als die höher und vertikal gelegenen, unter schiefem Aufblicke perspektivisch verkürzt gesehenen und überdies noch entfernteren Teile. Einigermaßen gilt dieses Unrichtigsehen auch noch für weniger große und selbst für mittlere und kleinere Objekte. Indes darf dies für ‚„‚mittlere“ | ‚und „kleinere‘‘ Objekte vernachlässigt werden. Einen in diesem Sinne „richtigen“ Größeneindruck kann es also nicht bei großen, sondern nur bei mittleren und kleinen Objekten in kleinen und mittleren Entfernungen — diesseits des kritischen Punktes — geben. Aber wenn ein Größen- eindruck auch nicht riehtig ist, so bleibt er doch „absolut“, d. h. er läßt sich in Maßen zahlenmäßig ausdrücken, wozu es nur richtiger Vergleichs- objekte bedarf. Und so ist man auch bei a Objekten imstande, den Größeneindruck zu bestimmen. Um möglichst einfache Versuchsbedingungen zu gewinnen, wählen wir als Objekte und als Vergleichsobjekte zunächst weiße kreisrunde (zylindrische) Papierscheiben verschiedener Größe. Sie werden so auf- gestellt, daß ihr Mittelpunkt in Augenhöhe liegt, und daß unsere Blick- linie rechtwinklig zu ihrer (Vorder-)Ebene steht. Unmittelbar neben sie wird die Vergleichsscheibe in gleiche Stellung gebracht. Diese bleibt fest u an ihrem Orte, die andere kann in beliebige meßbare Entfernung N wandern. 5 Zunächst hat die Versuchsperson sich von den beiden nebeneinander 1 stehenden Scheiben so weit zu entfernen, daß sie eben gerade einen hi bequemen Überblick über die Scheiben hat. Dieser erforderliche Abstand. a nimmt mit der Scheibengröße selbstverständlich zu. Dann wandert die Versuchsscheibe in horizontaler Richtung rückwärts, bis die er person, die ihren Platz beibehält, erklärt, daß die Versuchsscheibe kleiner als die stehengebliebene Vergleichsscheibe erscheine. Durch kleinere Hin“ und Herwanderungen der Scheibe wird dieser ‚kritische‘ Punkt zahlen- _ mäßig festgestellt; diese Zahlen sind selbstverständlich nur Annäherungen. h In folgender Tabelle sind einige Versuchsresultate wiedergegeben. Es ” bedeutet D den Scheibendurchmesser, A den erforderlichen Abstand, ‚E die gefundene Entfernung des kritischen Punktes vom des Auges, 8, die Größe des Winkels, unter dem der Scheibendurehmesser im kritischen Punkte gesehen wird. 4 Je größer das Objekt, um so ferner vom Auge der kritische Punkt, desto größer auch der erforderliche Abstand des Auges vom Objekte. | Der Winkel $,, unter dem gesehen das Objekt eben noch den richtigen Größeneindruck macht, nimmt mit wachsendem D (Objektgröße) zu, "bez | Bar nz ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 215 D A E S E in m in m in m j D 0-0005 0-18 0.7, 02027 1400-0 0004 0-2 1-3 0° 107 32” 325-0 0.04 0.25 ; 5.5 0° 257 0” 137-5 0-1 . 0-35 11-5 0° 29° 115-0 0-16 0-5 18-3 09 30’ 114.3 0:2 0-65 22-5 0032 112-5 0-35 0-7 383-8 0° 31’ 0” 110.0 diese Zunahme verlangsamt sich bald — schon bei D=4 bis 10 cm — sehr erheblich und wird zwischen D =16 bis 20 cm minimal. Der Quo- tient E/D ist bei kleinen Objekten sehr groß, verkleinert sich bald, beginnt bei mittleren Objekten (D = 10 em) sich nur geringfügig zu ändern, nimmt aber später schneller ab. Es muß also bei großen Objekten schließlich der Fall eintreten, daß der mit D wachsende erforderliche Abstand A gleich E wird, d.h. daß das Objekt sofort kleiner wird, sobald man sich von ihm über den erforderlichen Abstand hinaus entfernt. „Große“ Objekte haben eben keinen ‚‚kritischen“ Punkt und können keinen richtigen Größeneindruck machen, wie schon oben betont wurde. Dies tritt schon bei einer Objekthöhe von annähernd der doppelten Augenhöhe ein, also bei etwa 5m Höhe. Denn wegen der schnell, bei wachsender Objektsröße, zunehmenden Entfernung zwischen Auge einer- seits und andererseits dem oberen und dem unteren Ende der Objekthöhe und hauptsächlich wegen des schieferen Aufblickes auf die von der Mitte fernsten Teile des Objektes usw. wird dann der Zustand herbeigeführt, daß bei einer über den erforderlichen Abstand hinausgehenden weiteren Entfernung das Objekt sich sofort zu verkleinern scheint. Wenn man ermitteln will, wie sich der Größeneindruck gestaltet, den Scheiben jenseits des kritischen Punktes machen, empfiehlt es sich, quadratische Scheiben zu benutzen. Es wurden alsdann zu jedem Ver- suche fünf gleiche Quadrate verwendet; das eine als Vergleichsobjekt, die vier anderen in folgender Weise. Sobald das eine Versuchsquadrat - über den kritischen Punkt hinaus so weit fortgewandert war, daß dieses der Versuchsperson etwa halb so hoch wie das Vergleichsquadrat er- schien, wurde aus dem beweglichen und den drei Reservequadraten ein doppelt so hohes (und doppelt so breites), also viermal so großes Quadrat sebildet.. Nunmehr wurde festgestellt, bei welchem Abstande dieses neue Versuchsquadrat gleich dem Vergleichsquadrat erschien. Bei den kleinen und mittleren Quadraten war die hierzu erforderliche Entfernung etwa 216 WiLH. FILEHNE: — aber nicht genau — gleich 2E, d.h. dem doppelten des Abstandes des kritischen Punktes bis zum Auge. Bei Benutzung quadratischer Scheiben sieht man noch einiges Be- sondere. Läßt man eine quadratische Scheibe über ihren kritischen Punkt hinauswandern, so erscheinen sehr bald ihre Ecken abgerundet und bei zunehmender Entfernung wird dann die Scheibe anscheinend kreisrund. Dieser ‚‚Kreis‘“ verkleinert sich dann bei weiterem Wandern wie bei einer objektiv runden Scheibe, wird ausdehnungslos usw. Läßt man zwei Quadrate wandern, von denen das eine doppelt so hoch (und so breit) wie das andere ist, so erscheinen sie diesseits der beiden kritischen Punkte in ihrer richtigen Größe. Sobald sie den für das kleinere Quadrat gültigen kritischen Punkt überschritten haben, behält das größere seine richtige Größe bis zu seinem kritischen Punkte, während das kleinere sich bereits verkleinert: alsdann ändert sich das scheinbare Größen- verhältnis zuungunsten des kleineren, und zwar auch dann noch, wenn das größere jenseits seines kritischen Punktes sich zu verkleinern beginnt. Und sobald das kleinere ‚„‚ausdehnungslos“, d.h. ein Sternfleckehen ge- worden ist, ist das Größenverhältnis = ©, so klein und kreisrund auch - das größere geworden sein mag. Diese Beobachtungen liefern das Verständnis für eine Alltagserscheinung. Wenn man mit unbewaffnetem Auge aus größerer Entfernung eine Gruppe wohlbekannter Personen (und Tiere) sehr verschiedener Größe * sieht, so erscheinen zwar alle verkleinert, aber die kleineren im Vergleiche ° zu den größeren unverhältnismäßig klein, winzig. Neben anderen sachlichen Einflüssen spielt dieser Einfluß mit, “ wenn aus einer Entfernung, die uns die Häuser einer Stadt bereits sehr klein erscheinen läßt, die Kirchtürme uns mehr, als den Tatsachen ent- ° spricht, hochragend erscheinen. Je größer das Objekt wird, um so weiter rückt — wie schon ge- meldet — sowohl der kritische Punkt vom Auge ab als auch nimmt der zur Betrachtung erforderliche Abstand zu. Aber letzterer nimmt später bei Wahl immer größerer Objekte stärker zu als die Entfernung des kritischen Punktes, so daß bei einer Objekthöhe von etwa 3m (s. oben) beide Werte zusammenfallen. Für diese und noch größere Objekte gibt es — wie erwähnt — keinen kritischen Punkt mehr, sondern sie erscheinen von vornherein verkleinert und verkleinern sich bei weiterer Entfernung noch mehr. ee a & ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. ZN Zu diesen „großen“ Objekten gehören selbstverständlich auch Mond und Sonne. Könnten wir uns beliebig noch weiter von ihnen entfernen, so würden sie sich weiter verkleinern und schließlich ausdehnungslos, d.h. Sterne werden mit der Ausdehnung Null. Wenn aber eine lineare Größe wie der Monddurchmesser scheinbar kleiner und kleiner und schließ- lich Null wird, so muß sie vorher auch beispielsweise die Werte 35 cm, 20 cm usw. angenommen haben. Und es konnte sich nur um die Frage handeln, wie man die ‚Messung‘ vorzunehmen habe. Durch die Fest- setzung des „kritischen Punktes“ ist jetzt diese Messung auf dem Wege der Vergleichung gegeben, während die früheren Vergleichungen dieser Grundlage entbehrten. Wir haben oben geschildert, daß das Größenverhältnis zwischen einem sroßen und einem kleinen Quadrate diesseits des kriiischen Punktes des kleineren optisch richtig wahrgenommen wird, daß aber jenseits dieses Punktes das scheinbare Größenverhältnis sich zuungunsten des kleineren - Quadrates mehr und mehr ändert. Selbstverständlich findet man das gleiche, wenn man statt der Quadrate zanz schmale rechteckige Streifen benutzt. Diese Änderung zeigt sich im gleichen Sinne auch dann, wenn man nur den kleineren Streifen wandern läßt und ihn mit der Größe der zwischen unserem und seinem Fußpunkte befindlichen Fuß- bodenstrecke vergleicht. Denn obgleich bei zunehmender Größe dieser Strecke die neuen Zuwachse sich mehr und mehr verkleinern, so ver- kleinert sich doch für das Auge die Gesamtstrecke nicht nur nicht, sondern nimmt — wenn auch in abnehmendem Maße — sogar an Länge zu. Dagegen verkleinert sich die Länge jenes wandernden schmalen Papier- streifens — scheinbar —, sobald er auf seiner Wanderung für unser Auge jenseits des kritischen Punktes gelangt ist. Von diesem Zeitpunkte der Entiernungszunahme an ändert sich in steigendem Maße das von uns wahrgenommene Größenverhältnis zwischen Länge des Streifens und sonstiger flächenhaft (nicht in die Tiefe) wahrgenommener Gegenstände einerseits und andererseits der zwischen uns und dem Streifen bzw. den flächenhaft gesehenen Gegenständen gelegene Fußboden- bzw. Horizont- flächenstrecke, und zwar zuungunsten des Streifens und der flächenhaft erscheinenden Gegenstände. Hierbei ist es gänzlich belanglos, ob der Entfernungseindruck richtig oder zu klein ist. Nur muß der Größen- eindruck des flächenhaft gesehenen Objektes zu klein sein im Vergleich zur objektiven Größe, das Objekt muß jenseits des kritischen Punktes sich befinden. | 218 WıLH. FILEHNE: IV. Das Weltbild. In meiner Horizontflächenarbeit! hatte ich nachgewiesen, daß wir die Meeresfläche konkav sehen, und hatte die Entstehung dieser Aushöhlung sowie ihre Abhängigkeit von der Aussichtshöhe aufgeklärt. Ich sagte dort: 4 „Wenn rings um uns der Fußboden nach allen Richtungen ... sich zu heben scheint, so müssen wir beim Umherschauen in einer Vertiefung zu sein vermeinen. Und da beim Blicke in die nächste Nähe der Fuß- boden horizontal bzw. nur schwach ansteigend erscheint, so kann uns der gesamte Fußboden — die Meeresfläche — nicht etwa wie ein Trichter (Kegel), sondern nur: wie ein Uhrglasschälchen, d. h. als nach oben offene Kugelkalotte erscheinen.“ Heute wünschte ich, ich hätte diesen Gedanken — wozu damals allerdings kein Anlaß vorlag — schon damals zu Ende gedacht. Dann würde ich bezüglich des Wortes „Kugelkalotte‘ sofort eine einschränkende Bedingung hinzugefügt haben, die im vorliegenden Falle nicht erfüllt ist. Nach dem, was wir jetzt vom physiologischen Bilde erkannt haben, drängt sich diese Berichtigung ohne weiteres auf. Es bätte dort heißen müssen: jene Aushöhlung würde eine Kugelkalotte sein, wenn objektiv gleiche Stücke des Horizontradius allenthalben gleich lang erschienen. Da aber diese Stücke um so kleiner erscheinen, je ferner sie dem Auge liegen, so muß aus der Kugelkalotte ein halbes, in der Äquatorialebene geteiltes Rotationsellipsoid werden, dessen ganze langen Achsen die Horizontdurchmesser und dessen halbe kleine Achse die Augenhöhe sind. Ich vnterlasse den Nachweis hierfür, da ich bei früheren Gelegenheiten für den Übergang eines Kreises in eine Ellipse die erforder- lichen theoretischen Unterlagen beigebracht habe. Nur das eine möchte ich betonen: das scheinbare Himmelsgewölbe und die scheinbar ausgehöhlte Meeresfläche liefern zusammen jetzt eine einheitliche Form. Die neue Erkenntnis erlaubt außerdem, die Gestalt des scheinbaren Himmelsgewölbes an der scheinbaren Gestalt der Meeresfläche zu studieren. Endlich ‘aber gibt der erzielte Fortschritt uns das volle Recht, folgendes hinzustellen: als Kinder von etwa drei Jahren haben wir den „„Himmel‘ in einer Form und Größe gesehen, die kongruent der war, die damals die Meeresfläche — auf offener See — für uns hatte. Beide zusammen bildeten damals, Pe ne el re DE Dane BES 0 207 Re = 2 ; B E WE Mai indem sie sich ihre Konkavitäten zukehrten und sich an ihren kreisrunden (äquatorialen) Rändern berührten, d.h. indem sie den Horizont gemein- sam hatten, ein einheitliches, ganzes Rotationsellipsoid. Erst in gr den darauffolgenden Jahren, unter zunehmender bewußter Erfahrung, 1 Dies Archiv. 1912. Physiol. Abtlg. S. 461, spez. S. 476. ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 219 wich der Himmel aus den früher besprochenen Gründen über und vor uns zu größter Höhe und F.rne zurück; der Horizontradius dehnte sich am meisten, die Zenithöhe am wenigsten. Und weil sich der Horizont- radıus dehnte, vergrößerte und erweiterte sich auch die Meeresfläche, während der Horizont beiden Hohlräumen gemeinsam blieb. Aber im Gegensatze zur Zenithöhe, die sich dehnte, blieb die Augenhöhe, da sie in ihrer Größe „richtig“ gesehen wurde, im wesentlichen unverändert, und die Aushöhlung der Meeresfläche vertiefte sich nicht. So mußte sich die Inkongruenz von Himmelsgewölbe und Meeresflächenaushöhlung herausbilden. , Das Weltbild des Erwachsenen gestaltete sich also wie folgt: Oben, mit Konkavität nach unten, das hohe halbe Sphäroid des Himmels-. sewölbes, in dem sich die großen Halbachsen zur kleinen Halbachse (Rotationsachse) wie 3-77: 1 verhalten. Unten, mit Konkavität nach oben, das minder hohe halbe Sphäroid, das mit jenem oberen den Horizont- kreis, also auch die großen Achsen, gemeinsam hat. Die kleine Halbachse ist hier aber im Vergleiche zur Zenithöhe sehr klein — nämlich die Augenhöhe. Daher ist das Größenverhältnis der großen Halbachsen zur kleinen hier viel größer. Mit zunehmender Aussichtshöhe wächst zwar die kleine Halbachse- des unteren Halbsphäroids bis zur Höhe von etwa 10000 m, nimmt dann aber wieder progressiv ab. Bis 10 km Höhe bleibt der Horizont — scheinbar — in Augenhöhe; von da an, wenn wir größere Höhen erreichen könnten, würde der Horizont unter uns bleiben und das Weltbild würde entstellt erscheinen. | | Wie groß das Verhältnis zwischen großer und kleiner Achse an dem unteren Halbsphäroid für die verschiedenen Augen- bzw. Aussichtshöhen sich gestaltet, sei kurz angedeutet. Objektiv wachsen mit zunehmender Aussichtshöhe beide Achsen, das Verhältnis dieser objektiven Achsen- srößen nimmt aber bis zu 10 km Höhe ab, von da an wieder zu. Dieses Verhältnis ist bei Augenhöhe 1-6m gleich 2812:1, bei 10 km Höhe ist das Minimum erreicht mit 35-7:1. Dieses Verhältnis darf man auch für die scheinbaren Größen gelten lassen; jedenfalls wird es nicht kleiner werden. Und da nun am Himmelsgewölbe dieses Verhältnis gleich 3-77:1 ist, so kann beim Erwachsenen nie und nirgends die Kongruenz der beiden Halbsphäroide zustande kommen, während wir für das etwa dreijährige Kind das Bestehen einer solchen Kongruenz behaupten durften. Jetzt ist klar, wie das Weltbild des Erwachsenen entstanden ist. Als zwei- und dreijährige Kinder hatten wir das räumliche Sehen für die nächste Umgebung bereits entwickelt. Die Entfernung zwischen unserem Auge und unserem Fußboden wurde richtig gesehen. Auch bis etwas 220 Wırn. FILEHNE: oberhalb unserer Augen sahen wir richtig, wie auch sonst nach allen Seiten; zumal in horizontaler Richtung war das richtige räumliche Sehen auf etwas weitere Strecken erlernt. Aber der Horizontradius war noch sehr kurz, es fehlte die intellektuell bedingte Dehnung, die Ver- tiefung noch. Je ferner die Strecken, um so verkürzter erschienen sie — schon damals wie heute — nach allen Richtungen. Daher das rotations- n ellipsoidische Weltbild des Kindes. Bewußte Erfahrung dehnten allmäh- lich den Horizontradius und dehnte so das Himmelsgewölbe und zugleich die Horizontfläche in horizontaler Richtung. Gleichzeitig wurde der Himmel durch die bewußte Erfahrung in vertikaler Riehtung mehr und mehr ab- gedrängt. Nur die „richtig“ erkannte Augenhöhe blieb ungeändert. Daher unser jetziges Weltbild. | V. Der absolute Größeneindruck der durch ein Rohr hindurch betrachteten Gegenstände. In einer 1910 veröffentlicenten Arbeit! hatte ich mitgeteilt: wenn man durch ein enges Rohr, z. B. durch die zum Rohr sekrümmte Hand, einen nahe dem Horizonte befindlichen Gegenstand betrachtet, so erscheint er weniger als halb so groß im Vergleiche zu dem bei gewöhnlichem Hin- schauen gewonnenen Größeneindrucke. Dies gilt sowohl für irdische Gegenstände und Wegstrecken, als auch für den Mond und Sternabstände. Je weiter vom Horizonte entfernt das Objekt liegt, je näher es also auf der Horizontfläche unserem Fußpunkte oder am Himmel zum Zenite sich befindet, um so geringer ist die Verkleinerung, die bei etwa 35 bis 40% (vom Horizonte) fast unmerklich und bei 45° bis heran zum Fußpunkte bzw. Zenite gleich Null wird. Durch diese Tatsachen war das „Dehnen“ der sagittal-horizontalen Komponente durch die bewußte Erfahrung erwiesen. Indem das Rohr dem Auge das Material für die Aus- deutung der Entfernung entzieht, ohne den Gesichtswinkel zu ändern, muß der unter ungeändertem Winkel in anscheinend seriu un Ent- fernung gesehene Gegenstand kleiner erscheinen. Diese Verkleinerung kommt also nur durch die Ausschaltung der. mehr oder weniger bewußten Erfahrung zustande, nicht aber wird die 2 völlig mechanisierte, aus der ersten Kindheit stammende Erfahrung, auf der das erste räumliche Sehen beruht, von diesem Einflusse betroffen. Denn Gegenstände und Strecken, die auf der Horizontfläche 3 j nur 3m von unserem Fußpunkte entfernt sind, werden durch das Rohr a. 1 Dies Archiv. 1910. Physiol. Abtlg. S. 395ff., spez. S. 399. ÄBSOLUTER GRÖSSENEINDRUCK BEIM SEHEN. 221 nicht verkleinert — ebensowenig wie Mond und Sternenabstände hoch am Himmel. Haben wir bei freiem Ausblicke — d.h. ohne Rohr — dem eben aufgegangenen Vollmonde durch Vergleichung mit einer in etwa 5m Ent- fernung befindlichen gut beleuchteten Vergleichsscheibe einen Durchmesser von 35 cm zusprechen müssen, so bestimmt sich bei Betrachtung mittels des Rohres der Monddurchmesser auf l1dcm. Er ist also nur noch 5/,.— :/, =0-428 des frei gesehenen. Mit 15 cm Durchmesser zeist sich der Mond aber ohne Rohr bei 40 bis 45° Zenitabstand bzw. 50 bis 45° über dem Horizonte — also etwa in der astronomischen Mitte des Himmelsquadranten. Im Zenite erscheint der Durchmesser gleich etwa 9cm. Demnach ist in allmählich wachsendem Maße für den Fußboden die Strecke von etwa 3m bis zu unserem Fußpunkte, für den Himmel der Bogen von 40 oder 45° bis zum Zenite in bezug auf absoluten Größen- eindruck das Wirkungsgebiet der völlig mechanisierten Erfahrung und des zwangsmäßigen räumlichen Sehens. Dagegen ist am Fußboden von _ etwa 5m Entfernung an bis zum Horizonte und am Himmel etwa von der Mitte des Quadranten an bis zum Horizonte in allmählich abnehmendem Maße die bewußte Erfahrung bestimmend für das räumliche Sehen und für die absoluten Größeneindrücke. Dort, im Wirkungsgebiete der völlig mechanisierten Erfahrung, wirkt das Rohr nicht verkleinernd. Dort sehen wir sowohl den Fußboden, als auch, nach seinem Muster, den Himmel ım wesentlichen als horizontal liegende (ganz schwach sphäroidisch ge- krümmte) Ebene — ersteren, weil er, der mechanisierten Erfahrung nach, es wirklich ist, letzteren, weil keine Erfahrung dagegen spricht und weil unser Sehorgan unendliche Räume in der Tiefendimension nicht wahr- zunehmen vermag. Daher muß uns der Zenit näher erscheinen als ein 40° von ihm abstehender Himmelspunkt. Daher erscheint uns der Mond im Zenite näher und also kleiner als in 40° Zenitabstand, nicht obwohl, sondern weil er an beiden Punkten unter gleichem Gesichtswinkel ge- sehen wird. Über den Gang mit künstlichen Beinen. Von Prof. Ren& du Bois-Reymond in Berlin. Zweiter Abschnitt. Vergleiehung der Bewegung beim schnellen und langsamen Gehen. I. Angaben von den Gebrüdern Weber und von Marey. Wenn man mehrere Aufnahmen vom Gang desselben Menschen oder auch Aufnahmen vom Gang verschiedener Menschen miteinander ver- gleichen will, so stört dabei der Umstand, daß die Ganggeschwindigkeit in der Regel verschieden ist. Wenn man dann zwischen den Bewegungen, die bei schnellerem und bei langsamerem Gehen gemacht worden sind, Unterschiede findet, weiß man nicht, ob diese bloß auf die verschiedene Geschwindigkeit des Ganges oder auf andere Unterschiede zurückzu- 3 führen sind. | 4 Insbesondere ist der Gang mit Kunstbeinen meist beträchtlich lang- samer als der des Gesunden, namentlich, wenn es sich um ungeübte Kunst- beingeher handelt, und es ist daher unmöglich, zwischen normalem Gang und Kunstbeingang einen Vergleich anzustellen, wenn man nicht zuvor die Unterschiede zwischen den Gehbewesungen bei langsamem und bei schnellem Gang kennengelernt hat. Schon die Gebrüder Weber! und später E. J. Man haben Ver- eleichungen zwischen schnellem und langsamem Gehen angestellt, aber nur in bezug auf das Verhältnis von Schrittdauer und Schrittlänge. Man darf sagen, daß über die Unterschiede der Bewegungsform bei schnellem und langsamem Gange, deren Kenntnis eine Vorbedingung für die Ver- 1 Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Dritter Teil. Göttingen 1836. 2 Vgl. Weiss, Physique biologique. Paris 1901. Vol. I. p. 167. REnk ou Bois-REyMoND: ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 223 sleichung des Ganges verschiedener Menschen ist, bisher überhaupt nichts bekannt ist. | Allerdings liegen die Unterschiede in Dauer und Länge der Schritte den Unterschieden in der Form der Bewegung zugrunde. Es wird daher nützlich sein, in Kürze auf die Ergebnisse der Untersuchungen der Ge- brüder Weber und E. J. Mareys einzugehen. Die Gebrüder Weber haben gefunden, daß bei schnellerem Gehen die Länge der Schritte zunimmt, während zugleich die Dauer abnimmt. Dies Ergebnis ist in ihrem Werke in $106 in der Tab. 19 mitgeteilt. In den Erörterungen, die sie daran knüpfen, fußen sie durchaus auf der Vorstellung, daß das Bein beim Vorschwingen unbeeinflußt von Muskel- kräften eine halbe Pendelschwingung ausführe. Da beide Voraussetzungen, auf denen diese Anschauung ruhte, nämlich, daß das Bein nur bis in die senkrechte Lage schwinge und daß dies ohne Einwirkung von Muskeln geschähe, sich als irrig erwiesen haben, sollen hier nur die Beobachtungen - der Gebrüder Weber in Betracht gezogen und ihre Folgerungen unbe- - rücksichtigt gelassen werden. Auch auf ihre weiteren Beobachtungen über schnellen und langsamen Gang soll nicht eingegangen werden, weil dabei teils auf den Ballen gegangen wurde, teils die Länge oder die Dauer der Schritte vorgeschrieben wurde, so daß es sich nieht mehr um natürlichen Gang handelt. Das letzte gilt auch von einem Teil der Untersuchungen Mareys, in denen außerdem die Zahlenangaben so beschränkt sind, daß sie nur den von den Veriassern gezogenen Schlüssen zur Grundlage dienen können. Demnach sind für den vorliegenden Zweck nur die Angaben der _ Gebrüder Weber in ihrer Tab. 19 zu gebrauchen. Diese umfaßt die Schrittzahl über 43-43 m, die dazu gehörige Zeit und, daraus berechnet, Schrittdauer, Schrittlänge und Ganggeschwindigkeit. Diese Werte sind für 20 verschiedene Ganggeschwindigkeiten gegeben. Es mögen hier die 20., 11. und 1. Zeile folgen: | Zahl Zeit Dauer | Länge | Geschwind. sec sec m m/sec 20. lea 1". 114.40 1-050 0-298 0-379 Il. 59 | 45-72 0.663 0-629 0:949 ib Sue 2 12 0-335 0-851 2-397 Die Betrachtung dieser Zahlen ergibt, daß, während die Geschwindig- keit im Verhältnis von mehr als 1:6 zunimmt, die Schrittlänge im Ver- hältnis von wenig mehr als 1:2 wächst und die Schrittdauer im Ver- 224 RENE Du Boıs-REyMonND: hältnis von mehr als 3:1 abnimmt. Wenn man also sagt, daß, um die Geschwindigkeit des Ganges zu erhöhen, zugleich die Schrittlänge erhöht und die Schrittdauer vermindert wird, so ist wohl zu beachten, daß „zugleich“ nicht auch ‚in gleichem Maße‘ bedeutet. In größter Ännähe- rung wäre es sogar richtiger, zu sagen, daß die Geschwindigkeit des Gehens nur. durch Verkürzung der Schrittdauer vermehrt werde, da die Ver- srößerung der Schrittlänge viel weniger ausmacht. II. Durchmusterung der Aufnahmen von schnellem und langsamem Gang. Aus äußeren Gründen habe ich mich zunächst darauf beschränkt, die Bewegungen von Ober- und Unterschenkel allein aufzunehmen. Von zwei Versuchspersonen, R. und K., wurden je zwei Proben lang- samen und schnellen Ganges aufgenommen, die folgende Zahlen ergaben: R.: Beinlänge (mit Stiefel vom Boden zum Trochanter gemessen) = 95 em. K. (ebenso) = 100 cm. Länge eines | Dauer eines ae Re Geschwindig- t einfachen Doppel- : Name Nr Schrittes schrittes ze en R sec m/sec R. n 53 1 . 3l (0E sl 9, 64 £ 1 . 44 0) ” 83 3; 95 1 . 34 2 a 26 A. 98 1 . 34 2 g. 36 K 1 5 63 1:96 l- 36 9, 72 1- 93 l- 56 3 89 1: 75 2 g 37 A 97 1 . 75 2 R 39 Von jeder dieser Proben war gleichzeitig die rechte und linke Ansicht aufgenommen worden, so daß im ganzen 16 Bilder zur Untersuchung vor- lagen. Die planmäßige Durchmusterung der Aufnahmen ergab über die Stellungen des Oberschenkels folgendes (vgl. die Zahlenübersicht ]). Im dritten Stabe ist vermerkt, wie groß die Vorneisung während der Stützung ist, das heißt der Winkel, den der Oberschenkel mit der Senkrechten einschließt in dem Augenblick, in dem die Ferse sich vom Boden zu heben beginnt. Der vierte Stab gibt an, an welcher Stelle der ” er Sr ee ET PETE NE uni One en en Oberschenkel durch sein Vorwärtsschwingen aus der geneigten Lage in die senkrechte übergegangen ist. Hierdurch soll über die Geschwindigkeit, mit der sich der Oberschenkel gegen den er bewegt, Rechenschaft gegeben werden. ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 225 0 05 7 75m Die k . Langsamer Gang. Stellungen des Ober- “und Unterschenkels während eines Doppel- schrittes, von senkrechter Stützung bis zu senkrechter Stützung. Länge des Doppel- schrittes 1-26 m, Dauer 1-16 sec, Geschwindigkeit 1-lm. 0 | 05 7 75 % 2m r Fig. 2. Schneller Gang. Wie Fig.1. Länge des Doppelschrittes 1:90 m, Dauer 0-8 sec, Geschwindigkeit 2-3 m. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 15 £ 226 RENE DU Bois-REyMonD: Zahlenübersicht 1. Stellungen des Oberschenkels. ? Il, 2. 3. 4. 5. 6. U: 8. Auf Neigungs-| Senkrecht Ort Winkel Ob Winkel nahme Saite winkel |i.einfach. | größter | größter | zurückge-Jam Ende Nr. a. Anfang | Schritt | Beugung | Beugung | nommen |des Schr. Langsam: R.ı1 links wenig vor ?/, 2a 32 + 17 rechts |s wenig vor ?/, Se, 22 -- 12 2. links wenig als m 26 —_ 24 rechts 11 = 25 32 _ 23 K. 5 links 14 als, ER 14 - 17 rechts 14 nach ?/, la 14 _ 13 6 links 10 vor ?/s ar 21 (27) _ 20 rechts 17 (18) = En 14 f+! 12 Schnell: BB links 17 2, 1), 31 ae 30 rechts 13 2); als 27 iiS= 30 4. links 11 2), 1), 21 £ 33 rechts 15,97 = am Ende 24 _ 33 i x 7 links 135% 2, |amEnde| 25 - 25 rechts 13 Se am Ende 15 —_ 15 a 8. ‚|| links wenig vor 2); 3 34 f- 30 x rechts 11 2, am Ende 27 _ 24 R An fünfter und sechster Stelle ist angegeben, an welcher Stelle des \ einfachen Schrittes die stärkste Vorwärtshebung des Oberschenkels liest » und wie groß der Winkel zur Senkrechten an dieser Stelle ist. Ä An siebenter Stelle ist ein +-Zeichen gesetzt, wenn der Oberschenkel relativ zum Körper sich wieder dorsalwärts streckt, ein —-Zeichen, wenn der Oberschenkel seine Beugung beibehält. Im achten und letzten Stabe ist angegeben, wie zroß der Winkel ist, den der Oberschenkel mit der Senkrechten einschließt im Augenblick, in dem die Ferse auf den Boden gesetzt wird. Von Einzelheiten in der Bewegungsform des Unterschenkels wurden ausgemessen die in der Zahlenübersicht II enthaltenen Angaben: Im ersten und zweiten Stabe stehen Aufnahmenummer und Körper- N DE anne seite, im dritten der Neigungswinkel des Unterschenkels gegen die Senk- rechte während des Stützens, im vierten der Winkel gegen die Senkrechte bei stärkster Beugung während des Vorschwingens, im fünften der Ort dieser stärksten Beugung nach der Reihenzahl der aufgenommenen Einzel- stellungen im Laufe eines Doppelschrittes, im sechsten der Winkel, um den sich der Unterschenkel zwischen zwei Einzelstellungen am Ende des 1 f bedeutet ‚‚fast gar nicht‘‘. Br ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 227 2a hlenübersicht 11. Stellungen des Unterschenkels. ll: 2. 3. 4. > 6. ze Auf- i Neigungs- | Größte Schleude- | Neigung nahme Seite winkel Beugung Ort rung beim Nr. i. Stützen Aufsetzen Langsam: { V. links 17 (22) 54 5 30 9 (7) rechts 14 (21) 50 5 30 19 2: links 19 (25) 45 5 30 14 rechts 25 56 5 30 14 5. links Ir 50 5 35 14 Il rechts 14 56 5 28 (28) 9 6. links 17 47 6 26 12 rechts 14 — 6 27 (21) 18 Schnell: 3. links 29 57 4 52 10 rechts 15 65 4 54 22 4. links 29 66 4 ‘55 16 rechts 20 66 4 56 18 7% links 17 59 4 48 25 | rechts 21 — — 40 19 8. links 17 53 4 41 11 | rechts 20 57 4 34 14 Vorsehwingens bewegt, und endlich im siebenten die Neigung gegen die Senkrechte beim Niedersetzen des Fußes. Weiter wurden ausgemessen und in einer dritten Übersicht vereinigt: Im dritten Stabe die stärkste Beugung des Knies beim Vorschwung, der Beugungswinkel des Knies während des Stützens und die Winkel, die die Verbindungslinie von Hüft- und Fußgelenk, sozusagen die Längsachse des Beines, beim Abstoßen des Fußes vom Boden und beim Niedersetzen der Ferse mit der Senkrechten macht (vgl. Zahlenübersicht III). Endlich wurden noch die Formen der Wellenlinien verglichen, die das Hüftgelenk bei jedem Schritte beschreibt (vgl. Zahlenübersicht IV). An den Zahlenreihen wird auffallen, daß sie geringere Übereinstimmung zeigen, als bei der bekannten Gleichförmigkeit der Gehbewegung zu erwarten wäre. So finden sich für rechte und linke Seite desselben Doppelschrittes erhebliche Abweichungen. Man könnte dies auf Mängel der Versuchs- anordnung zurückführen wollen, wie etwa auf den Umstand, daß die Versuchsperson nur wenige Schritte zu machen hatte, wobei es schwer ist, unbefangen und gleichförmig auszuschreiten. Diese Art Fehler sind aber 1 Die in Klammern beigefügten Zahlen beziehen sich auf einen anderen Schritt derselben Aufnahme. 15* 28 RENE Du Bois-REYMoND: Zahlenübersicht IL. Stellungen des Knies und Beines. 1,80 2. a 4. 5. I), ao Auf- Größte Knie- Bein Bein nahme Seite Beugung | winkel beim . beim Nr. ' \ des Knies | i. Stützen | Aufsetzen | Abstoßen Langsam: ll; links 115 14 74 72 rechts 120 12 75 RZ DR links 109 25 75 el rechts 110 18 80 70 5. links N 8 4 70 8 71 rechts 125 7 79 zul 6. links 124 7 74 ze rechts _ RT sl 63 Schnell: ; 3. links . 100 26 67 70 rechts 107 22 72 "63 4. links 96 31 65 7 rechts 110 30 73 1.276 a links 118 17 65 7 rechts — 25 69 762 8. links 114 113 TO 77 rechts 120) 7 7: 11 72 61 | Zahlenübersicht IV. Wellenlinie des Hüftgelenkes. Auf- Gipfel zu Anfang, Mitte Schwinghügel hahme Seite : oder Ende vom größer oder N La kleiner als & Schwinghügel Stützhügel || Stützhügel Langsam: 1. links Anfang Mitte rechts ‘ Mitte Ende — 2. links Mitte . Mitte + rechts Mitte Mitte = 5. links Ende Ende + rechts Anfang Ende + 6. links Ende Mitte — rechts Mitte Mitte + Schnell: SHE links Ende _ Anfang — rechts Anfang Anfang — 4. links Ende Anfang — rechts Mitte Anfang _ ze links Mitte Anfang — rechts Mitte, Anfang = 8. links Anfang Anfang = rechts Mitte © Anfang — ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 229 an der Ungleichförmigkeit der Zahlenreihen nur zum kleinsten Teile schuld. Der Grund, weshalb die Zahlen nicht besser stimmen, liegt vielmehr darin, daß die bei den Aufnahmen abgebildeten Stellungen nur eine kleine Aus- wahl aus der Gesamtheit der durchlaufenen Stellungen ausmachen, so daß bei der Messung etwa eines Maximums nicht das Maximum selbst, sondern nur die Stellung, die dem Maximum am nächsten kommt, zugrunde gelegt werden kann. Da bei den verschiedenen Aufnahmen die abgebildeten Stellungen auf verschiedene Zeitpunkte im Verlauf des Schrittes fallen, werden die gem«ssenen Zahlen daher im allgemeinen auch keine genaue Übereinstimmung zeigen können. Die Zahl der Einzelaufnahmen in der Zeiteinheit so weit zu erhöhen, daß dieser Hehler verschwindet, oder die gesuchten Stellungen durch Interpolation genau zu bestimmen, wie es Fischer getan hat, würde die Untersuchung so umständlich und mühsam machen, daß sie, wie das Fischersche Verfahren, nur auf einzelne Fälle angewendet werden könnte. A. Bewegung des Oberschenkels. Betrachtet man die einzelnen Zahlenübersichten, so ergibt sich folgendes: In der Bewegung des Oberschenkels zeigt sich nur die etwas lebhaftere Tätigkeit beim schnelleren Gehen, ohne wesentliche Unter- schiede in der Form der Bewegung. Der Neigungswinkel am Anfang des Schwingens, also gleich nach dem Abstoßen der Fußspitze vom Boden, ist nach dem dritten Stabe der Übersicht im Durchschnitt um 4% größer als beim langsamen Gehen. Das bedeutet, daß der Oberschenkel zu An- fang des Schwingens entsprechend der breiteren Spreizung der Beine - infolge der größeren Länge der Schritte stärker nach vorn übergelegt wird. Die senkrechte Lage wird beim schnellen und beim langsamen Gehen an derselben Stelle im Verhältnis zur Schrittlänge erreicht, wie der vierte Stab ausweist. Im fünften Stab findet sich für den schnelleren Gang im Gegensatz zum langsameren wiederholt als Ort der größten - Beugung, das heißt Ventralflexion des Oberschenkels, das Ende der Schwingung angegeben. Der Unterschied ist aber ganz geringfüsie, weil gegen Ende des Schwingens der Oberschenkel sich annähernd parallel mit sich selbst bewegt. Der Beugungswinkel bleibt also im allgemeinen gleich oder er nimmt in den im siebenten Stabe mit + bezeichneten Fällen etwas ab. In einzelnen Fällen, in denen die Kniebeugung während des Stützens besonders groß ist, nimmt sie dagegen ein klein wenig zu. Die Bedeutung dieser Bewegung liegt darin, daß beim Vorschwingen des Ober- schenkels der Unterschenkel anfänglich zurückbleibt, so daß das Knie 230 RENE Du Boıs-REeyMmonD: einknickt. Wenn am Ende des Vorschwingens die Bewegung des Ober- schenkels verlangsamt wird, beharrt der Unterschenkel in seiner Bewegung, so daß das Knie sich wieder streckt. Die Verlangsamung kann so stark sein, daß der Oberschenkel eine relative Rückwärtsbewegung macht, wie das in den mit + bezeichneten Fällen eingetreten ist. Beim Gehen mit Kunstbeinen spielt diese Bewegung, die als „Zurücknehmen“ des’ Ober- schenkels bezeichnet werden mag, eine wichtige Rolle, und es ist deshalb beachtenswert, daß sie bei schnellem und langsamem Gehen in gleicher Weise auftritt. In der achten, letzten Spalte steht der Neigungswinkel des Oberschenkels beim Aufsetzen des Fußes, der bei dem schnelleren Gang durchschnittlich um 10° größer ist als bei langsamem. Ebenso wie der Neigungswinkel des Oberschenkels beim Abstoßen (dritter Stab), hängt auch dieser Winkel mit der Spreizung der Beine beim Ausschreiten zu- sammen. Es ist aber wohl zu beachten, daß es sich hier nur um die Neigung des Oberschenkels handelt, die durchaus nicht mit der des ganzen > Beines gleichzusetzen ist. Diese hängt nämlich ebensosehr von der Neigung des Unterschenkels ab und kann also je nach dem Beugungs- winkel des Knies von dem Neigungswinkel des Oberschenkels ab- weichen. / B. Bewegung des Unterschenkels. Die zweite, den Unterschenkel betreffende Zahlenübersicht läßt erkennen, daß nach dem dritten Stab der Neigungswinkel des Unter-, schenkels gegen die Senkrechte, während der Körper vom Bein unter- stützt wird, beim schnellen Gehen merklich größer ist als beim langsamen. Dies hängt mit stärkerer Beugung des Knies zusammen und soll weiter unten besprochen werden. Der vierte Stab zeigt die schon bei der Be- wegung des Oberschenkels erwähnte Tatsache, daß der Unterschenkel während des Schwingens gegen den Oberschenkel zurückbleibt, sich also im Knie beugt und daß dies bei schnellem Gehen in merklich höherem Grade geschieht als bei langsamem Gang. Die Durchschnittswerte sind 520 und 60°, der Unterschied also 8°. Daß der Unterschenkel beim Gehen so hoch schwingt, fällt schon beim Betrachten beliebiger Augenblicks- aufnahmen von gehenden Menschen stark auf. Noch überraschender ist es, daß diese Bewegung mit der Beschleunigung des Ganges so stark zu- nimmt. Nach dem bloßen Augenschein würde man nicht glauben, dab % bei langsamem Gange der Unterschenkel sich der Wagerechten bis: auf 40° nähert und gar bei schnellem auf 30°. Nach dem fünften Stab fällt die größte Beugung während eines Schrittes bei langsamem Gehen am 4 - ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 231 nächsten an die 5. oder 6. Aufnahme, bei schnellem Gehen am nächsten an die 4. Dieser Unterschied ist aber Jange nicht so bedeutend, wie es nach den Zahlen scheinen könnte. Auf einen Doppelschritt entfallen näm- lich beim langsamen Gehen etwa 10, beim schnellen Gehen etwa 7 Auf- nahmen. Demnach ist der wirkliche Zeitunterschied nicht 5:4, sondern 8:7. Immerhin sieht man, daß bei der schnelleren Bewegung die größte Beugung schneller erreicht wird. Daß auch die Streckung zugleich größer und schneller ist, je - schneller der Gang, soll der sechste Stab zeigen, der den Winkel angibt, um den sich der Unterschenkel in dem Zeitraum zwischen zwei Auf- nahmen dreht. Die geringe Übereinstimmung der Zahlen des siebenten, letzten Stabes verbietet, andere Schlüsse daraus zu ziehen, als daß im allgemeinen der Unterschenkel bei schnellerem Gehen mit größerer Neigung gegen die Senkrechte auf den Boden gesetzt wird als bei langsamem Gehen, was mit der schon wiederholt erwähnten weiteren Spreizung der Beine infolge der größeren Länge der‘ Schritte zusammenhängt. C. Bewegung des Knies beim Schwingen und beim Stützen. In der dritten Übersicht zeigt der dritte Stab abermals, daß die Beugung des Knies beim Schwingen für schnellen Gang stärker ist als für langsamen. Das bedeutet, daß der Unterschenkel beim Vor- schwingen des Oberschenkels stärker zurückbleibt, wie schon bei der Be- wegung des Oberschenkels und des Unterschenkels hervorgehoben wurde. Ausgedrückt durch den Winkel, den Oberschenkel und Unterschenkel im Knie einschließen, wird diese Tatsache wohl am anschaulichsten. Wer würde nach dem bloßen Anblick eines gehenden Menschen schätzen, daß _ das Knie bei langsamem Gehen 117°, bei schnellem Gehen sogar nur 110° einschließt? Daß also der Unterschenkel zuzeiten fast rechtwinklig auf dem Oberschenkel steht? Der vierte Stab lehrt, daß das Knie auch während der Zeit, in der das Bein die Last des Körpers unterstützt, sebeugt ist. Bei langsamem Gehen ist diese Beugung gering, im Durch- schnitt der vorliegenden Zahlen 12°, bei schnellem Gehen aber merklich, im Durchschnitt 22%. Schon die Gebrüder Weber haben angegeben, daß bei schnellem Gehen die Hüftgelenke und mit ihnen der ganze Rumpf niedriger über dem Erdboden hingetragen werden als bei langsamem Gehen. Das ist nur.ein anderer Ausdruck für die stärkere Beugung der Knie während der Stützung, das heißt kurz vor und nach dem Augen- blick, in dem das Hüftgelenk sich senkrecht über dem Fußgelenk (streng- 232 | RENE pu Boıs-REyMonDp: genommen über dem Mittelpunkt des Bodendruckes gegen die Fußsohle) befindet. Durch diese Beugung des Knies wird die schematische Dar- stellung der Gehbewegung in dem Punkte änderungsbedürftig, daß eigent- lich nieht gesagt werden darf, daß der Rumpf bei seiner Bewegung nach vorn einen Kreisbogen um den auf dem Boden stehenden Fuß beschreibe. Da das Knie gebeugt und mithin die Länge des Beines veränderlich ist, kann die Kurve, die das Hüftgelenk beschreibt, von der Kreiskurve be- liebig abweichen. Auf die mechanische Bedeutung dieses Umstandes soll weiter unten eingegangen werden. Es, D. Verhältnis von Abstoß- und Aufsetzwinkel zur Schrittlänge, | Der fünfte und sechste Stab geben die Winkel an, die das ganze Bein mit der Wagerechten bildet in dem Augenblick, in dem der Fuß auf den Boden gesetzt wird, und in dem Augenblick, in dem er den Boden verläßt. Der Winkel ist bestimmt durch die Lage der Verbindungslinie ° von Hüftgelenk und Fußgelenk, ist also verschieden von den oben er- wähnten Neigungswinkeln von Oberschenkel und Unterschenkel. Die hier betrachteten Winkel, „Aufsetz- und Abstoßwinkel des Beines“, ge- währen offenbar einen Maßstab für das Ausspreizen der Beine bei Ver- größerung der Schritte. Man sollte daher meinen, daß die beiden Winkel mit der Änderung der Schrittlänge sehr wesentliche Änderung zeigen würden, und daß darin sogar der Hauptunterschied zwischen langsamem und schnellem Gehen gelegen sein würde. Annähernd kann man sagen, daß zu der Zeit, während der eine Fuß noch abstößt und der andere schon auf dem Boden. steht, beide Beine die Schenkel eines gleichschenkligen - Dreiecks bilden, dessen Basis gleich der Schrittlänge ist. Je größer unter sonst gleichen Bedingungen die Schrittlänge, desto größer muß auch der Winkel an der Spitze des gleichschenkligen Dreiecks sein und desto kleiner m De Fe Pe Ne ep EEE ei Beh BR die Basiswinkel. Nun sind aber nach den Messungen die Aufsetz- und Abstoßwinkel, das ist die Basiswinkel des ‚‚Beindreiecks‘“, bei langsamem Gehen sehr wenig größer als bei schnellem Gehen. Der Durchschnitt für sämtliche Aufnahmen ist bei langsamem Gehen 74°, bei schnellem Gehen 68°. Selbst wenn man die Beinlänge nach oben abgerundet zu 100 cm annimmt, erhält man für die gemessenen Größen der Basiswinkel nur eine Dreiecksbasis oder Schrittlänge von 56 cm für den langsamen und 75cm für den schnellen Gang. In Wirklichkeit waren aber, wie aus den oben angegebenen Zahlen ersichtlich ist, die durchschnittlichen Schrittlängen 0-63 m bei dem langsamen und 0-95 m bei dem schnellen Gang. Um 2 ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 5 28338 diesen Werten bei einer Beinlänge von Im zu genügen, müßten die Basiswinkel des Beindreiecks zu 71° für den langsamen und 62° für den schnellen Gang gefunden worden sein. Also in dem Merkmal, in dem man erwarten sollte, den größten Unterschied zwischen schnellem und langsamem Gange zu finden, findet man nur einen ganz geringen. Das ist natürlich auch der Grund, weshalb im ganzen die Stellungen der Beine beim schnellen und langsamen Gehen so wenig Verschiedenheit zeigen. Wie ist es aber möglich, daß bei dem großen gemessenen Unterschied in der Schrittlänge, 0-63 m und 0-95 m, die Basiswinkel des Schrittdreiecks so geringe Unterschiede aufweisen? Der Widerspruch, der zu dieser Frage führt, lehrt, daß zwischen der wirklichen Gehbewegung und der schema- tischen Auffassung, nach der die Beine beim Schreiten als Dreiecksseiten betrachtet werden, wesentliche Unterschiede bestehen. Die Auffassung des Schrittes als einer reinen Winkelbewegung der Beine trifit eben nur in grober Annäherung zu. In Wirklichkeit ist der Vorgang durch mehrere Umstände beeinflußt, die bewirken, daß bei verhältnismäßig geringer -_ Winkelbewesung der Beine dennoch eine verhältnismäßig große Schritt- länge erreicht wird. Erstens hebt sich beim Abstoß der Fuß auf den Ballen und das Fußgelenk beschreibt dabei um den Ballen einen Kreis- bogen, durch den es sich nach oben und zugleich nach vorn bewest. ME - Zweitens wird durch die Streckung des Fußgelenkes die Beinlänge ver- größert, wodurch bei gleichem Abstoßwinkel das Hüftgelenk weiter nach vorn gelangt. Drittens bildet in dieser vorgeschobenen Stellung das Hüft- selenk nicht die Spitze eines Dreiecks, das die Schrittlänge zur Basis hat, sondern weil das Becken beim Ausschreiten um die senkrechte Mittelachse gedreht wird, kann das Hüftgelenk der anderen Seite um mehrere Zenti- meter vorgeschoben sein, wodurch aus dem Beindreieck ein Trapez wird. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich zur Genüge, daß die Schrittlänge nieht in einfacher Beziehung zu Beinlänge und Abstoß- und Aufsetzwinkel steht. Diese Tatsache ist deswegen bemerkenswert, weil die Auffassung der Gebrüder Weber über den Unterschied zwischen schnellem und lang- ' samem Gehen wesentlich darauf beruhte, daß sie die Bewegung der Beine als eine reine Winkelbewegung nach dem Schema eines Dreiecks mit der - Sehrittlänge als Basig behandelten. Für den tatsächlichen Unterschied zwischen schnellem und langsamem Gehen hat die vorstehende Betrach- tung vor allem die Bedeutung, daß sie erklärt, weshalb die Stellungen der Beine verhältnismäßig so geringe Unterschiede zeigen. Außerdem ist daraus zu entnehmen, daß die erwähnten Umstände: Streckung des Fubß- gelenkes und Drehung des Beckens, bei schnellem Gehen viel stärker - hervortreten als bei langsamem, denn der Abstand zwischen der schema- 234 Ren£ Du Bois-REyMmonD: tisch aus Abstoß- und Aufsetzwinkel berechneten und der in Wirklichkeit : vorhandenen Schrittlänge ist bei schnellem Gehen viel größer als bei langsamem: 0-75 m berechnet, 0-95 m gemessen bei schnellem, 0:55m berechnet, 0-63 m gemessen bei langsamem Gehen. Vergleicht man endlich noch die Zahlendurchschnitte für die ganzen Reihen der Abstoßwinkel mit denen der Aufsetzwinkel, so zeigt sich, daß bei langsamem Gehen kein Unterschied zu bemerken ist: das Beindreieck stellt sich als ein gleichschenkliges dar. Bei schnellem Gehen sind dagegen die Abstob- winkel im Durchschnitt kleiner als die Aufsetzwinkel. Dies hängt mit der stärkeren Streekung des Fußgelenkes und dies wieder mit der Notwendig- keit zusammen, für den längeren Schritt einen stärkeren Abstoß zu geben. E., Die Bahn des Hüftgelenkes. In der vierten Zahlenübersicht ist weiter eine Zusammenstellung darüber gegeben, wie sich die Wellenlinie verhält, die das Hüftgelenk beim Gehen beschreibt. Nach Fischers Messungen darf man annehmen, daß die Hebungen und Senkungen dieser Linie ziemlich genau denen des Körperschwerpunktes entsprechen. Die Bahn des Hüftgelenkes zeigt zwei Erhebungen, von denen die eine nahe an der Stellung liest, in der H das Bein in senkrechter Lage den Körper unterstützt, die andere nahe an id der Stellung, in der sich das andere Bein in dieser Lage befindet. Der a Kürze wegen sei die erste als „Stützhügel“, die zweite, während der das beobachtete Bein schwingt, als „Schwinghügel“ bezeichnet. Nach Fischer ist die Wellenlinie des Hüftgelenkes bei normalem Gange regel- mäßig, denn die geringen Unterschiede, die seine Messungen erkennen lassen, heben einander nahezu auf. Ebenso verhalten sich, wie man er “ # 2 ng die Angaben im ersten Stabe der vierten Übersicht. Dagegen fällt auf, daß beim zweiten Stab der Gipfel des Stützhügels für den schnellen Ger ausnahmslos am Anfang des Hügels liegen soll, während beim langsamen Gang die Angaben verschieden lauten. Das würde bedeuten, daß der Stützhügel bei schnellem Gehen aus einem steilen aufsteigenden und einem u rn = flacher abfallenden Schenkel besteht. Die Hebung des Schwerpunktes würde demnach nicht nur höher, sondern auch steiler sein. Da es sich aber nur um eine Steigung von im Mittel 1:25 handelt, ist dieser Unter schied nur gering. Mit Rücksicht auf Erfahrungen, die bei der Untersuchung des Gehens mit künstlichen Beinen gemacht worden waren, ist in dem dritten Stabe angegeben, ob der Schwinghügel und der Stützhügel gleich oder ver- ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 235 schieden hoch ausfallen. Der Fall, daß der Schwinghügel der größere ist, ist mit +, das Gegenteil mit —, Gleichheit mit = bezeichnet. In Fischers Aufnahme ist bald das eine, bald das andere zu finden, woraus man schließen darf, daß normalerweise Gleichheit besteht. Aus der vor- liegenden Beobachtungsreihe könnte abgeleitet werden, daß das Verhältnis sich bei schnellem Gehen etwas zugunsten des Stützhügels verschiebt, weil dieser bei langsamem Gehen viermal, bei schnellem keinmal kleiner gefunden wird als der Schwinghügel. Doch dürfte weder die Zahl, noch die Genauigkeit der Beobachtungen für diesen Schluß groß genug sein. Beide Hügel sind aber, und dies ist wohl der bedeutendste Unter- schied zwischen den Bewegungsformen des schnellen und langsamen Gehens, beträchtlich höher beim schnellen Gehen als beim langsamen. Die Höhe ist leider an den Aufnahmen nicht genau zu messen, weil die Entfernung des Gehenden vom Objektiv unbestimmt ist. Vergleichung der ganzen Reihe der Aufnahmen zeigt aber, daß die Hebungen bei schnellem ‚Gehen wohl doppelt so hoch werden als bei langsamem. Die Be- deutung dieses Unterschiedes liegt darin, daß von der gesamten Geharbeit ein großer Anteil ausschließlich auf die Hebungen des Körpers entfällt. Der Umstand, daß die Hebungen bei schnellem Gehen größer sind, erklärt also einen großen Teil der Mehrarbeit beim schnellen Gehen. F. Die seitlichen Schwankungen des Körpers. Dieser große Unterschied in den senkrechten Schwankungen des Körpers lest es nahe, auch die Schwankungen in der Querrichtung zu untersuchen. Aus den Seitenansichten, von denen bisher die Rede ge- wesen ist, sind diese natürlich nicht zu ermitteln. Es mußten also zu diesem Zweck besondere Aufnahmen gemacht werden, wobei noch eine besondere. Schwierigkeit zu überwinden war. Um die Schwankungen in der Querrichtung aufzunehmen, ist es nämlich das Naheliegendste, die Kamera senkrecht zu den Querschwankungen, also in der Gangrichtung aufzustellen, oder mit anderen Worten: die Gehbewegung gerade von vorn oder von hinten aufzunehmen. Das geht aber nicht an, weil dabei die Einzelabbildungen von jedem Schritte mit denen des folgenden Schrittes zusammenfallen, so daß eine Aufnahme die andere deckt. Um dies zu vermeiden, könnte man freilich die Aufnahmen statt von vorn oder hinten auch gerade von oben machen. Das würde sich in einem hinreichend hohen (?”m) Raum, der womöglich noch mit einer Galerie versehen wäre, auf der man die Kamera anbringen könnte, ganz gut tun lassen. Solch RP 236 REnE Du Bois-REYMmonD: = ein Raum ist aber nicht überall zu finden, und insbesondere stand mir : zurzeit keiner zur Verfügung. Dieselbe Schwierigkeit war auch schon bei Fischers Untersuchung hervorgetreten, war aber für ihn nur neben- sächlich, weil er von vornherein beabsichtigte, die Bewegung von vier Stellen gleichzeitig aufzunehmen und die verschiedenen Aufnahmen rechnerisch zu dem genauen Gesamtbild der Bewegung zu verarbeiten. ’ Auch dafür wäre es zwar das einfachste gewesen, als die vier Richtungen “ die von rechts, von links, von vorn und von hinten zu wählen, aber da die Aufnahmen von vorn und von hinten nicht brauchbar gewesen wären, machte es für ihn wenig aus, statt dessen Aufnahmen schräg von vom und schräg von hinten (unter 30°) zu machen. Dabei schreitet die Ab- bildung der aufeinander: folsenden Stellungen auf der Platte seitlich um | H Fig. 3. j Anordnung zur Aufnahme der seitlichen Schwankungen. Die Kamera ( steht m gerader Verlängerung der Gangstrecke GG! auf dem Fußbceden, eingestellt auf den K Visierpunkt VY. Wenn die Versuchsperson mit der Geißlerschen Röhre die Strecke GG: durchgeht, durchläuft die Geißlersche Röhre die punktierte Bahn 881, die N in Form der Fig. 4 oder 5 auf der Platte abgebildet wird. Bei der gleichen Rin- stellung werden vorher oder nachher die Meßpunkte M und M!in den drei Ent- “ fernungen I, II und III auf derselben Platte aufgenommen. so viel fort, daß sie einander nur zum Teil überdecken und man für die Messungen mit leichter Mühe die zueinander gehörenden Striche und Punkte zusammenfinden kann. Die Berechnung wird nur wenig unbe- % quemer, wenn man an Stelle des rechten Winkels den Winkel von 30% zu setzen hat. Etwas anderes ist es aber, wenn man Aufnahmen haben will, die ohne Messung und Rechnung auf den ersten Blick eine An- 7 schauung von der Bewegungsform gewähren. An einer Reihe von Auf- nahmen von Amputierten mit Kunstbeinen, unter verschiedenen Winkeln schräg von hinten gesehen, überzeugte ich mich, daß man aus der seit- lichen Projektion der Bewegung keinen anschaulichen Eindruck von den Querschwankungen des Körpers gewinnt. Endlich kam ich auf den Aus- r ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 237 weg, die Kamera zwar in der Gangrichtung selbst, nämlich gerade hinten aufzustellen, aber die Aufnahme schräg von unten zu machen, was ein- fach dadurch zu erreichen ist, daß die Kamera ohne Stativ auf den Fuß- boden gesetzt wird. Wenn zu der Aufnahme ein Objektiv von großer Brennweite benutzt wird und die Kamera auf 7m eingestellt ist, erhält man von einer Gangstrecke von Am (also 5 bis 9m Entfernung von der Kamera) hinreichend scharfe Abbildung. Wenn die Versuchsperson am Anfang der Gangstrecke, also 5m vor der Kamera steht, bildet sich ihr Kopf nahe am unteren Rand der Platte ab. Je weiter die Versuchs- person auf der Gangstrecke sich von der Kamera entfernt, um so höher auf der Platte fällt die Abbildung des Kopfes. Ein Lichtpunkt, den die Versuchsperson am Kopfe trüge, würde also, wenn sich die Versuchs- person genau in gerader Linie vorwärts bewegte, sich als eine gerade senk- rechte Linie in der Mitte der Platte vom unteren zum oberen Rande abbilden. Finden bei der Bewegung seitliche Schwankungen statt, so muß an Stelle der geraden Linie eine Schlangenlinie treten. Diese Schlangen- ye A linie gewährt eine verhältnismäßig anschauliche Darstellung von den seit- lichen Schwankungen beim Gehen (vgl. Fig. 3). | Die im ersten Abschnitt erwähnten Objektive von Busch und von x Zeiss mit 45cm und 49cm Brennweite genügten den angegebenen Be- dingungen. Der Versuchsperson wurde ein Holzstab an dem Kreuz und - zwischen den Schultern durch Schnallgurte befestigt, an dessen oberem Ende sich eine Geißlersche Röhre befand, die mit schwarzem Papier - bis auf ein Stückchen von 1cm Länge verhüllt war. Die Röhre wurde durch das Induktorium 7- bis 10mal in der Sekunde zum Aufleuchten gebracht. Die Versuchsperson trat Im vor der Gangstrecke an. Die - Kamera stand 4m hinter ihr auf dem Boden und war auf die Mitte der Gangstrecke, das heißt auf einen Punkt in 7m Entfernung von der Kamera und 1-5 m über dem Boden eingestellt. Die Bahn des Lieht- punktes in der Mitte der Gangstrecke wurde demnach von der optischen Achse der Kamera unter einem Winkel von 14° getroffen. Die 4m lange Gangstrecke nahm auf der Platte eine senkrechte Strecke von 4 cm ein. Die Bewegung des Lichtpunktes beim Gehen bildete sich bei der Auf- nalıme als eine punktierte Schlangenlinie ab, deren Wellen den seitlichen Schwankungen des Lichtpunktes entsprachen. Um das Maß der seitlichen Schwankungen aus der Aufnahme ab- leiten zu können, sind noch zwei Umstände zu beachten. Da sich die Versuchsperson während der Aufnahme immer mehr von der Kamera ent- fernt, wird der Maßstab der Aufnahme immer kleiner. Das zeigt sich daran, daß die Schlängelungen der punktierten Linie am unteren Rand 238 | Ren& ou Boıs-Reymonp: | D//A N once. o Fig. 4. ‘ Langsamer Gang. Aufnahme der seitlichen Schwankungen. Die 8 Wellen der punktierten Schlangenlinie entsprechen 8 Schritten. Der Abstand zwischen je zwei Punkten entspricht 0-1 sec. Die Meßpunkte M! und M haben 95 cm Quer- abstand. M' 5... Mi. . ® II o Ne De RN. Fo ( Fig. 5. ii _ Schneller Gang. Wie Fig. 4. Die Gangstrecke ist in 4 bis 5 Schritten zurückgelegt. | Infolge der hohen senkrechten Schwankungen beim schnellen Gehen sind Eckenz in der Wellenlinie aufgetreten. ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 239 der Wellen dar. Die Höhe der Wellen muß also in einem im Verhältnis zur Entfernung von der Kamera zunehmenden Maßstab gemessen werden. Um diesen herzustellen, wurden bei jeder Aufnahme noch zwei Licht- punkte in bekanntem Querabstand (95 cm) am Anfang, in der Mitte und am Ende der Gangstrecke in derselben Höhe über dem Boden wie der von der Versuchsperson getragene Lichtpunkt auf dieselbe Platte photo- graphiert. Dadurch wurde die Platte gleichsam mit einer Reihe zu- nehmender Maßstäbe für die Breitenausdehnung der Wellenlinie versehen. Indem diese Meßpunkte durch gerade Linien verbunden wurden, ergaben die Punkte der Verbindungslinien auch für jede beliebige Stelle der Schlangenlinie den richtigen Breitenmaßstab. Bei dem wirklichen Abstand der Lichtpunkte von 95 cm war die Breite der Abbildung am Eingang der Gangstrecke 9 cm, in der Mitte 6 cm, am Ende 5 cm. Für die Messung ist wesentlich, daß die Lichtpunkte, die den Breitenmaßstab bilden, in - derselben Höhe über dem Boden stehen wie der bewegte Lichtpunkt. Da aber der bewegte Liehtpunkt die Hebungen und Senkungen des Körpers _ beim Gehen mitmacht, so ist diese Bedingung nicht genav innezuhalten. - Der Einfluß der senkrechten Schwankungen zeigt sich an den Aufnahmen sehr deutlich darin, daß die Wellen der Schlangenlinie nicht annähernd gleichförmig an- und absteigen, sondern an den Stellen, die den Hebungen entsprechen, Ecken aufweisen. Die Aufnahme von hinten und unten kann _ daher (ebensowenig wie jede andere Aufnahme von einem Punkte aus) Le 220 Fr. re nicht zu genauer Messung der Querschwankungen dienen, wohl aber läßt sie Vergleichung der Größe der Querschwankungen bei schnellem und langsamem Gehen zu. Im Gegensatz zu den senkrechten Schwankungen zeigt sich, daß die seitlichen Schwankungen beim langsamen Gange. viel größer sind als beim schnellen. In beiden Fällen waren sie auf den bisher untersuchten Auf- nahmen, die sämtlich von mir selbst herrühren, bedeutend größer, als ich _ erwartet hatte. Nach Fischer beträgt die Querschwankung der ‚‚Schulter- - Jinienmitte“, das heißt des Mittelpunktes der Verbindungslinie der Schulter- gelenkmitten, nur etwa 16 mm nach jeder Seite, also etwa 3-5 cm im - ganzen. Bei den vorliegenden Aufnahmen von schnellem Gange entspricht dagegen die Höhe der Wellenlinie Schwankungsbreiten von mehr als 5 cm, _ beim langsamen Gang sogar fast von 20 cm. Dabei ist allerdings in Rech- nung zu bringen, daß sich der Lichtpunkt nicht in Schulterhöhe, sondern ein Stück höher, etwa in der Höhe des Hinterhauptes befand, wodurch die Ausschläge etwas vergrößert abgebildet werden mußten. Außerdem kommt in Betracht, daß bei dieser Art Aufnahme die Versuchsperson nur ' wenige Schritte vorwärts gehen darf, weil der Bereich der deutlichen 240 RENE ou Bois-REyMmonD: S ” Abbildung ja ziemlich eng begrenzt ist. Die 4 bis 7 Schritte, die dabei herauskommen, können kaum so gleichmäßig und ruhig gemacht werden wie bei dauerndem Gehen. Trotz dieser Mängel dürften die Aufnahmen das sichere Ergebnis liefern, daß die Seitenschwankungen bei langsamem Gehen größer sind als bei schnellem. en 2 Ir a w “ s es Dieser Befund, der allerdings paradox erscheint, erklärt sich sehr einfach. Fragt man nach der Ursache der seitlichen Schwankungen, so wird man zunächst an die einseitige Unterstützung des Körpers zu denken haben. Dies wird auch in den Lehrbüchern angegeben, insbesondere in Beziehung auf den Gang der Pferde, bei dem die „diagonale‘“ und die „rein seitliche‘ Stützung unterschieden wird. Der Körper fällt, weil er einseitig unterstützt ist, nach der anderen Seite, wird von dem inzwischen ® auf den Boden aufgesetzten anderen Bein aufgefangen und fällt, da er nunmehr von der anderen Seite einseitig gestützt wird, wieder zurück. % Die treibende Kraft ist hier allein die Schwerkraft, und die Schwankuncen verlaufen daker gesetzmäßig, ähnlich wie Pendelschwingungen. Die Ge- schwindigkeit des Ganges wirkt auf den Vorgang gar nicht ein, sondern der Unterschied in der Größe der Schwankungen entsteht einfach durch die längere Dauer der Schritte beim langsamen Gehen. Diese Betrachtung läßt sich durch Rechnung bestätigen. Es sind dabei allerdings noch mehrere Umstände zu berücksichtigen, durch die die Bewegungsbedingungen sich etwas verwickelter gestalten. Erstens nämlich muß man, um die Ge- schwindigkeit der Fallbewegung zu finden, das Trägheitsmoment des Körpers, bezogen auf den unterstützenden Fuß als Drehpunkt, in Rechnung ziehen, denn dieses Trägheitsmoment hat die im Schwerpunkt angreifende Schwerkraft zu überwinden. Zweitens kann die Wirkung der Schwerkraft vorübergehend verstärkt erscheinen durch die Streckkraft des stützenden Beines, indem der Körper gewissermaßen schräg vorwärts gehoben wird, statt bloß zu fallen. Dies spielt indessen nur eine nebensächliche Rolle. Dagegen ist endlich drittens die Schwingung der Arme zu bedenken, die die Querschwankungen erheblich einschränken kann. Die Tätigkeit der Arme ist unzweifelhaft beim schnellen Gehen lebhafter als beim lang- samen und trägt wahrscheinlich wesentlich dazu bei, daß die seitlichen Schwankungen beim schnellen Gehen kleiner ausfallen als beim langsamen. 45. Beschleunigung und Verzögerung. Einen weiteren Unterschied zwischen schnellem und langsamem Gehen haben schon die Gebrüder Weber in der Haltung des Rumpfes gefunden, der bei schnellem Gehen stärker vorwärts geneigt sei. Fischer hat ge- 2 ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 2341 zeiot, daß der Rumpf beim Gehen keine feste Haltung bewahrt, sondern Schwankungen nach vorwärts und rückwärts ausführt, also bald mehr, ey 22 S3 DM > © an :> Ro [S} oo NH 3% SE a fe) I a. SE nn = & rn c A 3 8 eh) S 8 2 = S SS 2 SS Ei SI N eure < & N S me N = a 55 SE S SS 5 © SW a © oO S Es ne, SQ (5) EEE EN CN = > & N 5 a. Se 8 E ern Eh E == x SI [3) -“ 5 nm {1b} a — (x) Sl Ss ıQ ERS DO, nn, S E88 38) IS a TE . 25 an 5 > un Langsamer Gang. zu senkrechter bald: weniger vorwärts geneigt ist. Die Vorwärtsneigung nimmt mit jeder Senkung der Hüfte zu und“nimmt vor einsetzender Hebung wieder ab, so daß ihr Maximum ungefähr mit dem Minimum der Hüftenkurve zu- sammentrifft, ihr Minimum etwas vor jedem Maximum der Hüftenkurve Archivf. A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. f 16 242 RENE Du Boıs-REeyMmonp: gelegen ist. Nach Fischer handelt es sich dabei um abwechselnde Vor- wärts- und Rückwärtsneigungen des Rumpfes, doch ist wohl kein Zweilel, daß hierin die Haltung verschiedener Menschen sehr verschieden sein kann. Auf meinen Aufnahmen finde ich nur Vorwärtsneisung von ver- schiedenem Grade. Das Minimum tritt erst nach dem Maximum der Hüfthebung ein. Die Neigungen sind bei schnellem Gehen merklich größer als bei langsamem; sie betragen bei gegen 2m Ganggeschwindiskeit bis zu 10° während bei gegen 0-75 m Ganggeschwindigkeit kaum 5° erreicht werden. Es blieb noeh die größere oder geringere Ungleichförmiekeit der Geschwindigkeit des Gesamtkörpers in der Gangrichtung zu untersuchen. Dazu konnten dieselben Aufnahmen dienen, die die Neigungen der Rücken- linie zeigten, denn die Vorrückung der Rückenlinie darf der Vorrückung des Gesamtkörpers gleich geachtet werden. Die Wege, die der Körper beim schnellen Gange in 0-1 Sekunden Zeitabstand zurückgelegt hatte, schwanken etwa zwischen 22 em und 18 cm. Die größten verhielten sich also zu den kleinsten wie 5:4. Beim lang- samen Gang kamen auf 0-1 Sekunden nur etwa 4cm bis 6cm. Das Ver- hältnis der größten Abstände zu den kleinsten war also hier 3:2. Dem- nach könnte man sagen, die Ungleichförmigkeit der Bewegung sei bei langsamem Gehen größer. Drückt man aber die Beschleunigung oder Verlangsamung der Bewegung, die zu diesen Ungleichförmiskeiten führt, dadurch aus, daß man die Bewegung des Körpers auf einen mit derselben mittleren Geschwindigkeit gleichförmig vorwärts bewegten Punkt bezieht, ” so kommt man zu der entgegengesetzten Auffassung: Bei schnellem Gehen ° bleibt der Körper gegen den mit der mittleren Geschwindigkeit (20 cm in 0-1 Sekunden) vorrückenden Punkt bald um 2 cm zurück, bald.eilt er um 2 cm vor, während bei dem langsamen Gang die Unterschiede nur je 1cm ausmachen. In der Beschleunigung und Verlangsamung der Be weeung besteht ein wesentlicher Teil der Arbeitsleistung beim Gehen. Die ° erhöhte Ungleichförmiekeit der Bewegung ist eine: der Ursachen, weshalb das schnelle Gehen unverhältnismäßig anstrengender ist als das langsame. ° III. Zusammenfassung. Für die Untersuchung des Ganges mit Kunstbeimen ist es eine un- erläßliche Vorbereitung, daß man die Unterschiede in der Bewegung bei schnellem und langsamem Gehen kennen lerht, weil der Gang mit künst- lichen Beinen im allgemeinen langsamer ist als der normale Gang. Bisher liegen Untersuchungen dieser Art nur nach der Richtung vor, daß die’ ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. 243 Verhältnisse von Schrittdauer und Schrittlänge von den Gebrüdern Weber und von Marey festgestellt worden sind. Die Unterschiede der Bewegungs- form im einzelnen sind noch nicht untersucht. An zwei Versuchspersonen wurden je zwei Aufnahmen von schnellem _ und von langsamem Gange von beiden Seiten gemacht, so daß im ganzen - 16 Aufnahmen zur Vergleichung vorlagen. Schrittlänge, Schrittdauer und Geschwindigkeit schwankten in diesen Aufnahmen zwischen 53 em, 0-72 see, 0-81m und 98 cm, 0-45 sec, 2-39 m. Beim Vergleich der Aufnahmen von schnellem und langsamem Gang ergab sich: Bei schnellem Gang wird der Oberschenkel stärker bewegt als bei langsamem. Beim Abstoß hat er durchschnittlich 4°, beim Auf- setzen 10° mehr Neigung gegen die Senkreehte. Im übrigen ist die Be- wegung dieselbe wie bei langsamem Gehen, insbesondere ist die Verlang- samung der Vorwärtsbewegung, durch die der Unterschenkel vor dem Aufsetzen gestreckt wird, in beiden Fällen dieselbe. Der Unterschenkel wird ebenfalls beim schnellen Gehen heftiger bewegt: Er wird beim Schwingen des Beines im Durchschnitt um 8° mehr gebeugt, so daß das Knie bei schnellem Gang durchschnittlich nur 110% ein- schließt. Auch während das Bein den Körper stützt, ist das Knie bei schnellem Gang bedeutend stärker gebeugt als bei langsamem (22° zu 129). Der Winkel, um den die Beine beim Ausschreiten auseinander ge- spreizt werden, gemessen nach der Verbindungslinie von Hüftgelenk und Fußgelenk, unterscheidet sich bei schnellem und langsamem Gang weit weniger als die zugehörige Schrittlänge, und die Abweichung der aus den Winkeln berechneten von der wirklichen Schrittlänge ist bei schnellem - Gang bedeutend größer als bei langsamem, ein Zeichen, daß die Streekung der Fußgelenke und die Drehung des Bacon bei schnellerem Gehen größere Bedeutung gewinnen. In der Form der Bahn des Hüftgelenkes, die der des Körperschwer- punktes nahezu gleichgesetzt werden darf, ist kein Unterschied zwischen schnellem und langsamem Gang zu finden, wohl aber sind die senkrechten - Schwankungen bei schnellem Gang beträchtlich, um mehr als das Doppelte höher. Die seitlichen Schwankungen des -Körpers sind bequem aus Aui- nahmen zu ersehen, die gewonnen werden, indem man die Kamera gerade - hinter der Versuchsperson auf den Boden setzt, so daß sie die Bahn eines von der Versuchsperson getragenen Lichtpunktes schräg von unten auf nimmt. Die seitlichen Schwankungen sind bei schnellem Gehen um mehr - als die Hälfte kleiner als bei langsamem. 16* v .. ir, \ \ { 244 REnE DU Bo1s-REYMOND: ÜBER DEN GANG MIT KÜNSTLICHEN BEINEN. Die Beschleunigung und Verzögerung der Geschwindigkeit des Gesamt- körpers sind bei schnellem Gang zwar relativ kleiner, aber absolut etwa doppelt so groß wie bei langsamem. Im ganzen geht aus der Vergleichung hervor, dab der Unterschied zwischen schnellem und langsamem Gang weniger auf der Form der Be- wegungen als auf ihrer Geschwindigkeit beruht. Dies lehrt auch schon ° der Befund der Gebrüder Weber, daß, wenn die Geschwindigkeit des Ganges sich versechsfacht, die Länge der Schritte sich nur verdoppelt, während die Dauer der Schritte auf ein Drittel verkürzt wird. Archiv INT II. Archio f Anat. u. Phys. 1917. Physiolog. Abtig. Taf. I. Ka erema ae un amt ae am um a au a a am am ame aa Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. f Teitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in LEIPZIG. - Skandinavisches Archiv für Physiologie. | \ Herausgegeben von Dr. Robert Tieerstedt, o, ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie‘ erscheint in Heften von 3 bis 5Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 #. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. _ Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 .%4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 .# 80 9. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde‘ vertritt auf das Nachdrück- lichste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- tenden Disziplin sich zu erhalten. ; DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 %#. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung. _Neuroloeisches Centralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. | Begründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von Dr. Kurt Mendel. Monatlich erscheinen zwei Hefte zum Preise von 16 % halbjährig. Gegen ‘ Einsendung des Betrages direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige - Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für _ Hygiene und Infektionskrankheiten. $ Herausgegeben von Prof. Dr. C. Flügge, und Prof. Dr. G. Gaffky, Ä Geh. Medizinalrat und Direktor a 19 des Hygienischen Instituts der Universität Berlin, Wirkl, Geh. Obermedizinalrat. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten“ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- liehen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. — ° Gesamtteuerungszuschlag bis auf weiteres 25 °/,. ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Beil und Aula J. F. Meckel, Joh. Miller, Reichert und du Bois Beyond ahnen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Figuren im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteilung und 6 auf die physiologische Abteilung. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 %. Gesamtteuerungszuschlag bis auf weiteres 25 °/,- Auf die anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie, herausgegeben von Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz, Dr. Hans Virchow und Dr. Paul Röthig in Berlin) sowie auf die physiologische Abteilung (Archiv für Physiologie, Dee von Dr. Max Rubner) kann besonders abonniert werden, und es beträgt bei Einzel- bezug der Preis der anatomischen Abteilung 40 .#%, der Preis der PhyeiolpEAe BEN Abteilung 26 #. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Abteilungen 4 —- alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Metzger & Wittig, Leipzig. Be. ) ee. BE JAN 14 1924 x Physiologische Abteilung. 191%. V. und VI. Heft. 4 [ Te ae | AILHlN .... FUR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, | | FORTSETZUNG DESVONn REIL, REILv. AUTENRIETH, J.F.MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVER. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILHELM von WALDEYER-HARTZ, PROFESSOR DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN UND Dr. MAX RUÜBNER, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1917, _ = PHYSIOLOGISCHE ABTEILUNG. — FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT DREI FIGUREN IM TEXT: LEIPZIG, VERLAG VON VEIT&COMP. Er 1918 7 ® & Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Inhalt. Max Rusxer, Untersuchungen über Vollkornbrote . » » 2. 2.2 2.020. 245 Die Herren Mitarbeiter echten dreißig Separat-Abzüge ihrer Beiträge gratis und 30 .# Honorar für den Druckbogen zu 16 Seiten. : Beiträge für die anatomische Abteilung sind an “ Professor Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz oder an Professor Dr. H. Virchow oder an Dr. P. Röthig, sämtlich in Berlin N.W., Luisenstr. 56, Beiträge für die physiologische Abteilung an Professor Dr. Max Rubner in Berlin W, Kurfürstendamm 2u 4 portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu, Ho Sind 4 auf vom Manuskript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeichnungen N zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter ‚Berücksichtigung der Format- verhältnisse des Archives, eine Zusammenstellung, die dem Be als. Ri Vorlage für die Anordnung dienen kann, beizulegen. Hu JAN 14 1924 Untersuchungen über Vollkornbrote. Von Geheimrat Max Rubner. Übersicht. Einleitung: Entwicklung der Vollkormfrage. — Vitamin- und Aschegehalt als Motive für Vollkornbrot. — Verteilung der Kleie bei der Ausmahlung. Neue Untersuchungen: Kriegsbrot. — Abfallprodukte verschiedener Aus- mahlung. — Roggenbrote hoher Ausmahlung. — Klopferbrot. — Hindhedes Untersuchungen über Klopferbrot und Kleie. — Das Finklerbrot. Schlußergebnisse: Allgemeine Beurteilung der Vollkornfrage. — Die Vitaminlehre. — Einheitsbrot und Differenzierung der Backware. — Beziehungen . zwischen Zellmembrangehalt und Verdaulichkeit. — Die einzelnen Faktoren der Kotbildung. — Der physiologische Nutzeffekt. — Vergleich mit den Unter- suchungen von Plagge und Lebbin. — Roggen und Weizen. — Ergebnisse der Ascheausscheidung. Einleitung. Die Zerealien nehmen unter den Nahrungsmitteln der großen Kultur- völker eine wichtige, manchmal quantitativ die wichtigste Stelle ein. Auf dem europäischen Kontinent, weiterhin in Amerika und Australien sind Weizen und Roggen die Hauptvertreter der Zerealien, neben ihnen greifen die Gerste, der Hafer, Reis und Mais ergänzend ein. In Deutsch- land kann man für die Volksernährung annehmen, daß fast vier Zehntel - des Nahrungsbedaris der Friedenszeit durch Zerealien gedeckt werden. Der Verbrauch betrug pro Kopf und Tag etwa 382 & Korn für Brot und 628 Korn für Mehl und die daraus hergestellten Speisen. Dabei war das Verhältnis des Weizens zum Verbrauch an Roggen etwa wie 100: 125. Die einheimischen Produkte liefern aber ein Verhältnis von Weizen zu Roggen etwa wie 1:2. In anderen Ländern tritt der Roggen ganz 1 Rubner, Deuische med. Wochenschr. 1915. S. 21. 246 Max RUBNER: \ zurück. Wo wahlweise die Verwendung möglich ist, wird der Weizen wegen mancher günstiger Eigenschaften dem Roggen vorgezogen. In der Friedenszeit findet durch die Müllerei eine Differenzierung der Mehlprodukte statt. Nur in ganz beschränktem Maße unterbleibt diese für das Brotgetreide, wie in manchen ländlichen Bezirken, wo aus alter Gewohnheit an der totalen Zermahlung des Kornes festgehalten wird. Im übrigen tritt die Scheidung von Mehl und Kleie ein oder es werden seschälte Produkte hergestellt, wie Gerstengraupen. Das feinste Mehl (Weizen) wird zu Kuchen und feinen Mehlspeisen und feinsten Gebäcken, die darauf folgenden Ausmahlungen zu Brot, das spätere zu Braunmehl usw. verarbeitet. Die Kleie dient zur Viehfütterung. Diese Grundzüge des Gebrauchs des Mehles sind so ziemlich in allen Kulturstaaten mit Weizen- und Roggenverbrauch dieselben. Das feinste Mehl erhält in den Mehlspeisen Zutaten von Milch, Butter und Eiern und die feinsten Back- waren eine Beimischung von Milch. Der weitgehenden Differenzierung wird nur das Weizenkorn unterworfen, nicht aber das Roggenkorn. In der allgemeinen Entwicklung der Volksernährung gewinnt der Weizen allmählich das Übergewicht und das Weizenkleinbrot das Übergewicht über das Roggenschwarzbrot und das Großbrot. Die Umwertungen in der Vermahlung des Getreides fallen bei uns in die Zeit der allgemeinen Besserung der Gesundheit, und vergleichende physiologische Tatsachen, welche irgendwie einen allgemeinen nachteiligen Einfluß der geänderten Ernährungsweise erkennen ließen, haben wir trotz der vielen Behauptungen über die Abnahme der Leistungsfähiskeit der „Kulturmenschen‘“ nicht zu verzeichnen. Die Gründe für den zunehmenden Weizenkonsum und das Klein- gebäck lagen bei uns zum Teil begründet in dem sich hebenden Wohl- stand, in der Zunahme der Stadtbevölkerung, der Aufsaugung der kleinen Mühlen durch die Großindustrie, in der Ausbreitung des Bäckereigewerbes, andererseits aber auch in manchen fühlbaren Annehmlichkeiten der besseren Gebäcke und dem Drang nach kulturellem Fortschritt, der auch in der Entwicklung einer besseren kulinarischen Erziehung seinen Ausdruck findet. Neben dieser allgemeinen Entwieklung im Gebrauch der Zerealien sind Bemühungen hervorgetreten, die, wie man sagt, der Verfeinerung des Lebensgenusses entgegentreten oder, wie in Notständen, eine vermehrte Ausmahlung erzielen wollen. Derartige Bestrebungen gehen viele Jahr- zehnte zurück. Rein empirisch war man auf die Ausscheidung der Kleie, als einem Verbesserungsprozeß des Mehles, gekommen, Jahrhunderte hin- durch hat man auch auf dem Wege der Gesetzgebung auf einen in dieser Hinsicht zeitgemäßen Betrieb der Mühlen gedrungen. Erst Mitte des UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 247 vorigen Jahrhunderts haben Millon und Meges-Mourries wieder das Hinzubacken der Kleie zu Brot geradezu empfohlen, um die Brotmenge zu vermehren, ohne aber irgendeinen praktischen Erfolg mit diesem Vor- schlag erzielt zu haben. Zur Zeit der Not in Ostpreußen hat Liebig 1868 die Kleie gleichfalls als Zusatz, d.h. Vollkornmehl, empfohlen, und zwar als ungegorenes Schrotbrot aus Mehl von 9 Prozent Ausmahlung. Seine Argumente waren einmal volkswirtschaftliche, dann aber glaubte er, solches Brot sei außerordentlich gut verdaulich; von dem groben Aus- sehen, welches das Brot habe, wisse der Magen nichts und seine unschätz- bare Wirkung auf die Leute mit träger Verdauung sei den Ärzten wohl- bekannt. Er führte auch die Erfahrung aus dem Krimkriege an, daß nämlich die russischen Soldaten bei der nämlichen Brotkost wie die französischen Soldaten (d. h. bei kleiearmem Brot) nicht ausreichten, d.h. Hunger hatten, so daß man genötigt war, zum französischen Weißbrot ein Supplement zu bewilligen. Liebig war auch der Meinung, daß Brot durch die Beseitigung der Kleie ‚unverdaulicher‘“ würde, weil die Nähr- salze der Kleie verloren gingen. Mit dem Verschwinden der Hungersnot und dem Brotmangel war auch im öffentlichen Leben das Interesse einer Brotreform zu Grabe getragen worden, wenigstens bei uns in Deutschland. Anders in England. Hier hatte die reiche Fleischnahrung, zusammen mit dem Weißbrotsenuß und dem Vermeiden von Gemüsen, eine Kostform geschaffen, welche mancherlei hygienische oder auch krankhafte Störungen in den besser situierten Kreisen zeitigte. Das Grahambrot und die Asgitation zum Zwecke der Rückkehr zu einem kleiehaltigen Brot verbreitete sich. Doch ist es trotzdem zu einer allgemeinen Einbürgerung dieser Bewegung, die zum Teil durch die ‚Whole meal reform league“ geführt wurde, nicht gekommen. Die Empfehlung der Whole meal geschah auf Grund empi- rischer Beobachtungen. Schon 1878 hatte ich zeigen können, daß die Liebigsche Behauptung, Brot aus feinem Mehl würde wegen seines geringen Salzgehaltes nur schlecht verdaut, nicht richtig sei, daß vielmehr gerade das kleiereiche Schwarzbrot große Verluste bei der Verdauung erfahre. Im Jahre 1882 habe ich dann auf Betreiben der englischen ‚Bread reform League“! die ersten eingehenden Versuche über den Einfluß der Ausmahlung des Weizens auf die Verdaulichkeit beim Menschen durchgeführt. Das Wort ‚Vollkornbrot‘ war damals noch nicht so zum Schlagwort geworden wie heute, die englischen Bestrebungen waren aber tatsächlich nichts anderes als eine Vollkornbrotasitation. 1 Vgl. Zeitschr. f. Biol. 1883. 248 MAx RUBNER: Ich habe damals für dieses aus dekortiziertem Weizen hergestellte Brot folgende Tatsachen festgestellt: 1. Es besteht ein Zusammenhang zwischen schlechter Ausnutzung und. der Zunahme der Kleie im Brot. 2. Die kleiehaltigen Mehle enthalten zwar mehr N als die kleie- ärmeren, die Verdaulichkeit der N-haltigen Bestandteile nimmt aber mit der stärkeren Ausmahlung relativ ab. 3. Die Kleberzellen enthalten zwar Eiweiß, dieses wird aber nur verdaut, wenn die Zellen zerstört sind, weil deren unversehrten Wände für Fermente nicht zugänglich sind. 4. Von der Kleie, die nach einer 7Oprozentigen Ausmahlung bis zur Gewinnung von Vollkornbrot obiger Art erhalten wird, sind allerdings unter erheblichem Verlust Nährstoffe verdaulich. 5. Eine die übrigen Nährstoffe schädigende FihwaEuns hinsichtlich der Resorption hat diese Kleie nicht. 6. Die Kleieverwertung ist nach landwirtschaftlicher Eitahee bei den Nutztieren sehr günstig. Daher ist die Verwertung der Kleie vom volkswirtschaftlichen Standpunkt je nach den Kleiepreisen bald mehr oder weniger vorteilhaft. In Ergänzung dieser Versuche habe ich einige Jahre später solche an einem Brot ausführen lassen, das wirklich aus ganzem Roggen her- sestellt war, und damit ein Brot verglichen, das zwar aus Mehl von sleichem, aber vorher dekortiziertem Getreide hergestellt war. Zwischen beiden Brotarten war ein wesentlicher Unterschied in der Verdaulichkeit, das Beibacken aller Kleie eines nicht weiter gereinigten Getreides hatte die Folge, daß auch die sonst verdaulichen Bestandteile mit in die schlechte Ausnützung hineingerissen wurden.! Vom Standpunkt einer sparsamen Wirtschaft ist es also möglich, durch Steigerung des Ausmahlungsverhältnisses mehr verdauliche Nähr- werte zu gewinnen, jedoch zeigte eine eigentliche Vollvermahlung erheb- liche Minderung des Gesamtnährwertes. Verschwendungen dieser Art be- dingt auch der Genuß manches Landbrotes, des Pumpernickels usw. Der Gedanke, die Ausmahlung zu vermehren unter Gewinnung eines sut verdaulichen Brotes, hat eine ganze Reihe von Erfindern nicht ruhen lassen; zweifellos hat man, veranlaßt durch meinen Hinweis auf die Unverdaulichkeit des in Zellen eingeschlossenen Klebereiweißes, sich be- müht, auch feinere Vermahlungen herzustellen, was gewiß nur von Vorteil war. Zwar wurde von verschiedenen Erfindern behauptet, sie hätten das 1 Vgl. Wicke, Arch. f. Hyg. 1890. Bd. XI. 8. 333. _ UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE.\ 249 Problem einer nutzbringenden Ausmahlung gelöst, man kann aber, ohne deshalb das Streben dieser Art als nutzlos hinzustellen, sagen, daß die ‘Nachprüfung auf experimentellem Wege ein solches Ergebnis nicht an- zuerkennen vermocht hat. Dabei wurden teils feuchte, teils trockene Mahl- verfahren angewandt. Untersuchungen von €. B. Lehmann, Praussnitz, Plagge und Lebbin u. a. haben wichtige Grundlagen zur Beurteilung solcher neuen Mahlverfahren gegeben. Natürlich hat jedes neu erfundene Brot einige Zeitlang aus der Reihe der Überänestlichen, stets nur auf ihre Gesundheit Bedachten, Liebhaber gefunden, die vorübergehend der neuen Mode sich zuwandten. In den allgemeinen Volksgewohnheiten hat sich keine Änderung vollzogen. Die Militärverwaltung ist auf Grund der Versuche von Plagge und Lebbin zu einer 75prozentigen Ausmahlung übergegangen. Die ärztlichen * Kreise haben von den Vollkornbroten in diätetischer Hinsieht Gebrauch gemacht in jenen vielen Fällen, wo eine angebliche Obstipation nur in der mangelnden Kotbildung durch vollkommene Resorption der gewählten Nahrungsmittel besteht. Eine Laiengemeinde, welche das Vollkornbrot als wesentliches Mittel ‚der Gesundung ansah, hatte sich auch allmählich eingebürgert; sie war teils aus dem Vegetariertum herausgewachsen, teils entstammte sie den Anhängern des Naturheilverfahrens, teils beruht sie auf den schon er- wähnten, wirklich gesundheitlichen Bedürfnissen bei Personen mit zu ein- seitiger Kost. Das Vollkornbrot ist jetzt nicht mehr ein Nahrungsmittel geworden, um dessen Verdaulichkeitsgrad man debattiert, im Gegenteil, man fußt wieder auf der elementaren Vorstellung, daß die Zusammensetzung eines Nahrungsmittels an sich seinen Wert bedinst, das Vollkornbrot wurde wieder als Quelle reichlicher Eiweißzufuhr und reichlicher Nährasche, die Kleie als notwendiger Darmballast betrachtet, wie als Nährmittel zur Hebung der ‚Volkskraft“ und gesunden Lebens überhaupt. Eine Fülle von Beispielen über plötzliche Gesundungen als Folge des Verzehrens von Vollkornbrot sind berichtet worden. Zur Begründung dieser Seite des Problems hat man einen Weg eingeschlagen, welcher den Kreis des wissen- schaftlichen Erfassens überschreitet. Die praktische Erfahrung des einzelnen über die Mehrung der Gesundheit nach Genuß von Vollkornbrot soll beweisen, daß nur dieses zur Volksernährung verwendet werden solle. Da Artikel dieses Inhalts auch in medizinische Zeitschriften übergegangen sind und ihre Angaben als wichtiges Material in die Literatur eingeführt werden, muß über diese Art der Beweisführung ein warnendes Wort gesagt werden. Sie fußt auf dem Prinzip des posthocpropterhoc- 350 Mıx RUENER: Verfahrens, das, wie die Geschichte der Medizin lehrt, gelegentlich nütz- lich war, noch öfter aber viel Unfug angerichtet hat. Es gibt fast kein Nahrungsmittel, das man nicht zeitweilig und oft durch Jahrhunderte mit einer ganz besonderen Wirkung belegt und ausgestattet hätte. Gläubig schworen Volk und Ärzte auf die Wirkung von Dingen, die heutzutage als völlig wirkungslos erkannt sind. Von zahllosen Beispielen sei nur an folgendes erinnert. Die Hülsenfrüchte haben den Ruf genossen, die Tob- sucht mit Erfolg zu heilen, die Gurken hat man als Mittel von hart- näckigem Aussatz zu heilen angewandt, auch mit ‚‚herrlichem Erfolg“ bei Blutsturz und Phthise, der Rettich war ein anerkanntes Mittel gegen Wassersucht, Steinbeschwerden und Bandwürmer, die Gartenkresse ein Mittel gegen Furunkel. Die Äpfel heilten Melancholie, Ohnmachten und Herzklopfen, Spargel diente zur Behandlung verschiedener Erkrankungen der Harnorgane usw. Was man also in manchen Kreisen dem Vollkornbrot zuschreibt, gehört auch in die Kategorie dieser Beobachtungen, die ich eben durch ein paar kurz herausgegriffene Beispiele aus der älteren Ernährungs- wissenschaft geschildert habe. Mit Argumenten und Beweisführungen dieser Art kann sich die Wissenschaft nicht weiter beschäftigen, sie muß versuchen, ihren Weg zu gehen, den das Experiment weist. Will 'man die Vollkornbrotfrage nicht im engen Rahmen der Verdau- lichkeit wie bisher, sondern auf breiterer Basis vom allgemein gesundheit- lichen Standpunkt betrachten, so sind eine Reihe von Vorgängen zu beachten. Es gehört dann hierher die Erörterung der Ertragbarkeit, worunter man die Erscheinungen und Gefühle und Empfindungen versteht, die sich schon beim Genuß des Brotes selbst geltend machen; Geruch, Geschmack, Haltbarkeit des Brotes gehören hierher, ferner die Kauarbeit, die Vorteile der Differenzierung der Gebäcke gegenüber dem Einheitsbrot. Die Volksmasse entscheidet darüber. Wie erwähnt, hat praktisch die Differenzierung des Brotes und Gebäckes ganz und gar die Oberhand behalten. Mit der Aufnahme in den Magen tritt die so oft gehörte Frage der Sättigung, der man freilich heute eine ganz irrige Bedeutung zuschreibt, in die Erscheinung. Aus meinen Erfahrungen mag darauf hingewiesen werden, daß gerade solche Brote, die Sättigung und das Gefühl der Fülle erzeugen, Surrogatbrote waren, die bei reichlichem Genuß direkt Magen- störungen verursachten. Im Darm drückt sich der Grad der Bekömm- lichkeit in den Gefühlen aus, welche durch die Gasbildung hervorgerufen werden. Es bedarf für uns heute keiner besonderen Messung, um zu wissen, daß alle kleiehaltigen Brote reichlich, oft schwer belästigende Gas- “ euer un. a > - UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 251 bildung hervorrufen. Im weiteren sind Unterschiede in der Füllung des Diekdarmes und des Rektums und S. romanums gegeben. Man hat das die Ballastbildung genannt, über diese habe ich an der Hand der Ver- suche über aufgeschlossenes Stroh schon das Nähere gesast.! Ballast- bildung bedingt schon bei mäßigen Mengen von Brot eine zweimalige Kot- entleerung am Tage. Die Rückwirkung des Ballastes auf die Erweiterung des Darmes hat vor kurzem v. Hansemann beschrieben. Starke Ballast- bildung greift auch schon auf die Ausnützung über. Die Ausnützung ist für sich ein Objekt, das experimentell zu fassen ist. Ihre Resultate klären über die Vorgänge der Resorption auf und über die Grenzen der Leistunssfähigkeit des Darmes als individuelle Faktoren, über die chemische Beschaffenheit des Stuhles und seine Rückwirkung auf den Darm. Ein Nahrungsmittel kann bezüglich der Qualität der Nährstoffe eine besondere Beurteilung erfahren. Hierher gehört die Beurteilung der Art der Eiweißstoffe, d.h. der biologischen ' Wertigkeit, die Beziehung zur Nährstoffbildung und Wachstum. Vielfach wird in neuerer Zeit auf die Ascheverhältnisse im all- gemeinen Rücksicht genommen, ohne daß man immer die kritische Sich- tung gehörig berücksichtigt. Es wird behauptet, daß das Vollkornbrot alle „Salze“ des Getreides dem Körper zuführe und deshalb besser sei als Getreide geringerer Aus- mahlune. Auch für andere Nahrungsmittel stellt man ähnliche Betrach- tungen an, indem man, losgelöst von der praktischen Ernährung, den Aschereichtum oder die Aschearmut und die Qualität der Asche erörtert. Man vergißt dabei zumeist, daß wir zurzeit über die Bedürfnisse des Menschen hinsichtlich der Größe der Zufuhr einzelner Salze gar keine sichere Angabe machen können, da nur für einzelne Aschebestandteile ungefähr der Minimalbedarf feststeht, keineswegs für alle; auch weiß man nicht, ob es angezeigt wäre, eine Aschezufuhr auf das ‚Minimum‘ des Bedarfes einzustellen oder um wieviel das Minimalbedürfnis überschritten werden muß. Wahrscheinlich ist das ebensowenig zulässig, wie die Er- nährung auf einem Stiekstofiminimum. Ohne Kenntnis des wirklichen Bedürfnisses an bestimmten Salzen wird man doch nicht behaupten wollen, daß alle Salze einer Frucht a priori den Menschen erforderlich wären, sie sind wohl den Pflanzen für ihre bestimmten Zwecke und Lebensvorgänge unerläßlich, werden aber in dieser Menge und Art für das Wachstum oder den Erhaltungsstofi- wechsel des Menschen weder erforderlich noch auch zweckdienlich sein. Vielleicht ist auch zu wenig bekannt, daß gerade die pflanzlichen 1 Dies Archiv. 1917. Physiol. Abtlg. S. 86 und 1916. S. 44. 252 MAX RUBNER: v Nahrungsmittel außerordentlich großen Schwankungen auch in ihrem Salzgehalt unterliegen; das Weizenkorn kann im Aschesehalt zwischen 0-51 bis 3-25 Prozent, d.h. um mehr als 600 Prozent, schwanken, der Roggen vor 0-51 bis 4-18 Prozent, also um mehr als 800 Prozent. Dies läßt schon vermuten, daß ein gleichmäßiger Aschegehalt also nicht zu den biologischen Voraussetzungen des Wachstums und Gedeihens gehört. Man muß sich auch klar machen, ob das Brot an sich nach seinem Aschegehalt die Aschezufuhr maßgebend beeinflußt. Wenn man für den mittleren Verbrauch an Nahrungsmitteln, wie es bei freier Wahl vor dem Kriege in der deutschen Nation bestand, die Salze (ausschließlich Koch- salz als Würzmittel) berechnet, so schätze ich diesen Verbrauch auf 14-30 g pro Kopf und Tag, wozu noch in Wasser und Getränken 1-30 8 hinzukommen mögen = 15-60 g im ganzen.! Selbst wenn man das Korn völlige vermahlen würde, wäre der Zu- wachs an Salz nur 1-4. pro Tag, wobei aber unterstellt wird, daß diese Salze wirklich resorbiert werden, was aber nicht der Fall ist. In den Animalien werden etwa 4-07, in den Vegetabilien 10-23 © Asche auf- genommen (mit Bier eingerechnet 11-13 8), die Vegetabilien liefern dem- nach den wesentlichen Aschenanteil der nationalen Konsumwerte, die Animalien dagegen die Hauptmenge des Kalks.? Verbranekr, 3479, Milch m 0:67°/, Asche 2-32g Sie aKäserne AR 2-4 0-19 VHro Ener 1212 0-17 ABS SHBrotd. Nee 0-8 3.48 44 Mehl»... „wu. 1-2 0-53 35h % Kartoitel, .. 2... 1-09 3.82 IST Butten Sie. un. 0-2 0.04 19,0, Meta ou aan — _ Ban, Zucker ur a: —_ _ 16195, Rleischn ne 22.0. 1-12 1-35 Gemüse arm. — 2-50 14-30 Wasser zum Kochen usw. ........ 0-40 U NISBIer TE ER SR. 0-90 Summe pro Tag: 15-60 Für Vollkorn bei 1-13 Prozent Asche = 4-93 g pro Tag. = Pro Tag und Kopf Alkalien Kalk Magnesia In Milchprodukten ... 0:837g8 0-571g 0-066g8 Bier: 74..,. Teer Ar 0-068 0-018 0-002 Brot und Mehl. 2.0.22. 1:280 0-252 0-442 Kartotiel 0m we 2-406 0-100 0-188 Hleischör. 2.0. Ir R25 1.903656 0:033 0-043 Gemüse Eat le 1:087 0-320 0-175 6-314, 1-194 0-916 Massery ut enen ine — 0-400 _ u Ken 0-393 0:025 0-055 6-707 1-619 0:971 UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 253 Die starke Ausmahlung liefert mit der Kleie zwar mehr Salze in das Brot, jedoch hauptsächlich mehr Magnesia, die ohnedies in der gemischten Kost überreichlich vertreten ist.! Trotz der relativ geringen Beteiligung des Gemüses an der täglichen Kost nehmen sie in der Aschezufuhr eine wichtige Stellung ein, viel wichtiger als die Zerealien. Am übersichtlichsten werden diese Beziehungen, wenn man sich gewöhnen wollte, die Asche auf eine Kalorieneinheit zu berechnen, weil man dann sofort den Effekt der Nahrungsmischungen klar übersehen könnte. Eine solche Zusammen- stellung, aus der die Rolle der Gemüse klar ersichtlich ist, habe ich schon vor vielen Jahren gegeben.? Auf die volle Kost eines Arbeiters berechnet, wird aufgenommen: Bei ausschließlichem Asche Kalk Magnesia Genuß von in Gramm MWerbbrot 4. u. ud 6-9 0-5 0-5 Weibkrausen... 22... 104-5 9-8 3:6 DPImarbal 198-6 a Saat ade eine 187-1 27.4 11-6 Man erkennt daraus den starken Einfluß der Gemüse auf die Salz- anreicherung, neben der die Unterschiede dieser oder jener Ausmahlunges- srade fast nicht mehr in Betracht kommen. Die Bedeutung der Aus- mahlung für die Ascheversorgung wird also vielfach völlig unrichtig und viel zu hoch bemessen. Wer also die Gesamternährung eines Menschen oder einer Bevölkerung nicht kennt, darf auch nicht behaupten, daß etwa ein weniger asche- haltiges Brot einen Nachteil gebracht hat. Man muß auch wohl beachten, daß Brot im allgemeinen ein aschearmes Nahrungsmittel ist und daß die Unterschiede zwischen dem Aschegehalt eines früheren Durchschnittsbrotes und einem Vollkornbrot überhaupt keine erheblichen sind. Die Ascheernährung ist übrigens nicht nur als ein Bilanzvorgang zwischen einem einmal gegebenen ‚„Salzbedarf‘“ der Organismen und der Salzzufuhr im Nahrungsmittel aufzufassen, wie das heute noch ganz all- gemein geschieht. Der Vorgang ist verwickelt. Ich habe bewiesen, daß ein erheblicher Teil des Kotes, oft zwei Drittel, als Stoffwechselprodukt aufzufassen ist, wesentlich wohl als Rest der Verdauungssäfte. Dieser 5: In 100 Teilen Asche Alkalien Kalk Magnesia sind in Gramm Bei teinem Mehlu.r 2m. 785.18 7.48 7-70 Bei gsröberem Mehl . 31-96 6-35 11-22 Bender Klee N: 28-47 2-97 16-95 (König, Die Nahrungsmittel. Bd. II. S. 830.) 2 Hyg. Rundschau. 1905. 8. 8. 354 ü Max RuBner: Rest ist aber nicht etwa nur organischer Natur, sondern auch anorganischer Herkunft. Es werden an den Darm von den verschiedenen Nahrungs- mitteln ganz verschiedene Ansprüche gestellt. Es ist eine Eigenart des Brotes, wie wir noch näher sehen werden, daß die Steigerung des Kleie- gehaltes zu gleicher Zeit auch die Mengen dieser Stoffwechselprodukte anregt, also auch die Aschebedürfnisse selbst vermehrt, auch jedenfalls qualitativ ändert, so daß wohl erwogen werden muß, ob nicht die Zufuhr der Aschebestandteile in.der Nahrung, z. B.. durch diese Nebenwirkung der Kleie, überkompensiert wird. Zurzeit besitzen wir keine Grundlagen zar weiteren Einsicht in diese Verhältnisse, es mag aber auf die Asche- analysen des Kotes verwiesen sein, welche sich bei Albu und Neubergt zusammengestellt finden. Die Unterschiede zwischen den Ausscheidungen bei Hunger und der Aschezusammensetzung bei gemischter Kost und Milch weisen auf solche Besonderheiten hin, die einem näheren Studium vorbehalten werden müssen. In einigen Fällen habe ich die dem Stoffwechselanteil zugehörigen Aschebestandteile zu isolieren versucht und beobachtet, daß dieser Asche- anteil von wesentlich anderer Beschaffenheit ist wie der übrige Rest. Näheres kann ich vorläufig nicht angeben. Die Behauptung, Kleie habe im Brote zu bleiben, weil dadurch mehr Nährsalze gewonnen werden, gründet sich also auf die falsche Voraus setzung, daß die Zusammensetzung eines Nahrungsmittels für die Beurteilung seines Nährwertes maßgebend sei ; entscheidend ist stets nur der Resorptions- vorgang, der seinerseits niemals eine bloße Aufsaugung darstellt, vielmehr durch funktionelle Änderungen der Darmtätiekeit kompliziert erscheint. Im Gegensatz zu dem Gedanken des tunlichsten Aschegewinnes durch geringe Kleieausmahlung oder volle Vermahlung des Kornes wird von anderer Seite auf die Qualität der Asche besonderes Gewicht gelest und hervorgehoben, daß durch sie geradezu eine unerwünschte Vermehrung der Magnesiasalze eintritt, indem die Kleie besonders reich an diesen Ver- bindngen ist (vgl. oben S. 253). Mit der Kriegsernährung haben sich die Verhältnisse der freien Kost des Friedens mit ihrer beliebigen Auswahl der Nahrungsmittel allerdings vollkommen geändert, auch haben sich wirklich recht fühlbare Mängel herausgestellt, seitdem die Rationierung weiter um sich gegriffen hat; es könnte in der Tat auch zweifelhaft erscheinen, ob nicht doch manche Störungen der Gesundheit weniger auf den Mangel an organischen Nähr- stoffen als vielleicht auf den Mangel an anorganischen Bestandteilen, wobei 1 Der Mineralsioffwechsel. S. 46. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 255 man an die Kalkversoreung denken könnte, zurückzuführen sind. Aber auch in dieser Hinsicht sorgt die Selbsthilfe der freien Bevölkerung für die Mängel der ungezähmten Verteilungswirtschaft. Ich will aber hier nur auf die Verhältnisse der Brotversorgung ein- gehen. Mit dem Krieg erfuhr die Brotversorgung eine besondere Bedeutung, mit dem Abschluß der Grenzen waren wir auf die eigene Produktion an- gewiesen. Der Roggen trat mehr in den Vordergrund, und die ver- schwenderische Verfütterung des Brotgetreides führte schon nach etwa einem halben Jahre zur Rationierung des Brotes, zum Einheitsbrot über- haupt, zum Einheitsmehl und zur Beschränkung des Mehlverbrauches, zur Ausmahlung auf 80 Prozent und seit mehr als einem Jahre zum so- genannten Vollkornbrot und Vollkornmehl, wenn man von der geringen Menge des noch erbackenen Krankenbrotes absieht. In den ersten Jahren war das Brot das beliebteste Angriffsobjekt für Streekungen, d.h. für größtenteils Fälschungsmittel. Nicht nur wurden in der Literatur alle in früheren Hungersnöten ausgeführten und empfohlenen Zusätze zum Brot wieder empfohlen, sondern auch neue unverdauliche Objekte hergestellt, fremde Nahrungsmittel verschiedener Herkunft als Brotzusatz geeignet erklärt. Daneben meldeten sich fast alle seit vielen Jahrzehnten bekannten besonderen Mahlverfahren aufs neue und verlangten schon zur Zeit der _ Ausmahlung auf 80 Prozent ihre Verwertung für den Staat. Schließlich gab man dem Drängen der Vertreter des Vollkornbrotes auch nach; wer. diesen ausschlaggebenden Einfluß ausgeübt hat, ist nicht bekannt, jedenfalls wurde eines Tages amtlich die volle Ausmahlung des Kornes beschlossen. Als Argument für die Notwendiskeit, ein Vollkornbrot zu genießen, hat man auch die sogenannte Vitaminlehre herangezogen. Es zeigt sich auch in dieser Hinsicht, daß die popularisierende Richtung der wissen- schaftlichen Durcharbeitung einer Frage vorauseilt und sie schließlich in Mißkredit bringt, weil sie die Zusammenhänge der wissenschaftlichen Tat- sachen nicht zu erfassen vermag. Die bisher erhaltenen objektiven Befunde rechtfertigen die Behaup- _ tung, daß nur ein Vollkornbrot gesund sei, absolut nicht. Im Gegenteil, man könnte mit demselben Recht behaupten, daß die größten Fein- schmecker und Schlemmer auf diesem Gebiete, diejenigen, die wesentlich nur Milchbrötehen genießen, ebenso vor den Folgen des Vitaminmangels geschützt sind wie die Vollkornbrotesser. Man muß nur auf die Tatsachen zurückgehen, wie sie wirklich nachgewiesen worden sind. 256 MAx RUBNER: F. Hofmeister! hat auf die Vitaminfrage mit Bezug auf das Brot hingewiesen. Feines Weizenbrot konnte die Tiere nicht am Leben er- halten, wohl aber Rogsen- und Kommißbrot oder Weizenbrot mit 20 bis 25 Prozent Weizenkleie oder das Weizenmilchbrot; auch Zusatz von 10 Prozent Preßhefe erwies sich als lebensrettend für die Mäuse. Sonach liegen ähnliche Verhältnisse wie bei den Versuchen mit poliertem Reis vor, dessen Insuffizienz der Nährwirkung durch Reiskleie, Weizenkleie, Erbsen, Bohnen, Preßhefe usw. beseitigt werden konnte. F. Hofmeister: hat selbst darauf hingewiesen, daß bei der Abwechslung, welche die normale Kost bietet, solehe Wirkungen, welche aus dem Mangel an akzessorischen Nährstoffen entstehen können, kaum zur Beobachtung kommen dürften, Es fehlt in der Tat jeder Nachweis, daß im Rahmen der normalen durch- schnittlichen Ernährung die Gefahr eines solchen Mangels an diesen Stoffen im allgemeinen oder wegen des Genusses von ‚„‚Weißbrot‘‘ entsteht. Selbst wenn man die Ergebnisse an weißen Mäusen unmittelbar und nach jeder Richtung einfach auf den Menschen übertragen wollte, was ganz und gar unzulässig ist, wäre zu beachten, daß der Genuß des feinen Brotes ohne jeden Schaden wäre, da es ja mit Milch gemischt ist. Aber auch sonst blieben da mancherlei andere Einwände, auch wenn man davon absieht, daß die ganze übrige Kost die Möglichkeit bietet, die akzessorischen Nähr- stoffe zu schaffen. Der Mangel an akzessorischen Nährstoffen wird vor allem dann leichter eintreten und zur Wahrnehmung kommen, wenn eine einförmige, einseitige Art der Ernährung innegehalten wird. % So könnte also von einem gewissen Abschluß der Brotfrage gesprochen werden, wenn nicht sofort wieder die Zweifel auftauchen müßten, was denn Vollkornbrot eigentlich sei. Es unterliest für mich gar keinem Zweifel, daß man unter diesem anscheinend sich selbst erläuternden Aus- druck sehr verschiedenartige Dinge zusammenfaßt und in scharfen Gegen- satz zu anderen Brotarten zu bringen versucht, wo innerlich solche Unter- schiede gar nicht vorliegen. Von Vollkornbrot habe ich sowohl Roggen- wie Weizenbrot vor einiger Zeit näher untersucht?, aber auch da zeigte sich, daß dem wahren Sinn des Wortes entsprechend keine echten Voll- kornbrote vorliegen. Außer dem ‚amtlichen‘ Vollkornbrot liegen weitere „Vollkornbrote“ vor, von denen behauptet wird, daß sie von außer- sewöhnlich günstiger Verdauungsfähigkeit seien. Insbesondere hat Hind- hede in einer ausführlichen Abhandlung behauptet, daß das Klopfer- 1 Straßburger med. Zeitung. 1915. Heft 4, 2 Vgl. dies Archiv. 1916. S. 61 und 165. ee Re rer er ie N te a ee ze EN WESER UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 257 ‚Vollkornbrot ein außergewöhnlich gut verdauliches Material sei, und von anderer Seite wird wieder das Finklerbrot als das Brot der Zukunft be- zeichnet. Daneben melden sich auch wieder eine Reihe anderer Mahl- verfahren ‚‚mit verbesserter Methode“. Eine wahre -Danaidenarbeit, da für eine erledigte Erfinduns sofort wieder mehrere neue auf der ‘Bildfläche erscheinen. Trotzdem will ich versuchen, in nachfolgendem an ein paar Beispielen zu zeigen, wie die Untersuchung derartigen Materials durch- zuführen ist und wo der Fehler der bisherigen Untersuchungen und Er- gebnisse liegt. Ehe ich aber an die Versuche selbst herantrete, wird es zweckmäßig sein, über die Vermahlung des Kornes und die Verteilung der Kleie noch- mals einige wichtige Tatsachen in Erinnerung zu bringen. Zunächst steht sicher, daß die in der Literatur aufgeführten Beobachtungen von Ärzten und Laien über die günstigen gesundheitlichen Wirkungen und die ganze Individualbeobachtung insofern keinen Wert besitzt, als die Gewährs- männer solcher Behauptungen zumeist gar nicht nachweisen könren, daß sie wirklich ein Vollkornbrot genossen haben. Wie schon erwähnt, müßten selbst aus voll vermahlenem Getreide hergestellte Brote schon deshalb sanz verschieden sein, weil das Getreide bald viel, bald wenig Kleie ent- hält und diese natürlichen Schwankungen außerordentlich große sind. Der Konsument hat nicht den geringsten Einblick in die Mahl- verhältnisse der Mühlen, und die Müller selbst legen auf manche Vor- kommnisse, die für die Art der Produkte vom hygienischen Standpunkt wesentlich sind, oft keinen Wert. Die Vermaxlung selbst hängt auch viel- fach von der kaufmännischen Konjunktur ab, wie auch die Bezeichnungs- weise der Mehlsorten.! Vielfach scheint die Meinung verbreitet zu sein, daß nur ein Voll- kornbrot. die Kleie in ausreiehendem Maße enthalte, obschon es Nicht-. Vollkornbrote gibt, die mehr Kleie enthalten als das ganze Korn. Das Mahleut, welches zur Herstellung von Mehl dient, ist von bio- loeischem und hygienischem Standpunkt oft ein grundverschiedenes Ding, Zunächst kann das Getreide vermahlen werden, wie es von der Tenne kommt, also mit allen Unkrautsamen, siftigen wie ungiftigen, mit Steinehen, Glassplitterehen, Eisenteilen, Bodenschmutz und Mäusekot. K.B. Lehmann hat sich besonders mit den Unreinheiten des Mehles und Brotes verschiedener Herstellung beschäftigt und wichtige Mitteilungen hierüber gemacht, aus denen hier nur das Wesentlichste angeführt werden mas. Besonders übel steht es nach K. B. Lehmann mit den ländlichen 1 BRubner und Thomas, dies Archiv. 1916. S. 166, Archivf. A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 17 258 Max RUBNER: Schrotbroten; er sagt: „Es geht für mich aus diesen beim Schrotbrot und -mehl erhaltenen Zahlen durchaus hervor, daß in den ländlichen Schrotbrotgegenden die Reinigung des Getreides fast durchweg sehr flüchtig, vielfach, wie es scheint, absichtlich gar nicht vorgenommen wird.“ Besser waren die Verhältnisse bei den untersuchten Proben in den Städten. Dies wird meiner Meinung nach wohl auch mit den Preisen des Brotes in Zusammenhang stehen. Für die städtischen‘ Schrotbrotesser liegt ge-- wöhnlich mehr eine Luxusware vor, die für den kleinen Bedarf wohl auch im Durchschnitt besser zubereitet wird. Die Verunreinigungen des Schrotbrotes waren vielfach derart, daß Lehmann eine staatliche Aufsicht über das Brot in den schrotbrotessenden Gegenden für zweckmäßig erklärte.! In diesen Fällen liegt also allerdings eine Zermahlung des ganzen Kornes vor, aber zugleich eine Mitvermahlung von Unkrautsamen und Unrat. Auch die Quelle des Getreides spielt für solche Vermahlungsprodukte eine wichtige Rolle. Von ausländischem Getreide hat den schlechtesten Ruf das russische Getreide mit 6 bis 7 Prozent Zutaten für Weizen und Rogsen, bis 16 Prozent bei der Gerste.” Die Reinigung des Getreides ist daher die erste Anforderung, die man für die Mehlbereitung.zu stellen hat. Nach Bienert wird bei Weizen und Roggen etwa 5 bis 4 Prozent solchen Abfalls im Durchschnitt erhalten, wobei die Hälfte bis zu einem Sechstel durch den Trieur ausgelesen (davon sind z. B. bei Weizen 65 Prozent zerbrochene Körner, 5 Prozent Steinchen und Spreu;- 30 Prozent fremde Samen), der Rest durch Gebläse und Siebe abgeschieden wird. In der Krieeszeit ist diese. Reinigung vielfach bei uns ganz unter- blieben, ja es sind zum Teil auch noch, soweit erhältlich, Unkrautsamen selesentlich besonders zermahlen und zugesetzt worden. Unter Reinigung ‚des Getreides darf man sich aber nicht eine absolut quantitative Trennung der Körner von den Unkrautsamen u. del. Schmutz vorstellen.® Für einheimisches Getreide fand Lehmann in'100e Körnern in mg: Ungereinist | Gereinigt Minimum Minimum |Maximum Unkraut und Schmutz im ganzen . . | 685 3504 DavonE Schmutz 20 2918 Uneiftige Unkräuter . ........ 401 312 Giftige- Unkräuter ;.. u... Jun... | 264 272 1 Reform auf dem Gebiete der Brotbereitung. Vierteljahrsschrift f. ollemlaz Ge 1893. Bd. XXVI. 2 Maurizio, Nahrungsmittel aus Getreide. 1917. IL. Bd. S. 129. 3 Vgl. K.B. Lehmann, Arch. f. Hyg. 1908. Bd. XIX. > en UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 259 Der Reinheitserad ist also als relatives Maß zu nehmen. Das Korn selbst besteht aus drei ernährungsphysiolosisch und bio- logisch ungleichwertigen Komponenten, dem Mehlkern, dem Keim und den Hülsen. Erheblichen Schwankungen unterliest das Vorkommen der Keim- linge. Im Verhältnis zur ganzen Frucht findet sich nach Hay! beim Weizen 2—3 Prozent Hafer 3—4 Prozent „ Roggen 2-.5—4 Fr Maishirs' 5—6 35 Gerste 2—3-.5 ,, Mais 10—14 Girard?2 hat das Korn in einer kleinen Laboratoriumsmühle in seine Bestandteile zerlest und gibt für Weizenmehl: Mehlkern Keim Hülse 85:98 Prozent 1-50 Prozent 12-52 Prozent 84-69 An 1-41 u. 13-90 u 33:04 “ 1-35 RN 15-61 & 34-72 EN 1-16 % 14-12 en Ähnliche Untersuchungen hat Fleurent 1899 gemacht mit ähnlichen Resultaten: Minimum Maximum IRernes, Aula nk 82-48 84.18 Prozent IS ma a2 u Bea: 1.34 1:57 5 Schalen. m Moumae 16-18 14-25 N Diese Trennungen sind namentlich, was die Hülsen anlangt, jedenfalls mit erheblichen Fehlern, die aber konstant sein mögen, behaftet; jeden- falls sieht man die schwankenden Verhältnisse der drei Komponenten. Die Unterschiede zwischen Mehlkern und Hülse sind auch, wie sich schon aus dem Rohfasergehalt ergibt, recht wechselnd, auch mit der Größe der Körner. Nach Kick enthält das lufttrockene Weizenkorn 82 Prozent Mehl- körper und 18 Prozent Kleie; in der Mühle wird bei bester Arbeit erhalten 82 Prozent Mehl und 16-4 Prozent Kleie, Fußmehl und Schälstaub 1-5 Pro- . zent Verlust. Die im ganz vermahlenen Korn befindlichen Teile rühren also aus drei Quellen, die bei den einzelnen Zerealien sehr ungleichen Anteil am ganzen Korn haben und auch bei einzelnen Früchten, wie Rogsen und Weizen, je nach den Spezies und der Ernte verschiedene Werte annehmen. Wenn man selbst annehmen wollte, daß Vitamine nicht in dem Mehlkern 1 Vel. Maurizio, Bd. I. S. 155. 2 Hbenda. S. 156. im“ 260 MAX RUBNER: sind, so wüßte man immer noch nicht, wo sie sonst enthalten sind, ob in dem Keimling oder in der Kleberzellenschicht oder in einem anderen Teile der Frucht und Samenschale.. Beim Mahlprozeß abfallende Teile heißt man zwar Kleie; diese stellt aber ein Gemenge von den allerverschiedensten Dinsen dar, und ebenso das Mehl, wie ich gleich nachweisen werde. Der Ausdruck Vollkornmehl ist übrigens nicht nur für Mehl in Ge- brauch, welches aus dem ganzen Korn hergestellt wurde, sondern für ein Mehl, das in einer ganz anderen Weise gewonnen wird. Ich werde noch experimentell. nachweisen, daß das Vollkornbrot, über welches Hindhede und andere und die populäre Literatur so Vortreffliches berichten, über- haupt kein Vollkorngebäck ist. Der Mißbrauch des Wortes Vollkorn liest weit zurück; er war mir schon bekannt zu der Zeit, als ich meine ersten Untersuchungen an diesen Brotarten machte. Vollkornmehl, Mehi aus ganzem Korn, wird auch solches Material benannt, welches aus dekortiziertem Getreide hergestellt ist. Ausgehend von der Absicht, daß es wichtig sei, die Kleberschicht im Korn zu erhalten, um den Eiweißgehalt zu erhöhen, und unter der Voraussetzung, daß alle Schichten der Frucht- und Sarmenschale wertlos seien, das Endosperm und die Kleberschicht das ‚„‚Nährende‘ darstellen, hat man das Getreide ge- schält. Diese Schälverfahren sind sehr mannigfacher Art, sie entfernen keineswegs nur die Frucht- und Samenschale, sondern auch noch den Keimling und häufig Teile der Kleberschicht und der anhängenden eiweiß- reichen Schicht des Mehlkernes. Die Annahme einer völligen Nährstoff- freiheit der Frucht- und Samenschale ist übrigens keineswegs zutreffend, und mit der Beseitigung der Keimlinge wird, wenigstens für den, der „alle Teile‘‘ des Getreides verzehren möchte, ein wichtiger Teil weg- genommen. Im Gegensatz zu der Vermahlung des „Vollkornes‘‘ — sei es mit oder ohne Frucht- und Samenschale — setzt man gewöhnlich die Produkte der Hochmüillerei, von denen sehr verschiedene in den Handel kommen; die einzelnen Sorten von Mehl dienen verschiedenen Zwecken. Feine Brote entsprechen wohl den Ausmahlungssrenzen mit 30 Prozent und etwas darüber. Zu Brot findet aber auch Mehl Verwendung, dem die feinen Sorten vorweg entzogen sind. Solche Brotsorten enthalten dann mehr Hülsenbestandteile als selbst das wirkliche Vollkornbrot. In neuerer Zeit sind nochmals systematische Versuche über die Zusammensetzung bei ver- schiedenen Ausmahlungsgraden gemacht worden. Aus den Untersuchungen von Kosutany? läßt.sich eine kombinierte 1 Chemische Untersuchungen der ungarischen Exportmühlen. 1912. 8. 14. a ae UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 261 Tabelle ableiten, welche für die Beurteilung von Mehlen in ihren Schwan- kungen in der Zusammensetzung, von Bedeutung ist!: E; Ausmahlung Asche Fett Rohfasergehalt nung | 1 Prozenten | mind. |höchst. Mittel| mind. |höchst.| Mittel] mind. |höchst.|Mittel 0 36 0:40 | 0-50 | 0-45 | 0-91 | 1-22 | 1:06 | 0:26 | 0-53 | 0-43 it a 51-4 0-44 | 0-55 | 0:50 | 0:99 | 1-71 | 1:18 | 0-26 | 0-66 | 0-51 2 7:0 0-51 | 0-62 | 0-58 | 1-12 | 1-51 | 1-28 | 0-21 | 0-96 | 0-57 3 2-8 15-8 | 0-55 | 0-82 | 0-69 | 1-09 | 2-04 | 1-45 | 0-23 | 0-90 | 0-63 4 4:01 67-2 | 0-57 0-88 | 0:78 | 1-34 | 2-10. | 1:63 | 0-41 | 0-79 | 0-71 5 4-8S[ im 0-72 | 1-12 | 0-92 | 1-55 | 2-22 | 1-80 | 0-38 | 1-63 | 0-80 6 4.2) ganzen| 0:96 | 1-35 | 1-15 | 1-68 | 2-51 | 2-09 | 0-52 | 1-34 | 0-97 7 3-8 6-67. |E-T08 7 1-74 | 1.47 2-13 | 2-96%| 2-44 | 0-72 | 1-63. 1728 lb 2 73-8 | 1:23 | 2-47 | 1-82 | 2-31 | 3-16 | 2-76 | 0-89 | 2-06 | 1-64 2476297 11-67 |, 3:92 2.36.) 2-57, 3-52 1,3:06 | 1.02 | 2:84 | 2-09 8 5 . =381-2 | 2-30 | 4-42 | 3-63 | 3:63 | 483 |)403| — _ = Kleie |17 98 —_ — _ _ — — Verlust | 2:0 100 — — — — Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Brote, welche aus Mehl der Hochmüllerei herrühren, alle hülsenarm sein würden. Die Zusammen- setzung der Brotmehle hängt überhaupt ziemlich eng von der Preislage der Körner ab, wie ich an anderer Stelle schon auseinandergesetzt habe.? Ist das Getreide teuer, so werden auch die späteren Fraktionen der Aus- mahluns noch zum Brot verwendet, der Konsument erhält also unter demselben Titel Schwarzbrot je nach den Ernten und. Getreidepreisen eine ganz verschiedene Ware. Nur solche Leute, die ausschließlich feinstes Weißbrot genießen, nehmen wenig von den Hülsenteilen auf. Wenn man aber annehmen wollte, die feinsten Mehle der Hochmüllerei seien völlig frei von der Zellmembran der Frucht- und Samenschale, so ist auch das ein Irrtum. Wer in letzteren die Träger der Vitamine sieht, wird zugeben müssen, daß die Hochmüllerei ein wirklich kleiefreies Mehl gar nicht her- zustellen vermag. Inwieweit aber Splitter der einzelnen Zellmembranen sich im Mehl verschiedenen Ausmahlungssrades verteilen, hat durch mikroskopische Auszählung Girard? festgestellt. Er fand in 1g- Weizenmehl folgende Mengen von Kleiebruchstücken: 1 Vgl. auch Maurizio, S. 173 u. 181. 2 Dies Archiv. 1917. Physiol. Abtlg. S. 166. 3 (ompt. rend. 1895. S. 121 u. 858. 262 MAx RUBNER: Herkunft Ausmahlungsgrad der Teilchen 40 60 70 75 80 Prozent Rruchtschalem gr 3000 3700 4700 4900 3900 Samensehale ı „2. nn. 1000 2700 2700 3200 600 Aus dem Haarschopf .. . 400 400 1000 1800 3600 Summe 4400 6000 8400 9900 8160 Reste der ganzen Kleie . . —_ 1800 1400 1300 6000 Schalen mit Kleberschicht . 1400 2600 3100 3800 8100 Kemnuberrestep en. 2% 1 100 1700 3300 4600 . 6900 Summe 2500 6100 7800 9700 21600 Im ganzen 6900 12900 16200 19600 29600 Alle Teile des Kornes ‘sind auch im feinsten Mehl vorhanden, wenn auch in kleinen Mengen. Es ist gar nicht berechtigt, das Mehl feiner Ausmahlung als einseitige Entmischung des Kornes aufzufassen; jedenfalls enthält solches Mehl qualitativ alle Bestandteile des Kernes, während das entschälte Korn bei manchem Schälverfahren nur Kleiezellen und Mehl- kern enthält, den Keimling und die Frucht- und Samenschalen aber ein- sebüßt hat. Man könnte sagen, daß manches sogenanntes Vollkornbrot ein viel einseitigeres Mahlprodukt darstellt, wie es das Hochmüllereiverfahren liefert. Sieht man in der Getreidehülse die Träger von Vitaminen, so sind diese zweifellos auch im feinen Mehl vorhanden. £ Neue Untersuchungen. Über Kriegsbrot. (Sommer 1917.) Das Brot in der Kriegszeit ist schon seit Frühjahr 1915 nach amt- lichen Rezepten hergestellt und das st in anderer Weise wie im Frieden vermahlen worden. In den ersten Kriegsjahren bis 1917 bestand die Hauptgefahr für dieses Nahrungsmittel darin, daß der Verbrauch an Getreide für die tierische Ernährung niemals wirksam unterbunden war, die Brotration knapp aufrecht erhalten und bei dieser Sachlage fortwährend nach Surro- gaten zur Streckung des Brotes gesucht wurde. Die abenteuerlichsten Vor- schläge wurden gemacht und auch auf dem Gebiete der Fälschung das Un- glaublichste geleistet. ( Zu den Vollkornbroten gehört unbedingt das Kriegsbrot des Sommers 1917. Mit der Ausmahlung bis zu 80 Prozent war gebrochen worden, zumal ein Streckungsmittel wie die Kartoffel nicht zur Verfügung stand und auf die Gewinnung anderweitigen Materials, wie z.B. von Mais, nicht a UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 263 - mit genügendem Nachdruck hingewirkt wurde. Ein merkwürdiges Prämien- system für möglichst weitgehende Ausmahlung brachte es mit sich, daß alles das, was eine reinliche und hygienisch einwandfreie Müllerei aus dem Brote fernhalten sollte, mit verbacken wurde. Vermutlich war auch der Rogsen selbst nicht selten von schlechter, mitunter verdorbener Beschaffen- heit. Einer Zurückweisung schlechten Mehles von seiten der Stadtverwal- tungen wurde keine Folge gegeben, vielmehr verlangt, das beanstandete Mehl mit anderem, besserem zu mischen. Es konnte daher auch nicht wunder- nehmen, wenn das Brot von schlechtem Geschmack und Geruch war, auch durch die Backweise nicht befriedigte. Inwieweit sonst unerlaubte Zusätze etwa von Unkrautsamen in größerem Umfang vorkamen, ist nicht oder nur ausnahmsweise in die Öffentlichkeit gedrungen. Wenn man bedenkt, wie lange unser Volk gezwungen ist, das Einheits- brot zu essen und wie häufig eine berechtigte Kritik daran geübt worden ist, muß es wundernehmen, wie spärlich die Versuche über die näheren physiologischen Eigenschaften dieser Brote sind, nur R. Ö. Neumann hat eine Reihe von Brottypen untersucht.! Die Herstellung der Kriessbrote war keineswegs immer gleich. Von der Erfahrung, besonders des Jahres 1917, wird man .sagen können, daß die Brotbereitung in weitestem Umfange im Volke eine Ablehnung erfahren hat. Ob die Brotbeschaffenheit etwa mit den damals weit- verbreiteten Verdauungsstörungen im Zusammenhang stand, kann hier nicht weiter untersucht werden. Es schien mir (Sommer 1917) wünschenswert, die Verdaulichkeit des Kriessbrotes im Zusammenhalt mit den anderweitigen Untersuchungen, die von mir ausgeführt worden sind, eingehender zu prüfen, namentlich nach den Richtungen hin, die von anderer Seite keine Bearbeitung ge- funden hatten. Die Minderwertiekeit eines wie oben angegeben her- gestellten Brotes gegenüber einem Brot von 80prozentigem Mehl ist für den Unterrichteten selbstverständlich; unverständlich bleibt, daß die Behörden mit Begründungen für die Zweckmäßigkeit eines solchen Brotes an die Öffentlichkeit treten, für welche alle Unterlagen fehlen. Zur Ausführung des Versuches wurde das Brot von verschiedenen Bäckereien im Norden Berlins eingekauft. Zum Versuche dienten zwei Personen mit gesunden Verdauungsorganen, denen freigestellt worden war, so viel zu essen, als zur Befriedigung ihres Nahrungsbedürfnisses diente. An einigen Tagen konnte etwas Butter, im übrigen etwas Zucker als Zugabe verabreicht werden. Die nachstehenden Tabellen geben die näheren ‚Einzelheiten an. 1 Vierteljahrsschrift f. gerichtl. Medizin. Dritte Folge. Bd. LI. Heft 2. 264 Mıx RUBNER: Roolfs. Versuch mit Bäckerbrot. Getränk 21 Kaffee aus 30 g Malz täglich. Ge- Une Datum | wicht Nahrung Zeit Kot “a ; N i in ko frisch | trocken ccm ın g Ars NANDE Gemischte Kost. . . — —_ 2860 | 9-4 28. VIII. | 56-5 | Brot 1135 g, Butter 308, : Zucker >0e ara — —_ _ 1760 | 10-0 29. VIII. — Brot 1160 g, Butter 30 g, Zuckers300.. 2. er. 1a 247 | 55 | 1720| 79 30. VIII. | 56-75] Brot 1097 g, Butter 30 g, Auckers0e, 22.0.2 NEUaNy? 531: | 113 | 1500| — 31. VIL.| — Brot 1085 g, Zucker 758 | 8 V. 375 ) 83 | 111073839 ID 56-5 | Brot 1105 g, Zucker 75 & GzoNe 613 113 | 1570 | 10-2 2. 1X. — Brot 1148 g, Zucker 758 | 700 V. 245 | 55: | 1540|. 8:9 3. 1XE _ Gemischte, Rost . 2... | ey: 510 | 110 | 2000 | 9-4 frisch 2501 =529 lufttrocken Brot pro Tag 1116-69 = 727.19 Trockensubstanz. Kurgas. Versuch mit Bäckerbrot. Getränk 21 Kaffee aus 30 & Malz täglich. er Kot | Urm| N Datum || wicht Nahrung Zeit \ in kg | frisch | trocken el 22 27. VIIL| — Gemischte Kost. . . _ — —_ 2060 | 5-4 28. VIIL.| 55-5 | Brot 940g, Butter 30 g, Zucker 508 .. _ —— _ 1670| 77.8 29. VIIIL.| — Brot 1063 g, Zucker 308 OS? 245 55 1710 | 6-3 30. VIIL.|| 55-5 | Brot 1087 &, Butter 20g, Zucker 30 Er: SAVE 320 | 98 | 1580 | 6-3 31. VII. — Brot 1030 8, Butter 30 & ; Zucker 308. 3 002 380 s0 1840 | 7-6 ID — Brot 1255 g, Butter 30 8, Zucker 308... SEE, 340 70 |:1620 | 6-3 2, DR — Brot 1025 g, Butter 30 e, Aucker ler ur sauV. 200 | 45 1450 | 9-5 3% 10 55-5 | Gemischte Kost. .. .| 70V. 360.| 75 1800 | 6-0 frisch 1845 = 423 lufttrocken Brot pro Tag 1066-6 = 694-6 9 Trockensubstanz. Die Brotmengen sind auf Brot von dem Wassergehalt zu Beginn der un Reihe berechnet. Die beiden Soldaten kamen im ganzen auf die nötige Kalorienmenge, zwar nicht mit dem Brot allein, aber mit den Zugaben. Die Analyse des Brotes und des Kotes enthält die nachfolgende Tabelle. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 265 Herbst 1917. | In In In 100 Teilen Brot 694-6 Teilen | 727-1 Teilen | Kurgas Roolfs BNSche m. N. MN 2-59 17-62 18-90 Breanischs. ..,,. Ins 97-41 677-00 708-20 N nn, ee 1-65! 11-46 12:00 Gesamtpentosan . . . .. . 10-77 74-80 78-20 ZHellmemibran una... 9-74 67:65 70-82 Zellulese: ı. 0... 2... 3-02 20-97 21:95 Pentosan der Zellmembran . 3-07 21:29 ° 22-32 Restsubstanz d. Zellmembran 3-65 25-39 26-55 Iren Sn 0-60 4-17 4-36 Stankesf.. ea. een 69-062 479.68 -502-12 ISSIOLIEN!.....:2 ee 422-1 2931:7 3069-0 1110-31 Protein. 2 Berechnet. In 100 Teilen Zellmembran sind: Zellulosetwarn na nee Pentosan N EEE NEEHEN 31-51 Bestsubstanze sa 37-49 In 70g |In 87-58 In 100 Teilen Kot Kurgas | Roolts Kot Kot Kurgas Rool#s Nschese se sn ae 8-78 9-21 6-15 3-06 Dreanıschec.ir., een 91-22 90-79 63-85 79-49 IN LER. BEE nf 3-44 4-40 3-41 3-85 IBentosans ne es a 21-36 19-29 14-95 16-88 Zelmembram .-.. . 2... 36:88 38-27 | 25-82 33-31 zelluloservnre „var. 13-57% | 13-36 9-50 11-67 Pentosan der Zellmembran . 11-94 13-78 8-36 11-04 Bestsubstanz d. Zellmembran 11-37 11-13 7:96 9-74 IRlsikih a re 5-98 7:27 4-19 6-36 Sianka ln a 8-41 5-15 5-88. 4-50 ISalorien® man nn. 480-1 477-4 336-07 417-71 In 100 Teilen Zellmembran des Kotes Roolfs Kurgas Mittel Zellulose, 44. 36-79 34-88 35-83 Pentosan 32-37 35:98 34-17 30-84 29-14 30:00 Typus eines Vollkornbrotes liefern werde. EEE Rest erwarten, daß das Brot den Dem entspricht auch der hohe Gehalt an Zellmembran, und auffallend hoch ist der Pentosangehalt, der den bei 96 Prozent Ausmahlung in einem anderen Falle erhaltenen Wert (9-77 Prozent) noch übersteigt. Gewisse Schwieriekeiten waren auch bei Nach der Kriegsverordnung war zu 266 MıAx RUBNER: der Darstellung der Zellmembranen zu überwinden; zweifellos war ein Teil’ derselben durch Diastase löslich, nicht die Zellulose und nicht die Pentosane, wohl aber ein Teil der Restsubstanz. Ich mußte daher von der Anwendung der Diastase zur Stärkelösung absehen und habe hierzu nur Chloralhydrat verwendet, ein umständliches und zeitraubendes Ver- fahren. Ein Grund für dieses Verhalten läßt sich nur schwer angeben, da es bis jetzt an genügender Erfahrung fehlt. Man könnte daran denken, dab etwa ausgekeimtes Getreide mit verwendet worden ist. Durch das Auswachsen kommt ein Stoffverlust zustande, der bei mäßigem Auswachsen einige Prozente beträgt, aber sich weiter erheblich steigern kann, dadurch werden die Zellmembranen angereichert. Die Umwand- lungen sind leider nach der Richtung hin, welche hier interessieren, nicht näher bekannt. Nach Maurizio gibt es beim Roggen durch Diastase lösliche Pentosane, während die des Weizens nicht verändert werden sollen. Bei der Keimung soll sich besonders neue Diastase bilden, die möglicherweise etwas andere Eigenschaften hat wie die präformierte. Zahlenmäßige Belege für den Umfang, in welchem bei Roggen während der Keimung Pentosane in Lösung gehen, habe ich nicht finden können. Die von mir dargestellten Zellmembranen gaben bei der Behandlung mit Diastase keine Pentosane in Lösung. Man könnte annehmen, daß bereits eine solche Abtrennung stattgefunden hatte und demgemäß die nochmalige Einwirkung von Diastase ohne Erfole blieb. Es wäre aber denkbar, daß die Restsubstanz verändert werden kann und ihre Löslich- keit in Diastase erhöht wird. Ich möchte aber damit, keine definitive Erklärung geben und weitere Untersuchungsergebnisse abwarten. Der Umstand eines so außergewöhnlich hohen Zellmembrangehaltes, wie ich ihn sonst auch bei ungereinigtem Roggen nicht beobachtet habe, muß entweder zu dem Schluß führen, daß Roggensorten vorkommen, die außergewöhnlich reich an Zellmembran sind oder daß eben doch eine anderweitige Beimengung zum Brote eingetreten war. Überlegt man sich die Vorgänge der Ernährungsperiode des Frühjahrs und Sommers 1917, so war dies die sogenannte Kohlrübenzeit. Besonders eifrige Vertreter der Kohlrüben konnten sich in der Ausbeutung dieses fraglichen Nahrungs- mittels nicht genug tun. Die Kohlrübe war Kartoffelersatz, sie erstand im Trockengemüse und den Marmeladen und wurde außerdem in manchen Gegenden in hohem Prozentsatz dem Brote beigemenst. Aus getrockneten Kohlrüben wurde auch eine Art Mehl hergestellt, das im Verlauf des Jahres 1917 um hohen Preis ausgeboten wurde und als Beimischung zu Brotmehl empfohlen, ja gewissermaßen aufgedrängt wurde. Eis Nr ey n NEE UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 267 Betrachtet man die untersuchten Kriegsbrote von diesem Gesichts- punkte als eine Mischung hochgradig ausgemahlenen Roggens mit Zugabe von Kohlrübenmehl, so ist die eigenartige Zusammensetzung gut zu er- klären, auch manches Verhalten in diätetischer Hinsicht. Das Brot hatte im Mittel 65-12 Prozent Trockensubstanz. Die bei einzelnen Bäckern festgestellten Schwankungen des Trockengehaltes waren: 64-29 Prozent 64-70 Prozent 65-78 ,„ 63233, 109-0005 2, BanLban Recht gering war der Proteingehalt für ein Vollkornbrot. Der Kot war stets geformt mit 21-1 Prozent Trockensubstanz bei R. und 22-9 Prozent bei K. | Einen sehr großen Teil des Kotes machten die Zellmembranen aus (36-9 bis 38-2 Prozent); an Pentosanen ist im Kot viel mehr als an Stärke, freilich ist von ersteren ein guter Teil in der Zellmembran noch ‚gebunden. Als Gesamtresultat des Verlustes bei Ernährung mit Kriegsbrot (1917) wurde erhalten für 100 Teile: Person K.| Person R.|) Mittel oh A Ne | 21-02 | 32.09 | 26-55 AmelXalorien- ee 11-46 13-61 12-53 Aellmembrane ae gen 38-16 47-03 42.50 ellnloser Ar vr: 45-32 53-16 49-24 Pentosan der Zellmembran . . 39:25 49.45 44-35 Restsubstanz der Zellmembran 31:35 36-69 34-02 An Pentosan im ganzen ... 20-00 20-14 20-07 An freien Pentosanen.. .... 12-31 10-45 11-38 An Svarken. a ee 1-23 0-89 1-05 Eben erwähnte ich die Unterschiede in der Ausnützung der beiden Personen, in der Zusammenstellung tritt das noch schärfer hervor. K. verdaut die N-haltigen Stoffe weit besser als R., auch die Zell- membran löst sich in seinem Darm viel leichter, und wie wir sehen werden, ergeben sich auch hinsichtlich der Stoffwechselprodukte ähnliche Unter- schiede. Ich betone das insbesonders im Hinweis auf Hindhede, der bei Resultaten, die von denen anderer Autoren abweichen, stets mit der Erklärung zur Hand ist, daß seine Ergebnisse genauer und maßgebender seien als die aller übrigen Experimentatoren. Wenn Hindhede da und dort günstigere Resultate erhalten hat, so liest das ganz an dem Zufall, 268 Max RUBNER: der ihm ein paar Menschen in die Hand gespielt hat, welche Zell- membranen gut verdauen, wie oben Person K. Und wenn Hindhede namentlich mit Vorliebe darauf hinweist, daß die „älteren“ Versuche von Plagge und Lebbin so viel schlechtere Ausnützung gezeigt hätten, so hat er offenbar diese Versuche nie genauer durchgesehen, sonst hätte er herausfinden müssen, daß sich bei Plagge und Lebbin sehr große Ver- schiedenheiten zwischen den Versuchspersonen finden, einerseits Leute mit sehr guter Resorption, andererseits besonders die Person Pl., deren Ver- suche oft rechnerisch ausschlaggebend sind, die sich aber für die gröbere Pflanzenkost nicht eignete, wahrscheinlich deshalb, weil ihr Darm dafür nicht geeignet war. In gewissem Sinne haben gerade solche Versuche mit Personen von verschiedenem Verdaulichkeitsvermögen besonderen Wert, weil sie bessere Mittelwerte für die praktische Verwertung geben als Zahlen mit nur optimalen Verhältnissen. Natürlich ist es unstatthaft, für bestimmte Fragen bei schwer verdaulichem Material die Ergebnisse beliebiger Personen miteinander zu vergleichen, ohne die Möglichkeiten individueller Unterschiede in Erwägung zu ziehen. Bei leicht resorbier- barem Material treten allerdings diese individuellen Schwankungen ganz zurück. Mit Rücksicht auf das Gesagte ist folgender Vergleich mit anderen von mir ausgeführten Versuchsreihen an Roggenbrot verschiedener Aus- mahlung zu deuten. Ich fand: | Bei 6-69 Prozent | Bei 8:75 Prozent | Bei 9:74 rem Zellmembrangehalt | Zellmembrangehalt | Zellmembrangehalt (Kriegsbrot) Prozent Prozent Prozent N-Verust ... . . 40-3 | 35-1 21-0 bis 32-1 Kalorien. .... . 13-5 14-8 11-5bis oo Zellmembrauverlust 55-7 | 47-0 38-2 bis 47-0 Die eine Person stimmt also im Ergebnis sehr nahe in der Aus- nützung mit dem Brot von 96 Prozent‘ Ausmahlung (8-75 Prozent Zell- membranen) überein, die andere aber zeigt wesentlich günstigere Verhält- nisse. Man kann also sagen, dieses Kriegsbrot hat sich in seiner Aus- nützung jedenfalls nicht wesentlich verschieden verhalten von einem Brot, das aus fast völlig ausgemahlenem Roggen hergestellt worden ist. Aber es sind doch Unterschiede vorhanden, die nicht übergangen werden können. Bei einem Gehalt von 9-74 Prozent Zellmembran wäre, wenn diese aus Roggen stammten, unbedingt zu erwarten, daß gerade die schwer resorbierbaren Substanzen erheblich zunehmen müßten. Hier ist aber gerade das Gegenteil der Fall, die Resorption der Zellmembran UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 269 ist günstiger als erwartet werden sollte. Diese günstige Resorption er- streckt sich auch auf die, Zellulose, die bei wirklichem Vollkornbrot stets schwer resorbierbar gefunden wird. Für eine Kombination Roggen und Kohlrüben liegt die Sache anders. Die Kohlrübenzellmembran gehört wie die anderer Wurzelgewächse nach meinen Versuchen zu den leicht resorbier- baren Zellmembranen. Mit einem hohen Zellmembrangehalt aus ‚Kleie“ hätte auch der N-Verlust zunehmen müssen, was gleichfalls nicht eingetreten ist. Bei relativ zu günstigen Resorption der Zellmembran durch den Kohlrüben- anteil nimmt selbstredend auch der Kalorienverlust ab, was bei der erheb- lichen Menge von Zellmembran überhaupt sehr in die Wagschale fällt. Eine nähere Betrachtung der Verluste und ihre Zergliederung in Unverdautes und Stoffwechselprodukte gibt noch zu einigen Bemerkungen Anlaß. Bezüglich der N-Ausscheidung enthält die nachfolgende Tabelle die zahlenmäßigen Angaben. ae ee Re ee Person |sF2| SF | $ = en ek ea el N Dee ee = 8, Kal s TER Z 5308 5|05 2 a | R. 12-44 | 87-5 |10-88| 1-75 | 3-85 | 2-10 |12:.00| 14-6 | 54-6 | 17-50 K. 10-76| 70-0 | 7:53) 1:20 | 2-41 | 1-21 |11-46| 10-5 | 50-2 | 10-56 Mittel | 12-6 | 52-4 | 14-03 ven i ae Mersapss $ Verlust an Kalorien mn 2298 RR: 25 8 gs® DS ° = = 285.283 e8uSmAsEHn£ 52 = © =: S a= & aynsSslszersgalsg os ,> 525 Far ee og 2 & = @) 2 | snal02.3 8105 - So. org el SH En = = le soll. Baal es man zeis es | 2 )BMFagsıee Essen Sa Bsere Saalsalrse 18-45 | 145-6 | 22-77 | 63-70 | 250-5 417-71| 1672| 3069 | 5-44. 140-05| 8-17 K. ||24-10| 113-6 | 25-70 | 54-27 | 217-7 )336-10| 118-4 | 2932 | 4-04 | 35-23 | 7-42 37-64| 7-79 Mittel | 4-74 | Von dem ausgeschiedenen N sind 52-4 Prozent in Stofiwechsel- produkten vorhanden; sehr günstig ist die Verwertung des Proteins, die, auf 12-6 Prozent berechnet, fast nur halb so hoch ist, als ich sonst bei Roggen der verschiedensten Ausmahlung gefunden hatte. Auch dieses abnorme Verhalten findet seine Erklärung, wenn ein Kohlrübenzusatz stattgefunden hat, denn die durchschnittliche Resorptions- fähigkeit bei der Kohlrübe ist durch die Bildung von abnorm viel Stoff- wechselprodukten herabgedrückt. Es ist aber fraglich, ob bei der Kom- 270 Max RUBNER: bination von Nahrungsmitteln und dem Überwiesen von Roggenbrot die Möglichkeit eines Darmreizes, der zur Bildung von Stoffwechselprodukten führt, überhaupt zustande kommt, und möglicherweise verliert die Kohl- rübe beim Trocknen etwas von ihren spezifischen Eigenschaften, weil sie sich bei der Trocknung zum Teil zersetzt. Im Einklang mit dieser Darlegung steht auch das, was die Bestimmung der Stoifwechselprodukte im ganzen (Kalorien) ergeben hat. Die Stoffwechselprodukte im ganzen (Kalorien) verhalten sich auch günstiger, als man bei reinem Roggenmehl erwarten durfte. Bei Roggen- mehl von 80 Prozent und 95 Prozent Ausmahlung hatte ich früher ge- funden 7-07 und 7-47 Prozent des Verzehrten an Stoifwechselkalorien, hier nur 4-74 Prozent, und von 100 Kalorien im Kot waren bei 80 Prozent 55-7 und bei 94 Prozent Ausmahlung 50-7 Prozent Stoffwechselprodukte, hier aber nur 37-64 Prozent. Person K. verdaut das Protein besser, weil sie auch die Zellmembranen besser auflöst; sie bildet auch weniger N als Stoffwechselprodukte, während in der Gesamtmenge der Stofiwechselprodukte ein wesentlicher Unterschied nicht zu finden ist. Dem ganzen Verhalten nach kann nach dem, was ich gesagt habe, kein reines Vollkornbrot vorgelegen haben, sondern Brot aus Mehl, welches anderweitige Zusätze erhalten hat. Die Ergebnisse sprechen für die Bei- sabe von Kohlrübenmehl, weil nur so das Mißverhältnis zwischen großen Mengen von Zellmembran und relativ nicht ungünstiger Verdauung der- selben zu erklären ist. Auch die mindere Qualität des, Gebäckes ent- spricht einer solchen Beimischung. Ob nicht außerdem auch zum Teil verdorbenes Getreide vorlag, läßt sich analytisch nicht feststellen. Anhalts- punkte für einen überreichlichen Raden- und Wickengehalt haben sich nicht ergeben. Insofern die Bevölkerung mit der Beschaffenheit des Brotes unzufrieden war, können solche Beschwerden jedenfalls nieht ohne weiteres auf weitest ausgemahlenen Roggen an sich geschoben werden. Die beiden Männer blieben bei der Brotkost mit den näher auf- geführten Zugaben auf ihrem Körpergewicht. Bei K.! war das Gewicht zu Anfang des Versuches . . 55-5 kg zu Ende des Versuches . . . 55-5 ke Bei R.? war das Gewicht zu Anfang des Versuches . . 56-5 ke zu Ende des Versuches . . . 56-5 kg .1 Körpergröße 168 cm. ‘2 Körpergröße 172 cm. REEL ET EEE TEN a UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. Bar Die Summe der verzehrten Kalorien war für K. brutto 3232-9 Kal., im Tag = 2842-9 Reinkalorien. Die Summe der verzehrten Kalorien war für-R. brutto 3436-0 Kal., im Tag — 2953-0 Reinkalorien (Harn- und Kotkalorien abgezogen). für K. = 53-0 Kal. pro Kilo für R. = 52-2 Kal. pro Kilo Die Ernährung vor dem Versuche war die übliche Kriegskost; K. hatte eine sehr niedrige N-Ausscheidung, 5-4, R. 9-4& N. K. deckte seinen Eiweißbedarf und setzte 1-92 N pro Tag an. R. reichte nicht ganz aus. Bei dem großen Eiweißmangel, unter dem K. litt, setzte er N an, ohne daß der N-Umsatz an den späteren Tagen in die Höhe ging. Die N-Bilanz. Kurgas. 2 N auf- N im Harn | N im Kot | Gesamt-N | Bilanz genommen ; Hs | 10-26 7-30 ° 2-41 | 9-71 20-55 9. 11-55 6-30 = 8-71 19.84 SS 12-55 6-30 art 8-71 13.84 A. 11-00 7-60 iR 10-01 11-00 5. 13-17 6-30 >R 8-71 4-46 6. 10-76 9-50 ze 11-91 2 515 Mittel 6-90 | = Bes +1:92 Roolfs 1. 13-04 10-00 3-85 13-85 as 2. 12-59 7-90 = 11-77 10-82 a 12-65 a dn = =» 4. 11-58 8-90 = 12-35 20477 5. 11-55 10-20 Br 14-05 2-50 6. 12-05 8-90 = 13-75 0-70 Mittel 9-18 a | 20 | -09 Gemischte Kriegskost Kurgas Roolfs vor dem Versuch . . 5:4g N pro Tag | vor dem Versuch . . 9-4g N pro Tag nach dem Versuch . 6:0g N pro Tag nach dem Versuch . 9-4 n pro Tag Über die einzelnen Produkte bei einer hochgradigen Ausmahlung. Das eben untersuchte Kriessbrot war leider kein Vollkornbrot, wie anfänglich vermutet werden konnte, sondern ein Gemisch von Roggen mit anderweitigem Material, wahrscheinlich mit Kohlrüben. Ich hatte deswegen in Aussicht genommen, bei geeigneter Gelegenheit nochmals auf 272 MaAx RUBNER: wirkliches Vollkornbrot zurückzugreifen; hierzu bot sich erst im Frühjahr 1918 eine geeignete Gelegenheit. Die Wege, auf denen man zu einer hochgradigen Ausmahlung kommen kann, sind sehr verschiedene, und die Produkte, welche man ausscheiden kann, sehr mannigfaltige, und außerdem kann bei der Brotgewinnung ja auch noch die Fälschung und Unterschiebung anderweitiger zu mehlartiger Feinheit zermahlenen Substanzen in Frage kommen. Zur Beurteilung über den Wert und Unwert verschiedener Ver- mahlungsweisen ist es notwendig, die einzelnen Produkte bei der Aus- mahlung quantitativ festzustellen und der Untersuchung zu unterwerfen. Ich habe schon erwähnt, daß systematische Ausmahlungsversuche bisher nur von Plagge und Lebbin in militärischem Auftrag unternommen worden sind, sie konnten aber mangels geeigneter Methoden der Unter- suchung damals nicht so ausgewertet werden, wie es heute möglich wäre. Die Bearbeitung der berührten Fragen hat nicht für die heutige Kriegswirtschaft allein Bedeutung, sondern für die Frage der Vollkorn- brotherstellung überhaupt. | Gewöhnlich wird behauptet, die Ausmahlung des Getreides gehe jetzt bis auf 94 Prozent des Getreidekornes bzw. des geernteten Kornes. Hier stoßen wir schon auf einen Punkt, der bisher in der Literatur aus guten Gründen gar nicht berührt worden ist. Bisher hat man bei Angabe des Ausmahlungsgrades in der wissenschaftlichen Literatur nicht immer aus- einander gehalten, ob sich dieser auf reines Getreide, d.h. solches, das von Spelzen, Stroh, Unrat und Unkrautsamen befreit ist, bezieht, oder ob er sich auf gereinistes Getreide bezieht. Das bedeutet, wie man schon ohne weiteres sagen kann, einen erheblichen Unterschied. Die Reichsverordnungen, das muß zunächst festgestellt werden, gehen stets von dem Getreide aus, wie es ungereinigt in den Handel kommt. Die Ausmahlung von 94 Prozent bezieht sich also nicht auf eine Beseitigung der Kleie aus dem gereinisten Korn bis zur Höhe dieses Ausmahlungs- grades, sondern auf alle Vorreinigungsprozesse zusammengenommen. Das, abgelieferte Mehl beträgt aber nicht etwa 94 Prozent, sondern, wie von sachverständiger Seite berichtet wird, noch mehr, nämlich 9% bis 97 Prozent. Es ist nach den bekannten Betriebsergebnissen der Müllerei unmöglich, so viel Mehl zu erhalten, wenn nicht unbedingt Bestandteile des Rohgetreides mit vermahlen werden, die vom hygienischen Standpunkt aus von der Vermahlung ausgeschlossen werden müssen. Die Herstellung des Mehles geschieht also in einer Weise, welche sonst zu beanstanden und gerichtlich zu bestrafen wäre. Hierin liegt das schwerwiegende Be- denken gegen dieses Vorgehen überhaupt, denn die Durchbrechung der UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 2173 - Verordnungen und Gesetze, die mit Recht zur Wahrung der Gesundheit erlassen worden sind, untergräbt selbstverständlich das Rechtsbewußtsein und verleitet zu betrügerischen Manipulationen im Müllereigewerbe selbst. “Welche Bestandteile unbedingt aus dem Mehl wegbleiben, ergibt sich zunächst schon aus der Herkunft der Bestandteile. Dem Getreide haftet stets Erde vom Acker oder aus den Lagerstätten oder der Tenne an und das, was bei der Lagerung noch an fremdem Material hinzukommt, Mäusekot, Reste von Ungeziefer aller Art, Puppenhüllen u. dgl., Sand, Eisenteile. Eine zweite Gruppe betrifft die Beimengung der fremden Gewächse, die sich zwischen dem Getreide finden, Raden, Wicken oder krankes Getreide u. dgl.! Die nähere Bestimmung der Reinigungs- und Ausmahlungsprodukte wurde an Getreide der Ernte 1917/18 vorgenommen, die Vermahluns geschah in einer modernen Mühle unter fachmännischer Aufsicht. Als Gesamtresultate wurden aus 100 Teilen ungereinigten Kornes etwa 94 Prozent Mehl gewonnen, wie im einzelnen belest worden ist. Bei der Vermahlung zu 94 Prozent sind abgefallen (in „ulllimae une Substanz): Anlspreun. .ı.0. a 0-17 Prozent 2 nadenabiällen ws auuın. Va PR Keimen a le ee. ET ‚„ Putzmaschinenüberschlägen . 0-29 ,, * Schälklue a 3 2.061 4-59 Prozent Mahlverlust war etwa ..... 129,2, Summe... . 5-84 Prozent | Der Verlust war nur rund 6 Prozent, die Menge des Mehles also 94 Prozent des angewendeten Kornes. Keime und Putzmaschinenüberschläge sind mir nicht zugestellt worden, doch ist aus anderen, eigenen Untersuchungen die Zusammensetzung von Rogsenkeimlingen mir wohl bekannt, so daß man gewissermaßen synthe- tisch den durchschnittlichen Verlust bei der Reinigung des Kornes aus - den Einzelergebnissen der Abfallprodukte ableiten kann. Wenn, wie oben bemerkt, in dieser Zeit die Müller 96 bis 97 Prozent Mehl abliefern, so werden jetzt noch sogenannte „gute Reinigungsabfälle“ im Mehl belassen. Als solche werden angesehen: 1 Vgl. Rubner, Lehrbuch der Hygiene. S. 578. Ä Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol, Abtlg. 18 274 Max RUBNER: 1. Die Hälfte der Radenabfälle . 0-28 Prozent 2. Die Putzmaschinenüberschläge 0-29 Se Dier schälklerer lea. u 2elol Zusammen . . 3-18 Prozent 2 2 Das würde dann einer 97prozentigen Ausbeute entsprechen können, d.h. nur die Spreu und der Mahlverlust und etwa die Raden als Abzug zu verzeichnen sein. Die Keimlinge werden nicht ins Mehl gebracht, sondern zur Herstellung von Fett und anderweitisen Nährpräparaten gesammelt. | Die Zusammensetzung des Mehles und der Abeänge sind in nach- folgender Tabelle zusammengestellt. In 100 Teilen Trockensubstanz sind: 94 proz. Schäl- Spreu- | Roggen- | Trieur- Mehl kleie mehl | keimling | mehl INSCher ey N. EN een 1225102 5-74 18-54 6:76 6:83 Orsansscha re ar 97-98 94-26 81-46 93-24 93-17 INT ET Dee 1-691 23-252 2-10? 6-574 1-85> Bentosaniaer er 1L110 119 23.24 14-25 1:33 8:94 Zellmembrane 5-98 47:94 23-80 7:98 6-60 Zellulosere. .. an zu oe 2-54 11-50 9-58 3-13 2-15 Pentosan der Zellmembran . 2-21 19-60 11-44 2-55 2-15 Bestsubstanz . .». ». 2... 1-23 16-84 11-40 2-31 2-30 TEN N EN a 7T 1-91 3-70 2-17 14-44 3:62 Stanken Some nd ee 70-63 24-92 39-52 24:99 64-60 Kalorien en. ale. Ta 440-8 458-1 380-5 487-8 412-50 In 100 Teilen Zellmembran sina: N Zelluloser ar mn. 2 | 42:33 23:98 | 40-25 39-22 31-51. Pentosana are a. | 36-83 40-88 35-27 | 32-02 32-59 Reste ee EEE EN NETZADERSES 35-14 24-27 28-76 35-56 1 — 10-55 Protein. .— 14-06 Protein. ? = 13:12 Protein. * = 41-05 Protein. 5 — 11-56 Protein. Da der Roggen sonst in Friedenszeiten kaum höher als auf etwa a 70 Prozent ausgemahlen wurde, werden hier rund 24 Prozent mehr an Ausmahlung gewonnen. Das Mehl zu 94 Prozent ist nieht gerade N-reich ° und liefert bei seinem hohen Kleiegehalt nur dunkles Brot. Das unreinste Produkt der Abscheidung ist das Spreumehl; die Bestandteile Strohfaser, Spelzen, etwas Unkraut, zerbrochene Körner, Schmutzbestandteile ver- schiedener Art, lassen sich leicht erkennen. Der Aschegehalt — darunter viel Sand — ist enorm hoch. Wenn man die wesentlichsten Bestandteile auf aschefreie - e rechnet, so hat man in 100 Teilen: UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 27 5 IN ee slaktal 30. 202208 Prozent Rohproteme nen kusos as: 16-12 Pentosanakspäielinahs 17-48 Zellmembramns sea an In: 2 Sbärke Dr ae en 48-8 5 Kalorien. Kress las: 466-2 Wenn man sich zur Nährwertberechnung dieser Ausmahlungsprodukte, wie das heute die Regel ist, des üblichen Analysenschemas bedient, so wird namentlich der Gehalt an N-freien Extrakten ganz erheblich über- schätzt; der hohe Proteingehalt kann unter Umständen zum Teil auf "N-haltigem Unrat beruhen, besonders bei schlecht gelagertem Korn. Die Trieurabfälle bestehen aus Wicken, Raden, zerbrochenen Körnern verschiedener Herkunft, enthalten weniger N als die übrigen Produkte, aber nur einen mittleren Gehalt an Zellmembran und wenig Pentosan, deren Hauptmasse nicht in der Zellmembran liest, an Stärke fast zwei Drittel der Masse; das Mehl ist dunkelgrau. Das wertvollste Material der Abscheidung sind die Keimlinge. Über den Nährwert für Mensch und Tier ist bereits auf Grund von Versuchen das Nähere angegeben. Technisch sind sie natürlich weder quantitativ ‚aus dem Roggen zu entfernen, noch auch besteht das, was als Keimling gewonnen wird, überhaupt nur aus Keimlingsgeweben. Immerhin ist die Abtrennung der Roggenkeimlinge besser als die des Weizens und Maises; bei dem sonst üblichen Schälverfahren enthält die Schälkleie zugleich auch den Keimling. Insofern also bei der 94prozentigen Ausmahlung des vorliegenden Falles der Keimling noch als Nebenprodukt erhalten wird ‚und dieser anderweitig benutzt werden kann, wäre der gesamte Nährwert also einer Yöprozentigen Ausbeute gleichzusetzen. Der Proteingehalt von 41 Prozent und der Fettgehalt von 14-44 Prozent machen das Keimlings- mehl zu einem sehr wichtigen Nahrungsmittel, das freilich bei der un- bedeutenden Menge der Abscheidung überhaupt nicht allzusehr ins Gewicht fällt. ‚Zu den Roggenkeimlingen möchte ich bemerken, daß, wie erwähnt, selbstverständlich nicht alle Keimlinge bei den angewandten Methoden der ‚ Vermahlung sewonnen werden und daß andererseits das gesammelte Material nicht nur aus Keimlingen, sondern aus beigemensten Kleiehüllen und Stärke besteht, wie die Analysen zeigen. Ich habe schon anderenorts darauf aufmerksam gemacht, daß die Zellmembranen der Keimlinge von anderer Natur als die Kleiezellen sein müssen, was auch ihre leichte Ver- daulichkeit beweist. Wenn man die Zellmembran bei Gemüsen, Obst und 18* 276 Max RUBNER: bei den Kartoffeln betrachtet, so schwankt der Zellulosegehalt zwischen 45 und 50 Prozent bei geringem oder mittlerem Pentosangehalt. Mit Berücksichtigung dieser Umstände kann man etwa eine Beimengung von einem Viertel bis einem Fünftel zu den sonstigen Zellmembranen der Keimlinge annehmen. Das reine Keimlingsgewebe würde demnach (asche- frei betrachtet) etwa zu drei Vierteln aus Eiweiß, fast zu einem Viertel (etwa 23 Prozent) aus Fett und zu einem Zehntel aus Zellmembran be- stehen, ein Nahrungsgemenge, das von dem eigentlichen Mehlkern grund- verschieden ist. Unter dem geringen Abfall macht die Schälkleie die Hauptmasse der Abscheidung aus. Sie enthält noch weit mehr Zellmembran als das Spreu- mehl, etwa 50 Prozent aller organischen Bestandteile treffen auf Zell- membran. Die Frucht- und Samenschale wird jedoch nicht allein ab- geschieden, sondern noch anderes hinzu, nämlich erhebliches vom Mehl- kern, der also beim Auslesen der Keimlinge und der Trennung der Samen- schale verletzt wird. Über den Proteingehalt der Schälkleie kann man sagen, daß er sowohl durch Reste der Kleberzellenschicht wie durch Reste der Keimlinge bedingt oder wenigstens über seinen natürlichen Gehalt hinaus erhöht sein wird. Der Schälprozeß ist ein wesentlicher, die Verdaulichkeit des Mehles erhöhender Vorgang‘, weil er so weitgehend wirklich Zellmembranen ab- scheidet. Der Vorschlag, gerade die Schälkleie beim Mehl zu lassen, und die Tendenz, ihren Nährwert auszunützen, basiert auch auf der falschen Voraussetzung eines hohen Gehaltes an N-freiem Extrakt. Nach üblicher Auffassung würde man der Schälkleie einen Gehalt von 64-98 Prozent N-freien Extraktes zuschreiben müssen, tatsächlich enthält sie nur 24-92 Prozent Stärke + 3-64 Prozent freie Pentosen = 28-56 Teile. Jedes Gramm Schälkleie bedeutet eine Verschlechterung des Mehles um 0-5g Zellmembran. Eine gute Schälung ist der Haupteingriff zur Her- stellung eines zellmembranarmen Mehles. Die Schälung ist dem gewöhn- lichen Mahlverfahren zur Beseitigung der Kleie wesentlich überlegen. Über das Verhältnis der Zusammensetzung der Schälkleie und der Kleie nach Zertriümmerung des Kornes mögen folgende Zusammenstellungen eigener Analysen Auskunft geben. N TEEN BT Die Kleien bei 90prozentiger und 70prozentiger Ausmahlung zeigen gesetzmäßige Unterschiede, der Aschegehalt bleibt etwa derselbe, also nimmt mit jeder weiteren Ausmahlung der Aschengehalt des Mehles ab, was bekannt ist. Der N-Gehalt nimmt mit Ausmahlung von zunehmender Kleie als Abfall zu, weil mehr Kleiezellen in der Kleie entfallen; die Menge der Substanzen aus dem Mehlkern nimmt zu. Daher die Abnahme der UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. Rhein Pentosane, der Zellmembran, der Zellulose und der Restsubstanz. Der Pentosangehalt der Zellmembran nimmt ab, weil die Zellmembran geringer wird, dagegen nimmt in der Zellmembran selbst der Pentosangehalt zu. Es müssen also auch die Kleberzellen in ihren Wänden relativ viel Pentosan enthalten. Der Stärkegehalt wächst sehr an, aber doch nur langsam. Mehrt sich die Kleie von etwa 3 Prozent auf fast das Zehn- fache, so steigt der Stärkegehalt doch nur von 25 auf 378. In 100 Teilen Kleie sind: | 1/, Schälkleie! , Reine Schäl- Ri Mahlkleie a neun kleie — 90 Prozent ozend Ausmahluns? | Ausmahluns = kacle ee 3-80 5-89 Onemischii: 23.0. 0.07% 5. : 94.26 94-20 94-11 DT a 23-253 2-47: 2-663 Bentosane re ea ae 23-24 24-27 22-65 Zellmembran 2. ..... „2... 47:94 37-97 25-94 Zellmlosen an nee, 11-50 9-64 7:20 Pentosan der Zellmembran . . 19-60 16-88 11-78 Restsubstanz der Zellmembran 16-84 11-45 6:96 IE, 3-70 5.70 3-70 Stärke... ee u 24-92 29-70 36-98 Kalosen he en air. 458-10 452.20 | 445-10 In 100 Teilen Zellmembran sind: Rellüloser ı \v..... ar a 23.98 25:10 21216 Bentosan wi ann. 6, ER 40-88 44-42 45-41 Bestsubstanz =... 2.0.0. 1% 35-14 30-48 26-83 Hier tritt das, was ich bereits ohne nähere systematische Unter- suchung schon mehrfach betont habe, mit aller Sicherheit entgegen: die Kleie ist eine Handelsware, entspricht aber nicht einem einheitlichen Produkt. Ich möchte aber noch folgendes anfügen. Die Ausmahlung bei 90 Prozent und 70 Prozent ist nicht völlig gleichartig gehandhabt worden. Bei 90 Prozent wurde erst gereinigt und geschält und dann erst weiter vermahlen. Für das Mehl mit 7Oprozentiger Ausmahlung ist nicht sicher- zustellen, ob eine Schälung vorgenommen oder ob das nach üblicher Reinigung behandelte Korn gleich dem Mahlprozeß zugeführt wurde. Es _ wäre möglich, daß die Schälung oder das Unterlassen derselben sich noch 17 Prozent Kleie vom Vollkorn. 2 Etwa 27 Prozent Kleie vom Vollkorn. 3 — 14:06 Protein. 4 15-43 Protein. 5 16-62 Protein. I 278 Max RUBNER: in der Zusammensetzung der Kleie fühlbar macht, auch wenn bis 70 Prozent aussemahlen wird. Doch dürfte dieser Einfluß nicht mehr erheblich sein. An der Hand der Ausmahlungswerte und der Analysen läßt sich jetzt zeigen, wie sich der Charakter eines Vollkornmehles gegen Ende der Ver- mahlung des Kornes allmählich ändert, wenn die näher aufgeführten Bestandteile abgetrennt werden. Unter den Verlusten ist auch aufgeführt der Wasserverlust und der Verlust durch Verstäubung. Für eine Rech- nung ist es nicht angängig, von der lufttrockenen Substanz auszugehen, da der Wassergehalt der verschiedenen Proben der Reinigung ungleich ist. Ich habe daher alle Produkte, Mehl wie Schälkleie, und auf Trocken- "substanz berechnet. Den Verlust durch Verstäubung habe ich beim Mehl zugezählt, den Putzabfall zur Spreu und nach den Analysen berechnet. So ist nachstehende Tabelle entstanden. Zusammensetzung der Reinigungsabgänge für 100 Teile ungereinigtes Korn. | 2a ®) = = | eb) t = E Be De a aa ss| « Ele se HS er =) e 4 5 Mehl + Staubverlust . | 95-25] 1-920| 1-606 10-140 5-10! 67-211laı9.60 Spreu + Putzabfall ... . . | 0-44| 0-051|0-009| 0.060) 0:145| 0-.174| 1:70 7 Mrieurabrall u nee 0-56 | 0-038|0-010| 0-050| 0-037| 0-361| 2-31 Keime ann 0-99 | 0-067|0-065| 0-072| 0-079| 0-247) 4-80 Sehälkleieg 2. 0 nun | 2:76| 0-158|0:062| 0-640| 1-323]| 0-660| 12:30 Summe . . |100:00 | 2:234| 1-752|10-962] 7-294 | 68-653]440-71 Zusammensetzung der heute im Mehl verbleibenden Anteile w le: s = a © < & {cb} e) E3 a BE | .— een | > 3 < © | No = zu et 3 "M Mehl Staubtal Dun. AD% 95-20) 1-920| 1-606| 10-140) 5-710\67-211| 419- 1), Trieurabfall, 2... - 0-28| 0-019| 0-005| 0-025| 0-018| 0-150| 1-1 neilällle sale: 0-22| 0-041|0-004| 0-030| 0-072| 0-087) 0: Schall lan al u 2-76| 0-158| 0-062| 0-640| 1-323) 0-660| 12- Summe... || 98-46| 2-138 | 1-677 | 10-835| 7- 123 |68- 138] 433- Summe der Abfälle . . . . | 3-26| 0-218| 0-071| 0-695| 1- aus" % ‚897 14-8: Von den Abfällen ist wesentlich der Menge nach die Schälkleie allein u srößer als alle anderen Abfälle zusammengenommen. r | Das ursprüngliche Korn entsteht rechnerisch anıs der Summierung des Mehles und der Abfälle. Bemerkenswert erscheint der geringe N-Gehalt UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 2379 und vor allem der geringe Gehalt an Zellmembranen. Noch liest kein vergleichendes Material vor, aus dem man in größeren Reihen den Zell- membrangehalt bestimmt hätte. Mir scheint der Zellmembrangehalt von 7:3 Prozent ein sehr geringer zu sein, wenn ich damit die Erfahrungen ‚an anderem Roggenmehl vergleiche, die bei weitgehender Ausmahlung fast ebensoviel enthalten haben wie dieses Vollkorn. Vom Mehl enthält man folgendes weniger als vom Vollkorn: SBeirder Ascher. ran are — le Prozent N See a San: I Pentosana a ee. ee) . heölmembraneer Son: ae RISK R F e e — 2-1 den Kalorien, a el ir 2,78 Der Reimigungsprozeb trifft also die Verminderung an Zellmembran in erster Linie; fügt man dem Mehl, wie es jetzt geschieht, die Hälfte der Rade, die Putzmaschinenüberschläge und die Schälkleie noch hinzu, so findet die Vermehrung des Mehles wesentlich auf Kosten der letzteren und deren Zellmembran statt. Das Unzw eckmäbige eines solchen Gebarens bedarf keiner weiteren Erläuterung, es kommt wesentlich der ‚Pameusuns der Zellmembran gleich. Oben wurde erwähnt, ‘daß heute von den ante - Schäl- abfall zum größten Teil doch in das Mehl hinein gelangt. In der Tabelle auf S. 278 habe ich nach meinen Analysen die Zusammensetzung einer solchen Mischung von Mehl und Abfällen berechnet. Man sieht, die Hauptmasse der dem Mehl in unzulässiger Weise zugemischten Abfälle ist die Schälkleie. Der ganze Gewinn an Nährenden ist auch, analytisch betrachtet, nur sehr gering. Die Hauptmasse der Nährstoffmehrung be- steht aus der .schwer resorbierbaren Zellmembran. Nimmt man diese 3-26 Prozent Abfälle und berechnet ihre Zusammensetzung, so versteht sich von selbst, daß wesentlich die Schälkleie dominiert. Für Pflanzen- fresser ist sie jedenfalls ein gutes Nahrungsmittel. Für den Menschen sicher nieht. Daller ist die Mindestforderung, daß mit dem heutigen, öffentlich allerdings sanktionierten Bruch mit der hygienischen und physio- logischen Forderung der Reinheit des Mehles und Beseitigung von Un- verdaulichem und Unkrautsamen ein Ende gemacht wird. Was dann noch erhalten wird, ist der Hauptsache nach ein mehr oder minder vollständig dekortiziertes Getreide. 280 Max: RUBNER: Versuche über die Verdaulichkeit im Roggenbrot aus Mehl bei 94 prozentiger Ausbeute. Mit dem Mehl, dessen Herstellung eben beschrieben wurde, ist Brot gebacken und zu Versuchen über die Verdaulichkeit benützt worden. Die Gärung geschah mit Sauerteig. Das Brot war dunkel, aber von gleich- mäßiger Beschaffenheit. Zur Ausführung standen zwei Versuchspersonen zu Gebote, von denen die eine schon zu den Versuchen mit Kriegsbrot ‘ 1917 gedient hatte, was von einiger Bedeutung ist. Die Versuchsreihe dauerte eine Woche; wie immer war es der Versuchsperson überlassen bis zur Sättigung Brot aufzunehmen. Daneben erhielten sie noch kleine Zulagen. Das Nähere enthalten die beiden nachfolgenden Tabellen. Roolfs. 94 Prozent Roggenmehl. Ss. | 22. |64-10| 1150 | 50 30 2. , 1150 | 1660 | 7-0 — —_ - 9. | 23. | — | 1115 | 50 30 172, °1, 11.182,72.9007) 6-9) ON 45 0 10. , 24. 64-50] 1115 | 50 30 | 2. | 423) 1600 | 7-1 | 800 vw. | »25 se 11, 25.5, 2,01175,|7780 30 |2: |.11785,711007)7-5°0 19202510250 55 N 8°° N. | 680 | 130 122012627, | 1020 50 | 30 I 2. | 1040 | 1500 | 7-3 | 103 N. | 770 13.0.2721 2 | 1120.50 30. | 2. | 1151 | 1440 | 7-9 | 12°° N. | 320 6 14. | 28. 63-00). 940 | 50 30 | 2. 979) 1180 |6-8)) 720 Vz 290 95 BE a7 Kartoffel, Spinat| 7739| — — 1 EISEN | 220 | im Tag | 1106 | — = TAUEVES 2807] 2) Abgrenzung 630 =665 g im Tag Brot I 7008 frisch = 435 g lufttrocken. Brot II 690 g frisch = 435 g lufttrocken. Kollmann. 94 Prozent Ausmahlung. 8. 128. |57-001 1085| so| 2. j1os|luso)ırs| - "Fe 9. 24. — | 1070 | 30 2. 1078 | 1360 | 6-9 800 V. |. 350) Team 10. 25. — 1050 | 30 2. 1071 | 1500 | 7-0 3007. 17.405 75 4° N. | 220 45 11. 26. |57-00| 1065 30 2. 1086 | 1660 | 6-4 800 V. | 415 +) 80 12. 27. _ 1045 _ 2. 1063 | 1420 | 6-4 Suuayz 345 103 50 N. | 285 60 13. 28. — - | 1015 _ _ 1032 | 1640 | 7-2 SO 315 60 14. 29. |56-50| 1125 = _ 1152 | 1580 | 5-8 so V. | 420 85 4° N. | 310 3 Kartoffel, Spinat | 7550| — 8 VE 40 im Tag) 1076 | — 49 .N.,.| 170 ga Abgrenzung 665 = 715g gepulvert e:: —41028 Brot I 700g frisch = 435 g lufttrocken. Brot 11 690g frisch = 435 g lufttrocken. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. . 281 Die Zusammensetzung der Einnahmen und Ausgaben sind wie folgt zusammengestellt. Brot von 94 Prozent Ausmahlung. In 100 Teilen Trockensubstanz sind: Roolfs Kollmann 690-1 g Brot| 671:45 Brot Asclie Jelv Pi 2-60 17-94 17-44 Orsgmischn.10.. 0. 2.12 N 2029. 97-40 672-16 653-96 2 EN a tl AS 1-651 11-39 11-08 BENBOSANE N N. 9:98 68-86 67:00 Zellmembran 2... 0. 6:51 44-9] 43-69 Zellllosers 40... 2, 4u50% Wet 2-27 15:66 15-23 Pentosan der Zellmembran 2-37 16-35 15-89 BRestsubstanz. . -... 2... 1-87 21-90 12-59 Reis: De A 1-91 13-18 12-83 Stärke Ne Ren 71-06 490: 38 477.09 Kalorien on ee 4926-30 2941-80 2862-10 IVO In 100 Teilen Zellmembran sind: Zelluloser. 0. da ao. ... 34:87 Bentosanes En aer: 2.8640 Bestsubstanz a A 28-72 In 100 Teilen Trockensubstanz sind: | Roolfs |Kollmann Roolfs |Kollmann| in 89-61 | in 97-10 Teilen Teilen INSCHERE Te Un Le 8-27 7-68 7-41 7-46 Weranischn un. 2. en 91-73 93-32 | 82-20 89-64 RT... a RE RR ER NEE BR N NT 4-90 4-06 4-39 3:94 Denise 3 WR a En 16-04 16-42 14-37 15:95 Kellmemibran: al... 2100 num ann 35-12 34-46 31-46 33-46 Zellniloss a Ne RR 14-75 13-07 13-21 12-69 Pentosan der Zellmembran . . . .\. 11-68 10-64 10-46 10:33 Bestsubstanzy. m al .. A: 8-69 10-75 7.79 10-44 Ba... 2 a 7-15 4-91 6-40 4-77 Kiake en A ER, 38-882 12-99 7:97 12-61 ISalOrem 498-5 48710 446-70 472- 70 In 100 Teilen Zellmembran sind: Roolfs Kollmann Mittel Zellulosera samen MRS 41-85 37:92 39-88 Betosangy. a eat 33:25 30-88 32-06 Bestsubstanze. n 0. .2 0% 24-90 31:20 28-06 Die Analyse des Brotes stimmte nicht genau mit der des Mehles zusammen; der Grund lag darin, daß Sauerteig unbekannter Zusammen- setzung Verwendung gefunden hatte, was mir erst später mitgeteilt worden ie len! 2 Direkt bestimmt. age: 282 Max RUBNER: war. Das Brot kann aber als ein Beispiel eines schwach dekortizierten Materials angesehen werden, wie es etwa bei hygienisch nicht zu be- anstandender Verarbeitung des Getreides und gleichzeitiger Entkeimung gewonnen werden konnte. Da das Korn selbst arm an Zellmembran war, ist auch der Gehalt des Brotes an soleher recht mäßig. Ich habe früher! im Rogsenbrot von 82 Prozent Ausmahlung etwa ebensoviel Zellmembran beobachtet wie hier bei 94 Prozent Ausmahlung, wieder ein Beispiel, daß die Ausmahlungsprozente noch nichts über die Beschaffenheit des Mehles besagen; auch die Art der Zellmembran kann in ihrer Zusammensetzung bei gleichem Zellmembrangehalt in gewissen Grenzen schwanken. a Die Ausscheidungen waren bei diesem Versuch ähnlich jenen bei etwa gleichem Zellmembrangehalt des Brotes: über ein. Drittel der Trocken- substanz des Kotes war Zellmembran. In der Zellmembran der Ausscheidung war die Zellulose reichlicher enthalten als in jener der Zufuhr. Über den Verlust der einzelnen Nahrungsbestandteile in Prozenten gibt nachstehende Tabelle Aufschluß. Der Verlust betıug bei Ernährung mit Brot von 94prozent. Ausmahlung: | Bei Bei N 7 | Roolts |Kollmann) tel ; | a RE ee 38-54 | 35-56 | 37-05 | | 1 Kallorienrzarn 1.020 Me! 15-19 16-52 15-85 i „ hellmembrane See 70:05 76-58 Tool ; ir IS Zellulosent. ns ae. en. S4-29 83-30 83-79 ” ‚. Pentosan der Zellmembran 63-97 65-01 64-49 ha N Bestsubstanz Era 60-39 82-92 71-6& Su „ f£reren Pentosanen . . ... 7:45 10-99 9-22 % Set 0 We 1-63 2-65 2-14 » » Gesamtpentosan . .... 20-87 20-81 20-84 % In. Die zwei Versuchspersonen K. und R. wichen in allen wesentlichen Punkten nur sehr wenig voneinander ab; der N-Verlust entsprach den durchschnittlichen Werten der Ausnützung des Roggen-N überhaupt. Der Re! u Kalorienverlust war nur wenig höher, !als ich früher bei einem ähnlichen a Zellmembrangehalt gefunden hatte. Die Zellmembran war etwas ungünstiger # verdaut, auch die Stärke um einige Zehntel Prozent weniger gut auf- genommen worden. Am einflußreichsten auf das ganze Ergebnis ist stets $ das Verhalten der Zellmembran, da von ihr sowohl Einfluß auf de Kalorienausnützung als auch auf die Resorption des N, insbesondere auch » auf die Proteinresorption ausgeübt wird. 1a.a. 0. S. 193. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 233 Zur näheren Erklärung der Verhältnisse der Verluste ist es nötig, die N-Ausscheidung im Kot sowie die Menge des Unverdauten in den Stoffwechselprodukten näher kennen zu lernen. Die nachfolgenden Tabellen _ geben darüber Aufschlub. 94 Prozent Ausmahlune. = ee BE: SE 3 eh) 50 le. 8.3 SI. |: l&s$ ee ıneı las «Seile |sa.z: So aı 8 za. a 3a lelee EN = | | ke |jeMs R. 17-29 | 89-6 | 15-48 | 2-47 | 4-39 | 1-92 | 11-39 | 21-68 | 43-73 K. 15-19 | 97-1 | 14:74 | 2-36 | 3:94 | 1-58>| 11-08 | 21-29 | 40-10 Mittel | 21-48 | 41-91 94 Prozent Ausmahlunse. « R a I Puh S 1 SE Verlust an Kalorien pro ms durch| 3 > 383 ee es 3 ES a eine 2 en else Saar See Person Ex oo 2 =! Oase e5tlo2.:o.. E iss 3 Ss Massai n - PIE +85 >= |S82 5 = |E BEBS Ed ı3283[205 02) 55H ©) an = Selr o=3|10oM43 S = EMe Seascn R. 32-67 | 218-741) 16-03 | 267-44 | 446-7 |179-2| 2941-8 | 6-09 | 39-67 K. 51-70) 222-90?| 23-04 | 297-660 472-7 | 175-1 | 2862-1| 6-11 | 36-11 Mittel | 6-10 |37-89 Der N-Verlust an Protein hält sich bei diesen Versuchen genau inner- halb der Grenzen, wie ich sie früher bei Roggenmehl hochgradiser Aus- mahlung gefunden habe; an Stoffwechsel-N ist gleichfalls der Befund dem Erwarteten entsprechend. Die Menge der Stoffwechselkalorien innerhalb seringer Schwankungen steht im Einklang mit dem Kriegsbrot und dem Roggenbrot hoher Ausmahlung überhaupt. Was die N-Bilanz betrifft, so waren die beiden Personen (wenn man von der N-Ausscheidung im Schweiße absieht) etwa im Gleichgewicht. 94 Prozent Ausmahlung. Roolfs: | N N N auf- f Tag ı im Harn | im Kot mus | genomm | Bilanz 8. 10 4-39 11-39 11-82 —+0:.43 a «6-9 — 11-29 11-50 +0-21 10. Zell — 11-49 11-55 —-0-.06 JR 725 | — 11-89 | 12-11 +0:22 12. 73 | _ 11-69 ! 10-70 -—- 0-99 13. 7=$) | — 12-29 11-84 — 0-45 14. 6:8 11-19 | 10-07 0:92 Ba 220) Eco 1 ee ee 1128-98 Zellmembran -- 89-76 = 2 137:18 Zellmembran + 85-72 = 222-90. 284 Max RUBNER: Kollmann: 5 N N : N anfge- { Tag im Harn im Kot Dumme nommen Bilanz 8. 7-5 3:94 11-44 10-78 — 0:66 9. 6-9 — 10-84 11-08 10-24 10. 7:0 — 10:94 11-01 —0-17 Il, 6-4 =, 10-34 11-16 0-82 12, 6-4 — 10-34 10-93 0-59 13. 7:2 — 11-14 10-61 — 0-53 14. 5-8 _ | 9-74 11-85 ol 7 6:77 eB- sa oa PIE eng Mischung von Roggenmehl (94 prozent. Ausmahlung) mit Maismehl im Verhältnis von 9:1. Aus dem Mehl des vorigen Versuches wurde durch Mischung mit 10 Prozent feinem Maismehl als Streckungsmittel ein Brot hergestellt, wobei gleichfalls Sauerteig beigefügt wurde. Das Aussehen des Brotes war nicht wesentlich anders als das vorige. Jedenfalls war auch keine ungünstige Rückwirkung zu konstatieren, wie das z. B. bei dem Kartoffel- zusatz der Fall ist. Das Maismehl hatte folgende Zusammensetzung. In 100 Teilen Trockensubstanz: scher? 21 a Re a TEN Organische . „u Mae a er ee Ne u, 0 ER See RE a7 a PEnkosan.ı ca rl N za 7 re Zellmembran en... 2 a RU De Pentosan der Zellmembran . . ..... 0.66 Kalorien al. a . Bee orten) Die Versuche wurden an denselben Personen ausgeführt wie die Ver- suche mit Brot von 94 Prozent Ausmahlung und gleichfalls je eine Woche. -Bei der geringen Verschiedenheit der Zusammensetzung sind besondere Verschiedenheiten der Verdaulichkeit nicht zu erwarten, wenn nur die _Mischungsverhältnisse allein in Betracht kämen. Für Kartoffel- und Roggenmischungen hatte sich die aprioristische Annahme allerdings nicht bestätigt. Die nachfolgenden Tabellen enthalten das Nähere über Aus- führung und Verlauf des Versuches. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 285 94 Prozent ausgemahlenen Roggen. 90 Teile + 10 Teile Maismehl ‚Roolfs. I. Periode. Ge- | Harn Kot ZU Ras = Nahrun A| | wieht a cem | N |) Zeit |frischltrock. 14. IV. | 2240| 5-9 1. 15. 1IV.| 65-10, 940 & Brot, 50& Zucker, | 940 920| 10-1 30 g Butter, 21 Kaffee | 2. 16.IV. 1010 g Brot, 50 8 Zucker, | 1017 | 1220, 8-4|| 93° V.| 110 | 20 30 g& Butter, 21 Kaffee 11°0N.| 295 | 60 3. 17. IV.!65-00| 1140 g Brot, 30 & Butter, 1178 1260 %-5]10%° V.| 100 | 20 508 Zucker, 21 Kaffee 9SIN.| 5007795 4. 118. IV. 1060 & Brot, 50 g Zucker, || 1076 1540| 7-2 || 93°N.) 250 | 50 30 8 Butter, 21 Kaffee 5. | 12,0%, 1090 & Brot, 50 & Zucker, 1114| 1440| 6-1| 1:°N. 390 | 75 | 30 8 Butter, 21 Kaffee 6. 20. IV. 1150 & Brot, 50 9 Zucker, | 1175| 1840| 6-4 |123°N.| 330 | 70 | 30 g Butter, 21 Kaffee | | 103° N. 375 | 65 7. 21. IV.| 64-10 980 Brot, 508g Zucker, ‚1009| 1440| 6-3 6°°N.| 230 | 50 308 Butter, 21 Kaffee | 8. 22. IV. Summe | 7479 6°°N.| 385 | 75 Im Tag 1068 = 659-0 Trockens. 580 = 600 Im Tag 85:68 Kollmann. I. Periode. = Ge- Harn Kot el 5 Nahr A ° | wicht Pu eem | N Zeit frischltrock. . 1640 | 7-73 1. 16. IV.| 57-80 | 1070 g Brot, 30 g Butter, | 1077 | 1220 | 7-2 21 Kaffee \ 2 ITEOTV.. 1090 & Brot, 30 & Butter, 1098 | 1420 | 7-8 || 8% V.| 360 | 60 21 Kaffee 3. 18. IV.| 57:60 | 1140 & Brot, 30 & Butter, || 1156 | 1600| 7-8 ||8%° V.| 315 | 60 21 Kaffee 6% N.| 305 | 60 4. 19. IV. 1200 g Brot, 30 g Butter, || 1221| 1740 | 7:8 8° V.| 345 | 65 21 Kaftee 5. 120.IV. 1160 & Brot, 30 g Butter, || 1184 | 1540 | 7-7 |80° V.| 380 | 70 21 Kaffee 7° N.| 300 | 55 6. 21. IV. 1020 & Brot, 30 g Butter, || 1042 | 1420 | 7:2 ||8%° V.| 295 | 60 21 Kaffee ; 7. 22. IV.|57:-50| 1085 g Brot, 30 g Butter, || 1117|) 8300| 6-0 ||8°° V.| 280 | 55 21 Kaffee 6%°°N.| 295 | 60 8. 123. IV. Summe || 7895 800V| 305 | 60 Im Tag || 1128 6% N. | 240 | 50 — 696-1 Trockensubstanz 655 —= 700 8 gepulvert im Tag — 1000 8 286 MAx RUBNER: Über die Zusammensetzung des Brotes und über die Ausscheidungen bringt das nachfolgende die nähere Auskunft. _ Bros: In 100 Teilen Brot (trocken) sind: In 659-08 | In696-1g Roolfs Kollmann Ascher Rh 2-16 14-22 14-92 Organische en a a 97:34 644-78 681-18 IN SR RR 13. 2 SEE ER 1-591 10-47 11-06 Bentosame a lb eu 8:56 56-40 59-57 Zellimembram 4 en 6-46 42-44 44.97 Danny Zelliuleser: sy 1-75 11-62 12-18 Darına Bentosanupr 2-04 13-44 14-19 INesitsuloSttanvee ee 2-67 17:38 18-60 Beitbem: 2a: ER Sn 50 — _ STärkemn A ee ae 73-43 483.89 511-13 Kaloriens: 2 U Meweh Susan 42480 2799-40 2956-90 In 100 Teilen Zellmembran sind: Zelluloseke sn war 285 Bentosanı say cuih a anciee e 37-67 Best, me 2 ehe 39-47 Kot. In 100 Teilen Trockensubstanz sind: . In 79-7 & | In 93-6 | Roolis | Kollmann Rolls” Kolacn ON Ascher Ah we LS 7-66 7-27 6-10 6-79 ı Orgamisch 1... 0 Mala ne 92-34 92-73 73-60 36-80 INN HEN ee: URBAN LS = SR 1.0. 5-50 4-42 . 4-38 4-41 Pentosanen kai 1. UN RN 15-94 15-28 12-60 14-30 - Zellmembrane Mıf ...r aan Kane 28-75 32-66 22-91 30-56 Darin Zellulose.. . ..... ES: 072 10-49 10-39 8:36 9-72 Darm! Pentosan” ie. . So hr. se 8-88 32 TO 8-53 Bestsubstanz ea. vr Se Lana: 9.38 13-15 7-48 12231E Dett ke. Seren PL Cene 3-19 4-68 — _ Stärke a 3a ren 3-99 13-89 7-26 13-00 Kalorien nal 2 ur 2... || 4834-30 488-830 3386-00 : | 457-40 In 100 Teilen Zellmembran sind: Roolis Kollmann Mittel Zellulosesirssin. 3: Sek 36:49 31-81 34-15 | Pentosan u. 1, Kurse 2:30:95 27-95 29-45 3 VRR Le ER > 32-56 AD A 36:30 ® 1 — 9.93 Protein. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 287 Die Ausscheidungen waren nur wenig geringer wie früher. Der Zell- membrangehalt derselben war wesentlich geringer. Die Ergebnisse ent- halten folgende Tabelle. Roolfs | Kollmann | Mittel N lee 37-43 | 39-68 NSalorien.: =... 14-50 15-50 15-00 » Aellmembran 2 22 72772 0053-98 67:94 60-94 rZzellulosen:.e,.. Ser. 71:94 79-80 15:86 » Pentosan der Zellmembran 52-60 60-11 56-35 sıBRestsubstianzı 21. . nu. 2. 43-03 66-15 54-59 „ freien Pentosanen . .... 12-87 12-71 12-79 Starken Een er! 2-59 2-54 2-56° »» Gesamtpentesan . ....|| 22-16 | 24-00 23-08 Der Verlust an N, auch an Kalorien, bewegt sich in denselben Grenzen wie beireinem Roggenbrot. Die beiden Personen unterscheiden sich auch nicht wesentlich. Nur die Zellmembranen sind etwas besser verdaut. Im ganzen sind die Unterschiede gegenüber dem Mehl von 94 Prozent gering. Man darf wohl vermuten, daß Brot vielleicht schon an sich wegen geringer Differenzen in der Backweise (stärkere Erhitzung des Bodens des Brotes, Unterschiede in der Erhitzung der Kruste u. dgl.) zu kleinen Differenzen Anlaß gibt. Die Stoffwechselprodukte N-haltiger Natur verteilen sich ebenso wie bei reinem Roggenbrot, auch die Stofifwechselkalorien lassen besondere Eigentümlichkeiten nicht erkennen. Roesen und Mais. El En rn As |d=sy, ® ar ie: an om = eg2 |HS2 elss |. za| a | a la38| SE 855 en he ae ee see le zalzraıa (Heads FEAR: | | | er je R. | 17:18 | 79-7 | 13-67 | 2-10 | 4-38 2-19 10-47 | 20-91 50-00 K. || 15:58 | 93-6 | 14-58 | 2-33 | 4-14 1-81 11-06 | 21-07 43-72 1) & (do) [No] Pr [oP) [6,0] {er} Roggen und Mais. Verlust an Kalorien pro Tag| 3 N ss E le = a: Be ERS = = E 28 |l2582 E32 SW STH K$acdE S © & = oe 5538| 5228 SseAP 2829.04 | =ı8 Ze S se2l8203|820 58830938 sHM52s Bl 2 |sSE| E | 3 jegalasEs sgasane3.385 z . = oO, 2208 8 | an = ® 1e7) nd ER aD ee Sen R. 29-80 173-211 22-67 |225-68| 386-0 | 160-3 |2799-4| 5-72 41-50 K. || 53-30 209-852] 23-65 |286-80| 475-4 | 170-6 |2956-9| 5-77 37-29 ; 5-74 39-39 1 93-93 Kalorien in Zellmembran -+ 79-28 als Protein. 2 125-29 Kalorien in Zellmembran -- 84-56 als Protein. 288 MAx RUBNER: Die Versuchsperson R. zeigte deutlich durchschnittlich, was N-Bilanz anlangt, einen geringen Verlust, kam aber gegen das Ende der Reihe etwa ins Gleichgewicht. Person K. verlor wenig an N. Roggen und Mais. Roolfs: N N : N auf- m im Harn im Kot Sean genommen Ailkız 1. 10-10 4-38 14-48 9-21 -5-27 2 8-40 — 12.78 10-08 -2-70 3. 7:50 —i, 11-88 11-25 -0.63 4. 7:20 — 11-58 10-55 -1.03 3. 6-10 —_ 10-48 16-92 +0-.44 6. 6-40 — 10-78 11-52 -+0-.74 De 6-30 "3,1068 9:33 -0-59 7:43 4-38 lan 10.47 —-1-.34 Vor Beginn des Versuches 5-9g N im Harn. Kollmann: 1 7-20 4.14 11-34 10.56 -0-78 2 7:80 = 11-94 10.772 TR 3 7:80 —_ 11-94 11-34 —-0:60 4 7-80 — 11-94 11-97 . +0-07 5 7:70 = 11-84 11-65 -0-.21 6 7-20 _ 11-34 10-52 -.1:52 7 6-00 _ 10-14 10-59 -+0-45 7-36 4-14 11-50 11-06 —0-44 Vor Beginn des Versuches 7:72 N im Harn. die Zum Vergleich stehen mir zwei ausgeführte Versuchsreihen zu Gebote; eine Gegenüberstellung der Resultate zeigt folgendes: Frühere Reihe Neue Reihe in Prozenten Zellmembransehalt' . . 2... 22%. 7-75 6-69 6-51 6-46 N-Verlust a a in ah 3 er ER ee 39-302 40-30 37-05 39-68 TE ONE 3 25-90 21-60 21-48 20-99 EEE N 13-40 18-70 15-57 18-69 ERNEST 14-80 13-50 15-19 15.00 Verlust an Stoffwechselkalorien . . . 7-47 7-07 6-10 5.74 Verlust an Unverdautem Verlust an Zellmembran 2 a RER 1-30 6-40 9.09 9-26 REN REN 47-00 55-70 73-00 60-94 Von diesen Versuchen ist der erste mit Mehl bei feuchter Vermahlung ausgeführt, also in der Technik des Mahlens verschieden; die drei anderen 2 In der Veröffentlichung 1916, S. 174, muß es bei Person Sch. unter N-Aus- scheidung 4-20 statt 3-44 heißen, der N-Verlus5 wird dann 41-82 Prozent und das Mittel 39-3 wie oben; ebenso ist statt 10-2 dann 13-4 bei Stoffwechsel-N zu setzen. Die Übereinstimmung der Werte wird dadurch besser. _ UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 289 sind bei trockener Vermahlung des Kornes ausgeführt. ‘Die Resultate stimmen bei gleichem Zellmembrangehalt sehr nahe überein. Nur hin- sichtlich der Zellmembran bestehen Unterschiede. Bei 6-51 Prozent Zell- membran war die Verdauung am schlechtesten, wodurch sich auch der Kalorienverlust etwas erhöhte. Am. wechselndsten ist der Verlust an Stoffwechsel-N; es ist auch bekannt, daß gerade der N-Verlust im Darm zu allererst dann beeinflußt wird, wenn es sich um geringfügige Störungen der Verdauung handelt. Das Klopferbrot nach Herstellung und Zusammensetzung. 7 A. Die experimentelle Untersuchung des Klopferbrotes hat nicht das Ziel, einen bestimmten Handelsartikel auf seine Verdaulichkeit zu prüfen, das würde an sich eine Besprechung an dieser Stelle kaum rechtfertigen, vielmehr liegt das Ziel darin, in einem sozusagen Schulfalle auseinander- zusetzen, wie die Bearbeitung des Kornes durchgeführt wird, um dieses „Vollkornbrot‘‘ zu erreichen. Zu diesem Zwecke mußte nicht nur die eingehende Untersuchung der Verdaulichkeit des Brotes, sondern vor allem auch die Art der Vermahlung und die Überwachung des Mahlbetriebes durch eine fachwissenschaftliche Aufsicht sichergestellt werden. Ohne diese Garantie hat jedwede Bearbeitung solcher Fragen gar keinen Wert. Den technischen Teil der Untersuchung hat Professor Buchwald ausgeführt. Die eingehende Beschreibung des Mahlversuches findet sich am Schluß der Arbeit anhangsweise im Original des Berichtes wiedergegeben. Die Vermahlung erfolgte mit 32 Sack Roggen = 2468-5 kg Reingewicht mit 14-7 Prozent Wassergehalt und 1-85 Prozent Asche der Trocken- substanz. Dieses Getreide war aber bereits von den üblichen Unreinheiten befreit, also geputzt, wie dies vor jeder Vermahlung ee soll, in Kriegszeiten aber leider nicht geschehen ist. Nun erfolgte eine Schälung, d.h. Dekortikation, mit 5-5 Prozent Abfall. Der geschälte Roggen hatte 14-66 Prozent Feuchtigkeit und 1-73 Prozent Asche der Trockensubstanz. Die Keimlinge, welche bei der Schälung mit abfallen,“ werden isoliert, entbittert und später dem Mehl zugefügt; dieser Zusatz beträgt 1 Prozent des ursprünglichen Roggens, so daß im ganzen aus 100 Teilen gereinistem Roggen 94 Prozent Aus- beute an fertigem Mehl erhalten werden. Ich gebe in nachfolgendem die stufenweise Veränderung des Mahlgutes wieder; zunächst mag das Ausgangsmaterial und der. geschälte Roggen (3-5 Prozent Abfall) miteinander verglichen werden. Archivfi.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 19 I) 290 Mıx RUBNER: Ursprüngliches Dekortiziertes Korn Korn in 100 Teilen Trockensubstanz INSChEL ER. ER 2a RT 1-82 1-70 Orsanısch FE 2. ve Ser 98-18 9498730 INTER ER RI ORTEN are 1-67! 1-582 DPentosan ta). kan interna 10-64 9-03 Zellmembran I ne 9.09 6-40 Zellulose der Zellmembran . . 2.25 1:71 Pentosan der Zellmembran . . 3:97 3-01 Restsubstanz der Zellmembran 4-51 2-54 Stärken N ER 70-57 74-40 Tetiant an EN AOTER 1-42 1-66 Kalorien Se 430: 60 429.70 Aus dem gereinigten, d.h. dekortizierten Korn wurde das eigentliche „Vollkornmehl‘“ hergestellt und noch 1 Prozent Roggenkeimlinge hinzu- sefügt; außerdem wurde ein Mehl entnommen, das nur einer Ausmahlung von 75 Prozent entspricht. Beide Mehle wurden dann zur Herstellung von Brot verwendet. Zwar ist nicht anzunehmen, daß bei der Brot- bereitung wesentliche Verschiebungen in der Zusammensetzung auftreten, immerhin wurde aber doch das Mehl wie Brot getrennt untersucht. Über die Zusammensetzung der Mehle gibt folgende Tabelle Aufschluß. In 100 Teilen trocken: 94 Prozent 75 Prozent Ausmahlung Ausmahlung das Mehl das Brot das Mehl das Brot ASCHE EN ee dene 10. SEA 1-82 2-81 1-44 2-05 Organisch ame REIT: 98-18 97.19 93-56 97-95 IN HE a ee Te ee le Fil® 1-674 1-485 1-556 Pentoraniair en N en 9-16 8:15 8-35 7-82 Zellmemibran Se 6-32 6-23 4:96 4-54 Telluloseh ne N 1-90 2-01 1-65 ..1-.64 Pentosan der Zellmembran ..... 9.59 2-57 1-67 1-45 Bestsubstanz der Zellmembran ... 1-83 "1-65 1-64 1-45 Bette ne NEN 3-04 (2-04) 1-66 (1-66) STALlec N a N a ar 72-57 72-71 76-21 75-70 Die Zahlen für die Zusammensetzung des Brotes sind beigefügt. Von 2 dem dekortizierten Mehl wurden 94-5 Prozent des ursprünglichen Kornes erhalten. Das Ergebnis zeigt folgendes: 1 = 10.43 Protein. 2 — 9.87 Protein. 3 — 10-68 Protein. 2 — 10-43 Protein. © 9.25 Protein. 6 — 9.68 Protein. I er a re UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. el Das verwendete Korn war an sich nicht reich an. Zellmembran, soweit ich nach meinen bisherigen Analysen ein Urteil zu fällen vermag. Bei der Dekortikation sinkt der Zellmembrangehalt auf 70-4 Prozent des früheren, also nahezu um ein Drittel, was sehr erheblich ist, weil ja ‚der Gewichtsverlust im ganzen nur 5-5 ‚Prozent ausmacht. Die einzelnen Bestandteile des Kornes nehmen also in verschiedenem Maße bei der Schä- lung ab; am besten geht das aus der Gesenüberstellung der Zahlen des ursprünglichen Kornes und des geschälten Produktes hervor, wenn wir zu diesem Vergleich die Werte des dekortizierten Kornes auf 94-5 Teile, d.h. den Schälungsgrad, umrechnen. Ursprüng- 94-5 Teile liches dekort. Verlust & Korn Korn Prozent AS Chem a ee: 1-82 1-61 — 11-54 Orsanisch 2: 0.0... 98-18 94-00 — 4-26 N a 1-67 1-49 — 10:78 IBentosanı rear. a are 10-64 8:53 — 19.84 Zellmembran og. a.sı, 9.09 6-05 — 29-50 Darm Zelluloset ey. ltr 2-25 1-61 — 28-45 - Darin Pentosan . . .... . 3-97 2.84 — 28:46 Dtärkes nn NR un 70-47 70-31 — 0:21- ifey SR N 1-52 1-56 — Igalorienu..e ee ar ee 430- 60 4096-00 — 5-71 Der Schälprozeß nimmt also verhältnismäßig viel Eiweiß und Asche fort, ferner einen erheblichen Teil der Pentosane, der jedoch auf die Rechnung ‘der Beseitigung der Zellmembran zu beziehen ist. Er läßt das Stärkemehl intakt, insofern muß dieses Schälverfahren als gut gelungen bezeichnet werden. Bei Untersuchung anderer Schälverfahreri habe ich gelegentlich beobachtet, daß die abgeschiedene Kleie weniger N-haltig ist als die nach dem Klopferverfahren erhaltene. Es ist also möglich, daß hier der Keimling vollkommen zur Kleie fällt; ein Angreifen der Kleber- schicht ist weniger wahrscheinlich, da sonst auch ein Verlust von Stärke- mehl unvermeidlich wäre. Wer alle Teile des Kornes für unentbehrlich zur Ernährung hält, kann sonach das entschälte Korn nicht mehr als Vollkorn betrachten, da Salze und Eiweiß in nicht unerheblichem Maße abfallen. Für tierische Zwecke kann man sagen, daß solche Schälkleie immer noch wertvoll sein muß, da sie reich an Eiweiß ist. Man könnte ja ver- suchen, hierüber aus den oben gegebenen Zahlen eine Berechnung der Zusammensetzung durch Kleie zu machen; man muß nur bedenken, daß 192 292 MıAx RUBNER: man nicht exakte Zahlen erhalten wird, weil sich ja alle ana Yu Fehler auf die 5-5 Teile Kleieabfall häufen.! B. Aus dem gereinisten, d.h. geschälten Korn wurde, wie erwähnt, zweierlei Mehl hergestellt: a) Mehl, welches aus 100 Teilen Korn 75 Teile lieferte, b) Mehl, welches aus 100 Teilen Korn 94 Teile lieferte. Bei letzterem waren die entfetteten Keimlinge wieder hinzugemengt worden; bei dieser Prozedur haben sich also bei a 25 Teile Kleie ergeben bei b nur der oben genannte Schälabfall nach Auslese des Keimlines. Aus den beiden Mehlsorten wurden die Versuchsbrote hergestellt. Tabelle S. 290 gibt die analytischen Werte für das Mehl und das daraus her- sestellte Brot. Die analytischen Ergebnisse an zwischen Mehl und Brot nur Unterschiede, die innerhalb zufälliger Abweichungen der Proben gelegen sind, mit Ausnahme des Fettes. Es ist bekannt, daß die Ätherextrakt- menge aus Brot stets zu klein ausfällt, während Mehl leicht zu extrahieren ist. Man wird daher für das Brot richtiger die Menge des Ätherextraktes des Mehles benutzen, falls es nötig sein sollte. Übrigens spielt das ‚Bett‘ hier ja eigentlich keine Rolle. Die Kleie, welche abfällt, wenn man statt auf 94 Prozent nur auf 75 Prozent ausmahlt, ist natürlich ganz anders zusammengesetzt wie die Schälkleie, die in dem Abschnitt A näher betrachtet wurde. Ihre Be- rechnung wird später durchgeführt werden. Wir werden sehen, daß diese Kleie bis 61-6 Prozent Stärke einschließt, während die Schälkleie, praktisch betrachtet, stärkefrei war. Daraus ergibt sich, was ich schon öfter betont habe, daß es sinnlos ist, von einer Verdaulichkeit der Kleie beim Menschen zu reden, wenn man nicht den konkreten Fall genauer kennt. Bisher hat man fast ausnahmslos die Beschaffenheit der Kleie hinsichtlich ihres Nähr- wertes ganz unbeachtet gelassen. Auch der Prozentsatz der Ausmahlung genügt nicht zur Charakteri- 1 Man erhält für diese Schälkleie etwa: 3-82 Prozent Asche Bill Wen N 38-30 a Pentosan 55-20 2 Zellmembran 447:30 Kalorien. Vgl. auch die Analysen der Schälkleie $. 277 nach direkter Untersuchung dieses Abitalles. x & 4 T ‘ B: & Er ns: RS Bere ri ERDE ER ZIEENE 5 er UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 293 sierung der Kleie; es ist einleuchtend, daß eine Kleie, welche bei einer Ausmahlung auf 90 Prozent entsteht, anders zusammengesetzt ist wie eine Kleie, welche aus 5 Prozent Schälabfall und 5 Prozent Mehlkleie sich bildet. Für eine zutreffende Beurteilung eines Brotes kann man sich in Zu- kunft nur an die direkte Analyse mit Feststellung der Zellmembranmenge und ihrer Eigenschaften verlassen. A. Brot aus Mehl von 75 Prozent Ausmahlunse. Die Ausnützung des Brotes. Eine Ausmahlung, welche im allgemeinen recht häufig durchgeführt wurde, ist die, welche 70 bis 75 Prozent Mehl aus dem Korn liefert, Roolfs. Ge- wicht Nahrung Klopfer-Roggen O0 bis 75. Brot frisch | N Harn ecm | N Zeit Kot frisch | trocken 13. 14. 15 16. XI. XL. ; XII. XI. 63-5 63-0 62-5 1385 & Brot frisch Gemischte Kost 1233 g Brot 205 Kaffee 21 Wasser Brot Kaffee Wasser Brot Kaffee Wasser Brot Zucker Kaffee Wasser * Brot Zucker Kaffee Wasser Brot 302 Kaffee 2] Wasser 1240 8 Brot 308 Zucker 30 g Kaffee 31 Wasser Mittel = I All g Zucker 1233 | 11-82 1259 | 12-11 1389 1445 | 13-87 1399 | 13-43 11-87 12-06 13-33 1260 | 9-6 2140 | 7-4 1520 | 6-6 1600 | 6-7 1660 | 4-4 1960 1620 | 4-7 — 836-7 8 lufttrocken — 816-2 g Trockensubstanz 33 N. 220 N. 4° N. SOORVz mal)V. 4°° N. N. SaınV., 200 50 400 | 105 110 535 130 560 | 125 370 95 490 410 105 50 635 8 gepulvert 650g —= 92-558 pro Tag — 84:9 5 Trockensubstanz 880 5 lufttrocken zur Analyse 63-53 Prozent Trockensubstanz 61:97 & Trockensubstanz. 294 MAx RUBNER: Kollmann. Klopfer-Roggen. Roggen O bis 75. Datum | Ge Nahrung \ zus! Slam : Kot wicht frisch| N || cem | N || Zeit |frisch |trocken 7 8. XII. Gemischte Kost 800 V.| 157 32 9. XII. | 53-5 | 1183 g Brot | 30 Kaffee x 21 Wasser || 1183 |11-36|| 940 | 8-2 | 32° N.| 120 30 TOT 1163 g Brot 30 8 Kaffee 21 Wasser || 1164 \11-17|| 960 |.7-7 || 73° V.| 360 75 uk UNE 1265 & Brot 308 Kaffee \ 21 Wasser || 1274 |12-23|| 1860 | 7:9 || 73° V.| 350 | 65 12. 057] 12308 Brot a | 308g Zucker . 308 Kaffee | %1 Wasser || 1249 |12-02|] 1680:| 7-3 || 73° V.| 330 65 13. X 1350 g Brot IR 308g Zucker | 30 & Kaffee | ET 2] Wasser | 1373 \13-18|| 1380 | 7-0 || 73° V.| 330 70 4° N.| 250.) 50 14. XIT. || 1170 g Brot | 308 Zucker 30 8 Kaffee | | | 21] Wasser | 1189 |11-41|| 1580 | 7-7 || 730 V.| 305.| 60 a 53-5 | 1110 & Brot 308 Zucker 308 Kaffee 21 Wasser || 1119 |10:84|| 1560 | 7-6 || 730 V.| 235 | 55 | 730 V.| 255!| 60 « 8 530 15. XI. Mittel = 1221 — 769-7 g lufttrocken = 560 8 — 749-8g Trockensubstanz gepulvert = 808 pro Tag lufttrocken — 75:7 g Trockensubstanz lufttrocken { — 71-65 trocken. ! Die eine Vergleichsreihe wurde daher mit Mehl von 75 Prozent Ausmahlung ausgeführt. Solches Mehl liefert ein ausgezeichnetes Brot. Die Versuche wurden an zwei Personen ausgeführt; leider waren die früher ver- wendeten Soldaten wieder eingezogen worden, so daß eben diese Ver- gleichsreihe mit Brot zu 75 Prozent Ausmahlung notwendig wurde, um den Unterschied des Brotes mit 94 Prozent usmahlung einwandhrei be- - urteilen zu können. Bm Als Getränke wurde ein leichter Surrogatkaffee mit etwas Zucker gegeben; die Nährwerte des Kaffees waren so minimal, daß sie ganz ” außer Betracht gelassen werden. Die Menge des Brotes wurde dm Sättigungsbedürfnis überlassen (s. vorstehende Tabellen). | UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 295 Man sieht, daß die Nahrungsaufnahme eine sehr gleichmäßige gewesen ist; die eine Person R. nahm etwas an Gewicht ab, die etwas kleinere Versuchsperson K. hielt sich auf dem Gewicht. Vor der Versuchsperiode hatten sich die Personen mit dem erhalten, was sie durch die Kartenkost bekamen, mit einigen Zusätzen, ohne welche ein Auskommen ja unmöglich wäre, obschon es sich um Leute von recht mäßiger Körperbeschaffenheit handelt. Die Gewöhnung an eine einfache vegetabilische Kost war also ausreichend verbürgt. Das Brot ist wenig blähend und gegenüber dem Kriessbrot von bester Beschaffenheit. Die analytischen Ergebnisse enthält folgende Tabelle. Brot. Ausmahlung 0 bis 75 Prozent. In 100 Teilen Brot ist enthalten: Kollmann Roolts in 749-80 g in 816-20 g BÄSCHeABERN es NS RE N RR 2-05 15-37 16-73 Orsanisch; -.. 4. ,:{7a. arten 94:95 734-41 799-47 IN te 3 en Se SE, 1-551 11-62 12-65 Bentosam‘ : wor 2 NEST, EBEN 7-82 58-65 63-83 Hellmembran au... ver. 4-54 34-04 37-06 Darin Zellulose.. . .. . een 1-64 12-30 13-38 Darin Pentosan ....... 1-45 10-87 11-85 Darin Restsubstanz. . ... . 1-45 10-87 11-85 IS. N 1-66 12-45 13-54 StärkesunsT .. erlanmaei. 75-702 567.70 623-90 Kalorienss.n.. san 4138-40 3138: 00 3414-80 In 100 Teilen Kot sind: { Kollmann Roolfs Kollmann Roolfs in 71-68 in 94-9 g INSCHeWe EB T 7-19 7:32 5-15 6-21 Orbanische nn Vase UN Er, 92-81 92-68 66:45 78-69 INES it ae ei eadee 4-75 4-75 3:40 4-03 IBentosana nr: 0 an ae Dale 15-91 17-72 11-39 15-05 Hellmembran . +2...» 10 288, 31-86 29:63 22-81 25-15 Darın»Zelluloses =... 4. ler. 14-36 11-16 10:28 9-47 Darnebentosanı u San... 8-4] 7-51 6:73 6-39 Darin Restsubstanz. . . .. 2... 7-09 10-96 5-80 9-29 Bett ee en N 5-07 5-49 3-63 . 4-66 Sika. EDEN ENRR 9-43 11-39 6:75 8-15 Kalorien mar, FH ELSE aetl.y 492-30 507-30 352-50 430-70 Der Trockengehalt des Brotes war 61-97 Prozent. Im ganzen haben die Männer zwischen 3138 und 3415 Kalorien (unberechnet den Zucker) aufgenommen, was sicher zur Deckung des Nahrungsbedürfnisses aus- gereicht hat. 1 — 9.68 Protein, 2 Berechnet. 296 Max RuBnek: Der Kot war im allgemeinen wasserarm, über 20 Prozent Trocken- substanz bei Person R.; nur waren die beiden letzten Stühle merklich wasserhaltiger ‘wie die früheren; etwa 30 Prozent des trockenen Kotes bestehen aus unverdauten Zellmembranen. Die Verluste waren für das Mehl von 75 Prozent Ausmahlung: Bei Bei Im Kollmann Rooltfs . „Mittel AN. 12 RR PRBE IR DEREN San 29-25 Proz. 31:85 Proz. 30-52 Proz. 1 Bentosamparnk Sen 19-41, , 23:57 u 21SA9E » , ZJellmembran 2 een GIE00 67-86 °,, 67.45 „ „„ "Zelluloseh a a sehn: Saal. 10-78, N, 18070 „ Pentosan der Zellmembran SO, 54-01 ,„ 57:96 ,„, Sun Bestsubsbanz Ze Se 53-36, NSS GDRSI „Stärken. ee lalSar, 1.30% 1:24), „ trejesuBenhosam ke ae TS 1626900), 132207, »; ‚Kalorien. ee u.D8 RE 10-86 „, 18H 11:85 7,5 Von anderen mit Roggenmehl von mir ausgeführten Versuchen stimmt im Zellmembrangehalt keiner genau mit dem vorliegenden überein, wohl aber das Mittel aus Versuch I und III Bd. 1916 S. 193 mit 4-37 Prozent Zellmembran; die Versuchspersonen waren aber andere als die in obigem Versuch. Die Verluste der wichtigen Stoffe waren: - Frühere _ Vorliesender Versuche Versuch ANNE 38-70 Proz. 30-52 Proz. Pakalerien?\..,. ee VS IS >. Yellmembran, 222 232: 9lnSs0, 67-43 ,„ ESTATE ask 1-24 „ Demnach ist die Resorption des N im vorliegenden Fall etwas günstiger, der Verlust an Zellmembran aber etwas größer, woraus sich auch der geringe Zuwachs an Kalorienverlust erklärt. Von älteren: Ver- suchen mit Roggenmehl mit 25 Prozent Kleieauszug, bei welchen eine fachmännische Mühlenaufsicht ausgeübt wurde, können nur die Experimente von Plagge und Lebbin erwähnt werden. Nach meinen zahlreichen Erfahrungen ist es möglich, aus deren Originalzahlen durch Einsetzen des kalorischen , Wertes den Kalorienverlust bei Plagge und Lebbin nach- träglich zu berechnen. Es findet sich dann für drei Versuchsreihen 11-80 Prozent im Mittel 31:92 Prozent im Mittel ala ln 11-5 Prozent und 36-66 _., 33-75 Prozent al 707.7 Kal.-Verlust Be, N-Verlust, was mit den oben angegebenen Werten sehr nahe übereinstimmt. Ob sich der Zellmembrangehalt mit meinen Brotsorten ganz deckte, läßt sich freilich nicht sagen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE, 297 Der Kot meiner Versuchspersonen bestand zu einem großen Teil aus nachweislichen Resten der zugeführten Nahrung, darunter aber auch aus den Stoffwechselprodukten. Das Nähere bringt für die Kalorienberechnung der Stoffwechselprodukte nachstehende Tabelle. Brot aus Mehl von 75 Prozent Ausmahlung. Verlust an Kalorien pro Tag a ea ‚2uTe ne | P mn oe E 2314235 Versuche | 5 | &, | 3 | 8 |382:|8°8 1253 7 e23 2524 erson =) = 5 ö = RS) oO |SEe3 | SZ |issumrın 2 i 3 \22 |: | 2 |a888> 884542502885 — 5) Hal fen! = Be = (<=! o =! 7) S. & e7) 8217 as2alscee Kollmann || 27-67 |155-921| 19-10 | 202-69 | 352-5 | 149-8 | 3138-0 4-77 42-38 Roolfs | 33° 44 1199-972 | 33-38 | 266.79 || 430-7 | 203-9 3414-8 | 3-97 47.34 | ‚5-37 | 4:86 Die zwei Versuchspersonen verhielten sich recht übereinstimmend. 5-37 Prozent waren im Mittel an Stoffwechselprodukten erschienen, also (11-35 —5-37) 5-98 Prozent der Nahrung Unverdauliches. Rund 45 Prozent des Kotes waren Stollwechselprodukte. Diese Werte weichen nicht erheb- lich von den anderen Versuchen ab, die man wegen des gleichen Zell- membrangehaltes zum Vergleich heranziehen könnte. Ich habe damals 6-69 Prozent Stoffwechselprodukteverlust gefunden, und da die Aus- nützung im ganzen etwas besser war, so machten die St offwechselprodukte auch relativ etwas mehr aus, nämlich 61-8 Prozent. Hinsichtlich der Ausscheidung des N und seiner Bedeutung als Stoffwechsel-N und unverdaulichem N-Material gibt nachstehende Tabelle Auskunft. Brot aus Mehl von 75 Prozent Ausmahlune. In der Zellmembran 3 He x = Ai ae . R eg tel) ori (eb) 0 > - 0) SH © Versuchs- |E 3 a Mere Hs ns 3 ERS 833 se8| £& oH = Shaun ee SE ano, person > © =. z salleneı © S.oH |2 23 eo) s ) 3 ae — a m sSsE nel zu le Bosalar ® PR ee N 5. & Kollmann || 15-03| 71-6 |10-76| 1:72 3:40 1:68 11-62 14-86 49-41 Roolfs 19-68| 84-9 |16-70| 2-66 4:03 1:37 12-65 21:03 33:99 Mittel | 17:74 | 41:70 1 Aus Zellmembran 93-52 ». Protein 62-40 155-92 2 Aus Zellmembran 103-18 »» Protein 96:86 199.97 298 MıAx RUBNER: Von N waren also rund 42. Prozent als Stofiwechselprodukte vor- handen, der Verlust an Eiweiß betrug 17-7 Prozent; auch diese Werte nähern sich den früheren, bei Roggen gefundenen (21-4 Prozent Protein- verlust, 44-3 Prozent des Gesamtkot-N als Stoffwechsel-N). Die N-Bilanz zeigt uns folgendes: Roggenbrot von 75 Prozent Ausmahlung. Kollmann: Harn Kot Gesamt-N Einfuhr Bilanz 8-2 3-40 11-60 11-36 — 0:24 zer — 11-10 11-17 0-07 7-9 — 11-30 12-23 0-93 7-3 — 10-70 12-02 1:32 7-0 — 10-40 13:18 42-78 el — 11-10 11-41 40-31 7-6 — 11-00 10-84 — 0:16 Die letzten 4 Tage 10:82 N = 67:62 Protein bei 54 Kilo = 1:252 pro Kilo. Roolfs: Harn Kot Gesamt-N Einfuhr Bilanz 9-6 4-03 13:63 11-82 — 1-81 7-4 — 11:43 12-11 0:68 6-6 — 10-63 13-33 42:70 6-7 _ 10-73 13-87 43-14 4-4 _ 8-43 13-43 5-00 6:6 — 10-63 11-87 1-24 4-7 — 8-73 12-06 +3:33 9-63 N = 60-18 Protein, Harn + Kot bei 63 Kilo = 0-958 pro Kilo. Beide Versuchspersonen setzten im Durchschnitt N an, wenn auch nicht erheblich, mehr Person R. als K.; das zeigt, dab sie außerhalb der Versuchszeit keine Möglichkeit besaßen, reichlicher N sich zu verschaffen, Sie traten mit relativ geringem N-Bestand in den Versuch ein. B. Brot aus Mehl von 94 Prozent Ausmahlung (Klopferbrot) Das Brot sollte man nie ausschließlich nach seiner Zusammensetzung, sondern auch nach seiner Qualität in diätetischer Hinsicht betrachten. Diese Gesichtspunkte sind fast nie in Betracht gezogen worden. Das in der staatlichen Versuchsbäckerei mit dem Mehlnach Klopfers Vermahlungs- „art hergestellte Brot war ganz ausgezeichnet. Es hat den Wohlseruch und Geschmack reines Roggengebäckes. Man hat dabei nicht den Eindruck, ein Brot mit nicht allzu wenig Zellmembrangehalt zu genießen, es ist gleichartig, die Farbe lichtbraun. Eine stärkere Gasentwicklung als UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 299 sonst habe ich nicht beobachtet; es hält sich gut. Als Gebäck ist es also tadellos. Dies ist um so befremdender, als die Kriessbrote von- sleicher "Ausmahlung aller dieser angenehmen Eigenschaften entbehren, - man muß daher zugeben, daß man mit demselben Ausgangsmaterial ein _ viel besseres Brot erhalten kann, als es uns gegenwärtig allgemein geliefert wird. Das Klopferbrot ist schon mehrfach von anderer Seite untersucht worden, so von Boruttau, von R. 0. Neumann, von Hindhede. Auf diese Versuche wird später einzugeben sein. | Den Verlauf des Stägigen Versuches geben die chenden Tabellen: | Kollmann. Klopferbrot. Nakrunb- Brot |) Harn Kot frisch | N cem N Zeit | frisch trocken 16. XII. | 53-5 | 1145 g Brot 30 8 Butter 30 g Kaffee | 2] Wasser 1145 |11-45 | 1460 | 7-2 IX IE. 1280 g Brot | 30 g Butter 30 & Kaffee | 21 Wasser || 1299 |12-99 | 1540 | 8-0 || 730'V.| 380 90 . 18. XI. ' 1.1305 g Brot | | | 30 g Zucker 30 g Butter 30 Kaffee ; 2] Wasser | 1328 |13.28 | 1380 | 7-0 || 73° V.| 380 90 19. XII. | 54-5 | 1310 g Brot " 308 Zucker 30 g: Butter 308 Kaffee 21 Wasser | 1333 | 13-33 || 1040 | 6-2 | 73° V.| 345 85 20. XI. 1060 g Brot 308 Zucker 30 g Butter 30 g Kaffee 2] Wasser | 1082 |10-82|| 1720 | 5-2 | 70° V.| 320 80 21. XII. 890 & Brot ; 30 8 Zucker 308 Butter - 30 Kaffee 21 Wasser 918 | 9-18 || 1780 | 5-4 || 715 V.| 350 85 22. x% Gemischte Kost |1184-1 NG ? 0 im Mittel = 727-0 trocken 480 & 475-00 gepulvert 80-00 & lufttrocken 76-92 g trocken lufttrocken trocken er 1425 g Brot — 875-0 & Trockensubstanz ve | ll ll 61- 60- II 8 8 300 Max RUBNER: Roolfs. Klopferbrot. Ge- Brot Harn Zeit | Kot wicht Nahrung frisch| N cem | N | frisch | trocken R | . 16. XII. || 62-5 | 1110 Brot 30 & Butter 30 g Kaffee | 21 Wasser | 1110 |11-10, 1380 | 4-3 17. XII. 1420 & Brot 308 Zucker 30 & Butter 30 9 Kaffee 21 Wasser || 1424 | 14-24 | 1580 | 6-2 | 80° V.| 460 95 18. XII. 1435 g Brot 30 & Zucker 308 Butter | | SE 30 g Kaffee ; 21 Wasser | 1444 |.14-44| 1200 | 5-0 || 700 V.| 600 | 115 = 19. XII. , 63-5 | 1385 g Brot 30 g Zucker 308 Butter 308 Kaffee 21 Wasser || 1404 |14-04| 1800 | 7-2 || 63° V.| 545 | 135 20. XII., 1035 g Brot | 30 Zucker | 30 & Butter 30 g Kaffee \ 21 Wasser | 1071 |10-71|| 17200 | 4-5 | 700 V.| 575 | 115 21. XII. | 62-5 | 9358 Brot 308 Zucker 30 & Butter 30 g Kaffee 21 Wasser || 957 | '9-57|| 2120| 5-2 || 70V. 355 15 e 22.X1l. | Gemischte Kost |) | | all 50. ' | 1235 im Mittel 625 a — 748-3 lufttrocken 635-0 8 gepulvert — 746-0 Trockensubst. 105-8 g lufttrocken 101-7 & trocken II Das Brot hat 60-2 g Trockensubstanz, etwas weniger als das Brot bei 75 Prozent Ausmahlung, was den üblichen Verhältnissen entspricht. Der Trockengehalt des Kotes war bei Person K. 24-2 Prozent im Mittel, bei R. 22-6 Prozent. Offensichtlich haben die beiden Personen, die sich bei Brot geringerer Ausmahlung ganz gleich verhielten, hier sich unter- schieden. R. entleerte vom ersten Tage ab etwas mehr Kot als K., ob- schon die genossenen Mengen Brot nur wenig different waren. Die Nahrung war diesmal zumeist durch Zulagen von 30 & Butter verbessert worden. Die Kost war, was die Kalorien anlangt, sicher mehr als ausreichend. Die Einnahmen waren, wie nachfolgende "Tabelle zeigt, bei beide | Personen fast dieselben. BÄSChHeN a Organisch . . . INH. Pentosan ... Meinen sp Stärken u.a scheine: un: Orsanısch u... u. ar Nr. 2.0. Bentosaneyn wm... zellmembran . 7... . Darin Zellulose.. . . . Darin Pentosan ...: Darin Restsubstanz. . Net u le Stauke nn) un. . Eu UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 301 Klopferbrot (Vollkorn). In 100 Teilen Trockensubstanz: Kollmann Roolfs == in 727-008 in 746-00 g Ba >72. La 2-81 20-43 20-96 Et 97-19 7206-57 7125-04 ae EL 1-671 12-14 12-45 ale 2.2 0 Mi 8-35 60-70 62-28 a RE Er: 6:23 45-28 46-47 BL ERS 2-01 14-61 14-99 EN ARE 2-57 18-68 19-17 1:65 11-99 12-31 EEE EEE 2-04 14-82 15-21 a a a 71-74 521-50 555-00 SEN EA 424.20 3085-20 3164-40 In 100 Teilen Kot: Kollmann Roolfs Kollmann Roolfs = = in 76-90g in 101-70g eg St. 8.78 6-95 6-75 7-07 TE 91-22 93-05 70-25 94-63 RAIN NN. 4-92 5-32 3-80 5-40 PN 15-43 14-95 11-86 15-20 3 a er 30-23 30-66 23-24 31-18 BAT 11-35 10-92 3:73 11-10 RL SE 3-53 8-24 6:56 8-38 BE) RR 10-35 11-50 1:95 11-68 BEN BER Dean 7:28 6-12 5-76 4-54 ER En BR 6:66 9-17 5-12 9-33 EN DER TR. 496-10 521-20 381-50 530-00 Reichlich sind Pentosane vertreten, die Zellmembranen machen 45 bis 46 & pro Tag aus. In den Ausscheidungen stimmen die einzelnen Bestand- teile bei den beiden Personen prozentual recht nahe überein. Zwischen 30 und 31 Prozent des trockenen Kotes machen die Zellmembranen aus. Die Verluste der einzelnen Nährstoffe waren folgende: Von 100 Teilen gingen bei Klopierbrot zu Verlust: ATMEN I en. „„ Pentosan. . „„ Aellmembran ‚„ Zellulose . . Bei Bei Kollmann RBoolfs Re 31:30 43-37 ER ee 19-54 24-45 ee 1 2 51-32 68-40 IR RE GE 59-75 74-04 »» Pentosan der Zellmembran 35-12 43-71 Makestsubstanzı. 2.0. 66-30 94-88 KaStämken. ala: un el nude 0:98 1-68 » freien Pentosanen.. . ... 12-61 15-82 „ Kalorien . . \ I lien Leo 12-62 16-87 Im Mittel 37:33 21:99 59-86 66:89 39-41 80:59 1-33 14-21 14-74 Person R. hatte demnach in allen Teilen eine weniger gute Aus- nützung als Person K., vor allem verdaute sie die Zellmembran weniger 1 =.10.48 Protein. 502 Max RuBNER: Be: gut, auch das Protein und die Stärke; auf der geringeren Verdauung # dieser drei Gruppen beruht der Unterschied der Ausnützung. Irgend eine Gesundheitsstörung lag nicht vor; die geringere Verdaulichkeit hatte schon am ersten Versuchstag eingesetzt. Ähnliche Verschiedenheiten finden sich auch in meinen früheren Ver- suchen, z. B. in jenem mit Roggenbrot!, als individuelle Unterschiede, die unter verschiedenen Bedingungen wiederkehren. Zahlreiche Beispiele dieser Art enthält auch das Buch von Plagge und Lebbin über die Ausnützung ö |’ H E des Soldatenbrotes. Es ist ein Zufall, wenn. einem Experimentator h Personen in die Hand gespielt werden, die sich völlig gleich in der Aus- nützung verhalten. Soweit ich die Ergebnisse übersehe, treten Differenzen am häufigsten hervor, wenn es sich um nicht leicht resorbierbare Nahrungs- mittel handelt, besonders also bei zellmembranreichen, wie das gerade bei Brotsorten der Fall ist. Der Vergleich der Ergebnisse zwischen ver- schiedenen Experimentatoren liegt in ihren Schwankungen zumeist nicht in der Methode, sondern in der zufälligen Eigentümlichkeit der Versuchsperson. Mit Rücksicht auf diese Einflüsse lassen sich allgemeingültige Angaben nur machen, falls eine größere Anzahl von Personen gewählt werden kann oder wenn die Unterschiede so bedeutend sind, daß sie die allenfallsigen individuellen Schwankungen übertreffen. Der Kalorienverlust war bei K. bei Klopferbrot gegenüber dem Brot bei 75 Prozent Ausmahlung nur um 1-1 Prozent gestiegen (10-86: 11-96), bei R. von 11-85 auf 16-87, also um 5 Prozent. Zum Vergleich steht ein früher ausgeführter Versuch mit Rogeen mit 6-69 Prozent Zellmembran? zu Gebote; die Gegenüberstellung mit den vorliegenden Versuchen zeigt: : 6-69 Proz. 6-23 Prozent Zell- Zellmembran membran 'Kollmann Roolts Mittel Prozentverlustzan. N I. rn men: 40-30 32-40 43-40 37-90 => =. Kalorieng.. 2.0.05 13-50 12-00 16-90 14-40 5 ‚ Zellmembran . .. 55-70 50.23 68-40 59.30 “e EN DIALKEN ee 1-30 0-94 1:68 1-30 Die Mittelwerte weichen nur um weniges voneinander ab; die. ‚Aus- mahlung bei 6-69 Prozent Zellmembran war damals 82 Prozent gewesen®, bei 6-23 Prozent des Klopferbrotes aber 94 Prozent. Man sieht daraus, daß die Ausmahlungszahlen allein kein Kriterium für die Beurteilung des ® Mehles geben. 1 Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. 8. 165. ? Ebenda. S. 193. ® Kontrolliert durch das staatliche an für Getieideverarbeitung. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 303 e) Ein nennenswerter Unterschied zwischen den beiden Broten von ähn- lichem 'Zellmembrangehalt besteht also nicht, woraus sich ergibt, daß dem Klopferbrot spezifisch eigenartige Nett zings unse nisse eigentlich nicht zukommen. Was die Stoffwechselprodukte im Kot anlangt, so hat man für die Kalorien folgende Werte. Klopferbrot. | Verlust an Kalorien pro Tag er u 2 + ee Bi GE a ee Versuchs- | 2 S_ 3 S 34222512 5A ESS EIS IZESIE ‚person = BE | & = BIERIERSE 38 BESSHllages ner FERaasMalsds Er 0022 © & an | =98R r BR Kollmann |20- 13 | 168-841] 20-86 |209-83 366-1 |156-3!|3085-2]) 5-06 42-69 Roolfs 38:25 |235-18?| 28-37 |301-80| 530-0 | 228-2 3164-4 7:21 43:05 6:13 | 42-87 Die Menge derselben beträgt 6:13 Prozent der Zufuhr und von der ganzen Masse des Kotes entfallen 42-9 Prozent auf die Stoffwechsel- produkte. Für die N-haltigen Bestandteile zeigt sich nachstehendes. Klopferbrot. In der Zellmembran ı» 2 A = m 5ulö.s|s,|28,|s7843 Versuchs- SSH Se TE |n24|73 |5282|1527 93% 5) 5 OH Ar ee ESTER ZI person „e| 9 Imersz Venors era als Eror | 9,2 8 ers Se8lMlolıSo U te ie „N ls5Alaeee Berl 515% | A En > ae Kollmann || 18-08| 73-8| 13-34 | 2-13 | 3-93 | 1-80 |12-14| 17-54 45.86 ‚Roolfs 18-21|101-7|18-51| 2-96 | 5-40 | 2-44 |12-45| 23-77 44:44 20:65 | 45-12 45-1 Prozent des Gesamt-N des Kotes entfallen auf Stoffwechsel- produkte; der Proteinverlust beträgt 20-65 Prozent. Nun würde noch ein Vergleich der beiden Brotsorten vorzunehmen sein: SERTEr EEE: a 2 ee 48 | H5% Sasn2|lsEs8 22288 0333 38 szsasE I swor | SN20 Prozent des 5 H.N#10-2077% Br > el 54 bei meinem Versuch wurde erhalten: Person K. 11-96 Prozent der Kalorien und 32-37 Prozent des N e) N. 16-87 ” > 2 ” 43-37 Meine Person K. stimmt also — unter der Voraussetzung, daß die Mehle gleich beschaffen waren — mit der einen Person H.M. bei Hindhede überein. Etwas ganz Auffallendes aber ist der geringe N-Verlust bei F. M. Hindhedes, wie er nie bei so hochgradig ausgemahlenem Roggenmehl sonst beobachtet worden ist. Meine Person R. ertrug das Brot, aber keineswegs so gut wie K., vor allem weil die Zellmembranverdauung ver- sagte, ein Vorkommnis, für das sich auch andere Beispiele finden lassen, wenn man mehrere Personen in den Kreis der Versuche zieht. Hindhede nennt den unmittelbaren errechneten Verlust den ‚‚schein- baren“. Gegen dieses Wort muß Verwahrung eingelegt werden. Man kann 2? 77 2» hier nicht von scheinbaren und wirklichen Verlusten reden. Wenn man den Verlust der Zellmembran, den der Stärke, den des Pentosans, den der Zellulose usw. bestimmt, so sind das keine scheinbaren, sondern ganz reale Größen; bei der Zellmembran und der Zellulose kann man ja die Objekte, wie sie sind, direkt darstellen. Wieso das aber nur schein- bare Dinge sein sollen, ist völlig unverständlich. Hindhede berücksichtigt dies also nicht, er will aber das Unverdaute von den Stoffwechselprodukten in der Art trennen, wie ich das 1877 versucht hatte, indem ich eine gut resorbierbare Pflanzenkost, die N-frei war, verabreichte, um zu sehen wieviel N auf die Verdauungssäfte kämen. Für die’neuen Versuche habe ich ja einen anderen Weg eingeschlagen. Hindhede rechnet also approximatiy eine gewisse, aber nicht begründete Menge von Substanzen als Stoffwechselprodukt, d.h. 18 g Trockensubstanz, 18 N und 5 g ‚‚Rest“, was eine Willkür ist, da in den verschiedenen Versuchen die Verhältnisse sanz verschieden liegen. Er sagt „‚‚rechnen wir wie vorher“, wo dies vorher aber gewesen ist, läßt sich nicht feststellen. Für den Ersatz von Kalorien oder des N hat dieser Verlust erst recht Bedeutung; was ver- loren ist, muß in der Ernährung ersetzt werden. Das Wort ‚scheinbar‘ UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 313 ist also fallen zu lassen, man kann aber in jedem einzelnen Falle den Verlust der einzelnen Nährstoffe und der Stoffwechselprodukte für sich _ feststellen, wie ich gezeigt habe. Der ‚wirkliche‘ Verlust Hindhedes hat also keine ‚‚wirklichen“ Unterlagen und die darauf sich gründenden Angaben haben heute keine Berechtigung mehr. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit ist unter dem Titel „Die Ver- daulichkeit der Kleie‘‘! eine weitere gefolgt, in der das Klopferbrot noch- mals erscheint und mit zwei anderen Versuchen einen Ausnützungsversuch mit einem Vollkornmehl und einer 75prozentigen Aussiebung desselben Mehles die Unterlage zu vielen Berechnungen gibt. Zur Richtigestellung möchte ich bemerken, daß von mir? ein Artikel _ über Pentosan und Zellhüllen des Brotgetreides veröffentlicht wurde, der die nähere Zusammensetzung der Kleiezellmembran selbst, das Verhältnis der Pentosanverbindung, Beschaffenheit des Mehles, und ein zweiter Artikel über die Ausnützbarkeit der Zellmembran der Kleie erschienen ist, der die Verdauung der Zellmembran schildert, denn darum handelt es sich 'im wesentlichen. Die Kleiezellmembran erwies sich als ‚wesentlich leichter verdaulich als Birkenholz. Am schlechtesten wird die Zellulose resorbiert, etwas besser die Pentosane der Zellmembran. Eine stärkere Mehrung der Stoffwechselprodukte war nicht nachzuweisen. In den Harn gehen nur kleine Mengen Pentosan über, obschon durch Kleie enorme Mengen zu- geführt werden können. Jenach dem Ausmahlungsgrad sind sehr wechselnde Mengen von Kleiezellmembranen in der sogenannten Kleie, dem Gemische von Mehl und Zellmembran. Als Maximum fand ich in einem Vollkorn- mehl bis 11 Prozent (reine) Zellmembran. In seiner Zusammenstellung erwähnt Hindhede nur die Versuche von Plagge und Lebbin (1897), die allerdings die einzigen sind, bei welchen ein aus Kleie direkt hergestelltes Brot vom Menschen verzehrt wurde; die beiden Autoren werden zumeist durch Hindhedes Kritik hart vorgenommen. „Den Grund zu den schlechten Resultaten,‘ sagt Hindhede ven den Versuchen von. Plagge und Lebbin?, ‚‚bei sozusagen allen Brot- versuchen dieser Verfasser habe ich früher zu erklären versucht durch den gleichzeitigen Bierverbrauch (2 Liter), die ungünstige Abgrenzung und die kurzen Versuche.‘ Was den ersten Punkt anlangt, so rührt dieser Gedanke gar nicht von Hindhede her, sondern von Bunge; seine Un- richtigkeit ist längst abgetan. Auch meinen Personen, die ich seinerzeit [4 1 Skand. Archiv. 1916. S. 59. 2 Dies Archiv. 1915. S. 120ff. 3 Skand. Archiv. 1916. S. 68. 314 Max RuBnERr:' 2 s| in München untersucht hatte, mußte ich die lokale Konzession eines N mäßigen Biergenusses gestatten, es hat sich aber bei Wiederholung mancher E Versuche auch ohne jeden Alkoholgenuß herausgestellt, daß dadurch die f: Ausnützung nicht im geringsten geändert wurde. Ebenso unrichtig ist, 4 daß mit der Länge der Dauer die Ausnützungsergebnisse besser werden. RN Bei ordnungsgemäßer Abgrenzung sind störende Fehler nicht zu erwarten. E Die Dauer der Versuche hängt eben von dem Einzelfalle ab, die 5 Aberenzung von der richtigen Technik. An und für sich hat man also 5 gar keinen Grund, die Versuche von Plagge und Lebbin, wenn sie etwa 4 einmal von Hindhedes anderweitigen Versuchen abweichen sollten, als unverwertbar zu bezeichnen. Ob und inwieweit die Versuche von Plagge und Lebbin wirklich in den Resultaten von anderen abweichend sind, will ich später besprechen und hier mich nur auf die Bemerkung be- 4 schränken, daß die Gründe von Übereinstimmung und Abweichung ganz andere sind, als Hindhede gemeint hat. i Plagge und Lebbin haben also ihre Versuche mit Handelskleie ge- macht, ob Weizen- oder Rosgenkleie, ist nicht angegeben, vielleicht lag eine Mischung beider vor. Im allgemeinen wird die Kleie der Kornrest nach einer 70- bis 75prozentigen Ausmahlung gewesen sein. Diese Versuche hat Hindhede nicht nachgemacht, sondern er hat die Verdaulichkeit so festgestellt, wie ich es früher getan hatte. Er ver- glich einen Versuch mit Vollkornbrot mit einem zweiten Versuch mit halbgesiebtem Mehl aus demselben Vollkorn, also etwa 98 Prozent Aus- mahlung gegen 70 Prozent Ausmahlung. Durch Subtraktion erhält er dann die betreffenden Werte für seine Kleie. Auch dieses Verfahren ist wieder nicht neu, denn ich habe es schon 1883 in einer Abhandlung über den Wert der Weizenkleie angewandt. Ich habe damals neben eingehenden Angaben über die Resorption der Kleieanteile festgestellt, daß sowohl vom N der Kleie wie von den Kohle- hydraten resorbiert worden war, daß die Zellmembran zerfällt und eine Störung der Resorption der übrigen Brotbestandteile nicht einzutreten braucht. Dies ist durch die neuen Versuche des Jahres 1915 im einzelnen von mir bestätigt worden. ' Hindhede erwähnt von alledem nichts. Ich habe schon bei ver- schiedener Veranlassung diese literarischen Unterlassungssünden Hind- hedes gebührend in die Öffentlichkeit gebracht. Aus seinem Versuchspaar Vollkorn geschrotet und halbgesiebt be- rechnet er für seine beiden Versuchspersonen einen Verlust an Trocken- substanz 45 Prozent, an N 60 Prozent, während Plagge und Lebbin 42-35 und 56-2 Prozent fanden. | UNTERSUCHUNGEN ÜBER \VOLLKORNBROTE. 315 Diese Übereinstimmung verdient insofern Beachtung, als hier durch Hindhede vollkommen bestätigt wird, was Plagge und Lebbin schon 1897 angegeben haben. Es darf auch nicht vergessen werden, daß Poggiale schon 1850 die Menge der nicht verwertbaren Stoffe der Kleie auf 56 Prozent angegeben hat. Aber die Werte schwanken wie die Aus- mahlung. Ich verweise da auch auf meine Ergebnisse bei dem Klopfer- brot, auf die Versuche mit 94 Prozent Ausmahlung usw. Hindhede hatte erwartet, daß die Kleieversuche von Plagge und Lebbin eine bessere Ausnützung zeigten, weil ihre Kleie feinst vermahlen war. Im Grunde genommen sind die beiden Versuchsarten grundverschieden; Plagge und Lebbin haben wirklich nur Kleiebrot verzehrt. Hindhede hat aber die Kleie als Bestandteil. seines Vollkornbrotes gehabt und, wie man bei Durchsicht der Originalzahlen sieht, überhaupt weniger Kleie pro Tag verzehrt als bei Plagge und Lebbin, wo 327 bis 440 & Trockensubstanz im Tag aufgenommen wurden. Es will aber Hindhede nicht in den Kopf, daß die Feinvermahlung der Kleie bei Plagge und Lebbin so- gar keine Erleichterung der Resorption geschaffen haben sollte. Dabei kommt er wieder auf das Klopferbrot, das er jetzt mit seinem Vollkorm- /scehrotbrot vergleicht. Er weist nach, daß letzteres viel mehr Kot liefert, also ist der Beweis für die Wirkung der feinen Ausmahlung fertig. Ich habe in der vorhergehenden Abhandlung bewiesen, daß Klopferbrot gar kein Vollkornbrot ist, vielmehr recht mäßige Mengen Zellmembran ent- hält, daher die gute Ausnützung. Hindhede nimmt also ohne weiteres an, er habe ein Klopferbrot, das feinst vermahlene Vollkombrot vor sich, „er habe auch in Deutschland Gelegenheit gehabt, sich in die Herstellung hineinzuversetzen“. Daß Hindhede die ganze Fabrikation gesehen hat und es trotz- dem für ein Vollkornbrot hielt, beweist, wie wenig er die sich ab- spielenden Prozesse richtig zu beurteilen verstand. Da es sich also über- haupt um kein Vollkornbrot handelt, so sind die von Hindhede an- gestellten Berechnungen und die daraus gezogenen Schlußfolserungen völlig gegenstandslos, nämlich dahingehend, daß das Klopferbrot die Beweise bringe, daß fein verteilte Kleie leicht resorbierbar sei. Als Ergebnis der Versuche Hindhedes bleibt wesentlich das schon erwähnte Ergebnis, daß ‚sein Kleieversuch eine etwas schlechtere Ausnützung liefert wie der von Plagge und Lebbin. Der Versuch von letzteren bedeutet einen Energie- verlust von 52-44 Prozent und einen N-Verlust von 56-32 Prozent. Dabei ist aber nicht möglich anzugeben, wieviel resorbierbare Substanz auf verdaute Zellmembran trifft, ebensowenig wie bei Hindhede; die verdaute Zellmembran ist aber kein ‚„‚vollwertiger‘‘ Nährstoff,.da ja der 316 Mıx RUBNER: Gärverlust noch in Abrechnung zu stellen wäre. Der Nutzeffekt ist also noch geringer. Wenn Plagge und Lebbin sagen, der angeblich hohe Nährwert der Kleie ist eine Fabel, die aus der Ernährungslehre schwinden muß, so sagt Hindhede, obschon er noch etwas weniger Verdaulichkeit gefunden hat als Plagge und Lebbin, das Umgekehrte: ‚Der angeblich geringe Nährwert der Kleie ist eine Fabel, die aus der Ernährungslehre schwinden muß.“ Da Hindhede selbst gar keine weitere Tatsache ge- funden hat, als lange vor ihm bekannt war, so bleibt es jedem über- lassen, wie er über ein Nahrungsgemenge urteilen will, das zu mehr als der Hälfte unverdaulich ist. Hindhede zitiert am Schluß seiner Ab- handlung eine Äußerung, die ich in einem Artikel! über die Verwertung der Kleie gemacht habe. Abgesehen davon, daß ich mich darüber, ob man die Kleie im Brot lassen oder verfüttern soll, schon 1883 geäußert habe, sind die nur Deutschland interessierenden Probleme ausführlich in dem Buch von Eltzbacher?, an dem ich nicht unwesentlich beteiligt bin, besprochen. Man muß zur Beurteilung dieser Fragen die ganze Sach- lage kennen, um ein Urteil fällen zu wollen, wann es zweckmäßig, erlaubt oder notwendig ist, die Kleie als Viehfutter zu benutzen. Darüber mich mit .Herrn Hindhede auseinanderzusetzen, dem die Einsicht in unsere Verhältnisse fehlt, habe ich keinen Anlaß. Das Finklerbrot. In neuester Zeit ist in der Literatur mehrfach von einem Mahlverfahren die Rede gewesen, das vor längerer Zeit von Finkler angegeben worden ist. Dieses Brot wird geradezu als ‚‚das Brot der Zukunft‘ bezeichnet.? Anlaß zu dieser erneuten Empfehlung des Finklerbrotes, das ja schon seit 8 Jahren bekannt ist, ohne bisher in der Praxis sich eingeführt zu haben, scheinen Versuche gegeben zu haben, welche -v. Delcastello in der II. Medizinischen Klinik in Wien an einer Reihe von Patienten ausgeführt und mitgeteilt sind.* Finklers Angaben rühren aus dem Jahre 1910° her. Er knüpft an 1 Deuische med. Wochenschr. 1915. 2 Die deutsche Volksernährung. 1914. S. 115. Das Erträgnis einer Verfütterung an Tiere ist ganz ungleich, je nachdem man es mit Schwein oder Rind, und ungleich je nachdem man es mit Fleisch- und Fett- oder Milchproduktion zu tun hat, ungleich auch, je nachdem man das Erträgnis auf Gesamtfutter oder Zusatzfutter rechnet. Das scheint Hindhede nicht ganz klar zu sein. 3 Stocklasa, Das Brot der Zukunft. Jena 1917. 4 Zeitschr. f. phys. u. diät. Therapie. 1917. Bd. XXI. 8. 73. 5 Zentralblait f. allgemeine Gesundheitspflege. 1910. Bd. XXIX. 8, 241. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 517 meine Beobachtungen über die Ursachen der schlechten Ausnützung des Eiweißes in den Kleiezellen an, welche erwiesen hatten, daß es die Ein- schließung dieses Eiweißes in die für Fermente offenbar schwer oder nicht durchgängigen Zellen ist, wodurch die Resorption dieses Eiweißes unmög- lich gemacht wird. Auch durch künstliche Verdauung konnte ich nur einen Teil des Kleieeiweißes lösen.! Später haben Plagge und Lebbin die Vermahlung von Kleie möglichst weit getrieben, ohne aber eine günstige Ausnützung des N zu erreichen. Ob ihre Versuche aber als entscheidend für die Frage der Löslichkeit oder Unlöslichkeit des Kleie- eiweißes in vollem Umfange anzusehen sind, scheint mir nicht ganz sicher zu sein; sie haben wohl bewiesen, daß eine nutzbringende Verwertung des N nicht möglich war, doch wäre es denkbar, daß erhebliche Teile des im Kot nachgewiesenen N von Stoffwechselprodukten herrühren. _ Jedenfalls hat Finkler, hieran weiter anknüpfend, geglaubt, ein anderes Verfahren als die trockene Zerreibung der Zellmembran anwenden zu müssen, und ist zur feuchten Vermahlung übergegangen, was allerdings kein neuer Gedanke war, da die feuchte Zertrümmerung des Kornes schon vor ihm in dem sogenannten Gelinkverfahren — ohne Erfolg — an- gewendet worden war. Finkler glaubt in der feuchten Zermahlung der Kleie den Weg gefunden zu haben, die Zellmembran der Kleie frei von dem Kleieeiweib zu machen, stützt sich auf den mikroskopischen Befund, der bei seiner Art der Vermahlung leere Kleberzellen zeigt, und auf die künstlichen Verdauungsversuche, welche die weitgehendste Auflösung des Eiweißes dieses aufgeschlossenen Kleieeiweißes erkennen ließen, und endlich auf Ausnützungsversuche, bei welchen Brot aus Mehl und aufgeschlossener Kleie (Finklermehl) eine ebenso günstige N-Ausnützung wie bei anderem Brot, das aus Mehl z. B. von 75 Prozent Ausmahlung hergestellt sei. Wenn man so den Plan Finklers, zur Verbesserung der Resorption des Eiweißes zu gelangen, wohl billigen kann, so ist das freilich nicht die Erledigung des ganzen Problems, da man ja immer noch mit einer Störung der Resorption durch die Zellmembran im allgemeinen vielleicht rechnen muß. Ich habe aber zuerst nachgewiesen, daß die vor meinen Unter- suchungen allgemein verbreitete Annahme, unverdauliche Beimengungen zur Nahrung bedingten stets eine allgemeine Verschlechterung der Aus- nützung, nicht richtig ist; ferner habe ich gezeigt, daß von dem, was man Kleie heißt, ein erheblicher Anteil resorbierbar ist, aber immerhin ist das, was die Kleie in sich vereint, schlechter resorbierbar, auch die sonst 1 Delcastello behauptet, daß mir die befriedigende Zerkleinerung der Kleie nicht gelungen sei. Ich habe mich mit Zerkleinerungen der Kleie nie beschäftigt. Delcastello scheint die Originalarbeiten wohl nicht gelesen zu haben. 318 Max RUBNER: p leichter aufnehmbaren Nährstoffe, z. B. Stärke. Diese grundsätzlich ver- schiedene Rolle der ‚‚Kleie‘“‘ verwechselt man zumeist miteinander. Ich konnte wahrscheinlich machen, daß eine Kleie, die aus den letzten 8-98 Prozent einer Ausmahlung abfällt, 31-3 Prozent Resorption zeigt, und zwar 61-1 Prozent des N und 26-55 Prozent der N-freien Stoffe.! Von einer Resorption der Kleie im allgemeinen zu reden, hat keinen Sinn, weil Kleie nur ein Handelswort ist und gar keiner einheitlichen chemischen Zusammensetzung entspricht; trotzdem wird bis in die neueste - Zeit immer wieder versucht, von der ‚Resorption der Kleie“ zu reden. Die Ausnützungsversuche, welche Finkler zum Beweise seiner An- schauungen ausgeführt hat, sind der am wenigsten befriedigende Teil seiner Untersuchungen; die Versuche (S. 267) sind von zu kurzer Dauer und tragen in dem Ergebnis, daß bei Finalbrot 7-8 Prozent der Trocken- substanz zu Verlust gehen, bei Weißbrot aber 5-2 Prozent, den Stempel der Unwahrscheinlichkeit. Wir werden ja bald sehen, wie das Finalmehl zusammengesetzt ist; daß ein Vollkornbrot mit allen Zellmembranen, wie es das Finalmehl sein soll, nur um 2-6 Prozent schlechter verdaut worden wäre wie das Weißbrot, ist bei dem großen Unterschied des Zellmembran- sehaltes unmöglich. Sonach wird man ein Urteil etwas zurückhalten müssen. Das Finalmehl Finklers erfährt allerdings eine besondere Verarbeitung: die Kleie wird mit dem fünffachen Volumen verdünnter Kochsalzlösung in hartem Wasser zerrieben und dann wieder auf heißen Walzen getrocknet; das Mehl wird braun. Ob hierbei noch chemische Veränderungen der Kleie vor sich gehen, ist bislang nicht bekannt und nicht untersucht. Von der nassen Quetschung darf man sich, was die Aufschließung der Zellen an- langt, nicht zuviel erwarten; bei meinen Untersuchungen über Growitt- brot? findet man Näheres darüber angegeben. Damit soll aber dem Urteil über das Finklerverfahren nicht vor- segriffen werden. Somit wäre das Wesentliche vom Finklerverfahren die Herstellung eines Zellmembranmehles aus den Bestandteilen der Kleie bestimmter Ausmahlung, wozu gewöhnlich die 2öprozentige Ausmahlung gedient zu haben scheint; eine solche Ausmahlung bringt noch eine Menge Stärkemehl zum Anfall und ist schon deshalb noch ein Nahrungsstoff. Von einer Einführung des Finklerbrotes ist bislang nichts bekannt geworden; auch R. OÖ. Neumann berichtet, daß in Bonn das Verfahren nicht mehr ausgeübt wird. Wie ich eingangs erwähnte, sind erst die % 1 Zeitschr. f. Biol. Bd. XIX. 8. 67. ? Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtig. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKÖRNBROTE. 319 Versuche von Delcastello es gewesen, die wieder das der Vergessenheit anheimgefallene Finklerbrot erneut empfehlen. Delcastello kommt zu dem Schluß, „‚„daß Kornbrot mit einem Zusatz von 20 Prozent Finalmehl im menschlichen Darm ebensogut ausgenützt wird wie das gewöhnliche Kornbrot, daß also durch das Finklersche feuchte Mahlverfahren die Verdaulichkeit der Kleie der des Mehles sleichgemacht wird‘. Delcastellö hat Versuche mit Brot von Mehl mit 80 Prozent Aus- mahlung verglichen mit demselben Mehl mit 20 Prozent Zusatz von Final- mehl, wobei er im Gesamtmittel fand: "Bei Roggen Für 80 prozentiger Ausmahluns! Finklerbrot Verlust an Trockensubstanz . .. 9.69%, 10-6,%, KNerlusbe an Nee.n Sa. re est. she 29-9 29-2 Das wäre, praktisch genommen, dasselbe, obschon das Finklerbrot mehr - Kleie im Brot eingeführt hat. Richtiger wäre die Rechnung, wenn Deleastello nur die gleichen Versuchspersonen verglichen hätte, dann findet man: R Aufnahme Kot N- Trockens.- täglich trocken Verlust in Prozent Roscenhrot I... ie, 377 8 3378 28-0 8-94 Kialalerbrat;. 22... x 367 38:8 21:1 10:57 Eine Untersuchung über die Zusammensetzung des Roggenbrotes und des Finklerbrotes ist nicht ausgeführt worden. So läßt sich nicht erkennen, wie denn das SOprozentige Roggenbrot beschaffen war und wieviel das Finklermehl an Zellmembran hinzugefügt hat. Rechnet man diese Zahlen nach ihrer Mischung um, so waren von 367 & Finklerbrot 294 Teile Brot aus Mehl von 80 Prozent Ausmahlung und 73 Teilen Finalmehl, erstere geben rund 26-39 Kot, für Finalmehl bleibt also 38-8 —26-3=12-5 g, was (73:12-5) einem Verlust von 17-1 Prozent entspricht. Jedenfalls sieht man also aus diesen Versuchen, daß man das Final- mehl Finklers in der Ausnützung doch nicht glattweg dem Mehl von &0 Prozent Ausmahlung gleichstellen wird, sondern daß es doppelt so schlecht wie ersteres ausgenützt wird. Ob das viel oder wenig ist, läßt sich, weil man die Natur des Finalmehles nicht kennt, nieht sagen, jeden- falls kommt der Zusatz von 20 Prozent Finalmehl zu dem gewählten Roggenmehl kaum auf die Mischung eines Vollkornmehles hinaus. Del- eastello gibt auch den Aschegehalt der Ausscheidungen nicht an, was die weitere Verrechnung erschwert. Es bliebe also nur die N-Ausnützung 1 An anderer Stelle gibt Delcastello für dasselbe Brot 75 Prozent Aus- mahlung an. 320 MıAx RUBNER: \ als Maßstab einer nicht ungünstigen Resorption. Überlest man also alle Zweifel, die sich hier entgegenstellen, so ist eine Klärung, wie sich Finkler- brot verhält, durch diese Experimente nicht gegeben und bei der Bedeutung, welche die Aufschließung nach Finkler haben könnte, eine eingehende e: Untersuchung nicht zu umgehen. Wir sehen also, daß wir gleich zu Beginn der Betrachtung schon auf entscheidende Abweichungen von der Zubereitung eines echten Vollkorn- brotes stoßen, die wahrscheinlich dent Hersteller unbedenklich erschienen, aber von großer physiologischer Bedeutung sein können. So tritt bei jeder Frage, die man auf diesem Gebiete anschneidet, immer klarer hervor, daß ohne genaue Analyse der Produkte gar kein Urteil über die experi- mentellen Ergebnisse zu gewinnen ist. Noch immer sehen wir auf diesem Gebiet, daß man Material zu Experimenten benützt, welches irgendeine ‘ der üblichen Bezeichnungsweisen trägt; man experimentiert mit Weiß- brot, Schwarzbrot, Graubrot, als wenn das irgendwelche Einheiten wären. Schon in meinen Versuchen über die Ernährung mit Weißbrot habe ich Gelegenheit gehabt, mich auf zuverlässige mühlentechnische Angaben zu stützen; Plagge und Lebbin haben dies Verfahren zur Grundlage ihrer Untersuchungen gemacht. Aber auch die mühlentechnische Überwachung kann allein keine Unterlagen für die Beurteilung des Materials geben, da anscheinend bei dem gleichen prozentualen Verhältnis der Ausmahluns trotzdem Unterschiede der Zusammensetzung des Mehles in bezug auf den Zellmembrangehalt im allgemeinen und die Zusammensetzung der Zell- membran im besonderen vorhanden sein können. Die Finklanisierung der Kleie (Finalmehl). . Der Weg, welcher dazu eingeschlagen wird, ist oben auseinander- sesetzt. Ob das kalkhaltige Wasser eine Rolle spielt, ist nicht bekannt. Von einer Firma ist mir. sowohl die ursprüngliche Kleie wie auch die finklanisierte übermittelt worden. Eine Einsicht in den Gang der Her- stellung besitze ich nicht, daher muß die Analyse über die Art der Ver- änderungen ein Urteil erlauben. Die ursprüngliche Kleie war sehr stärke- reich und weiß, die finklanisierte braun und außerordentlich fein zermahlen. Eine Analyse des Finalmehles ist vor kurzem von Stocklasa gegeben worden!; es finden sich in 100 Teilen Trockensubstanz: | Prozent KRobpreteins.). mar A 16-70 bis 17-00 „Beinprotein.. Wer 15.72. ,, 16.1008 In Pepsin-CIH verdauliche Substanz 15-75 ı A. a. O. 8. 116. | ’ UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE, 321 Prozent Bezithin aa Ne Yale 0-71 Bes N ne RR 5-66 7-65 Phytin wem Nee RER NE 1:28 Stärke: 0 le SIE url. 50-32 Glucose: N. 2. a en NEE 1922 Bentosanen Na AR Ine a 4-18 Zellulose-. a Bao Ne ee he 9-50 Reinaschet la Sim en: 9-16 Das vorliegende Material unterscheidet sich in einem so wesentlichen Punkte von dem Finalmehl, welches ich untersucht habe, daß es nicht weiter in Betracht gezogen werden kann. Es hatte nur 4-18 Prozent Pentosan bei 9-50 Prozent Zellulose. Ein so niedriger Pentosangehalt ist unmöglich für irgendeine Getreidefrucht, denn die Hüllen der Getreide- sorten sind gerade durch ihren enorm hohen Pentosangehalt gekennzeichnet. Um einen Druckfehler kann es sich in obigen Angaben Stocklasas nicht handeln, da alle analytischen Werte zusammengenommen 98-99 Prozent ergeben. Ich habe Finalmehl aus Roggen hergestellt erhalten, das folgende prozentige Zusammensetzung hatte und einen Vergleich mit der ursprüng- lichen Kleie erlaubt. Zusammensetzung von Roggenkleie. Finklani- Normal : Differenz siert INSCHEME NA 5-89 5-94 0-05 Orsanusehel el ih. grall 94-06 — 0:05 IN en a re es 2-661 2.632 — 0:03 Bentosaner. cas. ae 22-65 21-60 — 1:05 Zellmembran:. + ren ns. 25-94 24-85 —+1:09 Darin Zellulose . . .. ... 7-20 7-17 — 0-03 Darın Bentosan ...... 11-78 12-56 —+0-78 Beste Ban sr N, ASPIRE 6-96 5-12 — 1:34 Better EN ne 3-70 2-39 — 1:35 Starkespilte ut. se ne 36-98 41-56 . Verbrennungswärme . .... 445.1. 456-1 Die zwei Proben von Roggenkleie, normale und finklanisierte, stimmen fast völlig überein. Die kleinen Differenzen mögen in unvermeidlichen Schwankungen der Probeentnahme, mit denen man rechnen muß, ihre Er- klärung finden. Das Finalmehl besteht also zu vier Zehnteln aus leicht resorbierbarem Stärkemehl, wozu noch Pentosen zu rechnen sind. Für die Herstellung der Finklerkleie ist zu bemerken, daß dieselbe ohne vorherige Schälung des Kornes gewonnen wird; sie wird so wenig wie das Korn selbst eine gleichartige Zusammensetzung haben, gerade im 1 — 16-62 Protein. ®2 — 16-43 Protein. Archivf. A.u.Ph, 1917. Physiol. Abtlg. 21 322 Max RuBNEr: Zellmembrangehalt schwanken die Ernten erheblich. Bei der Ausmahlung entfallen die natürlichen Differenzen des Zellmembrangehaltes alle auf die „Kleiezusammensetzung“. Ein wesentlicher Unterschied in der Menge der in kaltem Wasser löslichen Bestandteile der Kleie und des Finalmehles habe ich in meinen Proben nicht nachweisen können. Versuche mit Finklerbrot. Die Aufgabe war, vor allem die Resorptionsverhältnisse des Final- mehles festzustellen. Zu diesem Behufe darf man nicht von einer be- liebigen Mehlsorte ausgehen, die man dem Finalmehl beimengt, vielmehr hat man, wie ich das an anderer Stelle schon gezeigt habe, den Träger der zu untersuchenden Substanz so zu wählen, daß er selbst die analytische Feststellung am Finalmehlanteil tunlichst scharf hervortreten läßt; also ein feines Mehl ist hierzu erforderlich. Mir standen noch Reste des Mehl- vorrates zur Verfügung, mit dem die Versuche über die Verdaulichkeit aufgeschlossenen Strohest durchgeführt worden sind, also Weizenmehl. Zu diesem wurde so viel Finalmehl aus Roggen gegeben, daß eine 30prozentige Mischung entstand. Das Finalmehl war von der Fabrik so hergestellt, daß sie es als tadellos bezeichnete. Gebacken wurde in der staatlichen Versuchsbäckerei, so daß technisch ein vollkommen einwand- freies Brot erhalten wurde. Es war von tiefbrauner Farbe, gleichmäßig gegangen, ausreichend locker. Was seine sonstigen Eigenschaften anlangt, so kann es den Vergleich an Aroma und Geschmack mit einem reinen Rossenbrot von 80 Prozent Ausmahlung oder auch dem Klopferbrot nicht aushalten. Alle Personen, die bei dem Versuch beteilist waren, hatten 3 den Eindruck, daß die spezifisch angenehmen Geschmackseigenschaften und der Geruch des Brotes mit Finalmehl leidet. Die Kotbildung war entschieden vermehrt, doch habe ich nicht feststellen können, daß es, was Gasentwicklung anlangt, sich von anderen ähnlichen Brotsorten unter- scheidet. Der Kot ist nicht hart, sondern bleibt plastisch und weich. Hinsichtlich der Austrocknung verhielt das Brot sich günstig, auch nach einer Woche hatte es seine Weichheit nieht ganz eingebüßt. Die Ver- suche wurden an denselben Soldaten ausgeführt wie die vorhergehenden Versuche mit Klopfermehl. Das Finalmehl zur Brotbereitung wurde nach Angabe der Fabrik aus Roggen hergestellt und hinter 80 Prozent Mehl gewonnen unter Aus- mahlung des Kornes bis 94 Prozent; daraus folgt, daß die Mischung des 1 Dies Archiv. 1917. Physiol. Abtlg. S. 318. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 323 Finalmehles etwa mit Mehl zu 80 Prozent Ausmahlung nicht ein Voll- kornbrot liefert, sondern eine geringere Menge von Zellmembran wie. diese enthalten muß, denn die letzten 6 Prozent der Vermahlung (94 bis 100 Prozent) hätten ein Mehl von noch stärkerem Zellmembrangehalt liefern müssen. Welche Anteile dabei fehlen, läßt sich gar nicht sagen, weil bei der Vermahlung mühlentechnisch recht verschiedene Bedingungen vorhanden sein können. ; Das Finalmehl, welches zu den Versuchen benutzt wurde, hatte folgende Zusammensetzung; in 100 g Trockensubstanz Finalmehl war: Prozent INSCchese N. a as 6:62 Orcamischre ae ee: 93-38 INTRO RNIT EERERENE 2E80 2, 2.771 Pentosanc.ere Raten ne. 19-94 Zellmembran . .. .. 2... 22-87 Darin Zellulose . . ..... €-78 Darin Pentosan ...... 10-15 RESDIAN TE THE, Ale 5-96 IE De 2-13 STATKERm a Re I N a re nl 41-262 Kalokeny.s are AN ESTER 449.80 Es ist aschereich, reich an Protein, an Pentosan, Zellmembran; der Stärkegehalt ist aber keineswegs klein, er beträgt noch immer 41-3 Prozent. Wenn hier eine Vermahlung zwischen 80 bis 94 Prozent vorliegt, kann man nicht behaupten, daß der Zellmembrangehalt sehr groß wäre. Gereinigte Kleie enthält nach meiner Analyse: 36-67 Prozent Pentosan, 69-14. Zellmembran BB. 5 N = 14-56 Prozent Rohprotein 2-00. ER Zelluiose.? Das Finalmehl entsprach etwa dem früher als Roggenfinalmehl mir übermittelten Material. Im Finalmehl waren auf 100 Teile 0-51 N fest mit der Zellmembran verbunden — 18-4 Prozent des gesamten N im Finalmehl; die Hauptmasse des N scheint also freier, zugängiger zu sein, er rührt von dem beigemengten Mehl und wohl aus den geöffneten Kleie- zellen her. Die Vermahlung der Kleiezellmembran im Finalmehl ist sehr weit getrieben, so daß mit bloßem Auge die einzelnen Teilchen kaum unterschieden werden können. Diese gute Vermahlung der Kleiezellen hat sicher ihre Bedeutung, weil das freie Kleieeiweiß natürlich schon beim 1 = 17-31 Rohprotein. 2 Berechnet. 3 Dies Archiv. 1915. Physiol. Abtlg. S. 139. 324 Max RUBNER: Durchgang ‚durch den Darm resorbiert werden kann, während jener Anteil, der erst frei wird, wenn die Zellmembran verdaut wird, schlecht zur Resorption gelangt, offenbar deshalb, weil er an einer Stelle des Darmes liegt, an welcher die Aufsaugung vermindert und schlecht wird. Ähnliches sieht man häufig auch bei den Pentosanen.* Dieses Finalmehl wurde für meine Versuche mit feinem Weizenmehl gemischt im Verhältnis von 70:30 k | des lufttrockenen Mehles, dessen Zusammensetzung aus den später auf- geführten Analysen des reinen Weizenbrotes entnommen werden kann. Das Finalmehl bringt also viele Aschebestandteile in das Mischbrot, außerdem viel Protein, dafür aber reichlich Zellmembran. Das Protein haftet in dem Finalmehl nicht so fest an der Zellmembran wie in manchen anderen Kleiearten, was ich als bemerkenswert finde und im Sinne einer besseren Zerkleinerung der Kleie gedeutet werden kann. Das zubereitete Brot entsprach nach den Analysen sowohl wie nach der Wägung der gemischten Substanz: 70 Prozent feinem Weizenmehl und 30 Prozent Finalmehl. Man darf dieses Brot aus mehreren Gründen vielleicht nicht einem Finklerbrot anderer Herstellung an die Seite stellen — bis jetzt gibt es noch keine einheitlichen Normen für solches Brot, , wenn auch dem Gedanken des Erfinders gemäß ein Vollkornbrot vorliegen soll, also Finalmehl und Restmehl gleich dem ursprünglichen Korn sein sollen. Das Versuchsbrot hatte als Träger für das Finalmehl feines Weizenmehl, nicht aber Roggenmehl mittlerer Ausmahlung. Bis jetzt haben Vergleiche von Weizen- und Roggenmehl stets eine bessere Aus- nützung der Eiweißstoffe beim Weizen gegenüber dem Roggen ergeben, zum Ausgleich für das feine Weizenmehl habe ich einen größeren Prozent- satz Finalmehl, d.h. 30 Prozent statt 25 Prozent zugegeben, was indes — abgesehen von der Natur des Weizenmehles — im ganzen die Ver- hältnisse des Handels-Finklerbrotes annähernd herstellen wird. Von den Eigenschaften des Brotes habe ich schon gesprochen; die Versuchspersonen hatten dieselben Empfindungen, das Brot ist nicht so schmackhaft und deshalb war das Verlangen nach Brot auch nicht so ausgeprägt, eine Erscheinung, die man heutzutage mit dem ganz miß- brauchten und vieldeutigen Wort „es sättigt“ zu benennen pfleet. Nach“ dieser schiefen Auffassung würde alles, was nicht schmeckt, ‚besonders sättigen. Über den Verbrauch der beiden Versuchspersonen gibt nach- stehende Zusammenstellung Auskunft. F 1 Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. S. 77. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. Roolfs. Datum Weizenauszugmehl + 30 Prozent Finkler-Roggenkleie. Nahrung Brot frisch | Harn ecem Zeit Kot | frisch | tr. 17. IE 18. I. IST: 20.11. 22. 1m 23.1. 63:35 64:00 1130 g Brot 508 Zucker 30 8 Kaffee 21 Wasser 1180 g Brot 50 g Zucker 30 g Kaffee 21 Wasser 1130 g Brot 50 g Zucker 30 8 Kaffee 21 Wasser 1180 g Brot 508 Zucker 308 Kaffee 21 Wasser 1155 g Brot 50 g Zucker 30 8 Kaffee 21 Wasser 1145 g Brot 508 Zucker 30 g, Kaffee 21 Wasser 950 & Brot 508 Zucker 30 8 Kaffee 21 Wasser 1130 1087 1141 1199 1175 1176 7884 1660 1740 2100 1580 2180 1920 1700 10.0 8-7 9.8 6:9 5-8 | | Harn vollständig für 24 Stunden Ya 1.0202 V: Say. mes V. So N! | 180 | 50 2060 | 550 1126-39 pro Tag — — 555g vermahlen — 692-2 5 lufttrocken = 79-3 g lufttrocken pro Tag Das Brot hatte 61-5g Trockensubstanz, als Getränke wurde ein gehaltloses Kaffeesurrogat mit etwas Zucker gegeben, die eine Person erhielt auch etwas Fett. Die genossenen Brotmengen wurden auf der Höhe von 1100 bis 1200 & täglich gehalten, eine Menge, die von einem gesunden Manne leicht verzehrt wird. Die Zusammensetzung des Brotes, die Mengen der Einnahmen und Ausscheidungen finden sich in der Tabelle S. 327. Das Brot hatte einen Ze der einem Vollkorngehalt entspricht oder wenig hinter ihm zurücksteht; insofern war also die Mischung richtig getroffen. Es war eiweißreich, unterschied sich, das mag 326 MıAx RUBNER: Kollmann. Weizenauszugmehl + 30 Prozent Finkler-Roggenkleie. Brot Harn Kot Datum frisch| N | ‚cm | N Ä Zeit | frisch | ke Nahrung 17.1l. [56-00 895 & Brot 30 g Kaffee 2] Wasser | 895 |10.82 Harn nicht vollständig 18. II. 1090 g Brot 30 & Butter 30 g Zucker 30 8 Kaffee e 21 Wasser |, 1094 1640 |, 9-7 Saoayz 285 | 70 19.II. |56-00|) 1155g Brot 30 & Butter 30 g Zucker 30 8 Kaffee 2 ] Wasser | 1175 2120 | 8-2 SUN, 260 | 65 20. II. 1230 8 Brot 30 & Butter 30 g Zucker 30 g Kaffee 21 Wasser 1256 1540 | 10-1 || 8 V. 430 | 105° 21. 1. 1165 g Brot | | 30 g Butter | 30 g Zucker 30 5 Kaffee 21 Wasser | 1198 1740 | 10-5 ge vV. 250 | 65 22.11. 1155 g Brot 30 8 Butter x 30 g Zucker 30 & Kaffee 4 21 Wasser | 1191 1600 | 9-6 as0aV2 405 | 105 23.11. 55-50 830 g Brot 30 g Butter 30 g Zucker 30 5 Kaffee 21 Wasser | 865 1320 | 10-0 SnyE 2355 | 75 24.11. Weißbrot 1680 | 9-7 400 N. 170 ? - T2L0EN? 115 | 25° 2150 1674 [} = 566 lufttr. S0-0 g pro Tag 1440 Broi frisch = 885g trocken vermahlen — 61-46 Prozent lufttrocken — 60-0 Prozent Trockensubstanz. > gesagt sein, um Übertreibungen in dieser Hinsicht entgegenzutreten, nur um wenig vom Proteingehalt der Weizenvergleichsproben. Der Zellulose- gehalt war natürlich auch bedeutend; groß ist der Pentosangehalt. 3 Die Ausscheidungen waren ziemlich trocken (26 bis 26-7 Prozent Trockengehalt), dabei nicht sehr hart, was auf die feine Zerreibung der UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 327 Finklerbrot. In 659.38 In 675-6g In 100 Teilen Trockensubstanz sind: pro Tag pro Tag Kollmann Roolfs INScherte wa ee ee 3:48 22-83 23:50 Oneanisch ,.. .... 2 ee 95-52 636-47 652-10 INNE RESTE LE 2-031 13-38 13-71 IBentosan. Hr. EN an 9-45 62-30 63-87 Mellmembraneı 2... ana 8-72 59.49 58-89 Darin Zellulose . . . ..... 2-70 17:79 18:23 Darin: Bentosany, „22... 4-08 26-90 27-56 Restsubstanz. .: ... 1-94 14-80 13-10 Titan nn ee EL Wr se N 1-65 10-88 11-14 Dänen rl 0.04.1068 1.02 448-97 466-07 RAlorienen 2 Riesa, 421:70 2780-10 2848-80 In 76-105 In75-44g In 100 Teilen Kot sind: pro Tag pro Tag s Kollmann Roolfs Kollmann Roolts Aselne: In A a: ER SR RT 11-83 9-03 8-92 Wranscht ee nen 88-13 88:17 67:09 66-52 INGE ES NE RE 3-93 4-11 2-99 3-10 Bemiosen I SEN ER N ER 18-10 18-49 13-77 13:95 Aellmemibran. a vw. 26:76 35:50 27:98 26:77 Darın? Zellulose ... .. 2... 12% 11-99 13:07 9.13 9-86 DarınmBentosan vu. zu al een 13:35 9.43 10-16 7-1] Bestsubstanz 2.2.0.0 N nn 11-42 13-10 3-69 9-80 Rot N a DREHEN EN 5-60 5-38 4-25 4-06 Star se a RE Rt: 5-90 5:36 4-49 4-04 Ralorenm N ae 460.60 462-50 350-60 343.90 Kleie zurückgeführt werden muß. Ungemein reich war der Kot an Pento- sanen, die Zusammensetzung des Kotes beider Männer wie auch die Menge der Ausscheidungen stimmten sehr gut überein. Über ein Drittel des ganzen Kotes waren Zellmembranen, in denen auch der größte Teil der Pentosane gebunden war. Aus den analytischen Ergebnissen lassen sich folgende Werte der Verluste ableiten: Kollmann Roolfs Mittel Verlustkane Nee 22-34 22-51 23-42 Kalorien ua ae Nana: 12-61 12-24 12-42 Bentosanı.... men 22-60 21-91 22-00 Zellmembran 2 2. eo. 47:02 45-46 46-23 helliulosen. 2... Bene Se 51:32 54-11 52-71 Pentosan der Zellmembran . . 37-77 25-76 31:75 Restsubstanz . . . ..... 68-85 74-81 71-83 Stärke... Nr Be 1:00 0:86 0-93 1 — 12-68 Protein. 2 Berechnet. 328 Max Rusner: Die Ausnützung des N war für ein Brot von so hohem Zellmembran- gehalt sehr günstig, doch muß man im Gedächtnis behalten, daß 57-2 Pro- zent des N in Weizeneiweißstoffen vorhanden waren, die recht gut aus- genützt zu werden pilesen. Die Gesamtausnützung war günstig, denn 12-42 Prozent für ein zellmembranreiches Brot ist nicht viel Verlust, doch ist die Ausnützung der Zellmembran nicht besser, als ich sie bei dem Growitt-Vollkornbrot auch nachgewiesen habe (47 Prozent Verlust); der Unterschied im Kalorienverlust bei diesem Brot (Growitt 14-8 Prozent Verlust, Finkler 12-42 Prozent) ist auch nicht bedeutend genug, um von einer wesentlich erhöhten Auifschließung zu reden, zumal nicht dieselbe Person zur Verwendung kam. Es bleibt also fraglich, wie. man den Haupt- punkt, d.h. die bessere N-Ausnützung, bewerten und ob man sie im Sinne Finklers deuten will und darf. Das Weißbrot. Um einen sicheren Anhaltspunkt zur Beurteilung der Verdaulichkeit des Finklerbrotes zu gewinnen, mußte auch noch an den gleichen Personen ein Versuch mit dem feinen Weizenmehl ausgeführt werden, das zur Mischung mit dem Finalmehl gedient hatte. Das Brot war ausgezeichnet, aber im Geschmack und Geruch weniger anregend als z. B. Roggenbrot aus Mehl von 80 Prozent Ausmahlung, nur fällt sofort die geringere Belästigung durch Darmgase auf. Die Trockensubstanz des Brotes war 66-9 Prozent. Die verzehrten Brotmengen waren, da das Brot den Leuten besser mundete, etwas größer und wurden absichtlich nicht auf der gleichen Höhe belassen wie bei Finklerbrot. Das Nähere über den Verlauf der Experimente geben nachfolgende Tabellen. Weizenbrot. In771-5g In736-3g In 100 Teilen Trockensubstanz sind: pro Tag pro Tag Kollmann Roolfs Aschenfageen., .. Sir Pas ee 1-50 8-86 8-47 Organıschr., ANA or 98-50 762-64 127-853 N TR a ee 1.661 12-81 12-22 Pentosans, al. a uU A ELE 3-29 25-37 24-21 Zellmempran.. „a... le 1-27 979 9-35 Stärkerb Ara. N) 566-90 550-60 Kalorten new... 0. 415.40 3198-60 3058-50 1 — 10:37 Prozent Rohprotein. a Se Fe DRST SE Tree ee 620 & Brot frisch II II 1147 & frisch 765-6 & trocken 415 & trocken vermahlen 66:93 Prozent trockne Substanz _— 66:73 Prozent trocken. —= 160-0 g gepulvert — 26-68 lufttrocken pro Tag UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 329 In 100 Teilen Kot sind: In 25-878 In 26-788 pro Tag pro Tag Kollmann Roclfs Kollmann‘ Roolfs ASeln Pr RE. =: RS" 2 HR 10-30 10-72 2.66 2-86 Moaumsch, 20.36 ie tel genen. 89-70 89-28 23-21 23-92 INES. SE AAN RT cn 7-10 7-47 1-84 23-00 Berbosama ins ner en 5-11 5-62 1:32 1-50 Zellmembran.. . ... . 0... 13-08 10-72 3-38 2-85 DarmeZellulose. .. . .ı.. 2.82... 5-21 4.33 = — Bemabentosan.... geile ne 2-46 2-87 — — Hash yo ER, Ce 6-41 3-52 —_ —_ EIS EA LEE N 10-41 11-88 | 2.69 3-18 DESK ee R 7:19 5-45 1-85 1-46 \Kallomen, Io 5537-50 531-00 139- 34 142.19 Kollmann. Weißbrot. Ge- Brot Harn Kot 2 hr Datum || wicht N Ne frisch| N cem |. N Zeit |frisch | tr. 23. II. |55-50| Finklerbrot 1320 | 10-0 24. II. 1090 & Brot 30 g8 Butter 30 g Zucker 30 Kaffee | 21 Wasser | 1090 |11-55|| 1680 | 9-7 25.11. |55-30| 1190 Brot 30 g Butter 30 g Zucker 308 Kaffee 5 21 Wasser | 1194 |12-65|| 1960 | 8-6 | so Y, 140 25 26. II. 1155 g Brot i 30 & Butter 308 Zucker 308g Kaffee 21 Wasser | 1171 |12-41|| 1940 | 11-7 SULENT: 125 25 #27. 2; °155-50| 12305 Brot 30 g Butter 30 5 Zucker 30 & Kaffee 21 Wasser | 1261 |13-36|| 1600 | 9-5 gr 130 20 28. II. 1045 & Brot 30 & Butter 30 g Zucker 308 Kaffee 2] Wasser | 1078 | 11-42 ? 10-4 gu V. 115 25 1. III. 56-20 | 1050 Brot 30 g Butter 30g£ Zucker 30 Kaffee v 2] Wasser | 1088 | 11-53 || 1560 904 21000. 100 20 22. II. Gemischte Kost 1840 | 9-7 SON 285 50 6882 895 1658 330 MıAx RUBNER: Roolfs. Weizenauszugmehl. Kontrolle zur Finklerkleie. | I | @e- Brot Harn Kot Dat Nahr u wicht ws frisch| N cem | N | Zeit | frisch | tr. 23. II. |64-00| Finklerbrot | 1700 | 5-8 | DA, 11.2 1160 & Brot 30 5 Zucker | 30 & Kaffee i 2] Wasser | 1160 |12-29 || 1920 | 6-2 DOEN. 85 25 25. 1. ||63-30| 1200 g Brot | 30 g Zucker 30 & Kaffee : | 2] Wasser | 1208 |12-80|| 1920 | 5:9 230,0, 40 | 15 26:07) 1130 g Brot | 30 8 Zucker 30 8 Kaffee | 21 Wasser | 1142 |12-10|| 1680 | 10-5 73V. | 145 | 40 27.11. |63-50| 1050 8 Brot | | 30 g Zucker | 30 g Kaffee | 21 Wasser | 1072 |11-36|| 1960 | 7-1 DENE 55 15 28. II. | 1160 g Brot | 30 g Zucker | 30 & Kaffee "21 Wasser | 1194 |12-65 | 1540 | 9-8 soo V. | 235 45 | 1. III. ‚64:00 | 11208 Brot a | 30 & Zucker | 30 8 Kaffee | ® 21 Wasser | 1161 |12-30| 1540 | 9-6 2EIN. 95 205 2. 11: Gemischte Kost 1960 | 7.6 | 40°0N. | 150 308 6937 805 190 —= 1156:1g pro Tag gewogen und vermahlen = 771-2g trocken —= 165 g = 27-5 pro Tag Die Ausscheidungen waren weicher und mehr breiig (18-4 Prozent bis-20-5 Prozent Trockensubstanz). Zusammensetzung der Einnahme und Ausgabe siehe vorstehend. - | Das Brot ist außerordentlich aschearm; der Zellmembrangehalt ist verschwindend klein. Trotzdem sieht man, daß im Kot sich Zellmembran- reste häufen und 11 bis 13 Prozent der ganzen Masse ausmachen. Der Pentosangehalt ist stark im Sinken. Diese Ergebnisse sind übrigens schon aus anderen meiner Versuche genügend bekannt. Die Verluste im ganzen waren folgende: ' | Kollmann Roolfs Mittel NVerlustnane Nee 11-27 16-37 13:82 Kalorien... 2 4.35 4-65 4-50 Pentosanittum. 1. Ma 5-20 6-19 5:69 ellmemipranaa EEE 34-52 30-48 32-50 Starken RS NE IE 0-32 0-26 0-29 f Aschewr ee 2.0: N 1 56:70 52-70 54-70 UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE, 331 Das Ergebnis stimmt mit früheren überein, indem sonst von mir ‚3-70 Prozent und 4-23 Prozent Kalorienverlust für Mehl dieser Art ge- funden wurden. Der N-Verlust ist, nicht unbedeutend, wenigstens habe ich auch bessere Resorptionen gesehen. Der Verlust an Zellmembran war bei diesen Versuchspersonen recht gering, doch läßt sich bei den großen Schwankungen in der Verdaulichkeit der Zellmembran eine größere Kon- stanz dieser Werte bei verschiedenen Personen nicht erwarten.! Im Finklerbrotversuch rührt also nur ein Teil der Ausscheidungen von dem Finalmehl her, ein anderer von diesem Weißbrotanteil. Es ist von Bedeutung, jetzt die Zusammensetzung der Ausscheidungen näher zu vergleichen und die Stoffwechselprodukte von dem Unverdau- lichen zu scheiden. Die Berechnung, welche analog zu den früheren Ver- suchen durchgeführt wurde, ergab folgendes für Finklerbrot und Weißbrot. Kalori | Zn ee Versuchs | 3 | 55 | 5 | 3 |ämülsgersse Seälsiee wa EEE kEBERSS EEE - alias A Finklerbrot: } I, 18-40| 157-52| 18-0 | 193-9) 350-6 | 156-7 | 2780 | 5-63 ! 44-77 R. <)16-56| 173-3%| 28-2 348-9| 130-8 | 2849 4:58 | 37:49 Mittel | 5-15 | 41-13 Weißbkrot: K. 7:58| 43:25?) 4-1 | 54-93 ||139-34| 84-41 | 3199 2.64 60-59 R. 5-68| 43:14°| 4-1 | 52-92 || 142-19| 59-27 | 3058 2.92 62-78 Mittel | 2:78 | 61-68 2858| ® ul EI Beer se|a | s® Sm gu2|8. 2°: |Ha88 person | S = 2 © I =® os, 38 |Sss2 |F457 _ > 5 -.- S005 Sn) ao „89 ah Zu Lena eseiasnk, Be ee a, Finklerbrot K. 12-18 | 76-1 9-26 | 1-47 | 2:99 | 1.52 |13-38| 11-3% 50.2 B. 1467| 75-4 | 11-00 | 1-77. | 3-10 [1:33 |13:71| 9- 42-9 Mittel | 10-53 | 46-8 N K. | 19-60 0-7 Uiaekä ı 05 |12-81| - 6-16 42.9 R. 19-56 | 26-8 |” > 25 | 0- h 2-00 I. 16 |12-22| 6-87 42-0 Mittel | 6-51 | 42-4 1 Dies Archiv. 1917. Physiol. Abtlg. S. 85. 2 114-8 Zellmembran 4113-85 Zellmembran 42-1 Protein 29-40 Protein 157-5 | 43-25 3 108-6 Zellmembran 5 11-68 Zellmembran 64-7 Protein 31:46 Protein 173-3 43-14 332 Max RuBnER: Wie schon früher gefunden wurde, gibt das Weißbrot eine sehr ge- 'inge Menge von Stofiwechselprodukten, nur 2-78 Prozent der Kalorien; bei dem Finalbrot ist dieser Anteil größer geworden. Der Zusatz des Finalmehles bedingt also auch Mehrung der Stoffwechselprodukte. Im Weißbrot sind die Stoffwechselprodukte sehr reichlich (61-7 Prozent), dies rührt von der guten Resorption der Zellmembran durch meine beiden Versuchspersonen her. Bei den N-haltigen Stofiwechselprodukten ist die Menge auch bei Weißbrot geringer als bei Finklerbrot, und die Relation zwischen Gesamt- N-Ausscheidung und Stofiwechsel-N ist nicht sehr verschieden bei Finkler- brot und Weibßbrot. Noch läßt sich ein voller Einblick in en Grad des Nutzens, den das Finalmehl bringt, nicht gewinnen; es gelingt dies durch andere Gruppierung der Zahlen. Unter der zutreffenden Annahme, daß innerhalb einiger Grenzen die Kotmengen der Nahrung proportional sind, läßt sich folgender Weg einschlagen: Von den Ausscheidungen bei Finklerbrot wird jener Anteil an Kotbestandteilen in Abzug gebracht, welcher auf den Weißbrot- anteil zu rechnen ist. Der Zuwachs an Finalmehl im Finklerbrot gegen- über dem Weißbrot ist auch bekannt, also läßt sich berechnen, welche Stoffe im Kot dadurch vermehrt wurden, daß man eine gewisse Menge Finalmehl zugebacken hat. Eine solche Berechnung hat folgendes Ergebnis geliefert: - Kollmann. \ Ta = 3 rt & Bea 2 ee = = M 1382| 5 re & l ja l@ 8 | 659-3 g Finklerbrot . .|76-12| 2-99 | 1-52 350-6| 156-7 |27-98| 4-49 | 1-47 461-582 Weißbrot ... .|15-47| 1-10 | 0-63 | 85-1) 50-4| 2-07| 1-11 | 0-47 197-8 Finalmehl. . . 60-65| 1-89 | 0-89 | 267-5 | 106-3| 25-96 | 3-38 | 1-0 — 890-1 Kalorien Roolfs. | o = © E E zZ 3 ee & > » & [SR uk BT SMS | 675-6 Finklerbrot : .|75-44| 3-10 | 1-33 |348-9| 130-8 | 26-77 | 4-04 | 1-77 472:9 8 Weißbrot . . .\15-86| 1-18 | 0-68 | 84-2| 57-2, 11-70| 0:94 | 0-54 202-7 g Finalmehl. . .59-58| 1-92 | 0-65 |264-7| 73-6|25-07| 3-10 | 1-23 — 912-1 Kalorien UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 333 Für beide Männer ist die Rechnung getrennt durchgeführt. Aus diesen Zusammenstellungen läßt sich ohne weiteres die Aus- nützung des Finalmehles ableiten: Zugabe an Finalmehl| Verluste pro Tag Mittel in absoluten Werten in Prozent in | Kollmann| BRoolfs Kollmann| Roolfs Prozent sn ee | 197-80 | 202-70 & a = N on. | 5-48 5-60 34-50 34:30 34-40 IRaloriemi zo. dena | 890-10 912-20 30:00 29:00 29-50 Zellmembran ...... al ee) 46:30 57-40 53-90 55:60 SURTHRSN Ge Al ee ER 81:40 83-70 | 4-10 3-70 3-90 Stoffwechselverlust an N. . | » — — I 11-94 8-07 10-00 IEROGEMSN AU IE. 0 | — — 18-24 21:96 20:10 Daraus lassen sich folgende Mittelwerte ziehen und mit den beiden Brotarten vergleichen: Finalmehl __Finklerbrot Weißbrot VerluspraneNne wen. 55, 34-40 22-42 13-82 = MibrotemaNn. na er 20-10 10-53 6-51 5 iRßalorien ...2:....7229750 12-42 4-50 # „ Stoffwechselkalorien 10-00 5-15 2-78 m „ Zellmembran . .. 55:60 46-23 32-50 iM Stärke, te ame 3-90 0-93 0-29 Hieraus ergeben sich folgende Schlüsse: Das Finalmehl meiner Versuche zeigt einen relativ niedrigen N-Verlust, denn Vollkornroggenmehl, das ja nur einen Teil solcher Zellmembranen enthält wie das Finalmehl, wird viel schlechter im N-Anteil ausgenützt; der Kalorienverlust ist freilich sehr groß, aber ein erheblicher Teil rührt von der ausgeschiedenen Zellmembran her. Betrachtet man den Verlust an Protein-N, so sehen wir bei dem feinen Mehl einen Verlust, der nahe an den Verlust reinen Klebers heranreicht, im Finklerbrot wird aber der N-Verlust schon bedeutend erhöht, im Finalmehl ist er am größten. Die Behauptung, daß alle Zellen aufgeschlossen seien und das Eiweiß des Finalmehles gleich verdaulich sei mit Mehl ohne diesen Kleiezusatz, beruht auf einer Selbsttäuschung der bisherigen Experimentatoren. Man kann in meinen Versuchen stufenweise die zunehmende Erschwerung der N-Resorption sehen. Alles weist darauf hin, daß eine allgemeine Aufschließung der Zellen nicht ein- getreten ist. Dies ergibt sich noch aus einer anderen Überlegung. In möglichst mit Wasser und unter Verdauung mit Diastase gereinigter Kleie fand ich früher! für 100 Teile Zellmembran immer noch 21-0 g Protein = 3-36 g N, 1 Dies Archiw. 1916. Physiol. Abtlg. S. 76. 3341 Max RUBNER: im Finalmehl finde ich auf 100 Teile Zellmembran immer noch 2-23g N, so daß also nur ein Drittel des N, der fester fixiert ist, auf- geschlossen wäre, Nur der kleinere Teil des N in jeder Kleieart ist solcher in den Zellen eingeschlossener N. Durch das Beibacken des Finalmehles steigert sich nicht nur das unverdauliche in den Ausscheidungen, sondern es mehren sioh auch die Stoffwechselprodukte, und zwar erheblich. Auch die Zellmembran des Finalmehles ist schwerer verdaulich wie die des feinen Mehles. | Ich habe bei dem Klopferbrot Gelegenheit gehabt, die Resorption jenen Anteils des Mehles zu bestimmen, der über 75 Prozent Ausmahlung | hinaus bis zu 94 Prozent Ausmahlung reichte. Hier bei dem Finklerbrot kommt in der finklanisierten Kleie ein fast übereinstimmender Anteil der Ausmahlung des Kornes zur Verwendung. Eine Vergleichung zwischen ; der Verdaulichkeit bei den „Kleien‘“‘ kann von Interesse sein. Die Ver- 5: luste waren für die Ausmahlungen über 70 bis 75 Prozent: Bei Klopfer Bei Finkler AnZKalorrenner BE 23:90 29-50 ENDE er ar SAALE: en EN Era: 58-10 34-40 2 Zellmenbrane a 47:70 55-60 IS LATKC A N 1:16 3:90 Man kann aus diesen Zahlen schließen, daß der N in dem Kleieanteil bei Finkler leichter resorbierbar war, obschon der große Verlust von 58-1 Prozent bei Klopferbrot etwas durch die ungünstige Verdauung einer Versuchsperson beeinflußt ist. Im allgemeinen muß man sich aber daran erinnern, daß das Finalmehl fast doppelt so viel Zellmembran enthielt als der Kleieanteil beim Klopfermehl, so daß durch letzteren die Resorptions- bedingung im allgemeinen und für den N im besonderen ungünstiger sich stellt. Ist demnach im Gesamteffekt die Rückwirkung der Finklani- sierung nicht derart, daß eine sehr ausschlaggebende Beeinflussung im Nährstoffgewinn zum Ausdruck kommt, ist ferner auch zuzugeben, daß die ganze Vermahlungsweise dieser Art irgend eine Umwälzung auf dem Gebiete der Brotbereitung nicht herbeiführen wird, so kann andererseits doch gesagt werden, die bessere Vermahlung der Kleie sei nicht ohne allen Effekt gewesen. Es will mir scheinen, daß für eine Verdoppelung der Zellmembranmengen ein Zuwachs des Kalorienverlustes von 23-9 Pro- zent auf 29-5 Prozent mäßig ist. Immerhin deutet sich im allgemeinen eine Erschwerung der Resorption im „„Kleieanteil“ damit an, .daß die { Stärke schlechter verdaut wird. Sie ist im Finalmehl schon zehnmal schlechter verdaulich geworden als in den feinen Mehlen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 335 Zusammenfassung. Der Ausgang dieser Untersuchungen betraf die Feststellung der Ausnützungsverhältnisse der hochprozentigen Ausmahlungen des Rogsens, die zum Teil nach patentiertem Verfahren vorgenommen und, oft mit reklamehaften Ankündigungen verbrämt durch allerlei wissenschaftliche Zutaten, in den Handel gebracht werden. Im Grunde genommen kann man mehr erstaunt sein, daß so vielerlei Verfahren, wie sie angewandt werden, letzten Endes dasselbe Resultat geben und dab man auf. die entscheidenden Verhältnisse so wenig oder gar nicht zu achten pflest. Jahrzehntelang bewegen sich die papierenen Diskussionen weiter, wo das Experiment ohne weiteres der Führer für das technische Verhalten sein könnte. In nachstehender Tabelle sind nochmals die Ergebnisse kurz zusammengefaßt und mit den Roggenbroten auch der Versuch mit Finkler- brot zusammengestellt; dabei muß beachtet werden, daß hier eine Mischung von Weizenmehl und finklanisierter Roggenkleie vorliest, da sich in anderer Weise nicht der Effekt der Finklanisierung deutlich zeigen läßt. Für die Schlußfolgerungen muß auf diese Verschiedenheit besonders ge- achtet werden, weil sie in den Rohzahlen erheblich zugunsten des Finkler- brotes verwertet werden könnte. £ SE UN Se u = s=.<5 Sn =) [o) i ® (eb) (RE) o—_ 305 [eb) else ade ma Sex sa ja230 632 85|7|45 8. ee ee een Zellmembrangehalt ey 8-75 6:69 6-48 | 6:23 | 8-72 22-9 Verlust an No u.) 2-22 0! 39-3 40-5 38-4 | 37:9 | 22-4 34-4 a8 „ Protein . . 2 2539 21:6 21:2 | 20-6 | 10-5 20-1 2 ” SrotwechselN 13-4 18:7 17:1 | 17-2 | 11-9 14-3 “ » Kalorren . .. . ..ı 14-8 13-5 15-1 | 14-4 | 12-4 29-5 'Stoffwechselkalorien 7-5 7-1 5-9 6-1 5-1 10-0 Terkan RE EEE RUN 7-3 6-4 9-2 8-3 7-3 19-5 Zellmembranverlust.. . .. . . || 47-6 55-7 66:9 | 59-3 | 46-2 55-6 . Das Growittverfahren, über das ich mit Thomas schon früher be- richtet habe, stand damals etwas vereinzelt, so daß seine Charakterisierung und sein Vorteil nur kurz gestreift werden konnte. Hier läßt sich im Ver- gleich mit den übrigen Brotverbesserungsverfahren seine eurieiling besser durchführen. \ Das Growittverfahren ist im Grundgedanken nicht neu. Seine Vor. sänger sind das Gelinkverfahren, das von Lehmann und von Plagge und Lebbin ungünstig beurteilt wurde, das Averdick- und Simonsverfahren, über welche experimentelle Angaben nicht vorliegen, ferner das Schiller- verfahren, das auch nach Lebbin keine gute Ausnützung garantiert. 336 Max RUBNER: Über Growittbrot sind von N. Zuntz Mitteilungen gemacht worden über den N-Verlust, wobei in einem Falle 35-92 Prozent gefunden wurden und in einem anderen 25-95 Prozent, bei von der Heide 36-44 und 42-46 Prozent, im Mittel 41:15 Prozent, und bei Brahm 53-47 und 50-36 Prozent. Die Differenzen sind so groß und unaufgeklärt, daß man sich eines Urteils enthalten muß. R.O. Neumann fand bei einer ge- mischten Kost, die etwa die Hälfte des N in gut resorbierbaren Animalien enthielt: Als Verlust an Trockensubstanz Als N-Verlust 12-14 Prozent 21-05 Prozent le, 20-19 3% 12a In, 93:5 P> Das würde, wenn man den N der Animalien in der Einnahme abzieht und einen Verlust im Kot von 3 Prozent annimmt, etwa rund 33-4, 37-1, 47-0 Prozent Verlust (Mittel 39-2 Prozent) ausmachen. Der letztere Wert wäre immerhin groß, die beiden ersten kämen’ den von mir er- haltenen Zahlen nahe. Vielleicht darf man annehmen, daß die Schwan- kungen in der Zusammensetzung des Kornes oder im Zermahlungsverfahren eher die Ursache liefern werden als die schwankende Verdauung, zumal bei R. OÖ. Neumann die gleichmäßigen Versuchszahlen in anderen Reihen eine sehr gleichartige Verdauung bezeugen. Die Zahlen über die Verwertung des N gehen in ala Versuchen ziemlich weit auseinander. Begnügt man sich aber mit den Mittelzahlen, so würde der N-Verlust zwischen 41-15 und 39-2 Prozent betragen. Nach meinen Versuchen ist der Verlust 39-3 Prozent. Will man auf die Versuche mit anderen Ausmahlungen zurückgreifen, so sieht mant!, daß Roggen bis 15 Prozent Ausmahlung keine bessere und keine schlechtere Ausnützung gibt, auch wenn die Experimente mindestens je eime Woche dauern und die Versuchsreihe überhaupt sich über die Zeit von 6 Wochen erstreckt, was mit Rücksicht auf die sogenannte „Akkommodation“ gesagt sein mag, falls solch ein Argument in der Zeit, wo seit Jahren mit seltenen Ausnahmen vegetabilische Kost genossen wird, noch nötig wäre. Alle anderen in der Tabelle aufgeführten Versuche zeigen Werte, die fast völlig übereinstimmen, mit Ausnahme des Finklerbrotes aus den an- sedeuteten Gründen. Weder die einfache Vermahlung, noch die übliche Schälung, noch das Klopferverfahren gibt auch nur eine die Fehlerquelle überschreitende Verschiedenheit. Ausgenommen ist aber in allem dieser Versuch einer einfachen Schrotung des Kornes. Stets ist die Kleie ent- 1 Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. S. 193. 4 en a ie Fe er, x UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. I weder fein zermahlen oder zerquetscht. - Daraus kann man schließen, daß kein Verfahren bei Roggen eine Vermehrung der N-Ausbeute erzielt hat, so viel auch über Aufschließung der Kleiezellen geredet werden mag. Auch keine der Versuchspersonen war mit einer besonderen Eigenschaft der Auflösung der Zellmembran behaftet. Ich verweise aber auf die näheren Angaben beim Abschnitt Finklerbrot, wo die finklanisierte Kleie vielleicht etwas besser ausgelaugt wurde, als man hätte erwarten dürfen, mit 34-4 Prozent Verlust. Hier liest aber eine Kombination zweier Nahrungsmittel vor, der Kleie und des Weizenmehles, so daß geringe Differenzen in der Berechnung möglicherweise eine Besserung um ein paar. Prozente vortäuschen. Betrachtet man die Angaben über den Proteinverlust, der nur in senäherten Zahlen gegeben werden kann, so bleibt er bei den Broten mit gleichem Zellmembrangehalt derselbe und steigt nur bei dem Growittbrot ‚um einige Einheiten. Er ist aber in der Roggenkleie selbst — mit den obigen Vorbehalten — kaum abweichend von den übrigen Beobachtungen. Die Menge des Stoffwechsel-N ist, auf den N der Zufuhr bezogen, nur wenig schwankend, nimmt aber natürlich bei Kleiezuwachs wegen der höheren N-Zahlen, wie wir später sehen werden, zu. Im Kalorienverlust sind die äußersten Abweichungen bei dem Roggen- versuch 1-6 Prozent; gleichgültig wie die Vermahlungsweise ist, es wird derselbe Prozentsatz verloren, die Menge des wirklich Unverdauten und der Stoffwechselkalorien ändern sich (von der Kleie abgesehen) kaum, Die Zellmembranverdauung schwankt, aber innerhalb von Grenzen, die für diesen Nährstoffanteil recht unbedeutend sind. Zwischen der Verdaulichkeit bei Quetschung der Kleie und bei feinster Vermahlung und Finklanisierung ist kaum ein Unterschied vorhanden. Mit anderen Worten für den Darm sind hinsichtlich der Verdaulichkeit der Zell- membran alle diese aufgeführten besonderen Verfahren belanglos. Viel- leicht könnte man sagen, daß die gewöhnliche Schälung eine etwas geringere Ausnützung zeigt, zumal es sich hier doch immerhin um das Ergebnis aus 4 Wochen Versuchszeit handelt. Es ist also praktisch gleichgültig, wie man im einzelnen verfahren will, wenn es sich im all- gemeinen um feine Zermahlung handelt. Den Gegenversuch mit grober Ausmahlung habe ich nicht gemacht, darüber wird später noch etwas zu sagen sein; alle die speziellen Methoden, deren Prüfung erwünscht war, legen mit Recht Wert auf die gute Vermahlung. Dies ist nicht nur aus Gründen der Resorption, sondern auch mit Rücksicht auf die Kot- ausscheidung und die Verhütung der Härtung des Kotes angebracht. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol. Abtlg, 99% 338 MıAx RuBner: R.O. Neumann hat nach seiner Methode, die, wie erwähnt, die Resultate nicht unmittelbar mit meinen vergleichen läßt, folgende Ver- luste gefunden: Trocken- a Boh- NS: substanz faser Für Growittmehl fein vermahlen .. 12-14 21-0 52-9 51-9 Re = Ai Ku 11:78 20-5 56-6 47-3 rn 1 srob ; pe 13-55 23-5 53-1 ° 56-3 Klopferbrot nen a0. 2 2a Ne 11-29 21-5 71-0 23-8 Diese Angaben stimmen mit den meinen in dem Sinne überein, daß zwischen Klopfervermahlung und Growittverfahren nur in der Richtung ein Unterschied besteht, daß die Rohfaser und Zellmembran bei letzterem Verfahren etwas besser verdaut wird, was praktisch ohne besonderen Belang ist und höchstens eine gewisse Mehrung der Kotmenge bei dem Klopferbrot bringen würde, die von den Konsumenten kaum wahrgenommen wird. ! Für gesunde Leute im kräftigsten Mannesalter ist also eine Aus- mahlung des Brotes von 6-2 bis 8-7 Prozent Gehalt an Zellmembran erträglich, und innerhalb dieser Grenzen sind die Verluste bei den einzelnen Bestandteilen etwa proportional ihrer Menge in der Nahrung. Mit diesem Ergebnis muß man die Versuche mit Zubacken von auf- geschlossenem Stroh in einer Menge, welche die Werte von Finklerbrot und Growittbrot im Zellmembrangehalt nicht überschritt (8-9 Prozent) vergleichen, wobei sich ergeben hatte, daß diese Art von Zellmembran sehr ungünstig auf die Ausnützung wirkt, indem sie die Ausnützung aller wesentlichen Substanzen im Darm merklich herabdrückt. Dies stand im Zusammenhang mit der schlechten Verdaulichkeit dieser Zellmembran aus Stroh, von welcher 88-4 Prozent zu Verlust gingen. Ähnliches sieht man auch bei den Versuchen mit Spelzmehlzusatz?, ein Gemenge mit 9-6 Prozent Zellmembran steigert den allgemeinen Kalorienverlust um 2-9 Prozent, ein Gemenge mit 10-5 Prozent Zellmembran um 5-3 Prozent über den Durchschnitt des Brotes, welchem die Spelze beigemischt waren (13-8 Pro- zent Verlust). Da die täglich zugeführte Nahrungsmenge sehr viel kleiner war als in den oben angeführten Brotversuchen, kann eine einfache Über- lastung des Darmes nicht vorgelegen haben, sondern die Art des ver- fütterten Materials, die Spelzen, verhielten sich so, daß man bei ihrer Ver- 1 Dies Archiv. 1917. Physiol. Abtle. S. 88. ?2 Ebenda. 1916. S. 114. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 339 wendung noch einen zum Teil erheblichen Schaden an wahren Nährstoffen zu verzeichnen hatte. Da die Spelzen selbst nicht unverdaulich waren, so muß man eine besondere Wirkung auf den Darm annehmen. Die’ Kleie der Zerealien gegenüber den Wurzelgemüsen, Blattgemüsen und Obst, eine relativ schwer verdauliche Zellmembran, ist doch wieder günstiger in ihrer Rückwirkung auf den Darm, insofern sie innerhalb der besprochenen Grenzen, wie in den einzelnen Abschnitten erwähnt wurde, keine deutliche Schädigung der Resorption wichtiger Nahrungsstoffe herbeigeführt zu haben scheint. Auf eine nähere Begründung dieser Behauptung werde ich später einzugehen haben. An die vorstehende, mehr konkrete Betrachtung der Verdaulichkeit der verschiedenen Brottypen habe ich noch eine eingehende Betrachtung ‚anzuschließen, welche die Vollkornfrage nach ihrer physiologischen und volkswirtschaftlichen Bedeutung näher ins Auge fassen soll. Es wird heut- zutage in denkfähigen Kreisen natürlich der Verdaulichkeit eines Nahrungs- mittels ein Wert zugesprochen, man will wenigstens einen objektiven Führer, der die Vergeudung von Nahrungsmaterial hindert, haben. Diese Gesichtspunkte sind, wie man mit Bedauern feststellen muß, von jenen Kreisen, deren Entscheidung über das Sachverständigenurteil so gerne hinwesschreitet, nicht beachtet worden. | Ich muß. hier betonen, daß man die Ergebnisse im Ausnützungs- versuch für die allgemeine Beurteilung nicht überschätzen oder als allein maßgebend betrachten darf, nicht hinsichtlich der Verallgemeinerung auf alle Personen,/gleichen Berufs und Alters, noch weniger auf alle Alters- klassen. Ich erinnere in dieser Hinsicht an das Unvermögen 6 bis 7 Monate alter Kinder, die Zellmembranen des Spinats zu verdauen, obschon dieser zu den leicht resorbierbaren Blattgemüsen gehört. Die Ausnützungs- versuche, meist oder fast ausschließlich an jungen, gesunden, kräftigen Männern ausgeführt, geben uns die optimalen Leistungen; für die Ver- allgemeinerung auf eine ganze Bevölkerung, als Richtlinien für die Volks- ernährung können wir uns darauf nicht verlassen. Entscheidend hierfür wäre nur der Massenversuch, der als messender Versuch nicht so durch- geführt werden könnte, wie es wünschenswert ist. Man könnte sich nur im allgemeinen auf jene Angaben stützen, die man über die Bekömmlich- keit solcher Brotarten erhält, wenn nicht hier das subjektive Urteil allzu schwerwiegend wäre; immerhin haben die Erfahrungen doch so viel er- kennen lassen, daß wir mit den weitgehenden Ausmahlungen und dem dabei auf der Masse liegenden Zwang, der eine andere Beköstigung aus- schließt, die Grenzen der Brotsoren, welche wir unbeschadet der gesundheit- lichen Verhältnisse dauernd genießen können, weit überschritten haben. Die 292 340 Max RüBNER: bei vielen außergewöhnlich stark vermehrte Kotbildung nach Masse und Häufigkeit läßt auch die Grenzen für die ungenügende Ausnützung ver- mutlich sehr viel weiter ziehen, als die direkten Klagen reichen. Das ist auch verständlich, zumal die Zahl derer, die in Friedens- zeiten aus eigener Wahl ein Bedürfnis nach Brot aus Mehl hoher Aus- mahlung haben, eine verschwindend kleine ist. Sodann wird die Kleie- menge im Brot so hoch gesteigert sein, daß relativ geringe weitere Ver- mehrung der Zellmembranen zu nachweislichen Abnahmen der Ausnützung bei optimalen Versuchsbedingungen führen, und dadurch ist die Wirkung auf die Massen dementsprechend ungünstiger geworden. Der Nutzeffekt für die Verwertung zur öffentlichen Nahrunss- versorgung für die Zwecke der Ernährung wird dadurch in Frage gestellt. Um es nochmals zu betonen, Ziel und Aufgabe der Ermährungsfürsorge kann nicht darin bestehen, mit der Kleieanreicherung erst kurz vor jenen Grenzen haltzumachen, wo in nächster Nähe die Leistung des Darmes unter optimalen Verhältnissen versagt. Bei der Bewertung eines Nahrungs- mittels nach den Ausnützungsverhältnissen muß auch die ganze Stellung einer solchen Substanz zu den anderen, zur durchschnittlichen Leistung des Darmes in Erwägung gezogen und kritisch beurteilt werden, wobei auch die Bedeutung eines Nahrungsmittels als Teil unserer Gesamt- ernährung wohl im Auge zu behalten ist. Ein Volksnahrungsmittel, welches über vier Zehntel unseres Bedarfes deckt, ist anders zu beurteilen als Dinge, die gelegentlich oder nur in relativ kleinen Mengen in der Kost enthalten sind. Eine gute Resorption ist aber auch möglich, ohne daß deswegen alle aus physiologischen und hygienischen Gründen zu fordernden Eigen- schaften eimer Nahrung vorhanden sind. Daher wird auch diese Seite der Frage notwendigerweise ergiebig zu erörtern sein. Ein wichtiger Faktor ist nach meinen Untersuchungen die Kombination der Nahrungsmittel, das vermag, wie in einer späteren Abhandlung gezeigt wird, die Ergebnisse wesentlich zu modifizieren, auch hinsichtlich der Resorption, wobei unter Kombination die einfache Speisenfolge oder das Zusammenverarbeiten getrennt werden muß. Auf diesen Gesichtspunkt muß ich hinweisen, um nicht die eben angeführten Resultate %ls ein abschließendes Urteil zu betrachten. | Der Roggen hat in der Kriegszeit eine größere Bedeutung erlangt, weil er das Hauptmaterial unserer Broternährung darstellt. In einer früheren Abhandlung haben Thomas und ich bereits die Bedeutung ver- schiedener Ausmahlungssrade näher untersucht und zugleich die Einwirkung des Kartoffelzusatzes bei verschiedenem Ausmahlungsgrad festgestellt. Dt UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBEROTE. 341 Da inzwischen neue Brotverordnungen die Basis der Ausmahlung verändert haben und verschiedene abweichende Mahlverfahren dringend empfohlen werden, war diese neue Untersuchung notwendig geworden, bei der es sich im allgemeinen um die Prüfung von Brotarten handelt, die in ihrem Kleiegehalt auch für völlig Gesunde an die Grenzen des Frträg- lichen hart heranzukommen scheinen. Die vorliegenden Untersuchungen, zusammengenommen mit den ander- weitigen, in dieser Zeitschrift! veröffentlichten, geben uns ein zutrefiendes Bild über den Wert und Unwert einer hochgradigen Ausmahlungsweise, über die Ursache dieser Verschiedenheit und über die Verdaulichkeit. Aus den von mir ausgeführten Analysen kann man ersehen, welche Zusammensetzung, welchen Nährwert und welche Verwertbarkeit den einzelnen Produkten der Vermahlung zukommt, Schälkleie und Mahlkleie, Kleie verschiedener Ausmahlung, Produkte der Reinigung des Kornes, Produkte einer späteren Ausmahlung sind vorläufig genau festgestellt. Vielleicht wird man finden, daß noch lange nicht alle ‚‚Vollkornbrote‘“ ? untersucht sind; dazu liegt allerdings kein Anlaß vor. Man braucht nur die verschiedenen Patente der Getreidevermahlung durchzusehen, um zu empfinden, daß hier kein Ende für die physiologischen Prüfungen zu finden wäre. Massenuntersuchungen dieser Art, falls sie beliebt würden, können für die Beurteilung von technischen Erfindungen gewiß noch ihren Wert erlangen und werden im Zusammenhang mit solchen angestellt werden müssen; für die physiologischen Teile glaubte ich mich auf die vorliegenden beschränken zu müssen, zumal die Gewinnung von Korn für die Experi- mente doch recht erheblichen Schwierigkeiten begegneten und schließlich völlig geeignetes Material nicht mehr zu erlangen war. Eine Lehre möchte ich allen denen, die auf diesem Gebiete mit bekanntem Ausgangsmaterial arbeiten wollen?, auf den Weg geben, näm- 1 Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. S. 6 u. 165. 2 Eine außerordentlich eingehende experimentelle Prüfung über das Vollkorn- brot ist von R. O0. Neumann ausgeführt worden (Vierieljahrsschrift f. gerichtliche Medizin u. öffentliches Sanitätswesen. Dritte Folge. Bd. LIII. Heft 1). Wenn ich nicht in allen Fällen auf die Ergebnisse näher vergleichend eingehen kann, so liegt das darin begründet, daß die Versuchsanordnung bei Neumann das Brot als Zulage zu einer einfachen gleichbleibenden animalischen Grundnahrung gegeben hat, um die Verzehrung des Brotes tunlichst dem praktischen Gebrauch anzupassen, während bei meinen Experimenten in erster Linie auf möglichst einfache Versuchs- bedingungen Wert gelegt werden mußte. 3 Angaben über Ausmahlungseffekt und wirkliche Ausbeute gehen oft weit auseinander. So z. B. beim Steinmetzverfahren, bei dem bei 5 Prozent Verlust alle Kleie bis auf die Schlauchzellen weggenommen werden sollte, tatsächlich 342 Max RUBNER: lich die sorgsamste Überwachung des Mühlenbetriebes und der Probe- entnahme durch wissenschaftlich und technisch geschulte Kräfte. Bei einem Vergleich verschiedener Mahlsysteme muß man mit ganz anderer Sorgfalt in der Auswahl der Rohmaterialien und mit viel: eingehenderen Methoden der Untersuchung der Mahlprodukte vorgehen, als es früher und in neuester Zeit noch geschehen ist. ‘Gerade die ausgedehnten Unter- suchungen der letzten Jahre zeigen, daß es zwecklos ist, einen experi- mentellen Aufwand an Produkte zu verschwenden, deren Zusammensetzung dem Experimentator nicht bekannt ist. | Man wird alle Brotarten, die ich in dieser Abhandlung untersucht habe, im gewöhnlichen Sprachgebrauch als Vollkornbrote bezeichnen. Dies geschieht aber zu Unrecht. Es ist notwendig, sich über diese Bezeichnungsweise näher auszulassen, wenn sie nicht ein bloßer Handels- begriff sein soll, wie etwa das Wort Kleie, welches auch Produkte von höchst schwankender Zusammensetzung bezeichnet. Für den Wert als Nahrungsmittel vom Standpunkt des Stoffersatzes oder hinsichtlich der hygienischen Bedeutung der Brotarten überhaupt kann man es bei dem bisherigen vagen Begriff „‚Vollkornbrot‘ nicht bewenden lassen. Das Voll- kornbrot kann ganz verschieden bewertet werden, je nach seiner Her- kunft. Man hat bis jetzt, meine ich, immer übersehen, daß Dekortikation und Grade der üblichen Ausmahlung nicht verglichen werden können. So ist meines Erachtens ein Verlust bei der Dekortikation von 6 Prozent z. B. etwas anderes als eine Ausmahlung des Vollkorns auf 94 Prozent, weil die ‚‚Kleien‘“, welche beseitigt werden, ganz verschieden sind. Durch die Dekortikation läßt sich die Zellmembran eher ohne nennenswerten Mehlverlust abscheiden als bei der sonst üblichen Ausmahlung. Kleie enthält nach meinen Analysen etwa 26-36 Prozent Zellmembran, bei 20 Prozent Ausmahlung hat man also im Mehl 5-2 bis 7-2 Teile Zell- membran. Man bringt im ersten Falle z. B. ein Mehl von einem Vollmehl mit 11 Prozent Zellmembranen auf 5-8 Prozent. Dasselbe Ergebnis kann aber eine gute Schälung des Kornes auch erreichen. Ausmahlung und Veränderungen durch Dekortikation sind demnach verschiedene Dinge. Weil man diese Besonderheiten nicht beachtet, haben sich in der Literatur eine ganze Reihe widersprechender Angaben über die ‚„Ausnützung‘ gehäuft. Nach dem Wortlaut kann Vollkornmehl nur solches Material sein, das alle Teile des gereinigten Kornes ohne Ausnahme umfaßt, wobei nur der unvermeidliche Verlust beim Reinigen und Mahlen gegeben ist, der aber nur 75 bis 82 Prozent Mehlausbeute gefunden wurden. Praussnitz und Menicantı haben für solche Proben 10-43 Prozent ‚Verlust der Trockensubstanz und 29-2 Prozent N-Verlust gefunden. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 34a : auf 4 bis 5 Prozent zu bemessen sein wird. Solche Vollkornbrote gibt es. Mit demselben Namen werden aber auch Brote bezeichnet, die gereinigt und dekortiziert sind, wobei man angeblich nur die Fruchtschale abtrennt. Außerdem kommen aber auch wieder Vollkornbrote vor, die nach meinen Untersuchungen so stark geschält und ausgemahlen worden sind, daß sie kaum einer sonst üblichen Ausmahlung von 80 Prozent entsprechen. Auch im Auslande sind die Bezeichnungen ebenso unklar wie bei uns. Angeblich versteht man unter „Whole meal flour‘ in England ein Mehl aus ganzem Korn, man nennt es in Amerika Grahammehl. Tatsächlich wird aber auch Mehl aus dekortiziertem Getreide mit dem gleichen Namen belegt. Dafür wird umgekehrt ein aus dekortiziertem Getreide hergestelltes Mehl in Amerika auch ‚„‚Antire wheal flour‘“ genannt, was zu einem Mißverständnis herausfordert. Die einzelnen Abstufungen der Ausmahlung sind auch so verschieden, daß es einer besonderen Erfindung bedürfte, um alle Prozesse mit be- sonderen Namen zu belegen. Ich habe gezeigt, daß die Vermahlung alles umfassen kann, was das vom Acker:kommende Getreide enthält, Korn, Unkrautsamen und Schmutz, es kann sich weiter handeln um gereinigtes und völlig zermahlenes Getreide, ferner um gereinigtes Korn, welchem nur ein Teil der Schalen genommen ist (Growittbrot oder wirklich entschältes Brot mit nachherigem Keimlinsszusatz) oder einfach entschältes oder um die Vermahlung von gereinistem ungeschälten Korn unter Beseitigung der Kleie nach dem Hochmüllereiverfahren. Aus allen diesen Gruppen einiges als Vollkorn zusammenzufassen, geht gar nicht an, weil man dabei höchst ungleichwertige Produkte unter einen Hut zu bringen gezwungen würde. Bei dieser Sachlage berührt es einen eigenartig, wenn in der halb- populären, aber auch in der medizinischen Literatur, und zwar von Personen, die sich als einzige Kenner des Vollkornbrotes aufspielen, alle möglichen gesundheitlichen Vorteile des Vollkornbrotes gepriesen werden oder wenn von Kunert eine Asitationsschrift in Tausenden von Exem- plaren in die große Masse geschleudert wird, obsehon nachweislich manche Vertreter dieser Richtung sogar recht wenig kleiearme Brote, ohne es zu ahnen, für echte Vollkornbrote halten und empfehlen. Wenn wirklich nur echtes Vollkornbrot ganz besondere gesundheitlichen Wirkungen erzielt, so sind die besonderen Wirkungen vielfach nur eingebildete gewesen, weil das Verzehrte eben kein Vollkornbrot war, und wenn die Vollwertigkeit in einem hohen Kleiegehalt besteht, so sind viele Sorten Schwarzbrot, wie sie auch vielfach schon bisher als Hausbrot genossen wurden, ohne daß man ihnen bisher eine besondere Bedeutung beilegte, dem Vollkorn 344 MAx RUBNER: gleichwertig, oder sie enthalten sicher bisweilen sogar noch mehr Kleie- bestandteile als dieses.! Ich brauche nicht weiter zu betonen, daß heutzutage, um eine objektive Handhabe zur Bevorzugung von ‚Vollkornbrot‘ zu haben, der sogenannte Vitamingehalt herhalten muß, obschon die Vitaminlehre gerade mit Hin- sicht auf das Brot weit mehr Zurückhaltung erfordert, als mancher glaubt. Wenn ich dazu, und zwar zum Teil in etwas kritischer Weise, Stellung nehme, so geschieht das nicht als eine Ablehnung dieser sehr bedeutsamen Fragen, vielmehr nur um die willkürlichen Behauptungen da auszuschalten, wo der ganzen Sachlage nach eine Vitaminwirkung als Krankheitsursache bei Brotgenuß nicht vorhanden sein kann. Die Wirkungen feinsten Weizen- brotes in ausschließlicher Fütterung sind mir wohlbekannt, da diese Experimente in meinem Laboratorium von demselben Autor, der sie bei Hofmeister ausgeführt hat, fortgeführt worden sind. Nur bin ich nicht in der Lage, Näheres mitzuteilen, weil der Kriee den Autor und sein Material mir unzugänglich gemacht hat. Ich habe aber schon auseinandergesetzt, daß es irrig wäre, von einer Kleiefreiheit auch der feinsten Mehle zu reden, überallhin wird die Kleie versprengt; über Grad und Menge der erforderlichen Zumischung ist uns zurzeit nichts Sicheres bekannt. Ebensowenig steht fest, ob nur ein bestimmter Teil der Kleiezellen wirksam ist und welcher. Man hat dabei an die verschiedene Natur der Eiweißstoffe gedacht. Die Eiweißstoffe des Endosperms enthalten bekanntlich die zwei Eiweiß- stoffe Glutelin und Gliadin, welch letzteres in mäßig konzentriertem Alkohol löslich ist. ; 8 Versuche von C. Thomas haben zuerst nachgewiesen, daß der bio- logische Wert dieses Eiweißes kein vollkommener ist. Th. B. Osborne und Mendel haben später durch Fütterungsversuche mit reinem Gliadin gezeigt, daß Tiere auch damit nicht wachsen, sondern erst, wenn man Lysin und Tryptophan zugibt. Röhmann? glaubt annehmen zu dürfen, daß die fehlenden Atomgruppen des Gliadins in den Kleiezellen sich finden, da doch bei der Entwicklung des Embryos neues Eiweiß entstehen muß. Durch die Untersuchungen von Haberlandt ist erwiesen, daß die Kleiezellen sekretorische Organe sind und Diastase liefern. Ihr Inhalt ist aber noch vorhanden, auch wenn das Wachstum der Keimlinge schon weit 1 Dies gilt sicher für Schwarzbrot vom Lande, von dem 17:66 Prozent der Kalorien nach meiner Untersuchung zu Verlust gehen. Ähnliches gilt ferner für manches Kleinbrot in Süddeutschland, das aus den späteren Ausmahlquoten des Weizens hergestellt wird. 2 Berliner klin. Wochenschr. 1916. Nr. 5. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 345 vorgeschritten ist. Erst dann zerfallen diese sekretorischen Zellen. Dem- nach kann die Annahme, daß die Pflanze dieser Zufuhr als besonderer Ersänzungsstoffe für ihr Wachstum bedarf, nicht als erwiesen angesehen werden. Für das Tier könnten die Verhältnisse ja anders liegen. Verfolgt man aber die im vorliegenden begründeten Gedanken weiter, so käme man eher zur Annahme einer Einwirkung etwa des Keimlings- eiweißes auf die Gesamtvollwertigkeit. Da die Kleie bei der üblichen Ver- mahlung auch den Keimling einschließt, so wäre dann erst zu entscheiden, wo eine solche wirksame Substanz sitzt, und bei der Wahl zwischen Kleie- ‚zelleneiweiß oder Keimlingseiweiß wäre es möglich, dab das letztere als das biologisch wichtigere auch funktionell für den Eiweißersatz bedeutungs- ' voller wäre. Daraus würden sich dann besondere Aufgaben für die Art der Ausmahlung ergeben. Eine Reihe von Vollkornbroten mit Entschälung würden dann minderwertig sein müssen, und Vermahlungen ohne Ent- schälung und Entkeimung wären dann die rationellsten. Man sieht, selbst unter der Annahme eines besonderen Bedaries an Ersatzstoffen ist die Frage nicht geschlossen, sondern noch eine voll- kommen offene. Versuche aus der neuesten Zeit! geben für die Wirkung der Vitamine (des Orypans) wieder eine andere Richtung, insofern sie denselben eine Wirkung auf die Sekretion aller untersuchten Drüsen des Verdauungs- kanales zuschreiben, sie wären also Drüsenreizstoffe, die zu den Verdauungs- prozessen in enger Beziehung ständen. Dann würde allerdings die Beob- achtung, daß die einseitig ernährten Tiere, wie ich mich selbst überzeugt habe, schließlich genau das Bild des Verhungerns zeigen können und ent- sprechend an Gewicht abnehmen, nicht unverständlich. Die Rolle dieser Stoffe würde dann allerdings eine ganz andere sein, als man bisher an- genommen hat, der vikariierende Ersatz von Kleie durch Bier, Fleisch, Käse würde eine allerdings einfache Erklärung finden. Auch in dieser Hinsicht bleibt die Frage offen. Jedenfalls sind wir heute nicht in der Lage, aus der Vitaminlehre heraus bestimmte Schluß- folgerungen für eine anderweitige Herstellung unserer Brote zu ziehen. Ebensowenig läßt sich irgend ein Grund angeben für die Wahl zwischen Roggen und Weizen aus gesundheitlichen Gründen, eher läßt sich, was Ausnützung und Nahrungsstoffgehalt, Backfähigkeit usw. anlangt, vieles "zugunsten des Weizens sagen. Wie sehr hier die Gewohnheit entscheidet, sehen wir bei den Kriegsgefangenen, die ihr heimatliches Brot zu erhalten trachten. Aus der Vitaminlehre kann man nicht einmal die Notwendigkeit 1 Uhlmann, Zeitschr. f. Biol. Bd. LXVIIL. S. 425. 346 Mıx RUBNER: | eines Einheitsbrotes ableiten, es würde ihr vollkommen entsprechen, wenn man, wie das ja tatsächlich geschieht, feines Mehl zu kleinen Gebäcken und Mehlspeisen verwendet und der Rest zu Brot verbacken wird, denn es würde vollkommen einwandfrei sein, die Kleie auf einzelne Mahlprodukte zu verteilen, vorausgesetzt, daß alle Produkte der Ausmahlung von den einzelnen aufgezehrt werden. So entscheidend nach mancher Richtung der Zellmembrangehalt für das ganze Verhalten der Brotarten ist, so läßt sich vorläufig noch nicht bestimmt sagen, ob man Vollkornbrot nach Maßgabe des Zellmembrangehaltes definieren könnte. Bisher ist das mir zur Ver- fügung stehende Material nicht ergiebig genug, um den Einfluß der natür- lichen Schwankung des Rogsgens an Zellmembran auf die Ausmahlungs- produkte bestimmen zu können. Meine Werte weisen darauf hin, daß wohl rund 9 Prozent Zellmembran sich finden können. Was darunter lag, gehört nicht zum Begriff Vollkorn. Meine Werte für den Zellmembrangehalt der Brote sind nie so hoch, wie sie vielleicht erwartet werden konnten. Wenn man die Zahlen über den Zellmembrangehalt der einzelnen Brotsorten und die Zellmembran aus ganzem Korn! betrachtet, so sind die Werte viel geringer als die Angaben über die Schalenmenge nach Fleurent u.a. 14 bis 16 Prozent „Schalen“ werden bei exakter Analyse nie erhalten. Dies hängt natürlich damit zusammen, daß die älteren Angaben sich nur auf möglichst auf mecha- nischem Wege gesäuberte Kleieanteile beziehen, diese aber noch immer eine erhebliche Menge von Asche, Stärke und Eiweiß einschließen. Demgemäß ist auch die Ausbeute an verdaulichem Material von Roggen in meinen Versuchen viel größer, als man auf Grund der älteren Annahmen von Fleurent hätte erwarten sollen; die vermehrte Ausbeute hat aber, wie noch auseinanderzusetzen sein wird, ihre gewissen Übelstände und Nachteile. Immerhin wurde schon früher von mühletechnischen Seiten anerkannt, daß man allenfalls die übliche Ausmahlung überschreiten könne. Die übliche Ausbeute bei Weizen pflegt 75 Prozent, die des Roggens 65 Prozent des verwendeten Kornes zu sein; bei Weizen folgen bei weiterer Ausmahlung noch 6 bis 12 Prozent eines dunklen Mehles (Nachmehl), von dem an- genommen wird, es könnte helfen, die Ausbeute an Mehl noch erhöhen.? Aus meinen Ergebnissen, welche zeigen, daß gereinigtes und geschältes Korn weitgehender Ausmahlung besser sein kann als Mehl bei anderweitiger geringerer Ausmahlung, scheint hervorzugehen, daß die Schälung, besonders 1 Dies Archiv. 1915. Physiol. Abtlg. S. 130. 2 Vgl. bei Maurizio, a.a. O. S. 157. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 347 mit Wiederverwendung des Keimlings, eine bessere Scheidung zwischen Kleie und Mehl gibt und die leichter verdaulichen Materialien vollkommen von den schwer und halbverdaulichen scheidet. Es liest aber die Gefahr nahe, daß die Kleberschieht erheblich verletzt wird. Meine Versuche können nicht beanspruchen, in einer solchen mühlentechnischen Frage entscheidend zu sein, jedenfalls aber sollten die hier gegebenen Gesichts- punkte einer geeigneten weiteren Prüfung unterzogen werden. Es gibt eine Not an Nahrungsmitteln, die gebieterisch die höchste Ausbeute an verdaulichen Nahrungsstoffen erfordert; die erste und wichtigste Maßregel in Notzuständen ist vom ernährungsphysiologischen Standpunkt die Deckung der Kalorienbedürfnisse, also die Hilfe in der srößten Ausnützung der Nahrung. Erst in zweiter Linie steht die Befriedigung des Eiweißbedürfnisses. Ich habe auf diese Notgesetze in diesen Kriegszeiten oft hingewiesen, ohne richtig verstanden worden zu sein. Es wird später Gelegenheit sein, diese Richtlinien ernährungsphysio- logisch zu begründen. Sie als allgemeine Grundsätze der Volksernährung hinzustellen, wäre aber ein’ grober Irrtum, was vorübergehend zu ı billigen ist, kann recht wohl auf die Dauer unerlaubt sein. So wird auch der Gedanke des Einheitsbrotes aus maximalster Aus- mahlung usw. wieder von der Bildfläche verschwinden. Das Einheits- brot ist aber bekanntlich eine Brotform, die allgemein gar nicht zur Anwendung kommen kann, weil seine Wirkungen auf die Menschen viel- fach so nachteilig sind, daß auch jetzt noch nebenbei Brot von geringerer Ausmahlung bereitgestellt werden muß, weil ohne diese Hilfe sehr bedenk- liche Folgen gesundheitlicher Art sich ergeben. Dies wird noch auffälliger, wenn das Einheitsbrot den höchsten Aus- . mahlungsgrad besitzt, wie es jetzt der Fall ist; wir wissen aus der Kriegs- zeit, daß das Bedürfnis nach Vollkornbrot in der Bevölkerung sehr gering war. Der Verbrauch für die Befriedigung solcher Sonderwünsche hat, wie mir berichtet wird, etwa 1000 Tonnen Getreide pro Monat nur wenig “ überschritten. Das sind also, wenn die Angabe richtig ist, verschwindende Mengen im Verhältnis zur Gesamternährung. Es ist daher der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung unter neue Ernährungs- oder Verdauungs- bedingungen gestellt “worden, um mit den Kornmengen auszukommen. Man ist auf Kosten der Verdaulichkeit zu einer Gleicherhaltung der Brot- menge übergegangen, also unter Einbuße von Nährwert. Der Gesichts- punkt Vermehrung der Nahrung ist also nur beschränkt bei diesen Kriegs- maßnahmen anzuerkennen. Vom reinen Quantitätsstandpunkt und der Deckung der Kalorienbedürfnisse kann man sich nicht in allen Fragen ausschließlich leiten lassen. Auch für die Ausmahlungsfrage können noch 348 MAx RUBNER: andere Gesichtspunkte zu ihrer Beurteilung herangezogen werden. Wenn man in Notzuständen auch sagen muß, Vermehrung der verdaulichen Nahrung ist das erste Ziel, so ist doch, wir wissen das recht wohl, dieser Satz nur bedingt richtig, denn die allgemeine oder Volksernährung ist ebensowenig wie die Individualernährung ein reines ausschließliches Stoff- wechselproblem. Mit einer gesunden Nahrung muß zwar das Stoffwechsel- problem gelöst sein, aber die Ernährung muß stets ihre diätetischen Auf- saben lösen durch Gewinnung von verschiedenen Nahrungsmitteln und ihrer richtigen Darbietung. Wenn es auch möglich ist, viele Nahrungs- mittel durch andere zu ersetzen, wenn man auch im Notfall dazu greifen wird, so ist doch der Ausfall bestimmter Nahrungsmittel keineswegs so ohne jede Rückwirkung auf die allgemeine Gesundheit. Es lassen sich z.B. auf die Dauer nicht die fetthaltigen Nahrungsmittel ganz durch stärkereiche ersetzen, ohne zu Mißständen, Störungen und Schäden zu führen. Und ebenso kann die Erwägung Platz greifen, ob es nicht not- wendig ist, entgegen dem allgemeinen Sparprinzip, doch beschränkte An- teile menschlicher Nahrung der Tierzucht zu überweisen, um dadurch eine Umwertung der Produkte, wenn auch mit Verlusten, zu erzielen. Diese Umwertung wird zwar als ein unerlaubter Verlust angesehen und als ein Luxus; als allgemeines Prinzip, die Umwertung pflanzlicher menschlicher Nahrung in Tierprodukte zuzugestehen, habe ich dies Vor- sehen stets bestritten, doch lassen sich Tatsachen anführen, welche wenigstens in beschränktem Maße gelegentlich eine Lockerung des Prinzips richtig erscheinen lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Milchproduktion. In der Bevölkerung gibt es zahlreiche Individuen, die unter dem Verzicht eines Nahrungsmittels, wie die Milch z. B., leiden und bei Deckung der Nahrung auf anderem Wege Schaden nehmen. Unter diesem Gesichts- punkt kann die Abgabe eines Teiles menschlicher Nahrung zur Milch- produktion gerechtfertigt sein. Solch ein Fall liegt bei der Verwendungs- möglichkeit der Kleie vor, welche, als Kraftiutter anderem Futter zu- gesetzt, in der Lage ist, erhöhte Beträge an Milch zu liefern. “Hierbei kann sogar unter Umständen das ökonomische Prinzip gewahrt bleiben, falls z. B. das Einheitsbrot nicht nutzbringend, d.h. genügend verdaut, verwertet wird, während die Abgabe der Kleie die Milchproduktion erhöht und resorbierbarere Werte liefert. Der kriegswirtschaftliche Begriff formt sich hier zur gesundheitlichen Notwendigkeit um. Die tatsächliche Lage der Versorgung mit Brotgetreide antontlent aber nicht einmal eine so minutiöse Auswertung der letzten Kalorien für die menschliche Ernährung, denn es ist erwiesen, daß in allen Jahren des Krieges niemals das Getreide für den Menschen so weit zur Ernährung UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 349 herangezogen worden ist, wie es den Ernten gemäß möglich war. Gerade das Vollkorneinheitsbrot hat mit der Sperre aller Kleie für die Landwirt- schaft notgedrungen der Verfütterung des Kornes Vorschub geleistet, also Nahrung dem Menschen entzogen. Der Landwirtschaft würde durch Lieferung von Kleie das entsprechende Äquivalent von Korn entbehrlich sein, den Menschen aber würde ein besser assimilierbares, und immer- hin keineswegs überverfeinertes Mehl zur Verfügung gestellt werden können. Die übertriebene Einengung des menschlichen Getreidekonsums hat zur Verschlechterung des Brotes, so auch zu einer Reduktion der resorbier- baren Nahrung geführt; ein zielbewußtes Vorgehen mußte eine zweck- mäßige Scheidung der Produkte für Mensch und Tier zu erreichen in der Lage sein. Neben der Quantitätsfrage kommen aber noch andere wichtige Gesichtspunkte in Betracht. Über die Wohlbekömmlichkeit sind die Meinungen der Konsumenten selbstredend sehr verschieden. Es fragt sich aber, ob man unter diesen ‚Worten nicht einige faßbare Eigenschaften finden kann. Wohlbekömm- lichkeit ist ein Begriff, der, namentlich aus der Laiensprache entlehnt, allen möglichen Vorstellungen über Wert und Unwert des Brotes sich anpassen kann. Näher umschrieben, bedeutet das wohl auch gesundheits- mehrend, d.h. er betrifft, angewandt auf das Brot, das ganze Füllhorn besonderer Eigenschaften, die in der halbpopulären Literatur dem Brote zugeschrieben sind. Beschränkt man sich auf die im Laufe der Verdauung vorkommenden Erscheinungen, so mag der Ausdruck als gleichbedeutend mit Ertragbarkeit gebraucht werden. Unter dieser Voraussetzung kann man sagen, daß bei ausschließlicher Broternährung mit der Zunahme der Kleie im Brot das fälschlich als Sättigung bezeichnete Gefühl . zunimmt, von dem schon erwähnt wurde, daß es mit steigendem Reich- tum an Zellmembranen bis zu Magenbeschwerden und Störungen sich steigern kann. Objektiv feststellbar ist weiter die Zunahme der Gasbildung; daß erhöhte Gasbildung zu der Steigerung der Wohlbekömmlichkeit zu rechnen wäre, hat man bis jetzt noch nicht allgemein anerkannt und wird es auch nicht anerkennen. Die dritte objektiv feststellbare Veränderung bei dem Einheitsbrot ist die starke Zunahme der Kotmasse, die den durchschnittlichen Bedarf einer täglich mehrmaligen Defäkation erforderlich zu machen pflegt. Auch diese Erscheinung kann nicht als Wohlbekömmlichkeit oder deren Steige- rung bezeichnet werden. 350 Max RUBNER: Bei der allgemein üblichen Ernährung des Volkes kann man sagen, daß namentlich die Beschaffenheit des Brotes, d. h. sein Kleiegehalt, zum ausschlaggebenden Faktor der Kotbildung wird, wenn man von den Ausnahmefällen der Aufnahme der Hülsenfrüchte oder des Obstes mit Kern und Schalen einmal absieht. Auch bei der relativ kleinen Brotmenge der Kriegszeit ist dieser Einfluß auf die Kotentleerung sehr bemerkbar und steigert sich bei den Brotzulagen noch mehr. Für den menschlichen Darm sind die Gemenge von Mehl und Kleie, wie sie jetzt verzehrt werden, über das Maß des üblichen Füllungsraumes des Darmes hinausgehend und dadurch also belästigend und unbequem, besonders für den Städter, der im üblichen Leben diese Funktionen einzuschränken wünscht. Die vierte Veränderung betrifft endlich die starke Eindiekung des Kotes, welche die. Kotentleerung schwieriger machen und die Kraft der Bauchpresse mehr zu beanspruchen in der Lage ist. Es hängt das mit der außerordentlich großen Anreicherung des Kotes mit Zellmembran zusammen, die bis zu 35 bis 38 Prozent der Trockensubstanz der ganzen Kotmasse nach meinen Analysen ausmachen kann. Von einer Akkommodation und Änderung der Bekömmlichkeit mit, der Dauer der Brotkostperiode habe ich nichts nachweisen können, auch ist von anderer Seite ein solcher Beweis weder erbracht noch einwandfrei konstatiert worden. Auch R. OÖ. Neumann hat bei seinen langdauernden Versuchen derartiges nicht beobachtet. Die Verarbeitung des Kornes in der Mühle muß auch vom Stand- punkt der Herstellung eines schmackhaften Brotes betrachtet werden. Eine solche Herstellung gelingt nicht in allen Fällen der Vermahlune, im besonderen ist der Verbleib des Unrates und Schmutzes im engeren Sinne nachteilig für den Genußwert des Brotes. Beim Kauen macht sich die. Beimengung relativ geringer Mengen von Schmutz bemerkbar. Der Wohl- geschmack ist für die Befriedigung des Appetits von Bedeutung und für die Zufriedenheit, die auch ein einfaches Mahl bieten kann. Der Geschmackswert, auf den von der Zentralstelle der Getreide- versorgung gar kein Wert gelegt wird, muß für jede hygienische Bewertung wohl beachtet werden; für die Gesundheitslehre kann auf diese wichtigsten Zusammenhänge für die Zukunft kein anderer Maßstab wie bisher an- gelegt werden. Verringerung des Geschmackswertes ist eine Unkultur, die auch vom Standpunkt des allgemeinen Ernährungswesens zu bekämpfen ist. Sie nötigt zu dem bedauerlichen Gebrauch von Aufstrichmitteln für Brot und zu dem Zurückdrängen des einfachen Brotgenusses überhaupt. Durch die schlechte Beschaffenheit des Kriegsbrotes hat sich der Gebrauch der Marmelade über ganz Deutschland ausgebreitet, der Kriegsaufstrich » mrsgr. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 351 wird später höchstwahrscheinlich .durch Fett ersetzt, ein Vorgang, der nicht als günstige Entwicklung der Volksernährung betrachtet werden kann. Ich habe schon vor dem Krieg auf das Unzweckmäßige hingewiesen, das in der Verstärkung der Zwischenmahlzeiten zuungunsten der Haupt- mahlzeit liegt. Der Geschmack des Brotes kann sehr leicht durch die Zubereitung und Zusätze gestört und werschlechtert werden. Wenn man Roggenbrote, aus Mehl verschiedener Ausmahlung hergestellt, betrachtet, so geben sie Brot von ganz verschiedenem Geschmack. Am würzigsten schien mir bei Roggen stets eine Ausmahlung bis etwa 80 Prozent, während die geringere von z. B. 65 Prozent zwar viel weißeres, aber zweifellos nicht so wohlschmeckendes Brot liefert. Zusätze anderer Sub- stanzen ändern leicht den Geschmack, besonders auffallend war diese Ver- schlechterung des Geschmackes bei Zusatz von gepulverten Spelzen und aufgeschlossenem Stroh. Auch die Finklerkleie vermindert den Wohl- geschmack. Sehr günstig stellte sich das Klopferbrot. Wahrscheinlich verdankt es gerade diesen Eigenschaften seinen erheblichen Kundenkreis. Das’ Kriegsbrot entbehrt dieser Vorzüge. Auf die Backweise hier ein- zugehen, ist nicht beabsichtigt. Die Brotirage ist aber kein Reservat für den Roggen, weder aus Gründen besonderer Vorzüge dieser Frucht, noch auch mit Rücksicht auf die Erträge der Landwirtschaft an Weizen. Der letztere wird daher ebenso- gut seine Berücksichtigung finden müssen. Wenn man die Verhältnisse nicht mit einer unberechtigten Voreingenommenheit betrachten will, so wird man erwarten müssen, daß man im Frieden bei freier Brotversorgung wieder zur alten Backweise, d.h. zur Differenzierung des Gebäckes, kommen wird, ob in dem gleichen Maße wie früher, das mag der Zukunft vorbehalten bleiben. Diese Sitte hat bei steigendem Wohlstand auch der Arbeiterklasse dahin geführt, daß in diesen Kreisen der Verbrauch von Kleinbrot sich ganz besonders und über Gebühr eingebürgert hat. Als man noch glaubte, durch Predigen von Vernunft gegen den übermäßigen Konsum von Weißbrot ankämpfen zu können, ist man gerade in diesen Kreisen der sogenannten Minderbemittelten auf den größten Widerstand gestoßen. Im übrigen hatte die Differenzierung des Brotes auch seine soziale Seite. Bei der Teilung der Ausmahlung in feine Luxusbrote und in das Schwarzbrot war der Preis des ersteren sehr hoch, so daß bei dem Schwarzbrot auf Kosten des Weißbrotes eine Verbillisung eintreten Konnte. . Diese Selbstbesteuerung der Konsumenten fällt zweifellos für die wirklich Minderbemittelten wohl ins Gewicht. Ob wir uns auf die einheimische Produktion mit überwiegend Roggen beschränken werden oder die Handelsbedürfnisse sich anders gestalten, steht hier nicht zur Besprechung. 352 MAx RUBNER: Keinesfalls sollte man aber vergessen, daß die stark ausgemahlenen Mehle an sich und der Roggen im besonderen zurzeit eine wichtige Ernährungs- weise unterbinden, die Herstellung der Mehlspeisen und Teigwaren u. dgl., und daß es durchaus unerwünscht wäre, die Ergänzung unserer Kost in dieser Hinsicht hemmen und unterbinden zu wollen. Wenn auch durch die vorstehenden Untersuchungen über das Rosgen- brot die Ausnützungsirage jetzt auf eine bessere Basis gestellt und das angeblich verschiedene Verhalten des Brotes verschiedener Herstellung geklärt worden ist, so möchte ich doch die Beziehungen zwischen Roggen und Weizen nicht ganz außer acht lassen, weil diese Seite des Problems gerade für die Volksernährung und speziell für die Ernährung auf dem Lande in vielen Teilen Deutschlands von großer Bedeutung ist. Außer- dem habe ich auf meine übrigen hierher gehörigen, auch älteren Versuche vergleichsweise einzugehen. Ich habe dann später auch nach Möglichkeit die Versuche anderer Autoren, soweit sie noch keine Berücksichtigung haben finden können, nach geeigneter Kritik und Umformung zum Ver- gleich herangezogen. In nachfolgender Tabelle 8.109 habe ich zunächst die Resultate meiner Untersuchungen über Weizen- und Roggenmehl verschiedener Ausmahlung zusammengestellt und zu den neuen Ergebnissen auch noch meine früheren gefügt. Die Aufrechnung der älteren Versuche nach Kalorien fußt auf meiner Beobachtung, daß die Verbrennungswärme der organischen Substanz der Brotarten außerordentlich nahe übereinstimmend war und daß auch für die organische Substanz des Kotes sich aus meinen so zahlreichen direkten Bestimmungen der Verbrennungswärme Mittelwerte einführen lassen, welche einen durchaus zureichenden Grad der Genauigkeit besitzen. So- weit bekannt, habe ich die Ausmahlung und in den meisten Fällen den Zellmembrangehalt angeführt. Einige Versuche, die vollkommen mit auf- geführten Beispielen übereinstimmen, habe ich beiseite gelassen. Die Tabelle ergänzt sich durch die Weizenversuche und einen Versuch über Gerste. | Das Gesamtresultat läßt ersehen, daß der Prozentverlust an Kalorien bei Weizen- und Roggenbrot, vorausgesetzt daß der Zellmembrangehalt ‚des Brotes 8-75 Prozent nicht übersteigt, höchstenfalls 15 bis 16 Prozent erreicht; bei Roggenbrot war bei der geringsten Ausmahlung, das heißt 65 Prozent, wie sie gewöhnlich geschieht, der Verlust 9-8 Prozent, noch feineres Roggenmehl habe ich nicht erhalten können. Die Mehrung des Verlustes wird man zunächst in dem Bestandteil des Mehles suchen Er E NE I Den UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 353 ‚alEr£| _ = ® a else a8 322 5, syals 23 en. 32 [E88 133 jasel 23 8528.38, |23 28 183 Ba ee a8 Be 5 ia dal,es ES [o) © = Sr en en, , © Ks As Weizen 95 — /12:20| — — 30-50) — = = ee ae a So oe ano Weizen .......| 80% | 5-09 |11-10) 7-30 | 4-80 | 21-10) 11-90 | 53-04 [29-31 | / 30: | 1-27 | 4-58| 2-78 | 1:72 |13-82| 6-51 |32-50|11-90 ee»... — 15:79 | 9-53| 3-78 | 5-75 |32-49 | 19-01 | 38-97 | 26-04 Born. .... OD re ee Se. Neal ee Growitt” 2.2... 95 | 8-75 \14-80| 7-50 | 7-30 |39-30|25-90|47-00 | 33-80 82 |(6-69 |13-80) 7-10 | 6:70 \40-30| 21-10 |55-70 | 31-80 Roggen mit 10%, Mais | 94 6-46 |15-00| 5-75 | 9-35 | 39-68 | 20-99 | 57-10 | 30-75 94 16-51 |15-85| 6-10 | 9-75 |37-05 | 21-48 | 73-31 | 34-79 Klopfer .......| 94 16-23 |14-41| 6-13 | 8-28 37-87 |20-65 |59-31 | 30-49 Mittel . . 6-58 | 14-56 | 6:27 | 8-52 |38-72 | 21-05 | 63-85 | 31-96 758 | 4-54 |11-35| 5-37 | 5-98 |30-52| 17-74 |67-43 | 30-74 65° | 3-14 | 9-80] 5-68 | 4-12 |37-80| 19-50 148-10| 19-62 müssen, der der am schwersten verdauliche ist in der Zellmembran, zumal er sich als Bestandteil in solchen Mengen im Mehle befindet, daß er die Steigerung der Verluste etwa decken könnte. Aber das Unverdaute ist mit zunehmendem Zellmembrangehalt nicht dem ersteren direkt ent- sprechend gewachsen, weil die Zellmembran ja doch bis etwas mehr als zu einem Drittel verdaulich ist, andererseits aber kann ja nur das Gemenge der Zellmembran an sich die Ursache für die Mehrung des Stoffwechsel- produktes sein. Nur steigt der Verlust an Stoffwechselprodukten über- haupt, weil ja jede Nahrung, auch die zellmembranfreie, solche liefert, nieht proportional der Zellmembran, sondern in abnehmenden Verhält- nissen. 1 Ältere Versuche vgl. Zeitschr. f. Biol. Bd. XIX. 8. 48. ®2 Damit stimmen auch die anderweitigen Versuche mit Weizenmehl vom Jahre 1877 überein. . 3 Versuch mit Karamehl vgl. dies Archiv. 1916. Physiol. Abtlg. S. 61. * Versuche mit feinem Weizenmehl vgl. ebenda. ' 5 Ebenda. 1916. S. 329. 6 Wicke, Arch. j. Hyg. 1890. S. 335. 2222028, 1916. 8.170. 88.0. 8.29. 9 Ebenda. 1916. S. 180. Archivf.A.u.Ph. 1917. Physiol, Abtig. 93 N 354 MAx RuBNER: Der Zellmembranverlust ist relativ gering bei geringerer Ausmahlung © des, Mehles, sofern die Zellmembran des Mehlkernes überwiegt, und wird größer mit der Zunahme an Kleie aus der’ Frucht- und Damenschale, Dem Verständnis der Wirkung des zunehmenden Gehaltes an Zell- membran, d.h. höherer Ausmahlung, wird folgende Darstellung noch _ E näherkommen. Ich habe für die verschiedenen hier in Frage kommenden 4 Versuche berechnet, wieviel von 100g Trockensubstanz der Zufuhr in absoluten Zahlen zu Verlust geht, wobei 4 Versuchsreihen bei Roggen, die sehr nahe im Zellmembrangehalt übereinstimmen, zusammengelest worden sind. Berechnet für 100g Trockensubstanz: Einnahme: N Kalorien | Stärke Zell- Asche a 1.03 Au 0-85 1-55 418-4 75-7 4-54 2-05 1.632, 027.0 0 se 1.56: =] aissa | ae 7875772 Ausgabe: Kot Stoft- Stoff- | Kalorien } Zell Trocken- N wechsel- | wechsel- ins- Stärke Asche in substanz produkte | kalorien | gesamt menDien 7-6 0-389 | 0-238 | 25-80 | 38-71 | 1-100 | 0.439 | 1-51 10-0 0-472 | 0-197 | 21-30 | 47-47 | 0:938 | 0:720 | 3-06. 12-6 0:625 | 0-280 | 26:76 | 63-01 | 1-350 | 0-890 | 3-94 12:1 | 0-547 | 0.198 | 30-93 | 61-03 | 1-030 | 0.884 | 4-1, Gewisse Ungleichheiten sind natürlich nicht auszuscheiden, weil die Versuche zum Teil an verschiedenen Personen, an Material verschiedener Herkunft und auch in einem Falle (Brot mit 8-75 Prozent Zellmemhran, Growittbrot) bei feuchter Vermahlung gewonnen sind., In jedem Falle sind aber mindestens zwei Reihen von einer Woche Dauer an zwei Personen. 1 Mittel aus folgenden Versuchen: 1-61|432-3| 84-2 | 6-69 | 2-08 | 11-6 | 0-628 | 0-273 | 30-27 | 59-72] 1-10|1:000 1-59/424-8| 73-4 | 6-46 | 2-10 | 13-1 | 0-630 | 0-307 | 25-01 | 63:72 | 1-87 | 0-954 1-65 1426-3 | 71-1 | 6-51 | 2-60 | 13-7 |0-610 | 0-255 | 25-61 | 67-56 | 1-51 0-689 1-67 |424-2| 71-7 | 6:23 | 2-81 | 11-9 |0-632| 0:-285 |26-18 | 61-05 | 0-94 | 0-918 UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 355 zugrunde gelegt. Die einzelnen Ergebnisse mögen für sich erörtert werden. Die Zunahme. des Trockenkotes und der Kalorien des Kotes mit zu- nehmendem Kleiegehalt ist nach allem, was darüber schon anderweitig gesagt wurde, selbstverständlich. Nur ist bemerkenswert, daß die feuchte Vermahlung eine weitere Steigerung gegenüber Brot mit 6-47 Prozent. Zellmembran nicht erkennen läßt. Ähnlich verhält es sich mit der N-Ausscheidung. Auch hier ist die feuchte Vermahlung deutlich etwas "günstiger als die trockene Vermahlung in den anderen Versuchen; die Hauptursache liegt, wie Stab 3 der Ausgabe zeigt, darin, daß der Anteil des Stoffwechsel-N bei feuchter Vermahlung gering ist. Die Stoffwechsel- kalorien zeigen einige Schwankungen, doch ist unverkennbar eine Zunahme mit dem Anwachsen der Kleie und zwar auch bei dem nassen Mahlverfahren vorhanden. Zu dem gleichen Resultat kommt man, wenn von dem Ver- lust an Gesamtkalorien nur der Kalorienwert der Zellmembran abgezogen wird. Man erhält dann in derselben Reihenfolge, wie die Tabelle geordnet: 32-54 Kalorien 34-65 In 46-86 .E 44.20 22 Auch hier bei der feuchten Vermahlung trotz hohen Zellmembrangehaltes keine weitere Steigerung, demnach kann man annehmen, daß die Zer- quetschung der Zellmasse durch die feuchte Vermahlung einen geringeren Einfluß auf den Darm ausgeübt hat als die übrigen Arten der trockenen Vermahlung, sei es mit oder ohne Schälung. Dagegen ist, wie aus der Tabelle S. 353 hervorgeht, keineswegs anzunehmen, daß das Protein selbst erheblich besser verdaut wird. Die Zellmembran des Roggens, der bei Growittbrot Verwendung fand, war bei trockener Vermahlung von anderem Roggen nicht verschieden, auch nicht der Stoliwechsel-N!; die bessere Lösung der Zellmembran ist also nicht in Anschlag zu bringen, auch nicht sroß genug; dagegen scheint mehr ein mechanisches Moment wirksam, das in der Art des Zerreibens der feuchten Masse zwischen den Walzen seiunden werden könnte. Bei dem hohen Gehalt an Stärkemehl — 76 bis 84 Prozent der Brot- art — würde bei einer Störung der Resorption durch die Zellmembran die Verdaulichkeit der Stärke am ehesten diese zum Ausdruck bringen, wie man aber auch aus der Tabelle S. 354 sieht, ist die Verdaulichkeit der Stärke in allen Fällen fast genau dieselbe. Daraus folgt also, daß 1 Dies Archiv. 1916. Physiol. Abtle. S. 193. - 356 MıAx RUBNER: innerhalb des Rahmens der angewandten Ausmahlung, welche bis etwa 95 bis 96 Prozent nach üblicher Ausdrucksweise ging, ein Einfluß auf die Störung der Stärkeverdauung nicht ausgeübt, also die mit der erhöhten Ausmahlung dem Mehl zufließende Stärke vollkommen tadellos verdaut wird. Daraus muß auch geschlossen werden, daß die feinen Zellwände des Endosperms bei der Zermahlung entweder ganz zerrissen werden oder überhaupt leicht auflöslich sind; das letztere glaube ich durch meine Versuche bereits früher erwiesen zu haben. Als Nachteil der starken Ausmahlung innerhalb der gegebenen Grenzen bleibt also, abgesehen von den Momenten, die bei der Bekömmlichkeit schon erwähnt worden sind, die zunehmende Erschwerung der Eiweiß- resorption durch das relative Überwiegen des N, der in den Kleberzellen gebunden ist. Von diesem Zellinhalt hat auch die Modifikation der feuchten Vermahlung, wie schon gesagt, keinen größeren Anteil zur Resorption bringen können. Der Vollständigkeit halber mag noch der Ascheverlust erwähnt sein. Mit der geringen Ausmahlung steigt der Aschegehalt der Mehle, das prägt sich in den Zahlen der Tabelle S. 354 nicht weiter aus, weil im Brote ja auch noch Kochsalz vorhanden ist. Aus den Aus- scheidungen aber sieht man deutlich, daß mit Zunahme der Zellmembran auch der Ascheverlust erheblich zunimmt. Nur in der höchsten Stufe des Zellmembrangehaltes wächst die Aschemenge nicht weiter, weil offen- bar auch das Brot selbst ascheärmer gewesen ist. Zu einer allgemeinen Formulierung des Verlustes bei der Verdauung zellmembranhaltiger Brotnahrung geben die vorliegenden Werte noch keine Unterlagen. Dazu bewegen sich die Versuche noch in zu engen Grenzen der Variation der Zellmembran, und die zufälligen Momente, welche auf die Resultate einwirken, sind noch zu mächtig. Es wäre sehr erwünscht im Interesse einer allgemeinen Formulierung, die Verluste mit Bezug auf den Gehalt an Zellmembran einerseits mit Brot geringen Zellmembrangehaltes und andererseits mit: Brot weit höheren Kleiegehaltes durchzuführen. Da Roggen sehr geringer Ausmahlung, also etwa 30 Prozent, nicht zu erhalten ist, glaube ich ergänzend die Versuche mit Weizen von 30 Prozent Ausmahlung verwenden zu sollen. Als Versuch für Mehle hohen Kleiegehaltes können nur die Kleiemehle herangezogen werden. Diese Mehle sind aber nicht für sich verbacken, sondern in ihrer Wirkung nur aus der Differenz zweier Versuche errechnet worden. Das bedinst insofern einen Fehler, als die von der Nahrung unabhängigen Stoffwechsel- anteile hier keine Berücksichtigung für die Kleie finden, man kann aber bei den an sich sehr großen Verlusten solcher Mehle darüber hinweg- UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 357 sehen. Zum Vergleich für das Extrem sehr starken Zellmembrangehaltes kann am besten der Versuch mit Finklerbrot gewählt werden, wenn auch dabei zu .bedenken ist, daß die vorbehandelte Kleie etwas günstigere Resultate zeigte, namentlich bezüglich der N-Verwertung, wie die in den anderen Broten. Ich stelle nachfolgend diese ergänzenden Versuche zu- sammen. W. ist der Versuch mit Weizenmehl, R. jener mit Kleie aus Finklerbrot berechnet. Für 100 & Trockensubstanz ist zu berechnen: Einnahme: a N | Kalorien | Stärke Zelle | Asche | membran | 1:33 | 423-8 | 74-8 1-26 2-30 Sa as | 4s,| >00|. 66 Ausgabe: -58 = De | us = E 2. Zleen Zi SS EDE co = 5 on Anzahl von UNTERSUCHUNGEN ÜBER V OLLKORNBROTE. 365 Versuchspersonen Experimente ausführen könnte. Das wird in wichtigen Fällen angestrebt werden müssen. Ich ordne die Versuche von Plagge und Lebbin nachstehend in zwei Tabellen. Geschälter Roggen. &0 les es Autor Se 8 mo Sa 5 ma Se Bemerkung 35 ze N88l=:| 5 [SEE ES \ one RZ E Ess = BER a Bubner.. . =. | fein 94 6-51 |15-85 |37-05 73-31 | 34-79 Blaese . . . . || grob 93 — 15-58 |)51-830| — — Rubner. . . . fein 94 8-75 | 14-80 |39-30 | 47:00 | 33-80 | Growittbrot er Mur vake, Ivtein 94 6-23 |14-41 37-87 | 59-30 | 30-49 | Klopferbrot Plagse u.L.. . \ fen | 89 | — |12-78/)29.600| — SE | ee larop | 85,1, = 7112-36 37591 | — a near | 111.52 |35.70| > = Ungeschälter Roggen. =" 3 I eevee lu = 7Zl 5 — er Autor le aes|l 55H 5 SE °sE Bemerkung Se le end ee en | S=5| Wicke .. 2 oo laesst Plagge u. 1 _ 100 — 1|25-31 50-30 — — Gelinkbrot i — 84 — 15-28 | 39-30 — = en fein 94 6-89 !15-00 | 39-68 | 57-10 | 30-75 Piagge u. B) grob | 85 — /14-80)40.94| — _ Rubner . ‚fein 82 6:96 | 13-80 |40-30 | 55-70 | 31-80 S fein 15 4-54 |11-35 1130-52 | 67-43 | 30-74 | fein | 65 | 3-14 | 9-80|37-80| 48-10 | 19-62 | 9 Die eine enthält die Versuche über geschälten, die andere Versuche über ungeschälten Roggen. Für einen Vergleich kann man sich nur an die Angaben über die Ausmahlungsprozente halten, was nach meinen oben gemachten Mitteilungen mit einiger Vorsicht aufzunehmen ist. Die Ver- suche sind absteigend nach dem Kalorienverlust geordnet. Bei Betrachtung.der Gruppe der Brote aus geschältem Roggen sieht man, daß die Versuche von Plagge und Lebbin recht weitgehend mit meinen Ergebnissen übereinstimmen. In der ganzen Gruppe findet sich kein Versuch, der über einen Verlust von 15-85 Prozent der Kalorien hinausgeht. Die Unterschiede der Ausnützung sind, praktisch betrachtet, für die Ausmahlung von 94 Prozent verschwindend klein. Die grobe Ver- mahlung, welche Plagge und Lebbin in einzelnen Versuchen absichtlich 366 Max Rußner: angewandt haben, hat nicht den sroßen Einfluß, den man ihr vielleicht a priori zuschreiben möchte, aber sie hat doch Einfluß. In dem einen Fall zeigt der N-Verlust eine erhebliche Steigerung und ähnlich in dem ‘zweiten Fall, auch wesentlich für den N-Verlust, aber doch nicht sehr bedeutend. / In der zweiten Gruppe des Brotes aus ungeschältem Roggen finden sich die ungünstigsten Ausnützungszahlen bei einem Versuch von Wicke, der in meinem Laboratorium ausgeführt worden ist, und bei Plagges Untersuchung des Gelinkbrotes. Hier reicht die schlechte Ausnützung in das Gebiet hinein, indem durch die Kleiemasse auch sonst wertvolle Nährstoffe mit zu Verlust gehen; der. Kalorienverlust und der N-Verlust sind außerordentlich gesteigert. Somit darf’ man wohl sagen, daß das dekortizierte Brot die äußerste Grenze der guten oder befriedigenden Ausnützung ohne Schädigung der resorbierbaren Kohlehydrate bedeutet. Auch in dieser Gruppe kann die Art der Vermahlung, ob grob oder fein, nochmals auf ihre Wirkung untersucht werden. Der Unterschied ist wohl angedeutet, quantitativ aber ganz belanglos. Dem Grade der Zermahlung kann man also eine so ausschlaggebende Bedeutung, wie man vermuten möchte, nicht zubilligen, was mit Rücksicht auf das über das Fletscher- system oben schon Gesagte wohl zu beachten ist. Zurückgreifend auf die Generaltabelle S. 353, scheint es mir an- gemessen, noch etwas über Unterschiede in der Verdaulichkeit von Weizen und Roggen zu sagen. | Vom Roggen ist bekannt, daß er nicht in dem Maße zu Gebäcken verwertbar ist wie der Weizen. Es ist schwer verständlich, daß man dieser Erfahrungstatsache gegenüber glaubt, durch allgemein gehaltene Redens- arten dem Roggen einen Vorzug vor dem Weizen. zu verschaffen. Ich habe schon an anderer Stelle! 1915 darauf hingewiesen, daß die damals vorliegenden Versuche auf eine bessere Ausnützung des Weizens hinzu- deuten scheinen, die sich sowohl auf die Gesamtausnützung wie auch auf den Eiweißverlust bezieht. Damals standen aber noch keine Versuche zu Gebote, welche bei bekanntem Zellmembrangehalt der Brote angestellt waren. Nach der Tabelle S. 353 ergibt sich doch zweifellos auch hier das Resultat, daß unter vergleichbaren Verhältnissen das Weizenmehl gleichen Zellmembrangehaltes besser ausnützbar ist als das Roggenmehl. Der Hauptunterschied scheint in der Verwertbarkeit der Eiweißstoffe zu liegen. Ich stelle die vergleichbaren älteren und neuen Versuche nochmals sich gegenüber. | r EN O5, 8, 1% UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 367 Verlust an Kalorien an N Dekort. Weizenmehl (94 Prozent) . . 12-20 30-50 Dekort. Roggen (95 Prozent) . . . . 14:60 38:70 Weizen ‘(70 Prozent) 72 27. „un. 6-91 13:68 Aus den Versuchen Bossen. (79 Prozent) masse 33:75 von Plagge und = Lebbin berechnet Weizen (5-09 Prozent Zellmembran) . 11:10 21:10 Neue Roggen (4:54 Prozent Zellmembran) . 11-35 30-52 Versuche In der letzten Reihe werden zwar nicht Brote absolut gleichen Zell- "membrangehaltes verglichen, aber sie stehen sich doch nahe. Der Ver- gleich der Kalorien ergibt dieselben Werte. Trotzdem bleibt die Aus- nützbarkeit von N viel geringer als bei Weizen; es ist anzunehmen, daß bei gleichem Zellmembrangehalt auch die Gesamtausnützung sich un- günstiger gestellt hätte, wie es zwischen Weizen und Roggen in den anderen Fällen eingetreten ist. Eine genauere Untersuchung durch besonders auf diese Frage gerichteten Versuche scheint mir wünschenswert zu sein. In der großen Zahl meiner Untersuchungen wurde die Ausscheidung auch direkt auf Stärkemehl untersucht, sie bieten daher eine gute Über- sicht über die Verdaulichkeit dieses wichtigen Nährstoffes. Bei meinen älteren Versuchen hatte ich mangels geeigneter Untersuchungsmethoden die,Kohlehydrate im Kot in analoger Weise berechnet, wie dies bei den Nahrunesmitteln noch heute geschieht. Die Gesamtergebnisse haben im allgemeinen ein zutrefiendes Bild vorliegender Unterschiede in der Ver- daulichkeit der ‚‚Kohlehydrate‘“ (inklusive Zellmembran) wohl gegeben. Man kann aber heute Zellmembran und Stärke*jedes für. sich bestimmen und so exaktere Angaben machen. Von 100 Teilen Stärke sind: Nahrung Verloren Prozent Remes; Weizenbrot Zi ame An 0-34 ISarbotte li. JE NR Rene 9 SUR 0-53 Weizen (70 Prozent Ausmahlung) . ... . 0-70 Gerste (62-5 Prozent Ausmahlung) . . . . . 70 Kitiklerprot wa. 2. 12... 02 oe a Sr ope 93 Kriegsbrot 1917 (mit Kohlrüben) ..... 05 IKUopTerbroggm te Bea .ne le. 2727 ee 24 Mischmehl (Roggen, Mais, Kartoffeln) Roggen (65 Prozent Ausmahlung) .... . R mit, Kartotfel. 0.0. ta ne: En (82 Prozent Ausmahlung) . . .”. . 30 „> (95 55 ns Era 40 ». (a 5 N). 70 f „> (94 > hs RENTE 91 ee E RR 09 DB DH [HH © D&D [e>) EAN 55 5 ) u. Kartoffel 368 MaAx RuBneEr: Roggenbrot zeigt durchweg etwas weniger gute Stärkeverdauung als Weizen und Gerste. Die ungünstigste Kombination war gröberes Mehl und Kartoffelzusatz. Nach Konstantinidi! wird das Stärkemehl der Kartoffel mit 0-38 Prozent Verlust resorbiert. Im ganzen ist die Resorption der Stärke auch im Brote selbst hoher Ausmahlung vorzüglich. Anders liegt die Sache, wenn wirklich Schalen, z. B. der Hülsenfrüchte wie bei der Linse und Bohne mitverzehrt werden; die Verschlechterung nimmt dann gewaltig zu. Fälle dieser Art habe ich bei den Menschen nicht weiter untersucht. So bewegen sich die Resorptionszahlen der Stärke in sehr engen Grenzen. Interessant ist nur, daß niemals nach Stärkeaufnahme die Stärke im Kote ganz gefehlt hat. Die hier in Betracht gezogenen Brote waren sämtlich aus fein ver- mahlenem Mehl hergestellt, nicht etwa aus geschrotetem Mehl; sie sind auch sämtlich durch Gärung mit Hefe oder Sauerteig wohlgelockerte Gebäcke gewesen.: Andere Arten der Zubereitung hierbei noch in den Kreis der Unter- suchung zu ziehen, war unnötig, da es sich wesentlich um die Aufklärung handelt, ob die Vollkornbrote wirklich alle Teile des Kornes enthalten und inwieweit Abweichungen vorliegen. Diese Frage ist gelöst. Alle Varianten solcher Bestrebungen hier zu erörtern, kann unterbleiben, das mag den weiteren Prüfungen mit mehr technischen Zielen überlassen sein. Ein näheres Zusammenarbeiten zwischen Wissenschaft und Technik wäre auf diesem Gebiete allerdings für rein praktische Ziele von Bedeutung. In manchen Fällen kommen auch brotartige Gebäcke, die ziemlich wasserfrei oder hart sind, zur Verwendung; sie sind schon wegen der Kauschwierigkeiten nur einer beschränkten Zahl von Menschen zugängig. Auch das übermäßig altbackene Brot gehört hierher. | Es ist widersinnig — von dem Zwieback und ähnlichen Konserven abgesehen —, eine Speise so herzustellen, daß sie der Zerkleinerung maximalste Schwierigkeiten entgegensetzt, wie das Hindhede neuerdings versucht. Die Kochkunst geht im allgemeinen darauf aus, die Speisen so zuzubereiten, daß sie weicher werden, nicht aber daß sie möglichst hart sind. Auf dem Gebiete der vegetabilischen Nahrungsmittel wird allgemein dieser Grundsatz verfolet, und das ist zweifellos gut. Bei dem Fleisch müssen wir eine gewisse Härtung durch das Erhitzen mit in den Kauf nehmen, um die Extraktivstoffe zu spalten. Es liegt kein Grund vor, beim Brote anders zu verfahren; man pflegt auch keine Trocken- kartoffel zu kauen, obschon man dies ja auch einführen könnte. Starke 1 Zeitschr. f. Biol. Bd. XXIH. S. 449. UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 369 mehlartige Substanzen sehr wasserarm zu genießen, bringt denselben Nachteil, als wenn man rohe Stärke aufnehmen würde, das habe ich an anderer Stelle experimentell belegt, denn auch das beste Kauen würde diesen Mangel nicht wieder beseitigen können. Mag auch dieses Extrem der Austrocknung, das zur Hemmung der Quellung. wird, nur teilweise erreicht werden, so muß man doch damit rechnen, wenn eben der mittlere Trockenheitsgrad eine hohe Stufe erreicht hat. Wie wenis; vorteilhaft die Schrotung des Mehles für die Brotbereitung ist, geht auch aus einer Beobachtung Hindhedes hervor, die schon er- wähnt wurde (vgl. oben über Kleie). Er berechnet aus dem Vergleiche von Schrotbrot mit einem Brot aus demselben Mehl, von dem aber die sröberen Teile abgesiebt sind, den Grad der Verdaulichkeit der Kleie- anteile, welche. das Schrotbrot gewissermaßen gegenüber dem feineren Mehlanteil einschließt, wobei dieselbe Verdaulichkeit herauskommt wie bei Plagge und Lebbin, als diese aus reiner Kleie Brot backen ließen und es verzehrten. Die Ausnützung ist enorm verschlechtert für den Kleie- anteil und viel ungünstiger als in meinen Versuchen über finklanisierte Kleie. Ganz das gleiche Ergebnis hat man bei einem Vergleich zwischen Schrotbrot und Klopferbrot bei dem Versuch von Hindhede. Freilich nieht allein wegen der Schrotung, sondern wegen dieser und dem Über- maß an Zellmembran, das solche Brote einschließen. Zur Frage der so oft gehörten besseren Ascheversorgung des Körpers bei stärkerer Ausmahlung des Kornes habe ich schon in der Einleitung zu dieser Arbeit Stellung genommen und darauf verwiesen, daß dem Brot in der Aschezufuhr in der normalen gemischten Kost gar nicht die Be- deutung zukommt, die man ihm zuschreibt, jedenfalls auch nicht dem Vollkornbrot, insofern als ja mit stärkerer Ausmahlung die Magnesiasalze erheblich zunehmen, an welchen ‚ohnedies kein Mangel ist. Die Salze des Brotes haben auch in ihrer Zusammensetzung nichts mit unserem Organis- mus gemein. Viel ausschlaggebender sind die Gemüse. Aus diesen all- gemeinen Bedenken und Erwägungen schloß sich bestätigend an, was ich auf S. 360 über die‘ Ascheverluste im Kot bei verschiedener Ausmahlung auf Grund der Versuche mitgetilt habe. Die Verluste nehmen in enormem Maße mit der Zufuhr-von Aschebestandteilen im Kote zu. Erhöhte Zufuhr bedeutet also, wie man immer wieder betonen muß, nicht Steigerung der Resorption, sondern Steigerung der Verluste; dies ist in hohem Maße bemerkenswert. Da man doch annehmen muß, daß die Salze des Brotes sich zwischen Harn und Kot in den Ausscheidungen verteilen; sie sollten eine Steigerung der Zufuhr durch die Resorptionszahlen zum Ausdruck bringen. Archivf. A.u. ‚Ph. 1917. Physiol. Abtlg. 34 370 Max RuüsBner: Zur Klarlegung der Verhältnisse kann noch folgende kleine Tabelle dienen, welche die Zufuhr an kochsalzfreier Asche dem Ascheverlust durch den Kot gegenüberstellt. Um zum Ausdruck zu bringen, daß wir auf diesem Gebiete in dem Verhalten des Roggenbrotes nichts Neues sehen, habe ich auch eine Auslese aus meinen älteren Versuchen, die diese Tat- sachen enthält, gegeben. Aus- g Brot |Kochsalz-| Asche Nahrung mahlung | im Tag freie im etwa verzehrt | Asche Kot Weizen! ir. 30 934 2-95 2-95 Neuer Versuch ee 30 898 2:39 2-3 Alterer Versuch LER 70 832 2:85 3:90 Alterer Versuch BNLU SSAEREID. 129... 9 s0 637 6:60 7-06 Neuer Versuch Se ae 1 Eee 94 989 8-54 8-34 Neuer Versuch . Roggen er 94 1091 6-13 7-43 Neuer Versuch . Kriegsbrot . . . . 100 1166 1289| 2721 Neuer Versuch Kirnklerbros 0 1.2100 1112 9-40 8-97 Neuer Versuch Mit zunehmender Aschenmenge ergibt sich bei Weizen nicht eine Deckung des Verlustes im Kot, sondern eine Steigerung der Kotsalze, die bei 80 Prozent Ausmahlung nicht nur die ganze Menge der erhöhten Salz- zufuhr verschlingt, sondern noch darüber hinausgeht und selbst bei 94 Prozent Ausmahlung reichte die Zufuhr knapp für die Deckung der Kotasche und lieferte aber nichts für den Harn. In so einfacher Weise spielt sich die Sache allerdings nicht ab, weil ja unbedingt ein Teil der Brotasche in den Harn übertritt, also die Deekung der Ascheverluste in den Ausscheidungen noch viel weniger selingt, als es den Anschein hat. Nicht anders wie beim Weizenbrot ist es beim Roggen. Die auf- geführten Beispiele zeigen, wie trotz der erheblichen hohen Aschezufuhr diese für die körperlichen Bedürfnisse nicht hingereicht hat, weil sie ja nicht einmal so viel ausmachte, daß die Verluste im Kot — rechnerisch — gedeckt werden. Die drei aufgeführten Versuche repräsentieren” 6 Wochen Brot- ernährung; nimmt man ihre ganzen Ergebnisse in einem Mittel zu- sammen, so sind | | eingeführt in 6 Wochen ....... . 327-8 valze im Kot allein abgegeben .. .. . . 328-9 9 Die Zufuhr deckt die Ausfuhr durch den Kot allerdings fast ganz, läßt aber die Asche, welche im Harn verloren wird, ganz ungedeckt. Die 1 Mittel aus zwei Reihen mit 115lg bzw. 718g Brotaufnahme.' | | UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. 37 Bedürfnisse an Salzen werden durch. die Mehrzufuhr also nicht einfach abgeglichen oder die Verluste wenigstens gemindert, die Ansprüche nach Salzen werden erhöht, weil die Ausscheidungsgeröße im Kot zunimmt. Wir sind also auch mit dem Vollkornbrot nicht im entferntesten in der Lage, unsere Aschebedürfnisse abzugleichen. Wie sich die einzelnen Asche- bestandteile verhalten, kann hier ununtersucht bleiben. An der Steigerung der Ascheausscheidung ist nicht allein das Fehlen der Resorption beteiligt, sondern vor allem die Steigerung des Salzbedarfes durch die mit der Zell- membran zunehmenden Mengen der Stoffwechselprodukte. Die weitere Prü- fung dieser Fragen muß vorbehalten bleiben. Warum uns also die vermehrte Zufuhr an Asche in der Kleie keinen Nutzen bringt und bringen kann, ist damit klargelegt; ein Motiv, Vollkornbrot aus Gründen des Aschereichtums in den Vordergrund zu stellen oder ein Einheitsbrot dieser Art als notwendig und zweckmäßig erscheinen zu lassen, kann nicht zugegeben werden. Anhanse. Umrechnung sämtlicher Versuche von Plagge und Lebbin. 1g organ. Brotsubstanz —= 4-282 Kalorien. 1g organ. Kot = 5-478 Kalorien. Nach meinen Versuchen vom Jahre 1917. Prozent- N- | Verlust Verlust | Kalorien ım Brot Kalorien Autor im Kot Mittel Mittel Soldatenbrot, Roggenmehl, ungeschältes Korn, 15 Prozent Kleie, grobes Mehl: ae | 6126 1221 19-94 49.92 I av. ; 6124 876 14-34 89-18 N 6133 1064 17:34 47-00 are 6273 1114 17-75 - 45-05 nl MR 6273 809 12.89 |( 16:13 | 38.88 |( 43:35 I nen... > | 4120 631 15-31 40-61 SCHABsE N ea. 3342 529 15-83 43-68 VB a... 6760 1058 15-65 42-43 Grobes Roggenmehl geschält, Korn (3-5 Prozent Verlust und 39 Prozent Kleie- verlust = 7:4 Prozent im ganzen) ent a‘, 76275 1320 21-42 } 61-50 I Da... | 6275 | 978 | 15-58 \ a | 51-80 h 20369 Grobes Mehl, geschältes Korn, 3-15 Prozent Schälkleie, 11-85 Prozent Mahlkleie — 15 Prozent im ganzen: DU RE | 6200 | 10a | 17.30 15-09 |) vo | 5755 110 | 12-33 14-02 | 37:83 |\ 40-28 e. . || 5533 689 | 12-40 37:9 |] 24* 372 MAx RUBNER: UNTERSUCHUNGEN ÜBER VOLLKORNBROTE. Prozent- Verlust Kalorien im Kot Kalorien . NER Autor meet Mittel Mittel N- Verlust Fein vermahlenes Mehl, geschälter Roggen, 3-08 Prozent Schälkleie + 7:76 Prozent Mahlkleie = 10-84 Prozent Ausmahlung: DINO SEEN a 6779 978 14-43 33-20 Pawiniale. al | „5312 1020 19-19 | 45-00 Sch | 3312 686 12-91 |% 14-39 | 29-80 | 33-38 ER | 5420 776 14-32 | 31-50 | sche iso, sur 5420 602 1180 27-50 Feines Mehl, ungeschälter Roggen, 84 Prozent Ausmahlung (10-94 Prozent Kleie — 1:74 Prozent Spitzabfall): DAS De | 6277 913 14-54 R 38-80 | ee I Non | 1006 | 16-02 h 12 A000 h on Mehl nach 73-5 Prozent Ausbeute bis S4 Prozent: . | DRITTE URERE 5566 Kr. 50:85 | N. | 5566 | 1682 | 30-22 92:12 5, aa7Q h 2) | Fein vermahlener Roggen, 25 Prozent Kleieauszug: | BERN DR Me RGR ee 6378, 0. 753, 1 11280, 31-92 | Me. | 16378 © oe non | 11:53 | 36-66 | 33-75 ME "96378, |, 750.2 | 1.760) 32-67 Weizenmehl, 30 Prozent Kleieauszug: Be He | 5545 458 Ba: 22-18 | Se 310 5-56 A en-23 h 12,02 | Nur Kleie: akt ar | 3597 1872 52-04 a1 | 59-08 j ER | 2638 | 1394 | 52-84 h I mul Be h oz Pumpernickel: RR EN TEN. 258 6183. | usa ET lie233 52-04 Gelinkbrot: ER EEE 5655 1465 25-96 | 51-26 el 1112 ao 49-89 | Be 4286 1205 | 2811 1 | 55507 |g 5081 EN rer 4954 1189 | 23-99 45-02 Zeitschriften aus dem Verlage von VEIT & COMP. in LEIPZIG. Dkandinavisches Archiv für Physiologie. Herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt, 0, ö. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors. Das „Skandinavische Archiv für Physiologie‘‘ erscheint in Heften von 3 bis 5 Bogen mit Abbildungen im Text und Tafeln. 6 Hefte bilden einen Band. Der Preis des Bandes beträgt 22 4. Centralblatt für praktische AUGENHEILKUNDE. Herausgegeben von ‚Prof. Dr. J. Hirschberg in Berlin. Preis des Jahrganges (12 Hefte) 12 „4; bei Zusendung unter Streifband direkt von der Verlagsbuchhandlung 12 % 80 2. Das „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ vertritt auf das Nachdrück- liehste alle Interessen des Augenarztes in Wissenschaft, Lehre und Praxis, vermittelt den Zusammenhang mit der allgemeinen Medizin und deren Hilfswissenschaften und gibt jedem praktischen Arzte Gelegenheit, stets auf der Höhe der rüstig fortschrei- ‚tenden Disziplin sich zu erhalten. DERMATOLOGISCHES CENTRALBLATT. INTERNATIONALE RUNDSCHAU AUF DEM GEBIETE DER HAUT- UND GESCHLECHTSKRANKHEITEN. Herausgegeben von Prof. Dr. Max Joseph in Berlin. Monatlich erscheint eine Nummer. Preis des Jahrganges, der vom Oktober des einen bis zum September des folgenden Jahres läuft, 12 %. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, sowie direkt von der Verlagsbuchhandlung. } = Ri R — Neurologisches ÜGentralblatt. Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie. Physiologie. Pathologie und Therapie des Nervensystems einschließlich der Geisteskrankheiten. Begründet von Prof. E. Mendel. Herausgegeben von - Dr. Kurt Mendel. Monatlich erscheinen zwei Hefte zum Preise von 16 .% halbjährig. Gegen Einsendung des Betrages direkt an die Verlagsbuchhandlung erfolgt regelmäßige Zusendung unter Streifband nach dem In- und Auslande. Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Herausgegeben von Prof. Dr. C. Flügge, und Prof. Dr. F. Neufeld, Geh. Med.-Rat und Direktor Geh. Med.-Rat und Direktor des Instituts des Hygienischen Instituts der Universität für Infektionskrankheiten ‚‚Robert Koch‘‘ x in Berlin. Die „Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten‘ erscheint in zwanglosen Heften. Die Verpflichtung zur Abnahme erstreckt sich auf einen Band im durchschnitt- _ lichen Umfang von 30—35 Druckbogen mit Tafeln; einzelne Hefte sind nicht käuflich. Gesamtteuerungszuschlag bis auf weiteres 25 ',,. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Keil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften (bezw. in Doppelheften) mit Figuren im Text und zahlreichen Tafeln. 6 Hefte entfallen auf die anatomische Abteilung und 6 auf die physiologische Abteilung. Der Preis des Jahrganges beträgt 54 4. Gesamtteuerungszuschlag bis auf weiteres 25 °/o. Auf die anatomische Abteilung (Archiv für Anatomie, herausgegeben von Dr. Wilhelm v. Waldeyer-Hartz, Dr. Hans Virchow und Dr. Paul Röthig in Berlin) sowie auf die physiologische Abteilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben. von Dr. Max Rubner) kann besonders abonniert werden, und es beträgt bei Einzel- bezug der Preis der anatomisehen Abteilung 40 .%, der Preis der physiologischen Abteilung 26 4. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Abteilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Metzger & Wittig, Leipzig. Veit & Comp. in Leipzig. > P ar 1 4177, . oe : 4 a En ia aus deln nn r III] 470 Ill III ll 01 | z e] FE P=) E FE (2) = ZU < z [0] [7] no E = (7) 3 |